154 54 2MB
German Pages 224 [225] Year 2004
Heike August Ulfers Der Consultance-Berater
2
Der Consultance-Berater Basiswissen für Manager, Berater und deren Auftraggeber
von Heike August Ulfers
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Autoren und Herausgeber haben alle Texte in diesem Buch mit großer Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Eine Haftung des Verlags oder des Herausgebers, gleich aus welchem Rechtsgrund, ist ausgeschlossen. Die in diesem Buch wiedergegebenen Bezeichnungen können Warenzeichen sein, deren Benutzung durch Dritte für deren Zwecke die Rechte der Inhaber verletzen kann. http://www.publicis-erlangen.de/books Lektorat: Dr. Gerhard Seitfudem, Publicis Corporate Publishing, Erlangen
ISBN 3-89578-222-X Verlag: Publicis Corporate Publishing, Erlangen © 2004 by Publicis KommunikationsAgentur GmbH, GWA, Erlangen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Bearbeitungen sonstiger Art sowie für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Dies gilt auch für die Entnahme von einzelnen Abbildungen und bei auszugsweiser Verwendung von Texten. Printed in Germany
Geleitwort
Die Wirtschaft wird überschwemmt von Heilslehren und Methoden mit Absolutheitsanspruch. Ungeachtet dessen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Voraussetzung für die erfolgreiche Führung eines Unternehmens der gesunde Menschenverstand ist und die Konsequenz, mit der Ziele umgesetzt werden. Welche Hilfsmittel hierfür unterstützend zu nutzen sind, muss jeweils für den Einzelfall und die aktuelle Situation entschieden werden. Es ist deshalb wichtig, einen Überblick über die unterschiedlichsten Ansätze zu haben, und zwar nicht durch eine theoretische Beschreibung, sondern auf der Basis einer kritischen Wertung. Das vorliegende Werk bietet dies in ausgezeichneter Weise. Der Autor, langjähriger Praktiker aus der Industrie und gleichzeitig mit wissenschaftlicher Fundierung, hat für dieses Buch ein umfassendes Kompendium praktikabler Methoden erarbeitet. In übersichtlicher, leicht zu lesender Konzentration auf das Wesentliche, beschreibt er diese Methoden und ihre jeweiligen Interdependenzen und zeigt die damit im Unternehmen zu erzielenden Verbesserungsmöglichkeiten auf. Er räumt auf mit Heilslehren, indem er auch die jeweiligen Grenzen herausarbeitet. Im Vordergrund steht jeweils die Umsetzung in der betrieblichen Praxis, und die ist nur möglich, wenn frühzeitig und umfassend die Mitarbeiter einbezogen werden. Dieses Buch ist ein unentbehrlicher Ratgeber für Industriepraktiker, Berater und Wissbegierige. Prof. Dr.-Ing. Walter Kunerth
Geleitwort
5
Vorwort
Meine erste Begegnung bzw. Erfahrung mit einem (international renommierten) Consultant war um 1980 herum. Wir, die Betriebsleitung eines Elektronikwerkes, hatten ein Restrukturierungsprojekt gestartet, das wir uns an einigen Stellen durch diesen Berater methodisch untermauern ließen. Ich denke, die damalige und wie ich meine auch ursprüngliche Daseinsberechtigung von Beratern war auf der einen Seite ihre Erfahrung mit den unterschiedlichsten Unternehmen, sozusagen der »Konkurrenz ihres jeweiligen Kunden«. Und auf der anderen Seite war es eben ihre fundierte und auf jeweils neuestem Stand befindliche Kenntnis aller erdenklichen Managementmethoden. Das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Beratern war üblicherweise eine ringgebundene Broschüre, die neben den sauber strukturierten Ergebnissen der Analyse Vorschläge zu Maßnahmen und ihrer Umsetzung enthielt. Mit den Jahren war diese Art der Beraterleistung den Kunden nicht mehr genug, und sie erwarteten zusätzlich die beratende Begleitung ihrer Restrukturierungs- oder Rationalisierungsvorhaben. Heute ist es üblich, die Berater »ins Haus zu holen« und geplante Veränderungsprojekte mit ihnen gemeinsam durchzuführen – sicher die geeignetste Form der Zusammenarbeit, denn der Berater stellt dabei dem Kunden neben seiner fachlichen Kompetenz eine flexibel in Anspruch nehmbare (Zusatz-)Kapazität zur Verfügung. Spätestens bei dieser Form der Kooperation sehen manche Führungskräfte der Kunden erstmals die Möglichkeit, die Projektarbeit voll an den Berater und die betroffenen eigenen Mitarbeiter zu delegieren. Sie verkennen – insbesondere bei gravierenden Änderungen – die Bedeutung ihrer persönlichen Mitarbeit sowie die Tatsache, dass für ein Gelingen oft ihr eigenes Führungsverhalten auf dem Prüfstein steht. Wenn unter diesem Aspekt die Vorgehensweise des Beraters nicht greift, wird sich der Kunde früher oder später nach einem anderen Partner umsehen. Aber was passiert häufig nebenbei? Das scheinbar berechtigte Auswechseln erfolgloser Consultant-Partner ist für manche dieser Führungskräfte ein Alibi, immer alles getan zu haben, um ihren Verantwortungsbereich erfolgreich zu führen! Natürlich ist es verständlich, dass man sich der Berater bedient, um Veränderungsprojekte durchzuführen. Aber dabei sollte man in der Lage sein, die Arbeit dieser Berater zumindest kritisch zu begleiten und richtig einzuschätzen. Es gibt zwar eine Menge Literatur über Managementmethoden, aber kaum über das bei Veränderungsprozessen praktisch angewandte Beraterwissen. Und bei weitem nicht jeder Berater kennt den theoretischen oder historischen Hintergrund seiner Methoden, geschweige denn hat er
6
Vorwort
Erfahrung in Bezug auf die psychologischen Komponenten und menschlichen Hürden bei der Anwendung klassischer Beratermethoden. Das ist der Ansatz dieses Buchs. Dem Berater soll es seine Arbeit erleichtern, dem Manager soll es helfen, Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzte treffend einzuschätzen und einzusetzen sowie Veränderungsprozesse optimal zu gestalten oder gestalten zu lassen.
Dießen, im Januar 2004 Heike August Ulfers
Vorwort
7
Inhaltsverzeichnis
8
1
Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
1.1
Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.2
Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.3
Wissen und seine Halbwertszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.4
Der Informationsgehalt einer Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.5
Entscheidungen und ihr Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.6
Was aus mehreren Menschen ein Team macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.7
Zwei Arten von Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.8
Dokumentation und die ISO 9000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
1.9
Prozesse und Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1.10
»Hinreichend« und »Notwendig« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
...............................
12
1.11
Falsche Entscheidung und Fehlentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.12
Der angebliche Unterschied zwischen »Was« und »Wie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1.13
Was ist Produktivitätssteigerung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.14
Körpersprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2
Prozesseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.1
Von den Schwierigkeiten herkömmlicher Prozessgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.2
Effizienz von Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.2.1
Die Durchlaufzeit als Indikator für Prozesseffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.2.2
Der Produktentstehungsprozess (Design Development Cycle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
2.2.3
Der Auftragsabwicklungsprozess (Make Market Cycle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.2.4
Der Lieferantenzyklus (Supply Chain) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.2.5
Prozessmerkmal »Flexibilität« (Responsiveness) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
2.3
»Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
2.3.1
Qualität und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
2.3.2
Termintreue (On Time Delivery, OTD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
2.4
Reifegrad von Projekten und Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
2.4.1
Strukturen internationaler Qualitätsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
2.4.2
Von qualitativer Abschätzung zu quantitativer Aussage (Reifegradmodelle) . . . . . . 95
3
Verändern von Prozessen
3.1
Einbinden der Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
3.2
Messen der Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
3.3
Setzen von Zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
3.4
Widerstand gegen Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Inhaltsverzeichnis
4
Business Excellence – Das Führen von Geschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
4.1
Does Quality work? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
4.2
Die Suche nach den Besten (Benchmarking) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
4.3
Balanced Scorecard (BSC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
4.4
Vernetzen und Verbreiten von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
5
Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
5.1
Werte oder »Business is Business?« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
5.2
Was ist Commitment? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
5.3
Der rechte Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
6
Anhänge
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Anhang 1
Definition des Informationsgehalts ein Bit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Anhang 2
David Bohm: Über Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Anhang 3 Gegenüberstellung der Wirkungsweise von Balanced Scorecards und dem Qualitätsmodell der EFQM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Anhang 4
Ein kleiner Exkurs in Sachen Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Anhang 5
Wirkungsweise eines Paradigmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Anhang 6
Vergleich internationaler Qualitätsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
7
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
8
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Inhaltsverzeichnis
9
Zum Einstieg
Bereits bei meinen ersten Überlegungen zur Gliederung des vorliegenden Buches fiel mir auf, dass viele der beschriebenen Methoden und Werkzeuge in gegenseitiger Wechselwirkung zueinander stehen. Ihre Abarbeitung im Buch entzieht sich dadurch einer zwingenden Aufeinanderfolge. Ich habe aus dieser Not eine Tugend gemacht und insbesondere die immer wieder anzusprechenden Grundsatzthemen gemeinsam und eigentlich zusammenhangslos als »Allgemeine Grundlagen« und »Begriffsbestimmungen« an den Anfang des Buches gestellt. Der Leser hat dadurch bereits an dieser Stelle die Möglichkeit – auch wenn das eine oder andere Grundsatzthema für ihn nicht neu ist – zu überlegen, was das jeweilige Thema für seine Tätigkeit oder seinen Verantwortungsbereich bedeuten könnte. Dann wird ihm (als Ergebnis dieses »Denkanstoß«-Einstiegs) später beim Lesen des Buches auch manches eigentlich Neue bereits vertraut vorkommen. Im Verlauf des Buches wird bewusst wiederholt auf in vorherigen Kapiteln bereits Gelesenes verwiesen. Zitiert wird dabei grundsätzlich nur nach vorne, das heißt (außer auf den Anhang) nur auf bereits Dargestelltes verwiesen und nicht nach hinten, auf noch nicht Gelesenes (in solchen Büchern habe ich mich schon oft »verirrt«). Durch die Verweise sollen nicht nur die vielen Gemeinsamkeiten oder Überschneidungen zwischen den Themen und Problemen oder Aufgaben aufgezeigt werden, sondern insbesondere auch die Gemeinsamkeiten in den Vorgehensweisen zum Lösen dieser Probleme hervorgehoben werden – also Gemeinsamkeiten im Prozessmanagement und den »dazugehörenden« immer neuen Beraterkonzepten! Wenn in diesem Zusammenhang von mir auf Literatur bzw. Autoren hingewiesen wird, sind die damit zitierten Fakten nicht notwendig deren neuester »Veröffentlichungsstand«, sondern, zumindest aus meiner Sicht, allgemein gültiges Managementwissen. Dadurch soll ein Gesamtbild entstehen, ein Gesamtverständnis ermöglicht werden, so dass die Leser den Wald sehen lernen und nicht nur die Bäume. Ich bin mir bewusst, dass dadurch, dass die englische Sprache – und sie ist nun einmal die Weltsprache – in allen modernen Wissensbereichen ihren Einzug hält, dort ein »Kauderwelsch« (Double-Dutch) gesprochen und geschrieben wird. Es macht wenig Sinn, dagegen anzugehen. Denn da es sich bei den Anglizismen häufig um international anerkannte Fachausdrücke handelt und die meiste Fachliteratur original in Englisch erscheint, wäre diese Schlacht schon von Beginn an verloren. Sie finden darüber hinaus in diesem Buch viele englische Texte und Bildbe-
10
Zum Einstieg
schriftungen. Es handelt sich dabei um Zitate, die ich durch eine Übersetzung eventuell verfälscht oder nicht ausreichend präzise wiedergegeben hätte. Um das Buch sachlich und auch emotional verständlicher zu machen, habe ich an vielen Stellen aus eigenen Erfahrungen berichtet, und wir beide – Autor und Verlag – wünschen uns, damit bei Ihnen den Nutzen des Buches zu steigern. Ein Großstadt-Einsiedler, mit dem ich mich einige Male während meiner Münchener Studienzeit im Lesesaal der Bayerischen Staatsbibliothek unterhalten habe, überzeugte mich – bis zum heutigen Tag – mit der Feststellung Wissen ist der größte Feind von Weisheit. Deshalb bin ich überzeugt, dass es eigentlich kein Beraterkonzept geben muss, das dreihundert Seiten eines Fachbuches füllen müsste, dreißig sollten ausreichen. Wenn man mehr Text bräuchte, dann für Detailanalysen, Auswertungen, Dokumentation, Fieldbooks usw. Aber nie für das eigentliche Konzept.
Zum Einstieg
11
1 Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
Hören
ist nicht gleich Zuhören.
Zuhören
ist nicht gleich Verstehen (Paradigmen!).
Verstehen
ist nicht gleich Einverstanden sein (Dialog!).
Einverstanden sein ist nicht gleich Handeln. Diese vier Ungleichungen gelten immer. Sie bestimmen jede Kommunikation zwischen Menschen – im Alltag wie im Beruf.
1.1 Paradigmen Zwischen dem Zuhören und dem Verstehen stehen uns unsere Denkgewohnheiten und Vorurteile »im Weg«. Statt Denkgewohnheiten kann man auch Paradigmen sagen. Paradigmen sind in unserem Gehirn »programmierte« Denkabläufe, die notwendig sind, um überhaupt mit der Geschwindigkeit denken und reagieren zu können, wie wir es tun. Diese Denkabläufe – könnte man mit der Sprache der Software sagen – sind sozusagen Denkmakros, die als Ganzes abgerufen werden und blitzschnell vollständig ablaufen. Sie sind uns meistens nicht bewusst.
q Wirkung eines Paradigmas Vor ein paar Jahren nahm ich an einem zweitägigen Workshop teil, der von einem dreiköpfigen Beraterteam geleitet wurde, das uns seine Methoden zum Thema »Culture Change« und »Mobilisierung« vorstellte. Das Team bzw. der Berater hatte einen englischen Namen. Am Abend des ersten Tages fragte ich einen Kollegen, was diese drei Berater für ein merkwürdiges Amerikanisch reden. Er antwortete: »Wieso amerikanisch? Das sind doch Engländer. Die sprechen englisch.« Ich konnte das nicht glauben. Am Morgen des zweiten Tages dauerte es nur wenige Sekunden, bis ich feststellte, dass es tatsächlich Engländer waren. Wieso hatte ich das den ganzen ersten Tag lang nicht gemerkt? Die Antwort ist einfach. Wenn bei uns in Deutschland ein Consultant mit englischem Namen auftritt, dann gehe ich quasi automatisch davon aus, dass er Amerikaner ist. Dies ist also eines meiner Paradigmen. Und genau dieses Paradigma hat dafür gesorgt, obwohl die drei Vortragenden ganz eindeutig »British English«gesprochen haben, dass ich einen ganzen Tag lang wegen ihrer vermeintlich falschen Aussprache irritiert war.
12
1 Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
Wir werden in diesem Buch, bei dem es um Veränderungen geht, immer wieder über Paradigmen reden müssen.
1.2 Dialog Genauso spannend wie das Thema »Zuhören ist nicht gleich Verstehen« ist das Thema »Verstehen ist nicht gleich einverstanden sein«. Jeder, der sich häufig in Besprechungen befindet, in privaten oder beruflichen Meinungsverschiedenheiten, in Workshops, bei denen gegensätzliche Ansichten und Meinungen vorgetragen und diskutiert werden, kennt folgendes: Irgend jemand trägt eine Meinung vor, von der ich schon vorher zu wissen glaube, dass es nicht meine Meinung ist. Dann passiert es häufig, dass man dem Anderen in dieser Situation gar nicht zuhört und anstatt dessen schon seine eigenen Gegenargumente überlegt. Genau mit dieser Tatsache hat sich der amerikanische Physiker David Bohm (siehe Anhang 2) ausgiebig befasst. Er sagt, dass wir die Fähigkeit verloren haben mit anderen einen Dialog zu führen. Bohm geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt, dass, wenn wir – was bei uns meistens der Fall ist – zusammensitzen, um irgendwelche Lösungen von Problemen zu diskutieren, wir überhaupt nicht fähig sind, Lösungen zu finden. Der Grund ist genau der oben genannte, dass wir nämlich, statt zu versuchen den anderen zu verstehen, uns sofort – sozusagen in Tateinheit – fragen, ob wir einverstanden sind. Und genau diese Tatsache führt dazu, dass wir den Anderen nicht verstehen oder nicht verstehen können. David Bohm sagt, wir müssen die Fähigkeit trainieren, einem Anderen zuzuhören, selbst wenn er eine aus unserer Sicht ungeheuerliche Meinung vertritt. Und wir müssen die Frage des Einverstandenseins oder Nichteinverstandenseins in der Schwebe halten. Wir sollen also nicht mit allem einverstanden sein was geredet wird! Aber wir sollen zunächst einmal die Reaktionen »Einverstanden sein« oder »Nicht einverstanden sein« zurückhalten.
q Dialogtraining Man kann Dialog regelrecht trainieren. Zum Beispiel am Beginn von Workshops, in denen Probleme gelöst werden sollen. Die Teilnehmer – ich habe es in Gruppen von bis zu 80 Personen erlebt – sitzen im Kreis. In der Mitte liegt irgendein Gegenstand, zum Beispiel ein Stein oder ein Buch. Es darf nur derjenige reden, der den Stein hat. Nachdem er geredet hat, legt er den Stein zurück in die Mitte. Die Spielregel lautet: »Es ist verboten, auf das diskutierend einzugehen, was ein Vorgänger gesagt hat.« Das heißt,
1.2 Dialog
13
es ist nur erlaubt, eigene konstruktive Ideen zu den Problemen von sich zu geben, die in dem Workshop anstehen werden. Wenn Sie das machen, werden Sie mit Erstaunen feststellen, dass Sie spätestens nach dem dritten, vierten Beitrag jeweils neugierig darauf werden, was der eine oder andere Kollege zu sagen hat, ihm tatsächlich zuhören und ihn auch verstehen. Ich werde in den folgenden Kapiteln des Buches versuchen, einige »altbewährte« Paradigmen – und sei es nur vorübergehend – abzubauen. Die Methode des hier beschriebenen Dialogs ist eventuell noch nicht geeignet, vorhandene Probleme zu lösen. Sie ist aber in jedem Fall dafür geeignet (und deshalb erwähnte ich eben die Workshops), ein gemeinsames Problemverständnis zwischen Partnern, Kollegen oder Kontrahenten aufzubauen. Paradigmen bestimmen den Kontext unseres Denkens. Da Paradigmen Denkmuster sind, ist es absolut selbstverständlich, dass sehr viele von ihnen irgendwann ihre Gültigkeit verlieren. Genau an diesem Problem arbeitet man, wenn man zum Beispiel im Rahmen von Change-Projekten eingefahrene oder liebgewordene Prozesse verändern will.
1.3 Wissen und seine Halbwertszeit Zur Gültigkeit von Denkmustern gehört ein weiteres Thema, nämlich das Thema »Halbwertszeit« wissenschaftlichen oder technischen Wissens [de Solla Price]. Vor Jahrhunderten war es selbstverständlich, dass »der Älteste« gleichzusetzen war mit »der Klügste«. Daraus resultieren so schöne Worte wie Ältestenrat, Senat, usw. Ein Lehrer konnte früher bis ins Greisenalter sein Wissen an seine Schüler weitergeben, ohne dass es an Aktualität einbüßte. Das damalige Wissen hatte selbstverständlich auch eine Halbwertszeit. Aber diese Halbwertszeit war bei weitem länger als ein Menschenleben. Erst wenn die Halbwertszeit irgendeines Fachwissens kürzer als ein Menschenleben wird, wird das Phänomen »Halbwertszeit von Wissen« bemerkbar und fängt an, eine Rolle zu spielen. Modernes technisches Wissen hat heute eine Halbwertszeit in der Größenordnung von fünf Jahren. Um es anschaulich zu formulieren: Wenn jemand heute zum Beispiel eine Technische Hochschule verlässt, kann er davon ausgehen, dass nach fünf Jahren die Hälfte seines dort erlernten Spezialwissens veraltet ist. Allerdings gilt dieses Veralten für Grundund Basiswissen in weitaus geringerem Maß. Anhand von Chart 1 möchte ich eine recht einfache Methode des Messens der Halbwertszeit von Wissen erläutern:
14
1 Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
Zitationsrate 2)
% 1)
1933 1920
Die zwei Weltkriege
1) 100% entspricht der Gesamtzahl der Publikationen einer Fachrichtung in dem jeweiligen Kalenderjahr 2) Prozentualer Anteil der Publikationen des jeweiligen Kalenderjahres, der 1961 noch zitiert wird
Halbwertszeit 3)
3) In 13,5 Jahren sinkt die Anzahl der im
Jahr 1961 zitierten Publikationen auf den „halben Wert“ der Anzahl des AusgangsJahres (im Bildbeispiel 1933)
Publikationsjahr Halbwertszeit von Wissen: Je länger eine Publikation zeitlich zurückliegt, desto seltener wird sie zitiert [de Solla Price]
Chart 1
Es wurden alle Publikationen aus den Jahren 1861 bis 1960 zu dem speziellen Wissensgebiet »Kernstrahlung« zusammengetragen. Für jedes dieser vergangenen 100 Jahre wurde die Anzahl Publikationen zu diesem Fachgebiet gezählt und ermittelt, wie viel Prozent davon im Mittel in den Publikationen des Jahres 1961 in Form von Verweisen zitiert werden. Das Ergebnis für jedes einzelne Jahr heißt Zitationsrate. Je weiter die Publikationen eines jeweiligen Jahres gegenüber dem Jahr 1961 zeitlich zurück liegen, desto seltener werden sie zitiert! Das Chart zeigt, dass diese Zitationsraten (bzw. Zitationshäufigkeiten) von ca. 10% in 1960 auf ca. 0,01% in 1861 abfallen. Zur Erläuterung der Berechnung der Halbwertszeit sind im Chart zwei Zahlenpaare erkennbar markiert. Von den Publikationen des Jahres 1933 werden 1961 nur noch 0,5% zitiert. Von den Publikationen des Jahres 1920 werden 1961 nur noch 0,25% zitiert. Von 1933 bis 1920 in die Vergangenheit zurückgehend (rechnerisch genau in einem Zeitraum von 13,5 Jahren) halbiert sich also der Anteil bzw. die Anzahl der in 1961 noch aktuellen Publikationen zum Thema »Kernstrahlung«, die Halbwertszeit zu diesem Thema betrug also 13,5 Jahre. Am rechten Rand wird die Kurve steiler – die Halbwertszeit verkürzt sich also. Fachwissen hat eine eindeutig messbare Halbwertszeit. Macht, sofern sie auf Wissen beruht, hat also ebenfalls eine Halbwertszeit. An diese Halbwertszeit sollte man immer denken, ehe man »Erfahrung« als Argument gegen Änderungen vorbringt.
1.3 Wissen und seine Halbwertszeit
15
Was mir im Zeitalter der Wissensgesellschaft und des KnowledgeManagements ebenfalls wichtig scheint, ist die Tatsache, dass trotz aller Kommunikationsmöglichkeiten und Vernetzungen Wissen eine Holschuld bleibt und nicht zu einer Bringschuld wird. Das ist im Übrigen auch ein Grundsatz der Rechtssprechung, die sagt: »Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.« Bisher ging es in diesem Kapitel um Wissen. Unsere Gesellschaft und ihre Entwicklung ist aber nicht nur von Wissen geprägt. Deshalb ist mir noch ein anderer Aspekt zum Thema »Halbwertszeit« ganz besonders wichtig: Weisheit hat keine Halbwertszeit.
1.4 Der Informationsgehalt einer Botschaft Nicht nur die Halbwertszeit von Wissen lässt sich messen bzw. berechnen, sondern auch der Informationsgehalt einer Botschaft oder Nachricht. Eine kurze Erläuterung der Messmethode finden Sie im Anhang 1. Die Berechnung basiert auf der Annahme, dass der Informationsgehalt einer Nachricht umgekehrt proportional ist zur Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Nachricht, und dass damit eine Nachricht mit der Auftrittswahrscheinlichkeit »1« (entsprechend 100%) einen Informationsgehalt von »0« hat – nämlich gar keinen Informationsgehalt.
q Null Information Jemand trägt zum Beispiel in irgendeiner öffentlichen Tagung das Ergebnis einer wichtigen, eigenen Recherche vor und betont dabei, dass er diese Recherche gründlich gemacht habe. Nachdem in einem derartigen Fall niemand sagen würde, er habe die Recherche nicht gründlich gemacht, hat die Aussage des schmückenden Wortes »gründlich« praktisch 100% Auftrittswahrscheinlichkeit und damit null Informationsgehalt! Falls Sie bei Workshops, bei Diskussionen, Besprechungen auf diese Erkenntnis achten, werden Sie feststellen, wie viel informationsloses, schmückendes Rankenwerk unsere Mitmenschen heranziehen, um uns von irgend etwas zu überzeugen. Wenn man dieses Wahrscheinlichkeitsprinzip weiter verfolgt, kann man feststellen, dass Innovationen oder Veränderungen häufig von (»sehr unwahrscheinlichen«) Grenzüberschreitungen leben. Das gleiche gilt für die Kunst, also für Kreativität schlechthin. Kreativitätstechniken wie Brainstorming, morphologischer Kasten oder laterales Denken gehen in diesem Sinne ganz bewusst an die Grenzen von Bekanntem, sprich »Wahrscheinlichem«, oder verlassen sogar das Bekannte vollständig.
16
1 Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
1.5 Entscheidungen und ihr Risiko Ich möchte dieses Kapitel mit einer These beginnen: Der Gehalt einer Entscheidung ist proportional zu ihrem Risiko. Umgekehrt formuliert heißt das: Wo kein Risiko existiert, gibt es nichts zu entscheiden.
q Gehalt einer Entscheidung Wenn Sie jemand fragt, ob er Ihnen einen neuen Mercedes schenken darf, brauchen Sie nichts zu entscheiden. Es existiert kein Risiko für Sie, die Entscheidung hat keinen Gehalt, sie ist einfach. Sie können das Auto übernehmen und fahren oder – wenn es Ihnen nicht gefällt – verkaufen. Schon Carl von Clausewitz, der große Militärstratege des 19. Jahrhunderts, ist beim Betrachten des Verhaltens von Stabsoffizieren zu dem Schluss gekommen: Man ist nicht aus Überlegung kühn, sondern aus Kühnheit. Wir können daraus folgern, dass endlose und/oder wiederholte Besprechungen zu irgendeiner Entscheidung dann nichts nutzen, wenn nicht durch zusätzlich veranlasste Bemühungen bzw. Recherchen neue Daten, Fakten oder Sachverhalte gefunden werden, die das Entscheidungsrisiko vermindern. Wenn diese Verminderung nicht mehr möglich ist, sollte man und kann man ganz »beruhigt« entscheiden.
1.6 Was aus mehreren Menschen ein Team macht Das Entscheiden in Teams steht eng im Zusammenhang mit dem zuvor Gesagten. Teamfähigkeit wurde früher und wird auch heute noch häufig definiert als das »demokratische Mittragen« gemeinsamer Entscheidungen, auch wenn man mit ihnen nicht einverstanden ist. Ich habe selbst einmal an einem zweitägigen Training zur Aneignung dieser Fähigkeit teilgenommen. Es gibt aber mindestens zwei Gründe, die gegen diese Spielregel sprechen: • Der eine ist, dass jemand, der zum Beispiel mit einem Projekt nicht einverstanden ist, die Meinung des Teams aber mitträgt, häufig (und sei es unbewusst) gegensteuert. Und wenn dann das Projekt nicht so läuft wie geplant, handelt es sich um »Self-fullfilling Prophecy«. • Der andere ist, dass die Mehrheit nicht immer Recht hat. Es kann auch die Minderheit sein. Deshalb ist es bei Konflikten angesagt, wesentliche Widersprüche wirklich auszudiskutieren – will sagen – auszuräumen!
1.5 Entscheidungen und ihr Risiko
17
Die Mitglieder eines Teams müssen unbedingt entscheidungsbefugt (empowered) sein. Teammitglieder, die für jede zu fällende Entscheidung erst noch ihren Vorgesetzten fragen müssen, sind untragbar. Im Übrigen ist die Entscheidungsfähigkeit eines Teams stark davon abhängig, inwieweit die Grundhaltungen (Paradigmen) der einzelnen Teammitglieder den anderen bekannt sind. Nur wenn die anderen Teammitglieder die Paradigmen wenigstens im Ansatz kennen, ist zu verhindern, dass im Verlauf der Zusammenarbeit immer wieder grundsätzliche Standpunkte ausdiskutiert werden müssen. Aus ähnlichem Grund sollten Teams auch nicht ihre Mitglieder wechseln. Bei dem Thema »Ausdiskutieren von Meinungen« geraten wir automatisch in die Nähe des Themas Dialog. Dieser könnte uns, wie bereits erwähnt, helfen, die richtige Problemstellung zu finden. Und setzt man Problemstellung gleich Fragestellung, dann gilt das, was der Physiker Werner Heisenberg einmal aus wissenschaftlicher Sicht gesagt hat: Die richtige Fragestellung ist oft mehr als der halbe Weg zur Lösung des Problems.
1.7 Zwei Arten von Arbeitsteilung Frederik W. Taylor hat nicht nur die »horizontale Arbeitsteiligkeit« eingeführt, die allgemein als Taylorismus bekannt ist. In seinem Buch »The Principles of Scientific Management« forderte er insbesondere auch die hierarchische bzw. vertikale Arbeitsteilung, d. h. die Trennung von Kopfund Handarbeit, die wir heute im Rahmen von Work-Enrichment bzw. Work-Enlargement in vielen Fällen wieder rückgängig machen müssen (Chart 2). Arbeitsteilung hat also immer zwei Dimensionen!
• „Wir wollten ... herausfinden, ... was man jahraus, jahrein täglich von einem Arbeiter erwarten kann, ohne dass er dabei körperlichen oder seelischen Schaden erleidet.“ Chart 2 Zwei Aussagen von Frederick W. Taylor aus seinem 1911 veröffentlichten Buch »The Principles of Scientific Management«
18
• „Alle Kopfarbeit unter dem alten System wurde von dem Arbeiter mitgeleistet und war ein Resultat seiner persönlichen Erfahrung.” „Unter dem neuen System … ist ohne weiteres ersichtlich, dass in den meisten Fällen ein besonderer Mann zur Kopfarbeit und ein ganz anderer zur Handarbeit nötig ist.“
1 Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
1.8 Dokumentation und die ISO 9000 Sozusagen ein Urenkel der Taylorschen »Forderung« nach vertikaler Arbeitsteilung ist das Dokumentieren der Prozesse, in denen wir arbeiten. Die Automobilindustrie war es, die sehr bald aus Qualitätsgründen von ihren Lieferanten verlangt hat, dass deren Herstell- und Zulieferprozesse dokumentiert sind. Und sie hat im Rahmen von Zertifizierungen feststellen lassen, ob bei den betroffenen Lieferanten auch nach diesen dokumentierten Prozessen gearbeitet wird (ISO 9000). Im Zeitalter immer kürzer werdender Innovationszeiten und damit immer kürzerer Halbwertszeiten von technischem Wissen hat man häufig nicht mehr die Zeit, die Prozesse bis ins letzte Detail zu dokumentieren. Es könnte sonst passieren, dass – wenn man fertig ist – anfänglich dokumentierte Teile der Prozesse wieder anfangen obsolet bzw. gegenstandslos zu werden. ISO 9000 auf der Basis höchst detailliert dokumentierter Prozesse muss also auf Dauer einer ISO-Norm weichen, die eher einem »§1« der Straßenverkehrsordnung (StVO) ähnelt (Chart 3) als einer Beschreibung aller Verkehrsregeln.
q Umsichtiges Verhalten Wenn man sich den »§1« der StVO im Chart 3 näher anschaut, wird man zugeben müssen, dass man sich in der Mehrzahl aller Verkehrssituationen allein durch Beherzigung bzw. Befolgen dieses Paragraphen richtig entscheiden kann – sofern man entscheiden will! Was lehrt uns das? In allen Fachgebieten gibt es einen Teil Verstehwissen und einen Teil Lernwissen. Mit Verstehwissen meine ich diejenigen logischen Sachzusammenhänge, die – wenn man sie einmal begriffen hat – nicht mehr vergessen werden können – siehe obigen »§1«. Als Lernwissen bezeichne ich jene Tatsachen und Fakten, die man nicht aus einem logischen Zusammenhang herleiten kann, und die man mithin vergessen kann.
NEU Allgemeine Verkehrsregeln §1
Grundregeln (1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (2) Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, daß kein Anderer geschädigt, gefährdet, oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird
ALT §1
Jeder Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr hat sich so zu verhalten, daß .....
1.8 Dokumentation und die ISO 9000
Chart 3 Der Paragraph 1 der (deutschen) Straßenverkehrsordnung ermöglicht in den meisten unvorhergesehenen Situationen die Entscheidung über das richtige Verhalten
19
Zukunftsorientierte, »schlanke« ISO-Normen setzen voraus, dass die betroffenen Mitarbeiter die nicht dokumentierten Details durch ein fachliches Grundwissen (das meist ein Verstehwissen ist) ersetzen können, gepaart mit Entscheidungskompetenz und Entscheidungsbefugnis. Die Entscheidungskompetenz wiederum setzt ein permanentes Training dieser Mitarbeiter voraus. Fortschrittliche Unternehmen liegen deshalb – was Training anbelangt – bereits heute schon zwischen 40 und 80 Stunden pro Jahr und Mitarbeiter!
1.9 Prozesse und Projekte Ein weiteres Grundsatzthema oder besser Problem im Zusammenhang mit Prozessmanagement ist, dass sehr viele Mitarbeiter und Manager Projekte und Prozesse verwechseln; sie kennen den Unterschied entweder nicht oder er ist ihnen zumindest nicht bewusst.
q Effizienz steckt im Prozess Ein Kollege und ich hatten von einem unserer Bereichsvorstände den Auftrag bekommen, seinen Bereich zu analysieren. In der Präsentation vor dem Leitungskreis dieses Bereichs stellten wir als eines der Ergebnisse vor, dass die Geschäftszweigleiter noch zu wenig Ahnung hätten von den Prozessen, in denen ihre Mitarbeiter arbeiten. Der kaufmännische Vorstand fragte uns etwas verärgert, was wir denn glauben würden, was diese Geschäftszweigleiter den lieben langen Tag täten. Wir antworteten, dass diese Kollegen sich selbstverständlich tagein, tagaus um die einzelnen Projekte für die Kunden A, B und C bemühen und kümmern würden. Was wir aber meinten, sei, dass sie sich damit beschäftigen sollten, an Hand welcher festgelegter und hoffentlich effizienter Prozesse diese Kundenprojekte abgewickelt würden. Dort läge das Geld begraben. Die Therapie für Geschäftszweigleiter oder anderer »Process Owner«, die ihre Prozesse kennen lernen wollen, lautet Prozessstreckenbegehung. Sie können bei dieser Gelegenheit nicht nur für sich selbst Erfahrung sammeln, sondern den Teams – in die sie dazu gehen müssen – Hilfe anbieten und praktizieren. Sie können insbesondere dort, wo Teams oder Mitarbeiter in ihrer Entscheidungsbefugnis tatsächlich überfordert sind »sofort entscheidend« eingreifen und die Lösungsfindung beschleunigen.
20
1 Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
1.10 »Hinreichend« und »Notwendig« In den weiteren Kapiteln dieses Buches wird es immer wieder um Fragen der Art gehen: Was wollen wir warum wie machen oder wie ändern? Es geht dabei offensichtlich um einen Prozess des Vorausschauens, es geht um die Zukunft. Antworten, Vorschläge, Entscheidungen zu diesen Fragen können – eben da es um die Zukunft geht! – immer nur Notwendiges zum Inhalt haben, aber niemals Hinreichendes. Das wird häufig außer Acht gelassen, und zwar nicht nur bei Wahlreden bzw. Wahlversprechen.
q Das Notwendige ist das Wichtigste Um in einer Schule erfolgreich zu sein, ist es notwendig zu lernen, aber leider nicht hinreichend. Sprich: Lernen garantiert keine guten Noten! Oder: Roulette spielen ist normalerweise hinreichend, um Geld los zu werden, aber nicht notwendig, denn es gibt noch andere angenehme Möglichkeiten Geld los zu werden. Man kann es auch so formulieren wie der Naturwissenschaftler und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg im 18. Jahrhundert: Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber eines weiß ich gewiss, dass es anders werden muss, um besser werden zu können. Alles was Berater oder irgendwelche Managementmethoden aufzeigen können, sind also immer nur notwendige Vorgehensweisen, Aktionen, Maßnahmen, aber niemals hinreichende. Erstaunlich ist, dass es trotz dieses einfachen Sachverhalts immer wieder Manager gibt, die auf jemanden – zum Beispiel einen Berater – warten, der ihnen einen Erfolg garantierenden Königsweg zeigen wird. Erstaunlich um so mehr, als sie doch ohnehin wissen müssten, dass Berater immer nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten können!
1.11 Falsche Entscheidung und Fehlentscheidung Wo es um Änderungen geht, sollten die Verantwortlichen permanent zurückschauen, um aus dem Vergangenen zu lernen, d. h. Fragen zu stellen. • Wenn etwas gut gelaufen ist, sollte gefragt werden: War der Erfolg das Ergebnis unseres gezielten Handelns (Caused by Approach), oder war es mehr oder weniger das »Glück des Tüchtigen«? • Wenn etwas schlecht gelaufen ist, sollte gefragt werden: War es das Ergebnis einer Fehlentscheidung, d. h. einer Entscheidung,
1.10 »Hinreichend« und »Notwendig«
21
die schon zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung als falsch hätte erkannt werden können, oder war es das Ergebnis einer falschen Entscheidung, die zwar zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung richtig war, sich aber im Nachhinein durch etwas zum Entscheidungszeitpunkt nicht Vorhersehbares als falsch erweist? Fazit: Aus der Fehlentscheidung können wir etwas lernen, aus einer falschen nicht – oder höchstens, dass wir nichts mehr entscheiden.
1.12 Der angebliche Unterschied zwischen »Was« und »Wie« Ein weiteres Thema, dem man als Prozessmanager immer wieder begegnet, ist die eher »künstliche« Unterscheidung zwischen der Frage nach dem »Was« und der Frage nach dem »Wie«. Chart 4 ist der Versuch einer Darstellung, dass die Frage nach dem »Was« oder dem »Wie« nur eine Folge des Detaillierungsgrades der angedachten Lösungsmöglichkeiten auf dem Weg zu den konkreten Maßnahmen ist. Das »Was« fordert Effektivität: »Do the right things«. Das »Wie« fordert Effizienz: »Do the things right«. In Summe heißt das: »Mache die richtigen Dinge richtig!« Was und wie sind zwei Schritte auf dem Weg zu einem Ergebnis!
Was tun? Kosten senken! Wie Kosten senken?
Was? Bestände senken!
Was? Design to cost an den Produkten.
Was? Kosten für Kaufteile und Material senken.
Was? Personalkosten senken.
Wie?
Wie?
Wie?
Wie?
Was? FertigerzeugnislagerBestände reduzieren.
Was? Niveau an Unfertigerzeugnissen senken.
Was? Eingangslager-Bestände senken.
Wie?
Wie?
Wie?
Was? Zwischenlager-Bestände senken.
Was? Arbeitsvorräte an Arbeitsplätzen senken.
Was? Produkte aus Standardmodulen aufbauen.
Wie?
Wie?
Wie?
Was? Störungen an Arbeitsplätzen verringern.
Was? Arbeitsaufträge belastungsorientiert einsteuern.
Was? Losgrößen verkleinern.
Wie?
Wie?
Wie?
Chart 4
22
Der angebliche Unterschied zwischen dem »Was« und dem »Wie«
1 Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
1.13 Was ist Produktivitätssteigerung? Nun noch ein paar Gedanken zum Thema Effizienz: »Produktivität«, »Effizienz«, »Wirtschaftlichkeit« von irgendeiner Unternehmung oder einem Prozess oder einem Projekt sind immer Messgrößen, denen ein Quotient zugrunde liegt, und sei es auch nur ein gedachter. Es ist ein Quotient aus dem in einer Zeitperiode erbrachten Output dividiert durch den in derselben Zeitperiode dafür eingesetzten Input. Er sollte größer als eins sein. Man kann allerdings überlegen, ob dieser Quotient immer den Kern bzw. den wahren Gehalt von Unternehmungen oder insbesondere von Prozessen trifft.
q Die enge Definition der Produktivität Irgendeine Produktion wird mitsamt allen Produktionsmitteln von einem Hochlohnland in ein Niedriglohnland verlegt (höhere PersonalkostenProduktivität). Aus der Sicht des Geldes, das man dafür ausgegeben hat und des Geldes, das man am Schluss damit verdient, muss man das als wirtschaftlich bezeichnen, obwohl es nichts über eine Produktivitätsverbesserung der betroffenen Produktion aussagt. Mich als Prozessmanager erinnert das an folgende Vorgehensweise: Ein übergewichtiger Mensch lässt sich für Geld mitsamt seiner (Feder-) Waage auf den Mond schießen. Er stellt sich dort auf seine Waage und freut sich, dass er weniger wiegt.
1.14 Körpersprache Noch eine letzte Tatsache scheint mir im Rahmen der hier dargelegten allgemeinen Grundlagen des Managements erwähnenswert: Falls Sie sich ab und zu die Frage stellen, wieso andere Menschen – zum Beispiel auch Kollegen – wissen, dass Sie sie für inkompetent halten, obwohl Sie dies jenen gegenüber niemals geäußert haben, dann betrachten Sie die vier Varianten der Mona Lisa im Chart 5. Im zweiten, dritten und vierten Quadranten wurde gegenüber dem Original im ersten Quadranten nur die Haltung des Kopfes variiert. Doch allein dadurch verändert sich jeweils der Gesamtausdruck oder sogar der Charakter der dargestellten Person. Woher kommt diese stark veränderte Wahrnehmung? Der Kommunikationsprozess zwischen Menschen besteht zu ca. 60% aus Körpersprache. Der Rest setzt sich zusammen aus Mimik, Artikulation, dem Kontext und der eigentlichen Sprachinformation (Semantik), die den kleinsten Teil ausmacht!
1.13 Was ist Produktivitätssteigerung?
23
Chart 5 So einfach ist Körpersprache
Wir können daraus zumindest zwei Erkenntnisse gewinnen. Zum einen, dass wir – um nicht in die obige Falle zu geraten – versuchen, in uns von ungeliebten Kollegen jeweils ein zumindest rational positives Image aufzubauen. Zum anderen können wir versuchen, bewusst diese Art von Reaktionen oder Signalen unserer Mitarbeiter zu beachten. Es wird sich lohnen.
24
1 Allgemeine Grundlagen – Begriffsbestimmungen
2 Prozesseigenschaften
Sämtliche Tätigkeiten eines Unternehmens können als Prozesse oder Teilschritte von Prozessen betrachtet werden. Sie • haben einen darstellbaren Arbeitsablauf, • haben einen Ist-Zustand, der gemessen werden kann (siehe Chart 6), • haben ein erkennbares Leistungsniveau (zum Beispiel Ausstoß pro Zeit), • enthalten unbestimmte und nicht vorhersagbare Tätigkeiten/ Störungen, • besitzen eine Flexibilität und sie • benötigen bei Störungen häufig Ersatzprozesse. Es gibt drei Kategorien von Prozessmessgrößen, deren Größe in Abhängigkeit von ihrer jeweils wünschenswerten Tendenz eines der folgenden Kriterien zu erfüllen hat: 1. Je kleiner, desto besser (zum Beispiel Fehlerrate) 2. Je größer, desto besser (zum Beispiel Ausbeuten) 3. Ein Optimum (zum Beispiel Qualitätskosten) Die dritte Kategorie resultiert daraus, dass sehr viele Produkte oder Prozesse das Ergebnis widerstreitender, beweisbarer Fakten oder zuwiderlaufender berechtigter Interessen sind (Antinomien: Eine Antinomie ist ein Widerspruch zweier Sätze, von denen jeder Gültigkeit beanspruchen kann).
Durchlaufzeit: Resultiert aus der Reichweite der Arbeitsvorräte in den einzelnen Prozessschritten (Cycle Time) Erstausbeute: Prozentualer Anteil der Tätigkeiten, die beim ersten Mal richtig ausgeführt werden (First Pass Yield) Pünktlichkeit: Soll/Ist-Vergleich an jedem Prozessschritt (On-time Delivery) Mögliche Anzahl Wiederholungen pro Zeit: Dauer der Lernzyklen Arbeitsvorräte: Sichtbare und unsichtbare Bestände
2 Prozesseigenschaften
Chart 6 Messbare Merkmale von Prozessen
25
q Das Optimum Eine Waschmaschine soll zum einen am Schluss des Waschvorganges so gründlich wie möglich spülen und zum anderen so wenig wie möglich Wasser verbrauchen. Ersteres um Allergien bei den Benutzern der Wäsche zu vermeiden, letzteres, um die Ressource Wasser nicht zu sehr zu belasten. Also gibt es hier irgendwo ein Optimum des Wasserverbrauchs. Viel Wasser (gegen Allergien) und wenig Wasser (Ressourcen sparen) zu verbrauchen, hat jedes für sich Gültigkeit.
2.1 Von den Schwierigkeiten herkömmlicher Prozessgestaltung Eine wesentliche Basis von Prozessen sind die Systeme oder Organisationen, in denen sie ablaufen. Was wir dabei immer noch – allerdings immer seltener – vorfinden, ist die klassische funktionsorientierte Organisation, bei der einzelne Funktionen mit großem Erfolg optimiert werden, aber mit zunehmender Komplexität der Prozesse zu kämpfen ist (siehe Chart 7). Hinter dieser Form von Organisation steckt ein typisches Paradigma: Wenn alle Funktionen für sich einzeln optimal abgewickelt werden, dann ist auch das Zusammenwirken der Gesamtheit der Funktionen optimal. Diese Aussage ist falsch.
Viele Spezialisten – keine Generalisten Tiefe Hierarchien
Funktionsorientierte Anreizsysteme
Marketing
Entwicklung
Zerhackte Prozesse
Chart 7
26
Engpass: Informationsverarbeitung
Abgrenzungsmentalität
Fertigung
Massive Schnittstellenprobleme
Unzureichende Kunden- und Geschäftsorientierung
Vertrieb
Geringe Flexibilität
Service
Sehr lange Gesamtdurchlaufzeiten
Ein traditionelles Paradigma: »Wenn jede Funktion optimiert wird, dann ergibt auch die Gesamtheit aller Funktionen ein Optimum«
2 Prozesseigenschaften
q Punktuelle Optimierung und Optimierung des Systems Jeder, der in einer Großstadt täglich mit dem Auto zur Arbeit fährt, kennt die Tatsache, dass ab und zu an unverhoffter Stelle ein Stau ist. Häufig ist die Ursache dafür eine Kreuzung mit ausgefallener Ampelanlage. Die Kreuzung wird in solchen Fällen meist von einem oder mehreren Polizisten geregelt. Diese Polizisten können sicher das unmittelbare Geschehen an dieser Kreuzung besser erfassen und abschätzen als irgendein automatisches System. Die Kreuzung wird also aus der Sicht der Beamten optimal geregelt. Aber die Steuerung der Kreuzung ist bei funktionierender Ampelanlage Teil eines Verkehrsleitsystems. Bei ihm wird der gesamte Verkehrsfluss optimiert und nicht das Geschehen an den einzelnen Kreuzungen.
Prozesse in der funktionsorientierten Organisation Chart 8 zeigt eine »stark vereinfachte« Auftragsabwicklung in einem Werk des Produktgeschäfts. Die Abkürzungen für Werksleitung (WL), Technikleitung (TL), Fertigungsleitung (FL), kaufmännische Leitung (KL) und Qualitätssicherung (QS) erklären in etwa den Organisationsplan. In der Grafik geht es um einen Auftrag, der im Vertrieb bei VT61 eingeht und letztlich zu einer internen Lieferung an VT61 führt. Der jeweilige Pfeil von einem Kasten zum anderen stellt einen Funktionswechsel dar. Innerhalb eines Kastens gibt es selbstverständlich auch noch häufig mehrere Beteiligte bzw. Prozessschritte. Was Prozesse hier langsam macht, sind insbesondere die bei den vielen Funktionswechseln immer wieder von neuem vorgefundenen Arbeitsvorräte, sprich Wartezeiten. Ein weiteres Problem, das Chart 7 ebenso zeigt, ist, dass die einzelnen Funktionen eigenständige Hierarchien sind. Anreiz- und Förderungssysteme gelten innerhalb dieser Hierarchien und dienen nicht dem Gesamtoptimum, zum Beispiel dem der durchlaufenden Aufträge. Schnitt-
Chart 8 Komplexe Geschäftsprozesse in einer funktionsorientierten Organisation
2.1 Von den Schwierigkeiten herkömmlicher Prozessgestaltung
27
stellenprobleme sind vorprogrammiert und häufig muss deren Klärung nach oben delegiert werden, weil auf dem direkten »horizontalen« Weg eine Klärung nicht möglich oder zum Beispiel wegen zu niedriger Hierarchiestufen der innerhalb der »Kästchen« beteiligten Personen nicht »zulässig« ist. Was sich also anbietet und heute sehr viel gemacht wird, ist eine prozessorientierte Organisation. Normal ist, dass es aber auch hierbei sehr viele Einzelverantwortlichkeiten gibt und niemanden, der zum Beispiel für einen Auftrag als Ganzes verantwortlich ist. Insofern sind manche der Pfeile in Chart 8 häufig auch als reine Kompetenzabgleichprozesse oder Gegenzeichnungsprozesse zu verstehen. Um einzelne Aufträge durch eine derartige arbeitsteilige Organisation verfolgen zu können, sind aufwändige logistische oder dokumentierende Verfahren notwendig, deren Verantwortliche weiteres Kompetenzgerangel in das Tagesgeschäft einbringen. Für den produktionsnahen Teil des Auftragsabwicklungsprozesses sind in funktionsorientierten Organisationen meist Disponenten zuständig gewesen. Später hat man sogenannte Produktverantwortliche (meist ehemalige Produktentwickler) installiert, deren Aufgabe es war, den gesamten Prozess vom Auftrag des Kunden bis zur Auslieferung an den Kunden – aus Terminsicht und Qualitätssicht – zu durchschauen und zu verantworten. In den einzelnen Kästen des Charts 8 laufen zwangsweise viele große und kleine Aufträge parallel. Sie »konkurrieren« sozusagen am einzelnen Mitarbeiter oder an der Kapazität des jeweiligen Prozessschrittes miteinander. Man kann also davon ausgehen, dass an jedem Prozessschritt – unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter – wartende Arbeitsvorräte vorhanden sind.
Ein Maurerdreisatz Das Konkurrieren der einzelnen Aufträge am einzelnen Mitarbeiter führt bei diesem – aus welchen Gründen auch immer – häufig zu ihrer gleichzeitigen Bearbeitung. Nicht selten ist dies sogar wegen Störungen oder offener Fragen bei einzelnen Aufträgen dringend notwendig.
q Wie man zu langen Durchlaufzeiten kommt In zwei unmittelbar aufeinander folgenden Prozessschritten (Arbeitsplätzen) arbeiten ein erster Mitarbeiter MA 1 und ein zweiter Mitarbeiter MA 2 (Chart 9). Gearbeitet wird an vier Projekten, die die beiden Mitarbeiter an diesen zwei Arbeitsplätzen unterschiedlich belasten. Der Einfachheit halber ist die Summenbelastung jedes dieser Mitarbeiter durch diese vier Projekte jeweils genau 100% von vier Wochen. Im ersten Fall (linke Bildhälfte) werden die vier Projekte (Actions in Process, AIP) gleichzeitig bearbeitet und gleichzeitig beendet bzw. weitergegeben. Die Durchlaufzeit für jedes einzelne dieser vier Projekte durch
28
2 Prozesseigenschaften
0
1
2
3
4
5
6
7
8
0 Wochen
100% 38% Proj. 1 MA1
12% Proj. 2
1. Prozessschritt
25% Proj. 3
1
3
4
5
6 Wo
P1
P2
P3
P4
1,5 Wo
0,5 Wo
1 Wo
1 Wo
MA1
25% Proj. 4 0%
0% 100%
100% 25% Proj. 1
MA2
2
100%
38% Proj. 2 12% Proj. 3
2. Prozessschritt
P1
P2
P3
P4
1 Wo
1,5 Wo
0,5 Wo
1 Wo
MA2
25% Proj. 4 0%
0%
2,5 Wo
P = Projekt = Wartezeit
Gesamt-DLZ 8 Wochen; mittlere DLZ je Projekt 8 Wochen; 2 MA fulltime; Gesamtbearbeitungszeit 80 Stunden je Projekt
2 Wo 1,5 Wo 2 Wo
1. Proj. 2. Proj. 3. Proj. 4. Proj.
Gesamt-DLZ 6 Wochen; mittlere DLZ je Projekt 2 Wochen; 2 MA Teilzeit; Gesamtbearbeitungszeit 80 Stunden je Projekt
Die gleichzeitige Bearbeitung mehrerer Aufträge führt zu langen Durchlaufzeiten (DLZ)
Chart 9
beide Prozessschritte beträgt acht Wochen. Die mittlere Durchlaufzeit aller vier Projekte beträgt auch acht Wochen. Im zweiten Fall (rechte Charthälfte) wird jedes einzelne Projekt vollständig ohne Unterbrechung bearbeitet und vom ersten Mitarbeiter zum zweiten Mitarbeiter unmittelbar nach Erledigung einzeln weitergegeben. Da wir nur vier Projekte und nur jeweils einen Mitarbeiter pro Prozessschritt betrachten, entstehen bei beiden Mitarbeitern die im Chart schraffierten Leerzeiten. (Diese könnten oder würden im Realfall durch andere, im besten Fall nicht terminorientierte Arbeit gefüllt werden.) Worauf es aber hier ankommt ist die Tatsache, dass nur dadurch, dass jeder der beiden Mitarbeiter sich von Anfang bis Ende jeweils mit nur einem der vier Projekte befasst, sich die Durchlaufzeit aller Projekte gemeinsam (zum Beispiel als Projektpaket) auf sechs Wochen reduziert. Die mittlere Durchlaufzeit der vier einzelnen Projekte beträgt nur noch zwei Wochen. Das Durcharbeiten an einem Projekt setzt dessen Störungsfreiheit voraus. Und auch nur dann bleibt die Summe jeder der vier Projektbearbeitungszeiten in diesen zwei Prozessschritten gleich 80 Stunden. Was ebenfalls gegen die gleichzeitige Abarbeitung der vier Projekte spricht ist, dass die 80 Stunden für den Fall in der linken Charthälfte nur in der vereinfachenden Darstellung des Charts ausreichen, denn methodisch und in der Wirklichkeit wird sich bei jedem Projektwechsel bei einem Mitarbeiter irgendeine, zumindest mentale, zusätzliche Rüstzeit ergeben.
2.1 Von den Schwierigkeiten herkömmlicher Prozessgestaltung
29
Die im Chart 9 gezeigten unterschiedlichen Abarbeitungsvarianten für die vier Projekte an jeweils zwei Teilprozessschritten sagen letztlich nur folgendes: Wenn eine Kapazität (Mensch oder Maschine) auf vier Projekte gleichzeitig angesetzt wird, steht für jedes – im Mittel – nur ein Viertel dieser Kapazität zur Verfügung, womit sich die Durchlaufzeit des jeweiligen Projektes vervierfacht (Maurerdreisatz).
Industrial Dynamics – das Unternehmensmodell von J. W. Forrester Nun noch ein neuer Gedanke: Der Wunsch des Kunden betrifft fast immer nur ein einzelnes Produkt. Wenn man alle Kundenaufträge sofort an den Herstellort durchreichen könnte, ergäbe sich ein maximal stetiger Auftragsfluss bei der jeweiligen Produktion (Gesetz der großen Zahl). Eine Auftragssimulation aus dem Jahr 1961 [Jay W. Forrester] zeigte anhand eines Unternehmensmodells damals schon sehr eindringlich den Einfluss einer Disposition auf der Basis von sogenannten »wirtschaftlichen« Losgrößen (hier erreicht durch Raffung des Bedarfs bzw. der Anzahl Kundenaufträge von je drei Wochen). Für das gezeigte Beispiel aus dem Bereich Haushaltsgeräte (siehe Chart 10) wurden drei durchaus übliche Dispositionsstufen (Levels) in der Simulation hintereinander geschaltet (siehe rechte obere Charthälfte). 1. Einzelhandel (Retailers) 2. Großhandel (Distributors) 3. Verkaufslager der Fabrik (Factory Warehouse) Der Durchlauf einer einzelnen Order im System (als Addition der Wochenzahlen in den durchlaufenen Kreisen) dauerte 19 Wochen. Die Bestellung »aufwärts« vom Retailer bis zur Factory dauerte 9 Wochen, der Durchlauf in der Factory 6 Wochen und die Lieferung der Ware »abwärts« 4 Wochen. Ein einmaliger sprunghafter Anstieg der Nachfrage im Einzelhandel um nur 10% (siehe unteren Teil des Diagramms) ergibt – durchgereicht über die zwei weiteren Dispositionsstufen – extrem schwankende Fertigungsstückzahlen (Factory Output). Das Chart 10 zeigt die verursachten Schwankungen: +45% in Woche 21; -3% in Woche 39; +12% in Woche 59. Wenn man den »disponierenden« Großhandel (Distributor) ausschaltet, liegt die Überproduktion der Fabrik als Ergebnis von nunmehr zwei Dispositionsstufen nur noch bei +26%! Auch wenn heute Durchlaufzeiten oder Dispositionszeiten meist kürzer sind als in Forresters Modell angenommen wird, gilt das Ergebnis qualitativ nach wie vor.
30
2 Prozesseigenschaften
Factory
Factory warehouse
Inventory
6
1
2
1
Distributors = Laufzeit in Wochen
Inventory
0,5
2 1
% Einheiten pro Woche (units/week)
0,5
60
Inventory
+45%
50
3 1
Factory output with distributor level
40
Orders of goods
+26%
30 20
1
Retailers
Factory output without distributor level
+10%
Delivery of goods to customers
+12%
10
Retail sales
0 10
20
-3% 30
40
50
60
70
Wochen
-10 -20
Factory Outlet einer Fertigung verursacht durch einen sprunghaften Anstieg der Retail Sales des Einzelhandels um 10% [nach Jay W. Forrester]
Chart 10
Das heißt, derartige Belastungsschwankungen einer Fertigung sind absolut realistisch. In einer unserer Flachbaugruppen-Fertigungen wurden aus mehr als 1000 »lebenden« Flachbaugruppentypen jährlich ca. 300.000 Stück Flachbaugruppen gefertigt. Der Bedarf wurde hier nicht wie oben alle drei Wochen, sondern wöchentlich gerafft vorgegeben. Die Belastung der Flachbaugruppen-Fertigung als Ganzes schwankte von Woche zu Woche zwischen ca. 1500 und 7500 Stunden (also um den Faktor 5). Die Belastung einzelner Arbeitsplatzgruppen schwankte von Woche zu Woche sogar um bis zu einem Faktor 20. Das also zum Thema »wirtschaftliche« Losgrößen, die durch Raffung des jeweiligen Bedarfs auf eine Minimierung der Rüstzeiten zielen, deren logistische Konsequenzen aber sehr häufig ein Vielfaches kosten.
q Stetiger Auftragsfluss und verzögerungsfreie Lieferung Wir alle kennen ein Produkt, bei dem die Nachfrage, das heißt der Bedarf jedes einzelnen Kunden, direkt auf den Hersteller durchgeschaltet wird. Es ist der elektrische Strom, bei dem ein Druck auf den Lichtschalter oder das Einschalten eines elektrischen Gerätes die sofortige Lieferung veranlasst. Der sich im Kraftwerk ergebende »Produktionsbedarf« (Stromverbrauch) ändert sich durch die sehr große Anzahl unabhängiger Einzelaufträge absolut stetig.
2.1 Von den Schwierigkeiten herkömmlicher Prozessgestaltung
31
2.2 Effizienz von Prozessen Das Vorhandensein großer Arbeitsvorräte an einzelnen Maschinen oder Arbeitsplätzen ist nicht nur ein Problem in der Produktion. Das Hineingeben viel zu großer Auftragsmengen bzw. Arbeitsvorräte in die Prozesse gilt genauso auch für alle Bürotätigkeiten. Das Hineingeben von zuviel Arbeit in einen Prozess hat in allen Fällen zumindest einen gemeinsamen Grund, nämlich die Angst bei den Betroffenen, dass irgendwo die Arbeit abreißen könnte, d. h. dass irgendwelche Kapazitäten ungenutzt bleiben bzw. irgendwelche Mitarbeiter vorübergehend keine Arbeit haben. Diese Angst ist berechtigt. Die Frage ist nur, mit im Mittel wie viel Arbeitsvorräten an den Arbeitsplätzen man dieser Angst begegnen kann oder sollte, das heißt, wie schlank (lean) man den Prozess macht. Sind es Vorräte von mehreren Tagen oder sind es nur Vorräte von mehreren Stunden?
Die Schnelligkeit von Prozessen resultiert aus ihrer Schlankheit Das Chart 11 zeigt drei Büroarbeitsplätze hintereinander, bei der im oberen Teil die Arbeit sukzessive abgearbeitet wird, für die hingegen im unteren Teil einfach nur soviel Arbeit in diese kleine Prozessstrecke hineingegeben wird, dass an keinem Arbeitsplatz der Arbeitsvorrat größer wird als für zwei Tage (200%). Das im Chart ganz unten skizzierte Freigabeverfahren mit Belastungsschranke erkennt nicht nur die (direkte) Belastung am ersten Arbeitsplatz, sondern es erkennt anhand eines einfachen, sta-
Chart 11 Auftragsfreigabe anhand der maximal zugelassenen Arbeitsvorräte an den Arbeitsplätzen (Belastungsschranken)
32
2 Prozesseigenschaften
tistischen Warteschlangen-Modells auch die zu erwartende Belastung für die zwei im Chart dahinterliegenden Arbeitsplätze. Man nennt dies »indirekte Belastung«. Das Chart suggeriert, dass dabei nichts weiter passiert, als die Arbeit vor der Gruppe von drei Büroarbeitsplätzen liegen zu lassen, anstatt sie – wie im oberen Teil gezeigt – im Prozess liegen zu lassen. Das ist zunächst richtig. Allerdings: 1. Zum einen kostet eine Arbeit, solange sie vor der Prozessstrecke nur als Auftrag, sprich als Papier liegt, in der Regel kein Geld (verbraucht also keine Arbeitszeit und keine Vorräte). 2. Zum anderen ist es denkbar und letztlich notwendig, die im Chart gezeigte Durchlaufzeitverkürzung von 20 auf 5 Tage an die bestellenden Kunden weiter zu reichen. Was hieße das? In diese kleine Prozessstrecke kann die Arbeit fünfzehn Tage später als vorher, sprich viel »aktueller«, hineingegeben werden. 3. Änderungen an wartenden Aufträgen kosten kein Geld. Aber sie kosten sehr wohl Geld, wenn die Produkte schon im Prozess in Bearbeitung sind. Dadurch wird klar, dass die untere Vorgehensweise in der Regel bei weitem vorteilhafter ist als die obere.
Das Denken in großen – sogenannten wirtschaftlichen – Losen durchzieht letztlich unser gesamtes Wirtschaftsgeschehen Wenn man den Begriff »Los« etwas weiter fasst, dann muss man darunter nicht nur einen Auftrag mit einer großen Anzahl von gleichen Produkten verstehen. Man kann darunter auch eine große Anzahl von Innovationen verstehen, die in ein Projekt hineingepackt wurden oder die an die Entwicklung eines neuen Produkts vorgegebene große Anzahl gleichzeitig zu entwickelnder Produktmerkmale! Ganz allgemein gilt die Tatsache: Je größer die Durchlaufzeit oder Zeitdauer eines Projektdurchlaufs oder einer Produktentwicklung ist, um so größer ist das Zeitfenster für Änderungen und damit auch die Wahrscheinlichkeit für erhöhte Kosten. Das Vorgeben von zuviel Arbeit in irgendeine Prozessstrecke führt dazu, dass diese Prozessstrecke durch die vielen Wartezeiten langsam ist.
q Warum Produkte nur rumliegen Bei einem Los von zum Beispiel 100 Stück wartet jedes einzelne Werkstück an jedem einzelnen Arbeitsplatz während der Losbearbeitungszeit 99 mal so lange wie es selber bearbeitet wird. Und auch das Los, der Auftrag als Ganzes, liegt – wie wir bereits gesehen haben – den größten Teil seiner Durchlaufzeit in Warteschlangen und ist nur einen Bruchteil seiner Durchlaufzeit in Bearbeitung. Das einzelne Produkt liegt also nur rum!
2.2 Effizienz von Prozessen
33
Sichtbare und unsichtbare Bestände Bekannt ist, dass man für Bestände von anfassbaren Produkten, da sie Geldwerte darstellen, Zinsen ansetzen muss, denn man hätte zum Beispiel den Geldwert, der in ihnen steckt, auch auf eine Bank tragen können, um Zinsen zu verdienen. Dieselbe Überlegung muss allerdings auch dann angestellt werden, wenn es nicht um körperlich anfassbare d. h. um unsichtbare Bestände geht, sondern einfach um Geld, das in Prozessen gebunden ist, zum Beispiel in einem Entwicklungsprojekt (siehe Chart 12). In dem Chart gehen wir von der Annahme aus, dass die Entwicklung ein und desselben Projektes im einen Fall drei Jahre dauert und im anderen Fall nur ein Jahr. Weiterhin wird angenommen, dass sich die Entwicklungskosten inkl. der Löhne und Gehälter für die Entwickler stetig und linear aufsummieren. Man kann dann über die jeweilige Gesamtdurchlaufzeit (wie auch bei Fertigungsdurchlaufbeständen üblich) davon ausgehen, dass die halben Entwicklungskosten (in der Produktion nennt man das »Anarbeitung Halbe«) im ersten Fall während drei Jahren und im zweiten Fall nur während eines Jahres gebunden sind und Zinsen verbrauchen. Erst wenn das aus der Entwicklung resultierende Produkt verkauft wird, wird ein Erlös erzielt. Und dieser Erlös muss umso höher sein, je länger das Kapital in der Entwicklungszeit gebunden war. Der Aufwand für die Entwicklungszeit geht also direkt in die Preiskalkulation mit ein.
Schneller arbeiten geht nicht Aus dem zuvor Gesagten erkennen wir, dass die Effizienz von Prozessen etwas mit der Schnelligkeit dieser Prozesse, sprich ihrer Schlankheit zu tun hat. Was aber in keinem Fall stimmt, ist, dass Prozesse durch schnel-
Kumulierte Entwicklungskosten
z.B. 1 Entwickler 3 Jahre 0
Chart 12 Durchlaufzeitreduzierung in der Entwicklung vermindert gebundenes Kapital in Form von sichtbaren oder unsichtbaren Beständen
34
1
2
3
Entwicklungszeit 3 Jahre
Gebundenes Kapital 3 Entwickler 1 Jahr
0
1
Entwicklungszeit 1 Jahr
2 Prozesseigenschaften
Definition „Normalleistung“ REFA: „Sie kann von jedem in erforderlichem Maße geeigneten, geübten und voll eingearbeiteten Arbeiter auf die Dauer und im Mittel der Schichtzeit erbracht werden …“ Definition „Normalleistung“ aus dem Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (Paragraph 19): „Normalleistung ist diejenige Leistung, die von ausreichend geeigneten Arbeitnehmern bei voller Übung und ausreichender Einarbeitung ohne Gesundheitsschädigung auf die Dauer erreicht und erwartet werden kann.“
Chart 13 Leistungsbewertung bei menschlicher Arbeit
le Arbeit schneller werden und dieses wiederum gilt schon gar nicht für den Menschen. Schon Taylor (siehe Chart 2) hat gewusst, dass es für jede Tätigkeit von Menschen eine sogenannte Normalleistung gibt. Die von ihm benutzte Definition ist praktisch deckungsgleich mit der im Chart 13 gezeigten Definition von Normalleistung durch REFA oder auch durch die in Tarifverträgen festgelegte Definition von Normalleistung. Die »Schnelligkeit«, mit der Menschen zum Beispiel im Leistungslohn arbeiten, schwankt um die vorher durch Messen und Schätzen bestimmte Normalleistung um typische ± 20% bis 30%. Und das ist bezogen auf die gesamte Durchlaufzeit, wie wir gesehen haben, praktisch ohne Einfluss, wohl aber von Einfluss auf die Kosten für diesen einzelnen Arbeitsschritt. Das »Schätzen« erfolgt durch einen REFA-Mann. Er misst mehrere Male mit einer Stoppuhr die für einen Arbeitsschritt gebrauchte Zeit. Dabei beobachtet er den Mitarbeiter und urteilt, wie sehr sich dieser dabei anstrengt. War seine Leistung nur 80%, 100% oder sogar 125%? Mit diesem geschätzten Leistungsgrad wird dann die gemessenen Zeit auf 100% Normalleistung umgerechnet. Das Schätzen ist ein durchaus emotionaler Vorgang! Ich habe es einige Male selber gemacht und weiß daher: Schneller arbeiten geht nicht.
2.2.1 Die Durchlaufzeit als Indikator für Prozesseffizienz Actions In Process, AIPs Wir haben festgestellt, dass Durchlaufzeit in der Mehrzahl der Fälle nichts weiter ist als das Liegen von Arbeitsvorräten in Warteschlangen. Für typische Werkstattfertigungen ist das schon seit mehr als 30 Jahren genau untersucht und bekannt (Chart 14).
2.2 Effizienz von Prozessen
35
Das Chart zeigt, dass 95% der Durchlaufzeit Transport-, Liege- und Wartezeiten sind. Transportzeiten in einer Produktion oder auf einem Werksgelände, je nachdem, liegen in der Größenordnung von 1% bis 2% der Durchlaufzeit. Transportzeiten spielen nur dort eine Rolle, wo es um großräumige und schwere Güter geht, die zum Beispiel aufwändige Kranbeladungszeiten haben und bei denen zusätzlich noch Kranwartezeiten eine Rolle spielen können. Durchlaufzeit ist Liegezeit! Die Durchlaufzeit besteht also hauptsächlich aus Liegezeiten und zwar – wie schon besprochen – vor jedem einzelnen Arbeitsplatz oder Arbeitsschritt (Actions In Process). Häufig hört man die Meinung, dass die Durchlaufzeiten im Wesentlichen durch Störungen im Durchlauf bedingt sind, das heißt durch Wartezeiten. Das ist nicht so. Denn die langen Durchlaufzeiten aufgrund der vielen Arbeitsvorräte in den Prozessen sind nichts weiter als das Ergebnis eines Paradigmas. Es lautet: Man muss einen Auftrag so früh wie möglich in den Prozess hineingeben, damit er am Ende pünktlich herauskommt. Chart 15 schlüsselt auf, wie sich bei einem typischen Auftragsdurchlauf im Produktgeschäft das Verhältnis Liegezeit zu Bearbeitungszeit darstellt.
q Durchlaufzeitverkürzungen Kollegen von mir haben für unterschiedliche Prozesskategorien mit den Verantwortlichen wirklich enorme Durchlaufzeitverkürzungen aushandeln können. Die festgestellten Leerzeiten lagen bei Fertigungszyklen bei 75 bis 90%, beim Abwicklungszyklus für Großprojekte bei ca. 50%. Am Ende war es möglich, in Fertigungsprozessen eine Verkürzung der Zyklusdauer um 50 bis 70% zu erreichen und in Verwaltungsprozessen sogar 50 bis 90%.
Durchlaufzeit 0%
1%
5%
100% System Fertigung
Transport-, Liege- und Wartezeit
Hauptzeit 0%
20%
Bearbeitungssystem
Rüst-, Neben- u. Verteilzeit Verbesserungen durch automat. Arbeitsablauf
100%
Auftragszeit
Chart 14
36
Aufteilung der Auftragszeit und der Durchlaufzeit eines Werkstückes bei konventioneller Werkstattfertigung [nach Opitz, 1970]
2 Prozesseigenschaften
Kunde Vertrieb
Auftrag Sichtung/Klärung; Eingabe in LABIV
Fürth/ Klärungen München Auftragserfassung/ Sichtung
1 Tag (1 Minute Bearbeitungszeit) 1 – 6 Tage (12 Minuten – 1 Tag Bearbeitungszeit)
Zergliederung/ Disposition
Bearbeitungszeit Liegezeit
1 Tag 6 - 20 Tage (88 – 148 Minuten Bearbeitungszeit)
Vorfertigung kundenspezifischer Teile inkl. Kommissionierung Montage/Prüfung
Eine Verkürzung der Durchlaufzeit um 30 bis 50% ergab eine Reduzierung der Bestandskosten (UE) um ca. 2’ DM (1,3% vom Umsatz)
1 Tag
Technische Klärung/ Bearbeitung
Werk
Durchlaufzeit 16 bis 36 Tage (Bearbeitungszeit ca. 5%)
1 – 2 Tage (1/2 Tag Bearbeitungszeit)
6 Tage bei vorgefertigten Teilen 1 Tag (13 Minuten Bearbeitungszeit)
Batchbetrieb
1 Tag (1,3 Minuten Bearbeitungszeit)
Spritzen Verpackung/Versand
Klärung/Nacharbeit
Werkstattfertigung Primat der Kapazitätsauslastung
Kunde
3 Tage (3 Minuten Bearbeitungszeit)
Auslieferung
Anteil von Bearbeitungs- und Liegezeit bei der Auftragsabwicklung im Produktgeschäft (reales Beispiel)
Chart 15
Das zeigt auch, dass sich Bemühungen zur Verkürzung von Durchlaufzeiten nicht nur auf die Fertigung beziehen dürfen, sondern den gesamten Wertschöpfungsprozess berücksichtigen müssen.
Das Priorisieren von Aufträgen verlangsamt das Gesamtgeschehen Was lange Durchlaufzeiten typischerweise immer wieder zur Folge haben ist, dass – aus welchem Grund auch immer – Projekte oder Aufträge beschleunigt abgearbeitet werden, und zwar durch Priorisierung. Was Priorisieren heißt, zeigt Chart 16. Es ist ein sehr einfacher Vorgang. Der priorisierte Auftrag stellt sich bei den einzelnen Arbeitsschritten nicht hinten an den Schlangen wartender Aufträge an, sondern überholt sie und wird vorne sozusagen als nächster Auftrag in den Prozess wieder hineingenommen. Im Produktionsbereich spricht man vom »Durchtragen« von Aufträgen und man kann im Chart erkennen, dass das Durchtragen umso wirkungsvoller ist, je größer die Warteschlangen sind bzw. je länger die Standarddurchlaufzeiten sind. Je schlanker Prozesse sind, desto weniger Effekt hat die Priorisierung!
q Beschleunigungswirkung durch Priorisieren Ein typischer Prozess für den Fertigungsdurchlauf von nicht zu komplizierten mechanischen Teilen ist das Anlaufen von fünf hintereinander liegenden Bearbeitungsstationen. Ein in solchen Fertigungen häufig
2.2 Effizienz von Prozessen
37
Priorisiertes Los
Arbeitsplatz 1
x
Arbeitsplatz 3
x Arbeitsplatz 2
Priorisiertes Los
x
Arbeitsplatz 1 x
Chart 16 Durchlaufzeitverkürzung durch Prioritätensteuerung
Arbeitsplatz 2
Arbeitsplatz 3
Überholen einer großen Warteschlange führt zu starker Durchlaufzeitverkürzung
Überholen einer kleinen Warteschlange führt zu geringer Durchlaufzeitverkürzung
Eilauftrag Wartender Auftrag
vorgefundener Arbeitsvorrat hat zum Beispiel Warteschlangen von im Mittel fünf Tagen Reichweite pro Arbeitsstation zur Folge. Ein priorisierter Auftrag, der an diesen fünf Warteschlangen »vorbeigetragen« wird, gewinnt also rund fünf Wochen an Durchlaufzeit. Das ist eine beachtliche Beschleunigung. Die gesamte Bearbeitungszeit derartiger Aufträge mit fünf Arbeitsvorgängen liegt normalerweise im Stundenbereich. Priorisieren bewirkt, dass zwar eine kleine Anzahl von Aufträgen beschleunigt wird, dass aber der große Rest der übrigen Aufträge dadurch unpünktlicher wird. Ein Prozess oder ein System als Ganzes wird durch Priorisieren nicht pünktlicher, sondern unpünktlicher! In der Praxis kann das bedeuten, dass sich ein Kunde sehr freut, dass aber zehn andere ziemlich unzufrieden sind. Wenn man sich Durchlaufzeitdiagramme anschaut, wie in Chart 17 gezeigt, findet man typischerweise bei ganz kurzen Durchlaufzeiten ein »eigenes Maximum«. Dieses entsteht im gezeigten Chart aus den ca. 20% »durchgetragenen« Aufträgen. Man kann also an einem Durchlaufzeitdiagramm deutlich erkennen, ob in dem betroffenen System priorisiert wird oder nicht. Das Beispiel zeigt auch deutlich, dass sich durch das Vorziehen von ca. 20% der gesamten 200 Aufträge die Durchlaufzeit der restlichen 80% verschlechtert, denn sie werden nach »hinten« verschoben.
Die statische Durchlaufzeit betrachtet nur die einzelnen Aufträge, aber nicht das Gesamtgeschehen Durchlaufzeitverteilungen bezeichnen immer die Dauer vom Datum (oder der exakten Zeit) des Fertigungs- bzw. Bearbeitungsbeginns bis zur Ablieferung des Auftrags.
38
2 Prozesseigenschaften
Häufigkeit
Kürzeste Durchlaufzeiten („Hot Lots”) entstehen beim „Durchtragen” von Aufträgen
20 18 16 14 12 10 8
Langläufer
6 4 2 0 1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
Basis: Statistik über 200 Aufträge einer Ersatzteilefertigung (11/92 – 3/93)
Durchlaufzeit (in Wochen)
Am Ende des Auftragsdurchlaufs gemessene »statische« Durchlaufzeiten (Beispiel)
Chart 17
Diese Form von Durchlaufzeitmessungen nennt man statisch. Mit ihr wird die Durchlaufzeit der einzelnen Aufträge bestimmt, aber nicht die Durchlaufzeit der Summe aller Prozessschritte bzw. des Gesamtprozesses. Auch auf den einzelnen Arbeitsvorgang bezogen, kann man anhand der einzelnen Aufträge Durchlaufzeitverteilungen messen und man kann auch dort wiederum feststellen, ob priorisiert wird (siehe Chart 18). Das Chart zeigt zwei Verteilungen in Betriebskalendertagen (BKT) – vor und nach einer Optimierung der Durchlaufzeiten. Nach der Optimierung war die mittlere Durchlaufzeit von 13,6 auf 7,9 Betriebskalendertage reduziert. Interessant ist, dass bei der schlankeren Durchlaufzeitverteilung an diesem Arbeitsgang offenbar keine priorisierten Aufträge mehr vorkommen. In der ersten Verteilung sind es sieben Aufträge mit einem Betriebskalendertag Durchlaufzeit. Ob beim Arzt im Wartezimmer oder in einem Fertigungsbereich, der Arbeitsvorrat hat immer den selben Zweck, nämlich: Er soll sicherstellen, dass die Arbeit nicht abreißt. Die schon einmal gestellte Frage ist nur: Wie groß sollte eigentlich dieser Sicherheitsbestand sein? Ich meine, im Wartezimmer genügen im Mittel ein bis zwei wartende Patienten an Stelle von fünf und in einer Produktion genügt ein mittlerer Vorrat von zwei Tagen anstelle eines mittleren Vorrats von fünf Tagen. Letzteres haben wir oft gemessen und bewiesen.
2.2 Effizienz von Prozessen
39
Anzahl Aufträge 2
1
7,9
13,6
Standardabweichung _ [BKT] 5,2
16,0
Variationskoeffizient
1,18
Mittelwert [BKT]
15
0,66
2 10 1
7 5
Chart 18 Verteilung der Durchlaufzeiten pro Arbeitsvorgang bei zwei Vergleichszuständen (1) und (2)
1 Durchlaufzeit (BKT) BKT: Betriebskalender-Tag
Einfluss unterschiedlicher Losgrößen auf die Kapazitätsauslastung Chart 19 zeigt, dass in das Auftragsgeschehen noch ein zweiter Effekt hineinwirkt. Jeder Arbeitsplatz und jedes – ich nenne es einmal – Arbeitssystem der Industrie hat eine »Kannkapazität«, das heißt eine ihm je Planperiode kalkulatorisch zugeschriebene 100%-Leistung. Die Arbeitsinhalte der einzelnen Aufträge, die pro Planperiode an einen solchen Arbeitsplatz vorgegeben werden, können dabei sehr unterschiedlich groß sein und im Mittel zusätzlich auch absolut sehr groß sein. Man braucht in diesen Fällen relativ große Sicherheitsbestände, sprich Arbeitsvorräte, um das Abreißen der Arbeit am einzelnen Arbeitsplatz zu verhindern (siehe oberer Teil des Charts). Im Gegensatz dazu ist bei kleinen Arbeitsinhalten und weniger schwankenden (Arbeits-)Portionsgrößen dieses Risiko schon mit sehr viel kleineren Sicherheitsbeständen an den einzelnen Arbeitsplätzen abzudecken (siehe unteren Teil des Charts). Auch diese Aussagen gelten wieder generell nicht nur für die Produktion, sondern für alle Arten von – ich nenne sie einmal – Arbeitssystemen. Wenn man Prozesse schlanker machen will, wird man zunächst die Bestandsreichweiten an den einzelnen Arbeitsplatzgruppen oder Arbeitspositionen messen. Im nächsten Schritt wird man ermitteln, wie klein die Arbeitsvorräte an den einzelnen Plätzen sein dürfen, so dass die Auslastung dieser Arbeitsplätze gerade noch nicht gefährdet ist. Die so ermittelten Arbeitsvorräte sind meistens sehr viel niedriger als man an Sicherheitsbeständen bzw. Ist-Reichweiten vorfindet. Mit all diesen Themen befasst sich Chart 20. Alle im Chart gezeigten Daten stammen aus der bereits erwähnten Flachbaugruppen-Fertigung. Auf der Abszisse (der Horizontalen) sind mögliche Gesamtarbeitsvorräte dieser Flachbaugruppen-Fertigung in Stunden angegeben. Der Wert der Wochenleistung dieser Fertigung liegt bei 4.660 Stunden (= 100%) pro Woche.
40
2 Prozesseigenschaften
Einzelbelastungen BS
Kannkapazität
Streuung groß
100% Arbpl. 1
Einzelbelastungen
Kannkapazität
Arbpl. 2
Arbpl. 3
Arbpl. 12
Arbpl. 3
Arbpl. 12
BS: Belastungsschranke
BS
Streuung klein
100% Arbpl. 1
Arbpl. 2
Einplanungsraster bzw. Planperioden Sicherheitsbestände bzw. Arbeitsvorräte an den Arbeitsplätzen 1 bis 12
Wirkungsweise einer Belastungsregelung bei unterschiedlichen, mittleren Auftragsgrößen
Chart 19
Die Ordinate (die Vertikale) zeigt die Leistung bzw. Auslastung dieser Flachbaugruppen-Fertigung. Die 100%-Linie liegt entsprechend dem zuvor Gesagten bei 4.660 Stunden pro Woche. Bei großen Bestandsreichweiten ergab sich eine mittlere Durchlaufzeit von ca. vierzehn Wochen. Die Leistungskurven beginnen jeweils rechts im Chart bei einem mittleren Gesamtarbeitsvorrat von 23.000 Stunden. Das entspricht gemessen an den 4.660 Stunden pro Woche einer Reichweite von fünf Wochen. Die gesamte Auftragsvorgabe bzw. Auftragsdisposition erfolgte wöchentlich nach dem Neuaufwurf-Prinzip. Das Einlasten der einzelnen Aufträge/Lose in die Werkstatt erfolgte täglich mit Belastungsschranke (siehe Chart 11). Die Leistung der sogenannten Bezugskennlinie (gestrichelt) fing ab einer mittleren Bestandsreichweite pro Arbeitsplatz von drei Tagen, d. h. einer Belastungsschranke von 300% an abzusinken. Bei einer Reichweite von zwei Tagen, sprich einer Belastungsschranke von 200%, lag die Leistung nur noch bei 80% der maximal möglichen. Bei einer Reichweite von nur noch einem Tag, d. h. einer Belastungsschranke von nur noch 100% fiel die maximal mögliche Leistung auf 50% ab. Das heißt in 50% aller Fälle fehlte an den einzelnen Arbeitsplätzen nach Abarbeitung eines Loses ein nächstes Los zum Weiterarbeiten. Das ist sicher nicht tolerabel! Was kann man also tun, um die maximal mögliche Auslastung auch bei kleineren Durchlaufbeständen größer zu machen?
2.2 Effizienz von Prozessen
41
Leistung [Std/Wo]
5000 100% 4.375 3.750
„Losgröße 1” Bezugskennlinie „Wirtschaftliche Losgröße”
3.125 2.500
BS 300 Wirtschaftliche Losgröße Flexibler Personaleinsatz
BS 200
1.875
Losteilung 1.250
BS 100
BS: Belastungsschranke
bzw. Bestandsreichweite [%]
625
3.000
Chart 20
6.000
9.000
12.000
15.000
18.000
21.000
Mittlerer Gesamtarbeitsvorrat
24.000
[Std]
Leistungskennlinien in Abhängigkeit von den Arbeitsvorräten bei Veränderung verschiedener Einflussgrößen
Die Kurve »flexibler Personaleinsatz« ist dadurch entstanden, dass wir in der Flachbaugruppen-Fertigung »Springer« zugelassen haben, die vorübergehend von Arbeitsplätzen mit Unterauslastung in solche mit Überauslastung umgesetzt werden konnten. Es wurden als nächstes – ohne über Rüstzeiten nachzudenken oder zu diskutieren – ganz stur alle Losstückzahlen halbiert. Der Effekt (siehe Kurve »Losteilung«) auf die maximal erreichbare mittlere Auslastung war relativ hoch.
q Rüstzeiten und Losgrößen Jeder Produktions-Fachmann weiß, dass das Halbieren von Losgrößen ein Verdoppeln der Rüstzeiten zur Folge hat! Das Thema Rüstzeiten spielte aber bei unserer Loshalbierung überhaupt keine Rolle. Grund war, dass in dieser ursprünglich sehr langsamen Flachbaugruppen-Fertigung 100% der Lose (teilweise mehrfach!) gesplittet wurden, um Teile von ihnen zu priorisieren und vorzuziehen. Das heißt bei 100% der Aufträge fand an allen Arbeitsplätzen mehr als die doppelte Rüstzeit statt. Der Endzustand dieser später sehr viel schnelleren Fertigung (ihre Durchlaufzeit wurde von den vierzehn Wochen auf neun Tage reduziert) war der, dass praktisch 0% der Aufträge im Fertigungsdurchlauf gesplittet wurden. Das heißt also: Durch diese Losteilung ist nicht etwa mehr Rüstzeit entstanden, sondern wurde Rüstzeit gespart. Es ist anzunehmen, dass der hier geschilderte Ausgleichseffekt typisch ist. Rüstzeiten spielen nicht nur in der Fertigung eine Rolle sondern auch bei beliebigen anderen Prozessen,
42
2 Prozesseigenschaften
egal ob in der Programmierung, in der Verwaltung, in der Entwicklung, im Verkauf oder anderswo. Die Kurve für die Losgröße 1 im Chart 20 ist eine fiktive Kurve, die zeigen soll, dass bei Losgröße 1 der Fertigungsfluss so stetig ist, dass praktisch ohne nennenswerte Arbeitsvorräte die Arbeit an den einzelnen Arbeitsplätzen nicht abreißt, weil gerade eine neue kleine Arbeitsportion kommt, wenn die vorangegangene beendet ist.
Was heißt Losgröße 1? Unter »Losgröße 1« wird hier die Fähigkeit verstanden, ein einzelnes Produkt nach denselben Methoden herzustellen wie große Lose. Erst dann ist das Paradigma überwunden, dass Flexibilität und Produktivität ein Widerspruch sind. Die Regel lautet also: Je kleiner die Losgrößen sind (bei gleichem Arbeitsvolumen!) desto stetiger ist die Auslastung in den einzelnen Belastungsgruppen. Das ist unmittelbar einsehbar, denn in je kleineren Portionen die Arbeit von Belastungsgruppe zu Belastungsgruppe, sprich von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz weitergereicht wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass bei Beendigung der Arbeit in einer Belastungsgruppe gerade eine »Folgeportion« in dieser Gruppe zur Bearbeitung erschienen ist oder erscheint. Chart 20 zeigt dementsprechend, dass man bei kleineren Losgrößen mit geringeren Sicherheitsbeständen bzw. niedrigeren Belastungsschranken auskommt. Das wird unterstützt durch einen zweiten Effekt, der bereits geschildert wurde, dass große Lose im statistischen Mittel auch absolut gemessen, größere Belastungsstreuungen haben, kleinere Lose hingegen im statistischen Mittel kleinere Belastungsstreuungen (siehe Chart 19)!
Schlanke Teilstrecken im Gesamtprozessen bringen nichts Bleiben wir beim Beispiel der Flachbaugruppen-Produktion. Nach der Flachbaugruppen-Produktion folgt die Gerätemontage. Erst wenn man nun in Folge der Beschleunigung der FlachbaugruppenFertigung die nachfolgende Gerätemontage ebenfalls beschleunigt, d. h., dass auch sie mit kleineren Gerätelosen arbeitet, wird der Zwischenlagerbestand zwischen Flachbaugruppen-Fertigung und Gerätemontage harmonisch in einen Gesamtprozess (Fertigung von Flachbaugruppen und Einbau derselben in Geräte) hineinpassen. Selbstverständlich muss dieser Zwischenlagerbestand für jede einzelne Flachbaugruppentype anhand ihres Bedarfs berechnet werden, was im Prinzip kein Kunststück ist.
2.2 Effizienz von Prozessen
43
Die im Chart 20 gezeigten unterschiedlichen Einzelmaßnahmen zur Reduzierung der Fertigungsdurchlaufbestände und damit Verkürzung der Durchlaufzeiten in der Flachbaugruppen-Fertigung hatten ohne Einbeziehung der Gerätemontage eine Durchlaufzeit von vier bis sechs Wochen zur Folge. Erst das zuvor erwähnte »Verschlanken« der nachfolgenden Gerätemontage, d. h. das Montieren der Geräte in Harmonie mit den Losgrößen der Flachbaugruppen-Fertigung, brachte den letzten Hub auf die besagte Durchlaufzeit dieser Flachbaugruppen-Fertigung von neun Betriebskalendertagen, sprich von etwa zwei Wochen. Das ist ein Beispiel dafür, dass man nur in Gesamtprozessen optimale Bedingungen erzeugen kann und nicht durch Maßnahmen in einzelnen Prozessschritten. Wobei hier die gesamte Flachbaugruppen-Fertigung und die gesamte Gerätemontage jeweils als ein Prozessschritt bezeichnet werden und als Gesamtprozess die Aneinanderreihung von Flachbaugruppen-Fertigung und Gerätemontage.
Die dynamische Durchlaufzeit – das Trichtermodell Im Folgenden soll die sogenannte dynamische Durchlaufzeit vorgestellt werden (der Begriff wurde von dem amerikanischen Berater Phil. R. Thomas eingeführt). Bei der dynamischen Durchlaufzeit wird nicht die Geschwindigkeit von Aufträgen gemessen, sondern die Geschwindigkeit eines Prozesses bzw. seiner einzelnen Prozessschritte; die einzelnen Aufträge treten dabei überhaupt nicht mehr in Erscheinung. Das Modell, an dem dies erklärt wird, nennt man Trichtermodell (siehe Chart 21). Die dynamische Durchlaufzeit kann an jedem Arbeitsplatz, an jeder Arbeitsplatzgruppe, an jeder Werkstatt, an jeder noch so großen Produktionseinheit gemessen werden, wie zum Beispiel im Chart 20 für eine Flachbaugruppen-Fertigung als Ganzes. Man fragt an jeder Arbeitseinheit nach dem in ihr befindlichen Arbeitsvorrat und man fragt nach der Leistung dieser Arbeitseinheit. Der Quotient ist die Zeit, die ein ankommender Auftrag – wenn er nicht priorisiert wird – benötigt, bis er diese Arbeitseinheit passiert hat, d. h. abgearbeitet wurde. (Das ist die Auftragsreichweite an dieser Arbeitseinheit.) Es ist unmittelbar klar, dass die Durchlaufzeit durch diese »Arbeitsvorräte« jeden Auftrag erwartet [Wiendahl]. Sie ist also – wie bereits erwähnt – unabhängig von der Identität des einzelnen Auftrages. Ein Prozess, der in einzelne Arbeitseinheiten aufgeteilt ist und für den die einzelnen Arbeitsreichweiten bekannt sind, gestattet schon vorher – ehe ein Auftragsdurchlauf durch diesen Prozess überhaupt begonnen wurde – zu berechnen, wie lange der Auftrag brauchen wird, bis er durch den gesamten Prozess bzw. alle seine Prozessschritte hindurch ist. Im Prinzip braucht man die einzelnen Aufträge in den Trichtern nicht zu kennen, um die dynamische Durchlaufzeit zu berechnen. Allerdings muss von jedem Auftrag für jeden Trichter bekannt sein, wie groß sein
44
2 Prozesseigenschaften
Anwendung der Berechnungsformel: Ankommende Arbeitspakete
In allen Prozessen, bei denen der Inhalt der Arbeitspakete (z.B. Vorgabezeiten in der Fertigung) bekannt ist
Vorteil: Vorhersage der zu erwartenden durchschnittlichen Durchlaufzeit
Arbeitsvorrat [AIPs]
Leistung [AIPs per Periode]
Dynamische Durchlaufzeit = Arbeitsvorrat Leistung
Chart 21 Das Trichtermodell: Der Zusammenhang zwischen Arbeitsvorrat (Actions in Process, AIPs), Leistung und »dynamischer« Durchlaufzeit
Arbeitsinhalt für diesen Arbeitsplatz, diese Arbeitsplatzgruppe oder diese Werkstatt (also den Trichter) als Ganzes ist. Während es im Produktionsbereich absolut üblich ist, diese sogenannten »Vorgabezeiten« zu kennen, ist das in anderen Tätigkeitsbereichen, wie zum Beispiel Administration, Einkauf oder Entwicklung nicht im gleichen Maße üblich. Tatsache ist aber, dass zum Beispiel für die drei oben genannten Tätigkeitsbereiche – wie auch immer ermittelte – Vorgabezeiten existieren. Wie anders wäre es sonst möglich, für eine Arbeit im Anlagengeschäft, im Produktgeschäft, in der Entwicklung, im Service vorab Angebote abzugeben? Müssen diese doch in irgendeiner Form quantifizierte Arbeitsinhalte – für Menschen, Maschinen usw. – enthalten. Fast alle Vorgänge oder Prozesse in der Industrie, im Dienstleistungsgewerbe, in Ministerien usw. werden durch irgendwelche Papiere begleitet oder durch parallel laufende elektronische Informationen. Diese den Auftrag begleitenden Informationen gestatten praktisch immer Rückschlüsse auf die einzelnen Arbeitsinhalte an den verschiedenen Prozessschritten. Und wenn es bis dato nicht der Fall ist, so bedarf es eben des Muts zur Schätzung und Zuordnung solcher Arbeitsinhalte.
q Dynamische Durchlaufzeit im Alltag Wenn man sich bei einer Arztpraxis zu einem Besuch anmeldet, wird man normalerweise gefragt, »um was es sich handelt«. Diese Frage hat im Normalfall kein weiteres Ziel als das Abschätzen der voraussichtlichen Behandlungs- oder Untersuchungszeit für den geplanten Besuch bei dem Arzt, den man gerade anmelden will. Auch hier geht es um das Planen einer Auslastung!
2.2.2 Der Produktentstehungsprozess (Design Development Cycle) Der nun folgende Versuch, über Montage-, Prüf- und Servicegerechtheit nachzudenken, hat ausschließlich das Einbringen genereller bzw. grund-
2.2 Effizienz von Prozessen
45
sätzlicher Regeln in die Entwicklungstätigkeiten zum Gegenstand. (Erinnert sei an den Paragraphen 1 der Straßenverkehrsordnung (§1 StVO) im Kapitel 1.8, der dort eine ähnliche Funktion einnimmt.) Es geht in diesem Kapitel also nicht darum, an irgendwelchen konkreten Beispielen zu beschreiben, wie spezielle Entwicklungstätigkeiten irgendeinem Diktat maßgeschneiderter, aktuell vorhandener Fertigungs- und Prüfmittel zu unterwerfen sind. Unabhängig davon, ob es sich um das Entwickeln von Produkten oder von Produktions- oder Prüfmitteln dreht, die Höchstleistung hat ihren ganz besonderen Preis.
Das Ausreizen der Leistung von Prozessen kann teuer werden Chart 22 soll zeigen, dass es bei der Frage nach dem Aufwand oder den Kosten für eine ganz bestimmte Leistung fast immer ungünstiger ist, eine extrem hohe Leistungseinheit anzustreben. Billiger, sicherer und schneller ist es, Einheiten kleinerer, zum Beispiel halber Leistungsgröße oder Kapazität zu entwickeln. Doppelte Leistung erreicht man dann durch zwei solcher Einheiten. Was die Prozesse anbelangt, in denen diese Produkte und Produktionseinrichtungen später arbeiten, ist – neben den geringeren Kosten – zweimal die halbe Leistung besser als einmal die volle. Denn es kann eine Einheit ausfallen und man behält 50% der Kapazität. Bei der ausgereizten Einheit doppelter Leistung bedeutet Stillstand der einen Einheit null Kapazität.
Höhere Produktreife durch schnelle Prozesse Ein zweiter Aspekt des Strebens nach hoher Leistung ist die Reife des zu entwickelnden Produkts oder des zu entwickelnden Produktionsmittels: Es ist die Geschwindigkeit des Entwicklungsprozesses, die hier eine Rolle spielt.
Kosten „a“ Kosten für 1 Einheit „ausgereizter“ doppelter Leistung
a
Chart 22 Ausreizen der Leistung von Produktionsmitteln (zum Beispiel eines Automaten)
46
„b“ Kosten für 2 Einheiten jeweils einfacher „sicher beherrschter“ Leistung
b
0
einfache
doppelte
Leistung
2 Prozesseigenschaften
P
P Ein Lernzyklus
F
P
P F
P F
P F
Drei Lernzyklen
P = PROZESS F = FEEDBACK
Zeit
Chart 23 Lernzyklen: Je mehr Wiederholungen eines Prozesses in einem bestimmten Zeitraum möglich sind, desto schneller wird der gewünschte Reifegrad des betroffenen Produktes erreicht [nach Phil. R. Thomas]
Wie Chart 23 zeigt, versetzt uns ein dreimal so schneller Lernzyklus in die Lage, in einem vorgegebenen Zeitraum statt eines Designzyklus drei Designzyklen zu fahren, was vom Ergebnis her einer größeren Produktreife entspricht. Ein Mittel dazu ist, auch hier im Entwicklungsprozess, die Arbeitsvorräte in der Produktentstehung so klein wie möglich zu machen. Dazu ist »nur« notwendig, so wenig wie möglich Entwicklungsarbeiten gleichzeitig anzufangen (siehe Chart 9). Bei zu lang dauernden Entwicklungsprozessen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Änderungen während dieses Prozesses bzw. erscheint eine Art »zeitlicher« Einfangquerschnitt für Änderungen als mögliche Störgröße.
Concurrent bzw. Simultaneous Engineering erhöht die Performance Eine andere Möglichkeit, bei der direkt auf eine Verringerung der Anzahl Redesigns oder Änderungen eingewirkt wird, ist das gemeinsame Arbeiten der involvierten Entwickler (siehe Chart 24) in temporären Projektteams. Diese Form der Zusammenarbeit kann – zum Beispiel im Anlagengeschäft – auch mit Zulieferern praktiziert werden.
q Concurrent Engineering durch frühe Information Bei der Konstruktion großer Gehäuseteile mechanischer Großkomponenten darf zum Beispiel der Fertigungstechnologe beim Zulieferer nicht erst beginnen, wenn das Gehäuseteil 100% durchkonstruiert ist. Er kann sehr häufig schon anfangen, wenn zunächst nur das Gewicht des Teils und seine Außenabmessungen bekannt sind usw. Er kann dann seinerseits (sowie er ausreichend sichere Daten besitzt) bei seinem Hersteller des Rohlings oder dem Lieferanten des Werkstoffs den entsprechenden Auftrag voranmelden. Die Zusammenarbeit in Projektteams kann den Entwicklungs- oder Engineering-Prozess stark verändern – so stark, dass dafür unter Umständen die gesamte Organisation umgestellt werden muss. Übrigens bedeutet »concurrent« hier nicht, dass die Entwicklungsteams in Konkurrenz zueinander stehen, sondern dass sie »gleichlaufend«, also parallel arbeiten.
2.2 Effizienz von Prozessen
47
Anlagenstruktur
Organisationsstruktur
Projektabwicklung in Fachabteilungen
Unteraufträge Arbeitspakete
Fachabteilungen Organisationsstruktur
Anlagenteam Basic Design
EngineeringAuftrag
Projektteam
Abordnung der Fachkräfte
Fachabteilungen
Projektabwicklung in einem Projektteam
• Unabhängig von der Art, in der ein Entwicklungsprozess abgewickelt wird, er hat immer zumindest 3 messbare Merkmale: Qualität, Abwicklungszeit, Pünktlichkeit • Die Art seiner Abwicklung bestimmt allerdings seine Komplexität, seine Robustheit und seine Flexibilität
Chart 24
Organisation des Concurrent Engineering
Chart 24 erinnert an Chart 7 in Kapitel 2.1. Es zeigt, dass eine der besten Maßnahmen, um eine funktionsorientierte Organisation zu umgehen, das Bilden dieser temporären Projektteams sein muss. Ganz besonders zu favorisieren ist das Zusammenarbeiten im Team wenn, was meistens üblich ist, ein Entwicklungsprozess unter Zeitdruck steht (Chart 25). Fall 1 nimmt in der Regel zuviel – nicht vorhandene! – Zeit in Anspruch. Er hat zudem noch den Nachteil, dass, wenn in einem späteren Entwicklungsschritt ein grundsätzlicher Fehler entdeckt wird, die gesamte zuvor gelaufene Entwicklung revidiert werden muss. Der häufig praktizierte Fall 2 des zeitlich überlappten Arbeitens führt immer wieder zu dem Problem, dass praktisch alle Prozessschritte einem Redesign unterzogen werden müssen, da jeweils zu Beginn der einzelnen Schritte noch Daten und/oder Produktmerkmale fehlen! Erst Fall 3, in dem grundsätzlich in Teams zusammengearbeitet wird (im zuvor genannten Concurrent oder Simultaneous Engineering), ist befriedigend. Hier wird auch überlappend gearbeitet, aber der Vorgänger richtet seine Abarbeitungsfolge so ein, dass der jeweilige Nachfolger, mit dem diese Folge ausgehandelt wurde, 100% der Informationen und Daten hat, die er für seine jeweils ersten und folgenden Arbeitsschritte benötigt. In hinteren Prozessschritten entdeckte Mängel können häufig ohne Redesigns mit Hilfe der Vorgänger behoben werden!
48
2 Prozesseigenschaften
1
100%
•
2
3
100%
4
1
100%
2
•
Fall 2: Überlapptes Arbeiten Die Zeit reicht nicht aus! Die Schritte 2, 3 und 4 werden zeitlich überlappt begonnen. Vom vorangehenden Schritt fehlende Daten werden teilweise durch Erfahrungswerte ersetzt. Eine zusätzliche Überarbeitung der Schritte 2, 3 und 4 ist die Folge; Erstausbeute (FPY) = 0!
•
Fall 3: Concurrent oder Simultaneous Engineering Die Mitarbeiter der 4 Fachabteilungen arbeiten „auf Zeit" in einem Projektteam. Daten werden im Rahmen der Zusammenarbeit laufend ausgetauscht (Concurrent Engineering). Feedback erfolgt sofort. Überarbeitungen sind selten. Durchlaufzeit und Aufwand sinken.
100%
3
50%
100%
4
40%
Fall 1: Es ist genug Zeit vorhanden! Aufeinanderfolge der 4 Einzelschritte in den Fachabteilungen 1, 2, 3 und 4 (Linear Design). Der jeweilige Folgeschritt basiert auf 100-prozentigen, d.h. vollständigen Daten des jeweiligen Vorgängers.
100%
40%
Zusammenarbeit in Entwicklungsprozessen
Chart 25
q Produktentstehung und »viel Zeit« Ich habe einmal ein Prozessmanagement-Projekt in einem Produktgeschäft gemacht, bei dem tatsächlich genügend Zeit war, um nach Fall 1 zu verfahren. Das Problem, das sich hier aber ergab, war, dass die Produktentwickler den nachfolgenden Werkzeugbau erst dann angesprochen haben, nachdem sie das Produkt voll entwickelt hatten. Die Produktentwickler waren der Meinung, dass es dem Werkzeugbau lieb ist, wenn er für ein bestimmtes Produkt alle Werkzeug- und Vorrichtungsaufträge auf einmal bekäme. Das war nicht so. Die Aufträge von der Entwicklung kamen in diesen Fällen in wenigen großen Losen (d. h. in Schüben) statt stetig in vielen kleinen. Der Werkzeugbau hatte mit dramatisch schwankender Auslastung – sprich Arbeitsbelastung – seiner Konstrukteure zu kämpfen. Auch in dieser hier bemängelten Verfahrensweise steckt mal wieder, wenn auch verborgen, das Denken in großen Losen.
Längere Konzept- bzw. Planungsphasen ergeben insgesamt kürzere Durchlaufzeiten Das Concurrent Engineering bzw. Concurrent Design bringt noch einen weiteren wesentlichen Vorteil, wenn alle Beteiligten von Anfang an zusammenarbeiten (siehe Chart 26). Es können nämlich in einer bewusst ausgedehnten Konzeptphase viele in späteren Schritten mögliche Probleme vorher berücksichtigt und vermieden werden. Ein damit qualitativ besseres Detaildesign hat die Folge, dass weniger Revisionen notwendig sind und der Designprozess als Ganzes fehlerfreier und obendrein
2.2 Effizienz von Prozessen
49
Concept Detail Linear 5% Design
Chart 26 Concurrent Design: Eine längere Konzeptphase bedeutet kürzere Time-to-Market [nach B. Huthwait, 1993]
Concurrent Design
15%
30%
15%
Revisions
Validation
55%
25%
35%
20%
40% savings of Time-to-Market
schneller abläuft (wobei hier »schneller« tatsächlich auch mit »weniger Arbeit« im Zusammenhang zu sehen ist).
Modularität von Produkten und Prozessen Im Produkt- und Anlagengeschäft wird immer wieder von Standardprodukten gesprochen. Gemeint ist, dass ein solches Produkt aus Standardmodulen zusammengesetzt ist (siehe Chart 27). Das einzelne Produkt (Hardware oder auch Software) ist dabei eine Variante aus diesen Modulen. Von Standardmodulen kann man im Übrigen nur reden, wenn sie einzeln zu 100% prüfbar sind, und wenn keine Designfehler von einem Modul unbemerkt in einen anderen Modul hinein wirken können (»Firewall-Prinzip«). Bei Systemen mit hohem Sicherheits- oder Verfügbarkeitsanspruch kann man den modularen Aufbau zusätzlich zur Erhöhung der Zuverlässigkeit verwenden. Zum Beispiel bei Überwachungs- oder Vermittlungsanlagen kann zu der im Betrieb befindlichen Anlage eine zweite Anlage im sogenannten »Stand-by-Modus« gefahren werden. Diese Anlage springt dann für die erste Anlage ein, wenn bei dieser ein Fehler auftritt. Wenn eine solche Anlage nach den zu Chart 27 beschriebenen Kriterien aufgebaut ist, kann man das System so schalten, dass nicht eine Anlage als Ganzes zu der anderen im Stand-by-Modus fährt, sondern dass jedes einzelne Modul der Stand-by-Anlage zu dem korrespondierenden Modul der im Betrieb befindlichen Anlage im Stand-by-Modus fährt. Wenn
1
Chart 27 Eine Voraussetzung für die Flexibilität von Herstellprozessen ist die modulare Struktur des betroffenen Produkts; das gilt bei Hard- oder Software
50
2 3 4
= Prüfung
Die modulare Struktur eines Produktes ermöglicht eine relativ einfache Beherrschung seines Herstellprozesses, wenn dieser auch modular ist (Prozessschritt 2 mit 4 Varianten und Prozessschritt 4 mit 2 Varianten). Voraussetzung dabei ist, dass der einzelne Prozessschritt, d.h. sein Ergebnis vollständig und autark prüfbar ist. (Prozess- und Produktdesign müssen gemeinsam darauf hinarbeiten.)
2 Prozesseigenschaften
dann ein Modul der im Betrieb befindlichen Anlage ausfällt, springt von der Stand-by-Anlage nur der korrespondierende Modul für ihn ein. Es kann dann bei der im Betrieb befindlichen Anlage ein weiteres Modul ausfallen, das wiederum durch den korrespondierenden Modul der »Stand by« Anlage ersetzt wird, usw. Erst wenn ein in Benutzung befindliches Modul der Stand-by-Anlage ausfällt, ist das Stand-by-System als Ganzes ausgefallen. Der Gesamtentwicklungsaufwand für eine modulare Produktstruktur ist geringer als der für die entsprechende Entwicklung einzelner Produktvarianten. Aber: Dieser Nutzen tritt selbstverständlich erst dann ein, wenn eine gewisse Anzahl von Varianten verkauft wurde. Zunächst muss für die ersten Produktvarianten zwangsweise mit einem größeren Entwicklungsaufwand – zum Beispiel pro Funktion – gerechnet werden, der kostenmäßig nicht an den Markt weitergegeben werden kann. Diese Art Investition in die Zukunft mit ihrem höheren Risiko lässt viele Entwickler vor modularem Produktdesign zurückschrecken. Chart 28 zeigt am Beispiel eines deutschen Automobilherstellers, welch große Variantenvielfalt bereits in den 80er Jahren beherrschbar war. Bewerkstelligt wurde dies u. a. in der Montage durch verstärkten Einsatz von Robotern. Anlass für diese Entwicklung war der von den Automobilbauern selbst gezüchtete Trend, den unterschiedlichsten Kundenwünschen bei relativ geringen Mehrkosten gerecht zu werden. Es war bereits damals schon so, dass praktisch keine Fahrzeugvariante zwei mal über das Band lief! Ein großes Problem waren die immens große Anzahl von Einzelteilen.
Kennt jeder Entwickler die Benutzung seiner Produkte? Was bei manchen Produkten zusätzlich zu ihrer Funktionalität problematisch ist, ist ihre Benutzung. Das betrifft meistens die Fälle, bei denen der Hersteller eines Produkts den eigentlichen (End-)Kunden nicht von
Für eine Modellreihe:
• 30.000 Varianten im Karosseriebau • 10.000 Einzelteile pro PKW • 400 Roboter im Einsatz
2.2 Effizienz von Prozessen
Chart 28 Varianten- und Teilevielfalt in der PKW-Montage (reale Zahlen aus den 80er Jahren)
51
selbst zu sehen bekommt. Um das Produkt beurteilen zu können, wird der Hersteller sehr früh in der prototypischen Phase die Benutzung simulieren (»Usability Engineering«, siehe Chart 29). Die dokumentierte Beobachtung eines Benutzers sowie von diesem Benutzer erfragte Aussagen zur Benutzung können Hinweise zu sehr guten oder sogar notwendigen Änderungen am Produkt oder seiner Funktionalität geben. Was der Entwicklung wirklich neuer Ideen häufig im Weg steht, sind Paradigmen bei den Entwicklern. Diesen auf die Spur zu kommen ist nicht einfach. In meiner Zeit als Entwickler in der Halbleitertechnologie konnte ich ein schönes Beispiel miterleben und mitgestalten, das hervorragend die Wirkungsweise eines Paradigmas zeigt (siehe Anhang 5).
Beherrschte Produktentwicklungen setzen transparente Kapazitäten voraus Für den Produktentstehungsprozess als Ganzes hat der amerikanische Berater PRTM (Pittiglio Rabin Todd & McGrath) eine Kenngröße entwickelt, die man als Variante des Trichtermodells bezeichnen kann. Mit ihr kann man zu jedem Zeitpunkt kontrollieren, ob der vorhandene Bestand an Entwicklungsaufträgen in den vereinbarten Lieferzeiten abgewickelt werden kann oder nicht. Diese Frühwarnkenngröße wird Pipelineindex genannt (Chart 30, [McKay]). Dafür wird der Projektzufluss in Relation zu der machbaren Abarbeitung der Projekte (Kapazität) gesetzt. Wenn die Auftragsreichweite (AIPs, Actions in Progress) gleich den mittleren zugesagten Lieferzeiten ist, wird »im Mittel« pünktlich geliefert. Die Begründung seitens PRTM, warum Unternehmen diese Messmethode durchaus brauchen können, lautet wie folgt: Why do companies overload their product development pipelines despite the problems caused by »understaffing« projects,
Chart 29 Usability Engineering: Testing [nach H. Krömker, Siemens AG]
52
2 Prozesseigenschaften
I Reichweite*)
=
Pipeline Load Average Annual Products released [No. of Project Equivalents]
In Dimensionen =
= [Years]
[No. of Project Equivalents/Year]
II Pipeline Index*
^ = ^ =
Auftragsreichweite
[Zeit]
Average Time to Market
[Zeit]
Antwort auf die Frage:
„Kann sich der Auftragsbestand (-reichweite) in der mittleren (vereinbarten) Time to Market leeren?“ > 1 bedeutet Overload; < 1 bedeutet Underload *) gemessen in „Major Project Equivalents“
Chart 30 Eine spezielle Anwendung der Trichterformel ist der »Pipelineindex«: Wenn die Auftragsreichweite (AIPs) gleich den mittleren zugesagten Lieferzeiten ist, wird »im Mittel« pünktlich geliefert [nach Jon Mckay]
chronic firefighting, major schedule slips, low productivity and poor morale? • Is it because betting big on a few projects seems riskier than spreading smaller bets over many projects? • Is it due to the belief that starting more projects will result in getting more products to market? • Is it just the inability to say »no«? We think the underlying cause is simple: Management has no indicator to quantify the problem and highlight the issues! Bemerkung: Selbstverständlich muss auch bei dieser Anwendung des Trichtermodells der voraussichtliche Arbeitsinhalt der verschiedenen Entwicklungsprojekte bekannt sein. Er wird in diesem Beispiel in speziellen Arbeitseinheiten gemessen, in sogenannten »Major Project Equivalents«, d. h. mit einer für solche Fälle typischen und extra dafür geschaffenen Hilfsmessgröße.
2.2.3 Der Auftragsabwicklungsprozess (Make Market Cycle) In seinem Buch »Moderne Produktionstechnik« schrieb mein Doktorvater Herwarth Opitz 1970, dass »… die großen Durchlaufzeiten von Werkstücken, die eine hohe Kapitalbindung verursachen, sich vor allem durch eine bessere Fertigungssteuerung zur Vermeidung unnötiger Liege- und Wartezeiten verringern lassen« (siehe Chart 14, Kapitel 2.2.1). 95% der Auftragszeit sind Transport-, Liege- und Wartezeit! Ich habe in vielen Fertigungsdurchläufen das Gleiche gefunden (siehe Chart 31).
2.2 Effizienz von Prozessen
53
Durchlaufzeit (Auftrag) Teil I
Montage
Bearbeiten
Chart 31 Wie sich die Fertigungsdurchlaufzeit eines Auftrags (Loses) zusammensetzt
Liegen (nach Bearbeitung)
Fördern
Liegen = 90% (vor Bearbeitung)
Rüsten
Teil II
Übergangszeit
Bearbeiten
Auftragszeit
Fertigungsdurchlaufzeit (pro Arbeitsvorgang)
Zeitlicher Ablauf
AIP-Management als Werkzeug zur »Verschlankung« von Prozessen Die Regeln zur Vermeidung von Arbeitsvorräten in einem (hier Produktions-)Prozess sind so alt wie wirkungsvoll. Man muss sie nur anwenden. Chart 32 zeigt drei Kategorien von Maßnahmen zur Vermeidung von zuviel Arbeitsvorräten in den Prozessen (Actions in Process, AIP): • Kategorie 1 behandelt die Gestaltung der Prozesse, • Kategorie 2 die Vorgabe der Aufträge und • Kategorie 3 die Überwachung der Erledigung der Aufträge. Das möglichst späte Vorgeben der Aufträge bzw. Arbeit in die Prozesse ist die wirkungsvollste Maßnahme zum Vermeiden von Arbeitsvorräten, ruft aber gleichzeitig den größten Widerstand hervor.
q Das Paradigma »so früh wie möglich« Ich habe es einige Male erlebt, dass meine Forderung, Aufträge trotz Zeitdruck so spät wie möglich in einen Fertigungsprozess vorzugeben, manchem gestandenen Fertigungssteuerer so dumm erschien, dass er mir nicht einmal widersprach. Das gängige Paradigma lautet nämlich: Arbeit so früh wie möglich in den Prozess vorzugeben, wenn sie rechtzeitig erledigt sein soll. Bei der in Chart 20 (Kapitel 2.2.1) besprochenen Flachbaugruppen-Fertigung wurde die gesamte mittlere Auftragsdurchlaufzeit durch Belastungssteuerung (siehe Chart 11, Kapitel 2.2) – dass heißt, durch Durchbrechen dieses Paradigmas – von vierzehn Wochen auf zwei Wochen reduziert.
Werkstatt- oder Fließprinzip? Unabhängig von der Art der Steuerung zeigt sich – entgegen gängiger Meinung – dass die vielfältige, eher chaotische Aufeinanderfolge der Arbeitsplätze bzw. Kapazitäten (Werkstattprinzip) viel weniger störanfällig ist als die sogenannte Fließfertigung mit linearer Aufeinanderfolge der Arbeitsplätze (Fließprinzip; siehe Chart 33).
54
2 Prozesseigenschaften
Gestalte den Prozess einfach • Priorisieren von Aufträgen ist der falsche Weg, ist ein Ersatzprozess, denn in „schlanken” Prozessen ist Priorisieren wirkungslos • Mache den Dispositionszeitraum (Vorgriffshorizont) klein, d.h. raffe nicht den Arbeitsvorrat zu großen Losen • Erstelle eine Liste nicht vorgegebener Aufträge bzw. Arbeiten Steuere die Vorgabe von Aufträgen oder Arbeiten • Gebe Aufträge nur bei geringer Belastung der Arbeitsplätze vor • Halte Aufträge bzw. Arbeiten so lange wie möglich zurück (Arbeitsvorrat)! (Achtung: Verstoß gegen ein Paradigma!) • Gebe keine Arbeit in gestörte Prozesse Überwache die Vorgaben und die Erledigung von Aufträgen bzw. Arbeiten • Messe die Durchlaufzeit und Pünktlichkeit aller Prozessschritte • Messe die AIPs und die Ablieferung wöchentlich (bzw. mindestens monatlich) • Wenn der Arbeitsvorrat zu groß wird, kontrolliere, ob die Kapazitätsanforderung langfristig wächst. Nur dann erhöhe die Ressourcen (Anzahl Mitarbeiter/Maschinen/Schichten)
Chart 32 Spielregeln des AIP-Managements
Ursache dafür sind die grundsätzlichen Probleme beim Fließprinzip: • Leerfahren des Nachfolgers durch Störungen beim Vorgänger • Ungenaue Taktung der Arbeitsinhalte der Aufträge/Lose • Leerfahren der Vorgänger durch Überlastung eines Nachfolgers (gilt nur bei Belastungssteuerung!). Bei streng linearem Auftragsdurchlauf trifft eine Störung die Nachfolger immer zu 100%, bei vielfältigem Auftragsdurchlauf immer nur anteilig.
Wirkung von Arbeitsvorrat und Kapazität am Trichter Die Betrachtung des Auftragsgeschehens am Trichtermodell (siehe auch Chart 21 in Kapitel 2.2.1) gestattet es, den sehr unterschiedlichen Einfluss von Kapazität (Leistung) und Arbeitsvorrat zu verstehen (siehe Chart 34). Es wurde bereits gezeigt, dass man die Dauer von Prozessen nicht verkürzen kann, indem man die eigentliche produktive Arbeit schneller bzw. effizienter macht, sondern nur dadurch, dass man die Arbeitsvorräte aus diesen Prozessen herausnimmt.
2.2 Effizienz von Prozessen
55
Chart 33 Vergleich eines »vielfältigen« mit einem »linearen« Auftragsdurchlauf (bzw. Prozess)
Streng linear
Vielfältiger Auftragsdurchlauf (Werkstattprinzip)
Linearer Auftragsdurchlauf (Fließprinzip)
Voraussetzung ist, dass man für den Prozess oder die einzelnen Prozessschritte deren Arbeitsinhalt entweder genau kennt – wie in der Fertigung – bzw. durch Plan- oder Schätzwerte wenigstens ungefähr kennt. Es kann sich dabei handeln um • die Summe der Aufträge, die gerade in einem Auftragsbüro bearbeitet werden, • alle Vorgaben neuer Arbeiten, die sich gerade in einer Entwicklungsabteilung befinden, • die Anzahl von Projekten, die in einer Konstruktionsabteilung gleichzeitig angefasst wurden (siehe Kapitel 2.2.2, Chart 30), oder • die Menge von Aufgaben, die einem einzelnen Mitarbeiter gleichzeitig übertragen wurde (siehe Chart 9, Kapitel 2.1).
Aufträge
Nicht freigegebene Aufträge
Zufluss/Freigabe (Input)
freigeg. Aufträge Dynamische Durchlaufzeit
Chart 34 Trichtermodell: Veranschaulichung der arbeitsvorratsbedingten Durchlaufzeit
56
Kapazität
Abfluss (Output)
Eine Rationalisierung oder Automatisierung des Prozesses selbst wirkt nur an der Kapazität
2 Prozesseigenschaften
Belastungssteuerung kontra (Fein-)Terminierung Wir haben bei der Besprechung des Charts 11 im Kapitel 2.2 erläutert, dass die Belastungssteuerung ein Verfahren ist, bei dem durch die Auftragsfreigabe die Arbeitsvorräte an allen Arbeitsplätzen, den vorderen, den mittleren und auch den hintersten relativ genau auf den vorgegebenen Werten, nämlich den Belastungsschranken, gehalten werden. Ganz anders erfolgt die Auftragssteuerung bei der klassischen »Feinterminierung«, bei der jedem einzelnen Auftrag für jeden Arbeitsschritt im Gesamtprozess vorab individuelle Durchlaufzeiten zugeordnet werden. Während des Fertigungsdurchlaufs wird jeder Auftrag nach Abarbeitung an einem bestimmten Arbeitplatz unter Angabe dieses Arbeitsplatzes zurückgemeldet. Und anhand dieser Rückmeldung wird die weitere Durchlaufzeit dieses Auftrags wieder neu berechnet. Daher der Name »Feinterminierung«! Während man entsprechend der Vorgehensweise in Chart 17 (siehe Kapitel 2.2.1) statische Durchlaufzeiten erst dann angeben kann, wenn die einzelnen Aufträge erledigt sind, kann man bei Verwendung des Trichtermodells für einen Auftrag vorher bestimmen, welche Durchlaufzeit er haben wird. Das ist möglich, indem man einfach die dynamischen Durchlaufzeiten aller Arbeitsplätze oder Teilprojektschritte, die dieser Auftrag durchläuft, aufsummiert. Die Durchlaufzeiten, die auf diese Art gemessen werden, sind nicht Durchlaufzeiten von Projekten, sondern Durchlaufzeiten von Prozessen! Die einzelnen Aufträge bleiben dabei vollkommen unbekannt. Die Leistung einer Arbeitseinheit oder eines Teilprozesses ist der Output am Abfluss des Trichters (siehe Chart 34). Klassische Rationalisierungs- und Automatisierungsvorhaben finden genau in diesem Trichterabfluss, das heißt an der »Leistung« des Trichters, statt. Sie ändern im Wesentlichen nichts an der Durchlaufzeit, aber durchaus etwas an der Effizienz bzw. den Kosten dieser Arbeitseinheit oder dieses Teilprozesses. (Bemerkung: Die Kapazität eines Trichters wäre, völlig logisch definiert, das, was er an Füllmenge enthalten kann. In der Produktion versteht man aber unter Kapazität einer Einheit – zum Beispiel eines Automaten oder eines Pkw-Montagebandes – ihren Ausstoß pro Schicht oder Jahr, also Leistungsgrößen.) Man kann übrigens anhand des Trichtermodells mit einem immer wieder gehörten Argument für lange Durchlaufzeiten ins Gericht gehen. Dieses Argument lautet: Wir haben zu viel Arbeit.
2.2 Effizienz von Prozessen
57
Zu viel Arbeit würde bedeuten, dass der Pegel im Trichter (»Wasservorrat«) steigt, denn es fließt mehr zu als ab. Zu wenig Arbeit bedeutet, dass das Niveau des Wasservorrats im Trichter sinkt. Wenn der Pegel im Trichter konstant bleibt, dann ist damit bewiesen, dass an diesem Teilprozess oder an diesem Prozessschritt gleich viel Arbeit abgearbeitet wird, wie neu hinzu kommt. Das heißt, dieser Arbeitsplatz oder auch Arbeitsschritt hat nicht zu viel Arbeit.
Arbeitsvorräte sind immer messbar Ich habe in vielen Jahren meiner Beratertätigkeit immer wieder versucht, diese falsche wie gängige Interpretation großer Durchlaufzeiten zu widerlegen, mal mit Erfolg, mal – man soll’s nicht glauben – ohne Erfolg (vielleicht war hier ein Paradigma der Grund). Chart 35 zeigt ein Bündel von Beispielen, auf welche Art die unterschiedlichsten Arbeitsvorräte und auch ihre Abarbeitung (als Leistung = Output) gemessen werden können.
Arbeitsvorrat (AIP)
Leistung (Output je Zeiteinheit)
Anzahl Projekte
Anzahl abgeschlossener Projekte
Zeichnungen in Wartestellung, in Arbeit, im Test
Fertiggestellte Zeichnungen
Geforderte Leistungsmerkmale
Abgearbeitete Leistungsmerkmale
Flachbaugruppen im Arbeitsvorrat, in Arbeit, im Test
Flachbaugruppen zur Montage freigegeben
Geschätzter Softwareumfang (lines of code) in laufenden Aufgaben
Fertiggestellte Software (lines of code)
Software-Module in laufenden Projekten
Fertiggestellte Module
In Arbeit befindliche Fehlerberichte
Abgearbeitete Fehlerberichte
Nacharbeitsanforderungen
Erledigte Nacharbeiten
Änderungsmitteilungen an die Entwicklung
Abgearbeitete Änderungsmitteilungen
Anforderungen von Hardware-/Softwareänderungen
Abgearbeitete Änderungen
Vorgaben im Arbeitsvorrat oder zugewiesen Erledigte Vorgaben Persönliche Einzelaufgaben
Erledigte Aufgaben
Vorgegebene Arbeitsstunden (Vorgabestunden)
Abgearbeiteter Arbeitsvorrat (in Stunden)
Chart 35
58
Beispiele für »messbare« Arbeitsvorräte (AIPs)
2 Prozesseigenschaften
2.2.4 Der Lieferantenzyklus (Supply Chain) Im Vorangegangenen ging es darum, was zu tun ist, wenn man die Auftragsabwicklung oder die Produktentwicklung (oder andere Prozesse) in seiner Organsationseinheit oder seinem Unternehmen beschleunigen will. Wer jemals in der Industrie an einem Projekt zur Beschleunigung von Prozessen mitgewirkt hat, der weiß, dass man dabei schon bald an den Punkt kommt, wo man auch über die Schnelligkeit der Lieferanten nachdenken muss. Häufig ist es sogar so, dass die Beschleunigung der internen Prozesse überhaupt nichts bringt, wenn nicht gleichzeitig die Schnelligkeit der Lieferanten erhöht wird. Es geht dabei nicht um die Frage, welche Liefertermine man jeweils mit seinen Lieferanten vereinbaren kann, obwohl das auch eine Rolle spielt! Es geht um die Wiederbeschaffungszeiten der Lieferanten. Die Wiederbeschaffungszeiten sind immer dann wichtig, wenn etwas am gelieferten Produkt geändert wird, oder wenn Lieferstückzahlen stark schwanken.
Formen der Zusammenarbeit mit Lieferanten Man wird sich mit den Lieferanten zusammensetzen und bald dahinterkommen, dass man damit eine neue Art von Beziehung zu diesem oder jenem Lieferanten aufbaut. Denn es ist nicht möglich, mit einem Lieferanten kooperativ zusammenzuarbeiten, den man gleichzeitig über Preisverhandlungen in die Knie zu zwingen versucht. Diese Zusammenkunft mit dem Lieferanten ist sozusagen der erste Schritt zu neuen Formen der Zusammenarbeit. Für die einzelnen »Annäherungsstufen« gibt es Bezeichnungen für die Lieferanten wie »Second Source« oder »Single Source« und für die Art der Lieferung Bezeichnungen wie »Shop to Stock« oder »Shop to Line«. Drei relativ weit gediehene Formen von Partnerschaften sind in Chart 36 skizziert. Es sind die drei Stufen zunehmender, gegenseitiger Abhängigkeit der Partner: 1. Just-in-Time 2. Integrierte Zulieferung (»Hole in the Wall«) 3. Modulares Konsortium Bei integrierter Zulieferung und modularem Konsortium befindet sich der Lieferant auf dem Gelände des Kunden, produziert dort seine Teile,
2.2 Effizienz von Prozessen
59
JIT
Zulieferer: Ort: Beziehung: Flexibilität:
Verschiedene In der Nähe Unabhängig Umgestaltung möglich
Chart 36
Integrierte Zulieferung
Erste Reihe („First Tier”) Vor Ort („Hole in the Wall”) Unabhängig Begrenzte Umgestaltung beim Kunden
Modulares Konsortium
Co-Investoren Am Fließband Abhängig Teure Modifikation des Gesamtprozesses
Der Weg zu modularen Konsortien: Partnerschaften bedeuten eine wachsende gegenseitige Abhängigkeit von Zulieferer und Kunde
Baugruppen oder Module und liefert sie entweder »durch eine Wand hindurch« an dessen Montage oder integriert seine Produktion selbst in dessen Montage. Viele dieser Zusammenarbeitsformen stammen ursprünglich aus der Automobilindustrie. Die Automobilhersteller sind quasi die »Weltmeister« in Sachen Logistik und man kann bei ihnen eine Menge Logistik-Knowhow abholen. Denn die Automobilfabriken konnten wegen der Größe der Produkte und der Größe ihrer Teile bereits von Beginn an nicht an festen Montageplätzen montieren. Henry Ford hat deshalb schon 1919 seine Autos zur Montage mittels eines Seils an den Zulieferteilen vorbeigezogen, um dieses Problem zu umgehen. Da die Montage der Autos fließend erfolgt und jede Störung automatisch zum Anhalten des gesamten Bandes führt, muss die Zulieferung der Teile zeitlich, räumlich und aufs einzelne Stück genau sein. Das hat eine weitere einsehbare Konsequenz: Statt in der Endmontage viele Einzelteile niedriger Aggregationsstufen zu montieren, ist es besser, wenige, höher aggregierte Komponenten zu montieren (zum Beispiel Module). Bemerkung: Die hier angesprochene Modularität bezeichnet eine Eigenschaft eines Produktdesigns (siehe Kapitel 2.2.2, Chart 27) und enthält als solche produktspezifisches Know-how. Nicht gemeint sind Produkte, die aus Standard-Komponenten (häufig auch Module genannt) zusammengesetzt werden (z. B. PCs).
60
2 Prozesseigenschaften
1
2 3 4 6 5
7
8 1 2 3 4 5 6 7 8 9
9
Bremskörper Montageplatte Dämmplatte Heiz- und Klimatisierungsvorrichtung Armaturen-/Instrumentenbrett Fußpedal-Mechanismus Montagehilfe Lenksäule Anschluß des zentralen elektrischen Systems
Chart 37 Modulbeispiel PKW-Cockpit
Chart 37 zeigt ein sehr anschauliches Beispiel für dieses Prinzip.
Know-how-Sharing Da in den zuvor erwähnten, hoch aggregierten Modulen eine Menge Know-how steckt, kommen mit den vorgenannten Formen partnerschaftlicher Zusammenarbeit nicht nur logistische Themen auf den Tisch, sondern auch Vertrauensfragen. Derartige Themen sind durchaus nicht der Automobilindustrie vorbehalten. Das International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne hat Partnerschaften in den verschiedensten Branchen analysiert [IMD]. Ein Ergebnis dieser Analyse lautet: Je »intimer« die Partnerschaften werden, umso mehr Geld wird für gemeinsame Investitionen – zum Beispiel für gemeinsame Produktionsmittel – aufgewendet. Und da das so ist, müssen die Partner bereits in der Entwicklungsphase eng zusammenarbeiten (Know-how-Sharing). Das heißt natürlich, dass – wieder am Beispiel der Automobilindustrie – automobilspezifisches Know-how vom Automobilhersteller zum Lieferanten hinüberwechselt und von dort eventuell zur Konkurrenz. Entsprechend der Analyse des IMD (siehe Chart 38) gilt dementsprechend auch ganz klar, dass Produktions- und Know-how-Transfer (zum Beispiel in Form des Outsourcings) meistens nicht einfach – das heißt ohne Verluste – rückgängig zu machen sind, und dass solche Verbindungen (Marriages) ein ganz beachtliches Risiko in sich bergen. Outsourcen ist praktisch immer eine irreversible Entscheidung. Falls Outsourcing reversibel sein sollte, dann ist es nicht konsequent durchgeführt worden, also war es kein richtiges Outsourcing.
2.2 Effizienz von Prozessen
61
Ziele und Resultate des Outsourcing seitens Firmen, die es in großem Umfang durchführen • Die meisten westlichen Firmen verfolgen mit dem Outsourcing das Ziel, Overheadkosten (Denken in großen Losen!) oder überhaupt kurzfristig Kosten zu sparen. • Das Ergebnis ist Stückwerk, mit dem Resultat, dass über die ganze Firma verteilt kleine Überkapazitätsinseln entstehen. • Die Firma kann am Ende eine große Zahl von Subunternehmern beschäftigen, die teurer zu managen sind als vorher die firmeninternen, uneffizienten Teilprozesse. Die „fremdvergebende” Firma verliert oft den Zugang zu Schlüsselkompetenzen, die sie später wieder brauchen könnte • Outsourcing muss auf einem durchgängigen Ideenfundament ruhen sowie auf einem klaren Verständnis der langfristigen Erfordernisse für die gemeinsame Wettbewerbsfähigkeit.
Chart 38
Risiken des Outsourcings; Outsourcing ist praktisch immer irreversibel
Partnerschaften – Vorteile überwiegen Risiken Das IMD hat im Rahmen seiner Analyse Spielregeln herausgefiltert, die dafür notwendig sind, dass derartige Partnerschaften Erfolg haben. Chart 39 enthält eine Anzahl ganz konkreter Anregungen für das Management einer Partnerschaft, wie zum Beispiel den Austausch von Mitarbeitern, Abgleichen der Strategien und insbesondere auch eine gemeinsame Messung des Erfolges der durchgeführten Maßnahmen. Die wichtigste Basis für die Vorteile einer Partnerschaft ist jedoch das Vorhandensein eines gemeinsamen Verbesserungsplanes. Der Grund dafür ist völlig klar: Das Motiv für den Zusammenschluss sollte eine Effizienzsteigerung sein, denn diese stellt sich normalerweise nicht von alleine ein!
Gründe für das Misslingen von Partnerschaften Das ebenfalls aus der IMD-Analyse stammende Chart 40 zeigt Gründe auf, die für das Misslingen von Partnerschaften verantwortlich sein können. Während wir im Kapitel 1.10 gesagt haben, dass die Werkzeuge oder Maßnahmen zur Prozessverbesserung niemals hinreichend sein können, sondern immer nur notwendig, sind viele der im Chart 40 gezeigten Gründe für ein Misslingen von Partnerschaften durchaus hinreichend. Das Managen moderner Formen der Zusammenarbeit in sogenannten »Kunde-Lieferanten-Ketten« muss zwangsweise die Spielregeln des reinen Prozessmanagements verlassen. Es geht um das zusätzliche
62
2 Prozesseigenschaften
Das Management einer solchen Beziehung erfordert • Geduld und Vertrauen über Jahre • Respekt vor der Professionalität des anderen • ein formalisiertes Schema für die Organisation gemeinsamer Bemühungen • konsequente Bemühung um die Entwicklung sich ergänzender individueller Kompetenzen Gemeinsame Ausbildung und Austausch von Mitarbeitern sind eine gute Art, Teams für gemeinsame Entwicklungen aufzubauen Die strategische Anpassung der Partner aneinander • ist Voraussetzung für den Aufbau einer Partnerschaft • ist wichtig, damit die Versorgungskette ganzheitlich verstanden werden kann Entscheidungen müssen auf gemeinsamen Einschätzungen des Kosteneinsparungspotentials basieren • Es ist nützlich, die Kostenrechnung der Partner aufeinander abzustimmen Der gemeinsame Fokus für die Weiterentwicklung sollte sein • die Vereinfachung der gesamten Versorgungskette zum Nutzen des Kunden Gemeinsame Leistungsmessungen und gegenseitiges Feedback sind notwendig, um den Erfolg zu kontrollieren und die Partner zu Verbesserungen anzuregen
Regeln zum Management einer Partnerschaft; wirkungsvoll ist sie nur mit einem gemeinsamen Verbesserungsplan
Chart 39
Einbringen von Wertesystemen bzw. einer neuen Kultur des Vertrauens in diese Zusammenarbeit von Lieferant und Kunde. Teilen von Freud und Leid ist angesagt, und dies nicht zuletzt auf Basis von »gläsernen Taschen«. Einen besonderen Fall im Hinblick auf Partnerschaften stellt das Anlagengeschäft dar. Da es fast für jeden Auftrag neben der Auftragsabwicklung auch irgendwelche Neu- oder Anpassungs-Entwicklungen beinhaltet, wechseln die Partnerschaften je nach Art und Umfang des Auftrags. Es entstehen aber auch hier neue, auf mehr Vertrauen basierende Formen der Zusammenarbeit wie im oben diskutierten Produktgeschäft, auch wenn häufig nur für die Dauer der jeweiligen Aufträge.
Partnerschaftskultur Ein wesentlicher Punkt bei Partnerschaften ist noch zu erwähnen – die Kultur der Partnerschaft. Immer, wenn wir von Kultur reden, und so auch hier, sollten wir wissen: Kultur ist das was übrig bleibt, wenn wir alles angelesene Wissen vergessen haben.
2.2 Effizienz von Prozessen
63
• Unzureichendes Geschäftsvolumen • Fehlende Offenheit • Unmittelbare Interessenkonflikte • Ungenügendes Verständnis der fundamentalen Gründe für die Partnerschaft – Disziplin allein ist nicht ausreichend • Die Bandbreite der notwendigen Veränderung bei einem oder beiden Partnern wird nicht verstanden • Mangelnde Übereinstimmung Chart 40 Gründe für das Misslingen einer Partnerschaft
• Top-Management ist zwar „committed”, die Bedeutung der Partnerschaft ist aber in der Organisation nicht verankert – dies führt zu Widerstand
Das heißt in Bezug auf Partnerschaft, dass es die Verhaltensweisen, die Umgangsformen sind, die gelebt werden, nachdem die Wortlaute gegenseitiger Vereinbarungen, von Anweisungen an die Mitarbeiter oder Führungskreis-Rundschreiben verblasst sind. Nur wenn diese Kultur von gegenseitigem Verständnis geprägt ist, dann funktioniert die Partnerschaft.
2.2.5 Prozessmerkmal »Flexibilität« (Responsiveness) In vielen Fragebögen, mit denen Kundenzufriedenheit abgefragt wird, taucht der Begriff »Responsiveness« auf, der allerdings keinesfalls synonym ist mit dem deutschen Begriff »Reaktionsgeschwindigkeit«. Responsiveness besagt stattdessen, wie schnell und vollständig auf jede Art von Kundenwunsch reagiert werden kann. Ständig sich ändernde Nachfrage, die wachsende Zahl von Produktvarianten und Käuferpräferenzen sowie kürzere Produktlebenszyklen erfordern ein erhöhtes Augenmerk auf dieses zwar nicht neue aber jetzt höher zu gewichtende Merkmal an der Schnittstelle zum Kunden. Die Konsequenz lautet: Flexibilisierung aller Prozesse, technisch von der Produktidee bis zum reifen Produkt, dispositiv vom Kundenauftrag bis zur Auslieferung.
Technische und dispositive Flexibilität Technisch ist Flexibilität das Verkraften einer großen Vielfalt von unterschiedlichen Produkten bzw. Arbeitsinhalten und dispositiv das Verkraften stark schwankender Stückzahlen bzw. Arbeitsmengen in den Prozessen (siehe Chart 41). Technisch sollte man – wo immer es geht – auf modular gestaltete Produkte und Produktionsprozesse setzen (siehe Chart 27, Kapitel 2.2.2) sowie auf möglichst redundante Kapazitäten bei Störungen (siehe Erläuterungen zu Chart 22, Kapitel 2.2.2). Was Modularität bedeutet, lässt sich
64
2 Prozesseigenschaften
Technische Flexibilität
Dispositive Flexibilität
Beherrschung großer Variantenvielfalt bei „Änderungen bis 5 vor 12“
Beherrschung kurzer Lieferzeiten stark schwankender Auslastung
Prozessorientierung durch modulare Produkte und Prozesse.
Prozessorientierung durch kurzfristig bereitstellbare Kapazitäten und Losgröße 1.
Die Prozessmerkmale dispositive und technische Flexibilität, also die Fähigkeit, kurzfristig unterschiedliche Arbeitsmengen und Arbeitsinhalte zu verkraften
Chart 41
an einem kleinen, ca. 20 Jahre altem Beispiel eines japanischen Automobilherstellers erläutern.
q Modularität Der Automobilhersteller produzierte alle mechanischen Instrumente eines seiner PKW-Cockpits modular aus 47 unterschiedlichen Einzelteilen. Jedes einzelne der Instrumente benötigte eine Untermenge dieser Teile. Manche Teile wurden dabei zwangsweise komplizierter und teurer, als wenn sie jeweils speziell für nur eines der Instrumente konstruiert worden wären. Aber die Gesamtsumme der für die Cockpitinstrumente insgesamt benötigten Einzelteile war viel geringer als es bei einzeln konstruierten Instrumenten der Fall gewesen wäre. Und damit wiederum war die automatisierte Montage dieser Instrumente sehr viel billiger. Nebenbei bemerkt: Bei menschlicher Arbeit heißt »Flexibilität«, dass für einen einzelnen Arbeitsvorgang grundsätzlich weniger Wissen oder trainierte Fertigkeiten benötigt werden als die betroffene Arbeitskraft für die Summe seiner Aufgaben beherrscht bzw. zur Verfügung stellt. Dispositiv erfordert Flexibilität immer und nur (notwendig und hinreichend) das Vorhandensein von Überkapazitäten. Dies ist unabhängig davon, ob es sich dabei um maschinelle Prozessschritte handelt oder um das Bereitstellen menschlicher Arbeitskraft. Beides haben wir, wenn wir wollen. Eine Kalenderwoche hat sieben Tage. Ein Arbeitstag kann bis zu drei Schichten haben. Die Kapazität einer Woche ist also 21 Schichten. In fernöstlichen Ländern macht es offenbar wenig Probleme – zumindest in der Industrie – diese 21 Schichten (= 100% der Kapazität) auszunutzen. Bei uns besteht eine Kalenderwoche typischerweise aus fünf Arbeitstagen à zwei Schichten zuzüglich ein oder zweier Wochenendschichten. Unsere sich damit ergebende mittlere Reservekapazität von fast 100% gegenüber Kalenderzeit müsste an sich reichen.
2.2 Effizienz von Prozessen
65
In einer relativ hoch automatisierten Fertigung für mechanische Teile, die ich eine Zeit lang beriet, wurden obige 11 Wochenschichten gearbeitet. Die mittlere Auslastung dieser 11 Schichten lag bei 65%. Dennoch: Es wurden wegen Überlastung Fremdaufträge vergeben! Ich nenne das nicht beherrschte Logistik.
Maximal verfügbare Kapazität von Produktionsmitteln Mit den beiden Indikatoren Mean Time Between Failure (MTBF) und Mean Time To Repair (MTTR) existieren zwei Messgrößen, mit denen es möglich ist, festzustellen, wie groß eigentlich die maximale Nutzbarkeit »q« einer Kapazität unabhängig von ihrer jeweiligen Auslastung tatsächlich ist (siehe Chart 42). Das Chart zeigt, dass man zum einen die Gesamtlaufzeit einer produktiven Einrichtung dadurch darstellt, dass man die Summe aller produktiven Zeitstrecken und der Zeitstrecken zur Fehlerbehebung addiert und sie in Relation zur Summe aller produktiven Zeitstrecken setzt. Die Einzelgrößen MTBF und MTTR sind auch für sich gesehen sehr sinnvolle Messgrößen, denn sie zeigen auf einen Blick, wie häufig eine Maschine ausfällt und wie lange es dauert, um eine Störung zu beheben. Die niedrigen, störungsfreien Laufzeiten produktiver Einrichtungen sind im Übrigen meistens dann nicht bekannt, wenn diese Einrichtungen sehr gering ausgelastet sind.
Gesamtbestände und dispositive Flexibilität Chart 43 zeigt den Netzplan eines kleinen Projektes mit bis zu drei parallel verlaufenden Prozessstrecken. Wie bei jedem Netzplan üblich, werden die Zeiten der Einzeltätigkeiten addiert. Dabei gibt es Tätigkeiten ohne terminlichen Spielraum, die auf dem sogenannten kritischen Pfad liegen (die weißen Kästen im Chart). Ihre
Produktive Zeitstrecken w
y
x
a
b
c
z d
Zeitstrecken zur Fehlerbehebung
^= MTBF = Mean Time Between Failure = Mittlere störungsfreie Laufzeit (=
a+b+c+d
)
4 ^= MTTR = Mean Time To Repair
w+x+y+z
= Mittlere Reparaturzeit (=
Chart 42 Die tatsächliche Nutzbarkeit einer Kapazität
66
q=
MTBF MTTR + MTBF
4
)
= Maximale Nutzbarkeit von Kapazitäten (Maschinen, Verrichtungen und auch von ganzen Prozessen)
q = 1 entspricht 100% (d.h. MTTR=0)
2 Prozesseigenschaften
5 Wo
15 12
6 5
0
5 Wo
6 Wo
(±1 Wo)
(±3 Wo) 11 10
9 5
(„a“) 2 Wo
(„b“) 2 Wo (±1 Wo)
(±4 Wo) 5 5
13 13
21 21
(„c“) 8 Wo
8 Wo
6 Wo
(±0 Wo)
(±0 Wo)
(±0 Wo)
15 13
Frühestmöglicher Beginn Spätestmöglicher Beginn
6 Wo
Tätigkeiten auf dem kritischen Pfad Wo Wochen „a, b, c“ 3 betrachtete Tätigkeiten
(±2 Wo)
Lieferzeit = 27 Wochen Rollup = 48 Wochen
Unterschied zwischen Lieferzeit und Gesamtdurchlaufzeit (Rollup) eines kleinen Projektes
Chart 43
Addition ergibt die Gesamtlaufzeit – hier Lieferzeit – des Projektes von 27 Wochen. Darüber hinaus gibt es Tätigkeiten, die etwas terminlichen Spielraum haben (im Chart die grauen Kästen). Die Tätigkeit c liegt mit acht Wochen Dauer auf dem kritischen Pfad. Die zeitlich parallel verlaufenden Tätigkeiten a und b mit in Summe 2 + 2 = 4 Wochen Dauer haben der Tätigkeit c gegenüber zusammen vier Wochen terminlichen Spielraum. Die klassische Betrachtung interessiert sich nur für die Durchlaufzeiten auf dem kritischen Pfad (deswegen heißt er auch »kritisch«). Einer klassischen Betrachtung folgend, würde man sich – wenn es um eine Prozessbeschleunigung geht – nur für die Schlankheit bzw. Arbeitsvorräte in den Kästen bzw. Prozessschritten des kritischen Pfades, d. h. für die Lieferzeit, interessieren. Der Prozessmanager redet allerdings nur von Schlankheit, wenn alle Prozessschritte, und damit alle Prozessvarianten, möglichst schlank bzw. schnell sind. Im Chart wären das die Durchlaufzeiten der weißen und der grauen Prozessschritte. Wenn man deren Durchlaufzeitwerte addiert, kommt man auf 48 Wochen, den sogenannten Rollup. Während also die Zeitdauern auf dem kritischen Pfad die Reaktionszeit zum Kunden messen, also die Lieferzeit, hat der Rollup tatsächlich nur die Funktion, die Schlankheit von Gesamtprozessen zu messen und ist insofern eine künstliche Messgröße. Wenn wir aber eine Produktion betrachten bzw. einen Prozess wie die im Kapitel 2.2.1 (Chart 20) vorgestellte, quasi lineare Flachbaugruppen-
2.2 Effizienz von Prozessen
67
Mittelwert
Chart 44 Mittlere dynamische Durchlaufzeit der verschiedenen Bereiche einer Flachbaugruppen-Fertigung (Der Auftragsdurchlauf erfolgt hier nach dem Fließprinzip, d. h. Rollup = DLZ) (1983/84)
Fertigung, dann (siehe Chart 44 [Ulfers/Wiendahl]) ist der Rollup gleich der Durchlaufzeit. Wir sehen, wie diese Durchlaufzeit in dem im Chart gezeigten Zeitraum von Oktober 1983 bis September 1984 um einen Mittelwert von 11 Tagen schwankt. Einen nicht linearen Fall zeigt Chart 45. Er stammt aus dem Großanlagenbau, bei dem sehr viele Fertigungsschritte parallel nebeneinander laufen. Hier hat der Rollup, von zwei Ausreißern im Zwischenlager abgesehen, einen Anfangswert, bzw. Ist-Wert, von 540 Wochen. Das entspricht 126 Monaten, und ist eine Größe, die mit der wirklichen Durchlaufzeit dieser Großkomponenten von 34 Monaten nichts zu tun hat. Der Rollup zeigt die Wirksamkeit der Maßnahmen zur DLZ-Verkürzung in allen beteiligten Teilbereichen. Wir sehen, wie durch AIP-Management Zug um Zug der Rollup von 540 Wochen auf ca. 400 Wochen abgesunken ist. Der Sollwert von 300 Wochen wurde innerhalb der gezeigten 13 Monate noch nicht erreicht. Beide gezeigten Beispiele sind Prozesse aus der Produktion. Was aber in beiden Fällen gesteuert wurde, waren tatsächlich nur die Actions In Process bzw. die Arbeitsvorräte an allen Arbeitsplätzen, d. h. die Gesamtbestände. Chart 35 (siehe Kapitel 2.2.3) sollte untermauern, dass jegliche Arten von Arbeitsvorräten und damit alle Arten von Prozessen für eine AIPSteuerung in Frage kommen. Im Chart 35 sind aus unterschiedlichen Arbeitsgebieten Arbeitsvorräte benannt und auch die ihnen gegenüberstehenden möglichen Leistungen (siehe Trichtermodell, Chart 21, Kapitel 2.2.1). Nachdem praktisch in fast allen Branchen mit einem Produkt auch ein Papier (Auftragszettel, »Patientenschein«, Lieferschein, usw.) mitläuft,
68
2 Prozesseigenschaften
Wochen
Istzustand Geplanter Verlauf der DLZ-Verkürzung Zwischenlager
Sollzustand
Fertigung
Planung Beschaffung Konstruktion
Monatlich gemessener Rollup eines Anlagendurchlaufs; er zeigt die Wirksamkeit der Maßnahmen zur DLZ-Verkürzung in allen an einem Anlagendurchlauf beteiligten Teilbereichen (1992/93)
Chart 45
ist es meist anhand solcher Papiere möglich – wenn es keine direkten Messungen gibt – ein sogenanntes Äquivalent für den jeweiligen Arbeitsinhalt zu definieren. Drei Hinweise: 1. Der im Chart 45 gezeigte Anlagendurchlauf lag beim Start der DLZ-Verkürzung bei 34 Monaten. 2. Die DLZ-Verkürzung erfolgte anhand Belastungssteuerung gleichzeitig in allen Teilbereichen. 3. Insbesondere die zeitlich hinten im Anlagendurchlauf liegenden Prozessschritte wurden also während dieser Zeit stetig, messbar und prognostizierbar schneller. Eine Wirkung: Während des Anlagendurchlaufs wurde deren Durchlaufzeit kürzer als 34 Monate!.
Modularität und technische Flexibilität Die unterschiedlichen Varianten eines Produkts bestimmen die Möglichkeiten zur Modularisierung ihres eigenen Herstellprozesses. Chart 46 veranschaulicht das an einem fiktiven Beispiel einer PKW-Montage, bei dem die Montage von insgesamt nur 50 Modulvarianten in 7 Montageschritte beherrscht werden muss (»innere« Varianz [Wiendahl]), um insgesamt mehr als eine halbe Million Modellvarianten auf dem Markt (»äußere« Varianz) anbieten zu können: • Die fertigungstechnische Flexibilität, die es im gezeigten Montageabschnitt zu beherrschen gilt, ist die Summe der Anzahl Varianten an den einzelnen Montageschritten. Im gezeigten Chart sind das 50. • Die dadurch für das Produkt mögliche Variantenzahl ist das Produkt der Anzahl von Varianten an den einzelnen Montageschritten. Im gezeigten Beispiel sind das mehr als 600.000!
2.2 Effizienz von Prozessen
69
5 (9)
6 (3)
7 (6)
3 (10) 1 (7)
Chart 46 Technische Flexibilität durch Modularisierung (fiktives Zahlenbeispiel)
4 (7) 2 (8) Montageschritt
Anzahl von Modulvarianten
Die beherrschte Variantenvielfalt nebenstehender 7 Kfz-Montageschritte ist insgesamt: 7 x 8 x 10 x 7 x 9 x 3 x 6 = 635.040! Die technisch zu beherrschende Anzahl von Varianten in den 7 Montageschritten ist insgesamt: 7 + 8 + 10 + 7 + 9 + 3 + 6 = 50!
Umgekehrt betrachtet heißt das: Wenn uns eine bestimmte Variantenvielfalt eines Produkts vorschwebt, ist es die eigentliche Kunst, die dieser Vielfalt zugrunde liegende technische Flexibilität des Herstellprozesses möglichst niedrig zu halten. Das bedeutet allerdings auch, dass sowohl die Zahl der Montageschritte als auch die Zahl der Varianten innerhalb jedes Montageschrittes beherrschbar sein müssen. Diese Aussage gilt für jede Art von Fertigungs- oder Entwicklungsprozess, für Verwaltungsprozesse, Logistikprozesse usw.
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen) Höchste Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung bedeutet, dass sie genau die Ausprägungen bzw. Werte haben, die der Hersteller – zum Beispiel in der Produktbeschreibung – verspricht. Conformance bedeutet, • dass Produkt- und Dienstleistungsmerkmale genau die Ausprägungen bzw. Werte haben, die der unbeeinflusste Kunde wünscht, und • dass auch alle Nebenbedingungen, wie Kosten, Kundenbetreuung, Pünktlichkeit, Mitarbeiterführung usw. optimal erfüllt sind.
Non-Conformance ist jegliches Verfehlen von Zielen Ob Qualität oder Conformance, in beiden Fällen ist es die Gesamtheit aller involvierten Prozesse, die dem jeweiligen Anspruch gerecht werden muss. Eine Einschätzung aus der Computerbranche des Jahres 1997 sagt, dass in Industrieunternehmen die Kosten für Non-Conformance in der Größenordnung von 25% des Umsatzes liegen.
70
2 Prozesseigenschaften
Das heißt: Ein normales Unternehmen mit einer Milliarde Euro Umsatz verschwendet 250 Millionen Euro jährlich durch überflüssige und fehlerhafte Prozesse. Ursachen können sein 1. mangelnde Qualität (Doppelarbeit, Reparaturen, Inspektionen, mangelnde Prozessleistung und unverrechnete Lieferungen) 2. nicht beherrschte Logistik (Expresslieferungen, Überstunden und Lieferverzug) 3. zu viel Bürokratie (Papierkrieg und überflüssige Besprechungen) 4. unzureichende Unternehmensstrategie (Verlorene Marktanteile, Verpassen von Geschäftschancen und zusätzliche Kundenbesuche) Es lohnt sich also offensichtlich, darüber zu reden. Bei einer Betrachtung der oben aufgezählten Non-Conformance-Ursachen fällt auf, dass wir einige von ihnen sofort als nicht notwendige Aufwendungen betrachten würden. Aber es gibt auch einige, von denen wir das nicht sofort behaupten oder erkennen würden. Einige von ihnen haben etwas damit zu tun, dass Tätigkeiten oder Planungen nicht beim ersten Mal fehlerfrei sind. »Do it right the first Time« ist ein mehr als zwanzig Jahre alter Qualitätsslogan, der genau dieses Problem im Visier hat. Um den Begriff Conformance nicht an dem aufzuhängen, »was der Kunde haben möchte«, wird in der Literatur von einem amerikanischen Qualitätsguru der zweiten Generation, Phil. B. Crosby, eine erweiterte Formulierung angeboten. Sie lautet: Conformance to Requirements Vor diesem Hintergrund ist die bekannte Priorisierung von Kundenwünschen nach must, want, nice vermutlich ein Schritt in die falsche Richtung, oder vielleicht nicht mehr ganz ernst zu nehmen, denn entscheidend ist hier, »was der Kunde braucht«.
Der Vollendungsgrad und seine Kosten – ein Gleichgewicht Ich sagte oben, dass auch Conformance etwas kostet. Im Kapitel 2.2.2 (siehe Chart 22) war im Zusammenhang mit dem Produktentstehungsprozess davon die Rede, dass das Ausreizen von Leistung bei Produkten oder Produktionsmitteln immer eine Grenze hat. Chart 47 zeigt links eine Grafik, bei der Joseph M. Juran dem »Wert des Vollendungsgrades« die »Kosten für das Erreichen des Vollendungsgrades« gegenüberstellt. Die bestechend einfache Logik dieser Darstellung besagt, dass in dem Augenblick, wo der Anstieg der progressiv wachsenden »Kosten für das Erreichen des Vollendungsgrads« größer wird als der Anstieg des degres-
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen)
71
Wert/Kosten
Aufwand/Kosten
Aufwand/Kosten 1 2
Qu ali tät sk A os ten “g B es am C t“
en st ko er hl Fe
Wert/Nutzen des Vollendungsgrads
3
Die Kurven 2 und 3 ergeben sich beim Einsatz neuer Verfahren, neuer Technologien, neuer Erkenntnisse
70%
50%
Kosten für das Erreichen des Vollendungsgrads
27%
Vollendungsgrad
Chart 47
sng nu la ten 50% p l. s ua Ko Q
40% 10%
3%
Non-Conformance nach J. M. Juran
44%
D Prüfk oste n 50%
40%
Wirklicher Kostenverlauf
6% 10%
100%
100%
100%
100% jeweils von „gesamt“
Qualität
Qualität
Kosten und Wert eines Erzeugnisses in Abhängigkeit von seinem Vollendungsgrad: Der Wechsel zu neuen Technologien ermöglicht häufig höhere Qualität zu geringeren Kosten
siv wachsenden »Wert des Vollendungsgrads«, man nicht »einfach weiter machen sollte«. Selbstverständlich gilt diese Art der Betrachtung nur für Sachwerte oder Sachschäden. Sowie es bei mangelndem Vollendungsgrad von Produkten oder Dienstleistungen um Menschen, ihre Gesundheit oder ihr Leben geht, gilt diese Betrachtungsweise selbstverständlich nicht. Die mittlere Grafik im Chart 47 zeigt eine altbekannte Betrachtung – hier anhand gemessener Werte aus dem Bereich Produktion – ab wann man aufhören sollte, Qualität zu steigern. Die drei Messgrößen Qualitätsplanungskosten, Prüfkosten und Fehlerkosten haben in der Summenkurve »Qualitätskosten gesamt« ein deutliches Minimum bei Punkt D. Auch in diesem Fall sollte man (unter den zuvor gemachten Einschränkungen) aufhören, Qualität durch weitersteigende Kosten zu erkaufen. Die Lösung für das Problem, dass nämlich irgendwann die Kosten für höhere Qualität unbezahlbar werden, liefert die rechte Grafik im Chart 47. Sie entlarvt das Paradigma, dass höhere Qualität immer anhand höherer Kosten erkauft werden muss. Dieser Zusammenhang ist nämlich nur solange richtig, wie man sich in einer Technologie oder einer Technik bewegt. Die Kurvenschar der rechten Grafik zeigt – was wir alle aus der Elektronik kennen – dass es durch das Einführen neuer Technologien durchaus möglich ist, immer höhere Qualität zu immer geringeren Kosten zu erhalten.
Prozesse können auch technische Grenzen haben Vielfach haben Technologien – in Analogie zu dem oben Gesagten – nicht nur die Eigenschaft, dass sie nicht mehr zu bezahlen sind, sondern
72
2 Prozesseigenschaften
Chart 48 Erhöhung von Generatorleistung: Sprünge in der Leistungssteigerung wurden möglich durch den Einsatz neuer Technologien
auch, dass sie an technische oder physikalische Grenzen stoßen. Ein Beispiel dafür veranschaulicht das mehr als 20 Jahre alte Chart 48. Die dort gezeigte Erhöhung der Generatorleistung zwischen 1910 und 1977 um fast einen Faktor 100 ging naturgemäß einher mit einer Temperaturerhöhung im Generator. Diese Erhöhung wurde mittels einer Verminderung des Leistungsgewichts (um über einen guten Faktor 10) und einer Erhöhung der Ausnutzungszahl (um knapp einen Faktor 20) bekämpft. Die Kühltechnik stieß dabei zweimal auf technische Grenzen. Es war zunächst ein Wechsel notwendig von Luftkühlung auf Wasserstoffkühlung und dann von Wasserstoffkühlung auf Wasserkühlung.
2.3.1 Qualität und ihre Folgen Zero Defect und Do it right the first Time waren – wie schon erwähnt – vor mehr als zwanzig Jahren bekannte Schlagworte. Ich möchte hier die dahinter verborgene Betrachtungsweise unter dem Begriff Erstausbeute bzw. First Pass Yield wieder aufleben lassen.
Erstausbeute von Prozessen (First Pass Yield, FPY) Chart 49 zeigt einen beliebigen Prozessschritt in Form einer Blackbox: Ein Auftrag bzw. Los kommt in die Box hinein und wartet. Nach der Bearbeitung kommt die Frage: »Ist das Ergebnis OK oder nicht?« Im Chart sind 90% der Produkte bei diesem Prozessschritt im ersten Durchgang fehlerfrei. 10% sind nicht fehlerfrei und bedürfen der Wiederbearbeitung. Nach der »Wiederbearbeitung« sind 8% von den 10% in Ordnung (»OK«) und kehren repariert in den Prozess zurück. 2% sind Ausschuss.
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen)
73
Anfang
Ende
Prozessschritt
Erstausbeute (First Pass Yield = 90%) Eingabe
Chart 49 First Pass Yield (FPY) und Process Yield eines Geschäftsprozesses; dazwischen liegen häufig große Produktivitätsreserven
Warten
Bearbeiten
OK?
Ja 90%
Ergebnis
Nein 10% Ja 8%
Wieder Bearbeiten
OK?
Prozessausbeute (Process Yield = 98%)
Nein 2%
Ausschuss (2%)
Während also der First Pass Yield 90% beträgt, ist die Prozessausbeute, der Process Yield, 98%. In Sachen Qualität wird üblicherweise von der Prozessausbeute gesprochen und nicht von der Erstausbeute. Wir werden aber sehen, dass der First Pass Yield eine hervorragende und sensible Messgröße ist. Der Unterschied zwischen Process Yield und First Pass Yield ist oft ganz beachtlich. Je schlechter die Erstausbeute ist, desto größer sind die notwendigen Aufwendungen für Nacharbeit, um einen bestimmten, vorgegebenen Process Yield zu erreichen. Wenn im obigen Beispiel etwa von 100 Produkten die Rede ist, von denen am Schluss 98 gute herauskommen, dann müssen die zwei fehlenden Produkte beim nächsten Los draufgelegt werden. Wenn wir aber z. B. von Reaktorsicherheit reden, dann muss die Differenz zwischen dem First Pass Yield und 100% – das so genannte Restrisiko – »unendlich« klein sein. Je schlechter die Erstausbeute ist, desto größer sind die notwendigen Aufwendungen für Nacharbeit, um ein bestimmtes, vorgegebenes Qualitätsniveau zu erreichen.
Gesamtprozess-Ausbeute und der Weg zu Six Sigma Chart 50 zeigt eine sehr einfache Prozessstrecke für eine »Lieferung ab Lager« mit acht Prozessbeteiligten – vom Service, sprich der Bestellung, bis zur Buchhaltung, sprich der Bezahlung. Die First Pass Yields in den acht Prozessschritten sind reale Werte. Jeder dieser Werte zeigt an, wie viel Prozent der Aufträge, die durch diesen speziellen Prozessschritt laufen, gleich bei der ersten Bearbeitung (Erstausbeute) fehlerfrei sind. Wenn man nun die Frage stellt: »Wie viel Prozent der Aufträge gehen fehlerfrei durch die gesamte Prozesskette der acht gezeigten Prozessschritte« (Gesamtprozess-Ausbeute), dann ergibt sich:
74
2 Prozesseigenschaften
Jeweiliger First Pass Yield
Service
Vertrieb
Lagermanagement
Logistikzentrum
Verpackung
Versand
Rechnungserstellung
Buchhaltung
70%
60%
75%
73%
80%
73%
70%
93,6%
60% First Pass Yield des Gesamtprozesses (Rolled Throughput Yield)
9% Ist „Baseline“
Qualität kann nur durch gemeinsame und ganzheitliche Optimierung aller Teilprozesse erreicht werden Geschäftsprozess
Soll „Entitlement“
Chart 50 Bedeutung und Wirkung des First Pass Yield zeigen sich insbesondere bei einer Prozesskette
Der Service hat eine Erstausbeute von 70%, somit fallen bei ihm 30% für die Folgebetrachtung aus. Die 70% des Service sind die neue »100%Vorgabe« für den Vertrieb, bei dem davon wiederum nur 60% im ersten Durchgang fehlerfrei sind. Die Vorgabe für den dritten Prozessschritt, das Lagermanagement, besteht nun aus den 70% des Services und den 60% des Vertriebes. Rechnerisch ist das sehr einfach. Man nimmt die ursprünglichen 100% und multipliziert sie beim Service mit 0,7. Das Ergebnis wiederum multipliziert man beim Vertrieb mit 0,6. In dieser Form geht das »Rechenspiel« weiter bis zum achten Prozessschritt, wobei die rechts an die acht Balken angefügten dunklen Teilbalken erkennen lassen, wie die jeweils fortgeschriebene Erstausbeute kleiner und kleiner wird. Im unteren Teil des Charts ist gezeigt, dass der sich so ergebende First Pass Yield des gesamten Prozesses, der sogenannte Rolled Throughput Yield, nur 9% ist. Es klingt unwahrscheinlich, aber es ist so. Selbst bei einem derartig einfachen Prozess laufen nur 9% der Aufträge fehlerfrei durch seine 8 Prozessschritte. 60% wären im ersten Ansatz ein angemessener Wert und nach dem hier gezeigten Bewertungsprinzip nicht ganz leicht erreichbar, also eine echte Herausforderung (Entitlement) an die Prozessgestaltung. Betrachtet man Chart 51, nämlich die Produktion von Halbleiterspeicher-Wafern, so muss man wissen, dass diese in Summe bis zu 1000 unabhängigen Prozessschritten unterzogen werden. Nach dem Prinzip der Ausmultiplikation der First Pass Yields aller aufeinander folgenden Prozessschritte lässt sich ermessen, wie hoch der First Pass Yield jedes einzelnen Prozessschrittes in der Waferproduktion sein muss, wenn als statistisches Ergebnis auf den Wafern eine nennenswerte Anzahl brauchbarer Speicherchips herauskommen soll. Dieses unten im Chart gezeigte Qualitätsniveau von 99,99966% ist genau die sechsfache Standardabweichung (6σ).
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen)
75
Silizium-Scheibe
Beispiel: 1-M-Halbleiterspeicher
Wafer
320 Prozessschritte Prozent Ausbeute an guten Speicherchips auf dem Wafer:
Chart 51 Extrem hoher Yield in der Waferproduktion, bei der nur ein in allen Schritten funktionierender Prozess akzeptabel ist
Je Prozessschritt (First Pass Yield)
→
Auf dem Wafer Insgesamt (Rolled Throughput Yield)
99 % 99,9 % 99,99 %
→ → →
4,0 % 72,6 % 96,9 %
6σ bei 1.000 Prozessschritten: 99,99966 %
→
99,6 %
Es ist also kein Wunder, dass die Bezeichnung Six Sigma für höchste Qualität von Motorola erfunden wurde, einem renommierten Hersteller von Halbleiterchips. Ein kleiner Exkurs zur Anschauung und Ergänzung in Sachen Statistik befindet sich in Anhang 4. Nun noch einmal zurück zu Chart 49: Sie können sich anhand dieses Charts die Frage stellen, wie viel Prozent Ihrer täglichen Arbeit Sie insgesamt in dem Kasten »Bearbeiten« zubringen und wie viel Prozent Ihrer Arbeit im Kasten »Wieder bearbeiten«.
q Der Schwerpunkt: Wieder Bearbeiten Ich kann Ihnen aus weit über zehn Jahren Arbeit in Workshops und Seminaren verraten, dass der mir auf diese Frage von den Teilnehmern genannte Anteil für »Bearbeiten« im Mittel bei etwa 30% liegt und für »Wieder Bearbeiten« im Mittel bei 70%. Eine zweite Frage: Denken Sie an die Gespräche, Telefonate und Besprechungen, an denen Sie neben Ihrer täglichen Arbeit teilhaben bzw. mitwirken; in wie viel Prozent der Zeit wird in diesen Besprechungen darüber geredet, »warum etwas nicht geht«, und in wie viel Prozent der Zeit wird darüber geredet »was zu tun ist, damit etwas geht«? Auch hier gilt als Ergebnis obiger Befragungen, dass im Mittel 70% der Zeit (d. h. der »Teilnehmerbeiträge«) darauf verwendet werden, zu erläutern, warum etwas nicht geht und nur 30% der Beiträge in diesen Besprechungen auf die Frage verwendet werden, »was zu tun ist, damit etwas geht«. Ich möchte beim Betrachten dieser zwei alternativen Verhaltensweisen folgende Behauptung aufstellen:
76
2 Prozesseigenschaften
Würden die mit der zweiten Frage angesprochenen Diskussionen nach dem Prinzip »Dialog« geführt, bekämen die »Negativbeiträge« weniger Raum. Es gibt allerdings Zeitgenossen, denen grundsätzlich nur einfällt, warum etwas nicht geht und sogar solche, die kreativ werden, um zu beweisen, dass etwas nicht geht! Dies möchte ich mit dem Begriff »Blindheit der Bewahrer« charakterisieren. Und weil es für das Prinzip Conformance so wichtig ist, noch eine dritte von mir an obige Teilnehmer immer wieder gerichtete Frage auf Basis des Charts 49: Wenn Sie an Ihre tägliche Arbeit denken, sowie an die vorgenannten Gespräche, Telefonate und Besprechungen, was glauben Sie, in wie viel Prozent dieser Gespräche und Ihrer Arbeit Sie etwas behandeln, was ihr Kunde – wer auch immer er sei – direkt wahrnehmen kann, und in wie viel Prozent der Fälle Sie über Themen reden, die der Kunde nicht bemerken kann? Ich bezeichne den Gegenstand dieser zuletzt genannten Themen als »innere Schönheit«, weil diese Themen offensichtlich irgendetwas mit (»Ihren«) internen Angelegenheiten zu tun haben. Das Verhältnis ist auch 30 zu 70. Zusammengefasst und stark vereinfacht kann man sagen: Wir arbeiten nur in 30% unserer Besprechungen an kreativen oder neuen Themen. Wir unterhalten uns darin wiederum nur zu 30% darüber,»was zu tun ist, damit etwas geht«, und nur zu 30% hat das, worüber wir reden, Einfluss auf etwas, was der Kunde direkt wahrnehmen kann. Das sind zusammen knapp 3% der Zeit, die wir in Besprechungen, Gesprächen oder Telefonaten verbringen. Nach dem ganz speziellen Kontext, in dem die obigen drei Fragen immer wieder gestellt und beantwortet wurden, ist klar, dass sie nicht für jede Tätigkeit oder jeden Beruf gelten können. Aber trotzdem ist es für uns interessant zu überlegen: Wie viel Prozent unserer Zeit sind wir in Besprechungen, Gesprächen oder Telefonaten? Welchen Anteil unserer restlichen Arbeitszeit arbeiten wir an Themen, deren Ergebnisse unsere Kunden direkt wahrnehmen können? Kann es sein, dass wir fast nie die Zeit haben, etwas gründlich zu machen, aber immer die Zeit haben müssen, es ein zweites Mal zu machen?
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen)
77
Fehler im Feld und Erstausbeute – »Gesundprüfen« geht nicht Nun zu einem weiteren Qualitätsthema: Es ist bekannt, dass man Qualität von Produkten nicht »erprüfen« kann. Aus analogem Grund schafft man auch durch das Assessment, das heißt das Testen von Prozessen, keine exzellenten Prozesse. Die obige Aussage für das Prüfen von Produkten ist nachweisbar. Eine unserer Gerätefertigungen hat vor vielen Jahren anhand der Gerätenummern Buch geführt über die Anlieferqualität des einzelnen Produkts an die Endprüfung. Diese Zahlen wurden dann über einen langen Zeitraum korreliert mit an diesen Geräten beim Kunden im Feld aufgetretenen Fehlern. Das Ergebnis ist eindeutig: Schlechte Anlieferqualität an die Endprüfung führt zu einem großen Fehlerschlupf ins Feld (siehe Chart 52).
Qualität und Durchlaufzeit Was im Zusammenhang mit Chart 49 noch nicht erwähnt wurde, ist die Tatsache, dass auch bei der Wiederbearbeitung fehlerhafter Teile und Produkte die bekannten Wartezeiten entstehen. Ein real gemessenes Beispiel von durch schlechte Qualität erhöhten Durchlaufzeiten zeigt das Chart 53.
Six Sigma – ein Exkurs Wir hatten im Chart 51 das für jeden einzelnen Prozessschritt einer Halbleiterproduktion statistisch gemessene, extrem hohe Qualitätsniveau »Six Sigma« als logische Folge der großen Anzahl unabhängiger Prozessschritte bei geforderter Ausbeute guter Wafer erklärt. Demgegenüber zeigt Chart 54 ein ganz anderes Beispiel statistischer Qualitätskontrolle. Es veranschaulicht, wie der Durchmesser einer gedrehten Welle an mehreren Stellen (A, B, C, D) mit einem klassischen Mikrometer gemessen
Chart 52 Prinzipdarstellung: Der Fehlerschlupf ins Feld hängt ab von der Anlieferqualität eines Produkts bei der Endprüfung; Produkte können nicht »gesundgeprüft« oder »gesundrepariert« werden
78
Anteil fehlerhafter Geräte im Feld
Hoch
0
Anzahl Fehler pro Gerät vor der Endprüfung
Hoch
2 Prozesseigenschaften
Mittelwert 11,2 Kalendertage (Bessere Ausbeute)
100 Anzahl der Aufträge 80
Mittelwert 15,6 Kalendertage (Schlechtere Ausbeute)
60
Nachbearbeitung im Prozess 40
20
34
32
30
28
26
24
22
20
18
16
14
12
8
10
6
4
2
0
0
Durchlaufzeit der Aufträge (Kalendertage)
Chart 53 Wirkung schlechter Prozessausbeute auf die Durchlaufzeit
wird. Chart 55 zeigt schematisch das Ergebnis dazu. Die Einzelmessungen schwanken normalverteilt um einen Mittelwert. Es ist einzusehen, dass die Durchmesser der einzelnen Wellen eines Loses, abhängig von der Präzision ihrer Herstellung, mehr oder weniger stark um einen Mittelwert schwanken. Und da vielfältige Einflüsse für das Schwanken des Durchmessers beim Drehvorgang verantwortlich sind, ergeben auch hier die Messwerte eine Normalverteilung um den beim Drehen eingestellten Solldurchmesser. Wie eine Normalverteilung entsteht, ist im Anhang 4 beschrieben. Der Mathematiker Carl-Friedrich Gauß hat die Normalverteilung durch eine mathematische Formel in eine eindeutig definierte Standard-Normalverteilung verwandelt. Der Mittelwert dieser Normalverteilung liegt in der Mitte der Zahlengerade bei Null. Die Verteilung selber erstreckt sich auf dieser Gerade von minus ∞ bis plus ∞. Die Summe aller Werte dieser
B A
B A D C
C D
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen)
Chart 54 Messung der Streuung eines Fertigungsprozesses am Produkt: Alle Einzelmessungen schwanken normalverteilt um einen Mittelwert
79
SollDurchmesser
Chart 55 Die Streuung eines Fertigungsprozesses entspricht einer Normalverteilung (»Glockenkurve«)
obere Toleranzgrenze
untere Toleranzgrenze σ 1σ σ 2σ σ 3σ
Verteilung wird gleich »1« (entsprechend 100%) gesetzt, heißt »σ« und ist nach dem zuvor Gesagten theoretisch nicht erreichbar. Für σ werden einzelne Standardabweichungen festgelegt, die symmetrisch zum Mittelwert gemessen werden und aussagen, wie viel Prozent der Messwerte jeweils innerhalb vorgegebener Toleranzwerte liegen. Für Chart 55 heißt das, dass 99,73% der Wellen des Loses (entsprechend einer Standardabweichung von 3σ) innerhalb ihrer Toleranzgrenzen liegen. Wenn die gleiche Welle später in einem nachfolgenden Los gefertigt wird, wird wiederum der Solldurchmesser an der Drehmaschine eingestellt. Dieses Einstellen des Solldurchmessers – und damit des Sollwertes – unterliegt selbstverständlich auch kleinen Abweichungen. Chart 56 zeigt auf der linken Seite – stark übertrieben – wie also die Normalverteilungen der einzelnen Lose zwar jeweils um ihren Sollwert, sprich ihre Mittellage, schwanken, dass aber diese Sollwerte selber auch in Form einer Normalverteilung schwanken. Angedeutet sind links die Verteilungen von vier Losen zu den Zeitpunkten 1 bis 4. Für den Prozess des Drehens dieser Welle ergibt sich also über einen längeren Zeitraum nicht nur die Schwankungsbreite des einzelnen Loses (Drehvorgangs), sondern auch die Schwankung der Einstellungen der Solldurchmesser der Welle für die einzelnen Lose. Beide Fehlerquellen überlagern sich in ihrer Wirkung. Die rechte Hälfte zeigt dementsprechend, dass die erreichbare Genauigkeit des immer wieder neu durchlaufenen Drehprozesses nicht bei der Genauigkeit des einzelnen Loses liegen kann, sondern etwas gröber ausfällt. Der dort eingetragene Prozentsatz für die Langzeitstreubreite ist 6 σ. Je schlanker eine Häufigkeitsverteilung ist (siehe Chart 57), umso mehr gemessene Produkte fallen in den zugelassenen Genauigkeitsbereich zwischen unterer und oberer Toleranzgrenze. Im Chart gilt die Beschriftung der rechten Abszissenseite für die Six-Sigma-Verteilung, die Be-
80
2 Prozesseigenschaften
99,9999998% (Kurzzeit)
σKurzzeit Zeitpunkt 1
σKurzzeit Zeitpunkt 2
99,99966% (Langzeit)
σKurzzeit Zeitpunkt 3
σKurzzeit
σ6σ Eigenschaft
Zeitpunkt 4 Untere Spezifikationsgrenze (USG)
Obere Spezifikationsgrenze (OSG)
Untere Spezifikationsgrenze (USG)
Kurzzeit- und Langzeit-Standardabweichung [nach Motorola]
Obere Spezifikationsgrenze (OSG)
Chart 56
schriftung der linken Abszissenseite entsprechend für die Drei-SigmaVerteilung.
Herleitung der Prozessqualität aus der geforderten Produktqualität Wenn wir davon ausgehen, dass die im Chart 54 gezeigte Welle im Rahmen einer Gesamtkonstruktion in irgendein anderes Teil hineinpassen muss, so darf ihr Durchmesser (design- bzw. spezifikationsbedingt) nur in einem bestimmten Umfang schwanken. Im Chart 58 wird diese vom Konstrukteur vorgesehene bzw. erlaubte Schwankung als »Design-Spanne« bezeichnet.
3σ Prozess
1σ
(99,74% gut)
1σ
6σ Prozess (99,99966% gut)
obere Toleranzgrenze
untere Toleranzgrenze
σ 3σ
σ 2σ
σ 1σ
Mittel- 1σ σ lage
σ 2σ
σ 3σ
σ 5σ 4σ
σ 6σ
σ-Prozess: Die Streuung der Ist-Werte ist deutlich kleiner als die vorgegebene 6σ Toleranz und lässt Spielraum für Schwankungen der Mittellage σ-Prozess: Es bleibt kein Spielraum für Schwankungen der Mittellage 3σ
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen)
Chart 57 Streuung eines Fertigungsprozesses: Die Abweichung Sigma als Maß der Prozessbeherrschung [nach Motorola]
81
Motorola-Standard ist Cp = 2 für kritische Prozesse Um Cp auf diese Zahl erhöhen zu können, muss die Design-Spanne erweitert werden, während gleichzeitig die Prozessvariation einzuschränken und zu kontrollieren ist.
Chart 58 Der Prozessfähigkeits-Index CP [nach Motorola]
OSG = USG =
Cp = =
Design-Spanne Natürliche Variation des Prozesses OSG - USG σ 6σ
Obere Spezifikationsgrenze Untere Spezifikationsgrenze
Es ist klar, dass das Produkt (die Welle) von der Prozessqualität her im Durchmesser nicht mehr schwanken darf als vom Design her vorgesehen. Motorola hat zu diesem Zweck eine Kunstgröße geschaffen, den sogenannten Prozessfähigkeits-Index CP , der dadurch entsteht, dass man die Design-Spanne durch die Langzeitstreubreite des Prozesses – hier »natürliche Variation des Prozesses« genannt – dividiert. Wenn CP gleich eins ist, sind die Design-Spanne und die vom Prozess her bedingte Streuung der Produktqualität (zum Beispiel unseres Wellendurchmessers) genau gleich. Motorola schlägt hier für kritische Prozesse einen Sicherheitsabstand von CP = 2 vor. Das im Kapitel 2.2.2 beschriebenen Simultaneous bzw. Concurrent Engineering schafft die Voraussetzung für die im Beispiel gezeigte Abstimmung zwischen Produktdesign und Prozessdesign. Der eigentliche Charme der Ergebnisse aus dieser etwas längeren Abhandlung über Six Sigma ist, dass wir aus der Prozessqualität gemäß Chart 50 die mit dem Gesamtprozess insgesamt erreichbare Produktqualität herleiten können, sowie ebenfalls umgekehrt aus der notwendigen Produktqualität die zu ihrem Erreichen notwendige Prozessqualität. Der Prozess verlangt: Qualität so ungenau wie möglich. Das Produkt verlangt: Qualität so genau wie nötig. Entwurfspielraum im Produktdesign und Streuung im Prozessdesign müssen also »gegeneinander ausgehandelt« werden (Antinomien). Ein derartig gemeinsam erarbeiteter Anspruch an Prozessqualität und Produktqualität ist nicht nur konform, sondern per se auch ein »Benchmark«. Das heißt: Prozesse benchmarken sich selbst! Für den Prozessmanager ist wichtig, dass es erlernbare Spielregeln und Werkzeuge für Produkt- und Prozessdesign gibt, um zu einem ausgewogenen Ziel zu kommen – wobei die Spielregeln insbesondere dann Erfolgschancen haben, wenn zwischen allen beteiligten Partnern ein entsprechender »Dialog« gepflegt wird!
82
2 Prozesseigenschaften
Sigmas %
Fläche
Rechtschreibung
σ 1σ 1σ σ
Grundfläche eines durchschnittlichen Fertigungsbetriebes
170 Rechtschreibfehler pro Seite eines Buches
σ 2σ 95.5
Grundfläche eines großen Supermarktes
σ 3σ 99.7
Geld
Zeit
Entfernung
317,4 Mio. $ Verbindlichkeiten pro 1 Mrd. $ Aktiva
313/4
Jahre in einem Jahrhundert
Von der Erde zum Mond
25 Rechtschreibfehler pro Seite eines Buches
45,6 Mio. $ Verbindlichkeiten pro 1 Mrd. $ Aktiva
41/2 Jahre in einem Jahrhundert
11/2-mal um die Welt
Grundfläche eines kleinen Ladens
1,5 Rechtschreibfehler pro Seite eines Buches
2,7 Mio. $ Verbindlichkeiten pro 1 Mrd. $ Aktiva
31/2 Monate in einem Jahrhundert
Quer durch Amerika von Küste zu Küste
σ 4σ 99.9
Grundfläche eines durchschnittlichen Wohnzimmers
1 Rechtschreibfehler pro 30 Seiten (1 Kapitel in einem Buch)
63.000 $ Verbindlichkeiten pro 1 Mrd. $ Aktiva
21/2 Tage in einem Jahrhundert
45 Minuten Fahrt auf dem Freeway
σ 5σ 99.99
Standfläche eines Telephons
1 RS-Fehler in einer mehrbändigen Enzyklopädie
570 $ Verbindlichkeiten pro 1 Mrd. $ Aktiva
30 Minuten in einem Jahrhundert
Fahrt zur örtlichen Tankstelle
σ 6σ 99.99966
Größe eines durchschnittlichen Diamanten
1 RS-Fehler in allen Büchern einer kleinen Bibliothek
2 $ Verbindlichkeiten pro 1 Mrd. $ Aktiva
6 Sekunden in einem Jahrhundert
4 Schritte in beliebiger Richtung
Spitze einer Nähnadel
1 RS-Fehler in allen Büchern mehrerer großer Bibliotheken
3/10 ¢ Verbindlichkeiten pro 1 Mrd. $ Aktiva
Zeit eines Lidschlags in einem Jahrhundert
1/8 Zoll (so weit Sie einen Kühlschrank werfen können)
68.3
σ 7σ
Anschauliche Proportionen der verschiedenen Sigma-Werte: eine Matrix zum Verständnis der Größenordnungen [nach Motorola]
Chart 59
Six Sigma zur Anschauung Selbstverständlich gibt es sehr viele Prozesse oder Tätigkeiten, für die ein First Pass Yield, d. h. ein Qualitätsanspruch im ersten Durchgang von Six Sigma überhaupt nicht denkbar ist. Insbesondere auch bei manuellen Tätigkeiten ist dies nicht der Fall. Zum Beispiel haben wir früher die Fehlerquote bei der Handbestückung von Flachbaugruppen gemessen. Sie lag in der Größenordnung Promille, d. h. wenn man das Chart 59 zum Vergleich heranzieht, zwischen 4 und 5 Sigma. Das Chart 59 soll eine Möglichkeit schaffen, sich die Größenordnungen für die einzelnen Sigma-Forderungen vorstellen zu können. In der linken Spalte ist aufgeführt, wie viel Prozent sich bei dem jeweiligen SigmaWert innerhalb der Toleranzgrenzen befinden müssen. In den weiteren Spalten finden Sie eine Beschreibung, wie sich die Dimensionen entsprechend vorgegebener Toleranzgrenzen ändern. Voll unterschreiben lässt sich eine Aussage von Rank Xerox anlässlich der Präsentation ihres Quality-Awards in Birmingham 1993. Sie lautet: Quality is too important to let it to the Quality Office.
2.3.2 Termintreue (On Time Delivery, OTD) Neben der Schlankheit von Prozessen gemessen in Form von Arbeitsvorräten bzw. Actions in Process und der Fehlerfreiheit von Prozessen, d. h. ihrer Erstausbeute bzw. ihres First Pass Yield, ist die Termintreue bzw. Pünktlichkeit das dritte wesentliche Prozessmerkmal.
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen)
83
Kurze Durchlaufzeit bedeutet nicht Pünktlichkeit Im Kapitel 2.2.1 hatten wir uns im Chart 17 mit der sogenannten statischen Durchlaufzeit bzw. ihrer Häufigkeitsverteilung befasst. Beim Interpretieren derartiger Durchlaufzeitverteilungen wird häufig ein Fehler gemacht. Diesen Fehler suggeriert die Verteilung selbst, nämlich dass die links bei kurzen Durchlaufzeiten stehenden Aufträge »schneller« bearbeitet worden seien als die rechts bei großen Durchlaufzeiten stehenden. Das ist falsch! Die bei kurzen Durchlaufzeiten stehenden Aufträge sind nicht schneller, sondern haben weniger Arbeitspositionen zu durchlaufen als die rechts bei größeren Durchlaufzeiten stehenden. Ihr Verhältnis Durchlaufzeit zu Bearbeitungszeit – und damit ihre Geschwindigkeit – ist im Prinzip bei allen Aufträgen gleich! Das Chart 60 zeigt diesen Sachverhalt noch einmal in der oberen Grafik. Häufig wird – auf der Basis der Einschätzung, dass die Aufträge mit kurzen Durchlaufzeiten »schneller« seien – obendrein noch beschlossen, dass sie pünktlicher sind. Auch das ist nicht der Fall, denn für einen Auftrag mit vielen Auftragspositionen wird man naturgemäß einen späteren Termin vereinbaren, als zum selben Zeitpunkt für einen Auftrag mit weniger Arbeitspositionen. Was Pünktlichkeit ist, zeigt die untere Grafik im Chart 60:
• Die sehr unterschiedlichen Durchlaufzeiten in
Anzahl Aufträge 40 30 20 10 0
0
10
20
Tage
30
Durchlaufzeiten in einer Werkstatt
Anzahl Aufträge Solltermin
40
Zeitfenster ± 2 Tage
30 20
Pünktliche Werkstatt
Unpünktliche Werkstatt
10 0
-10
Chart 60
84
0
Tage
10
Terminabweichung
unseren Abläufen – z.B. Auftragsdurchlauf durch eine Werkstatt – haben primär nichts mit der Pünktlichkeit dieser Aufträge zu tun! Sie resultieren zu einem kleinen Teil aus den unterschiedlichen Auftragsstückzahlen (Bearbeitungszeiten), im Wesentlichen aber aus der unterschiedlichen Anzahl von Arbeitsgängen (mit ihren jeweiligen Wartezeiten); und natürlich z.T. auch aus Störungen im Prozessablauf.
• Die Pünktlichkeit oder Termintreue wird gemessen anhand der Abweichung vom geplanten/vereinbarten Termin. Dieser Termin basiert auf sehr unterschiedlichen, d.h. individuell geplanten Durchlaufzeiten • Pünktlich ist ein Auftrag, der innerhalb eines vereinbarten „Zeitfensters” geliefert wird • Auch eine zu frühe Lieferung ist unpünktlich! • Im Übrigen ist nur das Einhalten des „nicht verhandelten“ Kundenwunschtermins konform!
Pünktlichkeit – On Time Delivery (OTD): Je schneller Durchläufe (Cycles) oder Prozesse sind, desto geringer sind ihre absoluten Zeitabweichungen
2 Prozesseigenschaften
Pünktlichkeit ist ausschließlich das Treffen eines Solltermins. Dabei kann der Solltermin dem ursprünglichen Kundenwunsch entsprechen oder ein ausgehandelter Solltermin sein. Neben dem Solltermin gehört zur Pünktlichkeit ein vereinbartes »Zeitfenster« um diesen Solltermin herum.
q Terminstreuungen sind zwangsweise unterschiedlich Für die Lieferung von Großkomponenten eines fossilen Kraftwerks hängt die Größe des Zeitfensters, d. h. eine durch den Transport bedingte unvermeidbare Terminstreuung, sicher davon ab, ob das Kraftwerk in irgendeinem einsamen Hinterland von Australien errichtet wird oder in der Nähe einer Hafenstadt von Großbritannien. Zur Erinnerung: Wir hatten von der extremen zeitlichen Genauigkeit gesprochen (siehe Kapitel 2.2.4), die Automobilhersteller ihren Lieferanten für die Anlieferung an ihre Fließbänder abverlangen. »Extrem genau« heißt nichts weiter als ein sehr kleines Zeitfenster, zum Beispiel im Minutenbereich. Erwähnt sei noch, dass zu frühe Lieferungen in der Mehrzahl der Fälle genauso störend, sprich unzulässig sind, wie zu späte Lieferungen. Was den Solltermin anbelangt, gilt: Nur das Einhalten des ursprünglichen Kundenwunschtermins ist konform! Um das Thema Termintreue bzw. Pünktlichkeit rankt sich eine Vielzahl weiterer logistischer Kenngrößen. Vier mir wichtig erscheinende möchte ich hier der Vollständigkeit halber noch kurz erläutern: Lieferzeit
Liefertermin minus Auftragseingangstermin beim Lieferanten
Liefertreue
Grad der Übereinstimmung zwischen zugesagtem und eingetretenem Liefertermin
Lieferfähigkeit
Grad der Übereinstimmung zwischen ursprünglichem Kundenwunschtermin und zugesagtem Liefertermin (Conformance)
Lieferqualität
Anteil der Aufträge, die komplett, mit vollständiger Dokumentation, ohne Transport- oder Verpackungsschäden geliefert werden. (Wenn man die Liefertreue einbezieht, ergibt sich das so wichtige »In Time In Full«!)
Einen Vorteil haben schlanke bzw. schnelle Prozesse per se: Bei gleicher prozentualer Häufigkeitsverteilung eines schnellen und eines langsamen Prozesses um den Solltermin ist die absolute Streuung des schlanken Prozesses über der Zeit kleiner. Das heißt, bei einem ver-
2.3 »Ideale« Prozesse (Conformance von Prozessen)
85
einbarten Zeitfenster sind schlanke Prozesse von Haus aus pünktlicher als weniger schlanke.
2.4 Reifegrad von Projekten und Prozessen Eine unserer europäischen Landesgesellschaften (LG) wurde – da sie unter Kostendruck geraten war – von Revision und Firmenleitung aufgefordert, alle erfolgversprechenden Prozesse in Verwaltung, Produktion und Logistik im Hinblick auf mögliche Kosteneinsparungen zu untersuchen. Der Vorstand der LG hatte nach einer Analysephase eine Anzahl von Restrukturierungsprojekten angestoßen und das unter Vorgabe konkreter Kosteneinsparungsziele. Ein Kollege und ich hatten die Aufgabe, die LG in dieser Umsetzungsphase zu begleiten. Wir bemerkten bald, dass für die einzelnen Projekte keine Zeitrahmen für das schrittweise Erreichen der geplanten Kosteneinsparungen fixiert worden waren. Bei einer der bei solchen Projekten üblichen Zwischenpräsentationen – in diesem Fall vor dem Führungskreis der LG – bemängelten wir das. Der Chef der Landesgesellschaft maßregelte uns, ob wir denn glauben würden, dass schriftliche Vorgaben eines Vorstands nicht ausreichen würden? Unsere Antwort: »Wir glauben das nicht, sondern wir wissen das«. Projektvorgaben ohne ein installiertes Überwachen der Umsetzung funktionieren nicht. Und im Rahmen des Überwachens wiederum müssen konkrete Zwischenergebnisse zu festgelegten Zwischenterminen vereinbart, festgelegt und dokumentiert sein. Eine häufig verwendete, derartige schriftliche Form der Festlegung sind die sogenannten »Härtegrade«.
Härtegrade, ein Frühwarnsystem des Projektmanagements Härtegrade werden benutzt, um Ergebnisse von Projektarbeit im Hinblick auf gesetzte quantitative Ziele zeitlich verfolgen zu können. Die Formulierungen der fünf Härtegrade bzw. Projektstadien 0 bis 4 am rechten Rand des Balkendiagramms (Chart 61) zeigen von oben nach unten eine zunehmende Konkretisierung der aus angegangenen Maßnahmen zu erwartenden Ergebnisse. Unter »Härtegrad 0« versteht man nur die vorgegebene oder abgeschätzte Gesamtersparnis aus dem geplanten Projekt. Unter »Härtegrad 4« werden die nachweislich aus dem Projekt stammenden finanziellen Ergebnisse (Cost Reduction!) während des geplanten, zeitlichen Projektverlaufs aufaddiert bzw. dokumentiert. Von Härtegrad »1« bis »3« werden die prognostizierten Einsparungen schrittweise erhärtet.
86
2 Prozesseigenschaften
96’0
96’0
96’0 12’7
21’3
96’0
96’0
7’1
4’9 11’0
1’7
96’0
0 = Cost reduction target
10’5
1 = Potential identified analytical
16’8
2 = Potential sustained by action
30’6
3 = Potential resulting by actions taken
36’4
4 = Cost reduction
15’3 18’8
27’0 29’1 45’0
29’9 38’2 30’8 17’6
Target
31’4
9’6
5’3 6’8
8’5
12/94
03/95
13’7
07/95
01/96
03/96
Realization of potential: level attained
Chart 61 Härtegrade (Degrees of Toughness) von Projekten: Controlling über Härtegrade vermeidet falsche Einschätzung geplanter Ergebnisse
Selbstverständlich kann man den Härtegrad statt in absoluten Werten (wie im Chart 61) auch in Prozent angeben. Die 96’0 DM entsprechen dann 100%. Die im Chart gezeigten grafischen Diagramme sind insbesondere auch als Frühwarnsystem zur laufenden Kostenkontrolle geeignet.
q Messung in Geld oder Prozent Eine »Cost reduction« von 96’0 Mio DM war das Ziel im gezeigten Chart 61. Es sollte also einen Zeitpunkt in der Zukunft geben, wo der schwarze Balken (Härtegrad 4) die 96’0 Mio- (bzw. 100%-)Linie erreicht. Trägt man die einzusparenden Geldbeträge in den Balken-Segmenten (Härtegraden) maßstäblich richtig über den Stichterminen der Balken ab, so erkennt man zu jedem Zeitpunkt, ob zum Beispiel die schwarzen Balken-Segmente in Richtung Endtermin des Projekts im richtigen Maß anwachsen. Man erkennt auch sehr früh, ob mit den angedachten Maßnahmen das Ziel überhaupt erreichbar ist – und kann ggf. rechtzeitig nachbessern. Projekte, für die kein derartiges oder ähnliches Controlling benutzt wird, sind reiner Blindflug. Die meisten nicht verfolgten Projekte verlaufen im Sand. Genauso notwendig wie das Verfolgen des Projektfortschritts ist das Benennen eines Projektverantwortlichen, der für obige Projektfortschreibung zuständig ist. Sollte jemand der Meinung sein, dass man damit den »Bock zum Gärtner« macht, so mag das stimmen. Aber jeder weiß, dass ein zeitlich geplanter bzw. festgelegter Projektfortschritt, den man »heute« nicht schafft, aber hinfrisiert, »morgen« noch schwerer zu erreichen sein wird. Der Grund: Auflaufende bzw. aufsummierte Erfolgskennzahlen verlaufen fast immer in einer sogenannten »Schwanenhals-Kurve«, unabhängig davon, ob im Sport, in der Projektarbeit, in der Erziehung, in der Forschung, usw. Sie
2.4 Reifegrad von Projekten und Prozessen
87
beschreibt drei Phasen: Nach dem Start mühsame erste Erfolge, zweitens in der Mitte des Projektes stetige gute Erfolge und drittens gegen Ende den am schwierigsten zu erreichenden Grenznutzen. Wenn ein Projekt richtig läuft, dann werden in der Härtegrad-Darstellung des Charts 61 die oberen Kanten der schwarzen Balken-Segmente, d. h. die aufsummierten Kostenreduktionen solch einer Kurve folgen. Wenn die schwarzen (»Erfolgs«-)Balken hingegen im Verlauf des Projektes hinter diesem Planverlauf zurückbleiben, wissen alle Betroffenen, dass ein Erreichen insbesondere der Zeit-Ziele ohne Zusatzmaßnahmen immer unwahrscheinlicher wird. Während bei der Härtegrad-Darstellung alle grauen Balken-Segmente Planwerte, d. h. Schätzwerte darstellen, sollten die schwarzen Balken das Ergebnis von Messungen, d. h. von Tatsachen sein!
Drei Dimensionen von Management Excellence Eine andere Art von Projektverfolgung bzw. von Projektcontrolling ist das stetige Vergleichen der tatsächlichen Erfolge eines Prozesses oder Projektes mit nach bestimmten Kriterien sortierten konkreten Zielen. Man nennt sie Reifegrad-Matrizen oder »Maturity Grids«. Die zu erreichenden oder anzusprechenden Einzelziele werden anhand tabellarisch vorgegebener, anschaulicher Reifegradformulierungen sozusagen »halb quantitativ« verfolgt. Ein auf derartigen Reifegradformulierungen basierendes Controlling wird im Rahmen verschiedener internationaler Qualitätsmodelle angewendet. Dabei sind die einzelnen Reifegradformulierungen mit Prozentwerten unterlegt, die die ursprünglich geschätzten, qualitativen Aussagen quantifizieren! Dieses zunächst etwas riskant erscheinende Vorgehen wird dadurch abgesichert, dass man die Reifegradformulierungen für das einzelne Projektziel auf mehrere, gewichtete Dimensionen verteilt. Beim europäischen Qualitätsmodell zum Beispiel wird jede Bewertung eines Einzelzieles in drei Dimensionen durchgeführt. Diese drei Dimensionen von Management Excellence sind (siehe Chart 62): 1. Die Qualität des Vorgehens zum Erreichen kontinuierlicher Verbesserungen bzw. Management Exzellence (Approach) 2. Der im Tagesgeschäft erreichte Anteil der Veränderung im Hinblick auf alle relevanten Bereiche der Organisation und die Belegschaft (Deployment) 3. Die laufend gemessene Überprüfung der erreichten Veränderungen (Assessment and Review) Die Härtegrade sind hierbei Prozentangaben gemessen an maximal Erreichbarem.
88
2 Prozesseigenschaften
Approach Vorgehensweise, d.h. Zielstrebigkeit (Targets/Benchmarks) und Systematik anhand definierter Prozesse (z.B. ISO 9000)
Deployment Verbreitungsgrad in den relevanten Bereichen des Unternehmens und bei der Belegschaft Assessment and Review Laufendes Messen, Lernen und Verbessern (Close the Loop)
Chart 62 Drei Dimensionen von Management Performance im europäischen Qualitätsmodell
Und noch ein Hinweis: Die Tatsache, dass zum Beispiel beim Europäischen Qualitätsmodell alle Aktivitäten (Approach), ihre Durchdringung des Unternehmens (Deployment) sowie ein zusätzliches, permanentes Controlling (Assessment and Review) betrachtet werden, entspricht dem Anspruch von »Total« beim Total Quality Management (TQM).
2.4.1 Strukturen internationaler Qualitätsmodelle Oberste Vorgabe von Total Quality Management (TQM) ist Customer Satisfaction. Diese ist – obwohl im Wesentlichen auf quantitativem Kundennutzen basierend – mehr als Nutzen. Dieses »mehr« resultiert nicht so sehr aus den angestrebten Ergebnissen des TQM, sondern aus angestrebten Verhaltensweisen. Customer Satisfaction beinhaltet auch ein neues Verständnis für die Prozesse organisationsinterner Zusammenarbeit. Auch der interne Abnehmer von Ergebnissen ist Kunde. Das heißt also aus unternehmensinterner Sicht: Mitarbeiterzufriedenheit = Kundenzufriedenheit
Der European Quality Award EQA Die Qualitätsmodelle für Europa, USA, Malaysia und Australien (siehe auch Anhang 6) wurden geschaffen, um Qualität messbar und damit international vergleichbar zu machen. Als Weiterentwicklung der ISO-Zertifizierungen eröffnet die Vergleichbarkeit die Möglichkeit, Lieferanten nach ihrer mit den jeweiligen Modellen gemessenen Qualität zu zertifizieren. Darüber hinaus bieten die Modelle für das Management zugleich Hilfestellung bei der Einschätzung ihrer eigenen Leistungsfähigkeit (Self-Assessments) und Anreiz, sich in den verschiedenen Regionen um Qualitätspreise bewerben zu können, die sogenannten Quality Awards.
2.4 Reifegrad von Projekten und Prozessen
89
Die vier Modelle haben das reine Qualitätsterrain verlassen und befassen sich ganz allgemein mit der Performance der untersuchten Unternehmen. Sie basieren auf umfangreichen, ähnlich strukturierten Checklisten. Alle Modelle bestehen aus Kriterien, die ihrerseits wieder in sogenannte Unterkriterien aufgeteilt sind. Die Kriterien der obigen vier Modelle sind zwei Kategorien zugeordnet oder zumindest zuordenbar, nämlich den • Treiber-Kriterien (Enabler) und den • Ergebnis-Kriterien (Results). Mit den Treiber-Kriterien führt ein Unternehmen, das sich um einen Qualitätspreis bewirbt, vor, was es alles unternimmt, um ein exzellentes Unternehmen zu sein. Mit den Result-Kriterien wird dann vorgeführt, welche Ergebnisse die »Unternehmungen auf der Enablerseite« zur Folge haben. Jedes der Kriterien – im europäischen Qualitätsmodell (siehe Chart 63) sind es neun – hat ein ihm zugewiesenes Gewicht, das seinen Anteil an der Gesamtbewertung bestimmt. Die fünf Treiber im europäischen Modell umfassen insgesamt 500 Punkte und die rechts stehenden vier Ergebniskriterien ebenfalls. Die Pfeile in dem Chart sollen die Dynamik des Modells andeuten, als einen Regelkreis von Aktionen, deren Ergebnissen und den zwei wesentlichsten Feedbackmechanismen.
Der US-amerikanische Baldrige Award in neuem Gewand Chart 64 zeigt das ab 2003 gültige und neu gestaltete Modell des USamerikanischen Baldrige Award. Es versteht sich als »A Systems Perspec-
Treiber
Ergebnisse
500 Punkte
500 Punkte 5
3
1 Mitarbeiter
90
Führung
Politik und Strategie
2
Prozesse
80
100
Chart 63 Das EQA-Modell 2000
90
Partnerschaften 4 und Ressourcen 90
140
Mitarbeiterbezogene Ergebnisse
7
9
90
6 Kundenbezogene Ergebnisse 200 200
Gesellschafts- 8 bezogene Ergebnisse 60
Schlüsselergebnisse
150
Innovation und Lernen (Feedback)
2 Prozesseigenschaften
Organizational Profile: Environment, Relationships and Challenges
2 Strategic Planning
85
5 Human Resource Focus
85 7 Business Results
1 Leadership
120
450 3 Customer and Market Focus
85
6 Process Management
85
4 Measurement, Analysis and Knowledge Management
90
Chart 64 Baldrige Criteria for Performance Excellence Framework: A Systems Perspective
tive«, das heißt als ein System aus drei übergeordneten »Basiselementen«. Diese sind im Chart 64 von oben nach unten: 1. Organizational Profile 2. System Operations (Kriterien 1, 2, 3, 5, 6, 7) 3. System Foundation (Kriterium 4) 1. Das Organizational Profile liefert in Form eines Überblicks den Kontext, in dem ein Bewerber seine Geschäfte abwickelt. 2. Die System Operations setzen sich zusammen aus sechs, teilweise modifizierten Enabler- und Result-Kriterien des bisherigen Baldrige Modells. Sie beschreiben die wichtigsten, aus Vorgaben hergeleiteten Maßnahmen (Operations), die dazu gehörenden Einflussfaktoren und zielen letztlich gemeinsam auf die Business Results. 3. Die System Foundation (das heißt das Kriterium 4) liefert die Grundlage für »Fact-based« Improving Performance and Competitiveness.
Die Unterkriterien Wie schon erwähnt, ist jedes Kriterium des europäischen und des amerikanischen Award-Modells in sogenannte Unterkriterien (Subcriteria) aufgeteilt. Ein Unterschied: Im Gegensatz zu den Unterkriterien des EQA-Modells waren und sind die des Baldrige Modells zusätzlich einzeln gewichtet. Ihre Summe ergibt das Gewicht des Kriteriums, zu dem sie gehören. Chart 65 zeigt die Unterkriterien des EQA-Modells in vollständiger Formulierung. Die Unterkriterien für das alte und das neue Baldrige Modell werden einander im Anhang 6 gegenüber gestellt; außerdem wird dort zum Ver-
2.4 Reifegrad von Projekten und Prozessen
91
T r e i b e r E r g e b n i s s e
Kriterium
Subkriterien
1. Führung
1a. Die Führungskräfte erarbeiten die Mission, die Vision und die Werte und agieren als Vorbilder (Role Model) für eine Kultur der Excellence 1b. Die Führungskräfte stellen durch persönliche Mitwirkung sicher, daß das Managementsystem der Organisation entwickelt, eingeführt und kontinuierlich verbessert wird 1c. Führungskräfte bemühen sich um Kunden, Partner und Vertreter der Gesellschaft 1d. Führungskräfte motivieren und unterstützen die Mitarbeiter der Organisation und erkennen ihre Leistungen an
2. Politik und Strategie
2a. Politik und Strategie beruhen auf den gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnissen und Erwartungen der Interessengruppen (Stakeholder) 2b. Politik und Strategie beruhen auf Informationen von Leistungsmessungen, Marktforschung sowie den lernorientierten und kreativen Aktivitäten 2c. Politik und Strategie werden entwickelt, überprüft und nachgeführt 2d. Politik und Strategie werden durch eine Struktur von Schlüsselprozessen umgesetzt 2e. Politik und Strategie werden kommuniziert und eingeführt
3. Mitarbeiter
3a. Mitarbeiterressourcen werden geplant, gemanagt und verbessert 3b. Das Wissen und die Kompetenzen der Mitarbeiter werden ermittelt, ausgebaut und aufrechterhalten 3c. Mitarbeiter sind beteiligt und zu selbständigem Handeln ermächtigt 3d. Die Mitarbeiter und die Organisation führen einen Dialog 3e. Mitarbeiter werden belohnt, anerkannt und man kümmert sich um sie
4. Partnerschaften und Ressourcen
4a. 4b. 4c. 4d. 4e.
5. Prozesse
5a. Prozesse werden systematisch gestaltet und gemanagt 5b. Prozesse werden, wenn nötig, verbessert, wobei Innovation eingesetzt wird, um Kunden und andere Interessengruppen vollumfänglich zufrieden zu stellen und die Wertschöpfung für diese zu steigern 5c. Produkte und Dienstleistungen werden anhand der Bedürfnisse und Erwartungen von Kunden entworfen und entwickelt 5d. Produkte und Dienstleistungen werden hergestellt, geliefert und gewartet 5e. Kundenbeziehungen werden gemanagt und vertieft
6. Kundenbezogene Ergebnisse
6a. Messergebnisse aus Sicht der Kunden 6b. Leistungsindikatoren
7. Mitarbeiterbezogene Ergebnisse
7a. Messergebnisse aus Sicht der Mitarbeiter 7b. Leistungsindikatoren
8. Gesellschaftsbezogene Ergebnisse
8a. Messergebnisse aus Sicht der Gesellschaft 8b. Leistungsindikatoren
9. SchlüsselErgebnisse
9a. Wichtige leistungsbezogene Ergebnisse 9b. Wichtige leistungsbezogene Indikatoren
Chart 65
Externe Partnerschaften werden gemanagt Finanzen werden gemanagt Gebäude, Einrichtungen und Material werden gemanagt Technologie wird gemanagt Informationen und Wissen werden gemanagt
Das EQA-Modell: die Unterkriterien
gleich auch das Malaysische Qualitätsmodell mit seinen Kriterien und Subkriterien in vollständiger Formulierung vorgestellt. Das Baldrige- und das EQA-Modell hatten sich in der Vergangenheit gegenseitig stark beeinflusst und einander in ihrer Struktur angenähert. Auf das neue »Baldrige Performance Excellence Framework« 2003 trifft dies allerdings nicht mehr zu.
92
2 Prozesseigenschaften
Hinter den Subkriterien beider Modelle befinden sich allerdings nach wie vor die eigentlichen Checklisten mit ihren sogenannten »Ansatzpunkten«. Ich favorisiere die für mich anschaulichere, amerikanische Bezeichnung »Areas to address«, also im Rahmen eines Assessments oder Self-Assessments »anzusprechende Themen- und Problemfelder«. Beim EQA-Modell sind dies unter den 32 Subkriterien insgesamt 301 »Areas to address«. Es ist also ein Riesenkatalog von Themen und Problemen, der im Rahmen eines Assessments durchgearbeitet werden muss. Aber erst diese Areas to Address ermöglichen es, mit einem einzigen Modell verschieden große Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen bzw. Herkunft vergleichbar zu bewerten. Neben den produzierenden, d. h. den sogenannten »Profit Organizations«, können das zum Beispiel Hotels, Restaurants, Schulen, Feuerwehren, Ministerien, Banken oder Krankenhäuser sein. Was für große internationale Unternehmen wichtig ist, ist die Ähnlichkeit der Award-Modelle auf der Ebene der Subkriterien. Die von Region zu Region auf dieser Ebene korrespondierenden Ergebnisse innerhalb eines international operierenden Unternehmens können durchaus, d. h. »von Modell zu Modell«, miteinander verglichen werden. Ähnliches gilt bei Zusammenschlüssen von Unternehmen unterschiedlicher Regionen. Wobei diese beiden letzten Aussagen nur dann zutreffen, wenn die Selbstbewertungen dieser Unternehmen nicht Selbstzweck sind (Window Dressing), sondern auf Fakten bzw. echtem TQM beruhen.
Die Qualität von Selbstbewertungen Für alle Prozessmessungen gilt – und das trifft natürlich auch für Messungen im Rahmen eines Self-Assessment zu – dass sie nur dann sorgfältig durchgeführt werden, wenn die Betroffenen davon überzeugt sind, dass diese Messungen für ihre tägliche Arbeit nützlich sind! Und nur wenn das so ist, kann man sich für die Daten und Fakten, die zum Beispiel im Rahmen einer Bewerbung um einen Qualitätspreis zusammengetragen werden müssen, solcher »lebender Messungen« bedienen. Die Ergebnisse aller Messungen auf der Treiber- und der Ergebnisseite müssten, überspitzt gesagt, von den Betroffenen auf Knopfdruck aus ihren Rechnern herausgeholt werden können, und das Assessment selber bestünde dann nur aus der Formulierung der dazugehörenden Texte für die Bewerbung.
q TQM heißt »alle Mitarbeiter sind involviert« Ich habe es selbst erlebt, dass bei einem Treffen von EFQM-Assessoren einer der anwesenden Assessoren erzählte, wie er zusammen mit einem
2.4 Reifegrad von Projekten und Prozessen
93
Team in seinem Unternehmen ein Assessment für den European Quality Award durchgeführt habe. Er berichtete stolz, dass es dem Team gelungen sei, dies zu tun, ohne dass es praktisch irgend jemand aus der Belegschaft bemerkt hätte oder dadurch gestört worden wäre. Fragt sich, was es in diesem Unternehmen mit Total Quality Management auf sich hat! Vermutlich die wichtigste Eigenschaft der Qualitätsmodelle ist, dass sie nicht »gesprengt« werden können. Das soll heißen, dass ihre maximalen Punktezahlen (entsprechend 100%) in keinem Kriterium und durch keinen Bewerber erreicht werden können. Die EFQM in Brüssel veröffentlicht seit 1969, jährlich ergänzt, die nach den neun Kriterien sortierten Punkte-Verteilungen aller bisherigen europäischen Bewerber, und die belegen das. Oberhalb von 80% der für die einzelnen Kriterien vorgegebenen maximalen Punktezahlen befinden sich, mit ganz wenigen Ausnahmen, keine Bewerber mehr. Und: Das Mittel aller Bewerbungen wandert nicht zu höheren Punktezahlen.
Das Zauberwort »Evidenz« Bei der Beurteilung bzw. Bewertung eines Unternehmens, das sich um einen Qualitätspreis bewirbt, gilt nur das zur Bewerbung eingereichte Dokument. Darüber hinausgehende Kenntnisse im Assessoren-Team über den Bewerber dürfen nicht berücksichtigt werden. Und weil das so ist, ist das wesentlichste Merkmal der eingereichten Bewerbung für die beurteilenden Assessoren deren sogenannte »Evidence«. Und eine Bewerbung ist insbesondere dann »evident«, wenn sie alle Aussagen durch gemessene Ergebnisse, Ziele und Trends belegt; auf der Treiber- wie auf der Ergebnisseite. Das messende Verfolgen bzw. gezielte Controlling aller Vorgänge und Prozesse ist ein charakteristisches Merkmal exzellenter Unternehmen. Mein Studium vieler Bewerbungen um den europäischen Qualitätspreis, und zwar Bewerbungen von mittelmäßigen, guten und sehr guten Unternehmen, hat mir gezeigt, dass insbesondere gute Unternehmen Wert darauf legen, auch auf der Treiberseite zu messen und nicht nur auf der Ergebnisseite. Wenn wir auf der Treiberseite, im Wesentlichen also auf der Prozessseite, messen, dann schaffen wir in jedem Fall notwendige Voraussetzungen für Business Excellence, wenn auch nicht hinreichende! Es ist also notwendig, an und in den Prozessen zu messen und nicht zu warten, bis womöglich in Folgeschritten und viel später – gute wie schlechte – Ergebnisse aus den Prozessen aufscheinen, deren individuelle Ursachen dann nicht mehr zurück verfolgt werden können. Daraus lernen wir: If you can’t close the loop, don’t start anything.
94
2 Prozesseigenschaften
2.4.2 Von qualitativer Abschätzung zu quantitativer Aussage (Reifegradmodelle) Reifegrad von Software Ein international anerkanntes Reifegradmodell ist das des SoftwareEngineering Instituts (SEI) der Carnegie Mellon University (CMU). Das Modell hat fünf Reifegrade, und zwar von »chaotischer« Software-Erstellung bis hin zur professionellen, der »optimierenden« (siehe Chart 66). Das Chart signalisiert, dass steigende Reifegrade mit erhöhter Qualität und vermindertem Risiko einhergehen. (Übrigens: Selbst angesehene Unternehmen halten sich nach diesem Modell mit der von ihnen erstellten Software zwischen den Reifegradstufen 2 und 3 auf.) Eine Eigenheit des SEI-Modells ist, dass es für jede Stufe beschreibt, was zu tun ist, um in die nächste Stufe zu gelangen. Und nun konkret: Chart 67 zeigt das Ergebnis einer Untersuchung der Firma Lockheed aus dem Jahr 1990. Es handelte sich dabei um ein sehr großes Projekt zur Erstellung einer Systemsoftware mit hohem Realzeitanteil, das mit dem SEI-Modell bewertet wurde. Die Darstellung zeigt, dass es möglich war, anhand der Charakterisierung der unterschiedlichen Reifegrade den Qualitäts- und Kostenstatus relativ trennscharf zu erfassen. Dramatisch bei dem Ergebnisdiagramm ist der Rückgang der Feldfehler im Verlauf des Projekts (in Kilo Lines of Code, kloc) von Reifegrad 1 bis 5 und im Zuge dessen der Rückgang der Kosten.
Reifegradstufe
5 4 3 2 1
Charakteristik Optimierend Kontinuierliche Prozessverbesserung
Quantitativ Messtechnik und quantitative Kontrolle
Qualitativ Prozess systematisiert und kontrolliert
Intuitiv Prozess basiert auf individuellen Erfahrungen
Chaotisch Unvorhersagbar, schlecht kontrolliert
Verbesserungsmaßnahmen • Prozess durch gezielte Regelung (Feedback) auf optimalem Level halten
Nutzen Qualität
• Alle Beteiligten einbeziehen • Schwachstellen messend analysieren • Schwachstellen vermeiden und Verbesserung messen • SW-Entwicklungsprozess analysieren • Relevante Prozessgrößen identifizieren • SW-Entwicklungsprozess einsetzen • Mitarbeiter schulen • Normen und Standards berücksichtigen • Projekt-Planung institutionalisieren • Projekt-Management einführen • Software-Qualitätssicherung einführen
Das Reifegradmodell der Carnegie Mellon University (CMU)
2.4 Reifegrad von Projekten und Prozessen
Risiko
Chart 66
95
Feldfehler [Fehler/kLOC]
Reifegradstufe
Chart 67 Beispiel Softwareprojekt: Messergebnisse, die mit den Reifegraden korrespondieren; die Optimierung des SoftwareEntwicklungsprozesses wirkt am stärksten auf Kosten und Feldfehler [nach Lockheed 1990]
5 4 3 2 1 0
Kosten [Kosten/Projekt]
1%
9%
3%
17%
11%
33%
100%
65%
70%
75%
66%
100%
100% 100 0
Produktivität [LOC/Std]
55%
22%
50
Entwicklungszeit [Laufzeit]
40%
85%
50
27%
100% 100 0
50
extrapoliert
20% 100 0
50
100
Quality Maturity Measures Eine interessante Variante eines Reifegradmodells bzw. einer ReifegradMatrix ist das »Quality Management Maturity Grid« von Phil. B. Crosby. Chart 68 zeigt die deutsche Übersetzung der Formulierungen in dem von Crosby vorgeschlagenen Grid.
q Tatsächliche versus berichtete Qualitätskosten Die in Chart 68 aufgeführten »tatsächlichen« Qualitätskosten (»in Prozent vom Umsatz«) sind zwar von Phil B. Crosby vorgegebene, aber reale Werte, die durchaus auch meinen Erfahrungen aus unterschiedlichen Produktionsbereichen entsprechen. Sie setzen sich üblicherweise zusammen aus drei Kostenarten, den Fehlerverhütungs- bzw. Qualitätsplanungskosten, den Prüf- und den Fehlerkosten. Die »berichteten« Kosten stammen aus Crosbys Erfahrungen mit zu optimistischen Self-Assessments seiner Kunden während ihrer verschiedenen »Reifestadien« auf dem dornenreichen Weg zu Business Excellence. Um die Aussagefähigkeit seines Grids und darin insbesondere die Realitätsnähe der »berichteten« Kosten im Verlauf eines Projekts zu verbessern, schlägt Crosby drei nicht nur für die Bewertung verantwortliche, sondern auch für die Umsetzung zuständige Personen vor: 1. den General Manager der Einheit, 2. den Quality Manager der Einheit und 3. einen Kenner dieser Einheit, der nicht zu dieser Einheit gehört, aber Mitarbeiter dieses Unternehmens ist. Ich könnte mir aber auch gut vorstellen, statt des zuletzt Genannten einen Kunden zu benennen! Auch bei der Anwendung von Reifegrad-Matrizen versucht man, den Sprung von der qualitativen Abschätzung zur Quantität zu vollziehen. Im vorliegenden Maturity Grid bekommen alle Felder der Stufe 1 einen Punkt, alle Felder der Stufe 2 zwei Punkte, usw. bis zu den Feldern der Stufe 5, die fünf Punkte bekommen.
96
2 Prozesseigenschaften
Stufe 1: Ungewissheit
Stufe 2: Erwachen
Stufe 3: Erkenntnis
Stufe 4: Wissen
Stufe 5: Überzeugtsein
Verständnis und Verhalten des Managements
Qualität wird nicht als Managementwerkzeug verstanden. Neigung, die Qualitätsabteilung für “Qualitätsprobleme“ verantwortlich zu machen
Die Erkenntnis, dass Qualitätsmanagement wertvoll sein kann; es existiert aber keine Bereitschaft, Geld und Zeit zur Umsetzung dieser Erkenntnis zur Verfügung zu stellen
Gewinnen von Wissen über Qualitätsmanagement beim Durchlaufen eines Qualitätssteigerungsprogramms. Unterstützung und Hilfsbereitschaft nehmen dabei zu
Engagement. Verstehen des Anspruchs von Qualitätsmanagement. Erkennen des persönlichen Parts und seines wachsenden Gewichts
Qualit ätsmanagement wird als wesentlicher Bestandteil der Unternehmung angesehen
Status der Qualitätsorganisation
Qualität wird in Produktionsoder Entwicklungsabteilungen “versteckt”. Inspektion ist sehr häufig nicht regulärer Bestandteil aller Abl äufe. Betonung von Messen und Aussortieren
Der Qualitätsmanager bekommt höheres Gewicht, aber die Hauptbetonung liegt weiter auf Messen und Aussondern fehlerhafter Produkte. Weiterhin angegliedert an die Fertigung oder an andere Abteilungen
Qualitätsabteilung berichtet dem Top-Management. Die Bewertung ist einheitlich und der Qualitätsmanager hat eine konkrete Funktion im Unternehmensmanagement
Der Qualitätsmanager ist leitender Angestellter des Unternehmens. Effektives Reporting und Präventivmaßnahmen . In Kundenbeziehungen und Spezialaufgaben einbezogen
Qualitätsmanager im Vorstand. Prävention ist die Hauptsorge. Qualität ist das Hauptanliegen
Problembewältigung
Probleme werden bei ihrem Auftreten bekämpft. Keine Entschlossenheit; ungeeignete Definition; viel Geschrei und gegenseitiges Beschuldigen
Es werden Teams gegründet, um die Hauptproblemfelder anzugehen. Langfristige Lösungen werden nicht gefördert
Kommunikation von Korrekturmaßnahmen installiert. Probleme werden offen behandelt und ordentlich gelöst
Probleme werden schon frühzeitig beim Entstehen erkannt. Alle Funktionen sind offen für Anregungen und Verbesserungen
Außer in extrem ungewöhnlichen Fällen werden Probleme verhindert
Kosten der Qualität als prozent. Anteil v. Umsatz
Berichtet: Tatsächlich:
Berichtet: Tatsächlich:
Berichtet: Tatsächlich:
Berichtet: 6,3% Tatsächlich: 8%
Berichtet: 2,5% Tatsächlich: 2,5%
Aktionen zur Qualitätssteigerung
Keine organisatorischen Maßnahmen. Kein Verständnis für solche Maßnahmen
Offensichtlicher Versuch, die Mitarbeiter für kurzfristige Anstrengungen zu motivieren
Fortsetzung des TQMProgramms und Start der Sicherstellungsphase (Institutionalisierung)
Qualitätssteigerung ist eine normale und ständige Aktivität
Haltung des Unternehmens zu Qualitätsfragen insgesamt
“Wir verstehen nicht, warum wir Qualitätsprobleme haben”
“Ist es denn absolut unvermeid- “Durch Commitment des Management und Qualitätsbar, immer Qualitätsprobleme steigerung erkennen und zu haben?” lösen wir unsere Probleme”
“Die Vermeidung von Mängeln gehört zu den Routineabläufen in unserem Bereich”
“Wir wissen, warum wir keine Qualitätsprobleme haben”
unbekannt; 20%
1 Punkt
3% 18%
2 Punkte
8% 12%
Implementierung eines TQMProgramms mit gründlichem Verständnis und Umsetzung der einzelnen Schritte
3 Punkte
4 Punkte
Quality Management Maturity Grid [Phil B. Crosby]
5 Punkte Chart 68
Nachdem es sich hier um sechs Zeilen mit jeweils höchstens fünf Punkten handelt, sind maximal dreißig Punkte zu vergeben.
Eigene Maturity Grids Selbstverständlich kann man sich auch selbst ein Maturity Grid schaffen, wie es im Chart 69 angedeutet ist. Wichtig dabei: Die Formulierungen sollten bereichsspezifisch, müssen aber bereichsverständlich sein. Außerdem sollte darin immer eine messende Zeile vorkommen, wie in den Charts 68 und 69 die Zeile vier. Eine Zeile könnte der Leadership Excellence gewidmet sein, eine weitere Zeile dem Empowerment der Mitarbeiter, eine der Kundenorientierung, gemessen aus Kundensicht sowie – last not least – eine dem Prozessmanagement! Die Formulierungen sollten sachlich sein (ohne »nicht informative« Phrasen, siehe Kapitel 1.4). Und sie sollten gleichermaßen auch emotional sein, was die Identifikation der Benutzer mit diesen Formulierungen erleichtert. Aber nun zu einem anderen Reifegradmodell.
2.4 Reifegrad von Projekten und Prozessen
97
Stufe 1
Stufe 2
Stufe 3
Stufe 4
Stufe 5
4 Punkte
5 Punkte
Verhalten des Managements (Commitment zu TQM)
Deployment von TQM
Empowerment der Mitarbeiter
Kosten der Conformance als prozent. Anteil v. Umsatz Prozessmanagement und Review aus Kundensicht (AIP; FPY; OTD)
Kundenorientierung gemessen aus Kundensicht als Responsiveness
1 Punkt Chart 69
2 Punkte
3 Punkte
Maturity Grid: ein Beispiel
Das System RADAR der European Foundation for Quality Management (EFQM) Die Charts 70 und 71 zeigen das »RADAR-Modell« (RADAR = Results, Approach, Deployment, Assessment and Review), anhand dessen jede Bewerbung um den European Quality Award bewertet wird. Noch einmal: Der EQA-Assessor bewertet das vom Bewerber eingereichte Bewerbungs-Dokument und nicht seine Kenntnis des sich bewerbenden Unternehmens! Die Bewerbung richtet sich in ihrem Aufbau nach der Reihenfolge der neun Kriterien und ihrer Unterkriterien im EQA-Modell (siehe Kapitel 2.4.1, Chart 63). Dabei muss nicht jedes Unterkriterium behandelt werden! Das Chart 70 zeigt die Elemente der Enabler-Seite des RADAR-Modells mit den bereits im Kapitel 2.4, Chart 62) erwähnten drei Dimensionen Approach, Deployment sowie Assessment and Review. Bewertet werden die Treiber-Elemente – wie auch die Ergebnis-Elemente – im Wesentlichen anhand ihrer »Evidenz« (also der Verständlichkeit und Überzeugungskraft der Formulierungen und Darstellungen im Bewerbungs-Dokument). Die Result-Seite von RADAR (Chart 71) ermöglicht durch vorformulierte Attribute den Reifegrad der Ergebnisse zu bestimmen. Beim Vergleich der sparsamen Formulierungen in den zwei RADAR-Blättern mit denen im Maturity Grid von Phil. B. Crosby erkennt man, dass
98
2 Prozesseigenschaften
Elements
Attributes
Score
0%
25%
50%
75%
100%
No evidence or anecdotal
Some evidence
Evidence
Clear evidence
Comprehensive evidence
No evidence or anecdotal
Some evidence
Evidence
Clear evidence
Comprehensive evidence
Sound:
Approach
- Approach has a clear rationale - There are well defined and developed processes - Approach focuses on stakeholder needs
Integrated: - Approach supports policy and strategy - Approach is linked to other approaches as appropriate
Total
0
Implemented: - Approach is implemented
Deployment
Systematic: - Approach is deployed in a structured way
Implemented in about 1/2 of relevant areas
Implemented in about 3/4 of relevant areas
Implemented in all relevant areas
No evidence or anecdotal
Some evidence
Evidence
Clear evidence
Comprehensive evidence
0
- Regular measurement of the effectiveness of the approach, deployment is carried out
Learning:
Assessment and Review
- Learning activities are used to identify and share best practice and improvement opportunities
Improvement: - Output from measurement and learning is analysed and used to identify, prioritise, plan and implement improvements
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 Implemented in about 1/4 of relevant areas
Total Measurement:
5
No evidence or anecdotal
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
No evidence or anecdotal
Some evidence
Evidence
Clear evidence
Comprehensive evidence
No evidence or anecdotal
Some evidence
Evidence
Clear evidence
Comprehensive evidence
No evidence or anecdotal
Some evidence
Evidence
Clear evidence
Comprehensive evidence
Total
Overall Total
0
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
0
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
RADAR: Enablers
Elements
Attributes
Score
Trends: - Trends are positive and/or there is sustained good performance
Targets: Results
- Targets are achieved - Tragets are appropriate
Comparisons: - Comparisons with external organisations take place and results compare well with industry averages or acknowledged 'best in class'
Causes: - Results are caused by approach
0%
No results or anecdotal information
- Results address relevant areas
50%
Positive trends Positive trends and/or sustained and/or satisfactory good performance on many results performance on over at least some results 3 years
75%
100%
Strongly positive trends and/or sustained
Strongly positive trends and/or sustained excellent performance in all areas over at least 5 years
No results or anecdotal information
Favourable and appropriate in some areas
Favourable and appropriate in many areas
Favourable and appropriate in most areas
Excellent and appropriate in most areas
No results or anecdotal information
Comparisons in some areas
Favourable in some areas
Favourable in many areas
Excellent in most areas and 'Best in Class' in many areas
No results or anecdotal information
Some results
Many results
Most results
All results. Leading position will be maintained
Total Scope:
25%
Chart 70
0
5
No results or anecdotal information
Total
Overall Total
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
Some areas addressed
Many areas addressed
All areas addressed
0
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
0
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
RADAR: Results
2.4 Reifegrad von Projekten und Prozessen
Most areas addressed
Chart 71
99
die Hilfe ausformulierter Reifegrade für die richtige Bewertung einer Unternehmenseinheit tatsächlich sehr groß sein kann. Für jemanden, der darüber nachdenkt, wie er die erreichte Leistungsfähigkeit und Qualität seines Verantwortungsbereichs in einem Dokument beschreiben sollte, wie auch für denjenigen, der Reifegradformulierungen für einen Verantwortungsbereich zu formulieren sucht, gilt (für Treiber und Ergebnisse gleichermaßen) das bereits erwähnte Zauberwort: »Evidenz«
100
2 Prozesseigenschaften
3 Verändern von Prozessen
Soft values are useless in fat organisations. (Jack Welch)
Spielregeln und Erfolgsfaktoren Ich hatte einmal einen Kollegen, der bei der Übernahme der Leitung eines Werkes die schwere Aufgabe mit übernehmen musste, die Belegschaft von ca. 3200 auf ca. 2400 Mitarbeiter zu reduzieren. Ich fragte ihn: »Wie machen Sie es, dass Ihre Mitarbeiter überhaupt an diesem Changeprogramm mitmachen, wenn sie nicht wissen, ob ihr eigener Arbeitsplatz dabei auf der Strecke bleibt?« Die Antwort lautete: »Ich sage es den Personen, die an Bord bleiben, persönlich und im Vertrauen.« Ich erzähle das hier, weil das Verändern von Organisationen oder von Prozessen in sehr vielen Fällen eine Verminderung der Belegschaftszahl zur Folge hat. Dabei wird häufig die denkwürdige Spielregel gewählt, dass zunächst – möglichst unter Wahrung des »sozialen Friedens« – die Belegschaftszahl heruntergefahren wird und anschließend mit der verkleinerten Mannschaft zwei Probleme zu bewältigen sind: 1. Die verminderte Belegschaft muss die gleiche Anzahl Aufgaben und Funktionen übernehmen, wie vorher die größere Belegschaft. 2. Sie übernimmt als zusätzliche Aufgabe die Mitarbeit an der Verbesserung der Strukturen und Prozesse. (Solche Maßnahmen sind immer notwendig, wenn Mitarbeiterreduzierungen der oben genannten Größenordnung erreicht werden sollen.) Jede Restrukturierung und Prozessneugestaltung der zuvor genannten Größenordnung wird vorübergehend zur Folge haben, dass neben dem Tagesgeschäft für alle betroffenen Mitarbeiter mindestens 5% zusätzliche Arbeiten und Aufgaben entstehen (siehe Chart 72), und für einen Teil von ihnen sogar erheblich mehr als diese 5%. Ein wesentlicher Teil in diesem Mehraufwand ist zum Beispiel Training (»frontal« oder »on the Job«) für die neuen Prozesse und/oder neuen Aufgaben.
q Stetiger Wandel braucht Training Es wurde bereits erwähnt (siehe Kapitel 1.8), dass fortschrittliche Unternehmen zwischen 40 und 80 Stunden im Jahr für das Training und die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter einsetzen, also zwischen fünf und zehn Arbeitstagen (Lernarbeit). Bei 220 Arbeitstagen entsprechen zehn Arbeitstage bereits rund 5% der Arbeitszeit, die für stetigen Wandel, Innovation und Lernen aufgewendet werden.
3 Verändern von Prozessen
101
Arbeitseinsatz
Zwischen 5% und 10% Mehrarbeit aller MA für Restrukturierung und Prozessneugestaltung
[MA-Stunden]
100%
80%
Early Wins
60%
Chart 72 Umfassende Prozessoder Strukturveränderung bei Start mit allen Mitarbeitern (Idealfall)
Beginn der Umverteilung der Arbeit
40%
20%
0% 0,5
1
1,5
2
2,5
3
Zeit [Jahre]
Wenn es um einschneidende Änderungen geht, sollte der messbare Erfolg nach etwa einem halben Jahr einsetzen. Eine Produktivitätssteigerung bzw. Senkung des Arbeitseinsatzes im Chart 72 von ehemaligen 100% auf 70% dauert seine Zeit. Aktionismus ist nicht angesagt. Ich habe persönlich bei einigen Restrukturierungsprojekten dieser Größenordnung mitgewirkt. Die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg ist, dass die Betroffenen – und ich meine hier Betroffene aller hierarchischen Ebenen – davon überzeugt sind, dass etwas verändert werden muss und kann (siehe Chart 73). Wichtig ist aber, dass bei den Betroffenen gleichzeitig die Überzeugung existieren muss, dass man nicht nur etwas verändern kann, sondern dass man die Veränderungen insbesondere auch in der Größenordnung machen kann, die in Restrukturierungsprojekten immer vorgegeben ist! Die Antwort auf die folgende Frage muss ja lauten: Do we have the desire, energy and organization to do this radical change? Damit dies der Fall ist, braucht es einen Dialog zwischen den Betroffenen (und zwar »up and down the Hierarchy«), um – durchaus im Sinne von David Bohm – ein gemeinsames Problembewusstsein zu schaffen.
• Überzeugung, dass etwas verändert werden muss, (Awareness) gepaart mit der Überzeugung, dass es verändert werden kann • Dialog zwischen Betroffenen und Verantwortlichen • Infragestellen von Vorhandenem • Offenheit und Bereitschaft zum Lernen Chart 73 Erfolgsfaktoren für Veränderungen
102
• Frühzeitige Projekterfolge (Early Wins) und ihre Kommunikation (Success Stories)
3 Verändern von Prozessen
Das bewusste Infragestellen von Paradigmen ist eine notwendige Voraussetzung dafür, die Prozesse oder Prozessthemen zu finden, deren Änderung oder Abschaffung wirklich nennenswerte Potenziale freisetzt.
Der Haupttreiber Prozessdesign Chart 74 ist Teil einer Darstellung, die vor einigen Jahren von McKinsey erstellt wurde. Die darin gemachten Aussagen entsprechen auch meinen persönlichen Erfahrungen, und bis heute dürfte sich prinzipiell nicht viel an den dargestellten Fakten geändert haben. In dem Chart wird ein sogenanntes mittelmäßiges, europäisches Unternehmen einem vergleichbaren Unternehmen auf Worldclass-Niveau gegenübergestellt. Dieses Worldclass-Unternehmen kann irgendwo in Fernost, in Deutschland, in den USA oder sonst wo sein. Bei Betrachten der einzelnen Elemente der Kostenunterschiede fällt auf, dass die immer wieder in der Öffentlichkeit diskutierten sogenannten Faktorkosten bei weitem nicht das eigentliche Übel sind. Es sind also nicht unsere immer wieder strapazierten hohen Löhne und Gehälter, die große Anzahl von Urlaubstagen, die relativ vielen Krankheitstage, die geringen Regelarbeitszeiten, die Gesetzgebung, die hohen Sozialleistungen usw., die zum Beispiel europäische Unternehmen an ihrer Konkurrenzfähigkeit hindern. Es sind vielmehr zwei große Blöcke, das Produktdesign und das Prozessdesign.
Elektro
Elektronik (Systeme)
100
Elektronik (Produkte)
100
Die richtigen Produktmerkmale (do the right things)
100
Effizienz des Produktdesigns (do the things right)
75
50
50
Angaben in Prozent
Produktdesign Prozessdesign Faktorkosten
Mittelmaß
Worldclass
Mittelmaß
Worldclass
Mittelmaß
Worldclass
Mittelmäßige Unternehmen haben deutliche Kostennachteile (1995) [nach McKinsey]
3 Verändern von Prozessen
Chart 74
103
Wenn man im Chart die Elektronikindustrie betrachtet, machen diese beiden Blöcke 40% von den 50% des Kostenhubs aus. Dabei ist sicher nicht anzunehmen, dass ein europäisches Unternehmen schlechtere Chancen im Produktdesign oder im Prozessdesign haben sollte als ein Unternehmen irgendeiner anderen Region. Weder Ausbildung noch das fachliche Niveau unserer europäischen Mitarbeiter sprechen dafür. Für den Prozessmanager ist es in Anbetracht dieser Darstellung wichtig, dass das Produktdesign in zwei Themenfelder aufgespreizt werden muss: 1. Die Effektivität mit der Frage »Werden die richtigen Produkte oder die richtigen Produktmerkmale entwickelt?«. (do the right things) 2. Die Effizienz mit der Frage »Sind die Entwicklungsprozesse schnell und wirtschaftlich?«. (do the things right) Die Erfahrung lehrt, dass beide Themenfelder gleich gewichtig sind, und dass somit die Hälfte des Produktdesigns wiederum Prozessdesign ist. Am Beispiel der Elektronikindustrie sind also in dem hier gezeigten Kostenhub von 50% allein 30% auf mangelndes Prozessdesign, sprich mangelndes Prozessmanagement als Haupttreiber zurückzuführen. Insofern übermittelt das Chart für mich eine positive oder sogar tröstliche Botschaft.
Das Schließen großer Produktivitätslücken Falls Sie der Meinung sind, dass die hier gehandelten Produktivitätshübe zu krass, d. h. nicht machbar sind, möchte ich Sie an das zum Chart 49 in Kapitel 2.3.1 Gesagte erinnern. Oder machen Sie der Klarheit halber ein Benchmarking ihrer Produkte, ihrer Prozesse und ihres Einkaufs. Unabhängig davon möchte ich Sie aber anhand des Chart 75 nicht nur von der Machbarkeit großer Produktivitätshübe überzeugen, sondern auch von Ihrer Notwendigkeit in vielen Produktionen. Die Grafik zeigt, dass ein Weltklasse-Unternehmen in der Regel gegenüber einem mittelmäßigen nicht nur eine höhere Produktivität aufweist, wie zum Beispiel in Chart 74 dargestellt, sondern dass auch die jährliche Produktivitätssteigerung von Weltklasseunternehmen größer ist als die mittelmäßiger Unternehmen. Nehmen wir an, ein Unternehmen befindet sich auf der Heute-Linie in Punkt »A« der unteren Unternehmensgruppe mit 2 bis 5% jährlichem Produktivitätswachstum, und dieses Unternehmen will sich in drei Jahren auf der Morgen-Linie in Punkt »B« wiederfinden, also ein Weltklasse-
104
3 Verändern von Prozessen
Produktivität B dynamische Lücke
Kontinuierliche Verbesserung aller Prozesse
Restrukturierung sowie Produkt- und Prozessgestaltung >10% p.a.
Weltklasse (5-10% p.a.) statische Lücke Mittelmaß (2-5% p.a.)
A Basis-Ratio Zeit (Jahre) Heute
(1)
(2)
Morgen (3)
Der Weg vom Mittelmaß zur Weltklasse hat ein »Moving Target«, die »dynamische Lücke«
Chart 75
unternehmen geworden sein mit 5 bis 10% jährlichem Produktivitätswachstum. Die Frage lautet nun: »Was für eine jährliche Produktivitätssteigerung muss das Unternehmen auf der Strecke von A nach B haben?« Auf jeden Fall mehr als 5 bis 10%! An dem Chart sieht man auch ganz deutlich: Je schneller dieser Produktivitätshub gemacht werden soll, desto steiler wird die Strecke AB. Das heißt unter Umständen, dass, wenn die jährlichen Produktivitätssteigerungen nicht wesentlich größer sind als 5 bis 10 %, der Zeitraum für den Wandel vermutlich zu groß wird, um das Ziel jemals zu erreichen.
Wo liegen die Potenziale? Die Erfahrung zeigt (Chart 76), dass die gängigen Verbesserungsmethoden und Verbesserungswerkzeuge wegen ihres unterschiedlichen »Einzugsgebietes« auch sehr unterschiedliche Verbesserungspotenziale zur Verfügung haben. Nur das Reorganisieren gesamter Strukturen oder das Ändern vollständiger Kunde-Kunde-Prozesse bieten die Chance, Einsparungen in der Größenordnung von bis zu 40% zu erreichen. Wenn man innerhalb einzelner Funktionen bleibt (siehe auch Chart 7, Kapitel 2.1), sind die Chancen im besten Fall nur noch halb so groß. Ein ganz eigenes Thema in diesem Zusammenhang sind die Verbesserungsvorschläge.
3 Verändern von Prozessen
105
Umfassende Veränderungen in Kunde-Kunde-Prozessen ( DD-/ MM-Cycle ) und / oder von vollständigen Strukturen
~40%
• Ratio-
Projekte
• Produktivitätsprogramme
Kontinuierliche Verbesserung „von“ Prozessen innerhalb existierender Strukturen / Funktionen
~20%
• Barrier Removal Teams (BRT)
• Power Teams • Qualitätsgruppen • Verbesserungs-
Teilweise Verbesserungen „in“ Funktionen / Prozessen
~10%
vorschläge
DD = Design Development MM = Make Market
Chart 76
Das höchste Potenzial für Produktivitätsverbesserungen liegt in umfassenden Veränderungen
Es gibt Unternehmen, die Verbesserungsvorschläge nur zu allgemeinen organisatorischen Maßnahmen kennen, zum Beispiel einen Schirmständer mit Schirmen für den Weg über den Hof bei Regen oder bargeldlose Abrechnung in der Kantine oder … oder … Unternehmen, die sich so verhalten, sind – wie ich auch – der Meinung dass für jeden Mitarbeiter die permanente Verbesserung der eigenen Arbeit ein bezahlter Anteil dieser Arbeit sein muss. Es gibt allerdings andere Unternehmen, die Verbesserungsvorschläge auch für funktionale Abläufe der eigenen täglichen Arbeit akzeptieren und gesondert prämieren. Dies ist meistens mit viel Bürokratie verbunden, die häufig von den Mitarbeitern im Einvernehmen mit ihrem Vorgesetzten umgangen wird (»Direktvorschläge«). Verbesserungsvorschläge können als »Einsteiger-Droge« genutzt werden, um den Mitarbeitern Mut zu weiterreichenden Aktionen zu machen.
Veränderungen gehen immer und nur über die Mitarbeiter Nun noch ein kurzer Blick auf das Work-Out-Programm von GE (Chart 77). Dieses Programm, eine Mischung aus Mobilisierung und Culture Change, wurde aufgelegt, nachdem das Unternehmen als Ganzes eine Schlankheitskur (»Fat Organization« [Jack Welch]) hinter sich gebracht hatte. Eine erwähnenswerte Besonderheit dieses am Personalvorstand aufgehängten Programms war, dass bei den Projekten, die aus dem Work-Out-Programm entstanden, ein Paradigmenwechsel stattfand. Es waren nicht die Projektteams bzw. Mitarbeiter, die sich den Vorgesetzten gegenüber verpflichteten, die Projekte erfolgreich durchzuführen. Es waren die Vorgesetzten, die sich gegenüber den Teams verpflichteten, diesen Change persönlich zu begleiten und tatkräftig zu unterstützen.
106
3 Verändern von Prozessen
Vertrauensbildung • Die Offenheit soll dem Unternehmen die Nutzung des in den Köpfen der Mitarbeiter gespeicherten Wissens und Ideenguts ermöglichen Mitarbeiter-Empowerment • Diejenigen, die der Arbeit am nächsten stehen, wissen mehr darüber als ihre Vorgesetzten Vermeidung unnötiger Arbeiten • Die Abschaffung von Aufgaben, die keiner rechtfertigen kann, vermittelt den Mitarbeitern schnelle, verständliche Vorteile des Work-Out-Programms Ausbreitung der GE-Kultur • Das Work-Out-Programm wird die Unternehmenskultur fördern, eine Kultur ohne Grenzen, in der die Arbeiter von sich aus nach Schnelligkeit, Einfachheit und Selbstvertrauen streben
Die vier Ziele des »Work-out«-Programms von General Electric (1995)
Chart 77
3.1 Einbinden der Mitarbeiter Der Erfolg von Änderungsprozessen ist stark davon abhängig, wie intensiv die Mitarbeiter in diese Prozesse eingebunden werden.
Kontinuierliche Verbesserung von Prozessen Es gibt eine branchenübergreifende Studie der Firma AGAMUS Consult in Zusammenarbeit mit 309 deutschen Industrieunternehmen [von Amerongen], die sich mit dem KVP befasst, dem Kontinuierlichen Verbesserungs-Prozess oder der kontinuierlichen Verbesserung von Prozessen. (Obwohl die erste Bezeichnung geläufiger ist, trifft nach meiner Meinung die zweite die wahre Bedeutung des KVP deutlich besser.) Die KVP-Aktivitäten – unabhängig davon, ob sie im Namen die Abkürzung KVP führen oder nicht – sind die größte Gruppe von Verbesserungsmethoden (siehe auch Chart 76). Erkenntnisse aus dieser Studie sind: 1. Das Gewicht, das den jeweiligen KVP-Programmen beigemessen wird, äußert sich darin, wie hoch die Koordinatoren dieser Programme in der Hierarchie angesiedelt sind. Vom untersten bis zum obersten Hierarchie-Niveau macht das im Mittel einen um den Faktor 2 höheren Erfolg aus. 2. Anreizsysteme für die Teilnahme an KVP-Aktivitäten erhöhen nicht die Erfolge dieser Aktivitäten.
3.1 Einbinden der Mitarbeiter
107
3. Wenn in KVP-Programmen Strukturveränderungen, sprich Innovationen erlaubt sind, verdoppelt sich die Höhe der wirtschaftlichen Erfolge. 4. Der »Gelehrten«- bzw. »Ideologenstreit« (nämlich, ob die Ziele der KVP-Programme von den Mitarbeitern selber bestimmt werden müssen oder auch von Vorgesetzten vorgeschlagen werden dürfen) erweist sich als gegenstandslos, was den wirtschaftlichen Erfolg der jeweiligen Programme und auch die Auswahl der Teams anbelangt. 5. Es gibt eine Korrelation zwischen sogenannten Soft-Facts und den wirtschaftlichen Ergebnissen. Als Soft-Facts wurden die Motivation, die Zusammenarbeit, das Betriebsklima und die Identifikation mit dem Unternehmen untersucht. Die Charts 78 und 79 zeigen die systematische Vorgehensweise bei AGAMUS. Alle Ergebnisse wurden grundsätzlich nach den sechs in den beiden Bildern als Legende gezeigten Erfolgsfeldern aufgeschlüsselt. Die qualitative Messgröße, die AGAMUS benutzt, lautet: »Unternehmen berichten über mehr oder weniger Erfolg«. Für Chart 78 bedeutet dies, dass 58% der befragten Unternehmen sagen, sie haben durch Verhaltenstraining »mehr Erfolg«. 31,8% der Unternehmen haben kein Verhaltenstraining durchgeführt und berichten, »weniger Erfolg« zu haben. Dass diese Messgrösse auch quantitativ aussagekräftig ist, wurde durch eine Zusatzuntersuchung abgesichert, die zeigt, dass, je höher ein Unternehmen das wirtschaftliche Gesamtergebnis des KVP einschätzt, desto besser sich dort auch die quantitativen Ergebnisse darstellen. Im Verhaltenstraining werden Einsichten in typische Verhaltensweisen vermittelt und nicht zuletzt in die eigenen. Das führt zu ihrer Beherzi-
Anzahl Unternehmen 80% Bestandssenkung Durchlaufzeitenreduzierung Nacharbeitsreduzierung Umsatzsteigerung Produktivitätssteigerung Kostensenkung
70% 60% 50%
13,5
40% 13,5
Chart 78 Nicht nur Methodentraining ist wichtig; Verhaltenstraining führt ebenfalls zu einer Verbesserung der quantitativen Faktoren (AGAMUS, nach [von Amerongen])
108
30%
4,3 9,4
20% 10%
3,5 9,0
8,8 6,0
0,8
6,5 9,1
0%
Verhaltenstraining durchgeführt
5,4
Verhaltenstraining nicht durchgeführt
3 Verändern von Prozessen
Anzahl Unternehmen Bestandssenkung
60%
Durchlaufzeitenreduzierung Nacharbeitsreduzierung
50%
Umsatzsteigerung Produktivitätssteigerung Kostensenkung
12,7
40% 12,8 7,1
30% 8,9 20%
5,0 5,0
11,3
5,0 3,3
2,6 8,3
6,8
8,7
6,1 3,3
10%
0,8
0%
Gruppe A (vorwiegend) bereichsund hierachieübergreifende Teams
7,5 6,3
Gruppe B
Gruppe C
nur bereichs- oder nur hierachie- übergreifende Teams
weder bereichs- noch hierachieübergreifende Teams
Chart 79 Übergreifende Projektteams versprechen die größten Erfolge bei Veränderungsprozessen (AGAMUS, nach [von Amerongen])
gung in den zwischenmenschlichen Beziehungen, d. h. im Führungsverhalten und in der Zusammenarbeit. Emotionalität erhöht die Erfolgsaussichten von Zusammenarbeit. Chart 79 zeigt, dass das Überschreiten von Bereichs- oder Hierarchiegrenzen (und damit auch die Erweiterung des Änderungshorizonts) in Veränderungsteams größere Erfolgswahrscheinlichkeit verspricht als das Arbeiten mit bereichsinternen Projektteams. (Bemerkung: Die Gruppe »A« in Chart 79 hat nicht ausschließlich, sondern nur überwiegend mit bereichs- und hierarchieübergreifenden Teams experimentiert, so dass einige dieser Unternehmen auch in »B« auftreten, und die Summe der drei Balken im Chart daher größer als 100% ist.)
Das Auffinden überschaubarer Teile von Gesamtprozessen Es gibt eine Vielzahl von Produktivitätsprogrammen, die in den letzten Jahren zwischen Automobilherstellern und ihren direkten Zulieferern (First Tier Suppliers) durchgeführt wurden (siehe Chart 80). Die Vorgehensweisen waren immer sehr ähnlich. Die Projekte haben einen gewissen Mobilisierungscharakter. Sechs bis zehn Mitarbeiter arbeiten in interdisziplinären Teams. Die Dauer der Teamarbeit liegt zwischen zwei bis fünf Tagen, der tägliche Zeitaufwand in den Teams ist sehr groß. Aus der kurzen Dauer der Zusammenarbeit lässt sich unschwer schließen, dass die Arbeitsportionen, die diese Teams in Angriff nehmen, sehr genau überschaubar sein müssen. Das sich aus der Problemstellung erge-
3.1 Einbinden der Mitarbeiter
109
Chart 80 Abnehmer-Zulieferer-Kooperationen mit Automobilherstellern
Firma
Programmname
Ford
DFL
Drive For Leadership
VW
KVP 2
Kontinuierlicher VerbesserungsProzess
Opel
Picos
Purchased Input Concept Optimization with Suppliers
BMW
POZ
ProzessOptimierung Zulieferteile
Power
Process Optimization With Early Results
Siemens
Bedeutung
bende notwendige Fachwissen wird während der Arbeit handlungsorientiert gelehrt und gelernt. Die Werkzeuge dafür stehen zur Verfügung. Das Heraustrennen der zuvor genannten Teilportionen aus Gesamtprozessen ist die eigentliche Kunst bei diesem Vorgehen. Die Mitarbeiter, die das können und tun, heißen häufig Facilitators. Dass deren Aufgabe nicht leicht ist, zeigt Chart 81. Probleme, die in einzelnen Prozessschritten auftreten, können ihre Ursache beliebig weiter vorne haben. Das Analoge gilt auch für die Auswirkungen der Veränderung von Prozessschritten auf nachfolgende Prozessschritte. Deshalb müssen die Facili-
Probleme, Barrieren Folgen: sofort bzw. in späteren Prozessschritten
Prozessschritte
Chart 81 Wie die Arbeit der Produktivitätsteams in den Gesamtprozess integriert ist
110
Ursachen: vorgelagerte Prozessschritte bewirken Probleme, Fehler
3 Verändern von Prozessen
Steigerung der/des ...
0
Mitarbeiter
Auswirkung
extrem gering 1
2
3
extrem hoch 4
5
6
4
5
6
6,0
Problemverständnisses für andere Arbeitsbereiche Problemverständnisses für den eigenen Arbeitsbereich
5,9 5,6
Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmern
5,3
Informationsstandes der Teilnehmer Arbeitsmotivation Identifikation mit Tätigkeit und Unternehmen
5,3 5,2 5,2
Entscheidungspartizipation Qualitätsbewusstseins
3,9
Verbesserung der ...
Organisation
0
1
2
3
5,6
Methodischen Kompetenz Arbeitsbedingungen
5,5
Transparenz von Problemen
5,5 5,5
Sozialen Kompetenz Lösung von Problemen
5,1 4,2
Arbeitssicherheit Fachlichen Kompetenz
3,8
Power Teams motivieren und mobilisieren die Mitarbeiter über die Projekte hinaus
Chart 82
tators, die umfassende Veränderungsprozesse so strukturieren können, dass sich eine Vielzahl von einzeln machbaren Teilprojekten herausfiltern lässt, ein gleichermaßen hervorragendes wie umfassendes Fachwissen haben. Das Ausgliedern einzelner vordefinierter Problemstellungen aus großen Projekten vermindert die Komplexität der »Großprojekte«. Und auf der anderen Seite ist dennoch sichergestellt, dass die sich ergebenden Verbesserungsmaßnahmen in die Gesamtkonzeption hineinpassen (erinnert sei an das Thema: »Ausfall einer Verkehrsampel« in Kapitel 2.1). Siemens als Zulieferer der Automobilindustrie hat seine Produktivitätsteams »Power Teams« genannt, wobei »Power« steht für: Process Optimisation With Early Results. Chart 82 zeigt Erfahrungen, die bei Siemens gemacht wurden. Die Teams waren interdisziplinär, standortüberschreitend und auch ab und zu international. Der auf die Mitarbeiter bezogene Nutzen aus dieser Projektarbeit enthält – und so ist es auch zu erwarten – nicht nur sachlichen, sondern auch emotionalen Nutzen.
Voraussetzungen für wiederholte Teilnahme von Mitarbeitern an Sonderprojekten Ob man die Mitarbeiter durch die Teilnahme an derartigen Teams dazu motiviert, auch weiterhin und verstärkt in dieser Art Teams zu arbeiten, hängt – wie bei Siemens festgestellt wurde – sehr stark davon ab, ob man den Teams alle Kommunikationswege und Informationswege offen hält und insbesondere, ob man ihnen Entscheidungsbefugnis und Entscheidungsspielraum zubilligt. Wenn man das nicht tut, insbesondere das
3.1 Einbinden der Mitarbeiter
111
Letztere, werden diese Mitarbeiter nicht ein zweites Mal freiwillig in einem derartigen Team mitmachen. Es findet keine Mobilisierung statt. Ich nehme hier noch einmal Bezug auf Chart 76. Was ich hier versucht habe darzustellen, ist die Tatsache, dass man sich mit manchen der in diesem Kapitel geschilderten Vorgehensweisen doch zwischen dem 20%- und dem 40%-Balken positionieren kann.
3.2 Messen der Veränderung Wie ein roter Faden durchzieht alle Business-Excellence-Programme die Anforderung Precise Goals and Performance Measures oder auch – mit dem gleichen Ziel, aber anders formuliert: What is measured, that gets done!
Measure it – publish it In praktisch allen Business-Excellence-Programmen gibt es sogenannte Cockpit-Charts, eine Darstellung einiger weniger Messgrößen über eine jeweils aktuelle Zeitspanne, aus denen heraus man den Erfolg des täglichen Geschäfts und aller Sonderaktionen erkennen kann. Ganz wichtig ist, dass diese Messungen visualisiert werden und zwar für das gesamte Unternehmen: measure it – publish it. Diese veröffentlichten Messungen sorgen bei allen Betroffenen für • Vertrauen, • Zuversicht und • Identifikation mit dem eigenen Unternehmen. Beim Einführen und Weiterverwenden von bereits bestehenden Messungen ist die grundsätzliche Überlegung von Bedeutung, ob diese Messungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vergleichbar sind, und durch welche Veränderungen in den Prozessen dieser Zeitvergleich gestört oder verfälscht wird. Genauso wichtig – aber schwieriger zu realisieren – ist es, Messungen zu finden, die auch einen Quervergleich vertragen. Interne Quervergleiche sind insbesondere dann angesagt, wenn Unternehmen verschiedene Standorte oder verschiedene Bereiche im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit einander gegenüberstellen wollen. Hier muss man sehr häufig berücksichtigen, dass die Randbedingungen verschieden sein können und deshalb gleiche Messergebnisse nicht zwangsweise als Ergebnis gleicher Leistungen interpretiert werden dürfen.
112
3 Verändern von Prozessen
Wichtig ist diese Vergleichbarkeit insbesondere beim heute üblichen Best-Practice-Sharing oder besser Practice-Sharing.
q Gleiche Messergebnisse bedeuten nicht gleiche Leistung Ein Beispiel für nicht berechtigte Quervergleiche ist das in Kapitel 2.3.2 (Chart 60) behandelte Thema Pünktlichkeit, wenn das zur Pünktlichkeit gehörende »Zeitfenster« nicht berücksichtigt wird. Zwei weitere, geradezu klassische, nicht zulässige Quervergleiche sind die in der Produktion für einen bestimmten Zeitraum erhobenen Messgrößen »Umsatz pro Mitarbeiter« und »Wertschöpfung pro Mitarbeiter«, wenn man in diesen Leistungsvergleich nicht die Fertigungstiefen der zwei zu vergleichenden Produktionsbereiche mit heranzieht. Nun zu einem ganz anderen Aspekt des Messens von Prozessen:
Controlling durch Messung In der Technik ist man gewohnt, dass beim Auftreten (bzw. Messen) eines fehlerhaften Prozessschrittes der gesamte Prozess automatisch angehalten wird. Das gilt für Transportsysteme, Automatenstraßen und es gilt zum Beispiel auch für Eisenbahnnetze, die immer so konzipiert sind, dass beim Auftreten irgendeines Fehlers alle Signale »auf Rot gehen«. Das Problem ist nun, dass Prozesse, in denen Menschen arbeiten, zum Beispiel im Büro, in der Produktion oder der Entwicklung, nicht automatisch anhalten, wenn Fehler gemacht werden. Das heißt, Fehler führen nicht automatisch dazu, dass die Menschen aufhören zu arbeiten. Deshalb kommt im Projektmanagement oder Prozessmanagement den sogenannten Frühwarnsystemen (erinnert sei an das Beispiel »Härtegrade« im Kapitel 2.4) eine besondere Bedeutung zu. Das Thema »measure it – publish it« hat in diesem Sinne durchaus einen »Controllingeffekt«. Vor allem »Managementkollegen«, die von bestimmten Projekten nicht überzeugt sind und deshalb nicht mitmachen wollen, werden durch den »öffentlichen« Vergleich ihrer Ergebnisse mit denen anderer Abteilungen sanft und stetig unter Druck gesetzt [B.D. Fournier]: Sometimes they must begin to identify.
Effizienz als Messziel Die hier angesprochenen Messungen sollten immer etwas mit Effizienz zu tun haben, da sich in vielen Fällen zum Beispiel der finanzielle Nutzen oder der Kundennutzen nicht direkt quantifizieren bzw. direkt messen lassen. Das ist aber kein Grund, nicht zu messen, denn es ist durchaus ausreichend, wenn Messgrößen nachgewiesenermaßen korreliert sind, etwa mit Durchlaufzeiten oder Kosten – oder Kundennutzen.
3.2 Messen der Veränderung
113
q Schlankheit korreliert mit Schnelligkeit Je weniger Arbeitsvorräte in den Prozessen vorhanden sind, desto schneller werden diese Prozesse. Das heißt, die Schlankheit eines Prozesses ist zwangsweise korreliert mit seiner Schnelligkeit. Es genügt also durchaus, an allen erdenklichen Stellen die Arbeitsvorräte aus den Prozessen herauszunehmen, dieses zu messen und sich darauf zu verlassen, dass diese Prozesse schneller – und wie wir gesehen haben – auch pünktlicher werden. Und wenn wir weniger Vorräte in den Prozessen haben, dann ist es genauso sicher, dass weniger Zinsen für sichtbare oder unsichtbare Bestände ausgegeben werden. Ganz wichtig und immer wieder zu betonen ist, dass es notwendig ist, soviel wie möglich auf der Treiberseite zu messen (siehe Ende des Kapitels 2.4.1), denn …
Kosten sind keine Treiber, was bedeutet: »Kosten sparen geht nicht« Jeder, der sich schon einmal ein bisschen mit Regelungstechnik befasst hat, also zum Beispiel die ersten 20 Seiten irgendeines Buches über Messund Regelungstechnik gelesen hat, weiß, dass man einen Prozess nicht regeln kann, wenn in dem Regelkreis zwischen der Änderung des Prozesses und dem Messen dieser Änderung eine zu lange Zeit vergeht. Der Regelungstechniker nennt diese (in unserem obigen Beispiel zu lange) Zeit Totzeit. Wenn die Kaufleute eines Produktionsbereichs merken, dass die Qualitätskosten ansteigen, dann liegt die Ursache oder liegen die Ursachen für dieses Ansteigen oft Wochen zurück. Meist sind diese Ursachen gar nicht mehr feststellbar. Es kann sogar sein, dass der verursachende Prozess selber zum Zeitpunkt dieser Messung schon längst wieder in Ordnung ist, was der betroffene Kaufmann dann eventuell wieder nach einigen Wochen feststellen kann.
q Nur permanentes Messen ermöglicht eine Regelung Wenn jemand Probleme mit seinem Gewicht hat, dann sollte er nicht erst dann reagieren, wenn ihm der Gürtel nicht mehr passt, sondern er sollte sich täglich auf die Waage stellen! Der englische Begriff »Controlling« deckt sich nicht mit dem deutschen Begriff »Kontrolle«. Unter Controlling ist die Messung und die Korrektur einer bei der Messung festgestellten Abweichung des Prozesses vom Sollwert zu verstehen. Wenn wir gesagt haben, »if you can’t close the loop, don’t start anything«, dann haben wir genau von einem Controlling (Regelkreis) gesprochen. Kosten sind nur auf höheren Hierarchieebenen als Messgrößen sinnvoll und dort sogar notwendig. Kosten sind dann eine echte Control-
114
3 Verändern von Prozessen
ling-Größe, wenn sie über große Prozessbereiche hinweg angewendet werden.
q »Kosten je Leistung« als sinnvolle Messgröße Beim Kraftwerkbau, zum Beispiel, ist eine sinnvolle Kostengröße Euro je kW. Darunter ist zu verstehen, dass der Kunde fragt, wie viel Geld er bei einem bestimmten Hersteller ausgeben muss, um mit dessen Kraftwerk später »ein kW« erzeugen zu können. In der Vermittlungstechnik war es jahrelang üblich, in »DM pro Anschlusseinheit« zu rechnen. Beim externen wie auch hausinternen Netz war es ür den Kunden wichtig zu wissen, was ihn ein Anschluss insgesamt kostet. Bei Bahnbetreibern ist oder war zumindest eine sinnvolle Kostengröße »Euro bzw. DM pro Sitzplatz« (wobei das eine fiktive Messgröße ist, da sie nicht berücksichtigt, wie voll die Züge später jeweils beim Betrieb sind). Wichtig: Alle diese Kostengrößen lassen einen Quervergleich zwischen verschiedenen Anbietern zu. Man kann beim Definieren von Kosten-Messgrößen durchaus auch kreativ sein. Zum Beispiel bietet ein Flugzeugturbinenbauer ein Wartungskonzept an, bei dem er nicht nur die eigenen Turbinen, sondern auch die der konkurrierenden Turbinenhersteller wartet. Die Kosten-Messgröße, die er dazu dem Kunden anbietet, lautet einfach: »Euro je Flugstunde«. Dieses Beispiel ist deswegen kreativ, weil es die klassische Rentabilitäts- bzw. Kostenrechnung verlässt und dabei neue – insbesondere für den Kunden attraktive – Wege geht. Beim Prozessmanagement reichen allerdings nach meiner Meinung nach wie vor die drei bereits besprochenen Treiber-Größen • Durchlaufzeit als Funktion der Arbeitsvorräte (Actions In Process), • Erstausbeute (First Pass Yield) und • Pünktlichkeit (On Time Delivery).
Prozessmapping als Grundlage für Transparenz Um Prozesse messen zu können, sollte man das einem Netzplan ähnliche Mapping anwenden. In Kapitel 2.1, Chart 8, hatten wir den Organisationsplan eines Werkes gezeigt, in den ein Auftragsdurchlauf (stark vereinfacht) hineinprojiziert wurde. Da Organisationspläne vertraut und auch anschaulich sind, sollte man den oder die Prozesse, die man für Veränderungen im Auge hat, in den dazugehörigen Organisationsplan bzw. das Organigramm einzeichnen. Entsprechend zeigt Chart 83 eine extrem vereinfachte Auftragsabwicklung in einem Werk. Wichtig dabei: Die Verantwortung für den Kundenauftrag wechselt zwischen mehreren Abteilungen.
3.2 Messen der Veränderung
115
Kunde
1
Leitung
Technik
3
Fertigung
Auftragsabwicklung
Vertrieb
Marketing
2 Vertriebs-
...
KA
...
ingenieur
Kalkulation
...
...
Service Kaufmännische Abwicklung
...
4
Montage
Entwicklung Zentrale
Chart 83
Versand
(incl. Prüfung)
5
Entwicklung Werk
6
7
Externe Lieferanten
Zu verändernder Prozesses im Organigramm: Beispiel Auftragsabwicklung
Ich habe in den verschiedensten Bereichen von Produktion und Administration gemeinsam mit meinen Kunden viele Male diesen ersten vorbereitenden Schritt für das Process Mapping durchlaufen. Wichtig für diesen Schritt ist, dass alle Partner bzw. Akteure (die man aus dem Organisationsplan ablesen kann) mit im Team sind. Wenn das nicht gelungen ist, macht sich die alte Regel schnell bemerkbar: Die Schuldigen sind immer außerhalb des Raumes! Erstaunlich ist bei dem Zusammenstellen solcher sogenannten »Cross Functional Teams« immer wieder, dass die Betroffenen, die teilweise jahrelang miteinander in dem zu untersuchenden Prozess gearbeitet haben, sich diesen nie als Gesamtprozess vorgestellt haben. In diesen Fällen führt dann der Versuch zu heißen Diskussionen, den Ist-Zustand des Prozesses in das Organigramm einzutragen. Es ist mir aber andererseits auch passiert, dass ein Team sich während dieser ersten Phase bereits einig wurde, bestimmte für überflüssig erkannte Prozessschritte für die Zukunft herauszunehmen. Eine weitere Tatsache ist, dass die Betroffenen dazu neigen, den Prozess viel zu detailliert darzustellen und bei diesen Details viel Zeit verschwenden. Das sollte man möglichst vermeiden, insbesondere im ersten Durchlauf mit einem neuen Team.
q Mit groben Strukturen beginnen Es ist für eine erste Übersicht absolut ausreichend, so grob wie im Chart 83 vorzugehen, wohl wissend, dass einen später niemand daran hindert, einen oder mehrere Kästen bzw. Bereiche, zum Beispiel den »Vertriebs-
116
3 Verändern von Prozessen
Kunde
Erhalt der Ware
Auftrag
1
Kfm. Abwicklung Vertriebsingenieur
2
Techn. Klärung
3 Auftragsabwicklung
Technik
4 5
Werk Montage Werk Entwicklung
Montage (incl. Prüfung)
Entwicklung
7
Werk Versand
Versand Lieferung Fremdteile
Externer Lieferant
6
Prozessmapping der Auftragsabwicklung in Chart 83 mit dem Problem »Hoher Aufwand zur Klärung der Liefertermine«
Chart 84
ingenieur«, wenn notwendig, durch ein detaillierteres Mapping weiter aufzulösen. Chart 84 zeigt das mit dem Prozessablauf im Chart 83 korrespondierende Mapping. Die Vorgehensweise ist immer die gleiche. Man trägt die Partner des Prozesses auf der Vertikalen untereinander ab. Immer dann, wenn ein Partner im Rahmen des Prozesses etwas zu tun hat, wird dies durch einen Tätigkeitskasten in der Zeile dieses Partners dargestellt. In den Kasten selbst wird möglichst grob die dazugehörige Tätigkeit hineingeschrieben. Ein Problem ist die Klärung der jeweiligen Liefertermine für das Mapping. Das Chart 85 zeigt den »Minimal«-Zeichenvorrat, den man für ein wie hier beschriebenes Prozessmapping benötigt.
Zeitachse von links nach rechts o.k.?
ja
nein
Entscheidungspunkte o.k.?
Alternative 1
ja
Alternative 2 nein Alternative 3
Wiederholungsschleifen als Nacharbeit o.k.? nein
3.2 Messen der Veränderung
ja
Chart 85 Regeln und Symbole zur Prozessdarstellung (»Mapping«)
117
Ansonsten sind beim Mapping der Ist-Prozesse der Einführung weiterer Symbole keine Grenzen gesetzt. Aber auch hier gilt: Man sollte das erste Mapping möglichst einfach machen. Und wichtig dabei ist, dass dem Mapping gedanklich ein grober Zeitablauf von links nach rechts unterlegt wird. Eine Ausnahme macht hierbei allerdings die Darstellung der Wiederholungsschleifen, denn wenn man die Wiederholungsschleifen – was zeitlich richtig wäre – als zusätzliche Prozessschritte nach rechts abtragen würde, wäre das Mapping zu lang. Und man findet leider fast immer Wiederholungsschleifen! Wiederholungsschleifen sind – was ihre Daseinsberechtigung anbelangt – sehr häufig »Sorgenkinder«. Nun beginnt das eigentliche »Messen«. Für jeden der dargestellten Kästen wird gefragt, wie groß die Durchlaufzeit des behandelten Prozesses durch diesen Kasten bzw. Teilschritt ist. Auch hier gibt es heiße Diskussionen und sogar Streit. Bemerkung: Bei dieser Vorgehensweise ist es ganz wichtig, dass man zum Beispiel in der Produktion nicht die Durchlaufzeit des ungestörten Prozesses annimmt – was von den Betroffenen oft leidenschaftlich verfochten wird, sondern dass man von einer mittleren Durchlaufzeit ausgeht, die gleichermaßen die fehlerfrei laufenden wie auch die fehlerhaft laufenden Aufträge oder Prozessschritte berücksichtigt. Diese Betrachtungsweise ergibt sich zwingend dadurch, dass wir die Durchlaufzeiten anhand der Actions in Process ausrechnen wollen, und selbstverständlich sind die Actions in Process alle Arbeitsvorräte, das heißt, nicht nur die der störungsfreien, sondern insbesondere auch die der störungsbehafteten Aufträge im jeweiligen Kasten bzw. Prozessschritt. Für das hier beschriebene Prozessmapping braucht man • für die gesamte Projektlaufzeit einen eigenen Teamraum und • im Teamraum eine Pinnwand, auf die man Papierbahnen spannen kann. Das Mapping des Ist-Prozesses benötigt meistens mehrere Tage, wobei zu berücksichtigen ist, dass in diese Phase auch das Sich-Kennenlernen des Teams fällt. Die einzelnen Aktionen sollten nicht auf die Stellwand geschrieben werden, sondern auf Karten, damit sie auf der Pinnwand – als Kästen – frei beweglich sind. Auf die Papierbahnen sollten links die Beteiligten des Prozesses geschrieben und zur besseren Orientierung über die gesamte Länge der Papierbahnen die im Chart 84 gestrichelten Linien gezeichnet werden. Die Verbindungen der einzelnen Kästen werden erst dann auf die Papierbahnen aufgetragen, wenn das Mapping ausdiskutiert ist.
118
3 Verändern von Prozessen
Die zwei Treiber: Actions In Process und First Pass Yield Anhand dieses Mappings werden anschließend die Durchlaufzeiten der einzelnen Kästen addiert, um damit zu einer Gesamtdurchlaufzeit des Prozesses zu kommen. (Wie bei einem Netzplan gibt es auch hier einen kritischen Pfad, der die gesamte Dauer des Prozesses darstellt.) Meistens wird diese Gesamtdurchlaufzeit von den Betroffenen als zu lang betrachtet, ähnlich wie im Schritt zuvor die durch Störungen bedingten Durchlaufzeiten durch die einzelnen Kästen. Eventuell vorhandene Aufzeichnungen der statischen Durchlaufzeiten von einzelnen Projekten durch diesen Prozess sind nur bedingt hilfreich. Und außerdem enthalten sie ja sehr häufig nur die ungestörten Projekte. Der nächste Schritt besteht darin, dass man für jeden dieser Kästen das Verhältnis »Durchlaufzeit zu Bearbeitungszeit« abschätzt und einträgt.
q Dynamische Durchlaufzeiten sind nicht gleich Bearbeitungszeit Die Durchlaufzeiten, die das Team zunächst in die Kästen eingetragen hat, sind ihrer Art nach dynamische Durchlaufzeiten und haben nichts mit der Bearbeitungszeit der einzelnen Projekte oder Aufträge zu tun, die durch diesen Prozess oder durch diesen Prozessschritt hindurchlaufen. Das Verhältnis »Durchlaufzeit zu Bearbeitungszeit« sollte sehr realistisch geschätzt werden, denn dieses Verhältnis wird später der Ausgangspunkt dafür sein, wie weit das Team sich traut, die Durchlaufzeiten in den einzelnen Kästen zu verkürzen und damit auch die Gesamtdurchlaufzeit. Der vorerst letzte Schritt ist, dass man bei jedem einzelnen Prozesskästchen die Frage stellt, wie groß die mittlere Erstausbeute, der First Pass Yield, in diesem Prozessschritt sein mag. Erfahrungswerte oder Vorstellungen über den Process Yield sind normalerweise bei den Teamkollegen vorhanden, aber über den First Pass Yield (siehe Chart 49, Kapitel 2.3.1) praktisch nie. Das erschwert diesen Schätzvorgang. Hier gilt: Je schlechter der First Pass Yield ist, umso größer können die später zu schätzenden potenziellen Einsparungen sein. Chart 86 zeigt ein gemeinsames Prozessmapping für den Durchlauf zweier Komponenten großer Anlagen in Rahmen eines Projekts zur Beschleunigung dieses Durchlaufs. Es zeigt stark vereinfacht die wesentlichen Prozessblöcke oder Prozessabschnitte von Anfrage und Angebot bis zur Inbetriebnahme und Rechnungsstellung. Für alle durchnummerierten Positionen wurden die Durchlaufzeiten, das Verhältnis von Durchlaufzeit zur Bearbeitungszeit, der First Pass Yield und die Pünktlichkeit (On-time Delivery, OTD) als eigentliche Kenngröße für die geplante Durchlaufzeitverkürzung ermittelt.
3.2 Messen der Veränderung
119
3
1
AZ = Abwicklungszentrum BGR = Baugruppe
n
= Messpunkt
Chart 86
Prozessmapping für den Auftragsdurchlauf von Großanlagen mit Messpunkten für AIP, FPY und OTD
Das Controlling dazu verlief folgendermaßen: Über ein Jahr lang reisten alle für die einzelnen Prozessblöcke verantwortlichen Abteilungsleiter einmal pro Woche zum Fertigungsstandort und berichteten – anhand nachweisbarer Messwerte – dem Werksleiter über das jeweils Erreichte, und dabei insbesondere über die Schnelligkeit bzw. Pünktlichkeit ihrer jeweiligen Teilprozessstrecken (siehe Chart 45). Das Projekt zur Verkürzung der Durchlaufzeiten der zwei Großkomponenten startete bei einer Solldurchlaufzeit von 34 Monaten (kürzeste Ist-Durchlaufzeit 37 Monate). Die Zielvorgabe waren 24 Monate Durchlaufzeit, die dann auch erreicht wurden. Später – der Appetit kommt bekanntlich beim Essen – wurden diese Durchlaufzeiten auf 19 Monate reduziert.
3.3 Setzen von Zielen Im Kapitel 2.4.2 (siehe Chart 71) haben wir die »Ergebnis-Seite« des RADAR-Systems für das EQA-Modell vorgestellt. Dort spielt unter der Fragestellung »Results« das Vorhandensein von Zielen (Targets) eine entscheidende Rolle. Nebenbei bemerkt wird dort auch mit »Comparisons« ein Quervergleich verlangt, um Ziele abzusichern.
120
3 Verändern von Prozessen
Wir haben gesagt, dass das Verändern von Prozessen ein Blindflug ist, wenn nicht gemessen wird. Ich möchte hinzufügen, dass das Messen, wenn keine Ziele gesetzt sind, eventuell noch schlimmer ist. Beides aber, »Ziele Setzen« und das »Erreichen der Ziele messen«, setzt das Verstehen des gegenwärtigen bzw. vorgefundenen Prozesses voraus. Erst wenn wir einen Prozess verstanden haben, besteht die Chance, ihn gegebenenfalls neu zu gestalten. Was in dieser Frage sehr wichtig ist: Wir sollten an dieser Stelle keinen Hang zur Analyse entwickeln. Analysen sind uns allzu vertraut und sie geben uns fälschlicherweise häufig eine Illusion von Fortschritt. Das Verstehen eines Prozesses ist wichtiger und schwieriger als das Analysieren. Das Verstehen ist häufig sogar kreativ. Die beste Blickrichtung für das Verstehen ist normalerweise die des jeweiligen (externen oder internen) Kunden. Womit kämpft er eventuell? Was will er? Bei diesen Fragestellungen kann sich zum Beispiel in einem Team ein Gefühl dafür entwickeln, was es für »Best in Class« hält oder sogar aus seiner Warte für ein Benchmark. Hier sind Diskussionen im Stile eines klassischen Brainstormings oder aber Diskussionen im Sinne von David Bohm’s Dialog (siehe Anhang 2 und Kapitel 1.2) angebracht und nützlich. Dabei sollte das Verstehen von Prozessen in dieser Phase auch das Offenlegen von Ersatzprozessen beinhalten!
Finden und Beseitigen von Ersatzprozessen (Substitution Processes) Der »klassischste« aller Ersatzprozesse bzw. Substitutionsprozesse, das Priorisieren von Aufträgen oder Arbeiten, wurde bereits im Kapitel 2.2.1 (siehe Chart 16) angesprochen. Wichtig ist zu wissen, dass mit dem Vermeiden oder Abschaffen von Ersatzprozessen sehr viel Produktivität gewonnen werden kann. Ersatzprozesse sind vielfach verborgen und erscheinen den Betroffenen als normale, häufig sogar produktive Prozesse. Chart 87 zeigt einige Beispiele von Ersatzprozessen. Das Suchen von Ersatzprozessen sollte ein eigener Schritt in der Vorgehensweise zur Prozessverbesserung sein. Eine weitere Empfehlung ist, sich insbesondere solche Prozesse oder Teilprozesse anzuschauen, die so selbstverständlich sind, dass kein Mensch mehr über sie redet. Die Erfahrung lehrt, dass dies häufig ganz besonders lukrative »Kandidaten« für Prozessverbesserungen sind.
3.3 Setzen von Zielen
121
• Unnötiger Aufwand an
Personal und Beständen
• Verdecken der wahren
Ursachen uneffizienter Prozesse
Ersatzprozesse entstehen z.B. durch
• die Forderung nach maximaler Auslastung von Betriebsmitteln, die im Widerspruch zu Termintreue und kurzen Durchlaufzeiten steht
• • • • • •
Aufbau von zusätzlichen Ressourcen für den „Fall der Fälle” zusätzliches Management (Task Forces) bei zu langsamer Umsetzung von Maßnahmen Bekämpfen der Probleme langer Durchlaufzeiten mit Prioritätsregeln und Ressourcenaufbau Absichern ungenauer bzw. risikobehafteter Prognosen mit immer höherem Analyseaufwand Entkoppeln instabiler Prozessschritte durch Bestände und Puffer mangelnde Delegation von Verantwortung und Entscheidungskompetenz, was zu aufwändigem Berichtswesen führt
• fehlende Kooperation, die zu Doppelaufbau von Ressourcen führt Chart 87
Ersatzprozesse
q Ein typischer Kandidat für Verbesserungen Als Brillenträger wundere ich mich seit Jahrzehnten, dass das »normale Brillentuch« – wie auch immer gefaltet – nicht problemlos mit der Brille in ein Brillenetui passt.
Der Paradigm Shift Eine Methode, sich dieser Kandidaten anzunehmen, ist der »Griff nach dem anscheinend Unmöglichen«. In Chart 88 wird dieser Schritt als Paradigm Shift bezeichnet. Er enthält eine Frage im Sinne eines Gedankenexperiments. Diese »if it could be done«-Frage ruft naturgemäß einige Gralshüter auf den Plan. Das sollte man wissen und insofern sehr vorsichtig damit umgehen. Die Hüter oder »Bewahrer« sind häufig sehr erfahrene Kollegen, die – wenn man es schafft, sie zu überzeugen – danach bei notwendigen Änderungen hervorragende Mitstreiter sein können.
Chart 88 Paradigm Shift: das Unmögliche andenken! (Joel Arthur Barker, 1990)
122
What is impossible in your business today but – if it could be done – would dramatically change your business?
3 Verändern von Prozessen
Bei der Diskussion der Machbarkeit bestimmter Ziele muss berücksichtigt werden, dass das Setzen von Zielen – wenn es ernst gemeint ist – dem Fällen von Entscheidungen gleichkommt. Es enthält das bereits erwähnte, jeder Entscheidung innewohnende Risiko (siehe Kapitel 1.5). Die Diskussionen sollten aber sofort beendet werden, wenn sie keine neuen Fakten mehr zu Tage fördern können.
Die kürzeste bekannte Durchlaufzeit (Hot Lot) Ein erster großer Block von Zielen betrifft qualitativ vorgegebene Verkürzungen der Durchlaufzeiten, was, wie wir gelernt haben, durch das Herausnehmen von Arbeitsvorräten aus den Prozessen erfolgt. Chart 89 zeigt, wie man (siehe Prozessdarstellung in Chart 84, Kapitel 3.2) für jeden Teilprozess bzw. Tätigkeitskasten aus dem vorgefundenen oder geschätzten Ist-Wert der Durchlaufzeit zu einer machbaren Durchlaufzeitverkürzung kommen kann. Man überlegt zunächst den theoretischen Grenzwert, der im Prinzip übereinstimmt mit der gewichteten mittleren Bearbeitungszeit aller Aufträge in einem Teilprozess. Es gibt für das Verhältnis »Durchlaufzeit zu Bearbeitungszeit« Erfahrungswerte in Form von Multiplikatoren, die etwas zu tun haben mit den Bestandsreichweiten aus Chart 20 (siehe Kapitel 2.2.1). Im Chart 89 wird ihr Wert mit »M« bezeichnet. Im Produktionsbereich ist ein auf 2 bis 3 reduzierter Wert des Multiplikators, das heißt eine Bestandsreichweite von 200% bis 300% durchaus realistisch. In den Verwaltungs- und Büroabläufen sind – was schon einmal gesagt wurde – häufig größere Durchlaufzeitverkürzungen machbar als in der Produktion. Eine auch häufig praktizierte Methode zur Festlegung von machbaren Durchlaufzeitenverkürzungen ist im Chart 90 gezeigt. Auch hier gibt
Theoretischer Grenzwert
Sollwert
Istwert
Istwert = aus der Vergangenheit bekannte oder abgeleitete „statische“ Durchlaufzeit für einen typischen Auftrag
Theoretischer Grenzwert = reine Bearbeitungszeit
M=5 Multiplikator „M“
M=1
3.3 Setzen von Zielen
DurchlaufzeitVerkürzung Erfahrungswerte für Multiplikator: M = 2 bis 3 für Produktionsabläufe M = 5 bis 10 für Verwaltungsabläufe
Durchlaufzeit
Chart 89 Ermittlung des Sollwertes für eine Auftragsdurchlaufzeit durch Hochrechnung mit einem Erfahrungswert
123
Chart 90 Priorisieren ermöglicht kurze Durchlaufzeiten; Erfahrungen daraus ermöglichen das Ableiten neuer Spielregeln und das Bestimmen des Anspruchsniveaus
Anzahl Aufträge
Theoretischer Grenzwert (reine Bearbeitungszeit) Best Practice durch Priorisieren („Hot Lots“)
Anspruchsniveau = Sollwerte bei vorhandenen Ressourcen / Strukturen
DurchlaufzeitVerkürzung
Istzustand Große Streubreite, d.h. unzuverlässige Prozesse, die schlecht vorherzusagen sind
Durchlaufzeit von Aufträgen
es wieder den »theoretischen Grenzwert«, der gleich der reinen Bearbeitungszeit ist. Es gibt einen Ist-Zustand (im Chart mit Häufigkeitsverteilung) und es gibt eventuell einen Sollwert oder Vorgaben aus einem Benchmarking. Was aber viel häufiger bekannt ist, ist die Durchlaufzeit der priorisierten Lose in diesem Prozessschritt, der sogenannten Hot Lots.
q Von Hot Lots kann man lernen Ich habe selbst einmal im Anlagengeschäft eine Auftragsabwicklung als Hot Lot mitverfolgt. Dort lag die übliche Durchlaufzeit für eine Großkomponente bei achtzehn Monaten. Es war bekannt, dass für dieselbe Komponente die Durchlaufzeit nur bei sechseinhalb Monaten lag, wenn sie priorisiert wurde. Auf Wunsch der Werksleitung wurde für diese Großkomponente – obwohl keine Notwendigkeit dafür bestand – ein priorisierter Durchlauf als Experiment durchgezogen. Während des Durchlaufs wurde dokumentiert, was gegenüber dem Normaldurchlauf geändert oder weggelassen wurde. Typischerweise stellte sich bei dieser Vorgehensweise heraus, dass ein Großteil der Abweichungen vom Normlablauf zur Regel erklärt werden kann! Bei den umgangenen Prozessschritten handelte es sich um nicht wertschöpfende Verwaltungs- und Misstrauens-Aktivitäten. Dazu kam eine Anzahl von weggelassenen oder anders durchgeführten Teilschritten, die genauer zu untersuchen waren und von denen ebenfalls einige durch gezielte Prozessänderungen zur Regel gemacht werden konnten. Einen wesentlichen Teil der Durchlaufzeitverkürzungen erreicht man bei dieser Vorgehensweise durch das Umgehen der Fertigungsdurchlaufbestände durch Priorisieren, aber es gibt noch viele weitere Ursachen großer Durchlaufzeiten, zum Beispiel unnötige Wiederholvorgänge, fehlende Teile oder Werkzeuge und ähnliches, die sich ebenfalls teilweise vermeiden lassen.
124
3 Verändern von Prozessen
Liegt die Ursache am betreffenden Arbeitsplatz oder davor, oder gar danach (unberechtigte Forderungen)? Wird die Kontrolle der Qualität der eigenen Arbeit (Erstausbeute) als eigener, bezahlter Arbeitsschritt durchgeführt? Sind die Arbeitsunterlagen (Standards) eindeutig und hilfreich für gute Ausbeuten im ersten Durchgang? Werden die Sollwerte und die dafür notwendigen Vorgaben (Randbedingungen) für jeden Arbeitsplatz gesondert diskutiert und festgelegt?
Chart 91 Die Suche nach den Ursachen typischer und/oder wiederholt auftretender Fehler ermöglicht das Lernen aus diesen Fehlern
Aus Fehlern lernen Der zweite große Block von Zielen betrifft das Thema Qualität. Chart 91 zeigt, dass es unter dem Aspekt »aus Fehlern lernen« um ganz pragmatische Fragen geht, die in den einzelnen Prozessschritten gestellt werden können. Eine wichtige Quelle für Produktivitätssteigerung ist (wie im Kapitel 2.3.1 (Chart 49) ausgeführt) der gravierende Unterschied zwischen dem Process Yield und dem First Pass Yield. Häufig wird daher beschlossen, dass man zunächst einmal diesen Unterschied an einigen Prozessschritten grob feststellt.
Innovation zum Erreichen von Produktivitätszielen Chart 92 zeigt ein Beispiel aus den beiden Feldern Produkt- und Prozess-Design, das veranschaulicht, dass man die Qualitätsprobleme häufig nicht direkt bei sich selber angehen kann, sondern sie indirekt angehen muss. Im gezeigten Beispiel ist es so, dass es bei einem Lampenhersteller nicht möglich ist in einem eigenen Prozessschritt Hand anzulegen, sondern
Radius
∆Rv >> ∆Rn Rv > Rn
∆Rv
{
Grosse Schwankungen des Radius entlang des Drahtes (vorher)
Ø Sollradius Rv
Mindest-Radius (Rmin) für garantierte Lebensdauer
Glühdraht vorher Radius
∆Rn
{
Kleine Schwankungen des Radius entlang des Drahtes (nachher)
Ø Sollradius Rn Mindest-Radius (Rmin) für garantierte Lebensdauer
Glühdraht nachher
3.3 Setzen von Zielen
Zeitablauf des Drahtziehprozesses
Chart 92 Geringere Toleranz des Glühdrahtherstellprozesses bei kleinerem Sollradius des Glühdrahts: daraus resultiert das Einhalten der Mindestlebensdauer der Lampen bei geringeren Beschaffungskosten
125
nur in einem Prozessschritt davor, bei einem Lieferanten. Dieser Lieferant ist der Hersteller des Glühdrahtes für den Lampenhersteller. Die Schwankungen ∆R im Radius des Glühdrahtes waren wegen des nicht beherrschten Fertigungsprozesses bei diesem Lieferanten relativ groß. Der Lampenhersteller, der seinen Kunden eine Mindestlebensdauer seiner Lampen garantiert, musste also einen Glühdraht mit einem relativ großen, mittleren Sollradius Rv kaufen. »Relativ großer Radius« heißt in diesem Fall, dass der Lampenhersteller mehr Geld ausgeben muss für das Glühdrahtmaterial. Das ist die Situation im oberen Teil der Grafik vor der Änderung des Fertigungsprozesses beim Lieferanten. Der Mindestradius, das heißt jener, bei dem der Draht zuerst durchbrennt, ist garantiert. Im unteren Teil der Grafik erkennt man, dass wieder derselbe Mindestradius garantiert wird. Dadurch aber, dass die Schwankungen des Glühdrahtradius nach der Innovation des Fertigungsprozesses beim Lieferanten kleiner sind, kann der mittlere Sollradius Rn im unteren Teilbild kleiner sein als im oberen Teil der Grafik – der laufende Meter Glühdraht wird billiger. Das Beispiel zeigt, dass wir nicht nur aus der Analyse von Problemen lernen. Das wesentlichste Feld für Verbesserungen, das heißt für Veränderungen von Produkten und Prozessen, ist Kreativität. Dieser Erfindergeist kann ein »Kind der Not« sein, das heißt der Notwendigkeit, bestimmte Probleme zu beheben. Er kann aber auch als »Kind der Liebe« entstehen, aus freiem Streben nach Neuem und Verbesserung.
q Änderungswünsche als Chance Es ist bekannt, dass in vielen Bereichen der Technik und der Produktion Änderungen infolge von Kundenwünschen oder Innovationen die regulären Prozesse stören. Behandelt man dieses Thema als »Kind der Not«, wird man bestrebt sein, Änderungen soweit wie möglich zu vermeiden. Betrachtet man hingegen das Thema als »Kind der Liebe«, wird man vermutlich auf die Idee kommen, die Behandlung von Änderungen zu einem Wettbewerbsvorteil auszubauen: Man bietet den Kunden Änderungen bis »fünf vor zwölf« mit höchster Qualität und zu geringsten Kosten.
3.4 Widerstand gegen Veränderung Wir hatten im Kapitel 1.8 darüber gesprochen, dass die immer kurzlebiger werdenden technischen und methodischen Innovationen zwangs-
126
3 Verändern von Prozessen
weise dazu führen, dass die Dokumentation unserer Prozesse (ISO 9000) zukünftig nicht mehr so detailliert ausfallen wird (und kann) wie heute teilweise üblich. Die Beschreibungen der Prozesse und Methoden werden mehr auf grundsätzliche Erkenntnisse und Zusammenhänge abzielen. Die dadurch entstehende »Dokumentations-Lücke« muss aufgefüllt werden durch ein vertieftes Basiswissen der betroffenen Mitarbeiter, gepaart mit stärkerer Übernahme von Entscheidungen.
Delegation von Verantwortung gibt es nicht Dieser Wandel, nämlich die Entscheidungsbefugnis an den Ort der Fachkompetenz und Verantwortung zu legen, lässt sich nicht befehlen, denn er basiert auf Vertrauen. Manche Führungskraft wird damit Probleme haben. Letztlich ist dieser Wandel aber für alle ein Vorteil. Eine Bemerkung an dieser Stelle: In der Literatur findet man immer wieder das Bekenntnis zur Delegation von Verantwortung. Dieses Bekenntnis beruht auf einem Irrtum. Verantwortung kann man nicht delegieren, sie ist delegiert! Der Arbeiter, der bei VW ein Vorderrad an einen Wagen anschraubt, hat die Verantwortung, ob man sie ihm gibt oder nicht (allerdings kann ein Vorgesetzter für bestimmte, zeitlich begrenzte Sachlagen einen Mitarbeiter ausdrücklich von Verantwortung befreien). Chart 93 beschreibt beispielhaft zwei ganz konträre Auffassungen zum Thema Delegation von Entscheidungsbefugnis. Das erste Beispiel von Jean Jacques Servan-Schreiber (Sozialist und damals Bürgermeister von Marseille) stammt aus seinem Buch »Die amerikanische Herausforderung«. Es beschreibt eine Art Regelkreis, der zeigt, wie sich Misstrauen seine eigenen Bestätigungen schafft.
„Die Unterstellung der Unfähigkeit schafft sich ohne Unterlass selbst ihre Bestätigungen, denn sie verweigert den davon Betroffenen die Gelegenheit, die Kenntnisse zu zeigen oder zu erwerben, die ihnen von vornherein abgesprochen werden. Sie erzeugt fortwährend unverantwortliche Verhaltensweisen und rechtfertigt so am Ende das Misstrauen, auf dem sie beruht.” J.J. Servan-Schreiber (1967) „Leadership pre-supposes trust in people and belief that all seek responsibility in their work …”, because „… people without understanding and perspective cannot be expected to take responsibility. People with understanding and perspective cannot avoid it.“ J.D. Timmer, Philips (1995)
Die »Delegations-Barriere«, pro und kontra
3.4 Widerstand gegen Veränderung
Chart 93
127
q Der Verkehrsschild-Regelkreis Auch unsere viel zu vielen Verkehrsschilder basieren letztendlich auf einem Misstrauen der Verantwortlichen. Sie sind offensichtlich der Meinung, dass die vielen Hinweisschilder notwendig sind, um dem Autofahrer zu zeigen, wie er fahren muss, da er ihrer Meinung nach nicht in der Lage ist, dies von sich aus richtig zu machen. Das Ergebnis ist (leicht übertrieben), dass der solcherart entmündigte Verkehrsteilnehmer letztlich an jeder Kurve ein Schild »Vorsicht Kurve« erwartet und geradeaus in den Wald hineinfährt, wenn solch ein Schild fehlt. Die vielen Schilder basieren auf einem Misstrauen und bestätigen am Schluss auch hier das Misstrauen, auf dem sie beruhen. Das zweite Beispiel im Chart 93 – die Gegendarstellung sozusagen – besagt, dass Mitarbeiter Verantwortung, d. h. Entscheidungsbefugnis haben wollen, übernehmen wollen und dem auch gerecht werden. Ich persönlich setze aus langer Erfahrung, und trotz existierender Ausnahmen, auf Vertrauen und Delegation.
Barrieren gegen Veränderungen Nun zu einer ganz anderen Betrachtung des Themas »Widerstand gegen Veränderung«. Von dem amerikanischen Consultant Phil R. Thomas stammt eine sehr anschauliche Unterscheidung möglicher Barrieren gegenüber Veränderungen (siehe Chart 94).
Schwierigkeit, Barrieren zu beseitigen
Hebelwirkung der Beseitigung
Beseitigung nur mit Hilfe des Top-Managements
groß
groß
Kulturelle Barrieren Prozessbarrieren
mittel
Beseitigung durch Prozessteams
Beseitigung mit Unterstützung von Fachspezialisten
Sachbarrieren gering
gering 1
10
wenige
Chart 94
128
mittel
1000
100
Anzahl der Arten von Barrieren (hypothetisch)
viele
Barrieren gegen Veränderung: Die größten Hindernisse sind kulturelle Barrieren, ihre Beseitigung hat die größte Hebelwirkung [nach F. Holzwarth]
3 Verändern von Prozessen
Das Chart enthält eine qualitative Darstellung. Es zeigt unten rechts, dass es bei praktisch jeder Veränderung, in jedem Verbesserungsprozess »kleine« bis »mittlere« Barrieren zu beseitigen gibt. Beim Auftreten dieser Sachbarrieren holt man sich Hilfe durch NetzRecherchen, durch Fachbücher oder Spezialisten. Die zweite Gruppe, die sogenannten Prozessbarrieren, ist geringer in der Anzahl als die der Sachbarrieren. Ein Teil von ihnen ragt schon in Bereiche größerer Schwierigkeiten und damit auch größerer Hebelwirkung bei ihrer Behebung. Die letzte und – wie ich meine – wichtigste Gruppe ist die der sogenannten kulturellen Barrieren. Davon gibt es zwar nicht viele, aber ihre Behebung ist meistens mit großen Schwierigkeiten verbunden, hat dann allerdings auch fast immer eine große Hebelwirkung. In der Praxis zeigt sich, dass sehr vielen Prozessbarrieren kulturelle Barrieren zugrunde liegen.
Kulturelle Barrieren Kulturelle Barrieren sind in unserem Denken und Handeln verankert, und wir nehmen sie selbst praktisch nicht wahr (Paradigmen!). Chart 95 enthält Hinweise auf mögliche Veränderungen von Verhaltensweisen. Diese Veränderungen laufen – wenn der kulturelle Wandel ernstgenommen wird – in der Mehrzahl nur auf einen Paradigmenwechsel hinaus. Darüber sollte man sich im Klaren sein.
Überkommene Paradigmen
Neue Paradigmen
Kostenbewusstsein
Qualitäts- und Zeitbewusstsein
Funktionsorientierung
Prozessorientierung
Fehlerrechtfertigungen
Lernen aus Fehlern (Kritikfähigkeit)
Technologieorientierung
Kundenorientierung
Aktionsorientierung
Ergebnisorientierung
Misstrauen und Fremdkontrolle
Vertrauen und Selbstkontrolle
Feuerwehreinsätze (Task Forces)
Sichere Prozesse
„Not invented here“
Übernehmen von Vorhandenem
Problemlösung durch Ressourcenerhöhung Problemlösung durch Prozessverbesserung
Kultureller Wandel heißt, die schwierig zu beseitigenden kulturellen Barrieren im Denken und Verhalten durch das Verändern von Paradigmen zu überwinden
3.4 Widerstand gegen Veränderung
Chart 95
129
Kulturelle Barrieren sind nicht selten stark vom Verhalten des TopManagements abhängig und können in diesen Fällen nur mit der Unterstützung durch das Top-Management überwunden werden.
Prozessbarrieren Chart 96 zeigt einige Gruppen von Prozessbarrieren. Beim Analysieren von Prozessbarrieren stößt man häufig auf Ursachen, die mehreren Prozessbarrieren gemeinsam zugrunde liegen. Diese Art von Barrieren nennt man Root Cause Barriers.
q Mangelndes Terminbewusstsein als Root Cause Barrier Ich habe an einem umfangreichen Prozessmanagement-Projekt in einem großen Werk des Anlagenbaus teilgenommen. Bei der Analyse der Barrieren stellten verschiedene – wohlgemerkt unabhängig voneinander arbeitende – Teams fest, dass in vielen Fällen das eigentliche Grundübel mangelndes Terminbewusstsein, also mangelnde Termintreue war. Mangelndes Terminbewusstsein war also eine Root Cause Barrier und in diesem Fall eindeutig eine kulturelle Barriere. Eine kulturelle Barriere war also Verursacher mehrerer Prozessbarrieren. Die Aussagen des Charts 96 sind produktions- oder auch produktorientiert. Sie sind aber allgemein übertragbar auf die verschiedensten Arten von Prozessen und Geschäften. Schnittstellen zwischen Bereichen sind, wie wir in Chart 7 in Kapitel 2.1 gesehen haben, ein geradezu klassisches Reservoir für kulturelle Proble-
Mangelhafte Produktplanung • unklare Strategie: Stop-and-Go in der Entwicklung • Orientierung am technisch Machbaren „ersetzt” Markt-/Wettbewerbsorientierung Schnittstellenprobleme zwischen den Funktionsbereichen • lange Abstimmzeiten zwischen Marketing und Entwicklung • mangelnde Übereinkunft zwischen Entwicklung und Fertigung im Produktentstehungszyklus Schlechte Qualität der Arbeitsergebnisse • kein internes Kunden-Lieferanten-Prinzip • mehr Prüfung statt Beseitigung der Fehlerursachen Schlechte Arbeitsorganisation • zu große Arbeitspakete/Lose • zu große Arbeitsteiligkeit • Kapazitätsengpässe • mangelnde Termintreue Chart 96 Beispiele für Prozessbarrieren
130
Falsche oder einseitige Vorgaben • hohe Kapazitätsauslastung
3 Verändern von Prozessen
me. Verursacht werden sie unter anderem durch Kompetenzrangeleien und Egoismen, die zum Beispiel durch das Betreiben von Einzeloptimierungen ein gutes Gesamtoptimum verhindern, außerdem durch Karrieren, deren Voraussetzungen man sich im eigenen Funktionsbereich »verdienen« muss. Das Thema »große Lose« ist im Chart 96 bewusst auf »große Arbeitspakete« ausgedehnt. Zum Beispiel bei Entwicklungsprojekten wird nicht selten der Fehler gemacht, dass zu viele Neuerungen in eine neue Produktgeneration hineingepackt werden. Darunter leidet normalerweise die Entwicklungszeit, und wenn sie mehrere Jahre beträgt, spielt bereits das Thema »Halbwertszeit technischen Know-hows« (siehe Kapitel 1.3) eine Rolle. Das heißt, es passiert, dass Realisierungen aus der Anfangszeit solcher Entwicklungen obsolet werden oder sogar durch neuere Realisierungen ersetzt werden müssen.
Work Enrichment/Work Enlargement Aus der Prozessbarrieren-Gruppe »schlechte Arbeitsorganisation« möchte ich ein Beispiel zum Thema »zu große Arbeitsteiligkeit« bringen, das von Hammer und Champy stammt (Chart 97). Um ihren Kunden den Kauf von (Groß-)Computern, Software und Serviceleistungen zu erleichtern, gründete IBM eine 100%-Tochter, die IBM Credit Corporation. In dieser Bank gab es eine zentrale Anlaufstelle zur Entgegennahme von Finanzierungsanträgen oder -anfragen. Um den eigenen Vertriebsmitarbeiter vor Ort nicht warten zu lassen, waren hier vierzehn Telefone an einem Konferenztisch permanent besetzt. Jede Anfrage wurde auf Papier dokumentiert und an eine Kreditabteilung weitergereicht, die die Informationen in ein Computersystem eingab und den potenziellen Kunden auf Kreditwürdigkeit überprüfte. Das Ergebnis dieser Bonitätsprüfung wurde ebenfalls auf Papier notiert. Der Vorgang wurde dann weitergereicht an eine Vertragsabteilung, die einen Standarddarlehensvertrag an die Konditionen des speziellen Kunden anpasste. Die Sonderkonditionen wurden mit dem Standard-Antragsformular zusammengeheftet. Der Vorgang ging dann weiter zur Preisermittlung, bei der mit Tabellenkalkulationsprogrammen der Zinssatz berechnet und das Ergebnis auf Papier dokumentiert wurde. Danach ging der Vorgang an eine UnterlagenVerwaltungsstelle, in der die gesamte Dokumentation in Form eines Angebotschreibens zusammengefasst wurde. Und am Ende ging der Antrag per Federal Express zurück an den Vertriebsmitarbeiter. Die Durchlaufzeit durch diesen arbeitsteiligen Prozess war im Schnitt 6 Tage. Aus der Sicht des Außendienstes war diese Durchlaufzeit (DLZ) zu lang, da sie dem Kunden 6 Tage Zeit gab, sich nach einer anderen Finanzierungsquelle umzusehen. Außerdem hatte sie zur Folge, dass permanent Anfragen kamen, wie weit denn der Antrag gediehen sei. Da diese Klärungen mit großem Arbeitsaufwand verbunden waren, installierte man eine Prozessleitstelle (die man in der Produktion einen Prozessleitstand nennen würde). Diese Leitstelle war identisch mit der zentralen
3.4 Widerstand gegen Veränderung
131
1. Entgegennahme (14 MA an einem Tisch) Anfragen oder Kreditanträge auf Blatt Papier (formlose Antragsannahme)
2. Kreditabteilung (Spezialist; 1 Stock höher) Infos in Computersystem eingeben; Kreditwürdigkeit überprüfen;Ergebnis auf Papier („Bonitätsprüfung“) 3. Vertragsabteilung Standard Darlehensvertrag an Anfrage anpassen (eigenes Computersystem); Sonderkonditionen an Vertrag heften
ProzessLeitstelle
Hot Lot
4. Preisermittlung PC-Tabellenkalkulationsprogramm; speziellen Zinssatz berechnen; Ergebnis auf Blatt Papier
Ø aus 80% Standardsowie 20% Spezialaufträgen
5. Unterlagenerstellung (Verwaltung) Erstellt aus allen Infos ein Angebotsschreiben (Papier)
6. Federal Express
DLZ = 6 Tage
Chart 97
DLZ = 8 Tage
DLZ = 11/2 Std
DLZ = 4 Std
IBM Credit: Bearbeiten von Finanzierungsangeboten [nach Hammer/Champy]
Anlaufstelle, d. h. dem Konferenztisch, an dem jede Anfrage ursprünglich entgegen genommen worden war. Jeder Vorgang ging nun nach jedem Bearbeitungsschritt an die Prozessleitstelle und wurde von dort an den nächsten Bearbeitungsschritt weitergegeben. Ergebnis: Wenn Anfragen nach einem Antrag kamen, wusste man genau und ohne Aufwand, wo er sich befindet. Die Durchlaufzeit erhöhte sich allerdings auf 8 Tage. Die IBM Credit ließ darauf hin zwei Führungskräfte einige Aufträge durch diesen Prozess durchtragen (Hot Lot). Das heißt der Auftrag wartete an keiner der Bearbeitungspositionen. Er wurde nach Fertigstellung jeweils sofort weitergetragen. Die sich damit ergebende, reine Bearbeitungszeit eines Auftrages war im Mittel 1½ Stunden.
q Produktivitätsverbesserung nutzlos [Hammer/Champy] »Das Management hatte dadurch erstmals den Kernpunkt des Problems ins Auge gefasst: Hätte nämlich das Unternehmen wie durch Zauberhand die Produktivität jedes einzelnen Mitarbeiters in der Organisation auf einen Schlag verdoppeln können, wäre die gesamte Durchlaufzeit trotzdem nur um die halbe Arbeitszeit, sprich um 45 Minuten gesunken!« IBM Credit stellte fest, dass der Grossteil der Aufträge reine Routinebürotätigkeiten waren. Diese wurden in Zukunft nur noch von jeweils
132
3 Verändern von Prozessen
einem Arbeitsplatz – »Deal Structurer« – abgewickelt, der mit den richtigen Rechnermitteln ausgestattet war. Diese Veränderung war ein typisches Beispiel von Work Enrichment/ Work Enlargement! Bei wirklich kniffligen Anträgen konnte sich der Deal Structurer an einen kleinen Stab echter Spezialisten wenden, die in diesen Fällen mit ihm zusammen arbeiteten. Die Mischung aus den Standardanfragen und den komplizierteren Anfragen ergab in Zukunft nur noch eine mittlere Durchlaufzeit von 4 Stunden!
Problembewusstsein in der Hierarchie Nun noch einmal zurück zum Thema Delegation: Es gibt eine Untersuchung bei Calsonic, einem japanischen Autozubehörhersteller mit Standorten in Japan und USA (siehe Chart 98), die sich mit dem Problembewusstsein in den einzelnen Hierarchieebenen befasst. Diese Darstellung soll in keiner Weise Kritik üben an der Aufteilung der gemessenen Prozentsätze. Es würde überhaupt keinen Sinn machen, wenn sich das Topmanagement oder das Mittelmanagement in die Fülle der Sach- und Prozessprobleme vertiefen würde. Das ist nicht ihre Aufgabe. Aber das Chart unterstreicht noch einmal deutlich, dass – wenn wir Problembewusstsein gleich einem Teil von Kompetenz setzen – die Kompetenz tatsächlich auf den unteren hierarchischen Ebenen liegt, dass in Zu-
4% Top Mgmt.
9% Middle Management
74% Front Management
100% Mitarbeiter
3.4 Widerstand gegen Veränderung
Chart 98 Problembewusstsein in einer Unternehmenshierarchie [nach R.C. Whiteley]
133
Barriere (Beschreibung) Kultur
Prozess
Art
Sach
Qualität
Termintreue
Einfluss
Zeit
Nr.
Wirkung Schwierigkeit der Beseitigung (0 – 10)
(0 – 10)
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Chart 99
Barrierenliste (Formular)
kunft auch genau dort die Entscheidungsbefugnis hingehört, und dass das Thema Empowerment heute fast schon Dringlichkeit bekommt.
Das Bewerten von Barrieren und die Low Hanging Fruits Nachdem der Ist-Zustand der Prozesse beschrieben wurde, ist ein wichtiger Schritt der Prozessveränderung die Analyse der vorgefundenen Barrieren bzw. Probleme. Chart 99 zeigt eine Systematik, nach der das erfolgen kann. Dafür wird die Zugehörigkeit der Barrieren zu den drei vorgenannten Arten, den Sach-, Prozess- und Kulturbarrieren aufgelistet. Außerdem wird der ihnen zugeschriebene Einfluss auf unsere drei Messgrößen • Durchlaufzeit, • Erstausbeute (Qualität) und • Termintreue vermerkt. Entsprechend den beiden Bewertungsachsen in Chart 94 wird für jede Barriere ihre (Hebel-)»Wirkung« und die »Schwierigkeit« ihrer Behebung gewichtet. Das erfolgt in ganzen Zahlen von 0 bis 10. Das Ergebnis wird anschließend in einem Bewertungsdiagramm dargestellt (Chart 100). Interessant sind die sogenannten Low Hanging Fruits. Das sind die Barrieren, die eine große Hebelwirkung haben, deren Überwindung aber keine Schwierigkeit macht. Es sind meist kulturelle Barrieren, deren Behebung nur auf einer Genehmigung basiert, zum Beispiel einer Unterschrift.
134
3 Verändern von Prozessen
groß
9 8 7 6 5 4 3
Low Hanging Fruits
2
gering
Schwierigkeit Barrieren zu beseitigen
10
1 0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
Hebelwirkung auf Durchlaufzeit / Qualität / Termintreue
gering
9
10
groß
Chart 100 Bewertungsdiagramm (Formular)
Oder es sind Barrieren, die etwas mit dem Verhalten bestimmter Führungskräfte zu tun haben, und bei denen die Führungskraft aus der entsprechenden Funktion herausgenommen werden könnte oder – was leider öfter passiert – die »biologische Lösung« abgewartet wird. Wie solch ein Bewertungsdiagramm in einem konkreten Fall aussieht, zeigt Chart 101.
1K 2K 3P 4K 5P 6P 7K 8P 9P
groß
10 9
11
8
8
1
15
16
7
2
10
6
19
5
4
12
3
14
4
13
18
7
3
20
2
gering
Schwierigkeit Barrieren zu beseitigen
Topmanager, die eine Veränderung ihres Unternehmens anstreben, sollten sich die bis hier beschriebene Vorgehensweise Finden, Analysieren und Beseitigen von Barrieren in Form eines gemeinsamen Trainings bzw.
5
9
6
17
1 0 0
1
2
3
4
5
6
7
gering
8
9
10
groß
Hebelwirkung auf DLZ / Qualität / Termin
Funktions- vs. Prozessdenken Absicherungsverhalten Entscheidungsprozess zu lang Arbeitsteilung mit Kooperationspartnern Zu viele Schnittstellen Teilprozesse ineffizient Kein Verantwortlicher für Gesamtprozess Unzureichende Entscheidungsbefugnis Mangelnde Umsetzung/Koordinierung
10 K 11 K 12 S 13 S 14 S 15 K
Risikoscheu Seilschaften Mangelndes Fachwissen Unvollständigkeit der Entscheidungen Fehlende Vertreterregelung Qualitätsverständnis
16 K 17 P
Terminverhalten Zu viele AIPs
18 K 19 S 20 P
Informationsfilter Kommunikationsprobleme Fehlende Einbindung nachgelagerter Funktionen/Prozesse
K = Kultur- , P = Prozess- , S = Sach-Barriere
Beispiele für die Zuordnung und Gewichtung von Barrieren
3.4 Widerstand gegen Veränderung
Chart 101
135
Workshops aneignen. Dafür sind drei bis fünf Tage außerhalb des Unternehmens anzusetzen. Dieses Training muss zwangsweise aufwändig sein, wenn es sich an realen Prozessen dieses Unternehmens orientiert und wenn somit bereits während des Trainings wichtige Prozesse des Unternehmens analysiert und dargestellt werden. Der Vorteil davon ist aber, dass der Ist-Zustand der einzelnen Prozessschritte ermittelt und bereits mögliche Verbesserungen der Durchlaufzeiten, der Erstausbeuten und der Termintreue erarbeitet werden! Meine Erfahrung ist, dass es sich auszahlt, das Training am Beispiel des eigenen Geschäfts, der eigenen Probleme durchzuführen und nicht an fiktiven Spiel-Beispielen. Die Betroffenen wissen dann, dass alles, was sie in diesem Workshop besprechen und vereinbaren, echtes Commitment und als solches ab dem »Montag der Folgewoche« einklagbares Tagesgeschäft ist! Der nächste Schritt nach diesen realen Trainings ist typischerweise ein Training des Mittelmanagements von zwei bis drei Tagen im Unternehmen, bei dem das Prozessmapping und die Verbesserungsziele aus dem Top-Management-Workshop bereits als Vorgabe dienen. Für die Umsetzung müssen dann alle übrigen Mitarbeiter in den wesentlichen Grundlagen des Prozessmanagements, oder sagen wir besser, des Prozessdenkens, trainiert werden. Dabei kann man von einem halben Tag in jeweils großen Gruppen ausgehen. Hierzu ein Hinweis: Alle genannten Trainings und Analysen gehören bereits zu der in Chart 72 in Kapitel 3 gezeigten, vorübergehenden zusätzlichen Arbeitsbelastung aller Beteiligten für das Verändern und Verbessern der eigenen Prozesse.
Aufdecken zusätzlicher Probleme durch »Verschlanken« der Prozesse Das möglichst drastische Senken der Arbeitsvorräte in allen Prozessschritten (als ein wesentlicher Anteil der Prozessverbesserung) bringt ein grundsätzliches Problem mit sich. Arbeitsvorräte haben immer – und das sollen sie ursprünglich auch – eine Pufferfunktion. Pufferfunktion bedeutet, dass die meisten Störungen auf die anderen Prozessschritte solange keine Wirkung haben, wie die Störung zeitlich kürzer ist als die Reichweite der dort vorhandenen Arbeitsvorräte. Die Prozesse »ernähren« sich in dieser gestörten Phase sozusagen von ihrem eigenen Speck, sprich von ihren eigenen Vorräten (siehe Chart 102). Wenn diese Vorräte nicht vorhanden sind, schlagen praktisch alle Störungen sofort auf das gesamte System durch. Alles in allem muss man also sagen:
136
3 Verändern von Prozessen
Hoher Wasserspiegel bzw. große Arbeitsvorräte (AIPs) Wasserspiegel
Unsichtbare Probleme und Fehler wirken solange nicht auf den Produktions-Ausstoß, wie die vorhandenen Arbeitsvorräte fehlerhafte oder fehlende Teile ersetzen
Unsichtbare Probleme und Fehler
Niedriger Wasserspiegel bzw. geringe Arbeitsvorräte (AIPs) Sichtbare Probleme und Fehler (z.B.): - fehlerhafte Teile (Nacharbeit, Wasserspiegel
Ausschuss) - hohe Maschinenstillstandszeiten - ungleichmäßige Auslastung
Aufdecken von Prozessproblemen durch Senken der Arbeitsvorräte (AIPs)
Chart 102
Das Arbeiten in schlanken Prozessen wird beschwerlicher. Ich hatte erläutert, dass Prozessprobleme häufig dadurch umgangen werden, dass Ersatzprozesse geschaffen werden. Statt der Ersatzprozesse, die ausschließlich zum Ziel haben, einen nicht funktionierenden Prozess zu umgehen, gibt es allerdings noch eine ganz andere Reaktion der Betroffenen auf das Verändern der Prozesse. Es handelt sich dabei um einen kreativen Vorgang, den man beim Schaffen neuer Prozessabläufe beherzigen sollte: Peter Scott Morgan sagt, dass wir, wenn wir neue Prozesse schaffen, damit neue Spielregeln schaffen. Sein Buch »The Unwritten Rules of the Game« beschreibt, dass man beim Schaffen neuer Regeln überlegen sollte, wo man damit Möglichkeiten oder Anreize für neue Unwritten Rules of the Game schafft. Unwritten Rules werden nirgends dokumentiert. Sie sind eine ungeschriebene Reaktion auf die offiziellen Spielregeln und diesen Spielregeln aber nicht zuträglich. Sie nutzen ausschließlich denjenigen, die diese Unwritten Rules erfinden.
q Unwritten Rules und Kreativität Während der englischen Kolonialherrschaft in Indien waren beim Arbeiten auf den Reisfeldern Schlangen ein großes und hinderliches Problem. Deshalb zahlten die Engländer den Feldarbeitern pro gefangener Schlange einen festen Geldbetrag. Beweis war der abgehackte Kopf der Schlange. Was taten die Betroffenen? Sie züchteten Schlangen.
3.4 Widerstand gegen Veränderung
137
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
In diesem Buch gibt es eine Unterscheidung zwischen dem Führen von Geschäften und dem Führen von Menschen. Diese Unterscheidung mache ich, obwohl mir klar ist, dass das Führen von Geschäften letztlich auch auf das Führen von Menschen hinausläuft. Die Unterscheidung erweist sich aber als nützlich, wenn man bedenkt, dass es für das Führen von Geschäften eine große Anzahl wohl definierter Werkzeuge gibt, die lehr- und lernbar sind und deren Anwendung – unabhängig von den Menschen – notwendige Voraussetzungen für exzellente Prozesse schafft.
Ein Business-Excellence-Modell «In Search of Excellence« heißt ein Buch, das die beiden Autoren Thomas J. Peters und Robert H. Waterman jun. 1982 veröffentlicht haben. Sie hatten zur Feststellung, was für sie »Excellence« bedeutet, eine Anzahl Kriterien vorgegeben (siehe Chart 103) und auch eine gewisse Zeitdauer, die sich die Unternehmen in der Spitzengruppe aufgehalten haben mussten. Ein »exzellentes« Unternehmen musste während des gesamten Zeitraumes (1961 bis 1980) wenigstens bei vier der sechs Bewertungskriterien (Ergebniskategorien) in der oberen Hälfte seines Industriezweigs gelegen haben.
Das Primat des Handelns Ein Ergebnis ihrer Untersuchung war das Herausfiltern von Treibern, die ihrer Meinung nach notwendige Voraussetzung für den Erfolg der untersuchten Unternehmen waren (siehe Chart 104).
• Kumulierter Vermögenszuwachs • Kumuliertes Eigenkapitalwachstum • Durchschnittliches Verhältnis zwischen Markt- und Buchwert • Durchschnittliche Gesamtkapitalrendite Chart 103 »In search of excellence«: Die Bewertungskriterien
138
• Durchschnittliche Eigenkapitalrendite • Durchschnittliche Umsatzrendite
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
1 Primat des Handelns 2 Nähe zum Kunden 3 Freiraum für Unternehmertum 4 Produktivität durch Menschen 5 Sichtbar gelebtes Wertesystem 6 Bindung an das angestammte Geschäft 7 Einfacher, flexibler Aufbau 8 Straff-lockere Führung Merkmale 1, 3, 5 und 8 sind Indikatoren für Führungskultur
Chart 104 »In search of excellence«: Merkmale erfolgreicher Unternehmen (Treiber/ Enabler)
Gleich als erster Treiber ist das »Primat des Handelns« genannt. Das deckt sich auch mit meiner Erfahrung, dass Manager sehr häufig – auch zugegebenermaßen – wissen, was sie tun müssten, es aber nicht tun (vielleicht aus Unschlüssigkeit = Angst vor dem Risiko?). »Freiraum für Unternehmertum« ist das, was ich schon einige Male unter »Empowerment« oder »Delegation von Entscheidungsbefugnis« hervorgehoben habe. Das »sichtbar gelebte Wertesystem« ist ein Teil des Führens von Menschen. Der zuletzt genannte Treiber, die »straff-lockere Führung«, ist so etwas wie eine Klammer um die ersten sieben Merkmale (siehe Chart 105). Bemerkenswert in diesem Chart ist das letzte Statement, dass Excellent Companies eine straff-lockere Führung bewerkstelligen durch pedantisches Bemühen um Details und all die tausend Kleinigkeiten, die letztlich überragende Leistung ausmachen. Meine Studien der Bewerbungen von Award-Winnern oder Finalisten des European Quality-Award zeigen genau dieses Bild des sich Bemü-
Es kristallisierte sich eine Synthese heraus, nämlich das Nebeneinander von straffer, zentraler Führung und möglichst großer Selbständigkeit des Einzelnen – also fast eine Quadratur des Kreises. Unternehmen, die eine straff-lockere Führung praktizieren, haben einerseits sehr strenge Regeln, lassen es aber gleichzeitig zu, dass ihre Mitarbeiter sehr selbständig, unternehmerisch und innovativ denken und handeln (ja, sie verlangen das sogar). Sie bewerkstelligen diesen Balanceakt buchstäblich durch „Glauben“. Außerdem bewerkstelligen sie ihn durch pedantisches Bemühen um Details, um „all die tausend Kleinigkeiten“, die letztlich überragende Leistung ausmachen.
»In search of excellence«: Straff-lockere Führung, die achte Treibergröße
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Chart 105
139
hens. Insbesondere auch unter dem Aspekt Kundenorientierung findet man eine Vielfalt und eine Fülle wahrhaft liebevoller Einzelaktivitäten!
q Geben macht glücklicher als Nehmen Fragen Sie einmal bei passenden Gelegenheiten Freunde oder Bekannte (und fragen Sie sich auch selbst), was für Sie mehr Bedeutung hat; • ein Geschenk von einem geschätzten Menschen zu bekommen oder • einem geschätzten Menschen ein Geschenk zu machen? Ich habe diese Frage häufig im kleineren oder größeren Kreis den Teilnehmern von Seminaren oder Workshops gestellt, und es war immer die große Mehrzahl, die sich – teilweise mit leichtem Erstaunen – zum »Selberschenken« bekannte!
Die Rolle des obersten Führungskreises Und noch einmal zu Chart 104: Vier der acht Merkmale im Chart haben direkt etwas mit Führung zu tun. Um die Bedeutung des Führungsverhaltens noch weiter zu unterstreichen, möchte ich aus »Reengineering the Corporation« von Hammer und Champy zitieren (Chart 106). Dort wird die Führung für jede Art von Misserfolg im Geschäft verantwortlich gemacht. Lassen Sie mich hier noch einmal zurückkommen auf das Chart 63, das Modell für den Europäischen Qualitätspreis. Mit dem Führen von Geschäften befassen sich dort das Kriterium 2, »Politik und Strategie«, das Kriterium 4, »Partnerschaften und Ressourcen«, sowie – mit höchstem Gewicht – das Kriterium 5, die »Prozesse«. Auf der Ergebnisseite ist das Kriterium 9, »Exzellente Ergebnisse«, hinter den »Kunden Ergebnissen« das wichtigste Ziel des »Führens von Geschäften«.
Chart 106 »Reengineering the Corporation«: »Durch alle Fallstricke, die wir entdeckten, zog sich wie ein roter Faden die Rolle des obersten Führungskreises.«
140
„Wenn Business Reengineering misslingt, dann liegt diesem Scheitern unweigerlich ein unzureichendes Verständnis seitens der Unternehmensleitung oder unzulängliche Führung im Reengineering-Projekt zugrunde, ganz gleich, auf welche unmittelbare Ursache die Niederlage zurückzuführen ist. Business Reengineering erblickt immer in der Führungsetage das Licht der Welt. Allzu oft haucht es dort auch sein Leben aus.“
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Create a goal
Stand back and review
Derive plans Chart 107 Der Management-Prozess: Management sollte, wie jeder Prozess, einem Regelkreis unterliegen
Lead the action
Für mich ist das Wichtigste beim Führen von Geschäften, dass dieses »Führen« als ein Regelkreis aufgefasst wird (Close the Loop), denn wie wir schon sagten, ist Führen ohne Messen und Regeln ein Blindflug. Unsere Ururgroßväter wussten das übrigens schon: Sie erfanden das Wort »Maßnahme«. Chart 107 zeigt eine anschauliche Variante des berühmten PDCA-Zyklus (Plan Do Check Act ) von Edward Deming. Diese Darstellung besticht durch ihre treffenden Formulierungen dessen, was eigentlich die Aufgabe einer Führungskraft beim Führen von Geschäften sein sollte und in welcher Art sie involviert sein sollte. Ein Negativ-Beispiel eines PDCA-Zyklus zeigt Chart 108. Gleich beim ersten Hinsehen fällt auf, dass es offenbar nur im »Act«-Feld eine Zeile gibt, nämlich die letzte, in der von »Implementation«, also von wertschöpfendem Handeln die Rede ist. Wenn man noch etwas genauer hinschaut, ist es nur eine halbe Zeile, denn die Aussage der zweiten Hälf-
Planning • Agree Purpose & Scope • Agree Schedule • Prepare for Assessment • Issue Pre-Assessment Pack
Conducting and Reporting • Confirm Vision/Mission/Aims-Sponsor • Review Overview - Manager/Expert • Review Use & Value-Practitioner • Produce Assessment Report
Plan
Do
Act
Check
Action Implementation • Agree Action Plan • Specifiy New Solution(s) • Develop New Metrics • Implement and document Improvements
Review • Analyse Maturity Matrix • Identify & Agree Key Issues • Align with Activities • Agree Priorities and Options
Eine irreführende Variante des PDCA-Zyklus
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Chart 108
141
te, das »Dokumentieren der Verbesserung«, ist streng genommen nicht wertschöpfend. Ich habe Kollegen beim Betrachten solcher Charts – und es gibt viele derartige Charts – klarzumachen versucht, dass in derartigen Prozesszyklen nur Geld ausgegeben und keines verdient wird. Insbesondere bei »eingefleischten« Qualitätsleuten stieß ich damit häufig auf wenig Verständnis. Hier wird »agreed«, »reviewed« und »identified«. Aber wirkliches Handeln kann man – aus den Formulierungen zumindest – nicht herauslesen. Man kann auch nicht herauslesen, dass irgendwo irgendeine wie auch immer geartete Veränderung stattfindet. Es ist erstaunlich, mit welcher Liebe fürs Detail hier eine Vorgehensweise beschrieben wird, ohne dass man sich im Klaren darüber ist, dass Geld erst dann verdient wird, wenn aufgrund der Messungen und Analysen die Prozesse geändert wurden, diese Prozesse danach eine höhere Effizienz haben und so lange laufen, bis die Einsparungen das zuvor ausgegebene Geld zu überschreiten beginnen. Und ich kann Ihnen versichern: Es gibt eine Fülle von Projekten, die in einer dem obigen Zyklus ähnlichen Weise ablaufen.
Kostenbewusstsein und Kostenmanagement Im Folgenden möchte ich – sozusagen aus Prozesssicht – noch kurz einen Aspekt des Themas »Kosten« behandeln, und zwar das Thema »Zuschlagskalkulation«. Die Zuschläge, im Chart 109 »Indirect Costs« genannt, wurden zu Beginn des letzten Jahrhunderts eingeführt, um die Kalkulation von Her-
Percent of Total Cost 70 60 50 40 30 20 10
Chart 109 Dilemma der Zuschlagskalkulation: Indirect Costs Explode [nach B. Huthwaite, Motorola University]
142
0
1900
1990 Indirect Costs
• Conventional Accounting Data: Little Help • Problem: Most Indirect Costs „Allocated"
Material Labor
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
• Target Costing heißt „beim Kunden beginnen“ • Mit allen Mitarbeitern jährlich „Rationalisierungsziele” vereinbaren • Steuerung am „Tatort”, das heißt für jeden einsehbar und ohne Totzeit • Finanzen sind kein „Herrschaftswissen” • Controlling muss Funktions- und Abteilungsgrenzen überschreiten • Am Markt konkurrieren Wertschöpfungssysteme • Controlling muss sich mit Kostentreibern befassen, vor allem „Qualität“ und „Zeit“
Chart 110 Was man über Kostenmanagement wissen muss
stellkosten zu erleichtern bzw. zu vereinfachen. Die Genauigkeit der Kalkulation war dennoch ausreichend, da der Anteil indirekter Kosten damals nur 10% betrug. Das Chart aus dem Jahr 1993 zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt die indirekten Kosten bereits 50% der gesamten Herstellkosten von Produkten ausmachten, und die Kalkulationsgenauigkeit litt stark unter dieser Kostenzuteilung (Cost Allocation). Heute wird propagiert, die Kosten direkt aus den Kosten der einzelnen Prozessschritte herzuleiten (Activity based Accounting)! Im Kapitel 3.2 wurde gezeigt, dass Kosten keine Treiber sind, man also grundsätzlich keine Kosten sparen kann! Man kann es auch anders ausdrücken [B. von Oetinger; Boston Consulting]: Wer immer nur Kosten spart, stirbt letztlich an Magersucht. Und weiter gilt: Geschäftsergebnisse anschauen heißt, in die Vergangenheit schauen. Prozesse managen heißt, in die Zukunft schauen. Kostenmanagement heißt also auf der einen Seite, Kostentreiber (Treiberbäume) zu finden und zu beeinflussen. Kostenmanagement heißt auf der anderen Seite, alle Mitarbeiter für Kosten zu interessieren und sie für alle Kostenaspekte zu sensibilisieren (Chart 110).
Chancen sind nicht planbar Kostenmanagement muss schließlich proaktiv werden (Chart 111), denn in zeitlich wohl dosiertem Abstand regelmäßig hinter dem Erreichen von Planwerten herzulaufen hat nur wenig mit dem Geschehen auf dem Markt zu tun.
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
143
Controlling • erfordert intern für alle Mitarbeiter ein Cost Sensitivity Training innerhalb der Prozesse und Projekte. • erfordert extern ein Reagieren auf die Kräfte des Marktes. Chart 111 Controlling in »responsiven« Unternehmen
Das heißt: Ein Unternehmen wird nicht durch Planwerte, sondern durch ständigen Aufbau wechselnden Know-hows gesteuert. Denn: Chancen sind nicht planbar!
»Controlling« ist auch in diesem Chart im regelungstechnischen Sinne zu verstehen. Und dazu gehört vor allen Dingen Responsiveness (siehe Kapitel 2.2.5). Nun noch einmal zu dem in Chart 104 aufgeführten »Primat des Handelns« von McKinsey. Genauso wie es dort von den Verantwortlichen bei ihrer täglichen Arbeit abverlangt wird, so ist es auch ein wichtiges Merkmal des Änderns von Prozessen, führt hier aber zu einem Dilemma. Bei Änderungen gibt es immer Gewinner und Verlierer, und die meisten Verlierer gibt es im mittleren Management. Warum ist das so? Lassen sie mich zur Beantwortung dieser Frage den Begriff »mittleres Management« definieren: Hierarchisch von »unten« gesehen ist das mittlere Management die letzte Ebene, die weiß und wissen muss, worum es in den Prozessen fachlich geht. Von »oben« gesehen ist es üblicherweise die erste Ebene, die entscheiden darf oder muss. Da Change-Prozesse unter anderem sehr häufig mit der Verflachung von Hierarchien zu tun haben, sind Mittelmanager stark davon betroffen. Und betroffen heißt hier ganz klar: Es gibt mehr Looser als Winner. Dies scheint vielen Topmanagern nicht in voller Konsequenz bewusst zu sein, denn sie sprechen – was das mittlere Management anbelangt – häufig von einer Lehm- oder Lähmschicht. Der Grund für diese Bezeichnung ist erklärbar, und gerade deshalb finde ich diese Bezeichnung unpassend. Schließlich kann man vom mittleren Management nicht erwarten, dass es begeistert an den Ästen sägt, auf denen es selber sitzt. Wir hatten gesagt, dass es für das Führen von Geschäften eine Vielzahl von lehr- und lernbaren Werkzeugen gibt. Und weil das so ist, möchte ich noch einmal daran erinnern, dass Managementmethoden immer nur notwendig für den Erfolg sein können, aber niemals hinreichend. Eine Einschränkung muss ich allerdings machen. Es gibt im negativen Sinne Vorgehensweisen, die hinreichend sind; nämlich hinreichend dafür, dass es mit dem betroffenen Geschäft bergab gehen wird.
144
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
4.1 Does Quality work? Oder, anders formuliert: Bringt Qualität was? Ende 1993 gab The Conference Board einen Review über 20 US-amerikanische Studien zum Thema Total Quality Management heraus [A. Hiam]. In diesen 20 Studien wurden Antworten von 5449 befragten Unternehmen ausgewertet. Ziel dieses Reviews bzw. Berichts war, Fakten aufzuzeigen, die für potenzielle TQM-Einsteiger von Bedeutung sind, und die immer umfangreicher werdenden Aussagen zum Thema TQM mit diesen Fakten in Einklang zu bringen. Jede der 20 für diesen Bericht herangezogenen Studien wurde auf folgende Kriterien hin überprüft: • Fokus auf die betriebliche TQM-Praxis • Ergebnisse jeder einzelnen Studie müssen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Unternehmen stammen • Vorhandensein von Angaben über die Art der untersuchten TQMAktivitäten • keine offensichtlichen Verfahrensfehler in den Studien. Die Kriterien wurden offenbar so gehalten, dass sie nicht allzu restriktive Wirkungen enthielten. Entsprechend unterschiedlich sind die einzelnen Studien, was ihren Detaillierungsgrad und ihre methodische Strenge betrifft. In einigen Fällen wurden die Verfasser einer Studie von The Conference Board für ergänzende Details zusätzlich telefonisch kontaktiert. Für mich war dieses Review wichtig, weil es deutlich macht, dass zwischen den Bemühungen unter der Zielrichtung »Business Excellence« und denen unter der Zielrichtung »Total Quality Management« keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Um es medizinisch auszudrücken: Es ist die Diagnose der Probleme der Unternehmen, welche die Therapie bestimmt, und nicht umgekehrt. Die Ergebnisse zu TQM sind sehr unterschiedlich, doch ist eine Generalisierung in einigen relevanten Punkten erlaubt. Chart 112 zeigt einige Generalisierungen als Ergebnis dieses Reviews. Wichtig davon erscheint mir vor allem der erste Punkt, dass es bei den TQM-Einsteigern um vielfältige Veränderungen in den Managementpraktiken (Rules of the Game) und Veränderungen in der Unternehmenskultur geht. Chart 113 zeigt ein Ranking von Kernpunkten, bzw. Haupttreibern, die unter dem Aspekt »What criteria are beneficial to your business?« im Conference Board Review herausgefiltert wurden. Die Zahlen in Klammern hinter den sieben Kernpunkten sind jeweils die Anzahl der Studi-
4.1 Does Quality work?
145
• Immer stehen lange und vielfältige Listen von Veränderungen in den Managementpraktiken und in der Unternehmenskultur im Zusammenhang mit TQM • TQM ist keine kurzfristige Modeerscheinung zur Bekämpfung von Geldverschwendung • Den TQM-Bemühungen wird seitens der Führungskräfte meistens, aber eben nicht immer, eine positive Wirkung auf die Leistungsfähigkeit ihres Unternehmens zugeschrieben • TQM hat nachweislich in keinem Fall negative Auswirkungen auf die Performance eines Unternehmens Chart 112 TQM in den USA: Erkenntnisse aus 20 firmenübergreifenden Analysen
• Die als „TQM” definierte Kombination von Methoden variiert von Unternehmen zu Unternehmen; es gibt aber wesentliche, allen Kombinationen gemeinsame Kernpunkte
en aus den insgesamt zwanzig, in denen dieser Kernpunkt eine Bedeutung hat.
Nach oben Delegieren von Verantwortung ist ein Bumerang Wer ist aber für die Umsetzung von TQM-Maßnahmen verantwortlich? Chart 114 zeigt ein kriterien- und organisationsorientiertes Qualitätsnetzwerk, das – bereits von Beginn – auf den European Quality Award (EQA) abzielte. Wer das Wort »total« bei Total Quality Management ernst nimmt, der sollte aber »Ordnungsversuchen« wie dem im Chart gezeigten zumindest skeptisch gegenüberstehen.
q Zuständigkeiten müssen wahrnehmbar sein Modelle wie in Chart 114 sind gut gemeint, denn sie verordnen den Geschäftsgebiets- oder Geschäftszweigleitern die Hauptverantwortung für qualitätsgerechte Prozesse in ihrem Bereich. Diese im Chart gezeigten, hochrangigen Sponsoren haben aber nach meiner Erfahrung kaum Zeit,
• Training (7) • Selbstbewertung (Self-Assessment) (5) • Customer focus (5) • Planung/Zielvorgaben (Plan/Direction)(5) Chart 113 TQM in den USA: Gemeinsame Kernpunkte bzw. Haupttreiber des Total Quality Management
146
• Engagement (Participation/Empowerment) (5) • Teamwork (4) • Führungsqualität (Leadership) (4) (n) = Anzahl der Analysen, die diesen Kernpunkt nennen
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Geschäftsgebiets- und/oder Geschäftszweigleiter als Sponsoren A B C D E
• Sponsoren sind
Kriterieneigner
Process Owner
• Change Agents
2. Politik und Strategie
EQA-Kriterien
3. Mitarbeiterorientierung 4. Ressourcen 5. Prozesse 6. Kundenzufriedenheit 7. Mitarbeiterzufriedenheit 8. Gesellschaftliche Verantwortung / Image
Change Agents (Fachberater, Methodenkenner, Trainer)
1. Führung
sind Process Coaches
• Kriterieneigner sind Process Controller
9. Geschäftsergebnisse
Das EQA-Modell als kriterien- und organisationsorientiertes Qualitätsnetzwerk: Tatsächlich ist TQM aber keine Sache von Spezialisten, sondern von den Verantwortlichen in den Prozessen, also aller Mitarbeiter
Chart 114
um diesen im Chart suggerierten Job auszufüllen. Sie delegieren ihn meistens. Die Kriterieneigner sind normalerweise im mittleren Management und nach der gezeigten Aufgabenteilung (im Chart anhand der neun Kriterien des EQA-Modells) zuständig für Teile der Verantwortung der Sponsoren!? Je hochrangiger die Kriterieneigner sind, desto weniger Zeit haben auch sie. Das wiederum rechtfertigt die Existenz von Change-Agents, die sich als Coaches für die Kriterieneigner und die Sponsoren bewähren können. Eigentlich gilt aber: Total Quality ist keine Sache von Referaten oder Spezialisten, sondern von den Verantwortlichen in allen Prozessen und Ebenen, das heißt letztlich von allen Mitarbeitern.
Qualität im Wandel Chart 115 zeigt drei Aussagen zum Thema Qualität (vom ehemaligen Siemens-Aufsichtsratsvorsitzenden C. F. von Siemens und vom ehemaligen Siemens-Vorstandsvorsitzenden Dr. Karlheinz Kaske). Diese Aussagen sind charakteristisch für den Wandel des Qualitätsmanagements in den dazwischen liegenden 70 Jahren. Interessant ist, dass 1921 die Leistung eines Unternehmens ausschließlich anhand der Güte seiner Fabrikate (Produkte) beurteilt wurde. 1991 wird die Güte (sprich Qualität) der Fabrikate zusätzlich an den Nutzen für die Kunden gebunden (Conformance). Und der Anteil der Unternehmensleitung an der ständigen Optimierung der Prozesse ist klar formuliert.
4.1 Does Quality work?
147
„Unser Haus ist aufgebaut auf dem wissenschaftlichen Fortschritt und der Güte seiner Fabrikate.” Carl Friedrich von Siemens (1921) „Es ist unser Ziel, Produkte und Leistungen von hervorragender Qualität und von höchstem Nutzen für unsere Kunden zu bieten. Wir wollen zufriedene Kunden mit dauerhaftem Vertrauen in unser Leistungsangebot – von der Beratung und Problemlösung über die Lieferung und Montage bis zum Service. Das Urteil unserer Kunden ist der entscheidende Qualitätsmaßstab für uns.“ „Die Unternehmensleitung räumt der ständigen Optimierung der Arbeitsprozesse in allen Unternehmensfunktionen mit dem Ziel der Qualitätsführerschaft höchste Priorität ein. Diese Zielsetzung wird durch eine vorbehaltlose Zusammenarbeit im Unternehmen und durch ein umfassendes Qualitätsmanagement sichergestellt.“ Dr. Karlheinz Kaske (1991)
Chart 115
Business Excellence im Wandel (70 Jahre Qualitätsmanagement)
Problembewusstsein und Entscheidungsbefugnis Es ist sicher nicht einfach, die Zuständigkeit und das Bewusstsein im Management für die einzelnen Barrierenarten in Zusammenhang zu bringen (siehe Charts 94 und 98, Kapitel 3.4). Eine Folgerung aber gilt: Die im Rahmen der Verbesserung oder Veränderung von Prozessen eingesetzten Teams, Mitarbeitergruppen oder Projekte (siehe dazu Chart 76 im Kapitel 3), müssen nicht nur cross-functional sein, sie müssen auch in vielen Fällen cross-hierarchical sein, d. h. aus Mitgliedern unterschiedlicher hierarchischer Ebenen (vom Mitarbeiter bis zum Mittelmanagement) zusammengesetzt sein.
Kostenfestlegung und Kostenverursachung – was wir schon lange wissen Chart 116 zeigt zwei einander ähnliche Grafiken. Beide machen die gleiche Aussage darüber, dass es bei der Entwicklung neuer Produkte im Hinblick auf die Kosten immer zwei verschiedene Kurvenverläufe gibt. Das eine ist die Kurve der Kostenfestlegung (Commitment Track), das andere ist die Kurve der Kostenverursachung (Cost Track). Diese Unterscheidung zwischen Planung und Durchführung ist deswegen wichtig, weil sie insbesondere für das Prozessmanagement gilt. Die Kurven lehren uns, dass wir die Planungsphase sehr genau durchführen sollten, vielleicht sogar ab und zu verlängern sollten, um letztendlich die kostengünstigste Vorgehensweise zu finden. Einen Hinweis möchte ich an dieser Stelle geben: Bei größeren Projekten zur Prozessveränderung, Strukturveränderung oder des Reengineering
148
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Concept Stage is Primary „Driver" Of All Cost, Quality & Time-To-Market - Typically Concept Stage is left Too Soon - Must Spend „Front End" Effort To Avoid „Back End" Problems 100%
Kosten [%]
100
80
∑ kf
Commitment Track
∑ kV
60
60%
40
20 20%
Cost Track
Concept
Detail Design
Prototype
Validate
Trial Production
Bart Huthwaite; Motorola University 1993
0
Konstruktion
AV
Einkauf
Fertigung Verwaltung AuftragsVertrieb abwicklungsbereiche
Verursachte Kosten kv
Festgelegte Kosten kf
Heribert Opitz; RWTH Aachen 1970
Strategien für den Entwicklungsprozess: Die Weichen werden zu Beginn gestellt
Chart 116
hört man sehr häufig den Vorschlag, diese Veränderung zunächst an einem Pilotprojekt zu erproben. Was man dabei wissen sollte: Pilotprojekte sind für die restlichen, unbeteiligten Bereiche und Mitarbeiter ein Alibi, nichts zu tun! In den meisten Fällen besteht allerdings nicht so viel Zeit, sich das leisten zu können!
Sigma als Standard zur Qualitätsbeurteilung Ich möchte die Betrachtung »Does Quality work?« nicht beenden, ohne noch einmal das Thema Six Sigma angesprochen zu haben, denn SigmaStatistik kann man heute schon als einen Standard zur Qualitätsbewertung bezeichnen. Business Excellence – hatten wir gesagt – ist nicht nur eine Frage der messbaren Ergebnisse, sondern insbesondere auch eine Frage der Verhaltensweisen und Überzeugungen der Betroffenen (siehe Chart 117). Das Chart gibt eine Anzahl von Hinweisen, wie man diesem Anspruch gerecht werden kann oder sogar gerecht werden muss (da notwendig). Chart 118 zählt Fakten und Möglichkeiten der Umsetzung dieses Qualitätsstandards auf. Zu zwei Aussagen dieses Charts möchte ich noch eine Bemerkung machen; der Stabilität und der Robustheit von Prozessen. Wir hatten gesagt, dass es beim Controlling darum geht, einen Prozess zu messen, die Abweichung der Ist-Werte von den Soll-Werten festzustel-
4.1 Does Quality work?
149
Sigma als Standard zur Qualitätsbewertung • ist ein Bekenntnis zur Messbarkeit aller Prozesse • ist der Anspruch, aus einer vorgegebenen Produktqualität messbare Qualitätsvorgaben für die dazugehörigen Prozesse und Prozessschritte herleiten zu können • zwingt Entwickler und Konstrukteure zum „Vorwärtsdenken”, d.h. verlangt werden darf nur eine Designqualität, die mit der gegebenen Prozessqualität abgeglichen ist • benutzt in allen Funktionen messbare Prozessgestaltung als wesentlichen Treiber zur Business Excellence • legt Qualitäts- und Prozessverantwortung gemeinsam an den Ort der Wertschöpfung • sensibilisiert die betroffenen Mitarbeiter
Chart 117
Sigma Mindset
len und diese Abweichung wiederum zum Anlass zu nehmen, die Prozesseingangsdaten zu verändern. Das ist die einfachste Form des Regelns eines Prozesses (Controlling heißt Regeln!). Ist ein Prozess »stabil«, so heißt das, dass es durch das Regeln des Prozesses gelingt, die Abweichungen seiner Ist-Werte von seinen Soll-Werten in sehr kleinen Grenzen zu halten.
Sigma als Standard zur Qualitätsbewertung • ermöglicht eine Beurteilung der Sicherheit, mit der Produktmerkmale erreicht werden, • misst im Sinne der statistischen Tolerierung die Zusammensetzung der Qualität des Gesamtprozesses aus den Qualitäten der Einzelschritte, • legt die Stabilität von Prozessen insgesamt sowie auch ihrer Einzelschritte offen • gestattet, auf Basis der jeweiligen Verteilungen die Fehlermechanismen zu untersuchen und die Robustheit des gesamten Prozesses sowie die aller Teilprozesse zu beurteilen, • bietet als einheitlicher Bewertungsmaßstab die Möglichkeit, sich mit anderen Unternehmen zu benchmarken • ist seiner Art nach ein Non Conformance Measurement im Hinblick auf Kundenwünsche oder Zielwerte • gestattet, die finanziellen Qualitätsrisiken zu quantifizieren • setzt im entsprechenden Training der Mitarbeiter auf ein Deployment-Konzept, d.h. auf innerhalb der operativen Hierarchie von oben nach unten abgestufte Trainingsinhalte (Waterfall-Prinzip)
Chart 118
150
Sigma Facts
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
»Robustheit« von Prozessen hingegen bedeutet, dass die den Prozess beeinträchtigenden Störgrößen relativ großen Schwankungen unterliegen dürfen, ohne dass sich die Ist-Werte des Prozesses dadurch stark von seinen Soll-Werten entfernen. Ich möchte abschließend noch einmal betonen, dass die zuvor geschilderten regelungstechnischen Aussagen auf jede Art von Prozessen anzuwenden sind, und zwar anzuwenden im Sinne normaler Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Auch in der Wirtschaft und in der Politik können zur Beantwortung der Frage, welche Ursachen welche Wirkungen haben, regelungstechnische Betrachtungsweisen herangezogen werden. Das geschah zum Beispiel in der berühmten Studie »Grenzen des Wachstums« des Club of Rome, der das Modell »World Dynamics« von J. W. Forrester zugrunde liegt.
4.2 Die Suche nach den Besten (Benchmarking) Es gibt verschiedene, systematisierte Vorgehensweisen oder Modelle für das Benchmarking. Alle laufen auf die Beantwortung des Vergleichs hinaus »Who is best?« Der im Chart 119 gezeigte jeweilige Vergleichshorizont hängt davon ab, welche Vergleichsmöglichkeiten dem Einzelnen zur Verfügung stehen. Wichtig dabei ist, sich über das mögliche oder das angestrebte Anspruchsniveau im Klaren zu sein (nach K. Kleinfeld). Das unterste Niveau ist der hausinterne Vergleich bzw. die hausinterne Best Practice. Das höchste Niveau ist die World Class. Die zwei obersten Stufen werden Prozessführer genannt. Wenn sich zum Beispiel eine Firma A mit zwei anderen Firmen X und Y vergleicht, dann kann es sein, dass die Vergleichsfirma X im Einkauf besser ist, aber in der Entwicklung schlechter. Die Firma Y kann demgegenüber in der Entwicklung besser sein, aber dafür im Einkauf schlechter.
Anspruchsniveau
World Class
Prozessführer
Beste im Land Industrieführer Industriestandard Beste Leistung im Unternehmen Eigene Leistung im Zeitverlauf
4.2 Die Suche nach den Besten (Benchmarking)
Wettbewerbervergleich
Interner Vergleich
Chart 119 Die Hierarchie des Benchmarking: Nur aus dem richtigen Vergleich ergeben sich richtige Ziele [nach K. Kleinfeld]
151
Es gibt in dieser Situation grundsätzlich zwei Möglichkeiten sich zu vergleichen: • Entweder die Firma A vergleicht sich als Ganzes mit den jeweiligen anderen Firmen, was beim Benchmarking nicht üblich ist. • Oder – und das ist üblich – die Firma A vergleicht sich für jede einzelne Funktion mit den anderen Firmen, unabhängig davon, welches pro Funktion die jeweils beste Konkurrenzfirma ist. Das Unternehmen, mit dem sich die Firma A dann insgesamt vergleicht, ist sozusagen eine »synthetische« Firma, denn real gibt es sie nicht. Sie setzt sich zusammen aus den jeweils besten Funktionen der anderen Firmen, mit denen sich die Firma A verglichen hat. Im obigen Beispiel ist das eine Firma mit dem Einkauf von Firma X und der Entwicklung von Firma Y. Wichtig ist, vor dem Benchmarking die Erfolgsfaktoren (Critical Success Factors) seines eigenen Geschäftes bzw. seiner Produkte zu kennen. Es macht wenig Sinn, sich auf Nebenschauplätzen, also auf für das eigene Geschäft unwichtigen Feldern mit Konkurrenten zu vergleichen. Wenn man diese unwichtigen Felder früh genug kennt, spart man sich durch die Vorauswahl überflüssige Analysen.
Benchmarking-Modelle Von Motorola [Gary Sprindis] stammt eine Art Checkliste, die gute Hilfestellung beim Nachdenken über die Erfolgsfaktoren bzw. Ergebniskriterien des eigenen Geschäfts leisten kann (Chart 120). Diese Auflistung erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Technology Reliability Competence Security Modifiability Usability Availability Performance Modularity Accuracy Efficiency Innovation Portability Maintainability Serviceability Compatibility Reusability
Chart 120
152
Responsiveness Competence Accessibility Time Modifiability Responsiveness Availability Completeness Modularity Delivery Portability Maintainability Serviceability Flexibility
Conformance Usability Performance Completeness Quality Accuracy Efficiency Delivery Price Cost Compatibility
Trust Reliability Credibility Security Quality Integrity
Eine strukturierte Checkliste für den Benchmarking-Prozess [G. Sprindis, Motorola University, 1992]: Words to trigger Ideas for Critical Business Factors
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Wichtig ist, dass mit diesen Erfolgsfaktoren häufig auch der Erfolg gemeint ist, den die Kunden eines Herstellers gegebenenfalls mit dessen Produkten und Dienstleistungen bei ihren Kunden haben oder nicht haben. Gerade beim Auffinden dieser »durchgereichten« Erfolgsfaktoren ist Kreativität angesagt. Nicht als Benchmarken bezeichnet man im Übrigen die – durchaus verbreitete – Frage: »Wer ist noch schlechter als ich?« Eine andere Art von Checkliste liefert Andersen Consulting (siehe Chart 121). Der Grundgedanke ist der Gleiche wie bei Motorola. Die Liste der hier aufgeführten Critical Performance Measures geht aber einen Schritt weiter. Bei ihr wird auf der linken Seite – wie bei Motorola – nach den gegenüber den Kunden wichtigen externen Ergebniskriterien gefragt. Auf der rechten Seite befasst sich Andersen Consulting mit den internen Treibern (Enablern) und fragt: »Welches sind die hausinternen Ursachen für Erfolge oder Misserfolge, d. h. Ergebnisse bei unseren Kunden?« Für mich ist bei Andersen Consulting wichtig, dass sich die oberen zwei Quadranten mit den Herstellprozessen befassen und die unteren zwei Quadranten mit den allgemeinen Geschäftsprozessen. Von der Motorola University stammt außerdem ein BenchmarkingModell, das sie gemeinsam mit den Firmen DEC, Boeing und Xerox entworfen hat (Chart 122). Bei diesem Modell finden wir wieder das Thema »Enabler«, hier gekleidet in die zwei Fragen:
Direct Comparative Assessment Product-/ ManufacturingProcess
• • • •
Performance statistics Quality measures Cost comparisons (product focused) Design analysis (reverse engineering)
Example: Engine valves
Technological Assessment • • • •
Example: Equipment maintenance
Direct Comparative Assessment BusinessProcess
• • • •
Financial comparison Productivity Organizational comparisons Job Design
Example: Selected product development
Competitive (external)
Performance statistics Quality measures Cost comparisons (structural) Application analysis
Detailed Functional Assessment • • • • •
Financial statistics Productivity measures Organization Strategies Resourcing comparisons Policy and procedure investigation
Example: Distribution strategies and practices
Non-Competitive (internal)
Eine strukturierte Checkliste für den Benchmarking-Prozess [nach Andersen Consulting]: Types of Benchmarking (Critical Performance Measures)
4.2 Die Suche nach den Besten (Benchmarking)
Chart 121
153
US
Chart 122 BenchmarkingModell [nach Motorola University 1993]: Analysis and Implementation for Change
2. How do WE do it?
Internal Data Collection Data Analysis External Data Collection
3. Who is Best?
Enablers
Critical Success Factors
1. What to benchmark?
4. How do THEY do it?
THEM
How do WE do it? How do THEY do it? Die Critical Success Factors sind ebenfalls in zwei Fragen gekleidet: What to benchmark? Who is Best? Die eigentliche Datenanalyse ist – wie beim Benchmarking üblich – in eine interne und eine externe Datensammlung aufgeteilt, die im Rahmen des Benchmarking miteinander verglichen werden. Der eigentliche Benchmarking-Prozess wird in dem Modell ebenfalls aufgezeigt. Es ist die Schrittfolge gemäß der Nummerierung der vier Quadranten: 1. What to benchmark? 2. How do WE do it? 3. Who is best? 4. How do THEY do it? Hinter jedem dieser Quadranten verbirgt sich ein eigener MethodenBaustein. In den Schritten eins und drei spielen die Critical Success Factors eine große Rolle; in den Schritten zwei und vier die Enabler von »uns« und den Konkurrenten.
Der Unterschied zwischen »should be« und »could be« Chart 123 zeigt im Prinzip denselben Sachzusammenhang wie Chart 75 im Kapitel 3, nämlich den Verlauf der Wirkung von effizienzsteigernden Maßnahmen, Veränderungen und Restrukturierungen auf der Basis vorhandener Ressourcen, im Chart »Current Resources« genannt.
154
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Effizienz bzw. Produktivität der Prozesse
Could be (Entitlement)
B
Should be New Resources Productivity increase > 10% p.a.
Current Resources
As is (Baseline)
A
Zeit [Jahre]
Chart 123 Der Weg von der Baseline zum Entitlement [nach Motorola University 1993]: Große Produktivitätssprünge verlangen Restrukturierung auch in NichtVerlustgebieten
Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied: Motorola belässt es im Rahmen der aus dem Benchmarking resultierenden Veränderungsmaßnahmen nicht bei der Vorgehensweise »Should be«. Und es sind auch Nicht-Verlustgebiete im Visier. Entsprechend dem, was beim Chart 47, Kapitel 2.3, im rechten Bildteil gezeigt und besprochen wurde, sowie auch Chart 48, wird hier nach neuen Ressourcen, sprich neuen Vorgehensweisen, neuen Methoden, neuen Techniken oder neuen Produkten gesucht, um Ziele aus dem Prozess-Benchmarking und dem Produkt-Benchmarking zu erreichen. Und da man den Erfolg aus dem Einsatz neuer Ressourcen nicht garantieren kann, dieser Einsatz also zwar notwendig aber nicht hinreichend ist (siehe Kapitel 1.10), heißt das angestrebte Ziel im Chart 123 »Could be«.
Reverse Engineering Sehr beeindruckend ist für mich – wegen seiner Beweiskraft und Klarheit – das sogenannte Produkt-Benchmarking, dessen wesentlicher Teil das sogenannte Reverse Engineering ist. Ein besonders anschauliches Beispiel zeigt Chart 124. Hier wird eine Gasturbine eines Herstellers B mit der eines Herstellers A verglichen. Selbstverständlich müssen für einen solchen Vergleich die wesentlichen Leistungsmerkmale der beiden Maschinen übereinstimmen, damit man sie miteinander vergleichen darf. Für das Reverse Engineering eines fremden Produkts ist Voraussetzung, dass man die Konstruktionsunterlagen dieser Produkte hat (typisch für das Anlagengeschäft). Im Produktgeschäft kann es auch ein Konkurrenzprodukt sein, das man kauft und selber auseinander nimmt und sich so Klarheit über seinen Aufbau verschafft.
4.2 Die Suche nach den Besten (Benchmarking)
155
Schnittbild / Hersteller A
Chart 124
Schnittbild / Hersteller B
Vergleich der Konstruktionen der Gasturbinen zweier Hersteller
Im hier gezeigten Beispiel aus dem Anlagengeschäft nimmt man die Konstruktionsunterlagen und lässt sie durch die eigene Fertigungsplanung und die eigene Fertigungstechnik so behandeln, als kämen diese Unterlagen aus der eigenen Produktentwicklung. Dementsprechend werden – auf der Basis angenommener Stückzahlen sowie ermittelter Vorgabezeiten und Lohngruppen – Fertigungspläne, Stücklisten usw. für alle Komponenten dieses Produkts erstellt. Man simuliert den Fall, dass man das jeweilige Fremdprodukt mit den eigenen Produktionsmitteln herstellt. Die Produkte werden in konstruktive und fertigungstechnische Subsysteme zerlegt. Im Chart 125 ist für die zwei gezeigten Gasturbinen das Subsystem »Verdichterleitteile« gezeigt. Es wurde in fertigungstechnische Komponenten aufgeteilt und für jede dieser Komponenten wurden die Herstellkosten kalkuliert und miteinander verglichen. In diesem feinen Detaillierungsgrad zeigt sich, dass die einzelnen Komponenten im Vergleich zwischen zwei Herstellern signifikant verschieden abschneiden. Die Kosten der zwei Hersteller werden gegeneinander (mit dem Kostenvolumen gewichtet) saldiert. Im Chart 125 sind dabei die Minderkosten der Verdichterleitteile des Herstellers A in summa 28%. Das Chart 126 zeigt nach dem gleichen Prinzip wie im vorangegangenen Chart die Gegenüberstellung der Untersuchungsergebnisse von ¾ der Subsysteme der beiden Gasturbinen. Hier gehen die einzelnen Subsysteme mit verschiedenen Vor- und Nachteilen ins Rennen. Die im Chart 125 ermittelten 28% Minderkosten für Hersteller A im Vergleich zu Hersteller B finden sich im Chart 125 als unterstes Subsystem wieder. Die Gesamtbilanz für diesen Gasturbinentyp ergibt, dass Hersteller A Minderkosten in Höhe von 14% hat. Was lehrt uns das soeben beschriebene Reverse Engineering?
156
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Mehrkosten Herst. A 20% 10%
100%
0%
Minderkosten Herst. A
10% 20% 30% 40% 50%
V-Leitschaufelträger/ Gehäuse
38%
V-Leitscheiben (ohne V-Leitschaufeln)
22%
33%
6% 6%
39% 45%
V-Leitapparat Vorstelleinrichtung V-Leitschaufeln
61%
27%
Rest
23% 1%
∅ -28%
Anteil am Kostenvolumen in %
Mehr-/Minderkosten in %
Chart 125 Im Subsystem »Verdichterleitteile« hat die Turbine des Herstellers A in Summe einen Kostenvorteil von 28%
Es lehrt uns, dass die Gasturbine des Herstellers A mit der Fertigungstechnik des Herstellers B 14% billiger hergestellt werden kann als die des Herstellers B. Da dabei für beide Gasturbinen die selbe Fertigungstechnik, also der selbe Stand der Technik zugrunde gelegt wurde, kann man folgern, dass der gefundene Kostenunterschied aus dem besseren Produktdesign des Herstellers A resultiert. Und diesen Unterschied im Design oder Konzept kann man auf einzelne Subsysteme zurückverfolgen. Beim Vergleich von Fremdprodukten mit eigenen kann man gegebenenfalls gezielte Änderungen am eigenen Produkt in Angriff nehmen. Hier bleibt noch nachzutragen, dass bei der fertigungstechnischen Durcharbeit eines eigenen Produkts zum Vergleich mit Fremdprodukten nicht nur die jeweilige Wertschöpfung und die dazu notwendigen angenommenen Jahresstückzahlen einbezogen werden, sondern darüber hinaus auch der in den Produkten steckende Materialanteil einem (Einkaufs-)Benchmarking unterzogen wird. Mehrkosten Herst. A 100%
80% 60% 40% 20%
Minderkosten Herst. A 0%
20% 40% 60% 80%
Brennkammer Innengehäuse (inkl. Außengehäuse)
27%
50%
Turbinenleitteile (inkl. Gehäuseanteile)
22%
11%
Turbinenlaufteile
16%
Cooler/Booster
9%
Verdichterlaufteile
9%
Verdichterleitteile (inkl. Gehäuseanteile)
17%
82% (3'31) 100% 29% (0'67)
28% ∅ -14%
Anteil am Kostenvolumen in %
Mehr-/Minderkosten in %
4.2 Die Suche nach den Besten (Benchmarking)
Chart 126 Bei den untersuchten Subsystemen hat die Turbine des Herstellers A in Summe einen Kostenvorteil von 14%
157
Für den Fachmann ist zusätzlich erkennbar, welche Mehr- oder Minderkosten des einzelnen Herstellers im Zusammenhang mit welchen Leistungsmerkmalen stehen. Häufig führen bestimmte Produktstrategien (z. B. besserer Wirkungsgrad, niedrigere Wartungskosten) ganz bewusst in bestimmten Subsystemen zu Mehrkosten und sind als solche notwendig und akzeptiert! Um das Bild abzurunden, möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Basis dessen, was wir hier soeben durchgesprochen haben, Kosten sind. Was wir dabei als Designkosten bezeichnet haben, korrespondiert exakt mit den in Chart 116, Kapitel 4.1, besprochenen »festgelegten Kosten« bzw. dem »Commitment Track«! sowie auch mit den Aussagen zu Chart 74 in Kapitel 3! Beim Benchmarken von Software-Produkten kann man die Reifegrade der zugrundeliegenden Prozesse betrachten und die Leistungsfähigkeit der Software aus Sicht der Kunden. Beim Benchmarken von Hardware-Produkten geht es um die Reifegrade der Prozesse, die Effizienz der gesamten Materialbeschaffung sowie die Übereinstimmung der Produktmerkmale mit den Kundenwünschen. Benchmarken lassen sich grundsätzlich alle Prozesse: Produzierende, administrative und dienstleistende!
4.3 Balanced Scorecard (BSC) Sehr viele Führungskräfte nutzen für ihren täglichen Gebrauch »persönliche« Messgrößen bzw. Kennzahlen, mit denen sie ihr Geschäft kontrollieren und steuern wollen. Sie sind häufig auf ein oder zwei Unterlagen von Terminkalendergröße komprimiert und werden manchmal wie ein Geheimnis gehütet. Ich selbst habe als Berater meinen Kunden ab und zu bildhafte Zusammenstellungen einiger weniger Steuerungsgrößen für ihr Geschäft empfohlen. Solche übersichtlichen, teilweise auch grafischen Zusammenstellungen nennt man Cockpit Charts.
Eine BSC verstehen Die Balanced Scorecard ist ihrer Art nach ein solches Cockpit Chart. Für jemanden, der eine BSC nutzen will, ergibt sich die Pflicht, sich über die Strategie seines Unternehmens, seines Geschäftsgebiets, seines Geschäftszweigs Gedanken zu machen und dieses auch zu dokumentieren. Die BSC enthält vier sogenannte Perspektiven (Chart 127), von denen zwei sogenannte innere Perspektiven sind, nämlich »Wissen/Mitarbeiter«
158
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Finanzen Wie attraktiv sind wir für unsere Kapitalgeber?
Kunde/Markt
Prozesse
Welchen Nutzen erwarten unsere Kunden von uns?
Wie können wir optimale Leistungen in den kundenrelevanten Geschäftsprozessen erbringen?
Welche Ziele verfolgen wir im Markt?
Wissen/Mitarbeiter Wie steigern wir Lernfähigkeit, Flexibilität und Innovation? Haupteinflusskette Zusätzliche Abhängigkeiten
Balanced Scorecard: Die vier Perspektiven der BSC sind kein Dogma, sondern können geschäftsspezifisch angepasst werden [nach R. Schnopp]
Chart 127
als die eine und »Prozesse« als die andere. Demgegenüber stehen zwei externe Perspektiven, nämlich »Kunde/Markt« und »Finanzen«. Die Finanzen fungieren als Endziele für die anderen drei Perspektiven. Alle der innerhalb der vier Perspektiven gewählten Kennzahlen sollen grundsätzlich Teil einer Ursache-Wirkungs-Kette sein, die bei den Mitarbeitern und ihrem Wissen beginnt, und die ihr Ende in den finanzwirtschaftlichen Zielen (Finanzen) findet, welche die Strategie des Unternehmens reflektieren [Jürgen Weber, Utz Schäfer]. In den vier Perspektivenkästen stehen nur Messgrößen, die inhaltlich jeweils zu dieser Perspektive passen. Selbstverständlich stehen unter »Wissen/Mitarbeiter« Messgrößen, deren Veränderungen sich auf die Messgrößen auswirken, die in der nachfolgenden Perspektive »Prozesse« angesiedelt sind. Letztere müssen also sinngemäß auf Veränderungen in den Abläufen der vorangehenden Perspektive »Wissen/Mitarbeiter« reagieren. Änderungen in den »Prozessen« müssen sich ihrerseits wiederfinden in Änderungen der korrespondierenden Messgrößen, die unter »Kunde/ Markt« angesiedelt sind. Letztlich sind die »Finanzen« in diesem Zusammenhang ein Indikator für erfolgreiches oder weniger erfolgreiches Gesamtbemühen. In Chart 127 ist angedeutet, dass es auch zusätzliche Abhängigkeiten (sozusagen Bypässe) neben der Haupteinflusskette gibt; zum Beispiel eine direkte Wirkung von »Wissen/Mitarbeiter« auf die »Finanzen« oder auf »Kunde/Markt«.
4.3 Balanced Scorecard (BSC)
159
Die Controlling-Größen, die in den vier Perspektiven der BSC eines Unternehmens auftreten, können von Zeit zu Zeit ausgetauscht werden. Aufgeführt werden dort typischerweise jeweils die Messgrößen, die in einem bestimmten Zeitabschnitt Probleme machen oder durch laufende Aktivitäten kritisch sind. Wenn also die entsprechenden Probleme durch Maßnahmen behoben sind, kann man neuere Probleme messend in die Balanced Scorecard einbringen. Häufig wird die Frage gestellt, wie denn zum Beispiel im Rahmen der Hierarchie eines Industrieunternehmens die Balanced Scorecards für die einzelnen hierarchischen Ebenen auszusehen haben. Ich habe von Geschäftsgebietsleitern gehört, die von ihren Geschäftszweigleitern das Erstellen von Balanced Scorecards verlangt haben, dann aber in Sorge waren, welches Geschäft bzw. welche »messbare« Verantwortung eigentlich für ihre »eigene BSC« übrig bleibt. Zur Beantwortung dieser durchaus berechtigten Frage gehe ich davon aus, dass Ziele und Strategien von oben nach unten in die Hierarchie kommuniziert werden (Policy Deployment). Bei dieser Gelegenheit ist es einfach zu überlegen, welche Messgrößen – über die gesamte Hierarchie hinweg – in Form von Balanced Scorecards kommuniziert werden sollten. Ich meine damit, dass es in jeder Balanced-Scorecard-Hierarchie einen alle Führungsebenen durchlaufenden »Pflichtteil« geben muss (ähnlich dem beschriebenen Policy Deployment) und einen »Kürteil«, der die ebenenspezifischen Probleme und Treiber zum Gegenstand hat. Balanced heißen die Scorecards übrigens deshalb, weil sie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den inneren Treibergrößen (»Wissen/ Mitarbeiter« und »Prozesse«) und den externen Resultgrößen (»Kunde/ Markt« und »Finanzen«) darstellen sollen. Wie in den Qualitätsmodellen ist auch im Balanced-Scorecard-Modell ein Ursache-Wirkungs-Gedanke verankert!
Wie erstellt man eine Balanced Scorecard? Man geht dabei vor wie bei allen Change-Projekten. Man gründet ein Team, in dem alle wesentlichen Bereiche des Unternehmens durch Führungskräfte vertreten sind. Man macht einen Workshop von zwei bis drei Tagen, in dessen Verlauf man sich zunächst mit der Gültigkeit einer vorhandenen oder der Installierung einer neuen Strategie befasst. Im zweiten Schritt macht man ein Brainstorming, in dessen Verlauf die Teilnehmer gemeinsam oder in Gruppen überlegen, welche eigentlich – für jede Perspektive – die Haupteinflussgrößen zur Erreichung der strategischen Ziele sind. Das Brainstorming läuft »klassisch«, indem die einzelnen Teilnehmer ihre Ideen auf Kärtchen schreiben und die einzelnen
160
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Ideen durch einen Moderator auf Magnet- oder Stellwänden zusammengestellt, d. h. geclustert werden. Bei den auf Karten niedergeschriebenen Ideen der Teilnehmer sollte es sich nicht nur um Altvertrautes handeln, sondern selbstverständlich auch um Neues und Kreatives. Chart 128 zeigt, wie in einem konkreten Fall für die Perspektive »Kunde/ Markt« alle Ideen unter acht Clustern (K1 bis K8; K steht für Kunde/ Markt) zusammengefasst wurden. Am Ende des Clusterns, das je nach Arbeitsteilung für die vier Perspektiven einen halben bis einen Tag in Anspruch nehmen kann, werden die Titel der so gefundenen Cluster selber jeweils auf eine Karte geschrieben. Chart 129 zeigt auf der linken Seite die Kunde/Markt-Cluster K1 bis K8 aus Chart 128. Auf der rechten Seite zeigt das Chart die gleichermaßen entstandenen Prozesse-Cluster P1 bis P10, unten die Wissen/MitarbeiterCluster W1 bis W9 sowie oben die Cluster F1 bis F7 der Perspektive »Finanzen«. Aufgabe im nächsten Schritt ist es, sowohl entlang des Mainstreams (Haupteinflusskette im Chart 127), als auch direkt zwischen den einzelnen Perspektiven Ursache-Wirkungs-Beziehungen herauszufinden. Hier ist es erfahrungsgemäß sinnvoll, zwischen kurzfristigen Wirkungen (schwarze Punkte) und langfristigen Wirkungen (leere Punkte in den Wirkungspfeilen) zu differenzieren, weil diese einander häufig ausschließen oder zumindest einander zuwiderlaufen (Antinomien). Die Zahl der
Kooperationen? Was ist ein Markt? Müssen wir überall sein?
Geschlossenes Länderkonzept pro Land
Neue Marktsegmente außerhalb WEST-Europas
3rd -> 2nd Indigenous Growth
Marktanteile in alten Märkten HALTEN
K1
Expansion in Südamerika
K3
Changes to our „alten Märkte“ (Deregulierung)
Globalisierung: weltweite Präsenz
Nachfrage nach Turn-Key und Systemintegration
Expansion in Osteuropa Expansion USA mit neuen Produkten
lokale Geschäftspartner
Intensivierung des ServiceGeschäftes (Kundenbindung, Spanne, Know-how, Feedback, bei IBS: Durchlaufzeiten)
Bei manchen Kunden weiterhin Anlagengeschäft (bzw. sogar Anlagenbetreiber?)
Leistungsdifferenzierung >Geschäftstypen < Globalisierung + Customer responsibility --> Handlungsbedarf
SV-Anlagen ergänzen unser Geschäft. (Spanne, Knowhow, Feedback u. Endkundennähe, Durchlaufzeiten)
OEM- Schalter in CHN Volumen für MS2: Low End
Vertriebsorganisation in CHN
fremde Partner
Akquisition von neuen Kompetenzen
Image als Kaufgrund und Marketinginstrument
Komplexität, Prioritäten
Partneranalyse
Neue Geschäftssegmente
K2
Expansion in China
Umsatzsteigerungsprojekte? Kontinuierliche
Volumenausbau... Wo immer möglich und Luftmarkt ausschöpfen
MGÜ - Mittelspannungs gleichstromübertragung
K6
Service Business: Durch Ferndiagnose, Life Cycle Support zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten heben.
Retrofit Business: Zusatzgeschäft zur Kundenbindung und weiterer Akquisition. Wirtschaftlichkeitsberechnung für Kunden
OEM - Geschäft mit V-Röhren Massiver Einfluß Deregulierung
Marketing mit eignem u. fremden Know-how
Marktanalyse: Beurteilung der Entw. von Marktanteilen
Kundenzufriedenheit: bisher keine Befragung
Maßnahmen gegen Mittelständler
K5
K4
ABB ist in allen Regionen starker Gegner
Negative Deregulierungseffekte
K7
Akquisition by Chance
K8
BSC-Clusterbildung für die Perspektive »Kunde/Markt« [nach R. Schnopp]
4.3 Balanced Scorecard (BSC)
Recloser: Einstieg in das Reclosergeschäft in NAFTA Markt
Chart 128
161
F1 Volumen F3
K1
Risikoindikatoren
Neue Märkte außerhalb WE
F4 Funktionskosten F2 Fehlleistungskosten
F5
Sach- und Anlagevermögen
F6
Vorräte
F7
Verbindlichkeiten
P10
Mittel eintreiben
P1
Zusammenarbeit im Netzwerk
P2
alte Märkte halten
K2
Neue VReg-Struktur
K3 Anlagengeschäft
P3 Engineering-Tools
K4 Marketing
Benchmarking Lücke schließen
P4
K5
K6
P5 Komplexität reduzieren
K7 Recloser
P6 Global sourcing
Deregulierung
Service
K8 Aquisition
P7
Produkt & Info-Qualität
I5
W1
Produkte für ausgew. Märkte
Technologieführung zur Imagebildung
W2
Lizenzmgmt
W3
Technologien
W4
intelligente SA, mit integriertem Schutz
W6
Wissen aufbauen
P8 E- Prozess W7
Wettbewerb nach außen
W8 Incentivesysteme überprüfen
W9
Lernen verbessern
P9 EVS
Mittel-/langfristig große Wirkung Kurzfristig große Wirkung Chart 129
BSC-Ursache-Wirkungs-Ketten mit Prioritäten [nach R. Schnopp]
Punkte bei jeder Beziehung gibt die Anzahl der jeweiligen Einflussgrößen wieder. Bemerkung: Getreu dem Grundsatz:»If you can’t close the loop, don’t start anything« ist zu empfehlen, bereits im ersten Schritt, dem Brainstorming, die Teilnehmer dazu anzuhalten, zu überlegen, wie sie die einzelnen Einflussgrößen und ihre Wirkungen (Regelkreise) messen wollen. Wenn diese Überlegung erst nach dem Clustern geschieht, kann es dem Team passieren, dass es im Rahmen des Workshops wegen Nicht-Messbarkeit einiger Einflussgrössen fast wieder bis zum Brainstorming zurückgeworfen wird!
Der Ausfiltern kontraproduktiver Prozesse Was zwar empfehlenswert ist, aber trotzdem häufig nicht gemacht wird, ist, dass man als nächsten Schritt des Workshops alle Change-Projekte, Veränderungs- und Verbesserungsmaßnahmen – oder was auch immer in dem betreffenden Bereich an nennenswerten Aktivitäten läuft – auflistet, und zwar auch hier wieder sortiert nach den zwei Kategorien kurzfristige und langfristige Wirkung.
162
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Sämtliche aufgelisteten Projekte und Maßnahmen werden nun an der im Workshop dokumentierten Strategie und an den zu messenden Einflussgrößen der Balanced Scorecard gespiegelt. Das Ergebnis sind drei Kategorien von Projekten oder Prozessen: 1. Beenden (Kill) von Projekten und Maßnahmen, die unzweifelhaft im Gegensatz zur Strategie stehen. 2. Aufschieben (on Hold) von Projekten und Maßnahmen, die zwar gemacht werden müssen, aber im Moment nicht direkt der Strategie dienen. 3. Durchführen der Projekte und Maßnahmen, die strategiekonform sind – egal ob sie kurzfristig oder langfristig wirken. Chart 130 zeigt eine Variante dieser Projektauswahl, bei der im ersten Schritt nicht nur die der Strategie zuwiderlaufenden Projekte ausgefiltert werden, sondern auch zu aufwändige oder riskante (Kill). Sehr schwierig erscheint mir das Beenden und selbst das »auf Eis Legen« (on Hold) von Projekten, in die man schon nennenswerte Ressourcen investiert hat. Dazu gehört nicht nur Mut, sondern das Durchstehen harter Diskussionen im Team. Es ist nämlich relativ wahrscheinlich, dass es innerhalb des Teams den einen oder anderen »Owner« von bestimmten Projekten und Maßnahmen gibt, der deren Fortführung verteidigen wird.
q Filtern heißt für die Entscheider sachkundig, hart und sensibel sein Der Filterprozess ist die schwierigste und wichtigste Hürde, die in dem Workshop genommen werden muss, denn • Management, das schlechte Ergebnisse hat, ist unter Druck; • Management, das unter Druck ist, neigt zu Ungeduld; • Ungeduld erzeugt bei den Betroffenen Aktionismus; • Aktionismus verschwendet – und zwar in Zeiten höchsten Ressourcenmangels – genau diese Ressourcen durch zu viele Aktivitäten.
Generation of Activities
Activities
Commitment
Strategic Filter
Prioritize Profitability?
Implementation
Go
Activities
Kill Decision making: • Alignment with Strategy? • Internal Resources? • External Environment? • Market/Competitors? • Risk/Return Assessment?
4.3 Balanced Scorecard (BSC)
Activity Overrides?
on Hold
Chart 130 BSC: Der Filterprozess [nach TGI]
163
BSC kontra EFQM Es gibt Manager, die sich mit der Frage befassen, ob die strategieorientierte Balanced Scorecard ein Teil von Qualitätsmodellen ist – also zum Beispiel beim EQA-Modell als eine Untermenge im Kriterium 2 »Politik & Strategie« verschwindet. Oder ob andererseits das jeweilige Qualitätsmodell eine Untermenge der Balanced Scorecard ist und darin perspektivengerecht aufgelöst wird. Im Anhang 3 befinden sich zwei detaillierte Gegenüberstellungen von Balanced Scorecards und dem EFQM- Business-Excellence-Modell [nach Lamotte und Carter]. Chart 131 stellt einen »Schlichtungsversuch« dieser Autoren zu obigem Streit vor: Die Balanced Scorecard – in der Vertikalen – ist zuständig für Effektivität, sprich »do the right things«. Das EFQM-Modell – in der Horizontalen – beschäftigt sich mit Effizienz bzw. der Aufforderung »do the things right«. Wenn dieses Chart in obiger Frage Ruhe stiften kann, ist es gut. Die beiden Autoren sagen: By using both models an organization can do »the right things« in the knowledge that they will be doing them well (do the things right). Allerdings ist auch hier auf die Tatsache hinzuweisen, dass alles, was wir im Management bzw. hier im Total Quality Management tun, nur notwendig für den Erfolg sein kann, aber niemals hinreichend. Im Chart 131 wird es so dargestellt, dass eine Strategie zu haben automatisch bedeutet, die richtige Strategie zu haben. Das ist nicht so. Die Balanced Scorecard als Cockpit Chart kann auch als Visitenkarte von Führungskräften dienen. Das ist möglich, wenn man ihm Rahmen des bereits erwähnten Policy Deployment die Scorecards – oder auch nur ihren Pflichtteil – aller Führungsebenen offen legt bzw. publiziert.
Non Strategic
Balanced Scorecard Strategic
Improve to minimum acceptable quality levels
Potential to cut back current investment
Improve to levels of quality excellence
Maintain high quality levels
Weaknesses Chart 131 BSC- und EFQMModell schließen sich nicht aus [nach Lamotte/Carter]
164
„Hygiene”
Competitive Advantage
Strengths
EFQM Self Assessment (Business Excellence)
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Bewertung von Führungskräften – ein Modell Chart 132 zeigt anhand eines fiktiven Beispiels eine Möglichkeit, wie man unter den vier leicht umformulierten BSC-Perspektiven • Customer Satisfaction, • Shareholder Value, • Employee Satisfaction und • Process Results die Geschäftserfolge einer Führungskraft (im Chart »Führungskraft 1«) bewerten kann. Darunter können für jede Führungskraft individuelle Funktionen und Verantwortungen frei als Bewertungskriterien definiert werden. Wichtig ist hier allerdings die folgende Unterscheidung: Customer, Shareholder und Employee sind Menschen (Human Beings), Prozesse hingegen nicht. Die Prozesse sind es, die den Erfolg des Zusammenwirkens dieser Human Beings ausmachen. Im Chart 132 ist für jede der vier BSC-Perspektiven eine Anzahl fiktiver Bewertungskriterien angegeben. Unter der Perspektive »Employee Satisfaction« wird angedeutet, dass man bei dieser Art Bewertung zum Beispiel auch eine Anleihe bei einem möglicherweise vorhandenen EFQMAssessment machen kann (hier mit einer Summe aus den EQA-Kriterien 1 »Leadership«, 3 »People« und 7 »People Results«). Weiterhin wird in dem Chart mit den unterlegten Häufigkeitsverteilungen angedeutet, dass durch die frei wählbare Form der Auswertung alle Kriterien quantitativ bewertbar sind.
Vereinbarte Ziele:
FK 1
„übertroffen“
1
„erreicht“
2
„nicht erreicht“
1
K3 On time delivery
K2 First pass yield
Process Results
K1 Cycle Time
People Results
-Krit. 7
-Krit. 3 People
-Krit. 1 Leadership
Employee Satisfaction
EFQM-
K2 Personnel Costs
Shareholder Value K1 Economic Value Added (EVA)
K3 MTBF
K2 Delivery Time
K1 Prod. Quality
Bewertungskriterien (K)
Customer Satisfaction
100%
✓ 85% 80%
✓
✓ 40% 35%
✓ 0%
Bewertung der Geschäftserfolge einer Führungskraft anhand frei wählbarer Erfolgskriterien (fiktives Beispiel)
4.3 Balanced Scorecard (BSC)
Chart 132
165
Man kann davon ausgehen, dass heute in praktisch allen Ebenen industrieller Unternehmen Mitarbeiterbewertungen üblich sind. Diese richten sich teils an deren persönlichen Eigenschaften aus, ganz wesentlich aber an dem Erreichen mit ihnen vereinbarter Ziele. Es wird also kaum besonderen Widerstand hervorrufen, Mitarbeiter auf Basis des im Chart 132 leicht modifizierten BSC-Modells mit den drei »Noten« • »Ziele nicht erreicht« • »Ziele erreicht« • »Ziele übertroffen« zu bewerten. Wichtig scheint mir, dass die im Chart rechts gezeigte Summennote (für die Führungskraft 1) »vereinbarte Ziele« vollkommen unabhängig davon ist, welche BSC-Perspektiven gewählt wurden, und das heißt, welche Vorgaben, welche Werte, welche Maßnahmen usw. zwischen dem Vorgesetzten und den hier jeweils zu bewertenden Mitarbeitern abgesprochen wurden. Der einzelne Mitarbeiter wird lediglich danach beurteilt, ob und mit welcher Häufigkeit er seine Ziele erreicht, nicht erreicht oder übertrifft (Reifegradmodell!). Der Vorgesetzte, der seine Mitarbeiter beurteilt, kann sich ein Bild machen bzw. beurteilen, wie viel Prozent seiner Mitarbeiter die mit ihm vereinbarten Ziele erreicht, nicht erreicht oder übertroffen haben. Und genau diesen letzten Aspekt kann man dazu benutzen, Führungskräfte insbesondere auch danach zu beurteilen, wie erfolgreich deren Mitarbeiter sind (Visitenkarte). In den Diskussionen, die ich zu diesem Beurteilungsmodell geführt habe, wurde mir entgegengehalten, dass eine Führungskraft die Ziele für seine Mitarbeiter nur niedrig genug ansetzen muss, damit sie selbst gut da steht. Dieser Einwand ist fragwürdig. Es kann nämlich nicht sein, dass eine Führungskraft auf Dauer nach dieser Methode hervorragend abschneidet, wenn sie gleichzeitig durch zu niedrig angesetzte Ziele miserable Geschäftsergebnisse abliefert. Letztlich können natürlich – wie schon erwähnt – in den Bewertungskriterien des Charts 132 neben den qualitativen auch messbare Fakten aufgeführt werden, wenn es die Betroffenen wollen. Ein wesentlicher Vorteil des präsentierten Bewertungsmodells ist, dass es unabhängig ist von kulturellen und regionalen Einflüssen. Chart 133 zeigt in Fortsetzung des Charts 132, wie man die auf die einzelnen Personen bzw. Führungskräfte bezogenen Bewertungen verdichten kann. Rechts im Chart wird versucht, ein weiteres Gegenargument zu entkräften, dass nämlich ein Quervergleich über verschiedene hierarchische Ebenen nicht möglich ist.
166
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
FK n
FK
FK
FK 2
Anspruchsniveau
Unterste Führungsebene
Process results
Shareholder Value
Employee Satisfaction
Customer satisfaction
FK 3
Erreichte Ziele FK 1
Beurteilungsaspekte
Auswertung aller FK eines Geschäftsereichs FK 1
Beurteilung einer FK (hier der FK 1)
1
Mittlere Führungsebene
2
n roffe übert Ziele ht erreic Ziele
2
nic Ziele
1
Direktionskreis
1
w. s u
Oberer Führungskreis
eicht ht err
1
Gesamtbewertung eines Geschäftsbereichs: die für die einzelnen Führungskräfte individuell definierten Anspruchsniveaus sind von ihren Funktionen und Verantwortungen abhängig
Chart 133
Das Chart veranschaulicht auch ganz deutlich das, was man schon immer getan hat: Wenn Mitarbeiter befördert wurden, hat man das Anforderungsniveau an sie dadurch erhöht, dass man die »Noten« bzw. Leistungsprozente in der Leistungsbewertung (vgl. Chart 13 z. B. für gewerbliche Mitarbeiter) im Rahmen der Beförderung automatisch herabsetzte. Auch bei tariflichen Angestellten ist es üblich, dass beim Wechsel in eine höhere Tarifgruppe die Leistungsbeurteilung strenger wird und damit die Leistungsprozente zunächst sinken.
ich
ht reic t er
4.3 Balanced Scorecard (BSC)
Employee
Processes 200 2680 265
Shareholder 600
1745
2100
1000
445
500 2345 300
le n Zie
400
3045 8125
ht rreic le e Zie
1410
gesamt
200 ffen rtro übe Ziele
700
Customer
Gesamtkonzern
200
gesamt
Geschäftsbereich Direktionskreis
Oberer Führungs-kreis
Mittlere Führungsebene
Unterste Führungsebene
Anforderungsniveau
Chart 134 Verschiedene Auswertungsmöglichkeiten zur Zielerreichung von Führungskräften für einen Gesamtkonzern
167
Unabhängig vom steigenden Anspruchsniveau werden auf allen Führungsebenen Ziele »nicht erreicht«, »erreicht« oder »übertroffen«. Das ist völlig normal und muss so sein, es ist sozusagen ein Standard. Chart 134 zeigt in Fortsetzung der Charts 132 und 133, wie sich nach der hier gezeigten Methode ein »Chef« eines Gesamtkonzerns oder eines Geschäftsbereiches relativ einfach einen gesamten Überblick über das Verhalten oder auch die Erfolge seiner Führungskräfte verschaffen kann. Damit ist es zum Beispiel möglich, die Beurteilungen der einzelnen Führungskräfte eines Bereichs so zu sortieren, wie es im Chart 134 rechts beispielhaft anhand von Kopfzahlen dargestellt ist. Das heißt, dass eine gesonderte Bewertung des Gesamtkonzerns zum Beispiel für jede der verwendeten BSC-Perspektiven des Charts 127 möglich ist.
4.4 Vernetzen und Verbreiten von Wissen Die vielfältigen Aussagen zu den neuen IT-Verfahren und ihren Anwendungsmöglichkeiten in Politik, Handel, Medien und Industrie erinnern ein wenig an die Anfänge des Einsatzes von Datenverarbeitung mit ihren damals vergleichsweise vielen neuen Möglichkeiten. Für die einen war Datenverarbeitung »nichts Besonderes«, für die anderen eine »Wunderwaffe« insbesondere in Sachen Produktivitätssteigerung. Viele Vertreter der zweiten Meinung prophezeiten damals, dass die Datenverarbeitung der größte »Jobkiller« aller Zeiten werden würde. Spätestens beim Durchwandern der Hallen der ersten CEBIT-Messe in Hannover konnte man aber ahnen, dass dem nicht so war, sondern dass hingegen erst einmal Jobs geschaffen werden sollten. Viele der nennenswerten Nutzen versprechenden DV-Verfahren wurden dem Markt in großer Zahl unabhängig und parallel angeboten – ich spreche hierbei von DV-Verfahren zur Steigerung der Effizienz von Geschäftsprozessen! Es gab dann die Welle der sogenannten »Artifical Intelligence« (AI-)Verfahren, von deren Anwendung manche Manager annahmen, dass sie damit Wunder vollbringen könnten, sogar ohne diese Verfahren verstanden zu haben. Tatsache ist aber: Zu jeder Zeit setzten und setzen hochkarätige DV-Verfahren eine intime Kenntnis ihrer Funktionsweise bei demjenigen voraus, der die in ihnen steckenden Möglichkeiten anwenden will.
q Ohne Üben bleiben wir Dilettanten Wer nutzt zum Beispiel auch nur die relativ wenigen in seinem Elektroherd oder seiner Waschmaschine steckenden, intelligenten Programmvarianten? Wer nutzt die Möglichkeiten einer modernen intelligenten TelefonNebenstellenanlage? Wie viele von uns nutzen vor allem die zahllosen Anwendungsmöglichkeiten der in unseren privaten Rechnern steckenden Standard-Software?
168
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
Bei den vielen Möglichkeiten, die in Handys stecken, ist es anders, denn diese werden auf jeden Fall von unseren Kindern genutzt. Und was machen diese Kinder mit den Handys? Sie spielen und üben, üben und spielen mit ihnen. Anders formuliert: Wer die Schönheit eines Steinway zum Klingen bringen will, muss Klavierspielen üben und lernen.
Unkontrolliertes Verbreiten von fehlerfreien und fehlerbehafteten Daten oder Informationen Wenn ich mir die Kommunikations-Gepflogenheiten innerhalb des Internets oder der Intranets oder ganz allgemein innerhalb der modernen Kommunikationsmedien anschaue, dann fällt mir ein Ausspruch ein, den Peter F. Drucker einmal vor vielen Jahren gemacht hat: Information is the modernest kind of pollution. Lassen Sie mich noch einmal auf das Chart 49 in Kapitel 2.3.1 zurückkommen und den dort erläuterten First Pass Yield. Der First Pass Yield beschreibt folgenden Vorgang: Jemand gibt ein Ergebnis seiner Arbeit an einen Nachfolger weiter und stellt sich vorher die Frage, ob das, was er weitergeben will, fehlerfrei ist. Die Weitergabe kann dabei auch an eine dem Absender bekannte, größere Anzahl von Abnehmern erfolgen (zum Beispiel über eine Mailing-List). Bei der Nutzung von Vernetzung und hierbei insbesondere bei der gemeinsamen Belieferung oder Benutzung von Datenbanken kommt dem First Pass Yield eine besondere Bedeutung zu, denn hier kann die Abnehmerzahl von einmal ins Netz hinein gegebenen Daten oder hinein gegebenen Ergebnissen unüberschaubar groß sein. Sofern also die Eingabe nicht fehlerfrei ist, kann sie eine Unmenge von Folgefehlern verursachen! Das alte DV-Prinzip GIGO (»Garbage In – Garbage Out«) ist dann offenbar nicht mehr gültig, sondern es besteht eher die Gefahr von Super-GIGOs! Ein weiteres Prinzip gilt im Übrigen heute noch genauso wie zu Beginn des Einsatzes von Datenverarbeitung: DV- bzw. IT-Verfahren sind nur so gut wie ihr aus Prozessen bestehendes, organisatorisches Umfeld.
Knowledge Worker Ein Thema in diesem Zusammenhang ist zum Beispiel das Aufbauen von Wissensdatenbanken. Zu ihnen kann zwar jeder (berechtigte) Nutzer freien Lesezugriff haben, aber nicht jeder darf hineinschreiben. Diese Regelung bedarf einer wasserdichten Organisation. Die Dateneingabe in eine Wissensdatenbank muss darüber hinaus von kompetenten »Wärtern« gefiltert werden. Diese Knowledge Worker sind für Niveau und Qualität des gespeicherten Wissens zuständig und dafür, dass sich nicht mit der Zeit in dieser Datenbank veraltete oder nutzlose Daten ansammeln (Datenmüll).
4.4 Vernetzen und Verbreiten von Wissen
169
In Wissensdatenbanken darf man also nicht nur Daten hineingeben. Nicht zuletzt als eine Nebenwirkung der Halbwertszeit von Wissen (siehe Kapitel 1.3; Chart 1) muss dafür Sorge getragen werden, dass regelmäßig nicht mehr aktuelle oder sogar falsch gewordene Datenbestände wieder herausgenommen werden. Das war schon immer bei allen Arten von Beständen so. Und wie zum Beispiel bei Lager-Beständen üblich, kann man auch bei der Informationstechnik sogenannte Bewegungskennziffern einführen. Diese veranlassen von sich aus, dass Datenpakete oder Informationen, die eine bestimmte Zeit – nehmen wir zum Beispiel an, zwei Jahre lang – nicht mehr benutzt wurden, zur Begutachtung ausgeworfen werden. Wir erhalten dadurch die Chance, sie zu überarbeiten oder ganz herauszunehmen. Der Aufbau des organisatorischen Umfeldes für neue DV-Verfahren (z. B. im Bereich der Verwaltung) kostete früher genauso viel wie die Erstellung der Verwaltungssoftware selbst. Daran hat sich nicht viel geändert; will sagen, dass auch heute die Kosten für die Erstellung z. B. geeigneter IT-Verfahren und die für die Organisation des dazu gehörenden Umfeldes in der gleichen Größenordnung liegen. Zu diesem Aufwand an Geld kommt dann auch noch die notwendige Kreativität und Kraft zur Überwindung von Widerständen, wenn das Ganze nutzbringend laufen soll. Und noch etwas erscheint mir wichtig: Wir haben durch Vernetzung, Mailing-Lists usw. die Möglichkeit, große Datenmengen gezielt an eine beliebige Anzahl von Empfängern zu versenden. Dennoch besteht auch weiterhin der Grundsatz: Wissen ist eine Holschuld.
q Weitergeben geistigen Kapitals muss belohnt werden Auch weiterhin wird von allen Mitarbeitern und Führungskräften erwartet werden, dass sie das Aneignen sowie die Nutzung und Pflege des zu ihrer Arbeit gehörenden (Fach-)Wissens zu ihren ureigensten Pflichten zählen! Neu ist, dass heute im Rahmen von Knowledge Management insbesondere auch die messbare Weitergabe persönlichen Wissens (Knowledge Turnover) wesentlich zum Wettbewerbsvorteil der jeweiligen Unternehmung beitragen kann. Und das ist in Blickrichtung »Geistiges Eigentum« alles andere als selbstverständlich. Und noch etwas, das häufig unklar bleibt: Knowledge Management is People Management. Everything else is Information Management!
Die Kompetenz der Mitarbeiter Ziel des Knowledge Managements ist nicht nur, die Kompetenz der Mitarbeiter und Führungskräfte voll zu nutzen und gegebenfalls weiter entwickeln zu helfen.
170
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
• Wissen • Fertigkeiten • Erfahrung • Neugierde • Status • Selbstvertrauen • Wertvorstellungen • Motive • Mut • Begeisterung
Chart 135 Mitarbeiterkompetenz ist nicht da – sie muss freigesetzt werden
Chart 135 veranschaulicht, dass man zwar die Kompetenz eines Mitarbeiters definieren kann als die Summe seines »Wissens«, seiner »Fertigkeiten« (Skills) und seiner »Erfahrung«, dass das aber nicht genug ist. Das heißt: Das Wissen, die Fertigkeiten und die Erfahrungen unserer Mitarbeiter zu nutzen, setzt voraus, dass wir dabei bereit sind, die emotionalen Einflüsse zu beherzigen, unter denen die Mitarbeiter jeweils stehen (das heißt den verdeckten Teil des im Chart gezeigten Eisbergs)! Sonst werden wir wenig Erfolg haben. Die Deutsche Bank [Silvia Steffens-Duch] kommt nach meiner Meinung mit ihrer Betrachtungsweise dieser Zweiteilung sehr nahe. Sie setzt – wie allgemein üblich – den oberen Teil des Eisbergs gleich Kompetenz und den unteren – sozusagen als Ergebnis aller emotionalen Einflüsse – gleich »Commitment«. Und sie definiert: Geistiges Kapital = Commitment x Kompetenzen Beide Einflussgrößen haben gleiches Gewicht. Ihre multiplikative Verknüpfung bewirkt, dass beide Größen einen nennenswerten Betrag haben müssen, wenn auch ihr Produkt, das geistige Kapital, eine nennenswerte Größe haben soll!
Verbreitung neuer Erkenntnisse Lassen Sie mich abschließend zum Thema »Vernetzen und Verbreiten von Wissen« und zur Anschauung noch einen kleinen Ausflug in den Bereich der Wissenschaft machen [Kinji Imanishi].
q Wie sich Erkenntnisse ausbreiten Eine Affengruppe auf der Insel Koshima wurde im Rahmen eines Forschungsvorhabens von einer Forschergruppe ab 1952 regelmäßig mit Süßkartoffeln gefüttert. Im Herbst 1953 wusch das eineinhalbjährige Affenmädchen Imo erstmals die schmutzigen Süßkartoffeln im Wasser eines Baches, ehe es sie
4.4 Vernetzen und Verbreiten von Wissen
171
verzehrte. Einen Monat später fing einer von Imos Spielgefährten an, ebenfalls Süßkartoffeln zu waschen. Nach vier Monaten übernahm es auch Imos Mutter. Durch täglichen Kontakt zwischen Müttern, Kindern und Vätern breitete sich diese Sitte aus. 1957 – also nach vier Jahren – wuschen 15 der insgesamt 60 Tiere der Gruppe ihre Kartoffeln. 1962 konnten es 42 von 59 Tieren. Nach zehn Beobachtungsjahren (Ende 1963) wurde das von einem Tier erfundene Kartoffelwaschen zum üblichen Essverhalten dieser Affengemeinschaft. Eine Ausnahme bildeten nur die Kleinkinder sowie die alten, ranghöchsten Männchen.
172
4 Business Excellence – Das Führen von Geschäften
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Quality-Award-Modelle erheben den Anspruch, Business- oder Management-Excellence-Modelle zu sein. Ich habe deshalb fünf Bewerbungen um den European Quality Award (EQA) aus vier Jahren ausgewählt und in diesen Bewerbungen die zwei Kriterien Führung (1) und Mitarbeiter (3) untersucht (siehe Chart 63, im Kapitel 2.4.1).
Führungsverhalten und Mitarbeiterorientierung im EFQM-Modell Die Bewerber, fünf europäische Firmen (4 Award Winner, 1 Finalist), geben in diesen beiden EQA-Kriterien Hinweise auf das, was von ihnen
Manager werden trainiert Manager selbst als Trainer Manager persönlich involviert in Projektarbeit Kommunikation
Policy Deployment
Role Model
Seek Feedback (Assessment) Self Assessment Walk the Talk
Dialog
Accessibility / Open Door Personal Feedback
Empowerment
Entscheidungen delegieren Involvement / Commitment fördern
MA-Entwicklung
Recognition Selection/Promotion Skill Changes / Training Review Performance
HR Planning
Based on Policy Deployment / Strategy Succession Plans Depending on Market and Technology Trends
Values
Attitude Culture
Recruiting Learning Organization
Auswertung der EFQM-Kriterien 1 und 3 aus 5 EQA-Bewerbungen (von 1992 bis 1999)
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Chart 136
173
unter »guter Führung« (Leadership) und unter guter Mitarbeiter-Führung (People) verstanden wird (Chart 136). Die im Chart gezeigten Hinweise bzw. Aussagen wurden von mir ohne Gewichtung geclustert. Sie finden in den geclusterten »Soft Facts« die im Vorangegangenen immer wieder angesprochenen Merkmale guter Führung, und Sie erkennen, dass insbesondere dem Führen von Menschen eine herausragende Bedeutung zukommt.
Die GE-Matrix – das Fortschreiben von Werten Die »Jack-Welch-Matrix« (siehe Chart 137) von General Electric (GE) ist seit vielen Jahren bekannt. Bewusst vereinfachend könnte man deuten: • Das »Erreichen gesetzter Ziele« (im Original: »Achieves defined Targets«) betrifft Business Excellence bzw. das Führen von Geschäften. Dazu gehört notwendigerweise Fachkompetenz. • Das »Teilen von Unternehmenswerten« (im Original: »Believes in Corporate Values«) betrifft Leadership Excellence bzw. das Führen von Menschen. Dazu gehört notwendigerweise Emotional Intelligence. Im ersten Quadranten links oben, in dem sich die Führungskräfte befinden, die die gesetzten Ziele erreichen und die die Unternehmenswerte teilen, ist die Luft sehr dünn. Die Führungskräfte aus den zwei angrenzenden Quadranten machen diesen Führungskräften Druck. Eine echte Chance bekommen also offenbar die Führungskräfte, bei denen zwar das emotionale Verhalten, nicht aber die Ergebnisse stimmen. Deren »zweite Chance« in einem anderen Bereich ist größer als eine solche in ihrem bisherigen Bereich wäre. Wie ernst ein Unternehmen das Wertethema nimmt, kann man insbesondere auch daran erkennen, was mit den Führungskräften passiert, die zwar ihre gesetzten (wirtschaftlichen) Ziele erreichen, aber die Unternehmenswerte nicht teilen (In der GE-Matrix steht dort einfach: »Help
Die Führungskraft
... erreicht gesetzte
Chart 137 GE-Beurteilungsportfolio für Führungskräfte (1995): Diese »Jack-Welch-Matrix« macht deutlich, was mit Führungskräften geschieht, welche die Unternehmenswerte nicht leben
174
...teilt die Unternehmenswerte
"onward and upward"
" ... help them to change or out"
"... gets a second chance in a different environment"
"...out"
Ziele
... erreicht gesetzte Ziele nicht
...teilt die Unternehmenswerte nicht
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
them to change or out«). Die Frage ist schließlich, ob ein Unternehmen, das wirtschaftlich in Not ist, es sich tatsächlich »leistet«, eine der möglicherweise wenigen Führungskräfte, die für die Firma Geld verdienen, wegen ihres Führungsstils aus ihrer Stellung zu entfernen. Auf der anderen Seite kann man sagen, dass diese Matrix, wenn nicht auch diese Konsequenz gezogen wird, nur eines der vielen »Schönwetter-Modelle« wäre. Alles in allem erzeugt(e) GE durch das Vergeben echter Chancen in den zwei angrenzenden Quadranten dort ganz bewusst Nachwuchs bzw. Anwärter auf den ersten Quadranten. Wie das Wertesystem von GE für Führungskräfte aussieht, zeigt Chart 138. Dieses Wertesystem wird seit 1983 immer wieder fortgeschrieben. Die in dem Chart fett gedruckten Begriffe sind das GE-Wertesystem. Sie dienen einer 360-Grad-Beurteilung aller GE-Führungskräfte (siehe Chart 139) Was anhand der GE-Matrix in Chart 137 klar wird: Die »erreichten Ziele« sind vergangenheitsbezogen, sind »Results«. Hingegen ist das »Teilen der Werte« zukunftsorientiert, das heißt (wenn die Betroffenen davon überzeugt sind) ein Treiber! Werte, sofern sie als Treiber wirken, werden häufig unter dem Begriff Motivation subsumiert.
• Create a clear, simple, reality-based, customer-focused vision and are able to communicate it straightforwardly to all constituencies. • Understand accountability and commitment and are decisive ... set and meet aggressive targets ... always with unyielding integrity. • Have a passion for excellence ... hate bureaucracy and all the nonsense that comes with it. • Have the self-confidence to empower others and behave in a boundaryless fashion ... believe in and are committed to Work-Out as a means of empowerment ... are open to ideas from anywhere. • Have, or have the capability to develop, global brains and global sensitivity and are comfortable building diverse global teams. • Stimulate and relish change ... are not frightened or paralyzed by it. See change as opportunity, not just as a threat. • Have enormous energy and the ability to energize and invigorate others. • Understand speed as a competitive advantage and see the total organizational benefits that can be derived from a focus on speed.
Das GE-Wertesystem für Führungskräfte spiegelt einen Teil der Geschichte von GE
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Chart 138
175
Beurteilungskriterien Wer beurteilt wen? Chef
Chart 139 Die 360-GradBeurteilung bei GE: A »powerful Tool for Detecting and Changing Those who smile up and kick down«
360° Beurteilter
Kollegen Kunden
• • • • • • • • • •
Vision Customer-/Quality-Focus Integrity Accountability/Commitment Communication Shared Ownership / Boundaryless Team Builders / Empowerment Knowledge/Expertise/Intellect Initiative/Speed Global Minded 1
5
Significant Development Gap
Mitarbeiter
Challenging Strength
Welch: „It works“
Gestatten Sie mir dazu eine Bemerkung: Wenn man Kleinkinder die ersten eineinhalb Jahre beobachtet, wird man unschwer feststellen, dass sie vollkommen selbständig ein unglaublich vielfältiges und teilweise beschwerliches »Programm« absolvieren. Ich sage, die Kinder sind hochmotiviert, und folgere daraus, dass Motivation ein Instinkt ist. Ich bin überzeugt, dass die dann folgenden Jahre im Leben eines Kindes insbesondere in unserer hochorganisierten westlichen Welt dazu angetan sind, die Kinder zu demotivieren. Sie werden permanent mit für sie meist unverständlichen Beschränkungen konfrontiert. Einen weiteren Part in der Demotivation übernehmen jene Schulen, die es für eine Hauptaufgabe halten, den Schülern ihre Fehler nachzuweisen und nicht, ihre Stärken zu fördern. Ich meine also: Erwachsene zu motivieren ist nur Abbau von Demotivation. Wenn man nun überzeugt ist, dass »gut geführte« (sprich motivierte) Mitarbeiter den Geschäftsergebnissen nutzen und dass gleicherweise »schlecht geführte« (sprich frustrierte) Mitarbeiter den Geschäftsergebnissen schaden, dann beeinflussen diese Mitarbeiter durch ihr Verhalten wiederum den Erfolg dieser ihrer eigenen Führung – ob diese es will oder nicht! Exzellente Menschenführung und geschäftliche Erfolge sind also miteinander korreliert, das heißt, beeinflussen sich gegenseitig
q Was ist eine schlechte Führungskraft? Wenn ich in meinem Berufsleben gegenüber Führungskräften, mit denen ich zusammen arbeitete, zu einer negativen Einschätzung kam, war die Ursache fast immer eine Kombination aus zwei Eigenschaften dieser Führungskräfte: Inkompetenz und Menschenverachtung.
176
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Nun zurück zum GE-Wertesystem und dem Chart 138. Die CustomerFocused Vision hat dort als Vision offenbar »Bodenhaftung«. Sie wird als eines unter vielen Bewertungskriterien für Führungskräfte eingeordnet. Das heißt, sie ist weder »hinreichend« noch »notwendig« (siehe Kapitel 1.10), geschweige denn ein Wundermittel.
Visionen – vom Mythos zu semantischen Exerzitien In dem Buch »Built to last« von J. C. Collins und J. I. Porras wird der Begriff »visionary« interessanterweise gleichbedeutend gesetzt mit »authentisch« und der Fähigkeit, permanent eine Gratwanderung zwischen »Bewahren« und »Wandel« zu meistern (siehe Chart 140). Mir erscheint das ähnlich wie die Fähigkeit zur »straff–lockeren« Führung (siehe auch Chart 105, Kapitel 4). Das Buch führt im Untertitel den Begriff »Visionary Companies«. Das ist insofern interessant, als in eben diesem Buch geschrieben steht: No specific ideological content essential to being a »Visionary« Company was found. Außerdem werden in dem Buch zwölf nicht bestätigte Mythen über »Visionary Companies« aufgezählt (siehe Chart 141), und als zwölfter Mythos wird zitiert: Companies become Visionary Companies primarily through Vision Statements. Das Chart zeigt letztlich, dass jeglicher Alleinanspruch darüber, wie man eine exzellente Company wird, ein Mythos ist. Ich für meinen Teil finde in diesen zwölf Statements etwas bereits am Anfang dieses Buches Gesagtes wieder, nämlich, dass es keine hinreichenden Rezepte für Erfolg gibt, immer nur notwendige.
Some companies made their customers central, others did not. Some companies made concern for their employees central, others did not. Some companies made products or services central, others did not. Some companies made audatious risk taking central, others did not. Some companies made innovation central, others did not. The authenticity of the ideology and the extend to which a company aligns with it counts more than the content of the ideology. Visionary Companies continually remind themselves of the crucial distinction between „core“ and „noncore“, between what should never change and what should be open for change.
Was ist ein visionäres Unternehmen?
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Chart 140
177
1. It takes a great idea to start a great company. 2. Visionary companies require great and charismatic visionary leaders. 3. The most successful companies exist first and foremost to maximize profits. 4. Visionary companies share a common subset of „correct“ core values. 5. The only constant is change. 6. Blue-chip companies play it save. 7. Visionary companies are „great“ places to work, for everyone. 8. Highly successful companies make their best moves by brilliant and complex strategic planning. 9. Companies should hire outside CEOs to stimulate fundamental change. 10. The most successful companies focus primarily on beating the competition. 11. You can‘t have your cake and eat it too. 12. Companies become visionary primarily through vision statements.
Chart 141
Zwölf unbestätigte Mythen über visionäre Unternehmen
Nach meiner Erfahrung werden als »Vision« häufig Formulierungen verwendet, die ihrer Art nach eigentlich Ziele oder Strategien sind. Ich meine: • Visionen sollten Werte enthalten, von denen die Betroffenen überzeugt sind, die somit deren Emotionen ansprechen. • Visionen sollten »Biss« haben. • Visionen, die aus sogenannten Visionsworkshops stammen, sind meist Allgemeinplätze. Das ist einsehbar, wenn man sich den üblichen Ablauf dieser Workshops vor Augen hält. Zunächst verfasst jeder Teilnehmer ein paar sehr persönliche und »kantige« Formulierungen. Danach wird an diesen Formulierungen der einzelnen Workshopteilnehmer gegenseitig so lange herumkritisiert (semantische Exerzitien), bis ihr Inhalt den Vorstellungen aller Teilnehmer fast gerecht geworden ist.
Frederick Herzberg – The Motivation to work Mitarbeiter zu motivieren ist – wie wir gesehen haben – eine gute Voraussetzung für effiziente Zusammenarbeit, mehr Engagement und mehr Commitment für das Unternehmen. Welche Einflüsse Mitarbeiter motivieren, welche nicht, und welches »Hygienefaktoren« sind, ist spätestens seit 1959 bekannt. Damals erschien »The Motivation to Work« von Frederick Herzberg. Die Untersuchungen von Herzberg liefen in Form von Interviews und waren methodisch eine Variation der »Critical Incident Technique« [John C. Flanagan].
178
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Ein einzelnes Interview setzte sich aus mehreren »Sequenzen« zusammen. Jede Sequenz bestand aus der Protokollierung der Antworten auf 14 präzise vorformulierte Fragen (Patterned Interview). Jede beantwortete Sequenz hieß »Story«. Die Stories wurden im Hinblick auf häufig erscheinende Job Attitude Factors untersucht und anschließend nach drei Dimensionen klassifiziert. Dimension 1:
Die Häufigkeit des Erscheinens (Percentage of Appearance) bestimmter Begriffe (Motivating Factors) in den einzelnen Stories.
Dimension 2:
Die entweder negative oder positive Einstellung (Job Attidude) gegenüber der eigenen Arbeit, und in deren Abhängigkeit der jeweilige Faktor aus der Dimension 1 erwähnt wurde.
Dimension 3:
Die Dauer (Duration of Feeling) des negativen oder positiven Eindrucks (Dissatisfiers oder Satisfiers).
Die fünf ersten High Job Attitudes sind auf die Arbeit selbst fokussiert: Achievement, Recognition, Work itself, Responsibility und Advancement. Die vier folgenden Low Job Attitudes – mit Ausnahme des Faktors »Salary« – richten sich vor allem auf den Kontext, das heißt die Arbeitssituation: Company Policy and Administration, Supervision-technical, Interpersonal Relations-Supervision und Working Conditions. Sehr häufig kommen im Rahmen der von Herzberg und seinem Team erfragten Job Attitudes »Work itself« oder »Responsibility« Forderungen • nach kreativer oder herausfordernder Arbeit, • nach Abwechslung und • der Möglichkeit, eine Arbeit von Anfang bis Ende durchführen zu können; oder der Wunsch, • ohne »Supervision« zu arbeiten, • für den eigenen Arbeitsaufwand selbst verantwortlich zu sein, • Verantwortung für Andere übernehmen zu dürfen oder • überhaupt eine neue Art von Eigenverantwortung aufzubauen. Mitarbeiter beschweren sich viel häufiger über zuwenig Arbeit als über zuviel. »Working conditions«, »Administration« und »Supervision« werden als die hauptsächlichen Dissatisfiers wahrgenommen mit wenig positiven Auswirkungen. Korrelationsanalysen der Interview-Ergebnisse zeigen, dass die Satisfiers, die zur positiven Einstellung zur Arbeit, also zu High Job Attitude füh-
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
179
ren, dieses tun, weil sie zur Selbstverwirklichung (Self-Esteem) der Betroffenen beitragen. Auf der anderen Seite ist das Beseitigen von Dissatisfiers – wie in der Hygiene – nur in der Lage, vor Missständen zu bewahren, diese zu beheben oder zumindest soweit zu verbessern, dass sie nicht mehr störend wahrgenommen werden. Ein Ergebnis aus Sicht der Betroffenen ist: Correction of poor hygiene or the application of monetary incentives – not related to (any) motivators – may return performance (only) to the norm! Neben den Erfolgen (Achievement) und der Anerkennung (Recognition) sind die Arbeit selber (Work itself) und die überlassene Verantwortung (Responsibility) die zwei am längsten anhaltenden Motivatoren! Daraus können wir schließen, dass das Kommunizieren von Unternehmenszielen, das heißt das mittlerweile weit verbreitete »Policy Deployment«, keine Einbahnstraße bzw. nur Information von oben nach unten sein darf. Die Mitarbeiter wollen Verantwortung übernehmen und im Rahmen des Policy Deployment mitentscheiden dürfen (siehe auch Chart 93, Kap. 3.4).
Die Bezahlung bzw. der Verdienst (Salary) ist der klassische Hygienefaktor schlechthin Verdienst, das heißt das Geld, ist ein nur ganz kurz wirkender Motivator. Ein als zu niedrig empfundener Verdienst ist ein – damit verglichen – länger anhaltender Demotivator.
q Die Ohnmacht der Hygiene Die Wortwahl »Hygienefaktor« stammt aus dem medizinischen Bereich und ist leicht übertragbar. Gute Hygiene (oder in unserem Fall das Vermeiden bzw. Ausschalten von schlechter Hygiene) kann viele Krankheiten verhindern, aber gute Hygiene kann diese Krankheiten nicht heilen! Die Erkenntnisse von Herzberg und seinen Co-Autoren sind seit vier Jahrzehnten bekannt und unangefochten. Trotzdem werden sie offenbar immer wieder in Frage gestellt. In den meisten Fällen werden sie sogar ignoriert – zum Beispiel in den vielen Mitarbeiterbefragungen (People Satisfaction Index), Stimmungsbarometern und Ähnlichem, die sich ausschließlich mit den Working Conditions, das heißt mit Hygienefaktoren befassen. Noch erstaunlicher ist, dass man immer wieder versucht, durch Mitarbeiterzufriedenheit, das heißt falsch verstandene Motivation der Mitarbeiter (also auf der Hygieneseite!) die Veränderung von Unternehmen zu bewirken, obwohl Herzberg bewiesen hat Hygiene is not enough!
180
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
5.1 Werte oder »Business is Business?« Neu formulierte Visionen oder Werte eines Unternehmens müssen in irgendeiner Weise mit den bisherigen Visionen und Werten korrespondieren. Wenn das nicht so ist, sind sie unglaubwürdig und erzeugen bei den betroffenen Mitarbeitern Misstrauen! Diese durchaus nachvollziehbare Erkenntnis stammt aus jahrzehntelangen Untersuchungen des Amerikaners Brian P. Hall, der das zur Grundlage seiner Value Tracks gemacht hat. Hall definiert dazu acht Stufen (Stages) unterschiedlicher Reifegrade, die ein Unternehmen durchlaufen kann. Es sind der Reihe nach: Stage 1 = Safety Stage 2 = Security Stage 3 = Family Stage 4 = Institution Stage 5 = Vocation Stage 6 = New Order Stage 7 = Wisdom Stage 8 = World Order. Halls einzelne Werte sind jeweils Repräsentanten nur eines der obigen acht Reifegrade. Seine Value Tracks sind sich durch diese acht aufeinander folgenden Reifegrade hindurchziehende und immer wieder in den verschiedensten Unternehmen gefundene Werteketten (siehe Chart 142). Das Bild zeigt an drei typischen Beispielen die jeweils einen Track bildenden, einzelnen kulturellen Werte. Die dazugehörigen Zahlen geben einen Hinweis auf den von ihnen repräsentierten Reifegrad. Und die Zahlen zeigen auch, dass sich die Werte-Ketten immer von niedriger zu hoher kultureller Reife hin bewegen. Die zu den Tracks gehörenden Werte werden im Hinblick auf die Häufigkeit ihres Erscheinens in jedweden Schriften, Publikationen, Richtlinien, Verlautbarungen, Mitarbeiterbefragungen usw. eines Unternehmens analysiert. Diese linguistischen Analysen sind nicht zu kompliziert, weil Brian Hall seit 1970 mit einem festen Set von 125 Werten und etwa 6000 Synonymen arbeitet, die den acht logisch aufeinanderfolgenden kulturellen Stufen (Stages) zugeordnet sind. Das Ergebnis des Studiums von Dokumenten eines Unternehmens beantwortet die Frage, in wie viel Prozent aller in die Analyse einbezogenen Dokumente ein Wert erscheint. Das Ergebnis einer Befragung von Mitarbeitern eines Unternehmens beantwortet die Frage, in wie viel Prozent aller Antworten ein Wert erscheint.
5.1 Werte oder »Business is Business?«
181
Stage
Customer Track
1 Safety
Leadership Track
Learning Track
Function/Physical
2 Security
Wonder/Curiosity
Economics/Profit Security Support/Peer
Self Worth
Self Worth
Work/Labor
Achievement/Success
Reason
Competition
Competence/Confidence
Competence/Confidence
Empathy
Authority/Honesty
Adaptability/Flexibility
Service/Vocation
Decision/Initiation
Quality/Evaluation
Relaxation
Self Actualization
3 Family Self Worth 4 Institution
5 Vocation
Corporation/Stewardship 6 New Order
7 Wisdom
Interdependence Synergy Truth Wisdom
8 World Order
Chart 142
Discernment
Discernment
Construction/New Order
Education/Knowledge
Being Self
Limitation/Celebration
Truth Wisdom
Synergy Truth Wisdom
Word
Word
Drei Beispiele von Value Tracks [nach Brian P. Hall]: Sie repräsentieren die Reife eines Unternehmens
Je älter ein Unternehmen ist, umso aufschlussreicher wird es, die Analyse der Dokumente oder Schriften getrennt nach aufeinander folgenden Zeitperioden durchzuführen. Das Ergebnis zeigt gegebenenfalls einen Wertewandel (Value Shift). Bei einem Workshop fragte ich Brian Hall, was passiert, wenn ein reifes »Endzeitunternehmen« unverschuldet oder durch höhere Gewalt in große Not gerät. Seine Antwort: Das ist, wie wenn ein Haus brennt.
Ostereier suchen Unabhängig von ihrem Eigenleben, das Unternehmenswerte führen, werden sie häufig direkt oder indirekt neu erfunden. Das passiert zum Beispiel in Form von Mitarbeiterbefragungen, die herangezogen werden, um die Meinung der Mitarbeiter über ihre Führung bzw. über die gelebten Werte ihres Managements zu erfahren. Das geht meist wie folgt: Ein paar kluge Leute des Unternehmens setzen sich zusammen und diskutieren, anhand welcher Fragen und anhand welcher damit angesprochenen Werte man das Führungsverhalten messen bzw. die eigene Führungskultur offen legen oder festzurren sollte.
182
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Daraus werden (auf Papier oder als E-Mail) Fragebögen entwickelt, die auf der linken Seite »sorgfältig« ausformulierte Fragen enthalten und rechts Werteskalen oder eine Anzahl von negativen und positiven Kästchen zum Ankreuzen. Bei Mitarbeiterbefragungen sollte eine gerade Anzahl von Kästchen verwendet werden, damit auch die ewig Unschlüssigen eine positive oder negative Aussage machen müssen! Die Freude bei den Urhebern der Befragung ist groß, wenn die Fragebögen beantwortet werden und damit eine kulturell »stimmige« Antwort zur Führungskultur des Unternehmens zurückkommt.
q Befragen heißt häufig Selbstbestätigung suchen Es war Sigmund Freud, der eine derartige Befragungsmethode wie folgt bewertet hat: Er verglich sie mit dem Suchen von Ostereiern, die man selber versteckt hat. Offensichtlich sind diese Ostereier nichts anderes als Paradigmen der Verfasser der Fragebögen! Viele Ersteller solcher Fragebögen empfinden allerdings offenbar selbst deren Unzulänglichkeit und stellen – meistens am Ende des Fragebogens – ein Extrafeld für Zusatzfragen oder Zusatzbemerkungen zur Verfügung. Um bei derartigen Befragungen den Betroffenen die Antworten nicht in den Mund legen zu müssen, kann man die im Kapitel 5 bereits erwähnte, während des zweiten Weltkrieges von John C. Flanagan im Rahmen eines US-amerikanischen »Aviation Psychology Program« entwickelte Critical Incident Technique CIT anwenden. Bei ihr können zu beliebigen, aktuellen Themen, Problemen, laufenden Projekten wie auch zu einzelnen positiven oder negativen Ereignissen (Incidents) als freier Text formulierte Meinungen z. B. von Mitarbeitern abgefragt und entgegengenommen werden und so zum Beispiel auch zur eigenen Führungskultur – eine Methode, die im Zeitalter der E-Mail und ihrer Adresslisten relativ einfach umsetzbar ist. Wenn der Umfang der Mitarbeiter-Reaktionen zu groß wird, erfolgt auch hier die Auswertung mit statistischen, linguistischen Methoden. Der Reiz der CIT-Methode ist, dass häufig, insbesondere aus Meinungsäußerungen von Mitarbeitern, sofort Verbesserungsvorschläge – und sei es in Sachen Führungskultur! – abgeleitet werden können. Promoter der CIT nennen das die »faktische Kraft« dieses Verfahrens.
Gibt es Grundwerte? Die Suche nach den »gelebten« Werten eines Unternehmens wirft die Frage auf, wie eigentlich Werte festgestellt oder gar ihre Änderungen gemessen werden können. Dazu müsste es ein dahinterliegendes festes Messsystem geben, vielleicht eine Familie von Grundwerten.
5.1 Werte oder »Business is Business?«
183
Um dieser Frage nachzugehen, habe ich eine Anzahl alter und neuer Dokumente unterschiedlicher Herkunft untersucht. Aus diesen Dokumenten (darunter auch die in Kapitel 5, Chart 136 gezeigte Auswertung »Award-Bewerber«) habe ich Texte und Statements in mehreren Stufen geclustert. Das Ergebnis dieser Literaturstudie sind fünf Grundwerte (Chart 143). Die beiden ersten Grundwerte sind fast archaisch. Die drei weiteren sind Charaktereigenschaften, die hier bitte nicht mit moralischer Wertung belastet werden dürfen. Eine Voraussetzung beim Studium der in Chart 143 angezeigten Dokumente war und ist: Grundwerte, die diese Bezeichnung verdienen sollen, die also wirklich Grundwerte sind, müssen unabhängig von unterschiedlichen Meinungen oder Kulturen sein. Sozusagen ein Urmeter. Und sie sollten – insbesondere im vorliegenden Fall – in ihrer Bedeutung unabhängig von dem wirtschaftlichen Kontext sein, in dem sie benutzt werden. Die im Chart 143 aufgeführten Werte spielen in den verschiedensten Unternehmensarten (»Profit«, »Health Care«, »Banking« usw.) irgendeine Rolle. Man kann sie aber wegen nicht möglicher direkter Messbarkeit
Basis: Award-Modelle (4): EQA, Baldrige Award, Malaysian Award (2) Award-Bewerber (11): 5 Siemens-interne (2 Finalisten), 5 Externe (4 Award-Winner, 1 Finalist), 1 QMEA-Winner Firmen Ausland (9): HP, Microsoft, GE, Motorola, IBM, 3M, Intel, Anderson Consulting, Volvo Firmen Inland (3): BMW, Mercedes Benz, Deutsche Bank Siemens-interne Beispiele (9): Modelle, Leitlinien, Befragungen Literatur-/Hochschulbeispiele (12) Wertesysteme von EQA-Winnern (6)
Ergebnisse: Chart 143 Unternehmenstypische Grundwerte (54 Quellen): Das Clustern der Literatur führt immer wieder zu ähnlichen Werten, Grundsätzen und Leitlinien
184
Neugier
Kreativität, Innovation
Vertrauen
Empowerment, Delegieren von Entscheidungsbefugnis
Kritikfähigkeit
Lernbereitschaft, Dialog
Risikobereitschaft
Entrepreneurship, Charisma
Toleranz
Teamarbeit, Synergien
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
nicht als quantitative Bewertungskriterien für Leadership Excellence heranziehen. Und man kann das schon gar nicht tun, wenn die so bewertete oder gemessene »Leadership einer Führungskraft« als eigenständiges Erfolgskriterium für einen Teil ihres Einkommens dienen soll. Grundwerte – wie die fünf hier gezeigten – können auch nicht isoliert bzw. einzeln herangezogen werden, sie wirken immer nur kombiniert! Oder anders ausgedrückt: Sie fungieren nur als zusammenhängendes Spektrum.
q Grundwerte bedingen sich gegenseitig Empowerment im Sinne von »Delegieren von Entscheidungen« setzt nicht nur Vertrauen seitens der Führung voraus, sondern auch Lernbereitschaft auf Seiten der Betroffenen. Denn diese Betroffenen benötigen normalerweise gegenüber ihrem bisherigen Status mehr Informationen und Sachkenntnis, um überhaupt entscheiden zu können. Das wiederum setzt bei allen Betroffenen Bereitschaft zu neuen Risiken voraus. Wie vielleicht das Beispiel mit dem brennenden Haus von Brian Hall andeutet, sind »Werte« und »Business« keine Kontrahenten sondern anteilige Grundlage von wechselnden Verhaltensmustern gegenüber wechselnden Anforderungen. Ein anschauliches Beispiel für wechselnde Anforderungen erlebte ich während eines Teils eines Outdoor Trainings, bei dem von den Teams zunächst aus Tonnen, Seilen und Holzbrettern Flöße gebaut werden mussten und anschließend mit diesen selbst gebauten Flößen ein Fluss voller Stromschnellen und Hindernissen hinuntergefahren wurde. Der Bau der Flöße war reich an gleichberechtigten, kreativen Diskussionen und »Entscheidungen« in Hinblick auf ihre konstruktionsbedingte Stabilität. Die anschließende Floßfahrt erfolgte – auf jeder Floßseite saßen fünf Ruderer, und hinten stand ein Steuermann, der das Sagen hatte – ausschließlich nach dem Muster »Befehl und Gehorsam«. Anders wären wir gar nicht heil den Fluss herunter gekommen. Was diesen beiden sehr unterschiedlichen Verhaltensmustern der »Flößer« zugrunde lag, waren notwendige Reaktionen auf nicht infrage gestellte, wechselnde Anforderungen.
5.2 Was ist Commitment? Commitment ist im Zusammenhang mit Leadership Excellence oder dem Führen von Menschen keine ethische Grundhaltung, sondern eine realitätsbezogene – eventuell sogar zeitlich begrenzte – Selbstverpflichtung. Wichtig dabei ist:
5.2 Was ist Commitment?
185
Commitment kann nur dann in die Tat umgesetzt werden, wenn die Betroffenen Entscheidungsbefugnis haben.
Mobilisieren von Mitarbeitern Wenn das Commitment der Mitarbeiter, das heißt ihre Verbundenheit mit ihrem Unternehmen verändert werden soll, dann ist das im Prinzip bereits ein Culture-Change-Programm. Ein derartiger kultureller Wandel, der ausnahmslos auf dem Verhalten der Mitarbeiter beruht, ist seiner Art nach ein Mobilisierungs-Prozess (Chart 144) – ich meine damit einen Überzeugungsprozess, der Ideen in Handlungen umsetzt – und ist auf der anderen Seite für das Unternehmen ein Prozess, in den Zug um Zug immer mehr Mitarbeiter des Unternehmens involviert werden. Das nicht erreichbare Traumziel in einem solchen Prozess ist, dass 100% der Mitarbeiter sich in ihrem Tagesgeschäft jederzeit ihrem Commitment verpflichtet fühlen und danach handeln. In einer unter EFQM-Insidern bekannten und dort zu Schulungszwecken verwendeten Studie »Alpine Electronic Swiss« (AES) wird im Kriterium 1 »Leadership« (Führung) ein Commitment to Business Excellence verlangt. Dieses Commitment wird – und das ist das Besondere – anhand der Wahrnehmung (Perception of Lived Personal Involvement) durch Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter gemessen, das heißt anhand seines Output.
Breitenwirkung (Anzahl involvierter Mitarbeiter)
Commitment
• Hausinterne Zeitschrift
• Tagesgeschäft Langfristiges Ziel
• Tag des Dialogs • 4+1 Rollout
g un ier s i • bil • Mo
• KVP-Teams
Foren Champions-Meetings • Überbereichlicher Erfahrungsaustausch
Aktueller Stand
• Projekte
• Workshops • Führungskräfte-
Motivation
training
Tiefenwirkung
Hören
Chart 144
186
Zuhören
Verstehen
Einverstanden sein
Handeln
Culture Change von der Motivation zum Commitment: Vom Hören (oder Lesen) zum Handeln ist ein weiter Weg [Boeckle/Ulfers]
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Commitment als emotionale Selbstverpflichtung Die Deutsche Bank AG führte in diesem Sinne ein beeindruckendes Bewertungsmodell ein [Silvia Steffens-Duch]. Bei diesem Modell wird zum einen das Commitment aller Mitarbeiter, sprich ihre emotionale Selbstverpflichtung gegenüber dem Unternehmen, der Deutschen Bank, abgefragt, und dieses weltweit (Chart 145)! (Letzteres sei betont, weil andere Unternehmen die Identifikation ihrer Mitarbeiter mit dem Unternehmen über kulturelle Werte oder Wertesysteme zu messen und herzustellen versuchen. Das wiederum führt in manchen Fällen zu nicht eindeutig beantwortbaren Fragen der Art wie, ob Inder zum Beispiel eine stärkere »Familienbindung« haben als die Amerikaner, ob Europäer genauso »leistungsorientiert« sind wie Japaner usw.) Der im Chart gezeigte »Grad der Zustimmung« (linkes Balkendiagramm) wird auf einer 5er-Zustimmungs-Skala gemessen, und resultiert aus einem gewichteten Durchschnitt der Antworten. Die Verteilung der Antworten (rechtes Balkendiagramm) wird in Prozent dargestellt. Zum anderen wird bei dem Modell der Deutschen Bank – auch weltweit – die Einstellung der Mitarbeiter zu fünf verkündeten Grundwerten des Unternehmens abgefragt (Chart 146). Als Drittes steht dem gegenüber – und das ist wieder eine Besonderheit – die Wertewahrnehmung seitens der Mitarbeiter. Diese ist in die einfache
Grad der Zustimmung % Gesamt
Verteilung der Antworten % 66
Es liegt mir viel am Schicksal der DB
83
Einsatz über erwartetes Maß, um zum Erfolg der DB beizutragen Erwartung, auch noch in zwei Jahren bei der DB zu arbeiten
82
5 11
84
4 9
87
70
Stolz, bei der DB zu arbeiten
68
Starkes eigenes Zugehörigkeitsgefühl zur DB Zu häufiger Arbeitgeberwechsel der Leute heutzutage Beinahe nie daran gedacht, Arbeit außerhalb der DB zu suchen
67 56
DB motiviert mich zu Höchstleistungen
56
14 12
0
20
40
60
36 24
100
0
27
44
16
48 44 44
27
20
Deutsche Bank total
Wie die Mitarbeiter zur Deutschen Bank stehen (Commitment)
5.2 Was ist Commitment?
64
32
29
80
63
20 29
54
70
25
16
56
Meinen Freunden sage ich, dass es großartig ist, für die DB zu arbeiten
16
40
60
80
100
Keine Zustimmung Unentschieden Zustimmung
Chart 145
187
Commitment
66 56
Wertewahrnehmung*)
Kunden-Fokus
59
Leistung
58 54
Teamwork
Chart 146 Wie die Mitarbeiter zur Deutschen Bank stehen (Werte)
*) Zustimmung zu: „Klare, einheitliche Wertvorstellung bzgl. der Geschäftsabwicklung“ und „Wer sich über die Grundwerte hinwegsetzt, bekommt Schwierigkeiten"
52
Innovation
50
Vertrauen 0
20
40
60
80
100 %
Zustimmung zu zwei Aussagen gekleidet (siehe Fußnote in Chart 146). Wichtig dabei ist die zweite Wahrnehmung, nämlich die Beantwortung der Frage, ob es Konsequenzen hat, wenn sich jemand über die Werte hinwegsetzt (vergleiche Chart 137, Kapitel 5)? Das gleichzeitige Abfragen von Commitment, Werten und Wertewahrnehmung mit demselben Fragebogen – sozusagen in »Tateinheit« (Herzberg nennt das den »assoziativen Status der Befragten während der Beantwortung der Fragen«) – erlaubt mathematisch statistische Untersuchungen der Zusammenhänge bzw. der Korrelationen zwischen den einzelnen Antworten der jeweils Befragten, durch die die Glaubwürdigkeit und der Wahrheitsgehalt der Antworten quantifizierbar sind. Dies wiederum erlaubt teilweise gezielte Verbesserungsmaßnahmen durch das Unternehmen.
Objektives Commitment Das Problem beim Messen des Verhaltens von Führungskräften, sofern dazu ethnische oder kulturelle Werte herangezogen werden, ist, dass – zum Beispiel innerhalb internationaler Unternehmen – diese Messungen nicht quer vergleichbar sind. Ein Commitment, wie es in den Fragen des Charts 145 abgefragt wird und das ausnahmslos fokussiert ist auf die Identifikation der Befragten mit ihrem Unternehmen und seinem Erfolg, ist unabhängig von kulturellen Werten oder der regionalen Zugehörigkeit der Befragten.
5.3 Der rechte Weg Ein bemerkenswertes Beispiel von Commitment auf dem Wege zu Leadership Excellence habe ich im Bremer Werk der Daimler Benz AG kennengelernt [Doris Heitkamp], eine Art »Commitment zum Anfassen«.
188
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Dialog auf Werkstattebene Im Rahmen der Führungskräfteentwicklung und -qualifizierung finden in der Montage des Werks Dialoge zwischen den Meistern und ihren Mitarbeitern statt und zwar in jeder der drei täglichen Schichten einmal pro Woche eine halbe Stunde. Die Meister sind dazu verpflichtet, diese halbe Stunde mit ihren Mitarbeitern zusammenzusitzen. (Ausgenommen davon sind verdiente ältere Meister, die dieses Programm nicht mehr mitmachen wollen. Dann springt der Meistervertreter ein.) Diese Dialoge entsprechen durchaus den Vorgaben von David Bohm (siehe Anhang 2). Keine dieser Veranstaltungen dient irgendeinem konkreten Zweck. Aber es werden in freiem Stil Ideen oder auch Probleme miteinander diskutiert. Ich habe selber in der Spätschicht an einer derartigen halben Stunde teilgenommen. Es wurden da durchaus Probleme diskutiert. Es wurden Beschlüsse gefasst, auch Beschlüsse die Geld kosten! Entscheidend war für mich die absolut offene Art und Weise, wie man – auch emotional – miteinander umgegangen ist. Was kann ein Unternehmen für ein Interesse daran haben, in allen Werkstätten seine Montagebänder drei halbe Stunden pro Woche für die Kommunikation der dort beschäftigten Mitarbeiter anzuhalten? Im vorliegenden Fall lautet die Antwort: Es geht dem Unternehmen um das Trainieren neuer Formen von Mitarbeiterführung. Dazu gehört Offenheit der Führungskräfte gegenüber den Mitarbeitern, ihren Ansprüchen, Ideen und Meinungen sowie auch ihren Emotionen. Dieser neue Führungsstil wird das Unternehmen letztlich schlagkräftiger und effizienter machen. Der Grund: Im beruflichen Umgang miteinander werden zukünftig nicht nur unsere rationalen, sondern immer bewusster unsere emotionalen Fähigkeiten genutzt, das heißt – wie man heute weiß – unsere linke und rechte Gehirnhälfte sollen gemeinsam ins Spiel kommen. Etwas vereinfacht gesagt: Die linke Gehirnhälfte ist für das praktischanalytische Denken zuständig, die rechte Gehirnhälfte für das bildhafte, ganzheitliche, gefühlsmäßige Denken. Vor Euphorie möchte ich allerdings warnen. Es gibt nach wie vor Menschen, die schlechte Gedichte mit ihrem Herzensblut schreiben, und andere, die schreiben gute mit Tinte. Im Kapitel 5, Chart 140 wurde von den sogenannten »Visionary Companies« gesagt, dass ihnen allen ein spezielles Merkmal zu eigen ist, nämlich ihre Authentizität. Und ich meine, das setzt seitens der Mitarbeiter die Fähigkeit zu emotionaler Wahrnehmung voraus!
5.3 Der rechte Weg
189
Unsere Sprache sagt mehr als wir reden Aus dem Buch »The Seven Habits« von Steven R. Covey, das ein Modell von emotionalen Verhaltensweisen für die Entwicklung von Managern vorstellt, möchte ich eine Gegenüberstellung zeigen (Chart 147). Es geht dabei darum, ob Probleme – für sich und andere – reaktiv-resignierend oder im positiven Sinn proaktiv-motivierend formuliert sind. Die mit einander verglichenen Aussagen zu jeweils denselben Sachlagen bergen große Unterschiede im Sinne von »Kind der Not« oder »Kind der Liebe«. Jeder von uns nimmt den unterschiedlichen Inhalt der Sprache in dem Chart mehr oder weniger unbewusst wahr. Ein Beispiel für die proaktive Seite war der lange verwendete Slogan von »Big Blue«, IBM, »Be positive«! Daniel Goleman schreibt in seinem Buch »Emotionale Intelligenz«, dass sich die Psychologen nicht einig sind, ob es – sozusagen für die Gesamtheit der Menschen – eine abzählbare Menge primärer Emotionen gibt. Bereits vor etwa 2400 Jahren hat aber der griechische Arzt Hippokrates schon »vier Temperamente definiert« und unsere emotionalen Dispositionen aufgeteilt in cholerisch, melancholisch, phlegmatisch und sanguinisch. Daniel Goleman liefert uns demgegenüber versuchsweise eine Anzahl ausgewählter Grundfamilien von Gefühlen mit Mutationen (Chart 148).
Sind Emotionen trainierbar? Unabhängig von der oben gestellten, grundsätzlichen Frage nach primären Emotionen gibt es all diese Gefühle. Und getreu dem Primat des Handelns erwähne ich noch zwei »Wegweiser«, anhand derer man sich emotionale Intelligenz bewusst machen oder sogar antrainieren kann:
Reactive Language
Proactive Language
There's nothing I can do
Let's look at our alternatives
That's just the way I am
I can choose a different approach
They won't allow that
I can create an effective presentation
I have to do that
I will choose an appropriate response
I can't
I choose
I must
I prefer
If only ...
I will
Chart 147
190
Sprache richtig bewerten
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Zorn
Empörung, Aufgebrachtheit, Entrüstung, Verbitterung, Verdrossenheit, Reizbarkeit
Trauer
Leid, Freudlosigkeit, Melancholie, Selbstmitleid, Einsamkeit, Verzweiflung
Furcht
Nervosität, Grauen, Bestürzung, Zaghaftigkeit, Entsetzen,
Freude
Glück, Vergnügen, Behagen, Zufriedenheit, Stolz, Befriedigung, Euphorie
Liebe
Akzeptanz, Vertrauen, Güte, Hingabe
Überraschung
Schock, Erstaunen, Verwunderung
Ekel
Verachtung, Verschmähen, Widerwille
Scham
Schuld, Verlegenheit, Demütigung
Grundfamilien von Gefühlen und einige ihrer »Mitglieder« bzw. »Mutationen«
Chart 148
• Der erste ist ein von Goleman als klassisch bezeichnetes Vorbild für das Selbststudium emotionaler Intelligenz (Chart 149 [Stone/ Dillehunt]). • Der zweite ist eine Schulung zur Wahrnehmung der eigenen Gefühle mit dem Ziel, sich Gefühlsäußerungen anzutrainieren (Chart 150 [Grant]) Ich habe viele Jahre lang – weil es meiner Überzeugung entspricht – Goethe mit der Aussage zitiert: Ein Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges stets bewusst. Ich war der Meinung, dass Goethe hier eine Wertewahrnehmung, das heißt ein Bekenntnis zur emotionalen Grundhaltung des Menschen wiedergibt. Beim Nachlesen im Faust I (Prolog im Himmel) stellte ich enttäuscht fest, dass Goethe geschrieben hat: Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges stets bewusst. Goethe hat hier leider nur die Definition eines »guten Menschen« angeboten. Am Schluss dieses Buches möchte ich noch einmal über das Finden von Entscheidungen reden. Dabei geht es zunächst einmal ganz persönlich um den Begriff »Emotional Intelligence«. Für mich ist klar, dass Intelligenz im Gegensatz zu Klugheit kein »wertender« Begriff ist. Will sagen, ich kann einem Verbrecher zwar bescheinigen, dass er hoch intelligent ist, aber niemals, dass er klug ist! (Ich habe
5.3 Der rechte Weg
191
Selbstwahrnehmung
Vokabular für Gefühle entwickeln Gefühle und Reaktionen erkennen
Treffen persönlicher Entscheidungen Sind sie vom Denken oder vom Gefühl bestimmt? Umgang mit Gefühlen
Was steckt hinter einem Gefühl? Fertig werden mit Ängsten, Zorn, Traurigkeit
Abbau von Stress
Was ist mit körperlicher Bewegung und Entspannungsmethoden zu erreichen?
Empathie
Die Gefühle und Sorgen anderer verstehen Sich in sie hineinversetzen
Kommunikation
Über Gefühle sprechen Ein guter Zuhörer und Fragesteller werden
Sich offenbaren
Vertrauen in eine Beziehung entwickeln Wissen, wann man von persönlichen Empfindungen sprechen darf
Einsicht
Bestimmte Muster im eigenen Gefühlsleben und bei anderen erkennen
Selbstakzeptanz
Stolz sein Seine Stärken und Schwächen erkennen
Persönliche Verantwortung
Sich zu Folgen eigener Entscheidungen bekennen Seine Verpflichtungen einhalten
Selbstsicherheit
Seine Anliegen ohne Zorn oder Passivität aussprechen
Gruppendynamik Wissen, wann man Führung übernehmen und wann man sich unterordnen soll Konfliktlösung
Chart 149
Sich mit anderen fair auseinandersetzen können Beide Seiten sollen gewinnen
Das Self Science Curriculum von Stone/Dillehunt (1978) ist das klassische Vorbild für das Selbststudium emotionaler Intelligenz
mich oft in Unterhaltungen vergewissert, dass das auch ganz allgemein nach deutschem Sprachgebrauch so verstanden wird.) Im Zusammenhang mit dem neuen Attribut »emotional« wurde nun allerdings der Begriff Intelligenz durchaus wertend. Er war also für meinen Sprachgebrauch zweideutig, und es ist eine sehr alte Geschichte, die mir Klarheit verschafft hat (Die Bibel, Altes Testament, Das 1. Buch von den Königen, Das 3. Kapitel, Vers 16 bis 27). Die Geschichte handelt von dem berühmten »Salomonischen Urteil«, und sie lautet in »neuerem« Deutsch: Zwei Prostituierte, die zusammen wohnten, und die zur gleichen Zeit geboren hatten, kamen zu König Salomon. Eine hatte ihr Neugeborenes im Schlaf erdrückt und den toten Jungen der anderen unterschoben. Beide Frauen behaupteten, die Mutter des lebenden Jungen zu
192
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
Emotionale Fähigkeiten • Erkennen und Benennen von Gefühlen • Ausdruck von Gefühlen • Einschätzung der Heftigkeit von Gefühlen • Zügelung der Antriebe Kognitive Fähigkeiten • Selbstgespräch (Führen eines „inneren Dialogs"), um das eigene Verhalten zu verstärken • Soziale Hinweise deuten und sich selbst aus der Sicht der größeren Gemeinschaft sehen • Beim Lösen von Problemen schrittweise vorgehen (Impulse kontrollieren, Ziele setzen, Folgen vorhersehen) • Verhaltensnormen verstehen (was akzeptiert und was nicht akzeptiert werden kann) • Realistische Erwartungen an sich selbst entwickeln Verhaltensfähigkeiten • Nonverbal: Kommunizieren durch Blickkontakt, Tonfall, Körpersprache usw. • Verbal: Klare Bitten äußern, auf Kritik eingehen, anderen zuhören, anderen helfen
Chart 150 Wirkungsvolle Bestandteile des Trainingsprogramms von W. T. Grant zum Schulen der Wahrnehmung der eigenen Gefühle und dem Trainieren von Gefühlsäußerungen
sein. Salomon verfügte, den Kleinen mit einem Schwert zu teilen und jeder Frau eine Hälfte zu geben. Während die falsche Mutter keinen Einwand erhob, verzichtete die wahre Mutter auf ihren Anteil, um dem Kind das Leben zu erhalten, worauf Salomon entschied, ihr als der wahren Mutter den Jungen zu geben. Salomons Entscheidung ist dadurch intelligent, dass sie sich gefühlsmäßig, d. h. emotional, auf die Reaktionen der zwei Frauen verlässt. Sie ist also tatsächlich »emotional intelligent«. Hinter all unseren täglichen Entscheidungen stehen Werte und Gefühle. Sie sind häufig der Grund von Auseinandersetzungen um alte oder neue Auffassungen (z. B. Paradigmen), oder führen zu ewig andauernden, nicht lösbaren Widerstreits (Antinomien). Eine Antinomie, hatten wir gesagt, ist ein Widerspruch zweier Sätze, von denen jeder Gültigkeit beansprucht. Und das bedeutet: Solange uns unsere eigenen Werte, Gefühle oder Paradigmen nicht bewusst sind, beanspruchen sie in unserem Denken und Handeln zwangsweise Allgemeingültigkeit. Nicht nur alle Individuen, sondern insbesondere auch alle Organisationen richten sich, wie wir gesehen haben – bewusst oder unbewusst
5.3 Der rechte Weg
193
– nach Werten. Werte sind deshalb auch häufig ein Schlüssel für deren gezielte Änderungen. Wenn wir an diesen Änderungen teilhaben oder mitarbeiten wollen, ist es absolut angebracht, dass wir uns über unsere Gefühle und Werte Klarheit verschaffen, um damit »professionell« umgehen zu können.
194
5 Leadership Excellence – Das Führen von Menschen
6 Anhänge
Anhang 1
Definition des Informationsgehalts ein Bit
Der Informationsgehalt einer Nachricht lässt sich messen (Chart 151). Dazu wird zunächst die folgende These aufgestellt: Der Informationsgehalt einer Nachricht ist umgekehrt proportional zur Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens, also ihrer Auftrittswahrscheinlichkeit. Aus dieser Proportionalitätsaussage wird im Chart durch den Einsatz des logarithmus dualis (ld) eine Gleichung. Weiterhin wird definiert, dass die kleinste Informationseinheit die Aussage wahr oder nicht wahr, richtig oder falsch, Ja oder Nein ist, wobei jeder der beiden Zustände die Auftrittswahrscheinlichkeit ½ bzw. 50% hat. Wenn man diese Wahrscheinlichkeit in die Logarithmus-Gleichung einsetzt, erhält man als Ergebnis eine 1 mit der Bezeichnung »binary digit«, ein Bit. 1 Bit ist damit die kleinste Informationseinheit. Interessant ist eine Folgerung aus dieser Gleichung, nämlich: Eine Nachricht mit der Auftrittswahrscheinlichkeit 1 (entsprechend 100%) hat den Informationsgehalt 0!
l(xi): Informationsgehalt einer Nachricht xi I ( xi ) = ld {
1 } p( xi)
(xi): Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Nachricht xi ld: logarithmus dualis, d.h. Logarithmus zur Basis „2“ I ( 1 bit )= ld { 11/2 } = ld { 2 } =1
6 Anhänge
Chart 151 Definition des Informationsgehalts einer Nachricht [Wiener/Neumann]
195
Anhang 2
David Bohm: Über Dialog
Professor David Bohm, geboren 1917 in Pennsylvania, gestorben 1992 in London, promovierte in Berkeley bei Robert Oppenheimer. Er war zuletzt emeritierter Professor für Theoretische Physik an der University of London und Fellow of the Royal Society. Bohm befasste sich mit Themen, die außerhalb der traditionellen Wissenschaft stehen. Er fragte sich auch, wie Menschen kommunizieren. Für ihn war »gemeinsam geteilter Sinn« die Basis von Kultur und Gesellschaft und so hat er mit dem Prozess von Dialog experimentiert als einer Möglichkeit, zu kohärentem, zu zusammenhängendem Sinn zu gelangen. Ein Wochenend-Seminar im Mai 1984 »entwickelte sich zu einem (von Bohm so beschriebenen) Prozess des Erwachens von Dialog – als ein freier Fluss von Sinn und Bedeutung zwischen den Teilnehmern«. Der folgende Text wurde aus der Mitschrift eines Treffens erstellt, das am 6. November 1989 in Kalifornien stattfand. Dieses Treffen schloss an ein Wochenend-Seminar an, welches Professor Bohm geleitet hatte. Zusätzliches Material über Dialog wurde aus anderen Seminaren mit ihm hinzugefügt. Das folgende Kapitel vermittelt ein völlig neues, andersartiges Verständnis über Dialog, über die Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren. Es vermittelt die Chance, andersartige Erkenntnisse aus Dialogprozessen zu schöpfen, Dinge neu zu ordnen oder Neues zu erdenken. Die dem folgenden Text zugrundeliegende Endfassung wurde von Prof. David Bohm editiert.
»Ich gebe dem Wort Dialog eine Bedeutung, welche ein wenig von derjenigen abweicht, die gebräuchlich ist. So ist vieles, das Dialog genannt wird, kein Dialog im dem Sinne, wie ich das Wort verwende.«
Warum brauchen wir Dialog? Menschen haben es – sogar in kleinen Gruppen – schwer, miteinander zu kommunizieren. Menschen mit unterschiedlichen Biographien haben verschiedene, grundlegende Annahmen und Meinungen. In einer Kultur gibt es unzählige Meinungen und Annahmen, welche eigentlich diese Kultur ausmachen. Wenn wir Meinungen verteidigen, werden wir nicht fähig sein, einen Dialog zu führen. Wenn jeder eine andere Meinung hat, wird es nur ein Ringen um Meinungen geben. So werden wir nicht das Richtige tun.
196
6 Anhänge
Manche Personen müssen sich selbst behaupten; das ist ihre Art, mit Situationen umzugehen.
Das ist die Idee Wenn wir wirklich eine Situation von Dialog haben – eine Gruppe, die den Dialog eine Zeit lang fortführt, die sich gut kennt und so weiter – dann könnten wir eine richtig kohärente Bewegung von Gedanken erzeugen. Der konkrete Prozess des Denkens ist unbeschreiblich, unaussprechbar. Wenn wir auf dieser unaussprechlichen Ebene kommunizieren, dann können sich Gedanken verändern. Es gibt einen tieferen Prozess, der im Unaussprechlichen, im Unausgesprochenen stattfindet und gemeinsam stattfindet. Ich glaube, dass die Menschheit das seit Millionen von Jahren weiß; und dann haben wir es in fünftausend Jahren der Zivilisation verloren. Man könnte sagen, dass unsere Kultur im Allgemeinen aus zwei Gründen große Menschengruppen bildet. Einer ist: Unterhaltung und Spaß, der andere ist: eine Aufgabe zu erfüllen. Wir hier werden nicht versuchen, etwas Nützliches zu erreichen. Denn dann haben wir eine Annahme, was nützlich ist, und genau diese Annahme von Nützlichkeit wird uns einschränken. Eine grundlegende Idee im Konzept von Dialog ist, im Kreis zu sitzen. Diese geometrische Anordnung bevorzugt niemanden Es gab einen Anthropologen, der mit nordamerikanischen Indianern lebte. Die Jäger und Sammler haben typischerweise in Gruppen zwischen zwanzig und vierzig gelebt. Nun, dieser Indianerstamm traf sich von Zeit zu Zeit in einem Kreis. Sie redeten und redeten und redeten, scheinbar ohne bestimmten Zweck. Sie trafen keine Entscheidungen. Diese Zusammenkunft dauerte so lange, bis sie sich scheinbar ohne Grund auflöste. Jeder schien danach genau zu wissen, was er zu tun hatte. In dieser großen Gruppe hier werden wir keine Entscheidungen fällen. Sonst sind wir nicht frei. Wir brauchen einen leeren Raum. Das ist ein Teil dessen, was ich als Dialog bezeichne – man bemerkt gegenseitig, was im Kopf des Anderen vorgeht, ohne zu einem Schluss oder zu einer Beurteilung zu kommen. Ich werde vorschlagen, wie es funktionieren sollte: Wenn Sie jemandem zuhören, der eine Annahme hat, die ungeheuerlich für Sie ist, wird die natürliche Reaktion Ärger sein. Aber nehmen Sie an, Sie setzten diese Reaktion aus. Das heißt, Sie halten sie bildlich gesprochen in der Schwebe. Sie unterdrücken sie nicht, Sie verfolgen sie nicht weiter. Sie schenken der Annahme weder Glauben noch Misstrauen.
Anhang 2
David Bohm: Über Dialog
197
Nur dadurch, dass der Andere eine gegenteilige Annahme hat, können sie die Ihrige überhaupt wahrnehmen. Der erste Schritt ist, alle Meinungen in sich hereinzunehmen. Sie müssen Ihre eigenen feindseligen oder anderen Reaktionen wahrnehmen. Sie werden sich daran gewöhnen zu beobachten, wie Gedanken arbeiten. Das gehört zum kollektiven Denken.
Die Absicht von Dialog Die Absicht besteht nicht darin, Dinge zu analysieren oder einen Streit zu gewinnen oder Meinungen auszutauschen. Vielmehr geht es darum, Ihre Meinungen auszusetzen und sie anzuschauen – jedes einzelnen Meinung anzuhören, sie in Schwebe zu halten und dann zu schauen, was das alles bedeutet. Wenn wir sehen können, was alle unsere Meinungen bedeuten, dann haben wir am gemeinsamen Inhalt teil. Und wenn wir sie alle anschauen, dann können wir uns vielleicht schöpferischer in eine neue Richtung weiterbewegen. Wir können gemeinsam die Meinungen wertschätzen, und daraus taucht – ganz unangekündigt – Wahrheit auf, ohne dass wir sie ausgewählt hätten. Sobald jedoch Annahmen oder Meinungen verteidigt werden, gibt es etwas, das den schöpferischen Prozess stört. Wenn Sie eine Annahme verteidigen, stoßen Sie weg, was da an Neuem kommen möchte. Ja, das wäre nun die ideale Situation. Ich habe das ideale Bild gemalt. Aber wenn wir beginnen, werden Sie natürlich sehen, dass es nicht klappt. Das ist oft der Fall in Dialog – das, was anscheinend Sinn macht, funktioniert nicht, wenn wir es versuchen. Das, was keinen Sinn macht, das scheint zu funktionieren. Ich sage: Die Gesellschaft fundiert auf Zielen und Sinn, der von allen geteilt wird und die Kultur ausmacht. Wichtig ist, dass wir niemals auf Wahrheit stoßen werden, wenn nicht das Gesamtziel und der Gesamtsinn kohärent sind. Es gibt keinen Grund, bei einer Annahme zu bleiben, die offensichtlich nicht stimmt. Die richtige Struktur einer Annahme oder einer Meinung ist, dass sie offen bleibt für den Beweis, dass sie nicht richtig ist. Das Teilen von Denken, von Bewusstsein ist wichtiger als der Inhalt von Meinungen. Wahrheit taucht nicht aus Meinungen auf; sie muss anderswo auftauchen – vielleicht aus einer freieren Bewegung dieses unausgesprochenen Geistigen. Es gibt keinen »Weg« zur Wahrheit. Wir sehen den Sinn aller Wege und kommen deshalb zum »Nicht-Weg«.
198
6 Anhänge
Wenn eine Gruppe wirklich gut funktioniert, wäre das gemeinsames Denken – gemeinsames Teilhaben am Denken – als ob es ein einziger Prozess wäre. Ein Gedanke wird gemeinsam geformt. Aber, es braucht Sensibilität – eine bestimmte Art zu bemerken, wie man sich einbringt und wie nicht. Man muss die subtilen Anzeichen beobachten, alle Empfindungen und die Reaktionen darauf, alles was in einem selbst vorgeht, und was in der Gruppe vorgeht. Sensibilität ist die Fähigkeit zu empfinden, dass etwas geschieht. Die Sinne stellen Informationen zur Verfügung, aber man muss den Informationen gegenüber wach sein, sonst entgehen sie einem. Die Sinne werden Ihnen mitteilen, was geschieht, und dann muss das Bewusstsein eine Vorstellung schaffen, was es bedeutet. Wo Menschen sich an ihre Annahmen klammern, denken sie nicht gemeinsam. Was hier die Empfänglichkeit blockiert, ist die Verteidigung der Annahmen und Meinungen. Die Hauptschwierigkeit liegt dann darin, dass wir ja gar nicht ordentlich einer anderen Meinung zuhören, weil wir sie ablehnen – wir hören sie nicht wirklich. Ich habe erwähnt, dass Sie eher in einer großen Gruppe auf die kulturimmanenten Annahmen stoßen als in kleinen Gruppen. Die kulturimmanenten Annahmen sind uns für gewöhnlich nicht bewusst, genau wie Sie normalerweise sich nicht des Dialekts bewusst sind, mit dem Sie sprechen.
Die Gruppe Es ist wichtig zu verstehen, dass die Dialoggruppe keine Therapiegruppe irgendeiner Art ist. Wir versuchen hier nicht, irgendjemandem zu helfen. Ein essentielles Charakteristikum von Dialoggruppen ist die Fähigkeit, Annahmen zum Vorschein zu bringen. Der Inhalt hier ist, sich in Richtung der Freiheit von diesen Annahmen zu bewegen und etwas Neues jenseits dieser Annahmen zu erforschen. Mein Vorschlag ist: Es ist nicht so wichtig, sich mit der Gruppe zu identifizieren, vielmehr ist der ganze Prozess wichtig. Es ist der Prozess, der zählt. Der Punkt ist, keine fixe Dialoggruppe einzurichten, die ewig halten soll, sondern eine, die lang genug hält, um Veränderung zu bewirken. Wenn Sie zu lange Zeit fortfahren, könnten Sie wieder in Gewohnheiten gefangen werden. Ich sage, dass es notwendig ist, in der Gruppe Sinn zu teilen.
Anhang 2
David Bohm: Über Dialog
199
Aber es funktioniert nur, wenn wir eine Kultur haben, was bedeutet, dass wir einen gemeinsamen Sinn teilen.
Dialog in Organisationen Ich kenne einige Universitätsprofessoren, die an der Anwendung der Prinzipien von Dialog in Unternehmensfragen interessiert sind. Klarerweise wird dieser Dialog begrenzt sein – die Menschen, die daran teilhaben, haben sehr wohl ein bestimmtes Ziel, das einschränkt – aber selbst dann hat es einen beträchtlichen Wert. Das Prinzip ist, zumindest die Menschen soweit zu bringen, dass sie alle ihre Annahmen gegenseitig kennen, so dass sie diese Annahmen heraushören und wissen, was sie sind. Ich glaube, wenn Sie diese Idee, in welcher Situation auch immer, hinüberbringen – den Kern der Idee von Dialog – dann ist das ein Schritt. Es gibt vielleicht keine passende »Patentantwort« auf die Probleme. Der wichtige Punkt ist jedoch nicht die Antwort – genau wie im Dialog der wichtige Punkt nicht die verschiedenen Meinungen sind – sondern das Angleichen, das Öffnen der Köpfe und das Anschauen der Meinungen. Dialog ist eine kollektive Art, Beurteilungen und Annahmen offenzulegen. Aber letztlich ist das nicht die ganze Geschichte. Es ist nur der Anfang. Ich meine, dass es die Möglichkeit gibt, das Wesen vom Bewusstsein zu verändern, sowohl kollektiv als auch individuell, und ob wir es bezüglich unserer Kultur und Gesellschaft schaffen, hängt von Dialog ab. Das ist es, was wir versuchen, herauszufinden.
200
6 Anhänge
Anhang 3
Gegenüberstellung der Wirkungsweise von Balanced Scorecards und dem Qualitätsmodell der EFQM
Die zwei Autoren Gaelle Lamotte und Geoff Carter haben sich vorgenommen, einen der vielen überflüssigen Streits über die »Einordnung« von Management-Tools aus der Welt zu schaffen. Sie haben die zwei gängigen Werkzeuge, nämlich die Balanced Scorecard und das EFQM-Wertungssystem der European Foundation for Qualitiy Management für den European Quality Award (EQA), einander gegenübergestellt. Chart 152 zeigt den Vergleich der strategischen Ansätze unter fünf ausgesuchten, pragmatischen Aspekten, Chart 153 betrachtet die Benutzung und den Nutzen beider Modelle. Die beiden Vergleiche betonen in anschaulicher und einfacher Weise das sich Ergänzende der zwei Werkzeuge. Chart 154 zeigt noch einmal aus dem Originaltext von Lamotte und Carter eine Beschreibung der wesentlichen Merkmale der Balanced Scorecard. Chart 155 beschreibt – ebenfalls unter Benutzung des Originaltextes von Lamotte und Carter – die wesentlichen Merkmale des EFQM-Excellence Models.
Balanced Scorecard
Excellence Model & Self-Assessment (EQA)
Origins
Performance measurement, value creation
Total Quality Management
Aspiration and benefits sought
Performance improvement
Performance improvement
To translate a company’s strategy into focused, operational and measurable terms
To identify the strengths and areas for improvement across an organisation’s processes to encourage best management practice
: enabling strategic performance
: enabling best management practice
A set of logically linked strategic objectives with lead and lag indicators/targets across 4 perspectives
A benchmark and relative assessment of the quality of an organisation’s processes and results by assessing/scoring against the 9 Criteria of the Model
Set of initiatives aligned to strategic objectives and measures
Areas of relative process strengths and weaknesses
Strategy driven, workshop based , iterative, hypothesis driven, management team involvement, macro view, future looking
Process driven, Self-Assessment, fact gathering, data collection, scoring based , detail oriented, present focused
Set of objectives and measurement are unique to every company
Set of criteria and measurement are the same for all organisations
Step change in performance
Continuous improvement
Management team level sponsorship and commitment
Management team level sponsorship and commitment
On-going process embedded in governance processes
On-going process embedded in day to day management
Deliverables
Development approach
Success factors
Strategischer Vergleich zwischen BSC und EQA
Anhang 3 Gegenüberstellung der Wirkungsweise von Balanced Scorecards und dem Qualitätsmodell der EFQM
Chart 152
201
Balanced Scorecard Characteristics Context dependent: tailored every time • A company’s Balanced Scorecard is driven off its strategy and vision and represents the unique position and strategy of the company • Every Balanced Scorecard is unique in its objectives and measurement for a company Prescriptive and focused
• It identifies a unique and focused set of priorities
which the management team believes will deliver the strategy • Focusing on the key few drivers of success is essential Hypothesis driven and subjective
Excellence Model & Self-Assessment Characteristics (EQA) Context independent: best practice benchmark
• The Self-Assessment process assesses an
organisation’s current processes against a set of predescribed criteria • It is not industry, sector or strategy specific Descriptive and comprehensive
• Comprehensive description and assessment of
how processes across the organisation are managed and deployed • There is no prioritisation of one activity over another inherent in the model Fact based and objective
• The Balanced Scorecard forces assumptions and
• The Model is populated by facts and data gathered
Aspirational: To-be view of the company
Current: As-is view of the company • The Self-Assessment outcomes describe the current state of the organisation’s processes • It identifies relative strengths and areas for improvement today across the whole set of activities based on the objective criteria • It does not pass judgment as to which activities need to be focused on based on a view of thefuture • The EFQM Excellence Model encourages continuous improvement across the operations of a company as a matter of principle in line with the fundamental concepts of TQM
value judgements to be made about how to reach the level of performance described in the vision and strategy • It represents the insights, educated opinions, expertise and knowledge of the management team with respect to the company’s drivers of success.
• The Balanced Scorecard is built around a vision, for
what an organisation wants to achieve 2-5 years in the future • It starts from the vision and works its way back to the present to identify the gaps and the strategic roadmap • The Balanced Scorecard defines the required high level step change (typically financial), to fulfill the strategy given, from where a company is today • It does not analyse the quality of processes and activities today Explicit cause & effect model
• The model is set up to drive cause and effect
explicitly between objectives across the 4 perspectives and paints the organisation as a system of interlinked objectives
External variables unsystematically addressed
• External variables such as the environment, and
impact on society are not systematically addressed in the Balanced Scorecard. • External factors are included only if they are a key part of the strategy which needs to be tracked on a month to month basis • They are typically taken into account in setting targets for the measurement (e.g. external benchmark, market research)
Chart 153
202
within the organisation. It is thoroughly documented from objective sources of information. • Criteria and measurement used are the same for any organisation to enable benchmarking
Implicit cause & effect model
• The model includes both enablers and results
which are effectively linked by cause and effect and supports the cause and effect logic • The link is not drawn explicitly together between specific enablers and results External variables systematically addressed
• Society is an explicit part of the Excellence Model and therefore any Self-Assessment is going to provide feedback on this dimension. • The focus on Competitor & Best in Class benchmarking is one of the reasons for using the Model • A core purpose of the Model is to benchmark a company’s processes against an ideal external benchmark
Ein Vergleich der Benutzung und dem Nutzen von BSC und EQA
6 Anhänge
The Balanced Scorecard is a system of linked objectives, measures, targets and initiatives that collectively describe the strategy of an organisation. It is a tool to enable the implementation of a company’s strategy by translating it into concrete and operational terms which can be measured, communicated and drive decision making and action. BSC forces a focused view on four perspectives which represent the different facets of the business linked together by cause and effect. BSC methodology has evolved and grown from a strategic performance measurement system to a strategic performance management system. It enables a strategic link between operational units strategy and corporate strategy to create strategic continuity.
Die Balanced Scorecard reflektiert die Interessen eines gesamten Unternehmens ausgehend von der Strategie, indem sie die finanziellen Bedürfnisse und die der Shareholder untersucht, die Bedürfnisse der Kunden und die internen Prozesse
Chart 154
The EFQM model is built on the premise that excellent Results with respect to Performance, Customers, People and Society are achieved through Leadership driving Policy and Strategy, People, Partnerships and Resources, and Processes – including a degree of confidence that the success will be sustainable. The EFQM model is an internal diagnostic tool, that uses a process called SelfAssessment, that can identify its own strengths and areas for improvement and compare its overall performance to a benchmarked European level of „best practice.” The EFQM approach includes a mechanism to share good practice internally and externally as well as the provision of a framework against which to learn and continuously improve performance. The EFQM excellence model is non-prescriptive in its nature with two exceptions: • it‘s 32 subcriteria the organisation – in total – has to respond to; • the individual weighting of the 9 Criteria.
Das EFQM-Modell hat seine Wurzeln in der Philosophie des Total Quality Management
Anhang 3 Gegenüberstellung der Wirkungsweise von Balanced Scorecards und dem Qualitätsmodell der EFQM
Chart 155
203
Anhang 4
Ein kleiner Exkurs in Sachen Statistik
Da Sigma die »Standardabweichung« einer statistischen Verteilung ist, möchte ich hier ganz kurz das Entstehen von statistischen Verteilungen durch drei kleine Experimente vorstellen, deren Ergebnisse in Chart 156 dargestellt sind. Wenn Sie mit einem Würfel würfeln (das entspricht einer unabhängigen Variablen), und der Würfel in Ordnung ist, sollten alle sechs Seiten des Würfels mit den Augenzahlen eins bis sechs im Mittel gleich häufig fallen. Meine beiden Söhne Malte (damals 14 Jahre) und Helge (12 Jahre) haben mit einem Würfel sechzig Mal gewürfelt und das Ergebnis über der jeweiligen Augenzahl eins bis sechs abgetragen. Das Gesamtergebnis in der linken Grafik des Charts ist im Prinzip eine Rechteckverteilung mit einem Ausreißer bei »drei Augen«. (Erst durch eine größere Anzahl weiterer Würfe könnte man feststellen, ob das am Würfel liegt.) Der Idealfall wäre, dass bei 60 Würfen jede der sechs Augenzahlen zehnmal vorkommt (siehe Soll-Linie). Zur Erstellung der mittleren Grafik haben meine beiden Söhne mit zwei Würfeln (das entspricht zwei unabhängigen Variablen oder Ursachen) 108 Würfe gemacht. Die ideale Verteilung müsste eine Pyramide über den Augenzahlen zwei bis zwölf sein, die als Soll-Kurve eingezeichnet ist, und die anhand der Anzahl möglicher Kombinationen bei zwei Würfeln entsteht. Bei sechs und sieben Augen weicht das Ergebnis nach oben, bei acht und neun Augen nach unten von der Sollverteilung ab. Die rechte Grafik zeigt die Verteilung beim Werfen von drei Würfeln, was drei unabhängigen Variablen entspricht. Die mögliche Augenzahl geht hier von 3 bis 18. Der eingezeichneten Idealverteilung (wieder die
Anzahl Würfe
Anzahl Würfe
Anzahl Würfe
16
22
45
20
14
40
18 35
12
16 30
14
10
12
25
10
20
8 6
8
15
6
4
10 4
2
5
2
0
0 1
2
3
4
1 Würfel
5
6
Summe "Augen"
0 2
3
4
2 Würfel
5
6
7
8
9
10 11 12
Summe "Augen"
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
3 Würfel
Summe "Augen"
Soll
Chart 156
204
Ist
Häufigkeitsverteilung Ist/Soll mit 1, 2 oder 3 Würfeln
6 Anhänge
kombinatorisch entstehende Soll-Kurve) steht auch hier das mit 314 Würfen erzielte Ergebnis gegenüber. Es stimmt schon recht gut mit der Sollverteilung überein. Was passiert eigentlich bei einer Verteilung, die z. B. aus drei Würfeln entsteht? Jede der 6 x 6 x 6 = 216 möglichen Kombinationen der Augenzahlen hat die gleiche Auftrittswahrscheinlichkeit. Aber eben diese Kombinatorik bewirkt auch, dass die Anzahl möglicher Kombinationen mit dem Abstand vom Mittelwert (hier zwischen 10 und 11 Augen) symmetrisch nach beiden Seiten der Verteilung abnimmt. Und genau die sich dabei ergebende Glockenkurve definiert eine Normalverteilung. Eine Normalverteilung ist ein Zeichen dafür, dass auf eine Ergebnisgröße viele unabhängige Ursachen bzw. Einflussgrößen einwirken. Man käme beim Würfeln durch weiteres Erhöhen der Anzahl Würfel, die gemeinsam geworfen werden (das heißt durch eine Zunahme der Anzahl voneinander unabhängiger Einflussgrößen), immer näher an eine Normalverteilung. Man kann nun die Frage stellen: Welches ist unsere Ergebnisgröße und wie viel Prozent obiger 314 Würfe weichen jeweils wie weit vom Mittelwert ab (die Anzahl 314 entspricht dabei 100%)? Antwort: Der Mittelwert der Verteilung ist unsere Ergebnisgröße, und die jeweilige, prozentuale Abweichung der einzelnen (Mess-)Werte von diesem Mittelwert nennt man »Sigma« (σ).
Anhang 4
Ein kleiner Exkurs in Sachen Statistik
205
Anhang 5
Wirkungsweise eines Paradigmas
Ich beschreibe hier ein Beispiel, das ich vor vielen Jahren als Entwickler im Halbleiterbereich erlebt habe. Es handelt von Diffusionsöfen, in denen bei hohen Temperaturen die Dotierung der Silizium-Wafer durchgeführt wurde (siehe Chart 157). Die Öfen waren so aufgebaut, dass – wie im Chart gezeigt – das DotierGas von einer Seite in ein Quarzrohr hineinströmte und von der anderen Seite, im Chart rechts, die Chargen mit den zu dotierenden Wafern hineingefahren und für einen bestimmten Zeitraum in dem Ofen zur Diffusion belassen wurden. Die im Chart gezeigte Horde, in die die Scheiben hineingestellt werden, setzt voraus, dass im Ofen selber längs ihrer gesamten Länge konstante Temperatur herrscht, damit alle Scheiben demselben Diffusionsvorgang und damit auch derselben Diffusionstemperatur (im Chart 1153°C) unterzogen werden. Chart 158 zeigt den Ofen und wie man sich die Zone konstanter Temperatur innerhalb des gesamten Temperaturprofils vorstellen muss. Es ist leicht einzusehen, dass eine Zone derart hoher und konstanter Temperatur gestört wird, wenn man eine Charge mit Raumtemperatur in diesen Ofen hineinfährt. Es ist zu erwarten, dass das Temperaturprofil in irgendeiner Form durch die Wärmeaufnahme der kalten Charge absinkt. Die Frage ist also, wie stark das Profil absinkt und wie lange es braucht, bis es wieder im stabilen Sollzustand ist. Und genau das war damals das Problem. Die gängige – und auch einsehbare – Vorstellung war, dass man einem Diffusionsofen durch eine große Menge von Ofensteinen eine derart große Wärmekapazität verleiht, dass er kaum auf eine mit Raumtemperatur einfahrende Charge reagiert. Ich formuliere das einmal so: Der Ofen musste eine extrem hohe »Wärmeträgheit« haben.
Quarzrohr
Diffusions-Ofen (z.B.: 1153°C) 18°C
Einfahrzeit 2 min (120 sec)
Quarzstab
Chart 157 Dotierungsdiffusion bei Siliziumscheiben: Einfahren der Charge (fiktive Werte)
206
Gas
Quarzhorde
Silizium-Scheiben (Wafer)
6 Anhänge
Zone konstanter Temperatur (Diffusionszone)
Räumlicher Temperaturverlauf im Ofen
(°C) 1155 1153°C 1150
Chart 158 Dotierungsdiffusion: Temperaturprofil (fiktive Werte)
(cm) 0
5
10
15
20
Wie sich die Temperatur eines Ofens mit großer Wärmeträgheit beim Einfahren einer Charge verändert, zeigt Chart 159. Die gestrichelte Kurve veranschaulicht den (gedanklich in der Hordenmitte gemessenen) Temperaturverlauf der Charge in den ersten 2 Minuten bei der Einfahrt in das Quarzrohr und danach während der eigentlichen Diffusionszeit von einer halben Stunde (in den Minuten 2 bis 32). Während dieser Diffusionszeit steigt die Temperatur der Charge auf die Solltemperatur von 1153°C. Die Charge hat also während der gesamten Diffusionszeit eine sich ändernde und vom Sollwert abweichende Temperatur. Das Chart zeigt weiterhin das Ausfahren der Charge – wieder mit 2 Minuten Dauer – und als letztes das zeitliche Absinken der Chargentemperatur außerhalb des Ofens. (°C) 1154 1153°C
Zeitlicher Temperaturverlauf im Ofen (Diffusionszone Mitte)
1153
Soll 1152 Zeitlicher Temperaturverlauf der Charge (Hordenmitte)
1151 1150 1149 1148
Zeit (min) 5 Start Einfahren
10
15
20
25
30 Start Ausfahren
Ende Einfahren
35
40
Ende Ausfahren
Diffusionszeit = 30 min Start Diffusion
Ende Diffusion
Dotierungsdiffusion: Temperaturverlauf bei großer Masse bzw. Wärmekapazität des Ofens (fiktive Werte)
Anhang 5
Wirkungsweise eines Paradigmas
Chart 159
207
Die durchgezogene Kurve in Chart 159 veranschaulicht hingegen den (gedanklich in der Mitte des Temperaturprofils gemessenen) Verlauf der Temperatur im Ofen selber und zeigt, dass ab Minute 10 die Ofentemperatur und die Chargentemperatur gleich sind (die Mitte von Horde und Temperaturprofil fallen während dieser Zeit zusammen). Die im Chart mit fiktiven Zahlen beschriebene Situation, dass während der gesamten Diffusionszeit von 30 Minuten nicht die Soll-Temperatur herrscht, ist nicht akzeptabel. Hinzu kommt, dass nicht nur in der Mitte von Temperaturprofil und Horde die Solltemperatur nicht erreicht wurde, sondern zusätzlich auch entlang des Temperaturprofils – und damit auch entlang der Charge selber – sehr unterschiedliche Temperaturverläufe anzunehmen sind. Damals erschienen bei uns zwei amerikanische Ofenspezialisten, die sich, von einem großen US-amerikanischen Ofenhersteller kommend, selbständig gemacht hatten, und das mit einem vollkommen anderen Konzept! Es besagte (siehe Chart 160): Der Ofen darf überhaupt keine Wärmekapazität bzw. Wärmeträgheit haben. Dadurch kann seine Temperaturregelung extrem schnell auf das Hineinfahren einer kalten Charge reagieren. Sie reagiert aber genauso schnell auf zu hohe Temperaturen! Im Chart erkennt man zunächst das Hinunterschwingen der Ofentemperatur beim Einfahren der Horde, dann durch kurzzeitiges Hochregeln der Ofenheizung ein Überschwingen der Temperatur zu dem Zeitpunkt, wo die Charge in der Mitte des Temperaturprofils zum Stillstand gekommen ist und die Diffusion beginnt. Es
Zeitlicher TemperaturVerlauf im Ofen (Diffusionszone Mitte)
(°C) 1160 1153°C
1155
Soll
1150 Zeitlicher Temperaturverlauf der Charge (Hordenmitte)
1145 1140 1135 1130
Zeit (min) 5 Start Einfahren
10
15
20
25
30 Start Ausfahren
Ende Einfahren
35
40
Ende Ausfahren
Diffusionszeit = 30 min Start Diffusion
Chart 160
208
Ende Diffusion
Dotierungsdiffusion: Temperaturverlauf bei extrem kleiner Masse bzw. Wärmekapazität des Ofens (fiktive Werte)
6 Anhänge
folgen zwei, drei weitere kleinere Regelschwünge. Danach ist für die restlichen ca. 25 Minuten Diffusionszeit die Temperatur auf der gesamten Länge des Temperaturprofils und der Horde konstant auf dem Sollwert.
q Paradigmen können den Blick auf Tatsachen verstellen Das alte Paradigma forderte: So viel Wärmeträgheit des Ofens wie möglich und dadurch nur ein kleines Abweichen der Ofentemperatur vom Sollwert beim Einfahren einer kalten Charge. Das neue Paradigma forderte: Überhaupt keine Wärmeträgheit des Ofens, sondern ein – erst mit moderner Technik mögliches – hochsensibles, quasi trägheitsloses Regelsystem, das nach dem Einfahren einer kalten Charge die Solltemperatur in einem Bruchteil der Diffusionszeit wiederherstellt.
Anhang 5
Wirkungsweise eines Paradigmas
209
Anhang 6
Vergleich internationaler Qualitätsmodelle
In Ergänzung zum Kapitel 2.4.1 wird hier das Thema »internationale Qualitätsmodelle« noch etwas vertieft. Das bisherige Baldrige Award Criteria Framework beinhaltet insgesamt sieben Kriterien. Fünf davon – mit insgesamt 500 erreichbaren Punkten – sind dem EQA-Modell sehr ähnlich: • Leadership (als »Driverkriterium«) • Information and Analysis, Strategic Quality Planning, Human Resources Development and Management und Process Management (als »Systemkriterien«) Auf der Ergebnisseite – auch mit 500 Punkten – stehen • Business Results, also die Geschäftsergebnisse, • sowie Customer Focus and Satisfaction, also die Kundenzufriedenheit. Im neuen »Baldrige Performance Excellence Framework (siehe Chart 161) erscheinen ähnlich wie im alten Modell zusätzlich und sozusagen »oberhalb« der Kriterienebene drei sog. Basic Elements (siehe Kapitel 2.4.1). Das »erste« Element ist im Chart das Organizational Profile, bestehend aus Environment, Relationships und Challenges.
Organizational Profile: Environment, Relationships and Challenges
2 Strategic Planning
85
5 Human Resource Focus
85 7 Business Results
1 Leadership
120
450 3 Customer and Market Focus
85
6 Process Management
85
4 Measurement, Analysis and Knowledge Management
Chart 161
210
90
Baldrige Criteria for Performance Excellence Framework: A Systems Perspective
6 Anhänge
Dieses Organizational Profile ist aber im Prinzip nichts Neues. Zumindest in den letzten 10 Jahren war am Anfang einer Bewerbung um den Baldrige Award ein Überblick vorgeschrieben (Business Overview). Und es galt: The Business Overview is used by the Examiners in all stages of the application review … and is a vital part of the overall application. Auch in den Bewerbungen um den EQA wird seit Beginn, d. h. seit 1992, ein solcher »Overview« als Einstieg und Kontext für die gesamte Bewerbung gefordert. Das im neuen Baldrige Modell enthaltene, aber nicht sichtbar benannte, »zweite« Element »System Operations« kann man, obwohl es jetzt sechs der insgesamt sieben Kriterien umfasst, durchaus als eine Weiterentwicklung der oben im alten Modell ausgewiesenen »Systemkriterien« auffassen, die nur vier der sieben Kriterien einschlossen. Kriterium 4 Measurement, Analysis and Knowledge Management wird als System Foundation ein »Overall-Datenlieferant« und kommt als »drittes« Element zu neuen Ehren. Es hinterfragt: »… how does the organization select, collect, align and integrate data and information for tracking daily operations … and uses it in fact-based decision making …« Wie weit bis 2002 die Übereinstimmung des europäischen und des alten amerikanischen Modells ging, möchte ich noch etwas eingehender erläutern: Im europäischen Modell (siehe Kapitel 2.4.1, Chart 63) gibt es das Kriterium Führung mit dem Gewicht 100, im Baldrige Modell das Kriterium Leadership mit dem Gewicht 90. Im europäischen Modell gibt es das Kriterium Mitarbeiter mit dem Gewicht 90, auf der Baldrige-Seite das Kriterium Human Resource Development and Management mit dem Gewicht 140. Auf der europäischen Seite gibt es das Kriterium Politik und Strategie mit dem Gewicht 80, im Baldrige Modell steht dem gegenüber Strategic Quality Planning mit dem Gewicht 55. In beiden Modellen ist das Kriterium Prozesse bzw. Process Management mit dem jeweiligen Gewicht 140 das am höchsten gewichtete Treiberkriterium. In beiden Modellen sind auf der Ergebnisseite das Kriterium Kundenbezogene Ergebnisse bzw. Customer Focus and Satisfaction die am höchsten gewichteten; im europäischen Modell mit dem Gewicht 200, im Baldrige-Modell mit dem Gewicht 250. Der abschließende Vergleich des EQA-Kriteriums 9 Schlüsselergebnisse mit den Kriterien 7 Business Results des alten und neuen Baldrige-Modells erfordert eine gesonderte Betrachtung:
Anhang 6
Vergleich internationaler Qualitätsmodelle
211
Die finanziellen Ergebnisse (und das sind schließlich die »Schlüsselergebnisse«) haben im EQA-Modell mit 150 Punkten ein zu niedriges Gewicht. Das kann zu Folgendem führen. Ein europäisches Unternehmen ist in den Kriterien 1 bis 8 so gut, dass sein Assessment im Bereich der Award-Finalisten landet, ohne auf Punkte aus dem Kriterium 9 angewiesen zu sein. Fazit: Es könnte dieses Unternehmen auf Basis seiner erreichten Punktezahl Award Winner werden, obwohl es negative Geschäftsergebnisse schreibt! Bei Baldrige belegen die »Business Results« im alten Modell alleine ein Viertel aller möglichen Punkte und im neuen fast die Hälfte. Da führt also kein Weg zum Award mehr an guten Geschäftsergebnissen vorbei. Mit den Änderungen und Ergänzungen im Baldrige 2003 wurde nicht etwa das alte Modell demontiert. Die Verschiebungen und Vertauschungen innerhalb der Kriterien und ihrer Gewichte bleiben überschaubar. Wichtig ist aber die jeweilige Anzahl Areas to address im Vergleich mit dem EQA-Modell. Bei Baldrige sind das im alten Modell 52, im neuen 88, beim EQA-Modell hingegen 301 Der Grund: Im Baldrige Assessment sind verbreitet sogenannte Multiple Questions eingeführt worden. Der Umfang der im Assessment abgefragten Fakten bleibt dabei erhalten. Er landet aber in einer geringeren Anzahl von Fragen. Diese werden dadurch verständlicher präziser und ganzheitlicher, und somit sind praktisch alle Areas to address auch für Bewerber unterschiedlichster Branchen beantwortbar: Multiple questions serve as a guide in understanding the full meaning of the information being requested. Chart 162 bietet die Möglichkeit, sich anhand der Kriterien und Subkriterien des alten sowie neuen Baldrige Modells ein »quantitatives Bild« der Gesamtänderung des US-amerikanischen Quality Awards zu machen. Dazu ist in der mittleren Spalte »von nach« vermerkt, welche Kriterien und welche Subkriterien vom alten ins neue Modell eingegangen sind und wo. Wie vollständig sie eingegangen sind, wird nur für die Subkriterien angedeutet. Das Zeichen »~« bedeutet eine gewisse Unvollständigkeit des Überganges. Was war nun der Grund für die Umgestaltung des Baldrige Award? Es ist ein stärkerer Fokus des Assessments auf das ethische Verhalten sowohl des Managements als auch der Mitarbeiter. Dass hier ein Fähnchen nach dem Wind gehängt wurde (denn Ethik – Stichwort Corporate Governance – liegt absolut im Trend), ist kaum zu leugnen. Die Brüsseler haben sich das erspart!
q Ethik kontra Business Im Duden Fremdwörterbuch 1997 steht: »Ethik ist die Lehre vom sittlichen Wollen und Handeln des Menschen in verschiedenen Lebenssituationen.«
212
6 Anhänge
von → nach
Baldrige Award Criteria until 2002 1 1.1 1.2 1.3
Leadership Senior Executive Leadership Leadership System and Organization Public Responsibility and Corporate Citizenship
90 45 25 20
2 2.1 2.2 2.3
Information and Analysis Management of Information and Data Competitive Comparisons and Benchmarking Analysis and Use of Company-Level Data
75 20 15 40
3 Strategic Quality Planning 3.1 Strategy Development 3.2 Strategy Deployment
55 35 20
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Human Resources Development and Management Human Resource Planning and Evaluation High Performance Work Systems Employee Education, Training and Development Employee Well-Being and Satisfaction
140 20 45 50 25
5 5.1 5.2 5.3 5.4
Process Management 140 Design and Introduction of Products and Services 40 Process Mgmt: Product and Service Production and Delivery 40 Process Mgmt: Support Services 30 Management of Supplier Performance 30
6 6.1 6.2 6.3
Business Results Product and Service Quality Results Company Operational and Financial Results Supplier Performance Results
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Customer Focus and Satisfaction Customer and Market Knowledge Customer Relationship Management Customer Satisfaction Determination Customer Satisfaction Results Customer Satisfaction Comparison
1 1.2 ~1.3
3.1 3.2
7.1 ~7.2 + 7.4 ~ 2.3
Baldrige Criteria for Performance Excellence 2003 1 Leadership 1.1 Organizational Leadership 1.2 Social Responsibility 2 Strategic Planning 2.1 Strategy Development 2.2 Strategy Deployment
85 40 45
3 Customer and Market Focus 3.1 Customer and Market Knowledge 3.2 Customer Relationships and Satisfaction
85 40 45
4 Measurement, Analysis and Knowledge management 90 4.1 Measurement and Analysis of Organizational Performance45 4.2 Information and Knowledge Management 45
~4.2 ~4.3 4.4
5 5.1 5.2 5.3
250 75 130 45
5 ~5.2 ~5.3
6 Process Management 6.1 Value Creation Process 6.2 Support Processes
250 30 30 30 100 60
6 6.1 ~6.2
~1.3
120 70 50
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
Human Resource Focus Work Systems Employee Learning and Motivation Employee Well-Being and Satisfaction
85 50 35
Business Results Customer-Focused Results Product and Service Results Financial and Market Results Human Resource Results Organizational Effectiveness Results Governance and Social Responsibility Results
Neuordnung der Kriterien und Subkriterien im Baldrige Award 2003
85 35 25 25
450 75 75 75 75 75 75
Chart 162
Eine davon war vor knapp zehn Jahren eine Besprechung bei einem Bereichsleiter des Großanlagenbaus, an der ich teilnahm. Ein Vertriebschef wurde von diesem Bereichsleiter wegen in einem Projekt aufgelaufener Pönalen zur Rede gestellt. Er hätte das durch weitere Klauseln im Vertrag mit dem Kunden verhindern müssen. Seine Entschuldigung war: »Für ihn sei das Verhalten des Kunden, vormals und nach wie vor nicht im Geiste des Vertrags«. Später im kleineren Kreis und in Abwesenheit dieses Vertriebskollegen wurde über seine Entschuldigung herzlich gelacht, denn Ethics are nice, but Business is Business. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Der Vollständigkeit halber möchte ich noch auf das malaysische und das australische Qualitätsmodell eingehen. In Chart 163 wird das malaysische Qualitätsmodell im Volltext vorgestellt. Es besitzt drei Treiberkriterien mit in summa 1200 Punkten sowie vier Ergebniskriterien mit in summa 1000 Punkten. Auch beim malaysischen Modell wird jedes Kriterium in Unterkriterien aufgeteilt, und diese wiederum in die eigentlichen Checklisten, die Areas to address. Das australische Qualitätsmodell (Chart 164) verfügt über sieben Kriterien, sogenannte Kategorien, unter denen sich alte Bekannte wie
Anhang 6
Vergleich internationaler Qualitätsmodelle
213
Criteria
Subcriteria
300
1. Top Management & Management of Quality
1.1 Describe how the senior management personnel are personally and visibly involved in developing and maintaining an environment for quality excellence. 1.2 Describe how the company interprets its quality values into day-to-day management of all units / departments / sectors.
500
2. Use of Quality Data and Information
2.1 Describe the kind of data and information that the company uses for planning, management and evaluation of quality; how data and information reliability, timeliness and availability are assured. Please emphasise on the usage of IT in the organisation for data collection and distribution of information. 2.2 Describe how data and information are analysed to support the company's quality objectives.
400
3. Human Resources Management
3.1 Describe the types of quality education and training received by employees 3.2 Describe the means available for all employees to contribute effectively to the company’s objectives. 3.3 Describe the company’s provisions with regard to health, safety, morale and spiritual needs of employees.
300
4. Satisfaction of Customer Requirements and Expectations
4.1 Describe how the company determines current and future customer requirements and expectations.
200
5. Handling Customer Complaints for Quality Improvement
5.1 Describe how the company handles internal and external complaints, resolves them and uses such information for quality improvement.
200
6. Quality Assurance 6.1 Describe how the quality of support services (e.g. of Support, finance, purchasing, personnel and engineering) Services and within the company is geared towards meeting the Vendors
Chart 163 Malaysian Quality Management Excellence Award (QMEA): Enabler und Results Criteria
Results Review and Improvement
Enabler
Weight
quality requirements of the company. 6.2 Describe how the quality of materials and services supplied from external sources is assured and improved.
300
7. Quality and operational Results
7.1 Describe the company’s operational and quality results for key products and services.
• Leadership and Innovation, • Customer and Market Focus, • Strategy and Planning Processes, • People, • Processes, Products and Services, • Business Results und • Data, Information and Knowledge wiederfinden. Das australische Modell, genannt Australian Business Excellence Framework (ABEF), erinnert an das neue Baldrige Modell. Die sieben Kategorien in ihren gegenseitigen Abhängigkeiten bzw. Verbindungen münden letztlich in dem einzigen Ergebniskriterium Business Results. Wieder sind fünf der sieben Kategorien Treiber. Ebenfalls wie bei Baldrige im Kriterium 4 gibt es eine Basis Data, Information and Knowledge (siehe Know-
214
6 Anhänge
and Knowledge
Customer and Market Focus
Data, Information
Leadership and Innovation
People Strategy and Planning Processes
Business Results
Processes, Products and Services
Chart 164 Das Australische Business-ExcellenceModell
ledge-Turnover, Kapitel 4.4) für Fact-based-Performance and Competitiveness. Zur insgesamt besseren Einschätzung der vorgestellten Qualitätsmodelle möchte ich abschließend W. Edwards Deming zu Wort kommen lassen. Mit Chart 165 wird zunächst der Deming Application Prize for Companies/ Divisions vorgestellt. In der vorliegenden Gestalt stammt die im Volltext gezeigte Checkliste aus dem Jahre 1969. In ihr wird explizit nicht unterschieden zwischen Treibern und Ergebnissen. Deming fragt dahingegen in den Checking Points des Charts die Benutzung der seiner Meinung nach notwendigen Werkzeuge ab. Und um das, was in den Treiberkriterien der neueren Modelle hinterfragt wird, hat sich Edward Deming persönlich gekümmert. Er schuf, zum Beispiel als Berater oder Dozent, für seine Kunden selbst die Werkzeuge (Kurse, Workshops, Seminare …), die sie für das Erreichen ihrer Unternehmensziele benötigten. Deming, der als einer der Väter der Statistical Quality Control (SQC) gilt, schuf – ganz dem Denken in (Qualitäts-)Regelkreisen verhaftet – den Begriff Total Quality Control (TQC). Das war wohlgemerkt noch nicht Total Quality Management! Als der herausragendste amerikanische Promotor für Quality Control wurde er im Juli 1950 von der »Japanese Union of Scientists and Engineers« JUSE nach Japan eingeladen. 1951 rief die JUSE dann den Deming Prize ins Leben. Damals begann (mit Demings Unterstützung) die große, japanische Qualitätsoffensive, in deren Verlauf das weltweite Paradigma Japanische Produkte sind billig und schlecht ins Gegenteil verwandelt wurde. Die Regeln des Deming Prize änderten sich im Verlauf der Jahre; März 1973, Oktober 1978, Oktober 1982 und Oktober 1986. Aber der Preis enthielt von Anbeginn mehrere Preiskategorien. Genannt seien
Anhang 6
Vergleich internationaler Qualitätsmodelle
215
Items
Checking Points
1.
Policies
2.
The Organization and its operations
3.
Education and dissemination
4.
Information gathering, communication and its utilization
5.
Analysis
6.
Standardization
7.
Control/management
8.
Quality assurance
9.
Effects
10. Future plans
Chart 165
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 4.1 4.2 4.3 4.4 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10 8.11 9.1 9.2 9.3 9.4 10.1 10.2 10.3 10.4
Quality and quality control Methods for establishing policies Appropriateness and consistency of policies Utilization of statistical methods Communication and dissemination of politics Checks on policies and status of their achievement Their relationship to long- and short-term plans Clarity of authority and responsibility Appropriateness of the delegation of authority Inter-departmental coordination Committee activities Utilization of staff Utilization of QC Circle activities Quality control /management diagnosis Educational plan and results Consciousness of quality and how it is managed, and understanding of quality control/management Education on statistical concepts and methodes and the degree to which they are disseminated Grasp of effects Education of associated companies (vendors, contractors, distributors) QC Circle activities The system of improvement suggestions and its status Collection of external information Inter-departmental communication Speed of communication (utilization of computers) Information processing, analysis and utilization of information Selection of important issues and improvement themes Appropriateness of analytical methods Utilization of statistical methods Linkage with industry intrinsic technology Quality analysis and process analysis Utilization of analysis results Action taken on improvement suggestions System of standards Methods of establishing, revising and abolishing standards Actual performance in establishing, revising and abolishing standards Contents of the standards Utilization of statistical methods Accumulation of technology Utilization of standards Management systems for quality and other-related elements Control points and control items Utilization of statistical methods and concepts Contribution of QC Circle activities Status of control/management activities In-control situations New product and service development methods (deployment, analysis, reliability testing, design review) Preventive activities for safety and product liability Degree of customer satisfaction Process design, analysis, control and improvement Process capabilities Instrumentation and inspection Management of facilities, procurement and services Quality assurance system and its diagnosis Utilization of statistical methods Quality evaluation and audit Status of quality assurance Measurements of effects Effects such as quality, service, delivery, cost, profit, safety and environment Intangible effects Conformity of actual performance to planned effects Concrete understanding of current situation Measures for solving defect problems Future promotion plans Relationship between future plans and long-term plans
Der Deming Application Prize for Companies/Divisions (1969)
• der Deming Prize for Individuals, • der Deming Application Prize for Small Companies, • der Deming Application Prize for Companies,
216
6 Anhänge
• der Deming Application Prize for Divisions (inside Companies), • der Quality Control Award for Factories und schließlich • der Deming Application Prize for Senior Executives. Beim näheren Hinsehen bemerkt man, dass die in Chart 165 vorgestellte Checkliste auf Industrie-Unternehmen ausgerichtet war und in der obigen Auflistung gemeinsam zu den Preiskategorien »for Companies« und »for Divisions« gehört. Unterschiedliche Checklisten für unterschiedliche Unternehmenskategorien sind ein wesentlicher Unterschied zwischen Deming und den übrigen, zuvor gezeigten Modellen, die ja für jedwede Art von Unternehmen geeignet sind. Was im Übrigen bei den modernen Business-Excellence-Modellen ganz allgemein der Approach ist, sind bei Deming im speziellen immer wieder die Werkzeuge zur Quality Control, auf Deutsch Qualitätsregelkreise. Und was in den modernen Modellen das Kriterium Leadership – mit oder ohne Ethik – leistet, leistet bei Deming die Deming Application Prize Checklist for Senior Executives mit sechs Items (Kriterien) und 42 Checking Points, von denen fünf dem Enthusiasmus dieser Führungskräfte gewidmet sind. Den Organisationen oder Personen, die den Deming Prize gewinnen, wird die Deming Medal überreicht. Auf ihr steht in seinen eigenen Worten geschrieben: »The right quality & uniformity are foundations of commerce, prosperity & peace …«
Anhang 6
Vergleich internationaler Qualitätsmodelle
217
7 Literatur
218
Amerongen, Otto Wolff von
Die KVP-Studie Eine Studie der Agamus Consult GmbH, Starnberg, 06/1996
Collins, James C.; Porras, Jerry I.
Built to last; Successful Habits of Visionary Companies Harper Business, New York, 1994
Covey, Stephen R.
The Seven Habits of Highly Effective People Simon & Schuster, New York 1989
Crosby, Philip B.
Quality is free – The Art of Making Quality Certain McGraw-Hill, New York, 1979
Flanagan, John C.
The critical incident technique Psychol. Bull., 1954
Forrester, Jay W.
Industrial Dynamics: A Major Breakthrough for Decision Makers Harvard Business Review, 1958
Fournier, B. D.
Birmingham, 12. 2. 1993
Goleman, Daniel
Emotional Intelligence. Why it can matter more than IQ Bantam Books, New York, 1995 (In deutsch: Emotionale Intelligenz; Carl Hanser Verlag, 1996)
Grant (W. T. Grant Consortium)
Communities That Care Hrsg. J. David Hawkins et al., Jossey Bass, San Francisco, 1992
Hall, Brian P.
Values Shift – A Guide to Personal & Organizational Transformation Twin Lights Publishing, Rockport, 1995
Hammer, Michael; Champy, James
Reengineering the Corporation Harper Collins Puplishers, New York, 1993 (In deutsch: Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen; Campus Verlag, Frankfurt, 1994)
7
Literatur
Heitkamp, Doris
Mitten im Zentrum – Der Prozessbegleiter als Drehscheibe der Veränderung AWF-Erfahrungsforum, Frankfurt, 10/1998
Herzberg, Frederick; Mausner, Bernard; Bloch Snyderman, Barbara
The Motivation to Work John Wiley & Sons, New York, 1959
Hiam, Alexander
Does Quality Work? A Review of Relevant Studies The Conference Board, Bericht Nr. 1043, 09/1993
Imanishi, Kinji
Social Behavior in Japanese Monkeys; Macaca Fuscata Psychologia, 1957.1.
IMD
Supply Chain Management 13th Executive Forum, Lausanne, 10/1996
Juran, Joseph M.
Quality Control Handbook, 1965
Kleinfeld, Klaus
Benchmarking. Naht das Ende einer endlosen Diskussion? Siemens AG, 11/1993
Lamotte, Gaelle; Carter, Geoff
Are the BSC and the EFQM Model mutually exclusive? EFQM Brussels, 12/1999
McKay, John
The Pipeline Index PRTM’s Insight, Summer 1998
Motorola
Six Sigma Concepts Video Script and Graphics Tools through Publishing, Motorola University Press, 1992
Nyhuis, Peter; Wiendahl, Hans-Peter
Logistische Kennlinien 2. Auflage, Springer, Heidelberg, 2003
Opitz, Herwart
Moderne Produktionstechnik – Stand und Tendenzen Verlag W. Girardet, Essen, 1970
Peters, Thomas J.; Waterman jun., Robert H.
In Search of Excellence Harper & Row, Publishers. Inc, 1982 (In deutsch: Auf der Suche nach Spitzenleistungen; verlag moderne industrie, Landsberg am Lech, 1982)
Scott-Morgan, Peter
The Unwritten Rules of the Game McGraw-Hill, New York, 1994 (In deutsch: Die heimlichen Spielregeln, Campus, 1995)
7
Literatur
219
220
Solla Price, Derek J. de
Networks of Scientific Papers Science 149, 07/1965, pp. 510–515
Sprindis, Gary
Bechmarking is a journey Motorola University Press, Schaumburg, 1993
Steffens-Duch, Silvia
Commitment – die Bank im Urteil der Mitarbeiter Die Bank 03/2000, pp. 183, Berlin, 2000
Stone, Karen F.; Dillehunt, Harold Q.
Self Science: The Subject is Me Goodyear Publishing, Santa Monica, 1978
Taylor, Frederick Winslow
The principles of Scientific Management The Plimpton Press, Norwood Mass. 1911
Thomas, Philip R.
Competitiveness Through Total Cycle Time. An Overview for CEOs; McGraw-Hill, New York, 1990
Ulfers, Heike A.
Erfahrungen mit der Belastungsorientierten Auftragssteuerung bei der Siemens AG (in: H.-P. Wiendahl, Hrsg., Anwendung der Belastungsorientierten Fertigungssteuerung, Carl Hanser, München, 1991)
Ulfers, Heike A.
Grundwerte des Managements Siemens AG, nicht veröffentlichte Literaturstudie, 2000
Weber, Jürgen; Schäfer, Utz
Balanced Scorecard & Controlling Gabler, Wiesbaden, 1999
7
Literatur
8 Stichwortverzeichnis
A Änderungen 102, 122, 126 Änderungshorizont 109 Anlieferqualität 78 Antinomie 25, 26, 82 Arbeitsreichweite 136 Arbeitsvorräte / Actions In Process (AIP) 35, 54, 58, 136 Arbeit / arbeiten 18, 35, 77, 179 Auftrag / Aufträge 28, 30, 33 ~sabwicklung 36, 53 priorisierter 37 Award ~ Modelle 173 ~ Winner 139 Ähnlichkeit der ~modelle 93
B Balanced Scorecards (BSC) 158, 164 ~ als Filter 163 Erstellen von ~ 160 Baldrige Award 90, 91, 92, 211 Barrieren 128, 129, 130, ~bewertung 134 ~bewußtsein 148 Kultur~ 129, 134 Prozess~ 130 Sach~ 129 Belastung 31, 32 ~sschranke 32, 41, 42 ~sschwankungen 30, 31, 41 ~ssteuerung / AIP Management 54, 55, 57 Benchmarken, Benchmarking 124, 151 Benchmarking-Modelle 152 Bestände (sichtbare und unsichtbare) 34, 114 Bewertungsmodell für Führungskräfte 165 Bewertung von Zielen (Approach) 88, 100, 168 Bohm, David 13, 102, 189
8
Stichwortverzeichnis
Business / Management Excellence 145, 149, 164, 174
112,
C Cockpit Charts 112, 158 Commitment 136, 148, 158, 171, 185 Conformance 70, 77, 85, 147 Critical Performance Measures 153 Critical Success Factors 152, 154
D Delegieren von Entscheidungsbefugnis 127, 128, 133, 139 Delegieren von Verantwortung 127, 128, 133, 139 Demotivator 180 Deployment 88, 98 Policy ~ 160, 180 Design ~kosten 157 Concurrent 49 Dialog 13, 102, 121 Durchlaufzeit 30, 35, 38, 67, 123, 131 dynamische ~ 44, 119 statische ~ 38, 39
E Effizienz 23, 32, 57, 104, 113 EFQM, European Foundation for Quality Management (EFQM) 93, 164, 186 Einfangquerschnitt für Änderungen 47 Emotionale Intelligenz 190, 192 Emotionale Selbstverpflichtung 187 Emotionen / emotional 109, 189, 190, 191, 193 Empowerment 97, 134, 139, 185 Engineering 47, 95 Concurrent ~ 48, 49, 82 Reverse ~ 155, 156 Simultaneous ~ 48 Usability ~ 52 Entscheiden 21, 127, 134, 139 Entscheidungsrisiko 17
221
Ergebnis / Kriterien / Results 90, 94 Ersatzprozesse 121, 137 Erstausbeute First Pass Yield (FPY) 73, 83, 115, 119 European Quality Award (EQA) 89, 94, 120, 147, 173
F Führen von Geschäften 138, 140, 141, 144, 174 Führen von Menschen Leadership 138, 139, 173, 174, 185 Führungskräfte 165, 174, 189 Fachwissen / Knowledge 14, 15, 110, 111, 171 Fehlentscheidung / falsche Entscheidung 21, 84 Fehlerkosten 72 Feinterminierung 57 First Pass Yield eines gesamten Prozesses 73 Flexibilität 43, 64, 69, 70 Fließfertigung / Fließprinzip 54, 56 Frühwarnsystem 86
G General Electric (GE) 106, 174 Gesamtprozesse 44, 109, 110 ~ Ausbeute / Rolled Throughput Yield 74
H Härtegrad-Darstellung 86, 88, 113 Halbwertszeit von Wissen 14, 131, 170 Herzberg, Frederick 178 Hinreichend 21, 62, 65, 155, 177 Hot Lot 123, 124
I Informationsgehalt einer Botschaft 16 Information ist eine Holschuld 170 Innovation 101, 126 ISO 9000 19, 127
K Kapazität Nutzbarkeit einer ~ 66 ~ und ihre Auslastung 40, 46, 52, 55, 57 Knowledge Management (KM) 169, 170 Know How Sharing 61 Körpersprache 23
222
Kontinuierliche Verbesserung von Prozessen (KVP) 106, 107 Kosten 33, 189 ~festlegung 148, 158 ~management 143 ~treiber 143 ~verursachung 148 ~ und Vollendungsgrad (Perfektion) 71, 72 ~ von Non-Conformance 70
L Leadership Excellence 173, 185, 188 Lean siehe schlank 32 Leistung 46, 57, 139, 147 ~sbeurteilung 167 ~smessung 58 Ausreizen von ~ 46, 71 Normal~ 35 Losgröße 1 43 Los / Lose 33, 80 größe ~ 33, 40, 42, 49, 131 Priorisierung von ~ 124 Low-Hanging-Fruits 134
M Maßnahmen hinreichende ~ 21, 62, 155, 164, 177 notwendige ~ 21 Maturity / Maturity Grids 88, 96, 97 Maurerdreisatz 28 Mean Time Between Failure (MTBF) 66 Mean Time To Repair (MTTR) 66 Measure it – publish it 112, 113 Messen / Messungen / measures 112, 113 ~ als notwendiger Teil des Regelns (Controlling) 114, 153 ~ von Werten 183 ~ der Nutzbarkeit einer Kapazität 66 Notwendigkeit von ~ 121 Quervergleich von ~ 112, 113 Mittelmanagement 133, 144, 147, 148 Mobilisierung von Mitarbeitern 186 Modularität 50, 51, 60, 69 Motivation / Motivator 176, 178, 180
N Normalverteilung 79, 80 Notwendig 21, 62, 65, 155
8
Stichwortverzeichnis
O Organisation / organizations 26, 28, 47 funktionsorientierte ~ 26, 48 Ostereier suchen 182
P Pünktlichkeit / On Time Delivery (OTD) 83 Paradigma 12, 14, 26, 54, 72 Paradigmenwechsel / Paradigm Shift 52, 106, 122, 129 Partnerschaften 59, 62 Policy Deployment 160, 180 Primat des Handelns 12, 69, 138, 144, 190 Priorisieren / Priorisierung 37, 42, 124 Problembewusstsein 102, 133, 148 Produkt ~-Benchmarking 155 ~entwicklung 48, 49 ~entwicklungs-Prozess 45, 52 ~reife 46 Produktivität 23, 43, 104, 121, 132 ~ssteigerung 23, 102, 105, 125, 168 Projekt 20 Projektverfolgung 88 Prozess 20, 26, 27, 39 ~ausbeute / Process Yield 74, 119, 125 ~barrieren 129, 130, 134 ~definition 20 ~design 82, 103 ~messgrößen 25 ~qualität 82 ~ Mapping 115, 136 Ersatz~ 121, 137 Substitutions~ 121, 137
Q Qualität / Quality 73, 95, 100, 125, 134 ~Awards 89 ~skosten 72 ~smodelle 88, 89, 160, 164 ~ Management 96 Produkt~ 78
R RADAR (EFQM) 98, 120 Regelkreis / Controlling 114, 141, 162 Regeln / Rules of the Game 137 Reichweiten 38, 41, 136 Reife / Reifegrad 46, 86, 88, 98
8
Stichwortverzeichnis
~modelle 95 ~ von Software 95 Responsiveness 64, 144 Reverse Enginering 155, 156 Risiko von Entscheidungen 17, 139 Rollup 67, 68 Root Cause Barrier 130
S Sachbarrieren 129, 134 Schlankheit von Prozessen 83, 114, 137 Schlank / lean 32, 34, 67 Schnelligkeit von Prozessen 34, 35, 59, 114 Sechs Sigma 76, 78 semantische Exerzitien 178 Substitutionsprozess / Ersatzprozess 121, 137
T Taylorismus 18, 35 Team / Teams 17, 48, 116, 148, 160, 163 Termintreue 83, 130, 134, 136 Total Quality Management (TQM) 89, 94, 145 Treiberkriterien / Enabler 90, 94, 114, 139, 160, 175 Trichtermodell 44, 53, 55
U Unternehmens-Modell
30
V Veränderung / Neugestaltung 101, 110, 112, 148, 180 Widerstand / Barrieren gegen ~ 126, 128 Verbesserung 62, 101, 106, 126, 148 ~smethoden 105, 107 ~spotenziale 105 ~svorschläge 105, 106, 183 Vertrauen 63, 112, 127, 128, 185 Visionen / visionär 177, 181, 189 Visionsworkshop 178 Vollendungsgrad von Produkten und Leistungen 71
W Werte 171, 178, 181, 194 ~system 139, 175, 187 ~wahrnehmung 188, 191 Grund~ 183, 184, 185
223
Unternehmens~ 174, 181 Wissen 19, 65, 158, 159, 171 ~smanagement 168, 171 ~ ist eine Holschuld 170 Halbwertszeit von ~ 14, 16, 19 Work Enlargement 131 Work Enrichment 131
Z Ziele gezieltes Handeln / Approach 88, 120, 123, 166, 174 Zusammenarbeit Formen der ~ 59, 63, 89, 109, 178
224
8
Stichwortverzeichnis