Zukunftsillusionen: Kritik der Trendforschung 3531156594, 9783531156590 [PDF]


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Table of contents :
Zukunftsillusionen ......Page 1
Inhalt......Page 5
Vorbemerkung......Page 10
1.1 Zukunft als pragmatische Herausforderung......Page 12
1.2 Erfolgsversprechen der Trendforschung......Page 15
1.3 Google-Publicity als Qualitätsnachweis......Page 19
1.4 Konfrontation mit der professionellen Forschung......Page 21
2.1 Kritik und Gegenkritik......Page 25
2.2 Vorwurf kommerzieller Interessen......Page 27
2.3 Wechselseitige Netzwerklegitimation......Page 29
2.4 Methodologische ‚Scharlatanerie’......Page 31
3.1 Akademische Quellen......Page 35
3.2 Nichtakademische Quellen......Page 37
2. Operationalisierung......Page 39
6. Messtechnische Operationen (Feldarbeit)......Page 40
8. Validierung......Page 41
3.4 Publizistische Aufbereitung......Page 42
4.1 Jammerkultur, faule Professoren, arrogante Elite......Page 45
4.2 Sex und das ‚Zukunftsinstitut’......Page 48
4.3 Trend-Reports und weitere ‚Studien’......Page 50
4.4 Variationen oberflächlicher Ausdrucksaktivitäten......Page 53
5.1 Gesellschaftsbilder aus dem ‚Trendbüro’......Page 56
5.2 Konsum als Identitätsmanagement......Page 58
5.3 Weitere Konkurrenz mit identischem Angebot......Page 60
5.4 Transatlantische Konkurrenz......Page 63
6.1 Optimistismus der Sechziger Jahre......Page 66
6.2 Technologischer Pragmatismus......Page 69
6.3 Betriebswirtschaftliche Strategiekonzepte......Page 71
6.4 Überkomplexität und Relativierung......Page 75
7.1 Leitmotiv ‚Future Shock’......Page 78
7.2 Leitbegriff ‚Megatrends’......Page 80
7.3 Leitmotiv ‚Naming’......Page 84
7.4 Trendforschung als ‚Universalwissenschaft’......Page 87
8.1 Enzyklopädische Anmaßung......Page 90
8.2 Neoliberale Gesellschaftstheorie......Page 92
8.3 Boulevardforschung als ‚Kritische Theorie’......Page 94
8.4 Diskreditierung der Sozialwissenschaft......Page 96
9.1 Vergangene Zukunft......Page 100
9.2 Zukunft der ‚Creative Class’......Page 103
9.3 Zukunft der Dienstleistungswirtschaft......Page 106
9.4 Zukunft der Arbeit......Page 109
10.1 Methodologischer Zirkelschluss......Page 113
10.2 Konstruktionen aus dem Zettelkasten......Page 115
10.3 Kreislauf der Trend-Forschung......Page 118
10.4 Methodologischer Gegencheck......Page 122
11.1 Unsichtbarkeit der Kritik......Page 126
11.2 Affirmativer Zirkelschluss in den Medien......Page 128
11.3 Science-Faction und veredelte Biografien......Page 132
11.4 Affirmativer Zirkelschluss durch Unternehmen......Page 135
12.1 Angst vor dem Zufall......Page 141
12.2 Dr. Fox und die Nonsense-Wissenschaft......Page 144
12.3 Überwindung der Opportunismus-Falle......Page 147
12.4 Diversity in Foresight......Page 150
Schlussbemerkung......Page 156
Literaturliste......Page 158
Web-Dokumente......Page 165
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Zukunftsillusionen: Kritik der Trendforschung
 3531156594, 9783531156590 [PDF]

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Zitiervorschau

Holger Rust Zukunftsillusionen

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Holger Rust

Zukunftsillusionen Kritik der Trendforschung

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15659-0

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Inhalt

Vorbemerkung

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1 1.1 1.2 1.3 1.4

Strategischer Opportunismus als Geschäftsidee Zukunft als pragmatische Herausforderung Erfolgsversprechen der Trendforschung Google-Publicity als Qualitätsnachweis Konfrontation mit der professionellen Forschung

13 13 16 20 22

2 2.1 2.2 2.3 2.4

Analyse der methodologischen Strategie Kritik und Gegenkritik Vorwurf kommerzieller Interessen Wechselseitige Netzwerklegitimation Methodologische ‚Scharlatanerie’

27 27 29 31 33

3 3.1 3.2 3.3 3.4

Regeln professioneller Markt- und Zukunftsforschung Akademische Quellen Nichtakademische Quellen Kriterien für Forschungsqualität Publizistische Aufbereitung

37 37 39 41 44

4 4.1 4.2 4.3 4.4

Studien und rhetorische Konstruktionen als Agenda Setting Jammerkultur, faule Professoren, arrogante Elite Sex und das ‚Zukunftsinstitut’ Trend-Reports und weitere ‚Studien’ Variationen oberflächlicher Ausdrucksaktivitäten

47 47 50 52 55

5 5.1 5.2 5.3 5.4

Wettbewerb und Konkurrenz auf den Trend-Märkten Gesellschaftsbilder aus dem ‚Trendbüro’ Konsum als Identitätsmanagement Weitere Konkurrenz mit identischem Angebot Transatlantische Konkurrenz

59 59 61 63 66

6 6.1 6.2

Traditionen der professionellen Zukunftsforschung Optimistismus der Sechziger Jahre Technologischer Pragmatismus

69 69 72 5

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6.3 6.4

Betriebswirtschaftliche Strategiekonzepte Überkomplexität und Relativierung

74 78

7 7.1 7.2 7.3 7.4

Traditionen der boulevardesken Trendforschung Leitmotiv ‚Future Shock’ Leitbegriff ‚Megatrends’ Leitmotiv ‚Naming’ Trendforschung als ‚Universalwissenschaft’

81 81 83 87 90

8 8.1 8.2 8.3 8.4

Diskreditierung der professionellen Sozialwissenschaft Enzyklopädische Anmaßung Neoliberale Gesellschaftstheorie Boulevardforschung als ‚Kritische Theorie’ Diskreditierung der Sozialwissenschaft

93 93 95 97 99

9 9.1 9.2 9.3 9.4

Trivialitäten, Irrtümer, Fehler und blinde Flecken Vergangene Zukunft Zukunft der ‚Creative Class’ Zukunft der Dienstleistungswirtschaft Zukunft der Arbeit

103 103 106 109 112

10 10.1 10.2 10.3 10.4

Zukunfts-Illusionen durch Mind-Set und Methodik Methodologischer Zirkelschluss Konstruktionen aus dem Zettelkasten Kreislauf der Trend-Forschung Methodologischer Gegencheck

117 117 119 122 126

11 11.1 11.2 11.3 11.4

Erfolgreiche Trendgeschäfte im affirmativen Zirkel Unsichtbarkeit der Kritik Affirmativer Zirkelschluss in den Medien Science-Faction und veredelte Biografien Affirmativer Zirkelschluss durch Unternehmen

131 131 133 137 140

12 12.1 12.2 12.3 12.4

Pragmatische Alternative zum Strategischen Opportunismus Angst vor dem Zufall Dr. Fox und die Nonsense-Wissenschaft Überwindung der Opportunismus-Falle Diversity in Foresight

147 147 150 153 156

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Schlussbemerkung

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Literaturliste

165

Web-Dokumente

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Gewidmet allen Absolventinnen und Absolventen der Universitäten Hamburg, Lüneburg, Salzburg, Wien und Hannover, die meinen Kolleginnen, Kollegen und mir ein Stück ihrer Zukunft anvertraut haben und die lange schon in dieser Zukunft leben. Gewidmet auch den Studierenden, die heute in ihre Zukunft aufbrechen.

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Da es eben so wohl ein dummes Vorurtheil ist, von vielem, das mit einigem Schein der Wahrheit erzählt wird, ohne Grund Nichts zu glauben, als von dem, was das gemeine Gerücht sagt, ohne Prüfung Alles zu glauben, so ließ sich der Verfasser dieser Schrift, um dem ersten Vorurtheile auszuweichen, zum Teil von dem letzteren fortschleppen. Er bekennt mit einer gewissen Demüthigung, dass er so treuherzig war, der Wahrheit einiger Erzählungen von der erwähnten Art nachzuspüren. Er fand – wie gemeiniglich, wo man nichts zu suchen hat – er fand nichts.“ Immanuel Kant: Träume eines Geistersehers, 1776

„Die Soziologie nimmt zu ihren Forschungsgegenständen immer eine distanzierte, fast illoyale Haltung ein. Das charakterisiert sie als Wissenschaft. Und erst dadurch kann sie für die Praxis überraschende Einsichten produzieren.“ Stefan Kühl 2006

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Vorbemerkung

Diese Expertise beschäftigt sich mit den Strategien einer Dienstleistung, die vor etwa anderthalb Jahrzehnten nach amerikanischem Muster erstmals in Deutschland etabliert wurde und dem Strategischen Management in Unternehmen Einsichten in kommende Trends und die aus ihnen resultierenden Zukünfte verspricht. Die Protagonisten dieser Szene überbieten sich wechselseitig und ununterbrochen in der Erfindung exotischer Begriffe für Märkte, Zielgruppen, gesellschaftliche Tendenzen, Konsumorientierungen, soziale Wandlungsprozesse und bieten sich den Unternehmen als wettbewerbsfördernde Beratungen an. Die Skurrilität der Ideen ist häufiger schon beschrieben, belächelt und kritisiert worden, was ihren Erfolg nicht schmälerte. Die seriöse akademische, aber auch kommerziell betriebene wissenschaftliche Forschung, die sich mit Prognosen, Foresights, Zukunftsszenarien und Trends beschäftigt, ignoriert diese Szene offensichtlich als belanglose Randerscheinung. Man nimmt sie gar nicht erst zur Kenntnis und erachtet (oder verachtet) Versuche, meist triviale Befunde mit schmissigen Anglizismen zu verkaufen, als illegitimen Feuilletonismus. Gleichzeitig setzt die professionelle Forschung dem allerdings selten publikumswirksame Veröffentlichungen ihrer Alternativen entgegen (vgl. z. B Gould 2006). Das ist deshalb verwunderlich, weil in den Publikationen der sozialwissenschaftlichen Fachverbände regelmäßig irritierte Stellungnahmen zur Ignoranz der „Praxis“ gegenüber den Befunden der Sozialwissenschaften zu lesen sind – wo doch diese Wissenschaften fundierte Einblicke in zukunftsorientierte Gestaltungsoptionen insbesondere auch auf dem Gebiet des Strategischen Managements und seiner kommunikations- und organisationssoziologischen Grundlagen bieten. Vor allem die Repräsentanten der akademischen Forschung übersehen, dass eine Art publizistischer Verdrängungswettbewerb eingesetzt hat, in dessen Verlauf „Soziologie“ als verkaufsförderndes Etikett auf boulevardeske Trenderfindungen geklebt wird. Dass mittlerweile in dieser Szene das Selbstbewusstsein schon groteske Formen annimmt und sich zu Behauptungen versteigt, eine neue Universalwissenschaft begründet zu haben und auf deren Basis eine gesellschaftliche Mission zu erfüllen, kaschiert den rein kommerziellen, mithin strategischen Opportunismus, der die meisten dieser „Studien“ auszeichnet. Der Begriff „Opportunismus“ ist im vorliegenden Zusammenhang nicht als moralische, sondern als methodologische Kategorie zu werten und bezeichnet die Ausrichtung von empirischen Projekten an den Bedürfnissen des Auftraggebers 11

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oder der erwünschten publizistischen Wirkung. Es wird sich zeigen, dass sich dieser Opportunismus auch auf verbreitete Ressentiments gegenüber der Soziologie gründet und sie verstärkt. Dass Studierende dieser Disziplin dann diese Haltung internalisieren und möglichst von ihrer sozialwissenschaftlichen Kernkompetenz ablenken, wenn sie sich Personalverantwortlichen gegenübersehen, ist angesichts der beschriebenen Ansprüche dessen, was hier Boulevardforschung genannt werden soll, schon skurril (vgl. dazu Kühl 2003). Darin liegt im Übrigen der Grund für meine nun mehr als ein Jahrzehnt umfassende Beschäftigung mit der Zukunftsforschung und ihrer Boulevardisierung: Immerhin verändern sich durch diese Strategien die Berufsaussichten von Studierenden der Sozialwissenschaften erheblich – vor allem, wenn sie auf die Einhaltung der Regeln der empirischen Forschung wie der journalistischen Recherche eingeschworen werden. Angesichts des erfolgreichen Versuchs der Trendforschungsszene, sich in Medien und Unternehmen als pragmatische Alternative zur altbackenen und von der Komplexität der Wirklichkeit erschütterten Sozialwissenschaft zu positionieren, muss man befürchten, mit einer solchen Ausbildung einen Wettbewerbsnachteil zu produzieren. Doch auch außerhalb dieses Kontextes wäre es nicht ganz gleichgültig, welche Bedeutung diese Trend-Soziologie erarbeiten kann – etwa unter wirtschaftspragmatischen Gesichtspunkten: Es wird sch zeigen, dass viele der vorgeblich wissenschaftlichen Befunde im besten Falle trivial, im Normalfall überflüssig, nicht selten auch falsch sind, damit teure Umwege eröffnen und vermeidbare Kosten verursachen. Auch diesem Aspekt wird hier Raum gegeben – unter anderem deshalb, weil wissenschaftliche Unabhängigkeit und der Beitrag zu wirtschaftlichem Erfolg sich keineswegs ausschließen. Das Problem ist nur, dass die Ergebnisse der professionellen Wirtschaftsund Sozialwissenschaften weder einfache Wege in die Zukunft weisen, noch unmittelbar, das heißt ohne komplexe Adaptionen an den jeweiligen Einzelfall, für Strategisches Management umsetzbar sind. Die Boulevardforschung verspricht aber in ihrem strategischen Opportunismus genau das, kaschiert die Trivialität ihrer Befunde mit einem anspruchsvollen rhetorischen Konstruktivismus, der dem in der Alltagsroutine befangenen Kunden den Eindruck weit ausgreifender Innovation vermittelt. Was als Wissenschaft deklariert wird, ist oft nichts anderes als methodologische Scharlatanerie, konstruiert aus anekdotischen Beweisketten und Bruchstücken andernorts erarbeiteter Einsichten. Eine wissenschaftliche Kritik an dieser Strategie ist natürlich geschäftsschädigend, was die zum Teil aggressiven Reaktionen der Trend-Branche vor allem gegen die Sozialwissenschaften erklärt.

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1 Strategischer Opportunismus als Geschäftsidee

1.1 Zukunft als pragmatische Herausforderung Die Argumentation in diesem Buch beruht auf einem klaren Befund der neueren wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Organisationstheorie und der betriebswirtschaftlich inspirierten Personalwissenschaft: Um die sich abzeichnenden und die mit Sicherheit zusätzlich überraschend auftretenden Entwicklungen zu identifizieren, die die Zukunft prägen werden, gibt es nur den Weg über die Kommunikation möglichst unterschiedlicher Menschen, die aus dem Blickwinkel einer gut formulierten Frage ihre jeweiligen Erfahrungen, Kompetenzen, Weltsichten und Perspektiven einbringen. Was auf diese Weise erreicht werden kann, ist die Eröhung der Reaktionspotenziale zur Bewältigung von Überraschungen. Das ist viel: Denn Zukunft lässt sich nur dadurch bewältigen, dass die Akteure in Wirtschaft und Politik sich über die Komplexität der Entwicklungen bewusst sind und entsprechende komplexe Reaktionspotenziale aufbauen. Die Sozialwissenschaften, das heißt: Soziologie, soziologisch inspirierte Wirtschaftswissenschaft, Politik- und Angewandte Kulturwissenschaften und die Sozialpsychologie, akzeptieren, wo sie Zukunft versuchen zu fassen, das Gesetz der sich selbst verstärkenden Kontingenz: Aus vorhersehbaren demografischen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Komponenten, die in die Berechnungen zukünftiger Entwicklungen einbezogen werden, entstehen unvorhersehbare Arrangements, die wir „Zukunft“ nennen. Wie diese Zukunft in Prognosen aussieht, ist von zwei Faktoren abhängig: erstens von der Bestimmung des Zeitpunktes, an dem die Komponenten dieser Zukunft identifiziert werden; zweitens von der Bestimmung des Zeitpunktes, für den eine Prognose und damit das Arrangement der identifizierten Komponenten formuliert wird. Die Perspektiven auf „die“ Zukunft werden also sehr unterschiedlich ausfallen, je nach dem ob man beispielsweise die demografischen Bedingungen und die wirtschaftlichen Entwicklungen der 1950er Jahre für einen Zeitraum von einhundert Jahren bis 2050 betrachtet (wie etwa bei den Berechnungen demografischer Effekte durch das Statistische Bundesamt), oder ob man im Jahre 2008 eine soziologische Perspektive für das Jahr 2020 zu formulieren versucht (wie es etwa die Unternehmensberatung McKinsey vor einigen Monaten zur Entwicklung der Mittelschicht tat). Unabhängig davon aber muss jedes Unternehmen Zukunft planen, die sich abzeichnende Entwicklungslogik von Märkten voraussehen, die Positionen des 13

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strategischen und des operativen Managements darauf ausrichten, Produkte und Dienstleistungen entwickeln und absetzen, geeignete Personen einstellen und gleichzeitig einberechnen, dass die von den Konkurrenten gleichermaßen vollzogenen Bemühungen die eigenen Pläne beeinflussen. Diese Bemühungen vollziehen sich auf zwei Ebenen. Die erste ist die der systematischen Routine, die sich in einem Organigramm der strategischen und operativen Prozesse darstellen lässt und die Kompetenzen jedes einzelnen Mitarbeiters und jeder Mitarbeiterin klar benennt und in Beziehungen zu allen anderen regelt. Diese Routine besteht aus einem überschaubaren und thematisch langfristig fixierten Kommunikationsrhythmus, aus der Anwendung von Kennzahlen und ihrer Dynamisierung in Balanced Score Cards oder anderen Navigationssystemen, auch den mittlerweile in diese Systematik einbezogenen „weichen Faktoren“. Mit diesem vagen Begriff sind vor allem die jeweils individuelle Intelligenz und Kompetenz von Beschäftigten und die Fähigkeit angesprochen, diese Kompetenz auch kommunikativ umzusetzen und kooperativ anzuwenden. „Weiche Faktoren“ wiederum sind nicht gänzlich berechenbar, was die Theorie des Strategischen Managements mittlerweile auch als Vorteil verbucht. Damit ist die zweite Ebene angesprochen: Die Flexibilität informeller Kommunikationssysteme wird zunehmend für die Erhöhung des Wissens in den Unternehmen genutzt. Die neuere wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Literatur hat sich mit diesem Phänomen auf verschiedene Weise beschäftigt. Zum einen ist seit Peter Scott-Morgans „Entdeckung“ der ungeschriebenen Gesetze in der Unternehmenskommunikation die Kraft der von der Routine befreiten Kreativität offenbar geworden (Scott Morgan 1994). Zweitens deutet die zunehmende Beschäftigung mit der so genannten „Vertrauenskultur“ in Unternehmen (vgl. dazu grundlegend Cordini 2007) darauf hin, dass die notwendigerweise standardisierte Routine durch diese zweite Kommunikationsebene produktiv ergänzt, erweitert, überhöht und unterstützt wird. Der Volkswirtschaftler Gunter Tichy definiert diese neben der standardisierten Routine eingezogene zweite Kommunikationsebene auf der Grundlage der Forschung der letzten zwei Jahrzehnte als „Flexibilität 2“ und unterscheidet damit die nichtroutinisierte Adhoc-Reaktion von der planvollen Anpassung an bekannte Veränderungen auf der Ebene der routinemäßigen operativen Tätigkeit – die von ihm „Flexibilität 1“ genannt wird (Tichy 2001a; siehe dazu auch Kapitel 12.3.). Die Bedeutung der ungeschriebenen Gesetze, die Flexibilität einer zweiten Kommunikationsebene und andere Vorschläge der jüngeren Organisationssoziologie setzen die von allen Hierarchien befreite intellektuelle Beteiligung der Mitarbeiterschaft voraus. Wie diese Aufgabe im Einzelnen erfüllt werden kann, wird unterschiedlich beschrieben. Nur ein Merkmal kennzeichnet die empirische Befundlage durchweg: Die Realisierung eines solchen Frühwarnsystems setzt die

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Bereitschaft der Führung voraus, allen untergeordneten Ebenen die über die routinebedingten Stellenbeschreibungen hinaus eine grundlegende Kompetenz zuzugestehen. Denn in der Regel kennen Mitarbeiter die Alltagskultur, aus der sich Märkte etablieren, besser als die Führung – schon deshalb, weil die Führungspersönlichkeiten allen empirischen Befunden zufolge erstens weniger Berührungen mit der Alltagskultur besitzen, zweitens dazu tendieren, einen einheitlichen und mitunter restriktiven Habitus zu entwickeln. Dieses System der kommunikativen Vertrauenskultur ist allerdings nicht zu verwechseln mit der oft propagierten „Schwarmintelligenz“, in der vorgeblich Mitarbeiter in einer Art „Open Space“ zu innovativen Lösungen kommen (vgl. Cross, Parker 2004; Gloor 2007, 2008; Rheingold 2002). Der Vergleich von vermeintlich strategisch klug handelnden Tierpopulationen und Menschen, die in einer Entscheidungssituation stehen, geht fehl – weil im ersten Falle in der Regel genetische Programme realisiert werden, im zweiten situative Entscheidungen zu treffen sind. Es mag sein, dass in Experimenten von relativ einfachen Aufgabenstellungen die Gruppenintelligenz größer ist als die Intelligenz des Einzelnen. Bei strategischen Entscheidungen indes zählt vor allem der Diskurs, der durch eine große Zahl möglichst unterschiedlicher Perspektiven charakterisiert ist. Vertrauen – genau an dieser Stelle hakt es: Mitarbeitern der operativen Ebene, nachgeordneten Personen, „Untergebenen“, in einem Klärungsprozess über die denkbaren Kontingenzen der äußeren Umstände ein intellektuelles Mitspracherecht einzuräumen, wirkt für Führungskräfte offensichtlich befremdlich. Sozialpsychologisch gesehen, kann eine solche Forderung als Bedrohung der Autoritätspositionen erlebt werden, wie Manfred Kets de Vries, Klinischer Psychologe an der Elite-Hochschule INSEAD, in seinem umfangreichen wissenschaftlichen Werk aus der nicht minder umfangreichen Erfahrung seiner Beratungstätigkeiten nachweist (vgl. Kets de Vries 2004). Die Angst vor Kontrollverlust ist verständlich, weil die Aufgaben des Strategischen Managements prekär und mit erheblichen persönlichen Konsequenzen verbunden sind: geplante Gewinnsteigerungen zu realisieren und die Kontinuität des Wachstums zu sichern – mit einem Wort „Erfolg“ zu haben. Die Verantwortung für diese Aufgaben zu teilen, erscheint aus zwei Gründen riskant: einmal, weil man mit der Einbeziehung der Mitarbeiter meint, Kompetenzdefizite zuzugeben, zum anderen, weil man die Kompetenzen der Mitarbeiter bei der Formulierung unternehmerischer Strategien für zu gering einschätzt. Das Dilemma liegt nun darin, dass Kompetenzdefizite auch auf Führungsebene ganz natürlich sind. Keine Führungspersönlichkeit wird beanspruchen, sämtliche Perspektiven, die für das Strategische Management wichtig sind, alleine entwickeln zu können. Gleichzeitig ist bekannt, dass die auf den Führungsetagen versammelten Personen zu habituell gleichartigem Denken neigen. Um die-

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sen „Habituszirkel“ zu durchbrechen, wird eine gängige und vernünftige Lösung gewählt: das Engagement externer Fachleute. Rational ist diese Lösung bei speziellen Problemen wie der Implementation von IT-Systemen, neuen Rechtsnormen oder interkulturellen Anpassungen im Zuge der Globalisierungsstrategien. In zunehmendem Maße werden allerdings auch die intellektuellen und eigentlich nur aus der exklusiven Perspektive des Unternehmens definierbare und lösbare Aufgaben des Strategischen Managements an externe Berater, Coaches, Trainer, Trend- und Zukunftsforscher ausgelagert. In diesem Prozess entsteht ein seltsamer Widerspruch: Um diese unvorhersehbaren Herausforderungen bewältigen zu können, lässt man nach Spuren, Signalen, Trends und Weichenstellungen fahnden, die sie dann doch vorhersehbar machen. Auf dieses Bedürfnis hat sich nun eine ganze Dienstleistungsbranche eingestellt, die mehr oder minder plausible Trends und Zukünfte verkauft, oder Marktstrategien, die auf solchen Trends und Zukünften beruhen. Das Versprechen ist vollmundig: Wer diese Dienstleistungen buche, werde gegenüber den Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil erringen. Um sich von den professionellen Beratungsinstitutionen abzugrenzen, die sich mit unter bestimmten Fragestellungen und professionellen Methoden mit Zukunftsszenarien beschäftigen, erfinden die Vertreter dieses Gewerbes allerlei exotische Methoden und verkleiden ihre Befunde in lärmende Anglizismen. Der harten Sprache der Strategen wird ein Vokabular exotischer Welt- und Alltagsmodelle entgegengestellt, die ihre Legitimation vor allem durch die Verbreitung in Medien suchen – und finden. Diese Praxis soll hier durch den Begriff der „Boulevardforschung“ gekennzeichnet werden.

1.2 Erfolgsversprechen der Trendforschung Die Trend- und Zukunftsforschung erwirtschaftet ihre wesentlichen Erfolge durch den Verkauf der an die Bedürfnisse der jeweiligen Auftraggeber angepassten empirischen Befunde ihrer „Studien“. Den Unternehmen wird geliefert, was ihren strategischen Ausrichtungen entspricht. Auch wenn einige der Trendforschungs-Agenturen Empirie im Sinne der wissenschaftlichen Vorgaben betreiben (wie sie im folgenden Kapitel dargelegt sind), bestimmt diese Affirmation Themenwahl, Methode und Zielrichtung der vorgeblichen (oder gelegentlich tatsächlichen) Forschung. Diese Projekte zielen auf sensationelle Ergebnisse, die in regelmäßiger Folge durch Trend-Reports, Trendtage, periodische Zukunftsbriefe und Trendletters verbreitet werden, um die Öffentlichkeit, die Unternehmen und die Medien mit jeweils aktuell „entdeckten“ Trends vom Nutzen der Angebote zu überzeugen. Um die publizistische Aufmerksamkeit dauerhaft zu garantieren, 16

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werden kontinuierlich neue Zielgruppen, Milieus, Prozesse, Erwartungen, Handlungstypologien in zum Teil etymologisch sinnleeren Anglizismen oder Kunstbegriffen als „Trends“ geliefert, die für die Zukunft der Unternehmen bedeutsam seien, sich gleichzeitig nach den News Values der Medien richten. Unternehmen wiederum, in deren Auftrag „Studien“ angefertigt wurden, nutzen die als Trends in die Öffentlichkeit lancierten Befunde als Belege der Konkordanz von Trends und Strategischem Management (Kapitel 4.2). Kunden, die die jeweiligen Dienstleistungen buchen („Studien“, „Trendletters“, „Zukunfts-Informationen“ und andere Periodika, Vorträge, Beratungen, Projekte, „Future-Summits“ und thematische Spezialkonferenzen), werden zu Innovatoren und Siegern erklärt, oftmals mit selbst erfundenen „Future Awards“ geadelt und als „Gewinner“ der Zukunft vorgestellt. Dass in dieser Behauptung gleichzeitig eine seltsame Kritik am Strategischen Management versteckt ist – Manager beherrschten eigentlich ohne derartige Handreichungen ihren Beruf nicht – zählt zu den ungelösten Rätseln, die später noch einmal bei der Frage nach den Gründen für die breite Akzeptanz dieser Dienstleistungen aufgenommen werden. Die „Agenturen“ und „Think Tanks“, „Büros“ und „Institute“, „Scouts“, „Coolhunter“, „Futurists“ und „Forschungsteams“, die Informationen über Trends und Zukünfte anbieten, werben mit dem weitreichenden Versprechen eines umfassenden „Erfolgs“ für ihre Kunden. Was diesen Erfolg ausmacht, wird allerdings nur vage definiert und in der Reklame der Anbieter damit begründet, dass Kunden besser mit den überaus bedrohlichen Herausforderungen der Zukunft umgehen lernen, wenn sie die Trendagenturen beschäftigen. Eine empirische Überprüfung dieses später noch dezidiert erläuterten Anspruchs könnte allerdings nur dann vollzogen werden, wenn „Erfolg“ klar definiert würde. Eine solche Definition stellt keine besondere Schwierigkeit dar. Eine Reihe von Projekten hat sich im letzten Jahrzehnt sehr differenziert mit dieser Frage auch wissenschaftlich professionell beschäftigt, etwa der Unternehmensberater Hermann Simon in seinen Arbeiten über die „Hidden Champions“ (Simon 1996, 2007) oder wegweisend und daher hier als Referenz benutzt die Studie „Lessons from the Top“ des weltweit tätigen Personalberaters Spencer Stuart (vgl. Neff, Citrin 1999). Als Ergebnis einer überaus aufwändigen Recherche nach dem Muster einer Delphi-Studie (vgl. 7ff) zeigt sich der Begriff des „Erfolgs“ durch zehn Komponenten definiert, die sich als valide Indikatoren herausgestellt haben: ƒ ƒ ƒ ƒ

die Garantie langfristiger Gewinne; visionäre und strategische Kompetenz; Bewältigung unvorhersehbarer Herausforderungen; Entwicklung einer exzellenten und mit hervorragenden Personen besetzten Organisation;

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ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

konsistenter Charakter; unternehmerische Kreativität und Pioniergeist; nachweislich positiver Effekt auf Branche, Volkswirtschaft oder Gesellschaft; Initiative zu nachhaltiger Innovation bei Produkten oder Dienstleistungen; beispielhafte Kundenorientierung; nachweislich wirksame soziale Verantwortung.

Beratungsdienstleistungen, die sich der Steigerung des Erfolgs generell verschreiben, müssten sich – der angesprochenen Studie gemäß – auf alle zehn Komponenten gleichermaßen beziehen. Selbstverständlich relativiert sich diese forschungsstrategische Forderung, wenn Projekte definitiv nur auf ausgesuchte Teilaspekte des Erfolgs bezogen sind. Allerdings sind solche Teilerfolge nach den Arbeiten der neueren wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Organisationstheorien immer auch von allen anderen Kriterien abhängig. Das Versprechen der Trendforschung bleibt also unspezifisch – was der im ersten Abschnitt skizzierten Logik insofern entspricht, als sie eine intellektuelle Gegenposition zu den auch sprachlich standardisierten Routinen des Strategischen Managements suggerieren. Da sich die Institutionen dieser Branche den Sammelnamen Trend- und Zukunfts-„Forscher“ gegeben haben, und sich mit „Studien“, also „Forschung“, an potenzielle Kunden richten, wird die weitere Frage zu erörtern sein, was denn die Prinzipien ernst zu nehmender Forschung sind. Auch hier sind zehn Punkte zu nennen, die – wie die Definition des Erfolgs – in einer tiefer greifenden Analyse erarbeitet worden sind. Da die Diskussion um Qualitätskriterien der professionellen Forschung in sehr verstreuten und sehr unterschiedlichen Medien geführt wird und nicht, wie bei der Definition des Erfolgs bereits in einem Referenzprojekt zusammengefasst ist, soll der Weg zu folgenden zehn Punkten später noch eingehend dargelegt werden (vgl. Kapitel 3.3). Als unerlässliche Elemente sowohl quantitativer als auch qualitativer Forschung werden sich dabei die folgenden zehn Punkte herausstellen: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

Klare Fragestellung; präzise Operationalisierung und überprüfbare Hypothesen; plausible Auswahl der Methoden; präzise Begründung der konkreten Erhebungstechniken; nachvollziehbare Stichprobenkonstruktion auf der Grundlage einer plausibel dokumentierten Grundgesamtheit; Informationen über den Prozess der messtechnischen oder hermeneutischen Operationen;

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ƒ ƒ ƒ ƒ

Nachvollziehbare Auswertung; Validitätsnachweise; Kennzeichnung von Interpretationen und Spekulationen; Rückbezug zur Fragestellung im Bericht und Einhaltung publizistischer Sorgfaltsregeln.

In allen Punkten werden im Verlauf der Expertise über die Vorgehensweise und die Berichterstattung in Studien und Presseaussendungen bei den boulevardesken Trend- und Zukunftsforschern erhebliche Defizite identifiziert. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die gesamte Methodologie und die publizistische Praxis weder wissenschaftlichen noch journalistischen Standards genügen. Die wenigen Beschreibungen der Vorgehensweise berufen sich auf „universalwissenschaftlich“ begründete „Erfahrung“, eine in Jahren der Trendforschung gewachsene „Intuition“, „metakognitive Zukunftsforschung“ (Matthias Horx), und eine niemals näher erläuterte Form der Contentanalyse, oder schlicht auf „Mind-Sets“, mit deren Hilfe man mehr sehe als andere. Sein Mind-Set, schreibt der amerikanische Doyen dieser Trendforschung, John Naisbitt, bestehe aus „bestimmten Regeln“, die er im Laufe der Jahre entwickelt habe, um Informationen zu filtern und das Denken zu disziplinieren. Allerdings gipfelt die simple Idee in einem übersteigerten Bewusstsein von der seherischen Kraft, die Naisbitt der Wirtschaft als seine Mission andient. Auf die Frage, wie er zu seinen Vorhersagen komme – eine Frage, die er sich in diesem Buch vorsichtshalber gleich selber stellt – antwortet er im Stil eines Gurus: „,Ich glaube’, hörte ich mich sagen, ‚es liegt an meinem Denken, an meinem Mind-Set’. Und je mehr ich darüber nachdachte, umso bewusster wurde mir, dass ich im Verlaufe der Jahre bestimmte Regeln entwickelt hatte, um Informationen zu filtern und mein Denken zu disziplinieren. An ihnen stimme ich die Informationen, die ich sammle, ab und messe ich sie. Meine Werte und mein Denken sind der Nährboden, auf den diese Informationen fallen. ... Schließlich begann ich mit dem Gedanken zu spielen, ein Buch auf dieser Idee aufzubauen, um zu zeigen, wie vor meinem geistigen Auge mithilfe der richtigen Mind-Sets die Bilder der Zukunft entstehen“ (Naisbitt 2007: 10). In dieser kurzen Bemerkung verdichtet sich schon einmal alles, was die Boulevardforschung charakterisiert: Sie ist voluntaristisch und mithin in das Belieben der Interpreten gestellt, die von sich überzeugt sind, die Wahrheit zu sehen. Sie ist das Produkt eines übersteigerten Bewusstseins davon, die richtigen Interpretationen der Welt zu haben. Sie ist ohne nachvollziehbare Methode und beansprucht eine Art von Gefolgschaft. Sie ist ohne empirische Relevanz, weil sie auf individualistischen Perspektiven beruht und allenfalls eine anekdotische Impression zu liefern in der Lage ist. Sie ist fehleranfällig, weil zugegebenerma-

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ßen die individuelle Weltsicht die Auswahl der Informationen beeinflusst. Sie repräsentiert also eine fundamentale Verletzung nahezu aller wissenschaftlichen Prinzipien. Bei näherer Betrachtung handelt es sich bei den meisten dieser Methoden um nichts anderes als um eine kursorische Durchsicht von Zeitungen und Zeitschriften, gelegentliche Straßenbefragungen, anekdotische Beweisketten, in denen Beispiele durch weitere passende Beispiele belegt werden. Die reduzierte Reliabilität dieser Methoden wird durch Kunstbegriffe und einen universellen wissenschaftlichen Anspruch kaschiert. Zur Kennzeichnung dieser Praxis wird hier der Begriff „methodologische Scharlatanerie“ verwendet. (Was darunter genau zu verstehen sein soll, wird im Kapitel 2.4. erörtert).

1.3 Google-Publicity als Qualitätsnachweis Dass sich derartige Feuilletonismen überhaupt als „Forschung“ verkaufen lassen und sich zusehends an die Stelle der professionellen Sozialforschung drängen, resultiert aus der Tatsache, dass sich die Berufsbezeichnungen „Forscher“, „Soziologe“, „Berater“ oder auch Konkretisierungen wie „Freizeit“-, „Kultur“- und vor allem „Trendforscher“ nicht schützen lassen. Medien und Unternehmen können also mit dem Verweis auf die mit diesen Begriffen assoziierten Kompetenzen eine Art Legitimation erkaufen – umso mehr als in der publizistischen Verstärkung dieses Anspruchs die Boulevardforschung gerade auf Grund des strategischen Opportunismus als wirtschaftsnah und damit im Vergleich zur akademischen Forschung als höchst effektiv eingestuft wird. So eröffnet das unübersichtliche Terrain der im weitesten Sinne irgendwie sozialwissenschaftlich inspirierten Tätigkeit jedem, der eine Publikationsbasis findet, die Möglichkeit, sich als „Wissenschaftler“ zu deklarieren. Das wichtigste Medium zur Legitimation dieses Anspruchs ist die Vorlage einer „Studie“. Auf das Wort „Studie“ nämlich scheinen Medien ähnlich zu reagieren wie Geldanleger auf das Wort „Steuerersparnis“. Diese Praxis ist die Konsequenz der Medienentwicklung des letzten Jahrzehnts, in dem sich eine stetig wachsende Zahl von Zeitgeistmagazinen etabliert hat und auf demselben Markt um Reichweiten konkurriert, zusätzlich bedrängt von Online-Ausgaben der traditionellen Printmedien, von WebSites und E-zines, die in harter Konkurrenz um „Content“ streiten. Den erhalten sie, frei Haus, eigens dazu produziert – wenngleich mit dem kleinen Hintergedanken der Produzenten, sich durch die Publizität ihrer geistigen Produkte einen werblichen Vorteil zu verschaffen. Denn die Nennung des Namens und des Instituts ist kostenlose Werbung und quasi-wissenschaftliche Legitimation gleichermaßen. Selbst klassische Nachrichtenagenturen verbreiten heute 20

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die Befunde vorgeblicher „Studien“ ohne weitere Gegenrecherche. So entsteht ein Kreislauf: Die Abnehmer können den Aufwand für eigens gesetzte Themen verringern, weil Agenturen, Büros, Institute sich auf das Geschäft verlegt haben, publizierbare Themen zu erfinden, dazu „Studien“ zu verfertigen, die aus präzis diesem Grund überhaupt nur existieren: den Medien Rechercheaufwand zu ersparen. In diesem Wettbewerb wird die Zweitvermarktung der medialen Präsenz wichtig – durch die Erwähnung der Befunde und ihrer Urheber in den Suchmaschinen des Internet. Den eben skizzierten Eigenarten der hier untersuchten Szene vorgeblicher „Forschung“ müsste also eine weitere hinzugefügt werden, die als „Google Publicity“ bezeichnet werden soll. Da nun die publizistische Präsenz der Forschung der wichtigste Bezugspunkt ihrer öffentlichen Wirkung ist und viele Unternehmen, die Trendforscher konsultieren, die Befunde dieser Konsultation in Pressemitteilungen für Marketingzwecke verwenden, finden sich Tausende von verstreuten Passagen in höchst unterschiedlichen Quellen: Zitierungen, Verweisen, Interviews, Rezensionen, Pressemitteilungen von Unternehmen, elektronischen Werbe-Seiten, Buttons, Web-Sites. Diese publizistische Praxis führt dazu, dass die Grundgesamtheit der Abnehmer solcher Dienstleistungen unbekannt ist. So lässt sich nicht auch statistisch erhärten, wie hoch der Durchdringungsgrad der Befunde der Trendforschung in der wirtschaftlichen und in der medialen Öffentlichkeit ist. Einige Anhaltspunkte sind dennoch gegeben: Zunächst einmal behaupten die Trendforscher, dass sie einen erheblichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einfluss ausüben. Damit werben sie. Insofern lässt sich diese Behauptung zur Grundlage einer immanenten Kritik – also der Prüfung des Anspruchs an seiner Realisierung – machen. Darüber hinaus erweist sich die These der publizistischen und pragmatischen Bedeutung durch die Vergleichprüfung mit professioneller Sozialforschung auf demselben Gebiet als plausibel. Eine Bestandsaufnahme der Internetpräsenz von Institutionen der Zukunftsforschung zeigt eine erstaunliche Differenz: Das renommierte Sekretariat für Zukunftsforschung unter der Leitung von Rolf Kreibich beispielsweise erscheint signifikant weniger als etwa das Zukunftsinstitut des umtriebigsten Protagonisten der Trendforschung Matthias Horx: Gibt man beide Namen etwa bei der Suchmaschine „Google“ (hier mit der Einschränkung „Seiten aus Deutschland“) ein, erreicht Rolf Kreibich um die 5 600 Treffer. Für Matthias Horx ergibt die Aktion mehr als 46.000 Treffer. Auch weitere Trendforscher wie Peter Wippermann oder John Naisbitt erreichen eine weit höhere Trefferzahl als Kreibich. Dasselbe gilt für die Namen der Institutionen, wobei die in Deutschland firmierenden akademischen und öffentlichrechtlichen Foresight-Forschungen (das Wuppertal-Institut beispielsweise) durchwegs geringere Trefferzahlen erreichen als die kommerziellen Agenturen

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der zeitgeistigen Trendforschung mit ihrer Unzahl an „Studien“. Dieses Ungleichgewicht gilt generell für die publizistische Präsenz von soziologisch bedeutsamen Themen, wie sich durch die Fortsetzung solcher Versuche anhand der weiter unten exemplarisch vorgestellten „Studien“ leicht belegen lässt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Internetpräsenz zu großen Teilen auf Grund der Online-Versionen der Tages- und Wochenzeitungen und Magazine zu Stande kommt. Blogs sind hier grundsätzlich ausgelassen, wiewohl auch ihre Analyse interessante Einsichten ergibt. Aber bei den Blogs verschärft sich das Problem, eine Grundgesamtheit zu bestimmen, noch einmal durch die Anonymität der Blogger und die völlig fehlenden Möglichkeiten, Relationen herzustellen. Abgesehen davon gehen die Blogs auf Grund der Anonymität ihrer Autoren oft stilistisch weit über das hinaus, was noch als Kritik für zulässig gelten kann.

1.4 Konfrontation mit der professionellen Forschung Das alles wäre für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nur mäßig interessant und könnte als übersteigerte Reaktion einer verunsicherten Marketingszene abgetan werden, wenn nicht ein beträchtlicher Teil dieser boulevardesken Dienstleistungen als „Sozialwissenschaften“ etikettiert würden. Ja mehr noch: Regelmäßig sieht sich die professionelle Sozialwissenschaft durch die Protagonisten der Trendforschung als veraltet, unfähig, ideologisch verblendet, alarmistisch und praxisfern diskreditiert. Dabei scheuen Vertreter der Trendforschung auch vor persönlichen Angriffen auf Repräsentanten der Disziplin nicht zurück. Zusätzlich erfährt durch den offensiv vorgetragenen Anspruch, selber Sozialwissenschaft zu betreiben (siehe vor allem Kapitel 7.4.) die professionelle Forschung in der Öffentlichkeit einen Wert- und Imageverlust. Diese herbe Kritik trifft nicht nur die akademische Forschung, sondern auch einen beträchtlichen Teil der Marktforschung, die ebenfalls als veraltet und unfähig, den Wandel zu beschreiben, abgetan wird. Vor dem Hintergrund des pragmatischen Ethos, der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft für die Realisierung der vielfältigen Facetten des weiter oben definierten „Erfolgs“ die bestmöglichen Informationen und Entwicklungen aufzuzeigen, bedeutet dieser Wert- und Imageverlust gleichzeitig auch den Verlust kritischer Vernunft und inspirierender Korrektive, die für eine lebendige Innovationskultur unerlässlich sind. Unter pragmatischen Gesichtspunkten verwundert es allerdings, dass sich Unternehmen auf einen solchen Opportunismus einlassen. Die Schlussfolgerung dieser Expertise zeigt nämlich, dass die Trendforschung ihren selbstdefinierten Auftrag nicht erfüllen kann: zum Erfolg eines Unternehmens beizutragen. Wis22

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senschaft jedenfalls agiert ganz anders: Der intellektuelle Profit des Strategischen Managements wird umso größer sein, je unabhängiger die Wirtschaftsund Sozialwissenschaften sich mit der komplexen Gesamtsituation gesellschaftlicher, kultureller, wirtschaftlicher, technologischer und politischer Entwicklungen beschäftigen. Schon an dieser Stelle kann ohne weitere Belege die Diagnose gestellt werden, dass zu allen erdenklichen von der boulevardesken Trend- und Zukunftsforschung wie auch immer bezeichneten Meta-, Mega-, Mode- und sonstigen Trends wissenschaftliche Befunde in großer Zahl und frei verfügbar sind. Es wäre auch verwunderlich, wenn nicht. Und dabei sind es keineswegs nur akademische „Elfenbeintürme“, sondern auch kommerzielle „Leuchttürme“, die kontinuierlich und zum Teil seit Jahrzehnten Forschung über die Bedingungen betreiben, die entscheidend für unsere gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Zukunft sind. Selbst in den Bereichen, in denen sich eine große Zahl der Trendforscher umtut – in der Analyse der künftigen Konsum- und Lebensstile – ist das Angebot hoch differenziert und professionell: etwa durch die „Werbeträgeranalyse“ des Instituts Allensbach, durch die „Typologie der Wünsche“ aus dem Burda-Verlag, durch das 2000 abgeschlossene und weit über ein Jahrzehnt hinaus kontinuierlich betriebene Panel der Wertewandel-Studie „Dialoge“ aus dem Verlag Gruner+Jahr, die Arbeiten aus dem Sinus-Institut über den Wandel und die Zukunft der Milieus in Deutschland, Europa und ausgesuchten Ländern außerhalb der europäischen Grenzen, die Values- und Life-Style-Studien, durch das weltweite Panel des Großprojekts unter der Leitung von Robert Inglehart (dazu Inglehart 1998), seit vielen Jahren erscheinende Schriftenreihe „Globale Trends“ der Stiftung Entwicklung und Frieden und ungezählte andere auf großem empirischen Fundament gründenden nationalen und internationalen Projekten. Eine Übersicht über diese teils wissenschaftlichen, teils feuilletonistischen Ansätze (siehe zum Beispiel Koschnick 2006) provoziert die Frage, aus welchem Grund man nun zur oberflächlichen Kompilation aus Trendbüros und Zukunftsinstituten greifen sollte, deren methodologische Basis die doch eher großspurig so genannte „Metaanalyse“ darstellt – was nichts Anderes heißt als die Wiederverwertung genau dieser längst bekannten Daten und Befunde. Gleichzeitig bedient sich die Boulevardforschung auch an den Befunden der professionellen akademischen und öffentlich-rechtlichen Forschungseinrichtungen und Stiftungen, die eine weitere Konkurrenz darstellen. Wollte man nur wenige und repräsentative Einrichtungen herausgreifen, befänden sich aus deutscher Sicht das bereits genannte Sekretariat für Zukunftsforschung und das Netzwerk, in dem seine Forscher arbeiten, darunter: etwa das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), auch das Z_punkt Büro für Zukunftsgestaltung. Weiter sind hier nur beispielhaft zu nennen sozial-

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politisch ausgerichtete Institutionen wie der Arbeitskreis Technikfolgenabschätzung und -bewertung des Landes NRW (AKTAB), das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), das Institut Arbeit und Technik (IAT), Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes NRW (ILS), Institut für Stadt- und Regionalplanung (ISR) der TU Berlin, Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Nordregio, Sozialforschungsstelle Dormund (SFS). Es wären näher darzulegen die eher auf methodologische Grundfragen ausgerichteten Kongregationen wie die European Science Federation, aus der bereits 1995 eine Expertengruppe mit der Aufgabe entstand, in einer „groß angelegten gemeinschaftlichen Arbeit zur erstmaligen Entwicklung und Validierung einer einheitlichen Methode für länderübergreifende Studien“ zu begründen. Mit dem Projekt ESS sollte Europa erstmals eine maßgebliche und präzise Datenquelle über die Veränderung der gesellschaftlichen Werte als Mittel zur Messung des Wertewandels bei seinen Bürgern zur Verfügung haben. Auf ganz anderem Gebiet arbeitet das Institut Futur, das unter der Leitung von Gerhard de Haan 2000 gegründet wurde und als Arbeitsbereich Erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung dem Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie der Freien Universität Berlin zugeordnet ist. Unaufgeregte Zukunftsforschung betreiben weiter das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dessen Projekte den wolkigen „Trends“ der Boulevardforschung klare Zahlen und ebenso deutliche Kontextbedingungen entgegenhalten; die Arbeitsstelle am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) eingerichtet mit ihrer Schwerpunktsetzung „Interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration“ als Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit; die BMBF-Förderinitiative „Wissen für Entscheidungsprozesse“ mit sozialwissenschaftlicher Beratungskompetenz und dem Ziel, die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu verbessern; der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD), der auf der Grundlage der Empfehlungen der „Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissenschaft und Statistik“ (KVI) die Situation der empirischen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften nachhaltig zu verbessern und zu ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit sucht. Das Wuppertal Institut bearbeitet mit seinen ca. 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Natur- und Umweltwissenschaften, Geographie, Systemwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Planungswissenschaften, Politik-, Rechtsund Wirtschaftswissenschaften sowie Sozialwissenschaften Szenarien der Zukunft ebenso wie die Future Technologies Division des VDI. Am Institut für Fabrikanlagen und Logistik der Universität Hannover (und an vielen anderen akademischen Einrichtungen dieser Art) konzentriert sich die Forschung auf ganzheitliche Produktionssystemgestaltungen für die Fabrik der Zukunft, um eventuelle Produktinnovationen oder gar die Verlagerung auf neue

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Produkte zu erleichtern. Wissenschaft, Lehre und industrielle Projektarbeit sind gleichrangige Tätigkeitsfelder. Fertigungsbereichs- und Lieferkettenanalysen, Potenzialermittlungen, innovative Konzepte von Produktionssteuerungen, Studien zum Wertstrom-Design, Montageplanung, Instandhaltungskonzepte, Erfordernisse des Anlaufmanagements und vieles mehr bietet das praxisorientierte Angebot dieser Art „Zukunftsforschung“. Darüber unterhalten die großen deutschen Konzerne Forschungseinheiten zur Strategischen Bewältigung der Zukunft und informieren die Öffentlichkeit regelmäßig über ihre Befunde: Siemens etwa mit der Arbeit Horizons 2020 oder die Projekte der Forschungsstelle des Daimler-Konzerns unter der Leitung von Ekkehard Minx in Berlin, die Future Affairs des VW-Konzerns, geleitet von Wolfgang Müller-Pietralla und so fort. Viele dieser Konzerninitiativen arbeiten eng mit regionalen Technologieparks, Gründerinitiativen und selbstverständlich mit Universitäten und Fachhochschulen zusammen. Schließlich sind die internationalen Studien wie das Millenium-Projekt der UNO oder die nationalen Initiativen wie der Futur-Prozess in der Bundesrepublik und die „Delphi-Surveys“ zu erwähnen, an dessen letzter drei Jahre umfassender österreichischer Initiative der Verfasser dieser Expertise verantwortlich beteiligt war (Rust 1998; Aichholzer 2001a; 2001b, Tichy 2001b). Die Antwort auf die Eingangsfrage ergibt sich schon aus dieser eindrucksvollen Sammlung (die ja nur einen kleinen Teil der professionellen Szene darstellt): Es gibt einen Markt. Das Erfolgsversprechen der Boulevardforschung richtet sich in zwei Hinsichten auf diesen Markt: Zum einen wird der Wettbewerb mit den akademischen Zukunftsforschern vor allem mit dem Argument ihrer komplexen Befunde und oft kritischen Systembeschreibungen aufgenommen. Gegen diesen „Alarmismus“ setzen die Boulevardforscher ihren Optimismus. Die andere Seite des Wettbewerbs zielt auf die hier genannten kommerziellen Forschungseinrichtungen, an denen mangelnde Flexibilität und Unfähigkeit zur Komplexitätsbewältigung kritisiert wird. Die wesentlichen Strategien bestehen in der Erfindung neuer Methoden, der Selbstinszenierung als neuer Typus des pragmatisch orientierten „Sozialwissenschaftlers“ mit Guru-Status, und – dies nun auch und vor allem gegen die etablierten Lebensstil-Analysen gewendet – in einem Feuerwerk an semantisch aufgeputzten Begriffen für vorgeblich neu entdeckte und zukunftsträchtige Konsumententypen. Da nun, wie sich gleich zeigen wird, auch auf dem Gebiet der Boulevardforschung die Zahl von Konkurrenten dynamisch wächst (vgl. Kapitel 5), beschleunigt sich der Umsatz an Methoden, Trends, Anglizismen, Studien, Pressemitteilungen, Alleinstellungsmerkmalen, Trendletters, was den permanenten Kampf um die Zukunfts-Angebote verschärft und zu immer rascheren und immer exotischeren Reaktionen zwingt.

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2 Analyse der methodologischen Strategie

2.1 Kritik und Gegenkritik Die Auseinandersetzung mit der Boulevardforschung stellt eine Art Dauerprojekt dar, das nun seit gut anderthalb Jahrzehnten in regelmäßigen Abständen in Seminaren und Diplomarbeiten, Projekten und empirischen Analysen komplettiert wird. Der Grund für diese kontinuierliche Beschäftigung mit der Branche liegt einmal in den bereits erwähnten Ansprüchen ihrer Protagonisten, die sich zusehends gegen die professionelle Sozialwissenschaft richten, zum zweiten in der Entwicklung und Vermittlung von Methoden der Markt-, Meinungs- und Kommunikationsforschung, die immer zu meinen Aufgaben zählte. Ein dritter Grund, den Markt der „Forschung“ aufmerksam zu beobachten, liegt schließlich darin, dass die Methoden und Techniken der empirischen Sozialforschung zu den Kernkompetenzen der sozialwissenschaftlich ausgebildeten Studierenden und damit zu ihren bedeutenden Wettbewerbsvorteilen auf dem Berufsmarkt zählen. Doch in den letzten anderthalb Jahrzehnten verdichtete sich außerhalb der Soziologie jenes Gewerbe, das auf der Grundlage der von seinen Repräsentanten gefundenen oder erfundenen „Trends“ den Unternehmen Zukünfte verkauften – und damit einen erheblichen Einfluss auf die Interpretation der Arbeitsbedingungen und Arbeitswelt auszuüben suchten und in der Tat oft auch ausüben. Diese zunehmende Verlagerung der Zukunftsinterpretation auf selbst ernannte Management-Vordenker, Gurus, Trend- und Zukunftsforscher vollzog sich auf drei Gebieten: erstens auf eben dem hier einer Expertise unterzogenen Gebiet der vorgeblichen „Forschung“, zweitens auf dem der „Unternehmensberatung“, drittens auf dem Gebiet des „Coaching“. Auf allen drei Gebieten sind, auch das wurde schon betont, durchaus professionelle Institutionen mit wissenschaftlich fundierten Methoden tätig. Doch daneben tummeln sich ungezählte Mengen von selbst ernannten „Trainern“, „Coaches“, „Forschern“, „Beratern“, die, bevor sie sich dem Beruf des „Forschers“ und „Beraters“ zuwandten, allenfalls periphere Qualifikationen auf den jeweiligen Gebieten erworben. Die Szene ist in dem 2002 erschienen Buch „Zurück zur Vernunft“ (Rust 2002) differenziert beschrieben. Da dieses Buch auch die boulevardesken Erfindungen von Trendforschern und Zukunftsdeutern durchleuchtete, formulierten Apologeten der Branche in einer Reihe von Rezensionen heftige Kritik an meiner Kritik, die sich vor allem in einem Argument verdichteten: Der wiederholt sich. Das war in der Tat so, sogar 27

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mehrfach – wenngleich mit deutlichen Differenzierungen. Im Jahr 1995 war in Wien die erste Auseinandersetzung mit der Trendforschung erschienen (Rust 1995). Dieses Buch, das der Wiener Verlag Kremair & Scheriau verlegte (und das später bei Rowohlt als Taschenbuch erschien), entstand als eine kleine Beigabe für die Abonnenten des führenden österreichischen Wirtschaftsmagazins trend (in dessen Chefredaktion ich damals als Konzeptmanager für einen Relaunch tätig war) und seiner wöchentlichen Schwesterpublikation, des Nachrichtenmagazins profil. Dass der trend den „Trend“ im Namen führte und trotzdem einer, der dort verantwortlich tätig war, die Trendforschung munter anging, wurde und wird weiter von den kritisierten Trendforschern süffisant vermerkt. Was sie aber übersehen, ist die Tatsache, dass dieser Titel erfunden wurde, als es das arbiträre Gewerbe der Mietpropheten noch gar nicht gab – 1970. In diesem Jahr erschien als erste vage Andeutung dessen, was sich entwickeln würde, das Aufsehen erregende Werk zweier Stammeltern der heutigen Gurus: Alvin und Heidi Tofflers „Future Shock“ (Toffler 1970). Die Rolle dieses Buches als Fundus an Leitmotiven für die Boulevardforschung wird in einem besonderen Kapitel noch geschrieben. Die Kritiker, die mir Wiederholung vorwarfen, hatten vordergründig umso mehr Veranlassung dazu, als 1997 im Wirtschaftsverlag Überreuter – mit beträchtlichem Erfolg, wie man sagen darf – das „Anti-Trendbuch“ (Rust 1997) aufgelegt wurde, eine erste Aktualisierung des in den frühen 90er Jahren begonnenen Dauerprojekts auf verbreiterter Grundlage. In der Zwischenzeit war das Buch der deutschen Trendforscher Peter Wippermann und Matthias Horx erschienen, das erstmalig und sehr laut den Anspruch erhob, die Trendforschung sei nicht nur eine Wissenschaft, sondern die universelle Wissenschaft der Zukunft (Horx, Wippermann 1996). Aber es kommt noch ein wichtiges Element dazu: Gleichzeitig mit der Vervielfältigung der opportunistisch auf die Interessen von Abnehmern ausgerichteten „Studien“ verdichtete sich der Anspruch auf die Formulierung einer neuen Gesellschaftstheorie, aufgebaut auf einer sozialdarwinistischen Marktideologie, in der die Durchsetzungskraft kreativer Individuen über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Damals entstand die arbeitsmarktpolitische Idee von der Ich-AG. Bis zur Übernahme dieses Begriffs in die Hartz-Konzepte, wo er als Charakterisierung für niedere Dienstleister verkümmerte und schließlich ganz abgeschafft wurde, sollte er eine edle Kongregation der freien Kreativen kennzeichnen, einer Art individualistischer Elite, die unter den verschiedensten Kennzeichnungen das sehr viel früher von Peter Drucker erfundene Etikett des Knowledge Workers variierte. Wie das Geschäft mit derartigen Begriffen funktioniert, lässt sich an den plötzlich aufbrisenden publizistischen Böen ausmachen, die eine Menge gleichartiger Bücher auf den Markt wehten: über das „Prinzip Selbstverantwortung“

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(Sprenger 1999) oder die „Ich-Aktie“ (Lanthaler, Zugmann 2000), variiert von Tom Peters und seinen Vorschlägen zur Entwicklung des „Brand You“, ein Titel, der 2001 vom Econ-Verlag passend zum Trend ichbezogen umformuliert wurde: „Machen sie aus sich eine Ich AG“ (Peters 2001). Des weiteren wurde das Motiv als „Marke Ich“ (Beutelmeyer, Seidl, neueste Auflage 2006), oder auf dem Trendtag des später noch vorgestellten Trendbüros unter dem Titel „Changes – Wirtschaften in Zeiten der Ich-AG“ (2000) und von vielen anderen variiert, die von dieser kurzzeitigen Aufbruchstimmung des unstet beschäftigten modernen Flexisten (Wippermann) oder Portfolio-Workers (Horx) zu profitieren suchten. Dass die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften längst in eine kritische Distanz zu diesen vordergründigen Vorstellungen von der „Wissensökonomie“ getreten waren, bleibt in diesen Konzepten nicht nur unberücksichtigt. Die kritische Auseinandersetzung mit den unliebsamen Konsequenzen der neuen globalisierten Wirtschaftslogik wurde als „Alarmismus“ und Rückständigkeit gebrandmarkt, die Kritiker sahen (und sehen sich bis heute) als linke Alarmisten, bärtige Gestrige, Verschwörer und in rückständigem Beamtentum verkarstete Fossile abqualifiziert.

2.2 Vorwurf kommerzieller Interessen Der Eindruck der Pedanterie eines Außenseiters, der mir in manchen Rezensionen früherer Arbeiten zu diesem Thema angedichtet wurde, kann allerdings dadurch entstehen, dass die Kritik an der hier analysierten Art der Trendforschung und ihren Betreibern bis heute keine gemeinsame Plattform gefunden hat – nicht einmal in der am ehesten betroffenen Organisations- und Industriesoziologie. Zwar haben sich (was ebenfalls in diesem Buch belegt werden kann) eine Reihe renommierter Wissenschaftler mit dem strategischen Opportunismus, dem rhetorischen Konstruktivismus und der methodologischen Scharlatanerie der boulevardesken Trend- und Zukunftsforschung auseinandergesetzt. Doch blieben die Stimmen immer vereinzelt und vor dem Hintergrund der in Kapitel 11 verdeutlichten Prozesse der affirmativen Selbstbestätigung der beteiligten Partner, Trendforscher, Unternehmen und Medien, vor allem aber durch das beispielhafte Präsenzmanagement im Netz kaum von publizistischem Gewicht. Um nur wenige vorwegzunehmen: In einem grundsätzlichen Beitrag des österreichischen Wirtschaftsmagazins trend äußerten sich 2005 verschiedene führende Zukunftsforscher: Gunter Tichy, als (nun emeritierter) Volkswirt und Direktor des Instituts für Technologiefolgenabschätzung einer der führenden österreichischen Wissenschaftler auf dem Gebiet der Foresight-Methoden; der Soziologie Roland Girtler; Peter Zellmann, Leiter des Ludwig Bolzmann-Instituts für Freizeit und 29

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Tourismusforschung und in dieser Funktion auch viel gefragter Referent über die Zukunft des Tourismus; schließlich der bekannte Philosophieprofessor Konrad Liessmann, Autor des Buches „Zukunft kommt! Über säkularisierte Heilserwartungen und ihre Enttäuschung“ (Liessmann 2007). Die „Studien“ des von Matthias Horx gegründeten und einem Netzwerk meist „selbständiger Trendforscher“, freier Berater und Coaches bestehenden Zukunftsinstituts charakterisierten die vier prominenten Repräsentanten der österreichischen Wissenschaft schlicht als Populismus, voll von abwegigen und gefährlichen Interpretationen, als zeitgeistige Propaganda und „Scharlatanerie“ (Forsthuber 2005: 187). Horx beklagte darauf in einem Leserbrief „die übliche Meinungsmache über die angebliche Unseriosität der Trend- und Zukunftsforschung. Regelmäßig marschiert dabei eine Parade älterer Herren als Zeugen für die Unwissenschaftlichkeit unserer Branche auf – ohne dass der Journalist auch nur auf die Idee käme, dass die Herren womöglich eigene Interessen verfolgen“ (Horx 2005d: 286). Das war das zweite Argument neben dem der Wiederholung: Eigene Interessen. Stichhaltig war es und ist es nicht, dieses Argument, dass eigene Interessen durch die Kritik geschützt, wenn nicht gar werblich beflügelt werden sollten. Plausibel wäre es durchaus – und umspielt die Befürchtung, dass der Boulevardforschung durch universitäre Initiativen eine machtvolle Konkurrenz erwachsen könnte. Denn die Sozialwissenschaften haben eine hochdifferenzierte und fundierte Grundlage für die Einschätzung der Tragfähigkeit von Zukunftsvorstellungen. Universitäten und andere akademische Einrichtungen beschäftigen sich schon per definitionem mit der Zukunft: Ihnen ist gewissermaßen der gesellschaftspolitischen Auftrag der geistigen Auseinandersetzung mit der Zukunft in die Satzung geschrieben, weil sie fachliche und andere – so genannte „extrafunktionale“ – Kompetenzen zu vermitteln haben, um jährlich Tausende junger Menschen für Tätigkeitsfelder vorzubereiten, deren künftige Anforderungen im Einzelnen oft unvorhersehbar sind. Es wäre für viele Hochschullehrer eine Leichtes, ein TrendforschungsInstitut zu eröffnen. Zudem sind die Trend-Scouts ja vor Ort: immer wieder neue Generationen von jungen Leuten, die ihre Zukunft planen. Seit Beginn meiner Arbeit in diesem Fach und verwandten Disziplinen wie Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften an sehr unterschiedlichen Universitäten ist es mir ergangen wie jedem anderen Hochschullehrer: Generationen von Studenten haben mit wachem Sinn die methodologischen und intellektuellen Ressourcen dieser Disziplinen genutzt, um sich auf eine eigene Zukunft in Wirtschaft, Medien, Politik und Bildung vorzubereiten. Nun leben sie in dieser Zukunft. Und es sind die interessantesten Gespräche, die sich gerade um dieses Thema drehen, wie der

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biografische Weg verlaufen ist. Das Ergebnis ist eindeutig: Unvorhersehbar. Unverwechselbar. Individuell. Ein größeres Delphi-Projekt ist kaum denkbar – zumal eine wachsende Zahl von Studierenden aus dem Ausland einbezogen werden kann. Viele von ihnen stammen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten des ehemaligen Ostblocks und aus der Volksrepublik China. Mit ihren Ideen für die Transformation klassischer Themen auf die besonderen Gesellschafts- und Wirtschaftsbedingungen in ihren Ländern ergeben sich erstaunliche intellektuelle Öffnungen. In Magister- und Diplomarbeiten sind an meinem Institut beispielsweise die Tendenzen zur Entwicklung des tertiären Sektors in der VR China und anderen Ländern untersucht worden. Gerade in China setzt in diesen Jahren die Forschung zu diesem Wirtschaftsbereich erst ein. In den letzten Jahren ist zumindest im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftssoziologie sicher weit über die Hälfte aller Diplomarbeiten mit Unternehmen zusammen realisiert worden. Zwar sind einige erfolgreiche wissenschaftliche Initiativen auf dem deutschen Markt tätig – wie etwa das Sekretariat für Zukunftsforschung unter der Leitung von Rolf Kreibich. Ihre Präsenz in den Medien aber – vor allem die diese Präsenz tragenden „Google-Publicity“ hängt weit hinter der der Boulevardforscher zurück. Darüber hinaus verengen sich auch indirekt die publizistischen Horizonte, wenn die Boulevardforschung als ernsthafte Quelle von gesellschaftswissenschaftlichen Befunden und Zukunftsentwürfen benutzt wird – wenn, um der gleich noch intensiver dokumentierten Praxis beispielhaft vorzugreifen, etwa im Wirtschaftsmagazin brand eins, einer bemerkenserten Alternative zu manch konservativ aufs herrschende Management bezogenen Wirtschaftsblättern, deren Autor Wolf Lotter Matthias Horx häufig zu Kronzeugen seiner Argumentation erhebt, dies verständlicherweise in einer schwärmerischen Rezension eines Horx-Werkes in amazon.de unterstreicht.

2.3 Wechselseitige Netzwerklegitimation Lotter bejubelt am 27. März 2007 die „Anleitung zum Zukunftsoptimismus“ von Matthias Horx (Horx 2007a), „dieses wunderbare Pamphlet gegen Alarmismus und Angst-Gewinnler. Ein Buch, das gegen die Borniertheit unserer Zeit bleiben wird, eines, das künftigen Generationen lehren wird, in welchen Zeiten wir leben. Dafür ist Horx nicht nur von Herzen zu danken und Erfolg zu wünschen. Wer wirklich was für diese Welt tun will, macht sie besser – indem er soviele Exemplare dieses großartigen Buches kauft und in Verkehr bringt. Ein Meister-

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werk ist eine Sache, die vielen lange nützt. Dies ist das Meisterwerk des Matthias Horx.“ (div. Internetquellen) Dass Lotter gemeinsam mit Horx und anderen dem Netzwerk der selbst ernannten „Klimaskeptiker“ angehört, die auf verbal militante Weise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegen Stefan Rahmstorf und das Potsdam-Institut für Klimaforschung zu Felde zogen (FAZ-net, 17. Mai 2008), dokumentiert die Aktivität des Netzwerkes ebenso wie die Tatsache, dass Lotter auf dem 12. Zukunftskongress 2008 des Horxschen Zukunftsinstituts als hochgelobter „namhafter Experte“ einen Vortrag hielt. Zu derartigen Netzwerken zählen überdies einflussreiche Managerinnen und Manager, so dass eine solche Kritik für jemanden, der auf diesem Markt konkurrieren wollte, eigentlich höchst unvernünftig wäre. Das Netzwerk erweitert sich um die Personen der Wirtschaft, die als Jury und Partner des Zukunftsinstituts den „Zukunfts-Award“ vergeben. Einige der früheren Mitstreiter wechseln die Tonart, wie der damalige Herausgeber der erwähnten österreichischen Wirtschaftszeitschrift, der mich 1994 für eine konzeptionelle Beratung engagiert hatte. Im Jahr darauf entstand die Idee, der damals allmählich aufstrebenden Branche von Trend- und Zukunfts-„Forschern“ und ihren in abenteuerlicher Semantik verbreiteten wirtschaftlichen Ideen eine empirisch fundierte, launige, in essayistischem Stil und damit öffentlichkeitswirksame Kritik entgegenzusetzen. Ergebnis war das oben erwähnte erste Buch: „Trendforschung – das Geschäft mit der Zukunft“. Der Herausgeber schrieb noch 2004: „Einst hielt ich die PremierenLaudatio auf sein Buch. Auch mir missfielen die vielen Scharlatane. Dazu kam, dass ich vom weltberühmten John Naisbitt (‚Megatrends’) enttäuscht war. ... Er verteidigte verbissen sein Werk ‚Asia Trends’, das die Asiaten dramatisch überschätzt, obwohl es auf den Markt gekommen war, als Asien in die tiefste Krise fiel“ (Gansterer 2004: 21). Später, 2007, schrieb Gansterer im Bericht über den von ihm moderierten Zukunftskongress einer Bank über die „Stehaufmandln“ der Trendforschung: „Der Prestigeverlust der Zukunftsforscher-Branche durch den vermeintlichen Naisbitt-Flop brachte einem trend-Mitarbeiter hohen Gewinn: Professor Holger Rust, damals trend-Essayist und Führungskraft des Publizistik-Instituts der Uni Wien, publizierte den Bestseller ‚Das Antitrend Buch – Klares Denken statt Trendgemunkel’. Das Buch troff von Hohn und Häme gegen die ‚Kristallkugel-Fraktion’. Gegen die Skepsis dieses Buches hatte auch Matthias Horx anzukämpfen, dessen Karriere damals in Deutschland und Österreich anhob“ (Gansterer 2007: 17) In der Folge wird Naisbitts jüngstes Buch „MindSet“ als Offenbarung gefeiert. Es enthülle „erstmals das Geheimnis seiner Zukunftsprognosen“. Kritische Stimmen dieser Art sind wichtig. Sie zwingen zu einer Überprüfung der Positionen, mehr noch, wenn sie aus der Soziologie selber stammen.

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Gelegentlich werden Mutmaßungen formuliert, dass an der Methode der Boulevardforschung doch mehr dran sein müsse, als in den verbreiteten Publikationen zu sehen sei und dass Kritiker sich lediglich auf die öffentlich zugänglichen Publikationen bezögen. Pfadenhauer zum Beispiel stellt die Frage, ob die vielfältige mediale Präsenz der Boulevardforschung nicht doch auch ein Indikator für ihre Seriosität sein könne, und ob letztlich die publizistische Oberfläche nicht doch durch eine tieferliegende wissenschaftliche Basis fundiert sei: „Für das von Rust 1996 formulierte Erkenntnisinteresse, ‚wie Trends entstehen, wie sie publizistisch konstruiert und gleichsam aus der Wirklichkeit destilliert werden’, bilden die von ihm studierten ‚Megaseller’ keine hinreichende Datenquelle. Um Aufschlüsse über die soziale Konstruktion von Trends zu erhalten, bedarf es vielmehr detaillierter Beobachtungen der Arbeitspraktiken und Aushandlungsprozesse von Trendforschern. Rusts Interesse gilt weniger der Praxis, sondern dem – sich in Buchauflagen, Nachfrage nach Beratungsdienstleistungen und medialer Aufmerksamkeit manifestierenden – Erfolg von Trendforschern, der ihn zu scharfer Polemik greifen und argwöhnen lässt.“ Dieser Mutmaßung wird die vorliegende Expertise natürlich nachgehen. Aber Pfadenhauer bietet bereits selbst eine Antwort und stellt den Verwertungsnutzen derartiger „Forschung“ fest, die eine neue Art der Sozialwissenschaft begründe: „Erwartbar ist, dass sich am Beispiel der Trendforschung Erkenntnisse über eine Forschungspraxis gewinnen lassen, die durch einen starken Anwendungsbezug zum einen und durch eine dezidierte Orientierung an (vorzugsweise: ökonomischen) Nützlichkeitserwägungen zum anderen gekennzeichnet ist“ (Pfadenhauer 2004: o.S.). Auch diesem Argument wird die Expertise nachgehen – und zwar vor dem Hintergrund der Ansprüche auf eine führende Position der Trendforscher als „Wissenschaftler“. Pfadenhauers Einwurf ist Anlass, noch einmal deutlich zu unterstreichen, dass es für die Soziologie vordergründig unerheblich scheint, auf welche Weise sich Praktiker des Marketing und des Strategischen Management auf die Zukunft vorbereiten. Die Nachfrage existiert offensichtlich, also ist es legitim, dieses Angebot auf allen erdenklichen Kanälen zu verbreiten und zu bewerben. Sowohl aber unter pragmatischen wirtschafts- wie theoretischen wissenssoziologischen Aspekten und im Hinblick auf die methodologischen Ansprüche der Szene ist eine Analyse nicht nur angebracht, sondern erforderlich.

2.4 Methodologische ‚Scharlatanerie’ Der Begriff der Scharlatanerie wird in der Analyse und Beschreibung der Aktivitäten einer breit gefächerten Coaching- und Beratungsindustrie in Deutschland 33

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recht häufig gebraucht. So spricht Stefan Kühl in seiner Coaching-Studie von verbreiteter „Scharlatanerie und Stümperei“ (Kühl 2006). Unternehmensberater werben für sich mit dem Hinweis auf die „Scharlatanerie“ vieler Konkurrenten. Der Journalist Johannes Gross wetterte als Herausgeber der Wirtschaftszeitschrift impulse bereits in der Juniausgabe 1997: „Der Scharlatan ist ja nichts anderes als die betrügerische Gegenfigur zu irgendeiner echten Position. Er bezieht sein Ansehen gerade daraus, dass es die echte Position gibt, aber dass er dank einer überlegenen betrügerischen Werbung weismachen kann, mehr zu leisten, zu vollbringen, erfolgreicher zu sein als derjenige, der dem Gewerbe seriös nachgeht. ... Meistens geht es um Theorien zum angeblich richtigen Management, die einander halbjährlich ablösen, oder um pompöse Wortballungen. ... Diese Theorie-Scharlatane, besonders in den USA und bei uns in pestizilenzialischer Menge auftretend, sind vor allem aus einem Grund schädlich: Sie rauben den echten Unternehmern das, was für diese am kostbarsten ist, nämlich Zeit“ (172). Der Leiter der Daimler-Zukunftswerkstatt „Gesellschaft und Technik“ in Berlin und Palo Alto schrieb im Spiegel vom 3. April 2000: „Seit Ende der achtziger Jahre bevölkern zudem die so genannten Trendforscher das Feld der Zukunftsdeuter. Die haben sich selbst erfunden, weil sie eine lukrative Lücke im Informationsbedürfnis von Unternehmen und deren Management entdeckt haben.“ Scharlatanerie sei das, schlussfolgert der Zukunftsforscher. Zum Stichwort „Trendforschung“ notiert der so genannte „Werbe-Wiki“ des Gesamtverbands der Kommunikationsagenturen: „Richtig ist auf jeden Fall, dass die Trendforschung die Ansprüche an eine seriöse Wissenschaft nicht erfüllt“ (WebDokument 1). Wenn also Wissenschaftler und Journalisten den Begriff der „Scharlatanerie“ benutzen, ist dahinter eine konzeptionelle Kritik zu vermuten und nicht nur belangloses Gerede. Aber auch Trendanbieter sprechen sich wechselseitig (wenn auch ohne Namensnennungen) die Seriosität ab, indem sie vor „Scharlatanen“ warnen. In der Süddeutschen Zeitung vom 19. März 2004 (Online-Ausgabe) schrieb Chris Löwer in einem Betrag zum Thema Trend-Scouts: „Die Trendforschung gilt als Tummelplatz für Schwätzer und Scharlatane, als fröhliche Pseudo-Wissenschaft, die kaum verlässliche Daten liefert. Der Bielefelder Medienpädagoge Dieter Baacke hält sie sogar für nichts weiter als ‚ein geistreiches Unterhaltungsspiel der Gegenwart’. Zu oft haben selbst ernannte Trendforscher Unternehmen mit teuren Fehlprognosen in die Irre geleitet.“ Als Testimonial wird ein – Trendforscher zitiert, Roman Retzbach: Das Vertrauen in Trendforscher sei geschwunden, da viele nur schnelles Geld damit machten, klagt der Kollege. Jetzt müsse Qualität gesichert werden. Retzbachs Institution bietet daher an einer Art PrivatUniversität eine Ausbildung zum Trend Scout an: „Master of Trend Business Management“ an der Trend Academy eines Zukunftsinstituts. Es ist nicht das

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Kelheimer Zukunftsinstitut, sondern ein gleichnamiges, 1920 gegründetes Unternehmen, das unter der URL www.Zukunftsinstitut.com firmiert. Wer das deutsche Zukunftsinstitut unter Website Zukunfts-Institut.de sucht, stößt auf eine dritte, eher ökologisch ausgerichtete regionale Institution in Niedersachsen. Bei der allein unter diesem Namen erfassten Vielfalt ist es umso wichtiger, einen Begriff wie „methodologische Scharlatanerie“ präzis zu fassen. Ich gründe die hier nur unter methodologischen Aspekten zu verstehende Bedeutung des Begriffs auf eine ältere Analyse von Grete De Francesco, erstmals publiziert in Mailand 1936, dann unter dem Titel „Die Macht des Charlatans“ 1937 auf deutsch (Benno Schwabe & Co. 1937) und schließlich zwei Jahre später auf Englisch erschienen: „The Power of the Charlatan“ (New Haven: Yale University Press, 1939), hier im folgenden zitiert aus der Kurfassung „Der Scharlatan“ in der Internetfassung ohne Seitenzahlen (de Francesco 1936). Es handelt sich um eine historische Analyse, die allerdings teilweise zu erstaunlichen Parallelen zur Begründung und zum Präsenzmanagement der Boulevardforschung kommt, wie sich im Laufe dieser Expertise zeigen wird. De Francesco schreibt: „Die Scharlatane aller Zeiten waren Meister der Menschenkenntnis und der Menschenbehandlung, immer mieden sie die denkenden und wendeten sich an die gläubigen Menschen. Die Ausnützung der menschlichen Sehnsucht nach Verwandlung, die tiefstem menschlichem Leid entspringt, das skrupellose Jonglieren mit dem Vertrauen der Hoffenden ist eine der teuflischsten Plagen, von denen die Menschheit heimgesucht wird.“ Ein wesentlicher Aspekt der Scharlatanerie, die sich vor allem in medizinischen Bereichen entwickelt, sei die systematische Ausschaltung der Kritik: „Diskussion konnte gar nicht aufkommen, da die tangierte Basis des Wissens und Handelns eines Scharlatans sich fachlicher Auseinandersetzung von vornherein entzieht. … Und da die Praxis sich der Umhüllung mit Zauberschleiern, der Begleitung mit betörenden Akkorden eher gefügig zeigte, lenkten diese Vernebler des Bewußtseins von jeder Theorie ab, ja sie verhöhnten unter dem Beifall der Menge die theoretisch fundierte Wissenschaft.“ Diese „neue“ Wissenschaft legitimiert sich durch die Strategie der Entwicklung von Neologismen – ist also letztlich nur ein Sprachspiel, aber eines, das mit den Regeln der professionellen Wissenschaft bricht. Die Klarheit der Begriffe, die kategoriale Grundlage der wissenschaftlichen Diskussion, damit auch die unmittelbare Nachvollziehbarkeit und Wiederholbarkeit eines Projekts werden als untaugliche Mittel einer verknöcherten Tradition abgetan. De Francesco zitiert einen Zeugen: Vitali zum Beispiel „eifert gegen die Professoren, die sich in uferlosen Disputen verlieren, anstatt zuzugreifen und zu helfen und in ihren Hörsälen wie in Festungen verschanzen, um mit der Realität, die sie über ihre Irrtümer belehren könnte, gar nicht zusammenzutreffen. Hier wendet sich ein

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menschlicher Typus gegen den andern: die Professoren, denen ihre Bequemlichkeit zuviel gilt und die die Mühen der Reisen scheuen, die weder Klima- noch Luftwechsel an sich selbst erlebt haben und nicht ahnen, wie verschieden auf der Welt die Sitten sind, wie traurige Begegnungen tun und wie einem zumute ist an jenen erfolglosen Tagen, an denen die Menge mit Fingern nach einem zeigt“. An die Stelle dieser professoralen Ignoranz tritt ein Verfahren, das heute „Naming“ genannt wird, ein strategisches Prinzip, das von der Trend-Beraterin Faith Popcorn in die Szene lanciert wurde (dazu mehr im Kapitel 7.3). Die Beliebigkeit dieses Verfahrens zeigt sich, wenn man die Begriffe versucht, in ihrem Sinn zu begreifen: Schon eine Übersetzung ist oft deshalb unmöglich, weil sie zu sinnleeren Ergebnissen führt. „Die mangelnde Sicherheit wurde durch ihre geheimnisvollen Reden, die von der nüchternen Wissenschaft weg zur pittoresken Scheinwissenschaft führen sollten, in jene haltlose Unsicherheit verwandelt, in der die menschliche Seele Scharlatanerien jeder Art so zugänglich ist.“ Die Autorin verweist in ihrer luziden Analyse auch auf ein weiteres Strukturprinzip, das der Scharlatanerie offensichtlich seit langem innewohnt – ihre marktschreierische Publizität und ihr medialer Gestaltungsanspruch. Im Oktober 1789 habe Hufeland in Bertuchs Journal des Luxus und der Moden, geschrieben, erzählt de Francesco: „Das Journal der Moden ist ohnstreitig der schicklichste Ort, wo man von Zeit zu Zeit dem Publikum die neuesten und gangbarsten Modeartikel für Gesundheit, Schönheit, langes Leben und dergl. wird mittheilen können. … Wir leben in den Zeiten der Popularität, und selbst die ernsthaftesten Wissenschaften haben jetzt so gut ihre pedantische Mine ablegen und sich in ein gefälliges Modegewand kleiden gelernt, daß ihnen in keiner Damengesellschaft mehr der Zutritt verwehrt wird. Sie haben sich wirklich unentbehrlich gemacht und wo ist noch ein Zirkel von gutem Ton, in dem man nicht von ElementarFeuer, Magnetismus, Elektrizität, den Ursachen der Dinge, ja von den abstraktesten Gegenständen der Metaphysik, mit einer Leichtigkeit und einem Interesse sprechen höret, die in Erstaunen setzen. Die Medizin war eine der ersten, die die Ehre hatte in Cours zu kommen.“ Wenn also heute jemand damit wirbt, die neuesten Erkenntnisse aus Evolutionstheorie, Komplexitätstheorie, Hirnforschung, Natur- und Geisteswissenschaften generell zu einer für die Unternehmen unmittelbar umsetzbaren „Forschung“ auf universalwissenschaftlicher Basis weiterentwickelt zu haben, wird verständlich, warum Wissenschaftler zu Charakterisierungen wie „Scharlatanerie“ greifen. Auch wenn gelegentlich das Argument vorgebracht wird, man entwickle die eigenen Zukunftsvorstellungen aus der Kommunikation mit dem weltweiten Netz der Zukunftsforscher, bleibt der nun über mehr als ein Jahrzehnt behauptete Anspruch, als Sachwalter einer neuen wissenschaftlichen Epoche aufzutreten.

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3 Regeln professioneller Markt- und Zukunftsforschung

3.1 Akademische Quellen Eine Expertise wird nun weiter fragen müssen, welche Qualitätskriterien eine Studie aufweisen müsste, die wissenschaftliche Erfordernisse erfüllt – das heißt also: für den Auftraggeber die Gewähr bietet, dass er objektiv recherchierte, verallgemeinerbare Ergebnisse erhält, die nicht in vorauseilendem Gehorsam abgefasst sind; dass er also Ergebnisse erhält, die nicht nach Maßgabe eines erkenntnisleitenden Interesses stilisiert sind, die jeden Opportunismus vermeiden und damit eine unbeeinflusste realitätsnahe Perspektive bieten, anhand derer die möglichen mittel- bis langfristigen Konsequenzen des Handelns eingeschätzt werden können. Stefan Kühl qualifizierte Wissenschaftlichkeit in einem Gespräch mit Bärbel Schwertfeger in der Zeit vom 1. Juni 2006 auf die Feststellung der Autorin, dass mit der Behauptung der verbreiteten Scharlatanerie die Studie in der Coaching-Szene für viel Wirbel gesorgt habe: „Die Soziologie nimmt zu ihren Forschungsgegenständen immer eine distanzierte, fast illoyale Haltung ein. Das charakterisiert sie als Wissenschaft. Und erst dadurch kann sie für die Praxis überraschende Einsichten produzieren.“ Rolf Kreibich formuliert seine Kritik nicht minder pointiert, indem er Trendforschung als pseudowissenschaftliche Tätigkeit bezeichnet, die wesentliche wissenschaftliche Kriterien nicht erfülle: Relevanz, logische Konsistenz, Einfachheit, Überprüfbarkeit, terminologische Klarheit, Angabe der Reichweite, Explikation der Prämissen und der Randbedingungen, Transparenz, praktische Handhabbarkeit (Kreibich 2006: 4). Selbst Karlheinz Steinmüller, der sich im Netzwerk des Zukunftsinstituts bewegt und als Vortragsredner über dieses Netzwerk vermarktet wird, teilt diese Kritik: „Obwohl auch die sog. Trendforschung tatsächliche oder angebliche Trends zum Gegenstand hat, darf sie nicht mit methodisch abgesicherten Trendvorhersagen verwechselt werden“ (Steinmüller 1997: 7, Fußnote). Diese ersten Antworten auf die Frage bieten einen ersten Teil der Erklärung für die Erfolgsgeschichte der methodologischen Scharlatanerie: Forschung, die die weltweit und in allen Disziplinen geteilten Standards der akademischen Grundlagen teilt, ist mühsam, aus eben den erwähnten Gründen: Sie bewahrt die Unabhängigkeit der Recherche, folgt klaren und nachvollziehbaren Maximen der Auswertung, legt ihre Methodologie offen und weigert sich, Garantien für strate-

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gisch verwertbare Befunde zu geben. Die international gepflegten Maximen der Forschung (und nicht nur der akademischen Sozialwissenschaften) gelten im Übrigen unabhängig davon, ob es sich um akademische, öffentlich-rechtliche, staatliche oder kommerzielle Träger handelt. Die Interessen können unterschiedlich sein und die Fragestellungen beeinflussen – der Forschungsprozess selber bleibt methodologisch von den Interessen unberührt. Das zweite – ein geradezu kantianischer Imperativ – ist die Publizität aller Schritte der Vorgehensweise, zumindest dann, wenn die Befunde in die Öffentlichkeit lanciert werden und sich mit Zukünften von Menschen beschäftigen (vgl. Kant 1795, Anhang 2). Dass sich viele politische und kommerzielle Institutionen an diese Selbstverpflichtungen halten, wird vor allem in den prekären Fällen deutlich, in denen sie sch weigern, die Befunde ihrer Erhebungen zu veröffentlichen. Eine solche Praxis stellt zwar in den meisten Fällen eine publizistische Dummheit dar, weil sie allerlei Verdächtigungen nährt. Sie zeigt aber auch, dass offensichtlich die Auftraggeber auf die Erhebung keinen Einfluss genommen haben. Das Gegenargument aus dem Lager der freischwebenden „Forscher“ lautet nun, dass „die“ Wissenschaft nicht originell genug sei, dass sie die Anforderungen der „Praxis“ in einer „schnelllebigen“ Zeit nicht erfüllen könne, dass ihre Themen an den individuellen Bedürfnissen der Auftraggeber vorbeigingen, dass mithin also die Intuition der langjährig mit der Wirtschaft verbundenen „hyperbelesenen, pragmatischen Universalisten“ (Matthias Horx) zu weit treffenderen Diagnosen führe als die in ihrer Falsifikationslust befangene „Wissenschaft“. Es ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung, dass dieses Verdikt auch von seriösen Institutionen der kommerziellen Forschung nicht geteilt wird – vorgreifend seien nur wenige genannt: neben der Prognos AG in Basel, oder dem Allensbacher Institut etwa die Burda-Stiftung für das Dritte Jahrtausend, die Forschungseinrichtungen der großen Automobilhersteller BMW, VW, Mercedes zur Zukunft der Mobilität, viele von ihnen bereits in den späten 70er Jahren gegründet. Sie und viele andere zählten zu den Quellen, mit deren Hilfe in den Jahren 2006 und 2007 die methodologische Vergleichsbasis dieser Expertise im Rahmen der Methodenausbildung von Studierenden am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover in einem Empirischen Praktikum unter meiner Leitung erstellt wurde. Dabei wurden alle forschenden Bereiche berücksichtigt: Wissenschaft, öffentlich-rechtliche Institutionen, kommerzielle Unternehmen und ihre Partner, in der Regel Werbeabteilungen großer Unternehmen. Die Basis für die Entwicklung der Qualitätskriterien bildete die Analyse wichtiger Fachbücher der Sozialwissenschaft (darunter Althoff 1993, Atteslander 2006, Bortz & Döring 2006, Clemens & Strübing 2000, Diekmann 2005, Schnell, Hill & Esser 2005, Flick, Kardoff & Steinke 2000, Friedrichs 1980,

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Hopf & Weingarten 1993, van Koolwijk & Wieken-Mayser 1976, Kromrey 1998, Lienert & Raatz 1994, Opp 1999). Da sich die Boulevardforschung in weiten Teilen als eine Art hermeneutischer „Wissenschaft“ sieht, sind – wie die vorgenannte Literaturliste dokumentiert – selbstverständlich auch Arbeiten zu Single-Case-Studies und qualitative Analysen einbezogen worden. Immerhin zählt die Unterweisung in diesem methodologischen Ansatz zu den ganz alten Traditionen der Empirie und der Methodenausbildung. Die Methoden von Paul Lazarsfeld, von Helen und Robert Lynd, Lloyd Warner, Laurence Wylie oder Gordon Allport, Herbert Blumer und mehrerer Generationen von Soziologen der Chicago-Schule sowie die deutsche Tradition der hermeneutischen Arbeit sind ebenso einbezogen wie die französischen Ideen zur Sémiologie – um eine komplexe Frage zu beantworten: Wie lässt sich in der qualitativen Forschung das Problem der Repräsentativität lösen?

3.2 Nichtakademische Quellen Neben diesen Lehrbüchern und Grundlagenwerken zu Methoden und Techniken der empirischen Forschung wurden die Dokumente von Dachverbänden der kommerziellen Markt- und Sozialforschung und (in einzelnen Fällen zusätzlich) die Aussagen der Repräsentanten der in diesen Verbänden zusammengeschlossenen Forschungseinrichtungen in die Analyse einbezogen. Nach einer kursorischen Durchsicht der Präambeln der Dachverbände ADM (Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V.), BVM (Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V.), ASI (Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e.V.), ESOMAR (European Society for Opinion and Marketing Research) und des entsprechenden Weltverbandes konnte bestätigt werden, dass die Manifestationen der Qualitätssicherung wenig Unterschiede zwischen akademischer und kommerzieller Forschung aufweisen. Die Studenten konzentrierten sich daher auf die Aussagen des ADM und des BVM. Beide Institute zusammen bieten ihren Mitgliedern ein Handbuch mit dem Titel „Standards zur Qualitätssicherung in der Markt- und Sozialforschung“. Dieses Handbuch fasst die Grundlagen zusammen und dient als Richtlinie für Weiterbildungsseminare und Schulungen. Ergänzend bieten die Verbände Handbücher zur Qualitätssicherung bei Online-Erhebungen an. Sanktionen bei Verstößen gegen die Kriterien sind nicht vorgesehen (es gibt bei eklatanten Verstößen allerdings die Möglichkeit, Mitgliedunternehmen aus dem Verband auszuschließen; derartige Verstöße beziehen sich aber nur auf ethische, nicht auf methodologische Prinzipien). Darüber hinaus bezog die Analyse Grundsatzpapiere der öffentlich-rechtlichen Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsverbände bzw. -gesellschaften 39

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ein. Eine Umfrage über die Kriterien der Auftragsvergabe für Projekte Marktund Meinungsforschung, die sich an Großkonzerne richtete, brachte leider keinen ausreichenden Rücklauf. Als letzte Quelle dienten schließlich die Dachverbände der teils öffentlichrechtlichen, teils privatrechtlichen Special-Interest-Forschungseinrichtungen, etwa die DeGEval (Deutsche Gesellschaft für Evaluation e.V.) mit 74 institutionellen Mitgliedern. Die DeGEval formuliert Standards, die vier grundlegende Kriterien für Evaluationen betonen: Nützlichkeit, Durchführbarkeit, Fairness und Genauigkeit. Zu den institutionellen Mitgliedern zählen zum Beispiel die Fraunhofer-Institute, das Hamburgische Weltwirtschafts-Institut, das Deutsche Jugendinstitut, das Bundesinstitut für Berufsbildung, das Institut für Mittelstandsforschung an der Universität Mannheim, die Sozialforschungsstelle Dortmund, das Auswärtige Amt und eine Reihe von Beratungsunternehmen. Die vier Kriterien sind im einzelnen ausgeführt, wobei hier insbesondere die Regel zu erwähnen ist, nach der die Verfahren zur Gewinnung von Daten „so gewählt oder entwickelt und dann eingesetzt werden, dass die Zuverlässigkeit der gewonnenen Daten und ihre Gültigkeit bezogen auf die Beantwortung der Evaluationsfragestellungen nach fachlichen Maßstäben sichergestellt sind. Die fachlichen Maßstäbe sollen sich an den Gütekriterien quantitativer und qualitativer Sozialforschung orientieren.“ Ähnliche Prinzipien finden sich in den Dokumenten der Leibniz Gemeinschaft, in deren 6 Sektionen die Forschungsbereiche „Geisteswissenschaften und Bildungsforschung“, „Wirtschafts- und Sozialwissenschaften“ sowie „Raumwissenschaften“, „Lebenswissenschaften“, „Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften“, „Umweltwissenschaften“ repräsentiert sind. Eine Liste der umfangreichen Mitgliedschaft zeigt erneut eine enorme Bandbreite der Forschungsschwerpunkte und Kompetenzzentren. Im § 2, Absatz 2, Punkt h ihrer Satzung verweist die Leibniz Gemeinschaft auf ihre Funktion der „Sicherung und Stärkung der Qualität, Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedseinrichtungen, insbesondere durch die Entwicklung und Durchführung von Verfahren zur Leistungsbewertung.“ Der Erfahrungsaustausch zwischen den mehr als 100 institutionellen Mitgliedern wird durch einen „interdisziplinären Verbund Serviceeinrichtungen“ gefördert. Weiter sind die Dokumente der Max Planck Gesellschaft durchgesehen worden, die ihre Forschungsschwerpunkte auf biologischmedizinische, chemisch-physikalisch-technische und geistes-, sozial- und humanwissenschaftliche Fragen legt. Dazu dienten die Satzungen der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e.V. und ihrer sieben Mitgliedsvereinigungen ebenso als Quellentexte wie methodologischen Grundlegungen der akademischen Institutionen, die sich definitiv mit Technologiefolgen, Prognosen, Systemanalysen und Zukunftsforschung beschäftigen.

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In den genannten Dokumenten sind alle Stellen markiert worden, die technische Anweisungen zur Konstruktion eines Projektes enthielten. Als Basis für die Konkretisierung dienten die Checklisten, die in einigen der Bücher, Anweisungen und Dokumente angeboten werden. Bei den wissenschaftlichen Einführungswerken und weiterführenden Spezialpublikationen wurden die Inhaltsverzeichnisse als strukturelle Vorgaben behandelt. So entstand eine Gesamtliste der als unabdingbar erachteten Kriterien professioneller Forschung (deren Kernelemente nachweisliche Reliabilität, Validität und – mit Einschränkungen bei kommerziellen Auftragsforschungen – Publizität darstellen). Im Vergleich aller der auf diese Weise erfassten Listen wurden die sich wiederholenden und als unabdingbar erklärten Einzelschritte dann in zehn Punkten zusammengefasst. Diese zehn Punkte dokumentieren den Minimalkonsens aller in der staatlichen, öffentlich-rechtlichen und privatrechtlich betriebenen Forschung tätigen Einrichtungen und Personen. Gleichzeitig bieten sie eine vollständige Liste der Qualitätskriterien, die mindestens erfüllt sein müssen, damit von einer qualitativ zufriedenstellenden Forschung gesprochen werden kann. Zur Validierung der Punkte wurde ein Teil der Dokumente dann mit den auf diese Weise erarbeiteten Punkten erneut analysiert.

3.3 Kriterien für Forschungsqualität 1. Fragestellung Klare Formulierungen, die einen für die angesprochene Öffentlichkeit erkennbaren Problemhorizont umreißen und als Leitlinie für die Untersuchung gelten können. Fundierung der späteren Plausibilitätsprüfungen, die sich auf diese Elemente rückbeziehen lassen. Ausgangspunkt für die Operationalisierung (Hypothesen, Annahmen, Elemente für Leitfäden qualitativer Erhebungen). 2. Operationalisierung Übersetzung der einzelnen Elemente der Fragestellung in empirisch überprüfbare Elemente (Hypothesen, Untersuchungsschritte, einzelne Fragestellungen und Elemente von Leitfäden für qualitative Erhebungen). Basis der abschließenden Interpretation und Publikation. Ebenfalls Basis für die Wiederholbarkeit einer Studie.

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3. Methode Wahl der zur Beantwortung der Fragestellung angemessenen Vorgehensweise: Befragung, Beobachtung, Content- oder Dokumentenanalyse, Experiment (oder eine aus mehreren Optionen kombinierte Vorgehensweise); Kennzeichnung der Erhebungsstrategie bei qualitativen Analysen, etwa explorative Gespräche, Expertenbefragung zu Dokumenten. 4. Technik Umsetzung der Methode in definierte Schritte; Entscheidung für strukturierte oder offene Vorgehensweisen; bei quantitativen Erhebungen etwa Transformation der Items in Skalen (auf Nominal-, Ordinal- oder Intervallskalen-Niveau); Entwicklung von Leitfäden für die Beobachtung oder Dokumentenanalyse im Falle qualitativer Analysen. 5. Stichprobenverfahren Begründete Auswahl aus Grundgesamtheit in Bezug auf die angemessene Repräsentation der in der Fragestellung angesprochenen Elemente, entweder durch Totalerhebung, systematische Zufallsauswahl, Quotenverfahren, Cluster- oder in Einzelfallanalysen und qualitativen Erhebungen typografische Samples. Bei selbstrekrutierten Samples oder auffälligen Single Cases, die Interesse wecken (wie etwa in der „Grounded Theory“) die rückwärtige Entwicklung einer Fragestellung, die Identifikation relevanter Elemente für eine Operationalisierung und die klare Einordnung in einen Bezugsrahmen. Im Falle von Sekundäranalysen – auf die sich boulevardeske Trend- und Zukunftsforschung sehr oft beziehen, gelten die Regeln der Stichprobenverfahren analog: Die Studien, auf die sich Autoren von Sekundäranalysen beziehen, müssen auf ihrem Bezug zur Fragestellung überprüft werden. Gleichzeitig muss nachgewiesen sein, dass die Samples der jeweils benutzten Studien kompatibel sind. 6. Messtechnische Operationen (Feldarbeit) Überprüfbar verlässliches Vorgehen ohne subjektive Einflüsse durch Interviewer oder ungewollte Reaktivität der Techniken auf unterschiedliche Untersuchungsbereiche, -zeitpunkte oder -orte. Bei qualitativen Verfahren und Einzelfallstudien sollen die Gesprächsprotokolle oder Transkripte sowie die Leitfäden der Ge-

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sprächsführung bzw. Beobachtung ersichtlich sein und die unbeeinflusste Repräsentation der Untersuchungsobjekte widerspiegeln. 7. Auswertung Extrapolation der Ergebnisse der messtechnischen Operation, Beschränkung auf die in den Operationen statistisch als signifikant nachweisbaren Konstellationen von Variablen, die sich auf die Fragestellung beziehen. In qualitativen Analysen Nachweis definitiv signifikanter Konstellationen von Motiven. Die nun fast hundert Jahre umfassende Auseinandersetzung mit der Methodologie der Single Case Studies legt – zusammengenommen und trotz ihrer Vielfalt – klare Regeln nahe, die eine unkontrollierte Spekulation der explorativen Vorgehensweise verhindern sollen (vgl. dazu Dukes 1965). Wenn verschiedene Einzelfälle in einen gemeinsamen Zusammenhang überführt werden, in dem sie jeweils für sich als Repräsentanten bestimmter Ausdrucksaktivitäten gelten, ist ein Mindestmaß an gemeinsamer Beziehung zur Fragestellung notwendig. Dieses Maß kann – analog zur statistischen Validierung unterschiedlicher Studien einer Sekundäranalyse – auch statistisch errechnet werden, wenngleich dieser Aufwand meist gescheut wird. Näheres zu den Möglichkeiten der Verknüpfung idiografischer Studien und dem Nachweis statistischer Repräsentativität auf der Grundlage philosophischer Überlegungen finden Interessenten in den Arbeiten des Psychologen James T. Lamiell (vgl. z. B. Lamiell 1981). 8. Validierung Gültigkeitsprüfungen durch statistische Verfahren oder Plausibilitätsnachweise. Deutlicher Bezug zu den definitiv nachweislichen Daten und Befunden. Eventuell Fremdeinschätzungen durch unabhängige Beobachtung. Bei Einzelfallstudien (in betriebswirtschaftlicher Terminologie oft auch „Best Practices“ genannt) ist eine Konstruktvalidierung notwendig, wenn Verallgemeinerungen getroffen werden. Das heißt: die Reichweite eines Best Practice-Beispiels muss durch den Nachweis der Übertragbarkeit der demonstrierten Prinzipien bestimmt werden. Im Übrigen verweist ein großer Teil der Fachbücher und Dokumente auf die Notwendigkeit von Falsifikationsversuchen – einer empirischen Prüfung durch eventuell widersprüchliche Beobachtungen.

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9. Interpretation Nach der Phase der auf die Einzelelemente der Operationalisierung konzentrierten Auswertung, beginnt der Diskurs über die in den messtechnischen Operationen erarbeiteten und validierten Informationen auf der Grundlage theoretischer Bezugsrahmen. In diesem Punkt unterscheiden sich die Lehrbücher. Zwei Lager sind zu unterscheiden: das erste geht davon aus, das bereit bei der Fragestellung die Theorien als Ausgangspunkt einbezogen werden. Die zweite nutzt Theorien zur abschließenden Klärung der Bedeutung von empirischen Daten. 10. Bericht Vollständige Darlegung aller zum Verständnis der Reichweite von Interpretationen notwendigen Schritte von der Entwicklung der Fragestellung über die Auswahl von Methoden und Techniken und die Bestimmung von Stichproben aus einer für die Fragestellung relevanten Grundgesamtheit bis hin zur nachvollziehbaren Beschreibung der Feldarbeit bzw. Dokumentenanalyse.

3.4 Publizistische Aufbereitung Erst mit der Erfüllung dieses von allen in die Analyse der Qualitätskriterien aufgenommenen Institutionen und Expertisen für wichtig erachteten „Publizitätsgebotes“ ist eine Qualitätseinschätzung der Befunde möglich. Über die Interpretationen hinaus sind Spekulationen und Prognosen, Zukunftsentwürfe und normative Konsequenzen denkbar. Damit ist aber dann die Grenze der „empirischen“ Arbeit überschritten. Keine Wissenschaft kann letztlich kontrollieren, was Journalisten aus ihren Befunden machen. Insofern sind auch die Hunderte von „Studien“, die wöchentlich in den Spalten unter „Vermischtes“ vor allem in Zeitgeist-Magazinen auftauchen, selten auf ihre Validität zu prüfen. Wenn aber die „Studien“ schon im Hinblick auf bestimmte publizistische Effekte einerseits und die Garantie verwertbarer Befunde andererseits konzipiert werden, verliert Forschung ihre Unabhängigkeit und überschreitet die Grenze zur methodologischen Scharlatanerie – beziehungsweise; sie ist keine Forschung mehr, sondern „Marketing“. Bei kommerziellen Projekten gelten diese Regeln der Publizität selbstverständlich nur dann, wenn die Auftraggeber einer öffentlichen Präsentation der Ergebnisse zustimmen – oder diese Befunde bereits auf eine strategische Publizität hin angelegt sind, zum Beispiel bei der „Zukunftsforschung“ der Unterneh-

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mensberatung McKinsey etwa zum „War for Talent“ (Michaels 1997) oder zu den Perspektiven des deutschen Mittelstandes bis 2020 (Web-Dokument 2). Im Falle der Trend- und Zukunftsforschung scheint das nicht immer der Fall zu sein. Zumindest die publizierten Ergebnisse spiegeln in der überwiegenden Zahl die Interessen der Auftraggeber wieder. Das Problem ist, dass Projekte mit negativem Ergebnis sich nicht für eine Pressemitteilung eignen, die immer auch Marketingabsichten realisiert. Publizierte Studien oder Einzelbefunde aus Studien dienen in der Regel dazu, die Linie des Strategischen Managements zu legitimieren und den Ausblick auf die Zukunft eines Unternehmens positiv darzustellen. Gleichzeitig haben derartige Studien einen Werbewert für das durchführende Institut oder die Agentur. In den meisten Fällen, die in dieser Expertise analysiert werden, gilt die Strategie der doppelten Vermarktung opportuner Befunde. Mit der Publikation von Befunden in den Medien als Folge von Pressemitteilungen eröffnet sich allerdings ein anderes Problemfeld: das der journalistischen Verarbeitung von offensichtlich legitimatorischen Studien – also von empirischen Ergebnissen, die zu nichts anderem verfertigt worden sind als zu Marketingzwecken. Nachrichtenagenturen und Redaktionen sehen sich mit drei verschiedenen Angeboten konfrontiert: erstens Befunde, die Markt- und Meinungsforschungsunternehmen auf eigene Rechnung betreiben, um ihr Profil darzustellen und über die Medienberichterstattung spektakulärer Befunde einen unbezahlten werblichen Auftritt zu erlangen. In vielen Fällen greifen auch SachbuchAutoren, die ihren Marktwert steigern wollen, zu einer derartigen Strategie; zweitens sind es Unternehmen, die – wie bereits beschrieben – ihre strategische Ausrichtung legitimieren und ebenfalls damit einen werblichen Vorteil erwirtschaften wollen, dass die für sie erarbeiteten Befunde zu einer eigenen Geschichte avancieren; drittens schließlich – und das ist in der Mehrzahl der Fälle so – werden Studien von beiden Partnern, den Auftraggebern und den durchführenden Agenturen zu Marketingzwecken genutzt – wobei Abstrahlungseffekte der jeweiligen Images für werbliche Auftritte wechselseitigen Nutzen bringen. Mitunter werden Nachrichtenagenturen und Redaktionen Befunde angeboten, die als Eigenstudien der Forschungseinrichtungen deklariert sind, in Wahrheit aber Auftragsstudien für bestimmte Unternehmen sind. Derartige Praktiken sind bereits zu Beginn der 90er Jahre von Jay Conrad Levinson als „Guerilla Marketing“ bezeichnet worden (Levinson 1992). Verständlicherweise reagieren die beschriebenen professionellen „ContentProvider“ auf diese Entwicklung: vor allem Marktforschungsinstitute und Unternehmen, aber auch Unternehmensberatungen und Trendforscher, die eine preiswerte Möglichkeit zur Vermarktung ihres Namens und ihrer Dienstleistungen entdecken. Sie setzen dabei auf die Überzeugungskraft der mit dem Wort „Stu-

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die“ verbundenen Assoziation „Wissenschaft“. Allerdings verdünnt sich diese instrumentell eingesetzte Qualifikation zusehends zu einem leeren Versprechen, das auf Dauer sowohl den Abnehmern als auch der ernsthaften Wissenschaft erheblich schaden könnte – vor allem auch deshalb, weil sich in dieser publizistischen Szene professionelle (akademische wie kommerzielle) Wissenschaftler, Produzenten von Marketing-Studien und oberflächliche Boulevardforschung munter mischen. Die Konferenzen der World Future Society oder der Lucerne Futurist Conference bieten das gesamte Spektrum an Referenten. Die Abstrahlungseffekte der professionellen Wissenschaftler aus Universitäten und Unternehmen auf boulevardeske Futuristen bietet eine willkommene Legitimation – vielleicht sogar einen inspirierenden Austausch. Ein erhebliches Problem entsteht aber durch den publizistischen Verdrängungswettbewerb, in dem Marketing-Studien, Boulevardforschung und methodologische Scharlatanerie als professionelle Sozialwissenschaft ausgegeben wird. Das wichtigste Hilfsmittel dabei ist der „rhetorische Konstruktivismus“, der die klinische Klarheit der Wissenschaftssprache zugunsten vorgefertigter Medienbegriffe überlagert. Die Akzeptanz ist, wie sich im nächsten Kapitel zeigen wird, keineswegs nur auf dem eher unwichtigen Terrain der Trendbegriffe für oberflächliche Moden die Regel, sondern auch bei wichtigen sozialwissenschaftlichen Grundfragen. Mit dieser Praxis wird sozusagen ein Kulisse – ein Bezugsrahmen – für die Boulevardforschung der Trendszene aufgebaut.

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4 Studien und rhetorische Konstruktionen als Agenda Setting

4.1 Jammerkultur, faule Professoren, arrogante Elite Die Agenda der publizistisch attraktiven „Studien“ ist strukturell von wenigen Elementen geprägt: Ein Dauerthema ist die Befindlichkeit der Deutschen, über die ungezählte Bücher publiziert wurden, von Elisabeth Noelle-Neumanns „Verletzte Nation“ (Noelle-Neumann, Kroecher 1987) bis zur publizistisch zum ultimativen Psychogramm einer Nation emporgejubelten „Studie“ des RheingoldInstituts, Stephan Grünewalds „Deutschland auf der Couch“ (Grünewald 2005). Die in den Medien immer wieder zitierte Mitteilung zum Buch lautete so: „Viele Menschen haben vor allem in ihrem Beruf das Gefühl in einem ewigen Hamsterrad zu stecken. Sie reiben sich bei hoher Drehzahl auf. Wenn sie zur Ruhe kommen, wissen sie oft gar nicht mehr, welchem Sinn sie überhaupt gefolgt sind. Stephan Grünewald beruft sich in seinem Ausführungen auf eine eigene, aktuelle Gesellschaftsstudie, die insgesamt 20.000 Deutsche nach ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten befragt hat“, dies durch die „beinahe hundert freien Psychologen von Rheingold, die in den letzten vier Jahren über 20.000 Tiefeninterviews durchgeführt und analysiert haben. Ihre engagierte psychologische Arbeit bildet das empirische Fundament für alle Überlegungen des Buches.“ Die Frage, ob die zu einem Sammelsample angehäuften „Studien“ überhaupt insgesamt zu den jeweiligen Fragen auszuwerten waren, bleibt offen. Dafür rühmt der Urheber der Methode, Wilhelm Salber, die Strategie der „Morphologischen Tiefeninterviews“ selbstbewusst als Alternative zur herkömmlichen Wissenschaft: „Von den psychologischen Setzungen einer Aufklärungspsychologie her ist dieser umfassende, unbewusste Seelenbetrieb weder zu verstehen noch zu behandeln. Wenn von Kognition, Erkenntnis, Gefühl, Trieben, Ich, Wille, Bewusstsein gesprochen wird, lässt man sich auf Vorurteile ein, von denen man nichts weiß, die die unheimlichen Probleme seelischer Gestaltbildung verdecken, die auch durch Nasenzählen und exakte Definitionen nicht zu verbessern sind“ (Web-Dokument 3). Diese wissenschaftstheoretische Alternative wird im Rheingold-Institut zu einem kommerziellen Alleinstellungsmerkmal, das sich sowohl gegen andere Marktforschungsmethoden als auch gegen die klassische Wissenschaft abzusetzen sucht.

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Die Beliebigkeit des Einsatzes solcher methodologischer Originalitäten zeigt sich am grundlegenden Widerspruch, den die „Studie“ offenbart: Auf der Website des Unternehmens ist als Besonderheit der Forschung die fortscheitende Individualisierung der Gesellschaft angegeben: „Aktuelle Rheingold-Studien zeigen den Hintergrund für diese Schwierigkeiten: Es gibt immer weniger konstante Verhaltensmuster, die Gruppen oder Personen komplett prägen! Konsumenten sind heute schizophrene, multiple Persönlichkeiten, die je nach Kontext unterschiedliche Verhaltensmuster entwickeln. …Das Ausleben möglichst vieler Verfassungen, Gestimmtheiten prägt ihr Konsumverhalten“ (Homepage). Dieses Verkaufsargument steht also in unvereinbarem Widerspruch mit der Auswertung der sich auf 20.000 Befragte summierenden Einzel-Studien, die eine durchgängige Mentalität „der“ Deutschen diagnostiziert. Dass – abgesehen davon – „Lebensstile“ und Befindlichkeiten der Deutschen seit vielen Jahren Gegenstände groß angelegter Panelstudien auch anderer ernst zu nehmender kommerzieller und akademischer Forschungseinrichtungen sind, die oft viele Jahre umfassende staatliche Großprojekte abwickeln, bleibt tunlichst unerwähnt – auch in den artigen Berichten der Medien, die „Deutschland auf der Couch“ hundertfach entzückt als soziologische Zeitdiagnose interpretierten (vgl. Kapitel 11.2). Gerade der akademische Bereich steht unter besonderer Beachtung des aufmerksamen Journalismus, der hier ohne weitere Gegenrecherche alle Befunde abdruckt. Im Ergebnis erscheint die metaphorische Forschungspoetik der kommerziellen Anbieter und ihrer Presseaussendungen als realistische Beschreibung der Alltagswelt, während die Kategorien der Sozialwissenschaft als „lebensfernes Soziologenchinesisch“ diskreditiert werden. Wenn nicht ärger: Professoren generell als Rechtsbrecher, Nebenjob-Millionäre, Rabenväter ihren Studenten gegenüber, Lobbyisten, Sklaventreiber, Seelenverkäufer und Neurotiker beschimpft werden, wie in der „Studie“ über den „Professor Untat“ (Kamenz, Wehrle 2007), in der sich noch einmal illustrativ das gesamte Arsenal der auf publizistische Wirkungen getrimmten „Forschung“ zeigt. Methodologischer Ausgangspunkt war eine Stellenanzeige in der Zeit, in der nach Professoren gesucht wurde, die mindestens zwei Tage in der Woche Zeit für einen Nebenjob aufwenden konnten. Ein Dienstwagen werde gestellt. Das Echo auf diese Anzeige wird von den Autoren als entlarvende Selbstbezichtigung der deutschen Professorenschaft gefeiert: „Unser Köder schien zu schmecken. Mit fünf bis zehn Zuschriften hatten wir gerechnet – von 44 Bewerbungen deutscher Professoren wurden wir überflutet“ (168). Wo bei Grünewald das Argument der überwältigenden Zahl (20.000!) ein wichtiges Kriterium für die breite Rezeption der Studien in den Medien darstellte, reicht hier eine im statistischen Sinne absolut insignifikante Größe zur Fundierung einer empirisch anmutenden „Studie“, die alle skizzierten Motive virtuos nutzt und einige weitere

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berührt – unter anderem die fundamentale Kritik an Deutschlands Bildungssystem. Es wird sich zeigen, dass die boulevardeske Trendforschung dieses Motiv begeistert aufnimmt und in ihren gesellschaftstheoretischen Ausführungen verdichtet. Der „Köder“, der von einer Vielzahl von Medien ungeprüft und ohne Verwunderung aufgenommen wurde, bediente in opportunistischer Affirmation, was erwartet wurde. Die Studenten, die in einem Forschungsseminar über Qualitätsmanagement von Empirischer Forschung arbeiteten, versuchten die exakte Ausschöpfung des selbstrekrutierten Samples auf der Grundlage der Grundgesamtheit (Leser der akademischen Stellenanzeigen der Zeit) zu evaluieren, was sich als unmöglich herausstellte, da der Zeitverlag Gerd Bucerius keine Angaben darüber machen konnte, wie viele von den insgesamt 488.294 Exemplaren und den 307.924 Abonnenten (Stand: 2007) der Zielgruppe „Professoren“ zuzurechnen sind. Auch wenn nur 5.000 Leserinnen und Leser der Stellenanzeigen in der Zeit die Anzeige wahrgenommen haben, wäre die Rate des Erfolgs noch unter einem Prozent. In einer Vielzahl von Rezensionen wurde das Motiv gleich erweitert, indem man die Professoren als Repräsentanten der „Elite“ verortete. Seit Januar 2004, als die SPD auf ihrer Weimarer Klausur die Idee der „Elite-Universitäten“ entwarf, zählt dieses Thema zu den Bestandteilen heftiger Boulevard-Debatten. In diesem Jahr hat die Reportage von Julia Friedrichs (Friedrichs 2008) den Wettbewerb um die Medienresonanz gewinnen können und die bis dahin als Zitiervorlage genutzte Arbeit von Michael Hartmann über den „Mythos von der Leistungselite“ aus den Schlagzeilen verdrängt. Wenn die Journalistin Aussagen über die künftige Elite Deutschlands auf der Grundlage ihrer Besuche in „Eliteschulen“ und „Elitehochschulen“ trifft, moduliert sie die beschriebenen methodologischen Prinzipien erneut und höchst erfolgreich: die Verengung des Samples auf die Gruppe, die in der Kritik steht, ohne die Grundgesamtheit derer zu berücksichtigen, die in Deutschland zur Elite zählen und zählen werden. Die Fragestellung enthält keine Definition, auf deren Grundlage sich die Befunde objektiv interpretieren ließen. In der Verlagsankündigung erfährt die umworbene Leserschaft, dass die Autoren ein Jahr lang „an Elite-Universitäten, Elite-Akademien, Elite-Internaten“ recherchiert habe. „Sie taucht ein in eine Welt, in der Menschen, die weniger als siebzig Stunden pro Woche arbeiten, ‚Minderleister’ heißen, in der zwanzigjährige Eliteanwärter Talkshow-Auftritte trainieren und Teenager Karriereberatungen buchen.“ Belege? In einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung spricht Friedrichs von „einem Topmanager in einem Workshop“, der das Wort „Minderleister“ benutzt habe. Und ergänzt die These durch einen weiteren Beleg: „Ein McKinsey-Berater“ habe ihr „kürzlich“ gesagt, er habe Angst vor sich selber bekommen. Und auf dem Campus der European Business School seien „sehr

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viele junge Männer mit sehr ähnlichem Stil“ unterwegs gewesen (alle Zitate aus FAS, 17./18. Mai: C 4; Hervorhebungen von mir).

4.2 Sex und das ‚Zukunftsinstitut’ Die dritte medienwirksame Kategorie von „Studien“ beschäftigt sich mit Sex und Sexualverhalten – meist mit dem Verweis auf evolutionsgeschichtlich ausgeprägte Paarungsverhalten, wie eine kurzzeitig durch eine Unzahl von Medien geisternde „Studie“ mit dem Nachweis, dass Männer angesichts der Bilder von blonden Frauen verblöden. Noch medienwirksamer aber – und damit gerät das ultimative Kernthema aller erwähnten Studien wieder ins Blickfeld – ist die Verknüpfung von Sex und Zukunft. Am 20. Dezember 2007 erscheint mit Verweis auf eine dpa-Meldung in einer großen Zahl von Print- und OnlinePublikationen (unter anderem in ZDF online und Zeit online) eine „Studie“ über die sexuelle Entwicklung der Zukunft: „Sex Styles 2010“. Die Botschaften stammen aus dem Zukunftsinstitut des Matthias Horx. „Nach Einschätzung von Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx ist schlechter Sex zu einem der häufigsten Trennungsgründe geworden“, berichtet die Pressemitteilung. „In vielen Beziehungen werde daher Sex immer häufiger inszeniert und dafür würden Kulturtechniken eingesetzt, ‚die es früher nicht gab’, so Horx, der diese Erscheinung ‚Gourmet-Sex’ nennt.“ Und weiter: „Hätten sie allerdings sich einmal für einen Lebenspartner entschieden, dann wollten die Menschen wieder länger zusammen bleiben, so Horx. ‚Dann müssen sie den Sex inszenieren. Eine Sexualität, die nicht mehr Kuschelsex und Triebabfuhr ist, sondern die inszeniert ist wie ein Sechs-Gänge-Menü’. Dazu gehörten Fetischisierung, Verabredungen und Inszenierung. Erotische Wäsche und Sexspielzeuge etwa fänden enormen Absatz, so der Forscher.“ Was erst im Laufe der geradezu hektischen Reproduktion dieser „SexTrends“ ganz allmählich hier und da in die Zeilen rückte, war die Tatsache, dass die Beate Uhse AG bei Horx eine „Studie“ in Auftrag gegeben hatte, die eben dieses Thema behandelt. Im August 2007 verkündete Otto Christian Lindemann, Vorstandssprecher von Beate Uhse auf Grund der wirtschaftlich prekären Situation des Unternehmens: „In einem Change-Prozess werden die Strukturen und Funktionen des Unternehmens analysiert und reorganisiert, um neue Märkte und Zielgruppen pro-aktiv zu erschließen. Erkenntnisse über Kundentypen und für die Erotik relevanten Megatrends in der Gesellschaft liefert eine beim Zukunftsinstitut Matthias Horx in Auftrag gegebene Studie.“ Fortan wolle man auf gehobenen Life-Style setzen.

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Die „Studie“ identifiziert eine Reihe von Zielgruppen, die nach dem bereits angedeuteten Muster exotische Kennzeichnungen erhalten wie Pleasure Parents, Cool Cats oder eben Sex Gourmets und in Potenzialen zahlenmäßig umrissen werden. Insgesamt errechnete das Institut für den Sexartikel-Produzenten ein Potenzial von 25 Millionen Kunden. Wie diese Zahlen zu Stande kommen, welche Methoden angewendet worden sind, ob Cluster- oder Faktorenanalysen benutzt wurden, welche Samplekonstruktionen der Arbeit zu Grunde liegen, wie die Statistik hochgerechnet wurde – alles das bleibt offen. Das Unternehmen unterrichtete die Presse mit diesen Worten: „In seiner Studie kristallisiert Matthias Horx fünf Megatrends heraus, die wegweisend sind für die Erotik in unserer Gesellschaft: Individualisierung, Frauen, Silberne Revolution, Digitalisierung, Wertewandel. Aus diesen Trends kristallisieren sich neue Lebensstile heraus, die die erotische Kultur von morgen bestimmen. Heute sind es die Avantgardisten, die Innovatoren, die sich bewusst aus den klassischen Rollen herausbewegen und vorleben, was morgen meanstream ist.“ Der kleine Lapsus mit dem „meanstream“ trägt sicher zur Unterhaltsamkeit dieser Art von Marketing bei. Wichtiger ist aber der an diesem Beispiel noch einmal dokumentierte strategische Opportunismus der vorgeblichen Forschung, die sich nach den Marketingerfordernissen von Auftraggebern oder nach der Verkäuflichkeit der Themen richtet und die empirischen Befunde danach ausrichtet (Web-Dokument 4). Trotz der bereits im August 2007 hoffnungsfrohen Verkündigung der Kooperation des Konzerns mit dem Zukunftsinstitut entwickelten die Anleger völlig andere Zukunftsvisionen. Die Aktie, die zu diesem Zeitpunkt bei ca. 4 Euro notierte, verlor weiterhin so dramatisch, dass die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz das Unternehmen auf ihrer „Watchlist“ 2007 unter die „größten Wertvernichter“ einstufte. Seitdem ist der Kurs weiter gefallen. An dieser Stelle interessieren aber nur die Forschungs- und Publikationsstrategien des Zukunftsinstituts (und wie sich zeigen wird, seiner vielfältigen, auf demselben Geschäftsfeld tätigen Konkurrenten) unter den skizzierten methodologischen Gesichtspunkten: Fragestellung, Operationalisierung, Sampling, die konkrete Methode, eine nachvollziehbare Semantik, relativierende Begrenzungen der Reichweite, Validitätsnachweise. Das Ergebnis überrascht nicht: Die Argumentation ist anekdotisch affirmativ. Das Leitmotiv der Arbeit prägt die Suche nach Belegen. Verkäuflichkeit und publizistische Attraktivität bilden prägende Elemente der Themenfindung und -umsetzung. Der Feuilletonismus und die boulevardeske Form der Präsentation gelten als Unterscheidungsmerkmale gegenüber einer realitätsfernen Wissenschaft. Wer die empirischen Arbeiten der sexualwissenschaftlichen Institute in Deutschland zu Rate zieht, um mit Hilfe externer Kriterien die Validität der „Sex Styles 2010“ einschätzen zu können,

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findet nicht einen Hinweis auf die von Horx erfundenen oder ohnehin bekannte und vom Zukunftsinstitut umgetauften Teilzielgruppen. In weiteren „Studien“ dieser Art lässt sich die Beliebigkeit dieses rhetorischen Konstruktivismus immer wieder anschaulich und unterhaltsam belegen. So erfindet Horx für die Zeitschrift emotion, die der Verlag Gruner + Jahr 2007 lancierte, die kaufkräftige Gruppe der von ihm so genannten „Glücksstrateginnen“. Da sei zum Beispiel die Self-Designerin. Sie „managet sich ihr Lebensglück.“ 51 % der emotion-Leserinnen verkörpern laut Studie diesen Typus. Die in der Leserinnenschaft mit 25 Prozent angesetzte Sterntalerin pflege Optimismus als Glücksstrategie, während die Pippilotta-Deluxe ihr Glück in der Optionalität suche und damit immerhin noch 15 Prozent der Käuferinnen repräsentiere, die Glücks-Diana hingegen ihrem Glück unverdrossen nachjage, aber nur 9 Prozent aufbiete. Ihr Lebensmotto sei: Auf Regen folgt Sonnenschein (WebDokument 5). Irritierend an Studien dieser Art ist nicht nur der mangelnde Beleg von Stichproben, die fehlende Information über Befragungstechniken, Berechnungsgrundlagen für die Marktpotenziale, Zeiträume der Erhebung und alle anderen, auch für kommerzielle Marktforschung üblichen Standardinformationen, sondern auch die Tatsache, dass das Zukunftsinstitut an anderer Stelle darüber informiert, derartige Berechnungen gar nicht liefern zu können. Unter der Frage „Was Zukunftsstudien nicht können“ informiert die Website: „Zukunftsstudien können im Vergleich zu quantitativen Erhebungen keine spezialisierten Marktdaten liefern, z.B. wenn ein Autohersteller wissen will, wie sich der Markt für Hybridfahrzeuge entwickelt. Es kann jedoch aufgezeigt werden, wie der Megatrend New Work zu neuen flexiblen Arbeitsformen führt und sich daraus neue Ansprüche an Mobilität ergeben.“ Darüber hinaus teilt das Zukunftsinstitut mit vielen anderen Anbietern dieser Art die grundsätzliche Auffassung, es gebe gar keine Zielgruppen mehr, sondern nur noch Individualitäten, was eben das Marketing der klassischen Art im Prinzip unmöglich mache. Dennoch werden jedem Auftraggeber Marktpotenziale der eigens erfundenen Zielgruppen und jährlich neue in der Gesellschaft verbreitete Trends geboten.

4.3 Trend-Reports und weitere ‚Studien’ Was sich neben dem Gourmet Sex und dem Trend zu Glücksstrateginnen im Trend-Report für 2007 noch abzeichnete, war laut Horx dies: Der Neue Moralismus: Engagement für das Gute werde zum ökonomischen Zwang; die MeVolution: wie das Internet neue soziale Strukturen schaffe; Neo-Citys: als neuer „Global-Urbanismus“; das Indien-Gefühl: Indiens Kultur (zusammengefasst in 52

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den drei Beobachtungen: Kitsch, Buntheit, Buddhismus) wird Kult in Europa; die Happyologie als „neu-alte Wissenschaft vom Glück“ feiert Wiederauferstehung; Home-Heroes stehen für die Romantisierung der Häuslichkeit für beide Geschlechter. Die neuen Billig-Convenience-Marken erscheinen als Smart Basics: Jung, Cool, Chic, designerhaft; Clever Kids ist die Bezeichnung für die strategisch bewusste Erziehung der neuen „Projekt-Kinder“. Was das alles im Einzelnen zu bedeuten soll, erschließt sich in diesen Begriffen nicht, lässt sich aber, wie eben demonstriert, an dem Ende 2007 noch einmal außerhalb des TrendReports 2008 neu aufgelegten Trends zum Gourmet-Sex trefflich illustrieren. Die Methode, mit der diese Entdeckungen realisiert werden konnten, wird nur angedeutet: „Im Trend-Report 2007 schildert Ihnen Matthias Horx die soziokulturellen Schlüsseltrends von morgen. Er erläutert Ihnen die haarkleinen Veränderungen bei unseren Wünschen und Bedürfnissen und benennt das, was sich noch nicht auf den kulturellen Oberflächen niedergeschlagen hat.“ Im „TrendReport 2008“ erläutert Horx seine Arbeit zu Beginn so: „Matthias Horx erläutert die treibenden Kräfte hinter den Trends, stellt die soziokulturellen Strömungen in ihrer Vielschichtigkeit dar und zeigt die Auswirkungen auf die Märkte von morgen.“ Zur Methode (der später noch ein eigenes Kapitel gewidmet wird) erfährt die Leserschaft dies (und nur dies): „Die soziokulturellen Trends kommen nach den Megatrends und sind die interessanten Hybriden. Entlang von ihnen kann man gut ‚gesellschaftliche Geschichten’ erzählen. Sie handeln von Lebensgefühlen und Sehnsüchten der Menschen, von Mangelerscheinungen und ‚ungedeckten Schecks’ der Kulturgeschichte. In ihnen drücken sich oft Defizite aus, die in der gesellschaftlichen Entwicklung zum Vorschein kommen. Man denke an den ‚Slow’- oder ‚Simplify’-Trend, der unsere Sehnsucht nach einem entschleunigenden Lebensstil ausdrückt.“ Auch die Lektüre weiterer Studien aus dem Zukunftsinstitut oder der Publikationen von Horx (und Mit-Autoren) verhilft nicht zu einer Präzisierung dieser vagen Formulierungen. Der methodologisch interessierte Leser wird lediglich mit dem Hinweis auf „Metaanalyse frei verfügbarer qualitativer wie quantitativer Studien (intern wie extern)“ versorgt, flankiert von einer „umfangreichen Medien- und Datenbankanalyse“. Die Tatsache, dass es sich bei dieser Art von „Forschung“, wie im Verlaufe der Expertise noch mehrfach deutlich wird, um nichts anderes als um kursorische Sammlungen von Medienäußerungen handelt, wird durch den Verweis auf die herausgehobene Position des Trendforschers kompensiert: Man betreibe die „Supervision der Supervisionäre“, analysiere „diejenigen, die Analysen machen“, recherchiere „diejenigen, die recherchieren“, bilde sich Meinungen aus den Meinungen anderer (Horx, Wippermann 1996: 89). Die Anforderungen einer Sekundäranalyse zumindest sind nicht erfüllt: Validierung der Samples, Relativierung der auf örtliche und zeitliche Einflüsse

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zurückzuführenden Befunde, Nachweis der Beziehungen der einzelnen Studien zu der jeweils angesprochenen Fragestellung. Auf der Grundlage einer solchen impressionistischen Sammlung, wie sie von fast allen einschlägigen Instituten in kontinuierlichen Periodika verbreitet werden (Trendletters, Monitore, Radar, Briefe, Trend-Quarterly und dergleichen) „kündigt sich laut Zukunftsinstitut Folgendes“ für 2008 an: Der Strenge-OnkelStaat bezeichnet die Entwicklung vom „Nanny State“ zum Sanften Paternalismus. Der Staat verändere seine Rolle in Zukunft. Holy Tech ist der Siegeszug der „spirituellen Technologie“ und der Abschied vom technischen Maximierungsdenken; der Carbon-Kult macht die Klimakatastrophe zur neuen „WeltrettungsReligion“. Jungs dürfen in Zukunft wieder Jungen sein – ein Paradigmenwechsel nicht nur in der Pädagogik, verbucht unter dem Begriff Boy Scouts. Im Trend der Ära der Avatare erklärt der „Forscher“, warum ein Zweitcharakter zukünftig zum Leben dazugehört. Wirtschaftlich interessant scheint die Open Innovation: Das Zeitalter der „Hermetischen Innovation“ ist zu Ende – Unternehmen öffnen ihre Entwicklungsprozesse für Kunden und Konsumenten. Das Brain Business, der private Bildungssektor also, boome. „In seinem Zuge entwickeln sich neue Lern-, Geistes- und Menschenbilder“. Soziopreneure stellen einen „neuen“ Unternehmertypus, der verstärkt soziale Probleme durch marktwirtschaftliche Methoden löse. Bike-Mania als Beleg für die praxisorientierte Umsetzung der Evolutionstheorie: „Der erste evolutionäre Gewinner des Klimawandels ist – das Fahrrad!“ Schließlich realisiere sich 2008 die Szene der Creative Hubs: die kreative Klasse entscheide über die Zukunft der Städte – und treibe die „Innovative Urbanität“ voran. Mit dieser Prognose zielt das Zukunftsinstitut in zwei Richtungen: Erstens hat der Erfinder des Begriffs „Creative Class“, der von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als Pop-Soziologe bezeichnete Richard Florida, mit diesem Begriff eine lukratives Geschäftsfeld eröffnet und damit eine ernst zu nehmende Konkurrenz zum Angebot des Zukunftsinstituts etabliert. Immerhin bietet dieses Institut in seiner enzyklopädischen Themenpalette auch Analysen und Beratungen über die „Hot Spots“ der künftigen „Wissensökonomie“ an. Die Auswahl ist zufällig, zeigt aber schon deutlich die Strategie des rhetorischen Konstruktivismus, der sich als neue Soziologie ausgibt. Sie illustriert darüber hinaus aber auch einen enzyklopädischen Anspruch: Um den Wettbewerb auf dem Markt der Trend-Anbieter zu bestehen und eine größtmögliche Publizität zu erwirtschaften, behandelt das Zukunftsinstitut (wie die meisten anderen Agenturen der Trendforschung) grundsätzlich alle erdenklichen Themen.

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4.4 Variationen oberflächlicher Ausdrucksaktivitäten Der Bezugsrahmen dieser enzyklopädischen Anmaßung, die sich leicht durch einen Blick auf die „Studien“-Vielfalt des Zukunftsinstituts belegen lässt, wird durch zwei Elemente konstruiert: durch die später noch dokumentierte Behauptung, „Universalwissenschaft“ zu betreiben, die auf einem evolutionstheoretischen Ansatz eine stetige gesellschaftliche Fortentwicklung zum Positiven konstatiert, und – in strategischer Ausrichtung auf die Kunden – eine gesellschaftspolitische Vorstellung von einer neuen Lebens- und Arbeitwelt. Diese Welten von morgen, wie sie in weiteren Studien des Instituts dargelegt sind, erscheinen aus der Sicht der professionellen Forschung und ihrer Bemühung um präzise Begriffe wie der Rücktransport von Identitätskonstruktionen des weitgehend gescheiterten Projekts „Second Life“. Diese Welten nämlich seien charakterisiert von Groundworkern, High Skill Workers, Hobbyworkern und Teleworkern, Freeployees und Selbstpreneuren. Für verschiedene Zeitschriften werden ja nach Bedarf Glücksstrateginnen und Tiger Ladies oder Silver Grannys aufs soziologische Tapet gebracht. In der „aktuellen Männerstudie“ des „Zukunftsinstituts“ treten Health-Hedonisten und Self-Designer neben Work-Life-Venturists und Every Day Managern auf. Die Typologie der „Lebensstile 2020“ setzt sich aus weiteren seltsamen Avataren zusammen, die CommuniTeens heißen oder Inbetweens, Young Globalists, Silverpreneure oder Greyhopper. Die Leser stoßen auf Latte-Macchiato-, VIB- oder Netzwerk-Familien ... insgesamt also auf eine unglaubliche und von keiner kontextuellen Logik gezähmte, von keinem sinnvollen Bezugsrahmen geordnete Ansammlung von Feuilletonismen. Das erklärte Ziel: Überwindung der Dominanz der Sinus-Milieu-Modelle durch das Stilkonzept des Zukufttsinstituts, so Horx in verschiedenen Vorträgen. Mit seinen Stilgruppen lasse sich das Marketing optimieren. Um nur einen weiteren Beleg für diese Optimierung durch rhetorischen Konstruktivismus des Zukunftsinstituts zu liefern, ist ein Blick auf die „Studie“ über das Essen von morgen interessant, verantwortet von der „freien Ernährungswissenschaftlerin“ und Mitarbeiterin des Zukunftsinstituts, Hanni Rützler. Rützler hat folgende Trends des Essens der Zukunft ausgemacht: 100-MeilenDiät – Das neue Bedürfnis nach Region. Convenience 2.0 – Die Metamorphose der Tütensuppe zum gesunden Deli-Fertiggericht. New Fusion Food – Wie der Aufstieg Asiens die globalen Food-Märkte verändert. Sen-satt-ion – Die neue Lust am Inszenieren der Esskultur. Trusted Food – Das steigende Bedürfnis der Konsumenten nach Transparenz, Vertrauen und Sicherheit. Essthetik – Wie das Design die Food-Branche erobert. Pleasure Food – Genuss ist der Neue Luxus. Food´n´Mind – Wie Essen zukünftig anhand seines Mehrwerts konsumiert wird. 55

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In diesem Zusammenhang leite sich aus der „Studie“ „Lebensstile 2020“ und der dort bereits irritierenden Typologie die folgenden „sieben wichtigsten Ernährungsprofile von morgen“ ab: Prot-Esstler zum Beispiel, oder Besser-Esser, Jekyll & Hyde-Gourmets, Garfield-Gourmands, Ess-Theten, Food-Phobiker, Essertainment-Fan (Alle Studien über die Homepage des Zukunftsinstituts). Es wird sich zeigen, dass diese Befunde, auch wenn sie mit Begriffen wie Meta- und Megatrends aufgeladen werden, in der Regel nichts als die Differenzierung vordergründiger und modischer Trivialitäten auf der Grundlage sattsam bekannter genereller Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft, Politik und Kultur darstellen, die ihrerseits, neben den einzelnen Trends und Gruppen, in exotische Begriffe gefasst werden; dass der Alterungsprozess, den das Statistische Bundesamt in 12 Szenarien bis 2050 in seinen Konsequenzen durchgerechnet hat, als Opalution oder Silver Age oder sonst wie semantisch aufgetakelt wird; dass die bekannten Veränderungen der Arbeitswelt als Future Work erscheinen, und durchsetzt mit vielen bunten Begriffen über Presseaussendungen und Nachrichtenagenturen an die Medien durchgereicht werden. Die Attraktivität dieser Trend-Soziologismen scheint seit vielen Jahren ungebrochen – auch, wenn in der Praxis des Marketings sich eine Reihe prominenter Akteure fragen, wie denn all diese Typologien in Konkurrenz zu hundert anderen aus anderen Marktforschungsabteilungen oder Forschungseinrichtungen stehen. Die Kritik erinnert in ihrer Pointiertheit an eine Diagnose, die Hans Magnus Enzensberger in seiner Gesellschaftsanalyse „Mittelmaß und Wahn“ 1988 stellte: dass jeder Begriff dieser Art nichts anderes darstelle als eine „gewundene Phrase der Verlegenheit“, in der das Mittelmaß sich durch ein „Maximum an Variation und Differenzierung“ auszeichne. Trends und Zukünfte wären also nichts – folgt man Enzensberger – als ununterbrochene Variationen oberflächlicher Ausdrucksaktivitäten (Enzensberger 1988: 251)? Diese Kritik am Feuilletonismus der Boulevardforschung stellt eine bemerkenswerte Prognose dar. Allerdings haben sich in der Wirklichkeit die Gewichte doch etwas verschoben. Die eben zitierten und später noch ausführlich dargelegten Ansprüche, einen auf evolutionsgeschichtlicher Entwicklungslogik basierenden gesellschaftlicher Wandel zum „Smart Capitalism“ entdeckt zu haben, eröffnet eine neue Perspektive. Trendforschung begnügt sich nicht mit der opportunistischen Produktion von Befunden zur Vermarktung bestimmter Konsumgüter und Dienstleistungen, denen man nette Etiketten verpasst. Sie liefert in diesen Begriffen versteckt auch die Grundlage der passenden Ideologie. Wer es in dieser Gesellschaft nicht schafft, ist nicht flexibel genug. Wer aus dem Rahmen fällt, liegt einfach nicht im Trend. Dieser Trend ist nun einmal die Dienstleistungswirtschaft, in der jeder

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seine Kompetenzen entwickeln und verkaufen könne, vorausgesetzt die individuelle Flexibilität. Diese Überzeugung bestimmt die gesamte Argumentation der Branche – und wird, wie sich ebenfalls später zeigen wird – nicht nur von Unternehmen, sondern auch von verschiedenen Lagern der Politik gerne ins Programm eingewebt (siehe dazu Kapitel 11.4). Damit gewinnt diese Art von Trendforschung tatsächlich ein politisches Gewicht. Der affirmative Opportunismus bietet den Kunden gleichzeitig zur Überhöhung ihrer Produkte und Dienstleistungen die entsprechende Sozialphilosophie. Ungeklärt dabei ist, ob es sich bei diesem Anspruch, der insbesondere bei Horx noch um eine geradezu missionarische Offensive gegen die Sozialwissenschaften erweitert wird, tatsächlich um eine Ideologie oder nur um ein weiteres Verkaufsargument handelt. Der Schweizer Trendforscher David Bosshart, Leiter des Gottlieb Duttweiler Instituts, gibt diese Ausrichtung auf Verkäuflichkeit auch unumwunden als das Geschäftsmodell ihrer Zukunftsentwürfe an. Etwas lerne man von den Amerikanern „auf harte Weise: Informationen haben einen Cash Value. Geht man unvorsichtig damit um, begibt man sich auf eine Ebene, wo man von jedermann kopiert werden kann. … In den USA geht es einzig darum, ob man aus der Trendforschung ein Produkt machen kann, mit dem man Geld verdient. … Das Entscheidende ist doch, Informationen aufzubereiten, so dass sie einen Käufer finden, der Nutzen daraus ziehen kann“ (Web-Dokument 6).

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5 Wettbewerb und Konkurrenz auf den TrendMärkten

5.1 Gesellschaftsbilder aus dem ‚Trendbüro’ Bossharts offenes Bekenntnis zur rein kommerziellen Zielsetzung seiner Arbeit ist deshalb von einer gewissen Koketterie, weil er als Chef des Gottlieb Duttweiler Instituts in der Schweiz weit mehr als die triviale Trendforschung nach dem Muster des deutsch-österreichischen Zukunftsinstituts betreibt. Im vorliegenden Zusammenhang ist allerdings allein die Position des GDI als Konkurrent etwa zum Zukunftsinstitut interessant – dies umso mehr, als Bosshart zu einem Netzwerk gehört, das der Mitbegründer des Hamburger Trendbüros und ehemalige Kompagnon und heutige Konkurrent von Horx und seinem Zukunftsinstitut, der Kommunikations-Designer Peter Wippermann, pflegt. Nachdem Horx mit dem Zukunftsinstitut ein Konkurrenzangebot zum Trendbüro gründete, blieb Wippermann der Geschäftsführer des Trendbüros, das nun neben einer Unzahl weiterer Anbieter mit denselben Methoden um denselben Markt kämpft. Wippermann ist (laut Econ Referenten-Agentur) spezialisiert auf Kommunikationsstrategien für „trendgestützte Markenführung“. Diese Strategie ist – wie die des Zukunftsinstituts – eine Kopie der New Yorker Agentur Brain Reserve Faith Plotkins (bekannt unter dem nom de plume: Popcorn). Die Grundidee ist simpel: Die Agentur (er)findet Trends. Wenn ein Unternehmen seine Produkte und Dienstleistungen mit mindestens vier der von ihr erfundenen Trends synchronisieren könne, sei der Erfolg unausweichlich. Brain Reserve bietet dazu vielfältige Beratung, Trendletters, Seminare. Horx und Wippermann übernahmen die Idee. Und dabei ist es geblieben. Das Trendbüro, wirbt Wippermann heute, versuche „Marktchancen aufzuzeigen, die aus den Sehnsüchten einer Gesellschaft resultieren“. Ziel sei das „Emotional Design“ von Produkten und Dienstleistungen. An den vielfältigen Trends, die das Trendbüro der Marketingwelt anbietet, lässt sich erneut auch die Wettbewerbsstrategie illustrieren, die sich bereits in den vorangehenden Beschreibungen andeutete: enzyklopädische Anmaßung. So bietet das Hamburger Trendbüro zu jedem auch nur erdenklichen zeitgeistigen Thema Informationen, „Studien“, Trends, Interviews und Beratungen an, wobei auch hier Begriffsneuschöpfungen die Kernstrategie in Konkurrenz um publizistische Aufmerksamkeit darstellen. So werden aus der soziologischen Theorie der Individualisierung „die Sehnsüchte der Ich-AG“, das Thema des Alterns erscheint als

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„Forever young – Kundenwünsche von morgen“. Die Arbeitswelt wird zugespitzt auf die Gruppe der Technomaden, die Bürowelt von morgen erscheint sience-fictionartig, architektonische Innovationen behandelt das Trendbüro in seinen Themenschwerpunkten „Leben zwischen High-Tech und Landhaustraum“ auf der einen und „Smart Living – Architektur zwischen High-Tech und Biomorphismus“ auf der anderen Seite. Die Märkte der Zukunft stehen mehrfach auf der Liste, als eben dies: „Märkte der Zukunft – Verkaufen Sie Träume statt Waren“ oder „Mode macht Märkte, Learning from Fashion“, „New Marketing – Vor- und Nachteile der Spezialisierung“, etwa im kulinarischen Bereich: „Schöne neue Welt der Snacks“. Man informiert über „Trends im Tourismus“, die neue Mobilität („Mobil ohne Grenzen? Von der Lust, niemals anzukommen“), ergeht sich in sozialphilosophischen Grundsatzfragen („Sofortvertrauen – Eine neue Moral, ein neues Business“), den Traditionen, die von Trends gesetzt werden, und erfindet eine Reihe weiterer Typologien, weil auch auf diesem Gebiet eine hektische Konkurrenz herrscht, etwa Flexisten und Chaospiloten. Diese Kopfgeburten (von denen Wippermann ähnlich wie David Bosshart zugibt, dass sie im Prinzip nichts anderes seien als verkäufliche Etiketten), prägen jährlich einen Trendtag. Einige Beispiele: Thema des 10. Deutschen Trendtags war die „Schwarmintelligenz“. Nachdem der Roman von Frank Schätzing, „Der Schwarm“, zu einem Verkaufserfolg geführt hatte, machten sich die Trendforscher in ihrer üblichen Weise über das Thema her, wie sie es zum Beispiel schon mit dem Romantitel von Douglas Coupland praktiziert hatten – „Generation X“ –, um im Windschatten der öffentlichen Aufmerksamkeit ihr Geschäft anzuschließen. Als wissenschaftliche Basis diente in diesem Falle das Buch „Smart Mobs“ von Howard Rheingold (Rheingold 2002). „Schwarm-Intelligenz“ sollte als pseudo-soziologische Kategorie etabliert werden, als eine Art vulgarisierter Form der einstmals so romantischen Idee der „volonté générale“ des JeanJacques Rousseau. Die zu diesem Zeitpunkt lange etablierte wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Kritik an vordergründigen Modellen der Netzwerkintelligenz bleibt unberücksichtigt (z. B. Freund 2005; Lanier o.J.). 2008 wurde der 13. Deutsche Trendtag vom Thema „Identitätsmanagement“ mit Keynotespeaker Richard Florida inszeniert – wie üblich als großes Medienereignis, das sich thematisch unmittelbar gegen die Führungsansprüche des Horxschen Zukunftsinstituts richtet. Der Versuch von Matthias Horx, den Begriff der kreativen Klasse gewissermaßen ex post für sich zu reklamieren – er habe ihn 2002 in Deutschland „eingeführt“ – wurde wirkungsvoll konterkariert. Die Werbung des Trendbüros verspricht weitere sensationelle Neuigkeiten, die ebenfalls zum Repertoire des Zukunftsinstituts aus Kelkheim zählen, abgesehen davon aber nichts anderes darstellen als uralte und zum Teil überholte Einsichten der Sozialpsychologie. „Die Ökonomie der Aufmerksamkeit ist tot! Es

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reicht nicht mehr, laut und anders zu sein. Das kann heute jeder. Zukünftig zählt Anerkennung. Wir sind soziale Wesen. Wir wollen gemocht, respektiert und geschätzt werden. Der Applaus unserer Wahlverwandtschaften sichert unseren Status.“ Was hinter dieser Tendenz steckt, ist nichts anderes als die Wiederbelebung der Bedürfnispyramide von Maslow, den Abnehmern erneut als revolutionäre Einsicht dargeboten, hinterlegt mit der Behauptung, dass sich Kunden ändern und Unternehmen also Beratung brauchen. In der Vorschau nämlich schreibt das Trendbüro: „Unternehmen und Marken müssen das Bedürfnis der Konsumenten nach Zugehörigkeit und Anerkennung ernst nehmen, um weiterhin relevant zu bleiben. Statt sich vorrangig um die ‚Brand Identity’ zu bemühen, rückt die Frage nach der Identität der Konsumenten stärker in den Mittelpunkt des Marketing. Für Unternehmen und Marken, die Konsumenten beim Identitätsmanagement unterstützen, eröffnen sich wichtige neue Geschäftsfelder“ (Homepage). Auch der Trend zum „Gourmet Sex“, den das Zukunftsinstitut entdeckte, war eine Reaktion auf eine publizistische Offensive des Trendbüros. Unter dem Titel „Länger leben, länger lieben. Das Lebensgefühl der Generation Silver Sex“ nahmen Wippermann und seine Ko-Autorin Corinna Langwieser 2007 einen von der Boulevardberichterstattung ohnehin schon häufiger inszenierten vermeintlichen Trend auf und verbuchten eine ordentliche Zahl von Meldungen, die auch den Begriff transportierten: „Silver Sex“.

5.2 Konsum als Identitätsmanagement In der näheren Betrachtung der Studien, die das Trendbüro durchgeführt hat, wird hinter diesem vordergründigen Marketingvokabular dann aber doch wieder deutlich, dass es sich im Grunde um die Illustrationen und Belege einer gesellschaftspolitischen Vorstellung handelt – die der des Konkurrenten präzis entspricht und die von Ulrich Beck mit dem Begriff der „Risikogesellschaft“ gekennzeichnet und von Richard Sennett kritisch in der Analyse des „flexiblen Menschen“ in ihren Konsequenzen durchdacht wurde. In der Studie des Trendbüros für den Tchibo Konzern (vgl. Trendbüro 2007) ist vom Ego die Rede, das unter Erfolgsdruck stehe. Unternehmen könnten diesen Druck durch Angebote kompensieren. Denn „Identitiy Management“ sei „Designaufgabe“. Design werde zu einer Ersatzstrategie der Persönlichkeitssicherung: „Das, was an emotionaler Sicherheit und Bindung verloren geht, wird mittels Design wiederhergestellt.“ Die Upgrade-Gesellschaft strebe nach „Selbstverbesserung durch Look und Feel“. Belastbare Belege für diese These bietet die Studie nicht. Lediglich Verweise auf andere Studien der Gesellschaft für Konsumforschung, auf Daten des 61

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Statistischen Bundesamtes, einen „Datenreport 2006“, Zeitungsartikel, EbayVerkaufsstatistiken und „Straßeninterviews, die das Trendbüro … in Hamburg vor dem Stilwerk, vor Habitat am Neuen Wall, bei Ikea und in der (Hamburger) Mönckebergstraße bei Tchibo durchgeführt“ habe. Dass durch die Auswahl der Befragungsorte das Ergebnis der Befragung präjudiziert sein könnte (wie bei Friedrichs bei der Auswahl der Eliteschulen, in denen sich die Klientel versammelt, deren Mentalität sie dokumentieren will), stellt ein Kennzeichen dieser Studien dar. Die Orte, an denen diese „Straßeninterviews“ absolviert wurden, repräsentieren jenen Lebensstil, den die Gruppe gesamtgesellschaftlich verortet. Das Sample der Befragten ist also systematisch im Sinne eines antizipierten Ergebnisses verzerrt. Das Projekt entwickelt seine Aussage durch eine selbstreferenzielle Validierung, mit anderen Worten: eine empirische Tautologie, die sich passgerecht in die auftragsorientierte Theorie fügt. Aus ihr werden weitreichende Schlussfolgerungen gezogen, etwa die, dass „die“ Mittelschicht im Upgrade Life-Style ihr Ventil gegen Erfolgsdruck finde (7). Eine Systematik des zufällig rekrutierten Samples wird auch in einem aktuellen Vortrag, den Wippermann für die „4th European Consumer Trends Conference“ des von David Bosshart geführten Gottlieb Duttweiler Instituts gehalten hat, nicht offenbart. Dafür bietet Bosshart, seinerseits regelmäßiger Referent der „Trendtage“ des von Wippermann geführten Trendbüros, eine neue Studie zu eben dieser Upgrade-Gesellschaft und den Marktchancen an, die durch das Bedürfnis zur symbolischen Dokumentation der Abgrenzung entstehen. Alain Egli, Manager PR & Communications des GDI, informiert in einer Pressemitteilung: „Über vier Fünftel von tausend Befragten in Deutschland und der Schweiz sind überzeugt, dass Status-Unterschiede in den kommenden Jahren zunehmen werden. Das zeigt eine Studie, die das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) im Frühsommer veröffentlichen wird. Die Gründe für die neue Status-Lust sind vielfältig. So wächst durch die Demokratisierung des Konsums (Stichworte: H&M oder die Edellinien von Großverteilern wie etwa die Sélection-Produkte der Migros) das Bedürfnis nach Abgrenzung; Individualisierung ist Trumpf.“ Bosshart identifiziert als den wesentlichen Faktor, der Statusdenken fördere, eine wachsende Knappheit und konkretisiert: „Bereits heute ist Wasser vielerorts ein rares Gut. Bei steigenden Rohstoffpreisen könnten bald auch Lebensmittel wie Südfrüchte, die wir heute als Alltagsprodukte ansehen, selten werden – und, nebenbei bemerkt, zu einer Renaissance von Speisekammer und Notvorrat führen. Bevölkerungszunahme, Klimaerwärmung und wirtschaftliche Abkühlung dürften die Knappheiten verschärfen – und so zusätzliche Mittel der Abgrenzung schaffen. Denn oft sind es ja die Entbehrungen der anderen, die unser Ansehen steigern“ (Web-Dokument 7).

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Auch wenn also die beiden hier herausgehobenen Konkurrenten (bzw. die mehr oder weniger sichtbaren Netzwerke hinter ihnen) jeweils für sich die gesamte Bandbreite der soziokulturellen und wirtschaftspolitischen Ausdrucksaktivitäten des Marktes schnell veränderlicher Konsumgüter beanspruchen, drängt weitere Konkurrenz – und zwar mit denselben Mitteln. Es ist im Rahmen einer Expertise nicht möglich, die Vielfalt dieser Branche angemessen zu repräsentieren. Leser und Leserinnen können sich aber durch die Eingabe der Schlüsselbegriffe der Geschäftsfelder der hier nach einer Zufallsauswahl ausgesuchten Agenturen, Institute und Büros sehr schnell zu weiteren Angeboten durcharbeiten. Zum Jahreswechsel 2008 zum Beispiel prognostizierte der vom Zigarettenkonzern BAT finanzierte emeritierte Erziehungswissenschaftler Horst W. Opaschowski, ehemals Leiter des im Konzern ansässigen Freizeit-Instituts, heute Leiter der aus diesem Freizeit-Institut gewachsenen BAT Stiftung für Zukunftsfragen, zum Beispiel das „Comeback der guten Nachbarn“, das Zeitalter der „Rentner als Trendner“ und der wachsenden Bedeutung des Prinzips „Gut leben statt viel haben“. Leistungsverweigerung sei out (weil es sonst mit dem guten Leben nicht realisierbar sei), auch Kinderfeindlichkeit gehöre der Vergangenheit an. Der Jugendwahn – logisch beim Rentner-Trend – neige sich dem Ende zu, ebenso wie die Zukunftsangst. Klimawandel, so Opaschowski, lähme wie andere Bedrohungsszenarien. Die Bürger wollten stattdessen wieder wissen, wie es weitergehe. „Ganz persönlich sehnen sich die Deutschen vor allem nach Vertrauen, Geborgenheit und menschlicher Wärme“, sagte Opaschowski in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in Hamburg, die diese Zustandsbeschreibung gleich verbreitete und Meldungen in mehr als 50 Medien erwirtschaften konnte, darunter der Befund, dass Rentner wohl am härtesten von den Teuerungen betroffen seien. Dass die Befunde einer Umfrage, die der Wissenschaftler für die BAT-Initiative durchgeführt hatte, nichts als sattsam bekanntes Allgemeinwissen über den Zustand und die Mentalität in Deutschland verbreitete, hinderte viele Redakteure nicht daran, die Einsichten als zukunftsrelevante Nachrichten zu verbreiten.

5.3 Weitere Konkurrenz mit identischem Angebot Auf demselben Gebiet wie Horx, Wippermann, Bosshart und Opaschowski bietet Lars Thomsen seine Dienste an. Er präsentiert sich als Gründer und „Chief Futurist“ von future matters und zählt, nach eigener Aussage, zu den prominentesten Trend- und Zukunftsforschern in Europa. „Als kreativer und provokanter Vorund Querdenker berät er zahlreiche Unternehmen und Institutionen in Fragen der 63

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aktiven Zukunftsplanung, Kommunikationsstrategien und Führung. … Wie kein Zweiter versteht es Lars Thomsen, die komplexe Welt der Trends verständlich zu machen. Er zeigt Zusammenhänge und Querverbindungen zwischen Trends, Wertewandel, Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik auf und fügt die zahlreichen Puzzle-Teile zu einem homogenen, nachvollziehbaren Gesamtbild zusammen“ (Homepage). Der Themenhorizont von future matters ist nicht minder weit gesteckt: Die Zukunft der Arbeit; Marketing im Wandel, Energie der Zukunft, die Zukunft in Deutschland. SevenOne Media, ein weiteres Unternehmen dieses Sektors, bewirbt seine Leistungen so: „Im Kern handelt es sich um soziologische Motivforschung. … In den Trend-Reports der Seven-One Media-Marktanalyse wollen wir uns auf diejenigen Entwicklungen konzentrieren, die sich aufgrund empirischer Fakten schon heute sicher voraussagen lassen.“ Das Kernthema ist wieder einmal: Alternde Gesellschaft – die üblichen Zahlenreihen mit den angeschlossenen Fragen: „Was bedeutet das für die Wirtschaft? Was bedeutet das für die Branchen?“ Die letztere Frage wird weiter ausdifferenziert in die Felder „Ernährung“ (Convenience, Fitness), „Körperpflege“ (Strategien gegen das Altern, Pflege für die reife Haut u. ä.), „Pharma“, mit den Trends zu Selbstmedikation und Anti-Aging, Life-Style-Arzneien, „Handel“, „Finanzen“, „Touristik“, „Freizeitsport“, „PKW“ (intelligente Autos), „Computer“, „Internet“, „Mobilfunk“, „Unterhaltungselektronik“ – wobei die Trends im einzelnen außer Acht gelassen werden können, weil sie nur die ohnehin absehbaren logischen Entwicklungen der biografischen Umbrüche wiederholen. Das Unternehmen Z-Punkt benutzt dieselben Begriffe wie das Zukunftsinstitut des Matthias Horx, verspricht größere „Zukunfts-Fitness“. „Für Ihren individuellen Future Check berechnen wir 1.000 Euro (plus MwSt.). Über die Beauftragung entscheiden Sie am Ende unserer Online-Befragung. Sie erhalten eine wertvolle Analyse mit dem Potenzial, Ihre Future Fitness signifikant zu verbessern. Die umfangreiche schriftliche Auswertung erfolgt innerhalb von einer Woche. Ein ausführliches telefonisches Future-Check-Gespräch mit einem unserer Berater ist im Preis des Future Checks inbegriffen“ (Web-Dokument 8). Neben dem erwähnten Gottlieb Duttweiler Institut mit dem Frontmann David Bosshart ist mit George T. Roos ein zweiter Schweizer international aktiv. Das Roos Büro für kulturelle Innovation charakterisiert sich als ein „Zukunftsinstitut“ mit Dienstleistungsschwerpunkten unter anderem für Technologie-, Produktions- und Logistik-Unternehmen, Banken und Versicherungen und gemeinnützige Organisationen. Auch KMU unterstütze man in der Etablierung von einfachen aber effektiven Instrumenten zur Zukunftsbewältigung. „Georges T. Roos ist ein international gefragter Referent zu Megatrends, Zukunftsszenarien, Instrumenten der Zukunftsforschung. Seine inspirierenden Keynote- und Impuls-

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Referate sind individuell zugeschnitten auf die jeweilige Zuhörerschaft“ (Homepage). Die Zukunftsstudien lesen sich wie Parallelpublikationen der Konkurrenten, zum Beispiel: „Lifestyle 2020“, eine Studie über die Werte von Morgen: „Diese Studie untersucht die vorherrschenden Werte in den zentralen Bereichen Mobilität, Körper, Technik, Gemeinschaft und Macht. Von den beschriebenen Werten denken wir, dass sie in ausdifferenzierten Spielarten den künftigen Zeitgeist prägen werden.“ Eine andere Studie behandelt den „Lifestyle 2016“ und bietet Informationen über die „Werte der Kunden von morgen“ an. Auf dem Gebiet der Mode- und Konsumtrends droht den deutschen Wettbewerbern die Konkurrenz der Schweizer, Österreicher und Holländer, insbesondere von der geradezu mythischen Li Edelkoort, die mit dem Selbstbewusstsein der Marktführerin auf ihrem Gebiet auftritt und sich unfehlbar gibt. Sie antwortete auf die Frage der Welt am Sonntag am 29. November 2007, ob es einen Trend gebe, den sie übersehen habe: „Nein. Nicht das ich wüsste. Außerdem habe ich eher das Große und Ganze im Blick. Es ist vielmehr so, dass ich mich manchmal wundere, wie lange es dauern kann von dem Zeitpunkt, wenn ich einen Trend erspüre und dem Zeitpunkt, bis er dann endlich ankommt. Ein Beispiel ist der aktuelle Metallic-Trend: Endlich ist er da. Und ich hatte ihn vor vier oder fünf Jahren erkannt. Da denkt man sich manchmal: Das wurde aber auch Zeit!“ Und auf die Frage nun, wie sie herausfände was morgen wichtig sein werde, antwortete sie im selben Interview: „Die Schlüsselmomente sind Momente der Intuition.“ Ja aber wie? „Ich bin neugierig und ein guter Analyst. Ich benutze die Gehirnhälfte, die für den Verstand zuständig ist, wie meine Gehirnhälfte, die für Emotion und Intuition zuständig ist. Ich weiß, wie man zwischen beiden Hälften hin- und herspringt und sie beide benutzt“ (Webdoument 9). Einem Hirnforscher nötigen derartige Argumente mindestens ein leichtes Kopfschütteln ab – erstens weil sich die Idee der beiden unabhängig voneinander agierenden Gehirnhälften und ihrer Steuerungsfunktion für eher rationale und eher emotionale Charaktere als pseudowissenschaftliche Feuilletonismen herausgestellt haben, zweitens, weil die willkürliche Nutzung des Gehirns eine Fähigkeit erforderte, die den neurologischen Automatismus analytisch außer Kraft setzen müssten, was unmöglich ist. Aber es hört sich gut an – obwohl es nichts anderes ist als jene Art von Paraneurologie, die in den letzten beiden Jahren im Zuge der Faszination von Hirn-Sannings aus neuen bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften den Journalismus so fasziniert (vgl. Rust 2007). Abgesehen davon zeugt die Aussage von einem übersteigerten methodologischen Kompetenzanspruch, die typisch für die Szene zu sein scheint. Auch John Naisbitt behauptet, dass seine Prognosen zu über 95 Prozent eingetroffen seien. Und Faith Popcorn antwortete in einem Interview der New York Times auf die Frage, ob sie schon einmal einen Trend übersehen habe: „I’m trying to think of a trend

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that I’ve missed – it would be more credible if I could think of one.” Sie konnte keinen finden (zitiert nach Sherden 1998: 221).

5.4 Transatlantische Konkurrenz Die im Ursprung amerikanische Idee der Trendberatung – eine Art pragmatische Variation des Behaviorismus – hat also eine Unzahl von Nachahmern gefunden, was wiederum umgekehrt die Bereitschaft von Verlagen steigert, die amerikanischen Originale auf dem europäischen Markt zu platzieren, bevor sich die Verkäuflichkeit der deutschen Namen durch ihre tägliche Medienpräsenz erschöpft. Die Namen wechseln mit den Moden. Im Zuge der Faszination von Unternehmen für die vermeintlich zielführenden Strategien des „Neuromarketing“ tauchte etwa der Werbeberater Clotaire Rapaille auf (zum Beispiel in einer Publikation des Gottlieb Duttweiler Instituts). Seit 30 Jahren berate er, sagt Rapaille, Konzerne wie Nestlé oder GM bei der Vermarktung von Produkten: „My theory is very simple: The reptilian always wins. I don't care what you're going to tell me intellectually. I don't care. Give me the reptilian. Why? Because the reptilian always wins.“ (Rapaille 2006: 66). Ein Unternehmen, meint Rapaille, das sich auf den Verstand des Menschen beziehe, habe schon verloren. Im Angebotskatalog des Jahres 2006 erschien als weiteres Ergebnis einer solchen Suche James Cantons „Extreme Future“ im Econ Verlag. Canton arrivierte schnell zum hoch honorierten Nachfolger der im vorangehenden Jahrzehnt teuer gehandelten Faith Popcorn. Er selber bezeichnet sich als renommierter „global futurist, social scientist, keynote presenter, author, and visionary business advisor.“ Seit mehr als dreißig Jahren betreibe er erfolgreich das Geschäft der Zukunftsvorhersage („predicting the key trends that have shaped our world“) Cantons Unternehmen trägt den Namen Institute for Global Futures und ist 1990 als „Think Tank” gegründet worden. Nach weiteren eigenen Aussagen berät er „the Global Fortune 1000” zu Trends und Innovation, zu Fragen der Finanzdienstleistungen, der Gesundheitsfür- oder -vorsorge, zu Life Sciences, Energiefragen, Sicherheitsproblemen, Mitarbeiterschaft, Klimawandel und Globalisierung – also das ganze enzyklopädische Programm, dessen universelle Kompetenz bereits in der Darstellung der Angebote von Horx und Wippermann erstaunte. Ein weiteres Motiv wiederholt sich: der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, dokumentiert durch seine Tätigkeit als Senior Fellow am Center for Research in Innovation at the Kellogg School of Management. Das Motiv „Medienpräsenz” wird ebenso selbstbewusst dargestellt – man habe ihm bei CNN der Titel eines Digital Guru und bei Yahoo den Kosenamen Dr. Future erteilt. Er

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erwähnt Auftritte bei CNBC, Fox, PBS, ABC, Fortune, The Wall Street Journal, Bloomberg Report, The New York Times, US News and World Report. Zwar lässt sich die Grundgesamtheit der Aktivitäten und ihrer Marktdurchdringung im Vergleich zur professionellen Forschung auch für die USA nicht präzisieren. Aber allein in der 50 Personen oder Institutionen umfassenden Liste von Beratern auf der Homepage der World Future Society finden sich zahlreiche identische Angebote, die auf identische Weise inszeniert werden und in ihren Kundenlisten identische Unternehmen führen, die weit mehr als die Hälfte der Fortune 100 oder Fortune 500 repräsentieren. Zusammengenommen kommt eine nicht minder als in der europäischen Szene verwirrende Vielfalt des Gleichartigen heraus, grundiert von der Warnung vor einer drohenden Katastrophe, die nur durch die Buchung der Gurus erkannt und bewältigt werden könne. In der Kompilation der Versatzstücke läse sich die Werbung so: „Avoid devastating surprises! Exploit any future! Stimulating and entertaining keynotes, workshops, assessments, and consulting, futures research, consultation, trend analysis, scenario development, visioning, scientific, technological and social forecasting, training, briefings, workshops, presentations and keynotes, technology forecasting, roadmapping, technology management, depreciation & valuation, strategic market research, keynote and event speakers, training/workshops, facilitation, telecommunications, scenario development, S&T plans, innovational approaches, assessments, and strategic/transformational planning.” Wer nun aus der unüberschaubaren Mischung von Wissenschaftlern, Unternehmen und IchAGs, Beratern, Coaches und Werbeagenturbetreibern ernst zu nehmen ist oder nicht, könnte nur in einer dezidierten Analyse von Angebot, Kompetenz und Erträgen beurteilt werden – doch das überfordert diese Expertise, die sich auf die führenden Repräsentanten der deutschen Ausprägung dieses Gewerbes konzentriert. Die Mitgliedschaft in renommierten Zukunfts-Verbänden ist jedenfalls kein hinreichendes Kriterium für die Einschätzung. Im Leitungsgremium der World Future Society etwa treffen Personen aufeinander, die völlig unterschiedliche methodologische und wissenschaftliche Standards repräsentieren: zum Beispiel Hugues de Jouvenel, Executive Director der Association Internationale Futuribles, Paris, Sohn des früher führenden Wirtschaftswissenschaftlers und prominenten Zukunftsforschers Bertrand de Jouvenel, der zusammen mit Daniel Bell in einer Initiative der Ford Foundation arbeitete (siehe nächstes Kapitel); William E. Halal, Professor für Management Science an der George Washington University; Marvin J. Cetron, Präsident der Forecasting International Ltd.; Donna Heivilin, Applied Research and Methods, U.S. General Accounting Office; Robert S. McNamara, früherer Präsident der Weltbank und ehemaliger amerikanische Verteidigungsminister; Adolfo Castilla, ein spanischer Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaftler; Sir Arthur C. Clarke, Wissen-

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schafts- und Science-Fiction-Autor; John Naisbitt, der Autor des Weltbestsellers „Megatrends“, schließlich Heidi und Alvin Toffler, das Autorenpaar des ersten großen Bestsellers auf dem Gebiet der boulevardesken Zukunftsforschung: „Future Shock“. In dieser Namensliste sind merklich zwei Traditionen vertreten, deren eine in der Wiederaufnahme der Futurologie, wie Ossip K. Flechtheim sie vordachte, eine wissenschaftliche Methodologie zu entwickeln suchte. Diese Tradition zieht sich von der Gründung der Rand Corporation 1948 bis hin zu den Anfängen der betriebswirtschaftlichen Weak Signal Research und ist über weite Strecken eng verknüpft mit der professionellen Soziologie. Die andere Tradition der eher feuilletonistischen Auseinandersetzung mit der Zukunft entsteht ein paar Jahre später, als Heidi und Alvin Toffler eben jenen Bestseller „Future Shock“ auf den Markt brachten. Sie verdichtet sich mit John Naisbitts „Megatrends“ 1982. Dieser Zweig, der heute machtvoll in der boulevardesken Trendforschung austreibt, nutzte die zunehmende Desillusionierung der wissenschaftlichen Zukunftsforschung, die unter dem Druck ihrer Einsichten in die unausweichlich wachsende Komplexität der Wirklichkeit, die Kontingenz der soziokulturellen und wirtschaftspolitischen Entwicklung und die wechselseitigen Wirkungen einer großen Zahl von Komponenten in unüberschaubaren Umwelten ihren Optimismus dämpfte. Allerdings bedeutet das nicht, dass sie aufgegeben hat. Es wird sich zeigen, dass diese Tradition gerade durch die Skepsis das Fundament zu einer am Ende dieses Buches noch einmal näher betrachteten Strategie der Zukunftsbewältigung legte: die Erhöhung der Komplexität durch Diversität der Kommunikationspartner. Viele Institutionen arbeiten in dieser Tradition auch an der Verfeinerung von Methodologien und Techniken. Ihre öffentliche Präsenz ist allerdings weit geringer als die des Boulevards, der sich weit weniger um die Bewältigung der Komplexität als um die Verkäuflichkeit seiner Beratungsdienstleistungen und Studien kümmert. Die beiden nun folgenden Kapitel werden den verschiedenen Traditionen unter methodologischen Gesichtspunkten nachgehen. Am Anfang der Entwicklung professoneller Methoden der sozialwissenschaftlichen Zukunftsforschung steht ein Name, der sich mit einer weit ausgreifenden Prognose wohl am deutlichsten als Testimonial seriöser Forschung qualifiziert hat: Daniel Bell.

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6 Traditionen der professionellen Zukunftsforschung

6.1 Optimistismus der Sechziger Jahre Daniel Bell arbeitete nach einer Dozentur in Chicago beim Wirtschaftsmagazin Fortune – bis 1958 als Herausgeber. Später lehrte er in Harvard und an der Columbia University in New York, war Berater des Präsidenten für die Agenda bis 1980 (also für Zukunftsfragen). Daniel Bell ist Autor von bekannten und einflussreichen Büchern, von denen einige für das Nachrichtenmagazin Time immerhin zu den 100 wichtigsten Büchern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählten. Dass sich Bell überhaupt mit dieser Art von Methodologie beschäftigte, hat mit der Aktualität des „Forecasting“ in den 60er Jahren zu tun. Da diese Zeit nur in ihrer grundsätzlichen Charakteristik beschrieben werden soll und überdies in verschiedenen Werken zur Geschichte der Zukunftsforschung beschrieben worden ist (für einen ersten Überblick siehe Kreibich 2006), werden viele wichtige Inspirationen dieser Zukunftsforschung hier nicht ausgeführt und manche nur gestreift, wie etwa die Arbeit Ossip K. Flechtheims, der bereits 1943 den Begriff der „Futurologie“ prägte und in verschiedenen Werken in den folgenden Jahrzehnten ausbaute (Flechtheim 1973). Auch wenn die Idee der ForesightMethoden älter ist, kann Bell als einer der Gründer der modernen sozialwissenschaftlichen Zukunftsforschung bezeichnet werden, weil Flechtheims Analysen immer auch normative Ziele formulierten, Bell hingegen auf die Fragen der methodischen Erfassung von Indikatoren ausgerichtet war – mit dem Postulat der Wertfreiheit und wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit. Methodologische Vorschläge sind von Daniel Bell bereits 1963 ausgearbeitet und skizziert im einflussreichen Essay: „Douze modes de prévision en science sociale. Enumeration préliminaire“. Der Aufsatz erschien 1993 im Bulletin der Société d'Etudes et de Documentation Economiques, Industrielles et Sociales. Seit 1954 führte der Wohlfahrtsökonom Bertrand de Jouvenel das Institut als Direktor. Das „Projet futuribles“ war eine Kooperation der Ford Foundation und der Fondation pour l’étude des relations internationales en Suisse (F.E.R.I.S.), eine Art Konföderation internationaler Geistesgrößen. Der Vorschlag, ein solches Projekt zu initiieren, wurde von Jouvenel 1960 ausgearbeitet. Das Ziel definierte sich durch die kontinuierliche Diskussion über zukunftsträchtige Entwicklungen, als Begründung einer „art de la conjecture“. Eine Übersicht über die Publikationen de Jou-

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venels zeigen, dass bereits Anfang der 60er Jahre nicht nur von Daniel Bell intensive methodologische Bemühungen unternommen wurden. „Les prévisions de croissance“ erschien im Bulletin SEDEIS im Juni 1960. „De la conjecture“ im selben Jahr. 1962 veröffentlichte de Jouvenel seine Gedanken über „La prévision économique à court terme“. Es folgte der Aufsatz „La prévision des idées“ in Futuribles 68 am 1. Dezember 1963, dann das berühmt gewordene wissenschafts- und erkenntnistheoretische Werk „L'art de la conjecture. Futuribles“ (Monaco 1964). Eine Spielerei mit der wünschenswerten Zukunft erschien unter dem Titel „Utopia 1980“ in der Zeitschrift The Spectator vom 14. Februar 1964. Die breite Wirkung Jouvenels zeigte sich auch in Publikationen in amerikanischen Zeitschriften, etwa Political Science and Prevision in der American Political Science Review 59, 1965. „Tâche de la prévision“ erschien als programmatischer Beitrag in Économie et Humanisme in der Winterausgabe 1967. Die Verfügbarkeit dieser Publikationen ist leider nicht sehr groß, daher sind sie nicht im einzelnen in der Literaturliste aufgeführt. Bezüge finden sich immer wieder in der weiter unten skizzierten Wiederauflage der Futuribles durch Bertrand de Jouvenels Sohn Hugues. In diesem Kontext also entstand die Methodenübersicht Daniel Bells: „Douze modes …“. Weitere Protagonisten der Zukunftsforschung dieser Zeit, die hier deshalb erwähnt werden sollen, weil sie in den „Geschichten der Zukunft“ von heutigen Trendforschern unberücksichtigt bleiben (etwa in Oona Horx-Strathern 2007) waren etwa Churchman (1961) oder Massenet (1963 a,b). Das von Michael Young 1968 herausgegebene Sammelwerk ,,Forecasting and the Social Sciences“ war die erste Publikation des vom Social Science Research Council 1966 eingesetzten Committee on the Next Thirty Years. Drei Jahre später, 1969, widmete sich Futuribles erneut und diesmal mit einer fast 600 Seiten starken Ausgabe der Zukunftsforschung. Der Herausgeber Francois Hetman präsentierte ein Lexikon der methodologischen Begriffe (zweisprachig im Text – französisch und englisch –, dreisprachig – mit deutscher Übersetzung – beim Vokabular). Der Titel: „Le Langage de la prévision“. Auch wenn die Vorhersage (prévision, forecast) ganz allgemein bereits akzeptiert sei, sei sie doch noch in keiner Hinsicht eine exakte Wissenschaft. Vor allem sei es wichtig, die herrschende Begriffsvielfalt zu klären. „In view of society’s accelerated technological process however, it is normal that the work carried out in this field, particularly in the United States, should develop the fastest and so produce a relative abundance of terms“ (IX). Dieses lebhafte Interesse an Zukunftsforschung wird damals vor allem historisch begründet. Nach den irritierenden Erfahrungen der eigenen Fehlbarkeit in der Identifikation mit dem Stalinismus und der brutalen Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn 1956 wachsen die Zweifel an der Fähigkeit ideologischer

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Systeme und ihren historischen Logik. So verlegt sich die Hoffnung auf die Wissenschaft, auf eine Art rationalistischer Aufklärung über das, was Zukunft sein könne. Diese Initiativen repräsentieren ein breites kulturelles Fundament für die demokratische Gestaltung der Zukunft. Italo Calvino notiert seine Gedanken aus dieser Zeit: „Zwei Dinge…, an die ich immer geglaubt habe und weiter glaube, möchte ich hier festhalten. Zum einen die Leidenschaft für eine globale Kultur, die Ablehnung des unkommunikativen Spezialistentums, um statt dessen ein Bild der Kultur als einheitliches Ganzes lebendig zu halten, wozu jeder Aspekt des Erkennens und Machens gehört und wobei die verschiedenen Ansätze jeder spezifischen Forschung und Produktion Teil jenes allgemeinen Diskurses sind, den die Geschichte der Menschen darstellt, die wir endlich im menschlichen Sinne zu beherrschen und zu entwickeln lernen müssen.“ Einige Jahre zuvor hatte Calvino das Motiv in einer Korrespondenz mit seinem Verlag Einaudi anlässlich einer Reise durch die Vereinigten Staaten aufgenommen. Er besuchte damals die Laboratorien von Los Alamos, hatte aber nicht die Gelegenheit, mit den Wissenschaftlern zu sprechen, was er gleichzeitig bedauernd und erleichtert kommentiert: „Vielleicht ist es auch besser so, denn nach den wenigen kurzen glimpses habe ich mir die Vorstellung gebildet, dass die Wissenschaftler die einzigen sind, die etwas Neues in Amerika herbeiführen können, denn viele von ihnen verbinden mit der naturgemäß avanciertesten Technikkultur eine avancierte humanistische Kultur, und vor allem sind sie die einzigen Intellektuellen, die eine gewisse Macht haben und etwas zählen; diese Vorstellung ist mir lieb geworden, und so habe ich Angst, dass sie mir durch weitere Begegnungen widerlegt werden könnte“ (Calvino 1960, zitiert nach Calvino 2000: 118). Als prominentes Beispiel für diesen anfänglichen pragmatischen Optimismus könnte Weizsäckers Idee der „Weltinnenpolitik“ angeführt werden, die sich ab 1970 in der Gründung des Starnberger Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt manifestierte. Gemeinsam mit Jürgen Habermas leitete Weizsäcker dieses Institut bis 1980. Die Themen erfassten durchaus Trends, aber in einem anderen Sinne als die oberflächlich auf Konsum- und Absatzchancen hin getrimmten modischen Ausdrucksformen und Tätigkeitsmerkmale, wie sie nach der Boulevardisierung die „Trendforschung“ prägten. In der professionellen Forschung dominierten Themen wie Kriegsverhütung, Entwicklungspolitik, Wissenschaftsphilosophie, Sozialpolitik, Neue Internationale Arbeitsteilung, Integration und Desintegration, Ernährung, Umwelt, Urbanisierungsprobleme. Die S.E.D.E.I.S. gerät im Laufe dieser Jahre in eine Reihe von Turbulenzen (zur Geschichte siehe Mousli, Roëls 1995), bleibt aber im Prinzip erhalten. 1974 erscheint erstmalig eine neue Publikation, nun unter der Direktion von Hugues

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de Jouvenel, Analyse & Prévision, sehr kurzlebig. Die Zeitschrift stellt ihr Erscheinen im selben Jahr ein. Dafür erscheint ein Jahr später die erste Nummer der Futuribles. Die Publikation – und die dahinter stehende Philosophie – zielt auf einen öffentlichen Diskurs über die sozialen und politischen Entwicklungen, auf Diskussionen und Debatten. Schon zu dieser Zeit beschäftigen sich die Autoren der Zeitschrift mit den Konsequenzen des gesellschaftlichen Alterungsprozesses, mit technologischen Risiken (wie Bhopal, Seveso) und mit der Kulturindustrie. Futuribles setze erklärtermaßen eher auf die Kompetenz von Wirtschaftswissenschaftlern, Demografen, Soziologen, Ökologen als auf die Zukunftsexegesen selbsternannter Futurists. Die späteren und heutigen Ausgaben sind unter der Webadresse www.futuribles-revue.com einzusehen.

6.2 Technologischer Pragmatismus Schon 1969 deutet sich in einem Beitrag von Andrew Schonfield vom British Science Research Council im Monat) eine gewisse Desillusionierung an, die die sozialwissenschaftliche Zukunftsforschung fortan charakterisieren wird, weil „solche einfachen und zuverlässig erscheinenden statistischen Messungen nur dann zu gebrauchen sind, wenn sie mit spekulativer sozialer Phantasie ausgewertet werden. Es gibt hier kein Ding an sich. Die Futurologie bleibt an die Phantasie gebunden. Sie kann nicht einfach dadurch in eine respektable ,harte’ Wissenschaft verwandelt werden, dass man die Wirtschaftler und die Technologen veranlasst, sie mit ein paar Zahlen zu beliefern.“ Bereits in dieser frühen Relativierung der pragmatischen Potenziale der Zukunftsforschung setzte sich Schonfield mit dem beginnenden Interesse der Industrie auseinander: „Die praktischen Aufgaben eines Studiums der Futurologie liegen auf öffentlich-politischem Gebiet besonders klar zutage, doch hat sich auch ein ausgesprochenes geschäftliches Interesse dafür ergeben. Der britische Konzern I.C.I. hat zum Beispiel kürzlich die Arbeit an einer langfristigen Vorausschau auf das Jahr 2000 abgeschlossen und hält das Resultat offensichtlich für so wertvoll, daß er es vertraulich behandelt“ (Schonfield 1969: 36/37). Dieses in den 60er Jahren erwachende Interesse des Strategischen Managements, die Alltagspraxis durch Leitlinien einer Zukunftsplanung zu sichern, hat zu zwei bezeichnenden Spezialisierungen der Zukunftsforschung geführt, die einen stärkeren Pragmatismus pflegten – eine, die sich eher mit der politischen, und eine zweite, die sich mit der betriebswirtschaftlichen Umsetzung beschäftigte. Hier können für jede dieser beiden Linien wieder nur exemplarische Positionen skizziert werden. Für den politischen Sektor ist dabei das 1978 publizierte Gutachten der französischen Autoren Alain Minc und Simon Nora über die „In72

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formatisierung der Gesellschaft“ sowohl thematisch als auch methodologisch wie von seiner publizistischen Wirkung her ein bedeutender Meilenstein. Für die eher pragmatisch-betriebswirtschaftliche Linie steht der russischstämmige amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Igor Ansoff, der – ebenfalls in den späten 70er Jahren – in seinen wissenschaftlichen Wirken zum Strategischen Management die Idee der „Weak Signal Research“ begründete. Beide Seiten belegen, dass lange vor den Boulevardtrendforschern auf der Grundlage problemorientierter wissenschaftlicher Arbeit fast alle so genannten Megatrends differenziert ausgearbeitet und in vielen Konsequenzen durchdacht worden waren. Zunächst zum französischen Autoren-Duo Alain Minc und Simon Nora. „Informatisierung der Gesellschaft“ wurde ein nationaler Bestseller, was angesichts der trockenen technischen Materie und des wissenschaftlichen Stils wie den an eine Zumutung grenzenden Umfangs des Anhangs höchst verwunderlich ist. Allerdings fasziniert das Buch der beiden Politikberater auch wegen seiner optimistischen – und sehr klaren – Prognosen der (französischen) Zukunft: „Die Informatik ermöglicht und beschleunigt das Aufkommen einer stark produktivitätsorientierten Gesellschaft: weniger Arbeit bei sehr viel größerer Effizienz der Arbeitsplätze, die sich sehr von denen unterscheiden, die im industriellen Kontext gegeben sind“ (119). Nora und Minc prognostizieren vor allem eine „starke Zunahme der Tätigkeiten, bei denen die Information den Rohstoff darstellt“ (119). Dieser Optimismus führte allerdings zu einer Reihe von Fehlleistungen der Prognose, etwa dass die Werkstatt der Fabrik den Rang ablaufen werde, die Filiale dem Konzern (119). John Naisbitt, dessen Arbeit im folgenden Kapitel dargestellt werden soll, deklinierte diese Idee in seinem Buch „Global Paradox“ in den 90er Jahren noch einmal durch. Eine vergleichende Lektüre offenbart sehr illustrativ die Unterschiede der Argumentationsstile Wichtiger und weitaus hellsichtiger war die soziologische Prognose, dass sich nicht mehr „zwei Klassen im Konflikt gegenüberstehen, die aufgrund ihrer Stellung im Industrieprozess strukturiert sind, sondern unzählige mobile Gruppen, die durch ihre unterschiedliche gesellschaftliche Zugehörigkeit und ihre unterschiedlichen Zielvorstellungen charakterisiert sind“ (119/120). Allmählich werde dann die Telematik die Kultur umprägen – die Sprache, die sozialen Verhaltensweisen, das Wissen, das kollektive Gedächtnis (121). Der Herausgeber der deutschen Ausgabe, Uwe Kalbhehn, sah in der unmittelbaren Betroffenheit der Menschen im Alltag denn auch die Erklärung für den überraschenden Erfolg des sperrigen Gutachtens: Die Tatsache, dass die Autoren die Informationstechnologien in den Zusammenhang der Alltagserfahrungen gestellt hätten – Bürokratisierung, kommunale und regionale Selbständigkeit, Arbeitsplätze, staatliche Informationsbedürfnisse, informationelle Selbstbestimmung, schließlich auch nationale Souveränität und technologische Konkurrenz zu den USA – habe auch

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das Interesse des Durchschnittsbürgers an einer derartigen wissenschaftlichen Arbeit wecken können. In dieser Analyse verbirgt sich ein wichtiges Motiv zur Erklärung des Erfolgs der heutigen Boulevardforschung, die im Unterschied zur hochkomplexen akademischen Sozialwissenschaft die unmittelbaren News Values des Alltags bedient. Das haben Nora und Minc vermieden. Was daher als weit wichtiger als die unmittelbare Wirkung des Buches zu veranschlagen ist, war die Vermittlung über die Medien. Erst sie verhalf der Arbeit zum öffentlichen Erfolg. Und das geschah, obwohl keine klare Prognose über die Gesellschaft der Zukunft formuliert wurde: „Die Informationsgesellschaft entzieht sich diesen Analysen und diesen Prognosen. ... Sie ist der Ort einer unendlich großen Zahl dezentralisierter, nicht artikulierter Konflikte, die von einer vereinheitlichenden Analyse nicht erfasst werden können. Zwar berücksichtigt der Systemansatz besser eine vielpolige Gesellschaft. Diese Gesellschaft aber kann keine von vornherein festgelegte Strategie haben. Selbst die Werte dieser Gesellschaft werden Gegenstand vielfältiger Rivalitäten mit ungewissem Ausgang sein. Sie wird eine ungewisse Gesellschaft sein.“ Weil dies so ist, hänge die Zukunft auch nicht von den Prognosen ab, „sondern von der Qualität der Zielvorstellungen der Gemeinschaft und der Beschaffenheit der Regelungsmechanismen, auf die sie sich stützt“ (125). Nora und Minc identifizierten in der von ihnen noch etwas altbacken „Telematik“ genannten technologischen Entwicklung eine Reihe von Vorprägungen späterer sozialer, kultureller und politischer Entwicklungen. Sie liefern aus der Retrospektive ein beachtliches methodologisches Kabinettstück einer Methode, die der russigstämmige amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Igor Ansoff mit dem Begriff der „Weak Signal Research“ etikettierte. So wie der Name Daniel Bells mit der Beschreibung der „Postindustrial Society“ verbunden bleibt, ruft auch Ansoffs Arbeit die Erinnerung an eine frühe Zukunftsforschung auf – vor allem durch sein Bemühen, im Rahmen eines „Stratagic Issue Management“ eine Methode zu entwickeln, mit deren Hilfe die für ein Unternehmen bedeutsamen Weak Signals erfasst werden könnten

6.3 Betriebswirtschaftliche Strategiekonzepte Nach dem Besuch der High School in New York studierte Igor Ansoff Allgemeine Ingenieurwissenschaften am Stevens Institute of Technology und promovierte an der Brown University in Angewandter Mathematik. Im Anschluss an dieses Studium arbeitete er bei der RAND Corporation und bei der Lockheed Aircraft Corporation, wo er zum Vizepräsident für Planung aufstieg. Im Jahr 1963 wechselte Ansoff an die Carnegie-Mellon's Graduate School of Business 74

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Administration. Danach lehrte er an der Vanderbilt University und am belgischen European Institute for Advanced Studies in Management. 1983 kehrte er in die USA zurück, wo er bis zum Jahr 2000 an der US International University in San Diego als Hochschullehrer tätig war. Aufbauend auf seinen Erfahrungen bei Lockheed und inspiriert durch die Logik der wissenschaftlichen Arbeit entwickelte er seine betriebswirtschaftlich bedeutsamen Theorien zur Unternehmensstrategie, die er in seinem Hauptwerk über „Strategisches Management“ ausführte und in diesem Zusammenhang vor allem im „Issue Management“ begründete. „A strategic issue management system (SIM) is a systematic procedure for early identification and fast response to important trends and events both inside and outside an enterprise.” (1980: 134) Die schwachen Signale seien „imprecise early indications about impending impactful events” (131). Ansoff dämpft allerdings den pragmatischen Optimismus, der sich mit dieser Methodologie verknüpfte, weil er in traditionellen Unternehmen grundlegende Hindernisse zur Umsetzung einer solchen Strategie der Weak Signal Research erkannte: hierarchische Blockaden und die Weigerung, die strategischen Leitlinien zu verlassen, die nicht zum Erfahrungshorizont des Unternehmens zählen. Die Implementation eines entsprechenden Instrumentariums erfordere letztlich eine Reorganisation der gesamten Informations- und Kommunikationsstruktur – so etwa, wie sie bereits Mitte der 90er Jahre im Konzept des „lernenden Unternehmens“ von Peter Senge ausgeführt wurde und nun in bereits 9. Auflage vorliegt (Senge 2006). Wo die traditionellen Hierarchien und die klassischen Entscheidungssysteme bestehen bleiben, schätzt Ansoff die Gefahr des Scheiterns als enorm hoch ein: „The systematic management model … is based on logical reasoning. One basic assumption is that top management is committed to leading the firm into new strategic domains whenever the necessity for doing so becomes clear. Another assumption is that management relies on comprehensive logical analysis in selecting the new domains. A third assumption is that employers and lower level managers are ‘reasonable people who will do reasonable things’ even if these ‘things’ violate the historical inertia. Thus the original systematic model was on a single optic – the optic of cognitive logic.” (510). Schon 1980 hat Ansoff zur Systematisierung seiner Strategie eine eindrucksvolle Liste von Trends zusammengestellt, die Veränderungen darstellen und weitere provozieren – die auch belegen, wie eng die soziologischen und die wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtungsweisen beieinander liegen und sich wechselseitig bedingen. Diese „Trends“ stellten allerdings keine Prognosen dar, sondern dienten als Strukturbeschreibungen der bedeutsamen Sphären für das Strategische Management. In welche Richtung diese Strukturmerkmale sich entwickeln würden, war – und ist – im theoretischen Modell der Weak Signal Research gar nicht vorhersagbar. Der Grund wird sich gleich zeigen.

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Zu den Rahmenbedingungen, den Environmental Trends, zählt Ansoff die Bedeutung technologischer Innovationen als Mittel im Wettbewerb, die Größe von Konkurrenzunternehmen, das Wachstum des Dienstleistungssektors, die sich verändernde Altersstruktur der Konsumenten, die ökologische Orientierung der modernen Gesellschaften, sinkende Produktlebenszyklen und generelle Veränderungen in der Managementkultur – das alles bereits 1980, zwei Jahre also, bevor John Naisbitt diese Entwicklungen als die von ihm identifizierten Megatrends verbreitete. Die internen Trends in den Unternehmen seien die Entwicklungen der Größe, Komplexität, Kommunikationssysteme, Rollendefinitionen und Machtstrukturen, der Grad der Zentralisierung, die Produktdifferenzierung und die Vielfalt der Technologien, um auch hier nur einige zu nennen. Welche Bedeutung die einen wie die anderen, die externen wie die internen, Trends für ein Unternehmen besitzen, hänge von der jeweiligen Zielsetzung des Unternehmens ab. Nur vor diesem Hintergrund sei es möglich, überhaupt zu definieren, was ein bedeutsames schwaches Signal sein könne. Schon in dieser frühen Version der betrieblichen „Trendforschung“ wird klar, dass allein die sachbezogene Kommunikation der Beteiligten die Aufgabe der Identifikation wichtiger Trends erfüllen könne. Eine Matrix aus drei Dimensionen (externe Trends, interne Trends, Zielsetzungen) erlaube die Identifikation von „Threads and Opportunities“. Ansoff schlägt eine „Cross Impact Analysis” vor, um die „simultaneous impacts by more than one trend“ identifizieren zu können (141) und fasst das Resultat seiner Überlegungen am Ende so zusammen: „Strategic evolution of an organization is determined by a three-way feedback interaction between forces of the environment, the internal configuration and dynamics of the organisation, and its strategy” (514). Doch das Strategische Issue-Management wird von einem erkenntnislogischen Problem belastet, das auch auf wissenschaftlicher Ebene – vor allem inspiriert durch die Arbeiten des Kritischen Rationalismus – seit den 50er Jahren intensiv diskutiert wird: Zur Identifikation schwacher Signale muss zunächst entschieden werden, was als schwaches Signal gilt. Wie dieser innere Widerspruch methodologisch zu bewältigen sei, darüber gehen die strategischen Vorschläge (insgesamt jedoch ohne Ergebnis) auseinander. Einig sind sich alle Protagonisten dieser Versuche allerdings darin, dass die so genannte Trendforschung nicht weiterhilft. In einem sehr differenzierten Beitrag mit dem Titel „Detecting the next big thing”, begründen die Unternehmensberater S. Dyer Harris und Steven Zeisler in einer Wiederaufnahme der Weak Signal Research 2002 ihre Enttäuschung über die Leistungen der „futurists, strategists, planners“ und schreiben: „It is increasingly futile to predict the future by, for example, extrapolating trends forward” (Harris, Zeisler 2002: 21). Allerdings werde es immer wichtiger, die Tendenzen

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in der chaotisch erscheinenden Umwelt zu erkennen, um wirtschaftlich gestalten zu können. Harris und Zeisler greifen zur Fundierung auf die komplexitätstheoretischen Überlegungen der modernen Soziologe zurück, die von der Interaktion komplex adaptiver Systeme in komplex adaptiven Umwelten ausgehen und sich jeder Vorhersage schon deshalb entziehen, weil diese Vorhersage ihrerseits die Systeme auf eine nicht kalkulierbare Weise beeinflussten und sich damit selbst zerstört. So überzeugend die komplexitätstheoretischen Überlegungen sind, so trivial erscheinen die Strategien der Umsetzung: „Listen to what the experts are saying and what the strong trends are – then consider the opposites and look for Weak Signals that indicate countertrends“ (6). Harris und Zeisler verfangen sich in ihrer eigenen Argumentation, denn dieser Vorschlag bleibt in der üblichen Systematik und kann logischerweise nur solche schwachen Signale orten, die m Blickfeld der erkannten und anerkannten Trends liegen. Der Soziologe und Komplexitätstheoretiker Peter Kappelhoff kommt auf Grund derselben Analyse zu einem für das Strategische Management weit fruchtbareren Ergebnis – gerade weil er die Aussichtslosigkeit einer systematischen Erfassung von schwachen Signalen nachweist: Am Ende aller komplexitätstheoretischen Versuche, sagt Kappelhoff, läge es für die Soziologie eigentlich nahe, sich auf ihre narrative Tradition zu beziehen (Kappelhoff 2001). Ich komme darauf zurück. Fünf Jahre zuvor schon hatte die Unternehmensberatung MG Taylor versucht, das Konzept der „Weak Signal Research“ zu systematisieren. Doch bereits die erste Passage des umfangreichen Konzepts der Einführung zeigt die hohe Komplexität des Ansatzes, der eigentlich die zeitliche Unabhängigkeit eines von ökonomischen Zwängen befreiten Forschungsinstituts benötigte: „In this series, I will spend a bit of time examining the scientific theory of information, cybernetics, and some topics under the heading of complexity, or self-organization. Then I'll apply this examination via metaphor, simile and analogy to the human venture, or enterprise. The purpose of this application is to stimulate thought, to cause it to shift perspective or basis, and to make it more elastic by consequence. The theory of information and communication deals with the transmission and recognition of electronic signals; complexity and self-organization derive many of their conclusions from computer simulations. Results from these fields may be instructive in the realm of the enterprise, but I do not suggest that the principles of the science of electricity, for example, maintain any one-to-one correspondence with or transference to the art of growing organizations” (Web-Dokument 10).

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6.4 Überkomplexität und Relativierung Was am Ende herauskommt, ist leider eine höchst simple Iteration auf dem Niveau einer Seminararbeit. Auf die grafische Darstellung, die den üblichen zirkulären Prozess darstellt, kann auf Grund ihres simplen Layouts verzichtet werden. Die Berater schlagen sechs Schritte vor: Aufmerksamkeit gegenüber bedeutungsvollen Botschaften aus der Unternehmensumwelt; die Entwicklung einer Hypothese über die Bedeutung der Botschaft; Validierung oder Falsifikation der Hypothese; Suche nach verwandten Signalen (mapping); Bestimmung der Konsequenzen; strategische Entscheidung und Implementation. Was dann folgt, ist eine fünfteilige Strategieanweisung, die auf Grund ihrer Komplexität jedes Unternehmen über die Grenze des Chaos treiben würde. Die Idee der Weak Signals offenbart eine weitere unlösbare Herausforderung der „Zukunftsforschung“: Das, was im herrschenden System als „schwache Signale“ einer Veränderung interpretiert werden kann, mag außerhalb des Systems eine alltägliche Selbstverständlichkeit sein, eine Art vierter Dimension, die sich zwar theoretisch erahnen lässt, die aber keine Bedeutung für den „normalen“ Alltag besitzt. Das Problem, was nun entsteht, ist erkenntnistheoretisch hoch interessant, praktisch aber bedrückend: Die Suche nach schwachen Signalen außerhalb des Systems, in dem diese Suche initiiert wird, ist letztlich nur aus den Perspektiven des Systems motiviert und mithin Ausdrucksform des Systems selber. Daher können wiederum auch nur solchen schwachen Signale geortet werden, die in einer Beziehung zum herrschenden System stehen. Alles andere bleibt unsichtbar – und zwar solange, bis sich aus irgendeinem unerklärlichen Grund diese Beziehung zum herrschenden System ergibt. Wir reden also grundsätzlich nicht über das Universum möglicher Einflussfaktoren, sondern nur über das Sample jener Einflussfaktoren, die bereits diesseits des herrschenden Systems erkennbar sind. Das schränkt die Reichweite der unternehmerischen Forschung zunächst einmal auf Innengrenzen des Systems ein. Jenseits dieser Ordnung des komplex adaptiven Universums herrschen andere Ordnungen, die aus der Sicht des habituellen Systems, in dem sich die Fahnder nach den schwachen Signalen bewegen, nur noch Unordnung, also nicht interpretierbar sind. Wenn also die „schwachen Signale“ definiert werden können, sind sie bereits Teile des Systems – etwa nachlassende oder wachsende Auftragseingänge, Zunahme von Beschwerden, Veränderung der Krankenstände beim Personal, neue Werbekonzeptionen im Umfeld. Dieses Dilemma kann an vielen Beispielen illustriert werden: Wann beginnen sich menschliche Verhaltensweisen auf den Klimawandel auszuwirken? War es vor zehn Jahren? Oder 1950? Oder begann die Veränderung der durch Menschen beeinflussten Rahmenbedingungen bereits um 1800? Wieweit lassen sich 78

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heute gängigen Konsummuster in die Vergangenheit zurückführen? Welche kulturellen Auswirkungen werden Innovationen wie die Nanotechnologie haben? Vor allem: Was haben wir übersehen, das für die nächsten Jahre des Strategischen Managements von erheblicher Bedeutung sein wird? Es ist müßig, darüber zu spekulieren – es wäre gewissermaßen eine Übung in retrospektiver Science Fiction. Diese Übung wird zeigen, dass selbst der Versuch, aus der Warte der Zukunft einen Anfangspunkt einer Entwicklung zu sehen, unmöglich ist. Angesichts dieser komplexen Herausforderungen wirkt es äußerst naiv, wenn eine Forscherin auf der „European Futurist Conference“ ihren Alltag bei der Suche nach Weak Signals als eine Strategie der aufmerksamen Beobachtung mit Notizblock und Handy-Telefon beschreibt (Web-Dokument 11). Diese Probleme und die wachsende wissenschaftliche Durchdringung dieser Probleme durch die systemanalytischen Planspiele mit der grundsätzlichen Kontingenz der Entscheidungen komplex adaptiver Systeme in komplex adaptiven Umwelten haben sowohl in der sozialpolitischen Zukunftsforschung in der Tradition von Minc und Nora mit der Diagnose der „unbestimmbaren Zukunft“ wie auch in der „Weak Signal Research“ nach Ansoff eher desillusionierend gewirkt – zumal prominente Beispiele zeigen, dass selbst offenkundige Signale übersehen wurden, die zum Niedergang ganzer Unternehmen führten. Im Falle Enrons beispielsweise waren es schlichte Geldgier und das kriminelle Verhalten von Personen (Kenneth Lay und Jeffrey Skilling), die kurze Zeit zuvor noch mit Recht als Vorzeigemanager gefeiert wurden (vgl. z. B. Neff, Citrin 1999: 215 ff). Der Zusammenbruch der Long Term Capital Management wenig später verstärkte die Desillusionierung. Immerhin basierte die Strategie bei LTCM auf den Theorien von Myron Scholes and Robert C. Merton, die 1997 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für ihre finanzmathematischen Theorie der Bewertung von Finanzderivaten erhielten und Mitglieder Geschäftsleitung waren. Der Grund für den Zusammenbruch des Fonds lag am Ende einfach darin, dass Anleger gegen alle Theorie irrational handelten und massenhaft ihre Anteile verkauften. Das Problem wird an diesem Beispiel sehr deutlich: Die Erklärung für die unerwarteten Entwicklungen sind äußerst simpel und aus der Retrospektive von erschütternder Einfachheit. Doch mit dem Blick aus der vergangenen Gegenwart auf die heutige Zukunft waren sie nicht zu erkennen, ganz gleich, mit welchen Mega- und sonstigen Trends die Analyse hinterlegt worden wäre. Man könnte einwenden, dass das Beispiel schlecht gewählt ist („Worst Practice“ ohne repräsentative Bedeutung), weil es sich die Problematik der Vorhersage betrifft. Aber sowohl die älteren sozialpsychologischen als auch die neueren neurowissenschaftlichen Studien zum Verhalten von Menschen bei finanziellen Entscheidungen verdeutlichen, dass es sich – individuell gesehen – um psychologische und –

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das kollektive Handeln betreffend – um soziologische Fragestellungen handelt. Größere Bescheidenheit vor dem Faktor „Randomness“ (Taleb 2001) wäre die einzig plausible Reaktion, ergänzt durch den Versuch einer durch alle Beteiligten gepflegten kontinuierlichen Wachsamkeit und diversifizierten Kommunikation – die narrative Soziologie als Garant der Flexibilität in Unternehmen. Doch als plausibelste Lösung einer raschen Bewältigung des Problems erscheint die Delegation der Aufgabe an externe Agenturen – vor allem an Trendund Zukunftsforscher mit ihrem vollmundigen Versprechen, die aus Sicht der klassischen Wissenschaft unlösbaren Dilemmata zu lösen und die Unternehmen gleichzeitig mit ihrer Weitsicht vor dem Chaos zu bewahren. Eine erste Version dieses methodologischen Heilsversprechen bietet 1970 Alvin Toffler mit einem Buch, das präzis auf dieses Ohnmachtsgefühl angesichts der Überkomplexität denkbarer Zukünfte reagiert: „Future Shock“.

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7 Traditionen der boulevardesken Trendforschung

7.1 Leitmotiv ‚Future Shock’ Alvin Toffler hatte eher periphere Berührungen mit der Soziologie. Er firmierte eine Zeitlang als Lehrbeauftragter für „Soziologie der Zukunft“ an der New School for Social Research in New York, war später Gastprofessor an der Cornell-University und Berater für unterschiedliche Think Tanks in den USA sowie Journalist bei Fortune. Mit „Future Shock“ erfand er eine neue Art von Sachbuch, das die damals sehr verbreiteten utopisch orientierten Werke für ein eher jugendliches Publikum („So leben wir morgen“; „Die Welt im Jahr 2000“, „Das neue Universum“) mit wissenschaftsartigen Einsprengseln und einem durchgehenden Leitmotiv versetzte: den „Disease of Change“, die Krankheit durch oder am Wandel. Während zum Beispiel Hermann Kahn und Norbert Wiener einen mathematisch-systemanalytischen Ansatz vertraten und ihre Prognosen berechneten, während die Soziologen im globalen Diskurs eine Methodologie der Vorhersage zu entwickeln suchten, doch zusehends deutlicher die wachsende Komplexität der Entwicklungen diagnostizieren, die sich jeder Prognose entzogen, verlegte sich Toffler auf die feuilletonistische Strategie des gehobenen Boulevards: auf plausible Mutmaßungen, gestützt durch anekdotische Evidenz und opportune Belegketten aus Einzelbeobachtungen, die er zu Markierungen der Zukunft erhob. Er entwickelte er einen neuen Stil, der den öffentlichen Bedürfnissen entgegenkam und die News Values der unmittelbaren Betroffenheit und der Sensation durch revolutionäre Veränderungen befriedigte. Mit diesem Leitmotiv des „Zukunfts-Schocks“, das den bis dahin dominierenden und höchst zuversichtlichen Middle-Class-Optimismus ablöste, traf Toffler den Nerv der Zeit: Zweifel an der ewigen Kontinuität der Konsumgesellschaft. Damit ist ein Kernaspekt des Genres formuliert: die Angst vor Veränderungen und das Versprechen einer Lösung. Methodologisch setzte man auf Plausibilität. Im Vorwort von „Future Shock“ wird dieses Verfahren noch sehr vorsichtig als tastender Versuch etikettiert und die Zukunft als grundsätzlich offen und nicht prognostizierbar eingeschätzt (Toffler 1971: 14/15). Gleichwohl ignoriert der ehemalige Journalist geschickt die Tatsache, dass auch er die methodologischen und analytischen Probleme nicht lösen konnte, denen sich die Akademiker ausgesetzt sahen. Das scheint ihn aber nicht weiter zu stören: „The inability to speak with precision and certainty about the future … is no excuse for silence“ (Toffler 1971: 15). Toffler weist im Vorwort darauf hin, dass er auch in den 81

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Fällen, in denen er über die Zukunft rede, nur theoretisch über die Zukunft redet und eigentlich eine Menge von Relativierungen anfügen müsste – auch stilistisch. Um der Leserschaft diese stilistische Zumutung zu ersparen, bittet er, die Relativierungen jeweils selber mitzudenken. Damit ist das zweite Motiv der Boulevardforschung formuliert: Toffler fordert das Vertrauen der Leser und Kunden ein, seinen Mutmaßungen zu folgen. Bereits hier verbindet sich der „seherische“ Anspruch mit der Selbsternennung zum Agenten einer gesellschaftspolitischen Mission, der sich bis zu Horx immer weiter verdichtet: „We who explore the future are like those ancient map-makers, and it is in this spirit that the concept of future shock and the world theory of the adaptive range are presented here – not as final word, but as a first approximation of the new realities, filled with danger and promised, created by the accelerative thrust“ (Toffler 1971: 15) Das Inhaltsverzeichnis zählt 119 Positionen, die allesamt mit feuilletonistischen Titeln überschrieben sind – von „The Unprepared Visitor“ über „The Paper Wedding Gown“, „The Modular Fun Palace“ oder „Catholics, Cliques, and Coffebreaks“ bis zur „Mystique of Motherhood“ und schließlich zur „Anticipatory Democracy“. Wer zu irgendeinem beliebigen Thema Zitate sucht, wird sie in diesem Buch finden. Der enzyklopädische Anspruch ist total. Eine Fragestellung kann es nicht geben, weil Toffler die ganze Welt in alle ihren Ausdrucksformen durcheilt, und dies sozusagen in 119 Kolumnen. „Future Shock“ verkaufte sich weltweit nach Aussagen des Verlags über sechs Millionen Mal, was Autor und Verleger veranlasste, nachzulegen. „The Third Wave“, das zweite große Buch, folgte 1980, ein emotionales, normativ gehaltenes Plädoyer für eine semi-partizipatorische Demokratie, die er mit einem Neologismus identifiziert: Prosuming – einer der Begriffe, der, wie viele der Trendvokabeln, wenig später zum Allgemeingut der kommerziellen Anbieter wurde. Wieder zehn Jahre später, 1990, erschien als drittes Hauptwerk Tofflers „Powershift“. Thema: das elektronisch forcierte Informationszeitalter und die Verlagerung der Macht zu den Informationseliten. Aufmerksamen Beobachtern der Wissenschaftsgeschichte wird nicht entgehen, dass diese Bücher nichts anderes sind als die populäre Verdichtung der jeweils einige Jahre zuvor erarbeiteten Forschungsbefunde der Sozialwissenschaften. Was Toffler nicht vorhersehen konnte – ein hübscher Beleg im Übrigen für die Kontingenz von Entwicklungen –, war, dass durch seine Art der Zukunftsliteratur sich eine Schar von nicht wissenschaftlich qualifizierten Personen motiviert sah, aus seiner publizistischen Strategie eine Geschäftsidee zu entwickeln, an deren Ende die Weissagungen der „Sex Styles 2010“ stehen. Toffler und seiner Frau und späteren Ko-Autorin muss diese unerwartete Geschichte ihrer Idee abenteuerlich und auch beunruhigend vorgekommen sein.

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Der Journalist Michael Krantz schrieb denn auch 1996 (als die Trendforschung lange schon eine Industrie darstellte): „The Tofflers, who made this market in the first place, hope to cash in as well. They are about to be repackaged for the digital era by Creative Artists Agency, the Hollywood agenting Goliath. The vehicle for this effort: a multimedia clearinghouse called FutureNet, which is building everything from a site on the World Wide Web to a weekend televised magazine and an ambitious half-hour weeknight TV show called Next News Now.” Es gebe ja immerhin einen „History Channel”, wird Toffler zitiert, warum dann nicht auch einen Future-Channel? Leicht und für alle verständlich, nicht nur für Experten. So wurden mit einer Reihe von großen Unternehmen finanzielle Verhandlungen geführt – allerdings ohne Ergebnis. Dennoch: Fünfundzwanzig Jahre nach „Future Shock“ hatte sich realisiert, was Toffler in einer kleinen Diagnose, irgendwo versteckt in den Weiten seines ersten Buches, gemutmaßt hatte: die Entstehung, wie Krantz schreibt, einer „well-oiled machinery for the creation and diffusion of fads“, die nun „an entrenched part of the modern economy“ darstelle. Eine Generation nach ihrem ersten Buch sind nun der Hohepriester und die Priesterin des Futurismus endlich in der Praxis angelangt, die sie gepredigt haben. Einer der wesentlichen Promotoren dieser Entwicklung war zweifellos John Naisbitt. Als „Powershift“ erschien, hatte sich unter dem inspirierenden Eindruck der Verkäuflichkeit dieses Genres in den USA bereits eine Nebenlinie etabliert, die sich der strategischen Vermächtnisse der Arbeitsweise von Toffler virtuos nun auch für die kommerzielle Konsumberatung bediente: Trend-Research, als deren Befunde „Megatrends“ in den publizistischen Umlauf gegeben wurden. Die Popularisierung dieses Begriffs geht auf John Naisbitts erstes Werk „Megatrends“ (1982) zurück, das den enzyklopädischen Anspruch auf die Methodologie ausdehnt.

7.2 Leitbegriff ‚Megatrends’ Als Trendforscher hatte John Naisbitt durchaus Erfahrung – und zwar im Bereich der seriösen professionellen Forschung, in die er nach einigen Assistenzposten in der Politik einstieg. Nach einem Studium an der University of Utah (mit mehrwöchigen Austauschprogrammen an die Cornell-University und nach Harvard) arbeitete er aber zunächst 1953 und 1954 als Public Relations Assistent bei Eastman Kodak, wechselte dann in die politische Administration unter John F. Kennedy, wo er für den Beauftragten Francis Keppel als Public RelationsAssistent und später in der Johnson-Administration in einer ähnlichen Funktion für John Gardner tätig war. Keppel arbeitete für den Erziehungsminister Ce83

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lebrezze unter den Präsidenten Kennedy und Johnson in den Jahren 1962 bis 1965 als US Commissioner of Education. Gardner war Celebrezzes Nachfolger unter Lyndon B. Johnson. In der deutschsprachigen Fassung des letzten NaisbittBuches „Mindset“ wird daraus allerdings eine etwas glamourösere Position (Hervorhebungen von mir): „Mit 25 Jahren bewarb ich mich um einen Sitz im Kongress, wurde stellvertretender Erziehungsminister unter Präsident Kennedy, blieb nach seiner Ermordung als Assistent John Gardners, der damals das Superministerium Gesundheit, Soziales und Bildung innehatte, und leitete schließlich Sonderprojekte für Präsident Johnson im Weißen Haus.“ Schon 1985 wurden in der Augustausgabe der renommierten Zeitschrift Washingtonian an dieser Darstellung Zweifel geäußert. Ich komme bei der Analyse der Medienberichterstattung auf diese Inkonsistenzen in der Biografie Naisbitts noch einmal zurück (vgl. Kapitel 11.3). Nach der Tätigkeit für die beiden Politiker verließ Naisbitt 1966 Washington und trat eine Position in der von IBM geführten Unternehmung Science Research Associates an, ein Verlag, der Lern- und Bildungsmaterialien für Schüler publizierte und heute zum Verlag McGraw Hill gehört. Auch diese biografische Station ist nicht ganz klar, weil Naisbitt schreibt, er sei von Tom Watson jr., dem legendären IBM-Vorstand, zum Assistenten berufen worden. Auf jeden Fall führten die Erfahrungen, die Naisbitt hier sammelte, zur Gründung eines eigenen Unternehmens, der Urban Research Corporation. Man findet in den Publikationen von damals hier und da einige Hinweise auf die Arbeit des späteren Bestsellerautors und selbsternannten Gurus. Eine wichtige Belegstelle liefert ein Kommentar Elsa Porters 1976 in der Public Productivity Review. Auf eine Erwähnung der wissenschaftlichen Bedeutung der contentanalytischen Arbeit John Naisbitts stößt man in einem Diskussionsbeitrag in der Sonderausgabe der Zeitschrift Public Opinion Quarterly zur Preisverleihung des Public Relations Award 1975 an Raymond A. Bauer durch die American Association of Public Opinion Research. Hier wird der renommierte amerikanische Kommunikationswissenschaftler Morris Janowitz mit dem Satz erwähnt: „There has been at least one significant attempt to institutionalize content analysis on a large scale and ongoing basis: The Trend Report of the Urban Research Corporation. These Quarterly Reports, based on the content analysis of 200 daily newspapers in the 156 major metropolitan areas, represent a new threshold in systematic research into mass communications and public opinion” (Janowitz 1975: 407). Gelegentlich finden sich noch Berichte über die Studien der Firma, vor allem über die Rassenunruhen auf den Universitäts-Campus der USA in den späten 60er Jahren, so wie sie sich in den Zeitungen darstellten. Die Urban Research Corporation praktizierte also bereits die auf der Contentanalyse basierende Bestandsaufnahme thematischer Konjunkturen, allerdings im Unterschied zu

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der Praxis, die das Zukunftsgewerbe wenig später und durch den Impuls von Heidi und Alvin Toffler annehmen sollte, auf der Grundlage klar definierter Fragestellungen, hier insbesondere die Fragestellung der Integration von Minderheiten aus der Sicht der Stadtentwicklung. Und das genau führte offensichtlich ins Aus, denn die Spuren des Unternehmens verlieren sich 1977. Danach existiert es nicht mehr. Naisbitt sah sich vermutlich demselben Schicksal ausgesetzt wie die eher wissenschaftliche Trendforschung, die bis zu diesem Zeitpunkt eine lebendige weltweite Konjunktur verzeichnete, ihrerseits erlebt hatte. Mit Ende der Siebziger Jahre schwindet der Optimismus, der sich auf eine präzise Vorhersagbarkeit konkreter gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Vorhersagen gerichtet hatte. Alvin Toffler war der erste gewesen, die diese Tendenz in einer neuen Art des publizistischen Umgangs mit der Zukunft erkannte und eine pragmatische Alternative entwickelte. Naisbitt perfektionierte nach dem Scheitern seiner wissenschaftlichen Trendforschung dieses Prinzip, indem er fünf Jahre später, also 1982, zusammen mit seiner damaligen Frau Patricia Aburdene eine gewissermaßen biblische Ordnung in die Zukunft brachte: „Megatrends. Ten New Directions Transforming Our Lives“. Das Buch erlebte einen gigantischen Erfolg – erstaunlicherweise, denn es enthält nichts, was nicht längst bekannt, diagnostiziert und in der wissenschaftlichen Foresightforschung fundiert ausgebreitet war. Nicht erst heute, also aus der Distanz von zweieinhalb Jahrzehnten, mutet dieses Buch daher trivial und vordergründig an. Die Vorhersage der aufkommenden postindustriellen Gesellschaft war längst formuliert (vgl. Fisher 1939; Clark 1940; Fourastiè 1949, 1955; Minc/Nora 1971; Bell 1976; Gartner/Riessmann 1978, um nur wenige zu nennen). Das Zusammenwirken von High und High Touch klang gut, sagte aber nichts, was nicht längst durch die Kognitions- und Emotionspsychologie ausgebreitet worden war. Globalisierung war ohnehin bereits Alltag – und der Begriff stammt nicht von Naisbitt, wie lange behauptet wurde. Naisbitt selbst rückt in einem Interview der Welt am Sonntag vom 4. März 2007 von der Behauptung ab – obwohl sie im Vorspann des Artikels aufrecht erhalten wird. Dass die die dezentralen Einheiten in der Weltwirtschaft gestärkt würden, war schon zum Zeitpunkt der Publikation falsch und vermutlich auf die Datenbasis der Contentanalyse zurückzuführen: amerikanische Provinzzeitungen. Der Wohlfahrtsstaat entwickle sich zurück zu einer Gemeinschaft der Selbsthilfe. Die repräsentative verändere sich zu einer partizipativen Demokratie. Die Zukunft gehöre den Netzwerken und multiplen Optionen. Alles Dinge, die jeder irgendwie ahnte, wusste, als selbstverständlich erachtete. Aber genau in dieser Oberflächenspiegelung der ohnehin ersichtlichen Entwicklungen gründete die publizistische Strategie: Die gängigen Kommentare, die auch die Rezeption der weiteren Bücher charakterisierte war: Genau so ist es. Die Trendforschung

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erwies sich bereits in ihrer ersten weltumspannenden Präsenz als eine schlicht konservative Bestandsaufnahme, die nichts anderes lieferte als die Bestätigung des Allgemeinwissens. In Mind-Set begründet Naisbitt denn auch diese Trivialität der „Prognosen“ damit, dass es wichtig sei, dem Publikum nicht allzu weit vorauszueilen. Die Strategie, die Naisbitt und Patricia Aburdene in ihren nächsten Büchern anwendeten, war die stetige Wiederaufnahme der einzelnen Elemente dieser zehn Trends. Die erste Konkretisierung in Richtung Unternehmensberatung erfolgte 1985 mit dem Buch: „Reinventing the Corporation. Transforming Your Job and Your Company for the New Information Society”. Mittlerweile hatten sowohl die Tofflers als auch eine Reihe anderer Gurus eine sichere und vor allem zahlungskräftige Zielgruppe für den Absatz der aus „Threads and Opportunities“ komponierten Botschaften ausgemacht: Manager. Das Motiv für diese Adressierung stammte aus einem Nebenzweig der Wirtschaftswissenschaften, der sich in der Manier der amerikanischen Sachbuch-Industrie popularisierte und vor allem durch die Bücher der beiden emigrierten Österreicher Ernest Dichter und Peter Drucker inspiriert wurden. Drucker beherrschte diese Szene, nicht zuletzt deshalb, weil seine managementkritischen Arbeiten auch als Zukunftsentwürfe ausgelegt waren, wie das bereits 1955 erschienene Werk „America’s Next Twenty Years“, später dann, 1969, „The Age of Discontinuity: Guidelines to Our Changing Society“, konkretisiert im selben Jahr in „Preparing Tomorrow's Business Leaders Today“. In einer Sammlung von Aufsätzen unter dem Titel: „Toward the Next Economics, and Other Essays“ formulierte Drucker dann 1981 den Zweifel: Das einzige, was man erforschen könne, sei „the future that has already happened“. Drucker hat dieses Motiv Zeit seines langen Lebens verfolgt, aber immer auch die notwendigen Relativierungen gesetzt, etwa in „The Frontiers of Management: Where Tomorrow's Decisions are Being Shaped Today“, erschienen 1986. Um die lukrative Managementszene zu erobern, lieferte Naisbitt 1990 pünktlich zu Beginn des neuen Jahrzehnts nach – oder auch, was die Zielprojektion betraf, vor: „Megatrends 2000. Ten New Directions for the 1990´s”. Was hier vorhergesagt wird, erfüllt Druckers Leitmotiv von der „Zukunft, die schon geschehen ist“, auf geradezu amüsante Weise. In diesem Jahr 1990 prognostiziert Naisbitt den Eintritt in ein Zeitalter der Bio- und Gentechnologie, den Triumph des Individuums über den Wohlfahrtsstaat und das Ende des Sozialismus (ein Jahr nach dem Fall der Mauer). Naisbitt übersetzte diese Impulse fortan in eine Art Serie der immer wieder ausgearbeiteten Teilaspekte des jeweils vorangehenden Buches: In „Global Paradox“ (1994) werden Tendenzen der globalen Wirtschaft behandelt, die im Untertitel so beschrieben werden: The Bigger the World Economy, the More Powerful

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Its Smallest Players. Allein diese Prognose hätte jedem Sozialwissenschaftler bereits bei ihrer Formulierung heftige Kritik eingetragen. Vor allem, weil Naisbitt in einem späteren Aufsatz behauptet, mit diesem Trend „das Gesetz der Gesellschaft“ entdeckt zu haben (Naisbitt 2002). Es folgten 1996 die Spin-OffPublikation „Megatrends Asia. Eight Asian Megatrends That Are Reshaping Our World“, 2001 eine sozialpsychologische Verdichtung des Trends zur Technologisierung „High Tech/High Touch. Technology and our Accelerated Search for Meaning“. Schließlich im Stil eines Weisen vom Berge wird dann, wie bereits mehrfach angedeutet, 2006 die Offenbarung des Geheimnisses „der Treffsicherheit seiner Prognosen“ gelüftet: der Mind-Set, mit dem er seine Beobachtungen sortiere. Der Untertitel verspricht der Leserschaft tiefe Einblicke in die Geheimnisse eines erfolgreichen Seherlebens: „Reset your Mind and see the future”. Patricia Aburdene, von der er sich getrennt hatte, ging den Weg ebenfalls konsequent weiter und publizierte 2005 das Ergebnis ihres Blicks in die Zukunft im modischen Gewand der zu diesem Zeitpunkt verbreiteten Idee des spirituellen Managements: „Megatrends 2010: The Rise of Conscious Capitalism“. Das Buch erschien in der Hampton Roads Publishing Company, Charlotteville, Virginia, ein auf eher mystische und esoterische Literatur spezialisierte Verlagsgesellschaft.

7.3 Leitmotiv ‚Naming’ Auch von Naisbitts „Megatrends“ wurden laut Verlagsangaben weltweit mehrere Millionen Exemplare verbreitet und inspirierten weitere Personen zu weiterer Differenzierung, darunter wiederum global erfolgreich die Werbeagenturbetreiberin Faith Plotkin. Sie wurde in New York City geboren und wuchs die ersten fünf Jahre ihres Lebens in Shanghai auf, arbeitete als Schauspielerin und Kreativdirektorin in einer Werbeagentur und gründete 1974 zusammen mit ihrer Freundin Lys Marigold das Institut für Markt- und Trendforschung Brain Reserve in New York. Die Firma berät laut Selbstaussage „Top-Unternehmen“, darunter General Electric Capital, Bell Atlantic, BMW, IBM und Pepsi Cola in Marketingfragen. Faith Plotkin wird unter dem Namen Popcorn bekannt. Einige Biografien begründen diesen Namenswechsel damit, dass einer ihrer Chefs diesen Namen richtig aussprechen kann und sie daher einfach Popcorn nennt. Sie selber erzählt die Geschichte in ihren „Popcorn-Reports“ allerdings anders: Es sei ihre Marketingentscheidung gewesen, diesen Namen zu wählen. Auch für ihre Partnerin, die ursprünglich Margold hieß, sei ein bunterer Name wichtig gewesen, daher „Marigold“.

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Über Methode und Praktiken ist nicht viel mehr zu berichten als bereits in den vorangehenden Passagen für andere Anbieter geschildert wurde: Jedes Jahr führe, so weitere Informationen aus den Selbstdarstellungen, Brain Reserve Interviews mit 4000 Konsumenten und Gespräche mit „10.000 Visionaries“ durch. Renommierte Meinungsforschungsinstitute wie Yankelovitch oder die Zeitschrift American Demographics haben diese Zahlen immer bezweifelt. Und Michael Tortorello, der eine ebenso unterhaltsame wie präzise Recherche über die Branche veröffentlichte, die hier als Ergänzung empfohlen sei, schrieb: „Though BrainReserve claims that its 40 employees ‚braille the culture’ by combing through some 300 publications and performing 2,500 to 3,000 interviews a year, a former staffer quoted by Shalit dismisses much of that as a bold fiction. And researchers at other trend firms assert that their work has a remarkable way of turning up in Popcorn's words” (Tortorello 1998, Webausgabe). Ruth Shalit war eine der leitenden Journalistinnen der New Republic. Sie bezeichnete Faith Popcorn als „an old fashioned scam artist, hoodwinking corporations and journalists” (Shalit 1994: 25). Doch die Kunden glaubten lieber der Ankündigung der Referentenagentur, dass die Trefferquote der Vorhersagen bei 95 Prozent läge. Unter anderem habe sie den Wahlsieg von Bill Clinton prognostiziert und behauptet, dass in den nächsten 20 Jahren eine Frau hispanischer Herkunft Präsidentin der USA würde. Bis heute ist Faith Popcorn zumindest in den USA erfolgreich. 1991 veröffentlicht sie ihren ersten „Popcorn-Report“, in dem sie ihre Trenderfindungen in periodischer Folge zusammenfasst wie Horx in den TrendReports – mit dem Unterschied, dass der Popcorn-Report als Sachbuch auf den Markt kommt. Seit der ersten Folge wirbeln nun also ihre rhetorischen Konstruktionen weltweit durch die Zeitgeist-Gazetten: Cocooning, EVEolution, Mancipation, Being Alive Trend, Fantasy Adventure, Anchoring (die spirituelle Wende zum Jahrtausendwechsel), AltarEgo (neue Religiosität), Restoration (Schlafbars) oder die Belly Babies – die gegenüber den künftigen geklonten Retortenkindern natürlich gezeugten und geborenen Kinder, die einen höheren gesellschaftlichen Status erreichen werden. Aus dem wachsenden Bewusstsein, dass auf dieser Welt ökologisch alles in einem Zusammenhang entsteht, resultiere das New Networked Self. Es gebe darüber hinaus den Trend zur Identity Flux, der Verkleidung in verschiedenen Rollen zu verschiedenen Anlässen. Dieser Trend ist offensichtlich eine Neuauflage der bereits in den 90er Jahren prognostizierten Tendenz zu den 99 Lives, ein schlichter Anglizismus für eine alte Einsicht der soziologischen Rollentheorie. Marken, so Popcorn weiter, müssten flexibler auf die unterschiedlichen Zustände der Menschen eingehen, was zu einem MarketingTrend der Liquid Brands führe, denn Unternehmen zeigten sich mehr denn je umweltbewusst, was zu im EnvironMENTAL Movement münde. Gleichzeitig werde die Produktbiografie wichtiger, das Product PLACEment, in Popcorns

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Worten, Unternehmen avancierten so sozialen Dienstleistern (Brand-Aides). Eine Moral Status Anxiety, eine Art Wettbewerb um das größte Umweltbewusstsein setze eine, und natürlich gibt es eine neue Variation des Altenthemas unter dem Titel Oldies but Goodies. Die Begriffe werden als Trademarks und damit als „Intellectual Property” (™) von Brain Reserve gehandelt und gekennzeichnet, so dass zumindest im amerikanischen Raum der Name der Urheberin erwähnt werden muss. Faith Plotkin erfindet die Strategie des „Naming“. Die simple Strategie ihrer Beratung durch Brain Reserve fußt auf der Idee, dass sich ein Unternehmen mit mindestens vier der Trends, die Popcorn (er)findet, in Übereinstimmung finden müsse. Dann sei Erfolg garantiert. Dieser Syllogismus gilt im Übrigen auch für Individuen, was zum gesellschaftspolitisch und damit auch soziologisch bedeutsamsten Kernmotiv führt: Clicking (Popcorn et al. 1996). Mit diesem Begriff sollte die große Chance der Gescheiterten, der Arbeitslosen, der Randständigen angesprochen werden, in der Dienstleistungsgesellschaft die adäquate Geschäftsidee zu finden und sich selbständig zu machen. In einem Interview äußerte sich Popcorn bereits 1996 zu dieser Idee. „Clicking is about changing yourself and your business to fit the trends. It's about being in sync with what's coming tomorrow. You click when you're in the right place, at the right time, doing the right things” (Popcorn 1996). In einem Blog-Kommentar wurde die dahinter stehende gesellschaftspolitische Grundhaltung 1996 so formuliert: „Out of a job? You were off-trend. And, Popcorn implies, it's your fault” (Web-Dokument 12). Die Theorie der postindustriellen Gesellschaft verdünnt sich in diesem Konzept zu einem Ratgeber-Brevier für Ich AGs, die beispielsweise – so ein Popcorn-Vorschlag – ein Call-in-Unternehmen gründen könnten, das verunsicherten Menschen Komplimente macht („Dial a Compliment“). Der amerikanische Traum neu aufgelegt: Popcorn-Trends sichern das Überleben in der neuen Wirtschaftswelt, weil sie zum entscheidenden „Click“ führen. Eine Reihe von Journalisten halten die Aufregung der Kritik allerdings für überflüssig, weil erwachsene Manager doch wissen müssten, was sie tun. In der Onlineausgabe von CNN Money war denn auch zu lesen: „Popcorn has never claimed to be a scientist. In fact, the main point of her work is that it's intuitive, visceral, and touchy-feely. Aren't insurance executives (Metropolitan Life is one of Popcorn's clients), for example, just as much in need of a jolt to the right brain as to the left? And if Popcorn is able to make a living selling stardust to corporate types – and providing 22 people with jobs at BrainReserve – more power to her” (Web-Dokument 13). Allerdings wird dann Faith Popcorn doch noch zur Patin einer „wissenschaftlichen“ Trendforschung, als die simple Kernidee, Selbstverständliches in rhetorischem Konstruktivismus semantisch aufzupolieren und an verunsicherte

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Manager zu verkaufen, in Deutschland begeisterte Kopisten findet: Peter Wippermann und Matthias Horx. Sie fügen der Marketingstrategie mit geradezu stereotyper deutscher Gründlichkeit ein weiteres Strategieelement hinzu: die Behauptung, Trendforschung sei eine Wissenschaft, ja, in der Fassung der beiden Start up-Gründer gar, wie einleitend bereits skizziert, eine „Universalwissenschaft“. Der methodologische Anspruch, den Naisbitt mit seiner Contentanalyse und Popcorn mit ihren Tausenden von Interviews und der Contentanalyse vorgegeben hatten, erweitert sich zu einem enzyklopädischen Ansatz, in dem alle bisherige Wissenschaft nur als Vorstufe zur „universal“- und „metawissenschaftlichen“ Aktivität des Anfang der 90er Jahre neu gegründeten Trendbüros erscheint.

7.4 Trendforschung als ‚Universalwissenschaft’ Dieser wissenschaftliche Anspruch steht von Beginn an als Leitmotiv über der Arbeit der Agentur und wird mit dem Buch „Was ist Trendforschung?“ erstmals in offensiver Abgrenzung gegen die akademische Forschung formuliert (Horx, Wippermann 1996). Die klassischen Disziplinen werden auf sieben Seiten (33 – 40) im besten Falle als Hilfsinstrumente dieser neuen integrativen Praxis charakterisiert oder gleich als gescheiterte Versuche der Welterklärung auf den erkenntnistheoretischen Müllhaufen expediert: Die Geschichtswissenschaften seien „das kleine Einmaleins der Trendforschung“, die Markt- und Meinungsforschung indes wegen des Gegenwartsbezugs „zwangsläufig ein stumpfes Instrument“; die Psychologie wird immerhin als „unverzichtbar“ gewertet, weil sie erklären könne, warum das Auto so faszinierend ist und warum Menschen gern im Stau stehen. Semiotik sei „Trendforschung pur“, die Futurologie ihr „integraler Bestandteil“. Die Evolutionswissenschaften „bieten außerordentlich wertvolle Impulse“, Kulturanthropologie („oder auch Kulturethnologie“) sei eine hilfreiche „Analogiewissenschaft“ (zum Beispiel dokumentiert im „erstaunliche(n) Zusammenhang zwischen Rocklänge und Konjunktur“ (49). Dann wird es moderner: Die Komplexitätstheorie „hat enorm spannende Teilbereiche.“ Und die Soziologie? Sie leide „unter dem ‚Komplexitätsschock’“ und sei nur noch zur Beschreibung und nicht mehr zur Analyse des Wandels in der Lage. Diese Idee, die klassischen Wissenschaften seien nichts anderes als Vorstufen zu der Arbeit von Wippermann und Horx, nach der Trennung der Partner des Trendbüros dann von Horx allein, entspringt keineswegs dem stürmischen Enthusiasmus junger Unternehmensgründer. Im Gegenteil: Die geradezu hegelianisch anmutende Inanspruchnahme einer Entäußerung des wissenschaftlichen Weltgeistes in der 1993 begründeten „Trendforschung“ verdichtet sich im Laufe 90

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der Jahre zu dem bereits dargelegten Anspruch des Matthias Horx, tatsächlich eine neue „Universalwissenschaft“ zu entwickeln. Das 2005 vorgelegte Buch „Wie wir Leben werden“ (Horx 2005b), stelle etwa den Versuch dar, die moderne Trend- und Zukunftsforschung auf den neuesten methodischen Stand zu bringen. „Ich nutze die Erkenntnisse der neuen interdisziplinären Wissenschaften wie Neurobiologie, Ethnopsychologie, Kognitionswissenschaft, Systemtheorie und Soziobiologie für einen ganzheitlichen Ansatz.“ Was als versehentliche Übertreibung eines Journalisten in einem eventuell unautoristierten Text anmutet, ist allerdings eine programmatische Selbsteinschätzung, denn Horx wiederholt und verstärkt diesen Anspruch kontinuierlich in allerlei Variationen. In mehreren Interviews verschiedener Tageszeitungen und Magazine geht der Trendforscher einen Schritt weiter, der nun die Qualifizierung der Trendforschung durch die genannten Wissenschaftler als „Scharlatanerie“ besser verstehen lässt: „Ich versuche eine Universalwissenschaft zu entwickeln“, sagte der Trendforscher in einem Interview mit der schweizerischen Sonntagszeitung, „die am ehesten mit der antiken Tradition der philosophischen Weltbetrachtung zu vergleichen ist. Wir versuchen eine Sprache zu finden für das, was sich verändert. Bewusstsein zu bilden für Wandlungsprozesse, die richtigen Fragen zu stellen, die richtigen Rätsel aufzugeben“. Die Trendforschung sei „gewissermaßen die Königswissenschaft per se, denn sie versteht sich als ‚Universalwissenschaft vom Wandel’. Ihr ‚Labor’ ist die ganze Welt. Trotzdem wird sie von den Teilwissenschaften niemals als Wissenschaft anerkannt werden, weil sie eben nicht spezialisiert ist – und damit immer den Spezialisten in seiner Deutungsmacht stören muss. Die Zukunftswissenschaft will ja alle Wissenschaften, von der Soziologie und Ökonomie über die Kognitions- und Systemwissenschaften bis hin zur Philosophie und Evolutionstheorie, zu einem einzigen erkenntnistheoretischen Modell zusammenfassen. Sie ist Teil jenes universalwissenschaftlichen Versuchs, den John Brockmann einmal ‚Die Dritte Kultur’ genannt hat“ (WebDokument 14). Dieser Verweis ist allerdings erstens falsch und zweitens in sich selber widersprüchlich (oder basiert auf einer falschen Recherche), denn die von Brockman (mit einem „n“) 1997 formulierte Idee der „Dritten Kultur“ wendet sich gerade gegen den Anspruch der Recherche eines universell gelehrten Individuums, die hier zur Grundlage einer vorgeblichen Wissenschaft gemacht wird. Die „Third Culture“ ist (neben der ursprünglichen Zielsetzung der Vermarktung naturwissenschaftlicher Literatur) vor allem eine Vereinigung von hochspezialisierten Forschern und Forscherinnen vornehmlich aus den Naturwissenschaften – Psychologie, Physik, Genforschung, Biologie, Evolutionstheorie, Neurowissenschaft, Mathematik – aber auch von Fach- und Sach-Journalisten, die in der Ge-

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meinschaft durch den Diskurs und den Disput über konkrete Einzelfragen vorankommen wollen (weitere Informationen siehe Brockman 1991, 1995, 2002a). Wenig später beansprucht aber Horx diese Zielsetzung einer großen Wissenschaftlergemeinde für sich: „Die Zukunftswissenschaft versteht sich als ‚duale’ Disziplin zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Einerseits ist sie der ‚kognitiven Triade&Rdquo (offensichtlicher Druckfehler) (Induktion, Deduktion, Sicherung durch Experiment) verpflichtet (Prognosen können in dieser Hinsicht ja gerade besonders gut überprüft werden). Andererseits muss sie sich auch auf philosophische und hermeneutische Meta-Kategorien beziehen. Anders als die Philosophie versucht die Zukunftswissenschaft jedoch nicht so sehr das Wesen, sondern das Werden der Welt zu ergründen. Es geht weniger um ‚das, was bleibt’, sondern um das, was sich verändert“ (Web-Dokument 15). Die Anmaßung, dass hier eine einzelne Person die gesamte Wissenschaft neu erfindet, wirkt, vorsichtig ausgedrückt, verwunderlich, bleibt aber ein wesentliches Grundelement der Vermarktungsstrategie. In der Selbstdarstellung charakterisiert sich Horx so: „Der Zukunftsforscher ist im Prinzip ein Privatgelehrter, der alle wichtigen Disziplinen der Welterkenntnis beherrschen muss. Er muss wahnsinnig viele Bücher, Zeitschriften und Studien lesen. Er muss über die wichtigsten Erkenntnisse der Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften auf dem neuesten Stand sein. Er sollte die wichtigsten Philosophen, Ökonomen und Intellektuellen kennen und über ein tiefes Verständnis der Menschheits-Geschichte verfügen. Vor allem sollte er nie aufhören, Fragen zu stellen.“ Das Resultat dieses enzyklopädischen Amalgams gründe sich in einem „evolutionstheoretischen“ Ansatz. Die Grundthese lautet: Zukunft ist Evolution von ökonomischen, kulturellen, sozialen und technologischen Systemen, die grundsätzlich dazu tendieren, dass die Welt immer besser werde, zum Beispiel durch Bildung. Dabei gehe es „im Kern ... um nichts Geringeres als ein neues Menschenbild. Die Evolution des Menschen – des Evolution des Hirns – ist nach vorn hin offen“ (Horx 2005b: 49). Mit diesem Ansatz unterscheide er sich „von manchen anderen Zukunftsforschern, die ihr Heil eher entweder im Schrill-Spektakulären oder im DüsterApokalyptischen sehen. Beiden Varianten wird natürlich medial viel mehr Aufmerksamkeit zuteil” (Web-Dokument 16).

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8 Diskreditierung der professionellen Sozialwissenschaft

8.1 Enzyklopädische Anmaßung Eine differenzierte Beschreibung, wie das Projekt der Universalwissenschaft im Einzelnen verläuft, sucht man vergebens. Auch der Versuch, aus unterschiedlichen Quellen der breit gestreuten Essays des Trendforschers ein in sich geschlossenes Gedankengebäude zu konstruieren, scheitert an der Widersprüchlichkeit, der Beliebigkeit und der eklatanten Fehlinterpretation der von ihm zur Grundlage seiner universalwissenschaftlichen „evolutionären Sozialforschung“ erhobenen interdisziplinären Bruchstücke aus allerlei Wissenschaften. Eine Auseinandersetzung mit dieser, zumindest eigenwilligen, Interpretation der „Evolutionstheorie“ als einer zwangsläufigen Fortschrittsentwicklung und die auf dieser Grundlage aufbauende Konstruktion einer sozialdarwinistischen Gesellschaftstheorie werden in späteren Kapiteln verhandelt. Aber der Autodidakt Horx gibt sich nicht mit der evolutionstheoretischen Revision des historischen Materialismus zufrieden, auf der das ultimative Marketingargument einer Verbesserung der Gesellschaft aufbaut. In der Januarausgabe des feuilletonistischen Wissensmagazins PM verbreitet sich Horx über die Nähe von Religion und Wissenschaft und bemüht dazu die Quantentheorie. Horx beschreibe, so das Magazin, „wo sich Spiritualität und Forschung berühren. Nachdem bereits Kopernikus, Darwin und Freud die Position des Menschen im Kosmos relativiert und so sein Selbstverständnis in Frage gestellt haben, entstehe nun ‚eine weitere Öffnung in den Weltbildern’, schreibt Horx unter dem Titel ‚Steckt Gott im Quant?’“ An den „Frontlinien der modernen Wissenschaft“ staple sich das „Material zu einer vierten Kopernikanischen Wende.“ So entstehe ein „Spalt, durch den wir in einen anderen Sinnzusammenhang sehen können. Im Zentrum dieses Durchblicks steht die Quantentheorie“ (Horx 2008, 61). Der von wissenschaftlichen Repräsentanten der Theoretischen Physik kopfschüttelnd kommentierte Versuch wirkt umso befremdlicher, als sich die Scientific Community gerade in diesen Tagen mit der Erkenntnistheorie Max Plancks beschäftigte, dessen 150. Geburtstag begangen wurde. Das Verhältnis zur Religion war ja eines der großen und unbewältigten Themen. Norbert Dragon, der an der Universität Hannover das Fach Theoretische Physik vertritt, setzt sich, nachdem ich ihn um seine Meinung über den Artikel

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gebeten habe, mit einigen Thesen auseinander und kommt zu folgendem Ergebnis: „Der Artikel von Matthias Horx ist eine Ansammlung von Behauptungen, raunend unklaren Andeutungen, sinnleeren Wortschöpfungen (Quantenplanet) und Berufung auf andere, die er zu Autoritäten erklärt, um seinen Zitaten Bedeutung zu geben. Welches Material soll sich an der Frontlinie der modernen Wissenschaft zu einer vierten Kopernikanischen Wende stapeln, von der Horx raunt? Die Quantenmechanik, von der er behauptet, dass sie offenbar physikalische Gesetze außer Kraft setze? Davon ist Physikern nichts bekannt. Quantenmechanik enthält im Gegenteil physikalische Grenzen, von denen in klassischer Physik nichts bekannt war.“ Ein weiterer Punkt, den Dragon anspricht, ist die Idee, das Bewusstsein kreiere das Universum. „Das Universum existierte nach allen physikalischen Befunden mehr als 10 Milliarden Jahre, ohne dass unsere Bewusstseinsprozesse abliefen“ (persönliche schriftliche Kommunikation). Dieses Amalgam aus Halbwissenschaft und wissenschaftlichen Fehleinschätzungen, aus methodologischer Scharlatanerie und Bruchstücken aus „frei verfügbaren“ professionellen Forschungen, vorauseilender Opportunität und Google-Publicity wird schließlich durch die Bezüge zu einer aktuellen Gesellschaftsanalyse flankiert, die sich aus den Versatzstücken einer auf die Alltagsrealität übertragenen Evolutionstheorie und der Grünewaldschen Klage über die negative Mentalität der Deutschen zusammensetzt. „In Deutschland ist praktisch jede Idee von Zukunft aufgegeben worden. Es ist gar nicht möglich, hier eine Zukunftsdebatte zu führen“ (Galore, Interviewmagazin, Ausgabe 27: 94) Wer sich trotzdem um diese Zukunft Gedanken macht, wird als „apokalyptischer Spießer“ (Augsburger Allgemeine 21.04.2007) oder „Alarmist“ gebrandmarkt. Horx errichtet eine Kulisse, in der Epidemien der Angst, Panikmache, Katastrophenkultur, die fatale Angst vor Visionen, Miesmacher, Auguren der Apokalypse, Lobbys des Alarmismus lauern. Und liefert die passende verschwörungstheoretische Erklärung – all das seien Schauermärchen, in die Welt gesetzt von Interessenten der Angst, einer Clique von Medienleuten, die ihr Geld mit dem Negativen machen: den Drohungen durch die Globalisierung, der Mär von der „aufklaffenden Schere“ zwischen Arm und Reich, der Kritik an der medialen Verblödung der Menschheit, den Märchen der demografischen Katastrophe, der Prekarisierung der Arbeit, dem Werte- und Moralzerfall und schließlich der Verschwörung der Klimaforscher, namentlich ihres Vordenkers Stefan Rahmstorf, von der Klimakatastrophe. So baut sich das „Finale“ auf: das Plädoyer für einen „evolutionären Optimismus“ – was eine seltsame Begriffskonstruktion darstellt. Aber die verwundert angesichts des bislang bereits illustrierten rhetorischen Konstruktivismus dann auch nicht mehr. Bei genauerer Betrachtung gibt sich dann doch eine Ordnung hinter der anekdotischen Kombination der bits and pieces aus den Medien zu erkennen – eine gesellschaftspolitische Ordnung, die

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als Ergebnis dieses „evolutionären Optimismus“, der sich als Sozialwissenschaft gibt und eine geradezu zwingende Aufwärtsbewegung zur Gesellschaft der Gewinner feststellt, basierend auf der Kraft der Wahrnehmung von Chancen – mit einem Wort: die Realisierung der Popcorn-Idee vom „Clicking“. Neben der als „wissenschaftlich“ ausgegebenen Methode wird auf diese Weise eine zweite „Unique Selling Proposition“ formuliert: als gesamtgesellschaftliche Theorie auf der Grundlage eines historischen Determinismus, aus dem heraus sich die neoliberale Marktideologie als gesellschaftliches Grundgesetz ergibt. „Der Übergang von unserer alten Industriegesellschaft zu einer individualisierten WissensÖkonomie“ schreibt Horx, „ist ein evolutionäres Gesetz.“

8.2 Neoliberale Gesellschaftstheorie Vor uns liege eine Hochbildungs-Gesellschaft, in der lebenslanges Lernen in neuen Kontexten organisiert wird. Die kommende „Zweite Bildungsreform“ werde dabei vor allem die Frage beantworten müssen, wie „wir“ vom Fremdlernen zum Selbst-Lernen finden. Zunehmend geht es um die „Meta-Skills“, in denen sich die Talente des Einzelnen (und seine emotionalen Intelligenzen) entfalten können. Dies sei, so Horx, der Kern des „War for Talent“, der Auseinandersetzung der Unternehmen um die „besten“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Idee, die der New Yorker McKinsey-Partner Ed Michaels und seine KoAutoren 1997 in der Harvard Business-Press ausbreiteten (Michaels et al. 1997), wird vom Zukunftsinstitut zu einem eigenen „Report“ ausgestaltet. Personalverantwortliche würden sich um „Talente“ raufen, diagnostiziert Horx Jahre nach der ersten publizistischen Reaktion auf diesen Begriff – einer weltweiten und sehr heftigen Reaktion. Und flicht die Idee in seine Version der Sozialgeschichte ein: „Wir sind von einer Gesellschaft der Bauern zu einer Gesellschaft der Fabrikarbeiter und schließlich zu einer Gesellschaft der Wissens-Arbeiter geworden. Und nun geht es weiter voran – zu einer Gesellschaft der Kreativen, der MusterErkenner, der Meinungs-Macher, der Empathieproduzenten. Robert Reich, der Ex-Arbeitsminister der Vereinigten Staaten, nennt diesen Effekt Gekaufte Zuwendungen. Dieser Sektor umfasst in aufsteigender Komplexitäts-Reihenfolge die Fünf C: Computing, Caring, Catering, Consulting, Coaching“ (Horx 2005b: 127). Diese anekdotischen Umsetzungen der Popcorn-Idee von „Clicking“ prägen eine formgenau ins Anforderungsprofil der Kunden passende Gesellschaftstheorie. Um diese Grundlegung wissenschaftlich zu fundieren, greift der Trendforscher tief in die Klassikerkiste der Soziologie. „Die Gesellschaft der Zukunft ist eine Transformationsgesellschaft, in der sich der Einzelne aus dem ehernen Ge95

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häuse der industriellen Hörigkeit’ (Max Weber) zu neuen Ufern aufmacht“ (Horx 2003: 9) Diese neue Gesellschaft erfordere von jedem Einzelnen Engagement und die Bereitschaft, sich aus der lähmenden Fürsorge des Sozialstaates zurückzuziehen. „Ein Metallarbeiter, der vor 40 Jahren arbeitslos wurde, konnte davon ausgehen, demnächst wieder eine ‚Stelle’ als Metallarbeiter zu bekommen. Heute bekommt er alles Mögliche. Vielleicht im Bereich Wellness, Altenpflege, Landschaftsdesign, Entertainment, Nachbarschaftshilfe. Das heißt nicht, dass er nichts mehr von seiner alten Qualifikation einsetzen kann. Aber es wird in einem anderen Kontext geschehen, in veränderten, fließenden Arbeits-Verhältnissen, in denen plötzlich Kommunikationsfähigkeit, Service, Freundlichkeit eine Rolle spielen“ (Web-Dokument 17). Wer es nicht aus eigener Kraft schaffe, werde sich in einer neuen Unterschicht wieder finden: Unsere Gesellschaft werde sich, so Horx, „den Luxus von 20 Prozent Ausrangierten leisten, die ihr Leben vor 35 Fernsehprogrammen fristen, sich auskömmlich bei Aldi, Hofer und Penny versorgen können. Bei haushälterischem Sinn reicht es sogar gelegentlich zu Billigflügen nach Mallorca“ (Horx 1997: 168). Diese Underdogs stecken „wir“ dann in eine Konkurrenz um Billig-Jobs (so wie sie schon bei Faith Popcorn im Optimismus-Bestseller „Clicking“ befeuert wurden): Wir lassen also Newcomer in unsere Gesellschaft („ins Boot“), die „zu niedrigen Löhnen Arbeiten ausführen, die unsere Gesellschaft nicht mehr bereit oder in der Lage ist, auszuführen. Wir bevorzugen dabei die Mobilen, die Leistungsfähigen und die Spezialisierten“ (1997: 243). Die Sieger in diesem Spiel, dem man den Titel „Germany’s next jobs“ geben könnte, erhalten, so Horx weiter, ein Minimum an rechtlichen Garantien (nicht weiter ausgeführt), aber keinerlei Unterhalt. Nun sehen wir, wie sie sich entwickeln, wir behindern sie nämlich nicht in ihrem Wunsch, nach oben zu kommen. Die Konsequenz: Supermarkteinkäufe werden nach Hause geliefert, es gibt billige Babysitter, Landwirte können ihre Ernte organisieren, so dass alle anderen Zeit haben, sich um die komplexen Aufgaben zu kümmern. Die Newcomer leiden keine Not mehr, die anderen brauchen keine Schmutzarbeiten mehr zu machen und entwickeln die „Wissensökonomie“. So entstehe allmählich der gesellschaftliche „Konsens der partiellen Ungleichheit“, ein neuer „gesellschaftlicher Kontrakt“. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erscheint in diesem Kontext als lästiger Alarmismus, gegen den die Horx’sche Theorie als geradezu leuchtende Lösung erscheint. Und nicht nur bei Horx. Dass dieses gesellschaftliche Leitbild der flexibel einsetzbaren PortfolioWorkers eine Reaktion auf die Nachfrage durch Unternehmen darstellt, mutet zumindest dann plausibel an, wenn man die theoretischen Begründungen der Studien konkurrierender Anbieter zu Rate zieht. Eine Studie von Peter Wippermanns Trendbüro für Randstad (Michaelski, Schenck 2007) entwickelt als

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Benchmark für die Einschätzung der Zukunftsentwicklung präzis diesen Typus des „Lebensunternehmers“ (52), der aus der Auflösung der traditionellen Bindungen in der Arbeitswelt sein kreatives Potenzial bezieht und das Zukunftsmodell für ein erfülltes Arbeitsleben darstellt. Das Fazit, das die Studie zieht, lautet: „Flexibilität schafft Sicherheit“. Wer variationsfähig, also „flexibel in der Lebensführung“ sei, investiere „in eine attraktive Biografie als Voraussetzung für ein stabiles Einkommen“ (38) Die Herausforderung der Flexibilität, die von Richard Sennett und Ulrich Beck aus unterschiedlichen Perspektiven auf Konsequenzen hin analysiert worden ist – Entfremdung, Desintegration, Sinnentleerung, verstärktes Gefühl unbewältigter Lebensrisiken –, erscheint in den „Studien“ des Trendbüros ebenso wie etwa in der allgemeinen Studie zur „Future Work“ des Zukunftsinstituts als Befreiung. Diese wirtschaftspolitisch gemaserte Gesellschaftstheorie fundiert nun die Untersuchung zur Flexibilität für einen Auftraggeber, der „Flexible Work Solutions“ anbietet.

8.3 Boulevardforschung als ‚Kritische Theorie’ Beide ehemals gemeinsam tätigen, heute in Konkurrenz zueinander agierenden Dienstleister berufen sich also auf die gleiche „Theorie“ des individualistischen Selbstmanagements, bei Horx als „Selfness“, bei Wippermann in der Studie für den Zeitarbeitsvermittler Randstad als „Selbstbestimmung statt Abhängigkeit“ benannt, als Ausdrucksform der Trends zu „Selbst-Design“, „Selbstoptimierung“ und „Selbstinszenierung“. Diese Trends manifestieren sich unter anderem in Sport und Körperkultur, bis hin zu „ästhetischen Eingriffen und Maßnahmen zur Steigerung der ästhetischen Performance des Körpers“, in der Weiterbildung, „um im Wettbewerb mit Jüngern bestehen zu können“, und der Identifikation der „Konsumenten mit leistungsstarken und ästhetischen Produkten, die zu „Identitätsstiftern“ avancieren (61). Treibende Faktoren der Flexibilität seien die „Ideenökonomie“, die „Nischenmärkte“, in denen die Selbstbehauptung nur durch die Maximierung der Kreativität als Reaktion auf den Innovationsdruck bewältigt werden können. Ein dritter Faktor sei das schöpferische Unternehmen, das sich der Aufgabe gegenübersieht, „einzigartige Produkte“ zu schaffen, „die für die Kunden zum Ausdruck der eigenen Individualität werden“ (81). Immerhin erläutert Wippermann seine Methoden: Die Autoren der Randstad-Studie realisieren nach eigenen Aussagen einen „zweistufigen qualitativen Ansatz“: Desk-Research und Fokusgruppen. Desk-Research – das heißt in der Terminologie des Trendbüros „Sichtung und Bewertung von internationalen/nationalen Online-/Offline-Medien sowie verfügbarer aktueller Studien“ – und zwei Fokusgruppen von je 9 oder 10 Personen aus Berlin und Hamburg. Dass 97

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auf diese Weise weitreichende soziologische Falsifizierungen oder auch nur Differenzierungen der Diagnosen der Bundesregierung („Lebenslagen“) oder der Studien der Gruppe um Wilhelm Heitmeyer zur Integration oder Desintegration in Deutschland oder der Forschungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung valide erarbeitet werden konnten, ist unwahrscheinlich. Das neue Sozialsystem, das auf diese Weise legitimiert wird und die Flexisten, die Freeployees und Portfolio-Workers für ihre eilfertige Anpassungsfähigkeit belohne, werde, so ergänzt Matthias Horx unter anderem im ZDF, nicht mehr daran gemessen, wie viele Klienten es durchfüttern könne. Sondern wie vielen Menschen es dazu verhelfe, sich aus dem Sumpf des sozialen Abseits zu befreien. Eine solche Sozialpolitik dürfe sich nicht durch „die alte Betroffenheits-Rhetorik“ von Ihrer Aufgabe abbringen lassen. Und die heiße: Empowerment. „Im 21. Jahrhundert gibt es keine ‚Stelle’ mehr, sondern immer nur neue Herausforderungen“ (Die Presse 8.4.2006). Wichtig sei die „Selfness“, also die Fähigkeit, sich selbst realistisch zu kennen und einzuschätzen. Ob ein Mensch über solche ‚Soft Skills’ verfüge finde man aber nicht durch einen Bewerbungsbogen heraus, sondern nur durch alltägliche Praxis. Und dann wird die passende Anekdote geliefert: „Am Eingang des Supermarktes, in dem ich immer einkaufen gehe, steht ein Mann mit Bart. Er steht stumm dort und verkauft den Augustin, Wiens Zeitung für Obdachlose. Es ist kalt, der Wind weht, aber er steht seit Stunden eisern und lächelt, wobei seine Lippen bisweilen blau anlaufen. Man kann kaum an ihm vorbei, ohne ihm zwei Euro in die Hand zu drücken; wenn man's vergisst, erinnern einen die Kinder daran: ‚Kauf dem armen Mann doch eine Zeitung ab, es ist doch Advent!’ Ein paar Kilometer weiter gibt es einen größeren Supermarkt. Als ich neulich dort kurz vor Ladenschluss mit dem Auto in den Hof fuhr, wies mich ein freundlicher Herr in die Parklücke und brachte mir einen Einkaufswagen. Als ich vollbepackt wieder herauskam, half er mir, die Einkäufe im Kofferraum zu verstauen. ‚Wollen Sie vielleicht eine Zeitung kaufen?’, fragte er danach. Ich wollte nicht. Aber ich gab ihm drei Euro, nicht als Spende, sondern als Lohn. ‚Haben Sie mal mit dem Supermarktdirektor geredet?’, fragte ich. ‚Leute wie Sie könnte man doch hier brauchen!’ Er zuckte die Achseln. ‚Vergessen Sie's’“ (Die Presse 3.12. 2005). Corporate Social Responsibility, jener vermeintliche Trend der Unternehmen zum „neuen Moralismus“ (Trend-Report 2008) verkommt zu einer Kultur der sozialpolitischen Herablassung durch die abgegrenzte Kaste, die ihren Status durch die Verfügbarkeit über knappe Güter dokumentiert, während untere Schichten versuchen, durch originelle Flexibilität und persönliche Dienstleistungen irgendwie den Trend zur „Me-Volution“ zu nutzen. Dass Horx in seinem Buch „Anleitung zum Optimismus“ offensiv mit dem „Märchen von Prekariat“

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aufräumt, rundet diese Sozialtheorie – die durch Wippermann und Bosshart in Marketingtechniken übersetzt wird – ab. Wie jedoch auf der Grundlage dieser Gesellschaftstheorie die skurrile Behauptung begründet werden kann, er, Matthias Horx, sehe sich in der Nachfolge der kritischen Theorie, soll fantasievolleren Interpreten überlassen bleiben. In einer Pressemitteilung, die von mehr als 30 Medien nachgedruckt wurde, beschreibt Horx sein Mind-Set so: „,Ich bin ein gnadenlos illusionsloser Optimist’, sagt der 50 Jahre alte Soziologe und Publizist, der sich in der Tradition der von Adorno und Horkheimer gegründeten Frankfurter Schule sieht. ,Wenn ich mir die grundlegenden Trends auf diesem Planeten anschaue, dann sehe ich, dass sich langfristig – unter großen Schwierigkeiten – die meisten Dinge zum Besten wenden’“ (SZ-online am 15.12.2005 und eine Reihe anderer Medien). Diese Standortbestimmung in der Nähe der Kritischen Theorie kann ebenso wenig wie der Anspruch auf die Gründung einer neuen Universalwissenschaft als verplauderte Antwort in einem später nicht autorisierten Interviews gewertet werden. Es ist offensichtlich ein weiteres Leitmotiv der Strategie: Bereits im methodologischen Versuch von 1996, die Trendforschung als Universalwissenschaft zu begründen, werden Karl Marx und Friedrich Engels als „Trendforscherpaar“ (Horx, Wippermann 1996: 70) und Jürgen Habermas als „Trendforscher“ identifiziert (Horx, Wippermann 1996: 30). Und im letzten Teil des „Zukunfts-Manifestes“ leitet Horx das Kapitel „Warum ich Optimist bin“ mit einer Passage aus der Einführungsrede des Gründungsdirektors des „Instituts für Sozialforschung“, Max Grünberg, vom 22. Juni 1924 ein (Horx 1997: 271). „Neue Ordnung“, so wird Grünberg zitiert, „entringt sich aus der Fülle der Zeiten. Und sie fördern ihrerseits bewusst die Selbstüberwindung des Überlebten um des Werdenden willen und um es zum schnellen Reifen zu bringen.“ Auf dieser Grundlage die weiter oben skizzierte neoliberale Gesellschaftstheorie zu entwerfen, ist wissenschaftshistorisch abenteuerlich, aber offensichtlich nicht abenteuerlich genug, um in Redaktionen und Unternehmen ein verwundertes Stirnrunzeln zu provozieren.

8.4 Diskreditierung der Sozialwissenschaft Der nächste Schritt der Legitimation dieses Anspruchs auf den Wettbewerbsvorteil der Wissenschaftlichkeit ist die weitere Entschärfung der professionellen Soziologie als kritischer Instanz durch die fortgesetzte Diskreditierung ihrer Repräsentanten. Widerspruch oder Kritik sehen sich als Ausdruck einer linken Jammerkultur abgefertigt. „Ich werde nie die Szene vergessen“, beklagt Horx, „in der die amerikanische Trendforscherin Faith Popcorn zum ersten Mal life mit 99

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der deutschen Öffentlichkeit konfrontiert wurde.“ Ihr Verlag hatte 1992 anlässlich des ersten Popcorn Reports zu einer Pressekonferenz geladen. Und da spielte sich, berichtete Horx in einem seiner Trendbücher, nun folgendes ab: „Faith, die übersensible, magere, fragile Faith Popcorn, ein klassisches Produkt amerikanischen Self Managements, saß überschminkt in einem schlichten Kostüm auf der Bühne eines Theatersaals im Amerikahaus, vor sich eine Hundertschaft kritischdeutscher Journalisten, die Trends und Marketing für mehr oder minder schlimmes Teufelszeug hielten.“ Eine Zwischenbemerkung ist nötig: Von Marketing war auf diesem Meeting keine Rede. Es ging schlicht um Thesen, die (siehe Kapitel über Popcorn) von einer Trivialität waren, dass sich mancher der anwesenden Journalisten erstens fragte, warum diese Voraussagen als Vortrag nicht unter damals 50.000 Mark zu haben waren. Und zweitens, warum Medien landauf, landab diese Thesen undiskutiert abdruckten und zum Beleg, dass die Trends der Faith Popcorn tatsächlich Trends waren, durch ein paar Prominentenbildchen validierten – dies übrigens weiter tun, bis heute. Darüber also wunderten sich damals einige Journalisten, beileibe nicht alle. Doch jeder, der tatsächlich auf dieser Pressekonferenz war, wird sich der geradezu devoten Haltung erinnern, mit der doch eine große Zahl von Vertreterinnen und Vertretern von Lebensstil- und Frauenmagazinen sich den Report signieren ließen, und wird sich erinnern, was in den Folgetagen alles in den Postillen kritiklos abgedruckt wurde: Cocooning, 99 Leben auf einmal, Clicking – wie oben schon beschrieben. Horx indes, dem eine kritische deutsche Journalistenschar damals noch ein pointiertes Unverständnis entgegenbrachte, ereiferte sich über eine Journalistin („mit kurzen roten Haaren und großen goldenen Ringen in den Ohren“), die „im Ton der Politkommissarin einen einzigen aggressiven Satz in den Raum pumpte“: wie denn die Probleme der Dritten Welt zu lösen seien. Nun ist nicht klar, in welchem Kontext diese Frage stand, aber vielleicht hatte ja Faith Popcorn eines ihrer charmanten Beispiele für die Anwendung ihrer Trendanalysen zu Besten gegeben, das da lautete, die Kinder dichtbevölkerter Gesellschaften zunächst einmal nach der Geburt zu sterilisieren und diesen Eingriff rückgängig zu machen, wenn sie sich im Leben bewährt hätten (Popcorn et al. 1996: 595). Die Welt, aus der diese kritischen Stimmen an der Trendforschung stammen, wurde damals und wird weiterhin mit Personen bevölkert, die jenem Zerbild des bigotten 68ers entsprechen, der gegenwärtig als Prototyp für die Blockade der Innovationskraft in der Bundesrepublik ausgemacht ist. Die bildhafte Inszenierung dieses Typus arbeitet nach derselben Methode der anekdotischen Verdichtung eines Leitmotivs wie die Trend-Reports. So ersteht eine Art typografisches Sample aus Nörglern und Verweigerern, rekrutiert aus dem der Soziologie nahe stehenden Personal, wie es der Zukunftsforscher im Januar auf der

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Website von ZDFonline inszenierte: „Als ich neulich in einer der unzähligen Diskussionen über die Zukunft Deutschlands (Klagen, Jammern und Beweinen als Staatsbürgerkunde) das Konzept einer aufwärtsmobilen Bildungsgesellschaft verteidigte, stand erst in der Ecke hinten links ein Herr mit Bart auf und stellte sich als Pädagoge vor“ (ebenfalls Web-Dokument 17). Derartige Figuren entstammen einer „toten Kultur aus Subventionen und verbeamtetem Rebellentum, Innovationsunfähigkeit und berufsständischem Gejammer“ (Horx 1997: 127). Veranstaltungen, auf denen derartige Personen auftauchen, „versacken blitzschnell in jenem ideologischen Debattieren, das alle zur Genüge kennen, die in studentischen Hörsaalveranstaltungen groß geworden sind“ (Horx 1997: 69). So „knurrte ein öffentlich-rechtlicher Rundfunkreporter“ beim „Vertilgen“ der Lachshäppchen nach der Pressekonferenz über Faith Popcorn, die wolle doch nur Geld machen (Horx 1997: 69). Wer die Globalisierung kritisiere, „wie die wackeren linken Globalisierungsalarmisten, schickt uns weiter in eine tiefe Krise hinein und zurück in eine politische Gemengelage, in der in Deutschland und anderswo immer schon der Terror wohnte“ (Horx 1997: 247). Diese Diskreditierung erweitert nun konsequenterweise ihre Horizonte und erfasst die wissenschaftlichen Repräsentanten der angegriffenen Soziologie, vor allem die Kritiker der von den Trendforschern bejubelten Flexibilität wie etwa Richard Sennett. „Wenn wir an Richard Sennett denken, dann haben wir den Soziologen schlechthin vor Augen: sanfte Stimme, goldene Brille; das Timbre eines amerikanisch-europäischen Intellektuellen, der einem gewaltigen Entlastungsbedürfnis von uns selbstwert-gebeutelten Europäern entspricht“ (Horx 2005d: 1). Dass Sennett sich über die gesellschaftlichen Konsequenzen spätkapitalistischer Wirtschaftsweise Gedanken macht und damit die Horxsche Idee eines „Smart Capitalism“ verwirft, resultiert für Horx aus traumatischen Kindheitserlebnissen. Da keine empirischen Belege für eine derartige Laien-Psychoanalyse vorgewiesen werden können, kleidet sich die Vermutung in eine Frage: „Spiegelt sich darin womöglich Sennetts eigene Familiengeschichte, der Aufstieg vom Kind einer Sozialhilfeempfängerfamilie ins Mittelstandsmilieu, die damit verbunden Gefährdungen und Verletzungen?“ Die Schlussfolgerung richtet sich wieder gegen die Soziologie generell, als deren revolutionärer Erneuerer sich der Trendforscher Matthias Horx deklariert: „Als ich jung war, herrschte an den soziologischen Fakultäten der eherne Ton der ideologischen Zurichtung. Dann kam die wunderbare Zeit, in der die Identität einer ganzen Generation allein durch Dagegensein gesichert war. Heute könnte Soziologie, so träume ich, wieder echte Fragen stellen. Sie könnte die Neugier auf Zukunft zurückholen in unsere von ideologischen Regressionen geprägte Diskurswelt. Die gelungene Anstrengung der Emanzipation des Menschen weiterzeichnen... Gesellschaftliche Prozesse ausloten, Aufbrüche kartographieren...

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Ach, was sage ich. Könnte. Wenn sie nur wollte“ (3). Sennetts Arbeit erscheint als rührendes Sozialfeuilleton, „genauso schön und sonor geschrieben wie Ulrich Becks Sonaten zur Individualisierung“ (2). Nun ist diese gesellschaftspolitische Idee einer Gesellschaft optimistischer Ich-AGs und wettbewerbsbereiter Dienstleister, fundiert durch die geradezu absurd entstellte soziologische Theorie, keineswegs nur aus der Perspektive verwunderter Mitglieder der unterschiedlich berührten Scientific Communities interessant und wichtig. Die Vereinseitigung der Perspektiven auf eine Art Vulgärtheorie der evolutionären geschichtlichen Entwicklung, führt, nähme man wirklich ernst, was hier gesagt wird, zu fehlerhaften Interpretationen der Wirklichkeit und damit auch zu einer Schwächung des Nutzens der Befunde. Der strategische Opportunismus, der mit diesem wissenschaftstheoretischen Manöver seine Überhöhung finden soll, schlägt gegen sich selbst zurück. Der Mind-Set des evolutionären Optimismus und die durch die Marktinteressen der Auftraggeber vordefinierten Befunde neutralisieren die Möglichkeit zu pragmatisch relevanten Einsichten. Die rhetorischen Konstruktionen mögen unter feuilletonistischen Gesichtspunkten faszinierend sein. Ihre Aussagekraft indes ist schwach. Die fehlende methodologische Akkuratesse, also die Vernachlässigung der gemeinhin geltenden Regeln (siehe Kapitel 3.3), führt dazu, dass nur bestimmte Aspekte der Wirklichkeit überhaupt nicht, andere nur einseitig oder falsch wahrgenommen werden. Solange Trendforschung ein lustiges Spiel fürs Feuilleton oder die Modeindustrie bleibt, ist all das gleichgültig. Sobald sie sich aber aufschwingt, Weichenstellungen für das Strategische Management oder gar die Politik vorzubereiten (darauf wird Kapitel 11 dezidiert eingehen), beschädigt sie sowohl die Praxis als auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Praxis. Wenn Medien darüber hinaus diese Art von Trendforschung als wesentliche Einsichten feiern und unrecherchiert die Befunde von „Studien“ wie „Deutschland auf der Couch“, „Professor Untat“ oder „Gestatten Elite“, von Trend- und Popcorn-Reports als Einsichten die gesellschaftliche Entwicklung und ihre Zukunft verbreiten, kann nicht nur „methodologische Scharlatanerie“, sondern auch von Vernachlässigung der journalistischen Aufgaben diagnostiziert werden. Das folgende Kapitel wird eine Reihe von genuin sozialwissenschaftlichen Trends aufgreifen, die gleichzeitig für die neue Arbeitswelt von pragmatischer Bedeutung sind – allesamt aber von den Trend-„Forschern“ nicht gesehen oder nachweislich falsch interpretiert worden sind.

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9 Trivialitäten, Irrtümer, Fehler und blinde Flecken

9.1 Vergangene Zukunft John Naisbitts Buch „Megatrends“ war 1982 mit dem Anspruch erschienen, wesentliche Weichenstellungen für die Wirtschaft zu identifizieren. Doch bereits ein Jahr später zeigte sich, dass in den Vorhersagen Naisbitts ein weltumspannender und wirtschaftlich höchst bedeutsamer Trend nicht einmal als Möglichkeit erwähnt worden war: der Aufstieg einer frühen Form der „kreativen Klasse“ von „Young Urban Professionals“, die unter dem Kürzel der „Yuppies“ bekannt wurde. Dabei waren die Signale, die auf eine derartige Entwicklung hindeuteten, alles andere als schwach. Vor allem waren in der Soziologie bereits unübersehbar die Grundlagen beschrieben: die Sozialisation einer gigantischen Kohorte junger Menschen, die als geburtenstarke Jahrgänge, „Baby Boomers“ in die jüngere Geschichte eingegangen sind. Der Begriff bezeichnete die amerikanischen Kinder, die zwischen 1946 und 1965 geboren wurden. Diese Epoche war durch den Optimismus unter der gemütlichen Obhut Eisenhowers geprägt – mit geringen Zinsen für Hausbauer, mit einer beispiellosen Mobilisierung, mit bürgerlichen Schlafvorstädten. David Riesman hat diese Zeit anschaulich in einigen seiner soziologischen Essays beschrieben, die im Band „Wohlstand wofür?“ zusammengefasst sind. Höchst illustrativ beschreibt darin der Aufsatz: „Laufbahnen und Konsumverhalten“, den er zusammen mit Howard Roxborough 1955 verfasste, die Mentalität dieser Zeit. „Der Zug in die Vorstädte“, „Autos in Amerika“ und weitere vertiefen das soziokulturelle Genrebild. Hier, im provinziellen Nordamerika der 50er Jahre, liegt, im Nachhinein betrachtet, die Wurzel dessen, was wir zunächst von 1976 an mit Daniel Bells Begriff der „nachindustriellen Gesellschaft“ und dann in immer kürzeren Abständen mit immer neuen Begriffen zu fassen suchen: Dienstleistungsgesellschaft, Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft, Kommunikationsgesellschaft. Hier liegen auch schwache Signale, die selbst unsere heutige Zukunft noch betreffen. Diese Massen von jungen Leuten wurden von einer Entwicklung mitgerissen, die sowohl technologischer, als auch demografischer und kultureller Natur war: Sie gerieten gerade rechtzeitig zur Ablösung von den Elternhäusern in die gesellschaftspolitische und technologische Aufbruchstimmung der Kennedy-/Johnson-Ära, erlebten das nationale Trauma des Vietnam-Kriegs, studierten Mitte bis Ende der Sechziger. Ab 1973 stürmten die ersten Kohorten der Baby Boomers auf den Arbeitsmarkt. Aber sie fanden keine Jobs in den klassischen 103

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Großkonzernen. Dort saßen die Väter, im Schnitt 40 bis 45 Jahre alt und keineswegs gewillt, die Plätze zu räumen. Doch die Mitglieder dieser Generation wollten diese Positionen ihrer Väter gar nicht, die Plätze der vom Soziologen William White beschriebenen „Organizational Men“. Hier beginnt eine zweite Geschichte – in der Entwicklung dieser „Young Urban Professionals“ ist nicht nur die Stilisierung eines Konsumverhaltens eingelagert, sondern auch die Basis für eine revolutionäre Veränderung des Wirtschaftens überhaupt. Längst war – und dies ist 1982 eigentlich schon klar – im Wortsinne der „Deus als machina“ über die Geister gekommen: die Entwicklung der Halbleitertechnologie seit den spätern 40er Jahren und die sich daran anschließende Entwicklung von Computern, begleitet von der gleichzeitig rasant fortschreitenden Miniaturisierung, als deren mittelbare Folge die Technologisierung der Alltagswelt einsetzte, all das vorangetrieben von jungen Ingenieuren mit dem Geld wagemutiger Venture-Capital-Entrepreneure und unterstützt durch die Forschungsabteilungen von Unternehmen. Seit den 50er Jahren arbeiten Tausende von College-Absolventen an der Entwicklung von Mikrochips. Die Jungen drängten daher in jene neuen Industrien, die Ingenieure und Unternehmensgründer wie William Shockley und Robert Noyce vorbereitet hatten, eine New Economy, auch wenn sie damals nicht so genannt wurde. Silicon Valley ist eine Entwicklung, die in diesen 50er Jahren einsetzt. Tom Wolfe hat den Prozess in einer fulminanten Recherche nachvollzogen und ein Beispiel für die Entwicklung von historischen Arrangements geliefert, aus denen sich „Zukunft“ entwickelt (Wolfe 2001). Silicon Valley war bereits 1982 Realität, leicht als Ausgangspunkt eines Megatrends auszumachen. Was aber diese Technologisierung und die mit ihr entstehende Dienstleistungsbranche soziologisch und kulturell bedeutete, entzog sich dem oberflächlichen Blick des Zukunfts-Gurus. Zwar lebten die meisten jungen Leute in diesem Jahr 1982 ein normales durchschnittliches amerikanisches Bürgerleben. Doch an den Rändern dieser gesellschaftlichen Entwicklung spielte sich etwas vollkommen Neues ab, das sich wenig später auf den Lebensstil aller auswirkte. Die Pioniere der neuen Technik pflegten nämlich eine ostentative Distanz gegenüber der klassischen Wirtschaft der Ostküste, kleideten sich entsprechend anders als die Ostküsten-Manager, gaben sich kalifornisch entspannt und gleichzeitig kosmopolitisch, tranken italienischen Rotwein an Stelle von Whisky und statt des Dry Martini Pastis. Dem Trendforscher Naisbitt, der immerhin behauptete, mehr als 200 Zeitungen regelmäßig auszuwerten und durch diese Technik eine Vogelschau auf die Entwicklungen zu haben, fiel diese Entwicklung nicht auf, weil sie in den allgemein zugänglichen Medien gar nicht auftauchte. Es war eine Journalistin, die das, was in diesem demografischen Mutterboden keimte, auf den Begriff brachte: Am 15. Juni 1983 veröffentlichte

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Alice Kahn in einem Szeneblatt für die Gegend um Oakland, Richmond und Berkeley, dem Eastbay Express, einen Artikel über einen bemerkenswerten Wandel des Konsums. Der Artikel trug einen Jubelruf als Überschrift – „Yuppie!“ –, um jene junge, gebildete Kohorte zu beschreiben, deren Mitglieder als Young Urban Professionals bezeichnet wurden. Die Zeitschrift wurde 1978 gegründet und bedient bis heute eine kosmopolitische, pluralistische und intellektuelle Leserschaft, die sich gleichzeitig stark mit der Region identifiziert. Sie stand und steht in der Tradition der City Papers, in denen sich eine frische journalistische Kultur findet. Eigentlich wären Zeitschriften dieser Art die beste Quelle für einen Trendforscher, die ja behaupten, dass sich das Neue an den Rändern der etablierten Kultur entwickle – was im Übrigen der tausendfach reproduzierten These Richard Floridas von der metropolitanen Creative Class (Florida 2002) widerspricht – dazu gleich mehr. Was die Young Urban Professionals des Jahres 1983 betrifft, hatten Demografen längst auf die Folgeerscheinungen der geburtenstarken Jahrgänge hingewiesen. Aber ob die Yuppies nun naturwüchsig entstanden oder ob es der Begriff von Alice Kahn war, der durch seine publizistische Multiplikation erst zur Formierung des Phänomens führte, lässt sich nicht klären. Wissenssoziologisch bedeutsam ist vor allem, dass der mit den Begriffen Yuppie bezeichnete Lebensstil bevölkerungsstatistisch eigentlich keine große Bedeutung besaß. Die Gruppe, die alle drei Kriterien erfüllte – young, urban, professional –, rechnete der Soziologe John L. Hammond später aus, repräsentierte bei präziser statistischer Analyse nicht mehr als 1,1 Prozent der amerikanischen Bevölkerung (Hammond 1986). Aber ehe die Soziologie ihre empirische Arbeit bewerkstelligen konnte, tobte der Begriff durch die Publizistik. Inspiriert waren plötzlich auch jede Menge Zeitschriften. Yuppie – da war eine greifbare Verdichtung einer demografischen Tendenz, die sich zu einem Massenmarkt stilisieren ließ. Und dieser Massenmarkt würde den Konsum ankurbeln. Und dieser Konsum würde die Werbung ankurbeln. Und diese Werbung würde das Geschäft der Zeitschriften ankurbeln. Und also schrieben sie alle fleißig über die Yuppies: US News & World Report in einer Titelgeschichte, Business Week in einer Titelgeschichte und weltweit viele andere in Titelgeschichten, Stern, Zeit und die Marketingzeitschriften. Dass es sie wirklich gab, ist, statistisch gesehen, ein Wunder, das Ergebnis einer „medialen Halluzination“, wie Hammond ernüchternd formulierte. Sicher ist nur, dass der Erfolg dieses Begriffes zur heute inflationär verwendeten Marketingstrategie des „Naming“ geführt hat: Wenn es möglich war, durch die zufällig gefundene Etikettierung eines denkbaren Trends einen realen Trend einzuleiten, müsste es doch generell möglich sein, durch die strategische Etikettierung opportune Trends generieren. Hätte man erwarten können, das alles vorauszusehen? Und hätte ein Trendforscher wie Naisbitt mit seinen vorgeblich

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flächendeckenden Contentanalysen nicht auch voraussehen müssen, dass sich diese „Bewegung“ der Young Urban Professionals durch die zunehmende Konzentration auf äußerliche Erscheinungsformen und ostentativen Konsum ihre potemkinsche soziologische Fassade selber zerstörte?

9.2 Zukunft der ‚Creative Class’ Die Frage ist keineswegs nur retrospektiv interessant. Denn gegenwärtig beeinflusst ein ähnlicher Begriff die Vorstellungen über die Zukunft der metropolitanen Städtekultur: Creative Class. Der Impuls wurde erneut weltweit aufgenommen und zu einem allgegenwärtigen pragmatischen Soziologismus aufgemästet. So wie Gemeinden und Medien in engem Verbund in den 80er Jahren die konsumstarken Yuppies umbuhlten, werden heute die Mitglieder der so genannten Kreativen Klasse umworben. Mittlerweile wetteifern große Regionalblätter und Kommunen mit Hilfe ausgeklügelter Indices darum, wo sich die Kreative Klasse niederlassen und die Wirtschaft durch ihre Innovativität und ihren Konsum nachhaltig beflügeln wird. Bei näherer Lektüre der einschlägigen Zeitungsartikel entsteht das Bild eines Milieus aus Investmentberatern und gehobenem Hedonisten, Jungmanagern und Galeristen, aus Mitgliedern von Beratungsberufen und erfolgreichen Anwälten, also aus jenen „Talenten“, um die ein „Krieg“ der Personaler attraktiver Unternehmen im Gange sei. Es seien urbane, ja metropolitane Charaktere, die sich in bestimmten Biotopen bestimmter Städte niederlassen. Welche Städte das sind, zeigen eigene Beratungsindizes, etwa der „Mercer Index“ und natürlich das von Floridas „Creative Class Group“ angebotene Ranking. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung etwa nahm den Impuls auf und initiierte mit der Ausgabe vom 9. März 2008 eine Dauerdiskussion um die Attraktivität der deutschen Großstädte auf der Grundlage der von Florida zugrunde gelegten Prinzipien Technologie, Talent, Toleranz. Doch die Zeitung reproduziert mit ihrer umfangreichen Berichterstattung nur die Sicht der Dinge aus der Perspektive der Kreativen Klasse – die sie in die technologisch Kreativen und Innovatoren, die ökonomisch Kreativen und Entrepreneurs und die künstlerisch Kreativen differenziert. Alle drei Gruppen, so der Bericht, bräuchten einander. „Sie lieben es, dass sie Nachbarn in derselben Stadt sind“. Nun muss man allerdings der Frankfurter Allgemeinen eine gewisse Pluralität bescheinigen – denn in einer Rezension des 13. Trendtages des Trendbüros ging das Blatt in selbstironische Distanz zur Florida-Theorie (11. Mai 2008: 64) und konfrontierte die Metropolen-Seligkeit mit dem empirischen Ergebnis, dass die glücklichsten Menschen in der Provinz leben – in Deutschland beispielsweise in Osnabrück. 106

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Offensichtlich verbreiten Florida und die Epigonen eine soziologische Illusion. Sie schreiben einen vorübergehenden Status fest, der durch die opportune Berichterstattung sich empirisch selbst bestätigt – und vernachlässigen die Dynamik, die sich aus der Formierung einer solchen Kohorte zwangsläufig entwickeln wird. Wenn das Beispiel der Young Urban Professionals eines zeigt, dann ist es die Selbstzerstörung eines Stils durch seine Festschreibung – nicht zuletzt auch durch die wachsende öffentliche Distanz derer, die nicht zur Gruppe zählen, aber von ihren Aktivitäten betroffen sind. Auch in der Logik der Entwicklung und ihrer Fortschreibung in die Zukunft steckt ein Fehler. Zunächst einmal ist es wichtig festzuhalten, dass die Innovatoren der ersten Generationen, die Florida anspricht, nicht aus Städten oder den entsprechenden Szenegebieten der Städte kamen. Sie kamen aus der Provinz – mit der Absicht, ihre Grenzen auszudehnen. Einmal etabliert, verfestigt sich aber ein Habitus an ideologischen und ästhetischen Ausdrucksformen. Der wesentliche Indikator der Toleranz gegenüber Andersdenkenden bezieht sich zunehmend auf Angehörige des eigenen wirtschaftlichen und sozialen Status. Die so genannte Kreative Klasse entwickelt sich gerade durch die Verbreitung von Indizes, mit deren Hilfe sie sich identifizieren lässt, zu einem unflexiblen sozialen System der Inklusion, mit deutlichen Markierungen von Statussymbolen in den überall gleichartig inszenierten Umwelten, samt B & O-Fernsehern, Harman-Kardon Sound-Systemen, Mies van der Rohes Barcelona Chairs und LC3-Sofas von Le Corbusier, der spinnenbeinigen Zitronenpresse von Alessi und der legitimen Kunst. Aus der ursprünglich innovativen Konfrontation sehr unterschiedlicher Individuen entwickelt sich also recht schnell ein fest gefügter Lebensstil, der viele Bereiche dessen, was eine erste Assoziation um den Begriff der „Kreativen Klasse“ nahe legt, nicht oder nur im Hinblick auf den Marktwert berührt: Bildende Kunst, Literatur, Politik, Journalismus. Die wirtschaftliche Potenz dieser „kreativen Talente“ steht also deutlich im Vordergrund, auch und vor allem beim Jubel der Lokalpolitiker in den Städten oben auf den Rankinglisten. Gute Nachbarschaft zwischen den Mentalitätsmilieus herrscht keineswegs, zumindest nicht überall. Witzig wie stets brachte das Berliner Stadtmagazin Zitty die Sache im Oktober 2006 auf den Punkt. Als Beleg der Tatsache, dass Berlin zum kulturellen Zentrum der Bundesrepublik avanciert sei, zeigte man auf der Titelseite eine Komposition aus vielen Gesichtern bekannter Schauspieler, Künstler, Schriftsteller: „Die wohnen jetzt alle hier“. Alle, das waren zum Beispiel Heike Makatsch, Jürgen Vogel, Jonathan Meese, Christian Petzold, Wladimir Kaminer, Daniel Brühl, Maxim Biller, Frank Castorf, Fritzi Haberlandt, Judith Holofernes und Hunderte andere. Einen illustren Namen aus der Business-Szene suchte man vergebens, was keineswegs ein Versehen oder ein Nachlässigkeit war: Die kreative Szene grenzte sich hämisch gegen den dominierenden Typus der jungen

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Karrieristen und ihre symbolischen Orte wie die Friedrichstraße in Mitte („Schleimscheißermeile“) ab. Der Sarkasmus mag berlinerisch sein, sein Anlass ist es nicht. Wer die Nischen in den Szenen anderer Städte ausleuchtet, wird ähnliche Bruchlinien finden. Hamburg Ottensen zum Beispiel, einst ein Arbeiterviertel, wurde von einer eher kreativen Kleinkunstszene adoptiert und mit multikultureller Alternativpolitik adaptiert, und wer sich abends im Businessanzug durch die Kneipen bewegt, fällt zumindest auf und spürt das auch. Die Welt am Sonntag berichtete am 24. Februar 2008, dass sich erste Mieter-Initiativen in Hamburg gegen die „LatteMacchiatisierung“ ihrer Stadtteile wehrten (Hamburgteil 3). Dessen ungeachtet bietet Florida in seinem letzten Buch erneut die These an, dass Innovationen aus den Ballungszentren entstehen, in denen sich dieser Typus der „Creative Class“ ansiedelt. Der Untertitel des Buches formuliert eine lautstarke These: „How the Creative Economy Is Making Where to Live the Most Important Decision of Your Life.” Die „Provinzler“ staunen, allerdings aus einem ganz anderen Grund. Immerhin sind sie die Pioniere im Maschinenbau, Rückgrat der deutschen Wirtschaft, Besitzer Tausender Patente, Exportweltmeister, mit ihren Firmensitzen und Technologieparks in Künzelsau, Offenburg, Herzogenaurach, Wolfsburg oder Walldorf. Sie hören nur höchst verwundert und kopfschüttelnd zu, wenn einer der nacheilenden Pseudosoziologen mit Begriffen wie Portfolio-Work und Wissensarbeit, Intrapreneuren und Konzepten der Befreiung aus den Zwängen der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts agiert und von der Ballung der Kreativität in Berlin Mitte oder Düsseldorf spricht. In noch härterer Konfrontation zu dieser konsumfreudigen Ästhetisierung des Alltags und ihrer anekdotischen Illustrationen – der durchaus Abstrahlungseffekte auf die Wünsche der Gesellschaft insgesamt besitzt – stehen andererseits die Erfahrungen der Unsicherheit, der Ängste um Arbeitsplätze, der Zumutung von Mobilität und Projektarbeit derer, die weder zur innovativen Avantgarde noch zur kreativen Klasse gehören. Das bleibt nicht folgenlos. Unfeine Charakterisierungen als Raubtierkapitalsten, Heuschrecken und Ärgeres zeigen, dass die schöne Logik vom Abstrahlungseffekt noch nicht, wie es immer so trefflich heißt, „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen ist. Der Economist, eine der einflussreichsten und kreativsten Publikationen der globalen Wirtschaftswelt, diagnostizierte 2006 in einem Special über den weltweiten Wettbewerb um Talente gar einen drohenden „Backlash against the Talent Elite“ durch die Globalisierungs- und Modernisierungsverlierer und -kritiker aller Schichten. Soziologen warnen seit Mitte der 90er Jahre bereits vor einer zunehmenden Entfremdung der Elite von den Gesellschaften, aus denen sie entstanden sind: Eliten seien kosmopolitisch, Menschen lokal, schrieb Manuel Castells. Der

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in Kulturkonfrontationen erfahrene Samuel Huntington illustrierte Castells Bemerkung für die USA mit dem Hinweis auf eine wachsende Entnationalisierung der Eliten und der geradezu mythologisch auf ihre Heimat eingeschworene breite Öffentlichkeit. Materialien für eine differenzierte Trendanalyse sind also ausreichend vorhanden. Eine Menge Signale sind zu interpretieren. Und es ist keineswegs klar, dass alle wichtigen Indikatoren erfasst werden. Das soziologische Modell der „Kreativen Klasse“ kann also durchaus das Ergebnis einer „Präferenzverfälschung“ sein – manches spricht dafür (Turan 1995).

9.3 Zukunft der Dienstleistungswirtschaft Eine ähnliche Präferenzverfälschung durch einen herrschenden Mind-Set lässt sich an einem dritten Kernbestand der Prognosen aus der boulevardesken Trendforschung noch einmal in aller Deutlichkeit veranschaulichen: der vor allem wieder von Naisbitt und Horx gleichermaßen propagierten Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft mit ihren vielen Portfolio-Workers und Ich AGs. Wieder entsteht eine Illusion aus der Strategie des Naming. Ein Begriff wird zum Ausgangspunkt seiner anekdotischen Illustrationen und erhält auf diese Weise Konnotationen, die eine Sicht auf differenzierte Konsequenzen und Entwicklungen verstellt. In der gegenwärtigen Dienstleistungsgesellschaft, entstehe, schreibt zum Beispiel Horx in der Wiederaufnahme des „Clicking“-Prinzip Popcorns, „ein sekundärer Arbeitsmarkt von enormer wirtschaftlicher Bedeutung.“ Die Zeitschrift Geld-Idee, in der diese Gedanken geäußert wurden, fragte nach: „Auch wenn Dienstleistungen wichtiger werden: BMW, Siemens und Co. sind immer noch große Warenproduzenten hierzulande. Auch noch 2016? Oder werden BMW dann komplett im Ausland hergestellt?“ Darauf der Trendforscher: „Wir können in Timbuktu produzieren, wenn die Wissens-Wertschöpfung hier bleibt. Globales Produzieren, lokales Wertschöpfen durch Innovation, Design und komplexes Wissen – das zählt. Mit der Produktion von Waren verdient man nicht mehr das eigentliche Geld, die Wertschöpfung wandert in den kreativen Bereich.“ Auch diese Idee wird in Medien, selbst auf Kongressen von Unternehmen trotz ihrer offensichtlich drastisch verkürzten Perspektive als Zukunftsvision verbreitet: Hochbildung bedeute, kluge Fragen zu stellen. „Nicht die Produktion der Gegenstände, sondern die Beherrschung und Entwicklung von Lösungssystemen der Zukunft ist für uns wichtig. So werden wir unser Geld verdienen“, wird Horx zitiert. Selbst an Universitäten werden derartige Szenarien verbreitet. „Der prominente Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx spricht auf Einladung des Beruflichen Weiterbildungsverbundes (BWB) und der Universität über die ‚Hochbildungsgesellschaft – Skizzen für einen anderen Gesell109

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schaftstyp’“, schrieb im Oktober 2005 das Westfalenblatt über einen Auftritt an der Universität Bielefeld. Unterhalb der Hochbildungsszene und der Mitglieder Kreativen Klasse in den Creative Hubs agieren, wie die Theorie zeige, Dienstleister. Bis zum Jahr 2015 werde eine Fülle von Berufen entstehen, erläutert der Zukunftsforscher immer wieder. Als mögliche Beispiele finden sich in den Medien Positionen wie Lebenscoach, Duftgestalter, Kulturvermittler und Trauerritualist oder Waldkindergärtnerinnen. Am Ende steht eine ökonomische Welt, in der sich die Wertschöpfungen immer mehr um das Individuum ranken: „Alles wird zu Me-Märkten.“ Schon heute gebe es Dienstleister, „die uns dabei helfen, gut auszusehen, unsere Wohnungen einzurichten, komfortabel von Platz A nach Platz B zu kommen oder souverän in eine Kamera zu schauen. Es gibt Menschen, die Duft-Design anbieten. Uns vorsingen. Gegen Bezahlung Ordnung auf dem Schreibtisch machen. Etwas vorlesen. Und in neuen Ritualformen begraben oder plastinieren“ (Horx 2005b: 127). Derartige Szenarien sind volkswirtschaftlich wie betriebswirtschaftlich schlichter Unsinn, weil eine Menge grundsätzlicher Fragen nicht gelöst sind: Wie sähe ein angemessenes Steuerrecht aus, wenn viele Selbständige zwar ihre eigenen (Ein-Personen-) Unternehmen besäßen, aber in vielen Fällen nur scheinselbständig wären? Wie wäre der Zugang zu zielgerechter Weiterbildung zu garantieren? Was wäre mit dem Haftungsrecht, dem Urheberrecht auf Ideen? Wie erfährt die potenzielle Kundschaft von diesen Angeboten? Auf welchen Wegen läuft der Vertrieb? Wie werden die Investitionen für den Aufbau solcher Initiativen finanziert? Wie wird aus derartigen Jobs eine Alterssicherung aufgebaut? Aber selbst, wenn man diese sichtbaren (leider aber in keiner Trendanalyse integrierten) Tendenzen übergeht, bleibt eine wesentliche Frage – die wesentliche Frage – völlig unbeantwortet: Wer zahlt? Zahlt der Zähnewellness-Guru seinen Life Coach mit dem Geld, das er für die Arbeit am Gebiss des Trauerritualisten verdient hat, das der wiederum durch den Auftrag von einem Finanzdienstleister verdient hatte, bei dem der Life Coach sein Geld anlegt? Ein solcher Unsinn käme keinem Wirtschaftswissenschaftler oder Soziologen in den Sinn – nicht nur aufgrund der in sich widersprüchlichen Logik, sondern schon durch den einfachen Blick auf die Zahlen – durch seriöse Forschung mithin. Der VDMA hat errechnet, dass die Bruttowertschöpfung im produzierenden Bereich seit Jahren sehr viel schneller wachse als in den Dienstleistungsbereichen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag rechnet vor, dass von den 300.000 Arbeitsplätzen, die im Jahre 2008 in Deutschland neu geschaffen werden, allein 100.000 in der Industrie entstehen. Prognos, ebenfalls ein Unternehmen der seriösen Trendforschung rechnet mit einer anhaltenden Entwicklung bis 2010.

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Das alles ist nicht neu. Auf die eben gestellte Frage, woher das Geld stamme, mit dem die Dienstleistungen bezahlt werden können, sagte Helmut Kramer, Chef des renommierten Wiener Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) auf dem Europäischen Forum Alpbach bereits 1994: „Die Industrie ist zentral, weil sie nach wie vor den größten Teil der in- und ausländischen Nachfrage befriedigt, weil ihre Produkte und ihre Wettbewerbsfähigkeit mehr als alles andere die wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik, die Verhaltensweisen, die Umweltqualität und natürlich die Leistungsbilanz prägen. In diesem Sinne hängen die meisten anderen Sektoren der Wirtschaft, auch die meisten Dienstleistungen von der Industrie ab, weisen eine abgeleitete wirtschaftliche Existenz auf. Die Verfügbarkeit über industrielles Know-how ist entscheidend und wird entscheidend dafür bleiben, ob wir unsere Wohlfahrt erhalten und verbessern können.“ Der Dienstleistungssektor stellt also eine unmittelbare Funktion der volkswirtschaftlichen Gleichung dar, in der die produzierende Industrie die unabhängige Variable darstellt – die ihrerseits abhängig ist von hochqualifizierten und vor Ort verfügbaren industrienahen technischen Dienstleistern. In Positionspapieren des BMWi werden 2008 laut Spiegel (7/2008, S. 66) 40 Prozent aller Dienstleistungen und 63 Prozent aller Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im unmittelbaren Umfeld der Industrie erbracht. Das heißt: Auch wenn der Anteil an der Bruttowertschöpfung in der Dienstleistungswirtschaft insgesamt höher ist als in der Produktion, ist ein wesentlicher Teil dieser Zulieferung nur aus der Entwicklung der Industrie zu erklären. Abgesehen davon, dass die Kaste der von Popcorn, Horx und andere Autoren der Pseudosoziologie identifizierten Zähnewellness-Gurus, Duftdesigner und „Dial a Compliment“-Ich-AGs in dieser Wertschöpfungsberechnung kaum auftauchen dürften. Deren Existenz kann ganz am Ende als die verzichtbarste Wirtschaftsleistung für ein modernes Gemeinwesen nur deshalb finanziert werden, weil eine Kaskade von vorgelagerten Angeboten existiert. Eine soziologische Analyse zeigt darüber hinaus noch eine ganz andere Problematik, die in diesen Trendanalysen, selbst in einer eigens dem Bereich Future Work gewidmeten „Studie“ des Zukunftsinstituts überhaupt nicht berücksichtigt ist, allerdings eine wesentliche Entwicklung auf dem Dienstleistungssektor darstellt: die Industrialisierung der Angebote durch eine Retaylorisierung, etwa die fließbandmäßige Taktung der Erfolgsmessung durch die Zahl der Abschlüsse pro Zeiteinheit und der nach dieser Taktung bemessenen Zahlungen. Kreativität ist in diesem Zusammenhang keine gesuchte Qualifikation. Schwache Signale, die auf eine massive Veränderung des tertiären Sektors hindeuten (im Übrigen auch in der Forschung zur Entwicklung der Dienstleistungswirtschaft in der Volksrepublik China oder Indien) zeigen also ein durchaus ambivalentes Bild.

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9.4 Zukunft der Arbeit Die Studie „Future Work“ aus dem Zukunftsinstitut bietet keine wirtschafts- und sozialwissenschaftlich bedeutsamen Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen. Sie enthält die üblichen Tipps für Bewerber, Hinweise auf die Nutzung des Humankapitals, einige Tabellen aus den mehrfach erwähnten frei verfügbaren Studien anderer Untersuchungen, einige Bemerkungen zum E-Recruiting, Networking und zum „Come Back der Senioren“, oberflächliche Hinweise auf die üblichen Methoden der Humankapitalmessung, Work Life Balance und Family Audits – also Methoden, die seit den frühen 90er Jahren selbstverständlich sind –, und stellt nochmals die neuen Arbeitstypen vor: Symbolanalysten und High Skill Workers, Grey Activists oder Downshifter. Die werden zusätzlich in „Persönlichkeitstypen“ differenziert, von denen wieder nicht klar ist, wie sie empirisch zustande gekommen sind: fragile Performer, junge Kreative, Abgeschlossene – also in etwa die Typen, die das Trendbüro auch für die Zeitarbeitsfirma entworfen hat. Eine Sondertypologie der Frauen ist unerlässlich, ebenso die der jungen Elite. Dann folgen ein Kapitel über Retention Management („Mitarbeiter halten“), medizinische Aspekte des Stress, unternehmensinterne Beziehungspflege, Tipps für Mitarbeitergespräche und die Bedeutung des Mittagsschlafs mit dem Teilkapitel „Nickerchen im internationalen Vergleich“ und über die wachsende Einsicht, dass Arbeit sinnhaft sein müsse. Schließlich werden dem offensichtlich ob dieser Aufgabe völlig überforderten Kunden des Zukunftsinstituts die „zehn Gebote für Besprechungen“ überantwortet, worauf dann ein paar gestrige Neuheiten der karrieristischen Beziehungspflege wie Bonding oder Mentoring die „Studie“ abschließen. Ein Glossar liefert dann die Anglizismen für das „A – Z des Personalmanagements im 21. Jahrhundert“ – von Adress Book Acitivism bis Goat Roping. Insgesamt zeigt diese Studie höchst anschaulich die Strategie der Informationsbeschaffung: Alles, was auf den Vorschaltseiten zu den Stellenanzeigen in den Samstagsausgeben der Tageszeitungen im Laufe eines Jahres in loser Folge abgehandelt wird, erscheint nun als Studie des Zukunftsinstituts. Erwähnt werden darüber hinaus ein „Monitoring-Projekt“ für die Deutsche Bank und ein Zukunftskongress bei Volkswagen. Die Arbeit der Zukunft ist also nach allem, was bis jetzt zusammengetragen werden konnte, im Wesentlichen durch drei Typen gekennzeichnet – die kreative Arbeit des hochgebildeten Portfolio-Workers, die Dienstleistungsangebote der Ich-AGs und die Einstiegsjobs für untere Dienstleistungsklassen, die auf Parkplätzen Zeitungen verkaufen. Die sozialpolitischen Konsequenzen dieser Stratifizierung müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Ich will nur einen Aspekt herausgreifen, der unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten interessant erscheint und das Personalmanagement und die Innovationskultur betrifft. 112

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Bei der empirischen Analyse der Konsequenzen dieser Konzeption von Future Work zeigt sich, dass mit dieser Theorie der flexiblen Portfolio-Worker genau das nicht erreicht werden kann, was Wippermann oder Horx ihren Kunden als empirisch gesicherte Konsequenz versprechen: eine auf Wissen aufbauende innovative Ökonomie. Temporär beschäftigtes Personal, so hochklassig es auch sein mag, wird nie in die sensiblen Kernbereiche der Wissensentwicklung und in den Aufbau konkurrenzfähigen Wissens integriert werden. Die Sozialforschung und die betriebswirtschaftliche Personalwissenschaft entwerfen einen ganz andern Typus des zukunftsgewandten Mitarbeiters: den kreativen Individualisten, der in einem vertrauensvoll kollegialen Kontext unter kooperativer Führung eine Grundloyalität zu seinem Unternehmen aufbaut. Die genuin soziologische Frage ist die nach der Integration der Geister (um einmal einen anderen Begriff als den des „Humankapitals“ zu benutzen). Sie wird die Unternehmen in den nächsten Jahren verstärkt beschäftigen – schon aus demografischen Gründen: Wir verzeichnen einen Rückgang junger Arbeitskräfte von 1996 bis 2040 von ca. 11 Millionen auf etwas über 6 Millionen (IAB; Basis 15 – 29jährige). Interessanterweise ist in Zeiten des raschen Wandels also ganz im Gegenteil zu den Diagnosen der neuen Arbeitswelt Kontinuität der Leistungsträger und ihrer Beziehungen zu den Tätigkeitsfeldern gefragt, in denen und für die sie arbeiten. „Dauerhafte Beziehungen zu Angestellten werden zu einem wichtigen strategischen Vorteil – auch im Kampf um andere Talente“, meint Thomas Sattelberger, Personalvorstand bei der Telekom, zuvor bei Continental und der Deutschen Lufthansa (Sattelberger 1999). Der Typus des Jobhoppers, dessen Design Wippermann und Horx in ihren „Studien“ anbieten, wird ein gehobener Hilfsmanager bleiben – projektbezogen gerade so weit in die Interna eines Unternehmens einbezogen, dass es für die Erfüllung der subsidiären Aufgaben reicht. Aber in dieser Theorie der flexiblen Portfolio-Worker, die möglichst durch Zeitarbeitsfirmen vermittelt ihre Kompetenzen anbieten, lauert noch eine andere personalpolitische Falle: die der Demotivierung und der Entqualifizierung durch eine permanente Desintegration. Dieses muntere Völkchen, das da in den Ideen von Portfolio Work, Flexismus und Clicking-Kreativität beschrieben wird, umfasst vielleicht einen Promillebereich der Arbeitswelt – freie Berater, Interimsmanager, Unternehmensgründer in der Start up-Phase, Coaches und – Trendforscher. Gerade die ignorieren, dass solche Arbeitsverhältnisse zu heftigem Stress führen, beziehungsweise nur die, die sich im Wettkampf um die Google-Publicity mit ihren Marketingstrategien haben durchsetzen können, sind sichtbar. Für Tausende Anderer gelten die Regeln des täglichen Kampfes um Aufträge oder in den Unternehmen um eine feste Position. Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen sind bekannt, werden aber von den rosagefärbten Zukunftsvisionen der sichtbaren Trendagenturen als Alarmismus gebrandmarkt. Als Trends sind diese

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eher grauen empirischen Fakten wenig geeignet. Ein in den Medien verbreiteter – also allgemein verfügbarer – Bericht des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz stellt zum Beispiel für 2008 fest, dass Deutschland die von der Weltgesundheitsorganisation gesteckten Ziele zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz verfehle. Während die Zahl der Arbeitsunfälle zurückgehe, sei der Anteil der psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen „drastisch“ von 6,6% auf 10,5% angewachsen. In gut zehn Jahren, prognostiziert der Verband, würden depressive Verstimmungen nach den Herzerkrankungen an zweiter Stelle stehen. Die Ursachen liegen dem BDP-Bericht zufolge in Zeitdruck, Komplexität der Arbeit und Verantwortung der Beschäftigten, fehlenden Partizipationsmöglichkeiten, prekären Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit und Zeitarbeit, mangelnder Wertschätzung, defizitärem Führungsverhalten sowie einem Ungleichgewicht zwischen beruflicher Verausgabung und erhaltener Entlohnung. Ein weiterer Grund für die steigende Zahl psychosomatischer Erkrankungen sei die durch wachsende Flexibilitätsanforderungen bedingte Trennung von Partnern und zusätzlichen Belastungen, insbesondere bei Frauen, die mit der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienarbeit „stärker gefordert bis überfordert seien“. Aus der Perspektive der nutzenorientierten Forschung für Unternehmen wäre es äußerst wichtig, derartige psycho-soziale Entwicklungen als unbeabsichtigte Nebenfolgen der bejubelten Flexibilität in die Analyse einzubeziehen – auch im Hinblick auf betriebs- und volkswirtschaftliche Folgekosten. Stattdessen erscheinen die Betroffenen in der Analyse für das Zeitarbeitunternehmen als diffus rückständige Personen, die auf einer Art Besitzstandswahrung überkommener wirtschaftlicher Strukturen beharren. Abgesehen von der Einseitigkeit der gesellschaftspolitischen Perspektive basieren die „Studien“ und die zu Grunde liegende Wirtschaftstheorie auf einer unrealistischen Verzerrung der wirtschaftlichen Realität. Wippermann und das Trendbüro konzentrieren sich wie die anderen Institutionen dieser Art auf einem relativ schmalen Sektor der Konsumgüterindustrie, die für modische Ausdrucksaktivitäten des Alltags steht. Die wesentliche Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft aber spielt sich in hochspezialisierten Bereichen der Industrie ab, im Maschinen-, Anlagen- und Apparatebau, in der Nanotechnik, bei industrienahen technischen Dienstleistern, der Innovativen Bautechnologie, in Umwelttechnologie, Flugzeug- und Autobau, in der Mobilitätsindustrie, Medizintechnik, der Kanalsanierung und Werkstoffentwicklung und vieles Andere mehr. Diese Branchen erwirtschaften ihre Umsätze und damit auch den Beitrag zum BIP ganz sicher nicht mit den Bedürfnissen nach Selbstinszenierung von Kunden. In diesem Missverständnis reproduziert sich die Vereinseitigung des empirischen Vorgehens durch die Verengung der Fragestellungen und die Vernachlässigung der

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Qualitätskriterien empirischer Arbeit – die opportunistisch formulierte Idee wird zum Ausgangs- und Zielpunkt der Erhebungen. Offensichtlich resultiert die Faszination der Boulevardforschung für diesen Typus aus der Methode ihrer Arbeit: die Medien, die sie mit ihren Mind-Sets zur Kenntnis nimm und scannt, stellen nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit dar.

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Zukunfts-Illusionen durch Mind-Set und Methodik

10.1 Methodologischer Zirkelschluss „Einhundertsiebzig internationale Medien sowie das Internet werden ständig für Sie ausgewertet“, verspricht Matthias Horx. Faith Popcorn lieferte am Ende ihrer Popcorn-Reports ganze Listen von bis zu 300 Titeln aus aller Welt, die sie regelmäßig auswerte. John Naisbitt, der zu Zeiten der bis 1977 arbeitenden Urban Research Corporation um die 200 Medien analysierte – damals noch im Fokus bestimmter konkreter Fragen – blieb auch in den enzyklopädischen Diagnosen der „Megatrends“ bei der Behauptung, diese Zahl von Medien durchzuarbeiten. Doch selbst bei Einzelfragen bleibt es im Dunkel, welche Grundgesamtheit an Medien genutzt und mit welchen inhaltsanalytischen Techniken gearbeitet wurde. Nach den oben ausgebreiteten Maximen professioneller Forschung müssten Grundgesamtheiten für die Auswahl der Titel und die Untersuchungseinheiten in den einzelnen Medien benannt werden, in denen sich die „schwachen Signale“ der Sortierung sozialer Milieus niederschlagen – Artikel, Absätze, Motive, Themen, Assoziationsstrukturen, Headlines. Die Contentanalyse bietet immerhin eine große Zahl von quantitativen und qualitativen Techniken, um diese Aufgaben zu bewältigen. Das Problem wäre nur, dass selbst die Auswertung der in den Beispielen niedrigsten Anzahl von 170 Medien zu allen erdenklichen Fragen weder technisch noch zeitlich denkbar ist. Das logistische Problem soll hier gar nicht angesprochen werden (Abonnements, Lagerung, Auswertungsprozesse, qualitative und quantitative Zugriffe). Schon die zeitliche Dimension stellt eine Herausforderung dar: In der Vorbreitungsphase zum Delphi-Survey Austria hatte ich die Gelegenheit mit Hilfe einer quantitativen Contentanalyse die Tendenz der Technologieberichterstattung in österreichischen und deutschen Medien mit dem Ziel der Themen-Cluster und der Bewertung von Technologien zu untersuchen. Das Sample bestand aus den beiden tagesaktuellen Qualitätszeitungen Standard und Presse in Österreich und ihren beiden Pendants Frankfurter Allgemeine und Süddeutsche Zeitung, ferner aus den beiden Nachrichtenmagazinen Profil und Spiegel sowie wegen der nationalen Bedeutung aus der reichweitenstärksten österreichischen Kronenzeitung. Der Untersuchungszeitraum umfasst ein Dreivierteljahr. Das Sample, das in künstlichen Wochen angelegt war, erfasste eine repräsentative Zahl jedes tages-

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aktuellen Mediums. Für die Nachrichtenmagazine war eine Totalerhebung angesetzt. Insgesamt wurden ca. 500 Exemplare untersucht. In diesen Exemplaren konnten 1692 Beiträge identifiziert werden, die sich mit zuvor kategorisierten Technologien deskriptiv oder bewertend auseinandersetzten. Eine Hochrechnung ergab, dass bei einer Totalerhebung der genannten Titel um die 18.000 Beiträge hätten analysiert werden müssen – zu einem einzigen Thema: Technologie. Da die Trendforschungsinstitute ihre Verfahren (Scanning, Monitoring, Radar und so fort) auf die Analyse von 170 bis 300 Medien anwenden, dabei alle denkbaren Entwicklungen wirtschaftlicher, kultureller, politischer, technologischer, medizinischer, alltagspraktischer Belange ins Auge fassen, ist die Frage, wie das geht? Diese Frage ist vor allem deshalb interessant, weil ja offensichtlich keine Fragestellung formuliert wird, die als Fokussierung der thematischen Suche dienen könnte. Wie also lassen sich Trends feststellen, wenn man gar keine sucht? Wenn nicht einmal thematische Horizonte eingegrenzt werden? Die Trendforscher bleiben der methodologischen Kritik gegenüber gelassen: John Naisbitt verweist erneut auf seinen Mind-Set. „Unsere Bilder über die Zukunft basieren auf bestimmten kulturellen und sozialen Mind-Sets“, sagt auch Matthias Horx in dem bereits häufiger zitierten Interview mit sich selbst zu Schlüsselfragen der Trend- und Zukunftsforschung. Die größte Treffsicherheit erzielten somit „hyperbelesene, pragmatische Universalisten“. Die Ergebnisse sind dann im Zukunftsletter zusammengefasst und werden in den Trend-Reports zu anekdotischen Beweisketten zusammengefügt – so wie Grünewald es mit den unterschiedlichsten Studien seiner Auftragsarbeiten vollzog, um am Ende ein Sample von 20.000 Tiefeninterviews vorzuweisen. Die Belegstellen seiner These über Deutschland unterscheiden sich in keiner Weise von den anekdotischen Beweisketten bei der Diagnose der professoralen Faulheit bei Kamenz und Wehrle oder der einseitigen Lokalisierung der künftigen „Elite“ durch Julia Friedrichs. Erlebnisberichte, passende Filmtitel, Beobachtungen, Erfahrungen, Zeitschriftenbeiträge, Neologismen, unbegründete Forschreibungen einzelner Beobachtungen in die Zukunft, hier und da eine Tabelle aus den Verlautbarungen des Statistischen Bundesamtes oder „frei verfügbarer“ Studien, allenfalls Straßenbefragungen und Fokusgruppen. Für die pragmatischen Ansprüche des Strategischen Managements (an die sich die Dienstleistungen ja in erster Linie richten) ist eine solche Beliebigkeit schlicht ungeeignet. Das Verkaufsargument lautet indes: „Alle bedeutenden Entwicklungen, die sich weltweit anbahnen, landen als kompakte Information in Ihren Händen, lange bevor die Allgemeinheit davon erfährt“ (Web-Dokument 18). Die methodologische Behauptung, dass die Trends und Zukunftsszenarien, die das Institut abliefert, aus einer großflächigen Analyse der Medien entstünden, ist zudem in sich widersprüchlich, wenn Horx andererseits seine Diagnose des

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Alarmismus mit dem Interesse der Medien an negativen Stimmungen begründet – also jener Medien, die er zur Grundlage der Newsletters erhebt. Eine weitere Zuspitzung findet dieser Widerspruch in der Tatsache, dass die Trendforscher durchwegs selbst mit diesen düsteren Szenarien werben und Bedrohungskulissen („threadscapes“) errichten. Tofflers Motiv des „Future Shock“ lebt fort: „Haben Sie persönlich oder Ihr Unternehmen bereits mit einigen dieser dramatischen Veränderungen zu kämpfen? Sind Sie vielleicht sogar von solchen Entwicklungen überrascht worden? Oder nutzen Sie schon all die neuen immensen Chancen, die jeder Wandel mit sich bringt?“ schreibt Horx, um dann die Lösung anzubieten: „Wohin auch immer die Richtung gehen wird: Mit dem Zukunftsletter von Matthias Horx sind Sie bestens vorbereitet. Der Wissensvorsprung, den Sie durch den Zukunftsletter erwerben, ist Ihr Kapital: Denn wer wie Sie Verantwortung trägt und Weichen für die Zukunft stellt, muss über alles, was auf ihn zukommt, bestens informiert sein. Nur so sind Sie in der Lage, nachhaltig die richtigen Entscheidungen für Ihr Unternehmen zu treffen.“ Und: „Gehören auch Sie zu dem Kreis weitsichtiger Unternehmer und Manager, die heute schon wissen, welche Strategien sich morgen durchsetzen werden. Steuern Sie sich und Ihr Unternehmen jetzt auf Erfolgskurs!“ Mit den „Zukunftsstudien“ des Zukunftsinstituts werde dieser Anstrengung erfolgreich sein. Dieser Zukunftsletter stellt wie viele seiner Konkurrenten nichts anderes dar als eine Art Readers’ Digest von Fundstücken, die irgendwelche Ideen transportieren, Neuigkeiten archivieren, Szenen beschreiben, interessante Produkte oder Werbekonzeptionen nacherzählen. Eine präzise Angabe darüber, nach welchen Kriterien diese Versatzstücke gefunden, verarbeitet und geordnet werden, wird nicht geliefert. Die Fundstücke sind die empirischen Grundlagen für die „Studien“, sie füllen Periodika, die vierteljährlich erscheinen, können aber auch einzeln online gekauft werden. Auf dieselbe kompilatorische Weise werden auch die Konkurrenzprodukte erstellt. Früher nannte man diese Dienstleistung „Ausschnittdienste“ oder „Clippings“.

10.2 Konstruktionen aus dem Zettelkasten Diese Fundstücke werden dann mit Hilfe des Mind-Sets zu Trends arrangiert und mit passenden Begriffen versehen. Als Hintergrund für die Validierung dienen Hinweise (meist Zahlen, einige Diagramme) aus Berichten der Forschungsinstitutionen oder Statistischen Ämter. Das sind die Analysen der Analysen, die zu Beginn dieses Kapitels erwähnt worden sind (vgl. Horx, Wippermann 1996). Um beim Zukunftsletter des Zukunftsinstituts zu bleiben: „Zukunftsstudien basieren auf einer Metaanalyse frei verfügbarer qualitativer wie quantitativer Studien 119

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(intern wie extern), einer umfangreichen Medien- und Datenbankanalyse sowie dem Input aus unserem internationalen Zukunfts-Netzwerk.“ Anhand der Arbeiten, die das Trendbüro für Randstad oder Tchibo abgeliefert hat, lassen sich einige zusätzliche Informationsstrategien identifizieren, Fokusgruppen, Straßenbefragungen und der Besuch von Geschäften. Horx ergänzt: „Optional werden je nach Fragestellung Recherchen und Store-Checks an Hot Spots vor Ort durchgeführt sowie eigene Experten- oder Konsumentenbefragungen integriert.“ Der zeitliche Aufwand inklusive Recherche und Verfassen betrage ungefähr vier Wochen, informiert das Zukunftsinstitut. Die Kosten belaufen sich auf etwa 30.000 EUR, abhängig von individuellen Wünschen und Anforderungen. Was nun im Einzelnen methodologisch geschieht, bleibt ein Geschäftsgeheimnis des Zukunftsinstituts. Das ist verständlich, denn immerhin handelt es sich um ein kommerzielles Angebot. Nur, dass diese „Studien“ wissenschaftlich seien, wird an verschiedenen Stellen als wichtiges Verkaufsargument betont: „Viele Menschen beschäftigen sich mit der Zukunft und glauben zu wissen, was morgen aktuell sein wird. Doch seien Sie vorsichtig: Es gibt Menschen, die das Wetter anhand von Bauernregeln vorhersagen, und andere, die ihre Prognose auf wissenschaftliche Daten und Erkenntnisse stützen. Wem vertrauen Sie mehr?“ Und so preist sich Matthias Horx: „Der Mann, der Ihnen den wissenschaftlich gesicherten Blick in die Zukunft ermöglicht, ist Matthias Horx, Deutschlands renommiertester Zukunftsforscher“ (Web-Dokument 19). Die Sammlung der Medien-Fundstücke dient als Grundlage dieser Studien: Ausgehend von 16 Mega-Trends („Wir haben immer mehr eine Weltkultur“) richte man den Blick „auf aktuelle Veränderungen. Basierend auf Datenbeständen aus dem In- und Ausland sowie multimedialen Scanning-Prozessen erarbeite das Institut dann Zukunftsszenarien – ob nun für die Bücher, die jährlich erscheinenden Trend-Reports, „für Auftraggeber aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“, den Zukunftsletter oder eine Vierteljahresauswertung unter dem Titel „Quarterly“, wie sie schon in Naisbitts Urban Research Corporation angeboten wurde – damals allerdings fokussiert unter einem konkreten Aspekt der „Urban Crisis“ und der sozialpolitischen Lösungsmöglichkeiten (Hervorhebung in den Zitaten von mir). Die heutigen Sammlungen sind unspezifisch und umfassen alles, was dem jeweiligen Institut interessant erscheint – wobei der Terminus der „Datenbank“, der oft zur Bezeichnung dieser Sammlung von Clippings genutzt wird, eine Systematik suggeriert, die nicht vorhanden ist. Eine professionelle qualitative Analyse, die mit den Methoden der Semiotik oder Hermeneutik arbeitet, würde ein Muster erst dann identifizieren und benennen, wenn in einer signifikanten Streuung von unterschiedlichen Medien Motive auftauchen, die als bedeutsam erkannt werden. Diese qualitative Forschung stellt aber dann ihre Mutmaßungen zur Überprüfung durch die quantitative Empirie. Boulevardeske

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Trendforschung beendet den Erkenntnisprozess bereits bei der Identifikation interessanter Einzelphänomene, die beliebig als Manifestationen einer größeren soziokulturellen oder wirtschaftlichen Entwicklung stilisiert werden. Tendenzen werden nur andeutungsweise und nicht einmal auf dem Niveau einer nominalen Skalierung eingeschätzt. Formulierungen wie „immer mehr“, „immer häufiger“, „inzwischen“, „derweil“, „heute schon“, „nicht mehr nur“, „weitergedacht könnte sich …“ werden durch die bereits mehrfach illustrierte Strategie der anekdotischen Belege scheinbar validiert und in einer mehrdeutigen, aber bedeutsam wirkenden theoretischen Schlussfolgerung zusammengefasst, die schließlich in einem Neologismus gipfelt. Eine aufschlussreiche Illustration bietet die 2008 angebotene „Männerstudie“. Auch dieser Text belegt, wie schon „Future Work“ oder die „Trend Reports“ und alle anderen Angeboten, dass es sich um eine Kompilation von Medienbefunden aus dem Zukunftsletter handelt, die mit Hilfe passender Statistiken aus fremden Untersuchungen illustriert werden. Eine Validierung der Inhalte fehlt gänzlich. Es bleibt also, wie schon bei Naisbitt und Popcorn diagnostiziert, bei einer schlichten Reproduktion von Oberflächenphänomenen, die von den Trendforschern in einem sensationell anmutenden Kontext integriert und mit Anglizismen etikettiert werden – in diesem Falle also als Health-Hedonisten, Self-Designer, Work-Life-Venturists oder Every Day-Manager. Zur Methodologie verrät die Studie dies: Man habe sich „in einem Team von vier Forschern (und vielen weiteren Rechercheuren) zusammengesetzt, Berge von Zahlen und Studien durchgearbeitet. … Mit Hilfe der Trenddatenbank … haben wir die Konsumsphäre nach neuen Männermärkten durchforstet“ (Werbung). Die Beliebigkeit derartiger Soziologismen erweist sich wieder einmal in der klassischen Zuordnung. Vier Phasen werden unterschieden: Industriegesellschaft von 1950 bis 1980 mit dem männlichen Vorbild John Wayne („Der letzte Scharfschütze“); die späte Industriegesellschaft der 1980er mit Don Johnson und Boris Becker als „Symbolfiguren“; die Informationsgesellschaft der 1990er mit David Beckham, und schließlich die postindustrielle Gesellschaft (2010) mit Seal als Symbolfigur des neuen Commitment. Dies wird, der großen Hintergrundtheorie zufolge, als „Evolution der Männer“ beschrieben, ein Prozess, der „von John Wayne zu Seal“ führe. Diese Art der Argumentation, kompiliert aus den Sammlerstücken der selbständigen Trend-Scouts, prägt alle „Studien“ des Instituts, etwa im Trend-Report 2006: Da ist dann die Rede von „der Mitte der kollektiven Psyche“, einer „Ästhetik der Krise“, von „medialem Katastrophismus“, von „Zeichen des Zeitgeistes“. Einige Beispiele: „Derweil wimmelt es in der Medienproduktion von Büchern und Diskursen über das Ende der Luxusansprüche“ (12); „ … titelte die ‚Brigitte’ vor kurzem und eröffnete damit eine neue ‚Ästhetik der Krise’, in der

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nicht nur die schönen und glanzvollen Momente des Lebens auf den Titel kommen“ (12); „Dass Mitarbeiter in Balance das beste Kapital für ein Unternehmen sind, haben mittlerweile einige Firmen erkannt“ (86); „Tendenziell könnte sich die weibliche Sphäre ebenso wie die männliche weiter ausdehnen, bis Kongruenz herrscht. Dann wäre absolute Gleichheit gegeben“ (94); „Ganze Völker, wie etwa die Maya, gingen unter, weil sie die Zeichen der Umwelt nicht richtig lesen konnten“ (23); „Die Grippe etwa führte immer schon bei Schwachen und sehr alten Menschen zum Tode“ (24); „Weitergedacht könnte sich das e-bay-Prinzip in Richtung auf die Produktion von Gegenständen entwickeln“ (36); „Im Creative Age springt diese Methode der kreativen Wertschöpfung auf immer mehr Berufe über … Sogar Putzfrauen verewigen auf Toiletten ihr Wirken“ (37); hochstilisiert zu einer neuen Psychologie: „Ich und mein Avatar: Eine neue Psychologie“ (71). „Auch in der Pädagogik werden interaktive 3-D-Computerspiele zunehmend eingesetzt“ (72). In diesem Zusammenhang ist der Streit um Videospiele zu vermerken, der eine Zeitlang die Medien bewegte, bevor Matthias Horx das noch wirksamere Thema des Klimawandels entdeckte. „Piloten und Flugzeugbauer nutzen Flugsimulatoren schon lange“ (72). Manche Formulierungen entziehen sich einer sinnvollen Interpretation: „Der mediale Katastrophismus stärkt zunächst die Psychologie des apokalyptischen Hypochondrismus: Immer mehr Menschen sorgen sich …“ (28). Das soziale Unternehmertum wird gefeiert „Große Pharmakonzerne lizensieren derweilen ihre Produkte für die armen Länder. So wird das Grippemittel Tamiflu nun auch in Lizenz in Vietnam hergestellt“ (14). Second Life führe zu einer neuen Beschäftigungswelle: „Kids in armen Ländern leben teilweise bereits davon, Charaktere zu entwickeln und dann an reiche Altersgenossen in den Industrieländern zu verkaufen!“ (70).

10.3 Kreislauf der Trend-Forschung Wenn Medien, die der Allgemeinheit zugänglich sind, als Quelle der Zukunftsorientierung benutzt werden, diese Medien wiederum aber einen gerade für die Trendforschung bedeutsamen Teil ihrer redaktionellen Arbeit mit den „Studien“ der Aberhundert Trendforscher – dabei führend wieder Horx, Wippermann, Opaschowski, Popcorn – bestreiten, studiert die Branche logischerweise ihre eigenen Erfindungen. Gleichzeitig ist es ein Charakteristikum der Medien, vorrangig die Verkäuflichkeit ihrer Inhalte und die Erfüllung der Bedürfnisse nach den News Values zum Prinzip ihrer Berichterstattung zu erheben, was auch für die Berichterstattung über zukunftsweisende Innovationen gilt. In den Studien, die bislang über die Contentanalyse als Mittel der Foresight-Forschung getestet haben, ist kein Anhaltspunkt dafür gefunden worden, dass Medien Informations122

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quellen über versteckte Zukünfte seien. Im Gegenteil: Sie sind Mittler der Konventionalität (ein Beispiel für eine solche Analyse folgt im nächsten Teilkapitel), gelegentlich auch Instrumentarien zur Durchsetzung gesellschaftspolitischer Tendenzen – und dies in zunehmendem Maße durch die neue Welle der globalen Medienkonzentration. Schon im unmittelbaren Vergleich der Trends des Zukunftsinstituts und des Trendbüros ist diese Parallelität und wechselseitige Reaktion deutlich geworden. Sie verstärkt sich, wenn man weitere Analyseobjekte hinzuzieht und etwa, um nur ein weiteres prominentes Beispiel anzuführen, die Zukünfte des nicht minder umtriebigen britischen Instituts Trendwatching (Web-Dokument 20) anschaut. Trendwatching beschreibt seine Dienstleistungen ähnlich, wie sie wörtlich auch in den beiden hier repräsentativ ausgewählten deutschen Agenturen, aber auch bei Hunderten von anderen formuliert sind: „trendwatching.com is an independent and opinionated trend firm, scanning the globe for the most promising consumer trends, insights and related hands-on business ideas. For the latest and greatest, we rely on our network of 8,000+ spotters in more than 70 countries worldwide. Most of our findings are aggregated in a free, monthly Trend Briefing, which is sent to 160,000+ business professionals in more than 120 countries.” Einen Eindruck von der methodologischen Routine bietet www.trend watching.com/briefing. Die Dienstleistung richtet sich an einen vergleichbaren Markt: „Our trend findings help marketers, CEOs, researchers, and anyone else interested in the future of business and consumerism, to dream up new goods, services and experiences for (or even better, with) their customers”. Im unmittelbaren Vergleich zeigt sich, dass der Unterschied der Angebote vor allem in der semantischen Aufbereitung liegt. Einige Beispiele: Im Trend Report 2008 schlägt Trendwatching für vergleichbar günstige 499 Euro vor, die neue Glücksindustrie zu beachten und sich in den Trend zu den Happynomics zu integrieren, wobei auch hier das Motiv des Hamburger Trendbüros der Statusinkonsistenz (Status Despair) propagiert wird. Der Vorschlag für das Marketing: „Upgrade anything“ erinnert stark an die Upgrade-Gesellschaft der „Studien“ des Trendbüros und des Gottlieb Duttweiler Instituts. Dabei würden, so Trendwatching, Geschichten immer wichtiger für die Vermarktung von Produkten, was hier Story Ingredients heißt: „This year, more than ever, consumers will want products to contain story elements that will enable them to tell their own story, impressing their peers. Learn from (among others) Timberland, Tesco, Plum, and HubWear how to capitalize on this.“ Zu jedem Trend gebe es einen Gegentrend, erfährt man noch – was dazu führt, dass neben den bereits benannten Entwicklungen auch das Gegenteil richtig sein kann: „So while the aforementioned Really Real Trend will make waves this year, expect the Unreal World-Trend to thrive as well. We've included examples

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from (among others) Dubai, Abu Dhabi, Panama, Las Vegas and Singapore to highlight how the fake, the make-believe, if executed brilliantly, will still excite consumers“ (alle Zitate Homepage trendwatching). Auch, dass Zeit der wahre Luxus werde, wird für 2008 noch einmal neu entdeckt und in exotische Begriffe verkleidet: Eine Liste von Daily Lubricants dokumentiert eine Menge Möglichkeiten zur Zeitersparnis. Die auch von Horx als originäre Entdeckung verkaufte Idee von der Innovation zusammen mit Kunden wird ebenso als zukunftsrelevant eingestuft wie die Idee der Portfolio Workers oder Ich AGs, dieses Mal unter dem Begriff der Minipreneurs. Das seien „consumers turning entrepreneurs; including small and micro businesses, freelancers, side-businesses, weekend entrepreneurs, web-driven entrepreneurs, parttimers, free agents, cottage businesses, seniorpreneurs, co-creators, mompreneurs, pro-ams, solopreneurs, eBay traders, advertising-sponsored bloggers and so on.” Die jüngeren Konsumenten – natürlich nur die, die Geld genug haben – würden mehr Wert auf die persönliche Note der Konsumgüter legen, dies im Trend der Meconomy. Das alles erinnert stark an die Trends und die rhetorischen Konstruktionen des Zukunftsinstituts. Alle Einsichten, die hier nur skizziert worden sind, werden von trendwatching.com auf 200 Charts verbreitet und mit einer Reihe von Videoeinspielungen auch in bewegten Bildern vorgeführt. Wichtig ist der Hinweis, dass diese Trends nicht im kontinuierlichen Newsletter vorhanden seien. Auch das Zukunftsinstitut bietet seine Sammlung von Power Points zum Verkauf an. Was dabei zu erwarten ist, lässt sich in einigen Vortragsdokumentationen studieren (Web-Dokumente 21, 22). Der Vergleich zu weiteren Trendinstituten kann hier aus Platzgründen nicht ausgebreitet werden, würde aber zeigen, dass sich der Befund der inhaltlichen Parallelität bei gleichzeitiger semantischer Differenzierung stetig verstärkt – auch wenn die rhetorischen Konstruktionen gelegentlich Unterschiede suggerieren und die Methoden den Eindruck innovativer Empirie erwecken könnten. Da aber der rhetorische Konstruktivismus nicht nur die Trends, sondern auch die Methoden erfasst, bleibt offen, was an Substanz zu erwarten ist. In alphabetischer Reihenfolge: Agent Modeling, Appreciative Inquiry, Causal Layered Analysis, Collective Intelligence, Cross-Impact Analysis, Decision Modeling, Environmental Scanning, Field Anomaly Relaxation, Framing, Genius Forecasting, Moot Hearings, Morphological Analysis, Multicriteria Normative Forecasting, Personal Storytelling, Relevance Trees, Scanning, Scenario Planning, Scenarios, Semiometrie, Signed Digraphs, Simulation, Story Telling, Strategic Exploration, Structural Analysis, Technology Sequence Analysis, Time Series Extrapolation, Trend Extrapolation, Trend Identification, Trend Impact Analysis, Trend Tracking, TrendBarometer, Unified Modeling Language, Visioning, Visions und Weiteres. Nun ist ja auch in der Methodologie professioneller Sozialwissenschaften nicht immer

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auf den ersten Blick deutlich, was gemeint ist, wenn etwa Begriffe auftauchen wie „Evaluative Assertion Analysis“ oder „Latent Structure Analysis“ – letztere hochkomplexe Instrumente, die in klassischen sozialwissenschaftlichen Studien eingesetzt worden sind (vgl dazu Osgood 1956; Lazarsfeld 1968). Wichtig für die Bewertung ist der grundsätzliche Unterschied: In der professionellen Wissenschaft gilt die Regel der „strukturellen Relativierung“ (Albert 1957): die systematische Prüfung der Gültigkeit eines Befunds über seine anekdotische Bedeutung hinaus durch klassische Validierungsmethoden. Vor diesem Hintergrund ist der generelle Befund der thematischen Gleichheit bei den Trends der Boulevardforschung bedeutsam. Diese Überschneidung kann vier Gründe haben: Die Unternehmen haben erstens längst begriffen, was auf dem Markt vor sich geht, ihre strategischen Richtlinien darauf ausgerichtet und gestalten somit Zukunft. Die Trendagenturen reproduzieren das, sozusagen als Spatzen der Minerva, um Nachzüglern oder Wiedervermarktern die Ideen aus zweiter Hand zu liefern. Diese Mutmaßung ist insofern plausibel, als die Belegstruktur in den Trend-Reports und Studien sich grundsätzlich aus bereits realisierten Marketingstrategien von Unternehmen und Werbeagenturen speist. Eine zweite Erklärung für die Gleichförmigkeit der Trends könnte darauf hinweisen, dass die Trendforscher Opfer geschäftstüchtiger Trend-Scouts sind, die sich all diese Dinge ausgedacht haben und sie nun an alle erreichbaren Institutionen verkaufen. Immerhin behaupten ja die meisten dieser Dienstleister, dass sie derartige Tend-Scouts (oder auch Cool Hunters) an den wichtigen Metropolen dieser Welt beschäftigen. Drittens schließlich wäre es denkbar, dass die Trendagenturen voneinander abschreiben und die Erfindungen der Anderen mit Hilfe der semantischen Transformation variieren, was dann zu einer Doppelung der Transformation führt, hinter der die Wirklichkeit überhaupt nicht mehr erkennbar ist. Der vierte Grund ist wohl der plausibelste: Da alle diese Agenturen behaupten, wichtige Szeneblätter zu analysieren, analysieren sie alle dieselben Medien, die nun das reproduzieren, was die Unternehmen längst realisiert, die TrendScouts registriert und an die Trendagenturen verkauft haben, die ihrerseits die Medien mit diesen Entdeckungen bedienen und im Zuge ihrer „Studien“ die Fundstücke umetikettieren und zum Wiederverkauf bereitstellen, was nun wieder Trend-Scouts dazu bringt, die Entdeckungen an Unternehmen weiterzugeben, die in Pressemitteilungen diese Trends als zukunftsträchtig offenbaren und die Trendforscher mit Beispielen versorgen, die ihnen passen, worüber dann wieder die Zeitungen schreiben und so in einem infiniten Regress weiter. Die Contentanalyse läuft also ins Leere – abgesehen davon, dass sie offensichtlich nicht in der Lage ist, ‚schwache Signale‘ oder gar bislang unentdeckte Trends zu entdecken.

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10.4 Methodologischer Gegencheck Ein Schwerpunkt der Methodologie der wissenschaftlichen Zukunftsforschung ist an der Universität Jyväskylä in Finnland etabliert, wo der Kommunikationswissenschaftler und Journalist Turo Uskali, 2006 Visiting Scholar für Innovation Journalism in Stanford und einer der führenden Personen im Netzwerk „Innovation Journalism“, vor einigen Jahren eine interessante explorative Studie zur contentanalytischen Erfassung von „schwachen Signalen“ durchgeführt hat (Uskali 2005). Er verknüpfte die beiden Hypothesen, dass man, erstens, schwache Signale orten könne, und dies – wie die Trendforscher behaupten – durch eine Analyse der Medienberichterstattung. Die Kernthese ist also recht einfach: Im Grunde sind es nicht die Trendforscher, die schwache Signale entdecken, sondern Journalisten. Uskali vergleicht das Berufsbild dieser Journalisten mit dem der Analysten und Investoren, die ihr Geld damit verdienen, Trends frühzeitig zu identifizieren und Investitionen zu tätigen, bevor die Konkurrenz es ihnen gleichtun kann. „The same goes for business journalism, which uses both analysts and investors as sources“ (6) Die Kritik, die viele Kommentatoren des Wirtschaftsjournalismus insbesondere im Hinblick auf seine innovative Bedeutung formulieren, bleibt skeptisch. Zu oft, so liest, man, seien Entwicklungen übersehen worden, die sich im Nachhinein wie selbstverständlich und geradezu logischkonsequent ausgenommen hätten (Fußnote 21). Trendforscher wären, einer Aussage Naisbitts zufolge, nur die über den Dingen schwebenden Contentanalytiker. Uskali differenzierte diese Weak Signals in vier verschiedene Kategorien: Gefühl: Das Empfinden von Journalisten, dass irgendeine Änderung sich anbahne, ohne konkrete Quellen oder empirische Daten, hauptsächlich am Rande in Nebensätzen oder in Mutmaßungen am Ende von Beiträgen spekulativ geäußert. Unbestimmte Signale: Durch ein oder zwei Fakten belegte Andeutungen von Veränderungen, mit Verweis auf anonyme oder verallgemeinerte Quellen, auch Gerüchte, die in kleineren Geschichten ohne Zitierhinweise benutzt werden können. Fast sichere Signale: Zeichen und Hinweise auf Veränderungen, die zwar in ihrer konkreten Ausprägung und Stärke noch nicht identifiziert werden können, sich aber auf die unabhängig voneinander getroffenen Aussagen mehrerer Quellen beziehen. Headlines oft mit Fragezeichen.

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Exakte Signale: Berichte mit gesicherten Fakten. Empirische Belege. Benennung autoritativer Quellen und Zitate repräsentativer Persönlichkeiten. An dieser Stelle ist die weitere Beschreibung der Methodologie nicht erforderlich. Wichtig ist nur, dass sie konkreten Codieranweisungen folgt, die diese vier Dimensionen der „Veränderungssignale“ beispielhaft erläutern und technisch so differenziert sind, dass sie der Kategorienbildung im Sinne einer reliablen Vorgehensweise entsprechen. Dass die Idee des „Innovationsjournalismus“, der dann die Trendforscher auf weitere Spuren setzt, zwar verführerisch, aber falsch ist, legen die Ergebnisse der Auswertung von 87 News Stories nah. Nur in 28 Beiträgen wurden 32 schwache Signale („first written signs of a coming change“) identifiziert. Nun liegt der Einwand nahe, dass die Trendforscher durch ihre „Hyperbelesenheit“, durch Mind-Sets oder durch die schlichte Masse der Medien, die sie „auswerten“ mehr sehen als die Journalisten und in der Lage seien, die hier in 32 schwachen Signalen angedeuteten Zukünfte zu orten. Dem widerspricht aber eine Qualifizierung der Fundorte. Eine differenzierte Betrachtung der Befunde zeigt nämlich, dass Weak Signals vor allem in den Schlussbemerkungen von Artikeln und in Kommentaren zu finden sind. Uskali weist also nach, dass die Konzentration auf die oberflächlich sichtbaren Inhalte in Wirtschaftsberichten in die Irre führt, weil sie nur „starke Signale“ – also bereits weitgehend bestätigte und absehbare und legitimierte Trends – beinhalten. Eine Konzentration auf diese Informationsquellen habe erhebliche Konsequenzen vor allem auf die Berichterstattung über Innovationen. Eines der wichtigen Ergebnisse besteht darin, dass Journalisten offensichtlich sehr vorsichtig im Umgang mit den von ihnen identifizierten Weak Signals sind. Es fehle ihnen, schreibt Uskali, einfach oft der Mut, ihr Wissen über solche Andeutungen auch in den Überschriften ihrer Artikel kundzutun. So bleiben die bedeutsamen Informationen über vermutete Veränderungen im Text versteckt – sichtbar nur für die, die sich mit den Nuancen der journalistischen Praxis auskennen – andere Journalisten, Manager, Politiker beziehungsweise ihre Kommunikationsabteilungen und Stäbe. Uskali vergleicht diese Praxis mit der Berichterstattung von Korrespondenten in nichtdemokratischen Ländern („PravdaJournalismus“). Der finnische Forscher unterscheidet vier rhetorische Praktiken, die eine Contentanalyse der schwachen Signale berücksichtigen müsse: ƒ ƒ

die Periphrasis (Umschreibungen, die auch die Quellen betreffen); Anführungszeichen für Worte, die man an die Stelle des klaren Ausdrucks setzt;

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ƒ ƒ

Berichte über das, was nicht gesagt oder untersucht worden ist; nichtssagende Headlines ohne Bezug auf die im Artikel verstreuten bedeutsamen Informationen.

Insgesamt stellt Uskali in seinen Forschungen eine klare Tendenz zum Mainstreaming der Inhalte fest, was in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit noch verstärkt sein wird, wenn nicht nur große publizistische Gesellschaften die redaktionellen Inhalte in einem eng verflochtenen Netz von „Media Outlets“ verbreiten – sondern in zunehmendem Maße auch Finanzinvestoren die Medien als Profit-Centers aufkaufen. Die Quotierung der Inhalte wird sich nach dem Markterfordernis richten. Die Tendenz ist bei der Entwicklung der privaten Fernsehangebote bereits zu sehen. Die Einschränkungen, die einer – zudem noch gezwungenermaßen kursorischen – Inhaltsanalyse im Wege stehen, sind also vielfältig. Uskali sieht es zum Beispiel als einen notwendigen Schritt an, eine universelle Grammatik der Weak Signals zu entwickeln, in der vor allem „Schlüsselworte“ dokumentiert werden müssten. Allerdings widerspricht diese Idee der vorangehenden Identifikation der „klandestinen Techniken“ im Journalismus, die ja gerade durch die Vermeidung konkreter Aussagen und die stillschweigende Partnerschaft mit ihren jeweiligen Leserschaften eine Art parasozialer Interaktion aufbauen. In dieser „transaktionalen“ Beziehung prägen die Akteure, Journalisten und ihre Leser als stillschweigende Komplizen, sich wechselseitig – mit der Konsequenz, dass die Inhalte sich immer ähnlicher werden. Da „der Markt“ zusehends als Bestimmungsgröße für die „Qualität“ des Journalismus gilt, ist die Publikation ungewöhnlicher und intellektuellen Aufwand fordernder Beiträge unwahrscheinlicher denn je. Ein letztes Problem, das in dieser explorativen Studie nicht erwähnt wird, sind die kulturellen Unterschiede der journalistischen Stile. Abgesehen davon ist es schlicht unvorstellbar, dass koreanische, japanische, chinesische Medien in die Analysen einbezogen werden. Trends, die aus diesen Ländern kommen könnten, sind nur anhand der bereits für westliche Interessen aufbereiteten (übersetzten) Medieninhalte erfassbar. Contentanalysen von „schwachen Signalen“ liefern also nur höchst unscharfe Bilder der Gegenwart. Die Idee, man könne auf der Grundlage dieser Funde auf Zukünfte schließen, ist nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern auch rein praktisch unsinnig. Schon 1996 lautete eine der wesentlichen Kritiken etwa an Naisbitts Buch „Megatrends Asia: Eight Asian Megatrends that are Reshaping our World“, dass sich der Autor von der „orthodoxy of neoliberal economics“ fortreißen ließ (Kelly 1996: 397). Diese Kritik verstand sich wie viele andere gleichlautende weniger ideologisch als methodologisch. Der Trendforscher sehe nicht, dass dieses Asien eine westliche Konstruktion sei. Kelly schrieb: „A conti128

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nent of diversity is distilled into the bold-faced ‚sound bites’ which punctuate the text. … On shifting gender identities, Naisbitt offers little more than anecdotes about powerful women and applause for the growing market for handbags and scarves” (398).

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Erfolgreiche Trendgeschäfte im affirmativen Zirkel

11.1 Unsichtbarkeit der Kritik Ich habe eingangs angedeutet, dass diese kritischen Einwände hier keineswegs erstmalig formuliert werden. Dieser Eindruck kann jedoch entstehen, weil die doch oft recht drastisch formulierte Kritik der professionellen Sozialwissenschaftler an der Praxis der Boulevardforschung sehr verstreut ist Die Medien nehmen diese Art von Kritik gelegentlich auf, allerdings zögerlich und in weit geringerem Maße als vor etwa fünfzehn Jahren noch, als mit dem Hamburger „Trend-Büro“ die erste Kopie der Brain-Reserve durch Matthias Horx und Peter Wippermann die Szene der Boulevardforschung begründete. Ein historischer Überblick über die kritischen Bemerkungen in den Medien zeigt eine ziemlich hohe Einmütigkeit, gleichzeitig aber auch eine erstaunliche Wirkungslosigkeit. Die Weltwoche schrieb am 11. November 1993: „Weil er sonst nichts gelernt hat, betreibt der Journalist Matthias Horx in Hamburg ein Trendbüro, das dazu dient, viel Wind zu machen und Kauderwelsch zu verbreiten. … Rasendes Blabla suggeriert Tiefenschärfe.“ Der Journalist Sven Gächter charakterisierte die durch ersten deutschen Anbieter verbreiteten Trends als den „aufs Taschenformat geschrumpften Zeitgeist.“ Der Journalist und Romancier Christian Kracht widmete Horx in seinem Roman Faserland (1995) eine längere Passage: „Dieser Horx ist so ein Trendforscher aus Hamburg …, der sich immer und überall Notizen macht, und wenn ihm jemand wichtig oder irgendwie trendverdächtig genug ist, dann schreibt Horx auf, was dieser Mensch gesagt hat oder was er für Anziehsachen anhat oder so“ (Kracht 1997: 79). Der Spiegel notiert am 20.3.1995: „Gott ist tot, aber die Kunden leben immer noch. Da klafft wie eine Wunde in der Wirtschaft die Marktlücke für neue Propheten. Zusammen mit Matthias Horx, dem vielfachen Ex-Journalisten (Zeit, Tempo, Merian) gründete Wippermann 1992 das Trendbüro, ‚die erste deutsche Voll-Trendagentur (Mega-, Sub-, Konsumenten- und Branchentrends)’.“ Holm Friebe schrieb zum selben Buch: „Horx, der a) als PflasterstrandRedakteur begann, über Zeit-Magazin und Tempo-Redaktion zu Deutschlands führendem Trendforscher wurde, b) auch seinen Marx gelesen hat und auch irgendwie nicht ganz frei von blinder Sozialromantik ist und c) (wird hier wegen einer unsachlichen Bemerkung nicht zitiert; H. R.) und d) gerade ein Buch über

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‚Smart Capitalism’ geschrieben hat. Auf dem Cover ist ein fünfzackiger roter Stern abgebildet mit einem @-Zeichen darin, der Untertitel lautet: ‚Das Ende der Ausbeutung’. Und damit wäre auch weitgehend die zentrale These zusammengefasst. … Den neuen Kurs – weg vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit – bremst für Horx demnach auch nicht der hippe Globalisierungsgegner aus, sondern der ideelle Ostkellner: ‚Ostkellner reinkarnieren in Hausmeistern, Verwaltern, seelenlosen Bürokraten und sturen Handwerkern.’ Das ist so konsensfähig, dass man fast nicht widersprechen kann, auf der anderen Seite so populistisch, dass man fast keine Lust hat, zu widersprechen.“ Thea Herold ergänzte 1999 in der Süddeutschen: „Der Zukunfts- und Trendforscher schrieb bis dato 14 Bücher zum Thema. Das ist einer, der die acht Sphären der Zukunft kennt, den Wortschatz der Trends und einen guten Friseur.“ Der Publizist Michael Jürgs widmet in einem Beitrag über die „Sprechblasen der Futuristen“ den drei führenden Protagonisten 2002 eine bittere Satire (Jürgs 2002). In der Alternativzeitschrift Jungle World war am 24. Dezember 2003 zu lesen: „Bleibt also die Frage, was die Kundschaft hören will. Eines sicher nicht: schlechte Nachrichten. Also kommt Matthias Horx daher und verkündet: Keine Angst, Leute, alles wird gut. ... Horx versteht es bestens, nach Orientierung hungernde Marketingbäuche zu stopfen und die Runde gelegentlich mit einer Lachnummer aufzulockern, bis die Teilnehmer am Abend satt aus seinen Seminaren kugeln. Er referiert mal in München, mal in Baden-Baden, mal in Salzburg. Ja, er soll sogar schon einmal gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten aufgetreten sein, hört man“ (Müller 2003). Angelika Hager legte 2005 im österreichischen Nachrichtenmagazin Profil nach: „Die Prognosen sind meist von einer Sowohl-als-auch-Labbrigkeit geprägt, weshalb alles irgendwie stimmt, aber auch irgendwie voll danebenliegt.“ Klaus Kreimeier übersetzte diese Kritik in der Tageszeitung vom 19.1.2005 in eine Art kritische Theorie: „Leute wie dieser Trendforscher sind nicht die Lösung, sondern Indikator eines in der Tat gravierenden Problems. Die Agenturen des Neoliberalismus verfügen über keine Theorie. Sie brauchen auch keine, weil der Laden von selbst läuft. ... Hektisch basteln sie an einem Kunstmenschen, den es in der gesellschaftlichen Realität niemals geben wird, und bürden denen, die auf sie hereinfallen, noch die Kosten auf. Sie wursteln in einem virtuellen Bereich. Gerade mit ihren antiideologischen Ressentiments sind sie die perfekten Ideologen unserer Zeit.“ Spöttisch vermerkte die TAZ zum Jahresende 2005: „Wir hatten schon geglaubt, er meldet sich diesmal gar nicht. Aber dann stellte gestern doch noch pünktlich und kurz vor Silvester die Trendgranate Matthias Horx seine neuesten Zukunftsvisionen vor. Kann sich noch jemand erinnern? Im vergangenen Jahr verkündete trendy Horx allen Ernstes: ‚Gärtnern als neue Hobbybeschäftigung

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kommt ganz groß im neuen Jahr.’ Dabei interessierte Gärtnern die meisten Deutschen im ablaufenden Jahr 2005 nicht die Bohne. Ein Jahr zuvor glaubte Horx, dass ‚Konsum eigentlich nicht mehr wirklich spannend ist’ – und lag wie üblich komplett daneben. Nie konsumierten die Deutschen lieber als heute.“ Auch die im Trend-Report 2008 beschriebene Bike-Mania löst in der Branche ein verwundertes Kopfschütteln aus. Diese Verwunderung resultiert allerdings nicht aus der Tatsache, dass Horx schlicht den Titel eines verbreiteten Online-Spiels (eben: „Bike Mania“) zum Trendbegriff enteignet, sondern „weil vieles von dem, was die Trendforscher vorhersagen, bereits Realität ist. Professionell organisierte Radtouren? Bereits 2006 lag der Anteil der Pauschalreisen an Radurlauben im Ausland bei 20 Prozent, innerhalb Deutschlands immerhin bei zehn Prozent, geht aus der Radreiseanalyse 2007 des ADFC e. V. hervor. Mietfahrräder, die man zu günstigen Kursen und ohne bürokratischen Aufwand ausleihen kann? Die im Trendreport erwähnten ‚Call a Bike’-Mietfahrräder der Deutschen Bahn sind in Städten wie Köln und München längst ein alltäglicher Anblick.“ Gleichzeitig aber bedienen sich die Medien unrecherchiert der Vorgaben, die die Branche liefert und verbreiten sie als Ergebnisse von „Studien“. Die Bike Mania wird über Monate in mehr als dreißig Medien abgehandelt – in der großen Mehrzahl affirmativ als Bestätigung bestimmter Geschäftsmodelle und Branchenhoffnungen. Von ADFC bis zu den Life-Style-Magazinen greift zumindest zitierend eine Vielzahl von Medien auf die „Studie“ zurück. Noch weit größeres Interesse findet die Diagnose der „Sex Styles 2010“. Von der Welt über die Zeit, das ZDF und Fit for Fun bis zu den Kontakt-Sites Liebesspion.de oder Erotiktreff.at berufen sich Blätter, Online-Dienste, Fernsehanstalten und Websites auf die „Studie“ des Zukunftsinstituts. Mittlerweile zählt die unrecherchierte Reproduktion von Aussendungen offensichtlich zu den festen redaktionellen Bestandteilen der Alltagsberichterstattung auch der Online-Ausgaben seriöser Medien.

11.2 Affirmativer Zirkelschluss in den Medien Die Bereitwilligkeit von Medien, solche „Studien“ ohne eigene Recherche zum redaktionellen Berichtsgegenstand zu erheben und die Werbung für die Urheber dieser Studien in Kauf zu nehmen, hat nachweislich zugenommen. Kommunikationswissenschaftler führen diese wachsende Bereitschaft zur Multiplikation fremdproduzierten „Contents“ auf die Sparmaßnahmen der Medien vor allem bei redaktionellem Personal zurück, während gleichzeitig eine zunehmende Zahl von Medien um die Aufmerksamkeit eines zahlenmäßig schrumpfenden Publikums kämpft – der von der werbetreibenden Industrie als Zielpublikum anvisierten 18 133

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bis 49 Jahre alten Konsumenten. Studien mit hohem Nachrichtenwert, wie sie eingangs exemplarisch beschrieben sind, erfüllen in diesem Prozess die Funktion der Agenda Setting. Sicher ist nicht auszuschließen, dass es gesellschaftspolitische Beweggründe sind, die zu solchen Studien und zur Publikation ihrer Befunde wie „Deutschland auf der Couch“, „Professor Untat“, „Gestatten Elite“, ja selbst der „Silver Sex“-Diagnose oder „Sex Styles 2010“ führen. Die Ausgabe 28/2008 des Nachrichtenmagazins Focus bietet gar eine Titelgeschichte über den ebenso simplen wie undifferenzierten Gedanken, den Horx in seinem Buch „Anleitung zum Zukunftsoptimismus“ ausbreitet, dass „alles“ immer besser werde. In dieser Titelgeschichte dokumentiert sich sozusagen ein Höhepunkt dieser journalistischen Praxis: Der Lauftext besteht aus nichts Anderem als Passagen aus dem Buch des Matthias Horx, wird vertieft durch ein Interview mit Matthias Horx, der dann noch einmal in einem zwei Seiten umfassenden Essay zu sich selber Stellung nimmt, was dann schließlich abgerundet wird durch ein paar anekdotische „Belege“ über die Fehler der von Horx so genannten „PanikPropheten“ (die Angst vor dem Atomkrieg war nichts als Ausdruck eines apokalyptischen Alarmismus; das Volk der Maya ging „vermutlich“ unter, weil es „auf Umweltheimsuchungen hysterisch reagierte“ (83)). Der Beitrag ist bevölkert von „apokalyptischen Spießern“, dem „MeisterMelancholiker Karl Otto Hondrich“, 68er-Fundamentalisten, „Schwarzer“ Pädagogik, perfiden Egoisten, „Verwaltern des Schreckens und ihren fanatischen Adepten“, „Panik-Propheten“, „sogenannten intellektuellen Zeitgenossen“ und anderen Avataren aus dem Reich der medialen Nutznießer der Apokalypse. Irritierend ist nur, dass die Gegenbeweise immerhin in der Titelgeschichte eines zumindest von der Reichweite her führenden Mediums, das mit dem Slogan „Fakten., Fakten, Fakten“ wirbt und sich als Informationsquelle für die „Infoelite“ positioniert, erscheinen. Pflichtschuldigst wird als einzige Zusatzrecherche ein Interview mit Stefan Rahmtsorf vom Potsdam Institut in die Strecke eingeklinkt – das sich aber in keinem Satz auf die zum Teil absurden Behauptungen der Horx-Texte beziehen etwa der, dass es Afrika nicht in erster Linie wegen des Kolonialismus schlecht ginge, sondern weil die „rituellen Jäger- und Sammlerkulturen den Sprung in die industrielle Moderne verweigern“.Vor allem aber muss die Frage gestellt werden, warum – sollten dies tatsächlich die brennenden Themen der Zeit sein – nicht die frei verfügbaren und wissenschaftlich zweifelsfrei validen Alternativen gewählt werden. Der Feuilletonismus der exemplarisch beschriebenen „Studien“ wird als Kriterium der Realitätsnähe und damit als Beleg der Validität genutzt. So erscheint die aus zahlreichen Auftragsstudien für sehr unterschiedliche Auftraggeber mit ebenso vielen unterschiedlichen Themenstellungen auf der Grundlage relativ kleiner Samples kompilierte Diagnose Grünewalds als die Leit-

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studie über Deutschland, die zudem noch die Defizite der akademischen Wissenschaft überwinde. „Politiker, Ökonomen und Soziologen haben sich in den letzten Jahren viele Gedanken über den Zustand Deutschlands gemacht. Zu wenig sind dabei aber die Menschen an sich betrachtet worden. Der renommierte Psychologe Stephan Grünewald hat deshalb Tausende von Deutschen auf die Couch gelegt und sie nach ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten befragt. Sein etwas anderer Blick zeigt neue Lösungsansätze auf, wie Deutschland aus Stillstand und Visionslosigkeit herausgeführt werden kann.“ (Web-Dokument 23) Bemerkenswert ist auch die Bereitschaft, vorgefertigte Elemente aus den Pressemappen zu übernehmen: „Der Psychologe Stefan Grünewald hat viele tausend Deutsche auf die Couch gelegt. Dabei haben sich Abgründe aufgetan.“ So zitiert im Stern (Heft 7/2006), wobei nun auch die Praxis offenkundig wird, dass Medien andere Medien als eine Art Nachrichtenagentur nutzen. „Der Psychologe Stephan Grünewald hat viele tausend Deutsche auf die Couch gelegt. Dabei haben sich Abgründe aufgetan“ (Quelle Stern, Verein zur Förderung des Sportautomaten-Sports, Website VFS-News, o.D.). „Stephan Grünewald seziert gnadenlos die deutsche Seele: Wir flüchten uns in Vorabend-Soaps und RaabShows, statt uns dem eigenen Leben zu stellen, sagt der Psychologe. Mit karriere sprach er über die Saft- und Kraftlosigkeit der Deutschen“ (karriere 4, 2006). Wenig später war alles anders – der Grund: Fußballweltmeisterschaft. Der dpa gab Grünewald zu Protokoll: ‚Zunächst einmal hat die WM 2006 immense Nachwirkungen gehabt‘, sagt Stephan Grünewald vom Marktforschungsinstitut Rheingold. ‚Für viele Menschen war es der Sommer ihres Lebens; dieses Gefühl wollten sie hinüberretten und suchten Anlässe und Orte für gemeinsame Erlebnisse.‘ So führte das Sommermärchen der WM auch zu einem Run der Kids auf Mitmach-Portale wie MySpace und YouTube, sagt Grünewald, der in seinem Buch ‚Deutschland auf der Couch‘ das seelische Hinterland der Deutschen ergründet.“ Was die Professoren-Studie von Kamenz und Wehrle betrifft, greifen ebenso viele, darunter auch seriöse Medien bereitwillig die Botschaft auf, deren Redaktionen durchaus die methodologischen Unzulänglichkeiten bemerken, etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die FAZ schreibt, dass das Experiment „spektakulär“ und ferner die 44 gemeldeten Bewerber „tatsächlich ein Spiegel akademischer Selbstoffenheit und schamloser Nutzung des Privilegs unbeobachteter Zeitverwendung“ seien. Zwar räumt der Artikel später ein, dass die Anzeige und deren 44 Bewerbungen nicht als repräsentativ angesehen werden könnten. Doch wird diese Relativierung in der Berichterstattung nicht als Falsifikation der These gesehen, sondern als beklagenswertes kleines Defizit, das die Argumentation, wie es heißt: „unnötig schwächt.“ Die Aussage wird bereits im Titel der Berichterstattung sogar verstärkt, indem der Autor, Jürgen Kaube, die Zahl offen

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lässt und den Eindruck eines großen Samples erweckt: „Etliche unter euch sind nicht frei von Korruption“, schreibt der Wissenschaftsjournalist am 12. März 2007 – und zieht gleich im ersten Satz des Lauftextes eine weitreichende soziologische Analyse, wie sie auch im Buch von Julia Friedrichs getroffen wird: „Das vorliegende Buch, geschrieben von einem Betriebswirtschaftsprofessor und einem Unternehmensberater, ist voller Anregungen zum Nachdenken über unsere Eliten.“ Ähnlich argumentiert die Süddeutsche Zeitung, die zwar ebenfalls eine gewisse Skepsis an den Tag legt: „Aber ganz daneben liegen die Autoren sicher nicht – wenn man einmal großzügig darüber hinwegsieht, dass sich die Arbeit an diesem Buch wohl auch nicht umstandslos unter die üblichen Dienstpflichten des FH-Professors Uwe Kamenz bringen lässt“ (24.04.2007). Der psychologisch inspirierte Markt- und Auftragsforscher Grünewald erscheint also als ein Repräsentant der Grundlagenforschung zur deutschen Gesellschaft, das Autoren-Duo Kamenz und Wehrle auf ebenso brüchiger Grundlage zu Kronzeugen der Pflichtvergessenheit deutscher Professoren, während gleichzeitig Trendforscher als Wissenschaftler, Soziologen, gar als Soziologieprofessoren geführt und ihre Bücher kritiklos und in der Regel ohne Gegenrecherche als objektive Zeitdiagnosen rezipiert werden. Julia Friedrichs avanciert auf diese Weise neben dem Soziologen Michael Hartmann zur „Expertin“ für Eliten und zur Produzentin der Kästchen-Zitate – jener in Features und Reportagen so beliebten „zweiten Informationsebene“, auf der namhafte Personen ein kurzes Statement beisteuern. In der – im Übrigen sowohl unter wissenschaftlichen wie journalistischen Gesichtspunkten exzellenten Studie „Frauen auf dem Sprung“, initiiert von der Zeitschrift Brigitte – etwa wird Friedrichs mit der seltsamen Frage konfrontiert: „Sind Frauen die Elite von morgen?“. Die Antwort dokumentiert die bereits im Buch vollzogene Verfremdung des Elite-Begriffs von einer soziologischen zu einer ideologischen Kategorie: „Nein. Das an vielen Elite-Schmieden vermittelte Weltbild vom Leben als Wettkampf, in dem es Gewinner und Verlierer gibt, ist eher testosterongetrieben. Genau wie der Elitebegriff an sich, der sich rein über Status, Macht und Geld definiert. Das müssen Frauen nicht auch noch mitmachen“ (Brigitte 9, 2008: 123) Die Strategie ist – vor allem aus journalistischer Sicht – nicht neu, wird aber dadurch zu einem repräsentativen Zukunfts-Szenario aufgemästet, dass diese Absolventen zur „künftigen Elite der Bundesrepublik“ stilisiert werden. Dass sie das werden – auch wenn sie selbst sich vielleicht so fühlen –, ist keineswegs ausgemacht, nicht einmal wahrscheinlich, ein Elite-Missverständnis. Immerhin formulieren eine Reihe von Universitäten und Hochschulen in Deutschland ganz andere Qualitäten, wenn sie von „Eliten“ sprechen (Rust 2005).

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Doch das Buch und die Vermarktungskampagne setzen auch hier auf die Bereitschaft der Öffentlichkeit, jenseits wissenschaftlich dokumentierter Plausibilitäten die anekdotischen Befunde als Zeichen einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu lesen. Im wissenschaftlichen Sinne ist diese Studie im simpelsten Falle ohne Aussage, eine Bestandsaufnahme der Mentalität von Leuten, die auf Grund dieser Mentalität in Bildungseinrichtungen lernen und studieren, die ihrer Mentalität entsprechen. Die Leserschaft ist in diesem Falle durchaus gespalten, doch die Mehrzahl der Rezensionen zeigt sich beeindruckt – vor allem auch von der Vorgeschichte: Julia Friedrichs ist die Frau, die ein Angebot von McKinsey ausschlug. Diese Episode wird zu einer biografischen Legitimation ihrer Kompetenz.

11.3 Science-Faction und veredelte Biografien Das Missverhältnis ist also eklatant: Die professionelle Sozialwissenschaft wird wegen ihres „Soziologenchinesisch“ und ihrer „Praxisferne“ kritisiert, während die rhetorischen Konstruktivismen der Trendforschung als tiefe Einsichten in die Wirklichkeit gefeiert und hundertfach reproduziert werden. Die Professoren werden, wenn nicht kriminalisiert, so doch unter pragmatischen Gesichtspunkten biografisch degradiert, indem man sie als lebensfremde Alarmisten diskreditiert und als Insassen eines „Elfenbeinturms“ abtut. Bei der biografischen Identifikation der Autorinnen und Autoren von Trendbüchern werden indes kleinste Zeichen einer eventuellen Kompetenz maßlos übersteigert, um in eilfertiger Affirmation die, deren „Studien“ zum redaktionellen Grundlage avancieren, mit der notwendigen Legitimität auszustatten. Matthias Horx erscheint als Soziologe: Die Tatsache, dass ein Studium allenfalls wenige Semester umfasste, wird ignoriert. Nur wenige Beispiele, die sich ebenfalls durch die zielgerichtete Internetrecherche ergänzen lassen, mögen diese Sorglosigkeit beim Umgang mit der Qualifizierung von Quellen belegen. Die Mainzer Allgemeine Zeitung vom Samstag, dem 3. Juni 2000 präsentiert Matthias Horx noch recht bescheiden und informiert darüber, dass er Soziologie studierte und in den 80er Jahren eine journalistische Laufbahn einschlug. Das Hamburger Abendblatt konstruiert daraus bereits einen Beruf: „Der Soziologe Matthias Horx, vielleicht Deutschlands einflussreichster Trend- und Zukunftsforscher, eröffnet die Reihe der Kurzvorträge, Lesungen, Themenführungen und wissenschaftlichen Showeinlagen um 14 Uhr mit Ausführungen ‚Über Sinn und Wesen der Innovation oder Wie das Neue in die Welt kommt’. In einer anschließenden Podiumsdiskussion mit pmChefredakteur Hans-Hermann Sprado wird er seine Thesen näher erläutern“ (2.

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Juni 2005). In der Ausgabe vom 3.09.2005, im Ressort Nachrichten, wird bereits vom Prof. Matthias Horx gesprochen. Der Evangelische Pressedienst berichtet darüber, dass der Trendforscher Matthias Horx eine „radikale Reform in Bildung und Ausbildung gefordert“ habe. „Nach Auffassung des Soziologieprofessors werden die Menschen in ihrem Leben künftig öfter mehrere Berufe unter wechselnden Arbeitgebern ausüben.“ Am 22. April informierte der allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) im Anschluss an einen Auftritt Horx’ in Duisburg: „Duisburg (RP) Der Fahrradclub ADFC hat die Forderung nach einem Grünen Ring Innenstadt bekräftigt. Insbesondere die großen Freiflächen am Güterbahnhof, am Containerbahnhof Hochfeld und der Rangierbahnhof müssten um grüne Achsen konzipiert und ersch(l)ossen werden, forderte der ADFC. Das sei eine logische Konsequenz der Ideen von Trendforscher Prof. Matthias Horx bei der Veranstaltung ‚Zukunft findet Stadt’“ (Pressemitteilung; der amüsante Druckfehler findet sich im Original). Zur Feier von 100 Jahren Raiffeisenbank Mischabel-Matterhorn schrieb der Pressereferent: „Der illustre Referent, Professor Horx, arbeitete zunächst als Journalist bei der Zeit und bei Merian und betrieb dann ein Trendbüro in Hamburg. Heute leitet er sein Zukunftsinstitut in Frankfurt und wird im Herbst eine Professur in Friedrichshafen antreten.“ Die Professur in Friedrichshafen ist allerdings nichts anderes als ein Lehrauftrag an der Zeppelin-Universität, im Rahmen der Aktivitäten des Kommunikationswissenschaftlers Klaus Schönbach, der ein Modul „Trendforschung“ aufbauen will (Web-Dokument 24). Der aber wird zur „Dozentur“ aufgewertet, die sich schließlich in der Zeile verdichtet, Horx „lehre wissenschaftliche Trend- und Zukunftsforschung als Dozent an der Zeppelin-Universität am Bodensee.“ Die Behauptung, einen „Studienzweig Prognostik- und Zukunfts-Wissenschaften für Bachelor- und Masterstudiengänge in Jahr 2008“ zu entwickeln, die Horx auf seiner Homepage platzierte, wurde nach kurzer Zeit wieder entfernt, ist aber zum Beispiel noch auf einigen Websites, unter anderem der Referentenagentur zu lesen (Web-Dokument 25, 26). Wie auch immer: Das offensichtliche Bedürfnis, sich als „Wissenschaftler“ zu positionieren, wird über die Eingaben der entsprechenden biografischen Daten an die Medien zu einer allmählichen Faktizität: Science-Faction. Besonders deutlich wird dieser Prozess an der Vermarktung des John Naisbitt, dessen Auftraggeber sich mit einer von Naisbitt lancierten Ausnahmebiografie schmücken: Stv. Erziehungsminister unter Kennedy, Berater von Präsident Johnson, Top-Executive-Positionen bei Eastman Kodak und IBM, erfolgreicher Unternehmer. Diese Biografie ist – um es vorsichtig auszudrücken – das Ergeb-

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nis eines „konfabulatorischen Konstruktivismus“, also nach genau jenem Prinzip erstellt, das auch die „Trendforschung“ selber charakterisiert: Einige empirische Grunddaten werden uminterpretiert. Die Position als „Stellvertretender Erziehungsminister“ in der Kennedy-Administration, die die deutsche Ausgabe von Naisbitts Mind-Set reklamiert, ist nicht belegbar, ebenso wenig eine führende Stellung im Berater-Stab von Präsident Johnson. Die JFK-Library weist in ihrer Online-Ausgabe den Namen John Naisbitt nicht aus. Ebenso wenig ist er auf der Website der Bibliothek Lyndon B. Johnsons zu finden. Lynne Cheney, die Frau des amerikanischen Vizepräsidenten, bezweifelte schon 1985 einige der Angaben Naisbitts in einem Beitrag der Augustausgabe des Magazins Washingtonian: „The Real John Naisbitt“. Auf Nachfrage sendete der Lektor des Hanser-Verlags, Martin Janik, per EMail am 14. August 2007 einige erläuternde Informationen – „die englische von John Naisbitt selbst, die deutsche ergänzend von seiner (österreichischen) Frau“. Die Erklärungen bezogen sich auf die Behauptung, John Naisbitt sei Stellvertretender Erziehungsminister unter John F. Kennedy gewesen: „John was what we in Europe would call Assistant Minister of education, appointed by president Kennedy himself. As you know, in the U.S. the title is Secretary of Education. Just to complicate things a little, at the time, John went to Washington, the position was called U.S. Commissioner of Education, later changed to Secretary of Education, when it became a Cabinet pos(i)tion.” Die Erklärung der (österreichischen) Frau Naisbitts, vormals Lektorin im Signum-Verlag, bietet ebenfalls keine Aufklärung, verstärkt aber den Eindruck, dass es sich um eine marketingtechnische Aktion handelt: „Auf die Bezeichnung stv. Erziehungsminister haben wir uns damals im Signum-Verlag unter Einbeziehung des Pressesprechers der Industriellenvereinigung und Chefredakteurs der industrie, politisch also durchaus korrekt, geeinigt. Sie entspricht dem nicht vorhandenen deutschen Titel am besten“. Unternehmen, die Naisbitt als Vortragsredner oder Berater engagieren, rezitieren die biografischen Daten. Auch hier wird eine Internetrecherche sehr schnell die Bereitschaft dokumentieren, vorgefertigte biografische Elemente ohne Gegenrecherche zu übernehmen. Höchst erstaunlich indes ist die Tatsache, dass die wissenschaftliche und beratende Tätigkeit, die Naisbitt als Leiter der „Urban Research Corporation“ bis 1977 leistete, niemals konkret und differenziert erwähnt wird. Die gesamte Recherche ist auf Wunsch bei mir erhältlich. Die Veredelung der Rolle von Trendforschern vollzieht sich also in einem Wechselspiel des Kundenbedürfnisses nach Glanz und Titeln und der Bereitschaft des Anbieters, diesen Glanz und diese Titel anzunehmen – und darauf dann umgekehrt die Verlautbarungen der vorgeblichen „Forscher“ als Bestätigung der strategischen Ausrichtung des jeweiligen Unternehmens zu präsentieren, das sich dann auch noch auf eine neoliberale Arbeitsmarkttheorie berufen

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kann – die wiederum als Essenz einer modernen Wissenschaft ausgegeben wird. Die folgende Dokumentation wird diese rhetorische Strategie veranschaulichen.

11.4 Affirmativer Zirkelschluss durch Unternehmen Auch von unternehmerischer Seite wird gelegentlich Kritik geäußert, aber sie ist ebenso wenig sichtbar wie die Kritik der Rezensenten. Mir ist kein Kommentar aufgefallen, der den Verfall des Aktienkurses bei Beate Uhse und die Zukunftsprognosen des Zukunftsinstituts in einen Zusammenhang gebracht hätte. Ebenso wenig ist mir – trotz eingehender Recherche – eine kritische Stellungnahme zur Verleihung des Zukunfts-Awards aus dem Zukunftsinstitut an den Solaranlagenhersteller Conergy wegen des wegweisenden und zukunftssicheren Managements untergekommen – obwohl das Unternehmen kurz darauf fast zusammenbrach und das gesamte Führungspersonal ausgetauscht wurde. Der affirmative Grundzug der Boulevardforschung stößt also auf eine rückwirkend opportunistische Akzeptanz – im Zuge einer zirkulären Verstärkung. Die folgenden Beispiele demonstrieren anschaulich die rhetorische Logik: Die Urheber einer Innovation – etwa Verlage oder Zeitschriftenredaktionen, aber auch Betriebe des produzierenden Gewerbes – führen zur Bestätigung ihrer Arbeit die Übereinstimmung mit den Befunden der Trendforschung an, deren Repräsentanten sie nach der Opportunität der Aussagen ausgewählt haben. Dabei überrascht die simple Argumentation, die vordergründige und triviale Deutungen übernimmt. Etwa in einer Veranstaltungsreihe des Black Berry Business Clubs Wien. Die Veranstalter weisen stolz darauf hin, dass sie „Kapazitäten ihres Fachgebietes“ gewinnen konnten: „die Trendgurus und Visionäre Christian Mikunda und Peter Wippermann. ... Professor Peter Wippermann (‚Simplexity – Schnell und smart entscheiden’) und Christian Mikunda (‚Die Blackberry-Dramaturgie – Vom Spielzeug für Erwachsene bis zur inszenierten Lebenshilfe’) werden im November 2007 an je zwei Terminen einen ihrer viel besuchten Vorträge halten.“ Nach der Veranstaltung erläutert eine Pressemitteilung den intellektuellen Gewinn: „So erfuhren alle anwesenden Gäste, dass ein Black Berry mehr sein kann als ‚nur’ ein multifunktionales Kommunikationsgerät. Einerseits ist er Prestigeobjekt für gestresste Manager und solche die gerne so beschäftigt wären, andererseits ist er tatsächlich auch ein praktisches Tool zur Ablaufoptimierung und Perfektionierung alltäglicher Kommunikationsprozesse. … In seinem Vortrag zeigte Dr. Christian Mikunda an Hand ausgewählter Beispiele aus der Experience Economy, welche psychologischen Codes sich hinter dem Kommunikations-Tool Black Berry verbergen, und wie diese sich in anderen Inszenierungen

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der gegenwärtigen und zukünftigen Konsum- und Freizeitwelt widerspiegeln“ (Web-Dokument 27). Als der Seilpark Gantrisch 2005 einen zusätzliche Parcours einrichtete, war das nicht einfach nur ein zusätzlicher Parcours, sondern die Reaktion auf einen von Faith Popcorn identifizierten Megatrend: „Entführt mich in ein anderes Leben, aber holt mich zum Abendessen zurück, sagt Trendforscherin Faith Popcorn. Der Seilpark Gantrisch nimmt diesen Trend auf. Die Verbindung von Abenteuer, Sport/Fitness, Natur/‚heile Welt’ und Erfahrung der eigenen Grenzen ist in einem Seilpark wohl einmalig“ (Web-Dokument 28). Die Presseabteilung der Firma Vorwerk verbreitete am 04.07.2006 die Meldung: „Hightech-Teppichböden gehört die Zukunft. So die Entscheidung der neunköpfigen Expertenjury, die Ende Juni zum ersten Mal den vom ‚Zukunftsinstitut Matthias Horx’ zusammen mit dem Wirtschaftsmagazin ‚Der Handel’ und dem Fachmagazin ‚Horizont’ initiierten ‚Zukunfts-Award’ vergeben durfte.“ Mit dem „Smart Floor“ eröffne Vorwerk völlig neue Dimensionen für zukunftsorientiertes Gebäudemanagement. Vorwerk setze mit seiner Entwicklung auf die Megatrends „New Work“, „Mobilität“, „Gesundheit“ und „Reife“ und werde mit dem „Smart Floor“ die Arbeitswelt und das Zuhause positiv verändern (Web-Dokument 29). Am 22. Mai informierten und inspirierten in Düsseldorf ausgewählte Fachreferenten auf der Veranstaltung Rigips Inform 2007 ... die geladenen Gäste. Dabei spannten sie den Bogen vom visionären Blick in die Zukunft zurück in die heutige Planungspraxis für zeitgemäßes Bauen und Wohnen: „Fundiert und branchenübergreifend beschäftigte sich Prof. Matthias Horx in seinem Eröffnungsreferat mit diesen Fragen. Der inzwischen international bekannte Trend- und Zukunftsforscher bewies mit seinem anregenden Vortrag, dass Bauen und Planen auch in der Zukunft zu den besonders spannenden Aufgaben für kreative Menschen gehören werden.“ (Web-Dokument 30, Hervorhebung von mir). Das Unternehmen Walter (Zerspanungsmaschinen) berichtet in einer Pressemitteilung über die Megatrends, die das Unternehmen berühren: „Ein ... Megatrend sei laut Horx die Globalisierung. Er sieht in der sich verstetigenden Globalisierung eine Grundvoraussetzung für den wachsenden Wohlstand in der ganzen Welt. Dass dem so ist, zeigt sich auch an der Walter AG, die heute mit Tochtergesellschaften in 30 Ländern präsent ist und ihre Kunden global bedient“ (WebDokument 31). In einem Vorausbericht zur 13. Internationalen Handelsblatt-Jahrestagung „Telekommarkt Europa“ vom 11.-13. Juni 2007 in Düsseldorf teilt das Handelsblatt am 30.03.2007 mit: „Für die Unternehmensführung wird es spannend werden, wenn Horx fragt: Wie werden die nächsten technologischen Wellen aussehen? Und vor allem: Wie kann Technologie wieder ‚smart’ werden, das heißt: den menschlichen Bedürfnissen und Maßen angepasst? Die Antworten sind mit-

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unter komplex, aber Horx hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Wandel begreifbar zu machen und die Zukunft als Chance zu sehen“ (Portel.de-Bericht 01 zur Handelsblatt Jahrestagung „Telekommarkt Europa“ 11.-13.06.2007). Beim Wiener Töchtertag am 29. April 2004 „gehört das Labor von Festo potentiellen Mechatronikerinnen. Trendforscher Matthias Horx beispielsweise zählt die Mechatronik zu den wichtigsten ‚driving forces’ für die Zukunft; mit ihrer Hilfe sollen in Zukunft „denkende“ Fabriken gebaut werden können“ (Web-Dokument 32). Auf dem 17. Tourismustag Mecklenburg-Vorpommern 2007 „ging es … um die Macht der Megatrends. Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx betonte, dass der Tourismus weiter zu einer globalen Vernetzung und zur Multi-Kulturaliserung beitragen werde. Die Produkte seien dabei kulturadäquat, also jeweils nach regionalen Gewohnheiten und Wertesystemen zu vermarkten. In seinem Vortrag rückten aber auch die Megatrends Mobilität, Stadt, Frauen, Gesundheit, Down-Aging, Wissensgesellschaft, Bildung in den Mittelpunkt. Mathias Löttge: „Die Vorträge zeigten in eindrucksvoller Weise, wo Mecklenburg-Vorpommern aktuell in Punkto Entwicklung des Tourismus steht“ (Web-Dokument 33). Beim ESPA Finanzmanager-Forum trat im September 2004 der Experte für Zukunftsteppiche und Frauenentwicklung, nicht-alarmistische ökologische Zukunftspolitik und Smart-Capitalism als Finanzexperte auf: „,Haben wir in Zukunft ausreichend Geld zur Verfügung’, ist eine Frage, die auch die Zukunftsforschung beschäftigt. Matthias Horx, Autor des Buches ‚Megatrends’ (!), skizzierte bei der Geldanlage den Begriff des ‚prophetischen Paradox’: ‚Genau, wenn etwas prophezeit wird, tritt es nicht ein’, warnt er vor vermeintlich treffsicheren Prognosen“ (Web-Dokument 34). Das 2. Badforum der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft (VDS) kam, nach eigenem Bekunden, „in intensiven Diskussionen“ über die Zukunft des Bades überein, dass es für die Sanitärbranche noch reichlich zu tun gibt. Matthias Horx ging der Kernfrage des 2. VDS-Badforums in einem größeren Kontext auf den Grund. Der bekannte Trend- und Zukunftsforscher referierte über „Neue Lebens-Grundrisse, die Zukunft des Wohnens und die Rolle des Bades“ (WebDokument 35). Sogar Investmenthäuser setzen auf die von der Publizistik hochstilisierten Erkenntnisse der Branche, etwa Lazard Asset Management mit einem eigenen Trend-Fond. Lazard Asset Management arbeite eng mit verschiedenen Experten aus den Bereichen der Trendforschung zusammen“ (Web-Dokument 36). Die passgerechte Konstruktion von Trendsoziologismen aus den Denkwerkstätten der Zukunftsbüros und Trendinstitute, insbesondere aus dem Horx-Netzwerk, trifft, wie schon bei Beate Uhse deutlich wurde, auf besondere Beliebtheit.

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Für die neue Zeitschrift Emotion (Gruner + Jahr) findet Horx in einer „Studie“ vor allem durchweg optimistische junge Pragmatikerinnen, die er Glücksstrateginnen nennt, eine im Kern von hoher Kaufkraft geprägte Zielgruppe. Der Megatrend Frauen allerdings bietet auch anderen weiblichen Zirkeln Grund genug, den Verkünder einzuladen, um sich die Bestätigung durch die Trendforschung zu sichern: Das Gründerinnen-Zentrum Oberösterreich teilt mit: „Unter den Trends von Prof. Horx finden wir auch den Begriff ‚Clanning’ (Cliquenbindung). In diesem Zusammenhang bedeutet dies: ‚Neigung, sich mit Gleichgesinnten zu treffen, um sich in den eigenen Grundüberzeugungen zu bestärken’“ (Newsletter GaZettO, 3,Oktober 2002, Hervorhebung von mir). Für den Jahreszeiten-Verlag hatte der Trendforscher zwei Jahre zuvor bereits ähnlich gute Botschaften, die am 25. August 2005 wieder in einer Pressemittelung verbreitet wurden: „Für sie, die klassische 14-tägliche Frauenzeitschrift aus dem Hamburger Jahreszeiten Verlag, liegt mit ihrer Heftphilosophie ‚Simplify your Life – Für sie macht das Leben leichter‘, die sie seit mehr als zwei Jahren erfolgreich umsetzt, genau richtig. Das bestätigte ihr jetzt Trendforscher Matthias Horx.“ Dazu lässt sich Ilona Kelemen-Rehm, Gesamtanzeigenleiterin Frauen-Magazine im Jahreszeiten Verlag, zitieren: „Wir freuen uns, dass der angesehene Trendforscher Matthias Horx unsere Leistung als Wegweiser gesellschaftlicher Veränderungen würdigt“ (Web-Dokument 37). Eine Parlamentsdebatte um familienergänzende Kinderbetreuung im Kanton Graubünden zeigt, dass sich die Boulevardforschung auch in den Gefilden der Politik bewegt: Ein Abgeordneter namens Claus: „Das Wirtschaftsforum Graubünden hat in diesem Jahr eine Tagung durchgeführt. Ein Referat hat mit unserer heutigen Debatte sehr viel zu tun. Mathias Horx, er ist Trend- und Zukunftsforscher am Zukunftsinstitut in Frankfurt, hat über Megatrends des 21. Jahrhunderts gesprochen. Ich möchte Ihnen hier einige Punkte seines Referates nicht vorenthalten und sie auch ergänzen. Ein Megatrend, den wir haben, ist das Jahrhundert der Frauen. Das kommende Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Frauen sein. … Die zentrale Ressource, die Bildung nämlich, ist in den letzten 30 Jahren von den Männern zu den Frauen übergegangen“ (Botschaft Heft Nr. 5/2002-2003, S.189). Baden-Württembergs Umweltminister Ulrich Müller (CDU) ließ auf einem Kongress im Jahr 2003 mit dem Titel: „Zwischen Optimismus und Apokalypse“ Horx über den Umgang mit Umweltproblemen reden. Fünf Thesen Matthias Horx überantwortete Horx den Teilnehmern: Die Krise der Medien erzeugt ein selbststeuerndes Feld hysterischer Eskalationen; Angst-Paranoien seien unbewusste Versuche der Schuldbearbeitung, der Alarmismus sei nichts als Lobbyismus und der Kulturpessimismus reverser Eliterismus, die Naturromantik ein Religionsersatz. Ansonsten werde alles gut. Die Wale erholen sich und nicht nur die Reichen, sondern auch die Armen werden immer reicher (Web-Dokument 38).

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Der Widerspruch beeindruckt aber Politiker offensichtlich auch nicht. Eine ganze Weile zuvor nahmen selbst auch die Grünen im Hessischen Landtag den Impuls auf: „Wir freuen uns über die Bereitschaft von Matthias Horx für Bündnis 90/Die Grünen als Sachverständiger in der Enquête-Kommission mitzuarbeiten. Er steht dafür den demographischen Wandel als Herausforderung und Chance zu begreifen und wir erhoffen uns mit ihm optimistische zukunftsweisende, nachhaltige Handlungskonzepte für die hessische Landespolitik entwickeln zu können“, so Kordula Schulz-Asche. Der Zwischenbericht umfasst 17 Seiten feuilletonistische Bemerkungen im Stil der Trend-Reports (Web-Dokument 39). Wenig später schmückt sich der Zukunftskongress „Perspektive Hessen“ mit den Thesen des Trendforschers: „Die Wertschöpfung einer Gesellschaft geschehe künftig weniger aus körperlicher oder maschineller Arbeit, sondern immer mehr aus Wissen und Dienstleistungen. Horx wandte sich entschieden gegen die ‚apokalyptischen Bilder’, die mit dem vorauszusehenden Bevölkerungsrückgang oft verbunden würden. Die Zahl der Menschen sei nicht entscheidend für den Erfolg einer Region. Im Übrigen könne man dem Trend des Bevölkerungsrückgangs gezielt entgegenwirken. Ganz entscheidend für die Geburtenrate eines Landes sei die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Horx plädierte für Erwerbsmodelle, die Rücksicht auf die Situation von berufstätigen Eltern nehmen. Man müsse sich von der Wertschätzung zeitintensiver Berufsausübung lösen. „Langes Sitzen im Büro hat nichts mit Produktivität zu tun“, sagte Horx (Zukunftskongress ‚Perspektive Hessen 2020’ am 30.11.2006). Gleichzeitig war Horx zu diesem Zeitpunkt noch vielgebuchter Stichwortgeber der österreichischen ÖVP unter dem bald darauf abgewählten Bundeskanzler Schüssel, der sich in seinen Reden häufiger auf den „Zukunftsforscher“ und dessen nicht-alarmistischen Optimismus berief. In einer Rezension der ÖVPAkademie des Horx-Buches „Glückliches Österreich“ wiederholt sich die rhetorische Figur der affirmativen Belohnung, wird aber ergänzt durch die Rückverweise auf das Gesellschaftsbild, das hinter der Trendforschung steht: „Horxens erfreuliche Bilanz: ‚Sie sehen also, es gibt eine ganze Menge positiver Eigenschaften, einzigartiger Ideen und wirklich hervorragende Leistungen in diesem Land: Die Österreicher können gewaltig stolz sein auf Österreich!’ Neben der Analyse österreichischer Erfolgsfaktoren versammelt ‚Glückliches Österreich’ Glossen von Matthias Horx aus der ‚Presse’, in denen er immer wieder eine optimistische Veränderungs- und Selfness-Kultur promotet. Und das nicht nur auf der plakativen Life-Style-Ebene, sondern mit zahlreichen politischen Bezügen. Etwa dort, wo er die falschen Anreize des Sozialstaates kritisiert, der sich von der ‚Opferkonstruktion’ hin zu einer Einrichtung wandeln soll, die Menschen ermutigt, statt sie in Abhängigkeiten bürokratisch festzunageln.

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Oder dort, wo er mit Blick auf die Öko-Szene feststellt, dass Spießertum verschiedene Formen annehmen könne, und wo er dringend rät, für Vernunft, Globalisierung, Technologie und echten Markt-Kapitalismus zu demonstrieren. Und natürlich auch dort, wo er mit Blick auf die ‚grauen Herren’ der Gewerkschaft skizziert, wie die Gewerkschaften in einer Zukunftsökonomie aussehen könnten – nämlich als Synthese von Arbeitsagentur, Weiterbildungspool und ÖAMTC“ (Web-Dokument 40). Bei der Frage zum Beispiel: Wie soll sich Duisburg entwickeln? gestellt am 7. März 2008, zeigt Horx stadtentwicklerische Kompetenz, von der Gemeinde geradezu ehrfürchtig zitiert: „Tragende Elemente des Programms sind ein Vortrag des Trend- und Zukunftsforschers Matthias Horx (‚Zukunft findet Stadt’) und eine Diskussionsrunde, die das Thema ‚Stadtentwicklung’ aus verschiedenen Blickwinkeln (Zukunftstrends, Demographie, internationale, regionale und lokale Entwicklungen) beleuchten und auf mögliche Perspektiven für Duisburg herunterbrechen soll“ (Web-Dokument 41). Die Marketingagentur Cologne-Bonn, die Investoren für den Raum KölnBonn gewinnen will und dabei verstärkt auf chinesische Initiativen setzt, lud John Naisbitt ein und verkündete: „Der US-Amerikaner soll der Region helfen, ihren Standort auszubauen. Dabei rät er vor allem zu einer Kooperation mit China. Beispielsweise sollten Unternehmen an Studenten aus der Region Stipendien für einen Auslandsaufenthalt in China vergeben.“ Herbert Ferger, Vorsitzender der Wirtschaftsinitiative Region Köln/Bonn e.V. und Gesellschafter von Cologne Bonn Business (CBB) kommentierte: „Da wir uns bei der Standortvermarktung durch CBB auf die wirtschaftlichen Stärken konzentrieren, regional also auf globale Wirtschafts-Domains, um mit Herrn Naisbitts Worten zu sprechen, scheinen wir uns schon heute mit den Themen von Morgen richtig zu positionieren“ (Website der Cologne-Bonn-Business-Vereinigung).

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Pragmatische Alternative zum Strategischen Opportunismus

12.1 Angst vor dem Zufall Mitunter beschleichen den Beobachter dieser Szene –, insbesondere angesichts der doch etwas trivial anmutenden Umsetzung der Megatrends in Elemente des Strategischen Managements durch Unternehmen – einige Irritationen. Deren erste kann hier vernachlässigt werden: die Tatsache, dass alle Trends, die halbwegs plausibel erscheinen, seit langem in der professionellen Sozial- und Marktforschung bekannt sind – ganz gleich, ob es sich um Veränderungen im Konsum oder um die Entwicklung von Technologie, die Rolle des Dienstleistungssektors oder die Konsequenzen der alternden Gesellschaft handelt, um den demografischen Wandel oder die gastronomische Differenzierung oder die Chancen und Risiken der Globalisierung. Auch die durchsichtige Strategie der Wiedervermarktung andernorts erarbeiteter Einsichten unter neuen Anglizismen ist bemerkenswert, aber nicht von substanzieller Bedeutung. Das größte Erstaunen löst die bereitwillige Akzeptanz von „Studien“ über „Sex-Styles“, „Future Work“ und „Trend-Reports“ „Glücksstrateginnen“ oder „Flexisten“ aus. Diese Irritation wird verstärkt dadurch, dass methodologische Begründungen wie „Mind-Sets“ oder „Hyperbelesenheit“ und andere diffuse Legitimationen des Zukunftsblicks offensichtlich als objektivierbare Qualifikationen betrachtet werden. Die illustrierte Verhaltensweise bietet eine modernisierte Version des Märchens von den neuen Kleidern des Kaisers. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Boulevardforscher allesamt über jedes auch nur erdenkliche Thema reden und als Experten für ungezählte verschiedene Fachgebiete auftreten. Ein und dieselbe Person diagnostiziert Zukünfte im Tourismus, in den IT-Entwicklungen, redet über „Schlafkompetenz“ und Wellness, Selfness, Mindness, Kekse als Nomadic Food, Wein und Kaffee, die Zukunft der Restaurants und der Beratungsunternehmen, der Bäder und Rigipsplatten, der Familien und der Konsumenten, des Sex und der Technik wie etwa der Mechatronik als „Driving Forces“ für die Industrie und hundert weitere Spezialitäten, die sich zu einer wahrhaft enzyklopädischen Allround-Kompetenz auftürmen. Die Arbeit von Fraunhofer-Instituten und Max Planck-Gesellschaften, Marktforschungsunternehmen und Verlagen, Akademien und Universitätsinstituten erscheinen dagegen ärmlich beschränkt.

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Um ein Missverständnis auszuschließen: Die Verwunderung richtet sich nicht auf die Tatsache, dass Trendforscher vor allen erdenklichen Branchen reden. Das ist legitim, wenn es um ein Thema geht, auf dem ein Vortragsredner oder eine Rednerin wirklich Kompetenz nachweisen kann und das als Querschnittmaterie von genereller Bedeutung ist: Unternehmenskommunikation, Personalentwicklung, soziologische Grundlagenforschung oder einfach nur eine interessante Spezialität wie Hirnforschung oder Neuroökonomie. Doch die „Studien“ aus den relativ kleinen Netzwerken habituell verwandter Personen stellen den Anspruch jeweiliger Fachkompetenz. Spätestens an dieser Stelle also lässt sich die Frage nicht mehr verdrängen, wie eine solche Akzeptanz begründet ist. Wie lässt es sich erklären, dass hart kalkulierende Führungskräfte nicht jene Quellen benutzen, die ihnen gegen geringe Gebühr (Praktikumsplätze, Forschungsergebnisse, Diplomarbeitsstellen) kostengünstig oder kostenlos empirisch abgesicherte wissenschaftlich fundierte Einsichten in die komplexesten Entwicklungen der Gesellschaft und ihrer Teilsysteme bieten? Eine erste und vielleicht die plausibelste Antwort wäre diese: Die Boulevardforschung wird in vielen Fällen zu nichts Anderem benutzt als zur unterhaltsamen Beigabe im ansonsten sachlich-harten Programm. Nur wenige Firmen setzen tatsächlich längerfristig auf die Trenderfindungen dieser Büros und Institute. So zeigt sich auch bei der näheren Analyse der meist sehr umfangreichen Kundenlisten, dass es sich bei den Dienstleistungen meist um kleine „Studien“, noch häufiger aber schlicht um „Reporting“ handelt: was nichts anderes als einen simplen Vortrag oder ein Workshop bedeutet. Mitunter wird auch die schlichte Bestellung eines Reports oder eines Newsletters als „Zusammenarbeit“ deklariert und die Besteller werden in der Liste der Kunden mitgezählt, so dass ein kleines Unternehmen wie das Zukunftsinstitut sich laut E-Mail-Information leicht auf „10.000 Firmen-Kunden aus sämtlichen Bereichen“ hochrechnen kann. Trotz der notwendigen Relativierungen, die eine tiefergehende Definition des „KundenStatus“ nahe legte, bleibt es unbestreitbar, dass die Angebote der „Boulevardforschung“ auf breite Resonanz stoßen und sich im beschriebenen affirmativen Zirkel von Pressemitteilung, Medienaufmerksamkeit und rückwirkender Bestätigung durch die Unternehmen zu einer selbsterzeugten Bedeutung bewegen. So wäre eine zweite Erklärung zu prüfen: Eine Reihe renommierter Managementkritiker vertritt die Ansicht, dass die mangelnde Berührung der Spitzenkräfte mit der Wirklichkeit einen schleichenden Realitätsverlust nach sich ziehe (etwa Kets de Vries 2004), der zudem durch eine in sich geschlossene Kommunikationskultur und einen einheitlichen Habitus gefördert werde (Hartmann 2002). Die hier beschriebenen Agenturen wären in dieser Theorie die Mittler zwischen verschiedenen Welten. Die Überzeugung, dass sich mit den Routinen des klassischen Managements die Welt „draußen“ nur unzureichend erfassen

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lässt, verstärkt die Bereitschaft zur Akzeptanz exotischer Beschreibungen. Die Boulevardforschung erfüllt durch den beschriebenen strategischen Opportunismus diesen Anspruch besser als eine Wissenschaft, die mit Relativierungen und Differenzierungen arbeitet. Eine simple Erklärung dieser affirmativen Verstärkung führt zu den klassischen Balancetheorien. Darüber hinaus ließen sich die Ansätze der kommunikationswissenschaftlichen Theorie des „Two Step Flow of Communication“ in zeitgenössischer Form anwenden. Unter diesem Begriff verdichteten die Kommunikationsforscher Paul Lazarsfeld und Bernard Berelson in den 40er Jahren eine Beobachtung, die in der ersten großen Wahlkampfstudie in Sandusky, Ohio gemacht wurde: Dass die in der Allgemeinheit akzeptierten Botschaften vor allem von belesenen und angesehenen, einflussreichen Personen verbreitet würden – beziehungsweise (wie spätere Differenzierungen nahe legen) von Personen, die für belesen gehalten wurden – und nicht direkt durch die Medien (Lazarsfeld et al. 1968). Duncan J. Watts und Peter S. Dodds haben kürzlich auf Grund einer experimentellen Simulation eine interessante Umkehrung dieser Perspektive formuliert. Nach ihren ersten Experimenten repräsentiert die Existenz von Meinungsführern eher das Bedürfnis einer Gruppe nach Meinungsführerschaft. „Under most conditions that we consider, influentials are only modestly more important than average individuals. In the models that we have studied, in fact, it is generally the case that most social change is driven not by influentials, but by easily influenced individuals influencing other easily influenced individuals. Based on these results, we argue that although our models are at best a simplified and partial representation of a complex reality, they nevertheless highlight that claims regarding the importance influentials should rest on carefully specified assumptions about who influences whom, and how” (Watts, Dodds 2007: 4). Hier spielt sich ein Prozess ab, der genau das Gegenteil der von der Boulevardforschung (allerdings auch von Teilen der amerikanischen Organisationssoziologie; vgl. Parker, Cross 2004; Gloor, Cooper 2007; Gloor 2008) beschworenen „Schwarmintelligenz“ darstellt. Das heißt also, dass ein Kommunikationsprozess entsteht, in der auf einer in sich geschlossenen Logik operiert und eine Leitfigur in einem oszillierenden Prozess von Projektion und rückwirkender Identifikation erzeugt: ein klassischer Konstruktivismus, der auch erklären könnte, warum die rhetorischen Manöver der Boulevardforschung nicht nur inhaltlich, sondern auch legitimierend wirken. Diese Botschaften sind so leicht zu verbreiten, weil sie erstens das Bedürfnis nach Bestätigung befriedigen (durch die Plausibilität der Inhalte, die im Grunde ja altbekannt sind), gleichzeitig auf das Bedürfnis nach Innovation eingehen, indem sie das Altbekannte semantisch verändern, drittens durch ihre hermetische Abschottung im Prozess der Affirmation zur Illusion der verallgemeinerbaren Gültigkeit führen.

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Statt des intellektuellen Prozesses, der sich aus der offenen Kommunikationsstruktur quasi automatisch ergäbe, verstärkt sich in diesem Prozess die wechselseitige Angleichung der Meinungen unter der rhetorischen Ägide einer fokussierten Meinungsführerschaft, die – und das kommt bei der Boulevardforschung noch hinzu – nichts anderes darstellt als die Transformation der ohnehin verbreiteten Ideen in eine exotisch rhetorische Konstruktion. Der Grund für diese Umwidmung einer zunächst wertfreien Soziologie liegt, wenn man sich die Geschichte dieses individualistischen Modells der Knowledge-Workers (ein Begriff, den Peter Drucker bereits in den frühen 80er Jahren formuliert hatte) und die Geschichte der wissenschaftlich inspirierten Zukunftsforschung näher anschaut, in einer schleichenden Desillusionierung. Unter dem pragmatischen Gesichtspunkt des Strategischen Managements in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wird diese Art der Zukunftsforschung daher vordergründig wertlos, weil sie keine unmittelbaren, in den Vierteljahreszyklen der finanziellen Legitimationserfordernissen umsetzbaren Handlungsoptionen bietet. An diesem Punkt setzt dann die boulevardeske „Forschung“ mit der Behauptung einer neuen entfesselten Methodologie an, die vor allem auf der großen Intuition und den aus Erfahrung gewonnenen Mind-Sets entstehe und den Auftraggebern wettbewerbsrelevante Einsichten in die für sie bedeutsamen Trends vermitteln könne. Um diesen Eindruck zu bestätigen, wird dem Produzenten der Botschaft eine herausragende meist wissenschaftliche Position auf der Grundlage einer diese Position begründenden Biografie eingeräumt. Damit verstärkt sich der Zirkel der Glaubwürdigkeit erneut und erzeugt weitere Gläubigkeit.

12.2 Dr. Fox und die Nonsense-Wissenschaft In Experimenten ist diese Gläubigkeit gegenüber „Experten“ und „Expertisen“ häufiger illustriert worden. Man spricht dabei in amüsierter Erinnerung an einen Vortrag, den Myron L. Fox vor versammelten Experten im Jahre 1970 hielt vom „Dr. Fox-Effekt“. Dieser Vortrag trug den eindrucksvollen Titel „Die Anwendung der mathematischen Spieltheorie in der Ausbildung von Ärzten“. Den Teilnehmern des Weiterbildungsprogramms der University of Southern California School of Medicine wurde Fox als Autorität auf dem Gebiet der Anwendung von Mathematik auf menschliches Verhalten vorgestellt. Das Publikum hing an seinen Lippen und begann nach dem einstündigen Vortrag fleißig Fragen zu stellen, die er virtuos beantwortete. Auf dem Beurteilungsbogen gaben alle zehn Zuhörer an, der Vortrag habe sie zum Denken angeregt, neun fanden zudem, Fox habe das Material gut geordnet, interessant vermittelt und ausreichend Beispiele eingebaut. Was die Gruppen der Zuhörer nicht wussten, war dies: Dr. Fox war ein 150

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Schauspieler, dem man die Aufgabe angetragen hatte, aus einem Fachartikel über Spieltheorie einen Vortrag zu entwickeln, der ausschließlich aus unklarem Gerede, erfundenen Wörtern und widersprüchlichen Feststellungen bestand, die er mit viel Humor und sinnlosen Verweisen auf andere Arbeiten vortrug. Autoren hatten ihn auf der Grundlage eines zwar komplexen, aber durchaus verständlichen wissenschaftlichen Artikels gecoacht. Seine Aufgabe war, „to present his topic and conduct his question and answer period with an excessive use of double talk, neologisms, non sequiturs, and contradictory statements. All this was to be interspersed with parenthetical humor and meaningless references to unrelated topics.“ Es finden sich also alle definitorischen Bestandteile, die oben für den Begriff der „Scharlatanerie” entwickelt worden sind: eine vordergründige wissenschaftliche Ausführung, die sich aber bei näherem Hinsehen als Täuschung entlarvt. Hinter dieser Täuschung stand eine Gruppe pfiffiger Sozialpsychologen (Naftulin et al. 1973). Das Experiment sollte die Frage beantworten: Ist es möglich, eine Gruppe von Experten mit einer brillanten Vortragstechnik so hinters Licht zu führen, dass sie den inhaltlichen Nonsens nicht bemerken? Es war möglich, auch wenn sich ungeahnte Schwierigkeiten eröffneten: Das Problem war, Fox davon abzuhalten, etwas Sinnvolles zu sagen. Der Schauspieler, der Myron L. Fox verkörperte, war sich sicher, dass der Schwindel auffliegen würde. Aber das war nicht der Fall. Im Gegenteil: Selbst nachdem die Zuhörer über die wahre Identität von Fox aufgeklärt worden waren, erkundigten sich einige von ihnen nach weiterführender Literatur. Der Vortrag – obwohl nichtssagend und als Fake entlarvt – hatte durch seinen Stil offenbar das Interesse am Thema geweckt. Ware schlug darauf eine innovative Methode vor, die Motivation der Studenten zu steigern: Professoren könnten, anstatt selber Vorlesungen zu halten, Schauspieler dafür trainieren. Weitere wissenschaftliche Studien liefern Anhaltspunkte dafür, warum diese Präsentation als tiefgreifende Analyse missverstanden wird. Auf der Grundlage der Theorien des Public-Relations-Fachmanns Edward Bernays (der Enkel Sigmund Freuds, der durch sein rhetorisches Geschick der öffentlichen Kommunikation maßgeblich zur Verbreitung der Psychoanalyse in den USA beitrug) untersuchten Shelden Rampton und John Stauber die Wirkung einer Reihe unterschiedlicher Textgattungen. Rampton und Stauber schreiben: „The average citizen is the world's most efficient censor. His own mind is the greatest barrier between him and the facts. His own 'logic-proof compartments,' his own absolutism, are the obstacles which prevent him from seeing in terms of experience and thought rather than in terms of group reaction.” Wissenschaft werde nun nach eben den Kriterien bewertet, insbesondere, wenn es sich um eine Wissenschaft handelt, die nicht mit unumstößlichen Fakten beschäftigt ist wie etwa gesell-

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schaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Der Verweis auf Wissenschaft wird zum Legitimationsmanöver unwissenschaftlichen Argumentierens, wie sich bereits in Kapitel 2.4 zeigte: „The very prestige that science enjoys, however, has also given rise to a variety of scientific pretenders-disciplines … that merely claim to be scientific. …. By contrast, pseudosciences are formulated so vaguely that they can never be proven or disproven.” (55) Robert Youngson schreibt in seinem Buch „Scientific Blunders: A Brief History of How Wrong Scientists Can Sometimes Be“: „The difference between a science and a pseudoscience is that scientific statements can be proved wrong and pseudoscientific statements cannot. By this criterion you will find that a surprising number of seemingly scientific assertions-perhaps even many in which you devoutly believe-are complete nonsense. Rather surprisingly this is not to assert that all pseudoscientific claims are untrue. Some of them may be true, but you can never know this, so they are not entitled to claim the cast-iron assurance and reliance that you can have, and place, in scientific facts” (zitiert nach Rampton/Stauber, S. 55). Rampton und Stauber räumen in ihrem Buch darüber hinaus mit der Idee auf, dass gerade die Nutzung von so genannten „unabhängigen“ Experten, in der Regel Professoren und Mediziner, tatsächlich die unabhängige Sicht einer „Third Party“ beisteuere. Sie seien oft bewusst oder unbewusst nach dem Prinzip der Bestätigung ausgewählt. Zur Erklärung also stehen weitere Möglichkeiten zur Prüfung: Entweder werden die Auslassungen der Trendforscher ihrerseits strategisch als opportune Legitimationsmanöver genutzt, um Argumente für ohnehin beabsichtigte Ausrichtungen zu unterfüttern. Der Strategische Opportunismus nähme seinen Ausgang also beim Auftraggeber. Die Boulevardforschung erscheint in diesem Erklärungszusammenhang als funktionales Element. Die zweite, eher sozialpsychologische Erklärung geht von den Bedürfnissen (was ihre Beziehung zur Realität außerhalb des Einflusses von Managementstrategien betrifft) eher unsicherer Persönlichkeiten aus, die eine Art mystischen Halt suchen, und denen eine Schar „seherisch“ begabter Zukunftsforscher die Vorstellungen von der Außenwelt bestätigt. Eine letzte Antwort muss zumindest mitgedacht werden, auch wenn sie für diese Expertise unwichtig ist: dass die publizistische Präsenz der Boulevardforschung und der mit ihr einhergehende Eindruck einer breiten Akzeptanz nichts anderes ist als ein von boulevardesken Medien erzeugtes Trugbild. Immerhin zeigt sich auch hinter dieser Argumentation eine Logik: Die vordergründig konsumorientierte Ausrichtung der „Studien“ wirkt als Bestätigung der affirmativen Strategie im Marketing, von dem die Medien wiederum auf doppelte Weise pro-

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fitieren: Sie erhalten den gesuchten Content, der gleichzeitig ihre Geschäftsbasis (Werbung für Konsumgüter) bestätigt. Aus der Sicht der Boulevardforschung ist es prinzipiell unwichtig, welche der Erklärungen sich am Ende als die plausibelste herausstellen wird. Vermutlich treffen sie in unterschiedlichen Kontexten allesamt zu. Wichtig – überlebenswichtig – für die Branche ist nur, dass der affirmative Zirkel geschlossen bleibt. Und genau an dieser Stelle setzt die im Grunde wissenschaftsfeindliche Strategie an. Denn der Großteil der professionellen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschung, die sich mit der Möglichkeit beschäftigt hat, in einer Organisation die Potenziale zur Bewältigung der unerwartet auftretenden Zukunftsentwicklungen zu stärken, widerspricht den Darstellungen der Trendforschung diametral und entlarvt die rhetorischen Konstruktivismen als opportune Zukunftsillusionen. Wissenschaft setzt auf die Prüfung, auf das kommunikative Prinzip der Publizität aller Voraussetzungen der empirischen Arbeit, auf die Nachvollziehbarkeit und den Diskurs. Dieses „wissenschaftliche“ Prinzip gilt, wie die Analyse der Anforderungen an professionelle Forschung gezeigt hat, sowohl für akademische wie kommerzielle Forschung und würde nach der entsprechenden Untersuchung von Qualitätskriterien journalistischer Recherche und am Ende auch über die Prinzipien der Wissensökonomie zu denselben Ergebnissen kommen: die Bewältigung der Zukunft ist nur möglich durch die diversifizierte Kommunikation mit dem erklärten Ziel, der Falle strategischer Opportunität auszuweichen. Selbst die umstrittene Arbeit auf dem Gebiet der „Schwarmintelligenz“ weist eindeutig auf die Bedeutung der exklusiven Kommunikationskultur in Unternehmen zurück, die jenseits aller marktrationalen Beratungsangebote eine individuelle und unverwechselbare Aufgabe zu lösen haben.

12.3 Überwindung der Opportunismus-Falle Was über die Zukunft zu wissen ist, ist bekannt. Viel Konkretes findet sich naturgemäß nicht. Meist sind es Daten über absehbare Entwicklungen: demografische Tendenzen, Informatisierungsprozesse, die Ungleichgewichte der Globalisierung, Verlagerung von Machtblöcken wirtschaftlicher Art, die Virtualisierung der Kommunikation, Bildungsdefizite, Integrationsprobleme und so weiter. Die Sozialwissenschaften haben mit ihrer professionellen Forschung alle auch nur erdenklichen „Threads and Opportunities“ diagnostiziert, analysiert und in ihrer komplexen Verwobenheit dargestellt. Sonderforschungsbereiche und hochklassige Institutionen, Beratungsunternehmen und spezialisierte Think Tanks, Wissenschaftsgesellschaften und Einzelpersonen beschäftigen sich weltweit mit diesen Themen und bieten eine Fülle von alternativen Szenarien. 153

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Dass die Boulevardforschung sich bei diesen „frei verfügbaren“ Befunden rückhaltlos bedient, kennzeichnet die wissenschaftliche Qualität der professionellen Forschung. Was nun die Reaktion auf Konsequenzen dieser Entwicklung im Alltag betrifft, scheint sich auch ein valides Ergebnis abzuzeichnen: die einzige Möglichkeit mit der Zukunft umzugehen, ist, sich ihr zu stellen – und das mit dem größtmöglichen Reaktionspotenzial, das die betriebliche Routine einerseits und die intellektuelle Flexibilität innerhalb dieser Routine andererseits zulassen. Noch etwas zeigt sich in der organisationssoziologischen Auseinandersetzung mit diesem Problem: dass der Erfolg dieser Bemühung immer nur relativ zu den Fragen des jeweiligen Unternehmens definiert werden kann. Jedes Unternehmen kann also nur exklusiv auf die äußeren Herausforderungen reagieren. Die Suche nach Widersprüchen zur verbreiteten Strategie ist dabei weit mehr als der Transport der wissenschaftstheoretischen Position des „kritischen Rationalismus“ in den wirtschaftliche Kommunikation. Sie ist eine strategische Sicherung gegenüber den Illusionen einer vorhersagbar zielgerichteten Entwicklung des Umfelds. Die neuere Organisationssoziologie hat sehr deutlich gemacht, dass die Routine des betrieblichen Alltags und ihre Standardisierungen kaum in der Lage sind, die angemessene Flexibilität zu erzeugen. So wird es also zu einem Charakteristikum der künftigen Führung, diesen zweiten Weg in jedem Unternehmen zu ebnen und die Zugänge jedes einzelnen Geistes zur Wirklichkeit zu nutzen, um in diversifizierter Kommunikation eine breite Reaktionsbasis aufzubauen. Das ist die Lehre aus den Ansätzen der Weak Signal Research, die gleich noch einmal aufgegriffen werden sollen. Nicht Inhalte bestimmen diese Auseinandersetzung mit der Zukunft, sondern kommunikative Strategien einer – will man es mit einem Anglizismus ausdrücken – kontinuierlichen Surveillance. Diese Kompetenzen auszubilden, ist Sache von Hochschulen und Universitäten auf der Grundlage der Vernetzung der wissenschaftlichen wie der pragmatischen Zielsetzungen – der umfassenden Entwicklung der miteinander verflochtenen Fachkompetenzen, Zusatzqualifikationen und Schlüsselqualifikationen. Dass sich im Zuge der Ideologie der „Wirtschaftsnähe“ die Anteile der Ausbildung stärker zugunsten der standardisierten Routinen verlagern, schwächt die Entwicklung der kommunikativen Kompetenzen offener Wirklichkeitserfassung mit Hilfe quantitativer und qualitativer Kompetenz. Studierende der Sozialwissenschaften werden ja nicht deshalb mit methodologischen Finessen vertraut gemacht, weil sie Forscher werden sollen, sondern um ihre Wahrnehmungsfähigkeiten und die rhetorische Akkuratesse auszubilden, mit denen sich wechselseitig relevante Beobachtungen verständlich austauschen lassen. Die drei diagnostizierten Charakteristika der Boulevardforschung aber, der strategische Opportunismus, eine Methodologie, die immer wieder die Grenzen zur Scharlatanerie überschreitet, und der rhetori-

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sche Konstruktivismus, führen in die beschriebene Falle der Selbsttäuschung. Statt nach dem Muster der wissenschaftlichen Forschung in Unternehmen mit eigenen Fragestellung präzis Schritt für Schritt vorzugehen und die quantitativen Daten mit den qualitativ erarbeiteten Befunden der Diskurse, Diskussionen und Debatten der diversifizierten Belegschaft zu koordinieren, bedeuten die Vorschläge der Trendforschung, sich auf unbestätigte Intuitionen zu verlassen, die aus sachfremden Quellen stammen. Damit beugt sich die Empirie dem Bedarf nach vordergründiger Legitimation und verliert ihre aufklärerische Informationskraft. Wo es ein wesentliches Element des unternehmerischen Geschäfts darstellt, sich mit intelligenten Innovationen auf einem hart umkämpften Markt zu behaupten, wäre es geradezu unsinnig, Trend-Beratern zu folgen – es sei denn, man verfügt exklusiv über einen Think Tank. Aber genau das ist nicht Fall. Trendforschung agiert wie eine große Strategieberatung nach dem Gesetz der Marktrationalität: Für eine Idee müssen möglichst viele Abnehmer gefunden werden, damit sich der Aufwand für die Entwicklung dieser Idee amortisiert. Das profunde und letztlich unglaubliche Missverständnis – beziehungsweise der strategisch besetzte Anspruch – resultiert nun aus der Behauptung, diese Vorgehensweise sei Wissenschaft. Was die frühen wissenschaftlichen Konzepte der Zukunftsforschung und ihre heutigen Nachfahren auszeichnet, ist das genaue Gegenteil dieser „messianischen“ Attitüde der Gurus – und dabei vor allem anderen als wichtigster Punkt die diskursive Grundstruktur der Forschung und der betrieblichen Praxis. Diese Praxis wird heute gemeinhin unter dem Begriff des „Wissensmanagements“ zusammengefasst Neben dieser Nachvollziehbarkeit der Methoden (aus denen die boulevardeske Trendforschung ja durchwegs ein großes Geheimnis macht und sie allenfalls durch seltsame Neologismen andeutet) ist eines der weiteren wesentlichen Kriterien für eine pragmatisch bedeutsame Sozialwissenschaft und die aus ihr abgeleiteten Modelle der unternehmerischen Zukunftsforschung die kategoriale Klarheit ihres Begriffsarsenals. Es hat sich ja in der weiter oben skizzierten Liste der von allen Repräsentanten seriöser wissenschaftlicher Forschung getragenen Maximen der Qualitätssicherung deutlich abgezeichnet, dass von der Fragestellung bis hin zur Spekulation die Sprache unzweideutig und erschöpfend und in Bezug auf den Gegenstand erhellend, widerspruchsfrei und repräsentativ sein muss. Das bedeutet auch, die Auswertung der Daten und Beobachtungen von der Interpretation zu trennen und Spekulationen als solche kenntlich zu machen. Ein weiteres – und nach meiner Auffassung das wichtigste – Kriterium scheint die Unabhängigkeit von vorgegebenen Interessen und Auftragslagen zu sein – beziehungsweise bei einem konkreten Auftrag unabhängig von Opportunität und Instrumentalismus. Das ist für die Führung eines Unternehmens oft eine große

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Herausforderung. Das Argument, externe Berater seien auf Grund ihrer andersartigen Perspektiven eine Bereicherung des Wissensmanagement ist richtig – wenn diese Perspektiven sich auf die individuellen Belange eines Unternehmens richten und nicht als marktrationale Strategiekonzepte (Reengineering, Megatrends und so fort) in standardisierter Form den jeweils eigenständigen Strukturen übergestülpt werden. Abgesehen davon verfügt jedes Unternehmen über eine große Zahl „externer“ Geister mit gänzlich anderen Perspektiven auf die Probleme des Unternehmens und seiner Umwelt: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

12.4 Diversity in Foresight Gunter Tichy, bis zu seiner Emeritierung Direktor des Instituts für Technikfolgenabschätzung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, hat zur Erledigung dieser Aufgabe das weiter oben skizzierte Konzept der „doppelten Flexibilität“ vorgeschlagen – basierend auf der einschlägigen Literatur zum Strategischen Management. Das Fazit: „Flexibilität 2 eröffnet auf längere sicht größere Chancen“ (Tichy 2001a: 33). Die von den Trendforschern so bejubelten Protagonisten der New Work-Bewegung, die Ich-AGs, die ihr Portfolio auf dem Markt der Projekte verkaufen und mal hier und dann dort arbeiten, sind für eine derartige intellektuelle Wertschöpfung vollkommen ungeeignet. Sie werden nicht das kontextuelle Wissen ansammeln, mit dem sie ein Unternehmen langfristig bereichern können. Die personalpolitischen Konsequenzen dieses Konzepts sind klar: Kurzfristige Verträge, schreibt Tichy, vermeiden zwar Bindungen und senken eventuell dadurch die Personalkosten, behindern aber die Entwicklung des Hintergrundwissens einer Gemeinschaft von kommunikativen Individuen, die sich der strategischen Zielformulierung ihres Unternehmens langfristig verpflichtet fühlen. Die wechselseitige Identifikation von spezifischen Kompetenzen und spezifischen Zugängen zur Realität erleichtert den Diskurs über die Zukunft und die in gemeinsamer Wachsamkeit identifizierten Weak Signals und Trends. Diese Idee knüpft im Prinzip an einer methodologischen Überlegung der Protagonisten der neueren Weak Signal Research an, an das Prinzip „Diversity“, also Komplexität durch die systematische Vernetzung der an der Beobachtung der Wirklichkeit Beteiligten. Tichy: „Da zunehmende Komplexität längerfristige Planung traditioneller Art verhindert, macht sie klassische Managementinstrumente, wie Management by Objectives oder Planning, Programming, Budgeting obsolet, die von einer linearen, mechanistischen Entwicklung ausgehen. Für diese ist Management ein Prozess der Planung, Organisation, Koordinierung, Anordnung und Kontrolle; ihre Ziele Effizienz und Optimierung, stehen in einer 156

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komplexen, vernetzten Welt jedoch zweitrangig hinter der Entwicklung einer Strategie, die technologische und Markttrends nutzt. Auch diesbezüglich versagen die üblichen Instrumente“ (32). Die Anforderungen nach der strategischen Erhöhung der Reaktionspotenziale zur Bewältigung unerwarteter Entwicklungen setzen gerade das Gegenteil voraus: eine gemeinschaftliche problemorientierte Arbeit, die exklusives und konkurrenzfähiges Wissen aufbaut, das sich als Beitrag zum volkswirtschaftlichen Humanvermögen verdichtet. Strategisches Management, das sich mit der Identifikation von schwachen Signalen beschäftigen will, braucht Personen, die sich mit dem Unternehmen und seinen Märkten, seiner Geschichte und seiner unverwechselbaren Position in der Alltagswirklichkeit auskennen und eine Identifikation mit diesem Unternehmen aufgebaut haben. Wenn es nicht gelingt, diese Bindungen zu festigen – durch Motivation und interessante Aufgaben der vorauseilenden Kundenorientierung –, wird nach allen ernst zu nehmenden empirischen Befunden aus Wissenschaft und Unternehmensberatungen der organisch wachsende Wissensbestand eines Unternehmens beeinträchtigt. Vor allem aber wird die Fähigkeit geschwächt, in vertrauensvollen Kommunikationsstrukturen in wechselseitigem Verständnis die jeweils eigenen Sichtweisen zu platzieren und den Prozess der flexiblen Reaktionen auf äußere Veränderungen oder unerwartete Konsequenzen des eigenen Handelns zu optimieren. Das seit einigen Jahren herumgereichte Stichwort von „Diversity“, das vor allem eine ethnische Vielfalt der Beschäftigten meint, wird in diesem Ansatz um eine kommunikationssoziologische Dimension erweitert: die Repräsentation aller lebensweltlichen Bereiche, aus denen sich die Märkte des Unternehmens beziehungsweise seiner Partnerunternehmen konstituieren. Das heißt, dass die unterschiedlichen Milieus im „Wissensmanagement“ des Unternehmens aktiv eingebunden sein müssen, um aus der jeweiligen „Lebenserfahrung“ an der Erkenntnis und Lösung von Problemen teilhaben zu können. So schreiben etwa die Autoren der finnischen Studie „Diversity in Foresight“: „The ability to anticipate and shape different kinds of futures is likely to be enhanced through different manifestations of diversity, of which the consultation of participants that represent different stakeholder groups is but one example. Such consultations are an integral part of methods for the scanning of Weak Signals which often result in a rather diverse set of ‘signals’“ (Könnöla et al. 2007: 2). Die, wie die Autoren schreiben, „konsensuelle“ Konstruktion einer denkbaren Zukunft reduziere Unsicherheiten – auch deshalb, weil sie die Aktivitäten der involvierten Beteiligten synchronisiere. Eine Gefahr liege allerdings in der voreiligen Suche nach einem Konsens, der dann zu konservativen oder auch nur oberflächlichen Beobachtungen führe oder sich mit Abstraktionen von geringer pragmatischer Bedeutung zufrieden gebe.

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Nur ein methodologisches Element wäre dieser differenzierten Studie noch hinzuzufügen: die Repräsentativität des Samples. Für eine kommunikative Weak Signal Research erscheint eine sorgsam durch unterschiedliche individuelle Perspektiven hin komponierte Gruppe unabdingbar. Heugens sieht dabei eine Reihe qualitativer Gesichtspunkte der Ertragssicherung: Als erstes verweist er auf die „kommunikative Validierung“ – die er als die Korrespondenz zwischen der Alltagserfahrung und der Interpretation dieser Alltagserfahrung durch die sachbezogene Interpretation definiert, ganz im Sinne der „Intersubjektivität“, die Karl Otto Apel definierte. Dazu seien als Methode „Roundtable Discussions“ angebracht. Allerdings setzt sich auch Heugens nicht mit dem nahe liegenden Einwand des unerkannt dominierenden kulturellen Paradigmas auseinander, die derartige Diskussionen prägen können (Heugens 2003). Der zweite Punkt sei nun die Integration aller Beteiligten („Stakeholder“), eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit vor allem auf nicht-ökonomischen Gebieten. Eine derartige Erweiterung der Fragestellung auf die allgemeinen Grundlagen des spezifischen Handelns erlaubt in der Tat firmen- und branchenübergreifende Kommunikation mit dem Ziel die schwachen Signale der gemeinsam geteilten Zukunft auszumachen – etwa die der regionalen Entwicklung, die alle in einer Region arbeitenden Unternehmen betreffen (wenngleich in unterschiedlich starken Ausprägungen). Ein weiterer, eng mit dieser Strategie verbundener Punkt aus der Vorschlagsliste der niederländischen Forscher umreißt des „Meta-Problem Solving“, definiert als allgemeine Bereitschaft aller involvierten Parteien, „to compare and seek reconciliation between each other’s problem definitions and feasibility preoccupations first, and face the predicament co-operatively by combining the resources and perspectives required for its resolution later“ (Heugens 2003: 5) Ein letzter Punkt, der in dieser Studie angesprochen wird, betrifft eine klassische Strategie der Empirischen Sozialforschung: die Konstruktvalidierung von Befunden aus der Diskussion beziehungsweise gemeinsamen qualitativen Erhebung. Das, was in der Boulevardforschung als Konstrukt eines einzelnen Geistes erscheint (begründet durch die besondere Rolle als „Guru“ oder den enzyklopädischen Anmaßung auf universelle Belesenheit) entwickelt in der kommunikativen Weak Signal Research auf der Grundlage der „Triangulation“ zumindest eine gemeinsame Basis von Fakten und Annahmen, auf der weiter diskutiert werden kann. „Versteht man Wissen als derart sozial verteilt, kontextualisiert, vernetzt und letztlich emergent, greifen auch hier die grundsätzlichen Einsichten des Komplexitätsmanagements“, spezifiziert der Soziologe Peter Kappelhoff in einer Auseinandersetzung mit Ansätzen der evolutionären Modelle in der Organisationssoziologie und Managementlehre. „Wenn Wissen integraler Bestandteil der Prozesse im Unternehmen ist, kann es nicht beliebig übertragen und manipuliert

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werden. Entscheidende Aspekte des organisationalen Wissens entziehen sich damit der direkten steuernden Kontrolle“ (Kappelhoff 2001: 57). In pointierter Kritik an solch evolutionstheoretischen Managementkonzepten setzt auch Kappelhoff auf die Kommunikation der unterschiedlichen Geister im Unternehmen. Die Beteiligten werden insgesamt in der Art eines exklusiven Delphi-Projekts als Mitglieder des „Forschungsverbundes“ betrachtet. Ihre jeweilige Weltsicht repräsentiert jeweils einen Teil der Diversität, in der das Unternehmen agiert. Die Chancen für derartige Kommunikationsprozesse erhöhen sich, je stärker die Kompetenz und die Bereitschaft kommunikativer Führung entwickelt und durch eine Vertrauenskultur im Unternehmen gedeckt sind. „SIM cuts across normal hierachical organizantonal lines. Senior management assigns responsibility for individual issues directly to units which are best equipped to deal with the issue, even if this means reaching across several hierarchical levels.” (Ansoff 1980: 134) Als wichtigstes Element in diesem Prozess wird die Offenheit der Führung betont, vor allem die Förderung des Diskurses auf der Grundlage der individuellen Zugänge zu einem gemeinsamen Problem auf der Basis einer doppelten Spezialisierung: erstens aus der Sicht der professionellen Tätigkeit, zweitens aus der Sicht der Alltagserfahrung. In den letzten Jahren ist in der Empirischen Organisationssoziologie sehr klar herausgearbeitet worden, dass in diesem Prozess das Mittlere Management eine wesentliche Rolle spielt, die allerdings nur dann ausgefüllt werden kann, wenn die Repräsentanten dieses Mittleren Managements in einem erweiterten Führungsfeld in den Prozess des Wissensmanagements einbezogen sind. Abgesehen von der Einsparung von Transaktionskosten, die starre hierarchische Systeme erfordern (Zeit zur Verabredung eines Meetings, Anträge auf die Bereitstellung der entsprechenden Infrastrukturen, Koordinationen der einzelnen Abteilungen, Vorbereitung von Tagesordnungen, Abgleich der Wissensbestände oder auch nur der Informationen) fördern derartige offene Parallelsysteme die Integration neuer Mitarbeiter und das Prozess-Vertrauen zwischen den verschiedenen Abteilungen. Der Berliner Soziologe Werner Rammert kommt auf der Grundlage seiner empirischen Studien zum gleichen Ergebnis: „Ein höherer Grad an Vielfältigkeit, eine Chance zu stärkerer Individualität, eine anspruchsvollere Rückkopplung und ein differenzierteres Tempo markieren den im Entstehen begriffenen Verlauf reflexiver technischer Innovation. Die Vielfältigkeit resultiert aus der radikalen Entbettung und dem steigenden Bewusstsein für Ambivalenz. Sie ist zweifellos eine Konsequenz der Moderne. Die langsame Auflösung der Standardverläufe schafft auf der einen Seite mehr Spielraum für individuelle und alternative Technikentwürfe. Aber auf der anderen Seite verlangt die Pluralität der Teilnehmer und die Heterogenität der Kontexte ein umfassenderes rekursives Lernen. Die

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verschiedenen Agenturen müssen koordiniert und die unterschiedlichen Zeiten aufeinander abgestimmt werden“ (Rammert 1998: 9) Gefordert sei ein „Antriebsmechanismus“, der die Nachteile der beiden Innovationsquellen Markt und Organisation vermeide und ihre Vorzüge vereine. „Netzwerke scheinen gegenüber Markt und hierarchische Organisation diese besondere Eigenschaft zu besitzen. Statt auf Tausch und Anweisung beruhen sie auf Verhandlung. Statt über Geld und Macht werden sie über Vertrauen geregelt. Verhandlungen behalten die Flexibilität des Marktes bei, ohne seine Gleichgültigkeit gegenüber der Beschaffenheit der Güter und der Eigenschaft der Akteure zu zeigen. Vertrauensbeziehungen verringern die Unsicherheiten, ohne die Unterschiede zwischen den Ereignissen und ihren Zeitrhythmen so einzuebnen, wie es Organisationen normalerweise tun“ (10). Rammert nennt diese Art der kommunikativen Innovation „reflexive Innovationspolitik“. Sie verfolge „eine im Vergleich zur Organisation lockere, aber im Vergleich zum Markt verbindlichere Vernetzung heterogener Akteure. ... In zeitlicher Hinsicht lassen Netzwerke heterogene Einheiten, unterschiedliche Tempi und einen offenen Zeithorizont zu. Diese Eigenschaft macht sie in meinen Augen zu einem überlegenen Mittel, die zunehmende Vielfältigkeit im verteilten System der Technikerzeugung durch lockere Kopplung und zeitlich flexibel zu koordinieren. ... Sie muß der Tendenz zur Schließung ebenso wehren wie der Tendenz zur Bildung von strategischen Hierarchien“ (11). Wolfgang Scholl, sozialpsychologischer Innovationsforscher an der Humboldt-Universität in Berlin und erfolgreicher Unternehmer, fasst die Ergebnisse einer weiteren empirischen Studie über Innovation so zusammen: „Innovativität und Effektivität lassen sich über Lernen durch Führung dann besonders fördern, wenn es in der Organisation breit genutzt wird durch flexible, verteilte Führung, unabhängig vom regelgeleiteten Management der Routineprozesse. Daraus ergibt sich die Empfehlung, mitarbeiterorientierte Organisationsformen einzuführen, um viele intelligente und fachlich gute Mitarbeiter zu gewinnen, den kommunikativen Wissensaustausch unter ihnen zu erleichtern und einen flexiblen Rahmen bereitzustellen, in dem spontane, verteilte Führungsaktivitäten angeregt und belohnt werden, im alltäglichen Miteinander ebenso wie bei Projekten mit hervorragenden Einzelpersonen.“ „Viele Ideen“, fährt Scholl fort, „werden nicht öffentlich gemacht oder gar nicht erst gedacht, weil die Chancen für eine faire Betrachtung negativ eingeschätzt werden. Die faire Betrachtung und Entwicklung von Ideen ist ein zentraler Aspekt der Innovationskultur; ist dies gewährleistet, dann muss man sich um die Menge neuer Ideen keine Sorgen machen“ (Scholl 2006: 1). Alle Autoren sind sich darüber einig, dass die von Tichy geforderte Flexibilität, die zur Identifikation der schwachen Signale und zur Reaktion auf unerwar-

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tet auftretende Herausforderungen die größtmögliche Freiheit an kreativer Entfaltung im Rahmen der strategischen Vorgaben erfordern. In diesem Kontext soll noch einmal erwähnt werden, dass der Komplexitätstheoretiker Peter Kappelhoff am Ende der Auseinandersetzung mit der kristallinen Präzision der Analyse komplex adaptiver Systeme auf die Bedeutung der narrativen Soziologie zurückkommt – die allein in der Lage wäre, die Vielfalt der Kontingenzen darzustellen, oder auch nur annähernd zu erfassen.

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Schlussbemerkung

Die Schwäche der pragmatischen Umsetzung der Weak Signal Research resultierte aus dem Versuch, sie zu einem strategischen Instrument der betrieblichen Routine zu standardisieren. Dieser Versuch ist, wie im betreffenden Kapitel beschrieben, nicht gelungen. Er ist aber auch nicht gescheitert, weil er ein wesentliches Elemente der Strategie deutlicher hat werden lassen: die Bereitschaft zur Offenheit und zur Anerkennung dessen, was Nassim Taleb als unausweichliche Kontingenz (Randomness) bezeichnete. Genau an diesem Punkt setzt das vernetzte Wissen der diversifizierten Mitarbeiterschaft an, die in einem klassischen Diskurs ihre jeweils individuellen Perspektiven zu der Erzählung über die Wirklichkeit beitragen kann – wenn das Strategische Management die Freiräume für diese Kommunikation eröffnet. Nur in dieser Konstellation kann jene soziologische Leistung begründet werden, die passgenau den Aufgaben des Unternehmens entspricht: Wissen über die Welt zu sammeln, zu ordnen, zu erklären und schließlich in die für ein Unternehmen bedeutsamen Kontexten produktiv zu integrieren. Das ähnelt keineswegs der Aufgabe eines Schwarms, der zwangsläufig zu besseren Ergebnissen komme als der Einzelne. Bei komplexen Herausforderungen, deren Struktur unbekannt ist, bietet ein Schwarm weit geringere Gewähr für Lösungen als ein Diskurs. Dass die Sozialwissenschaften – also noch einmal: die soziologisch inspirierte Wirtschaftswissenschaft wie die Soziologie, die Sozialpsychologie, die ernsthafte Version der Neuroökonomie wie die Kommunikations- oder die betriebswirtschaftliche Personalwissenschaft – als hilfreiche Grundierungen genutzt werden können, steht für alle Autoren außer Frage. Ob sie es denn als Disziplin insgesamt auf die angemessene Weise realisieren will, bleibt offen. Dass sie es kann, zeigt sie oft genug – auch in publizistisch durchaus ebenso interessanten wie unterhaltsamen und doch gleichzeitig kulturund konsumtheoretisch bedeutsamen Projekten – etwa zur zeitlichen Logik der Austauschrate von Hunderassen und Babynamen (Bentley et al. 2007), der Frage, was die Wissenschaften in den nächsten 50 Jahren zu bieten haben könnten (Brockman 2002b), oder der Frage, warum Wellensittiche niemals Hasso heißen (Rust 2004). Gleichzeitig werden gerade Unternehmen mit einer solchen Unternehmenskultur bereit sein, die unabhängige Wissenschaft zu konsultieren, um die tieferen Beweggründe der Gesellschaft zu begreifen, in der ihre Märkte entstehen. Der beste Weg, die Wissenschaft zu nutzen, ist ihr jene inhaltliche und methodologische Unabhängigkeit zu lassen, die die Trendforschung opportunistisch aufgege163

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ben hat. Erst aus der Unabhängigkeit ohne die Zwänge, verkaufen zu müssen und zu diesem Zweck einem unablässigen Zwang zur Entwicklung von Zukünften ausgesetzt zu sein, werden jene Kompetenzen geschärft werden können, die zur Entdeckung von ‚schwachen Signalen‘, Trends, Anhaltspunkten oder überraschenden Einsichten hilfreich sind. Die Geschichte der Organisationssoziologie ist voll von Erkenntnissen, die genau so entstanden sind und heute zu den wichtigen Elementen des Strategischen Managements zählen. Viele sind an illustren Universitäten (und nicht selten als Nebenprodukte einer Auftragsforschung) entstanden – wie Elton Mayos Begründung der Human Relations-Wissenschaft an der Harvard Business School, die Beobachtung der „Cultural Lags“ durch William Ogburn, die Feldtheorie des Kurt Lewin, Thorstein Veblens Beschreibung der „Conspicuous Consumption“ mehr als hundert Jahre vor der Wiederentdeckung durch die konsumorientierte Boulevardforschung oder die Motivationsforschung, die sich in den Arbeitens eines Howard Gardner vollendet – eines pädagogischen Psychologen, der regelmäßig in der Harvard Business Press publiziert. Diese Forscher hatten und ungezählte andere haben die Freiheit, über Dinge nachzudenken, die niemand in Auftrag gibt. Sie besaßen und besitzen das Vertrauen ihrer Universitäten und der Praxis, vor allem deshalb, weil sie nachweislich drei Dinge vermeiden: strategischen Opportunismus, methodologische Scharlatanerie und semantische Unsinnigkeiten des rhetorischen Konstruktivismus. Ihre Befunde und die angeregten Diskurse von ambitionierten Mitarbeitern unter der Ägide kooperativer Führungskräfte sind die Garanten für eine vorurteilsfreie und sachgerechte Gestaltung der Zukunft. Eine Wirtschaft, die sich wirklich mit der Zukunft auseinandersetzen will, wird auf diese beiden Quellen setzen: auf eine von ihren unmittelbaren Interessen unabhängige Sozialwissenschaft und die Sensibilität aller Beteiligter, die in einem Diskurs flexibel auf die Herausforderungen reagieren, die keiner erwartet hat. Alle Versuche, die Zukunft auf der Grundlage von Trends zu beschreiben, so hübsch oder exotisch sie mitunter erscheinen, haben nichts zu Tage gefördert als Illusionen.

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