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German Pages 279 Year 2007
Olaf Arlinghaus (Hrsg.) Praxishandbuch Turnaround Management
Olaf Arlinghaus (Hrsg.)
Praxishandbuch Turnaround Management Liquidität sichern, Kosten senken, Wachstum steigern, Insolvenz vermeiden
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage April 2007 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Ulrike M. Vetter Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vevielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0258-0
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
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Vorwort
Krise ist ein produktiver Zustand – man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Max Frisch Untersuchungen zeigen deutlich, dass die Anzahl der Insolvenzen weltweit dramatisch zugenommen hat. Neben den Insolvenzen ist eine weitere Vielzahl von Unternehmen durch immer rascher sich verändernde Marktbedingungen (Kostendruck durch Globalisierung, Prozessinnovationen etc.) und höheren Anforderungen von Seiten der Kapitalgeber (Basel II etc.) und des Gesetzgebers (KontraG, InsO etc.) ebenfalls in eine bedrohliche Situation gekommen, die eine Fortführung der bisherigen Aktivitäten schwierig gestaltet bzw. große Herausforderungen an das Management stellen. Dieses Praxishandbuch beleuchtet alle wichtigen Themenbereiche des Turnaround Managements aus der Sicht erfahrener und spezialisierter Praktiker und dient mittelständischen Unternehmen als Entscheidungshilfe bei existenzbedrohenden Krisen. Diese Publikation zeigt ebenfalls auf, wie Unternehmenskrisen frühzeitig erkannt und welche Maßnahmen ergriffen werden können, um einen Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Wesentliche Aspekte dieses Turnaround Managements sind dann Haftungsfragen, Möglichkeiten und Grenzen der betriebs- und finanzwirtschaftlichen Sanierung, Aufbau und Vermarktung von Sanierungskonzepten und Gestaltung eines reaktionsschnellen Frühwarn- und Indikatorsystems zur Prävention möglicher neuer Krisen. Die einzelnen Autoren geben konkrete Empfehlungen, erfolgreich Firmen zu restrukturieren, Finanzmittel zu beschaffen, Bank- und Kreditgespräche zu führen, und – als letzte Möglichkeit – Insolvenzverfahren zu bestehen. Auch zu Haftungs-, Steuer- und Personalfragen erhält der Leser viele praktische Tipps. Hierbei leisten die in den einzelnen Kapiteln dargestellten Praxisbeispiele und Checklisten eine große Hilfe. Der Aufbau des Buches folgt verschiedenen Turnaround-Situationen, wobei einzelne Schritte durchaus parallel oder auch einmal in vertauschter Reihenfolge ablaufen können: Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren Rechtliche Sanierungsberatung Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan als Tool und Netz
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Vorwort
Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements Organisation und Turnaround Management Kommunikative Aspekte des Turnaround Managements Risikomanagement Dieses Praxishandbuch soll dem Unternehmer, der sich erstmalig mit Turnaround Management beschäftigt, eine genauso hilfreiche Unterstützung bieten wie dem erfahrenen Praktiker, der auf der Suche nach weiterem praktischen Wissen zu einzelnen Themengebieten ist. Angesprochen sind aber auch die Studierenden der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, die sich frühzeitig über ein sehr spannendes berufliches Betätigungsfeld informieren und darauf vorbereiten wollen. Mein besonderer Dank gilt den hochkarätigen Managern aus der Unternehmenspraxis, die sich trotz eines dichtgedrängten Terminkalenders die Zeit genommen haben, an diesem Praxishandbuch mitzuwirken. Ebenso gilt mein Dank der angenehmen Zusammenarbeit mit dem Gabler Verlag, insbesondere mit der Cheflektorin des Bereichs Gabler Management, Frau Ulrike M. Vetter. Darüber hinaus sind inhaltliche Anmerkungen und die technische Umsetzung des Manuskriptes von Herrn Marlon Wulfert dankenswert hervorzuheben.
Münster, im März 2007
Olaf Arlinghaus
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort .....................................................................................................................................5 Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren .....................................................................9 Stephan Michels Rechtliche Sanierungsberatung ...............................................................................................45 Marcus Geuting Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan ..............73 Michael Joseph Keusgen Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts .....................................129 Martin Matzat Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements.........................157 Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements...................................185 Stephanie Bschorr Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements.....................................211 Stephan Gneuss Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements ........................................................237 Jochen Fischer Risikomanagement................................................................................................................257 Gerrit Kirchhoff Stichwortverzeichnis .............................................................................................................279
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
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Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren Stephan Michels
Stephan Michels, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist seit 1995 als Rechtsanwalt insbesondere auf dem Gebiet der Sanierungsberatung und Insolvenzverwaltung tätig. Nach verschiedenen Tätigkeiten als Rechtsanwalt in überörtlichen Sozietäten und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften übernahm er Ende 2001 die Leitung des Münsteraner Büros einer überregionalen Rechtsanwaltskanzlei. 2006 wechselte Herr Michels zu der überregionalen PLUTA RechtsanwaltsGmbH. Er arbeitet überwiegend als Insolvenzverwalter und Sanierungsberater. Stephan Michels hat einen Lehrauftrag für Turnaround Management an der FH Münster. E-Mail: [email protected]
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Vorbemerkungen............................................................................................................... 11 2. Veränderungen im Sanierungs- und Restrukturierungsmarkt ........................................... 13 2.1 Erwerb notleidender Kredite durch ausländische Investoren .................................... 13 2.2 Forum Shopping ........................................................................................................ 14 2.3 Distressed-Dept-Market ............................................................................................ 15 3. Mögliche Gefahren einer eröffneten Sanierung im Insolvenzverfahren ........................... 16 4. Sanierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens................................................................ 18 4.1 Übertragende Sanierung ............................................................................................ 19 4.2 Überblick über das Insolvenzverfahren ..................................................................... 21 4.3 Insolvenzgeldvorfinanzierung ................................................................................... 22 4.4 Weitere begleitende Maßnahmen .............................................................................. 25 4.5 Einzelne Aspekte eines Asset Deals im eröffneten Insolvenzverfahren..................... 30 5. Sanierung durch Insolvenzplanverfahren ......................................................................... 35 5.1 Gesetzgeberische Zielsetzung.................................................................................... 35 5.2 Probleme der Insolvenzplanpraxis............................................................................. 36 5.3 Überblick über das Insolvenzplanverfahren .............................................................. 39
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
1.
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Vorbemerkungen
Gerät ein Unternehmen (welches ausschließlich hier behandelt werden soll, die Ausführung betreffen jedoch auch für Einzelkaufleute oder auch Freiberufler) in eine wirtschaftliche Schieflage oder auch Krise, ergeben sich für Organe, Gesellschafter, Berater und auch Kreditgeber, sofern diese in den Sanierungs- bzw. Restrukturierungsprozess mit eingebunden worden sind, eine Vielzahl von strukturellen Überlegungen hinsichtlich der Maßnahmen, die für die Sanierung des Unternehmens ergriffen werden sollen. Von besonderer Bedeutung sind auch strategische Überlegungen hinsichtlich der wichtigen Fragen, ob eine Sanierung (lat. sanare = Heilung) außerhalb eines Insolvenzverfahrens oder innerhalb eines geregelten gerichtlichen Insolvenzverfahrens durchgeführt werden soll. Dieser Entscheidung kommt maßgebliche Bedeutung zu. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass in der Praxis häufig sehr unterschiedliche Auffassungen hierüber zwischen Kreditgebern, Management und Eigentümern (Shareholdern) vorherrschen können. Für eine außergerichtliche Sanierung spricht eine Vielzahl von guten Gründen, vor allem der Erhalt des Unternehmens als im Markt etablierte organisatorische Wirtschafteinheit mit seinen häufig langjährig bestehenden Kunden- und Lieferbeziehungen. Eine Sanierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens kann dann vorteilhaft sein, wenn das Vertrauen in das Management irreparabel zerstört, möglicherweise das Vertrauensverhältnis zwischen Management und Betriebsrat nicht mehr vorhanden ist oder die Eigentümer schlicht nicht gewillt sind, Sanierungsmaßnahmen außerhalb der Insolvenz mitzutragen, die für das Unternehmen jedoch dringend notwendig wären, um dessen Fortbestand und Konkurrenzfähigkeit im Markt zu sichern. In der Vergangenheit, d. h. vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1.1.1999, bedeutete der Konkurs/ das Vergleichsverfahren oder die Gesamtvollstreckung nahezu ausnahmslos die Zerschlagung des schuldnerischen Unternehmens. Als probates und Erfolg versprechendes Sanierungsinstrument haben die Konkursverwalter damals die so genannte übertragende Sanierung (auch: sanierende Übertragung) entwickelt, wonach das Aktivvermögen einer insolventen Gesellschaft auf eine neu gegründete oder aber bereits bestehende Gesellschaft übertragen wurde. Die Verbindlichkeiten des alten Rechtsträgers verblieben beim insolventen Rechtsträger. Die Gläubiger des insolventen Unternehmens erhielten als Gegenleistung einen Kaufpreis für den Verkauf der Assets. Mit Verabschiedung der Insolvenzordnung im Jahre 1994 und deren Inkrafttreten zum 1.1.1999 änderte sich die gesetzgeberische Zielsetzung, aber auch zunehmend die Auffassung der mit der Abwicklung von Insolvenzverfahren befassten Verfahrensbeteiligten. Gesetzgeberisches Ziel war, die in der Vergangenheit nahezu zwingend vorgegebene Zerschlagung des Unternehmens zu vermeiden und in die Krise geratene Betriebe möglichst als Unternehmenseinheit zu erhalten. Dieses gesetzgeberische Ziel findet seine Niederschrift in § 1 der Insolvenzordnung (InsO), der die Ziele des Insolvenzverfahrens verdeutlicht:
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Stephan Michels
Danach dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Die in § 1 Satz 1 angesprochene Verwertungsmöglichkeit ist nach hiesiger Auffassung jedoch nicht allein in dem engen Verständnis einer reinen Zerschlagung, d. h. Einzelverwertung der vorhandenen Wirtschaftsgüter bei Liquidation des Unternehmens, zu sehen. Verwertung ist als offener Rechtsbegriff großzügig auszulegen und kann durch vielerlei Sanierungs- bzw. Restrukturierungsmaßnahmen ausgefüllt werden. Die Formulierung in § 1 „... oder in Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird.“ verdeutlicht, dass der Erhalt der Betriebe nach den Vorstellungen des Gesetzgebers innerhalb eines Insolvenzverfahrens durch das so genannte Herzstück der zum 1.1.1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung, den Insolvenzplan, am besten erreicht werden soll. Das Insolvenzplanverfahren ist im sechsten Teil der Insolvenzordnung in den §§ 217 bis 269 ausführlich und detailliert geregelt. Nach den gesetzgeberischen Motiven sollte der Insolvenzplan das eigentliche Herzstück der neuen Insolvenzordnung darstellen, indem nämlich der Erhalt der Wirtschaftseinheit Unternehmen geregelt und die Teilnahme am weiteren Wirtschaftsverkehr, unter Aufrechterhaltung der bestehenden Kunden- und Lieferantenbeziehungen, gesichert wird. Dies bedeutet juristisch den Erhalt des vorhandenen Rechtsträgers – einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung beispielsweise – und grundsätzlich den Erhalt der vorhandenen Geschäftsanteile (Shares) beim Anteilseigner. Die Geschäftsanteile sind auch beim Insolvenzplan nicht fungibel, was insbesondere im internationalen Vergleich als großer Wettbewerbsnachteil für den Standort Deutschland im Restrukturierungsbereich anzusehen ist. Bis ca. 2002 führte das Planverfahren eher ein Schattendasein, obwohl bereits das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fa. Küppersbusch durch einen Insolvenzplan erfolgreich beendet und die Sanierung des Unternehmens erreicht werden konnte. Gleichwohl haben einige Autoren bereits frühzeitig Abgesänge auf das Insolvenzplanverfahren angestimmt. Insbesondere die Zahl komplizierter Regelungen sowie die heterogenen Gläubigergruppen führten dazu, dass das Planverfahren nicht sehr beliebt war. Man kann und muss aber auch konstatieren, dass viele Verwalter und auch unterschiedlichste Gläubigergruppen sich mit den neuen Regelungen nicht detailliert auseinander setzen wollten, sei es wegen der Scheu, von Altbewährtem abzuweichen, oder der (vermeintlichen) Komplexität der neuen Materie. In der Praxis ist festzustellen, dass das Planverfahren kaum als Sanierungsinstrument gesehen und eingesetzt worden ist, da die Verfahrensbeteiligten eine Sanierung über den Plan als zu kompliziert angesehen haben und von der (Fehl-)Vorstellung geleitet worden sind, Insolvenzpläne seien zwangsläufig Regelwerke, die eine Stärke von nicht unter 200 Seiten aufweisen müssten. Deshalb ist lieber auf das Instrumentarium der altbekannten „übertragenden Sanierung“ zurückgegriffen worden, obwohl die Sanierung über den Plan für die Gläubiger möglicherweise vorteilhafter gewesen wäre.
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Nach knapp sieben Jahren Insolvenzordnung lässt sich nunmehr jedoch ein neuer Trend erkennen. Das Insolvenzplanverfahren wird häufiger angewandt und findet zunehmend Anerkennung, sowohl auf Gläubiger als auch auf Verwalterseite. Die mit Planverfahren erzielten Sanierungserfolge stehen eindeutig für die Einbeziehung von Planverfahren in die Sanierungsüberlegungen. Als prominenteste Beispiele sind hier die Verfahren über die Vermögen der Firma Babcock Borsig (Duisburg) und Taurus Media AG, im Rahmen der KirchMedia Insolvenz (München), zu nennen. Weitere bedeutende Beispiel sind die Sanierung der Firmen Herlitz (Berlin), Senatorfilm (Berlin) und aktuell Ihr Platz (Osnabrück). Nachfolgend werden die Sanierungsinstrumente der übertragenden Sanierung und der Insolvenzplan im Einzelnen dargestellt, wobei sich der Verfasser, aufgrund der Komplexität der Materie im Rahmen dieser Abhandlung, nur auf die Darstellung der Grundzüge und einiger praxisrelevanter Kernbereiche beschränken muss. Des Weiteren werden vorab aktuelle Entwicklungen auf internationalen Märkten des Restrukturierungsrechts, sowie zum besseren Verständnis, stichwortartig einige Möglichkeiten außergerichtlicher Sanierungs- bzw. Turnaround-Maßnahmen dargestellt.
2.
Veränderungen im Sanierungs- und Restrukturierungsmarkt
Bevor die außergerichtlichen Sanierungsinstrumente sowie die hier zu besprechenden Kernbereiche „übertragende Sanierung“ und „Insolvenzplan“ näher vorgestellt werden, ist es jedoch sinnvoll, auf die neueren Entwicklungen im Turnaround- und Restrukturierungsmarkt hinzuweisen. Das Geschäftsfeld der Sanierungs- und Restrukturierungsberatung erfährt derzeit einen, nunmehr auch in der Öffentlichkeit zunehmend diskutierten, Wandel, der maßgeblich durch den Einfluss angelsächsischer Banken und Fonds geprägt wird.
2.1
Erwerb notleidender Kredite durch ausländische Investoren
Dies hängt vornehmlich mit dem Phänomen des Aufkaufs von notleidenden Krediten (Non Performing Loans) zusammen. Das maßgebliche Stichwort in diesem Zusammenhang lautet: Distressed Dept. Hierunter versteht man den Aufkauf notleidender Kredite (Non-Performing Loans) durch ganz überwiegend angelsächsische, oder jedenfalls dort angesiedelte, Invest-
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Stephan Michels
mentbanken oder aber auch durch so genannte Hedge-Fonds. Der Ankauf der notleidenden Kredite führt zu einem Wechsel auf Gläubigerebene, der die Restrukturierung eines Unternehmens in der Insolvenz maßgeblich beeinflusst, da zum einen das deutsche Insolvenzrecht in wesentlichen Fragen aus Sicht der ankaufenden Fonds nachteilig ist und zum anderen völlig unterschiedliche Restrukturierungskulturen aufeinander treffen. Der deutsche Mittelständler sieht sich plötzlich nicht mehr dem, ihn häufig seit Jahrzehnten begleitenden, Sachbearbeiter oder Vorstand seiner Hausbank gegenüber, sondern mit Restrukturierungsmanagern angelsächsischer Banken oder Fonds. Dies stellt häufig allein sprachlich ein großes Problem dar. So besteht aus Sicht der Neugläubiger in Deutschland z. B. das bislang noch nicht steuerbare Problem der Auswahl der Person des Insolvenzverwalters. Dieser wird von dem jeweils zuständigen Amtsrichter des zuständigen Insolvenzgerichts, nach dessen eigenem pflichtgemäßen Ermessen, bestellt. Es gibt bis dato noch keine näher überprüfbare Qualitätskontrolle. Gesetzlicher Ausgangspunkt für die Bestellung des Insolvenzverwalters ist § 56 InsO. Danach ist zum Insolvenzverwalter eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen. Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, wird in der insolvenzrechtlichen Literatur insbesondere seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 3.8.20041 kontrovers und heiß diskutiert. Diese in Deutschland vorherrschende Insolvenzpraxis bedeutet natürlich für jeden Investor und Neugläubiger ein erhebliches Risiko, da er letztlich nicht weiß, ob ein für den jeweiligen Einzelfall geeigneter und sanierungswilliger Kandidat bestellt wird, der die mit dem Ankauf der Darlehen verfolgten Sanierungsziele (und Profitziele!) umsetzt und mit trägt.
2.2
Forum Shopping
Auch aus diesem Grunde sind vornehmlich englische Investoren bemüht, Insolvenzverfahren zunehmend nach internationalem Insolvenzrecht in Großbritannien einzuleiten, u. a. weil dann auch mit der Sache bereits (vor)befasste Insolvenzverwalter (Insolvency Administrator) aus Großbritannien die Restrukturierung begleiten können. Dies kann dadurch geschehen, dass in Großbritannien eine Holdinggesellschaft (Ltd.) gegründet wird und auf diese die Geschäftsanteile oder Aktien der deutschen Gesellschaft übertragen werden, die sich in der wirtschaftlichen Krise befindet. Dann wird beispielsweise in Großbritannien beim zuständigen Insolvenzgericht ein Insolvenzantrag gestellt mit dem Ziel, dass auch die in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft gemäß englischem Insolvenzrecht abgewickelt werden kann.
1
BVerfG, ZIP 2004, 1649 = NJW 2004, 2725. Das BVerfG hat zur Problematik „Vorauswahl-Listen der Insolvenzgerichte“ klargestellt, dass die Insolvenzgerichte die Auswahl der Insolvenzverwalterkandidaten auf eine Vorauswahlliste als transparenten und nachvollziehbaren Akt gestalten müsse.
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Hinzu kommt, dass durch diese vorbereitenden Restrukturierungsmaßnahmen beispielsweise Mitbestimmungsrechte umgangen werden können, wie aktuell bei dem IPO der Air Berlin geschehen. Diese Bemühungen, die unter dem Begriff des „Forum Shopping“ zunehmend diskutiert werden und bekannt geworden sind, führen zu weiteren Streitfragen und vor allem jedoch zur Veränderung des Restrukturierungs- und Turnaroundmarktes. Man kommt nicht um die Feststellung herum, dass zukünftig andere Player jedenfalls in den größeren Sanierungsfällen anzutreffen sind, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Hiermit einher geht eine von der bisherigen deutschen Restrukturierungs- bzw. Sanierungskultur abweichendes Sanierungsverständnis, welches eher auf den Erhalt des bestehenden Rechtsträgers ausgerichtet ist, freilich um diesen zu sanieren und dann gewinnbringend zu veräußern.
2.3
Distressed-Dept-Market
In den vergangen drei Jahren wurden auch in Deutschland zunehmend notleidende Kredite (Non Performing2 Loans) zu Portfolios zusammengefasst und veräußert.3 Diese Entwicklung ist Teil einer angelsächsischen Restrukturierungskultur und war bislang in Deutschland so nicht bekannt. Nach Auskünften der Deutschen Bank wurden 2005 problematische und gefährdete Kredite (Distressed Debt) im Volumen von ca. 30 Mrd. Euro gehandelt. Hiervon seien ca. 50 Prozent dieses Volumens deutsche Kredite. Ziel der Distressed-Dept-Investitionen ist für Investoren die Sicherung des Einflusses auf Unternehmen, die, nach deren Auffassung, saniert und wieder auf den Erfolgskurs gebracht werden können, um diese anschließend gewinnbringend zu veräußern. Zuzugeben ist jedoch, dass die großen Portfolio-Verkäufe wohl bereits erledigt sind und zukünftig hier mit speziellen Einzelverkäufen zu rechnen ist. Derzeit nimmt man an, dass dieses Geschäft ähnlich wie außerbörsliches Beteiligungskapital (Private Equity) eine Netto-Rendite von 15 bis 20 Prozent bringen soll, ca. 60 Prozent des gesamten Distressed-Dept-Marktes ist die Sanierungsentscheidung deutscher Unternehmer, wobei insbesondere die Frage besteht, ob ein deutsches Insolvenzverfahren eingeleitet werden soll. Der Handel mit den notleidenden Krediten bedeutet für die deutschen Firmen, dass sie sich nicht mehr mit deutschen Kreditgebern auseinander setzen müssen bzw. dürfen, sondern häufig mit, aus dem angelsächsischen Raum stammenden, Großbanken oder gar so genannten Hedgefonds, wobei sehr häufig eigene Restrukturierungsexperten (temporär) in die vorhandenen Geschäftsleitungen implementiert werden oder sie gar ersetzen, siehe z. B. Ihr Platz. 2 3
Financial Times Deutschland, 5. Mai 2006. Schilmar, Wiedenhofer: Veräußerung notleidender Kredite – aktuelle rechtliche Aspekte bei Transaktionen von Non-Performing Loans, in: Der BETRIEB (2005): S. 136 f.
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Die angelsächsischen Investoren sind zudem häufig bemüht, ein Insolvenzverfahren in Großbritannien oder sonstigen Mitgliedstaaten einzuleiten, weil sie dort mehr Einfluss auf dessen Ablauf und den eingeleiteten Restrukturierungsprozess nehmen können. Insbesondere Sorge bereitet den Investoren in Deutschland, dass sie grundsätzlich keinen Einfluss auf die Auswahl eines in Deutschland zu bestellenden Insolvenzverwalters haben. Zudem ist es insbesondere für angelsächsische Investoren wenig nachvollziehbar, dass ein im Vorfeld mit der Krise einer Gesellschaft bereits befasster Restrukturierungsexperte nach deutscher Bestellpraxis und auch nach der Vorschrift des § 56 InsO (Stichwort: Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters) nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden wird. Für die Investoren ist für die Werthaltigkeit ihrer Investments von größter Bedeutung, dass der Restrukturierungsprozess von dem bestmöglichen Insolvenzverwalter in Abstimmung mit den Großgläubigern durchgeführt wird. Des Weiteren entscheidet in Großbritannien nicht das Amtsgericht über den Insolvenzantrag, sondern, jedenfalls in größeren Verfahren, der High Court. Es entscheiden häufig spezialisierte und hochqualifizierte Berufsrichter, die Insolvenzverfahren jeglicher Größenordnung begleiten können. In Deutschland versucht man dem auf Schuldnerseite dadurch zu begegnen, dass in die Darlehensverträge Klauseln aufgenommen werden sollen, wonach die Kreditinstitute nicht berechtigt sind, Darlehen zu veräußern. Für jede internationale Großbank ist die Aufnahme von Weiterveräußerungsklauseln jedoch eine der wesentlichsten Voraussetzungen für den Abschluss eines Kreditvertrages. Die Möglichkeit der Veräußerung notleidender Kredite bedeutet für die Banken eine Risikominimierung, die sie als grundlegende Voraussetzung für den Abschluss des Kreditvertrages ansehen.
3.
Mögliche Gefahren einer eröffneten Sanierung im Insolvenzverfahren
Bevor die Gesellschafter eines in die Krise geratenen Unternehmens dessen Sanierung, im Rahmen eines gerichtlich kontrollierten Verfahrens diskutieren, werden sie regelmäßig sämtliche Möglichkeiten einer außergerichtlichen Sanierung erörtern, da die Sanierung im Insolvenzverfahren für die Geschäftsleitung, aber auch für die Gesellschafter nicht unerhebliche, weil vor allem häufig unkalkulierbare, Risiken birgt. Denn entscheidet sich ein Unternehmen für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens, so wird, spätestens im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, die Leitung des Unternehmens der Geschäftsleitung entzogen. Die so genannte Verwaltungs- und Vermögensverfügung geht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über.4 4
Vgl. § 80 InsO.
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Regelmäßig bestellt das Insolvenzgericht nach Antragstellung einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Auf diesen geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis noch nicht über. Allgemein wird jedoch gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ein so genannter Zustimmungsvorbehalt angeordnet. Danach sind Verfügungen des Schuldners dann nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam. Hier kann es bereits zu großen Konflikten zwischen vorläufigem Insolvenzverwalter und der Geschäftsleitung kommen. Des Weiteren kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Insolvenzgericht nicht dem zuvor beschriebenen schwachen Insolvenzverwalter, sondern der antragstellenden Schuldnerin, ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und einen „starken“ Verwalter bestellt.5 Gem. § 22 InsO geht dann die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners bereits auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Die Geschäftsleitung ist dann rechtlich nicht mehr in der Lage, etwaige, durch die Gesellschafterversammlung beschlossene, Sanierungsmaßnahmen einzuleiten und umzusetzen. Der Weg zum Insolvenzgericht ist mit weiteren Gefahren für Geschäftsführer und Gesellschafter belegt. So hat der Insolvenzverwalter gem. § 92 InsO Ansprüche der Gläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben, geltend zu machen. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn Gesellschafter in der Krise der Gesellschaft auf deren Vermögen zugegriffen haben. Des Weiteren können Gesellschafterleistungen, wie z. B. Gesellschafterdarlehen, durch die Insolvenz der Gesellschaft entwertet werden, da diese dem Kapitalersatzrecht unterfallen und in der Krise nicht zurückgeführt werden dürfen, weil die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute verpflichtet gewesen wären, der Gesellschaft Eigenkapital und nicht Fremdkapital zuzuführen. Selbstverständlich gilt das Kapitalersatzrecht auch außerhalb der Insolvenz, die Verstrickung tritt nicht durch die Insolvenz ein. Ist aber ein Insolvenzverwalter bestellt, so ist es in der Regel nicht mehr möglich, kapitalersetzende Gesellschafterleistungen durch andere Sanierungsmaßnahmen mittelfristig zu retten. Sie sind endgültig verloren, da sie in der Insolvenz nachrangig6 sind und erst bedient werden, wenn sämtliche Verfahrenskosten gedeckt und die Insolvenzgläubiger zu 100 Prozent befriedigt worden sind, was in der Praxis nahezu nie vorkommt, weil es dann eines Insolvenzverfahrens, mit Ausnahme einiger Sonderfälle, nicht bedurft hätte. Schließlich müssen sich Unternehmensleitung und auch die Gesellschafter wirtschaftlich angeschlagener Unternehmen darüber im Klaren sein, dass es für sie im Insolvenzverfahren keine Garantie dafür gibt, dass bereits vorbereitete Sanierungsvorhaben – seien sie noch so wirkungsvoll – von der Gläubigerversammlung gewollt und bestätigt werden. Dies ist selbst dann der Fall, wenn die von der Gläubigerversammlung ins Auge gefasste Entscheidung über die Sanierung oder Abwicklung des Unternehmens wirtschaftlich nachteilig ist. Auch besteht keine Sicherheit darüber, dass die Gläubigerversammlung im Berichtstermin (1. Gläubigerversammlung gem. § 157 InsO) nicht die Einstellung des Geschäftsbetriebs beschließt. In der Praxis werden sich die Gläubiger ganz überwiegend an der Umsetzung wirtschaftlich vernünftiger Lösung orientieren – ein Risiko aus Sicht der Gesellschaft besteht gleichwohl. 5 6
Vgl. §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 2, 22 Abs. 1 InsO. Vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
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4.
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Sanierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens
Die Sanierung/Restrukturierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, da die Insolvenz (vormals: Konkurs-/Gesamtvollstreckungsverfahren) in der Vergangenheit, d. h. vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung im Jahre 1999, schlicht gleichgesetzt werden konnte mit der Zerschlagung des Unternehmens. Dies unabhängig davon, ob das Unternehmen im Rahmen einer übertragenden Sanierung auf einen neuen Rechtsträger übertragen werden konnte oder ob die Liquidation des Unternehmens notwendige Folge des Insolvenzverfahrens war. Rein begrifflich schlossen sich die Insolvenz eines Unternehmens und dessen Sanierung aus. In der jüngeren Vergangenheit gibt es zunehmend prominente Beispiele, die belegen, dass die Insolvenz eines Unternehmens nicht zwingend dessen Zerschlagung/dessen Liquidation zur Folge haben muss, sondern durchaus ein sinnvolles Sanierungsinstrument darstellen kann, da das deutsche Insolvenzrecht Sondervorschriften enthält, die es einem Insolvenzverwalter ermöglichen, sich z. B. im Rahmen der Vorbereitung einer übertragenden Sanierung vorzeitig aus bestehenden Vertragsverhältnissen zu lösen. Zu bedenken ist des Weiteren, dass in der wirtschaftlichen Krise einer Gesellschaft häufig das Vertrauensverhältnis zwischen den Organen einer krisenbehafteten Gesellschaft und den begleitenden Banken angegriffen ist. Auch kommt es zunehmend zu Konflikten auf Gesellschafterebene und Organebene, dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Gesellschafter nicht auch in der Geschäftsleitung des Unternehmens tätig sind. Auch hier können sehr heterogene Interessenlagen bestehen, die im Rahmen eines geregelten Insolvenzverfahrens, durch die Bestellung eines Sachverständigen und kompetenten Insolvenzverwalters, geregelt werden können. Von Bedeutung ist vor allem, dass die Sanierung eines Unternehmens sehr stark davon geprägt ist, dass zwischen Gläubigern, Organen, Gesellschaftern und Insolvenzverwalter ein Konsens gefunden werden kann, der das häufig verloren gegangene Vertrauen der Gläubiger, vor allem Banken, Kreditversicherer und Lieferanten, wieder aufbauen kann. Vor diesem Hintergrund wird die sehr entscheidende Frage geklärt werden müssen, welche Sanierungsmaßnahme für den Erhalt der unternehmerischen Einheit die geeignete ist. In der Vergangenheit haben sich die Insolvenzverwalter häufig des Instruments der so genannten übertragenden Sanierung bedient, da der Erhalt des Rechtsträgers in vielen Fällen nicht möglich, aber häufig auch nicht gewollt war. Mit Einführung der Insolvenzordnung und den neueren Erkenntnissen aus der Abwicklung deutscher Großverfahren hat sich jedoch auch das Insolvenzplanverfahren zunehmend als Sanierungsinstrument bewährt, obwohl dies in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung zunächst nicht so aussah. Insbesondere in Kombination mit dem Instrument der so genannten Eigenverwaltung gem. § 270 f. InsO hat die Praxis sehr gute Sanierungsinstrumente kreiert. Dies, obwohl die Eigenverwaltung nach den gesetzgeberischen Vorstellungen überhaupt nicht für die Sanierung deutscher Großunternehmungen vorgesehen war, sondern eher für Kleinverfahren, wie z. B. für Insolvenzverfahren selbstständiger Kleinunternehmer.
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Es stellte sich in der Praxis jedoch als sehr hilfreich heraus, dass gerade bei Verfahren mit größter rechtlicher Komplexität und vor allem auch internationalen Verflechtungen die Implementierung eines Sanierungsmanagements – häufig unter Austausch der bisherigen Geschäftsleitung – als vorteilhaft erschien und dieser neuen Restrukturierungsgeschäftsleitung ein im Insolvenzrecht erfahrener Verwalter gem. § 270 InsO „zur Seite“ gestellt wird. Die Insolvenzpraxis hat die Eigenverwaltung jedoch auch schnell dafür als tauglich erkannt, einen Weg zu finden, einen vom Gericht nicht bestellten Insolvenzverwalter faktisch doch noch das Verfahren bearbeiten zu lassen, indem er sich von zuständigen Organen der Gesellschaft zum Vertretungsorgan der insolventen Gesellschaft bestellen ließ und vom Insolvenzgericht bestellt wurde. Diese Vorgehensweise hat insbesondere das Amtsgericht Duisburg in dem Insolvenzverfahren Babcock Borsig massiv kritisiert.7 Dieser Themenkomplex soll hier jedoch nicht weiter diskutiert werden, da es sich um Fragen der Verwalterbestellungspraxis handelt. Sind also außergerichtliche Sanierungsmaßnahmen gescheitert oder nicht sinnvoll, sieht die Insolvenzordnung drei konzeptionelle Möglichkeiten vor, die zu einer Unternehmenssanierung beitragen können. Hierbei handelt es sich um die bereits erwähnte so genannte übertragende Sanierung und das Insolvenzplanverfahren. Als dritte Sanierungsmöglichkeit wird in den §§ 270 ff. InsO die Eigenverwaltung genannt. Diese soll, unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus den erfolgreich abgewickelten bzw. abzuwickelnden Großverfahren Herlitz und Babcock Borsig, jedoch im Zusammenhang mit dem Insolvenzplanverfahren erörtert werden.
4.1
Übertragende Sanierung
In der Vergangenheit ganz maßgeblich führendes Sanierungsinstrument war die übertragende Sanierung. Hierunter ist, sehr vereinfacht gesagt, die Übertragung der Aktivseite der Bilanz auf einen neuen Rechtsträger (Zielgesellschaft oder Erwerbergesellschaft) zu verstehen, wobei die Verbindlichkeiten bei dem insolventen Rechtsträger verbleiben. An dessen Liquidation nehmen die Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) teil. Als Ausgleich für den Verkauf des aktiven Geschäftsbetriebs erhalten die Gläubiger des Insolvenzverfahrens den Kaufpreis. Mit dieser Konstruktion wird das Ziel erreicht, den Betriebskern auf einen unbelasteten Träger zu übertragen und somit von der in die Insolvenz geratenen wirtschaftlichen Einheit abzukoppeln.8 Ganz unbelastet ist der neue Rechtsträger natürlich auch nicht, da auch hier die Übernahme des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin häufig durch neue Kredite finanziert werden wird.
7 8
AG Duisburg, ZIP 2002 S. 1636, ZInsO 2002, S. 1046. Jaffé, in: RWS Handbuch, Teil 31, Seite 4 ff.
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Des Weiteren werden die laufenden Geschäfte (bis zu einem Stichtag) von der Zielgesellschaft erworben, und lediglich der insolvente Betrieb bleibt als organisatorische Einheit erhalten, wodurch letztlich die Verwaltung der Vermögensmasse weiterhin in der Maßgabe der insolvenzrechtlichen Bestimmungen erfolgen kann.9 Die Vorteile einer übertragenden Sanierung – auch gegenüber dem Insolvenzplan – liegen vor allem darin, dass Dauer, Kosten und Liquidität definiert sind. Besondere Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die Haftungsvorschriften der §§ 75 AO, §§ 25, 28 HGB im Rahmen einer übertragenden Sanierung aus der eröffneten Insolvenz heraus keine Anwendung finden, was für die Erwerbergesellschaft von entscheidender Bedeutung ist. Für die Vielzahl von Unternehmenssanierungsfällen ist die übertragende Sanierung daher weiterhin ein probates Instrument für die Unternehmenssanierung, wenngleich eine Sanierung des bestehenden Rechtsträgers gerade nicht erfolgt. Hier ist die Sanierung des Unternehmens in dem Erhalt der betrieblichen Einheit zu sehen, nämlich der Erhalt der Produktions-/Vertriebsstätte, häufig auch einer Vielzahl der bestehenden Arbeitsverhältnisse, die möglicherweise im Rahmen eines Planverfahrens hätten erhalten werden können. Wie bereits dargestellt, handelt es sich bei der übertragenden Sanierung um eine Form des Unternehmenskaufs, nämlich ein Kaufvertrag über Einzelwirtschaftsgüter (Asset Deal), d. h., anstatt der Übertragung der Geschäftsanteile bzw. sonstiger Mitgliedschaftsrechte an einer juristischen Gesellschaft werden ausschließlich einzelne Vermögenswerte des Unternehmens auf die Erwerbergesellschaft übertragen. Dies hat den großen Vorteil, dass die von der Gesellschaft gegründeten Verbindlichkeiten von der Erwerbergesellschaft in der Regel nicht übernommen werden. Diese Form der Sanierung ermöglicht dem Insolvenzverwalter, den zu veräußernden Betrieb / die zu veräußernden Betriebsteile nahezu unter Ausschluss sämtlicher Gewährleistungsvorschriften zu veräußern. Da es sich bei der Übertragung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung auf eine Erwerbergesellschaft um ein so genanntes zustimmungspflichtiges Geschäft gem. § 160 InsO handelt, hat der Insolvenzverwalter den Verkauf unter die Bedingung der Zustimmung der Gläubigerversammlung zu stellen. Unterlässt er dies, ist der Vertrag zwar gleichwohl wirksam, jedoch kann der Insolvenzverwalter sich möglicherweise schadensersatzpflichtig machen (§ 60 InsO). Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass der Insolvenzverwalter von der Gläubigerversammlung abberufen und durch einen anderen Kandidaten ersetzt wird. Nicht nur aus vorstehenden Gründen hat der Insolvenzverwalter ein erhebliches Interesse daran, dass der Vertrag nur dann wirksam wird, wenn die Gläubigerversammlung die Zustimmung erteilt.
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Jaffé a. a. O.
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
4.2
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Überblick über das Insolvenzverfahren
Das Insolvenzverfahren gliedert sich im Wesentlichen in zwei Verfahrensabschnitte. Man unterscheidet zwischen dem so genannten Antragsverfahren, dies ist das Stadium, in dem ein Gläubiger oder der Schuldner selbst einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen gestellt hat und das Insolvenzgericht aufklären muss, ob die Insolvenzgründe gem. §§ 17, 18 und 19 InsO vorliegen. Hierzu bedient sich das Gericht eines Sachverständigen (= Gutachter), der mit der Erstellung eines Gutachtens darüber beauftragt wird, ob die Insolvenzgründe vorliegen und die vorgefundene Insolvenzmasse ausreicht, die Verfahrenskosten zu decken. Bei den Verfahrenskosten gem. § 54 InsO handelt es sich um die: Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren die Vergütung und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses Als Insolvenzeröffnungsgründe kommen gem. § 17 InsO die Zahlungsunfähigkeit, gem. § 18 InsO die drohende Zahlungsunfähigkeit und gem. § 19 InsO die Überschuldung in Betracht. Die Überschuldung ist insbesondere bei juristischen Personen weiterer Insolvenzeröffnungsgrund. Des Weiteren ist gem. § 19 Abs. 3 die Überschuldung Insolvenzeröffnungsgrund bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (z. B. GmbH & Co. KG). Gem. § 21 InsO hat das Insolvenzgericht in diesem Stadium alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen: um, bis zur Entscheidung über den Antrag, eine für den Gläubiger nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder anzuordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu untersagen oder einstweilen einzustellen, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind eine vorläufige Postsperre anzuordnen, für die die §§ 99, 101 Abs. 1 Satz 1 InsO entsprechend gelten Die möglichen Sicherungsmaßnahmen gehen so weit, dass das Gericht berechtigt ist, soweit andere Maßnahmen nicht ausreichen, den Schuldner zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen zu lassen (§ 21 Abs. 3 InsO). In der Praxis wichtig ist, dass gem. § 21 Abs. 3 Satz 2 InsO Entsprechendes für die organschaftlichen Vertreter (Geschäftsführer, Vorstände) einer Gesellschaft gilt.
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In der Praxis problematisch hat sich die Rechtsfigur des „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters erwiesen, weil mit Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbotes die Begründung etwaiger Verpflichtungen durch den so genannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter zu einer unmittelbaren Belastung der späteren Insolvenzmasse führt. Nimmt beispielsweise der starke vorläufige Insolvenzverwalter die spätere Insolvenzmasse jedoch nicht aus, um die begründeten Verbindlichkeiten zu begleichen, so steht dem späteren Insolvenzverwalter zwar das Recht zu, die Masseunzulänglichkeit gem. § 208 InsO zu erklären, jedoch besteht die Gefahr für den vormaligen starken vorläufigen Insolvenzverwalter einer Haftung gem. § 61 InsO. Eine Haftung besteht dann jedoch nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Die Praxis hat sich damit beholfen, dass bei der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung nahezu ausschließlich „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter bestellt werden, d. h., die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wird nicht übertragen, so dass keine Masseverbindlichkeiten begründet werden. Danach bestellen die Gerichte überwiegend einen vorläufigen Insolvenzverwalter, ohne dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, und ordnen an, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Dies bedeutet, dass die Geschäftsleitung vollumfänglich im Amt bleibt, der vorläufige Insolvenzverwalter lediglich Vermögensverfügungen zuzustimmen hat bzw. seine Zustimmung zu verweigern hat, ohne dass hierdurch später Masseverbindlichkeiten begründet werden. Der Konflikt zwischen dem Ziel der Vermeidung von Masseverbindlichkeiten und der Vermeidung eigener persönlicher Haftung einerseits und dem Erhalt größtmöglicher Kompetenzen hat die Praxis dadurch zu lösen versucht, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (so genannter schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter) generalklauselartig die Ermächtigung erteilt wurde, mit Wirkung für und gegen die Schuldnerin handeln zu dürfen, wenn dies notwendig und der Förderung des Insolvenzverfahrens dienlich ist. Dem ist der BGH entgegengetreten10. Danach ist es nur noch möglich, dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt im Rahmen von Einzelermächtigungen Genehmigungen, z. B. für die Aufnahme von so genannten Massekrediten zu erteilen.
4.3
Insolvenzgeldvorfinanzierung
Gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 hat der vorläufige Insolvenzverwalter ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden; insbesondere bei produzierenden Unternehmen 10
BGHZ 151, S. 353, ZInsO 2002, S. 819.
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
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sind die Kassen häufig leer, die Konten gesperrt und weitere liquide Mittel können nicht zur Verfügung gestellt werden. Oft haben die Mitarbeiter über Wochen schon kein Gehalt mehr erhalten. Nicht selten sind die Fälle, wo bereits mindestens zwei Monatslöhne offen sind und bei den Mitarbeitern verständlicherweise bereits eine erhebliche Verunsicherung und Unzufriedenheit eingetreten ist. Der vorläufige Insolvenzverwalter und auch die Geschäftsleitung des jeweiligen Unternehmens sehen sich mit dem Problem konfrontiert, dass nur die sofortige Sicherung der Lohnzahlungen die nicht selten verärgerten Mitarbeiter motivieren kann, die Arbeit fortzusetzen und nicht von ihrem dinglichen Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleitung Gebrauch zu machen. Zwar haben die Mitarbeiter eines insolventen Unternehmens für längstens den Zeitraum bis zu drei Monaten vor Eintritt des Insolvenzereignisses beim Arbeitgeber (das ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Abweisung des Antrags mangels Masse) Anspruch auf Insolvenzgeld gem. § 183 SGB III. Problematisch ist jedoch, dass der Anspruch auf Auszahlung des Insolvenzgeldes erst mit Eintritt des so genannten Insolvenzereignisses, d. h. Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels Masse, entsteht. Die Mitarbeiter haben nach dem Insolvenzereignis Anträge bei der zuständigen Agentur für Arbeit auf Bewilligung von Insolvenzgeld zu stellen. Daraufhin sind im Falle des eröffneten Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter so genannte Insolvenzgeldbescheinigungen auszustellen, auf deren Grundlage das Insolvenzgeld an die jeweiligen Mitarbeiter ausgezahlt wird. In der Praxis bedeutet dies, dass die Mitarbeiter im schlechtesten Fall erst bis zu vier Monate nach Insolvenzantragsstellung die erste Zahlung erhalten. Dies ist nahezu keinem Mitarbeiter zuzumuten. Ein weiteres Problem der Praxis ist darin zu sehen, dass der Anspruch auf Insolvenzgeld nicht abtretbar ist ohne Zustimmung der Agentur für Arbeit. Dies bedeutet, ein Mitarbeiter kann den Anspruch auf Insolvenzgeld nicht an seine Hausbank zur Sicherung abtreten, damit diese einen längeren Zeitraum in die (häufig weitere) Überziehung des, ohnehin schon in Anspruch genommenen, Kontokorrentkredits einwilligt. Unberücksichtigt bleibt zudem das Problem, dass die dadurch entstehenden Überziehungszinsen den jeweiligen Mitarbeiter ohnehin schädigen und häufig nur als einfache Insolvenzforderung in einem anschließenden Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Bei in Deutschland durchschnittlichen Quotenzahlungen an Insolvenzgläubiger in Höhe von zwei Prozent der festgestellten Forderung trifft den Arbeitnehmer die Belastung mit Kontokorrentzinsen daher nahezu in voller Höhe. Die Weiterbeschäftigung und die weitere Tätigkeit der Mitarbeiter sind jedoch zwingende Voraussetzung für den Erhalt des Unternehmens als unternehmerische Einheit, sei es durch eine spätere übertragende Sanierung oder aber auch durch ein erfolgreiches Planverfahren. Legen die Arbeitnehmer aufgrund offener Lohnzahlungen ihre Arbeit nieder und stellen ihre Tätigkeiten ein, so erübrigen sich sämtliche weiteren Sanierungsbemühungen des vorläufigen Insolvenzverwalters, gemeinsam mit etwaigen Kreditgebern und der Geschäftsleitung. Es gilt daher, dieses Liquiditäts- und Finanzierungsproblem zeitnah zu lösen. Das Problem ist von eminenter Wichtigkeit, weil die Mieten und sonstigen Verpflichtungen den Mitarbeiter belasten und die persönlichen Sorgen derart groß werden, dass die Konzentration auf die
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Tätigkeit im schuldnerischen Betrieb naturgemäß nachlässt. Die Praxis behilft sich deshalb in nahezu sämtlichen Antragsverfahren mit dem Mittel der Insolvenzgeldvorfinanzierung über ein finanzierendes Drittkreditinstitut. Dadurch werden nicht nur zeitnah die Löhne gezahlt, sondern mittelbar auch dem insolventen Unternehmen Liquidität zur Verfügung gestellt, da die Arbeitsleistung der Mitarbeiter über das Insolvenzgeld finanziert wird und das Betriebsergebnis gleichwohl dem insolventen Unternehmen zufließt. Verkürzt dargestellt verhält es sich mit der Insolvenzgeldvorfinanzierung so, dass nach Stellung des Insolvenzverfahrensantrages ein finanzierungsbereites Kreditinstitut den Arbeitnehmern des insolventen Unternehmens Zahlungen in Höhe der rückständigen und fälligen Nettolöhne auszahlt und im Gegenzug von den Arbeitnehmern deren Lohn- und Gehaltsansprüche gegen den insolventen Arbeitgeber erhält. Wesentliche Voraussetzung ist, dass die Agentur für Arbeit zeitnah in den Prozess eingebunden wird, weil die Agentur für Arbeit ihrerseits, zur Vermeidung von Rechtsmissbräuchen, die Zustimmung zur Insolvenzgeldvorfinanzierung erteilen muss. Zu beachten ist weiterhin, dass die Zustimmung des Arbeitsamtes nicht in dessen freiem Ermessen steht. Die Agentur für Arbeit darf der Übertragung oder Verpfändung der Arbeitsentgelte nur dann zustimmen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsplätze ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt.11 Von Bedeutung ist zudem, dass die Agentur für Arbeit nunmehr ihre Zustimmung nicht mit der Begründung verweigern kann, das drittfinanzierende Kreditinstitut sei selbst Gläubiger in dem Insolvenzverfahren. Genau diese Möglichkeit wollte der Gesetzgeber schaffen.12 Es stellt sich dann noch die Frage, welche Anforderungen von der Agentur für Arbeit an die Prognoseentscheidung der Geschäftsleitung, es bleiben überwiegend Arbeitsplätze erhalten, zu stellen sind. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass der Antrag auf Zustimmung zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes häufig zu einem Zeitpunkt gestellt werden muss, wo weder für den vorläufigen Insolvenzverwalter, noch die Geschäftsleitung oder die Agentur für Arbeit verlässlich absehbar ist, dass die Arbeitsplätze überwiegend erhalten bleiben. Die Frage war in der Vergangenheit umstritten, soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden. Unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO, der gerade darauf hinweist, dass das Insolvenzantragsverfahren u. a. auch dazu dient, dass der vorläufige Verwalter feststellen kann, welche Aussichten für eine (langfristige) Unternehmensfortführung und damit für einen Erhalt der Arbeitsplätze bestehen, wird man die Verpflichtung der Agentur für Arbeit zur Erteilung der Zustimmung bereits dann annehmen müssen, wenn die Chance auf eine Sanierung des insolventen Unternehmens und den weitgehenden Erhalt von Arbeitsplätzen nicht von vornherein mit völliger Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist bzw. wenn aufgrund von tatsächlichen Anhaltspunkten eine grundsätzliche Aussicht auf eine Sanierung besteht.13
11
§ 188 Abs. 4 Satz 2 SGB III. Begründung zum Regierungsentwurf des AFRG vom 16.8.1996, BR-Drucks. 550/96, S. 188. 13 Schmidt/Uhlenbruck: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl., 2003, Rz. 1108. 12
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Es ist festzustellen, dass die Möglichkeit der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes ein wesentlicher Baustein für die Einleitung einer Stabilisierung des Betriebes im Rahmen des Insolvenzantragsverfahrens zur Vorbereitung einer übertragenden Sanierung bzw. auch der Vorbereitung eines Insolvenzplanes ist. Das insolvente Unternehmen kann ohne Belastung mit Arbeitslöhnen produzieren, was grundsätzlich zur Generierung von Gewinnen bzw. Insolvenzmasse geeignet sein müsste, um in dieser Zeit den Verpflichtungen gegenüber Lieferanten und sonstigen Dritten wieder nachkommen zu können. Es ist insbesondere im Verhältnis zu Lieferanten von entscheidender Bedeutung, dass sie zeitnah Zahlungen auf Lieferungen von Neuwaren erhalten, da somit Vertrauen wieder hergestellt werden kann.
4.4
Weitere begleitende Maßnahmen
4.4.1
Letter of Intent/Due-Diligence-Prüfungen
Neben der zuvor skizzierten Insolvenzgeldvorfinanzierung wird der vorläufige – aber auch der spätere – Insolvenzverwalter begleitende Maßnahmen im Rahmen von Verkaufs(vor)verhandlungen vornehmen müssen. Hierzu gehört insbesondere die Unterzeichnung von Vertraulichkeitsvereinbarungen, die Unterzeichnung eines so genannten Letter of Intent (LOI), denn vorher ist die Herausgabe von vertraulichen sowie geheimen und betrieblichen Informationen nicht gesichert. Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass eine Herausgabe durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht übertragen worden ist, ohnehin nicht möglich ist. Hier hat die Herausgabe der betreffenden Betriebsunterlagen durch die Geschäftsleitung zu erfolgen. Gleichwohl hat der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt sich mit der Geschäftsleitung ins Benehmen zu setzen, um einen etwaigen Verkaufsprozess zu beginnen. Potenzielle Investoren müssen selbstverständlich in die Lage versetzt werden, im Rahmen eigener Due-Diligence-Prüfungen sich ein Bild über die rechtliche und wirtschaftliche Situation des schuldnerischen Betriebes verschaffen zu können. Dies ist im Falle eines Verkaufs aus der Situation der eröffneten Insolvenz von besonderer Bedeutung, weil in der Regel Erwerber nicht darauf hoffen können, dass der Insolvenzverwalter als Verkäufer des Unternehmens im eröffneten Insolvenzverfahren Garantien oder sonstige Zusagen abgeben wird. Die eingehende Due-Diligence-Prüfung durch den Erwerber ist daher dringend geboten. Auf der anderen Seite bestehen jedoch auch erhebliche Erleichterungen gegenüber einem Unternehmenskauf außerhalb der Insolvenz, nämlich der Erwerber weiß ganz genau, was er erwirbt: den vertraglich vereinbarten oder gesamten Aktivbestand des schuldnerischen Unternehmens. Der Kauf aus Sicht des Investors ist jedoch auch aus der Insolvenz mit großen Erleichterungen verbunden, da eine Haftung gem. §§ 75 AO sowie 25, 28 HGB ausgeschlossen ist, da diese Normen bei einem Unternehmensverkauf im eröffneten Insolvenzverfahren keine Anwendung finden.14 14
Decker in Hamburger-Kommentar, § 157 Rz. 9.
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Des Weiteren ist die Vorschrift der §§ 419 BGB (alte Fassung) mit Einführung der Insolvenzordnung abgeschafft worden, so dass ein potenzieller Erwerber auch keine Sorgen wegen einer Haftung aus Vermögensübernahme haben muss. Für den potenziellen Käufer sind vor allem Informationen über die bestehenden rechtlichen Verhältnisse von Bedeutung, wie z. B.: Arbeitsverträge Lieferverträge Miet-/Pacht-/Leasingverträge Kreditverträge Kostenstruktur betriebswirtschaftliche Erfolgsrechnungen Gewinn- und Verlustrechnungen Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen Marktumfeldrecherche Nach Auswertung dieser Unterlage ist es einem potenziellen Erwerber möglich, einen entsprechenden Letter of Intent zu geben.
4.4.2
Verschwiegenheitsverpflichtungen
Gerade die Zurverfügungstellung vertraulicher Unternehmensdaten sollte bereits im Antragsverfahren geschehen, durch die Geschäftsleitung unterstützt und durch den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt eingeleitet werden, weil der schuldnerische Betrieb in der Praxis häufig auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung übertragen werden soll. Dies hat seine Ursache darin, dass nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens insbesondere die Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen und Mietverhältnissen die Insolvenzmasse unmittelbar treffen. Im Rahmen des Antragsverfahrens erzielte betriebswirtschaftliche Ergebnisse verstehen sich ohne Zahlung von Arbeitslöhnen und häufig auch Mieten15, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem. § 80 InsO mit Verfahrenseröffnung auf den Insolvenzverwalter vollumfänglich übergeht. Zwar kann der Insolvenzverwalter gem. § 113 InsO auf Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen anderen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung kündigen, jedoch beträgt gem. § 113 Satz 2 InsO die Kündigungsfrist drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. 15
§ 112 InsO ordnet eine so genannte Kündigungssperre an; danach kann ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, von dem anderen Teil (Vermieter/Verpächter) nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gekündigt werden; erstens wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, zweitens wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners.
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
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Problematisch ist für diese Fälle, dass gem. § 159 InsO die Verwertung der Insolvenzmasse erst nach dem Gerichtstermin (gleich Termin zur ersten Gläubigerversammlung) erfolgen soll. Bei einer übertragenden Sanierung des schuldnerischen Geschäftsbetriebes handelt es sich um eine solche Verwertungsmaßnahme, da das Aktivvermögen des insolventen Unternehmens an einen neuen Erwerber (auch Rechtsträger) verkauft und auf diesen übertragen wird. Des Weiteren ist zu bedenken, dass es sich bei der Übertragung des Unternehmens um eine besonders bedeutsame Rechtshandlung im Sinne des § 160 Abs. 1, 2 InsO handelt. Zudem die Gläubigerversammlung die Zustimmung erteilen muss, sollte kein Gläubigerausschuss im Vorfeld bestellt worden sein. Dieser Konflikt zwischen Einhaltung der insolvenzrechtlichen Verfahrensvorschriften und betriebswirtschaftlich notwendiger Übertragung des Unternehmens wird in der Praxis häufig dadurch gelöst, dass der veräußernde Insolvenzverwalter in den Unternehmenskaufvertrag eine Bedingung aufnimmt, wonach die Veräußerung des Unternehmens im Rahmen eines Asset Deals unter der aufschiebenden Bedingung der Zustimmung der Gläubigerversammlung steht. Teilweise wird die Aufnahme eines Rücktrittsrechts favorisiert. Danach kann der Insolvenzverwalter vom Vertrag zurücktreten, wenn die Gläubigerversammlung ihre Zustimmung nicht erteilt. Diese Regelung ist von Vorteil, wenn – wie es in der Praxis nicht selten vorkommt – ein unzufriedener Mitinteressent kurzfristig ein höheres Angebot unterbreitet. Dann besteht für den Insolvenzverwalter die Möglichkeit, nach Prüfung des Angebots und dessen Finanzierung vom Vertrag zurückzutreten und gegebenenfalls anderweitig zu veräußern. Meistens stellen sich derartige Angebote für die Gläubiger jedoch nicht als vorteilhafter heraus. Ist es nach Abschluss der Prüfungshandlungen durch potenzielle Investoren mit einem der Kandidaten zu einem Letter of Intent gekommen, hat sich in der Praxis als sinnvoll und verfahrensfördernd erwiesen, eine Exklusivitätsklausel mit dem Interessenten zu vereinbaren. Das bedeutet eine Verpflichtung der Parteien, während der Vertragsverhandlung nicht mit weiteren Interessenten zu verhandeln. Dies stellt für den Erwerber eine Sicherheit und vertrauensbildende Maßnahme dar, da er häufig nicht unerhebliche Investitionen bezüglich der Prüfungshandlungen vornehmen muss. So entstehen Rechtsberatungskosten und Kosten für Wirtschaftprüfer, die in aller Regel die Prüfungshandlungen vornehmen, wenn der Erwerber nicht über eigene Manpower in diesem Bereich verfügt, was eher selten der Fall ist. Im Übrigen empfiehlt es sich für den Erwerber, externe Prüfer einzuschalten, da diese hinsichtlich der Prüfungsergebnisse haftpflichtversichert sind, sollten Fehler auftreten, die zu Schäden führen. Des Weiteren ist es für die Vertragsparteien sinnvoll, ein Abkommen zu schließen über den Ausschluss vorvertraglicher oder vertraglicher Haftungsansprüche für den Fall des Scheiterns der Vertragsverhandlungen. Insbesondere sollte von vorneherein geregelt werden, in welcher Höhe gegebenenfalls Kostenerstattungsansprüche für von der jeweilig betroffenen Verhandlungspartei erbrachte Leistungen bestehen sollen oder nicht. Auch hier empfiehlt sich eine klare Vereinbarung. Sie liegt im Interesse beider Vertragsparteien.
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Stephan Michels
Aus Sicht des insolventen Unternehmens bzw. des späteren Insolvenzverwalters kann der Abschluss von Optionsverträgen sinnvoll sein. Dies etwa dann, wenn der Insolvenzverwalter – wie in der Praxis üblich – das Unternehmen zeitnah veräußern möchte, weil er es unter Vollkosten nicht gewinnbringend fortführen kann, oder aber weil strukturelle Maßnahmen, wie z. B. Streichung von Arbeitsplätzen oder die Entwicklung gestörter Lieferbeziehungen, zeitnah nicht erreicht werden können. Der Abschluss eines Optionsvertrages mit einem Investor bietet für den Verwalter einerseits die Sicherheit, bis zu einem vertraglich vereinbarten Zeitpunkt einen Erwerber für das schuldnerische Unternehmen bereits vorweisen zu können, und bietet auf der anderen Seite – je nachdem, wie lange die Frist zu einer Ausübung der Option vereinbart ist – die Möglichkeit der Suche weiterer Interessenten, die gegebenenfalls bereit sind, höhere Angebote abzugeben. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Optionsausübung beim Verwalter liegen sollte und nicht beim Erwerber, da anderenfalls die vorstehenden Ziele durch den Insolvenzverwalter nicht erreicht werden können. Die Geschäftsleitung unter Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters und nach Verfahrenseröffnung der Insolvenzverwalter sowie der Erwerber haben ein erhebliches Interesse daran, verlässlich zu wissen, ob und inwieweit im Vorfeld, während der Vertragsverhandlungen bereits (vor-)vertragliche Verpflichtungen, die bindend sind und eventuell zu Schadensersatzansprüchen bzw. vertraglichen Ansprüchen führen können, begründet werden können. Die Problematik soll hier nicht abschließend und erschöpfend besprochen werden, man kann jedoch festhalten, dass die Vertragsparteien in diesem Stadium darauf achten sollen, dass ein etwaig unterzeichneter Letter of Intent detailliert diesbezüglich Stellung nimmt. In der Praxis hängt es von der Ausgestaltung des LOI oder einer sonstigen vertraglichen Vereinbarung im Vorfeld eines Unternehmenskaufvertrages ab, welche vertraglichen und vorvertraglichen Verpflichtungen die jeweilige Vertragspartei treffen. Insbesondere sollte im Sinne der Vertragsklarheit und Rechtsklarheit darauf geachtet werden, nicht durch schlüssiges Verhalten Vertragsabschlüsse herbeizuführen. Es ist strikt zu beachten, dass der Eintritt in die Vertragsverhandlungen ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis begründet, welches nach den Vorschriften der so genannten Culpa in Contrahendo (= Verhandlung bei Vertragsschluss) behandelt wird, das nunmehr in den §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB geregelt ist. Problematisch für die Verhandlungspartner ist jedoch die Unkenntnis darüber, welche Rechte und Pflichten im Zeitraum der Vertragsverhandlungen exakt bestehen. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich – wie bereits ausgeführt – möglichst konkrete Regelungen, jedenfalls für die Fälle zu treffen, die für beide Parteien bei Eintritt in die Gespräche absehbar sind. Gerade im Insolvenzverfahren sind die Fälle häufig, in denen aufgrund des hohen Zeitdrucks eine Vielzahl der zu treffenden Regelungen noch nicht abschließend diskutiert werden können, weil z. B. die Prüfungshandlungen potenzieller Erwerber noch nicht abgeschlossen worden sind und noch weiterer Informationsbedarf besteht. Man muss bedenken, dass der vorläufige Insolvenzverwalter aufgrund des Auslaufens der Insolvenzgeldfristen in der Regel nicht mehr als vier bis sechs Wochen zur Verfügung hat, um das Unternehmen zu analysieren und die
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wesentlichen Informationen zu beschaffen. Dies fällt dann umso schwerer, wenn entscheidende Mitarbeiter in der Buchhaltung sowie in der Geschäftsleitung nicht mehr bereit sind, für das Unternehmen tätig zu werden. In diesen Fällen kann ein endgültiger Kaufvertrag im Rahmen des Asset Deals häufig noch nicht geschlossen werden. Die Parteien haben gleichwohl ein erhebliches Interesse daran, sich bereits zu binden. Dies kann auch durch rechtlich bindende Vorverträge oder durch einen bereits angesprochenen Optionsvertrag geschehen. Der Unterschied liegt darin, dass ein Vorvertrag lediglich ein Recht zum Abschluss des Hauptvertrages begründet. Der Optionsvertrag ermöglicht durch die Abgabe einer Gestaltungserklärung das Wirksamwerden des bestehenden Vertrages. In der Praxis hat sich der Abschluss von Vorverträgen als zu gefährlich erwiesen, da sich häufig im Vorfeld nicht sämtliche vertragliche Bestimmungen des Hauptvertrages bestimmen lassen. Dies würde gegebenenfalls zur Unwirksamkeit eines solchen Vorvertrages führen. Zudem besteht aktuell zunehmend die Neigung der Gerichte, ungeklärte vertragliche Regelungen im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung selbst zu ergänzen. Dieses Risiko sollte von den Parteien keinesfalls eingegangen werden, da nicht mehr gesichert ist, ob der Vertrag entsprechend dem jeweiligen Parteiwillen geschlossen werden kann. Verstößt eine Vertragspartei gegen die ihr obliegende Vertraulichkeitsverpflichtung, können hierdurch Schadensersatzansprüche zugunsten der jeweils anderen Vertragspartei ausgelöst werden. Die abstrakte Möglichkeit des Schadensersatzes hilft der geschädigten Partei in der Praxis jedoch häufig nicht weiter, da die Berechnung der Schäden mit erheblichen Problemen verbunden ist. Aus diesem Grunde behilft sich die Praxis mit so genannten Vertragsstrafenregelungen. Die Vertragspartner verpflichten sich für den Fall des Verstoßes gegen die ihnen obliegenden Vertragspflichten, einen bereits bestimmten Betrag zu zahlen. Auch in diesem Bereich sind die Gestaltungsmöglichkeiten sehr viel differenzierter. Neben der Vertragsstrafe kann auch die Möglichkeit einer Vereinbarung eines pauschalierten Schadensersatzes in Betracht gezogen werden. Dies soll hier nicht weiter vertieft werden. Es ist nur auf die rechtlichen Möglichkeiten hinzuweisen. Von entscheidender Bedeutung im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen ist, dass die Parteien sich frühzeitig darüber einigen, über welchen Zeitraum die Regelungen der jeweils getroffenen Vereinbarungen gelten sollen. Insbesondere ist die Frage zu erörtern, wie lange die Regelungen Bestand haben sollen für den Fall der Einstellung der Vertragsverhandlungen. Auch hier kann es von entscheidender Bedeutung sein, Regelungen darüber zu treffen, weil insbesondere der Veräußerer ein großes Interesse daran hat, dass die durch z. B. so genannte Due-Dilligence-Prüfungen erworbenen Kenntnisse nicht im Nachhinein gegen das insolvente Unternehmen verwandt werden bzw. Informationen zum Nachteil gegen das insolvente Unternehmen am Markt verwandt werden.
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Einzelne Aspekte eines Asset Deals im eröffneten Insolvenzverfahren
Der Verkauf eines insolventen Unternehmens im Rahmen eines Asset Deals aus der eröffneten Insolvenz heraus unterscheidet sich zunächst nicht maßgeblich von einem normalen Unternehmenskaufvertrag. Es gibt jedoch einige Besonderheiten, die insbesondere auch für den Erwerber erhebliche Vorteile bieten. Zu denken ist insbesondere daran, dass der Erwerber keine Verbindlichkeiten – jedenfalls soweit nicht das Gesetz anderes anordnet – gem. den Vorschriften der Firmenübernahme (§§ 25 und 28 HGB) übernimmt. Die Verbindlichkeiten bleiben beim insolventen Rechtsträger. Dieser erhält als Gegenleistung für die Weggabe des Aktivvermögens den Kaufpreis als Gegenleistung. Des Weiteren ist von Vorteil, dass Arbeitnehmeransprüche, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzforderungen darstellen, nicht auf die Erwerbergesellschaft übergehen. Freilich gilt der nach wie vor als sehr „sanierungsfeindlich“ angesehene § 613 a BGB („Betriebsübergang“) auch in der Insolvenz mit der Folge, dass für den Fall der Übertragung eines Geschäftsbetriebs auf einen neuen Rechtsträger oder auch nur Betriebsteile die Arbeitsplätze kraft Gesetzes auf den neuen Rechtsträger übergehen. Noch heute scheitern eine Vielzahl möglicher übertragender Sanierungen daran, dass die Sorge vor den Konsequenzen des § 613a BGB auf Erwerberseite derart groß ist, dass nach anderen Lösungen gesucht wird oder auf einen Erwerb des schuldnerischen Unternehmens gänzlich verzichtet wird. Zuzugeben ist, dass das Schreckgespenst des § 613a BGB durchaus beherrschbar ist, wenn der Verkaufsprozess von erfahrenen Sanierungsexperten begleitet wird. Durch gute Beratung können zwar nicht sämtliche Gefahren eines Betriebsübergangs beseitigt werden, jedoch können die Konsequenzen des § 613a BGB durch geeignete arbeitsrechtliche Umstrukturierungsmaßnahmen wie z. B. die Vereinbarung von vernünftigen und vor allem auch bezahlbaren Interessenausgleichsverfahren nebst Sozialplänen oder so genannte Erwerberkonzepte gemildert werden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass § 613a BGB beim Vorliegen eines Betriebs- oder Teilbetriebsübergangs zwar den Übergang der Arbeitsplätze auf den neuen Betrieb vorsieht, jedoch gehen Ansprüche der Arbeitnehmer, die vor Verfahrenseröffnung erworben worden sind, grundsätzlich nicht mit über, sondern verbleiben bei dem insolventen Rechtsträger. Dieser Umsatz stellt bereits einen nicht zu unterschätzenden Sanierungsvorteil dar. Daneben besteht für den Insolvenzverwalter die Möglichkeit, gem. § 103 InsO hinsichtlich bestehender gegenseitiger Verträge, die noch nicht oder nicht vollständig erfüllt worden sind, die Wahl der Nichterfüllung zu erklären, ohne dass die Kündigung der Vertragsbeziehungen Folgen für den Erwerber hätte. Selbstverständlich ist die Ausübung des Wahlrechts sinnvoll und gegebenenfalls gemeinschaftlich mit einer Erwerbergesellschaft zu klären, wenn es sich bei dem Vertragspartner um einen auch in der Zukunft für die Erwerbergesellschaft wichtigen Vertragspartner handeln sollte.
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
4.5.1
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Übertragung der Vermögensgegenstände
Dem Verkäufer, sprich dem Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren, obliegt die Übertragung des Unternehmens auf den Käufer. Zu berücksichtigen ist, dass eine Übertragung des Unternehmens im Ganzen, d. h. als Unternehmenseinheit, nicht möglich ist. Die Übertragung erfolgt im Rahmen der Singularsukzession, d. h., der Verkäufer überträgt jeden einzelnen Vermögensbestandteil, der Gegenstand des Unternehmenskaufvertrags ist, auf den Käufer. Mit Blick auf die rechtlich geforderte Bestimmbarkeit der Leistungspflicht ist strengstens darauf zu achten, dass sämtliche zu übertragenden Vermögensgegenstände im Unternehmenskaufvertrag konkretisiert und erfasst sind. Dies gilt sowohl für Rechte als auch Verbindlichkeiten (die im eröffneten Insolvenzverfahren üblicherweise nicht übertragen werden). Der Insolvenzverwalter hat in der Praxis darauf zu achten, dass nur Gegenstände veräußert und übertragen werden, die zum Vermögen des Schuldners gehören. Deswegen ist es ratsam, dass eine Klausel in den Vertrag aufgenommen wird, wonach nur Vermögensgegenstände veräußert werden, die zum Vermögen der Schuldnerin gehören und nicht mit Aus- oder Absonderungsrechten belastet sind. Die für den Erwerber hiermit verbundenen rechtlichen Unsicherheiten können wirtschaftlich beispielsweise über den Kaufpreis abgemildert werden. Will der Insolvenzverwalter mit Absonderungsrechten (z. B. (Raum-)Sicherungsübereignung, Vermieterpfandrecht) veräußern, hat er gem. § 168 InsO den Sicherungsgläubiger hierüber zu informieren und ihm Gelegenheit zu geben, binnen einer Woche auf eine andere, für den Gläubiger günstigere Möglichkeit der Verwertung des Gegenstands hinzuweisen.
4.5.2
Kaufpreisermittlung und -sicherung
Der Kaufpreisermittlung kommt naturgemäß zentrale Bedeutung im Unternehmenskaufvertrag zu. Der Kaufvertrag besteht aus einer Vielzahl von zu veräußernden Gegenständen. Der Käufer will regelmäßig ein lebendes Unternehmen erwerben, dessen zukünftige Ertragskraft für ihn von großer Bedeutung ist. Deshalb spielt bei der Ermittlung des Kaufpreises der Ertragswert des Unternehmens eine wesentliche Rolle. Jedoch kommt gerade in der Insolvenz produzierender Unternehmen auch dem Substanzwert des schuldnerischen Unternehmens eine wichtige Rolle zu. Hinzu kommt, dass der Insolvenzverwalter aufgrund seines Wahlrechts gem. § 103 InsO die Möglichkeit hat, dem Käufer das Unternehmen bzw. Vermögensgegenstände so zu übertragen, dass er seinerseits das Unternehmen umstrukturieren kann. Die unterschiedlichen Methoden zur Unternehmensbewertung können hier nicht näher dargestellt werden. Letztlich ist die Ermittlung des Kaufpreises das Ergebnis der unternehmerischen Entscheidung. Die Kaufpreissicherung erfolgt in der Regel so, dass sich der Verkäufer das Eigentum an den veräußerten Vermögensgegenständen des Anlagevermögens bis zur vollständigen Entrichtung des Kaufpreis vorbehält. Hinsichtlich des Umlaufvermögens ist die Vereinbarung eines ver-
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längerten Eigentumsvorbehalts sinnvoll, damit der Käufer die Vorräte und halbfertigen Leistungen in den Produktionsprozess einbringen kann. Der Kaufpreis selbst ist durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft auf erstes Anfordern einer Bank oder Sparkasse abzusichern. So kann der Verkäufer sicherstellen, dass der Bürge den Kaufpreis unabhängig vom Bestehen etwaiger Gegenrechte zahlen muss.
4.5.3
Gewährleistung
Es versteht sich schon fast von selbst, dass der Verkäufer (Insolvenzverwalter) eines insolventen Unternehmens keine Gewährleistungsverpflichtungen übernehmen kann und will. Die Rückabwicklung eines Asset Deals in der Insolvenz ist mit derart großen Schwierigkeiten verbunden, dass dies zwangsläufig zur Masseunzulänglichkeit führt und deshalb nahezu ausgeschlossen ist. Mit Verfahrenseröffnung werden bereits gegenüber dem schuldnerischen Unternehmen bestehende Gewährungsleistungsansprüche zu Insolvenzforderungen. Dies ist für den Insolvenzverwalter von großem Vorteil, da er in der Kürze der Zeit häufig keine umfassende Kenntnis über bestehende Gewährleistungsansprüche erhalten kann. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens will der Verwalter keine neuen Gewährleistungsansprüche begründen, weil dies für ihn mit nicht unerheblichen Haftungsgefahren verbunden sein kann. Auf Seiten des Käufers bedeutet diese – aus Sicht des Insolvenzverwalters nicht verhandelbare – Position, sich ein ganz genaues Bild über die rechtliche und wirtschaftliche Situation der Schuldnerin zu verschaffen, um unliebsame Belastungen zu vermeiden. Neben den vorstehenden Gründen und den bestehenden Haftungsrisiken für den Insolvenzverwalter gibt es in der Praxis auch abwicklungstechnische Gründe dafür, warum der Verwalter keine Gewährleistung übernehmen will: Der Insolvenzverwalter hat nicht nur ein erhebliches (Eigen-)Interesse daran, das Insolvenzverfahren möglichst zeitnah abzuschließen, sondern dies liegt insbesondere auch im Interesse der Gläubiger. Schon aus diesem zeitlichen Grund wird er keine Gewährleistungsverpflichtungen erfüllen wollen, da dies – abhängig von der vereinbarten Gewährleistungsfrist – mit einer erheblichen Verfahrensverzögerung einhergehen kann. Der Insolvenzverwalter wird deshalb regelmäßig unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung verkaufen. Insbesondere wird er keinerlei Garantien übernehmen. Diesem vollständigen Gewährleistungsausschluss kann in der Kaufpreisermittlung angemessen Rechnung getragen werden.
4.5.4
Unternehmensgoodwill
Auch der Unternehmensgoodwill stellt in der Insolvenz des schuldnerischen Unternehmens einen vom Insolvenzverwalter zu verwertenden Vermögensbestandteil dar. Hier kommt es in der Praxis auf die Umstände des Einzelfalls an. Auch nicht bilanzierungsfähige immaterielle
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Wirtschaftsgüter wie Patent-, Marken- und Lizenzrechte können übertragen werden. Hier sollten die Vertragsparteien genauestens darauf achten, dass diese Rechte explizit und umfassend von dem Kaufvertrag erfasst werden. Entsprechendes gilt für Kundenlisten und andere immaterielle Vermögensrechte.
4.5.5
Übernahme bestehender Verträge
Der Erwerb eines Unternehmens aus der eröffneten Insolvenz heraus bietet dem Erwerber insbesondere mit Blick auf bestehende Vertragsverhältnisse die Möglichkeit, sich von bestehenden Verträgen zu lösen, um das Unternehmen insgesamt umstrukturieren zu können und ggf. neue Vertragsbeziehungen zu günstigeren Konditionen und mit anderen Vertragspartnern begründen zu können. Diese Überlegung kann vor allem bei Mietverträgen sinnvoll sein, da der Vermieter eines insolventen Unternehmens ein erhebliches Interesse an der Neuvermietung seiner Immobilie hat und deshalb eher die Bereitschaft besteht, die vertraglichen Konditionen neu zu verhandeln. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass nach der Rechtsprechung des BGH Räumungskosten jedenfalls dann Insolvenzforderungen darstellen, wenn der Insolvenzverwalter die Immobilie nach Eröffnung des Verfahrens nicht mehr im Rahmen der Betriebsfortführung wesentlich genutzt hat. Diese Rechtsprechung kann für die Überlegungen des Vermieters ebenfalls sehr bedeutsam sein, weil die Beräumung insbesondere von alten Produktionsimmobilien mit ganz erheblichen Kosten verbunden sein kann. Etwas anderes gilt jedoch für Arbeitsverträge. Diese gehen bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 613a BGB zwingend – kraft gesetzlicher Anordnung – auf die Erwerbergesellschaft über, sofern die jeweiligen Mitarbeiter nicht von ihrem Widerspruchsrecht gem. § 613 Abs. 6 BGB Gebrauch machen. Die Vertragsparteien können jedoch auch ein erhebliches Interesse daran haben, dass bestehende Vertragsverhältnisse (z. B. Versorgungsverträge, Lieferverträge etc.) auf die Erwerbergesellschaft übernommen werden, wobei darauf hinzuweisen ist, dass es Vertragsverhältnisse gibt, die gem. §§ 115 (Erlöschen von Aufträgen), 116 (Geschäftsbesorgungsverträge) InsO mit Verfahrenseröffnung zwingend erlöschen.
4.5.6
Firma, Umfirmierung
Auch die Firma der insolventen Gesellschaft unterfällt grundsätzlich dem Insolvenzbeschlag. Sie kann einen erheblichen Vermögensbestandteil des zu übertragenden Vermögens darstellen, wenn der Name im Markt etabliert und durch das anhängige Insolvenzverfahren nicht beschädigt worden ist. Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Firma im Rahmen des Asset Deals zu veräußern und zu übertragen. Da der Insolvenzverwalter zur Verwertung der Firma berechtigt ist, muss nach hiesiger Auffassung kein entsprechender Gesellschafterbe-
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Stephan Michels
schluss getroffen werden.16 Der verbleibende insolvente Rechtsträger kann dann beispielsweise in eine X-Abwicklungsgesellschaft mbH umfirmiert werden. Insbesondere der Käufer hat ein massives Interesse daran, dass der Insolvenzverwalter sich vertraglich verpflichtet, eine entsprechende Verpflichtungserklärung zur Umfirmierung im Rahmen des Kaufvertrages abzugeben.
4.5.7
Unterstützungshandlungen
Sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Käufer haben ein Interesse daran, dass sich der jeweils andere Vertragspartner zur Übernahme von Unterstützungshandlungen verpflichtet. Es versteht sich von selbst, dass bei der Übertragung eines zwar insolventen, jedoch lebenden Geschäftsbetriebes gerade in den ersten Wochen nach Übertragung des Unternehmens auf den neuen Rechtsträger im Verhältnis zu den Vertragspartnern wie z. B. Mitarbeitern, Lieferanten, Dienstleistern und auch den Kunden nicht alles reibungslos verläuft. So zahlen beispielsweise die Kunden auf das Konto des neuen Rechtsträgers oder die Lieferanten stellen Rechnungen an den alten Rechtsträger, obwohl der neue Rechtsträger zur Zahlung verpflichtet wäre. Um dieses Probleme zu lösen, sollten die Vertragsparteien sich zur gegenseitigen Unterstützung verpflichten. Auch kann es sinnvoll sein zu vereinbaren, dass die Vertragsparteien sich bei der „Abwehr“ etwaiger Ansprüche gegenüber Dritten, die im Zusammenhang mit der Übernahme des Unternehmen stehen, gegenseitig unterstützen. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kann eine relativ reibungslose Übertragung des Geschäftsbetriebes gewährleistet werden. Zu berücksichtigen ist in der Praxis auch, dass der Insolvenzverwalter nach Übertragung des Unternehmens noch lange mit der Abwicklung des Verfahrens befasst ist und es Sinn macht, dass er weiterhin berechtigt ist, z. B. einen Raum oder mehrere Räume im schuldnerischen Unternehmen zu nutzen, um vor Ort auf Unterlagen und Informationen zugreifen zu können.
4.5.8
Genehmigungen
Um Haftungsgefahren bereits im Vorfeld zu begegnen, wird der Insolvenzverwalter den Verkauf und die Übertragung des Unternehmens unter die aufschiebende Bedingung der Zustimmung der Gläubigerversammlung stellen. Zwar ist die Übertragung des Unternehmens auch ohne die Zustimmung der Gläubigerversammlung im Außenverhältnis wirksam, jedoch handelt es sich bei der Veräußerung des Geschäftsbetriebes regelmäßig um ein zustimmungsbedürftiges Geschäft im Sinne von § 160 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter hat zur Vermeidung eigener Haftungsrisiken ein erhebliches Eigeninteresse daran, dass er das schuldnerische Unternehmen nicht ohne nachträgliche Genehmigung durch die Gläubigerversammlung veräußert und überträgt. In der Praxis stellt es keine Seltenheit dar, dass einzelne 16
BGH, ZIP 93, S. 193, 194. In der Praxis kommt es aber immer wieder vor, dass Registerrichter einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss anfordern.
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Gläubiger dem Verwalter später vorwerfen, das Unternehmen unter Wert „verschleudert“ zu haben und darüber hinaus behaupten, bessere Angebote für das Unternehmen vorliegen zu haben. Für diese Fälle sollte man die Wirksamkeit der Unternehmensveräußerung von der Zustimmung durch die Gläubigerversammlung abhängig machen, um eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters auszuschließen. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, ist ohnehin dessen Zustimmung einzuholen.
5.
Sanierung durch Insolvenzplanverfahren
5.1
Gesetzgeberische Zielsetzung
Auch nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung erfolgt die Sanierung insolventer Unternehmen aufgrund einer übertragenden Sanierung, wobei der Begriff als solcher verwirrend ist, weil der Unternehmensträger eben gerade nicht übertragen und erhalten wird. Die übertragende Sanierung scheitert jedoch als Sanierungsinstrument in den Fällen, in denen ein Mensch die (vorzeitige) Restschuldbefreiung benötigt, keine Erwerbergesellschaft vorhanden ist oder das schuldnerische Unternehmen aufgrund seiner Besonderheiten wie z. B. dem Vorhandensein immaterieller Wirtschaftsgüter oder einer Vielzahl unüberschaubarer Vertragsverhältnisse nicht oder nur außerordentlich schwer übertragbar ist.17 Eine weitere Möglichkeit, durch ein Insolvenzverfahren ein Unternehmen zu sanieren, besteht in der Sanierung über einen so genannten Insolvenzplan. Dieser soll bekanntlich das Herzstück der gar nicht mehr so neuen Insolvenzordnung darstellen. Das Insolvenzplanverfahren lehnt sich an das amerikanische Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 des U.S. Bankruptcy Codes an. Die Vorschriften über den Insolvenzplan sind in den §§ 217 bis 269 der Insolvenzordnung normiert. Der Insolvenzplan orientiert sich vor allem an der Gläubigerautonomie. Die von der Insolvenz ihres Schuldners betroffenen Gläubiger sollen die Möglichkeit erhalten, das schuldnerische Unternehmen möglichst effektiv und orientiert an den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles abzuwickeln. Den Gläubigern soll die Möglichkeit eingeräumt werden, möglichst eigenverantwortlich die Sanierung oder auch Liquidation des Unternehmens durchzuführen. Hierzu geben die Vorschriften über das Insolvenzplanverfahren den rechtlichen Rahmen.
17
Rattunde, ZIP 2003, S. 2105.
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Stephan Michels
Diese gesetzgeberische Intention ist in § 1 der Insolvenzordnung verankert. Danach dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird (§ 1 Satz 1 InsO). Dem so genannten redlichen Schuldner soll Gelegenheit gegeben werden, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien.
5.2
Probleme der Insolvenzplanpraxis
Diese wohlgemeinte und vernünftige gesetzgeberische Intention lässt sich in der Praxis indes nicht so leicht umsetzen und birgt Schwierigkeiten und Gefahren, insbesondere für den vorläufigen und meist personenidentischen endgültigen Insolvenzverwalter.
5.2.1
Sanierungsfähigkeit des Unternehmens
Die Sanierung des schuldnerischen Unternehmens setzt schon begrifflich die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens voraus. Dies stellt sich allerdings in der Praxis als schon deshalb problematisch dar, weil die Insolvenzanträge überwiegend sehr spät gestellt werden und der (vorläufige) Insolvenzverwalter häufig erst zu einem Zeitpunkt bestellt wird, zu dem das Unternehmen über keinerlei Liquidität mehr verfügt und wesentliche Betriebsstrukturen schon zerstört sind. Das Vertrauen zwischen den Organen der Gesellschaft, dem Management und den Gesellschaftern des insolventen Unternehmens ist oftmals nicht mehr vorhanden, so dass für die Fortführung des Unternehmens dringend benötigte Liquidität weder von den Banken, in Form von Massekrediten, noch von den Lieferanten (bzw. der Warenkreditversicherern), über Warenkredite, jedenfalls sehr häufig gesperrt ist. Des Weiteren verlassen mit fortschreitender Zeit wichtige Mitarbeiter der Führungsebene das Unternehmen, da sie nicht gewillt oder auch wirtschaftlich in der Lage sind, für einen insolventen Arbeitgeber weiter tätig zu sein, und Konkurrenzunternehmen direkt oder über so genannte Headhunter Kontakte zu den Mitarbeitern aufbauen. Die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens stellt den (vorläufigen) Insolvenzverwalter vor große Finanzierungsprobleme, da die Finanzierung der Fortführung des Unternehmens bis zur rechtskräftigen Feststellung durch die Gläubigerversammlung gewährleistet werden muss. Gelingt dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter gemeinsam mit der Geschäftsleitung die Finanzierung des Unternehmens, trifft ihn jedoch das Haftungsrisiko dafür, dass die während der Fortführung des Unternehmens neu begründeten Masseverbindlichkeiten auch erfüllt werden. Gleichermaßen haftet er den kreditgebenden Banken gem. den §§ 60, 61 InsO für die Rückführung etwaig ausgereichter Massedarlehen.
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
37
Es ist deshalb leicht nachvollziehbar, dass der Insolvenzplan bei einer Vielzahl von Verwaltern aus vorstehenden Gründen nicht das vorrangige Sanierungsinstrument darstellt(e). In der Insolvenzpraxis werden deshalb überwiegend so genannte Prepackaged-Pläne bei den Insolvenzgerichten eingereicht. Hierbei handelt es sich um Pläne, die in der Krise der Gesellschaft von der schuldnerischen Unternehmen, gemeinsam mit ihren Sanierungsberatern, bei dem Insolvenzgericht eingereicht werden. Der Vorteil der Prepackaged-Pläne liegt vor allem im Zeitmoment. Ein Prepackaged-Plan kann bereits im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit eingereicht werden. Diese liegt gem. § 18 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Man eröffnet dadurch schuldnerischen Unternehmen die Möglichkeit, sich bereits vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in den Schutz eines Insolvenzverfahrens zu begeben, um die Sanierungschancen des in die Krise geratenen Unternehmens frühzeitig und zu einem Zeitpunkt zu prüfen, in dem die Liquidität möglichst noch nicht gänzlich aufgezehrt ist – d. h. das Unternehmen wirtschaftlich noch handlungsfähig ist – um die geeigneten Sanierungsmöglichkeiten (z. B. übertragende Sanierung, Insolvenzplan, außergerichtliche Sanierungsmaßnahmen) zu prüfen. Des Weiteren verhindert die Geschäftsleitung mit einer frühzeitigen Antragstellung persönliche Haftungsprobleme für die Organe.
5.2.2
Komplexität des Planrechts?
Erschwerend kommt hinzu, dass die formalen Voraussetzungen an einen Insolvenzplan als zu kompliziert und umständlich angesehen werden. Grundaussage einer Vielzahl von Autoren, die sich schon frühzeitig mit dem Sanierungsinstrument Insolvenzplan beschäftigt haben, war, dass das Planverfahren zu schwerfällig und zu umständlich sei.18 Insbesondere die schwer verständlichen Regelungen zum Minderheitenschutz19 und zum so genannten Obstruktionsverbot20 seien für normal ausgebildete Kaufleute nicht verständlich, geschweige denn umsetzbar. Des Weiteren führten eine Vielzahl von Rechtsbehelfen, mit denen das Planverfahren versehen worden ist, zu nicht hinnehmbaren Zeitverzögerungen, die es im Interesse der Sanierung des schuldnerischen Unternehmens ja gerade zu vermeiden gilt. Es gab jedoch auch andere Stimmen. Insbesondere Braun21 hat sich jeglicher undifferenzierten Ablehnung des Insolvenzplans verwehrt. Mittlerweile ist eine neue Tendenz in Literatur und Praxis festzustellen. Vor allem die in den renommierten Großverfahren Kirch Media, Babcock Borsig, Senator Film und Herlitz gewonnenen Erfahrungen verdeutlichen, dass sich das Insolvenzplanverfahren zunehmend als
18
Kussmaul/Steffan, DB 2000, 1849, Von Leoprechting, DZWiR 2000, 67, zusammenfassend: Jaffé in: RWS Handbuch, Teil 31 Übertragende Sanierung und Liquidation, Rz.: 31.21. 19 Vgl. nachfolgend unter 5.3.5. 20 Vgl. nachfolgend unter 5.3.5. 21 Braun, NZI, Heft 11 Editorial.
38
Stephan Michels
sinnvolles und auch praktisch handhabbares Sanierungsinstrument durchsetzt. Die Gläubiger erkennen zunehmend, dass die übertragende Sanierung häufig zu einer Wertevernichtung führt, die einem Vergleich mit einer Sanierung über den Plan nicht standhält. Des Weiteren erweist sich die immer noch in der Praxis vorherrschende Vorstellung, Insolvenzpläne müssen „meterdicke“ Werke sein, als Fehlvorstellung. Die Praxis geht dazu über, auch die Pläne in größeren oder Großverfahren „schlank“ zu halten (oft nicht mehr als 30 Seiten) und stattdessen wesentliche Themen in den Plananlagen zu regeln. Daneben bietet das Insolvenzplanverfahren gegenüber sonstigen Sanierungsinstrumenten erhebliche Vorteile, so ist es einem Insolvenzverwalter beispielsweise möglich, obstruktive Beteiligte unter Einsatz des Mehrheitsprinzips zum Konsens zu zwingen.22 Beantragt man zudem die Eigenverwaltung (§§ 270 f. InsO), ist es möglich, die Geschäftsleitung in den Betriebsfortführungs- und Sanierungsprozess mit einzubinden. Dies stellt gerade in komplexen Großverfahren ein sehr sinnvolles Vorgehen vor. Häufig wird die Geschäftsleitung auf Drängen der Großgläubiger jedoch vor Antragstellung durch erfahrene Sanierungsmanager ausgewechselt, um dann gemeinsam mit dem späteren Sachverwalter geeignete Sanierungsmaßnahmen umzusetzen. Ob die Gläubigergemeinschaft Interesse an der Sanierung durch ein Insolvenzplanverfahren hat, wird regelmäßig davon abhängen, ob sie hierdurch besser gestellt wird, d. h. eine höhere Insolvenzquote erhält als durch die Liquidation des Unternehmens im Rahmen der Einzelverwertung des Unternehmensvermögens. Insbesondere für die Banken, aber auch Lieferanten oder sonstige Vertragspartner des schuldnerischen Unternehmens kann es für die Einstellung zum Insolvenzplan auch von strategischer Bedeutung sein, ob durch den Plan das Unternehmen als Vertragspartner zukünftig wieder Erträge auch für die eigene Vertragsbeziehung abwerfen wird. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Gläubiger eines insolventen Unternehmens häufig unterschiedliche Interessen und Zielsetzungen verfolgen. Die Gläubiger werden einem Insolvenzplan nur dann zustimmen und müssen ihm auch nur dann zustimmen, wenn er sie jedenfalls nicht schlechter stellt, als wenn das Unternehmen anderweitig saniert oder liquidiert wird. Gerade die Gläubiger, die zukünftig nicht mehr in wirtschaftlicher und vertraglicher Beziehung zu dem schuldnerischen Unternehmen stehen, können nicht auf kompensatorisch wirkende Umsätze und Erträge hoffen und erwarten aus der Verwertung des schuldnerischen Vermögens selbst die größtmögliche Befriedigung. Der Insolvenzplan muss den Gläubigern letztlich einen Mehrerlös gegenüber anderweitigen Masseverwertungsmaßnahmen im Regelinsolvenzverfahren bieten. Dem auftretenden Konflikt zwischen den unterschiedlichen Gläubigerinteressen versucht der Gesetzgeber vor allem mit der Bildung von unterschiedlichen Gläubigergruppen, dem Obstruktionsverbot und dem Minderheitenschutz zu begegnen. 22
Rattunde, ZIP 2003, S. 2106. Rattunde führt in seinem Beitrag aus, dass die Erfahrungen aus dem Insolvenzverfahren Herlitz zeigten, dass es innerhalb kürzester Zeit möglich sei, auch Großkonzerne mit Insolvenzplänen zu sanieren. In dem Verfahren Herlitz seien unter Ausnutzung der gesetzlichen Mindestfristen (die eigentliche Insolvenz habe von der Verfahrenseröffnung bis zur Gläubigerversammlung (die über den Plan abzustimmen hatte) nur fünf Wochen gedauert).
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
39
Neben der Sanierung des Unternehmens durch den Plan kann auch eine Zerschlagung des Unternehmens im Rahmen eines Insolvenzplans erfolgen. Diese Fälle sind jedoch weitaus seltener und betreffen häufig Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen, um diesen gem. § 227 InsO die vorzeitige Restschuldbefreiung zukommen zu lassen.
5.3
Überblick über das Insolvenzplanverfahren
Nachfolgend sollen die wesentlichen Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens näher dargestellt und erläutert werden.
5.3.1
Vorlagerecht
Bevor man zu den formalen Voraussetzungen und materiellen Regelungen des Insolvenzplanverfahren kommt, stellt sich die allgemeine Frage nach der Vorlageberechtigung. Wer kann einen Insolvenzplan vorlegen? Hierüber erteilt § 218 InsO Auskunft. Danach sind zur Vorlage eines Insolvenzplans an das Insolvenzgericht der Insolvenzverwalter und der Schuldner berechtigt. Gem. § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO kann die Vorlage durch den Schuldner mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden werden. Das Vorlagerecht besteht nur bis zum so genannten Schlusstermin. Ein Plan, der nach dem Schlusstermin beim Gericht eingeht, wird nicht berücksichtigt.23 Ein Insolvenzplan gliedert sich gem. § 219 InsO im Wesentlichen in zwei Abschnitte: den Darstellenden Teil und den so genannten Gestaltenden Teil. Diese werden nachfolgend näher erläutert. Dem Insolvenzplan sind die in den §§ 229 InsO und 230 InsO genannten Anlagen beizufügen, § 219 Satz 2 InsO.
5.3.2
Darstellender Teil
Im Darstellenden Teil eines Insolvenzplans sollen die Gläubiger darüber informiert werden, was sich seit Verfahrenseröffnung zugetragen hat. Die Gläubiger des Insolvenzverfahrens sollen in die Lage versetzt werden, dass sie seriös beurteilen können, ob für sie die Annahme des Vergleichs sinnvoll ist oder nicht, § 220 Abs. 2 InsO. Hierzu benötigen sie eine vernünftige Entscheidungsgrundlage, die ihnen der Darstellende Teil des Insolvenzplans bieten soll. Die Gläubiger und das Insolvenzgericht sind über die gegenwärtige wirtschaftliche Lage des Schuldners sowie über ihre Ursachen und die geplanten, in den Gestaltenden Teil des Plans aufzunehmenden Maßnahmen, zu informieren.24 23 24
Vgl. § 218 Abs. 1 Satz 3 InsO. Flessner in Eickmann u. a., InsO, 4. Aufl., § 220 Rz. 2.
40
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Demgemäß muss der Darstellende Teil über sämtliche Themen Auskunft geben, die Grundlage und Auswirkungen des Plans sind und für die Zustimmung der Gläubiger sowie die gerichtliche Bestätigung des Insolvenzplans zwingend notwendig sind. Dies bedeutet, dass sämtliche Fragen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des schuldnerischen Unternehmens dargestellt und erläutert werden müssen. Des Weiteren muss für den Fall einer Unternehmenssanierung dargestellt werden, welche konkreten Maßnahmen für die Sanierung bzw. das Erreichen des so genannten Turnarounds mit dem Plan verfolgt werden. Letztlich müssen die Gläubiger in die Lage versetzt werden, vergleichen zu können, ob sie durch einen Insolvenzplan besser gestellt oder jedenfalls gleichgestellt sind als gegenüber einer Zerschlagung des Unternehmens oder Verwertung der einzelnen Wirtschaftsgüter. Aus diesem Grunde ist für die Gläubiger eine so genannte Vergleichsberechnung vorzunehmen, aus der jeder Gläubiger entnehmen kann, welche Befriedigung die Gläubiger mit und ohne Insolvenzplan zu erwarten haben.25 Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass mit der Zustimmung der Gläubigergruppen nur dann gerechnet werden kann, wenn eine Schlechterstellung für die Gläubiger im Verhältnis zur Zerschlagung ausscheidet. Im Weiteren ist das ins Auge gefasste Sanierungskonzept umfassend darzustellen und in seinen Konsequenzen zu erläutern. Förderlich ist zudem, die (wirtschaftliche) Vergangenheit des zu sanierenden Unternehmensträgers darzustellen, da so für die Gläubiger leichter ersichtlich ist, ob die zur Krise führenden Fehler durch die neuen strukturellen Änderungen beseitigt werden. Von großer Bedeutung ist zudem, die Gläubiger über arbeitsrechtliche Umstrukturierungsmaßnahmen wie z. B. den Verhandlungsstand mit dem Betriebsrat über die Vereinbarungen eines Interessenausgleichs mit Sozialplan zu informieren. Es ist hinlänglich bekannt, dass im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen (leider) insbesondere Arbeitsplatzabbau betrieben wird bzw. betrieben werden muss. Von wesentlicher (auch psychologischer) Bedeutung für die Erfolgsaussichten eines Plans in praxi ist, dass die unterschiedlichen Gläubigergruppen des Insolvenzverfahrens den Eindruck gewinnen, sämtliche am Insolvenzverfahren beteiligten Gläubiger leisten Beiträge unter Verzicht auf bestehende Forderungen zur Sanierung, und dass der Eindruck vermieden wird, lediglich eine einzelne Gläubigergruppe leiste einen wesentlichen Beitrag, der sämtlichen anderen Gläubigern auch zugute kommt, ohne dass entsprechende Verzichtsleistungen von eben diesen Gläubigern auch erbracht werden.
5.3.3
Gestaltender Teil
In dem Gestaltenden Teil des Insolvenzplans, der in § 221 der Insolvenzordnung geregelt wird, muss dargestellt werden, wie sich die Rechtsstellung der so genannten aussonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger durch die Planverfassung ändern soll. 25
Vgl. Uhlenbruck, InsO, § 220 Rnr. 5.
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
41
Zudem – und dies ist von entscheidender Bedeutung – werden im gestaltenden Teil die Gläubigergruppen bestimmt, unterschieden nach absonderungsberechtigten Gläubigern, nicht nachrangigen und nachrangigen Insolvenzgläubigern, § 222 InsO. Keine Berücksichtigung finden so genannte aussonderungsberechtigte Gläubiger, die grundsätzlich nicht zu beteiligen sind, da deren Vermögenswerte am Insolvenzverfahren gar nicht teilnehmen. Dies schließt freilich nicht aus, dass sie gleichwohl bereit sind, freiwillig etwaige Sanierungsbeiträge zu leisten. Das ist etwa dann denkbar, wenn ein erhebliches Eigeninteresse des Aussonderungsgläubigers an dem Fortbestand des insolventen Rechtsträgers besteht. § 222 InsO sieht vor, dass in einem Insolvenzplanverfahren die Gläubiger des jeweiligen insolventen Unternehmens, gemäß ihrer unterschiedlichen Rechtsstellung, in Gruppen eingeteilt werden. Wie bereits ausgeführt, muss: eine Gruppe für so genannte absonderungsberechtigte Gläubiger und eine Gruppe für nicht nachrangige Insolvenzgläubiger gem. § 38 InsO sowie eine Gruppe der nachrangigen Insolvenzgläubiger jeweils nach ihrer Rangklasse gem. § 93 InsO und eine Gruppe für die Arbeitnehmer gebildet werden. Für die Arbeitnehmer muss eine Gruppe nur dann nicht gebildet werden, wenn deren Forderungen lediglich unerheblich sind. Von ganz wesentlicher Bedeutung für die Planung von Insolvenzplänen ist der Umstand, dass darüber hinaus weitere einzelne Gruppen für Gläubiger mit ähnlichen wirtschaftlichen Interessen gebildet werden können. Hierdurch kann die Herbeiführung der Zustimmung der Gläubiger zum Insolvenzplan maßgeblich gefördert werden. Die Grenze der Gruppeneinteilung ist in willkürlicher Einteilung zu sehen. Dies ist vom Insolvenzgericht gem. § 231 InsO zu prüfen. Des Weiteren sind die Kriterien für eine derartige Abgrenzung gem. § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO im Plan anzugeben. Die Möglichkeit der Gruppenbildung ist Ausfluss des Prinzips der Gläubigergleichbehandlung. Das Gesetz ist bemüht, eine größtmögliche Gerechtigkeit zwischen den einzelnen Gläubigern walten zu lassen. In der Praxis hat – wie bereits ausgeführt – die Bildung der Gruppen strategische Bedeutung. Sind dem Planersteller Gläubiger bekannt, die sich destruktiv verhalten wollen oder den Plan nicht wünschen (obwohl er auch für diese Gläubiger sinnvoll bzw. jedenfalls nicht nachteiliger als eine Zerschlagung ist), können diese Gläubiger möglicherweise in Gruppen eingeteilt werden, die von Planbefürwortern dominiert werden mit der Folge, dass die destruktiven Gläubiger bereits in der Gruppe überstimmt werden können.
42
Stephan Michels
5.3.4
Plananlagen (§§ 229, 230 InsO)
§ 229 InsO regelt die vorgeschriebenen Anlagen des Insolvenzplans zum gestaltenden Teil. In der Praxis ist festzustellen, dass die Pläne insgesamt zur besseren Handhabung kürzer werden und wesentliche Zielsetzungen in den Anlagen zum gestaltenden Plan dokumentiert werden können. Dies führt zu einer Verschlankung der Insolvenzpläne, die diese auch handhabbarer machen. Das gilt allerdings nur für die Fälle, in denen die Gläubiger aus den Erträgen vom Schuldner oder dem von einem Dritten fortgeführten Unternehmen befriedigt werden sollen. Gemäß § 229 Satz 2 InsO ist ergänzend darzustellen, welche Aufwendungen und Erträge für den Zeitraum, während dessen die Gläubiger befriedigt werden sollen, zu erwarten sind und unter welcher Abfolge von Einnahmen und Ausgaben die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens während dieses Zeitraums gewährleistet werden soll. § 230 InsO regelt die weiteren Anlagen, die die allgemeinen Wirkungen des Plans betreffen.
5.3.5
Weiterer Fortgang des Verfahrens
Die Übermittlung des Plans an den Gläubigerausschuss, Betriebsratsprecherausschuss, Schuldner bzw. Verwalter sowie die: Niederlegung des Insolvenzplans in der Geschäftsstelle (-> Erörterungs- und Abstellungstermin) soweit: erforderliche Mehrheit vorhanden,
soweit erforderliche Mehrheit nicht vorhanden
ź
ź
Bestätigung durch das Insolvenzgericht
endgültiges Scheitern dieses Insolvenzplans
ź
ź
Überwachung der Planerfüllung
Obstruktionsverbot
Ist ein Insolvenzplan bei dem zuständigen Insolvenzgericht eingegangen, überprüft dieses zunächst seine Zulässigkeit. Gem. § 231 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht den Insolvenzplan von Amts wegen zurückzuweisen, wenn: die Vorschriften über das Recht zur Vorlage und den Inhalt des Plans nicht beachtet sind und der Vorlegende den Mangel innerhalb einer angemessenen, vom Gericht gesetzten Frist nicht behebt
Sanierungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren
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ein vom Schuldner vorgelegter Plan offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch die Gläubiger oder auf Bestätigung durch das Gericht hat die Ansprüche, die den Beteiligten nach dem Gestaltenden Teil eines vom Schuldner vorgelegten Plans zustehen, offensichtlich nicht erfüllt werden können Gegen den Beschluss, durch den der Plan zurückgewiesen wird, steht dem Vorlegenden die sofortige Beschwerde zu, § 231 Abs. 3 InsO. In der Praxis ist danach zu unterscheiden, ob der Plan vom Insolvenzverwalter oder vom Schuldner vorgelegt wird. Reicht der Insolvenzverwalter den Plan ein, wird dieser nur auf Vorlagemängel (§ 218 InsO) und eine fehlerhafte Gruppenbildung hin überprüft. Reicht hingegen der Schuldner den Plan ein, prüft das Insolvenzgericht darüber hinaus, ob der Plan offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch den Gläubiger oder Bestätigung durch das Gericht hat (§ 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO) und ob die in dem Plan vorgesehenen Gläubigeransprüche offensichtlich nicht erfüllt werden können (§ 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Ist der Plan zulässig, leitet ihn das Gericht dem Gläubigerausschuss, dem Betriebsrat, dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten, dem Schuldner (bei Vorlage durch den Verwalter) bzw. dem Verwalter (bei Vorlage durch den Schuldner) zur Stellungnahme weiter (§ 232 Abs. 1 InsO. Danach wird der Insolvenzplan mit sämtlichen Anlagen und den Stellungnahmen der zuvor benannten Beteiligten zur Einsicht der Gläubiger in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niedergelegt (§ 235 InsO). In der Praxis ist bedeutsam, dass alle Gläubiger stimmberechtigt sind, deren angemeldete Forderungen nicht bestritten und deren Forderungen durch den Plan beeinträchtigt werden. Bei bestrittenen Forderungen entscheidet das Insolvenzgericht. In dem Termin müssen die Gläubiger den Plan genehmigen oder die Genehmigung verweigern. Die Abstimmung über die Annahme des Plans erfolgt in den in dem vorgelegten Insolvenzplan festgelegten Gruppen. Zur Annahme des Insolvenzplans müssen sämtliche Gläubigergruppen zustimmen. Dies ergibt sich aus § 244 InsO. Innerhalb der einzelnen Gruppen gilt eine Kopf- und Summenmehrheit. Dies hat zur Folge, dass eine Mehrheit der abstimmenden Gläubiger notwendig ist, wobei deren Ansprüche mehr als die Hälfte als die Forderungen der Gruppe ausmachen müssen. In der Praxis hat sich herausgestellt, dass es sinnvoll ist, mit schriftlichen Vollmachten zu arbeiten, um zu gewährleisten, dass das Abstimmungsverhalten tatsächlich so umgesetzt wird, dass der Plan genehmigt wird. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, im Rahmen eines besonderen Abstimmungstermins ein schriftliches Verfahren gem. § 242 InsO durchzuführen. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es notwendig ist, Insolvenzpläne nicht am Widerstand einzelner Gläubiger scheitern zu lassen. Aus diesem Grunde wurde § 245 InsO aufgenommen, der ein so genanntes Obstruktionsverbot normiert. Danach gilt die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe, wenn die erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht worden sind, auch dann als erteilt, wenn die Gläubiger dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden, die Gläubiger dieser Gruppe
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angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll, und die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger im Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat. Nach erfolgter Abstimmung der Gläubiger über den eingereichten Insolvenzplan hat das Insolvenzgericht den Plan gem. § 248 InsO zu bestätigen. § 251 InsO, der den Minderheitenschutz normiert, hat das Insolvenzgericht die Bestätigung auf Antrag eines Gläubigers zu versagen, wenn der Gläubiger: dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zum Protokoll der Geschäftsstelle widersprochen hat und durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde. Gem. § 251 Abs. 2 InsO ist der Antrag jedoch nur zulässig, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass er durch den Plan schlechter gestellt wird. In der Praxis führt dies dazu, dass in dem Plan detailliert und leicht verständlich dargelegt wird, mit welcher Befriedigungsquote die Gläubiger bei Durchführung des Regelinsolvenzverfahrens zu rechnen haben und mit welcher bei der Umsetzung eines Insolvenzplans. Dies kann anhand der erarbeiteten PlanG&V sowie Plan-Bilanz belegt werden. Hier zeigt sich die Qualität eines eingereichten Insolvenzplans. Je aussagekräftiger und leicht verständlicher ein Plan gestaltet wird, desto größer wird seine Akzeptanz bei den Gläubigern sein. Liest sich der Plan wie von selbst, kommen bei den Gläubigern weniger Zweifel auf, als wenn sie über ein Planwerk zu urteilen haben, das kaum nachvollziehbar und nur schwer verständlich für sie ist. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass Pläne möglichst kurz und prägnant gestaltet werden. Detaillierte Ausführungen können dann in den Anlagen gemacht werden. Es gilt, Informationsdefizite auf Gläubigerseite zu vermeiden. Erfolgt die Bestätigung des Plans durch das Insolvenzgericht – weil keine Anträge gestellt worden sind – gegen die Annahme des Plans, wird der Beschluss rechtskräftig. Die Wirkungen des genehmigten Insolvenzplans treten unmittelbar direkt ein. Von Bedeutung ist, dass der Insolvenzplan einen vollstreckbaren Titel für die Gläubiger darstellt. Die bedeutet, dass jederzeit eine Vollstreckung aus dem Insolvenzplan möglich ist, § 257 InsO. Das Insolvenzverfahren wird gem. § 258 InsO aufgehoben. Dies hat zur Konsequenz, dass auch sämtliche Ämter des Insolvenzverfahrens wie z. B. das des Insolvenzverwalters und des Gläubigerausschussmitglieder erlöschen. Darüber hinaus kann eine Überwachung der Planerfüllung angeordnet werden, dies ist in den §§ 260, 261 InsO geregelt. Die Überwachung ist aufzuheben, wenn der Plan erfüllt oder dessen Erfüllung anderweitig gewährleistet ist oder aber drei Jahre verstrichen sind. Von Bedeutung ist, dass die Bestätigung eines Insolvenzplans über das Vermögen einer natürlichen Person dazu führt, dass der Schuldner gem. § 227 InsO vorzeitig die Restschuldbefreiung erhält, was in der Praxis häufig angestrebt wird.
Rechtliche Sanierungsberatung
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Rechtliche Sanierungsberatung Marcus Geuting
Dr. Marcus Geuting übt seit 1994 den Beruf des Rechtsanwalts aus, seit Mitte der 90er Jahre vorwiegend im Bereich des Insolvenzrechts und der Sanierung. Dr. Geuting tritt sowohl streitend als auch beratend auf und vertritt Insolvenzverwalter ebenso wie die in der Krise befindlichen natürlichen Personen und Unternehmen. Im Bereich der Sanierungsberatung zählen zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit die Steuerung von Restrukturierungs- und Abwicklungsprozessen ebenso wie die Abwehr von Angriffen der Steuer-, Sozialversicherungs- und Strafbehörden unter Einschluss von Anspruchsbegehren des Insolvenzverwalters. Seit dem Frühjahr 2006 ist Dr. Geuting Mitglied der Sozietät Buerstätte Geuting Matzat in Münster. E-Mail: [email protected]
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Marcus Geuting
Inhaltsverzeichnis
1. Rechtliche Sanierungsberatung ........................................................................................ 47 2. Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen................................................................. 48 2.1 Zahlungsunfähigkeit .................................................................................................. 48 2.2 Überschuldung........................................................................................................... 49 3. Juristische Sanierungsmaßnahmen ................................................................................... 51 3.1 Zahlungsunfähigkeit .................................................................................................. 52 3.2 Überschuldung........................................................................................................... 52 4. Liquiditätssteuerung durch Sanierungsberatung............................................................... 58 4.1 Betriebssteuern .......................................................................................................... 58 4.2 Sozialversicherungsbeiträge ...................................................................................... 58 4.3 Insolvenzverschleppung ............................................................................................ 59 4.4 Liquiditätssteuerung durch Cashpool ........................................................................ 60 5. Kapitalersatzhaftung......................................................................................................... 63 6. Sanierungsbaustein – Insolvenzantragsstellung................................................................ 64 7. Beispiel für einen Insolvenzantrag ................................................................................... 65 8. Faktische Geschäftsführerstellung des Sanierungsmanagers............................................ 67 9. Vermeidung von Verzögerungen im Bereich der Buchhaltung/Bilanzierung ................... 68 10. „Richtige“ Insolvenzantragsstellung................................................................................. 69 11. Gestaltung des Sanierungsberatungshonorars................................................................... 70
Rechtliche Sanierungsberatung
1.
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Rechtliche Sanierungsberatung
Die rechtliche Sanierungsberatung beginnt mit der Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen. Der Gesetzgeber nennt drei Tatbestände, die Insolvenzgründe füllen: Drohende Zahlungsunfähigkeit Zahlungsunfähigkeit Überschuldung Die Überschuldung bildet den Insolvenzgrund ausschließlich für Kapitalgesellschaften und solche Personengesellschaften, bei denen keiner der persönlich haftenden Gesellschafter eine natürliche Person ist, und folglich die Haftung grundsätzlich wie bei Kapitalgesellschaften auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist. Überschuldung ist also Insolvenzgrund bei: Kapitalgesellschaften (z. B. GmbH, AG, Genossenschaften) Verein Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person Vollhafter ist (GmbH & Co. KG) Die übrigen Gründe, also die drohende Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit, bilden für jeden Rechtsträger einen Insolvenzgrund. Lediglich bei: Kapitalgesellschaften Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person persönlich haftender Gesellschafter ist sowie Vereinen entsteht auch mit dem Vorliegen der Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung die durch die Geschäftsleitung wahrzunehmende Verpflichtung, das Insolvenzverfahren einzuleiten, wenn eine Sanierung ausgeschlossen ist. Der Gesetzgeber räumt eine bis zu drei Wochen währende Überlegungsfrist ein, in der die Geschäftsleitung den Versuch unternehmen kann und soll, das Unternehmen zu sanieren, d. h. die Insolvenzgründe zu beseitigen. Aber Achtung: Die Insolvenzantragsfrist ist eine Höchstfrist. Wenn die Sanierung vorher scheitert oder sich feststellen lässt, dass die Sanierung nicht gelingen kann, verkürzt sich die Frist auf die Zeit bis zu dieser Feststellung.
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Lediglich die drohende Zahlungsunfähigkeit lässt das Recht, aber nicht die Pflicht entstehen, ein Insolvenzverfahren einzuleiten, um hierüber ein Moratorium zu erreichen, d. h. Einzelvollstreckungsmaßnahmen zu unterbinden.
2.
Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen
2.1
Zahlungsunfähigkeit
2.1.1
Definition
Von Zahlungsunfähigkeit spricht die Rechtsprechung, wenn ein Rechtsträger aufgrund eines Mangels von Zahlungsmitteln (aktuell verfügbare bzw. kurzfristig in Geldmittel umsetzbare Liquidität) dauernd (bis drei Wochen) außer Stande ist, den wesentlichen Teil (90 Prozent) seiner Verbindlichkeiten zu Fälligkeitszeitpunkten zu tilgen. Der Wesentlichkeitsgrenze genügt der Schuldner nur dann, wenn er mehr als 90 Prozent seiner fälligen Verbindlichkeiten aus liquiden Mitteln bedienen kann. Eine dauerhafte Unfähigkeit ist anzunehmen, wenn der Liquiditätsmangel sich über mehr als drei Wochen (in Anlehnung an die Insolvenzantragsfrist bei Kapitalgesellschaften) erstreckt. Davon abzugrenzen ist die so genannte Zahlungsstockung, die auftritt, wenn der Schuldner über einen längeren Zeitraum außer Stande ist, Teile seiner fälligen Verbindlichkeiten zu tilgen ohne die Wesentlichkeitsschwelle zu unterschreiten oder aber zwar die Wesentlichkeitsschwelle tangiert oder überschritten wird, jedoch über einen kürzeren Zeitraum als drei Wochen. Die Prüfung der Zahlungsfähigkeit setzt eine Liquiditätsmessung voraus, die ständig zu erneuern ist, und zwar über einen Prognosezeitraum von ca. drei Wochen. Den in diesem Zeitraum fälligen und fällig werdenden Verbindlichkeiten sind die im gleichen Zeitraum verfügbaren Mittel gegenüberzustellen, und zwar wie folgt: Kasse Guthaben
Rechtliche Sanierungsberatung
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Betrag der nicht ausgeschöpften Kreditlinien Sichere Zahlungseingänge (binnen der nächsten drei Wochen) Leicht (binnen drei Wochen) veräußerbare Gegenstände (potenzielle Liquidität)
2.1.2
Liquiditätsstatus
Verfügbare Liquidität
Verbindlichkeiten
Kasse
Fällige Verbindlichkeiten
Guthaben
Im Betrachtungszeitraum fällig werdende Verbindlichkeiten
Nicht ausgeschöpfte Kontokorrentlinien Kurzfristig im Betrachtungszeitraum durch Umschlag von Lieferungen und Leistungen sowie sonstiges Umlaufvermögen erzielbare Liquidität Summe: Liquidität
Summe: Verbindlichkeiten
Ist der Liquiditätsquotient kleiner als 90, bedeutet dies Zahlungsunfähigkeit. FORMEL: Liquiditätsquotient =
Verfügbare Liqudität x 100 Betrag der fälligen Verbindlichkeiten
2.2
Überschuldung
2.2.1
Definition
Von Überschuldung spricht man, wenn die Passiva des Unternehmens, also: Rückstellungen und Verbindlichkeiten die Aktiva des Unternehmens überschreiten. Um die Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne zu übermitteln, ist ein Status zu bilden, der von der Handels- und Steuerbilanz abweicht. Beide Seiten der Handels- und Steuerbilanz sind zu bereinigen, insbesondere gilt:
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Die Aktivseite ist um stille Reserven zu erhöhen. Das gilt insbesondere im Falle von abschreibungsbedingten Unterschreitungen der wahren Werte einzelner Positionen des Vermögens. Weiterhin kommen z. B. Rohgewinnaufschläge für Warenvorräte in Betracht. Halbfertige Arbeiten sind, wenn eine Abrechnung sichergestellt ist, um den Erlösanteil zu erhöhen. Umgekehrt kann es notwendig sein, Wertberichtigungen vorzunehmen, etwa bei uneinbringlichen Forderungen. Ebenso können die in Rohgewinnaufschlägen enthaltenen stillen Reserven entfallen, wenn aufgrund höherer Rückstände auf Lieferantenverbindlichkeiten (insbes. bei verlängertem Eigentumsvorbehalt) mit der Rückholung der Ware zu rechnen ist, mithin eine Realisierung der Rohgewinnaufschläge mit Veräußerung nachhaltig gefährdet erscheint. Auf der Passivseite sind solche Rückstellungen aufzulösen, die lediglich steuerliche Bedeutung haben, sich aber im Statusergebnis nicht niederschlagen. Weiterhin kommen Rangrücktritte auf Gesellschafterverbindlichkeiten in Betracht (dazu noch unten mehr). Haben die Rangrücktritte die notwendige Fassung, führt dies im Status dazu, dass die mit Rangrücktritt belasteten Verbindlichkeiten ausgebucht werden, so dass sich eine entsprechende Erhöhung des Eigenkapitals ergibt. Unter Umständen ist es im Status weiterhin möglich, Fremdverbindlichkeiten (z. B. Bankdarlehen), also solche Verbindlichkeiten, die nicht im Verhältnis zu Gesellschaftern, sondern zu sonstigen Dritten bestehen, ganz oder teilweise auszubuchen, sofern Gesellschafter diese Verbindlichkeiten werthaltig gedeckt, d. h. besichert, haben. In Betracht kommen hier insbesondere werthaltige, d. h. einlösbare Gesellschafterbürgschaften, wenn und soweit die Gesellschafter auf ihre Regressforderungen gegen die Gesellschaft im Falle der Einlösung der Bürgschaft verzichtet haben (Rangrücktritt auf Bürgenregress).
2.2.2
Insolvenzstatus
Bereinigung der Aktivseite (Beispiele)
Bereinigung der Passivseite (Beispiele)
Aufdeckung stiller Reserven, die sich aus wertüberschreitenden Abschreibungen ergeben
Ausbuchung solcher Rückstellungen, die nur aus steuerlichen Gesichtspunkten gebildet werden
Aufdeckung von stillen Reserven, die in Rohgewinnaufschlägen enthalten sind (aber dann nicht zu berücksichtigen, wenn aufgrund von Zahlungsrückständen gegenüber Lieferanten mit Rückholung der Ware zu rechnen ist)
Neutralisierung solcher Rücklagen, die nur aus steuerlichen Gründen gebildet werden, jedoch schon mit Investitionen belastet sind (die sich noch nicht in der Bilanz niederschlagen Beispiel: Hallenbau begonnen, bisher ist jedoch noch keine Handwerkerrechnung gestellt)
Aufdeckung stiller Reserven um den gesicherten Erlösteil halbfertiger Ware/unfertiger Erzeugnisse/unfertiger Leistungen
Ausbuchung von Gesellschafteransprüchen, die mit Rangrücktritt versehen sind
Wertberichtigungen/Wertaufholungen
Ausbuchung solcher Drittverbindlichkeiten, die mit werthaltigen Sicherheiten der Gesellschafter hinterlegt sind, welche ihrerseits mit ihrer Regressforderung im Rang hinter andere Gläubiger zurückgetreten sind
Rechtliche Sanierungsberatung
2.2.3
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Fortbestehensprognose als Bewertungsmaßstab
Die Wertansätze des Aktivvermögens richten sich danach, ob dem Unternehmen eine positive oder negative Fortbestehensprognose auszustellen ist. Ist aufgrund des bisherigen Geschäftsgangs, der generellen betriebswirtschaftlichen Chancen des Unternehmens sowie der Vorkehrungen der Geschäftsleitung vor und im Rahmen der Sanierung zu erwarten, dass die Gesellschaft mittelfristig (zwölf Monate bis 24 Monate) dazu in der Lage sein wird, den operativen Liquiditätsbedarf zu decken und ebenso Verbindlichkeiten zu Fälligkeitszeitpunkten zu tilgen, und zwar unter Einschluss der fristgerechten Rückführung von Fremdmitteln (so genannte Kapitaldienstfähigkeit), ist dem Unternehmen zu attestieren, dass es grundsätzlich lebensfähig ist und seine werbende Tätigkeit fortsetzen wird. In diesem Fall darf die Geschäftsleitung bei der Erstellung des Überschuldungsstatus’ Fortführungswerte ansetzen (Going Concern). Das sind jene Werte der Einzelgüter des Betriebs, die sich im Falle der Veräußerung des Unternehmens als Ganzes ergeben. Ist hingegen anzunehmen, dass das Unternehmen kurz und mittelfristig außer Stande sein wird, das operative Geschäft oder die notwendige Liquidität für das operative Geschäft zu sichern und den Schuldendienst fristgerecht zu leisten, ist also anzunehmen, dass das Unternehmen voraussichtlich die entstandene Krise nicht „überleben“ wird, so sind so genannte Zerschlagungswerte anzusetzen. Das sind jene Werte, die sich ergeben, wenn man die wirtschaftlichen Güter der Unternehmung einzeln veräußert. Gleich welchen Maßstab man wählt (Going Concern oder Zerschlagung), gilt in beiden Fällen, dass von einer Überschuldung auszugehen ist, wenn die Passiva die Aktiva des Unternehmens nicht decken. Dies folgt aus dem neuen Überschuldungsbegriff der Insolvenzordnung und in Abkehr vom ursprünglichen zweistufigen Überschuldungsbegriff, der eine Überschuldung im Rechtssinne generell schon dann verneinte, wenn eine positive Fortbestehungsprognose auszustellen war.
3.
Juristische Sanierungsmaßnahmen
Die juristischen Sanierungsmaßnahmen zielen darauf ab, durch entsprechende Vereinbarungen zwischen dem Unternehmen und seinen Gläubigern, insbesondere durch Verabredungen mit den Gesellschaftern, den Tatbestand der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen („Papiersanierung“).
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3.1
Zahlungsunfähigkeit
Im Bereich der Zahlungsunfähigkeit setzt die rechtliche Sanierung typischerweise beim Merkmal der Fälligkeit der zu bedienenden Verbindlichkeiten an. Diese lässt sich durch Stundungsvereinbarungen beseitigen. Jede gestundete Forderung ist aus der Liquiditätsmessung auszugliedern, so dass sich der Liquiditätsgrad entsprechend verbessert. Moratorien sind also geeignet, die Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne zu beseitigen, selbst wenn Forderungen in großem Umfang (also über zehn Prozent hinaus) rückständig sind. Denselben Effekt erzielt man durch den Verzicht auf die Forderung. Typischerweise sind aber weder Gesellschafter noch Fremdgläubiger dazu bereit, vollständig auf Forderungsteile zu verzichten. Stattdessen sind Stundungsvereinbarungen typischerweise mit so genannten Besserungsscheinen verbunden.
Muster „Hierdurch stunde ich meine sämtlichen gegen Sie gerichteten Forderungen bis auf weiteres mit der Maßgabe, dass ich diese Stundung jederzeit frei widerrufen kann, frühestens jedoch zum … Die Stundung verliert jedenfalls ihre Wirksamkeit mit der Stellung eines Insolvenzantrags über Ihr Vermögen. Die Stundung wird frühestens wirksam, wenn die Summe aller gestundeten Forderungen unter Einschluss des Betrags meiner Forderungen der Summe nach 90 Prozent Ihrer bei Abgabe dieser Erklärung fälligen Verbindlichkeiten erreicht, was uns durch eine Aufstellung der Verbindlichkeiten sowie die Übersendung der Stundungserklärungen nachzuweisen und zu versichern ist.“
3.2
Überschuldung
Die rechtliche Sanierungsberatung im Bereich der Überschuldung zielt auf eine Erhöhung des Eigenkapitalsanteils im statusrechtlichen Sinne ab.
Beispiel: Überschuldungsstatus Aktiva
Passiva
Grundstücke
40
30
Rückstellungen
Kasse
10
50
Verbindlichkeiten aus L+L
Guthaben
40
50
Bankverbindlichkeiten
Negatives EK = Überschuldungsbetrag
100
60
Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern
190
190
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Zu allererst kommen hier Rangrücktritte der Gesellschafter auf ihre Forderungen gegen das Unternehmen in Betracht. Mit dem Rangrücktritt vereinbaren Gesellschafter und Gesellschaft, dass der Gesellschafter eine Befriedigung auf seine Forderung erst erhält, nachdem die Gesellschaft alle anderen Gläubiger vollständig befriedigt hat. Der Gesellschafter erhält also Zahlungen nur aus so genannten freien Gewinnen oder Liquidationserlösen, die nach Ablösung aller Fremdverbindlichkeiten verbleiben.
Muster: Rangrücktritt zwischen 1. ҟ– nachfolgend: Gesellschaft – und 2. – nachfolgend: Gesellschafter – 1. Der Gesellschafter tritt wegen sämtlicher der Gesellschaft gewährter Darlehen unter Einschluss vereinbarter Zinsen und Kosten im Rang hinter alle anderen Gläubiger der Gesellschaft mit der Maßgabe zurück, dass die Gesellschaft das Darlehen erst und nur insoweit zu erstatten hat, als freie Gewinne oder Liquidationserlöse, gleich ob die Liquidation außerhalb eines Insolvenzverfahrens erfolgt oder nicht, hierzu nach Befriedigung aller anderen Gläubiger zur Verfügung stehen. Gegenüber anderen Gläubigern, die einen Rangrücktritt erklärt haben, gilt Gleichrang. 2. Der Gesellschafter erstreckt den Rangrücktritt im Umfang der vorstehenden Bestimmungen gem. Ziffer 1 auf etwaige Regressrechte aus der Einlösung von Bürgschaften und sonstiger Sicherheiten, die der Gesellschafter zugunsten der Gesellschaft bestellt hat. 3. Auf diese Vereinbarung findet deutsches Recht Anwendung. 4. Jede Änderung dieses Vertrages ebenso wie seine Aufhebung bedürfen der Schriftform. Dasselbe gilt für die Änderung oder Aufhebung des Schriftformerfordernisses. Mündliche Nebenabreden sind nicht getroffen.
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5. Sollten eine oder mehrere Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam oder undurchführbar sein oder werden, so wird hierdurch die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen nicht berührt. Die Parteien verpflichten sich, die unwirksame oder undurchführbare Bestimmung durch eine Regelung zu ersetzen, die dem Vertragsziel am nächsten kommt. Dasselbe soll gelten, wenn eine Vertragslücke nachträglich offenbar wird. _______________
_______________
Ort, den
Ort, den
_______________
_______________
(Gesellschaft)
(Gesellschafter)
Wie bereits oben beschrieben können Rangrücktritte von Gesellschaftern auch im Bereich von Fremdverbindlichkeiten, namentlich Bankenkrediten, Eigenkapital erhöhende Wirkung haben. Dies ist der Fall, wenn die Gesellschafter werthaltige Sicherheiten (z. B. Bürgschaften, Grundschulden) stellen und für den Fall der Einlösung und Verwertung dieser Sicherheiten auf einen Rückgriff gegenüber der Gesellschaft so lange verzichten, bis freie Gewinne oder Liquidationserlöse vorhanden sind (siehe Formulierungsbeispiel). Wenn etwa in unserem Beispiel Rangrücktritte auf werthaltige Bürgschaften von 50 sowie auf Gesellschafterverbindlichkeiten von 51 erzielt werden könnten, so ergäbe sich im Status ein positives Eigenkapital, d. h., die Überschuldung im Rechtssinne wäre beseitigt. Aktiva
Passiva
Grundstücke
40
1 30
Rückstellungen
Kasse
10
50
Verbindlichkeiten aus L+L
Guthaben
40
0 (gedeckt durch Bürgschaften mit Rangrücktritt)
Bankverbindlichkeiten
9 (gedeckt in Höhe von 51 durch Rangrücktritt)
Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern
90
EK
90
Als Bilanzkorrektiv im Sinne einer Stärkung des Eigenkapitals kommen sodann in Betracht: Harte Patronatserklärungen Verlustausgleichsversprechen Die so genannte harte Patronatserklärung beinhaltet eine Ausstattungsverpflichtung der am Unternehmen beteiligten Gesellschafter. Diese Ausstattungsverpflichtung wird typischerweise
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mit Außenwirkung zugunsten eines Gläubigers (in der Regel Bankenkreditgeber) übernommen. Die harte Patronatserklärung enthält die Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger, die Gesellschaft jedenfalls mit so vielen Mitteln zu versehen, dass sie in die Lage versetzt wird, die Fremdverbindlichkeit zu Fälligkeitszeitpunkten zu tilgen. Im Falle der Verletzung der harten Patronatserklärung resultiert daraus ein gegen den Gesellschafter geltend zu machender Schadensersatzanspruch des Gläubigers. Die werthaltige Patronatserklärung rechtfertigt im Status die Ausbuchung der durch sie gedeckten (Kredit-)verbindlichkeiten (vergleichbar dem Rangrücktritt auf den Regressanspruch des Gesellschafter-Sicherheitengebers).
Muster: Patronatserklärung Sehr geehrte Damen und Herren, wir verpflichten uns Ihnen gegenüber, in bar Zuführungen zu den Kapitalrücklagen unserer Tochtergesellschaft (Name der Gesellschaft) zu leisten, so dass diese jederzeit in der Lage sein wird, alle Ihnen gegenüber gegenwärtig und zukünftig bestehenden Verbindlichkeiten rechtzeitig zu erfüllen. Diese Verpflichtung soll auch dann fortbestehen, wenn die [Gesellschaft] nicht mehr zu unserem Konzern gehört. In diesem Fall soll sich die Verpflichtung nur auf solche Verbindlichkeiten erstrecken, die bis zu dem Tag des Übergangs der Anteile entstanden sind, inklusive aller im Zusammenhang mit diesen Verbindlichkeiten entstehenden Kosten, z. B. Zinsen, auch wenn solche Kosten erst nach dem Tag der Übertragung der Anteile entstehen. Diese Verpflichtung unterliegt deutschem Recht. Unterschrift Gesellschafterin Die Verlustausgleichserklärung ist ein Vertrag zwischen Gesellschaftern und der Gesellschaft, in welchem die Gesellschafter versprechen, den im Verlaufe eines bestimmten Rechnungsabschnittes entstehenden Kapitalfehlbetrag (gleich Überschuldung) zu decken. Die Gesellschaft kann in diesem Fall einen Anspruch in Höhe des jeweiligen Kapitalfehlbetrags aktivieren. Eine Einstellung in die Aktivseite ist allerdings nur zulässig, wenn der Gesellschafter dazu in der Lage ist, diesen Anspruch zum Fälligkeitszeitpunkt (typischerweise Geschäftsjahresende) zu bedienen (Werthaltigkeitsvorbehalt).
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Muster: Verlustausgleichsversprechen Verlustübernahmevereinbarung zwischen 1. nachfolgend gemeinschaftlich “Beteiligter zu 1)” genannt
und 2. nachfolgend “Beteiligter zu 2)” genannt
Präambel Zum fortlaufenden Ausschluss einer Überschuldung des Beteiligten zu 1) schließen die Parteien die nachfolgende Vereinbarung: 1. Der Beteiligte zu 1) verpflichtet sich gegenüber dem Beteiligten zu 2), dessen fortlaufende sowie etwaig ausgewiesene Verluste zu decken. Die Verlustdeckung wird auf Anforderung der Geschäftsleitung des Beteiligten zu 2), spätestens jedoch mit Beginn seiner Liquidation fällig. Unter Liquidation verstehen die Parteien jede Form der Unternehmensabwicklung, auch eine solche im Zuge eines Insolvenzverfahrens. Der auszugleichende Verlust ist auf der Grundlage eines nach Rechtsprechungsgrundsätzen aufzustellenden Überschuldungsstatus zu ermitteln. Auf Verlangen einer der Parteien ist der Status durch einen öffentlich vereidigten Sachverständigen verbindlich für die Parteien zu erstellen. Der Sachverständige ist auf Verlangen eines der Beteiligten durch die für den Sitz des Beteiligten zu 2) zuständige Industrie- und Handelskammer oder eine Nachfolgeorganisation – im Falle des Fehlens einer solchen, durch eine geeignete Stelle – zu bestimmen. Der Beteiligte zu 2) kann von dem Beteiligten zu 1) ab Fälligkeit und bis zur Ausgleichung des Verlustes Sicherheit verlangen. Die Höhe der Sicherheit bestimmt sich nach dem im jeweiligen letzten Jahresabschluss der Beteiligten zu 2) ggf. ausgewiesenen negativen Eigenkapitalbetrag, der sich ergibt aus allen saldierten Positionen des Eigenkapitals. 2. Auf Verlangen des Beteiligten zu 2) hat der Beteiligte zu 1) die Werthaltigkeit seines Verlustausgleichsversprechens auf der Basis des letzten Jahresabschlusses/der letzten Einkommensteuererklärungen binnen drei Wochen nachzuweisen, und zwar ergänzt durch das Testat eines Wirtschaftsprüfers.
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3. Diese Verlustübernahmevereinbarung ist mit einer Frist von zwölf Monaten zum Kalenderjahresende kündbar. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass der Beteiligte zu 1) im Falle der fristlosen Kündigung verpflichtet bleibt, den Verlustausgleich für das laufende Geschäftsjahr nach den Bestimmungen dieser Vereinbarung auszugleichen, wenn die Gesellschaft vor Ablauf des Geschäftsjahres die Liquidation einleitet. Die Kündigung bedarf der Schriftform. 4. Der Beteiligte zu 1) kann sich von den Verhältnissen des Beteiligten zu 2) in entsprechender Anwendung des § 51a GmbH-Gesetz Kenntnis verschaffen. 5. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass im Falle der Insolvenz über das Vermögen des Beteiligten zu 2) der jeweilige Insolvenzverwalter berechtigt ist, die Rechte aus diesem Vertrag gegenüber dem Beteiligten zu 1) geltend zu machen. Im Übrigen handelt es sich bei dieser Vereinbarung um keinen berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter. 6. Änderungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform. Dasselbe gilt für die Aufhebung des Schriftformerfordernisses. 7. Auf diesen Vertrag und seine Durchführung findet deutsches Recht Anwendung. Das gilt auch für alle Streitigkeiten, die aus diesem Vertrag und seiner Durchführung entstehen. 8. Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag ist _____. 9. Sollten eine oder mehrere Bestimmungen dieser Vereinbarung unwirksam oder undurchführbar sein oder werden, so wird die unwirksame oder undurchführbare Bestimmung durch eine solche Regelung ersetzt, die in wirksamer und durchführbarer Form dem erkennbaren Willen der Parteien am nächsten kommt. Dasselbe soll gelten, wenn eine ergänzungsbedürftige Lücke nachträglich offenbar wird. Im Übrigen finden auf diese Vereinbarung die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft entsprechend Anwendung.
rechtsverbindliche Unterschrift
________________________
_______________________
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4.
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Liquiditätssteuerung durch Sanierungsberatung
Die Sanierungsphase ist insbesondere für die Geschäftsführung und die Gesellschafter mit erhöhten Haftungsrisiken verbunden. Auch hier muss die rechtliche Sanierungsberatung ansetzen, das heißt, es ist sicherzustellen, dass eine persönliche Haftung durch entsprechende Vorkehrungen namentlich durch gezielte Steuerung der Zahlungsflüsse ausgeschlossen bleibt.
4.1
Betriebssteuern
Im Falle der Nichtabführung von Betriebssteuern (insbesondere Lohn- und Umsatzsteuer) läuft der Geschäftsführer Gefahr, persönlich auf Nachzahlung der nicht abgeführten Steuern zu haften. Im Bereich der Lohnsteuer lässt sich dies vermeiden, indem man in der kritischen Phase die Löhne kürzt bzw. in strategisch passenden Bereichen die Lohnzahlung einstellt. Mit der Einstellung der Lohnzahlung entfällt die Verpflichtung zur Abführung von Lohnsteuer im gleichen Umfang. Auch im Bereich der Umsatzsteuer lässt sich Liquidität in Teilen planen. Eine persönliche Haftung kommt hier nämlich nicht ohne weiteres mit Rückständen auf die Umsatzsteuerschuld zum Zuge. Vielmehr ist eine Haftung nur in dem Umfang zu besorgen, in dem die Geschäftsleitung den Gläubiger „Finanzamt“ gegenüber sonstigen Gläubigern schlechter gestellt hat. Es wird also für den Zeitpunkt der Entstehung der Rückstände eine vergleichende Prüfung der Tilgungsrückstände vorgenommen. Hat das Finanzamt im Verhältnis zur übrigen Gläubigerschaft prozentual genausoviel oder mehr auf rückständige Forderungen erhalten, ist die Geschäftsleitung enthaftet. Im Falle der Schlechterstellung des Finanzamtes kann eine persönliche Haftung in Höhe der Schlechterstellung (Differenzhaftung) zum Zuge kommen.
4.2
Sozialversicherungsbeiträge
Eine persönliche Haftung droht weiterhin im Bereich der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge). Es handelt sich um eine deliktische Haftung, die auch den Straftatbestand des § 266a StGB aufbaut. Auch hier lässt sich in der kritischen Phase vor der Insolvenz Liquidität steuern. Fällt nämlich der Fälligkeitstermin für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge in die Insolvenzantragsfrist, so kann der
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Geschäftsführer dem Anspruch des Sozialversicherungsträgers mit dem Unmöglichkeitseinwand begegnen. Die Rechtsprechung selbst nimmt hier sogar eine Rechtfertigung an, weil die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit während des Laufs der Insolvenzantragsfristen einen Erlaubnistatbestand erfülle. Dem Geschäftsführer ist es untersagt, mit dem Vermögen der Gesellschaft in einer der kaufmännischen Sorgfalt widersprechenden Weise umzugehen. Innerhalb der Dreiwochenfrist und bei bestehenden Insolvenzgründen widerspricht es kaufmännischer Sorgfalt, die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Dieser Rechtfertigungsgrund soll allerdings nach Auffassung des Bundesgerichtshofes entfallen, wenn die Geschäftsleitung die Dreiwochenfrist bei Fortbestehen der Insolvenzantragsgründe überschreitet. Nicht vollständig geklärt ist, ob die Geschäftsleitung die Sozialversicherungsträger mit enthaftender Wirkung bösgläubig machen kann, indem sie durch Vermittlung der Kenntnis um eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit die Anfechtbarkeit etwaiger Zahlungen auf Sozialversicherungsbeiträge in der Insolvenz herstellt. Müssen die Sozialversicherungsträger die eingezahlten Sozialversicherungsbeiträge später ohnehin im Anfechtungswege wieder an den Insolvenzverwalter herausgeben, so lässt sich (und wird teilweise) vertreten, dass den Sozialversicherungsträgern durch die Nichtzahlung kein Schaden entsteht.
4.3
Insolvenzverschleppung
Ein Gesellschafter haftet persönlich auf Schadensersatz, wenn er bei bestehenden Insolvenzgründen (Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung) Zahlungen erbringt, die mit der kaufmännischen Sorgfalt nicht vereinbar sind. In diesem Sinne sorgfaltsgemäß sind lediglich solche Leistungen an Dritte, die zur Erhaltung oder Vermehrung des Vermögens der Gesellschaft beitragen oder aber keine Schmälerung der Masse bedeuten, weil der Gegenstand der Leistung bereits einem anderen Vermögen unanfechtbar zugeordnet ist (beispielsweise, weil der Gegenstand der Leistung ohnehin unanfechtbar an einen Dritten zur Sicherheit übertragen war). Sorgfaltswidrig sind hingegen solche Leistungen, die zu einer Vermögensverringerung zu Lasten der potenziellen Insolvenzgläubiger führen. Der sich daraus ergebende Schadensersatzanspruch der Gesellschaft wird in der eröffneten Insolvenz durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers gegenüber Gläubigern kommt im Falle von so genannten Neugeschäften (Neugläubigerhaftung) zum Zuge, welche der Geschäftsführer vornimmt, nachdem die Insolvenzantragsfristen abgelaufen sind (Insolvenzverschleppung).
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4.4
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Liquiditätssteuerung durch Cashpool
Ein Cashpool wird im Unternehmensverbund (Konzern) eingerichtet. Die Unternehmen verwenden die bei den jeweiligen Konzerngliedern vorhandene Liquidität, um sie jenen Unternehmen des Konzernverbundes zur Verfügung zu stellen, die die Liquidität für ihr laufendes Geschäft benötigen. Es wird also ein Finanzierungskreislauf eingerichtet, das so genannte Cash-Management. Auf diese Weise stellen die Unternehmen des Verbundes sicher, dass alle Gesellschaften der Unternehmensgruppe über die notwendigen Mittel verfügen können, um hier ihren operativen Betrieb ohne eine zusätzliche Fremdmittelaufnahme auf den Kapitalmärkten führen zu können. Die überschüssige Liquidität wird also nicht zu einem häufig geringen Zinssatz an Banken ausgeliehen, sondern in der Unternehmensgruppe dort verwendet, wo sonst der Liquiditätsbedarf durch teure Bankdarlehen zu decken wäre. Das CashManagement führt insoweit gruppenweit zu Zinsvorteilen. Die Zahlungsabwicklung im Cashpool ist rechtlich als Darlehensgewährung aufzufassen. Über die Konzernverbindung können solche Darlehensgewährungen dem Kapitalersatz unterliegen (dazu noch unter 5. Kapitalersatzhaftung). Dies ist der Fall, wenn die darlehensgewährende Gesellschaft im Verhältnis zum darlehensempfangenden Unternehmen konzernrechtliche Einflussmöglichkeiten hat. Davon ist auszugehen, wenn die darlehensgewährende Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar über andere Gesellschaften Einfluss auf die Geschicke des darlehensempfangenden Unternehmens auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage (also durch Ausübung von Stimmmacht) entfalten kann. Eine gesellschaftergleiche Beziehung ist demgemäß insbesondere in folgenden Konstellationen anzunehmen: Das darlehensgewährende Unternehmen hält an dem darlehensempfangenden Unternehmen mehr als 50 Prozent der Anteile/Stimmrechte. Das darlehensgewährende Unternehmen kann über zwischengeschaltete Unternehmen Einfluss auf die Geschicke des darlehensempfangenden Unternehmens ausüben (z. B. hat das darlehensgewährende Unternehmen die Mehrheitsstellung in einer Zwischenholding, die ihrerseits die Mehrheitsstellung im darlehensempfangenden Unternehmen besitzt). Das darlehensgewährende Unternehmen hat zwar keine Einflussmacht in dem darlehensempfangenden Unternehmen (z. B. Schwestergesellschaften), jedoch wird das darlehensgewährende Unternehmen von einem Unternehmen beherrscht (auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage = Mehrheit der Stimmen), das seinerseits eine mehrheitliche Beteiligung am darlehensempfangenden Unternehmen hält. Das genügt für die Annahme einer dem Kapitalersatz unterliegenden Konzernverbindung.
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Zu beachten ist, dass die neuere Rechtsprechung auch im Rahmen der Liquiditätssteuerung des Cashpools Kapitalerhaltungs- und Kapitalersatzgrundsätze durchgehend anwendet, insoweit also keine Privilegierung oder Sonderrecht besteht. Ferner ist für das Cashpooling die Gefahr kennzeichnend, dass in der Krise einzelner Unternehmen des Konzernsverbundes das Cash-Management zur (Insolvenz-)Anfechtung von Rückerstattungen auf Darlehen führen kann. Zumeist sieht nämlich die Cash-Vereinbarung nicht vor, wer letztendlich als Darlehensgeber bzw. Darlehensnehmer fungiert. Das ist insbesondere dann problematisch, wenn Zahlungen auf Weisung einzelner Konzernglieder von anderen Konzernunternehmungen an die darlehensempfangenen Unternehmen erfolgen. Hier ist bei einer Vielzahl von unterschiedlichen Zahlungswegen häufig nachträglich nur schwer rekonstruierbar, wer rechtlich an den Darlehensbeziehungen beteiligt ist. Wenn ein Unternehmen sodann Darlehenserstattungen leistet, ohne dass belegbar ist, ob die Darlehenserstattungen tatsächlich an den richtigen Darlehensgeber erfolgt sind, so sind solche Zahlungen nachträglich anfechtbar, weil sich der Insolvenzverwalter auf den Standpunkt stellt, es handele sich bei der betreffenden Zahlung (= Darlehenserstattung) um eine unentgeltliche, jedenfalls aber um eine nicht geschuldete und damit inkongruente Deckung, die der Anfechtung unterliegt (§ 131 InsO). Insoweit lässt sich vertragliche Vorsorge treffen, und zwar dergestalt, dass man im Rahmen der Cashpool-Vereinbarung bindend festlegt, wer als Darlehensgeber fungiert, wenn Zahlungen auf Weisungen erfolgen. Grundsätzlich lässt sich auch vereinbaren, dass eine bestimmte Konzernunternehmung stets für Rechnung einer anderen Konzernunternehmung Zahlungen leistet, so dass immer jenes Unternehmen als Darlehensgeber fungiert, für dessen Rechnung die Zahlung erfolgt. Damit ist von vornherein durch Vereinbarung klargestellt, wer Darlehensgeber und wer Darlehensnehmer ist. Man kann also dem späteren Insolvenzverwalter auf diese Weise für jede Zahlung einen Empfangsberechtigten präsentieren, weil bei jedem Zahlvorgang vertraglich festgelegt ist, welche Darlehensschuld gegenüber welchem Unternehmen erledigt wird. In der Cashpool-Vereinbarung sollte im Übrigen festgelegt werden, welche Fälligkeiten für das Darlehen bestehen. Grundsätzlich macht es Sinn, die Darlehen als jederzeit fällig einzustufen, um ebenfalls nachträglich Anfechtungsmöglichkeiten für den Insolvenzverwalter zu erschweren, der sich ohne eine Fälligkeitsregelung auf den Standpunkt stellen kann, dass es zunächst einer Kündigung bedurft hätte oder aber die gesetzlichen Kündigungsfristen bei Zahlungen nicht eingehalten waren.
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Formulierungsvorschlag: Cashpool-Vereinbarung zwischen 1. – nachfolgend Holding – und 2.
a) b) c)
– nachfolgend zusammen: Konzernunternehmen – 1. Zwischen den Beteiligten des Cashpools besteht Einigkeit, dass Zahlungen seitens der Konzernunternehmen an andere Konzernunternehmen, denen keine Lieferung oder Leistung aus dem Geschäftsbetrieb des zahlenden Konzernunternehmens zugrunde liegt, stets als Darlehen der Holding an die Zahlungsempfänger zu werten sind. Sind die Konzernunternehmen Darlehensempfänger, so gelten die Darlehenserstattungszahlungen an die Konzernunternehmen als Erfüllung der Darlehenserstattungsansprüche des Mutterunternehmens. 2. Die Konzernunternehmen sind verpflichtet, die an sie zur Erfüllung von Darlehenserstattungsansprüchen der Holding geleisteten Zahlungen auf jederzeitige Weisung der Holding an diese oder für ihre Rechnung an andere Konzernunternehmen auszuzahlen. 3. Weiterhin besteht zwischen den Cashpool-Beteiligten Einigkeit, dass eine Fälligkeit der Darlehenserstattung durch Anforderung der Darlehenserstattung bewirkt wird.
___________________ Unterschrift
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5.
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Kapitalersatzhaftung
Für den Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft (insbesondere GmbH oder AG) stellt sich in der Krise des Unternehmens die Frage, in welcher Form er Stützungsmaßnahmen ergreifen soll. Üblicherweise gewähren Gesellschafter zu dieser Zeit Darlehen oder besichern Fremdkredite (vor allem Bankdarlehen). Wenn die Gesellschaft ihren Betrieb nur mit Darlehen von Gesellschaftern fortführen oder das dazu erforderliche Fremdkapital nur unter Stellung von Sicherheiten der Gesellschafter auf dem Finanzmarkt aufnehmen kann, so skizziert dies den für die Anwendung der Kapitalersatzhaftung maßgeblichen zeitlichen Einsatzpunkt der Krise des Unternehmens. Diese Krise führt dazu, dass die durch die Gesellschafter gewährten oder in der Krise gestundeten Fremdmittel (Gesellschafterdarlehen oder Gesellschaftersicherheiten) in Eigenkapital umzuqualifizieren sind. Rechtsfolge dieser Kapitalumwidmung ist, dass der Gesellschafter außerhalb der Insolvenz die Mittel nur zurückfordern kann, wenn und soweit die Krise überwunden ist, was anzunehmen ist, wenn und soweit die Fremdmittel nicht benötigt werden, um das Stammkapital/Grundkapital (= gezeichnetes Kapital) der Gesellschaft darzustellen (d. h., bei Saldierung von Aktiv- und Passivseite der Bilanz muss das Eigenkapital höher oder gleich dem Betrag des gezeichneten Kapitals sein, damit eine Erstattung an den Gesellschafter ohne Verstoß gegen die Kapitalersatzgrundsätze erfolgen kann). Erhält der Gesellschafter außerhalb der Insolvenz das Darlehen ganz oder teilweise zurück, ist er zur Erstattung verpflichtet, wenn und soweit die Zahlung das Vermögen der Gesellschaft unter die Schwelle des gezeichneten Kapitals (z. B. Stammkapital der GmbH) reduziert hat (= bei Saldierung der Aktiv- und der Passivseite der Bilanz ergibt sich ein Eigenkapital, das den Betrag des gezeichneten Kapitals unterschreitet, so genannte Unterbilanz).
Beispiel Das Reinvermögen der Gesellschaft beträgt 60.000 Euro, das Stammkapital der GmbH liegt bei 50.000 Euro. Der Gesellschafter erhält Darlehensmittel in Höhe von 15.000 Euro zurück. Er ist in diesem Fall außerhalb der Insolvenz zur Erstattung in Höhe von 5.000 Euro verpflichtet, weil dieser Betrag erforderlich ist, um das Vermögen auf die Stammkapitalschwelle zu erhöhen.
Entsprechendes gilt, wenn die Gesellschaft in der Krise ein Drittdarlehen erstattet, das durch einen Gesellschafter gesichert wurde.
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Beispiel Das Reinvermögen der Gesellschaft beträgt 60.000 Euro, das Stammkapital der GmbH liegt bei 50.000 Euro. Der durch einen Gesellschafter durch Bürgschaft gesicherte Bankkredit wird von der Gesellschaft in Höhe von 15.000 Euro zurückgeführt. Der Gesellschafter ist in diesem Fall außerhalb der Insolvenz zur Erstattung in Höhe von 5.000 Euro verpflichtet, weil dieser Betrag erforderlich ist, um das Vermögen auf die Stammkapitalschwelle zu erhöhen.
Eine Krise ist zu vermuten, wenn die Gesellschaft im insolvenzrechtlichen Sinne überschuldet ist. Maßgeblich ist auch insoweit nicht die Handels- oder Steuerbilanz, sondern die Überschuldung unter Abbildung eines insolvenzrechtlichen Status. Allerdings enthält das Gesetz mittlerweile ein so genanntes Sanierungsprivileg. Wenn ein Darlehensgeber die Darlehensgewährung mit dem Beitritt zur Gesellschaft verknüpft und das Darlehen zum Zwecke der Sanierung einräumt, ist das Darlehen insgesamt entsperrt, das heißt von der Anwendung der Kapitalersatzgrundsätze ausgeschlossen. Vorausgesetzt wird freilich, dass das zugrunde liegende Sanierungskonzept objektiv geeignet ist, das Überleben der Gesellschaft zu sichern. Ebenfalls von der Kapitalersatzverantwortung ausgeschlossen sind solche Gesellschafter, die mit weniger als zehn Prozent an der Gesellschaft beteiligt sind (Kleingesellschafterprivileg).
6.
Sanierungsbaustein – Insolvenzantragstellung
Auch die Insolvenzantragstellung ist taktisch einzurichten. Es ist anzuraten, stets nur wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, nicht wegen des Bestehens von Insolvenzgründen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Insolvenzantrag zu stellen, da andernfalls dritte Stellen (Staatsanwaltschaft, Sozialversicherungsträger) sich auf die Aussagen des Insolvenzantrags berufen und damit die Beweissituation des beantragenden Geschäftsleitungsorgans sich nachhaltig verschlechtert. Die Berufung auf die drohende Zahlungsunfähigkeit lässt Rückzugsmöglichkeiten im Hinblick auf den Vorwurf der Insolvenzverschleppung und weiterer im Zusammenhang mit der Insolvenz stehender Delikts- und Schadensersatzgruppen (zum Beispiel Bilanzfälschung, Nicht-Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen, Neugläubigerhaftung im Bereich der Insolvenzverschleppung) zu.
Rechtliche Sanierungsberatung
7.
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Beispiel für einen Insolvenzantrag
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der _______ GmbH/GmbH & Co. KG, diese vertreten durch die _______ GmbH, diese vertreten durch ihre Geschäftsführer, sämtlich geschäftsansässig, (AG HR B/A) Verfahrensbevollmächtigte: ______________ Namens und in Vollmacht (beigelegt) der Geschäftsführer der Antragstellerin beantragen wir, ______________ das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Antragsteller/in wegen drohender Zahlungsunfähigkeit zu eröffnen.
Begründung: Zur Begründung und Sachverhaltsaufklärung geben wir bekannt. I. Verhältnisse der Antragstellerin 1. Gründung der Antragstellerin: Die Antragstellerin wurde zu notariellem Protokoll des Notars _____ in _____ am _____ gegründet (UR.-Nr. ___/___). 2. Eintragung der Antragstellerin in das Handelsregister 3. Unternehmensgegenstand: Unternehmensgegenstand ist _______________ 4. Stammkapital Das Stammkapital lag zuletzt bei _______________ 5. Geschäftsführung: Geschäftsführer ist/sind _______________ 6. Gesellschafter Gesellschafter ist/sind mit folgenden Geschäftsanteilen/Gesellschaftsanteilen _______________
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Marcus Geuting
7. Hausbanken Hausbanken der Antragstellerin sind: _______________ 8. Arbeitnehmer Die Antragstellerin beschäftigt ________ Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat besteht/besteht nicht. 9. Gehaltsrückstände Die Gehälter des Monats ________ wurden nicht ausbezahlt. 10. Beteiligte Krankenkassen II. Ursache des Insolvenzgrundes Die Gesellschaft hat aufgrund _______________ einen erhöhten Finanzbedarf, welcher durch die Hausbanken nicht zu decken ist. Deshalb droht im Laufe des Monats Zahlungsunfähigkeit. III. Anlagen Handelsregisterauszug Letztgültiger Gesellschaftsvertrag Jahresabschlüsse für die letzten Geschäftsjahre BW/ SuSa für das laufende und vorige Geschäftsjahr. Verfahrensvollmacht IV. Sanierung Es soll eine sanierende Übertragung erfolgen. _________________ (Unterschrift Anwalt) Zu beachten ist, dass ein Insolvenzantrag bei mehrgliedrigen Geschäftsleitungen durch alle Geschäftsführer zu zeichnen ist. Andernfalls, das heißt bei Antragstellung durch nur ein Mitglied der Geschäftsleitung, ist der Insolvenzgrund glaubhaft zu machen.
Rechtliche Sanierungsberatung
8.
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Faktische Geschäftsführerstellung des Sanierungsmanagers
Währt der Sanierungsprozess einen längeren Zeitraum, so läuft der Sanierer, der sich im Sanierungsmanagement betätigt, Gefahr, in die faktische Geschäftsführerrolle zu geraten, und zwar mit allen nachteiligen Rechtsfolgen in haftungs- und strafrechtlicher Hinsicht und zwar selbst dann, wenn es an einer förmlichen Bestellung zum Geschäftsführer/Vorstand fehlt. Der so genannte faktische Geschäftsführer unterliegt demselben Haftungsrisiko wie der förmlich bestellte (das gilt insbes. für die Bereiche der Insolvenzverschleppung, der Nicht-Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und der Steuerverkürzung). Wichtig ist daher, trotz Einrichtung eines Sanierungsmanagements eine so genannte Spartenorganisation der Geschäftsleitung einzurichten, die gewährleistet, dass der Sanierungsmanager nicht alle Merkmale des faktischen Geschäftsführers erfüllt. Dies schließt es natürlich ein, dem Sanierungsmanager keine formale Geschäftsführerposition durch entsprechende Bestellung in das Amt einzuräumen, da die Übernahme eines förmlichen Leitungsamtes jedenfalls die Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung für die Einhaltung aller die Leitungsorgane treffenden Verpflichtungen nach sich zieht. Im Einzelnen zur Rechtsfigur des faktischen Geschäftsführers: Der Begriff des faktischen Geschäftsführers, der in der zivilrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend verwandt wird (vgl. BGHZ 41, 282, 287; 47, 341, 343; 75, 96, 106; 104, 44, 46), ist erfüllt, wenn sowohl betriebsintern als auch nach außen alle Dispositionen weitgehend von dem faktischen Geschäftsführer ausgehen und er im Übrigen auf sämtliche Geschäftsvorgänge bestimmenden Einfluss nimmt (BGHSt 31, 118, 121). Die Unternehmensführung darf nicht einseitig angemaßt, sondern muss mit dem Einverständnis der Gesellschafter, das als eine konkludente Bestellung zu werten ist, erfolgt sein (BGHSt 3, 33, 39; 31, 118, 122 m. w. Nachw.-, BGH NStZ 2000, 34 ff., 35). Weitere Voraussetzung für einen faktischen Geschäftsführer ist, dass er gegenüber dem formellen oder faktischen Geschäftsführer die überragende Stellung in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung einnimmt oder zumindest das deutliche Übergewicht hat (BGHSt 3, 32. 37; 31, 118, 122; BGHR GmbHG § 64 I Antragspflicht 3; BGH wistra 1990, 97 f.; vgl. zusammenfassend Löffeler wistra 1989, 121, 125). Auch nach BayObLG NJW 1997, 1936 ist es erforderlich, dass der faktische Geschäftsführer Geschäftsführerfunktionen „in maßgeblichem Umfang“ (BGH NJW 1988, 1789 f) übernommen hat, wobei seiner Geschäftsführung „ein Übergewicht“ (BGH StV 1984, 461 f.), wenn nicht gar „eine überragende Stellung“ (BGH NJW 1983, 240) zukommen muss. Das BayObLG hat in seiner Entscheidung zur Feststellung einer „überragenden Stellung“ nachstehende Kriterien angeführt:
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Marcus Geuting
„Die Stellung des faktischen Geschäftsführers ist dann überragend, wenn er von den acht klassischen Merkmalen im Kernbereich der Geschäftsführung: Bestimmung der Unternehmenspolitik Unternehmensorganisation Einstellung von Mitarbeitern Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern Verhandlung mit Kreditgebern Gehaltshöhe Entscheidung der Steuerangelegenheiten Steuerung der Buchhaltung mindestens sechs erfüllt (vgl. BGH, NJW 1997, 66 f).“ Die Unternehmensführung darf nicht einseitig angemaßt, sondern muss mit dem Einverständnis der Gesellschafter, das als eine konkludente Bestellung zu werten ist, erfolgt sein (BGHSt 3, 33, 38; 31, 118, 122 m. w. Nachw.; BGH NStZ 2000, 34 ff., 35).
9.
Vermeidung von Verzögerungen im Bereich der Buchhaltung/Bilanzierung
Die Erfahrung lehrt, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbehörden in der Regel davor zurückschrecken, wegen Insolvenzverschleppung zu ermitteln bzw. Anklage zu erheben, da diese Form des Deliktes nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zu beweisen ist. Die Einholung eines solchen Sachverständigengutachtens belastet die Staatskasse mit erheblichen Kosten (in der Regel nicht unter 10.000 Euro bis 15.000 Euro). Die Staatsanwaltschaft zieht sich demgemäß häufig darauf zurück, formal leicht eingrenzbare Delikte zu verfolgen, insbesondere: Bankrotthandlungen, Nicht-Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Im Bereich der Bankrottdelikte rangieren die verspätete Bilanzerstellung und die Nichteinhaltung von Buchführungspflichten vorn.
Rechtliche Sanierungsberatung
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Dem Vorwurf der verspäteten Bilanzerstellung lässt sich dabei in der Praxis leicht begegnen. Der Geschäftsleitung ist anzuraten, die etwaig überfälligen Jahresabschlüsse grob aus der Buchhaltung zu entwickeln und zu unterschreiben. Liegen „solche“ Jahresabschlüsse vor, neigt die Staatsanwaltschaft in der Praxis dazu, von einer Verfolgung abzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn die Ansätze der Jahresabschlüsse in Zweifel zu ziehen sind. Denn auch hier müsste die Staatsanwaltschaft letztlich mit einem Sachverständigengutachten die Richtigkeit der Ansätze überprüfen. Diese Kosten scheut die Staatskasse. Häufig versucht die Staatsanwaltschaft ihre Anklage in diesen Bereichen auf das Beweismittel der Stellungnahme des (späteren) Insolvenzverwalters und dessen gutachterlichen Überlegungen zum Bestehen eines Insolvenzgrundes zu stützen. Eine solche Beweisführung muss der Beschuldigte nicht hinnehmen. Das Gutachten des Insolvenzverwalters basiert sowohl im Bereich der Zahlungsunfähigkeit als auch der Überschuldung in aller Regel auf der Datenlage im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung. Die insoweit anzuwendenden Maßstäbe weichen jedoch von der Bewertungsmethodik im Bereich der Prüfung eines operativ tätigen Geschäftes maßgeblich ab. Beispielhaft lassen sich daher in der Regel folgende Einwendungen erheben: Das Gutachten des Insolvenzverwalters berücksichtig keine stillen Reserven berücksichtigt keine Rohgewinnaufschläge im Warenbestand bewertet nicht halbfertige Produkte, unfertige Erzeugnisse/Leistungen etc. oder setzt nur Zerschlagungswerte an berücksichtigt keinen Firmenwert enthält keine Prüfung der kurzfristig zu erzielenden Liquidität durch Veräußerung des Umlaufvermögens unter Preis (betrifft Zahlungsfähigkeit!) nimmt Forderungswertberichtigungen unter dem Gesichtspunkt der Zerschlagung vor und berücksichtigt keine immateriellen Werte (Lizenzen, Intellectual Property etc.).
10.
„Richtige“ Insolvenzantragsstellung
Auch die Insolvenzantragstellung ist taktisch einzurichten. Es ist anzuraten, stets nur wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, nicht wegen des Bestehens von Insolvenzgründen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Insolvenzantrag zu stellen, da andernfalls dritte Stellen (Staatsanwaltschaft, Sozialversicherungsträger) sich auf die Aussagen des Insolvenzantrags
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berufen und sich damit die Beweissituation des beantragenden Geschäftsleitungsorgans nachhaltig verschlechtern kann (siehe dazu näher unter 4.3). Die Berufung auf die drohende Zahlungsunfähigkeit lässt Rückzugsmöglichkeiten im Hinblick auf den Vorwurf der Insolvenzverschleppung und weiterer im Zusammenhang mit der Insolvenz stehender Delikts- und Schadensersatzgruppen (zum Beispiel Bilanzfälschung, Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen, Neugläubigerhaftung im Bereich der Insolvenzverschleppung) zu.
11.
Gestaltung des Sanierungsberatungshonorars
Honorare für die echte Sanierungsberatung sind grundsätzlich der Insolvenzanfechtung entzogen, selbst wenn der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit für den Berater erkennbar zum Zeitpunkt der Empfangnahme des Honorars bestand. Voraussetzung hierfür ist, dass die Beratung (in dokumentierbarer Form) auf die Sanierung des Unternehmens gerichtet war, weiterhin, dass die Vergütung des Sanierers Bargeschäftscharakter zeigt. Von einem Bargeschäft spricht man, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein zeitlicher Abstand von nicht mehr als zwei Wochen liegt. Deshalb tut der Sanierer gut daran, das Sanierungsberatungshonorar sogleich zu Beginn seiner Tätigkeit im Vorschusswege zu vereinnahmen. Im Einzelnen richtet sich die Anfechtungsfestigkeit des Sanierungshonorars nach folgenden Kriterien: Eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung kann durch einen objektiv und subjektiv ernsthaften Sanierungsversuch ausgeschlossen werden, auch wenn der Sanierungsversuch letztendlich scheitert. Voraussetzung für die anfechtungsfreie Vollhonorierung ist ein in sich schlüssiges Konzept, das von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und nicht offensichtlich undurchführbar ist. Dabei kann zunächst die Sachverhaltsermittlung für eine (Teil-)Honorierung genügen, falls die Tätigkeitsberichte ersichtlich eine sorgfältige Datenaufbereitung zum Gegenstand hatten, also den Weg zu einem Sanierungskonzept beschreiben. Dies wird man als notwendige Voraussetzung für die Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes anerkennen müssen, da jede Sanierungsberatung eine Analyse der wirtschaftlichen Gegebenheiten voraussetzt. Die Sanierungsprüfung muss unter Berücksichtigung der verfügbaren Zeit folgende Voraussetzungen erfüllen: Untersuchung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche Untersuchung der Krisenursachen Untersuchung der Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage
Rechtliche Sanierungsberatung
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Erst danach wird man ein seriöses Sanierungskonzept erstellen können. Eine Anfechtbarkeit kann sich bei sachangemessener Sanierungstätigkeit nur aus einer unangemessen hohen Honorierung ergeben, so dass man sie in diesem Fall wegen der möglichen Teilbarkeit, jedenfalls im Umfang des unangemessenen Teils zur Insolvenzmasse, zurückverlangen könnte (BGH NJW 1995, 1093 = ZIP 1996, 297). Unter Umständen bedarf es im Einzelfall der Einholung eines Gutachtens, um die richtige Aufteilung der vereinnahmten Entgelte vornehmen zu können (vgl. für das Anwaltshonorar BGHZ 77, 250, 254 = ZIP 1980, 618). Auch hier macht es aus Sicht des Beraters Sinn, für eine detaillierte Dokumentation der Sanierungsschritte zu sorgen.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
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Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan Michael Joseph Keusgen
Michael Joseph Keusgen war zehn Jahre lang Hauptgesellschafter der Prime Footwear Gruppe mit Sitz in Münster und New York sowie Betriebsstätten in Spanien und Mexiko. Nach dem Verkauf hat er im Jahr 1998 die Gruppe und andere Unternehmen beraten. Dabei hat er sich zunehmend auf eine „hands-on“-Beratung von Unternehmen in Krisensituationen spezialisiert. Seit 1999 war er am Turnaround bzw. der Sanierung von mehr als 20 Unternehmen aktiv beteiligt, im Wesentlichen in beratender Funktion, aber auch in operativer Geschäftsleitungsverantwortung oder als Gesellschafter engagiert. Bei allen Unternehmen handelte es sich um mittelständische Unternehmen in der Größenordnung von 50 bis 1.200 Mitarbeitern. Seit 2002 ist er Managing Partner der Rescure Turnaround Management GmbH. Nach verschiedenen Planverfahren war er im Jahr 2005 maßgeblich an der Sanierung eines bedeutenden Industrieunternehmens durch das bisher drittgrößte durchgeführte Insolvenzplanverfahren beteiligt. Dieser Plan wurde Ende 2005 durch die Gläubiger bzw. das Gericht bestätigt. E-Mail: [email protected]
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Michael Joseph Keusgen
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung........................................................................................................................ 75 2. Szenario des Kriseneintritts .............................................................................................. 78 3. Turnaround Management.................................................................................................. 79 4. Insolvenzrechtliche Anforderungen – Überprüfung und fortlaufende Überwachung der Insolvenzantragspflicht....................... 95 5. Erstellung eines vollständigen Insolvenzplans und Integration des Konzeptes ................ 99 6. Außergerichtliche Umsetzung ........................................................................................ 114 7. Vorläufiges Insolvenzverfahren ...................................................................................... 117 8. Eröffnetes Insolvenzverfahren........................................................................................ 122 9. Planerfüllung und Überwachung .................................................................................... 126 10. Zusammenfassung .......................................................................................................... 128
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
1.
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Einführung
Das Insolvenzplanverfahren: verkannt und ungeliebt. Selten wird es genutzt – am wenigsten durch das Krisenunternehmen – obwohl es dem Management und häufig auch den Gesellschaftern die Möglichkeit eröffnet, den Prozess aktiv zu gestalten – in aller Regel ohne Chancen zu vergeben. Die Bedeutung des Insolvenzplanverfahrens gemäß dem neuen Insolvenzrecht geht bei entsprechender Instrumentalisierung weit über die im Gesetz vorgesehene reine Fortführung des in der Krise befindlichen Unternehmens in und aus der Insolvenz hinaus. Vielmehr kann der im Vorfeld der Insolvenz bereits erstellte Insolvenzplan (so genannter „prepackaged“-Plan) die Grundlage eines Sanierungskonzeptes im Rahmen einer außergerichtlichen Sanierung bilden und bereits hier dazu dienen, notorische Neinsager (Gläubiger mit einer grundsätzlich Haltung, Vergleiche abzulehnen) zu disziplinieren. Im Falle eines Scheiterns der außergerichtlichen Sanierung stellt der vorhandene Insolvenzplan ein „Auffangnetz“ dar. Mit der dann meist unumgänglichen Insolvenzantragstellung, gegebenenfalls mit dem Antrag auf Eigenverwaltung (siehe die Verfahren „Ihr Platz“ und „Fuba Printed Circuits“), wird gleichzeitig der Insolvenzplan bei Gericht eingereicht. In einem nunmehr geregelten Prozess kann die finanztechnische und operative Sanierung mit der Mehrheit der Gläubiger unter Hilfe des Gerichtes umgesetzt werden. Seit dem 1. Januar 1999 gilt die neue Insolvenzordnung. Wesentliche Neuerung ist der Insolvenzplan. Er soll die Funktion von Vergleich und Zwangsvergleich übernehmen, was in der Praxis jedoch bisher nur selten umgesetzt wurde. Dabei sieht die Insolvenzordnung ausdrücklich vor, die Reorganisation und Fortführung des Rechtsträgers des schuldnerischen Unternehmens als Ziel umzusetzen und die Gläubiger aus den Erträgen zu befriedigen. Auf den folgenden Seiten soll umrissen werden, wie das Insolvenzplanverfahren genutzt werden kann: A. als ein Hilfsmittel in der außergerichtlichen Sanierung und B. als Auffanglösung im Falle des Scheiterns. Die zwei wesentlichen Ziele bedingen und ergänzen sich und stehen in unbedingter Abhängigkeit zueinander: I. die finanzwirtschaftliche Sanierung = Entschuldung des Unternehmens II. der leistungswirtschaftliche Turnaround = Wiederherstellung der Ertragskraft Grundsätzlich können diese Ziele ebenfalls mit der übertragenden Sanierung erreicht werden. Der Fokus der wesentlich simpleren übertragenden Sanierung liegt aber in erster Linie auf der kurzfristigen finanzwirtschaftlichen Sanierung und zwar häufig auf Kosten der Gläubiger
76
Michael Joseph Keusgen
des Unternehmens. Als Druckmittel gegenüber den Gläubigern innerhalb der außergerichtlichen Sanierung ist die Drohung mit dem Schritt zur übertragenden Sanierung also nicht wirkungsvoll, sondern häufig sogar kontraproduktiv und zieht ein „Mauern“ der Lieferanten nach sich. Die schwerpunktmäßige finanzwirtschaftliche Sanierung mag in der Vergangenheit auf weniger engen Märkten häufig, zumindest erst einmal, ausreichend gewesen sein. Heute und in Zukunft kann eine rein finanztechnische Sanierung die Schwächen eines Geschäftsmodells nicht kompensieren. Ohne einen leistungswirtschaftlichen Turnaround mit einer Neuausrichtung des Unternehmens wird eine Unternehmenssanierung langfristig nicht erfolgreich sein können. Hinzu kommt, dass oftmals eine wesentliche Voraussetzung der übertragenden Sanierung, nämlich frisches Geld für die neue, übernehmende Gesellschaft durch einen Investor oder den bzw. die Altgesellschafter, nicht gegeben ist. Häufig gibt es weder einen interessierten Investor, noch verfügen der oder die Altgesellschafter über die notwendigen finanziellen Mittel. Des Weiteren kann der Schritt zur übertragenden Sanierung in aller Regel nicht im Interesse der Altgesellschafter liegen, da aufgrund des durch den Gesetzgeber nicht klar umrissenen bzw. vordefinierten Prozesses mit erheblichen Kontrollverlusten zu rechnen ist. Ganz anders sieht dies bei dem tatsächlich ausformulierten Planverfahren mit seinen rechtlichen Anforderungen aus. Im Detail ist hier ausgearbeitet wie das Unternehmen finanz- und leistungswirtschaftlich restrukturiert werden soll – mit Zustimmung der Gläubiger. Der Plan als solcher – mit der gesetzlich vordefinierten Struktur – stellt ein Rechtsdokument dar. Die Gläubiger werden nicht übervorteilt und es bedarf ihrer Zustimmung. Nur in Ausnahmefällen kann die fehlende Zustimmung einzelner Gläubigergruppen durch das Gericht ersetzt werden. Der Insolvenzplan ist also der gesetzlich vorgesehene Rahmen für einen „Vergleich“. Aufgrund der hohen mit dem Insolvenzverfahren verbundenen Kosten ist er teurer als der außergerichtliche Vergleich. Deswegen macht es in aller Regel auch Sinn, einen außergerichtlichen Vergleich mit besseren Quoten für die Gläubiger anzustreben, was auch aus deren Sicht als ein seriöses Bestreben verstanden wird. Ganz anders nimmt der Gläubiger die Drohung der übertragenden Sanierung wahr – und sicherlich auch zu Recht –, denn in aller Regel wird für ihn das Ergebnis wenig befriedigend sein. Da die Forderungen der Gläubiger über die Laufzeit des Plans – in aller Regel ein mehrjähriger Zeitraum – in Raten getilgt werden, kommt dem im Insolvenzplan formulierten leistungswirtschaftlichen Turnaround-Konzept eine besondere Bedeutung zu. Die Tragfähigkeit dieses Konzeptes wird von den Gläubigern genau geprüft werden. Gerade bei Lieferanten handelt es sich meist um Brancheninsider mit ihrer eigenen Kompetenz, die die Nachhaltigkeit konkret prüfen können. Dies stellt einerseits sicher, dass tatsächlich fundierte Konzepte entwickelt werden, bedeutet aber andererseits für das Insolvenzplanverfahren eine hohe betriebswirtschaftliche und juristische Komplexität, und insbesondere deren notwendige Verknüpfung erfordert eine hohe interdisziplinäre Fachexpertise.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
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Nur im Zusammenspiel zwischen betriebswirtschaftlich kaufmännischen Experten und juristischen Experten ist ein tragfähiger Plan, der den unterschiedlichen Anforderungen auch im Detail genügt, erstellbar. Der zu betreibende Aufwand ist somit vergleichsweise hoch.
Kriseneintritt bzw. erkennen der und reagieren auf die Krise
` Standortbestimmung
Sanierungskonzept (Bestandteile)
` Erstellen eines Sanierungskonzeptes ` Überprüfung des Überschuldungsstatus und
Finanzwirtschaftlich
Analyse
Operativ
Fortführungsprognose
Zahlungsfähigkeit unter Berücksichtigung der Fortführungsprognose
Vor Insolvenz Antrag Stellung
` Ableitende Aufstellung des Plans unter Berück-sichtigung der Sanierungskonzeptes:
Ziele
des
Darstellender Teil
Sanierung
Liquidation
` Verzichte im Plan höher als im außergerichtlichen Vergleich.
` Gegebenenfalls Insolvenzplan als
Erstellung
Außergerichtlicher Vergleich (finanztechnische Sanierung)
Insolvenzverfahren (vorläufiges und eröffnetes)
Disziplinierungsinstrument nutzen unter Hinweis auf die Risiken des Verfahrens und der geringeren Quoten.
Überwachung der Planerfüllung
Insolvenzplan (Anlagen gem.§ 219 InsO)
Konzeption
Eigensanierung Übertragende oder teilübertragende
Umsetzung der operativen Maßnahmen des Sanierungskonzeptes
Zustimmung sämtlicher Gläubiger notwendig
Zulassung (§§ 232 ff. InsO)
Vorläufige Zurückweisung
Endgültige Zurückweisung (sofortige Beschwerde möglich)
(§233)
Gläubigerversammlung und Einsetzen eines Gläubigerausschusses im Vorfeld.
Wirkung der Aufhebung: ` Freie Verfügung des Schuldners ` Ämter des Verwalters und des G-Ausschusses erlöschen
Umsetzbarkeit Erfüllbarkeit Beachtung der Vorschriften über die Vorlage Beachtung der Vorschriften über den Inhalt
` Einholung von Stellungnahmen (§232) ` Entscheidung über Aussetzung von Verwertung und Verteilung
Maßnahmen bis zur Bestätigung des Plans
` Ggfls.
` Erläuterung des Plans ` Diskussion ` möglicherweise Modifikationen
Vorprüfung des Gerichts (§ 231 InsO)
Umsetzung operative Maßnahmen
` Aussetzen der Umsetzung der operativen
Anlagen
Der operative Teil der vorinsolvenzlichen Sanierung wird in aller Regel keine großen Veränderungen gegenüber der Gerichtlichen haben wohingegen die finanztechnische Sanierung im Insolvenzplan in aller Regel deutlich konsequenter Verzichte der Gläubiger einfordert.
Ggfls. Sofortmaßnahmen
Im Falle des Scheiterns einer Verzichts- und/oder Stundungsvereinbarung mit den Gläubigern erfolgt Antragstellung und Einreichung des Plans ggfls. mit Antrag auf Eigenverwaltung
Gestaltender Teil
` Niederlegung des Plans in der Geschäftsstelle(§ 234) ` Bestimmung Erörterungs- und Abstimmungstermin (§235)
Erörterungs- und Abstimmungstermin
Bestätigung des Plans durch das Insolvenzgericht
` Stimmrechtfeststellung ` Gruppenweise Abstimmung
` Aufhebung des Insolvenzverfahrens ` Öffentliche Bekanntmachung
` Überwachung der Planerfüllung durch Insolvenzverwalter als Sachwalter (alternativ durch beliebige Dritte)
` Finanztechnische
Sanierung durch Forderungsverzichte bilanziell vollzogen.
` Die Ansprüche sind erfüllt oder ihre Erfüllung ist gesichert oder ` in drei Jahren seit Insolvenzantragstellung kein neuer Antrag
Abbildung 1:
Befriedigung der Gläubiger im Zeitraum der Planerfüllung
Umsetzung operative Maßnahmen während der Planlaufzeit
Aufhebung der Überwachung der Planerfüllung durch das Insolvenzgericht
` Besserungsscheine haben Fortbestand
Struktureller Ablauf einer außergerichtlichen mit Insolvenzplan unterlegten Sanierung
78
2.
Michael Joseph Keusgen
Szenario des Kriseneintritts
Die Störung des finanziellen Gleichgewichts = Liquiditätskrise sowie die nachhaltige Beeinträchtigung der Ertragskraft des Unternehmens, die in aller Regel Ursache der Liquiditätskrise ist, erfordern von der Unternehmensleitung korrigierende Steuerungsmaßnahmen. Bei Vorliegen von Insolvenzantragsgründen (Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung) sind in Abhängigkeit von der Rechtsform des Unternehmens darüber hinaus rechtliche Konsequenzen erforderlich. Die Gründe für die Unternehmenskrise können vielfältiger Natur sein und zum Beispiel folgende Ursache haben: Managementfehler Ungenügende Transparenz und finanzielle Kontrolle Schlechtes oder nicht vorhandenes Projekt- und Claimmanagement Produktivitätsverluste aufgrund ausgebliebener Investitionen Wettbewerbssituation Veränderung der Marktnachfrage Fehlende Marktorientierung – introvertierte Unternehmensführung Gescheiterte oder verschobene Großprojekte Überzogene Investitionen (Beispielhafte Liste, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat) Das Management des Unternehmens steht unter enormem Zeitdruck, die existenzbedrohende Krise zu meistern. Der zur Verfügung stehende Zeitraum nimmt ständig ab. Die Gefahr übereilt getroffener nicht durchdachter Ad-hoc-Entscheidungen, die nicht aufeinander abgestimmt sind und die Chance des Turnarounds negativ beeinflussen, nimmt zu. Die psychischen und physischen Belastungen des Top-Managements führen zu Verunsicherungen und Stressituationen, die sich auf die nachgelagerten Managementebenen und über diese auf die Mitarbeiter übertragen. Vertrauensschwund und Demotivation nehmen zu und wirken sich negativ auf die Leistungsfähigkeit und Produktivität des Unternehmens aus. Oftmals haben bereits Leistungsträger das Unternehmen verlassen. Neue Impulse von Seiten des Managements und der Belegschaft eines Unternehmens sind in dieser Phase selten zu erwarten. In vielen Fällen verschärft eine Blockadehaltung des Betriebsrats im Schulterschluss mit der Gewerkschaft die Situation weiter. In Einzelfällen hat sich dieser Zustand in einer Paralysierung der Geschäftsleitung, die zu diesem Zeitpunkt bereits einen langen „Leidensweg“ hinter sich hat, manifestiert.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
79
Nicht zuletzt ist die Glaubwürdigkeit der Geschäftsleitung gegenüber Banken und Lieferanten sowie Mitarbeitern und Kunden angeschlagen. Vor dem Hintergrund dieses Szenarios bedarf es zur Bewältigung der Krisensituation der Zuführung externen Know-hows. Die Verstärkung und Unterstützung des Managements durch erfahrene externe Turnaround Managementberater ist zu diesem Zeitpunkt oftmals der einzig zielführende Weg, das Unternehmen neu zu positionieren, den Führungsprozess zu restrukturieren und die Vertrauensbasis intern wie extern wieder herzustellen. Eine der Hauptaufgaben des Turnaround Managements wird es sein, das Vertrauen von Banken und Lieferanten (als Gläubiger) und Kunden sowie Mitarbeitern in das entwickelte Konzept herzustellen und die Bereitschaft zu erwirken, dieses mitzutragen.
3.
Turnaround Management
Ein umfassendes Turnaround Management besteht aus einer Vielzahl komplexer und umfassender kaufmännisch-betriebswirtschaftlicher Aufgabenstellungen, die wie in Abbildung 2 skizziert in kürzester Zeit abzuarbeiten sind.
Festlegung Finanztechnischer Sanierungsbedarf
Konzept-Detaillierung und Umsetzung vorbereiten
Reaktives Kostensenkungsprogramm
Realisierung Vollzug der Maßnahmen
Projektvorbereitung und Orientierung
Coaching der Führungskräfte
Turnaround Konzeption Generelle Stoßrichtung
Workshop I
Exekutive Mitverantwortung
Workshop II
Workshop III
Workshop IV
Ausgangssituation Ertragsschwäche, Liquiditätsschwierigkeiten etc.
Turnaround
Insolvenzrechtliche Anforderungen Sanierungsfähigkeit prüfen Überschuldungsstatus Zahlungsfähigkeit Konfliktlösung und Blockadebeseitigung
Diagnose der Ausgangssituation Strategische Ausrichtung Vergleichsverhandlung mit Haupt-Gläubigern
Abbildung 2:
Ablauf
ProjektControlling
Betriebsinterne Maßnahmen Einleitung und Umsetzung
80
Michael Joseph Keusgen
Neben der analytisch-konzeptionellen Aufgabenstellung besteht ein Aufgabenschwerpunkt einer erfolgreichen Turnaround-Beratung in der faktischen Umsetzung, also der operativen und zum Teil auch exekutiven Mitverantwortung des Turnaround-Beraters sowie in der Mediation zwischen den einzelnen Beteiligten mit zum Teil unterschiedlichen Zielsetzungen. In dieser unmittelbaren Ergebnisorientierung bei gleichzeitiger Messbarkeit liegt die wesentliche Differenzierung zur klassischen Unternehmensberatung.
3.1
Leistungswirtschaftliche Restrukturierung
3.1.1
Turnaround-Konzeption – Generelle Stoßrichtung
Das Ziel der leistungswirtschaftlichen Restrukturierung ist es, kurzfristig jeden weiteren Kapitalverzehr zu stoppen und langfristig wieder dauerhaft profitabel zu sein. 1. Kurzfristige Zielsetzung: A. Die Rentabilität ist kurzfristig sicherzustellen: Kurzfristig sind die Verluste abzubauen und durch zumeist harte Maßnahmen ist erst einmal zeitnah in die Gewinnzone zurückzukehren oder zumindest sollen weitere Cash-Verluste (über die Höhe der Abschreibungen hinausgehende Verluste, die echten Geldabfluss bedeuten) vermieden werden. B. Dazu ergänzend sind häufig kurzfristige Maßnahmen zur Liquiditätssicherung einzuleiten und die parallel im Rahmen der finanzwirtschaftlichen Sanierung gewonnene Liquidität zielorientiert zu nutzen. 2. Mittel- und langfristige Zielsetzung: Langfristig ist das Unternehmen zur Sicherstellung eines nachhaltigen Turnarounds mit einer dementsprechenden dauerhaften Profitabilität neu auszurichten. Das vorhandene Geschäftsmodells muss überprüft, modifiziert und gegebenenfalls neu- oder umpositioniert werden. Diese zweigleisige Vorgehensweise wird in einem zentralen Tool, der Managementerfolgsrechnung (MER), zur Prozessteuerung und dem laufenden Controlling gebündelt, wie in Abbildung 3 dargestellt:
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
81
TURN AROUND KONZEPTION / PROGRAMM Strategie & strategisches Management
Fixe Kosten S
ÜBERPRÜFUNG DES GESCHÄFTS MODELLS
FK
Operations & operatives Management
Auslastung/ Vertrieb Strateg. Entwicklungsprogramm
O
NEU-/UMPOSITIONIERUNG
MER
Steuerung & Ressourcen
3.1.2
A/V
RENTABILITÄT KURZFRISTIG SICHERN
Managementerfolgsrechnung ST
Abbildung 3:
Reaktive Kostenanpassung
VK Variable Kosten
Turnaround Konzeption/Programm
Projektvorbereitung und Orientierung (Phase 0)
Für den späteren Projekterfolg ist eine gute Vorbereitung oft ausschlaggebend. Dies gilt im Besonderen für Turnaround- und Sanierungsprojekte. Bedeutsam sind insbesondere die Projektorganisation (Lenkungsausschuss) und die Einbindung der Führungskräfte (Projektteam) und des Betriebsrates sowie die Absteckung inhaltlicher und zeitlicher Vorgaben für die Projektarbeit. In der Vorbereitungsphase werden erste Analysen durchgeführt, um relevante Problemfelder zu identifizieren, Prioritäten festzulegen und Entscheidungen über Ausrichtung und Ablauf des Gesamtprojektes zu treffen. Diese Entscheidungen werden durch den Workshop 1 mit den Mitgliedern des Lenkungsausschusses (= Geschäftsführung und Gesellschafter) herbeigeführt. Von besonderer Bedeutung ist die Abklärung der Frage, mit welcher Priorität und über welche Instrumente bzw. Verfahrensweisen durch kurzfristig wirksam werdende reaktive Kostenanpassungen (z. B. Personal) die Ertragskraft des Unternehmens kurzfristig gesichert werden soll bzw. muss. Dies ist nicht nur von materieller Bedeutung, sondern beeinflusst auch den Projektablauf, die Terminplanung und den Ressourceneinsatz. (Anmerkung: Im Zweifel sollte man mit dem Kostensenkungsprogramm beginnen – siehe Kostensenkungsprogramm).
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Gleiches gilt für gegebenenfalls einzuleitende Maßnahmen zur Sicherung der kurzfristigen Liquidität. Denkbar sind hier zum Beispiel der kurzfristige Abbau von nicht zwingend notwendigen Lagerbeständen, kurzfristige Veräußerung von nicht betriebsnotwendigem Anlagevermögen, Ausweitung von Zahlungszielen auf Lieferantenseite, Einführung eines Anreizsystems zur zumindest vorübergehend schnelleren Kundenzahlung etc.
3.1.3
Diagnose der Ausgangssituation (Phase 1)
Wenn Ausrichtung und Ablauf des Projektes definiert sind, ist in Phase 1 eine umfassende Bestandsaufnahme, aus der sich der Handlungsbedarf und die strategische Ausrichtung ableiten lassen, vorzunehmen. Hierzu sind der Markt, der Wettbewerb und die Position des Unternehmens zu analysieren.
Analyse von Markt und Wettbewerb Im ersten Schritt wird das Umfeld des Unternehmens analysiert. Im Besonderen sind dies die wirtschaftliche Entwicklung, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die technisch/technologischen Rahmenbedingungen und Trends innerhalb derer sich das Unternehmen bewegt. Im Anschluss werden Markt und Kunden analysiert. Im Vordergrund steht dabei die Einschätzung der Markt(Segment)-Attraktivität und die Analyse spezifischer Kundenmerkmale auf der Basis einer vorzunehmenden Marktkundensegmentierung. Die Schwerpunkte dieser Analyse sind: a)
die Marktdynamik, wobei im Besonderen folgende Faktoren zu untersuchen sind:
Marktgröße und -wachstum Marktrendite Wachstum einzelner Sortimente Veränderung der Kundenstruktur Veränderung der Kundenbedürfnisse Einkaufskriterien Elastizität der Nachfrage Konzentrationsgrad der Abnehmer Veränderung der Einkaufsorganisation etc.
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b)
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die Marktdynamik, wobei im Besonderen folgende Faktoren zu untersuchen sind:
Kosten- und Ertragsstruktur von Anbietergruppen Substitutionsmöglichkeiten technische Veränderung der Produkte/Dienstleistung/Equipment Die Analyse der Hauptwettbewerber des Unternehmens dient dazu, die wichtigsten Wettbewerber und deren Politik und Fähigkeiten besser zu verstehen und zu klären, wie deren Marktposition, das heißt Marktanteil Segmentabdeckung Kundenbeziehung Erfüllung der Erfolgsfaktoren zu klären, und deren Ressourcen, das heißt Ertrags- und Kostenstrukturen Kapital und Kapazität sowie Know-how einzuschätzen.
Analyse des eigenen Unternehmens Im Vordergrund steht eine selbstkritische Analyse und Bewertung der eigenen Stärken und Schwächen. Die betriebswirtschaftlichen Daten werden ausgewertet, wie zum Beispiel die Deckungsbeitragssituation nach Kunden (Kundenerfolgsrechnung) Produkten (Produkterfolgsrechnung) Projekten (Projekterfolgsrechnung) Regionen (regionale Erfolgsrechnung) Geschäftsperioden (periodische Erfolgsrechnung) etc.
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Grad der Attraktivität -2
-1
0
1
2
-
Betriebsgrößeneinsparung Produktdifferenzierung Markenidentität Umstellungskosten Zugang zu Vertriebskanälen Kapitalerfordernis Zugang zu modernster Technologie Zugang zu Rohstoffen Erfahrungseffekte Gewährleistungen
Gering Gering Gering Gering Reichlich Gering Reichlich Reichlich Unwichtig Hoch
Hoch Ausgeprägt Hoch Hoch Beschränkt Hoch Beschränkt Beschränkt Sehr wichtig Gering
-
Spezialisierte Aktiva Einmalige Austrittskosten Strategische Verpflechtungen Emotionale Hemnisse Gesetzliche und soziale Restriktionen
Hoch Hoch Hoch Hoch Hoch
Gering Gering Gering Gering Gering
-
Anzahl gleichwertiger Wettbewerber Branchenwachstum Fest- oder Lagerkosten Produkteigenschaften Kapazitätssteigerungen Diversifikation der Wettbewerber Strategische Einsätze Flexibilität gegenüber Wettbewerbern
Groß Langsam Hoch Konsumgüter Große Schritte Hoch Hoch Niedrig
Klein Schnell Gering Spezialprodukte Kontinuierlich Gering Gering Hoch
Wenige Viele
Viele Wenige
Gering Stark Gering Hoch Großer Anteil Gering
Hoch Gering Stark Gering Geringer Anteil Hoch
- Anzahl wichtiger Zulieferer - Verfügbarkeit von Ersatzprodukten für die Produkte der Zulieferer - Differenzierungs- oder Umstellungskosten für Zulieferprodukte - Drohung der Zulieferer mit Vorwärtsintegration - Drohung der Branche mit Rückwärtsintegration - Bedeutung der Zulieferer für die Qualität oder den Service der Branche - Durch Zulieferer verurschte Gesamtkosten der Branche - Bedeutung der Branche für die Zuliefergruppe
Wenige Gering
Viele Hoch
Großer Anteil
Geringer Anteil
Gering
Hoch
- Verfügbarkeit eng verwandter Ersatzprodukte - Umstellungskosten der Benutzer - Rentabilität und Agressivität der Ersatzprodukt-Hersteller - Preis-Wert-Verhältnis der Ersatzprodukte
Hoch Gering Hoch
Gering Hoch Gering
Hoch
Gering
-
Unvorteilhaft Unvorteilhaft Gering Beschränkt Hoch Beschränkt Beschränkt Erheblich
Vorteilhaft Vorteilhaft Hoch Unbeschränkt Gering Unbeschränkt Unbeschränkt Keine
-
- Anzahl wichtiger Abnehmer - Verfügbarkeit von branchenfremden Ersatzprodukten - Umstellungskosten der Abnehmer - Drohung der Abnehmer mit Rückwärtsintegration - Drohung der Branche mit Vorwärtsintegration - Bedeutung für Qualität oder Service der Abnehmer - Gesamtkosten der Abnehmer durch die Branche - Rentabilität der Abnehmer
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Branchenschutz Branchenvorschriften Politische Kontinuität Internationaler Kapitaltransfer Zölle Devisenverkehr Ausländischer Besitz Hilfe für Konkurrenten
Hoch Stark Gering Hoch
EINTRITTSBARRIEREN AUSTRITTSBARRIEREN RIVALITÄT DER WETTBEWERBER VERHANDLUNGSSTÄRKE DER ABNEHMER VERHANDLUNGSSTÄRKE DER ZULIEFERER VERFÜGBARKEIT VON ERSATZPRODUKTEN BEHÖRDLICHE MAßNAHMEN GESAMTBEURTEILUNG
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Porter Abbildung 4: Beispiel einer strukturierten Analyse
KEINE Umstellung möglich.
Gering Gering Gering Stark
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
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Daneben sind kausale Analysen durchzuführen, insbesondere ist das Geschäftsmodell des Unternehmens, das heißt Strategie, Operations, Steuerung und Ressourcen, zu durchleuchten auf wettbewerbs- und ertragsrelevante Stärken und Schwächen mit den Schwerpunkten: Ertrags-Kostenpositionen mit Umsatz- und Renditeentwicklung Ertragsstruktur Kostenstruktur Marktposition mit Marktanteil Marktabdeckung Erfüllung der Haupterfolgsfaktoren Stärken und Schwächen des eigenen Geschäftsmodells Ressourcen mit Know-how Personal Technisches Equipment Finanzen Reputation Kundenkontakte Beziehungsmanagement etc. Nicht selten gestalten sich insbesondere quantitative Analysen als schwierig, da viele Unternehmen nur über eine rudimentäre Kosten- und Leistungsrechnung verfügen. Die Erfahrung zeigt, dass gerade hier Selbsteinschätzung (Zitat: „wir kennen unsere Zahlen bis ins Kleinste“) und Wirklichkeit im Sinne von wirklich wichtig weit auseinander klaffen. Die Spannweite reicht von „gar keinen vorhandenen“ Daten über „vorhandenen, aber gerade in diesem Einzelfall falschen“ Daten bis hin zum absoluten Datenfriedhof. Die Raffinesse besteht häufig in der Gewinnung und Analyse der primären Auftragsdaten und deren Verknüpfung mit den Ist-Kosten, so dass nach einer entsprechenden Verifizierung eine Kosten und Leistungsrechnung mit Kunden- und Produkterfolgsrechnung etc. auf Basis der Auftragsdaten simuliert werden kann.
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Michael Joseph Keusgen
Zusammenfassung der Ergebnisse Die Ergebnisse der Analysen werden im Hinblick auf Marktattraktivität und Konkurrenzfähigkeit, Ressourcen und Skills sowie Handlungsbedarf und Stoßrichtung aufbereitet und so dokumentiert, dass sie eine strukturierte Diskussion komplexer Zusammenhänge erlauben, die zu Richtungsentscheidungen führt. In der abschließenden Diskussion der Bestandsaufnahme zwischen den in aller Regel eingeschalteten Beratern und dem Management sowie den Gesellschaftern geht es darum, Konsens über die identifizierten Probleme und den absehbaren Handlungsspielraum sicherzustellen – und damit auch das Commitment der handelnden Personen für spätere Entscheidungen hinsichtlich notwendiger Kurskorrekturen bzw. Neuausrichtungen.
3.1.4
Strategische Ausrichtung (Phase 2)
In der Phase 2 muss die zukünftige Kernstrategie des Unternehmens entscheidungsreif entwickelt und verabschiedet werden. Die Schwerpunkte bei der Prüfung und Modifizierung der Kernstrategie sind: Formulierung von Zielvorgaben (3.1.4.1) Entwicklung und Darstellung von Alternativen (3.1.4.2) Bewertung und Auswahl von Alternativen (3.1.4.1) Festlegung und Beschreibung der Kernstrategie (3.1.4.4) Quantitative Formulierung der Kernstrategie, Planungsrechnungen (3.1.4.5)
3.1.4.1 Formulierung von Zielvorgaben Die Grundlage für die Formulierung der Zielvorgaben bilden die Ergebnisse aus der Phase 1, Diagnose der Ausgangslage. Die daraus abzuleitenden Zielvorstellungen sind quantitativ und qualitativ zu formulieren.
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Die Ziele werden für das Gesamtunternehmen festgelegt. Die quantitativen Zielvorgaben werden zum Beispiel definiert über: Gewinnsteigerungen abgeleitet aus Verbesserungen der Markteffektivität, das heißt Margen und Absatzmengen und Verbesserung der Effizienz, das heißt Economies of scale, Kostenoptimierung, Produktivitätssteigerung Marktanteile und Verbesserung der Marktausschöpfung Die qualitativen Zielvorgaben werden zum Beispiel definiert in Bezug auf die künftige Marktstellung und das Leistungsprofil des Unternehmens im Gesamtmarkt.
3.1.4.2 Entwicklung und Darstellung von Alternativen Im Rahmen der Überprüfung der bestehenden Kernstrategie sind, wenn gravierende Änderungen oder Verbesserungen erforderlich sind, Alternativen zu entwickeln, die über ausgesuchte Schlüsselvariablen definiert werden. Schlüsselvariablen sind unter anderem: Änderungen des Zielmarktes und der Geschäftsfelder, Änderungen des Leistungsprogramms/-profils, Änderungen in der Marktbearbeitung, Änderungen im Einsatz der Marketinginstrumente, Änderungen im operativen Bereich und in der Art, wie das Unternehmen gesteuert wird. Detailliert dargestellt in Abbildung 5. Bei der Suche nach Alternativen hat sich eine problemzentrierte Vorgehensweise bewährt. Vorgesehen ist daher, dass man bei den in der Situationsanalyse identifizierten Problemen und Chancen des Unternehmens und seiner Branche ansetzt.
3.1.4.3 Bewertung und Auswahl von Alternativen Die verschiedenen identifizierten Alternativen werden anhand qualitativer und quantitativer Beurteilungskriterien bewertet und auf zwei bis drei Kernoptionen reduziert. Diese zwei bis drei alternativen Optionen sind durch Szenariorechnungen auf ihre Attraktivität und ihre Machbarkeit zu überprüfen – um dann auf dieser Basis zu konkreten Entscheidungen zu kommen.
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DISKUSSION ZENTRALER STRATEGISCHER FRAGESTELLUNGEN UND STRATEGIEOPTIONEN
Geschäftsfeldstrategie
B U S I N E S S M O D E L L
Marktteilnehmerstrategien
Abgenzungstrategischer Geschäftsfelder
Funktionen
Technologien
Kundengruppen
Regionen
Marktfeldstrategie
Marktdurchdringung
Marktentwicklung
Dienstleistungs entwicklung
Diversifikation
Wettbewerbsvorteilsstrategie
Geschäftsvorteil
Innovations- Markie - Programmrungs- breitenvorteil vorteil
Marktabdeckungsstrategie
Gesamtmarkt
Nische
Timingstrategie
Pionier
Folger
Marktbearbeitungsstrategie Verhaltensstrategien
Differenziert
Undifferenziert
Abnehmergerichtet
Präferenzstrategien
Preis-/Mengenstrategie
Wettbewerbsgerichtet
Ausweichen
Kooperation
Konflikt
Anpassung
Absatzmittlergerichtet
Umgehung/ Ausweichen
Kooperation
Konflikt
Anpassung
Kommunikationspolitik (= Promotion)
MarketingInstrumenteStrategien
Leistungspolitik (= Produkte/Leistungsmix)
OperationsInstrumenteStrategien
Physische und technische Personaldisposition (= Qualifikation, Motivation, Facilitäten(= Know How, Hard-/Software, Kapazitäten) Kapazitäten)
FührungsInstrumenteStrategien
Organisation & Kompetenzen
Abbildung 5:
Kostenvorteil
vorteil
Personalplanung& Entwicklung
Distributionspolitik (= Platzierung)
Kontrahierungspolitik (= Preispolitik)
Prozessmanagement (= Projektabwicklung)
Interaktion mitden Kunden (= Beziehungsmanagement/ Informationsaustausch)
Finanzen und betriebs wirtschaftliches Controlling
Technologieentwicklung& Technologiemanagement
Diskussion zentraler strategischer Fragestellungen und Strategieoptionen
3.1.4.4 Festlegung und Beschreibung der Kernstrategie Die Entscheidungen schlagen sich in einem strategischen Konzept nieder, in dem Folgendes schriftlich festgehalten wird: die nunmehr konkretisierten Ziele, die beschlossenen Marktleistungs- und Marktbearbeitungsstrategien, die Grundlinien des Einsatzes der Marketinginstrumente, die vorgesehenen Anpassungsmaßnahmen im Operativen und in der Unternehmenssteuerung sowie der vorgesehene Ressourceneinsatz und die Realisierung bewilligter Mittel.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
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3.1.4.5 Quantitative Formulierung der Kernstrategie, Planungsrechnungen Für die quantitative Formulierung der Kernstrategie ist ein auf das Unternehmen zugeschnittenes parametrierbares Planungsmodell zu entwickeln. Die Planungsrechnung auf Grundlage dieses Modells soll eine deckungsbeitragsgestützte Gewinn und Verlustrechnung, Finanz- und Liquiditätspläne sowie Planbilanzen jeweils für mehrere Jahre beinhalten. Sie ist so anzulegen, dass sie im Sinne einer Management-Erfolgsrechnung (MER) für die zukünftige Unternehmenssteuerung eingesetzt werden kann.
3.1.5
Detaillierung und Vorbereitung der Umsetzung des Konzeptes (Phase 3)
Nach Festlegung bzw. Beschluss der Kernstrategie sind die Kernfragen – wie das Unternehmen in Zukunft marktstrategisch und operativ geführt und gesteuert werden soll, damit die unternehmerischen Ziele, das heißt Rentabilität, Wachstum und Sicherung der Marktposition, erreicht werden – beantwortet. Auf dieser Grundlage geht es nun darum, die Konzeption umsetzungsfähig zu machen. Dies geschieht durch die Vorbereitung und Einleitung von operativen Maßnahmen, die durch konkrete Arbeitspakete unterlegt werden müssen. Die Arbeitsschwerpunkte dabei sind: 1. die Festlegung und konkrete Ausformulierung der Arbeitspakete:
die Leistungsziele sind zu definieren, gegebenenfalls sind Zielabweichungen zu ermitteln, die Ursachen der Zielabweichung sind zu beschreiben, die Stoßrichtung der Maßnahmen ist zu beschreiben, Voraussetzungen sind zu definieren, Prioritäten sind festzulegen, Termine zu setzen und erwartete Resultate sind zu beschreiben.
Die personelle Verantwortung hat die zuständige Fach-/Führungskraft zu übernehmen (Projektverantwortlicher).
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2. die Abstimmung im Hinblick auf Prioritäten, Zeiten und Ressourcen mit den Mitgliedern des Lenkungsausschusses bzw. der Geschäftsführung mit endgültiger Freigabe der Arbeitspakete, 3. die Installierung eines modernen Projektmanagements mit Überführung der Arbeitspakete zum Beispiel in MS Project als Planungs- und Controlling-Tool und 4. dessen Einsatz für Berichts- und Kontrollzwecke zur Überwachung der Realisierung.
3.2
Reaktives Kostensenkungsprogramm
Das reaktive Kostensenkungsprogramm muss in der Regel parallel zur strategischen Neuausrichtung unter Einbeziehung der aus den Analysen gewonnenen Erkenntnisse vollzogen werden. Hohe Kapazitätsvorhaltekosten, vornehmlich Personal, bestimmen in der überwiegenden Zahl der Fälle maßgeblich die Kostenstruktur und machen Unternehmen verwundbar, weil Umsatzeinbrüche oder Auslastungsschwankungen über entstehende Leerkosten sofort auf die Rentabilität durchschlagen. Hinzu kommen möglicherweise die Risiken einer DB-orientierten Preisstellung in der Akquisition von neuen Projekten in Phasen einer schwachen Auslastung, die in einem ohnehin engen Markt das traditionelle Preisgefüge im Markt zum Nachteil verändern können – und damit auf lange Sicht die Rentabilität des eigenen Geschäfts gefährden. Die Kontrolle der eigenen Kosten im Sinne einer Flexibilisierung oder Abbau von fixen Kosten ist nicht nur von strategischer Bedeutung, sondern auch von unmittelbarer Relevanz, weil das Unternehmen sich ein weiteres schlechteres Jahr nicht leisten darf. Der sicherste Weg, ein positives Ergebnis zu realisieren, liegt in der Absenkung der Kosten – in welcher Form und in welchem Umfang bedarf eingehender Analysen, die die Grundlagen liefern für unternehmenspolitische Entscheidungen, die dann auch konsequent umzusetzen sind.
3.2.1
Ausgangssituation
A. Analyse der Kosten Gegenstand der Analyse ist eine differenzierte Analyse des Kostenniveaus, der Kostenstruktur (Kostenstellen, Kostenarten) und des Kostenverlaufs in Abhängigkeit von Auslastung, Produktivität und Absatzstruktur bzw. Projektarten anhand eines DV-Controlling-Modells, das auf das Unternehmen zuzuschneiden ist. B. Ermittlung der notwendigen Einsparungen Das Ziel ist dabei, über Szenarioanalysen und unter Berücksichtigung der Bedeutung des Handlungsbedarfs (Verlustabsorption) und Nebenbedingungen (Leistungsbereitschaft, Knowhow etc.) die minimalen bzw. maximalen Kosteneinsparungspotenziale unter Berücksichtigung der Zeitachse zu quantifizieren.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
3.2.2
91
Kostensenkungsmaßnahmen
Da in den meisten Fällen der hier beschriebenen Krisensituation bereits eine Phase der Mittelknappheit vorangegangen ist, sind bereits Kostensenkungsmaßnahmen erfolgt. In aller Regel sind hier jedoch nur die Sachkosten und im Besonderen die Komfortkosten reduziert worden. Die Personalkosten, obwohl größter Kostenblock, werden im Allgemeinen als das letzte Mittel angesehen und Personalmaßnahmen, da unpopulär, nur sehr zurückhaltend umgesetzt. Das bedeutet, dass im Bereich der Sach- und Materialkosten Sofortmaßnahmen nur sehr begrenzt wirksam sind und allenfalls ein Feintuning möglich ist. Die folgenden Erläuterungen sind daher auf die Personalmaßnahmen mit ihrer großen Hebelwirkung beschränkt. Das Kostensenkungsprogramm kann einerseits darauf abzielen, die Löhne und Gehälter zu flexibilisieren (durch Kurzarbeit, durch Einsatz von Zeitkonten, durch Absenkung der Regelarbeitszeit), ebenso aber auf eine absolute Absenkung der Personalkosten (durch Entgeltreduzierung und/oder betriebsbedingten Stellenabbau). Beide Varianten schließen sich nicht notwendigerweise aus, können sich sehr gut ergänzen, haben aber unterschiedliche Vorzüge und bedürfen einer sorgfältigen Abwägung, weil hier in die Rechte der Arbeitnehmer eingegriffen wird. Es sind beide Optionen mit den dazugehörigen Varianten zu prüfen: Option 1: Flexibilisierung der Löhne und Gehälter: a) durch Kurzarbeit, b) Zeitkonten oder c) Absenkung der Regelarbeitszeit Option 2: Absenkung der Personalkosten: a) durch Absenkung der Löhne und Gehälter b) durch Stellenabbau über betriebsbedingte Kündigungen
3.2.3
Vorbereitung und Durchführung
Die Durchführung der beschlossenen Maßnahmen ist nur in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat des Unternehmens zu realisieren. A.
Mit dem Betriebsrat ist eine Betriebsvereinbarung über die Flexibilisierung der Gehälter und Löhne abschließen und/oder
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B.
Der Personalabbau ist durch Streichen von Personalüberhängen zu vollziehen. Dabei sind Individual- bzw. Kündigungsschutzrechte genauso zu beachten wie auch die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei vorgesehenen Betriebsänderungen i. S. des § 111 BetrVG und personeller Einzelmaßnahmen nach §§ 99 ff., BetrVG. und/oder
C.
Mit dem Betriebsrat bzw. der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband ist ein Standortsicherungsvertrag zu verhandeln und zu beschließen, der eine absolute Absenkung des Lohnniveaus vorsieht. Dies kann auch über einen Sanierungstarifvertrag erfolgen. Liegt keine Tarifbindung vor, ist mit dem Betriebsrat eine entsprechende Einigung zu treffen, die dann in einer Individualvereinbarung mit dem einzelnen Mitarbeiter umzusetzen ist.
Hinweis: Die normalen arbeitsrechtlichen Regelungen sind zu beachten. Die zum Teil vereinfachten Bedingungen im Insolvenzverfahren finden keine Anwendung.
3.3
Finanztechnische Sanierung (Finanzwirtschaftlicher Restrukturierungsbedarf)
Aus den Planungsrechnungen des Turnaround-Konzeptes ergibt sich zum einen der Finanzierungsbedarf und zum anderen der Rekapitalisierungsbedarf zur Konsolidierung der Eigenkapitalsituation des Unternehmens, zusammengefasst unter dem Begriff der finanztechnischen Sanierung. Bei allen denkbaren Maßnahmen ist bezogen auf die Liquidität zu differenzieren zwischen:
a)
nicht liquiditätswirksam (reine Buchgewinne, z. B. nachrangige Gesellschafterdarlehen)
b)
sofort liquiditätswirksam (z. B. Zuführung echter neuer Mittel oder Forderungsverzichte auf fällige Forderungen) bzw.
c)
zukünftig liquiditätswirksam (z. B. Forderungsverzichte auf erst fällig werdende Forderungen und/oder Streckung von Zahlungszielen)
und bezogen auf die Kapitalisierung zwischen: a)
eigenkapitalwirksam (Verzichte von Gläubigern) und
b)
nicht eigenkapitalwirksam (Verzichte von Gesellschaftern, Streckung von Zahlungszielen)
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
93
Es muss also ein ausgewogenes Maßnahmenpaket geschnürt werden, das dem Unternehmen einerseits eine ausreichende Liquidität und andererseits eine hinreichende Eigenkapitalausstattung sichert. Die Möglichkeiten der Gesellschaft sind in aller Regel zu diesem Zeitpunkt ausgeschöpft, weil sie bereits umgesetzt sind oder eine zwischenzeitlich verschlechterte Bonität eine Umsetzung verhindert. Der Vollständigkeit halber sollen hier zumindest einige mögliche Maßnahmen genannt werden, wie der Verkauf nicht betriebsnotwendigen Vermögens – meistens bereits erfolgt oder nicht sinnvoll, da nur sehr geringe Preise erzielbar sind, die möglicherweise gar unter Buchwerten liegen und einen weiteren (Buch-)Verlust realisieren. Sale-and-lease-back – wenn nicht bereits geschehen, ist dies in der Krisensituation auf Grund der verschlechterten Bonität nur schwer darstellbar. Einführung von Factoring – wenn nicht bereits geschehen, stellen verschlechterte Bonität und Publizitätsbedürfnisse des Factors ein Hindernis dar. Verkürzung der Kapitalbindungsdauer – zumeist bereits geschehen und nur eine vorübergehend wirksame Maßnahme. Im Wesentlichen konzentrieren wir uns in der Betrachtung auf die Maßnahmen aus dem Gesellschafter- und Gläubigerkreis. Reine Forderungsverzichte auf bestehende Forderungen, zum Beispiel der Banken auf Betriebsmittelkredite, die durch ständige Ausnutzung ein fester Bestandteil im Unternehmen geworden sind, sind ohne die Zuführung frischer Mittel nicht geeignet, die Liquidität zu sichern, wenngleich sie die Eigenkapitalsituation verbessern. Gleiches gilt für nachrangige Darlehen, die ohnehin eigenkapitalersetzenden Charakter haben. Verzichte der Lieferanten hingegen auf Forderungen für Lieferungen und Leistungen, für die das Unternehmen korrespondierende Zahlungseingänge von Kundenseite erwartet, schaffen echte Liquidität. Das „perfekte“ ausgewogene Paket besteht aus der Zuführung neuer Liquidität idealerweise aus dem Gesellschafterkreis = liquiditäts- und kapitalwirksam, dem Erlass von festen Verbindlichkeiten z. B. gegenüber Banken, die in der aktuellen Situation faktisch nicht rückführbar sind = kapitalwirksam, sowie dem Forderungsverzicht und/oder der nachhaltigen Stundung von Forderungen von Lieferantenseite = liquiditäts- und kapitalwirksam. Die Gleichbehandlung der Finanziers – Banken, Lieferanten und Gesellschafter – des Unternehmens im Sinne der Opfersymmetrie ist durch die Beiträge aller Beteiligten gewahrt und eine hohe Akzeptanz wahrscheinlich.
94
Michael Joseph Keusgen
Dieser Idealzustand entspricht in der Praxis allerdings wenig der Realität und scheitert einerseits an der Machbarkeit, da die Gesellschafter meist nicht über die Mittel verfügen, und andererseits an der Bereitschaft einzelner, entsprechende Zugeständnisse zu machen. Im Ergebnis scheitert entweder die Sanierung als Ganzes oder wird von einigen wenigen, häufig den Banken, geschultert. Innerhalb des außergerichtlichen Einigungsversuches wird der fertige Insolvenzplan eingesetzt als Erläuterungsmittel und sorgt für eine erhöhte Akzeptanz, und als Disziplinierungsmittel bricht er die Blockadehaltung einzelner. Die Chance, eine zumindest näherungsweise Gleichbehandlung der Gläubiger zu erreichen, verbessert sich nachhaltig.
3.4
Das Turnaround-Projekt im Gesamtüberblick
PROJEKTPHASEN UND VORGEHENSWEISEN STRATEGISCHE WEITERENTWICKLUNG
Phase
0
WS1
1
WS2
Diagnose der Ausgangslage
Projektplanung
• Marktsegmentierung
• Identifizierung der Schlüsselthemen • Voranalyse durchführen • Pre-Segmentierung entwickeln • Erste quantitative Analyse durchführen • Projektorganisation festlegen • Termine und Prioritäten festlegen • Projektsteuerung
• Analyse der Branchen/ Segmente einschl. Marktattraktivität und Einflussfaktoren • Stärken und Schwächen des eigenenGeschäftssystems im Vergleich zum Wettbewerb • Zusammenfassung der Ergebnisse
2 Strategische Ausrichtung
• Formulierung von qualitativen und quantitativen Zielen • Entwicklung vonstrategischen Alternativen • Bewertung der Alternativen • Festlegung der Kernstrategie • Planung und Budgetierung
3
WS3
Detaillierung und Umsetzung vorbereiten
WS4
4 Realisierung
• Umsetzungsplan
• Projekt-Controlling
• Festlegung und Ausformulierung der Arbeitspakete
• Coachingvon Führungskräften und Arbeitsgruppen
• Abstimmung über Prioritäten
• Nacharbeiten • Konfliktlösungen und Blokkadenbeseitigung
• Projektmanagement installieren mit MS Project
- Marktattraktivität/ Konkurrenzfähigkeit - Handlungsbedarf/ Stossrichtung
REAKTIVESKOSTENSENKUNGSPROGRAMM • Kostenanalysen • Kosteneinsparungen
WORKSHOP 1 Ausrichtung des Projektes festlegen
Abbildung 6:
WORKSHOP 2 • Lage beurteilen • Handlungsspielraum ausloten
• Überprüfung der Alternativen • Herbeiführung von Entscheidungen
WORKSHOP 3 Stossrichtung festlegen
• „Flexibilisierung“ mit Betriebsrat vereinbaren • Betriebsbedingtes Kündigungsprogramm vollziehen WORKSHOP 4 Realisierungsfahrplan verabschieden
Das Turnaround-Projekt im Gesamtüberblick
• praktischer Vollzug durch personelle Einzelmaßnahmen
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
4.
95
Insolvenzrechtliche Anforderungen – Überprüfung und fortlaufende Überwachung der Insolvenzantragspflicht
Auf Grund der gesetzlich vorgesehenen Selbstprüfungspflichten der Organe einer Gesellschaft auf das Vorliegen eines Insolvenzgrundes ist bereits zu Beginn bzw. in der Frühphase des Turnaround-Projektes eine Überprüfung vorzunehmen. Eine Insolvenzantragspflicht ist durch ein negatives Prüfergebnis, d. h., weder Überschuldung noch Zahlungsunfähigkeit liegen vor bzw. sind kurzfristig zu beseitigen, auszuschließen. Bestehen bleibt die Möglichkeit des Antrages auf Insolvenz wegen drohender Zahlungsunfähigkeit in der Zukunft durch die Geschäftsführung. Die Kriterien zum Vorliegen eines Insolvenzantragsgrundes sind während des gesamten Turnaround-Prozesses permanent und fortlaufend zu überprüfen.
4.1
Sanierungsfähigkeit
Das Ziel bei der Prüfung der Sanierungsfähigkeit ist eine kritische Bewertung der Chancen des Sanierungserfolgs; am Ende steht somit die Fortführungsprognose. Diese beinhaltet eine kritische Überprüfung der grundsätzlichen Voraussetzungen des Sanierungskonzeptes, d. h. Machbarkeit mit den Möglichkeiten und Notwendigkeiten; der immanenten Risiken des Sanierungskonzeptes, d. h. konzeptionelle Risiken und operative Umsetzungsrisiken unter Berücksichtigung der betriebswirtschaftlichen Vorgaben bzw. Ziele auf der Zeitachse des entwickelten Sanierungskonzepts. Diese Prüfung hat sowohl qualitativ wie quantitativ durch entsprechende Sensitivitätsbzw. Szenariorechnungen im Hinblick auf Rentabilität, Liquidität, Kapitalisierung und Cash Flow zu erfolgen. Am Ende dieser Untersuchung steht eine vorzunehmende ganzheitliche Beurteilung (= Schlussfolgerungen) in Hinblick auf die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens mit daraus abzuleitenden Konsequenzen für Geschäftsführung, Gesellschafter, Betriebsrat und Banken. In aller Regel sind zu diesem Zeitpunkt bereits nachhaltige Kostensenkungsmaßnahmen eingeleitet, im Idealfall schon umgesetzt (siehe Kostensenkungsprogramm im Kapitel 3, Turnaround Management).
96
Michael Joseph Keusgen
4.2
Überschuldungsstatus (nach IDW-Standard)
Nach dem anerkannten Standard des Instituts für Wirtschaftsprüfer (IDW FAR I/91) können in der Überschuldungsbilanz bei positiver Fortführungsprognose die Wertansätze des Vermögens unter Going-Concern-Gesichtpunkten gebildet werden. Hierdurch wird die Wahrscheinlichkeit einer Überschuldung gegenüber dem Wertansatz zu Liquidationswerten maßgeblich reduziert. Eine Überschuldungsprüfung zu Liquidationswerten wird bei positiver Fortführungsprognose obsolet. Bei negativer Prognose käme der dann zu bildenden Bewertung zu Liquidationswerten ohnehin eine erhöhte Bedeutung zu, da eine Liquidation der Gesellschaft unumgänglich bevorstünde. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Überschuldungsprüfung zu den schwierigsten und umstrittensten Problemen in der Insolvenzpraxis zählt. In der Mehrzahl der Fälle bewegt man sich sehr schnell in einer Grauzone. Auch wenn die Dokumentation der Überschuldungsprüfung nicht gesetzlich geregelt ist, tragen eben diese und ihre Nachvollziehbarkeit wesentlich zur Minderung der Haftungsrisiken und der Strafbarkeitsrisiken wegen Insolvenzverschleppung bei. Nachfolgend sollen an einem beispielhaften Schema einer Überschuldungsbilanz die wichtigsten Bewertungskriterien in Kurzform aufgezeigt werden (Abbildung 7).
Überschuldungsbilanz
Fußnote 1)
nach Liquidationswerten Fußnote
A) Vermögen
Euro
Fußnote
B) Verbindlichkeiten
5)
I. Rückstellungen
6)
II. Eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen
7)
III. Anlagevermögen
III. Eventualverbindlichkeiten
8)
1. Unbewegliches Anlagevermögen a) Grundstücke b) Grundstücksgleiche Rechte
IV. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinsituten
2)
I. ausstehende Stammeinlagen; beschlossene Nachschüsse II . Immaterielle Gegenstände (Lizenzen, Firmenwert)
3)
2. Bewegliches Anlagevermögen a) b) c) IV. Umlaufvermögen a) Warenbestand b) Fertigerzeugnisse c) halbfertige Erzeugnisse (realistischer Verkaufspreis ./. noch anfallende Herstellungskosten) d) Betriebsmittel (noch anfallende Herstellungskosten) 4) e) Forderungen (Realisierbarkeit u. Vollwertigkeit berücksichtigen) f) Kasse
V. Verbindlichkeiten aus Lieferungen u. Leistungen
VI. sonstige Verbindlichkeiten
VII. Pensionsverpflichtungen
9)
VIII. Abwicklungskosten
10)
Gesamt: Ergebnis:
Abbildung 7:
Beispielhaftes Schema einer Überschuldungsbilanz
Euro
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
97
Anmerkungen: 1.
Ist bei Anzeichen einer Krise aufzustellen. Zunächst sind, sofern keine positive Fortführungsprognose besteht, die Liquidationswerte einzusetzen. Ergibt sich danach eine Überschuldung, muss nach § 19 II 2 InsO eine Fortführungsprognose erstellt werden (vgl. Kübler/Prütting § 19 Rz. 16 ff.). Ist danach die Gesellschaft überlebensfähig, kann ein 2. Überschuldungsstatus nach GoingConcern-Werten aufgestellt werden. Liegt danach noch immer eine rechnerische Überschuldung vor: Antragstellung zwingend.
2.
Die handelsrechtlichen Grundsätze gelten nicht. Vielmehr sind die tatsächlichen Werte anzusetzen.
3.
Ob Firmenwert aktiviert werden kann ist strittig; überwiegende Meinung: Nein Ob Lizenzen aktiviert werden können, hängt davon ab, ob sie separat veräußert werden können.
4.
Anfechtungsansprüche sind nicht zu berücksichtigen; ebenso nicht die persönliche Haftung des Komplementärs.
5.
Hier sind alle Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, die bei Verfahrenseröffnung Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) sein können. Nicht fällige und gestundete Forderungen sind wie fällige zu behandeln. Grundsätzlich zum Nennwert!
6.
Rückstellungen sind zu passivieren, wenn eine Inanspruchnahme tatsächlich droht (z. B. wenn bereits zusprechende Urteile vorliegen).
7.
Eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen sind zu passivieren, solange keine Rangrücktrittserklärungen vorliegen.
8.
Eventualverbindlichkeiten (Bürgschaften, Gewährleistungen) sind zu passivieren, wenn mit Inanspruchnahme zu rechnen ist.
9.
Pensionsverpflichtungen sind zu kapitalisieren oder mit ihrem versicherungsmathematischen Barwert anzusetzen.
10. Abwicklungskosten, die bei Verfahrenseröffnung anfallen. 11. Beinhalten die Frage, ob das Unternehmen mittelfristig in der Lage ist, wieder die notwendige Finanzkraft zu entwickeln, um wirtschaftlich überlebensfähig zu sein. Diese Voraussetzungen sind anhand eines Finanz- und Ertragsplanes zu prüfen, in dem die finanzielle Entwicklung des Unternehmens fortgeschrieben wird. Überwiegend wird dabei ein Zeitraum von etwa zwei Jahren als mittelfristig angesehen. In die Prognoseberechnung dürfen nur solche Rechnungsposten eingestellt werden, deren Eintritt hinreichend gesichert ist. Vage Aussichten auf Geschäftsabschlüsse sind nicht zu berücksichtigen. Die Geschäftsentwicklung ist außerdem umfassend darzustellen und detailliert zu begründen. Allein die Angabe bestimmter Geschäftsvorfälle reicht nicht.
98
Michael Joseph Keusgen
Die Prognose ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters zu erstellen, andernfalls droht Haftung wegen Insolvenzverschleppung. Weitere Voraussetzung für eine positive Prognose ist die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass mittelfristig eine ausreichende Liquidität vorhanden ist, um a)
die bestehenden Verbindlichkeiten zu decken.
b) einen Einnahmenüberschuss zu erzielen.
4.3
Zahlungsfähigkeit
Zahlungsunfähigkeit ist der Mangel an Zahlungsmitteln. Im Rahmen der Überprüfung der Insolvenzantragspflicht ist diese wie in Abbildung 8 dargestellt zu überprüfen:
Zahlungsunfähigkeit (§ 17 II 1 InsO)
Fußnote 1)
(Prüfungsschema) AKTIVSEITE
Fußnote
Euro
A) vorhandene Geldmittel
PASSIVSEITE
Fußnote
B) fällige Zahlungsverpflichtungen
2) und 3)
1. Kassenbestand
1. Nicht gestundete Verbindlichkeiten
2. Bankguthaben
a) Lieferungen und Leistungen Gestundet von FT b) Personalkosten Sozialversicherung Gehalt Sozialversicherung Lohn c) Zins und Tilgung für Kredite d) Mieten/Nebenkosten
3. Schecks/Wechsel 4. Wertpapiere 5. Fällige und kurzfristig realisierbare Forderungen 6. Kurzfristig veräußerbares und in Geld umwandelbare Anlagevermögen
2. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinsituten (soweit sie fällig gestellt sind)
7. Sichere Kreditzusagen
0
8. Illegale Einkünfte
0 3. Kapitalersetzende Darlehen
Gesamt:
0
Ergebnis:
0
Abbildung 8:
Beispielhaftes Schema einer Überschuldungsbilanz
Anmerkungen: 1.
Definition im § 17 II InsO Übersicht über die Rechtsprechung in ZInsO 2002, S. 356 ff. Abzugrenzen von
Euro
0
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
99
a)
der Zahlungsstockung, die vorliegt, wenn liquide Mittel fehlen, weil eine erwartete Zahlung nicht eingegangen ist und sich der Schuldner die Liquidität kurzfristig anderweitig beschaffen kann (ca. zwei Wochen).
b)
böswilliger Zahlungsverweigerung.
2.
Nicht zu berücksichtigen sind (Rück-)Zahlungsverpflichtungen aus eigenkapitalersetzenden Gesellschaftsleistungen.
3.
Zu berücksichtigen sind aber anfechtbare Forderungen (da es nur auf die Fälligkeit ankommt).
4.
Nur „ganz geringfügige“ Liquidationslücken bleiben außer Betracht.
5.
Erstellung eines vollständigen Insolvenzplans und Integration des Konzeptes
5.1
Ableitung des Sanierungskonzeptes in einen Insolvenzplan
Im Moment der Einreichung eines Insolvenzplans bei Antragstellung und gleichzeitigem Antrag und Bewilligung der Eigenverwaltung tritt das Unternehmen in die Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens und bei Eröffnung in die Phase des ordentlichen Verfahrens ein. Erst mit Bestätigung des Plans wird das Insolvenzverfahren aufgehoben und das Unternehmen befindet sich in der Plandurchführungphase. Innerhalb des vorläufigen und des eröffneten Verfahrens ergeben sich einige Besonderheiten, die bei der Ableitung des Sanierungskonzeptes in einen Insolvenzplan zu berücksichtigen sind. Die wichtigsten zu berücksichtigenden Besonderheiten werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, nachfolgend behandelt.
5.1.1
Berücksichtigung InsO-spezifischer Kosten und Erträge
Zur Überführung des Turnaround-Konzeptes in den Insolvenzplan müssen zunächst die im Rahmen des Verfahrens entstehenden Kosten und Erträge ermittelt werden.
100
Michael Joseph Keusgen
Kosten Im Insolvenzverfahren fallen zunächst die Verfahrenskosten für Gericht und Verwalter und später im Planverfahren nach der Bestätigung des Plans und durch das Gericht die Kosten für den Sachwalter und die Planüberwachung an. Diese Kosten sind in voller Höhe liquiditätsund ertragswirksam und in den Planungen zu berücksichtigen. Neben den in der Insolvenzordnung geregelten Kosten des Verfahrens sind die Kosten für die Erstellung des Insolvenzplans zu berücksichtigen. Je nach Komplexität des Unternehmens und seines Umfeldes sowie der Umfänglichkeit der Vermögenswerte können sich hier hohe Kosten ergeben. Als reine Kosten sind sie in ihrer Höhe dennoch meist unkritisch, da sie in aller Regel durch hohe Buchgewinne kompensiert werden können. Kritisch zu betrachten sind sie vielmehr in der Liquidität des Unternehmens, da sie unmittelbar und in der Anfangsphase liquiditätswirksam werden.
Erträge Im vorläufigen Insolvenzverfahren ist, sofern vom Insolvenzgericht kein so genannter starker Verwalter mit Verfügungsmacht bestellt wurde, die Umsatzsteuerzahllast (Umsatzsteuer minus Vorsteuer) nicht abzuführen. Sie wird eine einfache Insolvenzforderung, die quotal aus der Masse bedient wird. Im Planverfahren ist der sich ergebende Betrag als Verbindlichkeit (Insolvenzforderung und keine Masseverbindlichkeit!) einzustellen. Das Finanzamt wird mit dieser Forderung zum Gläubiger und nimmt am Plan und der quotalen Tilgung während der Laufzeit des Plans teil. Der nicht rückzahlbare Teil des Betrags stellt im Verfahren einen Sanierungsgewinn dar. Im vorläufigen Verfahren werden die Personalkosten für einen maximalen Zeitraum von drei Monaten rückwirkend ab Verfahrenseröffnung durch die Bundesagentur für Arbeit in Form des so genannten Insolvenzgelds übernommen. In diesem Zeitraum entstehen dem Unternehmen keine Personalkosten. Dieser Beitrag ist vollständig liquiditätswirksam und stellt einen ganz wesentlichen Baustein dar, um dem Unternehmen die Luft zur Restrukturierung zu verschaffen. In der Höhe der Zahlung entsteht eine einfache Insolvenzforderung, die im Regelverfahren aus der freien Masse nach Abzug aller Kosten quotal zu bedienen ist. Im Insolvenzplan ist sie bei den unbesicherten Gläubigern einzustellen und mit der Quote zu bedienen.
5.1.2
Anpassung des finanzwirtschaftlichen Restrukturierungsbedarfs
Die finanzwirtschaftliche Restrukturierung des Unternehmens wird neben den Erfordernissen aus kapitalisierungstechnischen Gründen im Insolvenzplanverfahren geprägt von der Vorgabe des Gesetzgebers dahingehend, dass keiner der Gläubiger im Planverfahren schlechter gestellt werden darf, als er im Regelverfahren (Liquidation) gestellt worden wäre.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
101
Insofern ist zunächst eine Bewertung der Vermögensgegenstände nach Fortführungswerten und Liquidationswerten vorzunehmen sowie die Sicherheitenlage abzugrenzen. Es ist festzustellen, welche Rechte auf Absonderung und Aufrechnung bestehen. Es muss – idealerweise bereits mit in Gruppen eingeteilten Gläubigern – simuliert werden, welche Gläubiger welchen Anteil an den theoretisch zu realisierenden Vermögenswerten erhalten. Keiner der Gläubiger darf im Plan schlechter gestellt werden, als er im Regelverfahren gestellt wäre. Die Untergrenze der Quote des Planverfahrens ist somit definiert. Andererseits muss die Quote im Verfahren bedienbar, also auch tatsächlich unter Erhaltung der Liquidität des Unternehmens rückzahlbar, sein sowie die entstehenden Sanierungsgewinne ausreichend hoch, um die Eigenkapitalsituation des Unternehmens zu stabilisieren. Nach Ermittlung der Mindestanforderungen stellt sich somit die taktische Frage der Quotenfindung, um einerseits den betriebswirtschaftlichen Anforderungen des Unternehmens ausreichend sicher gerecht zu werden und andererseits die Ansprüche der Gläubiger so gut wie eben möglich zu befriedigen und ihnen die Zustimmung zum Plan zu erleichtern. Anhand der folgenden Aufstellung der Vermögensgegenstände mit Bewertung für den Fall der Fortführung und den Fall der Liquidation soll beispielhaft die Verteilung des theoretisch realisierten Vermögens unter Berücksichtigung der Sicherheitenlage aufgezeigt werden (Abbildung 9). Die Vermögensgegenstände des Unternehmens wurden unter Liquidationsgesichtspunkten bewertet und unterstellt bzw. sind mit Wertgutachten zu unterlegen. Im Falle der Regelabwicklung würden demnach für das gesamte Vermögen 4.889.000 Euro erlöst werden. Im vorliegenden Beispiel liegen die Sicherheiten der Gebäude, der Bestände und der Forderungen bei den finanzierenden Banken. Die Lieferanten mit verlängerten Eigentumsvorbehalten haben im Anteil des Materialeinsatzes Anspruch auf die Bestände und Forderungen (Prozentuale Aufteilung der Erlöse aus Beständen der Fertigen, der Halbfertigen unter Berücksichtigung des anteiligen Wertschöpfungsfortschritts und der Forderungen zwischen Lieferanten und Banken). Die finanzierenden Banken erhalten aus der Verwertung ihrer Sicherheiten in Form der Gebäude, der Bestände und der nicht den Lieferanten zustehenden Forderungen nach Abzug der Kosten 3.221.000 Euro. Mit ihrer Ausfallforderung nehmen sie sodann an der Verteilung der freien Masse nach Kosten teil. Sie erhalten demnach insgesamt 3.468.000 Euro, was einer Gesamtquote von 66,6 Prozent entspricht. Da der Anteil der Forderungen der so genannten EV-Lieferanten in diesem Fallbeispiel sehr niedrig ist, können diese nahezu vollständig aus den Sicherheiten bedient werden. Lediglich in Höhe des Kostenbeitrages entstünde eine Ausfallforderung, die dann quotal aus der Masse zu bedienen ist. Die zu erwartende Quote gesamt liegt mit 91,2 Prozent somit sehr hoch. In der freien Masse verbleiben 1.059.000 Euro, von denen die Kosten des Verfahrens zu tragen sind, so dass 683.000 Euro freie Masse nach Verfahrenskosten an die ungesicherten Gläubiger und auf die Ausfallforderungen der besicherten Gläubiger verteilt werden können.
Abbildung 9:
Beispielhafte Berechnung
Beteiligungen
Immaterielle Vermögensggst.
e)
(f)
b)
Sonstige Vermögengegenstände
b)
Kasse und Guthaben
837
10.577
10.577
7
3.327
73
2.776
248
15
715
2.578
Fortführungswert(1) 837
7
3.327
73
2.776
248
15
715
2.578
Handelsbilanz/Buchwert
Regelabwicklung / Liquidationswert 5.384
837
0 (5)
2.496
73 (4)
555 (3)
23 (2)
11
358 (1)
1.031 0
7
50
2
1
32
392
75
0
225
Kostenbeitrag gem. § 171 I + II InsO (9%)
Kostenbeitrag gem. § 171 I InsO (4%)
0
3.871
0
0
0
2.271
64
505
0
0
0
0
1.031
frei für Masse bei Regelabwicklung
0 358
610
618 91,2%
66,5%
68
3.467
1.990
0
Gruppe 3: ungesicherte, nicht nachrangige Gläubiger 0
7.182
Gruppe 4: Kleingläubiger 0
150
1.178
7.182
12,4%
Insolvenzgläubiger ¤ 38 InsO 890
12,4%
19
9.498
150
12,4%
14
12,4%
109
0
109
Gruppe 5: Arbeitnehmer
376 Verfahrenskosten § 54 InsO (6)
1.554 0
#BEZUG!
3.221
837
0
0
225
9
50
837
50
1.661
64
23
610
0 41
11
505
610
#BEZUG!
0
Gruppe 2: gesicherte Warenkreditgläubiger 677
Freie Masse
#BEZUG!
0
#BEZUG!
990
0
4.689
5.210
Gruppe 1: Gesicherte Finanzkreditgläubiger
#BEZUG!
FREIE MASSE NACH VERFAHRENSKOSTEN
Umsatzsteuer w rde tats chlich einbehalten. Aus Vereinfachungsgr nden und da diese als durchlaufender Posten neutral ist, ist sie hier nicht ber cksichtigt.
0 #BEZUG!
Ausfallforderung (u.A. Kostenbeiträge)
Verwertung eigene Sicherheiten
41
41
Rechte aus Absonderung und Aufrechnung bei Regelabwicklung
HINWEIS: OHNE Ber cksichtigung von noch entstehenden Masseverbindlichkeiten, die die Teilungsmasse weiter reduzieren
BEFRIEDIGUNG DER EINZELNEN GL€UBIGERGRUPPEN
a)
4 Kasse und Guthaben
c)
Forderungen
a)
3 Forderungen und sonstige Vermögengegenstände
RHB
Fertige und Teilfertige
a)
2 Vorräte
Anlagen
BuG
c)
Gebäude
b)
d)
Grundstücke
a)
1 Anlagevermögen
AKTIVA
(Massebeitrag der bevorrechtigten Gläubiger)
FORDERUNG NACH KOSTENBEITRAG
FORDERUNG
Bankverrechnung in Beständen enthalten (saldieren sich): Alle Werte in Tausend Euro
102 Michael Joseph Keusgen
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
103
Für die unbesicherten Gläubiger ergibt sich demnach eine Quote in Höhe von 12,4 Prozent in der Regelabwicklung. Diese vorgenommene Vergleichsrechnung stellt somit die Minimalanforderung der im Insolvenzplanverfahren für die Gläubiger zu realisierenden Quote dar.
5.1.3
Anpassung des leistungswirtschaftlichen Restrukturierungsbedarfes
Ein wesentlicher Nachteil des Insolvenzplanverfahrens gegenüber der außergerichtlichen Sanierung ist die Publizität des Verfahrens und die mit dem Begriff Insolvenz verbundene Negativassoziation. Erstaunlicherweise ist das amerikanische Gegenstück „Chapter 11“ eher positiv besetzt und wird mit der intelligenten Ausschöpfung der Möglichkeiten der Unternehmensrettung gleichgesetzt. Schließlich kennt jeder mindestens eines, eher mehrere amerikanische Großunternehmen, die bereits unter dem Gläubigerschutz „Chapter 11“ standen. Gefahr besteht aus einem falschen Verständnis heraus insbesondere für die Kundenbeziehung und in geringerem Maße für die Lieferantenbeziehung. Im Plan ist diese Problematik zu berücksichtigen. Die im Turnaround-Konzept definierten Maßnahmen sind darauf zu überprüfen, ob aus ihnen ein verstecktes Gefährdungspotenzial (Liefertreue, Termine etc.) erwachsen kann. Gegebenenfalls sind sie daraufhin anzupassen. Dies gilt im Besonderen für den unmittelbaren Zeitraum nach Antragstellung. Hier dürfen keine zusätzlichen Kundenirritationen entstehen. Zusätzlich sollten Managementkapazitäten vorgehalten werden, die gegenüber den Kunden des Unternehmens sehr zeitnah, möglichst bereits kurz vor Antragstellung, das Verfahren erläutern und für dieses werben können. Aus Sicherheitserwägungen sollte darüber hinaus ein verfahrensbedingter aus produktionsund/oder absatzbedingten Stockungen resultierender Rückgang des Umsatzes im unmittelbaren Zeitraum nach Antragstellung in die Planung eingestellt werden. Bewährt hat sich die Berücksichtigung für drei bis sechs Monate, auch wenn dies sich nicht in jedem Fall materialisiert. Bis spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte das Vertrauen der Kunden wieder voll hergestellt bzw. in das neu erstarkte Unternehmen sogar verbessert sein. Ein hingegen nicht unwesentlicher Vorteil des Insolvenzplanverfahrens liegt in den Möglichkeiten des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren. Im Besonderen handelt es sich um die Möglichkeiten der Kündigung bestimmter Verträge (z. B. Mietverträge), verkürzten Kündigungsfristen (drei Monate) der Mitarbeiterverträge durch den Verwalter, sofortigen Freistellung und Übernahme der Kosten durch die Bundesagentur für Arbeit und einer Deckelung der Sozialplankosten.
104
Michael Joseph Keusgen
Hieraus entstehen deutliche Vereinfachungen, erhebliche Einsparungen sowie Potenziale, die ohne eine Insolvenz nicht möglich wären. In der Planung zu berücksichtigen und einzustellen sind in diesem Umfeld entstehende Forderungen der Arbeitnehmer und der Bundesagentur für Arbeit: Die Kostenübernahme der BfA im Zeitraum der Freistellung im Verfahren sowie die Forderungen der Mitarbeiter bei längeren Kündigungsfristen als maximal im Insolvenzverfahren vorgesehen werden einfache Insolvenzforderungen, die im Laufe des Planverfahrens quotal zurückzuführen sind. Im besten Fall handelt es sich hier also um eine nachhaltige Liquiditäts- und Ertragsverbesserung, im schlechtesten Fall bei sehr hoher Quote zumindest um eine Liquiditätsverbesserung in der Anfangsphase. Unbenommen bleibt den Mitarbeitern auch nach Interessenausgleich und Sozialplanverabschiedung mit dem Betriebsrat die Möglichkeit der Kündigungsschutzklage. Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass im Falle des Angebotes eines Aufhebungsvertrages und des Wechsels in eine Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft (TQG, früher häufig Beschäftigungsgesellschaft genannt) die betroffenen Mitarbeiter dies in der überwiegenden Mehrzahl annehmen. In aller Regel wird nur ein sehr geringer Teil der Mitarbeiter sich kündigen lassen – und nur diese können Klage erheben. Zumeist ist nach der kapazitätsbedingten Mitarbeiterreduzierung im nächsten Schritt im Rahmen einer Standortsicherungsvereinbarung eine Reduzierung des bestehenden Lohnniveaus notwendig. Wenn sich hierzu auch aus dem Verfahren keine unmittelbar abzuleitenden Vorteile ergeben, so ist das psychologische Umfeld der Insolvenz doch zumindest hilfreich. Die im Turnaround-Konzept definierten Maßnahmen sind, nachdem sie gegebenenfalls für das Planverfahren modifiziert worden sind, dem neuen zeitlichen Ablauf angepasst im Plan einzustellen.
5.1.4
Gruppenbildung und Quotenfestlegung
In vorliegendem Beispiel wurden zunächst die gesicherten und die ungesicherten Gläubiger unterschieden. Die gesicherten wurden unterteilt in Gläubiger mit gesicherten Finanzforderungen (Gruppe 1) und in Gläubiger mit gesicherten Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (Gruppe 2). Die ungesicherten Gläubiger wurden unterschieden nach ungesicherten Gläubigern, die nicht zu Gruppe 4 oder 5 gehören, nach Kleingläubigern (Gruppe 4) und ungekündigten Arbeitnehmern (Gruppe 5). Insgesamt wurden somit fünf Gläubigergruppen gebildet. Nach Bildung der Gruppen ist die Höhe der Quote festzulegen, wobei die im Regelverfahren ermittelten Quoten nicht unterschritten werden dürfen. Im vorliegendem Beispiel wurde den Banken eine Quote von 70 Prozent, den EV-Gläubigern eine Quote von 95 Prozent und allen anderen Gläubigern eine Quote von 20 Prozent angeboten.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
105
Im Beispiel ist unterstellt, dass die Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld in Höhe von 4.672.000 Euro gezahlt hat und im Verfahren als Forderung geltend macht.
A.
B.
Gläubiger mit Abund Aussonderungsrechten
Anmerkung
Quote im Regelverf.
Gruppe
Bezeichnung
Quote
Forderung
Verzicht
Zahlung
1
Banken
70%
5.210
1.563
3.647
2
EV-Lieferanten
95%
677
34
644
EV-Kieferanten werden im Verhältnis der Materialaufwandes bedient, erreichen aber damit aber die 91,2% volle Höhe ihrer Forderung.
3
Ungesicherte Gläubiger
20%
2.509
2.007
502
Verbindlichkeiten aus Insolvenzgeldzahlungen der Bundesagentur für Arbeit noch nicht enthalten. Siehe unten.
12,4%
4
Kleingläubiger
20%
150
120
30
Sofortige Zahlung
12,4%
5
Arbeitnehmer
20%
109
87
22
zu 3
Bundesagentur für Arbeit + SV wg. Insogeld
20%
4.672
3.738
934
43%
13.329
7.550
5.779
66,5%
Gläubiger ohne Sicherungsrechte
GESAMT:
12,4%
Höhe der Forderung ist hochgerechnet und bedarf noch exakter Feststellung.
12,4%
Abbildung 10: Gruppen und Quote Der Gesamtverzicht der Gläubiger beträgt somit 4.350.000 Euro, die das Eigenkapital der Gesellschaft wieder herstellen. Im Laufe des Plans sind an die Gläubiger 4.979.000 zu zahlen. Die so ermittelten Quoten sind in den Planungsrechnungen des Turnaround-Konzeptes zu berücksichtigen und als Bestandteil in den Insolvenzplan zu integrieren. Grundsätzlich wäre es ausreichend, eine einzige Gruppe von Gläubigern zu bilden. Die Gläubiger einer Gruppe sind gleich zu behandeln. Da die Sicherheitenlage der einzelnen Gläubiger in aller Regel jedoch unterschiedlich ist und es Ziel des Plans ist, die Gläubiger differenziert zu behandeln, ist die Bildung verschiedener Gruppen ratsam. Diese sollten so gebildet werden, dass die Interessenlagen innerhalb der einzelnen Gruppen nicht wesentlich voneinander abweichen. So kann ihr Abstimmungsverhalten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit abgeschätzt werden. Ein durchaus probates Mittel ist, sofern sachgerecht, die Einteilung potenzieller Störer in eine derartige Gruppe, so dass der Störer mit hoher Wahrscheinlichkeit überstimmt werden kann. Entscheidend für die Annahme eines Plans sind somit neben der ohnehin notwendigen wirtschaftlichen Besserstellung der einzelnen Gläubiger das Einfühlungsvermögen des Planverfassers in die Gläubiger bei der Gruppenbildung und das Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick zur Erreichung einer möglichst breiten Akzeptanz des Plans. In aller Regel wird der Planersteller im Laufe des Verfahrens von seinem Recht auf Abänderung des Plans Gebrauch machen. Nur in Ausnahmefällen wird er versuchen, den Plan über das Obstruktionsverbot (Ersetzen der Zustimmung einzelner Gläubigergruppen durch das Gericht, sofern die Gläubiger nicht schlechter gestellt sind als im Regelverfahren, § 245 InsO) gegen einzelne Gläubigergruppen durchzusetzen.
106
5.2
Michael Joseph Keusgen
Darstellender Teil
Der darstellende Teil des Insolvenzplans dient der umfassenden Information der Gläubiger und des Insolvenzgerichts und wie hier im Fall des Schuldnerplans dem bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter. Er soll alle Angaben zu den Grundlagen (Informationspool) und den Auswirkungen des Plans enthalten und das Ziel und den Weg, auf dem das Ziel erreicht werden soll, beschreiben. Es müssen alle Maßnahmen beschrieben werden, die für die geplante Gestaltung des Plans schon getroffen wurden oder noch zu treffen sind. Die Analyse der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens und die Darstellung der Ursachen sind ein wesentlicher Bestandteil. Kernstücke des darstellenden Teils sind das auf dieser Basis entwickelte Sanierungskonzept und der Vergleich zum Liquidationskonzept. Dahinter steckt der Grundgedanke, dass kein Gläubiger durch den Insolvenzplan schlechter gestellt werden darf, als er voraussichtlich ohne den Plan im Fall des Regelverfahrens stünde. Durch eine geeignete Vergleichsrechnung der voraussichtlichen wirtschaftlichen Ergebnisse der Planalternativen soll dem Gericht die notwendige Information gegeben werden, die Ergebnisse einer Masseverwertung und -verteilung nach dem Gesetz einerseits und nach dem Plan andererseits miteinander zu vergleichen. Die Gläubiger müssen alle relevanten Informationen für die Entscheidung zur Zustimmung zum Plan erhalten.
5.3
Gestaltender Teil
Im gestaltenden Teil wird festgelegt, wie die Rechtsstellung der Beteiligten durch den Plan geändert werden soll (§ 221 InsO). Während im darstellenden Teil des Insolvenzplans die IstSituation, deren Analyse und das Konzept dargestellt und im Einzelnen erläutert werden, beschäftigt sich der Gestaltende Teil mit den Rechtsänderungen, die durch den Plan herbeigeführt werden sollen. Dabei sind unter anderem folgende Regelungen zu treffen: Gruppenbildung, Behandlung der einzelnen Gruppen, gesellschaftsrechtliche Regelungen, Minderheitenschutz, Planüberwachung, zustimmungsbedürftige Geschäfte etc.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
5.4
107
Anlagen des Plans
Neben diversen Anlagen, die der Information der Beteiligten dienen, sind vor allem die Planrechnungen gem. InsO. § 229 dem Plan beizufügen (bei Befriedigung der Gläubiger aus den zukünftigen Erträgen): Plan-Bilanz Plan-Gewinn- und Verlustrechnung Plan-Liquiditätsrechnung Aus diesen Planungen ergibt sich die Durchführbarkeit des Plans.
5.5
Beispielhafte Gliederung eines Insolvenzplans
Darstellung des Plans A. Grundsätzliche Ziele und Regelungsstruktur des Plans I. Art und Ziel des Plans II. Regelungsansatz für (beispielhafte Gruppenbildung) 1. Absonderungsberechtigte Gläubiger mit gesicherten Finanzkreditforderungen 2. Absonderungsberechtigte Gläubiger mit gesicherten Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 3. Übrige nicht nachrangige Gläubiger 4. Nicht nachrangige Gläubiger, die Kleingläubiger sind 5. Arbeitnehmer III. Gesellschaftsrechtliche Regelungen B. Gruppenbildung Zahl, Art und Abgrenzung der im Plan vorgesehenen Gruppen
108
Michael Joseph Keusgen
C. Beschreibung und Offenlegung für die Beurteilung des Plans notwendiger Unternehmensdaten (Informations- und Datenpool) I. Bisherige Unternehmensentwicklung bis 200X 1. Unternehmensgeschichte 2. Finanzwirtschaftliche Entwicklung 3. Mitarbeiterentwicklung und arbeitsrechtlicher Rahmen II. Rechtliche Verhältnisse 1. Gesellschaftsrechtliche Ebene 2. Kapitalerhaltung und Kapitalersatz 3. Beteiligungen 4. Steuerrechtliche Verhältnisse 5. Dauerschuldverhältnisse 6. Relevante Rechtsstreite III. Finanzwirtschaftliche Verhältnisse 1. Finanzierung 2. Kreditsicherheiten und Haftungsverhältnisse 3. Vermögens- und Schuldenlage 4. Erfolgslage IV. Leistungswirtschaftliche Verhältnisse 1. Produkt- und Leistungsprogramm 2. Standort 3. Beschaffung 4. Produktion 5. Absatz 6. Technologie- und Verfahrensentwicklung 7. Produktentwicklung V. Organisatorische Grundlagen 1. Aufbauorganisation 2. Informations- und Berichtswesen 3. Controlling 4. Umweltrelevante Sachverhalte
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
D. Analyse des Unternehmens I. Betriebswirtschaftliche Analyse II. Insolvenzursachenanalyse III. Lagebeurteilung E.
Leitbild für das durch den Insolvenzplan umzugestaltende Unternehmen
F.
Zusammenfassung der für die Realisierung des Plans nötigen Maßnahmen Teil I:
Vor und seit Antragstellung bereits ergriffene Maßnahmen I. Arbeitnehmerbereich II. Leistungswirtschaftlicher Bereich III. Gesellschafterebene
Teil II: Durch und mit dem Plan beabsichtigte Maßnahmen I. Allgemeines 1. Gesellschafterebene 2. Leistungswirtschaftliche Sachverhalte II. Gruppenbildung – Behandlung der Gruppenbeteiligten 1. Gruppenbildung 2. Sachgerechte Abgrenzung der Gruppen 3. Behandlung der Gläubiger Gruppe 1 4. Behandlung der Gläubiger Gruppe 2 5. Behandlung der Gläubiger Gruppe 3 6. Behandlung der Gläubiger Gruppe 4 7. Behandlung der Gläubiger Gruppe 5 8. Nachrangige Insolvenzforderungen III. Sonstige Maßnahmen 1. Überwachung der Planerfüllung 2. Kreditrahmen 3. Investitionsmaßnahmen 4. Nachrangige Insolvenzforderungen IV. Hinweise zum Obstruktionsverbot und Minderheitenschutz Teil III: Maßnahmen außerhalb des Plans Regelung zu Investitionszuschüssen
109
110
Michael Joseph Keusgen
G. Zusammenfassung der Ergebnisse für die Gläubiger bei Annahme des Plans 1. Ergebnisse für Inhaber von Absonderungsrechten 2. Ergebnisse für nicht nachrangige Gläubiger 3. Ergebnisse für Kleingläubiger 4. Ergebnisse für Arbeitnehmer H. Anlagen
Gestaltender Teil des Plans Vorbemerkung A. Gruppenbildung B. Schuldrechtliche und dingliche Willenserklärungen zur gesellschaftsrechtlichen Gestaltung C. Plangestaltung für Gläubiger der Gruppe 1 D. Plangestaltung für Gläubiger der Gruppe 2 E.
Plangestaltung für Gläubiger der Gruppe 3
F.
Plangestaltung für Gläubiger der Gruppe 4
G. Plangestaltung für Gläubiger der Gruppe 5 H. Minderheitenschutzregelung I.
Allgemeine Regelungen und Hinweise
J.
Kreditrahmen
ANLAGEN A Teil 1:
Allgemeine Anlagen Anlage A 1 – A 3 Jahresabschlüsse der letzten drei Jahre Anlage A 4
Teil 2:
Satzung der Gesellschaft
Plananlagen gem. § 229 Ins0 Anlage A 5
Vermögensübersicht – Aktiva + Passiva auf Stichtag Insolvenzantrag XX.XX.200X
Anlage A 6
GuV per XX.XX.200X per Stichtag Insolvenzantrag
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
Anlage A 7
Anlage A 8
Anlage A 9
Anlage A 10
111
Plananlagen gem. § 229 Ins0 für Jahr 200X a
Plangewinn- + Verlustrechnung monatlich mit Erläuterung
b
Planliquiditätsrechnung (Finanzplanung) monatlich mit Erläuterung
c
Planbilanzen (monatlich) mit Erläuterung
Plananlagen gem. § 229 Ins0 für Jahr 200Y a
Plangewinn- + Verlustrechnung monatlich mit Erläuterung
b
Planliquiditätsrechnung (Finanzplanung) monatlich mit Erläuterung
c
Planbilanzen (monatlich) mit Erläuterung
Plananlagen gem. § 229 Ins0 für Jahr 200Z a
Plangewinn- + Verlustrechnung monatlich mit Erläuterung
b
Planliquiditätsrechnung (Finanzplanung) monatlich mit Erläuterung
c
Planbilanzen (monatlich) mit Erläuterung
Sicherheiten, Absonderungsrechte und Abgeltungsbeträge im Regelverfahren
ANLAGEN B Verschiedenes Anlage B 1
Investitionsplanung 200Y und 200Z
Anlage B 2
Personalliste
Anlage B 3
Organigramm vor Plan
Anlage B 4
Liste der Miet-, Pacht- und Leasingverträge
Anlage B 5
Liste der Versicherungen und sonst. Verträge
ANLAGEN C Gläubigerverzeichnisse Anlage C 1
Namen und Adressen der Gläubiger
Anlage C 2
Verbindlichkeiten Lieferungen und Leistungen
Anlage C 3
Forderungen Lieferungen und Leistungen
ANLAGEN D Verträge Anlage D 1
Betriebsvereinbarungen
Anlage D 2
Relevante Verträge
112
5.6
Michael Joseph Keusgen
Vor- und Nachteile des Planverfahrens
PLUS
MINUS
geringes Publizitätsrisiko = abschätzbares Kundenverhalten
Zeitschiene: Alles muss sehr schnell gehen
Erhalt des Gesellschafters
Keine mehrheitliche Überstimmung von Akkordstörern möglich
Geringer Aufwand, da keine gesetzlich vorgeschriebenen Unterlagen
In aller Regel keine längerfristigen Moratorien, eher Verzicht gegen Cash
Geringe Transaktionskosten und Wegfall so genannter indirekter Kosten
Keine Unterbrechung der gesetzlichen Insolvenzantragspflichten
Keine Mindestquote
Fehlende Überwachung der Vergleichserfüllung
Abbildung 11: Vor- und Nachteile des Planverfahrens PLUS
MINUS
Geregelter Prozess einschließlich der Überwachung
Aber hohe sofort cash-wirksame Verfahrenskosten (in aller Regel aber niedriger als Sondererträge im Verfahren)
Gegebenenfalls echte Disziplinierung der notorischen Vergleichsverweigerer über das Obstruktionsverbot
Publizitätsrisiko!!!
Finanzierbarkeit. Zeitraum ist über mehrere Jahre dehnbar, somit sind die Möglichkeiten der Umsetzung operativer Maßnahmen entsprechend größer Bei gleichzeitiger Zugeständnisbereitschaft der Gläubiger Hohe außerordentliche Sondererträge aus Insolvenzgeld und Umsatzsteuer im vorläufigen Verfahren Ein vorhandener Investor kann auch im Rahmen des Plans einsteigen; dieser kann aber auch über die Planalternative diszipliniert werden Besserstellung der Gläubiger
Abbildung 12: Vor- und Nachteile der gerichtlichen Sanierung
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
113
Ein ganz wesentlicher Vorteil liegt in der Finanzierbarkeit des gesamten Prozesses, da einerseits eine gewisse Anschubfinanzierung bestehend aus dem Insolvenzgeld und dem Erlass von Forderungen und andererseits eine gleichzeitige Ausdehnung der Tilgung der verbleibenden Verbindlichkeit über einen vergleichsweise langen Zeitraum gegeben ist. Abbildung 13 veranschaulicht, wie das Unternehmen zunächst Liquidität aus dem Insolvenzgeld und dem „Einsammeln“ der Altforderungen vor Insolvenz schafft und dann aus den operativen Liquiditätsüberschüssen unter Berücksichtigung von notwendigen Investitionen und einer Mindestliquidität seine „Altverbindlichkeiten“ tilgt.
4.500
Liquidität 2006
Zahlungseingang
ZE Altforderungen v.I.
Zahlungsausgang operativ
ZA Restrukturierung
ZA Tilgung gem.Inso-Plan
Bankensaldo
4.000 vorl ufiges Insolvenzverfahren 3.500
er ffnetes Insolvenzverfahren
Insolvenzplanverfahren
3.496 3.360
3.000 2.872
2.872
2.637
2.500 2.210
2.258
2.017
2.000
1.960
2.008
2.049
1.500 1.176
1.000
500
0
Jan
Febr
März
Apr
Mai
Jun
Jul
Aug
Sep
Okt
Nov
Dez
Quelle: Eigene Darstellung Abbildung 13: Liquiditätsverlauf Zusammengefasst liegt der wesentliche Vorteil des Planverfahrens in der Finanzierbarkeit über die Zeitschiene. Der Nachteil der Publizität des Verfahrens ist zweifelsohne vorhanden, aber durchaus kontrollierbar. Der „Schrecken“ der Komplexität des Verfahrens nimmt mit zunehmender Erfahrung im Umgang mit ihm ab. Sicherlich ist es bis heute immer noch selten genutzt und die interdisziplinären Anforderungen sind hoch. Doch mittlerweile gibt es einige, wenn auch wenige Experten, die im Schulterschluss sicher mit den verfahrensspezifischen juristischen und betriebswirtschaftlichen Besonderheiten umgehen können.
114
Michael Joseph Keusgen
6.
Außergerichtliche Umsetzung
6.1
Teilweise Umsetzung parallel zur Planerstellung
Parallel zur Erstellung des Insolvenzplans und zur Integration des Turnaround-Konzeptes werden erste Maßnahmen bereits umgesetzt. Diese sind im darstellenden Teil des Insolvenzplanes unter Absatz F. „Zusammenfassung der für die Realisierung des Plans nötigen Maßnahmen, Teil I: Vor und seit Antragstellung bereits ergriffene Maßnahmen“ dargestellt. Insbesondere handelt es sich um die reaktiven Sofortmaßnahmen zur Kostensenkung, Vorbereitungen zur späteren kurzfristigen Umsetzung der Maßnahmen sowie Unkritische, im Wesentlichen interne Maßnahmen ohne Publizitätsrisiko. Die Umsetzung sich mittel- und langfristig auswirkender Maßnahmen sollte aus Kapazitätsgründen zugunsten einer zeitlichen Forcierung des Prozesses auf einen späteren Zeitpunkt, zu dem die Grundlagen geschaffen sind, verschoben werden. Zu beachten ist in dieser parallel laufenden Phase, dass keinerlei Informationen über die Planerstellung und damit die Situation des Unternehmens nach außen in den Markt dringen dürfen. Eine Vertrauenskrise auf Kunden- oder Lieferantenseite gefährdet das gesamte Vorhaben. Insoweit sind der Umsetzung und insbesondere auch der Verhandlung über die Umsetzung wie zum Beispiel mit dem Betriebsrat über Interessenausgleiche, Sozialpläne, Listen, Standortsicherungsvereinbarungen und ähnliche Vereinbarungen engste Grenzen gesetzt. In aller Regel kann die Vertraulichkeit auf Grund der Brisanz der Verhandlungen sowie des Umfanges des Personenkreises nicht sichergestellt werden. Vertraulichkeitserklärungen sind nur begrenzt wirksam. Häufig finden die Verhandlungen mit dem Betriebsrat nur unter Einbindung der jeweiligen Gewerkschaft statt, so dass Externe involviert sind. Vor Fertigstellung des Plans ist somit die Geheimhaltung gegenüber einem Zeitverlust in der Umsetzung von übergeordneter Bedeutung.
6.2
Umsetzung der kurzfristig wirksamen Maßnahmen
Im Moment der Fertigstellung des Plans sind auf Basis der Vorbereitungen folgende Maßnahmen kurzfristig umzusetzen:
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
115
A. Die leistungswirtschaftlichen Maßnahmen mit kurzfristiger Auswirkung, in aller Regel erst einmal Personalmaßnahmen (z. B. wegen Kapazitätsanpassungen, Teilstilllegungen etc.) Verhandlungen mit dem Betriebsrat über Interessenausgleich, Sozialplan, Listen der zu entlassenden Mitarbeiter, Übernahme der zu reduzierenden Mitarbeiter in eine Transferund Qualifizierungsgesellschaft (TQG) etc. und/oder Verhandlungen mit dem Betriebsrat bzw. im Falle der Tarifbindung mit der Gewerkschaft über absolute Lohnabsenkungen, auch durch Arbeitszeitanpassungen, im Rahmen einer Standortsicherungsvereinbarung und/oder Verhandlungen mit dem Betriebsrat über Arbeitszeitflexibilisierung. Im seltenen Falle des Fehlens eines Betriebsrates sind Individualvereinbarungen mit den Mitarbeitern unumgänglich. Die gesetzlich vorgeschriebenen Anzeigepflichten z. B. bei Massenentlassungen sind parallel zu beachten. B. die finanzwirtschaftlichen Maßnahmen, in aller Regel Vergleichsverhandlungen mit den Finanzkredit- und Lieferantenkreditgläubigern oder potenziellen Eventualgläubigern wie z. B. dem Pensionssicherungsverein. Bei den Verhandlungen mit den Gläubigern ist der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zu beachten. Das heißt, einem Vergleich mit heimlicher Bevorzugung einzelner Gläubiger fehlt die Geschäftsgrundlage. Mit Zustimmung der schlechter gestellten Gläubiger ist ein Vergleich zulässig ebenso wie die Vorabbefriedigung der Kleingläubiger bis etwa zehn Prozent der Gesamtbeteiligung (nach Uhlenbruck). Aussonderungsrechte und dingliche Sicherheiten haben auch im außergerichtlichen Vergleich Bestand. Die Problematik des außergerichtlichen Vergleichs liegt somit darin, eine Vielzahl von Gläubigern in kürzester Zeit „unter einen Hut“ zu bekommen. Dieses Unterfangen ist nicht selten bzw. immer dann nahezu aussichtslos, wenn es sich um eine große Anzahl von Gläubigern mit unterschiedlichen Sicherheitenlagen und nicht homogenen Interessen handelt. In der Praxis ist daher der Spagat zwischen auch von den Gläubigern geforderter Opfersymmetrie und der Machbarkeit auf der Zeitschiene notwendig. Man wird daher den Versuch unternehmen, die Kleingläubiger vorab zu 100 Prozent zu befriedigen und im Anschluss mit einer möglichst geringen Anzahl von Gläubigern, die ein Maximum der Forderungen gegen das Unternehmen haben, eine Vergleichsvereinbarung mit deren Zustimmung zur Schlechterstellung zu erzielen. Im Ergebnis werden die Sanierungsbeiträge durch die finanzierenden Kreditinstitute und die Hauptlieferanten des Unternehmens erbracht werden müssen.
116
Michael Joseph Keusgen
In diesen Verhandlungen wird der Insolvenzplan im Sinne eines Worst-Case-Szenarios den Verhandlungspartnern dargelegt. Auf Grund der geringeren Transaktionskosten und des Wegfalls der so genannten indirekten Kosten der gerichtlichen Sanierung wird den Verhandlungspartnern ein besseres Angebot, so wie es im Turnaround-Konzept ermittelt ist, gemacht werden können. Der zur Verfügung stehende Zeitrahmen hängt zum einen vom eigenen Vorlauf der Lagerbestände für die Fertigung und zum anderen von der Sensibilität der Kunden und deren Bestellverhalten im Falle des Bekanntwerdens der Krise ab. Auf Grund der heute üblichen schlanken Produktionsprozesse bzw. Lieferkette, sowohl der eigenen wie auch die der Kunden, stehen hier in aller Regel nur wenige Tage zur Verfügung. Mit Eintritt in diese Phase ist der Ball sozusagen ins Rollen gebracht. Der Zeitpunkt für den Eintritt in diese Phase ist neben der Beachtung der rechtlichen Implikationen (Gläubigerbenachteiligung, Insolvenzverschleppung etc.) so zu wählen, dass möglichst keine Problemstellungen aus der operativen Geschäftstätigkeit zu erwarten sind (z. B. Liefertermin eines Großauftrages). Dies gilt nicht nur für den Zeitpunkt des Eintritts in diese Phase, sondern ist auch für die möglicherweise sich daran anschließende Antragstellung im Falle des Scheiterns zu berücksichtigen.
6.3
Umsetzung mittel- und langfristiger Maßnahmen zum nachhaltigen Turnaround
Nachdem durch die kurzfristig wirksam werdenden leistungswirtschaftlichen Maßnahmen das Unternehmen aus der unmittelbaren Verlustzone gebracht wurde und die finanzwirtschaftlichen Maßnahmen die Liquidität sichergestellt und eine adäquate Eigenkapitalsituation geschaffen haben, ist die Basis für den nachhaltigen Turnaround geschaffen. Die Basis – nicht mehr, aber auch nicht weniger! Auf dieser Basis werden nunmehr strategischen Maßnahmen zur Neu- bzw. Umpositionierung des Unternehmens (siehe Kapitel 3.1.4 und 3.1.5) im Rahmen des Projektplanes umgesetzt und ihre Wirksamkeit anhand der vorgegebenen Ziele kontrolliert. In einem fortlaufenden Prozess unter Fortschreibung der Planungsrechnungen werden gegebenenfalls einzelne Maßnahmen verfeinert oder korrigiert.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
7.
Vorläufiges Insolvenzverfahren
7.1
Scheitern des außergerichtlichen Sanierungsversuches
117
Scheitern die Verhandlungen zur Umsetzung der kurzfristig wirksamen Maßnahmen im außergerichtlichen Versuch, ist dem Unternehmen die Basis bzw. die Plattform für den nachhaltigen Turnaround entzogen. Die Ursache kann in einem endgültigen Scheitern der Verhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaft liegen wie auch an einer unmöglichen Einigung mit den Gläubigern. Kann das Unternehmen also nicht kurzfristig in die Gewinnzone geführt werden und/oder die Liquidität und/oder die Kapitalisierung des Unternehmens konnte nicht sichergestellt werden, dient der bisher als Worst-Case-Szenario eingesetzte Insolvenzplan als Auffanglösung für das angeschlagene Unternehmen. Zeitnah, möglichst noch vor Antragstellung bzw. Einreichung des Insolvenzplans bei Erkennen des Scheiterns der Bemühungen zur außergerichtlichen Sanierung, muß den Kunden und Lieferanten der weitere Verlauf des nunmehr geregelten Verfahrens erläutert und ihre Unterstützung eingeworben werden.
7.2
Insolvenzantrag mit Schuldnerplan und Antrag auf Eigenverwaltung
Die Geschäftsleitung stellt an dem vorher geplanten Termin beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und wird gleichzeitig den Insolvenzplan (so genannter Schuldnerplan) einreichen. Mit dem Eröffnungsantrag verbunden sollte gem. § 270 InsO der Antrag auf Eigenverwaltung gestellt werden. Auch wenn bis heute dieser Antrag seitens der Insolvenzgerichte sehr restriktiv gehandhabt wird, gibt es nunmehr doch einige größere Fälle (Ihr Platz, Fuba Printed Circuits), in denen sich die Eigenverwaltung bewährt hat. Durch die Eigenverwaltung wird ein Höchstmaß an Kontinuität gewahrt, und die laufenden Geschäfte, insbesondere die Zahlungsströme, werden nur im absolut erforderlichen Mindestmaß beeinträchtigt.
118
Michael Joseph Keusgen
Es muss glaubhaft vermittelt werden, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führt. Sinnvollerweise wird man dieses Gesamtpaket aus Eigenantrag, Insolvenzplan mit Sanierungskonzept und Antrag auf Eigenverwaltung mit dem zuständigen Insolvenzrichter vorbesprechen, so dass er die Gelegenheit hat, sich von der Nachhaltigkeit zu überzeugen. Je nach Situation kann es auch zielführend sein, von außen einen der Turnaround-Berater vorübergehend in die Geschäftsführung aufzunehmen und so „Bauchschmerzen“ der Beteiligten zu heilen. Anstelle des Insolvenzverwalters wird ein Sachwalter zur Überwachung bestellt.
7.3
Besondere Risiken an der Schnittstelle „Insolvenzantrag“
7.3.1
Risiken im Verwalter
Im Moment der Antragstellung kommt durch den zuständigen Insolvenzrichter mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter an entscheidender Position eine zunächst unbekannte Größe an Bord. Gleichzeitig ist das Unternehmen auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter völlig unbekannt. Er muss sich in das Unternehmen, das Verfahren und den Plan innerhalb kürzester Zeit einarbeiten und dieses verstehen. Zu den handelnden Personen wird er erst einmal Vertrauen fassen müssen. Gleichzeitig hat er eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen, die für das Unternehmen und das Gelingen des Plans von großer Bedeutung sind. Dabei ist der Insolvenzverwalter in erster Linie Vertreter der Gläubiger. Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass auch er gewisse Eigeninteressen hat und versuchen wird, seine eigenen Risiken möglichst gering zu halten. Im Zweifelsfall wird er, sofern er noch nicht den Überblick hat, Entscheidungen vertagen oder schwerpunktmäßig am eigenen Risiko orientiert fällen. In dieser Gemengelage wird klar, von welcher Wichtigkeit die Professionalität, die Qualität und Erfahrung des bestellten Verwalters sind. Ein unerfahrener Verwalter wird in einer derartigen Situation vollständig überfordert sein. Ein nicht geeigneter Verwalter kann das gesamte Verfahren zu diesem Zeitpunkt zum Scheitern bringen. Der zuständige Richter ist über diese Situation wie oben beschrieben informiert und wird in aller Regel einen Verwalter bestellen, der über ausreichende Erfahrung auch in größeren Verfahren und im Idealfall auch mit dem Planverfahren hat.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
7.3.2
119
Risiken im Kundenkreis
Wie oben beschrieben ist eines der großen Risiken des Insolvenzplans seine Publizität. Diese lässt sich innerhalb des Verfahrens nicht auf die Gläubiger beschränken. Nur Kunden, die Vertrauen in den Fortbestand des Unternehmens haben, werden nicht – zumindest nicht unmittelbar – den Lieferanten wechseln. Diese Problematik wurde zuvor dargestellt. Ein Risiko ganz besonderer Art, das für das Planverfahren durchaus tödlich enden kann, sind Kunden, die durch Nichtzahlung von der Insolvenz zu profitieren versuchen. Im Regelverfahren hat der Insolvenzverwalter die Zeit, einen langen Rechtsstreit durchzustehen. Im Planverfahren, und gerade in der Anfangsphase, aber auch später zur Tilgung der Gläubiger, wird diese Liquidität dringend benötigt. Zur Minimierung dieses Risikos trägt eine genaue Kenntnis der Kunden und des Marktes bei. Aus dieser Kenntnis heraus sind geeignete Maßnahmen wie zum Beispiel punktuelle Wechsel der Zahlungsbedingungen etc. zu treffen.
7.3.3
Risiken im Lieferantenkreis
Unter der Voraussetzung, dass Lieferanten ohne große Umrüstkosten kurzfristig ausgetauscht werden können, sind abgesehen von zumindest vorübergehend nur geringen oder keinen Lieferantenkrediten, keine weiteren Repressalien zu erwarten. Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass, wenn denn nun schon „das Kind in den Brunnen gefallen ist“, die Lieferanten bei entsprechender Zahlungszusage (d. h. Begründung von Masseverbindlichkeiten) durchaus gerne weiter liefern und einer konstruktiven Lösung nicht im Weg stehen. Ganz anders kann dies jedoch aussehen, wenn es sich um echte Schlüssellieferanten mit großen Lieferanteilen handelt, die möglicherweise gar nicht austauschbar sind, weil zum Beispiel der vorhandene Maschinenpark nur genau dieses Produkt verarbeiten kann. Ist dazu das Unternehmen als Kunde von nicht existenzieller Bedeutung, kann es hier zu Forderungen kommen, die eine Überarbeitung des Plans bis hin zu einer neuen Gruppenbildung oder Quotenverteilung notwendig machen. Im schlimmsten Fall sprengen diese Forderungen den Plan. Eine derartige Situation kann ebenfalls im Falle überdimensional großer (bezogen auf das Volumen des Falls) institutioneller oder öffentlich-rechtlicher Gläubiger aus Gewährsträgerhaftung wie zum Beispiel dem Pensionssicherungsverein a. G. eintreten.
7.3.4
Risiken im Bereich der Arbeitnehmer
Das zunächst größte Risiko im Bereich der Arbeitnehmer liegt in der Demotivierung der Belegschaft.
120
Michael Joseph Keusgen
In Fällen, in denen bereits sehr frühzeitig geklärt ist, dass nicht die gesamte Mannschaft wird an Bord bleiben können, kann dies zu extremen und zum Teil kollektiven Existenzängsten mit einseitigen Schuldzuweisungen an den Arbeitgeber führen. Im schlimmsten Fall kann dies auch mit Racheakten am Vermögen des Unternehmens in Form der Zerstörung von Maschinen oder Vernichtung von Beständen einhergehen. Vergleichsweise gering ist der Widerstand der Gewerkschaften innerhalb der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über Personalabbau, Interessenausgleich und Sozialplan. Ganz anders hingegen gestaltet sich die Situation in den Verhandlungen, wenn im Rahmen der Standortsicherung über absolute Lohnabsenkungen, Arbeitszeiterhöhungen, Streichung tariflicher Sonderzahlungen oder massive Lohnflexibilisierung verhandelt wird. Spätestens wenn in Flächentarifverträge eingegriffen wird, wird die Belegschaft die Feststellung machen müssen, dass die Gewerkschaften eigene, übergeordnete tarifpolitische Ziele verfolgen. Und letztendlich sitzen sie auch nicht wirklich mit in dem leckgeschlagenen Boot – auch nicht der bisher so vertraute gute Freund, der Gewerkschaftsvertreter vor Ort. Der Autor hat in mehreren Fällen erlebt, wie diese Situation zu einem Bruch zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat geführt hat, was verhältnismäßig einfach ist, sofern keine Tarifbindung vorliegt. Nur sehr schwer lösbar ist eine solche Situation im Falle der vollen Einbindung der Tarifparteien.
7.3.5
Risiken in der Finanzierung
Neben der Aufgabenstellung der Sicherung der Zahlungseingänge für Lieferungen nach Antragstellung zur Erhaltung der Liquidität kann sich eine weitere, existenzielle Finanzierungsproblematik ergeben. Im Falle einer geringen Reichweite der zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendigen Bestände ergibt sich häufig eine Finanzierungslücke, die nicht durch das Insolvenzgeld gedeckt wird. Die Liquidität aus dem Insolvenzgeld wird erst mit dem Zahlungseingang für die mit der korrespondierenden Arbeitskraft geschaffene Leistung gehoben. Hierdurch wird zur Zwischenfinanzierung zumeist ein Kredit, ein so genanntes Massedarlehen, benötigt. Für die Gewährung eines solchen kommen die Banken, teils die Lieferanten und in seltenen Fällen auch die Kunden des Unternehmens in Frage. Eine Zusage für dieses Massedarlehen wird auf Grund der Unwägbarkeiten, nicht zuletzt in der Person des noch unbekannten Verwalters, vor Antragstellung kaum erreichbar sein. Der Prozess kann im Vorfeld wohl vorbereitet werden, wird aber dann mit dem vorläufigen Verwalter bzw. Sachwalter gemeinsam zu Ende gebracht werden müssen. Der zur Verfügung stehende Zeitrahmen orientiert sich dabei weitestgehend an der Reichweite der Bestände und wird sich im Rahmen weniger Tage bewegen.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
7.3.6
121
Risiken im Wettbewerberkreis (Übernahmeversuche durch Asset Deal)
Es kommt vor, dass der Plan durch den Übernahmeversuch des Betriebes oder von Betriebsteilen durch Wettbewerber torpediert wird. Da der Plan unter anderem und nicht zuletzt auf Grund eines nicht vorhandenen Investors gemacht wurde, ist dessen Zielsetzung genau zu prüfen. Nicht selten dient eine derartige Offerte dem Ziel, die Umsetzung des Plans zu verzögern und damit zu Fall zu bringen. Eine andere Variante ist es, den Wettbewerber nun aus der Insolvenz günstig zu übernehmen, die interessanten Teile zu verwerten und den Rest zu zerschlagen. Somit hätte man sich neben dem – im Zweifelsfall günstigen – Erwerb der interessanten Assets gleichzeitig eines Wettbewerbers entledigt. Hier kann auch der geneigte Verwalter, unter anderem auf Druck der Mehrheit der Gläubiger, in eine Zwangssituation zum Verkauf im Rahmen eines Asset Deals kommen – faktisch eine übertragende Sanierung. Der Prozess der Sanierung ist nach einem derartigen Abschluss nicht mehr unter Kontrolle. Die daraus erwachsenen Unwägbarkeiten für den Fortbestand des Unternehmens sind nicht kalkulierbar. Zu diesem Zeitpunkt sollte ein derartiger Schritt nur die letzte mögliche Wahl sein. Hingegen wird ein ernsthaft an der Erhaltung des Unternehmens interessierter Investor sich auch bzw. gerade, denn es bedeutet für ihn Sicherheit, innerhalb des Plans am Unternehmen beteiligen. Grundsätzlich kann und sollte daher im Plan auch die Option eines Investors vorgesehen werden.
7.4
Aussetzen der operativen Umsetzung
Zunächst werden, solange der Plan nicht durch das Gericht bestätigt worden ist, keine kostenintensiven Maßnahmen, sofern irreversibel, umgesetzt werden können. Andernfalls würden die Gläubiger im Falle der Zerschlagung und des Regelverfahrens bei Nichtbestätigung zu Schaden kommen. Insofern wird man nur die Maßnahmen umsetzen, deren Kostenaufwand bis zum voraussichtlichen Abstimmungstermin kostenneutralisiert wird durch die erzielten Einsparungen.
122
8.
Michael Joseph Keusgen
Eröffnetes Insolvenzverfahren
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Gesellschaft (GmbH) aufgelöst, besteht aber als Rechtsträgerin und ihre Organe als Elemente der gesellschaftsrechtlichen Organisation fort (nach K. Schmidt).
8.1
Berichts-, Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin
Im Eröffnungsbeschluss des Insolvenzverfahrens bestimmt das Gericht folgende Termine für Gläubigerversammlungen: Einen Termin, in dem auf Grundlage des Berichts des vorläufigen Insolvenzverwalters über den weiteren Fortgang des Verfahrens beschlossen werden soll. (Berichtstermin) Einen Termin, in dem die angemeldeten Forderungen geprüft werden. (Prüfungstermin) Einen Termin, in dem der Insolvenzplan und das Stimmrecht erörtert werden und anschließend über den Insolvenzplan abgestimmt wird, bestimmt das Gericht gesondert. (Erörterungs- und Abstimmungstermin) Den Gläubigern und Arbeitnehmervertretern ist mit der gesonderten Ladung zu diesem Termin eine Abschrift des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zu übersenden. Abweichend kann ein gesonderter Abstimmungstermin (§ 241 InsO) bestimmt werden. In diesem Fall kann das Stimmrecht auch schriftlich ausgeübt werden. Die Termine können miteinander verbunden werden. Das Gericht kann und wird in den meisten Fällen einen Gläubigerausschuss einsetzen. Zur Verkürzung des Prozesses hat sich die Abhaltung einer Gläubigerversammlung im Vorfeld des ersten durch das Gericht bestimmten Termins durchaus bewährt. In dieser kann sich ein vorläufiger Gläubigerausschuss konstituieren, der Plan erläutert und versucht werden, einen Konsens unter den Gläubigern herzustellen. Gegebenenfalls können im Anschluss Modifizierungen des Plans vorgenommen werden.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
8.2
123
Planmodifikation
Im Idealfall wird man eine Zustimmung der Gläubiger bereits vor der ersten durch das Gericht anberaumten Gläubigerversammlung erreichen können. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass einzelne Gläubiger, insbesondere Großgläubiger, dazu neigen, über die im Plan vorgesehenen Quoten zu verhandeln und ihre Zustimmung zum Plan von einer Nachbesserung in ihrem Sinne abhängig zu machen. Inwieweit dies im Plan unter Berücksichtigung der gesetzlichen Anforderungen und wirtschaftlich darstellbar ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Als praktikabel haben sich hier sowohl erhöhte Quoten bei verlängerten Laufzeiten (zum Teil optional) als auch Besserungsscheine erwiesen. Jeder Planverfasser wird bemüht sein, eine Lösung zu finden, die die Zustimmung der Gläubiger sicherstellt. Nur im Falle der völligen Unverhältnismäßigkeit des Ansinnens wird man das Risiko des gerichtlichen Ersatzes der Zustimmung eingehen. Das Verfahren würde durch Einlegung von Rechtsmitteln durch den Überstimmten in einem nur schwer kalkulierbaren Maße in die Länge gezogen. Nach § 240 InsO hat der Planinitiator dieses Abänderungsrecht. Wie oben erläutert wird er hiervon im Vorfeld des Erörterungs- und Abstimmungstermins Gebrauch machen. Er darf aber selbst in diesem Erörterungstermin noch Änderungen, die sich in diesem Termin selbst ergeben haben, vornehmen. Des Weiteren ist eine Modifikation des Schuldnerplans zwingend notwendig, sobald alle Verbindlichkeiten ihrer Höhe nach feststehen und die Rechte, insbesondere der Gläubiger mit verlängerten Eigentumsvorbehalten, geklärt sind. Da der Plan im Vorfeld des Antrages erstellt wurde, kann der eingereichte Plan nur vorläufige Zahlen und Zuordnungen in die einzelnen Gruppen enthalten. Daneben können durch das Gericht Veränderungen des Plans veranlasst werden, sofern die Vorschriften zur Vorlage und zum Inhalt nicht erfüllt sind.
8.3
Stimmrechtfeststellung und Abstimmung der einzelnen Gruppen
Ein Stimmrecht gewähren die Forderungen, die angemeldet und weder vom Insolvenzverwalter noch von einem stimmberechtigten Gläubiger bestritten worden sind. In der Stimmliste (§ 239 InsO) wird festgehalten, welche Stimmrechte den Gläubigern nach dem Ergebnis der Erörterung im Termin zustehen. Die Abstimmung über den Plan erfolgt in Gruppen gesondert (§ 243 InsO).
124
Michael Joseph Keusgen
Zur Annahme des Insolvenzplanes gemäß § 244 InsO ist es erforderlich, dass in jeder Gruppe die Mehrheit der Gläubiger dem Plan zustimmt sowie die Summe der Ansprüche der Gläubiger mehr als die Hälfte der Summe der Ansprüche der abstimmenden Gläubiger beträgt. Bei der Berechnung der Mehrheiten wird dabei nur auf die tatsächlich abstimmenden Gläubiger abgestellt. Eine Stimmenthaltung bleibt somit unberücksichtigt.
8.4
Obstruktionsverbot
Der § 245 Abs. 1 InsO schafft die Grundlage dafür, dass Insolvenzpläne auch ohne die mehrheitliche Zustimmung der Gläubiger durch das Gericht bestätigt werden können, indem die fehlende Zustimmung durch das Gericht ersetzt wird. Die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe gilt als erteilt, wenn die Gläubiger dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als sie ohne Plan, d. h. im Regelverfahren stünden, die Gläubiger dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll, die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat. Das missbräuchliche Versagen der Zustimmung einzelner (Groß-)Gläubiger oder Gläubigergruppen lässt sich somit unterbinden und verhindert ein Scheitern des Plans zugunsten der Interessen einzelner.
8.5
Bestätigung des Plans durch das Gericht
Das Insolvenzgericht hat gem. § 231 InsO eine Vorprüfung des Plans zu Beginn des Verfahrens bereits vorgenommen. Dieses Vorprüfungsverfahren erfolgt von Amts wegen, muss nach Einreichung des Plans stattfinden und endet spätestens mit Anberaumung des Erörterungsund Abstimmungstermins.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
125
Der Plan ist vom Gericht zurückzuweisen, wenn die Vorschriften zur Vorlage und zum Inhalt des Plans nicht beachtet wurden und der Vorlegende den Mangel nicht beseitigen kann bzw. dies nicht in der vom Gericht festgesetzten Frist erfolgt, ein Plan offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch die Gläubiger oder auf Bestätigung durch das Gericht hat, die im Gestaltenden Teil den Beteiligten zugesagten Ansprüche offensichtlich nicht erfüllt werden können. Des Weiteren prüft das Gericht die sachgerechte Abgrenzung der Gläubigergruppen. Die endgültige Überprüfung des Plans erfolgt erst, wenn der Plan von den Beteiligten angenommen worden ist. Das Gericht hat in dieser Überprüfung die Rechtmäßigkeit sicherzustellen und wird den Plan nur bestätigen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Gesetzmäßigkeit des Planinhaltes Korrekte Gruppenbildung Gleichbehandlung der Gläubiger innerhalb der Gruppen Erforderliche Mehrheiten sind vorhanden bzw. die fehlende Zustimmung einzelner Gruppen ist ersetzt worden Über alle form- und fristgerechten Widersprüche ist entschieden Kein Vorliegen von unlauterer Herbeiführung des Plans Wahrung der Minderheitenrechte Im Plan vorgesehene Bedingungen (§ 249 InsO Bedingter Plan) sind erfüllt Zustimmung des Gläubigers (oder Ersatz der Zustimmung) Mit der Planbestätigung durch das Gericht wird das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gem. § 258 InsO anordnen. In aller Regel wird man die Überwachung der Planerfüllung im Gestaltenden Teil des Plans vorsehen, die dann Aufgabe des Insolvenzverwalters als Sachwalter ist.
126
Michael Joseph Keusgen
9.
Planerfüllung und Überwachung
9.1
Umsetzung des Turnaround-Konzeptes
In der Phase zwischen Antragstellung und Annahme des Plans durch die Gläubiger mit der anschließenden Bestätigung durch das Gericht musste die Umsetzung aller investiven Maßnahmen (siehe Kapitel 7.4) zum Schutz der Gläubiger zunächst eingefroren werden. Hierunter fallen alle Maßnahmen, die nicht kurzfristig wirksam werden und zumindest die mit ihnen verbundenen Kosten kurzfristig wieder einspielen, sowie langfristigen Maßnahmen, die irreversibel sind und Fakten schaffen, die zum Beispiel eine Liquidierung erschweren. Zunächst konnten daher nur operative Sofortmaßnahmen, die keine oder nur geringe Investitionen erfordern, sowie die finanztechnischen Maßnahmen umgesetzt werden. Nach der Bestätigung des Plans können nunmehr auch die operativ investiven sowie die strukturellen Maßnahmen des Turnaround-Konzeptes umgesetzt werden: Im Besonderen neben verschiedenen Einzelmaßnahmen handelt es sich hier um die Maßnahmen des strategischen Entwicklungsprogramms, die das Unternehmen langfristig neuoder umpositionieren und die Nachhaltigkeit des Turnaround-Erfolges sichern. Im Unternehmen selber ist die Umsetzung des Konzeptes und der Maßnahmen laufend zu überwachen und nachvollziehbar im Soll-Ist-Vergleich zu messen. Die Ursachen für wesentliche Abweichungen sind festzustellen, um gegebenenfalls Konsequenzen ziehen und Gegensteuerungsmaßnahmen ergreifen zu können. Das Turnaround-Konzept bedarf in bestimmten Zyklen (z. B alle drei oder sechs Monate) einer Überarbeitung. Dabei ist der Ist-Zustand im Zeitfortschritt einzuarbeiten und die grundlegenden Prämissen sind auf ihren Bestand zu überprüfen. Gegebenenfalls sind neu gewonnene Erkenntnisse einzuarbeiten. Der Stand der Sanierungsmaßnahmen und die Ergebnisse der Sanierung sowie zu erwartende Abweichungen und nachhaltige Veränderungen sollten den wichtigsten Gläubigern regelmäßig mitgeteilt werden.
Turnaround und außergerichtliche Sanierung mit dem vorbereiteten Insolvenzplan
9.2
127
Erfüllung der Gläubigeransprüche und Überwachung
Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans treten nach § 254 InsO die im Gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein. Der Plan tituliert die Forderungen der Gläubiger. Ein Gläubiger, der im Plan Tilgungszusagen erhalten hat, die nicht erfüllt werden, kann aus dem rechtskräftig bestätigten Plan in Verbindung mit der Eintragung in die Tabelle vollstrecken. Die Tilgung der Ansprüche der Gläubiger erfolgt gemäß folgendem Fallbeispiel für die Agentur für Arbeit aus einem Insolvenzplan: Den Gläubigern der Gruppe 3 wird in angenommenem Beispiel eine Quote von 20 Prozent auf ihre Forderung ausgeschüttet. Sie erhalten also einen Abfindungsbetrag von 1.385.000 Euro (davon 930.000 Euro Agentur für Arbeit) in Raten zahlbar, jeweils zum Monatsende zu den Terminen wie in Abbildung 14 dargestellt.
Gruppe
Bezeichnung
Quote
zu 3
Bundesagentur für Arbeit + SV wg. Insogeld
20%
Febr
April
0
0
Febr
April
62
62
Febr
April
62
62
2006 Tilgungsplan mit Termin Juni Aug Okt
0
62
62
2007 Tilgungsplan mit Termin Juni Aug Okt
62
62
62
2008 Tilgungsplan mit Termin Juni Aug Okt
62
62
62
Dez
62
Dez
62
Dez
62
Abbildung 14: Tilgungsplan Die in aller Regel im Plan vorgesehene und durch das Gericht angeordnete Überwachung der Erfüllung des Plans findet außerhalb des Insolvenzverfahrens statt (§ 260 InsO). Zur Überwachung wird von den Gläubigern ein Sachwalter bestimmt, meist der vorherige Insolvenzverwalter. Gegenstand der Überwachung ist die Erfüllung der Ansprüche der Gläubiger, die diesen nach dem Plan zustehen.
128
Michael Joseph Keusgen
Die Überwachung ist nach der Insolvenzordnung auf maximal drei Jahre begrenzt bzw. auf den Zeitpunkt der Erfüllung der Forderungen gemäß dem bestätigten Insolvenzplan. Bei vorzeitiger Erfüllung oder der Sicherstellung der Erfüllung (nur bei Stellung von Sicherheiten) ist eine frühere Aufhebung möglich. Der Beschluss der Aufhebung der Überwachung ist öffentlich bekannt zu machen.
10.
Zusammenfassung
Das Insolvenzplanverfahren und seine Möglichkeiten ist besser als sein Ruf – die Unbeliebtheit rührt aus der hohen interdisziplinären Anforderung und damit verbundenen Überforderung von Teilen der heute bestehenden Strukturen der Insolvenzbefassten. Diese vom Gesetzgeber aufgestellten und sich aus der Praxis ergebenden Anforderungen sind in der Sache vollkommen richtig und wünschenswert – sie entsprechen den Anforderungen der Zeit. Wird der Planverfasser diesen Anforderungen vollumfänglich gerecht, bestehen gute Chancen für eine erfolgreiche und vor allem nachhaltige Sanierung bzw. Turnaround. Dabei ist zunächst unerheblich, ob tatsächlich der Weg über das Planverfahren gegangen wird oder der Turnaround außergerichtlich erfolgt. Das Planverfahren stellt sicher, das alle betriebswirtschaftlichen und juristischen Facetten des Turnarounds bestmöglich erfüllt sind, und gleichzeitig bietet es eine Art „Fallschirm“, den das Unternehmen ohne die Möglichkeiten des Planverfahrens nicht hätte. Insofern muss das Unternehmen nicht erst vor einer Situation ohne Handlungsalternativen stehen, sondern kann bereits frühzeitig den Turnaround-Prozess aktiv gestalten und damit die Erfolgschancen potenzieren. In diesem Sinne ist die zunehmende Akzeptanz des Planverfahrens zu begrüßen und zu hoffen, dass sich dieser Trend fortsetzt und konsolidiert – auch gegen die neuesten Überlegungen des Gesetzgebers, die offensichtlich in Teilen ihren Ursprung in staatlichen monetären Interessen haben. Zu nennen wären hier unter anderem die Bevorrechtigung bzw. Besserstellung der öffentlich-rechtlichen Gläubiger wie Finanzamt und Sozialversicherer, das fehlende Steuerprivileg für Sanierungsgewinne, die Umsetzung des EU-Rechts mit der Abschaffung des Insolvenzgeldes.
Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts
129
Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts Martin Matzat
Martin Matzat
übt seit 1991 den Beruf des Rechtsanwalts aus. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der Beratung von Unternehmen und Insolvenzverwaltern bei der Entwicklung von Interessenausgleichen und Sozialplänen mit dem Ziel einer Restrukturierung der Mitarbeiterschaft und Anpassung an veränderte Verhältnisse der Unternehmen. Darüber hinaus vertritt Matzat verschiedene Insolvenzverwalter sowohl kollektivrechtlich bei der Entwicklung von Sanierungsplänen (Erwerberkonzepten) in Vorbereitung der sanierenden Übertragung insolventer Unternehmen wie auch gerichtlich und außergerichtlich in individualrechtlichen Fragen, die sich bei der Abwicklung von Arbeitsverhältnissen zum Beispiel nach Kündigung der Arbeitnehmer ergeben. Seit dem Frühjahr 2006 ist Matzat Mitglied der Sozietät Buerstätte Geuting Matzat in Münster. E-Mail: [email protected]
130
Martin Matzat
Inhaltsverzeichnis
1. Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb der Krise .............................................................. 131 1.1 Befristung von Arbeitsverträgen.............................................................................. 132 1.2 Flexibilisierung der Arbeitszeit ............................................................................... 133 1.3 Freiwilligkeit/Widerruf von Sonderzahlungen ........................................................ 134 2. Arbeitsrecht in der Sanierung und Insolvenz.................................................................. 136 2.1 Kurzarbeit................................................................................................................ 136 2.2 Personalabbau in der Sanierungsphase .................................................................... 137 3. Betriebsübergang zur Sanierung und in der Insolvenz ................................................... 149 3.1 Rechtsgeschäftlicher Übergang des Betriebes ......................................................... 150 3.2 Betriebsübergang und Auffanggesellschaft ............................................................. 150 3.3 Kündigungsverbot gem. § 613a Abs. 4 BGB/Betriebsübergang mit Erwerberkonzept.......................... 152 3.4 § 613a BGB in der Insolvenz .................................................................................. 155
Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts
1.
131
Gestaltungsmöglichkeiten außerhalb der Krise
Auslöser arbeitsrechtlicher Fragestellungen in der Krise, im Zusammenhang mit der Sanierung oder im schlimmsten Fall der Insolvenz des Unternehmens sind regelmäßig ein Überhang an Arbeitskräften, fehlende Reaktionsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Gestaltung der Wochenarbeitszeiten oder Bindungen im Rahmen der Lohngestaltung, bis hin zu Belastungen aus Versorgungszusagen der betrieblichen Altersversorgung. Diese dem Arbeitgeber gesetzten Grenzen müssen aufgebrochen werden, um das Unternehmen wieder marktfähig zu machen und um flexibel auf Änderungen reagieren zu können. In Zeiten der Krise wird dann häufig das deutsche Arbeitsrecht mit seinen sehr festen Vorgaben durch Bindungen an Arbeitsverträge, die einseitig, sei es auch nur auf Grund betrieblicher Übung, nicht mehr abgeändert werden können oder den weit reichenden Rechten, die der Arbeitnehmervertretung in Gestalt des Betriebsrats eingeräumt werden, beklagt, dies aber sehr häufig ohne die Reaktionsmöglichkeiten, die das Arbeitsrecht gleichwohl einräumt, auszuschöpfen oder aber schon in guten Zeiten Vorkehrungen zu treffen, die in der Krise eine flexible Reaktion auf den Rückgang des Unternehmensergebnisses ermöglichen. Um in der Krise schnell und flexibel reagieren zu können, kann das Unternehmen durch Ausschöpfung von Befristungsmöglichkeiten nach dem Teilzeit-/Befristungsgesetz; durch von vornherein arbeitsvertraglich vereinbarte Flexibilisierung der absoluten Menge der wöchentlichen Arbeitsstunden oder deren Verteilung in Gestalt von Arbeitszeitkonten (monatlich/vierteljährlich/jährlich); durch die arbeitsvertraglich vereinbarte Möglichkeit, Kurzarbeit anzuordnen; durch die Vermeidung von Bindungen an Sonderzahlungen im Vorfeld bereits Optionen bereitstellen, die verhindern, dass allein aus personalwirtschaftlichen Gründen dem Unternehmen die Insolvenz als einziger Ausweg bleibt. Der vorstehende Katalog ist nicht abschließend, vielmehr können zahlreiche weitere unternehmensspezifische Regelungen in Betracht kommen, die bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen Berücksichtigung finden können. Schon deshalb ist es sinnvoll, nicht unbesehen überall erhältliche Vertragsmuster zu übernehmen, sondern schon bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses Gestaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen.
132
1.1
Martin Matzat
Befristung von Arbeitsverträgen
Das Teilzeit-/Befristungsgesetz (TzBfG) stellt in § 14 TzBfG zwei Alternativen von Befristungsoptionen zur Verfügung: die Befristung mit Sachgrund (§ 14 Abs. 1 TzBfG) die Befristung ohne Sachgrund (§ 14 Abs. 2 TzBfG) Die Möglichkeiten, Arbeitsverträge mit Sachgrund zu befristen, können und sollen im Rahmen dieser Abhandlungen nicht vertiefend behandelt werden. Als Option im Falle eines konkreten Auftrages, der aber zeitlich oder nach seinem Umfang begrenzt ist, sollte erwogen werden, den zusätzlichen Bedarf an Arbeitskräften möglicherweise durch zweckbefristete Arbeitsverträge zu decken und damit das Unternehmen nicht über den absolut notwendigen Rahmen hinaus mit Lohnkosten zu belasten. Selbst wenn aber eine solche Zweckbefristung nicht in Betracht kommt, gleichwohl aber über einen mittelfristigen Zeitraum die Zahl der Arbeitskräfte bzw. der Umfang der Wochenstundenzahl flexibel gehalten werden soll, besteht die Möglichkeit, jeden Arbeitsvertrag mit einem neu und erstmals im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer ohne Sachgrund über einen Zeitraum von maximal zwei Jahren nach Eintritt in das Unternehmen zu befristen. Innerhalb dieses Zeitraums besteht die Möglichkeit, die Befristung dreimal zu verlängern. In der Praxis bedeutet dies, dass mit dem ursprünglichen Arbeitsvertrag und dreimaliger Verlängerung Arbeitsverträge über einen Zeitraum von je sechs Monaten abgeschlossen werden. Selbstverständlich bleibt jede andere Verteilung der Befristungsdauer möglich, wenn der Zeitraum von zwei Jahren bzw. die dreimalige Verlängerung insgesamt beachtet werden. Der hierzu häufig erhobene Einwand, zu diesen Bedingungen bekomme man keinen Arbeitnehmer, mag für einzelne spezifische Bereiche, in denen ein Nachfragemarkt für Arbeitskräfte besteht, zutreffen, überwiegend ist jedoch ein Angebotsüberhang an Arbeitskräften zu verzeichnen, der die Realisierung dieser Optionen ermöglicht. Auch das zum Teil gegen Befristungen erhobene weitere Argument, die Befristung demotiviere den Arbeitnehmer bzw. verhindere die Eingliederung des Arbeitnehmers in das Unternehmen, ist widerlegbar, da zum einen durch die Option, bei Bewährung und gegebenem Arbeitskräftebedarf einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten, die Motivation gerade gesteigert werden kann und zum anderen durch Gestaltung der Vertragslaufzeit, die nicht auf drei oder sechs Monate begrenzt werden muss, sondern z. B. ein Jahr betragen kann, der Arbeitnehmer zwar zeitlich begrenzt beschäftigt wird, eine Integration in die Unternehmensabläufe aber gleichwohl möglich ist.
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In jedem Fall der Befristung ist von Seiten des Arbeitgebers zu beachten:
Die Befristung muss vor Aufnahme der Tätigkeit vereinbart sein. Die Befristung muss schriftlich vereinbart werden (§ 14 Abs. 4 TzBfG). Nach Auslaufen der Befristung darf der Arbeitnehmer nicht eine Stunde oder einen Tag länger beschäftigt werden, wenn sich das Risiko der unbefristeten Beschäftigung nicht realisieren soll (§ 15 Abs. 5 TzBfG).
1.2
Flexibilisierung der Arbeitszeit
Die Gestaltung der arbeitstäglichen/wöchentlichen/monatlichen bis hin zur jährlichen Arbeitszeit und deren Verteilung ergibt ebenfalls Möglichkeiten, zur Vermeidung einer Unternehmenskrise Vorkehrungen zu treffen, die dem Eintritt eines Sanierungsfalles vorbeugen können. Insbesondere in Unternehmen, die saisonal bedingte Auftragswellen haben, die aus einem Auftragsloch kurzfristig zu einer Auslastung des Unternehmens an der Kapazitätsgrenze bzw. über die personellen Kapazitäten hinaus führen können, ist es angezeigt, die Verteilung der Arbeitszeit nicht nur in dem bisher bekannten und überwiegend praktizierten Rahmen der Wochenarbeitszeit zu gestalten, sondern Arbeitszeitkonten einzurichten, um über einen Monats- bis hin zu einem Jahreszeitraum die Arbeitszeit verteilen zu können. Mit einem solchen Modell lassen sich verschiedene Vorteile verbinden: Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer wird zu einem Zeitpunkt abgerufen, zudem tatsächlich auch Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen. Das Beschäftigungsrisiko, das immer der Arbeitgeber zu tragen hat, wird minimiert, weil Freischichten, arbeitsfreie Tage oder Freistunden angeordnet werden können, wenn keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Die Zahl der bezahlten Überstunden wird verringert, da erhöhter Beschäftigungsbedarf aus Minderstunden, die in der Vergangenheit aufgelaufen sind bzw. in der Zukunft entstehen können, gedeckt werden kann. Werden im Unternehmen Überstundenzuschläge gezahlt, können auf diesem Weg auch die Lohnkosten optimiert werden, da die Zahl der Überstunden abgebaut wird. Die Vereinbarung eines Jahresarbeitszeitkontos könnte im Arbeitsvertrag wie folgt formuliert werden: Die jährliche Arbeitszeit beträgt ausgehend von einer Fünftagewoche mit einer durchschnittlichen täglichen Arbeitzeit von acht Stunden gem. beiliegender Berechnung 2.024 Stunden. Die Lage der Arbeitszeit wird nach den betrieblichen Notwendigkeiten seitens des Arbeitgebers festgelegt. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit werden den Mitarbei-
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tern jeweils vier Tage im Voraus mitgeteilt. Eine Mindestbeschäftigungszeit von drei aufeinander folgenden Stunden pro Tag der Arbeitsleistung wird zugesagt. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf gleichmäßige Verteilung der vereinbarten Wochenarbeitszeit besteht nicht.
Diese Regelung kann durch die Festlegung des Jahreszeitraumes ergänzt werden. Die im typischen Jahresverlauf erwartete hohe Auslastung kann auf das Ende des Ausgleichszeitraumes gelegt werden, mit der Folge, dass dann aufgelaufene Minderstunden zum Ende des Ausgleichszeitraums in Anspruch genommen werden können. So könnte in einem Sommersaisonbetrieb die Laufzeit des Arbeitszeitkontos vom 1.10. des Jahres bis zum 30.9. des Folgejahres vereinbart werden. Erst wenn im Jahresdurchschnitt die Stundenauslastung nicht vollständig erfolgt, trägt der Arbeitgeber das Beschäftigungsrisiko für verbleibende Minderstunden. Möglicherweise kann dann der Ausgleichszeitraum auch noch über zwei bis drei Monate in das folgende Jahr übertragen werden. Überstundenvergütungen, ggf. auch Überstundenzuschläge sind erst zu zahlen, wenn im Jahreszeitraum die Jahresarbeitszeit überschritten wird. Auch hier sind Regelungen denkbar, die derartige Mehrstunden zur Abgeltung durch Freizeitausgleich auf das Folgejahr, möglicherweise auf einen bestimmten Rahmen beschränkt, übertragen.
Die schützenswerten Interessen des Arbeitnehmers auf regelmäßige Lohnzahlung können durch einen verstetigten Monatslohn berücksichtigt werden. Das heißt, dass monatlich ein Festlohn ausgehend von der kalkulierten monatsdurchschnittlichen Arbeitszeit gezahlt wird, verbunden mit der monatlichen Abrechnung des Arbeitszeitkontos, so dass dem Arbeitnehmer jeweils der Stand seines Jahresarbeitszeitkontos bekannt ist.
1.3
Freiwilligkeit/Widerruf von Sonderzahlungen
Schon bei Abschluss des Arbeitsvertrages können Sonderzahlungen, abhängig von dem mit diesen Sonderzahlungen verfolgten Ziel, als freiwillige, widerrufliche Zahlungen gestaltet werden bzw. können Rückforderungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wird in einem Arbeitsvertrag eine Sonderzahlung fest vereinbart, ohne dass ausdrücklich die Freiwilligkeit dieser Zahlungen vorbehalten bleibt, mit der Folge, dass für die Folgejahre kein Anspruch begründet wird, oder wird die Widerruflichkeit der Sonderzahlungen nicht ausdrücklich vereinbart, so sind diese Zahlungen verpflichtend. Dies gilt unabhängig davon, ob die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Unternehmens eine solche Sonderzahlung überhaupt ermöglichen. Ein einseitiges Abweichen durch den Arbeitgeber ist dann nicht zulässig. Es bedarf vielmehr der ausdrücklichen Vereinbarung einer Aufhebung oder vorläufigen Suspendierung dieser Sonderzahlungen mit jedem Arbeitnehmer.
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Schon in den arbeitsvertraglichen Regelungen kann daher zwar eine Zusage von Sonderzahlungen erfolgen, die als feste Quote vom monatlichen Arbeitsentgelt oder abhängig vom Unternehmensergebnis gestaltet werden können. Gleichzeitig sollte die Freiwilligkeit dieser Zahlungen oder aber die Widerruflichkeit vereinbart werden. Dann besteht die Möglichkeit, die Sonderzahlungen auszusetzen für den Fall, dass die Sonderzahlungen in einem einzelnen Geschäftsjahr aufgrund des Geschäftsergebnisses nicht geleistet werden können. Selbst wenn derartige Vereinbarungen in den Arbeitsverträgen enthalten sind, ist es dringend angeraten, mit jeder einzelnen Zahlung noch einmal ausdrücklich auf den Charakter als freiwillige, unwiderrufliche Zahlung hinzuweisen, um zu vermeiden, dass über einen längeren Zeitraum, für den drei Jahre genügen können, nach Abschluss des Vertrages dauerhaft diese Zahlungen erbracht wurden und dann die Bindung des Arbeitgebers nicht aus dem Vertrag, sondern aus einer betrieblichen Übung erwächst.
Beispiel Wir zahlen Ihnen im Monat November mit Ihrem Lohn die Sonderzahlung 2006. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei dieser Zahlung um eine freiwillige Leistung des Unternehmens handelt, die auch bei mehrfacher Gewährung für das Folgejahr keinen Anspruch begründet.
Des Weiteren ist es möglich, in Arbeitsverträgen, abhängig von dem Charakter, den die Sonderzahlung haben soll, Rückzahlungsvorbehalte vorzusehen, die für den Fall der Beendigung des Anstellungsverhältnisses in dem Jahr, in dem die Sonderzahlung fällig wird bzw. abhängig von der Höhe der Sonderzahlung auch bis zu einem Zeitraum von drei Monaten darüber hinaus, die Erstattung der Sonderzahlung durch den Arbeitnehmer zum Gegenstand haben. Dies setzt jedoch voraus, dass in der Regelung ausdrücklich deutlich wird, dass die Sonderzahlung auch die künftige Betriebstreue honorieren soll. Dies ist nicht der Fall, wenn die Sonderzahlung als „13. Monatsgehalt“ oder „Tantieme“ und damit als Gehaltsbestandteil gestaltet ist. Es empfiehlt sich daher, die Sonderzahlung als „Gratifikation“ oder „Zuwendung“ zu bezeichnen.
Bindung an Sonderzahlung kraft „betrieblicher Übung“ Auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung können Sonderzahlungen aufgrund betrieblicher Übung für den einzelnen Arbeitgeber verpflichtend werden. Dies ist der Fall, wenn über einen längeren Zeitraum regelmäßig, spätestens nach dreifacher Gewährung in gleicher Höhe bzw. abhängig von der gleichen Berechnungsgrundlage, Sonderzahlungen erbracht worden sind. Die Manifestierung zur betrieblichen Übung kann nur durch den ausdrücklichen Hinweis auf die Freiwilligkeit der Zahlungen verhindert werden. Ist die betriebliche Übung eingetreten, kann diese nur durch eine über den gleichen Zeitraum dauernde unwidersprochene Nichtgewährung der Zahlungen bzw. durch ausdrückliche Vereinbarung mit dem einzelnen Arbeitnehmer beseitigt werden.
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Mit diesen längst nicht erschöpfend dargestellten Möglichkeiten der Befristung von Anstellungsverträgen, der Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Lohngestaltung lassen sich von vornherein Sicherungen treffen, die einen Sanierungsfall, der häufig aufgrund überhöhter Lohnkosten oder wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten eintritt, vermeiden. Oftmals gestaltet es sich schwierig, derartige Regelungen, insbesondere wenn diese individuell mit jedem Arbeitnehmer getroffen werden müssen, durchzusetzen, vor allem dann, wenn kurzfristig Sanierungsergebnisse erreicht werden müssen. Eine sorgfältige vorausschauende Gestaltung der Arbeitsverträge und deren Abwicklung ist daher die beste Vorsorge, um den Eintritt des Sanierungsfalles von vornherein zu vermeiden.
2.
Arbeitsrecht in der Sanierung und Insolvenz
In der Unternehmenskrise stehen dem Arbeitgeber verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um die Lohnkosten zu senken und die Strukturen mit dem Ziel der Sanierung zu verändern. Neben den vorstehend beschriebenen Möglichkeiten, die Anstellungsverträge und damit die Arbeitszeitgestaltung oder die Lohnkosten zu optimieren, sind die Anordnung von Kurzarbeit oder eine (auch zeitlich befristete) Erhöhung der Wochenstundenzahl Reaktionsmöglichkeiten, Mittel, mit denen kurzfristig Einsparungen realisiert werden können. Langfristig wirkende Maßnahmen sind der Personalabbau wegen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarfs und die (Teil-)Stilllegung von Betriebsteilen z. B. nach einem Inhouseoder Outhouse-Outsourcing bzw. die Übertragung von Unternehmensteilen, bis zum gesamten Unternehmen auf einen Dritten mit dem Ziel der Sanierung.
2.1
Kurzarbeit
Um im Falle der Unternehmenskrise wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten kurzfristig reagieren zu können, sollte die Möglichkeit der Einführung von Kurzarbeit in Betracht gezogen werden. Für die Dauer von maximal sechs Monaten kann zur Vermeidung von Entlassungen Kurzarbeit, also die vorübergehende Verkürzung der betriebsüblichen normalen Arbeitszeit bis zu einer Kurzarbeit „0“, eingeführt werden. Die von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer haben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gem. §§ 169 ff. SGB III vorliegen, Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Die Voraussetzungen sind erfüllt, wenn
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ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt (z. B. aus wirtschaftlichen Gründen, § 170 SGB III); im Betrieb mindestens ein Arbeitnehmer beschäftigt wird (§ 171 SGB III); der Mitarbeiter die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, insbesondere in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht (§ 172 SGB III) und die Kurzarbeit der Agentur für Arbeit durch den Arbeitgeber rechtzeitig, das heißt in dem Monat, in dem Kurzarbeit eingeführt wird, angezeigt wird (§ 173 SGB III). Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Kurzarbeit durch den Arbeitgeber nicht einseitig angeordnet werden, wenn der Arbeitgeber sich dieses Recht nicht in dem Arbeitsvertrag mit dem einzelnen Arbeitnehmer vorbehalten hat.
Beispiel für einen Kurzarbeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag Der Arbeitgeber ist berechtigt, Kurzarbeit anzuordnen, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld vorliegen.
Ist dieser Vorbehalt arbeitsvertraglich nicht vereinbart, bedarf es der den Arbeitsvertrag ergänzenden Regelung, die von der Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers abhängt. Der grundsätzlich in diesem Fall auch gangbare Weg einer Änderungskündigung ist praktisch ohne Relevanz, da bereits die in diesem Fall zu wahrenden Kündigungsfristen dem Zweck der kurzfristigen Reaktion zuwiderlaufen. Ist in dem Betrieb ein Betriebsrat gebildet, ist die Einführung der Kurzarbeit gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Die Kurzarbeit ist also mit dem Betriebsrat zu erörtern und eine Einigung ist herbeizuführen. Die Mitbestimmung umfasst die Einführung der Kurzarbeit selbst, aber auch Beginn, Dauer und Umfang der Kurzarbeit. Das Bestehen eines Betriebsrats kann in diesem Fall die Einführung der Kurzarbeit aber auch erleichtern, da durch eine Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gem. § 77 Abs. 2 BetrVG Kurzarbeit eingeführt werden kann, selbst wenn der einzelne Arbeitsvertrag diese Möglichkeit nicht vorsieht. In diesem Fall überlagert die kollektiv-rechtliche Regelung zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber die individual-rechtliche Regelung des Arbeitsvertrages zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber.
2.2
Personalabbau in der Sanierungsphase
In aller Regel genügt die kurzfristige Reduzierung der Personalkosten z. B. in Zeiten des kurzfristigen Wegfalls von Beschäftigungsmöglichkeiten durch Kurzarbeit nicht, um langfristig wirkend die Ursache der Krise, die häufig durch zu hohe Personalkosten ausgelöst wird, zu beseitigen.
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Zum Zwecke der Sanierung ist daher häufig ein Personalabbau notwendig, der, verbunden mit einem Restrukturierungskonzept, auf allen Ebenen des Unternehmens, d. h. sowohl im administrativen Bereich, im Bereich des Vertriebs und der Produktion, notwendig werden kann. Rechtliche Grenzen werden dem Personalabbau vor allem durch die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes gesetzt. Besondere Anforderungen gelten zudem für Unternehmen, in denen ein Betriebsrat besteht, weshalb die Herbeiführung eines Interessenausgleichs und ggf. auch eines Sozialplanes notwendig werden kann. Dies wird in Abschnitt 2.2.4 „Beteiligung des Betriebsrats (Interessenausgleich/Sozialplan)“ behandelt.
Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes gem. § 23 KSchG: Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes setzt zunächst ein bereits sechs Monate bestehendes Arbeitsverhältnis voraus. Insbesondere wird die Anwendbarkeit aber durch die Zahl der Mitarbeiter bestimmt. Seit Inkrafttreten der Neuregelung des § 23 KSchG ist das Gesetz erst dann anwendbar, wenn mehr als zehn Mitarbeiter regelmäßig beschäftigt werden. Bei der Zählung der Mitarbeiter sind Auszubildende und Organe, wie z. B. der Geschäftsführer einer GmbH oder der Betriebsinhaber, die keine Arbeitnehmer sind, nicht mitzuzählen. Ruhende Arbeitsverhältnisse, z. B. aus Gründen des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit sind grundsätzlich zu berücksichtigen, es sei denn, es wurde eine Ersatzkraft eingestellt, die in der Zählung der Mitarbeiter bereits Berücksichtigung gefunden hat. Die Grenze von zehn Beschäftigten und mehr für die Anwendbarkeit des KSchG gewinnt erst aktuell bzw. in Zukunft an Bedeutung, da diese Grenze nur für Mitarbeiter gilt, deren Anstellungsverhältnis am oder nach dem 01.01.2004 begründet wurde. Für alle Beschäftigten, die schon vor dem 01.01.2004 in dem Unternehmen beschäftigt waren, gilt, dass das KSchG anwendbar ist, sofern fünf oder mehr Mitarbeiter beschäftigt werden. Bei der Zählung kommt es nach einem jüngsten Urteil des BAG vom 21.09.2006 aber darauf an, ob zum Zeitpunkt der Kündigung noch fünf oder mehr Mitarbeiter beschäftigt werden, die schon am 31.12.2003 beschäftigt waren. Ist diese Mitarbeiterzahl auf fünf oder weniger gesunken, ist das KSchG nur anwendbar, wenn unabhängig vom Datum der Einstellung zum Zeitpunkt der Kündigung zehn oder mehr Mitarbeiter beschäftigt werden. Teilschichtige Beschäftigte können mit einem Faktor von 0,5, wenn sie nicht mehr als 20 Stunden bzw. mit einem Faktor von 0,75, wenn sie nicht mehr als 30 Stunden arbeiten, berücksichtigt werden.
Ist das KSchG nicht anwendbar, so können innerhalb der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfristen die Anstellungsverhältnisse gekündigt werden, ohne dass im Einzelnen der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs dargelegt oder die ordnungsgemäße Sozialauswahl bewiesen werden müssen. Die Grenze des Kündigungsrechtes bilden dann die zivilrechtlichen Generalklauseln, die vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechtes schützen, woraus auch die Verpflichtung zur Wahrung eines gewissen Maßes an sozialer Rücksichtnahme hergeleitet wird.
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2.2.1
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Unternehmerische Entscheidung/Beschäftigungsbedarf
Findet das KSchG Anwendung, so bedarf der Personalabbau zum Zwecke der Restrukturierung sorgfältiger Vorbereitung. Dies bedeutet, dass sich der Arbeitgeber mit den Gründen, die ihn dazu veranlassen, Personal abzubauen, auseinander setzen muss. Auf dieser Grundlage ist eine unternehmerische Entscheidung zu treffen, die zu innerbetrieblichen Maßnahmen, zu denen auch der Abbau von Arbeitsplätzen gehört, führen kann. Diese Unternehmerentscheidung ist eine nur beschränkt gerichtlich überprüfbare Ermessensentscheidung, die nach Ansicht des BAG in ständiger Rechtsprechung nicht auf ihre Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit hin überprüft werden kann. Ausschließlich im Falle einer offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich getroffenen Entscheidung kann das Arbeitsgericht im Rahmen einer Missbrauchskontrolle in die gerichtliche Prüfung eintreten. Umgekehrt ist die Unternehmerentscheidung aber im Einzelnen daraufhin überprüfbar, ob durch sie eine Kündigung unvermeidbar wird, d. h. ob das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung weggefallen ist oder ob das unternehmerische Konzept nicht auch durch andere Maßnahmen verwirklicht werden kann. Dies bedeutet, dass die oben skizzierte „Freiheit“ der Unternehmerentscheidung durch die nachfolgende, umfassend auch gerichtlich nachzuvollziehende, Prüfung, ob damit die Kündigung aus betrieblichen Erfordernissen dringend notwendig ist, wieder erheblich eingeschränkt wird. In dem unternehmerischen Konzept, das zur Unternehmerentscheidung führt, kann sich der Arbeitgeber also regelmäßig nicht darauf beschränken festzustellen dass ein Umsatzrückgang zu verzeichnen ist, weshalb Kündigungen ausgesprochen werden müssen. Der Umsatzrückgang stellt nämlich nur das Ergebnis dar, das sich aus einem Auftragsrückgang einer daraus folgenden geringeren Auslastung der Produktion und in der weiteren Folge mit dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für Arbeitnehmer in der Produktion ergibt. Dies wiederum kann auf Arbeitnehmer mit administrativen Aufgaben Auswirkungen haben. Selbstverständlich kann sich auch außerhalb der Sanierung oder Insolvenz z. B. durch die Einführung von organisatorischen Rationalisierungsmaßnahmen, durch die Einführung von neuen Arbeitsmethoden oder Fertigungsverfahren, durch die Verlagerung von Teilen der Produktion, also ohne Zusammenhang zu einem Umsatzrückgang, die Notwendigkeit ergeben, Arbeitsplätze wegen des Wegfalls des Beschäftigungsbedürfnisses abzubauen. Dies zeigt aber noch einmal deutlich, dass die Unternehmerentscheidung, auch in ihrer Begründung, zur substanziierten Darlegung in einem gerichtlichen Verfahrens immer ausgehend von dem konkreten Arbeitsplatz und der Beschäftigung des einzelnen Arbeitnehmers hergeleitet werden muss.
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Da im Kündigungsschutzverfahren das Vorliegen der Unternehmerentscheidung, belegt durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung bzw. des Unternehmers selbst, dargelegt werden muss, empfiehlt es sich, die unternehmerische Entscheidung, die letztlich zur Kündigung führt, schriftlich niederzulegen und nach den vorstehenden Grundsätzen kurz zu skizzieren. Des Weiteren sollte der Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs aufgrund dieser unternehmerischen Entscheidung festgestellt und sodann zumindest abstrakt die Zahl der Mitarbeiter bzw. des konkreten Arbeitsvolumens (zum Zwecke der Differenzierung zwischen Teilzeit- und Vollzeitmitarbeitern), das entfällt, dargestellt werden. Einer konkreten Benennung der einzelnen Mitarbeiter bedarf es nicht.
Vor Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung und zum Zwecke der Vorbereitung der Sozialauswahl ist des Weiteren im Vorfeld der Kündigungen, ggf. auch zur Vorbereitung für den Unternehmensberater bzw. die juristische Beratung, sorgfältig eine Gesamtpersonalliste zu erstellen. Diese Personalliste sollte neben Namen, Vornamen und Adressen aller Arbeitnehmer folgende Daten enthalten:
Checkliste Personal Geburtsdatum des Arbeitnehmers Eintrittsdatum des Arbeitnehmers in den Betrieb Kündigungsfrist, wenn gesondert vertraglich vereinbart Familienstand des Arbeitnehmers Kinder, denen der Arbeitnehmer unterhaltspflichtig ist Genaue Funktion des Arbeitnehmers im Betrieb Besondere Tatbestände: Befristung (Dauer), Schwerbehinderung, Mutterschutz, Elternzeit, Betriebsratszugehörigkeit, Altersteilzeitbeschäftigung Beschäftigung des Arbeitnehmers vollschichtig/teilschichtig (bei teilschichtiger Beschäftigung in welchem Umfang im Verhältnis zur vollschichtigen Beschäftigung) Bruttomonatseinkommen
2.2.2
Vergleichbarkeit/Sozialauswahl
Diese Liste mit den Angaben zu der konkreten Funktion des einzelnen Arbeitnehmers bildet zunächst die Grundlage für die Feststellung, welche Mitarbeiter vergleichbar sind: Arbeitnehmer, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen stehen, sind grundsätzlich nicht vergleichbar, weil es an einer gegenseitigen Austauschbarkeit fehlt. Dies gilt selbst dann, wenn sich ein Arbeitnehmer auf einer höheren betriebshierarchischen Stufe bereit erklärt, zu verschlechterten Arbeitsbedingungen weiterzuarbeiten.
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Ist die vertikale Vergleichbarkeit gegeben, so richtet sich die weitere Feststellung, ob Mitarbeiter miteinander vergleichbar sind, in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen. Diese Prüfung hat sich daran zu orientieren, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfallen soll, die Aufgaben eines anderen Arbeitsplatzes wahrnehmen kann. Dies kann auch der Fall sein, wenn eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit von dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Fähigkeiten und Ausbildung ausgeführt werden kann. Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, einen Arbeitnehmer umzuschulen, damit dieser aufgrund zusätzlicher Qualifikation mit einem anderen Arbeitnehmer verglichen werden kann. Wenn also ein Einarbeitungszeitraum zugestanden wird, so dies allein deshalb, weil von einem Arbeitnehmer nicht erwartet werden kann, dass er sofort die Aufgaben eines anderen Arbeitplatzes in vollem Umfang erfüllen kann. Insoweit ist ihm eine kurze betriebsübliche Einarbeitungszeit zu gewähren, die im Regelfall zwischen sechs Wochen und drei Monaten liegen wird, im Einzelfall aber auch länger sein kann. Diese Anlernzeit dient ausschließlich dazu, den ohne Zweifel vorhandenen Routinevorsprung eines anderen Arbeitnehmers, der bereits langfristig auf dem Arbeitsplatz tätig ist, aufzuholen. Erst wenn in diesem Sinne die Gruppen der miteinander vergleichbaren Arbeitnehmer gebildet worden sind, kann, abhängig davon, ob und wie viele Arbeitplätze innerhalb der Gruppe entfallen, die Sozialauswahl durchgeführt werden.
Altersgruppenbildung Seit Änderung des Kündigungsschutzgesetzes zum 01.01.2004 kann der Sozialauswahl im engeren Sinne die Prüfung vorgeschaltet werden, ob im Einzelfall innerhalb der Gruppen der vergleichbaren Arbeitnehmer wiederum Altersgruppen zu bilden sind. Damit wird es möglich, zur Sicherung, also nicht zur Herbeiführung, einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes die nachfolgend darzustellenden Sozialauswahlkriterien nur innerhalb dieser Gruppen zu gewichten, um zu verhindern, dass praktisch ausschließlich den jüngsten Arbeitnehmern, die regelmäßig auch die kürzeste Beschäftigungszeit aufweisen, die Kündigung ausgesprochen wird. Feste Maßstäbe zur Handhabung der Frage, wie eine ausgewogene Alters- und Personalstruktur zu gestalten ist und wie diese gesichert werden kann, gibt der Gesetzgeber nicht vor. Der Arbeitgeber ist also frei, ob er die Altersgruppen
in Dreiereinteilungen z. B. bis 35 Jahre, von 35 bis 50 Jahre und ab 50 Jahre, bis hin zu einer Fünfereinteilung in 10-Jahresschritten bis 25 Jahre, von 25 bis 35 Jahre usw.
bildet. Grundsätzlich ist es dabei auch denkbar, in verschiedenen Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer unterschiedliche Altersgruppeneinteilungen vorzunehmen. Häufig wird die Bildung der Altersgruppen auch von der Zahl der miteinander zu vergleichenden Arbeitnehmer bestimmt sein.
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In der Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer bzw. der einzelnen Altersgruppen ist sodann eine Gewichtung der Sozialauswahlkriterien nach den einzelnen gesetzlich genannten Kriterien, der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters, der Unterhaltspflichten und einer etwaigen Schwerbehinderung, vorzunehmen. Die Reihenfolge der Nennung dieser Kriterien gibt bereits einen Anhaltspunkt für das Gewicht der einzelnen Kriterien, ohne dass die Wertigkeit oder der Stellenwert der übrigen Sozialdaten in einer allgemein gültigen Weise feststehen würde. Da eine objektive, allgemein gültige Gewichtung der Kriterien unmöglich ist, bleibt diese Gewichtung einem Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers überlassen, so dass nur bei grober Fehlerhaftigkeit die Kündigung rechtswidrig ist. Regelmäßig wird sich die Gewichtung an einem Punkteschema, das aber ebenso wenig allgemein gültig vorgegeben ist, orientieren. Nachstehend sind in der Abbildung 1 und 2 zwei Schemata mit durchaus unterschiedlichen Gewichtungen der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters wiedergegeben, die in der Vergangenheit von der Rechtsprechung als sachgemäß akzeptiert worden sind. In jedem Falle bedarf aber auch nach Durchführung einer punktbezogenen schematischen Gewichtung der Daten jede Kündigungsentscheidung einer individuellen Überprüfung, so dass im Rahmen jeder Sozialauswahl festzustellen ist, dass auch die Berücksichtigung individueller Gesichtspunkte außerhalb der schematischen Überprüfung nach Punktwerten nicht zu einer anderen Entscheidung geführt hätte. Auswahlkriterium
Punktzahl
Betriebszugehörigkeit bis zu 10 Jahren – je Dienstjahr Betriebszugehörigkeit ab dem 11. Jahr – je Dienstjahr (nur Zeiten bis zum 55. Lebensjahr)
1 Punkt 2 Punkte
Lebensalter je vollendetes Lebensjahr
1 Punkt (maximal 55 Punkte)
Unterhaltsberechtigte Kinder – je Kind
4 Punkte
Familienstand verheiratet
8 Punkte
Schwerbehinderung – bis zu 50 % Grad der Erwerbsminderung – über 50 % je 10 % zusätzlichem Grad der Erwerbsminderung
5 Punkte 1 Punkt
Abbildung 1:
Punkteschema nach Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 18.01.1990
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Auswahlkriterium
Punktzahl
Lebensalter – bis 20 Jahre – bis 30 Jahre – bis 40 Jahre – bis 50 Jahre – über 50 Jahre
0 Punkte 1 Punkt 2 Punkte 3 Punkte 5 Punkte
Betriebszugehörigkeit je volles Beschäftigungsjahr
4 Punkte
Unterhaltsberechtigte Kinder, je Kind
5 Punkte
Schwerbehinderung
10 Punkte
Doppelverdiener
10 Punkte Abzug (Zulässigkeit streitig)
Abbildung 2:
2.2.3
Punkteschema nach LAG Hamm, Urteil v. 07.07.1981; LAG Düsseldorf, Urteil v. 03.06.1982
Durchführung der Kündigung
Nach Unternehmerentscheidung, Feststellung der Zahl der zu kündigenden Arbeitnehmer, Ermittlung der Vergleichsgruppen und Durchführung der Sozialauswahl sind die Kündigungen unter Berücksichtigung der entweder vertraglich vereinbarten, tarifvertraglich festgelegten oder aber gesetzlichen Kündigungsfristen gem. § 622 BGB durchzuführen.
Gesetzliche Kündigungsfristen Kündigungsfrist des Arbeitgebers, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats Fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats Acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats Zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats Zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats Fünfzehn Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats Zwanzig Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats
Es werden nur Beschäftigungszeiten nach Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers berücksichtigt. Hat das Arbeitsverhältnis noch nicht zwei Jahre bestanden, gilt eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Für Kündigungsfristen der Arbeitnehmer gilt immer die Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats, wenn arbeitsvertraglich nichts anderes vereinbart ist.
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Die Kündigungsschreiben sollten nach dem nachstehenden Muster zumindest einen kurzen Hinweis auf die Pflicht des Arbeitnehmers, sich zur Vermeidung von Nachteilen beim Arbeitslosengeld frühzeitig beim Arbeitsamt zu melden, enthalten. Damit in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess der Zugang des Kündigungsschreibens bewiesen werden kann, sollte dieser entweder durch eine Empfangsbestätigung, die der Arbeitnehmer auf einer Durchschrift des Kündigungsschreibens unterzeichnet, oder aber durch einen ausdrücklichen Zustellvermerk, ebenfalls nach nachstehendem Muster quittiert werden.
Beispiel Kündigungsschreiben mit Zustellbescheinigung Sehr geehrte Herr Heinz, ich beziehe mich auf das mit Ihnen geführte Gespräch. Ich hatte Ihnen dargelegt, dass das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen gekündigt werden muss. Ich bin daher bedauerlicherweise gezwungen, den mit Ihnen geschlossenen Arbeitsvertrag vom ……….. aus dringenden betrieblichen Erfordernissen ordentlich zu kündigen. Die Kündigung erfolgt zum nächstzulässigen Kündigungstermin. Die Kündigungsfrist beträgt unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Fristen sechs Monate. Das Arbeitsverhältnis endet danach am 31.10.2006. Auf dieses Datum werden wir das Arbeitsverhältnis abrechnen und Ihnen sodann die Arbeitspapiere übersenden. Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß angehört. Der Betriebsrat hat dem Ausspruch der Kündigung widersprochen. Den Widerspruch füge ich diesem Kündigungsschreiben bei. Ich bin verpflichtet, Sie darüber zu informieren, dass Sie verpflichtet sind, sich aktiv um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, auch wenn die Kündigungsfrist des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses noch nicht abgelaufen ist. Sie haben sich des Weiteren unverzüglich nach Zugang der Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Bei einer verspäteten Meldung kann für jeden Tag der verspäteten Meldung das Arbeitslosengeld gekürzt werden. Ich bedauere, zu diesem Schritt gezwungen zu sein, und verbleibe mit freundlichen Empfehlungen --------------------------------------------Das unterschriebene Original dieses Schreiben habe ich am ………….. einkuvertiert und am gleichen Tage in den Wohnungs-/Hausbriefkasten von ……………. eingeworfen. Unterschrift Zusteller --------------------------------------------Das unterschriebene Original dieses Kündigungsschreibens habe ich am ……… erhalten. Unterschrift Arbeitnehmer
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Jede Kündigung ist zwingend schriftlich zu erklären und wird erst mit Zugang der schriftlichen Kündigungserklärung wirksam.
§ 1a Kündigungsschutzgesetz: Seit der Änderung des KSchG zum 01.01.2004 ist es gem. § 1a KSchG möglich, mit der Kündigung die Erklärung zu verbinden, dass sich der Arbeitgeber bereit erklärt, eine Abfindung in Höhe von 0,5 Monatsverdiensten für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zu zahlen. Erhebt er bei Verbindung der Kündigung mit einem solchen Angebot der Arbeitnehmer innerhalb der Kündigungsschutzklagefrist von drei Wochen keine Kündigungsschutzklage, so erwirkt der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist den Anspruch auf diese Abfindung. Diese Möglichkeit, durch ein Abfindungsangebot gerichtliche Kündigungsschutzverfahren zu vermeiden, hat in der Praxis wesentlich geringere Bedeutung bekommen als erwartet. Hintergrund ist, dass zwar die im Kündigungsschreiben angebotene Abfindung mit Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht mehr als Anspruch durchgesetzt werden kann, gleichwohl aber alle Möglichkeiten im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens verbleiben, um im Vergleichswege eine Abfindung zu vereinbaren. Wegen der sehr weitreichenden Risiken in einem Kündigungsschutzverfahren im Hinblick auf die Feststellung des Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs, der ordnungsgemäßen Bildung der Vergleichsgruppen bzw. der richtigen Sozialauswahl sind Abfindungszahlungen, auch wenn diese nicht als gesetzliche Regelung oder Anspruch vorgesehen sind, völlig üblich. Die Höhe der Abfindung, die von den Arbeitsgerichten vorgeschlagen bzw. in die Verhandlungen eingeführt wird, bewegt sich häufig in einem ähnlichen Bereich, d. h. bei ca. 0,5 Bruttomonatsverdiensten für jedes Beschäftigungsjahr. Da der Arbeitnehmer also häufig davon ausgeht, dass ihm die Abfindungsquote von 0,5 Bruttomonatsverdiensten für jedes Beschäftigungsjahr ohnehin zustehen wird und bei Vorliegen gravierender Kündigungsmängel möglicherweise noch eine höhere Abfindungsquote zu erreichen ist, werden Kündigungsschutzklagen erhoben, selbst wenn die Angebote gem. § 1a KSchG unterbreitet werden. Umgekehrt ist es auch für einen Arbeitgeber in der Krise häufig nicht möglich, bei einer Vielzahl von Kündigungen eine Abfindungszusage in Höhe von 0,5 Bruttoverdiensten im Sinne des § 1a KSchG zu geben. Dies gilt insbesondere dann, wenn (Teil-)Betriebsstilllegungen durchgeführt werden, bei denen die Risiken der Sozialauswahl vergleichsweise gering sind, wenn allen Arbeitnehmern eines bestimmten abgegrenzten Teilbetriebes gekündigt wird. In diesen Fällen wird der Arbeitgeber regelmäßig nicht bereit sein, Abfindungen in dieser Höhe anzubieten.
2.2.4
Beteiligung des Betriebsrats (Interessenausgleich/Sozialplan)
Mit den vorstehenden Ausführungen wurden zunächst die so genannten materiellen Voraussetzungen für wirksame Kündigungen im Rahmen eines Personalabbaus zum Zwecke der Sanierung des Unternehmens dargestellt.
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Ist in dem Unternehmen ein Betriebsrat gebildet worden, sind wegen der Vorgaben des BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) weitere Voraussetzungen vor Durchführung des Personalabbaus zu erfüllen.
Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 KSchG Für jede Kündigung in einem Unternehmen mit Betriebsrat ist Wirksamkeitsvoraussetzung die Beteiligung des Betriebsrates gem. § 102 BetrVG. Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung eines Arbeitnehmers anzuhören. Auf dieses Verfahren soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden, da es sich um eine Voraussetzung handelt, die innerhalb und außerhalb der Sanierung/Insolvenz erfüllt werden muss. Dem Betriebsrat sind die Gründe, die zu dem Kündigungsschluss geführt haben, dazulegen, dem Betriebsrat sind alle Personen, die in den auswahlrelevanten Kreis fallen, darzulegen. Zu jedem Mitarbeiter sind die Sozialdaten zu übermitteln, damit dargelegt werden kann, warum im Rahmen der Sozialauswahl dem einzelnen Mitarbeiter, zu dessen Kündigung die Anhörung durchgeführt wird, die Kündigung auszusprechen ist. Der Betriebsrat hat die Möglichkeit der Zustimmung zu der Kündigung bzw. zum Widerspruch. Im Falle des Widerspruches ist gleichwohl die Kündigung zulässig, formal ist der Widerspruch des Betriebsrates jedoch dem Kündigungsschreiben beizufügen. Gibt der Betriebsrat binnen Wochenfrist nach Vorlage durch den Arbeitgeber keine Stellungnahme ab, kann ebenfalls nach Ablauf dieser Wochenfrist die Kündigung ausgesprochen werden. Ein Kündigungsausspruch vor Beteiligung des Betriebsrates ist in jedem Falle unwirksam, selbst wenn der Betriebsrat zugestimmt oder innerhalb der Wochenfrist keine Stellungnahme abgegeben hätte.
In Unternehmen, in denen ein Betriebsrat gebildet ist, stellt die größere Hürde für die Durchführung eines Personalabbaus jedoch die Notwendigkeit dar, einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat herbeizuführen bzw. zu versuchen und ggf. einen Sozialplan zu vereinbaren. Gem. § 111 BetrVG ist in Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmern im Falle von Betriebsänderungen gem. §§ 111, 112 BetrVG ein Interessenausgleichsverfahren durchzuführen. Im Falle der Restrukturierung des Unternehmens mit dem Ziel der Sanierung ist in aller Regel eine Betriebsänderung in Gestalt der Einschränkung bzw. Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen gegeben. Strebt der Arbeitgeber eine solche Betriebsänderung an, so ist ein Interessenausgleich zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zu versuchen. Der Interessenausgleich soll Regelungen dazu, ob und wie die unternehmerische Maßnahme im Betrieb durchgeführt wird, enthalten. Kommt dieser Interessenausgleich nicht zustande, so kann gem. § 112 Abs. 2 BetrVG der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung angerufen werden oder ein Einigungsstellenverfahren eingeleitet werden. Vor Durchführung der Interessenausgleichsverhandlungen ist schon dann, wenn die geplante Betriebsänderung greifbare Formen annimmt, der Betriebrat entsprechend zu informieren, insbesondere ist aber seitens des Unternehmens festzulegen, welche Ziele mit dem Interessenausgleichsverfahren verfolgt werden sollen.
Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts
147
Das Interessenausgleichsverfahren kann zum einen lediglich als „Zwischenschritt“ zu den Sozialplanverhandlungen gesehen werden, da die Durchführung des Interessenausgleichsverfahrens zwar erforderlich ist, aber nicht zwingend erfolgreich sein muss, damit die betriebliche Maßnahme durchgeführt werden kann. Grundsätzlich kann das Unternehmen sogar so weit gehen, mit der Betriebsänderung zu beginnen, ohne das Interessenausgleichsverfahren versucht zu haben. Dies hat jedoch massive wirtschaftliche Folgen, da für den Fall, dass ein an sich notwendiges Interessenausgleichsverfahren nicht einmal versucht worden ist, den Arbeitnehmern, denen gekündigt wird, so genannte Nachteilsausgleichsansprüche gem. § 113 Abs. 3 BetrVG zustehen, die bis zu zwölf Bruttomonatsgehältern bzw. bei entsprechend langer Beschäftigung und hohem Lebensalter bis zu 18 Monatsverdiensten reichen können. Das Interessenausgleichsverfahren sollte, wenn Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG vorliegen, daher in jedem Falle frühzeitig angegangen werden, selbst wenn auch nach Durchführung des Einigungsstellenverfahrens keine Einigung über den Interessenausgleich zustande kommt. Das Interessenausgleichsverfahren kann jedoch auch als Möglichkeit genutzt werden, um in Verhandlungen mit dem Betriebsrat die personellen Einzelmaßnahmen so zu konkretisieren, dass im Interessenausgleich eine Namensliste der zu entlassenen Mitarbeiter beigefügt wird bzw. konkrete Auswahlrichtlinien für die Durchführung der Sozialauswahl festgelegt werden. Hintergrund ist, dass durch die Verhandlung und Vereinbarung einer solchen Namensliste die Rechtssicherheit für die Wirksamkeit der Kündigungen erhöht werden kann. Ist nämlich eine solche Namensliste vereinbart, vermutet § 1 Abs. 5 KSchG zum einen die Tatsache, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, und es kann zum anderen die soziale Auswahl der Arbeitnehmer unter Einschluss der Bildung der Vergleichsgruppen bzw. der Vereinbarungen zur Alterstruktur des Unternehmens nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Weil hinter dieser gesetzlichen Regelung der Gedanke steht, dass aus unterschiedlichen Interessenlagen (Arbeitgeber und Betriebsrat) eine einvernehmliche aus dem Betrieb entwickelte Lösung erarbeitet wurde, gewähren die Arbeitsgerichte einen wesentlich weitergehenden Rahmen für die Gestaltung der Sozialauswahl. Nur dann, wenn evidente Auswahlfehler festgestellt werden können, z. B. aufgrund falscher Sozialdaten, die in die Namensliste eingearbeitet wurden, oder durch eine offensichtlich rechtsmissbräuchliche Bildung der Vergleichsgruppen, wird die einzelne Kündigung durch den einzelnen Arbeitnehmer angreifbar. Diese die Rechtssicherheit deutlich erhöhende Namensliste bzw. Festlegung der Auswahlkriterien, die zum Verhandlungsgegenstand gemacht werden kann, bedeutet jedoch häufig, dass umgekehrt auf der Ebene des Sozialplans seitens des Arbeitgebers erhebliche Zugeständnisse gemacht werden müssen. Der Sozialplan, der als Betriebsvereinbarung neben dem Interessenausgleich geschlossen werden kann und die in aller Regel, Ausnahmeregel § 112a BetrVG, durch den Betriebsrat auch erzwingbar ist, dient der Einigung über den Ausgleich bzw. die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).
148
Martin Matzat
Im Rahmen des Sozialplans sind unterschiedlichte Gestaltungen denkbar, um z. B. durch Unterstützung der Arbeitnehmer bei Bewerbung in anderen Unternehmen, durch Outplacement-Maßnahmen, durch Leistungen an Arbeitnehmer, die bei Wechsel in entfernt gelegene Betriebsteile Mobilität zeigen, die durch die Betriebsänderung eintretenden Folgen abzumildern. Wesentlicher Bestandteil des Sozialplans sind die Sozialplanabfindungen, die für den Fall der Kündigung gezahlt werden müssen. Die Höhe dieser Abfindung ist Verhandlungsgegenstand mit dem Betriebsrat und nicht nach pauschalen Kriterien zu bemessen. Die Abfindungen hängen sehr stark von der finanziellen Situation des Unternehmens ab und der Option, z. B. durch Betriebsstilllegung bzw. Teilbetriebsstilllegung die Wirksamkeit der Kündigungen ggf. auch ohne Mitwirkung des Betriebsrates durchzusetzen. Bei der Restrukturierung von Unternehmen außerhalb der Insolvenz ist bei entsprechend günstiger Vermögenslage des Unternehmens, das z. B. lediglich durch die Verlagerung von Betriebsteilen Arbeitsabläufe und Lohnkosten optimieren will, eine Abfindung, die kalkulatorisch bis zu 1,5 Bruttomonatsgehältern für jeden Arbeitnehmer reicht, denkbar. Umgekehrt ist im Falle der Unternehmenskrise bei entsprechend angespannter Vermögenslage des Unternehmens auch denkbar, Abfindungen zu verhandeln, die deutlich unter der so genannten „Regelabfindung“ von 0,5 Bruttomonatsgehältern liegen. Der Sozialplan ist, wie schon oben erwähnt, in aller Regel „erzwingbar“. Dies bedeutet, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf einen Sozialplan nicht einigen, haben beide die Möglichkeit, eine Einigungsstelle anzurufen. Die Einigungsstelle ist ein Gremium, dass aus einem Vorsitzenden, in aller Regel ein vorsitzender Richter eines Arbeitsgerichtes, auf den sich die Betriebsparteien einigen müssen, und aus einer von den Betriebsparteien festzulegenden Zahl von Beisitzern besteht. Die Beisitzer werden je zur Hälfte seitens des Arbeitgebers und seitens des Betriebsrates benannt. In dieser Einigungsstelle ist dann erneut der Versuch einer Regelung zu unternehmen. Erst wenn dieser Versuch scheitert, ist durch Einigungsstellenspruch festzustellen, zu welchen Bedingungen und mit welchem Inhalt die Betriebsvereinbarung, hier in Gestalt des Sozialplans, zustande kommt.
Massenentlassungsanzeige, §§ 17, 18 KSchG Bei Durchführung des Personlabbaus sind darüber hinaus abschließend noch die Vorschriften zur so genannten Massenentlassungsanzeige gem. §§ 17,18 KSchG zu beachten. Sind in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern eine größere Zahl von Kündigungen/Entlassungen beabsichtigt, d. h., sollen mindestens fünf Arbeitnehmer bzw. zehn Prozent der Arbeitnehmer entlassen werden, müssen diese Kündigungen/Entlassungen der Agentur für Arbeit nach Durchführung eines Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat angezeigt werden.
Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts
149
Nach den deutschen gesetzlichen Regelungen des KSchG wurde in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass diese Massenentlassungsanzeige tatsächlich erst vor der Entlassung, d. h. der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, veranlasst werden musste. Seit der so genannten Junk-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 25.01.2005 steht fest, dass im Rahmen von Personalmaßnahmen diese Massenentlassungsanzeige schon vor Ausspruch der Kündigungen bei der Agentur für Arbeit erfolgen muss.
3.
Betriebsübergang zur Sanierung und in der Insolvenz
Die sanierende Übertragung eines Unternehmens bzw. Unternehmensteils innerhalb und außerhalb der Insolvenz spielt in der Praxis eine große Rolle, um sanierungsfähige Teile eines Unternehmens als Struktur und Organisationseinheit zu erhalten, gleichzeitig aber neue, verbesserte Rahmenbedingungen zu schaffen, um das Unternehmen bzw. den Unternehmensteil profitabel fortzuführen. Arbeitsrechtlich führt der Betriebsübergang, definiert als der Wechsel der Betriebsinhaberschaft unter Wahrung der Betriebsidentität, gem. § 613a BGB zum Eintritt des Betriebserwerbers in die Rechte und Pflichten der im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse. Arbeitsrechtlich führt diese Regelung zu zahlreichen Einzelfragen betreffend das Vorliegen eines Betriebsübergangs, betreffend die Folgen des Betriebsübergangs, insbesondere auch im Hinblick auf die Nachhaftung des Betriebsveräußerers und die Haftung des Betriebserwerbers für Altverbindlichkeiten sowie betriebsverfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich des Übergangs und der Individualisierung von Betriebsvereinbarungen in dem übergegangenen Unternehmen bzw. Unternehmensteil, so dass in dieser Abhandlung lediglich ein Überblick über die Kernfragen gegeben werden kann. Regelmäßig ist im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang eine Beratung, vor allem auch zu den arbeitsrechtlichen Folgen, unverzichtbar.
150
3.1
Martin Matzat
Rechtsgeschäftlicher Übergang des Betriebes
Für einen potenziellen Interessenten, der ein Unternehmen bzw. Teile eines Unternehmens erwerben möchte, steht das Ziel im Vordergrund, die Anwendung des § 613a BGB betreffend den Übergang von Anstellungsverhältnissen möglichst insgesamt zu verhindern und ggf. durch die Begründung neuer Anstellungsverhältnisse mit Teilen von Arbeitnehmern – dies möglicherweise zu anderen Arbeitsbedingungen, ein Unternehmen zu erwerben – das von arbeitsrechtlichen Bindungen weitestgehend frei ist. Dieses Ziel ist, wenn Gesamtheiten auch im Rahmen eines Asset Deals erworben werden sollen, nur schwer erreichbar. Das BAG, basierend auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, definiert den Betrieb, der Gegenstand des Überganges sein kann, als organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Die Betriebsidentität ergibt sich dabei aus dem Personal, den Führungskräften, der Arbeitsorganisation, den Betriebsmethoden und den zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln unter Einschluss der Kundenbeziehungen, wobei diese Kriterien nicht abschließend sind und den Kriterien, abhängig von der ausgeübten Tätigkeit und den praktizierten Produktions- und Betriebsmethoden, unterschiedliches Gewicht beikommen kann. Durch diese weite Definition liegt ein Betriebsübergang häufig schon dann vor, wenn an gleicher Stelle mit den vorhandenen Betriebseinrichtungen mit dem Ziel der Wahrung der Produktionsmethoden und den damit verbundenen Kundenbeziehungen weiter produziert wird bzw. die arbeitstechnischen Zwecke weiter verfolgt werden. Zwar fordert § 613a BGB einen „rechtsgeschäftlichen“ Übergang des Betriebs auf einen anderen Betriebsinhaber, dies ist aber nicht so zu verstehen, dass der Betriebsübergang Kern und Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Beziehung sein muss. Der Begriff des Rechtsgeschäftes ist vielmehr weit zu verstehen, da sich das Rechtsgeschäft nur auf den Übergang der tatsächlichen Nutzungs- und Verfügungsgewalt beziehen muss, so dass auch ein Kaufvertrag über einzelne Gegenstände, ebenso aber auch ein Pacht- oder Mietvertrag ausreichen, um einen rechtsgeschäftlichen Übergang des Betriebes zu bewirken.
3.2
Betriebsübergang und Auffanggesellschaft
Weil also die Annahme des rechtsgeschäftlichen Betriebsüberganges durch die vorstehend dargestellte weite Definition des Betriebs und des rechtsgeschäftlichen Übergangs häufig nahe liegt, in der Praxis andere Wege gewählt wurden, um gleichwohl einen Übergang des Betriebs zu ermöglichen, ohne dass die volle Zahl der Arbeitsverhältnisse zu den früheren Arbeitsbedingungen, die die Sanierung gefährden könnten, übernommen werden müssen.
Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts
151
Für größere Einheiten ist hier der Weg über eine so genannte Auffanggesellschaft, der z. B. häufig im Falle der Insolvenz gewählt wird, möglich. Dieser Weg ist wie folgt zu skizzieren: Durch Verhandlungen mit einer der verschiedenen am Markt tätigen Beschäftigungsgesellschaften wird festgelegt, zu welchen Bedingungen die Beschäftigungsgesellschaft bereit ist, mit den Arbeitnehmern, die in diese Beschäftigungsgesellschaft wechseln wollen, zeitlich befristete Anstellungsverträge zu schließen. Diese Anstellungsverträge, mit einer Laufzeit von bis zu zwölf Monaten dienen nicht der weiteren Tätigkeit im Produktionsprozess des Unternehmens. In den Anstellungsverträgen wird in aller Regel unmittelbar Kurzarbeit „0“ vereinbart, verbunden mit Aktivitäten der Beschäftigungsgesellschaft zur Vermittlung der Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt, die in die Beschäftigungsgesellschaft gewechselt sind. Dazu werden Leistungen wie ein Bewerbungstraining, Nutzung von Kontakten zu Arbeitgebern, Unterstützung bei Bewerbungsgesprächen und die Möglichkeit, ggf. aus der Beschäftigungsgesellschaft hinaus Betriebspraktika in anderen Unternehmen abzuleisten bzw. nach erfolgloser Probezeit in die Beschäftigungsgesellschaft zurückzukehren, vereinbart. Die Beschäftigungsgesellschaft zeigt die Kurzarbeit nach vorheriger Abstimmung der geplanten Vorgehensweise bei der zuständigen Agentur für Arbeit an und erhält Kurzarbeitergeld bzw. Strukturkurzarbeitergeld. Dies kann von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein. Der Arbeitgeber bzw. der potenzielle Betriebserwerber zahlen die so genannten Remanenzkosten an die Beschäftigungsgesellschaft zur Aufstockung der Nettolöhne über das Kurzarbeitergeld hinaus und zur Abgeltung der Leistungen, die die Beschäftigungsgesellschaft im Rahmen des Arbeitsverhältnisses mit den Beschäftigten erbringt. Ist dieses Konzept entwickelt und mit der Beschäftigungsgesellschaft vereinbart, wird das Konzept den Mitarbeitern vorgestellt und die Möglichkeit geschaffen, einen so genannten dreiseitigen Vertrag zu schließen. Dieser Vertrag beinhaltet die Aufhebung des Anstellungsverhältnisses zum bisherigen Arbeitgeber als vertragliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, verbunden mit der Begründung eines neuen Anstellungsverhältnisses zwischen der Beschäftigungsgesellschaft und dem Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer scheidet mithin aus dem Unternehmen aus, so dass im Rahmen der Übernahme des Betriebes durch den Betriebserwerber die Zahl der Mitarbeiter verringert wird. Um tatsächlich die mit diesen Schritten verbundenen Ziele zu erreichen, werden die dreiseitigen Verträge unter der Bedingung geschlossen, dass eine bestimmte Zustimmungsquote, die häufig höher als 90 Prozent der Arbeitnehmer liegen muss, zu verzeichnen ist. Diese Struktur gelingt also erst dann, wenn tatsächlich die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer in die Beschäftigungsgesellschaft wechselt. Damit dieses Zustimmungsquorum erreicht wird, müssen selbstverständlich Argumente und Anreize für die Arbeitnehmer entwickelt werden, um der Aufhebung des Anstellungsverhältnisses und dem Wechsel in die Transfergesellschaft zuzustimmen:
152
Martin Matzat
Erstes Argument ist regelmäßig, dass nur bei dieser Vorgehensweise der Betrieb überhaupt zu retten ist, anderenfalls mit einer Betriebsstilllegung, ggf. durch den Insolvenzverwalter, zu rechnen ist. Im Übrigen kann durch die Option des Wechsels in die Beschäftigungsgesellschaft der Eintritt in die Arbeitslosigkeit mit der Folge des zeitlich begrenzten Bezuges von Arbeitslosengeld verzögert werden. Wenn ein Mitarbeiter mit einer Zusage der Verweildauer in der Beschäftigungsgesellschaft von sechs Monaten gleichzeitig aber nur eine einmonatige Kündigungsfrist hätte, kann auch dies einen Anreiz bilden, da damit der Bezugszeitraum bis zum Ende des Arbeitslosengeldes um fünf Monate verlängert wird. Darüber hinaus können selbstverständlich auch Abfindungen, ggf. in Gestalt von Sozialplanabfindungen in Verbindung mit dem Wechsel in die Beschäftigungsgesellschaft, in Betracht kommen. Häufig sind auch Regelungen anzutreffen, die die Möglichkeit geben, Solidarität mit anderen Mitarbeitern zu zeigen, indem sich der Betriebserwerber, der in dem übernommenen Betrieb wieder Arbeitsplätze schafft, verpflichtet, einer bestimmten, festgelegten Zahl von Arbeitskräften aus der Beschäftigungsgesellschaft heraus neue Arbeitsverträge anzubieten. Die Beschäftigungsgesellschaft bietet damit eine Möglichkeit, das Eintreten der Folgen des § 613a BGB zu verhindern, indem von vornherein nur ein Unternehmen übergeht, in dem keine bzw. nur eine geringe Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt werden zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges. Die vorstehend geschilderte Möglichkeit, Mitarbeiter im Rahmen einer Beschäftigungsgesellschaft aus dem zu übernehmenden Unternehmen herauszulösen, besteht häufig nur dann, wenn größere Unternehmenseinheiten übernommen werden, da mit der Errichtung der Beschäftigungsgesellschaft für das einzelne Unternehmen und den damit verbundenen Remanenzkosten erheblicher finanzieller Aufwand entsteht, der häufig nur bei einer großen Zahl von Beschäftigten wirtschaftlich vertretbar ist.
3.3
Kündigungsverbot gem. § 613a Abs. 4 BGB/Betriebsübergang mit Erwerberkonzept
In allen anderen Fällen muss sich ein Betriebserwerber, der ein Unternehmen bzw. einen Unternehmensteil erwerben will, mit den Folgen des Betriebsüberganges auseinander setzen. Hier steht insbesondere das Kündigungsverbot gem. § 613a Abs. 4 im Mittelpunkt, das für Betriebserwerber häufig die größte Hürde darstellt, wenn ein Unternehmen übernommen werden soll.
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153
§ 613a Abs. 4 BGB bestimmt, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Überganges eines Betriebes oder eines Betriebsteils unwirksam ist. Zwar bleibt das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen, insbesondere verhaltens- oder personenbedingten Gründen, davon unberührt. Alle Kündigungen aber, deren wesentliche Ursache der (beabsichtigte) Betriebsübergang ist, sind unwirksam. In diesen Fällen hilft jedoch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, das am 20.03.2003 ausdrücklich und unter Bezugnahme auf § 613a Abs. 4 BGB festgestellt hat, dass die Kündigung eines Betriebsveräußerers aufgrund eines Erwerberkonzeptes nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB verstößt, wenn ein verbindliches Konzept bzw. ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen hat. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, auch eine sanierende Übertragung, innerhalb und außerhalb der Insolvenz dazu zu nutzen, das Unternehmen zu restrukturieren und einen erforderlichen Personalabbau zu realisieren. Konkrete Vorgaben, wie ein solches Erwerberkonzept auszusehen hat, fehlen. Das Konzept sollte basierend auf der Ausgangssituation des Unternehmens das Fortführungskonzept des Betriebserwerbers darstellen. Dies bedeutet, dass Strategie und Einsatz vorhandener Produktions- und Personalressourcen dargestellt werden müssen. Auf dieser Grundlage sollte dargestellt werden, welche Maßnahmen zur Optimierung der Produktion beabsichtigt sind, um dann ein Personalkonzept zu entwickeln, das ein eigenes Organigramm der künftigen Personalstruktur und die Personalschritte zur Herbeiführung dieser Personalstruktur ausgehend von den vorgefundenen Strukturen abbildet. Nachstehend findet sich das Beispiel eines Erwerberkonzepts, das im Rahmen einer Betriebsfortführung entwickelt worden ist und Gegenstand der Bewertung durch ein Landesarbeitsgericht anlässlich von Kündigungsschutzverfahren war, in denen dieses Erwerberkonzept als ausreichend bestätigt hat.
Beispiel Erwerberkonzept Grundkonzept zur Fortführung des Bereiches Halbwellen A. Ausgangssituation der Fa. Halbwelle und der Halbwelle Erwerber GmbH Die Fa. Halbwelle befindet sich seit dem 01.12.2004 in Insolvenz. Während die Betriebsteile „Rohproduktion“ und „Metallbearbeitung“ durch die Halbwelle Neu GmbH mit ca. 150 Mitarbeitern seit Januar 2005 fortgeführt werden, wird z. Z. zwischen dem Insolvenzverwalter und der Fa. Halbwelle Erwerber GmbH über eine Fortführung des Bereichs Endproduktion Halbwelle verhandelt.
154
Martin Matzat
Die Fa. Halbwelle Erwerber GmbH verfügt derzeit über keinen aktiven Geschäftsbetrieb und ist nicht Teil eines Konzerns. Gesellschafter sind die beiden Geschäftsführer Dr. Arndt und Bert. B. Das Fortführungskonzept 1. Die Marktstrategie und die vorhandenen Produktions- und Personalressourcen Während die Fa. Halbwelle mit der sehr breiten Produktpalette keine Fokussierung auf lukrative Marktsegmente vorweisen konnte und vielfach in hart umkämpften preissensiblen Märkten aktiv war, sieht das Fortführungskonzept der Halbwelle Erwerber GmbH eine klare Konzentration auf Marktnischen, in denen dauerhaft nachhaltige Wettbewerbsvorteile auch im internationalen Wettbewerb erreichbar sind, vor. In Marktsegmenten wie den Bereichen „Auto“, „Kraftwerk- und Anlagenbau“, „Schiffsbau“ sowie „Wärmetechnik“ sollen überwiegend Wellen aus speziellen Legierungen angeboten werden. Langfristigen Partnerschaften soll gegenüber einzelnen Spotgeschäften der Vorrang eingeräumt werden. Die vorhandenen Produktionsressourcen wie auch das Know-how der ausgewählten Mitarbeiter lassen eine starke Wettbewerbsposition in den genannten Marktnischen erwarten. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei dem Know-how der ausgewählten Mitarbeiter zu. So ist durch das vorhandene Erfahrungspotenzial sowie die flexible Einsetzbarkeit infolge eines hohen Qualifizierungsstandes der ausgewählten Mitarbeiter ein Produktspektrum abzudecken, das die Fa. Halbwelle Erwerber GmbH zu einem strategischen Partner in den einzelnen Marktnischen werden lässt. Darüber hinaus sind die Flexibilität der Mitarbeiter sowie eine hierauf abgestimmte Produktionssteuerung die Basis für eine überdurchschnittliche Lieferbereitschaft. Damit kommt dem Personalkonzept eine erhebliche Bedeutung zu. Know-how und flexible Einsetzbarkeit der ausgewählten Mitarbeiter sind der Schlüssel zur Erreichung einer starken Marktposition in den anvisierten Nischen. 2. Maßnahmen zur Optimierung der Position Ziel der Optimierungsmaßnahmen ist
Die Erreichung von signifikanten Wettbewerbsvorteilen in Bezug auf die Lieferfähigkeit und -zuverlässigkeit;
die Verbesserung der Produktqualität;
die Rationalisierung zur Verbesserung der Produktivität;
die Reduzierung der Kosten des Zukaufs (Energie, Material u. a.);
die Reduzierung der Personalkosten.
Alle Maßnahmen bedeuten in den kommenden Jahren kontinuierliche Investitionen in erheblichem Umfang und sind die notwendige Bedingung zur Erreichung der angestrebten nachhaltig starken Wettbewerbsposition.
Turnaround Management und die Möglichkeiten des Arbeitsrechts
155
3. Das Personalkonzept Wie bereits ausgeführt, ist die Auswahl qualifizierter und vielseitig einsetzbarer Mitarbeiter Kernstück des Fortführungskonzeptes. Im Rahmen der Mitarbeiterauswahl wurde in den Aspekten der Sozialauswahl umfassend Rechnung getragen. Um weitere Flexibilität zu erreichen, ist die Einführung von Arbeitszeitkonten vorgesehen, die es ermöglichen, flexibler auf Beschäftigungsschwankungen im Zeitablauf zu reagieren. (Tabellen/Organigramm der bisherigen Struktur gegenüber der geplanten Personalstruktur mit Benennung der zu kündigenden Mitarbeiter und Darstellung der Sozialauswahl) Ort, Datum
3.4
§ 613a BGB in der Insolvenz
§ 613a BGB ist, obwohl nach den Vorgaben des Europarechts hier eine Ausnahme möglich gewesen wäre, auch auf Fälle des Betriebsüberganges in der Insolvenz anwendbar. Dies bedeutet, dass auch in der Insolvenz entweder mit einer Auffanggesellschaft gearbeitet werden muss oder aber der Betriebsübergang mit einem Erwerberkonzept zu koppeln ist. Da gegenüber der Zerschlagung die Übertragung des Betriebs bzw. von Betriebsteilen in der Insolvenz aber häufig den einzigen Weg bildet, um zumindest einen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten, werden die Folgen des § 613a BGB an Einzelpunkten für den Fall der Übertragung in der Insolvenz abgemildert. Dies gilt z. B. für die Haftung des Betriebserwerbers für Arbeitslöhne, die in der Vergangenheit nicht gezahlt worden sind. Im Falle des Betriebsüberganges in der Insolvenz haftet der Betriebserwerber nicht für Ansprüche, die bei Eröffnung des Verfahrens beim Betriebsveräußerer bereits entstanden waren. Hier hat die insolvenzrechtliche Abwicklung Vorrang. Dieser Vorrang der insolvenzrechtlichen Abrechnung greift aber dann nicht, wenn es um Verbindlichkeiten geht, die der Insolvenzverwalter als Veräußerer begründet hat, z. B. in Gestalt von Lohnansprüchen durch eine Betriebsfortführung nach Eröffnung der Insolvenz. In einer Entscheidung des BAG vom 28.10.2004 ist für den Fall des Betriebsüberganges in der Insolvenz eine weitere nicht uninteressante Konstellation zugunsten des Betriebserwerbers entschieden worden.
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Martin Matzat
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.10.2004 Der Insolvenzverwalter hatte allen Arbeitnehmern eines insolventen Unternehmens wegen einer beabsichtigten Betriebsstilllegung auf den 30.04. gekündigt. Nach Ausspruch der Kündigung, aber noch vor Wirksamwerden der Kündigungen durch Ablauf der Kündigungsfristen, hatte sich ein Interessent gezeigt, der das Unternehmen erworben und beginnend mit dem 01.05. die Tätigkeiten der Insolvenzschuldner fortgeführt hat. Das BAG hat festgestellt, dass ein Betriebsübergang gem. § 613a BGB vorlag. Das BAG hat dann aber die an sich außerhalb der Insolvenz bestehenden Ansprüche der Arbeitnehmer auf Widereinstellung wegen Aufgabe der Betriebsstilllegungsabsicht und Fortführung des Unternehmens nach Betriebsübergang zurückgewiesen. Für den Fall der Insolvenz hat das BAG in dieser Entscheidung festgestellt, dass kein Anspruch auf Wiedereinstellung bestehe, wenn der Betriebsübergang, seien die Verträge auch vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen, tatsächlich erst nach Auslaufen der Kündigungsfrist erfolge. Obwohl also zeitlich ohne Unterbrechung das Unternehmen fortgeführt wurde, waren die von dem Insolvenzverwalter wegen der beabsichtigten Betriebsstilllegung ausgesprochenen Kündigungen wirksam geworden. In Fällen, in denen sich der Insolvenzverwalter also zur Betriebsstilllegung entschlossen und die Kündigungen ausgesprochen hat, kann bei entsprechender Gestaltung des tatsächlichen Betriebsüberganges auf einen Zeitpunkt nach Auslaufen der Kündigungsfrist in der Insolvenz der Eintritt der arbeitsrechtlichen Folgen des § 613a BGB und die Durchsetzung eines Wiedereinstellungsanspruches der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer verhindert werden.
Vorsorglich hat das BAG in dieser Entscheidung jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es Fälle als rechtsmissbräuchlich behandeln würde, in denen Betriebsübergänge im Insolvenzverfahren absichtlich erst nach Ablauf der Kündigungsfrist vollzogen werden, um sich dem Widereinstellungsanspruch zu entziehen. Dies bedeutet, dass das BAG die Konstellation anders entscheiden würde, wenn die Verhandlungen über den Betriebsübergang schon vor der beabsichtigten Betriebsstilllegung und dem Ausspruch der Kündigungen geführt würden, also die echte Betriebsstilllegungsabsicht des Insolvenzverwalters nie bestanden hat.
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
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Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier
Prof. Dr. Olaf Arlinghaus hat nach Tätigkeiten als Consultant im Daimler-Benz Konzern und als Marketing-Manager im Veba-Konzern eine Vielzahl von Turnaround-Geschäften in der operativen Verantwortung als Vorstand für Finance & Controlling und Business Development bei der Vectron Systems AG begleitet. Seit März 2003 lehrt er International Management an der FH Münster. Professor Arlinghaus berät Unternehmen im Sanierungs- und Turnaround Management. E-Mail: [email protected]
Kerstin Eickmeier hat von 2001 bis 2005 hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität und der Fachhochschule in Münster Betriebswirtschaftslehre studiert. Seit Januar 2006 ist Kerstin Eickmeier als Abteilungsleiterin bei der persona service Verwaltungs AG und Co. KG in Gütersloh tätig. E-Mail: [email protected]
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Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ....................................................................................................................... 159 2. Personalmanagement im Turnaround ............................................................................. 160 2.1 Bedeutung der Mitarbeiter im Turnaround Management ........................................ 160 2.2 Personalführung im Turnaround Management ........................................................ 161 3. Personalbindung ............................................................................................................. 170 3.1 Fluktuation von Mitarbeitern................................................................................... 170 3.2 Anreizsysteme zur Mitarbeiterbindung ................................................................... 173 3.3 Alternative Methoden der Mitarbeiterbindung ........................................................ 177 3.4 Personalbindung im Turnaround Management........................................................ 179 4. Checkliste für die Personalführung in der Phase des Turnaround Managements ........... 181 5. Fazit und Ausblick.......................................................................................................... 183
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
1.
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Einleitung
In der Phase des Turnaround Managements steht in der Regel primär die gezielte Kostenreduktion in allen Unternehmensbereichen im Vordergrund. Insbesondere bei den Personalkosten – hier befinden sich nach Meinung vieler Fachleute und Experten die größten Einsparungspotenziale – wird oftmals „der Rotstift angesetzt“. Obwohl mit dem Begriff Turnaround demzufolge häufig die Schlagworte „Massenentlassung“ und „Arbeitsplatzverlust“ assoziiert werden, soll hier ein ganz anderer Bereich des Personalmanagements in der Krisensituation beleuchtet werden. Ziel und Aufgabe ist es, einen Überblick über die Möglichkeiten der Personalführung und Personalbindung in der Unternehmenskrise zu geben. Dabei werden u. a. folgende Fragen beantwortet: In welchem Umfang verändern sich Personalführung und Personalbindung in der Phase des Turnaround Managements? Wie sollten Mitarbeiter1 in Krisenzeiten geführt werden bzw. welche Aspekte der Personalführung sollten im Turnaround besondere Beachtung finden? Können und sollten Unternehmen der Fluktuation in Krisenzeiten gezielt entgegenwirken? Welche Möglichkeiten gibt es, um im Turnaround qualifizierte und für das Unternehmen wichtige Mitarbeiter zu binden? Kapitel 2 beschäftigt sich mit dem Personalmanagement. Hier wird näher auf die wachsende Bedeutung des Personalmanagements und der Mitarbeiter eingegangen, was die Grundlage für die folgenden Untersuchungen bezüglich Personalführung und Personalbindung im Turnaround bildet. Ebenfalls in Kapitel 2 wird das Thema Personalführung ausführlich dargestellt. Zunächst wird der Führungsbedarf in Unternehmen aufgezeigt, danach folgt die Erläuterung verschiedener Aspekte der Führung und Anforderungen an Führungskräfte. Im Anschluss wird untersucht, welche Änderungen sich für die Phase des Turnaround Managements ergeben. Das Kapitel 3 handelt von der Personalbindung. Dabei werden sowohl Gesichtspunkte der Fluktuation als auch Methoden der Mitarbeiterbindung aufgeführt. Das Kapitel schließt mit einer Analyse der Veränderungen der Personalbindung im Turnaround. Aufbauend auf den Ergebnissen der vorherigen Kapitel werden in Kapitel 4 eine Checkliste und so genannte „Golden Rules“ erarbeitet. Diese sollen das Personalmanagement beim Umgang mit den Mitarbeitern in der Phase des Turnarounds unterstützen. Abgeschlossen werden die Ausführungen mit dem Kapitel „Fazit und Ausblick“.
1
Alle Funktions- und Personenbeschreibungen sind geschlechtsunabhängig zu verstehen. Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird auf eine fortlaufende Differenzierung im Text verzichtet.
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Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier
2.
Personalmanagement im Turnaround
Das Personalmanagement, auch Management der Human-Resources2 genannt, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die im Unternehmen zu bewältigen sind. Die besondere Problematik liegt in der generellen Divergenz zwischen betrieblichen Anforderungen an die Mitarbeiter und deren individuellen Wünschen.3
2.1
Bedeutung der Mitarbeiter im Turnaround Management
In der Phase des Turnaround Managements kommt den Mitarbeitern eines Unternehmens eine ganz besonders wichtige Bedeutung zu. „Insbesondere in Turnaround-Situationen kommt es entscheidend auf die Mitarbeiter an, ob die geplanten Veränderungen wirksam werden können.“4 Die entscheidendste Ressource, über die die Unternehmensführung im Turnaround verfügt, sind die eigenen Mitarbeiter. Das heißt, die Qualität und die Lernfähigkeit des Personals machen letztlich den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg von Unternehmen im Rahmen des Turnaround Managments aus.5 In der Sanierung ist die Unterstützung durch die Mitarbeiter demzufolge eine notwendige Voraussetzung für die nachhaltige Überlebenssicherung des Unternehmens – die menschliche Arbeitsleistung gilt als Schlüsselgröße des Unternehmenserfolgs.6 Veränderungsprozesse sind im Unternehmen nicht ohne Beteiligung der Mitarbeiter durchführbar.7 Diese wachsende Bedeutung von Mitarbeitern erfordert eine Anpassung der Personalführung an die neue Situation. Welche hohen Anforderungen an die Führungskräfte eines Unternehmens gestellt werden und wie diese speziell in der Phase des Turnarounds aussehen, ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.
2
3 4 5 6 7
Summe aller Ressourcen, über die eine Unternehmung verfügen kann. Erfasst werden soll nicht der Arbeitnehmer selbst, sondern sein der Unternehmung zur Verfügung gestelltes Leistungspotenzial, das sich ergibt aus dem Produkt seines Leistungsangebotes mit dem Zeitraum, über den er die Leistung anzubieten in der Lage ist. Vgl. Gabler Wirtschafts-Lexikon (2000), 15. Auflage, S. 1461. Vgl. Coenenberg/Fischer (1993): Turnaround Management-finanzielle und strategische Werkzeuge der Restrukturierung, S. 54 f. Coenenberg/Fischer (1993): S. 38. Vgl. Coenenberg/Fischer (1993): S. 120. Vgl. Achilles (2000): Erfolgreiche Unternehmenssanierung: Kommunikation als Schlüsselvariable, 1. Auflage, S. 143. Vgl. Hanen (2005): Die Bedeutung der Personalentwicklung für das Turnaround Management, 1. Auflage, S. 47.
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
2.2
161
Personalführung im Turnaround Management
Eine schlüssige Strategie ist gut, reicht aber nicht aus, um die Krisenstimmung im Unternehmen zu beenden. Man muss vor allem die Manager aus der Lethargie reißen.8 Gerade im Bereich der Personalführung ergeben sich erhebliche Änderungen, wenn sich das Unternehmen in einer Krise befindet.
2.2.1
Veränderungen bei der Personalführung
Insbesondere im Turnaround, wenn es um die Existenz eines Unternehmens geht, kommt der Führung eine absolute Schlüsselrolle zu. „Wird von der Spitze ein klarer Kurs eingeschlagen [...], löst dies eine breite Solidarisierung aus. Genau das Gegenteil passiert, wenn es einem angeschlagenen Unternehmen an Führung mangelt: Dann macht sich eine Mischung aus Lähmung, Zerfall und Routine breit.“9 1.
Aspekte der Führung
Führungsgrundsätze Die vom Unternehmen festgelegten und von den Mitarbeitern zu befolgenden Führungsgrundsätze haben jederzeit Bestand und unterliegen in der Phase des Turnarounds keiner großen Veränderung. Führungsstil Zur Frage der Mitarbeiterführung in Krisenzeiten hat Solschenizin einmal gesagt: „In der Krise ist der Brutalste der Beste, aber sobald die Krise vorüber ist, sollte er sofort gehen!“10 Damit spricht er sich deutlich für einen autoritären Führungsstil in Krisensituationen aus. Eine Verallgemeinerung dieser Denkweise ist jedoch nicht so einfach möglich. „Die Frage nach dem richtigen Führungsstil in der Krise lässt sich nicht mit einem Satz beantworten. Es gibt keine Patentrezepte. Es ist erkennbar, dass weder ein autoritärer noch ein kooperativer Führungsstil in ihrer extremen Ausprägung zur Krisenbewältigung geeignet sind. Der Führungsstil muss der konkreten Unternehmenssituation angepasst werden.“11 Die Führung der
8 9 10
Vgl. Harvard Business Manager (2005): So schaffen Sie die Wende: http://www.harvard-businessmanager.de/go/see!_DIG28372884. Berner (2005): Personalabbau: Das letzte Mittel professionell handhaben, :http://www.umsetzungsberatung.de/diagnose/turnaround.php.
Bertelsmann Stiftung (1996): Auf den Menschen kommt es an: Führung und Motivation im Unternehmen – eine empirische Studie im Dialog mit der Praxis, S. 119. 11 Hess/Fechner (1987): Sanierungshandbuch, S. 14.
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Mitarbeiter in Krisensituationen sollte dessen ungeachtet immer durch einen freundlichen Umgang geprägt sein, da er die Mitarbeiter die Stresssituation besser ertragen lässt.12 Führungsinstrumente Bezogen auf die Turnaround-Situation gibt es für die Wahl der Führungsinstrumente, ebenso wie beim Führungsstil, keine konkrete Empfehlung. Auch hierbei ist abermals die Führungskraft gefragt, die den Einsatz der Führungsinstrumente sowohl der aktuellen Situation als auch den Mitarbeitern individuell anpassen muss. 2.
Anforderungen an Führungskräfte
Natürlich stellen Krisen ganz andere Anforderungen an das Management als On-goingProzesse.13 Im Turnaround wird der Erfolg strategischer Restrukturierung von Unternehmen entscheidend durch die Einheit von Führung, Motivation, Information, Kommunikation und Integration bestimmt.14 Kompetenzen Bezüglich der Kompetenzen einer Führungskraft ergibt sich für die Phase des Turnarounds keine bedeutsame Veränderung im Vergleich zum betrieblichen Alltag. Es ist jedoch von großem Vorteil, wenn die Führungskraft gerade in dieser angespannten Lage ihre soziale Kompetenz richtig einzusetzen vermag und beispielsweise „ein offenes Ohr“ für die Probleme und den Redebedarf ihrer Mitarbeiter hat. Führung und ein aufrichtiges Interesse für Menschen gehören zusammen.15 Erfüllen einer Vorbildfunktion „In Krisenzeiten beobachten Mitarbeiter ihre Vorgesetzten noch genauer. Sie nehmen ihre Belastbarkeitsgrenze wahr, testen ihre Loyalität und ihre Zivilcourage. Das Verhalten von Vorgesetzten wird als Ausdruck der Gesamtpersönlichkeit gewertet. Führen heißt ganz einfach vorleben als Vorbild; Führen heißt, ein Beispiel sein.“16 Gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten, wenn sich das Unternehmen in der Existenzkrise befindet, gilt mehr als zuvor: „Man ist viel eher bereit, Opfer zu bringen, wenn man sieht, dass alle anderen es auch tun. So ist nun mal die menschliche Natur.“17 (Henry Ford) Motivation In der Krise weist die Motivation der Mitarbeiter regelmäßig einen rückläufigen Verlauf auf. Dies wird aus Abbildung 1 ersichtlich:
12 13 14 15 16
Vgl. Hess/Fechner (1987): S. 14. Vgl. Bertelsmann Stiftung (1996): S. 119. Vgl. Coenenberg/Fischer (1993): S. 146. Vgl. Gablers Magazin (2005): Führung in turbulenten Zeiten, Ausgabe 10/1997. Trauboth (2002): Krisenmanagement bei Unternehmensbedrohungen: Präventions- und Bewältigungsstrategien, S. 62. 17 Bühner (1997): Mitarbeiter mit Kennzahlen führen: Der Quantensprung zu mehr Leistung, S. 89.
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Unternehmenskrise Leistungsdefizit
Motivationsdefizit
Quelle: In Anlehnung an: Achilles, Wolfgang (2000): Erfolgreiche Unternehmenssanierung: Kommunikation als Schlüsselvariable, 1. Auflage, S. 145 Abbildung 1: Spirale der Demotivation Abbildung 1 zeigt den Einfluss einer Unternehmenskrise auf die Motivation der Mitarbeiter. Der einzelne Mitarbeiter sieht seinen Arbeitseinsatz nicht durch einen entsprechenden Unternehmenserfolg bestätigt. Dadurch wird bei dem Mitarbeiter Frustration ausgelöst. Der daraus resultierende Rückgang der persönlichen Motivation schlägt sich in einer rückläufigen Arbeitsleistung nieder, was wiederum zu einer Verschärfung der Krise beiträgt.18 Der Turnaround bringt erfahrungsgemäß viele negative Maßnahmen mit sich. Personalabbau, Einsparungen in der Personalentwicklung, eine steigende Verunsicherung und Unzufriedenheit auf Seiten der Arbeitnehmer sind die Folgen. Welche Rolle spielt in dieser Situation die Mitarbeitermotivation in den Unternehmen und welche Faktoren sind entscheidend, um sie zu gewährleisten?19 Aus Sicht der Mitarbeiter sind die Maßnahmen zur Reduktion der Personalkosten zunächst nichts anderes als eine Störung des mitunter lange gewachsenen und austarierten Gleichgewichts zu Ungunsten des Mitarbeiters. In seiner Wahrnehmung werden gebotene extrinsische Anreize direkt vermindert bzw. die vom Unternehmen erwarteten Leistungsbeiträge einseitig und ohne Gegenleistung nach oben geschraubt. Insgesamt verbleibt damit die Gefahr, dass bei einer größeren Anzahl von Mitarbeitern der nahe liegende Mechanismus zur Wiederherstellung des Gleichgewichts einsetzt, nämlich durch Reduzierung eigener Beiträge. Geringere Einsatzbereitschaft, Dienst nach Vorschrift, innere Kündigung, mangelnde Kundenorientierung und erhöhte Fehlzeiten sind die hinreichend bekannten Erscheinungsformen und Folgen dieser affektiven Anpassungsstrategien. 18 19
Vgl. Achilles (2000): S. 144 f. Vgl. DEKRA Akademie (2005): Studie: Standort Deutschland: Zukunftssicherung durch intelligentes Personalmanagement: Motivierte Mitarbeiter – für Unternehmen das höchste Gut: www.dekra-akademie.de/dekra_akademie/presse/show.php3?id=28&nodeid=9 (Stand: 28.10.2005).
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Um zu verhindern, dass bei der Reduktion der Personalkosten mit der Mitarbeitermotivation einer der wichtigsten langfristigen Erfolgsfaktoren verloren geht, sollten Unternehmen über direkte Kompensationsmechanismen für entfallende materielle extrinsische Anreize nachdenken. Damit die Bemühungen der Personalkostensenkung nicht konterkariert werden, dürfen diese natürlich nicht zu größeren Kosten führen. Einen interessanten Ansatz stellen hierbei Mitarbeitervorteilsprogramme (MVP) dar. Im Kern verschafft dabei in einem Dreiecksverhältnis ein Unternehmer (Vorteilsmediär) seinen Mitarbeitern (Vorteilsnehmer) bevorzugte Vertragsbedingungen bei einem Drittunternehmen (Vorteilsgeber) beim Bezug von Produkten oder Dienstleistungen. Typische und in vielen Unternehmen schon lange praktizierte Beispiele sind exklusive Reisekataloge mit besonders preisgünstigen Reiseangeboten, Schnäppchenangebote für Technikprodukte – etwa Kameras oder PCs – Vorteilskonditionen bei der Baufinanzierung oder spezielle Rabattstaffeln bei Autohäusern, Fitness-Centern oder Gastronomiebetrieben.20 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Basisidee von MVP ist weder neu noch sonderlich spektakulär, aber hinsichtlich eines flächendeckenden und vor allem systematischen Einsatzes als Motivationsinstrument in wirtschaftlich schlechten Zeiten besitzt es beträchtliche Entwicklungsreserven.21 Kommunikation Nicht nur im normalen Unternehmensverlauf, auch in der Krise ist die Kommunikation ein Erfolgsfaktor. Die Unternehmensführung muss in der Krise die Kommunikationsfähigkeit des Unternehmens bei wachsendem Informationsbedarf sicherstellen.22 Nur eine offene Kommunikation und Transparenz über sämtliche, den Turnaround betreffende Informationen bieten eine Grundvoraussetzung für sein Gelingen.23 In Krisenzeiten, die mit Personalabbau und Umstrukturierungen verbunden sind, besteht bei den Mitarbeitern die natürliche Tendenz, sich zurückzuziehen und zu isolieren.24 Zudem werden Lücken in der erwarteten Kommunikation, Schweigen und einseitige Stellungnahmen mit eigenen Fantasien und Interpretationen aufgefüllt. Was nicht gesagt wird, wird tendenziös, entsprechend der eigenen Vorurteile, hineininterpretiert.25 Kommunikation ist also in jedem Fall zwingend erforderlich und dabei gilt: Je radikaler die Veränderung, umso wichtiger ist die Kommunikation!26
20 21 22 23 24 25 26
Vgl. Personal – Zeitschrift für Human Resources Management (12/2004): Motivation ohne Zusatzkosten, S. 7 f. Vgl. Personal – Zeitschrift für Human Resources Management (12/2004): S. 10. Vgl. Achilles (2000): S. 301. Vgl. Sandfort (1997): Sanierungscontrolling: Bewältigung von Unternehmenskrisen mit Hilfe eines Sanierungscontrollings, 1. Auflage, S. 238. Vgl. Barner (1995): Erfolgreich führen unter Druck: Überlebenstraining für Manager, S. 37. Vgl. Doppler (2003): Der Change Manager: Sich selbst und andere verändern – und trotzdem bleiben, wer man ist, S. 26. Vgl. Doppler (2003): S. 31.
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Persönliche Kontakte und offene Gespräche zwischen Mitarbeitern und Führungskräften können als wirkungsvolles Mittel angesehen werden, um der Belegschaft Unsicherheitsgefühle und Zukunftsängste zu nehmen.27 Das persönliche Gespräch ist das A und O, denn wer nicht redet, kann nicht gehört und schon gar nicht verstanden werden.28 Vor allem das frühzeitige Einbinden möglichst vieler Mitarbeiter in den Kommunikationsprozess wird von vielen Führungskräften als besonders wichtig hervorgehoben.29 Die Mitarbeiter sind in die Restrukturierungsmaßnahmen des Unternehmens mit einzubeziehen. Dadurch werden die beabsichtigten Effekte zum einen schneller erreicht, zum anderen wird der Demotivation vorgebeugt.30 Fühlen sich Mitarbeiter schlecht informiert, verlieren sie erst ihr Vertrauen ins Unternehmen – und dann ihre Motivation.31 Mitarbeiter nicht an der Zukunft zu beteiligen, die doch ihre eigene sein soll, führt zu Verlust von Vertrauen und Glaubwürdigkeit und versetzt paradoxerweise diejenigen in Abwehr, auf die man bei der Umsetzung angewiesen ist.32 Mitarbeiter unterstützen nur das, woran sie selbst beteiligt sind.33 Es gilt also: Betroffene müssen zu Beteiligten gemacht werden.
Basis der Kommunikation
Vertrauen
Kommunikation
Aufbau des Vertrauens Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Achilles (2000): S. 145 Abbildung 2: Der Zusammenhang von Vertrauen und Kommunikation
27 28 29 30 31 32 33
Vgl. ZFO – Zeitschrift für Führung und Organisation: Führung, Organisation und Kommunikation, Ausgabe 03/2005, S. 135. Vgl. Bühner (1997): Mitarbeiter mit Kennzahlen führen: Der Quantensprung zu mehr Leistung, S. 144. Vgl. Bertelsmann Stiftung (1996): S. 87. Vgl. Achilles (2000): S. 229. Vgl. Handelsblatt (068/2005): Damit die Gerüchteküche kalt bleibt, S. k01. Vgl. Doppler/Lauterburg (2002): Change Management: Den Unternehmenswandel gestalten, 10. Auflage, S. 95. Vgl. Schmidt (1990): Erfolgspotenzial Mitarbeiter: Personal besser auswählen – Mitarbeiterfähigkeiten wecken und fördern, S. 66.
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Ein weiterer Grund für eine offene Kommunikation mit den Mitarbeitern liegt darin, der Verbreitung von Angst und Gerüchten entgegenzuwirken. Gerade wenn sich ein Unternehmen in einer Phase der Instabilität befindet, spielen diese Faktoren eine große Rolle.34 In einer Krise können in kürzester Zeit Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Kompetenz des Unternehmens verloren gehen.35 Der Zusammenhang von Vertrauen und Kommunikation wird durch Abbildung 2 deutlich. Ebenso zeigt Abbildung 2, dass das zugrunde liegende Vertrauen einerseits den Maßstab für die Güte der Kommunikationsbeziehung bildet, das Vertrauen andererseits aber auch das Ergebnis der Kommunikation darstellt. Der Kreislauf wird dadurch in Gang gesetzt, dass sich a priori Menschen ein Urvertrauen entgegenbringen. In der Krise des Unternehmens ist eine Umkehrung des Vertrauensbildungsprozesses festzustellen Vertrauensverluste zeichnen sich ab.36 Dieses Vertrauen in die Unternehmensführung muss zurückgewonnen werden. Dafür ist der Einsatz von vertrauensbildenden Maßnahmen notwendig. Einige solcher Maßnahmen sind beispielhaft in Abbildung 3 zusammengefasst:
Wie schafft man Vertrauen? 1. Eine offene Kommunikation sicherstellen: Gemeinsame Sitzungen durchführen Eine Politik der „offenen Tür“ praktizieren Den Arbeitsbereich „begehen“ und selbst das Gespräch suchen Eigene Probleme auch ansprechen 2. Sicherstellen einer Einheit im Denken, Reden und Handeln: Eine klare Meinung und klare Ziele haben Forderungen anschaulich vorleben Versprechungen einhalten Auch bei Schwierigkeiten zu den Mitarbeitern stehen 3. Verantwortung für eigene Fehler übernehmen 4. Bevorzugungen vermeiden 5. Möglichst sachkundig sein Gelegentlich selbst im Team mitarbeiten Durch Argumentation überzeugen; Befehle vermeiden Ideen der Mitarbeiter aufnehmen 6. Den Rahmen für Kontakte außerhalb der Weisungslinie klar absprechen 7. Vertrauen gewinnen durch Vertrauensbeweise Freiräume gewähren Möglichkeiten suchen, wo Vertrauen gebildet werden kann
Quelle: In Anlehnung an Rosenstil von/Regnet/Domsch (1999): Führung von Mitarbeitern: Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement, 4. Auflage, S. 314 Abbildung 3: Vertrauensbildende Maßnahmen 34 35 36
Vgl. Barner (1995): S. 56. Vgl. Trauboth (2002): S. 29. Vgl. Achilles (2000): S. 6.
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In Abbildung 3 werden sieben Möglichkeiten aufgeführt, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Es handelt sich hierbei jedoch lediglich um eine beispielhafte Aufzählung solcher vertrauensbildender Maßnahmen. Diese oder andere Maßnahmen sind von Geschäftsleitung und Führungskräften eines Unternehmens situationsbedingt anzuwenden. Wie sich ein Unternehmen in Krisenzeiten an Mitarbeiter, aber auch Kunden, Lieferanten etc. wenden kann, um Aufklärungsarbeit zu leisten, zeigt folgendes Statement: „Those who need to know, should be told: Yes, we are having some difficulties in certain areas – but what company has not? And we are having some successes in other areas. I don´t want to burden you with all the details; but you should know that we have our arms around the problem. We think we understand it, and we are dealing with it. We will come out of it very well. Just watch us.”37 Konfliktmanagement Speziell in Krisensituationen, wenn Management und Belegschaft extrem gefordert werden, kommt es zu permanenter Erzeugung von Konfliktpotenzialen.38 Deshalb sind die Führungskräfte noch stärker als im betrieblichen Alltag gefragt, als Konfliktpartner und Konfliktmanager zu fungieren und die aufkeimenden Streitigkeiten zugunsten eines erfolgreichen Turnarounds zu schlichten. Zur Personalführung in der Phase des Turnaround Managements lässt sich allgemein zusammenfassen: In der Krise zeigt sich der tatsächliche Wert einer Unternehmensstruktur. Das System muss durchdacht und für die Beteiligten verständlich sein. Ein Unternehmen als System kann nur stabil funktionieren, wenn Führung für die Einzelnen berechenbar ist. Dazu ist Authentizität der Unternehmensführung ebenso ausschlaggebend wie erlebte Fairness und Kontinuität, in Abgrenzung zu häufigen und spontanen Richtungswechseln. Mitarbeiter müssen die Strategie, die Unternehmensvisionen und deren Umsetzung als sinngebende Einheit nachvollziehen und auch leben können. Dies ist die Voraussetzung für eine belastbare Unternehmensführung und auch für Stabilität in der Krise.39
2.2.2
Personalmaßnahmen
Der Turnaround führt in der Regel zu einschneidenden Maßnahmen im Personalbereich. Der Grund dafür liegt in den bedeutenden Einsparungspotenzialen, die dort zu erzielen sind. Deshalb kommt es im Turnaround fast immer zu Einzel- oder sogar Massenentlassungen. Es sollen jedoch andere Personalmaßnahmen in der Krise aufgezeigt werden. Aus diesem Grund folgt eine detaillierte Beschreibung von Maßnahmen, die das im Unternehmen verbleibende Personal betreffen. 37 38 39
Silver (1992): The Turnaround Survival Guide: Strategies For The Company In Crisis, S. 32. Vgl. Coenenberg/Fischer (1993): S. 145. Vgl. Handelskammer Hamburg (2005): Effizientes Management in IT- und Multimediaunternehmen, S. 18.
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Veränderungen am Arbeitsplatz Auch in Krisenzeiten sollten sich die Unternehmen der großen Bedeutung ihrer Mitarbeiter bewusst sein. Mitarbeiter „ [...] sind nicht nur Manövriermasse bei drohenden Verlusten oder in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, sondern sie stellen die Potenziale bereit, die man braucht, um mit innovativen Ideen am Markt [...] Erfolg zu haben.“40 Neben Entlassungen, die häufig nicht vermeidbar sind, sollten deshalb auch im Interesse von Unternehmen und Mitarbeitern alternative Strategien berücksichtigt werden. Diese alternativen Maßnahmen zur Senkung der Personalkosten verlangen in zum Teil nicht unerheblichem Maße Zugeständnisse seitens der Mitarbeiter. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Belegschaft die Notwendigkeit der Maßnahmen erläutert wird. Eine Auflistung verschiedener Maßnahmen findet sich nachfolgend:41 Innerbetriebliche Versetzungen Abbau von Überstunden Erfolgsabhängige Vergütung Lohn- bzw. Gehaltskürzungen Reduktion von Sonderzahlungen und sonstigen Leistungen Verschiebung der Auszahlung Arbeitszeitflexibilisierung Gestoppte Schulungen Erhöhung der Arbeitszeit Einführung eines Prämiensystems Vorruhestandsregelungen Einführung von Kurzarbeit42 Beispielhaft wird an dieser Stelle die Arbeitszeitflexibilisierung als Maßnahme für im Unternehmen verbleibende Mitarbeiter näher erläutert. Eine ausführliche Darstellung zur Arbeitszeitflexibilisierung findet sich in Abbildung 4: Es werden die Chancen und Risiken einer Arbeitszeitflexibilisierung aufgezeigt.43 Diese werden jeweils für das Unternehmen, die Führungskraft und die „Arbeitsfamilie“ einzeln gegenübergestellt.
40 41
Bühner (1997): S. 57. Vgl. Pinkwart/Kolb (2000): Turnaround Management zur Sicherung der Überlebensfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen, S. 33. 42 Vgl. Achilles (2000): S. 229. 43 Ein Phasenkonzept zur Implementierung von Arbeitszeitflexibilisierung für Führungskräfte ist zu finden in: Rosenstil von/Lutz/Regnet/Domsch (1999): S. 900.
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
Chancen
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Risiken Für das Unternehmen
Effizienzsteigerung der gesamten „Teilzeitfamilie“ Erhöhung der Kreativität, Innovativität Sinken der Ausfallzeiten Steigende Aktivitäten und Identifikation der Führungskräfte und der Teilzeitfamilie Bewahrung wertvoller Human Potentials
Effizienzsteigerung der Teilzeitführungskraft Erwerb von Schlüsselqualifikationen Chancen zur ganzheitlichen Lebenskarriere
Effizienzsteigerung des „Familien-Outputs“ Erwerb von Schlüsselqualifikationen „Familien“-Betriebsklima wird besser Erweiterung des Arbeitsspektrums
Kontinuität der Arbeitserledigung leidet Einheitlichkeit der Führung ist reduziert Höhere Personal-/Sachkosten Radikale Änderung von Führungskultur und Führungsverständnis
Für die Führungskraft
Gefühl der Selbstausbeutung steigt Geringeres Gehalt Niedrigere Rentenansprüche Entmystifizierung der Berufskarriere
Für die Arbeitsfamilie
Mehrbelastung durch Aufgabenumverteilung, Delegation Weniger Führung, mehr Eigenverantwortung
Quelle: In Anlehnung an Rosenstiel von/Regnet/Domsch (1999): S. 899 Abbildung 4: Chancen und Risiken der Arbeitszeitflexibilisierung Eine Verkürzung und Verlagerung zum einen der täglichen und zum anderen der wöchentlichen Arbeitszeit wird als Arbeitszeitflexibilisierung verstanden.44 In der betrieblichen Praxis ist die Diskussion zum Thema Arbeitszeit aktueller denn je. Zur starren Arbeitszeitfom der Vollzeitbeschäftigung mit langfristig festgelegten Arbeitszeiten werden verstärkt flexible Alternativen gesucht. Im Vordergrund steht hierbei die Flexibilisierung von Dauer, Lage und Ort der zu erbringenden Arbeitsleistung. Möglich sind die Einführung von: Teilzeitarbeit, Heimarbeit, Jobsharing und Job-Rotation sowie Zeitwertkonten und Vertrauensarbeitszeit. Die Verbreitung dieser flexiblen Arbeitszeitgestaltung nimmt immer weiter zu. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten ist aus Sicht der Unternehmen ein entscheidender Ansatzpunkt zum Abbau von Überstunden. Bedeutendes Potenzial für die Arbeitszeitflexibilisierung liegt vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Praxis zeigt, dass dort sogar Vorteile bei der Umsetzung von betriebsspezifischen Modellen bestehen. Sie sind angesichts der „Überschaubarkeit“ der Unternehmensstrukturen häufig in der Lage, neue Arbeitszeitreglements schnell und passgenau einzuführen.45 Im Hinblick auf eine konsequente Flexibilisierung der Arbeitszeit in großen Unternehmen ist noch einiges Umdenken erforderlich. Und vor allem: Flexible Arbeitsformen bedeuten eine Komplizierung der Führung im betrieblichen Alltag. Die Mitarbeiter sind nicht immer alle zur gleichen Zeit im Unternehmen. Es bedarf geeigneter elektronischer Medien und eines zusätzlichen Koordinationsaufwands.46 44 45 46
Vgl. Rosenstiel von/Regnet/Domsch (1999): S. 860. Vgl. Personal – Zeitschrift für Human Resource Management: Arbeitszeitflexibilisierung, (09/2002) S. 8 f. Vgl. Doppler/Lauterburg (2002): Change Management: S. 41.
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In den vorangegangen Ausführungen sind verschiedene Personalmaßnahmen in der Phase des Turnarounds analysiert worden, und es wurde gezeigt, dass insbesondere durch Entlassungen von Mitarbeitern versucht wird, Kosten einzusparen. Aber auch die Maßnahmen für das im Unternehmen verbleibende Personal können Frustration und Angst auslösen und zu erlahmender Initiative, illoyalem Verhalten oder Fluktuation führen. Eine Auseinandersetzung mit Möglichkeiten und Sinn der Personalbindung im Turnaround-Prozess ist in der Literatur dennoch selten zu finden.
3.
Personalbindung
„Nicht ein genereller Abbau der Beschäftigtenzahl, sondern die Notwendigkeit der besseren Nutzung des bestehenden Humankapitals und die Notwendigkeit zur permanenten Erhöhung der Qualifikation der Belegschaft sind die wichtigsten (personalpolitischen) Konsequenzen des Umstrukturierungsprozesses.“47
3.1
Fluktuation von Mitarbeitern
Fluktuation bedeutet Wechsel eines Arbeitnehmers von einem Unternehmen zu einem anderen freiwillig und dauerhaft.48 Die Fluktuation ist eine der wesentlichen Faktoren in der Personalerhaltung und ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor.49 Der Fluktuation geht eine Phase der verminderten Leistungsbereitschaft, die so genannte „innere Kündigung“ voraus, die letztlich mit dem Ausscheiden des Mitarbeiters aus dem Unternehmen endet. Ursache und Kosten der Fluktuation sowie geeignete Gegenmaßnahmen werden im Folgenden ausführlicher dargestellt.
3.1.1
Ursachen
Die Ursachen für Fluktuation lassen sich in drei Kategorien unterteilen: überbetriebliche Ursachen Der Mitarbeiter wechselt seinen Arbeitsplatz, da das neue Unternehmen zu einer anderen Branche oder Region gehört, die von dem Mitarbeiter bevorzugt wird.
47 48 49
Bertelsmann Stiftung (1996): S. 92. Vgl. Gabler Wirtschafts-Lexikon (2000): S. 1117. Vgl. Springer (2005): Umdruck zur Vorlesung Personalmanagement: www.iaw.rwth-aachen.de/download/lehre/vorlesungen/2005-ss-pm/PM-Teil%201.pdf.
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betriebliche Ursachen Der Mitarbeiter ist unzufrieden in seinem bisherigen Unternehmen. Gründe dafür können der Arbeitsinhalt, die Arbeitszeit, die Entlohnung oder Streit mit Kollegen bzw. Vorgesetzten sein. persönliche Ursachen Persönliche Gründe veranlassen den Mitarbeiter, seinen Arbeitsplatz zu wechseln, etwa weil es die Familiensituation erfordert.50
3.1.2
Kosten
Fluktuation senkt die Verfügbarkeit der Mitarbeiter und verursacht für die Unternehmen Verluste durch Einarbeitung und Know-how-Abfluss. Selbst wenn ein ausscheidender Mitarbeiter direkt durch einen anderen ersetzt wird, entstehen Einarbeitungsverluste. Der neue Mitarbeiter verwendet noch viel Zeit dafür, sich mit den betrieblichen Abläufen vertraut zu machen, und liegt daher während der Einarbeitungszeit in seinem Leistungsniveau unter dem seines Vorgängers. Abbildung 5 zeigt eine genaue Aufschlüsselung der Fluktuationskosten. Minderleistungskosten51 x Kosten des bisherigen Mitarbeiters vor, während und nach der Fluktuationsentscheidung (Sinken der Arbeitsleistung, Freistellung des Mitarbeiters) Anwerbungskosten x Kosten für Vorbereitung der Werbung (Werbestrategie, Positionsbeschreibung, Kontakt mit Personalberatern) x Kosten für Stellenanzeige (bzw. andere Personalwerbungsmethoden) x Honorar für Personal-/Unternehmensberater Auswahl- und Einstellungskosten x Interner Aufwand für Einstellungsinterviews (Interviews, Aufwand für Referenzeinholung, Gespräche mit Beratern, Spesen und Kommunikationskosten) Übergangskosten x Umzugs- und Maklerkosten x Hotelkosten, Familienheimfahrten, Trennungspauschale etc. Einarbeitungskosten x Gehalt und Sozialkosten (bei fünfzigprozentiger Arbeitsleistung im ersten Jahr, sowie Kosten für Aufzehrung anderer Mitarbeiter, die zur Einarbeitung benötigt werden) Summe
30 %
2% 8% 20 % 5% 5% 5%
50 % ca. 125 %
Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V., DGFP e.V. (2004): Retentionmanagement – Die richtigen Mitarbeiter binden, 1. Auflage, S.79) Abbildung 5: Fluktuationskostenberechnung 50
Vgl. Ackermann (1999): Risikomanagement im Personalbereich: Reaktionen auf die Anforderungen des KonTraG, S. 139. 51 Jeweils in Prozent eines Bruttojahresgehaltes; dabei sind noch nicht berücksichtigt die anteiligen Kosten aller betroffenen Abteilungen (Personalabteilung, Fachabteilung, Unternehmensleitung, Betriebsrat).
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Zu Know-how-Verlusten kommt es, wenn ein langjähriger und qualifizierter Mitarbeiter das Unternehmen verlässt. Er nimmt sein im Laufe der Berufstätigkeit erworbenes Wissen mit. Dies ist weniger problematisch, wenn sein Wissen rechtzeitig vor seinem Ausscheiden an Kollegen oder einen Nachfolger weitergegeben wurde.52 Das Beispiel für eine Fluktuationskostenberechnung in Abbildung 5 zeigt, welche Art der Kosten berechnet werden und in welcher Höhe sie anfallen. In der Summe handelt es sich um Fluktuationskosten von ca. 125 Prozent des Jahresbruttogehaltes des ausscheidenden Mitarbeiters. Eine zahlenmäßige Vorstellung von der Höhe der Fluktuationskosten vermittelt zudem folgende Darstellung: Fluktuationskosten für eine qualifizierte Fachkraft, die nach neun bis zwölf Monaten das Unternehmen verlässt: ca. ein- bis zweifache des Jahresbruttogehaltes. Fluktuationskosten für eine Führungskraft, die nach neun bis zwölf Monaten das Unternehmen verlässt: ca. zwei- bis dreifache des Jahresbruttogehaltes.53
3.1.3
Gegenmaßnahmen
Der Austritt eines Mitarbeiters stellt, wie oben aufgeführt, einen erheblichen Ausfall in schwer quantifizierbarer Höhe dar, der möglichst vermieden werden muss. Zu diesem Zweck versuchen die Unternehmen geeignete Maßnahmen zur Personalbindung zu treffen. Vielfach existieren jedoch lediglich verschiedene Einzelmaßnahmen der Mitarbeiterbindung nebeneinander, mit denen kurzfristig einzelne Personen zum Verbleib im Unternehmen gebracht werden sollen. Ob die Maßnahmen zueinander passen, ob sie der Unternehmenskultur entsprechen oder ob sie mit Führungsinstrumenten vereinbar sind, bleibt außer Acht. Dabei kommt es sehr häufig vor, dass diese unbedachten und partiellen Einzelmaßnahmen einen enormen Anstieg der Personalkosten zur Folge haben.54 Stattdessen sollten Unternehmen ein einheitliches System zur konstanten Mitarbeiterbindung schaffen, das auf alle Mitarbeiter anwendbar ist und den Wunsch eines Arbeitsplatzwechsels erst gar nicht entstehen lässt. Dafür eignen sich beispielsweise in das Unternehmen fest zu verankernde und möglichst individuell auf die Mitarbeiter ausgerichtete Anreizsysteme.
52 53 54
Vgl. Bühner (1997): S. 109 f. Vgl. Schust (1994): Total Performance Management, S. 21. Vgl. DGFP e.V. (2004): S. 10.
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
3.2
173
Anreizsysteme zur Mitarbeiterbindung
Mitarbeiterbindung heißt, qualifizierte Mitarbeiter durch die Gestaltung von verschiedenen positiven Anreizen zu gewinnen und zu halten.55 Damit Anreizsysteme ihre Ziele erfüllen, müssen bei ihrer Gestaltung Anforderungen wie Motivationswirkung, Gerechtigkeit, Flexibilität, Integration, Transparenz, Belohnungswirkung, Differenzierung und Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden.56 Die den Unternehmen zur Verfügung stehenden Anreize werden üblicherweise in materielle und immaterielle Anreize unterteilt.57 Sie sind entweder intrinsischer oder extrinsischer Natur.
3.2.1
Materielle Anreize
Die materiellen Anreize repräsentieren das Entgeltsystem und umfassen das Vergütungssystem und die Zusatzleistungen. Ein optimales Vergütungssystem umfasst drei Komponenten, die modulartig zusammengestellt werden können: Grundgehalt sowie kurzfristige und langfristige variable Vergütung.58 In der Praxis gibt es eine Vielzahl möglicher Zusatzleistungen, die einmalig oder dauerhaft gewährt werden, wie z. B.: Berufliche Vorsorge Zusätzliche Versicherungen Firmenwagen Übernahme der Kosten für Kinderbetreuung, Kindergarten Reservierte Parkplätze Besondere Weiterbildung Büroausstattung nach Wunsch Günstiger Wareneinkauf/Baudarlehen (MVP)59
55 56
57 58 59
Vgl. www1.dgfp.com/dgfp/data/category/Personalmarketing/Mitarbeiterbindung/index.php (Stand: 23.10.2005). Vgl. odeon – center entrepreneurship (2002): Anreizsysteme als elementare Gestaltungsgröße im Personalmanagement von jungen Wachstumsunternehmen, S. 5: www.odeon.uni-muenchen.de/pdf/AnreizsystemeJWU.pdf (Stand: 24.11.2005). In der Fachliteratur wird synonym auch von monetär (materiell) und nichtmonetär (immateriell) gesprochen. Vgl. odeon – center entrepreneurship (2002): S. 7. Vgl. Leciejewski/Dahlems (1997): Fringe Benefits. Alle Möglichkeiten der Gehaltserhöhung, S. 81.
174
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Als maßgebliche retentionförderliche Gestaltungsprinzipien der materiellen Anreizsysteme sind die wahrgenommene Gerechtigkeit der Entlohnung, bezogen auf die individuelle Leistung und auf die Relation zu subjektiv vergleichbaren Mitarbeitern, sowie die Höhe der Entlohnung als Ausdruck der Wertschätzung des Mitarbeiters durch das Unternehmen zu berücksichtigen.60
3.2.2
Immaterielle Anreize
Unzweifelhaft ist Geld das wirkungsvollste Anreizinstrument zur Mitarbeiterbindung. Geld als generalisierter Anreiz61 kann hier viel besser als jeder andere Anreiz der Bedürfnisbefriedigung dienen, denn durch Geld lassen sich verschiedene Motive befriedigen. Eine Beschränkung auf materielle Anreize stellt jedoch eine unrealistische Reduktion der Vielfalt menschlicher Bedürfnisse dar. Auch immaterielle Anreize haben einen großen Einfluss auf die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen. Es ist sogar zunehmend festzustellen, dass materielle Leistungsanreize heutzutage in den Hintergrund treten.62 Zu den immateriellen Anreizen gehören: Interessante Arbeitsinhalte Lob und Anerkennung durch den Vorgesetzten Arbeitszeitmodelle zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie Möglichkeiten zur Weiterbildung Positives Betriebsklima Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen und Arbeitsplatzsicherheit Darüber hinaus zählen zu immateriellen Anreize auch weniger bekannte Maßnahmen wie strukturierte Patensysteme, abendliche Fachforen, regelmäßige Treffen und Informationsabende.63 Bei Unternehmen mit hoher Mitarbeiterbindung wird bereits heute ein Fokus auf immaterielle Anreize gelegt.64 Zielgruppe des Retentionmanagements sind zumeist die für das Unternehmen wichtigen Mitarbeiter die so genannten „High Potentials“.65 Besonders für Personengruppen mit überdurchschnittlichem Ausbildungsstand erweist sich der Anreiz über die Arbeit selbst,
60 61 62 63 64 65
Vgl. DGFP e.V. (2004): S. 63. Mittels generalisierten Anreizen können mehrere/alle Einzelbedürfnisse befriedigt werden. Vgl. Eichhorn/Schmidt-Rettig (1995): Mitarbeitermotivation im Krankenhaus, S. 372. Vgl. Personalwirtschaft (07/1993): Mitarbeiter zu positivem Leistungsverhalten anspornen, Ausgabe 07/1993, S. 17. Vgl. DGFP e.V. (2004): S. 64. Vgl. Personalwirtschaft (12/2000): Mitarbeiterbindung steckt in den Kinderschuhen, S. 55. Vgl. DGFP e.V. (2004): S. 34.
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
175
über die mit der Arbeit verbundenen Herausforderungen und persönlichen Lernmöglichkeiten, als entscheidender Ansatzpunkt.66 Immaterielle Anreize gewinnen somit an Bedeutung für die Bindung dieser wichtigen Mitarbeiter an das Unternehmen.
3.2.3
Wandel der Anreizsysteme
Beim Werthaushalt westlicher Industriegesellschaften hat die empirische Sozialforschung einen deutlichen Wandel festgestellt.67 Diese Veränderungen in der Wertestruktur haben zu einer Neubewertung von Beruf und Karriere geführt, wobei sich die Wertigkeiten von materiellen zu ausgeprägteren immateriellen Anreizstrukturen gewandelt haben.68 Werte wie Pflichterfüllung und finanzielle Anreize haben demnach an Bedeutung verloren, der Mitarbeiter steht dem eigenen Unternehmen kritischer gegenüber.69 Die Arbeit soll auch immateriellen Ansprüchen genügen.70 Die Abbildung 6 zeigt den Wandel und seine Folgen:
Die Menschen haben sich geändert
Wandel in der Persönlichkeit
Veränderte Werte und Bedingungen
Wandel in den Organisationserwartungen
Konsequenzen für Management und Führung
Bessere Mitarbeiterentwicklung, Mitarbeiterförderung
Wandel in Führungsphilosophie und -stil
Änderung der Dienst-, Arbeitszeit-, Organisationsstruktur
Kooperation zwischen Interessen und Bedürfnissen der Mitarbeiter und den Zielen der Organisation
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Decker (1992): Effizientes Management für soziale Institutionen, S. 241 Abbildung 6: Der Wandel und seine Folgen 66 67 68 69 70
Vgl. Die Unternehmung (06/1999): Personalmanagement – Entwicklungstendenzen und Zukunftsperspektiven, S. 439. Vgl. Wunderer/Kuhn (1993): Unternehmerisches Personalmanagement, S. 24. Vgl. Hentze/Kammel/Lindert (1997): Personalführungslehre, 3. Auflage, S. 176. Vgl. Trill (1996): Krankenhausmanagement. Aktionsfelder und Erfolgspotenziale, S. 207. Vgl. PERSONAL – Zeitschrift für Human Resources Management (04/2003): Führung in unruhigen Zeiten, S.12.
176
Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier
Abbildung 6 veranschaulicht den Wandel der Persönlichkeit, von Werten und Bedingungen sowie Organisationserwartungen. Zudem werden die daraus entstehenden Folgen für Management und Führung dargestellt. Außerdem belegt eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus der Führungspraxis in Deutschland diesen Wertewandel.71
Faktoren zur Motivation
Arbeiter/ Angestellte
Mittleres Management
+
-
+
Entlohnung (Geld)
3
7
2
8
2
8
Arbeitsplatzsicherheit
11
2
9
2
8
2
Karrieremöglichkeiten
2
4
2
4
1
3
0
19
0
19
0
19
Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung
35
0
37
0
37
0
Arbeitsinhalte und Gestaltungsspielräume
29
0
32
0
32
0
Übereinstimmungen im Wertesystem
9
0
9
0
9
0
Freiwillige Neben-- und Sozialleistungen
-
Höheres Management +
-
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Bertelsmann Stiftung (1996), S. 61 Abbildung 7: Veränderung der Anreizsysteme der Zukunft Mitarbeiter und Führungskräfte wurden hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung von Anreizfaktoren befragt. Die unter dem Pluszeichen vermerkten Zahlen entsprechen der Anzahl von Mitarbeitern und Führungskräften, die von einer Zunahme der aufgeführten Faktoren zur Motivation ausgehen. Das Minuszeichen steht für einen geschätzten Verlust der Bedeutung genannter Faktoren. Aus Abbildung 7 wird demnach ersichtlich, dass nach Ansicht aller Befragten die immateriellen Werte, wie z. B. die Arbeitsinhalte und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. 71
Wesentlicher Bestandteil der Forschungsarbeiten im Bereich „Führung und Motivation“ des Forschungsprogramms „Weiterentwicklung und Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft“ der Bertelsmann Stiftung war die Durchführung und die Auswertung einer Mitarbeiter- und Führungskräftebefragung zum Thema „Führungsphilosophie und Unternehmensorganisation“. Vgl. Bertelsmann Stiftung (1996), S. 61.
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
3.3
177
Alternative Methoden der Mitarbeiterbindung
Um der veränderten Wertekultur gerecht zu werden, bedarf es neuer, effizienter Anreizsysteme. Diese sind, entsprechend dem Wandel der Anreizsysteme, immaterieller Art und bieten daher eine besondere Möglichkeit der Differenzierung von anderen Unternehmen im Rahmen des vielzitierten „War for talents“.72 Die Darstellung der nachfolgenden alternativen Anreize erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich für deren Beachtung sensibilisieren.
3.3.1
Commitment
Das Wort Commitment stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt: Verpflichtung, Verbindlichkeit, Bindung, Einsatz. In Bezug auf Personalbindung versteht man darunter die Identifikation einer Person mit dem Unternehmen, seiner Kultur und seinen Führungskräften. Diese Identifikation beruht auf einer Übereinstimmung der Werte von Mitarbeiter und Unternehmen, durch die ein „psychologischer Vertrag“ entsteht.73 „Commitment ist die Einstellung des Mitarbeiters zum Unternehmen, die sich in Bleiben, Leisten und Loyalität zeigt.“74 In der Praxis gibt es zahlreiche Ausprägungen des Commitments. Es gibt z. B. ein „commitment to employment“, das eine allgemeine Verbundenheit mit der Arbeit zum Ausdruck bringt. Ebenso möglich ist ein „career commitment“, wobei der Mitarbeiter ein größeres Interesse an seiner Karriere zeigt als an seinem Unternehmen. Das „professional commitment“ drückt aus, dass eine sehr intensive Verbindung zwischen der Führungskraft und deren Beruf besteht.
3.3.2
Job Sculpting
„Was für den einen eine ungeliebte Tätigkeit ist, die er nicht mehr machen möchte, kann für den anderen ein Traumjob sein.“ (Timothy Butler und James Waldroop) Das Job Sculpting entstammt, wie das Commitment, ebenfalls der englischen Sprache. Übersetzt werden kann das Wort sculpt mit: formen. Unter dem Begriff „Job Sculpting“ verstehen
72
Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es in Zukunft für die Unternehmen zu einem Fach- und Führungskräftemangel kommen. Der daraus resultierende „Kampf“ um diese qualifizierten Mitarbeiter wird „War for talents“ genannt. Vgl. Human Resources (02/2001): War for talents – Zauberwort Mitarbeiterbindung, S. 2. 73 Vgl. DGFP e.V. (2004): S. 13. 74 DGFP e.V. (2004): S. 14.
178
Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier
die Autoren Timothy Butler und James Waldroop75 die Kunst, für Mitarbeiter genau die Tätigkeiten zu finden, die ihrem innersten Interesse entsprechen. Um eine auf bestimmte Interessen zugeschnittene Tätigkeit anbieten zu können, müssen Manager diese Interessen bei den entsprechenden Mitarbeitern individuell herausfinden. In einem Beurteilungsgespräch sollte sich deshalb Zeit dafür finden, nicht nur über Erfolge zu diskutieren, sondern auch über künftige Ziele. Karriereplanung generell und Job Sculpting im Besonderen erfordern somit einen fortwährenden Dialog zwischen Mitarbeiter und Chef. Das macht Job Sculpting zu einer herausfordernden Aufgabe und verlangt Managern einiges ab. Doch trotz aller Schwierigkeiten ist Job Sculpting eine lohnenswerte Anstrengung. In der Wissensgesellschaft von heute kommt es auf Einsatz und Treue der Mitarbeiter an, denn sie sind die wichtigste Ressource – intellektuelles Kapital, das kündigen und für die Konkurrenz arbeiten kann.76
3.3.3
Unternehmenskultur
Die Unternehmenskultur stellt als Wert-, Denkhaltungs- und Normensystem einen umfassenden Anreiz dar, der alle anderen Anreizkomponenten überlagert, ergänzt und mitbedingt. Sie ist die Basis für eine bessere Bindung der Leistungsträger an das Unternehmen.77 Deshalb kann sie bei entsprechender Ausprägung als intrinsischer Motivationsfaktor zur langfristigen Zufriedenheit der Mitarbeiter beitragen.78 Kultur ist ein auf Offenheit, Vertrauen und gegenseitiger Akzeptanz beruhender Gemeinschaftssinn.79 Durch die Gestaltung von Unternehmenskultur haben Unternehmen die Möglichkeit, folgende positiven Effekte zu erzielen: Offenheit und Kommunikation wird gefördert Kooperatives Verhalten wird unterstützt Identifikationspolitik wird konsequent verfolgt Vertrauen und Angstfreiheit wird gefördert80 Mitarbeiter und Führungskräfte, die sich mit dem Unternehmen identifizieren, engagieren sich auch gemeinsam für den Erfolg und für „ihr“ Unternehmen. Im Rahmen eines Retentionmanagements wird die Unternehmenskultur ein immer wichtigeres Kriterium und wird sich möglicherweise zukünftig auch als ein entscheidender Konkurrenzvorteil für den „War for talents“ herausstellen.81
75 Timothy Butler und James Waldroop arbeiten als Psychologen und leiten das Karriere-Entwicklungsprogramm an der Harvard Business School. 76 Vgl. Harvard Business Manager (10/2004): S. 4-11. 77 Vgl. Personalwirtschaft (01/2001): Der Mensch – das Maß aller Dinge, Ausgabe 01/2001, S. 67. 78 Vgl. odeon – center entrepreneurship (2002): S. 9. 79 Vgl. Doppler/Lauterburg (2002): S. 61. 80 Vgl. Franken (2004): Verhaltensorientierte Führung, 1. Auflage, S. 123. 81 Vgl. Doppler/Lauterburg (2002): S. 64.
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
179
Wie gezeigt wurde, verfügen Unternehmen über eine beträchtliche Anzahl verschiedenster Anreizinstrumente. Über eine vorteilhafte Ausgestaltung der materiellen und immateriellen Anreizkomponenten und deren Kombination im Rahmen eines integrierten Gesamtvergütungskonzepts können Unternehmensgründer das Verhalten und den Einsatzwillen ihrer Mitarbeiter nachhaltig beeinflussen. Trotz der vielfältigen Herausforderungen, denen sich Unternehmen stellen müssen, darf die Ausgestaltung des Anreizsystems aufgrund der großen Bedeutung des Personals für den Erfolg nicht vernachlässigt werden.82 „Das Thema Retentionmanagement ist und bleibt auch in Zukunft aktuell.“83 Es obliegt jedoch der Entscheidung jedes einzelnen Mitarbeiters, ob er sich von seinem Arbeitgeber binden lassen möchte. Aus diesem Grund lautet die angestrebte Devise seitens der Unternehmen: Unsere Mitarbeiter sind „[...] able to go, but happy to stay“.84
3.4
Personalbindung im Turnaround Management
Auch im Bereich der Personalbindung ergeben sich diverse Änderungen, wenn das Unternehmen in eine Krise gerät. Diese werden im Folgenden näher erläutert. Sie beziehen sich auf die Punkte Fluktuation von Mitarbeitern, Anreizsysteme zur Mitarbeiterbindung und alternative Methoden der Mitarbeiterbindung in der Phase des Turnaround Managements.
3.4.1
Fluktuation von Mitarbeitern
„In Krisenzeiten verlassen häufig die besten und motiviertesten Mitarbeiter das Unternehmen frühzeitig.“85 Ursachen Zusätzlich zu den bereits erwähnten Ursachen der Fluktuation ergeben sich in Krisenzeiten des Unternehmens weitere Gründe für einen Arbeitsplatzwechsel der Mitarbeiter. Diese bestehen z. B. in Lohnstundung oder im Ausbleiben oder Verschieben erwarteter Prämien, da sich das Unternehmen in einer finanziellen Notlage befindet.86 Die Mitarbeiter möchten das Unternehmen verlassen und einen neuen, sicheren Arbeitsplatz finden, bevor das Unternehmen ihnen ihrerseits eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen muss.
82 83 84
Vgl. odeon – center entrepreneurship (2002): S. 11. DGFP e.V. (2004): S. 107. Vgl. Imboden, (2005): Executive MBA and Executive Diploma Papers: Exellence im Bildungsbereich – Qualitätsmanagement vor dem Hintergrund eines ganzheitlichen Führungsverständnisses, S. 8. 85 Sandfort (1997): S. 96. 86 Vgl. Achilles (2000): S. 152.
180
Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier
Kosten Die Berechnung der Fluktuationskosten ändert sich nicht, da es sich dabei um ein feststehendes Schema handelt. Zudem sind sie für die Phase des Turnarounds nicht von Bedeutung. Gegenmaßnahmen Die zuvor aufgeführten und von vielen Unternehmen genutzten Gegenmaßnahmen zur Vermeidung von Fluktuation erfordern in der Phase des Turnarounds einen vollkommen anderen Blickwinkel. Es stellt sich, angesichts der schlechten finanziellen Lage der Unternehmen, die Frage, inwiefern ein realistisches Interesse daran besteht, Mitarbeiter zu binden. In Zeiten des Personalabbaus ist eine hohe Fluktuation oft nicht unerwünscht, um sich reibungslos von Mitarbeitern trennen zu können.87 Fluktuation kann nämlich, verbunden mit einem Einstellungsstopp, die Personalanpassung erleichtern und Maßnahmen der Personalfreisetzung, vor allem betriebsbedingte Kündigungen, vermeiden helfen.88 Die Fluktuation der Mitarbeiter wird im Turnaround also überwiegend positiv bewertet – der Personalstamm verkleinert sich, ohne dass betriebsbedingt entlassen werden muss. Eine Mitarbeiterbindung ist an der Stelle aus Unternehmersicht somit weder wirtschaftlich noch sinnvoll.
3.4.2
Klassische Anreize zur Mitarbeiterbindung
Materielle Anreize Die große Wirkung materieller Anreize auf Mitarbeiter, wie z. B. Geld oder Firmenwagen, ist unbestreitbar. Gerade hier ergibt sich jedoch die einschneidendste Veränderung für Mitarbeiter und Führungskräfte. „In der Krisensituation besteht meist nicht die Möglichkeit, durch finanzielle Anreize ein Leistungsklima zu schaffen.“89 Die betroffenen Unternehmen sind in finanzieller Hinsicht illiquide. Sogar für den seltenen Fall, dass trotz Personalbbaus vereinzelt Personen an das Unternehmen gebunden werden sollen, weil sie beispielsweise eine Schlüsselposition besetzen, können keine materiellen Anreize geschaffen werden! Immaterielle Anreize Aufgrund des Unvermögens der Unternehmen, ihren Mitarbeitern in der Phase des Turnarounds materielle Anreize in Aussicht zu stellen, scheinen die immateriellen Anreize an Bedeutung zu gewinnen. Doch auch die Wirkung immaterieller Anreize verliert enorm an Wert. Das Betriebsklima verschlechtert sich, da die Situation permanent Konfliktpotenziale erzeugt90, Weiterbildungsangebote werden mangels finanzieller Möglichkeiten ersatzlos gestrichen und eine Arbeitsplatzsicherheit gibt es nicht länger. Es kommt deshalb entschei87 88 89 90
Vgl. Bühner (1997): S. 180. Vgl. Ackermann (1999): S. 139. Hess/Fechner (1987): S. 222. Vgl. Coenenberg/Fischer (1993): S. 145.
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
181
dend darauf an, die innere Leistungsbereitschaft, den Erfolgswillen und die Loyalität der Mitarbeiter zu stärken. Dies kann z. B. durch aktive Einbindung in den Sanierungsprozess oder Übertragung von Aufgaben, Verantwortung und Kompetenzen geschehen. Ein hohes Maß an Arbeitszufriedenheit soll dabei das Fehlen finanzieller Anreize überkompensieren.91
3.4.3
Alternative Möglichkeiten der Mitarbeiterbindung
Die zuvor aufgeführten alternativen Möglichkeiten der Mitarbeiterbindung sind hinsichtlich einer Turnaround-Bedürftigkeit annähernd wirkungslos und zudem unzweckmäßig. Die Unternehmen können und wollen zumeist keine Mitarbeiter binden. In dieser zukunftsentscheidenden Situation geht es primär darum, die Existenz des Unternehmens sicherzustellen und dementsprechend Personal zum Zweck der Kosteneinsparung abzubauen. Die Veränderung bei der Personalbindung im Turnaround besteht darin, dass sie für die Unternehmen in dieser Phase gewissermaßen nicht von Bedeutung ist.
4.
Checkliste für die Personalführung in der Phase des Turnaround Managements
Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, ist das Thema Personalführung und Personalbindung im Turnaround Management aufgrund seiner Komplexität nicht einfach zusammenzufassen und abzugrenzen. Krisensituationen verlaufen in jedem Unternehmen unterschiedlich schnell und unterschiedlich folgenschwer. Zur Unterstützung einer optimalen Führung der Mitarbeiter in dieser Phase werden nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen in Form einer Checkliste zusammengefasst. Diese sollen dem Personalmanagement in Krisenzeiten eine Orientierungshilfe für den Umgang mit ihren Mitarbeitern bieten. Die Checkliste kann je nach Unternehmen und Situation individuell abgeändert oder ergänzt werden. Checkliste für die Personalführung in der Phase des Turnaround Managements: 1.
Zielvorstellung Wissen die Mitarbeiter, welche kurz-, mittel- und langfristigen Ziele das Unternehmen verfolgt und zu welchem Zweck?
2.
Aufgabenverteilung und Kompetenz Sind den Mitarbeitern alle für die erfolgreiche Durchführung der Turnaround-Konzepte notwendigen Aufgaben und Kompetenzen übertragen worden?
91
Vgl. Hess/Fechner (1987): S. 222 f.
182
Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier
3.
Umsetzung von Personalmaßnahmen Werden Personalmaßnahmen umgesetzt, die im Turnaround hilfreich sind, z. B. flexible Arbeitszeiten oder Abbau von Überstunden?
4.
Verhalten der Führungskräfte Nutzen die Führungskräfte ihre Möglichkeit der positiven Einflussnahme auf die Leistungsfähigkeit und Loyalität der Mitarbeiter durch Motivation, einen entsprechenden Führungsstil, Führungsinstrumente und kollegiales Verhalten?
5.
Mitarbeitereinbindung Werden die Mitarbeiter bestmöglich in die Entscheidungen miteinbezogen, die ihre eigene Zukunft betreffen?
6.
Kommunikation Erhalten die Mitarbeiter regelmäßig alle relevanten Informationen? Es kann im Unternehmen – speziell in der Krise – nicht genug miteinander kommuniziert werden.
7.
Betriebsklima Personalfreisetzungen sind oft nicht zu vermeiden. Dennoch gilt es, durch die Unternehmensleitung und Manager ein Klima der Angst und Unsicherheit zu vermeiden. Freundlichkeit und Humor sollten nicht verloren gehen.
8.
Solidarisierung mit den Mitarbeitern Insbesondere für das Management gilt: Zeigen Sie ihre Solidarität und Betroffenheit. Dadurch signalisieren Sie, dass Sie Anteil nehmen und die Mitarbeiter Ihnen als Menschen wichtig sind.
Es sollte grundsätzlich Folgendes beachtet werden: Gerade im Turnaround sind die Mitarbeiter nicht nur als Kostenfaktor zu sehen, sondern als notwendige Voraussetzung, um das Unternehmen aus der Krise herauszuführen! Zusammenfassend werden hier noch einmal schlagwortartig die Essentials aufgeführt: Ziel des Unternehmens bekannt machen Einsicht für die Notwendigkeit von Maßnahmen schaffen Betroffene zu Beteiligten machen Kommunizieren, Kommunizieren, Kommunizieren Führen heißt Vorbild sein Atmosphäre der Offenheit, Ehrlichkeit und Loyalität gestalten Solidarität zeigen Mitarbeiter als Menschen sehen Positives Betriebsklima schaffen und erhalten
Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements
5.
183
Fazit und Ausblick
In diesem Beitrag sind die Möglichkeiten des Personalmanagements zur Personalführung und -bindung in der Phase des Turnaround Managements aufgeführt und bewertet worden. Dabei hat sich gezeigt, dass es sowohl bei der Personalführung als auch bei der Personalbindung zu erheblichen Veränderungen kommt, um der Ausnahmesituation im Turnaround gerecht zu werden. Insbesondere bei der Personalführung ergibt sich für das Personalmanagement die große Herausforderung eines effektiven Umgangs mit den Mitarbeitern. Die Aufgabe der Führungskräfte liegt darin, die Mitarbeiter zu informieren, einzubinden und zu leiten, um gemeinsam den Turnaround erfolgreich durchzuführen. Die Führungskräfte müssen dafür über eine starke Persönlichkeit verfügen und in der Lage sein, ein Klima der Angst, Unsicherheit und Lähmung zu vermeiden. Zu Beginn einer Krise scheint das Unternehmen häufig überfordert und angesichts der neuen und zukunftsbedrohenden Situation anfangs auch handlungsunfähig. Die im Rahmen dieses Beitrags entwickelte Checkliste bietet eine entsprechende Orientierungsmöglichkeit und erste „Starthilfe“. Die Essentials können dagegen als „Golden Rules“ für das Management festgehalten werden und sollten stets Beachtung finden. Die Veränderungen im Rahmen der Personalbindung im Turnaround Management bestehen – wie sich herausgestellt hat – vornehmlich in ihrer Bedeutungslosigkeit. In der Turnaround Situation ist eine Mitarbeiterbindung finanziell nicht realisierbar und seitens der Unternehmen keineswegs wünschenswert. Personalabbau ist im Turnaround die elementarste Aufgabe des Personalmanagements, und die Fluktuation von Mitarbeitern kommt den Unternehmen in der Situation oftmals sehr entgegen. Warum Mitarbeiter binden, von denen man sich trennen möchte? Für Personen in Schlüsselpositionen, die das Unternehmen verlassen möchten, können vereinzelt Bindungsmaßnahmen erfolgen. Dieser Umstand trifft jedoch selten zu, deshalb werden die Bedingungen dafür bei Bedarf individuell ausgehandelt. In Bezug auf das Abwenden einer Turnaround-Situation hat das Personalmanagement, obwohl es enorm an Bedeutung gewonnen hat, keinen erwähnenswerten Einfluss. Im Falle einer eingetretenen Krise hat das Personalmanagement lediglich die Chance, der Situation entsprechend zu reagieren und die negativen Konsequenzen einer Krise bestmöglich zu kompensieren. Dieses ist Aufgabe der Führungskräfte durch Einsatz adäquater Führungsinstrumente, Führungsstile und durch adäquates Verhalten gegenüber Mitarbeitern. Die Personalbindung stellt, wie mehrfach erwähnt, keine relevante Aufgabe im Turnaround dar. Die besten Mitarbeiter verlassen das Unternehmen zuerst, wodurch dem ohnehin schon geschwächten Unternehmen überlebenswichtiges Potenzial entzogen wird. Auch hier sind lediglich vereinzelt Reaktionen von Seiten der Unternehmensleitung möglich. Einmal in eine Krisensituation geraten, haben Unternehmen demnach nur die Möglichkeit zu reagieren – und die Mittel dafür sind begrenzt. Die Krisenfrüherkennung dient einer frühzeitigen Identifizierung von potenziellen Krisen. Die Rekordzahl der angemeldeten Insolvenzen
184
Olaf Arlinghaus / Kerstin Eickmeier
in Deutschland zeigt jedoch, dass es in sehr vielen Betrieben ein solches Frühwarnsystem nicht oder nur unzureichend zu geben scheint. Dadurch riskieren Unternehmen den Zwang zum Turnaround und damit eine völlige Umstrukturierung des Betriebes, verbunden mit erheblichen Einschnitten im Personalbereich. Viele Experten beanstanden, dass der Unternehmens-Turnaround zu spät begonnen und somit die Chance auf ein erfolgreiches Gelingen erheblich verringert wird. Die Zeit ist im Turnaround ein erfolgskritischer Faktor und bestimmt maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg – je eher eine potenzielle Krise erkannt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich aus ihr hervorzugehen. Unternehmensleitungen, die ein Krisenfrühwarnsystem für unbedeutend halten, Krisensymptomen keine Beachtung schenken oder durch falsches Prestigedenken eine bereits bestehende Krise verleugnen, gefährden die Existenz des Unternehmens zusätzlich. Auch in Zukunft wird es für Unternehmen angesichts politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und sozialer Probleme immer wieder erhebliches Krisenpotenzial geben. Im Hinblick auf den Faktor Zeit ist festzustellen, dass Krisenfrüherkennung lediglich dazu dient, eine bereits vorhandene Gefahr rechtzeitig zu erkennen. Das primäre Ziel eines Unternehmens sollte es aber sein, Krisensituationen im Vorhinein zu vermeiden und ihnen präventiv entgegenzutreten. Primäre Aufgabe zukunftsorientierter Manager muss demnach die Insolvenzprophylaxe sein. Diese ist für Unternehmen in der Zukunft unverzichtbar – nur durch aktives und präventives Verhalten durch die Unternehmen kann eine existenzbedrohende Situation überhaupt vermieden werden.
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
185
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements Stephanie Bschorr
Stephanie Bschorr, Rechtsanwältin und Steuerberaterin, ist seit 1993 für die Berliner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft HTG Handels- und Finanztreuhand GmbH tätig, seit 2000 als geschäftsführende Gesellschafterin. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind seit 1995 die beratende und streitende Vertretung großer Insolvenzverwaltersozietäten in Angelegenheiten des Insolvenzsteuerrechts sowie die Beratung mittelständischer Unternehmen in Krise und Insolvenz, insbesondere zu Bilanzierungs- und steuerrechtlichen Fragen. E-Mail: [email protected]
186
Stephanie Bschorr
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ....................................................................................................................... 187 2. Zuführung von Eigenkapital versus Gesellschafterdarlehen........................................... 188 2.1 Nachteil des Eigenkapitalzuschusses....................................................................... 188 2.2 Vorteil der Darlehensgewährung ............................................................................. 189 3. Mantelkauf nach § 8 Abs. 4 KStG .................................................................................. 189 3.1 Übertragung der Hälfte der Anteile ......................................................................... 190 3.2 Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens ................................................ 192 3.3 Sachlicher und zeitlicher Zusammenhang ............................................................... 193 3.4 Sanierungsklausel .................................................................................................... 194 3.5 Formale Anwendungsvoraussetzungen ................................................................... 195 4. Rangrücktritt................................................................................................................... 196 4.1 Auswirkung und Umfang des Rangrücktritts .......................................................... 196 4.2 Besserungsvereinbarung.......................................................................................... 198 5. Forderungsverzicht gegen Besserungsschein ................................................................. 199 5.1 Verzicht zugunsten der Kapitalgesellschaft ............................................................. 199 5.2 Verzicht zugunsten der Personengesellschaft .......................................................... 204 6. Verzicht auf Pensionsansprüche des Gesellschafter-Geschäftsführers ........................... 206 6.1 Ebene der Gesellschaft ............................................................................................ 206 6.2 Auswirkungen beim Gesellschafter......................................................................... 207 6.3 Abfindung von Pensionsansprüchen bei Ausscheiden eines Gesellschafters .......... 207 7. Verzicht Tätigkeitsvergütung.......................................................................................... 208
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
1.
187
Einleitung
Steueroptimal sind Gestaltungen in der Krise aus der Sicht des sanierenden Unternehmers dann, wenn sie sich entweder auf der Ebene der Gesellschaft oder des Anteilseigners sofort oder in späteren Veranlagungszeiträumen, sei es durch innerperiodischen Verlustausgleich, einen Verlustrücktrag oder einen Verlustvortrag, steuermindernd auswirken. Dies hängt entscheidend von der oft problematischen steuerrechtlichen Qualifikation der jeweils getroffenen Maßnahme ab. Im Hinblick auf die dem steten Wandel unterlegene Steuergesetzgebung und der Flut der daraus resultierenden Anwendungserlasse der Finanzverwaltung zur näheren Definition des üblicherweise weitgefassten und damit unkonkreten Gesetzeswortlautes ist diese steuerrechtliche Qualifikation aber auch noch einer zeitlichen Komponente unterlegen. Das Steuerrecht knüpft an das zivilrechtliche Trennungsprinzip an, so dass die geplante Erfolgsneutralität einer Sanierungsmaßnahme für die GmbH noch lange keine Garantie dafür ist, dass sich die gleichen steuerlichen Auswirkungen auf der Ebene des Anteilseigners in derselben Rechnungsperiode ergeben. Der Verzicht auf ein Gesellschafterdarlehen in der Krise bleibt auf der Ebene der Kapitalgesellschaft in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung erfolgsneutral durch eine verdeckte Einlage, und nur in Höhe des wertlosen Teils ergeben sich in der Rechnungsperiode der Verzichtserklärung ertragsteuerliche Auswirkungen. Aus der Sicht des privaten Anteilseigners würden sich dagegen überhaupt keine steuerlichen Auswirkungen ergeben, wenn es sich um eine Beteiligung von weniger als einem Prozent handelt und auch kein Spekulationsgeschäft vorliegt. Im Falle einer „steuerverstrickten“ Beteiligung führt der Verzicht zu nachträglichen Anschaffungskosten, so dass mit ertragsteuerlichen Folgen erst in späteren Veranlagungszeiträumen zum Zeitpunkt des Verkaufs der Beteiligung zu rechnen ist. Hat ein Unternehmer erst einmal diese Hürden der grundsätzlichen steuerrechtlichen Einordnung der geplanten Sanierungsmaßnahmen übersprungen, so muss er sich den Anforderungen stellen, die Rechtsprechung und Finanzverwaltung an deren konkrete Ausgestaltung stellen, um die geplanten Auswirkungen steuerlich nicht ad absurdum zu führen. Leichte Verwirrung ergibt sich schon bei Betrachtung des Tauziehens der Finanzverwaltung, Rechtsprechung und des Institutes der Wirtschaftsprüfer um die korrekte Formulierung einer Rangrücktrittsvereinbarung, aber endgültiges Unverständnis resultiert aus einer Auseinandersetzung mit den Meinungsstreits zu den Voraussetzungen des Mantelkaufs, dessen erfolgreiche Umsetzung unter Rettung der Verlustvorträge einen Stab von Beratern unterschiedlicher Spezialisierung erforderlich erscheinen lässt.
188
Stephanie Bschorr
2.
Zuführung von Eigenkapital versus Gesellschafterdarlehen
Ziel einer finanziellen Sanierung ist es, über die Beseitigung der finanziellen Verluste und der drohenden Illiquidität bzw. Überschuldung hinaus eine ausreichende Sicherheit für zukünftige Wirtschaftsjahre zu erlangen. Die Krisenmaßnahme der Kapitalerhöhung durch Einlagen der Anteilseigner hat den Vorteil, dass neben der bilanziellen Verlustbeseitigung auch die Liquidität verbessert wird, während bei der Kapitalerhöhung aus vorhandenen Eigenmitteln der Gesellschaft (Rücklagen) oder der „Umwandlung“ von Gesellschafterdarlehen nur das Eigenkapital erhöht wird.
2.1
Nachteil des Eigenkapitalzuschusses
In der Praxis liegt es oft so, dass der Gesellschafter zur Vermeidung der Überschuldung Geld in das Vermögen seiner GmbH einlegt, ohne den Weg der formellen Kapitalerhöhung zu gehen, und er daher keine zusätzlichen Gesellschaftsrechte erhält. In diesem Fall handelt es sich um eine verdeckte Einlage, die steuerlich als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung zu behandeln ist1. Steuerliche Auswirkungen in Form der Gewinnminderung durch eine spätere Teilwertabschreibung auf die Beteiligung oder Veräußerungsverluste bleiben jedoch wegen der Regelungen des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG jedenfalls dann aus, wenn es sich bei dem Anteilseigner um eine Kapitalgesellschaft handelt. Denn § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG schließt im neuen Ertragsteuerrecht erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2002 die steuerliche Anerkennung aller Gewinnminderungen wie Teilwertabschreibungen oder Veräußerungsverluste für die GmbH-Anteile aus, für die nach § 8b Abs. 2 KStG eben auch ein etwaiger Veräußerungsgewinn steuerlich nicht zu berücksichtigen ist.2 Dies gilt selbst dann, wenn eine Veräußerung von einbringungsgeborenen Anteilen innerhalb der 7-Jahres-Frist steuerpflichtig wäre.3 Ist der Gesellschafter eine natürliche Person, sind Teilwertabschreibungen auf Beteiligungen an Kapitalgesellschaften dagegen wegen des Halbeinkünfteverfahrens nach § 3c Abs. 2 EStG steuerlich nur zur Hälfte nicht abziehbar.
1 2 3
BFH-Urteil vom 28.4.2004 I R 20/03, BFH/NV 2005, 19. Dötsch/Pung in Dötsch/Jost/Pung/Witt, KSt-Kommentar, § 8b, Rz. 48. BMF-Schreiben vom 28.04.2003, BStBl. I 2003, 292, Tz. 27, 33.
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
2.2
189
Vorteil der Darlehensgewährung
Alternativ könnte der notleidenden GmbH ein Gesellschafterdarlehen gewährt werden, um bei späterem Ausfall der Darlehensforderung eine Gewinnminderung durch entsprechende Wertberichtigungen zu erreichen. Ungeklärt und heftig diskutiert ist aber die Frage, ob § 8b Abs. 3 KStG auch diese Abschreibung auf eigenkapitalersetzende Darlehen erfasst.4 Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in diesem Zusammenhang bis jetzt nur entschieden, dass der „extensive“ Anschaffungskostenbegriff des § 17 Abs. 2 EStG, der eben auch Verluste aus Finanzierungsmaßnahmen des Gesellschafters wie die Gewährung eigenkapitalersetzender Darlehen und Bürgschaften einschließt, außerhalb des Geltungsbereichs des § 17 EStG, also im Rahmen der Bilanzierung, nicht anwendbar ist.5 Hier verbleibt es vielmehr bei der Maßgeblichkeit des in § 255 Abs. 1 HGB geregelten Begriffs der Anschaffungskosten, der gerade nicht die Zuführung von Fremdkapital, wie die Gewährung von Darlehen und Bürgschaften, umfasst. Daraus allein kann aber noch nicht darauf geschlossen werden, dass die Wertberichtigung eines eigenkapitalersetzenden Darlehens von dem Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 KStG erfasst wird. Die Finanzverwaltung hat sich in dem Einführungsschreiben zu § 8b KStG vom 28.04.2003 zwar hierzu nicht explizit geäußert, aber nach Auffassung des KSt-Referats der OFD Münster6 greift das Abzugsverbot. Andererseits gibt es in der Literatur den Hinweis, dass die Finanzverwaltung derzeit § 8b Abs. 3 KStG auf Abschreibungen von Darlehen offensichtlich nicht anwendet7, so dass in der Praxis der Gewährung von Fremdkapital in Form von Darlehen der Vorzug gegenüber dem Zuschuss von Kapital zu geben ist.
3.
Mantelkauf nach § 8 Abs. 4 KStG
Steuerrechtlich interessant kann im Rahmen der Sanierung die „Rettung“ ertragsteuerlicher Verlustvorträge unter Beteiligung von Investoren sein, die den „Mantel“ der liquidationsreifen Gesellschaft erwerben und die Kapitalgesellschaft finanziell wieder beleben oder einen gewinnbringenden Betrieb in sie einbringen, wobei zukünftig anfallende Gewinne mit den Altverlusten ausgeglichen werden können. 4 5 6 7
Hierzu ausführlich Rödder/Stangl, DStR 2005, 354. BFH-Urteil vom 18.12.2001 VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733. Buchna/Sombrowski, DB 2005, 1539. Dötsch/Pung in Dötsch/Jost/Pung/Witt, KSt-Kommentar, § 8b, Rz. 49.
190
Stephanie Bschorr
Der Verlustabzug nach §§ 8 Abs. 1 KStG, 10d EStG steht grundsätzlich nur derjenigen Körperschaft zu, die den Verlust auch erlitten hat. Durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 sind die Voraussetzungen für einen schädlichen Mantelkauf noch verschärft worden. Danach liegt die erforderliche wirtschaftliche Identität nach einem Gesellschafterwechsel insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt, § 8 Abs.4 Satz 2 KStG. Im Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 KStG ist so gut wie alles streitig, was schon mit der Frage beginnt, ob die vorgenannte Verschärfung der Norm in formell verfassungsgemäßer Weise zustande gekommen und damit bereits vor dem Jahr 1998 anwendbar ist. Diese Frage hat der BFH dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt (Az. 2 BvL 12/01). Bis zu einer Entscheidung sollten daher entsprechende Rechtsbehelfsverfahren offen gehalten werden. Die Finanzverwaltung gewährt jedenfalls in einschlägigen Fällen das Ruhenlassen des Verfahrens sowie die Aussetzung der Vollziehung.8
3.1
Übertragung der Hälfte der Anteile
Von einer schädlichen Anteilsübertragung ist auszugehen, wenn Anteile an der Verlustgesellschaft übertragen werden, die mehr als 50 Prozent des Nennkapitals der Kapitalgesellschaft umfassen. Für den Fall, dass die Verlustgesellschaft eigene Anteile besitzt, sind die übertragenen Anteile ins Verhältnis mit dem um die eigenen Anteile gekürzten Nennkapital zu setzen.9 Nach Auffassung der Finanzverwaltung gilt dies auch für die unentgeltliche Übertragung von Anteilen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, da diese Rechtsgeschäfte durch die Beteiligten im Gegensatz z. B. zum Erbfall frei gestaltet werden können und daher den gleichen Missbrauchsbeschränkungen unterliegen müssen wie entgeltliche Übertragungen.10 Hierzu gibt es zwar rege Kritik in der Literatur11, weil bei der unentgeltlichen Übertragung unter nahen Angehörigen nicht die steuerliche Nutzung eines Verlustvortrages im Vordergrund stehe, aber in der Praxis sollte zur Vermeidung von unangenehmen Ergebnissen einer Betriebsprüfung eine verbindliche Auskunft zu der konkret geplanten Gestaltung eingeholt werden. Unentgeltliche Anteilsübertragungen durch Erbfall und Erbauseinandersetzung werden nicht von § 8 Abs. 4 KStG erfasst.
8
OFD Koblenz, Verfügung vom 18.06.2003, DStR 2003, 1396. BMF-Schreiben vom 16.04.1999 IV C 6-S-2745-12/99, BStBl. I 1999, 455, Tz. 3. 10 Siehe Tz. 4 des BMF-Schreibens vom 16.04.1999. 11 Crezelius in Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl., Rz. 617. 9
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191
Die erforderliche rechtliche Identität für die Geltendmachung des Verlustabzugs ist auch dann nicht gegeben, wenn durch mehrere veräußernde Gesellschafter oder an mehrere Erwerber insgesamt mehr als 50 Prozent der Anteile übertragen werden. Folgende Vorgänge werden einer schädlichen Anteilsübertragung gleichgestellt12: eine Kapitalerhöhung, nach der neu eintretende Gesellschafter zu mehr als 50Prozent an der Verlustgesellschaft beteiligt sind. Der Fall, dass die bisherigen Gesellschafter ohne eine Änderung ihrer Beteiligungsquote ihre nominellen Anteile um mehr als 50 Prozent erhöhen, ist noch nicht entschieden, aber der BFH hat zu dieser Frage das BMF um Beitritt gebeten13; bereits beteiligte Gesellschafter verändern ihre Beteiligungsquote durch Veräußerung, Schenkung oder Kapitalerhöhung um insgesamt mehr als 50 Prozent; eine Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf die Verlustgesellschaft, wenn nach der Verschmelzung die an der Verlustgesellschaft bisher nicht beteiligten Gesellschafter zu mehr als 50 Prozent beteiligt sind; die Einbringung eines Betriebes, Teilbetriebes oder Mitunternehmeranteils in die VerlustGmbH durch neu eintretende Gesellschafter, wenn diese nach der Einbringung zu mehr als 50 Prozent beteiligt sind. Die Finanzverwaltung geht sogar so weit, in Ausnahmefällen die Übertragung von mehr als 50 Prozent der Stimmrechte ohne entsprechende Anteilsübertragung in den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 KStG einzubeziehen, definiert aber leider nicht, in welchen Ausnahmefällen dies einschlägig sein soll.14 Zur Vermeidung von Schwierigkeiten sollte in der Praxis von abweichenden Stimmrechtsvereinbarungen abgesehen werden. Erfolgt die schädliche Anteilsübertragung nicht in einem Akt, sondern über einen Zeitraum, ist zu entscheiden, welche Übertragungsakte bei der Berechnung der maßgeblichen Quote noch zu berücksichtigen sind. Nach der grundlegenden Entscheidung des BFH vom 13.08.199715 sind jedenfalls die Übertragungsakte einzubeziehen, die auf einer vorgefassten Vereinbarung beruhen und durch die der Anteilserwerber eine Rechtsposition erhält, die mit der eines mehrheitlich beteiligten Gesellschafters vergleichbar ist. In dem Urteilsfall hatte der neue Gesellschafter zwar zunächst nur zehn Prozent der Anteile erworben, aber zeitgleich die persönliche Bürgschaft für Bankschulden der Gesellschaft übernommen und ein Darlehen in Höhe des späteren Kaufpreises der restlichen Anteile gewährt, so dass dann nur noch eine Verrechnung der Darlehensforderung mit der Kaufpreisverbindlichkeit erfolgte. Außerdem konnten ab dem Zeitpunkt des erstmaligen Anteilserwerbs alle Gesellschafterbeschlüsse nur noch einstimmig und damit unter Beteiligung des neuen Gesellschafters gefasst werden. Zwischen den beiden Anteilsübertragungen lag ein Zeitraum von 16 Monaten.
12
Siehe Tz. 26 des BMF-Schreibens vom 16.04.1999. BFH-Beschluss vom 04.09.2002 I R 78/01, DStRE 2003, 116; Hörger/Endres, GmbHR 1999, 569. 14 Siehe Tz. 30 des BMF-Schreibens vom 16.04.1999. 15 I R 89/96, BStBl. II 1997, 829. 13
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3.2
Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens
Entscheidend für die Feststellung des überwiegend neuen Betriebsvermögens ist das Verhältnis zwischen den vorher vorhandenen und den neu zugeführten Aktiva, wobei jeweils die Teilwerte des Aktivvermögens maßgeblich sind.16 Als Vergleichsgröße I gilt also das Aktivvermögen zum Zeitpunkt der schädlichen Anteilsübertragung, und Vergleichsgröße II ist die Summe der Teilwerte der Aktiva zu jedem möglichen Zeitpunkt nach Überschreiten der 50 Prozent Grenze, soweit noch ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den beiden Zeitpunkten besteht. Die Summe der Aktiva umfasst nach der bisherigen Praxis der Finanzverwaltung neben den immateriellen Wirtschaftsgütern einschließlich eines nicht bilanzierbaren selbstgeschaffenen Firmenwertes das Anlage- und Umlaufvermögen sowie Geld- und Forderungsbestände. Halbfertige Arbeiten sind entweder nicht zu erfassen oder zur Vermeidung einer doppelten Berücksichtigung mit passivierten Kundenanzahlungen zu saldieren. Der BFH17 will dagegen das Umlaufvermögen nicht in die Vergleichsrechnung einbeziehen. Diese auf das Anlagevermögen bezogene Restriktion wird in der Literatur weitestgehend mit der Begründung abgelehnt, dass Kapitalgesellschaften mit hohem Umlaufvermögen, wie Handels- und Dienstleistungsunternehmen, damit nicht mehr unter das Abzugsverbot des § 8 Abs. 4 KStG fallen würden, was nicht Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechen dürfte.18 In einem späteren Beschluss hat der BFH zu erkennen gegeben, über diese Fragestellung erneut nachzudenken, und das BMF zum Verfahrensbeitritt aufgefordert.19 Jetzt ist ein neues Verfahren beim BFH anhängig (Az. I B 52/05, Vorinstanz FG Baden-Württemberg vom 14.03.2005).20 Die Finanzverwaltung wendet einstweilen das Urteil des BFH vom 08.08.2001 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht an. Bei der Prüfung, ob zu einem späteren Zeitpunkt das neu zugeführte Betriebsvermögen überwiegt, ist nur auf das durch Einlagen und Darlehensmittel (Gesellschafter- und Bankdarlehen) zugeführte Betriebsvermögen abzustellen. Gewinnausschüttungen mindern das zugeführte Betriebsvermögen nicht und sind damit wieder hinzuzurechnen.21 Um neues Betriebsvermögen handelt es sich nach Auffassung des BFH nicht nur dann, wenn das neue Aktivvermögen unter Verrechnung von Zu- und Abgängen im betragsmäßigen Saldo höher als das ursprüngliche Aktivvermögen ist, sondern auch dann, wenn die Neuzuführungen den Bestand des vor Zuführung vorhandenen Restaktivvermögens übersteigen.22 Diese Betrachtungsweise resultiert in einer Einbeziehung auch eines reinen Tauschs von Aktiva durch 16 17 18 19 20 21 22
BFH-Urteil vom 08.08.2001 I R 29/00, BStBl. II 2002, 392. Urteil vom 08.08.2001, a. a. O. Frotscher, DStR 2002, 10; Crezelius, a. a. O., Rz. 614. BFH-Beschluss vom 19.12.2001 I R 58/01, BStBl II 2002, 395. EFG 2005, 899. BMF-Schreiben vom 16.04.1999, a. a. O., Tz. 9. BFH-Urteil vom 08.08.2001, a. a. O.
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193
Ersatzbeschaffungen und wird sowohl von der Finanzverwaltung als auch von der Literatur abgelehnt, so dass auch zu dieser Frage der BFH das BMF zum Verfahrensbeitritt aufgefordert hat.23 Die bloße Umschichtung von Finanzanlagen ist nach neuerer Rechtsprechung24 keine Zuführung neuen Betriebsvermögens, während die Übernahme von Bürgschaften und die Einräumung von Sicherheiten für Bankkredite mit der Zuführung neuen Aktivvermögens vergleichbar sein kann.25 Auch in diesem Zusammenhang überlegt der BFH, ob er an seiner Rechtsauffassung festhält, und hat das BMF zum Verfahrensbeitritt aufgefordert. Vorsicht ist geboten bei Forderungsverzicht mit Besserungsversprechen, soweit der Verzicht vor der Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens erklärt wurde. Nach dem Verlust der wirtschaftlichen Identität bewirkt der Eintritt des Besserungsfalls einen Aufwand der Gesellschaft in Höhe des zuvor ergebniserhöhend berücksichtigten Gewinns, so dass der Verlust unter Umgehung des § 8 Abs. 4 KStG in einen späteren Veranlagungszeitraum verschoben werden könnte. Eine mögliche Konsequenz könnte bei engem zeitlichen Zusammenhang die Prüfung eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO durch die Finanzverwaltung sein. Für den Fall, dass eine Verlustgesellschaft an einer körperschaftsteuerlichen Organgesellschaft oder an einer Personengesellschaft beteiligt ist, muss bei der Vergleichsrechnung deren Aktivvermögen ebenso berücksichtigt werden wie Mittelzuführungen in das Betriebsvermögen sonstiger Tochtergesellschaften (ohne Ergebnisabführungsvertrag).26
3.3
Sachlicher und zeitlicher Zusammenhang
Zwischen der Übertragung der Anteile und der Zuführung neuen Betriebsvermögens muss unstreitig ein zeitlicher Zusammenhang bestehen. Nach Auffassung der Finanzbehörde27 ist regelmäßig von einem zeitlichen Zusammenhang auszugehen, wenn zwischen schädlicher Anteilsübertragung und Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens ein Zeitraum von fünf Jahren liegt. Der BFH hatte dagegen schon mit Urteil vom 15.12.200428 bei einem Zeitraum von drei Jahren das Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhangs als ernstlich zweifelhaft eingestuft.
23 24 25 26 27 28
Frotscher, DStR 2002, 10; BFH-Beschluss vom 19.12.2001, a. a. O. BFH-Urteil vom 26.05.2004 I R 112/03, BFH/NV 2004, 1735. BFH-Urteil vom 08.08.2001, a. a. O. BMF-Schreiben vom 16.04.1999, a. a. O., Tz. 9 und 32. BMF-Schreiben vom 16.04.1999, a. a. O, Tz. 12. I B 115/04, BFH/NV 2005, 794.
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Mit seiner aktuellen Entscheidung vom 14.03.200629 hat der BFH dann in dem Fall des Branchenwechsels und der Zuführung neuen Betriebsvermögens nur ein Jahr vor der Übertragung der überwiegenden Geschäftsanteile auch keinen zeitlichen Zusammenhang angenommen. Danach lässt sich der notwendige sachliche Zusammenhang zwar regelmäßig bei Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhangs vermuten. Diese Vermutung greift umso mehr, je kürzer der Zeitraum zwischen schädlicher Anteilsübertragung und der Forführung des Unternehmens nach Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögen ist. Diese Indizwirkung kann aber von der Kapitalgesellschaft entkräftet werden, wenn die tatsächlichen Umstände belegen, dass die Fortführung des Betriebes nicht mit dem Wechsel des Gesellschafters zusammenhängen. Für die Praxis heißt das, dass bereits im Vorfeld geplanter Sanierungsmaßnahmen, wie z. B. die Zuführung neuen Betriebsvermögens oder die Beteiligung neuer Anteilseigner, der Sachverhalt gründlich dokumentiert und Unterlagen zu achivieren sind, die für einen etwaigen Indizienbeweis erforderlich sein könnten.
3.4
Sanierungsklausel
Die Erfüllung der vorstehend diskutierten Tatbestandsvoraussetzungen führt dann nicht zur fehlenden Nutzungsmöglichkeit der Verlustvorträge, wenn die Zuführung neuen Betriebsvermögens allein der Sanierung dient und der Geschäftsbetrieb, der den Verlust erlitten hat, in vergleichbarem Umfang erhalten bleibt und mindestens fünf Jahre fortgeführt wird. Die Sanierungsklausel trifft nur Fälle der Fortführung des Geschäftsbetriebes, da ein eingestellter Betrieb nicht mehr saniert werden kann, wobei auch ein Branchenwechsel nach Auffassung der Finanzverwaltung als Geschäftseinstellung zu qualifizieren ist.30 Für die Praxis ist trotz des Streitstandes in der Literatur zu diesem Problemkreis31 davon auszugehen, dass die vorzunehmenden Maßnahmen der alleinigen Sanierung dienen, wenn die Voraussetzungen des früheren § 3 Nr. 66 EStG vorliegen. Das sind neben der Sanierungsbedürftigkeit der Verlustgesellschaft die Sanierungsabsicht der Gläubiger, die wirtschaftliche und finanzielle Gesundung des Unternehmens herbeizuführen, und die Sanierungsfähigkeit bezogen auf die Maßnahme. Darüber hinaus darf die Zuführung neuen Betriebsvermögens 29
I R 8/05, FR 2006, 728. BMF-Schreiben vom 16.04.1999, a. a. O., Tz. 18. 31 Vgl. hierzu Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, KStG-Kommentar, § 8 Abs. 4, Rz. 145. 30
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
195
nicht den für die Sanierung erforderlichen Umfang überschreiten. Eine Übersanierung liegt nach Auffassung der Finanzverwaltung32 dann vor, wenn weiter Betriebsvermögen zugeführt wird, obwohl die Gesellschaft nach einer mittelfristigen Finanzplanung bereits Gewinne erwirtschaftet. Zur Vermeidung von Auseinandersetzungen mit den Finanzbehörden sollten mittelfristige Finanzplanungen vor etwaigen Investitionen erstellt werden, so dass bei unerwartet höheren Gewinnen der Nachweis der Angemessenheit der Sanierungsmaßnahmen geführt werden kann. Der sanierte Geschäftsbetrieb wird dann in vergleichbarem Umfang fortgeführt, wenn kein Abschmelzen des verlustverursachenden Betriebs um mehr als die Hälfte seines Umfangs erfolgt, wobei sich der Umfang definiert durch Umsatz, Auftragsvolumen, Aktivvermögen oder Anzahl der Arbeitnehmer.33 Vergleichsgröße ist der durchschnittliche Betriebsumfang während der Verlustphase, aber ungeklärt ist, ob eine Verlustphase durch einzelne und/oder mehrere Gewinnjahre beendet wird, und welche Anzahl von Verlustjahren in Folge zu einer Verlustphase führt. Insgesamt wird die Fortführungsvoraussetzung als sanierungsfeindlich eingestuft, da die Kapitalgesellschaft gezwungen ist, den verlustverursachenden Betriebsteil weitere fünf Jahre zu erhalten, und damit das Risiko der Infizierung der gesunden Betriebsteile und schließlich der Insolvenz besteht.34
3.5
Formale Anwendungsvoraussetzungen
Nach Auffassung der Finanzverwaltung35 sind die bestehenden Verlustvorträge zum Zeitpunkt des Verlustes der wirtschaftlichen Identität vom Abzug auszuschließen. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 8 Abs. 4 KStG legen es aber eher nahe, die Verlustvorträge zum Zeitpunkt der schädlichen Anteilsübertragung vom Abzug auszuschließen, da sonst auch noch Verluste, die in der Besitzzeit der neuen Anteilseigner entstanden sind, den Sanktionen des § 8 Abs. 4 KStG unterliegen.36
32
BMF-Schreiben vom 16.04.1999, a. a. O., Tz. 14. BMF-Schreiben vom 16.04.1999, a. a. O., Tz. 15-17. 34 Crezelius, a. a. O., Rz. 622. 35 BMF-Schreiben vom 16.04.1999, a. a. O., Tz. 33. 36 Vgl. FG Saarland, Urteil vom 24.05.2004, EFG 2004, 1398, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt beim BFH, Az. I B 115/04. 33
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Die Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG ist von der Finanzverwaltung im Rahmen der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages bereits im Jahr der Verlustentstehung und nicht erst im Abzugsjahr zu prüfen und nach Maßgabe der im Feststellungszeitpunkt geltenden Rechtslage für das spätere Abzugsjahr verbindlich festzustellen.37 Sollte die Finanzbehörde dies versäumt haben, kann eine Änderung des ohne Einschränkung des § 8 Abs. 4 KStG festgestellten Verlustvortrages nur noch nach den Änderungsvorschriften der Abgabenordnung erfolgen. Steht die Verlustfeststellung nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO, ist der im Hinblick auf § 8 Abs. 4 KStG unzutreffend festgestellte Verlustvortrag zwingend bei der Einkommensermittlung im Abzugsjahr zu berücksichtigen.38
4.
Rangrücktritt
Der große Senat des BFH hat mit Urteil vom 09.06.199739 entschieden, dass der Forderungsverzicht des Gesellschafters gegenüber seiner Kapitalgesellschaft nur in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung eine verdeckte Einlage darstellt. Folglich erhöht der Differenzbetrag zum Nennwert der Forderung als außerordentlicher Ertrag das Ergebnis der Gesellschaft. Vor dem Hintergrund, dass außerdem nach Auffassung des BFH40 bei Überschuldung einer Kapitalgesellschaft der Teilwert eines Forderungsverzichts außer bei Vorliegen erheblicher stiller Reserven im Allgemeinen 0,00 Euro beträgt, sollte zur Vermeidung der geschilderten negativen steuerlichen Auswirkungen als Sanierungsmittel alternativ die Vereinbarung eines Rangrücktritts geprüft werden.
4.1
Auswirkung und Umfang des Rangrücktritts
Die Vereinbarung eines Rangrücktritts zielt primär auf bilanzielle Konsequenzen ab. Denn durch die Erklärung eines Rangrücktritts der Gesellschafter und/oder Dritter soll der Ausweis der rangrücktrittsbetroffenen Verbindlichkeit in der insolvenzrechtlichen Überschuldungsbilanz verhindert und damit der Insolvenzgrund der Überschuldung im Sinne des § 19 InsO beseitigt werden.41 Es ist zwischen der Behandlung in der Handelsbilanz und im Überschul37
Für den gewerbesteuerlichen Verlustabzug BFH-Urteil vom 22.10.2003 IR 18/02, BStBl. II 2004, 468. OFD Magdeburg, Verfügung vom 19.07.2004, DB 2004, 1806. 39 GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307. 40 Urteil vom 15.10.1997 I R 103/93, BFH/NV 1998, 572. 41 Klein, GmbHR 2006, 249. 38
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
197
dungsstatus zu unterscheiden. Da der Rangrücktritt, – ob nun „einfach“ oder „qualifiziert“ –, nicht zum Erlöschen der Verbindlichkeit führt, muss diese in der Handelsbilanz weiter passiviert werden. Eine Passivierung im Überschuldungsstatus kann dagegen nach der Rechtsprechung des BGH42 unterbleiben, wenn für Fremdverbindlichkeiten gegenüber Nichtgesellschaftern ein einfacher oder für Gesellschafterdarlehen ein qualifizierter Rangrücktritt erklärt wird. Quintessenz zum erforderlichen Inhalt von Rangrücktrittserklärungen ist nach der zu verschiedenen Formulierungen ergangenen Rechtsprechung, dass der im Rang zurücktretende Gläubiger seine Forderung im eröffneten Insolvenzverfahren nicht geltend machen kann und dadurch gewährleistet ist, dass im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens das Vermögen der Gesellschaft ausreicht, alle Gesellschaftsgläubiger zu befriedigen; auch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Vermögen der Gesellschaft nicht durch Leistungen an den im Rang zurückgetretenen Gläubiger gemindert und hierdurch die Befriedigungsaussicht für die übrigen Gläubiger gefährdet wird; der Rangrücktritt dann beendet werden kann, wenn die Krise überwunden ist und die Gesellschaft Gewinne in solcher Höhe erwirtschaftet, dass ihr Aktivvermögen die Verbindlichkeiten mindestens in Höhe der subordinierten Forderungen übersteigt.43 Hierzu gibt Kußmaul44 folgenden konkreten Formulierungsvorschlag: „Zur Beseitigung einer drohenden Überschuldung und zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens bei der ... tritt der Gesellschafter hiermit mit seinen Ansprüchen auf Tilgung, Verzinsung und Rückzahlung seines vorbezeichneten Gesellschafterdarlehens dergestalt im Rang hinter die Forderungen aller bestehenden Gläubiger zurück, dass er die Erfüllung dieser Ansprüche nur verlangen kann nach der Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und nur, soweit ein Liquidationsüberschuss oder ein die sonstigen Verbindlichkeiten übersteigendes Vermögen der Gesellschaft hierfür zur Verfügung steht….“ Soll dieser einfache Rangrücktritt den Erfordernissen der Rechtsprechung zum qualifizierten Rangrücktritt genügen45, so ist zu ergänzen: „und nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen der Gesellschafter.“, wobei die rangrücktrittsbetroffenen Forderungen bis zur Abwendung der Krise eben nicht vor, sondern nur zugleich mit Einlagerückgewähransprüchen der Mitgesellschafter zu berücksichtigen sind. Hierin kommt die Gleichbehandlung mit dem statutarischen Eigenkapital der Gesellschaft zum Ausdruck.
42
Urteil vom 08.01.2001, ZIP 2001, 235. Hölzle, GmbHR 2006, 852. 44 In DB 2002, 2258. 45 BGH-Urteil vom 02.07.2001, GmbHR 2001, 725. 43
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Um das Maß der Verwirrung um die steuerlich korrekte Formulierung voll zu machen, hat das BMF mit Schreiben vom 18.08.200446 bestimmt, dass eine rangrücktrittsbetroffene Forderung dann erfolgswirksam auszubuchen ist, wenn nicht auch die Tilgung aus sonstigem freien Vermögen – wie in vorstehender Musterformulierung – vorgesehen ist. Die Tilgung aus künftigen Gewinnen und Liquiditätsüberschüssen soll also nicht genügen.47 Dem ist der BFH mit Urteil vom 10.11.200548 insoweit klarstellend entgegengetreten, als nach seiner Auffassung das Passivierungsverbot nach § 5 Abs. 2a EStG nicht schon dann zur Anwendung kommt, wenn eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Möglichkeit der Tilgung auch aus sonstigem freien Vermögen fehlt. Schließlich hat auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) eine Stellungnahme zu diesem Thema abgegeben, wonach jedenfalls nach handelsbilanziellen Grundsätzen die Vereinbarung eines Rangrücktritts – unabhängig ob qualifiziert oder einfach – mit Blick auf das Vorsichtsprinzip nicht zu einer Ausbuchung der Verbindlichkeit führe.49 In der Praxis sollten bestehende Rangrücktrittsvereinbarungen inhaltlich überprüft werden und ggf. um die Formulierung „Tilgung aus sonstigem freien Vermögen“ ergänzt werden, um die im Rahmen einer Betriebsprüfung zu erwartenden Diskussionen um eine erfolgswirksame Ausbuchung der Verbindlichkeit mit Rangrücktritt zu vermeiden.
4.2
Besserungsvereinbarung
Für die beabsichtigte überschuldungsentlastende Wirkung nicht notwendig, aber aus Sicht des Gläubigers wichtig, ist die Regelung der Kriterien, wann die Nachrangigkeit endet. In diesem Zusammenhang gilt es, Umstände zu definieren, bei deren Eintritt die Forderung wieder in ihren ursprünglichen Rang zurückversetzt wird: „Die Rangrücktrittsvereinbarung ist auf Verlangen der Gesellschafter aufzuheben oder auf einen Teilbetrag ihrer rangrücktrittsbehafteten Forderung zu beschränken, wenn
46
a)
das Stammkapital der Gesellschaft unter Einbeziehung des verbleibenden subordinierten, eigenkapitalersetzenden Teils der Forderung nicht durch Verluste angegriffen ist und
b)
durch die Aufhebung keine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit entsteht oder zu entstehen droht.“50
IV A 6-S-2133-2/04, BStBl. I 2004, 850. Groh, DB 2006, 1286. 48 IV R 13/04, GmbHR 2006, 158. 49 198. Sitzung des HFA, FN-IDW 2005, 552. 50 Kußmaul, a. a. O. 47
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
199
Im Hinblick auf das vorstehende „Wirrwarr“ gegenteiliger Auffassungen und der damit einhergehenden unsicheren steuerlichen Beurteilung ist im Einzelfall zu prüfen, ob anstelle des Rangrücktritts besser ein Forderungsverzicht gegen Besserungsschein zu empfehlen ist. Dies könnte insbesondere dann in Betracht kommen, wenn steuerliche Nachteile wegen ausreichend vorhandener Verlustvorträge sowohl bei der Körperschaftsteuer als auch bei der Gewerbesteuer entfallen.
5.
Forderungsverzicht gegen Besserungsschein
5.1
Verzicht zugunsten der Kapitalgesellschaft
Verzichtet der Gesellschafter einer GmbH auf seine Darlehensforderung gegenüber der GmbH, so stellt sich die Frage, ob und in welcher Höhe bei dem Gesellschafter nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung und bei der GmbH steuerpflichtige Einnahmen entstehen. Für die steuerlichen Auswirkungen kommt es darauf an, ob die Beteiligung an der GmbH im Betriebsvermögen gehalten wird, wie z. B. im Fall von Mutter- und Tochtergesellschaft, oder es sich bei einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung um eine wesentliche (mindestens ein Prozent) im Sinne des § 17 EStG handelt. Ferner ist von Bedeutung, ob der Erlass zugunsten der GmbH betrieblich oder durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Von einer betrieblichen Veranlassung ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Forderungsverzicht des Gesellschafters in unmittelbarem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit allgemeinen Sanierungsmaßnahmen steht, an denen sich auch andere Gläubiger beteiligen. Der Erlass einer Gesellschafterforderung ist dagegen regelmäßig durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und damit eigenkapitalersetzend, wenn ein Nichtgesellschafter unter den gleichen Umständen auf sein Darlehen nicht verzichtet hätte, weil z. B. zu diesem Zeitpunkt das Stammkapital durch Verluste um 50 Prozent gemindert war.
5.1.1
Ebene der GmbH
Erfolgt der Forderungsverzicht eines Gesellschafters im Rahmen allgemeiner Sanierungsmaßnahmen unter betrieblicher Veranlassung, so ist die Darlehensverbindlichkeit bei der GmbH auszubuchen, und in Höhe des Nominalbetrages der Verbindlichkeit entsteht ein Gewinn der Kapitalgesellschaft51, der nach Aufhebung des früheren § 3 Nr. 66 EStG auch nur noch unter den engen Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 27.03.200352 als steuerfreier Sanierungsgewinn begünstigt werden kann. 51 52
Crezelius in Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Auflage 2003, Rz. 666. IV A 6-S-2140-8/03, BStBl. I 2003, 240.
200
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Voraussetzungen für die Annahme eines begünstigten Sanierungsgewinns sind danach neben der Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens die Sanierungseignung des Schulderlasses sowie die Sanierungsabsicht der Gläubiger. Die Begünstigung besteht darin, dass die Steuer, die sich nach Verrechnung des Sanierungsgewinns mit allen vorhandenen ertragsteuerlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten ergibt, zunächst ab Fälligkeit vom Finanzamt gestundet und nach abschließender Prüfung erlassen wird. Nach der Rechtsprechung des BFH53 ist die Tatsache, dass nur ein einzelner oder die Minderheit der Gläubiger Schulden erlassen, ein Indiz gegen das Vorliegen der Sanierungsbedürftigkeit. In diesen Fällen ist die Sanierungsabsicht besonders darzulegen, wobei wiederum der Forderungsverzicht ausschließlich durch nahe stehende Gläubiger problematisch sein kann. Wenn diese Hürden übersprungen sind, kann auch der Forderungsverzicht durch einen einzelnen Gläubiger gegen Besserungsschein zu einem begünstigten Sanierungsgewinn führen, mit der Folge, dass die Besserungszahlungen den Sanierungsgewinn mindern und ein Erlass erst in Betracht kommt, wenn keine Zahlungen mehr auf den Besserungsschein geleistet werden können.54 Ist der Forderungsverzicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und die Forderung folglich nicht mehr voll werthaltig, führt dies nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senates des BFH55 auf der Ebene der Gesellschaft zu einer verdeckten Einlage in Höhe des Teilwertes der Forderung, während der Unterschiedsbetrag zwischen werthaltigem Teil und Nennbetrag des Gesellschafterdarlehens aber steuerbares Einkommen der GmbH ist. Bei einer Überschuldung der GmbH beträgt der Teilwert eines Forderungsverzichts im Allgemeinen Null Euro56, während er bei Vorhandensein erheblicher stiller Reserven identisch sein kann mit dem Nennwert57. Es kommt also entweder zu einer Körperschaftbesteuerung des nicht werthaltigen Teils der erlassenen Forderung und/oder zu einem Verbrauch des körperschaftsteuerlichen Verlustvortrags. Für die Verpflichtung aufgrund des Besserungsscheins darf keine Rückstellung gebildet werden, da es sich insoweit um eine aufschiebend bedingte Verbindlichkeit handelt, die erst aus künftigen Gewinnen zu tilgen ist58. Der durch den Eintritt des Besserungsfalls auflösend bedingte Forderungserlass wirkt zunächst wie ein unbedingter Erlass, so dass ab dem Zeitpunkt des Erlasses kein Zinsanspruch mehr entstehen kann. Zahlt die GmbH trotzdem vor Bedingungseintritt (Besserung) Zinsen an den Gesellschafter, so liegen insoweit verdeckte Gewinnausschüttungen vor. Bei Eintritt des Besserungsfalls mindert sich in dieser Rechnungsperiode der Gewinn der GmbH durch die erneute Passivierung des Darlehens als Fremdkapital. Ein Erlass mit Besserungsvereinbarung kann daher im Einzelfall zu einer Verlagerung des Verlustvortrags in eine 53 54 55 56 57 58
Urteil vom 15.10.1997 I R 103/93, BFH/NV 1998, 572. BMF-Schreiben v. 27.3.2003, a. a. O., Tz. 5, 9, 11. Urteil v. 9.6.1997 GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307. BFH-Urteil vom 15.10.1997, a. a. O. Urteil des FG Hamburg vom 30.08.2001 VII 105/01, DStRE 2002, 193, rechtskräftig. Crezelius, a. a. O., Rz. 672.
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andere Steuerperiode führen. Der Teil der Zinsen, der nach den Vereinbarungen zwischen GmbH und Gläubiger für die Dauer der Krise zu zahlen ist, kann nach Bedingungseintritt als Betriebsausgabe angesetzt werden59. Es ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob durch die vereinbarte Nachzahlung der Zinsen die Freigrenze des § 8a KStG (GesellschafterFremdfinanzierung) von 250.000 Euro überschritten wird, und zur Vermeidung der Annahme von verdeckten Gewinnausschüttungen im Besserungsschein eine Begrenzung der Zinsen auf insgesamt höchstens 250.000 Euro festzulegen. Negative Auswirkungen „lauern“ auch noch in der Auffassung der Finanzverwaltung zu den Auswirkungen des Besserungsscheins auf § 8 Abs. 4 KStG (Mantelkauf)60. Für den Fall, dass zwischen dem Aus- und Einbuchen der Verbindlichkeit durch einen Mantelkauf die Voraussetzungen der beschränkten Verlustberücksichtigung nach § 8a KStG eintreten, soll der Aufwand aus der (Wieder-)Einbuchung bei der Einkommensermittlung hinzuzurechnen statt abzuziehen sein. Das Gleiche gilt für den Zinsaufwand, der rechnerisch auf den Zeitraum zwischen Vereinbarung des Verzichts und Verlust der wirtschaftlichen Identität im Sinne des § 8 Abs. 4 KStG fällt. Für diese Einschränkung ist zwar nach Auffassung der Literatur61 keine gesetzliche Grundlage zu erkennen, aber angesichts der Bindungswirkung des genannten BMF-Schreibens für die Finanzverwaltung sollten diese Auswirkungen bei der Planung der Sanierungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Eine alternative Gestaltungsmöglichkeit zur Vermeidung etwaiger Gewinnauswirkungen bei der GmbH könnte in einer Bareinlage des Gesellschafters, die dann zur Rückzahlung des Darlehens verwendet wird, zu sehen sein. Hier ist jedoch insbesondere in Bezug auf den konkreten zeitlichen Abstand zwischen Leistung der Bareinlage und Darlehenstilgung das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO zu prüfen. Außerdem könnte die Finanzbehörde die Auffassung vertreten, dass die Rückzahlung der vorher wertgeminderten und dann durch die Bareinlage aufgewerteten Darlehensforderung in Höhe des ursprünglich nicht mehr werthaltigen Teils zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führt, weil die GmbH die Forderung eines Nichtgesellschafters nur in Höhe des werthaltigen Teils getilgt hätte.62
5.1.2
Auswirkungen beim Gesellschafter
Auf der Ebene des Gesellschafters führt der Verzicht auf eine Gesellschafterforderung nur dann zu steuerlichen Auswirkungen, wenn die GmbH-Beteiligung „steuerverstrickt“ ist, also entweder in einem Betriebsvermögen gehalten wird oder es sich um eine wesentliche Beteiligung im Sinne des § 17 EStG handelt.
59
BMF-Schreiben vom 2.12.2003 IV A 2-S-2743-5/03, BStBl. I 2003, 648. BMF vom 2.12.2003, a. a. O., Tz. 2b. 61 Paus, GmbHR 2004, 1568. 62 Crezelius, a. a. O., Rz. 669. 60
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Für den Fall, dass die Darlehensforderung, auf die der Gesellschafter verzichtet, zu seinem Betriebsvermögen gehört, kann der Erlass je nach Verhältnis zwischen Buch- und Teilwert der Forderung entweder zu einem Verlust oder Gewinn führen, es kann sich aber auch um einen erfolgsneutralen Vorgang handeln. Wenn der Buchwert des Darlehens in der Bilanz des Gesellschafters dem Nominalwert entspricht, entsteht ein Verlust in Höhe des nicht werthaltigen Teils der Darlehensforderung, der auf der Ebene der GmbH zu einem steuerbaren Gewinn geführt hat. Ist der Buchwert der erlassenen Forderung durch vorangegangene Teilwertabschreibungen gesunken, dann führt der Erlass zu einem Gewinn in Höhe der Differenz zwischen Buchwert und Wert der Einlage. Entspricht der Buchwert in der Bilanz des GmbHGesellschafters dem Teilwert der Darlehensforderung, dann ist der Forderungsverzicht erfolgsneutral. Für den Fall, dass es sich bei dem Gesellschafter der GmbH um eine Kapitalgesellschaft handelt, ist zu beachten, dass es derzeit strittig ist, ob der Verlust eines eigenkapitalersetzenden Darlehens in den Anwendungsbereich des § 8b Abs. 3 KStG fällt und daher eine steuermindernde Abschreibung bei Darlehensverzicht ausgeschlossen ist (zum Streitstand vgl. 2.2 „Vorteile der Darlehensgewährung“). Der Eintritt des Besserungsfalls führt auf Gesellschafterebene wieder zu einer Minderung der nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung in dem Maße, wie sie bei Verzicht erhöht wurden. Für den Fall der Ablösung einer Bürgschaft für Schulden der Kapitalgesellschaft durch befreiende Schuldübernahme des GmbH-Gesellschafters hat der BFH jüngst entschieden, dass nur insoweit eine verdeckte Einlage und damit nachträgliche Anschaffungskosten des Gesellschafters vorliegen, als der im Zeitpunkt der Ablösung der Bürgschaft bestehende Freistellungsanspruch des Bürgen gegen die GmbH noch werthaltig war.63 Das kann, wie im Streitfall, zum sofortigen Betriebsausgabenabzug führen, wenn die Bürgschaftsverpflichtung zu einem Betriebsvermögen gehörte und eine Behandlung als nachträgliche Anschaffungskosten mangels Werthaltigkeit des Freistellungsanspruchs nicht in Betracht kommt. Handelt es sich um eine wesentliche Beteiligung im Sinne des § 17 EStG, die der Gesellschafter im Privatvermögen hält, so ist für die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten zwischen folgenden vier Fällen zu unterscheiden:64 Hingabe in der Krise Gewährt der Gesellschafter seiner Kapitalgesellschaft ein Darlehen zu einem Zeitpunkt, zu dem die GmbH von dritter Seite keinen Kredit mehr zu marktüblichen Konditionen erhalten hätte, so führt der spätere Verzicht zu nachträglichen Anschaffungskosten in Höhe des Nennbetrages des Darlehens.
63 64
Urteil vom 31.5.2005 X R 36/02, BFH/NV 2005, 1697. BMF-Schreiben vom 08.06.1999 IV C 2-S-2244-12/99, BStBl. I 1999, 545.
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
203
Stehenlassen in der Krise Hier führt der Erlass der Darlehensforderung bei dem Gesellschafter nur zu nachträglichen Anschaffungskosten in Höhe des Teilwertes zu dem Zeitpunkt, zu dem das vor der Krise gewährte Darlehen trotz der veränderten finanziellen Situation nicht abgezogen wird. Darlehen zur Krisenfinanzierung Der Ausfall eines von Anfang an zur Krisenfinanzierung gewährten Gesellschafterdarlehens führt dann zu nachträglichen Anschaffungskosten in Höhe des Nennbetrages, wenn der Darlehensgeber im Rahmen einer schriftlichen Erklärung am besten schon bei Darlehenshingabe ausdrücklich den Verzicht auf eine ordentliche und außerordentliche Kündigung im Zeitpunkt der Krise erklärt hatte.65 „Der Darlehensgeber verpflichtet sich, die Darlehensforderung weder aus ordentlichen noch aus außerordentlichen Gründen zu kündigen und zurückzuverlangen, solange die GmbH als kreditunwürdig anzusehen ist, also von Nichtgesellschaftern keinen Kredit zu marktüblichen Konditionen erhalten würde.“ Finanzplandarlehen Der Verzicht auf Darlehen, die von vornherein in die Finanzplanung der Gesellschaft in der Weise einbezogen sind, dass die zur Aufnahme der Geschäftstätigkeit erforderliche Kapitalausstattung durch eine Kombination von Eigen- und Fremdfinanzierung erreicht werden soll, führt auch zu nachträglichen Anschaffungskosten in Höhe des Nennwertes der Darlehensforderung. Entscheidend ist, dass sich dieser Zweck aus der Gesamtwürdigung des Gesellschafts- und Darlehensvertrages sowie den weiteren Umständen im Zeitpunkt des Abschlusses dieser Verträge ergibt.66 In der Praxis sollten bei fehlender Krisenbestimmung zum Nachweis der Darlehenshingabe in der Krise zunächst die Indizien für die Kreditunwürdigkeit festgehalten werden. Diese ist nach der Rechtsprechung des BGH67 u. a. dann gegeben, wenn entweder neben dem Verlust von mehr als der Hälfte des Stammkapitals keine stillen Reserven mehr vorhanden sind oder bei fast vollständigem Verlust des Stammkapitals nach aktueller Summen- und Saldenliste der Rohertrag weit unter den Kosten liegt.68
65
Weber-Grellet/Schmidt, Einkommensteuergesetz, 25. Aufl. 2006, § 17, Rz. 171. BFH-Urteil vom 26.01.1999 VIII R 50/98, BStBl. II 1999, 559. 67 Urteil vom 04.12.1995 II ZR 281/94, DStR 1996, 553. 68 Verfügung der OFD Kiel vom 14.12.1999 S 2244A-St 231, GnbHR 2000, 197. 66
204
5.2
Stephanie Bschorr
Verzicht zugunsten der Personengesellschaft
Eine Forderung des Gesellschafters gegen die Personengesellschaft gehört zum Sonderbetriebsvermögen I des Gesellschafters und ist in der Sonderbilanz zu aktivieren. Die Gesellschafterforderungen sind in der Gesamthandelsbilanz der Personengesellschaft Eigenkapital.
5.2.1
Verzicht aus gesellschaftsrechtlichen Gründen
Unabhängig davon, ob es sich um eine werthaltige oder nicht mehr voll werthaltige Forderung handelt, führt der durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Verzicht zu einer Einlage in der Gesamthandelssbilanz in Höhe des Nennwertes der Forderung.69 Die erfolgsneutrale Erhöhung des Kapitals der Personengesellschaft ist, soweit die Parteien nichts anderes vereinbaren, allein dem verzichtenden Gesellschafter zuzurechnen und erhöht daher sein Kapitalkonto in der Steuerbilanz der Gesellschaft.70 Korrespondierend hierzu ist die Forderung im Sonderbetriebsvermögen des verzichtenden Gesellschafters erfolgsneutral auszubuchen. Bei Eintritt des Besserungsfalls sind entsprechend eine Entnahme aus dem Gesamthandsvermögen und eine Einlage ins Sonderbetriebsvermögen zu erfassen.
5.2.2
Verzicht aus eigenbetrieblichen Gründen
Nicht abschließend geklärt ist die steuerliche Beurteilung von Forderungserlassen, die eben nicht durch das Gesellschaftsverhältnis, sondern durch Interessen des eigenen Geschäftsbetriebs des Gesellschafters, wie z. B. die Sanierung der Personengesellschaft zur Erhaltung von Geschäftsbeziehungen, veranlasst sind. Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen existieren zu dieser Frage nicht. Ein Teil der Literatur wendet die oben dargestellten (vgl. vorstehend Ziffer 5.2.1 „Verzicht aus gesellschaftsrechtlichen Gründen“) vom BFH entwickelten Grundsätze zum Forderungsverzicht eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft sinngemäß an mit der Folge, dass nur in Höhe des noch werthaltigen Teils der Forderung bei der Personengesellschaft eine Einlage und beim Gesellschafter eine Entnahme anzunehmen ist.71 In Höhe des nicht mehr werthaltigen Teils entsteht dann konsequenterweise bei der Personengesellschaft ein steuerpflichtiger Ertrag und beim Gesellschafter ein abzugsfähiger Aufwand. Die Einlage durch den ganz oder teilweise erfolgswirksamen Forderungsverzicht erhöht nur das steuerbilanzielle Kapitalkonto des verzichtenden Gesellschafters. 69
Pyszka, BB 1998, 1557. Wacker/Schmidt, a. a. O., § 15, Rz. 550. 71 Pyska, a. a. O. 70
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
205
Die Gegenmeinung72 vertritt die Auffassung, dass der Verzicht aus eigenbetrieblichen Interessen erfolgsneutral zu behandeln ist. Danach liegt hier keine den Teilwertansatz rechtfertigende Einlage im Sinne des § 4 Abs. 1 EStG vor, weil kein Wirtschaftsgut aus einem Privatvermögen in ein Betriebsvermögen überführt wird, sondern eine Verschiebung zwischen Gesamthands- und Sonderbetriebskapital erfolge, für die eine entsprechende Rechtsgrundlage fehle. Auch der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 EStG sei insoweit nicht eröffnet, da keine Übertragung der Forderung auf eine Personengesellschaft erfolge, sondern vielmehr eine Verbindlichkeit auf Ebene der Gesellschaft wegfalle. In der Praxis sollte davon ausgegangen werden, dass die Finanzverwaltung im Hinblick auf die ausführliche BFH-Rechtsprechung zum Forderungsverzicht des GmbH-Gesellschafters und die eher „profiskalischen“ Auswirkungen von der Annahme eines anteiligen steuerpflichtigen Ertrages auf der Ebene der Personengesellschaft anstatt von der Erfolgsneutralität ausgehen wird.
5.2.3
Verzicht und § 15a EStG
Im Falle des Forderungsverzichts durch einen Kommanditisten ist bezüglich der Beschränkung des Verlustausgleichs nach § 15a EStG zu beachten, dass das Sonderbetriebsvermögen nicht zum Kapitalkonto im Sinne dieser Norm gehört und folglich sich hieraus ergebende Verluste grundsätzlich unbeschränkt ausgleichs- und abzugsfähig sind. Mit der erfolgsneutralen Umschichtung des steuerlichen Eigenkapitals von Sonderbetriebsvermögen im Gesamthandsvermögen durch den Forderungsverzicht erhöht sich das Kapitalkonto im Sinne des § 15 a EStG des verzichtenden Gesellschafters. Im Falle des ganz oder teilweise erfolgswirksamen Forderungsverzichts erhöht sich das Ergebnis der Personengesellschaft, das grundsätzlich auch steuerrechtlich nach dem gesellschaftsvertraglich maßgebenden Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssel auf die Gesellschafter zu verteilen ist, so dass nach Auffassung von Teilen der Literatur eine Zurechnung allein beim verzichtenden Gesellschafter nicht in Betracht kommt.73 In diesem Zusammenhang sollte bei Beteiligung von mehreren Gesellschaftern geprüft werden, ob zur Vermeidung von Auseinandersetzungen mit den Finanzbehörden vor Verzichtserklärung eine Änderung der Gewinnverteilungsabrede herbeizuführen ist. Im Ergebnis mindert sich durch den auszuweisenden Ertrag aus dem Forderungsverzicht der bilanzmäßige Verlust aus dem Gesamthandsvermögen und damit mindern sich die Beträge, die als nur verrechenbare Verluste keine steuermindernde Wirkung haben. Dagegen entsteht im Sonderbetriebsvermögen des verzichtenden Gesellschafters der positive Effekt eines buchmäßigen Verlusts, den er mit anderen positiven Einkünften verrechnen darf.74 72
Ley, KÖSDI 2005, 14815. Paus, FR 2001, 113; Ley, KÖSDI 2005, 14823. 74 Pyska, BB 1998, 1557. 73
206
Stephanie Bschorr
6.
Verzicht auf Pensionsansprüche des Gesellschafter-Geschäftsführers
Gerade in Krisensituationen der GmbH wird der Gesellschafter, der zugleich Geschäftsführer ist und dem eine Pensionszusage gewährt wurde, auf diesen Vermögenswert verzichten wollen, um die Gesellschaft zu sanieren. Für die steuerlichen Auswirkungen ist zwischen der Ebene der Gesellschaft und der Gesellschafterebene zu differenzieren.
6.1
Ebene der Gesellschaft
Durch die Ausbuchung der Pensionsrückstellung erhöht sich zwar der bilanzielle Gewinn der Kapitalgesellschaft, da aber gleichzeitig eine verdeckte Einlage vorliegt, ist diese Vermögensmehrung bei der steuerlichen Einkommensermittlung wieder abzuziehen. Steuerliche Auswirkungen können sich aber dadurch ergeben, dass die Höhe der Einlage sich nach dem Teilwert der Pensionsanwartschaft des Gesellschafters und nicht nach der Pensionsverbindlichkeit der Gesellschaft richtet. Folglich kommt es darauf an, welchen Betrag der Gesellschafter-Geschäftsführer zu dem Zeitpunkt des Verzichts hätte aufwenden müssen, um eine vergleichbare Pensionsanwartschaft gegen einen vergleichbaren Schuldner zu erwerben.75 Da in der Praxis regelmäßig der Teilwert der Pensionsanwartschaft wesentlich niedriger als der Buchwert der Pensionsrückstellung ist, führt der Verzicht in Höhe der Differenz zu einem laufenden Gewinn der Kapitalgesellschaft. Liegt der Buchwert der Rückstellung über dem Teilwert der Anwartschaft des Gesellschafters, ist der Differenzbetrag zum Stichtag des Forderungsverzichts gleichzeitig als Aufwand und als Einlage zu qualifizieren. Eine verdeckte Einlage liegt aber nur insoweit vor, als der Pensionsanspruch werthaltig ist. Trotz Krise der Gesellschaft ist meines Erachtens von einer Werthaltigkeit auszugehen, wenn die GmbH zur Finanzierung der Pensionszusage eine Rückdeckungsversicherung abgeschlossen und die hieraus resultierenden Ansprüche an den Gesellschafter-Geschäftsführer verpfändet hat. Ist abzusehen, dass nach Wegfall der Krise eine Neuzusage wegen fehlender Möglichkeit der Erdienbarkeit nicht möglich ist, bietet sich in der Praxis die Vereinbarung des Pensionsverzichts gegen Besserungsschein an. Bei Eintritt der Voraussetzungen für das Besserungsversprechen ist die Pensionsverpflichtung erfolgswirksam wieder einzubuchen. Diskutiert wird,
75
BFH-Urteil vom 15.10.1997 I R 58/93, BStBl. II 1998, 305.
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
207
ob der Einbuchung in ursprünglicher Höhe das Nachholungsverbot des § 6a Abs. 4 EStG entgegensteht. Bis zum Besserungszeitpunkt war die weitere Bildung der Pensionsrückstellung zwar nicht zulässig, so dass nicht von einer Nachholung auszugehen wäre, aber zur Vermeidung von Schwierigkeiten sollte versucht werden, diesbezüglich eine verbindliche Auskunft von den Finanzbehörden einzuholen.
6.2
Auswirkungen beim Gesellschafter
In Höhe der verdeckten Einlage bei der Gesellschaft sind ein Zufluss von Arbeitslohn beim Gesellschafter-Geschäftsführer und gleichzeitig nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung anzunehmen. Die GmbH ist also insoweit zum Lohnsteuerabzug verpflichtet. In der Praxis sollte in der Krise zur Vermeidung des Lohnsteuerabzugs vor Verzichtserklärung das dem Gesellschafter eingeräumte Pfandrecht auf die Rückdeckungsversicherung an die GmbH zurückgegeben werden, so dass mangels Werthaltigkeit des Pensionsanspruches auch kein Zufluss von Arbeitslohn vorliegt. Im Besserungsfall hat der Gesellschafter-Geschäftsführer in entsprechender Höhe negative Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und eine Minderung der Anschaffungskosten zu berücksichtigen.
6.3
Abfindung von Pensionsansprüchen bei Ausscheiden eines Gesellschafters
Für die Betrachtung der steuerlichen Auswirkungen ist eine Unterscheidung zwischen verfallbaren und unverfallbaren Pensionsansprüchen eines Gesellschafter-Geschäftsführers vorzunehmen. Zahlt die Gesellschaft eine Abfindung bei Ausscheiden des Gesellschafter-Geschäftsführers und Veräußerung seiner Anteile für eine verfallbare Pensionsanwartschaft, die jederzeit gekündigt werden könnte, so ist auf jeden Fall von einer verdeckten Gewinnausschüttung auszugehen, weil kein Rechtsanspruch auf die Pension besteht.76 Eine unverfallbare Anwartschaft mit der Möglichkeit der Abfindung ohne Auslösung einer verdeckten Gewinnausschüttung entsteht bei einem beherrschenden GesellschafterGeschäftsführer nicht kraft Gesetzes, da § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der 76
FG Düsseldorf Urteil vom 14.5.2002 6 K 7467/98, EFG 2002, 1450.
208
Stephanie Bschorr
betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) im Hinblick auf dessen beherrschenden Einfluss keine Anwendung findet. Folglich ist eine vertragliche Vereinbarung zu dem Eintritt der Unverfallbarkeit und dessen Voraussetzungen erforderlich. Bis jetzt ungeklärt ist die Frage, ob bei Verzicht auf eine unverfallbare Pensionsanwartschaft gegen Abfindung in Form der Übertragung der Rückdeckungsansprüche eine verdeckte Gewinnausschüttung anzunehmen ist. Der BFH hat zwar jüngst das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung bejaht77, dem Urteil lag jedoch ein Sacherverhalt zugrunde, wonach die Parteien die Anwendung des Abfindungsverbotes nach § 3 Abs. 1 BetrAVG (alte Fassung) vereinbart hatten. Der BFH hat es daher dahingestellt sein lassen, ob ohne diese Vereinbarung eine verdeckte Gewinnausschüttung zu vermeiden gewesen wäre oder ob die Regelungen des Abfindungsverbotes nach § 3 Abs. 1 BetrAVG entgegen den gesetzlichen Vorgaben auch zum Schutz des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers Anwendung finden. Dies wird in der Literatur sehr kontrovers diskutiert. Auch über die steuerlichen Folgen auf der Ebene des Gesellschafter-Geschäftsführers besteht Uneinigkeit zu der Frage, ob der Teil der Abfindung, der nicht als verdeckte Gewinnausschüttung zu qualifizieren ist, eine steuerbegünstigte Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG ist. Der BFH78 hat dies für den Fall bejaht, dass sich aus den konkreten Umständen eine Zwangslage des Gesellschafters zum Verzicht auf die Versorgungsansprüche dadurch ergibt, dass der Erwerber der Geschäftsanteile nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen oder der Erwerber im Laufe der Vertragsverhandlungen den Verzicht fordert und zur Bedingung für den Vertragsabschluss macht. Im Hinblick auf diese ungeklärte Rechtslage sollte in der Praxis eine verbindliche Auskunft vom zuständigen Finanzamt eingeholt werden.
7.
Verzicht Tätigkeitsvergütung
Verzichtet der Gesellschafter wegen der wirtschaftlichen Lage der GmbH als Geschäftsführer auf seine Tätigkeitsvergütung, so ist für die steuerlichen Auswirkungen zwischen dem Verzicht vor und nach Entstehung des Anspruchs auf die Vergütung zu unterscheiden.
77 78
Urteil vom 14.03.2006 I R 38/05. Urteil vom 27.07.2004 IX R 64/01, BFH/NV 205, 191.
Steuerrechtliche Aspekte im Rahmen des Turnaround Managements
209
Im Falle eines Verzichts nach Entstehung des Anspruchs auf Tätigkeitsvergütung ist grundsätzlich einerseits von einem Zufluss der Vergütung und damit der Verpflichtung zur Lohnversteuerung beim Gesellschafter-Geschäftsführer und andererseits von einer verdeckten Einlage mit der Folge der Erhöhung der nachträglichen Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile auszugehen.79 Etwas anderes gilt, wenn der Verzicht in der Krise wegen bestehender Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft erfolgt. Hier ist mangels liquider Mittel der GmbH keine konkrete Verfügungsmöglichkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers über seine Gehaltssprüche anzunehmen, so dass auch kein fiktiver Zufluss vorliegt und folglich auch nicht die Annahme einer verdeckten Einlage gerechtfertigt werden kann.80 Da die Rechtslage mangels konkreter höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht eindeutig ist und die Finanzverwaltung im Einzelfall auf die Idee kommen könnte, in Höhe des noch werthaltigen Teils der Gehaltsforderung einen Zufluss anzunehmen, sollte zur Vermeidung von Schwierigkeiten die Verzichtserklärung vor Entstehung der Gehaltsansprüche erfolgen. Verzichtet der Gesellschafter-Geschäftsführer auf noch nicht entstandene Gehaltsansprüche, so ergeben sich weder auf der Ebene der GmbH noch auf Gesellschafterebene ertragsteuerliche Folgen. In diesem Fall ist auch keine Lohnversteuerung vorzunehmen.81 Ein dauernder Wechsel zwischen Teilverzichten, Gehaltszahlungen in ursprünglich vereinbarter Höhe und Verzicht auf die gesamten Bezüge sollte auf jeden Fall vermieden werden, da die Finanzverwaltung mit Hinweis auf die willkürliche Handhabung und damit fehlende Ernsthaftigkeit der Gehaltsvereinbarungen eine verdeckte Gewinnausschüttung annehmen könnte.82 Selbst wenn der Verzicht durch eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der GmbH veranlasst ist, würde durch den ständigen Wechsel zwischen Gehaltszahlung und Verzicht deutlich, dass hier nicht die Entgeltlichkeit der Geschäftsführertätigkeit vereinbart werden sollte, sondern die Gehaltszahlungen nur bei günstiger Gewinnsituation erfolgen sollten. Für die Verzichtserklärung ist grundsätzlich keine besondere Form vorgeschrieben. Nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung83 reicht es für einen steuerrechtlich wirksamen Verzicht, wenn das Gehalt das Gesellschafter-Geschäftsführers einfach nicht gebucht wird oder der Gehaltsverzicht dadurch dokumentiert wird, dass in den Lohnkonten für den fraglichen Zeitraum keine Eintragungen vorgenommen werden. Für die steuerliche Anerkennung eines vorübergehenden Gehaltsverzichts mit Besserungsschein ist eine im Vorhinein vereinbarte eindeutige Regelung zu den Voraussetzungen des Besserungsfalls erforderlich, die objektiv nachprüfbar und damit nicht ins Belieben des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers gestellt sind. Andernfalls sind die Besserungs-
79
BFH-Urteil vom 19.07.1994 VIII R 58/92, BStBl. II 1995, 362. BFH-Urteil vom 09.06.1997 GrS 1/94, BStBl. 1998, 307, allerdings nicht zur Frage des Gehaltsverzichts. 81 FG Hamburg Urteil vom 27.08.1992 II 94/91, EFG 1993, 223. 82 BFH-Beschluss vom 30.03.1994 I B 185/93, BFH/NV 1995, 164. 83 FG Saarland Urteil vom 12.09.1997, EFG 1998, 133, rkr.; FG Hamburg Urteil vom 27.08.1992, a.a.O. 80
210
Stephanie Bschorr
zahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen zu qualifizieren.84 Die Nachzahlung von Geschäftsführerbezügen des Alleingesellschafters einer GmbH nach einem Verzicht mit Besserungsklausel führt nach Auffassung der Rechtsprechung zu einer verdeckten Gewinnausschüttung, wenn im Zeitpunkt des Verzichts die Voraussetzungen zur Annahme des Besserungsfalls, die Laufzeit des bedingten Verzichts und der zeitliche und betragsmäßige Umfang der Gehaltsnachholung ungeregelt bleiben, da ein fremder Geschäftsführer sich auf eine Besserungsvereinbarung mit derartigen Ungewissheiten und Unwägbarkeiten nicht eingelassen hätte. In diesem Zusammenhang könnte die Definition der Besserungsbedingung zum Beispiel mit „Wiederherstellung des Nennkapitals durch Jahresüberschüsse“ definiert werden.
84
BFH-Urteil vom 18.12.2002 I R 27/02, GmbHR 2003, 546 mit Anmerkung von Hoffmann.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
211
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements Stephan Gneuß
Dr. Stephan Gneuß ist geschäftsführender Gesellschafter der Gneuß Kunststofftechnik GmbH mit Sitz in Bad Oeynhausen. Das Unternehmen stellt Maschinen zur Filtration von Kunststoffen sowie Druck- und Temperatursensoren zur Steuerung von Extrusionsprozessen her. Gneuß Kunststofftechnik beschäftigt ca. 130 Mitarbeiter und vertreibt seine Produkte weltweit. Vor seiner Tätigkeit als Geschäftsführer war Dr. Gneuß als Berater für eine mittelstandsorientierte Managementberatung tätig. In dieser Zeit wirkte er bei einer Reihe von Unternehmen aktiv an einem Turnaround mit. Seit 2003 ist Dr. Gneuß Lehrbeauftragter der Fachhochschule Münster zum Thema „Managementstrategien“. E-Mail: [email protected]
212
Stephan Gneuß
Inhaltsverzeichnis
1. Organisation und Unternehmenskrise............................................................................. 213 2. Misserfolgsanalyse als Basis der Organisationsentwicklung.......................................... 214 2.1 Die Bedeutung der Misserfolgsanalyse für die Organisationsentwicklung beim Turnaround ............................................... 214 2.2 Checkliste zur Misserfolgsanalyse .......................................................................... 215 3. Klare Zieldefinition als Voraussetzung für die organisatorische Ausrichtung ................ 219 4. Grundsätzliche Anforderungen an die Organisation im Rahmen des Turnaround Managements .................................................................... 221 4.1 Wachsame Organisation .......................................................................................... 221 4.2 Klare und eindeutige Zuordnung von Verantwortungsbereichen............................. 222 4.3 Integrative Organisationsentwicklung ..................................................................... 223 4.4 Straffe Führung........................................................................................................ 224 4.5 Schriftlicher Handlungsleitfaden ............................................................................. 224 4.6 Vermeidung von voreiligem Personalabbau ............................................................ 225 5. Bereichsbezogene Ansatzpunkte bei der Entwicklung eines Organisationskonzeptes......................................................................................... 226 5.1 Produktentwicklung................................................................................................. 226 5.2 Beschaffung............................................................................................................. 228 5.3 Produktion ............................................................................................................... 229 5.4 Vertrieb .................................................................................................................... 229 6. Konzept zur zielorientierten Mitarbeiterführung ............................................................ 230 6.1 Definition und Bekanntmachung der Unternehmensziele ....................................... 231 6.2 Übertragung der Ziele auf die Mitarbeiterebene...................................................... 232 6.3 Zielverfolgung und Zielkorrektur ............................................................................ 236
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
1.
213
Organisation und Unternehmenskrise
Die Ursachen für Existenz bedrohende Unternehmenskrisen können vielfältiger Natur sein. Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Gründen, die man als hausgemacht bezeichnen kann. In diesen Fällen liegt bzw. lag der Ursprung der Krise im Unternehmen selber. Bekannte Beispiele für solche Unternehmenskrisen sind beispielsweise: fehlgeschlagene Kooperationen mit anderen Unternehmen, ökonomisch oder strategisch falsche Investitionsentscheidungen, mangelhafte Personalpolitik. Spricht man mit Unternehmern, die gerade mit einer Unternehmenskrise zu kämpfen haben, so scheinen jedoch Unternehmenskrisen mindestens ebenso oft auf externe Umstände zurückzuführen zu sein. Hierbei handelt es sich in der Regel um größere Veränderungen der Unternehmensumwelt, die dann zu einer Krise führen bzw. maßgeblich zu dieser Krise beitragen. Beispiele hierfür können sein: Verschlechterungen der allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, veränderte Gesetzlage, die z. B. zu verändertem Verhalten der Marktteilnehmer führt, neue Technologien, die zu einem veränderten Kaufverhalten führen. Externe und interne Gründe für eine Unternehmenskrise sind nicht immer klar voneinander abzugrenzen, da sie oftmals gemeinsam auftauchen. Ein wesentlicher Aspekt, der bei der differenzierten Betrachtung von externen und internen Krisengründen jedoch oftmals übergangen wird, ist die Tatsache, dass einer Unternehmenskrise, egal ob extern oder intern begründet, (fast) immer eine Fehlleistung der Unternehmensorganisation vorausgeht. Bei den so genannten hausgemachten Krisen ist dies zunächst auch auf dem ersten Blick einsichtig, da in der Regel nicht in Frage gestellt wird, dass die Unternehmensorganisation für die unternehmensinternen Prozesse verantwortlich ist. Auf der anderen Seite kann man aber nicht wirklich von einer Unternehmensorganisation verlangen, dass sie stets die richtigen Entscheidungen trifft und die marktlichen und allgemeinen Unternehmensrahmenbedingungen stets korrekt einschätzt. Diese liegen letztendlich ja nicht im Kontrollbereich der Unternehmensorganisation. Warum also sollte auch einer auf externen Ursachen basierenden Unternehmenskrise stets eine Fehlleistung der Unternehmensorganisation vorausgehen? Der Grund hierfür ist schlicht, dass eine gute Unternehmensorganisation zwar nicht alle Entwicklungen korrekt voraussehen kann, jedoch in der Lage sein sollte, konträre und gefährliche Entwicklungen der Unternehmensumwelt früh genug zu erkennen und so zu verarbeiten, dass eine Unternehmenskrise verhindert werden kann.
214
Stephan Gneuß
Hier wird ein wesentliches Merkmal der Unternehmensorganisation im Zusammenhang mit dem Turnaround Management deutlich: Die Reorganisation soll nicht nur im Rahmen der Neuausrichtung des Unternehmens helfen, die gesteckten Unternehmensziele zu erreichen, sondern auch sicherstellen, dass eine wiederholte Unternehmenskrise nach Möglichkeit ausgeschlossen werden kann. Hierbei ist es wesentlich zu erkennen, dass in aller Regel die bestehende Unternehmensorganisation direkt oder indirekt mitverantwortlich für das Eintreten der Krise war und dass daher ein striktes Festhalten an den bestehenden Organisationsstrukturen kaum Ziel führend sein kann. Dies heißt nicht, dass es zwangsläufig zu einer vollständigen organisatorischen Neugestaltung kommen muss. Allerdings wird im Rahmen einer Analyse genau zu bestimmen sein, welche Aspekte bei der Entstehung der Unternehmenskrise versagt haben, damit entsprechende Schlussfolgerungen getroffen werden können. Auf Basis dieser Analyse ist dann die zukünftige Organisation zu entwickeln.
2.
Misserfolgsanalyse als Basis der Organisationsentwicklung
2.1
Die Bedeutung der Misserfolgsanalyse für die Organisationsentwicklung beim Turnaround
Eine der wichtigsten Anforderungen an die Durchführung der Misserfolgsanalyse ist es, diese möglichst umfassend vorzunehmen. Ein Turnaround bedeutet in aller Regel eine einmalige Chance, da das Unternehmen im Gegensatz zum Sanierungsfall noch weitgehend aus eigener Kraft die strategische Neuausrichtung durchführen kann. Eine große Gefahr liegt darin, dass in der Analyse zu kurz gegriffen wird und nur ein Teil der Probleme behoben wird. Es ist zu bedenken, dass einer nicht unwesentlichen Zahl von Sanierungsfällen der Versuch eines Turnarounds vorangegangen ist. Oftmals scheiterte dieser an einer mangelhaften Umsetzung, in mindestens ebenso vielen Fällen jedoch auch an einer mangelhaften Analyse im Vorfeld des Turnarounds. Aus organisatorischer Sicht bedeutet dies, dass bei der Entwicklung der Unternehmensorganisation schlicht nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigt wurden. Diese Gefahr ist besonders groß, wenn die Unternehmenskrise eine besonders augenscheinliche und auffällige Ursache hat. In diesem Fall ist man geneigt, gar nicht erst nach eventuellen weiteren Gründen zu suchen. Erschwerend kommt hinzu, dass beim Turnaround oftmals dieselben Entscheidungsträger, die bereits vor der Unternehmenskrise diese Positionen innehatten, maßgeblich an der Strategieentwicklung beteiligt sind. Insofern läuft man Gefahr, dass bereits vorher vernachlässigte Informationsbereiche wieder nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
215
Aus diesem Grund ist es sinnvoll, bei der Analyse anhand einer Checkliste vorzugehen, um sicherzustellen, dass wesentliche Bereiche nicht außer Acht gelassen werden. Im Folgenden soll eine Vorlage für eine solche Checkliste kurz vorgestellt werden. Branchen- und unternehmensspezifische Änderungen sind im konkreten Anwendungsfall natürlich vorzunehmen. Die einzelnen Bereiche der Checkliste sind dann, je nach Hintergrund der Unternehmenskrise, entsprechend zu akzentuierten. Bei der Beurteilung der Aspekte ist zum einen zu bewerten, ob diese als Grund für die Unternehmenskrise eine Relevanz besitzen. Sofern diese Frage mit ja beantwortet wird, gilt es zu analysieren, warum dies nicht rechtzeitig erkannt wurde und entgegengesteuert wurde. Zum anderen ist jedoch auch zu bewerten, ob der jeweilige Aspekt aller Voraussicht nach in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird, auch wenn dies in der Vergangenheit nicht der Fall war. Sofern dies der Fall ist, muss dem Aspekt bei der Entwicklung der Unternehmensorganisation entsprechend Rechnung getragen werden.
2.2
Checkliste zur Misserfolgsanalyse
2.2.1
Allgemeine Unternehmensumwelt:
1.
2.
1
Technologische Veränderungen: a)
Welche technologischen Neuerungen, die Auswirkungen auf den eigenen Unternehmenserfolg hatten, gab es in der letzten Zeit (z. B. verbesserte Wettbewerbsprodukte, Patentanmeldungen)?
b)
Sind diese Änderungen rechtzeitig entdeckt worden? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
c)
Sind technologische Neuerungen dieser Art für die Zukunft zu erwarten?
Soziokulturelle Veränderungen: a)
Gab oder gibt es Veränderungen soziokultureller Art mit Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg?1
b)
Wurden diese Änderungen rechtzeitig entdeckt? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
c)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Diese Auswirkung dieser Aspekte ist meist abstrakt. So kann z. B. ein gestiegenes Umweltbewusstsein mittelbar Auswirkungen auf die Absatzchancen eigener Produkte haben, wenn man beispielsweise Produzent von Maschinen zur Herstellung von Kunststoff-Einweggeschirr ist.
216
3.
4.
Stephan Gneuß
Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen:
2.
Gab oder gibt es gravierende Veränderungen in der wirtschaftlichen Gesamtlage wesentlicher Abnehmer-, Produktions- und/oder Beschaffungsregionen, die eine Auswirkung auf den Unternehmenserfolg hatten/haben (z. B. allgemeine Rezessionen, übermäßige Inflation, Arbeitskräftemangel durch positive Konjunkturentwicklung)?
b)
Wurden diese Änderungen rechtzeitig entdeckt? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
c)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen
2.2.2 1.
a)
a)
Gab oder gibt es gravierende Veränderungen in den politischen Rahmenbedingungen wesentlicher Abnehmer-, Produktions- und/oder Beschaffungsregionen, die eine negative Auswirkung auf den Unternehmenserfolg hatten/haben (z. B. neue Gesetze und Vorschriften oder eine allgemeine politische Isolierung)?
b)
Wurden diese Änderungen rechtzeitig entdeckt worden? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
c)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Konkrete Unternehmensumwelt:
Lieferanten a)
Liegen bei den Einkaufspreisen für Zukaufteile noch Einsparpotenziale? Wenn ja: Liegen die personellen Kapazitäten vor, diese Einsparpotenziale zu nutzen?
b)
Gab oder gibt es Änderungen mit Einfluss auf die Geschäftsbeziehung zu Ihrem Unternehmen bei wichtigen Lieferanten (z. B. neue Gesellschafterstruktur, neue Geschäftsleitung, wirtschaftliche Probleme, veränderter Produktfokus des Lieferanten)?
c)
Wurden diese Änderungen rechtzeitig entdeckt? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
d)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Kunden a)
Gibt es Spielraum für Preiserhöhungen?
b)
Gab oder gibt es Änderungen mit Einfluss auf die Geschäftsbeziehung zu Ihrem Unternehmen bei wichtigen Kunden (z. B. neue Gesellschafterstruktur, neue Geschäftsleitung, wirtschaftliche Probleme, veränderter Produktfokus des Kunden)?
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
3.
4.
5.
c)
Wurden diese Änderungen rechtzeitig entdeckt? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
d)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Wettbewerb a)
Hat sich der Wettbewerb zwischen Ihnen und Ihren Wettbewerbern in der letzten Zeit verschärft? Wenn ja: Woran lag oder liegt dies?
b)
Wurden diese Änderungen rechtzeitig entdeckt? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
c)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Neue Marktteilnehmer a)
Sind in der letzten Zeit neue Marktteilnehmer (Kunden, Lieferanten oder Wettbewerber) aufgetaucht, die die „Spielregeln“ des Marktes wesentlich beeinflusst haben?
b)
Wurden diese Änderungen rechtzeitig entdeckt? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
c)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Substitutionsprodukte
2.2.3 1.
217
a)
Gibt es aktuelle Tendenzen zur Substitution Ihrer Produkte mit anderen Produkten (z. B. neue Produkte Ihrer Wettbewerber oder externer Anbieter?
b)
Wurden diese Änderungen rechtzeitig entdeckt? Wenn nicht: Wer hätte sie entdecken können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
c)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Unternehmensanalyse
Jahresabschlüsse a)
Ergeben sich bereits aus den voran gegangenen Jahresabschlüssen deutliche Hinweise, die auf eine sich anbahnende Krise hindeuten? a.
Wenn ja: War Ihnen dies bewusst oder wurden Sie hierauf von Mitarbeitern oder externen Beratern hingewiesen?
218
Stephan Gneuß
b.
b) 2.
Werden Ihre Jahresabschlüsse regelmäßig auf potenzielle Risiken hin untersucht?
Controllinginformationen a)
3.
Wenn nein: Warum wurde dies nicht deutlich? Lässt sich Ihre Bilanzierungsstruktur eventuell so aufstellen, dass solche Entwicklungen deutlicher sichtbar werden?2
Ergaben sich aus den zur Verfügung stehenden Controllinginformationen ausreichend Hinweise, um die Unternehmenskrise frühzeitig zu entdecken? a.
Wenn ja: War Ihnen dies bewusst oder wurden Sie hierauf von Mitarbeitern oder externen Beratern hingewiesen?
b.
Wenn nein: Warum wurde dies nicht deutlich? Ist Ihr Controllingsystem nicht ausreichend dimensioniert oder ist die Aufbereitung der Daten nicht transparent genug?
b)
Reicht der Turnus der Ermittlung relevanter Controllinggrößen aus?
c)
Werden regelmäßige Branchenvergleiche durchgeführt?
Effizienz der Wertschöpfungsprozesse a)
Hat die Ineffizienz der eigenen Wertschöpfungsprozesse die Unternehmenskrise (mit)verursacht? Dies kann sich z. B. in zu hohen Kostenstrukturen niederschlagen oder in Qualitätsproblemen. a.
Wenn ja: i. Welche Bereiche sind hiervon betroffen? ii. Was konkret verursacht die Ineffizienzen? iii. Wie haben die Mitarbeiter der betroffenen Bereiche auf die Ineffizienzen reagiert (gab es z. B. Beschwerden von Seiten der Mitarbeiter)?
b. b) 4.
Wird die Effizienz Ihrer Unternehmensprozesse regelmäßig untersucht (dies kann durch eigene Mitarbeiter oder externe Berater erfolgen)?
Kompetenz der Mitarbeiter a)
2
Wenn nein: Sind aufgrund der Unternehmensneuausrichtung Ineffizienzen zu befürchten?
Weisen Ihre Mitarbeiter die notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen für die Ihnen zugeordneten Verantwortungsbereiche auf?
Dies ist vor allem bei Unternehmensgruppen mit interner Leistungsverrechnung relevant.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
5.
3.
219
b)
Hat sich in den vergangenen Jahren das Anforderungsprofil an einzelne Stellen verschoben, so dass einzelne Mitarbeiter Ihre Aufgabe nicht mehr vollständig erfüllen konnten? Wenn ja: Wann wurde Ihnen dies bewusst?
c)
Wird die Kompetenz Ihrer Mitarbeiter in Bezug auf die zu erledigenden Aufgaben regelmäßig überprüft?
Sortiment a)
Sind Sie über die Deckungsbeiträge Ihrer Produkte ausreichend informiert?
b)
Hat es in einzelnen Produktbereichen besonders starke Veränderungen, z. B. durch Absatzrückgänge oder Preisverfall, gegeben?
c)
Wurden Sie auf diese Veränderungen rechtzeitig aufmerksam? Wenn nicht: Wer hätte Sie hierauf aufmerksam machen können? Wenn ja: Wurden die richtigen Schlussfolgerungen gezogen?
d)
Zeichnen sich Änderungen dieser Art für die Zukunft ab?
Klare Zieldefinition als Voraussetzung für die organisatorische Ausrichtung
Die Analyse stellt eine gute Basis für die weitere Organisationsentwicklung dar. Bevor jedoch konkrete Maßnahmen festgelegt werden können, ist es notwendig, sich über die eigentliche Zielsetzung klar zu werden. Dies klingt oftmals einfacher als es ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem, den eigenen Beitrag realistisch einzuschätzen. So nutzen z. B. ehrgeizige Ziele der Geschäftsleitung wenig, wenn die Mitarbeiter und/oder die Geschäftsleitung nicht bereit sind, den notwendigen Arbeitseinsatz zu bringen oder dies nicht vemögen. Die Arbeitsbereitschaft und Kompetenz der betroffenen Mitarbeiter muss organisatorisch insofern berücksichtigt werden, dass sich die definierten Verantwortungsbereiche auch realistisch ausfüllen lassen. Eventuell müssen allzu ehrgeizige Ziele etwas reduziert werden. Vor dem Hintergrund, dass der Turnaround in der Regel eine einmalige Chance ist, ist es höchst problematisch, sich bereits bei der Zielausrichtung „in die Tasche zu lügen“. Erst eine klar definierte Unternehmensausrichtung lässt eine sinnvolle organisatorische Ausrichtung zu. Sinnvoller Weise wird ein übergeordnetes Unternehmensziel formuliert, aus dem sich dann Unterziele ableiten lassen. Ein solches Oberziel kann beispielsweise heißen: Rückgewinnung der Marktführerschaft bei zweistelliger Umsatzrendite. Ein hierzu gehöriges Unterziel beispielsweise: Erhöhung der Umsatzrendite durch Senkung der Wareneinstandspreise.
220
Stephan Gneuß
An einem Beispiel soll gezeigt werden, wie aus dem abgeleiteten Unterziel organisatorische Konsequenzen abgeleitet werden können: Ein für das Unterziel verantwortlicher Bereich ist der Einkauf. Organisatorisch muss hier berücksichtigt werden, dass eine Lieferantenrecherche bzw. die Verhandlung mit bestehenden Lieferanten zeitaufwendig ist, so dass ausreichend personelle Kapazitäten zur Verfügung stehen müssen. Als konkrete Maßnahme könnte demnach abgeleitet werden, dass das Personal im Bereich Einkauf um einen Mitarbeiter aufgestockt wird. Eventuell kann dieser Mitarbeiter aus einer anderen Abteilung mit gesunkenem Personalbedarf rekrutiert werden. Darüber hinaus ist auch die Produktentwicklung für das Unterziel verantwortlich, denn auch durch eine geschickte Produktgestaltung (z. B. durch die Verwendung von Fertigungsmodulen) können die Voraussetzung für günstigere Einkaufspreise geschaffen werden. Auch dies ist kapazitiv zu berücksichtigen. Beispielsweise kann aus Konstrukteuren eine Arbeitsgruppe gebildet werden, mit dem Ziel die konstruktiven Voraussetzungen für eine optimierte Produktgestaltung zu schaffen. Sinnvoller Weise ist hierfür dann ein Projektleiter zu benennen. Nach dem aufgeführten Muster lassen sich weitere konkrete Maßnahmen definieren. Die einzelnen Maßnahmen sollten anschließend unbedingt im Rahmen einer Unternehmensplanung auf ihre Auswirkung bezüglich des Ertrags- und Finanzergebnisses hin untersucht werden. Die Erfahrung zeigt, dass viele Unternehmen die finanzielle Auswirkung einzelner Maßnahmen stark überschätzen. So wird oft wertvolle Zeit verloren und ein zunächst unzureichender Maßnahmenplan verabschiedet. Wenn die unzureichende Wirkung der Maßnahmen auffällt ist es dann meist zu spät, um noch hinlänglich reagieren zu können. Um dies zu vermeiden, ist die konkrete Ermittlung der zu erwartenden Erträge und Finanzergebnisse auf Basis der geplanten Neuorganisation unumgänglich. Im Zweifelsfall sollte hierzu externer Sachverstand hinzugezogen werden. Die Summe der getroffenen organisatorischen Maßnahmen findet sich in der neuen Organisationsstruktur wieder. Bei der Entwicklung dieser neuen Organisationsstruktur gilt es einige grundlegende Aspekte zu beachten, auf die in den folgenden Kapiteln eingegangen werden soll. Die einzelnen Aspekte basieren auf Erfahrungswerten des Autors im Rahmen seiner Beratungs- und Geschäftsführungstätigkeit. Sie sollen dem Leser als Ansatzpunkte bei der Gestaltung des eigenen organisatorischen Konzepts und bei der Definition konkreter organisatorischer Maßnahmen dienen.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
221
4.
Grundsätzliche Anforderungen an die Organisation im Rahmen des Turnaround Managements
4.1
Wachsame Organisation
Es wurde bereits erwähnt, dass es für den mittel- bis langfristigen Erfolg eines Unternehmens unerlässlich ist, Informationen innerhalb des Unternehmens und im Unternehmensumfeld rechtzeitig zu erkennen und diese Informationen auch entsprechend zu kanalisieren, d. h. an die richtigen Stellen im Unternehmen weiterzuleiten. In der Konsequenz ist im Rahmen der Unternehmensorganisation zwingend Vorsorge zu treffen, dass diese Anforderung erfüllt wird. Dies bedeutet natürlich nicht zwingend, dass eine eigene Abteilung für diesen Zweck bereitgestellt werden muss. Aus finanziellen und personellen Gründen ist dies ohnehin meist nur bei Großkonzernen möglich. Vor allen bei mittelständischen Unternehmen ist es vielmehr eine Reihe von recht pragmatischen Faktoren, mit denen diese Zielsetzung erreicht werden kann. Hierfür muss weder Personal eingestellt werden noch müssen im größeren Maße externe Dienstleistungen in Anspruch genommen werden. Wesentlicher Grundsatz hierbei ist, dass in der Regel nur das wahrgenommen wird, was bewusst beobachtet wird. Im Unternehmensalltag bedeutet dies, dass man durch den Fokus auf das Tagesgeschäft wesentliche Erfolgsfaktoren nicht wahrnimmt, weil man sie schlicht nicht explizit beobachtet. Diesem Phänomen kann begegnet werden, indem die Beobachtung konkreter Aspekte klar in den Verantwortungsbereich einzelner Mitarbeiter(-gruppen) delegiert wird. Diese haben dann eine regelmäßige bzw. in dringenden Fällen sofortige Reportpflicht. Ebenso wichtig wie die Beobachtung relevanter Informationen ist, dass diese auch den richtigen Entscheidungsstellen zugänglich gemacht werden und nicht in diversen Ablagen oder Aktenordnern versauern. Vor diesem Hintergrund sind die einzelnen Informationen eindeutig zugeordneten Entscheidungsgremien zugänglich zu machen. In diesen Entscheidungsgremien ist dann über eventuelle Konsequenzen zu befinden. An einem Beispiel soll deutlich gemacht werden, wie dies in der Praxis konkret umgesetzt werden kann. Beispiel zur Organisation der Informationsgewinnung: Informationsgegenstand: Konkurrenzbeobachtung
222
Stephan Gneuß
Verantwortlich für die Informationssuche: Außendienstmitarbeiter Technische Leitung Marketing Ort der Informationsgewinnung Außendienst: Erfahrungen im Rahmen von Kundengesprächen und Messebesuchen Technische Leitung: Regelmäßige Patentrecherche Marketing: Sammlung von Unternehmensberichten und Anzeigen aus der Fachpresse Art der Informationsweitergabe Außendienst: Vorstellung im Rahmen von regelmäßigen Strategietreffen, evtl. auch konkretes Reportingsystem, das z. B. standardmäßig im Anschluss an Messen zu erstellen ist Technische Leitung: Vorstellung im Rahmen von regelmäßigen Strategietreffen Marketing: Regelmäßige Verteilung von Kopien der relevanten Artikel an die Mitglieder der Strategietreffen und evtl. an andere betroffene Mitarbeitergruppen Entscheidungsgremium Strategiegremium, dem die Führungskräfte des Unternehmens angehören. Treffen können z. B. halbjährlich und ad hoc zu besonderen Anlässen einberufen werden. Analog sind auch für weitere relevante Informationsbereiche, z. B. den Einkauf oder die Produktentwicklung betreffend, klare Zuordnungen und feste Vorgaben bezüglich der Kommunikationswege zu treffen. Die Informationsgewinnung ist selbstverständlich nicht auf externe Faktoren beschränkt sondern umfasst auch interne Unternehmensinformationen. In diesem Zusammenhang können z. B. regelmäßige Mitarbeiterbefragungen hilfreich sein.
4.2
Klare und eindeutige Zuordnung von Verantwortungsbereichen
Bei regelmäßiger Kontrolle der einzelnen Verantwortungsbereiche wird aller Voraussicht nach ein fortlaufender Änderungsbedarf an der Unternehmensorganisation ersichtlich werden. Alles andere wäre erstaunlich, denn die sich ändernden marktlichen Rahmenbedingungen oder aber unternehmensinterne Änderungen machen die Verschiebung einzelner Schwerpunkte notwendig und führen somit oft zu notwendigen Veränderungen der Zuordnung zu den einzelnen Verantwortungsbereichen. So kann z. B. eine stark steigende Kundenaktivität in Asien dazu führen, dass der zuständige Vertriebsmitarbeiter von anderen Aufgaben entlastet
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
223
werden muss. Als weiteres Beispiel kann die Notwendigkeit einer veränderten Zusammensetzung des Strategiegremiums genannt werden, wenn z. B. marktliche Änderungen eine Integration des Vertreters eines bestimmten Verantwortungsbereiches notwendig erscheinen lassen. In diesem Zusammenhang ist es nicht ungewöhnlich, dass Unternehmensorganisationen in relativ kurzfristigen Zyklen Änderungen durchlaufen müssen. In der Praxis ist gerade bei erfolgreichen Unternehmen ein fortlaufender Entwicklungsprozess der Unternehmensorganisation zu beobachten. Unterbleiben diese Änderungen läuft das Unternehmen Gefahr sowohl an Effektivität als auch an Effizienz zu verlieren. Aus diesem Grund ist eine fortlaufende Hinterfragung und Anpassung der eigenen Organisation unumgänglich. Hilfreich ist es, hier einen institutionalisierten Zeitpunkt zu wählen, beispielsweise das Jahresende, an denen ein entsprechendes Zwischenfazit zu ziehen ist. Dies kann z. B. im Rahmen eines Strategietreffens erfolgen. Die Notwendigkeit gegebenenfalls ad hoc Treffen einzuberufen, z. B. beim Weggang eines Schlüsselmitarbeiters, bleibt hiervon natürlich unbenommen. Bei allen Änderungen ist jedoch zu bedenken, dass aus Kundensicht die Kontinuität der Ansprechpartner einen nicht zu unterschätzenden Wert besitzt. Dies ist bei der organisatorischen Umgestaltung stets zu berücksichtigen.
4.3
Integrative Organisationsentwicklung
Ein wichtiger Grundsatz der organisatorischen Neuausrichtung im Rahmen des Turnarounds ist, dass die verantwortlichen Personen frühzeitig in die Organisationsentwicklung eingebunden werden, um möglichst schnell eine Akzeptanz der neuen Organisation zu erreichen. Das soll nicht heißen, dass alle Entscheidungen gemeinsam und im Konsens getroffen werden müssen. Im Gegenteil empfiehlt es sich oftmals. den Strategiekreis, in dem die organisatorischen Änderungen festgelegt werden, möglichst klein zu halten, um die notwendige Flexibilität und die klare Ausrichtung nicht zu gefährden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn in größerem Maße Privatinteressen der Betroffenen einzufließen drohen. Allerdings empfiehlt es sich stets, die Organisation nicht plötzlich und verbindlich vorzustellen, sondern im Rahmen von vorangehenden Gesprächen Verständnis zu schaffen und die Gründe unter Umständen in Einzelgesprächen zu erläutern. Die hierfür aufgewendete Zeit ist in der Regel nur ein Bruchteil dessen, was aufzuwenden ist, wenn im Nachhinein Verstimmungen und Blockadehaltungen zu lösen sind.
224
4.4
Stephan Gneuß
Straffe Führung
Das Vorliegen einer Unternehmenskrise geht in der Regel einher mit einem erheblichen zeitlichen Druck. Fehler in der Umsetzung können für das Unternehmen schnell Existenz bedrohend werden. Die Erfahrung zeigt daher, dass die Organisation im Turnaround Management auf einer straffen Führungsstruktur aufbauen sollte. Dabei kann die Führungsfunktion durchaus auf mehreren Schultern verteil sein und muss nicht zwingend autoritär sein. Wichtig ist jedoch, dass die Zielsetzung klar und eindeutig definiert ist, die Verantwortlichkeiten klar zugeordnet sind und eine regelmäßige Überprüfung der Umsetzung stattfindet. Die Verantwortungsbereiche sind zumindest zu Beginn der Neuausrichtung im Zweifelsfall eher kleiner zu wählen, um zu verhindern, dass durch anfängliche Probleme im Rahmen der Neuorganisation Bereiche ohne klare Zuordnung entstehen. Vorgaben für die einzelnen Verantwortungsbereiche müssen eindeutig und verbindlich sein. Regelmäßige Fortschrittskontrollen sind vor dem Hintergrund der angespannten Lage unabdingbar und nicht als Misstrauen zu interpretieren. Nur durch regelmäßige Überprüfung der Abläufe und Ergebnisse kann vermieden werden, dass Mitarbeiter wieder in den „alten Trott“ verfallen und die neue Organisation nicht mit Leben erfüllt wird. Besonders problematisch ist es, wenn Teile des Unternehmens noch nach alten Organisationsmustern arbeiten, während andere Bereiche sich an die neue Organisation halten. Dann sind Verantwortungslücken und Ineffizienzen vorprogrammiert.
4.5
Schriftlicher Handlungsleitfaden
Um Missverständnisse bezüglich einzelner Verantwortungsbereiche zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Stellenschreibungen schriftlich niederzulegen und im Rahmen eines Organisations-Handbuchs allen Mitarbeitern zugänglich zu machen. So ist sichergestellt, dass Mitarbeiter sich auch über den Verantwortungsbereich ihrer Kollegen informieren können und somit Schnittstellen besser optimiert werden können. Für neue Mitarbeiter ist ein solches Handbuch ein idealer Leitfaden, um sich schnell im Unternehmen zurechtfinden zu können. Zudem wird durch die vollständige Auflistung sämtlicher Stellenbeschreibungen sichergestellt, dass keine Bereiche bei der organisatorischen Konzeptionierung vernachlässigt oder gar vergessen werden. Die Gliederung des Handbuches kann sich nach der Aufbauorganisation richten, wobei die einzelnen Stellenbeschreibungen dann unter ihrer Abteilung aufgeführt werden.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
225
Da gerade zu Beginn einer organisatorischen Neuausrichtung oftmals Nachbesserungen und Änderungen erfolgen, sollte das Handbuch fortlaufend optimiert werden. Zur besseren Übersicht können die Änderungen in einem Änderungsindex zu Beginn des Handbuches festgehalten werden. Ein positiver Nebeneffekt einer solchen dokumentierten Unternehmensorganisation ist, dass hiermit auch ein wesentlicher Baustein der Norm DIN EN ISO 9001:2000 erfüllt wird.
4.6
Vermeidung von voreiligem Personalabbau
Grundsätzlich gilt, dass für eine erfolgreiche Neuausrichtung der Organisation eine optimierte Prozesseffizienz wesentliches Merkmal ist. Sofern ein Prozess ohne qualitative Nachteile für das Produkt oder Unternehmen auch mit einem geringeren Personalbestand umgesetzt werden kann, ist dies zwingend zu realisieren. Hierfür spricht gleich eine ganze Reihe von Gründen: Durch die Personaleinsparungen können Kosten reduziert werden, die dem Unternehmen bei der Umsetzung des Turnarounds mehr Handlungsspielraum geben. Studien zeigen, dass die Motivation der Mitarbeiter in einer ineffizienten Organisation geringer ist als in einer effizienten Organisation Durch die Straffung der Organisation wird auch für Mitarbeiter anderer Abteilungen ein Zeichen gesetzt, das die Bedeutung der Prozessoptimierung unterstreicht. Auch wenn im Zuge einer Unternehmenskrise der Kostendruck so groß ist, dass die Verschlankung von Prozessen in aller Regel zu Entlassungen von Mitarbeitern führt, wäre es falsch zu schlussfolgern, dass generelle Konsequenz eines Optimierungsprozesses die Entlassung der für diesen Prozess überflüssigen Mitarbeiter wäre. Dies ist in der Praxis im Übrigen auch bei kleineren Unternehmen nur schwer umsetzbar. Wenn in einer Abteilung mit zwei Mitarbeitern beispielsweise 20 Prozent Effizienzgewinne realisiert werden, ist es ja kaum möglich 0,4 Mitarbeiter zu entlassen und auch eine Teilzeitregelung scheitert oft an der Umsetzbarkeit. Da die Unternehmenskrise in aller Regel Konsequenz einer Fehlleistung in mindestens einem Bereich der Organisation ist, ergibt sich hieraus ein Handlungsbedarf für die Zukunft, der gedeckt werden muss. Oftmals ist es daher vorteilhaft durch Umstrukturierungen die frei werdenden Kapazitäten für bislang vernachlässigte Aufgaben in anderen Bereichen zu nutzen. So kann z. B. ein für die Auftragsabwicklung nicht mehr benötigter Konstrukteur für die Umgestaltung der Produkte mit dem Ziel einer günstigeren Produktion oder weitergehenden Entwicklungen betraut werden. Dieser Mitarbeiter hat den großen Vorteil, dass er bereits detaillierte Kenntnisse über die Produkte und das Unternehmen besitzt und somit schnell und flexibel einsetzbar ist. Selbes gilt beispielsweise für den Fall, dass im Zuge der Fixkostenre-
226
Stephan Gneuß
duktion der Zukaufanteil zu Lasten der eigenen Produktion erhöht wird. Hier ist es z. B. möglich, Mitarbeiter aus der Produktion in den Lagerbereich zu übernehmen, um den wachsenden Bedarf an Wareneingangskontrolle zu decken. Dies geht in der Praxis oftmals unter, da sich die organisatorischen Maßnahmen meist auf eine reine Verbesserung der Wertschöpfungskette konzentrieren und unterstützende bzw. nicht operative Tätigkeiten vernachlässigt werden. Nicht selten ist es aber genau die Vernachlässigung dieser Aktivitäten, die zur Unternehmenskrise führt oder zumindest hierzu beiträgt. Insofern ist es durchaus sinnvoll bei der organisatorischen Neuausrichtung von Anfang an dafür Sorge zu tragen, dass Verantwortungsbereiche so zugeschnitten werden, dass die betreffenden Mitarbeiter flexibel eingesetzt werden können. Somit kann bei späteren organisatorischen Anpassungen schneller und besser auf die neuen Anforderungen reagiert werden. Erreichen lässt sich dies beispielsweise durch eine transparente Informationspolitik, regelmäßige Schulungen oder auch Job Rotation. Ein weiterer Ansatz besteht darin, Vertretungsverantwortungen so zu regeln, dass hierdurch zugleich die Voraussetzungen für einen eventuellen zukünftigen Einsatz des Mitarbeiters in dem von ihm zu vertretenden Bereich gegeben sind.
5.
Bereichsbezogene Ansatzpunkte bei der Entwicklung eines Organisationskonzeptes
Aufgrund der spezifischen Ausgangssituation jeder Unternehmenskrise kann es keine allgemeine gültige Organisationsempfehlung zu den einzelnen Unternehmensbereichen geben. Allerdings lassen sich einige Muster aufzeigen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein können. Im Folgenden sollen für vier zentrale Unternehmensbereiche (Produktenwicklung, Beschaffung, Produktion und Vertrieb) einige Aspekte, die dem Autor im Rahmen seiner Beratungstätigkeit aufgefallen sind, dargestellt werden. Sie können dem Leser als Ansatzpunkte bei der Entwicklung eines eigenen Organisationskonzepts dienen.
5.1
Produktentwicklung
Der Produktentwicklung, die z. B. im Maschinenbau oftmals im Bereich der Konstruktion angesiedelt ist, kommt im Rahmen des Turnarounds eine besondere Bedeutung zu, da nicht selten Zielsetzungen der Absatzpolitik eng hiermit verbunden sind. Oft liegt eine Situation vor, in der von der Produktentwicklung wesentliche Impulse für den Vertrieb erwartetet werden, jedoch die Kostensituation einen engen Entwicklungsrahmen vorgibt.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
227
Da auch die Sicherstellung der Anpassungsfähigkeit an zukünftige Marktentwicklungen auf einer effizienten Produktentwicklung basiert, ist das Unternehmen vor dem Hintergrund des beschriebenen Kostendrucks gezwungen, Lösungsmöglichkeiten zu finden, die eine funktionierende Produktentwicklung auch ohne kostenintensive eigenständige organisatorische Lösung ermöglichen. Zur Vermeidung des Aufbaus von Fixkosten, die durch eine eigenständige Entwicklungsabteilung entstehen, kann beispielsweise auf externe Entwicklungsbüros zurückgegriffen werden. Dies ermöglicht eine genaue Kostenkontrolle. Mittelfristig ist allerdings genau zu überprüfen, ob eine Auslagerung der Produktentwicklung, als zentrales Element der zukünftigen Unternehmensentwicklung, wirklich sinnvoll ist. Eine alternative oder ergänzende Möglichkeit besteht darin, Kunden bzw. Lieferanten enger in die Produktentwicklung einzubeziehen. Die Kosten fallen so zunächst nicht im eigenen Unternehmen an und die Entwicklungsfähigkeit bleibt dennoch erhalten. Auch kann vorhandenes Fachwissen der Kunden bzw. Lieferanten genutzt werden. Auf der anderen Seite werden die Entwicklungspartner in einer solchen Situation erwarten können, bei einer erfolgreichen Entwicklung entsprechend am Erfolg partizipieren zu können. Dies kann bei Lieferanten z. B. durch langfristige Abnahmeverträge erfolgen. Auch werden die Entwicklungskosten des Lieferanten bei seiner Preisgestaltung berücksichtigt werden. Kunden können bei einer Beteiligung an Entwicklungsprojekten beispielsweise besondere Konditionen für anschließende Geschäfte erwarten oder auch eine prozentuale Beteiligung am Verkaufserlös bei Verkäufen des gemeinsam entwickelten Produktes an Dritte, beispielsweise in Form einer Lizenzgebühr. Oftmals liegen auch im eigenen Unternehmen, in den verschiedenen Abteilungen, große Potenziale im Bereich der Produktentwicklung vor. Offensichtlich ist dies beispielsweise im Vertrieb, wo durch die Kundennähe ganz wesentliche Kenntnisse über Kundenbedürfnisse vorliegen. Auch liegen im Einkauf oder der Produktion oftmals wichtige Kenntnisse vor, die dazu beitragen können, dass bei der Produktentwicklung bereits die Weichen für eine kostengünstige Produktkonzeption gestellt werden können. Daher empfiehlt es sich, geeignete Mitarbeiter der Bereiche Vertrieb, Einkauf und Produktion in Form einer Matrixorganisation in die Produktentwicklung einzubinden. Die Abstimmung kann beispielsweise in regelmäßigen Besprechungen erfolgen. Die Zusammensetzung der Teilnehmer muss keineswegs gleich bleiben, sondern kann durchaus variieren. So empfiehlt es sich zum Beispiel bei branchenbezogenen Entwicklungen auf die Mitarbeiter mit der meisten Branchenerfahrung zurückzugreifen. Die Erfahrung zeigt, dass es oftmals sinnvoll ist, einzelnen Mitarbeitern die Verantwortung für einzelne Produkte oder Produktbereiche zu übertragen und diese als Produktmanager agieren zu lassen. Dieses muss sich nicht unbedingt in einer eigenen Position im Organigramm zeigen, sondern kann sich zum Beispiel in der Rolle als Besprechungsleiter und Umsetzungsverantwortlicher der regelmäßigen Abstimmungstreffen niederschlagen. Somit kann zum einen die Sammlung und Kanalisierung der relevanten Informationen sichergestellt werden. Zum anderen wird sichergestellt, dass die Verantwortung zur Produktenwicklung im
228
Stephan Gneuß
Rahmen der Matrixorganisation nicht untergeht. In diesem Zusammenhang kann es sich als sinnvoll erweisen, den Produktmanager auch gehaltlich an den Erfolg seines Produktes zu koppeln.
5.2
Beschaffung
Im Rahmen notwendiger Kostensenkungsmaßnahmen kommt auch dem Einkauf eine zentrale Rolle im Turnaround Management zu. Zunächst einmal ist zu prüfen, ob bisher im Unternehmen selber erbrachte Leistungen nicht kostengünstiger extern eingekauft werden können. Vor allem, wenn das Unternehmen auf eine schnelle Kostenentlastung angewiesen ist, kann in der Praxis oftmals ein Outsourcing als eine wesentliche organisatorische Maßnahme im Rahmen des Turnaround Managements beobachtet werden. Ein hoher Fremdfertigungsanteil kann zwar zu einer Senkung der Fixkosten beitragen, jedoch setzt dieser auch einen erhöhten Aufwand zur Betreuung der Lieferanten voraus. Auch kommt dem Bereich Lagerwesen, Wareneingangskontrolle und der Logistik dann eine größere Bedeutung zu. Diese Aspekte müssen organisatorisch berücksichtigt werden, wenn ein erhöhter Fremdfertigungsanteil nicht zu Problemen führen soll. In der Konsequenz sind im Fall eines verstärkten Outsourcings die Bereiche Einkauf und Lager tendenziell personell zu verstärken. Eventuell kann hierbei auf in der Produktion nicht mehr benötigte Mitarbeiter zurückgegriffen werden. Im Bereich der Lagerführung sind klare Vorgaben zu Mindestbeständen und -bestellmengen zu definieren, um Produktionsengpässe und Mindermengenzuschläge zu vermeiden. Auf der anderen Seite ist jedoch auch die Höhe des Lagerbestandes im Hinblick auf eine minimierte Kapitalbindung eng zu kontrollieren. Die Qualitätssicherungsmaßnahmen sind auf die veränderte Fertigungsstruktur unbedingt anzupassen. So sind beispielsweise neue Prüflehren oder Checklisten für die Wareneingangskontrolle zu erstellen. Auch eine enge Verzahnung der Aktivitäten mit der Produktentwicklung ist sinnvoll, um Kosteneinsparpotenziale zu realisieren. In aller Regel können im Einkauf durch konsequente Optimierung der bestehenden Lieferantenstruktur auch ohne erhöhten Fremdfertigungsanteil Kostensenkungen realisiert werden. Die Beziehungen zwischen Einkauf und Lieferant bestehen meist über Jahre und das Tagesgeschäft sorgt nicht selten dafür, dass die Suche nach günstigeren alternativen Lieferanten vernachlässigt wird. Hier ist eine enge Führung des Einkaufs mit konkreten Vorgaben gefragt, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Grundsätzlich gilt, dass bei bewährten Lieferantenverhältnissen dem alten Lieferant das letzte Angebot eingeräumt werden sollte, da Termintreue und Qualitätsaspekte hier bereits ausreichend bekannt sind.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
229
Zur Steuerung des Einkaufs ist es sinnvoll, den Einkäufer in Form einer Prämie an seinen Erfolgen zu beteiligen. Hierbei sollten jedoch auch qualitative Aspekte berücksichtigt werden, um zu verhindern, dass der qualitative Aspekt zum Wohle der Realisierung von Einsparpotenzialen zu kurz kommt.
5.3
Produktion
Die Organisation der Produktion hängt stark von der grundsätzlichen Ausrichtung des Unternehmens ab und ist vor dem Hintergrund der Entscheidung über den Fremdfertigungsanteil eng mit dem Bereich Einkauf verknüpft. Da die Produktionsprozesse zudem in der Massenfertigung grundsätzlich anders gewichtet sind als in der Auftragsfertigung sind organisatorische Aspekte nur fallbezogen zu beurteilen. Sinnvoll ist es jedoch stets, im Fall von Überkapazitäten zunächst zu prüfen, ob diese nicht durch eine externe Vermarktung von Fertigungskapazität ausgelastet werden können. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn man nicht weiß wie lange die Unterauslastung andauern wird, da so zunächst noch keine personellen Anpassungen vorgenommen werden müssen. Sofern die tatsächliche Auslastung nur unzureichend bestimmt werden kann, ist zu empfehlen, die Zeitvorgaben der Produktion und deren Einhaltung genau nachzuhalten. Erfahrungsgemäß ist die Fertigungskapazität einzelner Mitarbeiter durchaus abhängig von der Gesamtauslastung, d. h. bei geringerem Auftragsbestand wird entsprechen langsamer gearbeitet. Hierdurch können Ineffizienzen und Kapazitätsreserven schnell kaschiert werden.
5.4
Vertrieb
Neben der Einsparung von Kosten liegt in der Regel ein weiterer Fokus im Rahmen des Turnaround Managements auf der Erhöhung der Einnahmen durch entsprechende Vertriebsaktivitäten. Da der Erfolg von Vertriebsmaßnahmen sich in aller Regel erst nach einiger Zeit offenbart, ist vor dem Hintergrund des hohen zeitlichen Drucks beim Turnaround eine enge Führung der Vertriebsmitarbeiter unerlässlich. Diese sollte sich nicht auf eine reine Kontrolle der Verkaufsergebnisse beschränken, sondern vielmehr die konkrete Umsetzung gemeinsam verabschiedeter Vertriebsaktivitäten sicherstellen. Es ist sinnvoll, die bestehenden Vertriebskanäle bezüglich Ihrer Kosteneffizienz genau zu untersuchen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Hierbei kann vor dem Hintergrund einer angespannten Finanzlage im Vordergrund stehen, die Vertriebskosten soweit wie
230
Stephan Gneuß
möglich variabel zu gestalten, um den Fixkostenbereich zu senken. Dies geschieht in der Regel dadurch, dass Vertriebsbereiche aus dem engeren Organisationsverbund ausgegliedert werden. Beispielsweise können fest angestellte Mitarbeiter durch auf Provisionsbasis arbeitende Vertreter ersetzt werden. Problematisch hierbei ist, dass hierdurch schnell die organisatorische Anbindung leidet und eine zunehmende Distanz zum Unternehmen entsteht. Auch ist die Möglichkeit der engen Führung, wie oben beschrieben, oftmals bei Handelsvertretern, die in der Regel auch örtlich getrennt arbeiten, schwer möglich. Aus diesem Grund ist es ratsam, eine Mischung verschiedener Entlohnungsformen zu wählen. So kann z. B. ein Teil des fixen Gehaltes in eine variable Prämie umgewandelt werden. In Zeiten der Unternehmenskrise ist hierzu auch bei den Mitarbeitern oftmals die notwendige Bereitschaft vorhanden. Gegebenenfalls können Weihnachts- und Urlaubsgeld gegen eine erfolgsabhängige Prämie ausgetauscht werden. Sofern sich keine ausreichend qualifizierten Vertreter finden, die bereit sind, auf Provisionsbasis zu arbeiten, kann eine monatliche Mindestprovision gezahlt werden, die dann am Ende des Jahres mit dem tatsächlichen Provisionsanspruch verrechnet wird. Eine solche Vorgehensweise bietet sich beispielsweise bei der Erschließung neuer Märkte (im Ausland) an. In diesem Fall ist eine rein provisionsabhängige Regelung für den Vertreter kaum attraktiv, da er zunächst über einen gewissen Zeitraum in den Markt Zeit und Aufwand investieren muss, erste Erfolge sich aber erst nach einer Anlaufphase einstellen werden. Hat der Vertreter keine andere Einkommensquelle wird ihn dies in Liquiditätsprobleme bringen. Eine Mindestprovision kann hierbei helfen die laufenden Kosten zu decken.
6.
Konzept zur zielorientierten Mitarbeiterführung
Im Folgenden soll ein Konzept zur zielorientierten Mitarbeiterführung vorgestellt werden, das darauf basiert, dass Unternehmensziele auf die Mitarbeiterebene abgeleitet werden und die individuelle Zielerreichung der einzelnen Mitarbeiter in Form einer Prämie honoriert wird. Das Konzept lässt eine umfassende Verteilung der Verantwortungsbereiche zu, ohne die Anforderung der straffen Führung zu vernachlässigen und eignet sich somit hervorragend als Führungskonzept im Rahmen eines Turnarounds. Die starke Betonung individueller Einzelgespräche unterstützt zudem die Akzeptanz und das Verständnis für neue Organisationsstrukturen. Auch werden Fehlentwicklungen durch direktes Feedback schnell sichtbar. Prämien in Abhängigkeit von der individuellen Zielerreichung dienen zudem der Motivation der Leistungsbringer des Unternehmens.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
231
Da im Fall des Turnarounds die finanziellen Mittel in aller Regel knapp sind, ist darauf zu achten, dass gegebenenfalls die Prämie mit einer Kürzung der leistungsunabhängigen Bezüge (z. B. Weihnachts- und Urlaubsgeld) einhergeht. So kann die Prämienregelung aufkommensneutral gestaltet werden.
6.1
Definition und Bekanntmachung der Unternehmensziele
Wie bereits erwähnt sind die Definition einer klaren Zielsetzung für das Unternehmen und die Ableitung konkreter Unterziele wesentliche Voraussetzungen für einen erfolgreichen Turnaround. Ebenso wichtig wie die Festlegung der Ziele an sich ist deren Bekanntmachung bei den betroffenen Mitarbeitern. Nur wenn die Ziele transparent sind und frühzeitig bekannt gemacht werden ist gewährleistet, dass alle Mitarbeiter auch einen eigenständigen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele leisten können. Die Unternehmensziele können im Rahmen eines Treffens, einer Vollversammlung oder aber in Einzelgesprächen übermittelt werden. Um dem einzelnen Mitarbeiter Gelegenheit zu geben, sich selber Gedanken zu machen, was er persönlich zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen kann, bietet es sich an, die allgemeinen Unternehmensziele bereits im Vorfeld anschließender Einzelgesprächen bekannt zu machen. Dies kann beispielsweise im Rahmen einer Vollversammlung zum Jahresende oder Jahresbeginn geschehen. Hier sollten neben einer Darstellung der aktuellen Unternehmenslage bereits konkrete Unterziele genannt werden, ohne jedoch einzelnen Mitarbeitern Verantwortungsbereiche zuzuweisen, die über die bekannten organisatorischen Zuordnungen hinausgehen. Die geplanten Maßnahmen sollten im Vorfeld bezüglich ihrer quantitativen Wirkung auf Ertrags- und Finanzplanung im Rahmen einer Unternehmensplanung geprüft worden sein. Inhalte einer solchen Vollversammlung können sein: 1. Darstellung und Erläuterung der Umsatzentwicklung des vergangenen Jahres (gleiches gilt für die Auftragseingangsentwicklung, falls abweichend) 2. Umsatzplanung für das kommende Jahr 3. Vorstellung einzelner Maßnahmen mit denen man das Umsatzziel erreichen will 4. Darstellung und Erläuterung der Kostenentwicklung des vergangenen Jahres 5. Kostenplanung für das kommende Jahr 6. Vorstellung einzelner Maßnahmen mit denen man das Kostenziel erreichen will 7. Analyse der Zielerreichung des vergangenen Jahres (dies betrifft die erwähnte Umsatzund Kostenentwicklung, aber auch Qualitäts- und eventuelle weitere Ziele)
232
Stephan Gneuß
8. Vorstellung der Organisationsplanung für das kommende Jahr 9. Vorstellung weiterer für das kommende Jahr geplanter Maßnahmen (z. B. Investitionen, außerordentliche Projekte, Änderungen der Arbeitsregelungen) Im Anschluss an die Vollversammlung werden die Mitarbeiter aufgefordert, Ansatzpunkte zu entwickeln bezüglich möglicher Beiträge, die sie persönlich zu den vorgestellten Zielen leisten können. So kann sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter in den folgenden Einzelgesprächen mit eigenen Vorschlägen für eine Jahreszielvereinbarung aufwarten können. Zwischen Vollversammlung und Einzelgesprächen sollten nicht mehr als vier Wochen vergehen, da ansonsten einige der vorgestellten Aspekte wieder in Vergessenheit geraten können bzw. der inhaltliche Zusammenhang zu den Einzelgesprächen verloren geht.
6.2
Übertragung der Ziele auf die Mitarbeiterebene
Ziel der Einzelgespräche mit den Mitarbeitern ist es, die Unternehmensziele auf den individuellen Verantwortungsbereich des Mitarbeiters zu übertragen. Hierbei soll bewusst nicht nur die reine Ausübung der Tätigkeiten gemäß seiner Stellenbeschreibung thematisiert werden, sondern vielmehr auch das, was er über die eigentliche Tätigkeit hinaus zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen kann. Idealer Weise hat der Mitarbeiter im Nachgang zur Präsentation eigene Vorschläge bezüglich möglicher individueller Beiträge zur Erreichung der Unternehmensziele entwickelt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Fähigkeit und Bereitschaft der Mitarbeiter hierzu unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Oft ist auch ein gewisser Gewöhnungsprozess an das Konzept notwendig, so dass die Eigeninitiative der Mitarbeiter mit den Jahren immer besser wird. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich als Vorgesetzter, zumindest bei erstmaliger Umsetzung des Konzepts, ebenfalls konkrete Vorschläge in das Gespräch einzubringen. Die einzelnen Vorschläge werden dann gemeinsam diskutiert. Am Ende des Gesprächs sollten dann gemeinsam verabschiedete individuelle Ziele des Mitarbeiters für das kommende Geschäftsjahr stehen. Soweit möglich handelt es sich hierbei um Ziele, deren Erreichung der Mitarbeiter direkt und unmittelbar beeinflussen kann. In vielen Fällen wird dies jedoch nicht vollständig gelingen, so dass man sich hier mit übergeordneten Zielen behelfen muss. In jedem Fall sollte jedoch gewährleistet sein, dass die Ziele zumindest in mittelbarem Zusammenhang mit dem individuellen Verantwortungsbereich des Mitarbeiters stehen bzw. mittelbar durch ihn zu beeinflussen sind. Grundsätzlich gilt, dass es umso eher gelingen wird, zu unmittelbar zu beeinflussenden Zielen zu gelangen, desto mehr sich der Mitarbeiter an der Zielformulierung beteiligt. Es ist sinnvoll, die Ziele möglichst so zu gestalten, dass diese objektiv messbar sind, um zwischenmenschliche Neigungen oder Abneigungen bei der Beurteilung weitestgehend ausschließen zu können.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
233
Die Erreichung der definierten Ziele sollte an eine Prämienzahlung gekoppelt sein, die z. B. in der Summe bei zehn Prozent des Jahreseinkommens liegt. Hierbei gilt, dass für jedes der definierten Ziele eine eigene Prämie definiert wird, so dass es auch dann zur anteiligen Ausschüttung kommt, wenn nicht alle Ziele erreicht wurden. Die Ausschüttung der Prämie kann ebenfalls an das Erreichen der Gewinnzone für das Gesamtunternehmen gekoppelt werden. Auch kann es sinnvoll sein, die Prämie für den Fall auszusetzen, dass der Mitarbeiter im Jahresverlauf Anlass zur verhaltensbedingten Abmahnung gegeben hat. Die Zielvorgabe ist vom Mitarbeiter und der Geschäftsleitung zu unterschreiben, damit später bei diversen Arbeitsvorlagen keine Missverständnisse bezüglich der endgültigen Version aufkommen. Im Folgenden sollen für einige unterschiedliche Verantwortungsbereiche Beispiele für konkrete Zielvorgaben genannt werden.3 Die Beispiele sollen als Anregung für den Leser bei der Entwicklung eigener Vorgaben dienen. Sie können mit großer Wahrscheinlichkeit nicht direkt übernommen werden, da sie stark mit der unternehmensspezifischen Organisation und Aufteilung der Verantwortungsbereiche zusammen hängen. Formulierung der allgemeinen Rahmenbedingung der Zielvereinbarung: Die folgende Zielvereinbarung bezieht sich nur auf das Geschäftsjahr 20___. Für die folgenden Jahre sind jeweils zu Jahresbeginn neue Vereinbarungen zu treffen. In Abhängigkeit vom Zielerreichungsgrad der unten genannten Ziele wird am Ende des Geschäftsjahres, nach Rücksprache mit dem Mitarbeiter, die in dieser Zielvereinbarung definierte Prämie anteilig ausgeschüttet. Voraussetzung für die Zahlung von leistungsbezogenen Prämien ist ein Gesamtumsatz des Unternehmens von mindestens ___ Mio. Euro (Break Even Umsatz). Voraussetzung für die Zahlung der Prämie ist zudem, dass die in der Stellenbeschreibung definierten Aufgaben vollständig erfüllt werden und es zu keiner Abmahnung gekommen ist. Die Vertraulichkeit der Vereinbarung ist jederzeit zu gewährleisten. Beispielhafte Zielvorgaben im Bereich Einkauf: 1.
Bei Senkung der Materialquote auf unter ___ Prozent erhält der Einkauf eine Prämie in Höhe von ___Euro. Entscheidungen zur Eigenfertigung sind mit der Produktionsleitung abzusprechen.
2.
Bei erfolgreichem Abschluss des Beschaffungsprojektes ___ bis Ende des Monats ___ erhält der Einkauf eine Prämie in Höhe von ___Euro.
3.
Bei einem Besuch mindestens der 15 Toplieferanten vor Ort mit dokumentierten Besuchsbericht erhält der Einkauf eine Prämie in Höhe von ___Euro.
3
Die Positionsbezeichnungen sind hierbei geschlechtsneutral zu interpretieren.
234
Stephan Gneuß
4.
Pro Lieferant mit Preissenkung oder Bonusvereinbarungen bei konstanten. Preisen bis Ende des Monats ___ erhält der Einkauf eine Prämie von ___Euro. Der Nachweis ist laufend durch den Einkauf zu führen. Es kann sich hierbei auch um neue Lieferanten handeln.
5.
Jeweils zum Wochenende wird die Rückstandsliste ausgewertet. Für jede Auswertung, bei der die Rückstandsliste (Liste der überfälligen Lieferungen von Lieferanten) im Monatsdurchschnitt weniger als ___Artikel umfasst, erhält der Einkauf eine Prämie von ___Euro (in der Summe maximal ___Euro).
6.
Bei Reduktion des Lagerbestandes (z. B. durch bedarfsbezogene Anpassung vorliegender Teile für laufende Aufträge) auf unter ___Euro erhält der Einkauf eine Prämie von ___Euro. Die Einhaltung der definierten Mindestbestände ist hierbei zu gewährleisten.
7.
Bei Etablierung der Verspätungsquote auf max. ___ Prozent erhält der Einkauf eine Prämie von ___Euro.
8.
Bei Reduktion der Fehlerquote auf unter ___ Prozent erhält der Einkauf eine Prämie in Höhe von ___Euro.
Beispielhafte Zielvorgaben im Bereich Vertrieb (Außendienst): 1.
Vom Auftragseingang, der in seinem Bereich über ___Mio. Euro hinausgeht, bekommt der Vertriebsmitarbeiter ___ Prozent.
2.
Sofern mindestens eine neue Vertretung für den Bereich ___ bis Ende des Jahres gefunden wurde und mindestens zwei gemeinsamen Reisen durchgeführt wurden, erhält der Vertriebsmitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
3.
Für jeden vom technischen oder organisatorischen Qualitätssicherungszirkel angenommenen Verbesserungsvorschlag erhält der Vertriebsmitarbeiter eine Prämie von ___Euro.
4.
Bei Erstellung eines Fachberichts zum Thema ___, der in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden kann, erhält der Vertriebsmitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
5.
Für jede langfristige Liefervereinbarung mit einem der Großabnehmer erhält der Vertriebsmitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
Beispielhafte Zielvorgaben im Bereich Produktmanagement/Konstruktion: 1.
Bei Fertigstellung der neuen Produktkomponente ____ bis Ende des Monats ___ erhält der Produktmanager/Konstrukteur eine Prämie in Höhe von ___Euro.
2.
Bei Sicherstellung der Fähigkeit, Programmierungen in der Software ___ vornehmen zu können, erhält der Mitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___ Euro.
3.
Bei Vorstellung eines mit der Fertigung abgestimmten Konzeptes zur Montage des Produktes ___ erhält der Produktmanager/Konstrukteur eine Prämie von ___Euro.
4.
Bei Entwicklung einer konstruktiven Lösung für das Problem ___ erhält der Konstrukteur eine Prämie in Höhe von ___Euro.
Organisationsstrategien im Rahmen des Turnaround Managements
235
5.
Bei Reduktion der Fehlerquote für den zugeordneten Produktbereich erhält der Produktmanager eine Prämie in Höhe von ___Euro.
6.
Für jeden vom technischen oder organisatorischen Qualitätssicherungszirkel angenommen Verbesserungsvorschlag erhält der Produktmanager/Konstrukteur eine Prämie von ___Euro.
7.
Bei Reduktion der Verspätungsquote für den zugeordneten Produktbereich erhält der Produktmanager eine Prämie in Höhe von ___Euro.
8.
Bei Überarbeitung der technischen Verkaufsunterlagen des ihm zugeordneten Produktbereiches erhält der Produktmanager/Konstrukteur eine Prämie in Höhe von ___Euro.
Beispielhafte Zielvorgaben im Bereich Produktion: 1.
Bei Reduktion der Fehlerquote auf max. ___ Prozent erhält der Mitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
2.
Bei Reduktion der Verspätungsquote auf unter ___ Prozent erhält der Mitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
3.
Für jeden vom technischen oder organisatorischen Qualitätssicherungszirkel angenommen Verbesserungsvorschlag erhält der Mitarbeiter eine Prämie von ___Euro.
4.
Bei Erarbeitung eines mit dem Produktmanagement abgestimmten Konzeptes zur Montage des Produktes ___ erhält der Mitarbeiter eine Prämie von ___Euro.
5.
Bei erfolgter Anlernung der Kollegen ___ im Bereich ___ bis Ende des Monats ___ erhält der Mitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
6.
Bei Sicherstellung der Vertretungsübernahme für die Maschine ___ mit abgeschlossener Einweisung und Einarbeitung bis Ende des Monats ___ erhält der Mitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
Beispielhafte Zielvorgaben im Bereich Verwaltung: 1.
Bei Erstellung einer Hotelliste für alle regelmäßig bereisten Städte (inkl. mindestens einer Alternative) mit Angabe des Preises erhält der Mitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
2.
Pro Vorschlag zur organisatorischen Verbesserung erhält der Mitarbeiter eine Prämie in Höhe von ___Euro.
3.
Bei Erstellung monatlicher Verspätungs- und Fehlerquoten auf Basis der zur Verfügung gestellten Daten erhält der Mitarbeiter eine Prämie von monatlich ___Euro.
4.
Bei Umsetzung von mindestens acht dokumentierten Kostensenkungsmaßnahmen im Bereich der Verwaltungskosten erhält der Mitarbeiter eine Prämie von ___Euro. Die getroffenen Maßnahmen sind einzeln aufzulisten und mit der Leitung Verwaltung abzustimmen.
236
Stephan Gneuß
5.
Bei Auswahl eines neuen preisgünstigeren und lokal vertretenen Handyanbieters und Umstellung der Verträge erhält der Mitarbeiter eine Prämie von ___Euro.
6.
Bei Überarbeitung der Speicherungssystematik des Ablageordners ___ erhält der Mitarbeiter eine Prämie von ___Euro.
6.3
Zielverfolgung und Zielkorrektur
Die Mitarbeiter sollten jederzeit über den Stand ihrer Zielerreichung informiert sein. Dies bedeutet in der Praxis, dass, sofern einzelne Mitarbeiter an Kennzahlen gemessen werden, diese zumindest monatlich erhoben und bekannt gemacht werden sollten. Dies kann per Postverteiler, E-Mail oder per Aushang erfolgen. Um die Ausrichtung der Mitarbeiter anhand der gemeinsam festgelegten Ziele auch im Jahresverlauf steuern zu können, bietet es sich an, zur Jahresmitte ein weiteres Einzelgespräch mit dem Mitarbeiter zu führen. Ziel dieses Zwischengespräches ist es, den Stand der Zielerreichung mit dem Mitarbeiter zu besprechen und Hinweise auf potenzielle Probleme zu erhalten. Auch kann es aufgrund von unvorhergesehenen Ereignissen sinnvoll erscheinen, einzelne Ziele zu ändern oder auszutauschen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn es durch Personalfluktuation zu einer anderen Verantwortungsverteilung gekommen ist. In einem Abschlussgespräch am Jahresende bzw. zu Beginn des kommenden Jahres wird dann abschließend Bilanz über die individuelle Zielerreichung gezogen und die auszuschüttende Jahresprämie festgelegt. Hier zeigt es sich, dass die Festlegung möglichst objektiv messbarere Zielkriterien vorteilhaft ist, da es somit nicht zu divergierenden Auffassungen über die Zielerreichung kommt. Da die Mitarbeiter fortlaufend über den Stand der Zielerreichung informiert sind, können sich im Abschlussgespräch kaum Überraschungen für sie ergeben. Das Abschlussgespräch kann gleichzeitig der Festlegung der Ziele für das kommende Jahr dienen. Insofern kann die Analyse der letzten Zielerreichung neben den bekannt gemachten neuen Unternehmenszielen gleich in die Formulierung neuer individueller Mitarbeiterziele einfließen.
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
237
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements Jochen Fischer
Jochen Fischer ist seit über 20 Jahren Alleininhaber der Marketing- und Kommunikationsagentur Fischer Relations mit Sitz in Hamburg und Düsseldorf. Fischer Relations hat sowohl Expansions- als auch Restrukturierungsphasen sowie Börsengänge und Fusionen internationaler Unternehmen unterschiedlichster Branchen als Berater und Managementdienstleister in den Bereichen Marketing und Kommunikation begleitet. Oftmals beteiligt sich Fischer Relations auch direkt an den betreuten Unternehmen. Fischer ist Lehrbeauftragter für Public Relations/Investor Relations an der Fachhochschule Münster und Autor verschiedener fachspezifischer Publikationen. E-Mail: [email protected]
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Jochen Fischer
Inhaltsverzeichnis
1. Vorbemerkung: Chancen und Risiken der Krisenkommunikation: Mit guter PR aus der Krise? ........................................................................................... 239 2. Ziele der Unternehmenskommunikation: Was will ich erreichen? ................................. 240 3. Konzeption und Umsetzung des Kommunikationskonzeptes: Wer soll es machen? ...... 242 4. Adressaten der Unternehmenskommunikation: Mit wem wird eigentlich kommuniziert?........................................................................ 245 5. Instrumente der Unternehmenskommunikation: Wie erreiche ich die richtigen Adressaten?..................................................................... 247 6. Krisenkommunikation: Wie macht man es richtig?........................................................ 250 7. Krisenkommunikation: Wie sollte man es nicht machen? .............................................. 252 8. Der Sonderfall: Eingriffe in die Kommunikation durch Dritte ....................................... 255 9. Ein Fazit ......................................................................................................................... 256
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
1.
239
Vorbemerkung: Chancen und Risiken der Krisenkommunikation: Mit guter PR aus der Krise?
Gerät ein Unternehmen in eine Krisensituation, so kommt der richtigen Kommunikation – mehr als in allen anderen Situationen zuvor – entscheidende Bedeutung zu. Denn in der Krisensituation geht es oftmals um die Existenz des Unternehmens. „Gut“ ist die Kommunikation dann, wenn sie dazu beiträgt, das Unternehmen aus der Krise herauszuführen. Hier liegt eine echte Chance für die eingebundenen internen oder externen Kommunikationsstrategen. Chancen und Risiken sind in diesem Zusammenhang jedoch oftmals ungleich verteilt, wie auch die Ausführungen und die aufgeführten Fallbeispiele aus der Praxis in den nachfolgenden Kapiteln zeigen werden. „Schlecht“ ist die Kommunikation nämlich dann, wenn sie das Unternehmen noch tiefer in die Krise führt. Hier liegt das Risiko. Dass vielen Beobachtern gerade für in den Medien umfänglich dargestellte, letztlich aus Unternehmenssicht misslungene Krisenszenarien unter Umständen zahlreiche Beispiele präsent sind, liegt in der Natur der Sache. „Bad news travel better“ lautet eine uralte Medienweisheit, die aber bis heute nichts von ihrer Richtigkeit eingebüßt hat: Einer spektakulären Firmenpleite wird medial ein breiterer Raum eingeräumt als einer gelungenen Sanierung und erreicht dadurch niedrigere Wahrnehmungsschwellen, was wiederum zu einer breiteren Aufnahme und Verarbeitung der Message durch die Rezipienten führt. Ob gut oder schlecht kommuniziert wurde, zeigt sich letztendlich in den Ergebnissen. Subjektive Beobachtungen der Praxis zeigen – ohne dass an dieser Stelle der Anspruch auf empirische Richtigkeit erhoben werden soll – dass die Beispiele für gute Krisenkommunikation eher dünn gesät sind und dass es deutlich mehr Beispiele für schlechte Kommunikation gibt. Dies liegt daran, dass in der Praxis viele Unternehmen die Chancen, die in guter Krisen-PR liegen, nicht erkennen, die Auswirkungen falscher Kommunikation fürchten und sich infolgedessen kommunikativ „in Deckung“ begeben. Die Kommunikation nicht aktiv zu steuern, nicht zu beeinflussen und nicht einmal auf Reaktionen vorbereitet zu sein, ist ein unternehmensseitig nicht selten anzutreffender Fehler. Bei nicht im Wesentlichen vom Unternehmen gesteuerter Kommunikation kann den von anderer Seite in Umlauf gebrachten Botschaften lediglich reaktiv begegnet werden. Bei mangelnder Vorbereitung kann auch dies misslingen. Die Krisenkommunikation gerät außer Kontrolle. Bei mangelhafter Analyse der unterschiedlichen Adressatengruppen und der sinnvollen Kommunikationswege kann das Ergebnis trotz guten Willens aufgrund mangelnder Kommunikationskompetenz in Krisenzeiten nur unbefriedigend bleiben. Um die Antwort auf die Überschrift dieses Kapitels und damit eigentlich die Quintessenz des gesamten Beitrags an dieser Stelle bereits vorwegzunehmen: „Gute“ PR kann entscheidend dazu beitragen, ein Unternehmen aus der Krise zu führen. Umgekehrt kann schlechte im
240
Jochen Fischer
Sinne von falscher oder unterlassener PR das Unternehmen noch tiefer in die Krise führen oder gar das endgültige Ende des Unternehmens herbeiführen und sämtliche Sanierungsbemühungen zunichte machen. Insofern ist die Bedeutung der Krisen-PR, wie auch der Krisenkommunikation insgesamt, kaum zu überschätzen. Die in den nachfolgenden Kapiteln aufgezeigten Aspekte und Handlungsempfehlungen sollen im Idealfalle dem betroffenen Unternehmen Hilfestellung leisten, um „gut“ – im Sinne von für das Unternehmen richtig und zielführend – zu kommunizieren.
2.
Ziele der Unternehmenskommunikation: Was will ich erreichen?
Das oberste Ziel des Sanierungsmanagements ist die erfolgreiche Sanierung des Unternehmens. Das Ziel der begleitenden Unternehmenskommunikation ist es, zur Erreichung dieses Ziels möglichst viel beizutragen. Voraussetzung ist die überzeugende Darstellung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. In Krisenzeiten wird ein Unternehmen von den Adressaten der Unternehmenskommunikation – diese werden nachfolgend in Kapitel 4 in sechs Gruppen unterteilt – unter Umständen unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt, da sowohl die Beziehungen, in denen die jeweiligen Adressatengruppen zum Unternehmen stehen, als auch die jeweiligen Interessenlagen divergieren. Dennoch gibt es erfahrungsgemäß einige, überwiegend allgemein gültige Aspekte, die symptomatisch für die Wahrnehmung des Unternehmens aus Adressatensicht sind und die sich z. T. auch überschneiden. Die Wahrnehmung des Unternehmens durch die Adressaten der Unternehmenskommunikation positiv zu beeinflussen ist ein entscheidendes Zwischenziel. Dazu bedarf es zunächst einer Analyse der Situation vor Umsetzung der Kommunikationsmaßnahmen. Aspekte bei der Wahrnehmung des sanierungsbedürftigen Unternehmens durch die unterschiedlichen Adressaten in der Reihenfolge ihrer Bedeutung sind: Vertrauensverlust: Das Vertrauen in das Unternehmen ist erschüttert – ungeachtet der Tatsache, ob nur einzelne Teilbereiche wie Management, Produkte, Standort o. Ä. in Frage gestellt werden oder das Unternehmen in seiner Gesamtheit. In jedem Falle muss es in der eingetretenen Krisensituation neu betrachtet werden. Es stellt sich für den Betrachter – unter Umständen auf das konkrete Unternehmen bezogen erstmals – insbesondere das Problem des Glaubwürdigkeitsverlustes des Unternehmens und damit auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit seiner Kommunikation.
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
241
Das Verhältnis zum Unternehmen ist von Unsicherheit geprägt. Im Regelfall hat man mit dem Eintritt der Krisensituation nicht gerechnet und wurde von ihr unvorbereitet überrascht. Man weiß nicht, wie man sich verhalten soll. Unter Umständen fühlt man sich in einen Handlungszwang versetzt, der zudem u. U. noch von einem zumindest subjektiv wahrgenommenen Zeitdruck („wie lange gibt es die Firma noch?“) unterlegt ist. Entscheidend ist die Beurteilung der Zukunftsaussichten des Untermnehmens und damit der Fortsetzung des wie auch immer gearteten Verhältnisses, in dem man zum Unternehmen steht, nach dem Motto: „Die Gegenwart ist bekannt, die Vergangenheit ist passeé, aber was kommt jetzt?“ In diesem Zusammenhang werden eventuelle oder auch tatsächliche Risiken besonders sensibel wahrgenommen und betrachtet. Auch Chancen werden erkannt, aber tendenziell mit einer geringeren Eintrittswahrscheinlichkeit beurteilt. Signifikant häufig sind die Betrachtungen unter dem Eindruck der aktuellen Krisensituation ganz allgemein gesagt eher skeptisch bis pessimistisch als optimistisch. Materiell geht es eigentlich immer um Schadensbegrenzung (Vergangenheits- bzw. Gegenwartsbetrachtung) und/oder zukünftiges Geschäft (Zukunftsbetrachtung). Unter Umständen können die Folgen von existenzieller Bedeutung sein. Daraus leiten sich für die Konzeption und Umsetzung der Krisenkommunikation die nachfolgenden Überlegungen ab, um das Zwischenziel, die möglichst positive Wahrnehmung des Unternehmens durch die unterschiedlichen Adressatengruppen, zu erreichen. Entscheidend ist es zu allererst, dem aktuellen Vertrauensverlust entgegenzuwirken und Vertrauen (wieder-) aufzubauen. Hat das Unternehmen in der Vergangenheit vertrauensvoll agiert und kommuniziert, verbessert dies die Ausgangssituation. Zu diesem Zweck muss zunächst analysiert werden, ob das Vertrauen der Adressaten in das Unternehmen in seiner Gesamtheit beeinträchtigt oder gar erschüttert ist oder nur in Teilbereichen (s. o.), um die Argumentation zielgerichtet abstimmen zu können und nicht u. U. zu einem undifferenzierten und damit auch ineffektiveren, kommunikativen „Rundumschlag“ auszuholen. Die zu entwickelnde Kommunikationsstrategie muss also dazu beitragen, dass die Glaubwürdigkeit des Unternehmens und seiner Kommunikation (wieder) hergestellt wird. Dem Adressaten muss seine Unsicherheit genommen werden. Idealerweise erfolgt dies durch konkrete Handlungsempfehlungen. Seine negative Überraschung muss durch eine schnelle kommunikative Reaktion seitens des Unternehmens aufgefangen werden. Die Betrachtung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft muss dem Adressaten dahingehend abgenommen werden, dass sie ziel- und interessengesteuert aus Sicht des Unternehmens dargestellt wird. Je zutreffender die Vergangenheits- und Gegenwartsbeschreibungen sind, desto glaubwürdiger wird die – zu diesem Zeitpunkt naturgemäß ja noch theoretische – Zukunftsbetrachtung aufgenommen und akzeptiert. Letzteres ist von entscheidender Bedeutung, um den Adressaten zu einem bestimmten zukunftsgerichteten Handeln zu bewegen, das der Interessenslage des Unternehmens entspricht.
242
Jochen Fischer
Mögliche Risiken, die sich aus der Sicht des Adressaten ergeben könnten, müssen proaktiv angesprochen und bewertet werden. Generell gesagt, sollte angestrebt werden, den Adressaten aus seiner skeptisch-pessimistischen Grundhaltung zu einer optimistischeren Grundhaltung zu bewegen. Falls vertretbar, sollten mögliche Schäden und Möglichkeiten/Wahrscheinlichkeiten der Schadensbegrenzung konkret, u. U. auch beziffert, angesprochen werden. Sofern gegeben und möglich, muss eingehend auf mögliche Zukunftsaussichten verwiesen werden. Geht es in Ermangelung von unternehmerischen Handlungsalternativen ausschließlich um den Aspekt Schaden/Schadensbegrenzung, so muss hier mit besonderer Sensibilität vorgegangen werden. Dies gilt nicht nur für das betroffene Sanierungsobjekt, sondern auch für andere, in die Sanierung eingebundene und kommunizierende Beteiligte, sofern auf deren Kommunikation überhaupt Einfluss genommen werden kann. Als Negativbeispiel sei hier das mittlerweile zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte „Peanuts“- Zitat des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank in Zusammenhang mit der Insolvenz der Bauträgergesellschaft Schneider genannt Als allgemeine Handlungsmaxime für die Informationsvermittlung gelten also auch hier die bereits an anderer Stelle (Fischer (2001) in Arlinghaus/Balz (2001): Going Public – Der erfolgreiche Börsengang, S. 181) dargelegten „vier Säulen der Finanzkommunikation“: Glaubwürdigkeit Zeitnähe Verständlichkeit Kontinuität Diese zunächst eher allgemein anmutenden Empfehlungen werden in den nachfolgenden Kapiteln noch hinreichend konkretisiert.
3.
Konzeption und Umsetzung des Kommunikationskonzeptes: Wer soll es machen?
Prinzipiell gibt es die beiden folgenden Möglichkeiten: Die Kommunikation wird durch interne Ressourcen konzipiert und auch umgesetzt, extern konzipiert, aber durch interne Ressourcen umgesetzt.
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
243
Wenn unter Umsetzung – wie hier vorausgesetzt – verstanden wird, dass Personen für das Unternehmen handelnd in Erscheinung treten, so kommt eine Umsetzung durch externe Dienstleister nicht in Frage. Abgesehen davon, dass in einer Phase, die ohnehin von Zweifeln und Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber dem Unternehmen geprägt ist, der Eindruck entstehen könnte, das Unternehmen wolle sich hinter externen Dritten verstecken und traue sich nicht mehr, selbst zu kommunizieren – was die Wahrnehmungsproblematik noch verstärken würde – ist es in der Praxis ohnehin nahezu unvermeidbar, dass die Entscheidungsträger des Unternehmens unterschiedlichen Adressatengruppen persönlich Rede und Antwort stehen. Zumindest kann aus Sicht des Praktikers nur für eine solche Lösung plädiert werden.
3.1
Unternehmensinterne Lösungen
Davon ausgehend, dass das Unternehmen über Ressourcen im Bereich Kommunikation verfügt – sei es nun eine Abteilung Öffentlichkeitsarbeit oder nur ein einzelner Pressesprecher, spricht für eine unternehmensinterne Konzeption der Krisenkommunikation, dass die eingebundene(n) Person(en) mit dem Unternehmen, seiner Historie etc. durch die Einbindung in die Organisation sehr vertraut sind. Auch die Erkenntnis, dass vom Erfolg der Unternehmenssanierung der eigene Arbeitsplatz abhängt, wird zu einer hohen Motivation beitragen. Entgegenstehen könnten jedoch vor allem drei wichtige Punkte: „Betriebsblindheit“ und „Tellerranddenken“ bei langjährig eingebundenen Mitarbeitern: Man kann sich nicht in die neue Krisensituation hineinversetzen und wird zudem mit neuen Adressatengruppen der Kommunikation konfrontiert, die unter Umständen über den Fortbestand des Unternehmens entscheiden. Dies führt zu Unsicherheit. Eigennützig zweckbestimmtes Handeln – schließlich geht es auch um eigene Interessen, die u. U. über die Interessen des Unternehmens gestellt werden. Es fehlt aufgrund persönlicher Betroffenheit der notwendige Abstand zum Sachverhalt. Die Einbindung in die Unternehmenshierarchie kann hinderlich bei der Erarbeitung von Lösungen und der Auswahl des bestmöglichen unternehmensseitigen Kommunikators sein.
3.2
Der externe Berater
Gerade aus den oben genannten Gründen werden in Krisensituationen externe Berater engagiert: Das Unternehmen fühlt sich mit der Kommunikation in der neuen, zugleich existenziell
244
Jochen Fischer
bedrohlichen Krisensituation, überfordert. Den internen Kommunikationsstrategen wird – oftmals zu Recht – die Erstellung eines zielführenden kommunikativen Lösungskonzeptes nicht zugetraut. Der externe Berater ist mit dem Unternehmen und seinen Entscheidungsträgern bei weitem nicht so vertraut wie ein interner Mitarbeiter. Das Unternehmen in seiner Gesamtheit inklusive der aktuellen Problemstellung zu erfassen und begreifen, kostet auch Zeit. Nicht zu vernachlässigen sind auch die entstehenden zusätzlichen Kosten, für ein Unternehmen in der Krisen- bzw. Sanierungsphase stets ein wichtiges Argument. Jedoch hat das Engagement des externen Beraters auch viele Vorteile: Er betrachtet die Situation distanzierter und neutraler als ein Angestellter des Unternehmens und kann sich daher wesentlich leichter in die Rolle des externen Adressaten versetzen. Er unterliegt keiner Weisungsbefugnis durch Einbindung in Hierarchien, sondern ist in das wesentlich offenere Auftraggeber-/Kunden-Verhältnis eingebunden. Er hat Erfahrung mit Krisensituationen. Er bringt ein eigenes, sicherlich im Vergleich zum Unternehmen zielführenderes Netzwerk aus persönlichen Kontakten, Medienkontakten, weiteren Beratern usw. mit. Er handelt unternehmenspolitisch neutral und unparteilich; abgesehen von der Honorarerzielungsabsicht. Es drängt sich daher eine Verbindung aus den Vorzügen beider personeller Alternativen auf. Dies bedeutet konkret: Der externe Berater erstellt gemeinsam mit dem zuständigen internen Kollegen bzw. der Abteilung ein Sanierungs- bzw. Krisenkommunikationskonzept. Da, wie oben bereits erwähnt, die Umsetzung im Sinne von persönlicher Informationsvermittlung nach Überzeugung des Autors aus eingangs ausgeführten Gründen nur durch das bestehende Management erfolgen soll, wäre unter Umständen ein Coaching dieses Kommunikators durch den situationserfahrenen, externen Berater sinnvoll. Dies ist aus Akzeptanzbzw. Befangenheitsgründen durch interne Mitarbeiter erfahrungsgemäß nicht zielführend zu leisten. Die Qualität und die Kosten externer Berater differieren sehr stark. Ein wichtiges Auswahlkriterium sind unbedingt die Referenzen für gelungene Kommunikation im Umfeld von Unternehmenssanierungen, die ein Anbieter vorweisen kann.
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
4.
245
Adressaten der Unternehmenskommunikation: Mit wem wird eigentlich kommuniziert?
Von äußerster Wichtigkeit für Konzeption und Umsetzung eines erfolgreichen Kommunikationskonzeptes ist stets die Segmentierung nach Adressatengruppen. Diese schafft die notwendige Voraussetzung für die Zielgenauigkeit der Kommunikationsmaßnahmen. Nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Informationsbedürfnisse allgemein, sondern auch bezüglich der Informationstiefe und der Wahl des Kommunikationsweges sind die relevanten Adressatenkreise differenziert anzugehen. Aus Platzgründen können die Charakterisierungen der Adressatengruppen und die relevanten Aspekte der Kommunikation mit ihnen an dieser Stelle allenfalls sehr schematisch erfolgen
4.1
Kreditinstitute
Zwei Ausgangssituationen sind meistens gegeben: Entweder soll eine bestehende Kreditlinie gekündigt bzw. nicht verlängert werden oder ein neuer (bei bestehender Bankverbindung: weiterer) Kredit soll gewährt werden. Eine eigentlich ganz einfache Ausgangssituation: Die Bank sucht Informationsgrundlagen, um das Risiko ihres Kreditengagements evaluieren zu können, das Unternehmen wiederum ist auf die Kreditgewährung angewiesen. Wichtig bei der Kommunikation mit Banken sind Darstellungen des gesamten Zahlenwerkes in maximal möglicher Ausführlichkeit und Transparenz. Zudem schätzen Banken eine möglichst schnelle Informationsvermittlung. Textliche Ausführungen sind knapp und sachlich zu halten.
4.2
Kunden
Auch die Kunden des Unternehmens sind in der Krisen-/Sanierungsphase verunsichert: „Geht es dem Unternehmen schlecht, weil seine Produkte nicht so gut sind? Warum soll ausgerechnet ich sie dann kaufen? Bekomme ich nächste Woche noch Service oder Ersatzteile, wenn das Unternehmen Pleite geht?“ Ein Vorteil in der Kommunikation mit Kunden besteht vor allem darin, dass sie oftmals zielgenau anzusprechen sind und dem Unternehmen durch die Eingehung der Geschäftsbezie-
246
Jochen Fischer
hung bereits einen Vertrauensvorschuss gewährt haben, auf den aufgebaut werden kann. Umsatz aus einer bestehenden Kundenbasis zu generieren, ist für ein Unternehmen im Regelfalle immer einfacher und auch preiswerter, als Neukunden zu generieren – gerade in Change-Situationen, die vor allem auch durch eine Knappheit an finanziellen Mitteln gekennzeichnet sind. Auf eine Pflege der bestehenden Kundenbasis, um durch vertrauensschaffende, zukunftsgerichtete Kommunikation ein Wegbrechen der Kundenbasis zu verhindern, ist daher größter Wert zu legen.
4.3
Lieferanten
Auch hier wird die Fragestellung dominieren: „Bekomme ich übermorgen noch mein Geld, wenn ich morgen liefere?“ Ohne die weitere Fortsetzung der Belieferung mit Waren oder Dienstleistungen kommt der Geschäftsbetrieb jedoch zum Erliegen. Das Unternehmen befindet sich im Verhältnis zu seinen Lieferanten in der vorteilhaften Situation, selbst als Kunde auftreten zu können, d. h., der Lieferant selbst hat ein grundsätzliches Interesse daran, die Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten. Gelingt es darzustellen, dass die Forderungen der Lieferanten auch künftig beglichen werden können, wird der Lieferant eine gewisse Risikoschwelle akzeptieren.
4.4
Aktionäre und Kapitalmarkt
Dies ist ein Sonderfall, der hauptsächlich aufgrund juristischer Implikationen viel Aufwand mit sich bringt und größte Anforderungen an die Sorgfalt der Informationsvermittlung stellt. Bei börsennotierten Gesellschaften wird durch umfassende Veröffentlichungspflichten wie u. a. die Pflicht zur Erstellung von unterjährigen Zwischenberichten und jährlichen Geschäftsberichten, vor allem aber durch Verpflichtung zur sofortigen Veröffentlichung von so genannten kursbeeinflussenden Tatsachen per Ad-hoc-Mitteilungen bei Aktiengesellschaften, die im Geregelten Markt der FWB gelistet sind, der juristische Rahmen bezüglich des Zeitpunktes und des Inhaltes der Unternehmenskommunikation eng gesteckt. Zuwiderhandlungen können für das Unternehmen bzw. seine handelnden Organe Vorstand und Aufsichtsrat sowohl haftungsrechtlich als auch strafrechtlich gravierende Folgen haben. Aufgrund der Vielzahl der Aktionäre, die ein börsennotiertes Unternehmen hat – eine i. d. R. vier- bis siebenstellige Zahl – ist nicht nur die absolute Zahl der um Informationen ersuchenden Personen sehr groß, auch das Interesse der Finanzmedien an einer Berichterstattung zur Unternehmenssituation ist weitaus höher als bei Unternehmen anderer Rechtsformen.
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
4.5
247
Mitarbeiter
Angesichts der gegenwärtigen, angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt und der wirtschaftlichen Folgen eines Arbeitsplatzverlustes stellen sich die Mitarbeiter des Unternehmens existenzielle Fragen, die einer besonders sensiblen Behandlung bedürfen. Hier empfehlen sich ganz besonders Formen der direkten Informationsvermittlung, z. B. in Form von regelmäßigen Mitarbeiterversammlungen, die über den aktuellen Stand der Situation im Unternehmen informieren. Vorrangiges Ziel des Managements sollte sein, eine Abwanderung von Schlüsselmitarbeitern zu verhindern, da – sofern die Krisensituation für das Marktumfeld transparent ist – Krisensituationen von Mitbewerbern nicht selten für Abwerbungen genutzt werden. Hier bieten sich zudem regelmäßige persönliche Gespräche des Managements mit den Schlüsselmitarbeitern an.
4.6
Allgemeine Öffentlichkeit
Wird über die Krisensituation eines Unternehmens in den Medien öffentlich kommuniziert, kommt auch die nicht direkt betroffene, weil nicht mit dem Unternehmen in irgendeinem Zusammenhang stehende, Öffentlichkeit zu einer Einschätzung der Situation. Aufgrund der Ferne zum Unternehmen wird man umso bereiter sein, dem Tenor der Einschätzung der Unternehmenssituation durch die Medien zu folgen. Die Einschätzung der Situation durch die interessensferne Öffentlichkeit im Allgemeinen ist deswegen nicht unwichtig, weil viele der relevanteren Adressatengruppen sich ihre persönliche Meinung auch in Diskussionen mit ihrem persönlichen Umfeld bilden, auch weil sie sich durch diese Drittmeinungen eine neutralere Einschätzung der Situation und des Unternehmens von außen erhoffen.
5.
Instrumente der Unternehmenskommunikation: Wie erreiche ich die richtigen Adressaten?
Dass eine inhaltliche Fokussierung der zu übermittelnden Botschaften gemäß der festgelegten Zielrichtung adressatenorientiert erfolgen muss, wurde in den Kapiteln 2 und 4 bereits dargestellt. Bleibt die Frage, auf welchen Kommunikationswegen die unterschiedlichen Adressatengruppen zu erreichen sind. Auch hier ist aus Transparenzgründen eine Segmentierung hilfreich.
248
Jochen Fischer
Grundsätzlich ist es für die Glaubwürdigkeit der Kommunikation sinnvoll, die Botschaften möglichst im redaktionellen Umfeld der Printmedien bzw. bei TV/Hörfunk zu platzieren und auf die Schaltung von Anzeigen und Spots zu verzichten.
5.1
Printmedien
Diese wiederum lassen sich grob unterteilen in: Tagespresse, regionale und überregionale Titel Fachpresse (Special-Interest-Titel) Finanzpresse Kommunikation über die Tagespresse stellt die Informationsversorgung aller Adressatengruppen sicher, insbesondere wird die allgemeine Öffentlichkeit erreicht. Die Breitenwirkung ist aufgrund der immer noch sehr hohen Verbreitung und Akzeptanz sehr hoch. Über die Fachpresse informieren sich im Wesentlichen die Kunden und Lieferanten des Unternehmens. Die Finanzpresse wiederum erreicht die Adressantegruppen Kreditinstitute, Aktionäre und Kapitalmarkt besonders effektiv.
5.2
TV/Hörfunk
Im Prinzip gilt hier die gleiche Einteilung wie bei den Printmedien. Nachrichtensendungen, bundesweit oder in Regionalfenstern ausgestrahlt, sowie Magazinformate für bestimmte Interessengebiete bzw. für den Bereich Wirtschaft/Finanzen im Speziellen, sind hier die Äquivalente. Im Unterschied zu den Printmedien – neben Unterschieden in der jeweiligen Reichweite je nach Titel bzw. Sendeformat – ist die Wirkung von persönlichen Auftritten der Kommunikatoren des Unternehmens aufgrund der optischen Präsenz bzw. des O-Tons jedoch nachhaltiger. Für Kommunikatoren mit sicherem, überzeugendem und gewinnendem Auftritt bieten sich bei entsprechender Vorbereitung (Stichwort Mediencoaching, siehe auch Kapitel 3) große Chancen, die gewünschten Botschaften bei den Adressaten erfolgreich zu platzieren. Sowohl für die Versorgung von Printmedien als auch von elektronischen Medien gilt: Regelmäßige Pressemitteilungen sind gut, Hintergrundgespräche mit Journalisten und Interviews sind besser!
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
5.3
249
Internet
Neben den verlagsgesteuerten Internetseiten der Anbieter von Print- bzw. TV- und Hörfunkmedien, die inhaltlich nicht von ihren Hauptmedien abweichen, gewinnen Chatrooms und Webblogs zunehmend an Bedeutung. Bei diesen Diskussionsforen gestaltet sich eine Beeinflussung bzw. Steuerung der Kommunikation aufgrund der Anonymität der Usergruppe recht schwierig. Allerdings ist davon auszugehen, dass ein Unternehmen schon eine gewisse Größe und/oder einen gewissen Bekanntheitsgrad haben muss, damit solche Plattformen zum Informationsaustausch entstehen. Unter Umständen finden sich hier auch Meinungen von Betroffenen wieder, die keine andere Möglichkeit sehen, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, und die unter Umständen im Schutz der Anonymität Extrempositionen vertreten. Dies können in der täglichen Praxis z. B. Wettbewerber oder ehemalige Mitarbeiter sein. Problematisch wird dies, wenn Mitglieder von relevanten Adressatengruppen wie z. B. Medienvertreter hier recherchieren und u. U. zitieren. Oftmals empfiehlt es sich für das Unternehmen, in dieser weitgehend vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckten rechtlichen Grauzone sich aktiv in die Diskussionen einzuschalten – ob offiziell oder „undercover“ mit einer neutralen E-Mail-Adresse muss hier den Handelnden selbst überlassen bleiben. Aber auch die unternehmenseigene Website ist ein wichtiges Informationsmedium. Sie ist auf jeden Fall so aktuell wie möglich zu halten. Unter Umständen ist ein Button „Fragen an das Unternehmen“ einzubauen, der mit einer E-Mail-Weiterleitung verlinkt ist. Eingehende Fragen sollten rasch und umfänglich per E-Mail beantwortet werden. Eventuell sind die „Top 10 FAQs“ (frequently asked questions), also die zehn am häufigsten gestellten Fragen und die Antworten dazu, ebenfalls auf der Homepage zu platzieren. Eine solche Einrichtung wird das Vertrauen in das Unternehmen zweifellos stärken, da Transparenz und Offenheit signalisiert werden.
5.4
E-Mail
Sofern noch nicht vorhanden, ist der Aufbau eines nach Adressantengruppen unterteilten E-Mail-Verteilers unerlässlich. Schneller, aktueller, kostengünstiger und mit geringeren Streuverlusten kann die Informationsversorgung nicht erfolgen.
250
5.5
Jochen Fischer
Conference Call/Direct Call
Auf den ersten Blick ungewöhnlich, aber im Nebeneffekt auch als wirkungsvolle Geste oftmals effektiv, da Transparenz und Offenheit signalisierend: Kunden, Lieferanten und auch Aktionären kann zu festgelegten, rechtzeitig – z. B. über die Website oder einen E-MailVerteiler – bekannt gegebenen Terminen die Gelegenheit gegeben werden, mit dem Management über die Unternehmenssituation zu sprechen. Für Mitarbeiter bieten sich aus Vereinfachungsgründen die bereits oben erwähnten regelmäßigen Mitarbeiterversammlungen mit Möglichkeiten zur Fragestellung an.
5.6
Unternehmenspräsentation
Eine permanent zu aktualisierende Unternehmenspräsentation, idealerweise im Power-PointFormat, ist ein notwendiges Hilfsinstrument bei der Kommunikation, insbesondere mit den anspruchsvollen Adressatengruppen „Kreditinstitute“ und „Aktionäre/Kapitalmarkt“. Mit Text und Grafik lassen sich Sachverhalte in dieser Präsentationsform am anschaulichsten darstellen. Zusammenfassend lässt sich formulieren: Der Erfolg der Unternehmenskommunikation liegt nicht nur in der Vermittlung der richtigen Botschaft. Die zudem notwendige Effizienz in der Informationsvermittlung ergibt sich aus der richtigen Verknüpfung von Adressatengruppe und Kommunikationsweg.
6.
Krisenkommunikation: Wie macht man es richtig?
Das Erfolgsrezept für erfolgreiche Krisenkommunikation ergibt sich aus den in den vorangegangenen Kapiteln dargelegten Aspekten:
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
6.1
251
Die wichtigsten Regeln für ein erfolgreiches Konzept und die richtige Umsetzung
Die zu transportierenden Botschaften müssen offen und glaubwürdig vermittelt und der jeweiligen Adressatengruppe gegenüber verständlich dargestellt werden. Sie müssen, insbesondere mit Blick auf die Adressatengruppen „Kreditinstitute“ und „Aktionäre und Kapitalmarkt“, zeitnah und kontinuierlich erfolgen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor liegt neben der überzeugenden inhaltlichen Konzeption in der richtigen Verknüpfung der auf die festgestellten sechs Adressatengruppen abgestimmten Messages mit den sechs dargelegten Kommunikationswegen. Wichtig ist, dass die adressatenorientierten, inhaltlich zum Teil differierenden Messages sich nicht widersprechen, sondern vielmehr inhaltlich untereinander grundsätzlich konsistent sind und sich zu einem schlüssigen, optimal transportierten Gesamtkonzept summieren, das die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und die Gründe hierfür umfassend und überzeugend darstellt.
6.2
Fallbeispiel
Angesichts der Vielzahl von gelungenen und misslungenen Unternehmenssanierungen pro Jahr allein in Deutschland kann die Auswahl eines Fallbeispiels lediglich exemplarisch und subjektiv erfolgen. Der Brandschutz-Hersteller Minimax, ein Traditionsunternehmen mit über 100-jähriger Historie, über 400 Millionen Euro Jahresumsatz und rund 3.000 Mitarbeitern, hat Außergewöhnliches vorzuweisen: Das Unternehmen ist dreimal in Folge von einem ausländischen Finanzinvestor geschluckt worden. Mögliche Einsparungen, Entlassungen, Sozialpläne und Renditedruck: Für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Kreditinstitute ist es nicht einfach, die Folgen einer solch ungewöhnlichen Entwicklung, wenn das Unternehmen von Investor zu Investor „weitergereicht“ wird, einzuschätzen. Dem Unternehmen ist es jedoch gelungen, jede einzelne Transaktion als Erfolg darzustellen. Die Fluktuation bei Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten lag nahe Null. War das Unternehmen vor Übernahme Nr.1 nach Einschätzung seines Vorstandsvorsitzenden im Jahr 2001 bereits „halbtot“, so führten sinnvolle betriebliche Restrukturierungen, aber auch eine offene und vertrauensfördernde Kommunikation, die sehr geschickt auch die Mitarbeiter des Unternehmens in Form des Betriebsrats einband, das Unternehmen wieder auf die Erfolgsspur. Bereits im Jahr 2002 fuhr Minimax das beste Ergebnis seiner Geschichte ein. (Fründt in: Welt am Sonntag Nr. 23 vom 4.6.2006, S. 31).
252
Jochen Fischer
Auch unter den beiden folgenden Investoren hat sich das Unternehmen prächtig entwickelt – stets begleitet von einer Unternehmenskommunikation, die die Vorteile der jeweiligen Unternehmensüberbernahme für die einzelnen Interessengruppen herausstellte und dafür auch die richtigen Kommunikationswege wählte.
7.
Krisenkommunikation: Wie sollte man es nicht machen?
Da es in der Praxis bedauerlicherweise mehr Beispiele für fehlerhafte oder gar misslungene Krisenkommunikation gibt als positive Beispiele, soll hierauf etwas ausführlicher eingegangen werden.
7.1
Die häufigsten Fehler
Aus der Sicht des Praktikers ist rein quantitativ betrachtet unternehmensseitig der häufigste in der täglichen Praxis anzutreffende Fehler der der „kommunikativen Passivität“. Unter dem Eindruck der für das Unternehmen existenziell bedrohlichen Situation wird vom Management die Bedeutung der möglichst frühzeitigen Erstellung und Umsetzung eines Kommunikationskonzeptes als Teil der Basis für eine erfolgreiche Unternehmenssanierung, ja oftmals als deren Voraussetzung, häufig unterschätzt. Priorität wird vielmehr auf andere Maßnahmen, wie z. B. die kurzfristige Kapitalbeschaffung, gelegt. Kommunikativ wird versucht, „auf Tauchstation zu gehen“. Dabei wird jedoch übersehen, dass sich das Unternehmen der Kommunikation gerade in Krisenzeiten nicht gänzlich entziehen kann. Interessengruppen wie Kreditinstitute, Mitarbeiter, Kunden oder Lieferanten werden Informationen zur aktuellen Situation einfordern, die ihnen auch gegeben werden müssen. Auf diese Fragen nicht vorbereitet zu sein bzw. tatsächlich keinerlei Informationen zu liefern, kann fatale Konsequenzen haben. Hat man sich unternehmensseitig für eine proaktive Kommunikation entschieden, führen eine mangelnde Selektion der Kommunikation nach Adressatengruppen und/oder eine Vernachlässigung relevanter Kommunikationswege bzw. eine falsche Verknüpfung beider häufig zu unnötigen Missverständnissen oder zumindest zu Effizienzdefiziten.
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
253
Oftmals wird angesichts der aktuell angespannten finanziellen Situation aus Kostengründen versucht, die Kommunikation mit vorhandenen Ressourcen zu managen. Dabei wird übersehen, dass der oder die Mitarbeiter mit der Sondersituation „Krise“, häufig auch aufgrund persönlicher Involvierung, nicht kompetent umgehen. Dass ein externer Berater die Situation und die notwendige Maßnahmenplanung wesentlich neutraler einschätzen und frei von Sachzwängen und hierarchischen Ordnungen effektiver agieren kann und Erfahrungen mit vergleichbaren Problemstellungen hat, ist vielen Entscheidern in Unternehmen einfach nicht bewusst. Auch bei Einbindung eines externen Beraters wird seitens des Managements häufig versucht, diesen als Kommunikator vorzuschicken, um sich unangenehmen Situationen nicht stellen zu müssen. Die Folge ist ein Vertrauensverlust bei den Adressaten, die mangelnde Präsenz des Managements als Eingeständnis von Fehlern betrachten und die die den Eindruck gewinnen, das Management wolle sich seiner Verantwortung entziehen und sei nicht in der Lage, sich den Problemen der Gegenwart und Zukunft zu stellen. Oftmals wird im Zuge laufender Kommunikationsprozesse über neu eingetretene Situationen zu spät berichtet, es entstehen „Kommunikationslöcher“, die Informationsversorgung der Adressatenkreise erfolgt nicht mehr kontinuierlich. Der Grund liegt häufig darin, dass bei unternehmensinternem Kommunikationsmanagement die Verantwortung für die Freigabe von Informationen durch das Management hin- und hergeschoben wird. Stellt sich das Problem trotz Hinzuziehung eines externen Beraters, so ist zu prüfen, ob dieser u. U. aufgrund einer zu hohen Zahl von Mandaten die Betreuung des Unternehmens vernachlässigt. Alle oben genannten Beispiele betreffen die Umsetzung der Kommunikationsstrategie. Inhaltlich liegt nach subjektiver Wahrnehmung ein anderer Fehler mit weitem Abstand auf Platz eins: Interessanterweise fast ausschließlich in denjenigen Fällen, in denen kein externer Berater hinzugezogen wurde, wird in der Kommunikation versucht, die Probleme herunterzuspielen und zu verharmlosen. In Verkennung der Tatsache, dass auch in der Unternehmenskommunikation „Lügen kurze Beine haben“, ist ein nicht wiederherzustellender Vertrauensverlust oftmals die Folge solch kurzsichtigen Denkens. Des Weiteren wird häufig versucht, möglichst frühzeitig Rettungsszenarien darzustellen. Ist der viel zu früh angekündigte Investor dann doch wieder abgesprungen oder der erwartete Großauftrag nicht erteilt worden, ist ebenfalls ein massiver Vertrauensverlust die Folge. Derart falsches Timing ist signifikant häufig ebenfalls bei solchen Unternehmen zu konstatieren, die ohne externe Berater arbeiten.
254
7.2
Jochen Fischer
Fallbeispiel
Als ein Beispiel für geradezu desaströse Krisenkommunikation kann die MLP AG genannt werden. Der börsennotierte Finanzdienstleister war Mitte 2002 von einem Börsenmagazin bezichtigt worden, Unternehmensergebnisse geschönt und Bilanzen gefälscht zu haben. Bis dahin war das 1971 gegründete und seit 1988 börsennotierte Unternehmen mit 4.000 Mitarbeitern sowohl operativ als auch am Aktienmarkt äußerst erfolgreich. Ende der 90er Jahre hatte das Unternehmen seine Ergebnisse jährlich um rund 30 Prozent gesteigert, der Aktienkurs stieg über die Jahre um unglaubliche 33.000 Prozent. Im Jahr 2001 stieg das Unternehmen sogar in den Dax auf. Als Folge der Berichterstattung und der dadurch ausgelösten Ermittlungen stürzt der Aktienkurs innerhalb von zwei Tagen um 33 Prozent ab. Das operative Geschäft geht zurück. Folgerichtig stürzt der Aktienkurs in Folge von Gewinnwarnungen immer weiter ab. Der Vertrauensverlust bei den Kunden schreitet weiter fort. Es kommt zu einer Negativspirale. In dieser Situation stehen die Mitarbeiter unter Schock, die Presse bombardiert das Unternehmen mit Anfragen. „In dieser schweren Stunde, davon ist die Belegschaft überzeugt, wird sich der Vorstandsvorsitzende wie ein Löwe vor sein Unternehmen stellen. Indes: Er bleibt für seine Belegschaft erst einmal unsichtbar. Nun rächt es sich zudem, dass MLP Öffentlichkeitsarbeit nicht professionell betreibt. Unter Druck lädt man zu einer Pressekonferenz in ein Hotel. Doch der Vorstandsvorsitzende ist kein begnadeter Redner. Auch sein gerühmter strategischer Weitblick scheint ihn verlassen zu haben. Die Pressekonferenz misslingt zu einem verworrenen Fachvortrag, gespickt mit Details, die zu diesem Zeitpunkt weder jemand versteht noch wissen will. Viele Journalisten sind hinterher genauso ratlos wie vorher. Dafür hat sich ihr Eindruck verfestigt: Bei MLP geht es nicht mit rechten Dingen zu. Das werden sie am nächsten Tag und in den folgenden Monaten immer und immer wieder schreiben und senden“. (Sommer in: brandeins Wirtschaftsmagazin, 10/2006, S.116) Und so geht es in einem fort: Bei aufgrund der öffentlichen Negativdiskussion immer weiter zurückgehendem operativen Geschäft, begleitet von immer neuen abenteuerlichen Spekulationen zur Situation bei MLP, liegt der Unternehmenswert nach einigen Wochen nur noch bei rund fünf Prozent im Vergleich zu seinem Höchstwert. MLP drohe eine feindliche Übernahme, wird zum Beispiel in Internetforen prophezeit, mit gezielten Spekulationen werde der Aktienkurs nach unten getrieben. Dazu und zu anderen Vorwürfen schweigt das Unternehmen oder reagiert hilflos, halbherzig und wenig überzeugend. Die Mitarbeiterfluktuation liegt bei 25 Prozent. Etliche Milliarden Euro Unternehmenskapitalisierung und viele Hundert Millionen Umsatz hat es das Unternehmen gekostet, dass seine Kommunikatoren zunächst gar nicht und dann dilettantisch und konzeptionslos agierten. Nahezu alle in diesem Kapitel genannten möglichen Fehler sind anhand dieses spektakulären Fallbeispiels zu beobachten.
Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements
255
Nach einer umfassenden Neubesetzung der Unternehmensführung ist das Unternehmen mittlerweile wieder auf dem Wege der Besserung.
8.
Der Sonderfall: Eingriffe in die Kommunikation durch Dritte
Eine der größten Herausforderungen für das Unternehmen entsteht, wenn in der ohnehin auch aus kommunikativer Sicht hoch anspruchsvollen Krisen- bzw. Sanierungsphase Eingriffe in die Kommunikation von außen erfolgen. Das wohl bekannteste unrühmliche Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist der „Breuer/Kirch-Fall“, als der Vorstandsvorsitzende einer Großbank im Rahmen eines TV-Interviews dem betreffenden Unternehmen vor laufenden Kameras die Kreditwürdigkeit absprach und damit dem Unternehmen öffentlich den Todesstoß versetzte. Andere Beispiele zu diesem Problemfeld lassen sich besonders häufig im Zusammenhang mit börsennotierten Gesellschaften in Krisenphasen beobachten: Hier wird über verschiedene Kommunikationswege, häufig über Sparten-Börsenbriefe, vor allem aber über Internet-Foren versucht, eine Aktie mit immer neuen Gerüchten zu „pushen“. Selbst bei Gesellschaften in Liquidation wird dies versucht, um Fantasie bezüglich des Wertes des noch verbliebenen so genannten Börsenmantels zu generieren. Da solche Aktien sich meist auf so genanntem „Pennystock“-Niveau befinden, ist aufgrund der sehr niedrigen Kursbasis der prozentuale Hebel für den Spekulanten natürlich extrem lukrativ. Als betroffenes Unternehmen gibt es nur wenige Möglichkeiten, sich gegen solche Eingriffe in die Unternehmenskommunikation von außen zu wehren. Entweder muss proaktiv der Kontakt zu relevanten Finanzmedien gesucht werden – oder es muss gar im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung oder zumindest einer Corporate News die Situation aus Unternehmenssicht dargestellt werden.
256
9.
Jochen Fischer
Ein Fazit
Bezugnehmend auf den Titel dieses Beitrages „Kommunikative Aspekte des Sanierungsmanagements“ muss an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass aufgrund der Komplexität des Themengebietes „Krisenkommunikation“ angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes in der Tat lediglich einzelne Aspekte des Themenfeldes betrachtet werden konnten. Es wurde versucht, die Bedeutung des Themas „Krisenkommunikation“ als wichtiger Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Unternehmensdarstellung darzulegen und einige Hilfestellungen zur Problemanalyse in Verbindung mit Handlungsempfehlungen aus der Praxis heraus zu vermitteln, wobei die Einbeziehung eines externen Beraters im Regelfall unerlässlich ist. Als schwierig ist die Evaluierung „schlechter“ bzw. „guter“ Krisenkommunikation zu betrachten. Wie will man messen, in welchem Umfang „gute“ bzw. „schlechte“ Kommunikation zum Erfolg bzw. zum Scheitern der Sanierung beigetragen hat? Eine abschließende Anmerkung dazu aus der Praxis: Geeignete, umfassende und objektive Controlling-Instrumente hierfür gibt es nicht. Neben persönlich wahrgenommener positiver oder negativer Resonanz steht als einziges Controlling-Instrument die Beauftragung eines Medienbeobachtungs-Service zur Verfügung. Ein solcher ist, sofern das Unternehmen nicht von rein lokaler oder regionaler Bedeutung ist, ohnehin notwendig, um einen lückenlosen Überblick zumindest über die Berichterstattung in den Medien zu gewährleisten. Eine Wertung der Quantität und Qualität auch der Medienresonanz kann aber ebenfalls nur subjektiv erfolgen.
Risikomanagement
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Risikomanagement Gerrit Kirchhoff
Gerrit Kirchhoff, Diplom-Betriebswirt, ist Leiter des Controllings und Riskmanagements der Zapp AG in Dortmund. Zuvor war er Center-Controller für den Geschäftsbereich Qualitätsmanagement im zweitgrößten Pkw-Werk der Mercedes Car Group in Bremen und dort für das operative und projektbezogene Controlling verantwortlich. Seine Stationen im Vorfeld waren die Ausbildung bei der Karstadt Warenhaus AG, das Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Münster, das Deutsch-Saudiarabische Verbindungsbüro für Wirtschaftsangelegenheiten in Riad/Königreich Saudi-Arabien sowie die Vectron Systems AG, wo der Tätigkeitsschwerpunkt in den Bereichen Business Development, Change Management und Risiko Management lag. E-Mail: [email protected]
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Gerrit Kirchhoff
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ....................................................................................................................... 259 2. Rechtliche Rahmenbedingungen .................................................................................... 260 3. Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen ..................................................................... 261 4. Schaffung eines wertorientierten Risikomanagementsystems ........................................ 262 5. Begriffsdefinitionen........................................................................................................ 263 6. Risikokommunikation .................................................................................................... 266 7. Risikostruktur, Risikokategorien und Risikofaktoren..................................................... 267 8. Aufgaben des Risikomanagers ....................................................................................... 269 9. Der Prozess „Risikomanagement“, Risikocontrolling und -reporting ............................ 270 10. Einzelrisiken managen.................................................................................................... 272 11. Gesamtheit der Risiken managen/Risikomanagementkontrolle ..................................... 276 12. Fazit................................................................................................................................ 277
Risikomanagement
1.
259
Einleitung
Unternehmenskrisen gehören zum wirtschaftlichen Handeln und werden sich nie gänzlich eliminieren lassen. Denn Risiko und Chance gehören unweigerlich zusammen, frei nach dem Motto „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“. Jedoch hat die Anzahl der Unternehmen in der Vergangenheit drastisch zugenommen, die eben nicht „gewonnen“ haben. Man denke nur an das Ende der New Economy, dessen Pseudonym der Neue Markt war und der sich nach kurzer Lebensdauer ohne Erfolg verabschiedet hat. Vor allem junge Unternehmer und Unternehmen waren und sind hiervon häufig betroffen, da allzu oft die Ressourcen nur auf die Chancen fokussiert werden und die Risiken im Hinblick auf die erwarteten Erträge beiseite geschoben werden, da sich jeder Einzelne lieber mit den Chancen, als mit den Risiken auseinander setzt. Eine derart selektive Wahrnehmung wird in Zeiten der Globalisierung schneller und strenger bestraft als in der Vergangenheit. Nicht zuletzt die globale Vernetzung und die Deregulierung der Märkte haben dazu beigetragen, dass die Unternehmen mit einem wesentlich komplexeren Markt konfrontiert werden als noch vor einigen Jahrzehnten. Dies zeigt sich nicht zuletzt in den zentralen Bestandteilen des Wirtschaftens. Der Kostendruck, den die Konkurrenz ausübt, mahnt den Unternehmer, immer effektiver und effizienter zu handeln. Andererseits wird der Innovationsdruck seitens der Verbraucher und des Wettbewerbs ebenfalls zunehmend größer, so dass es heute nicht mehr ausreicht, reaktiv zu handeln, da die Produkt- und Marktzyklen nachweislich kürzer werden. Das bedeutet zunehmend, dass der Blick in die Zukunft gestärkt werden muss. Denn nur wer mit Risiken richtig umgeht, diese nicht ignoriert und aussitzt, vermeidet, dass Risiken in einem Unternehmen den Prozess bestimmen und zu einer nachhaltigen Krise werden. Das bedeutet jedoch auch, dass es für die Implementierung eines Risikomanagementsystems nicht mehr ausreicht, den Ist-Zustand eines Unternehmens auf Risiken zu überprüfen und reaktiv auf diese einzugehen. Die größten Risiken liegen in der Zukunft, weswegen diese dementsprechend auch antizipiert und analysiert werden, und dabei unternehmerische Entscheidungen nicht nur auf ihre Chancen, sondern auch auf ihr Risiko überprüft werden müssen. Denn nur wer seine Chancen und Risiken vorausschauend identifiziert, bewertet, steuert und kontrolliert, hat den ersten Schritt in eine erfolgreiche Zukunft getan. Hierbei ist es wichtig, auf externe und interne Risiken zu achten, diese zu analysieren, zu systematisieren und zu klassifizieren, damit diesen proaktiv begegnet werden kann. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es zu ermitteln, wie viele Risiken sich ein Unternehmen leisten kann, was gleichbedeutend sein kann mit der Maßgabe, wie viele Chancen das Unternehmen ergreifen sollte. Dies hilft bei der Entscheidungsfindung, letztendlich auch dabei nicht alles gleichzeitig zu machen, sondern seine Kapazitäten und Ressourcen auf einige wesentliche Ziele zu fokussieren. Ebenfalls hilft es dabei, strategische Entscheidungen zu hinterfragen und damit diese auch zu validieren. Somit geht es beim Risikomanagement nicht nur um Kontrolle des bestehenden Geschäftes, sondern vielmehr darum, das zukünftige Geschäft in einen Kontext zu den Rahmenbedingungen des jeweiligen Unternehmens zu bringen, um letztlich eine Entscheidung und einen Handlungsbedarf herbeizuführen, der sich mit diesem vereinbaren lässt.
260
Gerrit Kirchhoff
In den nachfolgenden Seiten soll darauf eingegangen werden, mit welchen Maßnahmen und Instrumentarien relativ schnell ein Risikomanagementsystem aufgebaut werden kann und in welchem rechtlichen Kontext jeder Einzelne sich hierbei bewegt. Dabei gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, ein Risikomanagementsystem aufzubauen und zu verfolgen. Entscheidend ist jedoch, dass es von den betroffenen Personen verstanden, gelebt und der gesamte Prozess systematisch getrieben und verfolgt wird.
2.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Durch das im April 1998 verabschiedete Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) werden insbesondere Aktiengesellschaften verpflichtet, ein Risikomanagementsystem einzurichten. Neben der reinen Gesetzeserfüllung bietet ein Risiken/Chancen-Management der Unternehmensleitung die Möglichkeit, ein System aufzubauen, das zur wert- und erfolgsorientierten Unternehmenssteuerung, sowie insgesamt zu einer effizienten Steuerung von Informationsflüssen genutzt werden kann.1 Damit alle, für die Unternehmensentwicklung, wesentlichen Vorgänge erfasst werden, ist es nötig, alle Risiken, die in der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens anfallen, zu identifizieren und zu evaluieren, um mögliche bestandsgefährdende Risiken aufzuzeigen. Als bestandsgefährdend sind jene Risiken einzuschätzen, die eine nachhaltig negative Auswirkung auf die Eigenkapitalbasis eines Unternehmens haben und diese insoweit beeinflussen, dass diese nicht mehr ausreicht, um die Verpflichtungen eines Unternehmens zu decken. Damit dieses gewährleistet werden kann, sind alle mit dem Unternehmen verbundenen Risiken aufzuzeigen. Dabei ist eine Unterscheidung hinsichtlich operativer Business- und Projektrisiken notwendig, da gerade Projektrisiken üblicherweise im operativen Tagesgeschäft nicht mit dem Monitoring und Controlling versehen werden wie Standardbusinessrisiken. Allerdings geht von diesen ein hohes Risikopotenzial aus, da grundlegende Veränderungen eines Unternehmens zumeist in Projekten erarbeitet werden und hier die wesentlichen Aufgaben hinsichtlich einer Zukunftsorientierung des Unternehmens festgelegt werden. Zudem sind gerade Projekte häufig mit sehr hohen Investitionen und Erwartungen behaftet, die bei Nichterreichung der Projektziele schnell zu einem hohen Verlust führen können, der das Unternehmen und seine Eigenkapitalbasis nachhaltig negativ beeinflusst.
1
Vgl. Weber/Weißenberger/Liekweg (1999): Risk Tracking and Reporting, Advanced Controlling, S. 3.
Risikomanagement
3.
261
Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen
Die zunehmenden Unternehmenskrisen sowie die Veränderungen auf den nationalen und internationalen Finanzmärkten führten dazu, dass am 27. April 1998 vom Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland das „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)“ verabschiedet wurde. Bei dem Gesetz handelt es sich um ein Änderungsgesetz, durch das zum 1. Mai 1998 mehrere Gesetze geändert wurden. Insgesamt soll das Gesetz zu einer intensiveren Kommunikation mit der Öffentlichkeit sowie zu einer verbesserten Transparenz und Publizität beitragen. Durch die einzelnen Gesetzesänderungen sollen beispielsweise bei Aktiengesellschaften die zum Schutz von Gläubigern und Aktionären vorhandenen Funktionstrennungen so genutzt werden, dass die einzelnen Organe (Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung) ihre Leitungs- und Überwachungsfunktionen verlässlich und effizient wahrnehmen können. Aufgrund der so genannten Ausstrahlungswirkung dieses Gesetzes ist nach herrschender Meinung zunächst von einer Übertragung der gesetzlichen Bestimmungen auf Kapitalgesellschaften auszugehen. § 91 Abs. 2 AktG (neu angefügt)
„Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“2
§ 289 Abs. 1 HGB (ergänzt)
„Im Lagebericht ist auch auf die Risiken der künftigen Entwicklungen einzugehen.“3
§ 317 Abs. 2 HGB (ergänzt)
Im Rahmen der Jahresabschlussprüfung „ist auch zu prüfen, ob die Risiken der künftigen Entwicklung zutreffend dargestellt sind.“4
§ 317 Abs. 4 HGB (neu angefügt)
„Bei einer Aktiengesellschaft, die Aktien mit amtlicher Notierung ausgegeben hat, ist außerdem im Rahmen der Prüfung zu beurteilen, ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 des Aktiengesetzes obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Form getroffen hat und ob das danach einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann.“ Der § 317 Abs. 4 HGB ist für eine Aktiengesellschaft nicht zwingend, wenn die Aktien nicht amtlich notiert sind.5
Abbildung 1: Gesetzliche Rahmenbedingungen In Verbindung mit dem Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinien-Gesetz (KapCoRiLiG) erweitert sich die Ausstrahlung sogar auf Personengesellschaften. Durch das KapCoRiLiG werden alle offenen Handelsgesellschaften (OHG) und Kommanditgesellschaften (KG), die 2 3 4 5
Vgl. Ernst/Seibert/Stuckert (1998): KonTraG, KapAEG, StückAG, EuroEG, (Gesellschafts und Bilanzrecht), S. 13. Vgl. ebenda, S. 18. Vgl. ebenda, S. 18 f. Vgl. ebenda, S. 19.
262
Gerrit Kirchhoff
keine natürlichen Personen als persönlich haftenden Gesellschafter haben, den Kapitalgesellschaften gleichgestellt.6 Aus Sicht einer Aktiengesellschaft ergibt sich insbesondere, aufgrund der nachfolgend dargestellten Gesetzesänderungen, die Verpflichtung zur Implementierung eines Risikomanagementsystems. Die in Abbildung 1 aufgeführten rechtlichen Bestimmungen des KonTraG sind in der Praxis nur schwer auf Nachhaltigkeit des damit verbundenen Systems zu überprüfen, da es nicht allein ausreicht, die damit verbundene Transparenz sicherzustellen, die der Gesetzgeber fordert, sondern vielmehr den damit verbundenen Ansatz auch wirklich zu leben und als Bestandteil der jeweiligen Führungs- und Unternehmenskultur zu machen. Dies hat letztendlich auch der Gesetzgeber erkannt und die immer noch andauernde Diskussion um den Corporate Governance Kodex, der erstmalig von der Regierungskommission im Februar 2002 vorgelegt wurde, angeregt. Dieser enthält zu dem herrschenden Recht Vorschriften darüber, welche Standards für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung angesetzt werden. Damit soll erreicht werden, dass die deutschen Vorschriften in Bezug auf die Finanzinvestoren nachhaltig internationalisiert werden und an internationale Normen angeglichen werden. Somit reicht es, wie bereits erwähnt, nicht aus, ein System zu schaffen, das Risiken bürokratisiert, sondern es ist vielmehr entscheidend, Risiken als Bestandteil des Wirtschaftens zu akzeptieren und dementsprechend auch Rechnung innerhalb der Führungs- und Unternehmenskultur zu machen.
4.
Schaffung eines wertorientierten Risikomanagementsystems
Neben der reinen Gesetzeserfüllung sollte das installierte Risikomanagementsystem die Unternehmensleitung bei der wertorientierten, strategischen Unternehmensführung unterstützen, da ansonsten der dafür genutzte Ressourceneinsatz nicht zwingend wertschöpfend tätig wäre. Außerdem würde eine Chance vertan, ein interdisziplinäres Informationssystem zu implementieren, das sich mit der Chancen-/Risikobetrachtung auseinander setzt, aber auch eine Stärken-/Schwächen-Analyse der Vergangenheit und der Zukunft in Betracht zieht und somit ein wesentliches Instrument zur strategischen Unterstützung der Geschäftleitung sein kann.7 Im Rahmen des Risikomanagements werden eine Vielzahl von Risiken erfasst, aus denen eine informative Wissensdatenbank generiert werden sollte, damit zahlreiche Erfahrungen und Entwicklungen dokumentiert und dann für den allgemeinen, nachgelagerten Wissens6 7
Vgl. Knauer (2003): Neuregelung des Depotstimmrechts nach dem KonTraG, praktische Bewährung und weitere Reformbedürftigkeit, S. 77 ff. Vgl. Gleißner/Meier (2001): Wertorientiertes Risikomanagement für Industrie und Handel, S. 53.
Risikomanagement
263
transfer genutzt werden können. Dafür ist es notwendig, das Risikomanagementsystem in das üblicherweise vorhandene integrierte Kontrollsystem des Unternehmens, bestehend aus Controlling und interner Revision, zu implementieren. Wichtig bei der Implementierung eines Risikomanagementsystems ist, dass nicht nur das operative Geschäft beurteilt wird, sondern auch Projektrisiken mit in den Wissenstransfer integriert werden. Dies ist von Bedeutung, da in Projekten meist für das Unternehmen strategisch wichtig besetzte Felder bearbeitet werden, die wesentlich für die Unternehmensentwicklung sind. Diese Projektrisiken, bei denen unter Umständen für die einzelnen Projektmitglieder die Auswirkungen auf Unternehmensebene nicht erkennbar sind, sollten ebenfalls in das System integriert werden, durch eine übergeordnete Stelle, um somit die unternehmerische Relevanz und die Interdependenzen zu anderen Unternehmensaktivitäten zu verdeutlichen und um daraufhin die damit verbundenen Chancen und Risiken transparent zu machen.8
5.
Begriffsdefinitionen
Folgende Begriffe sind für das Verständnis eines Risikomanagements essenziell, weshalb diese im Vorfeld der weiteren Betrachtung näher erläutert werden sollen. Unter einem Risiko, im Sinne des Risikomanagements, versteht man eine „negative (eventuell bestandsgefährdende) Entwicklung, die sich auch in der Verfehlung von geplanten Unternehmenszielen niederschlagen kann. Als geplante Unternehmensziele kommen Bereichs- und Unternehmensziele, wie Budget, Betriebsergebnis, Jahresüberschuss und Unternehmenswert in Frage.9 Als entscheidende Größe wird empfohlen, die Auswirkung auf das Eigenkapital des Unternehmens zu beachten, da hieraus ersichtlich wird, welchen nachhaltigen Einfluss Risiken auf den Geschäftsverlauf haben. Risiken, sofern diese eintreten, ziehen immer einen Schaden mit sich und sind je nach Ausprägung und Unternehmensumfeld wahrscheinlicher oder weniger wahrscheinlich. Deshalb ist jedes identifizierte Risiko auf diese beiden Faktoren zu überprüfen. Unter dem Begriff Schadenshöhe ist die unmittelbar monetäre Abweichung zu verstehen, die vom definierten Unternehmensziel abhängig ist. So führen kurzfristige und einmalige Zielabweichungen zu einem messbaren Schaden in Form der negativen Beeinflussung des Ergebnisses. Jährlich wiederkehrende Folgeschäden (z. B. aufgrund von Kundenverlust) beeinträchtigen die zukünftigen Jahresergebnisse und somit vor allem den Unternehmenswert. Besonders kleinere Schäden, mit kurzer Frequenz, fallen häufig beim üblichen Monitoring durch das Raster, da deren Schadensgröße bei einmaligem Eintritt eine zu vernachlässigende Größe darstellt, aber kumuliert häufig zu einem entscheidenden Wert werden kann. Die Schadenshöhe ist somit „das mögliche monetäre Ausmaß einer negativen (eventuell einer 8 9
Vgl. Franke/Fürnrohr (1990): Risikomanagement von Projekten, S. III. Vgl Gabler Wirtschaftslexikon (1997): S. 3279.
264
Gerrit Kirchhoff
bestandsgefährdenden) Entwicklung“, die sich auch in der negativen Abweichung vom geplanten Unternehmenserfolg niederschlagen kann.10 Unter dem Begriff „relativer Risikoerwartungswert“ versteht man das Produkt der relativen Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit, eines Risikos und der Schadenshöhe.11 Aufgrund der Einschätzung hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Schadenshöhe wird im Rahmen des Risikomanagements mit Hilfe einer aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe definierten Risikomatrix der Handlungsbedarf für das Management abgeleitet. Handlungsbedarf heißt in diesem Zusammenhang, dass das Risiko als so wesentlich angesehen wird, dass es im Rahmen des Risikomanagement zu verfolgen ist und gegebenenfalls an übergeordnete Gremien weiterzuleiten ist. Dabei ist es hilfreich festzulegen, dass bei bestimmten, relativen Risikowerten ein Maßnahmen- und Reportingplan einzuleiten ist.12
Schadenseintrittswahrscheinlichkeit 0-100%
f ar ed sb ng lu nd Ha er rf nd da ge in be gs Dr un dl an H
50%
Schadensklasse A
B 2
C 4
D 6
E 8
10
Akzeptanzlinie
Quelle: Vgl. Romeike (2005): Modernes Risikomanagement, S. 28 Abbildung 2: Risikomatrix 10
Vgl. ebenda, S. 3333 f. Vgl. Franke/Fürnrohr (1990): S. 9 f. 12 Vgl. Töpfer (1999): Plötzliche Unternehmenskrisen – Gefahr oder Chance?, S. 69. 11
0-10
Risikomanagement
265
In Abbildung 2 dargestellter Risikomatrix werden Klassen für Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadenshöhen definiert. Diese werden mit bestimmten Werten hinterlegt. Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird dabei zwischen 0 für „unmöglich” und 1 für „sehr wahrscheinlich” definiert. Wird beispielsweise unterstellt, dass eine Risikoeintrittswahrscheinlichkeit bei 30 Prozent liegt, so ist diese nach der Matrix mit 0,3 zu bewerten. Die Schadenshöhe wird dabei in Klassen eingeteilt. Je nach Finanzierungs- und Kapitalstruktur sind diese mit konkreten Höhen zu definieren, die für das jeweilige Unternehmen repräsentativ sind. Beispielhaft wurden hier Schadensgrößen zwischen null Euro und größer als drei Millionen Euro gebildet. Diese Schadenshöhen werden ebenfalls mit Werten hinterlegt, A in diesem Fall mit 2 und E mit dem Wert 10. Daraus ergibt sich nun eine Matrix, aus der der relative Risikoerwartungswert eines Risikos ermittelt werden kann. Dafür bildet man das Produkt aus den beiden Werten, der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Schadenshöhe, nach der bereits beschriebenen Klassifizierung, die jedem Risiko zuzuweisen ist.13 Dieser kann zwischen 2 und 10 liegen, wobei ein Risiko mit dem relativen Risikoerwartungswert 2 ein zu vernachlässigendes Risiko darstellt, während ein relativer Risikoerwartungswert 10 ein sehr bedeutendes und existenzgefährdendes Risiko bedeutet. Die oben definierten Schadensklassen sind rein exemplarisch zur Veranschaulichung gewählt und müssen von jedem Risikomanager an die Gegebenheiten des Unternehmens und vor allem an die jeweilige Eigenkapitalstruktur angepasst werden. Entscheidend dabei ist auch, dass die ermittelte Schadenshöhe immer die gleiche Basis aufweist, damit nachher anhand der Risikomatrix die Prioritäten richtig ermittelt werden können. Deshalb ist darauf zu achten, dass nicht etwa Umsatzrückgänge in monetären Umsatzvolumina eingestellt werden und Schadensersatzforderungen in der Höhe, in der diese zu leisten sind, sondern, dass die Risiken in ihrer Schadenshöhe in dem Maße definiert sind, in dem diese Auswirkung auf die Eigenkapitalbasis des Unternehmens haben und somit auf das Ergebnis. Das bedeutet konkret, dass nur mit Hilfe von Szenarien die jeweilige Schadenshöhe ermittelt werden kann, indem diese in eine Plan-G&V und eine Planbilanz einfließt, um einen gleichwertigen Nenner für alle evaluierten Schäden zu bekommen. Ebenfalls hat der Risikomanager auf die Art des Schadens zu achten, der dem Unternehmen entstehet, da ein liquiditätswirksamer Schaden schnell zu einer Insolvenz führen kann, während ein vergleichbarer Schaden von nicht liquiden Vermögenswerten, in gleicher Höhe, ein weniger bedeutendes Risiko darstellen kann, obwohl beide Risiken in gleicher Weise Auswirkungen auf das Ergebnis haben.14 Deshalb würde in einem solchen Fall das Risiko der Insolvenz als eigenes Risiko anzusehen sein, das einen bestandsgefährdenden Charakter hätte. Methodisch kann im ersten Schritt nicht auf eine derartige Schadenswirkung innerhalb des Risikomanagementsystems eingegangen werden, da ansonsten die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit eines solchen Systems nicht mehr gegeben wäre, da das System mehrere Variablen und Zielkomponenten bekommen würde. Das würde dazu führen, dass die Akzeptanz eines solchen Systems und die Bereitschaft, an einem derartigen Prozess mitzuwirken, sinken würden. Zudem fällt der langfristige Periodenfehlbetrag in beiden Fällen in der Regel in gleicher Höhe aus. 13 14
Vgl. Franke/Fürnrohr (1990): S. 9 ff. Insolvenz bezeichnet das auf Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, nach außen erkennbare, voraussichtlich dauernde Unvermögen eines Schuldners, seine fälligen Geldschulden zu erfüllen, vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (1997): S. 4502.
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Gerrit Kirchhoff
Jedoch sollte das Risikomanagement veranlassen, dass wie bereits dargestellt regelmäßig eine Plan-G&V und eine Planbilanz simuliert wird, um die Auswirkungen bestimmter Risiken zu verdeutlichen und zur Berechnung des Gesamtrisikoumfanges eines Unternehmens, damit der Eigenkapitalbedarf ermittelt werden kann, der nötig ist, um diese Risiken zu decken. Dieses ist zur Veranschaulichung von Risiken essenziell, da nur so deutlich gemacht werden kann, welche Risiken derzeit vom Unternehmen zu tragen sind und ob neue Risiken dem Unternehmen zuzumuten sind. Insbesondere zu Zeiten, in denen ein Unternehmen eine geringe Eigenkapitaldeckung aufweist, ist darauf zu achten, dass die geringen Ressourcen auf wesentliche Aktivitäten fokussiert und kanalisiert werden, die die nötigen Stellhebel haben, um die Situation nachhaltig zu verbessern.
6.
Risikokommunikation
Die Risikostrategie sollte sich aus der dargestellten Risikomatrix ableiten. Anhand von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe ergibt sich wie schon dargestellt ein relativer Risikoerwartungswert. Von diesem ist ein grundsätzlicher Handlungsbedarf an die übergeordneten Gremien eines Unternehmens abzuleiten. Hierzu sollten folgende Punkte festgehalten werden:15 Die Gremien eines Unternehmens sind regelmäßig über alle Risiken zu informieren und ab einem definierten relativen Risikoerwartungswert vom Risikomanager zeitnah persönlich zu unterrichten. Nicht an die Gremien zu berichtende Risiken, aber entsprechend der Risikomatrix mit Handlungsbedarf behaftete Risiken, sind im Rahmen des Risikomanagements zu verfolgen. Die Verantwortung hierzu trägt der zu benennende Risikomanager. Zunächst genießen kurzfristig drohende Risiken mit Handlungsbedarf höchste Priorität. Ansonsten orientiert sich die Priorität (das heißt der Rang bei der Risikoverfolgung) ebenfalls an der Risikomatrix. Risiken, die im Rahmen des Risikomanagements nicht verfolgt werden, das heißt Risiken, deren Eintrittswahrscheinlichkeit unwahrscheinlich ist und deren Schadenshöhe gering oder unbedeutend ist, können in die Eigenverantwortung der dafür zuständigen Mitarbeiter übergeben werden.
15
Vgl. Mott, (2001): Organisatorische Gestaltung von Risiko-Managementsystemen, in: Gleißner/Meier (2001): S. 228 ff.
Risikomanagement
267
Ergänzend hierzu ist zu sagen, dass die grundlegende Strategie zur Risikoverfolgung sich auf möglichst wenige valide Informationen stützen sollte, da ansonsten die Gefahr besteht, dass das System mit Informationen überfrachtet wird und aufgrund von Datenvolumina nicht mehr zu handhaben ist. Hierzu ist das System vom Risikomanager straff zu organisieren und auf die wesentlichen Risikofelder zu fokussieren. Wichtig hierbei ist, dass es eine klare hierarchische Struktur innerhalb des Systems gibt, damit wesentliche Informationen nicht in Schnittstellen untergehen, da Verantwortlich- und Zuständigkeiten nicht klar geregelt sind.
7.
Risikostruktur, Risikokategorien und Risikofaktoren
Die Risikostruktur basiert darauf, dass für jeden Unternehmensbereich die vorhandenen Risiken gemäß der fest vorgegebenen Klassifizierung, hinsichtlich Risikokategorien und Risikofaktoren, unternehmensweit erfasst und dargestellt werden. Aufgrund dieser systematischen Erfassung und der Bewertung mit Hilfe einer Risikomatrix erhält man die Risikostruktur. Dadurch kann die Transparenz der Risiken sichergestellt werden.16 Die unternehmerischen Risiken können wie folgt eingeteilt werden: Risikokategorien
Risikofaktoren
Geschäftsrisiken
Wettbewerber, Markt/Branche, Image, Organisationsstruktur, Kundenbeziehungen, Kundenstruktur, Markenführung
Prozess- und Wertschöpfungsrisiken
Forschung und Entwicklung, Produkteinführung, Produktqualität, Produktinnovation, Technologie, Auftragsbestand, Kundenzufriedenheit
Finanzielle Risiken
Zielergebnisabweichung, Kapitalbindung, Liquidität, Bonität, Forderungsstruktur, Kapitalstruktur
Informationstechnische Risiken
Systemzugriff/-verfügbarkeit, Datensicherheit, Datenverfügbarkeit
Einkaufs- und Kooperationsrisiken
Beschaffungsmarkt, struktur
Rechtliche Risiken
Urheberrecht, Vertragsrisiken, Produktrisiken, Gesetzliche Vorschriften
Personalrisiken
Personalkapazitäten, Personalqualifikation, Mitarbeitermotivation
Kooperationspartner,
Lieferanten-
Quelle: Vgl. Faulhaber/Landwehr (2001): Turnaround-Management in der Praxis, S. 320 ff. Abbildung 3: Risikokategorien und Risikofaktoren des operativen Geschäftes 16
Vgl. Faulhaber/Landwehr (2001): Turnaround-Management in der Praxis, S. 320 ff.
268
Gerrit Kirchhoff
Anhand der oben dargestellten Risikokategorien und Risikofaktoren lassen sich sehr schnell komplexe Sachverhalte evaluieren und klassifizieren. Ebenfalls hat die Einteilung den Vorteil, dass gerade durch die Risikokategorisierung die Interdependenzen deutlich gemacht werden können. Wichtig ist es hierbei, dass die zuständigen Risikomanager einen interdisziplinären Ansatz der Informationsaufnahme und des Informationsreportings verfolgen, damit das Risikomanagementsystem den gewünschten Mehrwert bringt. Denn nur wenn Risiken in Bezug auf die Divergenzen zu den Unternehmenszielen und zu der Ertragsituation aufgezeigt werden, kann ein lösungsorientierter Ansatz erreicht werden, um den Risiken für das Unternehmen konstruktiv und schnell zu begegnen. Dabei ist vor allem darauf zu achten, dass Ursache und Wirkung aufgezeigt werden, damit der Lösungsansatz des Managements nicht nur die Symptome bekämpft, sondern auch die Risikoursachen. Durch die Risikokategorien lassen sich ebenso Risikoschwerpunkte erkennen, die im Unternehmen auftauchen. So können die Risiken nach diesen Risikokategorien ausgewertet werden. Daraus lässt sich erkennen, welche Schwerpunkte es im Unternehmen gibt. Je nach Anzahl und Bedeutung der Risiken lassen sich Schwachpunkte einer Organisation erkennen. Tauchen zum Beispiel viele Risiken mit hoher Bedeutung in einem Organisationsbereich auf, so lässt sich daran erkennen, dass hier Maßnahmen notwendig sind, um dies nachhaltig zu beheben, ohne dabei im ersten Schritt auf die einzelnen Risiken einzugehen. Die in Abbildung 3 dargestellten Risikokategorien und -faktoren sind exemplarisch für die Risiken aus dem operativen Geschäft aufgestellt worden und lassen sich beliebig ergänzen. Wie jedoch schon erwähnt treten bestandsgefährdende Risiken im Zuge von Projekten auf, da hier die entscheidenden Grundlagen für die Zukunft gelegt werden. Exemplarisch hierfür finden Sie in Abbildung 4 einige Risikokategorien und Faktoren, die im Einzelfall umfassend ergänzt werden können. Risikokategorien
Risikofaktoren
Auftrag und Ziele
Projekt ist auf eine bestimmte Organisation zugeschnitten, Arbeitsablauf, Ressourcenkonflikt, Kunden-/Anwendungskonflikt
Entscheidungsträger
Projektleitung, Erfahrung, Projektdefinition, firmenpolitische Einflüsse, Zeithorizont
Organisationsmanagement
Stabilität der Organisationsstruktur, Projektrollen und -verantwortlichkeiten, Praktiken und Standards, Unterstützung durch das Management, Einbeziehung der Führungsebene, ProjektZielsetzung
Kunden/Anwender
Einbeziehung des Anwenders, Erfahrung des Anwenders, Akzeptanz des Anwenders
Projektcharakteristik
Projektgröße, Budgetgröße, Kostenkontrolle, Zeithorizont
Produktfunktionalität
Änderung des Anforderungskataloges, Vollständigkeit und Verständlichkeit, Designschwierigkeiten, Systemabhängigkeiten
Budgetzwänge,
Risikomanagement
269
Risikokategorien
Risikofaktoren
Entwicklungsprozess
Analyseprozesse, Auswahlprozesse, Entwicklungsdokumentation, Änderungskontrolle für in der Entwicklung befindliche Produkte, Entwicklungsressourcen, Nutzung von definierten Vorgehensweisen
Entwicklungsumgebung
Physische Einrichtung, Verfügbarkeit von Anlagen/Werkzeugen, Lieferantenunterstützung, Katastrophenpläne
Projektmanagement
Projektfortschritt, Erfahrung, Autorität, Unterstützung
Teammitglieder
Verfügbarkeit, Know-how, Kommunikation, Erfahrung, Motivation, Effektivität, Effizienz
Quelle: Vgl. Faulhaber/Landwehr (2001): Turnaround Management in der Praxis, S. 320 ff. Abbildung 4: Risikokategorien und Risikofaktoren des Projektgeschäftes
8.
Aufgaben des Risikomanagers
Idealerweise unterteilen sich die Aufgaben des Risikomanagers in organisatorische und inhaltliche Aufgaben. Organisatorisch gesehen ist der Risikomanager für den kontinuierlichen Prozess des Risikomanagements, das bedeutet der Risikoidentifizierung, -evaluierung, -reporting und -nachverfolgung verantwortlich. Dieser Prozess, in den alle leitenden Führungskräfte aktiv mit eingebunden sein sollten, ist demnach vom Risikomanager zu steuern und zu treiben. Hierzu gehören auch das Bereitstellen und die Weiterentwicklung von Hilfsmitteln, wie etwa eine Risikodatenbank, Handbücher, Informationsprozesse etc.17 Inhaltlich gesehen ist der Risikomanager für den Prozess der Risikoverfolgung und der Berichterstattung verantwortlich. Im Rahmen der Risikoverfolgung hat der Risikomanager die Aufgabe, unter Betrachtung des gesamten Unternehmens, dafür zu sorgen, dass die Führungskräfte eine effektive und effiziente Risikoverfolgung vornehmen, das heißt konkret, dass der Risikomanager für die Steuerung und die Kontrolle der Risikoverfolgung zuständig ist. Die inhaltliche Verantwortung der Risikoverfolgung sollte in den einzelnen Organisationsbereichen liegen und kann nur von der dementsprechenden Führungskraft ausgehen.18 Somit ist der Risikomanager als zentrales Bindeglied zwischen den Führungskräften und der Geschäftsleitung zu sehen. Im Rahmen der Berichterstattung sind vor allem die Interdependenzen zwischen den einzelnen Risiken, zwischen den Bereichen, aufzuzeigen. Diese Aggregation auf die Kern17 18
Vgl. Weber/Weißenberger/Liekweg (1999): S. 35 f. Vgl. ebenda, S. 35 f.
270
Gerrit Kirchhoff
probleme macht den eigentlichen Mehrwert dieses Systems aus, da in den meisten Fällen die Einzelrisiken bekannt sein dürften, allerdings fehlt das Instrumentarium um diese in eine geeignete Struktur zu bringen.19 Ebenfalls sollte der Risikomanager auch für die Dokumentation der in der Vergangenheit bereits identifizierten, bewerteten und durch getroffene Maßnahmen eliminierten oder reduzierten Risiken verantwortlich sein, damit sich hieraus ein Maßnahmen-Controlling entwickelt, welches das Management in die Lage versetzt zu identifizieren, welche Maßnahmen in der Vergangenheit am wirkungsvollsten waren, um bestimmte Risiken zu reduzieren bzw. zu eliminieren. Ebenfalls ist es die Aufgabe des Risikomanagers, die Systematik, die das Risikomanagementsystem verfolgt, festzulegen und zu überwachen. Um das Risikomanagement handhabbar zu halten, ist durch den Risikomanager eine Vorabanalyse der relevanten Risikofelder zu unternehmen, damit vermieden wird, dass große Datenvolumina das System unhandlich und schwerfällig machen. Der Risikomanager ist unabhängig von Abteilungen und Linienfunktionen einzusetzen, am besten in Bereichen, in denen er ohnehin schon über ein wesentliches Maß an Informationen verfügt. Etwa in der Nähe der Controlling- und Revisionsabteilungen, ohne diesen jedoch anzugehören, da zum einen das Risikomanagement die beiden Abteilungen bewerten soll und zum anderen die interne Revision auch vor dem Risikomanagement nicht Halt machen sollte. Somit soll gewährleistet werden, dass eine gegenseitige Kontrolle stattfinden kann. Eine Linienfunktion scheint für das Risikomanagement nicht sinnvoll zu sein, da gerade Gewinnmaximierung und Risikovermeidung bzw. Reduzierung häufig im Zielkonflikt zueinander stehen. Bei einer Linienfunktion wäre der Einfluss des Risikomanagers nur begrenzt und somit eingeschränkt. Am geeignetsten scheint die Zuordnung als Stabsstelle des Vorstandes oder der Geschäftsführung zu sein, mit einer Nähe zum Controlling. So wird sichergestellt, dass der Risikomanager zum einen die Grundversorgung an Informationen aus dem Controlling erhält und zum anderen nur dem Vorstand oder der Geschäftsführung unterstellt ist. Der Vorstand oder die Geschäftsführung können dann letztlich anhand aller Informationen entscheiden, welche Maßnahmen zu treffen sind, da letztendlich diese auch die Verantwortung zu tragen haben.20
9.
Der Prozess „Risikomanagement“, Risikocontrolling und -reporting
Der in Abbildung 5 dargestellte Risikomanagementprozess besteht aus zwei permanenten, sich bedingenden Regelkreisen. Ausgehend von der Risikoidentifikation jeden einzelnen Risikos und der nachfolgenden Bewertung ist dieses mit Maßnahmen zu belegen und zu 19 20
Vgl. Sauerwein (1994): Strategisches Risiko-Management in der bundesdeutschen Industrie, S. 33. Vgl. Winter (2001): Risikomanagement und interne Kontrollen beim Sachversicherer, S. 53 f.
Risikomanagement
271
verfolgen. Die getroffenen Maßnahmen sind auf Wirksamkeit zu kontrollieren. Die bestehenden Einzelrisiken sind somit regelmäßig erneut zu bewerten und nachhaltig weiterzuverfolgen. Der zweite Regelkreis wird aus dem ersten gespeist und setzt voraus, dass übergeordnete Instanzen über die Existenz des einzelnen Risikos informiert werden. Diese sind dann an das Risikomanagement zu kommunizieren. Das Risikomanagement erstellt eine Analyse des Einzelrisikos in Verbindung mit den Interdependenzen zu anderen Risiken oder Geschäftseinheiten. Aus der Gesamtheit der Risiken wird der Risikoreport samt Wechselwirkungen und Ursachenzusammenhängen in einem Report erstellt, der den Entscheidungsträgern regelmäßig, in Ausnahmesituationen umgehend, vorzulegen ist. Aus dieser Risikoanalyse werden vom Risikomanager ebenfalls Maßnahmenhinweise oder konkrete Maßnahmen für die jeweiligen Einzelrisiken genannt, um Schnittmengen und sich divergierende Maßnahmen zu kanalisieren und zu synchronisieren. Alle eingeleiteten Maßnahmen sind mit Erfolg oder Misserfolg zu dokumentieren, um einen Know-how-Transfer, in Bezug auf die Wirksamkeit von Maßnahmen, zu erreichen.
Risikoidentifikation
Risikoinformation
Risikobewertung
Risikokontrolle
RisikoKommunikation
Risikoverfolgung
Risikoarchiv
Risikoanalyse
Risikobericht
Quelle: Vgl. Weber/Weißenberger/Liekweg (1999): Risk Tracking and Reporting, Advanced Controlling, S. 16 Abbildung 5: Darstellung des Risikomanagementprozesses
272
Gerrit Kirchhoff
Das Risikocontrolling findet auf der Ebene der einzelnen Risiken statt. Hier unterteilt sich der Prozess in die Teilprozesse Risikoidentifizierung, Risikobewertung, Risikoverfolgung, Risikokontrolle, Risikoinformation und Risikoarchivierung. Unter dem Risikomanagement versteht man einen kontinuierlichen Prozess. So sollen insbesondere die Risikoidentifikation, das Risikocontrolling und die Risikokommunikation ununterbrochen, d. h. kontinuierlich, stattfinden. Lediglich die Archivierung und Dokumentation der getroffenen Maßnahmen, und die darauf aufbauende Berichterstattung an die Geschäftsleitung, können periodisch erfolgen. Für jedes Risiko ist ein Verantwortlicher zu identifizieren und festzulegen, diese sollten im Regelfall Führungskräfte sein, die ihre Risiken managen und an alle an dem Prozess beteiligten Personen kommunizieren müssen. Der kontinuierliche Informationsaustausch zwischen den Führungskräften, dem Risikomanager und der Geschäftsleitung sollte durch Gremiensitzungen in regelmäßigen Abständen untermauert werden.21
10.
Einzelrisiken managen
Nachdem bereits die Systematik eines Risikomanagementsystems erläutert wurde, geht es nun daran, die einzelnen Risiken zu erkennen, aufzuzeigen und zu managen. Jedoch ist jedem zu raten, der ein Risikomanagementsystem aufbaut, erst die Struktur und die Ziele festzulegen, mit denen eine Vielzahl von Risiken handhabbar gemacht werden sollen, als mit der Sammlung der einzelnen Risiken anzufangen. Damit jedoch das Risikomanagement gelebt werden kann, ist es notwendig, die bestehenden Risiken zu erfassen, was einer der wichtigsten und schwierigsten Prozesse sein dürfte. Dabei ist es wesentlich, dass sowohl ein Bottom-Up als auch ein Top-Down-Ansatz verfolgt wird. Der Bottom-Up-Ansatz ist dabei jedoch um ein Wesentliches aufwendiger, da er eine größere Anzahl an Protagonisten voraussetzt. Letztendlich soll dabei erreicht werden, alle Risiken, die in einer Organisation bestehen, aufzuzeigen. Der Top-Down-Ansatz ist dabei um ein Wesentliches schneller, aber auch ungenauer. Jedoch ist der Vorteil bei dieser Verfahrensweise, dass relativ schnell die wesentlichen Risiken mit den bestehenden Interdependenzen aufgezeigt werden können. Dadurch haben die beteiligten Personen eine klarere Vorstellung von den Unternehmenszielen und der damit verbundenen Strategie, was den Vorteil hat, dass hierdurch Divergenzen zwischen Zielen, Strategie und Risiken schneller aufgezeigt werden können. Für ein neu zu schaffendes System ist es daher sinnvoll, mit dem Top-Down-Ansatz zu beginnen und später dieses durch den Bottom-Up-Ansatz zu ergänzen.
21
Vgl. Mott (2001): S. 213.
Risikomanagement
273
Die in der Praxis angewandten Methoden werden dabei in die Kollektions- und Suchverfahren unterteilt, wobei das Kollektionsverfahren bestehende und offensichtliche Risiken aufdeckt und das Suchverfahren eher verdeckte zukünftige Risiken evaluieren soll.22
Kollektionsmethoden
Suchmethoden Analytische Methoden
Kreativitätsmethoden
• Checkliste • SWOT-Analyse/ Self-Assessment • Risikoidentifikationsmatrix (RIM) • Interview, Befragung
• Fragenkatalog • Morphologische Verfahren • Fehlermöglichkeitsund Einflussanalyse • Baumanalyse
• Brainstorming • Brainwriting • Delphi-Methode • Synektik
Vorwiegend geeignet zur Identifikation bestehender und offensichtlicher Risiken
Vorwiegend geeignet zur Identifikation zukünftiger und bisher unbekannter Risikopotenziale (proaktives Risikomanagement)
Quelle: Vgl. Romeike (2005): S. 27 Abbildung 6: Methoden der Risikoidentifikation Ein wesentliches, weiteres Hilfsmittel für die Identifikation von Risiken ist das Instrumentarium des Risikofaktors. Dabei ist nach der Identifikation eine Systematisierung des Risikos wichtig. Deshalb ist das beschriebene Risiko einem Risikobereich und einer Risikoursache zuzuordnen, entsprechend den bereits dargestellten Risikokategorien und den Risikofaktoren. Droht zum Beispiel, aufgrund einer schlechten Zahlungsmoral der Kundschaft, ein langfristiges Liquiditätsrisiko, da Liquiditätsspitzen nicht abgedeckt werden können, so handelt es sich um ein finanzielles Risiko. Bezieht sich das Risiko auf ein konkretes Projekt oder Produkt, so ist dieses weniger den operativen Risikokategorien zuzuordnen als vielmehr den Projekt- und Produktrisiken, die dann als Auswirkung wieder Geschäftsrisiken nach sich ziehen. Für alle schon oben dargestellten Risikokategorien und Risikofaktoren ist in allen Organisationseinheiten des Betriebes zu prüfen, ob eventuell hierzu Risiken vorliegen. Dafür ist es unbedingt nötig, dass die jeweiligen Führungskräfte ihre Mitarbeiter in den Prozess der Risikoidentifizierung mit einbinden. Wenn zu den oben genannten Parametern ein Risiko vorliegt, ist es notwendig, eine Risikobewertung vorzunehmen, um den Handlungsdruck zu evaluieren. Dazu ist zu jedem Risiko eine Bewertung vonnöten, die die Eintrittswahrscheinlichkeit und 22
Vgl. Romeike (2005): Modernes Risikomanagement, Die Markt-, Kredit- und operationellen Risiken zukunftsorientiert steuern, S. 26 f.
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die Schadenshöhe ins Kalkül zieht, damit sich hieraus der relative Risikoerwartungswert des einzelnen Risikos ableiten lässt. Hieraus werden Prioritäten bei der Maßnahmenverfolgung anhand der vorgestellten Risikomatrix festgelegt, damit Maßnahmen zielgerichtet nach Priorität eingeleitet werden können. Zudem sollte hinterlegt werden, warum die jeweiligen Risiken eingegangen werden und welche Chancen sich aus den einzelnen Risiken ergeben könnten. Im Falle einer Matrixorganisation, wie etwa bei Projekten, kann es sinnvoll sein, dass jedes verantwortliche Teammitglied seine eigene Bewertung abgibt und sich der Risikofaktor aus dem arithmetischen Mittel der Teammitglieder zusammensetzt. Die jeweiligen Bewertungen sind nochmals kritisch durch den Risikomanager zu beleuchten, da es je nach Typus häufig vorkommt, dass einige Personen zu fahrlässig oder zu kritisch mit solchen Themen umgehen.23 Da es für das Risikocontrolling und die Einschätzung des möglichen Ausmaßes ebenfalls von Bedeutung ist, ob es sich um ein einmaliges Risiko handelt (Forderungsausfall) oder um ein jährlich wiederkehrendes Problem (Kundenverlust), sollte der Risikozeitraum in diesem Zusammenhang ebenfalls evaluiert werden. Zudem kann die Bewertung durch die Vorgabe bestimmter Klassen erleichtert werden, damit der relative Risikoerwartungswert ermittelt werden kann.
Schadens- und Wahrscheinlichkeitsklassen
Geschätzte Eintrittswahrscheinlichkeit W-Klasse
Absolut
Relativ
Relativer Wert
1
0 % < EW