Der Einfluss der Familie auf das Schulschwanzen: Theoretische und empirische Analysen unter Anwendung der Theorien abweichenden Verhaltens 3531172263, 9783531172262 [PDF]


155 73 2MB

German Pages 311

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Papiere empfehlen

Der Einfluss der Familie auf das Schulschwanzen: Theoretische und empirische Analysen unter Anwendung der Theorien abweichenden Verhaltens
 3531172263, 9783531172262 [PDF]

  • 0 0 0
  • Gefällt Ihnen dieses papier und der download? Sie können Ihre eigene PDF-Datei in wenigen Minuten kostenlos online veröffentlichen! Anmelden
Datei wird geladen, bitte warten...
Zitiervorschau

Imke Dunkake Der Einfluss der Familie auf das Schulschwänzen

VS RESEARCH

Imke Dunkake

Der Einfluss der Familie auf das Schulschwänzen Theoretische und empirische Analysen unter Anwendung der Theorien abweichenden Verhaltens

VS RESEARCH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität zu Köln, 2009

1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17226-2

Danksagung

Diese Arbeit wurde als Dissertation am Forschungsinstitut für Soziologie der Universität zu Köln verfasst. Für die vielen Anregungen und die hilfreiche Unterstützung zu dieser Arbeit möchte ich sowohl meinem Doktorvater Prof. Dr. Michael Wagner danken als auch meinen Kollegen Rebecca Frings, Kim Gerber, Dr. Bernd Weiß, Georg Sunderer, Barbara Harms, Nicole Hiekel, Ina Berninger, Thomas Weißbrodt, Jennifer Klöckner, Jan Brülle, Rebekka Endler und allen Mitarbeitern, die im Forschungsprojekt „Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln“ tätig waren. Für die Übernahme des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Jürgen Friedrichs, ferner den Kollegen der Arbeitsgemeinschaft „Schulabsentismus-Schulaversion-Schuldistanz“, deren Kommentare und Ideen insbesondere im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Schulabsentismus“ sehr wertvoll waren. Dr. Dietrich Oberwittler vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg danke ich vielmals für die Bereitstellung der Daten der „MPISchulbefragung 1999“. Besonderer Dank gilt meinen Eltern und meinem Lebensgefährten Fernando Carpena sowie unserem Sohn Tjark. Eure Unterstützung, Geduld und Aufmunterungen waren maßgeblich für das Zustandekommen dieser Arbeit.

Imke Dunkake

5

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung .................................................................................................... 17 2 Schulpflicht, Absentismusforschung und Schulschwänzen als abweichendes Verhalten ............................................................................ 25 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Die historische Entwicklung der Schulpflicht .................................. 25 Die Entwicklung der Absentismusforschung ................................... 30 Definition „Schulschwänzen“ .......................................................... 34 Schulschwänzen als Form abweichenden Verhaltens ...................... 40 Abweichendes Verhalten in der Jugendphase .................................. 43

3 Die Familie: Definition und Funktion ....................................................... 47 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4

Definition „Familie“ ......................................................................... 47 Familiale Funktionen: Ihre Wurzeln und ihre Entwicklung ............. 49 Die Sozialisation .............................................................................. 53 Die soziale Platzierung ..................................................................... 56 Der emotionale Spannungsausgleich ................................................ 57 Die Familie und ihre „Restfunktion“................................................ 59

4 Stand der Forschung: Eine Zusammenfassung der Ergebnisse quantitativer Studien zum Einfluss familialer Faktoren auf das Schulschwänzen .......................................................................................... 63 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.2 4.3 4.4 4.5

Familiale Strukturmerkmale ............................................................. 67 Geschwisteranzahl ............................................................................ 67 Familienstruktur ............................................................................... 71 Sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie ............................. 74 Stadtviertel, Schulen und Wohnsituation ......................................... 80 Migration .......................................................................................... 82 Kulturelles und soziales Kapital ....................................................... 86 Innerfamiliale Merkmale .................................................................. 91 Abweichendes Verhalten der Familienmitglieder und andere Einflussfaktoren ............................................................................... 97 Zusammenfassung des Forschungsstandes....................................... 98

7

5 Theoretische Grundlagen: Eine Synthese der Theorien abweichenden Verhaltens und familiensoziologischer Aspekte .................................... 101 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4

Die Familie im Spiegel der Theorien abweichenden Verhaltens ... 101 Anomietheorie ................................................................................ 103 Sozialökologische Kontexteffekte .................................................. 104 Etikettierungsansatz ....................................................................... 106 Lerntheorie ..................................................................................... 107 (Soziale) Kontrolltheorie ................................................................ 108 (Psychologische) Kontrolltheorie ................................................... 109 Abweichendes Verhalten im Kontext der Familienforschung........ 112 Konzepte theoretischer Integration................................................. 114 Integration theoretischer Konzepte (conceptual integration).......... 115 Integration theoretischer Aussagen ................................................ 115 Integrative Modelle für die Erklärung des familialen Einflusses auf das Schulschwänzen ................................................................. 118

6 Die Kontrolltheorie nach Sampson und Laub ....................................... 121 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.9.1 6.9.2 6.10 6.11 6.12

Theoretische Grundlagen der Kontrolltheorie ................................ 121 Stichprobenbeschreibung ............................................................... 136 Fehlende Werte .............................................................................. 138 Auswertungsstrategien und statistische Analysemethoden ............ 142 Operationalisierung des häufigen Schulschwänzens ...................... 151 Operationalisierung familialer Strukturmerkmale .......................... 157 Operationalisierung familialer Bindungsfaktoren .......................... 158 Prüfung der Messmodelle............................................................... 164 Bivariate und multivariate Ergebnisse............................................ 166 Bivariate Ergebnisse: Familiale Strukturmerkmale, innerfamiliale Merkmale und häufiges Schulschwänzen ...................................... 166 Multivariate Ergebnisse.................................................................. 172 Erweiterung des Modells um den Einfluss der Peers und der Schule ............................................................................................. 182 Operationalisierung der Anbindung an deviante Peers und der Anbindung an die Schule ............................................................... 184 Diskussion ...................................................................................... 200

7 Anomietheorie ........................................................................................... 205 7.1 7.2 7.2.1

8

Erweiterung der Anomietheorie um eine Handlungstheorie .......... 211 Ergänzung der Anomietheorie auf der Mesoebene ........................ 213 Schlechte Schulleistungen als Resultat eines geringen kulturellen Kapitals .......................................................................................... 214

7.2.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.6.1 7.6.2 7.7 7.8 7.8.1

7.8.2 7.8.3 7.9

Schlechte Schulleistungen als Resultat eines geringen sozialen Kapitals .......................................................................................... 216 Stichprobenbeschreibung der PISA-Studie 2000 ........................... 222 Fehlende Werte .............................................................................. 225 Operationalisierung der abhängigen Variablen .............................. 226 Operationalisierung der unabhängigen Variablen .......................... 228 Erziehungsstile als Merkmal der elterlichen Kontrolle .................. 233 Die Clusteranalyse als Verfahren der Ermittlung verschiedener Erziehungsstile ............................................................................... 235 Konfirmatorische Faktorenanalyse: Die Darstellung der Messmodelle ........................................................................................... 245 Ergebnisse ...................................................................................... 249 Bivariate Ergebnisse: Die Beziehungen des SES und der Kontrollvariablen zu den Merkmalen des sozialen und kulturellen Kapitals .......................................................................................... 250 Bivariate Ergebnisse: Direkte Beziehungen des SES, des Sozialund Kulturkapitals zum häufigen Schulschwänzen ........................ 255 Multivariate Analysen .................................................................... 260 Diskussion ...................................................................................... 278

8 Fazit und Ausblick.................................................................................... 285 Literatur.......................................................................................................... 293 Anhang ............................................................................................................ 315

9

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Abbildung 2: Abbildung 3:

Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13:

Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19:

Schüler, die im Zeitraum von 14 Tagen mindestens 5 Stunden die Schule schwänzten in % (europäische Länder im Vergleich, PISA- Daten 2000) ............................................ 18 Historische Entwicklung der Schulabsentismusforschung ....... 39 Anzahl der internationalen und nationalen quantitativen Studien zum Thema "Familie und Schulschwänzen" im Zeitraum 1956 bis 2008 ........................................................... 65 Schwänzintensität nach Familienstand in Delmenhorst und Rostock (1999) ......................................................................... 74 Proportions of parents agreeing with various statements about attending school.............................................................. 88 Schulschwänzen nach der Elternkontrolle................................ 95 Beispiel einer „up-and-down Integration“.............................. 116 Beispiel einer „side-by-side Integration“ ............................... 117 Beispiel einer „end-to-end“ Integration ................................. 118 Struktur des theoretischen Modells nach Sampson und Laub 124 Theoretische Einflussgrößen auf die Kontrolltheorie nach Sampson und Laub ................................................................. 126 Der familiale Kontext abweichenden Verhaltens im Jugendalter nach Sampson und Laub ..................................... 134 Das modifizierte Modell des familialen Kontext abweichenden Verhaltens im Jugendalter nach Sampson und Laub ....................................................................................... 135 Aufbau eines Strukturmodells ................................................ 143 Totaler und partieller Mediator-Effekt ................................... 147 Direkte Effekte im Mediator-Modell ..................................... 148 Absolute Häufigkeit des Schulschwänzens (MPISchulbefragung 1999) ............................................................ 152 Schwänzhäufigkeit nach schweren Formen abweichenden Verhaltens (Mittelwerte, MPI-Schulbefragung 1999) ............ 156 Latente Konstrukte der innerfamilialen Merkmale (MPISchulbefragung 1999) ............................................................ 165

11

Abbildung 20: Anteile der häufig schwänzenden Jugendlichen nach der Uhrzeit des Nachhause-Kommens unterhalb der Woche ....... 168 Abbildung 21: Anteil der häufig schwänzenden Jugendlichen nach der Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Kindes ...................................................... 169 Abbildung 22: Indirekte Effekte der familialen Strukturmerkmale und Kontrollvariablen auf das häufige Schwänzen, vermittelt über die innerfamilialen Komponenten (standardisierte Probit-Koeffizienten, MPI-Schulbefragung 1999) ................. 176 Abbildung 23: Supressor-Effekt..................................................................... 179 Abbildung 24: Der Einfluss familialer Strukturmerkmale auf das abweichende Verhalten im Jugendalter, ergänzt um Schulund Peereinflüsse nach Sampson und Laub ........................... 183 Abbildung 25: Faktorenanalyse für das latente Konstrukt „Bindung an die Schule“ ................................................................................... 187 Abbildung 26: Der familiale Kontext abweichenden Verhaltens im Jugendalter ergänzt um Schul- und Peereinflüsse nach Sampson und Laub ................................................................. 188 Abbildung 27: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von der elterlichen Trennung................................ 191 Abbildung 28: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von der Berufstätigkeit der Mutter ....................... 193 Abbildung 29: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von dem Migrationshintergrund ........................... 194 Abbildung 30: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von dem sozioökonomischen Status (SES) .......... 195 Abbildung 31: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von dem Alter ....................................................... 196 Abbildung 32: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von dem Geschlecht ............................................. 197 Abbildung 33: Zusammenfassung der relevanten indirekten Effekte ............ 202 Abbildung 34: Häufiges Schulschwänzen im Rahmen der Anomietheorie.... 213 Abbildung 35: Häufiges Schulschwänzen im Rahmen der Anomietheorie ergänzt um das soziale und kulturelle Kapital ........................ 220

12

Abbildung 36: Alters- und jahrgangsbasierte Stichprobe der nationalen Erweiterung (PISA 2000) ....................................................... 223 Abbildung 37: Mittelwertprofile der vier Erziehungsstile nach Baumrind, Maccoby und Martin auf Basis der PISA-Daten (2000) ........ 236 Abbildung 38: Operanden des theoretischen Modells .................................... 243 Abbildung 39: Latentes Konstrukt „Nachhilfe“ ............................................. 246 Abbildung 40: Latentes Konstrukt „jugendgefährdende Filme“ .................... 246 Abbildung 41: Latentes Konstrukt „Schulrelevantes Kulturkapital“ und „Klassisches Kulturkapital“ ................................................... 247 Abbildung 42: Latentes Konstrukt „Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts“ ................................................................................... 248 Abbildung 43: Latentes Konstrukt „Unterstützung der Eltern“ ..................... 248 Abbildung 44: Anteile häufig schwänzender Schüler nach dem gemeinsamen Essen mit der Familie und dem Reden über Schulleistungen in % (PISA-Daten 2000) .............................. 257 Abbildung 45: Anteile häufig schwänzender Schüler nach dem Erziehungsstil, differenziert nach dem Geschlecht in % (PISA-Daten 2000)................................................................. 258 Abbildung 46: Anteile häufig schwänzender Schüler nach den Stunden im Nebenjob pro Woche in % (PISA-Daten 2000) ..................... 259 Abbildung 47: Der indirekte Einfluss des SES auf die Schulleistungen, vermittelt über das soziale und kulturelle Kapital (PISADaten 2000) ............................................................................ 267 Abbildung 48: Der indirekte Einfluss des SES auf die Alternativen zum Schulbesuch, vermittelt über das soziale und kulturelle Kapital und die Schulleistung ................................................ 272 Abbildung 49: Der indirekte Einfluss des SES auf das häufige Schulschwänzen, vermittelt über das soziale und kulturelle Kapital, die Schulleistungen und die Alternativen zum Schulbesuch ........................................................................... 274

13

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7:

Tabelle 8: Tabelle 9:

Tabelle 10:

Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13:

Tabelle 14:

Funktionen der Familie aus strukturfunktionalistischer Perspektive..................................................................................... 52 Familiale Aspekte in den klassischen Theorien abweichenden Verhaltens .................................................................................... 111 Stichprobenbeschreibung der MPI-Schulbefragung 1999 ........... 138 Globale Gütekriterien für die Modellbeurteilung ........................ 151 Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse zu den innerfamilialen Merkmalen.......................................................... 160 Punktbiseriale Korrelationen zwischen den innerfamilialen Komponenten und häufigem Schulschwänzen ............................ 167 Direkte Korrelationen zwischen häufigem Schulschwänzen und familialen Struktur- und Kontrollmerkmalen und partielle Korrelationen dieser Beziehung kontrolliert nach den innerfamilialen Merkmalen.......................................................... 171 Direkte Effekte der familialen Strukturmerkmale und innerfamilialen Komponenten auf das häufige Schulschwänzen . 174 Direkte, indirekte und totale Effekte der familialen Strukturmerkmale und innerfamilialen Komponenten auf das häufige Schwänzen ...................................................................... 177 Direkte Effekte (unter Berücksichtigung der indirekten Effekte) der familialen Strukturmerkmale und innerfamilialen Komponenten auf das häufige Schulschwänzen .......................... 181 Bedeutung der Freunde und Ausmaß der Peerdelinquenz (MPISchulbefragung 1999) .................................................................. 185 Rang-Korrelationen (nach Spearman) der schulischen Bindungsmerkmale ...................................................................... 186 Direkte Effekte der familialen Strukturmerkmale, der innerfamilialen Komponenten und der Peer/Schulmerkmale auf das häufige Schwänzen (unter Berücksichtigung der indirekten Effekte) ........................................................................................ 190 Direkte, indirekte und totale Effekte der familialen Strukturmerkmale, innerfamilialen Komponenten und Schulsowie Peerfaktoren auf das häufige Schwänzen .......................... 199 15

Tabelle 15: Zusammengefasste Ergebnisse der direkten Effekte auf das häufige Schulschwänzen (MPI-Schubefragung 1999) ................. 201 Tabelle 16: Beschreibung der Stichprobe (PISA-Daten 2000) ....................... 225 Tabelle 17: Anteile häufig schwänzender Jugendlicher nach Schulform (PISA-Daten 2000, Angaben in %) ............................................. 228 Tabelle 18: Explorative Faktorenanalyse der Dimension „Diskussion“ des sozialen Kapitals (PISA-Daten 2000) .......................................... 230 Tabelle 19: Explorative Faktorenanalyse der direkten Hilfe bei Schulaufgaben.............................................................................. 232 Tabelle 20: Erziehungsstile nach Baumrind und Maccoby/Martin ................. 234 Tabelle 21: Explorative Faktorenanalyse „Jugendgefährdender Filme“ ......... 238 Tabelle 22: Explorative Faktorenanalyse des objektivierten kulturellen Kapitals (PISA-Daten 2000) ........................................................ 239 Tabelle 23: Korrelationen der latenten Konstrukte der PISA-Daten (2000) ... 248 Tabelle 24: Der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status (SES) und dem sozialen sowie kulturellen Kapital (PISA-Daten 2000) ............................................................................................ 250 Tabelle 25: Korrelationkoeffizienten zwischen dem sozialen/kulturellen Kapital und den Schulleistungsmerkmalen (PISA-Daten 2000) .. 253 Tabelle 26: Punktbiseriale Korrelationen zwischen dem häufigen Schulschwänzen und Merkmalen des sozialen und kulturellen Kapitals ........................................................................................ 255 Tabelle 27: Die direkten Effekte auf das häufige Schulschwänzen (PISADaten 2000) ................................................................................. 262 Tabelle 28: Der Einfluss des SES auf die Dimensionen des sozialen und kulturellen Kapitals (PISA-Daten 2000) ...................................... 265 Tabelle 29: Direkte, indirekte und totale Effekte vom SES auf die Schulleistung................................................................................ 269 Tabelle 30: Direkte, indirekte und totale Effekte des SES auf den Nebenjob und die Anbindung an deviante Peers .......................................... 273 Tabelle 31: Direkte, indirekte und totale Effekte des SES auf das häufige Schulschwänzen ........................................................................... 276 Tabelle 32: Die direkten Effekte des SES, der Kontrollmerkmale, des sozialen und kulturellen Kapitals, der Schulleistungen und der Schulbesuchsalternativen auf das häufige Schulschwänzen unter Berücksichtigung der indirekten Effekte ..................................... 277 Tabelle 33: Zusammengefasste Ergebnisse der modellorientierten Hypothesen .................................................................................. 279 Tabelle 34: Zusammengefasste Ergebnisse der direkten Effekte auf das häufige Schulschwänzen .............................................................. 282

16

1

Einleitung

Ob Pippi Langstrumpf, Tom Sawyer oder Emils Detektive, schulschwänzende Kinder und Jugendliche sind in der klassischen Literatur oft Abenteurer, die durch ihre Taten und Erlebnisse den Leser zum Schmunzeln bringen. Was im 18. und 19. Jahrhundert noch humoristisch beschrieben wurde, hat Anfang des 21. Jahrhunderts einen anderen Tenor. Schulschwänzen wird zum Medienereignis. So schreibt der Kölner Stadtanzeiger „Alles ging den Bach runter – Kinder schwänzen zunehmend die Schule“ (Ksta 15.07.2002), die Süddeutsche Zeitung titelt „Schulsport Blaumachen“ (Süddeutsche Zeitung 15.02.2000), und dem WDR zufolge liegt das „Schwänzen im Trend“ (WDR 22.02.2002), Spiegel Online betont „Schwänzer sind Störenfriede“ (Spiegel 22.02.2002) und der Fokus warnt „Schulschwänzer riskieren Lehrstelle“ (Fokus 13.05.2007). Trotz der Tatsache, dass in vielen Medienberichten von einer Zunahme des Schulschwänzens berichtet wird, ist unklar, ob diese Aussage zutrifft oder nicht, denn letztlich fehlen repräsentative Daten, die eine solche Darstellung zulassen würden. Auch die relativ abgesicherten Kenntnisse über eine Zunahme der Anzeigen und Bußgeldbescheide (Bundesministerien des Innern und der Justiz 2001: 557 oder Bezirksregierung Düsseldorf 2001)1 sagen nichts über die Entwicklung des Schulschwänzens aus, da auch angenommen werden kann, dass sich nur das Anzeigenverhalten verändert hat, nicht aber das eigentliche Schwänzen. Ferner hängt die Zahl der Bußgeldbescheide auch von behördeninternen Regelungen ab, die sich auf die Meldepraxis der Schulen auswirken können, ohne dass sich die Verbreitung des Schulschwänzens verändert haben muss. Doch nicht nur die Frage, ob das Schulschwänzen zugenommen hat, bleibt unbeantwortet, auch ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ungeklärt, welches Ausmaß das Schulschwänzen überhaupt hat. Jüngst ging Weiß (2007) auf Basis einer Meta-Analyse dieser Frage nach und kommt zu dem Schluss, dass aufgrund der sehr heterogenen Messungen des Schulschwänzens keine eindeutige Aussage möglich ist (Weiß 2007: 45). Diese Heterogenität spiegelt sich unter anderem in den stark voneinander abweichenden Angaben über die Anteile der 1

Nach Angaben der Bezirksregierung Düsseldorf nahm die Anzahl der Bußgeldverfahren – trotz gleichbleibender Schülerzahlen – für die Grund-, Haupt- und Sonderschulen in dem Zeitraum 1992 bis 2001 von 462 auf 1299 zu.

17

Schulschwänzer wieder, die je nach Studie zwischen 10,0% und 60,0% liegen (Weiß 2007: 44). Auch Aussagen darüber, ob deutsche Schüler2 häufiger oder seltener schwänzen als Schüler anderer Länder, sind aufgrund der schlechten Datenlage nur bedingt möglich. Eigene Auswertungen der internationalen PISAStudie 2000 verdeutlichen, dass deutsche Schüler beim stundenweisen Schulschwänzen im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern im Mittelfeld liegen (vgl. Abbildung 1). Westeuropäische Länder weisen wiederum niedrigere Schwänzquoten auf als osteuropäische, südeuropäische und nordeuropäische Länder. Besonders hoch sind die Schwänzanteile in Süd- und Osteuropa. Um die Ursachen solcher regionaler Verteilungen zu klären, bedarf es jedoch genauerer Analysen.

Nationen

Ungarn Tschechien Russland Rumänien Polen Lettland Bulgarien

Schweiz Österreich Niederlande Luxemburg Lichtenstein Irland GB Frankreich Deutschland Belgien

Spanien Portugal Mazedonien Italien Griechenland Albanien

Schweden Norwegen Island Finnland Dänemark 0

1

2

3

4

5

6

7

8

%

Abbildung 1: Schüler, die im Zeitraum von 14 Tagen mindestens 5 Stunden die Schule schwänzten in % (europäische Länder im Vergleich, PISA- Daten 2000)

Während für Tom Sawyer, Pippi Langstrumpf und Emils Detektive die Folgen des Schulschwänzens eher harmlos waren, meistens sogar eine Bedingung dafür, dass sie all die Abenteuer erleben konnten, die den Leser begeistern, können 2

18

Im Rahmen dieser Arbeit werden die weiblichen Endungen nicht gesondert aufgeführt. Begriffe wie Schüler oder Lehrer umfassen sowohl Männer als auch Frauen.

sie in der gegenwärtigen Realität für viele Kinder und Jugendliche eine Gefahr für ihren weiteren Lebensverlauf darstellen. In diesem Kontext sind nicht Jugendliche gemeint, die schon einmal eine Stunde oder einen Tag geschwänzt haben, sondern jene, die aufgrund unterschiedlichster Ursachen, Probleme mit einem regelmäßigen Schulbesuch haben und damit ernsthaft ihre Bildungslaufbahn gefährden. Wie weit reichend die Folgen häufigen Schulschwänzens sein können, dokumentiert eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen. So zeigen internationale (z.B. Weitzman et al. 1985, DeJung und Duckworth 1986, Hibbett und Fogelman 1990, Caldas 1993, Lamdin 1996, Rumberger 1995) als auch nationale Studien (z.B. Wagner et al. 2004, Weiss 2007) eine enge Beziehung zwischen dem Schulschwänzen und schlechten Schulleistungen. Dies zeigt sich vor allem bei einer schulformspezifischen Betrachtung des Schulschwänzens. Demnach bleiben Gymnasiasten und Realschüler seltener unentschuldigt der Schule fern als Hauptschüler (Wetzels et al. 2000a, 2000b, Wagner, Dunkake und Weiß 2004, Weiß 2007, Weissbrodt 2007). Ferner sind schlechte Schulnoten und eine Klassenwiederholung relevante Einflussgrößen des Schulschwänzens (Wagner et al 2004, Weiss 2006).3 Über die schlechten Schulleistungen hinaus machen angloamerikanische Studien auf das Schulschwänzen als Risikofaktor für den Schulverweis aufmerksam (z.B. Robins und Ratcliff 1980, Rumberger 1995, Bos, Ruijters und Visscher 1990, Fagan und Pabon 1990, McCaughlin und Vachu 1992). Aber nicht nur schlechte Schulleistungen, sondern auch das häufig mit den Leistungen korrespondierende dissoziale Verhalten in der Schule – wie Verspätungen, Prügeleien mit Mitschülern, Mobbing, Arbeitsverweigerung im Unterricht sowie verbale und körperliche Angriffe gegenüber dem Lehrer – stehen mit dem Schulschwänzen in Beziehung (McAra 2004, Smith 2006). Nach Aussagen von Experten, die im Rahmen des Projektes „Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln“ interviewt wurden, geht die Belastung zum Teil soweit, dass Lehrer die Abwesenheit einzelner Schüler als bereichernd für das Unterrichtsklima wahrnehmen.4 So berichtet ein Sozialarbeiter: „Ich habe Fälle erlebt, wo über ein Jahr nichts passiert ist. Man muss das so bösartig sagen, es ist auch so, bei manchen Schülern sind Kollegen froh, wenn sie nicht 3

4

Die Studie zeigte, dass Klassenwiederholungen und schlechte Schulnoten Prädiktoren des Schulschwänzens sind. Da es sich aber um Daten im Querschnittsdesgin handelt, ist auch eine umgekehrte Kausalität (Schulschwänzen führt zu schlechten Schulnoten und/oder einer Klassenwiederholung) denkbar. Im Rahmen des GEW geförderten Projektes „Verbreitung und Determinanten der Schulverweigerung in Köln“, durchgeführt vom Forschungsinstitut für Soziologie, wurden Leitfadeninterviews mit Experten (Lehrern, Sozialarbeitern, Mitarbeitern des Jugendamtes, Schuldirektoren, Mitarbeitern der Schulsozialarbeit) und 22 Jugendlichen in Schulverweigererprojekten geführt. Die hier wiedergegebenen Zitate entstammen diesen Interviews.

19

erscheinen.“ Ein Mitarbeiter des Jugendamtes äußert: „wir haben eine Klasse vor Augen, […], und da sind zwei Typen drunter; der eine stört ständig, und der andere entzieht sich nachher auch körperlich, indem er wegbleibt. Das ist für alle restlichen erst mal eine Erleichterung. Das lädt gar nicht so unbedingt ein, da direkt hinterherzulaufen, so kann man endlich mal mit den anderen in Ruhe lernen.“ Eng an den Schulerfolg gekoppelt ist die Berufsbiographie. Diese ist bei ehemaligen Schulschwänzern verstärkt durch Tätigkeiten im Niedriglohnbereich (Robins und Ratcliff 1980, Casey und Smith 1995), durch häufig wechselnde Berufstätigkeiten (Cherry 1976, Farrington 1980) und durch ein erhöhtes Risiko der Arbeitslosigkeit (Farrington 1980, Gray, Smith und Rutter 1980, Hibbett, Fogelman und Manor 1990, Casey und Smith 1995) gekennzeichnet. Neben dem erhöhten Risiko arbeitslos zu werden, sind ehemalige Schulschwänzer auch länger arbeitslos, weisen einen niedrigeren sozioökonomischen Status auf und verweilen kürzer in einem Beruf (Hibett und Fogelman, 1990 sowie Hibbett, Fogelman und Manor 1990). Für deutsche Hauptschüler untersuchten Gaupp und Braun (2006) auf Basis einer vom Deutschen Jugendinstitut initiierten Längsschnittstudie den Werdegang schwänzender und nicht schwänzender Schüler.5 Ob Schulschwänzer oder nicht, die Schüler wünschen sich zu gleichen Anteilen eine Ausbildungsstelle oder berufsvorbereitende Maßnahmen nach dem Schulschluss (Gaupp und Braun 2006: 108). Entgegen der ähnlichen Zukunftserwartungen zeigen die realisierten Ausbildungswege ein anderes Bild. Den schwänzenden Schülern gelingt es seltener, unmittelbar nach der Schule eine Berufsausbildung zu beginnen. Häufiger als nicht schwänzende Schüler werden sie in berufsvorbereitende Angebote platziert. Darüber hinaus arbeiten sie etwa doppelt so oft als ungelernte Arbeiter (Gaupp und Braun 2006: 109).6 Dass Schulschwänzen, Schulleistungen und berufliche Erfolge eng miteinander korrespondieren, ist nicht überraschend. Schulschwänzen kann jedoch auch andere Lebensbereiche, wie die Partnerschaft oder das subjektive Wohlbefinden, negativ beeinflussen. Robins, Ratcliff und West (1979) sowie Hibett und Fogelman (1990) stellen fest, dass ehemals schwänzende Schüler im Vergleich zu Befragten, die in ihrer Jugend regelmäßig die Schule besuchten, im Erwach-

5

6

20

Die erste Befragungswelle fand 2004 statt (n = 4.000, schriftliche Befragung im Klassenverband). Darauf folgend wurden zu vier weiteren Zeitpunkten telefonische Interviews durchgeführt (vgl. auch Gaupp und Braun 2006: 105). Bei der Interpretation dieser Ergebnisse sollte berücksichtigt werden, dass es sich nur um Hauptschüler handelt, deren Berufsoptionen im Vergleich zu denen von Schülern höherer Schulformen unabhängig vom Schwänzverhalten negativ sind.

senenalter verstärkt von einer Alkoholabhängigkeit betroffen sind, häufiger zerbrochene Partnerschaften bzw. Ehen aufweisen, überproportional oft uneheliche Kinder haben und über Probleme im Erziehungsprozess mit den eigenen Kindern berichten. Zudem zeigen ehemals schwänzende Schüler vermehrt Symptome von Depressivität, Angstzuständen und psychiatrischen Auffälligkeiten im Erwachsenenalter. Mehrfach ist auch der Zusammenhang zwischen einem schlechten gesundheitlichen Zustand und häufigem Schulschwänzen dokumentiert. Nach Gaupp und Braun (2006) klagen schwänzende Kinder häufiger als nicht schwänzende über gesundheitliche Belastungen mit psychosomatischem Charakter (z.B. Magenschmerzen, Kopfschmerzen). Hibbett und Fogelman (1990) stellen für ehemals schulschwänzende Schüler im Erwachsenenalter einen höheren Nikotinkonsum fest. Gleiches berichten Miller und Plant (1999), die analog zu Robins, Ratcliff und West (1979) sowie Hibett und Fogelman (1990) einen Zusammenhang zwischen dem Schulschwänzen und einem gesteigerten Alkoholkonsum aufzeigen (vgl. auch McAra 2004 und Chou et al. 2006). Auch TeenagerSchwangerschaften wurden mehrfach, vornehmlich in angloamerikanischen Studien, als Ursachen des Schulschwänzens identifiziert (Boysen 1974, Woodward und Fergusson 1999, Leitenberg und Satzman 2000, Lynn, Nicholaas und Pitson 2000). Besonders viel Aufmerksamkeit erfuhr schon in den frühesten Arbeiten die Frage, ob das Schulschwänzen ursächlich für eine delinquente Karriere ist. Das Fazit einer Vielzahl älterer wie auch jüngerer Studien ist dabei identisch: Schüler, die wiederholt die Schule schwänzen, sind verstärkt einem Delinquenzrisiko im Jugend- und Erwachsenenalter ausgesetzt. Schon Burt (1945) bemerkte: „But, in actual fact, it [truancy] is usually the first step on the downward stair to crime – the first premonitory portent of far more desperate misdemeanours“ (1945: 455). Einschlägig in der Forschungsliteratur ist der Befund der Längsschnittstudie „Unraveling Juvenile Delinquency“ von Glueck und Glueck (1950), in der die Biografien von 500 delinquenten und 500 nicht delinquenten Jugendlichen miteinander verglichen wurden. Ein zentraler Befund dieser Studie ist, dass 94,8% der delinquenten Jugendlichen in der Vergangenheit die Schule schwänzten. Demgegenüber stehen 10,8% ehemaliger Schulschwänzer, die nicht zur Gruppe der Delinquenten gehören (Glueck und Glueck 1950: 148ff.). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Shaw und McKay (1972), West und Farrington (1973), Robins und Ratcliff (1980), Huizinga und Jakob-Chien (1998), Loeber und Farrington (2001), McAra (2004) und Frings (2004). Einige Untersuchungen differenzieren genauer nach der Form des abweichenden Verhaltens. Mehrfach wird Schulschwänzen in Zusammenhang mit Eigentumsdelikten (Tyerman 1958, Tennent 1970, Wilmers 2000, Wetzels et al. 2000a,

21

2000b), Gewaltakten (Hawkins et al. 1998, McCord und Ensminger 1997, Wilmers et al. 2002, Wetzels et al. 2000a, 2000b, Burgess, Gardiner und Propper 2002, Fuchs et al. 2005), Vandalismus bzw. Sachbeschädigung (Pritchard et al. 1992, Wilmers 2000, Wetzels et al. 2000a, 2000b) und Drogenmissbrauch (Kandel et al. 1984, Pritchard et al. 1992, Miller und Plant 1999, Halfors et al. 2002, McAra 2004) gebracht. Jenseits der individuellen Folgen kann das Schulschwänzen aber auch administrative Konsequenzen nach sich ziehen. So haben in den Vereinigten Staaten die Abwesenheitsraten der einzelnen Schulen gravierende Konsequenzen für die gesamte Schülerschaft und das Schulpersonal, weil die Finanzierung der staatlichen Schulen unter anderem von der täglichen Anwesenheitsrate der Schüler abhängt. Je mehr Schüler die Schule schwänzen, desto höher die ökonomischen Einbußen der Schulen. DuFour (1983) berichtet von einer ländlichen Region in den USA, in der ein erfolgreiches Interventionsprogramm gegen das Schulschwänzen die finanzielle Unterstützung der dort ansässigen Schulen um etwa 330.000 US-Dollar erhöhte. Noch dramatischer sind die ökonomischen Auswirkungen für die städtischen Schulen. Vertreter der New Yorker Schuladministration zufolge führt jeder hinzukommende Prozentpunkt an Schulschwänzern zu finanziellen Einbußen zwischen 10 und 20 Millionen Dollar (Schultz 1987: 118). Da im deutschen Bildungssystem keine direkten finanziellen Sanktionen für die Schulen auf Basis der Anwesenheitsquote erfolgen, sind die finanziellen Konsequenzen des Schulschwänzens noch schwieriger einzuschätzen. Zudem fehlen empirisch gesicherte Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß des Schulschwänzens, über die Anzahl der Schulabbrecher und über die Anzahl der Schüler, die in Integrationsprogrammen aufgenommen werden und dort erfolgreich einen Schulabschluss nachholen. All diese Faktoren sind entscheidend, um die finanziellen Folgen des Schulschwänzens einzuschätzen. Gehen wir in Anlehnung an die Befunde der angloamerikanischen Forschung davon aus, dass ein großer Anteil der häufig schwänzenden Schüler auch zu den späteren Schulabbrechern – laut des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) etwa 10,0% der Schüler ohne und 20,0% der Schüler mit Migrationshintergrund im Jahr 2006 – zählt, dann bewegen sich die Folgekosten7 laut des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Milliardenbereich (Klein 2005). Zudem könnte – basierend auf der Annahme, dass Schulschwänzen ein Prädiktor krimineller Aktivitäten ist – durch präventive Maßnahmen vermutlich eine Reduktion der Straftaten Jugendlicher erreicht werden, die letztlich zu einer Entlastung der Staatskassen führt.

7

22

Hierzu zählen vor allem nachschulische Qualifizierungsmaßnahmen, um die Arbeitsmarktchancen der Jugendlichen zu verbessern.

Obwohl das Schulschwänzen als Thema oft belächelt wird, können die Folgen gravierend sein. Trotz hoher ökonomischer, personeller und individueller Kosten wurde der Frage nach den Ursachen des Schulschwänzens bisher kaum systematisch auf den Grund gegangen. Von den Studien, die sich mit den Einflussgrößen des Schulschwänzens auseinandersetzen, zeichnet sich eine Vielzahl leider durch eine atheoretische Herangehensweise aus. Dementsprechend gibt es kaum Publikationen, in denen systematisch hergeleitete Hypothesen überprüft werden. Zumeist besteht der „theoretische Rahmen“ lediglich aus der Annahme, dass verschiedene Sozialisationsagenten einen wichtigen Einfluss auf das Schulschwänzen haben. Einem Sozialisationsagenten wurde dabei schon in den frühesten Abhandlungen (z.B. Kline 1898, Healy 1915) besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt: der Familie. Bereits Tyerman betonte Ende der 1950er Jahre: „Few of the truants had a happy and secure home influence. Most of them came from broken homes or homes where there was open disharmony. In general, the parents set poor examples and were unsatisfactory characters. They neglected their children, were ineffective in their supervision, and took little interest in their welfare. The view of many writers that the truant is born in an inferior environment seemed to be confirmed” (Tyerman 1958: 220f.).

Dass der Einfluss der Familie in den Vordergrund gestellt wird, ist nicht verwunderlich, da sie als Sozialisationsinstanz8 einen starken – wenn nicht sogar den stärksten – Einfluss auf die psychische, kognitive und physische Entwicklung des Kindes nimmt. Im Gegensatz zu den Peers9 oder der Schule, die oft erst in der späteren Kindheit und der jungen Adoleszenz einen deutlichen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung nehmen, prägt die Familie die zentralen ersten Lebensjahre und damit grundlegend die Normen- und Wertesysteme, die von den Kindern adaptiert werden. Ob ein Kind gesetzten Regeln, wie denen eines regelmäßigen Schulbesuchs folgt oder nicht, wird demnach auch maßgeblich durch die Sozialisation der Familie bestimmt. Sozialisationsprozesse wiederum werden oft von den der Familie zur Verfügung stehenden Kapitalien, wie z.B. dem Bildungskapital, beeinflusst, die wiederum wichtig sind, um dem Kind die Relevanz des Schulbesuchs zu vermitteln. Darüber hinaus können Eltern mit einem hohen Bildungskapital auch unterstützend wirken bei schulischen Problemen, die selbst oft Ursache des Schulschwänzens sind. Die hier aufgeführten Beispiele zeigen nur ansatzweise, wie vielfältig das Wirken der Familie im 8 9

Der Sozialisationsprozess wird detailliert in Kapitel 3 thematisiert. Der Begriff Peers wird in Anlehnung an Krappmann (1998) wie folgt definiert „ein als Interaktionspartner akzeptierter Gleichaltriger, von dem eine gewisse ‚Soziabilität’, also die Disposition, Handlungspläne miteinander abzustimmen und zwar ohne das Streben einander zu dominieren, verlangt wird“ (Krappmann 1998: 364).

23

Hinblick auf das Schulschwänzen sein kann. Umso wichtiger ist es, die Frage nach dem familialen Einfluss auf das Schulschwänzen systematisch zu beleuchten. Es ist daher Ziel dieser Arbeit: 1) Den Forschungsstand zu der Frage des familialen Einflusses auf das Schulschwänzen aufzuarbeiten. 2) Theoretische Modelle zu entwerfen, die das Schulschwänzen erklären und 3) diese Modelle empirisch zu prüfen. Am Anfang der Arbeit steht die Erörterung der zentralen Begriffe „Schulschwänzen“ (Kapitel 2) und „Familie“ (Kapitel 3). Dabei wird der Begriff des Schulschwänzens in Bezug zum abweichenden Verhalten gesetzt. Hinsichtlich der Familie werden neben den verschiedenen Begriffsdefinitionen auch die Funktionen der Familie diskutiert. Daran knüpft in Kapitel 4 die Aufarbeitung des Forschungsstandes an. Diese konzentriert sich ausschließlich auf quantitative Studien, die den Zusammenhang oder Einfluss familialer Merkmale zu dem bzw. auf das Schulschwänzen thematisieren. In Kapitel 5 wird der Umgang mit den familialen Einflüssen auf abweichendes Verhalten aus zwei Perspektiven beschrieben, zum einen aus der Perspektive der Theorien abweichenden Verhaltens und zum anderen aus Perspektive der sozialisationstheoretischen Ansätze. Es wird aufgezeigt, dass beide Perspektiven Defizite aufweisen, die jedoch durch eine gegenseitige Ergänzung partiell aufgehoben werden können. Eine Verbindung der Theorien abweichenden Verhaltens mit den sozialisationstheoretischen Ansätzen erlaubt die Konstruktion „neuer“ Theorien. Eine solche Theorie wird in Kapitel 7 vorgestellt. Vorab findet eine Überprüfung der sozialen Kontrolltheorie statt (Kapitel 6). Diese Theorie stammt aus dem Bereich der Theorien abweichenden Verhaltens und fokussiert, wie keine andere (klassische) Theorie, den Einfluss familialer Merkmale. Ein besonderes Augenmerk wird auf den Zusammenhang von familialen Strukturmerkmalen (z.B. dem sozioökonomischen Status, dem Migrationshintergrund) und den innerfamilialen Merkmalen gerichtet (z.B. die emotionale Bindung, die elterliche Kontrolle, Kritik und Ablehnung durch die Eltern). Auf Basis einer Schülerbefragung, die 1999 im Raum Köln und Freiburg vom Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg unter der Leitung von Dieterich Oberwittler initiiert wurde, findet eine empirische Prüfung der Kontrolltheorie statt. Das zweite theoretische Modell (Kapitel 7) ist in Anlehnung an die Ausführungen des fünften Kapitels eine Verbindung sozialisationstheoretischer Element und einer Theorie abweichenden Verhaltens. Basis der theoretischen Eigenkonstruktion ist die Anomietheorie Mertons (1968), die um die Elemente des „sozialen“ und „kulturellen“ Kapitals erweitert wird. Die empirische Prüfung erfolgt mittels der PISA-Daten aus dem Jahr 2000 (Baumert et al. 2002). Eine Diskussion der Ergebnisse und Vorschläge für präventive Maßnahmen folgen in Kapitel 8.

24

2

Schulpflicht, Absentismusforschung und Schulschwänzen als abweichendes Verhalten10

Schulabsentismus ist insbesondere deswegen ein Gegenstand der öffentlichen Diskussion, weil ein unregelmäßiger Schulbesuch, wie im vorhergehenden Kapitel aufgeführt, gravierende Folgen für den Bildungserwerb und damit langfristig auch für die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt haben kann (z.B. Farrington 1980, Robins und Ratcliff 1980). Neben dem Aspekt der biographischen Folgen verstößt das unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht auch gegen gesellschaftliche Normen. Letztere werden von der gesetzlich vorgeschriebenen Schulpflicht unterstrichen. Wenn wir uns der Frage nach der Bedeutung, den Auswirkungen und den Folgen des unerlaubten Schulabsentismus zuwenden, sollte deshalb zuvor geklärt werden, wie sich die Bedeutung der Schulpflicht historisch verändert hat und warum das „Nicht-zur-Schule-Gehen“ ein Bruch mit gesellschaftlichen Normen ist. Ziel des folgenden Kapitels ist es daher 1) die Entwicklung und Intention der allgemeinen Schulpflicht zu skizzieren, 2) den Forschungsstand der Schulabsentismusforschung darzustellen, 3) die Begriffe Schulschwänzen und Schulverweigerung zu definieren und 4) zu begründen, warum Schulschwänzen als abweichendes Verhalten definiert werden kann.

2.1

Die historische Entwicklung der Schulpflicht

In der Bundesrepublik Deutschland ist der regelmäßige Schulbesuch gesetzlich vorgeschrieben. Kinder vom 6. bis zum 18. Lebensjahr sind dazu verpflichtet, die Schule kontinuierlich zu besuchen und Erziehungsberechtigte haben die Aufgabe, auf die Einhaltung des Schulbesuches zu achten.11 Schriftlich fixiert ist diese Regelung im Schulgesetz, das unter der Kulturhoheit der Länder steht. Über die Länderhoheit hinaus untersteht das Schulwesen nach §7 Abs. 2 des Grundgesetzes der Aufsicht des Staates. 10 Dieses Kapital wurde – in weiten Teilen – in dem Buch: „Schulabsentismus: Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis“ publiziert (Dunkake 2007a). 11 Für Schüler, die mit 16 Jahren die Real- oder Hauptschule verlassen, gilt eine weitere Berufsschulpflicht, mindestens bis zur Volljährigkeit.

25

Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht ist eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Historische Vorläufer einer Art allgemeiner (christlicher) Volksbildung lassen sich bis auf Karl den Großen (768 - 814) zurückführen, der in der kaiserlichen Schulordnung von 809 die Ausbreitung der Pfarrschulen (dem mittelalterlichen Vorläufer der neuzeitlichen Volksschule) rechtlich verankerte (Theißen 1977). Mit dieser Verordnung, die sich auf die religiöse Unterweisung des Volkes beschränkte und vor allem die Ausweitung des christlichen Gedankengutes beabsichtigte, wurde erstmals ein regelmäßiger Unterrichtsbesuch institutionalisiert. Froese und Krawietz (1968) hingegen erachten den Mainzer Beschluss Karls des Großen von 813 als „erste Schulpflichtverordnung auf deutschem Boden [...]. Bestimmt sie doch bereits, daß alle Untertanen, d.h. Erwachsene und Kinder, Männer und Frauen, Edle und Gemeine, allgemeinen Elementarunterricht – sei es lateinischen, sei es muttersprachlichen – erhalten sollten“ (Froese und Krawietz 1968: 15). War es bis ins späte Mittelalter hauptsächlich Aufgabe des Klerus, die Kinder von Adeligen im christlichen Gedankengut zu unterweisen, zeigten sich im 17. und 18. Jahrhundert zur Zeit der Aufklärung und Säkularisierung neue Impulse: Der Staat kontrollierte und expandierte im Zuge seiner wachsenden Hoheitsgewalt verstärkt das Bildungswesen. Mit dem Wandel des Menschenbildes vom Untertanen zum rationalen, seine Welt verstehenden Wesen, wurde die Schulpflicht als Garant für ein allgemeines Bildungsniveau aller Bürger betrachtet. Damit wurde eine grundlegende Voraussetzung geschaffen, um dem Ideal des aufgeklärten Menschen näher zu kommen. Neben diesem immateriellen Aspekt spielten aber auch die wirtschaftlichen Anforderungen eine zentrale Rolle. Ohne einen minimalen Bildungsstandard, der sich in den Anfängen nur auf die Alphabetisierung der Gesellschaft bezog, wäre ein Staat den absehbar steigenden wirtschaftlich-technologischen Herausforderungen nicht gewachsen gewesen (vgl. Ricking 2003). 1619 schließlich wurde das Streben nach einer allgemeinen Bildung der Bevölkerung in der ersten, von kirchlichen Instanzen unabhängig formulierten „Weimarer Schulordnung“ festgehalten, die die Schulpflicht „mit einem bis dato unerreicht hohen Grad an Verbindlichkeit zum Ausdruck [brachte]“ (Ricking 2003: 29): „Sollen demnach hinführo die Pfarrherrn und Schulmeister an einem jeden Ort über alle Knaben und Mägdlein, die vom 6. Jahr an biss ins 12. Jahr, bey jhrer Christlichen Gemeine gefunden werden, fleissige Verzeichniss und Register halten, auff das mit denen Eltern, welche jhre Kinder nicht wollen zur Schule halten, könne geredet werden, auch auffe bedarf durch zwang der weltlichen obrigkeit dieselben in diesem Fall jhre schuldige Pflicht in acht zu nemen, angehalten werden mögen“ (Froese und Krawietz 1968: 21 nach Paulsen 1906).

26

1642 wurde die Forderung nach einer Schulpflicht für alle Kinder durch die Gothaer Ordnung (Gothaer Schulmethodus) übernommen. Im Gegensatz zur Weimarer Schulordnung reduzierte sich das Einschulungsalter vom sechsten auf das fünfte Lebensjahr. Des Weiteren regelte der Schulmethodus die Klasseneinteilung, setzte fest, welche Lehrbücher verwendet werden sollten und verfügte Regeln über die Unterrichtsmethoden sowie die Benotung der Leistungen. Im Hinblick auf die Erfüllung der Schulpflicht zeichnete sich die Gothaer Ordnung durch die Androhung von (Geld-) Strafen bei Verletzung des regelmäßigen Schulbesuches aus und etablierte damit erstmalig sehr deutlich in der Geschichte der Schulpflicht finanzielle Sanktionen. Für jede versäumte Unterrichtsstunde wurde von den Eltern eine Geldstrafe in Höhe von einem Groschen gefordert (bis zu maximal sechs Groschen). Exemplarisch für das wachsende Interesse des Staates an einer allgemeinen Schulpflicht ist das 1717 von Friedrich Wilhelm I. für Norddeutschland erlassene rechtswirksame Generaledikt (Theißen 1977, Ricking 2003), in dem die Schulbesuchszeit vom fünften bis zum zwölften Lebensjahr festgelegt wurde und Kinder erst dann aus der Schule entlassen werden sollten, wenn diese schreiben und lesen konnten. Nachdrücklich wird in dem Generaledikt die Bestrafung – auch in Form von Geldbußen – betont, die erfolgen sollte, wenn die Eltern ihren Nachkommen den Schulbesuch verwehren. 1793 postulierte sein Sohn Friedrich der Große das Generallandschulreglement, in dem die Schulbesuchszeit auf das dreizehnte/vierzehnte Lebensjahr erhöht wurde. Im Gegensatz zu dem Generaledikt seines Vaters bezog sich das Generallandschulreglement nicht nur auf Norddeutschland, sondern auf ganz Preußen. Die Umsetzung der Schulpflicht und damit die Steigerung des Bildungsniveaus der Bevölkerung gingen nur langsam voran. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es insbesondere in der Landwirtschaft üblich und oft auch notwendig, die Arbeitskraft der Kinder für den Familienbetrieb zu nutzen oder den Verdienst, den Kinder in einem außerfamilialen Betrieb erwarben – meist in Fabriken – fest in das Haushaltseinkommen einzubeziehen. Daher führte der Verlust der Arbeitskraft des Kindes zu ökonomischen Einbußen. Dies hatte wiederum zur Folge, dass der Schulbesuch von der Familie eher als Übel denn als Nutzen betrachtet wurde. Sanktionierende Maßnahmen, wie sie von Friedrich Wilhelm I. formuliert wurden, schienen erforderlich, um gegen den verbreiteten Analphabetismus unter der Bevölkerung und gegen die ökonomischen Interessen der Arbeitgeber, Kinder als billige Arbeitskräfte zu nutzen, anzugehen (Adolphs 1979: 29f.). Trotz der angedrohten Sanktionen konnten viele Eltern, insbesondere der deprivierten sozialen Schichten, den Verlust der kindlichen Arbeitskraft nicht tragen. Geldstrafen, soweit sie denn rechtsmäßig in Kraft traten, konnten nicht bezahlt werden und für den Staat stellte sich die alternative Haftstrafe

27

sogar als Belastung der Gemeindekasse dar, so dass letztlich die Sanktionsandrohungen selten umgesetzt wurden (Ricking 2003: 30). Neben den konträren ökonomischen Interessen von Familie und Staat wurde die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht zudem dadurch erschwert, dass der Staat in einen Kompetenzbereich eingriff, der originär der Familie zugeschrieben war: den Bereich der Erziehung. Diese „Kompetenzfrage“ belastete das Verhältnis zwischen Familie und Staat zusätzlich (Kell 1973: 16). Im Laufe der folgenden zwei Jahrhunderte wurden die Hürden und Interessenskonflikte zwischen Kinderarbeit und Schulbesuch langsam überwunden. Dazu trug vor allem das 1903 verabschiedete „Gesetz betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben“ bei, das die Abschaffung derselben beschloss. Auch wenn die hier zitierten historischen Vorläufer den Terminus „Schulpflicht“ verwenden, kann mit Ricking (2003: 31) bis ins 20. Jahrhundert eher von einer „Zielversion“ der allgemeinen Schulpflicht gesprochen werden als von einem realistischen Tatbestand. Grundsätzlich stand es den Eltern frei, ihr Kind entweder in eine Schule zu schicken oder auf andere Weise (z.B. Privatunterricht, Lehre durch kirchliche Instanzen) dafür zu sorgen, dass es Lesen, Schreiben und Rechnen erlernte. Die Frage nach der Zuständigkeit der Wissensvermittlung änderte sich mit der gesetzlichen Verankerung der Schulpflicht durch das Reichsschulgesetz von 1919: „Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr“ (§145 Abs. 1; Weimarer Reichsverfassung). Kennzeichnend für den §145 ist die Ablehnung außerschulischer Bildungsalternativen (Hauslehrer, Eltern etc.), die zwar noch nicht verboten, aber dennoch nunmehr als illegitim betrachtet wurden. Die Schulpflicht sollte „grundsätzlich“ durch die Volksschulen abgesichert werden. Verbindlicher wird dies dann in §146 für die Grundschuljahre formuliert. „Die Volksschule ist in den vier untersten Jahrgängen als die für alle gemeinsame Grundschule, auf der sich auch das mittlere und höhere Schulwesen aufbaut, einzurichten“ (Gesetz betreffend der Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen, Abs. 1). Darüber hinaus unterstrich das Reichsgrundschulgesetz von 1920 die Rolle der Volksschule als Garant der allgemeinen Wissensvermittlung in den ersten vier Schuljahren. Von diesem Zeitpunkt an konnte die Primarschule nur noch in wenigen Ausnahmefällen durch andere, außerschulische Instanzen ersetzt werden (§146 Abs. 4). Der endgültige Abbau privater Vorschulen und Vorschulklassen erfolgte jedoch erst 1936 durch Anordnung des Reichserziehungsministeriums (vgl. Zymnik 1989). Zu Zeiten des Nationalsozialismus (1933 - 1945) wurde im Rahmen des Reichsschulpflichtgesetzes vom 06.07.1938 die Volksschulpflicht auf insgesamt acht Jahre erweitert. Darüber hinaus bestimmte das Gesetz den Zeitpunkt der

28

Einschulung (30. Juni für Kinder, die das sechste Lebensjahr vollendet haben), führte eine an die Volksschule anschließende Pflicht des Besuchs einer Berufsschule ein und definierte die Nicht-Einhaltung der Schulpflicht als Übertretung, „wodurch sie als minderschweres, nichtkriminelles Unrecht ausgewiesen wurde“ (Habermalz 2002: 218). Kinder und Jugendliche, die der Pflicht zum Besuch der Volks- oder Berufsschule nicht nachkamen, konnten der Schule zwangsweise – auch mit Hilfe der Polizei – zugeführt werden. Zudem sah das Reichsschulpflichtgesetz bei Zuwiderhandlung gegen die Schulpflicht strafrechtliche Konsequenzen in Form von Geldstrafen (bis zu 150 Reichsmark) oder Haft (bis zu sechs Wochen) vor. Entsprechend der nationalsozialistischen Propaganda betonte das Reichsschulpflichtgesetz, die Jugend im „Geiste des Nationalsozialismus zu erziehen“ (§1 Abs. 1). Die neu entstandenen Schulgesetze nach 1945 behielten die Sanktionsandrohung gegenüber den Schulpflichtigen bei Missachtung der Schulpflicht. Mit der Abschaffung des Tatbestandes der Übertretung durch die Strafrechtsreform von 1975 stuften die meisten Länder der Bundesrepublik die Schulpflichtverletzung nun jedoch als Ordnungswidrigkeit ein (vgl. Habermalz 2002). Eine Ausnahme bildet das Schulgesetz des Saarlandes, das auch noch heutzutage eine Strafandrohung für diejenigen vorsieht, die „sich oder einen anderen der Schulpflicht dauernd oder vorsätzlich wiederholt entzieht [entziehen]“ (Gesetz Nr. 836, Schulpflichtgesetz Saarland §17 Abs. 4). Auf Antrag der Schulleitung kann in solchen Fällen, neben einer möglichen Geldstrafe, eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten folgen. Zusammengefasst lässt sich die Geschichte der Schulpflicht in vier Stufen unterteilen: 1.

Zwischen 800 und 900 nach Chr. bestand seitens des Klerus der Wunsch, nachfolgende Generationen in Gottesfurcht und Disziplin zu erziehen. Unterstützt wurde dieses Bestreben durch die kaiserliche Schulordnung Karls des Großen. Folge der christlichen Bildungsexpansion war der Ausbau der Pfarrschulen.

2.

Die Weimarer Schulordnung (1619) und die Gothaer Ordnung (1648) betonten die Bedeutung des regelmäßigen Schulbesuchs und drohten erstmals Sanktionen an, wenn Eltern ihren Kindern den Schulbesuch nicht ermöglichten.

3.

Im 18. Jahrhundert entwickelte sich eine Unterrichtspflicht. Diese hatte zum Ziel, gerade Eltern, denen es nicht möglich war, ihre Kinder durch privaten Unterricht zu fördern, dazu zu bewegen, ihre Nachkommen in eine öffentliche Schule zu schicken. Damit sollte gesichert werden, dass ein Großteil der Bevölkerung eine Grundausbildung in Form von Schreiben, Lesen und Rechnen erhielt.

4.

Letztlich entstand aus der Unterrichtspflicht durch die Weimarer Reichsverfassung (1919) eine allgemeine Schulpflicht. Das Reichsschulpflichtgesetz (1938) erhöhte die allgemeine Schulbesuchszeit und führte den Schulzwang ein. Bis auf die 1938 eingeführten Formulierungen über die nationalistisch orientierten Erziehungsprämissen und die dem Jugendlichen angedrohten sehr harten Sanktionen bei Nichtbefolgung, beruhen die heutigen Schulgesetze der Länder – in leicht modifizierter Form – auf diesen Vorläufern von 1919 bzw. 1938.

29

2.2

Die Entwicklung der Absentismusforschung

Der Begriff des Schulschwänzens ist nach Grimm (Grimm 1899 nach Müller 1990: 15) auf den Terminus „Schwänzelpfennige“ aus dem 17. und 18. Jahrhundert zurückzuführen. Unter „Schwänzelpfennigen“ sind kleinere Geldbeträge zu verstehen – zumeist Wechselgeld –, welche die Dienstboten unterschlugen, wenn sie für ihre Herrschaften Einkäufe erledigten. Erstmalig wird der Begriff „Schulschwänzen“ in der Studentensprache verwendet und bezeichnet das Versäumnis einer Unterrichtsstunde. Originär bezog sich dieser nicht auf die Schüler und Studenten, sondern auf die Abwesenheit der Lehrer und Professoren vom Unterricht (Müller 1990: 16). Ein weiterer Ursprung des Ausdrucks ist in dem Wort „Schwanz“ der Gaunersprache des 19. Jahrhunderts zu finden: „Hier bedeutete schwänzen: reisen, abhauen, sich verdrücken. Die Schwänzenden ritten weg, zeigten den Zurückgebliebenen nur noch den – Pferde – Schwanz“ (Müller 1990: 16). Im Laufe der Zeit erfuhr der Begriff einen Bedeutungswandel und wurde entsprechend dem heutigen Verständnis zur Beschreibung der unerlaubten Abwesenheit vom Schulunterricht von Schülern und Studenten herangezogen. Die ersten Studien zum Thema Schulschwänzen sind in Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts publiziert worden (z.B. Booth 1896). Im Jahre 1898 definierte Kline Schulverweigerung (truancy) als „rebellion against suppressed activity and denial of free out-door life” (Kline 1898: 15). Diese Definition, in der gegenwärtigen Literatur oftmals ironisch kommentiert, betrachtet Schulschwänzen als das Resultat eines „Wander- und Spieltriebes“, der mit dem jahreszeitlich bedingten Wanderzug der Tiere vergleichbar ist (Cooper 1965: 115f., Evans 1975: 64). Die Interpretation des Schulschwänzens als Spieltrieb war nicht von langer Dauer. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts betrachteten Wissenschaftler das Schulschwänzen als Ausdruck von Verwahrlosung. So kam Healy (1915), der 1909 für das Juvenile Psychopathic Institute in Chicago 1000 Akten von jugendlichen Straftätern auswertete, zu dem Ergebnis, dass Schulschwänzen auf geringe elterliche Kontrolle, strukturell unvollständige Familien, aber auch auf mentale Dispositionen der Jugendlichen zurückzuführen sei. „Evidence now existed to link the ‚impulse to wander’ with unlawful conduct” (Cooper 1965: 116). Das Thema „Schulschwänzen“ erregte schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – vor allem in den USA – die Aufmerksamkeit von Soziologen sowie von Kriminologen und floss in einschlägige Studien ein, die sich mit dem abweichenden Verhalten von Jugendlichen auseinandersetzten (z.B. Abbott und Breckinridge 1917, Shaw und McKay 1972 [1929], Glueck und Glueck 1950, Reiss 1951). Obwohl das Schulschwänzen in diesen Ausführungen als zentrales

30

Merkmal möglicher Entwicklungsprobleme des Jugendlichen betrachtet wurde, erfuhr es selten eine theoretische Herleitung. Parallel zu der wachsenden Bedeutung des Schulschwänzens in der amerikanischen Soziologie, setzten sich Mediziner, Psychologen und Pädagogen mit den eher psychologisch motivierten Formen der unerlaubten Schulabwesenheit auseinander. Wichtig sind hier vor allem die Phänomene „Schulphobie“, „Trennungsangst“ und „Schulangst“. Der Begriff der Schulphobie wurde 1925 erstmals von Burt formuliert, der psychische Auffälligkeiten von Kindern untersuchte. Dabei entdeckte er phobische Verhaltensweisen bei Schülern, die während des Krieges in Schulen Schutz vor Luftangriffen suchten. Folge dieser erlebten Angriffe war eine starke Assoziation der Schule mit einer lebensgefährlichen Situation, so dass die Schüler durch die Wahrnehmung „Schule gleich Lebensgefahr“ Angstgefühle entwickelten, die einen weiteren regulären Schulbesuch verhinderten. Das Krankheitsbild der Schulphobie spielt auch heute noch in Medizin, Psychologie und Pädagogik eine bedeutende Rolle: verschiedene Ängste, die zumeist nicht in der Schule begründet sind, sondern ihre Wurzeln vor allem im familialen Bereich haben, hindern die Kinder am Schulbesuch (vgl. Cooper 1965, Hersov und Berg 1980, Ganter-Bührer 1991, Latzko und Fegert 1991, Lee und Miltenberg 1996). Eine häufig genannte Ursache der Schulphobie ist die Trennungsangst („separation anxiety“), eine psychische Störung, die durch eine übermäßige Bindung zwischen einem Elternteil – meist der Mutter – und dem Kind entsteht. Primär Kinder im Grundschulalter, die in der Situation sind, für einen längeren Zeitraum von der Mutter getrennt zu sein, weisen Symptome der Trennungsangst auf (Berg 1970). Die Unsicherheit, sich abseits der Bezugsperson in einer fremden Umgebung zu bewegen, führt zu einer Ablehnung des „Trennungsortes“ – in diesem Fall der Schule. Eingeführt wurde dieses Konzept – mit verschiedener Akzentuierung – von Johnson et al. (1941), Estes, Haylett und Rachmann (1956) sowie Coolidge, Hahn und Peek (1957). Im deutschsprachigen Raum wurde es unter anderem von Nissen (1972) übernommen. Der Terminus Schulangst bezeichnet schließlich die Angst vor Situationen, die durch die Institution Schule hervorgerufen werden, zum Beispiel Ärger mit den Lehrern oder Mobbing durch die Mitschüler (Overmeyer et al. 1994). In den 1930er Jahren dominierten vor allem psychoanalytische Theorien, die das Schulschwänzen durch infantil-sexuelle Bindungen der Kinder an die Eltern erklärten (Broadwin 1932). Aus psychoanalytischer Perspektive drückte das unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht ein „Syndrom der Verwahrlosung, der permanenten Frustration von kindlichen Bedürfnissen durch die Eltern in der frühen Kindheit und den daraus folgenden Mangelerscheinungen aus“ (Ricking und Neukäter 1997: 51). Im deutschsprachigen Raum gab es – abgesehen von wenigen psychoanalytischen Arbeiten – bis zur „empirischen Wende der Päda-

31

gogik“ in den 1960er Jahren (Ehmann und Rademacker 2003: 37) kaum Studien zum Thema Schulschwänzen. Die früheren soziologischen Studien aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien fanden in Deutschland keine Resonanz; die deutsche Soziologie schenkte dieser Thematik kaum Beachtung. Dementsprechend wird der historische, aber auch der aktuelle Forschungsstand in der Bundesrepublik von anderen Disziplinen dominiert. Vor allem die Pädagogik weist neben der psychiatrischen und psychologischen Forschung eine Vielzahl von Publikationen zu diesem Thema auf. Sowohl die jüngsten theoretischen Abhandlungen (z.B. Schulze, Ricking und Wittrock 2000, Simon und Uhlig 2002, Ricking 2003, Ehmann und Rademacker 2003) als auch die ersten empirischen Arbeiten sind in dieser Disziplin verankert (z.B. Letz 1962, Klauer 1963, Krüger, Claaß und Speck 1972, Müller-Hoff 1976). Mit den zahlreichen Forschungsrichtungen zur unerlaubten Schulabwesenheit variieren auch die jeweiligen Forschungsschwerpunkte. Dominant ist in diesem Kontext die Frage nach dem Zusammenhang von Persönlichkeit und Schulschwänzen. So wird den schwänzenden Jugendlichen ein negatives Selbstkonzept (z.B. Herwartz-Emden und Decker 1978, Reid 1982, Cooper 1984) und ein erhöhtes Depressionsrisiko zugeschrieben (Robins, Ratcliff und West 1979). Schüler mit häufiger unentschuldigter Abwesenheit leiden angeblich überproportional oft an Schulangst (Kaiser 1983, Reid 1985) und zeigen neben dem Schulschwänzen eine Reihe weiterer dissozialer Verhaltensformen, wie zum Beispiel Aggressivität und Vandalismus (Nielsen und Gerber 1979, Prichard, Cotton und Cox 1992, Dietrich und Sturzbecher 1993). Sie begehen eher delinquente Handlungen (z.B. Reiss 1951, Glueck und Glueck 1963, Witzel 1969, Tennent 1971, Farrington 1980, Galloway 1985, Berg et al. 1985, Liska und Reed 1985, Reid 1985, Hibbett und Fogelman 1990, Thornberry et al. 1994, Huizinga, Loeber und Thornberry 1994, Kelly et al. 1997, Graham 1998, Loeber und Farrington 1998, 2000, Frings 2004) und weisen einen überdurchschnittlich hohen Drogenkonsum auf (Kandel 1975, Pritchard, Cotton und Cox 1992, McAra 2004). Auch die familialen Strukturmerkmale spielten und spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung der unerlaubten Schulabwesenheit. Hersov (1960), Tyerman (1968), Mitchell (1972), May (1975) sowie Fogelman, Tibbenham und Lambert (1980) belegen in ihren Untersuchungen, dass schulschwänzende Jugendliche vielfach aus großen Familien stammen und zudem häufig in engen Wohnverhältnissen aufwachsen. Ferner wurde der Abwesenheit eines oder beider Elternteile große Bedeutung für die Entstehung des Schulschwänzens beigemessen (z.B. Hersov 1960, Pritchard, Cotton und Cox 1992, Burgess, Gardiner und Propper 2002). Im Hinblick auf die Beziehung zwischen dem sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie und dem Schulschwänzen vertreten

32

mehrere Autoren die Annahme, dass eine deprivierte sozioökonomische Lage Schulschwänzen forciert (z.B. Fogelman 1978, Fogelman, Tibbenham und Lambert 1980, Casey und Smith 1995). Jedoch konnte der Einfluss des sozioökonomischen Status auf die unerlaubte Schulabwesenheit nicht konsistent bestätigt werden und wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Eindeutiger sind die Befunde in Bezug auf den Zusammenhang zwischen elterlichen Bildungsaspirationen sowie Erziehungsmerkmalen und Schulschwänzen. Demnach haben Eltern schwänzender Kinder weniger Kontakt zur Schule (Fogelman und Richardson 1974) und sehen in schlechten Schulleistungen seltener eine Barriere für die weitere Zukunft des Kindes als Eltern nicht schwänzender Kinder (Malcom et al. 2003). Auch zeigen angloamerikanische Studien eine positive Beziehung zwischen dem Schwänzverhalten der Kinder und einer niedrigen elterlichen Kontrolle sowie einem inkonsistenten oder extrem autoritären Erziehungsstil (z.B. Corville-Smith et al. 1998).12 Nach Ricking (2003: 18) ist Mitte der 1970er Jahre ein Paradigmenwechsel in der internationalen Absentismusforschung festzustellen. Wurden bis zu diesem Zeitpunkt primär den Persönlichkeitsmerkmalen des Kindes bzw. Jugendlichen sowie den familialen Merkmalen ein wichtiger Einfluss auf das Schulschwänzen zugeschrieben, erkannten die Forscher nun zunehmend die bedeutsame Rolle der Institution Schule. Gefragt wurde nach dem Effekt des Schulklimas, insbesondere der Anwendung strikter Verhaltensregeln in der Schule (z.B. Polk und Schafer 1972, Waltzer 1984), nach der Qualität der SchülerLehrer-Beziehung (z.B. Elliott und Voss 1974, Barth 1984, Levine 1984, Bealing 1990), der Schüler-Schüler-Interaktion (Polk und Scharfer 1972) und der Qualität der Unterrichtsinhalte (z.B. Sommer 1985, Bealing 1990). Durch die in der Kriminalsoziologie geführte Debatte um den Etikettierungsansatz gewann auch die Frage nach den Stigmatisierungsprozessen als Ursache des Schulschwänzens zunehmend Aufmerksamkeit.13 Vermutet wurde, dass einmaliges Schwänzen von Jugendlichen mit sozialen Stigmata – wie zum Beispiel sprachlichen Artikulationsschwierigkeiten oder schlechten Schulleistungen – bei Lehrern und Mitschülern schnell zu einer Etikettierung führt und diesen Schülern eher die Rolle des „Schulschwänzers“ zugeschrieben wird, als zum Beispiel 12 Eine detaillierte Darstellung des Forschungstandes ist Kapitel 4 zu entnehmen. 13 Der Etikettierungsansatz oder Labeling Approach interpretiert abweichendes Verhalten als das Resultat der Stigmatisierung durch die soziale Umwelt: „The young delinquent becomes bad, because he is defined as bad“ (Tannenbaum 1953: 17). Verhält sich ein Individuum erstmalig abweichend (primäre Devianz) und reagieren die Interaktionspartner, indem sie das Individuum verbal wie auch nonverbal negativ sanktionieren, kann dies zu einer Identifikation des Stigmatisierten mit der ihm zugeschriebenen Rolle führen. Je stärker die soziale Umwelt dem Handelnden diese Rolle zuschreibt, desto intensiver identifiziert sich dieser mit der Rolle und desto wahrscheinlicher ist es, das sich die Person zukünftig abweichend verhält (sekundäre Devianz).

33

Jugendlichen, die keine Leistungsschwächen oder Merkmale einer sozialen Deprivation aufweisen. Diese Stigmatisierung drückt sich in negativen verbalen Äußerungen (z.B. Beschimpfungen) gegenüber dem Jugendlichen aus, was wiederum eine zunehmende Identifizierung mit der ihm zugeschriebenen Rolle begünstigt. Die Folge dieser Internalisierung ist schließlich ein vermehrt unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht (Brusten und Hurrelmann 1973). Seit Ende der 1980er Jahre etablierte sich im Zuge der wachsenden Popularität der sozialökologischen Theorie14 der „multifaktorielle Ansatz“ (z.B. van Petegem 1994). Die einzelnen Sozialisationsagenten – vor allem Familie und Schule – wurden nicht mehr separat betrachtet, sondern es wurde ein Synergieeffekt aller Sozialisationsinstanzen angenommen. Auch den Peers und dem Wohnumfeld kam dabei eine große Bedeutung zu. „Erst in jüngerer Zeit wird mehr dazu übergegangen, einen synoptisch-integrativen Blick auf den Gegenstand zu richten, Komplexität zuzulassen und so zu einer angemessenen Einschätzung des Verhaltens zu kommen“ (Ricking 2003: 19). Komplexe Kausalmodelle – die jedoch selten empirische Überprüfung erfahren – ersetzten Konzepte, in denen einzelne Sozialisationsagenten als Quelle der unerlaubten Schulabwesenheit herangezogen wurden (Hildeschmidt et al. 1979, Ganter-Bührer 1991).

2.3

Definition „Schulschwänzen“

„Schulverweigerung“ (Theißen 1977), „Schulschwänzen“ (Müller 1990), „Absentismus“ (Fend 1995), „Schulvermeidung“ (Häring 2001) „Schulversäumnis“ (Kaiser 1983, Müller 1990), „unregelmäßiger Schulbesuch“ (Klauer 1963, Hildeschmidt et al. 1979, Weitz 1987) und „Schulpflichtverletzung“ (ErbachProbst und Hartwig 1998) sind gängige Formulierungen, die alle ein ähnliches Phänomen beschreiben, jedoch unterschiedliche Akzente setzen. Diese heterogene Begriffsbestimmung ist auch in der angloamerikanischen Fachliteratur wiederzufinden. So werden die Termini „non attendance“ (Hersov 1960, Tennent 1971), „school absenteeism“ (Levanto 1975, Kandel et al. 1984, Reid 1985, Bos, Ruijters und Visscher 1992) oder „truancy“ (Tyerman 1968, 1972, van Petegem 1994) oft synonym für die unerlaubte Schulabwesenheit verwendet. Diese „Begriffskonfusion“ (Oehme und Franzke 2002: 67) liegt vor allem

14 Der sozialökologische Ansatz wird oft mit Brofenbrenner (1981) in Verbindung gebracht. Angenommen wird, dass das Individuum durch verschiedene Teilbereiche der sozialen Umwelt beeinflusst wird. Die soziale Umwelt wird nach Bronfenbrenner (1981) in einem Mehrebenenmodell unterteilt: Mikro-, Meso-, Exo-, Makro- und Chronosystem.

34

in der unklaren Verwendung von Nominal- und Realdefinitionen.15 Beide Definitionstypen werden angewandt, obwohl in den Wissenschaften ein allgemeiner Konsens darüber besteht, dass Realdefinitionen für das wissenschaftliche Arbeiten – ausgenommen der klassischen Logik – untauglich sind, „da keine Kriterien angegeben werden können, inwieweit das ,Wesen’ einer Sache durch die Definition ersetzt wird“ (Schnell, Hill und Esser 1999: 50). Ein Blick auf die Forschungsliteratur zeigt auch heute noch im Forschungsfeld „Schulschwänzen“ eine Dominanz der Realdefinition. Sehr wahrscheinlich ist dies auf die historische Entwicklung dieses Forschungsgegenstandes zurückzuführen, der seine Wurzeln vorwiegend in der Psychologie und Psychiatrie hat (Oehme und Franzke 2002). Da sich diese Wissenschaften vor allem mit Schulabwesenheit als Ausdruck einer Krankheit auseinandersetzten, entwickelten sich verschiedene Diagnosen und Krankheitstypen, die die Begriffsbestimmung anderer Wissenschaften bis heute stark beeinflussen. Die Folge der Adaption dieser diagnostischen Begriffe ist, dass sich die Fachliteratur durch eine Vielzahl verschiedener Typologien des Schulschwänzens auszeichnet (z.B. Nissen 1972, Preuß 1978, Mattejat 1981, Bools et al. 1990). Diese Typologien werden oft als Grundlage der Definition herangezogen und – entsprechend des jeweiligen Typus – werden dem Schulschwänzen dann verschiedene „Wesensmerkmale“ zugeschrieben. Des Weiteren kommt erschwerend hinzu, dass weder unter Vertretern einer Forschungsdisziplin noch zwischen den verschiedenen Disziplinen ein Konsens über diese Wesensmerkmale besteht. So wird nach Preuß von Schulschwänzen gesprochen, „wenn Kinder und Jugendliche zeitweilig oder anhaltend – in der Regel – ohne Wissen der Eltern die Schule nicht besuchen und während der Unterrichtszeit einer für sie angenehmen Beschäftigung zumeist im außerhäuslichen Bereich nachgehen [...]“ (1978: 164). Schulschwänzen wird nach dieser Definition als „dissoziale, externalisierende Störung“ (Neukäter und Ricking 1997: 175) aufgefasst, die „dem Symptomkomplex jugendlicher Verwahrlosung zuzuordnen ist“ (Preuß 1978: 167; vgl. auch Pinkert 1972). Schulverweigerung hingegen beschreibt aus der Perspektive Preuß’ das Symptom einer psychischen Störung, die einer Therapie bedarf: „als Schulverweigerer sollen all diejenigen beschrieben werden, deren Schulabwesenheit den Eltern bekannt ist und deren Verhaltensprobleme sich im

15 Unter einer Nominaldefinition ist eine Konvention zu verstehen, die einen sprachlichen Ausdruck durch einen anderen ersetzt (Hermpel 1965 nach Brinkmann 1989: 35). Alle Nominaldefinitionen sind demnach „tautologische Transformationen auf sprachlicher Ebene“ (Schnell, Hill und Esser 1999: 49). Eine Realdefinition hingegen ersetzt nicht nur den sprachlichen Ausdruck durch andere syntaktische Formen, sondern zielt darauf ab, aufgrund der Kenntnis eines Sachverhaltes oder Gegenstandes anzugeben, welche Eigenschaften diesem wesensmäßig zukommen (Brinkmann 1989: 35).

35

emotionalen Bereich so verdichten, dass das ‚Nicht-zur-Schule-gehen-können’ mit auffälligen psychogenen und/oder psychosomatischen Veränderungen einhergeht“ (Preuß 1978: 164). Ähnlich definiert Nissen (1972) Schulverweigerung. Damit rückt diese Begriffsbestimmung von Schulverweigerung in die Nähe der medizinischen Termini der Schulphobie und der Trennungsangst. Tyerman (1968) hingegen, der Schulphobie und Schulschwänzen als getrennte Kategorien betrachtet, definiert verschiedene Grade des Schulschwänzens je nach Wissensstand der Eltern und der Dauer der Abwesenheit: 1) dauerhaftes Schulschwänzen ohne Wissen der Eltern, 2) dauerhaftes Schulschwänzen mit Wissen der Eltern, 3) gelegentliches Schulschwänzen ohne Wissen der Eltern und 4) gelegentliches Schulschwänzen mit Wissen der Eltern. Als dauerhaft abwesend gilt ein Schüler dann, wenn er mindestens 15-Mal in seiner Schulkarriere unentschuldigt der Schule fernblieb. In Deutschland differenziert Thimm (2000: 6) verschiedene Intensitätsgrade des Schulschwänzens: 1) das Gelegenheitsschwänzen als sporadisches Schwänzen, insbesondere von Einzelstunden, 2) das Regelschwänzen als regelmäßiges Schwänzen einzelner Unterrichtsfächer, 3) das Kurzzeitschwänzen von mehreren Tagen bis zu etwa zwei Wochen, 4) das Intervallschwänzen mit einer gewissen Regelmäßigkeit, 5) gelegentliches Langzeitschulschwänzen, nach dem der Wiedereinstieg, wenn überhaupt, nur mit erhöhtem pädagogischen Engagement gelingt und 6) das Intensivschwänzen, bei dem der Jugendliche mehrere Wochen oder Monate, teils nach einer Suspendierung, nicht am Unterricht teilnimmt. Reiss (1951: 203) hingegen unterscheidet nur zwischen gelegentlichem Schulschwänzen und häufigem Schulschwänzen. Als häufige Schulschwänzer bezeichnet er Schüler, die mindestens zwei Fünftel der Jahres-Schulperiode unentschuldigt versäumt haben. Obwohl das Phänomen der unerlaubten Schulabwesenheit nicht neu ist, zeigt auch der gegenwärtige Forschungsstand, dass es keine einheitliche Definition dieses Begriffes gibt (May 1975, Bos, Ruijters und Visscher 1992, Neukäter und Ricking 2000). Das Fazit der Forschungsgruppe des Victorian Institute of Secondary Education bringt den heterogenen Definitionszustand auf den Punkt: „Definition of what truancy is, and what constitutes a truant, abounds. More often than not, terms are confused and the words become all encompassing labels rather than usable definitions” (Coventry et al. 1984: 2). Eine erste Klärung der Begriffskonfusion kann erreicht werden, indem psychologisch- bzw. krankheitsbedingte Formen des Schulabsentismus als eine eigenständige Kategorie betrachtet werden. Schulabsentismus aufgrund von psychisch bedingten Krankheiten wie Schulphobie, Trennungsangst und Schulangst kann von dem Schulabsentismus unterschieden werden, dessen Ursachen oft auf Einflüsse des sozialen Umfeldes (z.B. die soziale Herkunft oder Sozialisationseinflüsse) zurückzuführen sind. Diese Trennung der Definitionen mit medizinischem Hinter-

36

grund von anderen Definitionen des Schulschwänzens wurde schon in den 1960er Jahren von zahlreichen Autoren übernommen (z.B. Cooper 1965, Ginott 1965, Malmquist 1965, Weber 1967, Tyerman 1972). Eine weitere Sonderform des Schulschwänzens stellt das Zurückhalten der Jugendlichen vom Schulbesuch durch die Eltern dar. In diesem Fall basiert das Schulschwänzen nicht auf der Initiative des Kindes, sondern auf dem Wunsch der Eltern. Sander umschreibt das Phänomen wie folgt: „Von Zurückgehaltenwerden ist zu sprechen, wenn ein Kind wider seinen Willen oder ohne dazu befragt zu werden durch die Erziehungsberechtigten von der Schule ferngehalten wird“ (1979: 44). Nach Ricking (2003: 112) besteht eine häufige Variante des Zurückhaltens in einer „Vorverlegung“ oder „Verlängerung“ der Schulferien. Schwerwiegender sind jedoch die Fälle, in denen Eltern der Schule gegenüber ablehnend eingestellt sind und daher den Schulbesuch grundsätzlich untersagen. Ricking (1997) hebt in diesem Kontext das Zurückhalten türkischer Mädchen hervor, die aufgrund ihrer Sozialisation im islamischen Rollenverständnis oft ungünstige Voraussetzungen haben, das schulische Bildungsangebot adäquat zu nutzen. Der schulische Bildungserwerb ihrer Töchter stellt für manche Eltern ein untergeordnetes Ziel dar. Anstatt eine gute Ausbildung und damit das Erwerbsleben zu fördern, sehen die Eltern das Aufgabengebiet der Töchter im Haushalt und in der Versorgung der Familie. Ein Schulbesuch erscheint daher als unnötige Investition. Dieses Problem der kulturellen Divergenz erörtert auch Reid (1985) für Großbritannien im Hinblick auf Schüler asiatischer Herkunft. Neben ideologischen, religiösen oder kulturellen Motiven führt aber auch eine deprivierte ökonomische Situation der Familie zur Zurückhaltung der Kinder. In diesem Fall wird der Arbeitskraft des Kindes ein höherer Stellenwert eingeräumt als dem regelmäßigen Schulbesuch. Das betrifft nach Schulze und Wittrock (2000) vor allem Kinder, die von kriminellen Banden zur Arbeit angehalten werden. Weitere Ursachen des Zurückhaltens können auf psychische oder physische Misshandlungen von Kindern zurückgeführt werden. Durch das Schulverbot der Eltern sollen Auffälligkeiten, wie zum Beispiel körperliche Verletzungen der Kinder verdeckt werden (Levine 1984). In den weiteren Ausführungen wird von den bisher vorgestellten (Real-) Definitionen Abstand genommen. Schulschwänzen wird – im Sinne einer Nominaldefinition – als die unerlaubte Abwesenheit vom Schulunterricht definiert, unabhängig von der Kenntnis der Eltern.16 Ähnlich verfährt auch Eder: „Schulschwänzen im rechtlichen Sinne liegt dann vor, wenn ein Schüler aus einem 16 Die Verwendung der hier vorgestellten Definition richtet sich nicht gegen eine Differenzierung der Kategorien „Zurückhaltung durch die Eltern“, „Schulphobie“, „Schulangst“ und „Schulschwänzen“, sondern gegen die Vermischung zentraler Aspekte dieser Kategorien im Begriff des Schulschwänzens.

37

gesetzlich nicht vorgesehenen Grund der Schule fernbleibt, unabhängig davon, ob er dieses mit Wissen oder Einverständnis der Eltern tut […]“(1981: 381). Weitere Autoren, die sich dieser Definition anschließen, sind unter anderem Reiss (1951), van Petegem (1994), Coventry et al. (1984), Bos, Ruijters und Visscher (1992) und Sutherland und Purdy (2006). Synonym mit dem Begriff des Schulschwänzens wird im Folgenden auch der Terminus „unerlaubte Schulabwesenheit“ benutzt. Eine Zusammenfassung der beiden vorherigen Abschnitte soll Abbildung 2 leisten. Sie zeigt im Überblick die historische Entwicklung der Schulabsentismusforschung. Die historischen Wurzeln der Schulabsentismusforschung sind in der psychiatrischen Forschung zu finden, die sich erstmals Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Schulschwänzen – definiert als kindlicher Wander- und Spieltrieb – beschäftigte. Anfang des 20. Jahrhunderts identifizierten Psychiater dieses Phänomen als Ausdruck der Verwahrlosung und mentaler Dispositionen. Die ersten soziologisch orientierten Studien (z.B. Abott und Breckinridge 1917, Shaw und McKay 1972 [1929], Glueck und Glueck 1950, Reiss 1951) lehnten sich an den Begriff der Verwahrlosung an und definierten Schulschwänzen als Form abweichenden Verhaltens. Im Bereich der Psychologie und Psychiatrie, dort vor allem durch den von Johnson et al. (1941) eingeführten Begriff der Schulphobie, kristallisierten sich weitere Konzepte der unerlaubten Schulabwesenheit heraus. Betrachtet die Psychoanalyse Schulschwänzen häufig als das Resultat einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung, insbesondere im Hinblick auf die sexuelle Bindung zwischen gegengeschlechtlichem Elternteil und Kind, sucht die Pädagogik die Ursachen eher in defizitären Sozialisationseinflüssen, wie z.B. einer schlechten Schüler-Lehrer-Beziehung oder Eltern-KindBeziehung. Gegenwärtig dominiert die Pädagogik den Bereich der Schulabsentismusforschung. In diesem Kontext sind die Arbeiten von Neukäter und Ricking (2000), Ricking (2003), Thimm (2000), Ehmann und Rademacker (2003) sowie von Schulze und Wittrock (2000) hervorzuheben. Die Definition des Schulschwänzens als dissoziales Verhalten weist große Gemeinsamkeiten mit dem Verständnis des Schulschwänzens als eine Form abweichenden Verhaltens in der Kriminologie und der Soziologie auf. In der kriminologischen Forschung sind hier vor allem die vom Kriminologischen Forschungsinstitut in Hannover publizierten und angeregten Arbeiten von Bedeutung (Wilmers 2000; Wilmers und Greve 2002; Wetzels et al. 2000a, 2000b). Aus soziologischer Perspektive definieren im deutschsprachigen Raum Wagner, Dunkake und Weiß (2004) Schulschwänzen als abweichendes Verhalten.

38

Historische Entwicklung der Schulabsentismusforschung 1900

Schulschwänzen als kindlicher Wander- und Spieltrieb (z.B. Kline 1898)

1920

Psychiatrie Schulschwänzen als Ausdruck mentaler Störungen einhergehend mit Symptomen der Verwahrlosung. Indikator für zukünftige Kriminalität (z.B. Healey 1915, Burt 1925).

1930 Kriminologie/Soziologie USA

Psychoanalyse Schulschwänzen als Symptom psychischer Störungen und elterlicher Vernachlässigung (Broadwin 1932). 1940 Psychologie, Psychiatrie, Pädagogik

1950

Schulphobie (ursp. Burt 1925, ausgebaut von Johnson et al. 1941, Estes, Haylett und Rachmann 1956, Coolidge, Hahn und Peck 1957): Angstzustände, die den Schulbesuch verhindern. Synonym wird oft der Begriff der Schulverweigerung benutzt (Warren 1948). Eine häufig genannte Ursache der Schulphobie ist die Trennungsangst (Johnson et al. 1941), d.h. die Angst des Kindes sich abseits der Bezugsperson zu bewegen.

Im Fokus der Erklärung stehen nicht mehr mentale Dispositionen, sondern verschiedene Umwelteinflüsse, die Schulschwänzen begünstigen. Solche Einflüsse sind z.B.: • ein stark desorganisiertes Wohnviertel, • familiale Probleme (Broken Home, abweichendes Verhalten der Eltern, schlechtes Familienklima) oder • der Einfluss devianter Peers. Schulschwänzen ist Ausdruck dissozialen/abweichenden Verhaltens und fungiert als Prädiktor weiterer Delinquenz (z.B. Abbott und Breckinridge 1917, Shaw und McKay 1929, Levy 1932, Glueck und Glueck 1950).

1980 Pädagogik/Sonderpädagogik BRD

2000

Psychische Dispositionen

Dissoziales Verhalten

• Schulangst • Schulphobie • Schulverweigerung

Schulschwänzen als dissoziales Verhalten

(z.B. Ricking 2003 , Neukäter und Ricking 2000)

Kriminologie/Soziologie BRD Schulschwänzen als Form abweichenden Verhaltens (Brusten und Hurrelmann 1979, Wetzels et al. 2000, Wilmers 2000, Wagner, Dunkake und Weiß 2004)

Zurückhaltung durch die Eltern (z.B. Sander 1979, Schulze und Wittrock 2000)

Abbildung 2: Historische Entwicklung der Schulabsentismusforschung

39

2.4

Schulschwänzen als Form abweichenden Verhaltens

Der Begriff des abweichenden Verhaltens wird in der Forschungsliteratur auf vielfältige Weise definiert. Um die Fülle der verwendeten Begriffsbestimmungen überblicken zu können, wird im Folgenden eine von Wiswede (1998) und später von Lamnek (2001) übernommene und modifizierte dreiteilige Klassifikation des Terminus „abweichendes Verhalten“ herangezogen: 1) die juristische oder normorientierte Definition, 2) die erwartungsorientierte Definition und 3) die sanktionsorientierte Definition. Zu einer der gebräuchlichsten Definitionen abweichenden Verhaltens zählt der juristisch verwendete Begriff, nach dem abweichendes Verhalten dann vorliegt, wenn eine Person die „kodifizierten Normen“ (Lamnek 2001: 44) des Strafgesetzes verletzt und somit Rechtsnormen bricht. Diese für das Rechtswesen gültige Definition findet ihre Verwendung jedoch nur in wenigen soziologischen Arbeiten (z.B. Sutherland und Cressey 1955, Abele, Milzlaff und Nowack 1975). Die Reichweite einer solchen Definition ist kritisch zu beurteilen. Aus soziologischer Perspektive (z.B. Opp 1974, Lamnek 2001) ist diese Begriffsbestimmung zu ungenau, da 1) die Normen des Strafgesetzes nicht so präzise definiert sind, „dass eine eindeutige Zuordnung von konkreten Verhaltensweisen zu Regeln des Strafgesetzes erfolgen kann“ (Opp 1974: 38) und 2) dieser Fokus Normenverletzungen ausschließt, die zwar schriftlich nicht fixiert sind, jedoch gesellschaftlich bestehenden sozialen Normen widersprechen und durch die Reaktion der sozialen Umwelt sanktioniert werden, demnach also informelle Normenverletzungen sind (Opp 1974: 38, Lamnek 2001: 46). Die erwartungsorientierte Definition hingegen umfasst ein größeres Spektrum abweichender Verhaltensweisen als der juristisch verwendete Terminus. Ihr zufolge sind alle Normverletzungen, die den Verhaltenserwartungen der sozialen Umwelt widersprechen, als abweichend zu verstehen. Das entscheidende Kriterium stellt in diesem Kontext demnach nicht das Gesetz, sondern die Verhaltenserwartung der sozialen Umwelt dar. Doch auch diese Definition birgt Probleme. Wer entscheidet darüber, welche Verhaltenserwartungen in einer bestimmten Situation an eine Person gerichtet werden? Welches Kriterium bestimmt, was „Verhaltenserwartungen“ sind? Dieses Dilemma kann auch nicht durch die „Flucht in die Quantität“ (Lamnek 2001: 47) gelöst werden, da es äußerst schwierig sein dürfte, die quantitativen Relationen von Erwartungen (empirisch) festzustellen und Erwartungshaltungen zudem widersprüchlich sein können. Damit lassen sich Verhaltensweisen nicht trennscharf danach unterscheiden, ob sie Normen entsprechen oder nicht. Die sanktionsorientierte Definition, die durch Vertreter des Ettikettierungsansatzes (Labeling Approach) angeregt wurde, geht davon aus,

40

dass abweichendes Verhalten dann vorliegt, wenn auf die Handlung einer Person eine negative Reaktion der Interaktionspartner folgt. Wiswede (1998: 195) wendet hier zu Recht ein, dass es 1) unklar ist, welche Formen von negativen Sanktionen gemeint sind und 2) die Gruppe der Interaktionspartner nicht eindeutig definiert ist. So kann ein soziales Umfeld, z.B. eine deviante Subkultur durchaus gesamtgesellschaftlich anerkannte Werte und Normen ablehnen und im Gegenzug ein eigenes diskonformes Normen- und Wertesystem favorisieren. In diesem Fall würden konventionelle Verhaltensweisen einer Person negativ sanktioniert werden, um das Individuum an die gruppenspezifischen Normen zu binden. Fazit ist, dass die zum Teil willkürlichen negativen Sanktionen kein Garant für gesamtgesellschaftlich konforme Verhaltensweisen sind. Letztlich würden alle Tatbestände aus der wissenschaftlichen Definition ausgeschlossen werden, die im Dunkelfeld liegen und daher nicht negativ sanktioniert werden (Wiswede 1998: 195). Obwohl alle drei Definitionen innerhalb der Sozialwissenschaften verwendet werden, hat sich in Abgrenzung von der Kriminologie eine Kombination der Komponenten „Normverletzung“ und „Sanktionsmöglichkeit“ durchgesetzt. Verletzt ein Individuum durch seine Handlung gesellschaftlich institutionalisierte Erwartungen und besteht eine entsprechende Sanktionsbereitschaft gegenüber dieser Handlung, dann wird diese als abweichend bezeichnet. Dabei ist nicht die tatsächlich ausgeführte Sanktion das entscheidende Definitionskriterium, sondern die Sanktionsbereitschaft, d.h. „die Vorstellung, dass eine bestimmte Verhaltensweise negativ sanktioniert werden sollte, wobei sich das Sollen aus einer normativen Komponente ergibt“ (Lamnek 2001: 53). In den weiteren Ausführungen wird abweichendes Verhalten – in Anlehnung an diese Definitionskriterien – als normverletzendes Verhalten definiert, das einer Sanktionsmöglichkeit unterliegt. In diesem Sinne kann auch das Schulschwänzen als abweichendes Verhalten definiert werden. Unentschuldigt dem Unterricht fernzubleiben, verstößt gegen die Norm des regelmäßigen Schulbesuchs bzw. der Schulpflicht. Im Hinblick auf die juristische Perspektive ist Schulschwänzen, unabhängig von der Intensität der Abwesenheit, nicht nur eine Normverletzung, sondern ein gesetzeswidriges Verhalten, da es sowohl durch die allgemeine Schulordnung (AschO) als auch durch die länderspezifischen Schulgesetze (SchPflG) als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird. Erziehungsberechtigte, die bei minderjährigen Kindern nicht für den regelmäßigen Schulbesuch sorgen, müssen mit Geldstrafen bis zu 2.500 Euro rechnen. Werden diese nicht bezahlt und/oder wiederholt sich die unentschuldigte Abwesenheit des Schülers, kann es laut Schulgesetz in einigen Bundesländern (Bremen, Saarland, Berlin, Mecklenburg Vorpommern) zu Gefängnisstrafen der Erziehungsberechtigten bis zu sechs Monaten kommen. Im

41

Saarland sehen sich strafmündige Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten konfrontiert, wenn sie unentschuldigt dem Unterricht fernbleiben (§17 Abs. 4 SchPflG).17 Die im Saarland gültige Strafbewehrung der Schulpflichtverletzung wird von Vertretern der Pädagogik und Rechtslehre ambivalent betrachtet (Winter 1978, Habermalz 2002). So schreibt Habermalz: „Schließlich wird der Strafbestand im Hinblick auf die angedrohte Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten schon dadurch ad absurdum geführt, dass eine Gefängnis- oder Jugendstrafe den Jugendlichen gerade von dem Schulbesuch fern hält, wegen dessen Versäumung er bestraft wurde“ (2002: 222). Auch wenn diese Kritik nur einschränkend gültig ist, da die Jugendvollzugsanstalten dazu verpflichtet sind, die Jugendlichen zu unterrichten, ist die pädagogische Wirksamkeit eines Gefängnisaufenthaltes einschließlich der Entkopplung des Jugendlichen aus seinem bekannten sozialen Umfeld sicherlich in manchen Fällen fragwürdig. Winter (1978) spricht in diesem Kontext sogar von einem verfassungsrechtlichen Verstoß gegen das Übermaßprinzip.18 Die Definition des Schulschwänzens als eine Form abweichenden Verhaltens ist innerhalb der Kriminologie und der Soziologie nicht neu. Schon 1926 betiteln Healy und Bronner Schulschwänzen als „kindergarten of crime“ (Healy und Bronner 1926 nach Tennent 1970: 587). Reiss kommentiert „truancy is a violation of the legal norms of the social system requiring regular attendance in school and is therefore technically classifiable as delinquency“ (1951: 202f.). Und Witzel schreibt: „Im Schulschwänzen sehen wir eine typische Form kindlichen abweichenden Verhaltens, die ihrerseits ein Durchgangsstadium zu abweichendem bzw. delinquentem Verhalten des Jugend- und Erwachsenenalters bilden kann“ (1969: 74). Weitere Autoren, die Schulschwänzen als Delinquenz betrachten sind Feddersen (1967), Elliott und Voss (1974), Hindelang, Hirschi und Weis (1981), Akers, Krohn und Lanza-Kaduce (1981). In den weiteren Ausführungen wird, analog zu den genannten Autoren, Schulschwänzen als abweichendes Verhalten definiert. 17 Die maximale Höhe der Geldbuße variiert je nach Bundesland. In Sachsen sind es gegenwärtig bis zu 1.250 EUR, in Thüringen und Rheinland-Pfalz bis zu 1.500 EUR und in Berlin und Brandenburg bis zu 2.500 EUR. In Bremen, Mecklenburg Vorpommern und dem Saarland können die Geldstrafen bei bis zu 180 Tagessätzen liegen. Der Tagessatz pro versäumten Tag beläuft sich auf 5,00 EUR, im Wiederholungsfall auf 7,50 EUR oder 10,00 EUR. Die anderen Bundesländer legen sich in der Größenordnung nicht fest (Ehmann und Rademacker 2003: 63). Des Weiteren liegt die Höhe der verhängten Geldstrafe auch im Ermessen der Verwaltungsbehörde, die zudem anstatt einer Geldstrafe auch eine Verwarnung mit oder ohne Verwarnungsgeld erheben kann. 18 Das „Übermaßprinzip" bedeutet, dass eine Maßnahme zur Erreichung eines bestimmten Zwecks geeignet, notwendig und verhältnismäßig sein muss, nicht aber darüber hinausgehen soll.

42

2.5

Abweichendes Verhalten in der Jugendphase

Wie Witzel schon 1969 hervorhob, handelt es sich beim Schulschwänzen um eine Form abweichenden Verhaltens, das typisch für Kinder und Jugendliche ist. Schulschwänzen ist allein aufgrund der Schulpflicht eine Variante delinquenten oder devianten Verhaltens,19 das an das schulpflichtige Alter gekoppelt ist. Darüber hinaus ist eine Zunahme abweichenden Verhaltens aber auch ein entwicklungspsychologisches und -biologisches Phänomen. Nationale und internationale Untersuchungen belegen, dass die Art und Häufigkeit des abweichenden Verhaltens mit dem Alter variiert (z.B. Moffit 1993, Farrington 1995, Stattin und Magnusson 1996). Die Kriminalitätsbelastung erreicht in der Jugendphase ihren Höhepunkt und fällt danach kontinuierlich ab. Einschränkend gilt dies jedoch hauptsächlich für leichte Deliktformen. Sowohl nach der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) als auch nach der Strassenverkehrsunfallstatistik (StVerfStat) dominieren bei der Jugendkriminalität die leichteren Eigentumsund Vermögensdelikte sowie „Leistungserschleichungen“ (z.B. Schwarzfahren), ausweislich der StVerfStat auch noch die Straßenverkehrsdelikte (Bundesministerium der Justiz 2006: 74). Damit sind leichtere Delikte durchaus als ein „normales Entwicklungsphänomen und nicht als Entwicklungspathologie zu interpretieren“ (Montada 1995: 1029). Doch wie ist das häufige Auftreten abweichenden Verhaltens in der Jugend zu erklären? Diese Phase zeichnet sich durch eine Reihe physischer, kognitiver und psychischer Prozesse aus, die das Anstoßen oder auch Übertreten von den durch die Erwachsenenwelt gesetzten Grenzen mit einbeziehen. Zu diesen Prozessen gehört unter anderem die Ablösung von den Eltern, die zwar schon in der Kindheitsphase einsetzt, aber in der Adoleszenz eine besondere Beschleunigung erfährt (vgl. Trautner 1972, Steifge-Krenke 1984). Einhergehend mit der Ablösung vom Elternhaus findet oft eine enge Anbindung an die Gruppe der Gleichaltrigen statt. Gekoppelt an diese Ab- und Anbindungsprozesse ist die Identitätsfindung (Oerter und Dreher 1998: 346) oder – synonym verwendet – die Entwicklung des Selbstkonzepts (Steifge-Krenke 1984: 355). Nach Moffitt (1993) ist deviantes Verhalten dann oft nicht mehr als der Ausdruck des Strebens nach Unabhängigkeit im Prozess der Ablösung. Ist die Ablösung weitestgehend vollzogen, nimmt auch das Auftreten devianten Verhaltens wieder ab. In Anlehnung

19 Die Begriffe “Delinquenz“ und „Devianz“ werden im Weiteren synonym verwendet. Beide Begriffe umschreiben das abweichende Verhalten. „Delinquenz“ meint ein „Verhalten, das mit den geltenden Normen nicht übereinstimmt (z.B. mit dem Strafgesetz)“ (Lamnek 2001: 288). „Devianz“ wird mit „abweichendem Verhalten“ gleichgesetzt.

43

an die Strain Theory20 (z.B. Moffitt 1993, Tittle 1995, Stattin und Magnusson 1996, Agnew 1997) führen Petermann und Scheithauer (1998) Dissozialität auf die in Industrieländern vorherrschende große Diskrepanz zwischen der immer früher einsetzenden biologischen Reife und der sozialen Verantwortung der Jugendlichen zurück. Durch lange Ausbildungszeiten entstände eine “Reifungslücke“ (Petermann und Scheithauer 1998: 265). Die Zeitspanne, in der die Jugendlichen biologisch erwachsen sind, jedoch noch nicht die Kompetenzen und Rechte eines Erwachsenen haben, ist größer geworden, und stellt eine Art „Vakuum“ dar, das die Entstehung des abweichenden Verhaltens begünstigt. Abweichendes Verhalten wird dann als Möglichkeit des Zugangs zu den Privilegien der Erwachsenenwelt betrachtet. Ein oft genanntes Beispiel in diesem Kontext ist der Drogenkonsum. Aus kontrolltheoretischer Perspektive21 (z.B. Hirschi 1969, Sampson und Laub 1993, Eccles, Lord und Roeser 1996) erfahren Jugendliche, im Vergleich zu Kindern, weniger direkte Kontrolle durch ihre Eltern. In der Jugendphase nimmt zudem durch das Autonomiestreben die emotionale Bindung zu den Eltern und Vertretern der Schule, die als wichtige Vorbilder konformen Verhaltens fungieren, ab. Gleichzeitig sind aber interne Kontrollmechanismen, wie zum Beispiel die Wahrnehmung, dass man den Arbeitsplatz durch delinquentes Verhalten gefährden kann, noch nicht ausgeprägt. Analog zu der entwicklungspsychologischen Annahme der Ab- und Anbindungsprozesse in der Jugendzeit, betonen Vertreter der sozialen Lerntheorie22 (z.B. Sutherland 1947, Akers 1998) die Relevanz der Peers. Durch die zentrale Bedeutung der Peers im Jugendalter steige die Gefahr, sich nicht nur an konform verhaltenden Gleichaltrigen zu orientieren, sondern auch an delinquenten Peers.23 Agnew (2003) wählt einen individualistischen Ansatz. Ihm zufolge 20 Strain Theorien gehen davon aus, dass in einer Gesellschaft allgemeingültige erstrebenswerte Ziele definiert sind. Nicht alle Mitglieder haben jedoch die Mittel, diese Ziele zu erreichen. Ein solcher „Mittelmangel“ provoziert dazu, abweichendes Verhalten als Mittel für die Erreichung dieser Ziele einzusetzen. 21 Kontrolltheoretiker gehen der Frage nach, warum sich Individuen konform und nicht abweichend verhalten. Dabei stehen interne und externe Kontrollmechanismen im Mittelpunkt der Erklärung. Interne Kontrollmechanismen sind z.B., die emotionale Bindung an Personen, die sich konform verhalten, und die man nicht enttäuschen möchte. Externe Kontrollmechanismen sind z.B. Sanktionen durch staatliche Organe. Eine genaue Beschreibung ist in Kapitel 5 und 6 zu finden. 22 In der Tradition Sutherlands (1947) und Akers (1998) geht die Lerntheorie auf einer sehr allgemeinen Ebene davon aus, dass abweichendes Verhalten in der Interaktion mit anderen erlernt wird. Insbesondere die Peers werden als wichtige Bezugsgruppe betrachtet, von der abweichendes Verhalten erlernt wird. Eine genauere Beschreibung der Theorie ist in Kapitel 5 zu finden. 23 Obwohl der starke Einfluss der Peers kaum umstritten ist, muss mit Warr (1993) jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Lerntheorie nicht (deutlich) erklärt, wie die Anbindung an delinquente Peers entsteht und woraus die Delinquenz resultiert.

44

erfahren Jugendliche mehr als andere Altersgruppen Stress- oder Deprivationssituationen, die abweichendes Verhalten erzeugen. In der Jugendphase nimmt die Konfrontation mit negativen Stimuli (z.B. verbale und physische Auseinandersetzungen, Ablehnung durch andere) bei gleichzeitigem Verlust positiver Stimuli (z.B. das Bestehen dauerhafter Kontakte zu Gleichaltrigen, Veränderung der Werte und Normen) zu. In dieser Phase der Irritation sind effektive Copingstrategien notwendig. Liegen diese nicht vor, besteht die Gefahr, dass Delinquenz als eine Umgangsmöglichkeit mit stressreichen Situationen angewandt wird. Jenseits der verschiedenen Erklärungen kann mit Agnew (2003) vermutet werden, dass Aspekte aller Ansätze tragend sind. Auch wenn gelegentliches abweichendes Verhalten und ordnungswidrige Delikte ein ubiquitäres Phänomen in der Jugendphase sind, sollte nicht missachtet werden, dass es dennoch den Beginn bzw. Übergang zu schweren Formen abweichenden Verhaltens oder einer kriminellen Karriere markieren kann. Wann ein „ubiquitärer Schwellenwert“ überschritten ist, lässt sich nicht genau bestimmen. Auch die Fachliteratur weist hier keine eindeutigen Grenzen auf. Ein Kriterium, um eine kriminelle Karriere zu prognostizieren, ist nach Moffitt (1983) die Tatsache, dass der Jugendliche schon in frühster Kindheit abweichendes Verhalten zeigte. Dieses Kriterium ist jedoch nur auf Basis von Längsschnittdaten bestimmbar. Leider liegen solche Informationen selten vor. Der Hinweis Moffits (1983), gefährdete Jugendliche durch schon vorhandene Formen abweichenden Verhaltens in der Kindheit zu identifizieren, verweist implizit auch auf die tragende Rolle der Familie, die als primärer Sozialisationsagent einen starken Einfluss auf das abweichende Verhalten im Kindesalter nimmt. Loeber und Farrington (2001) weisen vielfach in ihrer Analyse zum abweichenden Verhalten im Kindesalter auf familiale Aspekte hin, wie z.B. die Abwesenheit eines Elternteils, Gewalt in der Familie, defizitäre Erziehungsmethoden, eine mangelnde elterliche Kontrolle, abweichendes Verhalten der Eltern und eine große Geschwisteranzahl. Ferner zeigen Kinder von sehr jungen, alleinerziehenden Müttern (teenage pregnancy) ein erhöhtes Risiko abweichenden Verhaltens.

45

3

Die Familie: Definition und Funktion

Die Relevanz der Familie wird bei vielen Fragen, die sich um Entwicklungsprobleme Jugendlicher drehen, immer wieder betont. Dies betrifft sowohl das abweichende Verhalten als auch andere Bereiche, wie zum Beispiel die Schulleistungen. Trotz einer beinahe schon bestehenden „Selbstverständlichkeit“, mit der die Familie als Quelle abweichenden Verhaltens benannt wird, wird selten diskutiert, was unter einer Familie zu verstehen ist und welche Funktionen ihr gesellschaftlich zugeschrieben werden. Diese Diskussion findet, wenn überhaupt, in den Standardwerken der Familiensoziologie statt (z.B. Peuckert 2008, Nave-Herz 2006, Hill und Kopp 2006) und wird im Folgenden kurz vorgestellt.

3.1

Definition „Familie“

Der Begriff der Familie lässt sich aus verschiedenen Perspektiven herleiten, von denen hier nur in Ansätzen die biologische, die rechtliche und die soziologische angesprochen werden. Im alltäglichen Umgang verstehen die meisten Menschen unter dem Begriff „Familie“ die Klein- oder Nuklearfamilie, welche Eltern und Kinder umfasst, die in der Regel in einem Haushalt leben (z.B. Pieper und Pieper 1975, Peoples und Baileys 1994). Berechtigt weist die ethnologische Perspektive darauf hin, dass diese Auffassung von Familie vor allem in hochindustrialisierten, zumeist westlichen Gesellschaften vertreten ist und nur einen kleinen Ausschnitt der weltweit vielfältigen Familien- und meist damit verwobenen Verwandtschaftsformen darstellt. Aus Perspektive der Biologie ist die Familie einerseits eine hierarchische Stufe der biologischen Systematik, zumeist als Gattungen bezeichnet. Bezogen auf die Verhaltensbiologie meint Familie andererseits eine Gruppe von Menschen, deren Mitglieder sich aus der Blutsverwandtschaft definieren. Diese Bindungen werden nach Schneewind (1998: 129) zwar erst durch zusätzliche soziale Beziehungen gefestigt, stellen jedoch, wie die moderne Verhaltensgenetik zeigt, eine nicht unerhebliche Quelle in der Persönlichkeitsentwicklung dar. Aus rechtlicher Sicht nimmt die Familie zwar einen hohen Stellenwert ein, was sich zum Beispiel darin ausdrückt, dass sie unter den Schutz „der staatlichen Ordnung“ gestellt ist (Artikel 6 des Grundgesetzes), dennoch findet sich in 47

den Gesetzesbüchern keine allgemeingültige Definition dieses Begriffs. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist lediglich eine Definition von „Verwandtschaft“ (§1589) wiedergegeben, und im Personenstandsgesetz (§15) lässt die Vorgabe der Personen, die ein Standesbeamter in das Familienbuch von Ehepartnern einzutragen hat, erahnen, welche Verwandtschaftsverhältnisse als zentral für eine Familie angesehen werden. Hierzu zählen neben dem Ehepartner gemeinsame Kinder, die von den Ehegatten gemeinschaftlich als Kind angenommenen Kinder und die von einem Ehegatten als Kind angenommenen Kinder des anderen Ehegatten. Weiter gefasst ist der Familienbegriff im Wohngeldgesetz (§4 Absatz 1). Zu den Familienmitgliedern zählt der Antragssteller, der Ehegatte, Verwandte in gerader Linie sowie Verwandte zweiten und dritten Grades in der Seitenlinie, Verschwägerte in gerader Linie24 sowie Verschwägerte zweiten und dritten Grades25 in der Seitenlinie26 und schließlich Pflegekinder. Wird im BGB die Ehe als zentrales Element der Familie verstanden, tritt diese dominante Vorstellung der Ehe und auch der Kernfamilie in anderen Gesetzesbüchern in den Hintergrund und wird durch einen weitläufigeren Personenkreis erweitert. Im Sozialgesetzbuch (SGBII, §7 Abs. 3 und 3a) wird zum Beispiel die „Bedarfsgemeinschaft“ der Hartz IV Empfänger nicht nur über die Kernfamilie definiert, sondern auch über den (nicht dauernd getrennt lebenden) Lebenspartner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen oder die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt. Auch wenn nicht direkt der Begriff der Familie verwendet wird, scheinen die Gesetzestexte doch – je nach Anliegen – eine gewisse Variabilität im Umgang mit dem Konzept „Familie“ aufzuweisen. Die soziologische Perspektive kann in die mikrosoziologische und die makrosoziologische unterteilt werden. Erstere sieht die Familie als Kleingruppe, in der die Mitglieder entsprechend der gesellschaftlich vorgegebenen geschlechtsund generationsspezifischen Rollen miteinander interagieren (z.B. König 1946, Murdock 1949, Tyrell 1978). Aus der makrosoziologischen Perspektive wird die Familie als gesellschaftliche Institution aufgefasst, die für die Gesellschaft bestimmte Bedürfnisse bzw. Funktionen erfüllt (z.B. Parsons 1955). In der aktuellen Familiensoziologie haben sich jenseits dieser expliziten Perspektiven auf die 24 Personen, die voneinander abstammen, z.B. Großeltern-Eltern-Kinder-Enkel. 25 Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten (§ 1589 Abs.1 Satz 3 BGB). Beispiel:1. Grad = Eltern und Kinder, 2. Grad = Großeltern und Enkelkinder; Geschwister, 3. Grad = Urgroßeltern, Urenkel, Onkel und Tante, Neffe und Nichte, 4. Grad = Ururgroßeltern, Ururenkel, Onkel und Tante, Cousin (Vetter) und Cousine (Base). 26 Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt (§ 1589 Satz 2 BGB), z.B. Geschwister, Tante-Nichte, Onkel-Neffe.

48

Familie verschiedene Definitionsvorschläge herauskristallisiert, die sowohl Aspekte der mikrosoziologischen als auch der makrosoziologischen Betrachtung miteinander verbinden. Hill und Kopp (2006) heben im Rahmen einer Analyse verschiedener Definitionsversuche folgende immer wieder auftretende Charakteristika hervor: 1) eine auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau mit 2) gemeinsamer Haushaltsführung und 3) mindestens einem eigenen (oder adoptierten) Kind. Diese Kriterien stimmen wesentlich mit dem Begriff der „Gattenfamilie“ Durkheims überein (Durkheim 1981 [1888]). Zu Recht betonen die Autoren (Hill und Kopp 2006.), dass diese Merkmale nicht alle familialen Lebensformen in der modernen Industriegesellschaft erfassen: Paare ohne Kinder, homosexuelle Paare oder Haushalte allein erziehender Elternteile fallen nicht unter die Definitionskriterien. Auch Nave-Herz (2006: 30) kristallisiert zentrale Merkmale der Familie auf Basis verschiedener Definitionen heraus, die Mikro- und Makro-Aspekte vereinen. Demnach ist eine Familie gekennzeichnet durch: 1.

Ihre „biologisch-soziale Doppelnatur“ (König 1946), d.h. durch die Übernahme der Reproduktions- und Sozialisationsfunktion neben anderen gesellschaftlichen Funktionen, die kulturell variabel sind,

2.

die Generationsdifferenzierung (Urgroßeltern/Großeltern/Eltern/Kind(er)) und

3.

ein spezifisches Kooperations- und Solidaritätsverhältnis zwischen ihren Mitgliedern, aus dem heraus die Rollendefinitionen festgelegt sind.

Bis auf das gemeinsame Kriterium der Reproduktion und – im Rahmen eines größeren Interpretationsspielraumes – einer bestehenden Kooperationsbereitschaft, die auch in einer auf Dauer angelegten Verbindung von Mann und Frau gegeben sein sollte, sind kaum Gemeinsamkeiten beider Kriterienkataloge zu erkennen. Diese Heterogenität steht exemplarisch für eine Begriffsunklarheit, nicht nur in den Gesetzesbüchern, sondern auch in der Wissenschaft. Neben der Tatsache, dass je nach theoretischer Perspektive verschiedene Definitionen formuliert werden, mag eine weitere Ursache auch darin begründet sein, dass die Familie als soziale Einheit einem ständigen Wandel unterliegt und es daher schwierig ist, eine Definition zu finden, die über einen längeren Zeitraum Bestand hat. Ferner spielen vermutlich auch ideologische Motive eine Rolle.

3.2

Familiale Funktionen: Ihre Wurzeln und ihre Entwicklung

Die Forschungsliteratur der letzten Jahrzehnte zeigt, dass sich Vertreter mehrerer Disziplinen mit der Frage nach der Bedeutung familialer Merkmale für die Entstehung abweichenden Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen beschäftig49

ten. Dabei wurde ein weites Spektrum27 verschiedenster Formen abweichenden Verhaltens abgedeckt, das vom dissozialen Verhalten (z.B. Ärgern des Lehrers) bis zu Tötungsdelikten reicht. Der Umfang der Arbeiten, die einen signifikanten Effekt familialer Merkmale auf das abweichende Verhalten bei Kindern und Jugendlichen finden, ist sehr groß und neben den verschiedenen Indikatoren für Devianz und Delinquenz wird die Übersichtlichkeit zusätzlich durch eine große Variation familialer Merkmale erschwert. Einen guten Überblick über dieses große Forschungsfeld bieten die – wenn auch nicht mehr aktuellen – Arbeiten von Loeber und Dishion (1983), Loeber und Stouthamer-Loeber (1986), Synder und Patterson (1987), Henggeler (1989) Wright und Wright (1995) sowie Thornberry und Kohn (2003). Loeber und Dishion (1983) untersuchten etwa 70 Studien, die den Einfluss zahlreicher familialer Merkmale auf die Delinquenz im Kindes- und Jugendalter thematisieren. Ein zentrales Ergebnis ihrer Auswertungen ist, dass der Einfluss verschiedener Merkmale stark mit dem Alter der Kinder bzw. Jugendlichen variiert. So haben innerfamiliale Merkmale (wie zum Beispiel das Familienklima, die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind, der Disziplinierungsstil) im Alter von 6 Jahren einen bedeutenden Effekt. Im Alter von 10 Jahren erwies sich vor allem die Kriminalität der Eltern als relevanter Prädiktor und im Alter von 15 dominierten schulbezogene Faktoren, wie die Schulleistungen. Im Rahmen einer Meta-Analyse betrachteten Loeber und Stouthamer-Loeber (1986) etwa 300 Studien. Ihren Auswertungen zufolge gehören die elterliche Kontrolle (parental supervision), die elterliche Ablehnung (parental rejection) und die gemeinsamen Eltern-Kind-Aktivitäten (parent-child involvement) zu den erklärungskräftigsten Merkmalen. Dagegen sind die Qualität der elterlichen Beziehung und kriminelle Aktivitäten der Eltern moderate Prädiktoren und elterliche Disziplinierungsmaßnahmen sowie die Abwesenheit eines Elternteils eher schwache Erklärungsgrößen. Aufgrund der Sichtung von 100 Studien entwickelten Snyder und Patterson (1987) ein zweistufiges Erklärungsmodell. Als Ursache abweichenden Verhaltens wird ein inadäquater Sozialisationsprozess gesehen, der dazu führt, dass Kinder anfänglich leichte Formen auffälligen Sozialverhaltens zeigen. Dieses auffällige Sozialverhalten verstärkt sich im Entwicklungsprozess und führt zu einer Ablehnung von Lehrern und Jugendlichen, die konforme Werte vertreten bei gleichzeitiger Anbindung an deviante Peers. Von den Sozialisationsmerkmalen wird vor allem einer geringen elterlichen Kontrolle und einer negativen Eltern-Kind-Beziehung eine hohe Erklärungskraft zugesprochen. Die Rolle der soziodemographischen Merkmale und ihre Bezie27 Einen Überblick über zentrale Studien der Jugenddelinquenzforschung in den USA liefern z.B. die Meta-Analysen von Loeber und Stouthamer-Loeber (1986), Wells und Rankin (1991) oder die Arbeit von Thornberry und Krohn (2003).

50

hung zu innerfamilialen Aspekten bleibt leider unklar. Auch Henggeler (1989), der 65 Studien begutachtete, kommt zu dem Resultat, dass eine mangelnde oder inkonsistente elterliche Kontrolle zu den wichtigsten Erklärungsfaktoren abweichenden Verhaltens Jugendlicher zählt. Zudem spielt auch das antisoziale Verhalten der Eltern eine Rolle und die Frage, inwieweit Eltern deviantes Verhalten tolerieren. Unabhängig von den zum Teil leicht unterschiedlichen Resultaten, stehen hinter den meisten dieser Studien zwei zentrale Fragen: 1) Welche relevanten Aufgaben hat die Familie nicht erfüllt, um den Jugendlichen in das gesellschaftliche System so zu integrieren, dass er sich konform verhält und 2) Welche Merkmale weisen Familien auf, die diese Aufgaben nicht erfüllen konnten oder wollten? Um die erste Frage zu beantworten, ist es notwendig zu bestimmen, welche Funktionen der Familie aus gesellschaftlicher Perspektive zugeteilt sind. Erst die Identifizierung dieser Funktionen erlaubt weitere Analysen der Bereiche, in denen sie Defizite aufweist, die abweichendes Verhalten beim Kind begünstigen. Die Bestimmung der familialen Aufgaben wird in der gegenwärtigen Fachliteratur leider nur noch selten thematisiert, stellte jedoch eine Domäne der strukturfunktionalistischen Arbeiten der 1950er und 1960er Jahre dar. Aus der Perspektive des Strukturfunktionalismus ist die Gesellschaft ein Komplex einzelner Teilsysteme (z.B. Wirtschaftssystem, Verkehrssystem, Bildungssystem), die in gegenseitiger und zum Teil hierarchischer Abhängigkeit voneinander stehen. Jedes Teilsystem erfüllt unterschiedliche Funktionen, die für die Erhaltung des Gesamtsystems notwendig sind. Eine häufig zitierte Analogie Parson’s (1902-1979) zum menschlichen Körper verdeutlicht die Idee des Strukturfunktionalismus. „Den festen Bezugspunkt für alle physiologischen Funktionsanalysen bilden die anatomischen Strukturen des Organismus. Die Kriterien für die Bedeutung von Prozessen wie Atmung, Ernährung usw. und ihre dynamischen Interdependenzen ergeben sich aus ihrer Funktion in Bezug auf die Erhaltung dieser Struktur in einer gegebenen Umwelt“ (Parsons 1968: 39). In diesem Zitat werden die beiden zentralen Elemente eines jeden Systems deutlich: Struktur und Funktion. Parallel zum menschlichen Körper setzen sich gesellschaftliche Systeme aus Subsystemen (Familiensystem, Bildungssystem, Gesundheitssystem etc.) zusammen, die alle lebensnotwendigen Funktionen übernehmen, um das Gesamtsystem am Leben zu halten. Gleichzeitig stehen die einzelnen Subsysteme in einem ständigen Austausch miteinander; erst durch die Interaktion der einzelnen Subsysteme ist das Funktionieren des Gesamtsystems gewährleistet. Aus dieser Perspektive ist auch die Familie als Teilsystem zu

51

betrachten, das – wie alle Teilsysteme – relevante Funktionen28 übernimmt, die für das Bestehen des Gesamtsystems notwendig sind. Besonders diskutiert wurden die familialen Aufgaben im Rahmen der Debatte um den „Funktionsverlust der Familie“, die etwa im Zeitraum 1950 bis 1970 geführt worden ist. Im Zentrum des Interesses stand hier die Frage nach den Veränderungen familialer Aufgaben in der historischen Epoche der Industrialisierung. Primär Anhänger des Strukturfunktionalismus vertraten die These, dass die Familie durch die Industrialisierung nicht nur Aufgaben verloren hat (zum Beispiel Versorgung älterer Familienmitglieder, Berufsausbildung), sondern bestehende Aufgaben (wie zum Beispiel die Kindererziehung) intensiviert wurden (z.B. König 1946, Mayntz 1955, Neidhardt 1975, Wurzbacher 1977).29 Ein Resultat der strukturfunktionalistisch orientierten Arbeiten ist die Kategorisierung spezifischer familialer Funktionen, von denen angenommen wird, dass sie kennzeichnend für die Kleinfamilie sind. Trotz des eher „historischen“ Charakters dieser Kategorien erfahren sie auch heute noch, vornehmlich in der Familienpsychologie, ihre Anwendung (z.B. Schneewind 1991, Walper 2004). Tabelle 1: Funktionen der Familie aus strukturfunktionalistischer Perspektive Autor

Goode

Reproduktive Funktion

Haushaltsfunktion

Emotionaler Spannungsausgleich

Soziale Platzierung

Sozialisation

Reproduktion

Biologische Erhaltung

Soziale Platzierung

Reproduktion

Haushalt, Freizeit Haushalt

Wirtschaftliche, emotionale Erhaltung Spannungsausgleich Regeneration

Sozialisation, soziale Kontrolle Sozialisation

(1966)

Neidhardt (1966)

Pieper

Reproduktion

(1975)

Mühlfeld

Reproduktion

Biologische Erhaltung

Organisation des Geschlechtsverkehrs Intime Funktionen Reproduktion

Haushalt

(1976)

Zigann (1977)

Ebel (1978)

Gukenbiehl (1979)

Haushalt und Freizeit

Emotionale, wirtschaftliche Erhaltung Spannungsausgleich (Intime Funktionen) Spannungsausgleich

Soziale Platzierung Soziale Platzierung Statuszuweisung Soziale Platzierung Soziale Platzierung

Sozialisation Sozialisation, soziale Kontrolle Sozialisation

Sozialisation Sozialisation

(Quelle: In Anlehnung an Schmidt 2002: 44 erweitert um Gukenbiehl 1979) 28 Synonym werden auch die Begriffe „Aufgaben„ und „Leistungen“ verwendet (Kaufmann 1990, Nave-Herz 2006). 29 Eine differenzierte Darstellung der Diskussion um den „Funktionsverlust oder –wandel der Familie“ findet sich z.B. bei Schmidt (2002).

52

Tabelle 1 gibt zusammengefasst die identifizierten Aufgabenbereiche der Kleinfamilie nach Ansicht verschiedener Autoren wieder. Trotz marginaler Abweichungen, wie sie zum Beispiel bei Goode (1966) oder Mühlfeld (1976) zu finden sind, die nochmals gesondert in der Kategorie Haushaltsfunktion die Aufgaben der biologischen Erhaltung hervorheben oder Neidhardt (1966) und Gukenbiehl (1979), die hier die Freizeitfunktion betonen, weisen die meisten Klassifizierungen eine auffällige Homogenität auf. Zusammengefasst werden die Funktionen 1) der Reproduktion, 2) der Haushaltsfunktion,30 3) des emotionalen Spannungsausgleiches, 4) der sozialen Platzierung und 5) der Sozialisation aufgeführt. Hinsichtlich der Fragen nach dem familialen Einfluss auf mögliche Delinquenzentwicklungen des Jugendlichen, sind von den in Tabelle 1 aufgeführten familialen Funktionen vor allem die Sozialisation, die Statuszuweisung (soziale Platzierung) und der emotionale Spannungsausgleich von Interesse, da sie einen Einfluss auf die prosoziale Entwicklung des Jugendlichen nehmen. Darüber hinaus sind einzelne Aspekte der Freizeitfunktion (Neidhardt 1966, Gukenbiehl 1979) – die hier in die Kategorie biologische Haushaltsfunktion fallen – von Bedeutung.

3.2.1 Die Sozialisation Die Sozialisation zählt aus Perspektive verschiedener Autoren zu den wichtigsten Aufgaben der Familie (z.B. Parsons 1955, Gukenbiehl 1979, Hurrelmann, Rosewitz und Wolf 1985). Sie beschreibt den „Prozess der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit in Abhängigkeit von und in Auseinandersetzung mit den sozialen und den [...] materiellen Lebensbedingungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der historischen Entwicklung einer Gesellschaft existieren“ (Hurrelmann 1998: 14). Da der Prozess der Sozialisation von vielen Faktoren beeinflusst wird, die seitens der Eltern oder Erziehungsberechtigten nicht kontrolliert werden können und so unbeabsichtigte Lernerfahrungen des Kindes implizieren, ist er von dem Begriff der Erziehung zu trennen. Erzie-

30 Im Mittelpunkt der Haushaltsfunktion stehen neben der Befriedigung biophysischer Grundbedürfnisse (z.B. Nahrungsversorgung), Fürsorge und Zusammenhalt sowie der gemeinsame Nutzen der materiellen und ideellen Güter. Der Haushalt ist ein Ort, an dem auf „eine sehr ’diffuse’ und höchst individuelle Weise Leistungen der verschiedensten Art aneinander abgegeben werden: Geld, Güter, Gefühle, Erfahrungen, Dienstleistungen etc.“ (Neidhardttt 1975: 76). Basis des Austauschs verschiedener Güter ist oft das Band der „Solidarität“ (Gukenbiehl 1979: 112) zwischen den Familienmitgliedern, das vor allem durch die gemeinsam verbrachte Zeit gefördert wird.

53

hung meint die „absichtsvollen und zielgerichteten Handlungen, die in der Regel von Seiten der Eltern [...] geäußert werden, um beim Kind die Aneignung wünschenswerter Erfahrungen bzw. Verhaltensmuster zu bewirken (Schneewind 2000: 192 nach Brezinka 1989). Trotz der weit verbreiteten These, dass die Familie ihre Sozialisations- und Erziehungsfunktion vermehrt an außerfamiliale Institutionen wie den Kindergarten oder die Schule abgegeben hat, wird auch gleichzeitig eine Steigerung der Anforderungen an die „kompetente Elternschaft“ (Walper 2004: 232) unterstellt. Sozialisation zählte und zählt zu den wichtigsten Aufgaben der Familie. Schon König (1976) hob diesen Aspekt deutlich hervor: „Die physische Geburt und Aufzucht der Nachkommenschaft ist eines [...], ein anderes ist die sozialmoralische Erziehung, und diese ist derart bedeutsam für den Aufbau der sozialkulturellen Persönlichkeit, dass man durchaus von einer ’zweiten Geburt’ sprechen kann“ (König 1976.: 102). Besonders in den ersten Lebensjahren hat die Familie als primäre Sozialisationsinstanz einen bedeutenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Eine maßgebliche Aufgabe der Eltern besteht in der Übermittlung des gesellschaftlichen Normen- und Wertesystems an die jüngere Generation. Durch die zeitliche intensive Einbindung in das Familiensystem bei gleichzeitiger Vorbildfunktion der Eltern prägt die Familie die individuelle Identitätsbildung, die emotionale Grundstrukturen und die kognitiven Erfahrungen. Insbesondere psychoanalytische Theorien (z.B. Freud 1972, Erikson 1973), Bindungstheorien (z.B. Bowlby 1958), kognitive Entwicklungstheorien (Piaget 1954, Kohlberg 1974) und Lerntheorien (Bandura 1976) verweisen auf die zentrale Bedeutung der Interaktion zwischen Eltern und Kind. Zwar sind auch die Peers sind in der primären Sozialisation von Bedeutung. Doch kommt ihnen in der frühkindlichen Sozialisationsphase – bis auf die Geschwister als Familienmitglieder – nicht eine so zentrale Funktion zu wie der Familie. Nach den Experten (z.B. Tillmann 1997) steigt der Einfluss der gleichaltrigen Bezugspersonen vor allem in der frühen Adoleszenz.31So heben Hurrelmann, Roswitz und Wolf (1985) hervor, dass die „in der Kindheitsphase noch ungebrochene Funktion [der Familie] als universaler Umweltvermittler und umfassendes soziales Beziehungsnetz“ (Hurrelmann, Roswitz und Wolf 1985: 63) im Jugendalter abgebaut wird und zunehmend Prozesse der Ablösung stattfinden. Diese familialen Ablösungsprozesse gehen oft mit Anbindungsprozessen an Gleichaltrige einher. Den Peers kommt aus verschiedenen Gründen eine zentrale Rolle in der Jugendphase zu, die vor allem mit der Beziehungsstruktur

31 Nach Oerter und Dreher (1998: 312) liegt die frühe Adoleszenz in der Altersphase 14 bis 18 Jahre, dann folgt zwischen dem 18 und 21 Lebensjahr die späte Adoleszenz.

54

zusammenhängt. Im Gegensatz zu der hierarchischen Beziehung zwischen Eltern und Kind gewährleisten sie eine zumeist egalitäre Beziehungsebene, so dass Jugendliche verstärkt Momente der Gleichheit und Souveränität erleben (Oerter und Dreher 1998: 369). Jugendliche haben im Kreise der Peers die Möglichkeit, sich jenseits der Vorstellungen von Eltern und Schule selbst zu verwirklichen, andere soziale Rollen zu erproben, soziale Anerkennung zu gewinnen und neue Werte und Normen zu erlernen (Hurrelmann, Roswitz und Wolf 1985, Oerter und Dreher 1998).32 Neben den Peers kommt auch der Schule in dieser Altersphase eine wichtige Bedeutung zu. Jugendliche verbringen einen großen Teil ihres Alltags in der Schule, sie lernen hier formalisierte Beziehungen kennen, wie sie z.B. zwischen Schüler und Lehrer bestehen, treffen auf Mitschüler, die selbst eine wichtige Peergruppe darstellen, und werden mit einer kontinuierlichen Leistungsanforderung konfrontiert, die entscheidend für ihre weitere Berufsbiographie ist. Der Sozialisation verwandt sind auch Aspekte der Haushalts- und Freizeitfunktion, die neben der Absicherung der ernährungsbedingten und materiellen Versorgung der Familienmitglieder das alltägliche Zusammensein und die gemeinsame Freizeitgestaltung (wie. z.B. Urlaub) umfassen. Die alltägliche Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern kann dazu beitragen, dass außerfamiliale Einflüsse ausgetauscht und verarbeitet werden und gleichzeitig das „Wir-Gefühl“ der Familie gestärkt wird. In diesem Kontext haben Scheuch (1960) und Bossard (1943) auf die positive Bedeutung der Tischgespräche („table-talk“) im Familienkreis verwiesen. Nach Claessens (1972: 160ff.) ist aufgrund des alltäglichen Umgangs ein relativ hoher Konsens in der Deutung und Bewertung von materiellen, ideellen und sozialen Objekten, Beziehungen und Problemen unter den Familienmitgliedern zu erkennen. Aus konstruktivistischer Perspektive kann von der Schöpfung einer gemeinsamen familialen Wirklichkeit gesprochen werden (vgl. auch Berger und Luckmann 1997: 161).

32 Im Gegensatz zu diesen positiven Aspekten kann die Anbindung an Peers aber auch Schattenseiten haben, vor allem dann, wenn der für die Peergruppe oft typische Konformitätsdruck (Constanzo und Shaw 1966, Costanzo 1970, Coleman 1974 nach Oerter und Dreher) zu groß und somit zu einer Belastung wird. Gruppendruck, Hänseleien und Ausgrenzung können dann die Folge sein (Fend 2000). Einen zentralen Punkt im Hinblick auf die negativen Folgen der Peerbeziehungen haben auch Vertreter der Subkulturtheorie hervorgehoben (z.B. Cohen 1955). Eine enge Bindung an Peers wird vor allem dann als riskant betrachtet, wenn diese nonkonforme Werte und Normen vertreten und in Folge dessen zu abweichendem Verhalten neigen.

55

3.2.2 Die soziale Platzierung Der Begriff der sozialen Platzierung bezeichnet nach Neidhardt „den Prozeß, durch den eine Person an bestimmte gesellschaftliche Positionen vermittelt wird, Positionen im Beruf, in den Kirchengemeinden, Vereinen, Behörden etc.“ (1975: 73). Im Gegensatz zu „Abstammungsgesellschaften“ (Neidhardt 1975: 74), in denen die soziale Position eines Individuums primär über die soziale Position der Eltern determiniert ist, nimmt die Leistungsgesellschaft für sich in Anspruch, die soziale Platzierung eines Individuums vor allem über seine Leistung zu bestimmen. Damit hängt die Zuweisung von sozialen Positionen von den jeweils vorhandenen individuellen Fähigkeiten des Positionsbewerbers ab. Eine Folge der leistungsbestimmten Zuweisung ist bzw. kann eine erhöhte (vertikale) soziale Mobilität in der Gesellschaft sein. Übernimmt in der Abstammungsgesellschaft die Familie vor allem die soziale Platzierung der Nachkommenschaft, wird diese Funktion in leistungsorientierten Gesellschaften vornehmlich von außerfamilialen Institutionen, wie z.B. der Schule ausgeführt. Auch wenn leistungsorientierte Gesellschaften mehr soziale Mobilität zulassen als Abstammungsgesellschaften und wesentliche Positionskriterien von außerfamilialen Institutionen festgesetzt werden, bedeutet dies nicht, dass die Familie ihrer Funktion der sozialen Platzierung vollends beraubt ist. Mobilitätsforscher (Hradil 2001, Geißler 1996, Schäfers 1998) fanden und finden eine hohe Statuskontinuität zwischen der sozialen Stellung der Eltern und der sozialen Stellung der Kinder. Dies betrifft insbesondere die „Berufsvererbung“ (Neidhardt 1975: 74) von dem Vater auf den Sohn. Insbesondere die in den 1960er und 1970er Jahren populäre schichtspezifische Sozialisationsforschung (z.B. Neidhardt 1975, Bernstein 1975, Fend 1969) setzte sich mit der Frage der familialen Statusvererbung auseinander. Angenommen wurde, dass über die soziale Schichtung, „verstanden als System der Ungleichheit im Hinblick auf den Besitz von Macht, Geltung, Prestige“ (Neidhardt 1975: 164) erhebliche Unterschiede in der familialen Sozialisation entstehen. Zu den ungünstigen Sozialisationsbedingungen wurde all das gezählt, was die Lebensbedingungen der unteren Gesellschaftsschichten charakterisiert: eingeschränkter oder inadäquater Wohnraum, viele Geschwister, die Beteiligung der Kinder an der Hausarbeit, geringe Beaufsichtigung der Kinder aufgrund der Erwerbstätigkeit beider Eltern, ‚Bildungsferne’ der Eltern und autoritäre sowie zur Unselbstständigkeit führende Erziehungsstile (Diefenbach 2000). Das wesentliche Moment der sozialen Ungleichheit ist die Unvereinbarkeit zwischen den Sozialisationsmustern der Unterschicht und den Erfolgskriterien der Schule, dessen Wertesystem stärker mit demjenigen der Mittel- und Oberschicht über-

56

einstimmt, so dass Kinder aus der Unterschicht es besonders schwer haben, den Anforderungen des Schulsystems gerecht zu werden (Rolff 1997). Demnach setzt die schichtspezifische Sozialisation, die von der sozialen Platzierung der Eltern abhängt, den theoretischen Mobilitätsbewegungen in einer Leistungsgesellschaft Schranken und beeinflusst die „Statuschancen“ (Neidhardt 1975: 75) der Kinder.

3.2.3 Der emotionale Spannungsausgleich Die Funktion des emotionalen oder „familialen Spannungsausgleichs“ (Neidhardt 1975: 69) wird in der Literatur unterschiedlich betitelt. So werden Begriffe wie „emotionale Erhaltung“ (Goode 1966: 32), „Regenerationsfunktion“ (Pieper und Pieper 1975: 19) oder „intim-expressive Funktion“ (Tyrell 1979: 34) verwendet. Ausgehend von der Annahme, dass in einer hochspezialisierten, organisierten und bürokratischen Gesellschaft (Schmucker nach Neidhardt 1975: 77) der Einzelne zunehmend mehrere soziale Rollen in verschiedenen Teilsystemen übernimmt, die wenig Raum für Persönlichkeitseigenschaften und Emotionalität lassen, stellt die Familie einen der wenigen Orte dar, an dem das Individuum Emotionen und Persönlichkeitseigenschaften zeigen kann, die für die Rollen in anderen Teilsystemen unerwünscht sind. Nach Neidhardt (1975) besteht der familiale Spannungsausgleich darin, dass das Individuum im Kreis der Familie „Gefühle verschiedenster Art“ (1975: 77) ausleben kann, um so Spannungen, Zwänge und Konflikte, die in anderen Teilbereichen (z.B. Berufswelt) entstehen, ausgleichen zu können. In diesen Sinn vermag sie als „ein Raum der Selbstdarstellung“ (Claessens 1962 nach Neidhardt 1975: 77) Individualität und Selbstentfaltung zu ermöglichen. Wurzbacher (1977) hebt im Hinblick auf die Identitätsbildung vor allem den Aspekt der Kenntnis über die „Unvollkommenheit der Persönlichkeit“ einzelner Familienmitglieder hervor: „Während die meisten anderen sozialen Kontakte kurzfristiger oder segmentaler sind und in der Regel mehr mit der Absicht vorsichtiger Statussicherung und daher eines anerkennungssuchenden Wohlverhaltens gesteuert werden, ist man in der Familie und Verwandtschaft in der ganzen Unvollkommenheit seiner Persönlichkeit und seines Entwicklungsprozesses bekannt. Hier kann man auf das in der Außenbeziehung vorherrschende Bemühen, sich ’keine Blöße zu geben’, verzichten, zugunsten einer entlastenden und damit auch regenerativen Offenheit und Spontanität“ (Wurzbacher 1977: 16f.)

In der Regel werden aufgrund dieser für die Familie spezifischen Strukturmerkmale der Kontinuität und Intimität institutionell gesicherte Teilnahme- und Hilfsbereitschaft erwartet, die noch relativ unabhängig von gegenseitigen Cha-

57

rakter- und Statusbeurteilungen wirksam sind. Auch Goode (1966) schreibt einzig der Familie die Verantwortung für die „emotionale Balance und Erhaltung“ zu (1966: 199). Von der Familie wird erwartet, dass sie Bedürfnisse nach intimer Zugehörigkeit, nach Sympathie (Claessens und Menne 1970: 183), nach Nähe und Geborgenheit, nach Verstehen, Dauerhaftigkeit und Sicherheit (Ostner und Pieper 1980: 140) sowie nach „Glück“ und „Geliebt-werden“ (Tyrell 1979: 37) erfüllt. Diese der Familie zugeschriebenen Aufgaben sollten jedoch – in Anlehnung an Neidhardt (1975) sowie Pieper und Pieper (1975) – nicht dazu verführen, die Familie als „Sozialidylle“ (Neidardt 1975: 77) zu stilisieren. Familieninterne Rollen- und Autoritätskonflikte, Geschlechter- und Generationsspannungen sind ebenso Teil dieser Primärgruppe, wie die Ausdrucksmöglichkeit positiver oder negativer Gefühle, die Raum für Selbstdarstellung lassen können. So wie Spannungen und Konflikte aus der Außenwelt in die Familie hinein wirksam sind, können auch familieninterne Probleme ihrerseits das Verhalten der Mitglieder in anderen Teilbereichen beeinflussen. Einhergehend mit der Intimität innerhalb der Familie sind die einzelnen Mitglieder auch verstärkt einer sozialen Kontrolle ausgesetzt. Individuelle Verhaltensweisen, die nicht den Normen und Werten der Eltern oder anderer Familienmitglieder entsprechen, werden sanktioniert und bieten die Basis für dauerhafte Auseinandersetzung, denen der Einzelne aufgrund der räumlichen, kommunikativen und meist emotionalen Nähe nur schwer entkommen kann. Die in der frühen Adoleszenz hinzukommenden intensiven Bindungen an Peers und die damit einhergehende Übernahme von Werten und Normen, die nicht immer mit den Erziehungsmaximen der Eltern kompatibel sein müssen, markieren den Konflikt zwischen der Einflussnahme verschiedener Sozialisationsinstanzen auf das Individuum. Obwohl die Funktionen der „Sozialisation“, der „sozialen Platzierung“ und des „emotionalen Spannungsausgleichs“ als eigenständige Kategorien genannt werden, sind sie nicht strikt voneinander zu trennen. So kann die Funktion des emotionalen Spannungsausgleiches erst dann wirksam werden, wenn die Interaktionsstrukturen in der Familie einen Austausch zulassen und die Mitglieder ein positives emotionales Verhältnis zueinander haben. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, dann ist die Familie nicht ein Ort des Spannungsausgleichs, sondern der Spannungserzeugung. Die Qualität der familialen Interaktion hängt wiederum von einer Vielzahl von Faktoren ab, welche partiell den Aufgabenbereich der Sozialisation, aber auch der sozialen Platzierung berühren. So bestimmen die Erziehungsziele auch das Ausmaß des emotionalen Spannungsausgleiches in der Familie. Herrscht z.B. ein extrem autoritärer Erziehungsstil vor, dann dürfte den Kindern nur wenig Raum für die Besprechung von Problemen gegeben sein, ein Umstand, der die Funktion des emotionalen

58

Spannungsausgleiches reduziert. Schon Parsons (1970) verwies auf die Interdependenz zwischen Sozialisation und emotionalem Spannungsausgleich. Aus seiner Perspektive setzt Sozialisation eine emotional affektive Bindung der Beteiligten voraus. Neben der Schwierigkeit, die einzelnen Funktionen voneinander abzugrenzen, bleibt mit Schmidt (2002: 44) auch ungeklärt, welche Funktionen im Laufe der Zeit an Bedeutung zu- bzw. abgenommen haben und inwieweit diese Aufgaben mit anderen Sozialisationsagenten geteilt werden. Die Analyse der Interdependenz zwischen der Familie und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen im historischen Vergleich der vor- und nachindustriellen Gesellschaft wirft noch viele Fragen auf, so dass nicht eindeutig ist, welche Funktionen die Familie abgegeben und gewonnen hat. In diesem Sinne unterliegt die funktionalistische Kategorisierung sowohl bestehender, gewonnener als auch verlorener familialer Kompetenzen einer „Relativierung“ (Marschalck 1983: 454). Eine so komplexe Beziehung wie die zwischen der Familie und anderen gesellschaftlichen Institutionen verlangt zudem eine kontinuierliche Betrachtung der Abhängigkeit dieser Instanzen voneinander. Die Frage, inwieweit diese Funktionen allein von der Familie getragen werden und welche Interdependenzen zu anderen Teilsystemen der Gesellschaft bestehen, bleibt offen, dennoch ist festzuhalten, dass die Charakterisierung familialer Aufgabenbereiche ein wichtiges Instrument ist, um das (Teil-) System Familie zu verstehen und Veränderungen wahrzunehmen. Ohne die Bestimmung dessen, was die Familie leisten soll, kann auch keine Analyse Erfolg haben, die versucht herauszufinden, wann die Familie als Institution in ihren Aufgabenbereichen gescheitert ist.

3.2.4 Die Familie und ihre „Restfunktion“ Die Diskussion um die Funktion der Familie spielt heute in der Soziologie keine Rolle mehr. Warum eine so zentrale Frage nicht mehr debattiert wird, ist unklar. Es gibt jedoch mehrere Anhaltspunkte, die mögliche Erklärungen bieten. Erstens spielt der Strukturfunktionalismus heute in der Soziologie eine eher untergeordnete Rolle. Dies hat zum einen historische Ursachen, zumindest wenn man davon ausgeht, dass jede Theorie auch den vorherrschenden Zeitgeist widerspiegelt. Der Strukturfunktionalismus hatte seinen Zenit in der Nachkriegszeit. Es kann vermutet werden, dass aus der Situation der Unsicherheit und Instabilität des Zweiten Weltkrieges heraus, gerade eine Theorie, die die Stabilität der Gesellschaft bzw. das Erhalten des Systems im Fokus hat, besonders attraktiv erschien. Zum anderen gibt es gewichtige Kritiken an diesem Ansatz. Ein häufig genannter Kritikpunkt bezieht sich auf die (einseitige) Perspektive (Makroperspektive), die der Strukturfunktionalismus betrachtet (Hill und Kopp

59

2006: 84f.). Da der Fokus auf das gesellschaftliche System bzw. die Teilsysteme gerichtet ist, vernachlässige diese Perspektive das Individuum. Akteure sind demnach nicht mehr als nur Rollenträger. Damit spricht man ihm aber auch die Gestaltung eines Handlungsraumes ab und unterschätzt die Wirkung der Interaktion zwischen Akteuren. Ferner wird nicht erörtert, wie sich die Grenzen eines (Teil-) System bestimmen lassen und wie es zu Wandlungen der Teilsysteme kommt (vgl. auch Luhmann 2002). An diesen Punkt knüpft die generelle Kritik an, dass der Strukturfunktionalismus keinen sozialen Wandel erklären kann bzw. will. Auch wird nicht klar begründet, warum bestimmte Teilsysteme bestimmte Funktionen haben. Zweitens wird angenommen, dass sich die Familie aufgrund zunehmender Pluralisierungstendenzen – dem Rückgang der Eheschließungen und der Geburten höherer Ordnung bei gleichzeitiger Zunahme der nichtehelichen Lebensgemeinschaften und Scheidungsraten seit den 1965er Jahren (z.B. Peuckert 2008) – auflöst und daher nicht mehr als Teilsystem der Gesellschaft definiert werden kann. Wenn die Familie kein Teilsystem ist, dann muss man auch nicht nach ihren Funktionen fragen.33 Diese Annahme ist aber nur haltbar, wenn vom „klassischen“ Familienbild der Kleinfamilie in den 1960er Jahren ausgegangen wird. Richtig ist, dass die Dominanz der Kleinfamilie, wie sie in den 1960er Jahren vorherrschte, gegenwärtig nicht mehr gegeben ist. Andere Lebensformen nehmen zu (wie z.B. Patchworkfamilien, nicht-eheliche Partnerschaften mit Kind) und ergänzen die bisher dominante Lebensform der „klassischen Kleinfamilie“. Einige zentrale Aspekte sollten in diesem Kontext jedoch berücksichtigt werden. Zum einen war die „Monopolstellung“ der Kleinfamilie in den 1960er Jahren historisch eine einmalige Situation, d.h. als Referenzkategorie für die Entwicklung der gegenwärtigen Familie wird eine historische Ausnahmesituation verwendet. Zum anderen gilt: Wenn andere Lebensformen, jenseits der klassischen Kleinfamilie, auch als familiale Lebensformen anerkannt werden, dann ist nicht mehr von einem Verfall der Familie, sondern lediglich von einem Wandel (eventuell noch von einer Pluralisierung) der familialen Strukturen zu sprechen.

33 So schlägt Meyer vor, von dem „Teilsystem für Intimbeziehungen“ oder „Funktionssystem privater Lebensformen“ (1993: 26) zu sprechen. Wird der Begriff der Familie gleichgesetzt mit der bürgerlichen Kleinfamilie, ist eine solche Forderung in Anbetracht des demographischen Wandels nicht unberechtigt. Wird jedoch der Familienbegriff weiter gefasst und in Anlehnung an die Soziologie der 1960er und 1970er Jahre als Kleingruppe – mit ihren intimen Interaktionsmustern – und gesellschaftliche Institution mit bestimmten Funktionen definiert, ist die Einführung dieses Vokabulars unnötig.

60

Drittens kann vermutet werden, dass die in den 1960er und 1970er Jahren identifizierten Funktionen auch heute noch gelten und daher keine Modifikation der Funktionen nötig ist. Viertens ist die mangelnde Auseinandersetzung mit der Frage nach den familialen Funktionen vielleicht ein Resultat der zunehmenden Spezialisierung innerhalb der Familienforschung. Trotz oder gerade wegen der Auseinandersetzung mit sehr spezifischen familialen Fragen bleiben globale Fragen, wie die nach den familialen Funktionen, möglicherweise unberücksichtigt. Von den genannten Funktionen der 1960er und 1970er Jahre sind lediglich zwei übrig geblieben, von denen angenommen wird, dass sie die grundlegenden Wirkungsfelder der Familie abbilden: die Sozialisation und die soziale Platzierung. Von diesen beiden Hauptfunktionen wird vor allem letztere aktuell thematisiert, wie sich an der neu entbrannten Debatte um Bildungsungleichheiten durch die soziale Platzierung zeigt, die durch die PISA-Studien (Baumert et al. 2000) entzündet wurde. Die Frage nach der Bedeutsamkeit und nach möglichen Veränderungen des Sozialisationsprozesses scheint dagegen innerhalb der Familiensoziologie brach zu liegen. Eine Ursache dafür mag in der unklaren Abgrenzung des Forschungsfeldes liegen. Exemplarisch schrieb Ulich Mitte der 1970er Jahre, dass nicht mehr eindeutig sei, „welche Sachverhalte, Themen und Theorien eigentlich nicht zum Gegenstandsbereich der Sozialisationstheorie gehören“ (Ulich 1976 nach Schmidt 2002: 204). Auch in den folgenden Jahrzehnten wurde dieses Abgrenzungsproblem nicht gelöst. Die Sozialisationsforschung ist mittlerweile nur noch ein „Randbereich der Familiensoziologie“ (Schmidt 2002: 204) und wurde weitestgehend als Forschungsgegenstand an die Pädagogik und Familienpsychologie verwiesen. Die Betonung der Sozialisation und der sozialen Platzierung als originär familiale Funktionen findet ihre Resonanz in vielen (Teil-) Disziplinen der Soziologie. Nicht immer sind sie als solche benannt, dennoch finden wir sie in den entscheidenden Kategorien, die für das familiale Feld als wichtig erachtet werden: Die „familialen Strukturmerkmale“ und die „innerfamilialen Merkmale“, letztere werden im deutschsprachigen Raum auch als „Interaktion in der Familie“ (Lösel und Linz 1975: 181) betitelt. Im angloamerikanischen Raum werden synonym die Begriffe „family functioning“ (Geismar und Wood 1986: 20), „family type“ (Matherne und Thomas 2001: 656) oder „family-centered factors“ (Yoshikawa 1994: 34) verwendet. Unter diese Begriffe fallen verschiedene Merkmale, die allesamt der familialen Sozialisation zuzuordnen sind, wie die familieninterne Interaktionsform, die emotionale Nähe der Familienmitglieder, der familiale Zusammenhalt, Kommunikationsstrukturen, elterliche Erziehungsstile, die Anpassungsfähigkeit der Familienmitglieder oder das Familienklima (Lamnek 1982, Rosen 1985, Peters 1989, Yoshikawa 1994, Matherne und Tho-

61

mas 2001). Zu den „familialen Strukturmerkmalen“ zählen neben dem sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie, der die Funktion der sozialen Platzierung übernimmt, die Familienkomposition – oft erfasst in der „Unvollständigkeit der Familie“ (Peters 1989: 578) – die Familiengröße, die Berufstätigkeit der Mutter und der Migrationshintergrund. Die Betrachtung dieser beiden „Merkmalsblöcke“ ist vor allem innerhalb der Theorien abweichenden Verhaltens geläufig, wie sich auch in der „structure vs. function“ Diskussion der 1950er Jahre zeigt (Rosen 1985). Diese Trennung ist in fast allen wissenschaftlichen Disziplinen wiederzufinden, die sich mit familialen Faktoren beschäftigen. Hierzu zählen zum Beispiel die Sozialisationsforschung oder die Jugendforschung. Die Trennung in diese beiden Aspekte ist so dominant, dass sie sich auch in sehr heterogenen und diffusen Forschungsbereichen durchsetzt. Exemplarisch ist dies auch für den Stand der Forschung zum Thema „Schulschwänzen und Familie“, der im folgenden Kapitel vorgestellt wird.

62

4

Stand der Forschung: Eine Zusammenfassung der gebnisse quantitativer Studien zum Einfluss familialer Faktoren auf das Schulschwänzen

In der Forschungsliteratur gibt es Phasen mit unterschiedlichen Schwerpunkten bei der Auseinandersetzung mit familialen Ursachen des Schulschwänzens. Zeichnen sich die ersten Publikationen Anfang des 20. Jahrhunderts und Anfang/Mitte der 1950er Jahre noch durch eine lebendige Thematisierung familialer Aspekte aus, wurden in den 1960er und 1970er Jahren in den USA, ähnlich wie in Deutschland, jene Stimmen lauter, die der Familie ihre Bedeutung absprachen und der Schule sowie dem Freundeskreis einen höheren Stellenwert einräumten. Die intensive Beschäftigung mit dem Wirken schulischer sowie peer-group bezogener Faktoren führte manche Autoren zu der Schlussfolgerung, dass der Familie letztlich kaum ein Einfluss zugesprochen werden kann (z.B. Sommer 1985b). Die in den 1960er und 1970er Jahren von vielen Autoren kommentierte Auf- und Abwertung des Einflusses einzelner Sozialisationsagenten wird heute jedoch nur noch selten vertreten. Vielmehr besteht in der gegenwärtigen Forschungslandschaft ein Konsens darüber, dass alle Sozialisationsagenten einen Einfluss auf das Schulschwänzen ausüben und damit ein multiples Wirken besteht (z.B. van Petegem 1994, Reißig 2001, Wagner et al. 2004). Für den Stand der quantitativen Forschung zum Thema „Familie und Schulschwänzen“ sind, neben der schon erwähnten atheoretischen Herangehensweise, zwei weitere Charakteristika hervorzuheben. Zum einen gibt es ein großes Qualitätsgefälle im Studiendesign und zum anderen uneinheitliche Operationalisierungen des Schulschwänzens. Erstens zeichnet sich bezüglich des Studiendesigns ein Teil der Untersuchungen – vor allem der Schul- und der klinischen Forschung – durch sehr kleine Stichproben aus, die oft nur Informationen von wenigen Befragten (etwa 20 bis 50) umfassen (z.B. Carroll 1977, Nielsen und Gerber 1979, Corville-Smith et al. 1998, Zieman und Benson 1981, Sommer 1985a). Statistisch repräsentative Ergebnisse können damit nicht erzielt werden. Zweitens ist in Übereinstimmung mit Eder (1981: 387) und Brown (1983: 227) kritisch hervorzuheben, dass viele einschlägige Untersuchungen auf selektiven Stichproben basieren. So stützt z.B. Reid (1982, 1983) seine Befunde nur auf Informationen von Schülern, die mindestens 65,0% des Schulunterrichts

63

in einem Jahr unentschuldigt fehlten, eine Vergleichsgruppe von Schülern, welche die Schule regelmäßig besuchten, wird jedoch nicht herangezogen. Ähnlich verfahren auch Tennet (1970), Washington (1972), Pinkert et al. (1972), Elliott (1975), Cooper (1984), Hagborg (1989), Zhang (2003) und Kee (2001). Drittens gibt es in Relation zu der Gesamtanzahl der Publikationen über Schulschwänzen nur wenige, die neben der Prüfung bivariater Zusammenhänge auch multivariate Verfahren verwenden. Inwieweit der Einfluss einzelner Prädiktoren unter Kontrolle anderer wichtiger Merkmale noch von Bedeutung ist, bleibt ungeklärt. Neben diesen methodischen Problemen weist der Forschungsstand zwei inhaltliche Schwierigkeiten auf: Zum einen wird in manchen Studien (Brooks et al. 1962, Gill 1977, Kandel et al. 1984, Wyatt 1992) der allgemeine Absentismus als abhängige Variable herangezogen, d.h. der zentrale Fokus ist nicht nur auf das unentschuldigte Fehlen gerichtet, sondern auf das Fehlen im Allgemeinen. Auch wenn die Vermutung nahe liegt, dass ein Teil der abstinenten Schüler zu den Schulschwänzern gehört, ist es aufgrund anderer Faktoren, die das Fehlen hervorrufen können, wie z.B. eine Erkrankung, nicht mehr möglich, nur Aussagen über das Schulschwänzen zu treffen. Zum anderen kommt erschwerend eine uneinheitliche begriffliche Verwendung hinzu. Dies betrifft insbesondere den Oberbegriff „Schulabsentismus“. So steht dieser in einigen Studien für die allgemeine Abwesenheit, unabhängig davon, ob das Fehlen entschuldigt oder unentschuldigt ist (z.B. Mortimore et al. 1988). Manche Autoren hingegen benutzen diesen Begriff synonym mit dem Schulschwänzen (z.B. McCluskey, Bynum und Patchin 2004) und andere verstehen unter „Absentismus“ das nichtkrankheitsbedingte Fehlen (z.B. Mueller und Stoddard 2006). Letztere Definition kommt dem Schulschwänzen sehr nahe, schließt aber die Abwesenheit aufgrund besonderer Ereignisse, wie Tod eines Familienmitgliedes oder verlängerte Schulferien, nicht aus. In Abbildung 3 ist die Anzahl der Publikationen wiedergegeben, die sich seit Mitte der 1950er Jahre auf quantitativer Ebene mit dem familialen Einfluss auf das Schulschwänzen auseinandersetzen.

64

12

international

Anzahl Studien

10

10

national

10 9

8

8

8

7 6

6

4 2

4

0

4

2

2 1

0

1 0

6 5

2 1 0

0

1956-60 1961-65 1966-70 1971-75 1976-80 1981-85 1986-90 1991-95 1996-00 2001-05 2006-08

Abbildung 3: Anzahl der internationalen und nationalen quantitativen Studien zum Thema "Familie und Schulschwänzen" im Zeitraum 1956 bis 2008

Unterschieden wird zwischen internationalen und nationalen Studien.34 Aufgrund der zuvor genannten Schwierigkeiten wurden in die folgende Analyse nur Studien aufgenommen, die 1) eine ausreichend große Stichprobe aufweisen (n > 50),35 die 2) keine selektiven Stichproben verwenden und die 3) in ihrer Definition deutlich machen, dass sie sich mit dem Phänomen des Schulschwänzens – und nicht etwa dem allgemeinen Absentismus oder nur psychologisch bedingten Formen des Schulschwänzens (z.B. Schulphobie oder Schulangst, vgl. Kapitel 2) – auseinandersetzen. Darüber hinaus wurden nur Studien berücksichtigt, die mindestens einen familialen Aspekt als mögliche Ursache des Schulschwänzens thematisieren. Die familialen Aspekte umfassen neben verschiedenen soziodemographischen Merkmalen, wie z.B. der Familiengröße oder dem sozioökono-

34 Zur Gewinnung der Studien wurden verschiedene Fach-Datenbanken herangezogen. Neben einschlägigen Literaturdatenbanken, wie dem ESCO, der GBU, der CSA, der SCCI und dem OVID wurden auch mehrfach Internetrecherchen mit relevanten Schlagwörtern (truancy, school absenteeism, bunk off, play hooky, family und broken home) durchgeführt und das „Schneeball-Prinzip“, d.h. die Suche nach Quellen aus bereits gefundenen Studien, angewandt. Auch wenn der Anspruch auf Vollständigkeit nicht erhoben werden kann, ist dennoch davon auszugehen, dass die einschlägigen Publikationen jenseits der grauen Literatur erfasst wurden. 35 Die Festlegung auf n = 50 ist keine vorgegebene, doch sind oftmals statistische Auswertungen mit einer Fallzahl kleiner als 50 nur unzureichend möglich, insbesondere, wenn mehrere Merkmale berücksichtigt werden.

65

mischen Status, auch Erziehungsstile und -praktiken sowie Formen des abweichenden Verhaltens der Eltern oder Geschwister.36 Insgesamt beläuft sich die Anzahl der Publikationen für den Zeitraum 195637 bis 2006 auf 87, davon wurden 67 im Ausland, vornehmlich im angloamerikanischen Raum, und 20 in Deutschland publiziert. Während für die internationalen Beiträge ein Zenit in den Jahren 1976-80 erkennbar ist, der nach 1980 abfällt und Anfang der 1990er Jahre wieder leicht zunimmt und seinen zweiten Höhepunkt in der Gegenwart hat (2006-2008), finden wir für die wenigen deutschen Beiträge erst eine Zunahme Mitte der 1990er Jahre. Die ausländischen Beiträge stammen etwa in gleichen Teilen aus der pädagogischen, soziologischen und psychologischen Disziplin. Hingegen wurden in Deutschland alle Beiträge bis Mitte der 1990er Jahre überwiegend durch die Pädagogik und Sonderpädagogik initiiert. Seit Anfang/Mitte der 1990er Jahre ist in Deutschland ein Diskurswechsel zugunsten soziologischer Arbeiten auszumachen.38 Nach inhaltlichen Gesichtspunkten können die familialen Merkmale der quantitativen Absentismusforschung in folgende vier Gruppen unterteilt werden: 1.

Familiale Strukturmerkmale, wie z.B. die Familiengröße, die Vollständigkeit der Familie oder der sozioökonomische Status der Familie.

2.

Soziales und kulturelles Kapital der Eltern. Das soziale Kapital umfasst bei den vorgestellten Studien vor allem elterliche Verhaltensweisen, die beim Bildungserwerb des Kindes förderlich sind, wie z.B. die Betreuung der Hausaufgaben, die Kontaktpflege zu den Lehrern oder die Unterstützung bei schulischen Problemen. Kulturelles Kapital meint hier vornehmlich – in Anlehnung an Bourdieu (1983) – das inkorporierte kulturelle Kapital (z.B. Bildungsaspirationen), welches primär durch die Familienmitglieder im Sozialisationsprozess vermittelt wird.39

3.

Innerfamiliale Faktoren, wie z.B. eine gewalttätige Erziehung, Disziplinierungsprobleme oder eine geringe emotionale Bindung zwischen Eltern und Kindern.

4.

Abweichendes Verhalten der Eltern und Geschwister sowie andere Einflussgrößen.

36 Studien, die sich auf Populationen mit einem kulturellem Hintergrund konzentrieren, der nicht mit dem europäischen oder nordamerikanischen kompatibel ist, wurden nicht herangezogen (z.B. Amatu 1981, Goldberg 1999). 37 Da die ersten einschlägigen quantitativen Studien Mitte der 1950er Jahre publiziert wurden, ist 1956 als Beginn des Untersuchungszeitraumes festgelegt. 38 Alle Datensätze – soweit Informationen vorleigen – einschließlich der Operationalisierung des Schulschwänzens und der relevanten Ergebnisse können auf der Internetseite http://www.fis.uni-koeln.de/schulabsentismus.html eingesehen werden. 39 Auf das kulturelle Kapital wird ausführlich in Kapitel 4 eingegangen.

66

4.1

Familiale Strukturmerkmale

Eine Vielzahl von familialen Strukturmerkmalen wurde im Rahmen der Erklärung des Schulschwänzens im Lauf der letzten Jahrzehnte untersucht. Nach Betrachtung des aktuellen Forschungsstandes lassen sich fünf Kategorien identifizieren, die in den folgenden Abhandlungen (Kap. 4.1.1 bis 4.1.5) thematisiert werden: 1) die Geschwisteranzahl, 2) die Familienstruktur, 3) der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie, 4) das Stadtviertel, die Schulen und die Wohnsituation sowie 5) der Migrationsstatus.

4.1.1 Geschwisteranzahl Zu den ältesten Studien, die systematisch den Einfluss verschiedener familialer und soziodemographischer Merkmale auf das Schulschwänzen prüfen, zählen die klinisch orientierten Arbeiten Tyermans (1958, 1968) und Hersovs (1960). Wie viele medizinische und psychologische Studien verwenden auch sie das Verfahren der Fall-Kontroll-Studie. Tyermans Auswertungen zufolge, bleiben Kinder, die mindestens drei weitere Geschwister haben, häufiger unerlaubt der Schule fern als Kinder mit einer kleineren Geschwisteranzahl (Tyerman 1958: 222). Auf Basis einer Stichprobe von 150 Jugendlichen, die in die drei Gruppen „Schulschwänzer“, „schulphobisch kranke Kinder“ und „nicht schwänzende Kinder“ unterteilt wurden, stellte Hersov (1960) fest, dass schwänzende Kinder häufiger aus großen Familien stammen als Kinder der beiden anderen Kategorien. Mitchell (1972) wertete die Einträge der Schulakten von etwa 3.600 Schülern der Secondary School40 aus. Jugendliche, die häufig der Schule fernblieben (mindestens 31 unentschuldigte Halbtage) hatten im Mittel 3,88 Geschwister; Jugendliche, die gar nicht oder sehr selten fehlten (maximal 10 unentschuldigte Halbtage) wiesen im Mittel eine Geschwisteranzahl von 2,17 auf. Um entschuldigtes und unentschuldigtes Fehlen deutlich voneinander abzugrenzen, fand zusätzlich – neben der Auswertung vorhandener Einträge in Schulakten und Entschuldigungsschreiben der Eltern – eine retrospektive Befragung der Lehrer 40 Das Schulsystem Großbritanniens setzt sich aus drei Stufen zusammen: 1) der Primary School (Alter: 5 bis 10 Jahre), 2) der Secondary School (Alter: 11 bis 15 Jahre), die nochmals unterteilt ist in die Comprehensive School (vergleichbar mit der Realschule, nach Ablegung einer Prüfung [GCSE], kann der Schüler die Oberstufe besuchen), die Grammar School (vergleichbar mit dem Gymnasium, Schüler werden hier für eine akademische Ausbildung vorbereitet) und 3) der weiterführenden Schule (Sek. II), auch „sixth form“ genannt, die auf den Besuch einer Universität oder eines Colleges vorbereitet (Alter: 16 bis 17 Jahre).

67

nach dem Grund der Abwesenheit statt. Unter Berücksichtigung dieser Informationen sind die Diskrepanzen in Bezug auf die Familiengröße noch deutlicher: männliche Schüler, die eindeutig aufgrund nichtmedizinischer Ursachen sehr häufig fehlten, hatten im Mittel eine Geschwisteranzahl von 4,71 (Mitchell 1972: 25). Interessanterweise hat die Mehrheit der häufig schwänzenden Schüler ältere Geschwister, die selbst nicht mehr schulpflichtig sind und einer eigenen Erwerbsarbeit nachgehen. In dieser Geschwister- und Berufskombination sieht Mitchell auch eine mögliche Erklärung für das Schwänzen der jüngeren Geschwister: „The presence of working older siblings in the home, presenting an example of increased personal and financial independence, could be seen as an influence away from the ethos of school towards that of the outside world“ (1972: 25). Einen positiven Effekt der Anwesenheit älterer Geschwister auf das Schulschwänzen finden für männliche Schüler auch Dustman, Rajah und Smith (1997). Im Rahmen der Auswertung der „National Child Development Study“ (NCDS) berücksichtigen Fogelman, Tibbenham und Lambert (1980) neben der Geschwisteranzahl auch die Schulform und das Geschlecht der befragten Schüler. Demnach schwänzen Jungen und Mädchen der Comprehensive School, die mindestens drei weitere Geschwister haben, etwa doppelt so oft die Schule wie Einzelkinder.41 Für die Schüler der Secondary Modern School und Grammar School sind die Ergebnisse deutlicher geschlechtsspezifisch. Bleiben auf der Secondary Modern School vor allem Jungen, die mindestens drei Geschwister haben, unentschuldigt fern, sind es hingegen auf der Grammar School die Mädchen mit mehreren Geschwistern (Fogelman, Tibbenham und Lambert 1980: 40). Einschränkend muss festgehalten werden, dass die Angaben der „National Child Development Study“ (NCDS) über die unbegründete Schulabwesenheit auf den Informationen der Lehrer beruhen. Die Auskünfte der Schüler und Eltern wurden, obwohl vorhanden, nicht als Indikatoren des Schulschwänzens herangezogen. Es ist sicherlich nahe liegend, nicht die Angaben der Eltern zu verwenden, da diese, wie mehrere Studien zeigen konnten (Fogelman, Tibbenham und Lambert 1980, Fergusson, Lynskey und Horwood 1995), den Schulabsentismus ihrer Kinder oft stark unterschätzen. Doch auch die Gültigkeit der Lehrerangaben sollte – soweit keine Klassenbücher vorliegen, die präzise und regelmäßig geführt wurden – kritisch betrachtet werden. Einerseits ist es unwahrscheinlich, dass jeder Lehrer weiß, wann und warum welcher Schüler

41 Bei den männlichen Einzelkindern schwänzten 19,2% zeitweilig oder regelmäßig die Schule. Der Schwänzanteil männlicher Schüler mit mindestens drei Geschwistern beträgt dagegen 30,7%. Bei den Mädchen schwänzten 9,4% der Einzelkinder und 18,7% mit mehreren Geschwistern.

68

gefehlt hat und andererseits besteht die Gefahr, dass durch „Halo-Effekte“42 (wie z.B. schlechtem Artikulationsvermögen oder mangelhaften Schulleistungen) die Einschätzung über das Schulbesuchsverhalten eines Schülers verfälscht werden. Ein Indiz für die starke Diskrepanz der Angaben verschiedener Probanden bzw. Quellen sind auch bei May (1975) zu finden, der auf Basis der „Aberdeen Study“ das Schulschwänzen analysiert. Seinen Ergebnissen zufolge hat lediglich jeder fünfte Schüler, der von den Lehrern als Schwänzer eingestuft wird, auch einen entsprechenden Eintrag in der Schulakte (May 1975: 99).43 Die Differenz der Angaben verschiedener Datenquellen schlägt sich in der gleichnamigen Studie auch in Bezug auf den Zusammenhang zwischen dem Schulschwänzen und der Geschwisteranzahl nieder. Basierend auf den Lehrerangaben kommt May zu dem Schluss, dass Schulschwänzer etwa doppelt so oft (38,0%) Mitglieder großer Familien sind (fünf Personen oder mehr) als Jugendliche, die keine Fehlzeiten aufweisen (18,0%). Deutlich niedriger sind die Unterschiede im Hinblick auf die Geschwisteranzahl, wenn anstatt der Lehrereinschätzung die Einträge in den Schulakten als Datengrundlage herangezogen werden. Einen positiven Zusammenhang zwischen der Geschwisteranzahl und dem Schulschwänzen finden auch Carroll und Kavanagh (1974) und McGuinness und Jardine (1984).44 Ebenfalls Farrington (1980), Pritchard, Cotton und Cox (1992) sowie Bosworth (1994), die sich vor allem durch die Nutzung relativ großer Stichproben („Cambridge Study in Delinquent Development“, „European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs“ und „Youth Cohort Study“) auszeichnen, dokumentieren eine positive Beziehung. Reid (1982, 1983) hingegen, der 77 Schulschwänzer mit zwei Kontrollgruppen vergleicht, die sich 1) aus nicht schwänzenden Schülern mit (ebenfalls) schlechten Schulleistungen und 2) aus nicht schwänzenden Schülern mit guten Schulleistungen zusammensetzten, kommt einerseits zu dem Ergebnis, dass schwänzende Kinder signifikant häufiger aus großen Familien (vier bis sechs 42 Der Halo-Effekt bezeichnet die Fehleinschätzung einer Person, aufgrund eines Gesamteindruckes, der ein stereotypes Bild erzeugt. 43 Ähnliches berichtet auch jüngst McAra (2004) für britische Schüler. Für deutsche Schüler fand Oberwittler (Oberwittler et al. 2001) einen starken Unterschied zwischen den Angaben der Schüler und Lehrer. An der Sonderschule überschätzten Lehrer das Schwänzen der Schüler. Für die Hauptschule, die Realschule und das Gymnasium liegen die Einschätzungen der Lehrer unter den Angaben der Schüler. Im Rahmen einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen stellten Brettfeld, Fabian und Wetzels (2003: 277) fest, dass große Abweichungen zwischen den Einschätzungen der Lehrer und den Angaben der Schüler über das Schulschwänzen vorliegen. Vermuteten die Lehrer in der Gesamtstichprobe eine Schwänzrate von 21,0%, lag sie nach den Selbstangaben der Schüler bei 52,2%. 44 Hier betrug die mittlere Familiengröße bei schwänzenden Kindern 4,6; bei nicht schwänzenden Schülern 3,2. Darüber hinaus hatten 17,8% der abstinenten Schüler mindestens fünf weitere Geschwister und 3,2% sogar mindestens neun (Sutherland und Purdy 2006: 121).

69

Kinder) stammen als Schüler mit guten Schulleistungen, es jedoch andererseits keine Unterschiede im Hinblick auf die Familiengröße zwischen schwänzenden Kindern und Kindern mit schlechten Schulleistungen gibt. Diesem Ergebnis zufolge kann das Schulschwänzen als ein Resultat schlechter Schulleistungen betrachtet werden, die wiederum durch die Familiengröße hervorgerufen wird. Im Gegensatz dazu wird nach einer neueren Studie des Centers for Analysis of Social Exclusion der Londoner School of Economics (Burgess, Gardiner und Propper 2002) der von vielen Autoren postulierte positive Einfluss einer großen Geschwisteranzahl auf das Schulschwänzrisiko falsifiziert. Als Datenbasis der Analyse dient der „National Longitudinal Survey of Youth“ (USA) aus dem Jahr 1979 (n = 4.000). Im Rahmen eines Regressionsmodells, in das verschiedene soziodemographische Merkmale des Schülers (Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit) und der Familie (z.B. Familienstruktur, Einkommen der Eltern, Bildung der Eltern) einfließen, erweist sich die Mehrzahl der Prädiktoren als statistisch bedeutsam; die Geschwisteranzahl hat hingegen keinen Effekt. Konträr zu den Befunden Mitchells aus dem Jahr 1972, sprechen die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit mit Shepherd (Mitchell und Shepherd 1980: 14), basierend auf den Auswertungen der Angaben von etwa 6.100 Eltern und Lehrern aus der Umgebung Londons, gegen einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen der Geschwisteranzahl und dem Schulschwänzen. Für Deutschland konnte nur eine Studie identifiziert werden, in der die Familiengröße als Prädiktor des Schulschwänzens berücksichtigt wurde. Für etwa 900 deutsche Hauptschüler der 6., 7. und 8. Klassen wiesen Krüger, Claaß und Speck (1972) einen positiven Effekt der Geschwisteranzahl auf das Schulschwänzen nach. Die bivariaten Ergebnisse basieren jedoch nur auf den Angaben der Lehrer. Jugendliche, die im Schuljahr 1971/72 häufig unerlaubt der Schule fernblieben und so zu den „schwere[n] Fällen“ (Krüger, Claaß und Speck 1972: 156) zählen, hatten im Vergleich zu Schülern, die nicht unentschuldigt fehlten ( x = 2,03) mehr Geschwister ( x = 2,80, Krüger, Claaß und Speck 1972: 158). Nichtsdestotrotz ist der Unterschied – wie die Mittelwerte wiedergeben – zwischen den beiden Gruppen sehr gering. Anders sieht der Vergleich mit Schülern aus, die von den Eltern zurückgehalten wurden. Sie weisen eine mittlere Geschwisteranzahl von 5,14 auf. Vermutlich sind Eltern von Großfamilien verstärkt auf die Hilfe der Kinder (z.B. Haushalt, Betreuung von jüngeren Geschwistern) angewiesen und halten sie daher vom Schulbesuch ab. Kritisch hervorzuheben ist, dass nur Hauptschülern aus Großstädten in die Stichprobe einflossen und daher weder ein Vergleich mit Hauptschülern aus ländlichen Regionen, noch ein Vergleich mit Schülern anderer Schulformen möglich ist.

70

4.1.2 Familienstruktur Untersuchungen, die den Zusammenhang von familialen Strukturmerkmalen und Delinquenz betrachten, befassen sich überwiegend mit Strukturstörungen, die im Amerikanischen – trotz des normativen Charakters – auch als „broken home“ betitelt werden. Unter „broken home“ ist „eine familiale Struktur, in der mindestens ein natürlicher Elternteil fehlt“ (Lösel und Linz 1975: 182) zu verstehen. Die Ursachen der Abwesenheit eines oder beider Elternteils(e) können Tod, Trennung, Scheidung oder außerpartnerschaftliche Mutterschaft sein. Wurden in den älteren Arbeiten Familienergänzungen, wie z.B. durch die Wiederheirat, selten berücksichtigt, hat es sich in den letzen Jahrzehnten zunehmend etabliert, auch Stieffamilien im Kontext des „broken home“ zu untersuchen. Synonym mit dem Begriff des „broken home“ wird in der deutschsprachigen Literatur auch der Terminus „unvollständige Familienstruktur“ verwendet. Innerhalb der Schulabsentismusforschung wird einer unvollständigen Familienstruktur als (mögliche) Ursache des Schulschwänzens eine hohe Bedeutung zugeschrieben. Bereits Hersov (1960) stellte fest, dass die Abwesenheit der Mutter vor dem fünften Lebensjahr am häufigsten bei Jugendlichen auftritt, die, im Vergleich zu den Referenzgruppen „nicht schwänzende Schüler“ und „schulphobisch kranke Schüler“, der Schule unentschuldigt fernbleiben. Eine Vielzahl von Folgestudien erhärtet die These des positiven Einflusses einer zerstörten Familienstruktur auf das unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht. So bekunden die Ergebnisse der vom schottischen „Institute for the Study and Treatment of Delinquency“ (ISTD 1974) initiierten Untersuchung „Truancy in Glasgow“, dass schwänzende Schüler häufiger als unauffällige Schüler bei nur einem Elternteil, zumeist der Mutter, leben. Den positiven Effekt des Alleinerziehenden-Status auf das Schulschwänzen finden auch McGuinness und Jardine (1984), Pritchard, Cotton und Cox (1992), Sutherland (1995) sowie jüngst McAra (2004). Reid (1982) erweitert seine Analyse, indem er neben dem Einfluss des elterlichen Status „alleinerziehend“, auch zeigt, dass Eltern schwänzender Kinder überproportional häufig getrennt leben (vgl. auch Brugess, Gardiner und Propper 2002), geschieden sind oder einen neuen Partner haben. Darüber hinaus leben deutlich mehr schwänzende Schüler während ihrer Kindheit bei Pflegeeltern oder im Heim (Reid 1982: 180). Noch prägnanter sind die Resultate der britisch/nordirischen Teilstichprobe des „European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs“ (ESPAD) von Miller und Plant (1999). Den Ergebnissen einer logistischen Diskriminanzanalyse zufolge, zählt eine „unvollständige“ Familienstruktur, gemeinsam mit dem antisozialen Verhalten des Schülers und einem vernachlässigenden Erziehungsstil, zu den drittstärksten Prädiktoren

71

für das Schulschwänzen (Miller und Plant 1999: 889).45 Auch Farrington (1980) bestätigt, unter Verwendung der Selbstauskünfte der Schüler über ihr Schulbesuchsverhalten, den negativen Einfluss eines „broken homes“ auf das Schulschwänzen. Dienen als Datengrundlage jedoch die Angaben der Lehrer, kann dieser Einfluss nicht bestätigt werden. Für spanische Schüler fanden Duarte und Escario (2006) auf Basis von drei Erhebungswellen einen positiven Effekt der Ein-Elternfamilie auf das Schulschwänzen. Casey und Smith (1995) kommen in ihren Auswertungen der fünften Kohorte des „England and Wales Youth Surveys“46 zu dem Schluss, dass das Risiko, überhaupt jemals die Schule zu schwänzen, besonders groß ist für Jugendliche, die – im Vergleich zu Kindern aus vollständigen Familien – bei keinem leiblichen Elternteil aufwachsen. Von den Schülern, die im fünften Jahr der Secondary School einzelne Schultage oder -stunden, mehrere Tage oder mehrere Wochen hintereinander schwänzten, lebten im Vergleich zu Jugendlichen, die sehr selten oder nie schwänzten (etwa 16,0%) mehr als doppelt so viele Kinder (38,3%) nicht bei ihren leiblichen Elternteilen. Etwas geringer, aber immer noch signifikant, ist das Schulschwänzrisiko für Kinder Alleinerziehender. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob die Jugendlichen bei der Mutter oder bei dem Vater leben (Casey und Smith 1995: 42). Selbst unter Kontrolle wichtiger Prädiktoren, wie der sozialen Herkunft, der Familienstruktur oder der Beziehung zum Lehrer, erhöht die Abwesenheit beider biologischer Eltern das Risiko des Schulschwänzens um 208,0%. Ein ähnliches Ergebnis dokumentiert Bosworth (1994) auf Basis der „Youth Cohort Study“. Zu einer der wenigen theoriegeleiteten Untersuchungen zählt McNeals (1999) Analyse über den Einfluss des familialen sozialen Kapitals auf den Schulerfolg. Dieser wird über drei Variablen gemessen: die Schulleistung, den Schulverweis und das Schulschwänzen. Letzteres wird über eine dichotome Variable abgebildet, die wiedergibt, ob der Schüler im Befragungsjahr die Schule schwänzte oder nicht. Die Untersuchung basiert auf der „National Educational Longitudinal Study“ (NELS) aus dem Jahr 1988, die sowohl Informationen der Schüler als auch der Eltern beinhaltet. Neben verschiedenen Aspekten des familialen sozialen Kapitals, auf die genauer in Kapitel 4.2 eingegangen wird, ist auch die Trennung der Eltern ein signifikanter Prädiktor des Schulschwänzens und des Schulverweises. Im Gegensatz zu den Ergebnissen der zuvor dargestellten Studien können Tyerman (1958) und Eaton (1979) den positiven Einfluss der Trennung der 45 Weitere Einflussgrößen sind das Geschlecht, das Bildungsniveau der Eltern, Freizeitaktivitäten und Erziehungsmerkmale der Eltern (Miller und Plant 1999). 46 Die fünfte Kohorte des „England and Wales Youth Surveys“ setzt sich aus insgesamt 13.423 Jugendlichen der Secondary Schools zusammen, die 1990 die Schule verließen.

72

Eltern auf das Schulschwänzen nicht bestätigen. Im Hinblick auf die Untersuchung Eatons (1979) ist jedoch kritisch anzumerken, dass die Merkmale „alleinerziehendes Elternteil“ und „Arbeitslosigkeit des Vaters“ mit einer Variablen (parental status) abgebildet werden. Inwieweit eine solche Zusammenführung dieser Merkmale sinnvoll ist, sei dahin gestellt. Trotz des insignifikanten Einflusses einer zerstörten Familienstruktur auf das Schulschwänzen vermutet Eaton, dass diese indirekt über die Einstellungen der Eltern zum Bildungserfolg wirken kann. „The main implications of the weakness of ’parental status’ would seem to be that broken home and/or unemployed parents have little direct value per se as predictors of persistent absenteeism. It may be that this variable is important only in so far as a broken home or unemployment may promote feelings of parental apathy or discontent. Such feelings are likely to be reflected in the attitude of parents towards the school and the child […]” (Eaton 1979: 240).

Für deutsche Schüler konnten Buchwald (1958), Krüger et al. (1972), Wetzels et al. (2000a, 2000b, 2002), Wilmers (2000), Wilmers und Greve (2002), Brettfeld, Fabian und Wetzels (2003) sowie Wagner et al. (2004) den positiven Effekt einer unvollständigen Familienstruktur auf das Schulschwänzen nachweisen. Besonders hervorzuheben sind die sieben letzteren Studien, da sie zu den empirisch umfangreicheren Arbeiten zum Thema Schulschwänzen in Deutschland zählen. Die Untersuchungen Wetzels et al. (2000a, 2000b, 2002), Wilmers (2000), Wilmers und Greves (2002) und Brettfelds, Fabians und Wetzeles (2003) basieren auf Daten, die im Rahmen zweier größerer Projekte zum Thema Schulschwänzen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen erhoben wurden. Dabei stützen sich die Publikationen von Wetzels et al. (2000a, 2000b), Wilmers (2000), Wilmers und Greve (2002) auf Stichproben, die Informationen von Schülern allgemeinbildender Schulen und Förderschulen für Lernbehinderte aus den Städten Delmenhorst (allgemeinbildende Schulen n = 1.298, Förderschulen n = 34) und Rostock (allgemeinbildende Schulen n = 1.662, Förderschulen n = 32) beinhalten.47 Sowohl für Schüler aus Delmenhorst als auch aus Rostock gilt, dass Jugendliche, die mindestens zwei Tage im letzten Schuljahr unentschuldigt fehlten, überproportional häufig aus Familien stammten, in denen nur ein Elternteil präsent ist (vgl. Abbildung 4, Wilmers und Greve 2002: 406, Wetzels et al. 2000a: 119, Weztels et al. b 2000: 119).

47 Flossen in die Stichprobe aus Delmenhorst Angaben von Schülern der 9. und 10. Jahrgangsstufe ein, bezog sich die Auswahl der Schüler in Rostock lediglich auf Schüler der 9. Jahrgangsstufe. Darüber hinaus wurden in Delmenhorst auch Schüler des BVJ (Berufsvorbereitungsjahr) befragt.

73

Schwänzintensität nach Familienstand in Rostock

Schwänzintensität nach Familienstand in Delmenhorst

16

16

12 % 8

12 % 8

4

4

0

0

1 Tag

2-4 Tage 5-10Tage >10 Tage

1 T ag

2-4 T age 5-10 T age >10 T age Rostock

Delmenhorst lebt mit beiden Eltern lebt nicht mit beiden Eltern

Abbildung 4: Schwänzintensität nach Familienstand in Delmenhorst und Rostock (1999) (Quelle: Wetzels et al. 2000a: 119; 2000b: 119)

Es gilt: Schüler aus beiden Städten, die nur bei einem Elternteil leben, schwänzten im Schuljahr 1999 etwa doppelt so oft (17,0% bzw. 10,0%) „5 bis 10 Tage“ die Schule wie Schüler, die bei beiden Elternteilen leben (9,9% bzw. 4,5%). Im Jahr 2000 wurden zusätzlich etwa 10.000 Schüler der 9. Jahrgangsstufe allgemeinbildender Schulformen aus den Städten Hamburg, Hannover, Leipzig, München und der Region Friesland befragt (Wilmers et al. 2002, Brettfeld, Fabian und Wetzels 2003). Analog zu den Erhebungen in Delmenhorst und Rostock wird das Schulschwänzen über eine fünfstufige Skala gemessen.48 Nicht ganz so deutlich, aber immer noch signifikant, ist die Beziehung zwischen dem Schulschwänzen und der Abwesenheit eines biologischen Elternteils. Sind die Unterschiede bei Jugendlichen, die 1 Tag und 2-4 Tage fehlten sehr gering, berichten Jugendliche aus unvollständigen Familien signifikant häufiger von massiven Formen (mind. 5 Tage) des Schwänzens.

4.1.3 Sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie Besondere Beachtung findet in vielen Studien die Frage, ob das Schulschwänzen vom sozioökonomischen Status (SES) der Herkunftsfamilie abhängt. Obwohl dieser von allen familialen Strukturmerkmalen am häufigsten untersucht 48 Es liegen sowohl Selbstangaben der Schüler als auch Einschätzungen der Lehrer vor. Die hier berichteten Ergebnisse beziehen sich auf die Selbstangaben der Schüler.

74

wurde, gibt es bis heute keine Einigkeit über seine Bedeutung auf das Schulschwänzen. Eine Bandbreite von Indikatoren, wie z.B. der Berufsstatus des Vaters, das Bildungsniveau der Eltern oder die Haushaltsausstattung dient der Messung des sozioökonomischen Status. Der schon in frühen psychiatrisch orientierten Arbeiten (Kline 1898, Burt 1925) aufgedeckte Zusammenhang zwischen einem niedrigen Berufsstatus des Vaters – hier zumeist der Status des Arbeiters oder der ungelernten Hilfskraft – und dem häufigen Schulschwänzen der Kinder wurde bei einer Vielzahl von soziologischen und psychologischen Studien in den 1970er und 1980er Jahren bestätigt. Schon Hersov (1960) stellte hohe Schwänzraten solcher Jugendlicher fest, deren Väter einen niedrigen sozioökonomischen Status haben. Ähnliches dokumentieren Mitchell (1972), May (1975), Reid (1982) sowie Grimshaw und Pratt (1986). Entgegen der oftmals inkonsistenten Befunde zwischen den Selbstangaben der Schüler und den Auskünften der Lehrer über das Schulschwänzen, kann May (1975) den Zusammenhang zwischen einem niedrigen Berufsstatus des Vaters und dem häufigen Schulschwänzen für beide Datenquellen bestätigen. Fogelman (1978), Fogelman und Richardson (1974) sowie Fogelman, Tibbenham und Lambert (1980) zeigen in ihren Auswertungen der zweiten bzw. dritten Erhebungswelle49 der „National Child Development Study“, dass der Berufsstatus des Vaters signifikant negativ mit dem Schulbesuchsverhalten zusammenhängt. Für die Kohorte der Sechzehnjährigen gilt zum Beispiel, dass der Anteil männlicher Schüler, die regelmäßig die Schule schwänzen und deren Väter ungelernte Arbeiter sind, sechsmal höher ist (18,0%) als der Anteil der Schüler, deren Väter einen Beruf der Kategorie „professional“50 und „managerial“ innehaben (3,0%). Bei den Mädchen ist diese statusspezifische Differenz sogar noch deutlicher. Hier ist das Verhältnis des Schwänzanteils nach Berufsstatus des Vaters der Klasse I („professional“ und „managerial“) zu Klasse V („unskilled manual“) 1 zu 13 (Fogelman, Tibbenham und Lambert 1980: 34). Ferner beziehen Familien schwänzender Schüler wesentlich häufiger Unterstützung von staatlichen Sozialeinrichtungen (44,7%, wie dem Sozial-, dem Jugend- oder dem Gesundheitsamt) als Familien nicht schwänzender Kinder (10,7%). Eine positive Beziehung zwischen dem Berufsstatus der Eltern und dem Schulschwänzen der Kinder dokumentieren auch die Ergebnisse dreier 49 Fogelman und Richardson (1974) stützen ihre Datenanalyse primär auf die zweite Erhebungswelle der „National Child Development Study“. Zu diesem Zeitpunkt waren die befragten Schüler 11 Jahre alt. Die Studien von Fogelman (1978) sowie Fogelman, Tibbenham und Lambert (1980) hingegen beziehen sich auf die dritte Erhebung; das Alter der Probanden war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre. Alle Informationen über das Schulschwänzen beruhen auf Angaben der Lehrer. 50 Beruf mit hoher Qualifikation (z.B. Studium), „managerial“ umfasst Berufe mit einer niedrigen Qualifikation.

75

nordirischer Studien, die in den Jahren 1977 (Harbison und Caven 1977, Caven und Harbison 1980),51 1982 (Moore und Jardine 1983, McGuiness und Jardine 1984) und 1992 (Sutherland 1995) durchgeführt wurden. Gleiches berichteten Raffe (1986), Lynn, Nicolaas und Pitson (2000), Anderson et al. (2003), Bosworth (1994) und McAra (2004), die Auswertungen mit Datensätzen schottischer und/oder britischer Schüler machten. Duarte und Escario (2006) können für spanische Schüler im Alter von 14 bis 16 Jahren diesen Zusammenhang nachweisen. Über die Befunde anderer Studien hinaus berücksichtigen Casey und Smith (1995) auch fehlende Werte. Analog zu den zuvor genannten Arbeiten, verdeutlichen ihre Ergebnisse, dass die Wahrscheinlichkeit für Jugendliche, die Schule zu schwänzen, mit dem abnehmenden Berufsstatus des Vaters zunimmt. Am höchsten ist sie jedoch für Kinder, die keine Angaben über den Berufsstatus ihres Vaters machen (Casey und Smith 1995: 42). Im Vergleich zu Kindern, deren Väter ein hohes Berufsprestige aufweisen („professional“, „employer“, „manager“) erhöht sich bei ihnen die Wahrscheinlichkeit des Schulschwänzens um 103,0%. Miller und Plant (1999) verwenden das Bildungsniveau der Eltern als Indikator des sozioökonomischen Status. Zwar ist ein hochsignifikanter negativer Effekt des Bildungsniveaus auf das Schulschwänzen festzustellen, dieser ist jedoch im Vergleich zu anderen Einflussgrößen, wie der Familienstruktur oder dem Erziehungsstil, sehr schwach und trägt nur wenig zur Verbesserung der Modellgüte bei. Neben dem positiven Einfluss eines niedrigen Berufsstatus des Vaters und einem niedrigen Bildungsniveau der Eltern auf das Schulbesuchsverhalten der Kinder, konnten Galloway (1976), Farrington (1980), May (1975), Reid (1982, 1984) und Pritchard, Cotton und Cox (1992) auch die Arbeitslosigkeit des Vaters bzw. das unregelmäßige Nachgehen einer Arbeit (Blythman 1975, Farrington 1980, Hersov 1960, May 1975, Tyerman 1968) als relevanten Prädiktor für das Schulschwänzen identifizieren. Casey und Smith (1995) sowie Galloway (1982) betonen hingegen die Relevanz der Arbeitslosigkeit beider Elternteile. Alternativ zu diesen eher klassischen Indikatoren für die Messung der sozialen Herkunft, gibt es noch andere Operanden, auf die eine Reihe weiterer Studien – vor allem aus Großbritannien – zurückgreifen. So betrachtet Tyerman (1958, 1968) unterschiedliche Merkmale der häuslichen Situation von schwän51 Harbison, Fee und Caven (1980) kommen in Ihrer Analyse der Daten aus dem Jahr 1977 jedoch zu dem Schluss, dass sich 13- bis 14-jährige Schüler, die aufgrund nicht krankheitsbedingter Ursachen der Schule fern blieben im Hinblick auf den sozioökonomischen Status nicht von Jugendlichen ohne Schulbesuchsprobleme unterscheiden (Sutherland und Purdy 2006: 127).

76

zenden und nicht-schwänzenden Kindern. Signifikante Unterschiede stellt er zu Gunsten nicht schwänzender Kinder im Hinblick auf hygienische Wohnverhältnisse, adäquate Kleidung, einen geringen Deprivationsgrad des Wohnviertels und ausreichend große Wohnverhältnisse fest. Zu einem ähnlichen Resultat kommen die Mitarbeiter des „Institute for the Study and Treatment of Delinquency“ (ISTD 1974): Die Familien schwänzender Schüler nehmen häufiger die von verschiedenen Sozialträgern zur Verfügung gestellten kostenlosen Mahlzeiten und Textilien in Anspruch, der Kleidungszustand der Kinder ist im Gegensatz zu dem nicht schwänzender Kinder mangelhaft und der Zustand der Haushalte wird als inadäquat, dreckig und eng beschrieben (Blythman 1975: 80). Bestätigt wird der positive Effekt enger Wohnverhältnisse auf das Schulschwänzen auch von Tibbenham (1977) und Farrington (1978). Wie die Befunde Fogelmans, Tibbenhams und Lamberts (1980) sowie Bosworths (1994) dokumentieren, schwänzen zudem überproportional häufig Schüler, deren Familien in Sozialwohnungen leben und deren Familien seltener über Wohneigentum verfügen (Fogelman, Tibbenham und Lambert 1980: 40). Auch Casey und Smith (1995) verwenden Informationen über die Eigentums- bzw. Mietsituation der Familie als Indikator der sozioökonomischen Lage. Unterschieden wird zwischen den Kategorien „Eigentum“, „Sozialwohnung“ und „Anderes“. Die Ergebnisse einer binär logistischen Regression zeigen, dass der Umstand, in einer Sozialbauwohnung zu leben, einen besonders starken Einfluss auf das Schulschwänzen hat. Die Wahrscheinlichkeit des häufigen Schulschwänzens (d.h. mehrere Tage oder Wochen hintereinander fernzubleiben) ist für Schüler, deren Familien in einer Sozialbauwohnung leben, im Vergleich zu Schülern, deren Eltern privates Eigentum besitzen, um 178,0% höher (Casey und Smith 1995: 42). Auf Grundlage einer Mehrebenenanalyse analysierte Rothman (2001) das Schulbesuchsverhalten von etwa 68.000 australischen Grundschülern im Jahr 1997 und etwa 84.000 Grundschülern im Jahr 1999. Die Stichproben setzten sich aus Schülern zusammen, deren Schulen an das EDSAS System (Education Department School Administrative System) angeschlossen sind. Bei diesem System handelt es sich um ein elektronisches Verfahren, das Schüler automatisch registriert und deren Familien kontaktiert, wenn diese nicht zum Unterricht erscheinen.52 Für beide Kohorten erweist sich auf Schul- und Schülerebene der sozioökonomische Status als signifikanter Prädiktor. Gemessen wird dieser über den Besitz einer so genannten „school card“, die nur Schülern zusteht, deren 52 Das EDSAS unterscheidet vier Formen des Schulabsentismus: 1) ganztägige Abwesenheit, 2) Abwesenheit am Morgen, 3) Abwesenheit am Nachmittag 4) Abwesenheit am Abend. Für die Auswertungen Rothmans wurden lediglich diejenigen Schüler als Schwänzer definiert, die ganztätig unentschuldigt die Schule schwänzen.

77

Eltern ein sehr niedriges Einkommen haben. Die „school card“ berechtigt den Besitzer zu finanziellen Vergünstigungen im Schulbetrieb (z.B. keine Schulgebühren). Auf Schülerebene gilt für beide Jahre, dass Schüler, deren Familien einen niedrigen sozioökonomischen Status haben, im Vergleich zu Schülern der Mittel- und Oberschicht mit einer 20,0% höheren Wahrscheinlichkeit die Schule schwänzen. Trotz des signifikanten Einflusses trägt die soziale Herkunft nur wenig zur Verbesserung des Modells bei (Rothman 2001: 67).53 Wenn die Schulebene kontrolliert wird, ist der Effekt zwar noch signifikant, aber nicht mehr so stark. Inkonsistent sind dagegen die Befunde von Coventry et al. (1984), die im Auftrag des Victorian Institutes for Secondary Education (Australien) das Schulbesuchsverhalten von 2.300 Schülern der Sekundarstufe II betrachten. Im Hinblick auf den sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie – abermals erhoben über den Berufsstatus des Vaters – zeigen sich bei den selbstberichteten Angaben der Schüler keine signifikanten Unterschiede. Im Gegensatz dazu finden sich statistisch bedeutsame Differenzen bei den von der Schule registrierten Schwänzhäufigkeiten in dem Sinn, dass Schüler, deren Väter einen niedrigen Berufsstatus innehaben, häufiger oft oder sehr oft der Schule unerlaubt fernbleiben (Coventry et al. 1984: 66). Im Gegensatz zu den zuvor aufgeführten Studien konstituieren Tyerman (1958), Hübscher (1968), Eaton (1979), Mitchell und Shepherd (1980), Lotz und Lee (1999), McNeal (1999), Burgess, Gardiner und Propper (2002) und Stamm (2007) nur einen sehr schwachen bzw. keinen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Schulschwänzen. In Anbetracht dieser uneindeutigen Ergebnisse bemerken Coventry et al. (1984), dass der eigentliche Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulschwänzen nicht in der sozialen Schichtzugehörigkeit an sich verankert ist, sondern auf den schichtspezifischen Lebensstilen, Einstellungen, Werten und Normen basiert. So wurde schon in den 1960er und 1970er Jahren (z.B. Mitchell 1972) einerseits ein enger positiver Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Bildungsaspiration nachgewiesen und andererseits ein positiver Zusammenhang zwischen der Bildungsaspiration und dem Schulschwänzen. Dies deutet auf einen indirekten Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und dem Schulschwänzen hin, der über andere Drittvariablen (hier die Bildungsaspiration) vermittelt wird. Die Separierung zwischen den Merkmalen der sozialen Herkunft und solchen Einstellungsmerkmalen sowie Habite erweist sich in der Praxis jedoch oft als schwierig. „One possible reason for the lack of reproducible research data is that the independent 53 Die Signifikanz ist vermutlich auf die hohe Fallzahl zurückzuführen.

78

contribution of low social class to truancy is difficult to isolate from the reinforcing and general consequences of such a background which render some of these young people more vulnerable to a range of problem behaviours“ (Coventry et al. 1984: 34). Darüber hinaus ist mit Carroll (1977: 14) vor einer Generalisierung des Zusammenhangs zwischen einem niedrigen sozioökonomischen Status und einer geringen Bildungsaspiration zu warnen. Angehörige der sozialen Unterschicht können nicht als eine homogene Gruppe betrachtet werden, auch hier gibt es Diskrepanzen bezüglich der Bildungsaspirationen und Werteinstellungen. Für Schüler der Bundesrepublik konnten ältere Untersuchungen54 von Klauer (1963), Krüger, Claaß und Speck (1972) sowie Müller-Hoff (1976) einen negativen Effekt des sozioökonomischen Status auf das Schulschwänzen nachweisen. Einschränkend muss jedoch hervorgehoben werden, dass die meisten dieser medizinisch und pädagogisch orientierten Arbeiten auf den Auswertungen der Versäumnislisten beruhen, in denen selten zwischen begründetem und unbegründetem Fehlen differenziert wird. Dennoch sind diese Studien die ersten und auch bekanntesten im deutschsprachigen Raum, die das Phänomen des Schulschwänzens in den Mittelpunkt stellen. Klauer (1963), der Klassenbücher von Schülern der Volks- und Hilfsschule auswertete, fand zwar Tendenzen, dass Schüler der mittleren Statusgruppen55 häufiger fehlten als Schüler der hohen Statusgruppe (Klauer 1963: 52). Diese Unterschiede sind jedoch sehr gering. In ihrer Stichprobe von etwa 900 Jugendlichen aus drei großstädtischen Hauptschulen kommen Krüger, Claaß und Speck (1972) zu dem Schluss, dass das „ungesetzliche Fehlen relativ häufig in Familien mit beruflich bedingter längerer Abwesenheit des Vaters vorkommt: Kinder von Seeleuten, Fernfahrern fallen auf. Außerdem scheinen besonders Söhne von Selbstständigen, wo in den meisten Fällen beide Elternteile voll ausgelastet sind, und Kinder, deren beide Elternteile voll berufstätig sind, zu den Schulschwänzern zu gehören“ (Krüger, Claaß und Speck 1972: 158). Ähnliches berichtet auch Müller-Hoff (1976), dessen Ergebnisse auf Basis einer Befragung von etwa 1.000 Schülern der Grund- und Hauptschule sowie der Schule für Lernbehinderte (Klasse 1, 4 und 7) beruhen.

54 Zu einer ebenfalls sehr bekannten deutschen Studie zählt das Werk “Unregelmäßiger Schulbesuch“ von Hildeschmidt et al. (1979). Da die Autoren keine Differenzierung zwischen entschuldigtem, unentschuldigtem und beurlaubtem Fehlen vornehmen (Hildeschmidt et al. 1979: 75), wird auf eine Darstellung an dieser Stelle verzichtet. 55 Die Statusgruppen setzen sich wie folgt zusammen: 1 = Akademiker, höhere Beamte, Fabrikanten, Großkaufleute, 2 = andere Beamte, Angestellte, Kaufleute, selbstständige Handwerker, 3 = Facharbeiter, Handwerker in Betrieben, 4 = Arbeiter, Hilfsarbeiter und 5 = Rentner, Witwer, Arbeitslose und Fürsorgeempfänger.

79

Im Rahmen der Schülerbefragung des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN) 1999 konnten Wetzels et al. (2000a, 2000b) sowie Wilmers (2000) sowohl für die Schüler aus Delmenhorst als auch aus Rostock einen engen Zusammenhang zwischen dem Schulschwänzen und dem sozioökonomischen Status dokumentieren. Jugendliche aus Delmenhorst, deren Eltern weder arbeitslos sind noch Sozialhilfe empfangen, schwänzen bedeutend seltener die Schule als Kinder, deren Eltern soziale Leistungen erhalten (Wetzels et al. 2000a: 118, Wetzels et al. 2000b: 118, Wilmers 2000: 68f.). Gleiche Tendenzen sind für Schüler aus Rostock erkennbar.56 Der positive Zusammenhang zwischen einem niedrigen sozioökonomischen Status der Eltern und dem Schulschwänzen wurde auch für Schüler aus Hamburg, Hannover, Leipzig, München und der Region Friesland (Wilmers et al. 2000: 298, Brettfeld, Fabian und Wetzels 2003: 282f.) sowie für Schüler aus Bayern (Fuchs et al. 2005) gefunden.

4.1.4 Stadtviertel, Schulen und Wohnsituation Wenige Autoren diskutieren neben diesen direkt familienzentrierten Merkmalen der sozialen Herkunft auch sozialökologische Faktoren, die mit der Lebensumwelt der Familien in Verbindung stehen. So untersuchte May (1975), ob die Delinquenzrate des Stadtviertels, in dem die Familien der Schüler leben, mit dem Schulschwänzen zusammenhängt. 35,0% der unerlaubt abstinenten Schüler lebten im Vergleich zu 17,0% der regelmäßig anwesenden Schüler in Stadtvierteln mit sehr hohen Delinquenzanteilen (May 1975: 100). Für Jugendliche im Alter von acht bis zehn Jahren konstituiert Farrington (1980: 56), dass schwänzende im Vergleich zu nicht schwänzenden Schülern überproportional häufig in deprivierten Stadtvierteln (slum housing) leben. Ein ähnliches Bild spiegelt sich wider, wenn der Delinquenzanteil an den Schulen als Ursache des Schulschwänzens betrachtet wird. In jüngerer Zeit wurde der positive Zusammenhang zwischen einem deprivierten Wohnviertel und dem Schulschwänzen von McAra (2004) bestätigt. Bosworth (1994) findet darüber hinaus eine u-förmige Beziehung zwischen dem Deprivationsgrad des Wohnviertels und dem Schulschwänzen: „Interestingly, there were somewhat surprising differences between differ56 Für Schüler aus Rostock zeichnet sich im Vergleich zu jenen aus Delmenhorst eine Anomalie ab. Auch hier trifft zu, dass Eltern von Schülern, die nur geringfügig die Schule schwänzen (bis zu einem Tag), seltener den Status eines Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängers einnehmen. Für die Schwänzkategorien „2 bis 4 Tage“ und „5 bis 10 Tage“ ist ein höherer Anteil der sozial deprivierten Eltern auszumachen, der in der stärksten Kategorie „10 Tage und mehr“ jedoch wieder abfällt (Wetzels et al. 2000b: 118).

80

ent types of TTWA (travel-to-work-area): Probabilities of absence were highest in the high wage and manufacturing areas, other things being equal“ (Bosworth 1994: 7). Ein weiterer Aspekt, der die Schulabsentismusforschung in Großbritannien stark beeinflusst und neben den klassischen Indikatoren alternativ die soziale Herkunft der Schüler abbilden soll, ist die Vergabe freier Mahlzeiten an den Schulen: Galloway (1976) wertete Informationen von ca. 52.000 Grundschülern und 30.000 Schülern der Comprehensive School aus. Dabei wird das Angebot der Schule, freie Mahlzeiten an die Schüler zu verteilen, als ein Indikator der sozioökonomischen Benachteiligung der im Einzugsgebiet ansässigen Familien interpretiert.57 Die Auswertungen, die sich vorwiegend auf bivariater Ebene bewegen, zeigen sowohl für die Grundschulen (r = 0,88)58 als auch für die Comprehensive School (r = 0,80) einen engen Zusammenhang zwischen der Verteilung kostenloser Mahlzeiten und dem Ausmaß des Schulabsentismus an den entsprechenden Schulen. In einer Anschlussbefragung im Herbst 1982 und im Frühjahr 1983 konnte der – nicht mehr ganz so dominante – aber immer noch bedeutsame Zusammenhang (r = 0,48, p = 0,001) zwischen der Vergabe freier Mahlzeiten an Schulen und der Absentismusrate bestätigt werden (Grimshaw und Pratt 1986: 167). Ähnliches berichten Reid (1982), McGuinness und Jardine (1984), O`Keeffe (1993), Pritchard, Cotton und Cox (1992) Sutherland (1995) und McAra (2004). Tyerman (1968) dagegen, der 137 schwänzende Jugendliche in Wales befragte, findet keine Beziehung zwischen der Absentismusrate an einzelnen Schulen und der Vergabe freier Mahlzeiten (Tyerman 1968: 58). Hingegen konnten Harbison und Caven (1977) nur für Schulen in Belfast eine positive Beziehung zwischen den schulischen Absentismusraten und der Vergabe freier Mahlzeiten entdecken; für Schulen in ländlichen Regionen Nordirlands gilt dieser Zusammenhang nicht. Sowohl Galloway (1985: 41) als auch Galloway, Martin und Wilcox (1985: 55) resümieren aus diesen Ergebnissen, dass erstens

57 Im Hinblick auf diese Annahme muss festgehalten werden, dass es in Großbritannien nur unter sehr restriktiven Bedingungen möglich ist, die Kinder auch Schulen außerhalb des Einzugsgebietes – sogenannte catchment areas – besuchen zu lassen. Außerdem liegen Schulen, die einen guten Ruf haben, meistens in privilegierten Wohnvierteln und sind für Kinder aus Familien, die in deprivierten Wohngegenden leben, schlecht zu erreichen. So verhindern Fahrtkosten zu den Schulen (in Großbritannien gibt es kein kostenloses Schulbussystem) und/oder fehlende Zeitressourcen der Erziehungsberechtigten den Transport für den Schulbesuch. Darüber hinaus, sind gute Schulen überfüllt. Dementsprechend kann die Schulleitung ihre Schülerschaft auswählen. Kinder, deren Familien über wenig ökonomische Ressourcen verfügen, haben daher oft keine Option auf einen Schulplatz an gut ausgestatteten Schulen und besuchen daher die Einrichtungen ihrer Einzugsgebiete. 58 r = Korrelationskoeffizient nach Pearsons.

81

die Beziehung zwischen der Vergabe freier Mahlzeiten an Schulen und den Absentismusraten nur für Großstädte zutrifft und daher zweitens die Vergabe freier Mahlzeiten stellvertretend für sozialökonomische Probleme städtischer Wohngebiete steht. Über die kostenlose Verköstigung hinaus betrachteten Caven und Harbison (1980: 50) für Schüler der Secondary Schools in Belfast eine Reihe von stadtviertelbezogenen Deprivationsmerkmalen und korrelierten sie mit den jeweiligen Absentismusquoten der dort ansässigen Schulen. Dabei zeigen sich sehr enge positive Zusammenhänge zwischen den Absentismusquoten der Schulen und einer Vielzahl von Deprivationsmerkmalen der Stadtviertel, wie z.B. dem Anteil an Analphabeten, dem Anteil an Haushalten, die eine mangelnde Grundausstattung aufweisen, Anteile der Haushalte, die kein Auto haben oder der Arbeitslosenquote.59 Zu einem gegenläufigen Ergebnis kommt Raffe (1986), der als Merkmal einer lokalen Deprivation die Arbeitslosenquote des Wohnviertels heranzieht. Seine Analyse bestätigt einen, wenn auch nicht starken, aber dennoch negativen Einfluss der Arbeitslosenquote auf das Schulschwänzen: diese Beziehung gilt jedoch nur für die Frage, ob ein Schüler überhaupt schon einmal unentschuldigt gefehlt hat. Für intensivere Formen des Schulschwänzens (Schwänzen über mehrere Tage und Wochen) besteht kein signifikanter Einfluss durch die Arbeitslosenquote des Wohnviertels. Für Kölner Schüler gehen Wagner et al. (2004) der Frage nach, ob der Deprivationsgrad des Stadtviertels, der hier über die subjektive Wahrnehmung der Verwahrlosung des Viertels gemessen wird, einen Einfluss auf die Schulverweigerung hat. Auch unter Kontrolle relevanter Einflussgrößen, wie der Schulform, gesetzeswidrigem Verhalten und dem Schulschwänzen der Freunde, erweist sich ein depriviertes Wohnviertel als relevanter Risikofaktor.

4.1.5 Migration Im Gegensatz zu vielen anderen Aspekten wurde dem Migrationsstatus im Kontext des Schulschwänzens erstaunlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar 59 Haushalte mit mangelnder Ausstattung sind vermutlich solche, denen gängige Nutzobjekte wie ein Herd, Sanitäranlagen o.ä. fehlen. Da keine genaue Beschreibung vorliegt, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, was unter diesem Aspekt zu verstehen ist. Weitere Merkmale, die eng mit den Absentismusquoten positiv korrelieren sind: der Anteil an gemieteten Wohnobjekten, engen Wohnverhältnissen (Haushaltsgröße und Wohnfläche in qm), Fertilitätsrate der Wohngegend, der Anteil an Erwachsenen, die keinen Schulabschluss aufweisen und der Anteil an ungelernten Arbeitskräften (Caven und Harbison 1980: 50)

82

fungiert er in einigen Untersuchungen als Kontrollvariable, doch nur selten werden explizite Annahmen über seine Wirkungsweise auf das Schulbesuchsverhalten gemacht. Insbesondere die Fragen, ob es Unterschiede zwischen verschiedenen Migrationshintergründen gibt, und wenn ja, wie diese zu begründen wären, werden kaum differenziert thematisiert. Allzu oft ist der Migrationshintergrund nicht mehr als ein (möglicher) Indikator einer deprivierten sozialen Lage der Herkunftsfamilie. In den Niederlanden widmeten sich Bos, Ruijters und Visscher (1992) mehrfach dem Thema „Schulschwänzen und Migration“. Die Publikationen sind wenig theoriegeleitet und mehr Bestandsaufnahmen der Frage, ob es Unterschiede zwischen Schultypen, Schultagen und Unterrichtsfächern bezüglich des unentschuldigten Fehlens gibt. Als wesentliche Prädiktoren des Schulabsentismus werden schulzentrierte Variablen wie die Klassengröße, der Anteil ausländischer Schüler pro Klasse, die Schulgröße, die Lokalität der Schule, der Schultyp und die Unterstützung der Lehrer betrachtet. Von all diesen Einflussgrößen sind im Regressionsmodell nur zwei bedeutsam: die Klassengröße und der Anteil ausländischer Schüler pro Klasse. Es zeigt sich, dass allein der Ausländeranteil 42,0% der Varianz erklärt, im Vergleich dazu trägt die Klassengröße nur 14,0% zur Aufklärung der Gesamtvarianz bei (Bos, Ruijters und Visscher 1992: 391). Für australische Schüler untersucht Rothman (2001) im Rahmen einer Mehrebenenanalyse das Schulbesuchsverhalten indigener (Aborigines) und immi-grierter Schüler. Für die Schulebene kann festgehalten werden: Jeder hinzukommende Prozentpunkt indigener Schülern an einer Schule erhöht die gemittelte Schulabsentismusrate um 0,5 Prozentpunke. Auf Individualebene findet Rothman eine 2,6-mal höhere Wahrscheinlichkeit des Schulschwänzens für indigene Schüler im Vergleich zu Schülern mit einem Migrationshintergrund. Charakteristisch für viele amerikanische Studien ist die Messung der ethnischen Herkunft über die Kategorien „White“, „Black“, „Asian“ und „Hispanic“. Im Hinblick auf das Ausmaß des Schulschwänzens nach dem Migrationsstatus ziehen Casey und Smith (1995) in ihrer Analyse die ersten drei Rubriken heran und ergänzen sie um die Kategorie „Other“. Bei allen Intensitätsstufen des Schulschwänzens (Wochen, Tage, bestimmte Schultage oder -stunden, unbestimmte Schultage oder -stunden) ist der Anteil Jugendlicher afroamerikanischer Herkunft im Vergleich zu den anderen Gruppen am höchsten. 67,0% Jugendlicher afroamerikanischer Herkunft haben im fünften Jahr der Secondary School schon mal – in irgendeiner Intensitätsform – die Schule geschwänzt. Bei Jugendlichen der Kategorie „White“, „Asian“ und „Other“ waren es jeweils nur 54,0%. Die größte Differenz zwischen afroamerikanischen Schülern und Schü-

83

lern der anderen drei ethnischen Gruppen ist beim Fehlen einzelner (unbestimmter) Schultage auszumachen (afroamerikanische Schüler etwa 46,0%, andere Gruppen etwa 30,0%). Bei den intensiveren Schwänzstufen (mehrere Wochen und Tage hintereinander) gibt es hingegen kaum Unterschiede (Casey und Smith 1995: 5). Ähnliches berichtet auch McNeal (1999): Jugendliche afroamerikanischer und hispanischer Herkunft schwänzten häufiger die Schule als Jugendliche (primär) europäischer Abstammung. Bei Schülern asiatischer Herkunft findet sich im Vergleich zu der Referenzkategorie „White“ kein Unterschied. Für Schulen mit einem hohen Anteil afroamerikanischer Schüler (mindestens 70,0%) findet So (1992), dass etwa 71,0% der Lehrer Schulschwänzen als ein sehr ernstzunehmendes Problem einschätzen. Hingegen betrachten nur 28,0% Lehrer von Schulen mit primär europäischstämmigen Schülern Schulschwänzen als relevante Erscheinung. Anders die Ergebnisse von Burgess, Gardiner und Propper (2002: 8). Sie kommen im Hinblick auf Jugendliche afroamerikanischer Herkunft, zumindest auf bivariater Ebene, zu einem konträren Ergebnis: 63,3% der Jugendlichen afroamerikanischer Herkunft schwänzten nie die Schule, gefolgt von europäischstämmigen Schülern (50,9%) und letztlich Schülern mit hispanischem Hintergrund (41,8%). Die noch für die bivariaten Befunde signifikanten Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen lösen sich unter Kontrolle des Geschlechts, der Familiengröße und des Familieneinkommens im multivariaten Modell jedoch auf (Gardiner und Propper 2002: 27). Auch die Befunde der Studien von Hübscher (1968), Gray, Smith und Rutter (1980), Grimshaw und Pratt (1986) sowie Lotz und Lee (1999)60 legen nahe, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Migrationshintergrund und dem Schulschwänzen gibt. Allerdings weist die Mehrheit dieser Studien Probleme in der Messung der ethnischen Herkunft auf. So wird in der Studie von Gray, Smith und Rutter (1980), der Migrationsstatus in die Kategorien „Indigenous“ [Schüler aus Großbritannien], „Asian/Europeans“ und „West Indians“ unterteilt (Gray, Smith und Rutter 1980: 353). Die Separierung britischer Schüler von Schülern aus anderen europäischen Ländern bei gleichzeitiger Kombination europäischer und asiatischer Schüler scheint im Hinblick auf die Gemeinsam-

60 Fergusson, Lynskey und Horwood (1995) untersuchten etwa 900 12- bis 16-jährige Schüler Neuseelands und konnten keinen signifikanten Einfluss der ethnischen Herkunft – hier Kinder, die den Pakeha, Maori und Pacific Islands Kulturen zugeordnet sind – bestätigen. Im Rahmen der Interpretation dieses Ergebnisses sollte jedoch der spezielle kulturelle Hintergrund berücksichtigt werden, der nicht ohne weiteres mit dem von Jugendlichen aus westeuropäischen oder amerikanischen Dienstleistungsgesellschaften vergleichbar ist. Aufgrund der speziellen Untersuchungseinheiten dieser Studie wird sie hier in der Fußnote aufgeführt.

84

keiten und Unterschiede der kulturellen Hintergründe fragwürdig. In der Folgebefragung von 36.000 Schülern aus Sheffield (1982/83) prüfen Grimshaw und Pratt (1986) den Migrationshintergrund nicht separat, sondern als Interaktionseffekt in Kombination mit dem sozioökonomischen Status. Auch hier findet sich keine differenzierte Messung des Migrationshintergrundes. In Deutschland wird der Frage nach dem Zusammenhang von Migrationshintergrund und Schulschwänzen ebenfalls wenig Beachtung geschenkt. Zu den wenigen Beiträgen zählen u.a. die vom Kriminologischen Forschungsinstitut in Niedersachsen (KFN) initiierten Studien über das Schulschwänzen von Delmenhorster Schülern (Wilmers 2000) und Schülern aus Hamburg, Hannover, Leipzig, München sowie Friesland (Wilmers et al. 2000). Für Schüler aus den Großstädten bzw. der Region Friesland verzeichnen die Autoren – zumindest im Hinblick auf die Frage, ob der Schüler überhaupt schon einmal im vergangenen Halbjahr die Schule geschwänzt hat – eine höhere Schwänzrate für junge Migranten: 49,9% der gebürtigen deutschen Jugendlichen schwänzten mindestens einmal im Vergleich zu 59,3% der türkischen Jugendlichen und 56,1% der Jugendlichen mit Aussiedlerstatus (Wilmers et al. 2000: 297). Kontrolliert nach der Schulform schwächen sich die Unterschiede ab bzw. lösen sich im Fall der Hauptschule sogar auf. Den schwindenden Effekt bzw. die Umkehrung des Effektes des Migrationshintergrundes auf den Hauptschulen dokumentieren auch Weiß (2003) sowie Dunkake und Weißbrodt (2006). Weiß findet im Rahmen einer Totalerhebung aller Kölner Hauptschulen, dass Schüler ohne Migrationshintergrund häufiger der Schule entschuldigt als auch unentschuldigt fernbleiben (Weiß 2007: 23).61 Die Auswertungen einer Totalerhebung von Leverkusener Hauptschulen (Dunkake und Weißbrodt 2006) unterstreichen partiell die Ergebnisse von Weiß (2003). Es zeigt sich aber auch, dass differenziert nach der Absentismusform die Zusammenhänge variieren. Schüler mit einem Migrationshintergrund kommen signifikant häufiger zu spät zum Unterricht als deutsche Schüler; diese wiederum schwänzen signifikant häufiger einzelne Schulstunden. Im Hinblick auf das tageweise- oder wochenweise Schulschwänzen gibt es keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Der Fokus der Delmenhorster Stichprobe liegt weniger auf der nationalen Herkunft als vielmehr auf dem Einbürgerungsstatus der Jugendlichen. Differenziert werden folgende Kategorien: einheimische Schüler, Aussiedler der GUSStaaten (Gemeinschaft unabhängiger Staaten), andere Aussiedler, Eingebürgerte, türkische Ausländer und andere Ausländer. Das Schulschwänzen wird in drei Stufen zusammengefasst: 1) Schüler, die nie schwänzen, 2) Schüler, die 1 Tag 61 In dieser vom Forschungsinstitut für Soziologie geführten Studie hielten die Klassenlehrer an drei Stichtagen für alle Schüler die Anwesenheit bzw. Abwesenheit unter dem Status „entschuldigt“ bzw. „unentschuldigt“ fest.

85

sowie 2 – 4 Tage schwänzen („leichtes bis mittlerers Schwänzen“) und 3) Schüler, die 5 Tage oder mehr geschwänzt haben (Massivschwänzer). Am niedrigsten ist der Anteil der Massivschwänzer unter den jugendlichen Aussiedlern der früheren GUS (15,4%), während unter den Eingebürgerten am häufigsten (34,3%) Massivschwänzer anzutreffen sind. Die Rate der Massivschwänzer eingebürgerter Jugendlicher liegt beinahe doppelt so hoch wie die der einheimischen Deutschen (18,2%). Von den nicht aus der GUS stammenden Aussiedlern sind 25,0% Massivschwänzer. Die Anteile der türkischen Jugendlichen und der übrigen Ausländer liegen etwas höher (28,6% bzw. 29,1%). Bei leichtem bis mittlerem Schwänzen sind die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Gruppen dagegen niedriger (Wetzels et al. 2000a: 117). Auch im Kontext der Analyse des Schwänzverhaltens bayrischer Schüler stellen Fuchs et al. (2005) niedrigere Schwänzanteile zugunsten deutscher Schüler fest: „Mehr nicht-deutsche als deutsche Schüler (+7,7 Prozentpunkte) blieben der Schule länger fern; bei den 2-4-Tageschwänzern war ihr Anteil (4,2%) um den Faktor 2,2 größer, bei den massiven Schwänzern (5 Tage und mehr) mit 4,5% um den Faktor 5“ (Fuchs et al. 2005: 272).

4.2

Kulturelles und soziales Kapital

Oftmals untersucht und auch bestätigt wurde der positive Zusammenhang zwischen Schulschwänzen und schlechten Schulleistungen. Bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts finden sich die ersten empirischen Studien zu diesem Thema (z.B. Odell 1923, Finch und Nemzek 1935). Familiär bedingte Ursachen schlechter Schulleistungen und damit auch des Schulschwänzens werden z.B. in einer ablehnenden Haltung gegenüber der Schule, einer mangelnden Kommunikation mit dem Schulpersonal, geringer Unterstützung bei Schulproblemen oder einem allgemein geringen Interesse am Schulbesuch gesehen. Diese Dimensionen fallen heute in die Kategorien „soziales und kulturelles Kapital“. Im Kontext des Sozialisationsprozesses definiert Coleman soziales Kapital als „the norms, the social networks, and the relationships between adults and children that are of value for the child’s growing up“ (1987: 36). Sowohl Aspekte des Kontaktes zwischen Eltern und Schule, zwischen den Eltern untereinander, wie auch zwischen Eltern und Kind fallen unter diese Definition. Nicht immer deutlich davon abzugrenzen, ist das kulturelle Kapital. In den hier vorgestellten Studien bezieht sich dies vor allem auf das inkorporierte kulturelle Kapital (Bourdieu 1983), verstanden als Denk- und Handlungsmuster, Wertorientierungen und kognitive Fähigkeiten, die im Prozess der Sozialisation, vermittelt werden.

86

Zu den ersten Untersuchungen, die sich intensiver mit der Frage des Einflusses der elterlichen Bildungsaspirationen auf das Schulschwänzen beschäftigen, zählt die vom „Institute for the Study and Treatment of Delinquency“ initiierte Studie „Truancy in Glasgow“ (1974). Hier wurden erstmals wichtige Zusammenhänge zwischen Schulschwänzen und elterlichen Bildungsaspirationen sowie schulbezogenen Verhaltensweisen deutlich: Demnach besuchen Eltern schwänzender Schüler seltener Elternsprechtage oder sonstige durch die Schule initiierten Veranstaltungen. Im Vergleich zu Schülern, die nie oder selten unentschuldigt fehlen, erfahren häufig schwänzende Schüler weniger Hilfe von den Eltern bei der Anfertigung der Hausaufgaben. Besonders deutlich differenzieren sich schwänzende und nicht schwänzende Schüler, wenn es um die gemeinsamen Aktivitäten mit den Eltern geht: Nur 2,0% der Eltern schwänzender Kinder geben an, mit ihren Kindern gemeinsam Aktivitäten zu unternehmen. Bei den Eltern der Vergleichsgruppe sind es dagegen 65,0% (Blythman 1975: 80). Ein großes Gefälle zwischen Eltern beider Absentismusgruppen in Bezug auf den Kontakt zur Schule bestätigen auch Fogelman und Richardson (1974), Farrington (1980) sowie Fogelman, Tibbenham und Lambert (1980). Eltern von Kindern mit Schulbesuchsproblemen haben oft überhaupt keinen Kontakt zur Schule, und wenn sie Kontakt haben, dann ist es häufiger als bei Schülern ohne Schulbesuchsprobleme nur ein Elternteil. Kontrolliert nach dem Berufsstatus des Vaters (manual/non-manual) gilt: Eltern, bei denen der Berufsstatus des Mannes als „non-manual“62 eingestuft wird, besuchen signifikant häufiger die Schule, um über ihr Kind zu sprechen, als Elternteile- und paare, bei denen der Mann eine „manual“ Tätigkeit ausübt (Fogelman, Tibbenham und Lambert 1980: 41). Ergänzend dazu finden Fogelman und Richardson (1974: 41), dass der Anteil von Vätern, die ein geringes Interesse am Bildungsprozess ihrer Kinder haben, unter den schwänzenden Schülern um etwa das Vierfache höher ist (50,3%) als bei Schülern, die nicht die Schule schwänzen (12,4%). Zu den jüngeren Publikationen zählen der Report “Absence from school: A study of its causes and effects in seven LEAs (Local Education Authorities)” (Malcom et al. 2003) und die “Edinburgh Study of Youth Transitions and Crime” (McAra 2004). Beide Studien betonen den bedeutsamen Effekt eines schwachen Eltern-Lehrer-Netzwerkes (Parent-Teacher Organisation [PTO]) auf das Schulschwänzen. Hervorzuheben ist die erste der beiden Studien, da sie sehr umfassend auf den Zusammenhang zwischen verschiedenen Einstellungsmerkmalen zum Thema Bildung und dem Schulschwänzen eingeht. Dabei werden Angaben von Eltern, deren Kinder regelmäßig zum Unterricht erschienen und von Eltern schwänzender Kinder, die aufgrund ihres Schulbesuchsproblems 62 „Non-manual“ = nicht handwerkliche Berufe, „manual“ = handwerkliche Berufe.

87

beim Educational Welfare Office registriert sind, verglichen. Abbildung 5 gibt die Anteile der Zustimmung von Eltern nicht schwänzender (Set one, schwarz) und schwänzender Schüler (Set two, grau) zu verschiedenen bildungsrelevanten Aussagen wieder.

"Pupils who don't attend regularly will do badly in their school work"

98 93 86

"Pupils need to get certificates"

76

"Pupils who don't attend regularly will get themselves a bad reputation"

79 74

"Pupils who don't attent regularly will give their school a bad reputation"

73 52 57

"Children aren't safe when they`re not at school"

43 39

"Missing school occasionally won't do any harm"

53

"T here may be more important things for children to do at home"

6 24 Set one (non T ruants) Set two (T ruants)

3

"Children don't do anything useful at school"

8 0

20

40

60

80

100

%

Abbildung 5: Proportions of parents agreeing with various statements about attending school (Quelle: Malcolm et al. 2003: 41)

Ist der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen im Hinblick auf die Fragen nach der Relevanz eines Schulabschlusses (Item 2), und nach dem Zusammenhang von Schulschwänzen und schlechten Schulleistungen (Item 1) sowie einer schlechten Reputation durch das Schulschwänzen (Item 3) sehr gering, zeigen sich große Differenzen bei der Einschätzung der Folgen des Schulschwänzens (Item 6) und bei der elterlichen Sichtweise bezüglich des Sinngehalts eines Schulbesuches (Item 7 und 8). Eltern schwänzender Schüler gehen seltener davon aus, dass häufiges Schwänzen der Schule einen schlechten Ruf vermittelt und dass der Aufenthalt außerhalb des Schulortes gefährlich für die Kinder ist. Gleichzeitig befürworten sie häufiger die Aussage: „Schulschwänzen hat keine negativen Folgen“, „Es gibt wichtigere Dinge für Kinder im Haushalt zu tun“ und „Kinder machen nichts Sinnvolles in der Schule“. 88

Somit scheint der Unterschied zwischen Eltern schwänzender und nicht schwänzender Schüler nicht in der positiven Bewertung eines Schulabschlusses zu liegen, sondern in der unterschiedlichen Bewertung des Scheiterns in der Schule. Auch aus qualitativen Studien geht dieses hervor. Brown (1983) berichtet „one boy’s mother, for example, would have liked him [her son] to do better at school, but when he failed, she too was prepared to dismiss school as a diversion from the more pressing matters of growing up and earning a living (Bird, Chessum, Furlong und Johnson 1980 nach Brown 1983: 230). Wird das Scheitern in der Schule als wenig konsequenz- bzw. kostenreich wahrgenommen, entwertet dies zugleich aber auch die positive Betonung des Nutzens eines Schulerfolges. Zu einer der nun schon mehrfach erwähnten Studien, die sich unter anderem auch mit dem elterlichen Engagement und Interesse in und an der Schule beschäftigt, gehört McNeals (1999) Analyse über den Einfluss des sozialen Kapitals auf bildungsrelevante Merkmale. Ihm zufolge bedingen Defizite in der Eltern-Kind-Beziehung – und damit ein geringes familiales soziales Kapital – das Schulschwänzen. Nach McNeal (1999) lässt sich das soziale Kapital in vier Dimensionen unterteilen: 1) die Eltern-Kind-Diskussion über schulische Ereignisse, 2) das Monitoring der Eltern (z.B. Kontrolle der Hausaufgaben, Zeitregulierung des Fernsehens), 3) die Beteiligung der Eltern an PTO-Netzwerken (Parent-Teacher Organisation) und 4) das elterliche Engagement am Schulleben (Häufigkeit des Besuchs der Schule, der Klasse, Konversation mit dem Lehrer). Von diesen Dimensionen des sozialen Kapitals sind auch unter Kontrolle des Migrationsstatus, des sozioökonomischen Status und der Familienstruktur die Eltern-Kind-Diskussion, die Beteiligung der Eltern an einem PTO-Netzwerk und das Monitoring signifikante Prädiktoren des Schulschwänzens. All diese Merkmale wirken negativ auf die unerlaubte Schulabwesenheit. Hervorzuheben ist der Einfluss des elterlichen Engagements am Schulleben; hier wird ein signifikant positiver Zusammenhang deutlich, d.h. je häufiger Eltern die Schule, die Klasse oder den Lehrer besuchen, desto höher ist das Ausmaß des Schulschwänzens. Warum hier ein positiver Effekt vorzufinden ist, bleibt ungeklärt. Jedoch kann in Anlehnung an andere Befunde der Bildungsforschung (Lee 1993, Sanders 1998, Jungbauer-Gans 2004) vermutet werden, dass der häufige Besuch des schulischen Personals eher ein Indikator für die Schulprobleme des Kindes ist als für das schulische Interesse der Eltern. In diesem Sinne erfolgt der Schulbesuch retrospektiv aufgrund schlechter Schulleistungen und nicht präventiv. Unterteilt nach der ethnischen Herkunft der Schüler ist vor allem für europäischstämmige Jugendliche ein starker Einfluss aller vier Dimensionen auszumachen. Bei afroamerikanischen Jugendlichen spielt nur die Teilnahme der Eltern an einem PTO-Netzwerk (negativer Effekt) und der elterliche Besuch

89

bei dem Lehrer eine Rolle (positiver Effekt). Für Jugendliche mit hispanischer Herkunft ist lediglich das Monitoring der Eltern bedeutsam und bei Jugendlichen asiatischer Herkunft hat keines der Merkmale einen relevanten Einfluss. Kontrolliert nach der Familienstruktur (Ein-Eltern-Haushalte und Zwei-ElternHaushalte) finden wir einen signifikanten Einfluss aller vier Dimensionen sowohl bei Kindern, die mit einem Elternteil als auch zwei Elternteilen leben.63 Letztlich wird über Interaktionseffekte geprüft, ob die vier Dimensionen des sozialen Kapitals mit dem sozioökonomischen Status64 korrespondieren. Die Intensität der Eltern-Kind-Diskussion und das elterliche Engagement am Schulleben zeigen vor allem für Schüler, deren Eltern einen hohen sozioökonomischen Status innehaben, einen signifikanten Effekt. McNeal (1999) resümiert: „while social capital […] is generally effective at reducing the likelihood of truancy […], it tents to be much less for members of the lower social class (McNeal 1999: 134). Einen nur sehr schwachen positiven Zusammenhang zwischen den Bildungsaspirationen der Eltern und dem Schulschwänzen der Kinder finden Coventry et al. (1984) für australische Schüler. Auf Basis der Selbstangaben der Schüler zum Schulschwänzen sind von jenen, die glauben, dass ihre Eltern die Beendigung des Schulabschluss vor der 12. Jahrgangsstufe wünschen, etwa 66,0% Schulschwänzer. Von den Schülern, die annehmen, ihre Eltern möchten ein Ende der Schullaufbahn am Ende der 12. Jahrgangsstufe, blieben 57,0% unentschuldigt fern (Conventry et al. 1984: 68). Für deutsche Schüler untersuchten Sturzbecher und Dietrich (1993) in einer länderrepräsentativen Erhebung das Schulbesuchsverhalten von Brandenburger Schülern und Auszubildenden. Ihren Ergebnissen zufolge können sowohl Eckstundenschwänzer, d.h. Schüler, die die erste oder letzten Stunde eines Schultages schwänzen, als auch tageweise Schwänzer kaum bis gar nicht mit ihren Eltern über Schulprobleme sprechen. Tageweise Schulschwänzer „kompensieren diese[s] soziale Vakuum der Familie“ (Sturzbecher und Dietrich 1993: 62), indem sie als Ansprechpartner Freunde der Familie, Geschwister oder persönliche Freunde wählen, zu denen sie ein Vertrauensverhältnis haben. 1999 gingen Pinquart und Masche der Frage nach, ob die Schulzentriertheit des Elternhauses einen Einfluss auf das Ausmaß des Schulschwänzens hat. Ihre Untersuchungen stützen sie auf drei Erhebungswellen (1993, 1994 und 1995) 63 Der einzige Unterschied ist bei der „Eltern-Kind-Diskussion“ zu finden: Reduziert die Diskussion über schulische Belange in Zwei-Eltern-Haushalten das Ausmaß des Schwänzens, hat sie bei Ein-Eltern-Haushalten einen positiven, aber nicht signifikanten Einfluss auf das Schwänzverhalten. 64 Der sozioökonomische Status setzt sich aus dem Beruf von Vater und Mutter, dem Bildungsniveau von Vater und Mutter sowie dem Familieneinkommen zusammen.

90

der Kinderlängsschnittstudie des DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) geförderten Projektes „Kindheit und Jugend in Deutschland vor und nach der Wende“. Entgegen der Annahme, dass eine geringe Schulzentriertheit des Elternhauses häufiges Schulschwänzen begünstigt, zeigen sich kaum bedeutsame Zusammenhänge zwischen beiden Merkmalen.65 Allerdings weisen Schüler, die in einem Zeitraum von mindestens zwei Jahren die Schule schwänzten, zum ersten Messzeitpunkt (1993) ein signifikant geringeres schulzentriertes Elternhaus auf als jene, die zu keinem Zeitpunkt der Schule unentschuldigt fernblieben (Pinquart und Masche 1999: 231). Deutlicher sind die Ergebnisse von Fuchs et al. (2005). Etwa die Hälfte der Schüler, deren Eltern sich gar nicht um die Schulkarriere ihres Nachwuchses kümmern, sind schwänzende Schüler. Zudem weisen diese Kinder den größten Anteil an regelmäßigen bzw. massiven Schwänzern (zehn Tage und mehr innerhalb der letzten fünf Monate) auf. Elterliches Interesse an der Schulsituation der Kinder verhindert unerlaubte Abstinenz zwar nicht vollständig, aber es reduziert diese deutlich (Fuchs et al. 2005: 276).

4.3

Innerfamiliale Merkmale

Verwandt – und zum Teil sogar synonym verwendet (z.B. Youniss 1994) – mit dem sozialen und kulturellen Kapital sind Merkmale des elterlichen Erziehungsstils, des elterlichen Monitorings und der Eltern-Kind-Bindung, die hier allesamt unter dem Begriff der „innerfamilialen Merkmale“ zusammengefasst werden. Schon in den ältesten empirischen Publikationen über familiale Einflüsse auf das Schulschwänzen (Tyerman 1958, Hersov 1960) wird der Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kindern besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Tyerman (1958) resümiert, dass schwänzende Kinder im Vergleich zu Kindern ohne Schulbesuchsprobleme eine schwächere emotionale Bindung zu den Erziehungsberechtigten haben und ihre Eltern nur ein geringes Interesse an ihrem Wohlergehen zeigen (Tyerman 1958: 222). Auch Hersov (1960), der schwänzende, schulphobisch kranke Kinder und Kinder, die regelmäßig die Schule besuchen vergleicht, identifiziert inkonsistente Erziehungspraktiken und elterliche Ablehnung vornehmlich bei schulschwänzenden Kindern. Schulphobische Kinder sind hingegen häufiger überbehütet.

65 Lediglich für das Väterverhalten bestand zum ersten (1993) und dritten Messzeitpunkt (1995) ein sehr schwacher signifikanter Zusammenhang mit dem Schulbesuchsverhalten (r = -0,07 bzw. r = -0,15).

91

In der Tradition der empirischen Psychologie nutzen – wie schon Hersov (1960) und Tyerman (1958) – auch Eaton und Houghton (1974) das Konzept der Fall-Kontroll-Studie und konstatieren für häufig schwänzende Jugendliche eine geringere positive Befriedigung instrumenteller Bedürfnisse innerhalb der Familie als für nicht schwänzende Schüler. Der Begriff der instrumentellen Bedürfnisse umfasst in diesem Kontext verschiedene Dimensionen, wie z.B. das Wohlbefinden des Kindes. 1980 widmete sich Farrington der Frage nach dem Einfluss des Erziehungsstils auf das Schulschwänzen. Er findet einen positiven Effekt eines inadäquaten Erziehungsstils – der hier die Passivität, Ablehnung, Unfreundlichkeit und harte Disziplinierung der Eltern umfasst – und einer geringen elterlichen Kontrolle auf das Schulschwänzen (Farrington 1980: 56). Über die elterlichen Erziehungsmerkmale hinaus berücksichtigt Farrington auch das Konfliktpotential der Eltern untereinander, ein Aspekt, der nur sehr selten im Rahmen der Erklärung des Schulschwänzens in Betracht gezogen wird. Seinen Ergebnissen zufolge beeinflussen häufige Paarkonflikte das Schulschwänzen zwar positiv, sind jedoch im Vergleich zu den Erziehungsmerkmalen nicht ganz so bedeutsam. Die Relevanz der elterlichen Kontrolle wird auch in den Arbeiten von Duckworths und deJungs (1989: 192) hervorgehoben. Inspiriert von einer unveröffentlichten Diplomarbeit über die Ursachen des Schulschwänzens bei Schülern einer Handelsakademie (Rechberger 1979), untersucht Eder (1981) den Einfluss des elterlichen Erziehungsstils auf den Schulbesuch. Unterschieden wird zwischen Jugendlichen, die nie, wenig (1-2 Tage im Semester) und häufig schwänzen (mehr als zwei Tage im Semester). Von den Schülern wurde eine Einschätzung bezüglich des elterlichen Erziehungsstils nach den Gesichtspunkten „Zuwendung“ und „Kontrolle“ sowie nach dem elterlichen Verhalten bei schulischen Konflikten abgegeben. Ein Mittelwertsvergleich zwischen den drei Absentismusgruppen auf den Skalen „Zuwendung“ und „Kontrolle“ deutet darauf hin, dass sowohl Eltern von wenig als auch von häufig schwänzenden Kindern im Vergleich zu Kindern ohne Schulbesuchsprobleme in ihrer Erziehung weniger zuwendungsorientiert sind. Ferner neigen sie dazu, im Fall eines schulischen Konfliktes eher Partei für die Lehrer als für ihr Kind zu ergreifen66. Bezüglich der Kontrolle gibt es keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Sehr ausführlich analysieren Little und Thompson (1983) den Einfluss des elterlichen Erziehungsstils auf den Schulbesuch. Für die Messung des elterlichen Erziehungsstils wurden bewährte Skalen der Erziehungsstilforschung 66 Eltern nicht schwänzender Schüler stimmten mit 8,0% der Aussage zu, Partei für die Lehrer zu ergreifen. Eltern wenig schwänzender Schüler bejahen dies mit 18,0% und Eltern häufig schwänzender Schüler mit 23,0% (Eder 1981: 388).

92

(LPVSS Skalen)67 herangezogen, die die Dimensionen „Ablehnung“, „Überbehütung“, „Nachgiebigkeit“, „extrinsische Motivation“, „Ignoranz“ und „intrinsische Motivation“ abbilden. Eltern von schwänzenden Kindern neigen demnach signifikant häufiger sowohl zu einem überbehütenden als auch einem nachgiebigen Erziehungsstil. Darüber hinaus weisen sie seltener eine intrinsische Motivation auf als Eltern, deren Kinder keine Auffälligkeiten zeigen (Little und Thompson 1983: 288). Auch Stamm (2007) fand jüngst bei einer Umfrag schweizer Schüler, dass häufig schwänzende Kinder deutlich weniger Zuwendung von ihren Eltern bekommen als Schüler der Vergleichsgruppe. Die Befunde von Fergusson, Lynsky und Horwood (1995), weisen auf die relevante Bedeutung des Erziehungsstils als intervenierende Variable. Gibt es einen signifikant negativen Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Eltern und dem unentschuldigten Fehlen in der Schule, verschwindet diese Beziehung unter Kontrolle des Familienklimas und der elterlichen Erziehungsmerkmale.68 Daraus ist zu schließen, dass das Familienklima und die elterlichen Erziehungsstile mit dem sozioökonomischen Status variieren69 – eine Annahme, die insbesondere von Vertretern der schichtspezifischen Sozialisationsforschung postuliert wird. Nicht so eindeutig sind die Ergebnisse von McAra (2004) und von Miller und Plant (1999). Für schottische Schüler betrachtet McAra (2004) neben der elterlichen Kontrolle auch die Konfliktintensität mit den Eltern. Zeigen auf bivariater Ebene beide Merkmale einen sehr engen Zusammenhang mit dem Schulschwänzen, kann ihr Einfluss im multivariaten Modell – unter Aufnahme verschiedener soziodemographischer und schulbezogener Merkmale – nicht mehr bestätigt werden (McAra 2004: 16). Miller und Plant (1999) konzentrieren sich neben der elterlichen Kontrolle auch auf einen warmen/fürsorglichen Erziehungsstil.70 Obwohl sich ein sehr starker negativer Effekt eines warmen und fürsorglichen Erziehungsstils auf das Schulschwänzen im Rahmen einer logistischen Diskriminanzanalyse zeigt, erweist sich – entgegen der relativ konsisten67 Little Parental Valuing Styles System (vgl. auch Little 1986). 68 Ferguson, Lynskey und Horwood (1995) messen innerfamilale Komponenten über den „Family Functioning Index“. Dieser Index umfasst 39 Items, die die Qualität der Beziehung der Eltern untereinander, Erziehungsstile, Konflikte zwischen den Eltern, und die Stabilität des familialen Zusammenhalts umfasst. 69 Dieser Zusammenhang bleibt auch dann bestehen, wenn verschiedene Indikatoren des sozioökonomischen Status (Bildungsniveau der Eltern und Elley-Irving Skala) verwendet werden. 70 Die Schüler wurden gebeten, jeweils auf einer fünfstufigen Skala (almost never, seldom, sometimes, often, almost always) die folgenden Aussagen zu beurteilen: „I can easily get warmth and caring from my mother and/or father“ und „My parents set definite rules about what I can do outside the home“ (Miller und Plant 1999: 888).

93

ten Befunde anderer Studien – die Kontrolle der Eltern als unbedeutsam. Eine mögliche Erklärung dieses Befundes liegt seitens der Autoren darin begründet, dass in dem Modell auch die Variable „delinquenter Lebensstil“ (Häufigkeit des Zeitvertreibs mit Freunden und das Ausmaß delinquenter Verhaltensweisen) aufgenommen ist, die möglicherweise aufgrund von Multikollinearität den Einfluss einer geringen elterliche Kontrolle minimiert bzw. auflöst. Da jedoch keine Multikollinearitätsprüfung vorliegt, bleibt diese Erklärung spekulativ. Auch Eder (1981) kann keinen Zusammenhang zwischen dem Schulschwänzen und der elterlichen Kontrolle finden (Eder 1981: 388). Tyerman (1958) und Eaton (1979) finden keinen signifikanten Effekt der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung auf das Schulschwänzen. So berichtet Eaton (1979) für 9- bis 11-jährige Schüler, dass vor allem die Qualität der Peerbeziehung zur Aufklärung des Schulschwänzens beiträgt (14,6% der Varianz). Bei den 12- bis 14-jährigen Schülern ist es hingegen die Beziehung zu den Lehrern, die von hoher Bedeutung ist. Sie alleine erklärt fast 21,0% der Varianz (Eaton 1979: 238). Im Rahmen einer Befragung von Brandenburger Schülern sowie Auszubildenden kommen Dietrich und Freytag (1997) zu dem Ergebnis, dass Schüler, die häufig einzelne Eckstunden oder häufig tageweise unentschuldigt fehlen, weniger Zusammenhalt in ihrer Familie erleben und eine geringere elterliche Unterstützung erfahren als Schüler ohne Schulbesuchsprobleme (Dietrich und Freytag 1997: 129ff.). Zudem sprechen häufig schwänzende Schüler seltener mit ihren Eltern über Schulschwierigkeiten. Die Ergebnisse einer Längsschnittsstudie des Deutschen Jugendinstitutes (DJI) in den Jahren 2004 und 2005 zum Thema Bildungs- und Ausbildungswege spiegeln ein ähnliches Bild wider. Schwänzende Schüler (49,0%) berichten im Vergleich zu nicht schwänzenden Schülern (30,0%) wesentlich häufiger von Konflikten mit ihren Eltern (Gaupp und Braun 2006: 106). Fuchs et al. (2005: 276) finden für bayrische Schüler einen statistisch signifikanten, wenn auch relativ schwachen Zusammenhang zwischen dem Schulschwänzen und dem elterlichen Erziehungsstil. Der Schwänzanteil unter den Schülern, die einen „hart[en], streng[en], manchmal ungerecht[en]“ (Fuchs et al. 2005: 276) Erziehungsstil erfahren, ist mit 35,6% am größten, gefolgt von „wechselhaft“ erzogenen Schülern (27,4%). Jugendliche, die eine harte, aber gerechte und liebevolle Erziehung genießen, schwänzen mit etwa einem Anteil von je einem Fünftel wesentlich seltener. Insbesondere beim massiven Schwänzen (> 10 Tage) weisen Schüler, deren Eltern einen autoritären Erziehungsstil praktizieren, mit knapp einem Zehntel die größte Quote auf. Den negativen Effekt eines inkonsistenten Erziehungsstils auf das Schulschwänzen können auch Mitarbeiter der Kriminologischen Forschungsinstitutes

94

bestätigen (Wetzels et al. 2000b, Wilmers et al. 2002, Brettfeld, Fabian und Wetzels 2003). In Bezug auf die elterliche Kontrolle konstatieren die Autoren (Wilmers 2000, Wetezls et al. 2000b, Wilmers et al. 2002) für Schüler aus Delmenhorst, Hamburg, Hannover, Leipzig, München und der Region Friesland einen negativen Einfluss auf das Schulschwänzen. Die niedrige Elternkontrolle71 differenziert besonders deutlich, wenn es um intensivere Ausprägungen des Schulschwänzens (5-10 Tage und > 10 Tage) geht, wie Abbildung 6 zu entnehmen ist: Hamburg, Hannover, Leipzig, München und Friesland

Hamburg, Hannover, Leipzig, München und Friesland

25

25

20

20

15

15

%

% 10

10

5

5

0

0

1 Tag

2 -4 Tag e

5-10 Tag e

>10 Tag e

= niedrige Elternkontrolle

1 Tag

2 -4 Tag e

5-10 Tag e

>10 Tag e

= hohe Elternkontrolle

Abbildung 6: Schulschwänzen nach der Elternkontrolle (Quelle: Wetzels et al. 2000a: 120 und Wilmers 2000: 71 sowie Wilmers et al 2000: 303)

Im Zuge der Analyse der Längsschnittstudie „Kindheit, Jugend und Erwachsenwerden (1993-1995)“ betrachten auch Pinquart und Masche (1999) die elterliche Kontrolle. Mittels einer zweifaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung prüften die Autoren, ob eine erhöhte elterliche Kontrolle zum ersten Messzeitpunkt einen günstigeren Verlauf des Schulschwänzens in den beiden darauf folgenden Jahren vorhersagt. Entsprechend den postulierten Hypothesen geht eine intensive elterliche Kontrolle mit einer geringeren Verbreitung des Schulschwänzens einher. Für ostdeutsche Schüler ist dieser Zusammenhang noch etwas stärker als für westdeutsche Schüler.

71 Für die Städte: Die elterliche Kontrolle wurde über zwei Items abgebildet: „Meine Eltern achten sehr darauf, dass ich regelmäßig und rechtzeitig zur Schule gehe“ und „Meinen Eltern ist es eigentlich egal, wenn ich schwänze/schwänzen würde“ (1 = stimmt nicht bis 4 = stimmt genau). Der Median aus einem additiven Index dieser beiden Items wurde dann als Kriterium für die Unterteilung niedrig und hoch herangezogen.

95

Im Rahmen der sozialen Kontrolltheorie Hirschis (1969) sowie Sampson und Laubs (1993, vgl. auch Kapitel 6) prüfen Wagner et al. (2004) den Einfluss verschiedener elterlicher Erziehungsmerkmale auf die Schulverweigerung, die hier das unentschuldigte Fehlen von mindestens 5 Tagen in einem Schulhalbjahr bezeichnet. Auf bivariater Ebene hängen eine schwache emotionale Bindung zu Vater und Mutter, häufige elterliche Kritik, eine niedrige elterliche Kontrolle und häufiges Streiten mit den Eltern sowie physische Gewalt mit der Schulverweigerung zusammen (Wagner et al. 2004: 474). Nach Schulformen differenziert, sind die Resultate uneinheitlicher.72 Unter Kontrolle verschiedener Einflussgrößen, wie z.B. Schulform, der Beziehung zu den Lehrern, den Schulleistungen und dem Einfluss eines deprivierten Wohnviertels erweisen sich nur noch häufige Streitereien mit den Eltern und eine niedrige elterliche Kontrolle als relevante Prädiktoren (Wagner et al. 2004: 481). Der innerfamiliale Gewaltaspekt spielt auch in den Studien des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (z.B. Wetzels et al. 2000b) sowie in der repräsentativen Befragung bayrischer Schüler durch Fuchs et al. (2005) eine zentrale Rolle. Die Vermutung, dass die schulschwänzenden Jugendlichen dann, wenn sie besonders oft der Schule fernbleiben, überproportional häufig mit elterlicher Partnergewalt in ihrern Familien konfrontiert sind, ließ sich für die Stichprobe Rostocker Schüler empirisch erhärten (Wetzels et al. 2000b: 120f.). Bewegt sich der Anteil der Eltern, die häufig in ihrer Partnerschaft Gewalt erleben, bei Schülern, die nie oder selten schwänzen zwischen 4,0% bis 6,0%, ist er bei Schülern, die oft schwänzen – 5 bis 10 Tage oder mehr als 10 Tage – doppelt so hoch (11,8% bzw. 13,8%). Angesichts dieser Ergebnisse ist der Umstand, dass häufig schwänzende Schüler auch deutlich häufiger Opfer schwerer elterlicher Gewalt werden, nicht überraschend. Erfahren etwa 10,0% der Schüler, die nie schwänzen, elterliche Gewalt, nimmt der Anteil mit zunehmendem Schwänzen kontinuierlich zu und erreicht seinen Zenit mit etwa 30,0% bei Kindern, die mindestens 10 Tage unentschuldigt fehlten.73 Ein ähnliches Bild zeichnet sich für Schüler aus den Städten Hamburg, Hannover, Leipzig, München und der Region Friesland ab (Wilmers et al. 2000: 300). Nicht ganz so deutlich, aber immer noch bedeutsam, sind die Befunde von Fuchs et al. (2005), die die Gewaltbelastung über vier Kategorien messen (kei72 So sind bei Gymnasiasten – bis auf die Gewaltanwendung durch die Mutter – für alle anderen Kategorien hohe bis sehr hohe signifikante Zusammenhänge identifizierbar. Insbesondere die physische Gewalt durch den Vater hängt eng mit dem Schulschwänzen bei Gymnasiasten und Realschülern zusammen. Die elterliche Kontrolle reduziert sowohl für Hauptschüler als auch für Gymnasiasten das Risiko des Schulschwänzens, nicht jedoch für Realschüler. 73 Die Anteile der Gewalterfahrung verteilen sich über die einzelnen Schwänzkategorien wie folgt: nie (9,9%), 1 Tag (13,3%), 2 bis 4 Tage (15,3%), 5 bis 10 Tage (23,1%) und mindesten 10 Tage (29,3%).

96

ne, gering, mittel, höher/hoch). Zwischen den ersten drei Kategorien (keine Gewaltbelastung bis mittlere Gewaltbelastung) ergeben sich mit Blick auf das Schulschwänzen kaum nennenswerte Unterschiede. Erst bei Schülern, deren Gewaltbelastung zu Hause als hoch einzustufen ist, tritt eine nennenswerte Veränderung auf: der Anteil der Schwänzer steigt in dieser Gruppe von etwa einem Fünftel auf weit über ein Drittel an. Besonders auffällig ist der Anstieg bei den massiven Schulschwänzern (10 Tage oder mehr in den letzten 5 Monaten). Von den Kindern, die keine familiale Gewalt erfahren, sind nur 2,0% massive Schwänzer, hingegen sind es bei jenen, deren familiale Gewaltbelastung hoch ist, 8,3% (Fuchs et al. 2005: 279). Da es sich bei allen Studien um Querschnittsbefunde handelt, kann die Frage, ob Gewalt und inkonsistente Erziehungspraktiken Ursache oder Folgen des Schulschwänzens bzw. allgemeiner Verhaltensauffälligkeiten des Kindes sind, nicht geklärt werden. Längsschnittstudien aus dem angloamerikanischen Raum (z.B. Loeber und Farrington 2001, Tyler, Johnson und Brownridge 2008) deuten darauf hin, dass es sich häufig um einen wechselseitigen Prozess handelt, der mit voranschreitender Zeit einer Eskalationsspirale gleicht. Dessen ungeachtet bezeugen jedoch auch viele Längsschnittstudien, dass Eltern, die gewalttätig auf das abweichende Verhalten ihres Kindes reagieren, oft verschiedenen sozioökonomischen Deprivationen unterliegen und dass stressreiche Ereignisse in der Familienchronik stattgefunden haben (z.B. Trennung vom Partner).

4.4

Abweichendes Verhalten der Familienmitglieder und andere Einflussfaktoren

Für zahlreiche Formen abweichenden Verhaltens konnte ein intergenerationaler Zusammenhang nachgewiesen werden (z.B. Glueck und Glueck 1950, McCord, McCord und Zola 1959, Jonsson 1967, West und Farrington 1973). Verhalten sich die Eltern delinquent, dann steigt auch für die Kinder die Wahrscheinlichkeit, delinquent zu werden. Dieser Zusammenhang ist neben gemeinsamen Risikofaktoren der geteilten sozialen Umwelt (Gelegenheitsstrukturen im Stadtviertel, gemeinsame Deprivationserfahrungen etc.) auch auf Lerneffekte im Sozialisationsprozess zurückzuführen. Inwieweit genetische Dispositionen eine Rolle spielen, ist noch ungeklärt (z.B. Schneider 1993: 232). Im Bezug auf das Schulschwänzen, gibt es wenige Studien, die diesen Zusammenhang geprüft haben. In ihrer „Two-Generation Study“, ziehen Robins, Ratcliff und West (1979) Informationen von Eltern und Kindern über das jeweilige Schulbesuchsverhalten heran. Schwänzten die Eltern in ihrer eigenen Schullaufbahn die Schule, hatte das auch einen starken positiven Effekt auf das Schulschwänzen der jüngeren

97

Generation. Dies gilt sowohl, wenn nur der Vater oder nur die Mutter als auch beide Eltern die Schule schwänzten. Obwohl für beide Geschlechter signifikant, ist der Einfluss für die Jungen noch etwas stärker als für die Mädchen (Robins, Ratcliff und West 1979: 116 ff.). Farrington (1980) widmet sich unter anderem der Frage, ob delinquentes Verhalten der Eltern und der Geschwister Schulschwänzen hervorruft. Das delinquente Verhalten der Eltern und/oder der Geschwister zum 10. Lebensjahr des Kindes zeigt einen hochsignifikanten positiven Einfluss auf das Ausmaß des Schulschwänzens bei den Schülern. Hervorzuheben ist vor allem der sehr starke Effekt des delinquenten Verhaltens der Geschwister, die anscheinend in ihrer Doppelfunktion als Familienmitglieder und Peers einen besonders bedeutsamen Einfluss auf die anderen Geschwister ausüben. Neben dem positiven Effekt des Schwänzens und der Delinquenz von Familienmitgliedern konnten einige Studien auch einen überdurchschnittlichen Alkoholkonsum der Eltern mit dem Schulschwänzen ihrer Kinder in Verbindung bringen (Robins, Ratcliff und West 1979).74 Mentale und körperliche Erkrankungen von Familienmitgliedern sind weitere Risikofaktoren (Galloway 1976, SASD [Scottish Association for the Study of Delinquency] 1977).

4.5

Zusammenfassung des Forschungsstandes

Trotz der zum Teil sehr heterogenen Befunde lassen sich für die familialen Strukturmerkmale wie auch für innerfamilialen Merkmale Tendenzen festhalten, die einen Überblick des Forschungstandes vereinfachen. Es handelt sich hierbei nicht um empirisch abgesicherte Befunde, sondern lediglich um ein Resümee der dokumentierten Ergebnisse. Die erste Komponente der Strukturmerkmale, die Geschwisteranzahl, zeigt in mehreren Studien bivariat einen bedeutenden Zusammenhang mit dem Schulschwänzen, in dem Sinn, dass mit steigender Geschwisteranzahl die Wahrscheinlichkeit des Schulschwänzens zunimmt. In den wenigen multivariaten Analysen konnte der Effekt dagegen nicht bestätigt werden. Zudem liegen kaum Befunde aus Deutschland vor. Noch heterogener sind die Ergebnisse bezüglich der Frage, ob ein niedriger sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie Schulschwänzen bedingt, beziehungsweise mit diesem korrespondiert. Die Heterogenität der Befunde ist vermutlich partiell auch auf die sehr unterschiedlichen Indikatoren für die Messung der sozioökonomischen Lage zurückzuführen. Es gibt zahlreiche Studien, die den Zusam74 Einen Überblick klinischer Studien zum Einfluss des Alkoholkonsums der Eltern auf das Schulschwänzen geben West und Prinz (1987).

98

menhang unterstützen und zahlreiche, die ihn negieren. Auffällig ist jedoch, dass vor allem (ältere) Untersuchungen aus Großbritannien einen positiven Zusammenhang dokumentieren. Dies gilt nicht nur, wenn der SES über den Berufsstatus, das Bildungsniveau oder den Erhalt von Sozialhilfe abgebildet wird, sondern auch, wenn der Deprivationsgrad des Stadtviertels oder die Vergabe von Mahlzeiten an Schulen als Operanden herangezogen werden. Für die wenigen Studien aus Deutschland lässt sich festhalten, dass zwar bivariate Zusammenhänge aufgedeckt werden, diese in den multivariaten Modellen jedoch keinen Bestand haben. Insbesondere in Großbritannien wird der sozialen Herkunft als Ursache des Schulschwänzens viel Aufmerksamkeit geschenkt. Für nordamerikanische Studien hingegen ist charakteristisch, dass sie verstärkt dem Migrationshintergrund Beachtung schenken. Sowohl bi- als auch multivariat lassen sich keine Tendenzen ablesen. Ähnlich wie beim sozioökonomischen Status ist die Bandbreite der Operanden sehr groß und damit eine Vergleichbarkeit fast unmöglich. Für deutsche Studien ist ein Ergebnis hervorzuheben: Werden Schüler aller Schulformen betrachtet, ist bivariat ein positiver Effekt des Migrationshintergrundes zu verzeichnen, kontrolliert nach Schulformen, kehrt sich dieser Effekt zum Teil um: An den Hauptschulen schwänzen deutsche Schüler häufiger als Schüler mit Migrationshintergrund. Konträr zu den bisher widersprüchlichen Resultaten sind die Ergebnisse bezüglich des Einflusses der elterlichen Trennung - bis auf wenige Ausnahmen relativ einheitlich: Eine Trennung der Eltern begünstigt das Schulschwänzen. Dieser Zusammenhang gilt auf internationaler und nationaler Ebene. Sowohl die Operanden des „sozialen und kulturellen Kapitals“ als auch der „innerfamilialen Merkmale“ weisen eine große Heterogenität auf. Ungeachtet der Weitläufigkeit dieser Themengebiete, lassen sich einige Tendenzen in Bezug zum Schulschwänzen identifizieren. Mehrere Studien zeigen, dass Eltern schwänzender Kinder wenig Kontakt zur Schule haben, ihren Kindern selten bei Schulaufgaben oder Schulproblemen helfen können und generell weniger Interesse am Schulleben haben. Auch gibt es Hinweise dahingehend, dass Eltern schwänzender Kinder einerseits das Schulschwänzen negativ bewerten, andererseits diesen Standpunkt durch eine Laissez-Faire-Haltung gegenüber den negativen Folgen des Schwänzens relativieren. Mehrfach wird für schulschwänzende Kinder ein übermäßig ablehnender und autoritärer Erziehungsstil identifiziert. Einige Autoren finden zudem einen Zusammenhang zwischen dem Schulschwänzen und einem überbehütenden Erziehungsstil. Studien, die auch psychologische Ursachen des Schulschwänzens berücksichtigen, sehen die Überbehütung vornehmlich in Kombination mit der Schulphobie. Ebenfalls wird häufig eine geringe elterliche Kontrolle als Prädiktor genannt. Relativ konsistent ist der

99

Befund, dass die häusliche Gewalt mit dem Schulschwänzen in Verbindung steht. Neben Messproblemen, wie z.B. bei der sozialen Lage der Familie, und Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit verschiedener Studien, ist auch die zumeist getrennte Betrachtung von familialen Strukturmerkmalen und innerfamilialen Merkmalen kennzeichnend für die Forschung. Selten werden beide Merkmalsblöcke miteinander in Verbindung gesetzt. Dies ist vermutlich auf die allgemein atheoretische Behandlung der Frage nach den familialen Einflüssen auf das Schulschwänzen zurückzuführen. Auch wenn das Forschungsfeld durch die Partizipation verschiedener Forschungsausrichtungen, wie der Psychiatrie, der Soziologie oder der Pädagogik gekennzeichnet ist, bleibt die Frage offen, warum selten der Versuch unternommen wurde, mit den (theoretischen) Instrumenten der eigenen Disziplin das Phänomen Schulschwänzen zu erklären. Die folgenden Ausführungen stellen einen Versuch dar, familiale Einflüsse auf das Schulschwänzen theoretisch herzuleiten und empirisch zu prüfen. Unter der Prämisse, dass Schulschwänzen abweichendes Verhalten ist, wird hierfür primär auf die Theorien abweichenden Verhaltens zurückgegriffen. Da diese Theorien, mit Ausnahme der sozialen Kontrolltheorie, Schwächen im Umgang mit den familialen Merkmalen aufweisen, werden ergänzend Aspekte aus der Familienforschung herangezogen.

100

5

Theoretische Grundlagen: Eine Synthese der Theorien abweichenden Verhaltens und familiensoziologischer Aspekte

Wenn die Frage geklärt werden soll, welchen Einfluss die Familie auf das Schulschwänzen hat, dann ist anhand der beiden zentralen Elemente „Familie“ und „Schulschwänzen“ – letzteres steht für abweichendes Verhalten – angedeutet, welche theoretischen Vorlagen verwendet werden können. Dies sind zum einen die Theorien abweichenden Verhaltens und zum anderen Ansätze aus der Familiensoziologie und –psychologie. Innerhalb der Theorien abweichenden Verhaltens hat die Familie als zentrale Erklärungsgröße zwar eine lange Tradition, doch trotz dessen wird sie oft sehr unspezifisch betrachtet. Ergänzend können Ansätze der Familienforschung, insbesondere der Sozialisationsforschung und der Erziehungsstilforschung, herangezogen werden, um diese Schwächen auszugleichen. In den folgenden Ausführungen wird aus beiden Forschungsperspektiven die Betrachtung der Familie als zentrale Erklärungsgröße für das abweichende Verhalten vorgestellt. Dieses mündet in der eigenen Konstruktion eines Modells, das beide Perspektiven miteinander verbindet.

5.1

Die Familie im Spiegel der Theorien abweichenden Verhaltens

In Europa gewann das Interesse an der Familie als Ursache des abweichenden Verhaltens erst Anfang des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Nach Mikonovic (1982: 25) ist besonders der Wiener Kinderschutzkongress von 1906 ein markanter Wendepunkt, der das Interesse auf die Familie lenkte. Aus historischer Perspektive unterlag die Rolle der Familie als zentrale Erklärungsgröße immer wieder Schwankungen. In ihrer ersten „Blütezeit“, zwischen 1900-1930, wurde vor allem den Strukturmerkmalen, hier primär einer „zerbrochenen Familienstruktur“ (broken home) große Aufmerksamkeit geschenkt. Im Zeitraum 1930 bis 1950 bekam die Familie in ihrer Rolle als entscheidende Einflussgröße für die Erklärung abweichenden Verhaltens Konkurrenz. Kompensatorisch gewannen andere Sozialisationsagenten, wie die Schule oder

101

die Peers an Bedeutung. Diese Konkurrenzsituation hielt sich bis Ende der 1950er Jahre. Insbesondere unter dem Aufkommen makrosoziologischer Ansätze, die vornehmlich der Schichtzugehörigkeit einen starken Einfluss auf abweichendes Verhalten zusprachen, traten familiale Aspekte als mögliche Prädiktoren des abweichenden Verhaltens in den Hintergrund. Dies änderte sich erst, als in den 1960er und 1970er Jahren die schichtspezifische Sozialisationsforschung an Aufmerksamkeit gewann (z.B. Steinkamp 1980, Wurzbacher 1977). In ihr wurden Annahmen makrostruktureller Ansätze mit dem familialen Wirken verknüpft. Im Zentrum der schichtspezifischen Sozialisationsforschung stand die Frage nach dem Einfluss, den Merkmale der Schichtzugehörigkeit über familiale Erziehungspraktiken auf das abweichende Verhalten haben (Albrecht, Howe und Wolterhoff 1991: 108). Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre kam es aufgrund empirischer und methodischer Defizite zu einer Abkehr von der schichtspezifischen Sozialisationsforschung. Ein Mangel an empirischen Überprüfungen der theoretischen Konzepte, unterschiedliche Operationalisierungen des sozioökonomischen Status, aber auch die zum Teil geringe Erklärungskraft der sozialen Herkunft auf die Erziehungsmerkmale bedingte das Ende des Interesses an dieser Forschungsrichtung (Bertram 1982). Zudem wurden die Stimmen lauter, die betonten, dass die soziale Ungleichheit der Lebensbedingungen nicht nur auf eine Dimension zu reduzieren sei – die soziale Herkunft –, sondern auf eine Konstellation soziopolitischer, sozialstruktureller und sozioökonomischer Faktoren zurückzuführen ist. Basierend auf der Kritik an der schichtspezifischen Forschung versucht das sozialökologische Modell (Bronfenbrenner 1976) den Einfluss verschiedener Sozialräume (Familie, Schule, Peers, Wohnumgebung etc.) auf das individuelle Verhalten zu berücksichtigen. Durch die komplexe Betrachtung aller Sozialisationsagenten verlor die Familie abermals ihre dominante Position als zentrale Erklärungskraft. Obwohl die Familie viele „Phasen der Hochkonjunktur“ in der Geschichte der Theorien abweichenden Verhaltens aufweist, wurde und wird sie selten explizit in diesen Theorien thematisiert. In den eher makrosoziologisch orientierten Theorien der Anomietheorie und dem sozialökologischen Ansatz wird sie lediglich von Vertretern des sozialökologischen Ansatzes beleuchtet, hier zumeist jedoch auch nur die familialen Strukturmerkmale. Im Etikettierungsansatz, der das Interaktionssystem von Individuum und sozialer Umwelt thematisiert, spielt die Familie auch nur eine untergeordnete Rolle. Zentral ist sie dagegen in der Lerntheorie, die jedoch sehr selten empirisch überprüft wurde, so dass der vermutete Einfluss der Familie eher theoretischer Natur bleibt. Eine Ausnahme ist die Kontrolltheorie, die als einzige der klassischen Theorien ihr Augenmerk auf die Familie, und hier sowohl auf die familialen Strukturmerk-

102

male als auch auf die innerfamilialen Merkmale, richtet.75 Die folgende Skizzierung zentraler klassischer Ansätze und die darin enthaltene Rolle der Familie verdeutlicht diesen Punkt.76

5.1.1 Anomietheorie Erstmals konzipiert von Emile Durkheim (1858−1917), der im Rahmen der industriellen Arbeitsteilung auch eine Zunahme sozialer Regel- und Normlosigkeit prognostizierte, fragt die Anomietheorie nach den gesellschaftlichen Bedingungen, die zu abweichendem Verhalten führen (Wiswede 1979). Spezifiziert wurde dieser Ansatz unter dem Titel „Straintheorie“ von dem amerikanischen Soziologen Robert K. Merton, der zu dem Ergebnis kam, dass abweichendes Verhalten als Folge einer Differenz von kulturellen Zielsetzungen und schichtspezifisch beschränkten Ressourcen betrachtet werden kann (Merton 1968). Besteht eine große Diskrepanz zwischen den gesellschaftlich, kulturell und sozial vorgegebenen Zielen (z.B. Wohlstand für alle) und den legitimen Mitteln (z.B. starke Einkommensgefälle) zur Erreichung dieser Ziele, entsteht ein Zustand der sozialen Regellosigkeit (Merton 1968). Daraus folgt: Je größer die Differenz zwischen vorgegebenen Zielen und bestehenden Mitteln, desto größer ist die Gefahr, dass ein Individuum versucht, die Ziele mit illegalen oder illegitimen Mitteln zu erlangen. In Anlehnung an Opp lässt sich festhalten: „Anomie heißt hohe Intensität der Ziele, geringe Intensität der legitimen regulierenden Normen und geringe legitime Möglichkeiten“ (Opp 1974: 153). Nach der Anomietheorie ist abweichendes Verhalten Ausdruck einer sozialen und ökonomischen Benachteiligung, die Jugendliche – meist bedingt durch den (niedrigen) sozialen Status ihrer Herkunftsfamilie – erfahren. Sie verfolgen legitime Ziele (z.B. Prestige, Ansehen etc.), können diese aber aufgrund sozioökonomischer Deprivation nicht realisieren. Alternativ kann daher abweichendes Verhalten als Mittel für die Erreichung der gesellschaftlichen Ziele dienen. Wenn die soziale Herkunft ein zentrales Element ist, um abweichendes Verhalten zu erklären, verwundert es, dass Merton nicht auch deutlich auf die Rolle der Familie als „Träger“ oder „Vermittler“ des sozialen Status eingegangen ist. Dies ist besonders erstaunlich, da er selbst auf die Relevanz der Familie hingewiesen hat (Merton 1957: 158, 159). Einen Versuch, dieses Defizit zu kompensieren, unternahm 1963 Jaffe, indem er das Konzept der Anomie – einen Zu75 Zuweilen wurde dieser Fokus von einzelnen Vertretern auch überspitzt, indem kaum einem anderen Sozialisationsagenten ein relevanter Einfluss auf die Entwicklung zugeschrieben wurde. 76 Die Subkulturtheorien werden aufgrund ihres Fokus auf die Peers ausgelassen.

103

stand der Norm- und Regellosigkeit – auf die Familie übertrug. Eine Familie gilt dann als anomisch, wenn keine einheitlichen Werte und Normen von den Familienmitgliedern geteilt werden. Durch die inkonsistente Vermittlung von Werten und Normen erfährt das Kind in seiner Erziehung uneinheitliche Richtlinien. Jaffe spricht in diesem Zusammenhang von einer „value confusion“ (Jaffe 1963: 147). Folgen dieser Orientierungslosigkeit sind zum einen die fehlende (positive) Identifikation mit den Eltern und zum anderen Gefühle der Machtlosigkeit. All diese Faktoren fördern wiederum das abweichende Verhalten des Jugendlichen. Dieser Integrationsversuch Jaffes der Anomietheorie mit der Familie fand jedoch innerhalb der Theorien abweichenden Verhaltens kaum einen Widerhall.

5.1.2 Sozialökologische Kontexteffekte Der sozialökologische Ansatz setzt auf der Makroebene an, dementsprechend werden die Ursachen des abweichenden Verhaltens primär im gesellschaftlichen Kontext, hier vornehmlich des Stadtviertels oder der Gemeinde gesucht. Einflussreich sind vor allem die in den 1920er Jahren von der Chicagoer Schule verfassten Arbeiten zu der innerstädtischen Kriminalitätsverteilung; voran die Arbeiten von Shaw und McKay (1972),77 die sich an der „Concentric Zone Theory“ von Park (1916) und Burgess (1925) orientierten. Dem sozialökologischen Ansatz zur Erklärung der Delinquenz liegen mehrere Annahmen zugrunde: 1.

Delinquenz ist nicht primär das Resultat einer individuellen Desorientierung, sondern einer Desorientierung auf der Ebene des Wohnviertels. Sie ist definiert als „breakdown in conventional institutional controls as well as informal social control forces, within a community or neighborhood“ (Shoemaker 2000: 78).

2.

Prozesse der Desorganisation sind vor allem in Gemeinden zu beobachten, die von Industrialisierung, Urbanisierung und Immigration betroffen sind.

3.

In sozial desorganisierten Gemeinden dominieren unkonventionelle Normen und Werte, die Kriminalitätsraten sind höher und es besteht eine „Tradition“ abweichenden Verhaltens, die nicht mit Anomie gleichgesetzt werden kann. In diesem Sinn können „delinquency areas“ (Shaw und McKay 1969) auch als lokale „Subkulturen“ definiert werden.

Im Rahmen des sozialökologischen Ansatzes wurde in den Ursprüngen verstärkt den Peers, die sich in deprivierten Stadtvierteln bewegen, Beachtung für die 77 Obwohl die Studien der Chicagoer Schule mit zu den ältesten gehören, sind sie nicht die ersten Arbeiten zu diesem Thema. Nach Byrne und Sampson (1986) sind in Anlehnung an die Aussagen Volds (1958: 164) in diesem Kontext die im 19. Jahrhundert entstandenen Werke der französischen Soziologen Quetlet und Guerry zu nennen.

104

Erklärung individuell abweichenden Verhaltens geschenkt. Die Familie gewann erst nachrangig an Aufmerksamkeit. Mittlerweile bestätigt eine Reihe von Studien den Zusammenhang zwischen einem deprivierten Wohnviertel und verschiedenen Merkmalen familialer Deprivation, die abweichendes Verhalten fördern. Hierzu zählen vornehmlich familiale Strukturmerkmale, die vielfach mit deprivierten Stadtvierteln in Verbindung gebracht wird. Besonders einer zerbrochenen Familienstruktur wurde in diesem Kontext Aufmerksamkeit geschenkt (z.B. Sampson 1986, Huizinga 2005). Aber auch innerfamiliale Merkmale, wie z.B. familiale Gewalt (z.B. Button 2008) oder die elterlichen Erziehungsstile (Gorman-Smith, Tolan und Henry 2000) scheinen mit dem Deprivationsgrad des Stadtviertels zusammenzuhängen. Auf den ersten Blick gestaltet sich die Dependenz zwischen der Definition eines deprivierten Stadtviertels und familialen Strukturmerkmalen schwierig, da diese oft selbst als Kriterium für die Bestimmung einer räumlichen Deprivation verwendet werden. So dient z.B. oftmals der Anteil Alleinerziehender als Definitionskriterium eines deprivierten Stadtviertels (z.B. Elliott et al. 1996). Sampson (1986) betont in diesem Kontext, dass für die Entwicklung abweichenden Verhaltens nicht nur die individuelle familiale Situation relevant ist, sondern (auf der Aggregatebene) das familiale Netz der Gemeinde oder Nachbarschaft. Selbst wenn die Kernfamilie mit beiden Elternteilen nicht mehr besteht, kann ein „intaktes“ familiales Netzwerk in der Nachbarschaft die Funktion einer engen Kontrolle über die Verhaltensweisen der Kinder und Jugendlichen in dieser Nachbarschaft gewährleisten und so das individuelle Risikopotential (durch die Abwesenheit eines Elternteils) abweichenden Verhaltens minimieren. Eine Ausrichtung des sozialökologischen Ansatzes ist die „Community Capital Forschung“, die sich nicht nur mit abweichendem Verhalten, sondern auch mit dem Bildungsverlauf in Abhängigkeit von Kontexteffekten beschäftigt. Oftmals werden Indikatoren der Bildungslaufbahn und abweichenden Verhaltens gemeinsam betrachtet. Dabei wird unterstellt, dass ein geringes Sozialkapital der Familie – hier ein Mangel an sozialen Beziehungen, die verschiedene Ressourcen bieten könnten – schlechte Schulleistungen und abweichendes Verhalten hervorrufen kann. Das Ausmaß des nutzbaren Sozialkapitals ist wiederum von Kontexteffekten abhängig (Dijkstra und Veenstra 2000, Coleman 1988; Smith, Beaulieu und Seraphine 1995, Israel, Beaulieu und Hartless 2001, Crowder und South 2003).

105

5.1.3 Etikettierungsansatz Der Etikettierungsansatz (Labeling Approach), der seinen Ursprung im symbolischen Interaktionismus hat (Mead 1978, Blumer 1973), betrachtet abweichendes Verhalten als Resultat der Zuschreibung des Etiketts ‚deviant‘ zu bestimmten Verhaltensweisen. Tannenbaum – einer der Begründer dieser theoretischen Ausrichtung – schrieb hierzu: „The young delinquent becomes bad, because he is defined as bad“ (Tannenbaum 1938 nach Lamnek 1996: 219). Implizit betont der Etikettierungsansatz konstruktivistische Elemente: abweichend verhält sich nur die Person, die als solches betrachtet wird. Nach Becker (1973) sind Täter dann Opfer bestimmter Gesetze und selektiver Kontrollpraxis. Konformes und abweichendes Verhalten sind ein Produkt von Definitions- und Interpretationsleistungen der Individuen im Interaktionsprozess. Kriminalität wird aus dieser Perspektive nicht von der Täterpersönlichkeit und ihrem Umfeld erklärt, sondern aus der Definitionsmacht der Gesellschaft und des Staates. Ferner wurde von den Vertretern des Etikettierungsansatzes eine Differenzierung in primäre und sekundäre Devianz getroffen. Primäre Devianz bezieht sich auf die erstmalige Handlung abweichenden Verhaltens. Sekundäre Devianz ist dann das Fortführen devianter Handlungen aufgrund der etikettierten ersten Handlung (der primären Devianz). Die Familie kann einerseits Anlass für die Etikettierung sein und andererseits können Familienmitglieder selbst zu „Etikettierern“ werden. Anlass für die Etikettierung bietet die Familie dann, wenn sie „Auffälligkeiten“ zeigt, die aus Perspektive des sozialen Umfeldes als normabweichend definiert werden. Dies kann z.B. ein kultureller Hintergrund sein, ein außergewöhnlicher Lebensstil oder die soziale Schichtzugehörigkeit der Familie. Schon Rolff (1980) sowie Brusten und Hurrelmann (1973) als auch Bourdieu (1983) beschreiben, wie sehr Stigmatisierungsprozesse in der Schule durch Lehrer und Mitschüler, die letztlich oft auf das familiäre Umfeld zurückzuführen sind (z.B. Kleidungsstile, Sprachauffälligkeiten, Essgewohnheiten), zu Bildungsbarrieren für Jugendliche werden. Vor allem Schüler, deren Herkunftsfamilien einen niedrigen sozioökonomischen Status innehaben, sind diesen Stigmatisierungsprozessen in der Schule ausgesetzt. Familienmitglieder können auch selbst die Rolle des „Etikettierenden“ übernehmen, z. B dann, wenn die Kinder sich nicht entsprechend der elterlichen Vorstellung verhalten und daraus folgend kontinuierlich kritisiert werden. Seitz und Götz schreiben hierzu: „In einem solchen Erziehungsklima übernimmt das Kind allmählich abweichende, unsoziale (delinquente) Verhaltensweisen, die ihm von den Eltern fortwährend zugeschrieben („attribuiert“) werden. Durch die negativen Typisierungen werden die Möglichkeiten, sich normal zu verhalten, beschnitten, um so mehr als sich gleichzeitig auch das Verhalten der Eltern und weiterer Fami-

106

lienmitglieder (Geschwister) an den elterlichen Vorurteilen ausrichtet“ (Seitz und Götz 1979: 34f.).

Im Laufe dieses Stigmatisierungsprozesses übernimmt das Kind das ihm zugeschriebene negative Selbstbild, mit dem es auch zukünftig abweichende Verhaltensweisen vereinbaren kann. Der Etikettierungsansatz wurde selten empirisch geprüft, dies ist vermutlich auch auf ein sehr komplexes Studiendesign zurückzuführen, das für die Prüfung dieses Ansatzes nötig wäre (Längsschnittdesign, Befragung mehrerer Personen über Zuschreibungsprozesse etc.). Es gibt jedoch verschiedene Studien, die Indizien für die Relevanz von Stigmatisierungsprozessen liefern. Brusten und Hurrelmann (1973) fanden zum Beispiel in ihrer Studie über Stigmatisierungsprozesse in der Schule heraus, dass Kindern, deren Herkunftsfamilien einen niedrigen sozioökonomischen Status haben, verstärkt abweichende Verhaltensweisen von Lehrern zugeschrieben bzw. zugetraut wurde (Brusten und Hurrelmann 1973: 61).

5.1.4 Lerntheorie Ausgangspunkt der Lerntheorie ist die Annahme, dass Verhaltensweisen gelernt, aber auch verlernt werden können. Die ursprüngliche Konzeption dieses Ansatzes geht auf das Prinzip des klassischen Konditionierens des russischen Physiologen Pawlow (1849–1936) zurück, welches besagt, dass durch einen Reiz eine bestimmte Reaktion ausgelöst wird. Erweitert wurden Pawlows Ausführungen durch Skinners Prinzip des ‚instrumentellen Lernens‘. Demnach sind es insbesondere die positiven und negativen Verstärker (Belohnung, Bestrafung) der Umwelt, welche ein Verhalten motivieren oder auch verhindern können (Tilmann 1997: 75ff.). Ergänzt wurde die klassische Lerntheorie durch Bandura (1976), der das einfache Reiz-Reaktionsmuster durch das Konzept des „Lernens am Modell“ erweiterte. Neben der Intensivierung spezifischer Verhaltensweisen mittels positiver und/oder negativer Verstärker neigen Menschen zur Imitation komplexer Verhaltensmuster von bestimmten Vorbildern, die das soziale Umfeld prägen (z.B. Eltern oder Peers). Dieses Grundkonzept wurde von Bandura und Mitarbeitern später um das Konzept des ‚stellvertretenden Verstärkers‘ erweitert: Wenn nicht der Beobachter, sondern das Modell belohnt wird, hat auch dies positive Lernkonsequenzen. So übernehmen z.B. Vorschulkinder aggressive Verhaltensmuster eines (z.B. im Film dargestellten) Modells dann besonders häufig, wenn dieses Modell für ein bestimmtes Verhalten belohnt wird (Tilmann 1997: 78).

107

Konkretisiert wurde die Lerntheorie im Diskurs der ‚Theorien abweichenden Verhaltens‘ durch Sutherlands (Lamnek 1996) These der ‚differentiellen Lernstruktur‘. Die Grundannahme besteht darin, dass eine Person dann delinquent wird, wenn die Einstellungen, die Gesetzesverletzungen begünstigen, diejenigen Einstellungen überwiegen, die Gesetzesverletzungen negativ bewerten (Lamnek 1996). Diese Einstellungen – Sutherland bezeichnet sie auch als Verhaltensmuster – sind nicht angeboren, sondern werden in Lernprozessen, insbesondere in der Kommunikation mit kleinen, intimen Gruppen, erworben. Maßgeblich wird abweichendes Verhalten durch die Familie, hier vor allem die Eltern und Geschwister, vermittelt, die den Kindern bzw. Geschwistern in ihrer Rolle als Vorbilder abweichendes Verhalten vorleben. Analog zu dem Etikettierungsansatz erfuhr auch die Lerntheorie selten empirische Überprüfung. Jedoch gibt es eine Vielzahl an Befunden, die Hinweise auf die Bedeutung des Lerneffektes geben. So hat Patterson (1982, 1986, 1988, 1992) Familien über längere Zeiträume beobachtet und empirische Langzeitstudien durchgeführt, die einen Lerneffekt von der älteren auf die jüngere Generation unterstreichen. Auch die oftmals gefundenen Beziehungen zwischen dem abweichenden Verhalten der Eltern und Kinder, wie sie z.B. in Kapitel 4 bezüglich des Schulschwänzens dokumentiert werden, geben Anlass zu der Vermutung, dass Lernprozesse eine wichtige Rolle spielen.

5.1.5 (Soziale) Kontrolltheorie Unter den Theorien abweichenden Verhaltens zählen die Kontrolltheorien zu denen, die der Familie als Einflussgröße auf abweichendes Verhalten die größte Bedeutung zuschreiben (z.B. Reiss 1951, Toby 1957, Nye 1958). Im Gegensatz zu der Anomie- und Lerntheorie sowie dem Etikettierungsansatz, die nach den Ursachen abweichenden Verhaltens fragen, wählt die Kontrolltheorie einen anderen Ausgangspunkt: Welche Umstände führen dazu, dass sich Menschen konform verhalten? Einer der bekanntesten Vertreter der Kontrolltheorie ist Hirschi. In seinem 1969 publizierten Werk „Causes of Delinquency“ elaboriert er die Annahme, dass ein wesentliches Moment konformen Verhaltens das Ausmaß der Bindung des Individuums an die Gesellschaft ist. Diese Bindung (social bond) wird über verschiedene Komponenten hergestellt, die jeweils bei der Familie, der Schule und den Peers anknüpfen: Hierzu zählt z.B. die emotionale Bindung an Bezugspersonen oder die Investition in (konventionelle) Ziele. Schwache Bindungen an Bezugspersonen, geringe Investitionen in konventionelle Lebensziele, wie z.B. einen guten Schulabschluss und eine inadäquate

108

Vermittlung konventioneller Werte und Normen durch die Sozialisationsagenten, begünstigen nach Hirschi (1969) abweichendes Verhalten. Als primäre Sozialisationsinstanz schreibt Hirschi (1969) insbesondere der Familie eine tragende Rolle zu. Neben der Relevanz der emotionalen Bindung zu den Eltern, nehmen diese auch Einfluss auf die Integration ihrer Kinder in konventionelle Tätigkeiten und bestimmen durch die Erziehung das Ausmaß der Internalisierung konventioneller Normen. Zudem wird postuliert, dass verschiedene sozialstrukturelle Merkmale, wie z.B. eine „unvollständige Familienstruktur“ oder eine hohe Kinderanzahl einen negativen Einfluss auf die Bindungsdimensionen haben. Die soziale Kontrolltheorie erfuhr verschiedene Ergänzungen. So erweiterten z.B. Sampson und Laub (1993) die soziale Kontrolltheorie, indem sie familiale Strukturmerkmale und innerfamiliale Merkmale miteinander in Beziehung setzten und zudem die Entwicklung der Delinquenz in einem zeitlichen Kontext stellten. Auch die Coercion Theorie Pattersons (1982, 1986, 1989, 1992) beinhaltet Elemente der sozialen Kontrolltheorie, wie z.B. die elterliche Kontrolle oder die emotionale Bindung zu den Eltern.

5.1.6 (Psychologische) Kontrolltheorie 1990 formulierte Hirschi gemeinsam mit Gottfredson eine Abwandlung der sozialen Kontrolltheorie („General Theory of Crime“). Im Gegensatz zu der sozialen Kontrolltheorie, die verschiedene Bindungselemente in den Mittelpunkt der Erklärung stellt, wird in dieser Abwandlung die Selbstkontrolle als entscheidendes Moment der Erklärung abweichenden Verhaltens betrachtet. Hirschi und Gottfredson legen in ihrer Theorie eine allgemeine Handlungslehre zugrunde, die an einem ökonomischen Menschenbild orientiert ist (Walter 2001: 55). „Deviantes Verhalten markiert [...] den leichtesten Weg, den der direkten Bedürfnisbefriedigung. Dementsprechend wird eine deviant handelnde Person als eine charakterisiert, die in der Abwägung der Eigeninteressen vor allem die kurzfristige Befriedigung sieht und dabei die negativen Langzeitfolgen durch die folgenden Sanktionen nicht genügend beachtet“ (Hirschi 1994 nach Dietrich, Meyer und Rössner 1999: 6). Das Problem abweichenden Verhaltens besteht nach Hirschi und Gottfredson nicht in der Härte der Sanktionen, sondern in der ungenügenden Verarbeitung der Sanktionen durch das Individuum. Zentral ist die Konstitution der inneren Kontrolle oder wie Hirschi es formuliert, der Selbstkontrolle, d.h. der Fähigkeit, sich selbst zu disziplinieren. „We see selfcontrol as the barrier that stands between the actor and the obvious momentary benefits crime provides” (Hirschi und Gottfredson: 7). Mangelnde Selbstkontrolle ist als eine starke Augenblicksorientierung zu bezeichnen und durch die

109

Unfähigkeit bestimmt, Langzeitfolgen in die Kosten-Nutzen-Kalkulation zu integrieren. Auch wenn eine geringe Selbstkontrolle abweichendes Verhalten begünstigt, ist nicht von einer notwendigen Kausalität zwischen diesen beiden Faktoren auszugehen. Das Ausmaß der Selbstkontrolle erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit des Auftretens abweichenden Verhaltens, muss diese jedoch nicht zu Folge haben. Vice versa muss nicht jeder Delinquent eine geringe Selbstkontrolle besitzen. Anknüpfend an die soziale Kontrolltheorie wird die Ursache einer mangelnden Selbstkontrolle in einer defizitären familialen Sozialisation gesehen, z.B. in einer schwachen Eltern-Kind-Bindung oder einer geringen Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsaufgaben. Nach Gottfredon und Hirschi (1990) führt mangelnde Aufmerksamkeit der Eltern zu einem inkonsistenten System von Bestrafungen bei unerwünschten kindlichen Verhaltensweisen. Werden unerwünschte Verhaltensweisen nicht konsistent sanktioniert, dann fördert dies eine geringe Selbstkontrolle. Ferner führt eine niedrige Selbstkontrolle der Eltern auch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer niedrigen Selbstkontrolle der Kinder. Die hier skizzierten Ansätze stellen nur den Kern der klassischen Theorien abweichenden Verhaltens dar. Es gibt, je nach theoretischer Ausrichtung, oftmals Abwandlungen und Erweiterungen, die jedoch im Hinblick auf die Familie wenig Neues beitragen. Um einen Überblick des Umgangs mit der Instanz Familie innerhalb dieser Theorien zu gewährleisten, sind die die zentralen theoretischen Elemente und die (üblichen) Operationalisierungen in Tabelle 2 abgebildet.

110

Stigmatisierungsprozesse durch die soziale Umwelt (auch basierend auf Merkmalen der Herkunftsfamilie) und Stigmatisierung durch die eigene Kernfamilie

Verhalten der Eltern/Geschwister, Normen und Werte der Eltern/Geschwister

Innerfamiliale Merkmale und sozialstrukturelle Familienmerkmale

Individuelle Selbstkontrolle und Erziehung in der frühen Kindheit

Lerntheorie

(soziale) Kontrolltheorie

(psychologische) Kontrolltheorie

Variablen, die den sozioökonomischen Status erfassen, bedingt sozialstrukturelle Familienmerkmale, die (implizit) den sozioökonomischen Status präsentieren Strukturelle Merkmale des Stadt/Wohnviertels in Kombination mit (zumeist) sozialstrukturellen Familienmerkmale (sozioökonomischer Status, Familiengröße, Familienstruktur)

Zentrale Elemente in Bezug auf die Familie

Etikettierungsansatz

Sozialökologischer Ansatz

Anomietheorie

Theorien abweichenden Verhaltens

Deprivationsmerkmale des Stadtviertels: Arbeitslosenquote, Anteil der Sozialhilfeempfänger, Anteil der Alleinerziehenden, Kriminalitätsrate, Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, aber auch Prozessmerkmale wie: Netzwerkdichte, ausgeübte soziale Kontrolle, Informationsaustausch etc.; Unvollständige Familie, Familiengröße, Migrationshintergrund Verbale und nonverbale Kommentare zu dem „abweichenden“ Verhalten, wie z.B. Beschimpfungen, aber auch Ignoranz; Unvollständige Familie, Familiengröße, „äußerliche“ Merkmale der sozialen Herkunft, wie z.B. schichtspezifischer Sprachcode, Kleidungsstil Kindererziehung (warm, kalt, dominant, konsistent, Intensität der Kontrolle, Intensität der Bestrafung), abweichendes Verhalten der Eltern und Geschwister; Unvollständige Familie (als Risikofaktor einer „inadäquaten Erziehung“) Emotionale Bindung zu den Eltern, Erziehungs- und Disziplinierungsstile, Monitoring bzw. Kontrolle durch die Eltern, Ablehnung durch die Eltern, Konflikt- und Streitintensität; Unvollständige Familie, Familiengröße, Umzug der Familie, Migrationshintergrund (als Merkmale, die einen negativen Einfluss auf die innerfamilialen Merkmale nehmen) Emotionale Bindung zu den Eltern, Zuwendung durch die Eltern, Kriminalität der Eltern und eine niedrige Selbstkontrolle

Sozioökonomischer Status: Bindungsniveau der Eltern, Einkommen, Vermögen Familiengröße; Unvollständige Familien, Alleinerziehendenstatus, Migrationshintergrund

Beispiele der Messindikatoren

Tabelle 2: Familiale Aspekte in den klassischen Theorien abweichenden Verhaltens





5.2

Abweichendes Verhalten im Kontext der Familienforschung

Der Forschungsbereich der Familiensoziologie und auch -psychologie ist sehr heterogen. Hierunter fallen die verschiedensten Forschungsinteressen, die von der Analyse familialer soziodemographischer Merkmale bis zu der Erziehungsstilforschung oder der Geschwisterforschung reichen. Innerhalb dieser Disziplin(en) gibt es vielfach Untersuchungen, die sich auch mit abweichendem Verhalten von Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Insbesondere Publikationen aus dem Bereich der Familienpsychologie (z.B. Silbereisen 1999, 1996) und Erziehungsforschung (z.B. Zinnecker 1999, 1996) sind in diesem Kontext zu nennen. Im Gegensatz zu den Theorien abweichenden Verhaltens werden selten die Begriffe „Delinquenz“ oder „Devianz“ benutzt, etablierter ist die Verwendung der Termini „dissoziales Verhalten“ (z.B. Beelmann und Raabe 2007) oder „antisoziales Verhalten“ (Gloger-Tippelt 2002: 479). Ferner werden kaum schwerere Formen der Delinquenz untersucht (wie z.B. Eigentumsdelikte, schwere Körperverletzung etc.) und Zusammenhänge zwischen familialen Faktoren und anderen gesellschaftlichen Institutionen, wie z.B. der Wohnumgebung oder den Peers etc., bleiben oft unberücksichtigt. Leider ist dieses Forschungsgebiet im Gegensatz zu den Theorien abweichenden Verhaltens sehr unübersichtlich und weist wenig Stringenz auf, so dass eine systematische Darstellung einzelner theoretischer Schwerpunkte nicht möglich ist. Dennoch erlauben es familientheoretische Konzepte, die Theorien abweichenden Verhaltens sinnvoll zu ergänzen. Fragen zu den so genannten „innerfamilialen Merkmalen“, wie z.B. den Kommunikations- und Interaktionsmustern zwischen Eltern und Kind, werden intensiver erforscht. So legt Zinnecker (1999) bei der Analyse des gewaltsamen Hänselns in der Schule einen Fokus auf die Empathie der Eltern, auf die Inkonsistenz in der Erziehung, die elterliche Kontrolle, gemeinsame Aktivitäten zwischen Eltern und Kindern, Inkonsistenz der Gefühle für das Kind, das Familienklima und die Mutterkompetenz. Silbereisen und Schwarz (1996) setzen verschiedene Erziehungsstile mit der Wahrscheinlichkeit einer Anbindung an deviante Peers in Bezug, und finden, dass ein autoritativer78 Erziehungsstil als Schutzfaktor vor einem engen Kontakt zu devianten Peers fungiert. Auch Walper (1995) weist nach, dass ein inkonsistenter und autoritärer Erziehungsstil die Bereitschaft zu abweichendem Verhalten bei Jugendlichen in der frühen und mittleren Adoleszenz erhöht. Stecher (2000) 78 Ein autoritativer Erziehungsstil zeichnet sich durch eine hohe Kontrolle und hohe Akzeptanz der Erziehenden gegenüber dem Kind aus. Dieser Stil wird auch als kinderzentrierter Erziehungsstil bezeichnet. Die Eltern haben hohe, aber erfüllbare Erwartungen an das Kind, sie setzen klare Regeln fest, auf deren strikte Einhaltung geachtet wird. Es herrscht eine offene Kommunikation zwischen Eltern und Kind (vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 7.6.1).

112

betrachtet nicht nur verschiedene Erziehungsstile, sondern geht auch der Frage nach, ob weitere Merkmale der Eltern-Kind-Beziehung, die als soziales Kapital der Familie definiert werden, einen Einfluss auf delinquentes Verhalten haben. Zu diesen Merkmalen zählen unter anderem die Empathie der Eltern, die Häufigkeit der Kommunikation zwischen Eltern und Kind, gemeinsame Aktivitäten und die Qualität der Partnerbeziehung von Mutter und Vater. Delinquentes Verhalten wird besonders durch emphatische Eltern verhindert und durch heftige, streitorientierte Diskussionen zwischen den Generationen gefördert. Für den angloamerikanischen Raum ist besonders die „Coercion-Theorie“ Pattersons (z.B. 1982, 1992) hervorzuheben, der mit seinen Kollegen des Oregon Social Learning Centers (OSLC) seit fast zwanzig Jahren unterschiedliche familiale Dimensionen beleuchtet, die antisoziales Verhalten beim Kind hervorrufen. Im Fokus seiner Theorie stehen „aversive“ (1992: 5) Verhaltensweisen der Eltern, das elterliche Monitoring, ineffektive Disziplinierungsmaßnehmen, Interesse der Eltern an der Lebenswelt des Kindes, die Förderung anregender Freizeitaktivitäten und das Konfliktmanagement der Eltern. Vielfach zeigen seine Ergebnisse, das verschiedenste familiale Merkmale, insbesondere eine mangelnde elterliche Kontrolle und Inkonsistenz im Erziehungsprozess, abweichendes Verhalten hervorrufen. Jenseits der langfristig intensiven Forschung Pattersons finden sich gerade im angloamerikanischen Raum immer wieder vereinzelte Publiakationen, die einen besonderen Fokus auf die innerfamilialen Merkmale richten (z.B. Cernkovich und Giordano 1987, McCord 1991, Barnes und Farrell 1992). Der hier skizzierte Forschungsstand der Theorien abweichenden Verhaltens und der familiensoziologischen Ansätze weist deutliche Defizite in beiden Forschungsschwerpunkten auf. Auf der Seite der Theorien abweichenden Verhaltens ist ein Mangel an spezifischen Annahmen über innerfamiliale Mechanismen zu bemerken, bis auf wenige Ausnahmen werden innerfamiliale Mechanismen unspezifisch thematisiert. Auf der Seite der familiensoziologischen Forschung finden wir hingegen spezifische Annahmen über innerfamiliale Mechanismen, die zu abweichendem Verhalten führen. Jedoch weisen diese Theorien oft ungenaue Definitionen von abweichendem Verhalten auf und ignorieren zudem den gesamtgesellschaftlichen Einfluss auf die Institution Familie. Um die Frage des familialen Einflusses auf abweichendes Verhalten adäquat beantworten zu können, erschient eine Diffusion beider theoretischer Ansätze am fruchtbarsten. Es bietet sich an, die Defizite der Theorien abweichenden Verhaltens durch Annahmen der Familienpsychologie und Erziehungsforschung zu ergänzen. Daraus resultiert die Frage, wie eine solche Verbindung zu systematisieren ist. Da in der Theoriendiskussion, die vor allem in den 1960 und 1970er Jahren

113

im deutschsprachigen Raum von Opp angeregt wurde, keine Konzepte für eine solche interdisziplinäre Integration vorliegen und innerhalb der deutschen Soziologie solche integrativen Modelle bisher kaum diskutiert werden, wird für die weiteren Ausführungen auf Modelle der theoretischen Integration zurückgegriffen, die vornehmlich in der amerikanischen Kriminalsoziologie eine Rolle spielen. Auch wenn sich diese Diskussion lediglich auf die Integration verschiedener Theorien abweichenden Verhaltens bezieht, gibt es keinen Anlass, die Grundstruktur dieser Modellkonzeption nicht dahingehend zu erweitern, Annahmen verschiedener soziologischer Disziplinen – wie der Familiensoziologien und der Theorien abweichenden Verhaltens – anzuwenden.

5.3

Konzepte theoretischer Integration

Die Basis der theoretischen Integration sind Modelle, die bereits Ende der 1970er Jahre im “Journal of Research in Crime and Delinquency“ von verschiedenen Wissenschaftlern diskutiert wurden. Im Sinne eines „Integrationsstreites“ debattierten Hirschi (1979), Elliott et al. (1979) und Short (1979) das Pro und Contra der Nützlichkeit integrativer Modelle. Vertraten Elliott et al. (1979) die Position, dass theoretische Integration der Schlüssel für erklärungskräftigere Modelle im Bereich des abweichenden Verhaltens sei, nahm Hirschi die Gegenposition ein. In seinem 1979 publizierten Artikel „Seperate and Unequal is Better“ bezog er allein durch die Wahl des Titels eine klare Position: Theoretische Integration ist abzulehnen, da die meisten Modelle nicht miteinander kompatibel sind und sie unterschiedliche Phänomene zu erklären versuchen. Um die Validität von Theorien zu testen, müssen diese in ihrer ursprünglichen Konzeption überprüft und miteinander verglichen werden. Trotz Hirschis Kritik an der erkenntnistheoretischen Gewinnmaximierung durch theoretische Integrationen, führte die Diskussion innerhalb der Soziologie und Kriminologie zu einem Diskurswechsel, weg von den rein klassischen Ansätzen hin zu neuen integrativen Konzepten. Ein Großteil der sogenannten neuen „integrativen Ansätze“ (Eifler 2002: 59) basiert auf der Integration verschiedener klassischer Theorien abweichenden Verhaltens. Beispiele solcher integrativen Modelle sind die Theorien von Elliott, Huizinga und Ageton (1985), die Interaktionstheorie Thornberrys (1987), die „Power Control Theory“ von Hagan, Gillis und Simpson (1987), die Theorie des „Reintegrative Shamings“ von Braithwaits (1989), die „SelfDegoration“ Theorie Kaplans (1975) oder die „Control-BalanceTheory“ von Tittel (1995).

114

5.3.1 Integration theoretischer Konzepte (conceptual integration) Werden theoretische Konzepte miteinander verbunden (conceptual integration), dann bedeutet dies, dass verschiedene Theorien auf ihre inhaltliche Argumentation hin untersucht „und bei gegebener Übereinstimmung in einer neuen, gemeinsamen Sprache formuliert“ (Eifler 2002: 57) werden. Dies setzt voraus, dass beide Theorien ein identisches Phänomen zu erklären versuchen (z.B. Gewalt) und ähnliche Erklärungsmuster heranziehen. Leider bleibt ungeklärt, nach welchen Kriterien die Ähnlichkeit zwischen den Theorien bestimmt werden kann und wie viele Gemeinsamkeiten sie aufweisen müssen, um miteinander kompatibel zu sein. Beispiele der Conceptual Integration finden sich bei Akers (1973) und bei Pearson und Weiner (1985).

5.3.2 Integration theoretischer Aussagen Die Integration theoretischer Aussagen meint hingegen die Verbindung einzelner Hypothesen oder Variablen, die theoretisch hergeleitet sind. Unter dem Terminus „propositional integration“ identifizierte Hirschi (1979) drei verschiedene Arten der Integration theoretischer Aussagen. Up-and-down-integration: In Anlehnung an Webers Modell des verstehenden Erklärens (Weber nach Esser 1993: 98) können soziologische Phänomene auf drei Ebenen untersucht werden (Esser 1993: 112f.): 1. der Makroebene (weitere soziale Umwelt z.B. Aggregate, Institutionen), 2. die Mesoebene (soziale Gebilde und Interaktionssysteme, wie z.B. die Bezugsgruppe der Familie oder Peers) und 3. Mikroebene (Ebene der individuellen Akteure und des sozialen Handelns). Variablen verschiedener Analyseebenen (Makro-, Meso- oder Mikroebene) können nach dieser Integrationsmethode miteinander in Verbindung gesetzt werden, so dass ein Mehrebenenmodell entsteht, das möglichst alle Ebenen umfasst. Trotz der kritischen Auseinandersetzung bewertet Hirschi diese Integrationsform am positivsten: „Such effort should lead to greater explained variance because what were once considered unrelated processes may now be seen to bear on the same outcome“ (Hirschi 1979: 36).

115

Makroebene

Strukturmerkmale als zentrale Prädiktoren abweichenden Verhaltens Je desorganisierter das Wohnviertel, desto eher kommt der Jugendliche mit devianten Peers in Kontakt

Mesoebene

Gruppen als zentrale Prädiktoren abweichenden Verhaltens Je enger die Bindung an deviante Peers, desto eher übernimmt der Jugendliche nonkonforme Werte und Normen

Mikroebene

Individuelle Merkmale als zentrale Prädiktoren abweichenden Verhaltens Je intensiver nonkonforme Werte und Normen internalisiert werden, desto eher kommt es zu abweichendem Verhalten

Abbildung 7: Beispiel einer „up-and-down Integration“

Side-by-side-integration: Es ist nicht das Ziel der side-by-side Integration allgemein abweichendes Verhalten zu erklären, sondern die Prädiktoren konkreter Deliktformen (z.B. Gewaltdelikte, Einbruch) zu untersuchen. Diese Variante der theoretischen Integration bezieht sich auf die Verbindung verschiedener Theorien, die empirisch eine hohe Erklärungskraft hinsichtlich verschiedener Formen abweichenden Verhaltens haben. Dabei wird angenommen, dass die jeweiligen abhängigen Variablen zwei verschiedener Theorien einen Teilaspekt einer spezifischeren Form der Delinquenz erklären. Thematisiert zum Beispiel Theorie A die Entstehung gewalttätigen Handelns und Theorie B allgemein abweichendes Verhalten von Migranten, dann sollte von beiden Theorien erwartet werden, dass sie gemeinsam besser gewalttätiges Handeln von Migranten erklären können (vgl. Bernard und Snipes 1996: 308).

116

Theorie A

Abweichendes Verhalten von Migranten

Neue Theorie

Gewalttätiges Handeln von Migranten

Theorie B

Entstehung gewalttätigen Handelns

Abbildung 8: Beispiel einer „side-by-side Integration“

end-to-end integration: Variablen, die aus Hypothesen verschiedener Theorien abgeleitet werden, können in eine neue kausale Abfolge gebracht werden. Dabei verläuft die Anordnung der Hypothesen oft nach folgendem Muster: Die abhängige Variable von Theorie A ist die unabhängige Variable von Theorie B, es erfolgt eine Aneinanderreihung von Theorie A an B, so dass eine neue „Hypothesenkette“ entsteht.79 Zumeist bewegen sich die integrierten Theorien auf einer Erklärungsebene (Mikro-, Meso- oder Makroebene), können jedoch auch mehrebenenspezifisch konzipiert sein. Nach Jessor und Jessor (1973) ist diese Form der theoretischen Integration dann sinnvoll, wenn nach Variablen unterschieden wird, die einen direkten und einen indirekten Einfluss auf die abhängige Variable haben. Insbesondere sozialpsychologische Theorien, wie die Differential Association Theory, formulieren einen direkten Zusammenhang zwischen kognitiven Fähigkeiten und abweichendem Verhalten. Konträr betonen andere theoretische Strömungen, wie z.B. die Social Disorganisation Theory, den indirekten Einfluss verschiedener Umweltaspekte (z.B. demographische Veränderungen in der Bevölkerung, zunehmende soziale Mobilität etc.) auf deviantes Verhalten. Oft beziehen sich die intervenierenden Variablen dann auf den Einfluss der verschiedenen Sozialisationsagenten, wie die Schule, Familie oder Peers, die den Transfer von der Makroebene auf die Mirkoebene erklären sollen. Mit Messner et al. (1989: 9) kann jedoch festgehalten werden, dass viele dieser Ansätze nur unzureichend beschreiben, wie makrostrukturelle Bedingungen auf das individuell abweichende Verhalten wirken. Daher erscheint eine Verbindung von theoretischen Ansätzen, die intraindividuelle Handlungsmotivationen spezifizieren und solchen, die strukturelle Merkmale der gesellschaftlichen Ebene über Sozialisationsagenten herleiten, sinnvoll. „Such end-to-end

79 Als Beispiel einer end-to-end Integration siehe Edwards 1992.

117

sequences embed the psychological sate and day-to-day experiences the directly lead to deviance within the patterns of cultural and social structure which characterizes small and large scale social units; such end-to-end sequences also conceptualize these psychological states and day-to-day experiences as mediate in the effects of patterns of culture and social structure (Mesmer et al. 1989: 9). Ein populäres Beispiel in der kriminalsoziologischen Literatur ist die erweiterte Kontrolltheorie von Sampson und Laub (1993). Theorie A UV niedriger SES der Herkunftsfamilie

Theorie B AV Vielzahl Stressoren in der Familie

UV Vielzahl Stressoren in der Familie

AV enge Bindung an deviante Peers

UV = unabhängige Variable AV = abhängige Variable

Abbildung 9: Beispiel einer „end-to-end“ Integration

5.4

Integrative Modelle für die Erklärung des familialen Einflusses auf das Schulschwänzen

Die folgende empirische Analyse knüpft an die Kontrolltheorie Sampson und Laubs (1993) an. Diese Theorie verbindet die klassische Kontrolltheorie Hirschis (1969) mit verschiedenen Elementen anderer Theorien abweichenden Verhaltens, aber auch mit Elementen der Sozialisationsforschung. Innerhalb dieses Theoriegerüstes werden neue Hypothesenketten gebildet, in denen sozialisationstheoretische Elemente, wie die Ablehnung der Eltern gegenüber dem Kind oder die elterliche Kontrolle, als intervenierende Faktoren zwischen den familialen Strukturmerkmalen und der Delinquenz betrachtet werden. Damit steht sie exemplarisch für die end-to-end Integration und stellt innerhalb der Theorien abweichenden Verhaltens eine der, wenn nicht sogar die, detaillierteste Theorie für die Erklärung des familialen Einflusses auf abweichendes Verhalten dar. Neben der Kontrolltheorie Sampson und Laubs (1993) gibt es nur wenig alternative Theorien, die der Familie soviel Aufmerksamkeit als Ursache des abweichenden Verhaltens schenken. Eine Alternative wäre die schon mehrfach erwähnte Coercion Theorie Patterons (z.B. 1992). Diese kann jedoch aufgrund 118

der vorliegenden Datenlage nicht empirisch geprüft werden. Zu den zentralen Elementen der Coercion Theorie gehören ein geringes Selbstbewusstsein der Jugendlichen und Anzeichen von Depressivität. Beide Merkmale finden sich nicht in den zugänglichen Sekundärdaten, die für die Auswertungen zur Verfügung stehen. Daher wird in Anschluss an die empirische Überprüfung der Kontrolltheorie Sampson und Laubs (1993) eine eigene Theorie konstruiert, die auf der Anomietheorie Mertons (1968) basiert und um Elemente des sozialen und kulturellen Kapitals ergänzt wird. Die Integration der theoretischen Elemente lehnt sich analog zu Sampson und Laub (1993) an das Muster der end-to-end Integration an. Die Wahl, die Anomietheorie als Grundlage der theoretischen Modellierung zu verwenden, hat zwei Gründe. Einerseits ist es, wie in Kapitel 5 aufgeführt, kaum möglich, adäquat den Etikettierungsansatz oder die Lerntheorie zu prüfen. Die vorliegenden Daten beinhalten zudem keine Informationen, die eine auch nur annähernde Überprüfung zentraler Hypothese gewährleisten würden (z.B. Informationen über das abweichende Verhalten der Eltern, subjektiv wahrgenommene Stigmatisierungen). Andererseits bietet die Anomietheorie gute Integrationsmöglichkeiten. Gerade ihr Defizit, die mangelnde Auseinandersetzung mit der Frage, wie makrostrukturell bedingte Diskrepanzen von der vorgegebenen Zielen und der vorhandenen Mitteln an das Individuum weitergegeben werden, erlaubt es, verschiedene Instanzen, wie die Familie, als Erklärungsgröße einzubauen.

119

6

Die Kontrolltheorie nach Sampson und Laub

Das vorliegende Kapitel beginnt mit einer theoretischen Erörterung der sozialen Kontrolltheorie Sampson und Laubs (1993, Kap. 6.1). Hieran knüpft die Beschreibung des verwendeten Datensatze – der „MPI-Schulbefragung 1999“ – an (Kapitel 6.2), gefolgt von der Darstellung des methodischen Vorgehens (Kapitel 6.3) und den Operationalisierungen der abhängigen und unabhängigen Variablen (Kapitel 6.4 bis 6.8). In Kapitel 6.9 folgen die bivariaten und multivariaten Ergebnisse. In Anlehnung an Sampson und Laub (1993) wird das Modell um die Komponenten „Einfluss der Peers und der Schule“ erweitert. Die Ergebnisse werden in Kapitel 6.10 diskutiert.

6.1

Theoretische Grundlagen der Kontrolltheorie80

Die Forschungsliteratur, insbesondere die angloamerikanische, weist eine Vielzahl von Publikationen auf, in denen sowohl familiale Strukturmerkmale, wie z.B. die Familienkonstellation oder die Familiengröße, als auch innerfamiliale Komponenten, wie die Kommunikationsstrukturen oder das Interesse der Eltern am Kind, untersucht wurden. Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass familiale Effekte dabei je nach der Art des delinquenten Verhaltens durchaus variieren können (z.B. Nye 1958, Rankin 1983). Charakteristisch für das Forschungsfeld zum abweichenden Verhalten von Jugendlichen war lange Zeit die getrennte Betrachtung der Wirkung familialer Strukturmerkmale und innerfamilialer Komponenten (Lösel und Linz 1975, Rosen 1985). Mit den Worten Rosens löste sich die „structure versus function controversy“ (1985: 553) Mitte der 1950er Jahre langsam auf, da durch die Arbeiten von Glueck und Glueck (1950) sowie Nye (1958) nachgewiesen werden konnte, dass es zwischen beiden Merkmalsgruppen relevante Zusammenhänge gibt. Es waren insbesondere Vertreter der

80 Teile der theoretischen Ausarbeitung wurden in dem Artikel: Wagner, Dunkake und Weiß, 2004: Schulverweigerung. Empirische Analysen zum abweichenden Verhalten von Schülern. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 56: 457-489 sowie in dem Buch „Schulabsentismus: Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis (Wagner 2007, vgl. auch Dunkake 2007b) publiziert.

121

Kontrolltheorie, die der Frage nachgingen, welchen Einfluss die Familie auf die Delinquenzentwicklung hat und wie verschiedene familiale Merkmale miteinander zusammenhängen. Das starke Interesse an der Familie resultiert aus der kontrolltheoretischen Annahme, dass die Bindung zu primären Bezugspersonen – wie den Familienmitgliedern – eine entscheidende Rolle für die Ausbildung konformer oder abweichender Normen und Werte spielt. Von den Kontrolltheoretikern war es neben Reiss (1951) und Nye (1958)81 vor allem Hirschi (1969), der nachdrücklich auf den Einfluss der Familie verwies und sie als zentrale Kontrollinstanz in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte. In seinem 1969 publizierten Werk „Causes of Delinquency“ entwickelt Hirschi die Annahme, dass ein wesentliches Moment konformen Verhaltens das Ausmaß der Bindung des Individuums an die Gesellschaft ist. Diese Bindung (social bond) wird über vier Komponenten hergestellt, die jeweils bei den Institutionen Familie, Schule und Peers anknüpfen: 1) der emotionalen Bindung an Bezugspersonen (attachment to meaningful persons), 2) der Investition in konventionelle Lebensziele (commitment to conventional activities), 3) der Einbindung in konventionelle Tätigkeiten (involvement in conventional activities) und 4) dem Ausmaß der Orientierung an konventionellen Werten und Normen (belief in social rules). Von diesen vier Dimensionen verknüpft Hirschi (1969) vor allem die emotionale Bindung mit dem familialen Kontext. Die Intensität der Beziehung zu den Eltern ist grundlegend für das Ausmaß der Internalisierung konventioneller Normen und Werte oder, wie Hirschi betont, der „moralischen“ Werte (Hirschi 1969: 11), da sie in der primären Sozialisation noch vor dem Einfluss der Peers oder der Schule wirkt. Um die Relevanz der Bindung an die Eltern zu unterstreichen, greift Hirschi (1969: 88) auf ein psychologisches Motiv zurück: die indirekte Kontrolle. Ist die Bindung eng, dann sind die Eltern beziehungsweise ihre (gedanklichen) moralischen Vorwürfe in einem Moment, in dem der Jugendliche in der Versuchung ist, eine delinquente Handlung auszuführen, präsent und können diesen Akt verhindern. Die (fiktive) elterliche Verurteilung einer delinquenten Handlung wirkt somit kontinuierlich als „schlechtes Gewissen“. Im Gegensatz zu der indirekten Kontrolle schreibt Hirschi der direkten Kontrolle eine geringe Bedeutung zu. Die direkte Kontrolle umfasst in Anlehnung an Nye (1958: 5f.) negative Sanktionen, die von Personen oder Institutionen aufgrund des abweichenden Verhaltens ausgeführt werden. Die An81 Auf Nye (1958: 6f.) ist die mittlerweile übliche Differenzierung zwischen indirekter und direkter Kontrolle zurückzuführen. Direkt wirkt der Einfluss der Eltern, indem abweichendes Verhalten sanktioniert wird (Nye 1958: 5). Die indirekte Kontrolle beruht auf einer emotionalen Identifikation mit den Eltern und anderen (nichtkriminellen) Bezugspersonen. Aufgrund der emotionalen Nähe zu den Bezugspersonen sind die Akteure bemüht, diesen „zu gefallen“ und „ihnen keine Schande zu machen“ (Nye 1958: 6).

122

nahme, dass die direkte Kontrolle keinen oder nur einen geringen Einfluss auf das abweichende Verhalten hat, ist mittlerweile durch eine Vielzahl empirischer Studien widerlegt (z.B. Patterson und Stouthamer-Loeber 1984, Patterson et al. 1992).82 Neben diesem eher psychologischen Aspekt spielt auch der Zeitfaktor eine Rolle. Kinder und Jugendliche, die eine enge Bindung an ihre Eltern haben, verbringen nach Hirschi mit diesen mehr Zeit und haben daher seltener die Gelegenheit, delinquente Handlungen auszuführen (1969: 88). Im Jahr 1993 greifen Sampson und Laub in ihrem Werk „Crime in the Making“ – eine Reanalyse der Studie „Unraveling Delinquency“ von Glueck und Glueck83 (1950) – wesentliche Annahmen Hirschis (1969) auf und ergänzen die bis dato bestehende Kontrolltheorie um zwei Aspekte: Zum einen überwinden sie die bei den klassischen Kontrolltheorien übliche Trennung von soziodemographischen und sozialisationsbedingten Einflüssen, indem sie die Beziehung zwischen diesen beiden Merkmalsgruppen betrachten (Sampson und Laub 1993: 19). Zum anderen entwickeln sie ein Modell, das auf die altersspezifische Bedeutung der jeweiligen Sozialisationsagenten eingeht. Aus ihrer Perspektive variieren die Institutionen der indirekten sozialen Kontrolle mit den verschiedenen Lebensabschnitten. In der Kindheit und Adoleszenz sind die zentralen Bezugspersonen in der Familie, der Schule und unter den Peers zu finden. Im Erwachsenenalter hingegen sind der Partner und das berufliche Umfeld dominant (Sampson und Laub 1993: 17). Der Lebenslauf wird somit als Entwicklungspfad im Sinne einer Abfolge von Rollenzuschreibungen und Rollenübergängen (transitions) definiert. Durch die Berücksichtigung der altersspezifischen Einflussnahme verschiedener Sozialisationsagenten greifen Sampson und Laub auf die von Elder (1985) sowie Caspi und Bem (1990) entwickelte Idee einer „agegraded-theory“ zurück und knüpfen an die entwicklungsorientierte Kriminologie an, wie sie schon von Loeber und LeBlanc (1990) gefordert wurde. Das Modell Sampsons und Laubs (1993) ist nicht nur als entwicklungsdynamisch zu bezeichnen, sondern auch als integrativ, da es sich aus verschiedenen theoretischen und empirischen Komponenten zusammensetzt. Im Sinne der Diskussion um integrative Modelle, wie sie eigens in der angloamerikanischen 82 Neben der Bedeutsamkeit der engen Bindung zwischen Kind und Eltern zeigt sich in mehreren Studien, dass auch die emotionale Bindung der Eltern zueinander das Delinquenzrisiko beeinflussen kann (z.B. Glueck und Glueck 1950, Nye 1958). 83 Die Studie Gluecks und Gluecks „Unraveling Juvenile Delinquency“ zählt zu den bekanntesten und einflussreichsten Studien zum Thema Jugenddelinquenz. Sie basiert auf den Angaben von 500 delinquenten Jugendlichen und einer Vergleichsgruppe von 500 nicht-delinquenten Jugendlichen, die in Boston leben. Beide Gruppen sind hinsichtlich der Merkmale Alter, Geburtsort der Eltern, Nachbarschaft und Intelligenz identisch. Die erste Phase der Datenerhebung begann im Jahr 1949; zu diesem Zeitpunkt waren die Jugendlichen zwischen 14 und 15 Jahre. Es folgten zwei Nachbefragungen in den Jahren 1958 und 1965.

123

Kriminalsoziologie geführt wird (vgl. z.B. Messner, Krohn und Liska 1989), handelt es sich um eine end-to-end Integration (vgl. Kapitel 5.3.2). Dabei werden Variablen aus Sätzen, die aus verschiedenen Theorien abgeleitet sind, in eine neue kausale Abfolge gebracht. Die Struktur des Modells setzt sich aus drei Blöcken zusammen: 1) familiale Strukturmerkmale, 2) Merkmale der Bindungsqualität zwischen Eltern und Kind sowie Erziehungsmerkmale (innerfamiliale Komponenten) und 3) abweichendes Verhalten, in unserem Fall das häufige Schulschwänzen (vgl. Abbildung 10). Die Beziehung zwischen diesen drei Merkmalsgruppen wird als kausale Beziehung gesehen (dargestellt durch die Pfeile), in dem Sinn, dass die Strukturmerkmale einen Einfluss auf die innerfamilialen Merkmale haben und diese wiederum das Ausmaß des abweichenden Verhaltens beeinflussen.

Strukturmerkmale

Innerfamiliale Merkmale

Abweichendes Verhalten

Abbildung 10: Struktur des theoretischen Modells nach Sampson und Laub

Hinsichtlich der Strukturmerkmale kann nicht von einer theoretischen Herleitung gesprochen werden, da diese aus den Ergebnissen der Studie Gluecks und Gluecks (1950: 93-107) abgeleitet sind, welche ihrerseits nicht auf theoretischen Prämissen beruht – ein Umstand, der bei vielen Wissenschaftlern auf Kritik gestoßen ist (z.B. Elliott, Huizinga und Ageton 1985). Glueck und Glueck identifizierten in ihrer 1950 publizierten Studie „Unraveling Delinquency“ verschiedene Strukturmerkmale, die einen positiven Einfluss auf die Delinquenzentwicklung Jugendlicher nehmen.84 Hierzu zählen die Wohnverhältnisse, eine große Geschwisteranzahl, die Trennung der Eltern, ein Wohnortwechsel, ein familialer Migrationshintergrund, die Berufstätigkeit der Mutter, ein niedriger sozioökonomischer Status der Eltern und das abweichende Verhalten der Eltern (Glueck und Gleuck 1950: 91f.). Im Gegensatz zu der atheoretischen Herleitung der Strukturmerkmale in der Studie von Glueck und Glueck (1950), leiten Sampson und Laub (1993) die Bindungsqualität und die Erziehungsmerkmale aus den drei folgenden theoretischen Konzepten und den Ergebnissen einer Meta-Analyse her: 84 Neben diesen sozialstrukturellen Merkmalen richteten Glueck und Glueck (1950: 108ff.) ihr Augenmerk auch auf innerfamiliale Komponenten, wie die Beziehungsqualität zwischen den Eltern, die Kontrolle beziehungsweise Supervision der Mutter, das Dominanzverhalten der Eltern oder den familialen Zusammenhalt.

124

1.

der klassischen Kontrolltheorie (Nye 1958, Hirschi 1969)

2.

der Coercion Theorie Pattersons (z.B. 1982, 1986, 1988)

3.

der Theorie des „Reintegrative Shaming“ (Beschämungstheorie) Braithwaites (1989) und

4.

der Meta-Analyse Loebers und Stouthamer-Loebers (1986).

Zentral ist die schon erwähnte enge Anbindung an Hirschis (1969) Konzept der emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kind (attachment), welches primär die indirekte Form der elterlichen Kontrolle betont (klassische Kotnrolltheorie). Ergänzend dazu hebt Patterson (z.B. 1982) in der „Coercion Theorie“ die direkte Kontrolle hervor. Zur Erklärung abweichenden Verhaltens entwirft er ein mehrstufiges Modell, das den Einfluss verschiedener Sozialisationsinstanzen auf die Entwicklung des Individuums beschreibt. Auf der ersten Stufe wird der Effekt mehrerer familialer Faktoren analysiert, die delinquentes Verhalten begünstigen. Dabei betrachtet Patterson neben soziodemographischen Merkmalen vor allem verschiedene Dimensionen des Erziehungsstils. Im Mittelpunkt dieser Analyse steht die Wirkung einer niedrigen Supervision und eines inkonsistenten Disziplinierungsstils (Patterson et al. 1992: 11). Niedrige Supervision liegt dann vor, wenn die Eltern nicht wissen, wo sich das Kind aufhält, mit wem es Zeit verbringt, welchen Aktivitäten es nachgeht oder wann es zu Hause ist. Charakteristisch für einen inkonsistenten Disziplinierungsstil ist das „scolding and nagging about relatively trivial matters and threatening to use punishment without following through“ (Patterson et al. 1992: 11). Auch Braithwaite (1989) betont in der Theorie des „Reintegrative Shaming“ die Rolle des Disziplinierungsstils. Verwenden die Eltern im Erziehungsprozess ein System konsistenter, negativer Sanktionen, die jedoch nicht gewalttätig oder willkürlich sind, dann kann dies – bei einer gleichzeitig gegebenen engen emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kind – das Gefühl der Scham auslösen und zukünftige Delinquenz verhindern. In diesem Sinn erfüllt die Sanktion die Aufgabe, das Individuum auf der Basis eines Schamgefühls an die konventionellen Normen und Werte der Gesellschaft zu binden.85 Neben der theoretischen Herleitung aus den Modellen Hirschis, Pattersons und Braithwaites beziehen sich Sampson und Laub zusätzlich auf die Ergebnisse der 1986 publizierten Meta-Analyse Loebers und Stouthamer-Loebers zum

85 Das Gegenstück zum „Reintegrativen Shaming“ ist die Stigmatisierung, die nicht auf die Reintegration des Individuums in die Gesellschaft abzielt, sondern lediglich über die Sanktion die Etikettierung des Delinquenten forciert. Eltern, die ihren Kindern mit großer Distanz gegenübertreten, extrem autoritär sind, harte und gewalttätige Bestrafungen anwenden, fördern diesen Stigmatisierungsprozess und langfristig die dauerhafte Entwicklung abweichenden Verhaltens.

125

Thema Familie und Delinquenz (Loeber und Stouthamer-Loeber 1986: 40). Insgesamt identifizieren sie vier Dimensionen, die maßgeblich Einfluss auf die Entstehung abweichenden Verhaltens nehmen: 1.) Vernachlässigung durch die Eltern, hier insbesondere eine geringe Interaktion zwischen Eltern und Kind sowie eine niedrige Supervision (neglect paradigm), 2.) Konflikthafte Beziehung zwischen Eltern und Kind, primär ausgedrückt in einem inkonsistenten und/oder einem gewalttätigen Disziplinierungsstil sowie einem feindlichen Verhalten gegenüber dem Kind (conflict paradigm), 3.) Devianz der Eltern, hierzu zählt unter anderem auch ein starker Drogenkonsum und 4) die Qualität der elterlichen Beziehung untereinander wie auch die Abwesenheit eines Elternteils (disruption paradigm). Zusammengefasst ist die Theorie Sampson und Laubs (1993) von folgenden theoretischen Elementen beeinflusst: Strukturmerkmale

(Glueck und Glueck 1950)

Innerfamiliale Komponenten

Emotionale Bindung Physische Gewalt Ablehnung durch die Eltern

Direkte Kontrolle

Hirschi (1969) Patterson (z. B. 1982) “Coercion Theorie”; Braithwaite (1989) „Reintegrative Shaming“; Loeber und StouthamerLoeber (1986) „MetaAnalyse“

Abbildung 11: Theoretische Einflussgrößen auf die Kontrolltheorie nach Sampson und Laub

Die durch die theoretischen Vorläufer identifizierten vier innerfamilialen Komponenten (emotionale Bindung an die Eltern, physische Gewalt, Ablehnung durch die Eltern und eine geringe [direkte] elterliche Kontrolle), werden nach Sampson und Laub zum Bindeglied zwischen den Strukturmerkmalen und dem abweichenden Verhalten des Kindes oder Jugendlichen. Der Gedanke der kausalen Beziehung zwischen familialen Strukturmerkmalen und innerfamilialen Komponenten ist nicht neu. So fanden Glueck und Glueck bereits 1957, dass die Berufstätigkeit der Mutter sowohl einen negativen Einfluss auf die emotionale Bindung zu den Kindern als auch auf die Supervision hat – dies vor allem bedingt durch den mit der Berufstätigkeit einhergehenden Zeitmangel – und damit abweichendes Verhalten bei den Kindern hervorrufen kann. Obwohl nur für einige Strukturmerkmale und innerfamiliale Komponenten die kausalen Zu126

sammenhänge beschrieben werden, postulieren Sampson und Laub für alle Strukturmerkmale einen Effekt über die innerfamilialen Komponenten auf das abweichende Verhalten. Leider werden nur wenige Hypothesen exemplarisch erörtert (Sampson und Laub 1993: 70), so dass dem Leser nicht immer einsichtig ist, wie und warum die sozialstrukturellen Merkmale über die innerfamilialen Komponenten auf das abweichende Verhalten wirken. Um diese unpräzise Herleitung der Hypothesen zu überwinden, wird hier bei der Erörterung der Zusammenhänge zwischen Strukturmerkmalen, innerfamilialen Komponenten und abweichendem Verhalten auf Studien zurückgegriffen, die diese Beziehungen detaillierter darstellen. Soweit es die sozialen Kontrolltheorien erlauben, werden aus dieser Perspektive die kausalen Beziehungen zwischen den jeweiligen familialen Strukturmerkmalen und Erziehungskomponenten skizziert. Solche Annahmen bestehen jedoch nur für wenige Zusammenhänge (z.B. die Beziehung zwischen der Trennung der Eltern und der direkten Kontrolle). Alternativ kann jedoch auf Erklärungsansätze der Erziehungsstilforschung und der Deprivationstheorie zurückgegriffen werden, die explizit auf verschiedene Beziehungen zwischen familialen Strukturmerkmalen und innerfamilialen Komponenten eingehen; eine Erklärungsalternative, auf die Sampson und Laub selbst in ihrem Aufsatz „Urban Poverty and the Family: A new Look at Structure and Process in a Classic Study“ (1994) verweisen.

Trennung der Eltern und Tod eines Elternteils Subsumiert unter dem Begriff einer „zerstörten Familienstruktur“ – analog wird auch der Begriff des „Broken Home“ verwendet – gehen zahlreiche Studien der Frage nach, ob der Verlust eines Elternteils oder beider Eltern abweichendes Verhalten begünstigt (z.B. Shaw und McKay 1932, Rosen und Neilson 1978, Wells und Rankin 1986; Wells und Rankin 1991). Aus kontrolltheoretischer Perspektive wird angenommen, dass die Internalisierung von (konventionellen) Normen und Werten beim Kind mit der emotionalen Bindung an die Eltern korrespondiert: Je enger die Bindung zwischen den beiden Generationen, desto intensiver werden konforme Verhaltensweisen verinnerlicht und desto geringer ist die Gefahr des abweichenden Verhaltens. Ist die Familie unvollständig, dann kann sie die Funktion der Vermittlung konventioneller Normen und Werte nur begrenzt erfüllen. Letztlich impliziert dieses Argument, dass ein Elternteil nicht in der Lage ist, die Aufgaben und Funktionen des fehlenden Partners im Erziehungsprozess zu kompensieren und daher eine höhere Wahrscheinlichkeit der Internalisierung abweichender Normen beim Kind besteht. Neben dem Aspekt der Transmission eines konventionellen Normen- und Wertesystems fungiert die 127

Familie darüber hinaus auch als „Puffer“ (Albrecht, Howe und Wolterhoff 1991: 113), indem sie direkt eingreift bzw. sanktioniert, wenn das Kind auffällige Verhaltensweisen zeigt und/oder die Regeln nicht befolgt (vgl. auch Matsueda 1982; Wells und Rankin 1991).86 Sind beide Elternteile anwesend, dann können sie einerseits eine stärkere Kontrolle über das Kind ausüben und andererseits – unter der Voraussetzung des gegenseitigen Einverständnisses – konsequenter Sanktionen umsetzen. Bis auf die Thematisierung der „Supervision“ und der „Identifikation mit den Werten und Normen der Eltern“ als Mediatorenvariablen zwischen einer unvollständigen Familienstruktur und delinquentem Verhalten finden sich jedoch im Bereich der sozialen Kontrolltheorie keine weiteren Erklärungen. Um den Einfluss einer zerstörten Familienstruktur auf die Gewalttätigkeit, die Bindungsintensität und Ablehnung der Eltern herzuleiten, kann alternativ auf die Familienstress- oder Familienkonflikttheorie (Amato und Keith 1991, Wells und Rankin 1991) und die sozioökonomische Deprivationstheorie (z.B. Short und Nye 1968, Albrecht, Howe und Wolterhoff 1991) zurückgegriffen werden. Nach der Familienstresstheorie wird angenommen, dass die Trennung bzw. der oftmals vorhergehende Konflikt zwischen den Eltern ein Ereignis ist, welches einen negativen Einfluss auf das Familienklima, den Erziehungsstil der Eltern und daraus resultierend ebenfalls auf die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind hat. Die Trennung wird insofern als psychischer Stressor definiert, der – im Fall einer schlechten Copingstrategie der Eltern – zu negativen Verhaltensveränderungen, wie einer zunehmenden Gewalttätigkeit oder Ablehnung gegenüber dem Kind, führt. Dass die Trennung der Eltern einen negativen Einfluss auf die Bindungsqualität, die Supervision sowie die Partizipation der Eltern am Alltag des Kindes hat, konnten z.B. Glueck und Glueck (1950), Hetherington, Cox und Cox (1982), Dornbusch et al. (1985), Amato und Keith (1991) sowie Booth und Amato (1994) nachweisen. Zudem konstituieren Martin und Walters (1982) einen positiven Zusammenhang zwischen dem Status eines alleinerziehenden Elternteils und einer zunehmenden Gewaltbereitschaft gegenüber dem Kind. 86 Entsprechend dieser Annahme, ist davon auszugehen, dass das Risiko abweichenden Verhaltens durch die Wiederheirat des Elternteils reduziert werden kann, da somit die Funktionalität der Familie wieder hergestellt ist. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt dagegen, dass gerade Kinder, die mit Stiefeltern aufwachsen, häufig zu abweichendem Verhalten neigen (Peterson und Zill 1986, Amato und Keith 1991). Hirschi (1969) hingegen präzisiert diese Annahmen. Aus seiner Perspektive kann nur dann von einem negativen Zusammenhang zwischen dem Fehlen eines Elternteils, innerfamilialen Komponenten (wie Supervision, Identifikation mit den Eltern und intimer Kommunikation) und delinquentem Verhalten ausgegangen werden, wenn die Bindung zu dem vorhandenen Elternteil schwach ausgeprägt ist. Im Fall einer positiven Bindung kann ein Elternteil die Funktionen des abwesenden Elternteils kompensieren.

128

Aus dem Blickwinkel der Deprivationstheorie stehen die ökonomischen Folgen einer Trennung im Mittelpunkt. Durch die damit oft einhergehende Verringerung des Einkommens verschlechtert sich für die alleinerziehenden Eltern die ökonomische und soziale Situation. Dies kann einerseits die Konsequenz haben, dass Alleinerziehende dazu gezwungen sind, einer Berufstätigkeit nachzugehen und damit weniger Zeit für Ihre Kinder haben, sie die Freizeitaktivitäten und schulischen Geschehnisse kaum noch kontrollieren können und schließlich auch die Beziehungsqualität zwischen beiden Parteien leidet. Andererseits werden die ökonomischen Restriktionen, die aus einer Trennung resultieren, selbst – ähnlich der Familienstresstheorie – als Belastungsmoment verstanden, das die Beziehungsqualität zwischen dem Elternteil und dem Kind auf verschiedenen Ebenen (Kontrolle, emotionale Bindung, Partizipation am Alltag des Kindes) beeinflusst (McLanahan und Booth 1989: 566f.). Ähnliches gilt für die Folgen der Eltern-Kind Beziehung nach dem Tod eines Elternteils. Allerdings weisen viele Studien darauf hin, dass das Delinquenzrisiko bei Kindern mit verstorbenen Elternteilen geringer ist als bei Trennungs- oder Scheidungskindern (z.B. Glueck und Glueck 1950; Amato und Keith 1991).

Sozioökonomischer Status Mit der Beziehung zwischen dem sozioökonomischen Status der Eltern und den innerfamilialen Komponenten hat sich die schichtspezifische Sozialisationsforschung in den 1960er und 1970er Jahren beschäftigt (z.B. Fend 1969, Bernstein 1975, vgl. auch Kapitel 3.2.2). Angenommen wurde, dass Angehörige der unteren sozialen Schicht, insbesondere der Arbeiterschicht, im Erziehungsprozess besonders die Bedeutsamkeit des Gehorsams betonen. Andere Akzente setzen Eltern der Mittel- und Oberschicht. Die Erziehungspraktiken zielen darauf ab, den Kindern Unabhängigkeit und Eigenständigkeit beizubringen. Eine Ursache dieser schichtspezifischen Erziehungsmethoden vermutet Kohn (1969) in den für die Berufstätigkeit der Eltern wichtigen Verhaltenskodizes. Neben den Arbeiten der schichtspezifischen Sozialisationsforschung findet man in der familiensoziologisch und entwicklungspsychologisch orientierten Literatur eine Reihe von Abhandlungen, die sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit der soziale Status der Eltern die Erziehungspraktiken prägt. Im Gegensatz zu der schichtspezifischen Sozialisationsforschung wird nicht der Berufsstatus und -habitus als zentral erklärende Variable unterschiedlicher Erziehungsstile betrachtet, sondern die sozioökonomische Deprivation an sich wird als Belastungsmoment definiert, das sich negativ auf die psychische Stabilität der Eltern und damit auch auf die Qualität der Erziehungsmaßnahmen aus129

wirkt. Insbesondere Patterson et al. (1992) betrachten im Kontext der Coercion Theorie den Zusammenhang von verschiedenen soziodemographischen Merkmalen und den Erziehungsstilen, die wiederum als Ursache des dissozialen Verhaltens beim Kind angesehen werden. Eltern mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, die häufiger unter Stresssymptomen leiden, neigen verstärkt zu harten und inkonsistent angewandten Sanktionen; dies begünstigt abweichendes Verhalten beim Kind (Patterson, DeBaryshe und Ramsey 1989). Ähnliches gilt für elterliche Disziplinierungsmaßnahmen (Larzelere und Patterson 1990): Je niedriger der sozioökonomische Status der Eltern, desto inkonsistenter die Disziplinierungsmaßnahmen und desto höher das Delinquenzrisiko des Kindes. Elder und Caspi (1988) kommen zu dem Ergebnis, dass in Zeiten familialer ökonomischer Repression die Interaktion zwischen Eltern und Kindern durch eine hohe Aversion charakterisiert ist und gleichzeitig die Kontrolle der Eltern abnimmt. In ihrer Analyse von etwa 600 Schülern (9. bis 12. Klasse) im mittleren Westen der USA können Lempers, Clark-Lempers und Simons (1989) einen indirekten, positiven Zusammenhang zwischen der ökonomischen Deprivation der Eltern – über einen inkonsistenten Erziehungsstil – auf das abweichende Verhalten der Kinder nachweisen. Sowohl McLoyd (1990) als auch Bolton und Laner (1981) sowie Caplan et al. (1984) resümieren, dass Eltern, die einen niedrigen sozioökonomischen Status innehaben, eher zu autoritären Erziehungsformen neigen, die durch Gewalttätigkeit, Inkonsistenz und Ablehnung gekennzeichnet sind. Analog zu den vorhergehenden Ausführungen kann angenommen werden, dass ein niedriger soziökonomischer Status der Eltern eine niedrige Supervision, eine geringe emotionale Bindung, gewalttätiges Handeln der Eltern und die Ablehnung des Kindes fördert.

Kinderzahl Zum einen wird die Kinderzahl im Kontext der Deprivationstheorie häufig selbst als Indikator einer sozioökonomischen Deprivation betrachtet, da mit zunehmender Kinderzahl auch die finanzielle Belastung der Familie wächst (z.B. Wagner, Schubert und Schubert 1985). Negative finanzielle Folgen hat eine große Kinderzahl demnach vor allem für Familien, deren Haushaltseinkommen niedrig ist, da sie den finanziellen Mehraufwand nur schlecht auffangen können. Entsprechend der angenommenen engen Korrespondenz zwischen der Kinderzahl und dem sozioökonomischen Status werden keine expliziten Annahmen über die Auswirkungen der Familiengröße auf den Erziehungsstil getroffen, sondern die Thesen übernommen, die schon im vorhergehenden Abschnitt über den sozioökonomischen Status erläutert wurden. 130

Zum anderen wird in Anlehnung an die Idee des Teilungsprinzips vermutet, dass bei steigender Kinderzahl die Eltern weniger Ressourcen – in Form von Zeit und Zuwendung – für jedes einzelne Kind zur Verfügung haben und sich dieser Mangel positiv auf die Adaption abweichenden Verhaltens auswirkt. Empirische Bestätigung findet diese Annahme in den Studien von Nye (1958), Hirschi (1969), Rutter, Giller und Hagell (1998), Agnew (2001) und Bègue und Rochè (2005), die einen positiven Zusammenhang zwischen einer hohen Kinderzahl und einer niedrigen elterlichen Kontrolle sowie einer strengen Disziplinierung finden. Nye (1958) postuliert darüber hinaus, dass in Großfamilien die Aufmerksamkeit gegenüber jedem einzelnen Kind abnimmt und die Intensität der emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kindern schwächer ist als in Kleinfamilien. In Ergänzung dazu konnten Nye, Carlson und Garrett (1970) einen positiven Zusammenhang zwischen der Kinderzahl und der Anwendung harter Sanktionen nachweisen. Bartow (1961) findet mit steigender Kinderzahl einen verstärkt auftretenden autoritären Erziehungsstil der Eltern; ähnliches berichten Martin und Walters (1982): Kinder aus Großfamilien werden demnach häufiger von ihren Eltern abgelehnt.

Migrationshintergrund Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Migrationsstatus und Erziehungspraktiken baut vornehmlich auf zwei Argumentationen auf: Erstens wird angenommen, dass Migrantenfamilien ihre Kinder nach den kulturspezifischen Mustern ihres Herkunftslandes erziehen und sich diese Erziehungspraktiken von denen in der neuen Lebensumgebung unterscheiden (Garcia-Coll et al. 1996). In diesem Kontext kann es bei Migrantenfamilien aufgrund des Minoritätsstatus in der Aufnahmegesellschaft zu „Verstärkungsprozessen“ kommen, in dem Sinn, dass kulturspezifische Werte und Normen noch intensiver im Erziehungsprozess vermittelt werden als bei Familien in der Heimat. Zweitens sind Familien mit einem Migrationshintergrund oft sozioökonomischen Restriktionen ausgesetzt, die z. T. auf Sprachschwierigkeiten, ein niedriges Bildungsniveau, aber auch auf Etikettierungsprozesse zurückzuführen sind. Ergebnisse der schichtspezifischen Sozialisationsforschung zeigen, dass Eltern von Migrantenfamilien vornehmlich Erziehungsstile praktizieren, die als charakteristisch für die soziale Unterschicht betrachtet werden (z.B. weniger Autonomievermittlung). So vermuten GarciaColl (1990) und Hofferth (2003), dass afroamerikanische Eltern, die in den Vereinigten Staaten leben, eine stärkere Kontrolle und weniger emotionale Zuwendung gegenüber ihren Kindern artikulieren als Eltern mit einem anderen kulturellen Hintergrund – nicht weil sie weniger Emotionen für ihre Kinder 131

haben – sondern weil sie mit diesen Verhaltensweisen die Kinder auf eine soziale Umwelt vorbereiten, die als „feindlich“ und „hart“ empfunden wird. Für die in Deutschland ansässigen Familien gibt es wenige theoretische Abhandlungen und empirische Studien, die sich mit der Frage des Zusammenhangs zwischen Migrationsstatus und Erziehungsstil beschäftigen. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Arbeiten Naucks (1994, 2000), der auf Basis der Rational-Choice Theorie mögliche Unterschiede in der Erziehung zwischen deutschen Eltern und Eltern mit Migrationshintergrund, wie z.B. griechischen, italienischen und türkischen, untersucht, jedoch für viele Erziehungsmerkmale (z.B. Empathie der Eltern oder Fürsorge) keine nennenswerten Differenzen zwischen Familien verschiedener nationaler Herkunft findet.

Wohnortwechsel Ein häufiger Wohnortwechsel wird in vielen Studien – wie schon bei Glueck und Glueck (1950: 155) – als Indikator für eine schwache Anbindung an die soziale Umwelt betrachtet. Auch Coleman (1988) weist darauf hin, dass ein Umzug, soweit er nicht in direkter Nachbarschaft stattfindet, die Aufgabe bestehender sozialer Netzwerke bzw. den Aufbau neuer sozialer Netzwerke bedingt. Eltern und Kinder werden aus ihrem bekannten sozialen Umfeld herausgerissen und müssen die Beziehungen zu Freunden, Lehrern, Nachbarn etc. wieder neu aufbauen. Damit einhergehend verlieren sie einerseits die Ressourcen, die sie aus Beziehungen am Herkunftsort ziehen konnten und sind andererseits noch nicht in der Lage, neue Ressourcen aus den gerade erst entstehenden Beziehungen am neuen Wohnort zu nutzen. Nach Hirschi (1969) und Sampson (1997) leidet insbesondere die soziale Kontrollfunktion der Eltern unter dem Verlust alter sozialer Netzwerke. Auf die Informationen und Unterstützung vertrauter Netzwerkpersonen kann nicht zurückgegriffen werden. Darüber hinaus – so Sampson (1997) – führt ein Umgebungswechsel zu einer Anbindung des Kindes an neue Peers, die den Eltern nicht bekannt sind. Je weniger die Eltern die Peers und auch die Eltern der Peers kennen, desto geringer ist ihre soziale Kontrolle und desto höher die Wahrscheinlichkeit der Anbindung an deviante Peers. Ferner kann in Anlehnung an die Familienstresstheorie angenommen werden, dass die an den Umzug gekoppelten neuen Orientierungsprozesse die emotionale Beziehung zwischen Eltern und Kindern belasten und zu Auseinandersetzungen führen. Zu den wenigen Studien, die prüfen, ob familiale Komponenten eine vermittelnde Funktion zwischen dem Umzug der Familie und dem abweichenden Verhalten der Jugendlichen einnehmen, zählt die Studie Haynies und Souths (2005). Zwar finden sie direkte signifikante Effekte sowohl des 132

Umzuges (positiver Effekt) als auch der familialen Komponente „Qualität der Eltern-Kind-Beziehung“ (negativer Effekt) auf das weichende Verhalten, doch letztlich besteht kaum eine Beziehung zwischen dem Umzug und der ElternKind-Beziehung, so dass die familiale Komponente keinen vermittelnden Funktion hat (Haynie und South 2005: 373). Häufiger als indirekte Zusammenhänge konnten direkte Effekte zwischen der Anzahl familialer Umzüge und verschiedenen Formen des abweichenden Verhaltens (z.B. Hoffmann und Johnson 1998) und schlechten Schulleistungen (z.B. Pribesh und Downey 1999) gefunden werden.

Berufstätigkeit der Mutter Der Berufstätigkeit der Mutter wird aus kontrolltheoretischer Perspektive – analog zu dem negativen Einfluss einer unvollständigen Familienstruktur – eine Vielzahl negativer Effekte auf die Entwicklung des Kindes unterstellt. Kamen Glueck und Glueck (1950) zu dem Ergebnis, dass Kinder, deren Mütter berufstätig sind, häufiger delinquente Verhaltensweisen aufweisen als Kinder, deren Mütter nicht berufstätig sind, konnten diese Ergebnisse in einem Aufsatz aus dem Jahr 1957 präzisiert werden. Es zeigte sich, dass nicht nur die Berufstätigkeit der Mutter an sich, sondern insbesondere eine unregelmäßige Berufstätigkeit das Delinquenzrisiko der Kinder erhöhte. Die Berufstätigkeit – ob regelmäßig oder unregelmäßig – schränkt demnach die Intensität der Supervision stark ein (Glueck und Glueck 1957: 331). Diese These wurde auch von Maccobby (1958) in ihrer Reanalyse der Daten Gluecks und Gluecks erhärtet. Mütter, die aufgrund der Berufstätigkeit abwesend sind, können nicht in gleicher Weise die Tätigkeiten der Kinder kontrollieren wie Mütter, die den Großteil des Tages mit ihrem Nachwuchs verbringen. In Anlehnung an die sozialisationstheoretische Perspektive wird darüber hinaus postuliert, dass aufgrund der relativ geringen gemeinsam verbrachten Zeit die Bindungsqualität zwischen Mutter und Kind nur schwach ausgeprägt ist und es zu einer verstärkten Ablehnung und zu Streitereien kommt. Gewalttätigkeit und Berufstätigkeit wurden bisher kaum untersucht, so dass eine Aussage über diesen Zusammenhang nicht gemacht werden kann. Die in den 1950er und 1960er Jahren bestehende kontrolltheoretische These des positiven Einflusses der mütterlichen Berufstätigkeit auf das Delinquenzrisiko des Kindes konnte in nachfolgenden Studien mittlerweile mehrfach widerlegt werden (z.B. West und Farrington 1973, Vander Ven et al. 2001). Trotz dieser aktuellen Befunde gibt es in Deutschland nur sehr wenige Studien, die sich mit der Frage nach dem Einfluss der mütterlichen Berufstätig133

keit auf das Delinquenzrisiko beschäftigen; im Hinblick auf das Schulschwänzen liegen keine Studien vor. Zusammenfassend lassen sich die Beziehungen zwischen den familialen Strukturmerkmalen, den Erziehungskomponenten und dem abweichenden Verhalten wie folgt abbilden (vgl. Abbildung 12). Familiale Strukturmerkmale

Innerfamiliale Merkmale

Schulschwänzen

+ Household Crowding Family Disruption Father’s Erratic, Harsh, and Threatening Discipline

Family Size Low Family SES Foreign-Born Residential Mobility

+

Mother’s Erratic, Harsh, and Threatening Discipline Parent’s Lack of Supervision

Mother’s Employment

Parental Rejection/Hostility towards Boy

Father’s Criminality/ Drinking

Childs Emotional Rejection of Parent (s)

+

Delinquency (Truancy)

Mother’s Criminality/ Drinking

+

Abbildung 12: Der familiale Kontext abweichenden Verhaltens im Jugendalter nach Sampson und Laub (Quelle: in Anlehnung an Sampson und Laub 1993: 66)

Dieses Modell bzw. die Prüfung des Modells wird für die weiteren Untersuchungen in drei Punkten modifiziert. Erstens beachten die Autoren nur die direkte Kontrolle der Mutter (Mothers’s Lack of Supervision). Da nicht ersichtlich ist, warum die väterliche Kontrolle keinen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben sollte, wird in den weiteren Ausführungen die Kontrollintensität beider Elternteile berücksichtigt (Parent’s Lack of Supervision).87 Zweitens können im Rahmen der folgenden quantitativen Analyse nicht alle von Sampson 87 Ähnlich könnte bezüglich der Berufstätigkeit der Mutter argumentiert werden. Da seitens der Autoren aber angenommen wird, dass besonders die Abwesenheit der Mutter – unter der Annahme das sie die primäre Bezugsperson ist – negative Auswirkungen im Sozialisationsprozess auf die Entwicklung des Kindes hat, wird diese Dimension nicht modifiziert. Die Berufstätigkeit steht hier nicht als Indikator des sozioökonomischen Status, sondern als (negatives) Merkmal für die Abwesenheit der primären Bezugsperson (die immer noch in den meisten Fällen die Mutter ist, trotz zunehmender Partizipation der Männer im häuslichen Erziehungsbereich).

134

und Laub (1993) benannten sozialstrukturellen Merkmale aufgenommen werden, da diese nicht im Datensatz – der „MPI-Schulbefragung 1999“ – erfasst sind. Dies betrifft die Merkmale „Fathers’s/Mothers’s Criminality/Drinking“ und „Household Crowding“. Letztere gibt im Originalmodell an, ob die Familienmitglieder genug Wohnraum zur Verfügung haben oder in inadäquaten Wohnverhältnissen leben. Da eine empirische Prüfung nicht möglich ist, werden diese Merkmale nicht in der Hypothesenformulierung berücksichtigt. Drittes werden, entgegen der Datenbasis von Sampson und Laub (1993), die nur Informationen von männlichen Jugendlichen umfasst, auch Informationen von weiblichen Jugendlichen ausgewertet. Durch die Hypothesenbeschriftung gestaltet sich das Modell dann wie folgt: Familiale Strukturmerkmale

Innerfamiliale Merkmale

Schulschwänzen

+ Household Crowding Family Disruption (H1a) Family Size (H1b)

Fathers’s Erratic, Harsh, and Threatening Discepline

Low Family SES (H1c) Foreign-Born (H1d)

+

Mother’s Erratic, Harsh, and Threatening Discepline

Residential Mobility (H1e)

Parent’s Lack of Supervision (H2b)

Mother’s Employment (H1f)

Parental Rejection/Hostility (H2c)

Father’s Criminality/ Drinking

Emotional Rejection of Parent (s) (H2d)

(H2a)

+

Delinquency (Truancy)

Mother’s Criminality/ Drinking

+ Grau gekennzeichnete Merkmale können nicht berücksichtigt werden

Abbildung 13: Das modifizierte Modell des familialen Kontext abweichenden Verhaltens im Jugendalter nach Sampson und Laub (Quelle: in Anlehnung an Sampson und Laub 1993: 66)

Alle sozialstrukturellen Merkmale des Blocks „familiale Strukturmerkmale“ sind mit H1 gekennzeichnet, die innerfamilialen Merkmale des zweiten Blocks entsprechend mit H2. Die zweite Gliederungsebene erfolgt über Buchstaben. Da das Modell eine Kombination aller Merkmale des ersten (familiale Strukturmerkmale), des zweiten (innerfamiliale Merkmale) und des dritten Blocks (dem Schulschwänzen) vorsieht, ist eine detaillierte Darstellung der Hypothesen – in der Gesamtzahl sind es unter Ausschluss der nicht messbaren Merkmale (Household Crowding, Father’s and Mother's Criminality/Drinking) 24 135

Hypothesenketten – sehr unübersichtlich. Exemplarisch sind die ersten vier Hypothesen ausformuliert, die sich nach dem gleichen Muster auch für die andern Kombinationen erzeugen lassen:

Hypothesen ausgehend von der Unvollständigkeit der Familie (Family Disruption): 1.

Wenn die Familie unvollständig ist (H1a), dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern gegenüber dem Kind gewalttätig sind (H2a) und dies hat einen positiven Effekt auf das häufige Schulschwänzen. [H1a  H2a  häufiges Schulschwänzen]

2.

Wenn die Familie unvollständig ist (H1a), dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die elterliche Kontrolle niedrig ist (H2b) und dies hat einen positiven Effekt auf das häufige Schulschwänzen. [H1a  H2b  häufiges Schulschwänzen]

3.

Wenn die Familie unvollständig ist (H1a), dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Ablehnung der Eltern gegenüber dem Kind zunimmt (H2c) und dies hat einen positiven Effekt auf das häufige Schulschwänzen. [H1a  H2c  häufiges Schulschwänzen]

4.

Wenn die Familie unvollständig ist (H1a), dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind negativ ist (H2d) und dies hat einen positiven Effekt auf das häufige Schulschwänzen. [H1a  H2d  häufiges Schulschwänzen]

6.2

Stichprobenbeschreibung

Zwischen September und Dezember 1999 führten Mitarbeiter des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg unter der Leitung von Dietrich Oberwittler eine schriftliche Schülerbefragung zum Thema Jugenddelinquenz durch.88 Insgesamt wurden 5.945 Schüler der 8. bis 10. Klasse in Köln und Freiburg befragt. Die Stichproben beider Städte sind das Ergebnis einer nach unterschiedlichen Vorgaben durchgeführten mehrstufigen Auswahl. Während in Freiburg – mit wenigen Ausnahmen – alle allgemein bildenden Schulen in die Befragung aufgenommen wurden (Hauptschule, Sonderschule, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule und Waldorfschule), verweigerten in Köln die Gesamt- und Waldorfschulen ihre Teilnahme. In Köln wurde aus mehr 88 Herrn PD. Dr. Oberwittler sei vielmals gedankt, für die Bereitstellung seiner Daten.

136

als 80 Stadtteilen eine Auswahl von 20 Stadtteilen gezogen mit dem Ziel, unter sozialstrukturellen Gesichtspunkten einen „idealtypischen Querschnitt durch die Gesamtstadt“ (Oberwittler et al. 2001: 10) zu erhalten. Diese Stadteile umfassen die nördliche Innenstadt, große Teile der linksrheinischen Stadtbezirke Lindenthal, Ehrenfeld und Chorweiler sowie des rechtsrheinischen Stadtbezirks Kalk. Da es sich bei der Stichprobenziehung in Köln um einen mehrstufigen, und nicht zufälligen Auswahlprozess handelt, ist die Stichprobe im strengen Sinn nicht repräsentativ. Die Repräsentativität lässt sich jedoch durch einen Mittelwertsvergleich mit der Grundgesamtheit aller Stadtviertel abschätzen. Dabei zeigte sich, dass kaum signifikante Abweichungen von der Grundgesamtheit bestehen. Von den 50 angeschriebenen allgemein bildenden Schulen erklärten sich 41 bereit, an der Befragung teilzunehmen. In Freiburg stimmten 24 von 29 Schulen einer Teilnahme zu. Im Gegensatz zu Köln fand in Freiburg jedoch keine Auswahl nach Stadtteilen statt. In einem weiteren Auswahlschritt wurde etwa die Hälfte der Klassen eines Jahrgangs nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Die Bruttostichprobe in Freiburg umfasst 2.191 Schüler, in Köln sind es 4.059.89 An der Befragung tatsächlich teilgenommen haben in Freiburg 81,1% der Bruttostichprobe (n = 1.886), in Köln beträgt die Ausschöpfungsquote 84,9% (n = 3.445). Die hohen Ausschöpfungsquoten weisen nach Schulformen getrennt teilweise gravierende Unterschiede auf. So wurde in den Kölner Sonderschulen nur etwas mehr als die Hälfte (52,7%) der Schüler erreicht. In den Schulen der Erziehungshilfe sogar nur 38,5%. Auch die Hauptschulen beider Städte weisen niedrigere Rücklaufquoten auf (Freiburg 77,7%, Köln 74,0%). Um die hohen Ausfallquoten der Kölner Hauptschulen zu kompensieren, wurden an einigen Schulen „Nachholtermine“ (Oberwittler et al. 2001: 13) angeboten, so dass die Ausschöpfungsquote von 74,0% auf 81,0% erhöht werden konnte. In Freiburg erfolgte keine Nachbefragung. Die Jugendlichen wurden im Klassenverband befragt. Alle Schüler erhielten einen Fragebogen zum Selbstausfüllen. Es wurden zwei Fragebogenversionen eingesetzt, die zwar in großen Teilen identisch waren, jedoch Unterschiede in drei Themengebieten aufweisen. Während Fragebogenversion A vermehrt In-

89 Als Zusatzerhebung wurden in Köln weitere 38 Jugendliche befragt, die sich in verschiedenen „Schulschwänzer-Projekten“ befanden. Die Probanden dieser Projekte setzten sich überwiegend aus 15- und 16-jährigen männlichen Jugendlichen zusammen, die mehrheitlich zuvor eine Haupt-, Sonder- oder Gesamtschule besucht hatten. In der folgenden Analyse werden diese Jugendlichen nicht berücksichtigt, da sie aufgrund des Ausschlusses aus dem allgemein bildenden Schulsystem nicht mehr mit anderen Schülern vergleichbar sind.

137

formationen über die Eltern-Kind Beziehungen beinhaltet, konzentriert sich Version B auf Fragen zur Viktimisierung und zum Stadtviertel. Da die familialen Aspekte im Zentrum der folgenden Auswertungen stehen, konnten nur die Daten der Fragebogenversion A verwendet werden. Insgesamt liegen 2.832 Fälle für die Auswertung vor. Tabelle 3 zeigt die Stichprobenverteilung nach den Merkmalen „Schulform“, „Geschlecht“ und „Alter“ der Schüler. Tabelle 3: Stichprobenbeschreibung der MPI-Schulbefragung 1999 Freiburg Schulform Sonderschule

n 39

Hauptschule

120

Köln % 3,9

n 125

11,9

452

% 6,9 24,8

Realschule

247

24,5

375

20,6

Gymnasium

127

12,6

872

47,8

Gesamt

432

42,9

-

-

Waldorf

43

4,3

-

Gesamt

1008

100,0

1.824

100,0

471

46,8

836

46,1

Geschlecht Jungen Mädchen Gesamt

-

536

53,2

979

53,9

1007

100,0

1.815

100,0

Alter < 13

3

0,2

13 Jahre

102

-

10,1

356

19,6

14 Jahre

247

24,6

497

27,4

15 Jahre

314

31,2

573

31,6

16 Jahre

272

27,0

307

16,9

70

7,0

76

4,2

1005

100,0

1.812

100,0

> 16 Gesamt

6.3

-

Fehlende Werte

Ein großes Problem vieler quantitativer Untersuchungen stellen fehlende Werte (Missings) dar. Fehlende Werte können zu Verzerrungen der Ergebnisse und zu einer Verringerung der Effizienz statistischer Verfahren führen. Ab welchem Ausmaß der Anteil fehlender Werte einen bemerkenswerten negativen Einfluss 138

auf die Ergebnisse hat, ist nicht eindeutig benannt, jedoch werden in der Fachliteratur Anteile in einem Range von 5,0% (Graham, Cumsille und Elek-Fisk 2003) bis 10,0% (Schnell, Hill und Esser 1999) genannt. Die Ursachen fehlender Werte sind vielfältig, wie z.B. unklare Fragestellungen, mangelnde Aufmerksamkeit des Befragten, Fehler bei der Dateneingabe etc. In der „MPISchulbefragung 1999“ ist der Anteil fehlender Werte, vor allem bei den multivariaten Analysen, in denen sie sich kumulieren, mit 33,0% (n = 922) so groß, dass sie nicht missachtet werden sollten. Fehlende Werte sind in Anlehnung an Rubin (1976) sowie Little und Rubin (2002) nach mehreren Typen zu unterscheiden. Diese Typen lassen sich aus verschiedenen Zufälligkeitsgraden der fehlenden Werte ableiten: 1.

Missing Completely at Random (MCAR), die Verteilung der fehlenden Werte ist zufällig und hängt auch nicht von anderen externen Merkmalen ab,

2.

Missing at Random (MAR), das Auftreten fehlender Werte steht (teilweise) in Zusammenhang mit anderen Merkmalen und

3.

Missing not at random (MNAR), die Verteilung der fehlenden Werte folgt klaren Gesetzmäßigkeiten und ist nicht zufällig.

Die meisten Verfahren, die dem Umgang mit fehlenden Werten dienen, setzen „vollständig zufällig verteilte fehlende Werte“ (MCAR) oder „zufällig verteilte fehlende Werte“ (MAR) voraus. Eine Analyse der vorliegenden Daten zeigt, dass die fehlenden Werte, bis auf die abhängige Variable Schulschwänzen, zufällig verteilt sind.90 Im Weiteren werden daher nur Verfahren diskutiert, die das MCAR- und MAR-Muster aufweisen. In der Literatur finden sich eine Reihe von Methoden, mit zufällig auftretenden Werten umzugehen. Einige dieser Verfahren erfreuen sich trotz bekannter Schwächen einer hohen Popularität. Zu diesen zählen der fallweise (complete case analysis) und paarweise Ausschluss (pairwise deletion). Bei dem fallweisen Ausschluss werden Fälle mit fehlenden Werten aus der Analyse ausgeschlossen.91 Bei dem paarweisen Ausschluss werden Korrelationskoeffizienten zwischen zwei Variablen berechnet. In die Korrelationsberechnung sind alle Fälle einbezogen, die bei diesen beiden Variablen

90 Die Angaben zum Schulschwänzen variieren mit der Schulform, die wiederum selbst mit dem sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie zusammenhängt. Es gilt: Je niedriger die Schulform, desto höher der Anteil fehlender Werte. Da die abhängige Variable jedoch im Original erhalten bleibt und keine Imputation fehlender Werte erfolgt, ist diese systematische Verteilung der fehlenden Werte sekundär. 91 Im Fall eines Anteils fehlender Werte unter 5,0% und der Bedingung, dass die fehlenden Werte vollkommen zufällig entstehen (MCAR), sollte der negative Effekt (verzerrte Schätzungen, geringere Erklärungskraft der Modelle) der Complete Case Analysis sehr gering sein, so dass dieses Verfahren vertretbar ist.

139

gültige Werte aufweisen. Alle anderen Fälle werden ausgeschlossen. Sowohl der fallweise als auch paarweise Ausschluss kann zu verzerrten Schätzungseffekten und einem Verlust der Erklärungskraft führen (Graham, Cumsille und Elek-Fisk 2003: 90).92 Neben diesen Ausschluss-Verfahren gibt es verschiedene Imputationsverfahren, die in singuläre und multiple Verfahren zu unterscheiden sind. Bei den singulären Imputationsverfahren wird ein fehlender Wert durch jeweils einen bestimmten Schätzwert ersetzt, während bei der multiplen Imputation für jedes Missing gleich mehrere Werte geschätzt werden, in der Regel mittels einer Simulation unter Zugrundelegung eines oder mehrerer Verteilungsmodelle. Zu den singulären Verfahren zählt auch das Ersetzen fehlender Werte durch den Mittelwert der Variable (mean substitution). Diese Prozedur führt jedoch oft zu einer Verzerrung der wahren Verteilung und zu einer Unterschätzung der Varianz sowie der realen Zusammenhänge (Graham et al. 1994, MacKinnon und Schafer 1997). Die auch zu den singulären Verfahren zählende Regressionsimputation, bei der fehlende Werte durch geschätzte Werte eines linearen Regressionsmodells auf Basis der übrigen, vollständig beobachtbaren Werte ersetzt werden, wird ebenfalls kritisch betrachtet (Graham, Cumsille und ElekFisk 2003). Vor allem bei einem hohen Anteil fehlender Werte (ab 20,0%) weist diese Imputationsmethode verzerrte Korrelations- und Regressionskoeffizienten auf (Rohrschneider 2007: 58). Das Resümee Grahams, Cumsilles und ElekFisks bezüglich der Anwendung dieser Verfahren ist deutlich: „In summary, we argue that pairwise deletion, means substitution, and regression-based single imputation should never be used. Even for quick and dirty analysis, and even with small rates of missingness, we recommend other procedures“ (2003: 91). Unter den singulären Imputationsverfahren gibt es auch eine Reihe adäquater Methoden, wie z.B. die modellbasierten Verfahren des multiplen Gruppenvergleichs in Strukturgleichungsmodellen, das Full-Information Maximum Likelihood Verfahren oder der Einsatz des EM-Algorithmus, auf die hier – mit Ausnahme des EM-Algorithmus – nicht weiter eingegangen werden soll.93 Der EM-Algorithmus (Expectation Maximization) schätzt fehlende Werte auf Basis einer Maximum-Likelihood-Schätzung. Die fehlenden Daten werden so ersetzt,

92 Für den paarweisen Ausschluss gilt, dass die einzelnen Koeffizienten in der Korrelationsmatrix meistens auf unterschiedlichen Teilstichproben beruhen. Zudem fehlt dieser Matrix eine mathematische Eigenschaft – die positive Semidefinitheit (jeder Eigenwert ist positiv) – die bei normalen Korrelationsmatrizen vorhanden ist und die in vielen Statistikprozeduren vorausgesetzt wird. Es kann dadurch – z.B. in einer multiplen Regressionsanalyse – zu artifiziellen Ergebnissen kommen (vgl. Baltes-Götz 2001, Graham, Cumsille und Elek-Fisk 2003). 93 Eine ausführliche Darstellung dieser Methoden findet sich bei Dempster, Laird und Rubin (1977), Graham, Cumsille und Elek-Fisk (2003), Göthlich (2007) oder Reinecke (2005).

140

dass die gesamte Information im Datensatz in sich widerspruchsfrei ist. Die Imputation folgt in drei Schritten (vgl. Wirtz 2004: 113f.): 1.

Auf Basis der im Datensatz vorhandenen Informationen (Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelation) werden die fehlenden Werte geschätzt und ersetzt.

2.

Für diesen neu konstruierten Datensatz werden abermals die Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelationen berechnet. Wenn sich diese Werte durch die Ersetzung im Vergleich zum Originalmodell verändert haben, kann die ursprüngliche Informationsstruktur nicht gültig sein, da angenommen wird, dass die Informationsstruktur sowohl für die vorhandenen als auch fehlenden Werte gültig ist. Die neue Informationsstruktur des vervollständigten Datensatzes wird nun beibehalten und die fehlenden Werte werden gemäß dieser modifizierten Informationen erneut ersetzt. Anschließend wird nochmals geprüft, ob sich die Informationsstruktur verändert hat.

3.

Diese Schleife wird so lange durchlaufen, bis eine Informationsstruktur gefunden ist, die sich nach der Ersetzung nicht mehr verändert.

Wie Simulationsstudien (Little und Rubin 2002) zeigen konnten, liefert der EMAlgorithmus im Fall von „vollständig zufällig auftretenden fehlenden Werten“ (MCAR) und „zufällig auftretenden Werten“ (MAR) gute Ergebnisse. Zumindest dann, wenn bis zu 30,0% der Werte in einzelnen Variablen fehlen und eine Stichprobe mit genügend großem Umfang vorliegt (n > 100). Auch bei leichter Verletzung der MCAR- und MAR-Annahme ist der EM-Algorithmus robust. Eine Erweiterung des EM-Algorithmus sind die multiplen Imputationen, die in den letzten Jahren aufgrund der Softwareentwicklung eine größere Verbreitung erfahren haben. Sie zählen mit zu den effizientesten ImputationsMethoden. Der Begriff „multiple“ bedeutet, dass bei diesen Verfahren für jeden fehlenden Wert gleich diverse Schätzwerte in einer Reihe von Imputationsschritten geliefert werden. Für diese Schätzwerte wird anschließend ein Mittelwert gebildet oder es wird für jeden Imputationsschritt eine neue Datenmatrix erstellt. Im Gegensatz zum EM-Algorithmus werden mehrere vervollständigte Datensätze erzeugt, die unabhängig voneinander analysiert werden. Je geringer die Unterschiede zwischen den Analyseergebnissen der verschiedenen Datensätze, desto höher ist die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der ersetzten fehlenden Werte (ebd.). Um möglichen Verzerrungen entgegenzuwirken, wurden die fehlenden Angaben bei intervallskalierten und kategorialen Variablen (mindestens fünf Ausprägungen), die annähernd normalverteilt sind, durch neu berechnete Werte ersetzt.94 Grundlage der Berechnung ist der vorgestellte EM-Algorithmus. Durch 94 Imputationsverfahren für kategoriale Daten existieren kaum. Eine Ausnahme ist das von Schafer (1997) entwickelte Programm NORM, auf dessen Anwendung aber aus praktischen Gründen verzichtet wird. Bei kategorialen Daten werden Imputationen über die Zerlegung der

141

Anwendung dieses Verfahrens konnten in die multivariate Analyse 78,0% der Fälle (n = 2.222) aufgenommen werden. Das ist zwar keine befriedigende Anzahl, jedoch konnte somit im Vergleich zur Ausgangssituation (67,0% gültige Fälle) 11 Prozentpunkte mehr berücksichtigt werden. Tabelle A1 im Anhang ist zu entnehmen bei welchen Variablen durch den Einsatz des EM-Algorithmus fehlende Werte ersetzt wurden.

6.4

Auswertungsstrategien und statistische Analysemethoden

Im Mittelpunkt der Analysen steht die Überprüfung direkter und indirekter Effekte auf das häufige Schulschwänzen. Ein etabliertes statistisches Verfahren zur Prüfung solcher Effekte ist das Strukturgleichungsmodell.95 Es setzt sich aus den verschiedenen Methoden der Regressions-, Pfad- und Faktorenanalyse zusammen und prüft anhand empirischer Daten zuvor formulierte Hypothesen, um kausale Zusammenhänge zu prüfen. Das Besondere dieser Modelle ist, dass sie einerseits komplexe Kausalbeziehungen in Form von Pfadanalysen simultan überprüfen können und andererseits Messmodelle – einschließlich deren Messfehler – berücksichtigen (z.B. Jöreskog und Sörbom 1982, Backhaus et al. 2005). Messmodelle bestehen aus mehreren Variablen, die ein abstraktes bzw. theoretisches Konstrukt abbilden. Damit können in die Analyse neben direkt beobachtbaren Einflussgrößen auch nicht direkt beobachtbare Dimensionen einbezogen werden. Die Entscheidung, wann ein Kausalmodell falsifiziert ist und wann nicht, wird anhand eines Modelltests überprüft. Dieser gibt wieder, ob die Struktur des Datenmaterials mit dem postulierten Modell weitestgehend übereinstimmt. Es ist hervorzuheben, dass lineare Strukturgleichungsmodelle nicht erlauben, Kausalität zu beweisen, sondern allenfalls zeigen können, dass ein geprüftes Modell falsifiziert oder vorläufig verifiziert werden kann (Bortz 1999). Da das Strukturgleichungsmodell in den folgenden Analysen eine zentrale Rolle einnimmt, wird an dieser Stelle auf die beiden Säulen des Strukturgleichungsmodells, Mess- und Strukturmodell, eingegangen. In Abbildung 14 sind die einzelnen Elemente des Strukturgleichungsmodells dargestellt. Jeweils auf der rechten und linken Seite finden sich Beispiele für Messmodelle. Ausführlich wird das Messmodell am Beispiel des latenten Konstrukts „emotionale Bindung“ (rechte Seite) vorgestellt, das daher auch numerisch untermauert ist. In

Variablen in einzelnen Kategorien durchgeführt. Bei einer großen Anzahl von Variablen, wie im vorliegenden Fall, würde dies jedoch zu einem unübersichtlichen Ergebnis führen. 95 Eine detaillierte Darstellung von Strukturgleichungsmodelle findet sich z.B. bei Reinecke (2005), Cudeck, du Toit und Sörbom (2001) oder Backhaus et al. (2005).

142

der Mitte sind die wesentlichen Elemente eines Strukturmodells abgebildet, auf das im zweiten Teil eingegangen wird.

e

Gewalt in der Familie Gemeinsame Aktivitäten

Messmodell 1 (exogene Variablen)

Kontakt zu Eltern



()

e

Gemeinsame Mahlzeiten

Fehlerterm (e)

 Emotionale Bindung



Kindheitserfahrung

.84 ()

()

Reden über Alltag

beobachtbare/ manifeste Variablen (Y)

Latente abhängige Variable ()

Eltern sind für mich da

.39 (e)

Auf Eltern ist Verlass

.29 (e)

Eltern reden mit mir

.34 (e)

. 81

e

e

Latente unabhängige Variable ()

beobachtbare/ manifeste Variablen (X)

.78

Fehlerterm (e)



Strukturmodell

Messmodell 2 (endogene Variablen)

Abbildung 14: Aufbau eines Strukturmodells (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Jahn 2007)

1. Messmodelle und konfirmatorische Faktorenanalyse Ein Messmodell setzt sich aus manifesten und latenten Variablen zusammen. Latente Variablen beschreiben nicht direkt beobachtbare Dimensionen bzw. theoretische Konstrukte, die erst durch beobachtbare Variablen (manifeste Variablen) messbar gemacht werden müssen. In Abbildung 14 (vgl. oben) soll dies anhand der latenten Variable „Emotionale Bindung“ verdeutlicht werden. Im Gesamtmodell ist die „Emotionale Bindung“ die abhängige latente Variable, die von den unabhängigen latenten Variablen „Kontakt zu Eltern“ und der „Kindheitserfahrung“ beeinflusst wird. Entsprechend der Nomenklatur werden die abhängigen latenten Variablen mit  und die unabhängigen latenten Variablen mit  ausgezeichnet. Zudem sind latente Konstrukte immer als Ellipse dargestellt. Die „Emotionale Bindung“ ist ein sehr allgemeines Konstrukt, das nicht, oder nur sehr unbefriedigend, direkt messbar ist. Daher werden mehrere manifeste Variablen herangezogen, die als „Mess-Ersatz“ für die „Emotionale Bin143

dung“ fungieren. Manifeste Variablen werden auch als Indikatoren bezeichnet. Die Indikatoren dienen somit als Hinweis auf die nicht sichtbare Variable oder umgekehrt, die latente Variable ist der gemeinsame Faktor der manifesten Variablen. In dem Beispiel sind die Variablen “Eltern sind für mich da“, „Auf Eltern ist Verlass“ und „Eltern reden mit mir“ die Indikatoren der „Emotionalen Bindung“. Manifeste Variablen werden in Rechtecken abgebildet.96 Zwischen einer latenten Variable und ihren Indikatoren werden gerichtete Beziehungen postuliert. Meistens haben diese reflektiven Charakter. Bei einer reflektiven Beziehung wird die latente Variable als „Ursache“ (exogene Variable) und die Indikatoren als „Wirkung“ (endogene Variable) betrachtet.97 Der Begriff „reflektiv“ bedeutet, „dass jede manifeste Variable ihre latente Variable reflektiert“ (Henseler 2006: 94). Im reflektiven Messmodell ist jede manifeste Variable mit ihrer latenten Variable mittels einfacher Regression verbunden (Henseler 2006: 94):

x jh = λ jh0 + λ jh ξ j + ε jh xjh = h-ter Indiaktor der latenten Variable j jh = Ladung des h-ten Indiaktors der latenten Variable j j = latente Variable

jh = Fehlerterm des h-ten Indiaktors der latenten Variable j Damit unterstellt dieses Modell, dass mit einer Veränderung der latenten Variable immer auch eine Veränderung aller zugehörigen Indikatoren einhergeht. Verändert sich die „Emotionale Bindung“, dann verändern sich auch die dazugehörigen Indikatoren. Die Ladungen () sind die Verbindung zwischen den manifesten und latenten Variablen. Sie sind als Faktorenladungen bzw. Regressionskoeffizienten zu interpretieren.98 In der Literatur hat es sich etabliert, von einer adäquaten Faktorenladung zu sprechen, wenn diese den Mindestwert von 0,6 erreicht, da somit knapp die Hälfte der Varianz des Indikators durch das

96 Analog zu der unterschiedlichen Benennung abhängiger und unabhängiger latenter Konstrukte (, ), werden die manifesten Variablen des abhängigen latenten Konstrukts mit Y und die der unabhängigen latenten Konstrukte mit X dargestellt. 97 Es gibt eine Reihe von Autoren, die davon ausgehen, dass, je nach inhaltlichen Gesichtspunkten, auch umgekehrt, die latente Variable „Wirkung“ und die Indikatoren „Ursache“ sein können. Diese Beziehungen werden als „formativ“ bezeichnet (vgl. hierzu z.B. Reinecke 2005, Bollen 1989, Eggert und Fassott 2003). 98 Sie resultieren aus den Ergebnissen der zugrunde liegenden konfirmatorischen Faktorenanalyse.

144

Konstrukt erklärt wird.99 Weil die Indikatoren endogene Variablen sind, die durch das latente Konstrukt erklärt werden, sind sie mit Fehlertermen bzw. Residuen (e) versehen (im Beispiel: 0,39, 0,29, 0,34). Der Fehler entspricht dem Teil der Varianz, der nicht durch den gemeinsamen Faktor bzw. die latente Variable erklärt wird. Sie ergeben sich aus der Tatsache, dass eine Erhebung stets von der „Realität“ abweicht. Da sich erklärte Varianz und Messfehler gemeinsam zu Eins addieren, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass bei einer Faktorenladung 0,7 der Messfehler nicht dominiert. In dem Beispiel sind alle Faktorenladungen > 0,70 (0,78, 0,84 und 0,81) und somit hoch. Unter der Annahme, dass die im Beispiel verwendeten Skalen metrisch sind, kann festgehalten werden, dass das Konstrukt „emotionale Bindung“ etwa 61,0%100 Varianz des Indikators „Eltern sind für mich da“ erklärt; 39,0% der Varianz werden nicht durch den Faktor erklärt. Für die Variable „Auf meine Eltern ist Verlass“ beträgt der Anteil erklärter Varianz 71,0% (der Fehlerterm beträgt 29,0%) und für die Variable „Eltern reden mit mir“ erklärt 66,0% bzw. 34,0% nicht erklärte Varianz. Während die Varianzen von manifesten (beobachtbaren) Indikatoren direkt berechnet werden können, stehen die Varianzen latenter Variablen vorab nicht fest. Da latente Konstrukte nicht beobachtet werden können, ist es an sich willkürlich, in welcher „Maßeinheit“ man sie sich vorstellt. Für die Berechnung ist es jedoch notwendig, die Varianzen von latenten Variablen in irgendeiner Weise festzulegen. Auch wenn die Enge der Beziehung zwischen zwei Variablen inhaltlich unabhängig von ihren Maßeinheiten ist, so müssen Maßeinheiten feststehen, um überhaupt die Enge der Beziehung bestimmen zu können (ohne Varianz keine Maßeinheit und ohne Maßeinheit kein Messwert, vgl. Schermelleh-Engel und Werner 2007: 3). Für die Lösung dieses Problems gibt es zwei bekannte Ansätze. Erstens kann man die Varianz der latenten Variable auf Eins standardisieren. Zweitens kann die Varianz der latenten Variable an den (bekannten) Varianzen der manifesten Variablen ausgerichtet werden. Hierzu werden so genannte Skalierervariablen verwendet. Dabei wählt man eine Indikatorvariable aus, an der sich die Varianz der latenten Variable orientieren soll. Wird die Ladung dieser Indikatorvariable auf den Wert Eins fixiert, bedeutet dies, dass die Varianz der latenten Variable gleich der erklärten Varianz der Indikatorenvariable ist (Schermelleh-Engel und Werner 2007: 3). Im Hinblick auf die Anzahl der Indikatoren besteht der (paradoxe) Anspruch, einerseits möglichst viele Indikatoren für die Beschreibung des Kon99 Der Anteil der erklärten Varianz ermittelt sich bei metrisch skalierten Variablen aus dem Quadrat der Faktorenladung, analog dem Determinationskoeffizienten R2 bei linearen Regressionen (Johnson, Hermann und Huber 2006: 126). 100 Der Anteil der erklärten Varianz berechnet sich wie folgt: 0,782 = 0,61.

145

strukts zu finden und andererseits nicht mehr Items als nötig heranzuziehen. Mit der Zahl der Items steigt die Reliabilität des Konstrukts, aber auch gleichzeitig die Gefahr „Artefakte und somit Unterfaktoren zu produzieren, wodurch das Konstrukt in eine bestimmte Richtung gelenkt wird“ (Hair 2006 nach Jahn 2007: 4). Es müssen mindestens zwei manifeste Variablen für die Abbildung eines Konstrukts herangezogen werden (vgl. Engel und Reinecke: 31), besser sind jedoch drei oder vier Merkmale. Dabei sollten die verwendeten Indikatoren grundsätzlich eindimensional sein, d.h. die manifesten Variablen eines Konstrukts sollten untereinander hoch korrelieren. Neben der Anzahl der Indikatoren spielen vornehmlich theoretische Gründe der Zuordnung einzelner Items zu einem Faktor eine Rolle. Die konfirmatorische Faktorenanalyse ist ein Hypothesen testendes Verfahren. Daher ist es wichtig, vorab zu entscheiden, welche manifesten Merkmale ein Konstrukt abbilden. In der Praxis dient als Entscheidungshilfe oftmals eine explorative Faktorenanalyse, die der konfirmatorischen Faktorenanalyse vorgeschaltet ist. Ziel der explorativen Faktorenanalyse ist es, Variablen gemäß ihrer Interkorrelationen zu Faktoren zu bündeln, um so festzustellen, ob und welche beobachtbaren Variablen auf wenige gemeinsame latente Variablen zurückzuführen sind. Hypothetische Vorannahmen bezüglich der Faktorenstruktur, wie bei der konfirmatorischen Faktorenanalyse, bestehen nicht. Zudem kann eine Variable auf mehreren Faktoren laden.101 Messmodelle sind eine wesentliche Säule der Strukturgleichungsmodelle, dennoch ist es nicht notwendig, nur mit latenten Konstrukten zu operieren. Strukturgleichungsmodelle können auch manifeste Variablen als eigene Konstrukte enthalten, die nicht nur als Indikatoren einer latenten Variablen dienen. Im Gegensatz zu den latenten Variablen weisen die manifesten jedoch einen Messfehler auf.

2. Strukturmodell Die zweite Säule des Strukturgleichungsmodells ist das Strukturmodell. Es wird in Form von Pfadmodellen, ursprünglich konzipiert von Wright (1921), dargestellt. Pfadmodelle dienen vornehmlich der Überprüfung komplexer linearer Kausalmodelle. Dabei wird in kompakter Form ein System von postulierten linearen Beziehungen durch eine Serie von multiplen Regressionsanalysen dargestellt.102 Je nach Position in der Kausalbeziehung wird, wie vorab schon bei 101 Eine genauere Beschreibung der explorativen Faktorenanalyse findet sich in Kapitel 6.7. 102 Für eine genaue Beschreibung der Pfadanalyse vgl. Backhaus et al. 2005, Kap.6.

146

den Messmodellen beschrieben, zwischen exogenen (unabhängige Variable) und endogenen Variablen (abhängige Variable) unterschieden. Auch hier gilt analog zu den Indikatoren des latenten Konstrukts: Jede endogene Variable weist einen Fehlerterm auf, da sie (normalerweise) nicht vollständig durch die erklärenden Faktoren, die exogenen Variablen, erklärt werden kann. Diese Fehlerterme werden wiederum selbst als exogene Variablen betrachtet; sie werden nicht durch andere Variablen beeinflusst. Die kausalen Beziehungen sind in einem Pfaddiagramm dargestellt, wobei die Beziehungen zwischen den Variablen durch Pfeile präsentiert werden. Jeder Pfeil steht für einen Pfad, dem ein Pfadkoeffizient (ß, vgl. Abbildung 14) – zumeist der standardisierte Regressionskoeffizient (von -1 bis +1) – zugeordnet ist. Ein Pfadkoeffizient von -1 bedeutet, dass eine Vergrößerung der unabhängigen Variablen zu einer Verringerung der abhängigen Variablen im selben Umfang führt. Ein Wert von +1 zeigt einen perfekten positiven Einfluss an. In diesem Fall ist der Einfluss jedoch so perfekt, dass zweimal das gleiche Konstrukt gemessen wurde. Folglich ist es wünschenswert, dass die Pfadkoeffizienten relativ hoch, aber nicht perfekt sind. Unter Verwendung der (oft üblichen) Maximum-Likelihood-Schätzer deuten Pfadkoeffizienten von mindestens 0,2 auf relativ starke Beziehungen hin (Chin 1998). Ein großer Vorteil der Pfadanalyse gegenüber einer herkömmlichen Regressionsanalyse ist die gleichzeitige Prüfung direkter und indirekter Effekte. Indirekte Effekte werden auch als Mediator-Effekte bezeichnet, die wiederum als partielle Mediator-Effekte oder als totale Mediator-Effekte auftreten können. Ein partieller Mediator-Effekt liegt dann vor, wenn Z (intervenierende Variable) von X (exogene Variable) und zugleich Y (endogene Variable) von Z beeinflusst wird, X aber auch einen direkten Effekt auf Y ausübt, der nicht durch Z interveniert wird (vgl. Abbildung 15). Von einem totalen Mediator-Effekt ist dann zu sprechen, wenn der Effekt von X auf Y komplett durch Z erklärt wird und, nach Aufnahme der intervenierenden Variablen, kein direkter Effekt zwischen X und Y mehr vorliegt (Urban und Mayerl 2005: 1). 1a: partieller Mediator-Effekt

1b: totaler Mediator-Effekt

Z

X

Z

Y

X

Y

Abbildung 15: Totaler und partieller Mediator-Effekt (Quelle: Urban und Mayerl 2005: 1)

147

Neben der Differenzierung zwischen partiellen und totalen Mediator-Effekten ist die Unterscheidung von direkten, indirekten und totalen Effekten relevant (vgl. Abbildung 16). Direkte Effekte bezeichnen den Einfluss von X auf Y (byx), der nicht durch eine weitere Variable interveniert wird. Der indirekte Effekt von X auf Y über Z kann unmittelbar aus den direkten Effekten bzx und bzy berechnet werden; er ist das Produkt der Pfade bzx und bzy (bzx*zy). Der totale Effekt auf Y entspricht dann der Summe des direkten und indirekten Effekts von X auf Y (byx total = byx + bzx*zy). Z b zx

bz

y

X

Y byx

Abbildung 16: Direkte Effekte im Mediator-Modell (Quelle: Urban und Mayerl 2005: 2)

Die zentralen Verfahren des Strukturgleichungsmodells, Pfad- und Faktorenanalysen, setzen gewöhnlich ein metrisches oder zumindest ordinales Skalenniveau voraus. Die Verwendung ordinal skalierter Variablen wird jedoch durchaus kritisch betrachtet und unterliegt einigen Anforderungen (z.B. Weede 1972).103 Die Einschränkung auf Variablen mit (quasi-)metrischem Skalenniveau basiert auf den gängigen Schätzverfahren, wie dem Maximum-Likelihood-Verfahren (ML) oder dem Unweighted-Least-Squares-Verfahren (ULS), die dieses Skalenniveau verlangen. Die Integration dichotomer endogener Variablen im Pfadund Strukturgleichungsmodell war hingegen lange Zeit nicht möglich. Seit einigen Jahren etablieren sich aber zunehmend Programme, die aufgrund neuer Schätzverfahren die Analyse kategorialer Variablen in komplexen Kausalmodellen erlauben. Zu diesen zählt auch das hier verwendete Programm Mplus104 (Muthén und Muthén 2007), das zur Berechnung der Koeffizienten auf das Verfahren der Probit-Regression zurückgreift. Das Verfahren der ProbitRegression wird gemeinsam mit der Logit-Regression für die Analyse kategorial abhängiger Variablen verwendet. Das Probit-Modell unterscheidet sich vom

103 Ordinal skalierte Variablen sollten annähernd normalverteilt sein, die Beziehung zwischen den Rangplätzen und den zugeordneten Zahlen sollte monoton sein und mehrere Ausprägungen (mindestens fünf) sind wünschenswert. 104 Ausführliche Informationen zu dem Programm (Version 4.1) befinden sich auf www.statmodel.com.

148

Logit-Modell lediglich in der Wahl der Linkfunktion. Anstelle einer logistischen Funktion wird beim Probit-Modell die Normalverteilungsfunktion verwendet. Das von Muthén und Muthén konzipierte Programm zeichnet sich durch die Anwendung eines speziellen Schätzers im Probit-Modell aus: dem WLSMVSchätzer (weighted least squares mean and variance adjusted). Dieser ist insbesondere deswegen für kategorial abhängige Variablen geeignet, weil er mittelwert- und varianzjustierte robuste Schätzwerte für Standardfehler und x2-Werte errechnet, die auch bei schief verteilten, kategorialen Indikatorwerten noch relativ unverzerrt bleiben (vgl. Muthén und Muthén 2007: 426, Urban 2004: 19).105 Die Anwendung dieses Schätzverfahrens hat sich vor allem bei schiefverteilten kategorialen Merkmalen als solide erwiesen (vgl. auch Urban und Mayerl 2004). Im Gegensatz zu den ML-Schätzverfahren, bei denen ein Pfadkoeffizient von mindestens 0,2 als relevant betrachtet wird, sind bei der Probit-Regression schon Pfadkoeffizienten ab 0,1 interessant.106 Die geschätzten Modelle werden überprüft, indem verschiedene Maßzahlen für die Modellgüte berechnet werden. Gütekriterien lassen sich nach Homburg und Baumgartner (1995) in globale und lokale Anpassungsmaße unterteilten. Globale Anpassungsmaße beziehen sich auf das Gesamtmodell und lokale auf einzelne Modellteile. Bei den verwendeten globalen Gütekriterien handelt es sich um den x2-Test, den Comparative Fit-Index (CFI), den Trucker/LewisIndex (TLI), den Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA) und den Root Mean Square Residual (RMR). Diese globalen Maßzahlen lassen sich wiederum in zwei Gruppen gliedern: „Stand-Alone-Gütekriterien“ und „inkrementelle Gütekriterien“ (vgl. Hu und Bentler 1995). „Inkrementelle Gütekriterien“ beurteilen im Gegensatz zu den „Stand-Alone-Gütekriterien“ das Modell nicht isoliert, sondern in Bezug zu einem Nullmodell. Der Comparative FitIndex (CFI) und der Trucker/Lewis-Index (TLI) zählen zu den inkrementellen Gütekriterien, alle anderen Maße ( χ 2 -Test, RMSEA, RMR) zu den StandAlone-Gütekriterien. Im x2-Test wird die Nullhypothese (empirische Kovarianzmatrix vs. Modellmatrix) gegen eine Alternativhypothese (empirische Kovarianzmatrix vs. beliebige Matrix) geprüft. Ein nicht signifikanter x2-Test deutet auf einen guten Fit zwischen Modell und Daten hin. Dieses Anpassungsmaß ist jedoch anfällig für die Abweichung von der Normalverteilung sowie

105 Ein weiterer Vorteil dieses Schätzers besteht darin, dass er zuverlässige Werte bei kleineren Stichproben, ab etwa 100 Befragten, liefert (Urban 2004: 19). 106 Ein Logit-Koeffizient ist etwa 2-mal so groß wie ein Probit-Koeffizient.

149

von der Stichprobengröße und ist daher nur bedingt aussagekräftig.107 Bei größeren Stichproben (> 200) müssen zusätzlich weitere Fit-Indizes betrachtet werden. CFI und TFI sind vergleichende Indizes zwischen dem postulierten und dem jeweiligen Null-Modell und werden für die Freiheitsgrade angepasst. Je näher der Wert an Eins ist, desto besser ist die Modellanpassung. Werte über 0,90 sprechen für einen akzeptablen Modell-Fit (Bentler und Bonett 1980). Der RMSEA bemisst die fehlende Güte des Modells im Vergleich zu einem „Idealmodell“. Nach Browne und Cudeck (1993) spiegelt ein RMSEA von 0,05 einen sehr guten Fit und ein RMSEA von 0,08 einen annähernd guten Fit wider. Der RMR ist ein Maß für die Abweichung der empirischen Varianz/Kovarianzgrößen von den theoretischen modellbasierten Größen. Ähnlich dem RMSEA wird er als „gut“ bewertet, wenn der Wert kleiner als 0,5 ist. Werte kleiner 0,08 bzw. 0,1 werden noch als akzeptabel angesehen (Kline 1998, Hu und Bentler 1999). Lokale Anpassungsmaße ermöglichen Aussagen über Reliabilität und Validität einzelner Teile des Modells (z.B. Indikatoren oder Faktoren). Indikatoren werden auf Basis der Indikatorreliabilität (IR) und der Signifikanz der Faktorenladung (t-Wert) beurteilt. Die Indikatorreliabilität gibt an, welcher Anteil der Varianz eines Indikators durch den zugrunde liegenden Faktor erklärt werden kann. Der Wertebereich für die Indikatorreliabilität liegt zwischen Null und Eins, wobei Werte 0,4 als Mindestanforderung angesehen werden (Homburg 2000: 91). Zudem sollte die Faktorenladung signifikant von Null verschieden sein (mindestens auf dem 5%-Niveau). Auf Faktorenebene werden die Anpassungsmaße der Faktorreliabilität (FR) und die durchschnittlich erfasste Varianz (DIV) angewendet. Beide Kriterien liefern Informationen darüber, wie gut ein Faktor durch die Menge seiner jeweiligen Indikatoren gemessen wird. Die Faktorreliabilität misst, wie gut ein Faktor durch die Summe seiner Indikatoren gemessen wird. Er reicht ebenso von Null bis Eins. Werte 0,6 deuten auf eine gute Konstruktmessung hin. Die durchschnittlich erfasste Varianz (DIV) weist ebenfalls ein Intervall von Null bis Eins auf, der geforderte Mindestwert liegt bei 0,5 (Bagozzi und Yi 1988, Fornell und Larcker 1981). Dieses Kriterium ist jedoch nur bei metrisch skalierten Variablen anwendbar. Tabelle 4 gibt einen Überblick der verwendeten Gütekriterien und deren Anspruchsniveau.

107 Der Quotient aus dem x2-Wert und Freiheitsgraden stellt eine Verbesserung des inferenzstatistischen x2-Tests dar. Für dieses deskriptive Anpassungsmaß werden Maximalwerte von 3 bzw. 5 gefordert (Homburg 2000: 93, Fritz 1995: 140).

150

Tabelle 4: Globale Gütekriterien für die Modellbeurteilung Globale Gütekriterien

Anspruchsniveau

x2/df

ns

Comperative Fit-Index (CFI)

0,9

Trucker/Lewis-Index (TLI) Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA) Root Mean Square Residual (RMR)

0,9

Lokale Gütekriterien Indikatorreliabilität (IR)

0,05 bzw. 0,08 0,1 Anspruchsniveau 0,4

Faktorreliabilität (FR)

0,6

Durchschnittlich erfasste Varianz (DIV)

0,5

(Quelle: In Anlehnung an Rothenberger 2005: 164)

6.5

Operationalisierung des häufigen Schulschwänzens

Die Informationen der „MPI-Schulbefragung 1999“ beruhen auf selbstberichteten Angaben der Schüler. Auch wenn angenommen werden kann, dass besonders schwere Fälle des Schulschwänzens in der Stichprobe unterrepräsentiert sind, weil diese Schüler selbst bei mehrfachen Kontaktversuchen nicht in der Schule anwesend waren, ist die Schülerbefragung anderen Befragungsmethoden vorzuziehen, da nur durch Selbstangaben valide Informationen über das Schulschwänzen zustande kommen. Die Jugendlichen wurden gefragt, ob sie überhaupt schon einmal in ihrer bisherigen Schulkarriere die Schule alleine oder mit anderen zusammen einen ganzen Tag oder mehrere Tage geschwänzt haben. Von den insgesamt 2.832 Schülern machten 2.718 Schüler Angaben zum Schulschwänzen. Davon gaben 69,5% an, überhaupt noch nicht geschwänzt zu haben, 30,5% beantworteten die Frage positiv. Diejenigen Schüler, die schon einmal die Schule schwänzten, wurden weiterhin gefragt, wie oft sie in den letzten 12 Monaten (seit September 1998) unentschuldigt in der Schule gefehlt haben. Im Mittel schwänzten die Schüler 1,9-mal die Schule (Min. = 0 und Max. = 92). Der größte Anteil fehlte ein- (8,5%) oder zweimal (6,7%). Mit zunehmender Schwänzhäufigkeit nehmen die Anteile rapide ab. Die Häufigkeitsverteilung des Schulschwänzens einschließlich der Normalverteilungskurve ist Abbildung 17 zu entnehmen.

151

2.500

Anzahl Schüler

2.000 1.500 1.000 500 0 0 20 40 60 80 100 Häufigkeit des tageweisen Schulschwänzens in den letzten 12 Monaten Abbildung 17: Absolute Häufigkeit des Schulschwänzens (MPI-Schulbefragung 1999)

Sowohl in der Forschungsliteratur als auch in öffentlichen Diskussionen über das Schulschwänzen herrscht weitgehend Einigkeit darüber, harmlose und gefährliche Formen des Schulschwänzens voneinander zu trennen. Das einmalige oder zumindest seltene Schwänzen einzelner Schulstunden oder Tage wird dabei häufig als „Kavaliersdelikt“ bezeichnet. Dieses Etikett ist durchaus berechtigt, denn gelegentliches Schulschwänzen ist ein weit verbreitetes und damit „normales“ Phänomen (BMJ 2001: 576). Die Auswertungen der KFNSchülerbefragung aus dem Jahr 1999 und 2000 (Wetzels et al. 2000a, Wetzels et al. 2000b) machen diesen Punkt deutlich: 57,7% der Schüler aus Hamburg, 55,6% aus Hannover, 55,5% aus München, 56,6% aus Friesland und 48,2% aus Delmenhorst gaben an, im letzten Schuljahr schon einmal die Schule geschwänzt zu haben. Schüler aus den neuen Bundesländern scheinen dagegen seltener zu schwänzen. In Leipzig waren es 34,4% und in Rostock 34,7%. Nicht ganz so ausgeprägt, aber immer noch mit einem relativ hohen Anteil vertreten, gaben etwa jeweils ein Drittel der Schüler in der „Schülerstudie 90“ (Behnken et al. 1991) an, die Schule jemals geschwänzt zu haben. Nach dem Bundesministeriums der Justiz ist „Schulschwänzen in einer leichteren Form des gelegentlichen Fernbleibens vom Unterricht […] ein offenkundig ubiquitäres Phänomen“ (BMJ 2001: 580) in der frühen Adoleszenz. Auch wenn die Unterscheidung in leichte und schwere Formen inhaltlich ihre Berechtigung hat, bleibt die Frage offen, bis zu welchem Punkt bzw. bis zu

152

welcher Häufigkeit Schulschwänzen als „Kavaliersdelikt“ zu bezeichnen ist und ab wann es zu einem Verhalten wird, das als delinquent und gefährdend für die Schullaufbahn betrachtet werden kann. Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort und auch die vorliegende Arbeit wird es nicht leisten können, einen endgültigen Schwellenwert bezüglich der Häufigkeit zu bestimmen. Dennoch können verschiedene Kriterien herangezogen werden, die es erlauben, mit den gegebenen Variablen Abgrenzungen zu machen, die in Ansätzen einen Schwellenwert des „gefährdenden“ Schulschwänzens begründen. Das erste Kriterium bezieht sich auf die Konvention im aktuellen Forschungsstand. In der Fachliteratur hat sich mindestens fünfmaliges Ausüben eines delinquenten Aktes als Definitionsmerkmal für einen Mehrfachtäter etabliert (z.B. BMJ 2001, PKS 2004, Baier und Wetzels 2007).108 Dieser Schwellenwert wird sowohl für Ordnungswidrigkeiten als auch für Straftaten benutzt. In Anlehnung an diese Konvention verwenden viele Autoren jenen Schwellenwert, um harmlose von schweren Formen des Schwänzens zu unterscheiden. So sprechen zum Beispiel Oberwittler et al. (2001), Wilmers (2000), Wilmers et al. (2002), Wetzels et al. (2000a, 2000b), Baier et al. (2005) etc. vom „häufigen bzw. gefährdenden Schulschwänzen“, wenn der Schüler mehr als fünf- bzw. sechsmal unentschuldigt dem Unterricht ferngeblieben ist. Die Einheiten der Abwesenheit beziehen sich meistens auf Tage. Auswertungen dieser Autoren zum Schulschwänzen zeigen, dass ab dem fünf- oder sechsmaligen Schwänzen in Bezug auf viele verschiedene Faktoren ein qualitativer Unterschied besteht, der diese Gruppe der „häufigen Schulschwänzer“ deutlich von Schülern unterscheidet, die weniger unerlaubt abwesend sind. So finden z.B. Wetzels et al. (2000b: 120) einen deutlichen „Sprung“ in der Intensität der elterlichen Kontrolle ab der Schwänzhäufigkeit „5 bis 10 Tage“ (in einem Halbjahr). 20,0% der Jugendliche, die 5-10 Tage schwänzen, erfahren eine geringe elterliche Kontrolle, dagegen stehen nur 11,5% der Jugendlichen mit weniger Schwänzhäufigkeiten.109 Ähnliche Sprünge sind für das gewalttätige Verhalten des Schülers, für die häusliche Gewalt oder Vandalismus auszumachen (Wetzels et al. 2000a). Das zweite Kriterium lehnt sich an die Argumentation des vorhergehenden an. Wenn angenommen wird, dass häufiges Schulschwänzen kein Kavaliersdelikt ist, sondern eine „schwerere“ Variante abweichenden Verhaltens, dann wäre zu erwarten, dass ab einer bestimmen Anzahl an Schwänzeinheiten schwerere 108 Meistens wird kein beschränkter Zeitrum angegeben, in dem die delinquenten Akte vollzogen wurden. Oft geht es um Personen, die jemals fünf- bis sechs delinquente Handlungen vollzogen haben. 109 In der Kategorie „mindestens 10 Tage“ unerlaubter Schulabwesenheit, nimmt der Anteil im Vergleich zu der Kategorie „5-10 Tage“ kaum noch zu.

153

Delinquenzformen (z.B. Erpressung, Einbruch etc.) abrupt zunehmen. In Abbildung 18 wird die Häufigkeit verschiedener Formen strafrechtlich relevanten Verhaltens (Auto aufbrechen, Auto stehlen, Einbruch, Raub, Graffiti, Erpressung) mit der Häufigkeit des Schulschwänzens – hier abgebildet über den Mittelwert des tageweisen Schulschwänzens in den letzten sechs Monaten – in Beziehung gesetzt. Die Ausprägungen der sechs delinquenten Handlungen gehen von „nie“ bis „mehr als 10 mal“. Da es sich um schwerere Formen abweichenden Verhaltens handelt (schwere Straftaten), wird schon das einmalige bzw. – unter der Annahme, dass ein einmaliges Verhalten auch ein „Ausrutscher“ sein kann – das zwei bis fünfmalige Ausüben als Marke für die Bestimmung „häufiges Schwänzen“ herangezogen. Trotz einiger Variationen zwischen den einzelnen Delinquenzformen korrespondiert die Schwänzhäufigkeit im Mittel mit den verschiedenen Formen abweichenden Verhaltens bei etwa vier Tagen.110 Dieser Wert ist, obwohl er die konventionell inhaltliche Definition der aktuellen Forschungsliteratur leicht unterschreitet, nicht weit von eben dieser entfernt und dient damit eher als Stütze der Definition denn als Kritik. Die Bestimmung des Schwellenwertes für „häufiges Schulschwänzen“ über den Bezug zu schwereren Formen abweichenden Verhaltens soll nicht als Beweisführung aufgefasst werden. Bereits die selektive und eingeschränkte Auswahl der verschiedenen Formen abweichenden Verhaltens spricht dagegen. Dennoch kann dieses Vorgehen als eine nützliche Annäherung für die Bestimmung eines Schwellenwertes und als Anregung weiterer Untersuchungen verstanden werden. Ein drittes Kriterium bezieht sich auf die statistische Handhabung. Obwohl im Original eine metrisch skalierte Variable vorliegt (Häufigkeit des Schulschwänzens im letzten Jahr), und metrisch skalierte Variablen bei quantitativen Auswertungen aufgrund ihres höheren Informationsgehaltes gegenüber kategorialen Daten zu bevorzugen sind, kann die Variable in ihrer ursprünglichen Verteilung nicht verwendet werden. Dies ist vor allem auf die extrem linkssteile bzw. rechtsschiefe Verteilung zurückzuführen. Die Schiefe111 mit einem Wert von 7,45 und der Kurtosis112 mit 72,40 spiegeln das wider (vgl. Abbildung 17). Damit ist jedoch die wichtige Voraussetzung der (annähernden) Normalverteilung der Residuuen verletzt, die für eine adäquate Nutzung linearer Regressi110 Dieser Wert setzt sich aus den Mittelwerten der Delinquenzformen zusammen (5,9 + 8,0; 3,4 + 5,9; 3,6 + 3,6; 3,7 + 4,3; 2,6 + 3,5; 2,5 + 3,2)/12 = 4,2). 111 Durch die Skewness (Schiefe) wird angezeigt, inwieweit die Verteilung von einer symmetrischen Verteilung abweicht. Symmetrie liegt dann vor, wenn der Wert „0“ erreicht wird. Rechtsschiefe liegt bei einem positiven und Linksschiefe bei einem negativen Wert vor (vgl. Kähler 1998: 80). 112 Normalverteilte Zufallsgrößen haben eine Kurtosis (Wölbung) von „3“. Bei einem positiven Wert ist die Verteilung zentrierter als die einer Normalverteilung und bei einem negativen Wert ist sie flacher (vgl. Kähler 1998: 80).

154

onsmodelle notwendig ist (z.B. Backhaus et al. 2005: 9, Brosius 2004: 556). Auch Transformationen, wie das Logarithmieren, welches eingesetzt wird, um schiefe Verteilung zu Normalverteilungen zu korrigieren, führten zu keinem befriedigenden Ergebnis. Diese statistische Restriktion stützt die Entscheidung mit dem schon bestehenden Schwellenwert, und somit einer dichotomen Variable, zu arbeiten.113 Damit weist die deutsche Forschungslandschaft im internationalen Vergleich eine relativ einheitliche Definition des „häufigen Schulschwänzens“ auf. Um diese Konvention nicht zu brechen und die hier gefundenen Ergebnisse mit denen anderer deutscher Studien vergleichen zu können, wird der Schwellenwert für häufiges Schwänzen in der vorliegenden Arbeit ebenfalls bei einer Abwesenheitsquote von mindestens sechs Tagen festgelegt. In den folgenden Ausführungen wird das häufige Schulschwänzen auch als „Intensivschwänzen“ oder „Mehrfachschwänzen“ bezeichnet.

113 Eine ordinale Skalierung würde zu einer „unübersichtlichen“ Anzahl an Ausprägungen führen.

155

Abbildung 1 : Schwänzhäufigkeit nach schweren Formen abweichenden Verhaltens (Mittelwerte, MPI-Schulbefragung 1999)

Schulschwänzen nach der Delinquenzform "Auto aufbrechen"

Schulschwänzen nach der Delinquenzform "Auto gestohlen" 10,0

8,0

8,0

Mittelwert Schulschwänzen

Mittelwert Schulschwänzen

10,0

5,9

6,0 4,0 2,0

8,0 5,9 6,0 3,4

4,0 2,0

0,0 0,0 nie

einmal

2 - 5 mal

6 - 10 mal mehr als 10 mal

nie

“Auto aufbrechen” in den letzten 12 Monaten

Schulschwänzen nach der Delinquenzform "Einbruch"

Mittelwert Schulschwänzen

Mittelwert Schulschwänzen

mehr als 10 mal

10,0

8,0 6,0 3,6

4,0

3,6

2,0 0,0

8,0 6,0 4,3 3,7

4,0 2,0 0,0

nie

einmal 2 - 5 mal 6 - 10 mal mehr als 10 mal “Einbruch” in den letzten 12 Monaten

Schulschwänzen nach der Delinquenzform "Graffiti" 10,0 Mittelwert Schulschwänzen

2 - 5 mal 6 - 10 mal

Schulschwänzen nach der Delinquenzform "Raub"

10,0

8,0 6,0 3,5

4,0 2,6 2,0 0,0 nie

einmal

2 - 5 mal

6 - 10 mal mehr als 10 mal

“Graffiti” in den letzten 12 Monaten

156

einmal

“Auto gestohlen” in den letzten 12 Monaten

nie

einmal

2 - 5 mal 6 - 10 mal

"Raub” in den letzten 12 Monaten

mehr als 10 mal

6.6

Operationalisierung familialer Strukturmerkmale

Die räumliche Mobilität der Familie wird mit einer dichotomen Variablen gemessen, die angibt, ob die Familie des Befragten in den letzten drei Jahren zwischen verschiedenen Stadtvierteln oder Städten umgezogen ist oder ob kein bzw. nur ein Umzug innerhalb des Stadtviertels stattgefunden hat. Die ursprünglich vierstufige Skala (1 = nein; 2 = ja, innerhalb eines Stadtviertels; 3 = ja, von einem anderen Stadtteil; 4 = ja, aus einer anderen Stadt) wird dichotomisiert (0 = kein Umzug, 1 = Umzug). Die Dichotomisierung erfolgt, da das entscheidende Moment die Differenzierung zwischen einem Umgebungswechsel ist, der Prozesse der Neuorientierung und des Aufbaus eines neuen sozialen Netzwerkes impliziert, und einem Umgebungswechsel, der kaum oder keine Neuorientierung verlangt (wie der Umzug innerhalb eines Stadtviertels). Insgesamt berichten etwa 16,0% der Schüler von einem Umzug in ein anderes Viertel oder eine andere Stadt. Die Familienstruktur ist ebenfalls eine dichotome Variable, die angibt, ob die Eltern zusammen oder getrennt leben (0/1). Etwa 21,0% der Jugendlichen gaben an, dass ihre Eltern getrennt leben. Auch wenn dieses Item nur unzureichend die familiale bzw. Partnerschaftsstruktur der Eltern abbildet, bieten sich mit den vorliegenden Daten keine Alternativen, die es erlauben würden, die Familienstruktur spezifischer – z.B. den Verlust eines Geschwisters – zu erfassen. Die Familiengröße wird – analog zu Sampson und Laub (1993) – über die Anzahl der Kinder ermittelt und trägt daher im Weiteren das Etikett „Geschwisterzahl“. Der Range reicht von 0 bis 9 mit einem Mittelwert von x = 1,14 (SD = 1,13). Um die ethnische Herkunft zu messen, wird das Herkunftsland des Vaters verwendet. Es konnten insgesamt 20 verschiedene Nationen identifiziert werden, die für die weiteren Auswertungen in eine dichotome Variable umkodiert wurden. Diese Variable unterscheidet, ob der Vater ausländischer oder deutscher Herkunft ist (1/0). 36,4% der Schüler haben einen Vater mit Migrationshintergrund. Dabei ist der Anteil an Jugendlichen mit ausländischer Herkunft an niedrigen Schulformen ausgeprägter als an höheren Schulformen (Sonderschule = 42,0%, Hauptschule = 62,5%, Realschule = 39,3%, Gesamtschule = 14,4%, Gymnasium = 25,8%, Waldorfschule = 14,3%). Die Messung des sozioökonomischen Status basiert auf dem Berufs-PrestigeIndex von Ganzeboom et al. (1992). Die ursprüngliche Skala mit einem Range von 16 bis 90 wird zu einem vierstufigen Index (1 = sehr niedriges Berufspresti-

157

ge bis 4 = sehr hohes Berufsprestige) zusammengefasst. In die Analyse fließt das Maximum der Werte von Vater oder Mutter ein, bei allein erziehenden Eltern deren Wert ( x = 2,86). Die originale Prestigeskala weist aufgrund ungenauer Angaben zum elterlichen Beruf 447 fehlende Werte (Missings) auf. Der Anteil fehlender Werte lässt sich jedoch reduzieren, wenn eine gröbere Berufseinteilung verwendet wird. Diese Zusammenfassung erlaubt es, die Anzahl der Missings von 447 auf 164 zu reduzieren (vgl. Oberwittler et al. 2001). Eine genauere Analyse der fehlenden Werte zeigt eine systematische Verteilung nach den Schulformen in dem Sinn, dass Schüler niedrigerer Schulformen häufiger keine Angaben zum Beruf der Eltern gemacht haben (Gymnasiasten 2,4%, Realschüler 4,0%, Gesamtschüler 4,0%, Hauptschüler 13,0%, Sonderschüler 18,0%. Waldorfschüler weisen keine fehlenden Werte auf). Die Berufstätigkeit der Mutter ist eine dichotome Variable, bei der Mütter, die nie einem Beruf nachgingen, mit Null und Mütter, die halb- oder ganztags erwerbstätig sind oder waren, mit Eins kodiert wurden. Bei 85,8% der Jugendlichen ist oder war die Mutter berufstätig.

6.7

Operationalisierung familialer Bindungsfaktoren

In der „MPI-Schulbefragung 1999“ sind mehrere Skalen implementiert, die jeweils die verschiedenen innerfamilialen Dimensionen (emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind, Ablehnung durch die Eltern, Kritik durch die Eltern und Gewalt) abbilden. Diese Skalen setzen sich alle aus kategorialen bzw. ordinalen Merkmalen zusammen. Als Maß der internen Skalenkonsistenz wird Cronbachs Alpha114 herangezogen. Cronbachs Alpha wiederum verlangt ein metrisches Skalenniveau. Eine einfache Übernahme dieser Skalen ist – obwohl üblich in der Forschung – daher nicht empfehlenswert. Zumindest dann nicht, wenn die Option besteht, neuere Verfahren einzusetzen, die das kategoriale Skalenniveau bei der Skalenkonstruktion bzw. Reliabilitätsprüfung berücksichtigen. Da ein solches Verfahren zur Verfügung steht (eine genauere Bechreibung ist Kapitel 6.4 zu entnehmen), werden die implementierten Skalen (vgl. Blank et al. 2003) nicht übernommen, sondern neu überprüft bzw. gebildet. Neben der zentralen Kritik, dass Cronbachs Alpha nicht für kategoriale Daten (optimal) geeignet ist, werden in der Fachliteratur dieser Maßzahl mehrere Schwächen zugeschrieben. So setzt es die Eindimensionalität der Skala voraus, 114 Cronbachs Alpha liegt zwischen Null und Eins. Der Wert steigt bei zunehmender Korrelation der Items als auch bei zunehmender Anzahl der Items an (vgl. Homburg und Giering 1996). Werte über 0,80 deuten auf eine sehr gute interne Konsistenz; in der Praxis werden auch niedrigere Koeffizienten, bis 0,60 akzeptiert (Schnell et al. 1999).

158

um überhaupt sinnvoll interpretiert werden zu können (Hildebrandt und Temme 2006). Diese Eindimensionalität kann jedoch nicht immer angenommen werden. Die Güte des Maßes korreliert zudem positiv mit der Anzahl der Items (Homburg und Giering 1996) und es wird unterstellt, dass alle Indikatoren, die für die Messung eines Konstrukts verwendet werden, die gleiche Reliabilität aufweisen. Damit werden Messfehler der einzelnen Indikatoren nicht einbezogen (Anderson und Gerbig 1988). Diesen Nachteilen begegnen moderne Verfahren – denen der so genannten zweiten Generation (z.B. Anderson und Gerbing 1988, Homburg und Giering 1996). Zu diesen Verfahren zählt die bereits erwähnte konfirmatorische Faktorenanalyse. Bevor mittels der konfirmatorischen Faktorenanalyse die Messmodelle geprüft werden, wird eine explorative Faktorenanalyse vorgeschaltet, um so eine Zuordnung der Items abzusichern. Als Gütekriterien dienen zum einen die Faktorladung, die größer als 0,5 sein sollte, und zum anderen der RMSEA sowie RMR (vgl. Kapitel 6.4). Die explorative Faktorenanalyse ist ein datenreduzierendes Verfahren. Ziel ist es, aus beobachtbaren (manifesten) Variablen auf latenten – nichtbeobachtbare – Variablen zu schließen. Voraussetzungen der Faktorenanalyse sind unabhängige Beobachtungen, metrisch skalierte Variablen, die approximativ normalverteilt sein sollen und ein möglichst großer Stichprobenumfang. Da die vorliegenden Variablen kategorial und nicht metrisch skaliert sind, wird auf das von Muthén und Muthén konzipierte Programm Mplus (2007) zurückgegriffen, dass auch Faktorenanalyse für kategoriale Variablen zulässt. Eine polychorische Korrelations-Matrix115 dient hier als Grundlage für die Schätzung des Faktormodells. Für die Parameterschätzung (Ladungen, Varianzen, Kovarianzen, Korrelationen) wird der „weighted least squares estimator“ (WLSMV) benutzt. Es wurde die oblique Rotationstechnik Varimax und Promax angewandt116, um eine Vergleichbarkeit dieser beiden Rotationstechniken zu gewährleisten.

115 vgl. zu polychorischen Korrelationen Reinecke (2005: 31ff.). 116 Die Varimax-Rotation ist ein orthogonales Rotationsverfahren der Faktorenanalyse. Die Anfangslösung der Faktoren wird so gedreht, dass möglichst eine Einfachstruktur entsteht. Die resultierenden Faktoren sind immer untereinander unkorreliert. Dagegen ist die Promax-Rotation ein obliges Rotationsverfahren. Die resultierenden Faktoren können untereinander korrelieren (Weiß 2007).

159

Tabelle 5: Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse zu den innerfamilialen Merkmalen Items

Emotionale Bindung

Ablehnung Kritik durch die durch die Eltern Eltern

Gewalt

Varimax Promax Varimax Promax Varimax Promax Varimax Promax In meiner Familie kann ich mich auf die anderen verlassen

0,63

0,66

0,11

-0,01

0,07

-0,08

0,26

0,16

Wenn ich sie brauche, sind meine Eltern für mich da

0,76

0,81

0,15

-0,01

0,08

-0,08

0,23

0,10

Beziehung zur Mutter in Schulnoten

0,70

0,71

0,27

0,15

0,21

0,06

0,08

-0,09

Wenn ich mich einmal schlecht fühle, kümmert sich meine Mutter besonders um mich

0,69

0,77

-0,09

-0,04

0,06

-0,07

0,04

-0,09

Meine Eltern kritisieren mich wegen jeder Kleinigkeit*

-0,34

-0,23

-0,32

-0,23

-0,36

-0,27

-0,22

-0,09

Zwischen mir und meinen Eltern kommt es häufig zu Streitereien

-0,31

-0,16

-0,67

-0,66

-0,24

-0,11

-0,13

0,02

Manchmal wünschte ich mir, andere Eltern zu haben*

-0,51

-0,43

-0,43

-0,35

-0,21

-0,07

-0,18

-0,03

Häufigkeit Streit mit Vater

-0,03

0,17

-0,68

-0,73

0,07

0,06

-0,25

-0,19

Häufigkeit Streit mit Mutter

-0,44

-0,34

-0,64

-0,63

-0,12

0,03

-0,03

0,14

Eltern sind mit Schulleistungen unzufrieden

-0,14

0,03

-0,14

-0,01

-0,75

-0,79

-0,19

-0,04

Eltern machen Stress wegen der Schule

-0,12

0,07

-0,16

-0,02

-0,92

-0,99

-0,16

0,02

In meiner Kindheit wurde ich häufig von meiner Mutter geschlagen oder verprügelt

-0,31

-0,23

0,05

0,24

-0,26

-0,14

-0,76

-0,76

In meiner Kindheit wurde ich häufig von meine

-0,08

0,08

-0,14

-0,03

-0,18

-0,06

-0,81

-0,84

160

Vater geschlagen oder verprügelt Meine Mutter hat mich geschlagen oder etwas nach mir geworfen

-0,34

-0,24

-0,19

-0,05

-0,16

-0,10

-0,65

-0,62

Mein Vater hat mich geschlagen oder etwas nach mir geworfen

-0,07

0,11

-0,37

-0,31

-0,03

0,15

-0,83

-0,86

n = 2.504, * = ausgeschlosene Items Die grau markierten Ladungen stellen niedrige Ladungen dar, hohe Ladungen sind schwarz hervorgehoben.

Die Dimensionen „emotionale Bindung“, „Ablehnung und Kritik der Eltern“ sowie „Gewalttätigkeit der Eltern“ werden aus vier jeweils vierstufigen Skalen extrahiert (0 = stimmt gar nicht bis 3 = stimmt genau). Die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind wird über einen Index gemessen, der sich an das „Inventory of Parent and Peer Attachment“ (IPPA) von Armsden und Greenberg117 (1987) anlehnt und sich in der hier verwendeten modifizierten Form (Blank et al. 2003) aus vier Items zusammensetzt: Zum einen aus den Items „In meiner Familie kann ich mich auf die anderen verlassen“, „Wenn ich sie brauche, sind meine Eltern für mich da“ und „Wenn ich mich einmal schlecht fühle, kümmert sich meine Mutter besonders um mich“ (0 = stimmt gar nicht bis 3 = stimmt genau), zum anderen aus Schulnoten, mit denen die Jugendlichen die Beziehung zur Mutter beurteilen. Den Ergebnissen der explorativen Faktorenanalyse zufolge, laden alle Items hoch auf dem Faktor „emotionale Bindung“ (vgl. Tabelle 5: erste Spalte).118 „Ablehnung“ und „Kritik“ durch die Eltern gegenüber dem Kind (parental rejection) werden durch zwei Skalen gemessen. Einerseits über die Streitintensität zwischen Eltern und Kind und andererseits über die Kritikhäufigkeit der Eltern gegenüber dem Kind. Die Skala Streitintensität ist ebenfalls, wie die „Emotionale Bindung“, eine abgewandelte Form des „Inventory of Parent and Peer Attachment“ von Armsden und Greenberg (1987) und umfasst fünf Items. Zum einen wurden die Jugendlichen gebeten anzugeben, ob ihre Eltern sie „wegen jeder Kleinigkeit“ kritisieren, ob es häufig zum Streit zwischen ihnen und ihren Eltern kommt und ob sich die 117 Das “Inventory of Parent and Peer Attachment” von Armsden und Greenberg (1987) setzt sich aus 28 Items (jeweils fünfstufig skaliert) zusammen, welche die Beziehung zu den Eltern, und weiteren 25 Items, welche die Beziehung zu den Peers messen. 118 Da oft angenommen wird, dass Jungen und Mädchen zu den gleich- und gegengeschlechtlichen Elternteilen unterschiedlich enge emotionale Bindungen haben, wurde das Geschlecht kontrolliert. Es zeigen sich keine signifikanten Differenzen in Bezug auf die emotionale Nähe zu den Eltern.

161

Schüler manchmal wünschen, andere Eltern zu haben. Zum anderen wurde die Häufigkeit des Streites mit dem Vater und der Mutter erfasst. Aufgrund der niedrigen Faktorenladungen werden die Items „Wunsch nach anderen Eltern“ (aij = 0,48) und „Meine Eltern kritisieren mich wegen jeder Kleinigkeit“ (aij = 0,36) ausgeschlossen (vgl. Tabelle 5). Die Skala „emotinale Bindung“ weist einen Mittelwert von 2,5 auf (Min. = 0, Max. = 3, SD = 0,52). Die Kritikhäufigkeit der Eltern – eine Skalenkonstruktion von Blank et al. (2003) – bezieht sich a) auf die wahrgenommene Unzufriedenheit der Eltern mit den Leistungen des Kindes und b) auf die Frage, ob die Eltern „Stress wegen der Schule machen“. Das Ergebnis der explorativen Faktorenanalyse spricht für die Eindimensionalität des Faktors, der so für die weiteren Analysen übernommen wird (M = 1,05, Min. = 0, Max. = 3, SD = 0,65). Zur Messung eines gewalttätigen Erziehungsstils – die vierte Komponente der innerfamilialen Merkmale – dienen Informationen über gewalttätige Reaktionen der Eltern, die auf einer Skala von Wetzels et al. (2001) beruhen. Die Befragten sollten angeben, ob sie a) in der Kindheit von ihrem Vater und ihrer Mutter geschlagen worden sind bzw. ob diese mit Gegenständen nach ihnen geworfen haben (0 = stimmt genau bis 3 = stimmt gar nicht) und b) ob die Eltern sie im letzten Jahr geschlagen oder mit Gegenständen beworfen haben (0 = nie bis 3 = sehr oft).119 Der Mittelwert liegt bei 0,20 (Min. = 0, Max. = 3, SD = 0,40). Alle Items laden sehr hoch auf dem Faktor „Gewalt“, so dass diese Zuordnung beibehalten wird. Insgesamt weist das Modell – unter Ausschluss des Items „Manchmal wünschte ich mir, andere Eltern zu haben“ und „Meine Eltern kritisieren mich wegen jeder Kleinigkeit“ – mit jeweils signifikanten Faktorenladungen 0,60120 und einem RMSEA von 0,06 einen befriedigenden Fit auf. Als letzte Dimension der innerfamilalen Merkmale wird die direkte elterliche Kontrolle überprüft. Leider enthalten die Daten keine Skala, die dieses Konstrukt abbilden würde. Daher muss alternativ auf zwei manifeste Variablen zurückgegriffen werden, die in der Literatur häufig für die Messung der direkten elterlichen Kontrolle herangezogen werden (z.B. Dorius et al. 2004, South und Baumer 2000). Die erste Variable gibt die Uhrzeit an, zu der die Jugendlichen unterhalb der Woche abends zu Hause sein müssen. 14,4% gehen abends über119 Eine Betrachtung der einzelnen Items zeigt, dass etwa 6,5% der befragten Schüler in der frühen Kindheit „oft“ oder „sehr oft“ vom Vater misshandelt wurden. Etwas seltener äußern sich die Schüler über häufige Auseinandersetzungen mit der Mutter (4,6%). Zum Befragungszeitpunkt 1999 wird etwas seltener von extremen physischen Konflikten mit den Eltern berichtet (4,0% erfahren oft oder sehr oft Gewalt vom Vater und 2,7% erfahren oft oder sehr oft Gewalt durch die Mutter). 120 Im Gegensatz zu SPSS wird in Mplus auch bei Faktorenanalysen die Signifikanz der einzelnen Ladungen angegeben.

162

haupt nicht weg, etwa 19,0% dürfen bis 20.00 Uhr außer Haus bleiben und etwa die Hälfte der Jugendlichen (48,8%) muss bis 21.00 Uhr oder 22.00 Uhr zu Hause sein. Bis 23.00 Uhr können 10,2% ausgehen und 7,7 % sind erst um 24.00 Uhr oder später zu Hause. Die zweite Variable misst die Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen mit den Freunden (0 = stimmt genau, 3 = stimmt gar nicht). Die Mehrheit der Eltern kennt den Freundeskreis und Aufenthaltsort des Jugendlichen (60,4% stimmt genau, 26,2% stimmt eher). 9,5% der Schüler gaben an, dass die Eltern kaum Kenntnis über ihre Freunde haben und 3,8% stimmten dieser Aussage „gar nicht“ zu. Eltern von Mädchen üben eine stärkere Kontrolle aus als Eltern von Jungen. 86,6% der Mädchen gaben an, dass ihre Eltern immer wissen, wo sie sich mit wem aufhalten, bei den Jungen sind es hingegen nur 51,0%. Beide Variablen korrelieren nur schwach miteinander (rsp = 0,21)121, was gegen die Zusammenführung beider Merkmale in Form eines latenten Konstrukts spricht. Warum dieser Zusammenhang relativ schwach ist, bleibt unklar. Es kann vermutet werden, dass die Messung, insbesondere der Perspektivenwechsel, Schwierigkeiten beinhaltet. Einerseits geben die Jugendlichen Auskunft über ihr eigenes aktives Verhalten (Ausgehzeiten unterhalb der Woche) und andererseits geben sie Informationen über den Wissensstand der Eltern (Kenntnis der Eltern über Freunde und Aufenthaltsort). Damit besteht das Problem, dass die Jugendlichen nicht nur ihr eigenes Verhalten angeben, sondern auch „für“ ihre Eltern sprechen. Inwieweit die Jugendlichen, die Perspektive der Eltern real wiedergeben, sei dahingestellt. Neben der unsicheren Information aus Perspektive einer zweiten Person – hier der Kinder – wird zudem einmal nach dem Verhalten gefragt und das andermal nach dem Wissen. Verhalten und Wissen sind jedoch zwei verschiedene Dimensionen, die nicht zwangsläufig übereinstimmen müssen. Da mit den vorliegenden Daten nicht geklärt werden kann, welches Item „besser“ die elterliche Kontrolle abbildet, werden für die weitere Analyse beide aufgenommen. Als Kontrollvariablen dienen das Alter (Min. = 11, Max. = 18, x = 14,8) und das Geschlecht (0 = Junge, 1 = Mädchen) der Schüler, da gerade diese Merkmale – wie verschiedene Studien zeigen konnten (z.B. Fend 1995) – mit den innerfamilialen Komponenten (Bindung, Ablehnung der Eltern, Supervision und Gewalt) zusammenhängen.

121 rsp = Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman.

163

6.8

Prüfung der Messmodelle

Mit Hilfe von konfirmatorischen Faktorenanalysen wird geprüft, ob die mittels der explorativen Faktorenanalyse bestimmten Konstrukte von den Indikatorenvariablen gemessen werden. Dabei wird getestet, inwieweit die beobachtete Kovarianzmatrix mit der Kovarianzmatrix des getesteten Modells übereinstimmt. Im Gegensatz zur explorativen Faktorenanalyse laden die Items ausschließlich auf einem vorgegebenen Faktor. Das Modell (und damit die Faktorenladungen) wird in Mplus mit Hilfe einer Probit-Regression geschätzt (WLSMV-Schätzer). Zur Beurteilung der Konsistenz des Gesamtmodells mit der empirischen Datenstruktur werden die globalen und lokalen Anpassungsmaße, die schon in Kapitel 6.4 vorgestellt wurden, herangezogen (Faktorladung, x2Test, CFI, TLI, RMSEA). Betrachten wir zuerst die lokalen Anpassungsmaße (vgl. Abbildung 19). Faktorenladung aller Indikatoren ist sehr gut. Der niedrigste Wert liegt bei 0,67. Alle Variablen leisten einen hochsignifikanten Beitrag für die Erklärung der einzelnen Konstrukte („Emotionale Bindung“ etc.). Da im vorliegenden Fall kategoriale und nicht metrische Variablen verwendet werden, kann leider nicht der Anteil an erklärter Varianz angegeben werden. Alle vier Erziehungsstile korrelieren auf einem hohen Niveau (mindestens r = 0,5) miteinander. Die FitIndizes spiegeln – jenseits des hochsignifikanten x2-Tests – eine gute Anpassung des Modells wider (CFI = 0,96, TLI = 0,95, RMSEA = 0,07).

164

Note Mutter

0,30

Auf Familie ist Verlass

0,47

Eltern da, wenn man sie braucht

0,21

Mutter kümmert sich emotional

0,55

Früher von Mutter verprügelt

0,14

Früher von Vater verprügelt

0,24

Vater hat mich geschlagen

0,11

Mutter hat mich geschlagen

0,14

Streit mit Eltern

0,36

Streit mit Vater

0,44

Streit mit Mutter

0,28

Eltern mit Leistungen unzufrieden

0,30

Eltern machen Schulstress

0,15

0,84 0,73 Emotionale Bindung

0,89

0,67

-0,61 0,93 0,88 -0,71

Gewalt

0,95

0,93

-0,50

0,58

0,80 0,52 Ärger

0,75 0,84

0,50

0,83 Kritik 0,92

2

x = 817,02, df = 59, p = 0,001 CFI = 0,96 TLI = 0,95 RMSEA = 0,07

Abbildung 19: Latente Konstrukte der innerfamilialen Merkmale (MPI-Schulbefragung 1999)

165

6.9

Bivariate und multivariate Ergebnisse

Die empirischen Analysen folgen dem Aufbau des theoretischen Modells. In einem ersten Schritt werden die direkten bivariaten Zusammenhänge zwischen den familialen Strukturmerkmalen, den innerfamilialen Komponenten und dem Intensivschwänzen überprüft. Daran anknüpfend folgen die indirekten Beziehungen von den Strukturmerkmalen über die innerfamilialen Komponenten auf das häufige Schulschwänzen. Im Anschluss an die bivariaten Ergebnisse werden mittels einer Probit-Regression die direkten Effekte der Strukturmerkmale auf das Mehrfachschwänzen getestet. Die indirekten Effekte von den Strukturmerkmalen über die innerfamilialen Merkmale auf das häufige Schulschwänzen werden über Strukturgleichungsmodelle erfasst,122 daran schlisst die Betrachtung der direkten Effekte unter Berücksichtigung der indirekten Effekte an. Letztlich wird das Modell um die Aspekte „Anbindung an deviante Peers“, „Schulanbinding“ und „Schulleistung“ erweitert.

6.9.1 Bivariate Ergebnisse: Familiale Strukturmerkmale, innerfamiliale Merkmale und häufiges Schulschwänzen Die Zusammenhänge zwischen dem häufigen Schulschwänzen und den familialen Strukturmerkmalen wird für dichotome Variablen (Umzug, Trennung der Eltern, Nationalität des Vaters und Erwerbstätigkeit der Mutter) über das relative Risiko berechnet.123 Die Analyse zeigt, dass für Jugendliche, deren Familie den Wohnort gewechselt hat, das Risiko des Intensivschwänzens um 51,0% zunimmt (RR = 1,51, n = 2.728, p = 0,01). Die Trennung der Eltern erhöht das Risiko des Intensivschwänzens um 100% (RR = 2,0, n = 2.736, p = 0,001). Sind beide Eltern aus Deutschland, verringert sich die Wahrscheinlichkeit des unerlaubten Fernbleibens um 40,0% (RR = 0,6, n = 2.715, p = 0,001). Alle drei Merkmale weisen einen hoch signifikanten Zusammenhang mit dem Schulschwänzen auf. Dagegen haben die Berufstätigkeit der Mutter (RR = 1,12, n = 2.736) und die Geschwisteranzahl (rpb = 0,01, n = 2.747) keine statistisch be-

122 Alle direkten Effekte von den Strukturmerkmalen auf die intervenierenden Merkmale als auch von den intervenierenden Merkmalen aufeinander sind http://www.fis.unikoeln.de/schulabsentismus.html zu entnehmen. 123 Das relative Risiko drückt aus, um welchen Faktor sich ein Risiko bzw. das Eintreten eines Ereignisses in zwei Gruppen unterscheidet. Es berechnet sich aus den Quotienten dieser beiden Wahrscheinlichkeiten und nimmt Werte zwischen Null und Unendlich an. Ein Wert von Eins bedeutet, dass es keinen Unterschied im Risiko zwischen den beiden Gruppen gibt (vgl. Bortz 1999).

166

deutsame Beziehung mit dem häufigen Schwänzen.124 Der Unterschied zwischen mehrfach schwänzenden Jugendlichen, deren Eltern ein „sehr hohes“ (6,9%, n = 62) bzw. „eher hohes“ Prestige (7,3%, n = 50) haben, und jenen, die ein „sehr niedriges“ (11,2%, n = 27) oder „niedriges“ Prestige aufweisen (10,3%, n = 79), ist äußerst gering, dem x2-Test zufolge aber noch auf dem 5%-Niveau signifikant (x2 = 10,04, df = 3). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Ergebnisse der bivariaten Analyse vorläufig einen positiven Zusammenhang zwischen der Trennung der Eltern (H1a), dem Wohnortswechsel (H1c) und dem mehrfachen Schulschwänzen zulassen. Zudem gilt: Ist der Vater ausländischer Herkunft, erhöht dies das Risiko des häufigen Schwänzens (H1f). Außerdem zeigt sich, je niedriger der sozioökonomische Status der Eltern, desto höher das Ausmaß des häufigen Schulschwänzens (H1e). Die Familiengröße (H1b) sowie die Berufstätigkeit der Mutter (H1d) haben keinen Einfluss auf das Schulbesuchsverhalten. In Bezug auf die Kontrollvariablen ist festzuhalten, dass sowohl zu dem Geschlecht als auch dem Alter ein hochsignifikanter Zusammenhang besteht. Für Jungen ist das Risiko, häufig die Schule zu schwänzen, etwa 22,0% höher als für Mädchen (RR = 0,78 p = 0,001, n = 2.739). Zudem gilt: Je älter die Jugendlichen, desto eher schwänzen sie vermehrt die Schule (rpb = 0,13, p = 0,001, n = 2.734). Die Beziehungen zwischen innerfamilialen Faktoren, die ein metrisches Skalenniveau („emotionale Bindung“, „physische Gewalt“, „Ablehnung durch die Eltern“ und „Kritikhäufigkeit der Eltern“) aufweisen und dem häufigen Schwänzen sind in Tabelle 6 dargestellt. Die Zusammenhänge werden in Form punktbiserialer Korrelationskoeffizienten angegeben. Tabelle 6: Punktbiseriale Korrelationen zwischen den innerfamilialen Komponenten und häufigem Schulschwänzen rpb Emotionale Bindung zu den Eltern

n

-0,18***

2.647

Physische Gewalt

0,15***

2.640

Streitintensität

0,16***

2.595

Kritikhäufigkeit der Eltern

0,17***

2.678

*** p 0,001

Alle Merkmale weisen zwar einen hochsignifikanten Zusammenhang mit dem Intensivschwänzen auf, jedoch ist die Stärke der Koeffizienten eher niedrig. Die 124 Für die Bestimmung der Stärke des Zusammenhangs zwischen Geschwisteranzahl und Mehrfachschwänzen wurde eine punktbiseriale Korrelation berechnet (vgl. Bortz 1999).

167

Richtung der Zusammenhänge entspricht den postulierten Hypothesen: Je geringer die emotionale Bindung zu den Eltern, je höher die physische Gewalt und je häufiger die Auseinandersetzung mit den Eltern bzw. die Kritik durch die Eltern, desto häufiger schwänzen die Jugendlichen die Schule. In Bezug auf den ersten Indikator der elterlichen Kontrolle (Ausgehzeit der Jugendlichen unterhalb der Woche) ist folgendes Ergebnis festzuhalten (siehe Abbildung 20): Lediglich 2,8% der häufig schwänzenden Jugendlichen gehen abends gar nicht weg, etwa 8,0% sind bis 20.00 bzw. 21.00 Uhr unterwegs. Bis 22.00 Uhr dürfen 9,1% außer Haus bleiben. 20,1% sind bis 23.00 Uhr zu Hause, 23,2% bis 24.00 Uhr und 29,0% sogar bis nach Mitternacht. Der Zusammenhang zwischen dem unerlaubten Schulabsentismus und den Ausgehzeiten ist hochsignifikant (x2 = 169,98, df = 3, p = 0,001). Eine getrennte Betrachtung nach Geschlecht zeigt, dass Jungen und Mädchen nur in der letzten Kategorie „nach 24 Uhr“ stark variieren. 40,0 40 24,2

30 21,1

%

23,7

23,0

19,5 20 9,3 9,0

10 3,0 2,7

2,8 3,2

Ich gehe abends nicht weg

bis 20 Uhr

4,9 4,8

0 bis 21 Uhr

bis 22 Uhr

bis 23 Uhr

bis 24 Uhr

nach 24 Uhr

Uhrzeit des Nach-Hause-Kommens unterhalb der Woche Jungen

Mädchen

Gesamt

Abbildung 20: Anteile der häufig schwänzenden Jugendlichen nach der Uhrzeit des NachhauseKommens unterhalb der Woche

Der Anteil der häufig schwänzenden Mädchen, die erst nach Mitternacht nach Hause kommen, ist mit 40,0% fast doppelt so hoch wie der Anteil der Jungen (23,7%). Warum es hier zu so starken Geschlechtsunterschieden kommt, ist unklar und bedarf einer genaueren Analyse. Eine mögliche Erklärung ist, dass Mädchen aufgrund ihrer (oftmals) schnelleren Entwicklung im Jugendalter

168

abends eher länger wegbleiben und die Zeit z.B. in Diskotheken oder bei dem festen – oftmals älteren – Freund verbringen (Shell Studie 2006: 55).125 Parallel zu den späten Ausgehzeiten nimmt auch der Anteil der Eltern von häufig schwänzenden Jugendlichen zu, die nur geringe Kenntnis über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort ihres Kindes haben (siehe Abbildung 21).

39,3

40

28,3

30

%

23,4 17,1

20 9,9 10

5,1

10,3

4,1

0 stimmt genau

stimmt eher

stimmt kaum

stimmt gar nicht

Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort

Jungen

Mädchen

Gesamt

Abbildung 21: Anteil der häufig schwänzenden Jugendlichen nach der Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Kindes

Auch hier ist der Zusammenhang zwischen der elterlichen Kontrolle und dem Intensivschwänzen hochsignifikant (x2 = 180,18, df = 6, p = 0,001). Kennen 4,5% der Eltern schwänzender Kinder „genau“ bzw. 10,0% „etwas“ die Freunde und den Aufenthaltsort des Kindes, wissen etwa 20,0% „fast nichts“ und 35,0% „gar nichts“ über den Umgang des Jugendlichen. Kontrolliert nach dem Geschlecht finden sich leichte Differenzen bei den Eltern, die „kaum“ die Freunde und den Aufenthaltsort des Kindes kennen: Hier ist mit 23,4% der Anteil der Eltern von Mädchen etwas höher als der Anteil der Eltern von Jungen (17,1%). Dieses Bild ändert sich, betrachtet man die Kategorie „Eltern kennen gar nicht die Freunde und den Aufenthaltsort des Kindes“. Mit fast 13 Prozentpunkten Vorsprung sind es die Eltern der Jungen, die im Vergleich zu den Eltern der Mädchen keine Kenntnis haben.

125 In diesem Kontext fanden Leitenberg und Saltzman (2000), auf Basis einer Schülerbefragung in den USA heraus, dass Mädchen, die einen wesentlich älteren Freund haben, vermehrt die Schule schwänzen.

169

Die bivariaten Beziehungen – von den Struktur- und Kontrollmerkmalen über die innerfamilialen Merkmale zu dem Intensivschwänzen – werden über partielle Korrelationskoeffizienten abgebildet. Drücken Korrelationskoeffizienten allgemein die Stärke eines Zusammenhangs zwischen zwei Merkmalen aus, erlaubt es die partielle Korrelation, diesen Zusammenhang unter Berücksichtigung des Einflusses weiterer (Kontroll-) Merkmale zu prüfen.126 Die Berechnung partieller Korrelationen verlangt ein intervallskaliertes oder dichotomes Skalenniveau der Merkmale. Die Mehrzahl der hier verwendeten Variablen erfüllt dieses Kriterium, Ausnahmen sind der SES und die Kontrolldimensionen „Eltern kennen Freunde und Aufenthaltsort“, die beide ordinal skaliert sind. In beiden Fällen wurde der Rangkorrelationen nach Spearman (rsp) verwendet. In Anlehnung an das theoretische Modell werden jeweils die Korrelationen (rpb) zwischen dem Intensivschwänzen und den familialen Strukturmerkmalen sowie den Kontrollmerkmalen (Umzug, Trennung der Eltern etc.) unter Berücksichtigung des Einflusses der innerfamilialen Merkmale (emotionale Bindung, Gewalt etc.) berechnet. Die Ergebnisse sind Tabelle 7 zu entnehmen. In der ersten Spalte der Tabelle sind die Korrelationskoeffizienten der direkten Beziehung zwischen dem familialen Strukturmerkmalen (und Kontrollmerkmalen) 127 und dem Intensivschwänzen wiedergegeben. Um den möglichen Einfluss der Drittvariablen „innerfamiliale Merkmale“ zu prüfen, sind in Spalte 2 bis 7 jeweils die partiellen Korrelationskoeffizienten abgebildet. So ist zum Beispiel zu erkennen, dass sich der Korrelationskoeffizient zwischen häufigem Schwänzen und Umzug rpb = 0,05 (p = 0,05, n = 2.728) unter Kontrolle der Ausgehzeiten unterhalb der Woche (Kontrolle II) reduziert (rxyz = 0,03). Damit liegt ein – wenn auch sehr schwacher – Einfluss der Mediatorvariable „Ausgehzeit“ vor. Die meisten Beziehungen weisen keine bzw. sehr schwache Mediatoreffekte über die familialen Strukturmerkmale auf. Hierzu zählen, neben dem schon genannten Beispiel, die Beziehung „Trennung der Eltern  Schulschwänzen“, die partiell über die (späten) Ausgehzeiten bestimmt wird. Die Beziehung zwischen dem Intensivschwänzen und dem Migrationshintergrund, dem SES sowie dem Geschlecht werden jeweils durch eine hohe Gewalttätigkeit in der Familie, eine häufige elterliche Kritik sowie eine geringe Kenntnis der Eltern über die

126 Zunächst werden die Variablen x und y um den Einfluss von z (Kontrollvariablen) bereinigt und dann erst miteinander korreliert. Die Bereinigung erfolgt, indem x und y jeweils mit z korreliert und die Residuen von x und y berechnet werden (demnach der Anteil in x und y, der nicht durch z erklärt wird). Die Residuen werden dann miteinander korreliert (vgl. auch Bortz 1999). 127 Ausgeschlossen sind Berufstätigkeit der Mutter und Geschlecht. Da schon direkt keine Beziehung zum Schulschwänzen vorliegt, wäre die Prüfung möglicher intervenierender Effekte sinnlos.

170

Freunde und den Aufenthaltsort (Kontrolle I) beeinflusst. Deutlicher sind die Mediatoreffekte für die Pfade „Alter  Schulschwänzen“ sowie „Geschlecht  Schulschwänzen“, wenn die Merkmale der elterlichen Kontrolle einbezogen werden. Insbesondere der Mediatoreffekt der abendlichen Ausgehzeiten auf die Beziehung „Alter  Schulschwänzen“ ist groß. Unter Kontrolle dieses Merkmals reduziert sich der Koeffizient von rpb = 0,13 auf rpb = 0,06. Der Zusammenhang von Geschlecht und Schwänzen wird ferner (leicht) durch die Gewaltintensität und die elterliche Kritik erklärt. Tabelle 7: Direkte Korrelationen zwischen häufigem Schulschwänzen und familialen Struktur- und Kontrollmerkmalen und partielle Korrelationen dieser Beziehung kontrolliert nach den innerfamilialen Merkmalen128 Direkte Beziehung

Die Beziehung zwischen dem häufigen Schwänzen und den familialen Strukturund Kontrollmerkmalen unter Einfluss der innerfamilialen Merkmale

Korrelation mit häufigem Schwänzen r

Emot. Bindung

rxyz

rxyz

rxyz

rxyz

rxyz

rxyz

Umzug

0,05†

0,04†

0,04†

0,05†

0,05†

0,04†

0,03†

Trennung der Eltern

0,09***

0,08***

0,09***

0,08***

0,09***

0,08***

0,07***

Gewalt

Streit

Kritik

Kontrolle I

0,06**

0,06**

0,03

0,06***

0,04*

0,04*

SES

-0,06**

-0,06**

-0,04†

-0,06***

-0,04*

-0,04*

Geschlecht

-0,04†

-0,04†

0,02

-0,05**

-0,01

-0,00

Migration

Alter

0,13***

0,12***

0,12***

0,13***

0,12***

0,11***

Kontrolle II

0,06**a -0,06** 0,01 0,06***

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10 Leichte Variationen im Signifikanzniveau bei gleichem Koeffizienten sind auf Rundungen zurückzuführen a die Korrelation nach Pearsons weicht hier aufgrund einer geringeren Fallzahl in der Kombination der Merkmale Schwänzen, Kontrolle Ausgehzeiten und Migration leicht von dem Koeffizienten -0,06 ab. Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche

Für die indirekten Effekte lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Beziehungen aller aufgeführten Strukturmerkmale zu dem häufigen Schulschwänzen über mindestens eine innerfamiliale Komponente mediatisiert werden. Am häufigsten fungieren die Indikatoren der elterlichen Kontrolle als Mediatoren. Mindestens eines von beiden Merkmalen – Kenntnis der Eltern über Freunde und Aufenthaltsort sowie Ausgehzeiten unterhalb der Woche – beeinflusst bei allen Strukturmerkmalen die Beziehung zum Schwänzen. Zudem wirken die elterli128 Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Fallzahlen nicht in der Tabelle angegeben, sie sind dem Anhang Tabelle A2 zu entnehmen.

171

che Kritik und die familiale Gewalt als Mediatoren in den Beziehungen „Migration  häufiges Schwänzen“, „SES  häufiges Schwänzen“ und „Geschlecht  häufiges Schwänzen“. Von jeweils drei innerfamilialen Merkmalen sind die Pfade „Migrationshintergrund  häufiges Schulschwänzen“, „SES  häufiges Schulschwänzen“ und „Geschlecht  häufiges Schulschwänzen“ interveniert. Die anderen Pfade erfahren nur durch die elterliche Kontrolle eine Beeinflussung. Vorläufig können folgende Hypothesenketten nicht falsifiziert werden: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

H1c (Umzug)  H2b (elterliche Kontrolle)  häufiges Schulschwänzen H1a (Trennung der Eltern)  H2b (elterliche Kontrolle)  häufiges Schulschwänzen H1f (Migrationshintergrund)  H2a (Gewalt)/H2b (elterliche Kontrolle)/H2c (Ablehnung)  häufiges Schulschwänzen H1e (SES)H2a (Gewalt)/H2b (elterliche Kontrolle)/H2c (Ablehnung)  häufiges Schulschwänzen Geschlecht  H2a (Gewalt)/H2b (elterliche Kontrolle)/H2c (Ablehnung)  häufiges Schulschwänzen sowie AlterH2a (elterliche Kontrolle)  häufiges Schulschwänzen

6.9.2 Multivariate Ergebnisse Die Darstellung der Ergebnisse der multivariaten Analyse erfolgt in mehreren Schritten. Im ersten Schritt werden die direkten Effekte aller Merkmale auf das häufige Schulschwänzen ermittelt. Dieses Verfahren basiert, wie alle folgenden auch, auf einer Probit-Schätzung. Im zweiten Schritt werden die direkten gemeinsam mit den indirekten Effekten berechnet. Um die Ergebnisse anschaulich darzustellen, werden nur die indirekten Beziehungen in den Pfadmodellen abgebildet. Bestehen auch signifikante direkte Beziehungen zu dem häufigen Schulschwänzen, wird dies in den Pfadmodellen graphisch hervorgehoben.129 Ansonsten sind die Koeffizienten der direkten Beziehungen, die unter Berücksichtigung der indirekten Beziehung bestehen bleiben, gesondert in Tabelle 10 aufgeführt. In Tabelle 8 sind zunächst die direkten Effekte – ohne Berücksichtigung der indirekten Effekte – der familialen Strukturmerkmale und der vier innerfamilialen Komponenten auf das Intensivschwänzen abgebildet. In der ersten Spalte der Tabelle werden die unstandardisierten, in der zweiten Spalte die standardisierten Koeffizienten und in der dritten Spalte die Standardfehler (S.E.) wiedergegeben. Alle im Text referierten Koeffizienten beziehen sich auf die standardisierten 129 Die direkten Einflüsse aller Merkmale auf die verschiednen intervenierenden Variablen und das häufige Schulschwänzen sind www.fis.uni-koeln.de/schulabsentismus.html zu entnehmen.

172

Koeffizienten. Als Maße der Modellanpassung werden die x2-Verteilung, der Tucker-Lewis-Index (TLI), der Comparative-Fit-Index (CFI) und der Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA) verwendet (vgl. Kapitel 6.4). Entgegen der von Glueck und Glueck (1950) formulierten Hypothesen, aber in Übereinstimmung mit den multivariaten Ergebnissen von Sampson und Laub (1988) können für nur einige Strukturmerkmale direkte Effekte auf das Schulschwänzen verzeichnet werden. Lediglich die Merkmale „Trennung der Eltern“ ( = 0,14, p = 0,001, H1a), der „Migrationshintergrund“ ( = 0,09, p = 0,01, H1d) und der SES (ß = -0,09, p = 0,01, H1c) haben einen signifikanten Einfluss. Wenn die Eltern getrennt sind, der Vater einen Migrationshintergrund und/oder die Familie einen niedrigen SES aufweist, dann erhöht sich das Risiko des häufigen Schulschwänzens. Die Hypothesen, die einen direkten positiven Einfluss der Berufstätigkeit der Mutter (H1f), eines Umzuges (H1e), und einer großen Geschwisterzahl (H1b) auf das intensive Schwänzen unterstellen, müssen im Rahmen der vorliegenden multivariaten Analyse als falsifiziert angesehen werden. Ein Blick auf die Kontrollvariablen zeigt, dass auch mit dem Alter ( = 0,21, p = 0,001) das Risiko des intensiven Schulschwänzens signifikant zunimmt, und das ein Geschlechtereffekt besteht – Jungen schwänzen häufiger als Mädchen (ß = -0,08, p = 0,05). Von den innerfamilialen Dimensionen (Emotionale Bindung, Ablehnung der Eltern, Gewalt und Kontrolle) erweisen sich die beiden Indikatoren der elterlichen Kontrolle und die elterliche Kritik sowie die elterliche Ablehnung als einflussreich. Je weniger die Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen wissen ( = 0,16, p = 0,001), je länger die Jugendlichen unterhalb der Woche außer Haus bleiben ( = 0,26, p = 0,001), je intensiver die elterliche Kritik an dem Kind (ß = 0,12, p = 0,01) und die elterliche Ablehnung (ß = 0,10, p = 0,05), desto höher das Risiko des Mehrfachschwänzens. Die Befunde für die familialen Strukturmerkmale und die Kontrollmerkmale korrespondieren mit den schon zuvor präsentierten bivariaten Ergebnissen. Einzig der noch (schwach) auf bivariater Ebene signifikante Zusammenhang zwischen einem Umzug innerhalb der letzten drei Jahre und dem häufigen Schwänzen ist nun bedeutungslos. Entgegen der bivariaten Befunde sind von den innerfamilialen Faktoren im multivariaten Modell die emotionale Bindung und die häusliche Gewalt irrelevant. Insgesamt weist das Modell eine Erklärungskraft von 28,0% auf (Pseudo-R2 nach McKelvey und Zavonia 1975).130 Die schrittweise Aufnahme der Variablen (nicht abgebildet) zeigt, das etwa 4,0% durch die familialen Strukturmerkmale an Erklärungskraft gewonnen werden (Trennung der Eltern 2,0%, SES und Migration etwa je 1,0%), durch die Aufnahme der 130 Eine genaue Beschreibung des Pseudo-R2 ist Mckelvey und Zavonia (1975) zu entnehmen.

173

Kontrollmerkmale „Alter“ und „Geschlecht“ erhöht sich die Erklärungskraft auf etwa 9,0%. Auf etwa 18,0% steigt das Pseudo-R2 an, wenn die vier Komponenten „emotionale Bindung“, „Ablehnung“, „Kritik“ und „Gewalt“ in das Modell einbezogen werden. Hier ist der größte Anteil Erklärungskraft auf die elterliche Kritik zurückzuführen (etwa 7,0%). Durch die Integration der beiden Kontrollmerkmale erhöht sich das Pseudo-R2 auf etwa 28,0%. Damit wird deutlich, dass allein auf die beiden Kontrollmerkmale etwa ein Drittel der gesamten Erklärungskraft zurückzuführen ist. Tabelle 8: Direkte Effekte der familialen Strukturmerkmale und innerfamilialen Komponenten auf das häufige Schulschwänzen Probit-Koeffizient (unstandardisiert)

Probit-Koeffizient (standardisiert)

S. E.

Trennung der Eltern

0,42***

0,14***

0,11

Umzug

0,12

0,04

0,12

Berufstätigkeit Mutter

0,13

0,04

0,15

-0,10*

-0,09*

0,05

Migration

0,22*

0,09*

0,10

Geschwisterzahl

0,02

0,02

0,05

0,21***

0,04

SES

Alter

0,22***

Geschlecht

-0,18*

-0,08*

0,09

Emotionale Bindung

-0,09

-0,06

0,08

Kritik

0,19**

0,12**

0,07

Streit

0,17*

0,10*

0,08

Gewalt

0,08

0,02

0,15

Eltern kennen Freunde und Aufenthaltsort

0,26***

0,16***

0,05

0,22***

0,26***

0,03

Ausgehzeit Abends †

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05, p 0,10, n = 2.222

Anknüpfend an die direkten Effekte folgt die Betrachtung der indirekten Effekte in Form von Strukturgleichungsmodellen.131 Da von allen Strukturmerkmalen Beziehungen über alle innerfamilialen Merkmale auf das Mehrfachschwänzen

131 Die direkten Effekte der Strukturmerkmale auf die innerfamilialen Merkmale sind auf http://www.wiso.uni-koeln.de/soziologie/schulabsentismus zu finden.

174

angenommen werden (vgl. auch Abbildung 12), hat das Modell einen eher explorativen Charakter. Abbildung 22 gibt die Pfade und die dazugehörigen Koeffizienten wieder. Effekte, die nur auf dem 10%-Niveau signifikant sind, sind durch eine gestrichelte Linie markiert (Trennung  Kontrolle I /Kontrolle II  Schulschwänzen). Alle anderen Pfade (durchgezogene Linien) sind dementsprechend mindestens auf dem 5%-Niveau signifikant. Die grau hinterlegten Merkmale weisen auch unter Berücksichtigung der indirekten Effekte noch direkte signifikante Effekte (mindestens auf dem 10%-Niveau) mit dem Intensivschwänzen auf (vgl. auch Tabelle 8). Die gelb markierten Merkmale haben zwar direkt einen Effekt auf das Schulschwänzen, verlieren diesen jedoch unter Aufnahme der indirekten Merkmale.132 Die Modellgüte ist mit einem x2-Wert von 722,2, df = 102, p-value = 0,001, einem RMSEA von 0,05, einem CFI von 0,95 und einem TFI von 0,96 als gut zu bewerten.133 Der- x2-Wert ist, wie schon bei den konfirmatorischen Faktorenanalysen, höchst signifikant, was bedeutet, dass die Struktur des Datensatzes nicht mit der postulierten Modellstruktur vereinbar ist. Da die x2-Werte jedoch von der Stichprobengröße abhängig sind – mit steigender Stichprobengröße nimmt auch der x2-Wert und damit seine Signifikanz zu – ist deren Aussagekraft begrenzt. Von diesen indirekten Beziehungen sind jedoch nicht alle als Mediatoreffekte zu charakterisieren. Nach Holmbeck (1997) und Baron/Kenny (1986) müssen vier Bedingungen erfüllt sein, damit eine Variable als Mediator bezeichnet werden kann: 1.

Der Prädiktor X muss einen signifikanten Effekt auf den Mediator (Z) ausüben,

2.

der Prädiktor X muss in einem Regressionsmodell ohne Kontrolle des Einflusses der MediatorVariable einen signifikanten Effekt auf die endogene Variable (Y) haben,

3.

der Mediator (Z) muss einen signifikanten Effekt auf die abhängige Variable ausüben und

4.

der Effekt des Prädiktors (X) auf die abhängige Variable (Y) muss sich verringern, wenn er in einer multivariaten Regression als zusätzlicher Prädiktor die Variable Z aufgenommen wird.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien kann nur bei dreizehn der insgesamt vierzehn Pfade von einem Mediatoreffekt gesprochen werden. Der Pfad, ausgehend von dem Merkmal „Berufstätigkeit“ erfüllt die zweite Bedingung nicht – das Vorliegen eines direkten Effektes der exogenen auf die endogene Variable – 132 Detailliert sind die direkten Effekte unter Berücksichtigung der indirekten Effekte in Tabelle 10 dargestellt. 133 Eine genaue Beschreibung der Fit-Indizes ist z.B. Hu und Bentler (1995: 94) zu entnehmen. Um einen guten Modell-Fit abzubilden, sollte RMSEA 0,05 sein; RMSEA Werte 0,08 sind noch akzeptabel, CFI als auch TLI sollten gegen 1,0 gehen, hier sind Werte ab 0,9 akzeptabel und x2/3 sollte kleiner als 3 sein, vgl. auch Kapitel 6.3.

175

und kann somit nicht als (partieller) Mediatoreffekt, sondern (nur) als indirekte Beziehung bezeichnet werden (vgl. auch Tabelle 8). Für diese indirekte Beziehung gilt: Wenn die Mutter berufstätig ist, dann üben die Eltern häufig Kritik an dem Jugendlichen (ß = 0,05) und dies begünstigt häufiges Schulschwänzen (ß = 0,13). Durch die Implikation der indirekten Effekte erhöht sich das Pseudo-R2 von 0,25% auf 0,32%. H1a—H1f

H2a—H2d

Trennung 1a Emotionale Bindung 2d 5 0,0 4 0,0

Geschwisteranzahl 1b

Gewalt 2a Umzug 1c Pseudo-R2 = 0,32

Streit 2c Berufstätigkeit 1d

0,05

häufiges Schwänzen 0,13

Migration 1f

Kontrolle I (E. kennen F.) 2b

7

7 0,07

0,32 -0

Geschlecht

26

0,11 0,05 -0,0

0, 0

Alter

5 0, 2

0,

SES 1e

Kritik 2c

-0,10 -0,1 0

0 ,2

Kontrolle II (Ausgehzeit) 2b

18 -0,

-0,17

Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen, Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche SES = sozioökonomischer Status Graue Felder = haben einen direkten Effekt auf das häufige Schulschwänzen, Grau schraffierte Felder = Merkmale haben einen direkten Effekt, verlieren diesen unter Berücksichtigung der indirekten Effekte Rechtecke = manifeste Variablen, Ellipsen = latente Variablen Gestrichelte Linien = Pfad auf dem 10%-Niveau signifikant, durchgezogene Linie = mind. Pfad mind. auf dem 5%-Niveau signifikant

Abbildung 22: Indirekte Effekte der familialen Strukturmerkmale und Kontrollvariablen auf das häufige Schwänzen, vermittelt über die innerfamilialen Komponenten (standardisierte ProbitKoeffizienten, MPI-Schulbefragung 1999)

Neben der Identifikation indirekter Beziehungen, die mit gängigen multivariaten Regressionsanalysen (ordinal, logit oder linear) nicht aufgedeckt werden kön176

nen, lässt sich über das Strukturgleichungsmodell auch spezifizieren, wie stark die indirekten, direkten und totalen Effekte sind (vgl. Kapitel 6.4). Detailliert sind die indirekten Effekte bzw. Mediatoreffekte, die direkten Effekte und die totalen Effekte im oberen Teil der Tabelle 9 angegeben. Tabelle 9: Direkte, indirekte und totale Effekte der familialen Strukturmerkmale und innerfamilialen Komponenten auf das häufige Schwänzen Kausalpfad

Mediatoreffekt

Trennung  Kontrolle I  HS

0,05 x 0,25 = 0,01†

Trennung  Kontrolle II  HS

0,04 x 0,26 = 0,01†

SES  Kontrolle I  HS

-0,10 x 0,25 = -0,02**

SES  Kritik HS

-0,10 x 0,13 = -0,02*

Migration  Kritik  HS

0,11 x 0,13 = 0,02*

Migration  Kontrolle I  HS

0,05 x 0,25 = 0,01*

Migration  Kontrolle II  HS

-0,07 x 0,26 = -0,02**

Alter  Kritik  HS

0,07 x 0,13 = 0,01*

Alter  Kontrolle I  HS

0,07 x 0,25 = 0,02**

Alter  Kontrolle II  HS

0,32 x 0,26 = 0,08***

Geschlecht  Kritik  HS

-0,20 x 0,13 = -0,03**

Geschlecht  Kontrolle I  HS

-0,18 x 0,25 = -0,05***

Geschlecht  Kontrolle II  HS

-0,17 x 0,26 = -0,04***

Totaler indirekter Effekt 0,03* (0,02)

0,11***

-0,04** (-0,04)

-0,04 (ns)

0,05 x 0,13= 0,01†

Totaler Effekt

0,14***

-0,08*

0,02 (0,01)

0,07†

0,09*

0,12*** (0,11)

0,09**

0,21***

-0,11*** (0,11)

0,03 (ns)

-0,08†

Direkter Effekt

(nur) Indirekter Effekt Beruf M.  Kritik  HS

Direkter Effekt

0,01† (0,01)

0,03(ns)

0,04†

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10 HS = häufiges Schulschwänzen, Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen, Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche, SES = sozioökonomischer Status, Grau markierte Zeilen = schwache Effekte, In Klammern ist die Summe des indirekten Effektes angegeben, der durch die angegebenen Pfade erklärt wird, Leichte Abweichungen in den Summen sind durch Rundungen bedingt, Standardisierte Probit-Koeffizienten

177

In der ersten Spalte befindet sich der jeweilige Kausalpfad. In Spalte zwei ist der dazugehörige Mediator oder (nur) indirekte Effekt wiedergegeben. Der totale indirekte Effekt, der die Summe aller indirekten Effekte – auch der nicht signifikanten Variablen – bildet, ist in Spalte drei abgebildet. Darunter ist in Klammern die Summe der indirekten Effekte der signifikanten Pfade angegeben (z.B. ist die Summe der signifikanten Pfade beginnend mit dem Merkmal „Trennung“ 0,1 + 0,1 = 0,2, der indirekte Effekt aller Pfade beträgt 0,3). Spalte vier gibt den direkten Effekt des „ersten“ Prädiktors auf die abhängige Variable an. In der Tabelle wäre dies für die ersten beiden Zeilen der direkte Effekt, den die elterliche Trennung auf das Schulschwänzen hat (ß = 0,11). Die Summe des indirekten sowie direkten Effektes wird als totaler Effekt bezeichnet (Spalte fünf). Durch die Mediatorschätzungen lässt sich ablesen, inwieweit der totale Effekt auf direkte und indirekte Effekte zurückzuführen ist. Werden die Pfade von „Trennung – Kontrolle I/Kontrolle II– Schulschwänzen“ betrachtet, dann gilt: Wenn die Eltern getrennt sind, dann kennen sie seltener die Freunde und den Aufenthaltsort des Kindes (ß = 0,05) bzw. umso länger sind die Ausgehzeiten des Jugendlichen (ß = 0,04). Je weniger die Eltern Freunde und Aufenthaltsort kennen bzw. je länger die Jugendlichen abends außer Haus sind, desto eher schwänzen sie häufig die Schule (ß = 0,25 bzw. ß = 0,26). Dieser Effekt ist vermutlich auf die Abwesenheit eines Elternteils und somit auf das Fehlen einer erwachsenen Person zurückzuführen, die erzieherische Kontrollaufgaben übernehmen kann. Ein niedriger SES führt einerseits zu einer niedrigen elterlichen Kontrolle (ß = -0,10) und andererseits zu einer verstärkten Kritik an dem Kind (ß = -0,10). In Bezug auf die elterliche Kritik, die im vorliegenden Fall primär eine schulspezifische Kritik ist, kann ein Zusammenhang über die schichtspezifischen Schulleistungen von Kindern hergestellt werden. Kinder, deren Herkunftsfamilie sozial depriviert ist, weisen schlechtere Schulleistungen auf (vgl. z.B. Baumert et al. 2002), was wiederum eine negative Kritik seitens der Eltern hervorruft. Der Effekt eines niedrigen SES auf die elterliche Kontrolle kann verschiedene Ursachen haben. So gehören z.B. überproportional häufig Alleinerziehende zu der Gruppe sozial deprivierter Personen (z.B. Peuckert 2008). Wenn eine alleinerziehende Person berufstätig ist, hat sie weniger Zeit die Tätigkeiten des Kindes zu kontrollieren. Gleiches gilt für Eltern, die beide voll berufstätig sind. Neben diesem Argument können auch schichtspezifische Erziehungsstile ein Grund für die Kausalbeziehung sein. Der Migrationshintergrund zeigt im Hinblick auf die Ausgehzeiten unterhalb der Woche (Kontrolle II) einen negativen Effekt, d.h. Jugendliche, deren Väter ausländischer Herkunft sind, gehen unterhalb der Woche nicht so lange aus wie 178

deutsche Schüler (ß = -0,07). Bezüglich dieses Effekts sind zwei Anmerkungen relevant: Zum einen zeigt sich unter Kontrolle des Geschlechts (nicht abgebildet), dass dieser Effekt vor allem auf die reduzierten Ausgehzeiten der Mädchen aus Migrantenfamilien zurückzuführen ist, die deutlich seltener oder zeitbegrenzter unterhalb der Woche außer Haus sind als Mädchen ohne Migrationshintergrund. Zwischen den Jungen liegen kaum Unterschiede vor. Zum anderen liegt aufgrund der gegensätzlichen Vorzeichen der Beziehungen ein SupressorEffekt vor (vgl. Abbildung 23). Die Ausgehzeit und der Migrationshintergrund wirken beide positiv auf das Schulschwänzen, aber ein Anstieg der Werte des Migrationshintergrundes bewirkt eine Verringerung der Werte im Mediator „Ausgehzeit“. Dies führt zu einer Minimierung des totalen Effektes (vgl. Urban und Mayerl 2005: 5). Ausgehzeit (Z)

Migrationshintergrund (X)

+

+

häufiges Schulschwänzen (Y)

Abbildung 23: Supressor-Effekt

In der Ausrichtung wirkt der Migrationshintergrund – analog zum SES und der Trennung der Eltern – in Bezug auf die Kenntnis der Eltern über die Freunde und den Aufenthaltsort des Kindes positiv (ß = 0,05). Auch hat der Migrationshintergrund eine positive Einfluss auf die elterliche Kritik (ß = 0,11), die ihrerseits das Schulschwänzen begünstigt (ß = 0,13). Neben der elterlichen Trennung, dem SES und dem Migrationshintergrund zeigen auch beide Kontrollmerkmale (Alter und Geschlecht) eine positive Beziehung über die Mediatoren „elterliche Kontrolle“ und „Kritik“ auf das Mehrfachschwänzen. Je älter der Jugendliche ist, desto weniger Kontrolle haben die Eltern über ihn (ß = 0,07 bzw. ß = 0,32) bzw. desto höher die elterliche Kritik (ß = 0,07). Der Alterseffekt ist vermutlich auf den Entwicklungsprozess zurückzuführen. Jugendliche in der Pubertät entziehen sich zunehmend der elterlichen Aufsicht. Der Geschlechter-Effekt, der hier eine niedrigere Kontrolle (ß = -0,18 bzw. ß = -0,17) und eine höhere Kritik (ß = -0,20) bei Jungen zeigt, ist durch geschlechtsspezifische Sozialisationsmuster zu erklären. Sowohl für die Geschlechtszugehörigkeit als auch für den SES gilt, dass beide Merkmale unter Einbezug der Mediatorvariablen ihren direkten signifikanten Effekt verlieren.

179

Der erklärte Anteil durch die indirekten Effekte ist für die elterliche Trennung und den Migrationshintergrund relativ gering. Bei der Trennung sind es etwa 21,0%134 und bei dem Migrationshintergrund 22,0%. Im Gegensatz zu diesen geringen Mediatoreffekten wird der totale Effekt des SES zu etwa 50,0% und der des Alters zu etwa 57,0% auf die indirekten Effekte zurückgeführt. Für das Merkmal „Alter“ macht von allem die „Ausgehzeit“ den größten Anteil des indirekten Effektes aus (etwa 67,0%). Ein ähnliches Bild zeichnet sich für die Geschlechtszugehörigkeit ab. Der größte Anteil des totalen Effektes (-0,08) wird durch die indirekten Effekte erklärt (-0,11). Nur ein indirekter Effekt ist über die Berufstätigkeit der Mutter zu erkennen. Diese wirkt zudem nur auf einem niedrigen Signifikanzniveau positiv über die elterliche Kritik (ß = 0,05) auf das Mehrfachschwänzen. Tabelle 10 gibt die direkten Effekte wieder, die bestehen bleiben, wenn die indirekten Effekte berücksichtigt werden. Allgemein zeigt sich, dass einige Effekte durch den Einbezug der indirekten Effekte an Stärke verlieren, in der Ausrichtung der Koeffizienten ändert sich jedoch nichts. An direkter Erklärungskraft verlieren die Merkmale: Trennung der Eltern, SES, Migrationshintergrund, Alter, Geschlechtszugehörigkeit, die Ablehnung durch die Eltern und die Kenntnis der Eltern über den Aufenthaltsort und Freunde des Kindes.

134 0,03 [indirekter Effekt sig. Pfade] von 0,14 [totaler Effekt] = etwa 21,0% und 0,02 [totaler indirekter Effekt] von 0,09 [totaler Effekt] =22,0%.

180

Tabelle 10: Direkte Effekte (unter Berücksichtigung der indirekten Effekte) der familialen Strukturmerkmale und innerfamilialen Komponenten auf das häufige Schulschwänzen Probit-Koeffizient (unstandardisiert)

Probit-Koeffizient (standardisiert)

S. E.

Trennung der Eltern

0,34***

0,11***

0,10

Umzug

0,08

0,02

0,11

Berufstätigkeit Mutter

0,09

0,03

0,14

-0,05

-0,04

0,05

SES





Migration

0,19

0,07

Geschwisterzahl

0,01

0,01

0,04

Alter

0,10*

0,09*

0,04

Geschlecht

0,08

0,03

0,10

-0,04

-0,04

0,06

Emotionale Bindung

0,10

Kritik

0,11**

0,13**

0,04

Streit

0,06

0,07

0,05

Gewalt

0,04

0,04

0,05

Eltern kennen Freunde und Aufenthaltsort

0,30***

0,25***

0,06

0,21***

0,26***

0,03

Ausgehzeit Abends †

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05, p 0,10, n = 2.222

Besonders stark verliert das Alter an direktem Einfluss, war dies zuvor noch auf dem 0,001-% Niveau signifikant, bewegt sich das Signifikanzniveau unter Beachtung der indirekten Effekt nur noch auf dem 5%-Niveau. Die zuvor noch signifikanten Effekte des SES, der Geschlechtszugehörigkeit und der Ablehnung der Eltern sind nun bedeutungslos. Kaum eine Veränderung ist hingegen bei den Merkmalen „Kritik durch die Eltern“ und „Ausgehzeit unterhalb der Woche“ festzustellen. Zusammenfassend gilt, dass von sechs familialen Strukturmerkmalen drei im multivariaten Modell einen direkten positiven Einfluss auf das Intensivschwänzen haben. Dies sind die elterliche Trennung (H1a), der SES (H1e) und der Migrationshintergrund (H1f). Von den Kontrollmerkmalen haben das Alter und das Geschlecht einen direkten positiven Effekt auf das Schwänzen. Unter Berücksichtigung der indirekten Effekte verlieren der SES und das Geschlecht ihren zuvor signifikanten Einfluss. Die elterliche Trennung, der Migrationshintergrund, der SES und die beiden Kontrollmerkmale haben auch indirekte Effekte 181

auf das häufige Schulschwänzen, wobei diese indirekten Effekte vornehmlich durch die Mediatoren „Kritik der Eltern“ (Indikator der elterlichen Ablehnung) und „geringe Kontrolle der Eltern“ vermittelt werden. Die emotionale Bindung, die familiale Gewalt und der „Streit“ (auch Merkmal der Ablehnung) spielen als Mediatoren keine Rolle. Damit sind die Hypothesenketten: H1a  H2b  Schwänzen, H1e  H2b/H2c  Schwänzen, H1f  H2b/H2c  Schwänzen sowie Alter  H2b/H2c  Schwänzen und Geschlecht H2b/H2c  Schwänzen vorläufig nicht falsifiziert. Die Berufstätigkeit der Mutter hat, obwohl sie direkt keinen Einfluss nimmt, in Kombination mit einer erhöhten elterlichen Kritik indirekt eine Wirkung auf das Intensivschwänzen. Damit ist ergänzend zu den vorläufig beibehaltenen Hypothesenketten folgende hinzuzufügen: H1d  H2c  Schulschwänzen.

6.10

Erweiterung des Modells um den Einfluss der Peers und der Schule

In Ergänzung zu dem bisher vorgestellten Modell, das ausschließlich familiale Merkmale beinhaltet, konzipieren Sampson und Laub (1993) ein zweites Modell, in dem auch der Einfluss der Peers (einschließlich der Geschwister) und der Schule berücksichtigt werden. Der ursprüngliche Kausalpfad „familiale Strukturmerkmale“, „innerfamiliale Merkmale“ und abweichendes Verhalten wird dahingehend modifiziert, dass die innerfamilialen Merkmale ausgelassen und durch die Dimensionen „Peers“ und „Schule“ ersetzt werden. Die schulischen Merkmale umfassen zwei Einheiten. Zum einen das Ausmaß der Bindung an die Schule135 und zum anderen die Schulleistungen. Von beiden Dimensionen wird angenommen, dass sie – im Fall einer geringen emotionalen Bindung an die Schule und im Fall schlechter Schulleistungen – abweichendes Verhalten begünstigen (vgl. Abbildung 24).

135 Im Original wird dies mit „school attachment“ (Sampson und Laub 1993: 101) bezeichnet, und umfasst verschiedene Ebenen, wie die Schulleistung, Einbindung in schulischen Aktivitäten, emotionale Bindung an die Schule etc.

182

Familiale Strukturmerkmale

Innerfamiliale Merkmale

Schulschwänzen

+

Household Crowding Family Disruption (H1a) Family Size (H1b)

Weak School attachment

Residential Mobility (H1c) Mother’s Employment (H1d)

+

+ Poor school performance

Delinquency (Truancy)

Low Family SES (H1e) Foreign-Born (H1f)

Peer/Sibling Delinquent Attachment

Father’s Criminality/ Drinking Mother’s Criminality/

+

Grau gekennzeichnete Merkmale können nicht berücksichtigt werden

Abbildung 24: Der Einfluss familialer Strukturmerkmale auf das abweichende Verhalten im Jugendalter, ergänzt um Schul- und Peereinflüsse nach Sampson und Laub (Quelle: in Anlehnung an Sampson und Laub 1993: 102)

Die Beziehungen zwischen den familialen Strukturmerkmalen und der Bindung an die Schule wird über die Befunde verschiedener Studien hergeleitet. Beispielsweise finden Rutter und Giller (1983) einen signifikanten Effekt eines niedrigen sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie, der Trennung der Eltern und inadäquaten Wohnverhältnissen auf den schulischen Leistungsabfall. Blake (1989) dokumentiert einen positiven Zusammenhang zwischen der Familiengröße und einem qualitativ schlechten Schulabschluss. Hinter dieser Hypothese steht die Annahme, dass mit zunehmender Kinderanzahl die Aufmerksamkeit der Eltern abnimmt. Je mehr Kinder, desto weniger Aufmerksamkeit können die Eltern jedem Einzelnen zukommen lassen. Je weniger Aufmerksamkeit die Kinder bekommen, desto weniger Unterstützung erfahren sie bei schulischen Belangen und desto höher ist das Risiko schlechter Schulleistungen. Auch ein Wohnortswechsel wird als störender Faktor im Hinblick auf die Bindung an die Schule betrachtet. Unter der Annahme, dass mit dem Wohnortswechsel auch ein Schulwechsel verbunden ist, werden durch den Umzug bestehende Bindungsstrukturen an die alte Schule zerstört bzw. Bindungen an die neue Schule müssen erst aufgebaut werden (z.B. Coleman 1988, Astone und McLanahan 1991, Hagan et al. 1996). Diese Prozesse der Neuorientierung ge-

183

hen, so Sampson und Laub (1993), meist mit Schwierigkeiten im Erwerb der neuen Lerninhalte und -formen einher. Die Zusammenhänge zwischen einem Migrationsstatus, der beruflichen Tätigkeit der Mutter und der schulischen Bindung bzw. den Schulleistungen werden leider nicht weiter erörtert. Es lässt sich jedoch vermuten, dass der Migrationsstatus als Indikator einer sozialen Deprivation dient, der – ähnlich dem sozioökonomischen Status – als Barriere für den Erwerb eines hohen Bildungsabschlusses fungiert. In diesem Kontext spielen insbesondere die oftmals vorhandenen Sprachschwierigkeiten und die ökonomisch deprivierte Situation von Eltern mit einem Migrationshintergrund eine relevante Rolle. Der Zusammenhang zwischen der Berufstätigkeit der Mutter und der schulischen Anbindung dürfte, analog zu den Ausführungen über die Familiengröße, auf mangelnde Zeitressourcen zurückzuführen sein. Je intensiver die Mutter eine berufliche Aktivität verfolgt, desto weniger Zeit hat sie für die Kinder und desto weniger Aufmerksamkeit kann sie den schulischen Belangen schenken. Als zweite wichtige Mediatorvariable wird die Bindung an delinquente Peers und an die Geschwister genannt. Da in der „MPI-Schulbefragung 1999“ keine Informationen über die Geschwister vorliegen, kann dieser Aspekt leider nicht berücksichtigt werden. Informationen über die Peers sind dagegen vorhanden. Die Bedeutung der Anbindung an delinquente Peers auf das individuell abweichende Verhalten konnte in zahlreichen internationalen wie auch nationalen Studien bestätigt werden (z.B. Engel und Hurrelmann 1993, Lösel 1995, Fend 2000,). In diesem Kontext ist besonders hervorzuheben, dass der alleinige Kontakt zu delinquenten Peers noch nicht als entscheidendes Kriterium herangezogen werden kann. Vielmehr ist die Intensität der Bindung zu den devianten Peers von Bedeutung. Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, wird im Folgenden in Anlehnung an Sampson und Laub (1993: 107) eine Variable konstruiert, die sich aus den Merkmalen „Bedeutung der Clique/Freunde“ und „Devianz der Clique/Freunde“ zusammensetzt.

6.11 Operationalisierung der Anbindung an deviante Peers und der Anbindung an die Schule Die Informationen über die Bedeutung der Clique und Freunde werden aus zwei Merkmalen abgeleitet. In der „MPI-Schulbefragung 1999“ wird einerseits nach der Bedeutung der Clique und andererseits nach der Bedeutung eines Freundes/einer Freundin gefragt (jeweils vierstufig, von „gar nicht wichtig“ bis „sehr wichtig“). Da Peers nicht nur Personen eines geschlossenen Freundeskreises 184

sein müssen, sondern auch einzelne Freunde oder solche, die sich nicht untereinander kennen, wird in Anlehnung an Blank et al. (2003: 9) aus dem Mittelwert beider Merkmale ein neues Item gebildet ( x = 0,66, SD = 0,64, Min. = 0, Max. = 6). Dieses Merkmal wird aus Gründen der Übersichtlichkeit in zwei Kategorien „sehr wichtig und wichtig“ sowie „nicht so wichtig und gar nicht wichtig“ zusammengefasst.136 Die Delinquenzneigung der Peers basiert auf einem Index, in den insgesamt zehn Formen delinquenten Verhaltens eingingen, die eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen können: Gegenstände mit Graffiti besprühen, Gegenstände beschädigen, Autos beschädigen, Autos aufbrechen, Geld stehlen, Ladendiebstahl, Einbruch, Raub, Körperverletzung, Erpressung. Die Schüler wurden gefragt, wie viele ihrer Freunde diese Delikte schon einmal ausgeübt haben (1 = mehrere Freunde, 2 = ein Freund, 3 = kein Freund und 4 = weiß nicht). Wenn mehrere der Freunde mindestens eines der zehn aufgeführten Delikte ausgeführt haben, wurde dies mit Eins kodiert, waren kein oder nur ein Freund beteiligt oder konnte der Befragte kein genaue Auskunft geben (weiß nicht), dann wurde dies mit Null kodiert. Tabelle 11 gibt die Ergebnisse der Kreuztabellierung beider Merkmale wieder. Einer deutlichen Mehrheit (93,4%) sind die Freunde oder die Clique „sehr wichtig oder wichtig“. Von den Freunden, die den Befragten „sehr wichtig oder wichtig“ sind, haben etwa 39,0% delinquente Handlungen begangen. Für die weitere Analyse wurde aus diesen Informationen eine dichotome Variable gebildet, in der diejenigen Freunde, die dem Befragten „sehr wichtig/wichtig“ sind und die mindestens eine der genannten Deliktformen ausgeübt haben (in der Tabelle, 38,6%) mit Eins kodiert wurden; die Zuordnungen zu allen anderen Kategorien erhielten die Ausprägung Null. Tabelle 11: Bedeutung der Freunde und Ausmaß der Peerdelinquenz (MPI-Schulbefragung 1999) Freunde /Clique sehr wichtig/wichtig

Delinquente Peers

nein ja Gesamt

54,8 (1.348) 38,6 (949) 2.297 (93,4)

Freunde/Clique gar nicht wichtig/ nicht so wichtig 4,7 (115) 1,9 (47) 162 (6,6)

Gesamt

59,5 (1.463) 40,5 (996) 2.459 (100,0)

n in Klammern

136 Mittelwerte des Ranges 0-1,5 wurden der Kategorie „wichtig/sehr wichtig“ zugeordnet und Werte größer 1,5 wurden der Kategorie „nicht so wichtig/gar nicht wichtig“ zugeteilt.

185

In der „MPI-Schulbefragung 1999“ ist für die Messung der schulischen Bindung eine ursprünglich von Melzer et al. (1998) und später von Silbereisen et al. (2002) modifizierte Skala implementiert, in die vier Items einfließen. Die Schüler wurden gebeten anzugeben, 1) wie gut es ihnen an ihrer Schule gefällt, 2) ob die meisten Lehrer sich um ein gutes Verhältnis zu den Schülern bemühen, 3) ob es die Schüler interessiert, was sie in der Schule lernen und 4) ob sich die Schüler in der Schule anstrengen.137 Werden diese Items miteinander korreliert, dann zeigt sich, dass diese (partiell) nur schwach miteinander in Verbindung stehen. Tabelle 12: Rang-Korrelationen (nach Spearman) der schulischen Bindungsmerkmale Die Schule gefällt mir

Die Schule gefällt mir

Die meisten Lehrer bemühen sich um ein gutes Verhältnis

Es interessiert mich, was ich in der Schule lerne

Ich strenge mich in der Schule an

1,00

Die meisten Lehrer bemühen sich um ein gutes Verhältnis

0,34*** (2.796)

1,00

Es interessiert mich, was ich in der Schule lerne

0,24*** (2.794)

0,34*** (2.789)

Ich strenge mich in der Schule an

0,18*** (2.789)

0,26*** (2.789)

1,00

0,39*** (2.787)

1,00

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10 n in Klammern

Der maximale Korrelationskoeffizient liegt bei rsp = 0,39 (zwischen dem Interesse am Lernen und der schulischen Anstrengung). Auch die Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse zeigen, unter Aufnahme der vier genannten Items, für fast alle Gütekriterien einen nicht mehr akzeptablen Modell-Fit (CFI = 0,94, TLI = 0,85, RMSEA = 0,15, x 2= 0,001). Besonders niedrig ist der Zusammenhang zwischen dem Item „Die Schule gefällt mir“ und „Ich strenge mich in der Schule an“ (rsp = 0,18). Da im Zentrum der schulischen Bindung die emotionale Beziehung zu dieser Institution steht und nicht das Bemühen um gute Leistungen, wird das Item „Ich strenge mich in der Schule an“ für das weitere Verfahren ausgeschlossen. Im Rahmen einer wiederholten Faktorenanalyse 137 Die Reliabilität der Skala ist mit einem Cronbachs  von 0,64 noch ausreichend (Min. = 0, Max = 2, M = 0,99, SD = 0,52).

186

kann aufgrund der geringen Itemanzahl zwar nicht mehr die Modellgüte berechnet werden, dafür können aber die lokalen Anpassungsmaße als Güte-Kriterien dienen. Die Indikatorreliabilität ist für alle Indikatoren ausreichend (> 0,5). Alle Ladungen sind hochsignifikant (vgl. Abbildung 25).

0,76

Bindung an die Schule

0,55

Lehrer bemühen sich

0,42

Interesse am Lernen

0,69

Schule gefällt

0,70

0,54

Abbildung 25: Faktorenanalyse für das latente Konstrukt „Bindung an die Schule“

Die Schulleistungen sind über eine dichotome Variable abgebildet, die angibt, ob der Schüler in den Fächern Deutsch und/oder Mathematik im letzen Zeugnis mindestens eine Fünf oder eine Sechs hatte. Schüler mit versetzungsgefährdenden Noten wurden mit Eins, alle anderen mit Null codiert. 10,6% der Schüler (n = 299) zählen zu der Gruppe mit versetzungsgefährdenden Noten. Dabei variieren die Anteile mit der Schulform (Gymnasium 6,1% [n = 79], Realschule 14,2% [n = 88], Gesamtschule 11,8% [n = 15], Hauptschule 16,1% [n = 92] und Sonderschule 15,3% [n = 25], Waldorfschule [n = 0]). Durch den Ausschluss der innerfamilialen Merkmale im zweiten Modell ist die Analyse möglicher Mediatoreffekte zu den Dimensionen Peer und Schule nicht mehr gegeben. Dies ist bedauerlich, da aus sozialisationstheoretischer Perspektive – insbesondere unter einem längsschnittlichen Aspekt, wie ihn Sampson und Laub (1993) vertreten – angenommen werden kann, dass die Familie als erste zentrale Bindungsstätte einen prägenden Einfluss auf das Individuum ausübt und somit die Bindungsintensität, aber auch die Bindungsmechanismen zu anderen, nachfolgenden Sozialisationsagenten beeinflusst. Zum Beispiel findet Fend (2000), dass eine positive Beziehung zwischen Eltern und Kind auch zu einer positiven Peer-Beziehung beiträgt. Konträr neigen Jugendliche mit einer belasteten Beziehung zu den Eltern eher zu der Anbindung an deviante Peers. Auf Basis dieser Befunde werden die innerfamilialen Merkmale aus dem Modell nicht entfernt, sondern den Dimensionen „Peers“ und „Schule“

187

vorgeschaltet (vgl. Abbildung 26).

Familiale Strukturmerkmale

Innerfamiliale Merkmale

Schulschwänzen

+

Household Crowding Family Disruption (H1a) Family Size (H1b)

Fathers’s Erratic, Harsh, and Threatening Discipline

Residential Mobility (H1c) Mother’s Employment (H1d)

Weak School attachment (H3a)

(H2a) Mother’s Erratic, Harsh, and

+

+ Threatening Discipline

Low Family SES (H1e)

Parent’s Lack of Supervision (H2b)

Foreign-Born (H1f)

Parental Rejection/Hostility (H2c)

Father’s Criminality/ Drinking

Emotional Rejection of Parent’s (H2d)

Poor school performance (H3b)

+

Delinquency (Truancy)

Peer/Sibling Delinquent (H3c)

Mother’s Criminality/ Drinking

+ Grau gekennzeichnete Merkmale können nicht berücksichtigt werden.

Abbildung 26: Der familiale Kontext abweichenden Verhaltens im Jugendalter ergänzt um Schulund Peereinflüsse nach Sampson und Laub (Quelle: in Anlehnung an Sampson und Laub 1993: 102)

Auf bivariater Ebene zeigt sich ein hochsignifikanter Zusammenhang zwischen dem häufigen Schwänzen und der Anbindung an delinquente Peers. Von den Schülern, die eine enge Bindung an deviante Peers haben, sind 16,0% (n = 152) Intensivschwänzer, demgegenüber stehen nur 3,2% (n = 48) der häufig schwänzenden Jugendlichen, die keine enge Bindung zu delinquentes Peers aufweisen ( = 2,3138, p = 0,001, n = 2.459). Ausgedrückt als Relatives Risiko (RR)139 bedeutet dies, dass Schüler, die eine enge Bindung zu devianten Peers haben, einem 5,8-fach höheren Risiko unterliegen, häufig die Schule zu schwänzen. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn der Zusammenhang zwischen dem Intensivschwänzen und den versetzungsgefährdenden Schulnoten betrachtet wird. Zäh-

138 Da es sich um zwei dichotome Merkmale handelt, wird als Zusammenhangsmaß Phi () herangezogen. Eine genaue Beschreibung ist Bortz (1999) zu entnehmen. 139 Das relative Risiko benennt um welchen Faktor sich ein Risiko in zwei Gruppen unterscheidet. Es wird das Verhältnis der Wahrscheinlichkeiten für ein Ereignis/Merkmal dargestellt. Das relative Risiko errechnet sich aus Quotienten dieser beiden Wahrscheinlichkeiten (Bortz 1999)

188

len nur 6,6% der Schüler mit nicht versetzungsgefährdenden Noten zu den Mehrfachschwänzern, sind es fast dreimal soviel Schüler bei den versetzungsgefährdenden Schülern (21,8%, n = 54, p = 0,001,  = 0,17, RR = 3,9). Im Einklang mit der Hypothese (H3a) findet sich auch eine hochsignifikante positive Beziehung zwischen dem häufigen Schwänzen und einer geringen Anbindung an die Schule. Während Schüler, die nie oder selten schwänzen, einen Mittelwert von 0,95 (n = 2.513) aufweisen, liegt dieser bei den wiederholt schwänzenden Schülern signifikant höher ( x = 1,40, p = 0,001, n = 233). Tabelle 13 sind die Koeffizienten des direkten Einflusses zu entnehmen, wenn auch die indirekten Effekte berücksichtigt werden140 Da eine Aufnahme dieser direkten Effekte in das Pfadmodell zu unübersichtlich ist, werden sie vorab separat in der Tabelle dargestellt. Ergänzend zum vorhergehenden Modell werden die Merkmale „Bindung an deviante Peers“, „Bindung an die Schule“ und „Schulleistungen“ aufgenommen. Die Ergebnisse bestätigen im Wesentlichen die schon bekannten Effekte der vorhergehenden Analyse (vgl. Tabelle 10). Eine Ausnahme ist der nun insignifikante Effekt der elterlichen Kritik, die im „reinen Familienmodell“ noch einen nennenswerten Einfluss hatte. Deutlich zeigen sich für alle drei Prädiktoren (Bindung an deviante Peers, Bindung an die Schule und versetzungsgefährdende Noten) signifikante Effekte auf das häufige Schulschwänzen. Unter Aufnahme dieser drei Merkmale erhöht sich die Erklärungskraft des Modells (Pseudo-R2 nach McKelvey und Zavonia 1975) einschließlich der indirekten Effekte von 32,0% auf 45,0%. Das Gesamtmodell weist – jenseits des x2 Wertes – einen guten Fit auf, wie die einzelnen Gütekriterien widerspiegeln: x2= 818,7, df = 150, p = 0,001, CFI = 0,95, TLI = 0,95, RMSEA = 0,04.

140 Die direkten Effekte der Merkmale „Anbindung an deviante Peers“, „Schulleistungen“ und „Bindung an die Schule“ sind ohne Berücksichtigung der indirekten Effekte etwas höher und ebenfalls hochsignifikant. Weil sich die Koeffizienten der familialen Strukturmerkmale und innerfamilialen Merkmale in ihrer Ausrichtung und Signifikanz kaum von denen in Tabelle 10 unterscheiden, werden die Ergebnisse eher nicht gesondert aufgeführt. Pseudo-R2 (nach McKelvey und Zavonia 1975) beträgt unter Aufnahme dieser Merkmale (nur für direkte Beziehungen) 0,38.

189

Tabelle 13: Direkte Effekte der familialen Strukturmerkmale, der innerfamilialen Komponenten und der Peer/Schulmerkmale auf das häufige Schwänzen (unter Berücksichtigung der indirekten Effekte) Probit-Koeffizient (unstandardisiert)

Probit-Koeffizient (standardisiert)

S. E.

Trennung der Eltern

0,32**

0,10**

0,11

Umzug

0,11

0,03

0,13

Berufstätigkeit Mutter

0,01

0,00

0,16

SES Migration

-0,02 -0,18

-0,01 †

-0,06

0,06 †

0,11

Geschwisterzahl

0,03

0,02

0,04

Alter

0,11*

0,09*

0,05

Geschlecht

0,13

0,05

0,12

0,01

0,01

0,08

Kritik

0,02

0,02

0,05

Streit

0,01

0,01

0,06

Gewalt

0,06

0,05

0,09

Eltern kennen Freunde und Aufenthaltsort

0,25***

0,19***

0,07

Ausgehzeit abends

0,15***

0,16***

0,04

Bindung an deviante Peers

0,28***

0,25***

0,07

Bindung an Schule

0,22**

0,13**

0,11

Versetzungsgef. Noten

0,25**

0,20**

0,08

Emotionale Bindung

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10, n = 2.222.

Um die Betrachtung der einzelnen Pfade von den familialen Strukturmerkmalen über die innerfamilialen Komponenten auf die Schul- und Peerfaktoren und das Intensivschwänzen übersichtlicher zu gestalten, werden diese in mehreren Grafiken – jeweils ausgehend von einer exogenen Variable – abgebildet. Es sind nur Pfade dargestellt, die mindestens auf dem 10%-Niveau signifikant sind. Pfade auf dem 10%-Niveau sind gestrichelt, alle anderen sind als durchgehende Linie abgebildet. Grau hinterlegte Felder zeigen an, dass das jeweilige Variable auch 190

direkt einen signifikanten Effekt auf das Mehrfachschwänzen hat. Da die Merkmale „Umzug“ und „Geschwisteranzahl“ weder direkt noch indirekt einen Effekt auf das Intensivschwänzen haben, werden sie graphisch nicht dargestellt. Die Pfade der ersten Abbildung (Abbildung 27) gehen von dem Strukturmerkmal „elterliche Trennung“ aus.

-0,

10

Emot. Bindung 2d

-0,3

Gewalt 2a

1

Trennung 1a

0, 0 5

Schulleistung 3b

5 0,0 0, 0 4

Streit 2c

0,2 4

Schulbindung 3a

0,13

häufiges Schwänzen

0,2 5

Kritik 2c

Kontrolle I (E. kennen F.) 2b

-0,19

Bindung an dev. Peers 3c

23 0,

Kontrolle II (Ausgehzeit) 2b Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche SES = sozioökonomischer Status Graue Felder = haben auch einen direkten Effekt auf das häufige Schulschwänzen, Grau schraffierte Felder = verlieren unter Berücksichtigung der indirekten Effekte ihren direkten signifikanten Einfluss. Rechtecke = manifeste Variablen, Ellipsen = latente Variablen Gestrichelte Linien = Pfad auf dem 10%-Niveau signifikant

Abbildung 27: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von der elterlichen Trennung

Die schon im vorhergehenden Modell (vgl. Abbildung 22) bestehenden Pfade zwischen der Trennung der Eltern und den beiden Kontrollmerkmalen141 werden nun über die Anbindung an deviante Peers erweitert. Beide Kontrollmerkmale weisen einen signifikant positiven Zusammenhang mit der Orientierung an deviante Peers auf, die wiederum selbst einen deutlich positiven Effekt auf das 141 Wenn eine Trennung vorliegt, dann kennen die Eltern den Aufenthaltsort/die Freunde des Kindes seltener und die Jugendlichen sind unterhalb der Woche länger außer Haus.

191

häufige Schulschwänzen haben (ß = 0,25, p = 0,001, H1a  H2b  H3c  Schwänzen). Durch die Aufnahme der Schul- und Peerfaktoren sind im Vergleich zum rein familialen Modell (vgl. Abbildung 22) zwei neue, jedoch nur schwach signifikante Pfade entstanden, die über die innerfamilialen Merkmale „Emotionale Bindung“ (H2d) und „Streit“ (H2c) verlaufen. Erstens: Wenn die Eltern getrennt sind, führt dies zu einer negativen emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kind, was wiederum einen negativen Effekt auf die Bindung an die Schule zufolge hat und damit Intensivschwänzen hervorruft (H1a  H2d  H3a  Schwänzen). Zweitens gilt: Wenn die Eltern getrennt sind, fördert dies die Streitintensität der Eltern gegenüber dem Kind, was eine Anbindung an deviante Peers begünstigt. Je enger die Anbindung an deviante Peers, desto eher schwänzen die Jugendlichen die Schule. All diese Pfade sind jedoch nur auf dem 10%-Niveau signifikant (H1a  H2c H3c  Schwänzen). Augenscheinlicher ist der Umstand, dass nur Bindungsdimensionen (Schul- und Peerbindung) durch die elterliche Trennung beeinflusst werden, und nicht die Schulleistung. Dies würde für die These sprechen, dass negative Erfahrungen mit familialen Bindungen zu Bindungsproblemen im schulischen Bereich oder auch zu Gleichaltrigen führen können. Abbildung 28 gibt die Beziehungen ausgehend von der Berufstätigkeit der Mutter wieder. Der im reinen Familienmodell identifizierte indirekte Pfad von der Berufstätigkeit der Mutter über die Kritik zum Mehrfachschwänzen bleibt bestehen, wird aber zusätzlich über die Anbindung an deviante Peers vermittelt (ß = 0,25, p = 0,001). Wenn die Mutter berufstätig ist, üben die Eltern häufiger Kritik an dem Kind. Dies hat einen negativen Effekt auf die Schulleistungen, was wiederum wiederholtes Schwänzen begünstigt (H1d  H2c H3b  Schwänzen). Auch wenn ein Effekt der elterlichen Kritik auf die Schulleistungen vorliegt, ist dieser kritisch zu betrachten, da die Items zu Messung der elterlichen Kritik ausschließlich schulzentriert142 sind. Damit geht es nicht um eine allgemeine elterliche Kritik, die eventuell schon in der frühen Kindheit ihre Wurzeln hat, sondern um eine Kritikform, die auch erst ansetzen kann, wenn das Kind schon im Schulsystem ist. Auf Grundlage dieser Messung ist sogar ein umgekehrtes Kausalverhältnis – schlechte Schulleistungen führen zu elterlicher Kritik – wahrscheinlich. Analog zu der Trennung der Eltern fungiert auch im Fall der mütterlichen Berufstätigkeit (nun neu hinzukommend) der Streit als intervenierender Faktor. Ist oder war die Mutter berufstätig, führt dies zu zunehmenden Streitigkeiten mit dem Kind. Diese Ablehnung ruft wiederum die

142 Die Items lauten: „Eltern machen Schulstress“ und „Eltern sind mit Schulleistungen unzufrieden“.

192

Anbindung an deviante Peers hervor, die ihrerseits das häufige Schwänzen begünstigt143 (H1d  H2c H3c  Schwänzen). Emot. Bindung 2d

Gewalt 2a Schulleistung 3b

0 ,2

0,0

9

0,4

2

21 0,

Streit 2c

3

Kritik 2c

0 ,2

5

5 0,0

Berufstätigkeit Mutter 1d

häufiges Schwänzen

Schulbindung 3a

Kontrolle I (E. kennen F.) 2b

Bindung an deviante Peers 3c

Kontrolle II (Ausgehzeit) 2b Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche Graue Felder = haben auch einen direkten Effekt auf das häufige Schulschwänzen, Grau schraffierte Felder = verlieren unter Berücksichtigung der indirekten Effekte ihren direkten signifikanten Einfluss Rechtecke = manifeste Variablen, Ellipsen = latente Variablen Gestrichelte Linien = Pfad auf dem 10%-Niveau signifikant, durchgezogene Linien = Pfad mind. auf dem 5%-Niveau signifikant

Abbildung 28: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von der Berufstätigkeit der Mutter

Betrachten wir die Pfade ausgehend von dem Migrationshintergrund (Abbildung 29) und dem sozioökonomischen Status (Abbildung 30), dann gilt: Wenn ein Migrationshintergrund bzw. wenn ein niedriger sozioökonomische Status vorliegt, dann nimmt die elterliche Kritik zu. Dies ruft schlechte Schulleistungen hervor und führt zu einer geringen Anbindung an die Schule, was Schwänzen positiv beeinflusst (H1e/H1f  H2c  H3a  Schwänzen). Der schon im reinen Familienmodell bestehende Pfad zwischen dem Migrationshintergrund und der Ausgehzeit unterhalb der Woche wird nun über die Anbindung an deviante 143 Ein vermuteter Zusammenhang zwischen der Berufstätigkeit der Mutter, dem Alleinerziehenden-Status und einer zunehmenden Ablehnung gegenüber dem Kind besteht nicht.

193

Peers und eine geringe Bindung an die Schule erweitert, die ihrerseits das Schwänzen positiv beeinflusst (H1f  H2b H3a/H3c  Schwänzen). Emot. Bindung 2d

Gewalt 2a Schulleistung 3b

2 0, 4

Kontrolle I (E. kennen F.) 2b

Schulbindung 3a

0, 0 8

0,13

häufiges Schwänzen

0,2 5

-0,07

Kritik 2c

0,16

0,1 5

1 0,1

Streit 2c

21 0,

Migration 1f

Bindung an deviante Peers 3c

3 0,2

Kontrolle II (Ausgehzeit) 2b Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche Graue Felder = haben auch einen direkten Effekt auf das häufige Schulschwänzen, Grau schraffierte Felder = verlieren unter Berücksichtigung der indirekten Effekte ihren direkten signifikanten Einfluss Rechtecke = manifeste Variablen, Ellipsen = latente Variablen Gestrichelte Linien = Pfad auf dem 10%-Niveau signifikant, durchgezogene Linien = Pfad mind. auf dem 5%-Niveau signifikant

Abbildung 29: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von dem Migrationshintergrund

Für den sozioökonomischen Status lässt sich weiterhin festhalten: Je niedriger der SES, desto seltener kennen die Eltern die Freunde und den Aufenthaltsort des Kindes; je seltener diese Kenntnis, desto eher haben die Jugendlichen eine enge Bindung an deviante Peers (H1e  H2b  H3c  Schwänzen). Zudem neigen Eltern mit einem niedrigen SES eher zu ablehnendem Verhalten gegenüber dem Kind; dies fördert die Anbindung an deviante Peers und somit das Schulschwänzen (H1e  H2c  H3c  Schwänzen). Der letzte genannte Pfad ist jedoch nur auf dem 10%-Niveau signifikant.

194

Emot. Bindung 2d

Gewalt 2a Schulleistung 3b

-0, 0

0, 08

Schulbindung 3a

0,13

häufiges Schwänzen

0, 2 5

0, 05

Kritik 2c

SES 1e

1

0,16

4 0, 2

0 -0,1

0 ,4

2

0, 2

Streit 2c

9

Kontrolle I (E. kennen F.) 2b

-0,19

Bindung an deviante Peers 3c

Kontrolle II (Ausgehzeit) 2c Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche Graue Felder = haben auch einen direkten Effekt auf das häufige Schulschwänzen, Grau schraffierte Felder = verlieren unter Berücksichtigung der indirekten Effekte ihren direkten signifikanten Einfluss Rechtecke = manifeste Variablen, Ellipsen = latente Variablen Gestrichelte Linien = Pfad auf dem 10%-Niveau signifikant, durchgezogene Linien = Pfad mind. auf dem 5%-Niveau signifikant

Abbildung 30: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von dem sozioökonomischen Status (SES)

Die Kontrollvariable „Alter“ zeigt sowohl über die Anbindung an deviante Peers als auch über die Schulleistungen und die schulische Bindung Beziehungen zum Intensivschwänzen. Die Pfade gestalten sich durch die Aufnahme der drei Merkmale wie folgt: Je höher das Alter, desto mehr Kritik erfahren die Jugendlichen durch die Eltern. Je mehr Kritik sie erfahren, desto schlechter sind ihre Schulleistungen, was häufiges Schwänzen positiv beeinflusst (Alter  H2c  H3b  Schwänzen). Mit zunehmendem Alter kennen die Eltern auch seltener die Freunde und den Aufenthaltsort bzw. die Ausgehzeiten verlängern sich. Diese Unkenntnis der Eltern und die verlängerten Ausgehzeiten beeinflussen positiv die Anbindung an deviante Peers, was Schulschwänzen begünstigt (Alter  H2b  H3c  Schwänzen). Vermutlich sind diese Effekte größtenteils auf die entwicklungsspezifischen Abnabelungsprozesse der Jugendlichen zurückzuführen und einer damit einhergehenden geringeren elterlichen Kontrolle. Diese „Abnabelungsprozesse“ bedingen auch die Gefahr des Auf- und Ausbaus von Kontakten zu devianten Personen. 195

Emot. Bindung 2d

Gewalt 2a Schulleistung 3b 0, 21

0,07

2 0,3

0, 07

Schulbindung 3a

0,13

häufiges Schwänzen

Kritik 2c 0, 2 5

Alter

0,4 2

Streit 2c

0,1 5

Kontrolle I -0,19 (E. kennen F.) 2b

Kontrolle II (Ausgehzeit) 2b

Bindung an deviante Peers 3c 3 0,2

Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen, Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche Graue Felder = haben auch einen direkten Effekt auf das häufige Schulschwänzen, Grau schraffierte Felder = verlieren unter Berücksichtigung der indirekten Effekte ihren direkten signifikanten Einfluss Rechteck = manifeste Variablen, Ellipsen = latente Variablen Gestrichelte Linie = Pfad auf dem 10%-Niveau signifikant, durchgezogene Linie = Pfad mind. auf dem 5%-Niveau signifikant

Abbildung 31: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von dem Alter

Zuletzt sind die Einflüsse über das Kontrollmerkmal „Geschlecht“ dargestellt (vgl. Abbildung 32). Von allen exogenen Merkmalen weist die Geschlechtszugehörigkeit die meisten indirekten Pfade auf. Jungen erleben häufiger Kritik von ihren Eltern, diese Kritik führt zu schlechten Schulleistungen, zu einer geringen Bindung an die Schule und zu einer verstärkten Bindung an deviante Peers (Geschlecht  H2c  H3b/H3a  Schwänzen). Ferner wissen Eltern von Jungen weniger über deren Freundeskreise und wo die Kinder sich aufhalten. Diese mangelnde Kontrolle begünstigt eine geringe Bindung an die Schule und eine enge Bindung an Peers, die sich abweichend verhalten (Geschlecht  H2b  H3a/H3c  Schwänzen). Neben der geringeren Kontrolle über den Freundeskreis sind Jungen zudem unterhalb der Woche länger außer Haus als die Mädchen. Die langen Ausgehzeiten fördern eine geringe Schulbindung und eine enge Bindung an deviante Peers. Hingegen zeigt sich für Mädchen, dass diese im Fall

196

häufiger Streitereien mit den Eltern in der Gefahr sind, eine enge Bindung zu devianten Peers aufzubauen (Geschlecht  H2c  H3c  Schwänzen). Emot. Bindung 2d

Gewalt 2a

0 ,4

-0,2 0

0,16

0, 1 5

Kontrolle I -0,19 (E. kennen F.) 2b

Kontrolle II (Ausgehzeit) 2b

häufiges Schwänzen

5

08

0,13

0, 2

0,

Schulbindung 3a

0, 09

,17 -0 7 -0,1

Kritik 2c

21

Geschlecht

Streit 2c

4 0,2

0,18

0,

2

Schulleistung 3b

0,

Bindung an deviante Peers 3c 23

Kontrolle I = Kenntnis der Eltern über den Freundeskreis und den Aufenthaltsort des Jugendlichen Kontrolle II = Ausgehzeit des Jugendlichen unterhalb der Woche Graue Felder = haben auch einen direkten Effekt auf das häufige Schulschwänzen, Grau schraffierte Felder = verlieren unter Berücksichtigung der indirekten Effekte ihren direkten signifikanten Einfluss Rechtecke = manifeste Variablen, Ellipsen = latente Variablen Gestrichelte Linien = Pfad auf dem 10%-Niveau signifikant, durchgezogene Linien = Pfad mind. auf dem 5%-Niveau signifikant

Abbildung 32: Pfaddiagramm der familialen und schul- sowie peerbezogenen Effekte auf das häufige Schulschwänzen, ausgehend von dem Geschlecht

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass von allen innerfamilialen Merkmalen primär die elterliche Kritik (als Indikator der elterlichen Ablehnung) und eine mangelnde elterliche Kontrolle als Mediatorvariablen auf die Schul- und Peermerkmale fungieren. Beide Dimensionen haben einen positiven Einfluss auf versetzungsgefährdende Schulleistungen, eine geringe Schulbindung und die Anbindung an deviante Peers, die wiederum selbst einen signifikanten Einfluss auf das Schulschwänzen haben. Unter Berücksichtigung der Schul- und Peermerkmale erlangt die zuvor insignifikante Ablehnung durch die Eltern die Funktion eines Mediators. Sie vermittelt zwischen dem Geschlecht, der elterlichen Trennung, der Berufstätigkeit der Mutter und dem Risiko des Kontaktes zu devianten Peers. Die Gewalttätigkeit in der Familie und die emotionale Bindung spielen keine bzw. fast keine Rolle, weder als exogene Variablen noch als Mediatoren. 197

Tabelle 14 sind die direkten, indirekten und totalen Effekte zu entnehmen. Die Tabelle ist analog zu Tabelle 10 aufgebaut. Pfade, die nur auf dem 10%Niveau signifikant sind, werden grau dargestellt. Pfade auf einem höheren Signifikanzniveau sind dunkel hervorgehoben. Durch die Aufnahme der Schulund Peermerkmale werden alle schon bestehenden Pfade ergänzt bzw. sind eine Reihe neuer signifikanter Pfade hinzugekommen. Werden zuerst die partiellen Mediatoreffekte betrachtet, ist für die elterliche Trennung ersichtlich, dass der totale indirekte Effekt (0,06) zu etwa 38,0% den gesamten Effekt (0,16) erklärt, während der direkte Effekt (0,10) dementsprechend 62,0% erklärt. Der gemeinsame Anteil der einzelnen Mediatoreffekte am totalen indirekten Effekt ist sehr gering (0,01 von 0,06), d.h., der größte Teil des indirekten totalen Effekts basiert auf nicht signifikanten Pfaden. Auch für die Pfade beginnend mit dem Migrationshintergrund gilt, dass der größte Anteil des totalen Effekts (0,09) durch den direkten Effekt erklärt wird (0,07, etwa 77,0%). Der totale indirekte Effekt (0,02) hat einen Anteil von etwa 22,0%. Diese 22,0% werden etwa zur Hälfte von dem signifikanten (5%-Niveau) Pfad „Migration  Kritik  Schulleistung  HS“ erklärt. Anders die Verteilung des direkten und indirekten Effektes beim SES. Hier hat deutlich der indirekte Effekt (-0,06) einen größeren Anteil an dem totalen Effekt (-0,08). Gleiches gilt für das Alter und das Geschlecht. Beim Alter macht der indirekte (0,13) Effekt mit 59,0% den größten Anteil vom Gesamteffekt aus. Die Mediatoreffekte der vier Pfade tragen jedoch nur 31,0% zur Erklärung des gesamten indirekten Effektes bei. Auch hier gilt, wie schon bei der elterlichen Trennung, dass vor allem die Summe der nichtsignifikanten Effekte den größten Anteil des indirekten Effektes bestimmt. Für das Geschlecht ist nur ein hochsignifikanter indirekter Effekt zu verzeichnen, hier sind besonders die Pfade über die Kritik und die Schulleistungen (-0,017) sowie über den Ablehnung und die Anbindung an deviante Peers (0,011) relevant. Die einzige (nur) indirekte Beziehung geht von der Berufstätigkeit der Mutter aus. Die direkten und indirekten Effekte sind sehr niedrig, zudem verteilen sich die Anteile auf den totalen Effekt (0,04) gleich, so dass keine Dominanz einer Effektform erkennbar ist.

198

Tabelle 14: Direkte, indirekte und totale Effekte der familialen Strukturmerkmale, innerfamilialen Komponenten und Schul- sowie Peerfaktoren auf das häufige Schwänzen Kausalpfad Trennung  Kontrolle I  Bindung d. Peers  HS

Mediatoreffekt

0,002†

Trennung  emo. Bindung  Schulbindung  HS

0,004†

-0,009*

SES  Kritik Schulbindung  HS

-0,003†

SES  Kritik Bindung d. Peers  HS

-0,003† 0,003

SES  Kontrolle I  Bindung d. Peers  HS

-0,004*

Migration  Kritik  Schulleistung  HS

0,010*

Migration  Kritik Schulbindung  HS

0,003†

Migration  Kritik  Bindung d. Peers  HS

0,002†

0,10**

0,16***

-0,06** (-0,02)

-0,02 (ns)

-0,08†

0,02 (0,02)

0,07†

0,09*

0,13*** (0,04)

0,09*

0,22***

-0,12*** (-0,02)

0,05 (ns)



Migration  Kontrolle II  Schulbindung  HS

-0,001

Migration  Kontrolle II  Bindung d. Peers  HS

-0,004*

Alter  Kritik  Schulleistung  HS

0,006*

Alter  Kontrolle I  Bindung d. Peers  HS

0,003*

Alter  Kontrolle II  Bindung d. Peers  HS

0,020*** 0,006† -0,017**

Geschlecht  Kritik Bindung d. Peers  HS

-0,004†

Geschlecht  Kritik  Schulbindung  HS

-0,004†

Geschlecht  Kontrolle I  Bindung d. Peers  HS

-0,008*

Geschlecht  Kontrolle II  Bindung d. Peers  HS

-0,009***

Geschlecht  Kontrolle II  Schulbindung  HS

-0,003†

Geschlecht  Ablehnung Bindung d. Peers  HS

0,06** (0,01)



SES  Ablehnung  Bindung d. Peers  HS

Geschlecht  Kritik  Schulleistungen  HS

Totaler Effekt

0,003†

SES  Kritik Schulleistung  HS

Alter  Kontrolle II  Schulbindung  HS

Direkter Effekt

0,002†

Trennung  Kontrolle II  Bindung d. Peers  HS

Trennung  Ablehnung Bind. D. Peers  HS

Totaler indirekter Effekt

-0,07†

0,011* (nur) Indirekter Effekt

Berufstätigkeit M.  Kritik  Schulleistungen  HS

0,004†

Berufstätigkeit M.  Ablehnung  Bind. d. Peers HS

0,005*

Direkter Effekt 0,03† (0,01)

-0,003 (ns)

0,04

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10, n = 2.222 Grau markierte Zeilen = schwache Effekte (nur auf dem 10%-Niveau signifikant), stärkere Effekte sind schwarz hervorgehoben In Klammern ist die Summe des indirekten Effektes angegeben, der durch die angegebenen Pfade erklärt wird Standardisierte Probit-Koeffizienten

199

6.12

Diskussion

Ziel der Analyse war es, in Anlehnung an die Kontrolltheorie von Sampson und Laub (1993) sowohl den Einfluss familialer Strukturmerkmale als auch innerfamilialer Komponenten auf eine spezielle Form des abweichenden Verhaltens, dem häufigen Schulschwänzen, zu bestimmen. Einerseits postuliert die Theorie, dass familiale Strukturmerkmale (Trennung der Eltern, sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie etc.) und innerfamiliale Merkmale (emotionale Bindung an die Eltern, Ablehnung durch die Eltern etc.) einen direkten Einfluss auf das Risiko des Intensivschwänzens haben. Andererseits wird aber auch ein indirekter Einfluss der familialen Strukturmerkmale über die innerfamilialen Komponenten vermutet. Sampson und Laub (1993) finden im Rahmen der Reanalyse der Daten von Glueck und Glueck (1950) selbst nur einen sehr geringen bzw. keinen Effekt der Strukturmerkmale auf das abweichende Verhalten. Vielmehr können sie indirekte Effekte der Strukturmerkmale über die Dimensionen „emotionale Bindung“, „Ablehnung durch die Eltern“, „physische Gewalt“ und „direkte elterliche Kontrolle“ identifizieren. Für die Auswertungen mit der „MPI-Schulbefragung 1999“ gestalten sich die Ergebnisse z. T. anders. Die wesentlichen Befunde sind in Tabelle 15 zusammengefasst. Obwohl bivariat alle Merkmale – bis auf die Familiengröße und die Berufstätigkeit der Mutter – einen signifikanten Einfluss auf das häufige Schulschwänzen haben, verlieren einige Prädiktoren im multivariaten Modell ihren Einfluss. Von den Strukturmerkmalen sind lediglich die Trennung der Eltern (H1a), der SES (H1e) und der Migrationshintergrund (H1f) relevant. Ferner haben die Kontrollmerkmale „Alter“ und „Geschlecht“ einen direkten Einfluss. Ein Wohnortwechsel und die Geschwisterzahl wirken weder direkt noch indirekt auf das Intensivschwänzen. Unter Kontrolle der indirekten Beziehungen verlieren der SES und das Geschlecht ihren direkten Einfluss. Von den innerfamilialen Merkmalen, die in der bivariaten Analyse alle signifikant sind, bleiben im multivariaten Modell die elterliche Kontrolle (H2b) und die Kritik (H2c) von Bedeutung. Die emotionale Bindung (H2d) und die Streitintensität (H2c) spielen nur als intervenierende Variablen eine Rolle, dies jedoch auch nur bei wenigen Beziehungen. Unter Kontrolle der indirekten Beziehungen, die über die Schulleistung, die Anbindung an deviante Peers und die Schulbindung verlaufen, verliert auch die elterliche Kritik ihren direkten positiven Einfluss. Fast alle indirekten Effekte verlaufen über die Mediatoren „elterliche Kontrolle“ und „elterliche Kritik“. Diese beiden Merkmale sind auch die einzigen von den innerfamilialen Merkmalen, die direkt einen bedeutenden Effekt auf das Mehrfachschwänzen haben. Die wichtigsten indirekten Beziehungen sind in Abbildung 33 dargestellt.

200

Tabelle 15: Zusammengefasste Ergebnisse der direkten Effekte auf das häufige Schulschwänzen (MPI-Schubefragung 1999) Bivariate Beziehungen

Multivariate Beziehungen direkt ohne indirekte Effekte

Multivariate Beziehungen direkt mit Berücksichtigung der indirekten Effekte

+ -

+ -

+ -

Hypothesen

Strukturmerkmale Wenn die Eltern getrennt sind, … Je mehr Kinder in einer Familie sind, … Je häufiger ein Umzug statt gefunden hat, … H1d Wenn die Mutter berufstätig ist, … H1e Je niedriger der SES, … H1f Wenn der Jugendliche einen Migrationshintergrund hat, … … dann fördert dies häufiges Schulschwänzen bzw. desto eher schwänzt der Jugendliche häufig die Schule Innerfamilalen Merkmale H2a Wenn die Eltern sehr autoritär/gewalttätig sind, … H2b Wenn die Eltern wenig Kontrolle über das Kind haben, …. H2c Wenn die Eltern mit dem Kind streiten/ es kritisieren, … H2d Wenn eine geringe bzw. negative emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind besteht, … … dann fördert dies häufiges Schulschwänzen Schulleistung und Bindung an die Schule und deviante Peers H3a Wenn eine geringe bzw. negative Bindung zur Schule besteht, … H3b Wenn der Jugendliche schlechte Schulleistungen aufweist, … Je enger die Bindung an deviante Peers, … H3c … dann fördert dies häufiges Schulschwänzen bzw. desto eher schwänzt der Jugendliche häufig die Schule H1a H1b H1c

+

-

-

+

+

-

+

+

+

+

-

-

+

+

+

+

+

-

+

-

-

+

+

+

+

+

+

+

+

+

SES = sozioökonomischer Status + = Hypothese vorläufig bestätigt + = signifikanter, aber schwacher Effekt - = Hypothese falsifiziert

201

Neben den familialen Merkmalen wurden in die multivariate Untersuchung zusätzlich Schul- und Peermerkmale (Bindung an die Schule, Schulleistung und Bindung an deviante Peers) aufgenommen. Es wird postuliert, dass diese einen intervenierenden Effekt zwischen den innerfamilialen Merkmalen und dem Schulschwänzen haben. Dabei trägt maßgeblich die Anbindung an deviante Peers zu der Erklärung des häufigen Schwänzens bei. Durch die Integration der Schul- und Peermerkmale entstehen mehrere neue Pfade. Vor allem die Bindung an deviante Peers, gefolgt von der Bindung an die Schule, wirkt vielfach als vermittelnde Variable. Die Schulleistungen spielen auch eine Rolle, doch sind sie quantitativ im Vergleich zu der Bindung an die Schule und die devianten Peers seltener in der Mediatorfunktion. Fast alle bestehenden Pfade führen über die innerfamilialen Komponenten „elterliche Kritik" und „Kontrolle“ zu der Peer- und Schulbindung oder den Schulleistungen. Die Merkmale, über die die wichtigsten indirekten Pfade verlaufen, sind in Abbildung 33 hervorgehoben. Familiale Strukturmerkmale

Innerfamiliale Merkmale

Schulschwänzen

+

Household Crowding Family Disruption (H1a) Family Size (H1b)

Fathers’s Erratic, Harsh, and Threatening Discipline

Residential Mobility (H1c) Mother’s Employment (H1d)

Weak School attachment (H3a)

(H2a) Mother’s Erratic, Harsh, and

+

+ Threatening Discipline

Low Family SES (H1e)

Parent’s Lack of Supervision (H2b)

Foreign-Born (H1f)

Parental Rejection/Hostility (H2c)

Father’s Criminality/ Drinking

Emotional Rejection of Parent’s (H2d)

Poor school performance (H3b)

+

Delinquency (Truancy)

Peer/Sibling Delinquent (H3c)

Mother’s Criminality/ Drinking

+

Abbildung 33: Zusammenfassung der relevanten indirekten Effekte

Ein Defizit der vorliegenden Studie liegt in den Kompromissen, die bei der Operationalisierung verschiedener Merkmale erforderlich waren. So wäre eine genauere Messung des Familienstatus (Verlustes eines Elternteils oder eines Geschwisters, der Zeitpunkt des Verlustes, die Anwesenheit von Stiefgeschwistern), eine genauere Operationalisierung des Migrationshintergrundes, aber auch eine genauere Unterscheidung der Beziehung des Kindes zu Vater und Mutter wünschenswert. Gleiches gilt für die Operationalisierung der „elterlichen Kri-

202

tik“ – die ausschließlich schulzentriert ist – und der „elterlichen Kontrolle“, die nur über zwei schwach miteinander korrelierende Variablen erfasst wurde. Ferner wäre es notwendig, Längsschnittstudien heranzuziehen, um den Einfluss familialer Merkmale zu verschiedenen Entwicklungszeitpunkten zu messen. Insbesondere die Dominanz der Schul- und Peerfaktoren in dem Modell dürfte partiell darauf zurückzuführen sein, dass die Schüler im Zenit ihrer Jugendphase befragt wurden. Zu diesem Zeitpunkt wirkt die Familie nicht mehr als stärkste Sozialisationsinstanz, sondern Schul- und Peermerkmale treten in den Vordergrund. Eine längsschnittliche Betrachtung, die schon in der frühen Kindheit ansetzt, könnte vermutlich zeigen, dass familiale Merkmale – auch über die elterliche Kontrolle und Kritik hinausgehend – eine deutlichere Relevanz in der Kindheit haben und mit zunehmenden Alter Schul- und Peerfaktoren in den Vordergrund treten. Die zentralen Befunde sind nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Praxis bedeutsam, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass kaum quantitative Studien vorliegen, die gezielt den familialen Einfluss auf das Schulschwänzen untersuchen. So ist die Erkenntnis, dass die familiale Kontrolle eine zentrale Funktion für die Entstehung aber auch die Unterbindung des Schulschwänzens hat, nützlich, um präventive und intervenierende Maßnahmen danach auszurichten. Hier ist nicht nur der direkte Effekt auf das Schulschwänzen bedeutsam, sondern auch das indirekte Wirken über die Einflussgrößen „Anbindung an deviante Peers“, „schlechte Schulleistungen“ und eine geringe „Schulbindung“. Neben den einflussreichen Faktoren ist aber auch die Beachtung der statistisch insignifikanten Faktoren von Interesse. So wird Schulschwänzen durch eine geringe elterliche Kontrolle und eine starke elterliche Kritik forciert, nicht aber durch eine negative emotionale Bindung zu den Eltern. Daraus ist zu schließen, dass häufig schwänzende Kinder nicht unbedingt eine schlechte emotionale Beziehung zu ihren Eltern haben, jedoch eine Beziehung, die von wenig Kontrolle gekennzeichnet ist. Ein weiterer Aspekt bezieht sich auf die oft kritisierte Definition des häufigen Schulschwänzens als Form des abweichenden Verhaltens. Auch wenn der unerlaubte Schulabsentismus als Kavaliersdelikt belächelt wird – in seinen schwachen Formen vermutlich sogar manchmal zu Recht –, sollte die Tatsache zu denken geben, dass viele der Prädiktoren, die kriminelle Handlungen hervorrufen, auch häufiges unerlaubtes Fernbleiben vom Unterricht begünstigen.

203

7

Anomietheorie144

Eine der ältesten und einflussreichsten Theorien abweichenden Verhaltens ist die Anomietheorie (Drucktheorie oder Strain Theory), die ursprünglich von Durkheim (1897) formuliert wurde. 1938 übernahm Merton wesentliche Grundannahmen Durkheims und baute diese in „Social Structure and Anomie“ weiter aus (Merton 1938; vgl. auch Merton 1968). Merton unterscheidet zwischen einer kulturellen und einer sozialen Struktur der Gesellschaft. Die soziale Struktur bezeichnet ein Muster sozialer Beziehungen. Die kulturelle Struktur bestimmt die Handlungsziele (z.B. Erfolg, Wohlstand), welche vor allem durch die Mittelschicht geprägt sind. Zudem stellt sie die institutionalisierten legitimen Mittel (zum Beispiel berufliche Karriere) in Form von Normen und Werten zur Verfügung, die festlegen, wie die kulturellen Ziele zu erreichen sind. Mertons allgemeine Hypothese lautet, dass der anomische Zustand einer Gesellschaft aus der Diskrepanz zwischen kultureller und sozialer Struktur entsteht (Merton 1968: 216). Insbesondere die soziale Position der Individuen beeinflusst die Zugangschancen zu den legitimen Mitteln. Angehörige der sozialen Unterschicht verfügen im Vergleich zu Mitgliedern der Mittel- und Oberschicht über weniger Ressourcen, um die kulturell definierten Ziele zu erreichen. Daher sind sie einem stärkeren sozialen Druck ausgesetzt, nicht institutionalisierte oder abweichende Wege zu finden, um diesen Zielen gerecht zu werden. Als individuelle Reaktion auf die Spannung zwischen kulturellen Zielen und institutionalisierten Mitteln sind fünf Anpassungsformen möglich: Konformität, Innovation, Ritualismus, Rückzug und Rebellion. In einer stabilen Gesellschaft ist konformes Handeln der Normalfall, also die Verfolgung legitimer Ziele mit legitimen 144 Teile der theoretischen Ausführungen wurden in folgenden Publiaktionen veröffentlicht: 1) Dunkake, 2006: Truants and the Family: An empirical Study of deviant behavior in early adolescence. In: Mathieu Deflem (Hg.): Sociological Theory and Criminological Research: Views from Europe and the United States. Sociology of Crime, Law and Deviance, Vol. 7, Amsterdam: Elsevier, S. 29-54; 2) Dunkake, I., 2007c: Familie und Schulverweigerung im Rahmen der Anomietheorie: Ergebnisse der PISA-Studie 2000. In: M. Wagner (Hg.): Schulabsentismus. Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis. Weinheim/München. Juventa, S. 139-175. und 3) Wagner, M., Dunkake, I. und B. Weiß, 2004: Schulverweigerung: Empirische Analysen zum abweichenden Verhalten von Schülern. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 56: 457-489.

205

Mitteln. Von Interesse sind für Merton jedoch die vier anderen Anpassungstypen und die Frage, inwiefern sozialstrukturelle Bedingungen die Verbreitung eines bestimmten Typus abweichenden Verhaltens beeinflussen. Den zweiten Anpassungsmodus nennt Merton „Innovation“. Er liegt vor, wenn der Zugang zu legitimen Mitteln eingeschränkt ist, die kulturellen Ziele aber weiterhin angestrebt werden. Insbesondere im Hinblick auf das Ziel „finanzieller Erfolg“ sind Angehörige unterer sozialer Schichten benachteiligt, ihnen sind vielfach die legitimen Wege versperrt, die zu finanziellem Wohlstand führen, was wiederum den Einsatz illegitimer Mittel wahrscheinlicher werden lässt. Dieser strukturell „blockierte Zugang“ (Albrecht 1997: 510) der Unterschichtsangehörigen zu den legitimen Mitteln erklärt dementsprechend auch die von Merton angenommene hohe Kriminalitätsrate in dieser Schicht. „Ritualismus“ kann nur in einem eingeschränkten Sinn als abweichendes Verhalten aufgefasst werden, weil es hier zu einer Anpassung der Ziele an die Mittel kommt. Der Ritualist verfügt zwar über die legitimen Mittel, hat jedoch keine ausgeprägten Ambitionen, die kulturell definierten Ziele – insbesondere den finanziellen Erfolg und sozialen Aufstieg (Merton 1968: 203) – zu erreichen. Die Ziele werden soweit herabgesetzt, bis sie den zur Verfügung stehenden Mitteln entsprechen. Obwohl der Ritualist sich nicht im Sinne der institutionellen Vorschriften abweichend verhält, sind seine Ambitionen nicht mit den kulturellen Zielen, hier vor allem der Idee der Leistungsorientierung, kompatibel. Der vierte Anpassungstyp ist der „Rückzug“. Er ist durch die Ablehnung oder den Verzicht auf die Verfolgung legitimer Ziele und Mittel charakterisiert. Gesellschaftliche Außenseiter lassen sich, so Merton, durch diese Form der Anpassung beschreiben. Die „Rebellion“ stellt einen Sonderfall dar, da sich dieser Typus nicht den gegebenen Zielen und/oder Mitteln anpasst, sondern versucht, eine Umwertung der bestehenden Ziele und institutionalisierten Mittel durchzusetzen. Die Anomietheorie Mertons wurde mehrfach kritisiert (z.B. Lemert 1964, Opp 1974).145 Von den wichtigsten Einwänden sollen hier vor allem zwei hervorgehoben werden. Erstens wird der Transfer von der Makro- auf die Mikro145 Eine Kritik bezieht sich auf die individuellen Anpassungsformen. Hier handelt es sich lediglich um ein „rein deskriptives Schema“ (Bohle et al. 1997: 42), Rahmenbedingungen, die zu einzelnen Anpassungstypen führen, werden jedoch nicht genannt. Des Weiteren, so betonte bereits Lemert (1964), kann die von Merton formulierte Annahme, alle sozialen Schichten teilten ein homogenes kulturelles Wertesystem, nicht aufrecht erhalten werden, da die Gesellschaftsstruktur von einer stärkeren Pluralität geprägt ist und dementsprechend schichtspezifische Wertesysteme existieren (vgl. auch Bohle et al. 1997: 44). Letztlich wurde mehrfach kritisiert, dass nicht immer eindeutig entschieden werden kann, welche Ziele und Mittel bei einem konkreten Erklärungsproblem anzunehmen sind (Opp 1974: 126, Lamnek 1985: 239).

206

ebene nicht thematisiert. Merton postuliert zwar auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene eine Ziel-Mittel-Diskrepanz, erörtert auch individuelle Anpassungsformen, geht jedoch nicht auf Sozialisationsagenten ein, über die die gesamtgesellschaftlichen Ziele und dazugehörigen legitimen Mittel vermittelt werden. Wie dieses Defizit einer fehlenden Brückenhypothese kompensiert werden kann, zeigt die Subkulturtheorie Cohens (1955), der wesentliche Annahmen Mertons übernimmt, jedoch die Peers als wichtige Vermittler zwischen den gesamtgesellschaftlichen Strukturen und den individuellen Verhaltensweisen positioniert. Zweitens formuliert Merton, obwohl er eine Typologisierung unterschiedlicher Reaktionsmöglichkeiten der Individuen anbietet, keine Annahmen darüber, unter welchen Bedingungen diese Anpassungstypen entstehen. Demnach bedarf die Anomietheorie der Ergänzung durch eine Handlungstheorie. Bevor auf die Ergänzungen der Anomietheorie auf der Akteursebene und die Integration der Familie als Vermittler zwischen gesamtgesellschaftlichen Strukturen und individuellem Verhalten eingegangen wird, muss erörtert werden, wie die Theorie Mertons in ihrer ursprünglichen Fassung auf das Schulschwänzen transferiert werden kann. Betrachten wir zunächst die Frage, welche Annahmen über die Handlungsziele von Schülern gemacht werden können. Da es unmöglich ist, sämtliche relevanten Handlungsziele theoretisch abzuleiten, wollen wir zwei Typen von Handlungszielen unterscheiden, die in einer Hierarchie zueinander stehen: Bildungserfolg einerseits und Ansehen oder ökonomischer Wohlstand andererseits. Dabei ist der Bildungserfolg hierarchisch den Zielen Ansehen und Wohlstand untergeordnet und fungiert selbst als Mittel, um diese zu erlangen. Ein legitimes Mittel für den Bildungserfolg sind gute Schulleistungen, die durch Schulnoten, die Anzahl der Klassenwiederholungen und die besuchte Schulform gemessen werden können. Ähnlich interpretieren auch Engel und Hurrelmann (1993) sowie Holtappels (1997) das Verhältnis von Mittel und Ziel bzw. Schulleistungen und Bildungserfolg.146 Der Anomietheorie ist zwar nicht unmittelbar zu entnehmen, dass die sozialstrukturellen Faktoren und die legitimen Mittel zum Schulerfolg, also die Schulleistungen, zusammenhängen, aber man kann hier auf die Befunde der schicht146 Ein weiterer Interpretationsweg besteht darin, nicht die Schulleistung, sondern den Schulbesuch selbst als legitimes Mittel zur Verwirklichung des Zieles „Bildungserfolg“ zu betrachten. Angenommen wird, dass nicht jedem Schüler die Zeit für einen kontinuierlichen Schulbesuch gegeben ist. Denkbar sind in diesem Zusammenhang vor allem familiale Einflüsse, die dazu führen, dass der Schüler anderen Tätigkeiten in der regulären Schulbesuchszeit nachgehen muss, wie zum Beispiel der Beaufsichtigung jüngerer Geschwister oder dem Nachgehen eines Nebenjobs, um zum Haushaltseinkommen beizutragen. Dieser Rollenkonflikt kann vor allem Schüler aus sozial deprivierten Familien betreffen (Sturzbecher und Dietrich 1993).

207

spezifischen Sozialisationsforschung zurückgreifen. Die Pisa-Studie hat für Deutschland starke Zusammenhänge zwischen der Sozialschicht des Elternhauses einerseits und den Lesekompetenzen der Kinder, ihren mathematischen und ihren naturwissenschaftlichen Kompetenzen andererseits ermittelt (Baumert et al. 2002: 361). Aber auch die in vielen Studien dokumentierten schichtspezifischen Sozialisationsmuster bestätigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie und den Bildungsressourcen der Kinder, welche die Bildungschancen einschränken (z.B. Bronfenbrenner 1958, Moser 1970, Rolff 1997).147 Basierend auf diesen Befunden kann angenommen werden, dass Jugendliche, deren Herkunftsfamilien einen niedrigen sozioökonomischen Status aufweisen, besonders stark mit Schulschwierigkeiten konfrontiert sind, die dann wiederum zum Schulschwänzen führen können. Unter der Voraussetzung, dass die Diskrepanz zwischen kulturellen Zielen und legitimen Mitteln abweichendes Verhalten begünstigt, können die individuellen Anpassungstypen (Merton 1968: 194) im Hinblick auf das Schulschwänzen wie folgt interpretiert werden: Tabelle 1: Typen des Schulschwänzens Arten der Anpassung

Schülertypen

Kulturelle Ziele (Bildungserfolg, ökonomischer Wohlstand)

Institutionalisierte Mittel (Schulleistungen) +

Konformität

„der ‚gute’ Schüler“

+

Innovation

„aktives Schulschwänzen“

+

-

Ritualismus

„passives Schulschwänzen“

-

+

Rückzug

„totale Schulverweigerung“

-

-

Rebellion

„Schulschwänzen als Protesthaltung“

+/-

+/-

(+) = Zustimmung; (-) = Ablehnung; (+/-) = Ablehnung herrschender und Substitution durch neue Werte

147 Beispielsweise ein mangelndes Artikulationsvermögen, ein schlechter Zugang zu Informationen über bildungsrelevante Institutionen außerhalb der Schule oder schwächere Selbstbewusstseinsmodelle.

208

Konformität („der ‚gute‘ Schüler“) Der Schüler hat das kulturelle Ziel „Schulerfolg“ in sein Wertesystem und Handlungsrepertoire internalisiert und besitzt zudem die nötigen legitimen Mittel (gute Schulleistungen), um dieses Ziel zu erreichen. Schulschwänzen trifft nicht auf. Innovation („aktives Schulschwänzen“) Das Ziel „Schulerfolg“ wird vom Individuum anerkannt, jedoch sind nicht die legitimen Mittel vorhanden, dieses Ziel zu erlangen. Der Mangel an legitimen Mitteln kann sich zum Beispiel im fehlenden Geld für die Schulausstattung oder in fehlender Unterstützung bei Schulschwierigkeiten durch das Elternhaus widerspiegeln. Schulschwänzen stellt dann eine Folge der sozioökonomischen Benachteiligung der Herkunftsfamilie dar. Alternativ zum Schulbesuch versucht der Innovator andere Wege zu finden (zum Beispiel Nebenjob, kriminelle Aktivitäten), um gesellschaftlich anerkannte Ziele wie Ansehen oder finanziellen Wohlstand zu erwerben. Schulschwänzen ist dann ein „Nebenprodukt“ der ZielMittel-Diskrepanz. Ritualismus („passives Schulschwänzen“) Der Nutzen des Schulbesuchs wird vom Schüler nicht erkannt. Ein regelmäßiger Schulbesuch findet statt, weil er zur Routine geworden ist: Man geht zur Schule, weil das alle tun. Deshalb sind die Schulleistungen meist auf minimale Anforderungen reduziert. Insbesondere das Profil des passiven Schulschwänzers (physisch anwesend, aber desinteressiert) ist mit Mertons Typus des Ritualismus kompatibel und fungiert oft als Vorläufer des aktiven Schulschwänzens (Schreiber-Kittl und Schröpfer 2002: 82). Rückzug („totale Schulverweigerung“) Der Typ des sozialen Rückzuges ist durch Lethargie gekennzeichnet. Weder die kulturellen Ziele noch die institutionalisierten Mittel werden anerkannt. Im Gegensatz zum Rebell zeichnet diesen Typus aus, dass keine Alternativen zu den fehlenden Zielen und Mitteln angestrebt werden; es handelt sich um einen Außenseiter der Gesellschaft (Merton 1968: 207). Nach Merton resultiert der

209

soziale Rückzug oftmals aus Frustrationserlebnissen, „wenn sowohl Ziele als auch Mittel akzeptiert wurden, letztere sich aber als nicht effektiv erwiesen haben“ (Lamnek 2001: 121). Schüler lehnen den Schulbesuch ab, wenn sie darin aufgrund negativer Schulerfahrungen keinen Sinn mehr sehen. Rebellion („Schulschwänzen als Protest“) Der Schulbesuch wird aus Protest gegenüber den Zielen und/oder Mitteln der Institution Schule verweigert. Im Gegensatz zum sozialen Rückzug und Ritualismus sucht der Rebell nach alternativen Zielen und Mitteln. Eine intensive Abwesenheit vom Schulunterricht ist somit keine passive Verweigerung, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen. Auch das durch die Eltern initiierte „Schulschwänzen“ (Zurückhaltung), die aus pädagogischen, religiösen oder ideologischen Gründen einen Schulbesuch negativ beurteilen und ihre Kinder zu Hause oder in sonstigen Bildungsinstitutionen unterrichten (lassen), kann als generationsübergreifende Form des rebellischen Anpassungstypus interpretiert werden. Wenn als Mittel die Schulleistung und als Ziel der Bildungserfolg definiert werden, dann können für den Typen des Innovators („aktives Schulschwänzen“) folgende Hypothesen festgehalten werden: H1:

Je niedriger der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie, desto schwächer die Schulleistungen.

H2:

Je schwächer die Schulleistungen, desto eher werden Ziele wie Anerkennung oder ökonomischer Wohlstand alternativ zum Schulbesuch außerhalb der Schule verfolgt.

H3:

Je intensiver diese Ziele außerhalb der Schule verfolgt werden, desto stärker das häufige Schulschwänzen.

Der Anpassungstyp „Ritualismus” lässt sich nur ungenügend für die Erklärung des Schulschwänzens nutzen. Es geht hier um Schüler, die zwar ausreichende Leistungen in der Schule zeigen, aber keine Bildungsziele verfolgen. Da diese Schüler physisch im Unterricht anwesend sind und eine innere Isolation vom Schulunterricht stattfindet, ist objektiv kein unerlaubtes Fernbleiben auszumachen. Der Anpassungstyp der Rebellion wird ebenfalls in den weiteren Ausführungen nicht berücksichtigt, da dem Schüler nur eingeschränkt die Mittel zur Verfügung stehen dürften, Alternativen zum gesetzlich vorgeschriebenen 210

Schulbesuch zu entwickeln. Informationen über die Ansicht der Eltern hinsichtlich des Schulbesuches ihrer Kinder liegen leider nicht vor, so dass ein elterlich motiviertes Zurückhalten vom Unterricht nicht identifizierbar ist.

7.1

Erweiterung der Anomietheorie um eine Handlungstheorie

Verbindet man die Wert-Erwartungstheorie mit der Anomietheorie (z.B. Friedrichs 1997) – vor allem mit dem Typus der Innovation – dann lässt sich in Anlehnung an Burgess, Gardiner und Propper (2002) Schulschwänzen als das Resultat einer rationalen Abwägung von Kosten und Nutzen verstehen.148 Die Wert-Erwartungstheorie geht davon aus, dass Individuen Nutzen und Kosten abweichender Handlungen gegeneinander abwägen und diejenige Handlung vorziehen, aus der ein größerer Nutzen entsteht. Wenn der Schulbesuch dem Jugendlichen nur wenige Aussichten auf einen ökonomischen Gewinn bietet, der sich durch einen guten Schulabschluss und einer damit einhergehenden beruflichen Karriere erzielen lässt, dann ist es wahrscheinlich, dass er anderen Aktivitäten nachgeht. Eine mögliche Alternative zur Erlangung des Wohlstandes jenseits eines erfolgreichen Schulbesuchs ist das Ausüben eines Nebenjobs. So fanden zum Beispiel Duarte und Escario (2006) für spanische Schüler einen positiven Zusammenhang zwischen dem Nachgehen eines Nebenjobs und dem Schulschwänzen. Anerkennung kann alternativ durch den Zeitvertreib mit Gleichaltrigen erlangt werden, die dem Schulbesuch ebenfalls keinen hohen Stellenwert beimessen. Ist die soziale Anerkennung dem Schüler aufgrund seiner schlechten Schulleistungen versagt – meistens unterstrichen durch verbale Äußerungen der Lehrer und Mitschüler – erscheint es rational, sich neue Bezugsgruppen zu suchen, in deren Gesellschaft die Konfrontationen mit dem negativen Selbstbild des Versagens ausbleiben. Ähnlich argumentiert auch Agnew in seiner „General Strain Theory“ (1985, 1992), die an die Anomietheorie anknüpft.149 148 Burgess, Gardiner und Propper (2002) finden, dass Schulschwänzen sowohl positiv mit dem Verdienst eines Nebenjobs korreliert, als auch mit kriminellen Aktivitäten. Gleichzeitig stellen sie einen negativen Einfluss eines geringen schulischen Erfolges zugunsten des Schulschwänzens fest. 149 Im Gegensatz zu Merton (1968) stellt Agnew (1992) jedoch nicht die strukturell und kulturell determinierte Ziel-Mittel-Diskrepanz in das Zentrum seiner Erklärungen, sondern überträgt den Konflikt zwischen gesellschaftlich vorgegebenen Zielen und dem Mangel zur Verfügung stehender Mittel von der Makroebene auf die Mikroebene. Nicht sozialstrukturelle Bedingungen stehen im Fokus des Interesses, sondern die Reaktionen der Interaktionspartner auf das NichtErreichen anerkannter Ziele einzelner Personen als Folge sozialer Deprivation. Angenommen wird, dass Personen, die einen niedrigen sozioökonomischen Status einnehmen, auch verstärkt

211

Nach der Subkulturtheorie ist anzunehmen, dass die Mitglieder dieser Bezugsgruppen ähnliche Erfahrungen des Scheiterns erlebt haben und Alternativen zu den Werten der Mittelschicht anstreben. Oftmals bewegen sich diese Ziele im Bereich des abweichenden Verhaltens (vgl. Frings 2004). Je größer der Gewinn ist, der aus den alternativen Handlungen zum Schulbesuch resultiert, und je geringer die Kosten sind, die durch den versäumten Schulbesuch entstehen, desto eher wird der Schüler die Schule verweigern. Es ist zu vermuten, dass primär Schüler mit einem niedrigen Bildungsniveau und/oder mit schlechten Schulleistungen – und daher oft Schüler, deren Eltern einen niedrigen sozialen Status einnehmen – diese Alternativen zum Schulbesuch präferieren, da die Aussichten auf eine sichere und profitable Position auf dem Arbeitsmarkt sehr gering sind und somit der Nutzen eines kontinuierlichen Schulbesuchs niedrig eingeschätzt wird. Daraus folgt: H2a: Je geringer der Nutzen, den ein Schüler durch den Schulbesuch hat, desto eher wird der Schüler einer Nebentätigkeit nachgehen und/oder den Kontakt zu devianten Peers suchen. H2b: Je gewinnbringender die Nebentätigkeit bzw. je enger der Kontakt zu devianten Peers ist, desto stärker das Ausmaß des häufigen Schulschwänzens. Zusammenfassend lassen sich die zuvor formulierten Hypothesen graphisch wie folgt darstellen (siehe Abbildung 34).

Frustrationserlebnissen ausgesetzt sind, da sie nicht genügend Ressourcen haben, um die gesellschaftlich determinierten Ziele – wie gute Schulleistungen – zu erreichen. Durch die Stigmatisierung der sozialen Umwelt des Akteurs als „Versager“ erfährt dieser verstärkt Frustration, die abweichendes Verhalten begünstigt.

212

SES der Familie +

+ Schulleistungen

-

-

-

Alternativen um Anerkennung (Bindung an deviante Peers) und Wohlstand (Nebenjob) zu erreichen + häufiges Schulschwänzen

Indirekte Beziehungen Direkte Beziehungen SES = Sozioökonomischer Status

Abbildung 34: Häufiges Schulschwänzen im Rahmen der Anomietheorie

Ausgangspunkt ist der sozioökonomische Status, der bestimmt, in welchem Umfang einer Person Mittel – hier Schulleistungen – zur Verfügung stehen, um die gesellschaftlich bestimmten Ziele Anerkennung und Wohlstand zu erreichen. Sind die Mittel eingeschränkt bzw. die Schulleistungen schlecht, dann ist es aus der Perspektive des Schülers rational, nach anderen Mitteln zu suchen, um diese Ziele zu erreichen. In unserem Beispiel sind solche Alternativen die Erwerbstätigkeit und der Kontakt zu devianten Peers. Jugendliche, die diesen Alternativen einen höheren Stellenwert einräumen als dem regelmäßigen Schulbesuch, sind verstärkt dem Risiko des häufigen Schulschwänzens ausgesetzt.

7.2

Ergänzung der Anomietheorie auf der Mesoebene

Merton (1968) beschreibt ausführlich sowohl die sozialstrukturellen Defizite als auch die individuellen Anpassungstypen, erörtert jedoch nicht, wie diese über die Sozialisationsinstanzen Familie, Schule oder Peers an das Individuum weitergegeben werden. Im Hinblick auf die Familie ist daher zu fragen, welche 213

Ressourcen und Interaktionsmechanismen die sozialstrukturellen anomischen Zustände reproduzieren und somit das individuell abweichende Verhalten des Kindes hervorrufen. Auch wenn die klassischen Anomietheoretiker nur wenige Aussagen zu der Familie getroffen haben, wurde die Rolle der Familie als zentraler Vermittler zwischen gesellschaftlichen Werten und individuellen Kompetenzen sowie Aspirationen wahrgenommen: „It is the family, of course, which is a major transmission belt for the diffusion of cultural standards to the oncoming generation“ (Merton nach Burr et al. 1979: 625). Wesentlich ist, dass die soziale Platzierung der Familie determiniert, inwieweit die Eltern im Erziehungsprozess ihren Kindern Mittel zur Verfügung stellen können, die den Erwerb der Ziele Wohlstand/Anerkennung ermöglichen. Um die Anomietheorie auf der Mesoebene zu ergänzen, werden Theorien benötigt, die zwei Kriterien erfüllen: Erstens sollte es Ziel dieser Theorien sein, Unterschiede in den Schulleistungen der Jugendlichen zu erklären und zweitens sollte, entsprechend der von Merton formulierten Ziel-Mittel-Diskrepanz, die sozioökonomische Deprivation der Familie als ursächlich für die Qualitätsunterschiede in den Schulleistungen der Jugendlichen angesehen werden. Eine Möglichkeit, die monokausale Beziehung zwischen der sozialen Herkunft und den Schulleistungen zu überbrücken, ist die Integration verschiedener Kapitalformen. Hier erweisen sich vor allem die in der Bildungssoziologie diskutierten Konzepte des kulturellen Kapitals (z.B. Bourdieu 1983) und des sozialen Kapitals (z.B. Coleman 1988) als nützlich.

7.2.1 Schlechte Schulleistungen als Resultat eines geringen kulturellen Kapitals Im Mittelpunkt des Interesses der Bildungsforschung stand lange Zeit die Erklärung des Zusammenhangs zwischen dem ökonomischen familialen Kapital und dem Schulerfolg. Bourdieu (1983) erweitert den traditionell ökonomisch ausgerichteten Kapitalbegriff um das kulturelle und soziale Kapital.150 Nach ihm besteht das ökonomische Kapital neben dem Besitz von Produktionsmitteln aus einer Vielfalt verschiedener Formen materiellen Reichtums, wie zum Beispiel Geld, Aktien, Schmuck (Bourdieu 1992: 52). Kulturelles Kapital umfasst ver150 Im Gegensatz zum kulturellen Kapital ist die Konzeption des sozialen Kapitals keine neue, sondern fand schon – jedoch mit unterschiedlicher Bedeutung – Anfang des 20. Jahrhunderts Einzug in die Soziologie (Hanifan 1920) und gewann insbesondere durch die Arbeiten Colemans (1987, 1988, 1991) an Popularität. Trotz der zunehmenden Anwendung des Konzeptes des sozialen Kapitals besteht bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine einheitliche Definition.

214

schiedene Bildungsressourcen, und soziales Kapital bezeichnet die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit der Teilhabe an einem Netz sozialer Beziehungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens verbunden sind. Diese drei Kapitalformen sind keine autarken Entitäten, sondern ineinander transformierbar (Bourdieu 1983: 185). So können zum Beispiel Bildungsressourcen (kulturelles Kapital) in ökonomische umgesetzt werden, indem das individuelle Wissen die Besetzung einer beruflichen Position ermöglicht, die an ein hohes Gehalt gekoppelt ist. Ein weiteres Charakteristikum der Beziehung dieser drei Kapitalformen zueinander ist die „tendenzielle Dominanz des ökonomischen Feldes [Kapitals]“ (Bourdieu 1985: 11). Vor allem in Gesellschaften, die durch einen ausdifferenzierten selbstregulierenden Markt gekennzeichnet sind, ist das ökonomische Kapital hierarchisch dem kulturellen und sozialen Kapital übergeordnet. Daraus folgt, dass Familien mit hohem ökonomischem Kapital auch über mehr kulturelles und soziales Kapital verfügen. Im Mittelpunkt der Erklärung der Diskrepanzen schulischer Leistungen von Schülern unterschiedlicher sozialer Herkunft steht in der Theorie Bourdieus (1983) das kulturelle Kapital. Analog zu Merton (1968) geht auch er von einer Gesellschaft aus, die primär von mittelschichtspezifischen Werten und Zielen geprägt ist. Dies spiegelt sich ebenso im Schulsystem wider. Kinder, deren Eltern aufgrund ihrer niedrigen sozialen Position nur über ein geringes kulturelles Kapital verfügen, sind Kindern aus der Mittel- oder Oberschicht im Erwerb des kulturellen Kapitals und somit in der Erfüllung schulischer Erwartungen unterlegen. Aus dieser Perspektive ist der schulische Erfolg oder Misserfolg des Einzelnen als Resultat einer „kulturellen Passung“ (Baumert et al. 2002: 39) zu verstehen. Das kulturelle Kapital kann nach Bourdieu (1983) in drei verschiedenen Variationen auftreten: 1.

Im inkorporierten Zustand, verstanden als Denk- und Handlungsmuster, Wertorientierungen und kognitive Fähigkeit, die das Individuum im Sozialisationsprozess erwirbt. Inkorporiertes kulturelles Kapital wird durch die „Logik der Übertragung“ (Bourdieu 1982: 188) an die jüngeren Familienmitglieder weitergegeben. Wertorientierung, Denk- und Handlungsmuster des Kindes sind weitreichend durch die intellektuellen Fähigkeiten der Familie determiniert. Dabei erfolgt die Vermittlung inkorporierten Kapitals keineswegs immer bewusst im Sinne einer Erziehungsprämisse. So werden zum Beispiel schichtspezifische Sprachcodes im Prozess der Sozialisation oftmals unbewusst an die jüngere Generation weitergegeben (Bourdieu 1982: 187). Es gilt: Je niedriger das inkorporierte kulturelle Kapital ist, desto schlechter die Schulleistungen.

2.

Im objektiviertem Zustand, in Form von Gegenständen, wie Bücher, Kunstwerke, Skulpturen etc. Zum einen kann das objektivierte kulturelle Kapital als Umwandlung des ökonomischen Kapitals betrachtet werden in Form von juristischem Eigentum (zum Beispiel der Erwerb eines Gemäldes). Zum anderen hat es im Zusammenhang mit dem inkorporierten Kapital einen hohen symbolischen Wert. Der alleinige Besitz von objektivierten Kulturgütern bedingt noch nicht den Genuss oder die intellektuelle Auseinandersetzung mit diesen Gütern. Voraussetzung

215

hierfür ist ein bestimmtes Maß an inkorporiertem kulturellen Kapital, das der Akteur im familialen Sozialisationsprozess erwirbt. Es gilt: Je niedriger das objektivierte kulturelle Kapital ist, desto schlechter die Schulleistungen. 3.

In Form des institutionalisierten Zustandes, vornehmlich Bildungszertifikate, akademische Titel und Abschlüsse, welche die institutionelle Anerkennung des kulturellen Kapitals repräsentieren. Es gilt: Je niedriger das institutionalisierte Kapital ist, desto schlechter die Schulleistungen.

7.2.2 Schlechte Schulleistungen als Resultat eines geringen sozialen Kapitals Das Konzept des sozialen Kapitals, ursprünglich eingeführt von Hanifan (1920), wurde in veränderter Form intensiv von Coleman (1988, 1991) diskutiert und mehrfach empirisch überprüft. Im Gegensatz zu Bourdieu (1983), der das soziale Kapital als eine individuelle Ressource betrachtet, die es dem Individuum ermöglicht, soziale Kontakte einzusetzen, um persönliche Ziele zu erreichen („Vitamin B“), sieht Coleman (1988) soziales Kapital nicht nur als individuelle Eigenschaft, sondern als Kapital, das aus der Interaktion selbst resultiert. „Unlike other forms of capital, social capital inheres in the structure of relations between actors and among actors. It is not lodged either in actors themselves or in physical implements of production” (Coleman 1988: 98). Ausgehend von Colemans Verständnis des sozialen Kapitals als Produkt der sozialen Interaktion setzte sich McNeal (1999) mit der Frage auseinander, inwieweit das Interesse und das Engagement der Eltern an den schulischen Aktivitäten des Kindes einen Einfluss auf dessen Bildungskarriere nehmen. Als Indikatoren einer gescheiterten Bildungskarriere verwendet McNeal (1999) schlechte Schulleistungen, Schulschwänzen und Schulverweise. Mit seiner Fragestellung knüpft er an zahlreiche Befunde der Bildungsforschung in den USA an, die einen positiven Zusammenhang zwischen dem sozialen Kapital der Eltern und den Schulleistungen des Kindes belegen (z.B. Epstein 1990, Coleman 1991, Lareau 1996). Für die weiteren Ausführungen ist insbesondere das soziale Kapital von Bedeutung, das aus der Beziehung zwischen Eltern und Kind resultiert und einen Einfluss auf die Schulleistungen des Kindes nimmt,151 da entsprechend des erweiterten Modells der Anomietheorie die Schulleistungen als Mediatorvariable 151 Neben dem sozialen Kapital, das als Resultat der Eltern-Kind-Interaktion betrachtet wird, spielt aber auch das soziale Kapital der Eltern eine Rolle, das aus familienexternen Beziehungen entsteht und eine positive Entwicklung auf die Schullaufbahn des Kindes nehmen kann. Hierzu zählt unter anderem das PTO-Netzwerk (Parent Teacher Organization), also ein Austausch zwischen Lehrern und Eltern.

216

zwischen dem sozioökonomischen Status und dem häufigen Schulschwänzen wirken. Auf eine spezifische Definition dieses Begriffs verzichtet der Autor, erörtert aber drei Elemente, die charakteristisch für diese Kapitalform sind (McNeal 1999: 119f.): 1.

Formen des sozialen Kapitals: Mit dem Begriff der Form werden strukturelle Aspekte sozialer Beziehungen zusammengefasst, so zum Beispiel der Umfang eines sozialen Netzwerkes, die Stärke der Bindung der Interaktionspartner zueinander, aber auch Lücken im Netzwerk.

2.

Verhaltenserwartungen an die Beziehung: Angenommen wird, dass Beziehungen auch immer mit Investitionen der beteiligten Akteure verbunden sind (zum Beispiel Zeit) und dementsprechend Kosten verursachen. Der Gewinn der Investition in die Beziehung besteht aus der Umsetzung bestimmter Handlungen, die vom Interaktionspartner gewünscht werden. Nach dem Motto „quid pro quo“ können sich diese Verhaltenserwartungen zum Beispiel auf einen Gefallen, auf soziale, psychische oder materielle Unterstützungen beziehen. Werden die an den Interaktionspartner gestellten Erwartungen nicht erfüllt, kann dies zu einem Bruch der sozialen Beziehung führen. Die Erwartungshaltung der beteiligten Personen hängt von der Form, der Dauer und Intensität der sozialen Beziehung ab.

3.

Ressourcen: Das Ausmaß des sozialen Kapitals wird sowohl von internen als auch externen Ressourcen bestimmt. Interne Ressourcen sind solche, die durch die Beziehung zweier oder mehrerer Interaktionspartner entstehen und somit das Kapital bilden, das aus dem Netzwerk selbst resultiert. Extern sind Ressourcen, die außerhalb des Netzwerkes bestehen und für das Netzwerk von Nutzen sein können. Dies sind zum Beispiel Kapazitäten einzelner Akteure, die dem Netzwerk zur Verfügung gestellt werden oder Ressourcen externer Institutionen.

Inwieweit kann die elterliche Einbindung in die Lebenswelt des Kindes, hier vor allem in dessen Bildungslaufbahn, als soziales Kapital definiert werden? Nach McNeal (1999) weist die Partizipation der Eltern an der Schullaufbahn des Kindes (parental involvement) alle drei charakteristischen Merkmale des sozialen Kapitals auf. Im Hinblick auf die Form ist die Eltern-Kind-Beziehung, vor allem aufgrund des verwandtschaftlichen Bandes, als eine der dauerhaftesten und emotional engsten Bindungen zu bezeichnen. Dieser biologisch bestimmte Beziehungsaspekt bedingt oft normative Erwartungshaltungen der Familienmitglieder (norms of obligation and reciprocity). Wünsche der Eltern und des Kindes, die sie bezogen auf die schulische Entwicklung haben, können schneller und auch offener diskutiert werden. Bei Nicht-Erfüllung der artikulierten Verhaltenserwartungen können die Interaktionspartner zudem nicht ohne weiteres das soziale Netzwerk verlassen. Allein aufgrund der rechtlichen Fürsorgepflicht der Eltern und der ökonomischen Abhängigkeit des Kindes von den Erziehungsberechtigten sind die Familienmitglieder meist gezwungen, sich mit den Erwartungshaltungen und Verhaltensweisen der anderen auseinanderzusetzen. In der Terminologie Hirschmans (1970) kann auch gesagt werden, dass die Optionen „Exit or Voice“ im familialen Netzwerk wegen der ökonomischen,

217

aber auch der emotionalen Abhängigkeit stark auf die Möglichkeit des Protestes (Voice) eingeschränkt sind.152 Aber nicht nur innerhalb der Kernfamilie führt die verwandtschaftliche Beziehung zu engen Bindungen, zu ausgeprägten normativen Erwartungen und gewünschter Reziprozität. Auch außerfamiliale Instanzen – wie zum Beispiel andere Familien, Schulpersonal, Freunde, staatliche Institutionen – richten normative Erwartungen an die einzelnen Familienmitglieder, insbesondere an die Eltern. In den meisten westlichen Industriegesellschaften ist die Investition in eine gute Bildung des Kindes als erstrebenswertes Ziel integriert und als Norm etabliert. Eine grobe Vernachlässigung des bildungsrelevanten Erziehungsauftrages durch die Eltern, wie zum Beispiel die Nichtbefolgung der Schulaufsicht, kann zu negativen Sanktionen im Sinne sozialer Diffamierung oder gesetzlicher Haftbarkeit führen. Letztlich hängt die elterliche Einbindung in die Schullaufbahn des Kindes auch von verschiedenen Ressourcen ab. Je mehr Ressourcen die Eltern zur Verfügung haben, desto höher wird auch ihr soziales Kapital sein. Eltern besitzen in unterschiedlichem Umfang sowohl interne als auch externe Ressourcen, die sie in die Ausbildung ihrer Kinder investieren können. Als interne Ressourcen ist exemplarisch das Bildungsniveau der Elternteile zu nennen, externe Ressourcen hingegen wären zum Beispiel Beziehungen zu Personen, die dem Kind Nachhilfe erteilen können. Es ist jedoch davon auszugehen, dass interne und externe Ressourcen oft in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen und selten als unabhängige Einheiten angesehen werden können. In Anlehnung an Bourdieu geht McNeal (1999) von einer Abhängigkeit zwischen der sozialen Position der Herkunftsfamilie, dem Umfang bildungsrelevanter Ressourcen und dem Ausmaß des zur Verfügung stehenden sozialen Kapitals aus: Je niedriger der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie, desto geringer die Ressourcen, desto geringer das soziale Kapital und desto höher das Risiko schlechter Schulleistungen des Kindes. McNeal (1999) nennt vier Dimensionen, die das soziale Kapital der Eltern bestimmen und einen starken Einfluss auf den Bildungserfolg, das Schulschwänzen und die Gefahr des Schulverweises des Kindes nehmen können. Für alle Dimensionen wird angenommen, dass sie Indikatoren des Interesses der Eltern an der schulischen Entwicklung des Kindes sind. Die Artikulation des elterlichen Interesses kann beim Kind wiederum zu verstärkten Bemühungen 152 Die Möglichkeit des „Exits“ kann im Rahmen der familialen Beziehungen als Verlassen der Familie interpretiert werden, zum Beispiel dann, wenn das Kind von zu Hause flüchtet oder ein Elternteil die Familie verlässt. Bei einem Exit beider Elternteile könnte sich dies in dem Verweis des Kindes an eine außerfamiliale Institution, wie zum Beispiel dem Kinderheim, ausdrücken.

218

führen, den Bildungserwartungen der Eltern zu entsprechen. Durch die Anstrengungen des Kindes können abfallende Schulleistungen und mögliche Folgen schlechter Schulleistungen, wie das Schulschwänzen oder der Ausschluss vom Unterricht, verhindert werden. Des Weiteren fungieren diese Dimensionen als Instrument der sozialen Kontrolle. Je intensiver der Austausch mit dem Kind oder dem Schulpersonal über schulische Ereignisse, desto eher sind die Eltern über schulische Defizite informiert und können auf diese intervenierend reagieren. Die Wirksamkeit der sozialen Kontrolle wird insbesondere für die ElternKind-Diskussion und die Interaktion zwischen Eltern und Lehrern (PTONetzwerk) hervorgehoben. Die vier Dimensionen sind wie folgt spezifiziert: 1.

Eltern-Kind-Diskussion: Sie bezeichnet das Ausmaß der Interaktion zwischen Eltern und Kindern in Bezug auf Schulereignisse, so zum Beispiel Gespräche über Schulaktivitäten, Probleme und Schwierigkeiten mit Lehrern und Mitschülern, Unterrichtsinhalte etc. Neben Gesprächsinhalten, die sich direkt auf die Institution Schule beziehen, umfasst die Kategorie der Eltern-Kind-Diskussion aber auch allgemein bildungsrelevante Themen (zum Beispiel Gespräche über politische Ereignisse, Kunst etc.). Daraus folgt: Je häufiger die Eltern mit ihren Kindern über schulische Ereignisse oder bildungsrelevante Themen reden, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit schlechter Schulleistungen.

2.

Die Integration der Eltern in das Schulnetzwerk (PTO-Netzwerk, parent-teacher organization): Es umfasst sowohl die Teilnahme der Eltern an Elternabenden oder Elterngesprächen als auch an darüber hinausgehenden schulischen Veranstaltungen in Form von Festlichkeiten, Klassenfahrten, organisierten Elterngruppen etc. Daraus folgt: Je enger das Netzwerk zwischen Eltern und Lehrern ist (PTO), desto geringer ist auch das Risiko schlechter Schulleistungen.

3.

Monitoring: Angenommen wird, dass Eltern, die um das Wohl ihres Kindes besorgt sind, dessen Verhaltensweisen und Entwicklung genau beobachten und kontrollieren. Dies bedeutet zum Beispiel, dass die Eltern die Hausaufgaben der Kinder überprüfen, Fernsehzeiten einschränken und Schlafenszeiten festlegen. Eine Kontrolle der kindlichen Aktivitäten muss noch nicht direkt zu höheren Bildungsaspirationen oder guten Schulleistungen führen. Dennoch kann angenommen werden, dass Eltern, die um die Aktivitäten des Kindes wissen und Einfluss auf diese nehmen, auch einen Fokus auf die Schulleistungen richten und bei einem auffälligen Leistungsabfall mit entsprechenden Maßnahmen (Nachhilfe etc.) reagieren. Daraus folgt: Je stärker die Eltern die Aktivitäten des Kindes kontrollieren, desto besser die Schulleistungen.

4.

Direkte Partizipation der Eltern an den Schulgeschehnissen (educational support strategies): Hiermit ist die direkte Unterstützung der Eltern hinsichtlich der Bewältigung von Leistungsanforderungen gemeint, d.h. Unterstützung bei den Hausaufgaben, gemeinsames Lernen mit dem Kind etc. Eingewendet werden kann, dass gerade bei Schülern mit schwachen Schulleistungen eine zunehmende Förderung durch die Eltern erfolgen könnte, insbesondere nach Gesprächen mit Lehrern. Daher kann die Dimension „educational support strategies“ nicht selbstverständlich als Prädiktor einer guten Schullaufbahn herangezogen werden. So kann die elterliche Unterstützung auch die Folge einer schlechten oder zumindest schwierigen Schullaufbahn des Kindes sein. Andererseits sollte bedacht werden, dass die Unterstützung seitens der Eltern nicht nur erfolgen muss, wenn die Kinder schlechte Leistungen aufweisen, sondern dass hohe

219

Bildungsaspirationen eine Erziehungsmaxime darstellen, die den gesamten Sozialisationsprozess des Kindes bestimmt. Auch wenn die Unterstützung erst nach einem Leistungsabfall aktiviert wird, verfolgt sie doch das Ziel, diesen Abfall zu reduzieren und ist somit wieder Ausdruck der Bemühungen und der Kontrolle durch die Eltern. Unabhängig von dieser kritischen Anmerkung gilt im Sinne McNeals (1999): Je häufiger die Eltern den Kindern direkt bei den Schulaufgaben helfen, desto besser die Schulleistungen.

Durch die Integration der Theorie des sozialen und kulturellen Kapitals wird die Anomietheorie (vgl. Abbildung 35), die ursprünglich einen direkten Einfluss des sozioökonomischen Status (SES) auf die Schulleistungen formuliert, erweitert. SES der Familie

+

+ -

Soziales Kapital

+

+

Kulturelles Kapital

+ Schulleistungen

-

-

-

-

Alternativen, um Anerkennung (Bindung an deviante Peers) und Wohlstand (Ausüben eines Nebenjob) zu erreichen

+

häufiges Schulschwänzen

Indirekte Beziehungen Direkte Beziehungen SES = sozioökonomischer Status

Abbildung 35: Häufiges Schulschwänzen im Rahmen der Anomietheorie ergänzt um das soziale und kulturelle Kapital

220

Angenommen wird, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Familie und dem sozialen sowie kulturellen familialen Kapital besteht. Nach den Ausführungen McNeals (1999) wird das soziale Kapital über die Faktoren Eltern-Kind Diskussion, PTO-Netzwerk, Kontrolle und elterliche Unterstützung erfasst. Das Konzept des kulturellen Kapitals Bourdieus (1983) wird in den weiteren Ausführungen über das objektivierte, inkorporierte und institutionalisierte Kapital gemessen. Entsprechend den Ausführungen zu Abbildung 35 wird weiter angenommen, dass schlechte Schulleistungen den Schüler dazu animieren, Anerkennung und finanziellen Wohlstand außerhalb des konventionellen Weges einer guten Schullaufbahn zu suchen (durch Ausüben eines Nebenjobs und die Bindung an deviante Peers). Dies wiederum fördert das Intensivschwänzen. Die in Abschnitt 1 formulierten Hypothesen (H1 bis H3), können durch die theoretische Erweiterung wie folgt ergänzt werden: H1a: Je niedriger der sozioökonomische Status(SES) der Herkunftsfamilie, desto niedriger das soziale Kapital der Familie. Diese Hypothese wird spezifiziert in: Je niedriger der SES der Herkunftsfamilie, … H1a(Diss.): H1a(PTO): H1a(Kontroll.): H1a(Hilfe):

…desto seltener reden die Eltern mit den Kindern über schulische Ereignisse oder bildungsrelevante Themen. …desto schwächer ist das Netzwerk zwischen Eltern und Lehrern. …desto seltener kontrollieren die Eltern die Aktivitäten des Kindes. ....desto seltener helfen die Eltern den Kindern direkt bei den Schulaufgaben.

H1b: Je niedriger das soziale Kapital der Familie, desto schlechter die Schulleistungen. Diese Hypothese wird spezifiziert in: H1b(Diss.): H1b(PTO): H1b(Kontroll.): H1b(Hilfe):

Je häufiger die Eltern mit ihren Kindern über schulische Ereignisse oder bildungsrelevante Themen reden,… Je enger das Netzwerk zwischen Eltern und Lehrern ist (PTO),… Je stärker die Eltern die Aktivitäten des Kindes kontrollieren, … Je häufiger die Eltern den Kindern direkt bei den Schulaufgaben helfen, … …desto besser sind die Schulleistungen

Der weitere Verlauf entspricht dem ab H2.

H1c:

Je niedriger der SES der Herkunftsfamilie, desto niedriger das kulturelle Kapital der Familie. Diese Hypothese wird spezifiziert in: Je niedriger der SES der Herkunftsfamilie, …

221

H1c(Inkop.): H1c(Objekt): H1c(Institut.):

…desto niedriger das inkorporierte kulturelle Kapital. …desto niedriger das objektivierte kulturelle Kapital. …desto niedriger das institutionalisierte kulturelle Kapital.

H1d: Je niedriger das kulturelle Kapital der Familie, desto schlechter die Schulleistungen. Diese Hypothese wird spezifiziert in: H1d(Inkop.): H1d(Objekt): H1d(Institut.):

Je niedriger das inkorporierte kulturelle Kapital,…. Je niedriger das objektivierte kulturelle Kapital, … Je niedriger das institutionalisierte kulturelle Kapital, … …desto schlechter sind die Schulleistungen

Der weitere Verlauf entspricht dem ab H2.

H 2:

Je schlechter die Schulleistungen, desto eher werden Ziele wie Anerkennung oder ökonomischer Wohlstand alternativ zum Schulbesuch außerhalb der Schule verfolgt.

H2a: Je geringer der Nutzen, den ein Schüler durch den Schulbesuch hat, desto eher wird der Schüler einer Nebentätigkeit nachgehen und/oder den Kontakt zu devianten Peers suchen. H2b: Je gewinnbringender die Nebentätigkeit bzw. je enger der Kontakt zu devianten Peers ist, desto stärker das Ausmaß des häufigen Schulschwänzens. H 3:

Je intensiver diese Ziele außerhalb der Schule verfolgt werden, desto stärker das Ausmaß des häufigen Schulschwänzens.

7.3

Stichprobenbeschreibung der PISA-Studie 2000

Die PISA-Studie (Programme for International Student Assessment), initiiert von der OECD, hat zum Ziel, verschiedene Leistungskompetenzen (Lesekompetenz, mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen) von 15-jährigen Schülern (n = 180.000) aus 32 Nationen zu erheben. Geplant sind drei Erhebungszyklen in einem Abstand von jeweils drei Jahren. Das Studiendesign ist nicht als Längsschnittuntersuchung angelegt, sondern als wiederholende Querschnittsbefragung. Bei der erstmalig im Mai/Juni 2000 durchgeführten Erhebung lag der Fokus der Analyse auf der Lesekompetenz der Schüler. In den internationalen Datensatz flossen Informationen von 5.073 deutschen Schülern aus 219 Schulen ein. Das national zuständige PISA-Konsortium des 222

Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin (Prof. Dr. Jürgen Baumert) sowie das beteiligte DIPF (Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung) in Frankfurt am Main haben das internationale Untersuchungsprogramm für Deutschland in zweifacher Hinsicht erweitert: Erstens wurde die Stichprobe auf nationaler Ebene erheblich vergrößert und zweitens wurde die Studie inhaltlich durch zusätzliche Erhebungen an einem zweiten Testungstag ergänzt.

1) Erweiterung der Stichprobe auf nationaler Ebene Die international vorgesehene, altersbasierte Stichprobe der 15-jährigen Schüler, die ein repräsentatives Abbild der deutschen Schülerschaft ist, wurde auf ca. 1.460 Schulen erweitert, so dass Informationen von 33.809 15-jährigen Schülern vorliegen. Neben der altersbasierten Stichprobe wurde zusätzlich eine jahrgangsbasierte Stichprobe von 9-Klässlern (vgl. Abbildung 36) gezogen (n = 33.744).

9-Klä ssle r

26% n = 12.09 0

N=33.744

47% n = 21.654 27% n = 12.1 55

15-jährige 9-Klässler 15- J ä hr ige N=33.809

15-jährige, die nicht in der 9. Klasse sind 9-Klässler, die nicht 15 Jahre alt sind

Abbildung 36: Alters- und jahrgangsbasierte Stichprobe der nationalen Erweiterung (PISA 2000) (Quelle: PISA Informationen zum Datenzugang, 2005)

Bei der nationalen PISA-Stichprobe handelt es sich um eine disproportional geschichtete Stichprobe. In dem ersten Schritt erfolgte eine Schichtung nach Schulformen (Gymnasien, Integrierte Gesamtschulen, Schulen mit mehreren

223

Bildungsgängen, Realschulen, Hauptschulen und berufliche Schulen) und nach Bundesland. In Schritt zwei wurde für die erstellten Strata die Anzahl der zu ziehenden Schulen bestimmt. Im dritten Schritt wurden in den Strata – auf Basis der kumulierten, nach Schulgröße sortierten Schullisten – die Schulen der gesamten PISA-Stichprobe zufällig gezogen und letztlich die Anzahl der Schüler der einzelnen Schulformen festgelegt. Die Ausschöpfungsquote der Schulen lag insgesamt bei 99,4%. Nach Schulformen getrennt verteilen sich die Ausschöpfungsquoten wie folgt: 81,0% Hauptschulen, 86,4% Schulen mit mehreren Bildungsgängen, 87,3% Realschulen, 90,6% Gymnasien, 76,0% Integrierte Gesamtschulen, 6,2% Berufsschulen. Die Teilnehmerquote auf Schülerebene betrug 84,7%, rund 15,0% der Schüler haben aufgrund von Krankheit, fehlender Elterngenehmigung oder aus sonstigen Gründen nicht an der Erhebung teilgenommen (Baumert et al. 2000: 24).

2) Inhaltliche Ergänzungen In den Bereichen Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften wurden jeweils nationale Ergänzungstests verwendet, die intensiver auf das Curriculum und die Unterrichtspraxis an deutschen Schulen ausgerichtet waren. Zusätzlich wurden Aspekte der Kommunikation und Kooperation sowie fächerübergreifende Problemlösungsfähigkeit, demographische Merkmale, Freizeit- und Medienverhalten, Merkmale der Familie und des Freundeskreises erhoben. Neben der Schülerbefragung fanden eine schriftliche Eltern- und eine Schulleiterbefragung statt. Schwerpunkte der Schulleiterbefragung waren die Erhebung der Schulqualität und die von den Schulen ergriffenen Maßnahmen zur Förderung von Schülern. Die Elternbefragung dient dazu, die Angaben der Schüler zum familiären Hintergrund zu bestätigen und die Schullaufbahn des Kindes zu erfassen. Aufgrund einer hohen Anzahl von Ausfällen (n = 4.185) belaufen sich die auswertbaren Elternangaben auf n = 29.624. Die im Sample untersuchten Schüler repräsentieren jeweils die Zielpopulation der 15-jährigen Schüler bzw. 9-Klässler in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Um die Verhältnisse in der Grundgesamtheit und nicht in der disproportional geschichteten PISA-Stichprobe zu reproduzieren, ist es notwendig, die tatsächlich in der Stichprobe befindlichen Schüler entsprechend ihrem Anteil in der Zielpopulation zu gewichten (Baumert et al. 2002). Für die hier ausgeführten Analysen wurde nach Vorgabe des Deutschen PISAKonsortiums (2003) ein Stichprobengewicht verwendet, das bei Betrachtung der Lesekompetenz, der Individualdaten sowie Elternangaben herangezogen wird. Neben den Stichprobengewichten stehen auch Populationsgewichte zur Verfü224

gung, die das Verhältnis in der Gesamtpopulation abbilden. Das entsprechende Populationsgewicht wird hier lediglich für deskriptive Zwecke herangezogen, da seine Verwendung bei der Analyse von Datensätzen mit hoher Fallzahl zu einer Überschätzung der Anzahl signifikanter Parameter führt (Deutsches PISAKonsortium 2003: 6). Angaben zu der Konstruktion der einzelnen Gewichtungen sind den „Ergänzungen zum Skalenhandbuch“ (Deutsches PISAKonsortium 2000: 4ff.) zu entnehmen. Die folgenden Auswertungen basieren auf der national altersbasierten Stichprobe der 15-jährigen Schüler (n = 33.809). Analog zu den Auswertungen des PISA-Konsortiums werden die Sonderschüler in den weiteren Berechnungen nicht berücksichtigt, weil sich die Fallzahl lediglich auf n = 600 beläuft und damit keine repräsentativen Ergebnisse erzeugt werden können. Die Gruppe der Berufsschüler weist eine ähnliche Problematik auf, da nur 36,2% aller Berufssch ulen in die Stichprobe eingeflossen sind. Werden diese beiden Schulformen ausgeschlossen, umfasst die Größe der Stichprobe 31.288 Befragte. Tabelle 16: Beschreibung der Stichprobe (PISA-Daten 2000) Schulform % Hauptschule

Geschlecht n

%

n

Klassenstufe %

n

21,7

6.779

Jungen

49,3

15.406

6

0,0

11

Realschule

9,5

2.971

Mädchen

50,7

15.850

7

1,5

465

Schule mit mehreren Bildungsg.

27,4

8.565

8

14,1

4.407

Gesamt-schule

10,2

3.197

9

63,5

19.850

Gymnasium

31,2

9.775

10

20,9

6.534

11

0,0

14

Gesamt

7.4

100,0

31.288

100,0

31.256

100,0

31.281

Fehlende Werte

Noch ausgeprägter als in den Auswertungen der „MPI-Schulbefragung 1999“ sind die fehlenden Werte in der PISA-Studie 2000. Von einem hohen Anteil fehlender Werte sind vor allem die hier interessanten Merkmale „sozioökonomischer Status“ und das „PTO-Netzwerk“ betroffen. Um möglichen Verzerrungen 225

entgegenzuwirken, wird analog zu der „MPI-Schulbefragung 1999“ bei fehlenden Angaben der EM-Algorithmus153 (Expectation Maximization) eingesetzt, um die Missings durch neu berechnete Werte zu ersetzen (vgl. Kapitel 6.3). Bedingung für eine Imputation ist abermals, dass die Variablen metrisch skaliert sind, oder im Fall eines kategorialen Skalenniveaus, mindestens fünf Ausprägungen haben und die Residuen annährend normalverteilt sind. Durch Anwendung dieses Verfahrens konnten 82,0% der Fälle (n = 27.468 von n = 33.598) aufgenommen werden. Ohne die Anwendung dieses Imputationsverfahrens wären nur 45,0% aller Fälle in die Berechnungen eingegangen. Tabelle A3 Anhang ist zu entnehmen bei welchen Variablen durch den Einsatz des EM-Algorithmus fehlende Werte ersetzt wurden.

7.5

Operationalisierung der abhängigen Variablen

In der PISA-Studie 2000 ist die unerlaubte Schulabwesenheit über zwei Indikatoren erfasst. Erstens wurden die Probanden gebeten, anzugeben, wie oft sie in den letzten 14 Tagen in der Schule gefehlt haben. Zweitens sollten die Schüler berichten, wie viele Schulstunden sie in den letzten 14 Tagen geschwänzt haben. Als Antwortmöglichkeit lag beiden Variablen eine vierstufige Skala zugrunde (1 = nie, 2 = 1- oder 2-mal, 3 = 3- oder 4-mal, 4 = 5-mal oder häufiger). Sowohl die Angaben zum ganztägigen Absentismus als auch zum stundenweisen Schwänzen erfassen das Schulschwänzen nur unzureichend. Die Messung der Fehltage impliziert auch Schüler, die aus legitimen Gründen der Schule ferngeblieben sind. Somit kann nicht angenommen werden, dass Befragte, die eine bestimmte Anzahl an Fehltagen angaben, auch gleichzeitig schwänzten. Das zweite Item – Schwänzen nach Schulstunden in den letzten 14 Tagen – schließt (bedingt) Schüler aus, die tageweise der Schule ferngeblieben sind. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, vor allem „Stundenschwänzer“ zu identifizieren. Im Gegensatz zu häufig schulschwänzenden Jugendlichen, die meist keine Selektion der gefehlten Schulstunden oder Tage treffen, zeichnen sich Stundenschwänzer durch das bewusste Fehlen einzelner Unterrichtsfächer aus, oftmals aufgrund einer spezifischen Problematik mit dem Fach oder persönlichen Konflikten mit dem Lehrer. Um leichtere von schwereren Formen des Schwänzens zu unterscheiden und das Risiko zu reduzieren, primär Stundenschwänzer in die abhängige Variable aufzunehmen, werden diejenigen Schüler als Mehrfachschwänzer definiert, die 153 Für eine genaue Beschreibung des EM Algorithmus siehe auch Dempster, Laird und Rubin (1977).

226

mindestens fünf Stunden in den letzten beiden Wochen geschwänzt haben. Auch wenn nicht garantiert ist, dass hiermit auch Schüler erfasst sind, die tageweise unerlaubt der Schule fernbleiben, ist die Wahrscheinlichkeit dennoch relativ hoch auch diese zu erfassen, da das tageweise Schwänzen auch einen Umfang von (mindestens) 5 Stunden umfasst.154 Alternativen, um das häufige Schulschwänzen abzubilden und um annährend eine Vergleichbarkeit mit dem tageweise Schwänzen (vgl. Operationalisierung der MPI-Schulbefragung) zu gewährleisten, gibt es leider nicht. Die Beschränkung auf den Zeitraum der letzten 14 Tage hat einerseits im Hinblick auf die Genauigkeit der Angaben Vorteile. Das Ereignis liegt noch nicht weit zurück und somit ist anzunehmen, dass der Befragte präzise Angaben zum Schwänzen machen kann. Andererseits kann diese zeitliche Einschränkung auch zu Verzerrungen führen, wenn die Schüler aufgrund äußerer Umstände (zum Beispiel Klassenarbeiten, Vertretungslehrer, bevorstehende Zeugnisse etc.) ihr Schulbesuchsverhalten in dieser kurzen Zeitspanne änderten. Da die Befragung der Schüler in den Monaten Mai und Juni durchgeführt wurde und bundesweit Schüler der 9. und 10. Klassen Mitte Juni ihre Schulentlassungszeugnisse erhalten, ist in Bezug auf die Bedeutsamkeit dieser Zeugnisse anzunehmen, dass bei vielen Schülern ein überproportional regelmäßiger Schulbesuch stattfand und es somit zu einer Unterschätzung des Schulschwänzens kommt. Insgesamt 32.237 der 15-jährigen Schüler machten Angaben zum Schwänzen einzelner Schulstunden, von 839 (2,5%) Probanden liegen keine Informationen vor. Mit 87,4% (n = 28.189) hat der größte Teil der Schüler keine einzige Stunde in den letzten 14 Tagen geschwänzt, 9,4% (n = 3.023) fehlten unentschuldigt 1 bis 2 Stunden, 1,4% (n = 463) 3 bis 4 Stunden und 1,7% (n = 561) blieben mindestens 5 Stunden dem Unterricht fern. Eine Analyse der fehlenden Werte zeigt eine Systematik nach der Schulform: Mit 3,9% treten fehlende Werte am häufigsten bei Schülern der Gesamtschulen auf, gefolgt von den Hauptschulen (3,8%); Realschulen und Schulen mit mehreren Bildungsgängen weisen je einen Anteil von 2,3% auf, am niedrigsten ist die Ausfallquote an Gymnasien (1,2%). Wird anstatt des Stichproben- das Populationsgewicht herangezogen, zeigen sich folgende Verteilungen des häufigen Schulschwänzens nach Schulformen:

154 Leider liegen in der PISA-Studie 2000 keine Informationen über das abweichende Verhalten von Schülern vor, so dass auf eine Korrespondenz zwischen dem Schwellenwert „mindestens 5 Stunden geschwänzt“ mit verschiedenen Formen abweichenden Verhaltens (wie in Kapitel 6.5 ausgeführt) verzichtet werden muss.

227

Tabelle 17: Anteile häufig schwänzender Jugendlicher nach Schulform (PISA-Daten 2000, Angaben in %) Hauptschule

Schule mit mehreren Bildungsgängen

Realschule

Integrierte Gesamtschule

Gymnasium

Nie

84,9 (133.461)

90,0 (63.004)

89,7 (180.955)

83,9 (62.080)

89,0 (207.135)

1-2 Std.

10,0 (15.664)

7,1 (4.939)

7,8 (15.672)

12,0 (8.907)

9,4 (21.930)

3-4 Std.

2,4 (3.706)

1,3 (913)

0,9 (1.868)

2,1 (1.524)

1,0 (2.221)

5 Std.

2,8 (4.388)

1,7 (1.156)

1,6 (3.199)

2,0 (1.499)

0,7 (1.514)

Gesamt

100,0 (157.219)

100,0 (70.012)

100,0 (201.694)

100,0 (74.010)

100,0 (232.800)

In Klammern stehen die jeweiligen Fallzahlen, Angaben unter Verwendung des Populationsgewichtes (PISA-Daten 2000)

Über alle Schulformen hinweg schwänzten in einem Zeitraum von 14 Tagen ca. 11.756 (1,8%) Schüler mindestens 5 einzelne Schulstunden. Werden auch die leichteren Formen des Schwänzens (1-2 und 3-4 Std.) mit einbezogen, dann beläuft sich die Zahl schwänzender Schüler auf etwa 89.100, das waren zum damaligen Zeitpunkt 12,1% der Schülerschaft. Der größte Anteil an häufig schulschwänzenden Jugendlichen ist bei den Hauptschulen (2,8%) zu verzeichnen, gefolgt von den Integrierten Gesamtschulen (2,0%), den Schulen mit mehreren Bildungsgängen (1,7%), den Realschulen (1,6%) und letztlich den Gymnasien mit 0,7%. Zwischen den Schulformen und dem häufigen Schwänzen besteht ein hochsignifikanter Zusammenhang (p 0,001, x2 = 6729,4, df = 12).

7.6

Operationalisierung der unabhängigen Variablen

Sozioökonomischer Status und Kontrollmerkmale Um die sozioökonomische Lage der Familien zu beschreiben, wird der von Ganzeboom et al. (1992) entwickelte International Socio-Economic Index (ISEI), der auf der Klassifikation von Berufen durch das internationale Arbeitsamt beruht (ISCO-Codes, vgl. Ganzeboom und Treiman 1996), herangezogen.

228

Der Range reicht von 16 (niedriger SES) bis 90 (hoher SES), mit einem Mittelwert von 48,84 und einer Standardabweichung (SD) von 15,47. Zu den Kontrollvariablen zählen der familiale Migrationshintergrund, der Familienstatus und das Geschlecht der Schüler. Zur Messung des Migrationshintergrundes wurde eine dichotome Variable verwendet, die wiedergibt, ob der Vater deutscher (0) oder ausländischer Herkunft ist (1). 81,0% der Väter der befragten Schüler sind deutscher Herkunft, bei 19,0% ist der Vater ausländischer Herkunft. Der Familienstatus ist auch über eine dichotome Variable erfasst, die angibt, ob der Jugendliche mit beiden leiblichen Elternteilen zusammenlebt (1) oder nicht. Der Großteil der Jugendlichen lebt mit beiden leiblichen Eltern zusammen (77,5%), etwa ein Viertel (22,5%) lebt bei nur einem oder keinem Elternteil. Die Geschlechterverteilung der PISA-Studie 2000 setzt sich aus 49,3% Jungen (n = 15.406) und 50,7% Mädchen (n = 15.850) zusammen. Die direkte Beziehung der Kontrollmerkmale zu den Indikatoren des sozialen und kulturellen Kapitals sowie zu den Schulleistungen, dem Nebenjob und der Anbindung an die devianten Peers wird auf unter http://www.wiso.unikoeln.de/soziologie/schulabsentismus dokumentiert, da eine detaillierte Darstellung zusätzlich zu den Beziehungen, die der SES aufweist, zu unübersichtlichen Ergebnissen führt.155 Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle multivariaten Ergebnisse, die den SES betreffen, demnach immer nach den Merkmalen „Migration“, „Familienstatus“ und „Geschlecht“ kontrolliert sind.

Soziales Kapital Die nach McNeal (1999) benannten vier Dimensionen des sozialen Kapitals (Diskussion, Kontrolle, Unterstützung und PTO-Netzwerk) konnten alle – bis auf das PTO-Netzwerk – über mindestens zwei Indikatoren abgebildet werden. Die hier vorliegenden theoretischen Konstrukte sind den Skalenkonzeptionen des PISA-Konsortiums (2000) angelehnt, wurden jedoch im Rahmen von explorativen Faktorenanalysen (EFA)156 nochmals überprüft und gegebenenfalls modifiziert. Die Intensität der Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts zwischen Eltern und Kind wird über die Skala „gemeinsame Aktivitäten von Eltern und Kinder“ 155 Die indirekten Beziehungen ausgehend von den Kontrollmerkmalen zu dem sozialen und kulturellem Kapital sowie zu den Schulleistungen, dem Nachgehen eines Nebenjobs und der Anbindung an deviante Peers werden aufgrund des Umfangs und der Tatsache, dass die Kontrollmerkmale theoretisch keine Rolle spielen, nicht dokumentiert. Diese Beziehung sind auf Anfrage einsehbar. 156 Eine Beschreibung der explorativen Faktorenanalyse ist Kapitel 6.4 zu entnehmen.

229

gemessen (PISA 2002: 249). Im Original umfasst diese Skala sechs fünfstufig skalierte Items (1 = nie/fast nie bis 5 = mehrmals in der Woche): 1) wie oft Eltern mit ihren Kindern über politische und soziale Fragen diskutieren ( x = 2,50; SD = 1,26, n = 31.288), 2) wie oft sie über Bücher, Filme oder Fernsehsendungen diskutieren ( x = 3,01, SD = 1,31, n = 31.288), 3) wie oft sie klassische Musik hören ( x = 1,35, SD = 0,87, n = 31.288), 4) wie oft sie über Schulleistungen sprechen ( x = 4,06; SD = 1,01 , n = 31.288), 5) wie oft sie gemeinsam an einem Tisch sitzen und zu Mittag oder Abend essen ( x = 4,66; SD = 0,87, n = 31.288) und 6) wie oft sich die Eltern Zeit nehmen, um einfach mit dem Kind zu reden ( x = 3,90, SD = 1,21, n = 31.288). Im Gegensatz zu der angegebenen Eindimensionalität der Skala zeigt die explorative Faktorenanalyse auf Basis des WLSMV-Schätzers,157 dass ein zweifaktorielles Modell die beste Lösung bietet. Mit einem RMSEA158 von 0,03 und einem RMR von 0,02 ist die Güte des Modells sehr gut. In Tabelle 18 sind die Ladungen (aij) der einzelnen Items auf die entsprechenden Faktoren (F1, F2) dargestellt. Abgebildet sind die Faktorenladungen unter Verwendung der Varimax- und der Promax-Rotation. Nur zwei der sechs Items laden sehr niedrig auf den extrahierten Faktoren („über Schulleistungen reden“ und „gemeinsam klassische Musik hören“). Alle anderen weisen signifikante Ladungen (aij > 0,5) auf. Tabelle 18: Explorative Faktorenanalyse der Dimension „Diskussion“ des sozialen Kapitals (PISADaten 2000) Varimax-Rotation

Promax-Rotation

F1

F2

F1

F2

Über politische oder soziale Fragen diskutieren

0,65

0,23

0,67

0,02

Über Bücher, Filme und Fernsehsendungen reden

0,72

0,25

0,76

0,01

Gemeinsam klassische Musik hören

0,43

0,12

0,46

-0,02

Über Schulleistungen reden

0,36

0,29

0,31

0,20

Gemeinsam Essen

0,15

0,49

-0,02

0,53

Zeit nehmen, um einfach nur zu reden

0,28

0,77

0,03

0,80

Die grau markierten Felder stellen niedrige Ladungen dar, hohe Ladungen sind schwarz hervorgehoben, n = 33.598

157 Eine genaue Beschreibung des WLSMV-Schätzers ist Kapitel 6.3 zu entnehmen. 158 Siehe auch Kapitel 6.3.

230

Varimax- und Promax-Rotationsverfahren produzieren ähnliche Ergebnisse. Es lassen sich unter Ausschluss der beiden insignifikanten Items (gemeinsam klassische Musik hören/über Schulleistungen reden) zwei relativ deutlich zu interpretierende Faktoren ableiten: F1) umfasst bildungsspezifische Diskussionsinhalte zwischen Eltern und Kind und F2) bezieht sich auf den allgemeinen kommunikativen Austausch. Nichtsdestotrotz lädt das Item „Gemeinsames Essen“ mit einer Ladung von 0,49 nur sehr niedrig auf dem Faktor, so dass letztlich für die Abbildung der allgemeinen Kommunikation nur eine manifeste Variable zur Verfügung steht. Daher wird für das weitere Verfahren lediglich auf Faktor 1 zurückgegriffen, der für die weiteren Analysen den Titel „Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts“ trägt. Ergänzend zu diesem Faktor werden die Variablen „Reden über Schulleistungen“ und „gemeinsam Essen“ einzeln berücksichtigt. Erstere stellt einen zentralen Aspekt der Theorie McNeals (1999) dar, da das Reden über Schulleistungen als Indikator einer positiven Kommunikationsstruktur betrachtet wird. Der zweite Indikator – das gemeinsame Essen – bildet zwar nicht direkt die Kommunikation bildungsrelevanten Inhalts ab, ist jedoch eine wichtige situative Gelegenheit des gegenseitigen Austausches. So haben van Hessen (1977), Scheuch (1960) und Bossard (1943) auf die wichtige Bedeutung der Tischgespräche („table-talk“) im Familienkreis verwiesen, die die alltägliche Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern stärken und dazu beitragen, dass außerfamiliale Einflüsse ausgetauscht und verarbeitet werden und gleichzeitig das „Wir-Gefühl“ der Familie gestärkt wird. Aufgrund der hohen kommunikativen Relevanz wird daher auch der zweite Faktor in die weitere Analyse aufgenommen. Zur Messung der direkten elterlichen Hilfe dient zum einen ein Faktor, der zwei fünfstufig skalierte Variablen umfasst (1 = nie bis 5 = mehrmals die Woche), die jeweils wiedergeben, wie oft die Jugendlichen von ihrer Mutter und ihrem Vater bei den Hausaufgaben oder anderen Schularbeiten unterstützt werden. Die originale Skala des PISA-Konsortiums umfasst fünf Items, in denen auch die Unterstützung der Geschwister, der Großeltern, anderer Verwandter und der Freunde der Eltern enthalten ist (PISA 2002: 250). Die Gütekriterien der EFA sprechen für eine zweifaktorielle Lösung (RMSEA = 0,01, RMR = 0,006, x2 = 15,5, df = 4, p = 0,004). Deutlich sind zwei Faktoren, „Unterstützung durch Eltern“ und „Unterstützung anderer Verwandter/Freunde“ zu erkennen (vgl. Tabelle 19). Das Item „Unterstützung von Geschwistern“ sollte aufgrund der niedrigen Ladungen ausgeschlossen werden. Für die weitere Untersuchung wird nur der erste Faktor verwendet, da nur die elterliche Unterstützung im theoretischen Modell als erklärende Größe angenommen wird.

231

Tabelle 19: Explorative Faktorenanalyse der direkten Hilfe bei Schulaufgaben Varimax-Rotation

Promax-Rotation

F1

F2

F1

F2

Unterstützung Mutter

0,82

0,20

0,84

-0,02

Unterstützung Vater

0,79

0,19

0,85

-0,03

Unterstützung Geschwister

0,32

0,34

0,26

0,28

Unterstützung Großeltern Unterstützung andere Verwandte Unterstützung Freunde der Eltern

0,27

0,82

0,06

0,83

0,20

0,90

-0,05

0,95

0,20

0,77

-0,01

0,80

Die grau markierten Felder stellen niedrige Ladungen dar, hohe Ladungen sind schwarz hervorgehoben, n = 33.598

Zum anderen wurde eine vom PISA-Konsortium konstruierte Skala verwendet, die wiedergibt, ob und wie häufig die Schüler privaten außerschulischen Nachhilfeunterricht in Anspruch nehmen. Die Skala setzt sich aus sechs – jeweils dreistufigen (1 = nie, 2 = manchmal und 3 = häufig) – Items zusammen. Die Schüler wurden gefragt, ob sie in den letzten drei Jahren 1) Ergänzungsunterricht, 2) Deutschunterricht in einer Nachhilfeschule, 3) sonstigen Unterricht in einer Nachhilfeschule, 4) Kurse zur Verbesserung der Lern- und Arbeitstechniken, 5) private Nachhilfestunden in Deutsch und 6) private Nachhilfestunden in anderen Fächern gehabt haben. Auch wenn die Eltern nicht direkt in den Lernprozess der externen Nachhilfe eingebunden sind, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass sie die Nachhilfe finanzieren und damit die Leistungsverbesserung der Kinder unterstützen. Eine Prüfung der Faktorenstruktur mittels Mplus bezeugt, dass eine einfaktorielle Lösung optimal ist mit einem RMSEA von 0,04 und einem RMR von 0,09 ist die Güte des Modells als „gut“ einzustufen. Alle Faktoren laden mit mindestens aij > 0,5.159 Das PTO-Netzwerk wird über eine Variable abgebildet, die angibt, wie oft die Eltern im Verlauf des Schuljahres in der Schule ihrer Tochter bzw. ihres Sohnes waren. Im Mittel besuchten die Eltern 3,2 Mal die Schule ihres Kindes mit einem Minimum von 0 und einem Maximum von 20 (n = 27.568).

159 1) Ergänzungsunterricht (aij = 0,64), 2) Deutschunterricht in einer Nachhilfeschule (aij = 0,75), 3) sonstigen Unterricht in einer Nachhilfeschule (aij = 0,65), 4) Kurse zur Verbesserung der Lern- und Arbeitstechniken (aij = 0,69), 5) private Nachhilfestunden in Deutsch (aij = 0,73) und 6) private Nachhilfestunden in anderen Fächern (aij = 0,57).

232

7.6.1 Erziehungsstile als Merkmal der elterlichen Kontrolle Die PISA-Daten erlauben es leider nicht, direkt die elterliche Kontrolle im Kontext schulischer Ereignisse abzubilden. Klassische Indikatoren, wie die Frage nach der Kontrolle der Hausaufgaben, der Kenntnis über die Noten in Klassenarbeiten, Kenntnisse über den Freundeskreis oder dem Einschränken der Ausgehzeit (z.B. Rodney, Rodney, und Mupier, 1999, Shek und Lee 2007), liegen nicht vor. Alternativ wird auf eine von Tillmann et al. (1999) konzipierte Itembatterie zurückgegriffen, die neben verschiedenen Erziehungsmerkmalen auch einzelne Komponenten der elterlichen Kontrolle erfasst. Die Kontrollmerkmale lauten „Meine Eltern erlauben mir viel weniger als andere in meinem Alter dürfen“ und „Meine Eltern schreiben mit sehr stark vor, was ich zu tun habe“. Beide Items für sich genommen sind jedoch nur schwer zu interpretieren. Wie viel dürfen die anderen in der gleichen Altersgruppe? Wer ist die korrekte Referenzgruppe? Was genau ist „viel weniger“? Gerade im Hinblick auf die pubertäre Phase, in der sich die Jugendlichen zum Befragungszeitpunkt befanden, ist anhand dieser Items nicht ersichtlich, ob die Eltern durch das Vorschreiben von Regeln „nerven“, aber eigentlich ein Interesse und damit eine positive Kontrolle zum Ausdruck bringen, oder ob die Eltern ihren Kindern restriktive Vorschriften machen, im Sinnes eines sehr autoritären Erziehungsstils. Um diese Interpretationsschwierigkeiten zu vermeiden, werden die Items nicht separat, sondern im Kontext mit den anderen Erziehungsmerkmalen der Itembatterie analysiert, so dass es möglich ist, verschiedene Erziehungsstile zu benennen, die auch Aufschluss über die Ausrichtung der Kontrolle geben. Für die Benennung der Erziehungsstile wird auf die von Baumrind (1967, 1971) konzipierten und später durch Maccoby und Martin (1983) ergänzte Erziehungsstiltypologie zurückgegriffen, die innerhalb der Erziehungsstilforschung zu den Klassikern zählt (vgl. z.B. Kruse 2000). Diese Erziehungsstile sind: 1.

Der autoritäre Erziehungsstil: Die Eltern artikulieren keine oder wenig emotionale Zuwendung, es besteht nur ein geringes Interesse an den Belangen des Kindes, sie fordern strikten Gehorsam und erteilen harte Sanktionen; es herrscht ein kaltes und feindseliges Klima gegenüber dem Kind. Ferner bestehen hohe Leistungsanforderungen, die Eigeninitiative des Kindes wird unterdrückt und es untersteht einer starken Kontrolle.

2.

Der permissive Erziehungsstil I. (nachgiebige Erziehung): Im Gegensatz zum autoritären Erziehungsstil üben die Eltern kaum Kontrolle über das Kind aus und erlauben ihm, sein Verhalten frei zu steuern. Resultat der niedrigen Supervision ist, dass das Kind oftmals eigenständig Entscheidungen trifft. Es werden geringe Anforderungen gestellt, Bestrafungen vermieden. Die emotionale Beziehung zwischen den beiden Generationen ist aber positiv.

3.

Der permissive Erziehungsstil II. (vernachlässigende Erziehung): 1983 ergänzten Maccoby und Martin den nachgiebigen um den vernachlässigenden permissiven Erziehungsstil. Dieser Typus ist durch eine geringe Kontrolle ausgezeichnet und weist fast identische Merkmale zum

233

permissiven Erziehungsstil auf. Im Gegensatz zum nachgiebigen permissiven Erziehungsstil besteht eine negative emotionale Bindung zwischen Kind und Eltern. Eltern dieser Kategorie nehmen eine sehr passive Rolle im Erziehungsprozess ein, sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass ein offenbares Interesse am Kind und seiner Lebenswelt besteht. Die Kinder sind auf sich allein gestellt. 4.

Der autoritative Erziehungsstil: Dieser Erziehungsstil kann als Ideal bezeichnet werden. Die Eltern sind an ihren Kindern interessiert und wissen um seine Aktivitäten. Sie stellen Anforderungen, die jedoch nicht die Fähigkeiten des Kindes übertreffen, verfolgen klare Richtlinien in ihrer Erziehung und erwarten seitens des Kindes die Befolgung von Regeln. Diese werden nicht willkürlich aufgestellt, sondern inhaltlich erklärt. Es erfolgt keine physische Bestrafung. Die emotionale Beziehung zwischen Eltern und Kind ist sehr gut, die Eltern sind an dem Kind interessiert und es herrscht ein offenes Verhältnis.

Tabelle 20 gibt zusammenfassend die Charakteristika der einzelnen Erziehungsstile wieder. Negative Ausprägungen der einzelnen Erziehungsmerkmale sind durch ein Minus-Zeichen dargestellt, positive Ausprägungen durch ein PlusZeichen. Ist das Verhältnis zwischen Eltern und Kind in der Erziehungsdimension neutral im Sinne einer laissez faire Haltung wird dies durch ein +/- wiedergegeben. Lediglich die Kategorie „Supervision“ beim autoritären Erziehungsstil weist ein doppeltes Plus-Zeichen auf, da hiermit eine extrem starke Kontrolle seitens der Eltern zum Ausdruck gebracht werden soll. Eltern, die diesen Erziehungsstil praktizieren, benutzen Kontrolle als Instrument der Macht und der Aussprechung von Verboten, nicht als Methode der Einhaltung von Regeln, die auch dem Interesse und Schutz des Kindes dienen. Tabelle 20: Erziehungsstile nach Baumrind und Maccoby/Martin Emotionale Beziehung

Ablehnung der Eltern

Disziplin/ Physische Gewalt

Supervision

Interesse

Autoritärer Erziehungsstil

-

+

+

++

-

Permissiver Erziehungsstil

+

+/-

-

-

-/+

-

+/-

-

-

-

+

-

-

+

+

Permissiv vernachlässigender Erziehungsstil Autoritativer Erziehungsstil

+ = vorhanden, - = nicht vorhanden, ++= extrem starke Kontrolle, +/- = neutrale Beziehung

234

Die Identifizierung der Erziehungsstile erfolgt über eine Clusteranalyse, in der vorab die Items in vier Gruppen – nach den vier Erziehungstypen – unterteilt werden.

7.6.2 Die Clusteranalyse als Verfahren der Ermittlung verschiedener Erziehungsstile Die Clusteranalyse ist ein statistisches (exploratives) Verfahren zur Gruppierung von Objekten auf der Basis der Ausprägungen mehrerer Eigenschaften dieser Objekte. Dabei erfolgt die Gruppierung in der Weise, dass sich die Einheiten innerhalb der gebildeten Gruppen hinsichtlich der untersuchten Eigenschaften stärker gleichen als zwischen den Gruppen (Brosius 2004: 651). Die gängigen Konstruktionsverfahren der Cluster teilen in sich in zwei Klassen: die hierarchischen und die portionierenden Verfahren. Bei den hierarchischen Verfahren werden schrittweise einzelne Objekte zu Clustern und dann zu größeren Gruppen zusammengefasst oder umgekehrt größere Gruppen zu kleineren Einheiten geteilt. Das Verfahren wird dann beendet, wenn alle Cluster eine bestimmte Distanz zueinander überschreiten oder wenn eine genügend kleine Zahl von Clustern ermittelt worden ist. Die Literatur bietet verschiedene Verfahren für die Berechnung der Clusterdistanzen bzw. -ähnlichkeiten an (eine genaue Beschreibung der einzelnen Verfahren ist z.B. Backhaus et al. 2005 zu entnehmen). Die portionierenden Verfahren (K-Means Verfahren) gehen von einer vorgegebenen Startpartition aus und tauschen die Objekte zwischen den Gruppen so lange, bis ein Optimum der Gruppenbildung erreicht ist. Der Unterschied zum hierarchischen Verfahren liegt in der Berechnung der neuen Gruppenschwerpunkte nach jeder einzelnen Umgruppierung, die nur im K-Means Algorithmus durchgeführt wird. Darüber hinaus muss die Anzahl der Cluster schon bekannt sein. Beide Verfahren weisen Einschränkungen auf. Während die hierarchischen Verfahren nur für kleine Stichproben (n = max. 250) geeignet sind, birgt das K-Means Verfahren die Schwierigkeit, dass die Clusterstrukturen jeweils von den Startpartitionen und der Reihenfolge der ersten k-Objekte in der Partition abhängen (Kaufmann und Pape 1984). Dies bedeutet, dass sich z.B. durch eine neue Sortierung der Daten auch die neu konstruierten Cluster ändern können. Eine Möglichkeit, um die Zufälligkeit der Startpartitionen zu vermeiden, ist die Berechnung der Startwerte mit einem hierarchischen Verfahren. So können z.B. eine Zufallsstichprobe gezogen und Startwerte mit Hilfe des hierarchischen Verfahrens berechnet werden (Bacher 2002: 339), die als Startzentren des K-Means Verfahrens dienen. In der vorliegenden Analyse wurde anhand einer zufällig

235

gezogenen Teilstichprobe (1,0%, n = 317) die Startwerte mittels des WardVerfahrens160 der hierarchischen Clusteranalyse berechnet. Abbildung 37 gibt die Zusammensetzung der vier berechneten Cluster wieder. Die Mittelwerte geben an, wie stark die einzelnen Erziehungsstildimensionen bei den Mitgliedern des Clusters ausgeprägt sind. Mittelwerte niedriger als Null sind als „negative“ und Mittelwerte größer als Null als „positive“ Ausprägungen der jeweiligen Erziehungsdimensionen zu interpretieren. Von den vier Clustern enthält das erste 3.881 Fälle, das zweite 7.888, das dritte 6.729 und das vierte 15.100 Fälle. Insgesamt gingen alle 33.598 Fälle in die Analyse ein.

2 1,5

Mittelwerte

1 0,5 0 -0,5 -1 -1,5

bei

Pro b

El te Ich El te ei ge hoh ma n f üh er S rn e rn s ne K che le m chre chu sm rlau l em inde l lei al P i ch be n iben en s r so st un zu H r m i nd ü sta r g e ir w el z rzie gsd aus Elt e k vo e r uc u h n ew en, rn d Ha u ige r r, w k de ohl w ie a , als se as i r El El te ch z a te nd e rn rn m u tu r e K in n ha ich der be dü r fe n

Erziehungsmerkmale (standardisiert) Autoritär

Autoritativ

Permissiv II

Permissiv I

Abbildung 37: Mittelwertprofile der vier Erziehungsstile nach Baumrind, Maccoby und Martin auf Basis der PISA-Daten (2000) 160 Ziel des Ward-Verfahrens ist es, die Streuung von K-Elementen in einer Gruppe so gering wie möglich zu halten. Dadurch werden möglichst homogene Cluster gebildet. Als Heterogenitätsmaß wird das Varianzkriterium (Fehlerquadratsumme) herangezogen. Ein Vorteil des WardVerfahrens ist die relativ gute Partitionsfindung und eine richtige Zuordnung der Elemente zu den Gruppen. Ein Nachteil dieses Verfahrens ist die Neigung, möglichst gleich große Cluster zu bilden, so dass Gruppen mit kleineren Elementzahlen nicht erkannt werden. Zusätzlich zu dem Einlesen der Startpartition mittels der im Ward-Verfahren berechneten Anfangswerte, wurden mehrere Clusteranalyse mit verschiedenen Startwerten im K-Means-Verfahren gerechnet. All diese Analysen produzierten ähnliche Ergebnisse (nicht abgebildet), so dass die Clusterbildung als stabil eingestuft werden kann.

236

Cluster 1: Mitglieder dieses Clusters weisen in allen Kategorien negative Ausprägungen auf, dementsprechend kann ihr familiales Umfeld als „ungünstig“ eingestuft werden. Die Eltern sind selten bei Problemen für sie da, die Kinder würden ihre eigenen Kinder nicht so erziehen, wie sie von den Eltern erzogen wurden, und die Jugendlichen fühlen sich zu Hause nicht wohl. Neben physischer Gewalt und einem hohen Leistungsdruck werden die Kinder in ihrem Verhalten durch die Eltern stark kontrolliert. Hier ist die elterliche Kontrolle nicht Ausdruck des Interesses an der Lebenswelt des Kindes, sondern Instrument der Reglementierung. Der Erziehungsstil kann in Übereinstimmung mit Baumrinds (1967, 1971) Charakterisierung als autoritär bezeichnet werden. Cluster 2: Jugendliche dieses Clusters haben eine positive Beziehung zu den Eltern. Sie können Probleme besprechen und fühlen sich zu Hause wohl. Die Übertragbarkeit der erfahrenen Erziehung auf die eigenen Kinder wird neutral betrachtet. Selten bzw. nie erfahren Jugendliche dieses Clusters physische Gewalt. Die elterliche Kontrolle ist relativ hoch, im Vergleich zum autoritären Cluster jedoch nicht ganz so ausgeprägt. Unter Berücksichtigung des Wohlbefindens der Jugendlichen kann das Vorschreiben elterlicher Regeln als positiver Kontrollmechanismus betrachtet werden. Der Erziehungsstil entspricht weitestgehend dem der autoritativen Erziehung. Cluster 3: Analog zum autoritären Erziehungsstil weisen die Mitglieder dieser Gruppe ein schlechtes Verhältnis zu ihren Eltern auf. Es besteht kein Vertrauensverhältnis und die Jugendlichen fühlen sich zu Hause unwohl. Entgegen des autoritären Erziehungsstils erfahren die Jugendlichen keine Gewalt. Elterliche Kontrolle wird kaum ausgeübt, ebenso wird kein Leistungsdruck durch die Eltern artikuliert. Insgesamt ist dieser Erziehungsstil als Laissez-Faire-Erziehung bei gleichzeitig schlechtem Familienklima zu charakterisieren. Dieser Stil entspricht dem permissiv vernachlässigenden Stil nach Maccoby und Martin (Permissiv II). Cluster 4: In Bezug auf die geringe elterliche Kontrolle, seltene oder gar nicht vorhandene physische Gewalt und geringen Schulleistungsdruck entspricht dieses Cluster dem vorhergehenden der permissiv vernachlässigenden Erziehung. Konträr zu diesem nehmen die Jugendlichen ihre Eltern jedoch sehr positiv wahr, ziehen sie als Vertrauenspersonen heran, würden ihre Erziehungsmethoden auch an die eigenen Kinder weitergeben und fühlen sich zu Hause sehr wohl. Damit ist dieses Cluster am ehesten dem permissiven Erziehungsstil Baumrinds (Permissiv I) ähnlich.

Die über die Clusteranalyse gewonnen vier Erziehungsstile sind, trotz relativ weniger Indikatoren, weitestgehend mit den von Baumrind (1967, 1971) und Mccobby und Martin (1983) skizzierten Erziehungstypen kompatibel und werden für die weitere Analyse herangezogen, um die Kontrollorientierung der Eltern abzubilden. Als zweites Merkmal, um eine geringe elterliche Kontrolle abzubilden, dient die Häufigkeit des Konsums jugendgefährdender Filme. Auch wenn dieser Indikator in erster Linie für den Medienkonsum der Jugendlichen steht, findet er in der Literatur durchaus auch Verwendung als Merkmal einer geringen elterlichen Kontrolle (z.B. Kytömäki 1998). Diese Verwendung beruht auf der Annahme, dass Eltern, die eine gute Kontrolle über die Aktivitäten des Kindes haben, wissen sollten, was (und wie viel) ihr Kind an Medieninhalten konsumiert und im 237

Fall eines Missbrauchs dem Konsum Einhalt bieten. In den PISA-Daten 2000 ist eine Skala zum Medienkonsum implementiert. Auf Basis einer explorativen Faktorenanalyse161 konnte die Dimension „jugendgefährdende Filme“ identifiziert werden, die folgende Medieninhalte umfasst: „Action“, „Horror“, „Porno“ und „Science Fiction“. Das auf diesem Faktor ladende Item „Krimis“ wird aufgrund der geringen Ladung (0,34) ausgeschlossen. In Tabelle 21 sind jeweils die Ergebnisse der Varimax- und Promax-Roation abgebildet, die sich sehr ähnlich sind. Die Gütekriterien sprechen für eine gute Extraktionslösung (RMSEA = 0,04, RMR = 0,03, x2 = ns). Tabelle 21: Explorative Faktorenanalyse „Jugendgefährdender Filme“ Varimax-Rotation

Promax-Rotation

F1

F2

F3

F1

F2

Krimis

0,34

0,18

Serien

0,06

0,85

Action

0,82

0,05

0,09

Horror

0,75

0,06

-0,08

Unterhaltung

0,02

0,39

0,18

Pornographie

0,66

-0,11

0,07

Science Fiction

0,60

0,08

0,20

Nachrichten

-0,06

0,21

0,78

F3

0,16

0,31

0,14

0,12

-0,03

0,02

0,87

-0,06

0,84

0,02

-0,03

0,78

0,07

-0,20

-0,03

0,36

0,18

0,68

-0,14

-0,03

0,59

0,03

0,12

-0,20

0,06

0,83

Sport

0,37

0,08

0,45

0,31

-0,02

0,42

Politische Magazine

0,15

0,00

0,68

0,04

-0,14

0,70

Die grau markierten Felder stellen niedrige Ladungen dar, hohe Ladungen sind schwarz hervorgehoben, n = 33.598

Kulturelles Kapital Für die Konzeption der Indikatoren des objektivierten kulturellen Kapitals werden basierend auf einer Skala zur Messung von Wohlstands- und Kulturgütern (PISA 2002: 243) mehrere Faktoren extrahiert, von denen die vierfaktorielle Lösung sehr gute Gütekriterien zeigt (RMSEA = 0,01 und RMR = 0,02, x2 = 33,4, df = 16, p = 0,007). Die original Skala setze sich ursprünglich aus 11 dichotomen Items zusammen. Die Schüler wurden gebeten anzugeben, ob folgen161 Eine Beschreibung des Verfahrens der explorativen Faktorenanalyse ist Kapitel 6.4 zu entnehmen.

238

de Gegenstände in dem familialen Haushalt vorhanden sind: eine Geschirrspülmaschine, ein Zimmer für den Schüler allein, Lern-Software, ein Internet Anschluss, ein Wörterbuch, ein ruhiger Platz zum Lernen, ein Schreibtisch zum Lernen, Schulbücher, klassische Literatur (z.B. von Goethe), Bücher mit Gedichten und Kunstwerke (z.B. Bilder). In Tabelle 22 sind die Ladungen (aij) der einzelnen Items auf die entsprechenden Faktoren dargestellt. Wie schon bei den vorhergehenden Faktorenanalysen sind die Ladungen beider Rotationsverfahren ähnlich. Tabelle 22: Explorative Faktorenanalyse des objektivierten kulturellen Kapitals (PISA-Daten 2000) Varimax-Rotation F1

Promax-Rotation

F2

F3

F4

F1

F2

F3

F4

Geschirrspülmaschine

0,37

0,23

0,14

0,09

0,39

0,18

0,10

-0,02

Ein eigenes Zimmer

0,18

0,84

0,16

0,05

0,04

0,86

0,02

0,00

Lern-Software

0,42

-0,02

0,24

0,11

0,43

-0,14

0,25

-0,06

Internetanschluss

0,81

0,14

-0,09

0,15

0,87

0,04

-0,19

0,01

Wörterbuch

0,16

0,05

0,64

0,35

0,02

-0,07

0,68

0,18

Einen ruhigen Platz zum Lernen

0,02

0,36

0,63

0,14

-0,16

0,30

0,64

-0,01

Einen Schreibtisch zum Lernen

0,25

0,19

0,58

0,15

0,13

0,08

0,62

-0,05

Schulbücher

0,02

-0,02

0,69

0,16

-0,12

-0,12

0,78

-0,01

Klassische Literatur (z.B. Goethe)

0,20

0,11

0,18

0,77

0,10

0,06

0,01

0,76

Bücher mit Gedichten

0,04

0,00

0,21

0,86

-0,08

-0,04

0,05

0,89

Kunstwerke, (z.B. Bilder)

0,14

0,04

0,14

0,49

0,08

0,00

0,05

0,48

Die grau markierten Felder stellen niedrige Ladungen dar, hohe Ladungen sind schwarz hervorgehoben, n = 31.824

Bis auf die Items „Geschirrspülmaschine“(aij = 0,37), „Lernsoftware“ (aij = 0,42) und „Kunstwerke“ (aij = 0,49) sind die Ladungen alle signifikant (aij > 239

0,5). Da die Ladungen der Items „Geschirrspülmaschine“ und „Lernsoftware“, deutlich unter dem Grenzwert von 0,5 liegen, werden sie für die weiteren Analysen ausgeschlossen. Das Item „Kunstwerke“ unterschreitet diesen Grenzwert nur knapp und wird daher noch berücksichtigt. Unter Ausschluss dieser beiden Items lädt nur noch ein Merkmal – der Internetanschluss – auf dem Faktor. Dies ist für die Bestimmung eines latenten Konstruktes zu wenig. Gleiches gilt für das „eigene Zimmer“. Diese Faktoren finden daher keine weitere Berücksichtigung. Es bleiben zwei gut interpretierbare Faktoren: F1) Basis Ausstattung für das schulische Lernen und F2) klassische Kulturgüter.162 Der schon vorab gute Modell-Fit bestätigt sich unter Ausschluss dieser vier Items (RMSEA = 0,01, RMR = 0,02, x2 = 23,9, df = 8, p = 0,002).163 Ergänzend zu den von Bourdieu (1983) hervorgehobenen klassischen Kulturgütern werden für die weitere Analyse auch die schulspezifischen Güter mitberücksichtigt, da eventuell relevante Unterschiede zwischen diesen beiden Formen des kulturellen objektivierten Kapitals bestehen. Das inkorporierte kulturelle Kapital ist die unspezifischste Kapitalform Bourdieus. Als bildungs- und personengebundene „long lasting dispositions of the mind and body“ (Bourdieu 1986: 243) fallen zahlreiche kognitive Kompetenzen, wie z.B. das Sprachvermögen, Verarbeitung von Informationen, das Beherrschen von Musikinstrumenten etc. unter diesen Begriff. Wahrscheinlich ist genau dieser sehr große Interpretationsspielraum auch der Grund dafür, warum es bisher kaum Versuche in der empirischen Forschung gegeben hat, diese Dimension zu operationalisieren. Die wenigen Ausnahmen (z.B. Pusztai 200) verwenden oft (kulturbezogene) Aktivitäten der Eltern, wie z.B. die Häufigkeit des Lesens oder die Häufigkeit des Theaterbesuchs. Genau genommen bilden solche elterlichen Aktivitäten aber nicht das inkorporierte kulturelle Kapital des Kindes ab, sondern stellen lediglich positive Sozialisationsbedingungen dar, die wahrscheinlich zu einem hohen inkorporiertem kulturellen Kapital der jüngeren Generation führen. Um das inkorporierte Kapital des Jugendlichen abzubilden, sind daher Indikatoren nötig, die seine (bildungsrelevanten) Kompetenzen und Fähigkeiten messen (und nicht die der Eltern). Ein solcher Indikator ist die Lesekompetenz der Schüler, die in der PISA-Befragung 2000 im Mittelpunkt der Studie stand. Die Verwendung der Lesekompetenz als Merkmal des inkorporierten kulturellen Kapitals ist zwar unüblich, da sie in den Publikationen des PISAKonsortiums als zentrales Merkmal der Schulleistung dient, aber nicht unbe-

162 Die Faktoren korrelieren wie folgt miteinander: F1/F2 (r = 0,32), F1/F3 (r = 0,35), F1/F4 (r = 0,36), F2/F3 (r = 0,34), F2/F4 (r = 0,14) und F3/F4 (r = 0,48). 163 Die Faktorladungen unter Ausschluss dieser drei Items sind auf www.fis.unikoeln.de/schulabsentismus.html zu finden.

240

gründet. 164 Nach Stanat et al. (2002) soll mit der Lesekompetenz nicht nur die Fähigkeit des einfachen „Textablesens“ gemessen werden, sondern inwieweit Schüler in der Lage sind, „geschriebenen Texten gezielt Informationen zu entnehmen, die dargestellten Inhalte zu verstehen und zu interpretieren, sowie das Material im Hinblick auf Inhalt und Form zu bewerten“ (Stanat et al. 2002: 7). Dafür wurde im Testverfahren eine breite Palette verschiedener Textarten eingesetzt, die neben kontinuierlichen Texten wie Erzählungen oder Beschreibungen auch nichtkontinuierliches Material wie Tabellen, Diagramme oder Formulare umfasst. Die Lesekompetenz ist nach PISA ein wichtiges Hilfsmittel für das Erreichen persönlicher Ziele. Sie wird als Bedingung für die Weiterentwicklung des eigenen Wissens und der eigenen Fähigkeiten verstanden, die wiederum Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind (Stanat et al. 2002). Damit kann die Lesekompetenz, als personengebundene – nicht übertragbare – bildungsrelevante Disposition verstanden werden und entspricht Bourdieus Auffassung von inkorporiertem kulturellem Kapital. Die metrisch skalierte Variable setzt sich aus der erreichten Punktzahl der einzelnen Testverfahren zusammen (Min. = 95,3, Max. = 777,0, x = 497,0, SD = 97,1, n = 31.288).165 Wenn die Lesekompetenz als Indikator des inkorporierten kulturellen Kapitals dient, dann stellt sich die Frage, welchen Unterschied es zwischen den Schulleistungen und dem inkorporierten kulturellen Kapital gibt? Dass beide Dimensionen eine enge Beziehung zueinander aufweisen, ist nahe liegend. Indikatoren der Schulleistungen, wie die Schulnoten oder die Klassenwiederholung, sind jedoch system- oder institutionsbezogene Leistungsmerkmale, die nicht zwangsläufig mit personengebundenen Kompetenzen übereinstimmen müssen. Ein Beispiel aus den PISA-Daten soll diesen Punkt verdeutlichen: Zu erwarten wäre, dass der Zusammenhang zwischen der Lesekompetenz und den Schulnoten, vor allem im Fach Deutsch, sehr hoch ist. Wird dieser Zusammenhang jedoch überprüft, dann zeigt sich für die Stichprobe der 15-jährigen Schüler ein Rang-Korrelationskoeffizient von rsp = 0,28. Dieser eher schwache Zusammenhang bleibt auch bestehen, wenn nach den Schulformen kontrolliert wird (HS = 0,29, RS = 0,24, SmmB = 0,34, IG =0,30, Gym. = 0,32). Daraus ist zu schließen, dass die schulische Beurteilung der Leistungen nicht (nur) die Kompetenzen der Schüler abbildet. Die Ursachen hierfür können vielfältig sein, so fallen 164 Die auch in der PISA-Studie 2000 erhobenen Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften werden hier als weitere Indikatoren des inkorporierten kulturellen Kapital ausgeschlossen, da sie eine Korrelation jeweils über 0,80 mit der Lesekompetenz aufweisen und somit fast das Gleiche abbilden, wie die Lesekompetenz. 165 Leichte Abweichungen von den des PISA Konsortiums angegebenen Werten (M = 500,0, SD = 100) sind auf den Ausschluss der Sonderschüler zurückzuführen.

241

in die schulische Beurteilung vermutlich eine Reihe anderer Kriterien, wie z.B. das Sozialverhalten oder es kommt, in Anlehnung an den Etikettierungsansatz, zu verzerrten Einschätzungen der Schüler. Zudem ist davon auszugehen, dass die Beurteilung durch Noten an jeder Schule und auch mit jedem Lehrer leicht variiert. Unabhängig von den Ursachen dieser Unterschiede weisen sie darauf hin, dass eine Differenzierung systembezogener Beurteilung und personengebundener Kompetenzen sinnvoll ist. System- oder schulbezogene Leistungskriterien, wie Noten, Zeugnisse, Klassenwiederholungen, können dann im Sinne Bourdieus (1983) als Indikatoren der dritten Form des kulturellen Kapitals, dem institutionalisierten Kulturkapital, betrachtet werden. Entgegen der Annahme Bourdieus (1983), dass die drei Formen des kulturellen Kapitals egalitär nebeneinander stehen, wird im vorliegenden Modell eine hierarchische Beziehung zwischen dem objektivierten und inkorporierten zu dem institutionalisierten Kulturkapital angenommen. In Abbildung 38 ist eine Übersicht aller zentralen theoretischen Dimensionen und der jeweils verwendeten empirischen Indikatoren wiedergegeben. Gelb markierte Felder werden in den empirischen Analysen durch latente Variablen gemessen, alle anderen Merkmale werden durch manifeste Variablen abgebildet.

242

SOZIOÖKONOMISCHER STATUS DER FAMILIE UND KONTROLLVARIABLEN ISEI* Migrationshintergrund Familienstatus Geschlecht

SOZIALES KAPITAL*

KULTURELLES KAPITAL*

PTO-Netzwerk

Objektiviertes Kulturkapital

Elternbesuche in der Schule

Klassische Güter

Bildungsrelevante Diskussionsinhalte

Schulrelevante Güter

Diskussionen über Politik und Bücher Inkorporiertes Kulturkapital

Gemeinsames Essen Reden über Schulprobleme

Lesekompetenz

Hilfe der Eltern Direkte elterliche Hilfe bei Schulaufgaben Schulexterne Nachhilfe

Elterliche Kontrolle Jugendgefährdende Filme Erziehungsstile

SCHULLEISTUNGEN ALS INSTITUTIONALISIERTES KAPITAL Klassenwiederholung seit der 7. Klasse Mittelwert Schulnoten

ALTERNATIVEN ZUM SCHULBESUCH, UM ANERKENNUNG UND WOHLSTAND ZU ERREICHEN Std. für Nebenjob pro Woche Anbindung an deviante Peers

* International Socio-Economic Index of Occupational Status

Abbildung 38: Operanden des theoretischen Modells * Grau markierte Felder werden durch latente Variablen abgebildet

243

Schulleistungen Als Indikatoren für das Niveau der Schulleistungen166 dienen zwei Variablen: Erstens der Mittelwert aus den Schulnoten in den Fächern „Erste Fremdsprache“, „Deutsch“ und „Mathematik“ (Min. = 1, Max. = 6, x = 3,06, SD = 0,86, n=31.288) und zweitens die Information, ob der Schüler seit der siebten Klasse schon einmal sitzen geblieben ist. 89,6% der Schüler haben nie oder (nur) während der ersten sechs Schuljahre eine Klasse wiederholt. Damit gehören 10,4% der Schüler zu der Gruppe, deren Klassenwiederholung noch nicht so weit zurückliegt. Von dieser Gruppe ist etwa die Hälfte der Schüler in Klasse Acht sitzen geblieben. Entgegen der Vermutung, dass die gemittelten Schulnoten und die Klassenwiederholung stark zusammenhängen, ist der Korrelationskoeffizient mit rpb = 0,10 eher niedrig.

Alternativen zum Schulbesuch Die Alternativen, finanziellen Wohlstand und Anerkennung auch jenseits einer erfolgreichen Schulkarriere zu erreichen, sind hier zum einen über eine siebenstufige Variable erfasst, die misst, wie viele Stunden pro Woche der Jugendliche einer Nebentätigkeit nachgeht. Die erste Kategorie gibt an, dass der Jugendliche keinen Nebenjob ausübt. Kategorien 2 bis 6 sind jeweils in zweistündige Intervalle unterteilt (1-2 Std., 3-4 Std. etc.), die die Arbeitszeit pro Woche angegeben; die letzte Kategorie umfasst eine Arbeitszeit von 11 Stunden oder mehr pro Woche. Im Mittel arbeiten die Schüler 2 bis 3 Stunden pro Woche ( x = 1,81, SD = 1,45). Zum anderen dient als mögliche Alternative zum regulären Schulbesuch die Anbindung an deviante Peers. In der PISA-Studie 2000 wurden die Jugendlichen gefragt, ob sie a) einer Clique angehören167 und b) ob diese Clique für die 166 Obwohl Informationen über Klassenwiederholungen seit der ersten Klasse vorliegen, erscheint es unsinnig, Klassenwiederholungen aus der Grundschulzeit bzw. den ersten Jahren der Sekundarstufe (Klasse 5 und 6) als aktuelle Merkmale der Schulleistung zu verwenden, da diese Leistungsdefizite sehr lange zurückliegen. Davon sind 78,9% (n = 21.872) der Schüler noch nie sitzen geblieben, 10,7% (2.969) wiederholten in den ersten sechs Schuljahre mindestens eine Klasse. Dabei streuen die Anteile mit etwa 2 Prozentpunkten pro Klassenstufe relativ homogen. 167 Ursprünglich wurde die Angehörigkeit der Clique noch nach der Geschlechtszusammensetzung der Clique differenziert (nur Jungen, nur Mädchen, Jungen und Mädchen). Da die Geschlechtskomposition der Clique im vorliegenden Kontext keine Rolle spielt, wird diese Differenzierung nicht weiter berücksichtigt. Im Gegensatz zu der „MPI-Schulbefragung 1999“, liegen leider keine Informationen vor, wie wichtig die Freunde sind.

244

Erreichung ihrer Ziele „auch schon mal aufs Gesetz pfeift“ (1 = stimmt gar nicht, 2 = stimmt überwiegend nicht, 3 = teils/teils, 4 = stimmt überwiegend und 5 = stimmt ganz genau). Wenn die erste Frage mit ja und die zweite Frage mit den Kategorien 3 bis 5 beantwortet wurden, dann erfolgte eine Zuordnung in die Gruppe „Anbindung an deviante Clique“. Schüler, die keiner Clique angehören oder einer Clique, die nicht oder überwiegend nicht „auf das Gesetz pfeift“, um eigene Ziele zu erreichen, wurden in die Referenzkategorie einbezogen. Etwa 24,0% (n = 7.133) der Schüler gaben an, keiner Clique anzugehören. Von den Schülern, die eine Cliquenzugehörigkeit bekunden, weist bei der Mehrheit (62,7%) die Clique keine Anzeichen devianten Verhaltens auf. Die restlichen 37,3% sind Angehörige einer Clique mit devianten Zügen. Jungen gehören dabei signifikant häufiger einer devianten Clique (41,7%) an als Mädchen (33,1%). Zudem weisen Schüler höherer Schulformen – hier des Gymnasiums – seltener eine deviante Cliquenanbindung (29,3%) auf als Schüler niedrigerer Schulformen (Hauptschule = 43,6%, Realschule = 39,7%, Integrierte Gesamtschule = 41,3%, Schule mit mehreren Bildungsgängen = 39,3%; x2 = 413,17, df = 4, p = 0,001).

7.7

Konfirmatorische Faktorenanalyse: Die Darstellung der Messmodelle

Im Folgenden wird anhand des Verfahrens der konfirmatorischen Faktorenanalyse geprüft, ob die mit Hilfe der explorativen Faktorenanalyse ermittelten Indikatoren auf einem Faktor laden. Eine Beschreibung des Verfahrens ist Kapitel 6.4 zu entnehmen. Als Gütekriterien dienen abermals die lokalen – vornehmlich die Faktorenladungen – und die globalen Gütekriterien (x2-Test, CFI, TLI und RMSEA). Das erste Messmodell gibt die Ladungen des latenten Konstruktes „Nachhilfe“ (vgl. Abbildung 39) wieder. Der x2-Test dieses Modells ist, wie die folgenden auch, signifikant. Dies spricht gegen die Annahme des Modells. Jedoch ist dieser Test, wie schon vorab erwähnt, abhängig von der Stichprobengröße und ist daher in seiner Bedeutung relativ. Die globalen Gütekriterien (CFI, TLI und RMSEA) spiegeln eine gute Anpassung des Modells wider, auch die Faktorenladungen, die einen Range von 0,62 bis 0,89 aufweisen, sind alle akzeptabel.

245

0,89

0,62 Nachhilfe 0,67

0,68

Externer Unterricht „Deutsch“

0,20

Externer Unterricht „Sonstiges“

0,61

Externer Unterricht „Verbesserung“

0,56

Externer Unterricht „Privat“

0,54

CFI = 0,98 TLI = 0,96 RMSEA = 0,03 x2= 62,7, df = 2, p = 0,001 Abbildung 39: Latentes Konstrukt „Nachhilfe“

Ebenfalls die Gütekriterien der latenten Konstrukte „Film“ (Abbildung 40) sowie des „schulbezogenen und klassischen objektivierten kulturellen Kapitals“ (Abbildung 41) fallen gut aus. Der Zusammenhang beider Formen des objektivierten kulturellen Kapitals ist mit einer Korrelation von 0,55 relativ hoch. Action

0,30

0,83

0,72

Horror

0,48

Filmkonsum 0,65

0,64

Porno

Science Fiction

CFI = 0,99 TLI = 0,98 RMSEA = 0,06 x2= 299,4, df = 2, p = 0,001 Abbildung 40: Latentes Konstrukt „jugendgefährdende Filme“

246

0,57

0,60

Wörterbuch

0,31

0,63

Platz zum Lernen

0,61

0,64

Schreibtisch

0,58

Textbücher

0,59

Klassische Literatur

0,32

Gedichtsbände

0,27

Kunstwerke

0,61

0,83

Schulrelevantes Kulturkapital

0,64 0,55

0,82

Klassisches Kulturkapital

0,86

0,63

CFI = 0,99 TLI = 0,99 RMSEA = 0,02 x2 = 58,2, df = 12, p = 0,001 Abbildung 41: Latentes Konstrukt „Schulrelevantes Kulturkapital“ und „Klassisches Kulturkapital“

Die spezifizierten Messmodelle der Konstrukte “Diskussionen über Bücher und Politik” und “direkte elterliche Hilfe” weisen (aufgrund der geringen Anzahl an Indikatoren) jeweils null Freiheitsgrade auf und sind deshalb genau identifiziert. Mit anderen Worten handelt es sich um ein voll saturiertes Modell. Für eine sinnvolle Berechnung des Modell-Fits sind jedoch mehr Freiheitsgrade notwendig. Auch wenn keine Modell-Fits identifiziert werden können, liefern die lokalen Anpassungsmaße (Faktorenladung) Aufschluss über die Anpassungsgüte. Die standardisierten Faktorenladungen der zwei Indikatoren für die „Diskussion bildungsrelevanten Inhalts“ und die „elterliche Unterstützung“ sind jeweils mit 0,74 und 0,70 bzw. 0,81 und 0,85 relativ hoch.168

168 Varianzen und damit auch Faktorreliabilität können im Fall kategorialer Daten nicht berechnet werden.

247

0,74 Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts

Diskussion Politik

0,45

Diskussion Bücher

0,51

0,70

Abbildung 42: Latentes Konstrukt „Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts“

0,81

Vater hilft bei Schulaufgaben

0,33

0,85

Mutter hilft bei Schulaufgaben

0,28

Unterstützung der Eltern

Abbildung 43: Latentes Konstrukt „Unterstützung der Eltern“

Die Korrelationen der latenten Konstrukte setzen sich wie folgt zusammen: Tabelle 23: Korrelationen der latenten Konstrukte der PISA-Daten (2000) Nachhilfe

Filmkonsum

Schulrelevante Güter

Klassische Güter

Diskussionen bildungs. Inhalts

Nachhilfe

1,00

Filmkonsum

-0,02

1,00

-0,06**

-0,19***

1,00

-0,01

-0,18***

0,54***

1,00

-0,02

-0,08***

0,36***

0,54***

1,00

0,001

0,02*

0,27***

0,18***

0,27***

Schulrelevante Güter Klassische Güter Dikussionen bildungsrelevanten Inhalts Unterstützung durch die Eltern

Unterstützung durch die Eltern

1,00

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05

Während die Korrelationen von und zwischen der „Nachhilfe" und den „jugendgefährdenden Filmen“ zu den anderen Merkmalen eher insignifikant bzw. sehr schwach sind, zeigen sich mittelstarke Beziehungen zwischen den schulre248

levanten Gütern und den klassischen Kulturgütern (r = 0,54, p = 0,001) sowie den „Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts“ (r = 0,36 bzw. r = 0,54, jeweils p = 0,001). Ferner weisen die schulrelevanten und klassischen Güter sowie die „Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts“ mittelstarke Zusammenhänge zu der Unterstützung durch die Eltern auf (r = 0,27, r = 0,18 und r = 0,27, je p = 0,001).

7.8

Ergebnisse

Die empirische Analyse setzt sich aus einem bivariaten und einem multivariaten Teil zusammen. Sukzessiv werden die bivariaten Zusammenhänge zwischen dem SES und dem sozialen sowie kulturellen Kapital geprüft, gefolgt von dem Einfluss des SES und der Kapitalien auf die Schulleistungen. Daran knüpft eine Prüfung des Zusammenhangs dieser Variablen mit den Alternativen zum Schulbesuch an. Letztlich werden die Effekte aller Merkmale auf das Mehrfachschwänzen betrachtet. Im Anschluss an die bivariaten Ergebnisse werden die Resultate der multivariaten Analysen vorgestellt. Hier wird in einem ersten Schritt der direkte Einfluss aller Merkmale auf das häufige Schulschwänzen geprüft. Daran anknüpfend werden im zweiten Schritt mehrere Strukturgleichungsmodelle berechnet, die die indirekten Beziehungen testen, ausgehend vom SES über das soziale und kulturelle Kapital sowie die Schulleistungen und die Alternativen zum Schulbesuch auf das häufige Schwänzen. In Schritt drei folgt die Betrachtung der direkten Effekte unter Berücksichtigung der indirekten Effekte. Alle berichteten Ergebnisse sind nach den Merkmalen „Geschlecht“, „Familienstatus“ und „Migrationshintergrund“ kontrolliert.

249

7.8.1 Bivariate Ergebnisse: Die Beziehungen des SES und der Kontroll variablen zu den Merkmalen des sozialen und kulturellen Kapitals Tabelle 24: Der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status (SES) und dem sozialen sowie kulturellen Kapital (PISA-Daten 2000) r/rsp/rpb

n

Soziales Kapital PTO-Neztwerk Schulbesuch der Eltern b

0,10***

31.288

0,20***

31.288

0,05***

31.288

0,02**

31.288

Diskussionen Diskussionen über Politik und Bücher Gemeinsames Essen

a

b

Reden über Schulleistungen

b

Direkte elterliche Hilfe -0,02†

Externe private Nachhilfe Unterstützung der Eltern

29.594

0,03***

31.288

-0,05***

31.288

Elterliche Kontrolle Autoritärer Erziehungsstil a Autoritativer Erziehungsstil

a

0,00

Permissiv vernachlässigender Erziehungsstil Permissiver Erziehungsstil Filmkonsum

a

a

-0,03*** 0,00

a

31.288 31.288 31.288

-0,12***

31.288

Kulturelles Kapital Objektiviert Klassische Kulturgüter

a

0,31***

30.577

Schulrelevante Objekte

a

0,09***

30.639

0,38***

31.288

Inkorporiert Lesekompetenz

a †

*** p 0001, ** p 0,01, * p 0,05, p 0,10, SES = sozioökonomischer Status, a = Pearsons Korrelationskoeffizient (r), b = Spearmans Rho Korrelationskoeffizient (rsp), c = punktbiseriale Korrelation (rpb)

250

In Tabelle 24 sind die Korrelationskoeffizienten zwischen dem sozioökonomischen Status und den Indikatoren des sozialen sowie kulturellen Kapitals abgebildet.169 Entsprechend der Kombination der Variablenskalierung werden unterschiedliche Korrelationskoeffizienten verwendet.170 Die Richtung aller Koeffizienten korrespondiert mit den Beziehungen, die in Hypothesen H1a171 und H1c172 postuliert werden. Nach inhaltlichen Kategorien geordnet gilt für die Dimensionen des sozialen Kapitals: Je höher der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie, desto besser ist das PTO-Netzwerk ausgebaut (rsp = 0,10, p = 0,001), desto häufiger wird in der Familie über Themen bildungsrelevanten Inhalts gesprochen (r = 0,20, p = 0,001), desto häufiger üben die Eltern einen permissiven bzw. seltener einen autoritären und permissiv vernachlässigenden Erziehungsstil aus (vgl. die ersten vier Koeffizienten der elterlichen Kontrolle) und desto seltener schauen Kinder jugendgefährdende Filme (bzw. haben die Eltern Kontrolle über den Filmkonsum, r = -0,12, p = 0,001). Entgegen der Hypothese H1a(Kontroll.),173 zeigt der autoritative Erziehungsstil keinen bedeutsamen Zusammenhang. Die direkte elterliche Hilfe bietet ein ambivalentes Bild: Je höher der SES, desto seltener haben die Jugendlichen externe private Nachhilfe, aber desto häufiger helfen die Eltern selbst bei den Schulaufgaben. Vermutlich greift die externe private Nachhilfe, wenn die Eltern aufgrund von Sprachproblemen und/oder einem niedrigen Bildungsniveau ihren Kindern selbst nicht helfen können. Obwohl fast alle Koeffizienten einen hochsignifikanten Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status aufzeigen, ist diese Signifikanz aufgrund der sehr hohen Fallzahl nicht überzubewerten. Sinnvoller ist die Beachtung der Koeffizientenstärke. Hier sind für das soziale Kapital die Zusammenhänge zwischen dem sozioökonomischen Status und der Schulbesuchshäufigkeit der Eltern (rsp = 0,10, p = 0,001), der Häufigkeit der Diskussionen über Bücher und Politik (r = 0,20, p = 0,001) und dem Konsum jugendgefährdender Filme (r = -0,12, p = 0,001) nennenswert. Die Ausrichtung der Zusammenhänge entspricht den Hypothesen. Alle anderen Koeffizienten bewegen sich auf einem sehr niedrigen Niveau. 169 Der Zusammenhang zwischen den Kontrollmerkmalen und dem sozialen sowie kulturellen Kapital ist auf www.fis.uni-koeln.de/schulabsentismus.html zu finden. 170 Für die Kombination metrisch/metrisch wird Pearsons Korrelationskoeffizient (r) herangezogen. Wenn ein metrisches und ordinales Skalenniveau zusammentreffen, dient Spearmans Rho (rsp) als Koeffizient und in der Kombination metrisch/dichotom, die punktbiseriale Korrelation (rpb). 171 Je niedriger der soziökonomische Status der Herkunftsfamilie, desto niedriger das soziale Kapital der Familie. 172 Je niedriger der soziökonomische Status der Herkunftsfamilie, desto niedriger das kulturelle Kapital der Familie. 173 Je niedriger der SES, desto geringer die elterliche Kontrolle.

251

Für das kulturelle Kapital gilt, dass ein hoher sozioökonomischer Status positiv mit der Anzahl der Kulturgüter (rbp = 0,31 bzw. rbp = 0,09, je p = 0,001) als auch mit einem hohen internalisierten Kulturkapital, hier gemessen in Form der Lesenkompetenz (rsp= 0,38, p= 0,001), korrespondiert. Insbesondere die relativ hohen Korrelationen zwischen dem SES und dem klassischen sowie inkorporierten Kulturkapital sind hervorzuheben. Zusammenfassend können – bis auf die Annahme des positiven Zusammenhangs zwischen dem SES und der privaten externen Nachhilfe – H1a und H1c nicht falsifiziert werden. Ein Blick auf die einzelnen Dimensionen verlangt jedoch eine Korrektur dahingehend, dass die Merkmale „Gemeinsames Essen“, „Reden über Schulleistungen“, alle Merkmale der „Direkten elterlichen Hilfe“ sowie alle Erziehungsstile der Dimension „Elterliche Kontrolle“ kaum einen Zusammenhang mit dem SES zeigen. Dem theoretischen Modell folgend, wird im nächsten Schritt der Zusammenhang zwischen den Merkmalen des Sozial- und Kulturkapitals auf die Schulleistungen (Klassenwiederholung und Schulnoten) geprüft. Tabelle 25 sind die Korrelationskoeffizienten dieser Beziehungen zu entnehmen. Relativ starke Zusammenhänge zwischen der Klassenwiederholung und den Indikatoren des kulturellen und sozialen Kapitals bestehen kaum. Hervorzuheben ist lediglich die negative Korrelation zwischen der Klassenwiederholung und der Lesekompetenz (rbp = -0,08, p = 0,001). Je schlechter die Lesekompetenz, desto eher hat der Schüler seit der 7. Jahrgangsstufe eine Klasse wiederholt und vice versa. In Bezug auf die Schulnoten sind mehrere Beziehungen nennenswert. So zeigen zwei der Diskussions-Indikatoren eine engere Beziehung zu dem Notendurchschnitt. Je seltener die Jugendlichen mit ihren Eltern über Bücher und Politik sprechen (rbp = -0,09, p = 0,001) und je häufiger sie über Schulprobleme sprechen (rbp = 0,09, p = 0,001), desto schlechter ist ihr Notendurchschnitt. Der positive Zusammenhang zwischen dem Gespräch über Schulprobleme und den Schulleistungen ist vermutlich dadurch begründet, dass Jugendliche, die Schwierigkeit in der Schule haben, auch mehrfach mit den Eltern über diese Schwierigkeiten sprechen. Damit ist das Gespräch entgegen McNeals (1999) Vermutung ein Indikator schlechter Schulleistungen und nicht ein Merkmal für einen positiven präventiv wirkenden Austausch zwischen Eltern und Kind. Zudem gilt: Je häufiger sie jugendgefährdende Filme konsumieren (rbp = 0,11, p = 0,001), je weniger klassische Kulturgüter im Elternhaus vorhanden sind (rbp = 0,09, p = 0,001) und je schlechter die Lesekompetenz (rbp = -0,26, p = 0,001), desto schlechter der Notendurchschnitt.

252

Tabelle 25: Korrelationkoeffizienten zwischen dem sozialen/kulturellen Kapital und den Schulleistungsmerkmalen (PISA-Daten 2000) Klassenwiederholung

Schulnoten

rpb

n

rpb

n

-0,02***

29.595

-0,00

31.288

Diskussionen über Politik und Bücher

-0,03***

29.595

-0,09***

31.288

Gemeinsames Essen

-0,05***

29.595

-0,06***

31.288

0,05***

29.595

0,09***

31.288

0,00

28.007

0,00

29.594

29.595

0,05***

31.288

Soziales Kapital PTO-Netzwerk Schulbesuch der Eltern Diskussionen

Reden über Schulleistungen Direkte elterliche Hilfe Externe private Nachhilfe Unterstützung der Eltern

-0,01



Elterliche Kontrolle Autoritäre Erziehung

0,03***

29.595

0,07***

31.288

Autoritative Erziehung

0,00

29.595

0,05***

31.288

Permissiv vernachlässigende Erziehung

0,02***

29.595

0,03***

31.288

-0,04***

29.595

-0,11***

31.288

0,07***

29.595

0,11***

31.288

Klassische Kulturgüter

-0,02***

28.972

-0,09***

30.577

Schulrelevante Objekte

-0,03***

29.025

-0,07***

30.639

-0,08***

29.595

-0,26***

31.288

Permissive Erziehung Filmkonsum Kulturelles Kapital Objektiviert

Inkorporiert Lesekompetenz

*** p 001, ** p 0,01, * p 0,05, † p = 0,10 SES = sozioökonomischer Status

253

Im Anschluss an die Prüfung der bivariaten Zusammenhänge zwischen dem sozialen und kulturellen Kapital auf die Schulleistungsmerkmale ist zu klären, 1) inwieweit diese einen Einfluss auf die Alternativen zum Schulbesuch (Anbindung an deviante Peers und Ausüben eines Nebenjobs) haben und 2) inwieweit diese Alternativen das häufige Schulschwänzen beeinflussen. Für Jugendliche, die seit der 7. Klasse eine Klassenwiederholung erlebt haben, steigt das Risiko einer Bindung zu devianten Peers im Vergleich zu jenen, die keine Klassenwiederholung hatten, um 68,0% (OR = 1,68, n = 31.357, p = 0,001).174 Nicht ganz so deutlich, aber immer noch hochsignifikant ist der Einfluss schlechter Schulnoten auf die Anbindung an deviante Peers. Schlechte Schulnoten erhöhen diese um 28,0% (OR = 1,28, n = 32.235, p = 0,001). Die Beziehungen der Schulleistungen zum Ausüben eines Nebenjobs sind ebenfalls hochsignifikant, jedoch sind die Koeffizienten relativ klein, dies trifft besonders auf den Zusammenhang zwischen den Schulnoten und dem Nebenjob zu. Es gilt: Wenn der Jugendliche eine Klasse wiederholt hat bzw. schlechte Schulnoten aufweist, dann übt er eher einen Nebenjob aus, als Jugendliche, die keine Leistungsdefizite aufweisen (rbp = 0,06, n = 29.595, p = 0,001, rsp = 0,02, p = 0,001, n = 31.288). Aufgrund des sehr kleinen Korrelationskoeffizienten kann diese Beziehung als unbedeutsam interpretiert werden, dennoch ist es vorläufig nicht möglich, die Hypothese H2175 zu falsifizieren. Im Hinblick auf das häufige Schulschwänzen ist für beide Schulbesuchsalternativen ein signifikanter positiver Effekt zu verzeichnen. Das Risiko, häufig die Schule zu schwänzen, steigt für Jugendliche mit einem devianten Freundeskreis im Vergleich zu Jugendlichen ohne deviante Freunde um 155,0% (OR = 2,55, p = 0,001, n = 31.392). Geringer, aber immer noch bedeutsam, ist der Einfluss eines Nebenjobs. Bei zunehmendem Ausüben eines Nebenjobs steigt die Wahrscheinlichkeit des Mehrfachschwänzen um 26,0% (OR = 1,26, p = 0,001, n = 32.636). Damit wird auch Hypothese H3176 vorläufig beibehalten.

174 Ein Odds Ratio von 1 bedeutet, dass es keinen Unterschied zwischen den beiden betrachteten Gruppen gibt. Ist das Odds Ratio größer als 1, ist die relative Chance, dass ein Ereignis eintritt, bei der ersten Gruppe im Vergleich zur zweiten Gruppe größer. Ist es kleiner als 1, sind die relativen Chancen der ersten kleiner als die der zweiten Gruppe (Bortz 1999). Prozenteffekte wurden über die folgende Gleichung (exp(ß)-1)*100 berechnet. 175 Je schwächer die Schulleistungen, desto eher werden Ziele wie Anerkennung oder ökonomischer Wohlstand alternativ zum Schulbesuch außerhalb der Schule verfolgt. 176 Je intensiver diese Ziele außerhalb der Schule verfolgt werden, desto stärker ist das häufige Schulschwänzen.

254

7.8.2 Bivariate Ergebnisse: Direkte Beziehungen des SES, des Sozial- und Kulturkapitals zum häufigen Schulschwänzen Die direkten Beziehungen zwischen dem Intensivschwänzen und den einzelnen Merkmalen werden, je nach Skalenniveau, unterschiedlich ermittelt (vgl. Tabelle 26). Tabelle 26: Punktbiseriale Korrelationen zwischen dem häufigen Schulschwänzen und Merkmalen des sozialen und kulturellen Kapitals rpb

n

Soziales Kapital PTO-Netzwerk Schulbesuch der Eltern

0,01

30.526

Diskussionen Diskussionen über Bücher und Politik I Gemeinsames Essen

-0,02***

30.526

siehe Abbildung 44

Reden über Schulleistungen

ebd.

Direkte elterliche Hilfe Externe private Nachhilfe

-0,01

Unterstützung von den Eltern bei Schulaufgaben

28.996



-0,01

30.526

Elterliche Kontrolle Autoritäre Erziehung

siehe Abbildung 45

Autoritative Erziehung

ebd.

Permissiv vernachlässigende Erziehung

ebd.

Permissive Erziehung

ebd.

Filmkonsum

0,11***

30.526

Klassisches Kulturkapital

-0,04***

30.348

Schulspezifische Güter

-0,13***

30.404

-0,09***

30.526

Kulturelles Kapital Objektiviert

Inkorporiert Lesekompetenz †

*** p 001, ** p 0,01, * p 0,05; p 0,10 SES = sozioökonomischer Status

255

Die Beziehung zu metrisch skalierten exogenen Variablen wird in Formen von Korrelationskoeffizienten dargestellt („Diskussionen über Bücher und Politik“, „Direkte elterliche Unterstützung“, „Private Nachhilfe“ und alle Forme des kulturellen Kapitals“), die Beziehungen zu kategorial exogenen Variablen werden mittels Odds Ratios („Familienstatus“, „Migrationshintergrund“) interpretiert, oder über den x2-Test geprüft („Gemeinsames Essen“, „Reden über Schulleistungen“ und „Erziehungsstile“ als Indikator der elterlichen Kontrolle). Entgegen der anomietheoretischen Annahme findet sich kein relevanter direkter Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und dem häufigen Schulschwänzen. Die punktbiseriale Korrelation zwischen beiden Merkmalen beträgt -0,01 (n = 30.526) und ist damit statistisch insignifikant. Anders ist die Beziehung zwischen dem häufigen Schwänzen und dem Familienstatus. Jugendliche, die nicht mit beiden leiblichen Eltern zusammenleben, weisen eine 30% höhere Wahrscheinlichkeit auf, die Schule häufig zu schwänzen (OR = 0,70, p = 0,001, n = 30.008). Auch der Migrationshintergrund weist einen signifikanten Zusammenhang mit dem Intensivschwänzen auf. Für Schüler, deren Vater deutscher Herkunft ist, ist die Wahrscheinlichkeit, häufig zu schwänzen etwa 34,0% (OR = 1,34, p = 0,001, n = 30.526) geringer, als für Schüler, deren Vater einen Migrationshintergrund hat. Hinsichtlich des Geschlechtes lässt sich häufiges Schulschwänzen eher bei Jungen feststellen. Die Tatsache, ein Junge zu sein, erhöht das Risiko des Intensivschwänzens um etwa 80,0% (OR = 0,23, p = 0,001, n = 30.494). Die einzelnen Dimensionen des sozialen Kapitals variieren sehr unterschiedlich mit dem Intensivschwänzen (vgl. Tabelle 26). Zwischen der Häufigkeit des elterlichen Schulbesuchs und dem Schwänzen besteht keine signifikante Beziehung. Eine Ursache hierfür mag auch in der ungenauen Messung des elterlichen Schulbesuchs liegen, da nicht klar differenziert wird, aus welchem Grund die Eltern die Schule konsultieren. Wird der Faktor „Diskussionen über Bücher und Politik“ mit dem häufigen Schulschwänzen in Verbindung gesetzt, dann ist auf bivariater Ebene nur ein schwacher Zusammenhang erkennbar (rpb = -0,02, p = 0,001). Deutlicher ist der Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des „Gemeinsamen Essens“, der „Gespräche über Schulprobleme“ und dem mehrfachen Schulschwänzen. Abbildung 44 gibt die Anteile der Intensivschwänzer nach den einzelnen Häufigkeitsausprägungen wieder. Demnach essen schwänzende Schüler nur selten mit ihren Eltern gemeinsam und besprechen auch selten mit diesen Schulprobleme. Geben 1,4% bzw. 1,8% an, dies mehrmals in der Woche zu tun, sind es fast viermal soviel Schüler, die nie mit ihren Eltern eine der beiden Aktivitäten ausführen (6,4% und 7,1%).

256

9 8 7,1

7

6,4

6 5 %

4 2,8

3

2,7 1,8

1,7

2

1,3

1,4

1,4

1,1

1 0 nie/fast nie

ein paar Mal im Jahr

etwa einmal im Monat

gemeinsames Essen

mehrmals im Monat

mehrmals in der Woche

über Schulprobleme sprechen

Abbildung 44: Anteile häufig schwänzender Schüler nach dem gemeinsamen Essen mit der Familie und dem Reden über Schulleistungen in % (PISA-Daten 2000)

Kaum eine Beziehung besteht zwischen den beiden Indikatoren der direkten elterlichen Hilfe, wie anhand der sehr niedrigen Korrelationskoeffizienten zu erkennen ist (für die „Externe private Nachhilfe“ und „Unterstützung von den Eltern bei den Schulaufgaben“ jeweils rpb = -0,01, vgl. Tabelle 26) Kontrolliert nach den vier Erziehungsstilen (vgl. Abbildung 45) wird deutlich, dass Intensivschwänzer am häufigsten einen autoritären Erziehungsstil erfahren (3,3%), gefolgt von einer permissiv vernachlässigenden Erziehung (1,9%). Zu gleichen Teile üben Eltern der schwänzenden Schüler eine permissive und autoritative Erziehung aus (jeweils 1,2%). Dieses Ergebnis stützt vorläufig den vermuteten Zusammenhang zwischen dem Schulschwänzen und einer „unangemessenen Kontrolle“. Im Gegensatz zu den Hypothesen, die eine mangelnde Kontrolle als Ursache des Schulschwänzens formulieren, zeigen die Ergebnisse jedoch, dass eine „überzogene Kontrolle“ in Form eines autoritären Erziehungsstils von Relevanz ist. Häufig schwänzende Jugendliche erfahren überproportional oft eine sehr strenge bzw. gewalttätige Erziehung. Wird nach der Geschlechtszugehörigkeit differenziert, fällt auf, dass es bei den oftmals schwänzenden Mädchen kaum Unterschiede zwischen den Erziehungsformen 257

gibt. Alle vier Erziehungspraktiken werden zu etwa gleichen Anteilen von den Eltern ausgeübt. Es sind vor allem häufig schwänzende Jungen, die zu Hause mit einem autoritären und permissiv vernachlässigenden Erziehungsstil konfrontiert sind.

9 8 7 6 5 % 4 3 2 1 0

5,6

2,9

3,3 1,7

2,2

0,8

1,2 0,6

autoritär

autoritativ

1,9 1,0

1,2 0,4

permissiv vernachlässigend

permissiv

Erziehungsstil Jungen

Mädchen

Gesamt

Abbildung 45: Anteile häufig schwänzender Schüler nach dem Erziehungsstil, differenziert nach dem Geschlecht in % (PISA-Daten 2000)

Ferner weist von den Merkmalen der elterlichen Kontrolle der Konsum jugendgefährdender Filme eine relativ starke positive Beziehung zu dem häufigen Schulschwänzen auf (rpb = 0,11, p = 0,001, vgl. Tabelle 26). Gleiches gilt für die schulspezifischen Güter (rpb = -0,13, p = 0,001) und (bedingt) für die Lesekompetenz (rpb = -0,09, p = 0,001). Je mehr schulspezifische Güter im Haushalt des Jugendlichen sind und je besser die Lesekompetenz ist, desto weniger schwänzt der Schüler die Schule vice versa. Der Zusammenhang zwischen den klassischen Kulturgütern und dem Intensivschwänzen ist zwar signifikant, doch die Stärke des Koeffizienten (rpb = -0,04, p = 0,001) bewegt sich auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch die beiden Schulleistungsmerkmale zeigen einen hochsignifikanten Zusammenhang mit dem häufigen Schwänzen. Trotz der Signifikanz ist der Korrelationskoeffizient zwischen den Schulnoten (erste Fremdsprache, Deutsch und Mathe) und dem Schwänzen mit rpb = 0,05 unbedeutend (n = 30.526). Deutlicher ist die Beziehung zu der Klassenwiederholung: Bei Schülern, die seit der 258

7. Klasse sitzen geblieben sind, ist die Wahrscheinlichkeit des Mehrfachschwänzens um 181,0% höher als bei Schülern ohne Klassenwiederholung (OR = 2,81, n = 28.928, p = 0,001). Auf einem ähnlichen Niveau bewegt sich der Zusammenhang zwischen dem Intensivschwänzen und der Anbindung an deviante Peers. Schüler, die eine enge Bindung zu devianten Peers haben, zeigen eine 157,0% höhere Wahrscheinlichkeit des häufigen Schulschwänzens auf, als Jugendliche ohne Kontakt zu devianten Freunden (OR = 2,57, n = 29.398, p = 0,001). Desgleichen hat das Ausüben eines Nebenjobs eine statistisch relevante Beziehung mit dem Intensivschwänzen. Wie Abbildung 46 entnommen werden kann, steigt der Anteil schwänzender Schüler mit der Anzahl der Stunden im Nebenjob. Dies trifft vor allem auf eine Arbeitszeit von mindestens 9 Stunden zu. Kontrolliert nach dem Geschlecht wird deutlich, dass dieser Zusammenhang jedoch nur für Jungen relevant ist (Jungen: x2 = 108,5, df = 6, p = 0,001; Mädchen: ns.).

9 8 7 6 5 % 4 3 2 1 0

8,1

5,0

2,0

1,6 0,5

2,3 0,9

1

2

4,5

3,1

2,9

2,7

1,9 0,9

3

2,8 2,0 0,9

4

1,7 1,1 0,5

0,5

5

6

1,0

7

Stunden im Nebenjob pro Woche Jungen

Mädchen

Gesamt

Abbildung 46: Anteile häufig schwänzender Schüler nach den Stunden im Nebenjob pro Woche in % (PISA-Daten 2000)

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zwar fast alle Indikatoren des kulturellen und sozialen Kapitals einen signifikanten und den Hypothesen entsprechenden Zusammenhang mit dem häufigen Schwänzen haben. Die Stärke der Zusammenhänge ist in den meisten Fällen jedoch sehr niedrig. Wird das Signifikanzniveau ausgeblendet, dann sind folgende Beziehungen als „nen259

nenswert“ einzustufen: Sowohl ein Migrationshintergrund, als auch die Trennung der Eltern weisen eine deutliche Beziehung mit dem Mehrfachschwänzen auf. Von den Merkmalen des sozialen Kapitals zeigt sich, dass die Häufigkeit der Einnahme gemeinsamer Mahlzeiten und der Unterhaltung über Schulprobleme negativ mit dem Mehrfachschwänzen korrespondiert. Ferner weist der Konsum jugendgefährdender Filme einen Zusammenhang mit dem Schwänzen auf. Bis auf das klassische Kulturkapital, zeigen die anderen Merkmale des kulturellen Kapitals (schulspezifische Güter und die Lesekompetenz) einen bedeutenden Zusammenhang zu dem Mehrfachschwänzen. Auch die schlechten Schulleistungen, hier vor allem die Klassenwiederholung, stehen in einer positiven Beziehung mit dem Schulschwänzen. Gleiches gilt für die Alternativen zum Schulbesuch: Die Anbindung an deviante Peers und das häufige Ausüben eines Nebenjobs hängen signifikant mit dem häufigen Schulschwänzen zusammen.

7.8.3 Multivariate Analysen Am Anfang der multivariaten Analysen werden – analog zu den Auswertungen der „MPI-Schulbefragung 1999“ – die direkten Einflüsse aller Merkmale auf das Mehrfachschwänzen präsentiert.177 Diese direkten Effekte sind ohne Berücksichtigung der indirekten Effekte berechnet. Daran schließt die Darstellung der indirekten Effekte an, die der SES auf die verschiedenen Dimensionen des sozialen und kulturellen Kapitals hat. Auf Basis von Strukturgleichungsmodellen werden dann die Effekte des SES über die Dimensionen des kulturellen und sozialen Kapitals auf die Schulleistungen untersucht. Anschließend wird dieses Modell erweitert, indem als abhängige Variablen die Alternativen zum Schulbesuch („Anbindung an delinquente Peers“ und „Ausüben eines Nebenjobs“) betrachtet werden. Am Ende der sukzessiven Aufnahme steht das Modell mit der endogenen Variable „häufiges Schulschwänzen“. Die Analysen basieren auf Probit-Regression mit zugrunde liegendem WLSMV-Schätzer (vgl. auch Kapitel 6.4). Letztlich sind in Tabelle 32 die direkten Effekte dokumentiert, die übrig bleiben, wenn die indirekten Effekte mit berücksichtigt werden. Im Vergleich zu den bivariaten Ausführungen werden im multivariaten Modell zwei Modifikationen vorgenommen. Erstens können die Erziehungsstile, die bedingt das Ausmaß der elterlichen Kontrolle abbilden, nicht nominal skaliert bleiben. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass nominal skalierte 177 Die direkten Effekte auf die intervenierenden Merkmale (sukzessiv) sind auf http://www.fis.unikoeln.de/schulabsentismus.html abgebildet.

260

Variablen nicht als intervenierende Faktoren in Strukturmodelle aufgenommen werden können. Für die weitere Untersuchung wird die ursprüngliche Variable mit vier Ausprägungen (autoritäre, autoritative, permissive und permissiv vernachlässigende Erziehung) dichotomisiert. Da die bivariaten Untersuchungen eine Dominanz des autoritären Erziehungsstils bei häufig schwänzenden Kindern zeigten, wird auch anhand dieses Kriteriums die neue Variable gebildet (autoritärer Erziehungsstil vs. permissiv, permissiv vernachlässigend und autoritativ). Zweitens kann die Lesekompetenz in ihrer ursprünglich metrischen Skalierung nicht berücksichtigt werden. Die Ursache hierfür liegt in einem Konvergenzproblem des Programms Mplus, das bei komplexen Modellen und gleichzeitiger Verwendung von Variablen verschiedenen Skalenniveaus auftreten kann. Daher wird die Lesekompetenz für die weitere Analyse kategorisiert.178 Die Kategorisierung erfolgt anhand der vom Pisa-Konsortium (Baumert et al. 2002) entwickelten fünf Kompetenzstufen (Stufe 1 = oberflächliches Verständnis einfacher Texte bis Stufe V = Flexible Nutzung unvertrauter, komplexer Texte.179 Für alle folgenden Analysen wird die Fallzahl konstant gehalten (n = 27.468), um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Tabelle 27 gibt die Probit-Koeffizienten der direkten Effekte aller Merkmale auf das häufige Schulschwänzen wieder. In der ersten Spalte sind die unstandardisierten Koeffizienten abgebildet, in der zweiten Spalte die standardisierten, auf die auch im Weiteren Bezug genommen wird. Darauf folgt der Standardfehler (S. E.). In Bezug auf den sozioökonomischen Status und die Kontrollmerkmale findet sich in Übereinstimmung mit den bivariaten Ergebnissen keine statistisch relevante Beziehung zum Intensivschwänzen. Auch spiegelt sich hier der schon bivariat gefundene starke Geschlechtereffekt wieder: Jungen schwänzen signifikant häufiger die Schule als Mädchen (ß = -0,24, p = 0,001). Die noch bivariat signifikanten Zusammenhänge zwischen dem Schulschwänzen und dem Familienstatus sowie dem Migrationshintergrund sind nun deutlich schwächer. Im Fall des Migrationsstatus ist die Beziehung sogar insignifikant (ß = 0,02). Für den Einfluss einer „zerstörten Familienstruktur“ ist noch ein schwacher positiver Effekt erkennbar (ß = 0,05, p = 0,10).

178 Da die Korrelation zwischen der metrisch und der kategorial skalierten Variable „Lesekompetenz“ r = 0,96 beträgt, ist der Ersatz durch die kategoriale Variante vertretbar. 179 Punkte 335-407 = Stufe I (oberflächliches Verständnis einfacher Texte), Punkte 408-480 = Stufe II (Herstellen einfacher Verknüpfungen), Punkte 481-552 (Integration von Textelementen und Schlussfolgerungen), Punkte 553-625 (detailliertes Verständnis komplexer Texte), Punkte über 625 = Stufe V (flexible Nutzung unvertrauter, komplexer Texte).

261

Tabelle 27: Die direkten Effekte auf das häufige Schulschwänzen (PISA-Daten 2000) ProbitKoeffizient (unstandardisi ert) SES/Kontrollmerkmale SES Geschlecht Familienstatus Migration Soziales Kapital PTO-Netzwerk Schulbesuch der Eltern Diskussion Diskussionen über Bücher und Politik Gemeinsames Essen Reden über Schulleistungen Direkte elterliche Hilfe Externe private Nachhilfe Unterstützung der Eltern Elterliche Kontrolle Autoritäre Erziehung Filmkonsum Kulturelles Kapital Objektiviert Klassische Kulturgüter Schulrelevante Kulturgüter Inkorporiert Lesekompetenz Schulleistungen Klassenwiederholung Mittelwert Schulnoten Alternativen Schulbesuch Nebenjob Anbindung deviante Peers

0,00 -0,55*** 0,13† 0,07

0,01

ProbitKoeffizient (standardisiert) -0,01 -0,24*** 0,05† 0,02

0,01

S. E.

0,00 0,07 0,07 0,09

0,02

0,11† -0,02 -0,07**

0,08† 0,02 -0,06**

0,06 0,03 0,03

-0,19 -0,01

0,03 -0,01

0,24 0,04

0,21** 0,19***

0,06** 0,14***

0,08 0,04

-0,21*** -6,07***

-0,05*** -0,23***

0,18 0,93

-0,11***

-0,11***

0,03

0,35*** 0,09***

0,09*** 0,07***

0,09 0,03

0,06*** 0,32***

0,08*** 0,13***

0,02 0,06

*** p 001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10, n = 27.468 SES = sozioökonomischer Status

Von den Dimensionen des sozialen Kapitals erweist sich das PTO-Netzwerk als unbedeutsam. Gleiches gilt für die beiden Indikatoren der direkten elterlichen Hilfe, die auch schon bivariat keinen Einfluss hatten (vgl. Tabelle 26). 262

Hypothesendiskonform ist der Einfluss eines Merkmals der„Diskussion über Bücher und Politik“. Entgegen der Annahme McNeals (1999) zeigt sich ein positiver Effekt auf das Intensivschwänzen (ß = 0,08, p = 0,10): Je häufiger die Schüler mit ihren Eltern über Bücher oder Politik diskutieren, desto eher schwänzen sie die Schule. Dieses Ergebnis ist insbesondere im Vergleich zu dem hypothesenkonformen Einfluss des „Redens über Schulleistungen“ (Je seltener die Schüler mit ihren Eltern über die Schulleistungen sprechen, desto eher schwänzen sie die Schule“, ß = -0,06, p = 0,01), schwer interpretierbar. Eine mögliche Erklärung ist, dass nicht jeder Schüler unter dem Begriff "Diskutieren“ auch einen verbalen Austausch versteht, sondern hier auch „Vorträge“, insbesondere politischer Natur, von den Elternteilen als Diskutieren über Politik verstanden werden. Da der Effekt aber nur auf dem 10%-Niveau signifikant ist, sollte er nicht überbewertet werden. Ferner sind die Ausrichtungen der beiden anderen Merkmale des „Diskutierens über bildungsrelevante Inhalte („Reden über Schulleistungen“ und „Gemeinsames Essen“) hypothesenkonform. Entgegen diesem ambivalenten Befund zeigen beide Merkmale der elterlichen Kontrolle einen starken (hypothesenentsprechenden) positiven Effekt. Es gilt: Je mehr die Kinder jugendgefährdende Filme konsumieren (ß = 0,14, p = 0,001) und je autoritärer der elterliche Erziehungsstil (ß = 0,06, p = 0,01), desto eher schwänzen sie die Schule. Alle Koeffizienten der Indikatoren des kulturellen Kapitals, der Schulleistungen und der Alternativen zum regulären Schulbesuch entsprechen in den Ausrichtungen den Hypothesen. Je weniger klassische Kulturgüter und je weniger schulrelevante Güter der Jugendliche zu Hause hat, desto eher schwänzt er häufig die Schule. Auch eine defizitäre Lesekompetenz, das Ausüben eines Nebenjobs und die Anbindung an deviante Peers erhöhen das Mehrfachschwänzen. Alle Merkmale haben einen hochsignifikanten Einfluss. Besonders stark sind die Effekte der schulrelevanten Güter (ß = -0,23), der Lesekompetenz (ß = 0,11) und der Anbindung an deviante Peers (ß = 0,13). Das Gesamtmodell weist eine Erklärungskraft von 0,25% auf (Pseudo-R2 nach McKelvey und Zavonia 1975). Zusammengefasst entsprechen die meisten multivariaten Befunde den schon bivariat dokumentierten Ergebnissen. Zentral ist, gerade im Hinblick auf die Anomietheorie, dass der sozioökonomische Status keinen Effekt auf das Schwänzen ausübt. Hingegen spielt die Geschlechtszugehörigkeit eine große Rolle. Von den Dimensionen des sozialen Kapitals hat vor allem eine mangelnde elterliche Kontrolle einen wichtigen Einfluss. Auch ein reduziertes kulturelles Kapital, schlechte Schulleistungen, das häufige Arbeiten in einem Nebenjob und deviante Freunde verstärken das Schulschwänzen.

263

Nach der Darstellung der direkten Effekte auf das Schulschwänzen, folgt im Weiteren die Prüfung der einzelnen Hypothesen und damit, bis auf den ersten Analyseschritt, die Untersuchung der indirekten Effekte. In Tabelle 28 sind die Probit-Koeffizienten des Einflusses des sozioökonomischen Status auf die verschiedenen Indikatoren des sozialen und kulturellen Kapitals abgebildet. Wenn wir den Blick auf die verschiedenen Dimensionen des sozialen Kapitals richten, zeigt sich, dass der sozioökonomische Status auf fast alle Merkmale einen (hoch) signifikanten Effekt hat (H1a). Ausnahme ist die private Nachhilfe, hier spielt die soziale Position der Familie keine Rolle (ß = -0,01). Trotz der Signifikanz sind nur bei etwa der Hälfte der betrachteten Beziehungen die Koeffizienten nennenswert hoch. Hervorzuheben ist der Einfluss des SES auf die Häufigkeit des Diskutierens über Bücher und Politik (ß = 0,25) und auf den Konsum von jugendgefährdenden Filmen (ß = -0,15). Entsprechend der Ausrichtung der Koeffizienten gilt: Je höher der SES, desto häufiger diskutieren Eltern mit ihrem Kind über Politik und Bücher und desto seltener konsumiert das Kind jugendgefährdende Filme. Auch die Beziehungsrichtung des Einflussnahme des SES auf die anderen Dimensionen des Sozialkapitals korrespondiert mit der Hypothese: Je höher der SES, desto häufiger besuchen die Eltern die Schule des Kindes (ß = 0,10), desto häufiger reden die Eltern mit dem Kind über Schulprobleme (ß = 0,03), desto häufiger isst die Familie gemeinsam (ß = 0,07), desto häufiger helfen die Eltern bei den Hausaufgaben (ß = 0,03) und desto seltener erfahren die Kinder einen autoritären Erziehungsstil (ß = -0,08). Damit kann die Hypothese H1a vorläufig nicht falsifiziert werden.

264

Tabelle 28: Der Einfluss des SES auf die Dimensionen des sozialen und kulturellen Kapitals (PISADaten 2000) ProbitKoeffizient (standardisiert)

S. E.

0,02***

0,10***

0,01

Diskussionen über Bücher und Politik

0,02***

0,25***

0,00

Gemeinsames Essen

0,02**

0,07**

0,00

Reden über Schulleistungen

0,01***

0,03***

0,00

ProbitKoeffizient (unstandardis iert) PTO-Netzwerk Schulbesuch der Eltern Diskussion

Direkte elterliche Hilfe Externe private Nachhilfe Unterstützung der Eltern

-0,00 0,01***

-0,01 0,03***

0,00 0,00

Elterliche Kontrolle Autoritäre Erziehung

-0,01***

-0,08***

0,00

Filmkonsum

-0,02***

-0,15***

0,00

Kulturelles Kapital Objektiviert Klassische Kulturgüter (0 = keine, 1 = viele)

0,06***

0,41***

0,00

Schulrelevante Objekte (0 = keine, 1 = viele)

0,02***

0,21***

0,00

0,03***

0,36***

0,00

Inkorporiert Lesekompetenz (niedrig – hoch)

*** p 001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10, n = 27.468

Deutlich stärker als der Einfluss des SES auf das soziale Kapital ist der Effekt auf das objektivierte und inkorporierte kulturelle Kapital. Auf alle drei Merkmale (klassische Kulturgüter, schulrelevante Güter und Lesekompetenz) übt der sozioökonomische Status einen hochsignifikanten Effekt aus und weist im Vergleich zu den Kontrollmerkmalen die stärksten Koeffizienten auf. Analog zu der Hypothese H1d kann festgehalten werden: Je höher der SES der Herkunftsfamilie, desto mehr klassische Kulturgüter (ß = 0,41) und schulrelevante Güter (ß = 0,21) besitzt die Familie und desto besser die Lesekompetenz der Kinder (ß =

265

0,36). Diese Befunde wurden auch mehrfach in Publikationen des PISAKonsortiums dokumentiert (Baumert et al. 2002). Zusammenfassend gilt, dass sowohl H1a180 als auch H1c181 – bis auf das Merkmal „externe private Nachhilfe“ als Indikator der direkten elterlichen Hilfe – vorläufig nicht falsifiziert werden können. Sukzessiv wird in dem nächsten Analyseschritt die indirekten Beziehungen von dem sozioökonomischen Status und den Kontrollmerkmalen über das soziale und kulturelle Kapital auf die Schulleistungen untersucht. Abbildung 47 zeigt den Effekt des sozioökonomischen Status über die beiden Kapitalformen auf die Indikatoren der Schulleistung (Klassenwiederholung seit der 7. Klasse und Mittelwert der Schulnoten).182 Pfade, die mindestens auf dem 5%-Niveau signifikant sind, werden als durchgezogene Linie abgebildet, Pfade auf dem 10%-Niveau als gestrichelte Linie. Die Struktur des Modells orientiert sich an den Hypothesen H1a (Je niedriger der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie, desto niedriger das soziale Kapital der Familie), H1c (Je niedriger der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie, desto niedriger das kulturelle Kapital der Familie) sowie den Anschlusshypothesen H1b (Je niedriger das soziale Kapital der Familie, desto schlechter die Schulleistungen) und H1d (Je niedriger das kulturelle Kapital der Familie, desto schlechter die Schulleistungen). Entsprechend der Konventionen, sind latente Variablen durch Ellipsen und manifeste Variablen durch Rechtecke abgebildet. Das Rechteck der mittleren Spalte umfasst die Indikatoren des sozialen und des kulturellen Kapitals (soziales Kapital oben, kulturelles Kapital unten). Alle Merkmale einer gemeinsamen Unterkategorie sind farblich einheitlich gestaltet. Die Modellgüte ist mit CFI = 0,95, TLI = 0,94, RMSEA = 0,02 befriedigend.183

180 Je niedriger der SES der Herkunftsfamilie, desto niedriger das soziale Kapital der Familie. 181 Je niedriger der SES der Herkunftsfamilie, desto niedriger das kulturelle Kapital der Familie. 182 Korrelationen unter den Variablen wurden zugelassen. 183 Der 2 ist abermals hoch signifikant mit einem Wert von 3188,8, df = 195, dies ist wie schon vorab erwähnt auf die große Stichprobe zurückzuführen.

266

15

0,0 3

0,25

0,07

3 0,0

, -0

Sozialkapital

Lesekompetenz

Schulrelevante Güter

Klassische Güter

Kulturkapital

-0 ,

-0,09

-0,1 1

06

0, 12 0, 1 9

04 -0,

Elterliche Unters.

Nachhilfe

Bildungsr. Diskussion

Gemeinsames Essen

Reden über Schulprobleme

Filmkonsum

Autoritäre Erziehung

H1b H1d

SES

Inkorporiertes Kulturkapital

Objektiviertes Kulturkapital

Direkte Hilfe der Eltern

Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts

Elterliche Kontrolle

PTO-Netzwerk

Klassenwiederholung

Pseudo-R2 = 0,09

H1a H1c

-0, 08

0,0 3

0,25

0,07

3 0,0

Sozialkapital

Lesekompetenz

Schulrelevante Güter

Klassische Güter

Kulturkapi tal

Elterliche Unters.

Nachhilfe

Bildungsr. Diskussion

Gemeinsames Essen

Reden über Schulprobleme

Filmkonsum

Autoritäre Erziehung

Elternbesuch an der Schule

6

H1b H1d

Schulnoten

Pseudo-R2 = 0,12

Quelle: eigene Berechnung

SES = sozioökonomischer Status Ellipsen = latente Variablen Rechtecke = manifeste Variablen Alle Pfade sind mind. auf dem 5%-Niveau signifikant, n = 27.468,

4 0,0

-0,07

-0,1 1

0 ,1

1

SES

0

0 ,1

0,1

-0, 08

Elternbesuch an der Schule

-0, 26

H1a H1c



Abbildung 47: Der indirekte Einfluss des SES auf die Schulleistungen, vermittelt über das soziale und kulturelle Kapital (PISA-Daten 2000)

6 0,3

6 0,3

267

Wird zuerst der Blick auf das kulturelle Kapital gerichtet, dann gilt für die Klassenwiederholung als auch für die Schulnoten, dass nur dem inkorporierten Kapital – gemessen über die Lesekompetenz – eine wichtige Funktion als vermittelnde Variable zukommt. Das objektivierte kulturelle Kapital spielt keine Rolle. Daraus folgt, dass die Hypothese H1d nur eingeschränkt zutrifft. Die Hypothesenkette: Je niedriger der SES, desto geringer das kulturelle Kapital, und je niedriger das kulturelle Kapital, desto schlechter die Schulleistungen, müsste lauten: Je niedriger der SES, desto geringer das inkorporierte kulturelle Kapital, und je niedriger das inkorporierte kulturelle Kapital desto schlechter die Schulleistungen (H1d(Inkop.)). Damit ist die (Unter-) Hypothese H1d(Objekt) falsifiziert. Der Effekt vom SES auf die Lesekompetenz (ß = 0,36) ist der stärkste im gesamten Modell. Gleiches gilt für den Pfad von der Lesekompetenz auf die Schulnoten (ß = 0,26), aber auch die Effektstärke von der Lesekompetenz auf die Klassenwiderholung ist relativ hoch (ß = -0,12). Diese Dominanz findet sich dementsprechend auch in den indirekten Effekten der Pfade SES  Lesekompetenz  Klassenwiederholung (-0,05, p = 0,001) und SES  Lesekompetenz  Schulnoten (-0,10, p = 0,001) wieder (vgl. Tabelle 29). Von den Merkmalen des sozialen Kapitals zeigen für beide Schulleistungskriterien alle Indikatoren der Diskussion über bildungsrelevante Inhalte („Reden über Schulleistungen“, „Gemeinsames Essen“ und „Gespräche über Bücher und Politik“) einen hypothesenkonformen Effekt. Entsprechend der postulierten Ausrichtung ist festzuhalten: Je höher der SES, desto häufiger reden die Jugendlichen mit ihren Eltern über Schulprobleme, desto häufiger nimmt die Familie gemeinsam Mahlzeiten ein und desto häufiger wird über Bücher und Politik gesprochen (H1b(Diss.)). All diese Aktivitäten reduzieren die Wahrscheinlichkeit schlechter Schulleistungen. Analog zu den bivariaten Befunden spielt von den beiden Indikatoren der direkten elterlichen Hilfe nur die elterliche Unterstützung eine Rolle (Je höher der SES, desto häufiger helfen die Eltern ihrem Kind bei den Schulaufgaben und desto seltener die Klassenwiederholung bzw. desto besser der Notendurchschnitt). Die private Nachhilfe hat keinen Einfluss (H1b(Hilfe)). Die Häufigkeit des elterlichen Besuchs an der Schule des Kindes ist nur für die Klassenwiederholung von Bedeutung (Je höher der SES, desto häufiger besuchen die Eltern die Schule des Kindes und desto seltener eine Klassenwiederholung, H1b(PTO)). Dagegen wirken beide Merkmale der elterlichen Kontrolle (H1b(Kontroll.)) abwechselnd auf die Schulleistungskriterien. Auf die Klassenwiederholung hat die Häufigkeit des Konsums jugendgefährdender Filme einen positiven Einfluss und auf die Schulnoten nur der autoritäre Erziehungsstil. Dieser Befund ist ebenfalls hypothesenkonform. Die Erklärungskraft der ersten Modells (Klassenwiederholung) beträgt einschließlich der Kontroll-

268

merkmale „Migrationshintergrund“, „Geschlecht“ und „Familienstatus“ ein Pseudo-R2 von 0,09, für das Modell der Schulnoten wird ein Pseudo-R2 von 0,12 erreicht. Resümierend ist festzuhalten: Von den Unterdimensionen des kulturellen Kapitals spielt für die Erklärung der Schulleistung nur das inkorporierte (gemessen über die Lesekompetenz) eine Rolle. Das objektivierte Kulturkapital ist bedeutungslos. Hingegen ist von den Dimensionen des Sozialkapitals die Unterdimension „Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts“ für beide Leistungsmerkmale relevant. Die elterliche Kontrolle und der Besuch der Eltern an der Schule (PTO-Netzwerk) weisen teilweise Effekte zu den Leistungsmerkmalen auf. Die private Nachhilfe hat keinen Effekt. Tabelle 29: Direkte, indirekte und totale Effekte vom SES auf die Schulleistung Kausalpfad

Mediator-Effekt

Totaler indirekter Effekt

Direkter Effekt

Totaler Effekt

0,04**

-0,04*

SES  Besuch Schule  KW

0,10x-0,04= -0,004*

-0,08***

SES  Film  KW SES  Reden Schulprobleme  KW SES  gemeinsames Essen  KW SES  bildungsr. Diskussion  KW SES  elterliche Hilfe  KW

-0,15x0,12=-0,02***

(-0,11)

SES  Lesekompetenz  KW

0,36x-0,13=-0,05***

SES  auto. Erziehung  Schuln. SES  Reden Schulprobleme  Schuln. SES  gemeinsames Essen  Schuln. SES  bildungsr. Diskussion  Schuln. SES  elterliche Hilfe  Schuln. SES  Lesekompetenz  Schuln.

0,03x0,19=0,006** 0,07x-0,11=-0,01** 0,25x-0,09=-0,025* 0,03x-0,06= -0,002*

-0,08x0,11=-0,01***

-0,12***

0,03x0,16=0,005***

(-0,12)

0,04***

-0,09***

0,07x-0,11=0,008*** 0,25x-0,07=-0,02*** 0,03x0,04=0,001* 0,36x-0,26=-0,10***

*** p 001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10, n = 27.468 KW = Klassenwiederholung, SES = sozioökonomischer Status, standardisierte Probit-Koeffizienten

269

Tabelle 29 gibt für die jeweils signifikanten Pfade (Abbildung 47) die total indirekten, direkten und totalen Effekte wieder.184 Alle indirekten Effekte sind auch Mediatoreffekte (im Gegensatz zu „nur“ indirekten Effekten, die keine Mediatorfunktion haben, vgl. Kapitel 6.4). Direkt hat der SES einen positiven Effekt auf beide Schulleistungsmerkmale (jeweils ß = 0,04, p = 0,01). Für beide Leistungskriterien gilt, dass von den signifikanten indirekten Pfaden vor allem diejenigen über die Lesekompetenz (SES  Lesekompetenz  KW, SES  Lesekompetenz  Schuln.) eine hohen Anteil des totalen indirekten Effektes erklären (jeweils etwa 81,0%).185 Alle anderen Pfade bewegen sich auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Abbildung 48 stellt die schon vorgestellten Beziehungen dar, ergänzt um den Einfluss auf die Alternativen zum Schulbesuch (H2a und H2b). Als abhängige Variablen fungieren nun die Alternativen zum regulären Schulbesuch „Anbindung an deviante Peers“ und „Nebenjob“. Der Fit des Modells ist mit CFI = 0,95, TLI = 0,93 und einem RMSEA = 0,02 befriedigend. Abermals ist der 2 hoch signifikant mit einem Wert von 3657,70, df = 212. Die Signifikanz ist vermutlich auf die Stichprobengröße zurückzuführen. Damit die Ergebnisse übersichtlich sind, werden die Strukturmodelle jeweils getrennt für die intervenierenden Variablen „Schulnoten“ und „Klassenwiderholung“ dargestellt. Die Erklärungskraft für die alternative „Nebenjob“ ist relativ gering (3,0%), für die Anbindung an deviante Peers beträgt sie 15,0% (jeweils nach Zavonia und McKelvey). Sowohl der Nebenjob als auch die Anbindung an deviante Peers werden von der Klassenwiederholung signifikant beeinflusst (ß = 0,06 bzw. ß = 0,07). Festzuhalten ist: Wenn der Schüler seit der 7. Klasse eine Klasse wiederholt hat, dann übt er im Vergleich zu Schülern ohne Klassenwiederholung häufiger einen Nebenjob aus und dann hat er häufiger eine Anbindung an deviante Peers. Wird die Abbildung betrachtet, in der die Klassenwiederholung als Schulleistungsmerkmal herangezogen wird (linke Abbildung), fällt auf, dass im Vergleich zu Abbildung 46 durch die Aufnahme der beiden Schulbesuchsalternativen zwei zuvor noch signifikante Pfade an Bedeutung verlieren. Dies ist der Pfad über den „Elternbesuch Schule“ (PTO-Netzwerk) und die „elterliche Unterstützung“. Dienen die Schulnoten als Leistungsmerkmal, dann ist augenscheinlich, dass im Gegensatz zu der Klassenwiederholung keine Beziehung zwischen dem Nebenjob und den Schulnoten besteht; es laufen nur Pfade über die Schulnoten zu der Anbindung an deviante Peers. Analog zu den Pfaden über die Klassenwiederholung zeigt sich auch für die Schulnoten, dass der Pfad über die „elterli-

184 Eine genaue Beschreibung dieser Effekte ist Kapitel 6.4 und 6.9.2 zu entnehmen. 185 -0,09 von -0,11 = ~81,0% bzw. -0,05 von -0,07 = ~ 81,0%.

270

che Unterstützung“ durch die Erweiterung des Merkmals „deviante Peers“ an Einfluss verliert. Die direkten, indirekten und totalen Effekte der Pfade sind Tabelle 30 zu entnehmen.

271

SES

H1a H1c

-0, 08 -0 ,1 5

0,25

0,07

6 0,3

Lesekompetenz

Schulrelevante Güter

Klassische Güter

-0,09

5

2

-0,1

0, 2

0,0 7

deviante Peers

Anbindung an

Pseudo-R2 = 0,15

Nebenjob

Pseudo-R2 = 0,03

SES

Inkorporiertes Kulturkapital

O bjektiviertes Kulturkapital

Direkte H ilfe d er Eltern

Dis kus sionen b ildun gsrelevanten In halts

Elterlich e Kontro lle

PTO -Netzwerk

Klassenwiederholung

H2a H2b

H1a H1c

0,3

Kulturkapital

Elterliche Unters.

Nachhilfe

Bildungsr. Diskussion

Gemeinsames Essen

Reden über Schulprobleme

9 2 0,0 0,1

3 0,0

Filmkonsum

autoritäre Erziehung

H1b H1d

06 -0,1 7

Sozialkapital

-0, 08

0,25

0,07

0,0

3

Lesekompetenz

Schulrelevante Güter

Klassische Güter

Kulturkapital

elterliche Unters .

Nachhilfe

Bildungsr. Diskussion

Gemeinsames Essen

Reden über Schulprobleme

Filmkonsum

Autoritäre Erziehung

Elternbesuch Schule

Sozialkapital

6

-0,08

-0,11

0,1

1 0,1

0,

 H1b H1d

Schulnoten

0, 04

H2a H2b

Anbindung an deviante Peers

Pseudo-R2 = 0,15

Nebenjob

Pseudo-R2 = 0,03

SES = sozioökonomischer Status Ellipsen = latente Variablen Rechteck= manifeste Variablen durchgezogene Linie = Pfade sind mind. auf dem 5%Niveau signifikant, gestrichelte Linie = Pfad auf dem 10%-Niveau signifikant n = 27.468

-0,2 4



Elternbesuch an der Schule

Abbildung 48: Der indirekte Einfluss des SES auf die Alternativen zum Schulbesuch, vermittelt über das soziale und kulturelle Kapital und die Schulleistung

6

Tabelle 30: Direkte, indirekte und totale Effekte des SES auf den Nebenjob und die Anbindung an deviante Peers Kausalpfad

Mediator-Effekt

SES  autoritäre Erziehung  KW  Nebenjob

-0,08x0,10x0,06=-0,001*

SES  Film  KW  Nebenjob

-0,15x0,13x0,06=-0,001**

SES  Reden Schulprobleme  KW Nebenjob

0,03x0,22x0,06=0,0004*

SES  gemeinsames Essen  KW  Nebenjob

0,07x-0,17x0,06=-0,001**

SES  Lesekompetenz  KW  Nebenjob

0,36x-0,19x0,06=-0,004**

SES  autoritäre Erziehung  KW  deviante Peers

-0,08x0,10x0,07=-0,001**

SES  Film  KW  deviante Peers

-0,15x0,13x0,07=-0,001**

SES  Reden Schulprobleme  KW deviante Peers SES  gemeinsames Essen  KW  deviante Peers

-0,01†

-0,01

Totaler Effekt -0,02†

-0,10*** (-0,001)

0,05**

-0,05***

0,03x0,22x0,07=0,001* 0,07x-0,17x0,07=-0,001* 0,36x-0,19x0,07=-0,005**

SES  autoritäre Erziehung  Schuln.  deviante Peers

-0,08x0,12x0,05=-0,001**

SES  Reden über Bücher/Politik  Schuln. deviante Peers SES  Lesekompetenz  KW  deviante Peers

Direkter Effekt

(-0,004)

SES  Lesekompetenz  KW  deviante Peers

SES  Reden Schulprobleme  Schuln.  deviante Peers SES  gemeinsames Essen  Schuln.  deviante Peers

Totaler indirekter Effekt

0,03x0,17x0,05=0,0003* 0,07x-0,12x0,05=-0,0004** 0,25x-0,07x0,05=-0,001** 0,36x-0,25x0,05=-0,004***

*** p 001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10, n = 27.468 KW = Klassenwiederholung; SES = sozioökonomischer Status; standardisierte Probit-Koeffizienten

273

Der direkte Effekt des SES auf die „Anbindung an deviante Peers“ (ß = 0,05, p = 0,001) ist deutlich stärker als der direkte Effekt auf den Nebenjob (ß = -0,01, p = 0,10). Ferner ist für die Pfade ausgehend vom SES auf die „Anbindung an deviante Peers“ festzuhalten, dass die indirekten Effekte in der Summe bedeutsamer sind (-0,10, p = 0,001) als der direkte Effekt. Für die indirekten Effekte, sowohl für den Nebenjob als auch für die Anbindung an deviante Peers, gilt, dass - wie schon in Tabelle 24 - auch hier die stärksten indirekten Beziehungen (ß = -0,004 bzw. ß = -0,005) über die Lesekompetenz vermittelt werden. H1a H1c

Sozialkapital

H2a H2b

H1b H1d

H3

Elternbesuch Schule

Autoritäre Erziehung Filmkonsum

0,07

Gemeinsam es Essen

2

0,08

-0,15

Klassenwiederholung

Klassische Güter

Schulrelevante Güter

3 0 ,1

Anbindung an deviante Peers

-0,2

4

0,04

PTO-Netzwerk Elterliche Kontrolle Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts Direkte Hilfe der Eltern Objektiviertes Kulturkapital

Lesekompetenz

häufiges Schwänzen

0,08

6 0,3

Kulturkapital

0,1 3

Pseudo-R2 = 0,42

Schulnoten Elterliche Unters.

Nebenjob

6

Nachhilfe

0, 1

0, 1

Bildungsr. Diskussion

SES

0,2 1

-0,1 6

-0 ,

15

Reden über Schulprobleme 3 0,0

SES = sozioökonomischer Status Ellipsen = latente Variablen Rechtecke= manifeste Variablen Alle Pfade sind mind. auf dem 5%Niveau signifikant, n = 27.468

Inkorporiertes Kulturkapital

Abbildung 49: Der indirekte Einfluss des SES auf das häufige Schulschwänzen, vermittelt über das soziale und kulturelle Kapital, die Schulleistungen und die Alternativen zum Schulbesuch

Abbildung 49 ist das Endmodell. Hier wird der Einfluss des sozioökonomischen Status über alle intervenierenden Merkmale auf das häufige Schulschwänzen überprüft. Insgesamt sind 9 Pfade mindestens auf dem 5%-Niveau signifikant. Der erste Pfad (rot markiert) erstreckt sich von dem SES über den Konsum jugendgefährdender Filme, die Klassenwiederholung, dem Nachgehen eines Nebenjobs zum häufigen Schulschwänzen. Entsprechend der Koeffizientenausrichtung gilt: Je niedriger der sozioökonomische Status, desto höher der Konsum jugendgefährdender Filme (ß = -0,15); je höher dieser Film274

konsum, desto häufiger hat der Jugendliche in seiner Schullaufbahn eine Klassenwiederholung erlebt (ß = 0,12); je häufiger eine Klassenwiederholung stattgefunden hat, desto zeitintensiver das Ausüben eines Nebenjobs (ß = 0,08) und je mehr Stunden in einem Nebenjob verbracht werden, desto ausgeprägter das Intensivschwänzen (ß = 0,13). Der zweite (grün markiert) Pfad unterscheidet sich von dem zuvor genannten lediglich in dem ersten Schritt. Es gilt: Je höher der SES, desto häufiger reden die Eltern mit dem Kind über Schulprobleme (ß = 0,03), je häufiger die Gespräche über Schulprobleme, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind eine Klasse wiederholt hat. Daran knüpft die schon bekannte Beziehung zwischen der Klassenwiederholung, dem Nebenjob und dem Schulschwänzen an (vgl. roten Pfad). Die positive Beziehung zwischen dem Gespräch über Schulprobleme und der Klassenwiederholung widerspricht der Hypothese. Der blaue Pfad postuliert im ersten Schritt eine positive Beziehung zwischen dem SES und dem gemeinsamen Essen (ß = 0,07). Die Häufigkeit des Einnehmens gemeinsamer Mahlzeiten reduziert – in Übereinstimmung mit den Hypothesen – die Wahrscheinlichkeit einer Klassenwiederholung und hat einen positiven Einfluss auf die Schulnoten (ß = -0,15 bzw. ß = 0,16). Über die Klassenwiederholung verläuft der Pfad einerseits weiter zum Nebenjob (wenn der Schüler eine Klasse wiederholt hat, dann erhöht dies die Wahrscheinlichkeit des Ausübens eines Nebenjobs, ß = 0,08) und andererseits zu den devianten Peers (wenn der Schüler eine Klasse wiederholt hat, dann erhöht dies die Wahrscheinlichkeit der Anbindung an deviante Peers, ß = 0,08). Der Nebenjob wie auch die Anbindung an deviante Peers erhöhen das Risiko des Schulschwänzens (je ß = 0,13). Dem grauen Pfad zufolge kann angenommen werden: Je höher der SES, desto besser die Lesekompetenz des Jugendlichen (ß = 0,36) und desto seltener eine Klassenwiederholung (ß = -0,16). Der weitere Verlauf entspricht dem des blauen Pfades. Auch der graue Pfad geht im ersten Schritt von einem positiven Zusammenhang zwischen dem SES und der Leskompetenz aus. Daran knüpfen folgende Teilpfade an: Eine schwache Lesekompetenz erhöht die Wahrscheinlichkeit schlechter Schulnoten (ß = -0,24). Schlechte Schulnoten fördern die Anbindung an deviante Peers (ß = 0,04) und der Kontakt zu diesen erhöht das Intensivschwänzen (ß = 0,13). Das Gesamtmodell hat den Gütekriterien zufolge einen zufriedenstellenden Fit (CFI = 0,95, TLI = 0,93, RMSEA = 0,02, p = ns, χ 2 = ns). Unter Aufnahme der indirekten Effekte steigt die Erklärungskraft von Pseudo- R2 = 0,25 (vgl. Tabelle 27) auf Pseudo-R2 = 0,42.

275

Tabelle 31: Direkte, indirekte und totale Effekte des SES auf das häufige Schulschwänzen Kausalpfad

Mediator-Effekt

SES  Film  KW  Nebenjob  HS

-0,13x0,12x0,06x0,07= -0,0001*

SES  gemeinsames Essen  KW  Nebenjob  HS

0,05x0,17x0,06x0,07= 0,0003*

SES  Lesekompetenz  KW  Nebenjob  HS

0,35x-0,17x0,06x0,07= -0,001*

SES  Lesekompetenz  KW  Anbindung an dev. Peers  HS SES  Lesekompetenz  Noten  Anbindung an dev. Peers  HS SES  aut. Erziehung  Noten  Anbindung an dev. Peers  HS SES  gemeinsames Essen  Noten  Anbindung an dev. Peers  HS SES  Lesekompetenz  Noten  Anbindung an dev. Peers  HS

Totaler indirk. Effekt

Direkter Effekt

0,07†

Totaler Effekt

-0,02

-0,08*** (0,005)

0,35x-0,17x0,07x0,09= -0,001* 0,35x-0,27x0,03x0,09= -0,001* -0,08x0,12x0,04x0,09= -0,0001* 0,06x0,12x0,04x0,09= 0,0001* 0,36x-0,26x0,04x0,09= -0,001*

*** p 001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10, n = 27.468 KW = Klassenwiederholung, SES = sozioökonomischer Status, HS = häufiges Schulschwänzen, standardisierte Probit-Koeffizienten

Tabelle 31 gibt die direkten, indirekten und totalen Effekte wieder, die der SES auf das häufige Schulschwänzen hat. Der direkte Effekt (ß = 0,07) wird unter Berücksichtigung der indirekten Effekte sogar positiv signifikant, jedoch nur auf dem 10%-Niveau. Die Stärke der direkten und indirekten Effekte sind beinahe identisch (ß = -0,08, ß = 0,07). In Anlehnung an die vorhergehenden Modelle sind diejenigen indirekten Effekte am einflussreichsten, die über die Lesekompetenz verlaufen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Endmodell von den Indikatoren des sozialen und kulturellen Kapitals nur vier eine intervenierende Funktion ausüben. Dies sind: 1) der Konsum jugendgefährdender Filme (Indikator der elterlichen Kontrolle), 2) das Gespräch über Schulprobleme, 3) das Einnehmen gemeinsamer Mahlzeiten (beide Indikator des „Diskutierens über bildungsrelevante Inhalte“) und 4) die Lesekompetenz (Indikator für das inkorporierte Kulturkapital). Dagegen haben alle Indikatoren der Schulleistung 276

und der Alternativen zum Schulbesuch eine vermittelnde Funktion. Von den beiden Leistungsmerkmalen spielt insbesondere die Klassenwiederholung eine Rolle als Mediator. Abschließend sind in Tabelle 32 die direkten Effekte abgebildet, die unter Berücksichtigung der indirekten Effekte übrig bleiben. Tabelle 32: Die direkten Effekte des SES, der Kontrollmerkmale, des sozialen und kulturellen Kapitals, der Schulleistungen und der Schulbesuchsalternativen auf das häufige Schulschwänzen unter Berücksichtigung der indirekten Effekte Probit-Koeffizient (unstandardisiert) SES/Kontrollmerkmale SES Geschlecht Familienstatus Migration Soziales Kapital PTO-Netzwerk Schulbesuch der Eltern Diskussion Diskussionen über Bücher und Politik Gemeinsames Essen Reden über Schulleistungen Direkte elterliche Hilfe Externe private Nachhilfe Unterstützung der Eltern Elterliche Kontrolle Autoritäre Erziehung Filmkonsum Kulturelles Kapital Objektiviert Klassische Kulturgüter Schulrelevante Objekte Inkorporiert Lesekompetenz Schulleistungen Klassenwiederholung Mittelwert Schulnoten Alternativen Schulbesuch Nebenjob Anbindung deviante Peers

Probit-Koeffizient (standardisiert)

S. E.

0,01† -0,41*** -0,05 -0,12

0,07† -0,16*** -0,02 -0,04

0,00 0,10 0,09 0,10

-0,00

-0,01

0,02

0,17** 0,03 -0,22***

0,15** 0,02 -0,17***

0,06 0,07 0,06

-0,01 0,07†

-0,01 0,08†

0,03 0,04

0,03 0,08***

0,02 0,13***

0,07 0,03

0,06 -0,60***

0,10 -0,58***

0,04 0,13

-0,05

-0,05

0,06

0,19** 0,05

0,16** 0,03

0,07 0,04

0,06*** 0,25**

0,07*** 0,09**

0,02 0,09

*** p 0,001, ** p 0,01, * p 0,05, † p 0,10, n = 27.468, SES = sozioökonomischer Status

277

Unter Kontrolle der indirekten Effekte zeigen sich folgende direkte Effekte. Der SES, der ohne Berücksichtigung der indirekten Effekte insignifikant war, erweist sich unter Aufnahme der intervenierenden Merkmale sogar entgegen der anomietheoretischen Hypothese als positiv signifikant (je höher der SES, desto eher schwänzt der Schüler die Schule). Dieser Einfluss ist jedoch nur auf dem 10%-Niveau signifikant. Das Geschlecht hingegen bleibt ein relativ starker Faktor. Demnach gilt: Jungen schwänzen signifikant häufiger die Schule als Mädchen (ß = -0,16, p = 0,001). Die elterliche Trennung, die zuvor noch schwach positiv signifikant war, ist nun bedeutungslos. In Bezug auf zwei Dimensionen des sozialen Kapitals finden wir keine Abnahme, sondern eine Verstärkung der Effekte. So ist der positive Effekt, den die Diskussion über Bücher und Politik auf das Schulschwänzen hat, stärker als in der „einfachen Regression“ (ohne Kontrolle der indirekte Effekte, vgl. Tabelle 27). Wie schon vorab erwähnt, ist dieser hypothesendiskonformen Effekte nicht erklärbar. Es kann vermutet werden, dass die Dimension „Reden über Politik und Bücher“ inhaltlich etwas anderes bedeutet als mit ihrer Messung – als Merkmale der Kommunikation über bildungsrelevante Inhalte – vorgesehen war. Gleiches gilt für den negativen Effekt, den der mangelnde Austausch über Schulleistungen auf das Schulschwänzen hat. Die zuvor unbedeutsame elterliche Unterstützung wird unter Berücksichtigung der intervenierenden Merkmale schwach positiv signifikant. Der autoritäre Erziehungsstil verliert nun seinen bedeutsamen Einfluss (Je autoritärer die Erziehung, desto mehr schwänzen die Kinder die Schule). Ebenfalls bedeutungslos sind unter Kontrolle der indirekten Effekte das objektivierte klassische Kulturkapital, die Lesekompetenz und die Schulnoten. Der positive Einfluss der devianten Peers verliert an Stärke, bleibt aber hochsignifikant. Der einflussreiche positive Effekt des Konsums jugendgefährdender Filme bleibt unverändert bestehen. Jenseits der einzelnen Interpretation zeigen die Ergebnisse deutlich, dass die Berücksichtigung indirekter Effekte einen prägnanten Einfluss auf die direkten Effekte haben kann.

7.9

Diskussion

Ziel der Untersuchung war es, die Anomietheorie Mertons (1969), ergänzt um die Komponenten des sozialen und kulturellen Kapitals, heranzuziehen, um häufiges Schulschwänzen zu erklären. Da das erweiterte Modell viele Hypothesen postuliert, sind in Tabelle 33 systematisch die Ergebnisse in Bezug auf die bivariaten und multivariaten Befunde zusammengefasst. Ein Plus-Zeichen steht für die vorläufige Annahme der Hypothese, ein Minus-Zeichen für die Falsifika278

tion und ein Plus-Minus-Zeichen bringt zum Ausdruck, dass die Ergebnisse – meist variierend mit den Operanden – sowohl positiv als auch negativ (und damit ambivalent) ausfallen. Die grau markierten Plus-Zeichen deuten zwar auf eine signifikante Beziehung hin, die jedoch auf einem eher schwachen Koeffizienten basiert. Tabelle 33: Zusammengefasste Ergebnisse der modellorientierten Hypothesen

Hypothesen H1a

H1a(Diss.) H1a(PTO) H1a(Hilfe) H1a(Kontroll.) H1b

H1b(Diss.) H1b(PTO) H1b(Hilfe) H1b(Kontroll.) H1c

H1c(Objekt) H1c(Inkop.) H1d

H1d(Objekt) H1d(Inkop.) H2

H3

Je niedriger der SES der Familie, desto niedriger das soziale Kapital der Familie Diskussion bildungsr. Inhalts PTO-Netzwerk Elterliche Kontrolle Elterliche Hilfe Je niedriger das soziale Kapital, desto schlechter die Schulleistungen Diskussion bildungsr. Inhalts PTO-Netzwerk Elterliche Kontrolle Elterliche Hilfe Je niedriger der SES der Familie, desto niedriger das kulturelle Kapital Objektiviert (klassisch) Objektiviert (schulrelevant) Inkorporiert Je niedriger das kulturelle Kapital der Familie, desto schlechter die Schulleistungen Objektiviert (klassisch) Objektiviert (schulrelevant) Inkorporiert Je schlechter die Schulleistungen, desto eher werden Alternativen zum Schulbesuch gesucht Je eher Alternativen zum Schulbesuch verfolgt werden, desto intensiver das Schwänzen

Bivariate Ergebnisse

Multivariate Ergebnisse

+ + +/- (+Film) +/-

+ + +/- (+Film) +/-

+ +/- (+Film) +/-

+ +/+/+/-

+/+ +

+ + +

+/+/+ +

+ +/-

+

+

+ = Hypothese vorläufig bestätigt + = signifikanter, aber schwacher Effekt - = Hypothese falsifiziert +/- = ambivalentes Ergebnis

279

In Bezug auf H1 lässt sich festhalten, dass sowohl auf bivariater als auch auf multivariater Ebene signifikante Zusammenhänge bzw. Effekte zwischen dem SES und der Diskussion über bildungsrelevante Inhalte sowie der elterlichen Kontrolle – vornehmlich des Konsums jugendgefährdender Filme – auszumachen sind. Die Beziehung zwischen dem SES, dem PTO-Netzwerk und der Diskussion über bildungsrelevante Inhalte ist entsprechend der Hypothese positiv und die Beziehung zwischen dem SES und dem „Konsum jugendgefährdender Filme“ negativ. Die weiteren Operanden für die elterliche Kontrolle, die Erziehungsstile, spielen kaum eine nennenswerte Rolle. Keinen nennenswerten Effekt hat der SES auf die direkte elterliche Hilfe. Für die Beziehung des SES zum kulturellen Kapital (H1c) finden sich auf bivariater Ebene zu allen zwei Kapitalformen signifikant positive Beziehungen; wobei die Beziehung zum inkorporierten Kulturkapital (der Lesekompetenz) relativ stark ist und die zum objektivierten Kulturkapital ambivalent, da eine starke Beziehung zum klassischen Kulturkapital besteht, aber ein nur schwacher Zusammenhang zum schulrelevanten Kapital. Im multivariaten Modell sind beide Merkmale des objektivierten Kapitals insignifikant, so dass nur noch der Effekt des SES auf das inkorporierte Kulturkapital hervorzuheben ist. Damit kann H1c (Inkop.) vorläufig beibehalten werden. Die Hypothese H1b kann in Teilen falsifiziert werden. Die Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts (H1b(Diss.)) zeigen sowohl bivariat als auch multivariat signifikante Effekte zu den Schulleistungen. In diesem Kontext ist zu betonen, dass die Häufigkeit des Gesprächs über Schulleistungen einen negativen Einfluss auf die Schulleistungen hat. Damit ist dieser Effekt nicht hypothesenkonform. Das PTO-Netzwerk (H1b(PTO)) hat bivariat fast keinen Effekt, im multivariaten Modell wirkt die Häufigkeit des Elternbesuchs in der Schule nur auf die Klassenwiederholung, nicht aber auf die Schulnoten. H1b(Kontroll.)) muss ebenfalls vorläufig beibehalten werden, hier hat der Konsum jugendgefährdender Filme einen positiven Einfluss auf die Schulleistungen und ein autoritärer Erziehungsstil führt zu schlechten Schulnoten. Die elterliche Hilfe (H1b(Hilf.)) ist sowohl bivariat als auch multivariat fast unbedeutend. Lediglich die Unterstützung der Eltern zeigt multivariat einen schwachen Effekt. Dieser ist in Bezug auf die beiden Leistungsmerkmale widersprüchlich. Wenn die Eltern Unterstützung anbieten, dann hat der Jugendliche seltener eine Klasse wiederholt. Für die Schulnote gilt jedoch: Je mehr Unterstützung die Eltern zeigen, desto schlechter der Notendurchschnitt. Kommen wir zum Einfluss des Kulturkapitals auf die Schulleistungen (H1d). Bivariat besteht ein schwacher Effekt des objektivierten Kulturkapitals auf die Schulleistungen, hier vor allem auf die Schulnoten. Stärker ist der (positive) Effekt des inkorporierten Kapitals auf die Klassenwiederholung und die Schul280

noten. Multivariat bleibt nur der zuletzt genannte Effekt signifikant. Damit ist H1d(Objekt.) falsifiziert. H1d(Inkorp.) kann jedoch nicht verworfen werden. Für H2 als auch H3 bestätigen sich die angenommenen Hypothesen vorläufig. Die Schulleistungen haben im bivariaten Modell einen positiven Einfluss auf die Alternativen zum Schulbesuch. Im multivariaten Modell hingegen hat nur die Klassenwiederholung einen relevanten Effekt auf beide Schulbesuchsalternativen. Die Schulnoten zeigen nur einen Einfluss auf den Nebenjob. H3 wiederum ist für beide Merkmale (Nebenjob und Anbindung an deviante Peers) hypothesenkonform.

281

Tabelle 34: Zusammengefasste Ergebnisse der direkten Effekte auf das häufige Schulschwänzen

Prädiktoren

Bivariate Beziehungen

Multivariate Beziehungen direkt ohne indirekte Effekte

Multivariate Beziehungen direkt mit Berücksichtigung der indirekten Effekte

+ + +

+ + -

-/+ + -

-

-

-

+ + +

+ +

+ +

-

-

-

+ +

+ +

+

+ +

+ +

+

+

+

-

+ +

+ +

+ -

+ +

+ +

+ +

SES/Kontrollmerkmale SES Geschlecht Familienstatus Migration

Soziales Kapital PTO-Netzwerk Schulbesuch der Eltern Diskussion Diskussionen über Bücher und Politik Gemeinsames Essen Reden über Schulleistungen Direkte elterliche Hilfe Externe private Nachhilfe Unterstützung der Eltern Elterliche Kontrolle Autoritäre Erziehung Filmkonsum

Kulturelles Kapital Objektiviert Klassische Kulturgüter Schulrelevante Objekte Inkorporiert Lesekompetenz Schulleistungen Klassenwiederholung Mittelwert Schulnoten Alternativen Schulbesuch Nebenjob Anbindung deviante Peers + = Hypothese vorläufig bestätigt + = signifikanter, aber schwacher Effekt - = Hypothese falsifiziert +/- = ambivalentes Ergebnis

282

Entgegen der anomietheoretischen Annahme, dass der sozioökonomische Status einen Einfluss auf das abweichende Verhalten hat, zeigt sich auf bivariater Ebene kein und im multivariaten Modell unter Berücksichtigung der indirekten Effekte sogar ein schwacher positiver Effekt auf das häufige Schulschwänzen. Dieser positive Effekt sollte jedoch nicht überschätzt werden, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass alternative Indikatoren zum ISEI (International SocioEconomic Index), wie der Bildungsabschluss der Eltern, keinen signifikanten direkten Effekt auf das Schwänzen haben (nicht abgebildet). Die Ergebnisse zwischen den bivariaten und den einfachen multivariaten Befunden, ohne Berücksichtigung der indirekten Effekte sind sich sehr ähnlich. Von den Kontrollmerkmalen sind das Geschlecht, der Familienstatus und bedingt der Migrationshintergrund einflussreiche Prädiktoren. Bis auf das Geschlecht, verlieren diese jedoch im multivariaten Modell unter Kontrolle der indirekten Effekte ihren Einfluss. Vom sozialen Kapital sind die „Diskussionen über Politik und Bücher“ und das „Reden über Schulleistungen“ sowie ein autoritärer Erziehungsstil und der Konsum jugendgefährdender Filme relevant. Damit sind nur Merkmale der „elterlichen Kontrolle“ und der „Diskussion bildungsrelevanter Inhalte“ bedeutsam. Die direkte elterliche Hilfe und das PTO-Netzwerk spielt kaum eine Rolle. Von den Indikatoren des objektivierten Kulturkapitals ist besonders das schulrelevante hervorzuheben, ebenfalls wichtig ist die Lesekompetenz. Sie verliert aber durch ihre Funktion als Mediator ihren direkten Einfluss auf das Intensivschwänzen. Bis auf die Schulnoten, die im multivariaten Modell unter Berücksichtigung der indirekten Effekte irrelevant sind, haben alle Merkmale der Schulleistung und der Alternativen zum Schulbesuch einen durchgehenden bedeutenden Einfluss. Leider unterliegt die hier vorliegende Analyse auch mehreren Einschränkungen. Erstens kann analog zu den Ausführungen des Kapitels 6 angenommen werden, dass das soziale und kulturelle familiale Kapital vor allem in der frühen Kindheit einen starken Einfluss auf die Entwicklung des Schülers nimmt und in der frühen Adoleszenz der Einfluss der Peers dominanter wird. Um herauszufinden, welche Merkmale der Familie und der Gleichaltrigen zu welchem Zeitpunkt in der Entwicklung des Jugendlichen wirken, werden Längsschnittdaten benötigt. Zweitens können schlechte Schulleistungen und eine zunehmende Anbindung an deviante Peers auch die Folge von Schulschwänzen sein. Drittens konnten die Dimensionen des sozialen und kulturellen Kapitals hier nur eingeschränkt operationalisiert werden. Dies gilt sowohl für das inkorporierte Kapital, das nur über einen Indikator (Lesekompetenz) gemessen wurde, als auch für die einzelnen Dimensionen des sozialen Kapitals, wie dem PTO-Netzwerk, das nur über die Häufigkeit des Besuchs der Eltern in der Schule abgebildet ist und die elterliche Kontrolle, die mittels der „Hilfskonstrukte“ Erziehungsstil und Kon283

sum jugendgefährdender Film gemessen wurde. Gerade weil die Schulleistungen ein gewichtiger Prädiktor des Mehrfachschwänzens sind, wäre eine Analyse, die die Schulformen mitberücksichtigt, von großem Interesse. Trotz dieser Einschränkungen, die nicht selten bei Sekundäranalysen auftreten, scheint der Erkenntnisgewinn durch die Analyse größer als der Verzicht dieser Analysen aufgrund eingeschränkter Operationalisierungen.

284

8

Fazit und Ausblick

Die Ausgangsfrage der vorliegenden Arbeit ist: Welchen Einfluss hat die Familie auf das (häufige) Schulschwänzen? Schulschwänzen wird in diesem Kontext als eine Form des abweichenden Verhaltens verstanden. Um die Ausgangsfrage zu beantworten, wurden drei Teilziele verfolgt: 1) Den Forschungsstand zu der Frage des familialen Einflusses auf das Schulschwänzen aufzuarbeiten, 2) theoretische Modelle zu entwerfen, die das Schulschwänzen erklären und 3) diese Modelle anhand quantitativer Daten zu prüfen. Die Aufarbeitung des Forschungsstandes zeigt, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema „Schulschwänzen“ in vielerlei Hinsicht exemplarisch für die Beschäftigung mit einem Thema ist, das verschiedene Forschungsbereiche berührt. Deutlich wird dies in der sehr unterschiedlichen Begriffsbestimmung des Schulschwänzens. Neben den heterogenen Definitionen ist Schulschwänzen aber auch ein Phänomen, das mit vielen Gesichtern auftreten kann. Nicht immer sind psychisch bedingte Formen der Schulabwesenheit, wie z.B. die Schulphobie, zu erkennen und werden dann fälschlicherweise als „Eigeninitiative“ des Schülers interpretiert. Gleiches gilt für die unerlaubte (oder auch erlaubte) Abwesenheit, die von den Eltern verursacht wird (Zurückhaltung durch die Eltern). Vermutlich treten vielfach Kombinationen psychisch und sozial bedingter Ursachen auf. Diese Vielschichtigkeit des Phänomens Schulschwänzen schlägt sich auch in dem Forschungsstand nieder. Oft ist nicht klar, um welche Form des „Schulschwänzens“ es sich handelt. So werden zum Beispiel Schüler als Schwänzer definiert, die a) einfach nur abwesend sind, die b) ohne Entschuldigung fehlen und die c) nicht krankheitsbedingt der Schule ferngeblieben sind. Die Definitionskriterien variieren und damit auch die Gruppe der Schüler, die zum eigentlichen Forschungsgegenstand werden. Jenseits dieser Abgrenzungsprobleme ist festzuhalten, dass sich die Forschung schon seit langer Zeit mit dem familialen Einfluss auf das Schulschwänzen beschäftigt. Der in der vorliegenden Arbeit dokumentierte Forschungsstand konzentriert sich auf internationale und nationale quantitative Studien. Es konnte gezeigt werden, dass trotz einer Vielzahl widersprüchlicher Befunde einige familiale Merkmale immer wieder als einflussreich erkannt werden. Hierzu zählen die elterliche Trennung, eine Distanz der Eltern gegenüber der Schule und häusliche Gewalt, bedingt auch der Einfluss des Deprivationsgrades des 285

Wohnviertels. In Bezug auf den sozioökonomischen Status, den Migrationshintergrund, die Geschwisterzahl oder das kulturelle Kapital liegen ambivalente Befunde vor. Positiv ist zu bemerken, dass in den letzten Jahren eine Zunahme der Publikationen im deutschsprachigen Raum zu verzeichnen ist. Negativ hingegen ist die (fast) ausnahmslos atheoretische Betrachtung des Schulschwänzens. Um der „Theorielosigkeit“ entgegenzuwirken, wurden zwei (klassische) Theorien abweichenden Verhaltens herangezogen – die soziale Kontrolltheorie und die Anomietheorie –, die jeweils eine Ergänzung durch verschiedene sozialisationstheoretische Elemente erfuhren. Durch die Anwendung dieser Theorien kann zwar nicht die Frage geklärt werden, in welchen Bereichen die Familie „Defizite“ aufweist, die zum Schulschwänzen führen. Gleichwohl ist es mit den Ergebnissen möglich, Aussagen über ihr Wirken im Bereich der originär familialen Funktion, der „Sozialisation“, zu machen. Die quantitative Untersuchung basiert auf zwei Datensätzen: der MPI-Schulbefragung 1999 (Oberwittler et al. 2001) und der PISA-Studie 2000 (Baumert et al. 2002). Die Analyse beider Datensätze zeigt, dass insbesondere eine geringe elterliche Kontrolle häufiges Schulschwänzen begünstigt. Eltern, die nicht wissen, mit wem sich ihre Kinder treffen oder wo sich die Kinder treffen, die wenig Kenntnis von dem Medienkonsum ihrer Kinder haben bzw. den Konsum jugendgefährdender Filme tolerieren, begünstigen das häufige Schulschwänzen. Diese Kontrolle ist, wie schon vorab erwähnt, weniger als formale Kontrolle zu verstehen, sondern als Ausdruck des Interesses an den Aktivitäten des Kindes. Ferner begünstigt ein Übermaß an elterlicher Kritik und ein Mangel des kommunikativen Austauschs über Schulprobleme (Indikator des sozialen Kapitals) das Schulschwänzen. In Bezug auf das kulturelle Kapital ist festzuhalten, dass das inkorporierte Kulturkapital - hier gemessen über die Lesekompetenz - eine wichtige Mediatorfunktion hat. Je schlechter die Lesekompetenz, desto schlechter die Schulleistungen und desto eher eine Anbindung an deviante Peers bzw. desto intensiver übt der Jugendliche einen Nebenjob aus. Beide Faktoren rufen Schulschwänzen hervor. Das objektivierte Kulturkapital spielt dagegen kaum eine Rolle. Auf die Frage, welche Merkmale die Familien aufweisen, die diese sozialisationsbedingten Defizite zeigen, liefert die vorliegende Arbeit nur in Ansätzen eine Antwort. Direkte Effekte, auch unter Berücksichtigung der indirekten Effekte, sind nur in der „MPI-Schulbefragung 1999“ für die elterliche Trennung und den Migrationsstatus der Eltern ersichtlich. In der PISA-Studie 2000 bestehen kaum bzw. keine direkten Beziehungen dieser familialen Strukturmerkmale zum Schulschwänzen. Dagegen zeigen sich vielfach indirekte Effekte, die sich ausgehend von der elterlichen Trennung, dem Migrationshintergrund und einem niedrigen sozioökonomischen Status über die genannten Sozialisationsaspekte – 286

eine niedrige elterliche Kontrolle, elterliche Kritik, mangelnder Austausch über Schulprobleme und schlechte Lesekompetenz – auf das Mehrfachschwänzen auswirken. Gerade diese indirekten Effekte sind hervorzuheben, da allzu oft angenommen wird, dass eine ausbleibende direkte Beziehung gleichzusetzen ist mit der Unbedeutsamkeit eines Merkmals. Deutlich zeigen die Resultate, dass defizitäre Schulleistungen und die Anbindung an deviante Peers das häufige Schulschwänzen positiv beeinflussen. Diese gewichtigen Faktoren werden ihrerseits durch eine mangelnde elterliche Kontrolle und ein kritikreiches Verhältnis zwischen Eltern und Kindern positiv beeinflusst. Von den Kontrollmerkmalen hat das Alter einen starken direkten und indirekten Effekt auf das Mehrfachschwänzen. Die indirekten Effekte laufen abermals über die bekannten Sozialisationskomponenten. Das Geschlecht zeigt in beiden Studien einen signifikanten Einfluss dahingehend, dass Jungen häufiger die Schule schwänzen als Mädchen. In der „MPI-Schulbefragung 1999“ hat es jedoch vornehmlich indirekt einen Effekt – über die schon bekannten Sozialisationskomponenten –, direkt spielt es unter Kontrolle der indirekten Effekte kaum noch eine Rolle. In der PISAStudie 2000 hat das Geschlecht dagegen sowohl einen indirekten als auch einen direkten Einfluss. Aus den hier vorgestellten Ergebnissen folgt die Frage, welche praktischen Maßnahmen sich ableiten lassen, um häufiges Schulschwänzen zu verhindern. Im Hinblick auf schulische Maßnahmen gibt es in der internationalen und auch nationalen Forschung zahlreiche Vorschläge (z.B. Bell, Rosen und Dynlacht 1994, McCluskey, Bynum und Patchin 2004). So geben z.B. Ricking (2003) oder das Deutsche Jugendinstitut (DJI 2004) diesbezüglich einen umfangreichen Überblick über präventive und intervenierende Maßnahmen, die durch die Schule eingeleitet werden können. Partiell sollten diese Maßnahmen selbstverständlich im Schulalltag verwirklicht werden. Hierzu zählt z.B. das Registrieren der An- und Abwesenheit der Schüler. Auch wenn das Führen eines Klassenbuchs oder einer Anwesenheitsliste gewiss sein sollte, zeigt die Praxis doch, dass diese Informationen in einigen Klassen nicht regelmäßig registriert werden. Somit besteht keine Kontrolle über die Anwesenheit und damit auch keine Kontrolle über das reale Ausmaß des Schulschwänzens. Neben diesen im Schulalltag implementierten Maßnahmen gibt es verschiedene Vorschläge, präventiv, aber auch intervenierend einzugreifen. Zu den präventiven Maßnahmen zählt z.B., dass der Lehrer reagiert, wenn der Schüler auffälliges Desinteresse am Unterricht zeigt oder beginnt, häufiger zu spät zum Unterricht zu kommen. Auch aufklärende Gespräche mit der Klasse fallen in diese Kategorie. Zu den intervenierenden Maßnahmen gehört unter anderem die Integration schulmüder Jugendlicher in berufsorientierte Projekte, des Weiteren sollten außerschulische

287

Angebote erweitert werden, um die Bindung des Schülers an die Schule zu fördern. Gegenüber einer Fülle an schulspezifischen Maßnahmen werden selten spezifische Vorschläge im Umgang mit der Familie gemacht. Zumeist beschränken sich diese auf den allgemeinen Hinweis, die Eltern zu informieren und mit diesen zusammenzuarbeiten. Ein Grund für die z. T dürftigen familienspezifischen Maßnahmen liegt vermutlich in der eingeschränkten Handlungskompetenz, die die Schule oder auch andere staatliche Instanzen haben, wenn es um das Zusammenspiel mit der Familie geht. Entweder sind die Eltern guten Willens und arbeiten mit der Schule oder anderen Instanzen, wie dem Jugendamt, zusammen, oder die Situation muss extremen Charakter haben, bevor ein „Zusammenarbeiten“ bewirkt wird. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ein Zusammenarbeiten mit manchen Eltern vielleicht kaum möglich ist, gibt es doch verschiedene Möglichkeiten auf Eltern zuzugehen und mit diesen gemeinsam Wege zu finden, das Schulbesuchsverhalten des Kindes zu verbessern. Hier finden sich besonderes in der amerikanischen Forschung ausführliche Strategievorschläge. Auch wenn diese Vorschläge nicht Eins zu Eins auf Deutschland übertragbar sind – alleine aufgrund der unterschiedlichen Schulsysteme – sind sie doch ein fruchtbarer Anhaltspunkt, um die Situation für die Jugendlichen unter Einbezug der Familie zu verbessern. Exemplarisch ist die Arbeit Epsteins und Sheldons (2002), die Informationen von 12 Grundschulen im Hinblick auf den Erfolg präventiver und intervenierender Maßnahmen gegen den Schulabsentismus auswerteten. Dabei wird zwischen „der gemittelten Absentismusrate in einem Jahr“ und „chronischer“ Abwesenheit (Anteil der Schüler pro Schule die mind. 20 Tage abwesend waren) unterschieden. Folgende Maßnahmen reduzieren signifikant sowohl die mittlere Abwesenheitsrate als auch den chronischen Absentismus: 1.

Belohnung für die Anwesenheit durch die Schulen bzw. die Lehrer. Hierunter fallen verschiedene Formen von positiver Anerkennung, wie „Geschenkgutscheine“, Feiern, Loben, kleine Auszeichnungen etc.

2.

Kommunikation mit der Familie. Seitens der Schulen wird das Gespräch mit den Eltern gesucht. Eltern, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, kommunizieren mit Mitarbeitern, die die Landessprache der Eltern beherrschen. Insbesondere die Aufklärung über die Folgen des Schulabsentismus ist von Bedeutung.

3.

Kontaktpersonen für die Kommunikation mit den Eltern. Anknüpfend an den vorhergehenden Punkt stellt die Schule eine Kontaktperson für die Eltern zur Verfügung. Den Eltern wird die Möglichkeit gegeben, jederzeit einen Ansprechpartner in der Schule zu kontaktieren, wenn sie Gesprächsbedarf haben.

4.

Workshops für Eltern: Die Schule veranstaltet Informationsabende, bei denen die Eltern über die negativen Konsequenzen der Abwesenheit aufgeklärt werden. Zudem werden die Eltern

288

über die formalen Schritte im Fall der Abwesenheit informiert und Fragen der Eltern werden beantwortet. 5.

Nachmittagsprogramme für Schüler

Werden diese Vorschläge zu den Ergebnissen dieser Arbeit in Bezug gesetzt, dann finden sich sinnvolle Verbindungen. Wie die Auswertungen zeigten, begünstigen schlechte Schulleistungen das Schulschwänzen. Gerade Schüler, die aufgrund schlechter Erfahrungen – bedingt durch schlechte Leistungen – der Schule fernbleiben, können durch Belohnungen eines Besseren belehrt werden. Schule kann auch positiv für das Selbstwertgefühl sein. Diese Funktion kann die Schule aber nur übernehmen, wenn sie von ihrer „originären“ Funktion der Leistungswertung des Unterrichtsstoffes abweicht, und auch das Sozialverhalten (wenn nötig) positiv bewertet. Dieser positive Effekt durch Schule ist umso wichtiger, da die Ergebnisse auch zeigen, dass viele schwänzende Schüler neben schlechten Erfahrungen in der Schule auch häufig negative Kritik von den Eltern erfahren. Wenn es durch die Familie keine Kompensation gibt, negative Erfahrungen durch die Schule auszugleichen, sondern im Gegenteil, diese durch ein angespanntes Eltern-KindVerhältnis noch verstärkt werden, wundert es nicht, wenn die Jugendlichen sich nur noch in Peer-Gruppen wohl fühlen, deren Mitglieder ähnliche negative Erfahrungen gemacht haben. Auch der zweite Punkt, die „Kommunikation mit der Familie“, insbesondere durch Schulpersonal, das der Sprache der Eltern mächtig ist, erscheint sinnvoll. Auch wenn der Migrationsstatus in den Auswertungen einen indirekte Effekt auf das Schwänzen zeigt, ist die Sprachbarriere zwischen Eltern mit Migrationshintergrund – in Deutschland kommt der größte Anteil aus der Türkei – und der Schule gegeben. Mitarbeiter an der Schule, die der türkischen Sprache mächtig sind, könnten hier von Vorteil sein. Gleiches gilt für einen Mitarbeiter (Punkt drei) der den Eltern als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Auch Workshops sind sicherlich eine positive Maßnahme. In diesem Kontext muss jedoch berücksichtigt werden, dass Eltern, die ein eher schuldistanziertes Verhältnis haben, diese nicht besuchen werden. Inwieweit Nachmittagsprogramme einen intervenierenden positiven Effekt haben, muss sich noch zeigen. Sicherlich spielt es aber präventiv eine wichtige Rolle, um Schulschwänzen im Vorfeld zu verhindern. Ferner zeigt die Studie Epsteins und Sheldons (2002), dass bei chronischem Absentismus auch Hausbesuche des Schulpersonals erfolgreich zur Wiederkehr des Schüles führten. Die hier genannten Maßnahmen sind natürlich auch immer an finanzielle Mittel gekoppelt. Die Schulen sind mit ihren Ressourcen – insbesondere in personeller Hinsicht – nicht in der Lage, solche Maßnahmen umzusetzen. Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Investitionen im Hinblick auf die Folge289

kosten, die durch häufiges Schulschwänzen entstehen können (z.B. Integrationsprogramme für Schüler, die die Schule abrechen), auszahlen. In Bezug auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema wäre es in Anbetracht der zum Teil „diffusen“ Forschungssituation erstrebenswert, stärker interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Ergänzend ist hierzu eine Verbindung qualitativer und quantitativer Methoden erforderlich. Qualitative Studien ermöglichen es, einen Einblick in die Vielschichtigkeit des Phänomens Schulschwänzen zu gewinnen. Dementsprechend kann in Anlehnung an die qualitative Forschung mittels quantitativer Studien geprüft werden, inwieweit generierte Hypothesen aus der qualitativen Forschung zutreffen. Ferner sind Längsschnittstudien nötig, die es erlauben, die Entwicklung des Schulschwänzens über einen längeren Zeitraum zu beobachten und die Einflussgrößen in verschiedenen Stadien zu identifizieren. Neben der Interdisziplinarität und der Anwendung verschiedener Methoden würde die Forschung, und letztlich damit auch die Praxis, davon profitieren, wenn auf internationaler Ebene intensiver zusammengearbeitet würde. Wie der Stand der Forschung zeigt, hat besonders Großbritannien eine lange Tradition der Auseinandersetzung mit dem Thema Schulschwänzen. Von diesen Kenntnissen können andere Nationen profitieren. Auch in den Niederlanden und der Schweiz hat Interesse an der Thematik in den letzten Jahren zugenommen, so dass insbesondere in Anbetracht der Ähnlichkeit der Schulsysteme ein Austausch nahe liegt. Das von der EU initiierte Projekt „school inclusion“ (2008) ist hierfür ein positives Beispiel. Ein großes Defizit des gegenwärtigen Forschungsstandes ist die mangelnde theoretische Auseinandersetzung mit dem Schulschwänzen. Auch wenn die vorliegende Arbeit zwei Wege aufgezeigt hat, wie Schulschwänzen – aus soziologischer Perspektive – theoretisch hergeleitet werden kann, gibt es weitere Optionen, wie z.B. die Erklärung über Agnews „General Strain Theorie“ oder Braithwaits „Beschämungstheorie“.186 Die vorgestellten Muster der theoretischen Integration sind in diesem Kontext ein nützliches Gerüst, um verschiedene theoretische Ansätze miteinander zu verbinden und offene Forschungsfragen zu beantworten, die in der vorliegenden Untersuchung nicht beantwortet wurden. So können Theorien konzipiert werden, die der Frage nach möglichen Kontexteffekten, wie dem Deprivationsgrad des Wohnviertels, auf den Grund gehen (up-and-down Integration). Die side-by-side Integration kann ferner helfen, Theorien zu entwickeln, die das Schulschwänzen besonderer Gruppen erklärt, wie z.B. das Schulschwänzen Jugendlicher mit Migrationshintergrund oder das vermehrte Schulschwänzen männlicher Schüler. Darüber hinaus könnte auch die

186 Beispiele der Einbettung des Schulschwänzens in diese „neueren“ Theorien sind dem GEWBericht des Projektes „Ausmaß und Verbreitung des Schulschwänzen in Köln“ zu entnehmen.

290

wichtige Frage nach schulformspezifischen Ursachen erörtert werden. Hierzu müssten dann jeweils zwei Theoriestränge (die Erklärung abweichenden Verhaltens von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bzw. Jungen sowie die Erklärung des Schulschwänzens) miteinander verwoben werden. Auch die Frage nach schulformspezifischen Effekten könnte im Rahmen einer solchen Theorie hergeleitet und empirisch geprüft werden. Die Investition in Projekte, die sich gezielt mit diesen Fragen beschäftigen und denen die Mittel zur Verfügung gestellt werden, umfangreiche Daten zu erheben, die für die Beantwortung solcher Fragen notwendig sind, stellt nicht nur eine sinnvolle Investition in den wissenschaftlichen Fortschritt dar, sondern auch in die Zukunft der jüngeren Generation. Gerade für Schüler, die häufig der Schule unentschuldigt fernbleiben, endet das Leben zumeist nicht im TakaTuka-Land.

291

Literatur

Abbott, E. und S. P. Breckinridge (1917): Truancy and Non-Attendance in the Chicago Schools. Chicago: University of Chicago Press. Abele, A., Mitzlaff, S. und W. Nowack (1975): Abweichendes Verhalten: Erklärungen, Scheinerklärungen und praktische Probleme. Stuttgart: Frommann-Holzboog. Adolphs, L. (1979): Kinderarbeit, Lehrerverhalten, Schulrevision im 19. Jahrhundert. Duisburg: Braun Verlag. Agnew, R. (1985): A revised strain theory of delinquency. In: Social Forces 64, 151-167. Agnew, R. (1992): Foundation for a general strain theory of crime and delinquency. In: Criminology 30, 47-87. Agnew, R. (1997): Stability and Change in crime over the lifecourse: A strain theory explanation. In: T. P. Thornberry (Hg.): Developmental Theories of Crime and Delinquency. New Brunswick, NJ: Transaction, 101-132. Agnew, R. (2001): Juvenile Delinquency. Los Angeles: Roxbury Publishing. Agnew, R. (2003): An Integrated Theory of the Adolescent Peak in Offending. In: Youth and Society 34, 263-299. Akers, R. L. (1973): Deviant Behavior: A Social Learning Approach. Belmont: Wadsworth. Akers, R. L., Krohn, M. D. und L. Lanza-Kaduce (1981): Social Characteristics and Self-Reported Delinquency: Differences in Extreme-Types. In: G. F. Jensen (Hg.): Sociology of Delinquency: Current Issues. Beverly Hills/London: Sage Publications, 48-62. Akers, R. L. (1998): Social learning and social structure: A general theory of crime and deviance. Boston: Northeastern Univerity Press. Albrecht, G. (1997): Anomie oder Hysterie – oder beides? Die bundesrepublikanische Gesellschaft und ihre Kriminalitätsentwicklung. In: W. Heitmeyer (Hg.): Was treibt die Gesellschaft auseinander? Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft. Band 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 506–554. Albrecht, G., Howe, C. W. und J. Wolterhoff (1991): Familienstruktur und Delinquenz. In: Soziale Probleme 2, 107-155. Amato, P. R. und B. Keith (1991): Consequences of parental divorce for children’s well-being: A meta-analysis. In: Psychological Bulletin 110, 26-46. Amatu, H. I. (1981): Family-Motivated Truancy. In: International Journal of Psychology 16, 111117. Anderson, J. C. und D. W. Gerbing (1988): Structural equation modeling in practice: A review and recommended two-step approach. In: Psychological Bulletin 103, 411-423. Anderson, S., Biggart, A., Deacon, K., Furlong, A., Given, L. und K. Hinds (2004): 17 in 2003 – Findings from the Scottish School Leavers Survey. Prepared for the Scottish Executive Education Department. Armsden, G. C. und M. T. Greenberg (1987): The Inventory of Parent and Peer Attachment: Individual Differences and their Relationship to Psychological Well-Being in Adolescence. In: Journal of Youth and Adolescence 16, 427-451. Astone, N. und S. McLanahan (1991): Family Structure, Parental Practices and High School Completion. In: American Sociological Review 56, 309-320.

293

Backhaus, K., Erichson, B., Plinke, W. und R. Weiber (2005): Multivariate Analysemethoden. Berlin/Hiedlerberg/New York: Springer. Bagozzi, R. P. und Y. Yi (1988): On the Evaluation of Structural Equation Models. In: Journal of the Academy of Marketing Science 16, 74–94. Baier, D. und P. Wetzels (2007): Freizeitverhalten, Cliquenzugehörigkeit und Gewaltkriminalität: Ergebnisse und Folgerungen aus Schülerbefragungen. In: A. Dessecker (Hg.): Jugendarbeitslosigkeit und Kriminalität. Wiesbaden: Eigenverlag Kriminologische Zentralstelle e.V., 69-98. Bandura, A. (1976): Lernen am Modell: Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie. Stuttgart: Klett. Barnes, S. M. und M. P. Farell (1992): Parental Support and Control as Predictors of Adolescent Drinking, Delinquency, and Related Problem Behavior. In: Journal of Marriage and the Family 59, 763-776. Baron, R. M. und D. A. Kenney (1986): The moderator- mediator variable distinction on social psychological research: Conceptual, strategic and statistical considerations. In: Journal of Personality and Social Psychology 51, 1173 - 1182. Barth, R. P. (1984): Reducing Nonattendance in Elementary School. In: Social World in Education 6, 151-166. Bartow, J. (1961): Family size as related to child-rearing practices. In: Dissertation Abstracts International 22, 558. Baumert, J. et al. (2002): PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen: Leske und Budrich. Baumrind, D. (1967): Child care practices anteceding three patterns of preschool behavior. In: Genetic Psychological Monographs 75, 43-88. Baumrind, D. (1971): Current patterns of parental authority. In: Developmental Psychology Monograph 4, 1-103. Bealing, V. (1990): Inside information: Pupil perceptions of absenteeism in the secondary school. In: Maladjustment and Therapeutic Education 8, 19-34. Bègue, L. und S. Roché (2005): Birth order and youth delinquent behaviour testing the differential parental control hypothesis in a French representative sample. In: Psychology, Crime and Law 11, 73-85. Behnken, I., Zinnecker J. u.a. (1991): Schülerstudie ’90: Jugendliche im Prozeß der Vereinigung. Weinheim, München. Bell, A. J., Rosen, L. A. und D. Dynlacht (1994): Truancy Intervention. In: The Journal of Research and Development in Education 27, 203-211. Bentler, P. M. und D. G. Bonnet (1980): Significance Tests and Goodness of Fit in the Analysis of Covariance Structures. In: Psychological Bulletin 88, 588–606. Berg, I. (1970): A follow-up study of school phobic adolescents admitted to an in-patient unit. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry 11, 37-47. Berg, I., Casswell, G., Goodwin, A., Hullin, R., McGuire, R. und G. Tagg (1985): Classification of severe school attendance problems. In: Psychological Medicine 15, 157-165. Berger, P. L und T. Luckmann (1997): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a. M.: Fischer. Bernard, T. J. und J. B. Snipes (1996): Theoretical Integration in Criminology. In: M. Tonry (Hg.): Crime and Justice. Chicago: The University of Chicago Press, 301-348. Bernstein, B. (1975): Class, Codes and Control. New York: Schocken Books. Blank, T., Naplava, T., Oberwittler, D. und T. Köllisch (2003): MPI-Schulbefragung 1999/2000 – Skalendokumentation. Technischer Bericht Nr. 2. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg im Breisgau.

294

Blumer, H. (1973): Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.). Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Band 1. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Blythman, M. (1975): Truants suffer more from the disadvantages of life. In: The Scottish Educational Journal 58, 80-84. Bohle, H. H., Heitmeyer, W., Kühnel, W. und U. Sander (1997): Anomie in der modernen Gesellschaft: Bestandsaufnahme und Kritik eines klassischen Ansatzes soziologischer Analyse. In: W. Heitmeyer (Hg.): Was treibt die Gesellschaft auseinander? Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2968. Bolton, F. G. und R. H. Laner (1981): Maternal maturity and maltreatment. In: Journal of Family Issues 2, 485-508. Bools, C., Forster, J., Brown, I. und I. Berg (1990): The identification of psychiatric disorders in children who fail to attend school: A cluster analysis of a non-clinical population. In: Psychological Medicine 20, 171-181. Booth, A. und P. R. Amato (1994): Parental Marital Quality, Parental Divorce, and Relations with Parents. In: Journal of Marriage and the Family 56, 21-34. Booth, C. (1896): Life and Labour of the People in London. London: Macmillian. Bortz, J. (1999): Statistik für Sozialwissenschaftler. Berlin und Heidelberg: Springer. Bos, K. T., Ruijters, A. M. und A. J. Visscher (1990): Truancy, drop-out, class repeating and their relation with school characteristics. In: Educational Research 32, 175-185. Bos, K. T., Ruijters, A. M. und A. J. Visscher (1992): Absenteeism in Secondary Education. In: British Educational Research Journal 18, 381-395. Bossard, J. H. S. (1943): Family Table Talk: An Area for Sociological Study. In: American Sociology Review 8, 295-301. Bosworth, D. (1994): Truancy and pupil performance. In: Education Economics 2, 243-265. Bourdieu, P. (1982): Der feine Unterschied. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bourdieu, P. (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: R. Kreckel (Hg.): Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband Nr. 2. Göttingen: Schwartz, 183198. Bourdieu, P. (1985): Sozialer Raum und Klassen: Leçon sur la leçon; Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bourdieu, P. (1986): The forms of capital. In: J. G. Richardson (Hg.): Handbook for Theory and Research for the Sociology of Education. New York: Greenwood Press, 241-258 . Bourdieu, P. (1992): Sozialer Raum und symbolische Macht. In: P. Bourdieu (Hg.): Rede und Antwort. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 135-154. Bowlby, J. (1958): The Nature of the Child's Tie to his Mother. In: International Journal of PsychoAnalysis 39, 350-373. Boyson, R. (1974): The Need for Realism. In: B. Turner (Hg.): Truancy. London: Ward Lock Educational, 52-61. Braithwaite, J. (1989): Crime, Shame and Reintegration. Cambridge: Cambridge University Press. Brettfeld, K., Fabian, T. und P. Wetzels (2003): Schulschwänzen Jugendlicher: Ansatzpunkt für Prävention und Intervention in der Sozialen Arbeit? Leipziger Beiträge zur Sozialen Arbeit. Brezinka, W. (1989): Empirische Erziehungswissenschaft und andere Erziehungstheorien: Differenzen und Verständigungsmöglichkeiten. In: H. Röhrs und H. Scheuerl (Hg.): Richtungsstreit in der Erziehungswissenschaft und pädagogische Verständigung. Frankfurt a.M.: Lang, 71-82. Brinkmann, G. (1989): Analytische Wissenschaftstheorie: Einführung sowie Anwendung auf einige Stücke der Volkswirtschaftslehre. München/Wien: Oldenbourg. Broadwin, I. T. (1932): A Contribution to the Study of Truancy. In: The American Journal of Orthopsychiatry 2, 253-259.

295

Bronfenbrenner, U. (1958): Socialization and social class through time and space. In: E. E. Maccoby, T. M. Newcomb und E. L. Hartley (Hg.): Reading in Social Psychology. New York: Holt, 400-425. Bronfenbrenner, U. (1979): The ecology of human development: Experiment by nature and design. Cambridge: Harvard University Press. Bronfenbrenner, U. (1981): Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta. Brooks, E., Buri, J., Byrne, E. und M. Hudson (1962): Socioeconomic factors, parental attitudes, and school attendance. In: Social Work 7, 103-108. Brosius, F. (2004): SPSS 12: Professionelle Statistik unter Windows. Bonn: MITP-Verlag. Brown, D. (1983): Truants, Families and Schools: a Critique of the Literature on Truancy. In: Educational Review 35, 225-235. Browne, M. W. und R. Cudeck (1993): Alternative ways of assessing model fit. In: K. A. Bollen und J. S. Long (Hg.): Testing Structural Equation Models. Newbury Park, CA: Sage, 136-162. Brusten, M. und K. Hurrelmann (1973): Abweichendes Verhalten in der Schule: Eine Untersuchung zu Prozessen der Stigmatisierung. München: Juventa. Bulcroft, R., Carmody, D. und K. Bulcroft (1996): Patterns of parental independence giving to adolescents: Variations by race, age, and gender of child. In: Journal of Marriage and the Family 58, 866 – 883. Bundesministerium für Inneres und Bundesministerium für Justiz (2001): Erster Periodischer Sicherheitsbericht. Berlin. Burgess, S., Gardiner, K. und C. Propper (2002): The Economic Determinants of Truancy. Centre for Analysis of Social Exclusion, London School of Economics, Paper 61. Burr, W., Hill, R., Nye, I. F. und I. L. Reiss (1979): Contemporary Theories about the Family. New York: The Free Press. Burt, C. (1945) [1925]: The Young Delinquent. London: University of London Press. Button, D. M. (2008): Social Disadvantage and Family Violoence: Neighborhood Effects on Attitudes about Intimitate Partner Violence and Corporal Punishment. In: American Journal of Crime and Justice 33, 130-147. Byrne, J. M. und Robert J. Sampson (1986): Key Issues in the Social Ecology of Crime. New York: Springer. Caldas, S. J. (1993): Reexamination of input and process factor effects in public school achievement. In: Journal of Educational Research 86, 206-214. Caplan, P. J., Watters, J., White, G., Parry, R. und R. Bates (1984): Toronto multiagency child abuse research project: The abused and the abuser. In: Child Abuse and Neglect 8, 343-351. Carroll, H. C. M. (1977): Absenteeism in South Wales. Swansea: University College of Swansea, Faculty of Education. Casey, B. und D. Smith (1995): Truancy and Youth Transitions: England and Wales Youth Cohort Study. Department for Education and Employment, Sheffield. Caspi, A. und D. Bem (1990): Personality continuity and change across the life course. In: L. A. Pervin (Hg.): Handbook of Personality: Theory and Research. New York: Guilford, 549-575. Caven, N. und J. M. Harbison (1980): Persistent school non-attendance. In: J. Harbison und J. Harbison (Hg.): A Society under Stress: Children and Young People in Nothern Ireland. Somerset: Open Book, 43-54. Cenkovic, S. A. und P. C. Giordano (1987): Family Relations and Delinquency. In: Criminology 25, 295-321. Cherry, N. (1976): Persistent job changing – is it a problem? In: Journal of Occupational Psychology 49, 203-221. Chin, W. W. (1998): Issues and Options on Structural Equation Modeling. In: MIS Quarterly 22, VII-XVI.

296

Chou, L. C., Ho, C. Y, Chen, C. Y. und J. C. Wie (2006): Truancy and illicit drug use among adolescents surveyed via street outreach. In: Addictive Behaviors 31, 149-154. Claessens, D. (1972): Familie und Wertsystem. Berlin: Duncker und Humblot. Cohen, A. (1955): Delinquent Boys: The Culture of the Gang. New York: The Free Press. Coleman, J. (1987): Families and Schools. In: Educational Researcher 16, 32-38. Coleman, J. S. (1987): Public and Private High Schools. New York: Basic Books. Coleman, J. S. (1988): Social Capital in the Creation of Human Capital. In: The American Journal of Sociology 94, 95-120. Coleman, J. S. (1991): Grundlagen der Sozialtheorie. Band.1. Handlungen und Handlungssysteme. München: Oldenbourg. Coolidge, J. C., Hahn, P. B. und A. L. Peck (1957): School phobia: Neurotic crisis or way of life. In: American Journal of Orthopsychiatry 27, 296-306. Cooper, M. (1965): School Refusal. In: Educational Research VIII, 115-127. Cooper, M. (1984): Self-Identity in Adolescent School Refusers and Truants. In: Educational Review 36, 229-237. Corville-Smith, J., Ryan, B. A., Adams, G. R. und T. Dalicandro (1998): Distinguishing Absentee Students from Regular Attenders: The Combined Influence of Personal, Family, and School Factors. In: Journal of Youth and Adolescence 27, 629-638. Coventry, G., Cornish, G., Cooke, R. und J. Vinall (1984): Skipping School: An Examination of Truancy in Victorian Secondary Schools. Research Section, Victorian Institute of Secondary Education. DeJung, J. E. und K. Duckworth (1986): Measuring student absence in the high schools. Paper presented at the annual meeting of the American Educational Research Association, San Francisco, CA. Dempster, A. P., Laird, N. M. und D. B. Rubin (1977): Maximum-Likelihood from incomplete data via the EM algorithm. In. Journal of the Royal Statistical Society 39, 1-38. Deutsches PISA Konsortium (2003): Ergänzungen zum Skalenhandbuch. http://www.kmk.org/schul/pisa/Datensaetze/Ergaenzungen-zum-Skalenhandbuch.pdf (Stand 06.03.2007). Dietrich, P. und D. Sturzbecher (1993): Abschlußbericht zur Feldstudie „Schulverweigerung von Jugendlichen im Land Brandenburg“ im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam. Dorius, C., Bahr, S., Hoffmann, J. P. und E. Lovelady Harmon (2004): Parenting Practise as Moderators of the Relationship between parents and adolescent Marijuana Use. In: Journal of Marriage and the Family 66, 163-178. Dornbusch, S. M., Carlsmith, J., Bushwall, S. R., Ritter, P. R., Leiderman, H., Hastorf, A. H. und R. T. Gross (1985): Single Parents, Extended Households and the Control of Adolescents. In: Child Development 56, 326-341. Duarte, R. und J. J. Escario (2006): Alcohol abuse and truancy among Spanish adolescents: A countdata approach. In: Economics of Education Review 25, 179-187. DuFour, R. (1983): Crackdown on Attendance - The Word is out. In: NASSP Bulletin 67, 133-135. Dunkake, I. (2006): Truants and the Family: An empirical Study of deviant behavior in early adolescence. In: Mathieu Deflem (Hg.): Sociological Theory and Criminological Research: Views from Europe and the United States. Sociology of Crime, Law and Deviance, Vol. 7, Amsterdam: Elsevier, 29-54. Dunkake, I. und T. Weißbrodt (2006): Bericht über die Auswertung der Absentismusbefragung an Leverkusener Hauptschulen, Gesamtschulen und Förderschulen. Im Aufrag des Fachbereichs Kinder und Jugend der Stadt Leverkusen und dem Schulamt für die Stadt Leverkusen.

297

Dunkake, I. (2007a): Die Entstehung der Schulpflicht, die Geschichte der Absentismusforschung und Schulschwänzen als abweichendes Verhalten. In: M. Wagner (Hg.): Schulabsentismus. Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis. Weinheim, München. Juventa, 13-36. Dunkake, I. (2007b): Schulverweigerung: Eine Folge mangelnder familialer Kontrolle? In: M. Wagner (Hg.): Schulabsentismus. Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis. Weinheim, München. Juventa, 105-134. Dunkake, I. (2007c): Familie und Schulverweigerung im Rahmen der Anomietheorie: Ergebnisse der PISA-Studie 2000. In: M. Wagner (Hg.): Schulabsentismus. Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis. Weinheim, München. Juventa, 139-175. Durkheim, E. (1983) [1897]: Der Selbstmord. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Durkheim, E. (1981) [1888]: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Dustmann, C., Rajah N. und S. Smith (1997): Teenage truancy: part-time working and wages. In: Journal of Population Economics 10, 425-442. Eaton, M. J. (1979): A study of some factors associated with the early identification of persistent absenteeism. In: Educational Review 31, 233-242. Eaton, M. J. und D. M. Houghton (1974): The Attitudes of Persistent Teenage Absentees and Regular Attenders towards School and Home. In: The Irish Journal of Psychology 3, 159-175. Eccles, J. S., Lord, S. E. und R. W. Roeser (1996): Round holes, square pegs, rocky roads, and sore feet: The impact of stage/environment fit on young adolescents' experiences in schools and families. In: S. L. Toth und D. Cicchetti (Hg.): Adolescence: Opportunities and Challenges. New York: University of Rochester Press, 49-93. Eder, F. (1981): Schulschwänzen an weiterführenden Schulen. In: Erziehung und Unterricht 131, 381-395. Ehmann, C. und H. Rademacker (2003): Schulversäumnisse und sozialer Ausschluss: Vom leichtfertigen Umgang mit der Schulpflicht in Deutschland. Bielefeld: Bertelsmann. Eifler, S. (2002): Kriminalsoziologie. Bielefeld: transcript. Elder, G. H. und A. Caspi (1988): Economic stress in lives: Developmental perspectives. In: Journal of Social Issues 44, 25-45. Elder, G. H. (1985): Perspectives on the Life Course. In: G. H. Elder (Hg.): Life Course Dynamics, Trajectories and Transitions, 1968-1980. Ithaca und London: Cornell University Press, 23-49. Elliot, D. und H. Voss (1974): Delinquency and Dropout. Lexington, Mass.: DC Health. Elliott, D., Ageton, D. und R. J. Cantor (1979): An Integrated Theoretical Perspective on Delinquent Behavior. In: Journal of Research in Crime and Delinquency 16, 3-27. Elliott, D., Huizinga, D. und S. Ageton (1985): Explaining Delinquency and Drug Use. Beverly Hills: Sage. Elliott, D., Wilson, W. J., Huizinga, D., Sampson, J., Elliott, A. und B. Rankin (1996): The Effects of Neighborhood Disadvantage at Adolescent Development. In: Journal of Research in Crime and Delinquency 33, 389-426. Elliott, R. (1975): Some characteristics of school non-attenders assessed at Lisnevin School. In: Community Home School Gazette 69, 401-403. Engel, U. und J. Reinecke (1994): Panelanalyse: Grundlagen, Techniken, Beispiele. New York: de Gruyter. Engel, U. und K. Hurrelmann (1993): Was Jugendliche wagen: Eine Längsschnittstudie über Drogenkonsum, Streßreaktionen und Delinquenz im Jugendalter. Weinheim, München: Juventa. Epstein, J. L. (1990): School and family connection: Theory, research, and implication for integrating sociology of education and family. In: Marriage and Family Review 12, 99-126. Erbach-Probst, C. und C. Hartwig (1998): Schulpflichtverletzungen – wie können Schulen damit umgehen? In: Nieders. SVB1 11, 366-368.

298

Erikson, E. H. (1973): Identität und Lebenszyklus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Esser, H. (1993): Soziologie. Allgemeine Grundlagen, Frankfurt, New York: Campus. Estes, H. R., Haylett, C. H. und S. J. Rachmann (1956): Separation anxiety. In: American Journal of Psychotherapy 10, 682-695. Evans, E. G. S. (1975): Truancy and school avoidance: a review of the literature. In: Educational Review 4, 63-71. Fagan, J. und E. Pabon (1990): Contributions of delinquency and substance use to school dropout among inner-city youths. In: Youth and Society 21, 306–354. Farrington, D. P. (1995): The development of offending and antisocial behaviour from childhood: Key findings from the Cambridge study in delinquent development. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry 36, 929–964. Farrington, D. (1980): Truancy, delinquency, the home, and the school. In: L. Hersov und I. Berg (Hg.): Out of school: Modern perspectives in truancy and school refusal. New York: John Wiley and Sons, 49-64. Feddersen, P. (1967): Schulschwänzen als Symptom beginnender Kriminalität. Jugendschutz 12, 106-113. Fend, H. (1969): Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung. Weinheim: Beltz. Fend, H. (1995): Jugend – Risikoentwicklungen und Pädagogische Handlungsmöglichkeiten: Bericht des Fachbereichs Pädagogische Psychologie I, Forschungsbereich ‚Bildungssystem und Humanentwicklung’: Universität Zürich, Pädagogisches Institut. Fergusson, D. M., Lynskey, M. T. und J. Horwood (1995): Truancy in Adolescence. In: New Zealand Journal of Educational Studies 30, 25-37. Finch, F. H. und C. L. Nemzek (1935): Attendance and achievement in high school. In: School and Society 41, 207-208. Fogelman, K. und K. Richardson (1974): School attendance: Some results from the National Child Development Study. In: B. Turner (Hg.): Truancy. London: Ward Lock Educational, 29-51. Fogelman, K. (1978): School Attendance, Attainment and Behaviour. In: British Journal of Educational Psychology 48, 148-158. Fogelman, K., Tibbenham, A. und L. Lambert (1980): Absence from School: Findings from the National Child Development Study. In: L. Berg und I. Hersov (Hg.): Out of school: modern perspectives in truancy and school refusal. New York: John Wiley and Sons, 25-49. Fornell, C. und D. F. Larcker (1981): Evaluating Structural Equation Models with Unobservable Variables and Measurement Error. In: Journal of Marketing Research 18, 39–50. Freud, S. (1972): Abriß der Psychoanalyse: Das Unbehagen in der Kultur. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Friedrichs, J. (1997): Normenpluralität und abweichendes Verhalten. Eine theoretische und empirische Analyse. In: W. Heitmeyer (Hg.): Was treibt die Gesellschaft auseinander? Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft. Band 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 473–504. Frings, R. (2004): Schulabsentismus und Delinquenz: Eine theoretische und empirische Analyse. Magisterarbeit, Forschungsinstitut für Soziologie, Universität zu Köln. Froese, L. und W. Krawietz (1968): Deutsche Schulgesetzgebung. Weinheim: Beltz. Fuchs, M., Lamnek, S., Luedtke, J. und N. Baur (2005): Gewalt an Schulen. Wiesbaden: VS-Verlag. Galloway, D. (1976): Size of School, Socio-Economic Hardships, Suspensionrates and Persistent and Unjustified Absence from School. In: British Journal of Educational Psychology 46, 4047. Galloway, D. (1982): A Study of Persistent Absentees and their Families. In: British Journal of Educational Psychology 52, 319-330. Galloway, D. (1985): Schools and persistent absentees. Oxford: Pergamon Press.

299

Galloway, D., Martin, R. und B. Wilcox (1985): Persistent absence from school and exclusion from school: the predictive power of school and community variables. In: British Educational Research Journal 11, 51-61. Ganter-Bührer, G. (1991): Wenn Kinder Nein zur Schule sagen. Zürich: pro juventute. Ganzeboom, H. B. G. und D. J. Treiman (1996): Internationally Comparable Measures of Occupational Status for the 1988 International Standard Classification of Occupations. In: Social Science Research 25, 201-239. Ganzeboom, H. B. G., DeGraaf, P. M., Treiman, D. J. und J. De Leeuw (1992): A standard International Socio-Economic Index of Occupational Status. In: Social Science Research 21, 1-56. Garcia-Coll, C. (1990): Developmental Outcome of Minority Infants: A process-oriented look into our beginnings. In: Child Development 61, 270-289. Garcia-Coll, C., Lamberty, G., Jenkins, R., McAdoo, H. P., Crnic, K., Wasik, B. H. und V. Garcia (1996): An Integrative Model for the Study of Developmental Competencies in Minority Children. In: Child Development 67, 1891-1914. Gaupp, N. und F. Braun (2006): Schulschwänzen, Problembelastungen und Übergangsverläufe von der Schule in die Berufsausbildung. In: A. Dessecker (Hg.): Jugendarbeitslosigkeit und Kriminalität. Wiesbaden: Kriminologische Zentralstelle, 99-116. Geismar, L. L. und K. Wood (1986): Family and Delinquency: Resocializing the Young Offender. New York: Human Sciences Press Inc. Geißler, R. (1996): Die Sozialstruktur Deutschlands. Ein Studienbuch zum sozialstrukturellen Wandel im geteilten und vereinten Deutschland. Opladen: Westdeutscher Verlag. Gill, P. E. (1977): Interaction Effects and Absence from School. In: Scandinavian Journal of Educational Research 21, 147-156. Ginott, H. G. (1965): Mental Disorders. In: B. Wolmann (Hg.): Handbook of Clinical Psychology. New York: Mc Graw Hill, 1094-1118. Gloger-Tippelt, G. (2002): Kindheit und Bildung. In: R. Tippelt (Hg.): Handbuch Bildungsforschung. Opladen: Leske und Budrich, 477-494. Glueck, S. und E. Glueck (1950): Unraveling Juvenile Delinquency. London: Oxford University Press. Glueck, S. und E. Glueck (1963): Jugendliche Rechtsbrecher. Stuttgart: Enke Verlag. Glueck, S. und E. Glueck, E. (1957): Working mothers and delinquency. In: Mental Hygiene 41, 327-352. Goldberg, M. E. (1999): Truancy and dropout among Cambodian students: Results from a comprehensive high school. In: Social Work in Education 21, 49-63. Goode, W. J. (1966): Die Struktur der Familie. 2. Auflage. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag. Göthlich, S. E. (2007): Zum Umgang mit fehlenden Daten in großzahligen empirischen Erhebungen. In: S. Albers, D. Klapper, U. Konradt, A. Walter und J. Wolf (Hg.): Methoden der empirischen Forschung. Wiesbaden: Gabler, 119-134. Gove, W. R. und R. D. Crutchfield (1982): The family and juvenile delinquency. In: The Sociological Quarterly 23, 301-319. Graham, J. W., Cumsille, P. E. und E. Elek-Fisk (2003): Methods for handling missing data. In: J. A. Schinka, W. F. Velicer und I. B. Weiner (Hg.): Research Methods in Psychology. New York: John Wiley and Sons, 87-114. Graham, J. (1998): Promoting a Less Criminal Society: What Works in preventing Criminality. In: P. Goldblatt und C. Lewis (Hg.): Reducing offending: an assessment of research evidence on ways of dealing with offending behaviour. London: Home Office Research Study 187, 7-22. Graham, J., Hofer, Scott, M., Piccinin, A. (1994): Analysis with Missing Data in Drug Prevention Research: Advances in Data Analysis for Prevention Intervention Research. In: L. M. Collins, L. Seitz und A. Larry (Hg.): Research Monograph No. 142 NIDA (National Institute of Drug Abuse), Washington: U.S. Government Printing Office, 13-36.

300

Gray, G., Smith, A. und M. Rutter (1980): School attendance and the first year of employment. In: L. Hersov und I. Berg (Hg.): Out of school: modern perspectives in truancy and school refusal. New York: John Wiley and Sons, 343-370. Grimshaw, R. H. und J. D. Pratt (1986): Counting the absent scholars: some implications for managerial practice arising from a survey of absenteeism in a city's secondary schools. In: School Organization 6, 155-173. Gukenbiehl, H. L. (1979): Die Familie als primärer Sozialisationsraum. In: H. L. Gukenbiehl (Hg.): Felder der Sozialisation: Sozialwissenschaftliche Beiträge zum Studium pädagogischer Berufe. Braunschweig: Westermann, 101-217. Habermalz, W. (2002): Geldbuße und Schulzwang - die andere Seite der Schulpflicht. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens 49, 218-224. Hagan, F. E. und M. B. Sussman (1988): Deviance and the Family: Where have we been and where are we going? In: F. E. Hagan und M. B. Sussmann (Hg.): Deviance and the Family. New York/London: The Haworth Press, 1-22. Hagan, J., Gillis. A. R. und J. Simpson (1987). Class in the Household: A Power-Control Theory of Gender and Delinquency. In: American Journal of Sociology 92, 788-816. Hagborg, W. J. (1989): A Study of Persistent Absenteeism and Severly Emotionally Disturbed Adolescents. In: Behavioral Disorders 15, 50-56. Hallfors, D., Vevea, J. C., Iritanis, B. Cho, H. Kharapoush, S. und L. Saxe (2002): Truancy, GPA and sexual activity: A meta-analysis of risk indicators for youth substance use. In: Journal of School Health 72, 205-211. Hanifan, L. J. (1920): The Community Center. Boston: Silver, Burdett and Company. Harachi, T. (1998): A review of predictors of youth violence. In R. Loeber und D. P Farrington (Hg.): Serious and violent juvenile offenders. Thousand Oaks, Ca: Sage, 30-46. Harbison, J. J. M. und N. Caven (1977): Persistent School Absenteeism in Northern Ireland: results of a survey conducted during the spring term 1977. Belfast: Policy, Planning and Research Unit, Department of Financy for the Department of Education, Northern Ireland. Häring, H. G. (2001): Schulvermeidendes Verhalten von Schülerinnen und Schülern. In: H. G. Häring und W. Kowalczyk (Hg.): Sozialpsychologie Konkret: Einführung in Handlungsfelder und Methoden. Neuwied: Luchterhand, 112-120. Hawkins, J. D., Herrenkohl, T., Farrington D. P., Brewer, D., Catalano, R. F. und T. W. Harachi (1998): A review of predictors of youth violence. In: R. Loeber und D. P. Farrington (Hg.): Serious and violent juvenile offenders. Sage: Thousand Oaks, 106-146. Haynie, D. L. und S. J. South (2005): Residential Mobility and Adolescent Violence. In: Social Forces 84, 361-374. Healy, W. (1915): The Individual Delinquent. London: Heinemann. Henggeler, S. W. (1989): Delinquency in adolescence. Newbury Park, CA: Sage. Henseler, J. (2006): Das Wechselverhalten von Konsumenten am Strommarkt: Eine empirische Untersuchung direkter und moderierender Effekte. Wiesbaden: DUV. Hersov, L. A. und I. Berg (1980): Out of school: modern perspectives in truancy and school refusal. New York: John Wiley and Sons. Hersov, L. A. (1960): Persistent non attendance at school. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 130-136. Hersov, L. A. (1960): Refusal to go to school. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry 1, 137-145. Herwartz-Emden, L. und A. Decker (1978): Schulschwänzen. In: Die Deutsche Schule 4, 243-247. Hetherington, M., Cox, M. und R. Cox (1982): Effects of divorce on parents and children. In: M. Lamb (Hg.): Nontraditional families: Parenting and child development. Hillsdale: Lawrence Erlbaum, 233-288.

301

Hibbett, A. und K. Fogelman (1990): Future Lives of Truants: Family Formation and Health-Related Behaviour. In: British Journal of Educational Psychology 60, 171-179. Hibbett, A., Fogelman, K. und O. Manor (1990): Occupational outcomes of truancy. In: British Journal of Educational Psychology 60, 23–36. Hildebrandt, L. und D. Temme (2006): Probleme der Valisierung mit Strukturgleichungsmodellen. Discussion Paper 2006-082. Insitute of Marketing. Humboldt-Universität zu Berlin. http://sfb649.wiwi.hu-berlin.de/papers/pdf/SFB649DP2006-082.pdf (Stand 19.09.2008) Hildeschmidt, A., Meister, H., Sander, A. und E. Schorr (1979): Unregelmäßiger Schulbesuch. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. Hill, P. B. und J. Kopp (2006): Familiensoziologie: Grundlagen und theoretische Perspektiven. 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag. Hindelang, M. J., Hirschi, T. und J. G. Weis, J. G. (1981): Measuring delinquency. Beverly Hills, CA: Sage Publications. Hirschi, T. (1969): Causes of Delinquency. Berkeley: University of California Press. Hirschi, T. (1979): Separate and unequal is better. In: Journal of Research in Crime and Delinquency 16, 34-38. Hirschman, A. O. (1970): Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States. Cambridge, MA: Harvard University Press. Hofferth, S. L. (2003): Race/Ethnic Differences in Father Involvement in Two-Parent Families. In: Journal of Family Issues 24, 185-216. Hoffmann, J. P. und R. A. Johnson (1998): A National Portrait of Family Structure and Adolescent Drug Use. In: Journal of Marriage and the Family 60, 633-645. Holmbeck, G. N. (1997): Toward terminological, conceptual, and statistical clarity in the study of mediators and moderators: Examples from the child-clinical and pediatric psychology literatures. In: Journal of Consulting and Clinical Psychology 65, 599-610. Holtappels, H. G. und S. Hornberg (1997): Schulische Desorganisation und Devianz. In: W. Heitmeyer (Hg.): Was treibt die Gesellschaft auseinander? Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft. Band 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 328– 367. Homburg, C. und A. Giering, Annette (1996): Konzeptualisierung und Operationalisierung komplexer Konstrukte: Ein Leitfaden für die Marketingforschung. In: Marketing Zeitschrift für betriebwirtschaftliche Forschung 18, 5-24. Homburg, C. und H. Baumgartner (1995): Beurteilung von Kausalmodellen – Bestandsaufnahme und Anwendungsempfehlungen. In: Marketing ZfP 17, 162-176. Hradil, S. (2001): Soziale Ungleichheit in Deutschland, 8. Auflage, Opladen: Leske und Budrich. Hu, L. und P. M. Bentler (1999): Cutoff criteria for fit indexes in covariance structure analysis: Conventional criteria versus new alternatives. In: Structural Equation Modeling 6, 1-55. Hu, L., und P. M. Bentler (1995): Evaluating model fit. In: R. H. Hoyle (Hg.): Structural equation modeling: Concepts, Issues and Applications. Thousand Oaks, CA: Sage, 76-99. Hübscher, G. (1968): Frequenzen und Ursachen von Schulversäumnissen. In: Zeitschrift für Präventivmedizin 13, 293-302. Huizinga, D. und C. Jakob-Chien (1998): The contemporaneous co-occurrence of serious and violent juvenile offending and other problem behaviours. In: R. Loeber und D. P Farrington (Hg.): Serious and violent juvenile offenders. Thousand Oaks, CA Safe, 47-67. Huizinga, D. (2005): Effects of Neighborhood and Family Structure on Violent Victimization and Violent Delinquency: A Report of the Denver Youth Study. http://www.ncjrs.gov/pdffiles1/ojjdp/grants/216000.pdf (Stand 01.09.2008). Huizinga, D., Loeber, R. und T. P. Thornberry (1994): Urban delinquency and substance abuse: Initial findings, Office of Juvenile Justice and Delinquency Prevention (OJJDP). Hurrelmann, K. (1998): Einführung in die Sozialisationstheorie. Weinheim, Basel: Beltz.

302

Hurrelmann, K., Rosewitz, B. und H. K Wolf (1985): Lebensphase Jugend. Weinheim, München: Juventa. ISTD, Scotland (1974): Truancy in Glasgow. In: British Journal of Criminology 14, 248-259. Jahn, S. (2007): Strukturgleichungsmodelle mit LISREL, AMOS und SmartPLS, Technische Universität Chemnitz, Der Daten der Fakultät der Wirtschaftswissenschaften (Hg.), www.tuchemnitz.de/wirtschaft/ (Stand 07.07.2008). Jessor, R. und S. Jessor (1973): The Perceives Environment in Behavioral Science: Some Conceptual Issues and Some Illustrative Data. In: American Behavioral Scientist 16, 801-828. Johnson, A., Falstein, E., Szursk, S. und M. Svendsen (1941): School Phobia. In: American Journal of Orthopsychiatry 11, 702-711. Johnson, G. (1967): Delinquent Boys, their Parents and Grandparents. Copenhagen: Munskgaard. Jöreskog, K. G.und D. Sörbom (1982): Recent Developments in Structural Equation Modeling. In: Journal of Marketing Research 19, 404-416. Jungbauer-Gans, M. (2004): Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz. In: Zeitschrift für Soziologie 33, 375-397. Kähler, W. M. (1998): SPSS für Windows: Eine Einführung in die Datenanalyse für die aktuelle Version. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg. Kaiser, H. (1983): Schulversäumnisse und Schulangst. Frankfurt a.M.: Lang. Kampshoff, M. (2007): Geschlechtsdifferenz und Schulleistung: Deutsche und englische Studien im Vergleich. Wiesbaden: VS Verlag. Kandel, D. (1975): Reaching the Hard-to-Reach: Illicit Drug Use among High School Absentees. In: Addictive Diseases 1, 465-480. Kandel, D., Raveis, V. H. und P. I. Kandel (1984): Continuity in Discontinuities: Adjustment in Young Adulthood of former School Absentees. In: Youth and Society 15, 325-352. Kaufmann, X.-F. (1990): Zukunft der Familie. München: C. H. Beck. Kee, T. T. S. (2001): Attributional Style and School Truancy. In: Early Child Development and Care 169, 21-38. Kell, A. (1973): Schulverfassung: Thesen, Konzeptionen, Entwürfe. München: Kössel. Kelly, B. T., Loeber, R., Keenan, K. und M. Delamatre (1997): Developmental Pathways in Boys’ Disruptive and Delinquent Behavior. Juvenile Justice Bulletin, OJJDP, December 1997. Klauer, K. J. (1963): Das Schulbesuchsverhalten von Volks- und Hilfsschulkindern. Ratingen: Henn. Kline, L. W. (1898): The Migratory Impulse versus the Love of Home. In: The American Journal of Psychology 10, 1-81. Kline, R. B. (1998): Principles and practice of structural equation modeling. New York: Guilford. Kohlberg, L. (1974): Zur kognitiven Entwicklung des Kindes: Drei Aufsätze. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Kohn, M. L. (1969): Class and Conformity: A Study in Values. Chicago: Chicago University Press. König, R. (1976) [1946]: Materialien zur Soziologie der Familie. Bern: Francke. Krappmann, L. (1998): Sozialisation in der Gruppe der Gleichaltrigen. In: K. Hurrelmann und D. Ulich (Hg.): Handbuch der Sozialisationsforschung. Weinheim, Basel: Beltz, 355-374. Krüger, R., Claaß, H. und V. Speck (1972): Wer schwänzt warum die Schule? In: Die SchleswigHolsteinische Schule 26, 156-159. Kytömäki, J. (1998): Parental Control and Regulation of Schoolchildren's Television Viewing. In: Nordicom Review 19, 49-62. Lamdin, D. J. (1996): Evidence of student attendance as an independent variable in Education production functions. In: Journal of Educational Research 89, 155-162. Lamnek, S. (1982): Sozialisation und kriminelle Karriere: Befunde aus zwei Erhebungen. In: H. Schüler-Springorum (Hg.): Mehrfach auffällig: Untersuchungen zur Jugendkriminalität. München: Juventa, 13-85.

303

Lamnek, S. (1985): Wider den Schulzwang. Ein sekundäranalytischer Beitrag zur Delinquenz und Kriminalisierung Jugendlicher. München: Wilhelm Fink. Lamnek, S. (2001): Theorien abweichenden Verhaltens. Eine Einführung für Soziologen, Psychologen, Juristen, Politologen, Kommunikationswissenschaftler und Sozialarbeiter. 7. Auflage. München: Wilhelm Fink Verlag. Lareau, A. (1996): Assessing parental involvement in schooling. In: A. Booth und J. F. Dunn (Hg.): Family-school links: How do they affect educational outcomes? New Jersey: Lawrence Erlbaum, 57-69. Larzelere, R. E. und G. R. Patterson (1990): Parental management: Mediator of the effect of socioeconomic status on early delinquency. In: Criminology 28, 301-324. Latzko, G. und J. M. Fegert (1991): Schulphobie. In: M. Beck, G. Brückner und H.-U. Thiel (Hg.): Psychosoziale Beratung. Tübingen: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie, 93-110. Lee, M. I. und R. Miltenberg (1996): School Refusal Behavior: Classification, Assessment, and Treatment Issues. In: Education and Treatment of Children 19, 474-486. Lee, S. A. (1993): Family Structure Effects on Student Outcomes. In: B. Schneider, und J. S. Coleman (Hg.): Parents, Their Children, and School. Boulder: Westview Press, 43-75. Leitenberg, H. und H. Satzman (2000): A Statewide Survey of Age at First Intercourse for Adolescent Females and Age of Their Male Partners: Relation to Other Risk Behaviors and Statutory Rape Implications. In: Archives of Sexual Behavior 29, 203-215. Lemert, E. M. (1964): Social structure, social control, and deviation. In: M. B. Clinard (Hg.): Anomie and Deviant Behavior. Glencoe: The Free Press, 57-98. Lempers, J. D., Clark-Lempers, D. und R. L. Simons (1989): Economic Hardship, Parenting, and Distress in Adolescence. In: Child Development 60, 25-39. Letz, D. (1962): Das Fehlen in der Schule. Dissertation, Medizinische Fakultät: HumboldtUniversität zu Berlin. Levanto, J. (1975): High School Absenteeism. In: National Association of Secondary School Principals Bulletin 59, 100-104. Levine, R. S. (1984): An Assessment Tool for Early Intervention in Cases of Truancy. In: Social Work in Education 6, 133-150. Liska, A. E. und M. D. Reed (1985): Ties to conventional institutions and delinquency: Estimating reciprocal effects. In: American Sociological Review 50, 547-560. Little, L. F. und R. Thompson (1983): Truancy: How Parents and Teachers Contribute. In: The School Counselor 30, 292-298. Little, L. F. (1986): Gestalt therapy with parents when a child is presented as the problem. Family Relations 35, 489-496. Little, R. J. A. und D. B. Rubin (2002): Statistical Analysis with Missing Data. New York: John Wiley. Loeber, R. und D. P. Farrington (1998): Never too early, never too late: Risk factors and successful interventions for serious violent juvenile offenders. In: Studies on Crime and Crime Prevention 7, 7-30. Loeber, R. und D. P. Farrington (2001): Child Delinquents: Development, Intervention, and Service Needs. Thousand Oaks, Californien: Sage Publications. Loeber, R. und M. LeBlanc (1990): Toward a developmental criminology. In: An Annual Review of Research 12, 375-437. Loeber, R. und M. Stouthamer-Loeber (1986): Family Factors as Correlates and Predictors of Juvenile Conduct Problems and Delinquency. In: M. Tonry und N. Morris (Hg.): Crime and Justice: An Annual Review of Research, Vol. 7. Chicago: University of Chicago Press, 29-149. Loeber, R. und T. Dishion (1983): Early predictors of male delinquency: A review. In: Psychological Bulletin 94, 68-99.

304

Longmore, M. A., Manning, W. D. und P. C. Giordano (2001): Preadolescent Parenting Strategies and Teens' Dating and Sexual Initiation: A Longitudinal Analysis. In: Journal of Marriage and Family 63, 322-335. Lösel, F. und P. Linz (1975): Familiale Sozialisation von Delinquenten. In: A. Abele, S. Mitzlaff, und W. Nowack (Hg.): Abweichendes Verhalten: Erklärungen, Scheinerklärungen und praktische Probleme. Stuttgart: frommmann-holzboog, 181-204. Lösel, F. (1995): Entwicklung und Ursachen von Gewalt in unserer Gesellschaft. In: Gruppendynamik 26, 5-22. Lotz, R. und L. Lee (1999): Sociability, School Experience, and Delinquency. In: Youth and Society 31, 199-223. Luhmann, N. (2002): Einführung in die Systemtheorie. Baecker, D. (Hg.). Heidelberg: Auer Verlag. Lynn, P., Nicholaas, G. und L. Pitson (2000): Scotland’s Young People in 1999: Findings from the Scottish School Leaver Survey. Prepared for The Scottish Executive Education Department and Enterprise and Lifelong Learning Department. http://www.scotland.gov.uk/Resource/Doc/57346/0016523.pdf (Stand 19.09.2008) Lytton, H. und D. M. Rommy (1991): Parents’ differential socialization of boys and girls: A metaanalysis. In: Psychological Bulletin 109, 267-296. Maccobby, E. F. (1958): Children and Working Mothers. In: Children 5, 83-89. Maccoby, E. und J. A Martin (1983): Socialization in the context of the family: Parent-child interaction. In: E. M. Hetherington (Hg.): Handbook of child psychology: Socialization, personality and social development. Vol. 4. New York: Wiley, 1-102. Maccoby, E. und J. A. Martin (1983): Socialization and the context of the family: Parent-child interaction. In: P. Mussen und E. M. Hetherington (Hg.): Handbook of Child Psychology, Vol. 4: Socializaion, personality and social development. New York: Wiley, 1-101. Malcom, H., Wilson, V., Davidson, J. und S. Kirk (2003): Absence from School: A study of its causes and effects in seven LEAs. The SCRE Centre, Research Report RR424: University of Glasgow. Malmquist, C. P. (1965): School Phobia: a problem in family neurosis. In: Journal of Child Psychiatry 4, 293-319. Marschalck, P. (1983): Aus der Geborgenheit in die Isolation? Die Beurteilung moderner Familienstrukturen aus sozialhistorischer Sicht. In: S. Rupp und K. Schwarz (Hg.): Beiträge aus der bevölkerungswissenschaftlichen Forschung. Boppard am Rhein: Boldt, 455-457. Martin, M. J. und J. Walters (1982): Familial Correlates of Selected Types of Child Abuse and Neglect. In: Journal of Marriage and the Family 44, 267-276. Matherene, M. M. und A. Thomas (2001): Family Environment as a Predictor of Adolescent Delinquency. In: Adolescence 36, 654-664. Matsueda, R. L. (1982): Testing Control Theory and Differential Association: A Causal Modeling Approach. In: American Sociological Review 47, 489-504. Mattejat, F. (1981): Schulphobie. Klinik und Therapie. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 30, 292-298. May, D. (1975): Truancy, School Absenteeism and Delinquency. In: Scottish Educational Studies 7, 97-107. Mayntz, R. (1955): Die moderne Familie. Stuttgart: Enken. McAra, L. (2004): Truancy, School Exclusion and Substance Misuse: The Edinburgh Study of Youth Transitions and Crime. Center for Law and Society, Edinburgh. McCaughlin, T. F. und E. F. Vachu (1992): The at-risk student: A proposal of action. In: Journal of Instructional Psychology 19, 66-68. McCluskey, C. P., Bynum, T. S. and J. W. Patchin (2004): Reducing Chronic Absenteeism: an Assessment of an Early Truancy Initiative. In: Crime and Delinquency 50, 214-234.

305

McCord, J. und M. E. Ensminger (1997): Multiple Risks and comorbidity in an African American population. In: Criminal Behaviour and Mental Health 7, 339-352. McCord, J. (1991): Family Relationships, Juvenile Delinquency, and Adult Criminality. In: Criminology 29, 397-414. McCord, W, McCord, J. und I. K. Zola (1959): Origins of Crime. New York: Columbia University Press. McGuinness, G. und E. Jardine. (1984): The Personal, Social and Family Characteristics of Persistent Non-Attenders in Northern Ireland: Results of a Survey Conducted during the Spring Term, 1982. Bangor: DENI: Prepared by the Policy Planning and Research Unit (PPRU) and the Professional Educational Development Division (PEDD) of the Department of Education. McKelvey, R. D. und W. A. Zavoina (1975): A Statistical Model for the Analysis of Ordinal Level Dependent Variables. In: Journal of Mathematical Sociology 4, 103-120. McLanahan, S. und K. Booth (1989): Mother-Only Families: Problems, Prospects, and Politics. In: Journal of Marriage and the Family 51, 557-580. McLoyd, V. C. (1990): The impact of economic hardship on black families and children: Psychological distress, parenting, and socioeconomic development. In: Child Development 61, 311346. McNeal, R. B. (1999): Parental Involvement as Social Capital: Differential Effectiveness on Science Achievement, Truancy, and Dropping out. In: Social Forces 78, 117-144. Mead, G. H. (1978): Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Merton, R. K. (1938): Social Structure and Anomie. In: American Sociological Review 3, 672–682. Merton, R. K. (1968): Social Theory and Social Structure. New York: The Free Press. Messner, S. F., Krohn, M. D. und A. E. Liska (1989): Theoretical Integration in the Study of Deviance and Crime: Problems and Prospects. New York: State University of New York Press. Meyer, T. (1993): Der Monopolverlust der Familie. Vom Teilsystem Familie zum Teilsystem privater Lebensformen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 45, 23-40. Mikonovic, S. (1982): Zum Diskurs über abweichendes Verhalten Jugendlicher. Das Auftreten des Schuldvorwurfes an die Familie zur Jahrhundertwende. In: H. Leirer, A. Pilgram, W. Stangl und H. Steinert (Hg.): Vom Umgang mit dem Strafrecht: 10 Jahre Kriminalsoziologie in Österreich. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 25-37. Miller, P. und M. Plant (1999): Truancy and perceived school performance: an alcohol and drug study of UK teenagers. In: Alcohol and Alcoholism 34, 886-893. Mitchell, S. und M. Shepherd (1980): Reluctance to go to School. In: L. Hersov und I. Berg (Hg.): Out of School. Chichester: Wiley, 7-27. Mitchell, S. (1972): The Absentees. In: Education in the North 9, 22-28. Moffitt, T. E. (1993): Adolescence-Limited and Life-Course-Persistent Antisocial Behavior: A Developmental Taxonomy. In: Psychological Review 100, 674-701. Montada, L. (1995): Delinquenz. In: R. Oerter und L. Montada (Hg.): Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim: Psychologie- Verlag Union, 1025-1034. Moore, G. und E. Jardine (1983): Persistent Absenteeism in Northern Ireland in 1982. Report prepared by the Social Research Division. Policy, Planning and Research Unit, Department of Finance and Personnel and the Professional Educational Development Division, Department of Education, Northern Ireland. Mortimore, P., Sammons, P., Stoll, L., Lewis, D. und R. Ecob (1988): School Matters. Wells: Open Books. Moser, T. (1970): Jugendkriminalität und Gesellschaftsstruktur. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Mueller, D. und C. Stoddard, C. (2006): Dealing with chronic absenteeism and its related consequences: The process and short-term effects of a diversionary juvenile court intervention. In: Journal of Education for Students Placed at Risk 11, 199–219.

306

Mühlfeld, C. (1976): Familiensoziologie: Eine systematische Einführung. Hamburg: Hoffmann und Campe. Müller, S. (1990): Schulschwänzen als Problemlösungsstrategie. Eine kritische Analyse der Problematik Schulschwänzen unter besonderer Berücksichtigung einer pädagogischen Zugänglichkeit. Dissertation. Berlin. Müller-Hoff, M. (1976): Das Fehlen der Kinder in Kindergarten und Schule aus sozialhygienischer Sicht. Universität Saarbrücken: Saarbrücken. Murdock, G. P. (1949): Social Structure. New York: Free Press. Muthén, L. K. und B. O. Muthén (2007): Mplus User’s Guide, Third Edition. Los Angeles, CA: Muthén. Nauck, B. (1994): Erziehungsklima, intergenerative Transmission und Sozialisation von Jugendlichen in türkischen Migrantenfamilien. In: Zeitschrift für Pädagogik 40, 43-62. Nauck, B. (2000): Eltern-Kind-Beziehungen in Migrantenfamilien – ein Vergleich zwischen griechischen, italienischen, türkischen und vietnamesischen Familien in Deutschland. In: Sachverständigenkommission 6. Familienbericht (Hg.): Familien ausländischer Herkunft in Deutschland: Empirische Beiträge zur Familienentwicklung und Akkulturation. Opladen: Leske und Budrich, 347-392. Nave-Herz, R. (2006): Ehe- und Familiensoziologie: Eine Einführung in Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde. 2. Auflage. Weinheim, München: Juventa. Neidhardt, F. (1966) [1975]: Die Familie in Deutschland. Opladen: Leske und Budrich. Neidhardt, F. (1977): Schichtspezifische Elterneinflüsse im Sozialisationsprozess. In: G. Wurzbacher (Hg.): Die Familie als Sozialisationsfaktor. Stuttgart: Enke Verlag, 275-308. Neukäter, H. und H. Ricking (1997): Absentismus und Verhaltensstörung. In: H. Goetze (Hg.): Schulische Erziehungshilfe – grenzüberschreitend. Potsdam: Universität Potsdam, 175-184. Neukäter, H. und H. Ricking (2000): Schulabsentismus. In: J. Borchert (Hg.): Handbuch der Sonderpädagogischen Psychologie. Göttingen: Hofgrefe, 814-823. Nielsen, A. und D. Gerber (1979): Psychological Aspects of Truancy in early Adolescence. In: Adolescence XIV: 313-326. Nissen, G. (1972): Schulverweigerung und Lernprotest im Kindesalter. In: Zeitschrift für Psychotherapie und medizinische Psychologie 22, 183-188. Nye, F. (1958): Family Relationships and Delinquent Behavior. New York: Wiley. Nye, F., Carlson, J. und G. Garrett (1970): Family size, interaction, affect and stress. In: Journal of Marriage and the Family 32, 216-226. O`Keeffe, D. (1993): Truancy in English Secondary Schools: A Report prepared for the DFE London. Oberwittler, D., Blank, T., Köllisch, T. und T. Naplava (2001): Soziale Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen: Ergebnisse der MPI-Schulbefragung 1999 in Köln und Freiburg (Arbeitsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht). Freiburg im Br.: edition iuscrim. Odell, C. W. (1923): The effect of attendance upon school achievement. In: Journal of Educational Research 8, 422-432. Oehme, A. und M. Franzke (2002): Schulverweigerung – Wege aus der Begriffskonfusion. In: Behindertenpädagogik 41, 67-80. Oerter, R. und E. Dreher (1998): Jugendalter, In: R. Oerter und L. Montada (Hg.): Entwicklungspsychologie. München. Beltz, 310-395. Opp, K. D. (1974): Abweichendes Verhalten und Gesellschaftsstruktur. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand. Ostner, I. und B. Pieper (1980): Arbeitsbereich Familie. Umrisse einer Theorie der Privatheit. Frankfurt a. M.: Campus.

307

Overmeyer, S., Schmidt, M. H., Blanz, B. und M. Lotz (1994): Schulverweigerung: Unterschiede zwischen der sogenannten Schulphobie und der sogenannten Schulangst. In: Pädiatrische Praxis 47, 27-36. Parsons, T. (1970): The normal American family. In: B. Meyer und A. Scourby (Hg.): Marriage and the family. New York: Random House, 193-211. Parsons, T. (1955): The American Family: Its Relations to personality and to the Social structure. In: T. Parsons und Robert F. Bales (Hg.): Family, Socialization and Interaction Process. New York: The Free Press, 3-33. Parsons, T. (1968): Sozialstruktur und Persönlichkeit. Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsgesellschaft. Patterson, G. R. und M. Stouthamer-Loeber (1984): The Correlation of Family Management and Practise and Delinquency. In: Child Development 55, 1299-1307. Patterson, G. R. (1982): Coercive family process. Eugene, OR: Castalia Publishing Company. Patterson, G. R. (1986): Performance models for antisocial boys. In: American Psychologist 41, 432-444. Patterson, G. R. (1988): Family process: Loops, levels, and linkages. In: N. Bolger, A. Caspi, G. Downey und M. Moorehouse (Hg.): Persons in context: Developmental processes. New York: Cambridge, 114-151. Patterson, G. R., DeBaryshe, B. und E. Ramsey (1989): A developmental perspective on antisocial behaviour. In: American Psychologist 44, 329-335. Patterson, G. R., Reid, J. B. und T. J. Dishion (1992): Antisocial Boys: A Social Interactional Approach. Eugene, Oregon: Castalia Publishing Company. Paulsen, F. (1906): Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung. Leipzig: Teubner. Pearson, F. S. und N. A. Weiner (1985): Toward an Integration of Crimiological Theories. In: The Jounral of Criminal Law and Criminology 76, 116-150. Peoples, J. und G. Bailey (1994): Humanity: An Introduction to Cultural Anthropology. Boulder: Westview Press. Petermann, F. und H. Scheithauer (1998): Aggressives und antisoziales Verhalten im Kindes- und Jugendalter. In: F. Petermann, M. Kusch und K. Niebank (Hg.): Entwicklungspsychopathologie. Weinheim: Beltz, 243-296. Peters, H. (1989): Kriminalität und Familie. In: R. Nave-Herz und M. Markefka (Hg.): Handbuch der Familien- und Jugendforschung, Luchterhand, 577-593. Pfeiffer. C., Mößle, T., Kleinmann, M. und F. Rehbein (2007): Die Pisa-Verlierer – Opfer ihres Medienkonsums: Eine Analyse auf Basis verschiedener empirischer Untersuchungen. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. Piaget, J. (1954): The Construction of Reality in the Child. New York: Basic Books Inc. Pieper, B. und M. Pieper (1975): Familie – Stabilität und Veränderung. München: Ehrenwirth Verlag. Pinkert, E. (1972): Schulversagen und Verhaltensstörungen in der Leistungsgesellschaft. Neuwied und Berlin: Luchterhand. Pinquart, M. und J. G. Masche (1999): Verlauf und Prädiktoren des Schuleschwänzens. In: R. K. Silbereisen and J. Zinnecker (Hg.): Entwicklung im sozialen Wandel. Weinheim: Beltz, 221 – 238. Polk, K. und W. Schafer (1972): Schools and delinquency. Englewood Cliffs, N. J.: Prentice-Hall. Preuß, E. (1978): Schulschwänzen und Schulverweigerung. In: K. J. Klauer (Hg.): Sonderpädagogik in allgemeinen Schulen. Berlin: Mathold, 164-173. Pribesh, S. und D. B. Downey (1999): Why are Residential and School Moves Associated with Poor School Performance? In: Demography 36, 521-534.

308

Prichard, C., Cotton, A. und M. Cox (1992): Truancy and illegal drug use, and knowledge of HIVinfection in 932 14-16-year-old adolescents. In: Journal of Adolescence 15, 1-17. Pusztai ,G. (2006): Community and Social Capital in Hungarian Denominational Schools Today. Religion and Society in Central and Eastern Europe, Volume I. http://rs.as.wvu.edu/pusztai.htm (Stand 13.09.2008). Raffe, D. (1986): Unemployment and School Motivation: the case of truancy. In: Educational Review 38, 11-19. Rankin, J. H. (1983): The Family Context of Delinquency. In: Social Problems 30, 466-479. Rechberger, R. (1979): Schulschwänzen an berufsbildenden höheren kaufmännischen Schulen (Handelsakademien). Unveröffentlichte Diplomarbeit, Linz. Reid, K. (1983): Retrospection and persistent school absenteeism. In: Educational Research 25, 110115. Reid, K. (1982): The Self-Concept and Persistent School Absenteeism. In: British Journal of Educational Psychology 52, 179-187. Reid, K. (1985): Truancy and school absenteeism. London: Hodder and Stoughton. Reiss, A. J. (1951): Delinquency as the failure of personal and social control. In: American Sociological Review 16, 196-207. Reißig, B. (2001): Schulverweigerung – ein Phänomen macht Karriere: Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung bei Schulverweigerern. Arbeitspapier 5/2001. Arbeitspapiere aus dem Forschungsschwerpunkt Übergänge in Arbeit. München/Leipzig: Deutsche Jugendinstitut. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ricking, H. und H. Neukäter (1997): Schulabsentismus als Forschungsgegenstand. In: Heilpädagogische Forschung XXIII, 50-70. Ricking, H. (2003): Schulabsentismus als Forschungsgegenstand. Oldenburg: bis. Robins, L. N., Ratcliff, K. und P. A. West (1979): School Achievement in Two Generations: A Study of 88 Urban Black Families. In: S. J. Shamsie (Hg.): New Directions in Childrens Mental Health. SP Medical and Scientific Books, 105-129. Robins, L. und K. Ratcliff (1980): The Long-Term Outcome of Truancy. In: Hersov, L. und I. Berg (Hg.): Out of school: modern perspectives in truancy and school refusal. New York: John Wiley, 65-84. Rodney, L. W., Rodney, H.E. und R.M. Mupier (1999): Variables contributing to grade retention among African American adolescent males. In: The Journal of Educational Research 92, 185– 190. Rohrschneider, L. (2007): Behandlung fehlender Werte. Diplomarbeit, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin. http://edoc.hu-berlin.de/master/rohrschneider-lars-2007-07-23/PDF/rohrschneider.pdf (Stand 13.09.2007) Rolff, H. G. (1997): Sozialisation und Auslese durch die Schule. München: Juventa. Rosen, L. und K. Neilson (1978): The Broken Home and Delinquency. In: D. Savitz und N. Johnston (Hg.): Crime in Society. New York: John Wiley and Sons, 406-415. Rosen, L. (1985): Family and Delinquency: Structure or Function? In: Criminology 23, 553-573. Rothman, S. (2001): School absence and student background factors: A multilevel analysis. In: International Educational Journal 2, 59-68. Rubin, Donald B. (1976): Inference and Missing Data. In: Biometrika 63, 581-592. Rumberger, R. W. (1995): Dropping Out of Middle School: A Multilevel Analysis of Students and Schools. In: American Educational Research Journal 32, 583-625. Rutter M. und H. Giller (1983): Juvenile delinquency: Trends and perspectives. New York: Guilford. Rutter, M., Giller, H. und A. Hagell (1998): Antisocial Behavior by Young People. Cambridge: Cambridge University Press.

309

Rutter, M., Maughan, B., Martinare, P., Ouston, J. und A. Smith (1979): Fifteen Thousand Hours: Secondary Schools and Their Effects on Pupils. London: Open Books. Sampson, R. J. und J. H. Laub (1988): Unraveling Families and Delinquency: A Reanalysis of the Gluecks’ Data. In: Criminology 26, 355-380. Sampson, R. J. und J. H. Laub (1994): Urban Poverty and the Family Context of Delinquency: A New Look at Structure and Process in a Classic Study. In: Child Development 65, 523-540. Sampson, R. J. (1997): The Embeddedness of Child and Adolescent Development: A Neighborhood-Level Perspective on Urban Violence. In: J. McCord (Hg.): Violence and Childhood in the Inner City. Cambridge: University Press, 31-77. Sampson, R. und J. H. Laub (1993): Crime in the Making. Cambridge and London: Harvard University Press. Sander, A. (1979): Das Problem der Schulversäumnisse. In: A. Hildeschmidt, H. Meister, A. Sander und E. Schorr (Hg.): Unregelmäßige Schulbesuche. Weinheim: Beltz, 15-67. Sanders, M. G. (1998): The Effect of School, Family, and Community support on the Academic Achievement of African-American Adolescents. In: Urban Education 33, 385-409. Schäfers, B. (1998): Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland. Stuttgart: Enken. Schermelleh-Engel, K. und C. Werner (2007): Einführung in die Analyse von Strukturgleichungsmodellen mit LISREL. Freisetzen und Fixieren von Parametern. Studienskript. http://user.unifrankfurt.de/~cswerner/sem/free_fix.pdf (Stand 12.09.2007) Scheuch, E. K. (1960): Family cohesion in leisure time. In: Sociological Review 8, 37-61. Schmidt, U. (2002): Deutsche Familiensoziologie: Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Schneewind, K. A. (1991): Die Familie als Kontext individueller Entwicklung. In: A. Engfer, B. Minsel und S. Walper (Hg.): Zeit für Kinder! Kinder in Familie und Gesellschaft. Weinheim: Beltz, 160-178. Schneewind, K. A. (1998): Familien zwischen Rhetorik und Realität: Eine familienpsychologische Perspektive. In: K. A. Schneewind und L. Rosenstiel (Hg.): Wandel der Familie. Göttingen: Hogrefe, 9-35. Schneider, H. J. (1993): Einführung in die Kriminologie. Berlin, New York: de Gruyter. Schnell, R., Hill, P. B. und E. Esser (1999): Methoden der empirischen Sozialforschung. München/Wien: Oldenbourg Verlag. Schreiber-Kittl, M. und H. Schröpfer (2002): Abgeschrieben? Ergebnisse einer empirischen Untersuchung über Schulverweigerung. Opladen: Leske und Budrich. Schultz, R. M. (1987): Truancy Issues and Interventions. In: Behavioral Disorders 12, 117-130. Schulze, G. und M. Wittrock (2000): Handlungskonzepte im Umgang mit schulaversiven/schulabsenten Schülern – Konsequenzen und Anregungen für schulische und außerschulische Einrichtungen. Vierteljahreszeitschrift für Heilpädagogik und ihre Nebengebiete (VHN) 69, 390-396. Schulze, G., Ricking, H. und M. Wittrock (2000): Gefährdung durch Schulabsentismus? Die Wechselwirkung von Schulschwänzen, Lernbeeinträchtigung und Verhaltensstörungen - Problembeschreibung und schulbezogene Interventionsstrategien. In: S. Rolus-Borgward, U. Tänzer und M. Wittrock (Hg.): Beeinträchtigung des Lernens und/oder des Verhaltens - Unterschiedliche Ausdrucksformen für ein gemeinsames Problem. Oldenburg: Universität Oldenburg. Didaktisches Zentrum, 273-286. Scottish Association for the Study of Delinquency (SASD) (1977): A study in truancy, Edinburgh: SASD. Seifge-Krenke, I. (1984): Formen der Problembewältigung bei besonders belasteten Jugendlichen. In: E. Olbrich und E. Todt (Hg.): Probleme des Jugendalters: Neuere Sichtweisen. Berlin: Springer, 353-386.

310

Shaw, C. R. und H. D. McKay (1972): Juvenile Delinquency and Urban Areas. Chicago: The University of Chicago Press. Shaw, C. und H. D. McKay (1932): Are Broken Homes a Causative Factor in Juvenile Delinquency? In: Social Forces 10, 514-524. Shek, D. und T. L. Lee (2007): Family Life Quality and Emotional Quality of Life in Chinese Adolescents with and Without Economic Disadvantage. In: Social Indicators Research 80, 393410. 15. Shell Jugendstudie (2006): Jugend 2006: Eine pragmatische Generation unter Druck. Shell Deutschland Holding (Hg.). Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Shoemaker, D. J. (2000): Theories of Delinquency. New York: Oxford University Press. Short, J. F. und F. I. Nye (1968): Erfragtes Verhalten als Indikator für abweichendes Verhalten. In: F. Sack und R. König (Hg.): Kriminalsoziologie. Frankfurt a.M.: Akademische Verlagsgesellschaft, 60-73. Short, J. F. (1979): On the Etiology of Delinquent Behaviour. In: Journal of Research on Crime and Delinquency 16, 28-33. Simon, T. und S. Uhlig, (2002): Schulverweigerung: Muster - Hypothesen – Handlungsfelder. Wiesbaden: VS Verlag. Smith, D. J. (2006): School Experience and Delinquency at Ages 13 to 16: Edinburgh Study of Youth Transitions and Crime, No. 13. Centre for Law and Society. The University of Edinburgh. Snyder, J., und G. Patterson (1987): Family interaction and delinquent behavior. In: H. C. Quay (Hg.): Handbook of Adolescent Delinquency. New York: Wiley, 216-243. So, A. Y. (1992): The black Schools. In: Journal of Black Studies June 22, 523-531. Sommer, B. (1985a): Truancy in Early Adolescence. In: Journal of Early Adolescence 5, 15-160. Sommer, B. (1985b): What’s Different about Truants? A comparison Study of Eight-Graders. In: Journal of Youth and Adolescence 14, 411-422. South, J. S. und E. P. Baumer (2000): Deciphering Community and Race effects on Adolescent Premarital Childbearing. In: Social Froces 78, 1379-1408. Stanat, P. et al. (2002): PISA 2000: Die Studie im Überblick. Grundlagen- Methoden und Ergebnisse. Berlin: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Stattin, H. und D. Magnusson (1996): Antisocial behavior: A holistic approach. In: Development and Psychopathology 8, 617-645. Steifge-Krenke, I. (1984): Formen der Problembewältigung bei besonders belasteten Jugendlichen. In: E. Olbrich und E. Todt (Hg.): Probleme des Jugendalters. Neuere Sichtweisen. Berlin: Springer, 353-386. Steinkamp, G. (1980): Klassen- und schichtenanalytische Ansätze in der Sozialisationsforschung. In: K. Hurrelmann et al. (Hg.): Handbuch der Sozialisationsforschung. Weinheim: Beltz, 253284. Sturzbecher, D. und P. Dietrich (1993): Schulverweigerung von Jugendlichen in Brandenburg. Potsdam. Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung e.V. an der Universität Potsdam. Sutherland, A. E. (1995): Persistent School Absenteeism in Northern Ireland in 1992. Belfast: NICER Research Unit, School of Education, The Queen’s University of Belfast. Sutherland, A. und N. Purdy (2006): Attitudes of the socially disadvantaged towards education in Northern Ireland. Northern Ireland Statistics and Research Agency, Queen’s University Belfast. Sutherland, E. H. und D. R. Cressey (1955): Principles of criminology. Philadelphia: J. B. Lippincott. Tannenbaum, F. (1953): Crime and Community. London: Routledge. Tennent, T. G. (1970): Truancy and Stealing. In: British Journal of Psychiatry 116, 587-592.

311

Tennent, T. G. (1971): School Non-Attendance and Delinquency. In: Educational Research 13, 185190. Theißen, K. (1977): Schulverweigerung von berufspflichtigen Jugendlichen. Berlin: Eigenverlag. Thimm, K. (2000): Schulverdrossenheit – Schulschwänzen – Stören – Schulverweigerung. SP Blatt 1, 3-21. Thornberry, T. P und M. D. Kohn (2003): Taking stock of delinquency: An overview of findings from contemporary longitudinal studies. New York: Kluwer Academic. Thornberry, T. P. (1987): Toward an interactional theory of delinquency. In: Criminology 25, 863891. Thornberry, T. P., Lizotte, A. J., Krohn, M. D., Farnworth, M. und S. J. Jang (1994): Delinquent Peers, Beliefs, and Delinquent Behavior: A Longitudinal Test of Interactional Theory. In: Criminology 32, 47-83. Tibbenham, A. (1977): ‘Housing and truancy’. In: New Society 39, 501-502. Tillmann, K. J. u.a. (1999): Schülergewalt als Schulproblem. Weinheim, München: Juventa. Tillmann, K. J. (1997): Gewalt an Schulen: Öffentliche Diskussion und erziehungswissenschaftliche Forschung. In: Die Deutsche Schule 1, 36-49. Tittle, C. R. (1995): Control balance. Boulder, CO: Westview. Trautner, H. (1972): Einfluss von Reifen und Lernen auf die Elternzentriertheit von Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie 4, 92-104. Tyerman, M. J. (1958): A Research into Truancy. In: The British Journal of Educational Psychology XXVIII, 217-225. Tyerman, M. J. (1968). Truancy. London: University of London Press. Tyerman, M. J. (1972): Absent from School. In: Trends in Education 26, 14-20. Tyler, K. A., Johnson, K. A. und D. A. Brownridge (2008): A Longitudinal Study of the Effects of Child Maltreatment on Later Outcomes among High-Risk Adolescents. In: Journal of Youth and Adolescence 37, 506-521. Tyrell, H. (1978): Die Familie als “Urinstitution”: Neuerliche spekulative Überlegungen zu einer alten Frage. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 30, 611-651. Tyrell, H. (1979): Familie und gesellschaftliche Differenzierung. In: H. Pross (Hg.): Familie wohin? Leistungen, Leistungsdefizite und Leistungswandlungen der Familien in hochindustrialisierten Gesellschaften. Reinbek: Rowohlt, 13-67. Urban, D. und J. Mayerl (2005): Mediator-Effekte in der Regressionsanalyse. http://app.gwv-fachverlage.de/ds/resources/w_41_162.pdf (Stand 14.09.2008). Urban, D. und J. Mayerl (2006): Der lokale Ausländeranteil wirkt als selektiver Moderator. Zur statistischen Erklärung von Ausländerablehnung. In: ZA-Information 59, 56-82. Urban, D. (2004): Neue Methoden der Längsschnittanalyse. Münster: Lit. van Petegem, P. (1994): Truancy as a Social, Educational and Psychological Problem: Causes and Solutions. In: Scientia Pedagogica Experimentalis XXXI, 271-286. Vander Ven, T. M., Cullen, F. T., Carrozza, M. und J. P. Wright (2001): Home Alone: The impact of the maternal employment on Delinquency. In: Social Problems 48, 236-257. Wagner, M. E., Schubert, H. J. P. und D. S. P. Schubert (1985): Family Size Effects: A Review. In: Journal of Genetic Psychology 146, 65-78. Wagner, M., Dunkake, I. und B. Weiß (2004): Schulverweigerung: Empirische Analysen zum abweichenden Verhalten von Schülern. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 56, 457-489. Wagner, M. (2007): Schulabsentismus: Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis. Weinheim, München: Juventa. Walper, S. (2004): Auswirkungen von Armut auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen, München.

312

Waltzer, F. (1984): Using a Behavioral Group Approach with Chronic Truants. In: Social Work in Education 6, 193-200. Warr, M. (1993): Parents, peers, and delinquency. In: Social Forces 72, 247-264. Warren, W. (1948): Acute Neurotic Breakdown in Children with Refusal to Go to School. In: Archives of Disease in Childhood 23, 266-272. Washington, R. (1972): A Survey-Analysis of problems faced by Inner-City High School Students who have been classified as Truants. In: High School Journal 56, 248-257. Weber, D. (1967): Zu Differentialdiagnose und Polygenese der Schulphobie. In: Praxis der Kinderpsychologie 16, 167-171. Weiß, B. (2003): Ganztägiger Schulabsentismus an Kölner Hauptschulen. Ergebnisse einer 2003 an drei Stichtagen durchgeführten Lehrerbefragung. FiSoz – Working Paper Series Nr. 1. Universität zu Köln. Weiß, B. (2007): Wer schwänzt wie häufig die Schule? Eine vergleichende Sekundäranalyse auf Grundlage von 12 deutschen Studien. In: M. Wagner (Hg.): Schulabsentismus: Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis. Weinheim, München: Juventa, 37-55. Weitz, B. (1987): Ursachen unregelmäßigen Schulbesuchs türkischer Schüler in der beruflichen Bildung. In: Lernen in Deutschland 1, 13-14. Weitzman, M., Klerman, L. V., Lamb, G. A., Kane, K., Geromini, K. R., Kayne, R. Rose, L. und J. J. Alpert (1985): Demographic and educational characteristics of inner city middle school problem absence students. In: American Journal of Orthopsychiatry 55, 378-383. Wells, E. L. und J. H. Rankin (1986): The Broken Homes Model of Delinquency: Analytic Issues. In: Journal of Research in Crime and Delinquency 23, 68-93. Wells, E. L. und J. H. Rankin (1991): Families and Delinquency: A Meta Analysis of the Impact of Broken Homes. In: Social Problems 38, 71-93. West, D. H. J. und D. P. Farrington (1973): Who Becomes Delinquent? Second Report of the Cambridge Study in Delinquent Development. London: Heinemann. West, M. O. und R. J. Prinz (1987): Parental alcoholism and childhood psychopathology. In: Psychological Bulletin 102, 204-218. Wetzels, P., Wilmers, N., Mecklenburg, E., Enzmann, D. und C. Pfeiffer (2000a): Gewalterfahrungen, Schulschwänzen und delinquentes Verhalten Jugendlicher in Rostock. Abschlussbericht über die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Schülerinnen und Schülern der 9. Jahrgangsstufe. Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. Wetzels, P., Wilmers, N., Mecklenburg, E., Enzmann, D. und C. Pfeiffer (2000b): Gewalterfahrungen und Delinquenz Jugendlicher in Delmenhorst: Eine Totalerhebung bei Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Jahrgangsstufe und des Berufsvorbereitungsjahres. Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. Wilmers, N. und W. Greve (2002): Schwänzen als Problem. In: Report Psychologie 27, 404-413. Wilmers, N. (2000): Schulschwänzen und Jugenddelinquenz: Eine repräsentative Schüler- und Lehrerbefragung in Delmenhorst. Diplomarbeit, Universität Bremen, Studiengang Psychologie. Wilmers, N., Enzmann, D., Schaefer, D., Herbers, K. Greve, W. und P. Wetzels (2002): Jugendliche in Deutschland zur Jahrtausendwende: Gefährlich oder gefährdet? Baden-Baden: Nomos Verlag Wilmers, N., Lange, T., Herbers, K. und P. Wetzels (2001): Jugendgewalt im Landkreis Friesland: Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Schülerinnen und Schülern im Landkreis Friesland zu Jugendgewalt und der Einschätzung bestehender Angebote im Bereich der Jugendhilfe. Forschungsbericht. Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen. Winter, E. (1978): Schulpflicht und Strafzwang. In: Recht der Jugend 26, 408-423.

313

Wirtz, M. (2004): Über das Problem fehlender Werte: Wie der Einfluss fehlender Informationen auf Analyseergebnisse entdeckt und reduziert werden kann. In: Methoden in der Rehabilitationsforschung 43, 109-115. Wiswede, G. (1998): Soziologie. Grundlagen und Perspektiven für den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Bereich. Landsberg am Lech. Witzel, J. (1969): Der Außenseiter im Sozialisationsprozess der Schule. Stuttgart: Enke Verlag. Woodward, L. J. und D. M. Fergusson (1999): Early conduct problems and later risk of teenage pregnancy in girls. In: Development and Psychopathology 11, 127-141. Wright, S. (1921): Correlation and Causation. In: Journal of Agricultural Research 20, 557-585. Wurzbacher, G. (1977): Die Familie unter den Aspekten eines lebenslangen Sozialisationsprozesses des Menschen. In G. Wurzbacher (Hg.): Die Familie als Sozialisationsfaktor. Stuttgart: Enke Verlag, 1-32. Wyatt, G. (1992): Skipping Class: An Analysis of Absenteeism among First-Year College Students. In: Teaching Sociology 20, 201-207. Yoshikawa, H. (1994): Prevention as Cumulative Protection: Effects of early Family Support and Education on Chronic Delinquency and its Risk. In: Psychological Bulletin 115, 28-54. Youniss, J. (1994): Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Zhang, M. (2003): Links between School Absenteeism and Child Poverty. In: Pastoral Care in Education 21,10-17. Zieman, G., L. und G.P. Benson. (1981): School Perceptions of Truant Adolescent Girls. In: Behavioral Disorders 6, 197-205. Zinnecker, J. (1985): Kindheit. Erziehung. Familie. In: Jugendwerk der Deutschen Shell (Hg.): Jugendliche und Erwachsene `85. Opalden: Leske und Budrich, 97-292. Zymnik, B. (1989): Schulen. In: D. Langewiesche und H. E. Tenorth (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Band 5. 1918-1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, 155-208.

314

Anhang Tabelle A1: Variablenbeschreibung der „MPI-Schulbefragung 1999“ n

EMa

Minimum

Maximum

Mean

S.D.

Geschlecht

2.822

-

0

1

0,54

0,50

Alter

2.817

2.832

12

18

14,72

1,13

Umzug

2.810

-

0

1

0,16

0,37

Trennung der Eltern

2.819

-

0

1

0,21

0,41

Geschwisterzahl

2.831

2.832

0

9

1,14

1,13

Migration

2.796

-

0

1

0,65

0,47

SESb

2.668

-

0

4

2,87

0,99

Berufstätigkeit Mutter

2.771

-

0

1

0,86

0,35

Uhrzeit abends zu Hause

2.798

2.832

1

7

3,25

1,53

Eltern kennen Freunde und Treffpunkte

2.803

-

0

3

0,57

0,82

Skala: emotionale Bindung

2.722c

-

0,25

3,75

0,84

0,60

Skala: Streit zwischen Etlern und Kind

2.723

0

3

1,04

0,92

Skala: Gewalt

2.713

-

0

3

1,47

0,27

Skala: Kritik durch die Eltern

2.751

-

0

3

1,89

0,93

Skala: Bidnung an Schule

2.762

-

0

3

0,98

0,53

Bindung an deviante Peers

2.459

-

0

1

0,28

0,45

Versetzungsgef. Noten

2.827

-

0

1

0,12

0,31

Häufiges Schulschwänzen

2.748

-

0

1

0,09

0,28

Kontrolle der Eltern

-

a

EM = Fehlende Werte wurden ersetzt mittels des Expectation-Maximization-Algorithmus SES = sozioökonomischer Status Fehlende Werte des in der Skala implementierten Items „Verhältnis zur Mutter in Schulnoten“ wurden mit dem EM Alortihmus ersetzt; - fehlende Werte wurden nicht ersetzt b c

315

Tabelle A2: Anzahl der Fälle der Korrelationen zwischen häufigem Schulschwänzen und familialen Struktur- und Kontrollmerkmalen und partielle Korrelationen dieser Beziehung kontrolliert nach den innerfamilialen Merkmalen Korrelation mit häufigen Schwänzen

Emot. Bindung

Gewalt

Streit

Kritik

Kontrolle I

Kontrolle II

r

rxyz

rxyz

rxyz

rxyz

rxyz

rxyz

Umzug

2.728

2.799

2.791

2.797

2.788

2.783

2.776

Trennung der Eltern

2.736

2.808

2.799

2.805

2.796

2.790

2.786

Migration

2.715

2.785

2.778

2.782

2.774

2.770

2.764

SES

2.597

2.660

2.655

2.660

2.654

2.648

2.642

Geschlecht

2.739

2.811

2.802

2.808

2.799

2.793

2.788

Alter

2.735

2.807

2.799

2.804

2.795

2.790

2.786

316

Tabelle A3: Variablenbeschreibung der „PISA-Studie 2000“ n

EMa

Minimum

Maximum

Mean

S. D.

b

Kontrollvariablen und SES Geschlecht

31.256

-

1

2

1,51

0,50

Familienstatus

30.242

-

0

1

0,23

0,42

Migrationsstatus

30.347

-

0

1

0,19

0,39

16

90

48,99

15,89

0

20

3,17

2,52

c

ISEI

28.573

Soziales Kapital PTO-Neztwerk Elternbesuch in der Schule

26.094

31.288

Diskussionen bildungsrelevanten Inhalts Diskussionen über Bücher und Politik

30.484

31.288

1

5

2,79

1,11

Reden über Schulleistungen

30.364

31.288

1

5

4,06

1,02

Gemeinsames Essen

30.384

31.288

1

5

4,65

0,88

Unterstützung der Eltern

29.402

31.288

2

10

4,78

2,44

Externe private Nachhilfe

29.448

-

1

3

1,13

0,23

Autoritärer Erziehungsstil

29.797

31.288

0

1

0,11

0,32

Filmkonsum

29.831

31.288

1

5

2,11

0,97

Schulrelevante Kulturgüter

30.639

-

1

2

1,02

0,09

Klassiche Kulturgüter

30.577

-

1

2

1,40

0,36

30.816

31.288

498,44

97,44

Klassenwiederholung seit Kl. 7

28.975

-

0

1

0,09

0,28

Mittelwert Schulnoten (1. Fremdsprache, Deutsch, Mathe)

29.151

31.288

1

7

3,05

0,86

Nebenjob

30.018

-

1

7

1,85

1,52

Anbindung an deviantePeers

30.086

-

0

1

0,37

0,48

Häufiges Schulschwänzen

30.526

-

0

1

0,02

0,13

Direkte elterliche Hilfe

Eltelriche Kontrolle

Kulturelles Kapital Objektiviert

Inkorporiert Lesekompetenz

95,32

777,03

Schulleistungen

Alternativen zum Schulbesuch

a

EM = Fehlende Werte wurden ersetzt mittels des Expectation-Maximization-Algorithmus b SES = sozioökonomischer Status, c International Socio-Economic Index of Occupational Status, Daten sind gewichtet

317