2018 Book Maschinenbau [PDF]

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Zitiervorschau

Werner Skolaut Hrsg.

Maschinenbau Ein Lehrbuch für das ganze Bachelor-Studium 2. Auflage

Maschinenbau

TUNAP

INDUSTRY

SPEZIALSCHMIERSTOFFE FÜR IHRE INDUSTRIE UND ANWENDUNG

BERATUNG, ENTWICKLUNG UND PRODUKTION AUS EINER HAND TUNAP steht seit mehr als 40 Jahre für Leidenschaft und Kompetenz im Bereich chemischer Produkte. Als Spezialist für chemisch-technische Anwendungen liegen unsere Stärken insbesondere im Bereich der Schmierfette, -öle und -pasten sowie Reiniger.   Mit unserem ganzheitlichen Angebot, von der betriebswirtschaftlichen Beratung über die Chemical Compliance, bis hin zur technischen Produktschulung, liefert TUNAP die komplette tribologische Lösung. Unsere hochqualifizierten Chemiker und technischen Berater haben TUNAP als Innovations- und Technologieführer weltweit bekannt gemacht. Heute bieten wir über 800 attraktive Arbeitsplätze in 19 Ländern. Für unser kontinuierliches Wachstum sind wir ständig auf der Suche nach Verstärkungen für unser Team. Werden sie ein Teil der TUNAP Familie. Wir freuen uns auf Sie!

TUNAP

Chemie, die bewegt.

TUNAP GmbH & Co. KG Bürgermeister-Seidl-Straße 2 D-82515 Wolfratshausen [email protected] www.tunap.com

Werner Skolaut (Hrsg.)

Maschinenbau Ein Lehrbuch für das ganze Bachelor-Studium 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage

Herausgeber Werner Skolaut Heidelberg, Deutschland

Bonusmaterial und Aufgaben mit ausführlichen Lösungen finden Sie unter http://www.springer.com/springer+vieweg/maschinenbau/book/978-3-662-55881-2 ISBN 978-3-662-55881-2 https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9

ISBN 978-3-662-55882-9 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2014, 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und MarkenschutzGesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Redaktion: Bernhard Gerl Einbandabbildung: © JustContributor – Fotolia.com Zeichnungen: Günther Hippmann, Wolfgang Zettlmeier, Valentina Ansel Einbandentwurf: eStudio Calamar Fotos: siehe Abbildungsnachweis Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Geleitwort

Der Maschinenbau – mit allen seine Branchen und Technologien – ist für die Bundesrepublik Deutschland Wirtschaftsmotor Nummer eins. Der Erfolg der Firmen, ob Klein-, Mittel- oder Großunternehmen, wird Jahr für Jahr an den Exportzahlen und dem Exportüberschuss, den Deutschland dadurch erwirtschaftet, jedem deutlich. Die Position im internationalen Wettbewerb, die besonders durch die Leistungen des Ingenieurfachpersonals in den Unternehmen erreicht wurde, muss für die Zukunft gesichert werden. Dieses Ziel lässt sich am besten und vorausschauend realisieren, besonders auch mit einem hohen Wirkungsgrad und überschaubaren Investitionsleistungen, wenn die Ingenieursausbildung weiterhin auf höchstem Niveau erfolgt. Die Umstellung an den Hochschulen auf Bachelor- und Masterabschluss hat der Qualität der Ausbildung aufgrund des Verantwortungsbewusstseins der Lehrenden gegenüber den Studierenden und deren beruflicher Zukunft bisher keinen messbaren Schaden zugefügt. Dieser Umstand ist auch dem Angebot an begleitendem Lehrmaterial geschuldet. Normen, VDI-Richtlinien und die studienbegleitenden Lehrbücher werden für die Studierenden inhaltlich abgestimmt und kontinuierlich mit neuestem Fachwissen erweitert, so dass die Absolventinnen und Absolventen der technischen Ausbildungsberufe, Ingenieurakademien und Hochschulen sich den neuesten Technologiestand in Kombination mit den jeweiligen Lehreinheiten aneignen können. Das vorliegende Springer Lehrbuch Maschinenbau bietet den Studierenden eine hervorragende Möglichkeit, sich Wissen eigenständig zu erarbeiten, erlerntes Wissen zu vertiefen bzw. studienbegleitend in Übungen und Seminaren anzuwenden. Darüber hinaus ist der erläuternde Text in Verbindung mit den vielfältigen, sehr eindrucksvoll dargestellten Konstruktions- und Berechnungsbeispielen für eine Auffrischung der Thematiken des Maschinenbaus sehr hilfreich. In Kombination, z. B. mit dem DUBBEL – Taschenbuch für den Maschinenbau oder der grundlagenorientierten HÜTTE – beide ebenfalls aus dem Springer Verlag – wird den Lesern der umfassende, gefestigte und wissenschaftlich nachgewiesene Technologiestand geboten. Von den Autoren des Springer-Lehrbuchs Maschinenbau ist unter der Leitung des Herausgebers eine eindrucksvolle Studienliteratur in der nun vorliegenden 2. aktualisierten und überarbeiteten Auflage erarbeitet worden, die sich in die oben genannte Zielsetzung des deutschen Maschinenbaus, die Technologieführerschaft für Deutschland zu sichern, nahtlos und überzeugend einbringt. Magdeburg, 12. September 2017 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinrich Grote Mitherausgeber des DUBBEL – Taschenbuch für den Maschinenbau

V

Vorwort zur zweiten Auflage

In der vorliegenden aktuellen 2. Auflage des Lehrbuches wurden alle Kapitel von den Autoren überarbeitet, aktualisiert und, da wo notwendig, erweitert. Ermuntert durch die zahlreichen positiven Reaktionen der Rezensenten wurde das didaktische Konzept mit Leitbeispiel, Vertiefungen, gerechneten Aufgaben, Anwendungsbeispielen und Übersichten in Kästen vom Text abgegrenzt und mit verschiedenen Farben verdeutlicht, festgehalten. Die Stilelemente mit den Farben blau für Beispiele, violett für vertiefende Darstellungen und gelb für Übersichten sowie die gelb unterlegten Merksätze sind geblieben. Verständnisfragen im Text sind weiterhin zur Selbstkontrolle des Gelernten vorhanden. Erweitert wurden die Querverweise zwischen den Kapiteln, speziell was die Abhängigkeit zwischen Materialeigenschaften, Konstruktion und Fertigung betrifft. Besonders wurden die genannten Normen sowie alle weiteren Quellen auf Aktualität geprüft und auf den neuesten Stand gebracht; speziell der geometrischen Produktspezifikationen, die als besonders wichtig für die globale Ausrichtung des Maschinenbaus gelten. Zukunftsweisend wurde die additive Fertigung aufgenommen und der Teil zur Industrie 4.0 detaillierter dargestellt. Ebenso widmet sich eine Übersicht den Speichern elektrischer Energie im Teil Elektrotechnik. Dankenswerterweise sind die gleichen 20 Autoren aus Universitäten und Fachhochschulen wieder beteiligt, deren ergänzte Kurzbiografien am Ende des Buches zu finden sind. Dort befinden sich auch die Danksagungen der Autoren. Als Herausgeber möchte ich mich an dieser Stelle bei den Autoren für die erneute Mitwirkung und hervorragende Zusammenarbeit sowie die Termintreue bedanken. Weiterhin gilt mein Dank le-tex publishing services GmbH, insbesondere Frau Steffi Siebert-Hohensee und Herrn Julian Meyer. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Günther Hippmann von der Hippmann GbR, für die fachkundige und zuverlässige Gestaltung der Abbildungen. Er hat als Grafiker einen besonderen Anteil am Aussehen des Buches. Bedanken möchte ich mich zusammen mit den Autoren bei allen Beteiligten des Springer-Verlages und besonders bei Frau Hestermann-Beyerle und Frau Kollmar-Thoni von Springer Vieweg. Ganz besonderer Dank gilt auch meiner Frau, die die Zeit bis zum Erscheinen der zweiten Auflage wieder ermunternd begleitet hat. Heidelberg im April 2018 Werner Skolaut

VII

Vorwort zur ersten Auflage

Seit der Umsetzung des Bologna-Prozesses als europäische Hochschulreform hat sich das klassische Maschinenbaustudium durch Einführung spezieller Profile in eine große Anzahl eigenständiger Studiengänge aufgefächert. Daher findet man heute eine Vielfalt an Untergliederungen in der Organisation der Maschinenbau-Fakultäten. Aus der Perspektive der Studierenden stehen andere Probleme im Vordergrund. Zunächst ist die Interdisziplinarität des Maschinenbaus zu nennen. Es gilt, viele Wissensgebiete parallel zu erschließen, wie zum Beispiel Technische Mechanik, Werkstoffkunde oder Thermodynamik, die wiederum mit dem Grundlagenwissen aus Mathematik, Physik und Chemie verknüpft sind. Zu diesen Wissensgebieten lassen sich hervorragende einzelne Lehrbücher finden – meist verfasst von mehreren Autoren aus dem jeweiligen Fachgebiet und versehen mit Aufgaben zur Verdeutlichung des Stoffes und dessen Anwendung. Ein umfassendes Lehrbuch, das einführend die gesamten Grundlagen des Maschinenbaus enthält, fehlte bisher. Das vorliegende Lehrbuch des Maschinenbaus schließt diese Lücke. Alle Kapitel wurden von Autoren verfasst, die als Professoren Lehrerfahrung in ihren jeweiligen Fachgebieten besitzen. Versehen mit vielen Beispielen, ausführlichen Berechnungen und in die Tiefe gehenden Darstellungen wichtiger Hintergründe werden alle Fachgebiete ausführlich behandelt. Ein Thema zieht sich durch das gesamte Buch: der Antriebsstrang. Als ein komplexes System zur Übertragung von Energie zur Fortbewegung, bestehend aus zahlreichen Elementen mit unterschiedlichen Funktionen, werden daran Funktionsweisen und Prinzipien, Fertigungsverfahren sowie Materialeigenschaften demonstriert. Wie und welche dieser Elemente in den einzelnen Kapiteln genutzt werden, ist im ersten Kapitel beschrieben. Symbolisiert wird dieses Anwendungsbeispiel durch einen Kasten mit einem stilisierten Antriebsstrang auf grünem Hintergrund. Andere Stilelemente haben ebenfalls eigene Farben: blau sind Beispiele, violett vertiefende Darstellungen und gelb Zusammenfassungen. Insgesamt sind 20 Autoren aus Universitäten und Fachhochschulen beteiligt, deren Kurzbiografien am Ende des Buches zu finden sind. Dort finden sich auch die Danksagungen der Autoren. Als Herausgeber möchte ich mich an dieser Stelle bei den Autoren für die hervorragende Zusammenarbeit, geprägt von vielen Diskussionen und auch Kompromissen bezüglich des Inhalts und einer möglichst widerspruchsfreien Nomenklatur, bedanken. Weiterhin gilt mein Dank le-tex publishing services GmbH, insbesondere Frau Dana Minnemann und Frau Anne Strohbach zusammen mit den Grafikern Herrn Wolfgang Zettlmeier, Frau Valentina Ansel und Herrn Günther Hippmann, die dem Buch das Aussehen gegeben haben. Ganz besonders bedanken möchte ich mich aber zusammen mit den Autoren bei allen Beteiligten des Springer-Verlages für die Unterstützung und besonders für die kreative und umsichtige Projektleitung durch Frau Hestermann-Beyerle von Springer Vieweg. Ganz besonderer Dank gilt auch meiner Frau, die die letzte, doch sehr arbeitsintensive Zeit der Endkorrekturen ebenso ermunternd begleitet hat wie die Zeit der Vorbereitung. Heidelberg, Oktober 2014 Werner Skolaut IX

Inhaltsverzeichnis

1

Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch . . . .

1

1.1

Berufsfeld Maschinenbau-Ingenieur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

1.2

Der Produktentstehungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

1.3

Bachelor-Studium Maschinenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

1.4

Maschinenbaustudium an Fachhochschule und Universität . . . . . . .

6

1.5

Aufbau dieses Lehrbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

1.6

Didaktische Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

1.7

Leitbeispiel Antriebsstrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Teil I Technische Mechanik 2

3

Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

19

2.1

Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

2.2

Ebenes Kräftegleichgewicht am Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

2.3

Statisches Gleichgewicht am ebenen starren Körper . . . . . . . . . . . .

26

2.4

Räumliche Kraftsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2.5

Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2.6

Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern . . . . . . . . . .

59

3.1

Schnittgrößen in ebenen geraden Balken . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

3.2

Rahmen und Bögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

3.3

Räumliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

3.4

Fachwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

3.5

Seilstatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 XI

XII

Inhaltsverzeichnis

4

5

6

7

Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

4.1

Spannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

4.2

Verzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

4.3

Das Materialgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

5.1

Zentrischer Zug oder Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104

5.2

Biegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

5.3

Schub durch Querkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

5.4

Torsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

124

5.5

Statisch überbestimmte Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

5.6

Dünnwandige Behälter unter Innendruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134

5.7

Überlagerte Beanspruchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141

Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen . . .

149

6.1

Arbeit und Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150

6.2

Der Arbeitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152

6.3

Formänderungsarbeit und -energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

6.4

Sätze von Castigliano und Menabrea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

156

6.5

Euler’sches Knicken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163

Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung . . . . . . . .

165

7.1

Bewegungen beziehen sich immer auf ein Bezugssystem . . . . . . . .

166

7.2

Bahn, Geschwindigkeit und Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . .

166

7.3

Geradlinige Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

7.4

Räumliche Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

7.5

Bewegungen auf vorgegebener Bahn. Beschreibung einer Bewegung in natürlichen Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

7.6

Relativkinematik des Massenpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182

Inhaltsverzeichnis

8

9

10

11

Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

8.1

Impuls und Impulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

8.2

Drall und Drallsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

8.3

Relativkinetik des Massenpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

8.4

Arbeit, Leistung und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

8.5

Massenpunktsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200

Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen . . . . . . .

201

9.1

Lage und Orientierung eines starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . .

202

9.2

Kinematik der Drehung bei ebener Bewegung . . . . . . . . . . . . . . .

203

9.3

Kinematik von Körperpunkten bei ebener Bewegung . . . . . . . . . .

205

9.4

Kinematik der räumlichen Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212

9.5

Bewegung relativ zu einem starren Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

220

Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen . . . . . . . . . . . . . .

223

10.1

Kinetik für eine Drehung um eine feste Achse . . . . . . . . . . . . . . . .

224

10.2

Massenträgheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226

10.3

Kinetik für eine allgemeine ebene Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . .

229

10.4

Kinetik der allgemeinen Bewegung eines starren Körpers . . . . . . . .

239

10.5

Stoßprobleme und Systeme veränderlicher Masse . . . . . . . . . . . . .

242

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250

Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

11.1

Generalisierte Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

256

11.2

Zwangsbedingungen und Zwangskäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

256

11.3

Virtuelle Verschiebungen, virtuelle Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

11.4

Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung . . . . . . . . . . . . .

260

11.5

Lagrange’sche Gleichungen 2. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

XIII

XIV

Inhaltsverzeichnis

12

13

Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275

12.1

Beschreibung von Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

276

12.2

Klassifikation von Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

277

12.3

Freie Schwingungen linearer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

277

12.4

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . .

286

12.5

Schwingungen nichtlinearer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

306

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

310

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

312

Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 13.1

Mehrläufige Schwingungen mit konzentrierten Parametern . . . . . .

316

13.2

Kontinuumsschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

327

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

338

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

339

Teil II Werkstoffkunde 14

15

Die Welt der Werkstoffe – der Grundbaukasten des Maschinenbaus . . . . .

345

14.1

Werkstoffe für die Produkt- und Bauteilentwicklung . . . . . . . . . . .

346

14.2

Werkstoffanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

346

14.3

Werkstoffhauptgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

350

14.4

Werkstoffe im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

362

Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

366

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

366

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367

Werkstoffe – Leistungspotenziale erkennen und nutzen . . . . . . . . . . . . .

369

15.1

Werkstoffe und ihr Innovationspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

370

15.2

Werkstoffangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

373

15.3

Werkstoffanforderungen und Kenngrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379

15.4

Dichte und thermische Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

382

15.5

Elastische Verformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

389

15.6

Festigkeit unter quasi-statischer Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

403

15.7

Härteprüfung zur Werkstoffidentifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . .

420

15.8

Plastische Verformbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

430

15.9

Bruchvorgänge in Werkstoffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439

15.10 Festigkeit spröder Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

447

15.11 Werkstoffschäden durch Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

454

Inhaltsverzeichnis

16

15.12 Festigkeit bei höheren Temperaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

466

15.13 Abnutzung der Werkstoffe – Verschleiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

486

15.14 Werkstoffschädigung durch Korrosion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

495

15.15 Mehrfachbelastung der Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

508

Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

509

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

512

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

516

Legierungstechnologie – Metalle an Anforderungen anpassen . . . . . . . . .

527

16.1

Die Erstarrung wichtiger Legierungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . .

528

16.2

Aluminium-Legierungen mit Eutektikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

16.3

Das Eisen-Kohlenstoff-Zustandsdiagramm für Stähle und Gusseisen .

536

16.4

Mischkristalle und Legierungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

540

16.5

Gefüge und Wärmebehandlungen der Stähle . . . . . . . . . . . . . . . .

543

16.6

Ungleichgewichtsumwandlungen allotroper Metalle . . . . . . . . . . .

545

16.7

Die Vielfalt der Stähle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

551

Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

558

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

558

Teil III Thermodynamik 17

18

Grundlagen der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

563

17.1

Geschichte und Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

564

17.2

Wie man Systeme beschreibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

565

17.3

Temperatur und Gleichgewichtspostulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

569

17.4

Energiearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

570

17.5

Die allgemeine Form von Bilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

574

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

576

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

577

Die Hauptsätze der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

579

18.1

Der nullte Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . .

580

18.2

Der erste Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

581

18.3

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . .

588

18.4

Der dritte Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

593

18.5

Das chemische Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

595

18.6

Folgerungen aus den Hauptsätzen und Bilanzen . . . . . . . . . . . . . .

596

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

607

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

608

XV

XVI

Inhaltsverzeichnis

19

20

21

Stoffe und deren thermodynamische Beschreibung – Materialgesetze . . .

611

19.1

Das Verhalten realer Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

612

19.2

Zustandsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

617

19.3

Das ideale Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

619

19.4

Das reale Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

620

19.5

Der reale Stoff im Nassdampfgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

623

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

624

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

625

Anwendungen der Hauptsätze der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . .

627

20.1

Der Carnot-Prozess als idealer Kreisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . .

628

20.2

Ideale Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

631

20.3

Reale Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

639

20.4

Der reale Stoff im Nassdampfgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

643

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

645

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

646

Technische Anwendungen thermodynamischer Prozesse . . . . . . . . . . . . .

649

21.1

Kreisprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

650

21.2

Arbeits- und Kraftmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

653

21.3

Wärmekraftprozesse und thermische Wirkungsgrade . . . . . . . . . . .

656

21.4

Kälteprozesse und Leistungszahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

664

21.5

Gas-Dampf-Gemische: Feuchte Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

671

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

680

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

683

Teil IV Strömungsmechanik 22

Strömungsmechanik – alles ist im Fluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

687

22.1

Die Bedeutung der Strömungsmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

688

22.2

Begriffe und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

689

22.3

Hydrostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

693

22.4

Hydrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

706

22.5

Hydrodynamische Ähnlichkeitsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

719

22.6

Innenströmung und Rohrhydraulik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

729

22.7

Einführung in die Gasdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

736

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

746

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

747

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

749

Inhaltsverzeichnis

Teil V Maschinenelemente/Konstruktionslehre 23

24

25

26

Die technische Zeichnung – die Sprache des Ingenieurs . . . . . . . . . . . . . .

755

23.1

Die Elemente einer technischen Zeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

756

23.2

Das Finden der richtigen Blattgröße und die Nutzung von Zeichnungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

758

23.3

Die Darstellung von Werkstücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

767

23.4

Wie bemaßt man ein Werkstück? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

773

23.5

Technische Oberflächen und Kanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

777

23.6

Darstellung von Normteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

780

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

780

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

781

Toleranzen – Geometrische Produktspezifikationen schaffen Qualität . . . .

783

24.1

Was sind Toleranzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

784

24.2

Passungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

788

24.3

Form- und Lagetoleranzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

793

24.4

Geometrische Produktspezifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

801

24.5

Toleranzanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

805

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

809

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

809

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

810

Konstruieren – Produkte methodisch entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . .

811

25.1

Einführung in die Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

812

25.2

Aufgabe klären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

815

25.3

Produkt konzipieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

819

25.4

Produkt entwerfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

832

25.5

Produkt ausarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

842

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

843

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

844

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

845

Verbindungselemente – aus Bauteilen werden Maschinen . . . . . . . . . . . .

847

26.1

Stoffschlüssige Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

848

26.2

Schraubenverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

857

26.3

Nietverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

870

26.4

Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

874

26.5

Formschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

881

26.6

Elastische Verbindungen – Federn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

887

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

896

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

896

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

898

XVII

XVIII

Inhaltsverzeichnis

27

28

Antriebselemente – so gelangt Leistung zur Arbeitsmaschine . . . . . . . . .

901

27.1

Achsen und Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

902

27.2

Lager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

908

27.3

Kupplungen und Bremsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

922

27.4

Zahnradgetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

934

27.5

Zugmittelgetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

953

Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

962

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

962

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

964

Dichtungen – damit Medien bleiben wo sie hingehören . . . . . . . . . . . . .

967

28.1

Berührungsdichtungen zwischen ruhenden Bauteilen . . . . . . . . . .

968

28.2

Berührungsdichtungen zwischen bewegten Bauteilen . . . . . . . . . .

970

28.3

Berührungsfreie Dichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

973

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

977

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

977

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

978

Teil VI Fertigungstechnik 29

30

Fertigungstechnik – Werkstücke wirtschaftlich und nachhaltig herstellen .

981

29.1

Begriffe und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

982

29.2

Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

982

29.3

Übersicht über die Industriezweige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

984

29.4

Einteilung der Fertigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

985

29.5

Genauigkeit und Oberflächengüte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

987

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

990

Fertigungsverfahren – der Weg zum Werkstück . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

991

30.1

Verfahrenseinteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

992

30.2

Urformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

993

30.3

Umformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1022

30.4

Trennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1049

30.5

Fügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1075

30.6

Beschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1078

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084 Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1087

Inhaltsverzeichnis

31

Werkzeugmaschinen – Werkstücke mit formgebenden Werkzeugen bearbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1091 31.1

Bedeutung von Werkzeugmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1092

31.2

Auswahlkriterien für Werkzeugmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1092

31.3

Fräsmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093

31.4

Drehmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1100

31.5

Dreh-Fräsmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104

31.6

Schleifmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1105

31.7

Umformmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1106

31.8

Belastungen auf Werkzeugmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1112

31.9

Maschinenkomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1114

31.10 Steuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1122 31.11 NC-Programmierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1127 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1130 Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1131 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1132 32

Fertigungsprozesse – Produkte fertigen und montieren . . . . . . . . . . . . . 1135 32.1

Wandel der Produktionstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1136

32.2

Fertigungs- und Stückkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1139

32.3

Arbeitsplanung und -steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1139

32.4

Automatisierung von Produktionsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1146

32.5

Digitale Fabrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1149

32.6

Industrie 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1152

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1156 Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1157 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1158 33

Nachhaltige Produktion – Emissionen vermeiden und Ressourcen schonen 1161 33.1

Grundlagen und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1162

33.2

Rezyklieren: Wieder- und Weiterverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . 1163

33.3

Analyse des Produktlebenszyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1168

33.4

Rezyklieren wichtiger Werkstoffgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1173

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1178

XIX

XX

Inhaltsverzeichnis

Teil VII Elektrotechnik 34

Gesetze der Elektrotechnik – wie ihre Bauelemente funktionieren . . . . . . 1181 34.1

Ladung und Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1182

34.2

Die elektrische Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1183

34.3

Ladung im Raum: Das statische elektrische Feld . . . . . . . . . . . . . . . 1184

34.4

Ladung im elektrischen Feld: der Kondensator . . . . . . . . . . . . . . . 1188

34.5

Ströme im elektrischen Feld: Widerstände, Quellen, Arbeit und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1190

34.6

Ströme im Raum: das statische Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1192

34.7

Die magnetische Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1196

34.8

Wechselfelder, Induktion und die Spule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1197

34.9

Die Maxwell’schen Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1199

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1201 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1202 35

Lineare Netze – wie der Strom sein Ziel findet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1205 35.1

Die Regeln von Kirchhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1206

35.2

Maschenstrom- und Knotenpotenzialverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 1207

35.3

Komplexe Wechselstromlehre: Vom Widerstand zur Impedanz . . . . 1210

35.4

Energie und Leistung im Wechselstromkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213

35.5

Transformatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1216

35.6

Drei-Phasen-Wechselstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1219

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1221 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1222 36

Halbleiterelektronik – wie Schaltungen schlau werden . . . . . . . . . . . . . . 1225 36.1

Halbleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1226

36.2

Dioden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1228

36.3

Bipolar-Transistoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1232

36.4

MOS-Transistoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1236

36.5

Leistungshalbleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1239

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1243 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1245 37

Motoren und Generatoren – wie von 0 auf 300 km/h beschleunigt wird . . 1247 37.1

Physikalische Grundlagen von Motoren und Generatoren . . . . . . . . 1248

37.2

Typen, Randbedingungen und Einsatzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . 1253

37.3

Gleichstrommaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1254

37.4

Asynchronmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1259

37.5

Synchronmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1261

Weiterführende Literatur für die Kapitel 34 bis 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . 1266 Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1267 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1268

Inhaltsverzeichnis

Teil VIII Regelungstechnik 38

Begriffe und Modelle – dynamische Systeme beschreiben . . . . . . . . . . . . 1273 38.1

Dynamische Systeme, Steuerung und Regelung . . . . . . . . . . . . . . . 1274

38.2

Das Zustandsraummodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1281

38.3

Das Blockschaltbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1284

38.4

Lineare zeitinvariante Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1286

Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1293 Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1293 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1295 39

Analyse der Dynamik – Systemantworten ermitteln und verstehen . . . . . 1299 39.1

Die Laplace-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1300

39.2

Systemantworten und Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1313

39.3

Pole, Nullstellen, Modellreduktion und Identifikation . . . . . . . . . . 1319

39.4

Frequenzgang und Bode-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1323

Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1332 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1333 40

Entwurf im Frequenzbereich – Stabilität und gutes Einschwingen erreichen 1337 40.1

Der Standardregelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1338

40.2

Regelkreisstabilität und Robustheit der Stabilität . . . . . . . . . . . . . . 1341

40.3

Anforderungen an das Regelverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1347

40.4

Grundtypen linearer Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1351

40.5

Regelungsentwurf im Bode-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1357

40.6

Gütekriterien und optimale Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1359

40.7

Erweiterte Regelungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1361

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1366 41

Entwurf im Zustandsraum – alle Systemgrößen einbeziehen . . . . . . . . . . 1369 41.1

Konstante Zustandsrückführung und Vorsteuerung . . . . . . . . . . . . 1370

41.2

Zustandsbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1373

41.3

Dynamische Vorsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1374

41.4

Konstante und dynamische Störgrößenaufschaltung . . . . . . . . . . . 1375

41.5

Ausblick und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1377

41.6

Nichtlineare Zustandsregelung durch Ein-/Ausgangslinearisierung . . 1380

41.7

Digitale Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1382

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1386 Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1389 Autorenbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1405 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1411 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1417

XXI

Autoren

1

Jörg Wallaschek, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover; Werner Skolaut, Heidelberg

2–6

Michael Heinzelmann, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin

7, 8

Wolfgang Stelzle, Hochschule Osnabrück

9, 10, 11

Wolfgang Seemann, Karlsruher Institut für Technologie

12, 13

Michael Beitelschmidt, Technische Universität Dresden

14

Kay Weidenmann, Alexander Wanner, Karlsruher Institut für Technologie

15, 16

H. Peter Degischer, Technische Universität Wien (Emeritus)

17

Bernhard Weigand, Universität Stuttgart; Jens von Wolfersdorf, Universität Stuttgart; Jürgen Köhler, Technische Universität Braunschweig

18

Jürgen Köhler, Technische Universität Braunschweig; Bernhard Weigand, Jens von Wolfersdorf, Universität Stuttgart

19

Bernhard Weigand, Universität Stuttgart; Jürgen Köhler, TU Braunschweig; Jens von Wolfersdorf, Universität Stuttgart

20

Bernhard Weigand, Universität Stuttgart; Jürgen Köhler, TU Braunschweig; Jens von Wolfersdorf, Universität Stuttgart

21

Jens von Wolfersdorf, Universität Stuttgart; Jürgen Köhler, TU Braunschweig; Bernhard Weigand, Universität Stuttgart

22

Jost Braun, Hochschule Kempten

23, 24, 25 Peter Gust, Bergische Universität Wuppertal 26

Bernd Künne, Technische Universität Dortmund

27, 28

Horst Haberhauer, Hochschule Esslingen

29

Thomas Fechter, Harald Jaich, Christian Glockner, Hochschule RheinMain, Rüsselsheim

30

Thomas Fechter, Harald Jaich, Hochschule RheinMain, Rüsselsheim

31

Christian Glockner, Hochschule RheinMain, Rüsselsheim

32

Thomas Fechter, Harald Jaich, Christian Glockner, Hochschule RheinMain, Rüsselsheim

33

H. Peter Degischer, Technische Universität Wien (Emeritus)

34–37

Martin Poppe, Fachhochschule Münster, Steinfurt

38–41

Boris Lohmann, Technische Universität München, Garching

XXIII

1

Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch

Was erwartet Sie im Maschinenbaustudium? Wie ist das Buch aufgebaut? Welche didaktischen Elemente erleichtern das Lernen?

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

Berufsfeld Maschinenbau-Ingenieur . . . . . . . . . . . . . . Der Produktentstehungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . Bachelor-Studium Maschinenbau . . . . . . . . . . . . . . . . Maschinenbaustudium an Fachhochschule und Universität Aufbau dieses Lehrbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitbeispiel Antriebsstrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_1

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

2 3 4 6 7 8 11 15

1

2

1 Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch

Für optimalen Lesefluss sehen wir im gesamten Buch von der Nennung weiblicher und männlicher Formen der Berufsbezeichnungen (Ingenieure und Ingenieurinnen) ab. Ebenso verzichten wir auf die Benutzung des Kunstwortes IngenieurIn. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für beide Geschlechter. Auf die Frage, was denn nun das Besondere sei am Beruf des Ingenieurs, erhält man häufig die Antwort: „Dem Ingenieur ist nichts zu schwer!“. Und in der Tat sind es dieser Optimismus und die Begeisterung für die vielfältigen beruflichen Herausforderungen, die für Viele die Faszination dieses Berufsfeldes ausmachen. In seinem Ingenieurlied, dem die oben zitierte Zeile entnommen ist, beschreibt Heinrich Seidel (1842–1906) die Situation am Ende des 19. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als es noch keine Computertechnik gab, und viele der Dinge, die heute alltäglich sind, noch unvorstellbar waren. Heute sind diese Technologien Bestandteil der Ingenieurwissenschaften und prägen insbesondere auch den Maschinenbau. Der Maschinenbau hat sich als eigenständiges Studienfach mit der zunehmenden Entwicklung von Technik und Wissenschaft seit Ende des 18. Jahrhunderts herausgebildet. Ferdinand Redtenbacher (1809–1863) in Karlsruhe und Karl Karmarsch (1803–1879) in Hannover sind bekannte Persönlichkeiten, die den Maschinenbau in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts als Studienfach an den damals entstehenden Technischen Hochschulen in Deutschland begründeten (Abb. 1.1). Meist wird das Fach Maschinenbau in die Einzeldisziplinen Konstruktion und Entwicklung, Produktion und Logistik sowie Energie- und Verfahrenstechnik unterteilt. Diese klassische Struktur findet man dementsprechend heute in der Organisation vieler MaschinenbauFakultäten wieder. Aber natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten, für eine Differenzierung. So kann man das Fach z. B. in Fahrzeugtechnik, Luft- und Raumfahrttechnik, Schiffs- und Meerestechnik, Medizintechnik, und weitere Bereiche gliedern.

Auch wenn die Frage nach der „richtigen“ Struktur des Faches zuweilen heftig diskutiert wird, erscheint sie doch mit etwas Abstand betrachtet als nicht so elementar wichtig. Viel wichtiger ist ein anderer Aspekt, der aus der Perspektive des Studierenden betrachtet manchmal problematisch ist: das Fach Maschinenbau ist interdisziplinär, viele Wissensgebiete spielen eine wichtige Rolle, und es ist schwer, sich anhand von Literatur und Lehrbüchern einen Überblick zu verschaffen. Es gibt hervorragende Lehrbücher zu einzelnen Fächern, wie z. B. Werkstoffkunde, Technische Mechanik, Thermodynamik, usw., und es ist jedem Studierenden nur zu raten, die entsprechende Literatur kennenzulernen und möglichst viele der einschlägigen guten Fachbücher zu studieren. Aber bisher fehlte ein einführendes Lehrbuch, in dem die Grundlagen des Maschinenbaus zusammenfassend dargestellt sind. Das vorliegende Lehrbuch des Maschinenbaus schließt diese Lücke. Es enthält (mit Ausnahme der Mathematik) die Grundlagen aller Lehrfächer, die typischerweise Gegenstand eines Bachelor-Studiums an Universitäten und Fachhochschulen sind und bietet damit einen idealen Einstieg in dieses Studium.

1.1

Berufsfeld Maschinenbau-Ingenieur

Das Berufsfeld des Maschinenbau-Ingenieurs ist extrem breit. Maschinenbau-Ingenieure arbeiten an der Konzipierung neuer Produkte, erstellen Machbarkeitsstudien zu Fertigungstechnologien, treffen Entscheidungen über Produktions- und Lieferketten, gestalten Fabriken und Anlagentechnik, optimieren den Wirkungsgrad von Prozessen, analysieren funktionale Zusammenhänge in technischen Systemen, führen Gespräche mit Kunden und Lieferanten, um Anforderungen an Bauteile und Systeme zu klären, verhandeln über Preise und Lieferkonditionen,

Abb. 1.1 a Ilse Knott-ter Meer (1899–1996); b Ferdinand Redtenbacher (1809–1863) und c Karl Karmarsch (1803–1879)

a

b

c

1.2

Der Produktentstehungsprozess

Tab. 1.1 Ingenieurbranchen und volkswirtschaftliche Indikatoren. Ergebnisse der fünf Branchen mit dem höchsten Anteil der Ingenieure an allen Erwerbstätigen

Fahrzeugbau Maschinenbau Elektroindustrie Technische/F&E-Dienstleistungen EDV/Telekommunikation fünf Ingenieurbranchen gesamt Volkswirtschaft gesamt

Erwerbstätige

erwerbstätige Ingenieure

Innovationsausgaben in Mrd. Euro

1.296.000 1.123.000 824.000 652.000 682.000 4.579.000 41.550.000

163.000 148.000 109.000 231.000 72.000 723.000 1.603.000

33,68 11,81 13,62 3,41 10,47 72,99 121,26

Ausfuhr und Einnahmen aus Dienstleistungen in Mrd. Euro 225,7 161,2 151,1 10,4 13,4 561,8 1252,8

Überschuss bei Ausfuhr und Dienstleistungen in Mrd. Euro 108,7 90,8 18,8 2,7 1,6 222,6 151,6

Quellen: Institut der deutschen Wirtschaft Köln; eigene Berechnungen auf Basis von FDZ der statistischen Ämter des Bundes und der Länder; Mikrozensus 2009; ZEW Innovationserhebung 2011 (Datenstand 2010); Statistisches Bundesamt 2012; Deutsche Bundesbank, 2012

nehmen Anlagen in Betrieb, überwachen den Zustand sicherheitskritischer Bauteile, führen Berechnungen durch, um die Verlässlichkeit technischer Systeme zu beurteilen, und treffen unternehmerische Entscheidungen. Die Liste könnte noch weiter fortgesetzt werden, und bringt uns doch nur zu einem Ergebnis: Die Vielfalt der späteren Berufstätigkeit ist enorm (Tab. 1.1). So schwierig dies die Orientierung bei der Frage „In welchem dieser Bereiche will ich später einmal tätig werden?“ macht, vermittelt dieser Umstand doch aber auch gleichzeitig die Zuversicht, dass im Grunde jeder Studierende die Möglichkeit hat, im späteren Berufsfeld eine Aufgabe zu finden, die zu ihm und seinen persönlichen Neigungen passt. Nach einer Studie des Verbands Deutscher Ingenieure VDI waren in Deutschland im Jahr 2013 ca. 1,6 Millionen Ingenieure erwerbstätig. Nur gut die Hälfte davon ist aber in einem traditionellen Ingenieurberuf in der Industrie beschäftigt. Die andere Hälfte übt eine Tätigkeit im Management, im öffentlichen Dienst oder als Selbständiger aus. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der häufigste Bildungshintergrund von Geschäftsführern in der Industrie ein Studienabschluss in den Ingenieurwissenschaften ist und fast 10 % aller Ingenieure als Unternehmensleiter, Geschäftsführer oder Bereichsleiter tätig sind. Die wirtschaftliche Bedeutung der Branchen Fahrzeugund Maschinenbau ist in den letzten Jahren in Deutschland noch weiter gestiegen. So betrug der Umsatz der deutschen Firmen im Fahrzeugbau im Jahr 2016 ca. 320 Mrd. €. Im Maschinenbau lag er bei 220 Mrd. €.

1.2

Der Produktentstehungsprozess

Um einen Eindruck von der Komplexität des modernen Maschinenbaus zu vermitteln, werden wir im Folgenden den Produktentstehungsprozess betrachten, mit dem die Schritte bezeichnet werden, die notwendig sind, um ein

Produkt entstehen zu lassen. Der Produktentstehungsprozess lässt sich, einem Leitfaden der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktentwicklung (WiGeP) folgend, grob in die Phasen Produktplanung (Bedarfsermittlung, Ideenfindung, Machbarkeitsstudie), Produktentwicklung (Auslegung, Design), Produktion (Fertigungsplanung, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme) gliedern. Er ist damit Teil des Produktlebenszyklus, der über die Produktentstehung hinaus noch den Betrieb, die Instandhaltung und die Entsorgung oder die Wiederverwendung bzw. die Wiederverwertung des Produktes umfasst. In der ersten Phase des Produktentstehungsprozesses wird unter Berücksichtigung der Marktbedingungen, der Wettbewerbsposition des Unternehmens sowie technologischer und gegebenenfalls politischer Randbedingungen der Bedarf an einem neuen oder verbesserten Produkt bestimmt. Darauf aufbauend werden verschiedene Produktideen generiert, deren Machbarkeit und Rentabilität untersucht wird. Am Ende steht dann die Entscheidung für ein oder mehrere Produkte und die Ermittlung von Anforderungen, die als Grundlage für die nachfolgende Phase der Produktentwicklung dienen. Im Rahmen der Produktentwicklung erfolgt zunächst in der Regel eine Beschreibung (Modellierung) der Funktionen, die von dem zu entwickelnden Produkt erfüllt werden müssen. In der Regel gibt es mehrere Funktionsstrukturen, mit denen die Anforderungen an das Produkt erfüllt werden können; deshalb erfolgt meist auch eine Optimierung, um die für das Produkt besonders wichtigen Ziele möglichst gut zu erreichen. Dieses Vorgehen wird auch als Design for X bezeichnet, wobei es sich bei X z. B. um minimale Kosten, möglichst geringes Gewicht, maximale spezifische Leistung, minimalen Energieverbrauch oder Ähnliches handeln kann. In gleicher Weise wie bei der Modellierung der Funktionsstruktur

3

4

1 Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch

wird auch die Gestalt des Produktes modelliert und optimiert. Man spricht hier von funktionsorientiertem Entwurf (logische Funktionsanalyse) und gestaltorientiertem Entwurf (Synthese der physikalischen Baustruktur). Die damit verbundenen Arbeitsschritte sind vielfältig und haben zur Herausbildung verschiedener typischer Berufsbilder des Maschinenbauingenieurs in der Produktentwicklung geführt, wie z. B.: Konstrukteur: Modellieren von Funktionen, Festlegen der Gestalt, Auswahl der Werkstoffe, Dimensionierung von Bauteilen und Komponenten, Klären der fertigungstechnischen Randbedingungen für die spätere Produktion, Berechnungsingenieur: rechnerische Bestimmung der in Bauteilen auftretenden Beanspruchungen, Berechnung von Eigenfrequenzen, rechnerische Bestimmung von Strömungs- und Temperaturfeldern, Versuchsingenieur: experimentelle Validierung von Rechenmodellen und Bestimmung der darin auftretenden Parameter, Durchführung von Versuchen zur Ermittlung von Verschleiß und zur Vorhersage der Lebensdauer, Bewertung von Produkteigenschaften in Testfahrten und Probandenversuchen, Patentingenieur: Prüfen des Neuheitsgrades technischer Entwicklungen, Formulieren und Anmelden von gewerblichen Schutzrechten, Verteidigung eigener Schutzrechte und Überwachung fremder Schutzrechte, Vergabe und Erwerb von Lizenzen. Diese Aufzählung ist nicht vollständig; die genannten Tätigkeiten sind nur typisch und keineswegs strikt wörtlich zu verstehen. Große Unterschiede bestehen auch in der betrieblichen Organisation des Produktentwicklungsprozesses. In vielen Unternehmen gehören zur Organisationseinheit Produktentwicklung verschiedene Untereinheiten, wie z. B. Forschung und Vorentwicklung, Konstruktion, Berechnung, Prototypenbau, Versuch, Produktdatenmanagement. Zur Unterstützung der dort tätigen Ingenieure werden zahlreiche Werkzeuge eingesetzt, zu denen beispielweise Datenverarbeitungs- und Visualisierungsprogramme wie CAD (Computer Aided Design) oder VR (Virtual Reality), Berechnungs- und Optimierungsprogramme wie CAE (Computer Aided Engineering), sowie Rapid Prototyping oder Hardware-in-theLoop zählen. Am Ende des Produktentwicklungsprozesses steht die Produktdokumentation, zu der auch die Erstellung der Fertigungsunterlagen gehört. Es wäre nun aber falsch anzunehmen, dass die dritte Phase des Produktentstehungsprozesses, die Produktion, strikt von den ersten beiden Phasen getrennt sei. In den meisten Fällen spielen Fragestellungen zur in der Produktion eingesetzten Fertigungstechnik eine wichtige Rolle bei der Produktentwicklung. Dies gilt insbesondere bei Fragen zu Herstellkosten, Produktionsmengen und Qualität. Häufig werden sogar schon in der Produktplanung fertigungs-

und produktionstechnische Randbedingungen berücksichtigt. Typische Berufsbilder von Maschinenbauingenieuren in der Produktion sind: Fertigungsplaner: Projektierung von Fertigungsstätten, Festlegen von Arbeitsabläufen, Auswahl von Produktionsmaschinen und Fertigungseinrichtungen, Gestaltung von Montagelinien, Technologe: Optimierung und ständige Verbesserung der eingesetzten Fertigungstechnologien, Entwicklung neuer Produktionsverfahren, Qualitätsmanager: Überwachung der laufenden Fertigung, Sicherstellung gleichbleibend hoher Produktqualität, Analyse von Risikofaktoren und Schwachstellen im Produktionsprozess, Produktionssteuerer: Kapazitätsplanung, Sicherstellen, dass Liefertermine eingehalten werden. Auch diese Aufzählung ist lediglich ein Auszug, nicht vollständig. Und auch in der Produktion gibt es viele unterschiedliche Ausprägungen der Organisationsstruktur in den verschiedenen Industrieunternehmen. Zur Erfüllung der vielfältigen Anforderungen in der beruflichen Praxis brauchen Maschinenbauingenieure, die im Bereich der Produktentstehung arbeiten, eine sehr gute Ausbildung. Niemand kann in allen oben genannten Tätigkeitsfeldern ein Spezialist sein. Arbeiten im Team ist ein wesentliches Merkmal des Produktentstehungsprozesses. Dabei sind die Teams nicht nur abteilungs-, sondern oft auch unternehmensübergreifend und international zusammengesetzt. Deshalb werden bei Ingenieuren in der Regel auch sehr hohe Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeiten und gute Fremdsprachenkenntnisse gefordert. Der hier näher betrachtete Prozess der Produktentstehung ist eines der Haupttätigkeitsfelder von Ingenieuren. Es gibt darüber hinaus aber sehr viele weitere Bereiche, in denen Ingenieure tätig sind, auf die hier nicht näher eingegangen wurde. Zu diesen zählen Führungsund Leitungsaufgaben in Unternehmen, Aus- und Weiterbildung, Vertrieb, Service und Instandhaltung sowie Tätigkeiten als Unternehmensberater oder Sachverständige. Auch wenn all diese Berufsbilder im Detail ganz unterschiedliche Kompetenzen erfordern, haben sie doch auch viele Gemeinsamkeiten und erfordern einen Mindestumfang an technischem Fachwissen, die Fähigkeit zum strukturierten und zielorientierten Arbeiten sowie ein gewisses Maß an Sozialkompetenz.

1.3

Bachelor-Studium Maschinenbau

Im Zuge der Bologna-Reform haben die meisten Universitäten und Fachhochschulen die traditionellen DiplomStudiengänge auf Bachelor- und Master-Studiengänge

1.3

fachwissenschaftliche Kompetenz

Verständnis ingenieurwissenschaftlicher Zusammenhänge Fähigkeit zum interdisziplinären Denken

mathematisches Verständnis

Verständnis der Physik und weiterer Naturwissenschaften

Forschungs- und Problemlösungskompetenzen Fähigkeit zur Abstraktion, zum Denken in Systemen, zum Umgang mit Modellvorstellungen verschiedenster Art Konkretisierung und Präzisierung von Fragestellungen, Aufgaben und Problemen, Erkennen von offenen Fragen bzw. Forschungslücken vorhandene Sachverhalte kritisch hinterfragen Fähigkeit zum Finden neuer Lösungswege, Fähigkeit zum kreativen Arbeiten

planerische Kompetenzen

Strukturierung und Organisation von Arbeits- und Lernprozessen Befähigung zu Projektplanung und Projektmanagement

Zeitmanagement, Priorisieren von Aufgaben

sachkundiger Einsatz von Methoden

eigenständige Informationsbeschaffung und -aneignung

Bachelor-Studium Maschinenbau

Beurteilungskompetenzen

Kompetenz zum Beurteilen technischer Entwürfe, Konstruktionen und Lösungsvarianten Fähigkeit, die Grenzen der Gültigkeit von Theorien und Lösungen zu erkennen und Ergebnisse kritisch zu hinterfragen Fähigkeit zur Verallgemeinerung von Ergebnissen und zum Übertragen von Lösungen auf andere Anwendungsfelder

Technik-FolgenAbschätzung

Selbst- und Sozialkompetenzen

Teamarbeit und Führungsaufgaben

Sprache und Kommunikation, Fähigkeit zur Visualisierung Persönlichkeitsentwicklung: Eigenständigkeit, Eigenverantwortlichkeit, Flexibilität, Selbstdisziplin, Leistungsbereitschaft, Belastbarkeit, Frustrationsresistenz Talent: Improvisation, Neugier, Technikbegeisterung, Kreativität

Formulieren, Zusammenfassen, Kontextualisierung von Ergebnissen Abb. 1.2 Kompetenzfelder des Maschinenbauingenieurs

umgestellt. Während in den Diplom-Studiengängen das Vordiplom typischerweise nach vier Semestern und das Diplom nach zehn Semestern der Regelstudienzeit erreicht wurde, sind typische Bachelor-Studiengänge auf sechs Semester und typische Master-Studiengänge auf weitere vier Semester Regelstudienzeit ausgelegt. Mit dieser Umstellung der Studiengänge waren weitreichende Veränderungen in der Struktur der Studiengänge verbunden, die jedoch in den meisten Fällen keine Auswirkungen auf die Fächer hatten, die zum klassischen Kanon des Vordiploms gehörten und heute oft zusammenfassend als Grundlagen des Maschinenbaus bezeichnet werden. Im Jahr 2015 haben im Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik ca. 10.500 Studierende einen Masterabschluss, ca. 22.500 Studierende einen Bachelor-Abschluss erreicht. Hinzu kamen ca. 3300 Studierende, die einen Diplomabschluss erlangt und knapp 2000 Personen, die eine

Promotion abgeschlossen haben. Damit lag die Anzahl der Absolventen insgesamt bei ca. 38.000. Trotz großer Bedenken in weiten Teilen der Hochschullandschaft haben sich die neuen Abschlüsse am Arbeitsmarkt durchgesetzt und auch dazu beigetragen, die Diskussion über die Qualität von Studiengängen an Universitäten und Fachhochschulen zu beleben. Eine nahezu gleiche Akzeptanz von Absolventen aus Fachhochschulen und Absolventen aus Universitäten spiegelt sich in den Einstiegsgehältern wieder. So hängt nach einer Studie des VDI aus dem Jahr 2012 die Höhe der Einstiegsgehälter stärker von der Größe der Unternehmen ab als von der Herkunft der Ingenieure oder ihrem jeweiligen Abschluss (Bachelor, Master, Diplom). Hatte es Ilse Knott-ter Meer (1899–1996) (Abb. 1.1a), die erste deutsche Diplom-Ingenieurin und später erstes weibliches Mitglied im Verein Deutscher Ingenieure, in ihrem Studium an den Technischen Hochschulen in Han-

5

1 Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch

nover und München noch schwer, liegt heute der Anteil weiblicher Absolventen im Maschinenbau bei über 20 %. Dieser Anteil ist deutlich niedriger als in anderen Ländern. Es ist jedoch zu hoffen, dass sich dies in Zukunft ändert und noch mehr Frauen sich für ein Studium des Maschinenbaus entscheiden.

petenz, wie z. B. die Fähigkeit, die Grenzen der Gültigkeit von Theorien und Lösungen zu erkennen oder Lösungen auf neue Anwendungsfelder zu übertragen, ist in universitären Studiengängen in der Regel deutlich höher als in Studiengängen an Fachhochschulen. Demgegenüber steht an Fachhochschulen oft ein größerer Stoffumfang in speziellen, für die Praxis besonders relevanten Anwendungsfeldern.

1.4

Die Breite des Wissens, im Sinne der Stoffauswahl, ist in den Grundlagenfächern des Maschinenbaus an Fachhochschulen und Universitäten nahezu gleich. Die Tiefe der Durchdringung des Wissens ist jedoch an Universitäten meist wesentlich stärker, was sich z. B. darin zeigt, dass Theorien in Lehrveranstaltungen nicht nur präsentiert, sondern auch in ihrer Entwicklung diskutiert werden, bis hin zu dem Punkt, an dem die Studierenden in die Lage versetzt werden, selbst wissenschaftliche Theorien zu entwickeln (Abb. 1.3). Die stärkere Vermittlung dieser wissenschaftlich orientierten Kompetenzen hat zwar enorme Auswirkungen auf die Art der Wissensvermittlung in den Grundlagenfächern, aber meist nur geringe Auswirkungen auf die zur Unterstützung der Lernprozesse genutzten Lehrmaterialien. Die Autoren des vorliegenden Buches lehren zum Teil an Fachhochschulen und zum Teil an Universitäten. Sie haben dieses Lehrbuch für Studierende an beiden Bildungseinrichtungen geschrieben und darauf geachtet, dass die Inhalte der heute in Bachelor-Studiengängen des Maschinenbaus gelehrten Grundlagenfächer in hoher didaktischer Qualität dargestellt wurden.

Maschinenbaustudium an Fachhochschule und Universität

Es mag erstaunen, dass ein Buch den Anspruch erhebt, sowohl für Studierende an Universitäten als auch an Fachhochschulen gleichermaßen geeignet zu sein. Aber bei näherer Betrachtung des Faches und der Lehrpläne kommt man zu dem Ergebnis, dass es nur wenige Unterschiede im Stoffumfang gibt. Daraus darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, das Studium an Universitäten und Fachhochschulen sei vergleichbar. Im Gegenteil! Der methodische Anspruch und die vermittelten Kompetenzen unterscheiden sich deutlich (Abb. 1.2). Betrachtet man die in der Abb. 1.2 dargestellten Kompetenzfelder von Studiengängen des Maschinenbaus, so zeigen sich Unterschiede zwischen Studiengängen an Fachhochschulen und an Universitäten: Der Anteil der Forschungs- und Problemlösungskompetenzen, wie z. B. die Fähigkeit zur Abstraktion und zum Umgang mit Modellvorstellungen, sowie der Anteil der Beurteilungskom-

Abb. 1.3 Unterschiedliche Durchdringung des Wissens an Fachhochschulen und Universitäten

zunehmender Neuheitsgrad der Anwendung

6

Produkt nur als vage Idee beschreibbar, völlig neue Technologie

Universität relativ neues Produkt, Technologie in Entwicklung

etabliertes Produkt, ausgereifte Technologie

Fachhochschule etablierte Methoden, seit langem bekannt

neueste Methoden, „Stand des Wissens“

Methoden, unbekannt, Theorie muss erst noch erarbeitet werden

Komplexität und Umfang des Wissens zunehmend

1.5

1.5

Aufbau dieses Lehrbuches

Grundlegende theoretische Konzepte haben eine lange Halbwertszeit – sie tragen durch ein ganzes langes Ingenieursberufsleben. Auch wenn es vielen Studierenden als sehr abstrakt und theoretisch erscheint, hat es sich als sinnvoll erwiesen, dass man von den vielen Gebieten des Maschinenbaus im ersten Studienjahr vor allem Technische Mechanik unterrichtet. Dieses Fach ist nicht nur deshalb wichtig, weil die Technische Mechanik die Basis für viele weiterführende Fächer, wie z. B. Konstruktion und Maschinenelemente ist, sondern vor allem, weil man daran den Prozess der Abstraktion und Modellbildung lernt, der typisch ist für die Ingenieurwissenschaften. Dazu werden gute Kenntnisse der Mathematik vorausgesetzt, wobei sich beide Fächer durchaus ergänzen und die Lösung der Aufgaben der Technischen Mechanik das Verständnis mathematischer Inhalte erhöhen kann. Erfahrungsgemäß haben es Studierende des Maschinenbaus in den ersten Semestern damit nicht leicht. Die Mathematik, die benutzt wird, ist zwar zum größten Teil bekannt, ihre Anwendung ist aber neu. Die Angebote, die Mathematik zu wiederholen, sind für die ersten Semester an allen Universitäten und Fachhochschulen vielfältig, sodass wir in diesem Lehrbuch gänzlich auf Kapitel dazu verzichtet haben. Auch wäre der Umfang dieses Lehrbuches sicherlich stark angewachsen. In diesem Buch bilden die Kap. 2 bis 21 die Grundlage für das Verständnis des gesamten Stoffes. Sie stellen die Basis für alle weiteren Kapitel dar. So ist der Maschinenbau ohne das grundlegende Verständnis der wirkenden Kräfte und Momente zur Erklärung der Bewegungs- und Beanspruchungsarten nicht vorstellbar (Kap. 2–11). Die Beschreibung und Analyse der Bewegung von Körpern durch Gleichungen und Methoden zur Berechnung dieser komplexen Vorgänge verlangt nach effizienten Algorithmen (Kap. 11). Periodische Vorgänge und Schwingungen sind dabei für einen Großteil der Fragestellungen relevant (Kap. 12 und 13). Die Auswahl der Materialien, die im Maschinenbau für einen bestimmten Zweck verwendet werden, verlangt eine eingehende Beschäftigung mit den Materialeigenschaften. Dabei spielen sowohl innere Struktur, physikalische aber auch chemische Eigenschaften eine Rolle. Häufig ergeben sich Lösungen für innovative und nachhaltig einsetzbare Maschinen und Systeme auf Grund neuer oder weiterentwickelter Materialien. Daher folgen den Kapiteln der Technischen Mechanik die Kapitel der Werkstoffkunde (Kap. 14–16). Werkstoffe sind ein Innovationsmotor. Viele Errungenschaften wären ohne neue oder verbesserte Materialien nicht möglich gewesen. Das Angebot an neuen Materialien steigt ständig, ebenso wie die Anforderungen an bestehende Werkstoffe. Zur Realisierung von Maschinen

Aufbau dieses Lehrbuches

müssen sie das Anforderungsprofil möglichst gut erfüllen und haben eine effiziente Funktionalität zum Ziel. Dazu sind ökologische Randbedingungen zu beachten, die einen möglichst geringen Materialeinsatz erfordern, sowohl bei der Herstellung als auch im Einsatz und in der Nachnutzung, bzw. beim Rezyklieren. Die Effizienz von Maschinen wird durch deren Wirkungsgrad beschrieben. Die Umwandlung von Energie ist elementar für Bau und Betrieb von Maschinen und Anlagen. Die dabei auftretenden Prozesse werden durch Gesetze der Thermodynamik beschrieben. Es ist daher konsequent, dass die Kapitel der Thermodynamik und Strömungsmechanik folgen (Kap. 17–22). Nach den Grundlagen folgen die Fachgebiete Konstruktion und Maschinenelemente (Kap. 23–28) gefolgt von der Fertigungstechnik (Kap. 29–33). Diese Kapitel sind untereinander eng verzahnt. Sie unterliegen, obwohl es sich um etablierte Fachgebiete handelt, einem steten Wandel. Das zeigt Kap. 24, das die Normen zur Geometrischen Produktspezifikation und -prüfung (GPS) beschreibt. GPS hat eine international einheitliche Symbolsprache festgelegt, um Toleranzen in technischen Zeichnungen eindeutig festzuhalten und vollständig zu beschreiben. In den Kap. 23 bis 33 wird deshalb großer Wert auf die Nennung und Erläuterung der zu berücksichtigenden Normen gelegt. In der Fertigungstechnik gilt die Aufmerksamkeit in letzter Zeit verstärkt auch der Nachhaltigkeit, wobei die besonderen Eigenschaften der Werkstoffe (Kap. 14– 16) eine entscheidende Rolle spielen. Das führt dazu, dass vertiefende Darstellungen zu den Materialeigenschaften eingeflochten sind. Elektrotechnik und Maschinenbau waren schon immer eng verzahnt. Der Elektrotechnik kommt heute jedoch eine zunehmende Bedeutung im Maschinenbau zu. Zugrunde liegen die Fortschritte in der Halbleiterelektronik und Kommunikationstechnik. Aber auch die zunehmende Leistungsfähigkeit sowohl der Schaltungs- als auch der Leistungselektronik ist von großer Relevanz. Kap. 34 bis 37 widmen sich den Grundlagen elektrischer Bauelemente, linearer Netze, der Halbleiterelektronik sowie Motoren und Generatoren. Auch die Verknüpfung dieser Elemente, z. B. in Regelkreisen, wird hier behandelt, sodass die Kapitel zur Regelungstechnik (Kap. 38–41) den Abschluss des Lehrbuches bilden. Die Regelungstechnik beschäftigt sich mit der gezielten Beeinflussung des Verhaltens von technischen Systemen und ist Grundlage der Automatisierungstechnik. Sie wiederum steht in engem Zusammenhang mit der Fertigungstechnik aber auch der Elektrotechnik. Dieser kurze Abriss zeigt, wie der Aufbau des Lehrbuches die einzelnen Fachgebiete inhaltlich miteinander verzahnt, unterstützt durch zahlreiche Querverweise in den einzelnen Kapiteln.

7

8

1 Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch

Die Zugehörigkeit der Kapitel zu den verschiedenen Fachgebieten erkennen Sie am Daumenregister am Seitenrand.

Frage 8.2 Ändert sich das Vorzeichen der Arbeit der Federkraft, wenn man eine Feder dehnt oder staucht? Abb. 1.4 Verständnisfragen erleichtern das Rekapitulieren

Symbole müssen mehrfach benutzt werden Kinetische Energie des starren Körpers

Der Maschinenbau besteht aus vielen Teildisziplinen, was dazu führt, dass eine einheitliche Symbolik der Variablen unmöglich ist. Daher müssen verschiedene Symbole mehrfach und in anderer Bedeutung benutzt werden. Dies ist am Beispiel des Symbols für die Geschwindigkeit im Kapitel Strömungsmechanik (Kap. 22) in einem Übersichtskasten dargestellt. Symbollisten zu den einzelnen Fachgebieten finden Sie am Ende des Buches. Für die imaginäre Zahl wird durchweg das im Maschinenbau und der Elektrotechnik genutzte Symbol j in aufrechter Schreibweise verwendet. Dies vermeidet die Verwechslung mit laufenden Indizes. Generell sind alle Indizes, die eine Abkürzung darstellen, aufrecht geschrieben. So kann zum Beispiel ein Index i eine beliebige Zahl bedeuten – also kursiv gesetzt sein – aber auch als Abkürzung für „innen“ Verwendung finden. Zur Unterscheidung muss letzteres Letzteres aufrecht geschrieben werden.

1.6

Die kinetische Energie des starren Körpers hängt quadratisch von der Schwerpunktsgeschwindigkeit und quadratisch von der Winkelgeschwindigkeit ab.

Abb. 1.5 Gelb unterlegter Text hebt wichtige Merksätze hervor

Unterbrochen wird der Text durch gelb unterlegte Textpassagen (Merkkästen), die meist Definitionen enthalten oder auf Besonderheiten hinweisen (Abb. 1.5). Auch wichtige Formeln werden durch gelbe Farbe hervorgehoben. Beispiel Eine 900 N schwere Person steht auf einem Sprungbrett (Abb. 2.7). Zu zeichnen ist das Freikörperbild.

Didaktische Elemente

Eine Reihe didaktischer Elemente in diesem Lehrbuch unterstützen das Verständnis des Stoffes. Hier sei kurz erklärt, welche Überlegungen dahinter stecken.

2m

3m

900 N Bx

Blaue Überschriften in Satzform geben Aufschluss über den Inhalt des Abschnitts Nach den nummerierten Hauptüberschriften folgen unnummerierte Überschriften, deren Abschnitte einen wichtigen Teilbereich behandeln. Sie sind als Satz formuliert und stellen eine Lerneinheit in dem Hauptabschnitt dar.

Verständnisfragen, Merksätze und Beispiele erleichtern das Lernen Es ist sinnvoll, am Ende einer Lerneinheit das Gelernte zu rekapitulieren, wobei die Verständnisfragen unterstützen (Abb. 1.4). Die Lösungen dazu finden Sie am Ende des jeweiligen Kapitels.

Ay

3m

By

2m

Abb. 2.7 Person auf Sprungbrett (oben ) und zugehöriges Freikörperbild (unten )

Wir sehen das Sprungbrett als einen Balken an und ersetzen Person und Lager wie folgt: Das Lager A, das das Sprungbrett ausschließlich in vertikale Richtung abstützt, durch die Lagerkraft Ay , das Lager B, das das Sprungbrett in horizontaler und vertikaler Richtung abstützt, durch die Lagerkräfte Bx und By , und die Person durch eine nach unten gerichtete Kraft des Betrags 900 N. Damit ergibt sich das abgebildete Freikörperbild, mit dessen Hilfe wir nun die Kräfte berechnen könnten, die von den Lagern auf das Sprungbrett ausgeübt werden. In den folgenden Kapiteln wird gezeigt, wie das geht. Abb. 1.6 Kleine Beispiele sind in den Text integriert

1.6

Didaktische Elemente

Abb. 1.7 Ausführliche Beispiele oder Anwendungsbeispiele sind in einem Kasten untergebracht

Zur Verdeutlichung neuer Begriffe, Ergebnisse oder Vorgehensweisen haben die Autoren zahlreiche Beispiele im Text integriert. Diese Beispiele beginnen mit der blauen Überschrift Beispiel und enden mit einem kleinen blauen Dreieck (Abb. 1.6).

Kästen enthalten Beispiele, Übersichten und Zusatzwissen in kleinen Portionen Neben diesen Beispielen im Text gibt es (große) Beispiele, die meist komplexere oder allgemeinere Probleme behandeln (Abb. 1.7).

Es gibt Themen, die den zu lernenden Inhalt stark ausweiten und damit den Lese- und Lernfluss unterbrechen würden. Für das Verständnis des großen Zusammenhangs sind sie aber beim ersten Lesen nicht unbedingt erforderlich und können auch später noch unabhängig studiert werden. Diese Themen sind in Vertiefungs-Kästen untergebracht (Abb. 1.8). Im Gegensatz dazu treffen Sie in vielen Kapiteln auf Übersichtskästen. Sie enthalten jeweils einen Überblick über den vorgestellten Inhalt und ergänzen auf kompakte Weise das bereits Erklärte. Sie werden auch benutzt, um mathematische Grundlagen, wie z. B. die Matrizenrechnung oder den Umgang mit komplexen Zahlen, kurz

9

10

1 Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch Abb. 1.8 Vertiefungen beschreiben Themen im Detail

Abb. 1.9 In Übersichten werden verschiedene Begriffe oder das Hintergrundwissen zu einem Thema zusammengestellt

1.7

Leitbeispiel Antriebsstrang

Niederhalterkraft Flansch

σr σt

σz

σt Wand

a

b

σt

σr σz σz σz

σt

Ziehstempelkraft

Boden

Abb. 1.10 Farbige Darstellung nach Farbschema verbessert das Verständnis; a Werkstück (gelb ) und Bewegung (grün ); b Werkstück (gelb ) und Kraft (rot )

darzustellen. Die Auswahl beruht auf der Lehrerfahrung der Autoren (Abb. 1.9).

1.7

Die erlernten Inhalte können Sie an zahlreichen Aufgaben am Ende eines jeden Kapitels erproben. Je nach Kapitel ist es eine größere oder geringere Anzahl. Meist sind die Aufgaben gruppiert in jeweils drei verschiedene Schwierigkeitsgrade. Versuchen Sie sich zuerst selbstständig an den Aufgaben. Zur Kontrolle finden Sie die Resultate, sofern es sich um Rechenaufgaben handelt, am Ende des Buches. Sollten Sie trotzdem nicht mit der Aufgabe fertig werden, finden Sie auf der Homepage des Buches auf https://www.springer.com/de/book/9783662558812 die Lösungswege.

Neben dem „wie“ während des Maschinenbaustudiums steht als zweite wichtige Frage das „warum“. Warum muss ich das lernen, wozu ist es wichtig, warum muss ich mich damit herumplagen? Aus diesem Grund haben wir fast alle Kapitel nicht nur mit vielen Beispielen, sondern auch mit einem speziellen Leitbeispiel ausgestattet. Gewählt wurde dafür aus dem vorhandenen Bezug vieler technisch interessierter Studenten zum Auto der Antriebsstrang eines modernen Kraftfahrzeugs. Am Beispiel des Antriebsstranges eines Fahrzeugs soll gezeigt werden, welche ingenieurwissenschaftlichen Fragestellungen bei der Entwicklung und Produktion auftreten und welche Relevanz die im Studium vermittelten Fachkenntnisse dafür haben.

Konsequente Farbgebung erleichtert das Verständnis der Abbildungen Alle Abbildungen sind vierfarbig gestaltet und folgen einem bestimmten Schema. Alle Pfeile für Kräfte, Momente und Wärmegrößen erscheinen in rot. Grüne Pfeile symbolisieren Bewegungen und Transportströme, z. B. Wärmeoder Volumenströme in der Thermodynamik. Werkstücke oder Teile, die für das Verständnis wichtig sind werden grundsätzlich gelb dargestellt, Befestigungen und Halterungen sind grau gehalten (Abb. 1.10).

Abb. 1.11 Der Kopf des Kastens eines Leitbeispiels enthält das Bild eines stilisierten Antriebsstranges

Leitbeispiel Antriebsstrang

Dieses Leitbeispiel wird dabei aus der Sicht des jeweiligen Faches betrachtet. So werden z. B. in der Technischen Mechanik die Kräfte im Triebwerk eines Hubkolbenmotors berechnet (Kap. 2), und im Kapitel über Werkstoffkunde werden die typischerweise bei der Auswahl von Werkstoffen im Antriebsstrang zu lösenden Fragestellungen analysiert (Kap. 15, Kap. 30–33). Sie erkennen die Leitbeispiele an der grünen Kopfzeile des entsprechenden Kastens (Abb. 1.11). Der Tab. 1.2 können Sie entnehmen, welcher Teil des Antriebsstrangs in welchem Kapitel behandelt wird. Dabei

11

12

1 Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch Tab. 1.2 Zusammenstellung der Leitbeispiele in den einzelnen Kapiteln Bild

Thema Kräfte im Triebwerk eines Hubkolbenmotors In Hubkolbenmotoren werden die Gaskräfte aus der Kraftstoffverbrennung vom Kolben auf die Kurbelwelle übertragen, wo sie schließlich das Drehmoment des Motors erzeugen. Welche Kräfte wirken dabei auf die einzelnen Bauteile im Motor, und welcher Zusammenhang besteht zwischen der Gaskraft am Kolben und dem Drehmoment an der Kurbelwelle? Wie ändern sich Drehzahl, Drehmoment und Leistung in einem Getriebe? Wenn der Wagen nicht mehr richtig zieht, muss man runter schalten. Dann zieht der Wagen wieder besser, aber der Motor wird lauter, weil er schneller dreht. Ein guter Grund, sich zu überlegen, wie Drehzahl, Drehmoment und Leistung von der Getriebeübersetzung abhängen. Die Frage, wie sich Drehzahl, Drehmoment und Leistung in einem Getriebe ändern, wird beantwortet. Kräfte in einer Schraubenverbindung am Beispiel der Pleuelverschraubung Wie groß ist in einer Schraubenverbindung die durch eine bestimmte Betriebskraft hervorgerufene Schraubenkraft? Die Kräfteverhältnisse in einer Schraubenverbindung lassen sich im sogenannten Verspannungsdreieck sehr gut grafisch darstelllen. Wir sehen, dass sich die Kräfte in einer Schraubenverbindung vermindern. Fahrwerksfedern tragen die gesamte Last von Karosserie und Zuladung Besonders wichtige Anschlusskomponenten an den Antriebsstrang sind die Fahrwerksfedern, da diese die gesamte Last von Karosserie und Zuladung tragen. Zu deren wichtigsten Eigenschaften gehören die Federkonstante, welche maßgeblich den Fahrzeugkomfort des Fahrzeugs bestimmt, sowie die Tragfähigkeit der Feder. Ein Differenzialgetriebe dient bei einem Fahrzeug zum Ausgleich der unterschiedlichen Drehzahlen der Räder bei einer Kurvenfahrt. Wir bestimmen im Beispiel die Winkelgeschwindigkeit und die Winkelbeschleunigung des Verbindungsritzels. Aus der Winkelgeschwindigkeit des Ritzels lässt sich bestimmen wie groß die Winkelbeschleunigung des Ritzels ist, was bei einer Geradeausfahrt passiert und was sich ergibt, wenn aufgrund von Eisglätte das linke Rad blockiert und das rechte Rad durchdreht.

Kapitel 2

Der Antriebsstrang in einem Kraftfahrzeug ist die Abfolge aller Elemente, die dafür verantwortlich sind, das Antriebsmoment des Motors zum Reifen-Fahrbahn-Kontakt zu übertragen, wo es letztlich als Antriebskraft seine Wirkung entfaltet. Elemente eines Antriebsstrangs sind Wellen, die häufig als torsionselastisch zu betrachten sind, drehende Massen wie Schwungräder und Zahnräder sowie weitere Bauteile wie Kupplungen und Gelenke. Den Abschluss des Antriebsstrangs bilden die Räder mit elastischen Reifen. Ein Antriebsstrang ist aufgrund der darin verbauten Abfolge von elastischen und trägen Elementen ein schwingungsfähiges System.

13

Turbolader dient der Leistungs-/Effizienzsteigerung Kurbelwellengehäuse mit den Zylindern Ölwanne aus Polypropylen Getriebezahnräder sind aus oberflächengehärtetem Stahl Getriebe. Wenig Verschleiß, lange Lebensdauer, Präzision

14, 15

Thermodynamische Darstellung eines Motors als System mit Systemgrenze. Die technische Thermodynamik betrachtet Maschinen mithilfe makroskopischer Größen. Dies hat enorme Vorteile, dadafür nur wenige Größen bekannt sein müssen. Als Beispiel wird ein Verberennungsmotor betrachtet. Zunächst ist es wichtig das Objekt, das wir betrachten wollen, klar zu definieren, indem die Systemgrenze festgelegt wird. Wenn die Vorgänge im Kolbenraum interessieren, legen wir eine Systemgrenze so wie im Bild fest. Alles was sich außerhalb der Systemgrenze befindet bezeichnen wir als Umgebung. Es wird der Kreisprozess eines Verbrennungsmotors am Beispiel des Diesel-Prozesses genauer betrachtet. Beim Diesel-Prozess wird der Brennstoff nach der reversibel adiabaten Verdichtung der angesaugten Luft eingespritzt. Während der Verbrennungsvorgang abläuft, bewegt sich der Kolben nach unten sodass man eine Gleichdruckverbrennung erreichen kann. Der thermische Wirkungsgrad lässt sich in Abhängigkeit des Verdichtungsverhältnisses und des Einspritzverhältnisses berechnen.

17, 18

3

5

5

9, 10

20

1.7 Bild

Leitbeispiel Antriebsstrang

Thema Vergleich des Otto- und den Diesel-Prozesses und Bewertung anhand des thermischen Wirkungsgrades. Der Vergleich ergibt, dass bei gleichen Verdichtungsverhältnis der Diesel-Prozess einen kleineren thermischen Wirkungsgrad aufweist. Der Otto-Prozess weist eine höhere mittlere Temperatur bei der Wärmezufuhr auf, und bei gleicher Wärmeabgabe für beide Prozesse ergibt sich ein höherer Wirkungsgrad (größere spezifische Kreisprozessarbeit bei gleicher spezifischer Wärmeabgabe) gegenüber dem DieselProzess. Dieselmotoren weisen daher größere thermische Wirkungsgrade auf, da hier das Verdichtungsverhältnis deutlich höher als bei Ottomotoren ist. Abgasturbolader – Berechnung der notwendigen Leistung Im Leitbeispiel Abgasturbolader wird die Berechnung der notwendigen Leistung durch die Kontinuitäts- und Energiegleichung sowie der notwendigen Leistung aus der Drehimpulserhaltung gezeigt. Aufgabe des Turboladers ist es, die Ladeluft bereits vor dem Einlass in den Zylinder auf höheren Druck und höhere Dichte zu bringen, sodass sich je Kolbenhub (Hubraum) mehr Luft im Zylinder befindet. Der Verbrauch und der CO2 Ausstoß wird daturch deutlich reduziert. Technische Zeichnung einer Getriebewelle für ein Kfz Schaltgetriebe zur Übertragung von Drehmomenten Eine Welle dient zur Übertragung von Drehmomenten. In Fahrzeugen müssen zur optimalen Leistungsübertragung die Drehmomente durch die Änderung der Übersetzung an die Geschwindigkeit angepasst werden. Daher sind auf Wellen immer mehrere Zahnräder angeordnet, die je nach geforderter Übersetzung durch Verschieben der Zahnräder zueinander in Eingriff gebracht werden. In der Abbildung ist die Zeichnung einer Getriebewelle für ein Kfz-Schaltgetriebe dargestellt.

Kapitel 21

Der Antriebsstrang besteht aus den verschiedensten Maschinenelementen, die durch Verbindungselemente erst ihre Wirkungsweise erhalten. Weder ein Kraftfahrzeug noch sein Antriebsstrang wären ohne Verbindungselemente denkbar. Schraubenverbindungen dienen dazu, alle wesentlichen Komponenten aneinander zu befestigen. Damit sie diese Funktion erfüllen können, müssen hinreichend große Vorspannkräfte aufgebracht werden. Damit kann die Dichtheit des Getriebes gegen Ölverlust gewährleistet werden. In einem Antriebsstrang müssen die Antriebselemente die Energie vom Motor auf die Räder übertragen. Ohne diese Elemente könnte ein Kraftfahrzeug nicht fahren. Die Funktion, die Berechnung und die Gestaltung von Antriebselementen werden in Kap. 27 behandelt. Dazu gehören die Schaltkupplung, die direkt hinter dem Motor angeordnet ist. Darauf folgt das Zahnradgetriebe. Die Grundelemente für ein Getriebe sind Wellen, auf denen die Zahnräder befestigt werden. Damit sich die Wellen drehen können, benötigt man Lager. Um das Drehmoment vom Getriebe auf die Hinterräder zu übertragen, wird eine Gelenkwelle benötigt. Die Räder werden an feststehenden Achsen befestigt und müssen natürlich auch gelagert werden. Komponenten des Antriebsstrangs und ihre Fertigungsverfahren. Der Antriebsstrang eines Fahrzeugs umfasst alle Komponenten zur Übertragung des Drehmoments des Motors auf die Straße. Alle diese Komponenten müssen auf die eine oder andere Art und Weise hergestellt und gefertigt werden. In Abb. 29.16 sind exemplarisch einige Komponenten aufgeführt. In den Kap. 30 bis 32 werden diese Komponenten als Anwendungsbeispiele der jeweils typischen Fertigungsverfahren behandelt und in Tab. 29.3 die jeweiligen typischen Fertigungsverfahren aufgeführt. Das schließt jedoch nicht aus, dass gleiche oder ähnliche Komponenten auch mittels anderer Verfahren hergestellt werden können. Turbinenrad und die Keramikform für das Feingießen des Turbinenrades eines Abgasturboladers. Der Turbolader besteht aus einer Turbine und einem Verdichter. Die Abgase durchströmen die Turbine und treiben sie an. Über eine Wellenverbindung wird das Verdichterrad angetrieben, das die Ansaugluft dem Verbrennungsraum zuführt. Dadurch wird der Luftdurchsatz erhöht und die Ansaugarbeit des Motors vermindert.

26

Aluminiumfelgen hergestellt mittels Schwerkraft- oder Niederdruck-Kokillenguss Aluminiumfelgen sind optisch ansprechender als Stahlfelgen und bringen darüber hinaus Gewichtsvorteile. Die Herstellung von Aluminiumfelgen erfolgt in der Regel mittels Schwerkraft- oder Niederdruck-Kokillenguss. Als Verfahrensvariante kommt noch das direkte Pressgießen infrage. Alternativ können sie aber auch geschmiedet und aus stranggepressten Ringen und einem Stern durch Schweißen zusammengebaut werden.

30.2

22

23

27

29

30.2

13

14

1 Maschinenbau – seine Vielfalt und die Motivation für dieses Lehrbuch Bild

Thema Sinterformteile für Motor und Getriebe: für Zahnräder, Nockenwellenversteller Zahlreiche Bauteile in Motor und Getriebe werden heutzutage gesintert, um deren Porosität zu verringern und die geforderten physikalischen Bauteileigenschaften zu erreichen. So können Verzahnungen von Zahnrädern direkt gepresst und bei der Verwendung von sinterhärtbaren Stählen sogar ohne nachträgliche Wärmebehandlung gehärtet werden. Mögliche Einsatzbereiche sind Zahnräder zum Transport von Flüssigkeiten (Öl- und Kraftstoffpumpen), aber auch Komponenten für variable Nockenwellenversteller. Fertigungsprozess einer Kurbelwelle Die Kurbelwelle gehört zu den am stärksten belasteten Bauteilen innerhalb eines Motors und nimmt die von dem Kolben bei der Verbrennung auftretenden und über die Pleuelstangen übertragen Druckkräfte auf. Bei der Fertigung eines modernen Pkw-Motors kommen unterschiedliche Fertigungsverfahren zum Einsatz. Um die große Belastung möglichst gering zu halten, werden Kurbelwellen in mehreren Stufen geschmiedet, um einen zusammenhängenden Faserverlauf zu erzielen, der kombiniert mit dem dichten Gefüge eine große Festigkeit ergibt. Fertigung einer Getriebewelle. Das Fahrzeuggetriebe ist eine zentrale Komponente im Antriebsstrang eines Fahrzeuges. Es übersetzt die Motordrehzahl auf die Antriebsdrehzahl. Klassische Werkstoffe für solche Wellen sind Vergütungsstähle, wie z. B. 42CrMo4 oder 37MnSi5. Die Herstellung erfolgt, ausgehend von einem zylindrischen Rohteil (Stangenmaterial) über eine kombinierte Dreh- und Wälzfräsbearbeitung der Funktionsflächen. Bearbeitung der Kolbenlaufflächen von Zylindern von Verbrennungsmotoren mittels Honens; Honen der Zylinderlaufbahnen. Die bekannteste Anwendung des Honens ist die Bearbeitung der Kolbenlaufflächen von Zylindern von Verbrennungsmotoren. Durch das Honen wird die Genauigkeit der Zylinderlaufbahnen erhöht, und die charakteristische Oberfläche des Langhubhonens verbessert die Gleiteigenschaften wesentlich. Das Honergebnis wird zu einem großen Teil von den Eigenschaften der Werkzeugmaschine, der Geometrie des Werkstückes und dem Werkstückwerkstoff bestimmt. Komplettbearbeitung des Getriebegehäuses Auswahl eines geeigneten Maschinenkonzepts für die Komplettbearbeitung des Getriebegehäuses. Das Getriebegehäuse des Leitbeispiels soll mit einer Stückzahl von 250.000 Einheiten pro Jahr hergestellt werden. Es sollen die Bearbeitungen mit notwendigen Aufspannungen und Bearbeitungen festgelegt und eine geeignete Maschine oder Anlage ausgewählt werden. Zuerst wir die Bearbeitungszeit einer Einheit berechnet und auf die Gesamtbearbeitungszeit pro Jahr der 250.000 Einheiten erweitert. Rezyklieren der Werkstoffe eines Antriebsstranges. Turbolader: Umschmelzen in artgleiche Legierung Pulverisieren, Reinigen, Sintern Kurbelwellengehäuse: Primärlegierung Umschmelzen in gleiche Legierung, Sekundärlegierung umschmelzen in Sekundärlegierung Ölwanne: Regranulieren, Primärzusatz, Umformen/Schreddern, Schrottzugabe für Roheisen Getriebezahnräder: Umschmelzen für hochlegierten Stahl oder zur Roh- bzw. Gusseisenherstellung Der Zündtransformator. Das Benzin-Luftgemisch in einem Verbrennungsmotor: wird durch eine Hochspannungsentladung gezündet. Dazu wird die in der Abbildung gezeigte Schaltung verwendet. Deren Zeitverhalten wird von einem Hall-Sensor bestimmt, welcher die Stellung der Kurbelwelle feststellt. Die Zündung wird vorbereitet, indem der Hall-Sensor den Steueranschluss des Leistungstransistors auf Masse zieht. So kann ein Strom von der Batterie durch die Primärspule und den Leistungstransistor zur Masse fließen. Da die Sekundärspule in dieser Zeit keinen Strom führt, verhält sich der Transformator wie eine einzelne Spule der Induktivität. Die von einer Solaranlage aufgeladene Batterie eines Elektroautos ermöglicht eine der umweltfreundlichsten Arten, Auto zu fahren. Von der Sonne erreicht uns bei gutem Wetter ein Energiestrom mit einer Flächenleistungsdichte von 1 kW/m2 . Im Jahresdurchschnitt, bei jedem Wetter, ist der Wert deutlich kleiner. Die elektrische Energie wird in einem Akku gespeichert und später mit einem bestimmten Wirkungsgrad an den Elektromotor abgegeben. Der Aktionsradius hängt von mehreren Faktoren ab, die diskutiert werden.

Kapitel 30.2

Modell der Geschwindigkeitsregelung eines Elektrofahrzeugs Ein Elektrofahrzeug sei mit einem permanenterregten Gleichstrommotor ausgerüstet, der dem Fahrzeug eine gewünschte Geschwindigkeit verleihen soll. Dabei fungiert der Verstärker als Regler.

38

30.3

30.4

30.4

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Literatur

werden Sie feststellen, dass manche Teile in verschiedenen Kapiteln vorkommen, jeweils beleuchtet aus dem Blickwinkel des Kapitelthemas. So wird verständlich, wie sehr die einzelnen Wissensgebiete verknüpft sind.

Weiterführende Literatur

Literatur

VDI (2013) Ingenieure auf einen Blick – Erwerbstätigkeit, Innovation, Wertschöpfung, Verein Deutscher Ingenieure

Verband der Automobilindustrie (VDA) (2017) Jahreszahlen 2016; https://www.vda.de/de/services/zahlenund-daten/jahreszahlen.html. Zugegriffen: 31.7.2017 Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) (2017) Maschinenbau in Zahl und Bild 2017; https://www.vdma.org/article/-/articleview/ 12874852. Zugegriffen: 31.7.2017 Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA): Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge an deutschen Hochschulen; https://www. vdma.org/documents/105628/778064/Absolventen+ ingenieurwissenschaftlicher+Studiengänge. Zugegriffen: 31.7.2017

WiGeP (2013) Universitäre Lehre in der Produktentwicklung – Leitfaden der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktentwicklung, Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktentwicklung

15

Teil I

Inhaltsverzeichnis

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern . . . . . Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung . . . . Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen . . . Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen . . . . . . . . . Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 59 85 103 149 165 185 201 223 255 275 315

17

Technische Mechanik

Technische Mechanik

Technische Mechanik

2

Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Was ist eigentlich eine Kraft? Warum würde ein einachsiger Anhänger an einer gelenkig am Anhänger gelagerten Deichsel wackeln? Wie aus einer Büroklammer ein rasanter Kreisel wird.

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ebenes Kräftegleichgewicht am Punkt . . . . . . . . . Statisches Gleichgewicht am ebenen starren Körper Räumliche Kraftsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_2

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20 24 26 31 38 45 50 51

19

20

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Die Statik ist das Teilgebiet der Technischen Mechanik, das sich mit dem Einfluss von Kräften und Momenten auf ruhende oder gleichförmig bewegte Körper beschäftigt. Typische Aufgaben der Statik sind die Bestimmung von Lagerreaktionen (den Kräften und Momenten, mit denen eine Struktur gelagert ist) und Schnittgrößen (den inneren Kräften und Momenten). Im vorliegenden Kapitel werden wir uns vor allem damit befassen, wie man für einen unter Belastung stehenden Körper die Lagerreaktionen berechnet, welche den Körper im statischen Gleichgewicht halten. Dabei ist zwischen sehr kleinen (punktförmigen) Körpern, ebenen Körpern, die nur in ihrer Ebene belastet werden, und räumlichen Körpern zu unterscheiden, da sich auch die statischen Gleichgewichtsbedingungen für diese Arten von Körpern unterscheiden. Schließlich werden wir uns mit verschiedenen Arten von Reibung – Gleitreibung, Haftung, Rollreibung und Seilreibung – und der Ermittlung des Schwerpunktes befassen. Die Kenntnis des Schwerpunktes ist wichtig bei auf Strecken, Flächen und Volumina verteilten Lasten sowie später in der Festigkeitslehre bei der Beschreibung von Biegespannungen.

2.1

Grundbegriffe

Anfangen wollen wir mit einer Reihe von Grundbegriffen, die wir kennen müssen, um uns vernünftig miteinander verständigen zu können.

Eine Kraft bewirkt Veränderungen Kraft ist die in der Technischen Mechanik wohl bedeutsamste physikalische Größe. Kräfte können die Geschwindigkeit eines Körpers in Betrag und Richtung verändern oder Körper verformen. Mit ein paar Beispielen aus unserer alltäglichen Erfahrung wird diese Definition anschaulicher: Wird ein Ball geworfen oder prallt auf dem Boden auf, so ist die Ursache für die geänderte Geschwindigkeit (beim Werfen) oder die geänderte Bewegungsrichtung (beim Aufprall) jeweils eine Kraft. Beispiele für die Verformung von Körpern durch an ihnen angreifende Kräfte sind das Einfedern einer Mountainbikegabel oder das Modellieren von Knetmasse. Kräfte lassen sich in äußere und innere Kräfte einteilen. Äußere Kräfte wiederum kann man in eingeprägte Kräfte und Zwangs- oder Reaktionskräfte unterscheiden. Eingeprägte Kräfte sind die an einem Bauteil angreifenden Kräfte wie zum Beispiel Gewichtskräfte oder Windlasten. Als Zwangskräfte bezeichnet man die durch die Lagerung des Bauteils hervorgerufenen Kräfte. Angriffspunkt und Wirkungslinie Kräfte besitzen einen Betrag, eine Richtung und einen Kraftangriffspunkt; man sagt, sie sind gebundene Vekto-

Kraft F Angriffspunkt

Körper Wirkungslinie

Abb. 2.1 Kräfte sind Vektoren. Beschrieben werden sie durch Betrag (der sich z. B. durch die Pfeillänge darstellen lässt), Wirkungslinie, Richtung und Angriffspunkt

ren. Wie bei Vektoren üblich veranschaulicht man Kräfte in Zeichnungen und Skizzen durch Pfeile. Hierbei lassen sich Betrag und Richtung des Kraftvektors durch die Länge und die Orientierung des Vektorpfeils darstellen. Die quasi „unendliche“ Verlängerung des Pfeils in beide Richtungen wird Kraftwirkungslinie oder einfach nur Wirkungslinie genannt (Abb. 2.1). Man wird intuitiv vermuten, dass der Kraftangriffspunkt, den es ja ganz real gibt, wichtiger ist als die Kraftwirkungslinie, die ja nur eine gedachte Verlängerung des Kraftpfeiles ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. In der Statik ist die Wirkungslinie weit wichtiger als der eigentliche Kraftangriffspunkt, der natürlich immer auf der Wirkungslinie liegt. Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst aber mit einer weiteren wichtigen Modellvorstellung der Statik beschäftigen, dem starren Körper. Der starre Körper Starre Körper sind streng genommen definiert als Körper, die sich unter Belastung nicht verformen. Auch wenn diese Modellvorstellung in der Realität niemals mit mathematischer Exaktheit zutrifft – selbst ein massiger Hafenkran verformt sich ein wenig, wenn er irgendeine, auch noch so kleine Masse anhebt – so ist sie dennoch für die statische Analyse fast aller technischer Strukturen eine weitgehend zutreffende und äußerst nützliche Idealisierung. Zum einen, weil sich reale technische Strukturen unter üblichen Betriebslasten in der Regel nur um einen Bruchteil ihrer eigenen Abmessungen verformen, sodass statische Berechnungen (z. B. von Lagerreaktionen oder

2.1

Grundbegriffe

Technische Mechanik

inneren Kräften) mit und ohne Berücksichtigung der Bauteilverformung praktisch identische Ergebnisse liefern. Zum anderen, weil man Kräfte in der Statik starrer Körper nicht mehr als gebundene Vektoren auffassen muss, sondern, wie wir gleich sehen werden, sie entlang ihrer Wirkungslinie verschieben darf. Frage 2.1 Nennen Sie zwei technische Strukturen, die sich nicht als starre Körper ansehen lassen.

Welche Auswirkung hat die Modellvorstellung des starren Körpers nun auf die Bedeutungen von Kraftangriffspunkt und Wirkungslinie in der Statik? Sehen wir uns hierzu an einem Beispiel an, was passiert, wenn eine Kraft entlang ihrer Wirkungslinie verschoben wird.

Abb. 2.3 Wirken Kräfte auf deformierbare Körper, so erzeugen sie bei einer Verschiebung entlang ihrer Wirkungslinie unterschiedliche Verformungszustände und sind somit nicht mehr linienflüchtig

Verschiebbarkeit von Kräften

Beispiel

1000 N

Auf einen starren Körper wirkende Kräfte können entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden, ohne dass dies Einfluss auf das statische Gleichgewicht des Körpers hat.

Man sagt dazu auch, dass auf starre Körper wirkende Kräfte linienflüchtige Vektoren sind. Aber Vorsicht: Sobald wir deformierbare Körper betrachten, gilt die Linienflüchtigkeit der Kraftvektoren nicht mehr. So verformt sich ein deformierbarer Körper, wenn er an seiner Unterseite durch eine Druckkraft belastet wird, gänzlich anders, als wenn er an seiner Oberseite durch eine Zugkraft belastet wird, obwohl sich diese beiden Lastfälle auch nur dadurch unterscheiden, dass die äußere Kraft entlang ihrer Wirkungslinie verschoben wurde (Abb. 2.3). 1000 N

Abb. 2.2 Für die Statik des abgebildeten starren Trägers ist es gleichgültig, ob die angreifende Kraft auf dem Träger liegt oder unter ihm aufgehängt ist. In der Statik darf man auf starre Körper wirkende Kräfte entlang ihrer Wirkungslinie verschieben

Eine Gewichtskraft von 1000 N soll von einem Träger getragen werden, und zwar im ersten Fall, indem das Gewicht mittig auf den Träger gelegt wird, und im zweiten Fall, indem das Gewicht an einer Schnur mittig unter den Träger gehängt wird (Abb. 2.2). Mechanisch gesehen entspricht die unterschiedliche Positionierung des Gewichts einer Verschiebung des Kraftangriffspunktes entlang der Kraftwirkungslinie, und diese Verschiebung ist für die Statik des Trägers – die Lagerkräfte an linker und rechter Trägerseite – ohne irgendeine Auswirkung, denn die  Lagerkräfte betragen in beiden Fällen jeweils 500 N.

21

Einheit Die Einheit der Kraft ist das Newton (Formelzeichen N, nach Sir Isaac Newton, 1643–1727). Es setzt sich nach dem zweiten Newton’schen Axiom „Kraft gleich Masse mal Beschleunigung“ aus den Einheiten von Weg, Masse und Zeit zusammen als: Definition der Krafteinheit Newton

1 N = 1 kg

m . s2

Auf der Erdoberfläche, wo die Erdbeschleunigung g mit 9,81 m/s2 in etwa konstant ist, gilt für die Gewichtskraft G

22

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik F3

Fy = Fsinα

Technische Mechanik

F α

F2 Fx = Fcosα R

Abb. 2.4 Kräfte lassen sich mit den geeigneten Winkelfunktionen in ihre Komponenten zerlegen F1

einer Masse m der Zusammenhang G = 9,81 m/s2 · m, sodass eine Masse von 1 kg genau die Gewichtskraft 9,81 N hat.

Abb. 2.5 Kräfte kann man grafisch addieren, indem man die einzelnen Kraftpfeile hintereinanderreiht

Komponentenzerlegung Es ist vielfach zweckmäßig, eine Kraft in ihre Komponenten zu zerlegen, bei ebenen Problemen beispielsweise in die x- und y-Komponente. Hierzu brauchen wir die geeignete Winkelfunktion, und es stellt sich die Frage „Sinus oder Kosinus?“. Zwei Möglichkeiten gibt es vorzugehen (Abb. 2.4). Für die Variante 1 müssen Sie die Definition von Sinusund Kosinusfunktion kennen: Sinus = Gegenkathete/ Hypothenuse und Kosinus = Ankathete/Hypothenuse. Da in Abb. 2.4 die Horizontalkomponente Fx am Winkel α angreift, muss Fx über die Ankathete, also den Kosinus definiert sein. Und Fy muss, da gegenüber von α liegend (nämlich dann, wenn man Fy zwischen die beiden anderen Pfeilspitzen nach rechts verschiebt) über die Gegenkathete, also den Sinus definiert sein. Die Variante 2 funktioniert ohne diese Definitionen, dafür müssen Sie aber die grafischen Verläufe von Sinusund Kosinusfunktion vor Augen haben. Wir merken uns: Für 0° sind sin 0◦ = 0 und cos 0◦ = 1, und für 90° sind sin 90◦ = 1 und cos 90◦ = 0. So wie der Winkel α in Abb. 2.4 gegeben ist, liegt er näher an 0° als an 90°. Wir stellen uns daher vor, was aus den Komponenten Fx und Fy würde, wenn α tatsächlich gegen 0° ginge. Fx würde genauso groß wie F werden, wir benötigen für Fx also eine Winkelfunktion, die für 0° den Wert 1 annimmt, das ist der Kosinus. Und Fy würde zu null werden, wir brauchen für Fy also eine Winkelfunktion, die für 0° den Wert 0 annimmt, also den Sinus. Achtung Sehen Sie zu, dass Sie die Winkelfunktionen aus dem „Effeff“ beherrschen. Sie werden Sie in sehr vielen Aufgaben der Technischen Mechanik anwenden  müssen. Kräfteaddition Die Addition von Kräften geschieht nach den Gesetzen der Vektoraddition. Rechnerisch werden also schön getrennt alle x-, y- und gegebenenfalls z-Koordinaten der zu addierenden Kräfte F 1 bis F n zur entsprechenden Koordinate der Resultierenden R addiert.

F1x + F2x + ... + Fnx = Rx , F1y + F2y + ... + Fny = Ry und F1z + F2z + ... + Fnz = Rz .

Grafisch werden Kraftvektoren zur Resultierenden R addiert, indem man die zu addierenden Kräfte durch Parallelverschiebung nach dem Muster „Startpunkt des neuen Vektors an den Endpunkt des vorhergehenden“ aneinanderreiht (Abb. 2.5). Greifen alle zu addierenden Kräfte im selben Punkt an (bzw. treffen sich alle Kraftwirkungslinien in einem einzigen Punkt), so greift auch die Resultierende in diesem Punkt an. Kreuzen sich die Wirkungslinien der zu addierenden Kräfte hingegen nicht in einem einzigen Punkt, so ist die Wirkungslinie der Resultierenden so zu legen, dass die Momentenwirkung der Kräfte erhalten bleibt. Mit der Momentenwirkung von Kräften werden wir uns in Abschn. 2.3 näher befassen.

Statisches Gleichgewicht Statisches Gleichgewicht liegt immer dann vor, wenn ein Körper nicht beschleunigt wird, also insbesondere dann, wenn ein Körper ruht. Alle auf den Körper wirkenden Kräfte und Momente gleichen sich dann zu null aus.

Balken In technischen Anwendungen werden Kräfte sehr oft von schlanken Trägern aufgenommen. Ein Träger, dessen Querschnittsabmessungen deutlich kleiner als seine Länge sind, wird allgemein als Balken bezeichnet. So würde man beispielsweise ein Stuhlbein, einen Schlagbaum, aber auch ein Sprungbrett oder die Fahrbahn einer Brücke in der Terminologie der Technischen Mechanik als Balken bezeichnen.

2.1

Grundbegriffe

23

10 kg

Ist ein Problem der Statik schon so weit aufbereitet, dass alle an einen Körper angreifenden Kräfte als Pfeile eingezeichnet sind, dann kann man mit diesen Kräften rechnen. Wir könnten beispielsweise die Resultierende R dieser Kräfte berechnen oder – wie das in den Abschn. 2.2 und 2.3 erklärt ist – Lagerreaktionen ermitteln. Aber die Realität ist anders: In der technischen Praxis ist die zu analysierende Struktur eben nicht nur durch allerlei Kraftpfeile belastet, sondern auch durch Lagerungen und Festhaltungen in ihrer Umgebung verankert. Um die angreifenden Kräfte dann analysieren zu können, müssen wir diese Lagerungen erst durch die von ihnen ausgeübten Kräfte ersetzen. Damit sind wir beim Prinzip des Freischneidens: Alles, was auf den betrachteten Körper eine Kraft oder ein Moment ausübt, wird durch eben diese Kraft (bzw. dieses Moment) ersetzt. In der Regel betrifft dies alle Lager, Festhaltungen, Personen, Rollen, das im Schwerpunkt anzunehmende Eigengewicht eines Körpers etc.

Abb. 2.6 Durch reibungsfrei drehbar gelagerte Rollen werden Kräfte nur umgelenkt. Auf beiden Seiten der Rolle ist die Kraft im Seil gleich groß

Stäbe und Seile Ein Stab ist ein Spezialfall eines Balkens. Ein Balken wird immer dann als Stab bezeichnet, wenn er an beiden Seiten gelenkig eingespannt ist und nur an den Einspannstellen belastet wird. Ein Stab kann nur Kräfte in Stabrichtung aufnehmen, und zwar entweder Zug- oder Druckkräfte. Frage 2.2 Nennen Sie Beispiele für die technische Anwendung von Stäben.

Das Ergebnis eines Freischnitts ist ein Freikörperbild. Ein Körper ist immer dann ordnungsgemäß freigeschnitten, wenn er im Freikörperbild völlig losgelöst „in der Luft schwebt“ und nur noch durch verschiedene Kräfte, Momente und dergleichen belastet wird. In ein gutes Freikörperbild sind auch alle wichtigen Abmessungen einzuzeichnen, sodass sich eine Aufgabe der Technischen Mechanik schließlich vollkommen auf Basis des Freikörperbildes und ohne weiteres Nachschlagen in der Aufgabenstellung lösen lässt. Beispiel Eine 900 N schwere Person steht auf einem Sprungbrett (Abb. 2.7). Zu zeichnen ist das Freikörperbild.

Ähnlich wie ein Stab kann auch ein straff gespanntes Seil nur Kräfte in Längsrichtung aufnehmen, wobei aber die Fähigkeit zur Kraftübertragung beim Seil auf Zugkräfte beschränkt ist. 2m

3m

Reibungsfrei drehbar gelagerte Rollen Wird ein Seil über eine reibungsfrei drehbare Rolle geführt, so lenkt die Rolle die Richtung der Seilkraft nur um, ohne dabei den Betrag der Seilkraft zu ändern. So muss die in Abb. 2.6 am Seil ziehende Person das 10 kg schwere Gewicht mit eben dieser Gewichtskraft 10 kg · 9,81 m/s2 = 98,1 N festhalten, damit es nicht zu Boden fällt. Durch die drehbare Rolle ändert sich somit nur die Richtung der erforderlichen Haltekraft. Müsste die Haltekraft ohne die Rolle senkrecht nach oben ausgeübt werden, so ist sie nun aufgrund der Umlenkrolle nach links unten orientiert.

900 N Bx Ay

3m

By

2m

Abb. 2.7 Person auf Sprungbrett (oben ) und zugehöriges Freikörperbild (unten )

Wir sehen das Sprungbrett als einen Balken an und ersetzen Person und Lager wie folgt: Das Lager A, das das Sprungbrett ausschließlich in vertikale Richtung abstützt,

Technische Mechanik

Freischneiden und Freikörperbilder

24

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Übersicht: Tipps zur Bearbeitung von Aufgaben der Technischen Mechanik Die Technische Mechanik ist ein typisches Textaufgabenfach. Bitte beherzigen Sie die folgenden einfachen Ratschläge, die Ihnen wesentlich dabei helfen werden, die Übersichtlichkeit einer Berechnung zu erhöhen und die Fehleranfälligkeit zu verringern. Zeichnen Sie Freikörperbilder liebevoll Der Schlüssel zur Lösung jeder Textaufgabe ist der richtige Ansatz, und für die weitaus meisten Aufgaben der Technischen Mechanik ist der Ansatz das Freikörperbild. Zeichnen Sie Freikörperbilder also stets sorgfältig und groß genug, um alle Pfeile, Formelzeichen und Bemaßungen bequem eintragen zu können. Im

Zweifelsfall lieber zu groß als zu klein. Denken Sie daran: Das Freikörperbild ist Ihr Lösungsansatz. Ohne korrektes Freikörperbild keine richtige Lösung. Rechnen Sie so lange wie möglich mit Formelzeichen Setzen Sie konkrete Zahlenwerte erst zum Schluss der Rechnung ein. Sie reduzieren so den Schreibaufwand, erhöhen die Übersichtlichkeit und minimieren unnötige Flüchtigkeitsfehler. Rechnen Sie immer mit Einheiten Wenn Sie konkrete Zahlenwerte einsetzen, vergessen Sie die Einheiten nicht. Die Kontrolle, ob die Einheit Ihres Ergebnisses passt, ist immer eine wichtige erste Kontrolle des Ergebnisses auf Richtigkeit.

durch die Lagerkraft Ay , das Lager B, das das Sprungbrett in horizontaler und vertikaler Richtung abstützt, durch die Lagerkräfte Bx und By , und die Person durch eine nach unten gerichtete Kraft des Betrags 900 N. Damit ergibt sich das abgebildete Freikörperbild, mit dessen Hilfe wir nun die Kräfte berechnen könnten, die von den Lagern auf das Sprungbrett ausgeübt werden. In den folgenden  Kapiteln wird gezeigt, wie das geht.

In der Statik interessiert die Frage, wie groß die angreifenden Kräfte sein müssen, bzw. in welche Richtung sie wirken müssen, damit sich der betrachtete Körper im statischen Gleichgewicht befindet. Die Beantwortung dieser Frage kann rechnerisch oder grafisch erfolgen.

Einheiten

Befindet sich ein Körper im statischen Gleichgewicht, so müssen sich die an ihm angreifenden Kräfte in ihrer Summe zu null ergänzen, denn andernfalls würde der Körper dem 2. Newton’schen Axiom F = m · a gemäß beschleunigt werden. Für Vektoren heißt das, dass alle Komponenten, jeweils für sich aufsummiert, null ergeben. Wir erhalten somit als

Mit Einheiten kann man wie mit Zahlen rechnen. Und Sie sollten dies auch tun, denn eine falsche, weil geratene Einheit bedeutet, dass das Ergebnis (grob) falsch ist. Eine Anwendung für das Rechnen mit Einheiten ist das Umrechnen von Einheiten, wie im folgenden Beispiel. Beispiel In Großbritannien und der Vereinigten Staaten wird der Luftdruck oft in psi („pounds per square inch“) angegeben. Hierbei entsprechen 1 lbf = 4,448 N und 1 in = 25,4 mm. Wie vielen Pascal entspricht ein psi? Zur Umrechnung der Einheiten denken wir uns die anglo-amerikanischen Einheiten jeweils eingeklammert und ersetzen sie durch die SI-Einheiten. Wir erhalten 1 psi = 1

2.2

4,448 N lbf N = = 6894 = 6894 Pa. (25,4 (0,001 m))2 (m)2 in2 

Ebenes Kräftegleichgewicht am Punkt

Wir betrachten in diesem Kapitel Körper, an denen verschiedene Kräfte so angreifen, dass sich ihre Wirkungslinien in einem Punkt schneiden. Ebenfalls gebräuchlich sind die Begriffe zentrales Kräftesystem oder zentrale Kraftgruppe.

Rechnerische Bestimmung

Gleichgewichtsbedingungen in ebenen Problemen

→ ∑ Fix = 0 und ↑ ∑ Fiy = 0 . Für räumliche (dreidimensionale) Fragestellungen käme als dritte Gleichgewichtsbedingung noch das Kräftegleichgewicht in z-Richtung hinzu. Die Pfeile vor den Summenzeichen zeigen an, welche Kraftrichtung jeweils als positiv gewertet wird. Beispiel x-Richtung: Horizontale Kraftkomponenten, die von links nach rechts wirken, gehen mit positivem Vorzeichen und solche, die von rechts nach links wirken, mit negativem Vorzeichen in die Kräftebilanz ein. Wie diese Gleichgewichtsbedingungen anzuwenden sind, erschließt sich am besten an einem Beispiel, wie es in der Box Freischneiden und Anwendung der Gleichgewichtsbedingungen zu finden ist.

Ebenes Kräftegleichgewicht am Punkt

Beispiel: Freischneiden und Anwendung der Gleichgewichtsbedingungen Eine Straßenbeleuchtung mit dem Gewicht G = 80 N ist wie skizziert an zwei Seilen befestigt, die um die Winkel α = 20◦ und β = 25◦ zur Horizontalen geneigt sind. Bestimmen Sie die Kräfte in den Seilen. Seil 1, α = 20°

S2

S1 α = 20°

β = 25°

Seil 2, β = 25°

G

Damit lässt sich nun rechnen. Das Aufsummieren aller x-Komponenten führt auf

→ ∑ Fix = −S1 cos α + S2 cos β = 0 , und bei den y-Komponenten erhalten wir

↑ ∑ Fiy = S1 sin α + S2 sin β − G = 0 . Problemanalyse und Strategie: Eine typische Aufgabe zur Berechnung von Lagerreaktionen. In einem ersten Schritt müssen wir den betrachteten Körper freischneiden, um so zu einem Freikörperbild zu gelangen, das alle auftretenden Kräfte enthält. Die unbekannten Kräfte dieses Freikörperbildes berechnen wir dann mit den Gleichgewichtsbedingungen. Lösung: Aus Erfahrung wissen wir, dass sich Straßenlaternen – wenn nicht gerade ein schwerer Orkan herrscht – nicht einfach so von ihrem Platz entfernen, sich also im statischen Gleichgewicht befinden. Da alle Kräfte an der Lampenaufhängung angreifen – die Gewichtskraft G der Lampe und die beiden Seilkräfte – handelt es sich um ein Problem des Kräftegleichgewichts an einem Punkt. Beginnen wir mit dem Freikörperbild. Hierfür schneiden wir die Lampenaufhängung frei. Es wird also – wie mit einem schweren Seitenschneider – Seil 1 an der Aufhängung abgeschnitten und ganz schnell, damit die Lampe das sozusagen gar nicht merkt, durch die Seilkraft S1 ersetzt. Selbiges passiert mit Seil 2, das wir durch die Seilkraft S2 ersetzen. Schließlich schneiden wir noch die Lampe selbst weg und ersetzen sie durch ihre Gewichtskraft G. Wir tragen noch alle relevanten Abmessungen ein – das sind hier nur die Winkel α und β – und erhalten das folgende Freikörperbild:

Das sind zwei Gleichungen für die zwei Unbekannten S1 und S2 ; das lässt sich lösen. Aus dem Gleichgewicht in x-Richtung ergibt sich S1 = S2

cos β , cos α

woraus wir, eingesetzt in das y-Gleichgewicht, G cos β tan α + sin β 80 N = = 106,31 N cos 25◦ tan 20◦ + sin 25◦

S2 =

sowie S1 = S2

cos β cos 25◦ = 106,31 N = 102,54 N cos α cos 20◦

berechnen. Wir erhalten als Lösung (mit vernünftiger Genauigkeit, nicht der überhöhten Genauigkeit der Zwischenergebnisse) 103 N für S1 und für 106 N S2 . Beachten Sie, dass diese Lösung den in der Übersicht Tipps zur Bearbeitung von Aufgaben der Technische Mechanik aufgeführten Tipps folgt, insbesondere wurde ein sorgfältiges Freikörperbild gezeichnet, dann wurde so lange wie möglich mit Formelzeichen (G, α und β) gerechnet, und die konkreten Werte wurden erst ganz zu Schluss eingesetzt und in den Taschenrechner eingetippt.

25

Technische Mechanik

2.2

26

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Grafische Methode Technische Mechanik

Wie die rechnerische Methode baut auch die grafische Methode auf dem Freikörperbild auf. Nehmen wir erneut das Beispiel der Straßenbeleuchtung aus der Beispielbox Freischneiden und Anwendung der Gleichgewichtsbedingungen. Beispiel Das Freikörperbild können wir von der rechnerischen Lösung übernehmen. Grundidee der grafischen Lösung ist es, alle auftretenden Kräfte als maßstäbliche Kräfte so hintereinander zu legen (d. h. zu addieren), dass sie in Summe den Nullvektor ergeben, also einen Vektorpfeil, bei dem Spitze und Startpunkt aufeinanderfallen. Einfacher gesagt: Die Spitze des letzten Pfeils muss auf den Startpunkt des ersten Pfeils treffen. Man sagt dann, die auftretenden Kräfte bilden ein geschlossenes Krafteck. Beim Beispiel der Straßenbeleuchtung funktioniert das wie folgt: Dem Freikörperbild entnehmen wir, dass genau drei Kräfte an der Lampenaufhängung angreifen, S1 , S2 und G. Von diesen ist nur die Kraft G in Betrag und Richtung bekannt (Betrag 80 N, Richtung senkrecht nach unten), von S1 und S2 kennen wir dagegen nur die jeweiligen Richtungen. Wir zeichnen daher zuerst G auf, dann als dünne Hilfslinien die um 20° bzw. 25° zur Horizontalen geneigten Wirkungslinien von S1 und S2 (eine Linie an den Startpunkt, die andere an die Spitze von G, welche wohin kommt, ist egal) und tragen S1 und S2 schließlich so auf die Wirkungslinien ein, dass sich ein geschlossenes Krafteck ergibt (Abb. 2.8). Aus der Länge der Pfeile können wir nun die Beträge der Seilkräfte ablesen.

Startpunkt von G). Wir erhielten dann ein Krafteck, das links (und nicht rechts) von G liegt, aber die gleichen  Ergebnisse für S1 und S2 liefert.

Achtung Zentrale Kraftgruppen können auch dann vorliegen, wenn die Kräfte nicht alle an einem einzigen Punkt angreifen, es brauchen sich ja nur die Wirkungslinien der angreifenden Kräfte in einem Punkt zu schneiden. Das ist immer dann der Fall, wenn genau drei nicht parallele Kräfte an einem Körper angreifen und sich dieser Körper im statischen Gleichgewicht befindet. Die Wirkungslinien dieser drei Kräfte können gar nicht anders als sich in einem einzigen Punkt zu schneiden weil der Körper nämlich andernfalls in Drehbewegung versetzt werden würde. Es handelt sich dann also ebenfalls um eine Auf gabe zum Kräftegleichgewicht am Punkt.

2.3

Statisches Gleichgewicht am ebenen starren Körper

Wir kommen nun zum statischen Gleichgewicht für einen ebenen starren Körper. Wie schon bei den zentralen Kraftgruppen lässt sich dieses auf grafische oder auf rechnerische Weise behandeln. In vielen Fällen geht es dabei um die Ermittlung von Lagerreaktionen, das sind diejenigen Kräfte und Momente, mit denen der betrachtete Körper festgehalten wird. Wir wollen zunächst die zwei wichtigsten Grundbegriffe, anschließend behandeln wir die rechnerische Bestimmung von Lagerreaktionen.

S1

Kräfte mit Hebelarm: das Moment G

S2

Betrachten wir einen Schraubenschlüssel, wie er z. B. zum Anziehen und Lösen von Radmuttern verwendet wird (Abb. 2.9). Beim Anziehen einer Radmutter wird

Abb. 2.8 Grafische Aufspaltung der Gewichtskraft G in die Seilkräfte S1 und S2

Noch zwei Anmerkungen zur grafischen Lösung: Beim Einzeichnen der Kraftpfeile wird von einem Kräfteplan gesprochen: „Die Stabkräfte S1 , S2 und G werden in einen Kräfteplan eingezeichnet.“ Kräftepläne sind stets maßstäblich. Der oft als mF bezeichnete Kräftemaßstab hat Einheiten von Kraft pro Länge. So bedeutet z. B. mF = 10 N/cm, dass jeder Zentimeter Pfeillänge einer Kraft von 10 N entspricht. Wir hätten in den Kräfteplan der Beispielaufgabe auch die Anordnung der Wirkungslinien von S1 und S2 vertauschen können (d. h. S1 an die Spitze und S2 an den

F F

Abb. 2.9 Ein Kräftepaar – zwei entgegen gesetzt gerichtete Kräfte gleichen Betrags – entfaltet eine drehende Wirkung, die man als Moment bezeichnet

der Schraubenschlüssel an beiden Hebelarmen mit gleich großen, entgegengesetzt gerichteten Kräften – einem sogenannten Kräftepaar – belastet. Da sich offensichtlicher Weise alle Kraftkomponenten jeweils zu null ausgleichen, herrscht Kräftegleichgewicht. Aber der Schraubenschlüssel befindet sich trotzdem nicht im statischen Gleichgewicht, denn er wird ja gedreht. Zur Beschreibung des statischen Gleichgewichts eines starren Körpers reichen also die Kräftegleichgewichte allein nicht aus. Es wird noch eine weitere Bedingung benötigt, die die Drehwirkung der angreifenden Lasten beschreibt. Aus Erfahrung wissen wir: Je weiter außen ein solcher Schraubenschlüssel angefasst wird, desto leichter lässt sich die Schraube einschrauben. Die Drehwirkung der angreifenden Kräfte hängt also von ihrem Hebelarm ab. Die diese Erfahrung beschreibende physikalische Größe ist das Moment bzw. Drehmoment. Ein Moment ist ein Vektor, dessen Richtung der Richtung entspricht, um die das Moment dreht. Physikalisch korrekt ist das von einer Kraft bzgl. eines Punktes ausgeübte Moment definiert als Vektorprodukt aus Orts- und Kraftvektor, eine Definition, auf die wir im Kapitel Räumliche Statik zurückkommen werden. Bei den hier betrachteten ebenen Problemen reicht es aus, wenn wir uns auf die Beträge der Momente beschränken. Betrag eines um einen Bezugspunkt ausgeübten Moments

|Moment| = Kraft × Hebelarm Vorsicht ist bei der Bestimmung des Hebelarms geboten. Der Hebelarm ist nämlich nicht der Abstand zwischen

Statisches Gleichgewicht am ebenen starren Körper

Kraftangriffspunkt und Momentenbezugspunkt. Wir erinnern uns: In der Statik starrer Körper ist der Kraftangriffspunkt völlig unerheblich, viel wichtiger ist die Lage der Kraftwirkungslinie. Folgerichtig ist der Hebelarm einer Kraft definiert als der Abstand der Kraftwirkungslinie zum betrachteten Momentenbezugspunkt (Abb. 2.10). Achtung Wenn Sie Schwierigkeiten haben, den Hebelarm einer Kraft zu bestimmen: Zeichnen Sie in das Freikörperbild einfach zu jedem Kraftpfeil auch die Wir kungslinie ein, dann geht’s ganz einfacher. Mit dem Momentengleichgewicht als dritter Bedingung erhalten wir die folgenden Gleichgewichtsbedingungen für den ebenen starren Körper

→ ∑ Fix = 0 , ↑ ∑ Fiy = 0 und

 ∑ M(O) =0. i Diese Gleichungen haben recht anschauliche Bedeutungen. Sie besagen, dass ein Körper im statischen Gleichgewicht nicht in x-Richtung beschleunigt wird, da alle x-Komponenten der angreifenden Kräfte in Summe null ergeben, nicht in y-Richtung beschleunigt wird, da alle y-Komponenten der angreifenden Kräfte in Summe null ergeben, und auch nicht in Rotation versetzt wird, da alle auf den Körper ausgeübten Drehwirkungen – die Momente – ebenfalls in Summe null ergeben. Der hochgestellte Index (O) im Momentengleichgewicht steht für den Momentenbezugspunkt. Das Momentengleichgewicht besagt somit: „Im statischen Gleichgewicht ergänzen sich alle um den Bezugspunkt O auf einen Körper wirkenden Momente in ihrer Summe zu null.“ Besonders wichtig ist dabei die

Bezugspunkt

Hebelarm

Freie Wahl des Momentenbezugspunktes

Kraft

Abb. 2.10 Der Hebelarm einer Kraft ist definiert als der Abstand der Kraftwirkungslinie zum betrachteten Momentenbezugspunkt

Die Lage des Momentenbezugspunktes kann vollkommen frei gewählt werden. Wichtig ist lediglich, dass sich alle Momente innerhalb eines Momentengleichgewichts immer auf denselben Bezugspunkt beziehen. Man kann also bei der Wahl des Bezugspunktes nichts grundfalsch machen – jeder Bezugspunkt ist erlaubt –,

27

Technische Mechanik

2.3

28

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Leitbeispiel Antriebsstrang Kräfte im Triebwerk eines Hubkolbenmotors: . . . zur Berechnung des Drehmoments eines Motors aus der Gaskraft der Kraftstoffverbrennung

In Hubkolbenmotoren werden die Gaskräfte aus der Kraftstoffverbrennung vom Kolben über den Kolbenbolzen, die Pleuelstange und den Kurbelzapfen auf die Kurbelwelle übertragen, wo sie schließlich das Drehmoment des Motors erzeugen. Welche Kräfte wirken dabei auf die einzelnen Bauteile im Motor, und welcher Zusammenhang besteht zwischen der Gaskraft am Kolben und dem Drehmoment an der Kurbelwelle? Verschaffen wir uns zunächst einmal einen Überblick über die für unsere Fragestellung wichtigen Abmessungen sowie die an den genannten Bauteilen wirkenden Kräfte. Hierzu sind in der folgenden Abbildung alle am Kolben sowie alle am Kurbelzapfen angreifenden Kräfte eingezeichnet.

Kolben

Kolbenbolzen FK

FN

Damit zu den Kräften. Auf den Kolben wirken: Die Kolbenkraft FK , welche im Wesentlichen aus der Gaskraft durch die Kraftstoffverbrennung sowie in kleinerem Maße aus der Trägheitskraft des Kolbens besteht. Die Reaktionskraft der Zylinderwand, welche, da der Kolben durch den Schmierfilm zwischen Zylinderwand und Kolben weitgehend reibungsfrei läuft, senkrecht zur Zylinderwand wirkt. Sie ist deswegen als Normalkraft FN bezeichnet. Die Pleuelstangenkraft FP . Diese wirkt, da die Pleuelstange in Kolbenbolzen und Kurbelzapfen jeweils gelenkig gelagert ist und auch nur dort belastet wird, die Pleuelstange also aus mechanischer Sicht ein Stab ist, genau in Richtung der Pleuelstange. Die Wirkungslinien dieser drei Kräfte müssen sich in einem einzigen Punkt schneiden, denn andernfalls würde der Kolben in Drehung versetzt werden, was aufgrund seiner Führung im Zylinder nicht passieren kann. Aus den Gleichgewichtsbedingungen für zentrale Kraftgruppen erhalten wir

↑ ∑ Fiy = −FK + FP cos β = 0 FK =⇒ FP = cos β

FP

l

β Pleuelstange

sowie

FP

→ ∑ Fix = FN − FP sin β = 0

Kurbelzapfen

=⇒

α α

FT

FR Kurbelwange r

Die Geometrie des Hubkolbenantriebs ist gegeben durch die Pleuellänge l, den Kurbelradius r und den Kurbelwinkel α. Aus diesen drei Abmessungen ergibt sich der Pleuelwinkel β über den Sinussatz zu β = arcsin( rl · sin α).

FN = FP sin β = FK tan β .

Damit hätten wir die am kolbenseitigen Ende der Pleuelstange wirkenden Kräfte berechnet. Am anderen Ende der Pleuelstange, dem Kurbelzapfen, wirken nun: Ebenfalls die Pleuelstangenkraft FP , welche genau in die entgegengesetzte Richtung wie am Kolbenbolzen wirkt. (Wenn die Pleuelstange am einen Ende eine Kraft nach oben ausübt, dann muss sie am anderen Ende eine Kraft nach unten ausüben, um im statischen Gleichgewicht zu sein.) Die Kraft zwischen Kurbelwange und Kurbelzapfen, die wir zweckmäßiger Weise in eine Radialkraft FR und eine Tangentialkraft FT aufspalten.

2.3

→ ∑ Fix = FR sin α − FT cos α + FP sin β = 0 und

↑ ∑ Fiy = FR cos α + FT sin α − FP cos β = 0 ,

mit den Lösungen FR = FP (cos α cos β − sin α sin β) = FP cos(α + β) und FT = FP (sin α cos β + cos α sin β) = FP sin(α + β) . Das auf die Kurbelwelle übertragene Drehmoment ergibt sich – ein kleiner Vorgriff auf Abschn. 2.3 – aus der Tangentialkraft FT schließlich als FT · r.

aber man kann sich sehr wohl geschickter oder ungeschickter anstellen und dadurch in Aufgaben viel Zeit gewinnen oder verlieren. In der Beispielbox Berechnung von Lagerreaktionen wird gezeigt, was damit gemeint ist. Der drehende Pfeil vor dem Momentengleichgewicht zeigt übrigens die als positiv angesetzte Drehrichtung an. Die übliche Konvention ist, dass gegen den Uhrzeigersinn drehende Momente mit positivem Vorzeichen und mit dem Uhrzeigersinn drehende Momente mit negativem Vorzeichen in das Momentengleichgewicht eingehen. Frage 2.3 Weswegen müssen die Stäbe in Mobiles (siehe Abb. 2.11) nach unten gebogen sein, damit das Mobile das Gleichgewicht halten kann?

Lager reagieren auf Kräfte und Momente Praktisch alle technischen Bauteile sind mehr oder weniger fest mit ihrer Umgebung verbunden. Autos über Räder mit der Straße, eine Laterne über die Einbetonierung ihres Fußes mit dem Boden oder ein Hängeschrank über Dübel und Schrauben mit der Wand. In der Technischen Mechanik werden diese Festhaltungen Lager genannt, und die Bestimmung der von den Lagern ausgeübten Kräfte und Momente – der sogenannten Lagerreaktionen – ist eine der Hauptaufgaben der Statik. Die erste entscheidende Frage bei einem Lager ist: „In welche Richtungen kann das Lager überhaupt Kräfte oder Momente übertragen?“ Hierbei gilt folgendes Prinzip: Kann sich der gelagerte Körper am Lager ungehindert in eine bestimmte Richtung bewegen, so übt das Lager in eben diese Richtung keine Kraft aus. Umgekehrt übt das Lager in jede Richtung, in die es die Bewegung des Körpers unterbindet, eine Kraft aus. Diese sorgt nämlich gerade dafür, dass die entsprechende Bewegung unterbunden wird. Auch für vom Lager zugelassene oder unterbundene Rotationen gilt dieser Gedankengang, wobei wir es dann aber nicht mehr mit vom Lager ausgeübten Kräften, sondern Momenten zu tun haben.

29

Abb. 2.11 Mobile

Die folgenden Lager sind von besonderer Wichtigkeit: Ein Loslager stützt einen Körper in genau eine Richtung ab. Betrachten wir als Beispiel ein ungebremstes Fahrzeugrad, etwa das Vorderrad eines Tretrollers. Es verhindert die vertikale Bewegung des Rollers (in den Boden kann er nicht eindringen), während die horizontale Bewegung und die Drehung des Rollers um das Vorderrad durch dieses nicht behindert werden. Vom Lager wird daher weder eine horizontale Kraft, noch ein Moment auf das Lager ausgeübt, wohl aber eine

Technische Mechanik

Natürlich schneiden sich auch die Wirkungslinien der drei auf den Kurbelzapfen wirkenden Kräfte in einem Punkt, und wir erhalten

Statisches Gleichgewicht am ebenen starren Körper

30

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Tab. 2.1 Übersicht über die wichtigsten Lagerungen ebener starrer Körper und die dazugehörigen Lagerreaktionen

Lager Loslager (Wertigkeit 1)

Beispiel Rad eines Tretrollers

Pendelstütze (Wertigkeit 1)

Hubzylinder eines Kipplasters

Sinnbild

Lagerreaktionen

straff gespanntes Seil (Wertigkeit 1)

Festlager (Wertigkeit 2)

Schlagbaum

verschiebbare Hülse (Wertigkeit 2)

feste Einspannung (Wertigkeit 3)

vertikale Kraft, die Aufstandskraft. Das Lager übt nur eine Lagerreaktion aus (hier Fy ); man sagt dann, es hat die Wertigkeit 1. Auch die Pendelstütze ist ein Lager der Wertigkeit 1. Unter einer Pendelstütze versteht man einen beidseitig gelenkig gelagerten abstützenden Stab, beispielsweise den Hubzylinder zur Ladefläche eines Kipplasters. Die

einbetonierter Fuß einer Ampel

Kraftrichtung in der Pendelstütze ist bekannt, denn sie kann nur in Stabrichtung verlaufen. Auch ein straff gespanntes Seil ist ein einwertiges Lager, wobei beim Seil im Gegensatz zu den anderen einwertigen Lagerarten bereits die Richtung der Kraft bekannt ist, nämlich eine Zugkraft in Seilrichtung.

statisch bestimmt

statisch überbestimmt

statisch unterbestimmt

Abb. 2.12 Beispiele statisch bestimmt, statisch überbestimmt und statisch unterbestimmt gelagerter Träger

Bei einem Festlager, z. B. der Lagerung eines Schlagbaums, werden beide translatorischen Bewegungen (horizontal und vertikal) unterbunden, die Rotation um das Lager hingegen zugelassen. Ein Festlager übt somit zwei Lagerreaktionen aus – eine Kraft Fx , die die horizontale Bewegung unterbindet, und eine Kraft Fy , die die vertikale Bewegung unterbindet. Eine verschiebbare Hülse unterbindet die Drehung sowie die Bewegung der gelagerten Struktur senkrecht zur Hülse, übt somit zwei Lagerreaktionen aus und hat die Wertigkeit 2. Bei der festen Einspannung, z. B. dem einbetonierten Fuß einer Ampel, werden alle drei in der Ebene möglichen Bewegungsrichtungen durch die Lagerreaktionen Fx , Fy und das Einspannmoment M unterbunden. Die Wertigkeit der festen Einspannung ist somit 3.

Statische Bestimmtheit Stellen wir uns die Frage, warum die Aufgabe mit dem Klappbrett aus der Beispielbox Berechnung von Lagerreaktionen überhaupt lösbar war, sich also alle Unbekannten aus den Gleichgewichtsbedingungen berechnen ließen. Aus mathematischer Sicht war dies der Fall, weil die Zahl der Unbekannten – die drei Lagerreaktionen Ax , Ay und S – der Zahl der Gleichgewichtsbedingungen entspricht. Derartige Systeme, bei denen sich die Lagerreaktionen aus den Gleichgewichtsbedingungen bestimmen lassen, heißen statisch bestimmt gelagert. Alle anderen Systeme werden als statisch unbestimmt gelagert bezeichnet, wobei ebene Systeme mit weniger als drei Lagerwertigkeiten beweglich sind und statisch unterbestimmt genannt werden, und ebene Systeme mit mehr als drei Lagerwertigkeiten in sich verspannt sein können und als statisch überbestimmt bezeichnet werden. Abbildung 2.12 zeigt Beispiele von statisch bestimmt und statisch unbestimmt gelagerten Tragwerken. Wesentlicher Vorteil statisch bestimmt gelagerter Tragwerke ist, dass in ihnen keine zusätzlichen Verspannungen entstehen, wenn sich der Träger im Laufe der Zeit beispielsweise durch Wärmeausdehnung, Kriechen, Materialveränderungen (z. B. Abbinden von Beton) o. Ä. ein

Räumliche Kraftsysteme

wenig in seinen Abmessungen ändert. In statisch überbestimmten Systemen hätte dies in aller Regel zusätzliche innere Spannungen zur Folge. Aber statisch bestimmt gelagerte Systeme können die entstehende Längenänderung ungehindert mitmachen. Abbildung 2.12 zeigt am Beispiel des unten rechts abgebildeten Trägers übrigens auch, dass die Bedingung „Zahl der Lagerwertigkeiten = Zahl der Gleichgewichtsbedingungen“ keine hinreichende Bedingung für statische Bestimmtheit ist, denn der Träger ist zwar mit in Summe drei Lagerwertigkeiten (aus drei Loslagern) gelagert, doch in horizontale Richtung ist er trotzdem frei verschiebbar, sodass statische Unbestimmtheit vorliegt. Wir erhalten also: Notwendige Bedingung für statische Bestimmtheit in der Ebene

Zahl der Zahl der Lagerwertig- = Gleichgewichts- = 3 keiten bedingungen Wichtig ist außerdem: Woran erkennt man statische Bestimmtheit?

Ob statische Bestimmtheit oder Unbestimmtheit vorliegt, ist einzig eine Frage der Lagerung des Tragwerks, die äußere Belastung spielt keine Rolle.

2.4

Räumliche Kraftsysteme

Nun lassen sich zahlreiche Probleme der Statik als ebene Probleme auffassen und mit den im vorigen Kapitel beschriebenen drei Gleichgewichtsbedingungen lösen. Das dort betrachtete Klappbrett ist ein derartiges Beispiel. Wenn aber ein wirklich dreidimensionales Problem vorliegt, eines das sich nicht ohne Weiteres auf eine ebene Fragestellung zurückführen lässt, dann müssen wir dreidimensional rechnen.

Statik in drei Dimensionen Die räumliche Statik beinhaltet aber nichts wirklich Neues, die Gesetzmäßigkeiten der ebenen Statik werden einfach auf die dritte Dimension erweitert. Dabei stehen uns zwei gleichermaßen zum Ziel führende Vorgehensweisen zur Verfügung: zum einen die vektorielle Beschreibung des statischen Gleichgewichts, zum anderen die komponentenweise Beschreibung des statischen Gleichgewichts.

31

Technische Mechanik

2.4

32

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Beispiel: Berechnung von Lagerreaktionen Zu berechnen sind die Lagerreaktionen in einem Klappbrett des Gewichts G, das durch ein Scharnier drehbar gelagert und am gegenüberliegenden Ende durch zwei Seile gehalten wird. Problemanalyse und Strategie: Die Schritte zur Berechnung der Lagerreaktionen sind (1) das Abbilden des realen Problems als mechanisches Modell, (2) Freischneiden und (3) die Berechnung der Unbekannten. Besonderes Augenmerk wollen wir dabei auf das Momentengleichgewicht legen und zeigen, wie man sich bei diesem mehr oder weniger geschickt anstellen kann. Lösung: Schritt 1, mechanische Modellbildung: Zur Bildung des mechanischen Modells ersetzen wir das Scharnier durch ein Loslager, da dieses die Rotation des Brettes zulässt, aber beide Translationen an dieser Stelle verhindert.

Schritt 3, Aufstellen und Lösen der Gleichgewichtsbedingungen: Es hieß, man könne sich beim Lösen der Gleichgewichtsbedingungen geschickt oder ungeschickt anstellen. Die ungeschickte – wenn auch nicht minder richtige – Variante zuerst: Wir beginnen x-Richtung,

mit

dem

Kräftegleichgewicht

in

→ ∑ Fix = Ax + S · cos 45◦ = 0 , setzen dann das Kräftegleichgewicht in y-Richtung,

↑ ∑ Fiy = Ay − G + S · sin 45◦ = 0 , an und kommen schließlich zum Momentengleichgewicht, für das ein Bezugspunkt zu wählen ist. Der Bezugspunkt kann frei gewählt werden, z. B. in der Brettmitte. Für das Momentengleichgewicht erhalten wir dann:

 ∑ M(Brettmitte) = −S · i

l l sin 45◦ + Ay · = 0 . 2 2

Wir haben es also mit drei Gleichungen zur Bestimmung der drei Unbekannten Ax , Ay und S zu tun. Nach längerer Rechnerei – z. B. mit dem Gauß’schen Eliminationsverfahren oder ähnlichem – erhalten wir als Lösung: Gewicht G

45°

45°

A l

l

Schritt 2, Freischneiden und Freikörperbild: Beim Freischneiden des Brettes entfernen wir alles, was in irgendeiner Art mit dem Brett verbunden ist und ersetzen es durch die jeweiligen Kräfte oder Momente. Im Einzelnen sind dies: das Festlager, welches durch die Lagerreaktionen Ax und Ay ersetzt wird, die Seile, welche durch die Seilkraft S ersetzt werden, und schließlich das Brett selbst, das wir durch seine Gewichtskraft G ersetzen, die wir im Schwerpunkt des Brettes, also in der Brettmitte, angreifen lassen. Wir tragen noch alle wichtigen Abmessungen ein und erhalten als Freikörperbild:

G Ax = − , 2

Ay =

G 2

und

S=

Das war die ungeschickte Variante. Ungeschickt, weil aus keiner der drei Gleichgewichtsbedingungen unmittelbar ein Ergebnis folgte und wir deshalb das komplette System aus drei gekoppelten Gleichungen lösen mussten. Aber dem lässt sich mit einer besser durchdachten Wahl des Momentenbezugspunktes abhelfen. Wo platziert man den Momentenbezugspunkt am geschicktesten? Am besten so, dass das Momentengleichgewicht zu einer handlichen, übersichtlichen Gleichung mit wenigen, möglichst nur einer Unbekannten wird. Der Momentenbezugspunkt sollte deshalb auf möglichst vielen Wirkungslinien der unbekannten Lagerkräfte liegen, da diese dann aus dem Momentengleichgewicht verschwinden. Das Lager A ist ein solcher sinnvoller Momentenbezugspunkt (keine Hebelarme für Ax und Ay ). Das Momentengleichgewicht lautet dann

 ∑ M(A) = −S · l sin 45◦ + G · i

S 45°

G Ay

l/2

l/2

Ax

G . 2 sin 45◦

l =0, 2

wodurch wir unmittelbar S = G/2 sin 45◦ erhalten. Dieses Ergebnis in die beiden Kräftegleichgewichte eingesetzt ergibt dann ebenso schnell die Ergebnisse für die beiden verbleibenden Unbekannten, Ax = −G/2 und Ay = G/2.

Räumliche Kraftsysteme

Übersicht: Richtiges Freischneiden Die allermeisten Aufgaben der Technischen Mechanik beginnen mit einem Freikörperbild. Wie schneidet man richtig frei, und wie geht man am geschicktesten mit einem Freikörperbild um?

stand des Kraftangriffspunktes, sondern der Abstand der Wirkungslinie zum Momentenbezugspunkt. Geschicktes Rechnen mit den Gleichgewichtsbedingungen

Das Freikörperbild Bedeutung: Freikörperbilder sind die Ansätze zur Lösung. Anders ausgedrückt: Mit einem falschen Freikörperbild wird man zwangsläufig falsche Ergebnisse erhalten. Zeichnen Sie deshalb Ihre Freikörperbilder entsprechend liebevoll und besser zu groß als zu klein. Was wird freigeschnitten? Ersetzen Sie in Ihrem Freikörperbild alles, was sich durch Kräfte oder Momente ersetzen lässt, durch eben diese Kräfte und Momente. Üblicherweise sind das die Lager, die durch die entsprechenden Lagerreaktionen (vgl. Tab. 2.1) ersetzt werden und alle Dinge mit einem relevantem Eigengewicht, die durch eben dieses Eigengewicht ersetzt werden. Zur Richtung der Lagerreaktionen: Die Richtung, in welche die Lagerreaktionen wirken, kennen wir beim Zeichnen des Freikörperbildes noch nicht (erst mit der Lösung). Setzen Sie deswegen alle Lagerreaktionen stur in die positive Richtung an (Kräfte in positive x- und y-Richtung, Momente gegen den Uhrzeigersinn.) Wenn eine Lagerreaktion in die entgegengesetzte Richtung orientiert ist, erkennen wir das in der Lösung am Minuszeichen. Ein Seil ist eine Ausnahme: Die Ausnahme zum sturen Ansetzen aller Lagerreaktionen in positive Koordinatenrichtung ist das Seil. Seilkräfte können nur Zugkräfte sein und werden deswegen als Kräfte, die am freigeschnittenen Körper ziehen (und nicht drücken), eingezeichnet. Was gehört noch ins Freikörperbild? Tragen Sie alle wichtigen Abmessungen (Längen und Winkel) in das Freikörperbild ein. Sie werden sie zur Berechnung der Momente benötigen. Wie ermittelt man zuverlässig den Hebelarm einer Kraft? Wenn es Ihnen schwer fällt, den Hebelarm einer Kraft zum Momentenbezugspunkt zu ermitteln: Tragen Sie die Wirkungslinie der Kraft mit ins Freikörperbild ein (am besten mit dünnem Bleistiftstrich, damit es nicht zu unübersichtlich wird). Denken Sie daran: Der Hebelarm ist nicht der Ab-

Mit welcher Gleichgewichtsbedingung beginnt man? Beginnen Sie die Berechnung der Lagerreaktionen mit dem Momentengleichgewicht und wählen Sie hierzu in aller Ruhe den Momentenbezugspunkt so aus, dass er im Schnittpunkt von möglichst vielen Wirkungslinien unbekannter Kräfte liegt. Sie erhalten so eine Gleichung mit wenigen, oft genug nur einer einzigen Unbekannten, welche dann unmittelbar berechenbar ist und die folgenden Kräftegleichgewichte vereinfacht. Wie erkennt man, ob das von einer Kraft ausgeübte Moment positiven oder negativen Drehsinn aufweist? Wenn Sie Schwierigkeiten haben, sich die Momentenwirkung einer Kraft vorzustellen: Betrachten Sie den freigeschnittenen Körper so, als sei er ausgeschnitten und lose baumelnd im Momentenbezugspunkt an die Wand genagelt. Dann ist es einfach, die Drehrichtung einer Kraft zu erkennen. Nehmen wir als Beispiel das Freikörperbild des Klappbrettes. Die Seilkraft S „schießt links am Lager A vorbei“, würde also das freigeschnittene Brett im Uhrzeigersinn drehen und geht somit mit negativem Vorzeichen in das Momentengleichgewicht ein. Die Gewichtskraft G „schießt dagegen rechts am Momentenbezugspunkt vorbei“ und geht mit positivem Vorzeichen in das Momentengleichgewicht ein. Was passiert mit äußeren Momenten und Einspannmomenten im Momentengleichgewicht? Greifen äußere Momente an einer Struktur an, so gehen sie – ganz egal, wo sie angreifen und ohne Berücksichtigung irgendwelcher Hebelarme – in ihrer vollen Größe in das Momentengleichgewicht ein (vgl. Aufgabe 2.8). Und ganz besonders wichtig: Üben Sie die Berechnung von Lagerreaktionen schon jetzt so lange, bis Sie sie sicher beherrschen (nicht erst in der Woche vor der Prüfung). Fast alle weiteren Themen der Technischen Mechanik benötigen die Berechnung von Lagerreaktionen als einen ersten Aufgabenteil. Wer diese jetzt nicht sicher beherrscht, wird schnell den Anschluss verlieren.

33

Technische Mechanik

2.4

34

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik M=r×F

Technische Mechanik

φ

F r

Abb. 2.13 Der Momentenvektor ist definiert als das Vektorprodukt von Ortsund Kraftvektor

Vektorielles Vorgehen Beginnen wollen wir mit der vektoriellen Vorgehensweise, da sich aus dieser das komponentenweise Vorgehen unmittelbar ergibt. Hierzu führen wir zunächst den Begriff des Momentenvektors M einer Kraft F bezüglich eines Bezugspunktes O ein. Dieser ist aus dem Ortsvektor r (ein Vektor, der vom Bezugspunkt O zu irgendeinem auf der Kraftwirkungslinie von F gelegenen Punkt weist – meist wird man den Kraftangriffspunkt wählen) und dem Kraftvektor F definiert als Definition des Momentenvektors M einer Kraft F

den Uhrzeigersinn, hat also nach der Rechtsschraubenregel eine Richtung, die in der Tat senkrecht auf r und F steht, nämlich für eine Drehung im Uhrzeigersinn in die Zeichenebene hinein und für eine Drehung gegen den Uhrzeigersinn aus der Zeichenebene hinaus. Nun zum Betrag des Momentenvektors: In der ebenen Statik ist das Biegemoment als Kraft mal Hebelarm definiert, wobei der Hebelarm der Abstand des Momentenbezugspunktes zur Kraftwirkungslinie ist. Wie man sich aus obiger Zeichnung leicht herleiten kann (auch wenn es im Interesse besserer Übersichtlichkeit nicht eingezeichnet ist), beträgt dieser Abstand gerade |r | · sin ϕ, d. h., der Betrag des Drehmoments entspricht genau der oben angegebenen Definition über das Vektorprodukt. Aus der Vektordefinition des Momentenvektors lassen sich also alle Eigenschaften des Drehmoments, die wir in der ebenen Statik angewendet hatten, herleiten. Vektoriell formuliert, lauten damit die vektoriellen Gleichgewichtsbedingungen: Vektorielle Gleichgewichtsbedingungen der räumlichen Statik

∑ Fi = 0

M (O) = r × F

Der Drehsinn des Momentenvektors ist durch die Rechtsschraubenregel festgelegt: Dreht man eine Rechtsschraube so, dass sie sich in Richtung des Momentenvektors bewegt, so entsprechen sich der Drehsinn der Schraube und der Drehsinn des Momentes. Über die aus der analytischen Geometrie bekannte geometrische Deutung des Vektorproduktes wollen wir uns diese Definition zunächst veranschaulichen, um dann zu sehen, wie sie mit der Momentendefinition der ebenen Statik – „Kraft mal Hebelarm“ – in Einklang steht. Das Vektorprodukt zweier Vektoren – hier der Ortsvektor r und der Kraftvektor F – lässt sich in Bezug auf den Betrag und die Richtung sehr schön anschaulich deuten. Das Vektorprodukt F × r ergibt einen Vektor M (Abb. 2.13) mit einer Richtung, die senkrecht auf r und F steht, und mit einem Betrag |M | = |r| · |F | · sin ϕ, wobei ϕ der von r und F eingeschlossene Winkel ist. Passen diese Eigenschaften zu dem, was wir über das Drehmoment aus der ebenen Statik kennen? Betrachten wir zunächst die Richtung des Momentenvektors: In der ebenen Statik liegen alle Orts- und Kraftvektoren in einer Ebene (der „Zeichenebene“). Das Moment dreht in dieser Zeichenebene entweder im oder gegen

und

∑ Mi

(O)

=0

Komponentenweises Vorgehen Setzen wir die beiden vektoriellen Gleichgewichtsbedingungen skalar für jede Koordinatenrichtung an, so erhalten wir die folgenden sechs skalaren Gleichgewichtsbedingungen: Skalare Gleichgewichtsbedingungen der räumlichen Statik

∑ Fix = 0, ∑ Fiy = 0

und

∑ Fiz = 0

sowie

∑ Mix

(O)

= 0,

∑ Miy

(O)

= 0 und

∑ Miz

(O)

=0.

Hierbei bedeuten die Indizes Folgendes: ∑ Fix = 0 bedeutet, dass im statischen Gleichgewicht die Summe aller Kraftkomponenten in x-Richtung null ergibt (analog für y- und z-Richtung). (O) ∑ Mix = 0 bedeutet, dass im statischen Gleichgewicht die Summe aller Momente um eine durch den Momentenbezugspunkt (O) in x-Richtung verlaufende Drehachse null ergibt (analog für y- und z-Richtung).

Achtung Welche der beiden Methoden – vektoriell oder komponentenweise – führt in Aufgaben schneller zum Ziel? Die vektorielle Vorgehensweise verlangt kein gehobenes räumliches Vorstellungsvermögen, sondern lediglich die sichere Beherrschung des Vektorproduktes. Diese lässt sich mit ein wenig Übung aber gut erlernen. Zu merken brauchen Sie sich nur die Bildungsregel ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ax bx ay bz − az by a × b = ⎝ay ⎠ × ⎝by ⎠ = ⎝ az bx − ax bz ⎠ . az bz ax by − ay bx Jede Komponente des Vektorproduktes wird also aus den beiden Faktoren a und b durch die kreuzweise Differenz der beiden anderen Komponenten gebildet, weswegen das Vektorprodukt ja auch als Kreuzprodukt bezeichnet wird. Beim komponentenweisen Vorgehen ist dagegen die mathematische Behandlung der Gleichgewichtsbedingungen im Allgemeinen unproblematisch, aber die Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen kann sehr wohl schwierig werden. Die Ermittlung des Hebelarms, den eine Kraft zur betrachteten Drehachse aufweist, erfordert nämlich in aller Regel ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. Am Beispiel eines Klappbretts (siehe Beispielbox Berechnung der Lagerreaktionen eines Klappbretts) werden wir dieses zeigen. Man wird also insbesondere bei komplizierteren Aufgaben mit der vektoriellen Vorgehensweise deutlich schneller als mit der komponentenweisen Methode ans Ziel  kommen.

Räumliche Kraftsysteme

angesprochene und im Übrigen recht einfach anzuwendende Prinzip zur Ermittlung, welche Reaktionen von einem bestimmten Lager ausgeübt werden, an folgender kurzen Selbstfrage: Frage 2.4 Welche Lagerreaktion kann das abgebildete Scharnier ausüben? z

x

y

Statische Bestimmtheit: Da es in der räumlichen Statik sechs skalare Gleichgewichtsbedingungen gibt, muss ein dreidimensionales Tragwerk mit sechs Lagerwertigkeiten gelagert sein, damit statische Bestimmtheit vorliegen kann, es gilt also: Notwendige Bedingung für räumliche statische Bestimmtheit

Zahl der Zahl der Lagerwertig- = Gleichgewichts- = 6 keiten bedingungen

Im Beispiel des Klappbrettes sind dies das fünfwertige Scharnier und das einwertige Seil.

Lager und Lagerreaktionen Beim Erstellen eines Freikörperbildes ist wieder das Ersetzen der Lager durch die entsprechenden Lagerreaktionen von zentraler Bedeutung. Wie in der ebenen Statik gilt dabei das Prinzip, dass ein Lager in jede Richtung, in die das Lager eine Bewegung unterbindet, eine Reaktionskraft ausübt und in jede Richtung, in die sich der Körper ohne Behinderung durch das betrachtete Lager bewegen kann, keine Reaktionskraft ausübt.

Viele Systeme bestehen aus mehreren Teilen Ob menschlicher Körper, ein Kraftfahrzeug mit angekuppeltem Anhänger oder eine Schere: In zahllosen Fällen sind mehrere Körper beweglich miteinander verbunden. Was aber ist aus Sicht der Statik das Besondere an mehrteiligen System? Wie lassen sie sich mechanisch beschreiben? Gelenkreaktionen

Auch für vom Lager unterbundene bzw. zugelassene Rotationen gilt dieser Zusammenhang, wobei das Lager dann natürlich keine Reaktionskräfte, sondern Reaktionsmomente ausübt. Aufgrund der Vielzahl der im Dreidimensionalen möglichen Lagerarten sei an dieser Stelle auf eine ausführliche Darstellung der Lagerarten und der dazugehörigen Reaktionen verzichtet. Testen Sie stattdessen das soeben

In mehrteiligen Systemen sind Körper zwar miteinander verbunden, können sich dabei aber eingeschränkt gegeneinander bewegen. In welche Richtung dabei eine Relativbewegung zwischen den Körpern möglich ist, hängt von der Art des Verbindungselements ab. Die im Rahmen der Statik dabei interessierende Fragestellung ist: Welche Kräfte und Momente wirken in den Verbindungselementen, und wie ermittelt man sie?

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Technische Mechanik

2.4

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2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Beispiel: Berechnung der Lagerreaktionen eines Klappbretts Für das abgebildete Klappbrett sind die Lagerreaktionen zu berechnen. Problemanalyse und Strategie: Wir wollen die Lagerreaktionen sowohl nach komponentenweiser, als auch nach vektorieller Vorgehensweise berechnen, um die Vor- und Nachteile beider Wege besser einschätzen zu können. Lösung: Grundlage der Lösung ist auch hier ein liebevoll gezeichnetes Freikörperbild. Welche Lagerreaktionen sind darin im Punkt A für das Scharnier einzutragen? Nun, das Scharnier lässt die Drehung um die Scharnierachse (die y-Achse) zu, verhindert aber die Drehungen um die x- und z-Achse sowie alle drei Translationen. Jede verhinderte Bewegung entspricht einer Lagerreaktion, sodass sich für das Scharnier die Reaktionen Ax , Ay , Az , MAx und MAz ergeben. z l

M Az y

l

l

x A

Ax

Ay MAx

F

l

l

α

S α

Az

F

l

l

l

Momentengleichgewichts um die x-Achse seien die Zusammenhänge deshalb noch einmal in Ruhe erläutert. S

α

Sz

F

Sx x l

l

Wir betrachten eine in x-Richtung durch das Scharnier verlaufende Drehachse. Die Kraft F hat den Hebelarm l und ist bestrebt, das freigeschnittene Brett im nach der Rechten-Hand-Regel negativen Drehsinn um die Drehachse zu drehen. Die Seilkraft S hat zwei Komponenten, Sx = S cos α und Sz = S sin α. Von diesen beiden Komponenten übt Sx gar keine Drehwirkung um die Drehachse aus – in welche Richtung sollte das auch sein, Sx verläuft schließlich parallel zur Drehachse –, und Sz ist bestrebt, mit dem Hebelarm l das freigeschnittene Brett im negativen Drehsinn um die Drehachse zu drehen. Die drei Lagerkräfte Ax , Ay und Az schließlich üben mangels Hebelarm keine Momente um die Drehachse aus.

Und nun zur Berechnung der Lagerreaktionen.

Und nun zum vektoriellen Vorgehen:

Zunächst das komponentenweise Vorgehen:

Zunächst stellen wir die Vektoren der angreifenden Kräfte, ⎛ ⎛ ⎞ ⎞ 0 − cos α S = ⎝ 0 ⎠ S und F = ⎝ 0 ⎠ , −F sin α

Wir beginnen auch in räumlichen Problem mit den Momentengleichgewichten und entscheiden uns für den Scharnierpunkt A als Momentenbezugspunkt, da durch ihn die drei unbekannten Scharnierkräfte verlaufen. Wir erhalten 2F (A) ∑ Miy = F · 2l − S sin α · l = 0 =⇒ S = sin α ,

∑ Mix

(A)

= MAx − Fl − S sin α · l = 0 2F sin α · l = 3Fl , =⇒ MAx = Fl + sin α (A) ∑ Miz = MAz − S cos α · l = 0 2F 2Fl =⇒ MAz = cos α · l = , sin α tan α woraus sich für die Kräftegleichgewichte

∑ Fiy = Ay = 0 , 2F

∑ Fix = Ax − S cos α = 0 =⇒ Ax = tan α und ∑ Fiz = Az + S sin α − F = 0 =⇒ Az = −F ergibt. Sie werden es gemerkt haben: Die richtige Ermittlung der zu den Kräften gehörenden Hebelarme ist nicht immer einfach, es erfordert in der Tat ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. Am Beispiel des

sowie die dazugehörigen Ortsvektoren, ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 2l l ⎝−l⎠ und ⎝ l ⎠ , 0 0 auf. Damit lautet das vektorielle Momentengleichgewicht ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ − cos α MAx l (A) ∑ M i = ⎝ 0 ⎠ + ⎝ −l⎠ × ⎝ 0 ⎠ S MAz 0 sin α ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 2l 0 +⎝l⎠×⎝ 0 ⎠ = 0 , −F 0 woraus sich nach Auflösen der Vektorprodukte genau dieselben Gleichungen wie nach komponentenweisem Vorgehen ergeben. Der große Vorteil der vektoriellen Vorgehensweise ist also, dass sie auch ohne gehobenes räumliches Vorstellungsvermögen zum Ziel führt.

Tab. 2.2 Übersicht über die wichtigsten Verbindungselemente in mehrteiligen Systemen Verbindungselement: Sinnbild: Pendelstütze (Wertigkeit 1)

Reaktionen:

Gelenk (Wertigkeit 2)

Hülsenführung (Wertigkeit 2)

Die Frage nach der Art der in einem Verbindungselement wirkenden Kräfte und Momente beantworten wir so, wie wir es schon bei den Lagern getan haben: In jede Richtung, in die sich die verbundenen Systeme ungehindert zueinander bewegen können, übt das Verbindungselement keine Kraft (bzw. bei Rotationen: kein Moment) aus. Umgekehrt übt das Verbindungselement in jede Richtung, in die es die Relativbewegung der Körper unterbindet, sehr wohl eine Kraft (bzw. ein Moment) aus. Diese Kraft (bzw. dieses Moment) unterbindet nämlich gerade die entsprechende Relativbewegung. So wird in einer Pendelstütze nur eine Kraft in Richtung der Stütze übertragen (weil sich die Körper quer dazu gegeneinander bewegen, sowie sich drehen können) in einem Gelenk eine horizontale und eine vertikale Kraft (weil sich die Körper am Gelenk weder horizontal noch vertikal gegeneinander verschieben, sich aber sehr wohl zueinander verdrehen können), und in einer horizontal verschieblichen Hülsenführung eine vertikale Kraft und ein Moment (weil sich die Körper am Gelenk weder vertikal gegeneinander verschieben noch sich umeinander drehen können, sich aber horizontal zueinander verschieben können (Tab. 2.2)). Der Berechnung zugänglich werden diese Reaktionen bei einen Freischnitt genau durch das Verbindungselement. Durch diesen Freischnitt erhalten wir zwei getrennte Systeme, bei denen am Freischnitt jeweils die Verbindungsreaktionen wirken. Wichtig: Die Verbindungsreaktionen wirken auf beide Körper in gleicher Größe, aber entgegengesetzter Orientierung. Dies ergibt sich formal aus dem 3. Newton’schen Axiom („Übt ein Körper A auf einen Körper B eine Kraft aus, so wirkt eine gleichgroße aber entgegengerichtete Kraft von Körper B auf Körper A.“), ist aber auch von der Anschauung her leicht zu begreifen. Wenn sich beispielsweise ein Anhänger auf einen PKW abstützt, dann wird der Anhänger vom PKW mit einer Kraft nach oben hin abgestützt, der PKW aber vom Anhänger mit genau derselben Kraft nach unten gedrückt.

Räumliche Kraftsysteme

Beispiel Betrachten wir als Beispiel für die Ermittlung von Lager- und Verbindungsreaktionen das abgebildete Gespann aus PKW und einachsigem Anhänger (Abb. 2.14): Zunächst schneiden wir das Gelenksystem als Ganzes frei. Es ist also unter dem Gespann die Fahrbahn zu entfernen und durch die entsprechenden Kräfte zu ersetzen. Dies sind die vertikalen Achslasten Ay (Anhänger), Hy (PKW-Hinterachse) und Vy (PKWVorderachse) sowie – unter der Annahme, dass nur die Hinterachse des PKWs gebremst ist – die Horizontalkraft Hx . Jetzt folgt der Freischnitt mitten durch das Gelenk. Hierdurch erhalten wir zwei getrennte Systeme, Anhänger sowie PKW, auf die im Gelenk jeweils die Gelenkkräfte Gx und Gy wirken.

5 kN 15 kN

A 4 kN 0,25m

1m

5 kN

Gy

1m

Gx

H

V

8,9 kN

7,1 kn

1,4 m

15 kN

Gx Gy

Hx

Ay 0,25m

1,4 m

H

V Vy

Hy 1m

1m

1,4 m

1,4 m

Abb. 2.14 Beim Freischneiden von Gelenksystemen wird nicht nur an allen Lagerungen, sondern auch genau durch die Gelenke freigeschnitten

Den Freikörperbildern von Anhänger und PKW entnehmen wir, dass sechs unbekannte Lager- und Gelenkreaktionen (Ay , Hx , Hy , Vy , Gx und Gy ) zu berechnen sind. Hierzu stehen pro Freikörperbild die bekannten drei Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik – zwei Kräfte- und ein Momentengleichgewicht – zur Verfügung, die Aufgabe ist also lösbar. Beginnen wir mit dem einfacheren der beiden Freikörperbilder, dem des Anhängers:

 ∑ M(G) = −Ay · 1,25 m + 5 kN · 1 m = 0 i =⇒

Ay = 4 kN ,

→ ∑ Fi,x = Gx = 0 ,

↑ ∑ Fi,y = Ay − 5 kN + Gy = 0 mit Ay = 4 kN =⇒

Gy = 1 kN .

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Technische Mechanik

2.4

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2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Übersicht: Tipps zur Berechnung von Gelenkreaktionen Beachten Sie bei Aufgaben zu gelenkigen Systemen die folgenden zwei Hinweise: Beginnen Sie bei der Berechnung von Lagerund Gelenkreaktionen beim einfachsten der beiden (oder mehr) Freikörperbilder. Beim danach folgenden schwierigeren Freikörperbild sind dann in aller Regel schon die Gelenkkräfte bekannt und die Rechnerei wird deutlich einfacher. Die berechneten Ergebnisse lassen sich an einem Freikörperbild des Gesamtsystems, also ohne einen Schnitt durch das Gelenk, überprüfen. In dieses Freikörperbild werden die berechneten Lagerreaktionen eingezeichnet, und es wird überprüft, ob die Kräfte- und Momentengleichgewichte auch tatsächlich aufgehen. In unserem Beispiel sähe die Über-

∑

= Gy · 1 m − 15 kN · 1,4 m + Vy · 2,8 m = 0 , =⇒ Vy = 7,1 kN ,

mit Gy = 1 kN

→ ∑ Fi,x = −Gx + Hx = 0 mit Gx = 0 kN =⇒ Hx = 0 kN , ↑ ∑ Fi,y = −Gy + Hy − 15 kN + Vy = 0 , mit Gy = 1 kN und Vy = 7,1 kN =⇒ Hy = 8,9 kN .

5 kN 15 kN

4 kN 0,25 m



Statische Bestimmtheit Wir übertragen die Regeln für statische Bestimmtheit auf Gelenksysteme und erhalten so als Notwendige Bedingung für statische Bestimmtheit von Gelenksystemen

Zahl der Zahl der Lager- und Gelenk- = Gleichgewichts- . wertigkeiten bedingungen Hierbei beträgt die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen für ebene Systeme mit einem einzigen Gelenk (zweiteilige Systeme) 6, für ebene Systeme mit zwei Gelenken (dreiteilige Systeme) 9, und für ebene Systeme mit noch mehr Gelenken entsprechend mehr. Frage 2.5 Weswegen haben zweiachsige Anhänger eine gelenkig mit dem Anhänger verbundene Deichsel, einachsige Anhänger dagegen nicht?

8,9 kN 2m

1,4 m

7,1 kN 1,4 m

Man kann sich leicht davon überzeugen, dass das Kräftegleichgewicht in y-Richtung exakt aufgeht und dass auch das Momentengleichgewicht mit kleiner Ungenauigkeit durch das Runden der Ergebnisse aufgeht.

2.5

Und nun zum Freikörperbild des PKWs: M(H) i

prüfung der Ergebnisse wie folgt aus:

Reibung

Reibung wird überwiegend als negativ wahrgenommen. Gilt sie doch nur allzu oft als unerwünscht, entstehen Schwergängigkeit und Reibungsverlust doch immer dann, wenn zu viel Reibung vorliegt, sozusagen Sand im Getriebe ist. Doch ohne Reibung ginge auch nicht viel. Sind Sie schon einmal auf einer Bananenschale ausgerutscht? Da war die Reibungskraft zwischen Schale und Boden (oder zwischen Schale und Schuhsohle) zu gering. Immer wenn es auf die Griffigkeit von Bauteilen ankommt – etwa bei Reifen, Bremsbelägen oder Kupplungen – soll Reibung möglichst groß sein. Und ganz ohne Reibung wäre Fortbewegung nur noch formschlüssig (wie bei einer Zahnradbahn) oder per Rückstoßprinzip (wie bei einem Flugzeug) möglich, nicht aber „normal“ kraftschlüssig. Wir befassen uns in diesem Kapitel mit vier wichtigen Arten von Reibung, der Gleitreibung, Haftung, Rollreibung und Seilreibung.

Gleitreibung bremst Bewegung Steigen wir mit einem winterlichen Gedankenexperiment in die Gleitreibung ein. Zwei Schlitten, ein leichter und ein schwerer, seien durch den Schnee zu ziehen (Abb. 2.15). Das kostet Kraft, weil die Reibung zwischen Kufen und Schnee die Bewegung hemmt. Und damit sind wir bei der ersten wichtigen Eigenschaft der Gleitreibung, nämlich ihrer Richtung. Die Gleitreibungskraft ist stets gegen die Bewegungsrichtung orientiert.

2.5

Reibung

Technische Mechanik

Abb. 2.15 Es ist viel schwerer, einen schweren Schlitten durch den Schnee zu ziehen als einen leichten

39

G F

FR

FN

Abb. 2.16 Freikörperbild des Schlittens

der Oberflächen ab. Ein paar Zahlenwerte wichtiger Materialpaarungen sind im Abschnitt Haftung tabellarisch aufgeführt (Tab. 2.3). Beispiel Ein Kind mit dem Körpergewicht G rutscht eine Rutsche hinunter (Abb. 2.17). Der Gleitreibungskoeffizient zwischen der Kleidung des Kindes und der Rutschbahn betrage 0,5. Um welchen Winkel α muss die Rutschbahn zur Horizontalen geneigt sein, damit das Kind, wenn es losgerutscht ist, mit konstanter Geschwindigkeit weiterrutscht?

Die genaueren Kraftverhältnisse treten im Freikörperbild zutage (Abb. 2.16). Auf den Schlitten wirken

y

die Gewichtskraft G (bestehend aus dem Gewicht der auf dem Schlitten sitzenden Person und dem Eigengewicht des Schlittens), die Aufstandskraft FN (die im Allgemeinen als Normalkraft bezeichnet wird, weil sie senkrecht zur Reibfläche orientiert ist, daher der tiefgestellte Index N), die äußere Kraft F durch die ziehende Person und schließlich die Reibungskraft FR .

Abb. 2.17 Für welchen Winkel α rutscht das Kind mit konstanter Geschwindigkeit?

Die Beträge von Gewichtskraft G und Normalkraft FN sowie die Beträge von äußerer Kraft F und Reibungskraft FR sind, wenn keine Beschleunigungen auftreten, aus Gründen des Kräftegleichgewichts jeweils gleich groß. Bei genauerer Messung würden wir feststellen, dass wir zum Ziehen eines beispielsweise fünfmal schwereren Schlittens eine fünfmal größere Zugkraft benötigen. Normalkraft FN und Reibungskraft FR sind also zueinander proportional, es gilt der folgende

Ansatz zur Lösung ist wie immer das Freikörperbild. Hierzu ersetzen wir den Körper des Kindes durch die Gewichtskraft G, und wir entfernen die Rutsche, welche wir durch die Normalkraft FN und die Gleitreibungskraft FR ersetzen. Dabei setzen wir FN und FR nicht irgendwie an, sondern in die Richtungen, in die sie tatsächlich auftreten. Die Normalkraft ist senkrecht zur Rutschbahn orientiert, die Gleitreibungskraft gegen die Bewegungstendenz, also entlang der Rutsche nach oben gerichtet (Abb. 2.18).

Zusammenhang zwischen Normal- und Gleitreibungskraft

x α

y

FR = μ FN G

FR = μFN , mit dem dimensionslosen Gleitreibungskoeffizienten μ. Die Größe des Gleitreibungskoeffizienten hängt von den aneinander reibenden Werkstoffen – über Schnee zieht es sich leichter als über Asphalt – und von der Rauheit

α x FN

α

Abb. 2.18 Das Freikörperbild des rutschenden Kindes

40

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Für die Gleitreibungskraft gilt FR = μFN . Wir erhalten somit für das Kräftegleichgewicht in Richtung der Rutschbahn

∑ Fix = −μFN + G sin α = 0 und für das Kräftegleichgewicht quer dazu

∑ Fiy = FN − G cos α = 0 , woraus als Lösung α = arctan μ = 27◦ folgt.



Haftung will Bewegung verhindern Unter der Haftkraft FR versteht man die auf einen ruhenden Körper wirkende Reibungskraft, welche verhindert, dass sich dieser Körper in Bewegung setzt. Die Gesetzmäßigkeiten von Haftung und Gleitreibung sind einander sehr ähnlich; in beiden Fällen spricht man von trockener bzw. Coulomb’scher Reibung (nach Charles A. de Coulomb, 1736 – 1806). Auch die Haftkraft ist gegen die Bewegungsrichtung des Körpers, beziehungsweise – korrekt ausgedrückt – gegen die Bewegungstendenz gerichtet. Die Bewegungstendenz ist diejenige Richtung, in die sich der ruhende Körper bewegen würde, wenn ihn die Reibungskraft nicht daran hinderte. Die maximal mögliche Haftkraft ist ähnlich wie bei der Gleitreibung durch den Zusammenhang FR,max = μ0 FN mit dem dimensionslosen Haftkoeffizienten μ0 gegeben. Diese maximal mögliche Haftkraft tritt allerdings nicht in allen Fällen von Haftung auf. Wird mit einer sehr kleinen Kraft F an einem ruhenden Körper gezogen, so ist die aus Gründen des Kräftegleichgewichts gleich große Haftkraft FR kleiner als das Produkt aus μ0 und FN , und der Körper verharrt in Ruhe. Steigt die äußere Kraft F, so steigt auch FR , bis die Haftkraft schließlich ihren größtmöglichen Wert FR,max erreicht und sich der Körper in Bewegung setzt. Der allgemeine Zusammenhang zwischen Normal- und Haftkraft lautet somit

Tab. 2.3 Übersicht über die Haft- und Gleitreibungskoeffizienten einiger wichtiger Materialparungen μ0 : 0,45–0,8 0,18–0,24 0,6 0,5–0,65 0,4–0,65 0,027

Materialpaarung: Stahl-Stahl Stahl-Grauguss Lederdichtung-Metall Holz-Metall Holz-Holz Stahl-Eis

μ: 0,4–0,7 0,17–0,24 0,2–0,25 0,2–0,5 0,2–0,4 0,014

Achtung Wie sich an den Gleichungen zur Coulomb’schen Reibung erkennen lässt, hängen Gleitreibungs- und Haftkräfte nicht von der Größe der Reibungs fläche ab. Wie bei anderen Zwangskräften auch, darf man Normalund Reibungskräfte in beliebiger Orientierung in ein Freikörperbild eintragen. Nach dem Auswerten der Gleichgewichtsbedingungen zeigt dann das Vorzeichen der errechneten Kraft, ob die Kraft tatsächlich in die im Freikörperbild angesetzte Richtung wirkt (positives Vorzeichen) oder in entgegengesetzte Richtung (negatives Vorzeichen). Nun ist aber in halbwegs übersichtlichen Problemstellungen die Kraftrichtung bei Normal- und Reibungskräften a priori bereits klar – Normalkräfte müssen so orientiert sein, dass die beiden reibenden Körper gegeneinander drücken, und Reibungskräfte so, dass sie gegen die Bewegungsrichtung bzw. Bewegungstendenz wirken. Es empfiehlt sich dann, die Normal- und Reibungskräfte nicht in positive Koordinatenrichtungen, sondern in den tatsächlich vorliegenden Richtungen in das Freikörperbild einzuzeichnen. Der Reibkegel Das Erreichen der Haftgrenze, d. h. der Übergang von Haftung zu Gleitreibung, lässt sich sehr schön durch den sogenannten Reibkegel veranschaulichen. Hierzu führen wir zunächst den Haftungswinkel ρ ein. ρ beschreibt, wie stark die Resultierende von F N und FR,max gegen die Flächennormale der Unterlage eines Körpers geneigt ist. An der Haftgrenze gilt FR,max = tan ρ , FN woraus sich mit FR,max = μ0 FN der Zusammenhang ρ = arctan μ0

FR ≤ μ0 FN . ergibt. Nur an der sogenannten Haftgrenze, an der sich der Körper in Bewegung setzt, gilt das Gleichheitszeichen. Typische Zahlenwerte für Gleitreibungs- und Haftkoeffizienten sind in Tab. 2.3 aufgeführt.

Befindet sich nun ein Körper auf einer Unterlage, an der er entweder haften oder auf der er gleiten könnte, so betrachtet man die Wirkungslinie der von der Unterlage auf den Körper ausgeübten Kraft. Liegt diese Wirkungslinie

Reibung

Leitbeispiel Antriebsstrang Der Keilriemen: . . . ein eleganter Trick zur Verstärkung der Reibung

Keilriemen sind Antriebsriemen mit trapezförmigem Querschnitt. Ihr Vorteil liegt in der im Vergleich zu Flachriemen wesentlich höheren Reibung an den um einen Winkel α geneigten Riemenflanken (siehe auch Abschn. 27.5). Sehen wir uns die auf einen Keilriemen wirkenden Kräfte einmal näher an.

gleichgewicht in vertikale Richtung ergibt sich FN =

FD , 2 sin α

sodass die maximal übertragbare Haftkraft FR0,max = 2μ0 FN =

FD

beträgt. Beschreibt man die Kraftübertragung eines Keilriemenantriebs in Form der bekannten Gleichung FR0,max = μ0,eff FN über einen effektiven haftreibungskoeffizienten μ0,eff , so beträgt dieser effektive Haftkoeffizient μ0 μ0,eff = sin α

α FN

FN

Die Kraft, mit der der gespannte Keilriemen in die Riemenscheibe gedrückt wird, sei mit FD bezeichnet. Ihr entgegen wirken die Normalkräfte FN an den beiden um den Winkel α geneigten Flanken. Aus dem Kräfte-

ϱ

ϱ

ϱ

ϱ

F FR

FN

und liegt für einen typischen Flankenwinkel von α = 19◦ beim Dreifachen des tatsächlichen Haftkoeffizienten. Das bedeutet, dass ein Keilriemen im Vergleich zu einem gleich stark vorgespannten Flachriemen ein dreimal so großes Drehmoment übertragen kann, bzw. dass ein Keilriemen für das Übertragen eines gegebenen Drehmoments nur ein Drittel der Vorspannkraft eines vergleichbaren Flachriemens benötigt.

innerhalb der von ρ umrandeten Fläche, so haftet der Körper auf seiner Unterlage; liegt sie außerhalb dieser Fläche, so gleitet der Körper. Da im Dreidimensionalen der durch ρ umrandete Raum ein Kegel ist, spricht man in diesem Zusammenhang auch von dem Reibkegel.

F

FR

μ0 · FD sin α

FN

Abb. 2.19 Liegt die Wirkungslinie der Kraft F innerhalb des Reibkegels (links ), verbleibt der Körper in Ruhe, liegt sie außerhalb des Reibkegels, rutscht er (rechts )

Beispiel Eine Leiter mit vernachlässigbar kleinem Eigengewicht lehne an einer Wand (bodenseitiger Aufstandspunkt drei Meter vor der Wand, wandseitiger Anlehnpunkt fünf Meter über dem Boden). Dabei herrsche zwischen Leiter und Wand sowie zwischen Leiter und Boden jeweils der Haftkoeffizient μ0 = 0,4. Wie weit kann man die Leiter emporsteigen, ohne dass diese rutscht? Lösung: An der Leiter greifen genau drei Kräfte an, nämlich die Gewichtskraft G der Person und die beiden Aufstandskräfte (deren x- und y-Komponenten die entsprechenden Normal- und Haftkräfte sind). Bei Einwirkung dreier Kräfte kann statisches Gleichgewicht nur

41

Technische Mechanik

2.5

42

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

dann herrschen, wenn sich diese Kräfte in einem Punkt schneiden. Soll die Leiter des Weiteren nicht rutschen, also Haftung herrschen, muss sich dieser Schnittpunkt innerhalb der beiden Reibkegel „Leiter auf Boden“ und „Leiter an Wand“ befinden. G F

ϱ

FN

R

ϱ

FR G

FR FN

f 4m

ϱ

ϱ

Abb. 2.21 Die Kräfte an einem schlecht aufgepumpten Reifen FR0

3m FN

Abb. 2.20 Ermittlung des höchstmöglichen Standorts einer Person auf der angelehnten Leiter, wenn die Leiter nicht rutschen darf

Wir zeichnen also die beiden Reibkegel des Haftwinkels ρ = arctan 0,4 = 21,8◦ , schraffieren das „erlaubte“ Gebiet für den Schnittpunkt von Aufstandskräften und ermitteln die durch den eingezeichneten Kraftvektor von G markierte Stelle der Leiter als höchstzulässigen Punkt der  Person auf der Leiter.

Rollreibung macht es leichter Rollreibung kann um Größenordnungen kleiner sein als Gleitreibung, das weiß jeder, der schon mal versucht hat, sein Fahrrad mit fest angezogenen Handbremsen (also gleitend statt rollend) zu schieben. Im Vergleich zur Coulomb’schen Reibung zeichnet sich Rollreibung aber nicht nur durch die sehr viel geringeren Reibungskräfte, sondern auch durch einen gänzlich anderen mechanischen Hintergrund aus. So hängt die Rollreibungskraft nicht allein von der Normalkraft und den beiden aneinander reibenden Werkstoffen (beim Beispiel des geschobenen Fahrrades die von Rad und Fahrbahn), sondern vor allem von der Deformation von Reifen und Fahrbahn ab. Betrachten wir hierzu exemplarisch einen schlecht aufgepumpten Fahrradreifen (Abb. 2.21). Auf das Rad wirken an der Radachse die Stützlast G und die Vortriebskraft F. Letztere ist die Kraft, die vom Fahrer aufzubringen ist, um den Rollreibungswiderstand zu

überwinden. An der Fahrbahn wirken die Normalkraft FN und die Haftkraft FR . Das Rad sei schlecht aufgepumpt, sodass es sich stark deformiert und an der Fahrbahn einen Wulst vor sich herschiebt. Dadurch greifen die Kräfte an der Fahrbahn in x-Richtung gesehen um einen kleinen Abstand f vor den Kräften an der Achse an. Die Gleichgewichtsbedingungen ergeben:

 ∑ M(Achse) = FN · f − FR · R = 0 i f =⇒ FR = FN , R ↑ ∑ Fiy = −G + FN = 0 =⇒

G = FN

sowie

→ ∑ Fix = F − FR = 0 =⇒

F = FR = FN

f . R

Als Ergebnis erhalten wir für die Rollreibung

Der Rollreibungswiderstand wächst mit zunehmendem Versatz (oder zunehmender Wulstgröße, wenn man so sagen möchte) f gemäß FR = FN

f R

Das Moment, das die Rollreibung dabei der rollenden Bewegung entgegensetzt, beträgt MRollreibung = FN · f .

Reibung

Beispiel: Der „Zaubertrick“ mit dem Besenstiel . . . ein schönes Spielchen mit Haftung und Gleitreibung Problemanalyse und Strategie: Es gibt einen netten „Zaubertrick“, an dem sich sehr schön das Zusammenspiel von Haftung, Gleitreibung und Lagerreaktionen zeigt. Auch wenn man nervös oder ein wenig tollpatschig ist, der Trick gelingt praktisch immer, er kennt quasi keinen Vorführeffekt. Lösung: So funktioniert der Zaubertrick:

Bewegung verhindernde Kraft. Der Stab wird also stets an demjenigen Finger haften, der die größere Reibungskraft aufbringen kann. Bezeichnen wir die beiden Finger im Folgenden als Finger A und Finger B. Wenn die Finger nach innen zusammengeführt werden, dann üben sie auf den Stab nach innen gerichtete Reibungskräfte aus. Nehmen wir einmal an, zu Anfang des Experiments rutsche der Stab über den Finger A, während er am Finger B einstweilen haften bleibt. G

FRB ≤ μ0FNB

FRA = μFNA FNA

FNB

Mit den Normal- und Reibungskräften geschieht nun Folgendes:

Wir legen einen langen Stab möglichst weit außen lose auf die Zeigefinger beider Hände. Was für einen Stab wir nehmen ist egal – Bleistift, Lineal, Eisenstange, . . . alles funktioniert. Aber je länger der Stab ist, desto eindrucksvoller wird das Experiment, daher die Empfehlung zum Besenstiel. Jetzt führen wir langsam und gleichmäßig die Hände zusammen. Was geschieht? Abwechselnd bleibt der Stab an einem der beiden Finger haften und rutscht über den anderen weg, bis sich nach einer Reihe von Wechseln zwischen Haften und Rutschen schließlich beide Finger genau in der Mitte des Stabes treffen. Immer bleibt ein Finger am Stab haften, nie rutscht der Stab über beide Finger gleichzeitig. Am besten Sie probieren es vor dem Weiterlesen gleich mal aus. Der mechanische Hintergrund: Knackpunkt des Verständnisses ist das Begreifen von Reibung als eine

Das heißt: Ein hart aufgepumpter Reifen, welcher auf der Fahrbahn wenig Deformation erfährt und somit eine kleinen Hebelarm f aufweist, bewirkt einen kleinen Rollwiderstand. Wer Fahrrad fährt, wird dies aus eigener Erfahrung bestätigen können.

An Finger A herrscht Gleitreibung. Die Gleitreibungskraft beträgt FRA = μFNA . An Finger B herrscht Haftung. Da der Haftkoeffizient größer als der Gleitreibungskoeffizient ist, ist die maximal mögliche Haftkraft am Finger B größer als die Gleitreibungskraft am Finger A, und der Stab wird weiter am Finger B haften. Der Finger A nähert sich nun immer mehr der Stabmitte und überträgt deshalb (Momentengleichgewicht!) eine größere Normalkraft als Finger B: FNA > FNB . Wenn der Finger A nahe genug an der Stabmitte ist, erreicht die Gleitreibungskraft an Finger A die maximal mögliche Haftkraft an Finger B. Sobald die Haftkraft an Finger B die immer größer werdende Gleitreibungskraft an Finger A nicht mehr aufbringen kann, kehren sich die Verhältnisse um: Der Besenstiel bleibt nun an Finger A haften und gleitet über den Finger B hinweg. Mit immer kürzer werdenden Gleitstrecken geht dieses Wechselspiel noch eine Zeit lang weiter, bis sich beide Finger schließlich im Schwerpunkt des Besenstiels treffen.

Theoretisch würde der Rollwiderstand, wenn Rad und Fahrbahn vollkommen starr sind, sogar gänzlich verschwinden. Aber auch wenn das in der Praxis natürlich nicht der Fall ist – für Stahlräder von Schienenfahrzeugen rechnet man z. B. mit ungefähr f /R ≈ 0,001 bis 0,002, bei

43

Technische Mechanik

2.5

44

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik ds dφ 2

Technische Mechanik

FR

α

dφ 2 dFR dFN

S kleinere Seilkraft S1

S + dS

dφ größere Seilkraft S2

Abb. 2.23 Zur Herleitung der Eytelwein’schen Gleichung Abb. 2.22 Seil- und Reibungskräfte bei Seilreibung

Wälzlagern mit f /R ≈ 0,0005 bis 0,001 – so ist Rollreibung in aller Regel doch sehr viel kleiner als Gleitreibung.

Für infinitesimal kleine Winkel dϕ werden cos dϕ/2 = 1 und sin dϕ/2 = dϕ/2. Zudem ist dS · dϕ/2 als Produkt zweier infinitesimal kleiner Größen klein von höherer Ordnung und kann vernachlässigt werden. Wir erhalten somit dS − μ0 dFN = 0 und dFN − S dϕ = 0 .

Seilreibung unterstützt kleine Kräfte Wird ein Seil über eine reibungsfrei drehbar gelagerte Rolle umgelenkt, so sind, wie wir wissen, die Seilkräfte zu beiden Seiten der Rolle gleich groß. Findet diese Umlenkung jedoch um einen starren Pfosten statt, so ist dem nicht mehr so. Die Seilkräfte können nun zu beiden Seiten des Pfostens unterschiedlich groß sein, ohne dass das Seil um den Pfosten rutscht. Grund hierfür sind die Reibungskräfte zwischen Pfosten und Seil, die, da sie gegen die Bewegungstendenz des Seils orientiert sind, die kleinere Seilkraft unterstützen. Bezeichnen wir die kleinerer Seilkraft zunächst als S1 und die größere Seilkraft als S2 . Zur Herleitung des Zusammenhangs zwischen den Seilkräften, dem Haftkoeffizienten μ0 und dem Umschlingungswinkel α betrachten wir einen infinitesimal kleinen Abschnitt des um den Pfosten geschlungenen Seils. Die Länge des betrachteten Seilabschnitts sei ds, der Umschlingungswinkel des Abschnitts dϕ. Die Seilkräfte seien an der linken Seite mit S und an der rechten Seite, an der die Seilkraft ein klein wenig größer ist, mit S + dS bezeichnet. Der betrachtete Seilabschnitt befinde sich gerade an der Haftgrenze, d. h., es wirken die Normalkraft dFN und die Haftkraft dFR = μ0 dFN . Die Gleichgewichtsbedingungen lauten dϕ dϕ + (S + dS) cos − μ0 dFN = 0 2 2 dϕ dϕ ↑ ∑ Fiy = dFN − S sin − (S + dS) sin = 0. 2 2

→ ∑ Fix = −S cos und

Eliminieren von dFN führt schließlich zu dS . S Wir integrieren beide Seiten über die Umschlingung – den Winkel ϕ von 0 bis α und die Seilkraft S von S1 bis S2 – und erhalten μ0 dϕ =

μ0 α = ln S2 − ln S1 , was wir zu S2 = S1 · exp(μ0 α) umformen. Wenn S1 > S2 ist, müssen wir die Indizes in diesen Gleichungen vertauschen, und wir erhalten als Ergebnis S2 = S1 · exp (−μ0 α). Ganz allgemein verbleibt das Seil also dann in Ruhe, wenn bei einer vorgegebenen Seilkraft S1 die gegenhaltende Seilkraft S2 um weniger als den Faktor exp (μ0 α) von S1 abweicht. Eytelwein’sche Ungleichung

Ein Seil bleibt so lange im statischen Gleichgewicht, wie sich S2 innerhalb der Grenzen (Abb. 2.23) S1 · e(−μ0 α) ≤ S2 ≤ S1 · e(μ0 α) bewegt. Beachten Sie, dass der Umschlingungswinkel α in dieser nach Johann A. Eytelwein (1764–1848) benannten Gleichung stets in Bogenmaß anzusetzen ist. Mit der Eytelwein’schen Gleichung werden unter anderem Riemenantriebe ausgelegt. Aber auch im nichttechnischen Bereich kann die Seilreibung durchaus von Bedeutung sein, wie das folgende Beispiel vom Klettern zeigt (Abb. 2.24).

2.6

α ≈ 180°

2.6

Schwerpunkt

Aus der bloßen Anschauung wissen wir, was ein Flächenschwerpunkt ist. Wird eine Fläche lose in ihrem Schwerpunkt an eine Wand gepinnt, dann kippt die Fläche unter dem Einfluss der Schwerkraft nicht. Bei einem anderen Aufhängepunkt würde die Fläche so lange pendeln, bis sich der Schwerpunkt wieder genau unterhalb des Aufhängepunktes befindet.

Berechnung des Flächenschwerpunktes Nun gilt es, diesen Gedankengang in die Mechanik umzusetzen. Betrachten wir hierzu eine beliebige Fläche, die wir gedanklich in viele kleine Flächenelemente ΔA unterteilen (Abb. 2.25). Wenn diese Fläche um ihren Schwerpunkt nicht kippt, sich also nicht dreht, muss um den Schwerpunkt das Momentengleichgewicht erfüllt sein. Über alle Flächenelemente aufsummiert gilt demnach

∑ ΔA · (Hebelarm zum Schwerpunkt) = 0 . Im Grenzübergang zu infinitesimal kleinen Flächenelementen werden ΔA zu dA und das Summenzeichen zum Integral. Mit dem Hebelarm eines jeden Flächenelements, welcher x − xS beträgt, erhalten wir 

Abb. 2.24 Einfache Sicherung eines Kletterers an einer Kletterwand

Dabei wird das Sicherungsseil ganz oben an einem Karabiner um 180° umgelenkt. Es betragen der Haftkoeffizient μ0 = 0,4 und der Gleitreibungskoeffizient μ = 0,3. Mit welcher Kraft müssen Sie gegenhalten, wenn Ihr Kommilitone abstürzt? Wenn Sie Ihrem abgestürzt im Seil hängenden Kommilitonen etwas Gutes tun und ihn nach oben ziehen wollen: Welche Kraft ist jetzt erforderlich? Zur Lösung: In der ersten Fragestellung liegt Gleitreibung vor (ein sich bewegender, weil abstürzender Kletterer muss aufgefangen werden). Dabei ist die Gewichtskraft des Kletterers die größere Seilkraft S2 und die Gegenhaltekraft die kleinere Seilkraft S1 . Diese beträgt S1 = 700 N/ exp (0,3 π ) = 273 N. In der zweiten Fragestellung erschwert dagegen die Seilreibung das Hochziehen des Kletterers, zudem liegt Haftung vor. Die Verhältnisse kehren sich somit um, und die Gewichtskraft des Kletterers ist nun die kleinere Seilkraft S1 und die Gegenhaltekraft die größere Seilkraft S2 . Diese beträgt S2 = 1300 N · exp (0,4 π ) = 2460 N. Lieber also nur sichern und das Hochziehen gar nicht erst ver suchen.

45

(x − xS )dA = 0 .

(A)

Hierbei bedeutet der Integrationsbereich A, dass über die ganze Fläche integriert wird. Wir formen weiter um zu 



(x − xS )dA =

(A)

x dA − xS

(A)



=



dA (A)

x dA − xS A = 0 .

(A)

y y

∆A

yS

SP

x

xS

Abb. 2.25 Zur Herleitung des Flächenschwerpunktes

x

Technische Mechanik

Beispiel Ihr 700 N schwerer Kommilitone klettert an einer Kletterwand, Sie sichern.

Schwerpunkt

46

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Unter Beachtung, dass sich für die y-Koordinate des Flächenschwerpunktes, yS , ein der x-Koordinate des Flächenschwerpunktes analoges Ergebnis ergibt, erhalten wir schließlich für die

h y(x) = h – h x b y

Koordinaten des Flächenschwerpunktes

xS =

1 A



x dA

und yS =

(A)

1 A

x



y dA (A)

b

Abb. 2.27 Der Integrationsweg für ΔA

Das heißt, es ist zunächst entlang y zu integrieren, h− hb x

Diese Gleichungen mögen abstrakt und schwierig wirken – man integriert nicht alle Tage über eine Fläche – aber in Wirklichkeit sind sie gut zu lösen. Die Integrale über die Fläche bedeuten letztlich nichts weiter, als dass eine gegebene Fläche A lückenlos mit kleinen Flächenelementen der Größe dA zu überstreichen ist und zu jeder Position die x- bzw. y-Koordinate notiert und nachher aufsummiert (integriert) wird. An zwei Beispielen werden wir gleich sehen, wie das geht. Ist eine Fläche übrigens symmetrisch, kann man sich die Berechnung einer Schwerpunktkoordinate sparen, denn es gilt für den Flächenschwerpunkt bei symmetrischen Flächen

Bei spiegelsymmetrischen Flächen liegt der Flächenschwerpunkt stets auf der Symmetrieachse.



x dy , y= 0

um dann dieses Integral von x = 0 bis x = b erneut zu integrieren. Wir erhalten somit

x dA =

x= 0

(A)

 x dy dx .

y= 0

Dieses Integral ist einfacher, als es auf den ersten Blick erscheint. Im inneren Integral wird entlang y integriert. Der Integrand x,ist aber von y unabhängig und kann somit als Konstante vor das innere Integral gezogen werden. So ergibt sich 

Beispiel Zu berechnen sind die Schwerpunktkoordinaten xS und yS des in Abb. 2.26 abgebildeten rechtwinkligen Dreiecks der Breite b und der Höhe h.

b  h− b x h



x dA =

h b  h− b x

=

1 dy dx =

x x= 0

(A)

1

2

b



y= 0

hx2 −

1h 3 x 3b

b 0

x= 0

=

 h  x h − x dx b

1 2 hb . 6

Zusammen mit der Dreiecksfläche, A = 1/2bh, erhalten wir als Schwerpunktkoordinate h

y yS

xS = x

xS

1 2 6 hb 1 2 bh

=

b . 3

b

Abb. 2.26 Zu berechnen ist der Flächenschwerpunkt eines rechtwinkligen Dreiecks

Zunächst zur Berechnung von xS : Am geschicktesten bestreichen wir die Dreiecksfläche mit unserem kleinen Flächenelement ΔA, wenn wir dieses zunächst entlang einer Säule von y = 0 bis zur Oberkante des Dreiecks laufen lassen und dann alle Säulen entlang der Breite des Dreiecks aufsummieren (Abb. 2.27).

Für die y-Koordinate des Schwerpunktes ergibt sich analog yS =

h . 3



Beispiel Schwerpunkt eines Viertelkreises Gegeben sei ein Viertelkreis mit dem Radius R. Gesucht sind die Schwerpunktkoordinaten xS und yS .

Tab. 2.4 Übersicht über die Schwerpunkte wichtiger Flächen

Rechteck

Schwerpunkt

rechtwinkliges Dreieck Viertelkreis Parallelogramm h h y x

b

y

b

x R

Dreieck

h

y b1 x

b2

b1

h y b1 x

b2

xS =

b 2

xS =

b 3

xS =

4 3π R

xS = b1 + 12 b2

xS =

2b1 +b2 3

yS =

h 2

yS =

h 3

yS =

4 3π R

yS =

yS =

h 3

h 2

Der Schwerpunkt zusammengesetzter Flächen Ist eine Fläche aus mehreren Teilflächen mit jeweils bekannter Schwerpunktlage zusammengesetzt, so lässt sich die Lage des Gesamtschwerpunktes auch ohne Integration berechnen. Der Grundgedanke ist dabei im Prinzip derselbe, der auch der Integralformel zur Berechnung des Flächenschwerpunktes zugrunde liegt: Um den Gesamtschwerpunkt gleichen sich die Drehwirkungen (die Momente) aller Teilflächen zu null aus. Und so ist dann die Bestimmungsgleichung für den Schwerpunkt zusammengesetzter Flächen den Gleichungen zur Schwerpunktberechnung durch Integration über die Querschnittsfläche sehr ähnlich.

rdφ y r φ x

R

dr

Schwerpunkt zusammengesetzter Flächen Abb. 2.28 Der Integrationsweg zur Schwerpunktberechnung eines Viertelkreises

Wir rechnen in Polarkoordinaten und wählen das skizzierte Flächenelement dA mit den Kantenlängen dr und rdϕ zum Überstreichen der Viertelkreisfläche (Abb. 2.28). Wir lassen es zunächst in Umfangsrichtung entlang eines Kreisbogens von ϕ = 0◦ bis ϕ = 90◦ laufen (inneres Integral), um anschließend alle inneren Integrale vom Kreismittelpunkt bis nach außen zum Kreisbogen aufzuintegrieren (äußeres Integral). Das bedeutet 

x dA =

◦ R  90

 r cos ϕrdϕ dr

r= 0 ϕ = 0 ◦

(A)

=

R r= 0

r2 sin ϕ

90◦ 0◦

dr =

1 3 R . 3

xS =

1 Ages

∑ (xSiAi )

und

yS =

1 Ages

∑ (ySiAi )

.

Hierin sind Ages der Flächeninhalt der Gesamtfläche, xSi und ySi die x- und y-Koordinaten der Schwerpunkte der einzelnen Teilflächen und Ai die Flächeninhalte der Teilflächen. Aufgaben zum Schwerpunkt zusammengesetzter Flächen lassen sich zumeist ohne größere Probleme lösen, wenn man alle für die Berechnung erforderlichen Daten (xSi , ySi , Ai und Ages ) übersichtlich in einer kleinen Tabelle zusammenfasst. Am folgenden Beispiel sei das illustriert. Beispiel Für die skizzierte Fläche (Abb. 2.29), die aus den einem Rechteck (Fläche 1), einem rechtwinkligen

Mit der Fläche des Viertelkreises, A = π/4 R2 , erhalten wir als Ergebnis 100

4 R. xS = 3π Das Ergebnis für xS ist aus Symmetriegründen identisch.  Die Schwerpunkte dieser und weiterer wichtiger Flächen sind in Tab. 2.4 aufgeführt.

R40

y

x 50 150

47

60

Abb. 2.29 Ein Beispiel für eine aus mehreren Teilflächen zusammengesetzte Fläche

Technische Mechanik

2.6

48

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Beispiel: Büroklammerkreisel bauen . . . ein nettes Spielzeug, wenn der Schwerpunkt stimmt.

ds = Rdφ

Lösung: Auch ohne tieferen Einblick in die Kreiselmechanik sind zwei Forderungen an einen gut laufenden Kreisel plausibel: Ein guter Büroklammerkreisel dreht sich mit viel Schwung, d. h. einem großen Massenträgheitsmoment (vgl. Abschn. 10.2). Dafür muss möglichst viel Masse weit weg von der Kreiselachse liegen. Ein guter Büroklammerkreisel dreht sich ohne Unwucht, d. h. sein Schwerpunkt liegt auf der Kreiselachse. Der erste Punkt, die Forderung nach großer Massenträgheit, wird sehr schön von der 1986 von T. Sakai vorgeschlagenen Geometrie erfüllt. Bei ihr wird die Büroklammer zu einem Kreisel gebogen, der aus der Kreiselachse, zwei Speichen und einem trägen, weil weit von der Kreiselachse entfernten Kreissegment besteht.

φ

y

Problemanalyse und Strategie: Kreisel zählen zu den erklärten Lieblingsspielzeugen des Autors, und ganz besonders mag er solche, die man aus einer Büroklammer selber biegen kann. Als gut sortierter Beamter hat er immer ein paar Büroklammern in Griffweite, und das Verarbeiten derselben in rasante Kreisel hat ihn schon in manch „spannender“ Sitzung wach gehalten. Wie aber muss eine Büroklammer gebogen werden, damit ein gut laufender Kreisel aus ihr wird?

x

α

R

Die beiden geraden Enden des Kreisels bilden die Kreiselachse, liegen deswegen automatisch im Schwerpunkt und brauchen für die Schwerpunktberechnung nicht weiter berücksichtigt zu werden. Der Winkel α, in dem die Speichen angeordnet sind, ist somit derart zu wählen, dass der Schwerpunkt von Speichen und Kreissegment im Ursprung des abgebildeten Koordinatensystems liegt. Aufgrund der Symmetrie ist dies für die y-Koordinate des Schwerpunktes gegeben. Aber bezüglich der xKoordinate bleibt uns eine Schwerpunktberechnung nicht erspart. Die Schwerpunkte der Speichen (Segmente 1 und 2) liegen jeweils in der Mitte der Speichen; den Schwerpunkt des Kreissegmentes (Segment 3) berechnen wir mit der Integraldefinition xS3 =

1 l



x ds . (l )

Hierin beträgt die Bogenlänge l des Kreissegments 2αR (α in Bogenmaß); das Weginkrement ds entspricht Rdϕ. Wir erhalten somit xS3 =

1 2αR



R cos ϕ · R dϕ =

−α

R sin α . α

Der Gesamtschwerpunkt von Streben und Kreissegment berechnet sich somit aus den folgenden Daten: Teilsegment: 1: untere Speiche 2: obere Speiche

Damit zum zweiten Punkt, der Schwerpunktlage. Wie ist die Kreiselgeometrie zu gestalten, damit der Kreiselschwerpunkt auf der Drehachse liegt?

3: Kreissegment

xSi R 2 cos α R 2 cos α R sin α α

li R R 2αR 2R + 2αR

Und wir erhalten für den Gesamtschwerpunkt xS   1 R2 cos α + 2R2 sin α = 0 2R + 2αR  1 α = arctan − = 153,4◦ . 2

xS =

=⇒

Dies entspricht einem Öffnungswinkel zwischen den Speichen von 53,2°.

Dreieck (Fläche 2) und einem kreisförmigen Loch (Fläche 3) zusammengesetzt ist, ist die Lage des Flächenschwerpunktes zu bestimmen.

Büroklammerkreisel sind schöne Spielzeuge. Wenn man sich beim Biegen der Klammer Mühe gibt, können sie länger als 20 Sekunden lang laufen. Gewöhnliche Büroklammern lassen sich leicht von Hand zu Kreiseln biegen, am besten über eine Rolle, damit das Kreissegment auch tatsächlich kreisrund wird. Trägere und länger laufende Kreisel erhält man aus den größeren und stabileren Aktenklammern. Um diese zu verbiegen benötigt man allerdings zwei Zangen.

Volumenschwerpunkt Für homogene Körper lauten die entsprechenden Gleichungen zur Schwerpunktbestimmung

Wir tragen alle wichtigen Daten in eine übersichtliche Tabelle ein (Tab. 2.5).

xS =

Tab. 2.5 Zusammenstellung der Schwerpunktlagen und Flächeninhalte der Teilflächen Teilfläche: 1: Rechteck 150 × 100 2: rechtwinkliges Dreieck 60 × 100 3: Kreisloch R40

und

xSi [mm] ySi [mm] Ai [mm2 ] 75 170 50

50 33,3 50

x dV,

Jetzt setzen wir die Gleichungen für die Schwerpunktbestimmung zusammengesetzter Flächen an und erhalten  1  75 · 15.000 + 170 · 3000 − 50 · 5027 mm xS = 12.973

= 107 mm  1  50 · 15.000 + 33,3 · 3000 − 50 · 5027 mm 12.973

1 (V )

yS =

(V )

1 zS = (V )

1 Vges 1 zS = Vges

xS =

−5027

und

yS =







y dV V

z dV , V

bzw.

Ages = 12.973mm2

sowie

1 V

15.000 3000

Schwerpunkt

∑ (xSiVi ) ,

yS =

1 Vges

∑ (ySiVi )

∑ (zSi Vi )

bei zusammengesetzten Volumina. Massenmittelpunkt Bei inhomogenen Körpern wird es ein wenig komplizierter, denn die unterschiedliche Dichteverteilung ist zu berücksichtigen. Es gelten nun die Gleichungen xS =

= 46 mm . yS =

Diesem Beispiel können wir auch entnehmen, wie bei zusammengesetzten Flächen mit Löchern umzugehen ist. Diesen wird ein negativer Flächeninhalt zugewiesen, und sonst werden sie behandelt wie jede andere Teilfläche  auch.

1 m 1 m

1 und zS = m



x dm =

(m )



y dm =

(m )



(m )

1 m 1 m

1 z dm = m



ρ x dV ,

(V )



ρ y dV

(V )



ρ z dV ,

(V )

bzw.

In anderen Dimensionen: Volumenschwerpunkt, Massenmittelpunkt und Linienschwerpunkt Alle für Flächen hergeleiteten Gleichungen zur Schwerpunktbestimmung gelten sinngemäß auch für Linien (etwa Rohrleitungen) und dreidimensionale Körper.

1 mges 1 zS = mges

xS = und

∑ (xSimi ) ,

yS =

∑ (zSimi )

bei zusammengesetzten Volumina.

1 mges

∑ (ySimi )

49

Technische Mechanik

2.6

50

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Linienschwerpunkt

bzw.

Technische Mechanik

Für Linien (z. B. dünne Rohrleitungen konstanter längenbezogener Masse) gilt xS = und zS =

1 l 1 l



x ds, (l )



yS =

1 l



y ds

1 lges 1 zS = lges

xS = und

∑ (xSili ) ,

yS =

1 lges

∑ (ySili )

∑ (zSi li )

(l )

z ds ,

bei Linien, die aus mehreren Segmenten mit jeweils bekannter Schwerpunktlage zusammengesetzt sind.

(l )

Weiterführende Literatur Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 2.1 Technische Strukturen, die sich nicht als starre Körper idealisieren lassen, kommen vergleichsweise selten vor. Beipiele sind ein Stab für den Stabhochsprung oder eine Angelrute nach dem Anbeißen eines kapitalen Fisches, die sich beide sehr stark durchbiegen. Antwort 2.2 Wir suchen Balken, die an beiden Enden gelenkig gelagert sind und dazwischen keine Belastung erfahren. Das sind z. B. eine an beiden Seiten gelenkig gelagerte Deichsel eines Anhängers oder der Hubzylinder eines Kipplasters, sofern die Eigengewichte von Deichsel bzw. Hubzylinder im Vergleich zu den sonstigen angreifenden Kräften vernachlässigbar klein sind. Antwort 2.3 Aus Gründen des Momentengleichgewichts. Senkt sich z. B. das rechte Ende eines Mobilestabs ab, so verkürzt sich durch die Stabbiegung sein Hebelarm zur Aufhängung, während sich der Hebelarm des nach oben steigenden linken Stabendes verlängert. Der Stab wird sich dann wieder in seine Ausgangslage zurückdrehen.

Antwort 2.4 Das abgebildete Scharnier verhindert, dass sich ein Körper in x-, y- oder z-Richtung translatorisch bewegen kann. An Rotationen verhindert es weiterhin die Drehungen um die y- und z-Achse, wogegen es einer Rotation um die x-Achse keinen Widerstand entgegensetzt. Das Scharnier kann also die Lagerreaktionen Fx , Fy , Fz , My und Mz ausüben. Antwort 2.5 Aus Gründen der statischen Bestimmtheit. Würde man einen einachsigen Anhänger mit einer an beiden Seiten gelenkig gelagerten Deichsel – aus mechanischer Sicht ist das eine Pendelstütze – mit dem Zugfahrzeug verbinden, lägen vier Lager- und eine Gelenkwertigkeit vor. Das ist weniger als die für statische Bestimmtheit von zweiteiligen Systemen erforderliche Zahl von sechs Wertigkeiten, sodass das Gespann statisch unterbestimmt gelagert wäre. Zum gleichen Schluss kommt man auch mit gutem ingenieurmäßigen Vorstellungsvermögen, denn man erkennt, dass ein einachsiger Anhänger mit gelenkiger Deichsel wackelig wäre.

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 2.1 • Berechnen Sie die in Abb. 2.6 auftretenden Lagerkräfte. Mit welcher Kraft ist die Rolle an der Decke befestigt, wenn die Person in einem Winkel von α = 50◦ zur Horizontalen am Seil zieht? Resultat: Ax = 63 N,

Ay = 173 N.

2.2 • Ein Frachtschiff wird von zwei Hafenschleppern (A und B) abgeschleppt. Die Seilkräfte betragen FA = 32 kN im Seil zu Schlepper A und FB = 21 kN im Seil zu Schlepper B.

Bestimmen Sie die Winkel α und β (a) grafisch und (b) rechnerisch. Hinweis: Zur rechnerischen Lösung: Mit den beiden Gleichgewichtsbedingungen für das statische Gleichgewicht am Punkt erhalten Sie zwei Gleichungen für die beiden Unbekannten α und β. Lösen Sie dieses Gleichungssystem, indem Sie beide Gleichungen quadrieren und miteinander addieren. Für die zeichnerische Lösung benötigen Sie einen Zirkel. Resultat: α = 7, 18◦ ,

β = 48, 59◦ .

B

2.4 • Ein 1600 N schwerer Stahlträger wird wie skizziert über zwei Seile mit einem Kran angehoben. Berechnen Sie die Seilkräfte.

40° 25° A

Berechnen Sie die auf das Frachtschiff wirkende resultierende Abschleppkraft. Resultat: Rx = 45,1 kN,

Ry = 0 kN.

•• Ein Seil ist über zwei reibungsfrei drehbar 2.3 gelagerte Rollen A und B geführt. An den Enden des Seils hängen die Gewichte FA = 400 N und FB = 600 N, zwischen den Rollen das Gewicht FC = 500 N. Das Eigengewicht des Seils sei vernachlässigbar.

Seil 1

Seil 2

30°

30°

30 cm

30 cm 2m

Resultat: S1 = S2 = 1600 N.

• Beim Rodeln müssen Sie einen Schlitten mit 2.5 Kind den Berg hinaufziehen. Welche Kraft ist hierfür erforderlich? Zahlenwerte: Gewichtskraft von Schlitten und Kind: 300 N, α = 25◦ , β = 30◦ . FA

α

β FC

FB

51

Technische Mechanik

Aufgaben

52

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Technische Mechanik

Hinweis: Die Behandlung des Momentengleichgewichts fällt einfacher, wenn Sie die Gewichtskraft G in ihre Komponenten aufspalten: Gx entlang des Hangs und Gy senkrecht zum Hang. Resultat: 1. Ay = G4 (2 cos α − sin α), By = S = G sin α. 2. αmax = 37◦ .

G 4 (sin α + 2 cos α ),

• Ein Träger der Länge 2 l ist im Punkt A zwei2.7 wertig und im Punkt B mit einer Pendelstütze gelagert. Belastet wird er durch zwei Kräfte des Betrags F.

β

l

l F

α

F A

α

B

Hinweis: Nehmen Sie vereinfachend an, dass die Kufen reibungsfrei auf dem Schnee gleiten. Resultat: 127 N.

•• Sie schieben einen Wagen der bekannten Ge2.6 wichtskraft G einen Berghang hinauf.

l l 2 SP B y

l

x A

1. Ist der Träger statisch bestimmt gelagert? 2. Berechnen Sie die Lagerreaktionen in den Punkten A und B. Hinweis: Beachten Sie, dass eine Pendelstütze eine einwertige Lagerung ist. Zeichnen Sie deswegen die Lagerreaktion der Pendelstütze in ihrer tatsächlichen Orientierung in Ihr Freikörperbild ein. Resultat: Ax = −F −

2F tan α ,

Ay = −F, B =

2F sin α .

l

α

1. Berechnen Sie die Achslasten Ay und By sowie die Schubkraft S in Abhängigkeit des Winkels α und des Wagengewichts G. 2. Welchen Hangwinkel können Sie den Wagen gerade eben noch hinaufschieben, wenn das Wagengewicht 500 N beträgt und Sie nicht stärker als S = 300 N schieben wollen? Nehmen Sie an, dass die Schubkraft S in der Höhe l über dem Boden angreift und in x-Richtung wirkt, dass die Gewichtskraft G des Wagens im um l/2 über dem Boden liegenden Schwerpunkt SP angreift und dass Reibung vernachlässigt werden kann. Beachten Sie, dass das Koordinatensystem entlang der Hangschräge orientiert ist.

2.8 • Der skizzierte, in den Punkten A und B in Fest- und Loslagerung gelagerte Träger wird durch zwei Kräfte des Betrags F und ein Moment des Betrags F l belastet. F

F

F∙l

α B

A

l

l

l

l

Berechnen Sie die Lagerreaktionen. Hinweis: Äußere Momente gehen in ihrer vollen Größe in das Momentengleichgewicht ein, egal wo sie angreifen.

Resultat: Ax = −F cos α, 1, 5 F sin α − F.

Ay = 2 F −

1 2 F sin α,

By =

• Es ist Frühsommer, die Sonne scheint und Sie 2.9 verbringen den Nachmittag lieber in der Hängematte als im Hörsaal. Bevor Sie die Müdigkeit vollends übermannt, versuchen Sie, die Kräfte in den beiden Halteseilen der Matte sowie die durch die Hängematte verursachten Lagerreaktionen im Wurzelwerk der Bäume zu berechnen.

2.10 •• Berechnen Sie die Lagerreaktionen des skizzierten Trägers. F

F

60° B

A l

l

l

Resultat: Ax = F2 , Ay = 0, 96 F, By = 0, 91 F. 2.11 •• Berechnen Sie die Lagerreaktionen des skizzierten Trägers.

l

B

F 45° A l

Die geometrischen Abmessungen entnehmen Sie bitte der folgenden (nicht maßstäblichen) Skizze: S1

S2 1,5 m

A

0,7 m 3m

750 N

B

Resultat: Ax = 0, Ay =

l

1 2



2 F, Bx = − 12



2 F.

2.12 •• Ein Winkeleisen mit vernachlässigbar kleiner Masse ist in den Punkten A und C durch ein Scharnier bzw. ein Seil gelagert, und im Punkt B durch die senkrechte Kraft 40 N belastet. 60 cm

2m

y

40 N x

Seil B

A

1. Ermitteln Sie die Seilkräfte S1 und S2 rechnerisch. 2. Ermitteln Sie die Seilkräfte S1 und S2 zeichnerisch. Verwenden Sie für Ihre Zeichnung den Kräftemaßstab mF = 1 cm/100 N. 3. Berechnen Sie die durch die Hängematte verursachten Lagerreaktionen im Wurzelwerk der Bäume. Hinweis: Bei der Berechnung der Seilkräfte handelt es sich um eine Aufgabe zum Gleichgewicht am Punkt (da genau drei nicht parallele Kräfte an der Hängematte angreifen), bei der Berechnung der Lagerreaktionen um eine Aufgabe zum Gleichgewicht am starren Körper. Resultat: 1: S1 = 1164 N, S2 = 1212 N 2. und 3: Ax = −1125 N, Ay = 300 N, MA = 1687 N m, Bx = 1125 N, By = 450 N, MB = −1687 N m.

50 cm C z

50 N y x

1. Untersuchen Sie das System auf statische Bestimmtheit. 2. Berechnen Sie die Lagerreaktionen. Hinweis: Stellen Sie als erste Gleichgewichtsbedingung das vektorielle Momentengleichgewicht auf und wählen Sie einen günstigen Bezugspunkt. Resultat: Ax = −50 N, Ay = 0, Az = 0, S = 40 N, MAx = 20 N m, MAz = −25 N m.

53

Technische Mechanik

Aufgaben

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik

Gegeben: LKW-Gewicht FLKW = 150 kN, Anhängergewicht FAnh = 30 kN.

G H

A

B

V

F Anh

C

F Lkw

3,6 kN

y A

1m

0,5 m 1,5 m 0,9 m

Technische Mechanik

2.13 • Das Gewicht eines Konzertflügels betrage 3,6 kN. Der Flügel steht auf drei Beinen, die sich jeweils reibungsfrei über den Boden rollen lassen. Die genauen Positionen der Beine und des Schwerpunktes entnehmen Sie bitte der folgenden Skizze:

1,4 m

54

1m

2m

3m

1. Überprüfen Sie den Lastzug auf statische Bestimmtheit. 2. Berechnen Sie die Achslasten.

x

Hinweis: Beginnen Sie mit dem einfacheren der beiden Freikörperbilder.

0,6 m

Resultat: Ay = 22, 5 kN, Gx = 0, Gy = 7, 5 kN, Hx = 0, Hy = 99 kN, Vy = 58, 5 kN.

1,8 m

2.16 •• Ein Gelenkträger ist in den Punkten A und B jeweils zweiwertig gelagert. An ihm greift eine Kraft F an.

1. Ist der Flügel statisch bestimmt gelagert? 2. Berechnen Sie die Lagerreaktionen. Hinweis: Kann eine Struktur, die sich frei verschieben lässt, weil sie auf Rollen steht, statisch bestimmt gelagert sein?

G

F

Resultat: Az = 0, 94 kN, Bz = 1, 46 kN, Cz = 1, 2 kN.

a

2.14 • An der skizzierten, in den Punkten A und B in Fest-/Loslagerung gelagerten Kegelradwelle greifen die Zahnkräfte Fax = 260 N (Axialkraft), Fr = 1000 N (Radialkraft) und Ft = 2800 N (Tangentialkraft) an.

B

A a 4

Ft

Fax

a 2

50 mm

a 2

Fr Festlager A

Loslager B 160 mm

60 mm

Berechnen Sie die Lagerreaktionen sowie das übertragene Moment. Resultat: Ax = 260 N, Ay = −294 N, Az = 1050 N, By = 1294 N, Bz = −3850 N, Mübertragen = 140 Nm. Zu berechnen sind die Achslasten V, H und 2.15 • A (Vorder-, Hinter- und Anhängerachse) eines stehenden Lastzuges. LKW und Anhänger sind in der Anhängerkupplung G gelenkig miteinander verbunden. Die angezogene Handbremse des LKW blockiert dessen Hinterräder.

1. Überprüfen Sie den Träger auf statische Bestimmtheit. 2. Bestimmen Sie die Lager- und Gelenkreaktionen. Resultat: Ax = F8 , Ay = F4 , Bx = − F8 , By = 34 F, Gx = − F8 , Gy = − F4 . 2.17 • Berechnen Sie für den skizzierten Gelenkträger die Lager- und Gelenkreaktionen.

A

F

B

G

M = Fl l

l

l

Aufgaben

Resultat: Ax = 0, Ay = −2 F, MA = −2 F l, By = 3 F, Gx = 0, Gy = 2 F.

Technische Mechanik

F

2.18 • Eine Kiste mit der Gewichtskraft G stehe in den Punkten A und B auf einer um den Winkel α = 40◦ zur Horizontalen geneigten schiefen Ebene. Bestimmen Sie grafisch, wie groß der Haftkoeffizient μ0 zwischen Kiste und schiefer Ebene mindestens sein muss, damit die Kiste nicht die schiefe Ebene hinabrutscht.

3R

R

B SP

B

A

A

α

Resultat: μ0 = tan α = 0, 84. 2.19 •• Bis zu welchem Winkel α lässt sich ein Stab (Gewicht G, Länge l) an eine Wand lehnen, ohne hinunterzurutschen? Die Haftkoeffizienten zwischen Stab und Boden sowie Stab und Wand seien gleich groß und betragen jeweils μ0 = 0, 3.

B

G Resultat: FNB = = 39,2 N, μ0 − 41 + 4 μ3 0 3 FNA = 4 μ0 − 14 FNB = 88,2 N,

F = 14 (1 + μ0 )FNB = 12,7 N.

2.21 • In den wie immer viel zu kurzen Semesterferien jobben Sie als Hafenarbeiter. Jetzt sollen Sie ein Frachtschiff mal schnell am Tau gegen Abdriften festhalten. In Ermangelung höherer Kenntnisse zu Seemannsknoten schlingen Sie das Seil ein paar Mal um den Poller und halten so stark Sie können gegen.

α =? α

S1 = 400 N S2 = 12 000 N

Wie oft ist das Tau um den Poller zu wickeln?

A

Resultat: FNA = 2μ

G , 1+ μ20

FNB =

α = arctan 1−μ02 = 33, 4◦ .

μ0 G , 1+ μ20

0

2.20 •• Eine G = 100 N schwere Scheibe mit dem Radius R liegt wie skizziert in einer Ecke zwischen Boden und Wand. Die an einem starr mit der Scheibe verbundenen Hebelarm angreifende Kraft F versucht die Scheibe zu drehen. Die Haftkoeffizienten zwischen Scheibe und Boden sowie Scheibe und Wand betragen jeweils μ0 = 0, 3. Wie groß muss die Kraft F mindestens sein, damit sich die Scheibe dreht? Wie groß sind dann die Normalkräfte zwischen Scheibe und Boden (Punkt A) sowie Scheibe und Wand (Punkt B)?

55

Zahlenwerte: Abdriftkraft Frachtschiff: S2 = 12.000 N, Ihre Gegenhaltekraft: S2 = 400 N, Haftkoeffizient: μ0 = 0, 25. Resultat: 2,2 Umschlingungen. 2.22 •• Ein Riemenantrieb bestehe aus zwei mit einem Riemen verbundenen Scheiben der Durchmesser 150 mm und 400 mm. Der Achsabstand der beiden Riemenscheiben betrage 800 mm, der Haftkoeffizient μ0 = 0, 4. Die kleinere Riemenscheibe soll mit einem Drehmoment von maximal 140 Nm angetrieben werden können, ohne dass der Riemen rutscht.

2 Grundbegriffe und Kraftgruppen – der Einstieg in die Technische Mechanik 400 mm

Hinweis: Integrationshilfe:

150 mm

cos2 xdx =

1 2

(x + sin x cos x).

π 8.

2.25 •• Bestimmen Sie die Schwerpunktkoordinate xS der skizzierten Schreibtischlampe (alle Längenmaße in mm). Es wiegen der Lampenfuß 400 g, der laufende Meter Rohr jeweils 100 g und der Lampenschirm mit Glühbirne 120 g.

α M = 140 Nm

800 mm

240

1. Berechnen Sie den Umschlingungswinkel α der kleinen Scheibe. 2. Wie groß sind die Kräfte im Riemen? 3. Berechnen Sie die durch die Riemenkräfte hervorgerufenen Lagerreaktionen im Lager der kleineren Riemenscheibe. Resultat: α = 162◦ , 3599 N, Ay = 292 N.

S1 = 889 N,

S2 = 2755 N,

135°

50

100

Ax =

2.23 •• Gegeben ist der skizzierte trapezförmige Flächenquerschnitt.

30 mm

Technische Mechanik

Resultat: xS = 0, yS =

300

56

Resultat: xS = 54,3 mm.

y

2.26 •• Berechnen Sie die Schwerpunktlage zS einer Pyramide der Höhe h und der Breite b.

x 30 mm

15 mm z

1. Berechnen Sie die Lage des Flächenschwerpunktes mithilfe der Integraldefinition des Schwerpunktes. 2. Unterteilen Sie das Trapez in zwei Teilflächen und berechnen Sie die Lage des Flächenschwerpunktes.

h

Hinweis: Verwenden Sie bei der Integration horizontale Streifen als Flächenelemente dA. Resultat: xS = 19 mm, yS = 14 mm.

b

2.24 •• Berechnen Sie die Schwerpunktkoordinaten xS und yS der abgebildeten, durch die Funktion f (x) = cos x im Bereich −π/2 ≤ x ≤ π/2 umrandeten Fläche. y 1

f (x) = cos x

b

Hinweis: Beachten Sie, dass die Koordinate z ihren Ursprung in der Spitze der Pyramide hat. Verwenden Sie bei der Integration über das Volumen der Pyramide horizontale Scheiben als Volumenelemente dV. Das Volumen V einer Pyramide beträgt V=

–π 2

0

π 2

x

Resultat: zS =

3 4

h.

1 · Höhe · Grundfläche . 3

2.27 • • • Berechnen Sie die Schwerpunktlage einer homogenen Halbkugel des Radius R.

1. Was hat diese Aufgabe mit dem Schwerpunkt zu tun? 2. Welche Höhe Hzul darf die Mütze höchstens haben? Hinweis: Die Bestimmungsgleichung für den Schwerpunkt eines Kegels ist identisch mit derjenigen für den Schwerpunkt einer Pyramide (siehe Aufgabe 2.26)). Resultat: Hzul =

Hinweis: Wählen Sie als Volumenelemente dV parallel zur x-y-Ebene liegende Kreisscheiben. R.

2.28 •• Ein Stehaufmännchen ist ein prima Kinderspielzeug. Man kann es stundenlang aufs Neue kippen, und es richtet sich stets alleine wieder auf. Sie haben sich nun entschlossen, Ihrer niedlichen kleinen Nichte zum ersten Geburtstag ein Stehaufmännchen zu basteln. Es soll aus einem Stück bestehen, mit einer Halbkugel mit dem Radius R für das Gesicht und einem Kegel der Höhe H als Mütze.

10 cm z

10 cm

y x

10 cm

3 8

2.29 • Auf einen Körper aus Stahl soll ein Haken angeschweißt werden, um den Körper mit einem Kran anheben zu können. Der Körper besteht aus einer 10 cm hohen fünfeckigen Basis, einem ebenfalls 10 cm hohen quadratischen Aufsatz und einer durchgehenden Bohrung des Durchmessers 5 cm. Die anderen Maße entnehmen Sie bitte der Zeichnung.

5 cm

20 cm

Resultat: xS = yS = 0, zS =

3 R.

10 cm 20 cm 25 cm

20 cm

y

x



10 cm

z

40 cm

An welche Stelle ist der Haken anzuschweißen, damit der Körper beim Anheben nicht kippt? Resultat: Der Haken muss genau über dem Schwerpunkt verschweißt werden. Die Schwerpunktkoordinaten betragen xS = 21, 4 mm, yS = 18, 5 mm.

57

Technische Mechanik

Aufgaben

Technische Mechanik

3

Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Wie schneidet man mitten durch einen Träger frei? Wie groß sind die Kräfte in den Tragseilen der Golden Gate Bridge?

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Schnittgrößen in ebenen geraden Balken Rahmen und Bögen . . . . . . . . . . . . . Räumliche Probleme . . . . . . . . . . . . Fachwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seilstatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_3

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

60 65 70 70 74 79 80

59

60

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

Ein unter Last stehendes Tragwerk kann grundsätzlich an zwei verschiedenen Stellen versagen: Es kann aus seinen Verankerungen gerissen werden oder an irgendeiner Stelle in seiner Mitte durchbrechen. Im ersten Fall wären die Lagerreaktionen unzulässig hoch, im zweiten Fall die inneren Kräfte und Momente im Tragwerk. Diese werden auch als Schnittgrößen bezeichnet, da sie in ein Freikörperbild immer dann eingetragen werden, wenn ein Träger an einer Stelle in seinem Inneren durchschnitten wird. Um sie geht es in diesem Kapitel.

3.1

Schnittgrößen in ebenen geraden Balken

Sechs verschiedene Schnittgrößen können im allgemeinen dreidimensionalen Fall in einem Träger auftreten: drei Kräfte – je eine in jede Koordinatenrichtung – und drei Momente – je eines um jede Koordinatenrichtung (Abb. 3.1). Hierbei findet das bei der Balkenbiegung übliche Koordinatensystem mit einer in Trägerrichtung verlaufenden x-Achse sowie bei horizontalen Trägern einer senkrecht nach unten weisenden z-Achse und einer horizontal quer zum Träger weisenden y-Achse Anwendung. Die Kraft in Trägerrichtung wird, da sie normal zum Schnittufer orientiert ist, als Normalkraft N bezeichnet und die beiden quer zum Schnittufer orientierten Kräfte in y- und z-Richtung als Querkräfte Qy und Qz . Das Moment um die Trägerachse wird als Torsionsmoment MT bezeichnet. Für zweidimensionale Probleme reduziert sich die Zahl der Schnittgrößen auf drei, nämlich zwei Kräfte – die Normalkraft N, die normal (senkrecht) zur Schnittfläche durch den Balken orientiert ist, und die Querkraft Q, die quer zur Balkenrichtung verläuft – sowie ein Moment, das Biegemoment M. Wenn wir einen Träger nicht nur wie in Kap. 2 gelernt von seiner Umgebung freischneiden (Lager und dergleichen), sondern ihn auch im Inneren entzweischneiden,

a

b M(x)

N(x)

M(x)

Q(x)

N(x)

Q(x) x

Abb. 3.2 Schnittgrößen in ebenen Problemen sowie Vorzeichenkonvention für das positive (a) und negative (b) Schnittufer. Als positives Schnittufer wird dasjenige bezeichnet, aus dem die in Balkenrichtung verlaufende Koordinatenachse herauszeigt. In horizontalen Trägern ist so das linke Schnittufer in aller Regel das positive und das rechte Schnittufer das negative

dann erhalten wir zwei Freikörperbilder, eines für den Trägerteil links des Schnitts und eines für den Trägerteil rechts des Schnitts. An beide Freikörperbilder sind im Schnittufer – quasi ganz schnell, damit der verbleibende Trägerteil „nicht merkt“, dass der andere Trägerteil weggeschnitten wurde – die Schnittgrößen N, Q und M einzutragen. Wie wir das bei der Berechnung von Gelenksystemen schon kennengelernt haben, wirkt dann jede Schnittgröße sowohl auf das linke als auch auf das rechte Freikörperbild, und zwar in gleicher Größe aber entgegengesetzter Richtung. Das ist letztlich das Gleiche wie bei einem durch ausströmende Luft davondüsenden Luftballon. Der Luftballon lässt die Luft nach hinten ausströmen und wird dadurch nach vorne getrieben. Bezüglich der Vorzeichenkonvention richten wir uns stur nach der in Abb. 3.2 gezeigten. An welchem der beiden Freikörperbilder wir dann die Schnittgrößen ausrechnen, ist gleichgültig, denn aus beiden folgen dieselben Schnittgrößenverläufe. Achtung Es lohnt sich immer, vor dem Losrechnen in Ruhe zu überlegen, welches der beiden Freikörperbilder das einfachere ist und dann nur dieses zu zeichnen, um  daran die Schnittgrößen zu berechnen. Damit hätten wir bereits die allerwichtigsten Grundlagen besprochen. Das Weitere wird an einem Beispiel deutlich.

Qy y

Die grafische Darstellung veranschaulicht die Lage der höchstbeanspruchten Querschnitte

N My Qz

MT x

Mz z

Abb. 3.1 Innere Kräfte und Momente in einem dreidimensional belasteten Balken

In der Regel begrenzen diejenigen Stellen im Träger, an denen die Schnittgrößen Extremwerte annehmen, die Tragfähigkeit des Trägers. Am besten lassen sich diese Stellen erkennen, wenn die berechneten Verläufe der Schnittgrößen grafisch dargestellt werden. Hierfür werden wie bei einer Landkarte Maßstäbe benötigt. Diese legen fest, in welcher Größe die tatsächlichen Abmessungen des Trägers (Längenmaßstab mL ), die inneren Kräfte

Schnittgrößen in ebenen geraden Balken

Beispiel: Berechnung der Schnittgrößen in einem Sprungbrett Für das schon in Kap. 2 betrachtete Einmeter-Sprungbrett sollen die inneren Kräfte und Momente berechnet werden. Problemanalyse und Strategie: Zunächst müssen wir als Voraufgabe die Lagerreaktionen ermitteln, dann folgen die Schnittgrößen. Für die Schnittgrößenberechnung werden wir jeweils das Freikörperbild auswählen (positives vs. negatives Schnittufer), das die einfacheren Gleichgewichtsbedingungen nachsichzieht.

600 N MI

MI

NI

NI

900 N

QI

QI

1500 N

x

3m–x

2m

Wir erhalten folgende Gleichgewichtsbedingungen und Ergebnisse:

→ ∑ Fix = NI (x) = 0 ,

900 N

↑ ∑ Fiy = −600 N − QI (x) = 0

=⇒ QI (x) = −600 N ,

B

A 3m

=⇒ MI (x) = −600 N · x .

x

Lösung: Als erstes berechnen wir die Lagerreaktionen, was Ihnen jetzt nicht mehr schwerfallen sollte. (Sonst sollten Sie Kap. 2 wiederholen, denn der Stoff muss sitzen, wenn es an die Schnittgrößen geht.) Wir erhalten Ax = 0 ,

Ay = −600 N und

 ∑ M(Schnittufer) = MI (x) + 600 N · x = 0 i

2m

Für den Bereich II ist das rechte Freikörperbild das einfachere. 600 N MII

By = 1500 N .

Nun folgt der Schnitt an irgendeiner Stelle x im Träger. Mit einem einzigen Schnitt ist es dabei allerdings nicht getan. Schneiden wir links des Lagers B, so ergibt sich ein anderes Freikörperbild als bei einem Schnitt rechts des Lagers B. Man kann das im Vergleich der Freikörperbilder leicht erkennen. Beim Freischnitt links des Lagers B taucht die Lagerkraft By im rechtsseitigen Freikörperbild auf, bei einem Freischnitt rechts des Lagers B dagegen im linksseitigen Freikörperbild. Wir haben es also mit zwei Bereichen zu tun. Da unterschiedliche Freikörperbilder unterschiedliche Ergebnisse zur Folge haben, sind die Schnittgrößen für beide Bereiche separat auszurechnen. Für den Bereich I (in der folgenden Abbildung sind zum besseren Verständnis das linke wie das rechte Freikörperbild eingezeichnet) ist das linke Freikörperbild das einfachere, sodass wir die Gleichgewichtsbedingungen auf dieses aufbauen werden.

NII

QII

900 N

NII

QII

1500 N 3m

MII

x–3m

5m–x

x

Wir erhalten

→ ∑ Fix = −NII (x) = 0 ,

↑ ∑ Fiy = QII (x) − 900 N = 0

=⇒ QII (x) = 900 N ,

 ∑ M(Schnittufer) = i

− MII (x) − 900 N · (5 m − x) = 0 =⇒ MII (x) = −900 N · (5 m − x) . Mit diesen Ergebnissen kennen wir nun die Verläufe der Schnittgrößen im gesamten Träger.

61

Technische Mechanik

3.1

62

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern F (N)

Technische Mechanik

der Querkraftverlauf am Lager B einen Sprung aufweist (von −600 N auf +900 N), der genau der dort in den Träger eingeleiteten Lagerreaktion (By = 1500 N) entspricht.

M (Nm)

900

1200

600

800

300

400

0

QII(x)

1

–300

–400

–600

–800

–900

–1200 –1600

2 QI(x)

3

4

5 x (m) MII(x)

MI(x)

Von Streckenlasten spricht man, wenn eine Kraft auf eine Strecke verteilt angreift

1 cm

–2000

Abb. 3.3 Verlauf der Schnittgrößen im Träger

(Kräftemaßstab mF ) und die inneren Momente (Momentenmaßstab mM ) zu Papier gebracht werden. Nehmen wir als Beispiel das Sprungbretts in der Beispielbox Berechnung der Schnittgrößen in einem Sprungbrett , und wählen wir als Maßstäbe: für mL : 2 cm=  1 m, (bzw. mL = 21cm m ), 1 cm für mF : 1 cm=  300 N, (bzw. mF = 300 N ) und 1 cm für mM : 1 cm=  400 N m, (bzw. mM = 400 N m ). Zuerst zeichnen wir das Achsenkreuz. Bei dem vorgegebenen Längenmaßstab werden aus dem 5 m langen Sprungbrett 10 cm auf der x-Achse. Auf der Ordinate (y-Achse) tragen wir zwei Skalen auf: eine für die Kraftverläufe (N- und Q-Linien) und eine für den Momentenverlauf. Jetzt können wir die berechneten Ergebnisse für N (x), Q(x) und M(x) einzeichnen, und zwar die Ergebnisse für den Bereich I im Intervall 0 ≤ x < 3 m und die Ergebnisse für den Bereich II im Intervall 3 m ≤ x < 5 m. Lineare Funktionen zeichnen wir schnell und fehlerfrei, indem wir zunächst die Funktionswerte am linken und rechten Bereichsrand einzeichnen und diese dann mit einer Geraden verbinden. Beispiel MII (x): Wir berechnen als Funktionswerte an den Bereichsrändern MII (3 m) = −1800 Nm und MII (5 m) = 0 Nm, zeichnen beide Funktionswerte ein und verbinden sie. Für quadratische und kubische Funktionen (welche für Träger unter Streckenlasten auftreten können) berechnen wir zu den Funktionswerten an den Bereichsrändern noch zwei bis drei Funktionswerte im Innern des Bereichs und legen dann mit gesundem Menschenverstand eine Kurve durch diese Punkte. Die Kurvenverläufe (Abb. 3.3) zeigen, dass das Sprungbrett am Lager B die größte Beanspruchung erfährt (Maximum der Momentenlinie) und

Von Streckenlasten spricht man, wenn ein Tragwerk durch linienförmig verteilte Lasten belastet wird. Streckenlasten haben die Einheit Kraft pro Länge, also z. B. N/m. Frage 3.1 Nennen Sie Beispiele für Streckenlasten.

Streckenlasten selbst sind noch keine Kräfte, ihre Einheit ist ja auch nicht das Newton, sondern z. B. Newton pro Meter. Aber aus Streckenlasten werden Kräfte, wenn sie entlang der Strecke, auf der sie wirken, integriert werden. Hierzu ein einfaches Beispiel: Beispiel

q0

l x, x

Abb. 3.4 Gesucht sind die Lagerreaktionen und Schnittgrößenverläufe im Kragträger

Ein Kragträger wird wie in Abb. 3.4 skizziert durch eine konstante Streckenlast belastet. Zu berechnen sind die Lagerreaktionen sowie die Schnittgrößenverläufe N (x), Q(x) und M(x). Zunächst zu den Lagerreaktionen (Abb. 3.5):

MA

q0

Ax x Ay

dx l

Abb. 3.5 Freikörperbild zur Ermittlung der Lagerreaktionen

3.1

∑

q0 dx = 0

0

=⇒ Ay = q0 · l . Am Kräftegleichgewicht in y-Richtung erkennen wir, dass die Wirkung der Streckenlast – das Integral von 0 bis l über q0 – genau der Rechteckfläche entspricht, mit der die Streckenlast im Freikörperbild grafisch dargestellt ist, nämlich einem Rechteck der Breite l und der Höhe q0 . Man könnte hier also die Streckenlast durch eine Ersatzkraft der Größe q0 · l ersetzen. Zunächst aber zum Momentengleichgewicht. Dieses lautet (A )

 ∑ Mi

= MA −

l

q0 · x dx = 0

0

=⇒ MA = q0

l

x dx =

0

1 2 l q0 l = q0 l · . 2 2

Hier erkennen wir nun, dass die Wirkung der Streckenlast auf das Einspannmoment der im Kräftegleichgewicht in y-Richtung identifizierten Ersatzkraft q0 · l mal einem vom Schnittufer bis zur Mitte der Streckenlast (d. h. bis zum Schwerpunkt des die Streckenlast darstellenden Rechtecks) gehenden Hebelarms entspricht. Nun zur Berechnung der Schnittgrößen: Wir schneiden an einer beliebigen Stelle x durch den Träger und tragen in den Schnittufern jeweils die Schnittgrößen an. Das einfachere der beiden Freikörperbilder ist das rechte, da in diesem keine Lagerreaktionen auftreten, weshalb wir dieses zur Schnittgrößenberechnung heranziehen (Abb. 3.6).

M

Q

q0

N x x

l

M(SU) i

= −M (x ) −

1 l−x . =⇒ M(x) = − q0 (l − x)2 = −q0 (l − x) · 2 2 Auch bei den Schnittgrößen zeigt sich also, dass man die Streckenlast durch eine Kraft ersetzen kann, die die Größe des die Streckenlast im Freikörperbild darstellenden Rechtecks hat und die im Schwerpunkt eben dieses Recht ecks angreift.

Die Verwendung derartiger Ersatzkräfte ist im Allgemeinen ausgesprochen vorteilhaft, denn man spart sich dadurch die Integration der Streckenlast. Auch ohne einen allgemeinen Beweis halten wir fest, dass eine Streckenlast stets durch eine Ersatzkraft FErs ersetzt werden kann, die die Größe der im Freikörperbild eingezeichneten „Lastfläche“ hat und im Schwerpunkt eben dieser Lastfläche angreift. Es ergibt sich somit für konstante Streckenlasten die Ersatzkraft FErs = q0 · l , die in der Mitte der Streckenlast angreift, und für dreieckförmige Streckenlasten die Ersatzkraft FErs =

Mit diesen Ersatzkräften lassen sich Lagerreaktionen und Schnittgrößen sehr viel einfacher berechnen als über die Integration. Aber aufpassen! Bei der Berechnung der Schnittgrößen dürfen die Merkregeln für Größe und Position der Ersatzkräfte nicht ohne Nachdenken angewendet werden. Im folgenden Beispiel wird klar warum.

FErs = 1 qmax ∙ l 2

Beim Integrieren der Streckenlast verwenden wir x als die Stelle des Freischnitts und x als Integrationsvariable zwischen x und dem Trägerende. Damit erhalten wir als Gleichgewichtsbedingungen und Ergebnisse:

l x= x

q0 dx = 0

1 qmax · l , 2

die im Schwerpunkt des Dreiecks angreift, also auf 1/3Position zur Seite von qmax hin (Abb. 3.7).

FErs = q0 ∙ l

↑ ∑ Fiy = Q(x) −

q0 (x − x) dx = 0

x= x

Abb. 3.6 Freikörperbild zur Ermittlung der Schnittgrößen durch Integration der Streckenlast

→ ∑ Fix = −N (x) = 0 ,

l

qmax

q0

l 2

l 2

2 l 3

l 3

Abb. 3.7 Größe und Position der Ersatzkräfte für konstante und dreieckförmige Streckenlast

Technische Mechanik

→ ∑ Fix = A(x) = 0 , ↑ ∑ Fiy = Ay −

63

=⇒ Q(x) = q0 (l − x) ,

Die beiden Kräftegleichgewichte lauten

l

Schnittgrößen in ebenen geraden Balken

64

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

Beispiel: Schnittgrößenberechnung in einem Träger unter Streckenbelastung Ein in Fest- und Loslagerung gelagerter Balken wird durch eine dreieckförmige Streckenlast belastet. Gesucht sind die Lagerreaktionen und der Verlauf der Schnittgrößen.

Stelle x geschnitten, und die Schnittgrößen N (x), Q(x) und M(x) angesetzt. q(x) M(x)

Problemanalyse und Strategie: Wir berechnen erst die Lagerreaktionen, dann die Schnittgrößen. Bei der Schnittgrößenberechnung – dem schwierigeren Teil – werden wir besonderes Augenmerk darauf legen, dass die Ersatzkraft in richtiger Größe und an der richtigen Position angesetzt wird und dabei auch auf die Fehler eingehen, die dabei am häufigsten gemacht werden.

qmax

N(x) x 1 q ∙l 6 max

Bis hierhin stimmt noch alles. Wer nun aber die Streckenlast ohne weiteres Nachdenken durch FErs = 1/2 qmax l auf l/3-Position ersetzt, macht es leider falsch. So sähe dann das fehlerhafte Freikörperbild aus:

B

A

Q(x)

FErs = 1 qmax ∙ l 2 M(x)

l x

N(x)

2 l 3

Lösung: Lagerreaktionen Wir schneiden an den Lagern frei, ersetzen die Streckenlast durch eine Ersatzkraft der Größe FErs = 12 qmax · l auf l/3-Position und erhalten somit das folgende Freikörperbild: FErs = 1 qmax ∙ l 2 Ax Ay

1 3

2 l 3

By

Ay =

1 qmax l und 6

By =

x

Dieses Freikörperbild ist gleich mehrfach fehlerhaft. Grund hierfür ist, dass man nicht stur FErs = 1/2 qmax l ansetzen darf, sondern man muss statt qmax den tatsächlich im Freikörperbild auftretenden Maximalwert der Streckenlast und statt l die tatsächlich im Freikörperbild auftretende Länge, auf der die Streckenlast wirkt, ansetzen. Wir verwenden also für die Ersatzkraft

Das Ansetzen der drei Gleichgewichtsbedingungen (Momentengleichgewicht immer zuerst, ein geeigneter Bezugspunkt ist z. B. das Lager A) führt zu den Ergebnissen Ax = 0 ,

Q(x)

1 qmax l . 3

Schnittgrößen Hier kann man sich beim Ansetzen der Ersatzkraft sehr leicht vertun. Damit Ihnen das nicht passiert, sehen wir uns erstmal die falsche Rechnung mit den am häufigsten gemachten Fehlern an, analysieren diese und machen es dann richtig. Das Freikörperbild erstellen wir in zwei Schritten: erst das eigentliche Freischneiden, dann das Ersetzen der Streckenlast durch die Ersatzkraft. Beim eigentlichen Freischneiden werden die Lager durch die bekannten Lagerreaktionen ersetzt, der Balken an einer beliebigen

q(x) anstelle von qmax und x anstelle von l. Und schließlich ist FErs natürlich an der Stelle x/3 und nicht an der Stelle l/3 einzuzeichnen. Für q(x) gilt der funktionale Zusammenhang q(x) = qmax x/l, mit welchem wir nun das folgende, jetzt absolut fehlerfreie Freikörperbild erhalten: 2 FErs = 1 q(x) · x = 1 qmax x 2 2 l

M 2 x 3 1 q ∙l 6 max

1 x 3

N Q

3.2

→ ∑ Fix = N (x) = 0 , 1 1 x2 ↑ ∑ Fiy = qmax l − qmax − Q(x) = 0 6 2 l

q(x) Q(x) M(x) + dM

M(x)

x

dx

l 1 x2  . − qmax 2 3 l 1 1 x2 x  ∑ M(SU) = − qmax lx + qmax · + M(x) = 0 i 6 2 l 3  1 x3  . =⇒ M(x) = qmax l x − 6 l

=⇒ Q(x) =

der Zusammenhang zwischen M(x) und Q(x) nach wie vor. Der Zusammenhang zwischen Q(x) und q(x) gilt allerdings nur noch für die zum Balken senkrechte Komponente der Streckenlast. Ein Beispiel für eine derartige Streckenlast ist der windschiefe Pfosten von Aufgabe 3.7.

Q(x) + dQ

Wir merken uns:

Abb. 3.8 Zum Zusammenhang zwischen M (x ), Q (x ) und q (x )

Zusammenhang zwischen M (x ), Q (x ) und q (x )

Zwischen M , Q und q bestehen einfache differenzielle Zusammenhänge Fällt Ihnen an den Ergebnissen des letzten Beispiels etwas auf? M(x) abgeleitet ergibt Q(x), und Q(x) abgeleitet ergibt −q(x). Man kann leicht zeigen, dass dies kein Zufall ist, sondern ein allgemeingültiger Zusammenhang (Abb. 3.8). Betrachten wir hierzu ein sehr kleines, freigeschnittenes Balkenelement unter einer Streckenlast q(x). Im linken Schnittufer wirken die Schnittgrößen Q(x) und M(x); bis zum rechten Schnittufer haben sich die Schnittgrößen ein ganz klein wenig geändert und liegen nun bei Q(x) + dQ und M(x) + dM. Aus dem vertikalen Kräftegleichgewicht ergibt sich

↑ ∑ Fiy = Q(x) − q(x)dx − (Q(x) + dQ(x)) = 0

=⇒

dQ(x) = −q (x ) . dx

Das Momentengleichgewicht lautet SU)  ∑ M(rechtes i

= −Q(x)dx − M(x) + q(x)dx ·

dx + M(x) + dM(x) = 0 . 2

Hierin ist der Term q(x)dx2 /2 klein von höherer Ordnung. Weil nämlich dx an sich schon sehr klein ist, ist dx2 noch viel kleiner und darf vernachlässigt werden. Wir erhalten somit dM(x) = Q (x ) . dx Diese Herleitung bezog sich auf lotrechte Streckenlasten. Wirkt die Streckenlast schief zum Balken, dann gilt

65

Unter zum Träger lotrechten Streckenlasten gelten die Zusammenhänge dM(x) = Q(x) und dx

dQ(x) = −q (x ) . dx

Aus diesen Beziehungen folgt, dass Q(x) relative Extremwerte annimmt, wo q(x) = 0 ist, und M(x) relative Extremwerte annimmt, wo Q(x) = 0 ist.

3.2

Rahmen und Bögen

Träger mit einem Knick nennt man Rahmen, solche mit gekrümmten Mittellinien Bögen. Für Rahmen und Bögen gelten bei der Schnittgrößenberechnung im Wesentlichen alle Gesetzmäßigkeiten, die wir schon von geraden Trägern kennen. Lediglich auf ein paar Besonderheiten muss man achten, auf die wir im Folgenden eingehen werden. Bei Rahmen liegen an den Knicken Bereichsgrenzen vor. Des Weiteren weisen die Normal- und Querkraftlinie an einem Knick im Allgemeinen Sprünge auf, auch wenn am Knick keine Kraft in den Träger eingeleitet wird. Am folgenden Beispiel sei dies illustriert:

Beispiel Für den in Abb. 3.9 gezeigten Rahmen sind die Schnittgrößenverläufe N (s), Q(s) und M(s) zu berechnen.

Technische Mechanik

Stimmt das Freikörperbild, ist das Berechnen der Schnittgrößen ein Leichtes:

Rahmen und Bögen

66

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

Beispiel: Schnittgrößenverläufe auf die Schnelle zeichnen Man kann Schnittgrößenverläufe zeichnen, ohne sie vorher berechnet zu haben. Problemanalyse und Strategie: Eine Funktion zeichnen, die man gar nicht kennt, das – so denkt sicher jeder – kann doch gar nicht gehen. Bei den Schnittgrößenverläufen geht es aber doch. Diese lassen sich nämlich zeichnen, ohne dass man sie explizit berechnen muss. Lediglich die Lagerreaktionen muss man berechnen, die Schnittgrößenverläufe selber aber nicht. Wir zeigen anhand eines Beispiels, wie das geht. Lösung: Zuerst müssen die Lagerreaktionen berechnet werden. Danach zeichnen wir zunächst den Verlauf von Q(x). Hierzu beginnen wir an der Stelle x = 0 (also in der Regel am linken Trägerende). Hier ist Q(0) entweder gleich der an der Stelle x = 0 eingeleiteten vertikalen Lagerreaktion oder vertikalen äußeren Punktlast (wenn hier ein Lager mit einer vertikalen Lagerreaktion vorliegt oder eine vertikale Punktlast angreift) oder gleich null, wenn die Stelle x = 0 ein freies, nicht durch eine vertikale Punktlast belastetes Balkenende ist. Von diesem Startwert aus gehen wir nun in positive xRichtung los. Dabei verändert sich der Betrag von Q(x) an Stellen, an denen eine vertikale Punktlast eingeleitet wird (sei es durch ein Lager oder eine äußere Kraft), um eben diese Kraft und in Bereichen, in denen eine vertikale Strecken last q(x) eingeleitet wird, gemäß Q(x) = − q(x)dx.

Lager oder ein äußeres Moment), um eben dieses Moment und in Bereichen, in denen die

Querkraft Q(x) ungleich null ist, gemäß M(x) = Q(x)dx. Betrachten wir als Beispiel den folgenden Träger: q0 = 20 kN/m F = 60 kN

B

A 2m

1m

1m

x

Als Lagerreaktionen berechnen wir Ax = 0, Ay = 90 kN und By = 10 kN. Nun beginnen wir mit dem Startwert der Querkraftlinie. An der Stelle x = 0 beträgt die Querkraft Q(0) = 0, da hier keine vertikale Punktlast eingeleitet wird. Mit zunehmendem x wird über die folgenden 2 m die Streckenlast q0 = 20 kN/m in den Träger eingeleitet,

sodass der Betrag der Querkraft gemäß Q(x) = − q(x)dx wächst und diese unmittelbar vor dem Lager A den Wert Q(2 m) = −20 kN/m · 2 m = −40 kN annimmt. Am Lager A wird nun die vertikale Reaktionskraft Ay = 90 kN eingeleitet, sodass die Querkraftlinie von −40 kN auf +50 kN springt. Durch die Krafteinleitung von −60 kN springt die Querkraftlinie an der Stelle x = 3 m erneut, und zwar von +50 kN auf −10 kN. Schließlich bringt die Lagerreaktion By = 10 kN die Querkraftlinie am Trägerende wieder auf null. Damit haben wir die folgende Querkraftlinie erhalten: Q(x) (kN)

Wenn wir auf diese Weise die Querkraftlinie gezeichnet haben, kommt die Momentenlinie. Auch hier beginnen wir an der Stelle x = 0. Hier ist M(0) entweder gleich dem an der Stelle x = 0 eingeleiteten Moment (sei es durch ein Lager, das ein Reaktionsmoment ausübt, oder ein äußeres Moment) oder gleich null, wenn die Stelle x = 0 ein freies, nicht durch ein Moment belastetes Balkenende ist. Wie zuvor geht es von diesem Startwert in positive xRichtung los. Der Betrag von M(x) verändert sich an Stellen, an denen ein Biegemoment in den Träger eingeleitet wird (sei es durch ein entsprechendes

50

0 –10

1

2

3

4 x (m)

–40

Nun zur Momentenlinie: Diese beginnt der Stelle x = 0 mit M(0) = 0, da hier kein Biegemoment in den Träger eingeleitet wird. Als Stammfunktion der Querkraftlinie ändert sich die Momentenlinie nun immer um die Fläche unter der Querkraftlinie. Das bedeutet, dass M(x)

3.2

Das entspricht das dem folgenden grafischen Verlauf: M(x) (kNm) 10 0 1

3

2

4 x (m)

–40

Und im Bereich II (Abb. 3.11) gilt

II

s

→ ∑ Fix = −NII (s) = 0 F

=⇒

↑ ∑ Fiy = QII (s) − F = 0

NII (s) = 0 ,

=⇒

QII (s) = F ,

 ∑ M(SU) = −F · (h + b − s) − MII (s) = 0 i

b h

=⇒ MII (s) = F · (s − h − b) . I s MII

QII

NII

Abb. 3.9 Gesucht sind die Schnittgrößenverläufe im Rahmen h+b–s

Im Bereich I erhalten wir als Freikörperbild (Abb. 3.10) und Ergebnisse:

→ ∑ Fix = −QI (s) = 0

=⇒ QI (s) = 0 ,

↑ ∑ Fiy = −NI (s) − F = 0

=⇒ NI (s) = −F ,

 ∑ M(SU) = − F · b − MI ( s ) = 0 i

=⇒ MI (s) = −F · b .

F b

F

Abb. 3.11 Freikörperbild für den Bereich II

Es erfahren also die Normal- und Querkraftlinie am Knick einen Sprung, während die Momentenlinie stetig verläuft. Des Weiteren können wir erkennen, dass die differenziellen Beziehungen zwischen M(s), Q(s) und q(s) Gültigkeit  besitzen. Bei Bögen ist es vielfach geschickt, die Schnittgröße in Abhängigkeit des Polarwinkels ϕ zu beschreiben, und es ist praktisch immer vorteilhaft, die Kräftegleichgewichte nicht in die globalen x- und y-Richtungen, sondern ein die lokalen Richtungen von Normal- und Querkraft auszuwerten. Hierzu das folgende Beispiel: Beispiel Für den dargestellten in Abb. 3.12 dargestellten Viertelkreisbogen sind die Schnittgrößenverläufe N ( ϕ), Q( ϕ) und M( ϕ) zu berechnen.

QI MI NI

Abb. 3.10 Freikörperbild für den Bereich I

67

Technische Mechanik

für x ≤ 2 m einer quadratischen Funktion folgt – und zwar wegen Q(0) = 0 erst mit waagerechter und danach immer steiler abfallender Tangente – und an der Stelle x = 2 m den Wert −40 kN m annimmt (die dreieckförmige Fläche über der Querkraftlinie im Intervall 0 ≤ x ≤ 2 m), für 2 m ≤ x ≤ 3 m aufgrund der hier konstanten Querkraft einer linearen Funktion folgt und an der Stelle x = 3 m den Wert −40 kN m + 50 kN · 1 m = 10 kN m annimmt, für 3 m ≤ x ≤ 4 m wieder auf 10 kN m − 10 kN · 1 m = 0 kN m zurückfällt.

Rahmen und Bögen

Als Freikörperbild erhalten wir Abb. 3.13. Die Kräftegleichgewichte werten wir wie oben empfohlen in die Richtungen von Normal- und Querkraft aus:

68

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

Übersicht: Tipps und Tricks Die folgenden Tipps machen das Berechnen von Schnittgrößen leichter. Zum Freikörperbild: Entscheiden Sie bewusst und in Ruhe, ob Sie die Berechnung der Schnittgrößen am positiven oder negativen Schnittufer vornehmen wollen. Die Wahl des einfacheren Freikörperbildes kann viel Zeit ersparen. Bereichsgrenzen existieren überall da, wo sich die Freikörperbilder bei einem Schnitt dies- bzw. jenseits der Grenze unterscheiden. Dies ist z. B. an Lagern, Punktlasten, am Anfang oder Ende einer Streckenlast oder an scharfen Knicken im Träger der Fall. Die Laufkoordinate x (o. ä.) hat in allen Bereichen denselben Ursprung; sie beginnt an den Bereichsgrenzen nicht erneut. Die häufig gemachten Fehler bei Größe und Position der Ersatzkraft lassen sich oft dadurch vermeiden, dass der Verlauf der Streckenlast im Freikörperbild durch eine dünne gestrichelte Linie angedeutet wird. Zur Berechnung: Bei der Bestimmung des Schnittmoments gibt es für das Momentengleichgewicht genau einen sinn-

vollen Bezugspunkt: das Schnittufer. Nur hier verschwinden die Hebelarme von Normal- und Querkraft. Passen Sie auf, wenn Sie beim Ansetzen der Ersatzkräfte die Merkregeln FErs = q0 l für konstante und FErs = 1/2qmax l für dreieckförmige Streckenlasten verwenden. Bei der Schnittgrößenberechnung ist statt der gesamten Balkenlänge die tatsächlich im Freikörperbild auftretende Balkenlänge und statt qmax der tatsächlich im Freikörperbild auftretende Maximalwert der Streckenlast zu verwenden.

Zu den Ergebnissen: Schnittgrößenverläufe können an Lagern sowie punktförmig eingeleiteten Kräften oder Momenten Sprünge aufweisen. Wird (a) eine Kraft längs des Trägers, (b) eine Kraft quer zum Träger oder (c) ein Moment eingeleitet, so ändern sich (a) der Normalkraftverlauf, (b) der Querkraftverlauf und (c) der Momentenverlauf um die eingeleitete Kraft bzw. das eingeleitete Moment. Kontrollieren Sie Ihre Ergebnisse. Diese können nur stimmen, wenn die Zusammenhänge dM(x)/dx = Q(x) (gilt immer) und dQ(x)/dx = −q(x) (gilt nur für lotrechte Streckenlasten) erfüllt sind.

=⇒ M( ϕ) = −F · R cos ϕ . F φ Q

F

M φ

R N 90° – φ

Abb. 3.12 Gesucht sind die Schnittgrößenverläufe im Viertelkreisbogen

∑ FiN = N ( ϕ) + F cos ϕ = 0

Abb. 3.13 Freikörperbild zur Ermittlung der Schnittgrößen

=⇒ N ( ϕ) = −F cos ϕ ,

∑ FiQ = Q( ϕ) − F sin ϕ = 0

=⇒ Q( ϕ) = F sin ϕ ,

∑ Mi

(SU)

= −M( ϕ) − F · R cos ϕ = 0

Die differenziellen Beziehungen zwischen M(x), Q(x) und q(x) lassen sich hier nicht ohne weiteres anwenden, da sie nur für Längenkoordinaten (z. B. x, y oder s) gelten,  nicht aber für die Winkelkoordinate ϕ.

Rahmen und Bögen

Leitbeispiel Antriebsstrang Wie ändern sich Drehzahl, Drehmoment und Leistung in einem Getriebe?

Jeder Autofahrer kennt das: Wenn der Wagen nicht mehr richtig zieht, muss man runterschalten. Dann zieht der Wagen wieder besser, aber der Motor wird lauter, weil er schneller dreht. Ein guter Grund, sich zu überlegen, wie Drehzahl, Drehmoment und Leistung von der Getriebeübersetzung abhängen (siehe auch Abschn. 27.4). Sehen wir uns hierfür ein einfaches Getriebe an, wie es durch die beiden abgebildeten Zahnräder angedeutet ist. Angenommen, das linke Zahnrad habe die Zähnezahl z1 und werde mit der Leistung P1 bzw. dem Drehmoment MT1 angetrieben, und es drehe sich mit der Drehzahl n1 . Wenn dieses Zahnrad nun das rechts abgebildete Zahnrad 2 mit der Zähnezahl z2 antreibt: Wie groß sind Drehzahl, Drehmoment und Leistung am Zahnrad 2?

Mit dem Drehmoment ist die Umfangskraft gemäß MT = FT ·

d 2

verknüpft, wobei d der Teilkreisdurchmesser des betrachteten Zahnrades ist. Es gilt also MT2 = FT

d2 d z = 2 MT1 = 2 MT1 . 2 d1 z1

Für die Leistung P setzen wir den aus der Experimentalphysik bekannten Zusammenhang P = MT · ω = MT · 2πn – wobei ω die Winkelgeschwindigkeit ist – in obige Gleichung ein und erhalten z P P2 = 2 1 =⇒ P2 = P1 . 2πn2 z1 2πn1 Wir merken uns: In einem Getriebe ändert sich das Drehmoment entsprechend der Übersetzung des Getriebes; die Leistungen an An- und Abtriebswelle ändern sich (bei Vernachlässigung von Verlusten durch den Wirkungsgrad) nicht. Frage 3.2 Weshalb werden bei Fahrrädern mit Nabenschaltung die Schaltnaben oft mit einem Haltearm am Rahmen abgestützt?

Für die Änderung der Drehzahl gilt der offenkundige Zusammenhang n1 z = 2 . n2 z1 Beispiel: Hat das Zahnrad 1 z1 = 15 Zähne und das Zahnrad 2 z2 = 30 Zähne, so muss sich das Zahnrad 1 zweimal drehen, um eine einzige Drehung des Zahnrades 2 zu bewirken. Der Quotient n1 /n2 wird auch als Übersetzung i bezeichnet. Damit zu Drehmoment und Leistung: Aufgrund des 3. Newton’schen Axioms („actio est reactio“) sind die im Zahneingriff auf die Zahnräder 1 und 2 wirkenden Umfangs- oder Tangentialkräfte (entgegengesetzt) gleich groß: FT1 = FT2 .

69

Technische Mechanik

3.2

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

3.3

Räumliche Probleme

=⇒ QzI (s) = 50 N ,

∑ Mix

= −MTI (s) − 50 N · 140 mm = 0

∑ Miy

= −MyI (s) + 50 N · (30 mm − s) = 0

(SU)

=⇒ MTI (s) = −7000 Nmm = −7 N m , (SU)

=⇒ MyI (s) = 50 N · (30 mm − s) ,

∑ Miz

(SU)

= −MzI (s) = 0 .

Und für den Bereich II (Abb. 3.16):

Beispiel Mit einem Inbusschlüssel wird wie abgebildet mit der Kraft F = 50 N eine Schraube angezogen. Zu berechnen sind die Schnittgrößen im Inbusschlüssel.

50 N

My

0m m

Qz MT

14

0m

m

Mz

50 N

N Qy

14

30 mm – s

Abb. 3.16 Freikörperbild für den Bereich II des Inbusschlüssels

∑ Fix = NII = 0 , ∑ Fiy = −QyII (s) = 0 , ∑ Fiz = −QzII (s) + 50 N = 0

30 mm

Abb. 3.14 Inbusschlüssel

=⇒ QzII (s) = 50 N , Wir legen den Koordinatenursprung für die s-Achse in die Einspannung, und erhalten für den Bereich I das in Abb. 3.15 gezeigte Freikörperbild und folgende Werte für die Schnittgrößen.

∑ Mix = −MTII (s) = 0 , (SU) ∑ Miy = −MyII (s) + 50 N · (170 mm − s) = 0 (SU)

=⇒ MyII (s) = 50 N · (170 mm − s) ,

∑ Miz

(SU)

50 N

m

Mz

0m

Technische Mechanik

Kurz eingehen wollen wir auch auf die Schnittgrößenermittlung in räumlichen Problemen. Die Überlegungen der ebenen Schnittgrößenberechnung lassen sich auf den räumlichen Fall übertragen, wobei sich aber die Zahl der Schnittgrößen im Träger erhöht auf drei Kräfte (eine pro Koordinatenrichtung, also eine Normal- und zwei Querkräfte) und drei Momente (je eines um jede Koordinatenrichtung, wobei das Moment um die Trägerlängsachse als Torsionsmoment MT bezeichnet wird).

∑ Fix = −NI (s) = 0 , ∑ Fiy = −QyI (s) = 0 , ∑ Fiz = QzI (s) − 50 N = 0

Qz MT

My

N Qy

3.4

= −MzII (s) = 0 .



Fachwerke

14

70

30 mm – s

Abb. 3.15 Freikörperbild für den Bereich I des Inbusschlüssels

Fachwerke kennt jeder. Ob in Fachwerkhäusern, Baukränen, Brücken oder Strommasten, schon seit Alters her werden mit Fachwerken stabile und vergleichsweise leichte Strukturen gebaut. In der Technischen Mechanik werden bei der Behandlung von Fachwerken ein paar Idealisierungen vorgenommen,

3.4

71

b

Abb. 3.18 Beispiele statisch bestimmter Fachwerke

Abb. 3.17 Dreieckskonstruktionen sind in sich fest, Viereckskonstruktionen wackelig. Fachwerke bestehen deswegen vor allem aus Dreiecken

die die Berechnung wesentlich vereinfachen. Es wird angenommen, dass alle Knoten (die Verbindungsstellen der Stäbe) reibungsfreie Gelenke sind, äußere Kräfte nur in Knoten angreifen und alle Stäbe geradlinig verlaufen. In der Praxis sind diese Annahmen natürlich nicht immer streng erfüllt. Insbesondere werden Fachwerkstäbe nicht durch reibungsfreie Gelenke, sondern in aller Regel starr miteinander verbunden, etwa durch Nieten, Schweißen oder Verschrauben. Die durch die Idealisierung entstehenden Fehler sind aber für schlanke Fachwerkstäbe sehr klein. Aufgrund der Idealisierungen sind die Fachwerkstäbe aus mechanischer Sicht auch wirkliche Stäbe, d. h., sie können nur Zug- oder Druckkräfte übertragen, jedoch keine Querkräfte oder Momente. Stäbe, die Zugkräfte übertragen werden als Zugstäbe, solche die Druckkräfte übertragen als Druckstäbe und kraftfreie Stäbe schließlich als Nullstäbe bezeichnet.

Bei Fachwerken unterscheidet man zwischen innerer und äußerer statischer Bestimmtheit Äußere statische Bestimmtheit bezieht sich – so wie wir das bisher immer unter statischer Bestimmtheit verstanden haben – allein auf die Lagerung der Struktur. Ein Fachwerk ist dann äußerlich statisch bestimmt, wenn sich die Lagerreaktionen aus den Gleichgewichtsbedingungen der Statik bestimmen lassen. Es kommt also nicht darauf an, wie das Fachwerk im Inneren aufgebaut ist; wir dürfen uns das Fachwerk getrost als strukturlosen Starrkörper vorstellen, um wie gewohnt allein aus der Lagerung auf die statische Bestimmt- oder Unbestimmtheit zu schließen. Bei der inneren statischen Bestimmtheit geht es darum, ob ein Fachwerk in sich wackelig (das wäre innerlich statisch unterbestimmt), stabil und unverspannt (innerlich

statisch bestimmt) oder stabil, aber in sich verspannt (innerlich statisch überbestimmt) ist. Die Grundstruktur für innerlich statisch bestimmte Fachwerke ist das Dreieck, da dieses im Gegensatz zum Viereck nicht wackelig ist. Das in Abb. 3.17a skizzierte einfache Fachwerk besteht aus drei Knoten und drei Stäben. Erweitert man es um weitere Dreiecke – also jeweils um einen Knoten und zwei Stäbe – so erhalten wir größere Fachwerke, die gleichfalls innerlich statisch bestimmt sind (Abb. 3.18). Es ist leicht ersichtlich, dass die Bedingung für innerliche statische Bestimmtheit

2K − S = 3

lautet, wobei K die Zahl der Knoten und S die Zahl der Stäbe im Fachwerk ist. Obige Gleichung ist eine notwendige Bedingung für das Vorliegen innerer statischer Bestimmtheit eines Fachwerks.

Am effektivsten berechnet man Stabkräfte mit dem Ritterschnitt Stabkräfte sind Schnittgrößen und lassen sich durch Freischneiden ermitteln. Hierzu bieten sich zwei Vorgehensweisen an: Bei der Knotenpunktmethode werden alle Knoten freigeschnitten und dabei die an den Knoten angreifenden Stäbe durch die jeweiligen Stabkräfte und die Lager durch die jeweiligen Lagerkräfte ersetzt. Man erhält so für jeden freigeschnittenen Knoten ein Freikörperbild eines zentralen Kraftsystems und kann dann mit insgesamt 2 · N Kräftegleichgewichten, wobei N die Zahl aller Knoten ist, alle Stabkräfte und Lagerreaktionen bestimmen. Das geht ohne ein einziges Momentengleichgewicht, kann aber den Nachteil haben, dass dabei größere Systeme gekoppelter Gleichungen zu lösen sind. Um das Gleichungssystem zur Berechnung der Stabkräfte übersichtlich zu halten und möglichst wenig Unbekannte in einer Gleichung zu haben, bietet sich das Ritter’sche Schnittverfahren an. Dieses folgt dem üblichen roten Faden

Technische Mechanik

a

Fachwerke

72

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

Beispiel: Bestimmung der Stabkräfte in einer ebenen Fachwerkbrücke a  ∑ M(RPII) = −F − S2 a sin 60◦ = 0 i 2 F =⇒ S2 = − und 2 sin 60◦ ↑ ∑ Fiy = F + S3 sin 60◦ = 0 F =⇒ S3 = − . sin 60◦

Mithilfe geeigneter Ritterschnitte sind die Stabkräfte in der skizzierten, aus lauter gleichseitigen Dreiecken bestehenden Fachwerkbrücke zu bestimmen Problemanalyse und Strategie: Wir berechnen zunächst die Lagerreaktionen und anschließend die Stabkräfte. Hierbei müssen wir die Ritterschnitte so legen, dass genau drei Stäbe aber kein Knoten geschnitten werden.

2

a

10

6

F RP I

60°

A

Einen weiteren Ritterschnitt legen wir durch die Stäbe 4, 5 und 6, womit wir das folgende Freikörperbild erhalten:

B

3

1

5

7 8

4

F

9

60°

S6

11

S5 S4

60° a

RP II

a

Lösung: Die Berechnung der Lagerreaktionen ergibt Ax = 0, Ay = F und By = F. Den ersten Ritterschnitt legen wir durch die Stäbe 2, 3 und 4 und erhalten das folgende Freikörperbild, in das auch die beiden Ritterpunkte eingetragen sind: Ritterpunkt I im Schnittpunkt der Stabkräfte S2 und S3 und Ritterpunkt II im Schnittpunkt der Stabkräfte S3 und S4 . Einen dritten Ritterpunkt gibt es aufgrund der Parallelität der Stäbe 2 und 4 nicht. a S2 RP I 60°

F

S3

a

S4 RP II

Die Gleichgewichtsbedingungen lauten:

 ∑ M(RPI) = −F a + S4 a sin 60◦ = 0 i F =⇒ S4 = , sin 60◦ a  ∑ M(RPII) = −F · 1,5 a + F − S6 a sin 60◦ = 0 i 2 F =⇒ S6 = − und sin 60◦ ↑ ∑ Fiy = F − F − S5 sin 60◦ = 0 =⇒ S5 = 0 . Die Stabkraft S1 lässt sich nicht per Ritterschnitt bestimmen, da sich in der vorliegenden Fachwerkbrücke kein Freischnitt genau so führen lässt, dass der Stab 1 und genau zwei weitere Stäbe, die nicht mit dem Stab 1 an einem Knoten zusammenhängen, durchschnitten werden. An Lagern – hier ist es das Lager A – treten derartige Fälle regelmäßig auf.

Die Gleichgewichtsbedingungen lauten

 ∑ M(RPI) = −F a + S4 a sin 60◦ = 0 i F =⇒ S4 = , sin 60◦

F

60°

S2

S1

Wir bestimmen S1 daher mit einem Freischnitt um das Lager A und erhalten

↑ ∑ Fiy = F − S1 sin 60◦ = 0 F =⇒ S1 = . sin 60◦ In den Stäben 7 bis 11 herrschen schließlich dieselben Kräfte in den ihnen symmetrisch gegenüberliegenden Stäben der linken Brückenhälfte. Damit haben wir alle

der Schnittgrößenberechnung, es werden zuerst die Lagerreaktionen berechnet, dann die Schnittgrößen. Mit den zur Verfügung stehenden drei Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik können natürlich nicht beliebig viele Stabkräfte auf einmal berechnet werden, mehr als drei Stabkräfte sind pro Freischnitt nicht drin. Der Freischnitt wird deswegen durch genau drei Stäbe gelegt. Das Ansetzen der Gleichgewichtsbedingungen wird dann durch den Trick von August Ritter (1826 – 1908) – den Ritterschnitt – sehr vereinfacht. Dieser beruht darauf, dass man nicht stur zwei Kräfte- und ein Momentengleichgewicht ansetzen muss, denn drei Momentengleichgewichte tun es auch, sofern die drei Momentenbezugspunkte nicht auf einer geraden Linie liegen. Falls Sie’s nicht glauben: nehmen Sie sich irgendeine Übungsaufgabe der ebenen Statik vor und berechnen Sie Lagerreaktionen und/oder Schnittgrößen aus drei Momentengleichgewichten, das geht tatsächlich. Drei Momentengleichgewichte bedeuten, dass drei verschiedene Bezugspunkte auszuwählen sind. Am geschicktesten liegen diese jeweils in den Schnittpunkten der Wirkungslinien der unbekannten Stabkräfte; sie werden Ritterpunkte genannt. Die Vorgehensweise beim Ritterschnitt ist dann wie folgt: Als Voraufgabe: Bestimmen Sie die Lagerreaktionen. Schneiden Sie so durch das Fachwerk, dass genau drei Stäbe aber kein Knoten geschnitten wird. Die drei Stäbe dürfen nicht alle an einem Knoten hängen (weil es dann keine Ritterpunkte gäbe). Die sogenannten Ritterpunkte liegen in den Schnittpunkten der Wirkungslinien der gesuchten Stabkräfte. Im Allgemeinen ergeben sich drei Ritterpunkte. Nur wenn zwei der geschnittenen Stäbe parallel verlaufen, existieren lediglich zwei Ritterpunkte. Berechnen Sie aus den Momentengleichgewichten um die Ritterpunkte die Stabkräfte. Für den Fall, dass nur zwei Ritterpunkte existieren: Berechnen Sie die dritte Stabkraft aus einem geeigneten Kräftegleichgewicht. Dabei setzen wir in den Freikörperbildern alle Stabkräfte als Zugkräfte, also mit aus dem Schnittufer herausweisenden Kraftpfeilen an. Druckstäbe erkennen wir bei den

Fachwerke

Stabkräfte berechnet. Die Ergebnisse lauten zusammengefasst F F , S2 = S10 = − , ◦ sin 60 2 sin 60◦ F F , S4 = S8 = , S3 = S9 = − ◦ sin 60 sin 60◦ F . S5 = S7 = 0 und S6 = − sin 60◦

S1 = S11 =

Abb. 3.19 Nullstäbe (schraffiert eingezeichnet) lassen sich oft auch ohne Rechnerei erkennen

Ergebnissen daran, dass die in ihnen wirkenden Stabkräfte negativ sind.

Nullstäbe lassen sich oft auf Anhieb identifizieren Nullstäbe lassen sich vielfach auch ohne Rechnerei, quasi mit bloßem (aber natürlich fachlich geschultem) Auge erkennen. Ganz egal, wie die äußere Belastung des Fachwerks ist, liegen sie nämlich immer dann vor, wenn ein unbelasteter Knoten genau zwei Stäbe verbindet, die nicht in gleicher Richtung liegen, an einem unbelasteten Knoten genau drei Stäbe angreifen, von denen zwei in gleicher Richtung liegen, und an einem belasteten Knoten zwei Stäbe in verschiedene Richtungen sowie eine Kraft angreifen, und die Kraft in Richtung eines der beiden Stäbe wirkt. Diejenigen Stäbe, die aus Gründen des Kräftegleichgewichts in diesen Fällen dann Nullstäbe sein müssen, sind in Abb. 3.19 schraffiert eingezeichnet. Nullstäbe übertragen zwar keine Kräfte, das heißt aber nicht, dass sie nutzlos sind. So ist beispielsweise der mittlere senkrechte Stab der in Abb. 3.20 skizzierten Fachwerkbrücke ein Nullstab (unbelasteter Knoten an drei Stäben, von denen zwei in gleicher Richtung liegen). Gleichwohl ist dieser Stab wichtig für die innere statische Bestimmtheit des Fachwerks. Ohne ihn wäre das Fachwerk statisch unterbestimmt und damit wackelig.

73

Technische Mechanik

3.4

74

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern V(x) + dV(x)

Technische Mechanik

q(x)

S(x) + dS(x) H(x) + dH(x)

H(x)

a

V(x)

S(x) dx

x

Abb. 3.21 Kräfte in einem Seil unter senkrechter Streckenlast H(x)

b

dy dx

Abb. 3.20 Nullstäbe sind wichtig, auch wenn sie keine Kräfte übertragen. In innerlich statisch bestimmten Fachwerken (a) bewirkt der Wegfall eines Nullstabes nämlich statische Unterbestimmtheit (b)

3.5

Seilstatik

Seile haben wir bisher stets als straff gespannt betrachtet, und als Belastung hatten wir stets Kräfte in Seilrichtung angesetzt. Das ist sicher sehr oft, aber längst nicht immer der Fall. Die Tragseile einer Hängebrücke oder frei hängende Stromleitungen beispielsweise werden durch vertikale Streckenlasten belastet – bei der Hängebrücke vor allem durch das Gewicht der Fahrbahn, bei der Stromleitung durch das Eigengewicht der Leitung selbst. Unter derartigen Lasten sind Seile nicht mehr straff gespannt, sie hängen durch. Wir werden in diesem Kapitel untersuchen, welche Kräfte dann im Seil wirken und wie groß die Seildurchhänge sind.

Grundlegende Zusammenhänge Betrachten wir einen infinitesimal kleinen Abschnitt eines durch eine senkrechte Streckenlast q(x) belasteten Seils (Abb. 3.21). Im linken Schnittufer des Seilabschnitts wirkt die in Seilrichtung orientierte Schnittkraft S(x), welche aus der Horizontalkomponente H (x) und der Vertikalkomponente V (x) besteht. Bis zum rechten Schnittufer haben sich diese Kräfte unter Einwirkung der Streckenlast q(x) zu S(x) + dS(x), H (x) + dH (x) und V (x) + dV (x) geändert. Stellen wir die Kräftegleichgewichte auf. Sie lauten

→ ∑ Fix = −H (x) + H (x) + dH (x) = 0 und

↑ ∑ Fiy = −V (x) − q(x) dx + V (x) + dV (x) = 0 .

S(x)

V(x)

Abb. 3.22 Geometrischer Zusammenhang zwischen den Komponenten der Seilkraft und der Steigung der Seillinie

Wir teilen beide Gleichungen durch dx und erhalten aus dem Kräftegleichgewicht in x-Richtung dH (x) =0, dx woraus folgt, dass die Horizontalkomponente H (x) der Seilkraft konstant ist. Es gilt für die Horizontalkomponente des Seilkraft

In Seilen unter senkrechten Streckenlasten ist die Horizontalkomponente konstant. Sie wird als Horizontalzug H0 bezeichnet. H (x) = H0 = konstant .

Da die Seilkraft stets in Seilrichtung wirkt (Abb. 3.22), gilt zudem der geometrische Zusammenhang dy V (x ) . = H (x ) dx Wir setzen dies in das Kräftegleichgewicht in y-Richtung ein und erhalten mit der Konstanz des Horizontalzuges q ( x ) = H0

d2 y . dx2

Diese Gleichung ist die Differenzialgleichung der Seilkurve y(x) bei Belastung durch beliebige vertikale Streckenlasten q(x).

3.5

S(x ) =



cosh x

y 4 2

H02 + V (x)2 . –2

dy H (x ) V (x ) = dx

S ( x ) = H0

 1+

dy dx

2

x

–4

Abb. 3.23 Die Grafen von Sinus hyperbolicus und Kosinus hyperbolicus

.

Diese Gleichung besagt, dass die Seilkraft S(x) mit zunehmender Steigung der Seillinie y(x) zunimmt. Ihren Maximalwert erreicht S(x) deshalb an der Stelle der maximalen Steigung der Seillinie. Dieser liegt im höchsten Punkt der Seillinie. In der technischen Anwendung sind zwei Arten von Streckenlasten von besonderer Bedeutung. Die erste ist die Belastung durch eine in x-Richtung konstante Streckenlast, q(x) = q0 = konstant, wie es z. B. bei einer Hängebrücke der Fall ist, wenn das Fahrbahngewicht deutlich größer ist als das Gewicht von Tragseilen und Hängern. Die zweite wichtige Streckenlast ist die Belastung durch das Eigengewicht des Seils. In diesem Fall ist die Streckenlast nicht hinsichtlich der horizontalen Richtung, sondern „pro laufendem Meter Seil“ konstant, sodass q(s) = q0 = konstant gilt, wobei s die Bogenlänge entlang des Seils ist.

Bei einer Hängebrücke ist die Streckenlast bezogen auf die x -Richtung konstant Wir setzen in die Differenzialgleichung der Seilkurve q(x) = q0 ein, integrieren zweimal unbestimmt und erhalten für die Seillinie im Belastungsfall „Hängebrücke“

y (x ) =

2 –2

erhalten wir für die Seilkraft S(x) schließlich 

sinh x

1

Mit

q0 2 x + C1 x + C2 . 2 H0

Die Integrationskonstanten C1 und C2 sind aus den Randbedingungen zu ermitteln. Wie das vonstatten geht, sei am Beispiel der wohl bekanntesten Hängebrücke der Welt gezeigt, der Golden Gate Bridge am Eingang der San Francisco Bay in Kalifornien (vgl. Beispielbox Berechnung der Kräfte in den Tragseilen der Golden Gate Bridge).

Bei einer Freileitung ist die Streckenlast pro laufendem Meter Seil konstant Den Belastungsfall q(s) = konstant, wie er etwa bei einer frei hängenden Stromleitung auftritt, beginnen wir mit einem kurzen mathematischen Exkurs zu den hyperbolischen Winkelfunktionen, wir werden sie in diesem Kapitel gebrauchen. Sinus hyperbolicus (sinh) und Kosinus hyperbolicus (cosh) sind definiert als sinh(x) =

1 x e − e−x 2

und

cosh(x) =

1 x e + e−x . 2

Die Graphen beider Funktionen sind in Abb. 3.23 skizziert. Sinh(x) und cosh(x) weisen eine Reihe von Eigenschaften auf, die denen der „gewöhnlichen“ Sinus- und Kosinusfunktion ähneln, daher auch ihre Bezeichnungen. Die im Rahmen der Seilstatik wichtigsten Eigenschaften sind cosh2 x − sinh2 x = 1 , d sinh x = cosh x und dx d cosh x = sinh x . dx Des Weiteren werden wir auch die Ableitungen der Umkehrfunktionen, die sogenannten Areafunktionen, verwenden, dies sind 1 d arsinh x = √ 2 dx x +1 d 1 arcosh x = √ . dx x2 11

75

Technische Mechanik

Die gesamte Seilkraft ergibt sich aus der vektoriellen Addition von Horizontal- und Vertikalkomponente als

Seilstatik

und

Wir schneiden nun ein kleines Stückchen Seil der Bogenlänge ds frei, das entlang ds durch sein Eigengewicht dG belastet wird (Abb. 3.24).

76

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

Beispiel: Berechnung der Kräfte in den Tragseilen der Golden Gate Bridge . . . mal sehen, ob sie hält. Problemanalyse und Strategie: Die Kräfte und Spannungen in Tragseilen der Golden Gate Bridge lassen sich mit den bisher behandelten Zusammenhängen der Seilstatik berechnen. Zur richtigen Lösung der Aufgabe ist es sehr hilfreich, den Koordinatenursprung geschickt zu platzieren, sodass die Integrationskonstanten einfach berechnet werden können. Lösung:

außerhalb der Pylone stammt und erhalten so 56.000 t als Fahrbahnmasse zwischen den Pylonen. Zusammen mit der maximalen Nutzlast der Brücke von 553 kg/m ergibt sich pro Tragseil eine Streckenlast von q0 =

1  56.000 t t  m kN . + 0,553 · 9,81 2 = 217 2 1280 m m m s

Damit sind alle Daten zusammengestellt, und wir können sie schön übersichtlich in einer Skizze darstellen. Den Koordinatenursprung legen wir in Brückenmitte auf das Seil.

150 m y x kN q0 = 435 m 1280 m

Nun an’s Rechnen: In der zweifach integrierten Differenzialgleichung sind drei Unbekannte zu bestimmen – die des Horizontalzugs H0 und die Integrationskonstanten C1 und C2 . Hierzu benötigen wir drei Gleichungen, die wir in der Lage des Koordinatenursprungs, y(0) = 0, sowie den beiden Randbedingungen, y(−l/2) = 150 m und y(l/2) = 150 m, finden. Der offiziellen Website des Betreibers entnehmen wir die für unsere Berechnung relevanten Daten. An Abmessungen sind dies eine Spannweite von 1280 m, eine Pylonhöhe von jeweils 227 m über dem Meer, eine lichte Durchfahrtshöhe für die Schifffahrt von 67 m und eine Überbauhöhe (Höhe der Fahrbahn und der sie auf ihrer Unterseite stützenden Konstruktion) von 7,60 m.

Aus y(0) = 0 ergibt sich unmittelbar C2 = 0. Aus den beiden Randbedingungen erhalten wir q0 2 H0



q0 2 H0



l 2

2

− C1 ·

l = 150 m und 2

 2 l l + C1 · = 150 m , 2 2

wobei uns q0 = 217 kN m und l = 1280 m gegeben sind. Wir lösen nach C1 und H0 auf und erhalten

Aus den drei Abmessungen schließen wir, da die Tragseile in Brückenmitte bis sehr nahe an die Fahrbahn herunterhängen, auf einen Seildurchhang von ca. 150 m (= 227 m − 67 m − ca. 10 m). Die Belastung der Pylone durch die von ihnen zu tragenden Seilkräfte gibt der Brückenbetreiber mit 56.000 t pro Pylon an. Wir nehmen vereinfachend an, dass diese Last zu gleichen Teilen aus dem Brückengewicht zwischen den Pylonen und dem Brückengewicht

C1 = 0 H0 =

sowie

q0 l2 = 296.277 kN . 8 · 150 m

Die Gleichung der Seillinie lautet damit y (x ) =

217 kN q0 2 m x2 = 3,66 · 10−4 m−1 · x2 . x = 2 H0 2 · 296.277 kN

Die maximale Seilkraft tritt am höchsten Punkt des Tragseils auf, also an den beiden Pylonen und beträgt   2 dy Smax = H0 1 + | l dx x=± 2  = 296.277 kN 1 + (2 · 3,66 · 10−4 · 640)2

= 327.212 kN . Eine ansehnliche Kraft also. Mit dem Durchmesser des

Seilstatik

Tragseils, 920 mm, können wir die im Seil herrschende Spannung als Quotient von Kraft und Fläche berechnen. Sie beträgt σmax =

Smax = 492 N/mm2 = 492 MPa . π R2

Die Streckgrenze der Tragseile beträgt übrigens 1260 MPa, liegt also mit beruhigendem Abstand über der von uns ermittelten Spannung.

Wir integrieren ein erstes Mal,

dG

dy

arsinh y =

ds

q0 x + C1 , H0

y dx

bilden von beiden Seiten den sinh x,

x

Abb. 3.24 Ein infinitesimal kleines Stückchen Seil unter Belastung durch sein Eigengewicht

und integrieren ein zweites Mal, wodurch wir schließlich

Die Streckenlast q0 ist als q0 =

 q y = sinh 0 x + C1 , H0

dG ds

definiert, wobei für ds der geometrische Zusammenhang  ds = dx2 + dy2 gilt. Für dG gilt des Weiteren

y (x ) =

 q H0 cosh 0 x + C1 + C2 q0 H0

erhalten. Hierin sind die Konstanten x0 und y0 aus des Randbedingungen zu bestimmen, was eine komplizierte Angelegenheit werden kann, und so ist die folgende Vorgehensweise geschickter:

dG = q(x) dx . Wir führen diese drei Gleichungen zu q ( x ) = q0

ds dx

zusammen und formen die Gleichung für ds zu   2 dy ds = 1+ dx dx um und setzen darin obige Gleichung sowie die Differenzialgleichung der Seilkurve ein. Wir erhalten   2 dy d2 y . H0 2 = q0 1 + dx dx

Wir platzieren den Koordinatenursprung nicht an irgendeiner Stelle, sondern ganz genau um den Quotienten H0 /q0 , welcher von seiner Einheit her eine Länge ist, unter den tiefsten Punkt der Kettenlinie (vgl. die Zeichnung im Beispiel Elbekreuzung 2), denn dann werden sowohl C1 als auch C2 zu null.

Frage 3.3 Machen Sie sich klar, warum C1 und C2 in obiger Gleichung verschwinden, wenn man den Koordinatenursprung um H0 /q0 unter den tiefsten Punkt der Kettenlinie legt.

Wir bezeichnen dy/dx als y und trennen die Veränderlichen. Es ergibt sich 

dy 1 + y 2

q = 0 dx . H0

Damit erhalten wir für das unter seinem Eigengewicht durchhängende Seil die folgende, im Allgemeinen als Kettenlinie bezeichnete Gleichung:

77

Technische Mechanik

3.5

78

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

Beispiel: Elbekreuzung 2 . . . die Freileitung mit den höchsten Masten in Europa.

Problemanalyse und Strategie: Bei der Berechnung von Freileitungen darf man den Koordinatenursprung nicht an einer beliebigen Stelle platzieren, sondern um genau H0 /q0 unter dem tiefsten Punkt der Leitung. Die sich dann ergebende Gleichung lässt sich nicht analytisch lösen, muss also numerisch gelöst werden. Lösung: Mit den Gleichungen der Seilstatik wollen wir die Funktion der Kettenlinie sowie die Größe der Seilkräfte in der „Elbekreuzung 2“ berechnen. Nehmen wir als Beispiel für eine Berechnung der Kettenlinie die östlich von Stade über die Elbe führenden Hochspannungsleitungen der Elbekreuzung 2. Die beiden 1,2 km entfernt stehenden Tragmasten der Elbekreuzung 2 gelten mit einer Höhe von jeweils 227 m als die höchsten Freileitungsmasten Europas und als die sechsthöchsten der Welt (die weltweit höchsten stehen mit einer Höhe von 346,5 m an der Jangtse-Freileitungskreuzung in der ostchinesischen Provinz Jiangsu). Die große Höhe der Tragmasten der Elbekreuzung 2 ist erforderlich, um der Elbeschifffahrt eine Mindestdurchfahrtshöhe von 75 m unter den Stromleitungen zu gewährleisten, die an Traversen in 172 m , 190 m und 208 m Höhe aufgehängt sind. Wir betrachten nun die unteren, in 172 m Höhe aufgehängten Stromleitungen und sind an der Gleichung

172 m 75 m H0 q0

x 600 m

Gleichung der Kettenlinie:

y (x ) =

Ausgangspunkt unserer Berechnung ist, dass das Seil genau in der Mitte zwischen den Strommasten um 97 m durchhängt: y(600 m) − y(0) = 97 m  H H =⇒ 0 cosh 0 · 600 m − 0 = 97 m . q0 H0 q0 q

Dies ist eine transzendente (nicht analytisch lösbare) Gleichung zur Bestimmung von H0 /q0 . Wir lösen sie deshalb numerisch, z. B. durch planvolles Ausprobieren und erhalten als Ergebnis H0 = 1872 m . q0 Nun setzen wir die Gleichung für die Seilkraft an und erhalten für die Stelle der maximalen Seilkraft, d. h. die Aufhängepunkte, q  H0 0 cosh 600 m q0 H0  600  = q0 · 1872 m cosh = 1969 m · q0 . 1872

S(600 m) = q0 · y(600 m) = q0 ·

Die Streckenlast des Kabels beträgt q0 = ρ A g, woraus für die maximale Spannung im Stromkabel σmax =

y

600 m

der Kettenlinie sowie den Kräften im Stromkabel interessiert. Zur besseren Übersicht zeichnen wir die folgende Skizze. Diese enthält alle Abmessungen sowie – ganz wichtig – den in einem Abstand von H0 /q0 unter dem tiefsten Punkt der Stromleitung (aus Symmetriegründen ist das genau in der Mitte) liegenden Koordinatenursprung.

q  H0 0 cosh x . q0 H0

Smax 1.969 m ρ A g = = 1969 m · ρ · g Fläche A

mit der Dichte des Kabelwerkstoffs ρ und der Erdbeschleunigung g folgt. Für Aluminium (ρ = 2700 kg/m3 ) ergibt dies eine maximale Spannung von 52 MPa im Stromkabel.

Der größte Durchhang der Kettenlinie beträgt q 

H0 0 f = y ( xA ) − y ( 0 ) = cosh xA − 1 , q0 H0 wobei xA die x-Koordinate der höheren der beiden Aufhängepunkte (Masten) ist. Zur Ermittlung der Seilkraft

Übersicht: Tipps und Tricks zur Seilstatik Als transzendente Gleichung ist die Gleichung der Kettenlinie nicht auf analytischem Wege, sondern nur numerisch lösbar. Wie macht man das am geschicktesten? In der beruflichen Praxis wird man die Kettenlinie mithilfe geeigneter Anwenderprogramme nach der Unbekannten (im Beispiel der Elbekreuzung 2 der Quotient H0 /q0 ) numerisch auflösen. Wenn derartige Programme nicht zur Verfügung stehen (z. B. in einer Prüfungssituation), kann die numerische Lösung auch nach der Methode von Versuch und Irrtum geschehen. Dafür setzen wir zunächst mit großer Schrittweite mögliche Lösungen ein. Sobald ein Vorzeichenwechsel auftritt, tasten wir uns durch Teilen des Intervalls näher an die Lösung heran, bis das Ergebnis schließlich mit genügender Genauigkeit eingekreist ist. Am Bei-

leiten wir die Gleichung für y(x) nach x ab und setzen y (x) in die Gleichung für S(x) ein. Wir erhalten  S ( x ) = H0

1 + sinh2

q

 q  0 x = H0 cosh x H0 H0

spiel für die Elbekreuzung 2 zu lösenden Gleichung sei dies nebenstehend gezeigt:

Lösungsversuch

H0 q0

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

1000 2000 1500 1750 1875 1825 1850 1865 1870 1872 1871

[m]

H0 q0

 cosh

q0 H0

 · 600 m −

H0 q0

− 97 m

88,47 −6,32 24,61 6,87 −0,17 2,52 1,15 0,35 0,085 −0,020 0,033

Wie beim Lastfall „Hängebrücke“ tritt die maximale Seilkraft wieder im höchsten Punkt des Seils auf, also am höheren der beiden Aufhängepunkte.

0

= q0 · y ( x ) .

Weiterführende Literatur Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 3.1 Beispiele für Streckenlasten sind das Eigengewicht von Trägern, Schneelasten, o. Ä. Aber auch sehr viele eng beieinanderliegende Punktlasten, wie z. B. Passagiere in einer vollbesetzten Straßenbahn oder Fahrzeuge im Stau, lassen sich als Streckenlast behandeln. Antwort 3.2 Zum Absetzen des Differenzmoments. Die Differenz zwischen Ein- und Ausgangsmoment wird über

ein Kräftepaar vom Fahrradrahmen aufgenommen, und je größer hierfür der Hebelarm ist, desto kleiner sind die Kräfte.

Antwort 3.3 C1 verschwindet, weil die Ableitung an der Stelle x = 0 verschwindet, und C2 verschwindet, weil der Funktionswert an der Stelle x = 0 gerade H0 /q0 beträgt.

79

Technische Mechanik

Antworten zu den Verständnisfragen

80

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 3.1 • 1. Berechnen Sie die Schnittgrößen Q(x) und M(x) in einer durch zwei gleich große Kräfte F belasteten symmetrischen 4-Punkt-Biegeprobe der Längenabmessungen li und la . 2. Zeichnen Sie die Grafen von Q(x) und M(x). F

2m 2m

A

C

45° B D

F

18 kN 2m

A

1,5m

B

li x la

Resultat: Bereich I: QI (x) = F, MI (x) = F x, Bereich II: li QII (x) = 0, MII (x) = F · la − 2 , Bereich III: QIII (x) = −F, MIII (x) = F (la − x). 3.2 • Berechnen Sie die Schnittgrößen in einem durch sein Eigengewicht G belasteten Kragträger der Länge l. Hinweis:

1. Schneiden Sie den Pkw frei, und berechnen Sie die Seilkraft S, mit der dieser angehoben wird. 2. Mit welcher Kraft lastet die im Punkt C reibungsfrei drehbar gelagerte Rolle auf dem Kranausleger? 3. Schneiden Sie den Kranausleger (Träger A–C) frei und berechnen Sie die Lagerreaktionen des Kranauslegers. 4. Berechnen Sie die Schnittgrößen N (s), Q(s) und M(s) im Kranausleger. Anmerkung: Betrachten Sie der Einfachheit halber Abschleppwagen und Pkw im Stillstand und vernachlässigen Sie dynamische Effekte wie Anfahr- oder Abbremsvorgänge. Vernachlässigen Sie auch das Eigengewicht des Kranauslegers. Hinweis: In welche Richtung muss die Abstützkraft der Pendelstütze orientiert sein?

x

Resultat:

l



Resultat: N (x) = 0, Q(x) = G 1 − M(x) = − 2Gl (l − x)2 .

x l

,

3.3 •• Auf einer Spritztour mit Papas geliehenem Oberklassewagen setzen Sie diesen peinlicherweise vor einen Baum und müssen den Abschleppdienst rufen. Zu allem Überfluss bezweifelt der Abschleppwagenfahrer, dass sein Kran überhaupt der Belastung des Fahrzeugs gewachsen ist. Überzeugen Sie ihn, indem Sie die Schnittgrößen N, Q und M im Kran berechnen. Gehen Sie dabei wie folgt vor:

1. 7,7 kN 2. Mit jeweils 7,7 kN senkrecht nach unten sowie nach links unten parallel zum Kranausleger. 3. Ax = 5,4 kN, Ay = −2,3 kN, B = 15,4 kN, 4. NI (s) = −2,2 kN, QI (s) = −5,4 kN, MI (s) = −5,4 kN · s, NII (s) = −13,1 kN, QII (s) = 5,4 kN, MII (s) = 5,4 kN · (s − 4 m). 3.4 •• Die Tragfläche eines Sportflugzeugs kann vereinfacht als ein gewichtsloser, durch eine konstante Streckenlast q0 belasteter Balken, der durch ein Festlager und eine Pendelstütze abgestützt wird, modelliert werden.

•• Auf Ihrer Paddeltour durch die Mecklen3.6 burger Seenplatte müssen Sie leider feststellen, dass die Strecke neben erfrischend klaren Seen auch mit einer Reihe von Umtragestellen aufwartet. Der schweißtreibenden Tätigkeit und den Semesterferien zum Trotz abstrahieren Sie aus Ihrem Kanu das folgende mechanische Modell und begeben sich an die Analyse: q0 A

45°

C

B

3 l 4

1 l 4

1. Berechnen Sie die Lagerreaktionen. 2. Berechnen Sie die Verläufe der Schnittgrößen. 3. Zeichnen Sie die Verläufe der Schnittgrößen und geben Sie Rand- und Extremwerte an. Resultat:

√ 1. Lagerreaktionen: Ax = 2 q0 l, Ay = q0 l, B = −2 2q0 l. 2. Schnittgrößen: Bereich I: NI (x ) = −2 q0 l, QI (x) = q0 (l + x), 2 MI (x) = 12 q0 l2 xl + 2 xl

II

N qmax = 60 m

I

III

Bereich II: NII (x) = 0, QII (x) = q0 (x − l), MII (x) = 12 q0 (l − x)2 .

B

A x

3.5 • • • Berechnen Sie die Lagerreaktionen und Schnittgrößen des abgebildeten Trägers in Abhängigkeit der Größen qmax und l. q(x) = qmax 1 – x l

2

qmax

0,8 m

3,4 m

0,8 m

1. Ist das Kanu statisch bestimmt gelagert? Begründen Sie kurz ihre Antwort. 2. Welchen Verlauf hat die Streckenlast q(x) in den Bereichen I und III? 3. Berechnen Sie die Lagerreaktionen. 4. Berechnen Sie den Verlauf der Schnittgrößen Q(x) und M(x) im Kanu.

x, ξ l

Hinweis: Wann kann man für eine Streckenlast eine Ersatzkraft ansetzen, wann muss man integrieren? 5 qmax l, By = Resultat: Lagerreaktionen: Ax = 0, Ay = 12 1 q l. max 4

3 5 , Schnittgrößen: N (x) = 0, Q(x) = qmax l 13 xl − xl + 12

2 1 x 4 5 x M(x) = qmax l2 12 − 12 xl + 12 l l .

Resultat: 1. 2. 3. 4.

Nein, es kann ja vorwärts getragen werden. N − 75 mN2 · x. qI (x) = 75 mN2 · x, qIII (x) = 375 m Ay = By = 126 N. QI (x) = −37,5 mN2 · x2 , MI (x) = −12,5 mN2 · x3 , N QII (x) = 150 N − 60 m · x, N MII (x) = −107,2 Nm + 150 N · x − 30 m · x2 , N N QIII (x) = 937,5 N − 375 m · x + 37,5 m2 · x2 , N MIII (x) = −1.562,5 Nm + 937,5 N · x − 187,5 m · x2 + N 3 12,5 m2 · x .

81

Technische Mechanik

Aufgaben

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

3.7 •• Auf dem Nachhauseweg überfahren Sie versehentlich ein Stoppschild. Nun steht es da, das arme Schild, um 35° abgeknickt.

1. Berechnen Sie die Lager- und Gelenkreaktionen. 2. Berechnen Sie die Schnittgrößen im waagerechten Trägerteil.

1. Berechnen Sie die Lagerreaktionen. 2. Berechnen Sie den Verlauf der Schnittgrößen N (s), Q(s) und M(s).

Resultat: 1. Ax = 2 kN, Ay = 1,3 kN, MA = −2,4 kN m, By = 0,7 kN, Gx = 0, Gy = −1,3 kN. 2. NI (x) = −2 kN, QI (x) = 1,3 kN, MI (x) = 2,4 kN m + 1,3 kN · x, NII (x) = 0 QII (x) = 1,3 kN, MII (x) = −2,6 kNm + 1,3 kN · s, NIII (x) = 0 QIII (x) = 2 kN (3 m − x)2 − 0,7 kN, m2

MIII (x) = − 23 kN (3 m − x)3 + 0,7 kN (3 m − x) m2 (Ergebnisse gerundet).

3.9 • Berechnen Sie die Schnittgrößen N, Q und M in Abhängigkeit des Winkels ϕ im abgebildeten Haken.

16 00 mm

82

35° s

400 mm A

s R φ

Hinweis: In welche Richtungen setzt man bei schiefen Trägern am besten die Kräftegleichgewichte an? Resultat: 1. Ax = 0, Ay = 180 N, MA = 77,1 N m. N · s, QI (s) = 0, 2. NI (s) = −180 N + 80 m N MI (s) = −77,1 N m, T, NII (s) = −147 N + 65,5 m · s, N QII (s) = 103 N − 46 m · s, N MII (s) = −23 m (2 m − s)2 − 11,5 N (2 m − s).

F

Resultat: N ( ϕ) = F sin ϕ, Q( ϕ) = −F cos ϕ, M( ϕ) = −FR sin ϕ. Eine als ebenes Fachwerk konstruierte 3.10 • Brücke ist im Punkt A zwei- und im Punkt B einwertig gelagert. Im Knoten C greift die Vertikalkraft 3 kN, im Knoten D die um 30° zur Horizontalen geneigte Kraft 4 kN an.

•• Ein 3 m langer Gelenkträger ist im Punkt A 3.8 drei- und im Punkt B einwertig gelagert. Im Punkt G sind die beiden Trägerhälften durch ein zweiwertiges Gelenk miteinander verbunden. M = 3 kN m

qmax = 4

4 5

2 1

kN m

8 6

A

9 30°

F = 2 kN

B

4 kN

1m 1m Ay 1m

3 kN 1m

1m

B

G x 1m

1m

7

3

1m

1. Überprüfen Sie das Fachwerk auf äußere und innere statische Bestimmtheit. 2. Bestimmen Sie die Lagerreaktionen.

3. Bestimmen Sie mit einem Ritterschnitt die Stabkräfte in den Stäben 4, 5 und 6. 4. Bestimmen Sie mit einem weiteren Ritterschnitt die Stabkräfte in den Stäben 1 und 3. 5. Schneiden Sie das Lager A frei und bestimmen Sie die Stabkraft in Stab 2. Resultat: 1. 2. 3. 4. 5.

Äußere und innere statische Bestimmtheit liegen vor. Ax = −3,5 kN, Ay = 2,7 kN, By = 2,3 kN. S4 = −2,7 kN, S5 = 0,4 kN, S6 = 5,9 kN. S1 = 6,2 kN, S3 = 2,7 kN. S2 = −3,8 kN.

3.11 • Berechnen Sie die Lagerreaktionen und Stabkräfte des skizzierten Fachwerkträgers. 1m

3.13 •• Die skizzierte zweiteilige Fachwerkbrücke wird durch fünf senkrechte Kräfte F belastet. Berechnen Sie die Stabkräfte. F

F

3

a

4 kN

4 kN 8

F

F

F

6

4

G

5 7

1 a

1m

4

A

Resultat: Ax = 56 F, Ay = F, Bx = − 56 F. S1 = −3,44 F, S2 = 2,34 F, S3 = 0, S4 = 2,33 F, S5 = −2,61 F, S6 = 2 F, S7 = 0, S8 = 2 F, S9 = −2,24 F.

2

A

A a

a

a

a

32° 3

1

7

5

0,8 m

9

B 6

2

1m

0,5 m

Resultat: Ax = −15 kN, Ay = 8 kN, Bx = 15 kN. S1 = 0, S2 = −15 kN, S3 = 9,43 kN S4 = 10 kN, S5 = −9,43 kN, S6 = −5 kN S7 = 4,72 kN, S8 = 2,5 kN, S9 = −4,72 kN. Der skizzierte Wanddrehkran wird durch 3.12 • eine senkrechte Kraft F belastet. Berechnen Sie die Lagerreaktionen und Stabkräfte. 1m

Resultat: Ax = F, Ay = 2,5 F, Bx = −F, By = 2,5 F, Gx = −F, Gy = 0. S1 = −1,5 F, S2 = −1,41 F, S3 = 0,71 F, S4 = −0,5 F, S5 = −F, S6 = −0,5 F, S7 = −0,71 F. 3.14 •• Die beiden Tragseile einer Spielplatz-Hängebrücke sind an 3,50 m hohen und 8 m voneinander entfernt stehenden Masten aufgehängt. Zu berechnen ist die maximal zulässige Belastung q0,zul eines jeden Tragseils unter den folgenden Voraussetzungen: Die Tragseile sollen in Brückenmitte (x = 0) genau bis auf 1 m über den Brückenweg durchhängen. Der Horizontalzug im Seil soll maximal 9 kN betragen. H0 ≤ 9 kN

4m

B 6

y

8

5 2m

F

7

4

9

3

4m

y

2 1

A

x

3,5 m

x 1m q0,zul = ? 8 m

1. Berechnen Sie q0,zul sowie die Gleichung y(x) der Seillinie im angegebenen (x, y)-Koordinatensystem. 2. Welcher größten im Tragseil auftretenden Seilkraft Smax entspricht H0 = 9 kN? Resultat: q0,zul = 2,8 kN m pro Tragseil, 1 y(x) = 0,16 m · x2 + 1 m, Smax = 14,4 kN.

83

Technische Mechanik

Aufgaben

84

3 Schnittgrößen – die inneren Kräfte und Momente in Trägern

Technische Mechanik

3.15 •• Welcher Horizontalzug H0 muss im Spielzeugdackelseil herrschen, damit dieses am Dackel eine horizontale Tangente hat und somit auf keinen Fall auf dem Boden schleift? 0,5 m 5m hmin x0 25 m

Tun Sie bitte Ihrer Nichte den Gefallen und berechnen Sie die Stelle x0 des größten Kordeldurchhangs sowie die kleinste Höhe hmin der Telefonkordel über dem Erdboden. Gehen Sie dabei wie folgt vor:

0,3 m

1,5 m

Resultat: H0 = 1,8 N. Wie das nun mal so ist, telefoniert Ihre kleine 3.16 •• Nichte für ihr Leben gerne. Vom Fenster ihres Kinderzimmers aus (Höhe: 5 m über dem Boden) möchte sie nun ein Büchsentelefon zu ihrer im Nachbarhaus wohnenden Freundin spannen (Höhe Kinderzimmerfenster Freundin: 4,5 m über dem Boden). Da sie ihre Telefonbüchse mit einer Horizontalkraft von höchstens 4 N in den Händen halten will – sonst wird der jungen Dame das Telefonieren zu unbequem – macht sie sich Sorgen um den maximalen Durchhang der Telefonleitung.

1. Welcher Belastungsfall des Seils liegt vor: konstante Streckenlast q(x) oder konstante Streckenlast q(s)? 2. Berechnen Sie die Stelle x0 des größten Kordeldurchhangs. 3. Berechnen Sie die kleinste Höhe hmin der Telefonkordel über dem Erdboden. Weitere Angabe: Das spezifische Gewicht der Telefonkordel beträgt q0 = 0,1 N/m. Resultat: 1. q(s) = konstant. 2. x0 = 13,29 m. 3. hmin = 2,77 m über dem Erdboden.

Technische Mechanik

4

Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen

Was ist ein Spannungstensor? Wie dreht man ein Koordinatensystem? Wie beschreibt man elastische Verformung?

4.1 4.2 4.3

Spannungen . . . . . . . . . . . . . . . Verzerrungen . . . . . . . . . . . . . . Das Materialgesetz . . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . .

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_4

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. 86 . 91 . 95 . 99 . 100

85

86

4 Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen

Technische Mechanik

In den bisherigen Kapiteln der Technischen Mechanik hatten wir uns mit der Ermittlung von Kräften und Momenten – vor allem mit Lagerreaktionen und Schnittgrößen – befasst. Aber als Grundlage, die Tragfähigkeit eines Bauteils zu ermitteln, eignen sich Schnittgrößen nicht so ohne Weiteres. So wird ein Träger mit einem großen Querschnitt sehr viel größere Schnittkräfte ertragen können als ein Träger mit einem zierlichen. Für die Festigkeitsrechnung ist es also auch erforderlich, den Einfluss der Bauteilgeometrie zu berücksichtigen. Das Teilgebiet der Technischen Mechanik, das sich diesen Fragestellungen widmet, ist die Festigkeitslehre. Sie befasst sich damit, welche Spannungen die inneren Kräfte und Momente (die Schnittgrößen) in Bauteilen bewirken und wie sich diese Bauteile dabei verformen.

4.1

∆F

∆A ∆T

äußere Lasten

Abb. 4.1 Die auf ein kleines Flächenelement ΔA wirkende Schnittkraft ΔF lässt sich in einen Normalanteil ΔN und einen Tangentialanteil ΔT zerlegen F

F σ

F τ

Spannungen

Eine zentrale Größe der Festigkeitslehre ist die Spannung. Diese ist – bildlich gesprochen – ein Maß für die Dichte des Kraftflusses im Bauteil. Je größer die pro Querschnittsfläche übertragenen inneren Kräfte sind, desto größer sind die Spannungen. Spannungen sind entscheidend dafür, ob ein Bauteil seinen Betriebslasten standhält oder unter diesen versagt. Nur wenn die im Bauteil herrschenden Spannungen mit genügender Sicherheit unter der einschlägigen Festigkeit des Werkstoffs liegen (z. B. Streckgrenze, Zugfestigkeit oder Dauerfestigkeit), kann eine sichere Funktion des Bauteils gewährleistet sein. Die Spannungsberechnung ist somit ein ganz entscheidender Bestandteil der Bauteilauslegung. Im vorliegenden Kapitel wollen wir uns mit einigen grundlegenden Eigenschaften von Spannungen beschäftigen. Im Anschluss daran folgt für die wichtigsten Grundbeanspruchungsfälle dann in Kap. 5 die konkrete Berechnung der jeweiligen Spannungen.

Je nach Kraftrichtung unterscheidet man zwischen Normal- und Schubspannungen Legen wir durch einen belasteten Körper einen Freischnitt, dann wirkt auf jedem kleinen Flächenelement ΔA eine kleine Schnittkraft ΔF, die sich in einen Kraftanteil ΔN senkrecht (normal) zur Schnittfläche und einen Kraftanteil ΔT entlang der (tangential zur) Schnittfläche zerlegen lässt (Abb. 4.1). Aus dem Normalanteil ΔN ergibt sich die mit dem griechischen Buchstaben σ (sigma) bezeichnete Normalspannung σ=

∆N

ΔN ΔA

Abb. 4.2 Normalspannungen σ kann man erzeugen, indem man an einem Stab zieht (oben ). Schubspannungen τ entstehen in einem Körper, indem man z. B. einen Streifen Klebefilm auf diesen klebt und am Klebefilm zieht (unten )

und aus dem Tangentialanteil ΔT die mit dem griechischen Buchstaben τ (tau) bezeichnete Schubspannung τ=

ΔT . ΔA

Spannungen haben Einheiten von Kraft pro Fläche. Am gebräuchlichsten ist die Angabe in Pascal (Pa) oder Megapascal (MPa). Es gelten die Zusammenhänge 1 Pa = 1 N/m2 bzw. 1 MPa = 1 N/mm2 . Da viele Werkstoffe unterschiedlich auf Normal- und Schubspannungen reagieren – duktile Metalle und die meisten Kunststoffe z. B. empfindlich auf Schubspannungen, Keramiken empfindlich auf Normalspannungen –, ist es wichtig, diese sauber voneinander unterscheiden zu können. Zwei Methoden bieten sich hierfür an: Eine Möglichkeit ist die Unterscheidung anhand der Kraftrichtung. Wirkt eine Kraft senkrecht zur Schnittfläche, wie z. B. in einem Zug- oder Druckstab, so besteht die Schnittkraft ΔF allein aus der Normalkomponente ΔN, und es wirken auf dieser Schnittfläche ausschließlich Normalspannungen. „Schrappt“ die Kraft dagegen tangential an der Schnittfläche entlang, wie das beispielsweise der Fall ist, wenn man einen Streifen Klebefilm auf die Schnittfläche klebt und an diesem zieht, so herrschen Schubspannungen (Abb. 4.2). Die andere, anschaulichere Möglichkeit zur Unterscheidung zwischen Normal- und Schubspannungen beruht auf den von den Spannungen hervorgerufenen Verformungen. Stellen wir uns hierfür einen Körper aus ei-

4.1 σy

σy τ

τzy y

τ

τyx

τyz

τ

x

z

σz

τzx

τyx τxy

τxy

σx

σx τxz

y

σx τxy x

τ

a

b

τyx σy

σ

a

b

c

Abb. 4.3 Wenn wir uns auf einen Körper ein kleines quadratisches Gitter aufgezeichnet denken, dann wird es unter Belastung zu einem Parallelogramm verformt. Dabei bewirken Normalspannungen (b) eine Längenänderung der Gitterkanten und die Schubspannungen (c) eine Änderung der rechten Winkel

nem isotropen Werkstoff vor, auf den ein kleines quadratisches Gitter eingezeichnet ist. Normalspannungen dehnen oder stauchen den Körper, ändern aber nicht die Winkel des aufgezeichneten Gitters. Bei Beanspruchung durch Schubspannungen ändern sich dagegen nur die Winkel im Körper, während die Längenabmessungen gleich bleiben (Abb. 4.3). Wie viele und welche Normal- und Schubspannungen kann es denn in einem beliebig beanspruchten Körper geben? Normalspannungen: Kräfte können in alle drei Raumrichtungen wirken, und wir erhalten für jede Richtung eine Normalspannung, σx , σy , und σz . Schubspannungen: Wollen wir eine Schubspannung vollständig definieren, so müssen wir erstens die Fläche, auf der sie wirkt, und zweitens die Richtung, in die sie wirkt, angeben. Schubspannungen erhalten deswegen zwei Indizes: Der erste steht für die Richtung der Flächennormalen, der zweite für die Kraftrichtung (die „Richtung des Spannungspfeils“). Da Flächennormale und Kraftrichtung bei Schubspannungen nicht übereinstimmen (das tun sie nur bei Normalspannungen), gibt es insgesamt sechs Schubspannungen, τxy , τxz , τyx , τyz , τzx und τzy . Um darzustellen, auf welchen Flächen und in welche Richtungen diese neun Spannungen wirken, kann man sie in einen Lageplan einzeichnen. Im Dreidimensionalen entspricht dieser Lageplan einem kleinen Würfel, auf dessen Flächen die Spannungen angreifen (Abb. 4.4a), wobei man sich auf den drei verdeckten Würfelflächen dieselben Spannungen wie auf den jeweils gegenüberliegenden Flächen, nur mit umgekehrter Pfeilrichtung, vorstellen muss. Beschränken wir uns auf zwei Dimensionen, erhalten wir ein Quadrat (Abb. 4.4b), auf dessen Kanten die jeweiligen Normal- und Schubspannungen angreifen.

Abb. 4.4 Darstellung der Spannungen in einem Lageplan; a dreidimensionaler, b zweidimensionaler Lageplan

Bei der Pfeilrichtung gilt die Konvention, dass positive Spannungen an den positiven Schnittufern in die positive und an den negativen Schnittufern in die negative Koordinatenrichtung zeigen. Bei negativen Spannungen ist die Pfeilrichtung jeweils umzudrehen.

Im Spannungstensor sind alle Spannungen zusammengefasst Die neun Spannungen werden im sogenannten Spannungstensor S zusammengefasst. Er lässt sich als Matrix schreiben: ⎛ ⎞ σx τxy τxz S = ⎝τyx σy τyz ⎠ τzx τzy σz xyz Die Bezeichnung Spannungstensor besagt, dass die Normal- und Schubspannungen den mathematischen Gesetzmäßigkeiten der Tensorrechnung folgen, insbesondere bei einer Drehung des Koordinatensystems. Wir werden uns diesem Thema in ein paar Seiten widmen. Es macht Sinn, zum Spannungstensor stets das Koordinatensystem als tiefgestellte Indizes anzugeben, da sich, wie wir sehen werden, die Komponenten des Spannungstensors bei einer Drehung des Koordinatensystems verändern. Zunächst aber zu einer wichtigen Eigenschaft des Spannungstensors, seiner Symmetrie. Betrachten wir hierzu ein kleines quaderförmiges Volumenelement der Kantenlängen Δx, Δy und Δz, auf dessen Stirnflächen die entsprechenden Spannungskomponenten wirken (Abb. 4.5). Für das Momentengleichgewicht um den Koordinatenursprung multiplizieren wir die Spannungen zunächst mit der Fläche, auf die sie jeweils wirken – z. B. τxy mit ΔyΔz –, und dann mit dem Hebelarm. Wir erhalten

∑ Mi

(Koo.urspr.)

87

Δx Δy − 2τyx ΔxΔz · =0 2 2 = τyx .

= 2τxy ΔyΔz · =⇒

τxy

Technische Mechanik

σ

Spannungen

88

4 Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen σy

Technische Mechanik

τ yx

∆y

τ xy

y

σx

x

σx

τ xy

Die Normalspannung σz muss null sein, denn sie kann nicht in die Luft hinein übertragen werden. Gleichfalls müssen auch die Schubspannungen τzx und τzy null sein, denn diese könnten nur dadurch hervorgerufen werden, dass eine äußere Kraft an der freien Oberfläche „entlangschrappt“, aber dann wäre diese Oberfläche nicht mehr frei und unbelastet.

τ yx σy ∆x

Abb. 4.5 Die Symmetrie des Spannungstensors ergibt sich aus dem Momentengleichgewicht

Da die Momentengleichgewichte um die y- und z-Achse entsprechende Ergebnisse liefern, gilt die

τxz = τzx

und

τyz = τzy .

Aufgrund der Symmetrie besteht der Spannungstensor also nur aus sechs voneinander unabhängigen Komponenten, ⎛ ⎞ τxy τxz σx σy τyz ⎠ . S=⎝ symm. σz xyz

An allen freien Oberflächen herrscht ein ebener Spannungszustand An freien, unbelasteten Oberflächen, vereinfacht sich der Spannungstensor weiter, denn es werden drei der sechs Spannungskomponenten zu null. Betrachten wir hierzu ein kleines Volumenelement an einer solchen Oberfläche (in Abb. 4.6 mit der Flächennormalen z): σz = 0 Luft Werkstoff σx

was wir vereinfacht als S=

Symmetrie des Spannungstensors

τxy = τyx ,

Im abgebildeten Fall verschwinden also aus dem Spannungstensor alle Spannungen mit dem Index z (dem Index der freien Oberfläche) und wir erhalten ⎞ ⎛ σx τxy 0 S = ⎝ τxy σy 0⎠ , 0 0 0 xyz

τ zx = 0 σx

z x

Abb. 4.6 An freien, unbelasteten Oberflächen verschwinden drei der sechs Spannungskomponenten



σx τxy

τxy σy

 xy

darstellen. Dieser als ebener Spannungszustand (Abkürzung ESZ) bezeichnete Spannungszustand ist technisch sehr wichtig, da er nicht nur an allen freien Oberflächen auftritt, sondern in sehr guter Näherung auch in allen dünnwandigen Bauteilen wie Blechen, Brettern und dergleichen, bei denen zwei freie Oberflächen sehr nahe beieinanderliegen. Weil der ESZ derart wichtig ist – und auch weil er ein gutes Stück einfacher als der räumliche Spannungszustand zu behandeln ist –, befassen wir uns im Rest dieses Kapitels ausschließlich mit dem ESZ.

Bei einer Drehung des Koordinatensystems ändern sich die Werte der Normal- und Schubspannungen Wir werden nun sehen, dass (und wie) sich die Spannungskomponenten bei einer Drehung des Koordinatensystems ändern. Was aber bedeutet das eigentlich? Machen wir hierzu ein kleines Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, Sie stehen 10 m von einem Baum entfernt und gucken gerade auf diesen zu. Der Ortsvektor von Ihnen zum Baum hin verläuft dann 10 m nach vorne und hat keine Komponente zur Seite. Drehen Sie sich nun um 30° nach links, ändern sich diese Zahlenwerte. Der Ortsvektor zum Baum verläuft nun 8,66 m (10 m · cos 30◦ ) nach vorne und 5 m (10 m · sin 30◦ ) nach rechts. Und das, obwohl weder Sie, noch der Baum ihren Standort verlassen haben. Geändert hat sich einzig ihre Betrachtungsrichtung. Und genau so kann man sich die Drehung eines Koordinatensystems anschaulich vorstellen.

4.1

Spannungen

89

φ

∑ Fiy = σξ sin ϕΔA + τξη cos ϕΔA

τ ξη

− σy ΔA sin ϕ − τxy ΔA cos ϕ = 0.

σξ

∆Acosφ

σx

∆A

τ xy ∆A sinφ φxy

y η

Als Lösungen der obigen Gleichungen erhalten wir für die

ξ φ

x

Das sind zwei Gleichungen für die zwei Unbekannten σξ und τξη . Die dritte Komponente des gedrehten Spannungstensors, ση , würden wir an einem Keil der Seitenflächen x, y und η in gleicher Vorgehensweise ermitteln können.

σy

Abb. 4.7 Kräftegleichgewicht am Keil

Drehung des Koordinatensystems

Wenn das Koordinatensystem eines Spannungstensors gedreht wird, bedeutet das, dass ein und derselbe Spannungszustand bezüglich einer anderen (gedrehten) Betrachtungsrichtung beschrieben wird.

Bevor wir zur Frage kommen, wie sich die Spannungen bei einer Drehung des Koordinatensystems ändern, noch eine kurze Bemerkung zur Nomenklatur: Um mit den Koordinatensystemen nicht durcheinanderzukommen, bezeichnen wir nur das ungedrehte Koordinatensystem mit den lateinischen Buchstaben x, y und z. Für gedrehte Koordinatensysteme verwenden wir die griechischen Buchstaben ξ, η und ζ (xi, eta und zeta). Und nun zur Frage: Wie ändern sich die Spannungen bei einer Drehung des Koordinatensystems? Ein Kräftegleichgewicht an einem Keil führt uns zu den gesuchten Zusammenhängen (Abb. 4.7). Die drei Seitenflächen des Keils weisen in die x-Richtung, in die y-Richtung und in eine um den Winkel ϕ zur xAchse gedrehte ξ-Richtung. Wenn der Flächeninhalt der ξ-Seite die allgemeine Größe ΔA hat, dann betragen die Flächeninhalte der beiden anderen Seiten ΔA · cos ϕ (für die x-Seite) und ΔA · sin ϕ (für die y-Seite). Auf allen drei Keilflächen wirken die jeweilige Normal- und Schubspannung. Die Gleichgewichtsbedingungen in x- und y-Richtung lauten

∑ Fix = σξ cos ϕΔA − τξη sin ϕΔA

− σx ΔA cos ϕ − τxy ΔA sin ϕ = 0

Spannungen bei einer Drehung des Koordinatensystems

 1  1 σx + σy + σx − σy cos 2ϕ + τxy sin 2ϕ, 2 2  1  1 σx + σy − σx − σy cos 2ϕ − τxy sin 2ϕ ση = 2 2 und  1 τξη = − σx − σy sin 2ϕ + τxy cos 2ϕ. 2 σξ =

Mit dem Mohr’schen Spannungskreis kann man Spannungstensoren in gedrehten Koordinatensystemen grafisch bestimmen Die Änderung des Spannungstensors bei einer Drehung des Koordinatensystems lässt sich nicht nur rechnerisch, sondern auch zeichnerisch beschreiben. Die entsprechende Vorgehensweise wird als Mohr’scher Spannungskreis bezeichnet zu Ehren ihres Erfinders Christian O. Mohr (1835–1918), der erkannte, dass die Gleichungen für die Spannungskomponenten in einem gedrehten Koordinatensystem bei geeigneter grafischer Umsetzung Kreisgleichungen beschreiben. Am besten, wir empfinden die Entdeckung des Herrn Mohr an einem Beispiel nach. Beispiel

Gegeben sei der Spannungstensor  S=

30 −40

−40 90

 MPa. xyz

Technische Mechanik

und

90

4 Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen

Es ist Ihre Aufgabe,

Technische Mechanik

die um 15°, 30°, 45°, 60° und 75° gegen den Uhrzeigersinn gedrehten Spannungstensoren zu ermitteln, und sodann für jeden der sechs Spannungstensoren die beiden Punkte (σx | − τxy ) und (σy |τxy ) – bzw. (σξ | − τξη ) und (ση |τξη ) im Falle der gedrehten Koordinatensysteme – in einen sogenannten Spannungsplan einzutragen (eine Grafik, bei der die Normalspannungen σ auf der Abszisse („x-Achse“) und die Schubspannungen τ auf der Ordinate („y-Achse“) aufgetragen werden), und schließlich die beiden Punkte eines jeden Spannungstensors jeweils zu verbinden. Für die fünf Koordinatendrehungen erhalten wir nach etwas Rechnerei   14 −20 MPa, S= −20 106 ϕ=15◦   10 6 S= MPa, 6 110 ϕ=30◦   20 30 S= MPa, 30 100 ϕ=45◦   40 46 S= MPa und 46 80 ϕ=60◦   66 50 S= MPa. 50 54 ϕ=75◦ Aus den Spannungstensoren im ungedrehten und in den fünf gedrehten Koordinatensystemen sind insgesamt zwölf Punkte zu bilden und in den Spannungsplan einzutragen. Für das ungedrehte Koordinatensystem z. B. die Punkte (30|40) und (90| − 40). Abbildung 4.8 zeigt alle zwölf in den Spannungsplan eingetragenen Punkte mit den dazugehörigen Verbindungslinien. Zur besseren Übersicht ist dabei vermerkt, auf welchen Spannungstensor sich die jeweilige Verbindungslinie bezieht (ob ungedreht oder um welchen Winkel gedreht). Wir sehen – und genau das war die Entdeckung des Herrn Mohr – dass alle Punkte auf einem Kreis liegen, sich die beiden Punkte eines Spannungstensors jeweils genau gegenüberliegen, die Verbindungslinie der beiden Punkte eines Spannungstensors also stets durch den Kreismittelpunkt verläuft und die einzelnen Verbindungslinien um genau den doppelten Winkel (30° statt 15°) zueinander gedreht  sind. Natürlich ist es nicht Sinn und Zweck des Mohr’schen Spannungskreises, bereits errechnete Resultate grafisch

τ in MPa 50

ungedreht φ = 15°

50

100

σ in MPa

φ = 30° φ = 45° –50

φ = 60° φ = 75°

Abb. 4.8 Bildet man aus den Spannungstensoren in den verschiedenen gedrehten Koordinatensystemen Punkte nach der Vorschrift ( σξ | − τξη ) und (ση |τξη ), so liegen diese auf einem Kreis

nachzuvollziehen. Der Mohr’sche Spannungskreis kann vielmehr als eigenständige Methode zur Ermittlung von Spannungstensoren in gedrehten Koordinatensystemen eingesetzt werden. Das geht dann wie folgt: Vorgehensweise beim Mohr’schen Spannungskreis

Tragen Sie die Punkte (σx |−τxy ) und (σy |τxy ) in den Spannungsplan ein. Schlagen Sie um die beiden eingezeichneten Punkte den Mohr’schen Spannungskreis. Dabei liegt der Mittelpunkt des Spannungskreises stets auf der σ-Achse zwischen den beiden eingezeichneten Punkten. Eine Drehung des Koordinatensystems um den Winkel ϕ entspricht einer Drehung im Mohr’schen Spannungskreis um 2ϕ. Lesen Sie die Koordinaten des gedrehten Spannungstensors aus dem gedrehten Kreisdurchmesser ab. Mit dem Mohr’schen Spannungskreis lassen sich aber nicht nur gedrehte Spannungstensoren bestimmen; auch eine ganze Reihe von sehr wichtigen Eigenschaften des Spannungstensors wird am Mohr’schen Spannungskreis deutlich. Hierzu zeigt Abb. 4.9 noch einmal ganz allgemein einen Mohr’schen Spannungskreis. Wenn sich die Normal- und Schubspannungen bei einer Drehung des Koordinatensystems ändern, dann vermögen sie dies nur in ganz bestimmten Grenzen. Es gibt Extremwerte, die von den Spannungen, wie auch immer man das Koordinatensystem drehen mag, nicht überbzw. unterschritten werden können. Diese Extremwerte sind die größtmögliche Normalspannung σ1 , die kleinstmögliche Normalspannung σ2 und die größtmögliche

4.2

Verzerrungen

91

τ max

(σ x|– τ xy)

2φ σ2

M

dy′

β dy

(σ ξ |–τξ η ) σ1

α

σ

y dx

(σ η | τ ξ η )

dx′

x

Abb. 4.10 Zur Definition der Verzerrungen –τ max

(σ y|–τ xy)

Abb. 4.9 Mohr’scher Spannungskreis

Schubspannung τmax . σ1 und σ2 werden als 1. und 2. Hauptspannung, τmax wird als Hauptschubspannung bezeichnet. Für die Hauptspannungen und die Hauptschubspannungen gilt: Die beiden Hauptspannungen σ1 und σ2 liegen sich im Mohr’schen Spannungskreis genau gegenüber und treten deshalb gleichzeitig (im selben Koordinatensystem) auf. Dieses Koordinatensystem wird auch als Hauptachsensystem bezeichnet. Die Achsen des Hauptachsensystems werden statt mit x und y (oder ξ und η) üblicherweise mit 1 und 2 indiziert. Im Hauptachsensystem treten keine Schubspannungen auf. Die Hauptschubspannung τmax tritt in einem Koordinatensystem auf, das um 45° zum Hauptachsensystem geneigt ist (90° im Mohrkreis). In diesem als Hauptschubspannungssystem bezeichneten Koordinatensystem treten auch Normalspannungen auf, die stets gleich groß sind. Die Achsen des Hauptschubspannungssystems werden üblicherweise mit 1∗ und 2∗ indiziert. σ1 , σ2 und τmax lassen sich über einfache trigonometrische Beziehungen aus dem Mittelpunkt und dem Radius des Mohr’schen Spannungskreises berechnen. Dafür gelten die folgenden Gleichungen: Berechnung von σ1 , σ2 und τmax im ESZ

  σ − σ 2 σx + σy x y 2 , σ1 = + + τxy 2 2   σ − σ 2 σx + σy x y 2 σ2 = − + τxy und 2 2   σ − σ 2 x y 2 . τmax = + τxy 2

Abschließende Bemerkung: Worin liegt die Motivation für diese ausführliche Betrachtung der Drehung des Koordinatensystems und des Mohr’schen Spannungskreises? Nun, wir haben gesehen, dass je nach Drehwinkel entweder die Normalspannungen oder die Schubspannungen Extremwerte annehmen können. Aus der Werkstoffkunde weiß man, dass spröde Werkstoffe (z. B. Keramiken, Gläser oder Gusseisen) empfindlich auf Normalspannungen und duktile Werkstoffe (wie z. B. die meisten Stähle und Kunststoffe) empfindlich auf Schubspannungen reagieren. Folglich ist bei der Dimensionierung von Bauteilen aus spröden Werkstoffen zu überprüfen, ob die größtmögliche Normalspannung unterhalb ihres zulässigen Wertes liegt, und bei Bauteilen aus duktilen Werkstoffen, ob die größtmögliche Schubspannung unterhalb ihres zulässigen Wertes liegt. Und genau das leistet der Mohr’sche Spannungskreis. Wir werden in Abschn. 5.7 (Überlagerte Beanspruchung) noch einmal näher darauf zurückkommen.

4.2

Verzerrungen

Wird ein Körper belastet, so steht er nicht nur unter Spannung, er verformt sich auch.

Der Verzerrungstensor beschreibt alle in einem bestimmten Punkt herrschenden Verzerrungen Sehen wir uns einmal an, wie sich ein kleines Rechteck, das auf einen Körper aufgezeichnet ist, bei Belastung verformen kann. Es lassen sich zwei Arten von Verformungen unterscheiden. Zum einen haben sich die Kantenlängen dx und dy des Rechtecks zu dx und dy verformt. Das Verhältnis von Längenänderung zu Ausgangslänge wird als Dehnung ε bezeichnet. Es gilt also als

Technische Mechanik

τ

92

4 Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen

Technische Mechanik

Übersicht: Ein-, zwei- und dreiachsige Spannungszustände Je nach vorliegender Mehrachsigkeit werden Spannungszustände als ein-, zwei- oder dreiachsig klassifiziert. Dabei bezeichnet man einen Spannungszustand mit genau einer von null verschiedenen Hauptspannung als einachsig, zwei von null verschiedenen Hauptspannungen als zweiachsig und drei von null verschiedenen Hauptspannungen als dreiachsig.

Wir wollen uns nun einen kleinen Überblick über diese Arten von Spannungszuständen und ein paar wichtige Beispiele verschaffen.

τ τmax

σ2

σ1

σ1

σ1

σ

σ1/2 45°

τ

τ xy

τ xy = τ max τ xy

σ2

σ1

σ σ1 = τ xy 45° σ2 = τ xy

Die Hauptspannungen treten unter einem Winkel von 45◦ zur Hauptschubspannungsrichtung auf und betragen σ1 = τxy und σ2 = −τxy . Dreiachsiger Spannungszustand Beim dreiachsigen Spannungszustand sind alle drei Hauptspannungen von null verschieden. Der Mohr’sche Spannungskreis besteht – ohne dies näher herzuleiten – aus drei ineinander geschachtelten Kreisen durch die drei Hauptspannungen. Der durch σ1 und σ2 gehende Kreis beschreibt beispielsweise die Änderung der Spannungskomponenten, wenn die z-Achse in σ3 -Richtung festgehalten wird und die x und y-Achsen um die zAchse gedreht werden.

σ1/2 τ τ max

σ1/2

Einachsiger Spannungszustand Die maximale Schubspannung tritt in einem Winkel von 45◦ zum Hauptachsensystem auf und beträgt τmax = 12 σ1 für einachsigen Zug und τmax = − 12 σ2 für einachsigen Druck. Zweiachsiger Spannungszustand Beim zweiachsigen oder ebenen Spannungszustand ist der Mohr’sche Spannungskreis von der in Abb. 4.9 gezeigten Gestalt. Beispiel reiner Schub Ein wichtiger Sonderfall des ESZ ist der reine Schub, der beispielsweise in einem auf Torsion belasteten Stab auftritt. Reiner Schub ist durch das Vorliegen einer Schubspannung τxy bei verschwindenden Normalspannungen gekennzeichnet.

σ3

Für die maximale 1 2 ( σ1 − σ3 ).

σ2

σ1

Schubspannung

σ

gilt

τmax =

Beispiel hydrostatischer Spannungszustand Der hydrostatische Spannungszustand ist durch in alle drei Koordinatenrichtungen identische Hauptspannungen gekennzeichnet. Der Mohr’sche Spannungskreis entartet dabei zu einem Punkt, welcher für hydrostatischen Druck links der τ-Achse und für hydrostatischen Zug rechts der τ-Achse liegt.

σ

τ

σ

spannung σl und eine im Vergleich zu σϕ und σl vielfach vernachlässigbar kleine Radialspannung σr .

bel.

σ

σ

σ

Verzerrungen

τ σφ τ max = 2

Die Spannungskomponenten eines hydrostatischen Spannungszustandes ändern sich bei einer Drehung des Koordinatensystems nicht, es sind stets alle Normalspannungen gleich groß und alle Schubspannungen gleich null. Beispiel Dünnwandiges Rohr unter Innendruck In einem dünnwandigen Rohr unter Innendruck (Abschn. 5.5) herrschen eine Umfangsspannung σϕ , eine im Vergleich zur Umfangsspannung halb so große Längs-

σr ≈ 0

σl

σφ

σ

Die maximale Schubspannung beträgt τmax = 12 σϕ . τmax tritt in einem um 45 ◦ um die Rohrlängsachse gedrehten Koordinatensystem auf.

y x

Merkregel für die Definition der Dehnung

ε=

η

Δl l

ξ

So sind die Dehnungen in x-, y- und z-Richtung in der obigen Abbildung definiert als εx =

dx − dx dx

und

εy =

dy − dy , dy

und für die z-Koordinate gilt entsprechend εz =

Abb. 4.11 Die Abhängigkeit der Verzerrungen vom Koordinatensystem kann man sich durch zwei verschieden ausgerichtete quadratische Gitter veranschaulichen

dz − dz . dz

Aber in obiger Abbildung haben sich nicht nur die Längen geändert. Auch die Orientierung der Rechteckkanten, die unverformt parallel zur x- und y-Achse verliefen, hat sich um die Winkel α und β zur jeweiligen Koordinatenachse geneigt. Diese Winkeländerungen werden als Gleitungen γ bezeichnet. In der x, y-Ebene entspricht die Gleitung der Summe aus α und β, γxy = α + β. Die Gleitungen in der x, z- bzw. y, z-Ebene werden mit γxz bzw. γyz bezeichnet. Der sowohl Dehnungen als auch Gleitungen umfassende Oberbegriff lautet Verzerrungen. Die Zahlenwerte von Dehnungen und Gleitungen hängen von der Wahl des Koordinatensystems ab, wie man

sich mit folgendem Gedankenexperiment leicht klarmachen kann: Betrachten wir einen Stab unter Zugbelastung. Durch die angreifende Zugkraft F dehnt sich der Stab, und durch die Querkontraktion (siehe Abschnitt Das Materialgesetz) verjüngt er sich. Welche Verzerrungen liegen im x, y-Koordinatensystem vor? Hierzu zeichnen wir ein am x, y-Koordinatensystem ausgerichtetes Gitter auf den Stab. Unter Belastung werden die Kanten in x-Richtung länger, es verkürzen sich die Kanten in y-Richtung, und die rechten Winkel des Gitters bleiben erhalten. Es liegen somit eine positive Dehnung ε x und eine negative Dehnung ε y vor, die Gleitung γxy ist null. Ein um 45° gedrehtes ξ, η-Koordinatensystem bedeutet nichts anderes, als dass auf den Stab ein um 45° geneigtes Gitter einzuzeichnen ist. In dieser Orientierung werden nun bei Belastung die Kanten sowohl in ξ-, als auch in ηRichtung länger – und zwar in gleichem Maße – und auch die vormals rechten Winkel ändern sich. Es liegen somit zwei gleich große Dehnungen ε ξ und ε η sowie eine von null verschiedene Gleitung γξη vor.

93

Technische Mechanik

4.2

94

4 Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen

Technische Mechanik

Fassen wir kurz zusammen: Es gibt drei Verzerrungen mit einem Index, die Dehnungen ε x , ε y und ε z , sowie drei Verzerrungen mit zwei Indizes, die Gleitungen γxy , γxz und γyz . All diese Verzerrungen ändern bei einer Drehung des Koordinatensystems ihre Größe. Das erinnert sehr an den zuvor behandelten Spannungstensor. In der Tat ist es so, dass sich auch die Verzerrungen in einem Tensor, dem sogenannten Verzerrungstensor V, anordnen lassen, wenn anstelle der Gleitungen γ jeweils die halben Gleitungen in den Verzerrungstensor eingehen. Wie der Spannungstensor ist auch der Verzerrungstensor symmetrisch. Er lässt sich als Matrix schreiben: ⎛ ⎞ 1 1 εx 2 γxy 2 γxz ⎜1 ⎟ 1 ⎟ . V=⎜ εy 2 γyz ⎠ ⎝ 2 γyx 1 1 εz 2 γzx 2 γzy xyz Volumendehnung Durch die Dehnungen in x-, y- und z-Richtung ändert sich das Volumen eines Körpers. Wenn wir die Kantenlängen eines kleinen Volumenelements ΔV mit Δx, Δy und Δz bezeichnen und sich diese Kantenlängen auf Δx , Δy und Δz dehnen, dann beträgt das gedehnte Volumen ΔV = Δx · Δy · Δz = (1 + ε x )Δx · (1 + ε y )Δy · (1 + ε z )Δz. Hierin lassen sich nach dem Ausmultiplizieren der Klammern die Dehnungsprodukte vernachlässigen, da sie als Terme höherer Ordnung sehr klein sind, und wir erhalten für die

γ/2 1 γ /2 max 2

(ε η | 1 γ ξ η ) 2 (ε y| 1 γ xy) 2 ε2

2φ M

ε1

ε

(ε x|– 1 γ xy) 2

(ε x |– 1 γ ξ η ) 2

– 1 γ max/2 2

Abb. 4.12 Der Mohr’sche Verzerrungskreis

Bei einer Drehung des Koordinatensystems gelten für den Verzerrungstensor die gleichen Gesetzmäßigkeiten wie für den Spannungstensor. Es lauten also die Gleichungen für die Verzerrungen bei einer Drehung des Koordinatensystems

 1  1 1 εx + εy + ε x − ε y cos 2ϕ + γxy sin 2ϕ, 2 2 2  1  1 1 εx + εy − ε x − ε y cos 2ϕ − γxy sin 2ϕ, εη = 2 2 2  1 1 1 γ = − ε x − ε y sin 2ϕ + γxy cos 2ϕ. 2 ξη 2 2 εξ =

Relative Volumenänderung (Volumendehnung) e

ΔV − ΔV e= = εx + εy + εz. ΔV

Ebener Verzerrungszustand und Mohr’scher Verzerrungskreis Ähnlich wie es beim Spannungstensor den ebenen Spannungszustand gibt, gibt es beim Verzerrungstensor einen ebenen Verzerrungszustand (EVZ). Dieser herrscht immer dann, wenn in eine Koordinatenrichtung alle Verzerrungen verschwinden. Ist dies die z-Richtung, so vereinfacht sich der Verzerrungstensor zu   1 ε 2 γxy . V= 1 x ε y xy 2 γyx

Alternativ kann man den Mohr’schen Verzerrungskreis ansetzen. Bei diesem sind im Vergleich mit dem Spannungskreis anstelle der Spannungen σ die Dehnungen ε und anstelle der Schubspannungen τ die halben Gleitungen γ/2 zu verwenden. Die größt- bzw. kleinstmöglichen Dehnungen werden als Hauptdehnungen ε 1 bzw. ε 2 bezeichnet. Sie betragen Hauptdehnungen im EVZ

  ε − ε 2  1 2 εx + εy x y γxy ε1 = + + und 2 2 2   ε − ε 2  1 2 εx + εy x y ε2 = − + γxy . 2 2 2

Man kann zeigen, dass die Hauptachsen von Spannungsund Verzerrungstensor in isotropen Materialien (Materia-

4.3

Wie beim Spannungstensor entspricht eine Drehung um den Winkel ϕ am Bauteil einer Drehung um den doppelten Winkel im Mohr’schen Verzerrungskreis. Zwischen dem Koordinatensystem der größten Dehnungen und demjenigen der größtmöglichen Gleitung liegt wieder ein 45° Winkel (90° im Mohr’schen Verzerrungskreis). Noch eine Schlussbemerkung zum ebenen Spannungsund ebenen Verzerrungszustand: Herrscht der ESZ an freien Oberflächen und in dünnwandigen Bauteilen, so ist es beim EVZ gerade umgekehrt: Er liegt gerade dann vor, wenn die Verformung in eine der Koordinatenrichtungen unterbunden ist, und das ist bei eingezwängten Oberflächen oder sehr dicken Strukturen der Fall. Wird z. B. ein Dichtungsband zwischen Fenster und Fensterrahmen eingequetscht, so wird es platt und breit gedrückt, es dehnt sich also in x- und y-Richtung, aber seine Länge ändert sich nicht (keine Dehnung in z-Richtung).

4.3

Das Materialgesetz

Unter Belastung entstehen in einem Körper Spannungen und Verzerrungen. Der Zusammenhang zwischen ihnen hängt vom Werkstoff ab. Ein steifer Werkstoff wie z. B. Stahl verformt sich unter jeweils gleicher Last weit schwächer als ein nachgiebiger Werkstoff wie z. B. Schaumstoff. Man bezeichnet den Zusammenhang zwischen Spannungen und Verzerrungen daher als Material- oder Stoffgesetz. Die Ermittlung von Materialgesetzen ist zunächst einmal Aufgabe der Werkstoffprüfung; wir beschäftigen uns hier damit, welche mechanischen Gesetzmäßigkeiten aus den einschlägigen Versuchen der Werkstoffprüfung abgeleitet werden können und wie man diese Gesetzmäßigkeiten anwendet (siehe auch Abschn. 15.6).

Das Hooke’sche Gesetz beschreibt den Zusammenhang zwischen Spannungen und Verzerrungen im linear-elastischen Bereich Aus der Werkstoffkunde wissen wir, dass viele Werkstoffe bei Belastung zunächst einen linear-elastischen Zusammenhang zwischen Spannungen und Verzerrungen aufweisen, der nach Überschreiten eines kritischen Grenzwertes in einen nichtlinearen Zusammenhang übergeht. Hierzu ist als Beispiel schematisch das SpannungsDehnungs-Diagramm eines Baustahls wiedergegeben (Abb. 4.13). Wir beschränken uns in im Folgenden ausschließlich auf den anfänglichen, linear-elastischen Bereich.

95

σ

Re

ε

Abb. 4.13 Schematisches σ-ε-Diagramm eines Baustahls. Bis zur Streckgrenze Re verhält sich der Werkstoff linear-elastisch

Abb. 4.14 Zugversuch

Des Weiteren betrachten wir ausschließlich isotrope Materialien. Dies sind Materialien, deren Eigenschaften in alle Richtungen gleich sind. Das Gegenteil von Isotropie ist Anisotropie. Anisotrope Materialien haben in unterschiedliche Materialrichtungen unterschiedliche Eigenschaften, wie z. B. Holz, das in Faserrichtung wesentlich steifer und fester ist als quer zur Faser. Der wichtigste Versuch zur Ermittlung des Materialgesetzes ist der Zugversuch (Abb. 4.14). In ihm wird eine Zugprobe in einer Werkstoffprüfmaschine mit in der Regel konstanter Dehnrate bis zum Probenbruch gedehnt. Die Prüfmaschine misst fortlaufend Kraft und Probenverlängerung und rechnet diese Werte in Spannungen und Dehnungen um. Im linearelastischen Bereich lautet der Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung σx = E ε x mit dem Elastizitätsmodul E. Der Elastizitätsmodul hat die Einheit einer Spannung und liegt für die gebräuchlichsten Konstruktionswerkstoffe im GPa-Bereich. Doch im Zugversuch verlängert sich die Probe nicht nur. Quer zur Zugrichtung kontrahiert sie sich auch. Es zeigt sich, dass diese Querkontraktion proportional zur Längsdehnung ist, es gilt somit ε y = −ν ε x

und

ε z = −ν ε x

mit der Querkontraktionszahl ν. Diese ist ein dimensionsloser Werkstoffparameter, der für isotrope Werkstoffe stets zwischen 0 und 0,5 liegt. An der Untergrenze ν = 0 würde sich ein Zugstab gar nicht quer kontrahieren, bzw. für ν < 0 würde ein Zugstab, wenn er länger wird, sich nicht kontrahieren, sondern in Querrichtung breiter werden, was es bei isotropen Werkstoffen nicht gibt. Die

Technische Mechanik

lien, deren Eigenschaften in alle Richtungen gleich groß sind) übereinstimmen.

Das Materialgesetz

96

4 Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen Tab. 4.1 Übersicht über die Elastizitätsmoduln einiger gebräuchlicher Konstruktionswerkstoffe

Technische Mechanik

Werkstoff Wolframcarbid Nickel Stähle Titanlegierungen Aluminiumlegierungen Natronglas GFK, in Faserrichtung Beton Bauholz, in Faserrichtung Epoxidharze PVC

Elastizitätsmodul in GPa 450–650 214 205 80–130 70 69 35–45 30–50 9–16 2,6–3 0,2–0,8

rung verformen, wofür der Zusammenhang ε = α ΔT gilt. Hierin sind ε die Dehnung in x-, y- und z-Richtung, α der Wärmeausdehnungskoeffizient mit der Einheit K−1 und ΔT die Temperaturänderung des Körpers. Wenn wir all diese Gleichungen zusammenführen, erhalten wir das Hooke’sche Gesetz (nach Robert Hooke, 1635–1703). Zur Berechnungen der Verzerrungen aus den Spannungen lautet es Allgemeines Hooke’sches Gesetz; Verzerrungen aus Spannungen

τ xy

1 σx − ν (σy + σz ) + αΔT, E

1 εy = σy − ν (σx + σz ) + αΔT, E

1 σz − ν (σx + σy ) + αΔT, εz = E τxy τyz τxz , γxz = und γyz = . = G G G εx =

τ xy

γ xy τ xy

γxy

τ xy

Abb. 4.15 Ein Stückchen Material im Schubversuch

Löst man diese sechs Gleichungen nach den Spannungen auf, so erhält man das Obergrenze ν = 0,5 beschreibt den Grenzfall der Volumenkonstanz. Ein Werkstoff mit ν > 0,5 würde sich im Zugversuch so stark quer kontrahieren, dass sein Volumen trotz äußerer Zugspannung insgesamt abnimmt. Die Querkontraktionszahl ν ist in den meisten isotropen Werkstoffen ähnlich groß.

Für die meisten Konstruktionswerkstoffe liegt ν bei etwa 0,3. Wenn ein Werkstoff ausschließlich durch Schubspannungen beansprucht wird, wie es beispielsweise bei reiner Torsion der Fall ist, kann man den Zusammenhang zwischen Schubspannungen und Gleitungen experimentell ermitteln (Abb. 4.15). Auch hier existiert für nicht zu große Werkstoffbeanspruchungen ein linear-elastischer Zusammenhang zwischen der Schubspannung τ und der durch sie verursachten Gleitung γ. Er lautet

Allgemeines Hooke’sche Gesetz; Spannungen aus Verzerrungen

E ν E εx + αΔT, (ε x + ε y + ε z ) − 1+ν 1 − 2ν 1 − 2ν

E ν E σy = εy + αΔT, (ε x + ε y + ε z ) − 1+ν 1 − 2ν 1 − 2ν

E ν E σz = εz + αΔT, (ε x + ε y + ε z ) − 1+ν 1 − 2ν 1 − 2ν σx =

τxy = Gγxy ,

τxz = Gγxz

und

τyz = Gγyz .

Im ebenen Spannungszustand gelten handlichere Formeln für das Hooke’sche Gesetz

τxy = G γxy mit dem Schubmodul G. Wie der Elastizitätsmodul E hat auch G die Einheit einer Spannung. Schließlich kann sich ein Körper nicht nur als Folge von Spannungen, sondern auch durch eine Temperaturände-

Die Gleichungen des allgemeinen Hooke’schen Gesetzes gelten für allgemeine dreiachsige Spannungszustände. Für ebene Spannungszustände vereinfachen sich diese Gleichungen ein wenig. Wir setzen σz , τxz und τyz gleich null und erhalten das

a ·γ xy

τ xy

τ xy

a

τ xy y

a

d

Das Materialgesetz

σ 2 = –τ xy

σ 1 = τ xy

σ 1 = τ xy

σ 2 = –τ xy

γ xy

a x τ xy

η

ξ 45°

Abb. 4.16 Verformung eines Flächenelements unter Schub

Abb. 4.17 Identischer Spannungszustand nach Drehung des Koordinatensystems um 45°

Hooke’sches Gesetz für den ESZ; Verzerrungen aus Spannungen

 1 σx − νσy + αΔT, E  1 εy = σy − νσx + αΔT, E  ν σx + σy + αΔT, εz = − E τxy = , γxz = 0 und γyz = 0. G εx =

γxy

sowie das Hooke’sches Gesetz für den ESZ; Spannungen aus Verzerrungen

 E  E ε + νε − αΔT, x y 1−ν 1 − ν2  E  E αΔT, ε y + νε x − σy = 2 1−ν 1−ν

√ Diagonale von ihrer Ausgangslänge a 2 auf den Wert d. Für kleine Verformungen beträgt die Dehnung in Diagonalenrichtung √ d−a 2 √ = ε= a 2 γxy τxy . = = 2 2G

Der gleiche Spannungszustand wird in einem um 45° gedrehten Koordinatensystem durch zwei Normalspannungen beschrieben, deren Beträge beide τxy entsprechen und von denen die eine in ξ-Richtung am gedrehten Flächenelement zieht und die andere in η-Richtung auf das Flächenelement drückt (Abb. 4.17).

σx =

und

τxy = Gγxy .

 √  √ a 2 + aγxy sin 45◦ − a 2 √ a 2

Frage 4.1 Machen Sie sich am Mohr’schen Spannungskreis klar, dass die beiden Spannungszustände tatsächlich identisch sind.

Die Dehnung in ξ-Richtung beträgt hier

Zwischen E , G und ν besteht ein einfacher mathematischer Zusammenhang Bei den drei Materialparametern E, G und ν handelt es sich nicht um voneinander unabhängige Größen. Betrachten wir, um den Zusammenhang zwischen diesen drei Größen herzuleiten, noch einmal ein durch Schub belastetes kleines Quadrat (in (Abb. 4.16) mit der Kantenlänge a). Infolge der Schubbelastung gleitet das Material um den Winkel γxy , und die rechte obere Ecke verschiebt sich horizontal um den Betrag a · γxy . Dadurch verlängert sich die

εξ =

τxy 1 τxy − ν (−τxy ) = (1 + ν ) . E E

Wir setzen beide Dehnungen gleich und erhalten so den gesuchten Zusammenhang zwischen E , G und ν

G=

E . 2 (1 + ν )

97

Technische Mechanik

4.3

98

4 Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen

Technische Mechanik

Beispiel: Spannungen mit Dehnungsmessstreifen bestimmen Spannungen lassen sich an belasteten Bauteilen nicht unmittelbar messen. Aber man kann an der Oberfläche eines Bauteils die Dehnungen messen und dann aus den Dehnungen die Spannungen errechnen.

Der DMS (b) ist um jeweils 45° zu den DMS a und c gedreht, sodass der zu ε b gehörende Punkt (b) des Mohr’schen Verzerrungskreises auf einem um 90° zur Linie (a) − (c) verlaufenden Kreisdurchmesser liegt.

Problemlösung und Strategie: Aus den gemessenen Dehnungen ermitteln wir mithilfe des Mohr’schen Verzerrungskreises die Hauptdehnungen, aus welchen wir dann mit dem Hooke’schen Gesetz für den ebenen Spannungszustand die Hauptspannungen bestimmen.

Damit können wir den Mohr’schen Spannungskreis einer DMS-Rosette wie folgt zeichnen:

Lösung Dehnungsmessstreifen (abgekürzt DMS) werden eingesetzt, um Spannungen an der Oberfläche von Bauteilen zu ermitteln. Ein DMS besteht aus einer Trägerfolie mit einem mäanderförmig verlaufenden dünnen Metalldraht, die zur Messung auf das Bauteil geklebt wird. Wenn sich das Bauteil unter Belastung dehnt, ändern sich Länge und Querschnitt und mit ihnen der elektrische Widerstand des Drahtes. Aus Letzterem kann man auf die Dehnung des Bauteils schließen. Aus den Dehnungen werden schließlich mithilfe des Hooke’schen Gesetzes die Spannungen berechnet.

45°

(c)

ε2 εc

εM

εb α

εa ε1

ε

(a)

γac = εb − εM. 2

(b)

45° (a) Trägerfolie

(b)

Da die drei im Mohr’schen Verzerrungskreis gelb markierten rechtwinkligen Dreiecke kongruent sind, ist

(c)

Ω

1γ 2

Draht

Übliche Bauformen von DMS sind einachsige DMS (links), mit denen die Dehnung in eine bestimmte Richtung gemessen werden kann, sowie aus drei DMS bestehende Rosetten (rechts). Wir betrachten im Folgenden eine Rosette mit zwei 45° Winkeln zwischen den drei DMS. Die Ermittlung des Mohr’schen Verzerrungskreises ist ein wenig verzwickt, weil mit einer DMS-Rosette nicht zwei Dehnungen und eine Gleitung gemessen werden, wie es unserem Schema zu den Mohr’schen Kreisen entspricht, sondern drei Dehnungen. Aber auch das geht. Entscheidend ist das Verständnis dafür, wie die drei Dehnungen im Verzerrungskreis zueinander liegen. Die DMS (a) und (c), die am Bauteil rechtwinklig zueinanderliegen, liegen sich im Mohr’schen Verzerrungskreis genau gegenüber. Der Mittelpunkt des Verzerrungskreises liegt bei 1/2(ε a + ε c ).

Damit haben wir die uns bislang für die gewohnte Konstruktion des Mohr’schen Verzerrungskreises fehlende Gleitung und können nun den Mohr’schen Verzerrungskreis zeichnen, die Hauptdehnungen bestimmen und diese in Hauptspannungen umrechnen. Beispiel An einem Bauteil aus Stahl (E = 205 GPa, ν = 0,3) werden mit einer DMS-Rosette die Dehnungen ε a = 0,8424 · 10−3, ε b = 0,255 · 10−3 und ε c = 0,0976 · 10−3 gemessen. Wie groß sind die Hauptspannungen, und in welche Richtung sind sie orientiert? Zunächst beschaffen wir uns den Mittelpunkt des Mohr’schen Kreises. Dieser liegt bei 1 (ε a + ε c ) 2 1 = (0, 8424 · 10−3 + 0, 0976 · 10−3 ) 2

εM =

= 0, 47 · 10−3.

Die zum Zeichnen des Mohr’schen Verzerrungskreises fehlende Gleitung γac berechnen wir nun nach

Mit dem Hooke’schen Gesetz für den ESZ errechnen wir für die Hauptspannungen schließlich

γac = εb − εM 2 = 0, 255 · 10−3 − 0, 47 · 10−3

 E  ε + νε 1 2 1 − ν2  205.000 MPa  −4 −5 9 = · 10 + 0, 3 · 4 · 10 1 − 0, 32 = 205 MPa und  E  ε + νε σ2 = 2 1 1 − ν2  205.000 MPa  −5 −4 4 = · 10 + 0, 3 · 9 · 10 1 − 0, 32 = 70 MPa σ1 =

= −0, 215 · 10−3 . Nun können wir den Mohr’schen Verzerrungskreis zeichnen und aus diesem die Hauptdehnungen ε 1 = 0,9 und ε 2 = 0,04 ablesen. 1 γ in ‰ 2 0,4 0,3 0,2 0,1 0 –0,1 –0,2 –0,3 –0,4

εc εb ε 1 0,2

εM 0,4

εa 0,6

0,8

ε2 1

ε in ‰

Im Mohr’schen Verzerrungskreis lesen wir zudem ab, dass diese Hauptspannungen in einem Koordinatensystem auftreten, das um den Winkel α = 15◦ zu den  DMS (a) und (c) gedreht ist.

Weiterführende Literatur Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 4.1 Der Mohr’sche Spannungskreis hat seinen Mittelpunkt im Koordinatenursprung. Die Beträge von

Hauptspannungen und Hauptschubspannung sind daher gleich groß.

99

Technische Mechanik

Antworten zu den Verständnisfragen

100

4 Spannungen, Verzerrungen und Materialgesetz – wenn Werkstoffe versagen

Technische Mechanik

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812).

• Zugproben duktiler Werkstoffe reißen im 4.1 Zugversuch regelmäßig mit einer größtenteils um 45° zur Kraftrichtung geneigten Bruchfläche. F

• Am dargestellten, 4 mm starken, quadrati4.3 schen Blech der Seitenlängen 100 mm wird mit gleichmäßig über die jeweiligen Stirnseiten verteilten Kräften F1 = 32 kN gezogen und F2 = 12 kN gedrückt.

F

F1 = 32 kN

45°

y

y

x F2 = 12 kN

z

x

Analysieren Sie die Spannungsverhältnisse in einer solchen Zugprobe des Querschnitts 20 mm2 , die unter einer Zugkraft von F = 8 kN gebrochen ist, in den folgenden Schritten: 1. Schneiden Sie ein Stück der Zugprobe frei und tragen Sie die angreifenden Spannungen in einen x, yLageplan ein. 2. Wie lautet der Spannungstensor? 3. Zeichnen Sie den Mohr’schen Spannungskreis. 4. In welchem Winkel treten die Hauptschubspannungen τmax auf und wie groß sind sie? Zeichnen Sie für das 1∗ , 2∗ -Hauptschubspannungssystem einen entsprechend gedrehten Lageplan und tragen Sie in diesen alle auftretenden Spannungen ein. 5. Was ist aus werkstoffkundlicher Sicht der Grund für die um 45° geneigte Bruchfläche? Resultat: Die Hauptschubspannungen betragen τmax = 200 MPa.

F2 = 12 kN

F1 = 32 kN

1. Welche Art von Spannungszustand liegt vor? 2. Wie lautet der Spannungstensor im x, y-Koordinatensystem? 3. Tragen Sie die vorliegenden Spannungskomponenten in einen Lageplan ein und zeichnen Sie den Mohr’schen Spannungskreis. 4. Um welchen Winkel ist das Koordinatensystem zu drehen, damit die größtmöglichen Schubspannungen auftreten? 5. Wie lautet der Spannungstensor im 1∗ , 2∗ -Hauptschubspannungssystem? 6. Tragen Sie Komponenten des in das Hauptschubspannungssystem gedrehten Spannungstensors in einen entsprechend gedrehten Lageplan ein. Resultat: σx = −30 MPa, σy = 80 MPa, τxy = 0 MPa.

4.2 • Auf der freien Oberfläche eines Bauteils herrschen die Spannungen σx = 60 MPa, σy = −45 MPa und τxy = 50 MPa.

Zwischen dem x, y-Koordinatensystem und dem Hauptschubspannungssystem liegt ein Winkel von 45°.

1. Tragen Sie die Spannungen in einen Lageplan ein. 2. Zeichnen Sie den Mohr’schen Spannungskreis. 3. Wie groß sind die Hauptspannungen σ1 und σ2 sowie die Hauptschubspannung τmax ? 4. Welcher Winkel liegt zwischen dem x, y-Koordinatensystem und den Hauptachsensystem?

4.4 • Im Kampf gegen die Langeweile sitzen Sie in der letzten Reihe des Hörsaals und zerren an einem Blatt karierten Papiers. Dabei verformt sich das Blatt wie folgt:

Resultat: σ1 = 80 MPa, σ2 = −65 MPa, τmax = 72,5 MPa, ϕ = 22◦ .

σ1∗ = σ2∗ = 25 MPa, τmax = 55 MPa.

Unverformter Zustand: quadratisches Karomuster mit Linienabständen von jeweils 5 mm. Verformter Zustand: siehe folgende, nichtmaßstäbliche Skizze:

5. Welche Eigenschaft haben demnach Stoffe der Querkontraktionszahl ν = 0,5? Hinweis: Rechnen Sie in Aufgabenteil 1 mit einer Erdbeund einer Dichte von 1,02 mt 3 schleunigung von 9,81 m s2 5,3 mm

γ = 4°

y x

4,8 mm

1. Wie lautet der Verzerrungstensor in der x, y-Ebene? 2. Zeichnen Sie die vorliegenden Verzerrungen in einen Lageplan ein. 3. Zeichnen Sie den Mohr’schen Verzerrungskreis. 4. Wie groß sind die Hauptdehnungen ε 1 und ε 2 ? Zeichnen Sie die im Hauptachsensystem herrschenden Dehnungen in einen entsprechend gedehnten Lageplan ein. Resultat: ε x = −4 %, ε y = 6 %, ε xy = 3,5 %, ε 1 = 7,1 %, ε 2 = −5,1 %.

Resultat: 1. σx = σy = σz = −110,4 MPa. 3. Stahl: ε x = ε y = ε z = −0,215 ‰. Alu: ε x = ε y = ε z = −0,631 ‰. PVC ε x = ε y = ε z = 0. 4. ΔVStahl = −0,081 cm3 , ΔVAlu = −0,237 cm3 , ΔVPVC = 0 cm3 .

•• Eine quadratische dünne Stahlstange der 4.8 Länge l = 1 m (Materialdaten: E = 205 MPa, ν = 0,3, α = 10−5 K−1 ) wird zwischen zwei starren Betonwänden eingemauert. Nach der Montage erwärmt sich die Stahlstange um ΔT = 40 K.

• Leiten Sie eine für die meisten gängigen Kon4.5 struktionswerkstoffe gültige, einfache Faustformel zur Berechnung des Schubmoduls G allein aus dem Elastizitätsmodul E her. Hinweis: In welchen Grenzen bewegt sich die Querkontraktionszahl ν? Resultat: G =

E 2,6

4.6 • Welcher der beiden Verzerrungstensoren ist „schlimmer“, V 1 oder V 2 ?   0,2 0,3 V1 = %, 0,3 1   0,3 −0,4 % V2 = −0,4 0,9 Resultat: Keiner, beide beziehen sich auf denselben Verzerrungszustand. 4.7 • Drei gleich große Würfel der Kantenlänge a = 5 cm, von denen der erste aus Stahl (E = 205 GPa, ν = 0,3), der zweite aus Aluminium (E = 70 GPa, ν = 0,3) und der dritte aus PVC (E = 0,5 GPa, ν = 0,5) besteht, fallen im Marianengraben auf die mit 11.034 m tiefste Stelle des Meeresgrundes. 1. Wie groß ist dort der Wasserdruck p in N/mm2 ? 2. Wie lautet der Spannungstensor? 3. Bestimmen Sie mithilfe des Hooke’schen Gesetzes den dazugehörigen Verzerrungstensor. 4. Welche Volumenänderung (in cm3 ) erfahren die drei Würfel?

Querschnitt:

l=1m y x

1. Wie groß sind die Dehnung ε x sowie die Spannungen σy , σz und alle Schubspannungen im Stab? Begründen Sie kurz Ihre Antwort. 2. Berechnen Sie mithilfe des Hooke’schen Gesetzes alle anderen Komponenten von Spannungs- und Verzerrungstensor. Hinweis: Sehen Sie sich für den Aufgabenteil 2 die insgesamt 12 Gleichungen des Hooke’schen Gesetzes (Spannungen aus Verzerrungen und Verzerrungen aus Spannungen) in Ruhe an und beginnen Sie mit derjenigen, die die wenigsten Unbekannten enthält. Resultat: 1. ε x = 0. Die y- und z-Flächen sind freie Oberflächen. Alle Spannungskomponenten mit den Indizes y oder z verschwinden: σy = σz = τxy = τxz = τyz = 0. 2. σx = −82 MPa, ε y = ε z = 0,52 ‰ 4.9 •• An einem Bauteil aus Aluminium (E = 70 GPa, ν = 0,3) werden mit einer DMS-Rosette die Dehnungen ε a = 0,6 ‰, ε b = 0,45 ‰ und ε c = 0,1 ‰ gemessen. Zwischen den DMS-Streifen (a), (b) und (c) liegen jeweils Winkel von 45◦ gegen den Uhrzeigersinn. Wie groß sind die Hauptspannungen und in welche Richtung sind sie orientiert? Resultat: σ1 = 49,5 MPa und σ2 = 20,5 MPa.

101

Technische Mechanik

Aufgaben

Wie berechnet man aus Schnittgrößen Spannungen und Verformungen? Wozu dient dabei der Mohr’sche Spannungskreis? Warum platzen Brühwürstchen stets in Längsrichtung auf?

5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7

Zentrischer Zug oder Druck . . . . . . . . Biegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schub durch Querkraft . . . . . . . . . . . Torsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statisch überbestimmte Systeme . . . . . Dünnwandige Behälter unter Innendruck Überlagerte Beanspruchung . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_5

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104 107 120 124 133 134 135 139 141

103

Technische Mechanik

5

Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

104

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

In diesem Kapitel behandeln wir nacheinander die vier Grundbeanspruchungsarten eines Balkens – Zug/Druck, Biegung, Schub durch Querkraft und Torsion – sowie die Druckbelastung kreiszylindrischer Behälter. Im Mittelpunkt werden jeweils die Fragen stehen, welche Spannungen im Bauteil auftreten und wie es sich verformt. Danach wird es schließlich um Bauteile gehen, die einer überlagerten Beanspruchung der behandelten Grundbeanspruchungsarten ausgesetzt sind.

5.1

Zentrischer Zug oder Druck

Die einfachste der vier Grundbeanspruchungsarten ist zentrische Zug- bzw. Druckbelastung. Die Spannungsverteilung eines derart belasteten Stabes kennen Sie bereits aus Kap. 4; sie folgt der bekannten Regel Kraft pro Fläche. Für die Dehnung gilt Ähnliches: sie folgt der gleichfalls aus Kap. 4; bekannten Regel Längenänderung pro Ausgangslänge.

Die Spannungen folgen der Merkregel „Kraft durch Fläche“ Schneiden wir an einer beliebigen Stelle quer durch einen zentrisch zug- bzw. druckbelasteten Stab, so erhalten wir ein Freikörperbild mit der im Schnittufer auftretenden Normalkraft N (x) oder aber – anstelle der Normalkraft – mit der auf der Querschnittsfläche A wirkenden Spannung σ (x) (Abb. 5.1). Hierbei ist, sofern der Freischnitt nicht zu nah an Kraftangriffspunkten, Festhaltungen oder Kerbstellen durchgeführt wurde, die Spannung σ an jeder Stelle des Balkenquerschnitts gleich groß. Wir erhalten somit für die Spannung in einem zug- oder druckbelasteten Stab

σ (x ) =

N (x ) . A(x )

F

F

σ (x ) F

bzw. x

x

Abb. 5.1 In einem zugbelasteten Stab ist die Spannung an jeder Stelle des Balkenquerschnitts gleich groß

Betrachten wir in einem Stab der Länge l zwei nah beieinanderliegende Querschnitte; der Querschnitt 1 befinde sich an einer beliebigen Stelle x, der Querschnitt 2 ein klein wenig entfernt davon an der Stelle x + Δx. Unter Zugbelastung verschieben sich der Querschnitt 1 um die Strecke u(x) und der Querschnitt 2 um die ein klein wenig größere Strecke u(x) + Δu nach rechts. Die Verschiebung des Stabendes, u(l), ist die Stabverlängerung Δl (Abb. 5.2). Die Dehnung an der Stelle x, (x), entspricht definitionsgemäß der Änderung des Abstands zwischen den Querschnitten 1 und 2 bezogen auf ihren Ausgangsabstand,  (x ) =

Ein zugbelasteter Stab wird länger, druckbelastete Stäbe werden gestaucht. Der Betrag dieser Verformungen ist für viele Anwendungen wichtig, z. B. für Fahrradspeichen, Gebäudestützen oder Schrauben. Aber auch bei BungeeSeilen, die, da in ihnen ebenfalls nur Zugkräfte herrschen, aus mechanischer Sicht ebenfalls wie ein Zugstab behandelt werden können, ist die Verformung das entscheidende Auslegungskriterium, soll der Springer doch tunlichst vor Erreichen des Bodens sicher abgebremst werden.

Δu . Δx

Wir formen nach Δu um und ersetzen (x) zunächst mit dem Hooke’schen Gesetz durch die Spannung σ(x) und diese ihrerseits durch die Normalkraft N (x). So erhalten wir Δu = (x) · Δx =

σ (x ) N (x ) · Δx = Δx. E E A(x )

Mit diesem Zusammenhang kennen wir die Verlängerung eines kleines Abschnitts der Länge Δx. Die gesamte Verlängerung des Stabes, Δl, entspricht der Summe aller einzelnen Verlängerungen, Δl =

Die Verformung eines Zugstabes hängt ab von Belastung, Geometrie und E-Modul

F

N(x)

N (x )

∑ Δu = ∑ E A(x) Δx.

1

2

x

x + ∆x

u(x) u(x) + ∆u

u( l ) = ∆ l F

1

2

Abb. 5.2 Zur Verformungsberechnung in einem Zugstab

5.1 a

b 20 m – z l = 20 m

Verlängerung eines Zug- oder Druckstabes

G = γ A(l – z)

N(z)

z

Δl =

l 0

N (x ) dx. E A(x ) Abb. 5.3 Betonsäule unter Eigengewicht (a) und Freikörperbild zur Ermittlung des Normalkraftverlaufs (b)

Mit dieser Gleichung können wir die Verlängerung eines Zug- bzw. Druckstabes der Länge l berechnen, in dem die Querschnittsfläche A(x) und der Normalkraftverlauf N (x) entlang des Stabes veränderlich sind. In sehr vielen Fällen weist der betrachtete Stab aber einen konstanten Querschnitt A und einen ebenfalls konstanten Normalkraftverlauf N auf. Dann ist der gesamte Integrand konstant, kann vor das Integral gezogen werden, und es ergibt sich für die Verlängerung eines Zug- oder Druckstabes bei konstanten N, E und A

Δl =

Nl . EA

Schritt 1 zunächst die Lagerreaktionen zu berechnen, damit mit diesen in Schritt 2 der Schnittgrößenverlauf N (x) berechnet werden kann, aus dem schließlich in Schritt 3 der Spannungsverlauf σ (x) bzw. die Stabverformung Δl berechnet werden kann. Beispiel Eine senkrechte, l = 20 m hohe Betonsäule (Querschnitt A = 100.000 mm2 , Elastizitätsmodul E = 30 GPa, spezifisches Gewicht γ = 27.000 mN3 ) wird durch ihr Eigengewicht belastet. Wie groß sind die Spannungen in der Säule und die Stauchung Δl der Säule (Abb. 5.3)? Zunächst zum Normalkraftverlauf: Wir schneiden an einer beliebigen Stelle z im Träger frei und erhalten N (z) = −γA(l − z).

Mit dieser Gleichung ersparen wir uns die Integration. Sie lässt sich allerdings nur dann anwenden, wenn N (x), A(x) und E(x) konstant sind. Frage 5.1 Weswegen kann die vereinfachte Gleichung zur Berechnung der Verlängerung eines Zug- oder Druckstabes nur angewendet werden, wenn das Eigengewicht des Stabes vernachlässigbar ist? Achtung Rechnen Sie nicht vorschnell los, wenn die Verlängerung Δl eines Zug- oder Druckstabes zu bestimmen ist. Überprüfen Sie zuerst, ob Normalkraft, Querschnittsfläche und Elastizitätsmodul des Stabes veränderlich oder konstant sind. Sind alle drei Größen (abschnittweise) konstant, können Sie Δl ohne Integration  bestimmen. Aus den Gleichungen zur Berechnung von σ (x) und Δl lässt sich gut erkennen, welchem roten Faden sowohl Spannungs- als auch Verformungsberechnung im Allgemeinen folgen. In die Gleichungen geht jeweils ein Schnittgrößenverlauf – in diesem Kapitel N (x) – ein. Deswegen sind – und dieser rote Faden gilt sinngemäß auch für die Spannungs- und Verformungsberechnung bei Biegung, Schub und Torsion – in

105

Hieraus berechnen wir den Spannungsverlauf σ (z) =

N (z) = − γ (l − z). A

Die maximale Spannung tritt im Fußpunkt der Säule auf und beträgt σ (z)max = −γl = −27.000

N · 20 m = −0,54 MPa. m3

Zur Berechnung der Stauchung müssen wir, da die Normalkraft veränderlich ist, entlang der Säule integrieren. Wir erhalten Δl =

l 0

=−

N (z) dz E A(z) 1 E

l 0

γ(l − z)dz =

−γ l2 = −0,18 mm 2E



Beispiel Der Stab in Abb. 5.4 (Abmessungen Bereich 1: D1 = 40 mm und l1 = 0,6 m, Bereich 2: D2 = 25 mm und

Technische Mechanik

Im Grenzübergang von endlich großen Δx zu infinitesimal kleinen Abschnitten dx erhalten wir schließlich für die

Zentrischer Zug oder Druck

106

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

Leitbeispiel Antriebsstrang Kräfte in einer Schraubenverbindung: . . . die wundersame Kraftverminderung

Wie groß ist in einer Schraubenverbindung die durch eine Betriebskraft FA hervorgerufene Schraubenkraft FSA ? Intuitiv wird man antworten, dass diese selbstverständlich der äußeren Belastung geteilt durch die Anzahl der Schrauben entspreche. Doch die tatsächliche Schraubenkraft ist meist viel kleiner. So haben z. B. die hier skizzierten zwei Schrauben einer Pleuelverschraubung einen deutlich geringeren Anteil als die Hälfte der Betriebskraft zu tragen (siehe auch Abschn. 26.2). F

a

b FA

Nur Vorspannung

σ

c

Unter Betriebskraft

σ

FA

FA steht mit beiden Spannungsänderungen im Gleichgewicht, es gilt FA = FSA + FPA , wobei FSA und FPA die Schraube und verspannten Platten getragene Anteile der Betriebslast sind. Wie groß sind FSA und FPA ? Nun, die Verlängerungen von Schrauben und Platten sind stets gleich groß, ΔlS = ΔlP . Hieraus folgt F l FSA lK = PA K . ES AS EP AP

F

Der Grund hierfür ist letztlich, dass die verspannten Platten (hier Pleuelfuß und Pleuellagerdeckel) durch das Anziehen der Schrauben erst kräftig gegeneinander gepresst werden. Die Betriebskraft FA erhöht dann nicht nur die Schraubenkraft FSA , sie verringert auch die Flächenpressung der verspannten Platten. Und was sich an Flächenpressung verringert, braucht nicht von der Schraube getragen zu werden.

Hierin sind lK die Klemmlänge der Schraubenverbindung, ES und EP die Elastizitätsmoduln und AS und AP die (wirksamen) Querschnittsflächen von jeweils Schraube und Platten. Mit FPA = FA − FSA lässt sich FPA eliminieren und wir erhalten  FSA

1  F 1 + = A . ES AS EP AP EP AP

Schauen wir uns hierzu die entsprechenden Freikörperbilder an. Wird die Schraube angezogen, so steht diese unter Zug und die gegeneinander gepressten Platten unter Druck (b). Da noch keine äußere Kraft wirkt, ist die Zugkraft in der Schraube (die Vorspannkraft FV ) genauso groß wie die Druckkraft in den Platten (Die Spannungen sind natürlich unterschiedlich groß, da sich die Querschnittsflächen unterscheiden.).

Die folgenden Gleichungen werden übersichtlicher, wenn wir δS = 1/ES AS und δP = 1/EP AP als die Nachgiebigkeiten von Schraube und Platten einführen. Wir erhalten

Greift nun die Betriebskraft FA an, so steigen die Zugspannungen in der Schraube, und die Druckspannungen in den verspannten Platten sinken (c).

Die Kräfteverhältnisse in einer Schraubenverbindung lassen sich im sogenannten Verspannungsdreieck sehr schön grafisch darstellen.

FSA =

δP FA δS + δP

und FPA =

δS FA . δS + δP

F

1/δS lK und die Stauchung der Platte einer Geraden der negativen Steigung −1/δP lK .

Schraube

Platten

FSA

FV

FPA

∆lS

∆lP

Da ohne äußere Last die Beträge von Schrauben- und Plattenkraft gleich groß sind, kreuzen sich beide Geraden in eben dieser Kraft, der Vorspannkraft FV . Auf der Abszisse können wir nun die beim Anziehen der Schraube verursachte Verlängerung ΔlS der Schraube und die Stauchung ΔlP der Platten ablesen.

FA

∆l

Beim Zeichnen des Verspannungsdreiecks beginnen wir mit dem Anziehen der Schraube. Beim Anziehen verlängert sich die Schraube, während die Platte sich um den gleichen Betrag verkürzt. Nach obigen Gleichungen entspricht die Schraubenverlängerung einer Geraden der positiven Steigung ΔF/Δl = ES AS /lK =

Nach obigen Gleichungen entspricht der Quotient von Schraubenkraft zu Plattenkraft, FSA /FSA , dem Quotienten der Steigung der Schraubengeraden durch die Steigung der Plattengeraden. Wir erhalten FSA und FPA somit, indem wir den Kraftpfeil der Betriebskraft FA zunächst zwischen die Schrauben- und die Plattengerade einpassen und ihn dann durch eine horizontale Linie auf Höhe von FV in den Schraubenanteil FSA und den Plattenanteil FPA aufteilen.

M

F1

M Druck

25

40

Biegung

x F2 = 20 kN

neutrale Faser

F1 = 45 kN 0,6 m

Zug

z

0,2 m

Abb. 5.5 In Biegebalken liegen sich Zug- und Druckfaser gegenüber. Dazwischen liegt die neutrale Faser

Abb. 5.4 Ein Zug-/Druckstab unter Belastung durch zwei zentrische Kräfte

l2 = 0,2 m, Elastizitätsmodul E = 100 GPa) wird durch die beiden Kräfte F1 = −45 kN und F2 = 20 kN belastet. Wie groß sind die Spannungen im Stab und die Stabverlängerung Δl? Für den Normalkraftverlauf erhalten wir im Bereich 1 NI = −25kN und im Bereich 2 NII = 20kN. Die Spannungen ergeben sich hieraus zu σI = −19,9 MPa und σII = 40,7 MPa. Die Berechnung der Stauchung können wir, da die geometrischen Abmessungen, der Elastizitätsmodul und die Normalkraft abschnittsweise konstant sind, mit der vereinfachten Gleichung ohne Integration ermitteln. Wir erhalten NI l1 N l + II 2 E A1 E A2 = −0,12 mm + 0,08 mm = −0,04 mm.

Δl =



5.2

Biegung

Unter Biegebeanspruchung biegt sich ein Balken durch, und es entstehen Spannungen in Balkenrichtung. Betrachten wir exemplarisch den skizzierten Balken: An seiner Oberkante herrschen Druckspannungen, da sich hier die Fasern des Balkens verkürzen, und an seiner Unterkante verlängern sich die Fasern des Balkens, sodass dort Zugspannungen herrschen. Irgendwo dazwischen gibt es eine Faser, die ihre Länge nicht ändert. Man bezeichnet sie als neutrale Faser. Diese ist, weil ohne Dehnung, spannungsfrei (Abb. 5.5). Wir werden uns in diesem Abschnitt näher mit den Gesetzmäßigkeiten von Biegespannungen und Durchbiegung befassen. Dabei gehen wir von der Bernoulli’schen Annahme aus, dass die Querschnittsflächen eines biegebeanspruchten Trägers eben bleiben und senkrecht zur neutralen Faser stehen. Es ist üblich, für die Berechnung von Biegeträgern ein Koordinatensystem mit in Balkenrichtung weisender x-Achse, nach unten weisender zAchse und aus der Zeichenebene nach vorne weisender y-Achse zu verwenden.

107

Technische Mechanik

5.2

108

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet a

b

M

M

Technische Mechanik

woraus, da die Steigung m der Spannungsverteilung ungleich null ist, 

x

z dA = 0

(A)

z

folgt. Dieses Integral ist uns bereits bei der Bestimmung des Flächenschwerpunktes begegnet. Ist es wie hier gleich null, bedeutet das – siehe Abschn. 2.5 – dass die zKoordinate des Flächenschwerpunktes gleich null ist. Da wir den Koordinatenursprung in die neutrale Faser gelegt haben, gilt somit für die

Abb. 5.6 Zur Herleitung der Spannungsverteilung

M

σ Lage der neutralen Faser

Die neutrale Faser der Biegung liegt im Schwerpunkt des Balkenquerschnitts.

z

Abb. 5.7 In Biegebalken herrscht ein linearer Spannungsverlauf

Bei gerader Biegung gibt es im Balken eine Zugfaser, eine Druckfaser und eine neutrale Faser Wie sieht nun die Spannungsverteilung im Balkenquerschnitt aus? Betrachten wir hierzu zwei nahe beieinanderliegende Querschnitte eines Biegebalkens (Abb. 5.6). Im unbelasteten Zustand (a) verlaufen die beiden Querschnitte parallel zueinander. Unter Biegebeanspruchung (b) werden die Querschnitte an der Druckseite zueinander hingedrückt, während sie an der Zugseite voneinander weggezogen werden. Da jeder Querschnitt gerade bleibt, ändert sich der Abstand der Querschnitte linear mit der Balkenhöhe z. Wenn wir den Koordinatenursprung in die spannungsfreie neutrale Faser legen, liegt eine Spannungsverteilung der Form

Damit zur Bestimmung der maximalen Spannung: Das Momentengleichgewicht lautet

 ∑ M(SU) = M− i ⇒M=

σ (z) · z dA = 0

(A)

m z2 dA =

(A)

σmax |z|max



z2 dA.

(A)

Hierin bezeichnet man das Flächenintegral von z2 als axiales Flächenträgheitsmoment Iy . Eine andere, ebenfalls sehr gebräuchliche Bezeichnung für Iy ist „Flächenmoment zweiten Grades“. Für das axiale Flächenträgheitsmoment bei Biegung um die z-Achse, Iz , gilt nach analoger Herleitung ein ähnlicher Zusammenhang. Definition der Flächenträgheitsmomente

Iy =

σ (z) = m · z







z2 dA,

(A)

Iz =



y2 dA.

(A)

vor. Hierin ist m = σmax /|z|max die Steigung der linearen Spannungsverteilung, wobei σmax die maximale Biegespannung im Balkenquerschnitt und |z|max der Randfaserabstand (der Abstand zwischen der neutralen Faser und der ihr am weitesten entfernten Faser) sind. Um obige Gleichung sinnvoll anzuwenden, müssen wir erstens wissen, wo die neutrale Faser liegt und zweitens wie groß die maximale Biegespannung σmax ist.

Flächenträgheitsmomente haben Einheiten von Länge hoch 4, üblicherweise mm4 oder cm4 . Für einfache Querschnittsgeometrien (Rechteck, Kreis) gibt es handliche Formeln zu ihrer Berechnung (siehe folgender Abschnitt); bei komplizierteren Geometrien helfen Tabellenbücher oder der Satz von Steiner weiter.

Schneiden wir hierzu einen Biegebalken frei und tragen wir im Schnittufer die auftretenden Biegespannungen ein (Abb. 5.7).

Mit den bisher hergeleiteten Gleichungen erhalten wir die Spannungsverteilung an einer beliebigen Stelle des Balkenquerschnitts als

Das Kräftegleichgewicht in x-Richtung ergibt

→ ∑ Fix =

 (A)

σ (z) dA = m



(A)

z dA = 0,

σ (z) = und daraus weiter die

M(x ) z Iy

Biegung

Randfaserspannung bei Biegung

σmax =

M(x)|z|max . Iy

Es ist üblich, die maximale Biegespannung über das sogenannte Widerstandsmoment W auszudrücken. Dieses ist definiert als Iy , W= |z|max sodass sich die Gleichung zur Berechnung der Randfaserspannung zu σmax =

M(x ) . W

vereinfacht. Frage 5.2 Weswegen sind Fachwerkträger, beispielsweise der Ausleger eines Baukrans, biegesteif und leicht (Abb. 5.8)?

+y

y

–y

z

Abb. 5.9 Das Deviationsmoment Iyz eines zur y - oder z -Achse symmetrischen Querschnitts verschwindet

Biegemoment My die Waage. So wie wir die Beanspruchung des Balkens eingangs angesetzt hatten, soll im Balken ja auch ausschließlich ein um die y-Achse drehendes Moment wirken. Aber die Biegespannungen könnten durchaus auch ein Moment um die z-Achse hervorrufen. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn 

Mz =

σ · y dA = 0

(A)

ist. Wir setzen in σ die Biegespannungsverteilung ein und erhalten:



Mz Iy



yz dA = 0.

(A)

Das Flächenintegral in dieser Gleichung wird als Deviationsmoment Iyz bezeichnet. Es ist definiert als: Iyz = −



yz dA.

(A)

Achtung Die hergeleiteten Formeln für die Biegespannungsverteilung und die Randfaserspannung gelten nur für Querschnitte, die die Bedingung Iyz = 0 erfüllen! Man spricht in diesen Fällen auch von „gerader Biegung“.  Ob gerade Biegung vorliegt, ist eine Frage der Ausrichtung des Balkenquerschnitts. Man kann sich schnell klarmachen, dass Iyz aufgrund seiner Definition stets dann verschwindet, wenn der Balkenquerschnitt entweder zur y-Achse oder zur z-Achse symmetrisch ist. In diesen Fällen findet sich (am Beispiel der Symmetrie zur z-Achse) nämlich zu jedem Flächenelement dA mit negativer yKoordinate ein Element mit einer gleich großen positiven y-Koordinate (Abb. 5.9). Abb. 5.8 Baukran in Fachwerkbauweise

Nun hält die eben hergeleitete Spannungsverteilung dem in der Zeichenebene, also um die y-Achse drehenden

Aber auch in unsymmetrischen Querschnitten kann Iyz verschwinden, und zwar genau dann, wenn die Querschnittsfläche entlang ihrer Hauptträgheitsachsen orientiert ist. Wir werden hierauf später bei der Behandlung der Tensoreigenschaften der Flächenträgheitsmomente noch zurückkommen.

109

Technische Mechanik

5.2

110

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

y

h

dr r

dA

y

φ

z

rdφ

R

b

Abb. 5.10 Zur Berechnung des axialen Flächenträgheitsmomentes eines Rechteckquerschnitts

Es ergibt sich

Die Berechnung des Flächenträgheitsmomentes erfordert wie schon in Abschn. 2.5 (Schwerpunkt) die Integration über die Querschnittsfläche. Und wieder besteht die Kunst darin, das kleine Flächenelement dA lückenlos den Querschnitt bestreichen zu lassen und dabei den Integranden, hier die Funktion z2 , aufzusummieren. Dazu zwei Beispiele: Beispiel Axiales Flächenträgheitsmomentes eines Rechteckquerschnitts: Betrachten wir ein Rechteck der Breite b und der Höhe h. Das Flächenelement dA lassen wir derart das Rechteck bestreichen, dass es zunächst zeilenweise entlang der y-Achse vom linken bis zum rechten Rand des Rechtecks wandert (inneres Integral), um anschließend entlang der z-Achse alle Zeilen vom unteren bis zum oberen Rand aufsummieren (äußeres Integral, Abb. 5.10). Wir erhalten Iy =

h

z2 dA =

(A)

b

2  2

z2 dy dz

h

=

z=− 2h

b z2 dz =

Iy =



z2 dA =

=

r= 0

 (r sin ϕ)2 dϕ dr

r= 0 ϕ = 0

(A)

R

R  2π

r3

1 2

( ϕ − sin ϕ cos ϕ)

2π 0

dr =

R

r3 πdr =

r= 0

π 4 R . 4



Frage 5.3 Demonstrieren Sie an einem einfachen Beispiel, dass in die Höhe h eines Rechteckquerschnitts mit höherer Potenz in das axiale Flächenträgheitsmoment eingeht als die Breite b. In der Tab. 5.1 sind diese und einige weitere wichtige Flächenträgheits- und Widerstandsmomente aufgeführt. Beachten Sie, dass die in dieser Tabelle aufgeführten Gleichungen für Iy und W nur gelten, wenn die y-Achse (die neutrale Faser) im Schwerpunkt des Trägerquerschnitts liegt. Verschiebt oder rotiert man das Koordinatensystem, so ändert sich das Flächenträgheitsmoment. Die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten werden wir im Folgenden behandeln.



z=− 2h y=− 2b

2

z

Abb. 5.11 Zur Berechnung des axialen Flächenträgheitsmoments eines Kreisquerschnitts

Das Flächenträgheitsmoment gibt an, wie steif ein Träger aufgrund seiner Querschnittsfläche ist





b h3 12



Beispiel Axiales Flächenträgheitsmoment für einen Kreisquerschnitt: Wir integrieren in Polarkoordinaten, indem wir dA zunächst entlang eines Rings von ϕ = 0 bis 2π wandern lassen und dann alle Kreisringe von ganz innen (r = 0) bis ganz außen (r = R) aufintegrieren (Abb. 5.11).

Mit dem Satz von Steiner berechnet man zusammengesetzte Querschnitte Komplizierte Trägerquerschnitte kann man sich oft als aus mehreren geometrisch einfachen Querschnitten zusammengesetzt vorstellen. So besteht z. B. der Querschnitt des Doppel-T-Trägers in Abb. 5.12 aus drei Rechteckprofilen.

5.2 Rechteck:

Kreis:

Kreisring:

R

h

Ri

sehr dünner Kreisring:

gleichschenkliges Dreieck:

Rm

Ra

h

t

b

b

Iy =

b h3 12

Iy =

π 4 4R

W=

b h2 6

W=

π 3 4R

Iy =

W=

Gerade so, wie sich die Flächeninhalte der drei Teilquerschnitte zum Flächeninhalt des Gesamtquerschnitts ergänzen, addieren sich auch die Flächenträgheitsmomente der Teilquerschnitte zum Flächenträgheitsmoment des Gesamtquerschnitts. Es gilt also Iy,ges =

π 4

∑ Iyi .



π 4



R4a − R4i   R4a −R4i Ra

Betrachten wir hierfür eine beliebige Querschnittsfläche des Flächeninhalts A. Ein y, z-Koordinatensystem liege im Flächenschwerpunkt, und das Flächenträgheitsmoment Iy bezüglich dieses Koordinatensystems sei bekannt. Für ein um die Strecken ys und zs parallel verschobenes Koordinatensystem ist das Flächenträgheitsmoment Iy gesucht (Abb. 5.13).

Iy =

b h3 36

W ≈ πR2m t

W=

b h2 24

Wir gehen von der Definition des axialen Flächenträgheitsmoments, 

z2 dA,

(A)

aus. z lässt sich durch z = z + zs

i

Also einfach für jeden Teilquerschnitt bh3 /12 einsetzen und aufsummieren? Leider nicht, denn die Gleichung Iy = bh3 /12 gilt nur, wenn der Schwerpunkt der betrachteten Fläche in der neutralen Faser liegt. Dies ist aber beim oberen und unteren Teilquerschnitt des Doppel-T-Trägers erkennbar nicht der Fall. Bevor wir die Flächenträgheitsmomente der Teilquerschnitte zum Flächenträgheitsmoment des Gesamtquerschnitts aufsummieren, müssen wir also klären, wie groß das Flächenträgheitsmoment bezüglich einer parallel verschobenen, nicht durch den Flächenschwerpunkt verlaufenden Achse ist.

Iy ≈ πR3m t

Iy =

ersetzen, und wir erhalten Iy =



(z + zs )2 dA

(A)

=



z2 dA + 2zs

(A)

 (A)

(A)

dA. (A)

(A)

z2 dA = Iy , denn so ist Iy definiert. zdA = 0, denn dieses Integral verschwindet für

im Schwerpunkt liegende Koordinatensysteme, und schließlich

dA = A.

(A)

ys

y

y

S

zs

z dA

y

z

Abb. 5.12 Einen Doppel-T-Träger kann man als aus drei Rechteckprofilen zusammengesetzt ansehen



zdA + zs 2

Die drei Integrale auf der rechten Seite der Gleichung lassen sich wie folgt ersetzen:

111

Abb. 5.13 Zur Herleitung des Satzes von Steiner

z

Technische Mechanik

Tab. 5.1 Übersicht über einige wichtige Flächenträgheits- und Widerstandsmomente

Biegung

112

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

Beispiel: Leichtbaueignung von Werkstoffen Unter den unzähligen Eigenschaften, durch die sich Werkstoffe charakterisieren lassen, gewinnt die Leichtbaueignung aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen zunehmend an Bedeutung. So sparen leichtere Fahrzeuge Kraftstoff, bieten mehr Reserven für eine größere Nutzlast und schonen die Umwelt. Wie aber ermittelt man die Leichtbaueignung eines Werkstoffs? Problemanalyse und Strategie: Für die zu untersuchende Struktur berechnen wir diejenige Masse, die verbaut werden muss, damit es gerade eben zu keiner Überschreitung der zulässigen Spannung bzw. Verformung kommt. Anschließend bilden wir aus dem Kehrwert dieser Masse eine Leichbaukennzahl. Je höher die Leichtbaukennzahl, desto besser die Leichtbaueignung des Werkstoffs (siehe auch Abschn. 14.4, 15.3 und 15.11). Lösung: Wie also ermittelt man die Leichtbaueignung eines Werkstoffs? Auf den ersten Blick ist dies eine rein werkstoffkundliche Fragestellung. Soll man doch aus den einschlägigen Datenblättern Festigkeit und Dichte eines Werkstoffs entnehmen. Je größer der Quotient aus Festigkeit und Dichte, desto besser wird die Leichtbaueignung sein. Aber ganz so einfach ist es nicht. Wie wir sehen werden, führt an einer genaueren Betrachtung der Mechanik kein Weg vorbei. Und da im Leichtbau vor allem sehr dünne und schlanke Strukturen eingesetzt werden, welche empfindlich auf Biegung reagieren, haben wir es sehr oft mit einer Fragestellung der Balkenbiegung zu tun. Am besten, wir betrachten gleich ein konkretes Beispiel. Ein Kragträger der gegebenen Länge l hat eine gleichfalls gegebene Streckenlast q0 zu tragen, ohne dass dabei die zulässige Spannung σzul des Trägerwerkstoffs überschritten wird. Der Trägerquerschnitt sei rechteckig, wobei die Breite b fest vorgegeben und die Höhe h variabel seien. Variabel bedeutet, dass sie an die zulässige Spannung des Werkstoffs anzupassen ist: je mehr der Werkstoff aushält, desto kleiner darf die Trägerhöhe ausfallen.

hierfür relevanten Werkstoffparameter sind die Dichte ρ und die zulässige Spannung σzul des Werkstoffs. Die Gleichung für die zu verbauende Masse lautet m = ρ · V = ρlbh. Die maximale Spannung tritt an der Einspannstelle auf und beträgt 1 q0 l2 Mmax 3q l2 = 21 2 = 0 2 . σmax = W bh 6b h

Bei voller Ausnutzung der Tragfähigkeit erreicht σmax gerade die zulässige Spannung σzul , sodass

3q0 l2 b h2 gilt. Mit den Gleichungen für m und σzul stehen uns die erforderlichen zwei Gleichungen zur Bestimmung der beiden Unbekannten m und h zur Verfügung. Wir lösen die Gleichung für σzul nach h auf, setzen sie in die Gleichung für m ein und erhalten für die zu verbauende Masse  3q0 b 2 . m = ρl σzul σzul =

Zur Beschreibung der Leichtbaueignung ist die Einführung einer Leichtbaukennzahl M üblich (aus dem Englischen von material index). Hierzu wird zunächst der Kehrwert der zu verbauenden Masse gebildet – je besser die Leichtbaueignung, desto größer ist dann die Leichtbaukennzahl – und daraus alles gestrichen, was keine Werkstoffeigenschaft ist, im vorliegenden Fall also alles außer der Dichte und der zulässigen Spannung. Wir erhalten √ σzul M= ρ als Leichtbaukennzahl für den betrachteten Kragträger. Und das ist ein durchaus anderer Zusammenhang als der „intuitive“ Quotient σzul /ρ. Wie wenden wir Leichtbaukennzahlen an? Für die infrage kommenden Werkstoffe suchen wir die zulässige Spannung σzul und die Dichte ρ heraus und bilden daraus M. Der Werkstoff mit der größten Leichtbaukennzahl M ist der für den Leichtbau dieses Trägers geeignetste.

Querschnitt: q0 h (variabel)

l

b (fest)

Für einen beliebigen Werkstoff rechnen wir nun diejenige Masse aus, die zu verbauen ist, damit der Träger die vorgegebene Belastung gerade eben aushält. Die

Abschließende Bemerkung: Die Leichtbaueignung vom Werkstoffen ist eine kompliziertere Angelegenheit, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn sie hängt sehr genau von den geometrischen Vorgaben ab. Ändert man die Geometrie nur ein klein wenig, indem man z. B. einen quadratischen Balkenquerschnitt vorgibt, so ergibt sich ein anderes Ergebnis für M. Und natürlich sind auch Kriterien wie mögliche Gestaltungsprinzipien, Bauweisen und Fertigungsverfahren von großer Wichtigkeit.

Biegung

10

Das Teilprofil 2 weist, da lokaler und globaler Schwerpunkt übereinstimmen, keinen Steineranteil auf. Wir summieren alles auf und erhalten

50

Iy,ges = 2(4,1 · 103 mm4 + 450 · 103 mm4 )

+ 104 · 103 mm4

10

= 1,01 · 106 mm4 . Das ist rund neunmal so viel wie die Summe der drei Flächenträgheitsmomente um ihre jeweiligen lokalen Schwerpunkte. Ein Doppel-T-Träger besitzt also, wenn er um seine y-Achse gebogen wird, eine besonders biegestei fe Geometrie.

10 50

Abb. 5.14 Doppel-T-Träger

Der gesuchte Zusammenhang wird als Satz von Steiner (nach Jakob Steiner, 1796–1863) bezeichnet. Er lautet:

Achtung Aufgaben zur Steiner’schen Ergänzung sind meist gar nicht so schwer, man darf nur nicht mit den vielen Abmessungen durcheinander kommen. Ein saubere Skizze mit übersichtlich eingetragenen Bemaßungen hilft  hier sehr, Fehler zu vermeiden.

Satz von Steiner

Iy = Iy + zs 2 A und für Iz und Iyz entsprechend Iz = Iz + ys 2 A,

Frage 5.4 Erklären Sie anschaulich – ohne Rechnung – warum Doppel-T-Träger so biegesteif sind.

Iyz = Iyz − ys zs A.

Beachten Sie, dass die Steineranteile zs 2 A und ys 2 A der axialen Flächenträgheitsmomente immer positiv sind. Es ist daher stets so, dass die axialen Flächenträgheitsmomente für durch den Schwerpunkt verlaufende Achsen am kleinsten sind. Beispiel Zu berechnen ist das axiale Flächenträgheitsmoment des Querschnitts in Abb. 5.14. Zunächst teilen wir den Flächenquerschnitt in drei Teilprofile ein (Teilprofil 1 Obergurt, Teilprofil 2 Steg und Teilprofil 3 Untergurt). Die Flächenträgheitsmomente der drei Teilprofile berechnen sich nach der Merkregel bh3 /12 und betragen Iy1 = Iy3 = 4,1 · 103 mm4

Der Satz von Steiner beschreibt, wie sich Flächenträgheitsmomente bei einer Parallelverschiebung des Koordinatensystems ändern. Im Folgenden geht es nun um eine Drehung des Koordinatensystems. Hierzu betrachten wir ein ungedrehtes, im Schwerpunkt des betrachteten Trägerquerschnitts liegendes x, y-Koordinatensystem, dessen Flächenträgheitsmomente Iy , Iz und Iyz bekannt sind. Gesucht sind die Flächenträgheitsmomente Iη , Iζ und Iηζ bezüglich eines um den Winkel ϕ gedrehten η, ζKoordinatensystems (Abb. 5.15). Wie bei der Herleitung des Satzes von Steiner gehen wir von den Definitionen der Flächenträgheitsmomente,

und

Iy2 = 104 · 10 mm . 3

Die Drehung des Koordinatensystems folgt den Regeln des Mohr’schen Kreises

4

Iη =

 A

Die Steineranteile für die Teilflächen 1 und 2 betragen jeweils z2S A = (30 mm)2 · 500 mm2 = 450 · 103 mm4 .

ζ 2 dA, Iζ =



η 2 dA

A

und

Iηζ =



ηζdA

A

aus und ersetzen η und ζ durch η = y cos ϕ + z sin ϕ

und

ζ = −y sin ϕ + z cos ϕ.

113

Technische Mechanik

5.2

114

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet sφ y co

y

dφ z co

φ



φ h

ρ

y sin

Technische Mechanik

φ z sin

φ M

M

dA ξ

z

neutr. Faser

ds(z)

z

Abb. 5.15 Zur Herleitung des Mohr’schen Trägheitskreises

ds0

Abb. 5.16 Aus der Krümmung eines infinitesimal kleinen Balkenabschnitts lässt sich die Durchbiegung des gesamten Balkens herleiten

Mit etwas Rechnerei erhalten wir 1 (Iy + Iz ) + 2 1 Iζ = (Iy + Iz ) − 2

Iη =

1 (Iy − Iz ) cos 2ϕ + Iyz sin 2ϕ, 2 1 (Iy − Iz ) cos 2ϕ − Iyz sin 2ϕ 2

und 1 Iηζ = − (Iy − Iz ) sin 2ϕ + Iyz cos 2ϕ. 2 Diese Gleichungen traten in analoger Form bereits bei den Mohr’schen Spannungs- und Verzerrungskreisen auf. Es ist in der Tat so, dass die Flächenträgheitsmomente und die Koordinaten des Spannungstensors in gleicher Weise auf eine Drehung des Koordinatensystems reagieren. Demzufolge kann das Prinzip des Mohr’schen Kreises auch für Flächenträgheitsmomente angewendet werden – man spricht dann vom Mohr’schen Trägheitskreis –, wobei dann die axialen Flächenträgheitsmomente die Rollen der Normalspannungen und die Deviationsmomente die Rollen der Schubspannungen übernehmen. Als Hauptträgheitsmomente bezeichnet man in Analogie zu den Hauptspannungen des Spannungstensors die axialen Flächenträgheitsmomente desjenigen Koordinatensystems, in dem die Deviationsmomente verschwinden. Besitzt ein Flächenquerschnitt eine Symmetrieachse, so bilden die Symmetrieachse und die dazu rechtwinklige Achse ein Hauptachsensystem dieser Fläche.

Biegemoment M in Form eines Kreissegments mit dem Biegeradius ρ. Hierbei ändert sich die Länge der neutralen Faser aufgrund der dort herrschenden Spannungsfreiheit nicht, aber eine in einem Abstand z zur neutralen Faser verlaufende Faser ändert ihre Länge von ds0 zu ds(z) (Abb. 5.16). Für den von den Querschnittsflächen des infinitesimal kleinen Trägerabschnitts eingeschlossenen Winkel dϕ gelten nun nach der Definition „Winkel gleich Bogenlänge durch Radius“ die Beziehungen dϕ =

ds(z) ρ+z

sowie dϕ =

woraus sich durch Gleichsetzen für die Faserlänge ds(z) der Zusammenhang ds(z) =

ρ+z · ds0 ρ

ergibt. Die Dehnung dieser Faser, deren Länge im unbelasteten Zustand ds0 ist, beträgt somit ε x (z) =

ds(z) − ds0 z = , ds0 ρ

woraus sich für die Spannung in dieser Faser σx (z) = E · ε x (z) = E ·

Berechnung der Durchbiegung Wie verbiegen sich Träger unter Biegebelastung? Betrachten wir hierzu einen Trägerabschnitt der infinitesimal kleinen Länge ds0 . Wenn dieser Trägerabschnitt im unbelasteten Zustand gerade ist, so krümmt er sich durch das

ds0 , ρ

z ρ

ergibt. Gleichzeitig gilt für die Spannung aber auch der weiter vorne hergeleitete Biegespannungsverlauf σx (z) =

M · z. Iy

Wir setzen die rechten Seiten der letzten beiden Gleichungen gleich und erhalten so für die Krümmung des Balkens:

Biegung

F

M 1 = . ρ E · Iy

x l

Nun weiß man aus der Mathematik, dass der Krümmungsradius ρ einer Funktion w(x) gemäß

Abb. 5.17 Für einen Kragträger soll die Durchbiegung berechnet werden

1 = − ρ

d2 w dx2

1+



dw dx

2 3/2

mit den ersten beiden Ableitungen der Funktion verknüpft ist. Da die Durchbiegungen der meisten technischen Strukturen vergleichsweise klein sind, lässt sich aus dieser Gleichung der Term (dw/dx)2 als klein von höherer Ordnung vernachlässigen, und wir erhalten für die Krümmung des Trägers: d2 w

1 =− 2 ρ dx

Wir beginnen mit der Berechnung des Biegemomentenverlaufs M(x) und erhalten M(x) = −F(l − x). Wir setzen dies in die Differenzialgleichung der Biegelinie ein und erhalten w = Wir integrieren einmal, w (x ) =

=

und schließlich: M d2 w =− E Iy dx2 als Differenzialgleichung der Biegelinie für kleine Verformungen. Frage 5.5 Lässt sich die Differenzialgleichung der Biegelinie für die Verformungsberechnung einer Angelrute verwenden? Wie wäre die Differenzialgleichung der Biegelinie ggf. zu modifizieren? Um nun die Durchbiegung zu ermitteln, ist w (x) zweimal unbestimmt zu integrieren. Hierbei ist entscheidend, die Integrationskonstanten richtig an die Randbedingungen anzupassen. Wie das geschieht, sehen wir am besten an einem Beispiel.



w (x)dx =

F E Iy



(l − x)dx

 F  1 2 − x + lx + C1 , E Iy 2

und ein weiteres Mal, womit wir für die Durchbiegung 

w (x)dx  F  1 3 1 2 = − x + lx + C1 x + C2 E Iy 6 2

w(x ) =

erhalten. Dies ist eine Gleichung mit zwei unbekannten Konstanten C1 und C2 . Als Lösung kann sie nur dann stimmig sein, wenn C1 und C2 auch tatsächlich zur betrachteten Struktur und hier insbesondere seiner Einspannung passen. Die feste Einspannung bewirkt zweierlei: An ihr kann sich der Balken nicht absenken, und der Balken ragt mit waagerechter Tangente aus der Wand. Die Randbedingungen lauten folglich w(0 ) = 0

Beispiel Ein Kragträger der Länge l wird an seinem freien Ende durch die Kraft F belastet (Abb. 5.17). Das Flächenträgheitsmoment Iy des Balkenquerschnitts sowie der Elastizitätsmodul E des Werkstoffs seien bekannt. Zu berechnen sind die Biegelinie w(x) und die maximale Durchbiegung wmax .

F (l − x ). E Iy

und

w (0) = 0.

Wir setzen die Randbedingungen in die Gleichungen für w(x) und w (x) ein und erhalten w(0 ) =

F C2 = 0 =⇒ C2 = 0 E Iy

115

Technische Mechanik

5.2

116

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

sowie

Technische Mechanik

w (0 ) =

F C1 = 0 =⇒ C1 = 0. E Iy

3q0

Somit lautet die Gleichung der Biegelinie F  1 3 1 2 − x + lx . w(x ) = E Iy 6 2

q0

Ihr Maximum nimmt w(x) am freien Balkenende (x = l) ein mit wmax = w(l) =

Fl3 3E Iy

.



Frage 5.6 Wie lauten die Randbedingungen für die Durchbiegung an Fest- und Loslagern? Für einige gängige Biegefälle sind die Ergebnisse für w(x) und wmax in Tab. 5.2 aufgeführt, was uns für diese das Lösen der Differenzialgleichung der Biegelinie erspart. Tabelle 5.2 hilft uns auch weiter, wenn der betrachtete Lastfall eine Überlagerung zweier in der Tabelle aufgeführter Lastfälle ist. Die Ergebnisse für M(x) und w(x) ergeben sich dann als Überlagerung der Einzelergebnisse. Für wmax können die in der Tabelle aufgeführten Ergebnisse allerdings nur dann addiert werden, wenn sie an der gleichen Position im Balken auftreten. Hierzu ein Beispiel: Beispiel Ein Träger mit gegebener Länge l und Biegesteifigkeit EIy wird wie skizziert durch eine trapezförmige Streckenlast q(x) belastet (Abb. 5.18). Gesucht sind w(x), wmax sowie diejenige Stelle x0 , an der wmax auftritt.

x l

Abb. 5.18 Für diesen Träger soll die Durchbiegung als Überlagerung zweier Einzellastfälle bestimmt werden

Zur Ermittlung der maximalen Durchbiegung dürfen wir die Einzelergebnisse für wmax aber nicht addieren, da die maximalen Durchbiegungen an unterschiedlichen Stellen im Träger auftreten: bei der konstanten Streckenlast genau in Balkenmitte, bei der dreieckförmigen Streckenlast aber etwas rechts der Mitte. Wir ermitteln deshalb zunächst die Stelle x0 der maximalen Durchbiegung als die Stelle des Balkens mit einer horizontalen Tangente, d. h. wir leiten w(x) einmal ab und setzen w (x0 ) = 0: w ( x0 ) =

q0 l4 360EIy   29 150  x0 2 60  x0 3 30  x0 4 · − + + = 0, l l l l l l l

woraus wir als Stelle der größten Durchbiegung x0 = 0,51 l erhalten. Dies in w(x) eingesetzt ergibt schließlich wmax = w(0,51 l) = 0,026

Wir zerlegen q(x) in die folgenden zwei elementaren Lastfälle: eine konstante Streckenlast q0 (Lastfall 2) und eine dreieckförmige Streckenlast des Maximalwertes qmax = 2q0 (Lastfall 3). Wir entnehmen der Durchbiegungstabelle die jeweiligen Ergebnisse für w(x) und überlagern diese zu   x 3  x 4  q l4 x −2 + w(x ) = 0 24EIy l l l     x 5  4 3 x 2q0 l x 7 − 10 + +3 360EIy l l l      x 5  4 x x 3 x 4 q0 l 29 − 50 . =⇒ w(x) = + 15 +6 360EIy l l l l

q0l4 . EIy



Zwei- und Mehrfeldbalken: Unter zwei- bzw. Mehrfeldbalken versteht man Balken mit zwei oder mehr Bereichen für die Schnittgrößenverläufe oder die Biegesteifigkeit EIy . Wir beschränken uns im Folgenden der Einfachheit halber auf Zweifeldbalken. Dreifeldbalken oder Balken mit noch mehr Bereichen würden nach demselben Schema behandelt werden. Bei Zweifeldbalken integrieren wir die Differenzialgleichung der Biegelinie für jeden Bereich zweimal unbestimmt und erhalten somit vier statt zwei Integrationskonstanten. Diese bestimmen wir aus den Randbedingungen und den beiden Übergangsbedingungen an der Bereichsgrenze (im Folgenden als xI/II bezeichnet). Diese lauten wI (xI/II ) = wII (xI/II )

und

wI (xI/II ) = wII (xI/II ).

5.2 w(x) und wmax

Belastungsfall 1

l 2

0≤x≤

F

x

q0

x

−4

x 3 l

], wmax =

Fl3 48EIy

x 3

w ( x) =

q0 l4 x 24EIy [ l

w ( x) =

qmax l4 x 360EIy [7 l

w ( x) =

Fl3 6EIy

[2 − 3 xl +

w ( x) =

Ml2 2EIy

[1 − 2 xl +

w ( x) =

q0 l4 24EIy

w ( x) =

qmax l4 x 120EIy [4 − 5 l

w ( x) =

qmax l4 x 120EIy [11 − 15 l

−2

+4

l

x 4 l

], wmax =

4 5 q0 l 384 EIy

l

3 qmax

x

− 10

x 3 l

+3

x 5 l

], wmax =

qmax l4 153,3EIy

l

F

x

5

Fl3 x 48EIy [3 l

: w ( x) =

l

2

4

l 2

x 3 l

], wmax =

Fl3 3EIy

], wmax =

Ml2 2EIy

l

M

x

x 2 l

l

6 q0 x

[3 − 4 xl +

x 4 l

], wmax =

q0 l4 8EIy

l

7

qmax

x

+

x 5 l

], wmax =

qmax l4 30EIy

l

8 qmax

x

+5

x 4 l



x 5 l

], wmax =

4 11 qmax l 120 EIy

l

9

F I

II

l

a

x

3 2 Fal2 x Bereich I: wI (x) = − 6EI [ − xl ], wmax,I = − 9√Fal3EI y l y       2 3 Fa3 l x x x Bereich II: wII (x) = 6EIy 2 a a + 3 a − a , wmax,II =

Fa2 (l+a) 3EIy

x

Anschaulich bedeuten diese Gleichungen, dass der Träger an der Bereichsgrenze zusammenhängt – deshalb sind die Durchbiegungen gleich – und dort keinen scharfen Knick aufweist – deshalb sind die Ableitungen der Durchbiegungen gleich.

117

Technische Mechanik

Tab. 5.2 Übersicht über die Durchbiegungen wichtiger Biegefälle

Biegung

Beispiel Ein Träger der Länge 4l mit gegebener Biegesteifigkeit EIy wird wie skizziert durch eine Kraft der Größe 4F belastet (Abb. 5.19). Gesucht ist der Verlauf der Durchbiegung w(x).

118

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

Zur Bestimmung der Integrationskonstanten stehen uns die folgenden Rand- und Übergangsbedingungen zur Verfügung:

4F

wI (0) = 0 =⇒ C2 = 0, wII (4l) = 0 =⇒ EIFy (4lC3 + C4 ) = 0,

B

A

wI (l) = wII(l)

x l

=⇒

3l

Abb. 5.19 Dieser Balken ist ein Zweifeldbalken, da zwei Bereiche für den Verlauf des Biegemoments vorliegen

Zunächst bestimmen wir die Lagerreaktionen sowie die Biegemomentverläufe in den Bereichen I und II. Diese betragen Ax = 0, Ay = 3F und

By = F

=−



3F EIy



xdx = −

3F EIy

 3F  1 2 x + C1 EIy 2

   1 2 3F  1 3 x + C1 dx = − x + C1 x + C2

2

EIy 6

und im Bereich II auf 



MII F dx = (x − 4l)dx EIy EIy

F 1 = (x − 4l)2 + C3 und EIy 2 

1 F (x − 4l)2 + C3 dx wII (x) = EIy 2

F 1 = (x − 4l)3 + C3 x + C4 . EIy 6 wII (x) = −

 + C1 =

= 16 (−3l)3 + lC3 + C4

F EIy



1 2 2 (−3l)

und

+ C3 .

Das sind vier Gleichungen für vier Unbekannte. Als Ergebnisse erhalten wir 7 5 C1 = − l2 , C2 = 0, C3 = − l2 6 2

und

C4 = 10l3 .

3F  1 3 7 2  x − l x EIy 6 6

im Bereich l ≤ x ≤ 4l.



Bei schiefer Biegung verformt sich ein Träger auch quer zur Richtung der Belastung

und wI (x) = −



im Bereich 0 ≤ x ≤ l und

F 1 5 (x − 4l)3 − l2 x + 10l3 wII (x) = EIy 6 2

MII (x) = F(4l − x)

MI dx EIy

= wII (l) 3F 1 2 − EI 2l y

wI (x) = −

für das Biegemoment. Zweifaches unbestimmtes Integrieren der Differenzialgleichung der Biegelinie führt für den Bereich I auf wI (x) = −

=⇒

1 3 6 l + lC1 + C2

Damit lautet der gesuchte Verlauf der Durchbiegung

für die Lagerreaktionen sowie MI (x) = 3Fx und

wI (l)

−3

Von schiefer Biegung spricht man, wenn das Biegemoment nicht in Richtung der Hauptträgheitsachsen des Trägerquerschnitts angreift. Dies ist beispielsweise bei dem in Abb. 5.20 gezeigten Kragträger der Fall, dessen rechteckiger Flächenquerschnitt um den Winkel ϕ zur  Lastrichtung gedreht ist. Bei schiefer Biegung zerlegt man das Schnittmoment im Träger in die Anteile entlang der beiden Hauptachsen und berechnet Spannungen und Durchbiegungen aus der Überlagerung dieser beiden Lastfälle. Beispiel Für den in Abb. 5.20 gezeigten Kragträger sind die Spannungsverteilung an der Einspannung und die Durchbiegung des freien Trägerendes gesucht. Zahlenwerte: F = 800 N, l = 1 m, b = 20 mm, h = 50 mm, ϕ = 30◦ , E = 205 GPa2 . Wir zerlegen die äußere Kraft F in ihre Komponenten entlang der Hauptachsen des Trägerquerschnitts, Fy = −F sin ϕ und Fz = F cos ϕ. Die in der Einspannung wir-

5.2

Biegung

119

C

F

l

y

y

A

φ z

Abb. 5.20 Wenn ein rechteckiger Trägerquerschnitt zur Lastrichtung geneigt ist, liegt schiefe Biegung vor

kenden Schnittmomente betragen My = −Fl cos ϕ (um die y-Achse drehend) und Mz = Fl sin ϕ (um die z-Achse drehend). Die Spannungen in der Einspannung ergeben sich aus der Überlagerung dieser beiden Lastfälle und betragen σ=−

12Fl cos ϕ 12Fl sin ϕ ·z+ · y. bh3 hb3

Die Lage der Spannungsnulllinie ergibt sich aus der Bedingung σ (y, z) = 0, 12Fl cos ϕ 12Fl sin ϕ ·z = ·y 3 bh hb3  h 2 =⇒ z = tan ϕ · y, b und wird mit den konkreten Zahlenwerten für h, b und ϕ zu z=

 5 2 2

tan 30◦ · y = 3,61y.

In Abb. 5.21 ist die Lage der Spannungsnulllinie in den Querschnitt eingezeichnet. Man erkennt, dass die Punkte B und D den größten Abstand zur Spannungsnulllinie aufweisen, sodass hier die größten Biegespannungen herrschen. Diese betragen im Punkt B (y = −b/2, z = h/2): 12Fl cos ϕ h 12Fl sin ϕ b · − · 2 2 bh3 hb3 12Fl  cos ϕ sin ϕ  =− + bh h b 12 · 800 N · 1000 mm  cos 30◦ sin 30◦  =− + 20 mm · 50 mm 50 mm 20 mm = −406 MPa

σ=−

B z

Abb. 5.21 Lage der Spannungsnulllinie

und im Punkt D (y = b/2, z = −h/2) σ = 406 MPa. Zur Durchbiegung des Trägerendes: Die Durchbiegungen vmax in y-Richtung und wmax in z-Richtung entnehmen wir aus Tab. 5.2 (jeweils Lastfall 4). Sie betragen Fy l3 3EIz

hb3 und Fy = −F sin ϕ 12 4F sin ϕl3 =⇒ vmax = − Ehb3 4 · 800 N sin 30◦ (1000 mm)3 =− = −19,5 mm N 3 205.000 mm 2 · 50 mm · (20 mm)

vmax =

mit Iz =

sowie wmax =

Fz l3 3EIy

mit Iy =

bh3 12

und Fz = F cos ϕ

4F cos ϕl3 Ebh3 4 · 800 N cos 30◦ (1000 mm)3 = = 5,4 mm. N 3 205.000 mm 2 · 20 mm · (50 mm)

=⇒

wmax =

Trotz vertikal orientierter äußerer Last verbiegt sich der Träger also auch horizontal, daher die Bezeichnung schiefe Biegung, wenn die Biegebeanspruchung nicht entlang der Hauptträgheitsachsen des Trägerquerschnitts orien tiert ist. Achtung Insbesondere die Gleichungen zur Berechnung von Biegespannungen treten in vielen Disziplinen des Maschinenbaus immer wieder auf – neben der Technischen Mechanik z. B. in der Konstruktions-, Werkstoff-

Technische Mechanik

D

120

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

und Fertigungstechnik. Es lohnt sich, folgende Gleichungen auswendig zu lernen:

σ (z ) τ (z) σ (z ) + ∂σ dx ∂x b

M(x ) σ (z) = z, Iy σmax = Iy =

5.3

b h3 , 12

M(x)|z|max Iy

W=

bzw.

σmax =

M(x ) , W

b h2 (jeweils für Rechteckquerschnitte) 6 und Iy = Iy + zs 2 A. 

Schub durch Querkraft

Ist in einem Träger der Biegemomentverlauf M(x) veränderlich, so existiert gemäß dem in Abschn. 2.2 hergeleiteten Zusammenhang dM/dx = Q(x) auch eine Querkraft im Träger, und es treten nicht nur Biege-, sondern auch Schubspannungen auf. Machen wir uns zunächst an einem anschaulichen Gedankenexperiment klar, dass es tatsächlich Schubspannungen sind, die bei Querkräften entstehen. Aus einem Stapel aufeinanderliegender Bretter soll ein Kragträger hergestellt werden. Wir überlegen uns, was bei Belastung passiert, wenn die Bretter lose und unverleimt aufeinander aufliegen (Abb. 5.22a) oder aber fest miteinander verleimt sind (Abb. 5.22b). Ohne die Verleimung gleiten die Bretter aufeinander ab, und der Träger wird nur eine geringe Tragfähigkeit aufweisen. Erst bei stabiler Verleimung bilden die Bretter einen tragfähigen Verbund. Was bewirken dabei die Verleimungen in mechanischer Hinsicht? Sie übertragen Spannungen, die die Bretter in der oberen Trägerhälfte dehnen und die Bretter in der unteren Trägerhälfte stauchen. Die von der Verleimung übertragenen Spannungen wirken auf der verleimten Fläche (Flächennormale z) in Trägerrichtung x, es handelt sich also um Schubspannungen τxz , welche wir im Folgenden der Einfachheit halber aber nur als τ bezeichnen wollen. a

x

A*

x

z,z

dx

Abb. 5.23 Zur Herleitung der Schubspannungsverteilung

In Vollquerschnitten sind die Schubspannungen in der Querschnittmitte maximal Um die Größe der Schubspannungen zu ermitteln, schneiden wir aus einem biege- und schubbelasteten Träger ein kleines Flächenelement der Länge dx und einer von der Koordinate z bis zur Trägerunterkante reichenden Höhe aus (Abb. 5.23). Die am Trägerende angreifenden Spannungen tragen wir in das Freikörperbild ein. Dies sind an der linken Seite die Biegespannungen σ (z), an der rechten Seite (x + dx) die Biegespannungen σ (z) + ∂σ ∂x dx und an der Oberseite die Schubspannungen τ. Das Kräftegleichgewicht in x-Richtung lautet







σ (z)dA +

(A∗ )

(A∗ )

⇒ τ (z) · b (z) =



(A∗ )

Mit folgt

σ (z) +

∂σ

dx dA − τ (z) · b(z)dx = 0 ∂x

∂σ dA. ∂x

z ∂M(z) z ∂σ = = Q (x ) ∂x Iy ∂x Iy τ (z) =

Q (x ) · b(z) Iy



zdA. (A∗ )

Das Integral auf der rechten Seite dieser Gleichung wird als statisches Moment Sy des abgeschnittenen Flächenstücks A∗ bezüglich der y-Achse bezeichnet. Damit erhalten wir für die

b

Schubspannungsverteilung in Vollprofilen unter Querkraft

τ (z) =

Abb. 5.22 Bei einem Kragträger aus übereinander geschichteten Brettern müssen diese miteinander verleimt sein, damit sie durch die Übertragung von Schubspannungen einen tragfähigen Verbund ergeben

mit Sy (z) =

Q(x)Sy (z) Iy b(z) 

zdA. (A∗ )

5.3

Beispiel Für einen Rechteckquerschnitt der allgemeinen Abmessungen b × h sind das statische Moment Sy (z) und die Schubspannungsverteilung zu bestimmen (Abb. 5.24).

τ =0

τ max = 1,5

Q A

τ =0

Abb. 5.25 Die Schubspannungsverteilung in einem Träger mit rechteckigem Querschnitt

F

h 2

l

y z z~

Abb. 5.26 In schlanken Trägern sind die durch die Querkraft verursachten Schubspannungen im Vergleich mit den Biegespannungen in aller Regel vernachlässigbar

h 2

dz~ z b

Abb. 5.24 Das statische Moment Sy (z ) in einem Träger mit rechteckigem Querschnitt

Für Sy (z) gilt Sy (z) =

 (A∗ )

zdA =

h/2 

zbdz =

z

 h2

z2 

1  2 h/2 b z z =b , − 2 8 2

und wir erhalten für die Schubspannungsverteilung τ (z) =

6 Q (x ) · b h3



h2 4



− z2 .

Es liegt also eine parabolische Schubspannungsverteilung vor, bei der die Schubspannungen an der Oberseite (z = −h/2) und der Unterseite (z = h/2) des Trägers verschwinden und in der Querschnittmitte (z = 0) den Maximalwert 1,5 Q/A einnehmen (Abb. 5.25). Eine kurze Plausibilitätsbetrachtung bestätigt dieses Ergebnis: Der Quotient Q/A ist die mittlere Schubspannung im Trägerquerschnitt. Da die Ober- und Unterseite des Trägers freie Oberflächen sind, muss dort die Schubspannung verschwinden und folglich an anderer Stelle im  Träger oberhalb des Mittelwertes liegen.

121

Welche Art Spannungen dominiert, wenn sowohl Schubspannungen als auch Biegespannungen in einem Träger herrschen? Vergleichen wir hierzu exemplarisch die Biege- und Schubspannungen in einem Kragträger der Länge l und des rechteckigen Querschnitts b × h (Abb. 5.26). Die maximale Biegespannung tritt in den Randfasern auf Höhe der Einspannung auf und beträgt 6Fl . b h2 Die Schubspannungsverteilung ist in jedem Trägerquerschnitt gleich und weist einen in der Querschnittmitte liegenden Maximalwert von σmax =

F bh auf. Damit beträgt das Verhältnis von Biege- zu Schubspannungen τmax = 1,5

l σmax =4 . τmax h Für große Werte von l/h sind die Schubspannungen also sehr viel kleiner als die Biegespannungen. In der Regel dürfen Schubspannungen durch Querkraft deswegen in schlanken Trägern vernachlässigt werden. Frage 5.7 In welchen Bauteilen spielen Schubspannungen durch Querkraft eine entscheidende Rolle?

Technische Mechanik

Nach diesem Zusammenhang gehen in die Ermittlung der Schubspannungen die Größen Q(x), Sy (z), Iy und b(z) ein. Da die Querschnittsform b(z) im Allgemeinen gegeben ist und wir in der Berechnung von Schnittgrößen – hier Q(x) – und Flächenträgheitsmomenten mittlerweile recht geübt sein sollten, liegt der Knackpunkt in der Berechnung des statischen Moments Sy (z). Hierzu als Beispiel die Schubspannungsverteilung in einem Träger mit rechteckigem Querschnitt.

Schub durch Querkraft

122

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet a

b

s

Technische Mechanik

τ τ (s)

Q x

A*

s=0

t(s)

r*

σ (z ) τ (z) σ (z ) + ∂σ dx ∂x

s = l*

x

dx

z,z s = l*

Abb. 5.27 Zur Herleitung der Schubspannungsverteilung

In dünnwandigen offenen Profilen folgen die Schubspannungen dem Trägerquerschnitt In offenen dünnwandigen Profilen folgen die Schubspannungen dem Querschnittverlauf. Dieser sei charakterisiert durch die Wandstärke t in Abhängigkeit der Bogenlänge s. In Analogie zur Herleitung der Schubspannungsverteilung in Vollquerschnitten schneiden wir aus dem Träger ein kleines Element der Länge dx ab, das von der Position s bis zum Ende des dünnwandigen Trägerquerschnitts (Position l∗ ) reicht. In das Freikörperbild tragen wir alle angreifenden Spannungen ein (Abb. 5.27). Wir setzen das Kräftegleichgewicht in x-Richtung an und erhalten für die Schubspannungen in offenen dünnwandigen Profilen ein zur Schubspannungsverteilung in Vollquerschnitten analoges Ergebnis.

yM

Abb. 5.28 Zur Ermittlung des Schubmittelpunktes

Wie wir im Abschnitt Torsion noch sehen werden, können Torsionsmomente in offenen dünnwandigen Profilen erhebliche Spannungen hervorrufen. Man kann aber das Torsionsmoment kompensieren, indem die Wirkungslinie der Querkraft so platziert wird, dass die Momentenwirkung der Querkraft bei entgegengesetztem Drehsinn genauso groß ist wie das Torsionsmoment durch die Schubspannungen. Hierzu muss die Querkraft – am Beispiel von Abb. 5.28 – um eine Strecke yM links des Schwerpunktes wirken. Aus dem Momentengleichgewicht um die Trägerachse ergibt sich

Q · yM = Schubspannungsverteilung in offenen dünnwandigen Profilen unter Querkraft

τ (s) = mit Sy (s) =

Q(x)Sy (s) Iy t(s) 

(A∗ )

zdA =

l



tτr∗ ds.

0

Wenn wir hierin t τ nach der eben hergeleiteten Schubspannungsverteilung in offenen dünnwandigen Profilen ersetzen, erhalten wir für die



ztds. (A∗ )

Lage des Schubmittelpunktes

Der Schubmittelpunkt ist der um die Strecke

yM

1 = Iy

l



Sy (s)r∗ ds

0

Nur wenn die äußere Last im Schubmittelpunkt angreift, tordieren dünnwandige offene Profile nicht

vom Schwerpunkt des Trägerquerschnitts versetzte Punkt M.

Betrachten wir erneut Abb. 5.27a. Ganz offensichtlich übt der in dieser Abbildung in etwa entlang einer Halbkreislinie verlaufende Schubfluss auf den Träger ein Moment um die Träger-Längsachse aus, er verdrillt ihn (Näheres dazu im folgenden Abschnitt, Torsion).

Bei offenen dünnwandigen Trägern müssen die Wirkungslinien äußerer senkrechter Kräfte durch den Schubmittelpunkt verlaufen, damit sich der Träger nicht verdrillt (Abb. 5.29). Ist ein Trägerquerschnitt symmetrisch, liegt der Schubmittelpunkt auf der Symmetrieachse.

5.3

Schub durch Querkraft

123

Technische Mechanik

s=a s a a 4 y

Abb. 5.29 Zur Ermittlung des Schubmittelpunktes

a z

Beispiel Ermitteln Sie die Lage von Flächenschwerpunkt und Schubmittelpunkt des in Abb. 5.30 skizzierten Profils. Nehmen Sie hierfür an, dass t a ist.

Abb. 5.31 Zur Berechnung von Sy im Obergurt

Den Flächenschwerpunkt berechnen wir nach den Gleichungen für zusammengesetzte Querschnitte. Er liegt um a/4 rechts des mittleren Steges.

Für den mittleren Steg erhalten wir

In die Schubspannungsverteilung gehen Iy und Sy ein. Iy berechnen wir mit der Steiner’schen Ergänzung als t(2a)3 at3 +2 + 2a2 at 12 12 2ta3 8 ≈ + 2a3 t = ta3 für 3 3

s = 3a

Sy =

=t

Sy =

ztds = t · (−a)

s

= −ta(a − s) + t

s2 2

ds + t ·

s

− 2as

3a a

3a

(s − 2a)ds + ta

a

− 2as

2

3a

4a

s

3a

(s − 2a)ds + ta

3a s

+ta2 =

ds

t (4as − a2 − s2 ). 2

Und für den Untergurt erhalten wir schließlich

Für den Obergurt (Abb. 5.31) erhalten wir a

ztds = t ·

s2

t a.

Sy ist für die drei Abschnitte des Trägerprofils – Obergurt (der obere horizontale Teil), mittlerer Steg (der mittlere vertikale Teil) und Untergurt (der untere horizontale Teil) – separat zu berechnen.





s

Iy =

l∗

l

s = l* = 4a

Sy =

l



ztds = ta

s

4a

ds = ta(4a − s).

s

Hieraus ergeben sich die folgenden Spannungsverläufe: 4a

Im Obergurt ds

3a

τ (s) =

+ta(4a − 3a) = a t s.

Q (x ) 3 s ats = Q(x) 2 , 8 3 8 ta t · 3 ta

im mittleren Steg

s t 2a

τ (s) =

Q (x ) t 3 4as − a2 − s2 (4as − a2 − s2 ) = Q(x) 8 3 2 16 ta3 t · 3 ta

und im Untergurt

y

τ (s) = z

a

Abb. 5.30 Für einen C-förmigen Flächenquerschnitt ist der Schubmittelpunkt zu berechnen

Q (x ) 3 4a − s ta(4a − s) = Q(x) . 8 ta2 t · 83 ta3

Zur Lage des Schubmittelpunktes: Hier gehen wir nicht vom Schwerpunkt, sondern, da dies die Rechnung vereinfacht, von der Stegmitte aus. In den Gurten beträgt der Abstand r∗ des Schubspannungsflusses vom Bezugspunkt jeweils a, im Steg verschwindet er.

124

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Wir erhalten

Technische Mechanik

yM

1 = Iy

l

M ∗

Sy (s)r∗ ds

N

0 a

Q

M

MT

N

Q

  1 = 8 3 ats · ads + at(4a − s) · ads 3 ta 0 3a  a  4a  1 2 2 1 2 3 3 2 = − a t(4a − s) = a. a ts 2 2 8 8ta3 0 3a

5.4

MT

Abb. 5.32 In Freikörperbildern wird das Torsionsmoment durch einen Pfeil mit doppelter Spitze dargestellt

4a



Torsion

Unter Torsion versteht man die Verdrillung von Stäben. Als Erstes wollen wir versuchen ein anschauliches Verständnis für Torsion zu gewinnen. Mit einem Beispiel, wie wir Torsion in unserer Kindheit erfahren haben, sowie einer Analogie zur Strömungslehre sollte dies recht gut gehen. Torsion haben wir in unserer Kindheit in der Tat alle am eigenen Leib erfahren. Die allseits gefürchtete „Brennnessel“ ist nichts anderes als die schmerzhafte Torsion des Unterarms, und die in technischen Fragestellungen zur Torsion wichtigsten Größen finden hier anschauliche Entsprechungen: das Torsionsmoment in der „Verdrehkraft“ der angreifenden Hände, die Torsionsspannungen in den Schmerzen im Unterarm des Opfers und der Verdrehwinkel einer tordierten Welle in der Verdrehung der angreifenden Hände zueinander. Die für ein anschauliches Verständnis von Torsion hilfreiche Analogie ist der hydrodynamische Vergleich. Dieser vergleicht die Torsionsspannungen in einem Träger mit den Stromlinien in einem wassergefüllten Behälter gleichen Querschnitts. Er lautet: „Die Schubspannungslinien in tordierten Querschnitten verlaufen analog den Stromlinien in einer stationären zirkulierenden Flüssigkeitsströmung, wenn der Querschnitt des tordierten Stabes dem Querschnitt des mit Flüssigkeit gefüllten Behälters entspricht. Die Fließgeschwindigkeit der Flüssigkeitsströmung ist ein Maß für die Schubspannungen im tordierten Träger.“ Wollen wir also Torsionsspannungen in einem Träger sichtbar machen, so können wir ein Gefäß mit gleicher Querschnittsform nehmen, es mit Wasser füllen und dieses durch kräftiges Rühren in eine zirkulierende Strömung versetzen. Das Strömungsprofil, das sich nach einer Weile einstellt (wenn der störende Einfluss des Rührens abgeklungen ist), entspricht der Spannungsverteilung im tordierten Träger: je größer die Strömungsgeschwindigkeit, desto größer die Torsionsspannungen.

Die Schnittgröße der Torsion ist das Torsionsmoment Zunächst zu der Schnittgröße, die Torsion bewirkt, dem Torsionsmoment. Unter dem Torsionsmoment MT versteht man ein um die Trägerachse drehendes Moment. In Freikörperbildern wird es durch einen in Trägerachse verlaufenden Pfeil mit doppelter Spitze dargestellt (Abb. 5.32). Pfeilrichtung und Drehwirkung des Torsionsmoments ergeben sich aus der Rechtsschraubenregel: Dreht man eine Rechtsschraube so, dass sie sich in Richtung des Momentenvektors bewegt, so entsprechen sich der Drehsinn der Schraube und der Drehsinn des Moments (vgl. auch Abschn. 2.4). Zur Berechnung von Torsionsmomenten ist als zusätzliche Gleichgewichtsbedingung das Gleichgewicht aller um die Trägerachse drehender Momente anzusetzen, wie im folgenden Beispiel gezeigt wird. Beispiel Welche Verläufe haben die Schnittgrößen N (x), Q(x), M(x) und MT (x) im Bereich I des in Abb. 5.33 abgebildeten Winkelträgers? 2l I l F

x

II

Abb. 5.33 Der Abschnitt I des Winkelträgers wird durch ein Torsionsmoment beansprucht

Wir schneiden an einer beliebigen Stelle x innerhalb des Bereichs I frei und erhalten das in Abb. 5.34 gezeigte Freikörperbild: x M MT

2l – x Q l

N F

Abb. 5.34 Das Freikörperbild zur Berechnung der Schnittgrößen im Bereich I

5.4

Aus diesem leiten wir die folgenden Gleichgewichtsbedingungen und Ergebnisse her:

Torsion

Technische Mechanik

R

→ ∑ Fix = −N (x) = 0,

r

↑ ∑ Fiy = Q(x) − F = 0 =⇒

∑

M(SU) i

∑

(SU) MTi

Q(x) = F,

= −F(2l − x) − M(x) = 0 =⇒

M(x) = −F(2l − x)

und

= −MT (x) + Fl = 0 =⇒



MT (x) = Fl.

MT

Kreiszylindrische Wellen erfahren Torsion in Motoren, Getrieben oder Maschinen Torsion erzeugt, wie wir uns am Kinderspiel Brennnessel leicht versichern können, Schubspannungen. Denn der tordierte Unterarm verlängert oder verkürzt sich nicht, er verdrillt sich vielmehr, und diese Verdrillung ist nach dem Hooke’schen Gesetz die Folge von Schubspannungen. Wir befassen uns nun mit den Zusammenhängen zwischen Torsionsmoment und Schubspannungen sowie Torsionsmoment und Verdrehwinkel in zylindrischen Vollwellen. Hierzu betrachten wir eine zylindrische Welle (Länge l, Radius R), die an ihren Enden durch das Torsionsmoment MT tordiert wird (Abb. 5.35). Bei der Herleitung der Spannungsverteilung geht man davon aus, dass sich die Querschnitte der tordierten Welle wie starre Scheiben gegeneinander verdrehen und dass sich die Stabachse dabei nicht verschiebt. Die vorher geraden Mantellinien der Welle gehen dann unter Torsionsbelastung in Schraubenlinien über, die an der Wellenoberfläche um den Gleitwinkel γ(R) zur Stabachse geneigt sind. Für γ, l, ϑ und R besteht der kinematische Zusammenhang γ(R) · l = ϑ · R, welcher auch für jeden beliebigen Radius r innerhalb der Welle gilt. Es gilt also γ (r) =

ϑ r. l

Der Quotient ϑ/l ist hierin konstant – je länger die Welle, desto stärker die Verdrehung ihrer Enden – und

Abb. 5.36 In tordierten kreiszylindrischen Wellen herrschen Schubspannungen, die in Wellenmitte verschwinden und zum Rand hin linear zunehmen

wird als Drillung χT bezeichnet. Für γ(r) gilt ferner das Hooke’sche Gesetz τ (r) = Gγ(r), sodass wir folgenden Zusammenhang erhalten: τ (r) = GχT r, also einen linearen Verlauf der Schubspannungen. Diese nehmen in der Wellenmitte den Wert null und an der Wellenoberfläche ihren Maximalwert τmax an. Wir erhalten somit für den Schubspannungsverlauf in einer kreiszylindrischen Welle

r τ (r) = τmax . R

Frage 5.8 Wie kann man mithilfe des hydrodynamischen Gleichnisses die Schubspannungsverteilung in einer tordierten kreiszylindrischen Welle qualitativ ermitteln? Wie groß ist nun τmax ? Aus dem Momentengleichgewicht um die Stabachse,

∑ MTi =



τ (r) · rdA − MT = 0,

(A]

MT γ l

Abb. 5.35 Zur Berechnung von τmax

R ϑ

125

MT

folgt MT =

 (A]

τmax

r2 τmax dA = R R

 (A]

r2 dA.

126

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

Das Flächenintegral auf der rechten Seite dieser Gleichung wird in Anlehnung an das sehr ähnlich definierte Flächenträgheitsmoment der Biegung als Torsionsträgheitsmoment IT bezeichnet.

MT

dϑ ds

Torsionsträgheitsmomente kreiszylindrischer Wellen

π IT = R4 2 π 4 IT = (Ra − R4i ) 2

dx

für Vollwellen und

γ

für Hohlwellen. MT

Hierin sind Ra der Außen- und Ri der Innenradius der Hohlwelle. Die maximale Torsionsspannung erhalten wir, wenn wir das oben aufgeführte Momentengleichgewicht um die Stabachse nach τmax auflösen. Wir erhalten:

R

Abb. 5.37 Zur Verformungsberechnung

Mit diesen Gleichungen erhalten wir Maximale Torsionsspannung in einer kreiszylindrischen Welle

τmax =

MT R IT

bzw.

τmax =

MT . WT

Darin ist WT das Torsionswiderstandsmoment. Es beträgt IT π = R3 für Vollwellen bzw. R 2 IT π WT = = (R4 − R4i ) für Hohlwellen. Ra 2Ra a

WT =

Zur Verformungsberechnung: Wir betrachten ein infinitesimal kurzes Stück einer Welle der Abmessungen dx (Länge) und R (Radius), welches tordiert wird (Abb. 5.37). Eine im unbelasteten Zustand gerade, in Wellenrichtung verlaufende Mantellinie wird sich unter dem angreifenden Torsionsmoment um den Winkel γ zur Welle neigen und diese wie eine Spirale umschlängeln. Gesucht ist der Verdrehwinkel dϑ des kleinen Stückchens Welle. Nach dem Hooke’schen Gesetz gilt γ=

τ , G

woraus mit der Bestimmungsgleichung für τmax γ=

MT R GIT

folgt. Des Weiteren gelten die kinematischen Beziehungen γ=

ds ds und ϑ = . dx R

dϑ =

MT dx. GIT

Hat die betrachtete Welle die Gesamtlänge l, so beträgt der Verdrehwinkel ϑ der gesamten Welle ϑ=

l 0

MT dx. GIT

Diese Gleichung gilt für Verdrehwinkel in kreiszylindrischen Wellen, in denen sich der Verlauf des Torsionsmoments MT (x) und Radius R(x) entlang der Welle ändern dürfen. In den allermeisten Fällen wird dem aber nicht so sein – Radius und Torsionsmoment werden in praktisch allen technisch relevanten Fällen zumindest abschnittsweise konstant sein –, und wir erhalten für den Verdrehwinkel einer kreiszylindrischen Welle

ϑ=

MT l . GIT

Beispiel Eine abgesetzte Welle aus Stahl (1. Abschnitt: Länge l1 = 200 mm, Durchmesser D1 = 15 mm, 2. Abschnitt: Länge l2 = 150 mm, Durchmesser D2 = 10 mm, Schubmodul G = 80 GPa) ist an einem Ende fest eingespannt. Am anderen Ende wird sie durch ein Kräftepaar mit dem Hebelarm a = 80 mm belastet. Die Torsionsspannung in der Welle darf den Grenzwert τmax = 150 MPa nicht überschreiten (Abb. 5.38). Wir wollen die maximal zulässige Kraft Fzul und den dabei vorliegenden Verdrehwinkel der Welle berechnen.

5.4

Torsion

t1

r

ds

t2

l2 τ 1 t1 d x

t (s)

D1

τ 2t2dx dx

l D2 F

MT

Abb. 5.39 Die Schubspannungen in einem dünnwandigen geschlossenen Hohlprofil folgen der Umfangsrichtung und sind an der dünnsten Stelle des Profils maximal

a F

a

Abb. 5.38 Zu berechnen sind die höchstzulässige Belastung und der sich dabei einstellende Verdrehwinkel der abgebildeten Welle

Die Torsionsspannungen sind im Bereich des kleinsten Wellendurchmessers am größten und betragen dort MT 2MT = , WT πR3

π π N (5 mm)3 = 29,5 Nm τzul R3 = 150 2 2 mm2

ergibt. Zur Ermittlung des Verdrehwinkels addieren wir die Verdrehwinkel der beiden Wellenabschnitte:   MT l1 MT l2 2MT l1 l2 + = + 4 ϑ= GIT1 GIT2 πG R41 R2   200 mm 2 · 29.452 N mm 150 mm = + N (7,5 mm)4 (5 mm)4 π · 80.000 mm 2

= 0,071 = 4,1◦ .

Wie groß dann die Spannungen und Verformungen sind, wollen wir im Folgenden herleiten. Zunächst zur Spannungsverteilung: Wir betrachten einen Träger mit einem dünnwandigen geschlossenen Querschnitt unter Torsionsbelastung. Die Wandstärke t kann dabei variieren, jedoch nur entlang des Trägerumfangs und nicht in Trägerlängsrichtung (Abb. 5.39).

sodass sich für das zulässige Torsionsmoment MT,zul =

erhalten wir ein dünnwandiges geschlossenes Hohlprofil, von dem wir annehmen dürfen, dass es deutlich leichter als das entsprechende Vollprofil ist und dabei nur wenig an Steifigkeit und Tragfähigkeit einbüßt.



Aus dem Kräftegleichgewicht an einem kleinen Trägerelement ergibt sich, dass das Produkt aus Schubspannung und Wandstärke, der sogenannte Schubfluss, konstant ist:

→ ∑ Fix = τ1 t1 dx − τ2 t2 dx = 0

=⇒

τ1 t1 = τ2 t2 .

Schubfluss

In dünnwandigen geschlossenen Hohlprofilen ist der Schubfluss konstant. τ · t = konstant.

Dünnwandige geschlossene Hohlprofile sind leicht und torsionssteif

Frage 5.9 Wie kann man mithilfe des hydrodynamischen Vergleichs auf die Konstanz des Schubflusses schließen?

Wir haben gelernt, dass in kreiszylindrischen Wellen die Torsionsspannungen an der Wellenoberfläche maximal sind und in der Wellenmitte verschwinden. Anders ausgedrückt: In kreiszylindrischen Wellen trägt der Werkstoff umso mehr mit, je weiter außen in der Welle er sich befindet, Werkstoff ganz im Welleninneren trägt gar nicht mit. Wenn wir den nicht bzw. wenig mittragenden Werkstoff im Welleninneren in Gedanken herauszuschneiden,

Das Torsionsmoment, das die Schubspannung entlang eines kleinen Abschnitts mit der Bogenlänge ds ausübt, beträgt dMT = Kraft × Hebelarm = (τtds)r. Um hieraus das gesamte Torsionsmoment des Profils zu ermitteln, müssen wir einmal geschlossen entlang der

Technische Mechanik

MT

l1

τmax =

127

128

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

Leitbeispiel Antriebsstrang Fahrwerksfedern: . . . torsionsbelastete Bauteile, die die gesamte Masse von Karosserie und Zuladung tragen.

Besonders wichtige Anschlusskomponenten an den Antriebsstrang sind die Fahrwerksfedern, tragen diese doch die gesamte Last von Karosserie und Zuladung.

jeder beliebigen Stelle in der Feder befinden, aber die Position unmittelbar am unteren Ende der Feder ist am anschaulichsten.

Zu den wichtigsten Eigenschaften einer Fahrwerksfeder gehören die Federkonstante c, welche maßgeblich den Fahrkomfort des Fahrzeugs bestimmt, sowie die Tragfähigkeit der Feder, also die Frage nach den durch eine äußere Kraft F hervorgerufenen Spannungen im Federdraht.

dϑ df

R

Die Federkonstante c ist definiert als Quotient aus angreifender Kraft F und Auslenkung f : c=

F . f

Um die Auslenkung f der Feder zu ermitteln, müssen wir uns zunächst einen Überblick über die Schnittgrößen im Federdraht verschaffen. Das Freikörperbild zeigt, dass im Federdraht die Querkraft Q = F und das Torsionsmoment MT = F · R wirken, wobei R der mittlere Wicklungsradius der Feder ist. Q und MT sind an jeder Stelle des Federdrahtes gleich groß. Man kann zeigen, dass der Einfluss der Querkraft auf die Verformung deutlich kleiner ist als derjenige des Torsionsmoments, sodass wir den Federdraht in guter Näherung als rein torsionselastisch auffassen dürfen.

F

Unter Beanspruchung durch das Torsionsmoment im Federdraht verdrillt sich die betrachtete dünne Scheibe um den kleinen Winkel dϑ = (MT /GIT )ds, und das untere Ende der Feder senkt sich um df = R·dϑ ab. Nun steht aber nicht nur ein dünnes Scheibchen unter Torsionsbeanspruchung, sondern die gesamte Feder. Für flache Schraubenfedern beträgt die Länge des abgewickelten Federdrahtes l = 2πRn mit der Windungszahl n. Wir erhalten somit für die Verlängerung f der Feder: f =



df =

2πRn  0

FR2 2πFR3 n ds = , GIT GIT

woraus sich mit IT = π2 r4 , wobei r der Durchmesser des Federdrahtes ist, die Größe der Federkonstanten c zu

F

c= MT

Gr4 4nR3

ergibt. Q R

Wie lautet der Zusammenhang zwischen dem Torsionsmoment MT im Federdraht und der Auslenkung f ? Betrachten wir hierzu ein kleines Scheibchen Federdraht der Länge ds. Dieses Scheibchen kann sich an

Damit zu den Spannungen: im Fedrdraht herrschen Schubspannungen, die durch das Torsionsmoment und die Querkraft hervorgerufen werden. Die maximale Torsionsspannungen beträgt τmax =

MT FR = π 3 WT 2r

5.4

τmax =

4 Q 4F = . 3 πR2 3πr2

Die insgesamt maximale Schubspannung im Draht tritt an der Feder-Innenseite auf, da die Schubspannungen aus Torsion und Querkraft hier in die gleiche Richtung orientiert sind und sich somit addieren. Dabei ergibt

Bogenlänge integrieren. Man spricht dabei von einem Umlaufintegral und zeigt dies durch einen Kreis im Integralzeichen an. Wir erhalten unter Beachtung, dass der Schubfluss τ · t konstant ist, MT =



τtrds = τt



rds,

wobei das Produkt von r und ds gerade doppelt so groß ist wie das schraffierte kleine Dreieck der Fläche dAm . Wir formen weiter um zu MT = τt



2dAm = 2τtAm

sich für das Verhältnis der beiden Spannungsanteile: τTorsion = τQuerkraft

MT . 2tAm

Diese Gleichung ist als 1. Bredt’sche Formel bekannt (nach Rudolf Bredt, 1842–1900). In ihr sind MT das TorsionsSchnittmoment im betrachteten Querschnitt, t die Wandstärke und Am die von der Profil-Mittellinie eingeschlossene Fläche. Die 1. Bredt’sche Formel bestätigt die Folgerung aus dem hydrodynamischen Vergleich, dass die Torsionsspannungen an der Stelle der geringsten Wandstärke maximal werden. Wie bei der Torsion von Kreisprofilen lässt sich auch die 1. Bredt’sche Formel so darstellen, dass die maximale Spannung als Quotient von Torsionsmoment durch Widerstandsmoment dargestellt wird. Maximale Torsionsspannung in dünnwandigen geschlossenen Profilen

τmax =

MT WT

mit WT = 2Am tmin .

Die Berechnung der Verdrehung gelingt am einfachsten mit einem kleinen Vorgriff auf Kap. 6, wenn wir nämlich die Arbeit betrachten, die ein Torsionsmoment am verdrillten Stab leistet. Betrachten wir hierzu einen Träger

FR

π 3 2r

4F 3πr2

=

3R , 2r

d. h., dass in Federn mit dünnem Federdraht (großes R/r) die Torsionsspannungen deutlich größer als die Querkraftspannungen sind.

der Länge l mit einem konstanten Querschnitt. Die äußere Arbeit, die ein angreifendes Torsionsmoment MT beim Verdrillen des Stabes verrichtet, beträgt 12 MT ϑ – in Analogie zur bekannten Merkregel 12 Fs für die Energie einer gespannten Feder – und wird in der Verzerrungsenergie des tordierten Stabes gespeichert. Mit der im Träger gespeicherten Verzerrungsenergie, W=

1 2



τγdV =

(V )

1 2

 (V )

τ2 dV, G

dem geometrischen Zusammenhang dV = ltds und der 1. Bredt’schen Formel lösen wir nach dem Verdrehwinkel ϑ auf. Wir erhalten die 2. Bredt’sche Formel,

und erhalten so für die Schubspannungen τ=

129

ϑ=

MT l 4GA2m



1 ds, t

welche sich in der gewohnten Form ϑ=

MT l GIT

darstellen lässt, wenn das Torsionsträgheitsmoment wie folgt angesetzt wird: Torsionsträgheitsmoment dünnwandiger geschlossener Profile

4A2 IT =  1 m . t ds Achtung Die 2. Bredt’sche Formel mag ungewohnt sein, man sieht Umlaufintegrale nicht alle Tage. Haben Sie aber vor dem Umlaufintegral keine Angst. Für die allermeisten technisch relevanten Träger ist die Wandstärke zumindestens abschnittsweise konstant, und aus dem beängstigenden Umlaufintegral wird dann der simple Quotient aus Bogenlänge durch Wandstärke. Im folgenden Beispiel und in den Übungsaufgaben werden Sie dies bestätigt fin den. Beispiel Der in Abb. 5.40 skizzierte kastenförmige Träger wird durch das Torsionsmoment MT = 400 Nm belastet. Der Schubmodul des Werkstoffs beträgt 80 GPa. Wie

Technische Mechanik

und die maximale Schubspannungen durch Querkraft

Torsion

130

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

Beispiel: Ermittlung des Schubmoduls eines Stahldrahtes aus der Torsionseigenfrequenz . . . ein Versuch, den man mit einfachen Mitteln selbst durchführen kann.

Drehschwingungen der Schubmodul es Drahtes bestimmen?

Problemanalyse und Strategie: Aus den Gleichungen für den Verdrehwinkel eines torsionsbelasteten Stabes berechnen wir zunächst die Drehfedersteifigkeit des Stabes. Diese setzen wir in die aus der Experimentalphysik bekannten Gleichung für die Eigenfrequenz eines Feder-Masse-Schwingers ein und erhalten so einen Zusammenhang zwischen Eigenfrequenz und Schubmodul.

Aus mechanischer Sicht stellen Draht und Holzklotz einen Feder-Masse-Schwinger dar, bestehend aus dem Draht als praktisch masseloser Drehfeder und dem Holzklotz als Drehmasse. Die Eigenfrequenz f dieses Systems beträgt  1 cD , f = 2π J

Lösung: Wie misst man den Schubmodul von Werkstoffen? Am naheliegendsten ist es sicherlich, in einem Torsionsversuch das Torsionsmoment über dem Verdrehwinkel aufzunehmen und den Schubmodul aus der Steigung der Hooke’schen Geraden zu bestimmen. Aber derartige Versuche können ungenau sein. Im Allgemeinen sind die auftretenden Verformungen im linearen Bereich recht klein und daher schwer zu messen, und auch die Nachgiebigkeit der Prüfmaschine kann das Messergebnis verfälschen. Genauere Ergebnisse erhält man über die Messung der Eigenfrequenz der Probe. Die Messung des Schubmoduls aus der Eigenfrequenz eines drehschwingenden Stabes lässt ich mit sehr einfachen Mitteln durchführen. Alles, was Sie benötigen, sind ein knapp 1 m langer Metalldraht, wie er in Bastelgeschäften erhältlich ist, und zwei ca. 8 cm × 8 cm große und 1 cm starke Holzstücke. Ein Ende des Drahtes kleben wir zwischen die beiden Holzstücke ein, das andere Ende spannen wir fest ein, beispielsweise mit einer Schraubzwinge, sodass der Draht mit den Holzstücken frei nach unten hängt. Jetzt verdrehen wir die Holzstücke um die Drahtachse, sodass der Draht tordiert wird.

l, R

wobei cD die Drehfedersteifigkeit und J das Massenträgheitsmoment des Holzklotzes ist. Die Drehfedersteifigkeit ist definiert als Quotient aus angreifendem Torsionsmoment MT und Verdrehwinkel ϑ, cD = MT /ϑ. Das Massenträgheitsmoment einer dün1 nen Platte (vgl. Abschn. 10.1) beträgt J = 12 mL2 . Wie groß die Drehfedersteifigkeit eines runden Stabes der Länge l und des Radius R ist, können wir mit der Gleichung für den Verdrehwinkel kreiszylindrischer Wellen ermitteln. Es ergibt sich

Wir lösen nach G auf, ersetzen cD mit der vorherigen Gleichung und erhalten G= Mit IT =

Sobald wir loslassen, vollführen Draht und Klotz Drehschwingungen. Wie lässt sich aus der Frequenz dieser

π 4 2R

und J =

4π 2 Jl 2 ·f . IT

1 2 12 mL

G=

ergibt sich schließlich

2 πmlL2 2 ·f 3 R4

als Gleichung für die Berechnung des Schubmoduls aus der gemessenen Eigenfrequenz f . Aufgrund seiner einfachen Durchführung eignet sich der Versuch gut als Vorführversuch, beispielsweise in einer Vorlesung. Bei seinem letzten Versuch hat der Autor einen Metalldraht der Länge l = 78 cm und des Durchmessers 0,65 mm sowie zwei Holzklötze mit einer Breite von jeweils l = 94 mm und einer Masse von zusammen m = 62 g verwendet. Als Eigenfrequenz hatten wir f = 0,95 Hz gemessen, woraus sich der Schubmodul zu G=

L

MT GI = T. ϑ l

cD =

2 π · 0,062 kg · 0,78 m · (94 mm)2 · (0,95 s−1 )2 3 (0,325 mm)4

= 72 GPa ergab. Im Vergleich zum Literaturwert für Stahl von ca. 80 GPa ist das für eine derart einfache Versuchsdurchführung kein schlechtes Ergebnis.

Torsion

4 5 mm 10

00

2

2

40

4 40

MT = 400 Nm

60 mm

Abb. 5.40 Rechteckrohre sind ein Beispiel für dünnwandige geschlossene Profile

Abb. 5.41 Dünnwandige Rohre können sowohl als kreiszylindrisches als auch als dünnwandiges geschlossenes Profil angesehen werden

groß sind die größten Spannungen im Träger und der Verdrehwinkel des Stabes?

Zunächst zur Spannungsberechnung: Die Widerstandsmomente betragen π (R4 − R4i ) WT, Kreisprofil = 2Ra a π [(30 mm)4 − (25 mm)4 ] = 2 · 30mm = 21.958 mm3 und WT, Hohlprofil = 2Am tmin

Zu den Spannungen: Diese sind im Bereich der kleinsten Wandstärke maximal und betragen τmax =

MT 400 Nm = = 73 MPa. WT 2 · 36 mm · 38 mm · 2 mm

Zum Verdrehwinkel: Das Umlaufintegral spalten wir in vier einzelne Integrale mit jeweils konstanter Wandstärke auf (linke, obere, rechte und untere Wand). Jedes der vier Integrale entspricht aufgrund der jeweils konstanten Wandstärke dem Quotienten aus Länge durch Wandstärke und wir erhalten 

1 36 mm 38 mm 36 mm 38 mm ds = + + + = 55. t 2 mm 4 mm 2 mm 4 mm

Wir setzen alles in die Bestimmungsgleichung für ϑ ein und erhalten  MT l 1t ds M l ϑ= T = GIT 4GA2m 400 N m · 1000 mm · 55 = = 0,037 = ˆ 2,1◦ . N 2 4 · 80.000 mm 2 · (36 mm · 38 mm)  Beispiel Dünnwandige Rohre kann man sowohl nach den Gleichungen für Kreisquerschnitte als auch nach denen für dünnwandige geschlossene Hohlprofile berechnen. Hierbei sind die Gleichungen für Kreisquerschnitte exakt und die für dünnwandige Hohlprofile Näherungslösungen, die erst im Grenzwert zu verschwindend kleinen Wandstärken gegen die exakte Lösung konvergieren. Wie groß sind jeweils die Abweichung von der exakten Lösung, wenn beim in Abb. 5.41 skizzierten Profil Spannungen und Verformungen nach den Gleichungen für dünnwandige geschlossene Hohlprofile berechnet werden?

= 2π (27,5 mm)2 · 5 mm = 23.758 mm3 . Die Gleichungen für dünnwandige geschlossene Hohlprofile ergeben also ein um den den Faktor 1,08 zu großes Widerstandsmoment und die so berechneten Spannungen sind folglich um eben diesen Faktor kleiner als der exakte Wert. Zum Verdrehwinkel: Der nach den Gleichungen für kreiszylindrische Wellen berechnete exakte Wert des Torsionsträgheitsmoments beträgt π IT, Kreisprofil = (R4a − R4i ) 2 π = [(30 mm)4 − (25 mm)4 ] = 658.753 mm4 . 2 Nach den Gleichungen für dünnwandige geschlossene Hohlprofile wird IT gemäß 4A2 IT, Hohlprofil =  1 m t ds berechnet. Hierin ist Am die von der Mittellinie des Profils umschlossene Fläche – π (27,5 mm)2 – und das Umlaufintegral ist tatsächlich einfacher zu berechnen, als man denkt. Die Wandstärke t ist nämlich konstant, kann vor das Integral gezogen werden, und das verbleibende Integral über die Funktion 1 entspricht schlicht und einfach dem mittleren Kreisumfang: 

1 1 ds = t t



ds =

π · 55 mm . 5 mm

131

Technische Mechanik

5.4

132

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

Kraftflusslinie, die in einer beliebigen Entfernung y von der Profilmitte verläuft und die infinitesimal kleine Breite dy aufweist, lautet dieser Zusammenhang dMT = 2τ (y)Am (y)dy. τ max

y

h

Hierin setzen wir Am (y) = 2yh sowie τ (y) ein und integrieren über alle Kraftflusslinien von ganz innen (y = 0) bis außen an der Trägerwand (y = t/2). Wir erhalten MT = 2

t/2

τmax

0

t

Abb. 5.42 Die Torsionsspannungen in einem dünnwandigen offenen Profil haben ihren Maximalwert an den Profilrändern

y 1 2yhdy = τmax ht2 . t/2 3

Nach τmax aufgelöst und wie gewohnt als Quotient von Torsions- durch Widerstandsmoment ausgedrückt ergibt sich: Maximale Torsionsspannung in dünnwandigen offenen Profilen

Damit ergibt sich IT, Hohlprofil =

4[π (27,5 mm)2 ]2 π ·55 mm 5 mm

τmax =

= 653.353 mm4 .

Nach den Gleichungen für dünnwandige geschlossene Hohlprofile ergibt sich also ein um den Faktor 1,01 kleineres als das exakte Torsionsträgheitsmoment, sodass der Verdrehwinkel um eben diesen Faktor oberhalb des exak ten Wertes liegt.

t/2 y= 0

Betrachten wir zunächst einen Träger mit einem schmalen Rechteckprofil, dessen Breite t klein gegenüber der Höhe h sei. Ähnlich wie bei einem Kreisprofil ist die Torsionsspannung in der Profilmitte gleich null, um von dort aus linear zum Maximalwert am Profilrand anzusteigen (Abb. 5.42). Für die Schubspannungsverteilung gilt somit y . τ (y) = τmax t/2 In Abbildung 5.42 erkennen wir, dass das Schubspannungsfeld – bildlich gesprochen – aus lauter geschlossenen Kraftflusslinien besteht. Wir können uns also den Trägerquerschnitt so vorstellen, als bestehe er aus ineinandergeschachtelten dünnwandigen geschlossenen Hohlprofilen. Für jedes dieser einzelnen geschlossenen Hohlprofile beschreibt die 1. Bredt’sche Formel den Zusammenhang zwischen Torsionsmoment und Schubspannung. Für eine

mit WT =

1 2 ht . 3

Auch für die Berechnung des Torsionsträgheitsmomentes IT können wir den schmalen Rechteckquerschnitt als aus vielen ineinandergeschachtelten dünnwandigen geschlossenen Hohlprofilen bestehend auffassen. Dann ist IT =

Dünnwandige offene Profile sind torsionsweich

MT WT

4A2  1m t ds

mit t = dy, Am = 2yh und IT =

t/2 y= 0

4 · 4y2 h2  dy = ds

t/2



1ds = 2h,

8y2 hdy.

y= 0

Und wir erhalten für das Torsionsträgheitsmoment eines dünnwandigen offenen Profils

IT =

1 3 ht . 3

Abschließend – ohne Herleitung – noch zwei Erweiterungen dieser Gleichungen: Ist ein Träger aus mehreren schlanken Rechteckprofilen zusammengesetzt, so berechnen sich IT und WT als IT =

1 h t3 3∑ ii

und WT =

IT , tmax

5.5

Statisch überbestimmte Systeme

8 60 10

4

75

Abb. 5.43 Ein I-Träger in Torsion lässt sich nach den Gleichungen für dünnwandige offene Profile analysieren

wobei die maximale Spannung im Profilabschnitt mit der größten Wandstärke auftritt. Beispiel Für den in Abb. 5.43 skizzierten Träger betragen IT und WT 1 h t3 3∑ ii  1 60 · 83 + 60 · 43 + 75 · 103 mm4 = 36.520 mm4 , = 3

IT =

WT =

IT tmax

=

36.520 mm4 = 3652 mm3 . 10 mm



Frage 5.10 Die Bauweise der Spiralfeder Slinky ist noch immer dieselbe wie zu seiner Markteinführung in den 1940er Jahren und seine Faszination als Spielzeug ungebrochen. Wunderschön gemächlich schwingt es auf und ab, und wenn man sich geschickt anstellt, kann es auch ganz alleine, Stufe für Stufe eine Treppe hinabgehen. Weshalb kann Slinky das, andere Schraubenfedern aber nicht?

133

In statisch überbestimmten Systemen übersteigt die Zahl der Lagerreaktionen die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen, und es lassen sich nicht mehr alle Lagerreaktionen aus den Gleichgewichtsbedingungen berechnen. Zwei (oder je nach Grad der Überbestimmtheit auch mehr) Verformungsberechnungen können dann aber die zur Berechnung aller Lagerreaktionen erforderlichen zusätzlichen Gleichungen liefern. Im Falle eines einfach statisch überbestimmten Systems – wenn die Zahl der Lagerwertigkeiten um eins größer ist als die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen – geht dies in den folgenden Schritten vor sich: Schritt 1: Eine Lagerwertigkeit wird durch seine als äußere Last angesetzte Lagerreaktion ersetzt. Man bezeichnet diese Lagerreaktion als „statische Unbestimmte“. Schritt 2: Die verbleibenden Lagerreaktionen werden mit den Gleichgewichtsbedingungen der Statik als Funktion der äußeren Belastung und der statischen Unbestimmten berechnet. Schritt 3: Es werden nun zwei Verformungsberechnungen durchgeführt, nämlich in Schritt 3a die Verformung allein unter der ursprünglich aufgebrachten Last und in Schritt 3b die Verformung allein durch die statische Unbestimmte. Schritt 4: Die statische Unbestimmte entspricht genau dann der Lagerreaktion, wenn die Überlagerung der beiden in Schritt 3 berechneten Verschiebungen an der Stelle des Lagers null ergibt. Denn im ursprünglichen statisch überbestimmten System verschwindet die Verschiebung am Lager naturgemäß auch. Die sich aus Schritt 4 ergebende Gleichung – Verschiebung unter der ursprünglichen Last plus Verschiebung durch die statische Unbekannte gleich null – ist genau die zusätzliche Gleichung, die zur Ermittlung aller Lagerreaktionen benötigt wird. Man nennt sie auch Kompatibilitätsgleichung, weil die statische Unbestimmte nur dann mit der Lagerreaktion verträglich ist, wenn eben diese Gleichung erfüllt ist. Hierzu folgendes Beispiel: Beispiel Die Lagerreaktionen des in Abb. 5.44 dargestellten Biegeträgers sind zu berechnen. q0 l A

x

B

Abb. 5.44 Beispiel eines statisch überbestimmten Biegeträgers

Technische Mechanik

5.5

60

Statisch überbestimmte Systeme

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Schritt 1: Wir wählen ein Lager aus, hier das Lager B, und ersetzen es durch seine als äußere Kraft angesetzte Lagerreaktion By . Damit erhalten wir das in Abb. 5.45 gezeigte statisch bestimmte System:

σφ t

σφ σφ

2R

Technische Mechanik

Den drei Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik stehen vier Unbekannte (Ax , Ay , MA und By ) gegenüber. Das System ist also statisch überbestimmt gelagert.

pi

pi

t

134

l

t

2R

t

Abb. 5.46 Freikörperbild zur Ermittlung der Umfangsspannungen

l By

A

x

Abb. 5.45 Eine Lagerwertigkeit wird durch seine als äußere Last angesetzte Lagerreaktion ersetzt

Schritt 2: Die verbleibenden Lagerreaktionen lauten in Abhängigkeit der statischen Unbekannten By : Ay = q0 l − By

und

MA =

1 2 q0 l − By · l. 2

facher statischer Überbestimmtheit drei Verformungsberechnungen – je eine für die ursprüngliche Belastung und die beiden statischen Unbekannten. Diese drei Verformungsberechnungen führen dann zu zwei Kompatibilitätsgleichungen, dass nämlich die Überlagerung der drei Verformungen an den Angriffspunkten der beiden statischen Unbekannten jeweils verschwindet. Die Überlagerbarkeit der Verschiebungen unter der ursprünglichen Belastung und der statischen Unbekannten setzt voraus, dass sich der Werkstoff linearelastisch verformt.

Schritt 3: Der Biegemomentenverlauf ist

5.6

1 M(x) = By (l − x) − q0 (l − x)2 . 2 Schritt 4: Aus der Tabelle der Durchbiegungen lesen wir als Verschiebungen des freien Trägerendes ab: w=

q0 l4 8EIy

w=−

By l3 3EIy

für die Streckenlast und für die Punktlast.

Wir setzen die Summe dieser beiden Durchbiegungen gleich null und erhalten so für die statische Unbestimmte By = 38 q0 l sowie aus den Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik die weiteren Lagerreaktionen: Ay =

5 1 q0 l und MA = q0 l2 . 8 8

 Anmerkungen: Bei mehrfach statisch überbestimmten Systemen sind entsprechend mehr Verformungsberechnungen und Kompatibilitätsgleichungen zur Ermittlung aller Lagerreaktionen erforderlich. So benötigt man bei zwei-

Dünnwandige Behälter unter Innendruck

Im Abschn. 5.2 hatten wir gelernt, dass lange und dünne Träger aufgrund der großen Hebelarme und des kleinen axialen Flächenträgheitsmoments sehr empfindlich auf Biegebeanspruchung reagieren. Das gilt sinngemäß auch für dünnwandige Druckbehälter. Diese sollten tunlichst so konstruiert sein, dass sich ihre Behälterwand durch die Druckbelastung nicht verbiegt. Es gibt zwei technisch wichtige Behälterformen, die diese Anforderung erfüllen, den zylindrischen und den kugelförmigen Druckbehälter.

Zylindrische Behälter Bei zylindrischen Behältern empfiehlt es sich, die auftretenden Spannungen in Polarkoordinaten zu betrachten. In der Behälterwand liegen dann Radialspannungen σr , Umfangsspannungen σϕ und Längsspannungen σl vor (Abb. 5.46). Die Umfangsspannung σϕ lässt sich aus dem Kräftegleichgewicht eines längs durchgeschnittenen Behälters ermitteln. Die Kraftwirkung des Innendrucks berechnen

5.7

pi

t

2R

σ

t

Abb. 5.47 Freikörperbild zur Ermittlung der Längsspannungen

Kugelbehälter In der Wand eines Kugelbehälters unter Innendruck sind die Spannungen aus Symmetriegründen in alle Richtungen gleich groß. Man kann sich anhand eines entsprechenden Freikörperbildes leicht davon überzeugen, dass die Kesselformel für die Längsspannung auch für Kugelbehälter gilt. Die Spannungen in einem dünnwandigen Kugelbehälter unter Innendruck betragen somit σ=

pi R . 2t

wir per „Druck mal projizierte Fläche“ und erhalten so für das Kräftegleichgewicht in vertikaler Richtung

↑ ∑ Fi = σϕ · 2tl − pi · 2Rl = 0 pR =⇒ σϕ = i . t Hierin ist pi der Innendruck im Behälter; R und t sind der Radius und die Wandstärke des Behälters. Für die Längsspannung σl setzen wir das Kräftegleichgewicht in horizontaler Richtung an (Abb. 5.47) und erhalten

→ ∑ Fi = σl · 2πRt − pi · πR2 = 0 pR =⇒ σl = i . 2t Diese Gleichungen für σϕ und σl sind unter der Bezeichnung Kesselformeln bekannt. Es lohnt sich, sie auswendig zu können: Kesselformeln

In dünnwandigen zylindrischen Druckbehältern ist die Umfangsspannung σϕ doppelt so groß wie die Längsspannung σl . Es gilt σϕ =

pi R t

und

σl =

pi R . 2t

Dass die Umfangsspannungen doppelt so groß wie die Längsspannungen sind, äußert sich auch bei aufplatzenden Brühwürstchen. Diese platzen quer zu den größten Spannungen auf, also stets in Längsrichtung der Wurst. Die Radialspannung σr entspricht an der Behälterinnenwand dem Innendruck −pi und verschwindet an der Behälteraußenwand, da diese eine freie, unbelastete Oberfläche ist. Sie ist in dünnwandigen Behältern (t R) sehr viel kleiner als Längs- und Umfangsspannung und kann somit in aller Regel vernachlässigt werden.

135

5.7

Überlagerte Beanspruchung

Bei der Dimensionierung von Bauteilen geht es darum, berechnete Spannungen hinsichtlich ihrer Zulässigkeit zu beurteilen. Dabei kann die Mehrachsigkeit der Spannungen ein Problem darstellen. Die Diskussion dieses Themas fällt leichter, wenn wir zunächst die drei Arten der Spannungsmehrachsigkeit sauber definieren. Wir wissen (Kap. 4), dass sich die Koordinaten des Spannungstensors bei einer Drehung des Koordinatensystems ändern und dass sich jeder Spannungstensor in sein Hauptachsensystem drehen lässt, in welchem alle Schubspannungen zu null werden. Ein Spannungszustand mit genau einer von null verschiedenen Hauptspannung heißt einachsig, zwei von null verschiedenen Hauptspannungen heißt zweiachsig (oder ebener Spannungszustand), drei von null verschiedenen Hauptspannungen heißt dreiachsig. Warum ist die Betrachtung der Mehrachsigkeit wichtig bei der Bauteildimensionierung? Nun, die gängigsten Werkstoffwiderstände wie Streckgrenze, Zug- oder Biegefestigkeit und Dauerfestigkeit werden an Proben gewonnen, in denen einachsige Spannungszustände herrschen (jeweils eine Normalspannung in Probenlängsrichtung). In realen Bauteilen sind die Spannungszustände dagegen oft mehrachsig. Die im Bauteil herrschende Spannung kann aber nur dann ohne Weiteres mit der zulässigen Spannung σzul des Werkstoffs verglichen werden, wenn die Spannungszustände in Bauteil und Probe die gleichen, also jeweils einachsige Spannungszustände sind. Einachsige Spannungszustände sind beispielsweise Zug-Druck-Beanspruchung, Biegebeanspruchung sowie überlagerte Zug-Druck- und Biegebeanspruchung, da in diesen Fällen jeweils als einzige Spannung eine Normalspannung in Trägerlängsrichtung herrscht.

Technische Mechanik

σ

Überlagerte Beanspruchung

136

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet τ

Technische Mechanik

σ2

σ1

σ 45°

Abb. 5.48 Mohr’scher Spannungskreis für Torsion

Abb. 5.50 In Biegung (a) und Torsion (b) bricht ein spröder Werkstoff zwar mit unterschiedlich orientierter Bruchfläche, aber die Bruchfläche ist in beiden Fällen genau senkrecht zur Richtung der größten Hauptspannung ausgerichtet

l1 I l2 F II

Für die Bildung von σV gibt es verschiedene Festigkeitshypothesen. Die drei bekanntesten sind die Normalspannungs-, die Schubspannungs- und die Gestaltänderungsenergie-Hypothese, welche wir im Foglenden als N-, Sund GE-Hypothese abkürzen wollen.

Abb. 5.49 Überlagerung von Biegung und Torsion

Ist der Spannungszustand im Bauteil dagegen mehrachsig, wird es schwierig. Das ist schon bei einfacher Torsion der Fall, denn Torsionsspannungen sind Schubspannungen. Im Hauptachsensystem treten zwei Hauptspannungen σ1 und σ2 auf, die im Betrag gleich groß sind, aber unterschiedliche Vorzeichen haben (Abb. 5.48). Noch schwieriger wird es, wenn mehrere Spannungen gleichzeitig vorliegen, beispielsweise wie in Abb. 5.49 gezeigt Biegung und Torsion. So herrschen im Bereich I des abgebildeten Winkelträgers Normalspannungen durch Biegung und Schubspannungen durch Torsion. Wie geht man nun vor, einfach die größere der beiden Spannungen mit σzul vergleichen? Oder erst beide Spannungen addieren? Am besten machen wir uns erst einmal einige grundlegende Gedanken zur Mechanik und Festigkeit von Werkstoffen. Das Prinzip der nun vorgestellten Festigkeitshypothesen ist das Folgende: Aus allen im Bauteil herrschenden Normal- und Schubspannungen wird ein einzelner Wert gebildet, die sogenannte Vergleichsspannung σV . Wenn σV für sich alleine genommen die gleiche Gefährlichkeit entfaltet, wie die vorhandenen Normal- und Schubspannungen in ihrem Zusammenwirken, dann kann σV mit der zulässigen Spannung σzul verglichen werden. Die Dimensionierungsgleichung lautet also σV = σzul .

Die Normalspannungs-Hypothese beschreibt das Bruchverhalten spröder Werkstoffe Spröde Werkstoffe reagieren besonders empfindlich auf Normalspannungen. An einem sehr einfachen Experiment mit einem spröden (und billigen) Werkstoff, gewöhnlicher Tafelkreide, lässt sich das schön zeigen. Zerbricht man ein Stück Kreide ganz normal mit den Händen – das geschieht unwillkürlich in Biegung – so bricht es stumpf durch. In Torsion ist die Bruchfläche dagegen um 45° zur Probenlängsrichtung geneigt. Welches Prinzip ist dahinter erkennbar? In Biegung zerbricht die Kreide ganz offensichtlich senkrecht zu den Biegespannungen, also senkrecht zur Richtung der größten Hauptspannung. Und in Torsion geschieht dies ebenfalls, denn in der tordierten Kreide herrschen Schubspannungen, zu denen die Hauptspannungen, wie wir das im Mohr’schen Spannungskreis gesehen hatten, stets im 45°-Winkel orientiert sind (Abb. 5.50a). Diesem experimentellen Befund folgend lautet die N-Hypothese

In spröden Werkstoffen ist die größtmögliche Normalspannung σ1 ausschlaggebend für das Werkstoffversagen. Es gilt σV = σ1 .

Überlagerte Beanspruchung

Mit anderen Worten: Die äußere Zugspannung ist doppelt so groß wie die in der Zugprobe herrschenden Schubspannungen. Dementsprechend erhalten wir als Definition für die

45°

Abb. 5.51 Zugproben duktiler Werkstoffe versagen unter 45° zur Zugrichtung entlang der Ebenen der größten Schubspannungen

S-Hypothese

In duktilen Werkstoffen ist die größtmögliche Schubspannung τmax ausschlaggebend für das Werkstoffversagen. Es gilt

τ τ max

σV = 2τmax .

σ zul σ

Abb. 5.52 Mohr’scher Spannungskreis einer Zugprobe, die genau mit der zulässigen Spannung σzul belastet wird

Schubspannungs- und Gestaltänderungsenergie-Hypothese beschreiben das Fließen duktiler Werkstoffe Im Gegensatz zu spröden Werkstoffen reagieren duktile (verformungsfähige) Werkstoffe anfällig auf Schubspannungen. Lassen Sie sich im werkstoffkundlichen Institut einmal die gerissene Zugprobe eines duktilen Metalls, etwa eines Baustahls zeigen (Abb. 5.51). Bis auf einen kleinen Bereich in der Mitte der Bruchfläche ist der größte Teil der Bruchfläche um 45° zur Zugrichtung geneigt, verläuft also entlang der größten Schubspannungen. Auf mikrostruktureller Ebene findet diese Anfälligkeit auf Schubspannungen ihren Grund darin, dass die plastische Verformung auf Versetzungsbewegungen beruht, die ihrerseits zu großen Teilen ein Abgleiten von Gitterebenen sind, welche durch Schubspannungen vorangetrieben werden. Werkstoffversagen setzt also dann ein, wenn die maximale Schubspannung im Bauteil einen kritischen Wert erreicht. Sehen wir uns, um daraus eine handliche Gleichung abzuleiten, den Mohr’schen Spannungskreis einer Zugprobe an, die genau mit der zulässigen Spannung σzul belastet wird (Abb. 5.52) (siehe auch Abschn. 15.9). Die maximale Schubspannung in der Probe beträgt τmax =

1 σ . 2 zul

Frage 5.11 Welche Bruchflächenorientierung erwarten Sie, wenn ein Stab aus duktilem Material in Torsion bis zum Bruch beansprucht wird?

Ebenfalls auf duktile Werkstoffe anwendbar ist die Gestaltänderungsenergie- (GE-) Hypothese. Sie lässt sich nicht im Mohr’schen Spannungskreis darstellen, und deswegen verzichten wir hier auf die Herleitung. Sie lautet: GE-Hypothese

In duktilen Werkstoffen setzt plastische Verformung dann ein, wenn die Gestaltänderungsarbeit pro Werkstoffvolumen einen kritischen Wert erreicht. Für die Vergleichsspannung nach der GE-Hypothese gilt 1 σV = √ 2



(σ1 − σ2 )2 + (σ2 − σ3 )2 + (σ3 − σ1 )2 .

Im ebenen Spannungszustand mit nur einer Normalspannung gelten besonders handliche Formeln für σV Die soeben hergeleiteten Gleichungen gelten für beliebige ebene Spannungszustände. Reale Spannungszustände sind aber vielfach einfacher. Liegt, wie häufig der Fall, ein ebener Spannungszustand mit nur einer von null verschiedenen Normalspannung σ sowie einer Schubspannung τ vor, so lassen sich besonders handliche Formeln für σV herleiten. Der Mohr’sche Spannungskreis eines derartigen Spannungszustandes hat die in Abb. 5.53 gezeigte Gestalt.

137

Technische Mechanik

5.7

138

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Trägers (oben auf Höhe der Einspannung) im zulässigen Bereich liegen. Dabei dürfen Schubspannungen durch Querkraft vernachlässigt werden.

Technische Mechanik

τ τ max –τ

M

σ

Zunächst berechnen wir die Schnittgrößen auf Höhe der Einspannung. Bei Vernachlässigung der Querkraft sind dies das Biegemoment M = Fl1 und das Torsionsmoment MT = Fl2 .

σ1 σ

Aus den Schnittgrößen berechnen wir für die Biegespannung

τ

Abb. 5.53 Mohr’scher Spannungskreis für einen ebenen Spannungszustand mit nur einer Normalspannung

σ=

Fl1 h · = Iy 2

1 12



2300 N · 800 mm

(60 mm)4 − (50 mm)4

· 30 mm

= 99 MPa Für σ1 und τmax gelten die Zusammenhänge σ1 = Mittelpunkt + Radius   σ 2   1 1 σ + σ2 + 4τ 2 = σ+ + τ2 = 2 2 2 τmax = Radius   σ 2 1 2 = + τ2 = σ + 4τ 2 2 2

und für die Torsionsspannung τ= sowie

Damit lassen sich nun unmittelbar die Vergleichsspannungen nach der N- und S-Hypothese berechnen. Wir nehmen die entsprechende Gleichung für die GEHypothese ohne Herleitung der Vollständigkeit halber mit auf und fassen zusammen: ESZ mit nur einer Normalspannung

Liegt in einem ebenen Spannungszustand nur eine von null verschiedene Normalspannung vor, so gelten für die Vergleichsspannungen   1 σ + σ2 + 4τ 2 N-Hypothese, 2  σV = σ2 + 4τ 2 S-Hypothese,  σV = σ2 + 3τ 2 GE-Hypothese. σV =

Beispiel Berechnen wir den eingangs des Abschnitts skizzierten Winkelträger (Abb. 5.49). Bei diesem betragen die geometrischen Abmessungen l1 = 800 mm und l2 = 1200 mm. Das Trägerprofil sei ein quadratisches Vierkantrohr der äußeren Kantenlänge 60 mm und der Wandstärke 5 mm. Die Kraft F betrage 2300 N und die aus einem Zugversuch ermittelte zulässige Spannung des Werkstoffs 200 MPa. Überprüfen Sie anhand der N-, S- und GE-Hypothese, ob die Spannungen im höchstbeanspruchten Punkt des

MT Fl2 2300 N · 1200 mm = = = 91 MPa. WT 2Am tmin 2 · 2(55 mm)2 · 5 mm

Weitere Spannungen existieren im betrachteten Punkt nicht. Es liegt also ein ebener Spannungszustand vor, bei dem eine Normalspannung gleich null ist, und wir können die Vergleichsspannungen mit den vereinfachten Gleichungen berechnen. Wir erhalten für die NHypothese   2  2

1 99 MPa + 99 MPa + 4 91 MPa σV = 2 = 153 MPa, für die S-Hypothese   2  2 99 MPa + 4 91 MPa = 207 MPa σV = und für die GE-Hypothese   2  2 99 MPa + 3 91 MPa = 186 MPa. σV = Die Beanspruchung befindet sich nach der N- und GEHypothese also im zulässigen Bereich. Nach der SHypothese wäre der Balken hingegen an der Einspannstelle überbeansprucht. Als Alternative zu den Gleichungen können wir auch den Mohr’schen Spannungskreis ansetzen. Aus ihm lesen wir σ1 = 153 MPa, σ2 = −54 MPa und τmax = 103,5 MPa ab und erhalten somit dieselben Werte wie zuvor (Abb. 5.54). Das Beipiel zeigt, dass die verschiedenen Festigkeitshypothesen ein und denselben Spannungszustand unterschiedlich streng beurteilen. In nicht absolut allen, aber doch den weitaus meisten Fällen wird die Wirkung eines mehrachsigen Spannungszustands durch die S-Hypothese am strengsten und die N-Hypothese am we nigsten streng beurteilt.

Antworten zu den Verständnisfragen τ

τ

τ

91 σ2 σ2

M

99

σ1

σ

σ2

σ1 σ

σ2

σ1

σ

σ 1 σ (MPa)

Abb. 5.55 Die drei Möglichkeiten für die Lage der Mohr’schen Spannungskreise bei ebenen Spannungszuständen –91

Abb. 5.54 Mohr’scher Spannungskreis für die höchstbelastete Stelle des Winkelträgers

Abschließende Bemerkungen zur S-Hypothese Nach der S-Hypothese beträgt die Vergleichsspannung σV = 2τmax . In Abschn. 3.1 hatten wir gelernt, dass τmax der Hauptspannungsdifferenz σ1 − σ2 entspricht. Aber Vorsicht, dies gilt nur für eine Drehung des Koordinatensystems in der Spannung führenden Ebene! Wenn wir auch Drehungen aus dieser Ebene heraus zulassen, kann τmax größer als σ1 − σ2 sein. Der Grund hierfür liegt im Mohr’schen Spannungskreis für dreiachsige Spannungszustände. Dieser besteht – ohne tiefer ins Detail einzusteigen – aus drei ineinander geschachtelten Kreisen durch die drei Hauptspannungen. Wir haben in diesem Kapitel ausschließlich ebene Spannungzustände betrachtet, also Spannungszustände, bei denen eine der drei Hauptspannungen gleich null ist. Dies kann wie in Abb. 5.55 gezeigt entweder die kleinste Hauptspannung (a), die mittlere Hauptspannung (b) oder die größte Hauptspannung sein (c).

Für jeden dieser drei Fälle ergibt sich eine andere Bestimmungsgleichung für τmax . Es gilt: Berechnung von τmax

Die maximale Schubspannung τmax ergibt sich aus den Hauptspannungen σ1 und σ2 als 1 σ1 für σ2 > 0 und σ1 > 0, 2  1 σ1 − σ2 für σ2 < 0 und σ1 > 0 = 2

τmax = τmax sowie

τmax =

1 |σ2 | 2

für

σ2 < 0

und

σ1 < 0.

Weiterführende Literatur Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 5.1 Wenn das Eigengewicht des Stabes nicht vernachlässigbar ist, ist N (x) veränderlich und die Verlängerungsberechnung muss durch Integration erfolgen. Antwort 5.2 Weil viel Werkstoff in den Randfasern angebracht ist (durchgehende horizontale Stäbe) und wenig Werkstoff in Trägermitte (Diagonalstreben mit viel Luft dazwischen). Das Material ist also überwiegend da eingesetzt, wo es Biegespannungen ausüben und so dem angreifenden Biegemoment Widerstand leisten kann.

Antwort 5.3 Nehmen Sie einen Träger mit einem sehr schlanken Rechteckquerschnitt, z. B. einen Streifen Papier. Wenn Sie diesen mit flacher Querschnittorientierung (die Papierstärke ist also die Trägerhöhe) wie einen Kragträger in der Hand halten, so hängt er schlaff nach unten. Halten Sie den Papierstreifen dagegen mit hochkant stehendem Querschnitt in der Hand, geschieht das nicht, da nun die im Vergleich zur Papierstärke sehr viel größere Streifenbreite die Trägerhöhe ist und dem Träger ein sehr viel größeres axiales Flächenträgheitsmoment verleiht.

Technische Mechanik

τ (MPa) τ max

139

140

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

Antwort 5.4 Bei Doppel-T-Trägern befindet sich besonders viel Material weit weg von der neutralen Faser, also genau da, wo sich nennenswerte Biegespannungen bilden können, die dem angreifenden Biegemoment wirkungsvoll Paroli bieten können. Antwort 5.5 Die Verformung einer Angelrute kann, wenn ein kapitaler Fisch anbeißt, leicht ähnlich groß wie ihre Länge sein und ist damit nicht mehr klein. In der analytischen Beschreibung der Krümmung, 1 = − ρ

d2 w dx2

1+



dw dx

2 3/2 ,

2

kann (dw/dx) dann nicht mehr vernachlässigt werden, und es ergibt sich die auch für große Verformungen gültige Differenzialgleichung

M d2 w/dx2  2 3/2 = − E I . y dw 1 + dx

keiner Stelle des Kanals staut, muss es in engen Bereichen entsprechend schneller fließen als in breiten. In der Flüssigkeitsströmung ist deshalb das Produkt aus Strömungsgeschwindigkeit und Breite konstant, sodass im tordierten Träger das Produkt aus Schubspannung τ und Wandstärke t, eben der Schubfluss, konstant ist. Antwort 5.10 Das Besondere an Slinky ist, dass es so schön langsam schwingt. Andere Schraubenfedern, beispielsweise die Federn eines Garagentors, schwingen um ein Vielfaches schneller, viel zu schnell, um ihnen geruhsam zuzuschauen. In Analogie zur Eigenfrequenz eines Feder-Masse-Systems, die gemäß ν=

1 2π



c m

von der Federsteifigkeit c und der angehängten Masse m abhängt, ist die Eigenfrequenz einer Feder umso niedriger, je kleiner die Federkonstante und je größer die Dichte des Federwerkstoffs – und damit die Masse der Feder – sind. Für die Federsteifigkeit hatten wir

Antwort 5.6 Auch an Fest- und Loslagern kann sich ein Träger nicht absenken. Im Gegensatz zur festen Einspannung kann er sich aber um den Lagerpunkt drehen, d. h. die Trägerneigung wird bei Belastung ungleich null sein. Die einzige Randbedingung eines Fest- oder Loslagers ist somit w(x0 ) = 0, wobei x0 die Stelle der Lagerung ist. Antwort 5.7 Nur in sehr kurzen Bauteilen, wie z. B. Nietoder Bolzenverbindungen. Antwort 5.8 Wir müssen einen kreisrunden Topf mit Wasser füllen, kräftig umrühren, Papierschnipsel einstreuen und das Profil der Strömungsgeschwindigkeit beurteilen. Sie werden sehen: In der Mitte ist die Strömungsgeschwindigkeit gleich null (In welche Richtung sollte das Wasser auch fließen?), am Rand fließt das Wasser am schnellsten, und zwischendrin nimmt die Geschwindigkeit von der Mitte zum Rand hin linear zu. Letzteres lässt sich daran erkennen, dass die Papierschnipsel sich nicht überholen, sich also mit konstanter Winkelgeschwindigkeit bewegen. Antwort 5.9 Als Analogie für den Kraftfluss im tordierten Träger betrachten wir einen in sich geschlossenen Kanal, in dem Wasser zirkuliert. Damit sich das Wasser an

c=

GIT . 2πR3 n

hergeleitet. Können wir daraus Rückschlüsse ziehen, welche Drahtquerschnitte für Slinky am geeignetsten sind? Nun, Slinky soll langsam schwingen und deshalb bei großer Masse m eine kleine Federsteifigkeit c aufweisen. In die Gleichung für die Federsteifigkeit geht der Drahtquerschnitt allein über das Torsionsträgheitsmoment IT ein. Günstig sind deshalb Querschnitte mit einem kleinen Torsionsträgheitsmoment bei großer Querschnittsfläche (im Interesse großer Masse), und dies ist am Besten bei dünnwandigen offenen Profilen gegeben. Genau so ist Slinky auch tatsächlich aufgebaut. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Schraubenfedern, die aus rundem Draht gewickelt sind, besitzt Slinky einen dünnen Rechtecksquerschnitt. Antwort 5.11 Der Stab würde entlang der Ebenen der größten Schubspannungen versagen und somit stumpf durchbrechen. Dieser Versuch lässt sich übrigens recht schön mit einer Christbaumkerze aus Wachs nachvollziehen.

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). Materialparameter: Elastizitätsmodul E = 20.000 MPa, spezifisches Gewicht γ = 22.000 mN3 .

z

145 m

5.1 • Ein Bergsteiger wird an einem 300 m langen Seil in die Tiefe abgeseilt. Das Gewicht des Bergsteigers betrage 800 N. Das Seil habe ein spezifisches Gewicht von γ = 0,7 N/m (Kraft pro laufende Seillänge). Zur Ermittlung der Struktursteifigkeit E A wurde zuvor im Labor ein Zugversuch durchgeführt. Bei einer Belastung von 1000 N dehnte sich dabei das Seil um 2 %.

g z

Berg

300 m

229 m

1. Berechnen Sie den Verlauf der Normalkraft N (z) in der Pyramide. 2. Berechnen Sie den Verlauf der Normalspannung σ(z) in der Pyramide. An welcher Stelle ist σ (z) maximal? Wie groß ist der Maximalwert? 3. Um wie viele Millimeter wird die Pyramide allein durch ihr Eigengewicht gestaucht? 1. Bestimmen Sie den Verlauf der Normalkraft N (z) im Seil. 2. Bestimmen Sie aus dem Ergebnis des Laborversuchs die Struktursteifigkeit E A des Seils. 3. Bestimmen Sie die Längenänderung des den Bergsteiger haltenden Seils.

Hinweis: Beachten Sie, dass die Koordinate z ihren Ursprung in der Spitze der Pyramide hat. Die Berechnungsformel für das Volumen V einer Pyramide lautet V=

Resultat: N 1. N (z) = 800 N + 0,7 m (300 m − z). 2. E A = 50 kN. 3. Δl = 5,43 m.

•• Die Cheops-Pyramide in Gizeh ist mit einer 5.2 Höhe von 145 m und einer quadratischen Grundfläche der Abmessungen 229 m × 229 m die höchste Pyramide der Welt. Betrachten Sie die Pyramide in dieser Aufgabe bitte sehr grob vereinfachend als einen homogenen Druckstab mit veränderlichem Querschnitt, der durch sein Eigengewicht belastet wird.

1 · Höhe · Grundfläche. 3

Resultat: 1. N (z) = −18.291 mN3 · z3 . 2. σ (z) = −7333 mN3 · z. σ (z) wird an der Basis maximal, σ (z)max = −1 MPa. 3. Δl = −3,85 mm.

•• Eine Zugprobe bestehe aus einem zylindri5.3 schen Kern aus Stahl des Durchmessers 10 mm und einer 1 mm starken Beschichtung aus Emaille. Die Länge der Probe betrage 100 mm.

141

Technische Mechanik

Aufgaben

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

F

• Gegeben ist der folgende spiegelsymmetri5.5 sche Flächenquerschnitt (alle Abmessungen in mm):

20

100 mm

0

R1

Berechnen Sie 1. die Spannungen in Stahlkern und Emailleschicht sowie 2. die Verformung Δ l der Probe,

30

Technische Mechanik

1 mm 10 mm 1 mm

F

wenn die Zugkraft auf die Probe F = 15 kN beträgt. Materialparameter: EStahl = 205.000 MPa, EEmaille = 70.000 MPa.

10

142

10

Hinweis: Die Vorgehensweise bei dieser Aufgabe ist wie bei einer Schraubenberechnung, denn so wie sich Schraube und Platte unter einer Betriebslast um den gleichen Betrag dehnen, dehnen sich auch Stahlsubstrat und Emailleschicht gleich stark. Resultat: σStahl = 166 MPa, σEmaille = 57 MPa, Δ l = 81 μm.

• Die abgebildete Schraube soll die Betriebs5.4 kraft FA = 20 kN aufnehmen. Betrachten Sie die Schraube als einen zylindrischen Stab des Durchmessers 16 mm mit einer Klemmlänge von 64 mm und die Platten als Hohlzylinder mit dem Innendurchmesser 18 mm und dem effektiven Außendurchmesser 32 mm. Schrauben und Platten bestehen aus Stahl (Elastizitätsmodul EP = 205.000 MPa).

20

10

1. Bestimmen Sie die Koordinaten des Flächenschwerpunktes. 2. Die y-Achse sei nun diejenige horizontale Achse, die durch den soeben berechneten Flächenschwerpunkt verläuft. Berechnen Sie das Flächenträgheitsmoment Iy . Resultat: 1. Der Flächenschwerpunkt liegt 31 mm oberhalb der Profilunterkante. 2. Iy = 552.245 mm4 .

• Ein Kragträger aus Stahl (ρ = 8000 kg/m3 ) 5.6 der Länge l des abgebildeten T-förmigen Querschnitts wird durch sein Eigengewicht belastet. 6 mm g = 9,81

FA = 20 kN

m s2

54 mm 6 mm lK = 64 mm

FA = 20 kN

1. Berechnen Sie die auf die Schraube wirkende Kraft FSA . 2. Zeichnen Sie für eine Vorspannkraft von FV = 35 kN das Verspannungsdreieck. Resultat: FSA = 10,34 kN.

l

60 mm

Bei der zu ermittelnden maximal zulässigen Länge des Trägers lmax wird an der Einspannstelle gerade die zulässige Spannung σzul = 200 MPa erreicht. 1. Bestimmen Sie das für die Durchbiegung des Trägers maßgebliche Flächenträgheitsmoment Iy des T-Profils. 2. Wie groß ist die sich aus Dichte, Querschnitt und Erdbeschleunigung ergebende Streckenlast q0 , die den Träger belastet? Setzen Sie für die Erdbeschleunigung 9,81 m/s2 an. 3. Wie groß ist lmax ?

Aufgaben

Hinweis: Zur Berechnung von q0 : Wie viele Newton wiegt ein laufender Meter des Trägers?

B

A x l=5m

5.7 •• Ein im Punkt A los- und im Punkt B festgelagerter Träger der Länge l wird durch eine dreieckförmige Streckenlast sowie in Trägermitte durch eine Punktlast belastet. F qmax

B

A x l

1. Berechnen Sie den Verlauf der Schnittgrößen N (x), Q(x) und M(x). 2. Bestimmen Sie den Verlauf der Durchbiegung w(x). 3. Es gelten nun für Geometrie und Belastung die unten aufgeführten konkreten Werte. Wie groß ist die Randfaserspannung in Trägermitte? Zahlenwerte: Länge l = 1 m, Trägerquerschnitt: 30 mm Höhe und 20 mm Breite, F = 500 N, qmax = 600 N/m. Resultat: 1. NI (x) = NII (x) = 0.

x2

qmax l qmax 6 − 2l . qmax l q x2 F . QII (x) = − 2 + 6 − max 2 l   qmax l qmax x3 F MI ( x ) = 2 + 6 x − 6l .     q l qmax x3 l x − F x − MII (x) = F2 + max 6 2 − 6l .

QI ( x ) =

2.

3. σ

F 2

+

 x 3

F l3 x 3 −4 w(x ) = 48 E Iy l l  x 3  x 5

4 q l x 7 − 10 . + max +3 360 E Iy l l l   l 2

= 54 MPa.

5.8 • Für den sikizzierten Träger sollen die Spannungen und die Durchbiegung berechnet werden. Zahlenangaben: Elastizitätsmodul E = 12.000 MPa (Holz), Querschnitt b × h = 200 mm × 150 mm.

Zahlenangaben: Elastizitätsmodul E = 12.000 MPa (Holz), Querschnitt b × h = 200 mm × 150 mm. 1. Berechnen Sie den Verlauf des Biegemoments M(x) im Träger. An welcher Stelle nimmt M(x) seinen Maximalwert ein, und wie groß ist dieser? 2. Wie groß ist die Randfaserspannung in der Balkenmitte? 3. Berechnen Sie durch zweifache Integration der Differenzialgleichung der elastischen Linie die Durchbiegung w(x) des Trägers. Wie groß ist die Durchbiegung in der Balkenmitte? Hinweis: Rechnen Sie so lange wie möglich mit Formelzeichen, und setzen Sie Zahlenwerte erst zum Schluss ein. Resultat: 1. M(x) = 12 q0 l x − 12 q0 x2 . Maximales Biegemoment in Balkenmitte mit Mmax = 4687,5 N m. 2. σ = 6,25 MPa.  4

 3 q l4 3. w(x) = 240E Iy xl − 2 xl + xl . In Balkenmitte ist w = 18,1 mm.

5.9 •• Zur Ermittlung von Festigkeit und Elastizitätsmodul eines spröden Werkstoffs wird eine Probe rechteckigen Querschnitts in einem 3-Punkt-Biegeversuch bis zum Bruch belastet. Eine Skizze des Versuchs und das im Versuch gemessene Kraft-Verformungs-Diagramm (F: Belastung der Probe; w: Durchbiegung in der Probenmitte) sind Ihnen wie folgt gegeben: F Fmax

F

Probenbruch

h l 2

x

b l 2 Wmax W

1. Berechnen Sie den Verlauf des Biegemoments M(x) in der Probe. Wie groß ist das Biegemoment in der Probenmitte? 2. Wie lautet der Zusammenhang zwischen der maximalen Kraft Fmax und der Festigkeit σmax des Werkstoffs?

Technische Mechanik

N q0 = 1500 m

Resultat: 1. Iy = 233.286 mm4 . 2. q0 = A ρ g = 53,68 N/m. 3. lmax = 6,37 m.

143

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Technische Mechanik

3. Berechnen Sie durch zweifache Integration der Differenzialgleichung der elastischen Linie die Durchbiegung w(x) des Trägers. 4. Wie lautet der Zusammenhang zwischen der maximalen Kraft Fmax und der Durchbiegung wmax in der Probenmitte? 5. Es seien nun l = 60 mm, b = 5 mm, h = 10 mm, Fmax = 2,2 kN und wmax = 0,085 mm. Wie groß sind Festigkeit σmax und Elastizitätsmodul E des Werkstoffs? Hinweis: Sie können sich bei der zweifachen Integration der Differenzialgleichung der Biegelinie aus Symmetriegründen auch auf den halben Träger beschränken. Beachten Sie dann anstelle der 2. Randbedingung, dass sich der Träger in der Mitte aus Symmetriegründen mit horizontaler Tangente durchbiegt. Resultat: 1. linke Probenhälfte: MI (x) =

F 2

rechte Probenhälfte: MII (x) = M (x = 0) = 14 F l l 2. σmax = 32 Fbmax h2  3 3. w(x) = − 12 FE Iy 2l − x − 4. E =

 F 2

l 2



F l2 x 16 E Iy

+x



l 2

 −x ,

+

F l3 32 E Iy

A F

B

60 mm

144

1m

η

φ y ξ 85 mm

z

Der DIN 1027 kann man die folgenden Flächenträgheitsmomente entnehmen: Iη = 44,7 cm4 , Iζ = 30,1 cm4 und Iηζ = 28,8 cm4 . 1. Bestimmen Sie mit dem Mohr’schen Trägheitskreis die Hauptträgheitsmomente Iy und Iz und die Lage der Hauptträgheitsachsen. 2. Bestimmen Sie die Spannungen in den Punkten A und B. Resultat:

Fmax l3 48 wmax Iy

N 5. σmax = 396 mm 2 , E = 280.000 MPa

1. Iy = 67,1 cm4 , Iz = 7,7 cm4 , ϕ = 37,9◦ . 2. σA = −62 MPa, σB = 62 MPa.

5.10 •• Ein statisch überbestimmt gelagerter Träger wird durch eine konstante Streckenlast q0 belastet. Gegeben seinen q0 und l.

5.12 • • • Berechnen Sie die durch eine Querkraft hervorgerufene Schubspannungsverteilung in einem Vollkreisquerschnitt des Radius R.

q0

y α α

R

l

z z*S

S A*

Berechnen Sie die Lagerreaktionen. Hinweis: Ersetzen Sie das Loslager durch seine Lagerreaktion und zerlegen Sie diesen Lastfall sodann in zwei Einzellastfälle, die Streckenlast q0 und die Punktlast der Lagerreaktion, deren Durchbiegungen sich an der Stelle des Loslagers zu null überlagern müssen. Resultat: Ax = 0, Ay = 58 q0 l, MA = 18 q0 l2 , By = 38 q0 l. 5.11 • • • Ein 1 m langer Kragträger des Normprofils Z60 (Höhe 60 mm, Breite 85 mm) wird an seinem freien Ende durch die lotrechte Kraft F = 1 kN belastet.

z,z b

Hinweis: Flächeninhalt und Schwerpunktskoordinate eines Kreisabschnitts betragen R2 (2 α − sin 2  1 zS∗ = ∗ z˜ dA = A

A∗ =

A∗

2 α) und 4 sin3 α R . 3 2 α − sin 2 α

Resultat:

Bei gewöhnlichen Garagentoren sorgen zwei 5.15 • bei geschlossenem Tor gespannte Zugfedern dafür, dass sich die Tore trotz hohen Gewichts mit vergleichsweise wenig Kraft öffnen und schließen lassen.

4 Q(x) · sin2 α τ (α) = . 3 π R2

5.13 • • • Gegeben ist das skizzierte dünnwandige Hohlprofil (Radius R, Wandstärke t, t R).

s R φ

Es bestehe nun die Schraubenfeder eines Garagentors aus 7 mm starkem Stahldraht (G = 80.000 MPa), der in 67 Windungen mit einem mittleren Windungsdurchmesser von D = 52 mm gewickelt ist. Bei geschlossenem Garagentor verlängern sich die Federn von im entspannten Zustand 500 mm auf 800 mm. Berechnen Sie die Federkonstante c, die Federkraft F bei geschlossenem Tor und die in der Feder bei geschlossenem Tor herrschenden Torsionsspannungen. Resultat: c = 2,5 N/mm, F = 765 N, τ = 295 MPa.

y M t z

1. Berechnen Sie die durch eine Querkraft hervorgerufene Schubspannungsverteilung. 2. Berechnen Sie die Lage des Schubmittelpunktes.

5.16 • Eine Hohlwelle soll wie in der folgenden Abbildung links skizziert aus zwei miteinander verschweißten Halbkreisprofilen (Außendurchmesser 80 mm, Wandstärke 4 mm) hergestellt werden, um ein Torsionsmoment MT zu übertragen. Berechnen Sie, um welchen Faktor sich die Torsionsspannungen und der Verdrehwinkel erhöhen, falls eine der beiden Schweißnähte fehlerhafter Weise nicht gelegt wird (Abbildung rechts). a Soll:

b Ist:

80

Hinweis: Es ist einfacher, die Lage des Schubmittelpunktes als Abstand zum Kreismittelpunkt zu berechnen, da für den Kreismittelpunkt r∗ = R = konstant ist. Resultat:

4

1. τ ( ϕ) =

2 Q (x ) sin ϕ. πRt

2. yM bzgl. Kreismittelpunkt =

Resultat: τ erhöht sich um den Faktor 27, ϑ um den Faktor 272.

4R . π

MT

2R

R

MT

MT

D

MT

D/2

5.14 • Eine zylindrische Vollwelle des Durchmessers D soll mit einem Bohrungsdurchmesser von D/2 hohl gebohrt werden.

5.17 •• Eine konische Welle (Länge l, Radien an den Enden 2 R und R) soll ein Torsionsmoment MT übertragen. Berechnen Sie den Verdrehwinkel ϑ.

x l

1. Um wie viele Prozent verringert sich das Wellengewicht? 2. Um wie viele Prozent erhöhen sich die Torsionsspannungen? 3. Um wie viele Prozent erhöht sich der Verdrehwinkel? Resultat: 1: 25%, 2 und 3: 7%.

Hinweis: Kann die einfache Formel zur Berechnung des Verdrehwinkels verwendet werden, wenn der Wellendurchmesser veränderlich ist? Resultat: ϑ=

7 MT l . 12 π G R4

145

Technische Mechanik

Aufgaben

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet

Ein Träger der Länge l sei an beiden Seiten 5.20 • fest eingespannt. Im Punkt C (im Abstand von cl, 0 < c < 1 vom linken Trägerende) wird er durch das Torsionsmoment MT belastet. Berechnen Sie die Lagerreaktionen.

20

60

C

MT, ein

A

MT

cl

B l

Resultat: MTA = −MT (1 − c), MTB = −MT · c. 180 MT, aus

5.21 • Der abgebildete Träger der Länge l ist im Punkt A durch ein Loslager und im Punkt B durch eine feste Einspannung gelagert. Er wird durch eine dreieckförmige Streckenlast belastet. Berechnen Sie die Lagerreaktionen. qmax

1. Berechnen Sie das Drehmoment MT,aus in der Ausgangswelle des Getriebes. 2. Berechnen Sie die Torsionsspannungen in Ein- und Ausgangswelle. Hinweis: Zu 1: Die Zahnkräfte sind an beiden Zahnrädern gleich groß. Resultat: 1. MT,aus = 300 Nm. 2. τein = 64 MPa, τaus = 57 MPa. 5.19 •• Ein Stab mit der Länge l und dem Gewicht G sei unten (Punkt A) sowie auf der Position z = b · l (mit 0 < b < 1, Punkt B) jeweils vertikal abgestützt. Berechnen Sie die Lagerreaktionen.

A

B l

Resultat: Ay =

1 10 qmax l,

1 By = 25 qmax l, MB = − 15 qmax l2 .

Ein zylindrischer Druckbehälter des Durch5.22 • messers 2 m mit halbkugelförmigen Stirnseiten soll einen Innendruck von 30 bar aufnehmen. Welche Wandstärken sind 1. für den (mittleren) zylindrischen Teil des Druckbehälters und 2. für die halbkugelförmigen Stirnseiten

2m

l

? t2

B

=

t1 = ?

erforderlich, wenn die größte Hauptspannung jeweils den zulässigen Wert σzul = 200 MPa nicht überschreiten darf?

bl

Technische Mechanik

5.18 • Die Eingangswelle eines einstufigen Getriebes (Teilkreisdurchmesser Zahnrad 1: 60 mm, Teilkreisdurchmesser Zahnrad 2: 180 mm) überträgt das Drehmoment MT,ein = 100 N m.

30

146

pi = 30 bar z

A

Resultat: Az = G (2 − b), Bz =

G 2

(b − 2 ).

Resultat: 1. 15 mm. 2. 7,5 mm.

Aufgaben

5.23 •• In einem in 10.000 m Höhe fliegenden Flugzeug herrscht bei einem Umgebungsdruck von 260 hPa ein Kabinendruck von 750 hPa. Der Rumpf des Flugzeugs lässt sich – ein wenig vereinfacht – als dünnwandiger zylindrischer Druckbehälter auffassen.

100 mm

1. die Spannungen im Flugzeugrumpf sowie 2. die durch den Druckunterschied hervorgerufene Verformung des Flugzeugrumpfes.

Hinweis: Welche Dehnungskomponente beschreibt die relative Durchmesseränderung? Resultat: 1. σϕ = 61 MPa, σl = 31 MPa. 2. Δl = 7 mm, ΔD = 3 mm. Eine zylindrische Vollwelle des Radius R = 5.24 • 10 mm wird an beiden Enden durch eine im Abstand R/2 zur Mittellinie angreifende Kraft F = 20 kN belastet. Die zulässige Spannung des Wellenwerkstoffs betrage σzul = 200 MPa. R

F

F

A y B

x

m 0m 15

z

1. Bestimmen Sie die Schnittgrößen auf Höhe des Lagers A. 2. Bestimmen Sie die maximale Biege- und Torsionsspannung auf Höhe des Lagers A. 3. Bestimmen Sie die Vergleichsspannungen nach der N-, S- und GE-Hypothese. Hinweis:Das resultierende Biegemoment wird gemäß Mges = M2y + M2z aus den Biegemomenten um die yund z-Achse gebildet.

R/2

1. Welche Spannungen herrschen in der Welle? 2. Liegt die Beanspruchung der Welle im zulässigen Bereich? Hinweis: Wie sind die Spannungen zu überlagern? Resultat: 1. σZug = 64 MPa, σBiegung = 127 MPa. 2. σgesamt = 191 MPa, also zulässig.

Resultat: 1. My = 66 N m (für Biegung um die y-Achse), Mz = 180 N m (für Biegung um die z-Achse), Mges = 192 N m (resultierendes Biegemoment), MT = 12 N m (Torsionsmoment). 2. Biegespannung σ = 30,6 MPa, Torsionsspannung τ = 9,5 MPa. 3. N-Hypothese: σV = 33 MPa, S-Hypothese: σV = 36 MPa, GE-Hypothese: σV = 35 MPa.

5.25 •• Eine in den Punkten A und B gelagerte Getriebewelle trägt ein geradverzahntes Zahnrad des Teilkreisradius 100 mm, an dem die Kräfte Fr = 440 N (Radialkraft) und Ft = 1200 N (Tangentialkraft) angreifen. Der Radius der Getriebewelle betrage 20 mm.

5.26 • Wie dem passionierten Weintrinker bekannt ist, lässt sich eine Weinflasche mit einem gewöhnlichen Korkenzieher einfacher entkorken, wenn der Korken beim Herausziehen etwas gedreht wird. Der Korkenzieher wird dann durch die den Korken herausziehende Kraft Fax und die beiden den Korken drehenden Kräfte FT belastet.

Zu untersuchen sind die Spannungen in der Welle auf Höhe des Lagers A. Schubspannungen durch Querkraft dürfen dabei vernachlässigt werden. Gehen Sie wie folgt vor:

Für Fax = 100 N, FT = 7 N, d = 3 mm (Schaftdurchmesser) und l = 30 mm (Hebelarm der Verdrehkräfte) ist die Beanspruchung im Schaft des Korkenziehers zu ermitteln.

Technische Mechanik

Fr Ft

Berechnen Sie

Zahlenwerte: Rumpflänge l = 40 m, Rumpfdurchmesser D = 4 m, Wandstärke t = 1,6 mm, Material Aluminium(E = 70.000 MPa, ν = 0,3).

147

148

5 Beanspruchungsarten – wie man Spannungen und Verformungen berechnet FV l

200 mm FT

F2

d

Draufsicht: 200 mm

F2

F1 A

1m

Technische Mechanik

FT

5.27 •• Auf einem 1 m hohen Pfosten ist eine quadratische, 400 mm × 400 mm große Platte befestigt. An der Platte greifen die Kräfte F1 = 2700 N und F2 = 800 N an. Der Pfosten bestehe aus einem kreisförmigen Rohr des Außendurchmessers Da = 80 mm und des Innendurchmessers Di = 70 mm.

F1

s A

1. Bestimmen Sie die Schnittgrößen im Korkenzieherschaft. 2. Bestimmen Sie die an einem beliebigen Punkt an der Oberfläche des Korkenzieherschaftes herrschenden Spannungen. 3. Berechnen Sie die Vergleichsspannungen in diesem Punkt nach der N-, S- und GE-Hypothese. Resultat: 1. N = 100 N, |MT | = 420 Nmm. 2. σ = 14 MPa, τ = 79 MPa. 3. N-Hypothese: σV = 86 MPa, S-Hypothese: σV = 159 MPa, GE-Hypothese: σV = 138 MPa.

1. Berechnen Sie den Verlauf der Schnittgrößen N (s), Q(s), M(s) und MT (s) im Pfosten. 2. Berechnen Sie die im Punkt A an der Einspannung des Pfostens herrschenden Spannungskomponenten. Der durch Querkraft erzeugte Schub ist dabei vernachlässigbar. 3. Wie groß sind die im Punkt A herrschenden Vergleichsspannungen nach der N-, S- und GE-Hypothese? Resultat: 1. N (s) = −2700 N, Q(s) = 800 N, M(s) = 1,34 · 106 N mm − 800 N · s, MT (s) = 160.000 N mm. 2. Zug- /Druckspannung: σ = −2,3 MPa, Biegespannung: σ = −64,4 MPa, Torsionsspannung: τ = 3,8 MPa. 3. N-Hypothese: σV = 0,2 MPa, S-Hypothese: σV = 67,1 MPa, GE-Hypothese: σV = 67,0 MPa.

6

Technische Mechanik

Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen

Wie man aus der inneren Energie einer Struktur auf seine Lagerreaktionen schließt. Wie man die Lagerreaktionen statisch überbestimmt gelagerter Systeme bestimmt. Wann knicken Stäbe aus?

6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Arbeit und Potenzial . . . . . . . . . . Der Arbeitssatz . . . . . . . . . . . . . Formänderungsarbeit und -energie . . Sätze von Castigliano und Menabrea Euler’sches Knicken . . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . .

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_6

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150 152 153 156 159 162 163

149

150

6 Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen

Technische Mechanik

Auch über die Betrachtung der an einem System verrichteten Arbeit bzw. der in einem System gespeicherten Energie lassen sich in Statik und Festigkeitslehre Lagerreaktionen, Schnittgrößen und Verschiebungen ermitteln. Drei wichtige Anwendungen werden wir kennenlernen: den Arbeitssatz zur Bestimmung von Lagerreaktionen und Schnittgrößen, den Satz von Castigliano zur Bestimmung von Verschiebungen an Kraftangriffspunkten und den Satz von Menabrea zur Bestimmung von Lagerreaktionen.

z F P

r

Arbeit und Potenzial

Bevor wir in diesem Kapitel den Arbeitssatz behandeln, müssen wir ein paar Begriffe, insbesondere Arbeit und Potenzial, sauber definieren.

Arbeit ist das Skalarprodukt aus Kraftund Wegvektor Beginnen wir mit der Definition der Arbeit für eine infinitesimal kleine Verschiebung, und betrachten wir hierzu einen punktförmigen Körper, der sich entlang einer beliebigen Bahn bewegt und auf den dabei eine Kraft F wirkt (Abb. 6.1). Wenn sich der Körper nun von einem Punkt P in eine infinitesimal nahe Nachbarlage bewegt, so ist die dabei verrichtete differenzielle Arbeit als Skalarprodukt aus Kraft und Weginkrement definiert. Es gilt also:

dr 2

Mit dem Euler’schen Knicken befassen wir uns schließlich mit einem weiteren Versagensmechanismus, der für schlanke Strukturen unter Druckbeanspruchung von großer Bedeutung ist. Diese können nämlich durch plötzliches Ausknicken bereits bei Spannungen versagen, die deutlich unterhalb der zulässigen Werkstoffspannung liegen.

6.1

α

1

y x

Abb. 6.1 Die an einem Körper verrichtete Arbeit berechnet sich aus dem Kraftvektor und einem Weginkrement

negativ, wenn F und dr einen Winkel von mehr als 90° einschließen, d. h., wenn Kraftvektor F und Weginkrement dr einen entgegengesetzten Richtungssinn haben. Zur Ermittlung der auf dem Weg von Punkt 1 nach Punkt 2 insgesamt verrichteten Arbeit müssen wir alle infinitesimal kleinen Arbeitsanteile dW zwischen 1 und 2 aufintegrieren und erhalten so das Kurvenintegral 

W=

1→ 2

dW =



F · dr.

1→ 2

Achtung Nur wenn Kraftvektor F und Weginkrement dr dieselbe Richtung haben und sich F mit r nicht ändert, gilt für die am Körper verrichtete Arbeit die bekannte  Merkregel „Arbeit gleich Kraft mal Weg“. Kommen wir zur Arbeit eines Moments (Abb. 6.2). Im ebenen Fall lässt sich diese recht anschaulich aus der F

Differenzielle Arbeit einer Kraft F

F

dW = F · dr. a

a

Nach der mathematischen Definition des Skalarprodukts ist dW ein Skalar der Größe dW = |F | · |dr | · cos α, wobei α der von den Vektoren F und dr eingeschlossene Winkel ist. Die von der Kraft F verrichtete differenzielle Arbeit ist also

F

F

positiv, wenn F und dr einen Winkel von weniger als 90° einschließen, d. h., wenn Kraftvektor F und Weginkrement dr den gleichen Richtungssinn haben, gleich null, wenn cos α = 0 ist, d. h., wenn F und dr senkrecht aufeinander stehen, und

a dφ



a dφ



Abb. 6.2 Die von einem Moment verrichtete Arbeit kann man sich mithilfe einer Wippe veranschaulichen

6.1

Arbeit einer Kraft herleiten. Betrachten wir hierzu die abgebildete Wippe, an deren Enden zwei gleich große Kräfte F angreifen.

r

dr G 2

y

dW = −F · a dϕ = −M · dϕ. Diese beiden Gleichungen entsprechen formal denjenigen für die Arbeit einer Kraft, wenn der Verschiebungsvektor dr in bzw. gegen die Kraftrichtung orientiert ist. Diese formale Gleichheit gilt auch für die allgemeine vektorielle Definition der von einem Moment M bei einer kleinen Verdrehung dϕ verrichteten differenziellen Arbeit dW. Sie lautet: Differenzielle Arbeit eines Moments M

dW = M dϕ, woraus wir durch Integration für eine endlich große Drehung 

1→ 2

dW =



Technische Mechanik

P 1

dW = M · dϕ ausdrücken lässt. Mit gleicher Argumentation verrichtet die am rechten Ende der Wippe angreifende Kraft F, bei welcher Kraftvektor und Verschiebungsvektor in genau entgegengesetzte Richtungen orientiert sind, die differenzielle Arbeit

x

Abb. 6.3 Zur Herleitung der von der Gravitationskraft verrichteten Arbeit

1 nach 2 woraus sich für die gesamte Bewegung von

W=

 1→ 2

dW = −G ·



dz = −G · (z2 − z1 )

1→ 2

ergibt. Die von der Gravitation verrichtete Arbeit hängt also nur von der Lage von Anfangspunkt 1 und Endpunkt 2 ab, nicht jedoch vom Verlauf der Bahn zwischen Anfangs- und Endpunkt. Sie ist wegunabhängig. Kräfte, deren Arbeiten wegunabhängig sind, werden konservative Kräfte genannt. Eine ebenfalls gebräuchliche Bezeichnung ist Potenzialkräfte, da man für diese Kräfte ein Potenzial Π– oft auch potenzielle Energie genannt – definieren kann, hinter dem die Vorstellung steht, dass die an einem Körper von konservativen Kräften verrichtete Arbeit einem Verlust an Potenzial dieses Körpers entspricht.

M · dϕ

1→ 2

erhalten.

151

z

Verdreht sich die Wippe um einen kleinen Winkel dϕ aus der Horizontalen, so verschieben sich die Kraftangriffspunkte um jeweils a dϕ, und zwar an der linken Seite der Wippe in Richtung der Kraft und an der rechten Seite der Wippe gegen die Richtung der Kraft. Die an der linken Seite angreifende Kraft F verrichtet also die Arbeit dW = F · a dϕ, was sich, da F · a dem Moment der Kraft F um den Drehpunkt der Wippe entspricht, auch als

W=

Arbeit und Potenzial

Das Potenzial Π einer konservativen Kraft beträgt

Π = −W.

Konservative Kräfte besitzen ein Potenzial Frage 6.1 Betrachten wir die Arbeit, die die in der Nähe der Erdoberfläche konstante Gewichtskraft G eines Körpers verrichtet, wenn dieser auf einer beliebigen Bahn von einem Punkt 1 zu einem Punkt 2 bewegt wird.

Wie lässt sich aus dem Potenzial Π und der Bahnkurve auf die Kraft F schließen?

Bei einer infinitesimal kleinen Bewegung entlang der Bahn beträgt die Arbeit ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ 0 dx dW = G · dr = ⎝ 0 ⎠ · ⎝dy⎠ = −G · dz, −G dz

So erhält man im vorangegangenen Beispiel das Potenzial der Gewichtskraft G als Π = −W = G (z2 − z1 ). Legt man den Ursprung der z-Achse in den Anfangspunkt der Bahn, d. h., z1 = 0, so hängt das Potenzial der Gewichtskraft G an einer beliebigen Position allein von der z-Koordinate dieses Punktes ab und beträgt Π = G z.

152

6 Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen

Technische Mechanik

Abb. 6.4 Die Gleichgewichtslage einer in einer Mulde liegenden Kugel befindet sich im tiefsten Punkt der Mulde

6.2

Der Arbeitssatz

Wir lernen nun mit dem Arbeitssatz ein Prinzip kennen, das sich als Alternative zu den Gleichgewichtsbedingungen der Statik zur Berechnung von Lagerreaktionen und Schnittgrößen verwenden lässt. Wirken auf einen Körper ausschließlich konservative Kräfte ein, so lässt sich aus dem Arbeitssatz das Prinzip vom Minimum der potenziellen Energie herleiten. Für dieses Prinzip finden wir in der alltäglichen Erfahrung recht anschauliche Beispiele, und mit einem solchen wollen wir nun beginnen. Betrachten wir eine in einer Mulde liegende Kugel (Abb. 6.4). Die Gleichgewichtslage der Kugel liegt genau im tiefsten Punkt der Mulde. Weswegen? Weil dort die potenzielle Energie der Kugel minimal ist. Ein Minimum an potenzieller Energie bedeutet, dass sich – wie bei einem lokalen Minimum einer algebraischen Funktion, an dem die erste Ableitung der Funktion gleich null ist – die potenzielle Energie des Systems nicht ändert, wenn es ein ganz klein wenig aus seiner Gleichgewichtslage verschoben wird. Da die potenzielle Energie der negativen Arbeit entspricht, gilt diese Folgerung auch für die am mechanischen System verrichtete Arbeit. Wird ein Körper ein ganz klein wenig aus seinem Gleichgewichtszustand verrückt, so verrichten die angreifenden Kräfte dabei in der Summe keine Arbeit. Das ist eigentlich auch schon der Arbeitssatz. Um seine Formulierung aber speziell auf die Statik zuzuschneiden, bedarf es noch einer kleinen Vorbetrachtung. Nach der alten Faustformel „Arbeit gleich Kraft mal Weg“ wird an einem Körper nur dann Arbeit verrichtet, wenn sich der Körper bewegt. Das Wesen der Statik ist aber, dass sich nichts bewegt. In der Statik kann Arbeit folglich erst dann verrichtet werden, wenn man sich Veränderungen am System vorstellt, die den Körper beweglich machen. Eine derartige Veränderung ist z. B. die Verminderung einer Lagerwertigkeit, die durch die entsprechende Lagerreaktion ersetzt wird. Die am derartig

veränderten System angreifenden Kräfte und Momente können nun Arbeit verrichten, und man nennt diese Arbeit virtuelle Arbeit δW, da sie nicht das tatsächliche System, sondern das in Gedanken (also virtuell) veränderte System betrifft. Die virtuellen Verschiebungen und Verdrehungen (der Oberbegriff für beides ist die virtuelle Verrückung) werden mit dem delta-Symbol bezeichnet, z. B. als δs oder δϕ. Bei virtuellen Verrückungen handelt es sich stets um infinitesimal kleine Verrückungen. So lautet nun der Arbeitssatz der Statik

Ein mechanisches System befindet sich im statischen Gleichgewicht, wenn die äußeren Kräfte und Momente bei einer virtuellen Verrückung aus der Gleichgewichtslage heraus in Summe keine Arbeit verrichten, δW = 0. Lagerreaktionen verrichten übrigens, da die Verformung in Richtung der Lagerreaktionen eben aufgrund der Lagerung gleich null ist, keine virtuelle Arbeit.

Zur Berechnung von Lagerreaktionen und Schnittgrößen muss das statische System beweglich gemacht werden Um virtuelle Arbeiten berechnen zu können, müssen wir Bewegung in das statische System bringen – Verschiebungen für Kräfte und Verdrehungen für Momente. Die Berechnung der Lagerreaktionen mit dem Prinzip der virtuellen Arbeit umfasst daher die folgenden Schritte: Schritt 1: Das statische System wird beweglich gemacht, indem die Lagerwertigkeit in Richtung der gesuchten Lagerreaktion entfernt und durch diese ersetzt wird. Schritt 2: Das System wird virtuell verrückt und die dabei verrichtete Arbeit δW berechnet. Schritt 3: Die gesuchte Lagerreaktion ergibt sich aus der Bedingung δW = 0. Wir wollen uns diese Vorgehensweise am folgenden Beispiel einmal ansehen und dabei insbesondere darauf achten, wo Vor- und Nachteile zum bisher angewandten Schema der Statik – Freischneiden und Ansetzen der Gleichgewichtsbedingungen – liegen.

Beispiel Für den in Abb. 6.5 skizzierten dreiteiligen Gerberträger soll die Lagerreaktion MA ermittelt werden. F1

F2 G1

G2

A a

a

a

B

a

a

C

a

Abb. 6.5 Dreiteiliger Gerberträger

Fragen wir uns, bevor wir den Arbeitssatz anwenden, wie MA nach der erprobten Methode „Freischneiden und Ansetzen der Gleichgewichtsbedingungen“ zu ermitteln wäre. Nun, durch die beiden Gelenke liegt ein dreiteiliges System vor, wir müssten die drei Teilsysteme freischneiden und dann ein Gleichungssystem aus 3 mal 3 gleich 9 Gleichgewichtsbedingungen zur Berechnung der neun Unbekannten (fünf Lager- und vier Gelenkreaktionen) lösen. Wenden wir mit diesem Wissen im Hinterkopf nun den Arbeitssatz an. Im ersten Schritt machen wir das System beweglich, indem wir die feste Einspannung am Punkt A durch ein Festlager und dabei die weggefallene Lagerreaktion durch das eingeprägte Moment MA ersetzen. Der Gerberträger kann sich dann wie in Abb. 6.6 gezeigt bewegen. F1

dzG1

F2

Formänderungsarbeit und -energie

Zusammenfassend können wir zu den Vor- und Nachteilen der Anwendung des Arbeitssatzes festhalten, dass die geschickte Wahl der virtuellen Verrückung zu einer Gleichung mit nur einer Unbekannten führte (im Gegensatz zu einem Gleichungssystem aus neun Gleichungen für neun Unbekannte), andererseits aber die kinematischen Beziehungen zwischen den einzelnen virtuellen Verschiebungen der Kraftangriffspunkte bzw. Verdrehungen der Momen tenangriffspunkte kompliziert sein können.

Die Bestimmung von Schnittgrößen verläuft nach einem ganz ähnlichen Schema. Der wesentliche Unterschied zur Bestimmung von Lagerreaktionen ist, dass das statische System nicht durch die Verminderung von Lagerwertigkeiten beweglich gemacht wird, sondern durch den Einbau eines geeigneten Gelenks. An beiden Seiten des Gelenks lassen wir die gesuchte Schnittgröße als äußere Kraft bzw. äußeres Moment angreifen und halten uns dabei an die in Abschn. 2.3 eingeführte Vorzeichenkonvention. Dann verrücken wir wie gewohnt das statische System und berechnen die gesuchte Schnittgröße aus der Bedingung δW = 0.

6.3

Formänderungsarbeit und -energie

dz1

MA

dφ B

dφ A

dφ C

dz2

B

A

C dzG2

Abb. 6.6 Ersetzt man eine Lagerwertigkeit durch die entsprechende als eingeprägte Last angesetzte Lagerreaktion (hier das Moment MA ), so wird das System beweglich

Hierbei verrichten die eingeprägten Lasten F1 , F2 und MA die virtuelle Arbeit δW = MA · δϕA − F1 · δz1 + F2 · δz2 , wobei die virtuellen Verrückungen über folgende kinematische Beziehungen zusammenhängen: δz1 δz2 , δϕB = a a = 2a δϕA = a δϕB −→ δϕB = 2 δϕA . δϕA =

sowie δzG1

Die Kenntnis der Formänderungsarbeiten der äußeren Kräfte und Momente sowie der inneren Spannungen liefert die Grundlagen für die Sätze von Castigliano und Menabrea, mit denen sich die Verformungen von Balken punktweise berechnen lassen bzw. in Verbindung mit den Gleichgewichtsbedingungen der Statik Lagerreaktionen und Schnittgrößen in statisch überbestimmten Systemen berechnen lassen.

Die Formänderungsarbeit äußerer Kräfte berechnet sich aus der Kraft und der Verschiebung ihres Angriffspunktes Betrachten wir zunächst einen Zugstab. Wenn man diesen langsam mit einer von null bis zum Endwert F ansteigenden Kraft F belastet, verformt sich der Stab um den Betrag Δl, und es wird die Arbeit

Damit ergibt sich δW = MA · δϕA − F1 · a δϕA + F2 · 2a δϕA = 0 −→ MA = (F1 − 2F2 ) a.

W=

Δl

Fdu 0

153

Technische Mechanik

6.3

154

6 Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen

Technische Mechanik

Beispiel: Berechnung von Lagerreaktionen und Schnittgrößen eines Kragträgers mit dem Prinzip der virtuellen Arbeit Für den abgebildeten, durch eine Punktlast an seinem freien Ende belasteten Kragträger sind die Lagerreaktionen und die Schnittgrößen zu bestimmen.

MA

δφ

Problemanalyse und Strategie: Knackpunkt des Prinzips der virtuellen Arbeit ist es, den Träger so zu verändern, dass dieser in Richtung der jeweils gesuchten Lagerreaktion (bzw. Schnittgröße) beweglich wird. Dafür sind anstelle von Freikörperbildern jeweils Zeichnungen des virtuell verrückten Trägers zu erstellen.

F

l δφ

l

Schließlich können wir in Schritt 3 die bei der jeweiligen virtuellen Verrückung verrichtete virtuelle Arbeit δW berechnen und gleich null setzen. Wir erhalten

Lösung: F

A

1. δW = Ax δs = 0 =⇒ Ax = 0, 2. δW = Ay δs − F δs = 0

=⇒

l

Zunächst zur Berechnung der Lagerreaktionen: In Schritt 1 ist die Einspannung so zu verändern, dass der Träger in Richtung der gesuchten Lagerreaktion beweglich wird. Wir verändern die Starre Einspannung des Trägers also in 1. eine horizontal bewegliche Hülse, um Ax zu bestimmen, 2. eine vertikal bewegliche Einspannung, um Ay zu bestimmen und 3. eine drehbewegliche Einspannung (ein Festlager), um MA zu bestimmen. Dabei setzen wir die gesuchte Lagerreaktion jeweils als äußere Last an.

3. δW = −MA δϕ + F l δϕ = 0 =⇒ MA = F l. Für das eben behandelte Beispiel des Kragträgers sollen die Schnittgrößen bestimmt werden. Der Einbau der Gelenke und die jeweilige virtuelle Verrückung gestaltet sich wie folgt: F

N N δs

x

F Q

In sauberen Skizzen zeichnen wir nun ein, wie sich die drei modifizierten Systeme bewegen können (Schritt 2, die virtuelle Verrückung). F

Ay = F und

δs Q x

Ax

M

M

δs δφ

δs x

F

δs Ay

x–l

F

l δφ

Hieraus liefert das Ansetzen der virtuellen Arbeit 1. δW = −N δs = 0 =⇒ N (x) = 0, 2. δW = Q δs − F δs = 0 =⇒ Q(x) = F und 3. δW = M δϕ + F (l − x) δϕ = 0 =⇒ M(x) = −F (l − x).

Formänderungsarbeit und -energie

Achtung Beachten Sie, dass es sich bei virtuellen Verrückungen um differenziell kleine Verrückungen handelt. Für virtuelle Verdrehungen gelten daher sin δϕ = δϕ und cos δϕ = 1. Nehmen Sie als Beispiel das untere Bild (das zur Bestimmung des Schnittmoments): Die virtuelle Verschiebung der äußeren Kraft F beträgt streng genommen (l − x) sin δϕ, kann aber zu (l − x)δϕ  vereinfacht werden.

F l F

A

F

l

wmax

Abb. 6.8 Biegebalken ∆l l MT F

∆l

u

Abb. 6.7 Zugprobe und Kraft-Verformungs-Diagramm für linear-elastisches Materialverhalten

verrichtet. Für linear-elastisches Materialverhalten ist der Zusammenhang zwischen F und u linear, sodass das Kraft-Verformungs-Diagramm den in Abb. 6.7 gezeichneten Verlauf hat. Die Formänderungsarbeit entspricht der Fläche unter der Kraft-Verformungs-Kurve und beträgt W=

1 F Δl. 2

Frage 6.2 Wie kann man sich den Faktor 12 in der Gleichung der Formänderungsarbeit noch plausibel machen? Mit der Beziehung zwischen F und Δl, Δl = (Nl)/(EA), wird daraus 1 Fl 1 F2 l . = W= F 2 EA 2 EA Diese Gleichung gilt sinngemäß auch für Träger unter Biege- und Torsionsbeanspruchung. So gilt für den abgebildeten Biegebalken (Abb. 6.8) W=

1 F wmax , 2

MT

Abb. 6.9 Tordierte Welle

und wir erhalten mithilfe des Zusammenhangs zwischen äußerer Kraft F und der Durchbiegung wmax des Balkenendes, wmax = (Fl3 )/(3EIy ), W=

1 1 F2 l3 . F wmax = 2 6 E Iy

Für eine tordierte Welle (Abb. 6.9) gilt schließlich W=

1 MT ϑ, 2

wobei ϑ der Verdrehwinkel der Welle ist, und mit dem Zusammenhang zwischen MT und ϑ, ϑ = (MT l)/(G IT ), erhalten wir W=

1 M2T l . 2 G IT

Die Formänderungsarbeit der inneren Spannungen berechnet sich aus den Spannungen und Verzerrungen Für linear-elastisches Materialverhalten wird die gesamte von den äußeren Lasten verrichtete Formänderungsarbeit als innere Energie in den Spannungen und Verzerrungen gespeichert. Man bezeichnet diese innere Energie als Formänderungs- oder Verzerrungsenergie Wi .

155

Technische Mechanik

6.3

156

6 Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen a

Biegebalken der Länge l

b

Technische Mechanik

τ

A σ

σ l

∆l γ

∆l l

1 Wi = 2

A

τ

1 = 2

Abb. 6.10 Zur Herleitung der spezifischen Formänderungsenergie

 (V )

σ2 1 dV = E 2

l   M(x )2 2  z dA dx 2 x = 0 (A)

l   M(x )2 x= 0

E Iy2

E Iy

 z2 dA dx,

(A)

woraus Da die Spannungen und Verzerrungen nur in seltenen Ausnahmefällen an jedem Punkt im Bauteil gleich groß sind, macht es Sinn, zunächst die auf das Volumen bezogene spezifische Formänderungsenergie Wi∗ zu betrachten. Die in den Normalspannungen gespeicherte spezifische Formänderungsenergie Wi∗ (Abb. 6.10a) beträgt Wi∗ =

Wi =

=



Für die elementaren Lastfälle Zug/Druck, Biegung und Torsion wollen wir diese Integration nun durchführen. Zug/Druck-Stab der Länge l

=

1 2

 (V )

l x= 0

σ2 1 dV = E 2

l   N (x )2 x = 0 (A)

 N (x )2  E A2

E A2

 dA dx,

(A)

folgt.

1 2

l x= 0

(V )

τ2 1 dV = G 2

l   MT ( x ) 2 2  r dA dx 2 x = 0 (A)

l   MT ( x ) 2 x= 0

G IT2

Wi =

 dA dx

6.4

G IT

 r2 dA dx,

(A)

1 2

l x= 0

MT ( x ) 2 dx, G IT

Sätze von Castigliano und Menabrea

Gehen wir kurz zu den in Abschn. 6.3 hergeleiteten Formänderungsarbeiten bei Zug-, Biege- und Torsionsbeanspruchung zurück, und leiten wir diese Gleichungen nach der jeweiligen äußeren Belastung ab. Wir erhalten Fl ∂W = = Δ l für den Zugstab, ∂F EA 3 Fl ∂W = = wmax für den Biegebalken und ∂F 3 E Iy M l ∂W = T =ϑ ∂MT G IT

woraus Wi =

1 2



folgt.

Wi∗ dV.

(V )

1 Wi = 2

1 2

woraus

Aus den vorherigen zwei Gleichungen lässt sich die in einem Bauteil insgesamt gespeicherte Formänderungsenergie durch die Integration über das Bauteilvolumen V ermitteln: Wi =

x= 0

M(x )2 dx, E Iy

Tordierte kreiszylindrische Welle der Länge l

1 F Δl 1 F Δl 1 1 σ2 = = σ = . 2 V 2A l 2 2 E

1 F Δl 1 τA·lγ 1 1 τ2 . = = τγ = 2 V 2 V 2 2G

l

folgt.

Bei Schubspannungen (Abb. 6.10b) beträgt die spezifische Formänderungsenergie Wi∗ =

1 2

Wi =

N (x )2 dx EA

für die tordierte Welle.

Die Ableitungen nach der äußeren Belastung ergeben also jeweils die Verformung des Kraftangriffspunktes (bzw. des Momentenangriffspunktes). Dieser Zusammenhang wurde von Carlo A. P. Castigliano (1847–1884) im nach ihm benannten Satz allgemein formuliert als

6.4

Sätze von Castigliano und Menabrea b

Satz von Castigliano

∂W ∂Fi

ui =

FH

bzw.

ϕi =

∂W . ∂Mi

q0 FH

q0 A

A

w=?

l

x

Hierin sind ui die Verschiebung des Kraftangriffspunktes in Richtung der Kraft Fi und ϕi der Verdrehwinkel des Momentenangriffspunktes um die Drehachse des Moments Mi . W ist die am Tragwerk verrichtete Formänderungsarbeit. Da bei elastischem Materialverhalten die (äußere) Formänderungsarbeit der (inneren) Formänderungsenergie entspricht, können wir im Satz von Castigliano die Formänderungsarbeit W durch die Formänderungsenergie Wi ersetzen und erhalten so

l

Abb. 6.11 Durchbiegungsberechnung bei einem Kragträger (a Aufgabenstellung; b bereits mit eingezeichneter Hilfskraft)

Der Verlauf des Biegemoments lautet in Abhängigkeit von FH 1 M(x) = − q0 (l − x)2 − FH (l − x), 2 und wir erhalten für die Durchbiegung an der Stelle l

Berechnung von Verschiebungen mit dem Satz von Castigliano

ui =

∂Wi = ∂Fi

l 

x= 0

N ∂N M ∂M M ∂MT  dx + + T E A ∂Fi E Iy ∂Fi G IT ∂Fi

bzw. ∂Wi ϕi = = ∂Mi

l 

x= 0

M ∂M M ∂MT  N ∂N dx. + + T E A ∂Mi E Iy ∂Mi G IT ∂Mi

Mit diesen Formulierungen des Satzes von Castigliano können wir zunächst nur die Verschiebungen eines Trägers an den Stellen berechnen, in denen äußere Kräfte oder Momente am Träger angreifen (und zwar jeweils nur in die Richtung der angreifenden Kraft bzw. des angreifenden Moments). Um mit dem Satz von Castigliano Verschiebungen an unbelasteten Punkten zu berechnen, führen wir eine Hilfskraft FH ein (bzw. ein Hilfsmoment MH , wenn Verdrehungen zu berechnen sind), leiten die Formänderungsarbeit nach FH (bzw. MH ) ab und setzen FH (bzw. MH ) schließlich gleich null.

w(l) =

=

∂Wi = ∂FH 1 E Iy

l  M ∂M 

E Iy ∂FH

x= 0

l 1 x= 0

2

dx

q0 (l − x)2 + FH (l − x) (l − x)dx.

Wir setzen nun FH = 0 und erhalten 1 w(l) = E Iy

=−

l x= 0

1 q0 (l − x)3 dx 2

l 1 1 q0 l4 q0 ( l − x ) 4 = . E Iy 8 8 E Iy 0



Lagerreaktionen verrichten keine Arbeit, da die Verformung in Richtung der Lagerreaktionen eben aufgrund der Lagerung gleich null ist. Für sie gilt deshalb der folgende, als Satz von Menabrea (nach F. L. Conte Menabrea, Marquis de Valdora, 1809–1896) bekannte Zusammenhang: Satz von Menabrea

Beispiel Ein Kragträger mit gegebenen Werten für l und E Iy wird mit einer gleichfalls gegebenen konstanten Streckenlast q0 belastet (Abb. 6.11a). Mit dem Satz von Castigliano ist die Durchbiegung w des freien Trägerendes zu berechnen. Am freien Trägerende greift keine Kraft an, sodass hier eine Hilfskraft FH anzusetzen ist (Abb. 6.11b).

∂W =0 ∂Fi

bzw.

∂W = 0, ∂Mi

wobei Fi und Mi die Lagerreaktionskräfte bzw. -momente sind. Der Satz von Menabrea lässt sich in energetischer Sicht dergestalt deuten, dass die Formänderungsarbeit ein Minimum annimmt (Abb. 6.12).

Technische Mechanik

a

157

158

6 Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen

Schritt 1: Wir wählen ein Lager aus, hier das Lager B, und ersetzen es durch seine als äußere Kraft angesetzte Lagerreaktion By . Damit erhalten wir das in Abb. 6.14 gezeigte statisch bestimmte System.

W

Technische Mechanik

F bzw. M tatsächliche Lagerreaktion

Schritt 2: Die verbleibenden Lagerreaktionen lauten in Abhängigkeit der statischen Unbekannten By Ay = q0 l − By

Abb. 6.12 Energetische Deutung des Satzes von Menabrea

und MA =

1 2 q0 l − By · l. 2

Mit dem Satz von Menabrea kann man die Lagerreaktionen in statisch überbestimmten Systemen sehr effektiv berechnen In statisch überbestimmten Systemen übersteigt die Zahl der Lagerreaktionen die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen, sodass sich nicht mehr alle Lagerreaktionen aus den Gleichgewichtsbedingungen berechnen lassen. Der Satz von Menabrea kann dann die zusätzlichen Gleichungen liefern, die zur Berechnung aller Lagerreaktionen erforderlich sind. Dies geht in den folgenden Schritten vor sich: Schritt 1: Eine Lagerwertigkeit (bei einfacher statischer Überbestimmtheit, sonst entsprechend mehrere) wird durch seine als äußere Last angesetzte Lagerreaktion ersetzt. Man bezeichnet diese Lagerreaktion als „statische Unbestimmte“. Schritt 2: Die verbleibenden Lagerreaktionen werden mit den Gleichgewichtsbedingungen der Statik als Funktion der äußeren Belastung und der statischen Unbestimmten berechnet. Schritt 3: Die relevanten Schnittgrößenverläufe werden berechnet. Schritt 4: Mit dem Satz von Menabrea wird die statische Unbestimmte berechnet. Beispiel Die Lagerreaktionen des in Abb. 6.13 dargestellten Biegeträgers sind zu berechnen. q0

q0

By A

x l

Abb. 6.14 Eine Lagerwertigkeit wird durch eine eingeprägte Kraft ersetzt (hier das Lager B durch die Kraft By )

Schritt 3: Der Biegemomentenverlauf ist 1 M(x) = By (l − x) − q0 (l − x)2 . 2 Schritt 4: Wir setzen den Satz von Menabrea an und erhalten ∂W = ∂By

l x= 0

1 = E Iy

M ∂M dx E Iy ∂By l  x= 0

 1 By (l − x) − q0 (l − x)2 (l − x)dx 2

l 1 1 1 = − By (l − x)3 + q0 (l − x)4 E Iy 3 8 0 1  1 3 1 4 = By l − q0 l = 0 E Iy 3 8 1 1 3 =⇒ By l3 − q0 l4 = 0 =⇒ By = q0 l. 3 8 8 Hieraus folgen dann aus den Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik die weiteren Lagerreaktionen

A

B

x l

Abb. 6.13 Statisch überbestimmt gelagerter Biegeträger

Den drei Gleichgewichtsbedingungen der ebenen Statik stehen vier Unbekannte (Ax , Ay , MA und By ) gegenüber. Das System ist also statisch überbestimmt gelagert.

Ay =

5 q0 l und 8

MA =

1 2 q0 l . 8



Frage 6.3 Mit welcher anderen Vorgehensweise hätten Sie im vorangegangenen Beispiel ebenfalls die Lagerreaktion Ay bestimmen können?

6.5

Euler’sches Knicken

F M(x)

w(x)

Lange und dünne Träger können unter Druckbelastung knicken. Dabei ist mit Knicken nicht etwa das scharfe Abknicken eines Stabes an einer ganz bestimmten Stelle gemeint, so wie man einen Strohhalm an einer Stelle „durchknicken“ kann, sondern ein plötzliches Ausbiegen des gesamten Trägers. Wenn Sie beispielsweise einen dünnen Holzstab (ca. 1 m lang und 3 bis 5 mm im Durchmesser) zwischen beide Handflächen nehmen und langsam die Druckkraft auf den Stab steigern, dann geschieht erst einmal nichts Sichtbares, bis es plötzlich „plopp“ macht und der Stab ausknickt. In welche Richtung der Stab dabei ausknickt, kann man nicht vorhersagen. Ob nach vorne, hinten, oben oder unten: Bei symmetrischer Versuchsdurchführung sind alle Richtungen möglich. Rein theoretisch, bei wirklich absoluter Symmetrie, müsste der Stab gar nicht knicken – für welche Richtung sollte er sich auch entscheiden? – aber die Realität kennt keine absolute Symmetrie. Schon ein ganz kleiner Fluchtungsfehler oder eine minimale Erschütterung reichen aus, um Knicken auszulösen. Letztlich ist das wie bei einem gut gespitzten Bleistift, der auf seiner Spitze stehenbleiben soll. Theoretisch könnte das gelingen, aber in der Praxis klappt es einfach nicht. Man spricht in derartigen Fällen von Instabilität, denn eine kleine Abweichung von der Ideallage reicht aus, um das ganze System schlagartig zu verändern. Knicken ist gefährlich, denn es setzt schlagartig und ohne deutliche Vorankündigung ein, zudem verliert ein ausgeknickter Stab sofort einen Großteil seiner Tragfähigkeit. So kann das Knicken von tragenden Bauteilen spektakuläre Folgenhaben. Dergroße Stromausfall im Münsterlandvom November 2005, von dem 250.000 Menschen zum Teil mehrere Tage lang betroffen waren, wurde durch das Knicken von einzelnen Streben und dem darauffolgenden Kollaps von rund 50 Hochspannungsmasten verursacht. Extreme Vereisung der Leitungen ließ die von den Streben zu tragenden Lasten über ihre jeweiligen Knicklasten ansteigen. Frage 6.4 Was ist mit den abgebildeten Schienen passiert? Hinweis: Die Schienen sind durchgehend geschweißt, und die Aufnahme entstand im Hochsommer.

159

x

Abb. 6.15 Statisches Gleichgewicht am ausgeknickten Stab

Bei knickgefährdeten Stäben ist die Stabkraft FK entscheidend, bei der der Stab knicken würde Knicken ist mit großen Verformungen verbunden, und so müssen wir das statische Gleichgewicht anders als bisher am verformten Stab aufstellen. Nehmen wir als Beispiel einen zwischen zwei Handflächen genommenen Holzstab (Abb. 6.15). Der Stab werde an seinen Enden durch zentrische Druckkräfte belastet, das Eigengewicht des Stabs sei vernachlässigbar. Das Biegemoment an einer beliebigen Position x im Stab beträgt M (x ) = F · w(x ), wobei w(x) die Durchbiegung des ausgeknickten Stabes ist. Des Weiteren gilt die Differenzialgleichung der elastischen Linie, w (x) = −

M(x ) . E Iy

Wir führen beide Gleichungen zu w (x) +

F(x ) w(x ) = 0 E Iy

zusammen und erhalten somit eine homogene Differenzialgleichung 2. Ordnung zur Bestimmung von w(x) und FK . Ihre Lösung lautet w(x) = A · cos





  F · x + B · sin E Iy



 F ·x . E Iy

Hierin sind die Konstanten A und B an die Randbedingungen des Stabes anzupassen. Aus der 1. Randbedingung, w(0) = 0, folgt A = 0, und aus der 2. Randbedingung, w(l) = 0, folgt  B sin



 F · l = 0. E Iy

Technische Mechanik

6.5

Euler’sches Knicken

160

6 Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen

Technische Mechanik

Die mögliche Lösung B = 0 ist nicht von Interesse, da dann in jedem Punkt des Stabes w(x) = 0 wäre und der Stab gar nicht ausgeknickt wäre. Es muss somit 



sin

n2 π 2 E Iy l2

Eulerfall: 1

Knicklänge lK : lK = 2 l

 F ·l = 0 E Iy

werden, woraus für die Knicklast die Bedingung F=

Tab. 6.1 Übersicht über die vier Eulerfälle und die dazugehörigen Knicklängen

F

lK = l

2 F

mit n = 1, 2, 3, . . .

folgt. Wir erhalten also unendlich viele Knicklasten. Welche Bedeutung haben diese? Angenommen, wir belasten den Stab mit einer Druckkraft, die wir bei null anfangend langsam steigern. Der Stab wird ausknicken, wenn die äußere Last die niedrigste

3

lK =

√l

lK =

l 2

2

F

4 F

Knicklast

FK =

π 2 E Iy l2

erreicht. Alle höheren Knicklasten (für n = 2, 3, . . .) werden erst erreicht, wenn der Stab längst ausgeknickt ist, und sind daher technisch uninteressant. Wenn ein Druckstab anders als in Abb. 6.15 gelagert ist, so hat er auch eine andere Knicklast. Vier Lagerungen sind von besonderem technischen Interesse, die nach Leonhard Euler (1707–1783) als Eulerfälle bezeichnet werden. Für jeden Eulerfall lässt sich die Knicklast mit obiger Gleichung berechnen, wenn anstelle der tatsächlichen Länge des Stabes eine effektive Länge, die sogenannte Knicklänge lK verwendet wird. In der Tab. 6.1 sind die vier Eulerfälle mit ihren jeweiligen Knicklängen aufgeführt. Eines darf dabei aber nicht vergessen werden. Die Gleichung zur Berechnung der Knicklast gilt nur für linearelastisches Materialverhalten. Und hierin kann ein Problem liegen. Sollte die Streckgrenze vor dem Ausknicken des Stabes überschritten werden, so würde der Stab schon bei kleineren Lasten als FK knicken. Man kann sich das in etwa so vorstellen: Nach Überschreiten der Streckgrenze flacht die Spannungs-DehnungsKurve ab, der Werkstoff hat gewissermaßen einen niedrigeren effektiven Elastizitätsmodul und der Knickstab folglich eine kleinere Knicklast als berechnet. Für die Gültigkeit der Euler-Gleichung muss daher sichergestellt sein, dass die Spannungen im Druckstab mit Sicherheit unterhalb der Streckgrenze liegen. Dies wird in der ingenieurtechnischen Praxis mithilfe des sogenannten Schlankheitsgrades gewährleistet. Damit hat es Folgendes auf sich:

Für den Werkstoff wird zunächst eine zulässige Druckspannung σP gebildet, die sicherstellt, dass die Spannungen im Stab ausreichend weit unterhalb der Streckgrenze liegen. Eine häufig verwendete Gleichung zur Bildung von σP ist σP = 0,8 Re , wobei Re die Streckgrenze ist. Unter der Kraft FP = σP · A würde im Druckstab die zulässige Druckspannung erreicht werden. Soll der Stab knicken, bevor σP erreicht wird, muss FK < FP

=⇒

π 2 E Iy l2K

< σP A

gelten. Wir stellen diese Ungleichung um – Materialparameter auf die linke und Geometrieparameter auf die rechte Seite – und erhalten   E A < lK . π σP Iy Die linke Seite dieser Ungleichung wird als Grenzschlankheitsgrad λ0 , die rechte Seite als Schlankheitsgrad λ bezeichnet. Der Grenzschlankheitsgrad ist ein dimensionsloser Materialparameter, für den Baustahl S235 (E = 205 GPa, Re = 235 MPa) beträgt er beispielsweise 104. Der ebenfalls dimensionslose Schlankheitsgrad λ ist ein reiner Geometrieparameter; je länger und dünner ein Stab, desto größer λ.

6.5

Euler’sches Knicken

In vielen Fällen wird dem Stab durch die Lagerung keine Vorzugsrichtung für das Ausknicken vorgegeben. So könnte zum Beispiel ein vertikal verlaufender Stab sowohl nach rechts oder links als auch nach vorne oder hinten nach dem gleichen Eulerfall ausknicken. Der Stab knickt dann in die Richtung des kleinsten axialen Flächenträgheitsmoments aus. Für Rechteckquerschnitte bedeutet das: Für die Berechnung von Iy ist als Breite b die größere und als Höhe h die kleinere Rechteckseite zu verwen-

Zusammenfassend wird die kritische Knicklast eines Druckstabes wie folgt berechnet: Schritt 1: Eulerfall identifizieren. Hierzu kann es sehr hilfreich sein, die ausgeknickte Form des Stabes zu skizzieren. Schritt 2: Schlankheitsgrad λ und Grenzschlankheitsgrad λ0 berechnen. Für λ > λ0 versagt der Stab durch Knicken, für λ < λ0 durch Erreichen der kritischen Druckspannung. Schritt 3: Kritische Last berechnen. Dies ist bei λ > λ0 die Knicklast FK =

den. (Ein Beispiel einer eher seltenen Ausnahme, bei der die Eulerfälle nach oben oder unten sowie nach vorne oder hinten unterschiedlich sind, ist Aufgabe 6.8.) Zur korrekten Identifizierung des Eulerfalls kann es sehr hilfreich sein, den ausgeknickten Stab in die Zeichnung der Aufgabenstellung mit einzuzeichnen und die Form des ausgeknickten Stabes mit der Tabelle der Eulerfälle zu vergleichen.

die dieser Druckkraft entsprechende Temperaturdifferenz ΔTK . Schritt 1: Eulerfall 4 liegt vor: lK =

l = 500 mm. 2

Schritt 2:  λ = lK

π 2 E Iy

A = lK Iy



bh b h3 12



= 500 mm



12 = 173, 10 mm2

E mit σP = 0,8 Re σP  205.000 MPa λ0 = π = 84. 0,8 · 355 MPa

λ0 = π

l2K

=⇒

und für λ < λ0 die Kraft, bei der die kritische Druckspannung erreicht wird,

Da λ > λ0 ist, wird der Stab durch Knicken und nicht durch plastische Verformung versagen.

FP = σP · A. Beispiel Eine rechteckige dünne Stahlstange (Länge l = 1 m, Breite b = 20 mm, Höhe h = 10 mm, Elastizitätsmodul E = 205 GPa, Streckgrenze Re = 355 MPa, Wärmeausdehnungskoeffizient α = 10−5 K−1 ) wird spannungsfrei zwischen zwei starre Betonwände eingemauert (Abb. 6.16). l=1m

Technische Mechanik

Übersicht: Tipps und Tricks für Knickstabberechnungen

Querschnitt:

Schritt 3: FK =

l2K

=

20 mm (10 mm)3 12

π 2 205.000 N/mm2 (500 mm)2

= 13,5 kN. Die dieser Kraft entsprechende Temperaturdifferenz beträgt ΔTK =

Abb. 6.16 Zwischen zwei starre Wände eingemauerte Stahlstange

π 2 E Iy

FK 13.500 N = EAα 205.000 N/mm2 · 200 mm2 · 10−5 K−1

= 33 K.

161



Gesucht ist die Temperaturdifferenz ΔTK , bei der der Stab knickt.

Weiterführende Literatur

Lösung: Wir berechnen zuerst die kritische Druckkraft FK , die den Stab zum Knicken bringt, und anschließend

Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

162

6 Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen

Technische Mechanik

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 6.1 Durch Ableiten: Aus der Definition des Potenzials erhalten wir dann F = −dΠ/dr, bzw. in Koordinaten: Fx = −dΠ/dx, Fy = −dΠ/dy und Fz = −dΠ/dz. Antwort 6.2 Da die Kraft F von null beginnend auf den Stab aufgebracht wird, beträgt ihr Mittelwert während der Lastaufbringung genau F2 . Antwort 6.3 Wir könnten Ay als äußere Kraft ansetzen und die Belastung in zwei Lastfälle aufspalten: die Streckenlast q0 und die Punktlast Ay . Dann müssten wir für

beide Lastfälle die Durchbiegung des freien Trägerendes berechnen, und wir erhielten Ay durch Gleichsetzen dieser beiden Durchbiegungen. Antwort 6.4 Die Schienen sind ausgeknickt. Große Hitze setzt die Schienen unter Druckspannung, da diese dann bestrebt sind sich auszudehnen, daran aber von den benachbarten Schienen gehindert werden. Werden die Druckspannungen zu groß, kann der Gleiskörper knicken.

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 6.1 • Berechnen Sie mithilfe des Arbeitssatzes die Lagerreaktionen des abgebildeten Trägers.

6.4 • • • Ein Biegeträger der Länge l ist auf drei Lagern abgestützt und trägt eine konstante Streckenlast q0 . Berechnen Sie die Lagerreaktionen.

F q0

A

2l

B

A

D

l

C

x l 2

Resultat: Ax = 0, Ay =

l 2

F 2 , By = F. 3 3 Resultat:

•• Berechnen Sie mithilfe des Arbeitssatzes die 6.2 Verläufe von Querkraft und Biegemoment von Aufgabe 6.1. Resultat:

F 1 QI = , MI = F x. 3 3 2 2 QII = − F, MII = F (3l − x). 3 3

• • • Für einen 3-Punkt-Biegeträger mit gegebenen 6.3 Werten für E, Iy und F sind die Durchbiegungen in den Punkten B und C zu berechnen. Der Einfluss der Querkraft kann vernachlässigt werden.

3 5 q0 l, By = q0 l. 16 8

Ay = Cy =

6.5 • • • Der skizzierte Träger ist im Punkt A fest eingespannt und im Punkt B von der Pendelstütze B-C abgestützt. An seinem freien Ende greift die Vertikalkraft F an. Die Werte von Biegesteifigkeit E Iy im horizontalen Trägerteil und Dehnsteifigkeit E A in der Pendelstütze seien gegeben. Berechnen Sie mit dem Satz von Menabrea die Kraft in der Pendelstütze. l

l

C

A

l

F

D

A B x

C l 4

l 2

B

l 4

Resultat: Resultat: wB =

F l3 48 E Iy

, wC =

F l3

11 . 768 E Iy

5 l2 6 Iy l2 3 Iy

+

1 A

· F.

F

163

Technische Mechanik

Aufgaben

6 Energiemethoden und Knicken – Verformungen und Kräfte berechnen

Technische Mechanik

6.6 • Ein Kran soll als ebenes Fachwerk mit Vierkantrohren des Querschnitts 50 mm × 50 mm × 4 mm (Höhe × Breite × Wandstärke) aus Stahl (E = 205.000 MPa, Re = 300 MPa) gebaut werden. Zu berechnen ist diejenige äußere Kraft F, bei der eine 4-fache Sicherheit gegen Knicken von Stab 1 gewährleistet ist. 4

1m

1. Ay = 300 N, Cy = 900 N. Der Stützbalken wird mit der Druckkraft 900 N beansprucht. 2. S = 12.

2 1

1m

1m F

1. Bestimmen Sie die Stabkraft in Stab 1. 2. Berechnen Sie die für den Kran maximal zulässige Kraft Fzul , bei der in Stab 1 gerade 4-fache Sicherheit gegen Knicken vorliegt. Resultat:

1. Berechnen Sie die Lagerreaktionen. Wie groß ist die Druckkraft im Stützbalken B-C? 2. Berechnen Sie die vorliegende Sicherheit S gegen Knicken des Stützbalkens. Resultat:

3

5

15 mm × 15 mm. An Materialparametern seien gegeben: E = 205.000 MPa, Re = 355 MPa

6.8 •• Ein rechteckiger Balken (Länge 500 mm, Querschnitt 10 mm × 20 mm) aus Stahl (E = 205.000 MPa, Re = 355 MPa) ist an einem Ende fest eingespannt. Am anderen Ende steckt er in einer eng anliegenden Führung. Diese ermöglicht es dem Balken, in vertikale Richtung frei auszuweichen, während ein Ausweichen in horizontale Richtung sowie die entsprechende Winkelbeweglichkeit unterbunden werden. Der Balken wird durch eine Druckkraft F belastet. 10 mm

S1 = −F, Fzul = 33 kN.

0 m m

6.7 • Die abgebildete, in den Punkten A und C gelagerte Struktur wird durch die Streckenlast q0 = 2 N/mm belastet. Zu untersuchen ist die Knickgefährdung des Stützbalkens zwischen den Punkten B und C. Der Stützbalken habe den quadratischen Querschnitt

50

20 mm

164

q0 = 2 MPa

A

F

B

1. Welche Eulerfälle liegen vor? 2. Bei welcher Kraft F knickt der Balken aus? Hinweis: Zwei Eulerfälle konkurrieren. Resultat: C 400 mm

200 mm

1. Eulerfall 1 für vertikales Ausknicken, Eulerfall 4 für horizontales Ausknicken. 2. 13,5 kN.

7 Wie kann man Bewegungen beschreiben? Welche Geschwindigkeit erreicht ein Sprinter? Welche Beschleunigungen wirken bei einer Kurvenfahrt?

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6

Bewegungen beziehen sich immer auf ein Bezugssystem . . . . . . . Bahn, Geschwindigkeit und Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . Geradlinige Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumliche Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegungen auf vorgegebener Bahn. Beschreibung einer Bewegung in natürlichen Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relativkinematik des Massenpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_7

166 166 167 171 176 178 181 182

165

Technische Mechanik

Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

166

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

Technische Mechanik

Kinematik und die im nächsten Kapitel besprochene Kinetik schließen die Grundlagen der Mechanik ab, die in diesem Lehrbuch behandelt werden. In der anfangs behandelten Statik befassten wir uns mit der Frage, welche Kräfte und Momente auf einen starren oder erstarrt gedachten Körper wirken, wenn dieser in der Gleichgewichtslage ist. Darauf aufbauend wurde in der Festigkeitslehre untersucht, wie sich ein Körper unter der Wirkung dieser Lasten verformt und welche Spannungen dadurch im Körper hervorgerufen werden. Auch die Kinematik und Kinetik befasst sich mit den Änderungen eines Körpers, allerdings nicht wie die Festigkeitslehre mit den Änderungen der geometrischen Gestalt in Abhängigkeit einer Ortskoordinate, sondern mit den Änderungen der Position eines Körpers in Abhängigkeit der Zeit. In anderen Worten: Wir wollen die Bewegung eines Körpers untersuchen. Unter einem Massenpunkt versteht man einen Körper, dessen Lage im Raum durch Angabe eines Punktes hinreichend genau beschrieben werden kann. Gleichbedeutend damit ist, dass nur Koordinaten zur Beschreibung der Position des Punktes im Raum erforderlich sind. Die Lage eines ausgedehnten Körpers liegt dagegen erst fest, wenn zusätzlich zur Position auch die Orientierung des Körpers beschrieben ist. Ob man einen Körper als punktförmig annehmen kann, ist keine Frage der räumlichen Ausdehnung des Körpers, sondern wird von der zu untersuchenden Aufgabenstellung bestimmt. Beispielsweise kann man die Erde als Massenpunkt modellieren, wenn man die Himmelsbewegungen rechnerisch beschreiben möchte. Zur Planung des Landeanflugs einer Raumschiffs sollte man dagegen die Erde besser nicht als einen Punkt auffassen.

7.1

Bewegungen beziehen sich immer auf ein Bezugssystem

Die Frage, ob sich ein Körper bewegt, hängt nicht nur vom Bewegungszustand des Körpers ab, sondern auch davon, welches Bezugssystem wir gewählt haben, relativ zu dem wir die Bewegung messen. Wollen wir beispielsweise beschreiben, wie sich ein Reisender in einem Zugwaggon bewegt, so kommt man offensichtlich zu verschiedenen Ergebnissen, wenn man die Bewegung relativ zu einem waggonfesten Bezugssystem (körperfestes Bezugssystem) oder relativ zu einem bahnsteigfesten Bezugssystem (erdfestes Bezugssystem) beschreibt. Bleibt der Reisende beispielsweise auf seinem Sitz sitzen, so hat er relativ zum Waggon die Geschwindigkeit null, während er sich relativ zum Bahnsteig mit der Fahrgeschwindigkeit des Zuges bewegt. Frage 7.1 Ein Zug fährt auf einem geraden Gleisabschnitt mit der Geschwindigkeit 100 km/h. Ein Reisender geht im Zug in Fahrtrichtung des Zuges mit der Geschwindigkeit 2 km/h in Zugrichtung. Welche Geschwindigkeit hat der Reisende gegenüber der Umgebung?

z

Zeitmarke P

Durchlaufsinn r = r ( t) O Bahn

x

y

Abb. 7.1 Bahn eines Massenpunktes

Für die Grundgesetze der Kinetik ist darüber hinaus ein Inertialsystem von entscheidender Bedeutung. Denn die im Newton’schen Grundgesetz F = ma ausgesprochene Verknüpfung der physikalischen Grundbegriffe Masse m, Beschleunigung a und Kraft F gilt nur für die gegenüber einem Inertialsystem gemessene Absolutbeschleunigung. Jedes absolut im Raum ruhende Bezugssystem ist ein Inertialsystem. Man kann aber zeigen, dass auch jedes gegenüber diesem System mit nach Betrag und Richtung konstanter Geschwindigkeit bewegte Bezugssystem ein Inertialsystem ist. Für die Belange dieses Buches ist es ausreichend, sich unter einem Inertialsystem ein absolut im Raum ruhendes Bezugssystem vorzustellen. Für die meisten technischen Problemstellungen kann sogar ein erdfestes Bezugssystem in hinreichender Genauigkeit als Inertialsystem angenommen werden.

7.2

Bahn, Geschwindigkeit und Beschleunigung

Die Bahn eines Autos können wir im Winter verfolgen, indem wir den Reifenspuren im Schnee folgen. Wenn wir zusätzlich wissen, zu welcher Zeit das Auto an welcher Stelle war, sind auch Aussagen darüber möglich, wie schnell das Auto unterwegs war und wann beschleunigt oder gebremst wurde. Die mathematische Beschreibung von Bewegungen benutzt Methoden der Vektorrechnung. Dazu geben wir die Position eines Punktes auf seiner Bahn durch einen Ortsvektor an, den wir vom Ursprung eines gewählten Bezugssystems aus messen. Eine Bewegung des Massenpunktes relativ zu dem Bezugssystem äußert sich darin, dass der Ortsvektor sich im Laufe der Zeit ändert (Abb. 7.1). Wir fassen das Ergebnis zusammen:

Geradlinige Bewegungen

Ortsvektor und Bahn eines Massenpunktes

Beschleunigungsvektor eines Massenpunktes

Die Bewegung eines Punktes P im Raum lässt sich beschreiben, indem man den Ortsvektor

Der Beschleunigungsvektor ist die erste Ableitung des Geschwindigkeitsvektors nach der Zeit

r = r ( t) in Abhängigkeit der Zeit t angibt. Die Verbindungslinie der Spitzen des Ortsvektors stellt die Bahn des Massenpunktes dar. An der Abfolge der Zeitmarken auf der Bahn kann man den Durchlaufsinn der Bahn erkennen.

Wenn zwischen zwei Zeitmarken auf der Bahn das Zeitintervall Δt vergangen ist, dann ist die mittlere Geschwindigkeit vmittel = Δr/Δt in diesem Zeitintervall umso größer gewesen, je stärker sich der Ortsvektor in diesem Zeitintervall geändert hat. Die momentane Geschwindigkeit zu einem gewissen Zeitpunkt t entsteht aus der mittleren Geschwindigkeit, indem man sich das Messintervall Δt beliebig klein vorstellt, d. h. im Grenzübergang Δt → 0 aus der Ableitung des Ortsvektors nach der Zeit. Wir können also sagen: Geschwindigkeitsvektor eines Massenpunktes

Wenn die Bahn r = r(t) des Punktes bekannt ist, kann man den Geschwindigkeitsvektor Δr dr = = r˙ Δt dt Δt→0

v = lim

durch Ableiten des Ortsvektors nach der Zeit t berechnen. Die Geschwindigkeit ist eine vektorielle Größe. Da die Änderung Δr des Ortsvektors für Δt → 0 in Richtung der Tangente an die Bahn zeigt, ist der Geschwindigkeitsvektor parallel zur Bahn gerichtet.

Frage 7.2 Die Dimension der Geschwindigkeit ist Länge/Zeit; ihre SI-Grundeinheit ist m/s. Im Alltagsleben werden Geschwindigkeiten dagegen oft in der Einheit km/h angegeben. Rechnen Sie die Geschwindigkeit v = 100 km/h in die Einheit m/s um!

Beschleunigung ist ein Maß, wie stark sich der Geschwindigkeitsvektor v im Laufe der Zeit t ändert. Ausgehend von der mittleren Beschleunigung amittel = Δv/Δt im Zeitintervall Δt erhält man durch den Grenzübergang Δt → 0 den momentanen Beschleunigungsvektor.

a=

dv = v˙ dt

bzw. die zweite Ableitung des Ortsvektors nach der Zeit a=

d2 r = r¨ . dt

Wie die Geschwindigkeit ist auch die Beschleunigung eine vektorielle Größe. Im Gegensatz zum Geschwindigkeitsvektor ist der Beschleunigungsvektor aber nicht stets parallel zur Bahn gerichtet. Er steht aber auch nicht beliebig zur Bahn; wie sich in Abschn. 7.5 zeigen wird, hat er vielmehr im Allgemeinen neben der Tangentialkomponente auch eine Normalkomponente, die senkrecht auf der Bahn steht und immer zum Krümmungsmittelpunkt der Bahn zeigt.

Um Bewegungen konkret berechnen zu können, wählt man einen Satz von Koordinaten und beschreibt zunächst, wie sich der Ortsvektor in diesen Koordinaten ausdrücken lässt. Anschließend kann man durch Ableiten den Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektor berechnen. Wir beginnen mit einem einfachen Sonderfall, nämlich der geradlinigen Bewegung eines Körpers.

7.3

Geradlinige Bewegungen

Eine geradlinige Bewegung liegt vor, wenn die Bahn des Massenpunktes ungekrümmt ist. Wie bei allen Bewegungen längs einer vorgegebenen Bahn so genügt auch im Sonderfall der geradlinigen Bewegung eine Koordinate, die Wegkoordinate s, um die Position des Punktes auf der Bahn festzulegen. Je nach Aufgabenstellung wird man aber auch andere Bezeichnungen benutzen und dann beispielsweise von der Höhenkoordinate h reden. Bei allen kinematischen Fragestellungen lassen sich zwei Grundaufgaben unterscheiden: Kinematik der geradlinigen Bewegung

Ist der Funktionsverlauf s = s(t) bekannt, so kann durch Differenziation berechnet werden, welche Geschwindigkeit v ( t) =

ds dt

167

Technische Mechanik

7.3

168

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

Technische Mechanik

Geschwindigkeit (gleichförmige Bewegung) oder mit konstanter Beschleunigung (gleichförmig beschleunigte Bewegung) handelt.

und welche Beschleunigung a ( t) =

dv d2 s = dt dt

der Massenpunkt zu einem Zeitpunkt t hat. Soll umgekehrt aus einem bekannten Beschleunigungsverlauf a(t) die Geschwindigkeit und die Position rekonstruiert werden, so muss integriert werden. Dabei muss zusätzlich durch Anfangsbedingungen festgelegt sein, ab welchen Zeitpunkt t0 die Bewegung betrachtet wird und welche Geschwindigkeit v0 = v(t0 ) und welche Position s0 = s(t0 ) zu diesem Zeitpunkt vorliegen. Eine erste Integration des Zusammenhangs dv = a(t)dt mit der Anfangsbedingung v0 = v(t0 ) liefert zunächst die Geschwindigkeit v ( t ) = v0 +

t

a(¯t) d¯t

Gleichförmige Bewegung: Für eine gleichförmige Bewegung mit v(t) = v0 = konst. liefert die Lösung der Integrale das Weg-Zeit-Gesetz zu s(t) = s0 + v0 (t − t0 ) . Wenn man den Anfangszeitpunkt zu t0 = 0 wählt und den Weg ab diesem Zeitpunkt misst, dann gilt s0 = 0 und die Beziehung vereinfacht sich zu s ( t ) = v0 t . Gleichförmig beschleunigte Bewegung: Im Fall einer gleichförmig beschleunigten Bewegung mit a(t) = a0 = konst. erhält man durch zwei hintereinander ausgeführte Integrationen als Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz

t0

und durch erneute Integration folgt aus ds = v(t)dt mit der Anfangsbedingung s0 = s(t0 ) die Position zu s ( t ) = s0 +

t

v(¯t) d¯t .

t0

Für eine mathematisch korrekte Darstellung müssen für die Integrationsvariable und die obere Integrationsgrenze unterschiedliche Formelsymbole verwendet werden. Die Integrationsvariable wurde deshalb mit ¯t bezeichnet, um sie von der oberen Grenze t zu unterscheiden.

v(t) = v0 + a0 (t − t0 ) und als Weg-Zeit-Gesetz 1 s(t) = s0 + v0 (t − t0 ) + a0 (t − t0 )2 . 2 Falls zusätzlich t0 = 0, s0 = 0, v0 = 0 gelten, vereinfacht es sich zu a(t) = a0 ,

v(t) = a0 t ,

s ( t) =

1 2 1 a0 t = vt . 2 2

Durch Elimination der Zeit t folgt s=

v2 , 2a0

a0 =

v2 , 2s

v=



2a0 s.

Frage 7.3 Wenn die Geschwindigkeit v = v(t) in Abhängigkeit der Zeit gegeben ist, dann folgt die Beschleunigung durch Ab˙ leiten, a = v.

Der letzte Formelsatz ist besonders für Aufgabenstellungen nützlich, bei denen der Zeitraum, in der die Bewegung stattfindet, keine Rolle spielt.

Wie kann man die Beschleunigung berechnen, wenn die Geschwindigkeit v = v(s) in Abhängigkeit des Weges s gegeben ist?

Beispiel Ein Fahrzeug beschleunigt aus dem Stand heraus in T = 10 s auf die Geschwindigkeit v1 = 100 km/h. Wie groß ist die über den Beschleunigungszeitraum als konstant angenommene Beschleunigung?

Bei gleichförmigen Bewegungen sind die Zeitintegrationen besonders einfach Die Auswertung der Integrale ist dann besonders einfach, wenn es sich um eine Bewegung mit konstanter

Wir führen eine Wegachse entlang der Fahrtrichtung des Autos ein und messen die Zeit und die Wegstrecke ab dem Beschleunigungsbeginn, es gelten daher die Anfangsbedingungen t0 = 0, s0 = 0. Da das Fahrzeug aus dem Stand heraus beschleunigt, gilt für die Anfangsgeschwindigkeit v0 = 0. Wegen der als konstant angenommenen Beschleunigung handelt es sich um eine gleichförmig beschleunigte Bewegung. Unter den aufgeführten

Geradlinige Bewegungen

Anwendung: Kinematische Diagramme Die grafische Darstellung der Funktionsverläufe a = a(t), v = v(t) und s = s(t) bezeichnet man als die kinematischen Diagramme einer Bewegung. Aufgrund der Verwandtschaft der Differenziation mit der Steigungsberechnung einer Funktion und der Integralrechnung mit der Flächeninhaltsberechnung unterhalb des Graphen einer Funktion lassen sich die kinematischen Gleichungen auch grafisch interpretieren. Die Fläche, die der a = a(t)-Verlauf bzw. der v = v(t)Verlauf im Intervall t0 ≤ ¯t ≤ t mit der t-Achse einschließt, entspricht dem Zuwachs der Geschwindigkeit bzw. der Wegstrecke in diesem Zeitraum. Unterhalb der t-Achse gelegene Flächen zählen dabei negativ. Die Steigung im s = s(t)-Diagramm bzw. v = v(t)Diagramm zu einem gewissen Zeitpunkt entspricht der Geschwindigkeit bzw. der Beschleunigung zu diesem Zeitpunkt. Umgekehrt hat der v(t)-Verlauf in Intervallen, in denen a(t) > 0 bzw. a(t) < 0 ist, positive bzw. negative Steigung; an Stellen mit a(t) = 0, besitzt der v(t)-Verlauf eine horizontale Tangente; es hängt vom Einzelfall ab, ob es sich um eine Extrem- oder eine Sattelstelle handelt. Entsprechend sind anhand des Vorzeichens von v(t) Aussagen über das Steigungsverhalten im s(t)-Diagramm möglich. In den gezeichneten Diagrammen sind die Zusammenhänge für den Fall  a0   für 0 ≤ t ≤ t1 , a ( t) = t−t1 für t ≥ t1 , a0 1 − t2 −t1  für 0 ≤ t ≤ t1 , v0 + a0 t   v ( t) = (t−t1 )2 v0 + a0 t − 2(t −t ) für t ≥ t1 , 2 1  s0 + v0 t + 12 a0 t2 für 0 ≤ t ≤ t1 ,   s ( t) = (t−t1 )3 1 2 s0 + v0 t + 2 a0 t − 3(t −t ) für t ≥ t1 2

1

a

m s2

20 10 0 –10 –20 –30 –40 –50

Nullstelle

0

150 100 50 0 v m s –50 –100 –150 –200

2

8

6

4

10

12

14

a (t) > 0

a(t) < 0

v(t) hat positive Steigung

v(t) hat negative Steigung

16

horizontale Tangente Nullstelle

0

2

4

6

8

10

12

14

v(t) > 0

v(t) < 0

s(t) hat positive Steigung

s(t) hat negative Steigung

800

16

horizontale Tangente

600 s (m)

400 200 0 –200 0

2

4

6

8

10

12

14

16

t (s)

Abb. 7.2 Kinematische Diagramme

dargestellt, wobei die Parameter zu t1 = 4 s, t2 = 6 s, a0 = 10 m/s2 , v0 = 25 m/s, s0 = 50 m gewählt wurden.

Anfangsbedingungen gilt für das Geschwindigkeit-ZeitGesetz v(t) = a0 t. Speziell zur Zeit T hat das Fahrzeug die Geschwindigkeit v(T ) = a0 T = v1 . Durch Auflösen folgt a0 =

v1 27,7 m/s = = 2,7 m/s2 . T 10 s



An diesem einfachen Beispiel kann man die typischen Arbeitsschritte erkennen, die für diesen Aufgabentyp erforderlich sind:

Schritt 1: Einführung einer Wegachse in Bewegungsrichtung. Schritt 2: Formulierung der Anfangsbedingungen für die Bewegung. Schritt 3: Aufstellen der Geschwindigkeit-Zeit- und WegZeit-Gesetze. Schritt 4: Auswerten der Gesetze zu speziellen Zeitpunkten. Schritt 5: Auflösen des entstandenen Gleichungssystems nach den unbekannten Größen.

169

Technische Mechanik

7.3

170

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

Technische Mechanik

Das systematische Vorgehen hilft insbesondere, wenn sich die Bewegung eines Körpers aus verschiedenen Bewegungsabschnitten zusammensetzt oder mehrere Körper an der Bewegung beteiligt sind. Wir betrachten hierzu die folgenden beiden Beispiele. Beispiel Ein Sprinter läuft S = 100 m in T = 10 s. Wir nehmen an, dass auf den ersten s1 = 10 m die Beschleunigung konstant ist und der Sprinter dann mit konstanter Geschwindigkeit bis ins Ziel weiterläuft. Wie groß ist die Geschwindigkeit im zweiten Teil der Strecke? Wir wählen die Wegachse entlang der Sprintstrecke. Die Bewegung setzt sich aus einer gleichförmig beschleunigten Bewegung mit noch unbekannter Beschleunigung a0 für 0 ≤ t ≤ t1 und einer gleichförmigen Bewegung für t1 ≤ t ≤ T zusammen. Dabei bezeichnet t1 den noch unbekannten Zeitpunkt, an dem die beiden Bewegungsabschnitte ineinander übergehen. Auf den ersten 10 m gelten die Anfangsbedingungen t0 = 0, v(t0 ) = 0, s(t0 ) = 0. Die kinematischen Gesetze v(t) = a0 t, s(t) = 12 a0 t2 liefern, dass zum Zeitpunkt t1 gilt s(t1 ) =

1 2 a0 t = s1 , 2

v(t1 ) = a0 t1 = v1 .

(a),(b)

Diese Ergebnisse stellen zugleich die Anfangsbedingungen für den zweiten Bewegungsabschnitt dar, der deshalb nach den kinematischen Gesetzen v(t) = v1 = konst., s(t) = s1 + v1 (t − t1 ) abläuft. Speziell zum Zeitpunkt T des Zieleinlaufs gilt s(T ) = s1 + v1 (T − t1 ) = S .

s1 ( t ) = v 1 t ,

s2 ( t ) = S − v 2 t .

Das Zusammentreffen ist durch s1 ( T ) = s2 ( T ) :

v1 T = S − v2 T

charakterisiert. Daraus folgt, dass sich die Fahrzeuge nach T=

S 1 h = 6 min = v1 + v2 10

im Abstand s1 ( T ) = S

v1 = 9 km v1 + v2

von A-Dorf treffen.



Frage 7.4 Im vorigen Beispiel wurde die Aufgabe gelöst, indem eine von A-Dorf nach B-Stadt gerichtete s-Achse benutzt wurde. Zeigen Sie, dass man zum gleichen Ergebnis kommt, wenn man eine entgegengesetzt orientierte Achse benutzt.

(c)

Mit (a) bis (c) stehen 3 Gleichungen für die 3 Unbekannten a0 , v1 , t1 zur Verfügung. Durch Auflösen folgt: s1 + S = 11 m/s = 39,6 km/h , v1 = T s 2s1 t1 = = 2 1 T = 1,82 s , v1 s1 + S a1 =

bzw. s20 = S und v20 = −v2 . Das Minuszeichen berücksichtigt, dass die Geschwindigkeit des Fahrzeugs 2 entgegen der positiven Zählrichtung der s-Koordinate gerichtet ist. Die kinematischen Gesetze für gleichförmige Bewegungen liefern für die beiden Fahrzeuge die Weg-ZeitGesetze

v1 (s + S)2 = 1 2 = 6,05 m/s2 . t1 2s1 T

 Beispiel Ein Fahrzeug 1 fährt von A-Dorf in Richtung B-Stadt mit der konstanten Geschwindigkeit v1 = 90 km/h. Gleichzeitig fährt ein anderes Fahrzeug 2 von B-Stadt nach A-Dorf mit der Geschwindigkeit v2 = 70 km/h. Die Entfernung zwischen A-Dorf und B-Stadt beträgt S = 16 km. Zu welchen Zeitpunkt und an welcher Stelle treffen sich die beiden Fahrzeuge? Wir führen eine von A-Dorf nach B-Stadt gerichtete s-Achse ein, deren Ursprung in A-Dorf liegt. Dann gelten zum gewählten Anfangszeitpunkt t0 = 0 für die beiden Fahrzeuge die Anfangsbedingungen s10 = 0, v10 = v1

Kinematische Grundaufgaben Bisher haben wir nur den Fall behandelt, dass die kinematischen Grundgrößen explizit von der Zeit abhängen. Der Zusatz explizit betont, dass die kinematische Größe „ohne Umwege“ direkt aus dem Wert der Zeitvariablen berechnet werden kann. In mathematischer Form drückt sich diese Voraussetzung so aus, dass beispielsweise für die Beschleunigung der Zusammenhang zur Zeit über eine explizite Funktionsvorschrift der Form a = a(t) bekannt sein muss. Nur unter dieser Voraussetzung kann man durch zwei hintereinandergeschaltete Integrationen über die Zeit die Geschwindigkeit und die Position berechnen. Genau diese Voraussetzung wird aber in technischen Fragestellungen häufig nicht erfüllt sein. Dazu müssen wir bedenken, dass die Beschleunigung über das Newton’sche Grundgesetz mit der Kraft auf den Massenpunkt verbunden ist. In der bislang angegebenen Form lassen sich die Beziehungen nur dann verwenden, wenn alle Kräfte konstant sind oder explizit von der Zeit abhängen. Der letzte Fall tritt beispielsweise auf, wenn durch eine Steuerung die Antriebskraft eines Motors direkt als

Funktion der Zeit vorgegeben ist. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass viele eingeprägte Kräfte nicht direkt, sondern nur auf dem „Umweg“ über kinematische Größen von der Zeit abhängen. In der Mathematik spricht man davon, dass die Kraft und wegen des Newton’schen Grundgesetzes auch die Beschleunigung implizit von der Zeit abhängen. Betrachten wir beispielsweise eine Feder, die zwischen zwei sich bewegende Massenpunkte gespannt ist, dann hängt die Federkraft nur implizit, nämlich auf dem „Umweg“ über den zeitveränderlichen Abstand der Massenpunkte von der Zeit ab. Das typische Beispiel für eine implizite Zeitabhängigkeit auf dem „Umweg“ über die Geschwindigkeit stellt ein fahrendes Auto dar, bei dem die Luftwiderstandskraft von der Fahrgeschwindigkeit und diese wiederum vom betrachteten Zeitpunkt abhängt. Deshalb sind Beziehungen erforderlich, mit denen man nicht nur im Sonderfall der expliziten Zeitabhängigkeit die kinematischen Grundgrößen auseinander berechnen kann. Die sechs wichtigsten Fälle dieser sogenannten kinematischen Grundaufgaben sind in Tab. 7.1 dargestellt.

Beispiel Für das Absinken einer Kugel in einer zähen Flüssigkeit gilt das Bewegungsgesetz   v a = a(v ) = g 1 − v1 Die konstante Geschwindigkeit v1 hängt dabei vom Radius der Kugel und der Zähigkeit der Flüssigkeit ab. Die Kugel wird aus der Ruhe heraus losgelassen. Bestimmen Sie das Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz v = v(t) der Bewegung der Kugel. Der Übersicht entnehmen wir, dass wir ausgehend von der bekannten Beschleunigungsfunktion a = a(v) zunächst durch Integration die Funktion v

t( v ) =

0

1 d¯v a(v¯ )

bestimmen können. Dabei wurde die Anfangsbedingung v(0) = 0 ausgenutzt. Durch Integration erhalten wir zunächst t( v ) =

1 g

v 0



1 v1 v d¯v = − ln 1 − g v1 1 − vv¯1

Die Umkehrfunktion lautet  v ( t ) = v1 1 − e

gt 1

−v

 ,

 .

Räumliche Bewegungen

sodass sich die Kugel für t → ∞ asymptotisch der Grenzgeschwindigkeit lim v(t) = v1

t→ ∞



nähert.

7.4

Räumliche Bewegungen

Nach der Bewegung eines Massenpunktes längs einer Geraden wollen wir jetzt gleich den allgemeinen Fall behandeln: der Massenpunkt soll sich längs einer im dreidimensionalen Anschauungsraum eingebetteten Bahn bewegen. Eine ebene Bewegung können wir als Sonderfall daraus leicht ableiten. Selbstverständlich ist die geradlinige Bewegung ihrerseits wiederum einer Sonderfall der ebenen Bewegung. Dass sie zuvor trotzdem in einem eigenen Abschnitt dargestellt wurde, diente in erster Linie dazu, Sie am einfachsten Beispiel einer Bewegung mit den Gesetzmäßigkeiten der Kinematik vertraut zu machen. Während es bei der geradlinigen Bewegung bis auf die Skalierung nur eine sinnvolle Wahl der einen Koordinate gibt, gibt es bei räumlichen Bewegungen mehr als einen sinnvollen Koordinatensatz. In den Anwendungen sind hierfür kartesische Koordinaten und Zylinderkoordinaten – ihr ebener Sonderfall sind die Polarkoordinaten – gebräuchlich. Eine besondere Rolle spielt die Darstellung einer Bewegung in natürlichen Koordinaten.

Darstellung in kartesischen Koordinaten Bei einer Beschreibung in kartesischen Koordinaten führt man als Bezugssystem ein Rechtskoordinatensystem mit senkrecht aufeinander stehenden Achsen ein; die Bewegung des Massenpunktes liegt dann fest, sobald die kartesischen Koordinaten x, y, z des Massenpunktes als Funktion der Zeit bekannt sind. Weil das Newton’sche Grundgesetz nur bezüglich eines Inertialsystems gilt, wollen wir das Koordinatensystem als ein solches annehmen. Der Ortsvektor zum Massenpunkt kann dann über eine Gleichung der Form r(t) = x(t)ex + y(t)ey + z(t)ez in den kartesischen Koordinaten ausgedrückt werden. Beachten Sie, dass die Basisvektoren nicht von der Zeit abhängen, weil wir das Bezugssystem als inertial vorausgesetzt haben. Deshalb können wir bei der Berechnung der Zeitableitung die Basisvektoren als konstante Größen behandeln und erhalten die Absolutgeschwindigkeit zu v(t) = x˙ (t)ex + y˙ (t)ey + z˙ (t)ez

171

Technische Mechanik

7.4

172

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

Technische Mechanik

Übersicht: Kinematische Grundfunktionen Die kinematischen Grundgrößen Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung gehen definitionsgemäß durch Differenziation nach der Zeit bzw. Integration über die Zeit auseinander hervor. In vielen technischen Anwendungsfällen hängt eine kinematische Grundgröße aber nicht von der Zeit ab. In der folgenden Tabelle ist zusammengestellt, nach welchen Zusammenhängen dann die Grundgrößen ineinander umgerechnet werden können. Falls erforderlich folgen weitere Zusammenhänge, indem man die Umkehrfunktion bildet. Wenn z. B. t = t(s) gegeben oder berechnet wurde, so erhält man s = s(t) durch Bilden der Umkehrfunktion (sofern die Umkehrfunktion überhaupt existiert).

Tab. 7.1 Grundaufgaben der geradlinigen Punktbewegung Gegeben Anleitung zur Ermittlung der übrigen Funktionen ds dv s = s ( t) v( t) = a ( t) = dt dt v = v( t)

t

s ( t ) = s0 +

v(¯t) d¯t

t0

a = a ( t)

v = v( s )

v(t) = v0 +

t(s) = t0 +

t

t0 s s0

a = a (s)

a(¯t) d¯t 1 d¯s v(s¯ ) s

a(s¯) d¯s

s0

a = a ( v)

t(v) = t0 +

v0

dv dt t

s ( t ) = s0 +

v(¯t) d¯t

t0

v2 (s) = v20 + 2 v

a ( t) =

1 d¯v a(v¯ )

dv(s) ds

a ( s ) = v( s )

t(s) = t0 +

s s0

s ( v ) = s0 +

v v0

1 d¯s v(s¯ ) v d¯v a(v¯ )

z

Darstellung einer räumlichen Bewegung in kartesischen Koordinaten

P

Wenn man die Bewegung eines Massenpunktes in kartesischen Koordinaten beschreibt, so gilt für den Ortsvektor die Darstellung ⎛ ⎞ x ( t) r = ⎝ y ( t) ⎠ . z ( t)

r = r ( t)

z O x y x

y

Abb. 7.3 Kartesische Koordinaten

und durch erneute Differenziation die Absolutbeschleunigung zu a(t) = x¨ (t)ex + y¨ (t)ey + z¨ (t)ez . Wenn die Basisvektoren nicht von der Zeit abhängen, erhält man die Absolutgeschwindigkeit und -beschleunigung, indem nur die Koordinaten des Ortsvektors einbzw. zweimal nach der Zeit differenziert werden. In diesem Fall kann man ohne die Gefahr von Missverständnissen auch eine Darstellung verwenden, die nur die Koordinaten, nicht aber die Basisvektoren explizit aufführt. Wir nutzen dies in der folgenden Zusammenfassung aus.

Ist das Bezugssystem ferner ein Inertialsystem, so folgen die Absolutgeschwindigkeit und -beschleunigung ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ x˙ (t) x¨ (t) v = ⎝ y˙ (t) ⎠ , a = ⎝ y¨ (t) ⎠ z˙ (t) z¨ (t) durch koordinatenweise Differenziation des Ortsvektors. Sind umgekehrt die Koordinaten ax , ay , az der Absolutbeschleunigung ⎛ ⎞ ax (t) a = ⎝ ay (t) ⎠ az (t) als Funktion der Zeit t bekannt, dann liefert eine koordinatenweise Integration die Absolutge-

wieder in den Basisvektoren ausdrücken lassen. Alle anderen Ableitungen sind null.

z ez eφ

Nach diesen rein mathematischen Vorarbeiten können wir damit beginnen, eine Bewegung in Zylinderkoordinaten zu beschreiben. Die Arbeitschritte sind dieselben wie bei kartesischen Koordinaten; wir müssen aber bedenken, dass im Gegensatz zu den kartesischen Koordinaten sich die Basisvektoren ändern, wenn sich die Koordinaten ändern. Wir beginnen damit, den Ortsvektor



O φ

r(t) = r(ρ (t), ϕ(t), z(t)) = ρeρ ( ϕ) + zez

ρ

zum Massenpunkt aus den Zylinderkoordinaten und ihren Basisvektoren aufzubauen. Um daraus den Geschwindigkeitsvektor berechnen zu können, muss der Ortsvektor nach der Zeit differenziert werden. Im vorigen Abschnitt war dies ganz einfach, weil nur die Koordinaten differenziert werden mussten. Dagegen müssen wir jetzt im ersten Summanden ρ (t)eρ ( ϕ(t)) die Produkt- und Kettenregel anwenden sowie die Ableitungen der Basisvektoren einsetzen und erhalten dann

Abb. 7.4 Zylinderkoordinaten

schwindigkeit und -position ⎞ ax (¯t) v = v0 + ⎝ ay (¯t) ⎠ d¯t , az (¯t) t0 ⎛ ⎞ t vx (¯t) r = r0 + ⎝ vy (¯t) ⎠ d¯t , vz (¯t) t0 t

Räumliche Bewegungen



v=

wobei zusätzlich Anfangsbedingungen für die Position und die Geschwindigkeit bekannt sein müssen.

deρ dϕ dr ˙ ϕ+ρ = ρe + z˙ ez dt dϕ dt ˙ z. ˙ ϕ + ze ˙ ρ + ρ ϕe = ρe

Ebenso können wir in den folgenden Schritten a=

deρ dϕ dv ¨ ρ + ρ˙ = ρe dt dϕ dt

+ (ρ˙ ϕ˙ + ρ ϕ¨ )e ϕ + ρ ϕ˙

Darstellung in Zylinderkoordinaten

+ z¨ ez

Bei einer Beschreibung der Bewegung in Zylinderkoordinaten wird die Position des Massenpunktes durch eine Radialkoordinate ρ, eine Zirkular- oder Umfangskoordinate ϕ und eine Axialkoordinate z beschrieben (Abb. 7.4). Dabei legt die Zirkularkoordinate ϕ den Winkel zu einer gewählten Bezugsrichtung fest, die Radialkoordinate ρ beschreibt den Abstand von der z-Achse, und die Axialkoordinate z gibt die Höhe über dem Ursprung an. Ferner führen wir in jedem Punkt P eine lokale kartesische Basis eρ , e ϕ , ez ein, deren Basisvektoren immer tangential zu den Koordinatenlinien in Richtung wachsender Koordinatenwerte gerichtet sind. Der entscheidende Unterschied zu den kartesischen Koordinaten ist, dass nur der Basisvektor ez stets dieselbe Orientierung hat, während die beiden anderen Basisvektoren sich ändern, wenn sich die Zirkularkoordinate ϕ ändert. Wir entnehmen der Mathematik, dass sich die Ableitungen der Basisvektoren deρ = eϕ dϕ

de ϕ = −e ρ dϕ

de ϕ dϕ dϕ dt

(7.1)

den Beschleunigungsvektor a = ρ¨ − ρ ϕ˙ 2 eρ + ρ ϕ¨ + 2ρ˙ ϕ˙ e ϕ + z¨ ez bestimmen. Wir fassen das Ergebnis zusammen: Darstellung einer räumlichen Bewegung in Zylinderkoordinaten

Bei der Beschreibung in Zylinderkoordinaten liegt die Bewegung eines Punkts fest, wenn die Radial-, Zirkular- und Axialkoordinate dieses Punktes als Funktion der Zeit t bekannt sind: ρ = ρ ( t) ,

ϕ = ϕ ( t) ,

z = z ( t) .

Der Ortsvektor zum Massenpunkt lässt sich dann durch r = r (t) = ρeρ + zez

173

Technische Mechanik

7.4

174

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

Technische Mechanik

Beispiel: Schiefer Wurf Welche Flugbahn hat ein Körper, der schräg nach oben geworfen wird? Der Luftwiderstand wird vernachlässigt. Diese klassische Problemstellung der ebenen Kinematik ist unter dem Namen schiefer Wurf bekannt.

 v=

v0 cos α v0 sin α



+

t  0

0 −g



 d¯t =

v0 cos α v0 sin α − gt

 .

Ortsvektor: Eine erneute Integration liefert ausgehend von r0 = 0 den Ortsvektor

v

y

bedingung für v0 folgt der Geschwindigkeitsvektor

v0

a x

r=

t  0

Problemanalyse und Strategie: Um diese Bewegung beschreiben zu können, führen wir ein sinnvoll gewähltes Koordinatensystem ein. Danach können wir die Anfangsbedingungen formulieren. Ausgehend von der Beschleunigung, die auf den Körper wirkt, erhalten wir durch zweifache Integration die Parameterdarstellung der Bahn. Durch Elimination der Zeit können wir herleiten, dass die Flugbahn eine Parabel ist. Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, unter welchem Winkel man werfen muss, um die maximale Wurfweite zu erzielen. Lösung: Koordinatensystem einführen: Wir legen den Ursprung in die Abwurfstelle, wählen die x-Achse bzw. y-Achse in horizontaler bzw. vertikaler Richtung. Anfangsbedingungen bestimmen: Im gewählten Koordinatensystem nehmen die Anfangsbedingungen die einfache Form     x0 0 = r0 = y0 0     v0x v0 cos α = v0 = v0y v0 sin α an, da der Körper zum Zeitpunkt t0 = 0 aus dem Ursprung des Koordinatensystem mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 unter dem Winkel α gegen die x-Achse abgeworfen wird. Beschleunigungsvektor: Der Körper ist der nach unten gerichteten Erdbeschleunigung g ausgesetzt, sodass für den Beschleunigungsvektor     ax 0 = = konst. a= ay −g gilt. Das Minuszeichen berücksichtigt, dass die Erdbeschleunigung entgegen der nach oben gerichteten y-Achse wirkt. Geschwindigkeitsvektor: Durch Integration des Beschleunigungsvektors unter Ausnutzen der Anfangs-

v0 cos α v0 sin α − g¯t



 d¯t =

v0 t cos α v0 t sin α − 12 gt2

 .

Dies ist die Parameterdarstellung der Flugbahn, wobei die Zeit t als Kurvenparameter auftritt. Zu jedem Zeitpunkt t ≥ 0 kann man die kartesischen Koordinaten x = x(t), y = y(t) des Ortes bestimmen, an dem der Punkt zu diesem Zeitpunkt ist. Explizite Form der Bahn: Um zu einer expliziten Darstellung y = y(x) der Bahn zu kommen, muss man in der Parameterdarstellung die Zeit t eliminieren. Durch x Auflösen von x = x(t) nach t erhält man t = v0 cos α. Setzt man in das Ergebnis für y = y(t) folgt y(x) = x tan α −

= x tan α −

g 2v20 cos2

α

x2

g (1 + tan2 α)x2 . 2v20

Dies ist eine Polynomfunktion zweiten Grades in der Variablen x; die Flugbahn ist also eine Parabel. Steigzeit tS und maximale Wurfhöhe H: Aus der Bedingung vy (tS ) = 0 folgt tS =

v0 sin α , g

H = y(tS ) =

v20 sin2 α . 2g

Flugzeit T und Wurfweite w: Aus der Bedingung y(T ) = 0 folgt T=2

v0 sin α = 2tS , g

w = x (T ) =

2v20 v2 sin α cos α = 0 sin 2α . g g

Abwurfwinkel für maximale Wurfweite: Aus der Bedingung dw dα = 0 folgt α = 45◦ ,

wmax =

v20 . g

Die größte Wurfweite wird also bei vorgegebener Anfangsgeschwindigkeit für einen Abwurfwinkel von 45◦ erzielt.

7.4

r O

φ



R O

O

R

Für die Beschleunigung erhält man:



v

eρ P

dv d = ˙ ×r+ω×v ω×r = ω dt dt = ω˙ × r + ω × ω × r .

a=

¨ z der Vektor der Winkelbeschleunigung. Dabei ist ω ˙ = ϕe Abb. 7.5 Bewegung auf einer Kreisbahn

Wir fassen die Ergebnisse zur Kreisbewegung zusammen: Kinematik der Kreisbewegung eines Massenpunktes

in den Zylinderkoordinaten ausdrücken. Durch Differenziation nach der Zeit folgen daraus der Geschwindigkeitsvektor zu v=

dr ˙ z ˙ ϕ + ze ˙ ρ + ρ ϕe = ρe dt

und der Beschleunigungsvektor zu a=



2





dv = ρ¨ − ρ ϕ˙ eρ + ρ ϕ¨ + 2ρ˙ ϕ˙ e ϕ + z¨ ez . dt

Eine ebene Bewegung ist in den vorher angegebenen Beziehungen als Sonderfall z = 0, z˙ = z¨ = 0 enthalten.

Kinematik der Bewegung auf einer Kreisbahn

Bewegt sich ein Massenpunkt auf einer Kreisbahn (Radius R), so lassen sich mithilfe des Winkelgeschwindigkeitsvektors bzw. des Winkelbeschleunigungsvektors ˙ z, ω = ϕe

Einen technisch wichtigen Sonderfall einer ebenen Bewegung stellt die Bewegung auf einer Kreisbahn dar (Abb. 7.5). Die Bewegung auf einer Kreisbahn (Radius R) lässt sich durch die spezielle Wahl z = 0, z˙ = z¨ = 0 sowie ρ = R = konst., ρ˙ = ρ¨ = 0 als Sonderfall einer Bewegung in Zylinderkoordinaten darstellen. Man erhält damit: ˙ ϕ , a = −R ϕ˙ 2 eρ + R ϕe ¨ ϕ. r = Reρ , v = R ϕe Alternativ lässt sich die Kreisbewegung auch durch einen ˙ z beschreiben. DaWinkelgeschwindigkeitsvektor ω = ϕe bei sind ϕ˙ die skalare Winkelgeschwindigkeit und ez ein Vektor in Richtung der Drehachse. Bildet man nun das Kreuzprodukt ˙ z × eρ = R ϕe ˙ ϕ ˙ z × Reρ = R ϕe ω × r = ϕe erhält man das zuvor angegebene Ergebnis für die Geschwindigkeit, und es gilt: dr = ω×r. dt

¨ z, ω ˙ = ϕe

die Geschwindigkeit und Beschleunigung des Massenpunktes nach den Beziehungen v = ω×r

a=ω ˙ ×r+ω× ω×r

aus dem Ortsvektor r = Reρ zum Massenpunkt berechnen. Dabei ist ϕ der Zirkularwinkel, der angibt, an welcher Stelle der Kreisbahn der Punkt sich momentan befindet. Wertet man die Kreuzprodukte aus, erhält man: ˙ ϕ, v = R ϕe

v=

175

¨ ϕ a = −R ϕ˙ 2 eρ + R ϕe

Die charakteristischen Eigenschaften der Kreisbewegung sind: Die Geschwindigkeit hat nur eine zirkulare Koordina˙ der Geschwindigkeitsvektor ist daher stets te v ϕ = ϕR; tangential zur Bahn gerichtet. Die Beschleunigung hat in Tangentialrichtung die Koordinate a ϕ = R ϕ¨ und in radialer Richtung die Koordinate aρ = − ϕ˙ 2 R = −v2 /R. Das Minuszeichen zeigt, dass die Radialbeschleunigung zum Kreismittelpunkt hin gerichtet ist. Man sagt deshalb auch, dass ein Massenpunkt, der sich auf einer Kreisbahn mit der Geschwindigkeit v bewegt, eine Zentripetalbeschleunigung (centrum (lat.): Mitte; petere (lat.): suchen) vom Betrag ϕ˙ 2 R erfährt. Diese Beschleunigung muss durch eine von außen auf den Körper wirkende Kraft erzeugt werden, z. B. durch ein Seil, das den Körper auf der Bahn hält oder durch die Reifenkräfte bei der Kurvenfahrt eines Fahrzeugs. Im Sonderfall konstanter Winkelgeschwindigkeit hat die Geschwindigkeit längs der Kreisbahn den konstanten

Technische Mechanik



Räumliche Bewegungen

176

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

Technische Mechanik

˙ Trotzdem tritt eine ZentripetalbeschleuniBetrag ϕR. gung vom Betrag ϕ˙ 2 R auf. Sie ist erforderlich, um die Richtung der Geschwindigkeit zu ändern.

z s=0

s en eb

7.5

Bewegungen auf vorgegebener Bahn. Beschreibung einer Bewegung in natürlichen Koordinaten

In den vorigen Abschnitten wurden verschiedene Darstellungsarten von Bewegungen betrachtet. Dabei wurde stillschweigend vorausgesetzt, dass die Koordinaten zur Beschreibung der Bewegung unabhängig voneinander sind. Bewegt sich der Punkt aber entlang einer vorgegebenen Bahn, so legt die Kontur der Bahn Abhängigkeiten zwischen den Koordinaten fest. Dann genügt eine Koordinate, um die Position des Punktes auf der Bahn eindeutig festzulegen; man spricht deshalb auch von eindimensionalen Bewegungen. Als Koordinate besonders geeignet ist die längs der vorgegebenen Bahn gemessene Bogenlänge s. Man unterscheidet die folgenden Fälle: Freie Bewegung: In diesem Fall liegt die Bahn nicht fest, sondern stellt sich aufgrund der auf den Massenpunkt wirkenden Kräfte ein. Aufgabe der Mechanik ist es, aus den wirkenden Kräften zu bestimmen, welche Bahn der Körper nimmt und nach welchem Zeitgesetz er sich auf dieser Bahn bewegt. Dies ist die Fragestellung der direkten Kinetik. Beispiele für freie Bewegungen sind der schiefe Wurf oder eine Ballonfahrt. Geführte Bewegung: In diesem Fall liegt die Bahn von vornherein fest, da sich der Punkt längs einer vorgegebenen Bahn bewegen muss. Die Aufgabe der Mechanik ist es dann, die Kräfte zu berechnen, die erforderlich sind, damit der Massenpunkt sich auf der vorgegebenen Bahn nach einen ebenfalls vorgegebenen Zeitgesetz bewegt. Man bezeichnet diese Fragestellung auch als inverse Kinetik. Eine geführte Bewegung liegt beispielsweise bei einem Linienflug oder bei einer Achterbahnfahrt vor. Für freie Bewegungen wurden in den letzten Abschnitten die Beschreibung in kartesischen und in Zylinderkoordinaten vorgestellt. Für eine Bewegung auf einer vorgegebenen Bahn gibt es eine alternative Beschreibungsform. Es lassen sich nämlich in diesem Fall Koordinaten definieren, die nicht willkürlich gewählt sind, sondern sich allein aus der Form der Bahnkurve r = r (s) ableiten lassen; die Beschreibung einer Bewegung in diesem Koordinatensatz wird als Beschreibung in natürlichen Koordinaten bezeichnet. Als Basis zur Zerlegung der Vektoren wird eine natürliche Basis verwendet.

et

P

O x

M

lokaler Krümmungskreis vorgegebene Bahn

y

Abb. 7.6 Lokale Frenet’sche Basis

Wir übernehmen aus der Mathematik das Ergebnis, dass sich die natürliche Basis aus dem Tangentenvektor et = dr ds (er ist tangential zur Bahn in Richtung wachsender s-Werte gerichtet und vom Betrage eins), dem Hauptnort malenvektor en = 1κ de ds (er ist senkrecht zur Bahn in Richtung des Krümmungsmittelpunktes gerichtet und vom Betrage eins) und dem Binormalenvektor eb = et × en zusammensetzt. t Dabei bezeichnet κ = | de ds | die Krümmung der Bahnkurve im gerade betrachteten Kurvenpunkt. Sie stimmt mit dem Kehrwert des Radius des Krümmungskreises in diesem Punkt überein, κ = 1/R. Die drei Basisvektoren bilden eine kartesische Basis, die auch als begleitendes Dreibein oder Frenet’sche Basis bezeichnet wird (Abb. 7.6). Ihrer Konstruktion nach handelt es sich bei der Frenet’schen Basis um eine lokale Basis, d. h. ihre Basisvektoren haben im Allgemeinen an jedem Punkt der Bahn eine andere Orientierung. Wie schon bei der Beschreibung in Zylinderkoordinaten müssen wir für kinematische Fragestellungen zusätzlich wissen, wie sich der Ortsvektor und der Basisvektor et mit der Bogenlänge ändern. Aus den vorher angegebenen Beziehungen folgt dafür

dr = et , ds

det = κen . ds

Nach diesen Vorarbeiten können wir beginnen, die Kinematik eines Punktes, der sich auf einer vorgegebenen Bahn bewegt, zu untersuchen. Als Koordinate benutzen wir die längs der Bahn gemessene Bogenlänge s, die sich aufgrund der Bewegung des Punktes im Lauf der Zeit ändert, s = s(t). Die Position des Punktes auf der Bahn wird dann durch den Ortsvektor r = r (s(t)) beschrieben. Er hängt implizit von der Zeit ab. Um den Geschwindigkeitsvektor berechnen zu können, benötigen wir deshalb zunächst die Kettenregel v=

dr dr ds = . dt ds dt

Bewegungen auf vorgegebener Bahn. Beschreibung einer Bewegung in natürlichen Koordinaten

Die skalare Ableitung ds dt ist die Bahngeschwindigkeit, mit der sich der Punkt auf der Bahn bewegt. Die vektorielle Ableitung dr ds stimmt mit dem Tangentenvektor an die Bahn überein, sodass für den Geschwindigkeitsvektor v = vet folgt. Der Beschleunigungsvektor folgt durch Differenziation zu

det ds dv d dv v(t)et (s(t)) = et + v = dt dt dt ds dt dv 2 = et + κv en . dt

a=

Wir fassen die Ergebnisse zusammen: Beschreibung einer Bewegung auf vorgegebener Bahn in natürlichen Koordinaten

Bewegt sich ein Massenpunkt längs einer vorgegebenen Bahn, so genügt eine Koordinate, die Bogenlänge s = s(t) in Abhängigkeit der Zeit t, um die Bewegung des Punktes auf der Bahn zu beschreiben. Darauf aufbauend kann man durch Differenziation nach der Zeit die Bahngeschwindigkeit v = s˙ und die Bahnbeschleunigung at = v˙ = s¨ bestimmen, mit der sich der Körper längs der Bahn bewegt. Der Geschwindigkeitsvektor v = vet ist stets parallel zur Bahntangente, sein Betrag ist die Bahngeschwindigkeit v = s˙ . Der Beschleunigungsvektor a = at et + an en hat die folgenden beiden Koordinaten: Bahnbeschleunigung at = v˙ = s¨: Die zugehörige Komponente at et ist parallel zur Bahn gerichtet; man bezeichnet at deshalb auch als Tangentialbeschleunigung. Die Koordinate kann positiv, null oder negativ sein. Wenn die Koordinate negativ ist, bedeutet dies, dass der Massenpunkt verzögert wird. Normalbeschleunigung an = κv2 : Die zugehörige Komponente an en steht senkrecht auf der Bahn und ist wegen an ≥ 0 vom Kurvenpunkt zum lokalen Krümmungsmittelpunkt, also stets „nach innen“, gerichtet. Sie wird deshalb auch als Zentripetalbeschleunigung bezeichnet.

Wenn die Form r = r (s) der Bahnkurve in der Bogenlänge s parametrisiert ist und die Bewegung auf der Kurve durch ein Bewegungsgesetz vom Typ s = s(t) vorgegeben ist, dann verläuft die kinematische Analyse der Bewegung in folgenden Schritten: 1. Bestimmung der skalaren kinematischen Größen durch Differenziation des Bewegungsgesetzes s = s(t) nach der Zeit t: Bahngeschwindigkeit: v = s˙ . Bahnbeschleunigung: at = v˙ = s¨ . 2. Bestimmung der differenzialgeometrischen Größen der Raumkurve r = r(s) durch Differenziation nach der Bogenlänge s: dr . Tangentenvektor: et = ds det d2 r . Krümmung: κ= = ds ds 1 det Hauptnormalenvektor: en = . κ ds 3. Bestimmung der vektoriellen kinematischen Größen durch Kombination der skalaren kinematischen Größen mit den differenzialgeometrischen Größen: Geschwindigkeitsvektor: v = vet . Beschleunigungsvektor: a = at et + κv2 en .

Sonderfall: Ebene Bahn in kartesischen oder Polarkoordinaten Natürliche Koordinaten können selbstverständlich auch verwendet werden, wenn die Bewegung in einer Ebene stattfindet. Bei ebenen Bewegungen wird man die Kontur der Bahn meist nicht in der Form r = r (s) angeben, sondern sie durch eine Funktionsgleichung y = y(x) in kartesischen Koordinaten bzw. ρ = ρ ( ϕ) in Polarkoordinaten beschreiben. Der Mathematik kann man entnehmen, dass die Krümmung sich dann aus κ= 

y

3/2 1 + (y )2

,

ρ2 + 2(ρ )2 − ρρ κ=  3/2 , ρ 2 + ( ρ )2

(·) =

d(·) dx

(7.2)

(·) =

d(·) dϕ

(7.3)

berechnen lässt. Frage 7.5 Eine spezielle ebene Bewegung ist die Bewegung auf einer Kreisbahn (Radius R). Dabei ist die Krümmung konstant und gleich dem Kehrwert des Kreisradius R. Setzt

177

Technische Mechanik

7.5

178

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

Technische Mechanik

man κ = 1/R in die vorher angegebenen Beziehungen ein, folgt für die Normalbeschleunigung an = v2 /R.

zI

Die Bewegung auf einer Kreisbahn haben wir schon einmal untersucht, nämlich als Sonderfall der Beschreibung einer Bewegung in Polarkoordinaten. Wir erhielten als Ergebnis, dass eine Radialbeschleunigung aρ = − ϕ˙ 2 R = −v2 /R auftritt, während sich in natürlichen Koordinaten eine Normalbeschleunigung an = v2 /R ergab. Wie lässt sich das unterschiedliche Vorzeichen erklären?

zF yF

rF OF OI

xI

xF

yI

Abb. 7.7 Koordinatensysteme für die Relativbewegung

Beispiel Ein Fahrzeug durchfährt eine Kurve (R = 200 m) mit der konstanten Geschwindigkeit v = 140 km/h. Welche Normalbeschleunigung wirkt auf das Fahrzeug? Die Normalbeschleunigung beträgt an = v2 /R = 2 7,56 m/s . Um diese Normalbeschleunigung aufzubringen, muss nach dem Newton’schen Grundgesetz über die Reifen eine nach innen wirkende Kraft auf das Fahrzeug ausgeübt werden. Wenn die Reibverhältnisse zwischen Reifen und Fahrbahn dies nicht zulassen, kommt das Fahrzeug ins Schleudern und kann die vorgegebene  Kreisbahn nicht mehr einhalten.

7.6

Relativkinematik des Massenpunktes

Die im Newton’schen Grundgesetz F = ma ausgesprochene Verknüpfung der physikalischen Grundbegriffe Masse m, Beschleunigung a und Kraft F gilt nur für die gegenüber einem Inertialsystem gemessene Absolutbeschleunigung. Wir müssen uns deshalb im folgenden darum kümmern, wie wir erstens aus der bekannten Bewegung eines Bezugssystems relativ zu einem Inertialsystem und zweitens aus einer bekannten Bewegung eines Punktes relativ zu dem bewegten Bezugssystem auf die Absolutbewegung des Punktes schließen können. Als illustratives Beispiel betrachten wir ein Kind, das Karussell fährt und dabei seine Beine baumeln lässt. Als „Massenpunkt“, dessen Bewegung wir beschreiben wollen, wählen wir die Spitze des rechten großen Zehs des Kindes. In den bisherigen Abschnitten hatten wir immer nur ein Bezugssystem; deshalb konnten wir eine vereinfachte Notation wählen, in der nicht angezeigt wurde, relativ zu welchem Bezugssystem wir die Bewegung messen. Dagegen treten bei der Relativbewegung verschiedene Bezugssysteme auf, die wir in der Notation durch einen tiefgestellten Index unterscheiden. Im Einzelnen führen wir die folgenden Bezugssysteme ein (Abb. 7.7):

Inertialsystem KI : Im Karussellbeispiel können wir uns darunter ein fest am Kassenhäuschen angebracht gedachtes Koordinatensystem vorstellen. (Dass es streng genommen wegen der Bewegung der Erde im Weltall nicht inertial ist, wollen wir vernachlässigen.) Führungssystem KF : Im Karussellbeispiel kann dies beispielsweise ein fest am Karussellsitz angebracht gedachtes Bezugssystem sein. Der Ortsvektor rF = rF (t) beschreibt die Bahn des Ursprungs OF des Führungssystems. Das Führungssystem dreht sich relativ zum Inertialsystem mit einer Winkelgeschwindigkeit ωF = ω F ( t) . Eine Relativableitung von vektoriellen Größen tritt in der Mechanik nicht nur bei kinematischen Größen auf, sondern wird beispielsweise in der Kinetik des starren Körpers auch auf den Drallvektor eines Körpers angewendet. Wir erklären der Begriff der Relativableitung deshalb zunächst für irgendeinen Vektor b und wenden die Ergebnisse anschließend speziell auf relativkinematische Fragestellungen an. Die Koordinaten des Vektors b im Führungssystem KF wollen wir mit bFx , bFy , bFz bezeichnen. Aus den Koordinaten und den Basisvektoren exF , eyF , ezF des Führungsystem KF kann der Vektor nach der Beziehung b = bFx exF + bFy eyF + bFz ezF aufgebaut werden. Für die Zeitableitung müssen wir beachten, dass sich im Allgemeinen sowohl die Koordinaten als auch die Basisvektoren im Laufe der Zeit ändern können. Die Produktregel der Differenziation liefert damit zunächst, dass sich die Ableitung F

dey de F de F db = b˙ Fx exF + b˙ Fy eyF + b˙ Fz ezF + bFx x + bFy + bFz z dt dt dt dt aus zwei Anteilen zusammensetzt, die sich darin unterscheiden, ob die Koordinaten oder die Basisvektoren

differenziert werden. Der erste Anteil b˙ Fx exF + b˙ Fy eyF + b˙ Fz ezF gibt die Änderung an, die allein aus der Zeitableitung der Koordinaten herrührt. Er stellt daher physikalisch die Änderung dar, die ein Beobachter misst, der sich mit dem Führungssystems mitbewegt. Man bezeichnet diesen Anteil deshalb auch als die Relativableitung

de F

Auch der Änderungsanteil bFx dtx + bFy dty + bFz dtz kann noch weiter umgeformt werden. Die Winkelgeschwindigkeit, mit der sich das Koordinatensystem KF dreht, haben wir mit ωF bezeichnet. Für die Zeitableitungen der Basisvektoren gilt dann: deiF = ωF × eiF ; dt

dF b db = + ωF × b dt dt

(7.4)

F

des Vektors b bezüglich des Koordinatensystems KF . In der Notation zeigen wir durch einen hochgestellten Index beim Differenziationssymbol an, dass nur die Koordinaten, nicht aber die Basisvektoren des jeweils angegebenen Koordinatensystems zu differenzieren sind. Die Notation ist konsistent zu der früheren Schreibweise ohne Angaben eines Koordinatensystems, wenn wir vereinbaren, dass der Index weggelassen wird, wenn das Bezugssystem ein dI b Inertialsystem KI ist; db dt ≡ dt . de F

über dem Inertialsystem gemessene absolute Ableitung eines Vektors b nach der Beziehung

additiv aus der Relativableitung ddtb und der Führungsableitung ωF × b zusammen. Die Relativableitung

dF b = b˙ Fx exF + b˙ Fy eyF + b˙ Fz ezF dt

de F

Relativkinematik des Massenpunktes

i = x, y, z .

Damit lässt sich der Anteil durch die Umformungen bFx (ωF × exF ) + bFy (ωF × eyF ) + bFz (ωF × ezF )

= ωF × (bFx exF + bFy eyF + bFz ezF ) = ωF × b in der Winkelgeschwindigkeit ωF ausdrücken. Durch Einsetzen aller Zwischenergebnisse folgt abschließend für die gegenüber einem Inertialsystem gemessene Änderung eines Vektors die Darstellung dF b db = + ωF × b . dt dt Wir fassen das Ergebnis zusammen: Zusammenhang zwischen relativer und absoluter Änderung einer vektoriellen Größe

Wenn sich ein Führungskoordinatensystem KF relativ zu einem Inertialsystem KI mit der Winkelgeschwindigkeit ωF dreht, dann setzt sich die gegen-

dF b = b˙ Fx exF + b˙ Fy eyF + b˙ Fz ezF dt beschreibt dabei physikalisch die Änderung, die ein mit dem Führungssystem mitbewegter Beobachter misst. Man erhält sie, indem man nur die Koordinaten des Vektors zum Führungssystem nach der Zeit ableitet. Kommentar Bislang wurde ein Koordinatensystem, das Inertialsystem, als ruhend vorausgesetzt. Die Ergebnisse lassen sich aber auf den Fall übertragen, dass zwei Koordinatensysteme KA und KB betrachtet werden, die beide bewegt sind. Dann besteht zwischen den Relativableitungen eines Vektors b relativ zu den beiden Koordinatensystemen der Zusammenhang dB b dA b = + A ωB × b . dt dt Dabei ist A ωB die Winkelgeschwindigkeit, mit der sich das Koordinatensystem KB relativ zum Koordinatensystem KA dreht. Auch für die Winkelgeschwindigkeit ist die Notation zur früheren Schreibweise konsistent, wenn wir vereinbarungsgemäß bei einem Inertialsystem KI den Index für das Koordinatensystem weggelassen, ωB ≡ I ωB .  Die für irgendeinen Vektor angegebenen Beziehungen wollen wir jetzt in der Relativkinematik speziell auf den Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektor anwenden. Der Ortsvektor rFP (t) beschreibt die Bahn des Massenpunktes gemessen vom Ursprung OF des Führungssystems aus. Ziel des Abschnitts ist es, Aussagen über die Absolutbeschleunigung des Massenpunktes zu machen, wenn die Bewegung des Führungssystems und die Relativbewegung des Massenpunktes bekannt sind. Wir stellen uns also vor, dass die Zeitfunktionen rF (t), ωF (t) und rFP (t) bekannt seien und wollen die Absolutbeschleunigung aP des Massenpunktes bestimmen (Abb. 7.8). Wir beginnen damit, den Ortsvektor zum Massenpunkt rP = rF + rFP

179

Technische Mechanik

7.6

180

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

wieder in den relativen Ableitungen ausdrücken und man erhält für die Absolutbeschleunigung

zI

Technische Mechanik

P rFP zF

aP = yF

rF OF OI

xF

d2 vF dωF + × rFP + ωF × (ωF × rFP ) dt dt2 d2F rFP dF rFP + + 2ωF × . 2 dt dt

Wir fassen die Ergebnisse zusammen: yI

xI

Relativkinematik des Massenpunktes

Abb. 7.8 Relativbewegung

als Summe der beiden Ortsvektoren rF und rFP zu schreiben. Die Zeitableitung liefert dann vP =

drF dr + FP . dt dt

Da der Ortsvektor rF vom Ursprung des Inertialsystems aus gemessen wurde, liefert die Zeitableitung die Absolutgeschwindigkeit

Ein Massenpunkt bewege sich relativ zu einem Führungssystem KF , wobei die Bahn durch den Ortsvektor rFP = rFP (t) beschrieben ist, der vom Ursprung OF des Führungssystems zum Massenpunkt P gerichtet ist. Der Ursprung OF bewege sich relativ zu einem Inertialsystem KF längs der Bahn rF = rF (t), und die Achsen des Führungssystems drehen sich relativ zum Inertialsystem mit der Winkelgeschwindigkeit ωF = ωF (t). Dann gelten die folgenden kinematischen Zusammenhänge: Absolutgeschwindigkeit vP des Massenpunktes:

dr vF = F dt

vP = vFhg + vrel , mit vFhg = vF + ωF × vFP ,

des Ursprungs OF . Den zweiten Summanden wollen wir so umformen, dass darin die Relativgeschwindigkeit auftritt. Dazu werten wir (7.4) für die spezielle Wahl aus b ≡ rFP und erhalten

aP = aFhg + arel + aCor ,

Damit gilt für die Absolutgeschwindigkeit vP = vF + ωF × rFP +

FP

dt

dωF × rFP + ωF × (ωF × rFP ) , dt dF vFP d2F rFP = = , dt dt2 = 2ωF × vrel .

mit aFhg = aF + .

Durch eine erneute Zeitableitung erhält man für die Absolutbeschleunigung aP zunächst   dvP d dF rFP vF + ωF × rFP + = dt dt dt     2 dωF d vF drFP d dF rFP . = + × r + ω × + FP F dt dt dt dt dt2 aP =

Wegen (7.4) lassen sich die absoluten Zeitableitungen drFP dF rFP = + ωF × rFP dt dt  F    d d rFP dF dF rFP dF rFP = + ωF × dt dt dt dt dt

=

dF vFP . dt

Absolutbeschleunigung aP des Massenpunktes:

drFP dF rFP = + ωF × rFP . dt dt

dF r

vrel =

d2F rFP dF rFP + ωF × 2 dt dt

arel aCor

Die Führungsgrößen vFhg bzw. aFhg beschreiben die Geschwindigkeit bzw. Beschleunigung, die der Massenpunkt hätte, wenn er fest mit dem Führungssystem verbunden wäre. Wenn der Massenpunkt sich relativ zum Führungssystem bewegt, kommen noch die Relativgrößen vrel bzw. arel hinzu. Sie entsprechen derjenigen Geschwindigkeit bzw. Beschleunigung, die ein mitbewegter Beobachter misst. Man kann sie aus der Bahn rFP = rFP (t) berechnen, indem man zunächst die Koordinaten des Vektors rFP zum Führungssystem KF bestimmt und dann nur diese Koordinaten einmal bzw. zweimal nach der Zeit differenziert. Auf Beschleunigungsebene tritt zusätzlich die Coriolisbeschleunigung aCor auf. Sie verschwindet nur, wenn vrel = 0 oder ωF = 0 oder ωF  vrel ist.

Antworten zu den Verständnisfragen

181

Weiterführende Literatur

Technische Mechanik

Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 7.1 Da beide Geschwindigkeiten in die gleiche Richtung zeigen, darf man sie einfach addieren. Die Geschwindigkeit des Reisenden gegenüber der Umgebung ist also 102 km/h. Würde er sich entgegen der Fahrrichtung bewegen, würde man eine Geschwindigkeit von 98 km/h messen. Bei Bewegungen nahe der Lichtgeschwindigkeit gilt dieses Additionsprinzip nicht mehr. Natürlich sprechen wir aber im Folgenden immer von Geschwindigkeiten, die weit unter der des Lichtes liegen. Antwort 7.2 Wegen 1 km = 1000 m und 1 h = 3600 s gilt v = 100

km 1000m 100 m = 100 = = 27,7 m/s . h 3600s 3,6 s

Es lohnt sich, die Umrechnungsformeln 1 v v = · , m/s 3,6 km/h

v v = 3,6 · km/h m/s

auswendig zu lernen. Antwort 7.3 Ausgehend von v = v(s(t)) erhält man mithilfe der Kettenregel der Differenziation den Zusammenhang a=

dv dv ds =v . ds dt ds

Die Produktregel der Differenziation liefert, dass sich der Zusammenhang alternativ auch in der Form a=

1 d  2 v 2 ds

angeben lässt. Antwort 7.4 Für eine von B-Stadt nach A-Dorf gerichtete s¯-Achse mit dem Ursprung in B-Stadt gelten für die beiden Fahrzeuge die Anfangsbedingungen s¯ 10 = S, v¯ 10 = −v1 bzw. s¯ 20 = 0 und v¯ 20 = v2 . Die Weg-Zeit-Gesetze s¯ 1 (t) = S − v1 t und s¯2 (t) = v2 t liefern für den durch s¯ 1 (T ) = s¯ 2 (T ) charakterisierten Zeitpunkt des Zusammentreffens wieder das Ergebnis S T= v+ = 6 min. Zu diesem Zeitpunkt hat das Fahr1 v2 zeug 2 die Strecke s¯ 2 (T ) = S v v+2v = 7 km von B-Stadt aus 1 2 zurückgelegt; das Zusammentreffen findet damit wie vorher in S − s¯ 2 (T ) = 9 km Entfernung von A-Dorf statt. Antwort 7.5 Bei einer Beschreibung in natürlichen Koordinaten ist der Basisvektor en stets vom Kurvenpunkt zum lokalen Krümmungsmittelpunkt gerichtet, während der Basisvektor eρ der Zylinderkoordinaten entgegengesetzt orientiert ist. Beide Ergebnisse liefern wegen eρ = −en deshalb dieselbe physikalische Aussage, nämlich dass ein Massenpunkt, der sich auf einer Kreisbahn (Radius R) mit der Bahngeschwindigkeit v bewegt, eine Zentripetalbeschleunigung vom Betrag v2 /R erfährt.

182

7 Kinematik des Massenpunktes – Grundbegriffe der Bewegung

Technische Mechanik

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 7.1 • Ein Kraftfahrzeug beschleunigt aus dem Stand heraus in T = 10 s auf v1 = 100 km/h. Wie groß ist die durchschnittliche Beschleunigung a0 ? Welchen Weg S hat es bis zum Ende der Beschleunigung zurückgelegt?

3. Berechnen Sie den Weg-Zeit-Verlauf s = s(t). Welchen Weg s1 hat der Aufzug zurückgelegt, wenn er seine Maximalgeschwindigkeit v1 erreicht hat?

Hinweis: Rechnen Sie die Endgeschwindigkeit zuerst in die SI-Grundeinheit m/s um. Der Begriff „durchschnittliche Beschleunigung“ bedeutet, dass wir die Beschleunigung als konstant annehmen. In Wirklichkeit sinkt sie mit zunehmender Geschwindigkeit ab.

Hinweis: Gehen Sie vom Ansatz v(t) = A(1 − cos ωt) aus. Welche Bestimmungsgleichungen für die Kreisfrequenz ω und die Amplitude A können Sie aus der Skizze des Funktionsverlaufs ablesen? Die Berechnung der anderen kinematischen Größen folgt durch Differenziation bzw. Integration des Geschwindigkeitsverlaufs.

Resultat: a0 = 2,7 m/s2 , S = 138,8 m .

Resultat:

7.2 • Ein Kraftfahrzeug fährt mit v0 = 100 km/h und bremst dann in S = 39,8 m bis zum Stillstand. Wie groß war die durchschnittliche Verzögerung a0 ? Hinweis: In der Aufgabenstellung ist nach der Bremszeit nicht gefragt. Es ist daher sinnvoller, nicht von den ki˙ v = s˙ sondern von nematischen Grundgleichungen a = v, auszugehen. der Beziehung a = v dv ds v2

Resultat: a0 = − 2S1 = −9,69 m/s2 . 7.3 •• Um ein sanftes Anfahren eines Aufzugs zu gewährleisten, wird die Anfahrgeschwindigkeit so gesteuert, dass der Geschwindigkeits-Zeit-Verlauf dem ansteigenden Bereich einer Kosinus-Funktion folgt.

7.4 • • • Oft kann man die Erdbeschleunigung g als konstant annehmen, obwohl sie streng genommen quadratisch vom Abstand r des Körpers vom Erdmittelpunkt abhängt. Für Bewegungen über große Strecken muss die Abhängigkeit g = g(r) berücksichtigt werden, um eine gute Übereinstimmung mit den Messwerten zu erreichen. Für den freien Fall im Newton’schen Schwerefeld gilt ein Bewegungsgesetz der Form a = a ( r ) = − g0

v v1

0

r20 . r2

Dabei ist g0 = 9,81 m/s2 die Erdbeschleunigung an der Erdoberfläche im Abstand r0 = 6500 km vom Erdmittelpunkt.

~ cos 0

  t v1 1 − cos π , v ( t) = 2 t1   πv1 v1 t1 t t t − sin π , sin π , s(t) = a ( t) = 2t1 t1 2 π t1 1 s1 = s(t1 ) = v1 t1 . 2

t1 t

Seine Maximalgeschwindigkeit v1 soll der Aufzug zum Zeitpunkt t = t1 erreichen. 1. Wie lautet die Funktion v = v(t) mit den gegebenen Parametern v1 und t1 ? 2. Welcher Beschleunigungs-Zeit-Verlauf a = a(t) stellt sich ein? Wie groß ist die maximale Beschleunigung und zu welchem Zeitpunkt wird sie erreicht?

1. Eine Kugel wird mit großer Anfangsgeschwindigkeit v0 von der Erdoberfläche aus nach oben geschossen. Wie ändert sich die Geschwindigkeit v in Abhängigkeit des Abstands r vom Erdmittelpunkt? 2. Welchen maximalen Abstand vom Erdmittelpunkt kann die Kugel erreichen? 3. Mit welcher Geschwindigkeit v0 müsste man die Kugel mindestens abschießen, sodass sie das Schwerefeld der Erde überwindet und in den Tiefen des Weltraums verschwindet?

4. Zeigen Sie, dass für kleine Schusshöhen r = r0 + s, s r0 das aus der Schulphysik bekannte Gesetz v2 (s) = v20 − 2g0 s folgt. Hinweis: Das Beschleunigungsgesetz ist nicht in Abhängigkeit der Zeit, sondern des Weges gegeben. Sie müssen deshalb das in Tab. 7.1 angegebene Lösungsschema anwenden. Für den letzten Aufgabenteil benötigt man die Taylorentwicklung einer Funktion. Wie lautet der Entwicklungspunkt der Taylorentwicklung? Resultat: 1. v(r) = 2. rmax =

 v20 + 2g0 r20 2g0 r20 2g0 r0 −v20



1 r



1 r0

 .

= 6503 km von Erdmittelpunkt aus,

Δrmax= rmax − r0 = 3,19 km von Erdoberfläche aus. 3. v0 = 2g0 r0 = 40.655 km/h. 4. Linearisierung von v = v(r) um den Entwicklungspunkt r = r0 .

• Ein Stein wird senkrecht nach oben geworfen 7.5 und schlägt nach T = 8 s wieder auf dem Boden auf. 1. Wie groß war die Anfangsgeschwindigkeit des Steins? 2. Welche Steighöhe erreicht der Stein?

• Ein Projektil wird horizontal abgeschossen. 7.6 Seine Bahn senkt sich auf L = 100 m um H = 1 m ab. v0 H

L

Bestimmen Sie die Flugzeit T und die Anfangsgeschwindigkeit v0 . Hinweis: Es bietet sich an, die Aufgabe mit den angegebenen Gleichungen des schiefen Wurfes zu lösen. Wo muss dann der Ursprung des Koordinatensystems liegen? Welche Koordinaten hat der bekannte Auftreffpunkt des Projektils in diesem Koordinatensystem? Resultat: T = 0,45 s , v0 = 221 m/s .

• Ein Fahrzeug durchfährt eine Kurve mit der 7.7 konstanten Geschwindigkeit v = 140 km/h. Dabei erfährt es eine Normalbeschleunigung an = 7 m/s2 . Wie groß ist der Radius R der Kurve?

Hinweis: Beachten Sie, dass die Flugzeit der doppelten Steigzeit entspricht.

Hinweis: Vergessen Sie nicht die Geschwindigkeit in die SI-Einheit m/s umzurechnen.

Resultat: v0 = 39,24 m , H = 78,5 m

Resultat: R = 216 m .

183

Technische Mechanik

Aufgaben

8

Technische Mechanik

Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

Die Aussagen von Impulsund Drallsatz Welche Kräfte wirken bei einer Achterbahnfahrt? Arbeit und Energie in der Mechanik

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

Impuls und Impulssatz . . . . . . . . . Drall und Drallsatz . . . . . . . . . . . Relativkinetik des Massenpunktes . . Arbeit, Leistung und Energie . . . . . Massenpunktsysteme . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . .

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_8

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186 189 192 192 196 199 200

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186

8 Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

Technische Mechanik

Nach der Kinematik wenden wir uns nun der Kinetik zu; die Kinetik beschäftigt sich mit der Frage, welcher Zusammenhang zwischen den kinematischen Größen und den auf einen Massenpunkt wirkenden Kräften besteht. Es entspricht der Alltagserfahrung, dass ein Körper einer Änderung seines Bewegungszustandes einen Widerstand, seine „Massenträgheit“, entgegengesetzt. Die für das Bewegungsverhalten eines Körpers grundlegenden Gesetzmäßigkeiten gehen ebenso wie das Gegenwirkungsprinzip „actio = reactio“ aus der Statik auf Isaac Newton (1643–1727) zurück.

Richtung der Kraft erfolgt:

Kommentar Bei Bewegungen nahe der Lichtgeschwindigkeit weichen die von den Newton’schen Axiomen postulierten Bewegungen deutlich von den gemessenen ab. Diese Abweichungen werden durch die Einsteinsche  Relativitätstheorie erfasst.

Zusammenfassend gilt also:

8.1

Impuls und Impulssatz

Für den Zusammenhang zwischen der Masse und dem Bewegungsverhalten eines Körpers formulierte Newton den folgenden axiomatischen Zusammenhang: Trägheitsaxiom (1. Newton’sches Gesetz)

Jede Masse bleibt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, sofern keine äußeren Kräfte auf sie wirken.

Das Trägheitsaxiom stellt nur den qualitativen Zusammenhang zwischen der Kraft und der Bewegungsänderung her; es gibt aber nicht an, wie stark der Bewegungszustand durch eine Kraft geändert werden kann. Um auch diese Frage beantworten zu können, ist als Vorbereitung der Begriff des Impulses erforderlich. Impuls eines Massenpunktes:

Der Impuls p = mv ist das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit:

Bislang ist das Wort Impuls nur eine Abkürzung für das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit. Man hätte dafür keinen eigenen Begriff eingeführt, wenn dieses Produkt nicht von überragender Bedeutung für die Mechanik wäre. Diese Bedeutung wird erst deutlich, wenn man den Impuls nach der Zeit ableitet. Es gilt nämlich im axiomatischen Sinne, dass die zeitliche Änderung des Impulses der einwirkenden äußeren Kraft proportional ist und in

dp = F. dt Da für einen Massenpunkt die Masse während der Bewegung konstant bleibt, folgt m

dv = ma = F . dt

Impulssatz (2. Newton’sches Gesetz)

Für einen Massenpunkt ist das Produkt aus Masse und Absolutbeschleunigung gleich der einwirkenden äußeren Kraft: ma = F . Führt man die d’Alembert’sche Trägheitskraft F T = −ma ein, kann man den Impulssatz auch in der Form ma + F T = 0 schreiben und spricht dann vom dynamischen Gleichgewicht der Kräfte. Die d’Alembert’sche Trägheitskraft ist keine Kraft im Newton’schen Sinne, da zu ihr keine Gegenkraft existiert und sie deshalb das Gegenwirkungsaxiom verletzt. Man bezeichnet die d’Alembert’sche Trägheitskraft deshalb auch als Scheinkraft.

Im Impulssatz muss die Beschleunigung die Absolutbeschleunigung sein In der Form ma = F gilt der Impulssatz nur bezüglich eines ruhenden Systems (Inertialsystem) und a ist dann die bezüglich des ruhenden Systems gemessene Beschleunigung (Absolutbeschleunigung). Für die meisten technischen Anwendungen kann ein erdfestes System mit hinreichender Genauigkeit als ruhendes System angenommen werden. Im Abschnitt über die Relativkinematik wurde aber gezeigt, wie man die Absolutbeschleunigung rekonstruieren kann, wenn man die Bewegung eines Bezugssystems gegenüber einem Inertialsystem sowie den relativ zum bewegten Bezugssystem gemessenen Bewegungszustand kennt.

Die Newton’sche Mechanik beginnt mit dem Freischneiden Im Impulssatz tritt die Summe aller auf den Massenpunkt wirkenden äußeren Kräfte auf. Wie schon in der Statik

Impuls und Impulssatz

Übersicht: Anwendungsschema für den Impulssatz Die im Impulssatz auftretende Absolutbeschleunigung a kann man in verschiedenen Koordinaten, von denen in diesem Buch kartesische, Zylinder- und natürliche Koordinaten behandelt wurden, angeben. Die verschiedenen Darstellungsarten sind zusammen mit anderen Empfehlungen im folgenden Anwendungsschema für den Impulssatz zusammengestellt. 1. Massenpunkt freischneiden, alle Kräfte auf den Massenpunkt einzeichnen. Es ist dies derselbe Freischnitt, den Sie in der Statik verwenden. 2. Koordinaten zur Beschreibung der Bewegung wählen. Je nach Aufgabenstellung wird man problemangepasst kartesische, Zylinder- oder natürliche Koordinaten wählen. 3. Koordinatendarstellung des Impulssatzes: Im Impulssatz tritt die äußere Kraft F auf. Wirken auf den Körper mehrere Kräfte, so können diese durch Vektoraddition zu einer Kraft zusammengefasst werden. Um dies zu betonen, ist in den folgenden Koordinatendarstellungen des Impulssatzes ein Summenzeichen geschrieben; das Symbol ist so zu verstehen, dass über alle Kräfte zu summieren ist, die in die jeweilige Koordinatenrichtung zeigen. a) kartesische Koordinaten x, y, z: max = m¨x =

∑ Fxi , i

may = m¨y =

∑ Fyi , i

maz = m¨z =

∑ Fzi . i

b) Zylinderkoordinaten ρ, ϕ, z: maρ = m(ρ¨ − ρ ϕ˙ 2 ) =

∑ Fρi , i

ist deshalb das Freischneiden der Startpunkt der Newton’schen Mechanik, um die in den Kontaktstellen zur Umgebung wirkenden inneren Kräfte zu äußeren Kräften zu machen. Das Anwendungsschema in der Box Anwendungsschema für den Impulssatz stellt die typischen Schritte vor, die für die Anwendung des Impulssatzes auf einen Massenpunkt erforderlich sind. Es lässt sich keine allgemeingültige Regel angeben, welche Form des Impulssatzes für welche Fragenstellung am besten geeignet ist. Das folgende Beispiel zeigt aber, warum die Faustregel, dass sich Bewegungen auf einer

ma ϕ = m(ρ ϕ¨ + 2ρ˙ ϕ˙ ) =

∑ F ϕi , i

maz = m¨z =

∑ Fzi . i

Bei der Beschreibung in Zylinderkoordinaten ist zu beachten, dass die ρ-Koordinate von der z-Achse zum Massenpunkt P zu orientieren ist. c) Natürliche Koordinaten: mat = mv˙ =

∑ Fti , i

man = mκv2 =

∑ Fni , i

mab = 0 =

∑ Fbi . i

Bei der Beschreibung in natürlichen Koordinaten ist zu beachten, dass die t-Koordinate in Bahnrichtung und die n-Koordinate vom Massenpunkt P zum lokalen Krümmungsmittelpunkt M der Bahn zu orientieren ist. Außerdem ist die Summe der Kraftkoordinaten in Binormalenrichtung stets null. 4. Anschließend liegen die Koordinaten des Beschleunigungsvektor a vor. Daraus folgen durch Integration unter Beachtung der Anfangsbedingungen der Geschwindigkeits- und Ortsvektor des Punktes in Abhängigkeit der Zeit t. Verwendet man Zylinder- oder natürliche Koordinaten ist zu beachten, dass es nicht genügt die Koordinaten zu integrieren, da für diese Koordinatensätze die Basisvektoren lokale Basisvektoren sind. Die Integrationen kann man in einfachen Fällen formelmäßig durchführen, in allen anderen Fällen nimmt man eine numerische Lösung vor.

Kreisbahn am besten in Zylinder- oder in natürlichen Koordinaten beschreiben lassen, richtig ist. Als Anwendungsbeispiel betrachten wir anschließend eine Skateboardfahrer in der Halfpipe und fragen nach der Kraft, die auf die Halfpipe ausgeübt wird.

Direkte und inverse Kinetik Am Ende der Anwendung des Impulssatzes hat man den Zusammenhang zwischen den auf den Massenpunkt wir-

187

Technische Mechanik

8.1

188

8 Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

Technische Mechanik

Beispiel: Bewegung auf einer Kreisbahn Welche Kräfte wirken auf eine Kugel, die an einem Faden geführt ist? Problemanalyse und Strategie: Eine Kugel (Masse m) bewegt sich reibungsfrei auf einer horizontalen Unterlage. Sie ist an einem Faden (Länge R) befestigt und soll sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ϕ˙ = ω0 auf der Kreisbahn bewegen. Für den Drehwinkel gilt deshalb ϕ(t) = ϕ0 + ω0 t, wobei ϕ0 = 0 gesetzt werden kann.

2. Impulssatz in Zylinderkoordinaten: Für die kinematischen Größen gilt ρ = R = konst. ϕ˙ = ω0 = konst. z = 0 = konst.

ρ¨ = 0 , ϕ¨ = 0 , z¨ = 0 .

Damit liefert der Impulssatz in Zylinderkoordinaten

−mRω02 = −FZ ,

g

=⇒ =⇒ =⇒

0 = 0,

0 = FN − mg .

R

3. Impulssatz in natürlichen Koordinaten: Für die kinematischen Größen gilt

m

ω0

Die Kräfte folgen durch Anwendung des Impulssatzes auf die freigeschnittene Masse. Es soll gezeigt werden, dass alle Formulierungen des Impulssatzes zum selben Ergebnis führen, sich aber im Rechenaufwand unterscheiden.

v = ω0 R = konst.

=⇒

v˙ = 0 ,

κ = 1/R

=⇒

κv2 = ω02 R .

Damit liefert der Impulssatz in natürlichen Koordinaten: eb

ez

ez

mg ey

FZ φ

mg eφ

FZ φ

r

mg



r

FN

et

FZ en

r

FN

FN

ex 1. kartesische Koordinaten

2. Zylinderkoordinaten

3. natürliche Koordinaten

0 = 0,

mω02 R = FZ ,

0 = FN − mg

Lösung: 1. Impulssatz in kartesischen Koordinaten: Für die kinematischen Größen gilt x = R cos ω0 t

=⇒

x¨ = −ω02 R cos ω0 t ,

y = R sin ω0 t z = 0 = konst.

=⇒ =⇒

y¨ = −ω02 R sin ω0 t , z¨ = 0 .

Damit liefert der Impulssatz in kartesischen Koordinaten

−mω02 R cos ω0 t = −FZ cos ω0 t , −mω02 R sin ω0 t = −FZ sin ω0 t , 0 = FN − mg .

Alle Formen des Impulssatzes liefern natürlich dasselbe Ergebnis FZ = mω02 R ,

FN = mg

für die auf den Massenpunkt wirkenden Kräfte, aber die Auflösung des Gleichungssystem ist für kartesische Koordinaten am aufwendigsten. Wie erwartet ist die Zentripetalkraft wegen FZ > 0 nach innen gerichtet; nach dem Gegenwirkungsprinzip wirkt auf den Faden eine nach außen gerichtete Kraft, die ihn auf Zug belastet.

Drall und Drallsatz

Beispiel: Ein Skateboardfahrer in der Halfpipe Welche Kräfte übt ein Skateboardfahrer bei seiner Fahrt in der Halfpipe (Kreis mit Radius R) auf die Bahn aus? Wir nehmen an, dass der Skateboardfahrer am höchsten Punkt der Halfpipe ohne Anfangsgeschwindigkeit startet und vernachlässigen Reibungskräfte.

der Kettenregel die doppelte Zeitableitung um:

Da nach Kräften gefragt ist, beginnen wir mit dem Freischnitt des punktförmig angenommenen Skateboardfahrers.

Damit können wir die Tangentialkoordinate in der Form

ϕ¨ =

d d ϕ˙ dϕ d ϕ˙ ϕ˙ ( ϕ(t) = = ϕ˙ dt dϕ dt dϕ

ϕ˙

φ R FN

schreiben und durch Trennen der Variablen und nachfolgende Integration

mg

Der Impulssatz in Polarkoordinaten liefert die beiden Gleichungen

−mR ϕ˙ 2 = −FN + mg sin ϕ , mR ϕ¨ = mg cos ϕ . Die Radialkoordinate des Impulssatzes können wir zur Berechnung der gesuchten Normalkraft FN benutzen: FN = m(g sin ϕ + R ϕ˙ 2 ) . Wir müssen aber noch die Winkelgeschwindigkeit ϕ˙ bestimmen. Dazu steht uns die Tangentialkoordinate des Impulssatzes zur Verfügung. Um den Zusammenhang ϕ˙ = ϕ˙ ( ϕ) herstellen zu können, formen wir mit

kenden Kräften und seiner Beschleunigung hergestellt. Unter dem Oberbegriff direkte Kinetik fasst man die Aufgabenstellungen zusammen, in denen aus bekannten Kräften die Bewegung des Massenpunktes berechnet werden soll. Ausgehend von der aus dem Impulssatz folgenden Beschleunigung erhält man durch zwei hintereinander ausgeführte Integrationen unter Beachtung der Anfangsbedingungen die Geschwindigkeit und Lage des Massenpunktes als Funktion der Zeit. Ist dagegen umgekehrt der Bewegungsverlauf als Funktion der Zeit bekannt, so kann man zunächst durch Differenziation die Absolutbeschleunigung berechnen und anschließend über den Impulssatz bestimmen, welche Kräfte auf den Massenpunkt einwirken müssen, um den vorgegebenen Bewegungsverlauf zu erzwingen. Dies ist die Aufgabenstellung der inversen Kinetik.

g d ϕ˙ = cos ϕ dϕ R

ϕ˙ 0

g ϕ¯˙ d ϕ¯˙ = R



cos ϕ¯ d ϕ¯

0

ausgehend von der Anfangsbedingung ϕ˙ (0) = 0 die Winkelgeschwindigkeit  ϕ˙ ( ϕ) =

2

g sin ϕ R

in geschlossener Form berechnen. Die Normalkraft hat damit den Verlauf FN ( ϕ) = 3mg sin ϕ und nimmt insbesondere für ϕ = π/2, also am tiefsten Punkt der Bahn, den Maximalwert FN,max = 3mg an.

8.2

Drall und Drallsatz

Der Impulssatz liefert die Aussage, dass die Translationsgeschwindigkeit eines Massenpunktes sich ändert, wenn eine Kraft auf ihn einwirkt. Wir klären nun die Frage, welche mechanische Größe durch Momente beeinflusst wird.

Drall eines Massenpunktes Für das Moment einer Kraft F, deren Wirkungslinie durch den Punkt P geht, bezüglich eines Bezugspunktes O wurde in der Statik gezeigt, dass es sich aus dem Vektorprodukt M (O) = rOP × F

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Technische Mechanik

8.2

190

8 Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

Drallsatz für einen Massenpunkt

M(O) = rOP × F

Technische Mechanik

Wirkungslinie von F

O

Bis jetzt ist das Wort Drall nur eine Abkürzung für das Vektorprodukt aus Ortsvektor und Impuls. Die Bedeutung des Dralls für die Mechanik und sein Zusammenhang zum Moment wird erst deutlich, wenn man die Definition des Dralls nach der Zeit t differenziert. Durch die folgenden Umformungen kann eine Verbindung zum Moment der Kraft, die auf den Massenpunkt wirkt, aufgezeigt werden:

F

rOP P

Abb. 8.1 Moment einer Kraft bezüglich eines Punktes O

berechnen lässt. Der Ortsvektor rOP ist vom Bezugspunkt O zum Kraftangriffspunkt P gerichtet (Abb. 8.1). Auch der Drall eines Punktes ist durch ein Vektorprodukt definiert, das aber anstelle der Kraft F den Impuls p = mv enthält: Drall für einen Massenpunkt bezüglich eines Punktes O:

Bewegt sich ein Massenpunkt P der Masse m mit der Geschwindigkeit v, so besitzt er den Impuls p = mv. Das Vektorprodukt L(O) = rOP × p = m rOP × v aus Ortsvektor und Impuls wird als Drall des Massenpunktes bezüglich des Punktes O bezeichnet. Dabei ist der Ortsvektor rOP vom Bezugspunkt O zum Massenpunkt P gerichtet. Aufgrund der Definition des Vektorprodukts ist der Drall ein Vektor, der auf den beiden Vektoren rOP und v senkrecht steht (Abb. 8.2).

Da der Ortsvektor rOP vom gewählten Bezugspunkt O abhängt, hängt auch der Drall vom Bezugspunkt ab. Man muss deshalb, wie schon beim Moment, beispielsweise durch einen oberen Index angeben, auf welchen Bezugspunkt der Drall sich bezieht. Neben der Namensgebung Drall sind auch die Bezeichnungen Drehimpuls und Impulsmoment gebräuchlich, die den mechanischen Sachverhalt treffender beschreiben als die der Umgangssprache entnommene Bezeichnung Drall.

L

(O)

rOP

p = mv v

Bahn

0

= rOP × (ma) = rOP × F

(Schritt 5) (Schritt 6)

= M (O)

(Schritt 7)

Ausgehend von der Definition des Dralls wurden zunächst beide Gleichungsseiten nach der Zeit differenziert (Schritt 1) und die zeitkonstante Masse vor das Differenziationssymbol gezogen (Schritt 2). In Schritt 3 wurde zunächst die Produktregel der Differenziation benutzt; in den dabei entstehenden beiden Summanden treten dann die Geschwindigkeit bzw. Beschleunigung des Massenpunktes auf. Wegen der Vektoridentität v × v = 0 verschwindet der erste Summand (Schritt 4). Beim Übergang von Schritt 5 nach Schritt 6 ist besonders zu beachten, dass diese Umformung an die zusätzliche Voraussetzung gebunden ist, dass a die Absolutbeschleunigung ist. Denn nur dann kann nach dem Impulssatz das Produkt ma der Kraft F auf den Massenpunkt gleichgesetzt werden (Schritt 6). Im letzten Schritt 7 kann abschließend das Vektorprodukt r × F als das Moment der Kraft bezüglich des Punktes O identifiziert werden. Drallsatz für einen Massenpunkt bezüglich eines festen Punktes O:

= rOP × p

O

(Definition des Dralls) L(O) = m rOP × v d d (O) L m rOP × v = (Schritt 1) dt dt d rOP × v =m (Schritt 2) dt a v  dr   dv OP (Schritt 3) =m × v + rOP ×  dt dt =m v × v +r × a (Schritt 4) ! "# $ OP

m

Abb. 8.2 Drall eines Massenpunktes bezüglich eines Punktes O

Die zeitliche Änderung des Dralls eines Massenpunktes P bezüglich eines festen Punktes O ist gleich dem Moment der resultierenden Kraft F auf den Massenpunkt bezüglich desselben Punktes O: dL(O) = rOP × F = M (O) . dt

Drall und Drallsatz

Beispiel: Rotierende Kugel, die an einem Faden in ein Loch gezogen wird Wir greifen dazu das Beispiel Bewegung auf einer Kreisbahn wieder auf, lassen aber jetzt zusätzlich zu, dass der Faden im Zentrum der Kreisbewegung in ein Loch gezogen wird. Zu Beginn soll sich der Massenpunkt auf dem Radius r0 mit der Winkelgeschwindigkeit ω0 bewegen. Welche Winkelgeschwindigkeit hat der Massenpunkt, wenn er durch den Faden auf einen Kreis mit Radius r gezogen worden ist? Wie verändert sich dabei die Zentripetalkraft? Problemanalyse und Strategie: Wir können den Freischnitt unverändert von Beispiel Bewegung auf einer Kreisbahn übernehmen; Gewichtskraft mg und Normalkraft FN heben sich gegenseitig auf, sodass wir im Folgenden nur noch die Zentripetalkraft FZ betrachten müssen. Wir lösen die Aufgabe mit dem Drallsatz; die entscheidende Erleichterung wird sein, dass der Drall konstant ist. eb

mg et

FZ en

r FN = mg

Die zeitliche Änderung des Dralls steht deshalb immer senkrecht auf den beiden Vektoren rOP und F (Abb. 8.3).

Lösung: Die Zentripetalkraft ist antiparallel zum Ortsvektor gerichtet; das Vektorprodukt der beiden Vektoren ist also null. Damit bleibt nach dem Drallsatz der Drall während der Bewegung konstant. Bei der Kreisbewegung hat der Drallvektor nur eine Komponente, die senkrecht zur Bewegungsebene steht. Zu Beginn hat der Massenpunkt die Winkelgeschwindigkeit ω0 und befindet sich im Abstand r0 , sein Drall beträgt al(O)

so L0 = mω02 r0 . Wenn der Massenpunkt im Abstand r kreist, besitzt er den Drall L(O) = mω 2 r. Da der Drall konstant ist, folgt durch Gleichsetzen ω = ω0

0

r

.

Die Translationsgeschwindigkeit beträgt dann v = ωr = v0

r0 . r

Der Impulssatz in natürlichen Koordinaten lieferte Beispiel Bewegung auf einer Kreisbahn für die Zentripetalkraft  r 4  r 3 0 FZ = mω 2 r = mrω0 = FZ0 0 , r r wobei im letzten Schritt ausgenutzt wurde, dass zu Beginn die Zentripetalkraft FZ0 = mω02 r0 beträgt. Man erkennt daran, dass die Zentripetalkraft umgekehrt proportional zur dritten Potenz des Abstands ist.

dL(O) = M(O) = rOP × F dt F = ma a

rOP

O

Im Drallsatz muss der Bezugspunkt ein Fixpunkt sein

 r 2

Bahn

m

Abb. 8.3 Drallsatz für einen Massenpunkt

Bei der Definition des Dralls durfte der Bezugspunkt O ein beliebiger Punkt sein. Dagegen muss im Drallsatz dL(O)

(O) der Bezugspunkt O ein Fixpunkt, d. h. ein dt = M örtlich und zeitlich unveränderlicher Punkt sein, da nur dann die Ableitung dv dt die Absolutbeschleunigung a liefert und damit in der weiteren Herleitung das Produkt ma nach dem Impulssatz durch die Kraft F ersetzt werden kann.

Bei der Behandlung des Dralls eines ausgedehnten Körpers in Abschn. 10.3 wird aber gezeigt werden, dass auch bezüglich des Körperschwerpunktes der Drallsatz die

oben angegebene Form annimmt und welche Zusatzterme auftreten, wenn man im Drallsatz andere Bezugspunkte wählt.

Für einen Massenpunkt ist der Drallsatz keine eigenständige Gleichung Vorne wurde ausgehend von der Definition des Dralls durch Differenziation nach der Zeit der Drallsatz herge-

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Technische Mechanik

8.2

192

8 Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

Technische Mechanik

leitet, wobei der letztlich entscheidende Zusammenhang zum Moment durch den Impulssatz hergestellt wurde. Arbeitet man die Schritte in umgekehrter Reihenfolge ab, kann der Drallsatz aus dem Impulssatz hergeleitet werden. Für einen Massenpunkt ist der Drallsatz daher keine eigenständige Vektorgleichung, sondern zwangsweise erfüllt, wenn der Impulssatz erfüllt ist. Die Bewegung eines Massenpunktes ist damit bereits durch den Impulssatz vollständig beschrieben. Die Bedeutung des Drallsatzes für den Massenpunkt liegt darin, dass sich gewisse Fragestellungen damit einfacher als mit dem Impulssatz beantworten lassen. Als Beispiel beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Fadenkraft an einer rotierenden Kugel angreift, die in ein Loch gezogen wird.

8.3

z

P = (x, y, z)

Bahn

mg

P0 = (x0, y0, z0)

y

x

Relativkinetik des Massenpunktes

Abb. 8.4 Arbeit der Gewichtskraft

In der Absolutbeschleunigung ausgedrückt lautet der Impulssatz maabs = ∑i F i . Einsetzen von aabs = aFhg + arel + aCor (vgl. Abschn. 7.6) und Umstellen führt auf eine alternative Darstellung des Impulssatzes, in der statt der Absolut- die Relativbeschleunigung auftritt: marel = F Fhg + F Cor + ∑ F i .

definiert ist (Abschn. 6.1). Das Kurvenintegral

W=

2 

dW =

1

r2

F · dr

r1

i

Dabei sind: F Cor = −maCor = −2mωF × vrel , F Fhg = −maFhg

= −maF − mω˙ F × rFP − mωF × (ωF × rFP ) . Das Ergebnis lässt sich wie folgt deuten: Formuliert man den Impulssatz nicht in einem Inertialsystem, sondern in einem bewegten Bezugssystem, müssen zu den objektiven Kräften ∑i F i noch die Führungskraft F Fhg und die Corioliskraft F Cor als sogenannte Scheinkräfte hinzugefügt werden. Eine Aufgabe mit dem Impulssatz im mitbewegten System zu lösen, empfiehlt sich dann, wenn sich die Bahn des Massenpunktes P relativ zum Führungssystem KF und die Bahn von KF relativ zum Inertialsystem KI getrennt voneinander einfacher beschreiben lassen als die überlagerte Bahn, die der Massenpunkt P relativ zum Inertialsystem KI beschreibt.

8.4

Arbeit, Leistung und Energie

Wir übernehmen aus dem Statik-Teil des Buchs die Aussage, dass das Arbeitsdifferenzial durch dW = F · dr

liefert dann die gesamte Arbeit, die die Kraft F am Mas1 senpunkt verrichtet, wenn sich dieser vom Raumpunkt 2 bewegt hat. zum Raumpunkt Frage 8.1 Wie vereinfacht sich das Wegintegral, wenn sich die Kraft F längs des Weges nicht ändert? Wann ist die Arbeit positiv, wann ist sie negativ? Kann die Arbeit auch null sein, obwohl weder Kraft noch Verschiebung null sind?

Als Beispiele betrachten wir im folgenden zwei Kräfte, deren Arbeit für viele Anwendungen besonders hilfreich ist. Wir beginnen mit der Arbeit der Gewichtskraft (Abb. 8.4). Führen wir ein Koordinatensystem ein, dessen z-Achse entgegen der Schwerkraftrichtung orientiert ist, so gelten in diesem Koordinatensystem die Koordinatendarstellungen G = [0,0, −mg]T und dr = [dx, dy, dz]T . Das Arbeitsdifferenzial ist dW = F · dr = −mgdz und wir erhalten für die bei der Verschiebung von der Schwerkraft verrichtete Arbeit WG = −mg

z z0

d¯z = −mg(z − z0 ) .

Arbeit, Leistung und Energie

Beispiel: Bewegung einer Kugel in einer kreisförmigen Nut Ein rotierendes System bestehend aus einer Stange und einem Kreisring dreht sich in einer horizontalen Ebene. In der Führung bewegt sich reibungsfrei ein Massenpunkt P (Masse m). Im betrachteten Moment dreht sich die Anordnung mit der Winkelgeschwindig˙ Der keit ω und erfährt die Winkelbeschleunigung ω. Massenpunkt bewegt sich momentan mit der Translationsgeschwindigkeit vrel . Gesucht ist die Normalkraft, die in der Bewegungsebene auf den Massenpunkt wirkt. Zusätzlich wirkt auf den Massenpunkt eine senkrecht zur Bewegungsebene stehende Normalkraft, die sich aber aus dem statischen Gleichgewicht unmittelbar zu mg ergibt. Problemanalyse und Strategie: Wenn wir den Ursprung des Führungssystems KF in den Kreismittelpunkt M und den Ursprung des Inertialsystems KI in den Lagerpunkt A legen, dann lässt sich sowohl die Bahn des Massenpunktes P relativ zum Führungssystem KF (Kreis mit Radius R) als auch die Bahn des Führungssystems KF relativ zum Inertialsystem KI (Kreis mit Radius 2R) mit den Gesetzen aus Abschn. 7.5 auf einfache Weise kinematisch beschreiben. P vr

m yF

M

R

yI R A

vrel = −vrel exF ,

arel = −v˙ rel exF −

v2rel F e . R y

Die Bahn des Führungssystems KF relativ zum Inertialsystem KI ist ein Kreis mit Radius 2R. Deshalb gilt für die kinematischen Größen der Führungsbewegung vF = ω · 2ReyF ,

aF = ω˙ · 2ReyF − ω 2 · 2RexF .

˙ z sowie rFP = ReyF erhält ˙ F = ωe Mit ωF = ωez und ω man für die auf der rechten Seite des Impulssatzes stehenden Scheinkräfte die Ausdrücke: F Cor = −2mωF × vrel = 2mωvreleyF , F Fhg = −maF − mω ˙ F × ReyF − mωF × (ωF × ReyF )

= mR(2ω 2 + ω˙ )exF − mR(2ω˙ − ω 2 )eyF . In der Bewegungsebene wirkt als einzige objektive Kraft auf den Massenpunkt eine Normalkraft FN , die wir nach innen, also entgegen dem Basisvektor eyF orientiert annehmen:

∑ Fi = −FN eyF . xF

ω, ω

schleunigung setzt sich aus der Tangentialbeschleunigung v˙ rel , gerichtet entgegen dem Basisvektor exF , und der nach innen, also entgegen dem Basisvektor eyF gerichteten Normalbeschleunigung v2rel /R zusammen:

xI

Lösung: Die Bahn des Massenpunktes P relativ zum Führungssystem KF ist ein Kreis mit Radius R, der mit der Geschwindigkeit vrel durchlaufen wird. Die Relativgeschwindigkeit ist tangential zur Bahn, also entgegen dem Basisvektor exF gerichtet. Die Relativbe-

i

Der Impulssatz im mitbewegten System liefert damit: m(−v˙ rel ) = mR(2ω 2 + ω˙ ) ,   v2rel = −mR(2ω˙ − ω 2 ) + 2mωvrel − FN . m − R Das sind zwei Gleichungen für die beiden Unbekannten v˙ rel und FN . Durch Auflösen folgt: v˙ rel = −R(2ω 2 + ω˙ ) , & % v2rel 2 ˙ − ω ) + 2ωvrel . FN = m − R(2ωR R

Wir fassen das Ergebnis zusammen: Masse die Arbeit Arbeit der Gewichtskraft

Wird eine Masse m um die Höhendifferenz z − z0 bewegt, so verrichtet dabei die Gewichtskraft an der

WG = −mg(z − z0 ) . Dabei ist die z-Achse entgegen der Schwerkraftrichtung, also vertikal nach oben orientiert.

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Technische Mechanik

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8 Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

Technische Mechanik

Übersicht: Anwendungsschema zur Berechnung der Arbeit Die Arbeit ist formal über ein Kurvenintegral definiert. Im folgenden Anwendungsschema ist aber gezeigt, dass man in vielen technisch wichtigen Sonderfällen mit einem geringeren mathematischen Aufwand ans Ziel kommt. Um die Arbeit der auf den Körper wirkenden Kräfte zu berechnen, empfiehlt es sich in folgenden Schritten vorzugehen: 1. Körper freischneiden, alle Kräfte auf den Körper einzeichnen. 2. Reaktionskräfte müssen Sie nicht berücksichtigen, denn sie leisten keine Arbeit! Aus der Statik ist bekannt, dass sich die auf einen Körper wirkenden Kräfte in eingeprägte Kräfte F e und Reaktionskräfte F r einteilen lassen. Reaktionskräfte leisten keine Arbeit, da die differenzielle Verschiebung stets senkrecht zur Kraft steht. Das einfachste Beispiel ist die Normalkraft bei Gleitreibung, die nach Definition diejenige Komponente der Berührkaft ist, die normal zur Berührebene und damit auch normal zum Wegdifferenzial steht.

c

FF

FF

s

Abb. 8.5 Arbeit beim Dehnen einer Feder

3. Im Sonderfall, dass die Kraft sich längs des Weges nicht ändert und ihre Wirkungslinie stets gleichsinnig parallel, orthogonal oder gegensinnig parallel zum Verschiebungsdifferenzial dr steht, berechnet sich die Arbeit aus: ⎧ ⎪ ⎨ F · Δr12 falls F ↑↑ dr , W= 0 falls F ⊥ dr , ⎪ ⎩−F · Δr 12 falls F ↑↓ dr . 4. In den anderen Fällen berechnen Sie zunächst das Arbeitsdifferenzial dW = F · dr. Führen Sie dafür ein günstig gewähltes Koordinatensystem ein und werten Sie das Skalarprodukt aus. Lösen Sie anschließend das Wegintegral; häufig kommt man dabei mit dem Integralbegriff aus, der aus den Grundlagenvorlesungen der Mathematik bekannt ist. 5. Falls auf den Massenpunkt mehrere eingeprägte Kräfte wirken, so wiederholen sie das Vorgehen für jede eingeprägte Kraft. Die von allen Kräften verrichtete Arbeit ist dann die Summe der Einzelarbeiten.

Es ist für die Anwendungen zweckmäßiger, unter der Arbeit der Federkraft nicht die an der Feder, sondern die am Körper verrichtete Arbeit zu verstehen. Wir müssen dann das Arbeitsdifferenzial dWF = −c(s − s0 )ds mit negativem Vorzeichen ansetzen und erhalten durch Integration: s

WF = −c (s¯ − s0 ) d¯s Das Ergebnis zeigt: Zwei Bahnen führen zu demselben Ergebnis für die Arbeit, sobald die Differenz der z-Werte von Anfangs- und Endpunkt der Bahn dieselbe ist. Für das Ergebnis spielt die konkrete Form der Bahnkurve zwischen diesen Punkten keine Rolle. Als weiteres Beispiel betrachten wir die Arbeit der Federkraft. In Abb. 8.5 ist ein Körper dargestellt, an dem eine Feder (Federkonstante c, ungespannte Federlänge s0 ) befestigt ist. Wir führen eine nach rechts gerichtete Koordinate s ein, um die Verlängerung Δs = s − s0 angeben zu können. Die durch die Federkraft FF = c(s − s0 ) an der Feder verrichtete Arbeit ist positiv, da Kraft und Verschiebung ds gleichsinnig parallel sind. Dagegen ist die am Körper verrichtete Arbeit negativ, da nach dem Gegenwirkungsprinzip die auf den Körper wirkende Federkraft nach links orientiert ist.

s0

s 1 1 = − c (s¯ − s0 )2 = − c(s − s0 )2 . 2 2 s0 Wir fassen das Ergebnis zusammen: Arbeit der Federkraft

Wird die Länge einer Feder (Federkonstante c, ungespannte Federlänge s0 ) um die Strecke Δs = s − s0 verändert, so verrichtet die Federkraft am Körper die Arbeit 1 1 WF = − c Δs = − c(s − s0 )2 . 2 2

Arbeit, Leistung und Energie

Beispiel: Eine Kiste auf einer Rutsche Eine Kiste (Masse m) rutscht um eine Strecke S entlang einer schiefen Ebene (Neigungswinkel α). Zwischen Kiste und Ebene tritt Gleitreibung (Gleitreibungskoeffizient μ) auf. Welche Arbeit leisten alle auf die Kiste wirkenden Kräfte? Problemanalyse und Strategie: Wir schneiden die Kiste zunächst frei. Neben der Gewichtskraft wirken die Normalkraft FN sowie die Reibkraft FR . Den Start0 und Endpunkt der Bewegung kennzeichnen wir mit 1. bzw. z 0

mg

μ

1. Die Arbeit der Normalkraft ist null, da sie eine Reaktionskraft ist: WN = 0 2. Die Gleitreibungskraft FR = μFN = μmg cos α ist während der Bewegung konstant und entgegen der Bewegungsrichtung gerichtet; die von ihr während des Rutschwegs S verrichtete Arbeit ist daher: WR = −FR · S = −μmgS cos α 3. Für die Arbeit der Gewichtskraft erhalten wir ausgehend von WG = −mg(z1 − z0 ) das Ergebnis WG = −mg(−S sin α − 0) = mgS sin α ,

S

FN

dr 1

FR

α

Lösung: Wir betrachten die einzelnen Kräfte nacheinander und zählen anschließend die Einzelarbeiten zusammen:

wobei wir die nach oben gerichtete z-Koordinate vom Anfangspunkt der Bewegung aus gemessen haben. 0 zum 4. Während der Bewegung vom Startpunkt 1 leisten alle Kräfte zusammen die ArEndpunkt beit W01 = WN + WR + WG = mgS(sin α − μ cos α) .

Das Ergebnis wurde am Sonderfall hergeleitet, dass die Feder nur in Richtung der Feder gedehnt oder gestaucht wurde. Da die Federkraft aber stets parallel zur Längsrichtung der Feder ist, gilt das Ergebnis auch dann, wenn sich die Federenden auf irgendeiner Bahn bewegen.

Dämpfungskräfte. Konservative Kräfte lassen sich von einem Potenzial ableiten, das durch Epot = −W definiert ist. Wichtige Potenziale sind:

Frage 8.2 Ändert sich das Vorzeichen der Arbeit der Federkraft, wenn man eine Feder dehnt oder staucht?

Bei konservativen Kräften besteht zwischen der Arbeit W und dem Potenzial Epot nach Definition der Zusammenhang Epot = −W. Wichtige Beispiele für Potenziale sind:

Konservative Kräfte und Potenzial einer Kraft Verschiebt sich der Angriffspunkt einer Kraft, so wird dabei im Allgemeinen eine Arbeit verrichtet. Eine Kraft heißt konservativ, wenn die Arbeit nur vom Anfangs- und Endpunkt der Bahn abhängt, aber nicht von der Form der Bahn zwischen den Punkten. Wie die oben angegebenen Ergebnisse zeigen, sind die Gewichtskraft und die Federkraft konservative Kräfte. Zu den nichtkonservativen Kräften zählen alle Widerstands-, Reibungs- und

Potenzial der Gewichtskraft und der Federkraft

Potenzial der Gewichtskraft: Epot = mg(z − z0 ) 1 Potenzial der Federkraft: Epot = c(s − s0 )2 2

Arbeits- und Energiesatz Mit der Arbeit haben wir im vorigen Abschnitt eine mechanische Größe kennengelernt, die als Maß dafür dienen kann, wieviel Aufwand erforderlich ist, um z. B. eine

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Technische Mechanik

8.4

196

8 Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

Technische Mechanik

Feder zu spannen oder ein Gewicht anzuheben. Jetzt wenden wir uns der Frage zu, welche mechanische Größe durch die verrichtete Arbeit verändert wird. Dazu beginnen wir mit dem Impulssatz m dv dt = F und multiplizieren beide Seiten skalar mit dem Wegdifferenzial dr. Wir erhalten zunächst: m

dv · dr = F · dr dt

Frage 8.3 Wie vereinfacht sich der Arbeitssatz im Sonderfall der Statik? Eine besonders einfache Form nimmt der Arbeitssatz an, wenn alle Kräfte ein Potenzial besitzen. Für konservative Kräfte gilt nämlich dW = −dEpot , sodass durch Integration

Setzt man den kinematischen Zusammenhang dr = v dt ein und integriert, so folgt: v1

r1

v0

r0

v · dv =

m

F · dr

Wir haben dabei angenommen, dass die Masse in den beiden Bahnpunkten r0 und r1 die Geschwindigkeit v0 und v1 besitzt. Der auf der rechten Seite stehende Integralausdruck stellt die Arbeit W01 dar, die von der Kraft verrichtet wird, während ihr Angriffspunkt vom Anfangspunkt r0 zum Endpunkt r1 verschoben wurde. Für das links stehende Integral erhält man zunächst: v1

v · dv =

m v0

1 1 m v1 · v1 − v0 · v0 = m v21 − v20 ) (8.1) 2 2

Der auf der rechten Gleichungsseite entstehende Ausdruck gibt Anlass zu folgender Definition: Kinetische Energie einer Punktmasse

Bewegt sich ein Punkt der Masse m mit der Geschwindigkeit v, so ist in ihm die kinetische Energie Ekin

1 = mv2 2

gespeichert. Damit entspricht die rechte Seite von (8.1) gerade der Differenz der kinetischen Energien. Damit haben wir die Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage gefunden: Wenn Arbeit an einem mechanischen System verrichtet wird, ändert sich die kinetische Energie des Systems. Dies ist die Aussage des Arbeitssatzes der Mechanik: Arbeitssatz der Mechanik

Die Arbeit, die Kräfte an einem Massenpunkt zwischen zwei Bahnpunkten verrichten, ist gleich der Änderung der kinetischen Energie des Massenpunktes:

W01 =

1

dW = −

0

1

dEpot = −(Epot1 − Epot0 )

0

folgt. Durch Einsetzen in den Arbeitssatz erhält man Ekin1 − Ekin0 = Epot0 − Epot1 , was sich durch Umstellen auch als Ekin1 + Epot1 = Ekin0 + Epot0 schreiben lässt. Dies ist die Aussage des Energiesatzes der Mechanik: Energiesatz der Mechanik

Besitzen alle eingeprägten Kräfte, die auf einen Körper wirken, ein Potenzial, so bleibt bei der Bewegung des Körpers die Summe aus potenzieller und kinetischer Energie konstant: Ekin1 + Epot1 = Ekin0 + Epot0 = konst.

Die Anwendung des Energiesatzes bzw. des Arbeitssatzes empfiehlt sich immer dann, wenn die Geschwindigkeit in Abhängigkeit des Weges gesucht ist.

8.5

Massenpunktsysteme

Wir wollen nun ein Massenpunktsystem, also einen Verbund von einzelnen Punktmassen besprechen. Abbildung 8.6 zeigt das Massenpunktsystem im freigeschnittenen Zustand. Auf einen Massenpunkt mi wirkt zum einen eine äußere Kraft F i , die die Umgebung auf ihn ausübt;

mk

mi Fij Fi

Fji

ri O

Ekin1 − Ekin0 = W01 . Abb. 8.6 Massenpunktsystem

mj

Massenpunktsysteme

Beispiel: Arbeit der Zentripetalkraft, wenn eine kreisende Kugel in ein Loch gezogen wird In Beispiel Rotierende Kugel, die an einem Faden in ein Loch gezogen wird hatten wir das Beispiel einer Kugel behandelt, die sich auf einer Kreisbahn bewegt und mit einem Faden nach innen gezogen wird. Welche Arbeit verrichtet die Zentripetalkraft an der Kugel? Problemanalyse und Strategie: Von Beispiel Bewegung auf einer Kreisbahn ist uns bekannt, wie sich die Geschwindigkeit v = v(r) und die Zentripetalkraft FZ = FZ (r) in Abhängigkeit des Abstands r ändern. Darauf aufbauend können wir die Arbeit der Zentripetalkraft auf zwei verschiedene Arten berechnen: durch Lösen des Arbeitsintegrals oder mithilfe des Arbeitssatzes. Beide Lösungswege führen natürlich zum gleichen Ergebnis, unterscheiden sich aber im Aufwand. Lösung: Nach dem Arbeitssatz ist die von der Zentripetalkraft an der Kugel verrichtete Arbeit gleich der Differenz der kinetischen Energien der Kugel. Zu Beginn kreist die Kugel im Abstand r0 mit der Geschwindigkeit v0 ; wenn sich der Abstand auf r verändert hat, ist die Geschwindigkeit v = v0 rr0 . Für die Arbeit folgt dann:    r0 2 1 1 W = m(v2 − v20 ) = mv20 −1 2 2 r

sie steht für die Resultierende der Gewichtskraft sowie aller Lagerkräfte. Zum anderen wirken auch Kräfte zwischen den Massenpunkten. Sie können ihre Ursache in der Massenanziehungskraft haben oder durch Freischnitt entstanden sein, z. B. wenn zwei Massenpunkte vor dem Freischnitt durch eine Feder verbunden waren. Wir bezeichnen mit F ij die Kraft, die vom Massenpunkt mj auf den Massenpunkt mi ausgeübt wird. Nach dem Gegenwirkungsprinzip gilt dann F ji = −F ij . Unser Ziel ist es, den bislang für den einzelnen Massenpunkt formulierten Impuls- und Drallsatz auf ein Massenpunktsystems zu verallgemeinern und anschaulich zu deuten. Wie in Abschn. 8.1 angegeben, ist pi = mi vi der Impuls eines einzelnen Massenpunktes mi , der sich mit der Geschwindigkeit vi bewegt. Wir definieren den Gesamtimpuls p=

n

n

i=1

i=1

∑ pi = ∑ mi vi

(8.2)

Für die Alternativlösung mit dem Arbeitsintegral müssen wir beachten, dass die nach innen gerichtete Zentripetalkraft entgegen der Radialkoordinate r gerichtet ist, sodass dW = −FZ (r)dr ist. Mit FZ (r) = m

v2 1 = mv20 r20 3 r r

ergibt sich die Arbeit durch Integration zu: W=−

r

FZ (r¯ ) d¯r =

r0

  1 r = −mv20 r20 − 2 2¯r r0

r

1 d¯r r¯ 3 r0    r0 2 1 = mv20 −1 2 r

−mv20 r20

Das Beispiel zeigt deutlich, dass sich diese Aufgabenstellung mit dem Arbeitssatz viel eleganter lösen lässt, da man die Integration „schon hinter sich hat“. Wenn man die Kugel nach innen zieht, erhält man wegen r < r0 für die Arbeit ein positives Vorzeichen. Dies zeigt, dass dem System „kreisende Kugel“ Energie zugeführt wird. Dies passt zum Ergebnis von Beispiel Rotierende Kugel, die an einem Faden in ein Loch gezogen wird, das ergab, dass die Kugel sich auf kleineren Radien mit höherer Geschwindigkeit bewegt.

eines Massenpunktsystems aus n Massenpunkten als Summe der Einzelimpulse. Aus der Statik ist bekannt, dass der Massenschwerpunkt eines Systems von n Massenpunkten durch den Ortsvektor rS =

1 n mi r i , m i∑ =1

m=

n

∑ mi

i=1

angegeben werden kann. Für die Summe auf der rechten Gleichungsseite von (8.2) gilt deshalb ∑ni=1 mi vi = mvS . Das Ergebnis p = mvS sagt daher aus, dass der Gesamtimpuls eines Massenpunktsystems gleich dem Produkt aus seiner Gesamtmasse und der Geschwindigkeit seines Schwerpunktes ist. An jedem Massenpunkt greifen genau n Kräfte an, nämlich die äußere Kraft F i sowie (n − 1) Kräfte F ij , i = j aufgrund der Wechselwirkung des Massenpunktes mit seinen (n − 1) Nachbarpunkten. Der Impulssatz für einen

197

Technische Mechanik

8.5

198

8 Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

einzelnen Massenpunkt liefert deshalb

Technische Mechanik

Die Herleitung des Drallsatzes für ein Massenpunktsystem erfolgt in denselben Schritten wie beim Impulssatz. Wir definieren in Anlehnung an Abschn. 8.2 zunächst den Gesamtdrall

n dpi = F i + ∑ F ij . dt j= 1 j = i

L(O) =

Durch Summation über alle Massenpunkte folgt n

dpi = dt i=1



n

n

n

∑ Fi + ∑ ∑ Fij .

i=1

i = 1 j= 1 j = i

Die Summe auf der linken Seite ist die zeitliche Ableitung des Gesamtimpulses. Wegen F ji = −F ij heben sich in der Doppelsumme auf der rechten Seite alle zwischen den Massenpunkten wirkenden Kräfte gegenseitig auf und es bleibt nur n dp = ∑ Fi dt i=1

(8.3)

übrig. Die zeitliche Änderung des Gesamtimpulses eines Massenpunktsystems ist gleich der Summe der auf das Massenpunktsystem wirkenden äußeren Kräfte. Frage 8.4 Was gilt, wenn die Summe aller äußeren Kräfte verschwindet? Mit p = mvS kann (8.3) auch in folgender Form geschrieben werden:

n

∑ mi rOPi × vi

(8.4)

i=1

eines Massenpunktsystems bezüglich eines Punktes O als Summe der Drallbeiträge der einzelnen Massenpunkte. Für einen einzelnen Massenpunkt angeschrieben lautet der Drallsatz (O)

dLi dt

(O)

= Mi

n

= ri × F i + ri × ∑ F ij .

(8.5)

j= 1 j = i

Bei der Summation über alle Massenpunkte n



i=1



(O)

dLi dt



=



n

n

i=1

i=1

∑ ri × F i + ∑

n

ri × ∑ F ij

 (8.6)

j= 1 j = i

treten in der Doppelsumme auf der rechten Seite wegen F kl = −F lk Vektorprodukte der Form (rk − rl ) × F kl auf, wobei der Differenzvektor rlk = rk − rl parallel zur Wechselwirkungskraft F kl ist und daher das Vektorprodukt verschwindet. Bei der Summation über alle Massenpunkte wird daher in (8.6) die Doppelsumme auf der rechten Gleichungsseite zu null. Die Summe auf der linken Gleichungsseite ist die zeitliche Ableitung des Gesamtdralls. Es gilt also:

Impulssatz für ein Massenpunktsystem

Für ein Massenpunktsystem ist das Produkt aus Gesamtmasse und Absolutbeschleunigung gleich der Summe aller äußeren Kräfte, die auf das System wirken: maS =

n

∑ Fi .

i=1

Wenn man den Impulssatz für den Schwerpunkt des Massenpunktsystems formuliert, stimmt er formal mit dem Impulssatz für einen einzelnen Massenpunkt überein. Das Ergebnis kann deswegen auch so formuliert werden: Der Schwerpunkt eines Massenpunktsystems bewegt sich so, als ob die Gesamtmasse in ihm vereinigt wäre und alle äußeren Kräfte an ihm angreifen würden.

Drallsatz für ein Massenpunktsystem

Die zeitliche Ableitung des Gesamtdralls eines Massenpunktsystems bezüglich eines festen Punktes O ist gleich der Summe der Momente aller am Massenpunktsystem angreifenden Kräfte bezüglich desselben Punktes: n n dL(O) (O) = ∑ M i = ∑ ri × F i . dt i=1 i=1

Weiterführende Literatur Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 8.1 Da die Kraft als konstant vorausgesetzt wurde, kann man sie vor das Integral ziehen und erhält: W=F·

r2

dr = F · (r2 − r1 ) = F · Δr12 = FΔr12 cos α .

r1

Die Arbeit ist daher positiv, wenn der Kraftvektor F einen Anteil in Richtung des Verschiebungsvektors Δr12 besitzt, da dann wegen 0 ≤ α < 90◦ der Kosinusterm positiv ist. Wenn der Kraftvektor dagegen einen Anteil entgegen des Verschiebungsvektors hat, ergibt sich wegen 90◦ < α ≤ 180◦ eine negative Arbeit. Wenn Kraftund Verschiebungsvektors senkrecht aufeinanderstehen, ist wegen α = 90◦ die Arbeit stets null, selbst wenn Kraftoder Verschiebungsvektor ungleich null sind. Für die speziellen Winkel α = 0◦ , 90◦ , 180◦ erhalten wir insbesondere: ⎧ ⎪ ⎨ F · Δr12 falls F ↑↑ dr , W= 0 falls F ⊥ dr , ⎪ ⎩−F · Δr falls F ↑↓ dr . 12 Die einfache Merkregel „Arbeit ist Kraft mal Weg“ darf daher nur verwendet werden, wenn die Kraft nach Betrag

und Richtung konstant ist sowie Kraft und Weg gleichsinnig parallel sind. Antwort 8.2 Da die Längenänderung Δs quadriert wird, ist die Arbeit, die die Federkraft am Massenpunkt verrichtet, unabhängig davon, ob die Feder gedehnt (s > s0 ) oder gestaucht (s < s0 ) wird, stets negativ. Null ist sie nur im Sonderfall, dass man die Feder weder dehnt noch staucht. Antwort 8.3 Die Gesetze der Statik gelten für unbewegte Systeme oder für Systeme, die sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegen. In beiden Fällen ist die Differenz der kinetischen Energie gleich null. Aus W01 = 0 folgt in Übereinstimmung mit Abschn. 6.2, dass im Sonderfall der Statik die virtuelle Arbeit δW gleich null ist. dp

Antwort 8.4 Im Sonderfall ∑ni=1 F i = 0 ist dt = 0; der Gesamtimpuls ändert sich nicht. Dies ist die Aussage des Impulserhaltungssatzes: Der Gesamtimpuls eines Massenpunktsystems ist nach Betrag und Richtung konstant, wenn die Resultierende der auf das Massenpunktsystem wirkenden äußeren Kräfte gleich null ist. Der Impulserhaltungssatz wird bei der Untersuchung von Stoßvorgängen eine Rolle spielen.

199

Technische Mechanik

Antworten zu den Verständnisfragen

200

8 Kinetik des Massenpunktes – wie beeinflussen Kräfte und Momente die Bewegung?

Technische Mechanik

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 8.1 •• Eine Kiste (Masse m = 100 kg) hängt an einem Seil. Die Kiste wird innerhalb von T = 5 s um die Höhe H = 9 m angehoben. Das Geschwindigkeits-ZeitGesetz v = v(t) hat dabei den gezeichneten Verlauf. v v1

0

1

3

2

4

5

t (s)

1. Welche Maximalgeschwindigkeit v1 erreicht die Kiste? Wie groß ist die Beschleunigung in den beiden Abschnitten der Bewegung? 2. Wie groß ist die Seilkraft in den beiden Abschnitten der Bewegung? Hinweis: Stellen Sie zunächst die kinematischen Gleichungen für die beiden Abschnitte der Bewegung auf. Die Seilkraft folgt aus dem Impulssatz. Kann man die Seilkraft im zweiten Abschnitt der Bewegung auch einfacher angeben? Resultat: v1 = 2,25 m/s, a1 = S1 = 1093,5 N, S2 = 981 N .

2. Welche Geschwindigkeit besitzt die Punktmasse im Punkt B, wenn die Ebene reibungsbehaftet (Gleitreibungskoeffizient μ) ist? Hinweis: Wenn Reibungsfreiheit vorliegt, können Sie die Aufgabe mit dem Energiesatz lösen, da alle Kräfte, die auf die Kiste wirken, konservativ sind. Andernfalls muss der Arbeitssatz verwendet werden, da die Gleitreibungskraft nicht konservativ ist.  Resultat: vglatt = 2gS sin α ,  vReib = 2gS(sin α − μ cos α) .

•• Die dargestellte Murmelbahn setzt sich aus 8.3 einer Geraden AB und dem Kreisbogen BC zusammen. Der Abstand der beiden Punkte C und D beträgt in horizontaler Richtung c und in vertikaler Richtung d. Die Bahn sei glatt, sodass die Murmel nicht rotiert. vA = 0

A H

1,125 m/s2 ,

8.2 • Eine Punktmasse setzt sich ohne Anfangsgeschwindigkeit im Punkt A einer schiefen Ebene (Neigungswinkel α) in Bewegung und legt bis zum Punkt B die Strecke S zurück.

D

B

β α

vC

d c C

α = 60◦ , β = 70◦ , c = 30 cm , d = 40 cm

m v=0

1. Mit welcher Mindestgeschwindigkeit vC muss die Murmel die Kreisbahn verlassen, damit sie die Tischkante D erreicht? 2. Aus welcher Höhe H über der Tischkante D muss man die Murmel ohne Anfangsgeschwindigkeit loslassen, damit sie im Punkt C die Mindestgeschwindigkeit vC erreicht?

A

α S

B

1. Welche Geschwindigkeit besitzt die Punktmasse im Punkt B, wenn die Ebene glatt ist?

Hinweis: Die Berechnung der Geschwindigkeit vC geht man am Besten an, indem man die explizite Darstellung der Wurfparabel ausnutzt. Da das System konservativ ist, bietet sich zur Berechnung der Höhe H der Energiesatz an. Resultat: vC = 3,84 m/s , H = 0,87 m .

Technische Mechanik

9

Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Warum benötigt ein Auto ein Differenzialgetriebe, nicht jedoch ein Zug? Wie können wir Lage und Orientierung eines Roboterarmes beschreiben? Wo liegt beim rollenden Rad der Momentanpol?

9.1 9.2 9.3 9.4 9.5

Lage und Orientierung eines starren Körpers . . . . . Kinematik der Drehung bei ebener Bewegung . . . . Kinematik von Körperpunkten bei ebener Bewegung Kinematik der räumlichen Bewegung . . . . . . . . . Bewegung relativ zu einem starren Körper . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_9

. . . . . . . .

. . . . . . . .

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. . . . . . . .

. . . . . . . .

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202 203 205 212 218 219 219 220

201

202

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Technische Mechanik

Nachdem der Massenpunkt und Systeme von Massenpunkten behandelt wurden, soll als nächstes Element der Modellierung der starre Körper betrachtet werden. Obwohl wir wissen, dass es in Wirklichkeit keine ideal starren Körper gibt, stellt er doch eine nützliche Idealisierung der Wirklichkeit dar, da die elastischen Verformungen bei sehr vielen Anwendungen vernachlässigt werden können oder nur in speziellen Situationen, z. B. bei Stoßproblemen wichtig sind. Die Beschreibung der Bewegung der einzelnen Punkte des starren Körpers kann dann über die Beschreibung der Bewegung eines Referenzpunktes auf dem starren Körper und mithilfe der Orientierung des Körpers erfolgen. Damit genügen wenige Parameter zur Beschreibung der Lage aller Punkte eines starren Körpers. Während die Beschreibung der Lage eines Punktes im Raum einfach durch die Angaben von drei Koordinaten erfolgen kann, gestaltet sich die Beschreibung der Orientierung des starren Körpers im Allgemeinen schwieriger. Trotzdem ist die Orientierung eines starren Körpers wichtig. So müssen z. B. die Satelliten bezüglich der Erde genau ausgerichtet sein, damit die Signale von der Erde mit der Antenne empfangen und anschließend zurückgesendet werden können.

Abb. 9.1 Die Flasche muss entsprechend ausgerichtet sein, damit sie in den Kasten gestellt werden kann

Zur Bestimmung der Geschwindigkeit eines allgemeinen Punktes des starren Körpers muss die Winkelgeschwindigkeit eingeführt werden. Im Falle der ebenen Bewegung ist diese ein Vektor, der stets senkrecht zur Bewegungsebene steht und deshalb über eine skalare Größe beschrieben werden kann. Bei einer allgemeinen Bewegung sind sowohl die Beschreibung der Orientierung als auch die Beschreibung der Winkelgeschwindigkeit wesentlich schwieriger als im ebenen Fall. Wenn Lage, Geschwindigkeit und Beschleunigung eines Bezugspunktes auf dem Körper und die Orientierung, Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung des Körpers bekannt sind, lassen sich Lage, Geschwindigkeit und Beschleunigung eines beliebigen Punktes auf dem Körper angeben.

nicht kollineare Punkte, so kann der erste Punkt in drei Richtungen verschoben werden, er hat also 3 Freiheitsgrade (Abb. 9.2). Der zweite Punkt kann sich aber bei gegebener Lage von Punkt 1 nur noch auf einer Kugelfläche um den ersten Punkt bewegen und hat somit 2 Freiheitsgrade. Liegen die Koordinaten der ersten beiden Punkte fest, so kann sich der dritte Punkt nur noch auf einer Kreisbahn um eine durch die ersten Punkte gehende Drehachse bewegen. Dies entspricht einem Freiheitsgrad. Insgesamt ergeben sich deshalb für den starren Körper f = 3 + 2 + 1 = 6 Freiheitsgrade.

9.1

Frage 9.1 Wie viele Freiheitsgrade hat der Körper, wenn ein Punkt des Körpers festgehalten wird? Wie viele Freiheitsgrade hat der Körper, wenn seine Verdrehung durch ein Prismengelenk eingeschränkt wird?

Lage und Orientierung eines starren Körpers

Um ein Verständnis für den Begriff der Orientierung eines starren Körpers zu erhalten, betrachten wir einige Beispiele, die uns aus dem täglichen Leben bekannt sind. Wollen wir das Auto in eine bestehende Parklücke rangieren, so ist am Ende nicht nur die Position des Fahrzeuges wichtig, sondern das Fahrzeug sollte auch so ausgerichtet sein, dass es nicht quer oder schräg zur Parklücke steht. Dass dies mitunter nicht ganz leicht ist, wissen wir aus Erfahrung. Auch wenn wir eine Schraube in eine Schraubenmutter drehen wollen, müssen zunächst Schraube und Mutter genügend genau zueinander ausgerichtet sein, bevor sich die Schraube eindrehen läßt. Nicht zuletzt basieren viele Geschicklichkeitsspiele für Erwachsene und Kinder darauf, dass Gegenstände in eine bestimmte Lage und Orientierung gebracht werden müssen (Abb. 9.1). Bei einer allgemeinen Bewegung besitzt ein Körper sechs Freiheitsgrade. Wählt man nämlich auf dem Körper drei

Damit ist aber noch nicht geklärt, wie die Orientierung des starren Körpers beschrieben werden kann. Um die

P2 z

r1

P1 z

O y

P3

x x

y

Abb. 9.2 Bewegung dreier Punkte des starren Körpers

K

9.2

Kinematik der Drehung bei ebener Bewegung

203

k2 k3

φ k2

i3

i2

φ

k1

i1 K

k1

Abb. 9.4 Drehung des starren Körpers bei einer ebenen Bewegung

i1

i2

Abb. 9.3 Basis des Bezugssystems und körperfeste Basis

dessen Lage bei einer ebenen Bewegung durch zwei und bei einer räumlichen Bewegung durch drei Koordinaten beschrieben werden kann. Benötigt wird außerdem die Orientierung des Körpers im Raum.

Orientierung des starren Körpers in einem Bezugssystem, z. B. dem Inertialsystem, zu beschreiben, führen wir sowohl für das Bezugssystem wie auch für den Starrkörper jeweils eine orthonormale Basis i1 , i2 , i3 und k1 , k2 , k3 ein (Abb. 9.3). Wenn der Zusammenhang zwischen den Basisvektoren bekannt ist, kennt man die Orientierung des starren Körpers. Für den Basisvektor kj gilt:

Wie die Orientierung eines starren Körpers bei einer ebenen Bewegung beschrieben werden kann

kj = m1j i1 + m2j i2 + m3j i3 ,

j = 1, 2, 3.

(9.1)

Die Koordinaten mlj in (9.1) lassen sich leicht bestimmen, wenn diese Gleichung skalar mit dem Einheitsvektor il multipliziert wird. Das Skalarprodukt von zwei dieser Basisvektoren des Inertialsystems ist nämlich entweder null oder eins, und es ergibt sich: mlj = il · kj . Da das Skalarprodukt durch das Produkt der Beträge und dem Kosinus des eingeschlossenen Winkels gebildet wird und beide Vektoren Einheitsvektoren sind, entspricht mej genau dem Kosinus des Winkels zwischen den Einheitsvektoren il und kj . Wie die Umrechnung im Allgemeinen erfolgt, und wie man sie, z. B. durch Einführung von Verdrehwinkeln, berechnen kann, wird später im Kapitel über die allgemeine Bewegung eines starren Körpers gezeigt. Zunächst wird die sogenannte ebene Bewegung eines starren Körpers betrachtet, bei welcher der Körper neben der Translation nur noch eine Drehbewegung um eine Achse ausführen kann, deren Richtung stets senkrecht zur Bewegungsebene steht.

9.2

Kinematik der Drehung bei ebener Bewegung

Bei der ebenen Bewegung eines starren Körpers bewegen sich alle Punkte des Körpers auf parallelen Ebenen. Zur Beschreibung der Bewegung eines beliebigen Punktes des Körpers wählen wir auf dem Körper einen Bezugspunkt,

Bei der ebenen Bewegung eines starren Körpers im Raum kann er sich um eine Achse senkrecht zur Bewegungsebene drehen. Diese Drehung kann durch einen Winkel ϕ beschrieben werden. Wird für das Inertialsystem wieder die orthonormale Basis i1 , i2 , i3 eingeführt, so liegt es nahe, einen der Basisvektoren, z. B. i3 , so zu wählen, dass er senkrecht zur Bewegungsebene steht. Wird ein Bezugssystem fest mit dem Körper verbunden, für welches ebenfalls eine Basis k1 , k2 , k3 so gewählt wird, dass k3 in Richtung von i3 zeigt, dann erfolgt die Drehung des Körpers um eine Achse in Richtung dieser beiden Basisvektoren, wobei die Drehachse durchaus außerhalb des Körpers liegen kann (Abb. 9.4). Ein beliebiger Vektor b kann dargestellt werden als: b = α1 i1 + α2 i2 + α3 i3 , b = β 1 k1 + β 2 k2 + β 3 k3 .

(9.2) (9.3)

Die Koordinaten α3 und β 3 stimmen überein, wogegen sich die anderen Koordinaten im Allgemeinen unterscheiden (Abb. 9.5). Zur Umrechnung der Basisvektoren betrachten wir Abb. 9.6. Es gilt: i1 = cos ϕk1 − sin ϕk2 , i2 = sin ϕk1 + cos ϕk2 , beziehungsweise: k1 = cos ϕi1 + sin ϕi2 , k2 = − sin ϕi1 + cos ϕi2 .

(9.4) (9.5)

Diese Beziehungen werden später für die Ableitung der Vektoren nach der Zeit benötigt.

Technische Mechanik

i3 = k 3

204

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Richtung nicht ändert. Deshalb gilt:

Technische Mechanik

k3

b˙ = β˙ 1 k1 + β˙ 2 k2 + β˙ 3 k3 + β 1 k˙ 1 + β 2 k˙ 2 .

K

k2

i3

b

(9.6)

Im Gegensatz dazu sieht ein Beobachter, der sich mit dem Körper bewegt, lediglich die Änderung b˙ rel = β˙1 k1 + β˙ 2 k2 + β˙ 3 k3 ,

k1

da für ihn die Basisvektoren im körperfesten System konstant sind. Dies zeigt, dass es wichtig ist, anzugeben, in welchem Bezugssystem eine Zeitableitung gebildet wird. Deshalb definieren wir

i2 i1

dI b = α˙ 1 i1 + α˙ 2 i2 + α˙ 3 i3 dt

Abb. 9.5 Vektor b mit den Basisvektoren des Inertialsystems und des körperfesten Bezugssystems

und i2 k2

k1

φ φ K

i1

dK b = β˙ 1 k1 + β˙ 2 k2 + β˙ 3 k3 dt als die Zeitableitung des Vektors v im Bezugssystem I (Inertialsystem I), beziehungsweise als die Ableitung im Bezugssystem K (starrer Körper K). In (9.6) werden die Ableitungen der Basisvektoren k1 und k2 benötigt. Aus (9.4) und (9.5) folgt: dI k1 = − ϕ˙ sin ϕi1 + ϕ˙ cos ϕi2 , dt dI k2 = − ϕ˙ cos ϕi1 − ϕ˙ sin ϕi2 dt

Abb. 9.6 Abhängigkeit der Basisvektoren

Beispiel Ein Fräser soll mit einer Geschwindigkeit von v = vF über ein Werkstück unter einem Winkel von 30◦ zur x-Achse bewegt werden. Mit welchen Geschwindigkeiten müssen die x-, beziehungsweise die y-Achsen verschoben werden, damit sich diese Vorschubgeschwindigkeit vF ergibt? Die Geschwindigkeit im werkstückfesten Koordinatensystem ist mit v = vF k1 gegeben, wenn k1 in Fräsrichtung zeigt. Diese Geschwindigkeit kann mit (9.4) dargestellt werden als v = vF cos 30◦ ex + vF sin 30◦ ey . Damit liegen die Koordinaten der Geschwindigkeit im fräsmaschinenfesten Bezugssystem fest.

Die Ableitung von Vektoren in verschiedenen Bezugssystemen erfordert die Winkelgeschwindigkeit Oft müssen in der Mechanik Vektoren im Inertialsystem abgeleitet werden, obwohl sie in einer körperfesten Basis dargestellt sind. Für die Ableitung des Vektors b im Inertialsystem gilt mit (9.2): b˙ = α˙ 1 i1 + α˙ 2 i2 + α˙ 3 i3 . Wird stattdessen (9.3) abgeleitet, so muss berücksichtigt werden, dass k1 und k2 zeitabhängig sind, da sie im Allgemeinen die Richtung ändern. Lediglich k3 ist aufgrund der ebenen Bewegung ein konstanter Vektor, da er seine

und damit: dI k1 ˙ 2, = ϕk dt dI k2 ˙ 1, = − ϕk dt wie es ähnlich schon in Kap. 8 gezeigt wurde. Führen wir ˙ 3 ein, so folden Winkelgeschwindigkeitsvektor ω = ϕk gen die Ableitungen: dI k1 = ω × k1 , dt dI k2 = ω × k2 . dt Damit folgt für die Ableitung b˙ des Vektors b im Inertialsystem I: dK b dI b = + ω × b. dt dt

(9.7)

Winkelgeschwindigkeit und Zeitableitung bei einer ebenen Bewegung

Bei einer ebenen Bewegung ist die Winkelgeschwindigkeit ein Vektor, der senkrecht zur Bewegungsebene steht. Seine Koordinate ist die Ableitung des Verdrehwinkels, mit dem die Orientierung des starren

Kinematik von Körperpunkten bei ebener Bewegung

Körpers beschrieben wird. Mithilfe der Winkelgeschwindigkeit kann die Zeitableitung eines Vektors im Inertialsystem sehr leicht berechnet werden, auch wenn der Vektor im körperfesten Bezugssystem dargestellt ist.

B

k3

k2

rB rAB k1 i3

rA

A K

Beispiel Eine Generatorwelle W wird beschleunigt und dreht sich während des Beschleunigungsvorganges so, dass der Verdrehwinkel ϕ = at2 beträgt. Auf der Generatorwelle ist ein Permanentmagnet befestigt, der ein bezüglich der Welle konstantes Magnetfeld B = Bk1 bewirkt. Hierbei ist k1 , k2 , k3 eine wellenfeste Basis, wobei k3 in Wellenlängsrichtung zeigt. Wie groß ist die Winkelgeschwindigkeit und wie groß ist die Zeitableitung des Magnetfeldes in der Umgebung, ausgedrückt in der wellenfesten Basis? Die Winkelgeschwindigkeit der Generatorwelle ist ω = ˙ 3 = 2atk3 . Der Betrag der Winkelgeschwindigkeit ist in ϕk diesem Fall zeitabhängig, und die Richtung ist in Wellenlängsrichtung. Das Magnetfeld ist bezüglich der Welle konstant, sodass dW B =0 dt gilt. Für die Zeitableitung im Inertialsystem bedeutet dies: dW B dI B = + ω × B = 2atB(k3 × k1 ) = 2atBk2 . dt dt



Die Winkelbeschleunigung gibt die zeitliche Änderung der Winkelgeschwindigkeit an In analoger Weise ergibt sich durch Ableitung der Winkelgeschwindigkeit die sogenannte Winkelbeschleunigung α: dI ω . dt Da ω bei einer ebenen Bewegung die Richtung nicht ändert, ergibt sich eine zeitliche Änderung lediglich aus der zeitlichen Änderung der Koordinate:

i1

Frage 9.2 Woraus setzt sich die zeitliche Änderung von ω bei einer allgemeinen räumlichen Bewegung zusammen?

Kinematik von Körperpunkten bei ebener Bewegung

Wie wir gesehen haben, genügen zur Beschreibung der Lage und der Orientierung eines starren Körpers bei einer ebenen Bewegung drei Koordinaten. Demzufolge ist durch diese drei Koordinaten auch die Lage eines beliebigen Punktes auf dem Körper gegeben. Wählen wir den Punkt A auf dem Körper als Bezugspunkt, so ist die Lage eines beliebigen Punktes B des Körpers gemäß Abb. 9.7 durch rB = rA + rAB

d ϕ˙ ¨ 3. k3 = ϕk dt Sehr oft führen wir für die Winkelgeschwindigkeit ω und die Winkelbeschleunigung ω ˙ gemäß ω = ωez , ˙ z = αez ω ˙ = α = ωe die Skalare ω und α ein, die dann nicht den Beträgen der Vektoren entsprechen, sondern auch negativ sein können.

(9.8)

gegeben. Hierbei nehmen wir zunächst an, dass der Punkt A und der Punkt B in der selben Bewegungsebene liegen. Die Geschwindigkeit vB des Punktes B ergibt sich durch Ableitung von (9.8):

α=

˙ = α=ω

i2

Abb. 9.7 Beschreibung der Lage eines beliebigen Punktes B

9.3

vB =

dI (rA + rAB ) dI rA dI rAB = + . dt dt dt

Der erste Term auf der rechten Seite der Gleichung entspricht gerade der Geschwindigkeit des Punktes A. Beim zweiten Term ist zu beachten, dass der Vektor rAB im körperfesten Bezugssystem konstant ist. Eine zeitliche Änderung ergibt sich deshalb nur infolge der Verdrehung des Vektors rAB . Somit erhalten wir: vB =

205

Technische Mechanik

9.3

dI rA dK rAB + + ω × rAB = vA + ω × rAB . dt dt

Dies ist die Grundgleichung der Kinematik. Sie gilt auch, falls A und B nicht in derselben Bewegungsebene liegen,

206

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Technische Mechanik

da eine Komponente von rAB in Richtung der Drehachse beim Kreuzprodukt keinen Anteil liefert. Geschwindigkeit eines Punktes B

Die Geschwindigkeit des Punktes B ergibt sich als Geschwindigkeit des Punktes A plus einer Geschwindigkeit infolge der Drehung des Punktes B um eine Achse durch den Punkt A. Der letzte Anteil steht somit senkrecht auf dem Vektor rAB von A nach B. Abhängig von der Winkelgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit des Bezugspunktes lassen sich im Folgenden einige Fälle unterscheiden.

Bei einer reinen Translationsbewegung hat der Körper keine Winkelgeschwindigkeit Im Falle einer reinen Translationsbewegung ist die Winkelgeschwindigkeit des Körpers ω = 0. Damit ergibt sich für die Geschwindigkeit des Punktes B: vB = vA + ω × rAB = vA . Somit haben alle Punkte des Körpers dieselbe Geschwindigkeit wie der Bezugspunkt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich die Punkte auf einer Geraden bewegen. Im Gegenteil, die Bewegung kann relativ kompliziert sein, aber sie ist für alle Punkte gleich. Beispiel Bei dem in Abb. 9.8 dargestellten Beispiel eines fliegenden Teppichs wird eine Parallelführung der Kabine durch die beiden Führungsarme erreicht. Der Aufbau bewegt sich nur translatorisch ohne sich zu drehen. Es handelt sich somit um eine reine Translationsbewegung des Körpers. Allerdings bewegen sich alle Punkte  auf Kreisbahnen. In analoger Weise folgt für die Beschleunigung eines beliebigen Körperpunktes: aB =

dvB dvA = = aA . dt dt

Damit erfahren alle Körperpunkte dieselbe Beschleunigung. Geschwindigkeit und Beschleunigung bei reiner Translationsbewegung

Bei einer reinen Translationsbewegung haben alle Punkte des starren Körpers dieselbe Geschwindigkeit und dieselbe Beschleunigung.

Abb. 9.8 Der fliegende Teppich bewegt sich rein translatorisch (Photo: Wolfgang Heuser, Gladenbach)

Die Rotationsbewegung um eine raumfeste Achse ist ein weiterer Sonderfall Bei sehr vielen Anwendungen drehen sich Körper um raumfeste Achsen. Beispiele sind Zahnräder in Getrieben, ein Riesenrad oder die Welle einer Turbine zur Stromerzeugung. In diesem Fall wird als Bezugspunkt A ein Punkt des Körpers auf der Drehachse gewählt, der somit die Geschwindigkeit null hat. Für einen beliebigen Punkt des Körpers gilt demnach: vB = ω × rAB . Wir führen jetzt ähnlich wie in Kap. 8 ein polares Koordinatensystem ein. Anders als in Kap. 8 verwenden wir hier die Einheitsvektoren er , e ϕ und ez , um die Verwechslung von radialer Koordinate und Dichte ρ beim starren Körper zu vermeiden. In Abb. 9.9 sind diese am Punkt B ersichtlich, und es wird deutlich, dass sich B auf einer Kreisbahn mit Mittelpunkt auf der Drehachse bewegt und er in radialer, e ϕ in Umfangsrichtung zeigen, sodass diese Einheitsvektoren anders als die Einheitsvektoren k1 , k2 , k3 vom betrachteten Punkt abhängen. Der Körper selbst muss dabei nicht rotationssymmetrisch sein. Wegen ω = ωez und rAB = rer + zez folgt mit rB = rA + rAB für die Geschwindigkeit: vB = vA + ω × rAB = ωez × (rer + zez ) = ωre ϕ . In analoger Weise erhalten wir die Beschleunigung durch Ableiten der Geschwindigkeit. Dies führt auf: dI (ω × rAB ) dI ω dI rAB = × rAB + ω × dt dt dt = α × rAB + ω × (ω × rAB )

aB =

Kinematik von Körperpunkten bei ebener Bewegung

K

ω = ωez

B

rB

rAB

rA

K

A

ez r rB

B rAB



O

er

Abb. 9.10 Darstellung des Ortsvektors zum Punkt B rA

A B

O

rB

rAB = rer

er eφ

Abb. 9.9 Drehung eines Körpers um eine raumfeste Achse

y rA

oder unter Zuhilfenahme der oben eingeführten Einheitsvektoren auf: aB = αre ϕ − ω rer . 2

Dies sind die schon bekannten Beschleunigungsanteile bei einer Bewegung auf einer Kreisbahn, bei der Beschleunigungsanteile aufgrund einer Änderung des Geschwindigkeitsbetrages und aufgrund einer Richtungsänderung auftreten können.

Eine allgemeine ebene Bewegung setzt sich zusammen aus Translation und Rotation Bei einer allgemeinen ebenen Bewegung werden Translationsbewegung und Rotationsbewegung überlagert. Später werden wir sehen, dass im Falle einer ebenen Bewegung diese immer als Drehung um einen momentanen Drehpunkt, den Momentanpol, aufgefasst werden kann. Wir beginnen wieder mit mit der Darstellung des Ortsvektors rB durch den Vektor rA und den Relativvektor rAB gemäß Abb. 9.10: rB = rA + rAB . Der Vektor rAB ist in einem körperfesten Bezugssystem konstant. Dies führt auf: vB =

dI rB dI rA dI rAB = + = vA + ω × rAB . dt dt dt

O

A

207

Technische Mechanik

9.3

K

x

Abb. 9.11 Bewegungsebene senkrecht zu ω

Führen wir wie in Abb. 9.11 einen Einheitsvektor er in Richtung von A nach B ein und einen Einheitsvektor e ϕ senkrecht dazu, so ergibt sich mit dem zu beiden senkrechten Vektor ez in Richtung von ω für den Ortsvektor, die Geschwindigkeit und die Beschleunigung: rB = rA + rer , vB = vA + ωre ϕ , aB = aA + αre ϕ − ω 2 rer . Hierbei wurde vorausgesetzt, dass der Vektor rAB in der Bewegungsebene liegt, d. h. dass sowohl der Punkt A wie der Punkt B in derselben Ebene liegen. Die Gleichungen zeigen dann, dass sich die Bewegung des Punktes B bei einer allgemeinen ebenen Bewegung aus der Bewegung des Punktes A und einer Rotation von B um A zusammensetzt. Grafisch läßt sich dies sehr leicht, wie in den Abb. 9.12 und 9.13 dargestellt, anschaulich zeigen. Eingezeichnet sind dort in der Bewegungsebene die Punkte A und B sowie der Vektor rer , auf dem der Vektor e ϕ senkrecht steht. Im Geschwindigkeitsplan setzt sich die Geschwindigkeit des Punktes B zusammen aus der Geschwindigkeit des Punktes A und einer Geschwindigkeitskomponente, die in Richtung von e ϕ zeigt. Im Beschleunigungsplan setzt sich die Beschleunigung aus der Beschleunigung des Punktes A und den zwei Be-

208

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Technische Mechanik

φ·reφ

B

rer

y

vA

vB

K A

vA

vB

B

γ

A

vA rAP

x

γ

P

Abb. 9.12 Geschwindigkeitsplan bei einer allgemein ebenen Bewegung Abb. 9.14 Momentanpol P und Geschwindigkeitsverteilung im Körper aA

φ·· reφ y

– φ· 2rer

aB

rer

– φ· 2rer

die Beziehung ω × vA + ωez × (ωez × rAP er ) = 0

B aA

folgt. Unter Berücksichtigung von ez × (ez × er ) = −er

A x

führt dies auf ω × vA − ω 2 rAP er = 0

Abb. 9.13 Beschleunigungsplan bei einer allgemein ebenen Bewegung

und damit auf schleunigungskomponenten infolge der Rotation von B um A zusammen, wobei eine Komponente in positive oder negative e ϕ -Richtung zeigt und die andere immer in negative er Richtung.

Der Momentanpol ist der Punkt, um den sich ein Körper bei einer ebenen Bewegung momentan dreht Bei einer ebenen Bewegung haben verschiedene Punkte des Körpers aufgrund der Drehung des Körpers unterschiedliche Geschwindigkeiten. Als Momentanpol P des Körpers wird derjenige Punkt bezeichnet, der momentan die Geschwindigkeit null hat. Dieser Punkt muss nicht unbedingt auf dem Körper selbst liegen, und er ändert seine Lage im Allgemeinen während der Bewegung. Für den Momentanpol gilt: vP = vA + ω × rAP = 0. Hierin ist A wieder der Bezugspunkt zur Beschreibung der Bewegung des Körpers. Vektormultiplikation von links mit ω liefert: ω × vA + ω × (ω × rAP ) = 0, woraus mit rAP = rAP er ,

ω = ωez

rAP er = rAP =

1 (ω × vA ). ω2

Der Vektor zum Momentanpol steht also senkrecht auf dem Geschwindigkeitsvektor am Punkt A. Wird statt des Vektors rAP der Vektor rPA vom Momentanpol zum Punkt A bestimmt, so ergibt sich prinzipiell dasselbe Ergebnis, nur das Vorzeichen ändert sich. Wegen vB = vP + ω × rPB = ω × rPB nimmt die Geschwindigkeit eines beliebigen Punktes B mit dem Abstand vom Momentanpol zu und steht senkrecht auf dem Vektor vom Momentanpol zu diesem Punkt. In Abb. 9.14 ist dies angedeutet. Die Geschwindigkeit des Punktes A steht senkrecht auf der Verbindung von P nach A, die Geschwindigkeit von Punkt B steht senkrecht auf der Geraden von P nach B. Die Dreiecke, gebildet von der Geschwindigkeit in A und dem Momentanpol sowie der Geschwindigkeit in B und dem Momentanpol sind ähnlich.

Beispiel Das in Abb. 9.15 dargestellte Rad bewegt sich mit der Nabengeschwindigkeit vN und rollt dabei auf dem Untergrund ab. Aufgrund der Rollbedingung hat der Kontaktpunkt dieselbe Geschwindigkeit wie der Untergrund und deshalb die Geschwindigkeit null. Das ist aber die Bedingung für den Momentanpol. Der Kontaktpunkt entspricht also beim rollenden Rad dem Momentanpol P.

A

vA R

vB ey B

N

vN

C vC

ez

ex

P

Abb. 9.15 Geschwindigkeit beim rollenden Rad

Die Geschwindigkeit des oberen Radpunktes A hat die doppelte Entfernung vom Momentanpol wie die Nabe und deshalb die doppelte Geschwindigkeit, die wie die Nabengeschwindigkeit horizontal gerichtet ist. Die Punkte B und C haben in horizontaler Richtung die selbe Komponente wie die Nabe. Hinzu kommt jedoch noch eine Vertikalkomponente, die aufgrund der Geometrie denselben Betrag hat wie die Horizontalkomponente und die im Punkt B nach oben und im Punkt C nach unten  gerichtet ist.

Kinematik von Körperpunkten bei ebener Bewegung

Wir hätten die Ergebnisse auch leicht aus der Anschauung erhalten können. Das Rad dreht sich im Uhrzeigersinn, weshalb ω negativ ist. Die Strecken vom Momentanpol √ zu den Punkten B und C haben eine Länge, die dem 2Fachen der Strecke von P nach N entsprechen. Die √ Beträge der Geschwindigkeiten sind deshalb auch das 2-Fache der Nabengeschwindigkeit. Da die Strecken jeweils einen Winkel von 45◦ mit der Horizontalen einschließen, sind die Richtungen der Geschwindigkeiten ebenfalls um 45◦ gegenüber der Horizontalen geneigt.  Beispiel Das Modell eines Lastenaufzugs besteht aus zwei Rollen, bei denen ein Seil auf einer Walze mit den Radien R1 beziehungsweise R2 auf- oder abgewickelt wird. Die Winkelgeschwindigkeiten der Walzen sind mit ω1 und ω2 gegeben. Das undehnbare Seil ist um eine dritte Walze mit dem Radius R3 geschlungen, an dem der Lasthaken befestigt ist. Die Geometrie der Anordnung ist so gestaltet, dass sich die dritte Rolle nur drehen und auf- und abbewegen kann (Abb. 9.16). Gesucht sind die Geschwindigkeit und die Winkelgeschwindigkeit dieser Rolle. ω2

vA

ω1

R2

R1

Frage 9.3 Wo liegt der Momentanpol, wenn sich das Rad beim Bremsen nicht mehr dreht, sondern blockiert?

A

B

vB

vC

Beispiel Bestimmt werden sollen die Geschwindigkeiten der Punkte A, B und C des rollenden Rades bei gegebener Nabengeschwindigkeit vN . Für die Lösung wird zunächst mit vN = vex , rPN = Rey und ω = ωez eine Gleichung zur Bestimmung der Winkelgeschwindigkeit angegeben: vN = ω × rPN = ωR(ez × ey ) = −ωRex .

R3 C

y

D

ω3 H

vD

x

Abb. 9.16 Modell eines Aufzuges

Daraus folgt v ω=− . R Mit den Vektoren rPA = 2Rey , rPB = −Rex + Rey und rPC = Rex + Rey ergibt sich dann: v vA = − ez × 2Rey R = 2vex , v vB = − ez × (−Rex + Rey ) R = v(ex + ey ), v vC = − ez × (Rex + Rey ) R = v(ex − ey ).

Zur Lösung betrachten wir die Geschwindigkeiten der Punkte, an denen das Seil auf die Rollen aufläuft. Die Geschwindigkeiten der Punkte A und B infolge der Drehbewegungen der Rollen 1 und 2 ergeben sich zu: vA = R1 ω1 ey , vB = −R2 ω2 ey . Da vorausgesetzt wurde, dass das Seil undehnbar ist, entspricht die Geschwindigkeit des Punktes C der Geschwindigkeit von Punkt A und die Geschwindigkeit von D derjenigen von B: vC = vA = R1 ω1 ey , vC = vB = −R2 ω2 ey .

209

Technische Mechanik

9.3

210

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Technische Mechanik

Anwendung: Kinematik eines Schubkurbeltriebes Im Folgenden wird ein Schubkurbelgetriebe in zwei Stellungen betrachtet, bei dem sich die Kurbel mit der (zeitabhängigen) Winkelgeschwindigkeit γ˙ = ω1 dreht. In der Stellung a zeigt die Koppelstange zwischen dem Gelenkpunkt A und dem Schublager in B in Richtung der Kurbel (ϕ = γ). In der Stellung b zeigt die Koppelstange in Richtung der eingezeichneten yAchse, während die Kurbel mit der Horizontalen gerade den Winkel γ einschließt. Der Radius der Kurbel und die Länge der Koppelstange sind mit R und l gegeben, wie in der Abbildung angedeutet. Die Winkelgeschwindigkeit der Kurbel ist in beiden Fällen zum dargestellten Zeitpunkt mit ωKurbel = ω1 gegeben. Gesucht sind die Winkelgeschwindigkeit ω2 = ϕ˙ der Koppelstange und die Geschwindigkeit des Schublagers in B.

womit

a

Bei der graphischen Lösung ist die Geschwindigkeit vA des Gelenkpunktes tangential an die Kreisbahn gegeben. Deren Richtung ist dieselbe wie diejenige der Geschwindigkeit infolge der Drehung von B um A. Die Überlagerung beider Anteile muss einen Vektor in Richtung der y-Achse ergeben, da das Lager nur in dieser Richtung eine Verschiebung erlaubt. Die Aufgabe besteht dementsprechend darin, einen gegebenen Vektor in zwei Vektoren gegebener Richtung zu zerlegen. Die Lösung ist in folgender Abbildung dargestellt.

b B B y

y

l

A

l

φ

R

R γ

A

φ

Rω1 + lω2 = 0 oder R ω2 = − ω1 l und damit ebenfalls vBy = 0 folgen. Damit sind die Winkelgeschwindigkeit und die Geschwindigkeit vB = 0 bestimmt.

γ x

x eφ vAB vA

Lösung für die Stellung a: Die Geschwindigkeit des Punktes A ist mit vA = −Rω1 sin γex + Rω1 cos γey gegeben. Für die Geschwindigkeit des Punktes B folgt mit ϕ = γ vB = vA + ω2 le ϕ

B y l vA A

φ , ω2 = φ

R

= −Rω1 sin γex + Rω1 cos γey − ω2 l sin γex + ω2 l cos γex = −(Rω1 + lω2 ) sin γex + (Rω1 + lω2 ) cos γey

γ , ω1 = γ x

= vBx ex + vBy ey . Da das Lager B sich nur in y-Richtung bewegen kann, gilt:

Lösung für die Stellung b: Die Geschwindigkeit des Punktes A ist in diesem Fall wieder mit

vBx = 0,

vA = −Rω1 sin γex + Rω1 cos γey

gegeben. Für die Geschwindigkeit des Punktes B folgt: vB = vA + ω2 le ϕ

Kinematik von Körperpunkten bei ebener Bewegung

Die graphische Lösung ist in folgender Abbildung angegeben. vAB

= −Rω1 sin γex + Rω1 cos γey − ω2 lex = −(Rω1 sin γ + lω2 )ex + Rω1 cos γey

vB

vA

= vBx ex + vBy ey , woraus aus der Forderung vBx = 0



B

y

l

ω2

folgt: vA φ, ω 2 = φ

R ω2 = − ω1 sin γ. l

A R γ, ω1 = γ

Mit diesem Ergebnis ergibt sich die Geschwindigkeit von B zu

x

vB = Rω1 cos γey .

Die Beziehungen zwischen den Geschwindigkeiten in C und D und für die Geschwindigkeit des Gelenkpunktes zum Haken sind mit vD = vC + ω3 × rCD ,

die Winkelgeschwindigkeiten ω2 der Kurbel, ω3 der Koppelstange und die Geschwindigkeit des Punktes B.

D

und

R2

vH = vC + ω3 × rCH

ω2 l

gegeben, woraus nach Einsetzen der Geschwindigkeiten von C und D sowie mit rCD = 2R3 ex , rCH = R3 ex und ω3 = ω3 ez sofort folgt:

A

B ω3

ω1 C

−R2 ω2 ey = R1 ω1 ey + 2R3 ω3 ey ,

45° R1

vH = R1 ω1 ey + R3 ω3 ey . Abb. 9.17 Koppelviereck

Die Auswertung der Gleichungen liefert: ω 1 R1 + ω 2 R2 , 2R3 ω 1 R1 − ω 2 R2 ey . vH = 2 ω3 = −



Beispiel Das in Abb. 9.17 dargestellte Koppelgetriebe besteht aus der angetriebenen Kurbel 1 mit der Länge R1 , der Abtriebskurbel 2 der Länge R2 und der Koppelstange der Länge l. Die Antriebskurbel dreht sich in der dargestellten Stellung mit der Winkelgeschwindigkeit ω1 entgegen dem Uhrzeigersinn. Wo liegen die Momentanpole der Kurbeln und der Koppelstange? Bestimmen Sie

Die Momentanpole der Kurbeln sind sehr leicht zu bestimmen, denn die Punkte, die momentan die Geschwindigkeit null haben, sind die Lagerpunkte C und D. Demnach ist C der Momentanpol von Kurbel 1, und D ist der Momentanpol von Kurbel 2. Diese beiden Punkte bleiben Momentanpole während einer gesamten Umdrehung der Antriebskurbel. Etwas schwieriger ist die Bestimmung des Momentanpols der Koppelstange. Allerdings kennen wir die Richtungen der Geschwindigkeiten der Punkte A und B. Die Geschwindigkeit von A steht senkrecht auf der Kurbel 1. Der Momentanpol der Koppelstange wiederum liegt auf einer Geraden, die senkrecht auf der Geschwindigkeit im Punkt A steht. Der Momentanpol der Koppelstange liegt damit auf einer Geraden in Richtung

211

Technische Mechanik

9.3

212

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Technische Mechanik

der Kurbel 1. Genauso kennen wir die Richtung der Geschwindigkeit von Punkt B. Sie ist horizontal gerichtet, der Momentanpol liegt damit auf einer Geraden in Richtung von Kurbel 2. Der Momentanpol der Koppelstange liegt damit auf dem Schnittpunkt der Geraden in Richtung von Kurbel 1 und Kurbel 2 (Abb. 9.18). P2 = D

vA vB

Kinematik der räumlichen Bewegung

Im Folgenden werden wir sehen, dass die Untersuchung der allgemeinen räumlichen Bewegung eines starren Körpers im Allgemeinen wesentlich komplizierter ist als die der ebenen Bewegung. Zu Anfang dieses Kapitels wurden für das Inertialsystem I Basisvektoren und für den Körper K eine zweite Basis mit zugehörigen Einheitsvektoren eingeführt. Dies ist auch der Ausgangspunkt für die folgende Vorgehensweise.

A

B

Die Orientierung eines starren Köpers kann über die Richtungen von körperfesten Einheitsvektoren beschrieben werden

P1 = C

P3

Abb. 9.18 Momentanpole der Kurbeln und der Koppelstange

Für die Geschwindigkeiten der Punkte A und B lassen sich drei Gleichungen angeben: 1√ 1√ 2R1 ω1 ex + 2R1 ω1 ey , 2 2 vB = R2 ω2 ex , vB = vA + ω3 ez × (−lex ) 1√ 1√ 2R1 ω1 ex + 2R1 ω1 ey − ω3 ley , =− 2 2

vA = −

wobei die ersten beiden Gleichungen aus der Drehung der beiden Kurbeln und die dritte aus der Beziehung zwischen den Geschwindigkeiten zweier Punkte eines Körpers resultieren. Ein Vergleich der Komponenten liefert:



9.4

1√ 2R1 ω1 = ω2 R2 , 2 1√ 2R1 ω1 − ω3 l = 0, 2

Wir bezeichnen diese Matrix am besten mit I mK , da sie die Umrechnung der Koordinaten vom körperfesten System in das Inertialsystem ermöglicht. Da die Elemente durch die Skalarprodukte der Einheitsvektoren und damit durch die Kosinus der Winkel gebildet werden, nennt man sie auch die Matrix der Kosinus oder Drehmatrix. Sollen die Koordinaten vom Inertialsystem in das körperfeste System umgerechnet werden, so zeigt (9.9), dass dies mit der Matrix K

mI = ( I mK ) − 1

möglich ist. Da diese Matrix jedoch auch wieder die Skalarprodukte der Einheitsvektoren enthält, erhält man sie auch durch Transponieren der Matrix I mK und es gilt:

( I mK ) − 1 = ( I mK ) T .

und damit das Ergebnis: 1 √ R1 2 ω1 , ω2 = − 2 R2 1 √ R1 ω3 = 2 ω1 , 2 l √ 1 2R1 ω1 ex . vB = − 2

Wir hatten gesehen, dass die Zusammenhänge zwischen den Basisvektoren durch (9.1) gegeben sind. Damit ergibt sich sofort eine Matrix (mlj ), mithilfe derer sich die Koordinaten eines Vektors zwischen den beiden Bezugssystemen über eine Matrizenmultiplikation bestimmen lassen. Mit den Koordinaten αi und β k aus (9.2) und (9.3) folgt: ⎞ ⎛ ⎞⎛ ⎞ ⎛ m11 m12 m13 β1 α1 ⎝ α2 ⎠ = ⎝ m21 m22 m23 ⎠ ⎝ β 2 ⎠ . (9.9) α3 m31 m32 m33 β3



Die Matrix selbst hat neun Elemente. Werden mithilfe der Matrix die Koordinaten der Einheitsvektoren des körperfesten Bezugssystems bezüglich der Einheitsvektoren des Inertialsystems bestimmt, so müssen die 6 paarweisen Skalarprodukte dieser Einheitsvektoren jeweils 0 oder 1 ergeben. Dies entspricht sechs Zwangsbedingungen für die Matrizenelemente, sodass bei der Matrix nicht alle neun Elemente beliebig sind, sondern nur noch drei

Kinematik der räumlichen Bewegung

Leitbeispiel Antriebsstrang Planetengetriebe

Ein Planetengetriebe besteht aus einem Sonnen-, einem Hohl- und mehreren Planetenrädern. Die Planetenräder rollen sowohl am Hohl- als auch am Sonnenrad ab. Die Planetenräder sind auf einem Steg gelagert, dessen Drehzahl durch die Geschwindigkeit der Planetenräder bestimmt wird. Mit einem derartigen Getriebe lassen sich sehr große Drehzahlunterschiede realisieren. In der Abbildung ist der prinzipielle Aufbau eines Planetengetriebes zu sehen.

gegeben. Gleichzeitig gilt aufgrund der Rotation des Planetenrades: vC = vA + 2RP ωP . Dies führt auf:

(RS + 2RP )ωH = RS ωS + 2RP ωP . Aufgelöst nach ωP ergibt sich: ωP =

ωH C ωP RP

RH

B

Hohlrad

Der Steg dreht sich um den Mittelpunkt des Sonnenrades beziehungsweise des Hohlrades, sodass die Geschwindigkeit des Stegpunktes B

A RS

RSt

ωS ωSt

(RS + 2RP )ωH − RS ωS . 2RP

vB = ωSt RSt = ωSt (RS + RP ) Steg Sonnenrad

beträgt. Diese ist identisch mit der Geschwindigkeit des Punktes B als Punkt des Planetenrades, die sich über v B = v A + ω P RP

Planetenrad

berechnet. Einsetzen von vA und ωP ergibt:

Die Winkelgeschwindigkeiten von Hohlrad, Sonnenrad, Planetenrad und Steg sind ωH , ωS , ωP und ωSt , die zugehörigen Radien sind RH , RS , RP und RSt . Aufgrund der Geometrie gilt: RH = RS + 2RP , RSt = RS + RP . Wir bestimmen die Winkelgeschwindigkeiten der Planetenräder und des Steges in Abhängigkeit der Winkelgeschwindigkeiten von Hohl- und Sonnenrad. Die Geschwindigkeiten der Kontaktpunkte A und C sind durch v A = RS ω S und vC = RH ωH = (RS + 2RP )ωH

1 1 ωSt (RS + RP ) = RS ωS + (RS + 2RP )ωH − RS ωS 2 2 oder: ωSt =

(RS + 2RP )ωH + RS ωS . 2 ( RS + RP )

Für den Sonderfall eines sich mit ωS drehenden Sonnenrades und eines feststehenden Hohlrades führt dies auf: RS ωS , 2RP RS ωSt = ωS , 2 ( RS + RP ) ωP = −

und wir erkennen, dass z. B. für RS RP die Winkelgeschwindigkeiten der Planetenräder und des Steges sehr viel kleiner sind als die des Sonnenrades.

213

Technische Mechanik

9.4

214

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

mit der Matrix

i3

Technische Mechanik



cos ψ mψ = ⎝ − sin ψ 0

sin ψ cos ψ 0

⎞ 0 0 ⎠. 1

Für die Drehung um den Winkel θ um die k1 -Achse ergibt sich analog: i1

i2

θ θ θ k1 + mj2 k2 + mj3 k3 kj = mj1

k3′ = i3

mit der Matrix ⎛

1 mθ = ⎝ 0 0 i1

ψ

ψ

k′2

i2

k′1

⎞ 0 sin θ ⎠ . cos θ

Die dritte Drehung führt schließlich mit dem Verdrehwinkel ϕ und der Drehachse k3 auf:

k′3

k′′3

0 cos θ − sin θ

ϕ

ϕ

ϕ

kk = mk1 k1 + mk2 k2 + mk3 k3

ϑ

mit der Matrix

k′′2



cos ϕ m ϕ = ⎝ − sin ϕ 0

ϑ

sin ϕ cos ϕ 0

⎞ 0 0 ⎠. 1

k′2 k 1′′ = k1′

Die gesamte Drehmatrix mE , mit der sich die Beziehung zwischen den Einheitsvektoren k1 , k2 , k3 und den Einheitsvektoren i1 , i2 , i3 angeben lässt, erhalten wir durch einfache Matrizenmultiplikationen:

k3 = k 3′′ k2



⎞ ⎛ ⎞ k1 i1 ⎝ k2 ⎠ = mE ⎝ i2 ⎠ k3 i3

φ k′′2 k1 φ

mit

k′′1

Abb. 9.19 Die drei Elementardrehungen zur Beschreibung der Orientierung mit Eulerwinkeln, verdeutlicht am Beispiel eines starren Körpers in Form einer Pyramide

Größen innerhalb der Matrix vorgegeben werden können. Eine Möglichkeit, die Matrix zu beschreiben, besteht darin, drei aufeinanderfolgende Drehungen um verschiedene Achsen einzuführen. Exemplarisch werden wir dies für die sogenannten Eulerwinkel vorführen. In diesem Fall wird zunächst um die 3-Achse des Inertialsystems gedreht, danach um die aus der Drehung hervorgegangene 1 -Achse und zum Schluss um die neue 3 -Achse (Abb. 9.19). Für die erste Drehung um den Winkel ψ um die i3 -Achse folgt: ψ

ψ

ψ

ki = mi1 i1 + mi2 i2 + mi3 i3

mE = m ϕ mθ mψ , wobei die Elemente von mE durch mE11 = cos ψ cos ϕ − sin ψ cos θ sin ϕ, mE12 = sin ψ cos ϕ + cos ψ cos θ sin ϕ, mE13 = sin θ sin ϕ, mE21 = − cos ψ sin ϕ − sin ψ cos θ cos ϕ, mE22 = − sin ψ sin ϕ + cos ψ cos θ cos ϕ, mE23 = sin θ cos ϕ, mE31 = sin ψ sin θ, mE32 = − cos ψ sin θ, mE33 = cos θ

gegeben sind. Mithilfe dieser Matrix lassen sich Vektoren, die mit den Einheitsvektoren des Inertialsystems dargestellt sind, in das körperfeste System transformieren: kk = mk1 i1 + mk2 i2 + mk3 i3 . Um die Einheitsvektoren des körperfesten Bezugssystems in die Einheitsvektoren des Inertialsystems umzurechnen, ergibt sich wegen der Orthogonalität der Drehmatrix: ⎛







k1 i1  T ⎝ i2 ⎠ = mE ⎝ k2 ⎠ i3 k3 und damit:

Kinematik der räumlichen Bewegung

Bewegung ist die Richtung, wie wir gesehen haben, senkrecht zur Bewegungsebene. Im Falle einer räumlichen Bewegung ist der Betrag der Winkelgeschwindigkeit ein Maß, wie schnell sich ein Körper dreht und die Richtung der Winkelgeschwindigkeit kennzeichnet die Achse, um welche sich der Körper momentan dreht. Beide, sowohl der Betrag als auch die Richtung, ändern sich im Allgemeinen mit der Zeit. Da sich die Winkelgeschwindigkeit zu jeder der drei Elementardrehungen bei Eulerwinkeln sehr leicht angeben läßt, nämlich wie bei der ebenen Bewegung als Zeitableitung des jeweiligen Winkels um die zugehörige Drehachse, müssen diese nur vektoriell aufsummiert werden. Für die Winkelgeschwindigkeit des Körpers im Inertialsystem gilt deshalb bei Verwendung von Eulerwinkeln:

ik = m1k k1 + m2k k2 + m3k k3 .

˙ + ϕk ˙ 3 + θk ˙ 3. ω = ψi 1

Mit den Matrizen mE und (mE )T lassen sich somit auch die Koordinaten bezüglich verschiedener Basissysteme wie in (9.9) umrechnen. Hat der Körper eine Anfangsorientierung im Raum, so müssen zunächst die zugehörigen Eulerwinkel ψ, θ und ϕ bestimmt werden. Bezüglich der Verfahren, mit denen diese bestimmt werden können, wird auf Spezialliteratur verwiesen.

Durch Umrechnen der Einheitsvektoren in die körperfeste Basis folgt die Darstellung:

Außer der Beschreibung der Orientierung über Eulerwinkel können auch Drehungen um die Achsen in einer anderen Reihenfolge eingeführt werden. Ein bekanntes Beispiel sind Kardanwinkel, bei denen zunächst um die 1-Achse, dann um die neue 2 -Achse und zum Schluss um die 3 -Achse gedreht wird. Frage 9.4 Wenn Eulerwinkel gemäß der Reihenfolge der Drehachsen mit 313 bezeichnet werden, welche anderen Drehreihenfolgen gibt es noch?

Verdrehungen und Drehreihenfolge

Endliche Verdrehungen haben keine Vektoreigenschaft, da der Körper bei gleichen Verdrehwinkeln ψ, θ und ϕ um die zugehörigen Achsen bei unterschiedlichen Drehreihenfolgen am Ende unterschiedliche Orientierungen hat.

Die Winkelgeschwindigkeit eines Körpers ist ein Vektor, der die Drehrichtung und die momentane Drehgeschwindigkeit angibt Im Gegensatz zu Winkelverdrehungen haben Winkelgeschwindigkeiten Vektoreigenschaft. Bei einer ebenen

ω = ω1 k1 + ω2 k2 + ω3 k3 mit den Koordinaten ω1 = ψ˙ sin θ sin ϕ + θ˙ cos ϕ, ω2 = ψ˙ sin θ cos ϕ − θ˙ sin ϕ,

(9.10)

˙ ω3 = ψ˙ cos θ + ϕ. Wenn später der Drallsatz für den starren Körper ausgewertet wird, ist es zweckmäßig, die Winkelgeschwindigkeit bezüglich der körperfesten Einheitsvektoren anzugeben. Dann ergeben sich aus dem Drallsatz Differenzialgleichungen für ω1 , ω2 und ω3 , die normalerweise numerisch gelöst werden müssen. Um von diesen Koordinaten ω1 , ω2 , ω3 auf die Orientierung des Körpers zu kommen, sind die Gleichungen (9.10) nach den Zeitableitungen der Eulerwinkel aufzulösen, sodass diese ebenfalls numerisch integriert werden können. Umformen von (9.10) ergibt: sin ϕ cos ϕ ω1 + ω2 , ψ˙ = sin θ sin θ θ˙ = cos ϕω1 − sin ϕω2 , sin ϕ cos ϕ ϕ˙ = − ω1 − ω2 + ω3 , tan θ tan θ und wir erkennen, dass dies zu Problemen führt, wenn der Winkel θ in der Nähe von θ = 0 oder θ = ±π liegt, da dann der Nenner in den Gleichungen sehr klein wird. Der Grund liegt darin, dass die erste und die dritte Drehung in diesem Fall praktisch um dieselben Achsen erfolgt und deshalb die Eulerwinkel nicht mehr eindeutig sind. Im Falle der Darstellung der Orientierung mit Winkeln anderer Drehreihenfolge tritt dieses Phänomen ebenfalls auf. Es kann vermieden werden, wenn sogenannte Quaternionen, z. B. in Form von Eulerparametern, eingeführt werden, wozu aber auf die Spezialliteratur verwiesen wird.

215

Technische Mechanik

9.4

216

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Technische Mechanik

Leitbeispiel Antriebsstrang Differenzialgetriebe

Ein Differenzialgetriebe dient bei einem Fahrzeug zum Ausgleich der unterschiedlichen Drehzahlen der Räder bei einer Kurvenfahrt. In diesem Beispiel bestimmen wir die Winkelgeschwindigkeit und die Winkelbeschleunigung des Verbindungsritzels. In der Abbildung ist der prinzipielle Aufbau des Differenzialgetriebes zu sehen. Das ganze Getriebe dreht sich mit der Winkelgeschwindigkeit ωA , die durch den Antriebsstrang vorgegeben wird. Die Achsen der Räder drehen sich mit ωL auf der linken und mit ωR auf der rechten Seite. Beide Achsen sind über Zahnräder (Zahnkreisradius RA ) mit dem Verbindungsritzel (Zahnkreisradius r) verbunden. Zunächst bestimme man die Winkelgeschwindigkeit ωV des Ritzels in Abhängigkeit von ωA und ωL . Wie groß ist die Winkelbeschleunigung αV des Ritzels? Wie groß sind ωV und αV bei einer Geradeausfahrt? Was ergibt sich, wenn aufgrund von Eisglätte das linke Rad blockiert und das rechte Rad durchdreht?

ez′

ωR

ex′′

vB = −ωL RA ex , vC = −ωR RA ex . Für die Kontaktpunkte als Punkte des Ritzels gilt: vB = vV + ωV × (−rez ), vC = vV + ωV × (rez ) und damit:

oder: ez

ωE

Die Geschwindigkeiten der Kontaktpunkte B und C zwischen den Achszahnrädern und dem Ritzel relativ zum Fahrzeug sind analog zu bestimmen:

vC = −ωA RA ex + (ωA ez + ωE ey ) × (rez )

ωA ey′

vV = ωGehäuse × RA ey = ωA ez × RA ey = −ωA RA ex .

vB = −ωA RA ex + (ωA ez + ωE ey ) × (−rez ),

ex′ ωL

Bezüglich des Fahrzeugs haben Punkte auf der Achse der Räder keine Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit des Ritzelmittelpunktes bezüglich des Fahrzeugs beträgt deshalb:

ex

ey

ez′′ ey′′

Die Winkelgeschwindigkeit ωV des Ritzels bezüglich des Fahrzeugs setzt sich zusammen aus der Winkelgeschwindigkeit ωA ez , mit der sich das Gehäuse des Differenzials dreht, und der Eigendrehung des Ritzels ωE ey : ωV = ωA ez + ωE ey = ωA ez + ωE ey .

vB = −ωA RA ex − ωE rex = (−ωA RA − ωE r)ex , vC = −ωA RA ex + ωE rex = (−ωA RA + ωE r)ex . Da an den Kontaktpunkten die Geschwindigkeiten gleich sind, ergeben sich die beiden Gleichungen:

−ωL RA = −ωA RA − ωE r, −ωR RA = −ωA RA + ωE r. Dies sind zwei Gleichungen für die vier Größen ωA , ωL , ωR und ωE , sodass zwei Größen vorgegeben werden können. Im Allgemeinen ist eine davon die Winkelgeschwindigkeit ωA , die durch den Antriebsstrang vorgegeben wird. Im Falle einer Geradeausfahrt sind bei gleichen Radien der Bereifung ωL und ωR gleich (bei ungleicher Bereifung oder einer Kurvenfahrt ist dies nicht mehr der Fall). Bei einem blockierenden

9.4

−ωE r + ωRA = ωA RA , ωE r + ωRA = ωA RA und damit: ω = ωA , ωE = 0.

Für die Winkelbeschleunigung des Ritzels folgt: dI ωV dt = (ω˙ A ez + ω˙ E ey ) + ω × (ωA ez + ωE ey ),

αV =

wobei ω = ωA ez die Winkelgeschwindigkeit des x y z -Systems und damit des Differenzialgehäuses ist. Im Falle der Geradeausfahrt ergibt dies wegen ωE = 0 und somit ω˙ E = 0: αV,geradeaus = ω˙ A ez ,

Bei blockierendem linken Rad gilt:

− ω E r = ω A RA , ω R RA = ω A RA − ω E r

da das Ritzel sich dann einfach um die raumfeste Radachse dreht. Im Falle des blockierenden Rades gilt mit ω˙ E = −

und folglich: RA ωA , r ωR = 2ωA . ωE = −

Schraubenbewegung

Im Gegensatz zur ebenen Bewegung läßt sich die allgemeine räumliche Bewegung eines starren Körpers nicht mehr nur als Drehung um einen Momentanpol darstellen. Stattdessen ist die allgemeine Bewegung eine Schraubenbewegung, bei der sich der Körper um eine Achse dreht und sich gleichzeitig translatorisch in Richtung dieser Drehachse bewegt.

RA ω˙ A r

schließlich: αV,block = ω˙ A ez −

RA R 2 ex . ω˙ A ey + A ωA r r

Bei der Winkelbeschleunigung ist es somit egal, ob wir die Ableitung der Winkelgeschwindigkeit im Inertialsystem oder im körperfesten Bezugssystem bilden. Wir können deshalb einfach die Koordinaten ω1 , ω2 und ω3 ableiten und erhalten: α = ω˙ 1 k1 + ω˙ 2 k2 + ω˙ 3 k3 mit den körperfesten Einheitsvektoren k1 , k2 und k3 . Winkelbeschleunigung

Beispiel Für eine Schraubenbewegung können wir uns als Beispiel eine Schraubenmutter vorstellen, die sich auf einer feststehenden Gewindestange bewegt. Sie rotiert um die Gewindelängsachse und bewegt sich gleichzeitig in Längsrichtung. Es gibt somit keinen Punkt der Schrau benmutter, der momentan in Ruhe ist.

Die Winkelbeschleunigung beschreibt die zeitliche Änderung von Betrag und Richtung der Winkelgeschwindigkeit Die Winkelbeschleunigung α des starren Körpers ergibt sich aus der Ableitung der Winkelgeschwindigkeit im Inertialsystem. Unter Berücksichtigung von (9.7) erhalten wir: α=

dI ω dK ω dK ω = +ω×ω = . dt dt dt

217

Um die Winkelbeschleunigung eines Körpers zu bestimmen, kann die Winkelgeschwindigkeit im Inertialsystem oder im körperfesten System abgeleitet werden. Sie hat im Allgemeinen eine andere Richtung als die Winkelgeschwindigkeit.

Achtung Ist die Winkelgeschwindigkeit über Koordinaten bezüglich nicht körperfester Einheitsvektoren angegeben, dann führt die Gleichung zur Ableitung eines Vektors im Inertialsystem auf die Beziehung: α=

dI ω dZ ω = + Ω × ω. dt dt

Hierin ist Z das Bezugssystem, mit dem sich die Einheitsvektoren drehen, und das die Winkelgeschwindigkeit Ω gegenüber dem Inertialsystem hat. Im Allgemeinen gilt für das Kreuzprodukt Ω × ω = 0, da Ω und ω verschie den sind.

Technische Mechanik

linken Rad ist ωL = 0. Somit folgt bei Geradeausfahrt (ωL = ωR = ω):

Kinematik der räumlichen Bewegung

218

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

9.5 Technische Mechanik

Bewegung relativ zu einem starren Körper

P

rP rAP

Sehr oft liegt der Fall vor, dass ein Punkt P sich relativ zu einem Körper bewegt. Dies kann zum Beispiel bei einem Gelenk der Fall sein, wobei die beiden Kontaktpunkte der Körper zueinander eine Relativgeschwindigkeit haben, die sich meistens im körperfesten Bezugssystem sehr leicht beschreiben läßt. Auch bei anderen Anwendungen kann es vorkommen, dass sich die Bewegung eines Punktes bezüglich eines Körpers und damit in einem bewegten Bezugssystem sehr leicht angeben läßt. Dennoch sind sehr oft die Geschwindigkeit und die Beschleunigung des Punktes im Inertialsystem von Interesse. Beispiele hierfür finden sich viele im täglichen Leben. Wenn wir uns z. B. in einer Straßenbahn oder in einem anderen Fahrzeug befinden, so lassen sich die Bewegungen im fahrzeugfesten Bezugssystem sehr einfach beschreiben. Die Bewegung im Inertialsystem hängt indes noch von der Bewegung des Fahrzeugs ab. Des Weiteren sind bei Systemen, die aus mehreren starren Körpern bestehen, z. B. bei Industrierobotern, die einzelnen Körper über Dreh- oder Schubgelenke verbunden. Bei den Schubgelenken tritt dann eine Relativbewegung im Gelenk auf, die sich in körperfesten Bezugssystemen leicht darstellen läßt. In diesem Fall kann der Ortsvektor zu einem auf dem Körper bewegten Punkt P durch den Ortsvektor rA zu einem Bezugspunkt A des Körpers und einem Relativvektor rAP zwischen dem Bezugspunkt auf dem Körper und dem bewegten Punkt aufgeteilt werden (Abb. 9.20). Allerdings ist dieser Relativvektor jetzt im körperfesten Bezugssystem nicht mehr konstant, sondern ändert sich mit der Zeit. Die Geschwindigkeit des Punktes P im Inertialsystem ergibt sich aus: dI (rA + rAP ) dt dK rAP = vA + + ω × rAP dt = vA + vrel + ω × rAP .

vP =

Diese Darstellung ergab sich auch in Kap. 8 bei der Relativkinematik des Massenpunktes. Im Vergleich zu einem Punkt des Starrkörpers, der sich an derselben Stelle befindet wie der Punkt P, kommt also noch die Relativgeschwindigkeit vrel hinzu. Dies ist diejenige Geschwindigkeit, die ein Beobachter sieht, wenn er fest mit dem

O rA

A

Abb. 9.20 Auf einem Körper sich bewegender Punkt P

Starrkörper verbunden ist. Durch erneute Zeitableitung erhalten wir die Beschleunigung: aP =

dI vP dt

= aA +

dI vrel dI ω dI rAP + × rAP + ω × dt dt dt

= aA + α × rAP + ω × (ω × rAP ) + 2ω × vrel + arel . Hierin sind aA die Beschleunigung des Bezugspunktes A, α die Winkelbeschleunigung des Körpers K im Inertialsystem I und arel die Beschleunigung des Punktes P relativ zum Körper. Die ersten drei Anteile der Beschleunigung sind diejenigen, die ein Punkt des starren Körpers erfährt, der sich an derselben Stelle befindet wie P. Die Relativbeschleunigung ist die Beschleunigung, die ein mitbewegter Beobachter misst. Die Coriolisbeschleunigung aCor = 2ω × vrel hängt sowohl von der Bewegung des Körpers wie auch von der Bewegung des Punktes auf dem Körper ab.

Geschwindigkeit und Beschleunigung bei Relativbewegungen

Bewegt sich ein Punkt auf einem starren Körper, so setzt sich die Geschwindigkeit des Punktes aus der Geschwindigkeit des zugehörigen Punktes des Körpers und der Relativgeschwindigkeit zusammen. Bei der Beschleunigung tritt neben der Beschleunigung des entsprechenden Körperpunktes und der Relativbeschleunigung noch die Coriolisbeschleunigung auf.

Literatur Weiterführende Literatur für die Kap. 2 bis 13 – Technische Mechanik Beitelschmidt m, Dresig H (Hrsg) (2017) Maschinendynamik – Aufgaben und Beispiele, 2. Auflage, Springer Dresig H, Holzweißig F (2016) Maschinendynamik, 12. Auflage, Springer Gordon JE (1989) Strukturen unter Stress, Spektrum Akademischer Verlag Gross D, Hauger W, Schröder J, Wall WA (2017) Technische Mechanik 1: Statik, 13. Auflage, Springer-Vieweg Gross D, Hauger W, Schröder J, Wall WA (2017) Technische Mechanik 1: Elektrostatik, 13. Auflage, SpringerVieweg Isler L, Ruoß H, Häfele P (2003) Festigkeitslehre – Grundlagen, 2. Auflage, Springer Magnus K, Popp K, Sextro W (2016) Schwingungen, 10. Auflage, Springer Wittenburg J, Pestel E (2011) Festigkeitslehre, 3. Auflage, Springer Woernle C (2016) Mehrkörpersysteme, 2. Auflage, Springer Young W, Budynas R, Sadegh A (2011) Roark’s Formulas for Stress and Strain, 8. Auflage, McGraw-Hill

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 9.1 3, 3 Antwort 9.2 Änderung des Betrages, Änderung der Richtung.

219

Technische Mechanik

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 9.3 Das Rad dreht sich nicht mehr und führt eine reine Translationsbewegung aus. Damit liegt der Momentanpol im Unendlichen. Antwort 9.4 121, 123, 131, 132, 212, 213, 231, 232, 312, 321, 323.

220

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Technische Mechanik

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 9.1 • Gegeben ist der abgebildete Schubkurbelmechanismus

9.3 •• Bei welchem Winkel führen die Umrechnungen der Winkelgeschwindigkeiten ω1 , ω2 und ω3 bei Verwendung von Kardanwinkeln (vgl. Aufgabe 9.2) zu Schwierigkeiten, da Singularitäten auftreten? Resultat: β = ±90◦

l

y

r φ x

Bestimmen Sie die Koordinaten des Momentanpols der Koppelstange in der augenblicklichen Stellung. Hinweis: Führen Sie den Winkel ψ zwischen der Pleuelstange und der y-Achse ein Resultat:



r2 1 − 2 cos2 ϕ l  l r2 xP = r cos ϕ + 1 − 2 cos2 ϕ tan ϕ l yP = r sin ϕ + l

• Bei Kardanwinkeln wird ein Körper zunächst 9.2 um die 1-Achse, dann um die neue 2 -Achse und zum Schluss um die 3 -Achse gedreht. Wie läßt sich die Winkelgeschwindigkeit des Körpers mit den Einheitsvektoren i1 , k2 und k3 ausdrücken, wenn die Verdrehwinkel α, β und γ sind?

9.4 • Oft nehmen wir an, dass die Erde ein Inertialsystem ist. Näherungsweise ist diese Annahme natürlich gerechtfertigt. Bei einer genaueren Betrachtung ist die Erde jedoch ein Körper, der eine Winkelgeschwindigkeit um die Polachse hat. In welche Richtung kann ein Mensch auf der Erdoberfläche am Äquator gehen, sodass aufgrund der Erddrehung keine Coriolisbeschleunigung auftritt? Tritt am Nord- oder am Südpol eine entsprechende Coriolisbeschleunigung auf? Wie sieht es aus, wenn man am Äquator beziehungsweise an einem der Pole einen Stein in einen tiefen Brunnen fallen läßt? Resultat: Richtungen ohne Coriolisbeschleunigung: nordsüd-Richtung am Äquator. Am Nord- und am Südpol tritt Coriolisbeschleunigung auf. Stein in Brunnen: am Äquator tritt Coriolisbeschleunigung auf, an den Polen nicht.

• • • Wie lautet die Drehmatrix bei Kardanwin9.5 keln, wenn die Drehwinkel um die 1-Achse mit α, um die 2 -Achse mit β und um die 3 -Achse mit γ bezeichnet werden? Hinweis: Führen Sie Zwischensysteme ein ⎞ ⎛ ⎞ i1 k1 ⎝k2 ⎠ = mK ⎝i2 ⎠ k3 i3 ⎛

Resultat:

mit mK 11 = cos β cos γ,

mK 12 = sin α sin β cos γ + cos α sin γ,

mK 13 = − cos α sin β cos γ + sin α sin γ, mK 21 = − cos β sin γ,

mK 22 = cos α cos γ − sin α sin β sin γ,

Hinweis: Es handelt sich um drei Elementardrehungen

mK 23 = sin α cos γ + cos α sin β sin γ,

Resultat:

mK 31 = sin β, ˙ + γk ˙ 1 + βk ˙ 3 ω = αi 2

mK 32 = − sin α cos β,

mK 33 = cos α cos β.

9.6 •• Zwei Zahnräder sind auf einer Stange drehbar in den Punkten A und B gelagert. Die Stange selbst kann sich um den Punkt O drehen. Zahnrad 1 ist im Einsatz mit einer außenverzahnten Scheibe, Zahnrad 2 mit einem Hohlrad. Die Mittelpunkte von Scheibe und Hohlrad sind ebenfalls in O. Die Radien der Zahnräder sind r, der Radius von Scheibe und Hohlrad R.

ψ

Zahnrad 1

C

O ex

r Zahnrad 2 D

ω2

Resultat: Ergebnisse für die Stellung ϕ = 30◦ : 1 ˙ ωKoppel = − √ ϕ, 33 ˙ vS = (−0,25ex + 0,791ey )r ϕ, αKoppel = −0,2924 ϕ˙ 2,

ω1

r R

Hinweis: Führen Sie den Winkel ψ zwischen der Vertikalen und der Pleuelstange ein.

ey

aS = (−0,433ex − 0,417ey )r ϕ˙ 2 . Ergebnisse für die Stellung ϕ = 60◦ :  3 ˙ ωKoppel = − ϕ, 35 ˙ vS = (−0,433ex + 0,427ey )r ϕ, αKoppel = −0,155 ϕ˙ 2 ,

Zunächst sind die Winkelgeschwindigkeiten der beiden Zahnräder gesucht, wenn die Winkelgeschwindigkeit ψ˙ gegeben ist. Mithilfe der Winkelgeschwindigkeiten sind die Vektoren der Geschwindigkeiten der Punkte C und D zu ermitteln. Hinweis: Werten Sie die Rollbedingungen aus.

aS = (−0,25ex − 0,954ey )r ϕ˙ 2 . 9.8 •• Bei einem Zylinderrollenlager dreht sich der Außenring mit der Winkelgeschwindigkeit ωA , der Innenring mit der Winkelgeschwindigkeit ωI . Der Außenradius des Innenrings ist R, der Durchmesser der Rollen d.

Resultat: ˙ x + (R + r)ψ˙ sin ψey , vC = (R + r)(cos ψ − 1)ψe ˙ x − (R − r)ψ˙ sin ψey . vD = (R − r)(1 − cos ψ)ψe

•• Die Kurbel des abgebildeten Schubkurbelme9.7 chanismus dreht sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit.

ωR

ωA

R

ωK

d

ωI Käfig

Wie groß sind die Winkelgeschwindigkeit ωR der Wälzkörper und die Winkelgeschwindigkeit ωK des Käfigs? Hinweis: Die Wälzkörper rollen ab. l

y

Resultat: ωK =

r φ x

Wie groß sind die Winkelgeschwindigkeit der Koppelstange und die Geschwindigkeit ihres Schwerpunktes für ϕ = 30◦ beziehungsweise für ϕ = 60◦ ? Wie groß sind in diesen Stellungen Winkelbeschleunigung und Schwerpunktsbeschleunigung? Es gilt l = 3r.

RωI + (R + d)ωA . 2R + d

•• Ein Betonlaster fährt mit konstanter Ge9.9 schwindigkeit v eine Kurve mit Radius R. Die Betontrommel dreht sich dabei mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ωT bezüglich des Fahrzeugs um eine Achse, die parallel zur Längsachse des Fahrzeugs verläuft. Wie lautet der Winkelgeschwindigkeitsvektor der Trommel bezüglich der Umgebung? Welchen Betrag hat er? Wie groß ist die Winkelbeschleunigung α der Trommel? Hinweis: Führen Sie Einheitsvektoren er , e ϕ und ez ein. Resultat: αTrommel −

v ωT er R

221

Technische Mechanik

Aufgaben

222

9 Kinematik des starren Körpers – wie Gegenstände sich bewegen

Technische Mechanik

9.10 • • • Ein Frisbee ist eine Jahrmarktattraktion, bei der sich eine Stange der Länge l ähnlich einem Pendel um eine horizontale Achse dreht. Der Winkel zwischen der Pendelstange und der Vertikalen beträgt ϕ. Am Ende der Stange ist eine Scheibe mit Radius R angebracht, die sich bezüglich der Stange um deren Längsachse mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ωS dreht. Der Drehwinkel ϕ der Stange ist wie bei einem Pendel von der Zeit abhängig.

Resultat: aA = (l ϕ¨ + R ϕ˙ 2 + RωS2 )ey + (l ϕ˙ 2 − R ϕ¨ )ez , ¨ y + (l ϕ˙ 2 + 2R ϕω ˙ S )ez . aB = (−RωS2 )ex + l ϕe 9.11 •• Eine Welle mit Radius RW rollt auf dem Untergrund ab. An ihr ist eine Scheibe mit dem Radius RS angebracht, die sich in einer Nut des Untergrundes bewegen kann. Der Mittelpunkt der Welle bewegt sich mit der konstanten Geschwindigkeit vW entlang des Untergrundes. ey

Welle Scheibe

RW v W

ex

RS B A

Wie groß sind die Geschwindigkeiten und die Beschleunigungen der Punkte A und B? Hinweis: Am Punkt B liegt Rollen vor. Resultat: aA =

RS v2W ey , R2W

aB =

v2W ey . RW

Ein Propeller besteht aus drei Flügeln und 9.12 • wird beim Hochlaufen des Motors mit der Winkelbeschleunigung α beschleunigt. Dabei beträgt die augenblickliche Winkelgeschwindigkeit ω. Wie groß ist die Beschleunigung des Punktes A? A

ez′

l

ey′ l φ ωS R

ω, α ex′ B

A

Wie groß ist der Vektor ωF der Winkelgeschwindigkeit des Frisbees? Wie groß ist dessen Winkelbeschleunigung, wenn ϕ˙ und ϕ¨ gegeben sind? Wie groß sind die Geschwindigkeiten der Punkte A und B, wie groß deren Beschleunigung? Hinweis: Verwenden Sie die nicht körperfesten Einheitsvektoren ex , ey , ez .

Hinweis: Führen Sie ein zylindrisches Koordinatensystem ein. Resultat:

aA = αle ϕ − ω 2 ler

10

Technische Mechanik

Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Warum dreht sich eine Eiskunstläuferin bei einer Pirouette so schnell? Warum hat ein Verbrennungsmotor ein Schwungrad? Wo muss eine Billardkugel gestoßen werden, damit sie nach dem Stoß rollt ohne zu gleiten?

10.1 10.2 10.3 10.4 10.5

Kinetik für eine Drehung um eine feste Achse . . . . . . . Massenträgheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinetik für eine allgemeine ebene Bewegung . . . . . . . Kinetik der allgemeinen Bewegung eines starren Körpers Stoßprobleme und Systeme veränderlicher Masse . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_10

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

224 226 229 239 242 249 250

223

224

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

Im letzten Kapitel hatten wir die Kinematik zunächst für eine ebene Bewegung und dann für eine allgemeine Bewegung eines starren Körpers betrachtet. Der wichtige Sonderfall der ebenen Bewegung erwies sich dabei als besonders einfach, da dann die Winkelgeschwindigkeit die Richtung nicht ändert. Im vorliegenden Kapitel soll jetzt untersucht werden, wie sich ein Körper unter der Wirkung von Kräften und Momenten bewegt. Dies schließt auch den Fall ein, in dem die Kräfte und Momente gesucht werden, die notwendig sind, um eine gewünschte Bewegung zu erreichen.

ez

ω r dm K

Im ersten betrachteten Sonderfall, der Drehung um eine raumfeste Achse, zeigt sich, dass das Verhalten des Körpers wesentlich durch seine Massenverteilung bestimmt ist, die mit dem sogenannten Massenträgheitsmoment beschrieben wird. Mithilfe des Drallsatzes läßt sich damit eine Bewegungsgleichung für den Körper angeben. Für eine allgemeine ebene Bewegung ist neben der Rotation auch die Translation von Bedeutung. Hierbei zeigt sich, dass der Impulssatz wie für einen Massenpunkt ausgewertet werden kann, wenn die Beschleunigung des Schwerpunktes des Körpers verwendet wird. Der Drallsatz, der am besten bezüglich des Schwerpunktes ausgewertet wird, erfordert wiederum die Kenntnis des Massenträgheitsmoments. Beide Sätze sind wichtig, wenn es darum geht, dass sich ein Körper, z. B. ein Rotor oder eine Turbinenwelle, möglichst so bewegt, dass er keine Kräfte auf die Umgebung ausübt. Beim Arbeitssatz zeigt sich, dass sich die kinetische Energie des starren Körpers aus einem Anteil infolge der Translation und einem Anteil infolge der Rotation zusammensetzt. Während der eine Anteil proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit des Schwerpunktes ist, hängt der andere vom Quadrat der Winkelgeschwindigkeit ab. Insbesondere ist deshalb z. B. bei schnelldrehenden Elektromotoren der Anteil der Läuferwelle wichtig, selbst wenn deren Massenträgheitsmoment klein ist. Auch bei der allgemeinen räumlichen Bewegung sind die Bewegungsgleichungen durch Auswertung von Impuls- und Drallsatz von Interesse. Eventuell auftretende Zwangskäfte oder -momente müssen dazu eliminiert werden. Bei Kenntnis aller Parameter und aller Anfangsbedingungen können die nichtlinearen Bewegungsgleichungen integriert werden. Eine analytische Lösung der Bewegungsgleichungen gelingt nur nach Linearisierung oder in Sonderfällen. Bei einer gewünschten Bewegung können so die dazu notwendigen Kräfte und Momente bestimmt werden, oder es kann die Bewegung ermittelt werden, die sich infolge gegebener Kräfte und Momente einstellt.

10.1

Kinetik für eine Drehung um eine feste Achse

Bei der Kinetik der Bewegung eines starren Körpers betrachten wir zunächst wieder den Fall einer Rotation um eine raumfeste Achse. Gemäß Abb. 10.1 wählen wir dabei als Bezugspunkt für den Drallsatz einen Punkt O, der auf der Drehachse liegen soll. Für das eingezeichnete

v

r O

Abb. 10.1 Massenelement dm bei einer Rotation um eine raumfeste Achse

differenziell kleine Massenelement ergibt sich als differenzieller Drall: dL(O) = r × vdm = (rer + zez ) × ωrdme ϕ

= r2 ωdmez − zrωdmer , sodass der Drallsatz für das Massenelement d 2 (O) ˙ ˙ (dL(O) ) = r2 ωdme z − zrωdme r − zrω dme ϕ = dM dt liefert, wobei dM (O) die Momentenwirkung aller externen und internen Kräfte und Momente auf das Massenelement bezüglich des Bezugspunkts O bezeichnet. Wir integrieren über die gesamte Masse des Körpers. Hierbei ist zu beachten, dass die Einheitsvektoren er und e ϕ zwar beide in der Bewegungsebene liegen, aber vom betrachteten Massenelement dm abhängen. Lediglich ez ist unabhängig von dm. Die Integration der er - und e ϕ -Komponenten kann deshalb nicht so ohne Weiteres durchgeführt werden. Die Auswertung der Integration über diese Komponenten





(m )

˙ r + zrω 2 e ϕ )dm = (zrωe



(O)

(O)

(dMr er + dM ϕ e ϕ )

(m )

führt demnach auf ein Gesamtmoment, das in der r-ϕEbene liegt und den sogenannten Schleudermomenten entspricht. Sie verschwinden bei einem Körper, der bezüglich der Rotationsachse symmetrisch ist. Später werden wir sehen, dass sie auch im unsymmetrischen Fall verschwinden, wenn die Rotationsachse eine Hauptachse

σ+φ

Boltzmann-Axiom, d. h. die Symmetrie des Spannungstensors als Axiom eingeführt werden.

τ+rφ τ+rφ

σ–r

Axiome für die Bewegung des starren Körpers +

σr

τ–rφ τ–rφ

Kinetik für eine Drehung um eine feste Achse

Bei der Kinetik des starren Körpers ist neben dem Newton’schen Axiom noch ein weiteres Axiom notwendig. Dies ist im Allgemeinen das Euler’sche Axiom (Drallsatz) oder die Symmetrie des Spannungstensors.

σ–φ

Abb. 10.2 Innere Kräfte (Spannungen) am freigeschnittenen Massenelement

des Trägheitstensors ist. Falls diese Anteile nicht verschwinden, müssen sie im Allgemeinen von der Lagerung aufgebracht werden, sodass deren Kenntnis durchaus praktische Bedeutung hat. Beispiel Ein gutes Beispiel hierfür ist ein rotierender Autoreifen, der auf der Auswuchtmaschine ausgewuchtet wird. Im ideal ausgewuchteten Zustand sind keine Momente von der Lagerung auf den Reifen notwendig, um die Rotationsbewegung zu realisieren. Wenn der Reifen nicht ausgewuchtet ist, sind Momente von der Lagerung auf den Reifen notwendig, die in der Bewegungsebene liegen. Wir kommen hierauf später noch einmal zurück.  Zunächst konzentrieren wir uns aber auf die zKomponente der Gleichung. Eine Integration über alle Massenelemente des Körpers ergibt für die Anteile in z-Richtung:  (m )

˙ r2 ωdm = ω˙

 (m )

r2 dm =



(O)

dMz . (m )

Die Ableitung der Winkelgeschwindigkeit kann dabei vor das Integral gezogen werden, da diese für den Körper und damit für alle Massenelemente dieselbe ist. Bei der Integration der Momente über alle Massenpunkte muss sowohl über die äußeren wie auch die inneren Momente integriert werden. Die inneren Momente zwischen den benachbarten Massenelementen können nur von den Spannungen zwischen den Massenelementen hervorgerufen werden. Tragen wir an einem Freischnitt des Massenelementes dm alle Spannungen an, so erkennt man in Abb. 10.2, dass diese aufgrund der Symmetrie des Spannungstensors jeweils paarweise auftreten, sodass die Spannungen am Massenelement in der Summe auf ein verschwindendes Moment führen. Die Integration der differenziellen Momente über den ganzen Körper entspricht damit gerade der Summe der äußeren Momente bezüglich O. An dieser Stelle wird jedoch darauf hingewiesen, dass im Allgemeinen die Symmetrie des Spannungstensors aus einer Momentenbilanz am freigeschnittenen Element hergeleitet wird. Deshalb muss entweder das Euler’sche Axiom, dass die inneren Momente in der Summe verschwinden, oder das

Die Momentenbilanz bezüglich der z-Achse führt folglich auf: ω˙



r2 dm =

(O)

∑ Mz

.

(m )

In dieser Gleichung fällt auf, dass das Integral JO =



r2 dm

(m )

von der Bewegung unabhängig ist und somit nur von der Massenverteilung des Körpers abhängt. Es kann unabhängig von der Bewegung ausgewertet werden und wird als Massenträgheitsmoment JO bezeichnet. Wie wir später sehen werden, hängt es sowohl von der Richtung der Drehachse bezüglich des Körpers ab wie auch vom Bezugspunkt O, durch den die Drehachse geht. Deshalb wird meistens der Bezugspunkt bei der Bezeichnung mit angegeben, außer in Fällen, bei denen der Bezugspunkt eindeutig festliegt. Letztendlich erhalten wir als wichtiges Ergebnis aus dem Drallsatz für eine Rotation um eine raumfeste Achse die Gleichung ˙ O = αJO = ωJ

(O)

∑ Mz

.

Beispiel Als Beispiel betrachten wir das Anfahren einer belasteten Turbine, die durch ein drehzahlabhängiges Moment um die Drehachse angetrieben wird. Wir nehmen an, dass sich die Last aus einem konstanten Anteil M0 und einem drehzahlproportionalen Anteil M1 = k1 ω zusammensetzt. Das Antriebsmoment sei durch Ma = k2 − k3 ω gegeben. Der Drallsatz liefert in diesem Fall die Bewegungsgleichung J ω˙ =

∑ Mi .

Hierbei ist zu beachten, dass M0 und M1 der Bewegung entgegen, also in negative z-Richtung weisen. Dies führt auf: J ω˙ = −M0 − k1 ω + k2 − k3 ω und damit auf die Bewegungsgleichung: J ω˙ + (k1 + k3 )ω = −M0 + k2 .

225

Technische Mechanik

10.1

226

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

Wir erhalten hier eine Differenzialgleichung erster Ordnung für ω, die sogar analytisch gelöst werden kann. Die zugehörige Lösung lautet: ω = Ae

k +k − 1J 3t

+

cDφ Ax

k2 − M0 , k1 + k3

x Ay

wobei A eine Integrationskonstante ist, die von der Anfangsbedingung für ω abhängt. 

JAφ

Die Auswertung des Drallsatzes kann auch in der gewohnten Form einer Momentenbilanz erfolgen, wenn im Sinne von d’Alembert ein Trägheitsmoment definiert wird. Führen wir in der Gleichung (O)

JO ω˙ = Mz

mg y

Abb. 10.4 Freikörperbild des physikalischen Pendels mit Drehfeder

= MO

das Trägheitsmoment das also entgegengerichtet zu ϕ gerichtet ist. Eine Momentenbilanz bezüglich Lagerpunkt A ergibt:

MT = −JO ω˙ ein, so kann die Momentenbilanz kompakt durch

∑ MA = 0 = −cD ϕ − JA ϕ¨ − mgl sin ϕ,

MO + M T = 0

und wir erhalten die Bewegungsgleichung:

geschrieben werden. Beispiel Ein physikalisches Pendel ist im Punkt A drehbar gelagert. Der Abstand zwischen dem Lager und dem Schwerpunkt S des Pendels beträgt l. Auf das Pendel wirkt neben der Gewichtskraft noch eine Drehfeder mit der Federkonstanten cD , die für ϕ = 0 entspannt ist. Als Koordinate zur Beschreibung der Bewegung wird der Winkel ϕ gemäß Abb. 10.3 eingeführt. Dies kann als Modell für eine Pendeluhr dienen, bei der die Federsteifigkeit null zu setzen ist oder als Unruhe einer Uhr, bei welcher die Schwerkraft im Allgemeinen keine Rolle spielt und statt dessen eine Drehfeder angebracht ist.

JA ϕ¨ + cD ϕ + mgl sin ϕ = 0.

10.2

Massenträgheitsmomente

Da die Berechung der Massenträgheitsmomente in der Praxis sehr wichtig ist, soll dieses Thema in einem eigenen Unterkapitel behandelt werden. Die Definition des Trägheitsmoments lautet: JO =

A





r2 dm.

(m )

g

cD

φ l S m, JA

Abb. 10.3 Physikalisches Pendel mit Drehfeder

Ein Freikörperbild in Abb. 10.4 zeigt, dass lediglich die Gewichtskraft und die Drehfeder jeweils ein Moment bezüglich des Lagerpunkts A haben. Mit eingezeichnet ist auch das Trägheitsmoment ¨ MT = −JA ϕ,

Bei gleicher Masse können zwei Körper unterschiedliche Massenträgheitsmomente haben. Entscheidend ist der Abstand r der einzelnen Massenelemente von der Drehachse. Bei einem Körper, bei dem die Masse einen großen Abstand von der Drehachse hat, ist das Massenträgheitsmoment entsprechend groß. Dies ist ähnlich wie bei Flächenträgheitsmomenten in Abschn. 5.2. Im konkreten Fall ist es bei Körpern komplizierter Geometrie nur noch numerisch oder experimentell möglich, das Massenträgheitsmoment zu bestimmen. Bei einem CAD-Modell liegt der Körper im Allgemeinen als Summe vieler einfacher Teilkörper vor, sodass dann die numerische Auswertung einfach wird. Wir beschränken uns hier auf die Auswertung des Integrals für einfache Geometrien. In diesem Fall werden am besten zunächst möglichst große Massenelemente gewählt, bei denen alle Punkte den gleichen Abstand von der Drehachse haben.

Massenträgheitsmomente

wendet werden kann, ist ein Hohlzylinder der Länge d, der Dicke dr und mit Radius r. Die Masse dieses Massenelementes beträgt:

Massenträgheitsmomente

Das Massenträgheitsmoment eines Körpers hängt ab von der Richtung der Drehachse bezüglich des Körpers und vom Bezugspunkt, durch den diese Achse geht. Aufgrund seiner Definition ist es immer positiv.

dm = 2πrdρdr. Eingesetzt in die Definitionsgleichung führt dies auf:

Beispiel Dass das Massenträgheitsmoment eines dünnen Stabes von der Drehachse abhängt, wissen wir aus Erfahrung. Wenn wir den Stab um seine Längsachse drehen, ist das zum Beschleunigen notwendige Moment verschwindend gering. Für eine Drehung um eine Achse senkrecht zur Längsachse ist ein relativ großes Moment zur Beschleunigung notwendig. Ein Seiltänzer mit Balancierstange nützt diese Trägheit gezielt aus (Abb. 10.5).

JS =



r2 dm =

(m )

R

2πr3 dρdr =

0

π ρdR4 . 2

Berücksichtigen wir, dass die Masse der Scheibe durch m = πρdR2 gegeben ist, dann erhalten wir als einfaches Ergebnis: JS =

m 2 R . 2



Beispiel Für den in Abb. 10.7 dargestellten, dünnen Stab kann angenommen werden, dass die ganze Masse auf der Stablängsachse konzentriert ist. Wird die Koordinate x in Stablängsrichtung eingeführt, so hat das Massenelement dm = (m/l)dx den Abstand x von der Drehachse, die senkrecht zur Stablängsachse durch das Stabende in A geht; m bezeichnet dabei die Gesamtmasse des Stabes.

x

Abb. 10.5 Hochseilartisten mit Balancierstangen

A



Beispiel Bei der in Abb. 10.6 dargestellten homogenen Scheibe der Dicke d und dem Außenradius R soll das Massenträgheitsmoment bezüglich einer Achse durch den Schwerpunkt S in Dickenrichtung bestimmt werden. Ein Massenelement, das zur Auswertung des Integrals ver-

dm l, m ω

Abb. 10.7 Massenelement zur Bestimmung des Massenträgheitsmoments eines dünnen Stabes bezüglich einer Achse durch ein Stabende

Die Auswertung ergibt dann: dm dr

JA =

R r

Dicke d

ω

Abb. 10.6 Massenelement zur Bestimmung des Massenträgheitsmoments einer Scheibe

l 0

x2

m m l3 m dx = = l2 . l l 3 3



Frage 10.1 Wie groß ist das Massenträgheitsmoment eines dünnen Stabes für eine Achse, die senkrecht auf der Längsachse steht und durch den Schwerpunkt des Stabes geht?

227

Technische Mechanik

10.2

228

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

In vielen Fällen kann man sich den Körper aus n einzelnen Teilkörpern zusammengesetzt denken. Wenn wir von diesen Teilkörpern die jeweiligen Massenträgheitsmomente JAi bezüglich der gegebenen Drehachse durch den Punkt A kennen, so ergibt sich das resultierende Massenträgheitsmoment einfach als Summe der einzelnen Anteile: JA =

y y

dm r rS

A

n

r S

x x

∑ JAi .

i=1

Beispiel Ein Beispiel, bei dem dies ausgenützt wird, ist die Bestimmung des Massenträgheitsmoments einer homogenen Kugel bezüglich einer Drehachse durch ihren Schwerpunkt S. Die Kugel hat den Radius R und die Dichte ρ. Gemäß Abb. 10.8 führen wir entlang der Drehachse die z-Koordinate mit Ursprung im Mittelpunkt der Kugel ein. Dann zerlegen wir die Kugel in dünne Scheiben der Dicke dz, von denen wir die Massenträgheitsmomente kennen, wenn wir berücksichtigen, dass sowohl der Radius einer Scheibe wie auch deren Masse von der zKoordinate abhängen.

Abb. 10.9 Zur Bestimmung des Massenträgheitsmoments bezüglich einer parallelen Achse durch den Punkt A

Im Folgenden untersuchen wir den Fall, dass die Drehachse parallel verschoben wird und durch einen Punkt A geht, der nicht mit dem Schwerpunkt S übereinstimmt. In diesem Fall führen wir neben den Koordinaten x und y mit Ursprung in A auch die Koordinaten x¯ und y¯ ein, deren Ursprung im Schwerpunkt S liegt (Abb. 10.9). Für das Massenträgheitsmoment bezüglich A gilt: JA =



(m )

dz

(m )

x = xS + x¯ , y = yS + y¯

r (z)

C

(x2 + y2 )dm.

Mit den Beziehungen

z

R



r2 dm =

folgt hieraus: JA =

Abb. 10.8 Bestimmung des Massenträgheitsmoments einer Kugel

= (x2S + y2S )

dm = πr2 (z)ρdz = π (R2 − z2 )ρdz

+ 2yS

führen auf das differenzielle Massenträgheitsmoment dJS der Scheibe:

 (m )

dJS =

R −R

(m )

y¯ dm +

(m )



x¯ dm (m )

(x¯ + y¯ 2 )dm 2

(m )

x¯ dm = 0,

(m )



y¯ dm = 0

(m )

schließlich der Satz von Steiner:

ergibt. Unter Berücksichtigung von m = 4πρR3 /3 führt dies auf die einfache Form: 2 mR2 . 5



dm + 2xS



π 2 8 (R − z2 )2 ρdz = πρR5 2 15

JS =





und unter Berücksichtigung von

dm 2 π r = (R2 − z2 )2 ρdz. 2 2

Eine Summation über alle Scheiben ist hier gleichbedeutend mit einer Integration, sodass das Ergebnis für die Scheibe JS =

(x2S + y2S + 2xS x¯ + 2yS y¯ + x¯ 2 + y¯ 2 )dm

(m )

Diese Abhängigkeiten  r(z) = R2 − z2 ,

dJS =





JA = a2 m + JS ,

 wobei a = x2S + y2S der Abstand zwischen den Achsen durch die Punkte A und S ist. Für Massenträgheitsmomente ist der Satz von Steiner also ganz ähnlich formuliert wie für Flächenträgheitsmomente in der Festigkeitslehre.

Kinetik für eine allgemeine ebene Bewegung dFi

Steiner’sche Ergänzung

Das Massenträgheitsmoment JA bezüglich einer Achse durch den Punkt A setzt sich zusammen aus dem Massenträgheitsmoment JS bezüglich einer parallelen Achse durch den Schwerpunkt und der sogenannten Steiner’schen Ergänzung ma2 , wenn a der Abstand der Achsen durch die Punkte S und A ist. Da ma2 immer positiv ist, nimmt das Massenträgheitsmoment dann den kleinsten Wert für eine gegebene Richtung der Drehachse an, wenn die Achse durch den Schwerpunkt geht.

dm

dFa

Abb. 10.11 Freikörperbild eines Massenelementes des starren Körpers

und bezüglich einer Achse durch den Punkt A:  kScheibe,A =

3 R. 2

Bei beliebigen Körperformen wird das Massenträgheitsmoment oft durch numerische Integration oder experimentell bestimmt.

Beispiel Als Anwendung soll das Massenträgheitsmoment einer Scheibe bezüglich einer zur Scheibenebene senkrechten Achse durch den Randpunkt A bestimmt werden (Abb. 10.10).

10.3

Kinetik für eine allgemeine ebene Bewegung

Drehachse

A

R

In diesem Unterkapitel wird die Kinetik eines starren Körpers untersucht, der sowohl eine Translations- wie auch eine Rotationsbewegung ausführen kann, bei dem die Richtung der Winkelgeschwindigkeit sich während der Bewegung aber nicht ändert.

S m

Abb. 10.10 Bestimmung des Massenträgheitsmoments bezüglich einer Achse am Rande der Scheibe

Das Massenträgheitsmoment bezüglich des Schwerpunktes S wurde zuvor zu JS = 12 mR2 bestimmt. Der Abstand zwischen dem Bezugspunkt A und dem Schwerpunkt S beträgt a = R, sodass sich mit der Steiner’schen Ergänzung JA =



Oftmals wird noch der Trägheitsradius k eingeführt, der so definiert ist, dass J = mk2 gilt. Für die zuvor betrachtete Scheibe erhalten wir deshalb im Falle einer Achse senkrecht zur Scheibenebene durch den Schwerpunkt: R kScheibe,S = √ 2

Bei der ebenen Bewegung eines Punktes eines starren Körpers ergab sich die Beschleunigung eines Punktes P zu ˙ × rAP + ω × (ω × rAP ), aP = aA + ω

1 3 mR2 + mR2 = mR2 2 2

ergibt.

Der Impulssatz für den starren Körper führt zum Zusammenhang zwischen der Beschleunigung des Schwerpunktes und den Kräften

wobei A ein Bezugspunkt auf dem starren Körper ist. Wird ein Massenelement am Punkt P freigeschnitten (Abb. 10.11) und alle an ihm wirkenden äußeren und inneren Kräfte angetragen, so folgt mit dem Newton’schen Axiom:

[aA + ω˙ × rAP + ω × (ω × rAP )]dm = dF i + dF a . Hierin bezeichnen dF i die inneren Kräfte im Körper, die von den umgebenden Massenelementen auf das betrachtete Massenelement wirken, und dF a die äußeren Kräfte auf das Massenelement. Letztere können sowohl eingeprägte als auch Zwangskräfte sein. Bei der Integration über den gesamten Körper heben sich die inneren Kräfte dF i von benachbarten Massenelementen gegenseitig auf,

229

Technische Mechanik

10.3

230

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

da sie betragsmäßig gleich groß, aber entgegengesetzt gerichtet sind. Deshalb verbleibt: 

aA dm +

(m )



ω ˙ × rAP dm +

(m )



=



ω × (ω × rAP )dm

dm η y

ξ

η

ξ

(m )

φ

K

dF a .

A

(m )

Bei der Integration über alle Massenelemente ist die Beschleunigung des Bezugspunktes A zwar zeitabhängig, aber unabhängig vom Massenelement, sodass aA vor das Integral gezogen werden kann. Ebenso ist die Winkelbeschleunigung ω ˙ nicht davon abhängig, welches Massenelement betrachtet wird. Auch sie kann deshalb vor das Integral gezogen werden, analog die Winkelgeschwindigkeit ω. Die Integration über alle Kräfte dF a ergibt schließlich die Summe ∑ F a aller äußeren am Körper angreifenden Kräfte. Somit erhalten wir: 

dm + ω ˙ ×

aA (m )

=



rAP dm + ω × (ω ×

(m )



rAP dm)

(m )

∑ Fa .

Das erste Integral entspricht der Gesamtmasse m des Körpers, das zweite und das dritte Integral ergeben mit der Definition des Schwerpunktes S (siehe Abschn. 2.6) gerade mrAS , sodass sich ˙ × rAS + mω × (ω × rAS ) = maA + mω und damit

maS = m¨rS =

∑ Fa

Abb. 10.12 Lage eines Massenelementes des starren Körpers in einem körperfesten Koordinatensystem

Daraus folgen mit ω = ϕ˙ die Beschleunigungskoordinaten im Inertialsystem: x¨ = x¨ A − ξ ω˙ sin ϕ − ξω 2 cos ϕ − η ω˙ cos ϕ + ηω 2 sin ϕ, y¨ = y¨ A + ξ ω˙ cos ϕ − ξω 2 sin ϕ − η ω˙ sin ϕ − ηω 2 cos ϕ. Einsetzen der Beschleunigungen in das Newton’sche Grundgesetz, Integration und Berücksichtigung, dass ω, ˙ x¨ A und y¨ A bei der Integration Konstanten sind und ω, die inneren Kräfte sich auch hier wechselseitig aufheben, führt auf: m¨xA − (ω˙ sin ϕ + ω 2 cos ϕ )

∑ Fa



ξdm

(m )



+(−ω˙ cos ϕ + ω 2 sin ϕ) (10.1)

ergibt. In ähnlicher Weise führte dies auch bei Massenpunktsystemen auf dasselbe Ergebnis (siehe Kap. 8). Impulssatz für einen starren Körper

Das Newton’sche Axiom führt bei einem starren Körper auf eine Gleichung, die ähnlich der Gleichung für einen Massenpunkt ist. Da die einzelnen Punkte eines starren Körpers im Allgemeinen unterschiedliche Beschleunigungen haben, muss bei dieser Formulierung unbedingt beachtet werden, dass die Beschleunigung as = r¨ S des Schwerpunktes einzusetzen ist: Masse mal Beschleunigung des Schwerpunktes gleich Summe aller äußeren am Körper angreifenden Kräfte. Auf diese Beziehung kommen wir auch, wenn wir wie in Abb. 10.12 angedeutet die Lage des Massenelementes in körperfesten ξ, η-Koordinaten darstellen. Für die Koordinaten x und y des Inertialsystems gelten die Beziehungen: x = xA + ξ cos ϕ − η sin ϕ, y = yA + ξ sin ϕ + η cos ϕ.

x

ηdm = Fx ,

(m )

m¨xA + (ω˙ cos ϕ − ω 2 sin ϕ)



ξdm

(m )

−(ω˙ sin ϕ + ω 2 cos ϕ)



ηdm = Fy ,

(m )

wobei hier Fx und Fy die Summen aller äußeren Kräfte auf den Körper in x beziehungsweise y-Richtung bezeichnen. Wird als Bezugspunkt A der Schwerpunkt S gewählt, so verschwinden die Integrale, und es ergibt sich: m¨xS = Fx , m¨yS = Fy .

(10.2) (10.3)

Diese Gleichungen entsprechen der zuvor aus der Impulsbilanz hergeleiteten Gleichung, allerdings in skalarer Form. Frage 10.2 Auf wie viele skalare Gleichungen führt der Impulssatz für den starren Körper im ebenen Fall, auf wie viele bei einer räumlichen Bewegung?

Kinetik für eine allgemeine ebene Bewegung dFi5 = σ y+ hdx

ey

vP dm

dFi7 = τ + hdx

P rP

dFi3 = τ + hdy dFi2 = σx– hdy

rAP

dFi1 = σ x+ hdy –

dFi4 = τ hdy A

ex

dFi8 = τ – hdx

rA O

dFi6 = σ y– hdx

Abb. 10.13 Zum Drall eines Massenelementes des starren Körpers

Abb. 10.14 Innere Kräfte aufgrund der Schub- und Normalspannungen am freigeschnittenen Massenelement der Dicke h in der Draufsicht

Aus dem Impulssatz folgen bei einem Körper, der sich um eine raumfeste Achse dreht, sofort zwei Schlußfolgerungen: Falls sich der Schwerpunkt S des Körpers auf der Drehachse befindet, so ist die zugehörige Beschleunigung r¨ S = 0, sodass die Summe der Lagerkräfte ebenfalls null sein muss, wenn keine weiteren Kräfte angreifen. Dies bedeutet nicht, dass die einzelnen Lagerkräfte für sich null sind. Falls der Schwerpunkt S außerhalb der Drehachse liegt, bewegt er sich auf einer Kreisbahn und wird deshalb ständig beschleunigt. In diesem Fall können also die Lagerkräfte nicht null sein.

Diese Gleichung wird über die Masse des gesamten Körpers integriert. Dies ergibt: ⎡ d ⎢ ⎣ dt



+

(rAP × vA )dm +

(m )

Für das Massenelement in Abb. 10.13 führt das Newton’sche Axiom auf die Beziehung d(dL(O) ) = dM (O) , dt mit dem ortsfesten Bezugspunkt O und dem Drall des Massenelementes dL(O) = rP × vdm = (rA + rAP ) × (vA + ω × rAP )dm. (O)

Teilen wir die Momente wieder in Momente dM i (O) dM a

auf-

grund innerer Kräfte und Momente infolge äußerer Belastungen auf, so ergibt sich zunächst für das Massenelement: d+ (rA × vA )dm + (rAP × vA )dm dt , +[rA × (ω × rAP )]dm + [rAP × (ω × rAP )]dm (O)

= dM i

(O)

+ dM a .

rA × (ω × rAP )dm

(m )





⎥ rAP × (ω × rAP )dm⎦

(m )

=

Der Drehimpulssatz gibt den Zusammenhang zwischen Dralländerung und Drehmomenten an



(rA × vA )dm +

(m )



231



(O)

dM i (m )

+



(O)

dM a . (m )

Betrachten wir zunächst das Massenelement in der Draufsicht (Abb. 10.14), so erkennen wir, dass die inneren Kräfte aufgrund der Schubspannungen und Normalspannungen wegen der Symmetriebedingung des Spannungstensors sich gegenseitig aufheben. Die mit einem Minuszeichen versehenen Normal- und Schubspannungen sind jene an der Stelle x beziehungsweise y, jene mit einem Pluszeichen bei x + dx und y + dy. Wir müssen allerdings beachten, dass die Symmetrie des Spannungstensors über eine Momentenbilanz hergeleitet wurde. Dies setzt aber voraus, dass die inneren Kräfte beim Drallsatz sich gegenseitig kompensieren. Am besten formulieren wir dieses Axiom in der Form, dass das Integral über die Momente der inneren Kräfte verschwindet. Drallsatz als Axiom

Beim Drallsatz setzen wir als Axiom entweder voraus, dass die Momente der inneren Kräfte sich gegenseitig kompensieren oder dass der Spannungstensor symmetrisch ist. Im Folgenden wird berücksichtigt, dass ω ein Vektor ist, der bei einer ebenen Bewegung senkrecht zur Bewegungsebene steht. Zusätzlich wird der Vektor rAP in einen

Technische Mechanik

10.3

232

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Da ω bezüglich der Integration konstant ist, ergibt sich:

ω = ωez

Technische Mechanik

dm

P z

d (ω dt

zez ez





(S )

r2 dm) = Ma,z ,

(m )

rer

und wir erkennen, dass auch hier das Massenträgheitsmoment JS bezüglich des Schwerpunktes auftritt:

er A

Abb. 10.15 Aufteilung des Relativvektors rAP in einen Anteil in der Bewegungsebene und einen Anteil senkrecht dazu

d (S ) (ωJS ) = Ma,z . dt

(10.4)

Für einen Starrkörper hängt JS nicht von der Zeit ab, sodass schließlich verbleibt:

Anteil in Richtung der z-Achse und einen Anteil in der Bewegungsebene aufgeteilt (Abb. 10.15)

JS ω˙ = Ma,z .

ω = ωez , rAP = rer + zez .

Da bei einer ebenen Bewegung sowieso im Allgemeinen nur die Momente senkrecht zu Bewegungsebene interessieren, liegt es nahe, diese äußeren Momente mit MS zu bezeichnen, wenn der Bezugspunkt der Schwerpunkt S ist. Die Gleichung nimmt dann die eingängige Form

Als Zwischenergebnis erhalten wir: d+ m(rA × vA ) + rA × (ω × mrAS ) + mrAS × vA  dt , (O) + (rer + zez ) × [ωez × (rer + zez )]dm = ∑ M a . (m )

Zur Vereinfachung wählen wir sowohl für den Bezugspunkt O wie auch für den Bezugspunkt A auf dem Körper den Schwerpunkt S des Körpers. Dadurch folgt rAS = 0, vA = vS und rAS = 0. Auf der linken Seite ist somit nur noch das Integral auszuwerten. Unter Berücksichtigung, dass die Einheitsvektoren er , e ϕ und ez paarweise senkrecht aufeinander stehen und ein Rechtssystem bilden, folgt: d dt



 (S ) (S ) (ωr2 ez − ωrzer )dm = M a,z + M a,rϕ .

(m )

Hierbei wurde das Moment schon in eine Komponente in Richtung der z-Achse und eine Komponente in der Bewegungsebene unterteilt. Man erkennt, dass für einen Körper, dessen Dicke sehr klein ist oder der symmetrisch bezüglich einer Ebene senkrecht zur z-Achse ist, die Komponenten in der Bewegungsebene auf der linken Seite der Gleichung verschwinden und deshalb auch die Summe der Momente in dieser Richtung. Wenn diese Komponenten nicht verschwinden, dann führen diese Anteile zu den sogenannten Schleudermomenten, die in der r, ϕ-Ebene liegen. Doch auch in diesem Fall können die Komponenten in z-Richtung getrennt betrachtet werden. Eine Auswertung in dieser Richtung führt auf die skalare Gleichung d dt

 (m )

(S)

ωr2 dm = Ma,z .

(S )

JS ω˙ = MS an. Damit stehen insgesamt drei skalare Gleichungen zur Bestimmung der Bewegungsgleichungen für einen starren Körper bei einer ebenen Bewegung bereit. Mit ihnen können je nach Lagerungsart des Körpers die bis zu drei Bewegungsgleichungen oder die bis zu drei Zwangsreaktionen in den Lagern bestimmt werden. Falls kein starrer Körper vorliegt, so kann sich dessen Form und damit auch das Massenträgheitsmoment verändern. Gleichung (10.4) gilt dann immer noch. Falls kein Moment auf den Körper wirkt, führt eine Änderung von JS somit zu einer Änderung von ω. Beispiel Zieht eine Eiskunstläuferin oder eine Tänzerin die Arme eng an die Achse ihres Körpers (Abb. 10.16), verringert sie JS . Da keine äußeren Momente wirken, muss bei einer Drehung der Drall in beiden Stellungen gleich sein. Deshalb ist eine Pirouette mit angezogenen Armen und Beinen sehr schnell. Ähnlich verhält sich ein  Turner, wenn er einen Salto schlägt.

Die Behandlung nach d’Alembert erfordert Trägheitskräfte und Trägheitsmomente Wie schon bei der Rotation des starren Körpers um eine raumfeste Achse ein entsprechendes Trägheitsmoment eingeführt wurde, können auch bei der allgemeinen

Kinetik für eine allgemeine ebene Bewegung

Impuls- und Drallsatz können bezüglich der Zeit integriert werden Werden Impuls- und Drallsatz bezüglich der Zeit integriert, so führt dies auf: t1

Fx dt =

t1

m¨xS dt,

t0

t0

t1

t1

Fy dt =

m¨yS dt,

t0

t0

t1

t1

MS dt =

t0

˙ JS ωdt.

t0

Die Auswertung der Integrale auf der rechten Seite liefert die Geschwindigkeitskoordinaten vSx = x˙ S , vSy = y˙ S und die Winkelgeschwindigkeit ω, jeweils zu den Zeitpunkten t0 und t1 . Das Zeitintegral über die Kraft wird ebenso wie das Produkt von Masse und Geschwindigkeit mvSx oder mvSy als Impuls bezeichnet und sehr oft z. B. mit t1

Fdt = Fˆ

t0

Abb. 10.16 Eine Tänzerin mit ausgetreckten Armen hat ein großes JS . Durch Anziehen der Arme und Beine wird es verringert

ebenen Bewegung eines starren Körpers entsprechende Trägheitswirkungen angegeben werden, sodass die Auswertung der Gleichungen auf zwei Kräftegleichgewichte und eine Momentenbilanz zurückgeführt werden kann. Dazu werden die Trägheitskräfte FTx = −m¨xS , FTy = −m¨yS sowie das Trägheitsmoment MT,S = −JS ω˙ entgegen der positiven Koordinatenrichtungen eingeführt. Mit diesen ergeben sich dann die Kräfte- und Momentenbilanzen zu: Fx + FTx = 0, Fy + FTy = 0, MS + MT,S = 0. Solche Kräfte- und Momentenbilanzen haben den Vorteil, dass sie schon in der Statik intensiv angewendet wurden und deshalb dem Anwender vertraut sind.

abgekürzt, um nicht ständig bei der Auswertung der Gleichungen die Integrale anschreiben zu müssen. Damit folgt: Fˆ x =

t1

Fx dt = m(vSx1 − vSx0 ),

(10.5)

Fy dt = m(vSy1 − vSy0 ),

(10.6)

t0

Fˆ y =

t1 t0

ˆS= M

t1

MS dt = JS (ω1 − ω0 ).

(10.7)

t0

Wir erkennen, dass sich die Geschwindigkeitskomponenten des Schwerpunktes nicht ändern, wenn die resultierende Kraft auf den Körper verschwindet. Falls das resultierende Moment bezüglich des Schwerpunktes verschwindet, bleiben der Drall JS ω und damit auch die Winkelgeschwindigkeit konstant. Beispiel Wenn wir im Winter in einer Kurve auf eine Eisfläche kommen, werden die Reibkräfte zwischen Reifen und Straße sehr klein, sodass sie vernachlässigt werden können. Die Geschwindigkeit des Schwerpunktes ist daraufhin nach Betrag und Richtung konstant, sodass das Auto in den Graben fährt. Gleichzeitig dreht sich das

233

Technische Mechanik

10.3

234

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

Beispiel: Zylinder auf schiefer Ebene Betrachtet wird ein Zylinder, der sich entlang einer schiefen Ebene nach unten bewegt. Je nach Reibkoeffizient μ zwischen Zylinder und Untergrund und Steigungswinkel α der schiefen Ebene kann dabei Rollen oder Gleiten vorliegen. Der Zylinder ist homogen und hat den Radius R und die Masse m. Zunächst führen wir entlang der schiefen Ebene eine Koordinate x und für den Verdrehwinkel die Winkelkoordinate ϕ ein, wie in der Abbildung dargestellt. φ

Rollen: Wenn der Zylinder auf der schiefen Ebene abrollt, hat er nur noch einen Freiheitsgrad, da die Koordinaten xS und ϕ über die Gleichung x˙ S = R ϕ˙ gekoppelt sind, und so für die Beschleunigungen gilt: ¨ x¨ S = R ϕ. Zunächst folgt aus der Momentenbilanz für die Reibkraft unter Berücksichtigung von JS = m2 R2 : FR =

S

g

JS m m ϕ¨ = R ϕ¨ = x¨ S . R 2 2

Eingesetzt in die erste Kräftebilanz führt dies zu:

x

2 g sin α, 3 2g sin α. ϕ¨ = 3R

x¨ S =

α

Dann wird der Zylinder freigeschnitten und alle an ihm wirkenden Kräfte und Momente angetragen. Dies sind die Gewichtskraft mg, die Normalkraft FN und die Reibkraft FR . Falls der Zylinder auf der schiefen Ebene abrollt, ist die Reibkraft eine Zwangskraft, sodass es im Freischnitt egal ist, welche Richtung sie hat. Im Falle des Gleitens ist die Reibkraft eine eingeprägte Kraft und muss mit der korrekten Richtung (in diesem Fall die schiefe Ebene aufwärts) eingetragen werden. Zusätzlich werden die Trägheitskraft m¨xS und das Trägheitsmoment JS ϕ¨ entgegen der Richtungen von x und ϕ eingetragen. JSφ

Die Beschleunigung ist also kleiner als bei einem Massenpunkt oder einem Körper, der auf der schiefen Ebene reibungsfrei hinabgleiten kann. Die zweite Kräftebilanz spielt für die Berechnung der Beschleunigung keine Rolle. Mit ihr läßt sich jedoch die Normalkraft bestimmen, die wie die Reibkraft ebenfalls eine Zwangskraft darstellt. Sie beträgt: FN = mg cos α. Zusammen mit der Reibkraft FR =

mxS FR

S

G

m 1 x¨ S = mg sin α 2 3

kann überprüft werden, ob die Reibkraft innerhalb des Reibkegels liegt (vergleiche Statik, Abschn. 2.5). Dann muss

FN

FR ≤ μ0 FN erfüllt sein. Eingesetzt folgt:

Kräftebilanzen in Richtung und senkrecht zur schiefen Ebene sowie eine Momentenbilanz um den Schwerpunkt S ergeben: mg sin α − FR − m¨xS = 0, FN − mg cos α = 0, RFR − JS = 0. Dies sind zunächst drei Gleichungen für die vier Unbekannten FN , FR , xS und ϕ. Es fehlt also noch eine Gleichung, die sich jedoch in den Fällen Rollen und Gleiten unterscheidet.

1 mg sin α ≤ μ0 mg cos α 3 oder: tan α ≤ 3μ0 . Gleiten: Falls der Zylinder auf der schiefen Ebene gleitet, sind die Koordinaten xS und ϕ unabhängig voneinander, der Zylinder hat also zwei Freiheitsgrade. In diesem Fall gilt bei Coulomb’scher Reibung: FR = μFN = μmg cos α.

Hier wurde die zuvor schon berechnete Normalkraft von der Ebene auf den Zylinder eingesetzt. Die erste Kräftebilanz liefert dann: m¨xS = mg sin α − μmg cos α

Kinetik für eine allgemeine ebene Bewegung

Da im Allgemeinen μ0 > μ gilt und im Falle von Gleiten tan α > 3μ0 erfüllt sein muss, ist x¨ S > 0. Als Bewegungsgleichung für den Winkel ϕ folgt nach Einsetzen der Reibkraft in die Momentenbilanz:

und somit: x¨ S = g cos α(tan α − μ).

ϕ¨ = 2μ

Auto um seinen Schwerpunkt mit der Winkelgeschwin digkeit, die es aufgrund der Kurvenfahrt hatte.

g cos α. R

ω = ωez dm

P

Beispiel Ein anderes Beispiel verdeutlicht die Anwendung von Impuls- und Drallsatz in integraler Form. Springt ein Stuntman mit einem Auto von einer schiefen Ebene ab, so hat das Auto zunächst eine Geschwindigkeit, aber keine Winkelgeschwindigkeit, soweit die schiefe Ebene wirklich eben ist. Nachdem die Vorderachse die schiefe Ebene verlassen hat, führt die Kraft der Hinterachse zu einem Moment bezüglich des Schwerpunktes. Dieses Moment wirkt, bis die Hinterachse ebenfalls die schiefe Ebene verlässt. Das Auto hat also nach Verlassen der Rampe die Winkelgeschwindigkeit ˆS M , ωEnde = JS ˆ S dem Zeitintegral des Moments entspricht, sowobei M lange nur die Hinterräder mit der schiefen Ebene Kontakt haben. Nach Verlassen der Rampe ändert sich zwar die Geschwindigkeit, da auf das Auto die Gewichtskraft wirkt (ähnlich zum schiefen Wurf), bezüglich des Schwerpunktes wirkt jedoch kein Moment mehr, sodass die Winkelgeschwindigkeit ωEnde sich nicht verändert. Wenn das Auto sehr tief fällt, beginnt es deshalb sich zu über schlagen. Große Bedeutung haben die Gleichungen in integraler Form auch bei Stoßproblemen, auf die später im Detail eingegangen wird. Im Beispiel: Bei der Bestimmung des Stoßmittelpunktes, handelt es sich zwar nicht direkt um ein Stoßproblem zweier Körper, dennoch wird das darin beschriebene Problem bei stoßartigen Anwendungen wichtig. Auf Stöße zwischen zwei Körpern wird später eingegangen.

Die kinetische Energie des starren Körpers bei ebener Bewegung setzt sich aus zwei Anteilen zusammen Um die kinetische Energie des starren Körpers bei einer ebenen Bewegung zu bestimmen, betrachten wir zunächst ein differenziell kleines Massenelement dm. Dessen differenzielle kinetische Energie beträgt, wie in Kap. 7 gezeigt: 1 dEkin = v2 dm. 2

z

zez ez



rer er

A

Abb. 10.17 Aufteilung des Relativvektors r AP in einen Anteil in der Bewegungsebene und einen Anteil senkrecht dazu

Der Vektor vom Bezugspunkt A auf dem Körper zum Massenelement kann aufgeteilt werden in eine Komponente zez in Richtung der Winkelgeschwindigkeit und in eine Komponente rer = ξeξ + ηeη senkrecht dazu. In Abb. 10.17 ist dies angedeutet, wobei die ebenen, kartesischen, körperfesten ξ, η-Koordinatenachsen nicht eingezeichnet sind, um das Bild übersichtlich zu halten. Für die Geschwindigkeit v des Massenelementes gilt dann: v = vA + ωez × (rer + zez ) = vA + ωre ϕ

= vA + ω (−ηeξ + ξeη ). Die gesamte kinetische Energie erhalten wir durch Integration über alle Massenelemente und damit zu: Ekin =

 (m )

=

1 2

1 (vA + ωre ϕ )2 dm 2 

v2A dm +

(m )

1 + 2



vA ω (−ηeξ + ξeη )dm

(m )



ω 2 r2 dm

(m )

1 = v2A 2



dm + vA ω

(m )

1 + ω2 2





(−ηeξ + ξeη )dm

(m )

r2 dm

(m )

1 1 = mv2A + vA ω (ez × rAS ) + JS ω 2 . 2 2

235

Technische Mechanik

10.3

236

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

Leitbeispiel Antriebsstrang Getriebe mit Schwungrad

Das Getriebe besitzt an seinem Eingang ein Schwungrad, dessen Achse mit einem Zahnrad 1 (Radius r1 ) verbunden ist. Dieses Zahnrad ist im Eingriff mit dem Zahnrad 2 (Radius r2 = 4r1 ), auf dessen Welle das Zahnrad 3 (Radius r3 ) befestigt ist. Dieses bildet mit dem vierten Zahnrad (Radius r4 = 4r3 ) die zweite Getriebestufe. Das Gehäuse des Getriebes ist in Ruhe.

Dy

MA Dx

JAα A

F1

F1 JZα Z

Das Getriebe ist im Bild dargestellt, und wir erkennen, dass sich alle Wellen und Zahnräder um raumfeste Achsen drehen. Winkelgeschwindigkeiten von Antriebswelle, Zwischenwelle und Lastwelle sind ωA , ωZ , ωL , die alle in derselben Richtung angenommen werden. Die Massenträgheitsmomente der Achsen mit Zahnrädern beziehungsweise Schwungrad sind JA , JZ , JL . Am Schwungrad wirkt das Moment MA , an der Lastwelle das Lastmoment ML

F2 Bx

By

ML Cy JLα L Cx F2

Schwungmasse D

C ωL ML

ωA MA

Für die Momentenbilanzen um die Lagerpunkte B, C und D erhalten wir: MA − JA αA − F1 r1 = 0, F2 r3 − F1 4r1 − JZ αZ = 0, ML + F2 4r3 − JL αL = 0.

B ωZ

Einsetzen der Kinematik und Elimination der Zwangskräfte ergibt: MA − JA 16αL , r1 M + F2 4r3 . αL = L JL F1 =

Aufgrund der Kinematik gilt: ωZ = −4ωL ,

ωA = −4ωZ = 16ωL

und damit: αL = ω˙ L ,

αZ = −4αL ,

αA = 16αL .

Wir zeichnen die Freikörperbilder aller drei Wellen in der Draufsicht und tragen alle Kräfte und Momente an. Die Lagerreaktionen sind hier nicht von Interesse, sodass es hier genügt, jeweils eine Momentenbilanz um den Lagerpunkt aufzustellen.

F2 =

F1 4r1 + JZ (−4αL ) , r3

Für die Winkelbeschleunigung der Lastwelle ergibt dies: ML + 16MA αL = ω˙ L = . 256JA + 16JZ + JL Hier wurde das Lastmoment in Richtung von ωL angenommen, also in positive Drehrichtung. Im Allgemeinen wirkt das Lastmoment der Drehung entgegen, sodass dann ML negativ ist.

Kinetik für eine allgemeine ebene Bewegung

Vertiefung: Lösung der Bewegungsgleichungen Impuls- und Drallsatz liefern bei einer ebenen Bewegung für jeden Körper zunächst drei skalare Gleichungen, die eventuell noch Zwangskräfte oder Zwangsmomente enthalten. Nach deren Elimination ergeben sic genauso viele Bewegungsgleichungen wie das System Freiheitsgrade hat. Die Bewegungsgleichungen selbst sind gewöhnliche Differenzialgleichungen, die in Sonderfällen linear, im Allgemeinen aber nichtlinear sind. Jede Bewegungsgleichung ist dabei zweiter Ordnung. Im Falle linearer Differenzialgleichungen, zum Beispiel bei einem Schwingungssystem mit kleinen Amplituden, können diese noch analytisch gelöst werden. Im Falle nichtlinearer Gleichungen bleibt meist nur noch die Möglichkeit einer näherungsweisen Lösung durch eine sogenannte numerische Integration. Dazu werden die Differenzialgleichungen zweiter Ordnung in ein Differenzialgleichungssystem erster Ordnung überführt. Dies kann erfolgen, wenn für die ersten Ableitungen neue Variablen eingeführt werden. Zur Lösung solcher Gleichungen in Zustandsform existieren zahlreiche Verfahren, die in Computerprogrammen als Unterprogramme zur Verfügung stehen.

Die kinetische Energie setzt sich also aus Translations-, Rotations- und Koppelenergie zusammen. Ein besonders einfaches Ergebnis, das sich auch gut merken läßt, ergibt sich, wenn wie schon beim Drallsatz der Schwerpunkt als Bezugspunkt gewählt wird: Ekin =

1 2 1 mv + JS ω 2 . 2 S 2

Als Beispiel wird die nichtlineare Bewegungsgleichung des mathematischen Pendels betrachtet. Dieses hat einen Freiheitsgrad, es liegt somit nur eine Bewegungsgleichung ϕ¨ +

g sin ϕ = f (t) l

vor. Wir führen die Zustandsvariablen x1 = ϕ und x2 = ϕ˙ ein. Dies ergibt das Differenzialgleichungssystem erster Ordnung: x˙ 1 = x2 , x˙ 2 = f (t) −

g sin x1 . l

Allerdings erfordert die numerische Integration die Vorgabe aller Anfangsbedingungen für die Zustandsvariablen und auch die Vorgabe numerischer Werte aller Systemparameter. In unserem Beispiel sind das die Anfangsbedingungen x1 (t = 0) = ϕ(t = 0), x2 (t = 0) = ϕ˙ (t = 0) und einen Wert für g/l.

sodass die Summe aus kinetischer Energie und potenzieller Energie konstant bleibt. Beispiel Als Beispiel betrachten wir ein Pendel, das beim Winkel ϕ = ϕ0 mit der Winkelgeschwindigkeit ϕ˙ = ω = ω0 losgelassen wird. Das Pendel hat den Schwerpunkt in S. Das Pendel hat die Masse m und das Massenträgheitsmoment JS bezüglich einer Achse durch den Schwerpunkt (Abb. 10.18).

Kinetische Energie des starren Körpers

Die kinetische Energie des starren Körpers hängt quadratisch von der Schwerpunktsgeschwindigkeit und quadratisch von der Winkelgeschwindigkeit ab.

A l g

Mit der kinetischen Energie Ekin des starren Körpers können wir wieder den Arbeitssatz

φ

m, JS S

W = Ekin1 − Ekin0 mit der Arbeit W der äußeren Kräfte und Momente angeben. Für ein konservatives System, für das den Kräften und Momenten Potenziale zugeordnet werden können, ergibt sich mit dem Gesamtpotenzial Epot : Ekin1 + Epot1 = Ekin0 + Epot0 ,

ω

Abb. 10.18 Pendel im Schwerefeld der Erde

Uns interessiert, wie groß die Winkelgeschwindigkeit bei ϕ = 0 ist und wie groß die Anfangsgeschwindigkeit ω0 sein muss, damit das Pendel rotiert und nicht schwingt.

237

Technische Mechanik

10.3

238

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

Beispiel: Bestimmung des Stoßmittelpunktes Betrachtet wird ein Pendel, das in Punkt A gelagert ist und auf das infolge eines Stoßes eine Kraft F wirkt. Es soll die Lage des Punktes A bestimmt werden, sodass bei gegebenem Angriffspunkt und gegebener Richtung der Kraft F die Lagerkräfte möglichst verschwinden. Das Pendel mit dem Schwerpunkt in S ist in der Abbildung dargestellt. Es liegt nahe, die x-Achse in Richtung der Kraft anzunehmen und die y-Achse senkrecht dazu. Die Abstände des Punktes A vom Schwerpunkt S in diesen Richtungen sind mit ξ und η bezeichnet. Dies sind die gesuchten Größen. Gemäß der bei Stoßproblemen getroffenen Annahme einer kurzen Stoßzeit ändert sich die Lage des Pendels während des Stoßes nicht.

wie zuvor eingeführt mit Fˆ =

Fdt (ΔtS )

abgekürzt. Außerdem sind die Geschwindigkeiten des Schwerpunktes mit der Winkelgeschwindigkeit verknüpft, da das System nur einen Freiheitsgrad hat: vSxE = ηωE , vSyE = ξωE . Damit folgt aus der zweiten Impulsbilanz: mξωE = 0. Dies ist für ωE = 0 nur für ξ = 0 möglich. Aus der ersten Gleichung ergibt sich entsprechend:

A

Fˆ = mηωE .

η ξ b



S

Aus der Drallgleichung erhalten wir: bFˆ = JS ωE .

F

Eine Kombination der beiden Gleichungen führt auf: mbηωE = JS ωE Ein Freischnitt während des Stoßes ist in der zweiten Abbildung angegeben. Die Gewichtskraft wird vernachlässigt. Ay Ax

oder: JS . mb Dieses Ergebnis können wir anwenden, wenn wir bestimmen wollen, wo eine Billardkugel anzustoßen ist, sodass sie nach dem Stoß direkt rollt, auch wenn die Unterlage sehr glatt ist. Dem Bild entnehmen wir, dass in diesem Fall η = R gilt, das Massenträgheitsmoment einer Kugel wurde zu JS = 25 mR2 bestimmt. η=

F b

S R glatte Unterlage

Die Impuls- und Drallgleichungen führen auf 

F + Ax dt = m(vSxE − 0),

(ΔtS )





Ay dt = m(vSyE − 0),

Lagerpunkt

Damit folgt:

(ΔtS )

Fb − Ax η − Ay ξdt = JS (ωE − 0).

(ΔtS )

Hierbei wurde angenommen, dass das Pendel am Anfang in Ruhe ist. Die Rechnung vereinfacht sich, wenn wir an dieser Stelle direkt annehmen, dass die Lagerkräfte Ax und Ay und damit auch die zugehörigen Integrale verschwinden. Das verbleibende Integral wird

b=

2 mR2 JS 2 = 5 = R. mη mR 5

Die Kugel muss also in der Höhe h = 75 R über der Unterlage angestoßen werden. Ähnliche Anwendungen sind der Gebrauch eines Hammers oder eines Tennisschlägers, sodass die Gelenke möglichst wenig belastet werden.

Reibungsverluste in den Lagern sollen vernachlässigt werden. Wir führen zunächst für die potenzielle Energie das Nullniveau am Lager ein. Die potenzielle Energie beträgt somit: Epot = −mgl cos ϕ. Die kinetische Energie des Pendels beträgt: 1 1 = mv2S + JS ω 2 . 2 2

Ekin

Mit der Schwerpunktsgeschwindigkeit vS = lω führt dies auf: Ekin =

1 (ml2 + JS )ω 2 . 2

Auf dieses Ergebnis kommen wir auch, wenn wir beachten, dass das Pendel um eine raumfeste Achse durch das Lager A dreht. Die kinetische Energie beträgt dann: Ekin =

1 JA ω 2 . 2

Mit der Steiner’schen Ergänzung JA = JS + ml2 führt dies auf das zuvor berechnete Ergebnis. Die Anwendung des Energiesatzes Ekin + Epot = Ekin0 + Epot0 liefert: 1 1 (ml2 + JS )ω 2 − mgl cos ϕ = (ml2 + JS )ω02 2 2 − mgl cos ϕ0 . Die Auflösung nach ω ergibt: ω2 =

2mgl(cos ϕ − cos ϕ0 ) + (ml2 + JS )ω02 . ml2 + JS

Für ϕ = 0 erhalten wir: ω 2 ( ϕ = 0) =

2mgl(1 − cos ϕ0 ) + ω02 . ml2 + JS

Das Pendel überschlägt sich, wenn ω ( ϕ = π ) > 0 gilt. Dies bedeutet, dass dann

(ml2 + JS )ω02 > 2mgl(1 + cos ϕ0 ) sein muss, also:

Kinetik der allgemeinen Bewegung eines starren Körpers

Wenn wir die Energiebilanz für das Pendel einmal nach der Zeit differenzieren, dann fallen die konstanten Terme auf der rechten Seite heraus und wir erhalten:

(ml2 + JS )ω ω˙ + mgl sin ϕω = 0, sodass sich nach Kürzen von ϕ˙ = ω die Bewegungsgleichung

(ml2 + JS ) ϕ¨ + mgl sin ϕ = 0 ergibt, eine nichtlineare Differenzialgleichung für den Winkel ϕ, die wir auch mit dem Impuls- und/oder Drall satz hätten herleiten können.

10.4

Kinetik der allgemeinen Bewegung eines starren Körpers

Bei der Kinetik der allgemeinen räumlichen Bewegung eines Körpers wird zunächst wieder ein differenziell kleines Massenelement betrachtet, woraus dann die Beziehungen für den starren Körper durch Integration bestimmt werden.

Der Impulssatz für den starren Körper hat bei einer räumlichen Bewegung dieselbe Form wie bei der ebenen Bewegung Für die Auswertung des Impulssatzes ergibt sich gegenüber der ebenen Bewegung keine Änderung. Dieselbe Herleitung wie für die Gleichung (10.1) führt auf m¨rS = maS =

∑ Fa ,

wobei m wieder die Gesamtmasse des Körpers, r¨ S die Schwerpunktbeschleunigung und ∑ F a die Summe aller am Körper angreifenden Kräfte sind. Dies erstaunt nicht, da zur Herleitung von (10.1) an keiner Stelle einging, dass ω ein Vektor ist, der immer in die selbe Richtung zeigt.

Der Drallsatz führt bei einer räumlichen Bewegung des starren Körpers zum Trägheitstensor Um den Drallsatz für den starren Körper

ω02 >

2mgl(1 + cos ϕ0 ) . (ml2 + JS )

dL(O) = M (O) dt

239

Technische Mechanik

10.4

240

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

ey , ez und schreiben die Koordinaten in Matrizen, d. h.:

v

Technische Mechanik

ω = ( ωx , ωy , ωz )T ,

dm

r

rrel = (x, y, z)T .

rrel rS

Für das doppelte Kreuzprodukt erhalten wir so:

S



O

Abb. 10.19 Vektoren zur Bestimmung des differenziellen Dralls des Massenelementes dm

⎞ (y2 + z2 )ωx − xyωy − xzωz rrel × (ω × rrel ) = ⎝ −xyωx + (x2 + z2 )ωy − yzωz ⎠ . −xzωx − yzωy + (x2 + y2 )ωz Eingesetzt in den Drall folgt:

L(O)

auszuwerten, wird zunächst der Drall des Körpers bezüglich des raumfesten Bezugspunktes O bestimmt. Wir erhalten für den differenziellen Drall des Massenelements dm (Abb. 10.19) dL(O) = r × vdm. Mit den Beziehungen r = rS + rrel , v = vS + ω × rrel folgt so: L(O) =



(rS + rrel ) × (vS + ω × rrel )dm.

(m )

Wir beschränken uns an dieser Stelle auf den einfachen Fall, dass wir als Bezugspunkt O den Punkt des Inertialsystems wählen, der augenblicklich mit dem Schwerpunkt S zusammenfällt. Der Vektor rS verschwindet dann, und wir erhalten: L(S) =



rrel × vS dm +

(m )

=



(m )

=









rrel dm × vS +

(y2 + z2 )ωx − xyωy − xzωz dm

(S) ⎜ (m) Lx ⎜ ⎜ (S) ⎟ ⎜ −xyωx + (x2 + z2 )ωy − yzωz dm ⎝ Ly ⎠ = ⎜ (m ) ⎜ (S) ⎝ −xzω − yzω + (x2 + y2 )ω dm Lz x y z

⎞ L(S) x ⎜ (S) ⎟ ⎝ Ly ⎠ (S) Lz

⎛ ⎞ ωx (y2 + z2 )dm − ωy xydm − ωz xzdm ⎜ ⎟ (m ) (m )

(m ) ⎜ ⎟ ⎜ − ωx xydm + ωy (x2 + z2 )dm − ωz yzdm ⎟ =⎜ ⎟, (m ) (m ) (m ) ⎜ ⎟ ⎝ −ω xzdm − ω yzdm + ω (x2 + y2 )dm ⎠ ⎛

x

y

(m )

z

(m )

(m )

was leicht als Matrizenprodukt

(m )

rrel × (ω × rrel )dm.

(m )

Das Integral, das verbleibt, kann mithilfe der Vektorrechnung so umgeformt werden, dass die Winkelgeschwindigkeit vor das Integral gezogen werden kann. Wir beschränken uns aber an dieser Stelle auf den einfacheren Weg, das doppelte Kreuzprodukt zunächst auszuwerten und anschließend die Integration durchzuführen. Wir müssen dann aber sowohl den Vektor rrel als auch die Winkelgeschwindigkeit ω bezüglich derselben Basisvektoren darstellen. Als Ergebnis ergeben sich somit die Koordinaten des Dralls ebenfalls bezüglich dieser Basisvektoren. Wir wählen die körperfesten Basisvektoren ex ,

⎟ ⎟ ⎟ ⎟. ⎟ ⎠

Die Koordinaten der Winkelgeschwindigkeit sind bei der Integration über die gesamte Masse des Körpers konstant, sodass daraus folgt:

rrel × (ω × rrel )dm rrel × (ω × rrel )dm



(m )

L(S) = I · ω

(m )





oder ⎛

⎞ ⎛ (S) Lx Jxx ⎜ (S) ⎟ ⎝ Jxy ⎝ Ly ⎠ = (S) Jxz Lz

Jxy Jyy Jyz

⎞⎛ ⎞ Jxz ωx Jyz ⎠ ⎝ ωy ⎠ Jzz ωz

mit den Massenträgheitsmomenten Jxx =



(y2 + z2 )dm,

(m )

Jyy =



(x2 + z2 )dm,

(m )

Jzz =



(m )

(x2 + y2 )dm

10.4

xydm, 

xzdm,

(m )

Jyz = −



yzdm

(m )

formuliert werden kann. Sowohl die Massenträgheitsmomente als auch die Deviationsmomente hängen von der Massenverteilung des Körpers ab. Die Matrix ⎛

Jxx I = ⎝ Jxy Jxz

Jxy Jyy Jyz

⎞ Jxz Jyz ⎠ Jzz

ist die Trägheitsmatrix, welche die Koordinaten des sogenannten Trägheitstensors I bezüglich der Basis ex , ey , ez enthält. Wenn die Deviationsmomente nicht verschwinden und die Winkelgeschwindigkeit nur eine Komponente in Richtung von einem der Einheitsvektoren hat, z. B. in Richtung von ez , dann hat der Drall Komponenten in Richtung aller Basisvektoren: ⎞ ⎛ ⎞ (S) Lx Jxz ⎜ (S) ⎟ ⎝ Jyz ⎠ ωz . ⎝ Ly ⎠ = (S) Jzz Lz ⎛

Drall und Winkelgeschwindigkeit haben deshalb im Allgemeinen verschiedene Richtungen.

Trägheitseigenschaften eines Körpers

Impuls und Schwerpunktgeschwindigkeit des starren Körpers haben dieselbe Richtung, wohingegen Drall und Winkelgeschwindigkeit des starren Körpers im Allgemeinen verschiedene Richtungen haben. Bei der Translation genügt deshalb zur Beschreibung der Trägheit die Masse m, bei der Rotation wird der Trägheitstensor notwendig, dessen Koordinaten bezüglich gegebener Richtungen in der Trägheitsmatrix mit sechs unabhängigen Elementen dargestellt werden können.

Besonders einfach wird die Trägheitsmatrix, wenn wir die Richtungen der Einheitsvektoren ex bis ez nicht beliebig wählen, sondern in Richtung der sogenannten Hauptachsen. Die Richtungen der Hauptachsen seien mit k1 , k2 und k3 bezeichnet. Bezüglich dieser Hauptachsen verschwinden die Deviationsmomente, sodass die Trägheitsmatrix



J11 I=⎝ 0 0

0 J22 0

⎞ 0 0 ⎠ J33

und wir erhalten: L(S) = J11 ω1 k1 + J22 ω2 k2 + J33 ω3 k3 . Wenn der Drallvektor in dieser Form in den Drallsatz eingesetzt wird, müssen wir beachten, dass die Einheitsvektoren zeitabhängig sind und (9.7) verwendet werden muss, um den Drall im Inertialsystem abzuleiten. Dazu führen wir neben der Trägheitsmatrix noch die Matrizen ω und M (S) ein, welche die Koordinaten des Winkelgeschwindigkeitsvektors und des Moments enthalten. Da die Trägheitsmatrix eines starren Körpers in einem körperfesten Bezugssystem konstant ist, und die Zeitableitung der Winkelgeschwindigkeit im Inertialsystem gleich der Ableitung im körperfesten Bezugssystem ist, führt (9.7) auf Iω ˙ + ω × (Iω) = M (S) oder bei Verwendung von Hauptachsen auf die drei skalaren Gleichungen J11 ω˙ 1 − (J22 − J33 )ω2 ω3 = M1 , J22 ω˙ 2 − (J33 − J11 )ω1 ω3 = M2 , J33 ω˙ 3 − (J11 − J22 )ω1 ω2 = M3 . Dies sind die sogenannten Euler’schen Kreiselgleichungen. Wenn der Drall eine andere Richtung als die Winkelgeschwindigkeit hat, dann ist der Drall im Inertialsystem ein konstanter Vektor, wenn alle Momente verschwinden. Demzufolge ändert sich die Winkelgeschwindigkeit in diesem Fall. Auf der anderen Seite gibt es Fälle, bei denen der Winkelgeschwindigkeitsvektor im Inertialsystem konstant ist und der Drallvektor sich um den Winkelgeschwindigkeitsvektor dreht. Damit ändert sich der Drall ständig, wozu in den Lagern des Körpers Kräfte oder Momente wirken müssen. Im Allgemeinen sind das umlaufende Lagerkräfte, die bei Maschinen vermieden werden sollten. Beispiel Als Beispiel betrachten wir das Auswuchten eines Reifens. Ein Autoreifen soll bei einer Geradeausfahrt so beschaffen sein, dass außer dem Anteil der Gewichtskraft des Wagens keine Kräfte vom Lager auf den Reifen wirken müssen. Gemäß dem Impulssatz muss der Schwerpunkt des Reifens eine konstante Geschwindigkeit haben. Dies ist nur erfüllt, wenn der Schwerpunkt auf der Drehachse des Reifens liegt, da er sich sonst auf einer Kreisbahn um die Drehachse des Reifens bewegt und dazu ständig in Richtung der Achse beschleunigt werden muss. Dies genügt jedoch nicht, denn wenn der Schwerpunkt auf der Drehachse liegt, kann der Reifen

Technische Mechanik



(m )

Jxz = −

241

eine Diagonalmatrix wird:

und den Deviationsmomenten Jxy = −

Kinetik der allgemeinen Bewegung eines starren Körpers

242

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

aufgrund von Fertigungs- und Montageungenauigkeiten Deviationsmomente bezüglich der Drehachse haben. Der Drallvektor zeigt dann nicht in Richtung des Winkelgeschwindigkeitsvektors und ändert deshalb ständig die Richtung, wozu Momente vom Lager auf den Reifen wirken müssen. Lediglich wenn die Drehachse des Reifens eine Hauptachse ist, sind Drall und Winkelgeschwindigkeit des Reifens gleichgerichtet und keine Momente in den Lagern notwendig. Beim Auswuchten des Reifens muss der Monteur deshalb durch Anbringen von Gewichten in zwei verschiedenen Ebenen den Schwerpunkt des Reifens auf die Drehachse legen und die Drehachse zur  Hauptachse machen. Besonders bei Körpern, die eine Eigendrehung um eine Symmetrieachse aufweisen, ist es unter Umständen günstig, den Drall bezüglich einem nicht körperfesten Bezugssystem Z aufzustellen. Falls dieses Bezugssystem Z durch eine Basis z1 , z2 , z3 beschrieben wird, bei welcher der Einheitsvektor z3 in Richtung der Symmetrieachse zeigt, hat die Trägheitsmatrix dieselben Koordinaten wie im Falle von körperfesten Koordinaten. Die Winkelgeschwindigkeit des Körpers wird in der Form ω = ω1 z1 + ω2 z2 + ω3 z3 dargestellt. Hat dieses nicht körperfeste Bezugssystem Z im Inertialsystem die Winkelgeschwindigkeit Ω = Ω1 z1 + Ω2 z2 + Ω3 z3 , dann ergibt der Drallsatz: dZ L(S) + Ω × L(S) = M (S) , dt und bei einem symmetrischen Kreisel, bei dem die zAchse die Symmetrieachse ist und die Trägheitsmatrix durch ⎛ ⎞ A 0 0 I=⎝ 0 A 0 ⎠ 0 0 B gegeben ist, folgen dann die modifizierten Kreiselgleichungen: Aω˙ 1 + Ω2 ω3 B − Ω3 ω2 A = M1 , Aω˙ 2 + Ω3 ω1 A − Ω1 ω3 B = M2 , Bω˙ 3 + A(Ω1 ω2 − Ω2 ω1 ) = M3 . Zahlreiche Effekte, die wir bei Kreiseln beobachten können, haben den Ursprung im Drallsatz des starren Körpers bei räumlicher Bewegung.

Kinetische Energie des starren Körpers bei räumlicher Bewegung Wenn wir zur Bestimmung der kinetischen Energie des starren Körpers als Bezugspunkt auf dem starren Körper dessen Schwerpunkt S verwenden, so gilt mit der Geschwindigkeit des Massenelements am Punkt P die Be-

ziehung vP = vS + ω × rSP und somit für die kinetische Energie Ekin nach Integration über alle Massenelemente: Ekin =

1 2

1 = 2



v2P dm

(m )



(vS + ω × rSP )2 dm

(m )

1 = v2S 2 1 + 2



dm + vS · (ω ×

(m )





rSP dm)

(m )

(ω × rSP )2 dm.

(m )

Der mittlere Term verschwindet wegen (m) rSP dm = 0, für den dritten Term ergibt sich mithilfe der Vektorrechnung (hier ohne Beweis): 1 2



(ω × rSP )2 dm =

(m )

1 ω · L(S) . 2

Für die gesamte kinetische Energie erhalten wir also: 1 2 1 mv + ω · L(S) = Ekin,Trans + Ekin,Rot . (10.8) 2 S 2 Die Rotationsenergie Ekin,Rot beträgt bei allgemeinen Achsen: 1 Ekin,Rot = (Jxx ωx2 + Jyy ωy2 + Jzz ωz2 ) 2 + Jxy ωx ωy + Jxz ωx ωz + Jyz ωy ωz . Ekin =

Sehr einfach wird die Rotationsenergie bei Verwendung von Hauptachsen: 1 (J11 ω12 + J22 ω22 + J33 ω32 ). 2 Frage 10.3 Wie setzt sich die kinetische Energie des starren Körpers zusammen, wenn als Bezugspunkt A für die Geschwindigkeit nicht der Schwerpunkt S, sondern ein beliebiger Punkt A verwendet wird? Ekin,Rot =

10.5

Stoßprobleme und Systeme veränderlicher Masse

Stoßprobleme oder Systeme, bei denen ein Massenstrom zu einer Beschleunigung führt, treten in Anwendungen sehr oft auf. Die grundlegenden Annahmen und Modelle zur Behandlung derartiger Probleme werden in diesem Unterkapitel vorgestellt. Dabei muss beachtet werden, dass beim Newton’schen Axiom immer dieselbe Masse betrachtet werden muss.

Stoßprobleme und Systeme veränderlicher Masse

Leitbeispiel Antriebsstrang Differenzialgetriebe

Bei einem Differenzialgetriebe soll abgeschätzt werden, welche Lagermomente sich für das Ritzel aufgrund der Drehbewegung von Antriebsachse und Ritzel ergeben. Die Trägheitsmatrix bezüglich der Achsen in Richtung ex , ey , ez ist wegen der Symmetrie des Ritzels bezüglich der y -Achse durch ⎛ ⎞ A 0 0 I=⎝ 0 B 0 ⎠ 0 0 A

LV,gerade = IωV,gerade und damit:

gegeben.

LV,gerade = AωA ez = AωA ez .

ex′ ωL

bestimmt. Für die Lösung haben wir prinzipiell zwei Möglichkeiten. Entweder wir bestimmen die Koordinaten der Winkelgeschwindigkeit bezüglich der körperfesten Basis und werten dann den Drallsatz aus, oder wir nutzen die Symmetrie des Ritzels aus, wodurch die Trägheitsmatrix im x , y , z System dieselbe Form hat wie im körperfesten System. Wir wählen hier die zweite Variante und betrachten zunächst die Geradeausfahrt. Der Drall beträgt in diesem Fall:

ωA ez′ ey′

Aus dem Drallsatz folgt mit der Summe M V,gerade der Momente auf das Verbindungsritzel:

ωR

M V,gerade = Aω˙ A ez . ez ωE ex′′

ex

ey

ez′′ ey′′

Wir nehmen an, dass die Antriebswinkelgeschwindigkeit ωA und die Winkelbeschleunigung αA = ω˙ A gegeben sind. Zuvor hatten wir die Winkelgeschwindigkeit und die Winkelbeschleunigung des Verbindungsritzels für eine Geradeausfahrt zu ωV, gerade = ωA ez , αV, gerade = ω˙ A ez und für ein blockierendes Rad zu RA ωA ey , r R R 2 = ω˙ A ez − A ω˙ A ey + A ωA ex r r

ωV, block = ωA ez − αV, block

In diesem Fall ergeben sich also bei konstanter Antriebsdrehzahl keine Kreiselmomente. Lagerkräfte treten also nur aufgrund der äußeren Kräfte in den Kontaktpunkten zwischen den Ritzeln auf. Im Falle des blockierenden Rades ergibt sich für den Drall: LV,block = AωA ez − B

RA ωA ey . r

Bei der Ableitung dieses Ausdrucks muss beachtet werden, dass das x y z -System mit der Winkelgeschwindigkeit ω = ωA ez rotiert. Die Zeitableitung im Inertialsystem in den Drallsatz eingesetzt ergibt deshalb: M V,block = Aω˙ A ez − B

RA R 2 ex . ω˙ A ey + B A ωA r r

Wir erkennen, dass in diesem Fall selbst bei konstanter Drehzahl sogenannte Kreiselmomente auftreten, die von der Lagerung aufgebracht werden müssen.

243

Technische Mechanik

10.5

244

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

Vertiefung: Nutzung von Computeralgebraprogrammen Besonders bei räumlichen Problemen ergeben sich schon bei relativ wenigen Freiheitsgraden komplizierte Bewegungsgleichungen. Deshalb wurden zahlreiche Computerprogramme entwickelt, mit deren Hilfe die Bewegungsgleichungen in symbolischer Form hergeleitet werden können. Dies hat den Vorteil, dass die Gleichungen, die im Allge-

Die Modellierung von Stoßvorgängen erfordert die Auswertung von Impuls- und Drallsatz in integraler Form

meinen sowieso nur noch numerisch gelöst werden können, direkt dem Programm zur Verfügung stehen. Die Umformung der Gleichungen in eine Form, in der die numerische Integration möglich ist, können diese Programme ebenfalls leisten. Die Untersuchung von Systemen mit mehreren Körpern, den sogenannten Mehrkörpersystemen, wird dadurch enorm erleichtert.

Berührebene ω1

ω2 P Stoßnormale

Sehr oft treten in der Technik Stoßvorgänge auf, bei denen Körper während eines sehr kleinen Zeitintervalls in Kontakt sind. In der Kontaktfläche treten Spannungen auf, die von der Nachgiebigkeit der Körper abhängig sind. Da die Körper elastisch sind, spielt die Wellenausbreitung in den Körpern und die Reflexion der Wellen an den Körperberandungen eine Rolle, sodass die Geschwindigkeiten und die Winkelgeschwindigkeiten nach dem Stoß neben den Materialeigenschaften auch von der Form der Körper abhängen können. Da wir uns auf die Modellierung von starren Körpern beschränkt haben, führen wir für die Stoßvorgänge entsprechend vereinfachte Modelle ein und berücksichtigen Einflüsse von den Materialeigenschaften und den Körperformen über eine noch zu definierende Stoßzahl. Als Voraussetzung für die Modellierung nehmen wir an, dass die Kontaktzeit sehr klein ist. Dadurch werden die Kräfte in der Kontaktzone und eventuell in Gelenken und Lagern sehr groß, sodass nicht stoßrelevante Kräfte wie Gewichtskräfte, Federkräfte, Dämpferkräfte etc. gegenüber den stoßrelevanten Kräften vernachlässigt werden können. Aufgrund der kurzen Stoßzeit wird angenommen, dass sich die Lage und die Orientierung der Körper während des Stoßes nicht ändern. Ein Stoß führt deshalb zu sprungartigen Geschwindigkeitsänderungen. Die Auswirkung der Verformung der Körper auf die Bewegung des Schwerpunktes wird in unserem Modell vernachlässigt. Deshalb ändert sich die potenzielle Energie des Systems während des Stoßes nicht. Änderungen der mechanischen Energie infolge des Stoßes beziehen sich deshalb auf die Änderung der kinetischen Energie. Diese hängt im Wesentlichen von den Geschwindigkeiten und den Winkelgeschwindigkeiten der Körper ab. Beispiel Wenn wir mit dem Hammer ein Bauteil anstoßen, führt dies zu einer plötzlichen Geschwindigkeits-

v1 S1

v2 S2

Abb. 10.20 Allgemeine Stoßsituation zweier stoßender Körper

änderung des gestoßenen Körpers. Dasselbe können wir  beim Stoß zweier Billardkugeln beobachten.

Eine allgemeine Stoßsituation ist in Abb. 10.20 dargestellt. Mit eingezeichnet sind die Stoßnormale und die Berührebene, die senkrecht aufeinander stehen. Die Schwerpunkte der Körper sind S1 und S2 . Wir unterscheiden folgende Fälle: Falls die Geschwindigkeiten der Kontaktpunkte auf einer Geraden liegen, nennen wir dies einen geraden Stoß, andernfalls einen schiefen Stoß. Wenn die Stoßnormale durch beide Schwerpunkte geht, sprechen wir von einem zentralen oder zentrischen Stoß, andernfalls von einem exzentrischen Stoß. Im Folgenden beschränken wir uns auf ebene Stoßprobleme, sodass die Geschwindigkeiten der Schwerpunkte jeweils zwei Komponenten haben, die im Allgemeinen vor dem Stoß bekannt sind. Hinzu kommen die Winkelgeschwindigkeiten, die bei ebenen Bewegungen nur eine Komponente senkrecht zur Bewegungsebene haben. Wir bezeichnen die Größen von Körper 1 beziehungsweise Körper 2 mit entsprechenden Indizes. Ein Freikörperbild während des Stoßes zeigt Abb. 10.21. Zunächst ergibt eine Auswertung von Impuls- und Drallsatz in integraler Form für jeden Körper drei Gleichungen. Wir führen die x-Achse in Richtung der Stoßnormalen ein und die y-Achse senkrecht dazu. Die Gleichungen (10.5)

10.5

bis (10.7) ergeben dann:

−Fˆ x =

Tab. 10.1 Typische Stoßzahlen für verschiedene Materialpaarungen

−Fx dt = m1 (vS1 xE − vS1 xA ),

Materialpaarung Stahl/Stahl Glas/Glas Stoßzahl 0,56 0,94

ΔtS



−Fˆ y =

−Fy dt = m1 (vS1 yE − vS1 yA ),

ΔtS

b1 Fˆ =



b1 Fdt = JS1 (ω1E − ω1A )

formuliert werden kann. Mit den Geschwindigkeiten vP1 und vP2 der kontaktierenden Punkte in Richtung der Stoßnormalen gilt für die Stoßzahl ε:

ΔtS

ε=−

für Körper 1 und Fˆ x =



Fx dt = m2 (vS2 xE − vS2 xA ),

ΔtS

Fˆ y =

−b2 Fˆ =





Fy dt = m2 (vS2 yE − vS2 yA ),

ΔtS

−b2 Fdt = JS2 (ω2E − ω2A )

ΔtS

für Körper 2. Hierin bezeichnen Größen mit Index E Geschwindigkeiten und Winkelgeschwindigkeiten am Ende des Stoßes und Größen mit Index A diejenigen am Anfang direkt vor dem Stoß. Wenn wir annehmen, dass die Geschwindigkeiten und die Winkelgeschwindigkeiten direkt vor dem Stoß bekannt sind, dann sind die vier Komponenten der Geschwindigkeiten und die zwei Winkelgeschwindigkeiten sowie die zwei Kraftkomponenten 

(für F gilt F = F2x + F2y ) unbekannt. Dies sind 8 Unbekannte, wofür nur sechs Gleichungen zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass wir noch zwei weitere Annahmen oder kinematische Zusammenhänge benötigen. Dies muss auch so sein, da ja sonst kein Einfluss des Materials auf den Stoß möglich wäre. Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, einen glatten Stoß anzunehmen, sodass die Kontaktkraft keine Komponente in y-Richtung hat. In Normalenrichtung wird sehr oft eine sogenannte Stoßzahl eingeführt, mit deren Hilfe eine kinematische Bedingung

vP2E − vP1E . vP2A − vP1A

Die Stoßzahl ε entspricht also dem Verhältnis der relativen Trenngeschwindigkeit und der relativen Annäherungsgeschwindigkeit. Damit  positiv ist, wurde noch das negative Vorzeichen eingeführt. Die Stoßzahl liegt mit dieser Definition zwischen 0 und 1. Sie ist wie oben erwähnt von den Materialien der Körper und deren Form abhängig. Falls Massenpunkte untersucht werden, ist deren Ausdehnung vernachlässigbar, und die Stoßzahl hängt nur noch von den Materialien ab. Typische Werte sind in Tab. 10.1 angegeben. Mit den beiden Zusatzbedingungen liegen acht Gleichungen vor, sodass alle Unbekannten bestimmt werden können. Um einige grundlegende Aussagen treffen zu können, betrachten wir im Folgenden zwei Massenpunkte, die aufeinander stoßen, und wir nehmen an, dass ein zentraler Stoß vorliegt, sodass nur noch die Geschwindigkeitskomponenten in Stoßrichtung von Interesse sind. Dementsprechend bezeichnen wir die Geschwindigkeiten vor (am Anfang) und nach dem Stoß (am Ende) mit vA1 , vA2 , vE1 , vE2 . Die Massenpunkte m1 und m2 sind in Abb. 10.22 vor (a), während (b) und nach dem Stoß (c) dargestellt. Abbildung 10.23 zeigt ein Freikörperbild der Massenpunkte während des Stoßes. Die Impulsbilanzen

vor dem Stoß

a

vA2

vA1 m1

Fy F Fx b1

245

b

m2

während des Stoßes

Fx F

m1 m 2

Fy S1

b2

nach dem Stoß

c

vE1 S2

Abb. 10.21 Freikörperbild während des Stoßes

m1

vE2 m2

Abb. 10.22 Zwei Massenpunkte vor (a), während (b) und nach dem Stoß (c)

Technische Mechanik



Stoßprobleme und Systeme veränderlicher Masse

246

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen F(t )

F(t)

Technische Mechanik

m1

m2

Abb. 10.23 Freikörperbild während des Stoßes

Vollplastischer Stoß: Beim vollplastischen Stoß ist die Geschwindigkeit der Massenpunkte direkt nach dem Stoß gleich. Für die Stoßzahl gilt ε = 0. Somit ergibt sich für die Geschwindigkeit nach dem Stoß: vE1 = vE2 = vE =

in integraler Form ergeben:

−Fˆ = m1 (vE1 − vA1 ), Fˆ = m2 (vE2 − vA2 ). Eine Addition beider Gleichungen ergibt mit m1 vE1 + m2 vE2 = m1 vA1 + m2 vA2 eine Beziehung, die wir auch aus dem Schwerpunktsatz hätten herleiten können, da die Stoßkraft eine innere Kraft für das aus beiden Massenpunkten bestehende System ist. Zusammen mit der Stoßzahlgleichung ε(vA1 − vA2 ) = vE2 − vE1 liegen zwei Gleichungen für die Unbekannten vE1 und vE2 vor. Die Lösung dieser Gleichungen ergibt: m1 vA1 + m2 vA2 − εm2 (vA1 − vA2 ) , m1 + m2 m v + m2 vA2 + εm1 (vA1 − vA2 ) = 1 A1 . m1 + m2

vE1 = vE2

Bei der Modellierung des Stoßes haben wir angenommen, dass sich die Lage während des Stoßes nicht ändert, sodass bei einer Energiebilanz lediglich die kinetischen Energien vor und nach dem Stoß betrachtet werden müssen. Für die Differenz ΔEkin der kinetischen Energie erhalten wir aus ΔEkin =

1 1 1 1 m1 v2A1 + m2 v2A2 − m1 v2E1 − m2 v2E2 2 2 2 2

nach Einsetzen der Geschwindigkeiten nach dem Stoß: ΔEkin =

1 − ε 2 m1 m2 (vA1 − vA2 )2 . 2 m1 + m2

Wir erkennen, dass der Verlust an kinetischer Energie für ε = 1 verschwindet. Dieser Fall entspricht dem vollelastischen Stoß, bei dem die mechanische Energie erhalten bleibt. Der Verlust an mechanischer Energie wird maximal für ε = 0. In diesem Fall ist die relative Trenngeschwindigkeit null, er entspricht also dem vollplastischen Stoß, bei dem die beiden Massenpunkte nach dem Stoß die selbe Geschwindigkeit haben. Im Folgenden betrachten wir diese Sonderfälle genauer.

m1 vA1 + m2 vA2 , m1 + m2

und der Verlust an mechanischer Energie beträgt: ΔEkin =

1 m1 m2 (vA1 − vA2 )2 . 2 m1 + m2

Vollelastischer Stoß: Für den vollelastischen Stoß gilt ε = 1. Einsetzen in die Gleichungen für die Geschwindigkeiten am Ende des Stoßes ergibt: 2m2 vA2 + (m1 − m2 )vA1 , m1 + m2 2m1 vA1 + (m2 − m1 )vA2 = . m1 + m2

vE1 = vE2

Da die mechanische Energie erhalten bleibt, gilt zusätzlich: ΔEkin = 0. Wenn wir weiterhin annehmen, dass beide Massenpunkte dieselbe Masse m1 = m2 = m haben, dann vereinfachen sich die Beziehungen für die Geschwindigkeiten weiter, und wir erhalten das einfache Ergebnis: vE1 = vA2 , vE2 = vA1 . Im Fall gleicher Massen tauschen die Massenpunkte beim vollelastischen Stoß die Geschwindigkeiten aus. Ähnliches können wir bei Billardkugeln beobachten, wenn sie ohne sich zu drehen aufeinanderstoßen.

Bei Systemen mit veränderlicher Masse ist die Relativgeschwindigkeit der ein- oder ausströmenden Masse wichtig Aus Erfahrung wissen wir, dass ein aufgeblasener Luftballon durch den Raum fliegt, wenn die Luft aus ihm entweicht. Der Effekt der austretenden Luft ist derselbe wie derjenige zum Antrieb einer Rakete. Aber auch beim Strahltriebwerk eines Flugzeuges oder bei einem Jetski tritt auf der einen Seite ein konstanter Massenstrom in das Triebwerk ein, während auf der anderen Seite ein konstanter Massenstrom ausströmt. Wir behandeln diese Systeme im Folgenden als Systeme mit veränderlicher Masse.

Stoßprobleme und Systeme veränderlicher Masse

Beispiel: Antrieb einer Rakete Eine Rakete stößt Verbrennungsgase mit großer Geschwindigkeit nach hinten aus, wodurch ein Schub nach vorne entsteht. Dabei verringert sich die Masse ˙ < 0. Beim der Rakete stetig mit dem Massenstrom m Start der Rakete muss dieser Schub die Gewichtskraft übersteigen, damit die Rakete überhaupt abhebt. Der Einfachheit halber betrachten wir in diesem Beispiel den Fall, dass sich die Rakete im Weltraum befindet und zum Zeitpunkt der Zündung des Triebwerks t = 0 keine Geschwindigkeit hat. Der Massenstrom durch ˙ = −μ sei konstant, wobei die das Raketentriebwerk m austretenden Gase nach der Düse eine Geschwindigkeit vD relativ zur Rakete nach hinten haben. Die Rakete hat während ihres Fluges die Geschwindig˙ = −μ ist negativ, da die keit v(t). Der Massenstrom m Masse abnimmt. Die Relativgeschwindigkeit der ausströmenden Gase ist mit vrel = −vD ebenfalls negativ.

vrel = –vD

m

m = –μ v

Da keine sonstigen Kräfte auf die Rakete wirken, ergibt die Grundgleichung für massenveränderliche Systeme: ˙ rel = (−μ)(−vD ) = μvD mv

= m(t)a = m(t)v˙ = m(t)

dv . dt

Wenn wir annehmen, dass die Masse sich am Anfang aus der Masse mSt der Struktur inklusive der Nutzlast und aus der Treibstoffmasse mTr zusammensetzt, dann gilt für die Masse zum Zeitpunkt t: m(t) = mSt + mTr − μt. Aus der Bewegungsgleichung folgt somit: dv μvD = dt mSt + mTr − μt oder nach Trennung der Veränderlichen: dv =

vD dt . mSt +mTr −t μ

Die Lösung ergibt:  v(t) = −vD ln

 mSt + mTr −t +K μ

mit der noch zu bestimmenden Integrationskonstanten K. Die Integrationskonstante kann aus der Anfangsbedingung v(t = 0) = 0 zu   mSt + mTr K = vD ln μ bestimmt werden, sodass als Gesamtlösung      mSt + mTr mSt + mTr − ln −t v(t) = vD ln μ μ   mSt + mTr = vD ln mSt + mTr − μt folgt. Nachdem der gesamte Treibstoff nach der Brenndauer T verbrannt ist, gilt wegen mTr = μT:     m mSt + mTr v(T ) = vD ln = vD ln 1 + Tr , mSt mSt sodass bei genügend großer Treibstoffmenge v(T ) > vD erreicht werden kann.

247

Technische Mechanik

10.5

248

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

Beispiel: Schub eines Jetantriebes Bei einem Jetantrieb tritt Luft in das Triebwerk ein, verbrennt dort zum Teil mit dem Kerosin und verlässt das Triebwerk mit einer großen Geschwindigkeit wieder, wobei im Allgemeinen nur ein kleiner Teil der Luft durch den Brennraum strömt, der größere Teil fließt um den Brennraum herum. Im Vergleich zum Massenstrom der durch das Triebwerk strömenden Luft kann der Massenstrom des verbrannten Kerosins vernachlässigt werden. Wie man in der Abbildung erkennen kann, handelt es sich beim Flugzeugtriebwerk um ein System mit Massenzu- und Massenabfuhr.

zum Flugzeug nach hinten gerichtet ist und den Betrag vD hat. Somit ergibt sich vrel,ab = −vD . Zu- und abfließende Massenströme sind aufgrund der Vernachlässi˙ zu = gung des Kerosins betragsmäßig gleich, woraus m ˙ ab = −μ folgen. Eingesetzt in die Grundgleiμ und m chung für massenveränderliche Systeme folgt unter Berücksichtigung der Widerstandskraft W: ˙ ab vrel,ab = m −W + m˙ zu vrel,zu + m

dv dt

beziehungsweise:

−W + (−μ)(−vD ) + μ(−v) = m

dv dt

oder: mab = –μ

mzu = μ

W

vrel, ab = –vD

vrel, zu = –v

m

− W + μ ( vD − v ) = m

dv . dt

Für die Schubkraft S des Triebwerks folgt somit: v

S = μ ( vD − v ) ,

Die Relativgeschwindigkeit der einströmenden Luft entspricht gerade der Geschwindigkeit des Flugzeugs, allerdings strömt die Luft dem Flugzeug entgegen, sodass vrel,zu = −v gilt. Für die Geschwindigkeit der ausströmenden Luft nehmen wir an, dass sie relativ

Dabei müssen wir beachten, dass das Newton’sche Axiom nur gilt, wenn dabei stets die gleiche Masse betrachtet wird. Deshalb nehmen wir zunächst an, dass ein kon˙ zufließt, sodass die Masse des stanter Massenstrom m sich nur translatorisch bewegenden Körpers ständig zunimmt. Während eines differenziell kleinen Zeitintervalls ˙ Damit die dt erhöht sich deshalb die Masse um dm = mdt. Masse dm den Körper erreicht, muss deren Geschwindigkeit v0 größer sein als die momentante Geschwindigkeit v des Körpers (Abb. 10.24). An dieser Stelle wird noch einm(t)

und wir erkennen, dass die Schubkraft nur für vD > v positiv ist, sodass v = vD die maximale Geschwindigkeit des Flugzeuges ist, die bei einem Horizontalflug erreicht werden kann, selbst wenn die Widerstandskraft W verschwindet.

mal darauf hingewiesen, dass sich die Masse m aufgrund des Massenstromes ständig ändert und deshalb m = m(t) gilt. Während des Zeitintervalls dt stößt das Massenelement dm auf die Masse m und bewegt sich danach mit ihr fort. Es handelt sich also um einen vollplastischen Stoß, wobei die Stoßkraft S aufgrund des stetigen Massenstromes während dt konstant ist (Abb. 10.25). In dieser Abbildung ist die Resultierende der am Körper in Richtung des Stoßes auftretenden äußeren Kräfte mit F bezeichnet. Beispiele hierfür sind Gewichtskräfte oder Reibungs- und Widerstandskräfte. Eine Auswertung der Impulsbilanz in integraler Form über das Zeitintervall dt ergibt für das Massenelement:

F

dm v0 > v

v

−Sdt = dm(v + dv) − dmv0 .

m + dm F m dm S

S

F

v + dv

Abb. 10.24 Die Massen vor und nach dem plastischen Stoß zwischen dm und m (t )

Abb. 10.25 Kräfte auf das Massenelement dm und auf die zeitveränderliche Masse m (t )

Da das Produkt dmdv von quadratischer Ordnung ist, kann es gegenüber den Gliedern erster Ordnung vernachlässigt werden und wir erhalten:

−Sdt = (v − v0 )dm oder: S = ( v0 − v )

dm ˙ = (v0 − v)m. dt

Die Relativgeschwindigkeit vrel = v0 − v der Masseteilchen gegenüber dem Körper ist dabei positiv, da v0 > v gilt. Wir bezeichnen die Kraft S im Folgenden als Schub. Die Auswertung des Impulssatzes für m(t) ergibt:

(F + S)dt = m(t)(v + dv) − m(t)v = m(t)dv oder: F + S = m ( t)

dv = m ( t) a dt

mit der Beschleunigung a in Richtung der Bewegung. Nach Einsetzen von S folgt daraus die Grundgleichung für Systeme mit veränderlicher Masse: ˙ rel = m(t)a. F + mv Hierbei müssen wir beachten, dass sowohl Massenzufuhr ˙ > 0 wie auch Massenabfuhr m ˙ < 0 möglich ist. Auch m

bei der Relativgeschwindigkeit sind unterschiedliche Fälle möglich. Für v0 > v ist vrel > 0, wenn v0 < v ist, dann ist auch vrel < 0. In einem Strahlantrieb entspricht die vorne einströmende Luft einer Massenzufuhr, allerdings mit negativer Relativgeschwindigkeit, wohingegen die aus˙ < 0 entspricht mit strömende Luft einer Massenabfuhr m ebenfalls negativer Relativgeschwindigkeit. Wir kommen darauf in einem Beispiel zurück. Falls zu- oder abströmende Massen in verschiedenen Raumrichtungen auftreten, muss die oben skalar hergeleitete Gleichung für die jeweiligen Raumrichtungen angewandt werden. Im Falle starrer Körper sind die Schubkräfte auch in den Momentenbilanzen zu berücksichtigen. Da wir Systeme mit veränderlicher Masse über plastische Stöße hergeleitet haben, bei denen wie zuvor gezeigt mechanische Energie dissipiert wird, muss den Masseteilchen hier die entsprechende Energie zugeführt werden, damit diese sich beim Strahlantrieb mit großer Geschwindigkeit vom Körper wegbewegen. Dazu muss die Energie im Triebwerk letztendlich aufgebracht werden.

Weiterführende Literatur Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 10.1

m 2 12 l .

Antwort 10.2 Eben 2, räumlich 3.

Antwort 10.3 Ekin = 12 mv2A + mvA · (ω × rAS ) + 12 ω · L(A) . Es tritt also neben Translations- und Rotationsenergie noch eine sogenannte Koppelenergie auf.

249

Technische Mechanik

Antworten zu den Verständnisfragen

250

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). Der Faden eines Jo-Jo wird festgehalten, wäh10.1 • rend das Jo-Jo nach unten beschleunigt. Faden

3R R

Resultat:

 ϕ˙ =

4gh 11R2

10.3 •• Eine homogene Walze wird am oberen Punkt bei A aus der Ruhe losgelassen und rollt auf einer kreisförmigen Unterlage ab. Die Unterlage hat den Radius R, die Walze den Radius r. ψ A

m

g

Wie groß ist die Beschleunigung des Schwerpunktes, wenn der Radius der Walze, auf dem der Faden aufgewickelt ist, R beträgt und das Jo-Jo selbst als homogene Scheibe der Masse m mit Radius 3R betrachtet werden kann?

r

φ R

Hinweis: Zwischen der Winkelgeschwindigkeit und der Schwerpunktgeschwindigkeit besteht ein kinematischer Zusammenhang.

Bei welchem Winkel ϕ hebt die Walze von der Unterlage ab?

Resultat:

Hinweis: Beim Abheben wird die Normalkraft zwischen Walze und Unterlage null.

x¨ =

2 g 11

Resultat: cos ϕ =

10.2 • Mithilfe des Energiesatzes bestimme man die Winkelgeschwindigkeit eines Jo-Jos, das aus der Ruhe losgelassen wird, und sich um h nach unten bewegt.

4 , 7

ϕ = 55,15◦

10.4 • • • Zwei Bälle werden wie abgebildet aus einer Höhe h losgelassen. m1

Faden

m2 3R R

h g h

m

Das Jo-Jo kann als homogene Scheibe mit Masse m und Radius 3R betrachtet werden. Der Radius der Walze, auf die der Faden aufgewickelt ist, beträgt R. Hinweis: Drehbewegung und Translation sind gekoppelt.

Es gilt m1 < m2 . Wir nehmen an, dass zunächst der untere Ball auf die Unterlage stößt und dann nach dem Rückprall auf den zweiten Ball. Für beide Stöße liegt dieselbe Stoßzahl vor. Wie hoch steigt der zweite Ball, wenn die

Stoßzahl für beide Stöße ε = 1 ist? Wie groß muss die Stoßzahl mindestens sein, dass der obere Ball mindestens auf die ursprüngliche Höhe steigt? Hinweis: Verwenden Sie die im Text angegebenen Formeln. Resultat:

die Winkelbeschleunigung? Das Jo-Jo kann als homogene Scheibe mit Masse m und Radius 3R betrachtet werden. Der Radius der Walze, auf die der Faden aufgewickelt ist, beträgt r. Wie groß ist die Kraft im Faden, wenn der Faden nicht nach oben gezogen wird, sondern nur festgehalten wird?



 m1 − 3m2 2 h, m1 + m2  m = 2 + 2 1 − 1. m2

Faden

hnach = ε min

3R r

10.5 •• Zwei Entwürfe von Windrädern, ein zweiflügeliges und ein dreiflügeliches, sollen untersucht werden. y

m

Resultat: Schwerpunkt fix:

y

F = mg Faden festgehalten: F = mg z

z x

x

9R2 + 9R2

2r2

10.7 • Der Faden des Jo-Jos wird festgehalten. Der Schwerpunkt bewegt sich momentan mit der Geschwindigkeit v nach oben. Faden

3R

Wie groß sind die Massenträgheitsmomente der zwei Windräder bezüglich der Koordinatenachsen durch die Nabe? Wie sehen die Trägheitsmatrizen für diese Koordinatenrichtungen aus? Die einzelnen Flügel können als dünne Stäbe der Masse m und der Länge l angenommen werden. Hinweis: Integrieren Sie eventuell entlang der Stabachsen. Resultat: Entwurf 1:

m

Wie hoch steigt das Jo-Jo bis es zur Ruhe kommt? Hinweis: Drehbewegung und Translation sind gekoppelt. Resultat:

⎛2

2 3 ml I=⎝ 0 0

Entwurf 2:

r

0 0 0



ml2 ⎜ 2

I=⎝ 0 0

0 ml2 2

0



0 0 ⎠ 2 2 ml 3 ⎞ 0 ⎟ 0 ⎠ ml2

10.6 • Beim abgebildeten Jo-Jo wird der Faden nach oben bewegt. Wie groß muss die Kraft im Faden des Jo-Jos sein, damit sich der Schwerpunkt nicht bewegt? Wie groß ist dann

 h=

1 9R2 + 2 2 4r



v2 g

10.8 •• Ein Auto (Masse m, Massenträgheitsmoment JS um eine Achse senkrecht durch den Schwerpunkt S) soll während einer Kurvenfahrt (Radius R) von der Geschwindigkeit v1 auf die Geschwindigkeit v2 beschleunigt werden. Wie groß muss die Leistung des Autos sein, wenn dies während der Zeit T erfolgen soll? Hinweis: Geschwindigkeit und Winkelgeschwindigkeit sind gekoppelt. Resultat: 1 P= 2



J m + S2 R



v22 − v21 . T

251

Technische Mechanik

Aufgaben

252

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

10.9 • • • Das abgebildete System dient als Modell eines Überkopfpendels. Es besteht aus einem Wagen, der sich horizontal bewegt und der mit einer Kraft F angetrieben wird. An ihm ist ein dünner Stab der Länge l und Masse mS drehbar angebracht. Der Wagen selbst hat die Masse mW . Zwischen Stab und Wagen ist ein Drehdämpfer mit der Dämpferkonstanten kD angebracht.

10.11 • • • Ein Massenpunkt m stößt mit der Geschwindigkeit v mittig auf eine Platte (Masse M, Massenträgheitsmoment JS bezüglich des Schwerpunktes). Ein Ende der Platte wird so geführt, dass es sich nur vertikal bewegen kann. Der Stoß verläuft glatt. m v

mS, JS

y

a l 2

S2

S

45°

φ kD mW S1

a

ω

l 2 F(t)

M, JS

x x

Die Koordinaten zur Beschreibung des Systems sind die Verschiebung x für den Wagen und der Winkel ϕ zwischen der Vertikalen und dem Stab. Wie lauten die zwei Bewegungsgleichungen für die Bewegung von Wagen und Stab? Hinweis: Zuerst ist zweckmäßigerweise die Beschleunigung des Stabschwerpunktes zu bestimmen. Wählen Sie geschickt gewählte Kräfte- und Momentenbilanzen.

Wie groß sind die Geschwindigkeit von Massenpunkt und Plattenschwerpunkt sowie die Winkelgeschwindigkeit der Platte nach dem Stoß? Was ergibt sich für die Grenzfälle vollplastischer oder vollelastischer Stoß? Hinweis: Zeigen Sie zunächst, dass das Massenträgheitsmoment der Platte JS = 16 Ma2 beträgt. Resultat:

10.10 •• Eine Billardkugel stößt ohne sich zu drehen unter einem Winkel von 30◦ auf eine zweite Billardkugel gleicher Masse. Der Stoß verläuft glatt. y 30° v

x

5m + 4εM v, 5m − 4M (1 + ε )m v, = 5m − 4M

Vm =

Resultat:

l l (mS + mW )x¨ + mS ϕ¨ cos ϕ − mS ϕ˙ 2 sin ϕ = F(t), 2 2 l l 1 2 mS l ϕ¨ + mS cos ϕx¨ + kD ϕ˙ − mS g sin ϕ = 0. 3 2 2

y

VMy

5 (1 + ε )m v, 5m − 4M 6 (1 + ε )m ωE = − v. (5m − 4M)

VMx =

10.12 •• Mithilfe eines ballistischen Pendels soll die Geschwindigkeit eines Geschosses bestimmt werden. Dazu wird das Geschoß auf das Pendel geschossen und bleibt dort stecken. Das Pendel hat die Masse M und den Schwerpunkt in S. Der Schwerpunkt hat den Abstand l vom Lager, das Geschoß trifft das Pendel im Abstand b vom Lager. Nach dem Stoß schwingt das Pendel, dessen Dämpfung vernachlässigt werden kann, bis zum Winkel ϕ = ϕ0 . Wie groß ist die Geschwindigkeit v des Geschosses vor dem Stoß bei gemessenem ϕ0 ?

Wie groß sind die Geschwindigkeitskomponenten der Kugeln nach dem Stoß? Hinweis: Führen Sie Koordinatenachsen in Richtung der Stoßnormalen und senkrecht dazu ein. Resultat: 1 (5 − 3ε)v1 , 8 3 = ( 1 + ε ) v1 , 8

v1x,nach = v2x,nach

l



3 v1 , v1y,nach = −(1 + ε) 8 √ 3 v2y,nach = ( 1 + ε ) v1 . 8

φ0

b m0

S M

v

Aufgaben

253

Resultat:  v=

Technische Mechanik

Hinweis: Der Energiesatz gilt erst nach dem Stoß.

2(Mgl + m0 gb)(1 − cos ϕ0 )(JS + Ml2 + m0 b2 ) . m20 b2

10.13 •• Ein Auto (Masse m1 ) stößt mit der Geschwindigkeit v auf ein stehendes Auto (Masse m2 ), wobei der Stoß plastisch verläuft. Wie groß ist die Stoßkraft während des Stoßes, wenn diese als konstant über die Stoßzeit angenommen wird und die Knautschzone von beiden Autos zusammen sK beträgt? Vergleichen Sie die Werte, die sich ergeben für v = 50 km/h, m1 = 1000 kg, m2 = 1200 kg und sK = 0,2 m, beziehungsweise sK = 1 m. Hinweis: Beide Autos werden während des Stoßes mit einer konstanten Beschleunigung verzögert beziehungsweise beschleunigt. Resultat: Knautschzone sK = 0,2 m: F = 263 kN Knautschzone sK = 1 m: F = 52,6 kN 10.14 •• Ein hantelförmiger Körper stößt wie abgebildet im Abstand l vom Schwerpunkt auf eine glatte Unterlage. m, JS

v

umstürzender Kamin

l

Wie groß sind Schwerpunktsgeschwindigkeit und Winkelgeschwindigkeit nach dem Stoß, wenn sich die Hantel vor dem Stoß mit der Geschwindigkeit v ohne sich zu drehen bewegt. Die Stoßzahl für den Stoß ist mit ε gegeben. Die Hantel hat die Masse m und das Massenträgheitsmoment JS bezüglich dem Schwerpunkt. Hinweis: Stellen Sie die Impulsbilanzen um den Schwerpunkt auf. Resultat: Ω=

lm(1 + ε) v, ml2 + JS

V=

ml2 − εJS v. ml2 + JS

10.15 • • • Beim Sprengen eines Kamins kann angenommen werden, dass er sich nach der Sprengung wie ein Stab um sein unteres Ende bewegt.

g

An welcher Stelle entlang des Kamins ist das Biegemoment am größten, so dass er an dieser Stelle eventuell brechen wird? Der Kamin kann als homogener Stab der Länge l und Masse m angenommen werden. Hinweis: Die Längskraft aufgrund von Fliehkräften wird vernachlässigt. Resultat: x =

l 3

10.16 •• Ein Frisbee ist eine Jahrmarktattraktion, bei der sich eine Stange der Länge l ähnlich einem Pendel um eine horizontale Achse dreht. Am Ende der Stange ist eine Scheibe mit Radius R angebracht, die sich bezüglich

254

10 Kinetik des starren Körpers – Dinge kraftvoll bewegen

Technische Mechanik

der Stange um deren Längsachse mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ωS dreht. Der Verdrehwinkel ϕ der Stange ist wie bei einem Pendel von der Zeit abhängig.

ez′

ey′ l φ ωS ex′

R

B

A

Hinweis: Bestimmen Sie zunächst den Drall. Resultat:

¨ x − B ϕω ˙ S ey M = A ϕe

10.17 •• Eine Rakete (Masse m = 50 t) soll beim Start mit a = 20 m/s2 im Schwerefeld der Erde (g = 10 m/s2 ) beschleunigt werden. Wie groß muss der Massenstrom μ sein, damit diese Beschleunigung erreicht wird, wenn die Austrittsgeschwindigkeit der Gase aus der Düse vD = 5000 m/s beträgt? Hinweis: Massenänderung und Relativgeschwindigkeit sind negativ. Resultat: μ = 300 kg/s

Die Winkelgeschwindigkeit und die Winkelbeschleunigung des Frisbees wurden zu

10.18 •• Eine Hantel besteht aus zwei Kugeln und einer Verbindungsstange. Die Massen und die Abmessungen sind im Bild angegeben. Wie groß ist das Massenträgheitsmoment um eine Achse, die durch den Mittelpunkt der Stange geht und senkrecht zu dieser steht?

˙ x + ωS ez , ωF = ϕe ¨ x − ϕω ˙ S ey αF = ϕe

R

R

m S

bestimmt. Wie groß sind die Momente im Lager der Scheibe, wenn die Trägheitsmatrix des Frisbees aufgrund der Symmetrie bezüglich nicht körperfester x y z -Achsen mit ⎛ ⎞ A 0 0 I = ⎝ 0 A 0⎠ 0 0 B gegeben ist.

5m

2R

2R

5m

Hinweis: Unterteilen Sie die Hantel in Einzelkörper. Resultat: JS =

286 mR2 3

11

Technische Mechanik

Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Wie hängen die Bewegungen der Kolben von der Drehung der Kurbelwelle ab? Drehen sich Kurbel- und Nockenwelle unabhängig voneinander? Müssen die Zwangskräfte und die Zwangsmomente immer bestimmt werden?

11.1 11.2 11.3 11.4 11.5

Generalisierte Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . Zwangsbedingungen und Zwangskäfte . . . . . . . Virtuelle Verschiebungen, virtuelle Arbeit . . . . . . Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung Lagrange’sche Gleichungen 2. Art . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_11

. . . . . . .

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. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

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. . . . . . .

256 256 259 260 265 270 271

255

256

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Technische Mechanik

Bei der Herleitung von Bewegungsgleichungen von starren Körpern stehen für jeden Körper bei einer ebenen Bewegung drei skalare Gleichungen und bei einer räumlichen Bewegung sechs Gleichungen zur Verfügung. Sind mehrere Körper über Gelenke verbunden, dann müssen aus diesen Gleichungen die Zwangsreaktionen in den Lagern und den Gelenken eliminiert werden, um letztendlich auf die Bewegungsgleichungen zu kommen. Dabei ergeben sich genauso viele Bewegungsgleichungen wie das System Freiheitsgrade hat. Effizienter ist es, wenn diese Zwangskräfte und Zwangsmomente bei der Herleitung von Bewegungsgleichungen nicht berücksichtigt werden müssen, insbesondere bei Anwendungen, bei denen das System aus sehr vielen Körpern besteht, aber nur wenige Freiheitsgrade hat, reduziert sich dadurch der Aufwand erheblich. Über die Methoden der analytischen Mechanik werden wir Verfahren kennenlernen, bei denen für derartige Systeme die Bewegungsgleichungen hergeleitet werden können, ohne die Zwangsreaktionen bestimmen zu müssen. Dazu führen wir wieder die virtuelle Arbeit von Kräften und Momenten ein. Beim Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung muss die Summe aus virtueller Arbeit von eingeprägten Kräften und Momenten und virtueller Arbeit der Trägheitskräfte verschwinden. Zwangskräfte und Zwangsmomente leisten in der Summe bei einer virtuellen Verschiebung des Systems keine Arbeit und müssen deshalb nicht berücksichtigt werden. Nach entsprechender Umformung resultieren die Lagrange’schen Gleichungen zweiter Art, bei denen das kinetische Potenzial, das sich aus der Differenz von kinetischer Energie und potenzieller Energie ergibt, formal differenziert werden muss, um dann unter Einarbeitung der verallgemeinerten Kräfte direkt die Bewegungsgleichungen zu erhalten. Es sind also lediglich die kinetische Energie und die potenzielle Energie des Systems und die virtuelle Arbeit der nicht konservativen Kräfte zu bestimmen, davon abgesehen muss nur der mathematische Algorithmus angewendet werden.

11.1

Deshalb liegt es nahe, zur Beschreibung der Lage und der Orientierung aller Körper sogenannte generalisierte oder verallgemeinerte Koordinaten zu verwenden. Der Ausdruck „generalisierte Koordinate“ wird verwendet, da es sich um Verschiebungen, Drehwinkel oder eine Kombination von beiden handeln kann. Wir führen am besten soviele verallgemeinerte Koordinaten ein, wie das System Freiheitsgrade hat. Man spricht dann auch von Minimalkoordinaten und bezeichnet die generalisierten Koordinaten in diesem Fall auch als die Freiheitsgrade. Im Folgenden beschränken wir uns stets auf Minimalkoordinaten. Wenn wir zum Beispiel die Schwerpunktkoordinaten xSi , ySi , zSi und die Eulerwinkel ψi , θi und ϕi für Lage und Orientierung eines starren Körpers verwenden, dann hängen diese von den gewählten generalisierten Koordinaten ab. Bezeichnen wir die Freiheitsgrade mit q1 bis qn , dann gilt: xSi = xi ( q1 , . . . , qn , t ) , ySi = yi ( q1 , . . . , qn , t ) , zSi = zi (q1 , . . . , qn , t), ψi = ψi (q1 , . . . , qn , t), θ i = θ i ( q1 , . . . , qn , t ) , ϕ i = ϕ i ( q1 , . . . , qn , t ) , wobei noch die Zeit t auftritt, da eine explizite Abhängigkeit von der Zeit vorliegen kann. Frage 11.1 Wie viele generalisierte Koordinaten benötigen wir zur Beschreibung eines Roboters mit sechs Segmenten, die jeweils durch ein Drehgelenk verbunden sind?

Generalisierte Koordinaten

Zur Beschreibung der Lage und der Orientierung eines starren Körpers benötigen wir im Allgemeinen sechs Koordinaten, z. B. drei Koordinaten, um die Lage eines Referenzpunktes auf dem Körper zu bestimmen, und drei Eulerwinkel für die Orientierung. Bei einem System mit K starren Körpern sind somit n = 6K Koordinaten erforderlich. Bei einer ebenen Bewegung reichen zwei Koordinaten des Referenzpunktes und ein Drehwinkel, sodass dann n = 3K Größen notwendig sind. Im Allgemeinen sind diese Koordinaten aber nicht unabhängig, sondern müssen noch sogenannten Zwangsbedingungen in den Lagern und in den Gelenken genügen. Beispiel Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Motor, bei dem die Drehung der Kurbelwelle mit der Drehung der Nockenwelle, aber auch mit den Bewegungen der Pleuel und der Kolben gekoppelt ist. Obwohl sehr viele Körper beteiligt sind, hat das System, wenn wir es als ein System  starrer Körper modellieren, nur einen Freiheitsgrad.

11.2

Zwangsbedingungen und Zwangskäfte

Wie zuvor schon angedeutet wurde, liegen im Allgemeinen für ein System von starren Körpern noch Bedingungen vor, welche die Lage- und Winkelkoordinaten der einzelnen Körper erfüllen müssen. Jede dieser Bedingungen reduziert die Zahl der Freiheitsgrade um den Wert eins. Damit eine Zwangsbedingung erfüllt werden kann, ist eine zugehörige Zwangskraft oder ein Zwangsmoment notwendig. So hat z. B. ein Massenpunkt, der sich auf einer Ebene bewegt, statt drei Freiheitsgrade nur noch zwei. Damit der Massenpunkt aber auf der Ebene bleibt, muss eine Zwangskraft von der Ebene auf den Massenpunkt wirken, damit diese Bedingung auch wirklich eingehalten wird. Im Allgemeinen hängt dabei die Zwangskraft von der Bewegung des Massenpunktes ab, insbesondere, wenn die Ebene gekrümmt ist. Ähnlich verhält es sich

bei Gelenken, bei denen je nach Gelenkart Zwangskräfte und Zwangsmomente mit Komponenten in verschiedenen Richtungen wirken müssen. Diese Zwangskräfte und -momente sind es, welche die Lager belasten und deshalb ist ihre Kenntnis durchaus wichtig, wenn es zum Beispiel um die Auswahl eines Wälzlagers für eine Anwendung geht. Beispiel Ein physikalisches Pendel kann sich in der x, yEbene um das Lager A drehen, wobei die Drehachse in Richtung der z-Achse zeigt (Abb. 11.1). Als starrer Körper werden die Lage und die Orientierung des Pendels eigentlich durch sechs Koordinaten beschrieben. Aus Erfahrung wissen wir, dass das Pendel nur einen Freiheitsgrad hat und zur Beschreibung von Lage und Orientierung der Verdrehwinkel ϕ um die z-Achse genügt. Somit müssen fünf Zwangsbedingungen vorliegen. Wenn wir annehmen, dass der Schwerpunkt S ebenfalls in der x, y-Ebene liegt, dann sind die Zwangsbedingungen durch

Zwangsbedingungen und Zwangskäfte

Sehr oft sind die Zwangsbedingungen zeitabhängig, z. B., wenn sich ein Massenpunkt auf einer Ebene bewegt, die sich dreht oder die selbst eine vorgegebene Bewegung im Raum ausführt. Beispiel Wenn ein Massenpunkt M sich auf einem rotierenden Stab in der x,y-Ebene bewegt, wobei der Verdrehwinkel ϕ(t) des Stabes vorgegeben ist, dann gilt für die Koordinaten xM und yM (Abb. 11.2): y

q yM

M

φ = ωt xM

y

x

Abb. 11.2 Massenpunkt bewegt sich entlang eines rotierenden Stabes

A

x l φ

yM = tan ϕ xM oder die implizite Zwangsbedingung: yM cos ϕ = xM sin ϕ.

S

Abb. 11.1 Physikalisches Pendel mit einem Freiheitsgrad

zS xA yA ψ θ

= 0, = 0, = 0, = 0, =0

gegeben, wobei ψ und θ die Verdrehungen des Pendels um die x- bzw. die y-Achse darstellen, die ja aufgrund der Lagerung nicht zugelassen sind. Diese Zwangsbedingungen erforden aber eine Kraft im Lager A, die Komponenten in drei Richtungen hat, sowie ein Moment mit Komponenten um die x- bzw. die y-Achse. Die zugehörigen Koordinaten Ax , Ay , Az , MAx , MAy müssen mithilfe der Newton-Euler’schen Gleichungen bestimmt werden und hängen von der Bewegung ab. Wir wissen aus Erfahrung, dass die Lagerkraft in A bei einer schnellen Drehung des Pendels größer ist als bei einer langsamen  Drehung.

Der Winkel ϕ ist dabei kein Freiheitsgrad, da er explizit vorgegeben ist, z. B. bei gegebener konstanter Drehzahl ω durch ϕ = ωt. Der Massenpunkt hat also einen Freiheitsgrad, z. B. die Koordinate q entlang des Stabes, sodass als explizite Zwangsbedingungen gelten: xM = q cos ϕ, yM = q sin ϕ.

Zwangsbedingungen und Zwangsreaktionen

Liegen in einem System Lager oder Gelenke vor, so führen diese zu Zwangsbedingungen sowie zu Zwangskräften und Zwangsmomenten. Diese können von der Zeit und der Bewegung abhängen. Wird ein Satz von Minimalkoordinaten als generalisierte Koordinaten gewählt, dann entspricht deren Zahl der Zahl der Freiheitsgrade des Systems. Die generalisierten Koordinaten müssen dann so eingeführt werden, dass alle Zwangsbedingungen auf Lageebene erfüllt sind.



257

Technische Mechanik

11.2

258

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Beispiel

Technische Mechanik

x yA A φ

l

S

auch Zwangsbedingungen auf Geschwindigkeitsebene, die nicht durch Integration auf Positionsebene dargestellt werden können. In diesem Fall sprechen wir von nicht holonomen Zwangsbedingungen. Auch im Fall nicht holonomer Zwangsbedingungen sind zu deren Erfüllung entsprechende Zwangskräfte oder Zwangsmomente notwendig, und jede Bedingung reduziert die Zahl der Freiheitsgrade des Systems beziehungsweise die Zahl der Bewegungsgleichungen, die das System beschreiben. Die Zahl der Bewegungsgleichungen, die sich ergeben, ist dann nicht gleich der Zahl der Koordinaten, die wir benötigen, um das System zu beschreiben. Wir gehen darauf nicht näher ein und geben nur noch ein Beispiel für eine nicht holonome Zwangsbedingung an.

y

Abb. 11.3 Elastisch aufgehängtes Pendel (zwei Freiheitsgrade yA , ϕ)

x yA = u0 sin (Ω t)

Beispiel Eine Schlittschuhläuferin (Abb. 11.5) bewegt sich als starrer Körper auf einer Ebene, wobei zwischen der Kufe des Schlittschuhs und der Eisfläche ein punktförmiger Kontakt vorliegen soll und der Schlittschuh sich trotzdem nur in Längsrichtung der Kufe bewegen kann. Die Geschwindigkeit v weist also immer in Richtung der Kufe. Senkrecht zur Kufe kann eine Zwangskraft wirken.

A φ

l

S y

Abb. 11.4 Pendel, dessen Aufhängepunkt sich mit vorgegebener Zeitabhängigkeit bewegt (ein Freiheitsgrad ϕ)

Bei dem in Abb. 11.3 dargestellten Pendel ist der Aufhängepunkt A so gelagert, dass er sich vertikal bewegen kann. Das elastisch gelagerte Pendel hat deshalb die Freiheitsgrade yA und ϕ. Bei dem in Abb. 11.4 dargestellten Pendel ist die Bewegung des Lagerpunktes A explizit vorgegeben. Damit ist die Bewegung des Lagerpunktes in diesem Fall kein Freiheitsgrad, sodass das System nur den Freiheitsgrad ϕ hat. Später, wenn wir die virtuellen Verschiebungen einführen, wird dies von Bedeutung sein.  Die Zwangsbedingungen, die wir bisher betrachtet haben, können alle auf Positionsebene, d. h. mit Lageoder Winkelkoordinaten formuliert werden. Wir nennen solche Zwangsbedingungen auf Koordinatenebene holonome Zwangsbedingungen. Diese sind im Allgemeinen nichtlinear in den Koordinaten. Wenn diese Zwangsbedingungen nach der Zeit differenziert werden, ergeben sich Zwangsbedingungen, die linear in den Zeitableitungen der Positionskoordinaten sind und deren Koeffizienten normalerweise von den Positionskoordinaten abhängen. Diese Zwangsbedingungen für die Zeitableitungen können natürlich sofort wieder durch Integration auf Positionsebene formuliert werden. Es gibt jedoch

Abb. 11.5 Schlittschuhläuferin

Aus Erfahrung wissen wir, dass die Schlittschuhläuferin jede beliebige Position und Orientierung auf der Ebene erreichen kann. Diese können z. B. durch zwei kartesische Koordinaten x und y sowie einen Winkel ϕ zwischen der x-Achse und der Längsrichtung der Schlittschuhläuferin beschrieben werden (Abb. 11.6). y v

φ FN Kontaktpunkt

Virtuelle Verschiebungen, virtuelle Arbeit

zunächst verschiebbar oder verdrehbar gemacht, sodass es genau einen Freiheitsgrad hat. Die virtuellen Verschiebungen aller Kraftangriffspunkte und die virtuellen Verdrehungen aller Momente können dann als Funktion der virtuellen Änderung dieses Freiheitsgrades ausgedrückt werden. Im Falle von Systemen mit mehreren Freiheitsgraden wird dies etwas komplizierter, da jeder Freiheitsgrad unabhängig von den anderen Freiheitsgraden virtuell verändert oder variiert werden kann. Die virtuellen Verschiebungen von Punkten oder die virtuellen Verdrehungen von Körpern hängen deshalb von den virtuellen Änderungen aller Freiheitsgrade ab. Die mathematische Grundlage hierzu ist die Variationsrechnung, auf welche an dieser Stelle jedoch nicht näher eingegangen wird. Hat das System die n Freiheitsgrade q1 bis qn , dann gilt für die Koordinaten xP , yP und zP eines Punktes: xP = xP ( q1 , . . . , qn , t ) , yP = yP ( q1 , . . . , qn , t ) , zP = zP (q1 , . . . , qn , t).

x

Abb. 11.6 Kinematik und Zwangskraft bei der Bewegung mit einem Schlittschuh

Die Läuferin kann aber nur die Drehung und die Bewegung in Kufenrichtung beeinflussen. Die zugehörige implizite Zwangsbedingung x˙ sin ϕ = y˙ cos ϕ kann nicht nach der Zeit integriert werden, da ϕ nicht konstant ist, sondern von der Bewegung der Schlittschuhläuferin abhängt. Die zugehörige Zwangskraft senkrecht zur Kufe wurde zuvor schon erwähnt und ist in Abb. 11.6 eingetragen. Bei diesem Beispiel liegen somit drei Minimalkoordinaten x, y und ϕ, aber nur zwei Minimalgeschwindigkeiten v und ϕ˙ gemäß x˙ = v cos ϕ, y˙ = v sin ϕ



vor.

Frage 11.2 Wie lautet die Zwangsbedingung bei einem rollenden Rad?

11.3

Virtuelle Verschiebungen, virtuelle Arbeit

In Abschn. 6.1 wurden schon die Begriffe virtuelle Arbeit, virtuelle Verschiebung und virtuelle Verdrehung eingeführt. Dort wurde das statisch bestimmt gelagerte System

Wir verändern die verallgemeinerten Koordinaten q1 bis qn um virtuelle (gedachte) Änderungen δq1 bis δqn . Bei diesen virtuellen Änderungen δq1 bis δqn der verallgemeinerten Koordinaten nehmen wir an, dass sie infinitesimal klein sind, damit sich die Geometrie des Systems als Ganzes nicht zu stark ändert. In diesem Fall hängen die virtuellen Verschiebungen und Verdrehungen von Punkten und Körpern linear von den virtuellen Änderungen der verallgemeinerten Koordinaten ab. Außerdem muss beachtet werden, dass bei einer expliziten Zeitabhängigkeit (z. B. bei einer Ebene, deren Lage zeitveränderlich vorgegeben wird) während der virtuellen Verschiebung derselbe Zeitpunkt betrachtet wird. Die Zeit wird also nicht variiert. Deshalb folgt für die virtuellen Änderungen der oben eingeführten Koordinaten ähnlich wie bei einem Differenzial: ∂xP ∂xP ∂xP δq1 + δq2 + . . . + δqn , ∂q1 ∂q2 ∂qn ∂y ∂y ∂y δyP = P δq1 + P δq2 + . . . + P δqn , ∂q1 ∂q2 ∂qn ∂zP ∂zP ∂zP δzP = δq1 + δq2 + . . . + δqn . ∂q1 ∂q2 ∂qn

δxP =

Neben dieser sehr formalen Herleitung der Beziehungen zwischen den virtuellen Verschiebungen und den δqi kann man bei einfachen Systemen die Zusammenhänge meist relativ leicht aus einer Zeichnung ablesen.

Beispiel Für das Pendel mit elastischer Aufhängung (Abb. 11.7) ergeben sich die Koordinaten des Schwerpunktes zu:

259

Technische Mechanik

11.3

260

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten x

Technische Mechanik

yA

δ yA

A φ

Wenn die virtuellen Verschiebungen von Kraftangriffspunkten und die virtuellen Verdrehungen von Körpern in Abhängigkeit der virtuellen Änderung der verallgemeinerten Koordinaten bestimmt sind, dann kann auch die zugehörige virtuelle Arbeit δW der Kräfte und Momente berechnet werden:

l

δW =

S y

δφ

Abb. 11.7 Virtuelle Verschiebungen eines elastisch gelagerten Pendels

x yA = u0 sin(Ωt)

∑ δr · F + ∑ δϕ · M,

wobei die Summen andeuten sollen, dass einfach über alle eingeprägten Kräfte und Momente zu summieren ist. Werden die Abhängigkeiten der virtuellen Verschiebungen und Verdrehungen von den δqi eingesetzt, kann die virtuelle Arbeit über     n n ∂r ∂ϕ δq · F + ∑ ∑ δq · M δW = ∑ ∑ ∂qj j ∂qj j j=1 j=1   n ∂r ∂ϕ =∑ ∑ ·F+∑ · M δqj ∂qj ∂qj j=1

A φ

in der Form l

δW = Q1 δq1 + Q2 δq2 + . . . + Qn δqn mit

S y

(11.1)

δφ

Abb. 11.8 Virtuelle Verschiebungen beim Pendel mit vorgegebener Bewegung des Aufhängepunktes

xS = l sin ϕ, yS = yA + l cos ϕ und damit die virtuellen Verschiebungen: δxS = l cos ϕδϕ, δyS = δyA − l sin ϕδϕ. Die virtuelle Verschiebung des Schwerpunktes setzt sich also zusammen aus der virtuellen Verschiebung δyA des Punktes A sowie einer virtellen Verschiebung aufgrund einer virtuellen Verdrehung δϕ des Pendels. Im Gegensatz dazu ist die virtuelle Verschiebung bei vorgegebener Bewegung des Aufhängepunktes (Abb. 11.8) wegen δyA = 0 durch δxS = l cos ϕδϕ, δyS = −l sin ϕδϕ gegeben, da die Bewegung yA vorgegeben ist und deshalb nicht variiert werden kann. Die virtuelle Verschiebung des Schwerpunktes resultiert deshalb in diesem Fall nur aus einer virtuellen Verdrehung des Pendels um den  Punkt A.

Qj =

∂r

∂ϕ

∑ ∂qj · F + ∑ ∂qj · M

ausgedrückt werden. Diese Form der Darstellung ist später hilfreich bei der Herleitung der Bewegungsgleichungen mit Hilfe der Lagrange’schen Gleichungen zweiter Art. Die Qj werden als verallgemeinerte Kräfte bezeichnet, da sie sowohl die Dimension einer Kraft als auch die eines Moments haben können, je nachdem, ob qj einer Verschiebung oder einer Verdrehung entspricht. Frage 11.3 Wie groß ist die virtuelle Arbeit bei einem viskosen Dämpfer, bei dem ein Ende mit der Geschwindigkeit x˙ in x-Richtung verschoben wird? Wie groß ist die virtuelle Arbeit, wenn trockene Reibung vorliegt?

11.4

Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung

Mit dem Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung werden wir eine erste Möglichkeit kennenlernen, bei welcher die Zwangskräfte und die Zwangsmomente bei der Herleitung von Bewegungsgleichungen nicht berücksichtigt werden müssen. An dieser Stelle beschränken

wir uns auf die Herleitung der Gleichungen für Massenpunktsysteme, geben das Ergebnis aber auch für Systeme mit starren Körpern an. Die am i-ten Massenpunkt mi wirkenden Kräfte unterteilen wir in eingeprägte Kräfte F ei wie Gewichtskräfte, Dämpfungskräfte, Federkräfte, Antriebskräfte etc. und Zwangskräfte F Zi aufgrund von Lagern, Führungen oder Gelenken. Wenn nur ein einziger Massenpunkt betrachtet wird, der sich auf einer Ebene bewegen kann, dann zeigt die Zwangskraft zwischen diesem Massenpunkt und der Ebene stets in eine Richtung senkrecht zur Ebene und damit auch senkrecht zu einer möglichen virtuellen Verschiebung δri dieses Massenpunktes. Entsprechend der Definition der virtuellen Arbeit ist δWZi für diese Zwangskraft null: δWZi = δri · F Zi = 0. Wenn das System aus mehreren Massenpunkten oder aus mehreren Körpern besteht, dann ist die virtuelle Arbeit der Zwangskräfte nicht für jeden Massenpunkt oder Körper für sich genommen null. Lediglich wenn die virtuellen Arbeiten der Zwangskräfte aller Massenpunkte oder Körper addiert werden, ergibt sich in der Summe null: δWZ =

K

∑ δWZi = 0,

i=1

wobei K die Zahl der Körper beziehungsweise der Massenpunkte ist. Anhand eines Schubkurbeltriebes wird dies in der Beispielbox exemplarisch vorgeführt. Virtuelle Arbeit der Zwangskräfte

In der Summe ergeben die virtuellen Arbeiten der Zwangskräfte und Zwangsmomente gerade null.

Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung

Da die Summe der virtuellen Arbeiten der Zwangskräfte null ist, verbleibt: K

K

i=1

i=1

∑ δri · Fei + ∑ δri · FTi = 0.

In diesen Gleichungen treten die Zwangskräfte nicht mehr auf. Mit den Abhängigkeiten der virtuellen Verschiebungen von den δqj : δri =

n

∂r

∑ ∂qij δqj

j=1

folgt: K

%

n

∑ ∑

i=1

j=i

& ∂ri δq · (F e,i − mi r¨ i ) = 0. ∂qj j

Änderung der Summationsreihenfolge führt auf: % & n K ∂ri ∑ ∑ (Fei − mir¨ i ) · ∂qj δqj = 0. j=1 i=1

Falls das System nur einen Freiheitsgrad q hat, bedeutet dies: & % K ∂ri ∑ (Fei − mir¨ i ) · ∂q δq = 0, i=1 sodass wir wie beim Prinzip der virtuellen Arbeit in der Statik wegen δq = 0 fordern: K

∑ (Fei − mi r¨i ) ·

Frage 11.4 Normalerweise rollt ein Rad auf der Unterlage ab. Bei entsprechenden Witterungsbedingungen kann es zu Schlupf kommen. In welchem Fall ist die Reibkraft eine Zwangskraft, wann eine eingeprägte Kraft? Bei einem Massenpunktsystem gilt für jeden Massenpunkt i das Newton’sche Axiom: F Zi + F ei − mi r¨ i = 0, oder mit der Trägheitskraft FTi = −mi r¨ i : F Zi + F ei + F Ti = 0. Wir multiplizieren jede Gleichung mit der virtuellen Verschiebung des jeweiligen Massenpunktes und summieren über alle Massenpunkte: K

K

K

i=1

i=1

i=1

∑ δri · FZi + ∑ δri · Fei + ∑ δri · FTi = 0.

(11.2)

i=1

∂ri = 0. ∂q

Wir erhalten so direkt die Bewegungsgleichung ohne Kenntnis der Zwangskräfte. Falls das System mehrere Freiheitsgrade besitzt, hat (11.2) die Form:

( . . . )δq1 + ( . . . )δq2 + . . . + ( . . . )δqn = 0, die erfüllt sein muss für alle möglichen Werte von δq1 bis δqn . Da diese virtuellen Änderungen unabhängig voneinander sind, da wir Minimalkoordinaten vorausgesetzt haben, muss der Klammerterm vor jedem δqj für sich null werden. Dies ergibt insgesamt n Gleichungen der Form: ∂r

K

∑ (Fei − mi r¨i ) · ∂q1i

= 0,

.. .

.. .. . .

i=1

K

∂r

∑ (Fei − mir¨ i ) · ∂qni

i=1

= 0.

261

Technische Mechanik

11.4

262

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Technische Mechanik

Beispiel: Virtuelle Arbeit der Zwangskräfte bei einem Schubkurbeltrieb Das in Abb. 11.9 dargestellte Modell eines Kolbenmotors besteht aus einer in A gelagerten Kurbel mit Radius R, die in G1 mit der Pleuelstange verbunden ist. Die Pleuelstange hat die Länge l und ist über das Gelenk G2 mit dem Kreuzkopf und dem Zylinder Z verbunden.

δrG1

R

a

l

G1

Zylinder

φ

A

Nachdem der Zusammenhang zwischen den virtuellen Verschiebungen der einzelnen Punkte bestimmt wurde, wird im Folgenden die virtuelle Arbeit der Zwangskräfte und Zwangsmomente ermittelt. Für die drei Bauteile Kurbel, Pleuel und Zylinder sind die Freischnitte in den Abb. 11.10 bis 11.12 dargestellt. Die Komponenten der Zwangskräfte in den Gelenken werden in den entsprechenden Vektoren zusammengefasst, wobei zu beachten ist, dass F G1 ,Kurbel = −F G1 ,Pleuel und F G2 ,Pleuel = −F G2 ,Zyl gelten, wogegen die virtuellen Verschiebungen gleich sind δrG1 ,Kurbel = δrG1 ,Pleuel , δrG2 ,Pleuel = δrG2 ,Zyl .

ψ G2

ey

δφ

J1

δrG2 δrG2

G1y

δrZyl

G1x

ex

Ax

Abb. 11.9 Virtuelle Verschiebungen verschiedener Punkte bei einer Schubkurbel.

Um die virtuellen Verschiebungen der Lager- und Gelenkpunkte bestimmen zu können, werden zunächst die Vektoren vom Lager A zu den Punkten G1 , G2 , und zum Zylinder bestimmt: rG1 = R cos ϕex + R sin ϕey , rG2 = (R cos ϕ + l cos ψ)ex , rZyl = (R cos ϕ + l cos ψ + a)ex . Dabei gilt für den Zusammenhang zwischen ϕ und ψ: R sin ϕ = l sin ψ

δrA = 0 Ay

Abb. 11.10 Zwangskräfte der Kurbel

δrG1 G1x G1y

G2y G2x

und damit: R sin ϕ, l  R2 cos ψ = 1 − 2 sin2 ϕ. l Für die virtuellen Verschiebungen ergibt dies: sin ψ =

δrA = 0, ∂rG1 δϕ = (−R sin ϕex + R cos ϕey )δϕ, δrG1 = ∂ϕ ∂rG2 δϕ δrG2 = ∂ϕ   R2 sin ϕ cos ϕ  δϕex , = −R sin ϕ − 2 l 1 − Rl2 sin2 ϕ ∂rZyl δrZyl = δϕ = δrG2 . ∂ϕ

δrG2

Abb. 11.11 Zwangskräfte am Pleuel

δrG2

δrG1

G2x G2y FZyl FK

Abb. 11.12 Zwangskräfte an Kreuzkopf und Zylinder

Die gesamte virtuelle Arbeit der Zwangskräfte aller drei Körper ergibt somit:

Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung

schiebung am Kreuzkopf und am Zylinder jeweils senkrecht aufeinander stehen, erhalten wir somit:

δWZ = δrA · F A + δrG1 ,Kurbel · F G1 ,Kurbel

+ δrG1 ,Pleuel · F G1 ,Pleuel + δrG2 ,Pleuel · F G2 ,Pleuel

δWZ = 0,

+ δrG2 ,Zyl · F G2 ,Zyl + δrG2 · F K + δrZyl · F Zyl . Mit den oben genannten Zusammenhängen und δrA = 0, sowie der Tatsache, dass Kraft und virtuelle Ver-

Besonders vorteilhaft ist diese Methode zur Herleitung der Bewegungsgleichungen, wenn das System aus vielen Massenpunkten oder Körpern besteht, aber nur wenige Freiheitsgrade hat. In diesem Fall können die Skalarprodukte von eingeprägten Kräften und Trägheitskräften mit den zugehörigen virtuellen Verschiebungen oft direkt aus der Anschauung gebildet werden. Sowohl die anschauungsmäßige wie auch die formale Vorgehensweise werden anhand zweier Beispiele im Folgenden vorgeführt. Bei der anschaulichen Vorgehensweise wird oft die gesamte virtuelle Arbeit von eingeprägten und Trägheitskräften bestimmt und dann unter der Voraussetzung von δqj = 0 null gesetzt. Im Folgenden wird das Prinzip von d’Alembert, das für Massenpunktsysteme hergeleitet wurde, für Systeme starrer Körper angegeben. Es hat die Form: K

∑ [(Fei + FTi ) · δrSi + (Mei + MTi ) · δϕi ] = 0, S

S

i=1

wenn wir die virtuelle Arbeit bestimmen. Nach entsprechenden Umformungen erhalten wir die Bewegungsgleichungen direkt aus % & K ∂rSi Si Si ∂ϕi ∑ (Fei + FTi ) · ∂qj + (Me + MT ) ∂qj = 0, i=1 j = 1, . . . , n

auch wenn die Abhängigkeiten der virtuellen Verschiebungen von δϕ nicht explizit eingesetzt werden.

Beispiel δy1

Im Falle einer ebenen Bewegung stehen die Winkelgeschwindigkeiten und die virtuellen Verdrehungen senkrecht auf der Bewegungsebene. Zudem interessieren dann nur eingeprägte und Trägheitskräfte in der Bewegungsebene, sodass sich in diesem Fall die Bewegungsgleichungen aus % & K ∂rSi Si Si ∂ϕi ∑ (Fei + FTi ) · ∂qj + (Me + MT ) ∂qj = 0, i=1 j = 1, . . . , n, ergeben.

R

m2y2

m1y1

y2 δy2

FR1 α

m1g

FR2 β F0 m2g

Abb. 11.15 Zwei Massenpunkte auf zwei schiefen Ebenen

Zwei Körper bewegen sich auf schiefen Ebenen. Die Körper sind über ein undehnbares Seil über ein masseloses Getriebe so verbunden, dass für die Verschiebungen y1 und y2 die kinematische Zwangsbedingung y˙ 1 = 2y˙ 2 gilt. Zwischen den Körpern und den schiefen Ebenen liegt trockene Reibung vor. Am Körper 2 wirkt die Kraft F0 in Ebenenrichtung. Eine Verdrehung der Körper ist ausgeschlossen. Das System hat einen Freiheitsgrad, zum Beispiel q = y2 . Für die virtuellen Verschiebungen der Massenpunkte gilt aus der Anschauung: δy1 = 2δq, δy2 = δq.

mit den Trägheitskräften und Trägheitsmomenten F Ti = −mi r¨ Si ,

S ˙ i + ω i × ( J Si · ω i ) . M Ti = − JSi · ω

2R

y1

Ihre Richtungen sind in (Abb. 11.15) mithilfe der zugehörigen Pfeile eingetragen. An eingeprägten Käften gibt es die Gewichtskräfte, die Reibkräfte, sowie die äußere Kraft F0 . Ebenfalls eingetragen sind die Trägheitskräfte entgegen den positiven Beschleunigungsrichtungen. Gemäß dem Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung gilt:

−FR1 δy1 − m1 g sin αδy1 − m1 y¨ 1 δy1 +F0 δy2 − FR2 δy2 + m2 g sin βδy2 − m2 y¨ 2 δy2 = 0, sodass sich mit y¨ 1 = 2¨q, y¨ 2 = q¨

263

Technische Mechanik

11.4

264

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Technische Mechanik

Beispiel: Wagen mit angehängtem Stab An einem Wagen der Masse m1 ist wie in Abb. 11.13 dargestellt ein schlanker Stab der Masse m2 und der Länge l drehbar befestigt. Zwischen Stab und Wagen ist ein Drehdämpfer mit der Dämpfungskonstanten kD angebracht. Am Wagen greift die äußere Kraft F an.

δφ 1 = 0 kDφ S1

δrS1

F

m1g mS, JS

z

δφ 2 = δφ s

l 2

S2 φ

kD

S2

l 2

m1 S1

F

y

kDφ

δrS2 m2g

Abb. 11.13 Horizontal bewegter Wagen mit pendelndem Stab Abb. 11.14 Eingeprägte Kräfte und Momente am Wagen und am Stab

Wagen und Stab bewegen sich in der y, z-Ebene. Das System hat zwei Freiheitsgrade, für die wir die Verschiebung q1 = s des Wagens und die Verdrehung q2 = ϕ des Stabes wählen. Die Ortsvektoren zu den Schwerpunkten sind mit rS1 = sey , r S2 = ( s +

l l sin ϕ)ey + cos ϕez 2 2

gegeben. Hieraus berechnen sich die virtuellen Verschiebungen und Verdrehungen: δrS1 = δsey ,   l l δrS2 = δs + cos ϕδϕ ey − sin ϕδϕez , 2 2 δϕ1 = 0, δϕ2 = δϕ und die Beschleunigungen: r¨ S1 = s¨ ey ,   l r¨ S2 = s¨ + ( ϕ¨ cos ϕ − ϕ˙ 2 sin ϕ) ey 2 l − ( ϕ¨ sin ϕ + ϕ˙ 2 cos ϕ)ez , 2 ϕ¨ 1 = 0, ¨ ϕ¨ 2 = ϕ. Um die Bewegungsgleichungen herzuleiten, genügt es, wie in Abb. 11.14 die eingeprägten Kräfte und Momente zu berücksichtigen.

Dabei muss beachtet werden, dass das Moment infolge des Dämpfers zwar ein Moment zwischen dem Wagen und dem Stab ist, aber kein Zwangsmoment. Es tritt sowohl am Wagen wie am Stab auf, allerdings in entgegengesetzter Richtung. Die Bewegungsgleichungen folgen deshalb aus:

(F e1 − m1 r¨ S1 ) · ey + (Me1 − JS1 ϕ¨ 1 ) · 0 +(F e2 − m2 r¨ S2 ) · ey + (Me2 − JS2 ϕ¨ 2 ) · 0 = 0, (F e1 − m1 r¨ S1 ) · 0 + (Me1 − JS1 ϕ¨ 1 ) · 0   l l cos ϕey − sin ϕez +(F e2 − m2 r¨ S2 ) · 2 2 +(Me2 − JS2 ϕ¨ 2 ) · 1 = 0, mit den eingeprägten Kräften und Momenten: F e1 = Fey − m1 gez , F e2 = −m2 gez , ˙ Me1 = kD ϕ, ˙ Me2 = −kD ϕ. Nach Einsetzen ergeben sich die Gleichungen: l (m1 + m2 )s¨ + m2 ( ϕ¨ cos ϕ − ϕ˙ 2 sin ϕ) = F, 2   l m2 l2 l ϕ¨ + m2 cos ϕ¨s + kD ϕ˙ − m2 g sin ϕ = 0. JS2 + 4 2 2 Wenn die Kraft F in Abhängigkeit des Systemzustands geregelt wird, lässt sich der Stab in der vertikalen Position balancieren. Dies steht jedoch nicht im Fokus dieses Abschnitts. Methoden, um eine entsprechende Regelung zu realisieren, werden im Kap. 41 bereitgestellt.

11.5

sind deshalb die zwei Terme

(−2FR1 − 2m1 g sin α − 4m1 q¨ +F0 − FR2 + m2 g sin β − m2 q¨ )δq = 0

n ∂r ∑ ∑ Fei · ∂qij δqj = ∑ i=1 j=1 j=1

ergibt, aus der die Bewegungsgleichung

K

n

K

n

=

Wir beginnen wieder mit dem Impulssatz für den Massenpunkt i. Die zugehörige Gleichung wird mit δri skalar multipliziert, und es wird über alle K Massenpunkte summiert: K

(11.3)

i=1

Hierbei wurde schon berücksichtigt, dass die Summe über die virtuellen Arbeiten aller Zwangskräfte verschwindet. Mit n

∂r

j=1



K

∑ mi



j=1 i=1

    d ∂r d ∂ri r˙ i · i − r˙ i · δqj dt ∂qj dt ∂qj

r˙ i =

In diesem Kapitel wird eine Methode vorgestellt, bei welcher die Bewegungsgleichungen mithilfe der kinetischen Energie, der potenziellen Energie und der virtuellen Arbeit der potenziallosen Kräfte hergeleitet werden können. Da die Methode über das Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung hergeleitet wird, ist auch hier die Kenntnis der Zwangskräfte und der Zwangsmomente nicht notwendig. Erneut wird die Herleitung nur für Massenpunktsysteme vorgeführt, wobei das Ergebnis auch für Systeme starrer Körper gilt. Wir leiten die Methode für ein System mit n Freiheitsgraden her. In den Gleichungen treten deshalb oft Summen über alle n Freiheitsgrade auf. Der Leser, der mit den daraus resultierenden Doppelsummen Schwierigkeiten hat, sollte die Gleichungen zunächst für ein System mit nur einem Freiheitsgrad q herleiten, da dann alle Summationen über j entfallen.

∑ ∂qij δqj

n

zu betrachten. Hierin ist der erste Term die virtuelle Arbeit der eingeprägten Kräfte. Dass die letzte der beiden Gleichungen gilt, zeigt sich, wenn die Differenziation des ersten Termes auf der rechten Seite der Gleichung nach der Zeit mithilfe der Produktregel ausgewertet wird. Zudem werden in beiden Gleichungen die Reihenfolgen der Summationen vertauscht. Um die Terme weiter umzuformen bestimmen wir die Geschwindigkeit

Lagrange’sche Gleichungen 2. Art

δri =

 n ∂ri ∑ Fei · ∂qj δqj = ∑ Qjδqj, i=1 j=1 K

∂r

i=1 j=1

folgt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Bewegungsgleichungen letztendlich zum Teil dennoch von den Zwangskräften abhängig sein können, zu deren Bestimmung Impuls- und Drallsatz notwendig sind. Hier sind dies die Reibkräfte FR1 und FR2 , die von den Normalkräften FN1 und FN2 abhängen. In unserem Beispiel sind diese Abhängigkeiten mit FR1 = μm1 g cos α und FR2 = μm2 g cos β sehr einfach. 

∑ (Fei − mir¨i ) · δri = 0.



∑ ∑ mir¨ i · ∂qij δqj

−2FR1 − FR2 − 2m1 g sin α + m2 g sin β −(4m1 + m2 )q¨ + F0 = 0

11.5

265

n dri ∂r ∂r = ∑ i q˙ k + i dt ∂q ∂t k k=1

(11.4)

von Massenpunkt i. Wenn wir die n generalisierten Koordinaten qk und die n Zeitableitungen q˙ k der generalisierten Koordinaten als unabhängige Variablen auffassen (obwohl die einen durch Zeitableitung aus den anderen hervorgehen), dann folgt aus der partiellen Ableitung von (11.4) nach q˙ j : ∂ ∂˙ri = ˙ ∂ qj ∂q˙ j



n



k=1

∂ri ∂r q˙ k + i ∂qk ∂t



=

∂ri , ∂qj

sodass ∂˙ri ∂r = i ∂q˙ j ∂qj gilt. Ebenso erhalten wir für die partielle Ableitung von r˙ i nach qj :  ∂2 r i ∂2 ri q˙ + ∂qk ∂qj k ∂t∂qj     n ∂ri ∂ ∂ ∂ri q˙ k + = ∑ ∂qk ∂qj ∂t ∂qj k=1   d ∂ri . = dt ∂qj

n ∂˙ri = ∑ ∂qj k=1



Technische Mechanik

die Bedingung

Lagrange’sche Gleichungen 2. Art

266

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Technische Mechanik

Beispiel: Wagen mit Stab, Lösung über Lagrange’sche Gleichungen 2. Art Wir betrachten wieder den Wagen mit der Masse m1 , an dem, wie in Abb. 11.16 dargestellt, ein schlanker Stab der Masse m2 und der Länge l drehbar befestigt ist. Zwischen Stab und Wagen ist ein Drehdämpfer mit der Dämpfungskonstanten kD angebracht. Am Wagen greift die äußere Kraft F an.

s

l 2

S2

g l 2

m1 S1

1 1 (m1 + m2 )s˙ 2 + m2 l˙s ϕ˙ cos ϕ 2 2   2 1 l l JS2 + m2 + ϕ˙ 2 − m2 g cos ϕ 2 4 2

˙ δWnk = Fδs − kD ϕδϕ

φ kD

L=

ergibt. Die virtuelle Arbeit der potenziallosen Kräfte und Momente setzt sich aus je einem Anteil der Kraft F und des Drehdämpfers

mS, JS

z

sodass sich für das kinetische Potenzial

zusammen und wird verglichen mit der virtuellen Arbeit der verallgemeinerten Kräfte δWnk = Qs δs + Q ϕ δϕ.

F

y

Abb. 11.16 Horizontal bewegter Wagen mit pendelndem Stab

Um die Bewegungsgleichungen herzuleiten, müssen wir zunächst die Freiheitsgrade festlegen. Dies sind q1 = s und q2 = ϕ. Für das kinetische Potenzial benötigen wir die kinetische Energie Ekin des Systems und die potenzielle Energie Epot . Die kinetische Energie berechnet sich aus: 1 1 1 1 Ekin = m1 r˙ S21 + JS1 ϕ˙ 21 + m2 r˙ S22 + JS2 ϕ˙ 22 , 2 2 2 2 ˙ Die Berechnung der Schwermit ϕ˙ 1 = 0 und ϕ˙ 2 = ϕ. punktgeschwindigkeit ist für den Wagen sehr einfach: r˙ S1 = s˙ ey . Um die Schwerpunktgeschwindigkeit des Stabes zu bestimmen, wird am besten zunächst der Ortsvektor über die generalisierten Koordinaten ausgedrückt:   l l rS2 = s + sin ϕ ey + cos ϕez 2 2 und nach der Zeit differenziert:   l l r˙ S2 = s˙ + ϕ˙ cos ϕ ey − ϕ˙ sin ϕez . 2 2

Der Vergleich ergibt: Qs = F, ˙ Q ϕ = −kD ϕ. An dieser Stelle sehen wir auch, weshalb wir von verallgemeinerten Kräften sprechen, da Qs die Dimension einer Kraft, aber Q ϕ die Dimension eines Momentes hat. Als Nächstes werden die partiellen Ableitungen berechnet: ∂L = 0, ∂s ∂L l 1 = − m2 l˙s ϕ˙ sin ϕ + m2 g sin ϕ, ∂ϕ 2 2 ∂L 1 = (m1 + m2 )s˙ + m2 l ϕ˙ cos ϕ, ∂˙s 2   1 l2 ∂L ˙ ϕ, = m2 l˙s cos ϕ + JS2 + m2 ∂ ϕ˙ 2 4   d ∂L = (m1 + m2 )s¨ dt ∂˙s 1 1 + m2 l ϕ¨ cos ϕ − m2 l ϕ˙ 2 sin ϕ, 2 2   d ∂L 1 = m2 l¨s cos ϕ dt ∂ ϕ˙ 2   1 l2 ¨ ϕ. − m2 l˙s ϕ˙ sin ϕ + JS2 + m2 2 4

Eingesetzt ergibt dies die kinetische Energie:   1 1 l2 2 1 2 2 ˙ ˙ Ekin = m1 s + m2 s + l˙s ϕ˙ cos ϕ + ϕ˙ + JS2 ϕ˙ 2 . Als Letztes werden alle Terme in die Lagrange’schen 2 2 4 2 Gleichungen Für die potenzielle Energie legen wir das Nullniveau   bei z = 0 fest. Als potenzielle Energie verbleibt so nur ∂L d ∂L − = Qs , das Schwerepotenzial von m2 : dt ∂˙s ∂s   l d ∂L ∂L Epot = m2 g cos ϕ, − = Qϕ 2 dt ∂ ϕ˙ ∂ϕ

eingesetzt, und wir erhalten die Bewegungsgleichungen: 1 1 (m1 + m2 )s¨ + m2 l ϕ¨ cos ϕ − m2 l ϕ˙ 2 sin ϕ = F, 2 2   l2 l 1 ˙ m2 l¨s cos ϕ + JS2 + m2 ϕ¨ − m2 g sin ϕ = −kD ϕ. 2 4 2

Lagrange’sche Gleichungen 2. Art

Der Term m2 l˙s ϕ˙ sin ϕ/2 tritt in der letzten Gleichung zweimal mit unterschiedlichem Vorzeichen auf, sodass sich diese Terme gegenseitig aufheben und in der Gleichung nicht mehr berücksichtigt wurden. Die hergeleiteten Gleichungen sind natürlich identisch mit denen, die wir mithilfe des Prinzips von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung erhalten haben.

gelten. Gleichung (11.5) wird die Lagrange’sche Gleichung zweiter Art genannt. Oft ist es besser, die verallgemeinerten Kräfte durch Berechnung der virtuellen Arbeit δWe der eingeprägten Kräfte direkt über eine virtuelle Verschiebung des Systems zu ermitteln. Die virtuelle Arbeit δWe der eingeprägten Kräfte ist dann nach den δqj zu ordnen und mit

Somit können wir wie folgt umformen:     K K d ∂ri d ∂˙ri ∑ mi dt r˙ i · ∂qj = ∑ mi dt r˙ i · ∂q˙ j i=1 i=1   K mi d ∂˙ri2 =∑ 2 dt ∂q˙ j i=1 % & ∂ K  mi 2  d r˙ = dt ∂q˙ j i∑ 2 i =1   d ∂Ekin , = dt ∂q˙ j   K K d ∂ri ∂˙r − ∑ mi r˙ i · = − ∑ mi r˙ i · i dt ∂q ∂q j j i=1 i=1   K ∂ mi 2 r˙ =− ∂qj i∑ 2 i =1

δWe = Q1 δq1 + Q2 δq2 + . . . + Qn δqn zu vergleichen, siehe (11.1). In vielen Fällen ist diese Vorgehensweise anschaulicher als die formale Berechnung der Qj . Ein Sonderfall liegt vor, wenn sich eine Kraft F aus einem zugehörigen Potenzial ableiten läßt. In diesem Fall gilt für die Kraft:   ∂Epot ∂Epot ∂Epot ex + ey + ez , F=− ∂x ∂y ∂z wobei Epot die potenzielle Energie ist. Mit der zugehörigen virtuellen Verschiebung der Kraft

∂E = − kin , ∂qj wobei Ekin die Summe der kinetischen Energien der Massenpunkte, also die gesamte kinetische Energie des Systems bezeichnet. Einsetzen aller Terme in (11.3) ergibt:  %  & n d ∂Ekin ∂Ekin ∑ Qj − dt ∂q˙ j + ∂qj δqj = 0, j=1 mit den zuvor eingeführten verallgemeinerten Kräften

δr = δxex + δyey + δzez       n n n ∂x ∂y ∂z = ∑ δq ex + ∑ δq ey + ∑ δq ez ∂qj j ∂qj j ∂qj j j=1 j=1 j=1 folgt für die virtuelle Arbeit dieser Kraft F: δW = δr · F 

=

n



j=1

∂Epot ∂x ∂Epot ∂y ∂Epot ∂z − − − ∂x ∂qj ∂y ∂qj ∂z ∂qj

 δqj

∂Epot δqj . ∂qj j=1 n

K

∂r Qj = ∑ Fei · i . ∂q j i=1

=−∑

Da die virtuellen Änderungen δqj der verallgemeinerten Koordinaten beliebig und unabhängig voneinander sind, muss   d ∂Ekin ∂E + kin = 0, j = 1, . . . , n, Qj − dt ∂q˙ j ∂qj

Wir können also die Qj aufteilen in Anteile, die sich durch Ableiten der potenziellen Energie Epot nach der verallgemeinerten Koordinate ergeben und Anteile Qj,nk , welche die Anteile der nicht konservativen Kräfte enthalten: ∂Epot + Qj,nk . Qj = − ∂qj

oder

Einsetzen in (11.5) liefert:   ∂Epot d ∂Ekin ∂E − kin = − + Qj,nk . ˙ dt ∂ qj ∂qj ∂qj

d dt



∂Ekin ∂q˙ j





∂Ekin = Qj , ∂qj

j = 1, . . . , n,

(11.5)

267

Technische Mechanik

11.5

268

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Technische Mechanik

Da die potenzielle Energie nur eine Funktion der verallgemeinerten Koordinaten, nicht aber der Ableitung der Koordinaten ist, Epot = Epot (q1 , . . . , qn ), folgt: ∂Epot = 0. ∂q˙ j Wir können deshalb die Lagrange’schen Gleichungen in der Form   ∂ (Ekin − Epot ) d ∂ (Ekin − Epot ) − = Qj,nk dt ∂q˙ j ∂qj oder mit dem kinetischen Potenzial L = Ekin − Epot als   ∂L d ∂L − = Qj,nk , j = 1, . . . , n, (11.6) dt ∂q˙ j ∂qj formulieren. Besonders einfach werden die Gleichungen für konservative Systeme, bei denen für alle Kräfte eine zugehörige potenzielle Energie eingeführt werden kann und deshalb Qj,nk = 0 gilt. Obwohl wir die Gleichungen für Massenpunktsysteme hergeleitet haben, gelten sie auch für Systeme starrer Körper. Allerdings wird dann die Berechnung der kinetischen Energie etwas komplizierter, vor allem bei räumlichen Drehungen. Wie die kinetische Energie in diesem Fall berechnet wird, wurde in Kap. 10 gezeigt. Vorgehensweise zur Auswertung der Lagrange’schen Gleichungen

Bei der Herleitung der Bewegungsgleichungen mittels der Lagrange’schen Gleichungen müssen zunächst das kinetische Potenzial L und dafür die kinetische und die potenzielle Energie berechnet werden. Die potenzielle Energie setzt sich oft aus der potenziellen Energie von Federn und der potenziellen Energie von Gewichtskräften zusammen. Für Letztere muss jeweils ein geeignetes Nullniveau definiert werden. Die Berechnung der kinetischen Energie ist bei einer ebenen Bewegung relativ einfach und muss bei räumlichen Bewegungen mithilfe von (10.8) erfolgen. Notwendig sind dazu die Ermittlung der Schwerpunktsgeschwindigkeiten in Abhängigkeit der qj und der q˙ j . Dabei ist es oft am einfachsten, den Ortsvektor zum jeweiligen Schwerpunkt aufzustellen und diesen dann nach der Zeit zu differenzieren. Um die kinetische Energie und die potenzielle Energie nur noch in Abhängigkeit der verallgemeinerten Koordinaten und deren Zeitableitungen

auszudrücken, müssen im Allgemeinen noch die kinematischen Zusammenhänge ausgewertet werden. Zum Schluss müssen noch die verallgemeinerten Käfte bstimmt werden, entweder über eine formale Rechnung oder über die Berechnung der virtuellen Arbeit und Vergleich mit δWnk = Q1,nk δq1 + . . . + Qn,nk δqn . Für die weitere Auswertung sind dann lediglich mathematische Umformungen in Form von Differentiationen notwendig, die z. B. in Computerprogrammen automatisiert werden können. Eine Besonderheit der Herleitung der Bewegungsgleichungen mithilfe der Lagrange’schen Gleichungen 2. Art liegt darin, dass diese in der Form ˙ t) M (q)q¨ = f (q, q, mit der symmetrischen, von q = (q1 , . . . , qn )T abhängigen, positiv definiten Massenmatrix M dargestellt werden können. Für das Beispiel des Wagens mit pendelndem Stab ergibt sich zum Beispiel:   1 m1 + m2 m2 l cos ϕ 2 , M (q ) = 2 1 JS2 + m2 l4 2 m2 l cos ϕ   s , q= ϕ   F + 12 m2 l ϕ˙ 2 sin ϕ f = . m2 g 2l sin ϕ − kD ϕ˙ Falls die Bewegungsgleichungen mithilfe des Impulsund Drallsatzes hergeleitet werden, ist ihre Form je nach Elimination der Zwangskräfte und -momente anders, sodass dann die Massenmatrix sich unter Umständen in unsymmetrischer Form ergibt. Mit symmetrischer Massenmatrix lassen sich aber zum Beispiel bei Schwingungssystemen bestimmte Eigenschaften des Systems relativ leicht zeigen. Zudem kann eine symmetrische Matrix numerisch einfacher invertiert werden als eine unsymmetrische Matrix. Falls die Zwangsreaktionen berechnet werden sollen, kann ähnlich wie in der Statik verfahren werden. Wir machen das System in Richtung der interessierenden Kraft oder in Richtung des Moments beweglich, indem wir einen zusätzlichen Freiheitsgrad einführen. Die Zwangskraft oder das Zwangsmoment wird dadurch zu einer äußeren Kraft oder einem äußeren Moment, dessen virtuelle Arbeit bei einer virtuellen Verschiebung nicht unbedingt null ist. Als Ergebnis erhalten wir n + 1 Bewegungsgleichungen. In allen Bewegungsgleichungen können dann der zusätzliche, künstlich eingeführte Freiheitsgrad und seine Zeitableitungen null gesetzt werden. Aus einer der Gleichungen wird dann die Zwangsreaktion bestimmt und kann in die anderen Gleichungen eingesetzt werden.

Lagrange’sche Gleichungen 2. Art

Beispiel: Lagerkraft bei einem physikalischen Pendel Wie man Lagerreaktionen mithilfe der Lagrange’schen Gleichungen 2. Art bestimmen kann, zeigen wir am Beispiel eines physikalischen Pendels, für welches wir die Lagerkraft FA,y in vertikaler Richtung bestimmen wollen. Dazu werden das Lager A in dieser Richtung verschiebbar gemacht und die Lagerkraft FA,y als äußere Kraft eingeführt (Abb. 11.17). Das Pendel hat die Masse m, das Massenträgheitsmoment JS , und der Schwerpunkt S liegt im Abstand l vom Lagerpunkt A.

FA,y u

ex

A

Epot = (−u − l cos ϕ)mg. Somit erhalten wir für das kinetische Potenzial: L=

1 m(u˙ 2 − 2lu˙ ϕ˙ sin ϕ + l2 ϕ˙ 2 ) 2 1 + JS ϕ˙ 2 + (u + l cos ϕ)mg. 2

Aus der virtuellen Arbeit aller Anteile von eingeprägten Kräften und Momenten, die nicht in der potenziellen Energie berücksichtigt sind,

ey

g

Die potenzielle Energie infolge des Gewichtes beträgt:

φ

δWnk = −FA,y δu, erhalten wir durch Vergleich: Qu = −FA,y ,

S

Abb. 11.17 Bestimmung der Lagerkraft FA,y bei einem physikalischen Pendel

Mit dem verschiebbaren Lager hat das Pendel zwei Freiheitsgrade, die Verschiebung u und die Winkelverdrehung ϕ. Die kinetische Energie berechnet sich zu: Ekin =

1 2 1 mv + JS ϕ˙ 2 , 2 S 2

wobei wir für die Bestimmung von v2S zunächst den Ortsvektor rS zum Schwerpunkt bestimmen: rS = l sin ϕex + (−u − l cos ϕ)ey und ableiten: r˙ S = l ϕ˙ cos ϕex + (−u˙ + l ϕ˙ sin ϕ)ey . Dies führt auf: v2S = u˙ 2 − 2lu˙ ϕ˙ sin ϕ + l2 ϕ˙ 2 .

Weiterführende Literatur Die Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Q ϕ = 0. Ohne die mathematischen Umformungen explizit vorzuführen geben wir nur die Gleichungen an, die sich aus dem Lagrange’schen Formalismus ergeben: mu¨ − ml ϕ¨ sin ϕ − ml ϕ˙ 2 cos ϕ − mg = −FA,y ,

−mlu¨ sin ϕ + (ml2 + JS ) ϕ¨ + mgl sin ϕ = 0. Wir hatten den Freiheitsgrad u künstlich eingeführt, den wir jetzt zu null setzen, u = 0, u˙ = 0 und u¨ = 0. Somit resultieren zwei Gleichungen: mg + ml ϕ¨ sin ϕ + ml ϕ˙ 2 cos ϕ = FA,y ,

(ml2 + JS ) ϕ¨ + mg sin ϕ = 0, sodass mithilfe der ersten Gleichung die Lagerkraft bei bekannter Lösung für ϕ bestimmt werden kann. Die zweite Gleichung ist die bekannte Differenzialgleichung eines physikalischen Pendels. Der Term ml2 + JS entspricht dem Massenträgheitsmoment des Pendels für eine Drehung um den Lagerpunkt A.

269

Technische Mechanik

11.5

270

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Technische Mechanik

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 11.1 6, z. B. die Verdrehwinkel in den Gelenken. Antwort 11.2 Geschwindigkeit des Kontaktpunktes muss null sein.

˙ trockene Antwort 11.3 Viskoser Dämpfer: δW = −kD xδx, Reibung: δW = −μFN δx. Antwort 11.4 Bei Rollen: Zwangskraft, bei Schlupf: eingeprägte Kraft.

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 11.1 • Der Faden eines Jo-Jos wird festgehalten, während das Jo-Jo nach unten beschleunigt.

Hinweis: Auswertung über Skalarprodukte. Resultat:

Faden

δW = [F1 + sin( ϕ1 − ϕ2 )F2 ]l1 δϕ1 3R R

m

Wie groß ist die Beschleunigung des Schwerpunktes, wenn der Radius der Walze, auf dem der Faden aufgewickelt ist, R beträgt und das Jo-Jo selbst als homogene Scheibe der Masse m mit Radius 3R betrachtet werden kann? Zur Lösung soll das Prinzip von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung verwendet werden.

11.4 •• Der abgebildete Zweischlag besteht aus zwei Stäben der Länge l. Die Punkte A und B können sich horizontal verschieben, ihre Lage wird durch die Koordinaten xA und xB beschrieben. Am Gelenk G greift die Kraft F1 unter dem Winkel α an. Am linken Stab wirkt mittig die Kraft F2 stets senkrecht zur Stablängsachse und am Punkt B die horizontale Kraft F3 . F1 G

α

F2

Hinweis: Drehung und Translation sind gekoppelt.

B

A

Resultat: x¨ =

2 g 11

xA xB

Lösen Sie Aufgabe 11.1 mithilfe der Lagran11.2 • ge’schen Gleichungen. Hinweis: Drehung und Translation sind gekoppelt. Resultat: x¨ =

Wie groß ist die virtuelle Arbeit? Was ergibt sich für die verallgemeinerten Kräfte? Hinweis: Bestimmen Sie zunächst die Ortsvektoren zu den Kraftangriffspunkten in Abhängigkeit von xA und xB .

2 g 11

11.3 •• An dem abgebildeten Doppelpendel greifen die Kräfte F1 und F2 an. Wie viele Freiheitsgrade hat das System? Wie groß ist die virtuelle Arbeit bei einer virtuellen Verrückung?

Resultat: FA =

FB =

F1 φ1 F2 φ2

F3

1 xB − xA cos αF1 +  F1 sin α 2 2 2 4l − (xB − xA )2  3 ( xB − xA ) 2 + 4l2 − (xB − xA )2 F2 −  F2 , 8l 8l 4l2 − (xB − xA )2 1 xB − xA cos αF1 +  F1 sin α 2 2 2 4l − (xB − xA )2  1 + 4l2 − (xB − xA )2 F2 8l ( x − xA ) 2 +  B F2 + F3 . 8l 4l2 − (xB − xA )2

271

Technische Mechanik

Aufgaben

272

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Technische Mechanik

11.5 •• Über den abgebildeten Klappmechanismus wird der Massenpunkt mithilfe der Kraft F beschleunigt.

F

g 5m φ

Der Massenpunkt hat die Masse 5m, die Stäbe jeweils die Masse m/2 und die Länge l beziehungsweise m/4 und l/2. Leiten Sie die Bewegungsgleichung mithilfe des Prinzips von d’Alembert her. Überprüfen Sie das Ergebnis mit den Lagrange’schen Gleichungen 2. Art. Hinweis: Stellen Sie zunächst die Ortsvektoren zu den Schwerpunkten auf.

Resultat: 1 4 2 ml ϕ¨ 1 + ml2 (cos ϕ1 cos ϕ2 + sin ϕ1 sin ϕ2 ) ϕ¨ 2 3 2 1 + ml2 (− cos ϕ1 sin ϕ2 + sin ϕ1 cos ϕ2 ) ϕ˙ 22 2 3 + mgl sin ϕ1 = [F1 + sin( ϕ1 − ϕ2 )F2 ]l, 2 1 1 2 ml ϕ¨ 2 + ml2 (cos ϕ1 cos ϕ2 + sin ϕ1 sin ϕ2 ) ϕ¨ 1 3 2 1 + ml2 (− sin ϕ1 cos ϕ2 + cos ϕ1 sin ϕ2 ) ϕ˙ 21 2 1 + mgl sin ϕ2 = 0. 2 11.7 •• Das Modell eines Aufzuges besteht aus drei Walzen mit den Radien r1 , r2 , r3 und den Massen m1 , m2 , m3 . Die Last mit der Masse m4 hängt an der unteren Scheibe. Die oberen beiden Walzen sind fest verbunden, sodass sie sich mit derselben Winkelgeschwindigkeit ω drehen. An ihnen wirkt das Antriebsmoment MA und ein Dämpfungsmoment kD ω aufgrund eines viskosen Drehdämpfers.

Resultat: r1

275 2 275 2 2 25 2 ml ϕ¨ + ml ϕ¨ sin2 ϕ + ml ϕ˙ sin ϕ cos ϕ 12 8 8 15 + mgl cos ϕ + Fl cos ϕ = 0 4 11.6 •• Das Doppelpendel besteht aus zwei dünnen Stäben mit jeweils Masse m und Länge l. Belastet wird das Doppelpendel durch die zwei Kräfte F1 und F2 . Die Schwerkraft wirkt vertikal nach unten.

m2

r2

m1

B

A

M(v )

g r3 m3 C

D

F1 φ1



m4

g F2 φ2

Wie viele Freiheitsgrade hat das Doppelpendel? Geben Sie die Bewegungsgleichungen mithilfe der Lagrange’schen Gleichungen 2. Art an. Hinweis: Verwenden Sie die verallgemeinerten Kräfte aus Aufgabe 11.3.

Mit dem Prinzip von d’Alembert ist die Bewegungsgleichung herzuleiten. Hinweis: Werten Sie zunächst die Kinematik aus.

Resultat: 



(m3 + m4)

 m1 2 m2 2 m3 2 r1 + r2 + r3 ϕ¨ 2 2 2 r1 − r2 +(m3 + m4 )g + kD ϕ˙ = MA . 2

r1 − r2 2

2

hat das System? Die Bewegungsgleichungen sind mithilfe der Lagrange’schen Gleichungen zweiter Art herzuleiten.

+

x φ

g

mSch

11.8 •• Leiten Sie mit den Angaben aus Aufgabe 11.7 die Bewegungsgleichungen nun auch mithilfe des Langrange’schen Formalismus her.

r kDφ

2r

Hinweis: Werten Sie zunächst die Kinematik aus.

mSt

Resultat: 

2 2    r1 − r2 r1 − r2 m1 2 m2 2 m3 2 r + r + r + m3 ϕ¨ + m4 2 1 2 2 2 3 2 2 r − r2 +(m3 + m4 )g 1 + kD ϕ˙ = MA 2

11.9 •• Für die abgebildete Schwingerkette leite man die Bewegungsgleichungen mithilfe des Lagrange’schen Formalismus her und überprüfe das Ergebnis mithilfe des Prinzips von d’Alembert in Lagrange’scher Fassung. Wie lautet das Ergebnis für n = 4? x1 c1

x2 c2

m1

xn–1 c3

m2

...

cn–1

xn cn

mn–1

mn

Hinweis: Die Bewegungen der einzelnen Massenpunkte sind unabhängig voneinander. Resultat: ⎛

⎞⎛ ⎞ x¨ 1 0 0 0 0 ⎟ ⎜x¨ 2 ⎟ m2 0 0 m3 0 ⎠ ⎝x¨ 3 ⎠ x¨ 4 0 0 m4 ⎛ −c2 0 c1 + c2 c2 + c3 −c3 ⎜ −c2 +⎝ −c3 c3 + c4 0 0 0 −c4

m1 ⎜0 ⎝0 0

Hinweis: Die Drehung der Stange entspricht der Drehung der Scheibe. Resultat: 

 7 3 mSch + mSt − 2mSt cos ϕ r2 ϕ¨ 2 3

+ mSt sin ϕr2 ϕ˙ 2 + kD ϕ˙ + mSt gr sin ϕ = 0 11.11 • • • Eine Scheibe kann auf dem Untergrund abrollen. Die Scheibe hat den Radis r und die Masse mSch . Im Mittelpunkt der Scheibe ist ein Stab der Länge 2r und der Masse mSt über ein Gelenk reibungsfrei drehbar befestigt. Zur Beschreibung der Lage werden die horizontale Koordinate x des Scheibenschwerpunktes und die Verdrehwinkel ϕ der Scheibe und ψ des Stabes eingeführt. Alle Koordinaten sind null, wenn der Stab vertikal nach unten zeigt und der Scheibenschwerpunkt sich bei x = 0 befindet. Der Drehung der Scheibe wirkt ein Dämpfermoment kD ϕ˙ entgegen. Wie viele Freiheitsgrade hat das System? Die Bewegungsgleichungen sind mithilfe der Lagrange’schen Gleichungen zweiter Art herzuleiten. x

⎞⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 0 x1 0 0 ⎟ ⎜ x2 ⎟ ⎜ 0⎟ = −c4 ⎠ ⎝x3 ⎠ ⎝0⎠ c4 x4 0

φ

g

mSch r kDφ

2r ψ

11.10 •• Eine Scheibe kann auf dem Untergrund abrollen. Die Scheibe hat den Radis r und die Masse mSch . An der Scheibe ist ein Stab der Länge 2r und der Masse mSt angeschweißt. Zur Beschreibung werden die Koordinaten x und ϕ eingeführt. Beide sind null, wenn der Stab vertikal nach unten zeigt. Der Drehung der Scheibe wirkt ein Dämpfermoment kD ϕ˙ entgegen. Wie viele Freiheitsgrade

mSt

Hinweis: Die Stange kann sich bezüglich der Scheibe um deren Mittelpunkt verdrehen.

273

Technische Mechanik

Aufgaben

274

11 Analytische Mechanik – über effiziente Algorithmen Bewegungsgleichungen herleiten

Resultat:

Resultat:

Technische Mechanik



 3 m + mSt r2 ϕ¨ − mSt r2 ψ¨ cos ψ 2 Sch +mSt r2 ψ˙ 2 sin ψ + kD ϕ˙ = 0,

¨ − mPl (r¨ Pl,x δrPl,x + r¨ Pl,y δrPl,y ) ¨ − JP ψδψ δW = −J1 ϕδϕ

− mZyl x¨ Zyl δxZyl − FδxZyl − ML δϕ =0

4 mSt r2 ψ¨ − mSt r2 ϕ¨ cos ψ + mSt gr sin ψ = 0. 3

11.12 • • • Beim abgebildeten Einzylindermotor wirkt auf die Kolbenfläche die Druckkraft F( ϕ). Am Abtrieb ist eine Schwungscheibe angebracht, die starr über die Motorwelle mit der Kurbel verbunden ist, und an der das Lastmoment ML wirkt. Das Massenträgheitsmoment von Schwungscheibe, Motorwelle und Kurbel beträgt zusammen J1 . Die Pleuelstange hat die Länge l, die Masse mP und das Massenträgheitsmoment JP bezüglich dem Schwerpunkt, der in der Mitte des Pleuels liegt. Kreuzkopf und Zylinder haben zusammen die Masse mZyl .

11.13 •• Beim sympathischen Pendel sind zwei identische mathematische Pendel über eine Feder miteinander verbunden. Die Pendel haben die Länge l und die Masse m. Die Feder ist jeweils in der Mitte der Pendelstangen angebracht. Vertikal nach unten wirkt die Erdbeschleunigung. a g c l φ

l

ψ m

m

a

l

G1

Zylinder

R φ

A

ψ

F(φ) G2

ey

J1

mρ,l mZyl

ex

Leiten Sie die nichtlinearen Bewegungsgleichungen mithilfe der Lagrange’schen Gleichungen zweiter Art her. Linearisieren Sie diese für ϕ 1 und ψ 1. Hinweis: Nehmen Sie der Einfachheit halber an, dass der Abstand der Lager sehr viel größer ist als die Pendellänge, sodass für die Federverlängerung nur die horizontalen Verschiebungen von deren Enden berücksichtigt werden muss. Resultat:

Geben Sie die Bewegungsgleichung an. Hinweis: Führen Sie entsprechende Abkürzungen ein.

cl2 ( ϕ − ψ) = 0, 4 2 cl (ψ − ϕ) = 0. ml2 ψ¨ + mglψ + 4 ml2 ϕ¨ + mglϕ +

12

Technische Mechanik

Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Wie entstehen Schwingungen Schwingungen von Maschinen und Fahrzeugen berechnen Wie können Schwingungen beeinflusst werden

12.1 12.2 12.3 12.4 12.5

Beschreibung von Schwingungen . . . . . . . Klassifikation von Schwingungen . . . . . . . . Freie Schwingungen linearer Systeme . . . . . Erzwungene Schwingungen linearer Systeme Schwingungen nichtlinearer Systeme . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . .

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_12

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276 277 277 286 306 310 312

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12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Technische Mechanik

Schwingungen begegnen uns im alltäglichen Leben in vielfältiger Weise. Der klingelnde Wecker, die Musik aus dem Radio, der tropfende Wasserhahn, das Quietschen der U-Bahn in der Kurve, das schaltende Relais eines Kfz-Blinkers, das Flattern einer Flugzeugtragfläche, das Schwanken eines Hochhauses, das Pendeln einer Standuhr, der Flügelschlag einer Libelle – wir sind umgeben von einer Vielzahl natürlicher und künstlich herbeigeführter oszillierender Vorgänge, die unter dem Begriff Schwingungen zusammengefasst werden. Sogar die Ökonomie und die Natur zeigen periodische Vorgänge, wie Konjunkturzyklen und Populationsschwankungen in Räuber-Beute-Systemen. Ihre Ursachen sind ebenso vielfältig wie die Phänomene, die hierbei entstehen können - seien sie erwünscht oder unerwünscht. Im folgenden Kapitel werden wir uns mit der Beschreibung von Schwingungen befassen und mathematisch fundierte Lösungen für technische Schwingungsprobleme mit einem Freiheitsgrad oder zwei beschreibenden Zustandsgrößen herleiten und interpretieren.

Tab. 12.1 Ausgewählte periodische Vorgänge in Natur und Technik Vorgang/Gerät Präzession der Erdachse (25.700 Jahre) Umlauf Erde um Sonne = Jahr Sonnentag mechan. Uhrenpendel l = 1 m Kolbenhub Dampflok (max.) Strom-Netzfrequenz Kolbenhub im Motor bei 6000 U/min Quarz in Quarzuhr Radio-Kurzwelle Mikrowelle/WiFi

Frequenz in Hz Periode in s 1,23 · 10−12 8,1·1011 3,169 · 10−8 1,15740 · 10−5 0,5 7 50 100

3,15 · 107 86.400 2 0,142 0,02 0,01

32.768 = 215 3 · 106 2,455 · 109

3,05 · 10−5 3,3¯ · 10−7 4,07 · 10−10

q qmax q

12.1

Beschreibung von Schwingungen

+

qm qmin T

Ein natürlicher oder physikalischer Prozess wird durch eine Zustandsgröße q(t) beschrieben, z. B. eine Auslenkung eines sich bewegenden Körpers, einen Druck an einer Stelle eines Fluids oder eine elektrische Spannung. Als Schwingung oder Oszillation wird gemäß DIN 1311 ein Vorgang bezeichnet, bei dem die Zustandsgröße eine zeitliche Änderung erfährt und dabei im Allgemeinen abwechselnd zu- und abnimmt. Diese Definition ist rein beobachtungsorientiert, sie betrachtet zunächst nicht die Ursache oder die physikalischen Prozesse, die dazu führen, dass die Schwingung stattfindet. Zunächst sollen stationäre Schwingungen betrachtet werden, bei denen sich der Zustand q ( t + T ) = q ( t) nach Ablauf der Periodendauer T absolut gleich wiederholt. Wird q(t) über der Zeit aufgetragen, ergibt sich das Ausschlag-Zeit-Diagramm eines Schwingungsvorgangs. Der Kehrwert f = T1 wird als Schwingungsfrequenz bezeichnet und in der Einheit Hz (Hertz) angegeben. Sowohl die Periodendauer als auch die Frequenz können in einem großen Variationsbereich liegen; in Tab. 12.1 sind Beispiele zusammengefasst. In Abb. 12.1 sind einige wichtige Werte zur Beschreibung einer Schwingung eingezeichnet. Die Zustandsgröße erreicht einen Minimalwert qmin sowie einen Maximalwert qmax . Die Mittellage qm ergibt sich als: qm

1 = (qmax + qmin ) , 2

q –

q

T t

Abb. 12.1 Zeitverlauf einer einfachen Schwingung

die jedoch nicht mit dem arithmetischen Mittelwert q¯ verwechselt werden darf, der sich aus dem Integral über eine Periode T q¯ =

1 T

t+T

q(τ )dτ

t

ergibt. Der Mittelwert ist anschaulich der Wert, für den die in Abb. 12.1 farbig markierten Flächen oberhalb und unterhalb des Graphen gleich groß sind. Die Amplitude qˆ beschreibt den Ausschlag der Schwingung gegenüber der Mittellage und wird durch qˆ =

1 (qmax − qmin ) 2

berechnet. Eine weitere Kenngröße zur Beschreibung einer Schwingung und des mit ihr verbundenen Energieumsatzes ist der Effektivwert qeff einer oszillierenden Größe, der sich mit 3 4 t+ T 4  41 q(τ )2 dτ (12.1) qeff = 5 T t

als quadratischer Mittelwert aus der Wurzel der Quadrate der Größe q(t) ergibt. Aus diesem Grund ist der Effektivwert niemals negativ.

Freie Schwingungen linearer Systeme

Frage 12.1 Wie groß ist der Effektivwert einer Sinusschwingung q(t) = A sin Ωt mit der Amplitude A?

Schwingungsform einstellen, bei der zugeführte und dissipierte Energie pro Zyklus gleich groß sind. Erzwungene Schwingungen können im Fall der Resonanz aufklingen und die Amplituden sehr groß werden, im theoretischen Grenzfall der Dämpfungsfreiheit sogar unendlich groß.

Zur Berechnung der integralen Mittelwerte ist aufgrund der angenommenen Periodizität der Startpunkt t für die Mittelung beliebig. Die Integration muss lediglich über eine volle Schwingungsperiode T erfolgen.

Schwingungen sind eng mit Wellen verwandt. Exemplarisch kann dies an einer schwingenden Oberfläche an der Luft dargestellt werden: Die periodische Bewegung der Festkörperoberfläche regt die benachbarten Luftmoleküle zu Schwingungen an, die zu einer Schallwelle führen und die Energie des Systems in der Welle wegtragen. Abstrahlung von Schallwellen durch eine Struktur ist somit ein spezieller Dämpfungsmechanismus. Wellenphänomene werden in Abschn. 13.2 kurz beschrieben.

12.2

Klassifikation von Schwingungen

Eine Klassifikation von technischen und natürlichen Schwingungsphänomenen lässt sich vornehmen, wenn zugrunde gelegt wird, dass diese sich auf einen sich wiederholenden Austausch von Energie zwischen zwei oder mehr Speichern zurückführen lassen (Abb. 12.2). Dieser meist periodische Austauschprozess kann von Energiedissipation begleitet sein, bei der bei jedem Austausch dem Prozess ein Teil der Energie entzogen wird, z. B. in Form von Wärme. Schwingungen ohne diesen Verlust werden als ungedämpft bezeichnet, andernfalls sind sie gedämpft. Als Sonderfall sind auch Schwingungen zu beobachten, die eine Energiequelle anzapfen können, diese werden als angefachte Schwingungen bezeichnet. Wird der Schwingungsprozess nicht von außen angeregt, handelt es sich um eine freie Schwingung (Abschn. 12.3). Eine äußere Anregung kann der Schwingung von außen Energie zuführen. Ist die Erregung rückwirkungsfrei und rein zeitabhängig, d. h., sie wirkt unabhängig vom Zustand des Schwingungssystems, liegt eine erzwungene Schwingung (Abschn. 12.4) vor. Beeinflusst der Schwingungsprozess die Energiezufuhr selbst, kann eine selbsterregte Schwingung entstehen. Derartige Schwingungen werden in diesem Buch nicht behandelt. Die freie, ungedämpfte Schwingung ist ein theoretischer Grenzfall. In der Realität wird ein freier Schwingungsvorgang immer abklingen. Sowohl bei erzwungenen als auch bei selbsterregten Schwingungen kann sich eine stationäre

Lässt sich der Zustand des Schwingers eindeutig durch zwei Zustandsgrößen oder eine Zustandsgröße und ihre Zeitableitung beschreiben, handelt es sich um einen einläufigen Schwinger (Abschn. 12.3, 12.4 und 12.5). Typischerweise existieren dabei zwei Differenzialgleichungen erster Ordnung, welche die zeitliche Änderung der Zustandsgrößen, häufig der „Füllungsgrad“ der Energiespeicher, beschreiben. Diese lassen sich in der Regel zu einer einzigen Differenzialgleichung zweiter Ordnung zusammenfassen. Dies wird im folgenden Abschnitt beschrieben. Handelt es sich bei den Gleichungen, die den Schwinger beschreiben, um lineare Differenzialgleichungen, liegt ein lineares Schwingungssystem vor. Andernfalls wird es als nichtlineares System bezeichnet. Oft lassen sich nichtlineare Gleichungen für kleine Auslenkungen linearisieren. Wird ein Schwingungssystem durch mehr als zwei Zustandsgrößen-Paare beschrieben, wird es als mehrläufiger Schwinger (Abschn. 13.1) bezeichnet. Schwinger, bei denen unendlich viele Zustandsgrößen benötigt werden, stellen Feldprobleme dar und werden als Kontinuumsschwinger bezeichnet (Abschn. 13.2). Auch bei diesen Schwingern ist immer ein Energieaustauschmechanismus zu beobachten, es sind jedoch kontinuierlich verteilte Speicher vorhanden.

12.3

Freie Schwingungen linearer Systeme

externe Quelle

Anregung Speicher 1

Speicher 2

Austausch innere Prozesse Dissipation

(Anfachung)

Abb. 12.2 Energieflüsse einer einfachen Schwingung

Als freie Schwingungen werden Phänomene bezeichnet, bei denen ein schwingungsfähiges System aus Anfangsbedingungen ohne weitere Anregung sich selbst überlassen wird. Schwingungsfähige Systeme lassen sich in der Regel durch ein System von Differenzialgleichungen beschreiben, die im Fall der freien Schwingungen homogen sind. Die Methodik zur Aufstellung dieser Gleichungen variiert von Domäne zu Domäne, die entstehenden Gleichungen sind jedoch immer von gleicher Gestalt. Für die Mechanik soll zunächst der bekannte Weg mit dem Newton’schen Gesetz gewählt werden.

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Technische Mechanik

12.3

278

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Technische Mechanik

Übersicht: Einläufige technische Schwingungssysteme Übersicht über verschiedene technische Schwingungssysteme mit einem Freiheitsgrad sowie die darin vorSchwingungssystem

Abbildung

Feder-Masse-System m

kommenden Energiespeicher und Dämpfungmechanismen

Speicher 1 Energieform, Zustandsgröße träge Masse kinetisch, Geschwindigkeit v

Speicher 2 Energieform, Zustandsgröße Feder elastisches Potenzial, Kraft F

Dämpfungsmechanismus

träge Drehmasse kinetisch, Winkelgeschwindigkeit ω

Drehfeder elastisches Potenzial, Moment M

Luftwiderstand, Materialdämpfung der Drehfeder

träge Masse kinetisch Geschwindigkeit v

schwere Masse Gravitationspotenzial Kraft F

Luftwiderstand, Reibung im Gelenk

Induktivität L Magnetfeld, Stromstärke I

Kapazität C el. Feld, Spannung U

elektrischer Widerstand R in den Leitungen

träges Fluid in Leitungen kinetisch, Volumenstrom Q

kompressibles Fluid elastisches Potenzial, Druck p

Zähigkeit des Fluids, Turbulenzen

Luftwiderstand, Materialdämpfung der Feder

x(t) c

d

DrehfederDrehmasse-System cr J

φ(t)

Pendel

φ(t)

l

g m

elektrischer LCRSchwingkreis

R U(t)

I(t) e–

C

L

Druckschwingungen in Fluidsystemen

p(t) Q(t) V L

A

Bei einem Torsionsschwinger stehen anstelle der Masse m das Trägheitsmoment J und anstelle der Steifigkeit c und der Dämpfung d die Verdrehsteifigkeit cR und die Drehdämpfung dR . Gleichung (12.3) lautet mit der Verdrehkoordinate ϕ:

q (t) c F

F

m

d

Freie Schwingungen linearer Systeme

J ϕ¨ + dR ϕ˙ + cR ϕ = 0, Abb. 12.3 Mechanischer Einmassenschwinger mit der Masse m , der Federsteifigkeit c und der Dämpfungskonstanten d

woraus sich ω02 =

Systemgleichungen für mechanische Schwingungssysteme werden mit dem Impulsoder Drehimpulssatz sowie einem Federgesetz aufgestellt Die Differenzialgleichungen mechanischer Systeme (Abb. 12.3) werden in der Regel mithilfe des Impulssatzes in der Form m¨q = −F mit der zweiten Ableitung der Zustandsgröße aufgestellt. Dabei stellt q(t) die Auslenkung der Masse dar. Die Kraft des Feder-Dämpfer-Elements lässt sich allgemein immer in der Form F(q, q˙ ) und im linearen Fall durch F = cq + dq˙ beschreiben. Dabei bezeichnen c die Federkonstante und d die Dämpfungskonstante. Dieses Vorgehen verbirgt allerdings das Vorhandensein von zwei Zustandsgrößen und zugehörigen Speichern gemäß Abb. 12.2: der Lage q und der Geschwindigkeit q˙ oder v. Die Lage q beschreibt den potenziellen Energiespeicher der Feder Epot = 12 cq2 . Es könnte alter1 2 F verwennativ die Zustandsgröße F = cq mit Epot = 2c det werden. Die Geschwindigkeit v ist dem kinetischen Energiespeicher Ekin = 12 mv2 zugeordnet. Die momentan während der Bewegung dissipierte Leistung im Dämpfer ergibt sich zu Pdiss = FD v = dv2 . Auf die Masse wirkt die Kraft von Feder und Dämpfer in negativer Koordinatenrichtung, somit ergibt sich m¨q + dq˙ + cq = 0

(12.2)

als homogene Bewegungsgleichung. Diese Gleichung wird durch die Masse m dividiert und es ergibt sich: q¨ + 2δq˙ + ω02 q = 0,

(12.3)

wobei die Größen ω02 =

c m

und

δ=

d 2m

eingeführt wurden. Mit ω0 wird die Eigenkreisfrequenz des ungedämpften Schwingers bezeichnet, δ ist die Abklingkonstante. Für das System ohne Dämpfer verbleibt: q¨ + ω02 q = 0.

(12.4)

cR J

und

δ=

dR 2J

ableiten lässt.

Der Zeitverlauf der Schwingung ist die Lösung der Differenzialgleichung Die Differenzialgleichung (12.4) eines ungedämpften, linearen Schwingungssystems wird durch q(t) = A cos ω0 t + B sin ω0 t

(12.5)

gelöst, wobei A und B die Integrationskonstanten sind, die sich aus Anfangsbedingungen bestimmen lassen. Die Eigenkreisfrequenz ω0 des Schwingers hängt mit der Eigenfrequenz f0 und der Periodendauer T gemäß ω0 = 2πf0

und

ω0 =

2π T

zusammen. Eine gleichwertige Darstellung der Lösung (12.5) ist q(t) = C cos (ω0 t − ψ) mit den Konstanten C und ψ, die sich durch die Beziehungen C=



A2 + B2 ,

A = C cos ψ,

B , A B = C sin ψ

tan ψ =

ineinander überführen lassen, wobei C die Amplitude und ψ die Phase der Schwingung sind. Die zwei Konstanten sind mit den zwei Speichern des Schwingers verknüpft, die tatsächliche Form der Schwingung ergibt sich aus dem Anfangszustand der beiden Speicher. Beim mechanischen Schwinger sind die geeigneten Anfangsbedingungen die Lage, die über die Steifigkeit c mit der Speichergröße Kraft verknüpft ist, sowie die Geschwindigkeit. Beide Größen zusammen beschreiben den Zustand des Schwingers zu einem Zeitpunkt t0 . Vereinfachend soll im Folgenden t0 = 0 gesetzt werden. Sind die Anfangsbedingungen mit der Anfangslage

279

Technische Mechanik

12.3

280

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen q

Technische Mechanik

∆t ∙ v0 q0

Steigungsdreieck der Anfangssteigung

Freie Schwingungen ungedämpfter, linearer Systeme

∆t t

Abb. 12.4 Verlauf einer harmonischen Schwingung eines linearen Systems ausgehend von Anfangsbedingungen zum Zeitpunkt t0

Der Schwinger führt eine stationäre, harmonische Bewegung, d. h. eine Sinusschwingung mit der Eigenkreisfrequenz ω0 aus. Amplitude und Phase ergeben sich aus den Anfangsbedingungen, z. B. der Lage und Geschwindigkeit zu einem Zeitpunkt t0 . Die Anfangsbedingungen repräsentieren die Zustände der beiden Speicher zu Beginn des Schwingungsvorgangs.

q(0) = q0 sowie der Anfangsgeschwindigkeit q˙ (0) = v0 gegeben, muss zunächst die Lösung (12.5) zu

Der gedämpfte Schwinger verliert Energie, und seine Amplitude verringert sich

q˙ (t) = ω0 (−A sin ω0 t + B cos ω0 t) differenziert werden, um die Lösung an beide Anfangsbedingungen anpassen zu können. Es ergeben sich die beiden Gleichungen q0 = A cos ω0 t0 + B sin ω0 t0 , v0 = ω0 (−A sin ω0 t0 + B cos ω0 t0 ) ,

q¨ + 2δq˙ + ω02 q = 0

und B =

v0 ω0

führen. Somit lautet die Lösung mit Anfangsbedingungen q0 und v0 zum Zeitpunkt t0 : q(t) = q0 cos ω0 t +

v0 sin ω0 t. ω0

(12.6)

In Abb. 12.4 ist der Zeitverlauf der Schwingung dargestellt: q0 entspricht der Anfangslage und v0 der Anfangssteigung. Abschließend soll noch die Verteilung der Energie in der Schwingung q(t) = A sin ω0 t und q˙ (t) = Aω0 cos ω0 t eines Feder-Masse-Schwingers wie in Abb. 12.3 mit d = 0 betrachtet werden. Die maximale potenzielle Energie in der Feder wird in den Momenten der maximalen Auslenπ , 3π , . . . erreicht und beträgt Epot = 12 cA2 . kung t = 2ω 0 2ω0 Dort sind die Geschwindigkeit und somit auch die kinetische Energie null. Das Maximum der kinetischen Energie besitzt die Masse bei maximaler Geschwindigkeit und sie beträgt Ekin = 12 mω02 A2 . Dieser Zustand wird für t = 0, ωπ , 2π ω , . . . erreicht. 0

(12.7)

beschreiben. Die Lösung dieser Differenzialgleichung ist etwas komplizierter als im ungedämpften Fall, da eine Fallunterscheidung vorgenommen werden muss: Es wird für die Lösung der Ansatz

die für t0 = 0 unmittelbar zu A = q0

Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, lässt sich ein gedämpftes, lineares Schwingungssystem immer durch eine Differenzialgleichung der Form

0

Frage 12.2 Zeigen Sie, dass für ungedämpfte Schwingungen Epot = Ekin gilt.

q = Ceλt mit den Konstanten λ und C gewählt und in (12.7) eingesetzt, wobei q˙ = λCeλt und q¨ = λ2 Ceλt verwendet wird. Nach der Division durch Ceλt verbleibt die charakteristische Gleichung: λ2 + 2δλ + ω02 = 0.

(12.8)

Es handelt sich um eine quadratische Gleichung für die Unbekannte λ, die durch  (12.9) λ1,2 = −δ ± δ2 − ω02 gelöst wird. Es wird nun der dimensionslose Dämpfungsparameter, auch bekannt als Lehr’sches Dämpfungsmaß, D eingeführt, der durch D=

δ ω0

bei mechanischen Systemen mit ω02 = D=

(12.10) c m

d dω0 d = = √ 2mω0 2c 2 mc

definiert wird. Wird aus der rechten Seite von (12.9) ω0 ausgeklammert, ergibt sich:  λ1,2 = ω0 −D ± D2 − 1 . (12.11)

12.3 q

C e–δt q1

q2 T1

q3

t

Schwingungsfähiges System, D < 1 Gilt 0 < D < 1, was bedeutet, dass die Dämpfung innerhalb bestimmter Schranken liegt, ist der Radikand in (12.11) negativ. In diesem Fall wird vorteilhaft mit komplexen Zahlen weitergerechnet. Mit der imaginären Einheit j lässt sich (12.11) als  λ1,2 = ω0 −D ± j 1 − D2 schreiben. Es wird nun die Eigenkreisfrequenz des gedämpften Systems  (12.12) ω d = ω 0 1 − D2 eingeführt, und es ergibt sich:  λ1,2 = −δ ± jω0 1 − D2 = −δ ± jωd .

(12.13)

Unter Verwendung von ejx = cos x + j sin x kann die Gesamtlösung q(t) = C1 eλ1 t + C2 eλ2 t als q(t) = C1 e−δt (cos ωd t + j sin ωd t)

+ C2 e−δt (cos ωd t − j sin ωd t) mit zunächst komplexen Integrationskonstanten C1 und C2 angeschrieben werden. Die Lösung q(t) muss aber reell sein. Dazu werden zwei neue reelle Integrationskonstanten A und B eingeführt, die C2 =

1 (A + jB) 2

und C1 = C2∗ =

1 (A − jB) 2

(12.14)

ersetzen. Die sich ergebende, gleichwertige, rein reelle Lösung lautet: q(t) = e−δt (A cos ωd t + B sin ωd t) ,

(12.15)

wobei A und B analog zum Vorgehen im letzten Abschnitt an die Anfangsbedingungen angepasst werden müssen. Wie beim ungedämpften Fall ist q(t) = Ce−δt cos (ωd t − ψ)

(12.16)

mit den Konstanten C und ψ eine gleichwertige Darstellung der Lösung. Die gedämpfte Schwingung des linearen Systems ist somit eine harmonische Schwingung, deren Amplitude mit der Zeit exponentiell abnimmt (Abb. 12.5). Ihre Frequenz weicht von der Frequenz ohne Dämpfung ab. Sollen analog zum Vorgehen beim ungedämpften Schwinger im vorangegangenen Abschnitt die

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Technische Mechanik

Hier ist nun eine Fallunterscheidung in Abgängigkeit des Wurzelterms erforderlich. Grundsätzlich kann auch δ < 0 und somit D < 0 gelten, was einer negativen Dämpfung oder Anfachung des Systems entspricht. Diese Situation ist im Prinzip in der folgenden Fallunterscheidung enthalten.

Freie Schwingungen linearer Systeme

Abb. 12.5 Gedämpfte Schwingung

Konstanten A und B aus der Lage q0 und der Geschwindigkeit v0 zum Zeitpunkt t0 = 0 bestimmt werden, ergibt sich v + δq0 . (12.17) A = q0 und B = 0 ωd Der Spezialfall des ungedämpften Systems d = δ = D = 0 mit der Folge ωd = ω0 ist hier vollständig enthalten. Sogar der Sonderfall negativer Dämpfung mit −1 < D < 0, auch Anfachung genannt, lässt sich mit den Formeln dieses Abschnitts berechnen. Lediglich die Konstante δ wird negativ, damit wir der Exponent von e−δt positiv und die Schwingungsamplitude steigt exponential an. Frage 12.3 Innerhalb welcher Zeit T klingt die Amplitude des Schwingers auf die Hälfte ab? Aperiodisch gedämpftes System, D > 1 √ Gilt D > 1, ist der Wurzelterm D2 − 1 reell und positiv, der gesamte Klammerausdruck in (12.11) ist stets kleiner √ 2 zum vorangeganals Null, da D > D − 1 gilt. Ähnlich √ genen Abschnitt wird ωD = ω0 D2 − 1 eingeführt, und es ergibt sich als Lösung q(t) = C1 e−(δ +ωD)t + C2 e−(δ −ωD)t

(12.18)

eine Summe aus zwei abklingenden Exponentialfunktionen. Ein derartig stark gedämpftes System ist somit nicht schwingungsfähig, es kehrt aus einer Anfangslage „kriechend“ in seine Ruhelage zurück. Mit den hyperbolischen Funktionen und Ersetzung der Integrationskonstanten A = C1 + C2 sowie B = C2 − C1 kann (12.18) zu q(t) = e−δt [A cosh(ωD t) + B sinh(ωD t)]

(12.19)

vereinfacht werden. Die Bestimmung der Integrationskonstanten A und B erfolgt aus der Lage q0 und der Geschwindigkeit v0 zum Zeitpunkt t0 = 0, und es ergibt sich analog zu (12.17): A = q0

und

B=

v0 + δq0 . ωD

282

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Technische Mechanik

Es ist zu erkennen, dass die Lösungen des schwach bzw. stark gedämpften Systems ((12.15) bzw. (12.19)) strukturell sehr ähnlich sind. Während beim schwach gedämpften System die Lösung die Summe einer Kosinusund einer Sinus-Funktion ist, ergibt sich für den stark gedämpften Fall die Summe einer hyperbolischen Kosinusfunktion und einer hyperbolischen Sinusfunktion. Die Berechnung der Integrationskonstanten A und B aus den Anfangsbedingungen führt für beide Fälle auf identische Gleichungen.

Eine konstante Last auf den Schwinger kann durch eine Koordinatentransformation aus der Bewegungsgleichung eliminiert werden Bei der Betrachtung mechanischer Feder-Masse-Systeme tritt oft die Situation auf, dass auf die Masse des Schwingers neben der Federkraft noch eine weitere konstante Kraft FK , z. B. die Schwerkraft wirkt. Die Bewegungsgleichung lautet dann: m¨q + dq˙ + cq = FK .

Aperiodischer Grenzfall, D = 1 Abschließend soll noch der Fall D = 1 behandelt werden, bei dem die Lösungen der charakteristischen Gleichung (12.11) zu

Generell können Schwinger mit zusätzlicher Konstantlast immer in die Form

λ1,2 = −δ

q¨ + 2δq˙ + ω02 q = K

zusammenfallen. Aus der Theorie linearer, gewöhnlicher Differenzialgleichungen folgt im Fall doppelter Eigenwerte die Fundamentallösung

gebracht werden. Die Gleichung ist somit zunächst inhomogen, da sie den Term K auf der rechten Seite hat. Dieser Term lässt sich durch eine Koordinatentransformation aus der Gleichung eliminieren; die Bewegungsgleichung wird wieder homogen.

q(t) = e−δt (A + Bt) . Mit den Anfangsbedingungen q(0) = q0 und q˙ (0) = v0 ergibt sich: A = q0

und B = v0 + δq0 .

Die Gesamtauslenkung q(t) = qG + qS (t) wird in einen konstanten Gleichgewichtsanteil qG sowie die überlagerte Schwingungsauslenkung qS (t) zerlegt. Die stationäre Gleichgewichtslage ergibt sich durch Einsetzen von q = qG , q˙ = 0 und q¨ = 0 in (12.20), was zu

Auch in diesem Fall tritt keine Schwingung auf, in einem Übergangsprozess wird der Gleichgewichtszustand angestrebt, aber nie erreicht. Freie Schwingungen eines gedämpften, linearen Systems

Abhängig von der Größe der Dämpfung führt der gedämpfte Schwinger entweder eine Schwingung oder eine aperiodische „Kriechbewegung“ aus. Kommt es zur Schwingung, führt der Schwinger eine abklingende, harmonische Bewegung mit der Eigenkreisfrequenz ωd aus. Die Amplitude der Schwingung klingt mit einem exponentiellen Zeitgesetz ab und erreicht deshalb theoretisch nie die Amplitude null. Anfangsamplitude und Phase ergeben sich aus den Anfangsbedingungen, z. B. der Lage und Geschwindigkeit zu einem Zeitpunkt t0 . Die Anfangsbedingungen repräsentieren die Zustände der beiden Speicher zu Beginn des Schwingungsvorgangs.

(12.20)

qG =

K ω02

führt. Für die Ableitungen gilt q˙ = q˙ S sowie q¨ = q¨ S , was eingesetzt in (12.20) zunächst auf  q¨ S + 2δq˙ S + ω02

K + qS ω02



=K

und schließlich zu q¨ S + 2δq˙ S + ω02 qS = 0 führt. Somit kann der Schwinger mit konstanter Last auf einen Schwinger ohne zusätzliche Last mit verschobener Nullage zurückgeführt werden. Die Gleichung ist identisch mit (12.7) und für d = δ = 0 mit (12.4) und kann mit den in den vorangegangenen Abschnitten behandelten Methoden gelöst werden. Die Gesamtlösung lautet somit für den ungedämpften Fall q(t) = qG + A cos ω0 t + B sin ω0 t.

(12.21)

Freie Schwingungen linearer Systeme

Beispiel: Experimentelle Bestimmung der Dämpfung durch einen Ausschwingversuch Die Dämpfung mechanischer Systeme beeinflusst die Schwingungen und deren Auswirkungen in erheblichem Maß. Um den Schwingungsvorgang zu berechnen oder den Arbeitsprozess des Systems besser zu analysieren und zu simulieren, ist mitunter die experimentelle Ermittlung der Dämpfung erforderlich. Problemanalyse und Strategie: Bei einer geschwindigkeitsproportional gedämpften Schwingung nehmen die Auslenkungen exponentiell ab. Die Abklingrate wird durch die Abklingkonstante δ bzw. den Dämpfungsgrad D beschrieben. Die Dämpfung D und die Eigenkreisfrequenz ω lassen sich aus dem Zeitverlauf einer abklingenden, freien Schwingung, einem sogenannten Ausschwingversuch ermitteln. Lösung: Die zeitliche Ausschwingfunktion eines viskos gedämpften Einmassenschwingers mit unterkritischer Dämpfung entspricht (12.16).

Dämpfungsdekrement Λ wird der natürliche Logarithmus des Amplitudenverhältnisses zweier aufeinanderfolgender Maxima einer Schwingungsfunktion Λ = ln

xˆ i xˆ i+1

bezeichnet. Allgemein kann für beliebige, weiter auseinander liegende Amplitudenpaare  Λ = ln

n

xˆ i xˆ i+n

=

xˆ 1 ln i n xˆ i+n

geschrieben werden. Ist das logarithmische Dämpfungsdekrement konstant, also für beliebige Amplitudenpaare gleich, kann von geschwindigkeitsproportionaler Dämpfung ausgegangen werden. Mit (12.10) und (12.13) wird ein Zusammenhang zum Dämpfungsmaß D und Dämpfungsdekrement hergestellt:

x

D= √ –δt

Ce x1

Ce−δt = δT1 Ce−δ (t+T1)

= ln

Λ 4π 2 + Λ2

.

Für schwache Dämpfungen (D 1) gilt dann näherungsweise:

x2 T1

x3

t

D≈

Die Periodendauer T1 der Ausschwingfunktion lässt sich aus dem Zeitsignal bestimmen. Abweichend zur Abbildung kann es günstiger sein, den Zeitabstand aufeinanderfolgender Nulldurchgänge zu messen. Die genaue Zeitpunktbestimmung des Maximums ist ungenauer, als die Feststellung der Schnittpunkte mit der Ordinatenachse. Daraus kann die Eigenkreisfrequenz des gedämpften Systems ωd =

2π T1

bestimmt werden. Für die Ermittlung des Dämpfungswerts werden die aufeinanderfolgenden Maxima der Ausschwingfunktion betrachtet. Als logarithmisches

Λ . 2π

Schließlich lässt sich der Dämpfungskennwert für schwache Dämpfung durch d≈

2mΛ T1

ausdrücken. Kommentar Das logarithmische Dekrement ist zur experimentellen Bestimmung der Dämpfung eines Einfreiheitsgradsystems besonders gut geeignet. Dazu werden bei einem Ausschwingversuch mehrere Maxima eines Schwingungsvorgangs gemessen. Eine Veränderung von Λ zwischen verschiedenen benachbarten Höchstwerten wäre dann ein Maß für die Abweichung von der angenommenen geschwindigkeitsproportio nalen Dämpfung.

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Technische Mechanik

12.3

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12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

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Beispiel Der in Abb. 12.6 dargestellte Schwinger soll aus der Lage q = 0, in der die Feder entspannt ist, aus der Ruhe, d. h. mit q˙ = 0, losgelassen werden.

I(t) C

q m

L

U(t)

qS –qG

t

0

q (t )

0

R

qG g

c

Abb. 12.7 Einfacher elektrischer Schwingkreis mit Kapazität C , Induktivität L und Widerstand R Abb. 12.6 Schwinger mit zusätzlicher, konstanter Last. Die Bewegung des Schwingers q (t ) ist im schwarzen System eine Bewegung um die Gleichgewichtslage qG beginnend aus der Nullage. Im verschobenen blauen System der Koordinate qS findet die Bewegung um die Nullage und Ruhelage qS = 0 statt

Die Bewegungsgleichung lautet m¨q + cq = −mg, gemäß (12.20) ergibt sich: K = −g

und qG = −

mg g = − 2. c ω0

Aus der Perspektive der Koordinate qS lauten die Anfangsbedingungen qS (0) = −qG sowie q˙ S (0) = 0, was gemäß (12.6) zu g qS (t) = −qG cos ω0 t = 2 cos ω0 t ω0 führt. Die Lösung in der Koordinate q lautet somit: q(t) = qG (1 − cos ω0 t) = −

g (1 − cos ω0 t) . ω02

Der Schwinger erreicht in jeder Periode wieder seinen ursprünglichen Startpunkt als Umkehrpunkt. Dieses Beispiel hat bereits eine enge Verwandschaft zur Sprungantwort des Schwingers, welche in Abschn. 12.4 gezeigt wird.  Schwingungen linearer Systeme mit zusätzlicher, konstanter Last

Eine konstante Last ändert die Frequenz des Schwingers nicht. Der Schwinger hat eine Ruhelage, die sich aus der Größe der konstanten Last bestimmt. Die Schwingung erfolgt um die Ruhelage.

Zwei Differenzialgleichungen erster Ordnung können schwingungsfähige Systeme beschreiben In der Übersichts-Box Einläufige technische Schwingungssysteme sind schwingungsfähige Systeme dargestellt, bei denen die Zustandsgrößen, allgemein als q1 und q2 bezeichnet, nicht einfach durch Ableitung auseinander hervorgehen. Eine Differenzialgleichung zweiter Ordnung ist nicht ohne Weiteres formulierbar. Das System der Bewegungsgleichungen Die Austauschprozesse der beiden Speicher mit ihren Zustandsgrößen q1 und q2 ohne Anregung von außen lassen sich immer durch ein autonomes, homogenes Differenzialgleichungssystem erster Ordnung der Form q˙ 1 = f1 (q1 , q2 ), q˙ 2 = f2 (q1 , q2 )

(12.22) (12.23)

beschreiben. Dieses kann im linearen Fall mit bekannten Methoden der linearen Algebra gelöst werden. Dies soll am Beispiel des elektrischen Schwingkreises in Abb. 12.7 mit einer Spule der Induktivität L, einem Kondensator der Kapazität C und einem Widerstand R dargestellt werden: Die Variable q1 ist die Stromstärke I, Zustandsgröße des magnetischen Energiespeichers Spule. Die Variable q2 ist die Spannung U, Zustandsgröße des Kondensators als Speicher elektrischer Feldenergie. Der Widerstand wirkt als Energiedissipator. Die linearen Systemgleichungen lauten in Analogie zu (12.22) und (12.23): 1 I˙ = − (U + RI ), L ˙ = 1 I, U C

(12.24) (12.25)

die als Gleichungssystem in der Form    R   − L − L1 I˙ I 1 ˙ = U U 0 ! "# $ ! C "# $ ! "# $ q˙

A

q

zusammengefasst werden können. Es handelt sich um ein lineares Differenzialgleichungssystem erster Ordnung mit dem Zustandsvektor q(t) und der Systemmatrix A. Die wechselseitige Kopplung beider Zustandsgrößen ist durch die Terme mit Kapazität und Induktivität auf der Nebendiagonale der Matrix A zu erkennen. Der Widerstand taucht nur auf der Hauptdiagonalen auf.

Zunächst soll das System ohne Dämpfung, d. h. für R = 0 gelöst werden. Dazu werden die Eigenwerte der Matrix A mithilfe des charakteristischen Polynoms   1 −λ − L1 = λ2 + =0 det(A − λE) = det 1 − λ LC C bestimmt, was mit stets positiven C und L auf die zwei konjugiert komplexen Werte λ1,2

(12.26)

führt. Mit ω0 wird hier die Eigenkreisfrequenz des ungedämpften elektrischen Schwingkreises bezeichnet. Die zugehörigen Eigenvektoren lauten y1,2 = (Cλ1,2 , 1)T = (±Cjω0 , 1)T , womit die Lösung zunächst komplex in der Form q(t) = K1 y1 ejω0 t + K2 y2 e−jω0 t dargestellt werden kann. Analog zum Vorgehen im vorangegangenen Abschnitt werden gemäß (12.14) neue reelle Integrationskonstanten A und B eingeführt und eine rein reelle Lösung       −Cω0 B −Cω0 A I ( t) = sin ω0 t q ( t) = cos ω0 t + U ( t) −B A gebildet. Beide Zeilen der Gleichung beschreiben harmonische Schwingungen für I (t) und U (t), die gegeneinander um π2 phasenverschoben sind. Die Konstanten A und B können aus Anfangsbedingungen bestimmt werden. Sind U (0) = U0 und I (0) = I0 gegeben, folgt sofort I0 . A = U0 und B = − Cω 0 Wird im Schwingkreis der Widerstand R berücksichtigt, führt die Bestimmungsgleichung der Eigenwerte det(A − λE) = 0 auf λ2 +

R 1 = 0. λ+ L LC

Wird die Abklingkonstante des elektrischen Schwingkreises mit 2δ = RL eingeführt und ω0 gemäß (12.26) eingesetzt, zeigt sich, dass (12.27) völlig identisch mit (12.8) wird. Der Dämpfungsparameter D = ωδ0 kann an dieser Stelle ebenfalls analog zum mechanischen Schwinger eingeführt werden. In der Elektrotechnik wird jedoch gerne 1 die Güte Q = 2D zur dimensionslosen Beschreibung der Dämpfung eines Schwingkreises verwendet. Die Eigenwerte als Lösung von (12.27) lauten somit: λ1,2

R =− ± 2L



R2 1 − = −δ ± LC 4L2



δ2 − ω02 ,

wobei auch hier für den schwingungsfähigen Fall δ ≤ ω0 

Zeitlösung des Systems erster Ordnung

1 = ±j √ = ±jω0 LC

Freie Schwingungen linearer Systeme

(12.27)

die Eigenkreisfrequenz ωd = ω02 − δ2 eingeführt werden kann. Mit den zugehörigen Eigenvektoren y1,2 = (Cλ2,1 , 1)T lässt sich allgemein die Lösung q(t) = K1 y1 eλ1 t + K2 y2 eλ2 t aufbauen. Im schwingungsfähigen Fall lässt sich wieder eine rein reelle Lösung 

I ( t) U ( t)



= e−δt

 C(δA − ωd B) cos ωd t A    C(δB − ωd A) sin ωd t + −B



mit reellen Integrationskonstanten A und B bilden. Häufig können die Gleichungen so ineinander eingesetzt werden, dass aus dem System von zwei Differenzialgleichungen erster Ordnung ein System zweiter Ordnung wird. Das ist besonders einfach, wenn eines der Elemente der Systemmatrix A den Wert null hat. Wird (12.24) nochmals nach der Zeit abgeleitet und (12.25) eingesetzt, ergibt sich:   1 1 I + RI˙ I¨ = − L C was auf die Form R 1 I¨ + I˙ + I=0 L LC gebracht werden kann. Wird hier wie oben erwähnt 2δ = R 1 2 L und ω0 = LC eingeführt, ergibt sich eine Gleichung, die mit (12.3) identisch ist. Es kann nun I (t) mit den oben beschriebenen Methoden bestimmt werden. U (t) kann anschließend durch Zeitintegration von (12.25) ermittelt werden. Nachteilig bei diesem Verfahren ist die kompliziertere Berechnung der Integrationskonstanten aus den Anfangsbedingungen.

285

Technische Mechanik

12.3

286

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen Tab. 12.2 Regeln für die Lösungen linearer Differenzialgleichungen

Technische Mechanik

Systemgleichungen von Schwingern

Anregung

Einfache, freie Schwinger können durch zwei gekoppelte Differenzialgleichungen erster Ordnung

Ableitungsregel Verschiebungsregel

beschrieben werden. Durch ineinander Einsetzen der Gleichungen kann daraus eine Gleichung zweiter Ordnung der Standardform q¨ + 2δq˙ + ω02 q = 0 gebildet werden.

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

Erzwungene Schwingungen sind Phänomene, bei denen ein schwingungsfähiges System von einer rheonomen, d. h. rein zeitabhängigen Funktion f (t), rückwirkungsfrei angeregt wird. Der eigentliche Anregungsmechanismus kann vielfältige Formen haben und wird im Folgenden an Beispielen erläutert. Die allgemeine Form der inhomogenen Bewegungsgleichung lautet: q¨ + 2δq˙ + ω02 q = f (t).

(12.28)

Der Sonderfall des ungedämpften Systems soll in diesem Abschnitt nicht explizit vorgestellt werden. Er kann jederzeit durch Setzen von δ = 0 oder D = 0 und daraus folgend ωd = ω0 in den folgenden Formeln gebildet werden. Gesucht ist, wie in Abb. 12.8 dargestellt, das Verhalten q(t) des Schwingers, die sogenannte Systemantwort, unter dem Einfluss von f (t), der Anregung oder Erregerfunktion.

Die Lösung liefert die Theorie linearer Differenzialgleichungen Die Lösung inhomogener, linearer Differenzialgleichungen mit rein zeitabhängiger rechter Seite ist eine Standardaufgabe der höheren Mathematik. Deswegen können die vorhandenen Erkenntnisse hier sofort eingesetzt werden. Das Verhalten des Schwingers, d. h. die Lösung der

f (t) Anregung

schwingungsfähiges System

Proportionalität Superpositionsprinzip

q˙ 1 = f1 (q1 , q2 ), q˙ 2 = f2 (q1 , q2 )

12.4

bekannte Grundlösung

q (t) Systemantwort

Abb. 12.8 Erzwungene Schwingung als System mit Eingang und Ausgang

partikuläre Lösung

f ( t)



qp ( t )

αf (t) f1 ( t ) + f2 ( t )

→ →

qp1 (t) + qp2 (t)

df (t) dt



dqp (t) dt

f (t − t0 )



qp (t − t0 )

αqp (t)

Differenzialgleichung (12.28), setzt sich aus zwei Anteilen zusammen: 1. Eigenschwingungen, verursacht durch Anfangsbedingungen und ggf. äußere Anregung, entsprechend der Lösung der homogenen Differenzialgleichung. Diese wird im Folgenden auch vereinfacht als homogene Lösung bezeichnet. 2. Bewegungen, die durch die äußere Anregung erzwungen werden, entsprechend einer partikulären Lösung der Differenzialgleichung. Eine lineare Differenzialgleichung wie (12.28) hat somit eine Lösung q(t) = qh (t) + qp (t) mit dem homogenen Anteil qh (t) und dem partikulären Anteil qp (t). Daraus ergibt sich folgendes Lösungsverfahren: 1. Die homogene Lösung qh (t) ist die Lösung der Differenzialgleichung q¨ + 2δq˙ + ω02 q = 0, wie sie im Abschn. 12.3 beschrieben ist. 2. Eine partikuläre Lösung qp (t) wird mit den aus der Mathematik bekannten Verfahren wie „Variation der Konstanten“ oder „Ansatz vom Typ der Anregung“ gesucht. 3. Die Gesamtlösung wird an die Anfangsbedingungen angepasst, wobei die Integrationskonstanten der homogenen Lösung bestimmt werden. Die Eigenschwingungen, d. h. der homogene Lösungsanteil qh klingen in der Realität durch die immer vorhandene Dämpfung ab; längerfristig wird das Verhalten eines Schwingers ausschließlich durch die äußere Erregung bestimmt. Somit ergeben sich folgende typische Aufgabenstellungen: Gesamtreaktion des Schwingers auf eine einsetzende oder transiente äußere Anregung, zusammengesetzt aus Eigenschwingungen und erzwungenen Schwingungen. Dieses Einschwingproblem wird im Zeitbereich gelöst. Reaktion des Schwingers auf eine stationäre äußere Anregung nach dem Abklingen der Eigenschwingung. Diese stationäre Lösung wird im Frequenzbereich gesucht. Ein besonders wichtiges Hilfsmittel zum Auffinden von Systemantworten sind die Regeln, die sich aus dem linearen Charakter der Gleichungen ergeben. Sie sind in Tab. 12.2 zusammengefasst.

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

Zunächst soll die Systemantwort auf eine Sprunganregung der Stärke k durch Lösung der Gleichung

1 σ (t)

q¨ + 2δq˙ + ω02 q = kσ(t)

0 t

0 1 s

bestimmt werden. Hier lautet der „Ansatz vom Typ der Anregung“ qp = K, da die Sprunganregung für alle Zeitpunkte t > 0 eine konstante Funktion mit dem Wert k ist. Somit lautet die Lösung mit dem partikulären Ansatz für den schwach gedämpften Fall mit D < 1:

∞ δ (t)

0 t

0

q(t) = e−δt (A cos ωd t + B sin ωd t) + K

Abb. 12.9 Sprungfunktion und Dirac-Distribution

In diesem Abschnitt sollen die Antworten des Schwingers auf zwei spezielle, unstetige Anregungsereignisse gesucht werden: Den Anregungssprung und den Impuls, die jeweils zum Zeitpunkt t0 = 0 auf den in Ruhe befindlichen Schwinger, d. h. q(0) = 0 und q˙ (0) = 0, einwirken. Diese Anregungen sind idealisiert, liefern aber grundsätzliche Erkenntnisse über das Verhalten des Schwingers im Allgemeinen. Deswegen sind sie in der Systemtheorie sowie der Regelungstechnik von großer Bedeutung und werden im Kap. 41 nochmals aufgegriffen. Näherungsweise kann die Sprunganregung z. B. bei einem elektrischen Schwingkreis durch das Einschalten einer Versorgungsspannung realisiert werden. Die Impulsanregung beschreibt bei einem mechanischen Schwinger einen idealisierten Hammerschlag auf die Masse. Mathematisch wird die Sprunganregung durch die Sprungfunktion σ(t) und die Impulsanregung durch die Dirac-Distribution δ¯ (t) repräsentiert (Abb. 12.9). Sie sind durch 6 0, für t < 0 und σ ( t) = 1, für t ≥ 0 f (t)δ¯ (t − t0 )dt = f (t0 )

definiert, wobei besonders zu beachten ist, dass ∞

und somit

δ¯ (t)dt = 1

K=

k ω02

bestimmt ist; A und B werden mithilfe der Anfangsbedingungen q(0) = 0 und q˙ (0) = 0 bestimmt. Das System q (0 ) = A +

k = 0, ω02

q˙ (0) = −δA + ωd B = 0 führt auf A=−

k ω02

und

B=−

k δ . ω02 ωd

Werden A und B in (12.31) eingesetzt, ergibt sich die Sprungantwort des Systems: q ( t) =

   k δ − δt 1 cos ω − e t + sin ω t , (12.32) d d ωd ω02

die folgende Eigenschaften besitzt: Die Sprungantwort ist eine abklingende Schwingung um die Mittellage q = k/ω02 , die für t → ∞ als Ruhelage erreicht wird. Die Lösung ist mit dem Faktor k skaliert: Eine vergrößerte Anregung, hier ein höherer Sprung, führt zu einer proportional vergrößerten Schwingung.

−∞

dσ(t) = δ¯ (t) dt

(12.31)

mit den zunächst unbekannten Konstanten A, B und K. Wird der Ansatz in (12.30) eingesetzt, heben sich die homogenen Anteile in der Gleichung gegenseitig auf, und für t > 0 verbleibt nur der partikuläre Teil Kω02 = k, womit

Auch Impulse und Sprünge als Anregung verursachen harmonische Schwingungen

∞

(12.30)

(12.29)

−∞

gilt. Achtung In diesem Abschnitt ist die Dirac-Distribution δ¯ (t) sorgfältig von der Abklingkonstanten δ zu unter scheiden!

Die Anregung eines schwingungsfähigen Systems mit einem Impuls und die daraus resultierende Impulsantwort hat eine große Bedeutung in der experimentellen Untersuchung der Eigenschaften eines Systems auch mit mehreren Freiheitsgraden (Abschn. 13.1): Durch den Impuls werden alle Frequenzen angeregt. Das System antwortet in seinen Eigenfrequenzen, die dadurch bestimmt und

287

Technische Mechanik

12.4

288

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen vH–

Technische Mechanik

vH+

m

m

Kontakt F(t)

m v+

Zeitableitung der Sprungantwort (12.32) gewonnen werden, da die Dirac-Distribution δ¯ (t) gemäß (12.29) die Zeitableitung der Sprungfunktion σ(t) darstellt (Ableitungsregel in Tab. 12.2). Durch Vergleich von (12.30) und p (12.33) lässt sich erkennen, dass k = m gesetzt werden muss. Die Impulsantwort lautet somit: q ( t) =

t – < t0

t + > t0

Stoß

Abb. 12.10 Ablauf eines Stoßes zwischen Impulshammer und Schwinger F

v(t) = q˙ (t) = p

t–

p ∙ δ (t)

t+ t

t0

t

Abb. 12.11 Übergang eines zeitaufgelösten Kontaktkraftverlaufs in einen Kraftstoß unter Beibehaltung des Impulses

gemessen werden können. Technisch realisiert wird die Impulsanregung durch einen Stoß, z. B. einen Hammerschlag. Der Ablauf des Prozesses, der in der Nähe des Zeitpunkts t0 stattfindet, ist in Abb. 12.10 dargestellt. Weitere Details zu Stoßvorgängen können im Abschn. 10.5 nachgelesen werden. Unmittelbar vor dem Kontakt zum Zeitpunkt t− ist der Schwinger in Ruhe und der Hammer der Masse mH bewegt sich mit der Geschwindigkeit − auf den Schwinger zu. Während des Kontakts wirkt vH eine Kontaktkraft F(t). Im Moment des Lösens bei t+ be+ und wegt sich der Hammer mit der Geschwindigkeit vH + die Schwingermasse ist auf v beschleunigt worden. Ist der Zeitraum von t− bis t+ so kurz, dass die Ortsveränderungen des Systems in diesem Intervall vernachlässigt werden können, kann der Kontaktkraftverlauf in einen Kraftstoß F(t) = pδ¯ (t − t0 )

mit p =

t

(12.34)

Auch hierbei handelt es sich um eine abklingende Sinusschwingung, allerdings um die Mittellage q = 0. Widersprüchlich scheint zunächst die Berechnung der Geschwindigkeit der Impulsantwort

F

F(t )

p −δt e sin ωd t. mωd

p (e−δt ωd cos ωd t − δe−δt sin ωd t) mωd

aus der Zeitableitung von (12.34) zu sein: Wird t = 0 einp gesetzt, ergibt sich v(0) = m , was scheinbar nicht mit der Anfangsbedingung übereinstimmt. Hier ist zu beachten, dass (12.34) nur für t > 0 gültig ist. Zum Zeitpunkt t = 0 findet der idealisierte Stoß statt, bei dem die Masse p aus der Ruhe v = 0 auf die Geschwindigkeit v+ = m beschleunigt wird. Frage 12.4 Wie lauten Sprung- und Impulsantwort für den stark gedämpften Fall?

Sprung- und Impulsantwort

Die Sprung- und die Impulsantwort eines Schwingers sind die Antworten auf idealisierte unstetige Anregungsereignisse. Beide sind im schwach gedämpften Fall harmonische Schwingungen mit der Eigenkreisfrequenz ωd des Schwingers.

Harmonische Anregungen sind ein Standardfall der Schwingungslehre

+

F(t)dt

t−

zum Zeitpunkt t0 komprimiert werden (Abb. 12.11). Die Impulsänderung des Hammers beträgt unter den ge+ − − vH ). Auf den Schwinmachten Annahmen pH = mH (vH ger wirkt aufgrund der Impulserhaltung der Gegenimpuls p = −pH . Die Impulsantwort auf einen Stoß bei t = 0 ist somit die Lösung der Bewegungsgleichung q¨ + 2δq˙ + ω02 q =

p¯ δ ( t) m

(12.33)

mit den Anfangsbedingungen q = 0 und q˙ = v = 0 vor dem Einwirken des Kraftstoßes. Die Lösung kann durch

Die Berechnung der Systemantwort auf harmonische Anregungen ist aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung: 1. In der Technik treten oft sinusförmige Anregungen auf, z. B. mechanisch aufgrund von rotierenden Maschinen mit Unwucht oder elektrisch infolge der Versorgung aus dem Wechselstromnetz. 2. Mithilfe der Fourier-Analyse kann jedes beliebige periodische oder nicht periodische Anregungssignal in eine endliche oder unendliche Summe harmonischer

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

finden und diese gegebenenfalls dann um den Nullphasenwinkel ϕ zu verschieben. Für diese partikuläre Lösung wird der Ansatz

F(t)

qp = A sin Ωt + B cos Ωt,

m q(t)

(12.37)

q˙ p = AΩ cos Ωt − BΩ sin Ωt, c

q¨ p = −AΩ2 sin Ωt − BΩ2 cos Ωt

d

verwendet und in (12.36) mit ϕ = 0 eingesetzt.

−AΩ2 sin Ωt − BΩ2 cos Ωt +2δ(AΩ cos Ωt − BΩ sin Ωt)

Abb. 12.12 Einmassenschwinger mit Kraftanregung

+ω02 (A sin Ωt + B cos Ωt) = fˆ sin Ωt. Anregungen zerlegt werden. Deren Schwingungsantworten können mithilfe des Superpositionsprinzips (Tab. 12.2) zu einer Gesamtlösung aufsummiert werden. Die entstehende Differenzialgleichung lautet bei einer zunächst beliebigen Zahl nA von harmonischen Anregungen: q¨ + 2δq˙ + ω02 q =

(12.35)

i=1

Jede Teilanregung i ist gekennzeichnet durch ihre Anregungsfrequenz Ωi , die Anregungsamplitude fˆi sowie die Phasenlage ϕi . Im Folgenden sollen zunächst Lösungen für typische Einzelanregungen mechanischer Schwingungssysteme gesucht werden: Kraftanregung, Fußpunkterregung, Unwuchterregung. Die Kraftanregung wird ausführlich dargestellt, die beiden anderen Anregungsformen können wesentliche Teile der Ergebnisse übernehmen. Die Ergebnisse aller drei Anregungsformen sind am Ende des Kapitels in Tab. 12.4 nochmals zusammengefasst. Bewegungslösung bei Kraftanregung Bei harmonischer Kraftanregung (Abb. 12.12) wirkt auf die Masse des Schwingers eine Kraft F(t) = Fˆ sin(Ωt + ϕ). Nach Division durch m lautet die Bewegungsgleichung: q¨ + 2δq˙ + ω02 q = fˆ sin (Ωt + ϕ)

Fˆ mit fˆ = . m

Der gewählte Ansatz (12.37) stellt die partikuläre Lösung dar, wenn sich die Konstanten A und B eindeutig bestimmen lassen. Gleichung (12.38) enthält zwei unabhängig zu lösende Teilgleichungen: Alle Terme die mit sin Ωt bzw. cos Ωt multipliziert sind, müssen jeweils für sich die Gleichung erfüllen. Daraus folgen die Teilgleichungen

−AΩ2 − 2δBΩ + ω02 A = fˆ , −BΩ2 + 2δAΩ + ω02 B = 0,

nA

∑ fˆi sin (Ωi t + ϕi ) .

(12.38)

(12.36)

Aufgrund der Verschiebungsregel (Tab. 12.2) ist es ausreichend, eine Lösung für die Anregung f (t) = fˆ sin Ωt zu

die sich als ein lineares Gleichungssystem für A und B in der Form      2 A −2δΩ ω0 − Ω2 fˆ = 2 2 B 0 2δΩ ω0 − Ω umschreiben lassen. Die Lösungen lauten: ω02 − Ω2 fˆ , (ω02 − Ω2 )2 + 4δ2 Ω2 2δΩ B=− 2 fˆ . (ω0 − Ω2 )2 + 4δ2 Ω2

A=

(12.39) (12.40)

Eingesetzt in den Ansatz (12.37) ergibt sich die partikuläre Lösung

(ω 2 − Ω2 ) sin Ωt − 2δΩ cos Ωt , qp = fˆ 0 (ω02 − Ω2 )2 + 4δ2 Ω2 die mithilfe von qˆ p = Form



A2 + B2 und tan ψ = − AB auf die

qp = qˆ p sin(Ωt − ψ)

(12.41)

gebracht werden kann, wobei qˆ p =  tan ψ =



(ω02 − Ω2 )2 + 4δ2 Ω2

2δΩ ω02 − Ω2

,

(12.42)

(12.43)

289

Technische Mechanik

12.4

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Technische Mechanik

Abb. 12.13 Zeitverläufe von zwei Anregungungen f1 (t ) sowie f2 (t ) und den zugehörigen Schwingungen q1 (t ) sowie q2 (t ). Es gilt η1 = 0,53 und η2 = 1,58. Für beide Paare gilt D = 0,2

ψ2 Ω 2 1

Anregung f (t) bzw. Systemantwort q (t)∙ ωd2

290

f1

0

t

f 1 (t) q1(t) f 2 (t) q2(t)

gilt. Es wird nun das dimensionslose Frequenzverhältnis oder das Abstimmungsverhältnis Ω ω0

eingeführt. Damit können unter Verwendung von D = die Gleichungen (12.42) und (12.43) in die Form 1 fˆ  , ω02 (1 − η 2 )2 + 4D2 η 2 2Dη tan ψ = 1 − η2 qˆ p =

δ ω0

(12.44) (12.45)

gebracht werden. Der dimensionslose Term V1 (η ) = 

1 (1 − η 2 )2 + 4D2 η 2

(12.46)

wird Vergrößerungsfunktion Typ 1 genannt. Die Fälle, in denen in (12.42), (12.43), (12.44) und (12.45) Nenner mit dem Wert null auftreten, werden im folgenden Abschnitt „Resonanz“ untersucht.

bzw.

qˆ p 1 1 = V1 (η ) = V1 (η ) 2 ˆF c mω0 (12.47)

schreiben. Es ist typischerweise aus einem dimensionslosen Anteil, hier V1 , und einem dimensionsbehafteten Faktor zusammengesetzt. Dieser Teil ist hier der Kehrwert

ψ 1 Ω1

der Steifigkeit oder die Nachgiebigkeit, was dem Verhältnis Weg pro Kraft entspricht. In Tab. 12.5 sind weitere Verhältnisse zwischen Anregungen und Antworten zusammengestellt. Der Winkel ψ ist die Phasenverschiebung zwischen Anregung und Antwort. Das Amplitudenverhältnis (12.47) als Funktion von η wird auch Amplitudengang genannt. Gleichung (12.45) wird entsprechend als Phasengang bezeichnet. In Abb. 12.13 sind zwei Paare i = 1, 2 von Anregungsfunktion fi (t) und Systemantwort qi (t) dargestellt. Werden, wie in Abb. 12.13, die Anregungsfunktion und die Systemantwort verglichen, können sich diese in Amplitude und Phase unterscheiden. Die Vergrößerungsfunktion und die Phasenverschiebung sind in Abhängigkeit von Ω in Abb. 12.14 dargestellt. Es wird grundsätzlich der unterkritische Bereich, in dem die Anregungsfrequenz Ω kleiner ist als die Eigenkreisfrequenz ω0 bzw. η < 1, vom überkritischen Bereich mit Ω > ω0 bzw. η > 1 unterschieden. Für η = 0 ist V1 = 1, nach Überschreiten von η = 1 gilt V1 (η → ∞ ) = 0. Im Grenzfall des ungedämpften Schwingers mit δ = 0 vereinfacht sich das Übertragungsverhalten zu: 1 , |1 − η 2 | 6 0, für ψ= π, für

V1 (η ) =

Damit lässt sich das Amplitudenverhältnis von Anregungs- zu Antwortamplitude in der Form qˆ p 1 = 2 V1 (η ) ˆf ω0

f2 q2

–1

η=

q1

(12.48) η1

(12.49)

Resonanz Zu beachten ist, dass in (12.42), (12.43), (12.44), (12.45) und (12.48) Nenner mit dem Wert null oder nahe bei null auftreten können. Dies ist der Fall, wenn ω0 = Ω gilt, und gegebenenfalls noch δ = 0 hinzukommt. Werden die Nenner der Amplidudengänge singulär, bedeutet das

12.4

291

Vergrößerungsfunktion V1(η )

Technische Mechanik

5 D = 0,00 D = 0,02 D = 0,05 D = 0,10 D = 0,20 D = 0,50 D = 0,71 D = 1,00 Max.

4,5 4

Amplitudenverhältnis

Abb. 12.14 Vergrößerungsfunktion V1 und Phasenverschiebung eines linearen Schwingers. Die markierten Punkte entsprechen den Lösungen in Abb. 12.13. Die gestrichelte Kurve ist die Lage aller Maxima

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

3,5 3 2,5 2 1,5

1

1 0,5

2

0 0

1

0,5

1,5

2

2,5

2

2,5

Phasengang ψ (η )

Grad

180

2

90 1

0 0

strenggenommen, dass (12.37) keine gültige partikuläre Lösung darstellt. Im theoretischen Grenzfall mit δ → 0 geht V1 (η ) für Ω → ω0 bzw. η → 1 gegen unendlich. Mit Dämpfung verschwindet diese Singularität, dennoch ist in der Nähe von Ω = ω0 für kleine Dämpfungswerte eine deutliche Überhöhung von V1 zu erkennen, die Resonanz. liegt Das Maximum Vmax der Vergrößerungsfunktion √ bei der √Anregungsfrequenz Ωmax = ω0 1 − 2D2 bzw. 4 . Die ηmax = 1 − 2D2 und beträgt Vmax = 1/ 1 − ηmax Lage aller Maxima ist als gestrichelte Linie in Abb. 12.14 eingezeichnet. Es ist zu beachten, dass die Höhe der Antwortamplitude bei gegebener Anregungsamplitude und Frequenz vor allem in der Nähe der Resonanz stark von der Größe des Dämpfungsparameters abhängt. Da dieser Parameter schwer bestimmbar ist, haben gerade Simulationsrechnungen mit Resonanzdurchlauf ein erhebliches Fehlerpotenzial. Die Phasengänge (12.43) und (12.45) haben für ω0 = Ω bzw. η = 1 und δ > 0 die Form tan ψ = >00 , woraus grundsätzlich der Phasenwinkel ψ = π2 folgt. Im ungedämpften Fall ist der Bruch für den Resonanzfall von der Form 00 . Deshalb ist in (12.49) für den Fall η = 1 keine Lösung angegeben. Frage 12.5 Ab welchem Wert des Dämpfungsparameters D hat V1 kein Maximum mehr mit η > 0?

0,5

1 1,5 Frequenzverhältnis η

Linearer Schwinger mit harmonischer Kraftanregung

Die Antwortamplitude des Schwingers ist proportional zur Anregungsamplitude. Die Größe der Antwortamplitude hängt stark von der Anregungsfrequenz ab. In der Nähe von η = 1, d. h. Ω ∼ = ω0 , tritt Resonanz auf: Der Schwinger zeigt eine große, im Grenzfall verschwindender Dämpfung, unendliche Antwortamplitude. Im unterkritischen Bereich η < 1 ist die Antwort gleichphasig zur Anregung, für η > 1 ist sie gegenphasig mit dem Grenzwert ψ → 180◦ für η → ∞. Dazwischen gibt es einen kontinuierlichen Übergang. Bei η = 1 gilt immer ψ = 90◦ . Das Verhältnis von Antwort- zu Anregungsamplitude als Funktion von η wird als Amplitudengang bezeichnet, ψ(η ) als Phasengang.

Fundamentkraft bei Kraftanregung Gerade beim krafterregten Schwinger stellt sich oft die Frage nach der Fundamentkraft: FF = cqp + dq˙ p , welche die Feder und der Dämpfer gemeinsam auf den Boden ausüben. Wird hier die Lösung von (12.41) eingesetzt, ergibt sich: FF = qˆ p [c sin(Ωt − ψ) + dΩ cos(Ωt − ψ)] ,

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen Vergrößerungsfunktion V2( η) 5 D = 0,00 D = 0,02 D = 0,05 D = 0,10 D = 0,20 D = 0,50 D = 0,71 D = 1,00 Max.

4,5 4

Amplitudenverhältnis

Technische Mechanik

Abb. 12.15 Vergrößerungsfunktion V2 und Phasenverschiebung eines linearen Schwingers

3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 0

1

0,5

1,5

2

2,5

2

2,5

Phasengang ψ (η ) – a (η ) 180

Grad

292

90 0 0

was durch Ausklammern von c zunächst die Form   dm Ω cos(Ωt − ψ) FF = qˆ p c sin(Ωt − ψ) + m c und durch Zusammenfassen von 2D = die Form

d mω0

und η =

FF = qˆ p c [sin(Ωt − ψ) + 2Dη cos(Ωt − ψ)]

1 1,5 Frequenzverhältnis η

0,5

Tab. 12.3 Maxima der Vergrößerungsfunktionen Vmax V1 Ω ω0

V2

√1 2D 1−D2 √ k  2 1− k−21 +k−1

ηmax √ 1 − 2D2

V ( η = 1) 1 2D





k −1 2D

1+4D2 2D

4D

(12.50)

erhält. Es wird nun qˆ p mit (12.46) und fˆ gemäß (12.36) ersetzt, und es ergibt sich:

V3

2D

√1

1 − D2



1 1−2D2



V4

zu kompliziert zu kompliziert √ Bei V2 wurde k = 1 + 8D2 verwendet grobe Näherung für alle: Vmax =

ˆ 1 [sin(Ωt − ψ) + 2Dη cos(Ωt − ψ)] . FF = FV

1 2D

1 2D

1+4D2 2D

für D < 0,1

Der Klammerausdruck lässt sich als

[sin(Ωt − ψ) + 2Dη cos(Ωt − ψ)]  = 1 + 4D2 η 2 sin(Ωt − ψ + α)

(12.51)

mit tan α = 2Dη darstellen. Es wird eine neue Vergrößerungsfunktion Typ 2   1 + 4D2 η 2 Fˆ F = 1 + 4D2 η 2 V1 (η ) =  V2 (η ) = Fˆ (1 − η 2 )2 + 4D2 η 2 (12.52)

Bewegungslösung bei Unwuchterregung

eingeführt. Der zugehörige Phasengang lautet: 2Dη − arctan 2Dη. ψ − α = arctan 1 − η2

Die sich aus (12.52) und (12.53) ergebenden Funktionen von η sind in Abb. 12.15 dargestellt. Die Formeln der Resonanzmaxima (gestrichelte Kurve in Abb. 12.15) sind in Tab. 12.3 zusammengestellt. Da Fˆ und Fˆ F die gleiche physikalische Dimension haben, ist V2 (η ) bereits der dimensionslose Amplitudengang. Oberhalb des Wertes η = √ 2 ist die resultierende Fundamentkraft kleiner als die Anregungskraft. Dieser Effekt kann für die Isolation von periodischen Kräften ausgenutzt werden.

(12.53)

Die Unwuchterregung ist ein Modell für Maschinen oder Anlagen, die durch Unwucht sogenannte Massenkräfte erzeugen. Die Federung kann entweder eine gezielt einge-

12.4 Abb. 12.17 Vergrößerungsfunktion V3 und zugehörige Phasenverschiebung eines linearen Schwingers

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

293

Vergrößerungsfunktion V3(η ) D = 0,00 D = 0,02 D = 0,05 D = 0,10 D = 0,20 D = 0,50 D = 0,71 D = 1,00 Max.

4,5 4

Amplitudenverhältnis

Technische Mechanik

5

3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 0

0,5

1

1,5

2

2,5

2

2,5

Phasengang ψ (η )

Grad

180 90 0 0

mu/2 Ω m

0,5

Erkennbar ist die enge Verwandtschaft zu (12.36), wenn ˆ 2 2 fˆ = U m ω0 η gesetzt wird. Somit kann sofort auf (12.44) zurückgegriffen und die Lösung für die Unwuchterregung

q(t)

qˆ p = c

d

1 1,5 Frequenzverhältnis η

ˆ ˆ η2 U U  = η 2 V1 (η ) m (1 − η 2 )2 + 4D2 η 2 m

(12.54)

angegeben werden. Die Phasenbeziehung ist identisch mit (12.45). An dieser Stelle wird die Vergrößerungsfunktion Typ 3 Abb. 12.16 Einmassenschwinger mit Unwuchtanregung

V3 (η ) = η 2 V1 =  brachte elastische Aufstellung oder z. B. eine nachgiebige Gebäudedecke sein. Die Unwucht U = mU rU eines Rotors ist eine vektorielle Größe aus dem Produkt der Masse mU und dem kürzesten Ortsvektor rU von der Drehachse zum Schwerpunkt der Rotormasse. Sie hat die Dimension kg m. Die ˆ = mU |rU |. Durch geUnwuchtamplitude lautet somit U genläufige Rotoren, wie in Abb. 12.16 angedeutet, lässt sich eine ausschließlich vertikal wirkende Unwucht erzeugen. Die Bewegungsgleichung lautet in diesem Fall ˆ = mU |rU | und der Gesamtmasse m: mit U ˆ sin Ωt m¨q + dq˙ + cq = Ω U 2

und nach der Division durch m: ˆ ˆ U U q¨ + 2δq˙ + ω02 q = Ω2 sin Ωt = ω02 η 2 sin Ωt. m m

η2

(1 − η 2 )2 + 4D2 η 2

eingeführt, die in Abb. 12.17 dargestellt ist. Im Unterschied zu V1 führt V3 bei geringen Werten von η bzw. Ω nur zu einer geringen Antwortamplitude, weil die Anregungskraft proportional zu Ω2 ist und bei geringer Drehfrequenz gegen Null geht. Die Formeln der Resonanzmaxima (gestrichelte Kurve in Abb. 12.17) sind in Tab. 12.3 zusammengestellt.

Fundamentkraft bei Unwuchterregung Auch bei der Unwuchterregung ist die Fundamentkraft, die ja die tatsächliche dynamische Belastung des Untergrunds unter der Maschine beschreibt, von großer Bedeutung. Die Herleitung erfolgt analog zum Abschnitt „Fundamentkraft bei Kraftanregung“. In (12.50) wird qˆ p

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Technische Mechanik

Beispiel: Vertikalbewegung eines Fahrzeugs beim Übergang auf eine Schlechtwegstrecke Gerade bei Fahrzeugen und deren Federung ist nicht nur das stationäre Verhalten bei einer konstanten Anregung entscheidend, sondern auch die unmittelbare Reaktion auf eine Fahrbahn-Störung. Hierbei kommt es zu einer Überlagerung von angeregten Eigenschwingungen und erzwungenen Schwingungen, die in der Summe kurzfristig eine große Amplitude hervorbringen können. Die Maximalamplitude ist aber wesentlich für die Auslegung der Festigkeit von Komponenten und den Komfort des Fahrzeugs. Problemanalyse und Strategie: Betrachtet wird die Fahrt eines Fahrzeugs mit konstanter Geschwindigkeit v von einer ideal glatten Fahrbahn auf eine Schlechtwegstrecke, die vereinfachend als Sinuswelle mit konstanter Wellenlänge λ angenommen wird. Das Fahrzeug wird als linear-viskoelastisch gefedertes Viertelfahrzeug modelliert. Das ist ein Einmassenschwinger, der eine Radaufhängung als Feder sowie ein Viertel der Fahrzeugmasse enthält. Wenn sich das Fahrzeug mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, verursacht die Fahrbahnwelle eine harmonische Fußpunktanregung. Lösung: v v m d

y c

u λ 0

x

die Lösung für die vertikale Bewegung des Fahrzeugs aus homogenem und partikulärem Anteil: y(t) = e−δt (A cos ωd t + B sin ωd t) ˆ 2 (η ) sin(Ωt − ψ + α). + uV Zu bestimmen sind nun die Integrationskonstanten A und B aus den Anfangsbedingungen y(0) = 0 und y˙ (0) = 0: Das Fahrzeug soll vertikal in Ruhe und im Gleichgewicht sein, bevor es in die Schlechtwegstrecke einfährt. Um (12.59) und (12.60) anwenden zu können, müssen ˆ 2 (η ) sin(−ψ + α) yp (0) = uV

ausgewertet werden. Ein beispielhaftes Fahrzeug hat ungedämpft eine typische Aufbau-Eigenfrequenz von f = 1,2 Hz, was einer Eigenkreisfrequenz von ω0 = 7,54 rad/s entspricht. Das Fahrzeug hat ein Dämpfungsmaß D = 0,3. Die Kreisfrequenz des gedämpften Systems beträgt somit ωd = 7,1925 rad/s. Die Wellenlänge der Fahrbahn soll λ = 2 m, die Amplitude uˆ = 50 mm und die Fahrgeschwindigkeit v = 10 m/s betragen. Daraus resultieren eine Anregungsfrequenz Ω = 31,415 rad/s und ein Frequenzverhältnis η = 4,1667. Damit werden die Vergrößerungsfunktion V2 = 0,1627, die Phasenwinkel ψ = 2,99 rad = 171◦ sowie α = 1,19 rad = 68,2◦ berechnet. Wie im überkritischen Bereich gewünscht, hat V2 einen Wert deutlich kleiner als Eins. Dadurch wird nach dem Ausschwingen die Anregungsamplitude uˆ = 50 mm auf die Aufbauamplitude von lediglich yˆ = 8,135 mm reduziert.

Die Schlechtwegstrecke wird durch die Funktion  x für x ≥ 0 u(x) = uˆ sin 2π λ mit der Amplitude uˆ der Fahrbahnwellen beschrieben. Wird hier der Weg des Fahrzeugs, der sich aus der Fahrgeschwindigkeit x(t) = vt ergibt, eingesetzt, ergibt sich:  v  u (x(t)) = uˆ sin 2π t , λ was sich als u(t) = uˆ sin(Ωt)

mit

v Ω = 2π λ

schreiben lässt. Die Vertikalbewegung des Fahrzeugs soll hier durch die Koordinate y(t) beschrieben werden. Unter Verwendung der Daten aus Tab. 12.4 lautet

und

ˆ y˙ p (0) = uΩV 2 ( η ) cos(− ψ + α )

Einschwingen Schlechtwegstrecke 20 homogene Lösung partikuläre Lösung Gesamtbewegung

15

Aufbaubewegung (mm)

294

10 5 0 –5 –10 –15 0

0,2

0,4

0,6

0,8

1 1,2 Zeit (s)

1,4

1,6

1,8

2

12.4

Kommentar Die Aufgabe zeigt, dass ein Einschwingvorgang eine Überlagerung von Systemantwort und Abb. 12.18 Vergrößerungsfunktion V4 und zugehörige Phasenverschiebung eines linearen Schwingers

Eigenschwingung des Systems ist. Die Eigenschwingung klingt durch Dämpfung immer ab, langfristig verbleibt als stationäre Lösung die partikuläre Lösung. Bei hochfrequenten und langfristigen Vorgängen ist somit häufig die partikuläre Lösung ausreichend. Das Viertelfahrzeug ist eine grobe Vereinfachung, die hier verwendete Wellenlänge ist geringer als der typische Radstand. Das Fahrzeug würde sowohl zu Vertikal- als auch zu Nickschwingungen angeregt, was aber ein Modell mit mindestens zwei Freiheitsgraden  erfordert. Vergrößerungsfunktion V4(η )

5 D = 0,00 D = 0,02 D = 0,05 D = 0,10 D = 0,20 D = 0,50 D = 0,71 D = 1,00 Max.

4,5

Amplitudenverhältnis

4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 0

0,5

1

1,5

2

2,5

2

2,5

Phasengang ψ (η ) – α (η )

Grad

180 90 0 0

gemäß (12.54) eingesetzt, und es ergibt sich: FF =

ˆ 2 U η V1 c [sin(Ωt − ψ) + 2Dη cos(Ωt − ψ)] . m

Das Amplitudenverhältnis von Unwucht und Kraft lautet:  Fˆ F = ω02 η 2 V1 1 + 4D2 η 2 , ˆ U woraus sich die Vergrößerungsfunktion Typ 4   η 2 1 + 4D2 η 2 2 2 2 1 + 4D η V1 =  V4 (η ) = η (1 − η 2 )2 + 4D2 η 2 ableiten lässt. Der zugehörige Phasengang ist identisch mit (12.53). Zusammen mit dem Amplitudengang ist er in Abb. 12.18 dargestellt. Diese Vergrößerungsfunktion beginnt für Ω = 0 mit V4 = 0, kann aber für große

0,5

1 1,5 Frequenzverhältnis η

295

Technische Mechanik

Die grüne Kurve zeigt yp (t), eine harmonische Schwingung mit der Kreisfrequenz Ω, die blaue Kurve den durch den Übergang angeregten abklingenden Anteil yh (t) (A = 7,922 mm, B = 10,552 mm) mit der Kreisfrequenz ωd . Die rote Gesamtlösung erreicht einmalig eine Maximalamplitude ymax = 18,37 mm im Vergleich zum stationären Zustand mit yˆ = 8,135 mm.

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

Dämpfungswerte gegen Unendlich gehen. Wird ein Unwuchtschwinger mit extrem „harter“ Dämpfung an das Fundament angebunden, wird die Unwuchtkraft, die mit steigender Drehzahl immer weiter steigt, hart auf den Boden übertragen. Hier zeigt sich, dass eine große Dämpfung eines Schwingungssystems einen Nachteil darstellen kann. Bewegungslösung bei Fußpunkterregung Der fußpunkterregte Schwinger oder auch Schwinger mit rheonomer Weganregung ist ein technisch wichtiger Fall, der vor allem für Schwingungs-Isolationsprobleme bei äußeren Anregungen das geeignete Modell ist (Abb. 12.20). Dieses tritt z. B. in folgenden Situationen auf: Die schwingungsisolierte Aufstellung von empfindlichen Maschinen und Anlagen in rauer Umgebung, z. B. auf schwingenden Hallenböden.

296

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Technische Mechanik

Tab. 12.4 Einmassenschwinger mit verschiedenen Anregungskonfigurationen

Allgemeine Bewegungsgleichung: q¨ + 2δq˙ + ω02 q = f (t) äußere Kraftanregung

Unwuchterregung

Wegerregung

mu/2

F(t)

Ω m

m q(t)

m q(t)

q(t) c

c c

d

d

d u (t)

Allgemeine Erregungsfunktion der Form f (t) = fˆ sin( Ωt + α), ggf. α = 0 Fˆ m

ˆ U 2 mΩ

sin Ωt

Partikuläre Lösung qp (t) = Fˆ c V1 ( η ) sin( Ωt − ψ )

uˆ m (c sin Ωt + dΩ cos Ωt) =  ˆ 02 1 + 4D2 η 2 sin ( Ωt + α) uω

sin Ωt

fˆ V ( η ) sin( Ωt − ψ + ω02 1

ˆ U m V3 ( η ) sin( Ωt − ψ )

α)

ˆ 2 ( η ) sin( Ωt − ψ + α) uV

Komplexe Übertragungsfunktion G( η ) qˆ

p





= 1c V1 (η )e−jψ

p

ˆ U

=



1 −jψ m V3 ( η )e

p



= V2 (η )e−jψ

Fundamentkraft bzw. Anregungskraft der Wegerregung FF (t) ˆ 2 ( η ) sin( Ωt − ψ + α) FV

ˆ 2 V4 ( η ) sin( Ωt − ψ + α) Uω 0

ˆ 4 ( η ) sin( Ωt − ψ + α) −ucV

Vergrößerungsfunktionen V1 ( η ) = √ V2 ( η ) =



1 (1− η 2 )2 +4D2 η 2

1 + 4D2 η 2 · V1 ( η ) = √

V3 ( η ) = η 2 · V1 ( η ) = √



Phasengänge

1+4D2 η 2

tan ψ =

(1− η 2 )2 +4D2 η 2

η2 (1− η 2 )2 +4D2 η 2

η V4 ( η ) = η 2 · V2 ( η ) = √

√ 2

2Dη 1− η 2

tan α = 2Dη

1+4D2 η 2

(1− η 2 )2 +4D2 η 2

Die Auslegung von Fahrzeugfahrwerken, die Unebenheiten der Fahrbahn möglichst vom Fahrgast oder der Nutzlast fernhalten sollen. Die Bewegungsgleichung bei einer Anregung mit u(t) = uˆ sin Ωt lautet: m¨q + dq˙ + cq = uˆ (c sin Ωt + dΩ cos Ωt) . Nach Division durch m und Umformung der rechten Seite verbleibt:

F(t)

m q(t) c

d

u (t)

ˆ 02 (sin Ωt + 2Dη cos Ωt) . q¨ + 2δq˙ + ω02 q = uω Der Klammerausdruck auf der rechten Seite kann analog zu (12.51) in  ˆ 02 1 + 4D2 η 2 sin(Ωt + α) q¨ + 2δq˙ + ω02 q = uω mit α = arctan 2Dη umgeformt werden. Somit ist auch die Bewegungsgleichung des fußpunkterregten Schwingers strukturell identisch mit (12.35), es gilt fˆ =

Abb. 12.20 Einmassenschwinger mit Fußpunktanregung

 ˆ 02 1 + 4D2 η 2 . Bei der Übernahme des Lösungswegs ab uω (12.41) muss aber auf die Phasenverschiebung α geachtet werden, wobei qp (t) = qˆ p sin(Ωt − ψ + α)

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

Vertiefung: Komplexe Zeiger als Darstellungsform harmonischer Signale Jedes harmonische Signal q(t) = qˆ sin(Ωt + ϕ) der Kreisfrequenz Ω wird durch seine Amplitude qˆ und die Phase ϕ vollständig beschrieben. Diese beiden Informationen lassen sich in einer komplexen Zahl zusammenfassen. Damit lassen sich Anregungssignale und Systemantworten linearer Schwinger einfach darstellen. Eine komplexe Zahl lässt sich als Zeiger oder komplexe Amplitude qˆ in der komplexen Ebene darstellen. Komplexe Größen werden gemäß DIN 1311 und wie in der Elektrotechnik üblich (Abschn. 36.3) mit Unterstrich geschrieben. Die Länge des Zeigers ist der Betrag qˆ = qˆ , als Phase ϕ = ∠ qˆ wird der Winkel zur reellen Achse bezeichnet: qˆ = qˆ ejϕ = qˆ (cos ϕ + j sin ϕ). Die komplexe Amplitude enthält somit eine Amplituden- und eine Phaseninformation. Die Multiplikation des Zeigers qˆ mit ejα dreht den Zeiger um den Winkel α weiter. Die komplexe Funktion q(t) = qˆ ejΩt beschreibt somit einen konstant mit der Winkelgeschwindigkeit Ω rotierenden Zeiger. Wird unter Ausnutzung von ejx = cos x + j sin x nur der Imaginärteil q(t) = Im(q(t)) betrachtet, was einer Projektion auf die q(t) = q · e jΩt

Projektion

Im

f(t) = f · e jΩt

imaginäre Achse entspricht, verbleibt von der Rotation des Zeigers eine harmonische reelle Bewegung q(t) über der Zeit mit der Amplitude qˆ und der Phase ϕ:     q(t) = qˆ sin(Ωt + ϕ) = qˆ Im ej(Ωt+ ϕ) = Im qˆ ejΩt Diese Gleichung kann grundsätzlich in beide Richtungen ausgewertet werden: Reelle Funktionen können komplex erweitert werden, um Operationen im Komplexen durchzuführen und werden anschließend wieder zurück in die reelle Welt projiziert (Abb. 12.21). Für die komplexe Erweiterung einer Kosinus-Funktion muss zunächst cos x = sin(x + π2 ) angewendet werπ π den. Aus ej(x+ 2 ) = ejx ej 2 = jejx lässt sich schließen, dass die komplexe Amplitude einer Kosinus-Funktion qˆ = jˆq das Produkt der entsprechenden Amplitude qˆ c s s einer Sinusfunktion mit der imaginären Einheit ist. Zwei harmonische Signale gleicher Frequenz q(t) = qˆ sin(Ωt + ϕq ) und f (t) = fˆ sin(Ωt + ϕf ) lassen sich im Komplexen leicht durch die Multiplikation mit einer komplexen Konstanten G in Beziehung setzen: Es gilt q(t) = Gf (t) und somit auch qˆ = Gfˆ . Der Betrag |G| skaliert die Amplitude qˆ = |G| fˆ und der Winkel ϕG = ∠G beschreibt die Phasenverschiebung ϕq = ϕf + ϕG . q(t) = q · sin (Ωt + φq) f (t) = f · sin (Ωt + φq)

f

φF

q Ωt1

φF

Ωt1

φq

φ

q 2

Re q·e

jΩt1

φq

f

t Ω

f · e jΩt1

Abb. 12.19 Komplexe Zeiger und zugehörige harmonische Schwingungen

gilt. Die Antwortamplitude qˆ p ergibt sich aus (12.44) zu  1 + 4D2 η 2 ˆ 2 ( η ), ˆqp = uˆ  = uV (1 − η 2 )2 + 4D2 η 2 was auf die Vergrößerungsfunktion Typ 2 führt. Der Phasengang ist identisch mit (12.53). Die Fußpunkter-

regung zeigt im Weg-Amplituden-Verhältnis qˆ p /uˆ ein identisches Verhalten zum Kraft-Amplituden-Verhältnis Fˆ F /Fˆ des krafterregten Schwingers: Im Bereich der Resonanz führt die Dämpfung zu einer Verminderung des Amplituden-Verhältnisses, im überkritischen Bereich √ ab η > 2 erhöht die Dämpfung die Anwortamplitude.

297

Technische Mechanik

12.4

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

ˆ 3 (η ) sin(Ωt − ψ). qr (t) = qp (t) − u(t) = −uV Daraus folgt für die Bodenkraft (Zwangskraft): FF = cqr (t) + dq˙ r (t), was sich zu

Anregung

Technische Mechanik

Gerade beim Rad-Fahrbahn-Kontakt ist die Kraft zwischen Schwinger-Fußpunkt und anregenden Bodenwellen von großem Interesse. Mechanisch gesehen ist das die Zwangskraft, die der rheonomen Bindung u(t) beigeordnet ist. Die Relativauslenkung qr (t) zwischen Masse und Anregung ergibt sich zu:

reell

komplex f (t) = f e j Ωt

f (t) = f sin Ω t

Übertragung

Zwangskraft der Fußpunkterregung

q f

= |G(Ω )|

q = G(Ω ) f q = |G(Ω )| e–jψf

ψ = – G((Ω )

Antwort

298

q (t) = q e j Ω t

q(t) = q sin(Ω t – ψ )

Abb. 12.21 Ablauf der Bildung einer reellen Systemantwort q (t ) durch Übertragung der Anregung f (t ) in den Raum der komplexen Zahlen, und Rückübertragung der gefundenen Antwort

ˆ 3 (η ) [sin(Ωt − ψ) + 2Dη cos(Ωt − ψ)] FF = −ucV und schließlich ˆ 3 (η ) FF = −ucV



1 + 4D2 η 2 sin(Ωt − ψ + α)

gelöst werden. Es wird ein Lösungsansatz vom Typ der rechten Seite q(t) = qˆ ejΩt gemacht, wofür noch dessen Ableitungen q˙ (t) = jΩˆqejΩt ,

ˆ 4 (η ) sin(Ωt − ψ + α) FF = −ucV mit α = arctan 2Dη zusammenfassen lässt. In der Tab. 12.3 sind nochmals die Maxima der Vergrößerungsfunktionen V1 bis V3 zusammengefasst. Zudem liefert die Tabelle Näherungsformeln für den Maximalwert von V bei Resonanz. Berechnung mit komplexen Zahlen und komplexen Übertragungsfunktionen Bei der bisherigen Darstellung des Übertragungsverhaltens wurde immer eine Lösung im Reellen gefunden. Die Verwendung komplexer Amplituden kann die Berechnung jedoch erheblich vereinfachen. Zur Lösung linearer Schwingungssysteme lässt sich folgendermaßen vorgehen: Die partikuläre Lösung der Differenzialgleichung infolge einer komplexen Anregungsfunktion f (t) ist eine komplexe Lösung q(t). Wenn die tatsächliche, reelle Anregung f (t) der Imaginärteil von f (t) ist, dann ist die reelle Zeitlösung q(t) ebenfalls der Imaginärteil von q(t). Dieser Lösungsprozess ist in Abb. 12.21 dargestellt.

q¨ (t) = (jΩ)2 qˆ ejΩt = −Ω2 qˆ ejΩt gebildet werden müssen. Es werden nun in die Differenzialgleichung für f (t) sowie q(t) und dessen Ableitungen die komplexen Funktionen eingesetzt, und es ergibt sich zunächst:

−Ω2 qˆ ejΩt + 2δjΩˆqejΩt + ω02 qˆ ejΩt = fˆ ejΩt , was nach Division durch ejΩt zu   qˆ −Ω2 + 2δjΩ + ω02 = fˆ zusammengefasst werden kann. Die Lösung lautet: qˆ =

(ω02

!

wie sie z. B. als (12.36) hergeleitet wurde, komplex in der Form q¨ + 2δq˙ + ω02 q = fˆ ejΩt

bzw.

qˆ = G( Ω ) fˆ

(12.55)

G( Ω )

mit der komplexen Übertragungsfunktion G. Nach den Rechenregeln der komplexen Zahlen skaliert der Betrag von G die Amplitude von fˆ auf qˆ und die Phase von G verschiebt die Phase zwischen f (t) und q(t). Für komplexe Zahlen der Form c = a+1 jb mit reellen a und b gilt:

| c| = √

Hier soll die normierte Differenzialgleichung q¨ + 2δq˙ + ω02 q = fˆ sin Ωt,

1 fˆ − Ω2 ) + 2jδΩ "# $

1 a2 + b2

und

b tan ∠c = − . a

Somit gilt

|G(Ω)| =

qˆ 1 =  , ˆf (ω02 − Ω2 )2 + (2δΩ)2

tan ∠G(Ω) = tan ϕG = − tan ψ = −

2δΩ . ω02 − Ω2

(12.56)

(12.57)

Diese Gleichungen sind identisch mit (12.42) und (12.43), wobei das negative Vorzeichen der Phase daher kommt, dass die Phasenverschiebung ψ in (12.41) negativ definiert ist: Eine Systemantwort muss ihrer Anregung immer nacheilen. Im komplexen Zeigerdiagramm (Abb. 12.19) ist deshalb der Antwortzeiger qˆ immer mathematisch negativ gegenüber dem Anregungszeiger fˆ gedreht. Komplexe Übertragungsfunktion

Die komplexe Übertragungsfunktion G( Ω ) =

(ω02

1 − Ω2 ) + 2jδΩ

stellt den vollständigen Zusammenhang zwischen der komplexen Amplitude der Systemantwort qˆ und der Anregung fˆ dar. Sie beinhaltet den Amplitudenund Phasengang. Durch Einführung von η = funktion als G( η ) =

Ω ω0

kann die Übertragungs-

1 1 ω02 (1 − η 2 ) + 2jDη

dargestellt werden, was sich mit Rückgriff auf (12.56), (12.57) und (12.46) auch als G(η ) =

1 V1 (η )e−jψ ω02

schreiben lässt. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass die Lösungen A und B der Gleichungen (12.39) und (12.40) den mit fˆ multiplizierten Real- und Imaginärteil der Übertragungsfunktion bilden: G( η ) =

1 (A + jB). fˆ

Frage 12.6 Wie lautet die reelle Übertragungsfunktion G für D = 0?

Schwinggeschwindigkeit und -beschleunigung In den vorangegangenen Abschnitten ist immer das Übertragungsverhalten von Anregungskraft zu Schwingweg oder Anregungsweg zu Schwingweg betrachtet worden. Für viele technische Fragestellungen ist allerdings die Schwinggeschwindigkeit oder -beschleunigung von Interesse. Gerade die Beschleunigung ist besonders wichtig, da sie einerseits messtechnisch sehr einfach zu erfassen ist und andererseits für die Bewertung des Komforts von

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

schwingenden Systemen, wie bei gefederten Fahrzeugaufbauten, verwendet wird. Die Schwinggeschwindigkeit und -beschleunigung eines harmonischen Signals ergeben sich aus der Multiplikation mit Ω sowie einer Phasenverschiebung q(t) = qˆ sin(Ωt − ψ),

 π , q˙ (t) = qˆ Ω cos(Ωt − ψ) = qˆ Ω sin Ωt − ψ + 2 q¨ (t) = −qˆ Ω2 sin(Ωt − ψ) = qˆ Ω2 sin(Ωt − ψ + π ). Es kann somit eine Geschwindigkeitsamplitude vˆ = Ωˆq sowie eine Beschleunigungsamplitude aˆ = Ωvˆ = Ω2 qˆ eingeführt werden. Mit (12.47) und (12.55) können neue Übertragungsfunktionen gebildet werden, die eine Beziehung zwischen Kraft und Geschwindigkeit oder Kraft und Beschleunigung angeben. Die Beziehung qˆ vˆ =Ω ˆF Fˆ

oder komplex

qˆ vˆ = jΩ ˆF Fˆ

wird als mechanische Admittanz bezeichnet. Die Beziehung qˆ aˆ = Ω2 Fˆ Fˆ

oder komplex

qˆ aˆ = − Ω2 Fˆ Fˆ

trägt den Namen Akzeleranz. In Tab. 12.5 sind die Namen aller Übertragungsfunktionen zwischen Kraft und den kinematischen Größen dargestellt. Harmonisch erregte, lineare Schwingungssysteme

Eine harmonische Anregung eines linearen Schwingers führt zu einer harmonischen Systemantwort in der Anregungsfrequenz. Anregung und Antwort hängen durch ein Amplitudenverhältnis und einen Phasenunterschied zusammen. In einer komplexen Übertragungsfunktion können beide Informationen vereinigt werden. Anregung und Antwort können eine unterschiedliche physikalische Dimension haben. Anregungen bei mechanischen Systemen sind zumeist Kräfte oder Wege. Die gesuchten Systemantworten sind Wege, Geschwindigkeiten, Beschleunigungen oder Kräfte. Das Amplitudenverhältnis besteht jeweils aus einer dimensionslosen Vergrößerungsfunktion und systemspezifischen dimensionsbehafteten Faktoren.

299

Technische Mechanik

12.4

300

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Technische Mechanik

Tab. 12.5 Bezeichnung von Übertragungsfunktionen gemäß DIN 1311

von/zu Schwingweg Schwinggeschwindigkeit Schwingbeschleunigung Kraft

Mit dem Superpositionsprinzip kann die Systemantwort auf beliebige Anregungen aufgebaut werden

Kraft als Antwort dynamische Steifigkeit mechanische Impedanz dynamische Masse Quellenisolation

x 4f π

Bereits bei (12.35) wurde angedeutet, dass ein Schwingungssystem q¨ + 2δq˙ + ω02 q =

nA

i=1

qp ( t ) =

i=1

Beispiel Ein Schwinger mit der Eigenkreisfrequenz ω0 und dem Dämpfungsmaß D soll durch ein symmetrisches rechteckförmiges Kraftsignal mit der Grundfrequenz Ω und der Amplitude Fˆ angeregt werden. Die Fourier-Reihe dieses Signals lautet: 4Fˆ π

 sin Ωt +

 1 1 sin 3Ωt + sin 5Ωt + . . . . 3 5 (12.58)

Die Anregungsamplituden lassen sich daraus zu 6 fˆi =

4Fˆ mπi ,

0,

für für

i ungerade i gerade

fˆi V1 (ηi ) ω02

sowie

ψi = arctan

3

4

5

6

ω Ω

4Fˆ cπ



V1 (ηi ) sin(iΩt − ψi ). i i=1,3,...





Es ist auch bei der Addition vieler partikulärer Teillösungen zu beachten, dass die Gesamtlösung nA

q(t) = e−δt (A cos ωd t + B sin ωd t) + ∑ qpi (t) i=1

aus der Lösung der homogenen Differenzialgleichung und einem partikulären Teil zusammengesetzt ist. Häufig treten in der Praxis Einschwingvorgänge auf, bei denen ein Schwinger zum Zeitpunkt t = 0 in Ruhe ist (q(0) = 0, q˙ (0) = 0) und ab diesem Moment die Anregung einsetzt. Dabei darf die homogene Lösung nicht vernachlässigt werden. Die Bestimmungsgleichungen für die Integrationskonstanten der homogenen Lösung lauten in diesem Fall analog zu (12.17): nA

ablesen, zudem gilt die Phase ϕi = 0 für alle Summanden der Reihe (siehe Abb. 12.22). Für den Aufbau der Lösung werden Amplitude und Phase der ungeraden Ordnungen unter Verwendung von ηi = iΩ ω0 durch qpi =

2

bestimmt; für die geraden Ordnungen gilt qˆ pi = 0 und ψi = 0. Die partikuläre Lösung ergibt sich aus der Summe der Teillösungen für alle Ordnungen:

nA

∑ qpi (t).

Die Möglichkeit, bei linearen Systemen die Gesamtlösung für eine Summe von Anregungen aus der Summe der Teillösungen für jede Anregung zu bilden, wird als Superpositionsprinzip bezeichnet (Tab. 12.2).

F ( t) =

1

Abb. 12.22 Diskretes Spektrum eines Rechtecksignals mit der Grundkreisfrequenz Ω. Dargestellt sind die ersten drei Harmonischen

∑ fi (t)

durch eine Summe von Funktionen angeregt werden kann, wobei nA die Zahl der Anregungsfunktionen ist. Sind nun die separaten partikulären Lösungen qpi (t) für jede der Anregungen fi (t) bekannt, ergibt sich die komplette partikuläre Lösung als Summe der Teillösungen qp ( t ) =

Kraft als Anregung dynamische Nachgiebigkeit, Rezeptanz Admittanz, Mobilität dynamische Trägheit, Akzeleranz

2Dηi . 1 − ηi2

A = − ∑ qpi (0), i=1

B=−

1 ωd

nA



i=1



δqpi (0) + q˙ pi (0) ,

(12.59) (12.60)

wobei qpi (0) und q˙ pi (0) die Lagen bzw. Geschwindigkeiten der Anteile der partikulären Lösung zum Zeitpunkt t = 0 darstellen.

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

Beispiel: Auslegung der schwingungsisolierten Aufhängung eines Geräts Ein empfindliches Steuergerät, ein Messsystem oder eine Präzisionswaage ist in einer vibrierenden Umgebung so zu montieren oder aufzustellen, dass die Umgebungsschwingungen möglichst wenig darauf einwirken. Naheliegend ist es, das zu isolierende Gerät mit einer Feder-Dämpfer-Kombination nur indirekt an die Umgebung zu koppeln. Zusammen mit der Eigenmasse des Geräts stellt dieses System einen fußpunkterregten Einmassenschwinger dar.

Problemanalyse und Strategie: Bei einer einfachen Herangehensweise mit der Theorie der linearen Schwinger können die Steifigkeit und Dämpfung der Aufstellung variiert werden, um die gewünschte Isolation zu erreichen. Bei stationären Mess- und Wägesystemen kann auch die Masse, z. B. durch eine zusätzliche massive Fundamentplatte modifiziert werden. In Fahrzeugen kommt die Zusatzmasse aus Gewichtsgründen i. d. R. nicht infrage. Mit Variation von Steifigkeit und Dämpfung wird ein „Betriebspunkt“ in der Vergrößerungsfunktion eingestellt, um das gewünschte Schwingungsverhalten zu erreichen.

Lösung: Als Beispiel für eine derartige Auslegung soll ein kleines Steuergerät der Masse m = 1 kg betrachtet werden, das an einem Verbrennungsmotor montiert werden soll. Das Gerät ist empfindlich gegen Lasten durch Schwingungen. In der Spezifikation des Geräts ist eine maximale Beschleunigungsamplitude aˆ Gmax,d = 5 m/s2 im Dauerbetrieb sowie kurzfristig aˆ Gmax,k = 30 m/s2 angegeben. Der Motor läuft im Dauerbetrieb mit einer stationären Drehzahl, die an der Montagestelle des Geräts eine Schwingungsanregung von aˆ M = 10 m/s2 bei fd = 20 Hz verursacht. Bei gelegentlichem Start und Stopp des Motors wird der Drehzahlbereich vom Stillstand bis zur stationären Betriebsdrehzahl durchlaufen. Dabei soll vereinfachend angenommen werden, dass die Anregungsamplitude ebenfalls konstant aˆ M = 10 m/s2 im Bereich von 0 Hz bis 20 Hz beträgt. Der Vergleich der zulässigen Beschleunigungsamplitude aˆ Gmax,d des Geräts mit der Anregungsamplitude des Motors aˆ M zeigt sofort, dass das Gerät nicht direkt auf dem Motor montiert werden kann. Es ist eine Schwingungsisolation durch eine elastische Montage, z. B. mit Gummielementen erforderlich. Diese soll mit einem Ersatzmodell ausgelegt werden, d. h., es sollen die erforderliche Steifigkeit c und die Dämpfung d bestimmt werden.

Gerät m q(t) c

Maschine

d

u(t)

Der Blick auf die Vergrößerungsfunktion des fußpunkterregten Schwingers zeigt, dass eine effektive Reduktion der Schwingung des Geräts nur im überkritischen Bereich möglich ist. Für Werte von η > √ 2 ist die Amplitude des Schwingers kleiner als die der Anregung. Somit muss der Schwinger tieffrequent oder „weich“ abgestimmt werden: Seine Eigenfrequenz muss deutlich geringer sein, als die relevante Anregungsfrequenz. Allerdings wird dieser Effekt mit einer Resonanzspitze im Betriebsbereich erkauft, die gerade bei Hochläufen des anregenden Systems durchfahren werden kann. Somit ergeben sich bei der Auslegung der Aufhängung drei zu erfüllende Kriterien: 1. Der Wert der Vergrößerungsfunktion im Dauerbetriebspunkt muss so klein sein, dass die dabei auftretende Amplitude kleiner oder gleich der zulässigen Amplitude ist. 2. Die Dämpfung muss so gewählt werden, dass beim Durchfahren der Resonanz keine unzulässig große Amplitude entsteht. 3. Die statische Auslenkung des Geräts in der weichen Aufhängung darf nicht zu groß sein, trotz Schwingungsisolation muss das Gerät mechanisch festgehalten werden. Der dritte Punkt soll erst am Ende der Berechnung berücksichtigt werden. Die beiden Forderungen 1. und 2. führen im Grenzfall jeweils zu folgenden Gleichungen: aˆ Gmax,d 1 = aˆ M 2 aˆ Gmax,k = =3 aˆ M

V2 (η ) = V2max

mit

η=

2πfd , ω0

(12.61) (12.62)

Aus diesen beiden Gleichungen sollen im ersten Schritt D und η bestimmt werden, die dann weiter über ω0 schließlich in die konkreten Werte von c und d umgerechnet werden können.

301

Technische Mechanik

12.4

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

5,5 5

5

3

20

25 30

2,5

25

2

20

1,5

15

1

10

0,5 0

5

Vbetr = 0,5, η betr = 1,816 0

1

0,5

3,5

2

1,5 η = Ω /ω0

0 2,5

3 2,5 2 1,5 1 0,1

D = 0,179 0,2

0,3

0,4

D

Mit einer Genauigkeit von drei Stellen kann D = 0,179 abgelesen werden, damit wird ηmax = 0,971 berechnet. Die Verwendung der Näherungsformel aus Tab. 12.3 liefert D = 0,16¯ und liegt somit außerhalb ihres Gültigkeitsbereichs. Alternativ kann vernachlässigt werden, dass das Maximum von V für D = 0 nicht genau bei η = 1 liegt, sodass als Näherung √ 1 + 4D2 V2max ≈ V2 (1) = =3 2D verwendet werden, was sich zu 1 D = 4 ( 32 − 1 ) 2

15

Vmax = 3, h max = 0,971

4,5 4

10

Geräteamplitude aG (m/s2) bei aM = 10,00 m/s2

Maximum von V2 in Abhängigkeit von D

Anregungsfrequenz (Hz) für ω0 = 69,216 rad/s 0

V2: aG/aM sowie xG/xM

Technische Mechanik

Zweckmäßig wird mit (12.62) begonnen, da aus Tab. 12.3 abgelesen werden kann, dass V2max unabhängig von η ist. Sie stellt aber eine sehr komplizierte Formel dar, die nach D aufgelöst werden müsste. Hier empfiehlt sich eine numerische Lösung, z. B. durch Darstellung der Kurve in einem graphischen Taschenrechner und Ablesung des Wertes für D beim Funktionswert 3 der Kurve.

V2,max

302

und damit

1 D = √ ≈ 0, 177 32

auswerten lässt, was sehr nahe an der exakten Lösung D = 0,179 liegt. Diese Näherung bietet sich vor allem bei Problemen an, die eine Umformung von V4 erfordern. Wird (12.61) nach η aufgelöst, ergibt sich eine quadratische Gleichung für η 2 : η 4 − (12D2 + 2)η 2 − 3 = 0 die auf die Lösungen 2 η1,2 = 6D2 + 1 ±



(6D2 + 1)2 + 3

führt. Wird hier D = 0,179 eingesetzt, verbleibt als einzige sinnvolle Lösung η = 1,816.

Die Vergrößerungsfunktion für das berechnete D ist hier dargestellt. Die schwarzen Achsen skalieren V2 dimensionslos über η. Die roten Achsen stellen V2 über der tatsächlichen Anregungsfrequenz Ω dar und zeigen die sich ergebende Antwortamplitude aˆ G für aˆ M = 10 m/s2 . Die schwarz markierten Punkte sind die beiden Auslegungspunkte aus der Aufgabenstellung. Mit der Kenntnis von D und η können alle weiteren Größen berechnet werden: Eigenkreisfrequenz: ω0 = Eigenfrequenz: f0 =

ω0 2π

2πfd η

= 69,215 rad/s,

= 11,013 Hz,

Resonanzfrequenz: fmax = f0 ηmax = 10,696 Hz, Resonanzkreisfrequenz: Ωmax = ω0 ηmax = 67,207 rad/s Aufhängungs-Steifigkeit: c = ω02 m = 4791 N/m, Aufhängungs-Dämpfung: d = 2Dω0 m = 24,829 Ns/m, Damit kann nun die Aufhängung konstruktiv ausgelegt werden. Für den Raumbedarf des Geräts mit seiner Aufhängung müssen die Lageänderungen in verschiedenen Betriebszuständen berechnet werden: statische Auslenkung: x0 = Resonanzamplitude: qˆ max = Daueramplitude: qˆ d =

mg c

= 2,05 mm,

aˆ Gmax,k Ω2max

aˆ Gmax,d (2πfd )2

= 6,6418 mm,

= 0,317 mm.

Die Daueramplitude ist unkritisch. Als Freiraum für das Gerät muss, damit beim Resonanzdurchlauf keine Kollisionen stattfinden, qˆ max − q0 nach oben und qˆ max + q0 nach unten vorgesehen werden. Auch die verwendeten Federn und Dämpfer müssen diese Auslenkungen schadlos überstehen.

Kommentar Das Beispiel zeigt die erfolgreiche Abstimmung einer Aufhängung eines Geräts in schwingender Umgebung. Die Daueramplitude des Geräts ist geringer als die Anregungsamplitude. Dieser Isolationseffekt entsteht durch die sogenannte überkritische oder weiche Aufhängung: Die Resonanzfrequenz des Geräts in seiner Aufhängung muss tiefer sein als die typische Anregungsfrequenz, was i. d. R. durch eine weiche Federung erreicht wird. Nachteilig an diesem Konzept ist, dass die Resonanzfrequenz des Systems unterhalb der Betriebsfrequenz liegt: Ändert sich die Anregungsfrequenz der Umgebung, z. B. durch Hochlauf einer Maschine, welche die Schwingungen verursacht, kann die Resonanz durchlaufen werden.

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

Mit geeigneter Dämpfung kann die Resonanzspitze begrenzt werden. Eine höhere Dämpfung verschiebt allerdings auch den Isolationsbereich zu höheren Frequenzen, was wiederum eine weichere Lagerung erfordert. Unrealistisch vereinfachend an diesem Beispiel ist die Annahme einer konstanten Anregungsamplitude über den gesamten Frequenzbereich. Ein Motor als schwingendes System ist selbst elastisch gelagert und wird eine drehzahlabhängige Anregungskurve durchfahren. Dann wäre allerdings die hier vorgestellte halbanalytische Lösung unter direkter Verwendung von V2 nicht  möglich.

a x

x

Anfangsbedingungen bei Einschwingvorgängen

Wird ein Schwinger zu einem Zeitpunkt t mit einer neuen Anregung beaufschlagt, die nicht zum momentanen Schwingungszustand des Schwingers passt, werden immer auch Eigenschwingungen, die durch die homogene Lösung beschrieben werden, angeregt. Die Integrationskonstanten, welche die homogene Lösung skalieren, können mit (12.59) und (12.60) bestimmt werden.

x1

x1 t

Ω

ω

b x

x

t Ω 2Ω 3Ω

ω

c x

Spektrum und Übertragungsfunktion sind wichtige Hilfsmittel der Schwingungslehre im Frequenzbereich Ein Signal, das aus einer endlichen Summe von harmonischen Signalen aufsummiert ist, kann als diskretes Spektrum dargestellt werden, wobei hier nur das Amplitudenspektrum betrachtet werden soll. Dabei ist die Ordinate die Frequenzachse, und auf der Abszisse werden die Amplituden des jeweiligen Frequenzanteils aufgetragen. Spektren und Übertragung in linearer Darstellung Verschiedene typische Signale, die in der Technik auftreten, sind in Abb. 12.23 dargestellt. Im Grenzfall kann ein Signal aus unendlich vielen Teilsignalen zusammengesetzt sein, es entsteht dann ein kontinuierliches Spektrum. In der Schwingungstechnik werden Signale, wie z. B. Schwingwege oder -beschleunigungen als Zeitsignale mit einer festen Abtastrate messtechnisch erfasst. Mithilfe der diskreten Fourier-Transformation (DFT) können daraus die diskreten Spektren gewonnen werden. Das periodische Rechtecksignal aus (12.58) hat z. B. das in Abb. 12.22 dargestellte Spektrum. Wird ein Schwingungssystem mit einem derartigen Signal angeregt, kann die

x

t ω

d x

x

t ω

Abb. 12.23 Verschiedene Amplitudenspektren mit zugehörigen Signalen. Die Phaseninformation, darstellbar in einem Phasenspektrum ist hier nicht dargestellt. a Signal mit einer Frequenz, entspricht einer harmonischen Funktion, „Sinuswelle“. Die Amplitude entspricht der Balkenhöhe. b Periodisches Signal mit Grundfrequenz Ω und ganzzahligen Obertönen, bzw. höheren Harmonischen. Typisch für Musikinstrumente und Maschinendynamik mit Grundfrequenz aus Drehfrequenz und höheren Harmonischen z. B. aus nichtlinearen Mechanismen. c Aperiodisches Signal, zusammengesetzt aus Teilsignalen mit gebrochenen oder irrationalen Frequenzverhältnissen. d Kontinuierliches Spektrum, zugehörige Signale können stochastisches Rauschen, z. B. aus dem Überfahren von rauen Fahrbahnen, oder Impulse sein

303

Technische Mechanik

12.4

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen f, x

V( η )

Verstärkung x > f

Technische Mechanik

LF

Pegel (dB)

304

Anregung f Übertragungsf. Antwort x

lg η V1 (η )

Abschwächung x < f

1

1

1

3

2

4

5

6

2

Abb. 12.25 Eingangspegel (blau ), logarithmierte Vergrößerungsfunktion, zugleich dimensionsloser Amplitudengang (grün ) sowie Ausgangspegel (rot )

ω Ω

Abb. 12.24 Veränderung des Amplitudenspektrums durch die Übertragungsfunktion. Das Anregungsspektrum (blau) wird durch die Amplitude der Übertragungsfunktion (grün) modifiziert, indem die Höhe des Balkens mit dem Betrag der Übertragungsfunktion an dieser Stelle multipliziert wird. Ergebnis ist das (rote) Antwortspektrum. Die Relationen xˆ > fˆ bzw. xˆ < fˆ sind nur sinnvoll, wenn beide Größen die gleiche Dimension, z. B. Anregungs- und Antwortweg haben

Amplitude der Übertragungsfunktion, d. h. der Amplitudengang, in das Anregungsspektrum eingezeichnet werden und aus der Multiplikation jedes Anregungsspektralwerts mit dem entsprechenden Amplitudengangwert der Ausgangswert und somit das Antwortspektrum gewonnen werden (Abb. 12.24). Lage und Form der Übertragungsfunktion sind von den Eigenschaften Eigenfrequenz und Dämpfung des angeregten Systems abhängig. Einzelne Signalkomponenten und damit der zugehörige Frequenzinhalt können verstärkt, andere abgeschwächt werden. Die Übertragungsfunktion kann bei Systemen mit einem Freiheitsgrad größer eins auch eine komplexere Form haben, wie in Abschn. 13.1 gezeigt wird. Darstellung von Spektren und Übertragungsfunktionen im logarithmischen Maßstab Besonders einfach wird der Übergang von Anregung zu Antwort, wenn logarithmisch gerechnet wird. Diese Vorgehensweise ist in der Akustik üblich und kann auch auf Schwingungsprobleme angewendet werden. Die WegAntwortamplitude des krafterregten Einmassenschwingers lautet gemäß (12.47): qˆ p =

1 1 ˆ V1 (η )Fˆ = V1 (η )F. c mω02

(12.63)

Nun werden die Amplituden auf Bezugsamplituden normiert und durch dekadisches Logarithmieren die sogenannten Signalpegel gebildet. Diese werden mit 20 multipliziert und es ergeben sich die Pegel Lq = 20 lg

qˆ p dB qˆ 0

Lq

Fˆ sowie LF = 20 lg dB Fˆ 0

in der Einheit Dezibel dB. Die Bezugsamplituden qˆ 0 und Fˆ 0 können prinzipiell beliebig gewählt werden, z. B. qˆ 0 =

1 mm und Fˆ 0 = 1 N. In der Akustik existieren für einige Größen genormte Bezugsgrößen. Werden die Bezugsgrößen in (12.63) eingeführt, ergibt sich: qˆ p Fˆ Fˆ = 0 V1 (η ) , qˆ 0 cˆq0 Fˆ 0 was durch Logarithmieren zu Lq = 20 lg

Fˆ 0 + 20 lg V1 (η ) + LF cˆq0 ˆ

umgeformt werden kann. Der Term cˆFq00 ist eine dimensionslose Konstante, die von der Systemsteifigkeit sowie den Bezugswerten der Pegelbildung abhängt und durch geeignete Wahl der Bezugswerte Fˆ 0 = cˆq0 zu 1 gesetzt werden kann, womit der Logarithmus verschwindet und Lq = 20 lg V1 (η ) + LF verbleibt. Somit ergibt sich das Spektrum der Antwortpegel durch Addition der Anregungspegel mit der logarithmierten Vergrößerungsfunktion. In Abb. 12.25 ist dieser Prozess dargestellt. Die doppellogarithmische Darstellung von V1 (η ) lässt sich für D > 0, 05 durch eine horizontale Gerade bis η = 1, d. h., lg η = 0, und ab diesem Knickpunkt durch eine Gerade mit der Steigung −2 : 1 gut approximieren. Die Übertragungsfunktion zeigt das klassische Tiefpassverhalten des Einmassenschwingers: Hochfrequente Kraftanregungen führen aufgrund der Trägheit der Schwingermasse nur zu kleinen Antwortamplituden, während tieffrequente Anregungen quasistatisch zu großen, nur durch das Gleichgewicht zur Federkraft bestimmten Auslenkungen führen. Systemidentifikation aus der gemessenen Übertragungsfunktion Der in den beiden vorangegangenen Abschnitten dargestellte Zusammenhang zwischen Anregungsspektrum, Antwortspektrum und Amplitudengang kann auch zur experimentellen Identifikation der Parameter eines Schwingungssystems benutzt werden. Dazu wird das System mit einer bekannten oder gemessenen Anregung

le analytisch von Hand oder durch Verwendung eines Computer-Algebra-Systems gewonnen werden.

|G| Gmax

Gmax 2

Erzwungene Schwingungen linearer Systeme

Die Idee des Verfahrens ist, dass die Lösung des Schwingungssystems auf einen Impuls zum beliebigem Zeitpunkt t0 der zeitverschobenen Impulsantwort (12.34) qimp (t) =

f (Hz)

fRes

Abb. 12.26 Amplitudengang eines Schwingungssystems. Die Resonanzfrequenz fRes liegt beim Maximum der Funktion. Die Halbwertsbreite der Resonanzspitze ist Δf

angeregt, die gleichzeitig oder nacheinander einen breiten Frequenzbereich abdeckt. Geeignet ist z. B. ein sogenannter Sweep, ein harmonisches Signal, dessen Frequenz langsam gesteigert wird. Ebenfalls zu messen ist die Systemantwort, die wie die Anregung in ein Spektrum verwandelt wird. Aus dem Verhältnis der Werte der Spektren bei jeder Frequenz ergibt sich der experimentell bestimmte Amplitudengang |G|, der für diese Auswertung linear über der Frequenz in Hz aufgetragen wird (Abb. 12.26). ωRes 2π

des Systems liegt an Die Resonanzfrequenz fRes = der Stelle des Maximums von |G|. Die Dämpfung kann, wenn diese gering ist und somit ωRes ≈ ω0 gilt, mit der sogenannten Halbwertsbreite der Resonanzspitze bestimmt werden. In Abb. 12.26 ist Δf eingezeichnet: Die Breite der Resonanzspitze bei der Höhe Maximalamplitude skaliert mit √1 . Das dimensionslose Dämpfungsmaß 2 kann daraus zu Δf 2fRes

bestimmt werden. Hinweis: Der Begriff Halbwertsbreite stammt aus der Analyse von quadrierten Übertragungsfunktionen. In diesem Fall kann Δf tatsächlich bei

für t > t0

entspricht. Jede Anregung f (t) kann nun aus einer Summe von unendlich vielen skalierten Einheitsimpulsen

∆f

D=

k −δ (t−t0) e sin ωd (t − t0 ) ωd

ˆ 2max G 2

abgelesen werden.

Das Duhamel’sche Integral liefert direkt analytische Lösungen im Zeitbereich Lösungen von Schwingungssystemen für beliebige Anregungen können auch durch Anwendung des Duhamel’schen Prinzips gewonnen werden. Da es auf ein Faltungsintegral führt, können Lösungen für einfache Fäl-

f ( t) =

t

f (¯t)δ¯(t − ¯t)d¯t

0

zusammengesetzt betrachtet werden. Mit dem Superpositionsprinzip führt das Integral über alle Teillösungen qimp (t − ¯t) zu: q ( t) =

t

f (¯t)qimp (t − ¯t)d¯t.

0

Frage 12.7 Berechnen Sie die Sprungantwort des ungedämpften Schwingers durch Anwendung des Duhamel-Prinzips. Da nur für Zeiten t > 0 gerechnet wird, können Sie f (t) = 1 setzen.

Lineare Schwingungen

Der lineare Schwinger kann eine freie Schwingung in seiner Eigenkreisfrequenz ωd ausführen. Diese wird entweder durch ein einmaliges Ereignis, wie z. B. einen Stoß, oder durch Anfangsbedingungen ausgelöst und klingt beim gedämpften Schwinger exponentiell ab. Wird ein Schwinger von außen harmonisch mit der Frequenz Ω angeregt, antwortet er mit einer erzwungenen Schwingung in eben dieser Frequenz Ω. Es stellt sich eine stationäre Amplitude und eine Phasenverschiebung zur Anregung ein. Ein Schwinger führt bei mehreren, gleichzeitig wirkenden, äußeren harmonischen Anregungen auch parallel mehrere erzwungene Schwingungen überlagert aus. Die einzelnen Bewegungen beeinflussen sich gegenseitig nicht. Da sich jede Anregung mit einer FourierEntwicklung in eine Summe von harmonischen Signalen zerlegen lässt, kann aus der Überlagerung der einzelnen Systemantworten auch die gesamte Systemantwort auf ein beliebiges Anregungssignal berechnet werden. Allgemein kann sich die Bewegung eines Schwingers aus einer freien Schwingung sowie einer Summe von beliebig vielen Systemantworten zusammensetzen.

305

Technische Mechanik

12.4

306

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

12.5 Technische Mechanik

Schwingungen nichtlinearer Systeme

F

linear progressiv degressiv gestuft

Nichtlineare Systeme treten in der Praxis häufig auf. Die Betrachtung der linearen Systeme in den vorangegangenen Abschnitten ist in der Regel nur durch vereinfachende Annahmen zu rechtfertigen. Bereits das mathematische Pendel hat für große Auslenkungen die nichtlineare g Bewegungsgleichung ϕ¨ + L sin ϕ = 0. Allerdings sind für die allgemeine Berechnung nichtlinearer Schwingungen Methoden erforderlich, die den Rahmen dieses Buches sprengen würden. Deshalb sollen nichtlineare Schwingungsphänomene an drei einfachen Beispielen gezeigt werden, die letztlich durch Anwendung bereits eingeführter Methoden gelöst werden können.

Nichtlineare Federkennlinien treten in der Praxis häufig auf Bei der Aufstellung der Bewegungsgleichung des Einmassenschwingers im Abschn. 12.3 wurde bei (12.2) davon ausgegangen, dass die Kraft des Feder-DämpferSystems linear von der Auslenkung q und der Auslenkungsgeschwindigkeit q˙ abhängt. Eine allgemeine FederDämpfer-Kraft gehorcht dem Zusammenhang FFD = F(q, q˙ ) wobei F eine Funktion von zwei Eingangsgrößen ist. Werden nur ungedämpfte Federn betrachtet, kann die Federkraft als Federkennlinie FF = F(q) dargestellt werden (Abb. 12.27). Die Kennlinie kann verschiedene Verläufe aufweisen, die Gerade für die lineare Feder ist ein Sonderfall. Häufig treten bei nichtlinearen Federsystemen nur kleine Auslenkungen auf, die eine Linearisierung der Federkennlinie F(q) um einen Punkt q0 zulassen. Die TaylorEntwicklung FF (q) = F(q0 ) +

dF(q) dq

( q − q0 ) + . . . q0

wird nach dem ersten Glied abgebrochen, und der Ausdruck c=

dF(q) dq

q0

ist die Steigung der Kennlinie und damit die lineare Ersatzsteifigkeit für kleine Auslenkungen in der Nähe von q0 . Gilt zudem F(q0 ) = 0, ist q0 ein Gleichgewichtspunkt. Für kleine Schwingungen um q0 ist das System wieder linear und kann durch die neue Koordinate qS = q − q0 beschrieben werden.

q

Abb. 12.27 Verschiedene Federkennlinien

Beispiel Abbildung 12.28 zeigt eine vereinfachte Darstellung einer typischen Anwendung einer nichtlinearen Federrückstellkraft in der Fahrzeugtechnik. Dabei soll die Federkennlinie des Fahrzeugs so gestaltet werden, dass die Aufbaueigenkreisfrequenz ω0 unabhängig vom Beladungszustand des Fahrzeugs bleibt. So hat z. B. ein typischer, vierachsiger Eisenbahnkesselwagen eine Leermasse von 22 t, gefüllt kann er 90 t wiegen. Bei einer konstanten Federsteifigkeit c würde sich die Aufbaueigenkreisfrequenz zwischen voll und leer um den Faktor ≈ 2 unterscheiden. FF (q) mZ mF

mF

cv ≈ FF (qv) = (mF + mZ) g

FF ( ql ) = mF g

∂F(q) ∂q q = qv

cl ≈

∂F(q) ∂q q = ql

ql

qv

q

Abb. 12.28 Leerer und beladener Lkw und zugehöriger Federweg und Federkraft auf der Kennlinie. Die Auslenkungen ql und qv bezeichnen jeweils die statischen Ruhelagen auf der Federkennlinie für den leeren und den beladenen Zustand. g bezeichnet die Erdbeschleunigung

Um ω0 konstant zu halten, wird ausgenutzt, dass die Ruhelage auf der Federkennlinie von der statischen Gewichtskraft und damit der zugeladenen Masse m des Fahrzeugs abhängt. Es muss nun die Kennline so gestaltet werden, dass die Steigung an jedem Gleichgewichtspunkt proportional zur Gesamtmasse des Fahrzeugs ist. Damit bleibt das Verhältnis aus Masse und Steifigkeit konstant gleich ω02 . Es gilt: F = (mF + m)g sowie c =

dF(q) dq

, q

Schwingungen nichtlinearer Systeme

was in c = ω02 (mF + m) eingesetzt die Differenzialgleichung

q

FN

c

ω2 dF = 0F dq g

(12.64)

m

Reibung

ergibt. Sie ist trennbar, was auf FF Fl

ω2 dF = 0 F g

Abb. 12.29 Feder-Masse-System mit Coulombscher Reibung

q

dq

Bei trockener Reibung kommt ein Schwinger in endlicher Zeit zur Ruhe

ql

führt und durch %

ω02 ( q − ql ) FF (q) = Fl exp g

&

gelöst werden kann. Fl sowie ql sind dabei die Gewichtskraft bzw. die Federauslenkung des leeren Fahrzeugs. Die erforderliche Federkennline ist somit eine Exponentialfunktion. Die Steifigkeit ergibt sich aus: & % ω02 ω02 dF = Fl ( q − ql ) , c(q ) = exp dq g g ω2

wobei Fl g0 = cl auch als Federsteifigkeit im Leerzustand betrachtet werden kann. Eine Feder mit exponentiellem Kraftverhalten ist natürlich nicht unmittelbar technisch zu realisieren; eine progressive Feder mit ähnlichem Steifigkeitsverhalten kann das Problem näherungsweise lö sen. Ungelöst bei diesem Beispiel bleibt die Anpassung der Dämpfung an verschiedene Fahrzeugmassen. Wird nur die Steifigkeit an die Zuladung angepasst, wird das Dämpfungsmaß D über den zulässigen Zuladebereich deutlich variieren.

In den Abschn. 12.3 und 12.4 wurde zur Beschreibung dissipativer Prozesse die viskose Dämpfung verwendet, bei der Kraft und Geschwindigkeit in der Form F = dq˙ proportional sind. Dieses Gesetz ist aber eine Idealisierung und in dieser Reinform technisch schwierig zu realisieren. Praktisch wird in jedem technischen Schwingungssystem auch immer sogenannte Coulomb’sche oder trockene Reibung auftreten. Die trockene Reibung ist in Abschn. 2.5 erläutert, soll hier jedoch erweitert werden. Betrachtet werden soll ein Einmassenschwinger, bei dem zwischen Masse und Unterlage Coulomb’sche Reibung vorliegt. Eine analytische Lösung der Bewegung des Schwingers ist möglich, wenn das einfachste Reibgesetz mit μ = μ0 = const. angenommen wird, das sich dann in der Form 6 −μFN , für q˙ > 0 FR = (Gleiten) (12.65) μFN , für q˙ < 0 q˙ = 0,

|FR | ≤ μFN

für

(Haften)

mit der Reibkraft FR und der Normalkraft FN schreiben lässt. Für den Reibschwinger in Abb. 12.29 lautet die Bewegungsgleichung: m¨q + cq = FR ,

Nichtlineare Kennlinien von Federn

Nichtlineare Federkennlinien treten in der Praxis oft auf. Führt ein System jedoch nur kleine Schwingbewegungen um einen Betriebspunkt aus, kann es linearisiert werden. Die Ersatzsteifigkeit ist die Steigung der Federkennlinie am Betriebspunkt.

Frage 12.8 Die nichtlineare Bewegungsgleichung eines mathematig schen Pendels im Schwerefeld lautet ϕ¨ + l sin ϕ = 0. Linearisieren Sie die Bewegungsgleichung um die Gleichgewichtslagen ϕ0 = 0 und ϕ0 = π. Welche Aussagen lassen sich für beide Lagen treffen?

die mit (12.65) in Form von zwei Teilgleichungen q¨ + ω02 q = − q¨ + ω02 q =

307

FN μ, m

für q˙ > 0,

FN μ, m

für q˙ < 0

(12.66)

geschrieben werden kann. Beide Teilgleichungen sind linear und entsprechen in ihrer Struktur jeweils (12.20) im Abschn. 12.3, wobei hier K = ∓ FmN μ gilt. Somit kann die Lösung nach folgendem Schema abschnittsweise aufgebaut werden: Bewegungsabschnitte mit negativer Schwinggeschwindigkeit sind Bewegungen um die Mittellage qG = ωF2Nm μ = FcN μ, Abschnitte mit 0

Technische Mechanik

12.5

308

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

cq1 < −mgμ gilt, d. h. die Federkraft größer als die Reibkraft ist. Ist das der Fall, lautet die Lösung:

q

Technische Mechanik

q0

Abschnitt 1 Abschnitt 2 q>0 q 0. Schwarz schraffiert ist die Haftzone, in der die Bewegung endet

positiver Geschwindigkeit besitzen die negative Mittellage −qG . Die Wechsel zwischen den Bewegungsabschnitten finden jeweils an den Umkehrpunkten mit q˙ = 0 und entsprechendem Richtungswechsel statt. Die dort erreichte Endlage ist zugleich Lage-Anfangsbedingung des nächsten Bewegungsabschnitts (Abb. 12.30). Dieses Verfahren wird als Anstückelverfahren bezeichnet, weil die Gesamtlösung aus einfachen Teillösungen durch Hintereinanderschaltung gewonnen wird. Betrachtet wird hier der Aufbau der Lösung ausgehend von einer Anfangslage q0 > 0 und q˙ = 0 zum Zeitpunkt F μ t = 0. Für die Auslenkung muss q0 > Nc = qG gelten, damit tatsächlich ein Losgleiten mit q˙ < 0 stattfindet. Dann ist die Teilgleichung (12.66) gültig und die allgemeine Lösung gemäß (12.21) q(t) = qG + A cos ω0 t + B sin ω0 t, q˙ (t) = −Aω0 sin ω0 t + Bω0 cos ω0 t muss an die Anfangsbedingungen angepasst werden. Aus q˙ (0) = 0 folgt unmittelbar B = 0. Die Anfangsbedingung q(0) = q0 führt zu A = q0 − qG , womit die Lösung ab t = 0 q(t) = qG + (q0 − qG ) cos ω0 t, q˙ (t) = − (q0 − qG ) ω0 sin ω0 t

die angepasst an die Anfangsbedingungen

(12.67)

lautet. Dabei ist zu erkennen, dass die Geschwindigkeit in (12.67) wirklich nur dann für t ≥ 0 negativ ist, wenn A > 0 und damit wie oben gefordert q0 > qG gilt. Dieser Lösungsabschnitt ist als rote Kurve in Abb. 12.30 eingezeichnet. Die Lösung ist gültig, solange q˙ < 0 gilt. Das ist mit Blick auf (12.67) für ω0 t < π der Fall. Im letzten gültigen Moment t1 → ωπ0 beträgt die Lage q1 = −q0 + 2qG . Nun kann eine Bewegung mit q˙ > 0 einsetzen, die aus den Anfangsbedingungen q(t1 ) = q1 und q˙ (t1 ) = 0 startet. Voraussetzung für ein erneutes Losrutschen ist allerdings, dass

lautet und für π < ω0 t < 2π gültig ist. Dieser Lösungsabschnitt ist als blaue Kurve in Abb. 12.30 eingezeichnet. Im letzten gültigen Moment dieses Lösungsabschnitts t2 → 2π ω0 beträgt die Lage q2 = −q1 + 2qG . Nun kann, wenn q2 > qG gilt, wieder eine Halbschwingung mit q˙ < 0 stattfinden. Dieses Wechselspiel wird sich wiederholen, bis der Schwinger nach einer Halbwelle im Bereich −qG < q < qG zu liegen kommt. Dann reicht die Federkraft nicht dafür aus, die Reibkraft zu überwinden, und die Masse wird haftend liegen bleiben. Aus dem Übergang q0 → q1 sowie q1 → q2 kann abgelesen werden, dass die Amplitude pro Halbwelle um 2qG kleiner wird. Die Amplitude nimmt somit mit konstanter Rate ab, und die Einhüllende einer mit konstantem μ reibungsgedämpften Schwingung ist eine Gerade. Mit den Formeln tmax ≈

π q0 2ω0 qG

und nmax ≈

1 q0 4 qG

kann die Zeit tmax bis zum Ende der Schwingung und die Zahl der bis dahin stattfindenden Schwingungsperioden nmax abgeschätzt werden. Frage 12.9 Wie verändert sich das Systemverhalten, wenn weiterhin für die Gleitreibung μ ein konstanter Wert gilt, aber die Haftreibung μ0 > μ ist?

Schwingungen mit Coulomb’scher Reibung

Schwingungssysteme, in denen Coulomb’sche Reibung auftritt, sind nichtlinear. Ein Ausschwingvorgang endet im Gegensatz zu viskos gedämpften Systemen nach einer endlichen Zeit von Schwingungsperioden. Die Endlage des Schwingers liegt innerhalb einer Haftzone und ist von den Anfangsbedingungen abhängig. Bei konstantem Reibungskoeffizienten kann eine analytische Lösung durch Anstückeln von harmonischen Teilbewegungen gewonnen werden. Die Einhüllende ist in diesem Fall eine Gerade.

Schwingungen nichtlinearer Systeme F

resultierende Federkennlinie Spiel

Eingriffsrichtung 1 Eingriffsrichtung 2

c2 1

s1

Spiel

x

s2

c1 1

Abb. 12.31 Stirnradpaar mit den beiden möglichen Eingriffsgeraden. Die lastfreie Richtung hat Spiel q s2

s1 c1

s1 < 0

m

c2

reibungsfrei

Abb. 12.32 Minimalmodell eines Einmassenschwingers mit Spiel. Die Masse m ist in der Lage q = 0 dargestellt. Bei der Lage q = s2 berührt die Masse die rechte Feder, bei q = s1 , s1 < 0 die linke Feder

Systeme mit Spiel: Wenn es klappert In technischen Systemen tritt mitunter Spiel zwischen bewegten Maschinenteilen auf. Prominentes Beispiel sind Stirnradgetriebe, deren Zahnkontakt als elastisch angenommen werden kann. Dabei werden Verzahnungen so ausgelegt, dass zwischen den Zähnen immer etwas Spiel herrscht, um Klemmen bei thermischer Ausdehnung zu vermeiden. Detaillierte Informationen hierzu finden sich in Abschn. 27.4. Wechselt die Lastrichtung im Getriebe, heben die bisher tragenden Flankenpaare ab und nach einer kurzen Freiflugphase durch den Spielbereich kommen die anderen Zahnflankenpaare in Kontakt. Wechselt die Lastrichtung periodisch, kann es zu einem Schwingungsphänomen, dem „Getrieberasseln“ kommen. Der in Abb. 12.32 dargestellte Einmassenschwinger soll beispielhaft für ein System mit Spiel betrachtet werden. Der Körper der Masse m, welcher in seiner Nulllage das Spiel s1 und s2 gegenüber den linearen Federn der Steifigkeiten c1 und c2 aufweist, führt freie Schwingungen aus, Reibung und Dämpfung sollen vernachlässigt werden. Zudem soll s1 < 0 gelten.

Abb. 12.33 Federkennlinien der Einzelfedern links und rechts sowie resultierende geknickte Kennlinie

Durch Zusammensetzen der Federkennlinien der zwei Einzelfedern ergibt sich hierbei die in Abb. 12.33 gezeigte, resultierde Federkennlinie, welche infolge des vorhandenen Spiels einen abgeknickten Verlauf aufweist. Somit liegt ein nichtlineares System vor, weshalb die bisher vorgestellten Methoden keine geschlossene Lösung zulassen. In Anbetracht der abschnittsweisen linearen Steifigkeit bietet sich jedoch die Untergliederung der Bewegung in drei Teilbereiche an, für welche die Bewegungsgleichungen in der Form m¨q + c2 q = c2 s2 , m¨q = 0, m¨q + c1 q = c1 s1 ,

für für für

q > s2 , s1 ≤ x ≤ s2 , q < s1

aufgestellt werden können. Hierbei fällt für den ersten und dritten Bereich die Analogie der Bewegungsgleichung zum linearen, ungedämpften System mit Konstantlast (12.20) auf, womit die zugehörige Lösung aus (12.21) direkt übertragbar ist. Aufgrund der verschwindenden Beschleunigung für das mittlere Intervall resultieren an dieser Stelle eine konstante Geschwindigkeit sowie ein linearer Zusammenhang für die Lage. Die Einführung der Eigenkreisfrequenzen   c1 c2 und ω02 = ω01 = m m führt auf die abschnittsweise Lösung: ⎧ ⎨ Ak cos ω02 t + Bk sin ω02 t + s2 A t+B q ( t) = ⎩ Ak cos ωk t + B sin ω t + s 01 01 1 k k

q > s2 , s1 ≤ q ≤ s2 , q < s1 .

Durch Aneinanderreihung der Teillösungen für die einzelnen Bereiche k = 1, 2, . . . lässt sich die Gesamtlösung im Zeitbereich gewinnen, wobei die Konstanten aus den jeweiligen Anfangsbedingungen für Lage und Geschwindigkeit zu bestimmen sind. Als Beispiel soll nachfolgend

309

Technische Mechanik

12.5

310

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Technische Mechanik

der Fall c1 = c2 = c, −s1 = s2 = s und somit zwangsläufig ω01 = ω02 = ω0 mit den Anfangsbedingungen q(t = 0) = 0 und q˙ (t = 0) = v0 betrachtet werden. Zu Beginn befindet sich der Körper folglich im Bereich −s ≤ q ≤ s, sodass sich die Konstanten zu A1 = v0 und B1 = 0 ergeben. Nach Zurücklegen des Weges x(t2 ) = s erfolgt der Übergang in den Abschnitt x > s. Die Einarbeitung der daraus resultierenden Übergangszeit t2 = s/v0 in q(t) und q˙ (t) führt auf das Gleichungssystem: A2 cos ω0 t2 + B2 sin ω0 t2 + s = s,

−ω0 A2 sin ω0 t2 + ω0 B2 cos ω0 t2 = v0 mit der Lösung: A2 = −

v0 sin ω0 t2 ω0

und B2 =

v0 cos ω0 t2 . ω0

Wird dieses Vorgehen unter Nutzung der getroffenen Vereinfachungen fortgesetzt, lassen sich die Übergangszeiten zum nächsten Bereich tk+1 und die Konstanten in allge-

meiner Form angeben:  (k − 1 ) π ks k = 1,3,. . . v0 + 2ω0 , tk+1 = (k − 1 )s kπ + 2ω0 k = 2,4,. . . v0  k− 1 (−1) 2 v0 k = 1,3,. . . Ak = − ωv00 sin(k − 1) ωv00s k = 2, 4, . . . und

 Bk =

k− 1

−(−1) 2 (s + v0 tk ) v0 ω0 s ω0 cos(k − 1) v0

k = 3, 5, . . . . k = 2, 4, . . .

Somit können nun Lage- und Geschwindigkeitsverlauf berechnet werden. Die gesamte Periode einer Schwins gung beträgt T = 2π ω0 + 2 v0 . Somit ist die Schwingungsfrequenz von der Anfangsgeschwindigkeit v0 abhängig. Diese Eigenschaft unterscheidet dieses System grundsätzlich von linearen Schwingungssystemen. Weiterführende Literatur Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen Ω Anwort 12.1 Die Periode beträgt T = 2π . Für das Integral über eine Periodenlänge der quadrierten Sinusfunktion

T +t π . Wird dies in (12.1) eingilt t (A sin Ωτ )2 dτ = A2 Ω  Ω 2π gesetzt, ergibt sich qeff = 2π A Ω = √A . 2 Bei der üblichen Wechselstrom-Netzspannung von U = 230 V beträgt der Effektivwert√230 V. Die Amplitude der ˆ = 2 · 230 V ≈ 325 V. Spannung beträgt somit U

Anwort 12.2 Wird in Ekin = 12 mω02 A2 für die Eigenkreisfrequenz ω02 = mc eingesetzt, ergibt sich Ekin = 12 m mc A2 , was unmittelbar auf Ekin = 12 cA2 = Epot führt. Anwort 12.3 Für die Veränderung der Amplitude ist der Term e−δt verantwortlich. Für die Halbierung der Amplitude muss somit e−δT = 12 gelten. Diese Gleichung lässt sich durch bilden des natürlichen Logarithmus auf beiden Seiten in −δT = − ln 2 und schließlich T = lnδ 2 umformen. Anwort 12.4 Mithilfe der Ähnlichkeit der Lösungen für den schwach bzw. stark gedämpften Fall in (12.15) bzw.

(12.19) kann für die Lösung der Sprungantwort anstelle von (12.31) q(t) = e−δt (A cosh ωD t + B sinh ωD t) + K angesetzt werden. Da auch die Bestimmung der Integrationskonstanten A und B für den schwach und stark gedämpften Fall identisch ist, können K=

k , ω02

A=−

k ω02

und B = −

k δ ω02 ωD

von der Lösung des schwach gedämpften Falls übernommen werden. Damit ergibt sich die Sprungantwort:    k δ − δt cosh ωD t + sinh ωD t . q ( t) = 2 1 − e ωD ω0 Die Impulsantwort ist auch hier die Zeitableitung der p Sprungantwort, wobei noch k = m gesetzt werden muss und lautet: q ( t) =

p −δt e sinh(ωD t). mωD

Antworten zu den Verständnisfragen

Anwort 12.6 Unter Verwendung von (12.48) und (12.49) gilt: G( η ) =

t 0



k sin ω0 (t − ¯t)d¯t. ω0

Die Integration wird ausgeführt, und es ergibt sich q ( t) =

k cos ω0 (t − ¯t) ω02

t

= 0

k (1 − cos ω0 t) ω02

als Sprungantwort. Anwort 12.8 Die Linearisierung des nichtlinearen Terms sin ϕ liefert mit ϕ˜ = ϕ − ϕ0 : sin ϕ˜ ≈ sin ϕ0 +

ϕ0 = 0 : ϕ0 = π :

d(sin ϕ) dϕ

ϕ0

˜ · ϕ˜ = sin ϕ0 + cos ϕ0 · ϕ.

sin ϕ˜ ≈ ϕ˜ und ˜ sin ϕ˜ ≈ − ϕ.

Für die Bewegungsgleichungen in den Gleichgewichtslag gen mit ω02 = l gilt dann:

1 . ω02 (1 − η 2 )

Anwort 12.7 Im ungedämpften Fall lautet die Impulsantwort qimp (t) = ωk0 sin ω0 t. Für f (t) = 1 lautet damit das Faltungsintegral (12.4): q ( t) =

Setzt man die Linearisierungspunkte ein, erhält man:

ϕ0 = 0 :

ϕ¨˜ + ω02 ϕ˜ = 0

ϕ0 = π :

ϕ¨˜ − ω02 ϕ˜ = 0.

bzw.

Die für die Gleichgewichtslage ϕ0 = 0 gültige Gleichung entspricht in ihrer Gestalt einer Schwingungsdifferenzialgleichung. Dies trifft für ϕ0 = π aufgrund des negativen Vorzeichens vor dem Term ω02 nicht zu. Die homogenen Lösungen lauten für beide Fälle: ϕ0 = 0 : ϕ0 = π :

ϕ˜ (t) = A · cos(ω0 t) + B · sin(ω0 t) bzw. ϕ˜ (t) = A · cosh(ω0 t) + B · sinh(ω0 t).

Es ist zu erkennen, dass das Pendel um ϕ0 = 0 (hängend) ω0 schwingt. Die Bewegung um mit der Frequenz f0 = 2π die Ruhelage ϕ0 = π (stehend) ist instabil, die Amplitude wächst durch die hyperbolischen Funktionen schnell an. Dabei wird auch der zulässige Bereich einer Linearisierung verlassen. Das Pendel kippt. Anwort 12.9 Das prinzipielle Bewegungsverhalten und die Abklingrate ändern sich nicht. Lediglich die Haftzone um die Nullage wird breiter. Ihre Grenzen liegen bei qhaft = ± ωF2Nm μ0 . Die Schwingung kann also früher zur 0

Ruhe kommen.

Technische Mechanik

√ Anwort 12.5 Für V1 gilt Ωmax = ω0 1√− 2D2 . Der Term unter der Wurzel hat für Werte D > 1/ 2 keine reelle Lö√ sung mehr. Vergrößerungsfunktionen V1 mit D > 1/ 2 haben ihr Maximum bei η = 0.

311

312

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen

Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 12.1 • An einer am oberen Ende fest eingespannten Feder mit der Federkonstanten c hängt eine Masse m im Schwerefeld mit der Gravitationskonstanten g = 9,81 m/s2 .

und bringen Sie die Gesamtgleichung wieder auf die Form m∗ ϕ¨ + c∗ ϕ = 0. Resultat: a) c)

g m

Hinweis: Betrachten Sie das statische Gleichgewicht zwischen Federkraft und Gewichtskraft.  g Resultat: ω0 = qst

2/3 l

1/2 l

c

c m

m

c m

d)

 ω0 =

c g + 4m l 2c g + 9m l

Ein ungedämpftes Feder-Masse-System wird 12.4 • durch eine harmonische Kraft erregt. Bei der Erregerkreisfrequenz Ω1 = 10 rad/s tritt Resonanz auf. Wird auf dem Körper eine Zusatzmasse Δm = 2 kg befestigt und der gleiche Versuch wiederholt, tritt die Resonanz bei Ω2 = 9,535 rad/s auf. Bestimmen Sie die Masse und Federsteifigkeit des ursprünglichen Systems.

d

c

2c g + m l

ω0 =

Resultat: Die Eigenkreisfrequenz beträgt ω0 = 97,29 rad/s.

Hinweis: Berechnen Sie die Federkräfte als Funktion der Auslenkung ϕ des Pendels. Fügen sie die resultierenden Momente der Federkräfte in die Bewegungsgleichung ein c

ω0 =

b)

Hinweis: Die Torsionssteifigkeit cT = MϕT wird in Abschn. 5.4 vorgestellt. Beachten Sie bei der Berechnung die unterschiedlichen Angaben in SI-Einheiten bzw. in mm.

12.2 • Auf ein mathematisches Pendel mit der Masse m und der Länge l wirkt die Erdbeschleunigung g. Für kleine Auslenkungen ϕ lautet die Bewegungsgleichung aus dem Drehimpulssatz ml2 ϕ¨ + mglϕ = 0. Zwischen der Pendelstange und der Umgebung werden in verschiedenen Konfigurationen Federn der Steifigkeit c angebracht. Berechnen Sie die Eigenkreisfrequenzen ω0 der Konfigurationen.

b

ω0 =



g l

12.3 •• Ein Torsionsschwinger besteht aus einer einseitig fest eingespannten Welle mit dem Durchmesser D = 30 mm und der Länge l = 500 mm aus Stahl mit dem Schubmodul G = 70 GPa. Am freien Ende der Welle befindet sich eine Stahlscheibe, Dichte ρ = 7800 kg/m3 , mit dem Durchmesser DS = 400 mm und der Dicke d = 60 mm. Wie groß ist die Eigenkreisfrequenz dieses Torsionsschwingers?

Die statische Verlängerung der Feder unter dem Einfluss der Gewichtskraft beträgt qst = 8 mm. Bestimmen Sie die Eigenkreisfrequenz des Schwingers.

a

 

c

l

Technische Mechanik

Aufgaben

m

c

Hinweis: Resonanz tritt dann auf, wenn die Erregerfrequenz mit der Eigenfrequenz des Systems übereinstimmt. Resultat:

m = 20,02 kg;

c = 2,00 · 105 N/cm.

12.5 • Experimentell wurde die Eigenkreisfrequenz eines gedämpften Einmassenschwingers ωd bestimmt. Bei harmonischer Anregung stellt man fest, dass der Schwinger bei der Erregerfrequenz ωr die maximale Amplitude aufweist. Ermitteln Sie daraus das Dämpfungsmaß D, das logarithmische Dekrement Λ sowie die Eigenkreisfrequenz ω0 des ungedämpften Systems. Hinweis: Bei einem gedämpften System ist die Eigenfrequenz etwas größer als die Resonanzfrequenz. Resultat:

 D=

ωd2 − ωr2

, 2

ω0 =

2ωd2 − ωr    ωr 2 Λ = 2π 1 − . ωd



2ωd2 − ωr2 ,

u(t) = uˆ cos Ω2 t

sind. Bestimmen Sie die stationäre Schwingungsantwort der Masse m. q (t)

Gleichgewichtslage c

m

l r

d

c

Ωt

m

u(t)

q(t)

Die Bewegungsgleichung für die Masse dieses Systems lautet m¨q + dq˙ + cq = cu(t), wobei u(t) die Hubkurve ist, die von der Schubkurbel verursacht wird. Diese ist keine einfache harmonische Funktion. Mit dem Pleuelstangenverhältnis λ = rl lautet sie    1 1 − λ2 sin2 Ωt u(t) = r cos Ωt + λ mit der konstanten Drehgeschwindigkeit Ω des Antriebs. Diese lässt sich als harmonische Reihe der Gestalt

12.6 • Ein Einmassenschwinger wird durch eine harmonische Kraft F(t) und eine Wegerregung u(t) aus der Ruhelage erregt, wobei F(t) = F0 sin Ω1 t,

können andere Teile der Maschine in Schwingungen versetzen. In dieser Aufgabe sind schwingungsfähige Teile der Maschine vereinfacht durch einen Einmassenschwinger abgebildet.

F(t)

u(t)

Hinweis: Es handelt sich um eine erzwungene Schwingung mit harmonischer Krafterregung. Resultat: q ( t ) = q1 ( t ) + q2 ( t ) 1 1 F sin Ω1 t + uˆ cos Ω2 t. = 0 c 1 − η12 1 − η22 12.7 • • • In Textil- und Verarbeitungsmaschinen werden häufig ungleichförmig übersetzende Getriebe oder Mechanismen eingesetzt, um eine gewünschte periodische Bewegung zu erzeugen. Einfachster Vertreter davon ist die Schubkurbel, die eine Drehung in eine Translationsbewegung umsetzt. Die periodischen Bewegungen

u ( t) = r



∑ uk cos kΩt

(12.68)

k=0

entwickeln, wobei die Glieder mit Ordnung k > 4 in der Regel vernachlässigt werden können. Die Fourier 3 1 Koeffizienten uk lauten genähert u0 = − λ4 + 3λ 64 − λ , u1 = 1, u2 =

λ 4

+

λ3 16 ,

u3 = 0, und u4 = − λ64 . 3

Berechnen Sie die stationären Amplituden der Beschleunigung der Masse m für folgende Winkelgeschwindigkeiten der Kurbel: Ω = ω40 , ω30 , ω20 und ω0 . Verwenden Sie die Zahlenwerte m = 0,25 kg, c = 103 N/m, d = 15 · 10−3 N s/m, λ = 13 und l = 0,25 m. Hinweis: Die Antwort setzt sich gemäß des Superpositionsprinzips aus den Teilantworten auf die harmonischen Anteile des Anregungssignals zusammen. Für die Berechnung der Beschleunigungsantwortamplituden entfällt der Gleichanteil (k = 0) der Erregerfunktion nach (12.68), da dieser lediglich den Mittelwert des Schwingweges beschreibt und damit keinen Einfluss auf das dynamische Systemverhalten hat. Resultat: Für die Amplituden qˆ¨ k der Beschleunigung der Masse m gilt:   kΩ uk , für k = 1, 2, 4. qˆ¨ k = −r(kΩ)2 V1 ω0 Man erkennt, dass auch für Drehfrequenzen Ω = ω0 Resonanzen auftreten, wenn für das Argument von V1 der ω0 Wert kΩ ω0 = 1 gilt. Das ist z. B. für Ω = 4 für die vierte Ordnung (k = 4) der Fall. In der folgenden Abbildung sind die Amplituden graphisch dargestellt.

313

Technische Mechanik

Aufgaben

314

12 Einfache Schwingungen – periodische Vorgänge verstehen, berechnen und beeinflussen 106

10

Ω = 1/2 ∙ ω 0 Ω = 1/3 ∙ ω 0

4

Ω = 1/4 ∙ ω 0 103

qkj

Technische Mechanik

Ω = ω0

105

102 101 100

Hinweis: Benutzen Unwuchterregung.

10–1 10

Der Unwuchterreger hat eine Unwucht von mU und einen Radius rU zum Schwerpunkt der Unwucht. Die Drehzahl n des Erregers wird bei einem Schwingversuch aus dem Stillstand langsam gesteigert. Dabei wird eine maximale Amplitude der Masse von qˆ max = 1,60 cm gemessen. Bei weiterer Steigerung der Drehzahl stellt sich schließlich eine konstante Amplitude qˆ ∞ = 0,32 cm ein. Gegeben sind mU = 12 kg, rU = 15 cm und c = 1000 N/cm. Ermitteln Sie das Dämpfungsmaß D sowie die vertikale Schwingungsamplitude des Systems, wenn der Unwuchterreger mit einer Drehzahl n = 300 U/min läuft. Sie

D = 0,10;

Resultat:

die

Bewegungslösung

bei

qˆ = 0,388 cm.

–2

1

2

Ordnung k

3

4

12.8 •• Die mit einer Feder der Konstanten c gehaltene, ungedämpfte Masse M befindet sich in ihrer Gleichgewichtslage in Ruhe. Sie wird von einem Projektil der Masse mP mit der unbekannten Geschwindigkeit vP getroffen. Das Projektil bleibt in der Masse M stecken. Danach schwingt die Masse M + mP mit einer Amplitude von qˆ . Ermitteln Sie die Energie EP des Projektils und den Anteil der Geschossenergie, der auf den Schwingungsvorgang übertragen wird.

12.10 • • • Ein System aus einer Masse, zwei Federn c1 und c2 sowie einem Dämpfer d wird durch einen Nocken mit Stößel angeregt. Der Nocken rotiert mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit Ω und erzeugt am masselosen Stößel eine sägezahnförmige Hubkurve us (t) mit der maximalen Hubhöhe A.

c1

d q (t)

m

Gleichgewichtslage

q (t)

Gleichgewichtslage

uS(t)

vp

c

c2

M

A

mp 2π Ω

4π Ω

t

Hinweis: Benutzen Sie die Impulsantwort (12.34) Resultat: EP =

1 2 M + mP cˆq , 2 mP

ES mP = EP M + mP

12.9 •• Auf einer Maschine, die von zwei Federn mit der gleichen Federkonstanten c/2 sowie einem Dämpfer gestützt ist, wird ein Unwuchterreger befestigt, um die Schwingungseigenschaften der Maschine zu ermitteln.

Ω

Ermitteln Sie die stationäre Bewegung q(t) der Masse m. q

M

Gleichgewichtslage

Hinweis: Entwickeln Sie die Hubkurve in eine FourierReihe. Resultat:

c 2

d

c 2

c2 A q ( t) = c1 + c2 % & ∞ 1 1  · − sin(kΩt − ψk ) 2 2 2 2 2 k∑ =1 kπ (1 − k η ) + (2Dkη )

13

Technische Mechanik

Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Wie werden Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden beschrieben? Was sind Eigenfrequenzen und Eigenformen komplexer Schwinger? Wie erklärt man Wellen und kontinuierliche Schwingungen?

13.1 Mehrläufige Schwingungen mit konzentrierten Parametern 13.2 Kontinuumsschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_13

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

316 327 338 339

315

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

In der Praxis haben schwingende Systeme häufig mehr als einen Freiheitsgrad. In einem Antriebsstrang eines Fahrzeugs wirken beispielsweise zahlreiche Drehmassen zusammen. Komplexe räumliche Gebilde werden mit der Methode der Finiten Elemente diskretisiert und führen auf Schwingungssysteme mit vielen Freiheitsgraden. Für einfache räumliche Anordnungen sind mitunter analytische Lösungen der kontinuierlichen Wellenausbreitung oder der Schwingformen möglich. Aus Kap. 12 kann der Begriff der Eigenfrequenz übernommen werden, wobei ein System mit mehr als einem Freiheitsgrad in der Regel genau so viele Eigenfrequenzen wie Freiheitsgrade hat. Bei einer Schwingung in einer der Eigenfrequenzen führen alle Freiheitsgrade eine harmonische Bewegung mit dieser Frequenz aus, ihre Amplituden und Phasen können sich jedoch unterscheiden. Die zu einer Eigenfrequenz gehörigen Amplituden- und Phasenbeziehungen werden als Eigenform bezeichnet. Um das Schwingungsverhalten eines Systems mit vielen Freiheitsgraden zu beschreiben, ist die Kenntnis aller Eigenfrequenzen und Eigenformen erforderlich. Die Gesamtbewegung ergibt sich aus einer Überlagerung dieser Schwingformen.

13.1

Mehrläufige Schwingungen mit konzentrierten Parametern

Mehrläufige Schwinger sind Systeme, bei denen mehrere oszillierende Bewegungen gleichzeitig ablaufen können; das System hat mehrere Freiheitsgrade. Die Anzahl der Zustandsvariablen ist jedoch endlich, sie beschreiben die Auslenkungen der Schwinger an diskreten Punkten. Derartige Systeme entstehen auf zwei verschiedene Arten: Mehrere einfache Schwinger, wie sie in Abschn. 12.2 vorgestellt wurden, werden gekoppelt oder hintereinander geschaltet. Beispiele für derartige Systeme sind Antriebstränge, die aus einer Folge von Drehmassen und Drehsteifigkeiten gebildet werden. Komplexe, kontinuierliche Schwinger (siehe Abschn. 13.2) werden mit der Methode der Finiten Elemente (FEM) diskretisiert, es entsteht ein System, bei dem die Verschiebungen der Knoten die schwingungsfähigen Auslenkungen darstellen (Abb. 13.1).

elastische Verdrehung

M (t)

φi Trägheit

Abb. 13.2 Modell eines Antriebssystems, bestehend aus starren, trägheitsbehafteten Scheiben und Wellenabschnitten, die als Federn wirken. Die tangentiale Verbindung zweier Räder ist die Modellierung einer elastischen Verzahnung

Einfachste Beispiele sind sogenannte Schwingerketten, die aus einer Abfolge von (Dreh-)Massen und Steifigkeiten aufgebaut sind. Antriebstränge von Fahrzeugen können als Torsionssysteme, von denen ein Beispiel in Abb. 13.2 dargestellt ist, modelliert werden. Auch die Diskretisierung einer kontinuierlichen Torsionswelle ergibt ein derartiges System. Die translatorische Schwingerkette kann z. B. das Ersatzmodell eines langen Rohres mit kompressiblem, trägem Fluid sein.

Bewegungsgleichungen mehrläufiger Schwinger sind Systeme von Differenzialgleichungen Exemplarisch soll die Gewinnung der Bewegungsgleichung am Torsionsschwingungssystem dargestellt werden: Der Drallsatz wird auf eine freigeschnittene Drehmasse (Abb. 13.3) angewendet: Ji ϕ¨ i = ci ( ϕi+1 − ϕi ) − ci−1 ( ϕi − ϕi−1 ) + di ( ϕ˙ i+1 − ϕ˙ i ) − di−1 ( ϕ˙ i − ϕ˙ i−1 ) + MAi ,

MA =

316

Y

Z

X

Abb. 13.1 Einseitig eingespannter elastischer Balken mit zusätzlichen Massen diskretisiert als Finite-Elemente-Modell. Koordinaten zur Beschreibung der Bewegung sind die Verschiebungen der Knoten zwischen unverformter (Drahtmodell) und verformter Konfiguration

φ i–1

φ i+1

φi ci–1, di–1

ci, di Ji

Abb. 13.3 Scheibe eines Torsionschwingungssystems

Mehrläufige Schwingungen mit konzentrierten Parametern

wobei ϕi , ϕi−1 und ϕi+1 die Verdrehungen der Scheibe i bzw. ihrer Nachbarn beschreiben. Ji ist das Trägheitsmoment der Scheibe, ci und di die Torsionsfedersteifigkeiten und -dämpfungen zwischen den benachbarten Scheiben. Werden alle n Gleichungen der n Drehmassen zusammengefasst, ergibt sich das Differenzialgleichungssystem: M q¨ + Bq˙ + Kq = F

(13.1)

Das Eigenverhalten des Systems beschreibt die möglichen freien Schwingungen Bei schwach gedämpften Systemen ist es erfolgversprechend, zunächst das Eigenverhalten des Systems unter Vernachlässigung der Dämpfung zu suchen, da hier einfach zu interpretierende, rein reelle Lösungen entstehen.

mit den Größen: Vektor der Koordinaten q: q = ( ϕ 1 , . . . , ϕ n )T , Massenmatrix M (Diagonalmatrix): ⎛ ⎞ .. . 0⎟ ⎜ ⎟, Ji M=⎜ ⎝ ⎠ .. . 0 Steifigkeitsmatrix K (symmetrische Bandmatrix): ⎛ ⎞ .. .. .. . . . 0 ⎜ ⎟ ⎜−ci−2 ci−2 + ci−1 ⎟ −ci−1 ⎜ ⎟ ⎜ ⎟, −ci−1 ci−1 + ci −ci K=⎜ ⎟ ⎜ ⎟ − c c + c − c i i i+1 i+1 ⎠ ⎝ .. .. .. . . . 0 Dämpfungsmatrix B, ist strukturell identisch mit K mit di anstelle ci , Vektor der äußeren Lasten F: F = ( M1 , . . . , Mn ) T . Frage 13.1 Wie ändert sich die Dämpfungsmatrix B, wenn auf jede Drehmasse noch ein Absolut-Dämpfungsmoment Mabs,i = −dabs,i · ϕ˙ i wirkt? FEM-Modelle allgemeiner, deformierbarer Körper führen unmittelbar auf ein Gleichungssystem der Form (13.1), wenn folgende Voraussetzungen, die aber für Schwingungsprobleme typisch sind, erfüllt sind: Die makroskopischen Auslenkungen sind klein, nichtlineare Terme verschwinden. Für den Zusammenhang zwischen Verzerrungen und Spannungen im Inneren der Körper kann ein linear elastisches Materialgesetz angenommen werden. Die Massenmatrix ist im allgemeinen Fall nicht mehr rein diagonal besetzt, aber immer noch symmetrisch und positiv definit. Die Steifigkeits- und Dämpfungsmatrizen sind bei Abwesenheit von Kreiseleffekten ebenfalls noch symmetrisch, können aber eine deutlich größere Bandbreite aufweisen.

Das ungedämpfte System Für lineare Schwingungssysteme mit mehr als einem Freiheitsgrad gelten ähnliche Gesetze wie für das einläufige System. Es wird für das System M q¨ + Kq = 0

(13.2)

der Lösungsansatz q(t) = yˆ cos ωt oder

q(t) = yˆ sin ωt

mit dem Amplitudenvektor yˆ gemacht. Wird dieser Ansatz mit q¨ (t) = −ω 2 yˆ cos ωt bzw. q¨ (t) = −ω 2 yˆ sin ωt in (13.2) eingesetzt, ergibt sich nach Division durch cos ωt bzw. sin ωt die Gleichung:   (13.3) K − ω 2 M yˆ = 0, die ein verallgemeinertes Eigenwertproblem darstellt. Derartige Probleme sind im Vergleich zum speziellen Eigenwertproblem der Form (A − λE) xˆ = 0 numerisch einfach zu lösen, wenn M und K, wie im vorliegenden Fall gegeben, symmetrisch und positiv (semi-)definit sind. Abgesehen von pathologischen Sonderfällen führt das spezielle Eigenwertproblem (13.3) auf n Eigenwerte ωi2 mit zugehörigen Eigenvektoren yˆ i . Die Wurzeln ωi aller Eigenwerte sind die Eigenkreisfrequenzen des Systems und die jeweils zugehörigen Eigenvektoren yˆ i die Eigenformen des Schwingungssystems. Ein Paar aus Eigenfrequenz und Eigenform wird auch als Schwingungsmode bezeichnet. Die zwei ersten Eigenformen eines komplexen Schwingungssystems sind in Abb. 13.4 dargestellt. Somit ergibt sich die Lösung des Systems als Überlagerung von n Eigenschwingungen in der Form: q( t ) =

n

∑ yˆ i (Ai cos ωit + Bi sin ωit) ,

(13.4)

i=1

wobei Ai und Bi die Integrationskonstanten jeder Schwingungsmode sind, die aus Anfangsbedingungen, z. B. q(0) = q0 und q˙ (0) = v0 , für alle Teilschwinger oder Knotenkoordinaten gewonnen werden können. Für die Bestimmung der Integrationskonstanten wird zweckmäßig die Modalmatrix Y = (yˆ 1 , · · · , yˆ n ) eingeführt, welche die n Eigenvektoren spaltenweise zusammenfasst und somit eine (n × n)-Matrix ist. Die Integrationskonstanten werden zu Vektoren a = (A1 , · · · , An )T ,

317

Technische Mechanik

13.1

318

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

eingeführt werden. Jede Modalkoordinate beschreibt anschaulich die Auslenkung einer Schwingungsform (Mode) i des Systems

a

Technische Mechanik

q ( t) =

n

∑ yˆ i qm,i (t) = Yqm (t)

(13.7)

i=1

und die sich mithilfe der Modalmatrix ergebende Gesamtbewegung q(t). Die Gleichung (13.7) kann auch als Koordinatentransformation aufgefasst werden, die auf (13.2) in der Form

b

Y T MY q¨ m + Y T KYqm = 0

Abb. 13.4 Typische Schwingformen von Eisenbahnradsätzen, berechnet mit der finie Elemente Methode: Axiale Radschwingungen bei 1448 Hz (a) und Biegeschwingung der Welle mit gekoppelten Radschwingungen bei 670 Hz (b)

bzw. b = (B1 , · · · , Bn )T zusammengefasst. Werden die Anfangsbedingungen in (13.4) eingesetzt, ergeben sich zwei Bestimmungsgleichungen: q0 = v0 =

n

∑ yˆ i ai = Ya

i=1 n



∑ yˆ i ωibi = Yωb

i=1

a = Y − 1 q0 ,



b = ω−1 Y −1 v0 .

angewendet werden kann. Da die Transformation mit der Modalmatrix Y ausgeführt wird, wird sie Modaltransformation genannt. Die Terme Y T MY und Y T KY sind, wenn Y aus dem ungedämpften System gewonnen wurde, immer Diagonalmatrizen. Die Spalten der Modalmatrix Y sind beliebig skalierbar. Bei geeigneter Skalierung ergibt sich: Y T MY = E

und Y T KY = diag(ωi2 ) = ω2 ,

womit sich das System durch n entkoppelte Gleichungen der Form

(13.5)

q¨ m,i + ωi2 qm,i = 0

(13.6)

beschreiben lässt, von denen jede einen verallgemeinerten Einmassenschwinger repräsentiert. Die Koordinatentransformation mit der Modalmatrix Y kann auch auf gedämpfte Systeme angewendet werden. Liefert Y T BY eine Diagonalmatrix, ist das System modal gedämpft und entkoppelbar.

Mit ω wird eine Diagonalmatrix mit allen ωi bezeichnet. Die Modalmatrix Y ist bei den hier vorgestellten Systemen immer invertierbar. (13.5) und (13.6) zeigen, dass ein Anfangslagevektor q0 alle Eigenschwingungsformen des Systems anregen kann.

(13.8)

Eigenverhalten des Systems mit Rayleigh-Dämpfung Freie Schwingungen ungedämpfter, mehrläufiger Systeme

Die Bewegung eines mehrläufigen Schwingers setzt sich aus einer Überlagerung gleichzeitig stattfindender, unabhängiger Teilschwingungen, den Eigenschwingungen oder Moden, zusammen. Jede Eigenschwingung hat ihre charakteristische Eigenkreisfrequenz ωi sowie eine Eigenform yˆ i . Die Eigenform beschreibt, welche Amplitude jeder einzelne Teilschwinger in einer Eigenschwingung besitzt.

Modale Entkopplung Um Schwingungssysteme mit mehr als einem Freiheitsgrad zu beschreiben, können Modalkoordinaten qm,i (t)

Die Lösung des Systems (13.1) mit allgemeiner Dämpfungsmatrix B ist möglich, führt aber auf schwierig zu interpretierende Ergebnisse, auf die in diesem Lehrbuch nicht eingegangen werden soll. Es gibt jedoch einen durchaus praxisrelevanten Sonderfall, bei dem angenommen wird, dass die Dämpfungsmatrix B = dM M + dK K eine Linearkombination der Massen- und Steifigkeitsmatrix mit den skalaren, dimensionsbehafteten Faktoren dM und dK ist. Es wird dann als System mit RayleighDämpfung bezeichnet. Ein anderer Begriff für dieses Dämpfungsmodell ist „Bequemlichkeitshypothese“. Die Vorstellung hierzu ist z. B., dass in einem System mit Gummifedern „dicke“ Elemente sowohl steifer sind als auch stärker dämpfend wirken. Für dieses System wird

Mehrläufige Schwingungen mit konzentrierten Parametern

Beispiel: Homogene Schwingerketten Als besonders einfaches Beispiel für mehrläufige Schwinger können sogenannte Schwingerketten dienen. Darin folgen immer abwechselnd Massen bzw. Drehmassen auf Federn bzw. Drehfedern. Sind alle Massen und Steifigkeiten jeweils gleich, wird das System als homogene Schwingerkette bezeichnet. Problemanalyse und Strategie: Die Massenmatrix und die Steifigkeitsmatrix der Schwingerkette erhalten bei jeweils identischen Parametern J und cT eine besonders einfache Form: Die Massenmatrix ist eine skalierte Einheitsmatrix J · E, und die Steifigkeitsmatrix ist eine Bandmatrix mit den Bandwerten −1, 2, −1 multipliziert mit cT . Für die Eigenfrequenzen und Eigenformen sind hier sogar analytische Lösungen möglich.

le Verdreh-Auslenkung der Massen in einer Schwingungsperiode an. Bei der ersten Eigenform schwingen alle Massen synchron in die gleiche Richtung. Bei der zweiten Eigenform schwingen die linken drei Massen in eine Richtung, die rechten drei Massen in die andere Richtung. Die mittlere Masse bleibt in Ruhe, sie liegt in einem Schwingungsknoten. Bei der dritten Eigenform sind bereits zwei Schwingungsknoten erkennbar, sie liegen zwischen dem Massen 2 und 3 bzw. 5 und 6. Bei ungedämpften, mehrläufigen Schwingern erreichen alle Massen gemeinsam ihre maximale Auslenkung und haben einen gemeinsamen Nulldurchgang. 1. Eigenform, ωi /ω 0 = 0,390

Lösung: Abb. 13.5 zeigt das zu analysierende System. cT

cT

cT

cT

J

J

J

J

1

2

3

n

2. Eigenform, ωi /ω 0 = 0,765

Abb. 13.5 n Drehmassen mit dem Trägheitsmoment J sind durch n + 1 Drehfedern der Steifigkeit cT untereinander und mit festen Rändern verbunden

Es wird zunächst als Hilfsgröße die Kreisfrequenz ω02 = cJT eingeführt. Damit lautet die analytische Lösung für die Eigenkreisfrequenzen:   iπ ωi = 2ω0 sin 2 (n + 1 ) und die Eigenformen (Auslenkung der Drehmasse k bei der Eigenform i):   kiπ yki = sin . n+1 In Abb. 13.6 sind die ersten drei Eigenformen für ein System mit n = 7 Drehmassen dargestellt. Die Höhe der Balken in Abb. 13.6 zeigt dabei die maxima-

der Lösungsansatz q(t) = ye ˆ λt gewählt, und es ergibt sich zunächst:

λ2 M + λ(dM M + dK K ) + K yˆ = 0, was sich zu

3. Eigenform, ωi /ω 0 = 1,111

1

2

3

4

5

6

7

Abb. 13.6 Drei Eigenformen für ein System mit sieben Drehmassen

Vergleichbare Lösungsformeln existieren auch für Schwingerketten, die einseitig oder beidseitig frei sind. Kommentar Die homogene Schwingerkette ist auch ein diskretes Näherungsmodell für eindimensionale kontinuierliche Schwinger, die durch die partielle Dif¨ − c2 w = 0 beschrieben werden. ferenzialgleichung w Diese Systeme werden ausführlich im Abschn. 13.2 be schrieben.

und schließlich durch Division durch λdK + 1 zu   λ2 + λdM M yˆ = 0 K+ λdK + 1 zusammenfassen lässt. Wird nun

(λ2 + λdM )M + (λdK + 1)K yˆ = 0

ωi2 = −

λ2i + λi dM λ i dK + 1

(13.9)

319

Technische Mechanik

13.1

320

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

ersetzt, entsteht ein mit (13.3) identisches Problem. Somit besitzt ein rayleigh-gedämpftes System die gleichen, reellen Eigenvektoren yˆ wie das zugehörige ungedämpfte System. Wird (13.9) nach λ umgeformt, entsteht zunächst: 

λ2i + ωi

 dM + dK ωi λi + ωi2 = 0, ω ! i "# $

(13.10)

M3 (t)

φ3 M2 (t)

2Di

φ2 M1 (t)

woraus sich das modale Dämpfungsmaß Di und, analog zum Einmassenschwinger, die modale Abklingkonstante δi = Di ωi bilden lassen. Im Weiteren soll davon ausgegangen werden, dass alle 0 < Di < 1 und somit alle Moden schwingungsfähig sind. Gleichung (13.10) führt schließlich auf:  (λi )1,2 = −Di ωi ± D2i ωi2 − ωi2

φ1

Abb. 13.7 System aus drei Drehmassen. An jeder der Massen wirkt ein äußeres Moment Mi (t )

Frage 13.2 Ist jedes System mit modaler Dämpfung durch RayleighDämpfung beschreibbar?

und weiter auf die Eigenwerte des gedämpften Systems:

(λi )1,2 = −δi ± jωi



1 − D2i .

Es entstehen viele Systemantworten, Analog zum Einmassenschwinger (12.12) werden die wenn ein mehrläufiger Schwinger Eigenkreisfrequenzen der gedämpften Moden ωd,i = von außen angeregt wird 

ωi 1 − D2i eingeführt. Somit wird das Zeitverhalten jeder Schwingungsform durch qi (t) = qˆ i e−δit (ai cos ωd,i t + bi sin ωd,i t)

beschrieben. Mithilfe der Modaltransformation analog zu (13.7) lässt sich das gedämpfte System in n entkoppelte, gedämpfte modale Schwinger der Form q¨ m,i + 2δi q˙ m,i + ωi2 qm,i = 0

(13.11)

bringen. Rayleigh-Dämpfung führt somit zu modaler Dämpfung. Systeme mit Rayleigh-Dämpfung

Rayleigh-Dämpfung ist ein Spezialfall, bei dem die Dämpfungsmatrix aus skalierter Massen- und Steifigkeitsmatrix zusammengesetzt wird: B = dM M + dK K Derartige Systeme haben die gleichen, rein reellen Eigenvektoren und somit dieselben Eigenschwingformen wie das ungedämpfte System. Die Eigenfrequenzen des gedämpften Systems sowie die modale Dämpfung jeder Eigenschwingung lassen sich einfach aus dem ungedämpften System berechnen. Rayleigh-gedämpfte Systeme lassen sich modal entkoppeln.

Ein mehrläufiger Schwinger kann, wie in (13.1) bereits vorgesehen, durch einen Anregungsvektor F (t) von außen angeregt werden. Dabei entstehen erzwungene Schwingungen, die durch die partikuläre Lösung der Bewegungsgleichung beschrieben werden. Da auch im linearen, mehrdimensionalen Fall das Superpositionsprinzip gilt, genügt es, die allgemeine Systemantwort auf eine harmonische Erregerfunktion einer Kreisfrequenz Ω zu bestimmen. Gegebenenfalls muss eine beliebige Anregung F (t) als Summe harmonischer Funktionen dargestellt werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Anregung simultan an mehreren Stellen mit unterschiedlicher Phasenlage wirken kann. Betrachtet werden soll hierzu das System aus drei Drehmassen in Abb. 13.7. Die drei Massen werden mit harmonischen Momenten der Kreisfrequenz Ω untereinander phasenverschoben ˆ 1 cos Ωt, M2 (t) = M ˆ 2 sin Ωt und M3 (t) = mit M1 (t) = M 2π ˆ M3 sin(Ωt + 3 ) angeregt. Eine Darstellung der Anregung im Reellen würde ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ˆ1 0 M ˆ2 ⎠ sin Ωt + ⎝ ⎠ cos Ωt 0 F ( t) = ⎝ M ˆ 3 sin 2π ˆ 3 cos 2π M M 3 3 lauten. Nach dem Superpositionsprinzip könnte die Systemantwort unabhängig für den sin Ωt- und den cos ΩtAnteil und sogar für die Anregung jeder Masse einzeln berechnet werden. Allerdings empfiehlt es sich, alle Anregungen einer Frequenz zu einem komplexen Anregungsterm zusammenzufassen. So lässt sich die Anregung, wie

13.1

Mehrläufige Schwingungen mit konzentrierten Parametern

⎡⎛

⎤ ˆ1 ⎞ jM   ˆ 2 ⎠ ejΩt ⎦ = Im fˆ ejΩt F (t) = Im ⎣⎝ M ˆ 3 ej 2π 3 M

Wird die Modaltransformation auf ein von außen erregtes System angewendet, ergibt sich in Erweiterung von (13.1) zunächst: Y T MY q¨ m + Y T BY q˙ m + Y T KYqm = Y T F (t),

mit dem komplexen Gewichtsvektor fˆ darstellen.

was unter der Annahme modaler Dämpfung und geeigneter Skalierung von Y analog zu (13.8) und (13.11) in n entkoppelte Teilgleichungen

Berechnung mit Systemkoordinaten

  ˆ jΩt geFür die Lösung wird der Ansatz q(t) = Im qe macht. Werden die Anregung und der Antwortansatz in (13.1) eingesetzt, ergibt sich:

−Ω2 M qˆ + jΩBˆq + Kqˆ = fˆ .

(13.12)

  −1 fˆ qˆ = −Ω2 M + jΩB + K ! "# $

(13.13)

gelöst werden, wobei die Frequenzgangmatrix G(Ω) eingeführt wird. Der Zeitverlauf der Lösung lautet:     ˆ jΩt = Im G(Ω)fˆ ejΩt . q(t) = Im qe Die komplexe (n × n)-Matrix G(Ω) enthält die komplexen Übertragungsfunktionen Gkl (Ω), die jeweils die Auslenkung am Ort k infolge Anregung am Ort l beschreiben. Somit enthält G(Ω) die Amplituden- und Phaseninformation zwischen allen Anregungsorten und Antworten. Für −1 ein ungedämpftes System ist G(Ω) = −Ω2 M + K rein reell. Im Fall Ω = ωi , wenn die Anregungskreisfrequenz genau einer Eigenkreisfrequenz entspricht, existiert die Inverse nicht, da wegen der Eigenwertbedingung det K − ω 2 M = 0 die Matrix −Ω2 M + K genau dann singulär ist. Diese Situation ist die Resonanz eines Systems mit einem Freiheitsgrad größer als eins. Da ein System mit mehr als einem Freiheitsgrad in der Regel mehrere Eigenfrequenzen besitzt, sind Resonanzen bei verschiedenen Anregungsfrequenzen zu erwarten. Typische Frequenzgänge mit mehreren Resonanzen werden im folgenden Abschnitt, der den Schwingungstilger beschreibt, dargestellt. Wirkt eine beliebige Zahl von Anregungen jeweils mit Kreisfrequenz Ωk und Vektor fˆ auf ein System, kann die k partikuläre Systemantwort mit

berechnet werden.



G(Ωk )fˆ ejΩk t k



 qm,i = Im qˆ

m,i

G( Ω )

k

zerfällt. Ist die Anregung harmonisch in der Form   F (t) = Im fˆ ejΩt , kann

Diese Gleichung kann mit

∑ Im

q¨ m,i + 2δi q˙ m,i + ωi2 qm,i = yˆ Ti F (t)

ejΩt

gesetzt werden, und es ergibt sich:   ωi2 − Ω2 + 2jδi Ω qˆ

m,i



= yˆ Ti fˆ .

(13.14)

Besondere Beachtung ist dabei dem Skalarprodukt yˆ Ti fˆ zwischen dem i. Eigenvektor und dem Gewichtsvektor der Anregung zu schenken. Ergibt dieses Produkt null, ist die i. Eigenform durch die äußere Anregung paradoxerweise nicht anregbar. Dieser Fall tritt z. B. auf, wenn die äußere Last nur an einem einzigen Ort wirkt, die Eigenform aber gerade dort keine Auslenkung zeigt. Frage 13.3 Ein System mit zwei Freiheitsgraden hat einen Eigenvektor mit y = (1, −1)T . Mit welcher Anregung kann diese Form nicht angeregt werden? Gleichung (13.14) weist noch einen weiteren Weg zur Berechnung der Frequenzgangmatrix G(Ω). Werden die Teilgleichungen für alle Moden zu einem Gleichungssystem zusammengesetzt, ergibt sich zunächst:   diag ωi2 − Ω2 + 2jδi Ω qˆ = Y T fˆ , m

was mit der Transformation qˆ = Y qˆ auf die Form m



qˆ = Y · diag ωi2 − Ω2 + 2jδi Ω

 −1

Y T fˆ

gebracht werden kann. Wird dies mit (13.13) verglichen, zeigt sich eine zweite Darstellungsform der Frequenzgangmatrix, die bei modal gedämpften Systemen gültig ist:   −1 Y T. G(Ω) = Y · diag ωi2 − Ω2 + 2jδi Ω

Technische Mechanik

Berechnung mit Modalkoordinaten

im Abschn. 12.4 beschrieben, komplex als

q( t ) =

321

322

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

Wird von einem System ohnehin eine Analyse der Eigenkreisfrequenzen und Eigenformen vorgenommen, sind die ωi sowie Y bekannt. Die modale Dämpfung ist dann in der Regel vorgegeben oder kann mittels (13.10) aus den Rayleigh-Parametern bestimmt werden. Damit lässt sich die Frequenzgangmatrix ohne Inversion einer vollen Matrix bilden, da für die Inverse der Diagonalmatrix lediglich die Kehrwerte der Diagonalelemente gebildet werden müssen. Bei sehr großen Systemen ergibt sich zudem die Möglichkeit, gezielt nur einzelne Elemente Gij von G zu bilden, ohne die volle Matrix aufstellen zu müssen. Dazu wird von der Matrix Y nur die i. Zeile und von der Matrix Y T nur die j. Spalte verwendet. Im ungedämpften System gilt:  −1  Y T, G(Ω) = Y · diag ωi2 − Ω2 was unmittelbar erkennen lässt, dass im Fall einer Resonanz ωi = Ω die Frequenzgangmatrix G aufgrund der Singularität nicht bildbar ist. Erzwungene Schwingungen mehrläufiger, linearer Systeme

Systeme mit mehreren Freiheitsgraden antworten auf äußere harmonische Anregungen mit harmonischen Schwingungen der gleichen Frequenz. Da Systeme mit mehreren Freiheitsgraden mehrere Eigenfrequenzen haben können, sind Resonanzen bei mehr als einer Anregungsfrequenz möglich. Die sich einstellende Schwingung ist auch von der räumlichen Verteilung der Anregung auf verschiedene Freiheitsgrade in Amplitude und Phase abhängig. Die gesamte Information, wie alle Freiheitsgrade des Schwingungssystems auf beliebig verteilte harmonische Anregungen einer Kreisfrequenz Ω antworten, ist in der komplexen Frequenzgangmatrix G(Ω) enthalten, die bei ungedämpften Systemen reell wird. Die Frequenzgangmatrix kann entweder aus den Systemmatrizen M, B und K oder, bei modal gedämpften Systemen, aus der Modalmatrix Y und den Eigenfrequenzen bestimmt werden.

Mit einem Tilger können Schwingungen durch Schwingungen bekämpft werden Die Tilgung von Schwingungen stellt neben Dämpfung und Isolation ein weiteres Verfahren zur Reduktion von

u (t)

cT

F (t) m

mT

c dT

Abb. 13.8 Einmassenschwinger mit m und c , der z. B. durch die Kraft F (t ) oder den Weg u (t ) angeregt werden kann. Angebaut ist der Tilger mit der Masse mT und der Federsteifigkeit cT und der Dämpfungskonstante dT

Schwingungen zur Verfügung. Da ein Tilger den Energiefluss von der Anregung in das schwingungsfähige System verhindert, ist es eine Methode zur Dämmung eindringender Anregungsleistung. Ein Schwingungstilger ist ein zusätzlicher Einmassenschwinger, der auf ein schwingungsfähiges System, das Basissystem, aufgebaut wird. Er wird immer auf eine spezielle Schwingungsfrequenz abgestimmt. Ist das Basissystem selbst ein Einmassenschwinger, kann die Schwingung in dessen Eigenfrequenz getilgt werden, bei einem mehrläufigen Basissystem kann eine der Moden des Basissystems ausgewählt werden. Ein Tilger kann aber auch auf eine spezifische äußere Anregungsfrequenz des Systems abgestimmt werden. Ein Tilger führt immer zu einer zusätzlichen Eigenfrequenz des Systems, die selbst wieder Probleme verursachen kann. Das einfachste Ersatzmodell eines Basissystems mit Tilger ist in Abb. 13.8 dargestellt.

Bewegungsgleichung des Systems mit Tilger Die Bewegungsgleichung des krafterregten Basissystems lautet m¨x + cx = F(t), die durch den zusätzlichen Tilger zu 

m 0

0 mT



x¨ x¨ T





c + cT −cT  dT + − dT

+

−cT cT − dT dT

 

x xT x˙ x˙ T

 



=

 F ( t) 0 (13.15)

erweitert wird. Der Tilger bringt einen zusätzlichen Freiheitsgrad ein, Systeme mit Tilger haben somit immer mindestens zwei Freiheitsgrade. Gleichung (13.15) wird für den Sonderfall des ungedämpften Tilgers mit dT = 0 vereinfacht, indem die erste Zeile durch m und die zweite Zeile durch mT dividiert wird, das Massenverhältnis μ = mmT eingeführt und die Kreisfrequenzen ω02 = mc sowie ωT2 = mcTT benannt werden. Es verbleibt von (13.15): 

x¨ x¨ T





+

ω02 + μωT2 −ωT2

−μωT2 ωT2



x xT





=

 f ( t) . (13.16) 0

Mehrläufige Schwingungen mit konzentrierten Parametern

Leitbeispiel Antriebsstrang Torsionsschwingungen in einem Pkw-Antriebsstrang

Schwingungen im Antriebsstrang sind aber immer unerwünscht: Sie können je nach Frequenz und Amplitude den Komfort des Fahrzeugs durch Vibrationen beeinträchtigen, Lärm verursachen oder im schlimmsten Fall zu vorzeitigem Verschleiß oder Versagen von Elementen des Strangs führen. Jede Stelle, an welcher der Strang mit dem Fahrzeug verbunden ist, kommt als Übertragungspfad für Schwingungen in den Fahrgastraum infrage. Beson-

RadVR

RadHR

WelleFluidKopplung2

DifferenzialV SeitenwelleVL1

SeitenwelleVL

Schwungrad

f ( x)

ElastSchwungrad

Gang

DifferenzialH SeitenwelleHL1

SeitenwelleHL

SeitenwelleVL2 ReifenFahrbahnVL RadVL RadiusVL

Fahrzeugmasse

Motor

SeitenwelleHR SeitenwelleHR1

SeitenwelleHL2 RadHL

ReifenFahrbahnHL

Getriebe

RadiusHR SeitenwelleHR2

KegelradgetriebeH

SeitenwelleVR2

FluidKopplung

x

Welle

MotorSteuerung y SeitenwelleVR

WelleFluidKopplung1

ReifenFahrbahnVR RadiusVR SeitenwelleVR2

ReifenFahrbahnHR

Antriebsstränge lassen sich für die eher im tieffrequenten Bereich liegenden Fragestellungen mit guter Näherung als Torsionsschwingerketten abbilden (Abb. 13.9).

Welle1

Ein Antriebsstrang ist aufgrund der darin verbauten Abfolge von elastischen und trägen Elementen ein schwingungsfähiges System. Eine Anregungsquelle von Schwingungen ist der Verbrennungsmotor, da er infolge periodischer Massen- und Gaskräfte ein zeitvariables Drehmoment erzeugt. Der häufig in Pkw verbaute Vierzylinder-Reihenmotor erzeugt Massenmomente der 2. und 4. Ordnung, sowie Gasmomente der 2., 4. und höherer gerader Ordnungen. Der Drehzahlbereich eines beispielhaften Motors reicht vom Leerlauf bei 900 1/min bis zur Maximaldrehzahl bei 6000 1/min, was einem Drehfrequenzbereich von 15 Hz bis 100 Hz entspricht. Der Motor erzeugt somit folgende Anregungen: 2. Ordnung: 30 Hz bis 200 Hz und 4. Ordnung: 60 Hz bis 400 Hz.

ders prominent hierbei sind die Räder: Dringen Drehschwingungen bis zu den Rädern durch, führen sie zwangsläufig zu Fahrzeug-Längsschwingungen, die als stark komfortmindernd wahrgenommen werden.

KegelradgetriebeV

Der Antriebsstrang eines Kraftfahrzeugs ist die Abfolge aller Elemente, die dafür verantwortlich sind, das Antriebsmoment des Motors zum Reifen-FahrbahnKontakt zu übertragen, wo es letztlich als Antriebskraft seine Wirkung entfaltet. Elemente eines Antriebsstrangs sind Wellen, die häufig als torsionselastisch zu betrachten sind, drehende Massen wie Schwungräder und Zahnräder sowie weitere Bauteile wie Kupplungen und Gelenke. Den Abschluss des Antriebsstrangs bilden die Räder mit elastischen Reifen.

RadiusHL

Abb. 13.9 Torsionsmodell des Antriebsstrangs eines Fahrzeugs mit Allradantrieb in einem kommerziellen Simulationswerkzeug

Wichtigstes Element der Schwingungsreduktion ist das Motorschwungrad. Es wirkt als mechanischer Tiefpass und unterdrückt die Ausbreitung höherer Anregungsfrequenzen aus dem Motor. Mit einem Zweimassenschwungrad, das zusätzlich eine weiche Drehfeder enthält, ist es möglich, den Strang tieffrequent abzustimmen, sodass die Anregungen des Motors immer im überkritischen Frequenzbereich des Strangs liegen.

Ungedämpfter Tilger für die Eigenfrequenz des Systems

regung durch Verkehr, Fußgänger oder Erdbeben aber nicht.

Ist die Erregerfrequenz nicht genau bekannt oder breitbandig, wird der Tilger so ausgelegt, dass er die Eigenfrequenz des Basissystems bedämpft. Dieses Vorgehen ist vor allem bei Bauten, Brücken und Strukturen üblich, bei denen eine Resonanzfrequenz genau bekannt ist, die An-

Dazu wird ωT = ω0 gewählt, d. h., dass die Eigenkreisfrequenz des nicht montierten Tilgers genau der Eigenkreisfrequenz des Basissystems entspricht. Gleichung (13.16) vereinfacht sich zu:        x¨ f ( t) x 2 1 + μ −μ + ω0 = . (13.17) x¨ T −1 1 0 xT

323

Technische Mechanik

13.1

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

Gilt nun f (t) = fˆ sin Ωt, kann die Matrix aus (13.17) mit M = E und B = 0 in (13.13) eingesetzt werden, und es ergibt sich:  qˆ =

xˆ xˆ T





=

ω02 (1 + μ) − Ω2 −ω02

−μω02 ω02 − Ω2

 −1   fˆ , 0

was sich durch das Abstimmungsverhältnis η = qˆ =

1 ω02



(1 + μ ) − η 2 −1

Ω ω0

zu

 −1   −μ fˆ 0 1 − η2

1 1 − η2 · 4 fˆ , 2 ω0 η − (2 + μ ) η 2 + 1 1 1 fˆ xˆ T = 2 · 4 ω0 η − (2 + μ ) η 2 + 1

μ = 0,20 DTilger = 0

(13.18) (13.19)

3

2

101

100

System ohne Tilger System mit Tilger Tilger

10–2

100 Frequenz

Abb. 13.10 Doppellogarithmisch dargestellte Amplitudengänge des Systems ohne Tilger, des ungedämpften Tilgers und des Systems mit Tilger. Das System ohne Tilger weist eine Resonanz (Punkt 2 ) auf. Durch den Tilger hat das System zwei Resonanzen (Punkte 1 und 3 ), bei der ursprünglichen Resonanz ist das System in Ruhe, nur der Tilger bewegt sich

führt. Dabei sollen die Frequenzgänge hier als Amplitudenfrequenzgänge mit Vorzeichen interpretiert werden: Ein negativer Zahlenwert zeigt an, dass Anregung und Antwort gegenphasig sind. Der Frequenzgang des Basissystems ohne Tilger lautet gemäß (12.48) xˆ =

1

102

10–1

vereinfachen lässt. Für dieses System ist eine analytische Lösung möglich, die auf die zwei Frequenzgänge xˆ =

Amplitude

103

Auslenkung/Anregung

324

1,2 1,15 1,1 1,05

1 1 ˆ · f. ω02 1 − η 2

(13.20)

η

1,0 0,95

Die Amplitudengänge (13.18), (13.19) und (13.20) sind in Abb. 13.10 dargestellt.

0,9 0,85

In den Amplitudengängen in Abb. 13.10 sind typische Phänomene schwingungsfähiger Systeme mit mehr als einem Freiheitsgrad zu erkennen: Amplitudengänge weisen zwei oder mehr Maxima auf (Punkt 1 bzw. 3 in Abb. 13.10), die den Resonanzfrequenzen des Systems mit zwei Freiheitsgraden entsprechen. Das System kann somit bei mehr als einer Frequenz in Resonanz geraten. Diese Frequenzen entsprechen den Eigenwerten der Matrix (K − Ω2 M ) gemäß (13.3), was hier den Werten entspricht, bei denen die Frequenzgangmatrix G aufgrund Singularität nicht bildbar ist. Das ist genau dann der Fall, wenn die Nenner der Frequenzgänge (13.18) und (13.19) gleich null sind. Mithilfe der Lösungsformel für quadratische Gleichungen kann diese Bedingung als quadratische Gleichung mit 2 = η1,2

2+μ ± 2





2+μ 2

2

−1

gelöst werden. Es genügt die Betrachtung der positiven Werte für η. Es kann die „Aufspaltung“ der Resonanz des Systems ohne Tilger mit μ → 0 bei η = 1 in zwei

0

0,02

0,04

0,06

0,08

0,1

μ

Abb. 13.11 Aufspaltung der Eigenwerte eines Systems mit Tilger in Abhängigkeit der Tilgermasse. Der rote und der grüne Ast stellen jeweils eine Lösung von (13.21) dar

Resonanzen beobachtet werden: Die beiden neuen Resonanzfrequenzen liegen oberhalb bzw. unterhalb der Resonanzfrequenz ohne Tilger:   μ μ2 . (13.21) η1,2 = 1 + ± μ + 2 4 Die Lösungen von (13.21) sind in Abb. 13.11 graphisch dargestellt. Bei η = 1 kann im Frequenzgang von xˆ ein Nulldurchgang (Punkt 2 in Abb. 13.10) gefunden werden, eine sogenannte Antiresonanz bzw. der Tilgungspunkt. Das Basissystem zeigt bei einer Anregung mit seiner ursprünglichen Resonanzfrequenz keine Auslenkung mehr.

Mehrläufige Schwingungen mit konzentrierten Parametern

Dieser Effekt wird zur Schwingungstilgung ausgenutzt. Der Tilger selbst führt an dieser Stelle eine Bewegung mit 1 ˆ der Amplitude xˆ T = − μω 2 f aus. Der zugrundeliegende

Amplitude

102

Der gedämpfte Tilger für die Eigenfrequenz des Systems Die Nachteile des ungedämpften Tilgers – zusätzliche ungedämpfte Resonanzen in der Nähe der ursprünglichen – können unter Preisgabe der idealen Auslöschung vermieden werden, wenn ein gedämpfter Tilger eingesetzt wird. Auf die Herleitung der Auslegungsformeln wird hier verzichtet. Stattdessen werden direkt die Ergebnisse, wie sie z. B. in der VDI-Richtlinie 3833 dargestellt sind, angegeben. Die Eigenkreisfrequenz des Tilgers muss leicht von der zu tilgenden Kreisfrequenz abweichen: ωT =

1 ω0 . 1+μ

Auslenkung/Anregung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Tilger in der Lage ist, eine unerwünschte Schwingungsfrequenz eines Systems vollständig auszulöschen, dabei aber zwei andere Resonanzfrequenzen in das System „eingeschleppt“ werden. Der ungedämpfte Tilger eignet sich somit dann, wenn bei einem System eine Resonanz mit einer immer gleichen äußeren Anregung zusammenfällt.

2

μ = 0,05 DTilger = 0,127

0

physikalische Effekt ist, dass die Tilgermasse der Anregungskraft so entgegen schwingt, dass die Federkraft des Tilgers die Anregungskraft genau aufhebt. Die Tilgeramplitude ist umso größer, je kleiner die Masse des Tilgers im Vergleich zu der Systemmasse ist.

101

1 3

100

10–1 System ohne Tilger System mit Tilger Tilger 10–2

100 Frequenz

Abb. 13.12 Doppellogarithmisch dargestellte Amplitudengänge des Systems ohne Tilger, des gedämpften Tilgers und des Systems mit Tilger. Die Kurve des Systems ohne Tilger mit Resonanz im Punkt 2 ist identisch mit Abb. 13.12. Die neuen Resonanzen (Punkte 1 und 3 ) sind infolge der Tilgerdämpfung nicht so stark ausgeprägt. Allerdings ist keine Totalauslöschung bei der ursprünglichen Frequenz erkennbar

abgestimmt werden. Wird das Vorgehen aus (13.12) hier sinngemäß angewendet und ωT = Ω gesetzt, ergibt sich:  qˆ =

(13.22)

xˆ xˆ T





=

ω02 + (μ − 1)Ω2 − Ω2

−μΩ2 0

 −1   fˆ , 0

Das Dämpfungsmaß des Tilgers soll DT =

3μ 8 (1 + μ )3

betragen. Werden für ein derartig ausgestattetes Tilgersystem die Frequenzgänge analog zu Abb. 13.10 aufgetragen, ist zu erkennen, dass die ideale Auslöschung verschwunden ist, aber auch die neuen Resonanzen stark gedämpft sind. Das getilgte System zeigt in einem breiten Frequenzbereich geringere Schwingungsamplituden als das ungetilgte. Vorteil des gedämpften Tilgers ist, dass eine vorhandene Dämpfung generell Bewegungsenergie dissipieren kann und somit auch Einschwingvorgänge abseits der idealen Tilgungswirkung gedämpft werden können. Ungedämpfter Tilger für eine spezifische Anregungsfrequenz Hat die Anregung des Systems (13.16) genau die Form f (t) = fˆ sin Ωt, kann der Tilger auf die Kreisfrequenz Ω

Amplitudengänge

104 10

Auslenkung/Anregung



3

μ = 0,1 DTilger = 0,0

3 1 4

102 101 100 10–1 10–2

325

Technische Mechanik

13.1

System ohne Tilger System mit Tilger Tilger

2 0

10 Frequenzverhältnis h = V /v 0

Abb. 13.13 Doppellogarithmisch dargestellte Amplitudengänge des Systems ohne Tilger, des ungedämpften Tilgers und des Systems mit Tilger. Die Kurve des Systems ohne Tilger√mit Resonanz im Punkt 1 ist identisch mit Abb. 13.12. Beim Punkt 2 bei η = 3 liegt der gewünschte Tilgungspunkt mit totaler Auslöschung. Die neuen Resonanzen liegen bei den Punkten 3 und 4

326

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

Beispiel: Tilger in der Praxis Schwingungstilger werden heute an vielen Stellen eingesetzt. Hohe Häuser und Strukturen aus Stahl wie Brücken oder Schornsteine können mit Tilgern gegen Schwingungen geschützt werden. In der Antriebstechnik von Pkw kommen ebenfalls Tilger zum Einsatz.

Gebäude Ein Hochhaus kann in erster Näherung als vertikal stehender einseitig fest eingespannter elastischer Balken modelliert werden. Das Gebäude kann durch Windlasten, was einer Kraftanregung entspricht, oder Erdbeben, entsprechend einer Fußpunkterregung, in Schwingungen versetzt werden. Gebäude haben den Vorteil, dass ihre Eigenfrequenzen sehr genau bestimmbar und konstant sind. Deshalb bietet es sich an, z. B. die erste Biegeeigenfrequenz des Gebäudes mit einem Tilger zu dämpfen (Abb. 13.14). 1. Eigenform ω1

F (t)

dT g

lT mT F (t)

u (t) Wind

cT m

c c ω1 = m

Abb. 13.15 Hochhaus Taipei 101 mit kugelförmigem Tilgerpendel, das zwischen 88. und 92. Stockwerk eingebaut ist

Fahrzeug-Antrieb Kurbelwellen in Pkw-Motoren sind Torsionsschwinger. Ein einfaches Ersatzmodell besteht aus einer Drehmasse pro Kröpfung, in die auch die rotierenden bzw. oszillierenden Massenanteile des Pleuels und des Kolbens gemittelt eingerechnet werden, sowie Drehfedern dazwischen. Das Schwungrad am

dT mT 2

a

b 3

1

J1

u (t) Erdbeben

J2

J3

Abb. 13.14 Pendel als Tilger in einem Hochhaus c1

Der Tilger kann z. B. als großes Pendel im oberen Bereich des Gebäudes angebracht werden. Die Pendelkreisfrequenz ωP = g/lT muss der ersten Gebäudeeigenfrequenz entsprechen oder, wenn das Pendel als gedämpfter Tilger wirken soll, mit Formel (13.22) berechnet werden. Ein mathematisches Pendel der Länge l und der Masse m wirkt wie ein Feder-Masse-System mg mit der Steifigkeit c = l . Berühmtes Anwendungsbeispiel ist das Hochhaus Taipei 101. Hier befindet sich im oberen Bereich ein Tilgerpendel aus einer 660 t schweren Stahlkugel (Abb 13.15).

c2

c3

c

d JT cT

Abb. 13.16 a Mehrzylinder-Reihenmotor mit Schwungmasse, b Ersatzmodell als Torsionsschwinger mit drei Drehmassen, c Erste Eigenform, alle Drehmassen bewegen sich gleichsinnig mit zunehmender Amplitude zum freien Wellenende, d Torsionssystem mit Tilger am freien Wellenende

13.2

Kontinuumsschwingungen

Technische Mechanik

einen Ende der Kurbelwelle wirkt aufgrund der großen Trägheit im Vergleich zu den anderen Komponenten dynamisch wie eine feste Einspannung. Die erste Eigenform der Kurbelwelle kann z. B. bei 300 Hz liegen, was durch die 4. Motorordnung bei einer Drehfrequenz von 75 Hz, entsprechend 4500 1/min angeregt werden kann. Lösung für dieses Problem ist die Anbringung eines Torsionstilgers am freien Ende der√Kurbelwelle, der mit seiner Eigenkreisfrequenz ωT = cT /JT genau auf die erste Eigenkreisfrequenz der Kurbelwelle abgestimmt ist. Als Drehmasse des Tilgers kann eine zusätzliche Scheibe am Ende der Kurbelwelle mit einer Drehfeder montiert werden. Eine besonders kompakte Konstruktion, welche den Tilger in eine Ausgleichsmasse am Ende der Kurbelwelle integriert, zeigt Abb. 13.17.

woraus sich die hier einfach zu bildende Frequenzgangmatrix G(Ω) 

xˆ xˆ T



=−

1 μΩ4



0 μΩ2

Ω2 2 ω0 + ( μ − 1) Ω2

  fˆ 0

ergibt. Die Amplituden für System und Tilger lauten: xˆ = 0

und xˆ T = −

1 ˆ f, Ω2

was auch in diesem Fall bedeutet, dass die Systemmasse trotz Anregung in Ruhe ist und der Tilger eine Bewegung ausführt, die der Anregung entgegen gerichtet ist. Ohne den Tilger würde die Antwortamplitude des Systems xˆ = 1 fˆ betragen. ω 2 − Ω2 0

Allerdings ist gerade bei dieser Tilgerapplikation in der Praxis zu beachten, dass einerseits der Tilger die zu tilgende Frequenz nicht immer exakt trifft und andererseits die Anregung nicht nur aus der idealisierten harmonischen Anregung mit der Kreisfrequenz Ω besteht. In Abb. 13.13 ist zu erkennen, dass auch in diesem Fall eine Aufspaltung der Resonanz des Grundsystems bei η = 1 stattfindet und zwei neue Resonanzen entstehen. Der Tilgungspunkt liegt aber bereits nahe an einer der neu eingeführten Systemresonanzen. Kleine Abstimmungsfehler oder Abweichungen der Anregungsfrequenz vom Auslegungswert kehren den gewünschten Tilgungseffekt in sein Gegenteil um. Dieses Problem wird umso ausgeprägter, je weiter die Auslegungsfrequenz von der Resonanz des Basissystems entfernt liegt und je kleiner die Tilgermasse gegenüber der Masse des Basissystems ist.

327

Abb. 13.17 Konstruktive Umsetzung des Kurbelwellentilgers in besonders platzsparender Bauweise (Schaeffler)

Anwendung von Schwingungstilgern

Ein Tilger ist ein Einmassenschwinger der auf ein schwingungsfähiges System aufgesetzt wird. Der Tilger kann entweder auf eine Eigenfrequenz des Systems oder eine spezifische Anregungsfrequenz abgestimmt werden. Die Abstimmungsfrequenz des Tilgers entspricht genau seiner Eigenfrequenz. Der ungedämpfte Tilger kann die Schwingung des Basissystems in der Abstimmungsfrequenz vollständig auslöschen, erhöht aber den Systemfreiheitsgrad um eins und führt zu neuen Resonanzen bei anderen Frequenzen. Gedämpfte Tilger können keine vollständige Auslöschung einer Frequenz mehr erreichen, sie wirken dafür breitbandiger und verursachen keine ungedämpften hohen neuen Resonanzen.

13.2

Kontinuumsschwingungen

Als Kontinuumsschwinger werden Systeme bezeichnet, bei denen nicht der Zeitverlauf von diskreten Zustandsgrößen, z. B. der Verschiebung einer Masse, von Interesse ist, sondern die Auslenkungen von kontinuierlichen Feldgrößen zu beschreiben sind. Beispiele hierfür sind: eindimensional: schwingende Saite (Musikinstrumente), Druckschwingungen in Rohren mit Fluiden (Hydraulik- und Pneumatiksysteme, Orgelpfeifen),

328

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden w (x,t)

Technische Mechanik

F0 x

g (x + 2c ∆t) g (x + c ∆t) g (x) f (x)

f (x – c ∆t) f (x – 2c ∆t)

l

Abb. 13.18 Schwingende Saite

Longitudinale Dehnschwingungen in Stäben und Seilen (Aufzüge), Torsionsschwingungen in langen Wellen (Antriebssysteme), Biegeschwingungen von Balken (Brücken, transversal schwingende Achsen und Wellen). zweidimensional: schwingende Membranen (Musikinstrumente), Flachwasserwellen (Hafenbecken), Biegeschwingungen von Platten und Schalen (ebene und gebogene Bleche). dreidimensional: räumliche, elastische Körper (Maschinen-Bauteile), Druckschwingungen in Räumen (Raumakustik). In all diesen Beispielen können sich, wie bei allen Kontinuumsschwingern, auch Wellen ausbreiten. Damit sich eine klassische Schwingung ausbilden kann, muss durch reflektierende Ränder im System eine stehende Welle entstehen können. Für einfache Systeme sind analytische Lösungen möglich. Komplexere Systeme werden z. B. mit der Methode der Finiten Elemente diskretisiert und können dann mit den Methoden aus Abschn. 13.1 als diskrete Schwinger mit vielen Freiheitsgraden weiter behandelt werden.

Die Saite schwingt und klingt mit vielen Tönen Als Beispiel für die analytische Lösung eines kontinuierlichen Schwingungsproblems soll hier die homogene Saite betrachtet werden (Abb. 13.18). Sie ist, wenn sie als biegeschlaff angenommen wird und nur kleine Auslenkungen zulässt, ein besonders einfacher Repräsentant für ein lineares, ungedämpftes, kontinuierliches Schwingungssystem. Die eindimensionale Fluidsäule im Rohr oder der Torsionsschwinger führen auf eine identische Bewegungsgleichung. Der Euler’sche Biegebalken führt auf eine ähnlich einfach zu lösende Differenzialgleichung, die später im Kapitel dargestellt wird. Die Konzepte der Lösungsfindung lassen sich außerdem auf mehrdimensionale, kontinuierliche Schwingungsprobleme übertragen. Auf die Herleitung der Bewegungsgleichung wird hier verzichtet, sie kann in Physik-Lehrbüchern nachgelesen

x

Abb. 13.19 Zwei laufende Wellenberge der Form f (x ) bzw. g (x ), die sich mit der Geschwindigkeit c nach rechts bzw. links fortbewegen

werden. Die Bewegungsgleichung für die Auslenkung w(x, t) lautet: ∂2 w ∂2 w − c2 2 = 0 2 ∂t ∂x

oder kurz

¨ − c2 w = 0 w

(13.23)

mit der Wellenausbreitungsgeschwindigkeit  F0 , ρl

c=

wobei ρl die Masse pro Länge der Saite und F0 die Vorspannung der Saite darstellen. Die Länge der Saite tritt in (13.23) nicht auf. Die Bewegungsgleichung ist eine lineare, partielle Differenzialgleichung. Die beschreibende Zustandsgröße w hängt vom Ort x und der Zeit t ab. In der Bewegungsgleichung (13.23) sind noch keine Randbedingungen berücksichtigt, sie liefert sowohl stehende als auch laufende Wellenlösungen. Einfaches Einsetzen zeigt, dass beliebige Funktionen des Typs f (x − ct) und g(x + ct) Lösungen von (13.23) darstellen (Abb. 13.19). Die Lösung f beschreibt eine rechts- und g eine linkslaufende Welle, jeweils mit der Form f (x) und g(x). Diese Lösungen sind z. B. bei der Berechnung von Druckwellen in langen Rohren in Wasserkraftanlagen relevant. Sobald sie an ein offenes oder geschlossenes Rohrende auflaufen, werden sie dort reflektiert und beginnen sich zu überlagern, was die Lösung zunehmend kompliziert macht. Lösung für stationäre freie Schwingungen Bei der schwingenden Saite sind infolge der Einspannung links und rechts stehende Wellen zu erwarten. Dafür wird ein reeller Separationsansatz gemacht. Da (13.23) linear ist, gilt das Superpositionsprinzip. Es kann angenommen werden, dass sich die Gesamtlösung w(x, t) =

∑ w¯ i (x)qi (t)

(13.24)

i

aus einer Summe von Moden zusammensetzt. Jede Mo¯ i (x), welche die de ist ein Produkt aus Ortsfunktion w

Schwingungsform darstellt, und Zeitfunktion qi (t), welche deren zeitliche Entwicklung beschreibt. Im Folgenden wird eine Mode als Teillösung gesucht und zur Übersichtlichkeit zunächst der Index i weggelassen. Wird die Teillösung in (13.23) eingesetzt, ergibt sich: ¯ (x)q(t) = 0, ¯ (x)q¨ (t) − c2 w w

(13.25)

¯ (x) q¨ (t) w = c2 = −ω 2 ¯ (x ) w q ( t)

(13.26)

was sich zu

umformen lässt. Da die eine Seite von (13.26) ausschließlich von t, die andere ausschließlich von x abhängt, müssen sie konstant sein. Diese Konstante wurde bereits mit −ω 2 eingeführt. Damit ergeben sich die unabhängigen Teilgleichungen für das Zeitverhalten und die Ortsabhängigkeit: q¨ (t) = −ω 2 q ( t)

sowie

¯ (x) w ω2 = − 2 = −κ 2 , ¯ (x ) w c

(13.27)

wobei für die Ortsgleichung die Wellenzahl κ = ωc eingeführt wurde. Die Lösungen der Differenzialgleichungen (13.27) sind sowohl für das Zeitverhalten q(t) als auch für ¯ (x) harmonische Funktionen: die Schwingungsform w q(t) = A cos ωt + B sin ωt, ¯ (x) = C cos κx + D sin κx w

(13.28) (13.29)

mit an dieser Stelle noch unbekannten Parametern ω und κ.

Die ersten drei Eigenformen sind in Abb. 13.20 im Teilbild „fest–fest“ dargestellt. Höhere Eigenformen weisen sogenannte Schwingungsknoten auf, Orte an denen trotz Schwingbewegung keine Auslenkung stattfindet. Nun kann zu jeder Wellenzahl κi einer Eigenform die zugehörige Eigenkreisfrequenz  F0 iπ (13.32) ωi = cκi = ρl l bestimmt werden. Damit lässt sich die Gesamtlösung gemäß (13.24) als w(x, t) =

(13.30)

was zur nicht-trivialen Lösung κi l = iπ



κi =

iπ l

führt. Somit existieren unendlich viele κi und entsprechend unendlich viele normierte Ortslösungen oder Eigenformen (D = 1) der Form: ¯ i (x) = sin κi x. w

(13.31)

(13.33)

i=1

Frage 13.4 Können Sie (13.33) in eine Form mit f (x − ct) und g(x + ct) bringen? Dies soll hier beispielhaft für das Ausschwingen ab t = 0 aus einer Anfangslage, d. h. Anfangsform w0 (x) ohne Anfangsgeschwindigkeit demonstriert werden. Die Bedingungen lauten somit: w(x, 0) = w0 (x)

¯ (0) = 0 führt eingesetzt in (13.29)) Die Randbedingung w unmittelbar zu C = 0. Aus der zweiten Randbedingung ¯ (l) = 0 folgt: w D sin κl = 0,



∑ sin κi x(Ai cos ωi t + Bi sin ωi t)

schreiben, worin noch die zeitlichen Integrationskonstanten Ai und Bi aus Anfangsbedingungen zu bestimmen sind.

Anpassung an Rand- und Anfangsbedingungen Kontinuierliche Schwingungen führen auf RandAnfangswertprobleme; in diesem Sinn sind die Integrationskonstanten A bis D in (13.28) und (13.29) zu interpretieren: A und B sind aus Anfangsbedingungen zu bestimmen und C sowie D aus Randbedingungen des konkreten Problems. Bei der schwingenden Saite der Länge l sind die Randbedingungen einfach zu bilden: Sie soll bei x = 0 sowie bei x = l unverschieblich sein, was zu ¯ (0) = 0 und w ¯ (l) = 0 führt. w

Kontinuumsschwingungen

und

w˙ (x, 0) = 0.

Die zweite Bedingung führt eingesetzt in die Ableitung von (13.33) zu: w˙ (x, 0) =



∑ Bi ωi sin κi x = 0,

i=1

was nur durch Bi = 0 für alle i erfüllbar ist. Die Lagerandbedingung führt somit auf: ∞



∑ Ai sin κi x = ∑ Ai sin

i=1

i=1

 iπ

x = w0 (x), l

was auf die Aufgabe einer Fourier-Zerlegung führt: Die Anfangslage w0 (x) muss als harmonische Reihe von Sinusfunktionen mit den Fourier-Koeffizienten Ai dargestellt werden. Im vorliegenden Fall lautet die Bestimmungsgleichung: 2 Ai = l

l 0

 x dx. w0 (x) sin iπ l

(13.34)

Ein konkretes Beispiel wird im Aufgabenblock am Ende dieses Kapitels berechnet.

329

Technische Mechanik

13.2

330

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden Tab. 13.1 Resonanzkreisfrequenzen eindimensionaler Kontinuumsschwinger bei gegebener Länge l und Wellenausbreitungsgeschwindigkeit c c2

Randbedingung

Anwendung

Kreisfrequenz ωi

Saite

F0 ρl

fest–fest

Musikinstrument

ciπ l

geschlossen–offen

Orgelpfeife, Rohr mit Vorratsvolumen an einem Ende

2i−1 cπ 2 l

geschlossen–geschlossen

Rohr mit zwei geschlossenen Enden

ciπ l

offen–offen

Rohr mit zwei offenen Enden

ciπ l

geschlossen–geschlossen

akustische Raumresonanzen

ciπ l

K ρF

Luftsäule/Fluidsäule

c2L

kubischer Raum

F0 : Vorspannung der Saite, ρl : Masse/Länge der Saite K: Kompressibilität des Fluids, ρF : Dichte des Fluids cL : Luft-Schallgeschw. Hinweis: Bei schwingenden Fluidsäulen können die beschreibenden Differenzialgleichungen wahlweise für die Verschiebung der Fluidpartikel w(x, t) oder für den Druck p(x, t) aufgestellt werden. Die Gleichungen sind strukturell identisch. Die Randbedingungen sind jedoch komplementär: Ein geschlossenes Rohrende führt z. B. zu einer Dirichlet-Bedingung w = 0 für die Verschiebung, jedoch zu einer NeumannBedingung p = 0 für den Druck.

fest–fest

fest–frei

Auslenkung

Kontinuierliche Schwinger haben unendlich viele Moden, d. h. Eigenformen mit zugehörigen Eigenfrequenzen. Die Randbedingungen bestimmen wesentlich die Eigenfrequenzen und Eigenformen.

Auslenkung

Verhalten kontinuierlicher Schwinger

0

Länge

0

l

Andere Randbedingungen führen zu neuen Schwingungsformen Die im vorangegangenen Abschnitt verwendeten festen Randbedingungen werden als Dirichlet-Bedingungen bezeichnet. Bei schwingenden Fluidsäulen können z. B. an offenen Enden von Rohren auch Randbedingungen ¯ (xRand ) = 0, sogenannte Neumann-Randbevom Typ w dingungen auftreten. Auf komplexere, mögliche Randbedingungen soll in diesem Buch verzichtet werden. Eine Neumann-Randbedingung bei x = l würde (13.30) zu Dκ cos κl = 0 modifizieren, welche die Lösungen κi l =

π 3π 5π , , , ... 2 2 2

hat. Die entstehenden Eigenformen sind in Abb. 13.20 im Teilbild „fest–frei“ dargestellt.

Länge

l

frei–frei

Auslenkung

frei–fest

Auslenkung

Technische Mechanik

Typ

0

Länge

l

0

Länge

l

Abb. 13.20 Übersicht über die jeweils ersten drei Eigenformen des eindimensionalen Kontinuumsschwingers mit der Bewegungsgleichung w¨ − c 2 w = 0 bei verschiedenen Randbedingungen

In der Technik ist oft die tiefste Eigenfrequenz (Grundton) mit der zugehörigen Schwingform, d. h. die Lösung mit i = 1 von Interesse. Diese ist im Fall der fest-fest Einspan¯ 1 (x) = sin πl x eine Sinushalbwelle. Wird mit nung mit w λ die Wellenlänge bezeichnet, ist die erste Eigenform die sogenannte λ/2-Resonanz, da sie eine halbe Wellenlänge besitzt. Bei Systemen mit fest-frei Randbedingungen besitzt die tiefste Resonanzfrequenz als Eigenform eine viertel Sinuswelle. Diese Resonanz wird deshalb auch als λ/4-Resonanz bezeichnet. Die Resonanzfrequenzen einfacher eindimensionaler Schwinger sind in Tab. 13.1 zusammenfassend dargestellt.

13.2

Die im vorangegangenen Abschnitt vorgestellte Saite ist als Modell zum grundsätzlichen Verständnis einiger Phänomene kontinuierlicher Schwinger geeignet, tritt jedoch in technischen Systemen selten auf. Der in Abschn. 5.2 eingeführte Biegebalken hingegen ist ein geeignetes Modell, um Biegeschwingungen z. B. von Antriebswellen oder Streben zu beschreiben. Bewegungsgleichung des Balkens Die Bewegungsgleichung des Biegebalkens kann durch eine einfache Erweiterung der statischen Gleichungen und der Anwendung des Prinzips von d’Alembert (siehe Abschn. 10.3) gewonnen werden. Die Biegelinie eines Balkens wird (siehe Abschn. 5.2) durch die Gleichung EIw (x) = −M(x)

(13.35)

beschrieben. Wird hier noch (siehe Abschn. 3.1) der Zusammenhang q(x) = −M (x) zwischen Streckenlast und Biegemoment eingesetzt, ergibt sich zunächst: (13.36) EIw (x) = qS (x). Die Streckenlast qS (x, t) setzt sich im dynamischen Fall aus zwei Anteilen zusammen: Einer externen Last qSe (x, t) sowie der Trägheitskraft pro Längeneinheit nach ¨ (x, t), welche sich aus der Beschleud’Alembert −ρAw nigung multipliziert mit der Masse pro Längeneinheit ρA des Balkens ergibt. Wird dies in Gleichung (13.36) eingesetzt und ein homogener Balken mit EI = konstant betrachtet, ergibt sich die Bewegungsgleichung ¨ (x, t) + EIw (x, t) = qSe (x, t) ρAw

(13.37)

des homogenen Biegebalkens. Die Streckenlast qSe (x) beschreibt alle äußeren Lasten auf den Balken. Mit qSe (x) = F(t) · δ(x − x0 ) kann darin z. B. auch eine Punktlast F an der Stelle x0 berücksichtigt werden, wobei δ die DiracDistribution darstellt. Für einen lastfrei schwingenden Balken gilt qSe (x) = 0 und Gleichung (13.37) kann als ¨ + EIw = 0 ρAw geschrieben werden, womit sie große Ähnlichkeit zu Gleichung (13.25) aufweist. Die Lösung der partiellen Differenzialgleichung gelingt durch einen Separationsansatz w (x, t) = ∑ wi (x) · qi (t), analog der Lösung für die Saite gemäß Gleichungen (13.27) bis (13.28). Es entstehen eine Zeit- und eine Ortsdifferenzialgleichung (Index i weggelassen) q¨ (t) = −ω 2 q ( t)



sowie

w (x ) ρA = κ4 = ω2 w(x ) EI

(13.38)

331

welche die Lösungen q(t) = A cos ωt + B sin ωt, w(x) = C1 cos κx + C2 sin κx + C3 + C4 sinh κx

(13.39)

besitzen. Die Ortsdifferenzialgleichung des Balkens hat die Ordnung vier, deswegen entsteht eine Lösung mit vier Integrationskonstanten. Randbedingungen Die Lösung w(x) muss noch an die Randbedingungen angepasst werden, die sich aus den konkreten Lagerungsbedingungen des Balkens an seinen beiden Enden ergeben. Die üblichen festen Balkenlagerungen und ihre zugehörigen Randbedingungen sind in Tab. 13.2 zusammengestellt, die eine große Ähnlichkeit zu Tab. 2.1 hat. Es fällt auf, dass jede Lagerung einen Kraft/Lage-Term sowie einen Momenten/Winkel-Term am Lagerort zu Null setzt. Die Kraft/Lage-Terme sind die Auslenkung w sowie die 3. Ableitung w , die mit der Lagerkraft korrespondiert. Die Momenten/Winkel-Terme sind die Neigung w des Balkens sowie die Krümmung w , die über (13.35) mit dem Einspannmoment verknüpft ist. Die Vertikalführung an sich ist technisch schwierig zu realisieren, tritt aber als Randbedingung bei symmetrischen Problemen an der Symmetrieebene auf. Aus diesen Lagern kann nun eine beliebige Kombination für das Lager bei x = 0 und das Lager bei x = l, der Länge des Balkens, ausgewählt werden. Da aus jeder Lagerung zwei Randbedingungen folgen, führt dies mit Gleichung (13.39) bzw. ihren Ableitungen auf vier Gleichungen, denen die Integrationskonstanten C1 . . . C4 genügen müssen. Diese ergeben ein homogenes Gleichungssystem A·C = 0

(13.40)

Tab. 13.2 Randbedingungen des Balkens Lagertyp

Kraft/Lage-RB

Feste Einspannung

w=0

Moment/ Winkel-RB w = 0

Drehgelenk

w=0

w = 0

Vertikalführung

w = 0

w = 0

Freies Ende

w = 0

w = 0

Technische Mechanik

Der elastische Balken kann Biegeschwingungen von Antriebswellen und anderen schlanken Bauteilen beschreiben

Kontinuumsschwingungen

332

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

mit der Matrix A und dem Vektor C, in dem die Konstanten C1 . . . C4 zusammengefasst sind. Dieses homogene System hat nur dann eine nicht-triviale Lösung, wenn det (A) = 0 gilt. Diese Forderung liefert ein transzendentes Eigenwertproblem mit dem die κi und damit die Eigenkreisfrequenzen ωi gemäß Gleichung (13.38) abgeleitet werden können. Die Ci eingesetzt in Gleichung (13.39) ergeben die zugehörige Eigenform wi (x). Analog zum klassischen Eigenwertproblem liefert die Gleichung (13.40) auch im nicht-trivialen Fall nur die Verhältnisse der Ci untereinander und keine Absolutwerte. Aus einer beliebigen Kombination der Lager in Tabelle 13.1 können statisch bestimmte, aber auch über- oder unterbestimmte Balken entstehen. Unterbestimmte Balken können zusätzlich zu den Schwingungen noch freie Starrkörperbewegungen ausführen. Überbestimmte Systeme sind, je nach Einspannbedingung, zusätzlichen Lasten unterworfen, die aber im Rahmen der hier vorgestellten linearen Theorie keinen Einfluss auf die Schwingbewegung haben. Bewegungsgleichung des Biegebalkens

Die Dynamik eines Biegebalkens wird durch eine partielle Differenzialgleichung beschrieben, die eine 2. Zeitableitung und eine 4. Ortsableitung der Auslenkungsvariablen enthält. Die Einspannungen am Rand liefern insgesamt vier Ortsrandbedingungen.

Lösung für ein Beispiel Technisch besonders relevant ist der Biegebalken mit zwei Drehgelenken am Ende. Das ist z. B. das Modell einer beidseitig gelenkig gelagerten Getriebewelle. Auf den Einfluss einer Zusatzmasse, wie z. B. ein auf der Welle befindliches Zahnrad, soll im nächsten Abschnitt eingegangen werden. Aus Tab. 13.1 folgen w(0) = 0, w (0) = 0, w(l) = 0 und w (l) = 0. Werden diese 4 Randbedingungen in die Gleichung (13.39) bzw. ihre Ableitungen eingesetzt, entsteht das Gleichungssystem ⎞ ⎛ 0 0 ⎟ ⎜ · sinh κl ⎠ ⎝ sinh κl

⎞ C1 C2 ⎟ =0 C3 ⎠ C4 (13.41) aus dem offensichtlich sofort C1 = C3 = 0 folgt. Das transzendente Eigenwertproblem det(A) = 2 sin κl sinh κl = 0 mit den Lösungen ⎛

1 −1 ⎜ ⎝ cos κl − cos κl

0 0 sin κl − sin κl

1 1 cosh κl cosh κl

lκi = iπ,

i = 1, 2, 3, . . . ∞

führt auf die nicht-triviale Lösung von Gleichung (13.41). Wird einer der Eigenwerte dort eingesetzt folgt C4 = 0 und C2 kann beliebig, z. B. C2 = C gewählt werden. Die

EI, ρA(x)

m1, J1 m2

x c

Abb. 13.21 Getriebewelle als Balken mit veränderlichem Querschnitt, Zusatzmassen und elastischer Abstützung

Lösungen der Ortsdifferenzialgleichung und damit die Eigenschwingungsformen lauten nach Normierung der Maximalamplitude auf eins wi (x) = sin κi x. Werden die Eigenwerte κi in (13.38) eingesetzt, ergeben sich die zugehörigen Eigenkreisfrequenzen     EI 2 EI iπ 2 κ = . (13.42) ωi = ρA i ρA l Im Vergleich mit der Saite (13.31) fällt auf, dass die Schwingformen ebenfalls Sinus-Bögen sind. Die Zunahme der Eigenkreisfrequenz mit der Ordnung erfolgt allerdings nicht linear wie in (13.30), sondern quadratisch. Für weitere technisch wichtige Balkenkonfigurationen sind die Lösungen in Tab. 13.3 zusammengefasst. Frage 13.5 Vergleichen Sie die beiden ersten Eigenfrequenzen eines homogenen Balkens, der entweder beidseitig gelenkig gelagert ist oder frei schwebt.

Der Rayleigh-Quotient ermöglicht die Abschätzung der ersten Eigenfrequenz eines Biegeschwingers Die im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Formeln und Lösungen gelten nur für einen homogenen Balken ohne zusätzliche Massen oder weitere elastische Abstützungen. Eine typische Getriebewelle wird aber unterschiedliche Querschnitte und zusätzliche Massen, sowie ggf. weitere Abstützungen oder elastische Lager aufweisen (Abb. 13.21). Die erste Eigenkreisfrequenz ω1 einer solchen Welle kann mit dem Rayleigh-Quotienten für den Balken

l

EI (x)w 2 (x)dx + ∑ ci w2 xj 2 2 2 0 ρA(x)w (x)dx + ∑ mj w xj + ∑ Jk w (xk ) (13.43)

ω12 < l

0

13.2

Kontinuumsschwingungen

333

Lagerung x = 0/x = l

Eigenwertgleichung

Eigenfunktion f (x) = C · cos κx C=

frei/frei cosh κl cos κl = 1 eingespannt/ eingespannt gelenkig/ gelenkig eingespannt/ frei eingespannt/ gelenkig frei/ gelenkig

C= sin κl = 0

cosh κl cos κl = −1

C=

C=

C= tan κl = tanh κl C=







Hinweis: alle Eigenfunktionen sind so normiert, dass

1

−γ

1

−γ

0

γ

sin κx

−γ

1

−1 0

0

γ

−1

γ

1

−γ

−1

γ

1

−γ

1

0



γ=

γ=

−γ

−γ

sinh κx

T





1

l

cosh κx



γ=

cosh κl−cos κl sinh κl−sin κl





sinh κl−sin κl cosh κl+cos κl

γ = cot κl

4,73004 7,85320 κi l = 10,9956 ≈ (2n + 1) 14,1372 17,2788

π 2

κi l = iπ

2



Eigenwerte κi l

1,87510 4,69409 κi l = ≈ (2n − 1) 7,85476 10,9955

π 2

3,92660 7,06858 κi l = 10,2102 ≈ (4n + 1) 13,3518 16,4934

π 4

f (x)2 dx = l gilt.

abgeschätzt werden. Darin sind mj Zusatzmassen, die an den Orten xj angebracht sind und Jk die Trägheitsmomente von Körpern an den Orten xk , deren Trägheitsmomente so groß sind, dass sie beim Neigen infolge der Durchbiegung der Welle nicht vernachlässigbar sind. Die ci sind die Steifigkeiten von externen, elastischen Abstützungen an den Ortenxi . Die Integrale können abschnittsweise ausgewertet werden, um z. B. wechselnde Balkenquerschnitte zu berücksichtigen. Zur Anwendung der Formel muss die erste Eigenform mit einer Ansatzfunktion (ASF) w(x) geschätzt werden. In Frage kommen dazu trigonometrische Funktionen wie Sinusbögen oder Polynomansätze. Es kann z. B. die Eigenfunktion aus Tab. 13.3 gewählt werden, die der Situation am nächsten kommt. Die Normierung von w(x) ist dabei unerheblich, da sich Vorfaktoren aus dem Quotienten in (13.44) herauskürzen. Die Formel liefert dabei eine Abschätzung für ω1 , die stets zu groß ist. Je besser die Ansatzfunktion geschätzt wurde, desto kleiner, und damit näher am exakten Ergebnis, ist die Schätzung. So können verschiedene Ansatzfunktionen miteinander verglichen werden. Als Beispiel soll eine Welle aus Stahl mit der Länge l = 1 m und dem Durchmesser von d = 50 mm betrachtet werden. Im Abstand von xS = 0,25 m vom linken Rand ist eine dünne Scheibe mit der Masse mS = 5 kg und dem Durchmesser D = 0,4 m befestigt. Es soll die erste Eigenfrequenz mit einem Sinusbogen sowie einer quadratischen Parabel als Ansatzfunktion abgeschätzt werden. Aus den gegebenen Daten folgt ρA = 15,315 kg/m und EI = 6442,72 N m2 . Das axiale Massenträgheitsmoment 1 der Scheibe beträgt JS = 16 mD2 = 0,05 kg m2 . Als Ansatzfunktion wird w(x) = sin(πx/l) (dimensionslos) gewählt.

Damit folgt für die Teilterme aus (13.44): l

EI (x)w 2 (x)dx = 313.790 N/m,

0

l

ρA(x)w2 (x)dx = 7,65763 kg,

0

ms w2 (xS ) = 2,5 kg, Js w 2 (xS ) = 0,24674 kg. Es fällt auf, dass der Anteil, der aus der Neigung der Scheibe folgt, am geringsten ist, aber nicht vernachlässigt werden kann. Es ergibt sich ω1 < 173,7 1/s. Wird als Ansatzfunktion ein quadratisches Polynom mit w(x) = x · (l − x)/l2 gewählt, ergibt sich ω1 < 192,4 1/s, was diese Ansatzfunktion als schlechtere Näherung ausweist. Die analytische Lösung für die Welle ohne Scheibe liefert mit (13.42) einen Wert von ω1 = 202,43 1/s.

Mit lokalen und globalen Ansatzfunktionen können mehrere Eigenfrequenzen und Eigenformen berechnet werden Eine Erweiterung des Rayleigh-Quotienten führt auf das Verfahren von Ritz, mit dem die Eigenwerte und Eigenformen eines kontinuierlichen Schwingungssystems approximiert werden können. Das Verfahren ist für alle Kontinua anwendbar. In der Variante mit globalen Ansatzfunktionen ist es aber für Körper einfacher Geometrie

Technische Mechanik

Tab. 13.3 Lösungen der Balkenschwingung für technisch relevante Lagerungsbedingungen

334

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

wie Balken oder Platten besonders geeignet. In der Variante mit lokalen Ansatzfunktionen auf Stützstellen führt es auf die Methode der Finiten Elemente. Die kinetische Energie eines schlanken Balkens berechnet sich, unter Vernachlässigung der Drehträgheit, aus der Summation der kinetischen Energie der Translationsgeschwindigkeit aller Balkenelemente zu Ekin =

1 2

l

ρAw˙ 2 dx.

(13.44)

0

Wird nun der Separationsansatz (13.24) in der Form w (x, t) = w(x)T · q(t)

1 T q˙ 2

l

ρAw wT dxq˙ =

0

1 T q˙ M q˙ 2

(13.46)

mit der Massenmatrix M bringen. Das dyadische Produkt w wT multipliziert alle Ansatzfunktionen paarweise miteinander in einer Matrix. Die kinetische Energie einer Zusatzmasse an der Stelle xm auf dem Balken beträgt Ekin =

1 T 1 q˙ mw (xm ) wT (xm ) q˙ = q˙ T M m q˙ 2 2

(13.47)

woraus sich die Massenmatrix M m gewinnen lässt. Analog lässt sich die Massenmatrix

T

M J = Jw (xM ) w (xM )

(13.48)

einer rotatorischen Trägheit auf dem Balken am Ort xm gewinnen. Die gesamte Massenmatrix des Schwingungsproblems wird aus der Summe der Matrix aus (13.46) sowie gegebenenfalls mehreren Matrizen aus (13.47) und (13.48) gewonnen. Wird nur eine einzige Ansatzfunktion gewählt, entsteht damit genau der Nenner von (13.44). Analog lautet die potenzielle Energie des Balkens, wiederum ohne Zusatzsteifigkeiten Epot =

1 2

l

Werden mit (13.46) und (13.49) die Lagrange’schen Gleichungen (11.5) angewendet, ergibt sich die Bewegungsgleichung

(13.45)

mit den Vektoren von Ortsfunktionen w und Zeitfunktionen q geschrieben, lässt sich (13.44) in die Form Ekin =

Zur Bildung der Massen- und Steifigkeitsmatrizen müssen geeignete Ansatzfunktionen wi (x) eingesetzt werden. Diese müssen lediglich die kinematischen Randbedingungen, d.h. Forderungen nach w = 0 oder w = 0 erfüllen. Sind die Funktionen nur abschnittsweise definiert, müssen sie sowie ihre Ableitungen an den Abschnittsgrenzen stetig ineinander übergehen. Zudem können bei der Auswertung der Integrale beliebige Verläufe von EI (x) oder ρA(x), z. B. bei veränderlichem Querschnitt, berücksichtigt werden.

EIw 2 dx,

M q¨ + Kq = 0 . Dieses System kann mit den Methoden aus Abschn. 13.1 ab Gleichung (13.2) wie ein diskretes System weiter behandelt werden. Im Gegensatz zu Abschn. 13.1 sind die Koordinaten q hier jedoch mitunter keine physikalisch anschaulichen Auslenkungen an einzelnen Stellen des betrachteten Systems, sondern sie beschreiben die Auslenkung einer Ansatzfunktion. Somit ist ein Eigenvektor yˆ i nicht direkt als geometrische Schwingform interpretierbar. Wird z. B. die Lösung des Systems gemäß Gleichung (13.4) in den Separationsansatz (13.45) eingesetzt, ergibt sich n

w(x, t) = w(x)T · ∑ yˆ i (Ai cos ωi t + Bi sin ωi t) . i=1

Daraus kann abgelesen werden, dass die geometrische Eigenschwingungsform zum Eigenvektor yˆ i wi (x) = w(x)T · yˆ i lautet. Bei diesem Verfahren ist allerdings darauf zu achten, dass es sich hier bei der Lösung um eine Näherung handelt. Die Qualität hängt unter anderem von der Sinnhaftigkeit der gewählten Ansatzfunktionen ab. Generell sind vor allem die niedrigen Eigenfrequenzen und die zugehörigen Eigenformen sinnvoll, die höheren Moden sind in der Regel zu ungenau.

0

Lösung von Balkenschwingungsaufgaben

was nach Einsetzen des Separationsansatzes zu Epot =

1 T q 2

l

EIw w T dxq =

0

mit der Steifigkeitsmatrix K führt.

1 T q Kq 2

(13.49)

Technisch relevante Balkenschwingungsaufgaben lassen sich oft nicht analytisch lösen. Sie werden mit Diskretisierungsverfahren auf Schwingungsprobleme mit einer endlichen Zahl von Freiheitsgraden zurückgeführt.

Kontinuumsschwingungen

Beispiel: Berechnung der Eigenfrequenzen und Eigenformen einer Getriebewelle mit lokalen und globalen Ansatzfunktionen, Methode der Finiten Elemente Schwingungsprobleme von Balken mit unterschiedlichen Querschnitten sowie Zusatzmassen lassen sich in der Regel nicht mehr analytisch lösen. Mit Hilfe von Diskretisierungsverfahren kann eine Näherungslösung gewonnen werden, mit der besonders die niedrigen Eigenfrequenzen und –formen gut approximiert werden können. Betrachtet wird eine Getriebewelle der Länge l, die aus drei Abschnitten der Längen l/4, l/2 und l/4 besteht (Abb. 13.22). Im längeren Abschnitt ist der Durchmesser im Vergleich zu den anderen Abschnitten größer, sodass dort die doppelte Querschnittsfläche A und das vierfache Flächenträgheitsmoment I vorliegen. Das Material der Welle ist homogen, sodass ρ und E für die gesamte Welle gleich sind. An der Übergangsstelle der beiden linken Abschnitte ist das Zahnrad, modelliert als eine dünne Scheibe der Masse m mit dem Trägheitsmoment J um die Kippachse, angebracht.

Aufgrund der Teilung des Balkens in drei Abschnitte mit unterschiedlicher Geometrie müssen die Integrale zur Bestimmung der Massenmatrix (13.46) sowie der Steifigkeitsmatrix (13.49) abschnittsweise ausgewertet werden. So lautet das Element in Zeile i und Spalte j der Massenmatrix: ⎛ ⎜ Mij = ρA ⎝

2A, 4I

A, I

3l

wi wj dx + 2

0

4 l 4



2π +2 4π

⎜ 0 M B = ρAl ⎜ ⎝ − 1 2π 0

Mm L/4

Abb. 13.22 Getriebewelle

1 − 2π 0

3 4

9π −2 12π

0 2 − 3π

⎞ 0 2 ⎟ − 3π ⎟. 0 ⎠ 3 4

0



2 2 √ 2 0

√1 m⎜ 2 = ⎜ 2 ⎝ 1 0

√1 2 1 0

⎞ 0 0 ⎟ ⎟ 0 ⎠ 0

und der Kippträgheit des Zahnrades gemäß (13.48)

Globale Ansatzfunktionen (ASF) Als Ansatzfunktionen werden wi = sin(iπx/l), i = 1 . . . 4 verwendet.



1 0 π2 ⎜ MJ = J 2 ⎜ 3 2l ⎝ −√ −4 2

1

0 0 0 0

−3 0 9√ 12 2

√ −4 2 0√ 12 2 32

⎞ ⎟ ⎟. ⎠

Auffällig ist, dass in M m die vierte Zeile und Spalte nur Nullelemente enthält. Das liegt daran, dass die 4. Ansatzfunktion w4 bei xm = l/4 keine Auslenkung hat. Vergleichbares gilt für die zweite Spalte und Zeile von M J , da w2 an dieser Stelle keine Steigung aufweist. Die gesamte Massenmatrix ist M = M B + M m + M J .

0 w1 w2 w3 w4 –1 0

⎟ wi wj dx⎠

3l 4

0



L/2



Hinzu kommen die Terme für die Masse des Zahnrades gemäß (13.47) mit xm = l/4

x

L/4

wi wj dx +

l

Die Auswertung kann analytisch z. B. mit einem Computer-Algebra-System ausgeführt werden. Es folgt für die Massenmatrix des Balkens ohne Zahnrad:

m, J A, I

l

4

1/4

3/4

1

Die Integrale der Steifigkeitsmatrix müssen ebenfalls abschnittsweise ausgewertet und aufsummiert werden. Es ergibt sich:

Abb. 13.23 Globale Ansatzfunktionen des Biegebalkens

Diese Funktionen erfüllen die kinematischen Randbedingungen w(0) = 0 sowie w(l) = 0 und sind die analytischen Lösungen des homogenen Balkens mit konstantem Querschnitt ohne Zahnrad.

⎛ K=

EIπ 3 4l3

5π + 6 0 ⎜ ⎝ −54 0

0 80π 0 −512

−54 0 81(5π − 2) 0

⎞ 0 −512 ⎟ ⎠. 0 1280π

335

Technische Mechanik

13.2

336

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

Lokale Ansatzfunktionen, Finite Elemente Die Betrachtung mit lokalen Ansatzfunktionen ist auch als Methode der Finiten Elemente bekannt. Dazu wird die Welle in drei Abschnitte, die Elemente aufgeteilt. Als Koordinaten dienen die Auslenkung und die Neigung an jedem Elementrand bei x = 0, 4l , 3l4 , l. Betrachtet wird ein allgemeines Element der Länge L, für das eine lokale Längenkoordinate xlok eingeführt wird. Mit der Koordinatentransformation ξ = xlok /L wird es auf die Länge 1 normiert. Die Verformung wird durch vier Ansatzfunktionen, jeweils Polynome 3. Ordnung, H1 (ξ ) = 2ξ 3 − 3ξ 2 + 1,   H2 (ξ ) = L −ξ 3 + 2ξ 2 − ξ ,

(13.50)

H3 (ξ ) = −2ξ 3 + 3ξ 2 ,   H4 ( ξ ) = L ξ 3 − ξ 2 ,

angenähert. Jede der Ansatzfunktionen hat genau an einem der beiden Ränder entweder die Auslenkung 1 oder die Steigung 1 (Abb. 13.24).

Die Massenmatrix des Balkenelements kann gemäß Gleichung (13.46) berechnet werden, wobei der Vektor w die vier Ansatzfunktionen (13.50) enthält. zudem wird dxlok = Ldξ substituiert: 1 M = ρA 2

1

wwT Ldξ

0



156 ρAL ⎜ 22L ⎜ = 420 ⎝ 54 −13L

22L 4L2 13L −3L2

54 13L 156 −22L

⎞ −13L −3L2 ⎟ ⎟. −22L ⎠ 4L2 (13.51)

Die Steifigkeitsmatrix kann aus (13.49) abgeleitet werden. Hier ist noch zu beachten, dass w die zweite Ableitung nach der Ortskoordinate xlok darstellt. Die Ansatzfunktionen sind jedoch mit der normierten Koordinate ξ aufgestellt. Es gilt die Kettenregel d2 Hi · dξ 2

Hi =



dξ dxlok

2

=

d2 Hi 1 · dξ 2 L2

1

und somit für die zweite Ableitung der Ansatzfunktionen:

0,8 H1 H2 H3 H4

0,6 0,4

H1 (ξ ) = (12ξ − 6)/L2 , H2 (ξ ) = (−6ξ + 2)/L,

0,2

H3 (ξ ) = (−12ξ + 6)/L2 ,

0

H4 (ξ ) = (6ξ − 2)/L.

–0,2 0

0,1

0,2

0,3

0,4

0,5 ξ

0,6

0,7

0,8

0,9

1

Die Steifigkeitsmatrix lautet:

Abb. 13.24 Ansatzfunktionen des Biegebalkenelements mit L = 1

Alle anderen Randwerte sind gleich Null. Somit lässt sich die Verformung des Elements durch w(ξ, t) = ∑ Hi · qi beschreiben, wobei q = (wl

ϕl

wr

ϕ r )T

die Verschiebungen w und die Neigungen ϕ jeweils am linken und rechten Elementrand enthält. 0

1

1 K = EI 2

1

w w T Ldξ

0



6 EI ⎜ 3L =2 3⎜ L ⎝ −6 3L

3L 2L2 −3L L2

−6 −3L 6 −3L

⎞ 3L L2 ⎟ ⎟ −3L ⎠ 2L2

(13.52)

Die Elementmatrizen (13.51) und (13.52) gelten allgemein für jedes homogene Biegebalkenelement.

ξ

wl

wr

φl Abb. 13.25 Randwerte des Biegebalkens

φr

Für die Beschreibung der Welle müssen die Massenund Steifigkeitsmatrizen für die drei Abschnitte gebildet werden. Dabei muss für die Abschnitte 1 und 3 L = l/4 und für den Mittelabschnitt L = l/2 gesetzt werden. Zudem muss für den Mittelabschnitt die größere Fläche und das größere Trägheitsmoment berücksichtigt werden.

13.2

Für die Zusammensetzung der Elementmatrizen zu den Systemmatrizen sind die Randbedingungen zwischen den Elementen zu beachten. So muss z. B. am Übergang von Element 1 zu Element 2 bei x = l/4 berücksichtigt werden, dass w1l = w2r und ϕ1r = ϕ2l gelten muss. Vergleichbares gilt für den Übergang von Element 2 zu Element 3 bei x = 3l/4. Des Weiteren müssen die Randbedingungen an den Lagerstellen mit w1l = 0 und w3r = 0 einbezogen werden.

Tab. 13.4 Eigenfrequenzen bei globalen und lokalen Ansatzfunktionen Nummer 1 2 3 4 5 6

Eigenfrequenz f i in Hz Globale ASF Lokale ASF 137,272 126,757 464,407 421,628 1138,460 888,722 2195,478 2502,540 5398,459 7544,934

Aus dem Ansatz mit 4 globalen Ansatzfunktionen folgen 4 Eigenfrequenzen, die lokalen Ansatzfunktionen mit 6 verbliebenen Freiheitsgraden liefern 6 Frequenzen. Da es sich bei den vorgestellten Verfahren um Näherungslösungen handelt, weisen sie deutliche Unterschiede in der Lösung auf. Zudem nimmt die Lösungsqualität hin zu höheren Frequenzen ab.

Die Assemblierung der Massenmatrix aus den Elementmatrizen ist in Abb. 13.26 dargestellt. w1l φ1l

M1

w1r w2l φ1r φ2l w2r w3l φ2r φ3l w3r

m J

M2 M3

1. EF glob. 2. EF glob. 3. EF glob. 1. EF lok. 2. EF lok. 3. EF lok.

0

φ3r Abb. 13.26 Assemblierung der Massenmatrix aus den Elementmatrizen 0

Die Teilmatrizen der Elemente M1 bis M3 werden zu einer Gesamtmatrix aufaddiert, wobei die Matrizen bei den gleichzusetzenden Koordinaten überlappen. Die Einträge, die aus m und J des Zahnrads folgen, sind zusätzlich gekennzeichnet. Zuletzt werden die Spalten und Zeilen 1 und 7, die zu den Koordinaten w1l = 0 und w3r = 0 gehören, gestrichen (graue Balken). Es verbleibt eine 6 × 6 Matrix. Der Zusammenbau der Steifigkeitsmatrix erfolgt analog. Vergleich der Verfahren Die Ergebnisse beider Verfahren sollen an einem Zahlenbeispiel verglichen werden. Die Länge der Welle aus Stahl (ρ = 7800 kg/m3 , E = 210 GPa) beträgt l = 0,8 m, ihr Durchmesser ist D = 0,05 m, woraus ρA = 15,32 kg/m und EI = 6,4 · 104 N m2 folgen. Das Zahnrad ist eine Stahlscheibe mit dem Durchmesser 0,3 m und der Breite 0,04 m, woraus sich m = 22,054 kg und J = 0,124 kg m2 ergeben. Für die Eigenwerte ωi gemäß (13.3) bzw. die Eigenfrequenzen fi ergibt sich

337

0,2

0,6

0,8

Länge x in m Abb. 13.27 Eigenformen der Welle

Die ersten beiden Eigenformen stimmen für beide Herangehensweisen gut überein, was die Glaubwürdigkeit der zugehörigen Eigenfrequenzen unterstreicht. Bereits die dritte Eigenform ist nicht mehr als brauchbar zu bezeichnen, die große Diskrepanz der Eigenfrequenzen spiegelt sich im Unterschied der Eigenformen wider. Eine Verbesserung des Ergebnisses wäre durch mehr globale Ansatzfunktionen oder eine feinere Aufteilung der Welle in mehr finite Elemente zu erreichen. Die Schwingformen der Welle sind asymmetrisch, das schwere außermittige Zahnrad bei x = 0, 2 m verändert das Schwingungsverhalten. Die Krümmung der Welle ist im mittleren Bereich geringer, da hier die Steifigkeit der Welle aufgrund des größeren Durchmessers deutlich höher ist. Das ist besonders bei der 2. Eigenform gut erkennbar.

Technische Mechanik

Das Zahnrad wird durch Anwendung von (13.47) zum rechten Rand des Elements 1 hinzugefügt. Mit ξ = 1 verbleibt nur H3 (1) = 1, somit gilt w = (0, 0, 1, 0)T . Die daraus ermittelte zusätzliche 4 × 4 Massenmatrix enthält M33 = m, ansonsten nur Nullelemente. Des weiteren gilt an dieser Stelle w = (0, 0, 0, 1)T ; somit enthält die zusätzliche Massenmatrix aus der Neigung gemäß (13.48) nur M44 = J, ansonsten nur Nullelemente.

Kontinuumsschwingungen

338

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Weiterführende Literatur

Technische Mechanik

Die weiterführende Literatur für alle Kapitel des Teils Technische Mechanik befindet sich am Ende von Kap. 9.

Antworten zu den Verständnisfragen

Antwort 13.1 Der Term auf der Hauptdiagonalen in Zeile i lautet dann di−1 + di + dabs,i . Antwort 13.2 Nein. Die Umkehrung gilt nicht. Das wird z. B. dadurch klar, dass die Zahl der erforderlichen Parameter verglichen wird. Ein System mit n Freiheitsgraden hat bei Rayleigh-Dämpfung nur die zwei Dämpfungsparameter dM und dK , jedoch n frei wählbare Dämpfungsparameter Di . Rayleigh-Dämpfung ist somit ein Spezialfall der modalen Dämpfung. Antwort 13.3 Die Eigenform ist eine Bewegung, bei der sich die Freiheitsgrade genau gegenläufig bewegen. Wenn beide Freiheitsgrade gleichsinnig in Phase angeregt werden, lautet der Gewichtsvektor fˆ = (1, 1)T . Damit ist das System nicht anregbar. Es gilt yT · fˆ = 0. Antwort 13.4 Die Überlagerung von zwei Sinuswellen sin [κ (x − ct)] + sin [κ (x + ct)] führt durch Anwendung

des Additionstheorems und ω = κc zunächst zu: sin κx cos ωt − cos κx sin ωt + sin κx cos ωt + cos κx sin ωt, was sich zu 2 sin κx cos ωt zusammenfassen lässt. Der Teilterm 2 sin κx sin ωt ergibt sich analog durch die Überlagerung von zwei Kosinuswellen. Antwort 13.5 Für die erste Eigenfrequenz eines Balkens  EI 2 gilt gemäß Gleichung (13.42) ω1 = ρA κ1 . Somit genügt es, für zwei identische Balken bei unterschiedlichen Lagerungen die Werte von κ1 l in Tab. 13.2 zu vergleichen. Für den Fall frei/frei ergibt sich κ1 l = 4,73004 und für den Fall gelenkig/gelenkig κ1 l = π. Das Verhältnis der beiden κ-Werte beträgt ca. 1,5. Da der Faktor κ quadratisch in die Eigenkreisfrequenz eingeht, ist die erste Eigenfrequenz des frei/frei gelagerten Balkens damit ca. 2,25 mal so hoch wie die des gelenkig gelagerten Balkens.

Aufgaben Im Folgenden finden Sie Aufgaben zu dem im Kapitel besprochenen Thema. Wenn es sich um Rechenaufgaben handelt, ist der Schwierigkeitsgrad angegeben (• leicht, •• mittel, ••• schwer), und eine Ergebniszeile zeigt das zu erwartende Ergebnis. Die Lösungen zu allen Aufgaben finden Sie auf der Internetseite des Buches (https://www.springer.com/de/book/ 9783662558812). 13.1 •• Ein vereinfachtes Aufzugmodell besteht aus der Treibscheibe mit der Trägheit J, dem Radius R, der Kabine, dem Gegengewicht sowie einem Seil. An der Scheibe wirkt das Antriebsmoment M(t). Für geringe Gebäudehöhen mit kurzen, leichten Seilen können die freien Seilstrecken durch zwei masselose Federn modelliert werden, deren Steifigkeiten aber von der jeweiligen Länge und damit von der Fahrposition des Aufzugs abhängen.

Reaktion auf harmonische Anteile des Antriebsmoments darstellt. Hinweis: Führen Sie eine neue Koordinate yT = Rϕ ein und entfernen damit R aus der Bewegungsgleichung. Resultat: Eigenkreisfreqzenzen:  ω1 = 0,

R

J

Eigenvektoren: ⎛ ⎞ 1 y1 = ⎝−1⎠ , 1

φ

M(t)

c1

c2

Kabine yK

Gegengewicht m

m

ω2 =

c , m

 ω3 =

⎛ ⎞ 0 y2 = ⎝1⎠ , 1

(2 + κ )c . κm ⎛

⎞ − κ2 y3 = ⎝ −1 ⎠ . 1

Grafische Darstellung der Eigenvektoren. Schwarz ist die unverformte Konfiguration, rot die Auslenkung der Eigenform.

yG

Gleichgewichtslage

Mit der vereinfachenden Annahme, dass Kabine und Gegengewicht die gleiche Masse m besitzen, spielt die Schwerkraft keine Rolle und die Bewegungsgleichung für die Freiheitsgrade ϕ, yK und yG lautet: ⎛

J ⎝0 0

⎞⎛ ⎞ 0 0 ϕ¨ m 0 ⎠ ⎝y¨ K ⎠ y¨ G 0 m ⎛ (c1 + c2 )R2 c1 R +⎝ c1 c1 R −c2 R 0

⎞⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ϕ M ( t) −c2 R 0 ⎠ ⎝ yK ⎠ = ⎝ 0 ⎠ . yG 0 c2

Zu untersuchen ist das Schwingverhalten des stehenden Aufzugs. Bestimmen Sie die Eigenkreisfrequenzen und Eigenformen für den Sonderfall J = κmR2 und c1 = c2 = c. Stellen Sie die Eigenformen grafisch dar. Bestimmen Sie ˆ |, der die vertikale Kaweiter den Amplitudengang |yˆ¨ K /M binenbeschleunigung, ein wichtiges Komfortmerkmal, als

Amplitudengang: 1 − η2 1 yˆ¨ K = . ˆ Rm κη 4 − 2(1 + κ )η 2 + (2 + κ ) M 13.2 • • • Hub- und Nickschwingungen eines Kfz auf welliger Fahrbahn können mit einem HalbfahrzeugModell untersucht werden.

339

Technische Mechanik

Aufgaben

340

13 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden – diskrete und kontinuierliche Schwingungsmoden

Technische Mechanik

φ S m, JS c2 c1

y 2l

y

Resultat: Für Fall a, λa = 4l:  c21 + c22 λ vay = , π 2m(c1 + c2 )  λ c1 + c2 . vaϕ = π 2m Für Fall b, λb = 2l:

x

s1 (t)

s2 (t)

vby = vaϕ

Der Wagenkasten ist ein starrer Körper mit den zwei Freiheitsgraden Vertikalhub y und Nickwinkel ϕ. In x-Richtung bewegt sich das Fahrzeug mit konstanter Geschwindigkeit x = vt. Der Radstand beträgt 2l, der Schwerpunkt liegt in der Mitte zwischen den Rädern. Das Fahrzeug hat die Masse m und das Trägheitsmoment JS = ml2 . Die Steifigkeiten der Radaufhängungen betragen c1 und c2 . Das Fahrzeug soll hier vereinfacht ohne Dämpfung und mit linearisierter Kinematik bei kleinen Verdrehungen von ϕ untersucht werden. Der Koodinatenvektor q = (y, ϕ )T fasst die Vertikalauslenkung des Schwerpunktes und die Verdrehung zusammen. Die Massen- und Steifigkeitsmatrix der Bewegungsgleichung M q¨ + Kq = F lauten:  M=

als harmonische Funktionen vom Ort x und der Fahrgeschwindigkeit v ausgedrückt werden. Sie unterscheiden sich nur um eine Phasendifferenz, die von der Wellenlänge λ und dem halben Radstand l abhängt. Für bestimmte Verhältnisse von v, l und λ wird jeweils eine der Komponenten von qˆ zu null.

m 0

0 JS



 K=

c1 + c2 l (c2 − c1 )

 l (c2 − c1 ) . l2 (c2 + c1 )

Der Lastvektor folgt aus der Fusspunkterregung zu:  F ( t) =

 c1 s1 (t) + c2 s2 (t) . −l [c2 s2 (t) − c1 s1 (t)]

Für die Fahrbahn soll analog zum Beispiel des Fahrzeugs auf Schlechtwegstrecke im Kap. 12 eine Strecke in Sinusform der Wellenlänge λ angenommen werden. Berechnen Sie für die zwei Fälle der Wellenlängen der Straße λa = 4l und λb = 2l jeweils jene Fahrgeschwindigkeiten vy und v ϕ , bei denen vom Fahrzeug ausschließlich Hub- bzw. Nickbewegungen ausgeführt werden. Hinweis: Berechnen Sie den Frequenzgang von qˆ gemäß (13.13). Formen sie F (t) in den Gewichtsvektor fˆ um. Die Anregungen s1 (t) und s2 (t) sind dabei nicht unabhängig. Beide können zunächst wie im Beispiel im Kap. 12

und

vbϕ = vay

13.3 • Die schwingende Länge der Saiten (Mensur) einer typischen E-Gitarre misst l = 0,628 m. Die tiefe ASaite hat eine Längendichte von ρl = 5,12 · 10−3 kg/m. Welche Zugkraft F0 muss in der Saite wirken, damit der Grundton die Frequenz f = 110 Hz hat? Wie groß ist die Wellenausbreitungsgeschwindigkeit c in der Saite? Hinweis: Formen Sie (13.32) geeignet um. Resultat: Für die notwendige Zugkraft und die zugehörige die Ausbreitungsgeschwindigkeit ergibt sich F0 = 97,73 N und c = 138,16

m . s

13.4 •• Die Saite eines Musikinstruments mit der Länge l und der Wellenausbreitungsgeschwindigkeit c wird in der Mitte angezupft und losgelassen. Die Saite hat unmittelbar vor dem Loslassen eine symmetrische „Dachform“ mit der Maximalauslenkung h in der Mitte. Welche Moden werden durch diese Anfangsbedingungen angeregt und welche Amplitude haben sie jeweils? Hinweis: Stellen Sie die Anfangsform als Funktion w0 (x) dar und werten Sie die Integrale gemäß (13.34) aus. Es empfiehlt sich w0 (x) abschnittsweise von 0 . . . 2l und 2l . . . l zu definieren und entsprechende Teilintegrale zu bilden und zu summieren. Resultat: Für die geraden Koeffizienten gilt A2 = A4 = A6 = . . . = 0. Für die ungeraden Koeffizienten gilt:  8h + für i = 1, 5, 9, . . . Ai = ± mit (iπ )2 − für i = 3, 7, 11, . . . 13.5 •• Ein Satellit besteht aus einem Zentralkörper mit der Masse m = 500 kg sowie zwei symmetrisch angebrachten Solarpanelen, die als homogene Biegebalken betrachtet werden können.

Auslenkung des Satellitenkörpers zur Panelspitze bei dieser Eigenform. Hinweis: Betrachten Sie das Problem als durchgehenden, komogenen Biegebalken mit einer Punktmasse in der Mitte und nutzen Sie die Symmetrie aus. Die Panele haben die Länge l = 20 m, die Masse ρAl = 50 kg und die Biegesteifigkeit EI = 100.000 N m2 . Berechnen Sie die erste Eigenkreisfrequenz und die zugehörige symmetrische Eigenform. Ermitteln Sie das Verhältnis der

Resultat: ω1 = 1,8552 s−1 ,

w(l) = −14,3643. w (0 )

341

Technische Mechanik

Aufgaben

Teil II Werkstoffkunde

Werkstoffkunde

Inhaltsverzeichnis

14 15 16

Die Welt der Werkstoffe – der Grundbaukasten des Maschinenbaus . 345 Werkstoffe – Leistungspotenziale erkennen und nutzen . . . . . . . . 369 Legierungstechnologie – Metalle an Anforderungen anpassen . . . . 527

343

14 Werkstoffkunde

Die Welt der Werkstoffe – der Grundbaukasten des Maschinenbaus

14.1 14.2 14.3 14.4

Werkstoffe für die Produkt- und Bauteilentwicklung Werkstoffanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkstoffhauptgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkstoffe im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . Antworten zu den Verständnisfragen . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 W. Skolaut (Hrsg.), Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-662-55882-9_14

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

346 346 350 362 366 366 367

345

346

14 Die Welt der Werkstoffe – der Grundbaukasten des Maschinenbaus

Werkstoffkunde

Neue Materialien haben die Kulturgeschichte schon immer nach Vorne gebracht. Mit der Eisen- und Bronzezeit sind ganze Abschnitte der Ur- und Frühgeschichte nach einer bestimmten Werkstoffgruppe benannt. Auch heute sind es Werkstoffe, die für neue Technologien und Entwicklungen entscheidend sind. Silizium ist Grundlage der Halbleitertechnologie, und vor allem Kunststoffe, die erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckt wurden, sind aus sehr vielen technischen Produkten nicht mehr wegzudenken. Heute kennen wir mehr als 100.000 Konstruktions- und Funktionswerkstoffe, und fast täglich werden neue entdeckt oder patentiert. Dazu gehören vor allem die gängigen metallischen Werkstoffe, wie Stahl, Aluminium, Magnesium aber auch die ganze Bandbreite der Polymere und der technischen Keramiken. Andere Werkstoffe, wie Holz, Beton oder Stein sind als Naturmaterialien für den Maschinenbau weniger wichtig – im Bereich des Bauingenieurwesens jedoch nicht wegzudenken. Gleichzeitig basieren auch heute noch viele Innovationen auf neuen Werkstoffen. Trotz dieser Vielfalt ist die Welt der Werkstoffe von einer strengen Systematik geprägt: Es sind zum einen die verschiedenen Bindungsarten, die es ermöglichen die Werkstoffe in verschiedene Gruppen – die Werkstoffhauptgruppen – einzuteilen. Zum anderen ist die innere Struktur, das Gefüge, für die Materialeigenschaften wesentlich verantwortlich. Dieses Gefüge lässt sich durch verschiedene Methoden gezielt beeinflussen, womit die Eigenschaften von Werkstoffen auch an bestimmte Anforderungen angepasst werden können. Umgekehrt sind die Ingenieurswerkstoffe heute wachsenden Ansprüchen ausgesetzt. Geeignete Werkstoffe zu entwickeln, das Verhalten von Werkstoffen zu verstehen und Werkstoffe für bestimmte Anwendungen richtig auszuwählen, gehört zu den Kernkompetenzen von Maschinenbauingenieuren.

14.1

Werkstoffe für die Produktund Bauteilentwicklung

Die Auswahl geeigneter Werkstoffe spielt eine Schlüsselrolle im Produktentstehungsprozess. Werkstoff und Fertigungsverfahren stehen naturgemäß in einem direkten Zusammenhang und gemeinsam beeinflussen sie die Möglichkeiten und Grenzen bei der funktionsgerechten Gestaltung und Auslegung von Bauteilen und Systemen. Diese Wechselbeziehungen sind in Abb. 14.1 schematisch dargestellt. Beispiel: Werkstoffauswahl, Gestaltung, Fertigung Die Zusammenhänge zwischen Werkstoffauswahl, Gestaltung und Fertigung lassen sich an verschiedenen technischen Produkten aufzeigen. Ein einfaches Beispiel sind Fahrradrahmen. Sollen diese besonders leicht sein, kommen neben Aluminium- oder Titanrahmen auch kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) zur Anwendung. In Abb. 14.2 ist ein Fahrradrahmen aus einer hochfesten Aluminiumlegierung im Vergleich zu einem CFK-Rahmen dargestellt. Der Aluminiumrahmen wurde durch Fügen gefertigt, d. h., dass prismatische Rohrstücke, die als Halb-

wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Nutzen

Bauteilentwicklung

Konstruktion und Modellierung

Werkstoffauswahlund prüfung werkstoff- und formoptimierte Fertigung

ökologischer Gebrauch und Wiederverwertung Abb. 14.1 Aspekte der Bauteilentwicklung. Bauteilentwicklung erfordert die Interaktion der Marktexperten mit den Konstrukteuren, die ihrerseits das Knowhow der Werkstoff- und Fertigungsfachleute brauchen, die gemeinsam nach ökologisch und ökonomisch vertretbaren Lösungen suchen

zeug am Markt verfügbar sind, durch Schweißen miteinander zu einer Rahmenstruktur verbunden wurden. CFKFahrradrahmen hingegen werden integral gefertigt, d. h., es finden die Formgebung und der Fügeprozess in einem Schritt statt. Üblicherweise werden CFK-Halbzeuge um eine Kernstruktur gewickelt, die die Form des Rahmens vorgibt und im Anschluss wieder entfernt wird. Die verstärkenden Kohlenstofffasern können so an die spätere Belastung angepasst über den gesamten Rahmen gewickelt werden, sodass eventuelle Schwachstellen durch nachgeschaltete Fügeprozesse wie Schweißen oder Kleben entfallen. Die beiden Fahrradrahmenkonzepte unterscheiden sich hinsichtlich mehrerer Aspekte; alle wesentlichen Unterschiede sind auf die eine oder andere Weise durch das Zusammenspiel aus Werkstoffauswahl, Design und Fertigbarkeit begründet oder eng mit diesem verknüpft.  Frage 14.1 Welche Werkstoffe werden heute in Fahrradrahmen eingesetzt? Was sind Ihre spezifischen Vorteile?

14.2

Werkstoffanforderungen

Im modernen Maschinenbau findet eine breite Palette von Werkstoffen Verwendung. Die Werkstoffauswahl orientiert sich in den seltensten Fällen an einer einzigen

a

Werkstoffanforderungen

b

Abb. 14.2 Auswirkung der Werkstoffwahl auf Gestalt und Dimensionierung am Beispiel des Fahrradrahmens (siehe Beispiel in Abschn. 15.1); a Aluminiumlegierung, prismatische Rohre, Fügung durch Schweißen (© nerthuz – Fotolia.com); b Kohlenstoffaser/Epoxidharz-Faserverbundwerkstoff, integrales Fertigungsverfahren

Anforderung, sondern an einem Anforderungsprofil, zu dem das Eigenschaftsprofil des Werkstoffes hinreichend gut passen muss. Dies wird im Folgenden anhand des Automobilantriebsstranges erläutert, der in diesem Lehrbuch als Leitbeispiel dient. Der Antriebstrang setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, an die sehr unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Vier Komponenten mit Ihrem Anforderungsprofil und gängigen Werkstofflösungen werden im Folgenden vorgestellt. Anschließend werden mit der Fahrzeugkarosserie und einem Rotorblatt einer Windkraftturbine zwei weitere Anwendungsfälle für Werkstoffe gezeigt, aus denen sich ein Anforderungsprofil ableiten lässt.

ultra-höchstfest 9,1%

höchstfest 3,3%

Grundstähle 30,8%

höher fest 12,3%

a

b

hochfest 44,5%

Die Karosserie trägt das Fahrzeug Die Karosserie bezeichnet den Aufbau eines Fahrzeugs. Dabei gibt es verschiedene konstruktive Konzepte, um diesen Aufbau zu realisieren. Eine Möglichkeit ist die Verwendung eines sogenannten Spaceframes – einer Tragwerkstruktur (Abb. 14.3), die z. B. aus geschlossenen Hohlprofilen gefertigt sein kann, die direkt miteinander verbunden sind. Die Karosserie ist ein wesentlicher Teil des Fahrzeugs und trägt einen dementsprechend großen Teil zum Fahrzeuggewicht bei. Daher zielen die Leichtbaubestrebungen im Zusammenhang mit der Verbesserung der Energieeffizienz und des Umweltschutzes insbesondere auf die Reduktion des Karosseriegewichtes. Vor allem bei Elektrofahrzeugen ist diese Gewichtsreduktion notwendig, da die Batterien einen hohen zusätzlichen Gewichtsbeitrag liefern. Trotz des angestrebten geringen Gewichts der Karosserie soll diese eine hohe Steifigkeit und Festigkeit besitzen und eine hohe Crashsicherheit gewährleisten. Neben diesen mechanischen Anforderungen müssen weitere Faktoren berücksichtigt werden: Die Fahrzeugkarosserie ist verschiedenen Umwelteinflüssen ausgesetzt und muss daher eine hohe Korrosionsbestän-

c Abb. 14.3 Leichtbau-Karosserien; a, b Einsatz hochfester und höchstfester Stahlsorten für selbsttragende Karosserien; c Aluminium-Space-Frame

digkeit besitzen, die zusätzlich durch Beschichtungen (Lacke) verbessert wird. Für eine kostengünstige Fertigung – es handelt sich ja um Bauteile mit mittleren bis großen Stückzahlen – sollten eine leichte Verarbeitbarkeit und ein einfaches Fügen (z. B. durch Schweißen) möglich sein. Während des Lebenszyklusses spielt die Reparaturfähigkeit eine große Rolle und dann schlussendlich auch die Rezyklierbarkeit. Alle diese Faktoren haben da-

347

Werkstoffkunde

14.2

348

14 Die Welt der Werkstoffe – der Grundbaukasten des Maschinenbaus

Leitbeispiel Antriebsstrang Werkstoffe

Werkstoffkunde

Unterschiedliche Einsatzgebiete von Werkstoffen erfordern angepasste Eigenschaftsprofile. In den folgenden Abschnitten ist anhand von Beispielen gezeigt, welche Werkstoffanforderungen in der Praxis auftreten können und welche Werkstoffe diesen Anforderungen gewachsen sind. a) Turbolader-Rotor Ein Turbolader wird mittels einer Turbine (Abb. 14.4) angetrieben, die den Abgasstrom nutzt. Dabei können Abgastemperaturen von bis zu 1000 °C auftreten. Dazu sind die Motorabgase wasserdampfhaltig und chemisch aggressiv, weshalb auch bei diesen hohen Temperaturen eine ausreichende Korrosionsbeständigkeit gegeben sein muss. Die hohen Rotationsgeschwindigkeiten erfordern ein möglichst geringes Gewicht, damit die Fliehkräfte nicht zu hoch werden, die Turbinenform ist komplex. Vor allem wegen der geforderten Hochtemperaturbeständigkeit sind diese Abgasturboladerturbinen ein Einsatzgebiet technischer Keramik (z. B. Siliziumnitrid), intermetallischer Phasen (z. B. FeAl) oder Hochtemperaturmetalllegierungen (Nickelbasis-Superlegierungen). Zur Fertigung werden vor allem bei Keramiken pulvermetallurgische Fertigungsrouten verwendet, die eine komplexe Formgebung ermöglichen, ohne dass man den Werkstoff in den schmelzflüssigen Zustand überführen muss. Bei intermetallischen Phasen und Metallen ist Gießen üblich. Diese Bauteile werden in relativ kleinen Serien hergestellt, wodurch die Wahl relativ aufwendiger Fertigungsverfahren wirtschaftlich sinnvoll sein kann.

a

Abb. 14.4 Turbolader mit Rotor. Ein Turbolader dient der Leistungs- bzw. Effizienzsteigerung von Verbrennungsmotoren und ist einem komplexen Anforderungsprofil ausgesetzt. Der Rotor besteht aus Siliziumnitrid oder einer Nickelbasislegierung

b) Kurbelwellengehäuse Das Kurbelwellengehäuse (Abb. 14.5) muss hohen Brennraumtemperaturen (bis ca. 900 °C) und Innendrücken (bis ca. 50 bar) standhalten und dennoch möglichst leicht sein, die Wärmeabfuhr gut ermöglichen, damit die Zylinderwandtemperatur unter 250 °C bleibt, und zugleich die Betriebsgeräusche dämmen. Es soll zudem chemisch beständig gegenüber alle Umgebungsmedien (Kraftstoff, Öl, Kühlwasser, Spritzwasser) sein. An den Zylinderlaufflächen wird zusätzlich hohe Verschleißbeständigkeit benötigt, und schließlich soll es trotz komplexer Formgebung in Großserie kostengünstig gefertigt werden können. Alle diese Anforderungen werden von Gusseisen und von bestimmten Aluminiumlegierungen erfüllt. Kurbelwellengehäuse werden aus diesen Werkstoffen durch Gießen hergestellt und durch zerspanende Verfahren (Bohren, Fräsen, Honen, Schleifen etc.) nachbearbeitet, um die erforderlichen Maßhaltigkeiten und Oberflächenqualitäten zu gewährleisten.

b Abb. 14.5 Kurbelgehäuse. Das größte und schwerste Bauteil eines Ottooder Diesel-Verbrennungsmotors ist das Kurbelwellengehäuse, in dem innerhalb der Zylinder die Verbrennung des Kraftstoffes stattfindet. Es besteht aus einer Aluminiumgusslegierung

c) Ölwanne Eine Ölwanne (Abb. 14.6) muss leicht, chemisch beständig gegenüber Öl und dabei alterungsund temperaturbeständig (−40 bis +80 °C) sein, zugleich sollte die Ölwanne in ihrer geometrischen Komplexität leicht und kostengünstig herstellbar sein. Dies wird von einem thermoplastischen Kunststoff sehr gut erfüllt. Dabei muss jedoch bei der Auswahl vor

allem auf die Temperaturbeständigkeit geachtet werden, da Thermoplaste bei hohen Temperaturen erweichen. Gleichzeitig ermöglicht jedoch das Spritzgießen die kostengünstige Großserienfertigung solcher Ölwannen. Um die Festigkeit zu steigern, können dem Kunststoff Fasern zugesetzt werden. Solche Polymermatrixverbundwerkstoffe sind dann mechanisch stärker belastbar.

c Abb. 14.6 Ölwanne. Die Ölwanne aus Polypropylen ist ein Bauteil, das im Vergleich zu den bereits genannten Motorenbauteilen geringeren Temperaturbelastungen ausgesetzt ist, aber dennoch eine komplexer Geometrie hat

d) Zahnrad Zahnräder sind Standardelemente in mechanischen Konstruktionen wie Getrieben oder Motoren (Abb. 14.7). Um deren Funktion lange zu gewährleisten, müssen Zahnräder präzise gefertigt sein und vor allem eine lange Lebensdauer besitzen. Dies bezieht sich vor allem auf einen möglichst geringen Verschleiß an den Zahnflanken, wo sich die Zahnräder im Eingriff mit den gepaarten Bauelementen wie anderen Zahnrädern oder Zahnstangen befinden. Gleichzeitig wird durch die mechanische Belastung im Betrieb der Zahnfuß am Übergang zum Kern des Zahnrades zyklisch unter Biegung beansprucht. Auch hier wird häufig auf eine gewichtsoptimierte Ausführung geachtet, weshalb vor allem große Zahnräder Bohrungen im Zahnkern aufweisen, um in wenig beanspruchten Bereichen Material zu entfernen. Da es

zu geführt, dass bis heute vor allem Metalle in Fahrzeugkarosserien eingesetzt werden. Im Speziellen sind dies im Wesentlichen aushärtbare Aluminiumlegierungen und auch hochfeste Stähle. Für die Blechbeplankung der Karosserie (Motorhauben, Türen, Heckdeckel) kommen jedoch auch niedrigfeste Stähle und Aluminiumlegierungen zur Anwendung, die ein gutes Umformvermögen besitzen. Werden für diese Anwendungen primär Knetlegierungen verwendet, gibt es gerade im Spaceframe heute auch Fahrzeugkonzepte mit einem hohen Anteil an Gussbauteilen. Wachsende Bedeutung kommt den Verbundwerkstoffen zu: diese ermöglichen den Bau sehr leichter und steifer Strukturen, jedoch müssen hierzu die großserienfähigen Fertigungsverfahren und Reparaturkonzepte noch weiterentwickelt werden.

Werkstoffanforderungen

sich um Standardbauteile handelt, werden Zahnräder in großen Serien produziert. Dabei ist vor allem die hohe Präzision bei einer großen Stückzahl eine fertigungstechnische Herausforderung. Das spanende Herausarbeiten der Zähne ist Stand der Technik, ebenso wie eine endkonturnahe Fertigung durch Spritzgießen (v. a. bei Kunststoffzahnrädern) oder durch pulvermetallurgische Verfahren. Sofern die mechanischen Beanspruchungen nicht allzu hoch sind, können Kunststoffe verwendet werden, wobei hier vor allem Hochleistungspolymere, wie Polyoxymethylen (POM), zum Einsatz kommen. Bei metallischen Getriebezahnrädern werden bei hohen Beanspruchungen Stähle gewählt, die durch Einsatzhärten, d. h. dem gezielten Einlagern von härtesteigernderm Kohlenstoff in den Zahnflanken, zusätzlich in ihrer Verschleißfestigkeit verbessert werden. Ein komplettes Härten des Zahnrades samt Zahnfuß und -kern ist nicht sinnvoll, da die zyklische Beanspruchung am Zahnfuß durch ein hartes, sprödes Material nicht gut ertragen wird. Daher müssen die Eigenschaften lokal gezielt auf den jeweils herrschenden Lastfall (Verschleiß an der Flanke, Biegeschwingung am Fuß) angepasst werden.

d Abb. 14.7 Zahnrad als Getriebebauteil. Das Getriebe ist ebenfalls ein Bauteil des Antriebsstranges, welches jedoch vergleichsweise geringen Belastungen ausgesetzt ist. Durch die komplexen mechanischen Vorgänge sind hier jedoch Aspekte wie der Verschleiß, die Lebensdauer und die Präzision wichtig für die Wahl des Werkstoffes. Die Zahnräder sind daher aus oberflächengehärtetem Stahl

Rotorblatt einer Windkraftanlage ist großen Belastungen ausgesetzt Moderne Windkraftanlagen haben eine enorme Größe (Abb. 14.8), da eine große Windkraftanlage aufgrund von Einsparungen in der Infrastruktur (weniger Masten, weniger Versorgungsleitungen, insgesamt geringere Anzahl zu wartender Anlagen) effizienter ist als mehrere kleine. Das Rotorblatt ist im Betrieb hohen mechanischen Beanspruchungen ausgesetzt: Dies ist zum einen bedingt durch die Windlasten, zum anderen durch die hohen Fliehkräfte, die mit steigender Anlagengröße (d. h. steigendem Rotordurchmesser) sehr stark anwachsen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Lasten nicht nur

349

Werkstoffkunde

14.2

350

14 Die Welt der Werkstoffe – der Grundbaukasten des Maschinenbaus

noch mit Holz – vor allem dem leichten Balsaholz – zu leistungsfähigen Werkstoffverbunden kombiniert. Auch konstruktive Aspekte helfen dabei das Gewicht der Struktur zu reduzieren, indem die Flügel hohl ausgeführt werden, was die Biegesteifigkeit bei gegebenem Gewicht noch zusätzlich erhöht. Frage 14.2 Definieren Sie das Anforderungsprofil, dass sich für einen Werkstoff ergibt, der für LEGO-Bausteine eingesetzt werden soll.

Werkstoffkunde

14.3

Werkstoffhauptgruppen

Abb. 14.8 Rotorblatt einer Windkraftanlage

statisch, sondern zyklisch auftreten, und solche zyklische Lasten auf Dauer zu einer Materialermüdung führen können. Um dies zu verhindern, müssen solche Anlagen sehr robust sein und auch hohen Sicherheitsanforderungen genügen. Gleichzeitig erfordert auch die einfache Montage solcher Anlagen die Verwendung möglichst leichter und gleichzeitig steifer Materialien. Da es sich um vergleichsweise kleine Serien handelt, werden hier in der Regel zumindest im Bereich der Rotorblätter Faserverbundwerkstoffe eingesetzt. Diese glasfaser- oder kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffe werden zudem häufig

Abb. 14.9 Werkstoffe können in vier Hauptgruppen eingeteilt werden: Metalle, Keramiken/Gläser, Polymere und Hybride (Verbundwerkstoffe, zelluläre Materialien (Schäume), Sandwichstrukturen etc.)

Die Zahl der heute verfügbaren Werkstoffe ist beträchtlich, und täglich kommen neue hinzu. Die Werkstoffe können in drei große Hauptgruppen eingeteilt werden, die für den Maschinenbau große Relevanz besitzen (Abb. 14.9): 1. Metalle und Legierungen, 2. Keramiken und keramische Gläser und 3. Polymere. Neben diesen technischen Werkstoffen, bilden die Naturstoffe eine weitere Werkstoffhauptgruppe, die als Vollwerkstoffe im Maschinenbau weniger Relevanz besitzen.

Stähle Gusseisen Al-Legierungen

Holz, Stein

Cu-Legierungen Ni-Legierungen Ti-Leg.

Verbundwerkstoffe keramische Verbundwerkstoffe, MMC Schaumstoffe Sperrholz zellulare Metalle Werkstoff-

zellulare Werkstoffe Keramikschäume

Aluminiumoxid Siliziumkarbid

Keramiken, keram. Gläser Fensterglas Pyrex

Naturstoffe

CFK, GFK

Metalle

Naturfasern (Flachs, Hanf, Basalt, Baumwolle)

verbunde Sandwichverbunde, Laminate

Hybride

(Verbundwerkstoffe, Werkstoffverbunde und zellulare Werkstoffe aus mehr als zwei Werkstoffhauptgruppen)

Polyethylen, Polypropylen, Polyamid (Nylon)

Polymere Bakelite, Epoxy, Butyl-Gummi Neopren

Be

Li

Mg

Sc

21

IIIB Ti

22

IVB

orthorhombisch

23

V

VB 24

Cr

VIB Mn

1243°

25

VIIB 1536°

Fe

26

Hg Cl

rhomboedrisch trigonal

Diamantstruktur

Co

27

VIII

Gas

Flüssigkeit

Feststoff

Nichtmetalle

hexagonal

hexagonal-dichtgepackt

Li

Halbmetalle

tetragonal

Metalle

kubisch-raumzentriert

kubisch-primitiv

Elektronenkonfiguration

}

Ordnungszahl Atomgewicht (gerundet) Dichte g/cm³ Elastizitätsmodul GPa -6 -1 thermische Ausdehnung in 10 K Atomradius Å in (10-10 m) Gitterkonstante a in Å bei 20 °C Gitterkonstante c in Å

Ni

28

U

29

Cu

IB

238.04 772° 19.07 205 14.8 665° 1.42 6d 7s 2

1133°

92

VA N

7

VIA O

8

VIIA

F

Ne

4.00 -3 0.1785 10--269.7° 1s2 10 9

Al

Si

P

S

Cl

Ar

Ga

Ge

As

Se

Br

Kr

26.98 32.07 28.09 30.97 35.45 39.95 -3 ++ -3 2.70 2.07** 3.214 10-2.33 1.83-1.784 10-70.5 113 23.3 660° 1.43 1423° 1.32 1.28 119° 1.27 -101° 0.99* -189.4° 4.04 5.43 3s23p 3s2 3p2 3s23p3 3s2 3p4 3s2 3p5 3s23p6 36 35 34 33 32 31 30

Zn

IIB

6

C

IVA

2

He

14.01 19.00 20.18 16.00 12.01 10.81 -3 -3 -3 -3 + 1.250 10-1.696 10-0.8999 10-1.429 10-3.51-2.34 2.3 2300° 0.88* 0.77 * -210° 0.70* -218.8° 0.66* -219.6° 0.64* -248.6° 8.93 5.06 2s22p 2s2 2p2 2s22p3 2s2 2p4 2s2 2p5 2s22p 6 18 17 15 16 13 14

B

5

Dichte bei Schmelz-bzw. Siedepunkt für Diamant für weißen Phosphor für gelben Schwefel für tetraedrisch-kovalenten Radius

IIIA

(...) + ++ ** *

Edelgase

Rb

770°

Sr

Y

Zr

Nb

Mo

Tc

Ru

Rh

Pd

Ag

Cd

In

Sn

Sb

Te

I

Xe

Ba

La

Hf

Ta

W

Re

Os

Ir

Pt

Au

Hg

Tl

Pb

204.38 207.20 195.08 196.97 200.59 192.2 132.91 180.95 183.85 186.21 190.20 137.33 138.91 178.49 11.36 21.45 19.32 13.55 303° 11.85 22.5 1.903 16.6 19.3 21.04 22.57 3.5 920° 6.19 2130° 13.09 8.0 16.2 168 78.7 528 (1.47) 138 175 388 461 560 12.7 37.5 29 28 8.94 14.2 6.6 (6.0) 3.6 7.0 6.8 19 5.8 30° 2.67 710° 2.22 350° 1.87 1310° 1.58 3000° 1.46 3400° 1.39 3160° 1.37 2500° 1.35 2454° 1.36 1773° 1.38 1063° 1.44 -38.9° 1.57 232° 1.71 327° 1.75 4.95 3.45 3.92 4.07 3.0 3.83 2.73 3.20 3.30 3.16 2.76 5.02 3.76 5.52 4.31 5.06 4.46 6.06 6s 6s2 5d 6s2 5d 26s2 5d36s 2 5d 46s2 5d56s2 5d66s2 5d 76s2 5d96s2 5d106s 5d106s2 5d106s26p 5d106s26p2

Cs

Po

At

Rn (208.98) (222.02) (209.99) 208.98 (9.2) - 9.960 10 -39.80 31.9 271° 1.70 246° 1.76 302° - (-71)° 4.74 5d106s26p3 5d106s26p4 5d106s2 6p5 5d106s26p6

Bi

127.60 121.75 118.71 107.87 112.41 114.82 102.91 106.42 101.07 85.47 92.91 95.94 (98.91) 87.62 88.91 91.22 126.90 131.29 -3 6.24 7.31 232° 7.30 6.62 10.49 8.65 12.44 12.02 12.2 1.53 540° 2.60 8.57 10.22 11.49 4.47 1845° 6.49 4.94 5.896 10-41.2 10.5 54.9 79 50 54.3 379 113 (432) 104 301 407 (2.35) 15.7 92.2 40 8.5 11.2 18.7 9.8 90 7.1 6.5 7.2 39° 2.48 235° 2.15 1475° 1.80 852° 1.60 2415° 1.46 2600° 1.39 2200° 1.36 1950° 1.34 1966° 1.34 1552° 1.37 961° 1.44 321° 1.54 156.2° 1.66 13° 1.62 630° 1.59 450° 1.60 113,7° 1.28* -111.9° 4.45 4.59 4.50 5.82 3.88 4.08 2.97 3.80 3.30 2.74 2.70 5.62 6.09 3.66 3.23 3.15 5.91 4.94 3.18 5.61 4.27 4.39 5.81 5.15 5s 5s2 4d 5s2 4d 25s2 4d45s 4d 55s 4d65s2 4d75s2 4d 85s 4d10 4d105s 4d10 5s2 4d10 5s25p 4d105s25p2 4d105s25p3 4d105s2 5p4 4d105s 25p5 4d105s25p 6 86 85 84 83 82 81 80 79 78 77 76 75 74 73 72 57 56 55

4s

Ca

Fe

55.85 7.87 213 14.0 910° 1.26 2.86 3d 6 4s 2

1402°

kubisch-flächenzentriert

Kristallstruktur

Umwandlungstemperaturen

1536°

26

50.94 52.00 54.94 40.08 44.96 47.88 83.80 55.85 58.93 58.69 63.55 65.39 69.72 72.61 74.92 78.96 79.90 -3 6.1 7.19 1138° 7.43 1402° 7.87 1495° 8.85 3.12 3.743 10-8.90 8.96 7.13 5.91 5.32 5.72 4.79 850° 1.55 400° 2.99 1660° 4.507 127 186 208 19.6 106 213 204 202 123 92.2 (9.8) 7.8 21 22 10 14.0 12 12.5 16.5 18 1.34 1.27 1.26 1.97 1.62 1.47 1.11 1.26 1.25 1.24 1.28 1.38 1.41 1.37 1.39 1.40 727 3.03 2.89 8.89 5.56 2.95 2.86 2.51 3.52 3.61 2.66 5.66 4.14 α 4.73 4.07 4.95 4s2 3d 4s2 3d 24s2 3d34s 2 3d 54s 3d54s2 3d64s2 3d 74s2 3d84s 2 3d104s 3d104s2 3d104s24p 3d 104s24p2 3d104s2 4p3 3d104s24p4 3d104s2 4p5 3d104s24p 6 54 53 52 51 50 49 48 47 46 45 44 43 42 41 40 39 38 37

39.10 0.86 3.53 83 2.35 5.33 -

K

24.31 22.99 1.74 98° 0.9712 44.3 8.93 26 72 -237° 1.90 650° 1.60 3.20 4.28 3s 3s2 20 19

Na

6.94 9.01 0.534 1.848 11.5 310 46.6 11.5 -195° 1.55 1284° 1.12 3.51 2.29 2s 2s2 12 11

180°

4

IIA

1.01 0.0899 10 -3-259.2° 3.75 6.25 1s 3

1

H

Schmelzpunkt (Gase: Siedepunkt)

Werkstoffhauptgruppen

Werkstoffkunde

Abb. 14.10 Hauptgruppen 1–6 (Insert : Uran aus der 7. Hauptgruppe) des Periodensystem der Elemente. Diese Version enthält zahlreiche für den Werkstoffkundler interessante Zusatzinformationen (© Hellmut Fischmeister, MPI für Metallforschung, Stuttgart, 1995; mit freundlicher Genehmigung des Urhebers, 12/2013)

Xe

6

Kr

5

Ar

4

Ne

3

He

2

1

IA

14.3 351

352

14 Die Welt der Werkstoffe – der Grundbaukasten des Maschinenbaus

Werkstoffkunde

Auf Basis der verschiedenen Werkstoffe können auch zellulare Materialien (Schäume) generiert werden. Durch Kombination verschiedener Werkstoffe entstehen die makroskopisch homogenen aber mikroskopisch inhomogenen Verbundwerkstoffe. Entsteht ein makroskopisch inhomogener Werkstoff, bei dem die einzelnen Materialien deutlich räumlich getrennt angeordnet in makroskopischen Formen miteinander verbunden werden, wird dies als „Werkstoffverbund“ bezeichnet. Verbundwerkstoffe und Werkstoffverbunde, die aus mehr als zwei Werkstofftypen bestehen, werden als „Hybride“ bezeichnet. Hierzu gehören z. B. die Faserkunststoffverbund-MetallLaminate. Bei der Fertigung von Hybriden kommen auch Fügetechnologien zum Einsatz. Die Einteilung in diese Hauptgruppen orientiert sich an vorherrschenden chemischen Bindungstypen, der von der Stellung der beteiligten chemischen Elemente im Periodensystem (Abb. 14.10) abhängt. Bei Verbundwerkstoffen, Werkstoffverbunden oder Hybriden, die ja aus mehreren Materialien der erstgenannten drei Gruppen bestehen, treten verschiedene Bindungstypen auf. Dadurch ist die Kombination von verschiedenen Werkstofftypen zu Hybriden nicht immer einfach und die Frage nach den Grenzflächeneigenschaften für Verbunde tritt in den Vordergrund. Der Bindungstyp hat große Auswirkungen auf die Verarbeitungs- und Gebrauchseigenschaften der Werkstoffe. Im Folgenden werden Metalle, Keramiken und Polymere unter diesem Blickwinkel betrachtet.

Wie werden die Werkstoffe eingeteilt? Die Zuordnung der Werkstoffe zu den Werkstoffhauptgruppen lässt eine systematische Einteilung der Welt der Werkstoffe zu. Im Folgenden sind die Werkstoffhauptgruppen kurz charakterisiert. Metalle Mehr als drei Viertel aller chemischen Elemente sind Metalle. Es handelt sich dabei um alle Elemente, die im Periodensystem (Abb. 14.10) links und unterhalb einer gedachten Linie mit den Elementen B, Si, Ge, Sb, At liegen. Metallatome sind elektropositiv, d. h., sie neigen dazu, im Kontakt mit anderen Atomen ihre Valenzelektronen abzugeben. Handelt es sich bei den anderen Atomen ebenfalls um Metalle, kommt es zu einer Aufteilung von Valenzelektronen unter allen beteiligten Atomen. Die Valenzelektronen sind delokalisiert, d. h., sie sind frei beweglich zwischen den Atomrümpfen. Dieses Elektronengas ist der Grund vieler metalltypischer Eigenschaften, wie z. B. der hohen elektrischen und thermischen Leitfähigkeit, des Glanzes und der Intransparenz. Die Bindungen zwischen den Atomen sind räumlich ungerichtet. Im festen Zustand ordnen sich die Atomrümpfe auf Kristallgittern mit

besonders hoher Packungsdichte (siehe Abb. 14.15) an (in der Regel kubisch flächenzentriert (kfz), hexagonal dichtest gepackt (hdp) oder kubisch raumzentriert (krz)). Wie Abb. 14.11 zeigt, ist die metallische Bindung auch der Grund dafür, dass Metalle im Vergleich zu anderen Werkstoffen sehr gut plastisch verformbar sind. Beim Gleiten der Versetzungen (siehe Vertiefung: Versetzungen und Abschn. 15.6) auf Kristallebenen unter äußerer Schubbeanspruchung bleiben die Bindungskräfte erhalten. Der metallische Bindungstyp ermöglicht auch Kristallstrukturen aus unterschiedlichen Atomsorten, ohne dass dabei ein bestimmtes stöchiometrisches Mengenverhältnis eingehalten wird. Wie in den nachfolgenden Kapiteln noch gezeigt wird, sind solche Substitutionsmischkristalle technologisch von hohem Interesse, da sie in der Regel fester sind als reine Metalle und sich daher besser als Konstruktionswerkstoffe eignen. Die Kombination unterschiedlicher metallischer Elemente (d. h. das „Legieren“) kann in Verbindung mit gezielten Wärmebehandlungen zu zahlreichen anderen Mikrostrukturen und Effekten führen, die sich gezielt für anwendungsgerechte Kombinationen von Eigenschaften einsetzen lassen. Die Legierungskunde (siehe Kap. 16) ist deshalb eine wichtige Teildisziplin in Materialwissenschaft und Werkstofftechnik. Die Kombination von metallischen und nichtmetallischen Elementen führt im Allgemeinen zu keramischen Materialien, die später besprochen werden. In geringen Konzentrationen können die besonders kleinen nichtmetallischen Atome Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff aber in Metallgittern auf Zwischengitterplätzen eingebaut werden, ohne dass dadurch die metallische Bindung und der metallische Charakter verloren gehen. Solche Interstitionsmischkristalle (Einlagerungsmischkristalle) haben ebenfalls eine große Bedeutung in der Werkstoffkunde. So wird die gesamte Technologie der Stähle maßgeblich dadurch geprägt, dass Eisen in zwei unterschiedlichen Kristallstrukturen existiert (bei tieferen Temperaturen in der krz Struktur, bei hohen Temperaturen in der kfz Struktur), in denen sich Kohlenstoff unterschiedlich gut löst. Die wichtigsten metallischen Konstruktionswerkstoffe (Abb. 15.3) sind die Eisenbasiswerkstoffe (Stähle und Gusseisen), gefolgt von Aluminium-, Kupfer-, Nickel-, Magnesium- und Titanlegierungen. Bauteile aus metallischen Werkstoffen lassen sich hierbei sowohl durch urformende (Gießen, Sintern) als auch umformende (Walzen, Schmieden, Strangpressen) Verfahren herstellen (siehe Kap. 30). Keramiken In Keramiken sind die Atome dur