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German Pages 319 Year 2006
Magnus Frohling Zur taktisch-operativen Planung stoffstrombasierter Produktionssysteme
WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT
Magnus Frohling
Zur taktisch-operativen Planung stoffstrombasierter Produktionssysteme Dargestellt an Beispielen aus der stoffumwandelnden Industrie
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Otto Rentz
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalblbliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber abrufbar.
Dissertation Universitat Karlsruhe (TH), 2005
I.Auflage Juli2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Brigitte Siegel/Viktoria Steiner Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media, www.duv.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auSerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und dahervon jedermann benutztwerden diirften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheSlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8350-0449-2 ISBN-13 978-3-8350-0449-8
fur Sandra
VII
Geleitwort Das Optimieren realer Produktionsprozesse in Betrieben der stoffumwandelnden Industrie stellt eine besondere Herausforderung flir die Produktionswirtschaft dar, da die adaquate Abbildung der Produktionsprozesse, insbesondere technischer Parameter, in okonomische GroBen, wie Deckungsbeitrage und Kosten, in den meisten Fallen scheitert bzw. gescheitert ist. Dies ist darauf zuriickzufuhren, dass die nichtlineare Welt der Stoffumwandlung mit ihren Besonderheiten auf einfachem Wege nicht zuganglich ist. Insbesondere sind MaBnahmen auf Anlagen- bzw. Prozessebene nicht einfach mit Steuerungssystemen der betriebswirtschaftlichen Ebene koppelbar. In dem vorliegenden Buch hat sich Herr Frohling daher zur Aufgabe gemacht, fur ausgewahlte Betriebe bzw. Branchen eine solche Koppelung herzustellen und damit diese Produktionen letztendlich einer Steuerung nach wirtschaftlichen Kriterien zuganglich zu machen. Konkret entwickelt Herr Frohling Ansatze zur Entscheidungsunterstiitzung auf taktischoperativer Planungsebene flir stoffstrombasierte Produktionssysteme und wendet diese exemplarisch an. Damit soil eine adaquate Abbildung der zu Grunde liegenden Stoffumwandlungsprozesse und der Unsicherheiten auf Grund nicht deterministischer oder nicht vollstandig bekannter Daten vorgenommen werden. Zur Abbildung der Stoffumwandlungen werden Planungsansatze entwickelt, die Flowsheetbasierte Prozessimulation und Regressionsanalysen mit Planungsmethoden aus der Betriebswirtschaft bzw. dem Operations Research verbinden. Herr Frohling verdeutlicht dies an einem Fallbeispiel aus der Metallerzeugung, der Verwertung metallhaltiger Reststoffe in einem Hochofenprozess. Hierbei ist hervorzuheben, dass mit dem Vergleich der Ergebnisse mit Betriebsdaten sozusagen fur den Praktiker die Nagelprobe vollzogen wird. Im Bereich der Beriicksichtigung von Unsicherheiten wird fur eine Chargenproduktion aus der Lackindustrie ein Ansatz zur Fuzzy-Ablaufplanung entwickelt, der auf reale ProblemgroBen anwendbar ist. Mit seinen Arbeiten hat sich Herr Frohling einem wichtigen Kapitel, dem Bereich der Produktionsplanung in der stoffumwandelnden
Industrie, gewidmet. Er hat einen
wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von Methoden und Modellen zur Losung von aktuellen Problemen, insbesondere auch in mittelstandischen Untemehmen, geliefert. Er hat diese nicht nur neu entwickelt, sondem auch angewandt, getestet, auf Brauchbarkeit uberpriift und fand mit seinen Arbeiten bzw. Ergebnissen Anerkennung in der Praxis. Prof. Dr. Otto Rentz
IX
Vorwort Die stoffumwandelnde Industrie stellt einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Deutschland dar. Um unter gegebenen langfristigen Rahmenbedingungen den kurz- und mittelfristigen Schwankungen der Rohstoff-, Energie- und Absatzpreise sowie Kundenforderungen hinsichtlich Lieferzeiten und Termintreue erfolgreich wirtschaften zu konnen, kommt der effizienten und effektiven Planung der Produktionssysteme in diesem Industriebereich wesentliche Bedeutung zu. Die vorliegende Arbeit behandelt daher Fragestellungen der Produktionsplanung flir solche stoffstrombasierten Produktionssysteme auf taktischer und operativer Ebene. Sie stellt die Entwicklung von Methoden ftir eine problemadaquate Abbildung der Produktionsprozesse hinsichtlich der Stoffumwandlung sowie zur Beriicksichtigung von Unsicherheiten durch nicht vollstandig oder nur ungenau bekannte Daten dar, die im Rahmen von Fallstudien exemplarisch auf reale Produktionsprozesse angewandt werden. Die Arbeit entstand in den Jahren 2001 - 2005 am Institut fiir Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP) / Deutsch-Franzosischen Institut fiir Umweltforschung (DFIU) der Universitat Karlsruhe (TH). Fiir die Moglichkeit, diese Arbeit an seinem Lehrstuhl durchfuhren zu konnen und die Freiheit bei der Wahl des Themas und dessen Ausarbeitung gilt mein herzlicher Dank meinem Doktorvater, Herm Prof. Dr. O. Rentz. Ebenfalls danken mochte ich Herm Prof. Dr. A. Oberweis und Herm Prof. Dr. F. Schultmann fiir die Ubernahme der Korreferate sowie den weiteren Mitgliedem des Priifungskollegiums, Herm Prof. Dr. W.-D. Heller und Prof. Dr. A. Geyer-Schulz. Wesentliche Gmndlagen dieser Arbeit wurden im Rahmen von zwei Forschungsprojekten in Zusammenarbeit mit Industrieuntemehmen gelegt. Den Beteiligten seitens dieser Unternehmen, insbesondere Herm Dr. R. Deike, Herm Dr. C. Hillmann, Herm Dr. K.-J. Sassen und Frau Dipl.-Ing. J. Steels bei der DK Recycling und Roheisen GmbH, Duisburg sowie Herm Dipl.-Kfm. C. Wiemer und Herm Dipl.-Wi.-Ing. V. Scholzke von der Geholit+Wiemer Lackund Kunststoff-Chemie GmbH, Graben-Neudorf, sei herzlich fiir die Unterstutzung bei der Durchfuhrung dieser Projekte gedankt. Fiir die offene und angenehme Arbeitsatmosphare und viele konstmktive Diskussionen mochte ich mich bei alien derzeitigen und friiheren Kolleginnen und Kollegen am IIP/DFIU im wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Bereich bedanken. Hervorzuheben sind hier insbesondere die ehemaligen Mitglieder der Arbeitsgmppe „Industrielles Produktionsund Logistikmanagement", Herr Dr. B. Engels, Herr Dr. R. Jochum, Herr Dipl.-Ing. F. Nebel
X
VORWORT
und Herr Dr. M. Zumkeller. Mein besonderer Dank gilt meinem ehemaligen Arbeitsgruppenleiter, Herm Prof. Dr. F. Schultmann, fiir viele anregende und ermutigende Gesprache und Diskussionen sowie das Vertrauen in meine Arbeit. Herzlich danken mochte ich meiner Familie, insbesondere meinen Eltem, die mir meine Hochschulausbildung ermoglicht und mich dabei stets unterstutzt haben. Fiir die Durchsicht des Manuskripts danke ich zudem meiner Schwester Katharina. Nicht zuletzt gilt mein tiefer Dank meiner Frau Sandra. Mit viel Liebe und Verstandnis hat sie mich bei der Erstellung dieser Arbeit unterstutzt und mir selbst in den arbeitsreichsten Zeiten noch viel Freude geschenkt. Ihr widme ich diese Arbeit. Magnus Frohling
XI
Inhaltsverzeichnis Geleitwort
VII
Vorwort
IX
Inhaltsverzeichnis
XI
Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis 1
2
XIX XXIII
Einleitung
1
1.1 Problemstellung
1
1.2 Zielsetzung und Losungsweg
3
Grundlagen stoffstrombasierter Produktionsplanung und -steuerung 2.1 Einordnung stoffstrombasierter Produktionssysteme
7 7
2.1.1 Begriffliche Abgrenzung
7
2.1.2 Zu Charakteristika von Produktionssystemen
8
2.1.2.1 Eingesetzte Technologie
9
2.1.2.2 Gestalt der Input- und Outputstoffe
9
2.1.2.3 Stufigkeit von Produktionsprozessen
10
2.1.2.4 Vergenzen von Produktionsprozessen
10
2.1.2.5 Merkmale stoffstrombasierter Produktionssysteme
12
2.1.3 Rahmenbedingungen industrieller Produktion fur Untemehmen der stoffumwandelnden Industrie 2.1.3.1 Einordnung von Produktionssystemen in das Umfeld
12 13
2.1.3.2 Aspektedes wirtschaftiictien Umfelds
14
2.1.3.3 Aspekte des poiitiscli-recfitliciien Umfelds
16
2.2 Planung und Steuerung des betrieblichen Leistungserstellungsprozesses
18
2.2.1 Einordnung der Produktionsplanung und -steuerung in das Supply Chain Management
18
2.2.2 Planungsaufgaben des Produktions- und Stoffstrommanagements...20
2
Beschaffuns
/
> ^
Produktion
• Materialprogramm
• Standorte
• Lieferantenwahl
• Produktionssystem
^
y
Distribution y ^
taktisch
•
* • Produktionsprogramm (MPS)
• Materialbedarfsplanung
< •
>
• Produktprogramm
• Distributionsnetz
• strategische Absatzplanung
strategisch
• Personalplanung
Absatz
•
*
• Kapazitatsplanung
• Vertrage
operativ
*
*
• Personaleinsatzplanung
• LosgroBenbildung
• Materialabrufe
^> •
Maschinenbelegung
•
o
• Fahrzeugeinsatz
-4>'
• Ablaufplanung
Z^
Abbildung 2-3:
* . operative Absatzplanung
• Lagerdisposition
Warenflusse
^-^^
Informationsflusse
Supply Chain Planning Matrix Quelle: in Aniehnung an (Fleischmann, Meyr und Wagner, 2005), (Fleischmann und Meyr, 2001), (Rohde, Meyr und Wagner, 2000)
Auch die „klassischen" Aufgaben des Produktionsmanagements sind im taktisch-operativen Bereich der Disposition und der Produktion in der Supply Chain Planning-Matrix aufgefUhrt. Der ganzheitliche Ansatz des SCM zielt auch auf eine Bearbeitung dieser Planungs- und Steuerungsaufgaben im Kontext der gesamten Lieferkette ab, wenngleich diese Planungsaufgaben nach wie vor meist mit Fokus auf die einzelnen Akteure durchgefUhrt werden. Im folgenden Abschnitt wird auf diese Aufgaben naher eingegangen.
2.2.2 Planungsaufgaben des Produktions- und Stoffstrommanagements Ausgehend von strategischen Vorgaben der Untemehmensfuhrung obHegt es dem Produktionsmanagement, diese im Bereich der betrieblichen Leistungserstellung zu konkretisieren und umzusetzen. Im Rahmen der Produktionsplanung sind die HandlungsmogUchkeiten systematisch zu identifizieren und hinsichtlich einer moglichst optimalen Erfullung der strategischen Vorgaben zu bewerten und festzulegen. Aufgabe der Produktionssteuerung ist die Umsetzung der Produktionsplane im taglichen Produktionsablauf (vgl. (Spengler, 1998), S. 41, (Schultmann, 2003), S. 28). Wie im Supply Chain Management sind auch im Bereich
KAPITEL 2
GRUNDLAGEN STOFFSTROMBASIERTER PRODUKTIONSPLANUNG UND -STEUERUNG
des Produktionsmanagements
eine Reihe von Definitionen
und
21_
unterschiedlichen
begrifflichen wie inhaltlichen Differenzierungen gebrauchlich. Am haufigsten sind zwei Abgrenzungen anzutreffen. Ebenfalls wie im Supply Chain Management wird dabei einerseits eine zeitliche und andererseits eine inhaltliche Differenziemng vorgenommen (vgl. z. B. (Corsten, 1994)). Auch wenn z. T. andere Einteilungen verwendet werden, ist die Gliederung in strategische, taktische und operative Aufgaben des Produktionsmanagements ublich (vgl. z. B. (Corsten, 2000), (Zapfel, 2001), (Dyckhoff und Spengler, 2004), (Dyckhoff und Spengler, 2004) und (Schultmann, 2003)).^"^ Vor dem Hintergrund dieser zeitlichen Horizonte lassen sich die Aufgabenbereiche des Produktionsmanagements wie folgt angeben: •
Strategisches Produktionsmanagement Dem strategischen Produktionsmanagement kommt die Aufgabe der Ziel- und Strategiefindung fiir das Leistungserstellungssystem zu, um eine leistungsfahige Produktion zu schaffen, zu erhalten und die Wettbewerbsfahigkeit trotz wechselnder Umweltbedingungen zu gewahrleisten. Es besitzt einen zeitlichen Horizont von ca. fiinf bis zehn Jahren.
•
Taktisches Produktionsmanagement Aufgabe des taktischen Produktionsmanagement ist die Konkretisierung der durch das strategische Produktionsmanagement als Rahmenbedingungen vorgegebenen Strategien hinsichtlich
der
Leistungsfelder
(Output),
Produktionspotenziale
(Input)
und
Produktionsorganisationen (Throughput), es besitzt einen zeitlichen Horizont von ca. einem bis zu fiinf Jahren. •
Operatives Produktionsmanagement Im operativen Produktionsmanagement ist der durch das strategische und taktische Produktionsmanagement vorgegebene Produktionsapparat optimal einzusetzen, um einen wirtschaftlichen Vollzug der Produktion zu ermoglichen. Der zeitliche Horizont betragt bis zu einem Jahr.
'"^ Beispielsweise betrachtet Gunther mit der dispositiven Ebene eine vierte Ebene (vgl. (Gunther, 1993)). Andere Autoren, wie beispielsweise Hansmann (vgl. (Hansmann, 1994)) oder Hoitsch (vgl. (Hoitsch, 1993)), differenzieren nur hinsichtlich der strategisch(-taktisch)en und der operativen Ebene.
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GRUNDLAGEN STOFFSTROMBASIERTER PRODUKTIONSPLANUNG UND -STEUERUNG
KAPITEL 2
Die inhaltliche Differenzierung der Aufgaben des Produktionsmanagements unterscheidet ebenfalls drei Bereiche. Auch wenn die verwendete Terminologie nicht bei alien Autoren einheitlich ist, findet die Einteilung gemaB des so genannten 3-P-Konzepts weithin Anerkennung. Diese von Kern (vgl. (Kern, 1992)) vorgestellte Gliederung unterscheidet die Produkt- und Programmgestaltung, die Potenzialgestaltung und die Prozessgestaltung und ist mit einer an der systemischen Betrachtung orientierten Gliederung in die Planung des Output, des Input und des Throughput des Produktionssystems weitgehend deckungsgleich (vgl. (Corsten, 2000), S. 29). Die Aufgabenbereiche lassen sich wie folgt definieren: •
Produkt- und Programmgestaltung (Output-Planung) In der Produkt- und Programmgestaltung ist der Output des betrieblichen Leistungserstellungsprozesses festzulegen. Dies umfasst langfristige Planungsaufgaben, wie die Festlegung der Produktfelder, in denen das Untemehmen tatig werden soil, beispielsweise ob es sich auf seine Kemkompetenzen beschranken oder diversifizieren soil. Auf taktischoperativer Planungsebene ist festzulegen, in welcher Breite, d. h. welche Produktgruppen zu produzieren sind und in welcher Fertigungstiefe dies geschehen soil. Femer sind fiir den betrachten Planungszeitraum die herzustellenden Produkte nach Art und Menge fiir die in dem Planungszeitraum befindlichen Perioden festzulegen.
•
Potenzialgestaltung (Input-Planung) Fiir die Umsetzung des festgelegten Produkt- bzw. Produktionsprogramms ist der Einsatz von Produktionsfaktoren notwendig. Der Potenzialgestaltung obliegt es, die Bereitstellung dieser Faktoren zu planen. Hierzu zahlen langfristige Planungen in Bezug auf Standorte, BetriebsgroBe, Kapazitatsarten, Instandhaltungsstrategien, verwendete Technologien, Personal- sowie Rohstoffbeschaffung.
Taktische Entscheidungen
beinhalten die
konkretisierende Festlegung hinsichtlich der genannten Aufgabenbereiche. Operativ sind vor allem die Beschaffung der Repetierfaktoren, Reservierung von Kapazitaten und der Mitarbeitereinsatz zu planen. •
Prozessgestaltung (Throughput-Planung) Aufgabe der Prozessgestaltung ist die Planung der Innenstruktur des Produktionssystems. Auf strategischer Planungsebene ist es vor allem der Organisationstyp der Produktion, den es festzulegen gilt. Bei der Konkretisierung der Prozessgestaltung im Rahmen der taktischen Planungsebene ist die tatsachliche Ausgestaltung der Produktion insbesondere hinsichtlich des Produktionslayout zu bestimmen. Operativ ist das gegebene Produktionssystem optimal zur Erfiillung des Produktionsprogramms einzusetzen. Es sind die Aufgaben der Ablaufplanung, d. h. der Termin- und Reihenfolgeplanung unter Beriicksichti-
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GRUNDLAGEN STOFFSTROMBASIERTER PRODUKTIONSPLANUNG UND -STEUERUNG
23^
gung von Kapazitatsrestriktionen sowie der Produktionssteuerung, d. h. der Veranlassung, Uberwachung und Sicherung der Produktion wahrzunehmen (vgl. (Dyckhoff und Spengler, 2004), S. 30f.). Die bei der betrieblichen Leistungserstellung aus der Umwelt entnommenen bzw. an die Umwelt abgegebenen Stoffstrome leisten einen entscheidenden Beitrag zur Erschopfung und Verknappung von Ressourcen bzw. zur Uberbeanspruchung der Aufnahmekapazitat der Umwelt (vgl. (Martel, 1999), S. 1). Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit eines integrierten Stoffstrommanagements aller relevanten Stoffstrome eines Produktionssystems, das durch die Enquete-Kommission des 13. Deutschen Bundestags im Jahr 1994 als die „...zielorientierte, verantwortliche, ganzheitliche und effiziente Beeinflussung von Stoffstromen, wobei die Zielvorgaben aus dem okologischen und okonomischen Bereich kommen, unter Beriicksichtigung von sozialen Aspekten" definiert wurde ((Enquete, 1994), S. 719). Das so definierte Stoffstrommanagement lasst sich aufgrund seines Bezuges zur Nachhaltigkeit als Teilgebiet in die Umweltokonomie einordnen, die ihrerseits definiert ist als die Wirtschaftswissenschaft, die okologische Parameter mit in ihre Betrachtungen einbezieht ((Wietschel, 2001), S. 26). Dabei ist es erst der Bezug zur Nachhaltigkeit, der diese umweltbezogene Ausrichtung im Sinne einer Kreislaufwirtschaft bestimmt, da Stoffstrommanagement bereits dort beginnt, wo Stoffstrome durch Produktionsprozesse oder gesetzliche MaBnahmen gezielt beeinflusst werden (vgl. (Kirchgeorg, 1999), S. 35). Neben den okologischen und sozialen Zielen des Stoffstrommanagements bleibt das Zielsystem des Untemehmens, insbesondere auch des Produktionsmanagements bestehen (vgl. (Spengler, 1998), S. 48, (Wietschel, 2001)). Wie bei Aufgaben der Mehrzieloptimiemng iiblich, kann es durch die nebeneinander existierenden Zielsysteme des Produktions- und des Stoffstrommanagements zu neutralen, komplementaren oder konfliktaren Zielbeziehungen kommen. SoUen beide Zielsysteme simultan verfolgt werden, ergibt sich eine Verkniipfungsmoglichkeit iiber die in beiden Bereichen zu erfassenden Stoff- und Energiestrome. Werden die ein- und ausgehenden Stoff- und Energiestrome monetar bewertet, so konnen die im Produktions- und Stoffstrommanagement verfolgten Ziele komplementar sein, wenn die extemen Kosten des Ressourcenverbrauchs und die an die Umwelt abgegebenen Abfalle und Emissionen iiber diese Bewertungen internalisiert werden. Meist werden jedoch nicht samtliche extemen Kosten internalisiert und stellen die GroBen keine tatsachlichen Knappheitspreise dar, so dass es zur Verwirklichung einer nachhaltigen Produktion der expliziten
^4
GRUNDLAGEN STOFFSTROMBASIERTER PRODUKTIONSPLANUNG UND -STEUERUNG
KAPITEL 2
Einbeziehung weiterer GroBen im Rahmen des betrieblichen bzw. industriellen Stoffstrommanagements bedarf (vgl. (Spengler, 1998), S. 43f., (Wietschel, 2001), S. 24).
2.2.3 Grundlagen der Produktionsplanung und -steuerung Nach der Einordnung stoffstrombasierter Produktionssysteme in Abschnitt 2.1 und der grundlegenden Produktionsplanungs- und Steuerungsaufgaben ist es Gegenstand dieses Abschnitts, grundsatzliche Verfahrensweisen und Ansatze zur Produktionsplanung und -steuerung zum einen allgemein und zum anderen mit Bezug auf stoffstrombasierte Produktionssysteme zu umreiBen. 2.2.3.1
Modellgestutzte Planung
Grundlage einer systematischen Produktionsplanung bilden in der Regel Modelle, abstrakte Abbildungen realer Systeme oder Probleme. Hinsichtlich ihres Einsatzzweeks lassen sich Modelle wie folgt unterscheiden: Zur systematischen Darstellung von Systemen und deren Bestandteilen oder Sachverhalten aus der Realitat dienen Beschreibungsmodelle, die keine Erklarungen fiir reale Vorgange oder Prognosen liefem (vgl. (Dyckhoff, 1993), S. 26, (SchneeweiB, 2002)). Erkldrungs- bzw. Kausalmodelle stellen Zusammenhange zwischen unabhangigen exogenen Variablen und durch diese beschriebene Variablen her und dienen zur Erklarung des Systemverhaltens oder zur Formulierung von Hypothesen. Zur Vorhersage von zukiinftigen Daten und zur Abschatzung von Auswirkungen moglicher Handlungsalternativen werden Prognosemodelle eingesetzt (vgl. (Domschke, Scholl und Vo6, 1997), S. 35). Bei Simulationsmodellen handelt es sich um Prognosemodelle, bei denen die Zusammenhange zwischen Ursache und Wirkung nicht oder nicht vollstandig auf analytischem Wege beschrieben werden konnen und fiir die demnach keine analytischen Losungsverfahren existieren. Sie dienen daher dem systematischen Experimentieren zur Ermittlung der Konsequenzen einzelner Altemativen (vgl. (Domschke und Drexl, 2002), S. 3). Entscheidungs- bzw. Optimiermodelle sind formale Abbildungen von Entscheidungs- oder Planungsproblemen, die darauf abzielen, mittels geeigneter Verfahren gute, besser noch optimale Losungen dieser Probleme ermitteln zu konnen (vgl. (Scholl, 2001), S. 17). Die Entscheidungslogik des Produktionsmanagements basiert in der Regel auf eben solchen Entscheidungsmodellen. Die Planungsaufgabe, das so genannte Realproblem, wird zunachst in einer Abstraktionsphase in einem so genannten Realmodell abgebildet, das die wichtigsten Aspekte des Problems moglichst vollstandig beschreibt. Da dieses aufgrund seiner haufig sehr
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GRUNDLAGEN STOFFSTROMBASIERTER PRODUKTIONSPLANUNG UND -STEUERUNG
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groBen Komplexitat einer analytischen Beschreibung nicht zuganglich ist, wird in einem zweiten Schritt, der so genannten Relaxation, das Realmodell in ein Formalmodell, den so genannten Entscheidungsgenerator, uberfuhrt. Mit Hilfe dieses Formalmodells werden Losungsmoglichkeiten des zugmnde liegenden Problems generiert und vorgeschlagen. Findet diese Losung Akzeptanz, wird sie im Schritt der Implementierung umgesetzt. Zur Uberpriifung und Sicherstellung der Abbildungsgenauigkeit werden auf alien Ebenen Validierungen durchgefuhrt und ggf. Anderungen in den Modellen und der Entscheidungslogik durchgefuhrt (vgl. (Scholl, 2001), S. 31, (Dyckhoff und Spengler, 2004), S. 38). Der beschriebene Prozess ist in Abbildung 2-4 dargestellt.
,
!
'^,...,y^), x^ ={x^,...,Xj,...,x^) den Primarbedarfsvektor. Die Input-Output-Relationen der Produktionsstellen konnen durch die Direktbedarfsmatrix A dargestellt werden (vgl. (Schultmann, 2003), S. 157): /nC-) A=
/i.(-)
(3.22)
/,.(.-)
A ist quadratisch und besitzt die Dimension m . In Vektorschreibweise ergibt sich: y = A-y + x x = {E-A)-y Die Technologische Matrix T = (E-A)
y = {E-Ay^'X = Gx
(3.23)
wird durch Subtraktion der Direktbedarfsmatrix von
der m-dimensionalen Einheitsmatrix gebildet. Die Inverse zur Technologischen Matrix G = {E-Ay^
wird als Gesamtbedarfsmatrix bezeichnet (vgl. (Hahn und LaBmann, 1990),
Unter Transformationsfunktionen
werden Funktionen zur Abbildung der
Input-Output-Zusammenhange
zwischen einzelnen Produktionsstellen verstanden. Demgegeniiber bezeichnet Produktionsfunktion
eine
Abbildung der Input-Output-Beziehungen eines ganzen Produktionssystems (vgl. (Hoitsch, 1993), S. 278). Diese Unterscheidung ist im Rahmen der in diesem Abschnitt betrachteten Input-Output-Analyse sinnvoll, wird in der einschlagigen Literatur jedoch nicht durchgangig vorgenommen.
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SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
S. 370). Die Koeffizienten von G geben den gesamten durch die Produktion einer Einheit des Stoffes j ' induzierten Bedarf an Einheiten von Stoff ; an.
Die bisherigen Ausfiihrungen beruhen auf der Annahme, dass jede Fertigungsstelle nur eine Produktart erzeugen kann. Diese dient lediglich einer iibersichtlicheren Darstellung. Mit Hilfe der betriebswirtschaftlichen Input-Output-Analyse lassen sich ebenso komplexere Leistungsverflechtungen wie die der Kuppelproduktion abbilden (vgl. (Kloock, 1969), S. 95). Hierzu sind die einzelnen Fertigungsstellen wiederum als Matrizen
Fjj,(...) von eigenen
Transformationsfunktionen aufzufassen:
/ifC-)
/;fc-.) (3.24)
F,,(...):
Hierbei bestimmt, um jeweils quadratische Matrizen gleichen Ranges zu erhalten, die Fertigungsstelle mit der maximalen Anzahl n an erzeugten Produktarten, die GroBe samtlicher Teilmatrizen (vgl. (Kloock, 1969)). Die Direktbedarfsmatrix A ergibt sich somit wie folgt: ^,.(.-.)
FH(...)
A=
(3.25)
^,r(-)
^.,(-)
F^J-)
Als Transformationsfunktionen fjyi-.-) konnen eine Reihe wichtiger anderer Klassen von Produktionsfunktionen als Spezialfalle der betriebswirtschaftlichen Input-Output-Analyse dargestellt werden, bzw. deren Charakteristika auf den allgemeineren Fall der Input-OutputAnalyse ubertragen werden (vgl. z. B. (Fandel, 1996), (Steven, 1998)). Diese weiteren wesentlichen Klassen von Transformationsfunktionen
werden im folgenden Abschnitt
hinsichtlich ihrer Eignung zur Abbildung von verfahrenstechnischen Prozessen diskutiert.
Voraussetzung eindeutiger Losungen ist die Existenz und Nichtnegativitat der Andernfalls konnen bei der Berechnung negative Produktionsmengen S. 194f.).
Gesamtbedarfsmatrix.
auftreten (vgl. (Kistner, 1993),
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KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
3.2.1.3
Weitere betriebswirtschaftliche Transformationsf unktionen und deren Eignung zur Abbildung verfahrenstechnischer Prozesse
Neben den bereits vorgestellten Konzepten der Aktivitatsanalyse und der betriebswirtschaftlichen Input-Output-Analyse existieren in der produktionstheoretischen Literatur vielfaltige weitere Arbeiten zu Transformationsfunktionen und - damit verbunden - eine Vielzahl unterschiedlicher Transformationsfunktionen. Der Zielsetzung dieser Arbeit folgend, wird in diesem Abschnitt ein Uberblick liber die charakteristischen Eigenschaften wesentlicher Klassen von Transformationsfunktionen gegeben. Diese Typen werden vor dem Hintergrund einer Eignung zur Abbildung von verfahrenstechnischen Prozessen diskutiert. Auf eine vollstandige bzw. detaillierte Darstellung wird aus diesem Grund verzichtet. Fiir ausfuhrlichere Darstellungen sei auf die einschlagige Literatur, beispielsweise (Kistner, 1993), (Dyckhoff, 1993), (Fandel, 1996) und (Dyckhoff, 1998), verwiesen. Einen Uberblick iiber eine Klassifikationsmoglichkeit der betrachteten bzw. genannten Transformationsfunktionen gibt die folgende Abbildung 3-9.
AllgemeineTransformationsfunktion Mehrvarlablige Transformationsfunktionen
Einvariablige Transformationsfunktionen allgemeiner Ansatz
LeontlefFuniction
unabhangige EinflussgroBen allgemeiner linearer Ansatz Ansatz
interdependente EinflussgroBen
CES Funktion allgemeiner Ansatz
ertragsgesetzliche Funktion
Cobb-DouglasFunktion
Techno-okonomische Transformationsfunktionen
thermodynamlsche Funktionen Abbildung 3-9:
Engineering Production Functions
Uberblick uber wichtige Klassen von Transformationsfunktionen Quelle: (Penkuhn, 1997), S. 48, (Spengler, 1998), S. 103
KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTOTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
65_
Einen vergleichsweise einfachen Ansatz zur Modellierung limitationaler Produktionsprozesse stellt die einvariablige linear homogene^'* Produktionsfunktion von Leontief dar. In diesem Fall liegen feste Produktionskoeffizienten QJJ. in den fjjX-") vor. Zahlreiche Autoren haben die Eignung zur Abbildung von Montage- und Demontagesystemen und die Probleme einer Anwendung auf stoffstrombasierte Produktionssysteme herausgestellt (vgl. z. B. (Rentz, 1976), (Rentz, 1979), (Penkuhn, 1997) und (Spengler, 1998)). Wesentliche Kritikpunkte sind, dass die in verfahrenstechnischen Prozessen haufig anzutreffenden Nichtlinearitaten nicht abgebildet werden, und die Variabilitat und Substituierbarkeit von eingesetzten Stoffen und technischen
EinflussgroBen
bei
streng
limitationalen
Produktionsfunktionen
nicht
beriicksichtigt werden. Moglichkeiten zur Abbildung von substitutionalen Produktionsprozessen weisen etwa die ertragsgesetzliche, die Cobb-Douglas- (C-D-) oder die CES-Transformationsfunktion auf. Allerdings beruhen diese nicht auf naturwissenschaftlich-technischen Grundlagen (vgl. (Spengler, 1998)). Das Ertragsgesetz, auch klassische Transformationsfunktion genannt, geht auf Arbeiten von Turgot aus dem 18. Jahrhundert zuriick. UrsprtingUch wurden die Ertrage landwirtschaftlicher Produktion in Abhangigkeit von partieller Variation des Produktionsfaktors Arbeit bei konstantem Einsatz der Faktoren Boden und Saatgut analysiert (vgl. (Ellinger und Haupt, 1996)). Empirisch betrachtet besitzt das Ertragsgesetz fur industrielle Produktionsprozesse jedoch lediglich eine geringe Relevanz. 1st die unterstellte Substitutionalitat durchaus in Prozessen der stoffumwandelnden Industrie anzutreffen, sind insbesondere die wachsenden Grenzertrage und der fehlende Bezug zu naturwissenschaftlich-technischen GesetzmaBigkeiten zu kritisieren (vgl. (Fandel, 1996)). Die klassische Transformationsfunktion erlangte jedoch als friiheste Formulierung einer Produktionsfunktion und darauf aufbauender Arbeiten Bedeutung (vgl. (EUinger und Haupt, 1996), S. 77). Bezogen auf die Anwendbarkeit in industriellen Prozessen verhalt es sich mit der CobbDouglas- sowie der CES-Transformationsfunktionen ahnlich (vgl. (Fandel, 1996), S. 194). Beide gehoren zur Gruppe der so genannten Neoklassischen Transformationsfunktionen. Diese weisen im gesamten Verlauf abnehmende positive Grenzertrage auf und lassen sich
^"^ Bei linearer Homogenitat (Homogenitat vom Grade 1) gilt: /iy
= f{ju • x) (vgl. (SchneeweiB, 2002), S. 40).
^6
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
somit als Sonderfall der ertragsgesetzlichen Transformationsfunktion darstellen (vgl. (Steven, 1998)). Auf einem anderen Konzept beruhen die Transformationsfunktionen von Gutenberg und Heinen. Beide Ansatze verwenden technische und okonomische Verbrauchsfunktionen zur Abbildung der Input-Output-Beziehungen (vgl. (Spengler, 1998), S. 103) und stellen damit einen Schritt im Hinblick auf eine starkere technische Fundierung der Modellierung dar (vgl. (Schultmann, 2003), S. 158). Gutenberg setzt limitationale Produktionsverhaltnisse voraus und unterscheidet zwei Faktortypen: Potenzialfaktoren, die im Produktionsprozess genutzt und dabei nicht im groBeren MaBe verbraucht werden und Repetierfaktoren, die im Leistungserstellungsprozess untergehen. Potenzialfaktoren werden durch technische Eigenschaften bzw. Parameter (Zi,Z2,...,Zv) charakterisiert. Die Konfiguration dieser technischen Parameter wird als so genannte z-Situation bezeichnet (vgl. (Gutenberg, 1966)). Die Leistung eines Aggregates ist abhangig von den technischen Parametem und der so genannten Leistungsintensitat d . Wird die z-Situation als konstant betrachtet, kann die Leistungsabgabe eines Produktionssystems nach Gutenberg durch eine zeitliche Anpassung, d. h. eine Variation der Laufzeit des Aggregats, eine quantitative Anpassung, d. h. eine Veranderung der Anzahl der eingesetzten Potenzialfaktoren sowie eine intensitdtsmdfiige Anpassung beeinflusst werden. Der Output des Prozesses ist damit unmittelbar abhangig von dem Einsatz der Potenzialfaktoren. Dagegen ist der Einsatz von Repetierfaktoren abhangig von der Leistungsintensitat des Aggregats und der zeitlichen Inanspruchnahme. Diese Abhangigkeit wird durch - als bekannt vorausgesetzte - Verbrauchsfunktionen abgebildet, die den Faktoreinsatz je Produkteinheit darstellen. So genannte Faktoreinsatzfunktionen ergeben sich durch die Multiplikation des Wertes der Verbrauchsfunktion mit der zu erzeugenden Menge an Produkteinheiten. Somit sind die Faktorverbrauche nur mittelbar abhangig vom erzeugten Output des Aggregats. Der empirische Geltungsbereich der Gutenberg-Transformationsfunktion wird zwar in der produktionswirtschaftlichen Literatur allgemein als vergleichsweise hoch eingeschatzt (vgl. z. B. (Fandel, 1996)), allerdings ist auch an ihr vielfaltige Kritik getibt worden. Eine ijbertragbarkeit auf verfahrenstechnische Prozesse ist nur sehr eingeschrankt gegeben. Zuvorderst ist die angenommene Konstanz der z-Situation und die daraus abgeleitete lineare Beziehung zwischen der Leistung eines Aggregats und der HilfsgroBe der Intensitat zu hinterfragen. Verfahrenstechnische Prozesse sind in hohem MaBe abhangig von technischen
KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
67_
Prozessparametem wie Druck und Temperatur. Diese als fest anzusehen schrankt den Handlungsbereich fiir (technische) Produktionsoptimierung oft ein. Die in verfahrenstechnischen Prozessen im Allgemeinen vorliegenden Nichtlinearitaten (vgl. z. B. (Penkuhn, 1997), (Sieverdingbeck, 2001)), die haufig vorherrschenden, nicht streng limitationalen Beziehungen zwischen Prozessoutput und Faktoreinsatz sowie die groBen Abhangigkeiten der Produktqualitat und -quantitat von den teilweise wechselnden stofflichen Zusammensetzungen der Einsatzstoffe sind weitere Faktoren, die eine Ubertragung der GutenbergTransformationsfunktion
auf verfahrenstechnische Prozesse im Allgemeinen und das
betrachtete Produktionssystem im Besonderen als nicht zielfuhrend erscheinen lassen. Die Transformationsfunktion von Heinen (vgl. (Heinen, 1970)) stellt eine Erweiterung und Verallgemeinerung des Konzepts von Gutenberg dar (vgl. z. B. (Schwalbach, 2004), S. 113). Heinen sieht keinen zwingenden Zusammenhang zwischen der technischen und der okonomischen Leistung eines Produktionsaggregats. Daher kommen sowohl technische Verbrauchsfunktionen, die quantitativ den Zusammenhang zwischen Faktoreinsatz und der technischen
Leistung
der
Potenzialfaktoren
beschreiben,
als
auch okonomische
Verbrauchsfunktionen, die fiir wirtschaftliche Betrachtungen den Zusammenhang zwischen Faktoreinsatz und Leistung der Aggregate herstellen, zum Einsatz (vgl. (Schultmann, 2003), S. 159). Der Produktionsprozess wird soweit in Teilprozesse zerlegt, bis ein Zusammenhang zwischen
der
technischen
und
der
okonomischen
Leistung
in
so
genannten
Elementarkombinationen besteht. Der Gesamtoutput des Systems wird durch diese Elementarkombinationen, deren Wiederholungshaufigkeit und verschiedene weitere Faktoren determiniert (vgl. (Fandel, 1996), S. 199). Auch wenn es Heinen mit der nach ihm benannten Transformationsfunktion
gelingt, einen hoheren Detaillierungsgrad der Abbildung zu
erreichen und die okonomische Leistung getrennt von der technischen Leistung eines Aggregats zu betrachten, sind an der Heinen-Transformationsfunktion im Wesentlichen die gleichen Kritikpunkte hinsichtlich einer Ubertragbarkeit auf verfahrenstechnische Prozesse anzubringen wie bei der Transformationsfunktion von Gutenberg. Bleibt die Abbildung technischer Zusammenhange in den Transformationsfunktionen von Gutenberg und Heinen noch rudimentar, wird diese in den Techno-okonomischen Transformationsfunktionen, den Engineering Production Functions (EPFs) sowie den thermodynamischen Transformationsfunktionen, deutlich verbessert.
^8
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
Engineering Production Functions streben eine analytische Formulierung der Input-OutputZusammenhange von Produktionsstellen oder Industrie- und Wirtschaftsbereichen an. In EPFs werden dabei drei Guterarten, Materials, d. h. in das Produkt eingehende oder Energie liefemde Repetierfaktoren, Services, d. h. Energie anbietende, umformende oder deren Umformung kontrollierende Potenzialfaktoren sowie Products, d. h. die das Ergebnis des Produktionsprozess
darstellenden Produkte unterschieden. Zur Beschreibung dieser
Guterarten dienen zwei Typen von Variablen, so genannte Engineering Variables, die technische Variablen wie Druck oder Temperatur beschreiben und so genannte Economic Variables, Quantitatsvariablen, die sich okonomisch bewerten lassen und somit einen Ubergang von einer mengen- zu einer wertmaBigen Betrachtung ermoglichen (vgl. (Schweitzer und Kupper, 1997), (Fandel, 1996), S. 129). EPFs beschreiben die funktionalen Zusammenhange zwischen Engineering Variables der Verbrauchs- und Bestandsfaktoren, der zur Transformation zuzufiihrenden Energie und den im Produktionsprozess zu erzeugenden Produkten ((Penkuhn, 1997), S. 57). Engineering Production Functions erweisen sich prinzipiell zur Abbildung stoffstrombasierter Produktionssysteme als geeignet. Eine erste technisch orientierte Arbeit zu EPFs von Breguet aus den 1920er Jahren stammt aus dem Flugzeugbau. Verfahrenstechnische Prozesse werden u. a. von (Chenery, 1953), (Smith, 1966) und (Schweyer, 1955) behandelt. Wie eingangs erwahnt, bleibt das Anwendungsgebiet der Engineering Production Functions nicht auf einzelne Aggregate beschrankt, sondem umfasst
auch
Industrie-
und
Wirtschaftsbereiche.^^
Auch
wenn
die
meisten
Veroffentlichungen zu EPFs aus den 1950er und 1960er Jahren stammen, existieren auch spatere Arbeiten wie z. B. von (Eide, 1979), (Muller-Furstenberger, 1995) und (Martel, 1999). Die trotz ihrer erwiesenermaBen hohen empirischen Geltung (vgl. z. B. (Schweitzer und Kiipper, 1997)) vergleichsweise geringe Verbreitung und Beriicksichtigung von Engineering Production Functions in aktuellen Arbeiten ist auf die mit der Verbesserung der Abbildung einhergehende Erhohung der Modellkomplexitat sowie die Notwendigkeit, fur den jeweiligen Einzelfall eigene EPFs erstellen zu miissen, zurUckzufuhren (vgl. z. B. (Fandel, 1996), S. 201, (Penkuhn, 1997), S. 59f.). Hierzu ist ein erheblicher Aufwand fiir die Entwicklung und Bestimmung der notwendigen Parameter der jeweiligen EPF notwendig (vgl. (Schultmann, 2003), S. 160, (Spengler, 1998), S. 104).
^^ Tabellarische Ubersichten iiber verschiedene aggregat- bzw. industriezweigbezogene Ansatze zu Engineering Production Functions finden sich in (Fandel, 1996) auf den Seiten 134 und 137.
KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
69_
Thermodynamische Transformationsfunktionen verzichten auf eine analytische Formulierung der Input-Output-Zusammenhange. Bei diesem von Penkuhn (vgl. (Penkuhn, 1997)) entwickelten Typ von Transformationsfunktionen
erfolgt eine Modellierung mittels
Verfahren, die sich an der Modellbildung aus der Verfahrenstechnik orientieren. Basis der Uberlegungen bilden die Satze der Massen und der Energieerhaltung. Es wird ein System meist nichtlinearer Gleichungen auf Basis von gekoppelten Massen- und Energiebilanzen der betrachteten Grundoperationen bestimmt. Diese Gleichungen werden zur Modellierung der Input-Output-Zusammenhange des betrachteten Produktionssystems verwendet. Penkuhn zeigt, dass sich diese Gleichungen in die Input-Output-Analyse von Kloock (vgl. Abschnitt 3.2.1.2) integrieren lassen und thermodynamische Transformationsfunktionen somit auch in diesem Kontext eingesetzt werden konnen (vgl. (Penkuhn, 1997), S. 64f.). Ebenso ist eine Einbindung in die Aktivitatsanalyse moglich (vgl. z. B. (Schultmann, 2003), S. 161, (Spengler, 1998)). Auf Grund des betrachtlichen Aufwands einer Ermittlung der Bilanzgleichungen auf empirischem Wege wird von Penkuhn stattdessen eine semi-empirische Vorgehensweise vorgeschlagen. Diese beruht auf dem Einsatz von Werkzeugen aus der verfahrenstechnischen Prozesssimulation, so genannten Flowsheeting-Systemen. Da diese im Rahmen
der
Vorstellung
ingenieurwissenschaftlich
orientierter
Ansatze
zur
VerfahrensmodelUerung in Abschnitt 3.2.2.4 ausfuhrlich vorgestellt und diskutiert werden, wird an dieser Stelle auf die Vorteile im Vergleich zu einer empirischen Modellierung nicht naher eingegangen. Der vorgestellte Ansatz wird von Penkuhn zur Abbildung des stationaren Prozesses der Ammoniaksynthese nach dem AMV-Verfahren erfolgreich angewendet. Allerdings ist das dargestellte Vorgehen nicht ohne Weiteres auf eine VerfahrensmodelUerung des in dieser Arbeit betrachteten Produktionssystems ubertragbar. Der Ansatz bezieht sich auf den einperiodigen Einproduktfall eines stationar betriebenen Ammoniaksyntheseprozesses. In diesem Fall sind die z. T. nichtlinearen thermodynamischen Transformationsfunktionen anwendbar, auch wenn schon hierbei teilweise betrachtliche Rechenzeiten anfallen. Im Mehrproduktfall, insbesondere ftir eine mehrperiodige Programmplanung eines nicht stationar betriebenen Prozesses, erscheint diese Modellierung daher zu aufwandig, rechenzeitintensiv und nicht zielfuhrend.
20
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL3
3.2.2 Ingenieurwissenschaftliche Ansatze zur Abbildung stoffstrombasierter Produktionssysteme Zur Abbildung von stoffstrombasierten Produktionsprozessen sind in der Praxis neben der expliziten analytischen Modellierung der physikalisch-chemischen
GesetzmaBigkeiten
hauptsachlich die Abbildung mittels • Material- und Energiebilanzierung, • fester Verteilungskoeffizienten, • Regressionsanalysen und • Simulation, insbesondere Flowsheeting-Systemen iiblich. Diese Ansatze werden in den folgenden Abschnitten skizziert, da sie durch ihre unterschiedlichen Detaillierungsgrade und Abbildungsgenauigkeiten eine problemadaquate Modellierung der betrachteten Prozesse ermoglichen konnen.
3.2.2.1
Modellierung auf Basis von Material und Energiebilanzen
Ausgangspunkt fiir die Modellierung von verfahrenstechnischen Prozessen ist deren Materialund Energiebilanzierung. Im verfahrenstechnischen Sinne bilanziert werden hier die MengengroBen fur Material, Stojfhzw. Masse und Energie in einem Bilanzbereich (System) (vgl. (Schiitt, Nietsch und Rogowski, 1990)). Grundlage der Bilanzierung bilden die empirischen Fundamentalsatze der Massen- und Energieerhaltung (vgl. (Penkuhn, 1997), S. 61). Auf diese MengengroBen konnen prinzipiell drei unterschiedliche Vorgange angewendet werden, der Transport, die Wandlung sowie die Akkumulation. Die allgemeine integrale Bilanz fiir ein betrachtetes System (z. B. eine Unit Operation) lasst sich wie folgt angeben (vgl. (Schulze und Hassan, 1981), S. 26f.): [Akkumulation] = [Transport] + [Wandlung ]
(3.26)
Gebrauchlichster Ansatz zum Aufstellen der Energiebilanz ist die Bilanzierung der Enthalpie H (vgl. (Penkuhn, 1997), S. 61). Wie eingangs erwahnt, kommen fiir die Materialbilanzierung prinzipiell sowohl Massen- als auch Stoffmengenbilanzen in Frage.^^ Nach Vollstandigkeit
Eine Uberfiihrung einer mit Hilfe einer der beiden GroBen aufgestellten Bilanz in den jeweils anderen Typ ist iiber die Molgewichte der bilanzierten Komponenten moglich.
KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
71_
der Materialbilanz werden die Gesamtmaterialbilanz und die Komponentenbilanz unterschieden. GemaB der in Abschnitt 2.2.3.1 dargestellten Detaillierungsgrade der Abbildung von Prozessen ist die Modellierung auf Grundlage der Material- und Energiebilanzierung als Black-Box-Modell anzusehen. Auch wenn diese Art der Darstellung relativ einfach ist, kann die Erstellung solcher Bilanzen durchaus sehr aufwandig sein (vgl. z. B. (Schiitt, Nietsch und Rogowski, 1990), (Fine und Geiger, 1979)). Zudem kann es bei der empirischen Ermittlung der Material- und Energiebilanzen durch Datenunsicherheiten sowie Fehler bei der Messung bzw. Analyse von Proben dazu kommen, dass die Bilanzen nicht stimmen und ausgeglichen werden miissen. Hierzu existieren zwar verschiedene Verfahren, deren Anwendung jedoch nicht ohne Weiteres moglich ist (vgl. z. B. (Fine und Geiger, 1979), (Rentz, Frohling und Nebel, 2004)). In dem beschriebenen Black-Box-Modell wird auf eine explizite Darstellung der funktionalen Zusammenhange zwischen den Input- und Outputstoff- sowie Energiestromen verzichtet. Fiir eine adaquate Abbildung der Prozesse im betrachteten Referenzfall ist diese jedoch, wie bereits mehrfach erwahnt, notwendig. In den folgenden Abschnitten wird daher auf verschiedene weitere Ansatze eingegangen, die ftir eine Abbildung verfahrenstechnischer Prozesse auf unterschiedlichen Aggregationsniveaus geeignet sind.
3.2.2.2
Modellierung auf Basis fester Verteilungskoeffizienten
Bei der Stoffstrommodellierung iiber feste Verteilungskoeffizienten wird die Verteilung der Stoffstromkomponenten im Inputstrom eines Aggregats auf verschiedene Outputstrome mittels eines Verteilungsvektors berechnet. Werden beispielsweise
J
Outputstrome
betrachtet, kann der Verteilungsvektor v. fiir Element / wie folgt angegeben werden:
(3.27)
72
SIMULATIONSGESTOTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
Dabei bedeuten: m^j = Massenstrom der Stoffstromkomponenten / in Outputstoffstrom j m,'" = Massenstrom der Stoffstromkomponenten / im Inputstoffstrom Feste Verteilungskoeffizienten lassen sich empirisch durch das Erstellen von Massenbilanzen (vgl. Abschnitt 3.2.2.1) fur die betrachteten Aggregate bestimmen. Eine solche Modellierung bildet die chemischen Spezifikationen der Eingangs- und Ausgangsstoffstrome ab und ist somit detaillierter als beispielsweise die methodisch ahnliche Input-Output-Analyse (vgl. Abschnitt 3.2.1.2) im Spezialfall der Leontief-Transformationsfunktionen (vgl. Abschnitt 3.2.1.3). Durch die festen Koeffizienten ist sie jedoch lediglich fiir stationare Betriebszustande und gleichbleibende Zusammensetzungen der Inputstoffstrome geeignet. Fiir das betrachtete Produktionssystem sind diese Voraussetzungen jedoch nicht erfullt. Die in den folgenden Abschnitten dargestellten Methoden zielen daher darauf ab, auch bei nicht stationaren Betriebszustanden und variablen Inputstoffstromen geeignete Ergebnisse zu liefem. 3.2.2.3
Regressionsanalysen von Betriebsdaten
Eine haufig verwendete Methode zur Abbildung von verfahrenstechnischen Prozessen stellt die aus der Statistik stammende Regressionsrechnung und hier insbesondere die multiple (lineare) Regression dar. Auf Basis einer Analyse von empirisch ermittelten Betriebsdaten wird hierbei allgemein ein funktionaler Zusammenhang zwischen einer zu beschreibenden GroBe >' (Regressand) und k = l,...,K erklarender GroBen JCI,...,JC^ (Regressoren) ermittelt. Ausgangspunkt ist eine Annahme tiber die Form des zu ermittelnden Zusammenhangs. Im linearen Fall kann dieser wie folgt dargestellt werden (vgl. (Bamberg und Baur, 1996), S. 225): y = a-\-P^x^+ P^-x^+... + Pf. • Xf. ^£
(3.28)
Mit:
y:
SesTar!?'^^'
^' ^.'J^^^-^l
Regressionskoeffizienten
^•'•••'^^ '•
exogene Variable (Regressor)
^ ^-
AU • u /T-ui ^ Abweichung (Fehler)
Werden / = 1,...,/ Messungen mit den Messwerten x^J durchgefuhrt, lassen sich Schatzer fiir das Absolutglied sowie die weiteren Regressionskoeffizienten nach der Methode der kleinsten
KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
73^
Fehlerquadrate bestimmen. Hierbei werden die Faktoren a und P- so gewahlt, dass die Summe der Fehlerquadrate e^ der einzelnen Messungen gemaB Formel (3.29) minimiert wird (vgl. (Myers, Montgomery und Vining, 2002), S. 8):^^
^5f>^)=Zkr=z x-^-iM,
>Min!
(3.29)
Uber eine Regressionsrechnung lassen sich funktionale Zusammenhange zwischen Input- und Outputstoffstromen bezogen auf Massen und / oder chemische Zusammensetzungen wie auch technische Parameter abbilden. Hierbei wird jedoch vorausgesetzt, dass die zugrunde gelegten exogenen Variablen normalverteilt und unabhangig voneinander sind. Zudem sind vor der Analyse AusreiBer aus den Datensatzen zu entfemen, da diese einen groBen Einfluss auf die Ergebnisse einer Regressionsanalyse haben.^^ Die Giite der Beschreibung des Zusammenhangs durch die Regressionsgleichung lasst sich u. a. durch so genannte multiple BestimmtheitsmaBe oder auch multiple Korrelationskoeffizienten bestimmen (vgl. hierzu z. B. (Hartung, Elpelt und Klosener, 1998), S. 596f.). Wesentlichster Kritikpunkt an den Verfahren der Regressionsrechnung zur Abbildung stoffstrombasierter Prozesse ist, dass die ermittelten funktionalen Zusammenhange nicht immer verfahrenstechnisch erklarbar sind bzw. teilweise auch chemisch-physikaHschen Gesetzen widersprechen konnen. Scheinkorrelationen konnen zu falschen Schlussfolgerungen bis hin zur falschen Darstellung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhangen fiihren. So konnte etwa im betrachteten Produktionssystem u. U. ein hoher CaO-Gehalt im Sinter im Rahmen
^^ Aufgrund der Zielsetzung dieser Arbeit sei fiir eine eingehende Darstellung der Vorgehensweise und der Formeln zur Bestimmung der Regressionskoeffizienten gemaB der Methode der kleinsten Fehlerquadrate z. B. auf die Arbeiten von (Myers, Montgomery und Vining, 2002), (Chatterjee und Price, 1995) und (Hartung und Elpelt, 1999) verwiesen. ^^ Kann die Normalverteilung der Datensatze haufig vorausgesetzt werden, ist insbesondere die Beachtung der Abhangigkeiten zwischen den Variablen, man spricht hier auch von so genannten Multikollinearitaten (vgl. z. B. (Hartung, Elpelt und Klosener, 1998), S. 598 und (Sen Ashish und Srivastava, 2005), S. 218) und der AusreiBer von entscheidender Bedeutung fiir die Anwendung der Regressionsrechnung. Zu Verfahren zur Identifikation von Multikollinearitaten sei beispielsweise auf (Chatterjee und Price, 1995), S. 197ff.) verwiesen. Zur Behandlung von AusreiBern existieren ebenfalls eine Reihe von Verfahren. Allerdings ist hier problematisch, dass sich die meisten Verfahren lediglich auf die Elimination von AusreiBern bei der Messung der gleichen Merkmalsauspragung beziehen. Fur weitere Verfahren sei ebenfalls auf (Hartung und Elpelt, 1999) verwiesen.
24
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
einer Regressionsanalyse durch einen erhohten Si02-Gehalt in der Nettomischung erklart werden, da beide Verbindungen durch die eingestellte Basizitat des Sinters in einem festen Verhaltnis zueinander stehen und somit bei einer Zunahme der CaO-Konzentration im Sinter auch die Si02-Konzentration in der Nettomischung ansteigt. Die Glite der dargestellten Regressionsrechnung ist dariiber hinaus von den ihr zugrunde gelegten Daten abhangig. Fur eine korrekte Berechnung der Abhangigkeiten ist es notwendig, dass die hinsichtlich ihres Einflusses untersuchten Merkmale in einer geniigenden Bandbreite unabhangig voneinander variiert werden. Theoretisch ist eine solche Variation zwar durch Betriebsversuche moglich, in der taglichen Arbeit jedoch haufig schwer zu reaUsieren und oft mit erheblichem, auch finanziellem, Aufwand verbunden.
3.2.2.4
Flowsheet-basierte Prozesssimulation
Eine MogHchkeit stationare verfahrenstechnische Prozesse detailHert abbilden zu konnen, ohne dabei die einzelnen Reaktionen expUzit durch Gleichungen beschreiben zu miissen, bietet die stationare Flowsheet-Simulation. Hierbei handelt es sich um eine Methode der Prozesssimulation, in der so genannte Flowsheeting-Programme zum Einsatz kommen. Kemstuck dieser Simulationswerkzeuge sind so genannte Fliefischemata (engl.flowsheets),in denen ein verfahrenstechnischer Prozess in Grundoperationen sowie diese verbindende Stoffund Energiestrome zerlegt dargestellt wird.^^ Auf Basis dieser FlieBschemata werden mit den spezifizierten Grundoperationen sowie Stoff- und Energiestromen computergestutzt die zugehorigen Massen- und Energiebilanzen der Hauptapparate berechnet. Somit ist es moglich, Stoffzusammensetzungen und sich einstellende Parameter wie Druck, Temperatur u. a. zu bestimmen. Die stationare Flowsheet-Simulation findet in der Verfahrenstechnik eine breite Anwendung; klassische Einsatzgebiete sind die Prozessentwicklung sowie die Planung und Auslegung von verfahrenstechnischen Anlagen (vgl. (Futterer und Munsch, 1990), S. 9).
FlieBschemata sind in der Verfahrenstechnik ein gebrauchliches Werkzeug. Je nach Darstellungszweck und DetailHerungsgrad werden so genannte Grund-, Verfahrens- sowie Rohrleitungs- und InstrumentenflieBschemata (RI-Flie6schemata) unterschieden. Begrifflichkeiten, Umfang und zeichnerische AusfUhrung der FHeBschemata sind genormt. Fiir weitere Informationen hierzu sei auf die entsprechende DIN EN ISO 10628:2000 Fliefischemata fiir verfahrenstechnische
Anlagen, Allgemeine Regeln verwiesen (vgl. (DIN,
2000)). In der friiheren Version DIN 28004 wurde anstelle von FlieBschemata von FlieBbildern gesprochen.
KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
75_
Kommerziell verfugbare Programmpakete zur Flowsheet-Simulation lassen sich u. a. hinsichtlich des Verfahrens unterscheiden, das zur Losung der FlieBschemata zum Einsatz kommt. Es sind folgende zwei Grundtypen iiblich: • Sequenziell-modulare Systeme, bei denen die Berechnung einzeln fur jede Grundoperation
gemaB
der
Prozessreihenfolge
durchgefuhrt
wird
und
Riickfuhrungen iterativ gelost werden. Dieser Ansatz besitzt den Vorteil der Nachvollziehbarkeit von Simulationslaufen und erleichtert die Fehlererkennung. • Simultane Systeme, in denen Stoff-, Energie- und Impulsbilanzen der Einzelapparate mit Verknlipfungsvariablen der Prozessstruktur in einer Matrix zusammengefasst und simultan gelost werden. Dieser Ansatz weist bessere Konvergenzeigenschaften auf, besitzt jedoch Nachteile in Bezug auf Nachvollziehbarkeit und Fehlersuche. Die Vorteile beider Ansatze zu verbinden versuchen simultan-modulare FlowsheetingSysteme. Diese haben jedoch bislang noch keine weite Verbreitung gefunden (vgl. (Engels, 2003)). Die weiteren Ausfuhrungen beschranken sich auf den sequenziell modularen Typ, da sich dieser im Bereich der techno-okonomischen Modellierung von metallurgischen Prozessen bereits als geeignet erwiesen hat (vgl. (Schultmann, 2003)). In der Regel weisen sequenziell-modulare Flowsheeting-Programme den in Abbildung 3-10 schematisch dargestellten Aufbau auf. Zentrales Element ist ein Hauptprogramm, das die Simulationslaufe steuert. Die Ein- und Ausgabe ist iiber grafische Benutzeroberflachen (vgl. z. B. Abbildung 3-13) oder Textdateien moglich. Daneben kann auch iiber Programmierschnittstellen auf das Simulationssystem zugegriffen werden. Zur Berechnung der FlieBschemata greift das Hauptprogramm auf Unterprogramme zuriick. Hierzu zahlen Bibliotheken von Grundoperationen, in Datenbanken abgelegten Stoffdaten, beispielsweise Reinstoffdaten, Mischungsparameter u. A., und Methoden zur Berechnung von thermodynamischen GroBen. Zudem sind Berechnungsalgorithmen hinterlegt, um Material- und Energiebilanzen, Ruckstrome und die weiteren ProzesskenngroBen zu berechnen. Designspezifikationen bieten die Moglichkeit, dem Programm zur Berechnung manuelle Vorgaben - wie beispielsweise die Temperatur in einem Reaktor - zu machen. Es existiert eine Reihe von kommerziell verfugbaren Flowsheeting-Systemen. Speziell fur metallurgische Prozesse wurden die Programme METSIM und PYROSIM entwickelt (vgl. (Engels, 2003), S. 125). Weitere Flowsheeting-Programme sind beispielsweise CHEMCAD (vgl. (ChemCad, 2005)), DESIGN II (vgl. (WinSim Lie, 2004)) und das in dieser Arbeit zum
76
KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
Einsatz kommende ASPEN PLUS . Der urspriingliche Einsatzbereich von ASPEN PLUS lag
zwar in der Energieerzeugung und der Chemischen Industrie (vgl. (Engels, 2003), S. 125), in einer Reihe von Arbeiten hat es sich aber bereits als geeignetes Werkzeug zur Modellierung von metallurgischen Prozessen in der Eisen- und Stahlindustrie erwiesen (vgl. z. B. (Rentz et al, 1999), (Hahre, 2000), (Engels, 2003), (Schultmann, Engels und Rentz, 2004)). Verschiedene Arbeiten beschreiben Aufbau und Funktionsweise des Systems ausfiihrlich (vgl. z. B. (Sieverdingbeck, 2001), (Engels, 2003), (Schultmann, 2003)). Zum Verstandnis der in dieser Arbeit eingesetzten verfahrenstechnischen Modelle flir den Referenzfall werden im Folgenden die flir das Verstandnis notwendigen Bestandteile von ASPEN PLUS® in Anlehnung an die genannten Arbeiten zusammengefasst. Fiir weitere ausfiihrlichere Darstellungen sei auf die genannten Arbeiten verwiesen.
Eingabe
Graphisch oder ASCII
* Hauptprogramm ft
Ruckstromberechnung
Ausgabe
Schnittstellen
Grundoperatlonen
Optimierung
Designspezifikation
Numerische Unterprogramme
Stoffdatenprogramme
Thermodynamische Unterprogramme
Stoffdatenbanken
Abbildung 3-10: Aufbau von sequenziell-modularen Flowsheeting-Systemen (schematisch) Quelle: in Anlehnung an (Lohe und Futterer, 1995), S. 89
Ausgangspunkt der Modellierung von verfahrenstechnischen Prozessen mit AsPEN PLUS ist die Komponentenliste genannte Definition samtlicher in den Prozess eingehenden, austretenden und im Prozess als Zwischenprodukte verwendeten Elemente und Verbindungen. Eine Komponentenliste ist z. B. in Tabelle 3-6 fiir die verwendeten Modelle des betrachteten Produktionssystems abgebildet. Stoffstrome werden in Vektorform abgebildet, wobei die Elemente des Vektors den einzelnen Komponenten entsprechen. Die jeweiligen Mengen werden als Massen- oder Molstrom mit Hilfe von Skalaren ausgedriickt. Ahnlich findet die Abbildung von Energiestromen statt. Diese konnen entweder in eine Grundoperation
KAPITEL 3
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
77
hineinflieBen oder aus dieser entstehen. In ASPEN PLUS® sind rund 60 verfahrenstechnische Grundoperationen hinterlegt. Im Folgenden wird auf diejenigen Grundoperationen, die fur die Abbildung der metallurgischen Prozesse im Rahmen dieser Arbeit verwendet werden und damit fiir das Verstandnis der Modelle wichtig sind, naher eingegangen. Zur Kategorie der so genannten Black-Box-Modelle gehoren die Grundoperationen MIXER, FSPLIT und SEP I SEP 2. Hierbei handelt es sich urn Bausteine, mit denen Stoff- und Energiestrome zusammengefuhrt oder getrennt werden konnen. In die Grundoperation MIXER treten verschiedene Inputstrome ein und bilden durch komponentenweise Addition einen resultierenden Outputstrom. Diese Grundoperationen dienen der Abbildung von Modell(teil)en auf Basis von festen Verteilungskoeffizienten, wie sie in Abschnitt 3.2.2.2 vorgestellt wurden. Die Grundoperation FSPLIT (Flow-Split) dient der Abbildung von Stoffstromteilungen, in denen aus einem Inputstoffstrom verschiedene Outputstoffstrome mit gleicher chemischer Zusammensetzung entstehen. Die Aufteilung kann als Absolutwert oder auch als Anteil am Eingangsstoffstrom
definiert werden. Unter Verwendung von
Fortranblocken (s. u.) ist auch eine Definition dieser Verteilungskoeffizienten
als
mathematische Funktion moglich. Wahrend bei der Grundoperation FSPLIT der Eingangstoffstrom in identisch zusammengesetzte Stoffstrome aufgeteilt wird, konnen mit Hilfe der Grundoperationen zur Separation {SEP I SEP 1) Verteilungskoeffizienten fiir die einzelnen Komponenten eines Stoffstroms definiert werden. Damit lassen sich u. a. unterschiedliche physikaHsche Eigenschaften von Komponenten eines Stoffstroms abbilden, wie beispielsweise ein unterschiedliches Verstaubungsverhalten. Wie bei der Grundoperation FSPLIT ist es auch fiir die Separatoren moglich, iiber Fortranblocke mathematische Funktionen zur Berechnung der Verteilungskoeffizienten einzusetzen. Zur Berechnung von Warmeiibertragern stehen die Module HEATER und HE ATX zur Verfiigung. Das Modul HEATER wird zur Erwarmung oder Abkiihlung von Stoffstromen auf eine definierte Temperatur eingesetzt und dient daher der Abbildung von Heiz- oder Kiihlaggregaten. Fiir die definierte Temperatur und den gegebenen Druck werden die sich einstellenden Phasen bestimmt. Bei HEATX handelt es sich um eine Grundoperation zur Abbildung des Warmeaustauschs zwischen zwei Stoffstromen. Zur Phasentrennung existieren verschiedene Trennoperationen wie z. B. Flash 2 und Flash 3 zur Gas-Flussigtrennung, Decanter zur Flussig-Fliissigtrennung sowie fiir elektrische Abscheider (ESP), Venturi-Wascher (VScrub) oder Hydrozyklone (HyCyc). Diese basieren
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SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
auf semi-empirischen oder ingenieurwissenschaftlichen Verteilungs- bzw. Berechnungsmodellen und erlauben z. B. die Berechnung des Abscheidegrades eines elektrischen Abscheiders als Funktion physikalischer, technischer und konstruktiver Parameter wie der Partikelkonzentration, der Stromungsgeschwindigkeit und des Plattenabstands. Zur
Abbildung
von
stoffumwandelnden
Vorgangen
stellt
AsPEN PLUS® sieben
unterschiedliche Reaktortypen bereit. Zur Abbildung der in dieser Arbeit betrachteten metallurgischen Prozesse werden hauptsachlich die Reaktoren RSTOIC, RGIBBS und RCSTR benotigt. Der /?5ro/C-Reaktor dient dabei der Modellierung von Reaktionen bekannter Stochiometrie, d. h. von Stoffumwandlungen, bei denen die Produkte und das Verhaltnis der Produkte zu den Edukten bekannt ist. Dies ist wiederum fiir Modell(teil)e auf Basis fester Verteilungskoeffizienten von Bedeutung. Unter Vorgabe der Reaktionsbedingungen Druck, Temperatur, Druck und Warmebedarf oder Temperatur und Warmebedarf werden in dem Reaktortyp RGIBBS die chemischen Reaktions- und Phasengleichgewichte unter der Minimierung der freien, so genannten Gibbschen-, Enthalpie berechnet. Die Bereitstellung der hierzu notwendigen Daten erfolgt liber den Zugriff auf die in ASPEN PLUS® integrierten Datenbanken. Bei der Berechnung setzt der RGIBBS-Reaktor implizit voraus, dass die Reaktionen so lange ablaufen, bis diese Gleichgewichte tatsachlich vorliegen. Dies kann fiir viele Prozesse, deren Reaktionen schnell ablaufen und die daher den Gleichgewichtszustand naherungsweise erreichen, vereinfachend angenommen werden. Wird dieser Gleichgewichtszustand jedoch nicht erreicht, ist eine Beriicksichtigung von reaktionskinetischen Zusammenhangen notwendig. Hierzu dient der Reaktortyp RCSTR. Dieser ermoglicht die Einbeziehung der Reaktionszeiten und berechnet somit auch unvollstandig ablaufende Reaktionen. Voraussetzung hierflir ist jedoch die Kenntnis der Reaktionsgeschwindigkeit. Neben den genannten vordefinierten Modulen bietet AsPEN PLUS® die Moglichkeit, in der Programmiersprache Fortran so genannte Fortran-Blocke fiir die Definition eigener Grundoperationen USER zu erstellen und in die Flowsheets einzubinden. Die auf der folgenden Seite dargestellte Tabelle 3-5 fasst die genannten Grundoperationen mit den fiir sie verwendeten grafischen Symbolen in einer Ubersicht zusammen.
KAPITEL 3
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Quelle: in Aniehnung an (Hahre, 2000), S. 161
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^0
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
In den in AsPEN PLUS® ZU erstellenden Modellen sind sowohl die Variablen der zu modellierenden eingehenden Stoff- und Energiestrome (z. B. die Mengenstrome) als auch die zu spezifizierenden Variablen der Unit Operations (z. B. Reaktortemperaturen) manipulierbar. Diese Steuerung kann prinzipiell auf zwei Wegen erfolgen. Uber Fortran-Blocke konnen dem Programm in der Berechnungssequenz des Flowsheets eigene Befehls- und Berechnungsroutinen vorgegeben werden, in diesem Fall wird von einer so genannten Feed-ForwardKontrolle gesprochen. Diese ermoglicht die Berechnung und Vorgabe von Werten fiir Inputvariable sowie die Ausgabe von Daten wahrend eines Simulationslaufs. Die auch Feed-Back-Kontrolle genannte Vorgabe so genannter Designspezifikationen wird immer dann eingesetzt, wenn fiir Parameter, die im Normalfall in einem Simulationslauf berechnet werden, Parameterwerte vorgegeben werden sollen. So lasst sich beispielsweise eine bestimmte Reaktortemperatur bei der Verbrennung von Kohle oder eine Konzentration von Sauerstoff im Abgas durch Variation der Luftzufuhr erreichen. Fiir eine Designspezifikation muss neben dem Parameter und dessen Zielwert eine Fehlertoleranz und ein GroBenintervall fiir die Simulationsvariablen angegeben werden. Zur Losung der Designspezifikation wird eine Konvergenzschleife (s. u.) erstellt, in die Berechnungssequenz des Flowsheets eingeordnet und iterativ gelost. ASPEN PLUS® gehort zu den sequenziell-modularen Flowsheeting-Programmen. Dementsprechend werden die Grundoperationen nacheinander berechnet, wobei der Output der Vorgangeroperation der Nachfolgeoperation als Input dient. Treten RiickfUhrungen auf, werden Konvergenzschleifen definiert, in denen einer der betroffenen Strome geschnitten wird und nach Schatzung eines Startwertes die stoffliche Zusammensetzung und thermodynamischen GroBen dieses Stroms berechnet werden. Kleinere Konvergenzschleifen konnen von ASPEN PLUS® automatisch erstellt werden; bei groBeren und verschachtelten Konvergenzschleifen ist eine benutzerdefinierte Vorgabe evtl. von Vorteil. Zur Losung dieser Konvergenzschleifen stehen in AsPEN PLUS® sieben Konvergenzalgorithmen zur VerfUgung, von denen der fiir den jeweiUgen Anwendungsfall am besten geeignete ausgewahlt werden kann."^^
Es handelt sich dabei um Algorithmen der Nichtlinearen Optimierung, wie z. B. das Sekant- und das Newton-Verfahren sowie die Sequenziell-Quadratische Programmierung. Fiir weitere Informationen zu den einsetzbaren Verfahren sei auf (Aspen Technologies Inc., 2003) verwiesen.
KAPITEL 3
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3.2.3 Modelle zur Abbildung von Sinter- und Hochofenprozessen Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten 3.2.1 und 3.2.2 generelle produktionstheoretische und ingenieurwissenschafdich orientierte Ansatze zur Modellierung von Produktionssystemen vorgestellt wurden, ist es Ziel dieses Abschnitts, konkrete Modelle von Sinter- und Hochofenprozessen hinsichdich ihrer Eignung fur eine Modellbildung im Referenzfall zu untersuchen. Es existiert eine Vielzahl von Modellen, die metallurgische Prozesse der Eisen- und Stahlherstellung abbilden. Diese Modelle entstammen sowohl den Wirtschafts- als auch den Ingenieurwissenschaften und sind aufgrund zum Teil flieBender Ubergange nicht immer eindeutig einem Bereich zuzuordnen. Unterscheiden lassen sich die vorhandenen Modelle einerseits
gemaB
ihres
Einsatzzweckes
in
Beschreibungs-,
Steuerungs-
und
Entscheidungsmodelle (vgl. Abschnitt 2.2.3.1). Eine weitere Unterscheidung ist hinsichtlich des zeitlichen Bezugs moglich. Bei einem statischen Modell wird von einem stationaren Betriebszustand ausgegangen. Ein dynamisches Modell bildet den zeitlichen Ablauf des Prozesses in Abhangigkeit z. B. von Betriebsparametem oder Einsatzstoffspezifikationen ab (vgl. (Sieverdingbeck, 2001), S. 76). Drittes wesentliches Unterscheidungsmerkmal sind die eingesetzten
Methoden.
Verwendet
werden
hauptsachlich
gekoppelte
Stoff-
und
Energiebilanzen. Hierfur wird der betrachtete Prozess typischerweise in einzelne Bilanzraume zerlegt, fur die in Teilmodellen iiber lineare oder auch nichtlineare Gleichungen die Transformation von Input- in Outputstrome abgebildet wird. Diese Teilmodelle werden wiederum
miteinander
verkniipft.
Daneben
kommen
auch Modelle auf
Basis von
Stromungsfeldem vermehrt zum Einsatz, wohingegen sich neuronale Netze auf Grund der Komplexitat der abzubildenden Prozesse bislang noch nicht durchgesetzt haben (vgl. (Sieverdingbeck, 2001), S. 76). Im Folgenden werden exemplarisch zunachst einzelne Sinteranlagen- und Hochofenmodelle sowie anschlieBend integrierte Modelle betrachtet, bevor diese abschlieBend hinsichtlich ihrer Einsatzmoglichkeiten im Referenzfall beurteilt werden. Dabei stehen zunachst Ansatze aus einem technisch-ingenieurwissenschaftlichen Blickwinkel im Mittelpunkt der Betrachtungen. Auf Arbeiten, die sich mit der Abbildung von Hochofenprozessen primar aus dem wirtschaftswissenschaftUchen
Blickwinkel beschaftigen
wird an dieser Stelle nicht
eingegangen, da entsprechende Arbeiten im Rahmen der Betrachtungen zu den beiden Planungsaufgaben im Referenzfall fiir die Produktionsprogrammplanung (vgl. Abschnitt
02
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
3.5.2) und die Materialeinsatzplanung
KAPITEL 3
(vgl. Abschnitt 3.6.2) fiir das betrachtete
Produktionssystem Beriicksichtigung finden.
3.2.3.1
Sintermodelle
Im Vergleich mit den im nachfolgenden Abschnitt dargestellten Modellen zur Abbildung von Hochofenprozessen gibt es relativ wenig Ansatze, die sich auf Prozesse der Sinterung von eisenhaltigen Stoffen zum Einsatz im Hochofen beziehen. Bin Steuerungsmodell fUr eine Sinteranlage auf Basis von realen Betriebsdaten stammt von lida et al. (vgl. (lida et al., 1985)). Mit Hilfe statistischer Verfahren und gemessenen Kennzahlen fiir chemisch-physikalische GroBen wird die zukiinftige Entwicklung dieser Kennzahlen prognostiziert und bei Abweichungen automatisch korrigierend eingegriffen. Allerdings werden die Werte ausschlieBlich mit Hilfe einer Zeitreihenanalyse prognostiziert, die metallurgischen Vorgange bei der Sinterung werden nicht direkt abgebildet. TianZheng, und RuZhuo (vgl. (TianZheng und RuZhuo, 1990)) entwickeln hingegen auf Basis multipler quadratischer Regressionsanalysen von Betriebsdaten und betrieblichen Kennzahlen ein Modell der Sinteranlage eines chinesischen integrierten HUttenwerks zur Optimierung der Produktion auf Basis eines Constraint-Programming Ansatzes. Straka (vgl. (Straka, 1992)) arbeitet hingegen nicht mit realen Betriebsdaten, sondem formuUert auf Basis von theoretischen Uberlegungen Differentialgleichungen und setzt diese zur Steuerung der Bandlaufgeschwindigkeit einer Sinteranlage ein. Gemein ist den genannten Ansatzen, dass diese mit ihren Betrachtungen nicht auf realen physikalisch-chemischen Zusammenhangen fuBen. Anders ist dies bei dem von Li und Tokuda (vgl. (Li und Tokuda, 1994)) vorgestellten thermodynamischen Simulationsmodell. Hierin werden die ablaufenden Reaktionen explizit abgebildet. Dariiber hinaus wird das Modell in Zonen eingeteilt, die eine raumliche Zuordnung der Reaktionen iiber das Sinterband vomehmen sollen. Ein weiteres Simulationsmodell auf Basis von thermodynamischen Zusammenhangen stammt von Rentz et al. (vgl. (Rentz et al., 1999), (Sieverdingbeck, 2001)) und wurde zur strategischen Planung produktionsintegrierter UmweltschutzmaBnahmen in der Eisen- und Stahhndustrie entwickelt. Zur Simulation wird die in Abschnitt 3.2.2.4 dargestellte Flowsheet-basierte Prozesssimulation mit dem ebenfalls beschriebenen kommerziellen Flowsheeting-Programm ASPEN PLUS® eingesetzt. Ein drei und auch ein neun Temperaturzonen umfassendes Modell
KAPITEL 3
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bestimmen, hauptsachlich mit RGIBBS-RtakioYQn, unter Minimierung der Freien Enthalpie fiir jede Reaktionszone das Reaktionsgleichgewicht und damit die Massenbilanz des Sinterprozesses. Hinsichtlich einer Ubertragbarkeit der vorgestellten Ansatze auf das zu modellierende Produktionssystem ist zunachst festzustellen, dass sich die genannten Arbeiten jeweils mit einer spezifischen Sinteranlage beschaftigen. Grundsatzlich waren hier bei einer Ubertragung wesentliche Anpassungen an den Referenzfall notwendig. Dies gilt insbesondere fiir die Ansatze von lida et al., TianZheng und RuZhuo sowie Straka (s. o.), da diese sich nicht auf die zugrunde liegenden physikalisch-chemischen Zusammenhange sondem auf Betrachtungen und Analysen spezieller Sinteranlagen beziehen. Das Steuerungsmodell von Straka ist zudem nicht fiir einen Einsatz in der Optimierung geeignet. Geeigneter erscheinen die Arbeiten auf Basis realer thermodynamischer Vorgange, insbesondere der Simulation. Hierbei werden jedoch bei Li und Tokuda lediglich wenige Elemente betrachtet. Insbesondere fehlt eine Beriicksichtigung von Problemstoffen. Die genannte Abbildung des Sinterprozesses mittels einer Flowsheet-basierten Simulation bezieht diese Stoffe mit in die Betrachtungen ein. Allerdings sind fiir einen Einsatz in der operativen Planung im betrachteten Referenzfall neben der Kalibrierung des Modells an den betrachteten Anwendungsfall (vgl. (Rentz, 2004), S. 18) weitere Anderungen und Anpassungen des Modells notwendig. Die Modelle miissen auch fiir wechselnde Spezifikationen der Einsatzstoffe gute Planungsergebnisse liefem. Die Moglichkeit, in bestimmten Grenzen die Einsatzstoffzusammensetzung zu variieren, ist wesentliches Charakteristikum der Planungsaufgaben. Da bislang die Modelle ausschliefilich fiir Berechnungen mit relativ konstanten Spezifikationen der eingesetzten Stoffe verwendet werden, fiir die operative Planung dennoch sehr genaue Ergebnisse notwendig sind, ist trotz der prinzipiellen Eignung der Modelle die ausschlieBliche Verwendung von Gleichgewichtsreaktoren in Frage zu stellen.
^4
3.2.3.2
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
Hochofenmodelle
Eine im Vergleich zu Sinteranlagenmodellen deutlich groBere Anzahl an Arbeiten beschaftigt sich mit der Abbildung von Hochofenprozessen. Eine groBe Anzahl dieser Hochofenmodelle fuBt auf einer statischen Betrachtung eines in Zonen aufgeteilten Hochofens und einer gleichungsorientierten Beschreibung der ablaufenden Prozesse. Eines der ersten Modelle diesen Typs stammt von Mathesius (vgl. (Mathesius, 1916)), das auf Basis des ersten und des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik eine zweistufige Warmebilanz des Hochofens aufstellt. Es folgten eine Reihe weiterer Modelle auf Basis von Warmebilanzen, spatere Arbeiten (vgl. z. B. (Wartmann, 1963)) beziehen auch reaktionskinetische Aspekte mit in die Modellbildung ein. Aufbauend auf dem statischen, zonen- und gleichungsorientierten Ansatz wurden dynamische Modelle entwickelt, mit denen beispielsweise die Auswirkungen von Betriebsstorungen auf den Hochofenprozess berechnet werden konnen (vgl. (Flemming, 1976)). Um nicht im Voraus die zu beriicksichtigenden chemischen Reaktionen festlegen zu miissen besteht das von Cameron et al. (vgl. (Cameron, Morton und Patterson, 1991)) entwickelte Modell aus erweiterbaren Modulen. Weitere gleichungsorientierte Zonenmodelle fmden sich bei (Saxen, 1990), (Bi, Torssell und Wijk, 1992a), (Bi, Torssell und Wijk, 1992b), und (Yamaoka und Kamei, 1992). Die genannten Modelle betrachten allesamt den Hochofen eindimensional, d. h. es findet keine mehrdimensionale Beriicksichtigung der Ofenzonen statt. Die Arbeiten von Huaquiang et al. (vgl. (Huaqiang et al., 1994)) und Zeisel (vgl. (Zeisel, 1995)) hingegen beriicksichtigen diese unterschiedlichen raumlichen Gegebenheiten im Hochofen mit Hilfe eines zweidimensionalen Modells bzw. auf Basis von Finite-ElementeMethoden erstellten Modellen. Allerdings zieht dies einen erhohten Berechnungsaufwand nach sich, der die Anzahl der beriicksichtigten Elemente deutlich einschrankt (vgl. (Sieverdingbeck, 2001), S. 77). Daneben gibt es z. B. auch Ansatze, die iiber eine Kopplung von mathematischen
Gleichungen
mit Expertensystemen
losgelost von chemisch-
physikalischen Zusammenhangen den Hochofenprozess abbilden. Analog zu dem im vorangegangenen Abschnitt genannten Sinteranlagenmodell stammt von Rentz et al. (vgl. (Rentz et al., 1999), (Sieverdingbeck, 2001)) ein Hochofenmodell auf Basis der flieBschemabasierten Prozesssimulation, das wiederum zur strategischen Planung produktionsintegrierter UmweltschutzmaBnahmen eingesetzt wird. Ahnlich dem Sinteranlagenmodell wird auch der Hochofen in verschiedene Temperaturzonen unterteilt, die die unterschiedUchen Reaktionszonen im Hochofen (vgl. Abschnitt 3.1.1.3) abbilden sollen. Das
KAPITEL 3
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entwickelte Modell besteht im Wesentlichen aus acht RGIBBS-Gleichgewichtsreaktoren, die in fUnf Temperaturzonen die Vorgange im Hochofen modellieren. Die besondere Geometrie des Referenzhochofens, sowie die besondere Ofenfahrweise erschweren eine Ubertragung vorhandener Ansatze. Zunachst waren erhebliche Arbeiten notwendig, um die verwendeten Gleichungen bzw. Simulationsmodelle anzupassen. Zudem beriicksichtigen viele der gleichungsorientierten Ansatze zwar die chemischen Hauptkomponenten im Hochofenprozess (hauptsachlich Fe, C, Si, O2, N2), jedoch werden Problemstoffe, die im vorliegenden Fall von zentraler Bedeutung sind, nicht oder nur bedingt betrachtet (vgl. (Sieverdingbeck, 2001), S. 78). Auch im Bereich des Hochofens erscheint der Modellierungsansatz auf Basis der Flowsheet-basierten Prozesssimulation von Rentz et al. am geeignetsten. Wie bei der Sinteranlage sind jedoch auch hier erhohte Anforderungen hinsichtlich der Berechnungszeit sowie der Genauigkeit der Abbildung fur den Einsatz in der operativen Planung zu stellen. Fiir weitere Literaturiiberblicke zu Modellen des Hochofenprozesses sei auf andere Arbeiten, beispielsweise (Sieverdingbeck, 2001) und (Bosse, 2003) verwiesen.
3.2.4 Schlussfolgerungen, Zielsetzung und Vorgehensweise zur Abbildung der Produktionsprozesse fiir eine Produktionsplanung im betrachteten Produktionssystem Die Konzepte der (linearen) Aktivitatsanalyse und der betriebswirtschaftlichen Input-OutputAnalyse
bieten
einen
geeigneten
Rahmen
fiir
die
Modellbildung
vemetzter
Produktionssysteme auch aus Bereichen der verfahrenstechnischen Industrie. In ihren einfachen Formen, insbesondere der linearen bzw. Leontief-Technologien, in denen sie auch z. T. schon fur strategische Planungs- und Bewertungsaufgaben in der Risen- und Stahlindustrie erfolgreich eingesetzt wurden, greifen sie jedoch zu kurz. Ansatzpunkte aus betriebswirtschaftlicher
Sicht bieten hier die zur Klasse der techno-okonomischen
Transformationsfunktionen
gehorenden
Engineering
Production
Functions
und
die
thermodynamischen Transformationsfunktionen. Ftir den Einsatz in einer taktisch-operativen Produktionsplanung ist jedoch bezuglich der Abbildungsgenauigkeit der Detaillierungsgrad gegen die Berechenbarkeit in Entscheidungsmodellen sorgsam abzuwagen.
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KAPITEL 3
Ahnlich verhalt es sich mit ingenieurwissenschaftlich-orientierten Modellierungsansatzen. Die - vergleichsweise - einfache Modellierung auf Basis von Material- und Energiebilanzen bzw. festen Verteilungskoeffizienten weist fUr den betrachteten Prozess nicht den notwendigen Detaillierungsgrad auf. Die Bestimmung linearer Gleichungen fiir die Input-Output-Beziehungen auf Basis einer multiplen Regressionsrechnung auf empirisch bestimmten Daten erscheint vorteilhaft in Bezug auf die Berechenbarkeit von Entscheidungsmodellen, denen diese linearen Funktionen zugrunde gelegt werden konnen. Allerdings ist die Bestimmung der empirischen Daten im Praxisbetrieb realer Produktionsprozesse haufig nur schwer durchfuhrbar, zumal im taglichen Betrieb in der Regel nicht die notwendige unabhangige Variation samtlicher Parameter stattfindet und die Durchfuhrung solcher Variationen zu aufwandig ware. Somit ist nicht gewahrleistet, dass jeder Effekt auch tatsachUch adaquate Beriicksichtigung findet. Weiterer wesentHcher Kritikpunkt an einer isolierten Betrachtung linearer Regressionsgleichungen ist die mit der Linearisierung der Zusammenhange einhergehende Vereinfachung und Losung bzw. Missachtung von chemisch-physikalischen GesetzmaBigkeiten. Diese mag in bestimmten GroBenordnungen akzeptabel sein, die Giiltigkeit dieser Voraussetzung ist jedoch zu uberprufen. Abhilfe schaffen kann der Einsatz von Flowsheeting-basierter Prozesssimulation. Hierbei ist es nicht notwendig, explizite analytische Zusammenhange zwischen Input- und Outputstoffstromen zu definieren, Parametervariationen und Sensitivitatsanalysen sind ohne weiteres moglich. Allerdings stehen die vergleichsweise hohen Berechnungszeiten eines Flowsheets der Verwendung in Entscheidungsmodellen entgegen. Ein weiterer Nachteil dieser Systeme ist, dass sie nicht oder nur sehr eingeschrankt in der Lage sind, auch physikalische KenngroBen des Prozesses und der betrachteten Stoffstrome, wie z. B. die Durchgasbarkeit des Mollers, Sinterfestigkeit u. A. zu beriicksichtigen und zu berechnen.
Hinsichtlich der Frage nach bereits existierenden Modellen von Produktionsprozessen aus der Eisen- und Stahhndustrie ist zunachst festzustellen, dass es in diesem Bereich bereits eine groBe Anzahl an Arbeiten gibt, die eine Abbildung zur Beschreibung, Steuerung oder Planung der Produktion in diesem Industriebereich zum Ziel haben. Die Abbildung der chemischen Grundlagen ist in ingenieurwissenschaftlich orientierten Arbeiten jedoch meist auf die Hauptkomponenten des Prozesses beschrankt. Problemstoffe wie Zink und Alkalien, die fiir den Referenzfall von besonderer Bedeutung sind, werden oft nicht betrachtet. Weiter bilden die Prozessmodelle meist spezielle Anlagen ab, so dass bei einer Ubertragung allenfalls das Prinzip, nicht jedoch die einzelnen Gleichungen inklusive der Koeffizienten iibemommen
KAPITEL 3
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werden konnten. Hinzu kommt, dass viele der dargestellten Ansatze lediglich ein Aggregat betrachten, flir den Referenzfall jedoch die integrierte Betrachtung sowohl der Sinteranlage als auch des Hochofens sowie der nachgeschalteten Gasreinigungen notwendig ist, um die tatsachlichen Auswirkungen der Entscheidungen abschatzen zu konnen. Geeigneter scheint ein Ansatz auf Basis der Flowsheet-basierten Prozesssimulation. Sowohl fur eine Eisenerzsinterung als auch flir einen Hochofenprozess existieren Modelle, die alle notwendigen Hauptkomponenten sowie Problemstoffe abbilden. Zudem sind die Simulationsmodelle einzelner Anlagen miteinander verkniipfbar (vgl. z. B. (Rentz et al., 1999)). Allerdings sind Anpassungen der Modelle erforderlich, so dass diese die notwendige Abbildungsgenauigkeit fur den Einsatz in einer operativen Planung bieten. Zudem sind die hauptsachlich beschreibenden Modelle flir eine Entscheidungsunterstutzung nutzbar zu machen. Hierbei ist eine Verknlipfung mit den Entscheidungsmodellen aus dem Operations Research liber den Einsatz der linearen Regressionsanalyse denkbar. Basierend auf den bislang dargestellten Ausfuhrungen und der Zielsetzung des Kapitels folgend werden Planungsansatze flir die taktisch-operative Produktionsplanung im Referenzuntemehmen entwickelt. Diese sollen die verantwortlichen Planer auf Basis einer adaquaten Abbildung der zugrunde liegenden Produktionsprozesse in die Lage versetzen, die aus okonomischer Sicht optimalen Entscheidungen in adaquater Zeit zu bestimmen. Die bei der Entwicklung der Planungsansatze verfolgte Vorgehensweise, deren einzelne Schritte in den folgenden Abschnitten 3.3 bis 3.6 ausfuhrlich dargestellt werden, wird zunachst kurz umrissen. Sie gliedert sich in die Schritte der verfahrenstechnischen Modellbildung, der Erfassung der entscheidungsrelevanten monetdren Grofien, der okonomischen Modellbildung sowie der Implementierung der Modelle: •
Verfahrenstechnische Modellbildung: Zur Abbildung der Produktionsprozesse wird zunachst die flieBschemabasierte Prozesssimulation eingesetzt. Anwendung finden Simulationsmodelle der relevanten Aggregate. Da die Losung eines Simulationsmodells zum Teil vergleichsweise viel Zeit in Anspruch nimmt, ' ist eine direkte Verwendung dieser innerhalb der okonomischen Optimierung nicht zielfuhrend. Stattdessen wird sich der multiplen linearen Regression bedient, um aus Ergebnissen umfangreicher
'^' Beispielsweise benotigt das eingesetzte Simulationswerkzeug zur Losungsfindung fiir die im folgenden Abschnitt vorgestellten Modelle fiir die Sinteranlage und den Hochofen je nach Konfiguration zwischen einigen Sekunden und einigen Minuten zur Losung des jeweiligen Flowsheets.
88
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KAPITEL 3
Simulationslaufe lineare Zusammenhange zwischen den Spezifika und Mengen des jeweiligen Inputs der Aggregate und den Spezifika und Mengen des Outputs zu generieren. •
Erfassung der entscheidungsrelevanten monetaren GroBen: Die auf diese Weise erstellten linearen Zusammenhange gilt es im zweiten Schritt monetar zu erfassen und zu bewerten, bevor eine Verwendung in Entscheidungsmodellen des Operations Research fur die Planungsaufgaben im Referenzfall mogUch ist. Um eine Ubertragung der Ansatze auf andere Anwendungen zu erleichtem, werden die betrachteten relevanten Kosten und Erlose stoffstromorientiert innerhalb eines einheithchen Schemas erfasst und zugeordnet.
•
Okonomische Modellbildung: Lmerhalb des durch dieses Schema bereiteten Modellierungsrahmens werden die Optimiermodelle zur Produktionsprogrammplanung und zur Materialeinsatzplanung aufgestellt. Die Produktionsprozesse werden in diesen Modellen
durch
die
aus
der
verfahrenstechnischen
Modellbildung
erhaltenen
Regressionsgleichungen Input-Output-Zusammenhange abgebildet. Wo dies notig und sinnvoll ist, findet eine Ruckkopplung zwischen der okonomischen Optimierung und den erstellten Simulationsmodellen statt."^^ Beide Modelle werden exemplarisch auf den Referenzfall angewendet. •
Implementiening der Modelle: Die Modelle werden in dem auf einer MS ACCESSDatenbank
basierenden
integrierten
Entscheidungsunterstutzungssystem
SCOPE"^^
implementiert. Die Datenbank dient dabei in erster Linie der Speicherung der fiir die Planungen benotigten Grunddaten, der Anbindung des Entscheidungsunterstutzungssystems an im Referenzuntemehmen im Einsatz befmdliche Softwarewerkzeuge, die eingesetzten Simulationswerkzeuge sowie die mathematische Modellierungsumgebung GAMS und der Steuerung der Optimiemngslaufe. Da die Implementiening der beiden Planungsansatze weitestgehend identisch und in einem System erfolgt, wird diese im folgenden Abschnitt naher beschrieben.
Auf die Problematik von Vereinfachungen durch den Einsatz linearer Regressionsgleichungen zur Abbildung der Produktionsprozesse wird in den folgenden Abschnitten eingegangen. '^^ Simulation combined with Optimisation in the Process Industries
KAPITEL 3
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3.2.5 Implementierung der Modelle Der Aufbau des integrierten Entscheidungsunterstutzungssystems SCOPE, in dem die zu entwickelnden Modelle implementiert werden, ist in Abbildung 3-11 schematisch dargestellt. SCOPE setzt auf einer MS AcCESS-basierten relationalen Datenbank auf und gliedert sich in drei funktionale Teilbereiche. Der erste Teilbereich dient der Bereitstellung und Pflege der fiir die Planungen benotigten Grunddaten und Planungsergebnisse. Uber Abfragen ist dieser mit den im Referenzuntemehmen verwendeten Datenbanken verbunden. Aus diesen werden die Spezifikationen der einsetzbaren Roh- und Hilfsstoffe, der Sinter- und Roheisensorten, in SCOPE eingelesen. Zudem werden allgemeine Planungsparameter wie die aktuellen Preise fiir Roheisen, Reduktionsmittel, Betriebsstoffe und Kuppelprodukte gespeichert. Der zweite Teilbereich besteht aus den Anwendungen zur Planung fiir die Aufgabenbereiche. Uber Module in der hoheren Programmiersprache Visual Basic for Applications (VBA) werden sowohl fiir die Produktionsprogrammplanung (Modul MPS"^"^) als auch fiir die im folgenden Abschnitt dargestellte Materialeinsatzplanung (Modul CD"^^) die Optimierungslaufe gesteuert: Das jeweilige Modul liest die fiir die Planungen benotigten Daten aus der Datenbank aus und schreibt sie in eine Eingabedatei (scope-mps.inc bzw. scope-cd.inc). Ebenfalls wird eine Stapelverarbeitungsdatei (scope-mps.bat bzw. scope-cd.bat) erzeugt und ausgefiihrt, die den eigentlichen Optimierungslauf in der Modellierungsumgebung GAMS (General Algebraic Modelling System) auf Basis des in GAMS formulierten Planungsmodells (scope-mps.gms bzw. scope-cd.gms) mit den in der Eingabedatei spezifizierten Daten aufruft. GAMS baut das Modell auf und iibersetzt es in das Eingabeformat fiir den verwendeten Standardsolver CPLEX. Das Modell wird gelost und GAMS erzeugt einerseits eine Datei mit allgemeinen Informationen zum Modelllauf (Systemoutput) und eine Ergebnisdatei (mps.txt bzw. cd.txt). Diese wird wiederum in SCOPE eingelesen und steht fiir weitere Auswertungen zur Verfiigung. Den dritten Teilbereich von SCOPE bilden Benutzerschnittstellen. Der Anwender kann mittels der grafischen Benutzeroberflache SCOPE-GUI auf SCOPE zuzugreifen und hat daneben die Moglichkeit, Optimierungsergebnisse in ASPEN PLUS® bzw. in anderen Programmen (beispielsweise MS EXCEL) weiter zu verarbeiten. Der Zugriff erfolgt im Wesentlichen auf Basis von Formularen.
MPS steht fiir Master Production Scheduling, einem engUschen Begriff fiir Produktionsprogrammplanung. CD steht fiir Cost Determination. Das Modul wird im Referenzuntemehmen auch als Hilfsmittel zur Annahmepreisbestimmung eingesetzt (vgl. auch Ausfiihrungen hierzu in Abschnitt 3.6.5).
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SiMULATIONSGESTUTZTE P R O D U K T I O N S P L A N U N G
KAPITEL 3
Abbildung 3-11: Schematischer Aufbau des EntscheidungsunterstiJtzungssystems SCOPE
Fiir den Einsatz der Modellierungsumgebung GAMS IDE zur Formulierung der mathematischen Optimiemngsmodelle und des Solvers CPLEX zu deren Losung sprechen eine Reihe von Grunden wie z. B. (vgl. (Brooke et al., 1998), (Engels, 2003), (Sasse, 2001)): • GAMS bietet eine hohe Portabilitat zwischen unterschiedlichen Plattformen und Betriebssystemen, so dass beispielsweise nach Modellierung des Planungsproblems auf einem einzelnen PC eine (Jbertragung auf leistungsfahigere Rechner moglich ist. • Die Modellformulierung ist zunachst unabhangig vom eingesetzten Solver. Zur Losung des Problems konnen somit die jeweils besten Solver fiir den jeweiligen Problemtyp eingesetzt werden. • Durch die benutzerfreundliche und der mathematischen Form ahnlichen Darstellung ist eine effiziente, iibersichtliche Formulierung auch komplexer Modelle moglich. Insbesondere konnen Erweiterungen und Parameteranderung ohne groBeren Aufwand durchgefiihrt werden und so das Modell an geanderte Anforderungen angepasst werden.
KAPITEL 3
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• Eine getrennte Speicherung von Daten und Modelldateien, wie im vorliegenden Konzept verfolgt, tragt weiter zu einer Strukturierung insbesondere groBer Modelle und somit zu einer besseren Ubersichtlichkeit bei. • Bei dem Solver CPLEX der Firma Hog Inc. handelt es sich um einen der derzeit leistungsfahigsten Standardsolver zur Losung von linearen, gemischt-ganzzahligen und quadratischen Optimierungsproblemen.'^ Insbesondere um eine einfache Erweiter- und Ubertragbarkeit der Planungsmodelle zu gewahrleisten, wird hier auf die genannte Modellierungsumgebung sowie den genannten Standardsolver zuriickgegriffen und auf die Entwicklung eines problemspezifischen Losungsalgorithmus verzichtet. Die spateren Ausfuhrungen zeigen, dass bei der gewahlten Vorgehensweise in akzeptabler Zeit optimale Losungen gefunden werden konnen, auch wenn ein problemspezifischer Algorithmus u. U. schneller zu einer optimalen Losung gelangen konnte. In den folgenden Abschnitten 3.3 bis 3.6 wird auf die einzelnen Schritte des vorgeschlagenen Ansatzes im Detail eingegangen. Die ersten beiden Schritte werden in separaten Abschnitten behandelt. Da es sich bei den zu entwickelnden Modellen zur Produktionsprogramm- und zur Materialeinsatzplanung um unterschiedliche Modelle handelt, werden diese separat in den Abschnitten 3.5 und 3.6 dargestellt. Nachdem der allgemeine Rahmen der Implementierung der Ansatze in dem integrierten Entscheidungsunterstutzungssystem SCOPE bereits in diesem Abschnitt vorgestellt wurde, wird in den Abschnitten zur Modellbildung nur noch auf die Spezifika der Implementierung des jeweiligen Ansatzes eingegangen. Zur Uberprlifung der Plausibilitat der Modellergebnisse, zur Analyse der Prozesse sowie zur Demonstration der Anwendungsgebiete werden die entwickelten Methoden jeweils exemplarisch im Rahmen von Szenario- bzw. Sensitivitatsanalysen angewendet.
Im Rahmen dieser Arbeit wird CPLEX in der Version 9.0 verwendet.
^2
SIMULATIONSGESTUTZTEPRODUKTIONSPLANUNG
KAPITEL 3
3.3 Verfahrenstechnische Modelle der abzubildenden Prozesse Fur die Modellbildung wird das bereits in Abschnitt 3.2.2.4 vorgestellte sequenziell-modulare Flowsheeting-Programm ASPEN PLUS® ausgewahlt. Dieses bietet im Vergleich zu altemativen Produkten eine groBe Stoffdatenbank, die alle relevanten Stoffe umfasst, komfortable Bedienung sowohl iiber eine grafische Benutzeroberflache als auch iiber Programmierschnittstellen, die insbesondere im Hinblick auf eine Kopplung mit okonomischen Optimiermodellen und Datenbankanbindungen notwendig sind. Dariiber hinaus bietet es eine Bibliothek mit samtlichen fiir die Modellbildung notwendigen verfahrenstechnischen Grundoperationen. Wie bereits in den Abschnitten zur verfahrenstechnischen Prozesssimulation (Abschnitt 3.2.2.4) sowie zu Sinter- bzw. Hochofenmodellen (Abschnitt 3.2.3) dargestellt, haben verschiedene vorherige Arbeiten bereits die prinzipielle Eignung von ASPEN PLUS® zur Abbildung von metallurgischen Prozessen gezeigt."^^ Um die Betriebsstruktur im Referenzuntemehmen nachzubilden, eine gute Uberpriifbarkeit der Modelle mit Betriebsdaten gewahrleisten zu konnen und akzeptable Rechenzeiten sicherzustellen, werden zwei Modelle, eines fiir den Sinteranlagen- und eines fiir den Hochofenbetrieb, jeweils unter Beriicksichtigung der Haupt- und Nebenaggregate eingesetzt. Die in Tabelle 3-6 abgebildeten chemischen Komponenten sind fiir die Vorgange in den Aggregaten relevant und finden daher Beriicksichtigung in dem Sinter- bzw. dem Hochofenmodell. Neben den Hauptstoffstromkomponenten, den Risen- und Kohlenstofftragem, Sauerstoff- und Kohlenstoffverbindungen, Schlackebildnem sowie den Alkalien sind hier insbesondere die Verbindungen, in denen die Problemstoffe Zink, Chrom und Phosphor vorliegen von besonderer Bedeutung.
Hierzu sei wiederum auf die in den genannten Abschnitten angefiihrten Arbeiten verwiesen.
Liste der zu betrachtenden Elemente und V e r b i n d u n g e r1
Tabelle 3-6:
E 3
'E 3
0)
ein Schichtwechsel auf Ressource ke^^
stattfindet. (vgl. (Trautmann,
2001), S. 85). Als obere Grenze fiir den Planungshorizont, die maximale Projektdauer, kann z. B. der nachfolgende Term angegeben werden (vgl. (Trautmann, 2001), S. 53):
KAPITEL 4
FUZZY-ABLAUFPLANUNG VON CHARGENPRODUKTIONEN
T:=Y, max max /?., +
max
max z^f , p^^ + max w,7''
217
(4.8)
Das entwickelte Modell soil dartiber hinaus Freigabezeitpunkte Sj beriicksichtigen, daher ist (4.8) wie folgt zu andem: _
_
_
f 1^0'
'^^i^ii 7 = 0
[max{^.,r._,+p.^}, sonst
und z?;^ := max max /? .^ +
max
max z^f , p^^ + max w,7'^
Mogliche weitere Verzogerungen durch Schichtwechsel sind in (4.9) noch nicht beriicksichtigt. Eine entsprechende Erweiterung lasst sich durch Einfuhrung
von
BOS^{s^j) = minu'G 7 5^, = 5^1, dem Beginnzeitpunkt von Schicht s auf Ressource k und £05f (5^) = maxu'G r 5^, =5^^}, dem Endzeitpunkt von Schicht s auf Ressource k ermogUchen: SQ ,
wenn j = 0
T := r , , mit T, := max{^^.,505f(5,^+l) + /7;l}, wenn 7;._, + p): > £05^(5,^ J max{^. ,7;^! + /?;^},
und p'f, := max maxK p- +
max
(4.10)
sonst
max z^^ ,/?,>„+ max w^
Friiheste und spateste Startzeitpunkte ESj und LSjm lassen sich wie folgt bestimmen (vgl. (V06 und Witt, 2002), S. 6): wenn 7 = 0 £S,:=