Internationales Steuerrecht : Grundlagen für Studium und Steuerberaterprüfung [3., überarbeitete Auflage] 9783834991126, 3834991120, 9783834902092, 3834902098 [PDF]


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Internationales Steuerrecht : Grundlagen für Studium und Steuerberaterprüfung [3., überarbeitete Auflage]
 9783834991126, 3834991120, 9783834902092, 3834902098 [PDF]

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Zitiervorschau

Christiana Djanani/Gernot Brähler Internationales Steuerrecht

Christiana Djanani/Gernot Brähler

Internationales Steuerrecht Grundlagen für Studium und Steuerberaterprüfung Unter Mitarbeit von: Marc Steffen Simon Zaby 3., überarbeitete Auflage Mit Beiträgen von: Bernd Adamaschek, Rainer Christian Beutel, Wolfram Bremeier, Jochen Dieckmann, Leonhard Ermer, Raimund Hirschfelder, Manfred Jung, Lydia Kyas, Martin Lepper, Ingrid Nümann-Seidewinkel, Harald Plamper, Marga Pröhl, Willi Schmöller, Rolf Sebelin, Heide Simonis, Rüdiger Staib, Dietmar Talkenberg, Wolfgang Tiefensee, Armin Töpfer, Hans-Josef Vogel

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Professor Dr. Dr. Christiana Djanani ist Inhaberin des Lehrstuhls für Allgemeine BWL und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Dr. Gernot Brähler ist Steuerberater in München und Habilitand.

1. Auflage März 2003 2., überarbeitete Auflage Oktober 2004 3., überarbeitete Auflage Mai 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Jutta Hauser-Fahr / Walburga Himmel Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8349-0209-8 ISBN-13 978-3-8349-0209-2

Prinzipien des Internationalen Steuerrechts

Kapitel I:

1

Grundzüge des Internationalen Steuerrechts

1 Prinzipien des Internationalen Steuerrechts 1.1 Bedeutung des Internationalen Steuerrechts Mit fortschreitender internationaler Verflechtung der Wirtschaft dehnen immer mehr deutsche Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen über die nationalen Grenzen aus. Dabei operieren nicht mehr ausschließlich die großen Konzerne auf den globalen Absatz- und Beschaffungsmärkten. In zunehmendem Maße beginnen auch kleinere sowie mittelständische Unternehmen mit dem Aufbau und der Pflege weltweiter Wirtschaftsbeziehungen und der Gründung von Auslandsniederlassungen. Den wirtschaftlichen Vorteilen aus dem Status eines „Global Players“ können jedoch auf steuerlicher Seite Probleme entgegenstehen. Bei der Realisierung grenzüberschreitender Sachverhalte werden Unternehmen mit dem Steuerrecht anderer Staaten konfrontiert und können u.U. unter die Steuerhoheiten anderer Nationen fallen. Die unterschiedliche Beurteilung der Sachverhalte in den verschiedenen Steuersystemen der einzelnen Länder kann dazu führen, dass ein Geschäftsvorfall der Besteuerung sowohl im Inland als auch im Ausland unterliegt, so dass Doppel- bzw. Mehrfachbesteuerungen auftreten. Mehrfachbelastungen führen zu Wettbewerbsverzerrungen auf den internationalen Märkten und hemmen die volkswirtschaftliche Entwicklung durch Einschränkung des weltweiten Kapital-, Güterund Dienstleistungsverkehrs. Die Steuervorschriften können aber auch die grenzüberschreitenden Aktivitäten eines Unternehmens fördern, wenn durch besondere Gestaltungsmöglichkeiten, die sich aus der internationalen Tätigkeit ergeben, eine geringere Steuerbelastung oder gegebenenfalls sogar keine erreicht wird.

1.2 Begriff des Internationalen Steuerrechts Unter dem Internationalen Steuerrecht versteht man die Gesamtheit aller Normen, die die Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte regeln. Damit werden sowohl die Normen des nationalen Rechts als auch die zwischenstaatlichen Vereinbarungen erfasst, mit deren Hilfe die verschiedenen nationalen Besteuerungsansprüche gegeneinander abgegrenzt werden. Zum Internationalen Steuerrecht im engeren Sinne gehören das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen und Teile des Völkerrechts. Internationale Verträge werden erfasst, soweit sie Besteuerungsansprüche betreffen. Die Bestimmungen des Internationalen Steuerrechts im engeren Sinne entstammen dem Völkerrecht und regeln die Abgrenzung kollidierender Steuerhoheitsansprüche.

2

Begriff des Internationalen Steuerrechts

Werden die völkerrechtlichen Normen um das nationale Außensteuerrecht erweitert, spricht man vom Internationalen Steuerrecht im weiteren Sinne. Die jeweiligen Bestimmungen in den Einzelsteuergesetzen (z.B. EStG, KStG, ErbStG, BewG) bezeichnet man als Allgemeines Außensteuerrecht. Bei den Regelungen des Speziellen Außensteuerrechts handelt es sich um Spezialvorschriften des innerstaatlichen Steuerrechts, die sich mit internationalen Beziehungen befassen (z.B. AStG).

Der Umfang des Internationalen Steuerrechts INTERNATIONALES STEUERRECHT i.e.S. Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Abkommen zwischen mehreren Staaten von steuerlicher Bedeutung Entscheidungen internationaler Gerichte von steuerlicher Bedeutung Völkerrechtliches Gewohnheitsrecht von steuerlicher Bedeutung

NATIONALES AUßENSTEUERRECHT Allgemeines Außensteuerrecht

Spezielles Außensteuerrecht

INTERNATIONALES STEUERRECHT i.w.S.

Abbildung 1:

Umfang des Internationalen Steuerrechts

Prinzipien des Internationalen Steuerrechts

3

1.3 Grundsätze des Internationalen Steuerrechts 1.3.1

Das Souveränitätsprinzip und seine Grenzen

Die Unabhängigkeit eines Staatswesens von der Staatsgewalt eines anderen Staates gründet sich auf dem Souveränitätsprinzip. Demzufolge ist ein Staat auf seinem Hoheitsgebiet in der Festlegung seiner Steueransprüche sowie der Ausübung seiner Steuergewalt autonom. Jeder Staat ist allerdings verpflichtet, auch die Gebietshoheit anderer Staaten anzuerkennen und zu beachten. Dies schließt jedoch nicht das Recht eines Staates aus, sich auf fremdem Staatsgebiet ereignende Sachverhalte zu besteuern. Das Gewohnheitsrecht der Völker versagt aber dem einzelnen Staat, willkürlich außerhalb seines Hoheitsgebietes verwirklichte Sachverhalte seiner Besteuerung zu unterwerfen. Die Rechtmäßigkeit des Besteuerungsanspruchs eines Staates ist nur gegeben, wenn eine echte Verknüpfung (genuine link) zwischen dem inländischen Hoheitsgebiet und dem ausländischen Sachverhalt vorliegt. Es muss eine tatsächliche Bindung (Prinzip der tatsächlichen Anknüpfung) existieren. Der Grundsatz des Völkerrechts hat nach Art. 25 GG Vorrang vor der innerstaatlichen Gesetzgebung.

nationale Steuererhebung

völkerrechtliches Gewohnheitsrecht

Souveränitätsprinzip

Prinzip der tatsächlichen Anknüpfung

Abbildung 2:

1.3.2

Nationale und völkerrechtliche Grundlagen der Steuererhebung

Prinzipien der Besteuerung

1.3.2.1 Anknüpfungsmerkmale (Besteuerung dem Grunde nach) Jeder Staat bestimmt aufgrund des Souveränitätsprinzips autonom die Anknüpfungsmerkmale für das Entstehen eines Besteuerungsanspruches. Dabei orientiert er sich an folgenden Kriterien: x Person des Steuerpflichtigen, x Steuergut, x Verbrauch eines Wirtschaftsgutes, x Transaktionen.

4

1.3.2.1.1

Grundsätze des Internationalen Steuerrechts

Anknüpfung an die Person des Steuerpflichtigen

Bei der Anknüpfung an die Person stützt sich die Begründung des Steuerrechtsverhältnisses auf subjektive Merkmale des Steuerpflichtigen. Dabei unterstellen die Grundsätze eine enge, persönliche Bindung zum steuererhebenden Staat. Diese ist gegeben beim: x Ansässigkeitsprinzip oder Wohnsitzstaatsprinzip: Anknüpfungspunkt ist die wirtschaftliche Gebietszugehörigkeit, d.h. Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt bei natürlichen Personen sowie Sitz bzw. Ort der Geschäftsleitung bei juristischen Personen. x Nationalitätsprinzip: Es wird an die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen sowie an den zivilrechtlichen Sitz bei juristischen Personen angeknüpft. Dieses Prinzip findet in Deutschland nur für juristische, nicht aber für natürliche Personen Anwendung.

1.3.2.1.2

Anknüpfung an das Steuergut

In Abgrenzung zu den genannten subjektiven Anknüpfungspunkten kann der Staat seinen Besteuerungsanspruch auch mit dem Bestehen einer sachlichen Beziehung zum Inland rechtfertigen. Anknüpfungspunkte der Besteuerung sind in diesem Fall durch das Steuergut verwirklichte Tatbestandsmerkmale. Ob persönliche Verbindungen zum Inland bestehen, ist dabei unbeachtlich. Grundsätze der Anwendung sind: x Quellenprinzip: Als Besteuerungsmerkmal gelten inländische Einkunftsquellen, z.B. Gewinnausschüttungen einer inländischen Kapitalgesellschaft an einen ausländischen Anteilseigner. x Belegenheitsprinzip: Zur Besteuerung herangezogen werden alle auf dem Staatsgebiet befindlichen (belegenen) Vermögensgegenstände, z.B. Einkünfte aus inländischem Grundvermögen.

1.3.2.1.3

Anknüpfung an den Verbrauch

Der Besteuerungsanspruch eines Staates leitet sich bei den Verbrauchsteuern aus dem Verbrauch oder Gebrauch bestimmter Waren ab. Folglich knüpft der Tatbestand der Steuerentstehung an einen tatsächlichen Vorgang oder Zustand an. Der Besteuerungsgrundsatz greift zurück auf: x Konsumptionsprinzip: Das Besteuerungsrecht beruht auf dem tatsächlichen Verbrauch bzw. Gebrauch bestimmter Güter innerhalb des Staatsgebietes.

1.3.2.1.4

Anknüpfung an Transaktionen

Transaktionen können im grenzüberschreitenden Güter- und Dienstleistungsverkehr als Grundlage der Besteuerung angesehen werden und begründen einen Steueranspruch bei indirekten Steuern. Unter einer Transaktion versteht man den auf einem Verpflichtungsge-

Prinzipien des Internationalen Steuerrechts

5

schäft oder dem Gesetz beruhenden Übergang der Verfügungsmacht über einen Gegenstand bzw. die auf einem Verpflichtungsgeschäft beruhende Leistungserbringung zwischen den Transaktionspartnern. Das Recht der Steuererhebung eines Staates leitet sich ab vom: x Ursprungslandprinzip: Das Besteuerungsrecht wird dem Land eingeräumt, aus dem das Gut oder die Leistung stammt (z.B. USt). x Bestimmungslandprinzip: Der Staat, für den das Gut oder die Leistung bestimmt ist, nimmt das Recht auf Besteuerung in Anspruch (z.B. USt). x Belegenheitsprinzip: Der Staat, in dem das Gut belegen ist, belastet die Transaktion mit einer Steuer (z.B. GrESt) bzw. der Staat, auf dessen Territorium die Transaktion stattfindet.

1.3.2.2 Sachlicher Umfang (Besteuerung dem Umfang nach) Die Ausübung der Besteuerungsansprüche orientiert sich an Prinzipien, welche aus den jeweiligen Anknüpfungsmerkmalen resultieren. Die folgende Abbildung zeigt den Zusammenhang zwischen Anknüpfungsmerkmalen und Prinzipien der Ertrags- und Vermögensbesteuerung.

Person des Steuerpflichtigen

Wohnsitzstaatsprinzip und/oder Nationalitätsprinzip

Universalitätsprinzip

Steuergut

Quellenstaatsprinzip oder Belegenheitsprinzip

Territorialitätsprinzip

Anknüpfungsmerkmal

Abbildung 3:

Anknüpfungsmerkmale und Prinzipien der Besteuerung

Wird von einem Staat das gesamte im In- und Ausland erwirtschaftete Einkommen (Welteinkommen)1 einer Person der Besteuerung unterworfen, spricht man vom Universalitätsprinzip. Der nationale Gesetzgeber wendet dieses Prinzip für die Steuern vom Einkommen bzw. Vermögen und Nachlässen im Inland unbeschränkt steuerpflichtiger natürlicher und juristischer Personen an. Bei der Anwendung des Territorialitätsprinzips erfasst der Steueranspruch eines Staates lediglich die innerhalb seines Staatsgebietes verwirklichten Tatbestände. In Deutschland gilt dieser Besteuerungsgrundsatz für Ertrag- sowie Verkehrsteuern.

1

Vgl. BFH v. 05.06.1986, IV-R-268/82, BStBl. II 1986, S. 659.

6

Grundsätze des Internationalen Steuerrechts

Universalitätsprinzip

Territorialitätsprinzip

Besteuerung des gesamten Welteinkommens und -vermögens

Besteuerung der innerhalb des Staatsgebiets verwirklichten Tatbestände

Abbildung 4:

Universalitätsprinzip vs. Territorialitätsprinzip

Bei der Besteuerung des Einkommens wenden die Staaten folgende Kombination an: x

unbeschränkte Steuerpflicht: Das Besteuerungsrecht kommt in Anlehnung an persönliche Merkmale des Steuerpflichtigen zustande. Der Sachumfang bezieht sich auf die Erfassung des gesamten Welteinkommens sowie des Weltvermögens (Universalitätsprinzip). Dadurch schließt der Staat Tatbestände in seinen Besteuerungsanspruch ein, die außerhalb seines Hoheitsgebietes verwirklicht werden, ohne Rücksicht darauf, wo die sachlichen Tatbestandsmerkmale der Besteuerung erfüllt werden.

x

beschränkte Steuerpflicht: Der Staat knüpft seinen Besteuerungsanspruch an Steuergüter. Die steuerliche Erfassung ist begrenzt auf das innerhalb des Staatsgebiets belegene Vermögen und das aus inländischen Quellen stammende Einkommen (Territorialitätsprinzip).

Zusammenspiel der Besteuerungsmerkmale unbeschränkte Steuerpflicht

beschränkte Steuerpflicht

Anknüpfungskriterien der Besteuerung

Person

Steuergut

Prinzipien

Wohnsitzstaatsprinzip, Nationalitätsprinzip

Quellenstaatsprinzip, Belegenheitsprinzip

Umfang der Besteuerung

Universalitätsprinzip

Territorialitätsprinzip

Abbildung 5:

Kombination von Anknüpfungskriterien, Prinzipien und Umfang der Besteuerung

Prinzipien des Internationalen Steuerrechts

1.3.3

7

Anwendung der Grundsätze im nationalen Außensteuerrecht

1.3.3.1 Definition des nationalen Außensteuerrechts Unter dem nationalen Außensteuerrecht sind nationale Gesetzgebungsvorschriften zu verstehen, welche die steuerrechtlichen Konsequenzen grenzüberschreitender Tatbestände bestimmen. Somit unterliegt die Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte in den jeweiligen Staaten den dort gültigen, vom nationalen Gesetzgeber beschlossenen Vorschriften. Diese nationalen Rechtsvorschriften werden nur durch den Abschluss von DBA für den berechtigten Personenkreis eingeschränkt.

1.3.3.1.1

Regelungskreise

Im Internationalen Steuerrecht treffen nationales Recht, d.h. die innerhalb des Territoriums eines Staates geltenden Vorschriften, und Völkerrecht, welches das gegenseitige Verhältnis souveräner Staaten bestimmt, aufeinander. Von besonderer Bedeutung sind DBA, die in ihrer Eigenschaft als völkerrechtliche Verträge Bestandteil des speziellen Völkerrechts sind. Die angesprochenen Regelungskreise bestehen unabhängig voneinander.

Beziehungen zwischen den Regelungskreisen Internationales Steuerrecht Völkerrecht DBA

Abbildung 6:

Nationales Recht

Zusammenspiel der Regelungskreise im Internationalen Steuerrecht

Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und nationalen Rechtsvorschriften legt in Deutschland Art. 25 GG fest. Das Völkerrecht geht den nationalen Rechtsvorschriften grundsätzlich gem. § 2 AO vor.

1.3.3.1.2

Grundlagen der Besteuerung in Deutschland

Das deutsche Einkommensteuerrecht wendet zur Festlegung des Besteuerungsumfangs eine Kombination der Anknüpfungskriterien an:

8

Grundsätze des Internationalen Steuerrechts

Anknüpfungskriterium

Abbildung 7:

Person

Steuergut

unbeschränkte Steuerpflicht

beschränkte Steuerpflicht

Anknüpfungskriterien des deutschen Einkommensteuerrechts

Das von den einzelnen souveränen Staaten implementierte Steuerrecht bestimmt im Allgemeinen, inwieweit von den auf dem jeweiligen Staatsgebiet ansässigen Personen2 Steuern erhoben werden und welche auf dem eigenen Territorium von Steuerausländern verwirklichten Tatbestände in die Steuerpflicht einbezogen werden. Folglich knüpft das nationale deutsche Steuerrecht bei der Festlegung der Besteuerungsmerkmale an zwei Grundsätze an: (1) Persönliche Bindung eines Steuersubjektes an Deutschland: In Deutschland ansässige Personen werden in Höhe ihres gesamten Welteinkommens, d.h. der Summe aller inländischen sowie ausländischen Einkünfte, der Besteuerung unterworfen = unbeschränkte Steuerpflicht (Besteuerung im Wohnsitzstaat), § 1 Abs. 1 EStG. (2) Sachliche Beziehung eines Steuerobjektes zu Deutschland: Nicht-Ansässige werden in Deutschland mit den Einkünften besteuert, die sie aus einer im Inland belegenen Quelle erzielen = beschränkte Steuerpflicht (Besteuerung im Quellenstaat), § 1 Abs. 4 EStG.

Beispiel

Andere Staaten wenden diese Prinzipien in analoger Weise an; dadurch kann es zu Doppelbesteuerungen kommen.

2

Der in Bonn lebende Ordell Robbie besitzt eine Beteiligung in Höhe von 30 % an der Schweizer Gunfire AG, die er in seinem Privatvermögen hält. Im Falle einer Gewinnausschüttung unterwirft die Schweiz die Dividendeneinkünfte einer Quellenbesteuerung. Damit ist Ordell Robbie in der Schweiz beschränkt einkommensteuerpflichtig.

Die Ansässigkeit ist nicht in allen Staaten das für die unbeschränkte Steuerpflicht allein relevante Merkmal. Als Beispiel seien die USA genannt, wo die Staatsbürgerschaft maßgebend ist.

Prinzipien des Internationalen Steuerrechts

9

In Deutschland ist er aufgrund seines Bonner Wohnsitzes unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Bemessungsgrundlage in Deutschland umfasst sein Welteinkommen. Aufgrund der Quellenbesteuerung im Ausland sowie der Wohnsitzbesteuerung in Inland unterliegt Ordell Robbie grundsätzlich einer Doppelbesteuerung.

1.3.3.2 Anknüpfungsmerkmale im nationalen Außensteuerrecht 1.3.3.2.1

Unbeschränkte Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht

Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland ist bei: x x

Natürlichen Personen nach § 1 Abs. 1 EStG das Vorliegen eines Wohnsitzes (§ 8 AO) oder der gewöhnliche Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland; Juristischen Personen (Körperschaften) gem. § 1 Abs. 1 KStG Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder Sitz (§ 11 AO) im Inland.

Die Besteuerung umfasst das Welteinkommen der ansässigen Personen (Steuerinländer), d.h. die Summe von inländischen und ausländischen Einkünften.

Unbeschränkte Steuerpflicht

natürliche Person

juristische Person

im Inland

im Inland

ª Wohnsitz (§ 8 AO) oder

ª Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder

ª gewöhnlicher Aufenthalt (§ 9 AO)

ª Sitz (§ 11 AO)

Umfang: Welteinkommen

Abbildung 8:

1.3.3.2.1.1

Anknüpfungspunkte für die unbeschränkte Steuerpflicht

Wohnsitz

Gem. § 8 AO hat jemand dort einen Wohnsitz, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

10

Grundsätze des Internationalen Steuerrechts

Mit „Wohnung“ sind die objektiv zum Wohnen geeigneten Räumlichkeiten gemeint.3 Diese müssen insgesamt ein den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen entsprechendes Heim darstellen.4 Maßgebend ist der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff, der im Gegensatz zum zivilrechtlichen steht und auf die tatsächliche Gestaltung abstellt. Dem rechtsgeschäftlichen Willen wird grundsätzlich keine Bedeutung beigemessen; ausschlaggebend ist der objektive Zustand.5 Der Steuerpflichtige muss die Wohnung innehaben, d.h. er muss tatsächlich über sie verfügen können und sie nicht nur vorübergehend benutzen.6 Wer eine Wohnung von vornherein mit der Absicht nimmt, sie nur vorübergehend (weniger als sechs Monate) beizubehalten und zu benutzen, begründet dort keinen Wohnsitz.7 Benutzt wird eine Wohnung von demjenigen, der sich in ihr ständig oder zumindest mit einer gewissen Regelmäßigkeit tatsächlich aufhält.8 Die Frage, ob die Umstände für eine solche Benutzung sprechen, ist unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu beurteilen.9 Wer einen Wohnsitz im Ausland begründet und seine Wohnung im Inland beibehält, hat auch im Inland einen Wohnsitz im Sinne von § 8 AO.10 Mehrere Wohnsitze, sowohl im Inals auch im Ausland, sind möglich. Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Wohnsitzes sind kumulativ: 9Wohnung, 9Innehaben, 9Beibehalten, 9Benutzen.

3

Vgl. BFH v. 23.11.1988, II-R-139/87, BStBl. II 1989, S. 182.

4

Vgl. BFH v. 14.11.1969, III-R-95/68, BStBl. II 1970, S. 153.

5

Vgl. BFH v. 23.11.1988, II-R-139/87, BStBl. II 1989, S. 182.

6

Vgl. BFH v. 24.04.1964, VI-236/62-U, BStBl. III 1964, S. 462; BFH v. 06.03.1968, I-38/65, BStBl. II 1968, S. 439.

7

Vgl. BFH v. 30.08.1989, I-R-215/85, BStBl. II 1989, S. 956.

8

Vgl. BFH v. 17.05.1995, I-R-8/94, BStBl. II 1996, S. 2; BFH v. 26.07.1972, I-R-138/70, BStBl. II 1972, S. 949.

9

Vgl. BFH v. 30.08.1989, I-R-215/85, BStBl. II 1989, S. 956; BFH v. 17.05.1995, I-R-8/94, BStBl. II 1996, S. 2.

10

Vgl. BFH v. 04.06.1975, I-R-250/73, BStBl. II 1975, S. 708.

Prinzipien des Internationalen Steuerrechts 1.3.3.2.1.2

11

Gewöhnlicher Aufenthalt

§ 9 AO definiert den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzunehmen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Dies gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken vorgenommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert. Der Begriff „gewöhnlich“ ist gleichbedeutend mit „dauernd“. „Dauernd“ erfordert keine ununterbrochene Anwesenheit und bedeutet auch nicht „immer“, sondern ist vielmehr i.S.v. „nicht nur vorübergehend“ zu verstehen.11 Die Sechs-Monats-Frist bestimmt den Zeitraum, ab welchem ein Aufenthalt nicht mehr als nur vorübergehend eingestuft wird.12 Der Tatbestand des gewöhnlichen Aufenthalts kann bei einem weniger als sechs Monate dauernden Aufenthalt verwirklicht werden, wenn Inlandsaufenthalte aufeinander folgen, die sachlich miteinander verbunden sind und der Steuerpflichtige von vornherein beabsichtigt, nicht nur vorübergehend im Inland zu verweilen.13 Zwar kann ein Steuerpflichtiger über mehrere Wohnsitze verfügen, aber nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Er kann sich nicht an mehreren Orten gleichzeitig aufhalten.14 Beachte folgende Kriterien zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes: 9tatsächliche körperliche Anwesenheit, 9nicht nur vorübergehendes Verweilen, 9Sechs-Monats-Frist.

1.3.3.2.1.3

Sitz

Dem „Wohnsitz“ (§ 8 AO) der natürlichen Personen entspricht der „Sitz“ der juristischen Personen.

11

Vgl. BFH v. 30.08.1989, I-R-215/85, BStBl. II 1989, S. 956; RFH v. 19.10.1940, GrS-D-3/40, RStBl. 1940, S. 925.

12

Vgl. BFH v. 30.08.1989, I-R-215/85, BStBl. II 1989, S. 956; RFH v. 19.10.1940, GrS-D-3/40, RStBl. 1940, S. 925.

13

Vgl. BFH v. 27.07.1962, VI-156/59-U, BStBl. III 1962, S. 429; BFH v. 03.08.1977, I-R-210/75, BStBl. II 1978, S. 118.

14

Vgl. § 9 Nr. 3 Satz 1 AEAO.

12

Grundsätze des Internationalen Steuerrechts

Ihren Sitz hat eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse nach § 11 AO an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt wird. Steuerliche Beachtung finden hierbei die durch Eintragung ins Register fixierten rechtlichen Gegebenheiten.

1.3.3.2.1.4

Geschäftsleitung

Die Geschäftsleitung ist in § 10 AO als der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung definiert. Unter „geschäftlicher Oberleitung“ ist die laufende Geschäftsführung zu verstehen. Dazu gehören die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt, sowie organisatorische Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören („Tagesgeschäfte“). Von der laufenden Geschäftsführung ist die Mitwirkung der Gesellschafter an einzelnen Geschäftsführungsentscheidungen abzugrenzen.15 Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet sich an dem Ort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird, d.h. wo die Anordnungen für den „laufenden Geschäftsverkehr“ erfolgen. Bei einer an mehreren Orten tätigen Geschäftsführung ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung dort, wo sich die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet. Es ist entscheidend, wo nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls regelmäßig die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden. Bei einer Aufteilung in kaufmännische und technische Leitung ist die kaufmännische bestimmend.16 Eine ausländische Kapitalgesellschaft ist in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sich ihre Geschäftsleitung im Inland befindet.17 Die Merkmale der Geschäftsleitung sind: 9Ort der Willensbildung des Unternehmens, 9Ort der laufenden Geschäftsführung.

15

Vgl. BFH v. 07.12.1994, I-K-1/93, BStBl. II 1995, S. 175.

16

Vgl. BFH v. 23.01.1991, I-R-22/90, BStBl. II 1991, S. 554.

17

Vgl. BFH v. 23.06.1992, IX-R-182/87, BStBl. II 1992, S. 972.

Prinzipien des Internationalen Steuerrechts

13

1.3.3.2.2

Beschränkte Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht

1.3.3.2.2.1

Voraussetzungen

Die Besteuerungshoheit eines Staates ist nicht auf die Besteuerung von Steuerinländern beschränkt. Die Steuerpflicht einer Person kann auch aufgrund der sachlichen Beziehung eines Steuergutes zum Territorium des steuererhebenden Staates eintreten (Prinzip der tatsächlichen Anknüpfung). Der Umfang der beschränkten Steuerpflicht richtet sich nach den aus inländischen Quellen stammenden Einkünften. Merke: Der Besteuerungsanspruch für beschränkt Steuerpflichtige in Deutschland knüpft an bestimmte im Inland belegene Einkunftsquellen an (Quellenbesteuerung). Als beschränkt Steuerpflichtige (Steuerausländer) gelten in Deutschland: x natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt unterhalten (§ 1 Abs. 4 EStG) oder x juristische Personen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben (§ 2 Nr. 1 KStG), aber x in Deutschland Einkünfte erzielen.

Beschränkte Steuerpflicht (Quellenbesteuerung)

natürliche Person

juristische Person

im Inland

im Inland

ª weder Wohnsitz ª noch gewöhnlicher Aufenthalt

ª weder Geschäftsleitung ª noch Sitz

Umfang: Einkünfte aus inländischen Quellen

Abbildung 9:

Beschränkte Steuerpflicht

An welche Tatbestandsmerkmale die Einreihung als inländische Einkünfte und somit eine beschränkte Steuerpflicht in Deutschland geknüpft ist, legt § 49 EStG abschließend fest. Die Aufzählung der inländischen Einkünfte im Sinne der beschränkten Steuerpflicht des § 49 Abs. 1 EStG lehnt sich an die der sieben Einkunftsarten i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG an, enthält aber Einschränkungen. Der Katalog gilt über §§ 2, 8 Abs. 1 Satz 1 KStG auch für das Einkommen juristischer Personen.

14

Grundsätze des Internationalen Steuerrechts

Merke: Eine abschließende Aufzählung inländischer Einkünfte, die der beschränkten Einkommensteuerpflicht unterliegen, enthält § 49 Abs. 1 EStG.

1.3.3.2.2.2

Isolierende Betrachtungsweise

Ein spezielles Merkmal der Besteuerung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht ist die isolierende Betrachtungsweise des § 49 Abs. 2 EStG. § 49 Abs. 2 EStG: „Im Ausland gegebene Besteuerungsmerkmale bleiben außer Betracht, soweit bei ihrer Berücksichtigung inländische Einkünfte im Sinne des Absatzes 1 nicht angenommen werden könnten.“ Die isolierende Betrachtungsweise bewirkt, dass bei im Inland verwirklichten Tatbeständen die im Ausland realisierten Anknüpfungsmerkmale, die einer Erfassung als inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG entgegenstehen, nicht beachtet werden. Ziel ist es, Steuerausländer im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht – unabhängig vom Vorliegen von ausländischem Betriebsvermögen – gleich zu behandeln.18 Hauptanwendungsfall sind bestimmte inländische Einkünfte, die von Steuerausländern im Rahmen ihres ausländischen Gewerbebetriebes bezogen werden. Bspw. werden Einkünfte aus der Vermietung eines in Deutschland belegenen Grundstücks aufgrund des Belegenheitsprinzips im Inland besteuert. Gehört das entsprechende Grundstück zu einem ausländischen Betriebsvermögen, sind diese Einkünfte prinzipiell als gewerbliche Einkünfte zu qualifizieren. Voraussetzung für die Besteuerung gewerblicher Einkünfte ist bei beschränkt Steuerpflichtigen das Bestehen einer Betriebsstätte im Inland. Hat der Vermieter keine Betriebsstätte im Inland, würde der Belegenheitsstaat – also Deutschland – nicht besteuern können, da ein Grundstück allein nicht die Voraussetzungen einer Betriebsstätte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. a EStG i.V.m. § 12 AO erfüllt. Nach Maßgabe der isolierenden Betrachtungsweise des § 49 Abs. 2 EStG bleiben die im Ausland gegebenen Besteuerungsmerkmale (Zugehörigkeit des Grundstücks zum ausländischen Betriebsvermögen und somit Einkünfte aus Gewerbebetrieb) außer Ansatz. Die inländischen Einkünfte werden folglich als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung qualifiziert und unterliegen somit unabhängig davon, ob das Grundstück zum ausländischen Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen gehört, der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland gem. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG.

1.3.3.2.2.3

Objektcharakter

Grundsätzlich weisen die im Inland erhobenen Steuern den Charakter einer Objektsteuer auf, d.h. der Besteuerungsanspruch konzentriert sich auf ein Steuerobjekt, ohne dass den persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen Beachtung geschenkt wird. Welche Rege18

Vgl. BFH v. 20.01.1959, I-112/57, BStBl. III 1959, S. 133.

Doppelbesteuerung

15

lungen zur Berücksichtigung der subjektiven Leistungsfähigkeit, die das Einkommensteuergesetz beinhaltet, von beschränkt Steuerpflichtigen angewendet werden dürfen, bestimmt sich nach § 50 Abs. 1, 2 EStG.

2 Doppelbesteuerung 2.1 Formen der Doppelbesteuerung Im Fall einer grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit unterliegt ein Steuerpflichtiger regelmäßig dem Steuerrecht mehrerer Staaten. Die Anwendung oben beschriebener Besteuerungsgrundsätze kann dazu führen, dass mehr als ein Staat steuerliche Forderungen an das wirtschaftliche Ergebnis der Geschäftstätigkeit knüpft. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen einer juristischen Doppelbesteuerung und einer Doppelbesteuerung im wirtschaftlichen Sinne. Die Differenzierung richtet sich nach der Identität des Steuersubjekts. Im Fall, dass zwar keine tatsächliche Doppelbesteuerung vorliegt, aber die theoretische Möglichkeit dazu gegeben ist, spricht man von virtueller Doppelbesteuerung.

Formen der Doppelbesteuerung

Juristische Doppelbesteuerung

Abbildung 10:

Wirtschaftliche Doppelbesteuerung

Virtuelle Doppelbesteuerung

Möglichkeiten zur Differenzierung der Doppelbesteuerung

 

2.1.1

Juristische Doppelbesteuerung

Zu einer Doppel- oder Mehrfachbesteuerung im juristischen Sinne kommt es, wenn derselbe Steuerpflichtige von zwei (oder mehr) souveränen Steuerhoheiten für denselben Steuertatbestand, d.h. für dieselben Einkünfte bzw. dieselben Vermögenswerte, im selben Zeitraum gleiche oder vergleichbare Steuern zahlen muss.

16

Formen der Doppelbesteuerung

Die Merkmale der juristischen Doppelbesteuerung sind: 9 Identität des Steuersubjekts, 9 Identität des Steuerobjekts, 9 Identität des Besteuerungszeitraums, 9 Identität bzw. Gleichartigkeit der Steuer, 9 in zwei oder mehr Staaten.

2.1.2

Wirtschaftliche Doppelbesteuerung

Beispiel

Bei wirtschaftlicher Doppelbesteuerung ist im Gegensatz zur juristischen Doppelbesteuerung keine Identität der Steuersubjekte gegeben. Es wird im gleichen Besteuerungszeitraum dasselbe Steuergut bei verschiedenen Steuerpflichtigen zu einer vergleichbaren Besteuerung herangezogen. Die Rottenmeier AG im Land A hält 100 % der Anteile an der HeidiKapitalgesellschaft mit Sitz in Land B. Der von der Tochtergesellschaft erzielte Gewinn ist im Sitzstaat der Tochtergesellschaft körperschaftsteuerpflichtig. Wird der Gewinn ausgeschüttet, so wird er Bestandteil des steuerpflichtigen Gewinns der Rottenmeier AG und muss nach dem Steuerrecht des Landes A von der Muttergesellschaft versteuert werden. Somit wird wirtschaftlich derselbe Gewinn zweimal besteuert, allerdings bei zwei verschiedenen Rechtssubjekten.

Da sowohl die Muttergesellschaft als auch das Tochterunternehmen eigenständige Rechtssubjekte darstellen (Trennungsprinzip), führt die Besteuerung der Gewinne im Ausland und die Besteuerung der ausgeschütteten Dividende im Inland nicht zu einer Doppelbesteuerung im juristischen Sinn, da zwei unterschiedliche Steuersubjekte besteuert werden. Nach betriebswirtschaftlichem Verständnis stellen beide Unternehmen jedoch eine wirtschaftliche Einheit dar. Somit handelt es sich um eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung.

2.1.3

Virtuelle Doppelbesteuerung

Im Gegensatz zur realen Doppelbesteuerung ist die virtuelle Doppelbesteuerung nur eine denkbare Doppelbesteuerung.19 Es besteht lediglich die theoretische Möglichkeit der doppelten Besteuerung, eine tatsächliche (effektive) Doppelbesteuerung ist nicht entstanden.

19

Vgl. BFH v. 28.04.1982, I-R-89/77, BStBl. II 1982, S. 556; BFH v. 14.12.1988, I-R-148/87, BStBl. II 1989, S. 319.

Beispiel

Doppelbesteuerung

17

Land A, Ansässigkeitsstaat, besteuert Gewinne aus Grundstücksverkäufen unabhängig von Lage (In- oder Ausland) und Besitzzeiten. Land B, Belegenheitsstaat, besteuert diesen Tatbestand nur innerhalb einer Spekulationsfrist von 5 Jahren. Die im Land A ansässige Vianne Rocher veräußert ihr in B gelegenes Grundstück nach Ablauf der Spekulationsfrist. Es tritt daher keine Doppelbesteuerung, sondern nur eine Einmalbesteuerung ein. Allerdings würde eine tatsächliche Doppelbesteuerung entstehen, wenn sie das Grundstück vor Ablauf von 5 Jahren verkauft. Eine virtuelle Doppelbesteuerung liegt also immer vor, wenn zwei Staaten das Recht der Besteuerung für sich beanspruchen, der eine Staat aber aufgrund nationaler Vorschriften sein Besteuerungsrecht nicht wahrnimmt.

Die zwischen den Vertragsstaaten geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zielen bereits auf die Vermeidung einer virtuellen Doppelbesteuerung ab. Durch die strikte Aufteilung der Besteuerungsrechte kann auch eine nur virtuelle Doppelbesteuerung vermieden werden, so dass sogar eine gänzliche Steuerbefreiung erreicht werden kann.20 Der Ausschluss der virtuellen Doppelbesteuerung durch die DBA hat den Sinn, dass nicht überprüft werden muss, ob tatsächlich im anderen Vertragsstaat besteuert wird.

2.2 Ursachen der Doppelbesteuerung Eine Doppelbesteuerung ergibt sich für den Steuerpflichtigen einerseits daraus, dass er in mehreren Staaten gleichzeitig die Voraussetzungen der unbeschränkten bzw. beschränkten Steuerpflicht erfüllt bzw. daraus, dass die einzelnen Staaten gleichzeitig auf das Universalitäts- und das Territorialitätsprinzip zur Besteuerung zurückgreifen und sich daher die Steueransprüche der einzelnen Staaten bei Verwirklichung grenzüberschreitender Sachverhalte überschneiden. Es lassen sich unterschiedliche Szenarien abgrenzen, die im Ergebnis zur Doppelbesteuerung führen können:

1. FALL:

20

Unbeschränkte Steuerpflicht im Wohnsitzstaat und beschränkte Steuerpflicht im Quellenstaat.

Zur Vermeidung von gänzlichen Steuerfreistellungen werden in DBA sog. subject-to-taxKlauseln vereinbart. Diese Klauseln machen den Steuerverzicht des einen Vertragsstaates abhängig von der tatsächlichen Besteuerung im anderen Staat. Ein ähnlicher Effekt kann durch eine sog. switch-over-Klausel erreicht werden.

18

Ursachen der Doppelbesteuerung

Beispiel

Else Kling mit Wohnsitz in München erzielt Einkünfte aus im Ausland belegenem Vermögen. In Deutschland ist Else Kling unbeschränkt einkommensteuerpflichtig mit ihrem Welteinkommen (Universalitätsprinzip). Das Ausland unterwirft die aus einer auf seinem Staatsgebiet befindlichen Quelle stammenden Einkünfte der Besteuerung (Territorialitätsprinzip). Als Konsequenz führt die Überschneidung bei der Besteuerung der betreffenden Einkünfte zur Doppelbesteuerung.

Beispiel

2. FALL:

Zwei (und mehr) unbeschränkte Steuerpflichten in unterschiedlichen Staaten. Dieser Fall tritt ein, wenn (a) sich die betreffenden Staaten bei der Festsetzung der unbeschränkten Steuerpflicht nicht an den selben Prinzipien orientieren oder (b) die Prinzipien in beiden Staaten zwar gleich sind, die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht aber in beiden Staaten gegeben sind.

a) Colt Sievers, US-Staatsbürger, wohnt seit vielen Jahren in Köln. Da Deutschland als subjektives Anknüpfungskriterium den Wohnsitz des Steuersubjektes gewählt hat, ist Colt Sievers in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die USA hingegen knüpfen an der Nationalität an; daher unterliegen alle Staatsangehörigen unabhängig davon, in welchem Staat sie ihren Wohnsitz haben, in den USA der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. Aus der uneinheitlichen Wahl der Anknüpfungsgrundsätze ergibt sich für Colt Sievers die Doppelbesteuerung seines Welteinkommens im Wohnsitzstaat (Deutschland) sowie in dem Land, dessen Staatsbürgerschaft er besitzt (USA). b) Tyler Durden hat sowohl einen Wohnsitz in Deutschland als auch in Spanien (sog. Doppelwohnsitz).

3. FALL:

Zwei (und mehr) beschränkte Steuerpflichten in unterschiedlichen Staaten. Diese Konstellation entsteht, wenn ein Steuerobjekt in verschiedenen Staaten besteuert wird und das betroffene Steuersubjekt in keinem dieser Staaten ansässig ist.

Beispiel

Doppelbesteuerung

Der in Frankfurt ansässige Josef Matula gründet im Ausland I eine Betriebsstätte. In ihrem Vermögen hält die Betriebsstätte Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die sich auf dem Hoheitsgebiet des Auslandes II befindet. Für den Steuerpflichtigen Josef Matula entsteht eine Doppelbesteuerung, wenn das Ausland II für die Dividende der Kapitalgesellschaft eine Quellensteuer (Kapitalertragsteuer) erhebt, und das Ausland I die Erträge aus der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft den Einkünften der Betriebsstätte zurechnet.

4. FALL:

Beispiel

19

Qualifikationskonflikte. Derselbe Sachverhalt wird in den beteiligten Staaten unter verschiedene steuerliche Normen subsumiert, so dass trotz Bestehens eines DBAs beide Staaten ein Besteuerungsrecht ableiten.

Vergütungen für die Darlehensgewährung eines Gesellschafters an seine Personengesellschaft werden im Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters als Zinseinkünfte, im Sitzstaat der Gesellschaft als Sondervergütungen qualifiziert und den gewerblichen Einkünften zugerechnet.

2.3 Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung 2.3.1

Überblick

Doppelbesteuerungen reduzieren die Rentabilität einer Investition. Es besteht daher der Anreiz, Doppelbesteuerungen durch rein nationale Investitionen zu vermeiden. Um zwischen einer rein nationalen und einer grenzüberschreitenden Investition indifferent zu sein, müsste die ausländische Investition eine höhere Rentabilität vor Steuern aufweisen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht behindern Doppelbesteuerungen eine effiziente zwischenstaatliche Allokation von Produktionsfaktoren. Auch aus fiskalischen Überlegungen ist es erstrebenswert, Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu implementieren, da kurzfristig höhere Steuereinnahmen auf lange Sicht durch das verhinderte Wirtschaftswachstum und daraus resultierende geringere steuerpflichtige Erträge kompensiert werden. Ferner erfolgt aus steuerlicher Sicht bei einer Doppelbesteuerung keine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Nach dem Grad der Kooperation mit anderen Staaten ergeben sich verschiedene Möglichkeiten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung: x

unilaterale (einseitige) Maßnahmen: Regelungen der nationalen Steuergesetzgebung, die den (völligen oder teilweisen) Steuerverzicht eines Staates – unabhängig vom Vorgehen des anderen Staates – normieren, um Auslandsinvestitionen zu fördern.

20

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung x

bilaterale (zweiseitige) Maßnahmen: Gegenseitige Abkommen, in welchen zwei Staaten vereinbaren, die Steueransprüche der beteiligten Staaten untereinander aufzuteilen. Beispiel dafür sind die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA). Durch DBA regeln die Vertragsstaaten, wie und in welchem Umfang bestehende Besteuerungsrechte beschränkt werden. Der Vertragscharakter der DBA bietet den Vorteil, dass kein Staat einseitig auf Besteuerungsrechte verzichtet, sondern als Gegenleistung für eigene steuerliche Beschränkungen Verzichtsnormen beim Vertragspartner aushandeln kann.21 Außerdem lassen sich durch internationale Verträge Doppelbesteuerungen umfassender und wirksamer vermeiden, als dies bei unabgestimmten unilateralen Maßnahmen der Fall ist.

x

multilaterale (mehrseitige) Maßnahmen: International gültige Vereinbarungen und mehrseitige völkerrechtliche Verträge der Staaten. Zu multilateralen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist es aufgrund der Interessenpluralität der beteiligten Staaten nur in seltenen Fällen gekommen.22 In der internationalen Vertragspraxis spielen deshalb bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen die entscheidende Rolle.

x

supranationale Maßnahmen: Maßnahmen, die von überstaatlichen Organisationen, denen von den einzelnen untergeordneten Mitgliedsstaaten hierfür gewisse Kompetenzen übertragen wurde, verbindlich für alle Mitgliedstaaten vorgeschrieben werden. Ein Beispiel ist die innerhalb der EU anzuwendende sog. MutterTochter-Richtlinie23.

21

Den auf Gegenseitigkeit beruhenden Charakter eines DBAs betont auch der BFH in seiner Entscheidung v. 19.05.1993, I-R-80/92, BStBl. II 1993, S. 656.

22

Beispiel für multilaterale Abkommen ist das EG-Abkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung (Schlichtungsverfahren) im Falle einer Gewinnberichtigung bei Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen sowie die Nordische Konvention auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen zwischen Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen, Island und seit 1989 den Färöer Inseln.

23

Die Richtlinie 90/435/EWG über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten vom 23. Juli 1990 (Beck’sche Textausgaben Steuergesetze, Nr. 2) wurde durch die Richtlinie 2003/123/EG geändert. Die neue Richtlinie war durch die Mitgliedstaaten bis spätestens 01.01.2005 in nationales Recht umzusetzen.

Doppelbesteuerung

21

Möglichkeiten zur Vermeidung bzw. Minderung der Doppelbesteuerung unilaterale Maßnahmen

Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Minderung der Doppelbesteuerung

bilaterale Maßnahmen

multilaterale Maßnahmen

supranationale Maßnahmen

Abbildung 11:

2.3.2

Möglichkeiten zur Vermeidung bzw. Minderung der Doppelbesteuerung

Maßnahmenkatalog

Das deutsche Einkommensteuerrecht kennt vier Methoden, die den unilateralen Verzicht des staatlichen Besteuerungsanspruchs regeln: x

Maßnahmen auf unilateraler Ebene: Anrechnungsmethode, Abzugsmethode, Pauschalierungsmethode, und Erlass.

Auf bilateraler Ebene, also im Rahmen von DBA, werden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung folgende Methoden angewandt: x

Maßnahmen auf bilateraler Ebene: Freistellungsmethode unter Progressionsvorbehalt, Anrechnungsmethode.

Die Freistellungsmethode unter Progressionsvorbehalt wird also nur angewendet, wenn sie in einem DBA normiert ist. § 32b EStG regelt die nationale Konkretisierung des Progressionsvorbehalts. Er normiert die Progressionserhöhung freigestellter ausländischer Einkünfte. Merke: § 32b EStG ist keine unilaterale steuerliche Freistellung ausländischer Einkünfte, sondern lediglich eine Tarifanpassungsbestimmung.

22

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Unilaterale und bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Minderung der Doppelbesteuerung Unilaterale Maßnahmen Direkte Steueranrechnung (§§ 34c Abs. 1 EStG; 26 Abs. 1 KStG)

Methoden zur Vermeidung bzw. Minderung der Doppelbesteuerung

Steuerabzug (§ 34c Abs. 2, 3 EStG) Pauschalierung bzw. Erlass (§ 34c Abs. 5 EStG)

Bilaterale Maßnahmen Freistellung mit Progressionsvorbehalt

Anrechnungsmethode

Abbildung 12:

Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Minderung der Doppelbesteuerung

Für die folgenden Ausführungen wird auf nationaler Ebene zwischen den Vorschriften der Ertragsbesteuerung natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz), den für Kapitalgesellschaften geltenden Normen (Körperschaftsteuergesetz) sowie den Vorschriften für die Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung unterschieden.

2.3.3

Regelungen für natürliche Personen

2.3.3.1 Unilaterale Maßnahmen Die zentrale Norm des § 34c EStG beinhaltet vier Regelungen zur Vermeidung bzw. Minderung der Doppelbesteuerung.

Doppelbesteuerung

23

Zentrale Norm § 34c EStG

Direkte Steueranrechnung

Abs. 1

Abbildung 13:

Abzugsmethode

Abs. 2 und 3

Pauschalierung und Erlass Abs. 5

Methoden des § 34c EStG

Merke: Die Anrechnungsmethode wird sowohl unilateral in den Vorschriften des nationalen Rechts als auch bilateral, d.h. in einem DBA, normiert.

2.3.3.1.1

Methode der direkten Steueranrechnung

Da die Dividendeneinkünfte dem Halbeinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 Bst. d EStG unterliegen, wird im Folgenden eine Unterscheidung zwischen Nicht-Dividendeneinkünften und Dividendeneinkünften vorgenommen.

2.3.3.1.1.1

Direkte Steueranrechnung bei Nicht-Dividendeneinkünften

Die Methode der direkten Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG knüpft an die nach den Vorschriften des nationalen Rechts ermittelte Steuer auf das Welteinkommen an, die im Inland von einer unbeschränkt steuerpflichtigen Person geschuldet wird, und rechnet die im Ausland gezahlte Steuer auf die inländische Steuerschuld an. Nach der Höhe des Anrechnungsbetrags der ausländischen Steuer wird zwischen unbegrenzter und begrenzter Anrechnung unterschieden: x

unbegrenzte Anrechnung: Die inländische Steuerschuld ermäßigt sich um den gesamten im ausländischen Quellenstaat entrichteten Steuerbetrag. Dieses Vorgehen würde dazu führen, dass Deutschland die im Ausland gezahlte Steuer erstattet, soweit der Betrag der ausländischen Steuer die deutsche Steuerschuld übersteigt.

x

begrenzte Anrechnung: Die Anrechnung der ausländischen Steuer erfolgt bis zu der Höhe, in der die ausländischen Einkünfte mit deutscher Steuer belastet sind. Diese Methode der (lediglich) begrenzten Anrechnung findet in Deutschland Anwendung.

24

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Nach § 34c Abs. 1 EStG kann eine Anrechnung des ausländischen Steuerbetrags auf die inländische Steuerschuld erfolgen, wenn folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sind: Voraussetzungen der direkten Anrechnung sind: x unbeschränkte Steuerpflicht, x Subjektidentität24, x ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG, x gleichartige Steuer im Ausland, d.h. die ausländische Steuer muss der deutschen Einkommensteuer entsprechen, x Identität des Abgabenzeitraums, x festgesetzte, gezahlte Auslandssteuer, die keinem Ermäßigungsanspruch* mehr unterliegt. * Häufig erfolgt die Quellenbesteuerung aufgrund des nationalen Rechts mit einem höheren Steuersatz als im DBA zwischen den Staaten vorgesehen. Beispiel: Der nationale Verrechnungssteuersatz auf Dividenden in der Schweiz beträgt 35 %. Gem. Art. 10 Abs. 2 Bst. d DBA Deutschland-Schweiz ist die Schweiz aber nur zur Erhebung eines Quellensteuersatzes auf Dividenden in Höhe von 15 % berechtigt. Deutschland rechnet die Schweizer Quellensteuer nur in der vom DBA zulässigen Höhe von 15 % an. Dies ist folgerichtig, da der deutsche Steuergesetzgeber den Steuerpflichtigen zur Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermäßigung ausländischer Steuern disziplinieren möchte, um eine Subventionierung eines ausländischen Staates zu vermeiden. In Deutschland ist die Anrechnung der ausländischen Steuer begrenzt auf den Betrag der deutschen Einkommensteuer, der anteilig auf die ausländischen Einkunftsbestandteile entfällt.

Anrechnungshöchstbetrag =

deutsche Einkommensteuer auf das Welteinkommen

ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte

Der Abzug eines Anrechnungsüberhangs, d.h. der Abzug einer den Anrechnungshöchstbetrag übersteigenden ausländischen Steuerschuld, sowie ein Vor- oder Rücktrag, ist nicht vorgesehen. Der Steuerpflichtige wird in Höhe des Anrechnungsüberhangs effektiv doppelt besteuert. Ist die ausländische Steuer niedriger als der Anrechnungshöchstbetrag, verbleibt dem Steuerpflichtigen eine „Überhangsteuer“ in Deutschland. Die Anwendung der Anrechnungsmethode mit Höchstbetragsregelung führt somit dazu, dass ein Steuerpflichtiger dem 24

Direkte Steueranrechnung liegt vor, wenn die Person des inländischen und ausländischen Steuerschuldners identisch ist. Fallen diese auseinander, handelt es sich um eine indirekte Anrechnung, die die wirtschaftliche Doppelbesteuerung zwischen Tochter- und Muttergesellschaft vermeiden will. Mit Einführung des Halbeinkünfteverfahrens ist die in § 26 Abs. 2 KStG a.F. geregelte indirekte Anrechnung entfallen.

Doppelbesteuerung

25

jeweils höheren deutschen oder ausländischen Steuerniveau unterliegt. In jedem Fall wird für die aus dem Ausland stammenden Einkunftsteile zumindest das deutsche Einkommensteuerniveau angewandt. Dadurch wird das Prinzip der Kapitalexportneutralität gewahrt: Der Steuerpflichtige soll so gestellt werden, als ob er im Inland investiert hätte. Da mindestens das deutsche Steuerniveau angewandt wird, werden für deutsche Investoren steuerlich motivierte Investitionen in Niedrigsteuerländern uninteressant.

Anrechnungsüberhang

Ÿ nicht übertragbar Ausländischer Steuerbetrag Anrechnungshöchstbetrag

Abbildung 14:

Darstellung des Anrechnungsüberhangs

Beispiel

Vorgehensweise:

1. 2. 3. 4.

Ermittlung des Welteinkommens. Ermittlung der deutschen Steuer auf das Welteinkommen. Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags. Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Steuer unter Berücksichtigung des Anrechnungshöchstbetrags.

Grundbeispiel Begrenzte Steueranrechnung bei Nicht-Dividendeneinkünften Austin Powers erzielt im Jahr 01 inländische Einkünfte i.H.v. 80.000 € sowie ausländische Einkünfte i.H.v. 40.000 € aus einem Land, mit dem kein DBA besteht. Der ausländische Steuersatz beträgt x im Fall a) 30 % (= 12.000 €) x im Fall b) 50 % (= 20.000 €) An Sonderausgaben sind Austin Powers insgesamt 8.000 € angefallen.

Lösung

26

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung I.

Ermittlung des Welteinkommens (§ 2 EStG) inländische Einkünfte ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte Sonderausgaben zu versteuerndes Einkommen (z.v.E.)

II.

80.000 40.000 120.000 ./. 8.000 112.000 +

€ € € € €

Ermittlung der deutschen Steuer (§ 32a Abs. 1, 2 EStG) 0,42 x 112.000 € ./. 7.914 € = 39.126 €

III.

Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags (AHB) AHB = =

IV. Fall a)

deutsche Einkommensteuer auf das Welteinkommen 40.000 € 39.126 € x 120.000 €

x

ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte = 13.042 €

Ergebnis Die im Ausland entrichtete Steuer i.H.v. 12.000 € kann zur Gänze angerechnet werden, da sie im Anrechnungshöchstbetrag (13.042 €) Deckung findet. Austin Powers wird mit dem im Inland geltenden Steuerniveau besteuert. Es entsteht keine Doppelbelastung.

Fall b) Die deutsche Einkommensteuerschuld wird um die anteilige ausländische Steuer i.H.v. 13.042 € gekürzt. Der entstandene Anrechnungsüberhang i.H.v. 6.958 € (= 20.000 € ./. 13.042 €) kann nicht ausgeglichen werden. In Höhe des Anrechnungsüberhangs kommt es zur Doppelbesteuerung. Merke: Eine Doppelbesteuerung wird durch die Anrechnungsmethode mit Höchstbetragsregelung nicht in jedem Fall vermieden. Erzielt ein Steuerpflichtiger Einkünfte aus der Tätigkeit in mehreren ausländischen Staaten, bestimmt § 68a Satz 2 EStDV, dass die Anrechnung für jeden Staat getrennt durchzuführen ist (sog. per-country-limitation), d.h. Anrechnungsüberhänge dürfen nicht zwischen den einzelnen Staaten verrechnet werden.

Beispiel

Doppelbesteuerung

27

per-country-limitation Die ausländischen Einkünfte von Austin Powers i.H.v. 40.000 € setzen sich zusammen aus: x 30.000 € aus Staat A (Steuersatz: 30 %) x 10.000 € aus Staat B (Steuersatz: 40 %)

Lösung

Daraus ergibt sich für Austin Powers eine Steuerschuld i.H.v. 9.000 € im Staat A sowie i.H.v. 4.000 € im Staat B. I.

Ermittlung des Welteinkommens (§ 2 EStG) inländische Einkünfte ausländische Einkünfte aus Staat A ausländische Einkünfte aus Staat B Summe der Einkünfte Sonderausgaben z.v.E.

+ + ./.

80.000 30.000 10.000 120.000 8.000 112.000

€ € € € € €

II.

Gem. § 32a Abs. 1, 2 EStG beträgt die inländische Einkommensteuer 39.126 €.

III.

Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags (AHB) AHB =

IV.

deutsche Einkommensteuer x auf das Welteinkommen

ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte

Staat A

=

39.126 €

x

30.000 € = 9.781,50 € 120.000 €

Staat B

=

39.126 €

x

10.000 € = 3.260,50 € 120.000 €

Ergebnis Die von Austin Powers im Staat A gezahlte Steuer ist in voller Höhe auf die inländische Steuerschuld anrechenbar. Für die Einkünfte dieses Staates verbleibt ein ungenutzter Anrechnungshöchstbetrag i.H.v. 781,50 € (= 9.000 € ./. 9.781,50 €). Dagegen entsteht für die Steuerschuld des Staates B ein Anrechnungsüberhang i.H.v. 739,50 € (= 4.000 € ./. 3.260,50 €). Dieser bleibt als effektive Doppelbelastung bestehen, da Austin Powers keinen Ausgleich mit dem ungenutzten Anrechnungsbetrag des Staates A vornehmen darf.

28

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Merke: Anrechnungsüberhänge der ausländischen Steuern eines Staates dürfen nicht mit ungenutzten Anrechnungshöchstbeträgen eines anderen Staates verrechnet werden, sondern bleiben als effektive Doppelbelastung des Steuerpflichtigen bestehen (Folge der per-country-limitation). Im Rahmen der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags werden allerdings ausländische Einkünfte nicht berücksichtigt, die in dem Staat, aus dem sie stammen, nach dessen Recht nicht besteuert werden. Dies ist eine Folge des durch das StVergAbG25 geänderten § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG. Die Nichtberücksichtigung von ausländischen Einkünften, die im Ausland steuerfrei sind, wirkt sich auf den Anrechnungshöchstbetrag aus. Der Anrechnungshöchstbetrag ermittelt sich wie folgt: AHB =

deutsche Einkommensteuer auf das Welteinkommen

x

ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte

Durch die Nichtberücksichtigung ausländischer Einkünfte, die im Ausland steuerfrei sind, verringert sich die Summe der ausländischen Einkünfte. Dadurch verringert sich auch der Anrechnungshöchstbetrag. Bezieht der Steuerpflichtige zu den steuerfreien Einkünften weitere Einkünfte aus demselben Land, die aber dort tatsächlich besteuert werden, und liegt der ausländische Steuersatz über dem deutschen Satz, ist diese Neuregelung von Nachteil für den Steuerpflichtigen. In diesen Fällen kommt es zu einem Anrechnungsüberhang, da das ausländische Steuerniveau über dem deutschen liegt. In Höhe des Anrechnungsüberhanges wird der Steuerpflichtige doppelt besteuert.

Beispiel

Der Gesetzgeber begründet diese Änderung damit, dass aufgrund der nicht erfolgten Besteuerung im Ausland keine Doppelbesteuerung entstanden und somit auch keine weitere Begünstigung notwendig ist. Vor dieser Änderung war es möglich, im Ausland nicht besteuerte Einkünfte bei der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags zu berücksichtigen. Dies hatte aber nach Ansicht des Gesetzgebers zur Folge, dass ausländische Steuern weit über das zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erforderliche Maß hinaus angerechnet wurden.26 Nichtberücksichtigung von im Ausland steuerfreien Einkünften Austin Powers erzielt inländische Einkünfte i.H.v. 80.000 € und ausländische Einkünfte i.H.v. 40.000 €. Von den ausländischen Einkünften sind 10.000 € im Ausland steuerfrei. Der ausländische Steuersatz beträgt 45 %.

25

Vgl. StVergAbG v. 16.05.2003, BGBl. I 2003, S. 660 ff.

26

Vgl. Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG), BT-Drs. 15/119, S. 40.

Lösung

Doppelbesteuerung I.

29

Ermittlung des Welteinkommens (§ 2 EStG) inländische Einkünfte ausländische Einkünfte z.v.E.

II.

+

80.000 40.000 120.000

€ € €

Ermittlung der deutschen Steuer (§ 32a Abs. 1, 2 EStG) 0,42 x 120.000 € ./. 7.914 € = 42.486 €

III.

Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags (AHB) AHB =

deutsche Einkommensteuer x auf das Welteinkommen =

42.486 €

x

ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte

30.000 € 120.000 €

=

10.621,50 €

Gem. § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG werden bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags die ausländischen Erträge, die dort steuerfrei sind, nicht berücksichtigt. Dadurch sinkt der Anrechnungshöchstbetrag. IV. Ergebnis Die von Austin Powers im Ausland gezahlte Steuer i.H.v. 13.500 € (= 30.000 x 0,45) ist nur in Höhe auf des Anrechnungshöchstbetrags von 10.621,50 € anrechenbar. Es verbleibt ein Anrechnungsüberhang i.H.v. 2.878,50 € (= 13.500 € ./. 10.621,50 €). Die Gesamtsteuerbelastung beträgt 45.362 € (= 13.500 € + 31.865 €). Zum Vergleich: Nach alter Rechtslage hätte sich der Anrechnungshöchstbetrag wie folgt ermittelt: AHB =

deutsche Einkommensteuer x auf das Welteinkommen =

42.486 €

x

ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte

40.000 € 120.000 €

=

14.162 €

Die von Austin Powers im Ausland gezahlte Steuer i.H.v. 13.500 € wäre in voller Höhe auf die inländische Steuerschuld anrechenbar. Die Gesamtsteuerbelastung würde in diesem Fall lediglich 42.486 € (= 13.500 € + 28.986 €) betragen.

Merke: Durch das StVergAbG wurde die Anrechnung ausländischer Steuer geändert. Bei der Bestimmung des Anrechnungshöchstbetrags werden ab dem VZ 2003 diejenigen ausländischen Einkünfte nicht berücksichtigt, die in dem Staat, aus dem sie stammen, nach dessen Recht nicht besteuert werden.

30

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Beispiel

Eine weitere Gesetzesänderung des StVergAbG betrifft ebenfalls die Kürzung des Anrechnungshöchstbetrags. Gem. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG sind bei der Ermittlung von ausländischen Einkünften, die ein inländischer Betrieb erzielt, bereits Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen abzuziehen, die mit den Einnahmen dieser ausländischen Einkünfte lediglich in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen; nach der alten Rechtslage war ein unmittelbarer Zusammenhang mit den ausländischen Einkünften notwendig. Zu den ausländischen Einkünften, die nunmehr zum Gewinn eines inländischen Betriebes gehören, zählen die in § 34d Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 Bst. c EStG genannten Einkünfte. Dies sind z.B. ausländische Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und aus Leistungen i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Durch den Abzug dieser nach alter Rechtslage nicht abzugspflichtigen Ausgaben verringert sich die Summe der ausländischen Einkünfte. Dies bewirkt gleichfalls eine Verringerung des Anrechnungshöchstbetrags. Liegt das ausländische Steuerniveau über dem deutschen Steuerniveau, entsteht ein Anrechnungsüberhang. In Höhe des Anrechnungsüberhangs kommt es zu einer Doppelbesteuerung. Anrechnung ausländischer Steuern Der Unternehmer Shrek betreibt im Inland die Märchen-Bank. Diese erzielt im Jahr 01 einen Gewinn i.H.v. 80.000 € aus ausländischen Portfolioanlagen. In Zusammenhang mit den Portfolioanlagen sind 10.000 € Refinanzierungskosten angefallen. Bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags werden gem. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG nur 70.000 € als ausländische Einkünfte berücksichtigt. Der Anrechnungshöchstbetrag verringert sich somit.

Merke: Aufgrund des StVergAbG mindern gem. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG Betriebsausgaben die ausländischen Einkünfte eines inländischen Betriebes auch dann, wenn sie bereits in wirtschaftlichem Zusammenhang zu den Einnahmen stehen; ein unmittelbarer Zusammenhang ist nicht mehr erforderlich. Dadurch vermindert sich in solchen Fällen auch der Anrechnungshöchstbetrag.

Beispiel

Im Wohnsitzstaat werden die ausländischen Nettoeinkünfte besteuert, da im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht grundsätzlich sämtliche Werbungskosten und Betriebsausgaben berücksichtigt werden. Im Gegensatz dazu führt der Quellenstaat im Allgemeinen eine Bruttobesteuerung durch. Insbesondere für ausländische Einkünfte aus Kreditgeschäften, Dividenden, Vergütungen für Lizenzen sowie Überlassung von Know-how sorgt dieser Effekt, der sog. Bemessungsgrundlageneffekt, dafür, dass der Anrechnungshöchstbetrag trotz niedriger Quellensteuersätze häufig überschritten wird. Ein Steuerausländer, der in Deutschland bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG erzielt, unterliegt im Inland der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG.

Lösung

Doppelbesteuerung

31

Die inländische Steuer wird im Wege des Steuerabzugs an der Quelle erhoben; dadurch gilt die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen als abgegolten (§ 50 Abs. 5 EStG). Der deutschen Kapitalertragsteuer unterliegen gem. § 43a Abs. 2 Satz 1 EStG die vollen Kapitalerträge ohne jeden Abzug. Es findet daher in Deutschland (= Quellenstaat) eine Bruttobesteuerung statt. Der Abzug von Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben ist nicht zulässig.

Merke: Die Steuerbemessungsgrundlage sind üblicherweise im Quellenstaat die Einnahmen, im Ansässigkeitsstaat hingegen die Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 2 EStG. Basis für die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags sind die Einkünfte; die anzurechnende Steuer wurde aber von den Einnahmen erhoben. Daraus folgt:

Beispiel

Bemessungsgrundlageneffekt Ethan Hunt erzielt im Jahr 01 ausschließlich ausländische Kapitalerträge i.H.v. 8.400 €, die dem dortigen Quellensteuerabzug unterliegen. An Werbungskosten sind ihm dafür 7.840 € angefallen. Es soll der maximale Quellensteuersatz des Auslands ermittelt werden, der nicht zu einem Überschreiten des Anrechnungshöchstbetrags in Deutschland führt. Der persönliche Einkommensteuersatz in Deutschland betrage aus Vereinfachungsgründen 42 %.

Lösung

Der Betrag, bis zu dem die ausländische Steuer angerechnet werden kann, nimmt mit steigender Höhe der ausschließlich im Inland berücksichtigten Aufwendungen ab (Erosion der Bemessungsgrundlage). Ein Anrechnungsüberhang kann daher bereits bei relativ niedrigen Quellensteuersätzen entstehen.

I.

Ermittlung des Nettoeinkommens in Deutschland ausländische Einkünfte Werbungskosten Nettoeinkommen Steuerbetrag = 0,42 x 560 € = 235 €

8.400 ./. 7.840 560

€ € €

32

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung II.

Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags (AHB) Da er keine inländischen Einkünfte erzielt, entsprechen die ausländischen Einkünfte der Summe der Einkünfte. ausländische Einkünfte deutsche Einkommensteuer x auf das Welteinkommen Summe der Einkünfte 560 € = 235 € x = 235 € 560 €

AHB =

III.

Anrechnungsüberhang Aufgrund der hohen Werbungskosten sind nur 235 € anrechenbar, dies entspricht einer ausländischen Kapitalertragsteuer von weniger als 3 %. Maximal anrechenbarer ausländischer Steuersatz =

235 € = 2,8 % 8.400 €

Für die von Ethan Hunt gezahlte ausländische Steuer entsteht somit ein Anrechnungsüberhang bereits ab einem Steuersatz von 2,8 %. Aus den in Deutschland geltenden Vorschriften der begrenzten Anrechnung ergibt sich, dass bei einer Summe der inländischen und ausländischen Einkünfte, d.h. dem Welteinkommen, von höchstens 0 € eine Anrechnungsmöglichkeit von ausländischen Steuern vollständig entfällt. Denn in diesen Fällen ist der Anrechnungshöchstbetrag regelmäßig 0 €, da die deutsche Einkommensteuer auf das Welteinkommen 0 € beträgt. Die bei der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags heranzuziehende Größe der ausländischen Einkünfte setzt sich somit zusammen aus der Summe der im Ausland steuerpflichtigen Einnahmen vermindert um die Betriebsausgaben und Vermögensminderungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang zu diesen Einnahmen stehen. Dabei ist unerheblich, aus welcher Einkunftsart die Einnahmen resultieren, sofern es sich um Einkünfte i.S.d. § 34d EStG handelt.

Doppelbesteuerung

33

Merke: x Begrenzte Anrechnung: Anrechnung der Auslandssteuer nur bis zur Höhe der anteiligen deutschen Steuer. x Per-country-limitation: Anrechnungshöchstbeträge sind für jeden Staat gesondert zu ermitteln; Anrechnungsüberhänge des einen Staates dürfen nicht mit ungenutzten Anrechnungsbeträgen eines anderen Staates verrechnet werden.27 x Kürzung des Anrechnungshöchstbetrags: Aufgrund der neu eingefügten Sätze 3 und 4 in § 34c Abs. 1 EStG ist zu beachten, dass im Ausland steuerfreie Einkünfte bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags nicht mehr berücksichtigt werden und dass die ausländischen Einkünfte um Betriebsausgaben und Vermögensminderungen gekürzt werden, auch wenn diese lediglich in wirtschaftlichem Zusammenhang mit diesen Einnahmen stehen. x Bemessungsgrundlageneffekt: Anwendung des Nettoprinzips im Inland führt grundsätzlich zur Reduktion des Anrechnungshöchstbetrags. x Keine Anrechnungsmöglichkeit bei negativer Summe der Einkünfte.

2.3.3.1.1.2

Direkte Steueranrechnung bei Dividendeneinkünften

Gewinnausschüttungen einer Kapitalgesellschaft an natürliche Personen als Anteilseigner werden nach § 3 Nr. 40 Bst. d EStG nur zur Hälfte in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Gleichzeitig dürfen aber auch nur 50 % der Werbungskosten oder Aufwendungen, die mit den Einnahmen i.S.d. § 3 Nr. 40 Bst. d EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, abgezogen werden (§ 3c Abs. 2 EStG). Für die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens ist es dabei unerheblich, ob es sich um inländische oder ausländische Dividenden handelt. Zu beachten ist, dass die ausländische Quellensteuer trotz hälftiger Steuerfreistellung der Dividende in Deutschland in vollem Umfang angerechnet werden kann. Allerdings ist der Anrechnungshöchstbetrag erneut zu beachten. Das Gesetz regelt die Anrechnung der auf die Auslandsdividende entfallenden Quellensteuer in § 34c Abs. 1 EStG unter Beachtung des Anrechnungshöchstbetrags. Werden die ausländischen Einkünfte im Verhältnis zur Summe der Einkünfte nur zur Hälfte berücksichtigt, reduziert sich die auf die ausländischen Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer und somit der Anrechnungshöchstbetrag. Es kann daher bereits bei üblichen KapEStSätzen ein Anrechnungsüberhang entstehen. 27

Im Gegensatz dazu werden bei der „over-all-limitation“ (praktiziert bspw. von den USA) sämtliche ausländische Einkünfte und sämtliche anzurechnende ausländische Steuern zusammengerechnet. Die USA kennen eine zusätzliche Anrechnungsbegrenzung durch die Bildung von insgesamt neun Einkunftskörben (baskets), denen die ausländischen Einkünfte und anrechnungsfähigen ausländischen Steuern getrennt zugerechnet werden. Innerhalb der baskets kann ein Anrechnungsüberhang zwei Jahre zurück und fünf Jahre vorgetragen werden („basket-imitation“).

34

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Beispiel

Begrenzte Steueranrechnung bei Dividendeneinkünften Austin Powers bezieht eine ausländische Bruttodividende i.H.v. 40.000 € und erzielt somit ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d Nr. 6 EStG. Der KapESt-Satz beträgt x im Fall a) 20 % x im Fall b) 25 %.

Lösung

I.

Beschränkte Steuerpflicht im Ausland Fall a) 40.000 € x 20 % = 8.000 € KapESt Fall b) 40.000 € x 25 % = 10.000 € KapESt

II.

Unbeschränkte Steuerpflicht im Inland inländische Einkünfte ausländische Dividende davon steuerfrei 50 %

+ ./.

Summe der Einkünfte Sonderausgaben z.v.E. III.

./.

80.000 € 40.000 € 20.000 € 100.000 € 8.000 € 92.000 €

Ermittlung des Steuerbetrags (§ 32a Abs. 1, 2 EStG) 0,42 x 92.000 € ./. 7.914 € = 30.726 €

IV.

Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags AHB =

= V.

deutsche Einkommensteuer auf das Welteinkommen 30.726 €

x

20.000 € 100.000 €

x

ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte

= 6.145,20 €

Ergebnis Die im Ausland gezahlte Steuer übersteigt in beiden Fällen den Anrechnungshöchstbetrag, so dass immer der höhere Steuersatz zum Tragen kommt. Im Fall a) ergibt sich ein Anrechnungsüberhang i.H.v. 1.854,80 € (= 8.000 € ./. 6.145,20 €) und im Fall b) i.H.v. 3.854,80 € (= 10.000 € ./. 6.145,20 €).

Doppelbesteuerung

2.3.3.1.2

35

Steuerabzugsmethode

Die Steuerabzugsmethode gem. § 34c Abs. 2 EStG bewirkt eine Minderung der Doppelbesteuerung durch Abzug der ausländischen Steuer als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben bei der Einkunftsermittlung. Die geschuldete deutsche Einkommensteuer berechnet sich durch Anwendung des persönlichen Steuersatzes des Steuerschuldners (§ 32a EStG) auf die reduzierte Bemessungsgrundlage. Merke: Bei der Steuerabzugsmethode werden die im Quellenstaat erhobenen Steuern wie Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben bei der Ermittlung der Einkünfte abgezogen. Da sich die Steuerminderung im Inland auf das Produkt aus ausländischem Steuerbetrag und inländischem Steuersatz des Steuerpflichtigen beschränkt, tritt lediglich eine Minderung der Doppelbesteuerung ein. Vorgehensweise: 1. Ermittlung des Welteinkommens unter Berücksichtigung des Abzugs der ausländischen Steuern von den jeweiligen ausländischen Einkünften. 2. Berechnung der deutschen Steuer auf das geminderte Welteinkommen.

2.3.3.1.2.1

Steuerabzugsmethode bei Nicht-Dividendeneinkünften

Nach den Anwendungsvoraussetzungen lassen sich zwei Anwendungsbereiche unterscheiden: x

Abzug auf Antrag, § 34c Abs. 2 EStG Werden die Voraussetzungen des § 34c Abs. 1 EStG erfüllt, kann der Steuerpflichtige als Alternative zur direkten Anrechnung die Abzugsmethode wählen. Liegen Einkünfte aus mehreren ausländischen Staaten vor, kann das Wahlrecht für jedes Land unterschiedlich ausgeübt werden, allerdings muss sie für alle Einkünfte eines bestimmten Staates einheitlich erfolgen.

x

Abzug von Amts wegen, § 34c Abs. 3 EStG Die Anwendung der Abzugsmethode ist normiert, wenn die ausländische Steuer nicht auf den inländischen Steuerbetrag angerechnet werden kann. Das Gesetz sieht dies in drei Fällen vor: – die ausländische Steuer entspricht nicht der deutschen Einkommensteuer, – die ausländische Steuer wird nicht in dem Staat erhoben, aus dem die Einkünfte stammen, – die ausländische Steuer wird für Sachverhalte erhoben, die keine ausländischen Einkünfte i.S.d. § 34d EStG darstellen.

36

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Steuerabzugsmethode

Abzug auf Antrag (§ 34c Abs. 2 EStG)

Abzug von Amts wegen (§ 34c Abs. 3 EStG)

Wahlrecht zwischen Anrechnungsmethode und Abzugsmethode

Anwendung der Abzugsmethode ist Pflicht

Beispiel

Anwendung der Steuerabzugsmethode

Steuerabzugsmethode bei Nicht-Dividendeneinkünften Es gelten die Angaben des Grundbeispiels.

Lösung

Abbildung 15:

I.

Ermittlung des Welteinkommens mit Abzug der ausländischen Steuern (§ 2 EStG)

+ ./. = ./. = II.

inländische Einkünfte ausländische Einkünfte ausländische Steuer Summe der Einkünfte Sonderausgaben z.v.E.

Fall a) 80.000 + 40.000 ./. 12.000 108.000 ./. 8.000 100.000

€ € € € € €

Fall b) 80.000 + 40.000 ./. 20.000 100.000 ./. 8.000 92.000

Ermittlung der inländischen Steuer (§ 32a Abs. 1, 2 EStG) x

im Fall a)

0,42 x 100.000 €

./. 7.914 € = 34.068 €

x

im Fall b)

0,42 x

./. 7.914 € = 30.726 €

92.000 €

€ € € € € €

Doppelbesteuerung III.

37

Gegenüberstellung der Gesamtsteuerbelastung bei Nicht-Dividendeneinkünften Fall a) Fall b) Steuerabzugsmethode: ausl. Steuer 12.000 € 20.000 € inl. Steuer 34.086 € 30.726 € gesamt 46.086 € 50.726 € Direkte Steueranrechnung: ausl. Steuer inl. Steuer gesamt

12.000 € 27.126 € 39.126 €

20.000 € 26.084 € 46.084 €

Beispiel

Vorteilhaftigkeit der Steuerabzugsmethode bei Verlusten im Inland Austin Powers macht in seiner Steuererklärung negative inländische Einkünfte i.H.v. 80.000 € geltend. Im Übrigen gelten die Angaben des Grundbeispiels.

Lösung

Obwohl die Abzugsmethode im Vergleich die Doppelbesteuerung in geringerem Umfang reduziert als die Methode der direkten Steueranrechnung, kann im Einzelfall ihre Anwendung vorteilhaft sein. Liegen inländische Verluste vor, die die ausländischen Einkünfte übersteigen, kann die ausländische Steuerschuld nicht angerechnet werden, da keine Steuer in Deutschland anfällt. Wählt der Steuerpflichtige in diesem Fall dagegen die Steuerabzugsmethode, wird die Auslandssteuer bei der Einkunftsermittlung berücksichtigt und wirkt sich daher auf den Verlustabzug nach § 10d EStG aus, d.h. der Verlustabzug erhöht sich um die ausländische Quellensteuer.

I.

Direkte Steueranrechnung Ermittlung des Welteinkommens (§ 2 EStG): inländische Einkünfte ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte

./. + ./.

80.000 € 40.000 € 40.000 €

Da die Summe der Einkünfte negativ ist, kann keine Anrechnung der ausländischen Quellensteuer auf eine inländische Steuerschuld erfolgen. Der i.S.d. § 10d EStG verrechnungsfähige Betrag beläuft sich auf 40.000 €. Zu beachten ist, dass es trotz eines negativen Welteinkommens zu einer Steuerbelastung in Höhe der ausländischen Steuer kommt.

38

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung II.

Steuerabzugsmethode Ermittlung des Welteinkommens (§ 2 EStG) Fall a) inländische Einkünfte + ausländische Einkünfte ./. ausländische Steuer = Summe der Einkünfte

./. + ./. ./.

80.000 40.000 12.000 52.000

Fall b) € € € €

./. + ./. ./.

80.000 40.000 20.000 60.000

€ € € €

Durch den Abzug der im Ausland gezahlten Steuer erhöht sich das negative inländische Ergebnis und damit der berücksichtigungsfähige Betrag i.S.d. § 10d EStG. Dieser ist abhängig von der im Ausland gezahlten Steuer im Fall a) 52.000 €, im Fall b) 60.000 €. Merke: Übersteigen die negativen inländischen Einkünfte die ausländischen Einkünfte, so dass das Welteinkommen negativ ist, erweist sich die Abzugsmethode als günstiger.

2.3.3.1.2.2

Steuerabzugsmethode bei Dividendeneinkünften

Ausländische Dividendeneinkünfte, die von inländischen natürlichen Personen erzielt werden, unterliegen dem Halbeinkünfteverfahren: 9die Hälfte der Dividende ist steuerfrei (§ 3 Nr. 40 Bst. d EStG) 9hälftiger Abzug der mit den steuerfreien Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Aufwendungen (§ 3c Abs. 2 EStG).

Beispiel

Merke: Obwohl die ausländischen Dividenden bei der Einkunftsermittlung im Rahmen des Halbeinkünfteverfahrens nur zur Hälfte berücksichtigt werden, ist die ausländische Quellensteuer zur Gänze abzugsfähig.

Steuerabzugsmethode bei Dividendeneinkünften Austin Powers erhält eine steuerpflichtige, ausländische Bruttodividende i.H.v. 40.000 €. Alle anderen Ausgangsdaten bleiben gleich.

Lösung

Doppelbesteuerung I.

39

Ermittlung des Welteinkommens (§ 2 EStG) Fall a)

+ ./. ./. = ./. = II.

III.

inländische Einkünfte ausländische Dividendeneinkünfte davon steuerbefreit (§ 3 Nr. 40 EStG) ausländische Steuer Summe der Einkünfte Sonderausgaben z.v.E.

Fall b)

+

80.000 € 40.000 €

+

80.000 € 40.000 €

./.

20.000 €

./.

20.000 €

./.

8.000 92.000 8.000 84.000

./.

10.000 90.000 8.000 82.000

./.

€ € € €

./.

€ € € €

Ermittlung des Steuerbetrags (§ 32a Abs. 1, 2 EStG) x

im Fall a)

0,42 x 84.000 € ./. 7.914 € = 27.366 €

x

im Fall b)

0,42 x 82.000 € ./. 7.914 € = 26.526 €

Gegenüberstellung der Gesamtsteuerbelastung bei Dividendeneinkünften Fall a)

Fall b)

Steuerabzugsmethode: ausl. Steuer inl. Steuer gesamt

8.000 € 27.366 € 35.366 €

10.000 € 26.526 € 36.526 €

Direkte Steueranrechnung: ausl. Steuer inl. Steuer gesamt

8.000 € 24.581 € 32.581 €

10.000 € 24.581 € 34.581 €

Der Gesamtsteuervergleich zeigt, dass sowohl in Fall a) als auch Fall b) die Anrechnungsmethode zu günstigeren Steuerbelastungen führt als die Abzugsmethode, obwohl bei den Dividendeneinkünften in beiden Fällen der Anrechnungshöchstbetrag überschritten wurde, so dass ein Anrechnungsüberhang entstanden ist. Nur für den Fall, dass die Anrechnungsüberhänge sehr hoch ausfallen, wäre die Abzugsmethode für den Steuerpflichtigen von Vorteil.

40

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Merke: Die Option für die Steuerabzugsmethode nach § 34c Abs. 2 EStG ist in den folgenden Fällen anzuraten: x bei inländischen Verlusten (Verlustabzug nach § 10d EStG erhöht sich), x bei hohen Anrechnungsüberhängen, x u.U. bei Dividendeneinkünften (da aufgrund der Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens der Anrechnungshöchstbetrag eher ausgeschöpft wird).

2.3.3.1.3

Pauschalierung und Erlass

Gem. § 34c Abs. 5 EStG ist es den obersten Finanzbehörden der Länder bzw. den von ihnen beauftragten Finanzbehörden gestattet, mit Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ganz oder teilweise zu erlassen oder diese in einem Pauschbetrag festzusetzen. Diese Methode wird angewandt, wenn sie aus ökonomischen Gründen zweckmäßig erscheint oder die Anwendung der Anrechnungsmethode besondere Schwierigkeiten bereitet. Diese Ermächtigungsvorschrift wird näher ausgeführt im: x Pauschalierungserlass,28 x Auslandstätigkeitserlass.29 Diese beiden Methoden sind nicht auf Dividendeneinkünfte anwendbar, so dass eine Unterscheidung zwischen Dividendeneinkünften und Nicht-Dividendeneinkünften diesbezüglich nicht notwendig ist. (1)

Pauschalierungserlass

Auf Antrag werden bestimmte ausländische Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen pauschal mit 25 % besteuert. Diese Möglichkeit kann für jeden Staat einzeln beantragt werden. Die Pauschalierung wird jedoch für sämtliche Einkünfte eines Staates einheitlich ausgeführt. Begünstigungsfähige Einkünfte i.S.d. Erlasses sind: x Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die aus der aktiven Tätigkeit einer im Ausland belegenen Betriebsstätte stammen, x Einkünfte aus der Beteiligung an einer aktiv tätigen ausländischen Mitunternehmerschaft, wenn die Beteiligung zum Betriebsvermögen eines inländischen gewerblichen Unternehmens gehört,

28

Vgl. BMF v. 10.04.1984, IV C 6 – S 2293 – 11/84, BStBl. I 1984, S. 252.

29

Vgl. BMF v. 31.10.1983, IV B 6 – S 2293 – 50/83, BStBl. I 1983, S. 470.

Doppelbesteuerung x

41

Einkünfte aus selbständiger Arbeit, wenn diese aus einer auf ausländischem Staatsgebiet befindlichen festen Einrichtung stammen und durch technische Beratung, Planung bzw. Überwachung einer Anlagenerrichtung erzielt werden.

Beispiel

Pauschalierung Es gelten die Angaben des Grundbeispiels.

Lösung

Allerdings kann die von den pauschal besteuerten Einkünften im Ausland erhobene Steuer im Inland weder zusätzlich angerechnet noch bei der Einkunftsermittlung abgezogen werden. Die inländischen Einkünfte des Steuerpflichtigen werden, ohne Berücksichtigung der auf die begünstigten Auslandseinkünfte entfallenden ausländischen Steuer, mit seinem persönlichen Steuersatz besteuert (kein Progressionsvorbehalt).

I.

Ermittlung der inländischen Einkünfte (§ 2 EStG) und des darauf entfallenden Steuerbetrags (§ 32a Abs. 1, 2 EStG) Bei der Ermittlung der inländischen Bemessungsgrundlage werden die ausländischen Einkünfte nicht berücksichtigt. Die Einkommensteuer wird folglich so berechnet, als ob Austin Powers keine ausländischen Einkünfte erzielt hätte. inländische Einkünfte Sonderausgaben z.v.E.

./. =

80.000 € 8.000 € 72.000 €

Steuer auf inländische Einkünfte = 0,42 x 72.000 € ./. 7.914 € = 22.326 € II.

Ermittlung der auf die Auslandseinkünfte entfallenden pauschalen inländischen Steuern pauschale Steuer auf ausländische Einkünfte = 0,25 x 40.000 € = 10.000 €

III.

Ermittlung der im Inland zu zahlenden Einkommensteuer Steuer auf inländische Einkünfte pauschale Steuer auf ausl. Einkünfte im Inland zu zahlende Einkommensteuer

22.326 € + 10.000 € = 32.326 €

42

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung IV.

Gegenüberstellung der Gesamtsteuerbelastung bei Nicht-Dividendeneinkünften Fall a) ausl. Steuer pauschale inl. Steuer auf ausl. Einkünfte inl. Steuer auf inländische Einkünfte Gesamt

12.000 10.000 22.326 44.326

Fall b) € € € €

20.000 10.000 22.326 52.326

€ € € €

Die Gesamtsteuerbelastung des Steuerpflichtigen ergibt sich bei Anwendung der Pauschalierungsmethode aus: der im Ausland gezahlten Steuer + der pauschal berechneten inländischen Steuer auf ausländische Einkünfte + der inländischen Steuer auf inländische Einkünfte = Gesamtsteuerbelastung Die Pauschalierungsmethode kann sich im Verhältnis zur Anrechnungsmethode vorteilhaft für den Steuerpflichtigen auswirken, wenn im Ausland nur eine geringe bzw. keine Steuer auf die Quelleneinkünfte erhoben wird.

(2)

Auslandstätigkeitserlass

Arbeitslöhne von Arbeitnehmern eines inländischen Arbeitgebers, die ihre Tätigkeit zum Teil im Ausland verrichten, können auf Antrag von der inländischen Besteuerung freigestellt werden. Allerdings werden die freigestellten Bezüge zur Ermittlung der deutschen Einkommensteuer bei der Berechnung des Steuersatzes berücksichtigt, der auf die Inlandseinkünfte anzuwenden ist (Progressionsvorbehalt i.S.d. § 32b EStG). Die Freistellung der Bezüge für eine Tätigkeit im Ausland setzt eine (mindestens) dreimonatige Tätigkeit i.S.v. Montagearbeiten ohne Unterbrechung voraus. Zu den begünstigungsfähigen Tätigkeiten, die der Erlass aufzählt, gehören: x Planung, Einbau, Aufstellung, Inbetriebnahme, Modernisierung, Überwachung und Wartung von Fabriken, Bauwerken oder Anlagen, x Einbau, Aufstellung und Instandsetzung von sonstigen Wirtschaftsgütern, x Beratungen im Hinblick auf die vorstehenden Aktivitäten. Des Weiteren soll betont werden, dass die Inanspruchnahme der Begünstigung des Auslandstätigkeitserlasses nicht zulässig ist, wenn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem betreffenden Staat ein DBA besteht oder die Zahlungen von inländischen öffentlichen Kassen geleistet werden.

Doppelbesteuerung

43

Die Voraussetzungen für die Anwendung des Auslandstätigkeitserlasses sind kumulativ: 9Inländischer Arbeitgeber, 9Auslandstätigkeit für einen inländischen Lieferanten, Hersteller oder Auftragnehmer, 9Durchführung von Montagearbeiten, 9Tätigkeit muss mindestens drei Monate ununterbrochen im Ausland ausgeübt werden, 9kein DBA mit dem ausländischen Staat, 9Vergütungen werden nicht aus inländischen öffentlichen Kassen geleistet.

2.3.3.1.4

Entscheidungsalternativen

Grundsätzlich hat ein in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtiger mit ausländischen Einkünften aus einem Nicht-DBA-Staat die Wahl, x die im Ausland gezahlte, der deutschen Einkommensteuer entsprechende Steuer anzurechnen, x diese bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen, x bei Vorliegen der im Pauschalierungserlass genannten ausländischen Einkünfte eine Pauschalierung zu beantragen oder x bei Vorliegen von Einkünften aus nichtselbständiger begünstigter Tätigkeit i.S.d. Auslandstätigkeitserlasses die Option für die Freistellung unter Progressionsvorbehalt auszuüben. Welche Entscheidungsalternative die optimale Wahl eines Steuerpflichtigen bei NichtDividendeneinkünften darstellt, verdeutlicht der folgende Entscheidungsbaum in stark vereinfachter Form.

44

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Erfolgssituation im Inland Positives Inlandseinkommen

Ausländische Steuer geringer als Anrechnungshöchstbetrag

Ausländische Steuer höher als Anrechnungshöchstbetrag

Wahl der direkten Steueranrechnung (Regelfall);

Wahl zwischen direkter Steueranrechnung und Steuerabzugsmethode (Einzelfall prüfen)

im Einzelfall können Pauschalierung bzw. Erlass günstiger sein

Abbildung 16:

Inlandsverlust > ausl. Einkünfte

Wahl der Steuerabzugsmethode (Verlustabzug nach § 10d EStG)

Vereinfachte Übersicht der Entscheidungsregeln bei Nicht-Dividendeneinkünften

2.3.3.2 Bilaterale Maßnahmen Unter den bilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nehmen die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) eine herausragende Rolle ein. Sie sind völkerrechtliche Verträge zwischen einzelnen souveränen Staaten. Anhand eines Systems von Verteilungs- bzw. Verzichtsnormen regeln die Vertragspartner die Ausübung kollidierender Besteuerungsansprüche.

2.3.3.2.1

Mögliche Ansätze

Grundsätzlich hat der Wohnsitzstaat aufgrund des Welteinkommensprinzips immer das vollumfängliche Besteuerungsrecht. In Abhängigkeit von dem Quellenstaat zugestandenen Besteuerungsrecht sind zwei grundlegende Ansätze zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im DBA-Fall vorgesehen: (1) Der Quellenstaat verzichtet in vollem Umfang oder zum Teil auf seinen Besteuerungsanspruch, d.h. die Auslandseinkünfte bleiben im Wohnsitzstaat steuerpflichtig. Auf in beschränktem Umfang anfallende ausländische Quellensteuern wendet das Inland die Anrechnungsmethode an. = Kapitalexportneutralität Beispiel:

Dividenden (Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 OECD-MA).

Doppelbesteuerung

45

(2) Ausländische Einkünfte unterliegen ausschließlich der Besteuerung im Quellenstaat. Im Wohnsitzstaat werden diese unter Anwendung des Progressionsvorbehalts freigestellt.30 = Kapitalimportneutralität Beispiel:

2.3.3.2.2

Besteuerung einer Betriebsstätte im Quellenstaat (Art. 5 i.V.m. Art. 7 OECD-MA).

Vermeidung der Doppelbesteuerung im Wohnsitzstaat

Die steuerliche Behandlung ausländischer Einkünfte im Wohnsitzstaat muss in Verbindung mit dem Besteuerungsrecht des Quellenstaates gesehen werden. Es lassen sich korrespondierend für den Umfang der Wohnsitzbesteuerung zwei Möglichkeiten ableiten: x Anrechnungsverfahren, x Freistellungsverfahren (unter Progressionsvorbehalt). Wird das Besteuerungsrecht des Quellenstaates teilweise31 eingeschränkt, wendet der Wohnsitzstaat die Anrechnungsmethode an (Art. 23 B OECD-MA). Wird dem Quellenstaat das uneingeschränkte Besteuerungsrecht zugewiesen, wendet der Wohnsitzstaat üblicherweise das Freistellungsverfahren (unter Progressionsvorbehalt) an (Art. 23 A OECD-MA). Im Inland freigestellt werden: x Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 OECD-MA), x Gewinne einer Betriebsstätte (Art. 5 i.V.m. Art. 7 OECD-MA), x Einkünfte aus unselbständiger Arbeit (im Regelfall) (Art. 15 OECD-MA). Die folgende Abbildung verdeutlicht die Aufteilung des Besteuerungsrechts auf den Quellen- bzw. Wohnsitzstaat nach Maßgabe des OECD-MA. Das Besteuerungsrecht des Quellenstaates und die Methode der Vermeidung der Doppelbesteuerung durch den Wohnsitzstaat korrespondieren folglich.

30

Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Auslandsaktivität in einer festen wirtschaftlichen Verknüpfung mit dem Ausland steht.

31

Das Besteuerungsrecht des Quellenstaates ist der Höhe oder dem Grunde nach beschränkt.

46

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Ansätze zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nach OECD-MA Quellenstaat

Wohnsitzstaat

1. Ansatz

Begrenzung oder Aufhebung des Besteuerungsrechts

Anrechnung (Art. 23B OECD-MA)

2. Ansatz

Uneingeschränktes Besteuerungsrecht

Freistellung (mit Progressionsvorbehalt) (Art. 23A OECD-MA)

Abbildung 17:

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nach OECD-MA

Doppelbesteuerungsabkommen zeichnen sich dadurch aus, dass eine Doppelbesteuerung durch die Zuteilung der Einkünfte auf die beteiligten Staaten vermieden wird. Geregelt wird dies über ein System des gegenseitigen Besteuerungsverzichts. Die Voraussetzungen sowie das Vorgehen der Anrechnungsmethode entsprechen der begrenzten Anrechnung (vgl. § 34c Abs. 1 EStG), deren Wirkungsweise bereits im Abschnitt der unilateralen Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erläutert wurde. Ansatzpunkt der Freistellungsmethode ist die Bemessungsgrundlage. Ausländische Einkünfte unterliegen dem ausschließlichen Besteuerungsrecht des Quellenstaates. Der Wohnsitzstaat verzichtet auf die ihm zustehende Besteuerung des Welteinkommens eines Steuerpflichtigen und berücksichtigt bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens nur die im Inland erzielten Einkünfte. Merke: Bei der Freistellungsmethode nimmt der Wohnsitzstaat die im Ausland erzielten Einkünfte zur Gänze von der Bemessungsgrundlage aus. Je nachdem welcher Steuersatz auf die im Inland steuerpflichtige Bemessungsgrundlage angewandt wird, lassen sich zwei Ausprägungen der Freistellungsmethode unterscheiden: x

völlige Freistellung: Auslandseinkünfte werden weder bei der Ermittlung der inländischen Bemessungsgrundlage berücksichtigt noch beeinflussen sie die Höhe des auf die Inlandseinkünfte anzuwendenden Steuersatzes. Die Doppelbesteuerung wird somit nicht nur vollständig vermieden, sondern der Steuerpflichtige ist bei

Doppelbesteuerung

47

Vorliegen eines progressiven Steuertarifs sogar günstiger gestellt, als hätte er das Einkommen in einem einzigen Staat realisiert.32 x

Freistellung unter Progressionsvorbehalt: Anwendung im deutschen Steuerrecht Erfolgt die Freistellung ohne Progressionsvorbehalt, kann der Steuerpflichtige aufgrund der progressiven Ausgestaltung des Einkommensteuertarifs seine Steuerbelastung senken, wenn er sein Einkommen auf mehrere Staaten verteilen würde. Diese Wirkung bezeichnet man als „Splitting-Effekt“. Somit wäre die Steuerbelastung der (verbleibenden) inländischen Einkünfte eines Steuerpflichtigen mit Auslandsaktivitäten im Ergebnis immer niedriger als im Falle eines vergleichbaren Steuerpflichtigen, der Einkünfte in identischer Höhe ausschließlich im Inland erzielt. Obwohl beide Steuerpflichtigen gleich leistungsfähig sind, werden sie aufgrund der vollständigen Freistellung ungleich besteuert. Deswegen wird die Freistellung nur unter Progressionsvorbehalt gewährt. Die vom Steuerpflichtigen im Ausland erzielten Einkünfte bleiben zwar bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage im Inland unberücksichtigt, doch werden die ausländischen Einkünfte bei der Ermittlung der Höhe des Steuersatzes, mit dem die inländische Bemessungsgrundlage besteuert wird, einbezogen (Art. 23 $Abs. 3 OECD-MA). Die Vorschriften zur Anwendung des Progressionsvorbehalts sind in § 32b EStG festgelegt.

Merke: Bei der Anwendung der Freistellungsmethode unter Progressionsvorbehalt wird auf die Bemessungsgrundlage, die der inländischen Besteuerung unterliegt, der Steuersatz angewandt, der auf das Welteinkommen entfallen würde. Durch die Besteuerung der inländischen Einkünfte mit dem für das Welteinkommen maßgeblichen Steuersatz wird die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen, welche sich anhand seines Welteinkommens bemisst, in der Progression erfasst. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Progressionsvorbehalts sind: 9Person ist im Inland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 32b Abs. 1 EStG) 9entsprechende Norm im DBA. Merke: Bei einem proportionalen Tarif im Inland geht der Progressionsvorbehalt ins Leere.

32

De facto gibt es heute keine DBA mit vollständiger Freistellung mehr. Zu erwähnen wäre das Übereinkommen mit Griechenland über die Besteuerung des beweglichen Nachlassvermögens aus dem Jahre 1910, das keinen Progressionsvorbehalt enthält.

48

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Beispiel

Freistellungsmethode unter Anwendung des Progressionsvorbehalts Die ausländischen Einkünfte i.H.v. 40.000 € von Austin Powers stammen aus einem Land, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat. Darin ist für die betreffenden Einkünfte geregelt, dass dem ausländischen Staat das Besteuerungsrecht zusteht und Deutschland den Progressionsvorbehalt anwenden darf.

Lösung

Vorgehensweise: 1. Ermittlung des Welteinkommens, 2. Ermittlung des deutschen Durchschnittssteuersatzes auf das Welteinkommen, 3. Anwendung dieses deutschen Welteinkommenssteuersatzes auf die inländische Bemessungsgrundlage (= Welteinkommen ./. freigestellte ausländische Einkünfte).

I.

Ermittlung des Welteinkommens inländische Einkünfte ausländische Einkünfte Sonderausgaben Welteinkommen

II.

80.000 40.000 ./. 8.000 = 112.000

€ € € €

Ermittlung des Durchschnittssteuersatzes auf das Welteinkommen (§ 32b Abs. 2 EStG) auf das Welteinkommen entfallender Steuerbetrag (§ 32a Abs. 1, 2 EStG) = 0,42 x 112.000 € ./. 7.914 € = 39.126 € Durchschnittssteuersatz =

III.

39.126 € 112.000 €

= 34,93 %

Anwendung des Durchschnittssteuersatzes auf die inländischen Einkünfte (Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 EStG) Ermittlung des im Inland zu versteuernden Einkommens (§ 2 EStG) inländische Einkünfte Sonderausgaben inländisches z.v.E.

./. =

80.000 € 8.000 € 72.000 €

inländischer Steuerbetrag = 0,3493 x 72.000 € = 25.149,60 € Ohne Anwendung des Progressionsvorbehalts, also bei völliger Freistellung, würde sich eine inländische Steuerschuld i.H.v. 22.326 € ergeben (= 72.000 € x 0,42 ./. 7.914 €).

Doppelbesteuerung

49

Die Vorteilhaftigkeit der Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei NichtDividendeneinkünften wird deutlich, wenn die bei Anwendung der einzelnen Methoden jeweils anfallende Gesamtsteuerbelastung gegenüberstellt wird: Methode

Fall a)

Fall b)

Freistellung mit Progressionsvorbehalt Direkte Steueranrechnung Steuerabzugsmethode Pauschalierung

37.150 39.126 46.086 44.326

45.150 46.089 50.726 52.326

Ein Vergleich der nach den verschiedenen Methoden ermittelten Gesamtsteuerbelastung zeigt, dass die Freistellungsmethode im größten Umfang eine Doppelbesteuerung vermeidet. Die Anwendung der Anrechnungsmethode führt zur „second best“-Lösung.

2.3.4

Regelungen für juristische Personen

2.3.4.1 Unilaterale Maßnahmen Auch im Körperschaftsteuerrecht muss zwischen Dividenden- und NichtDividendeneinkünften unterschieden werden. Nur bei Nicht-Dividendeneinkünften wird die Anrechnungs- oder Pauschalierungsmethode angewendet, da sowohl Dividendeneinkünfte aus dem In- als auch Dividendeneinkünfte aus dem Ausland durch § 8b Abs. 1 KStG freigestellt werden.

2.3.4.1.1

Methode der direkten Steueranrechnung

Zentrale Norm zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf unilateraler Ebene ist § 26 KStG. Die hier festgeschriebenen Maßnahmen entsprechen in ihren Grundzügen der Methodik des § 34c EStG.

50

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

§ 26 KStG

Direkte Steueranrechnung

Abs. 1

Abbildung 18:

Abzugsmethode

Pauschalierung

Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 34c Abs. 2, 3 EStG

Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 34c Abs. 5 EStG

Methoden des § 26 KStG

§ 26 KStG wird angewendet, wenn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem betroffenen Staat kein DBA abgeschlossen wurde (§ 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG).

2.3.4.1.1.1

Direkte Steueranrechnung bei Nicht-Dividendeneinkünften

Grundsätzlich ist zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die begrenzte Anrechnung der ausländischen Steuern bei der Ermittlung der Körperschaftsteuer anzuwenden. Die Begünstigung wird gewährt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 9unbeschränkte Steuerpflicht, 9Steuersubjektidentität, 9ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG, 9gleichartige Steuer im Ausland, 9festgesetzte, gezahlte Auslandssteuer, die keinem Ermäßigungsanspruch unterliegt, 9identischer Abgabenzeitraum. Diese Bestimmung entspricht der des § 34c Abs. 1 EStG, da nach § 26 Abs. 6 KStG die Vorschriften des § 34c EStG entsprechend anwendbar sind. Merke: Die Voraussetzungen für die direkte Steueranrechnung nach § 26 Abs. 1 KStG sind mit denen der direkten Steueranrechnung des § 34c Abs. 1 EStG identisch.33 Die Höhe der anrechnungsfähigen Steuer wird bei der direkten Anrechnung nach dem KStG durch die gleichen Faktoren wie nach § 34c Abs. 1 EStG begrenzt:

33

Vgl. R 76 Abs. 1 KStR.

Doppelbesteuerung x

51

Anrechnungshöchstbetrag Da die Körperschaftsteuer einen proportionalen Tarif hat, ist für die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags von dem Körperschaftsteuersatz i.H.v. 25 % gem. § 23 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 KStG auszugehen. Dieser ist für Zwecke der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags auf die ausländischen Einkünfte zu beziehen.

Beispiel

Durch ausländische Geschäftstätigkeit erzielt die Gwendolin Strickwaren AG Einkünfte i.H.v. 125.000 €. Auf diese Einkünfte entfiel im Fall a) eine ausländische Steuerschuld i.H.v. 25.000 €, im Fall b) eine Steuerschuld i.H.v. 50.000 €.

Lösung

Anrechnungshöchstbetrag = 25 % x ausländische Einkünfte

Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags: AHB = 0,25 x 125.000 € = 31.250 € Im Fall a) kann die Gwendolin Strickwaren AG die ausländische Steuer in voller Höhe anrechnen, dabei bleibt ein anrechenbarer Betrag i.H.v. 6.250 € (= 31.250 € ./. 25.000 €) ungenutzt. Dagegen entsteht bei der im Fall b) gezahlten Auslandssteuer ein Anrechnungsüberhang i.H.v. 18.750 € (= 50.000 € ./. 31.250 €). x

per-country-limitation Entsprechend der begrenzten Steueranrechnung des EStG ist für den Fall, dass eine Körperschaft in mehreren Staaten ausländische Einkünfte erwirtschaftet, der Anrechnungshöchstbetrag für jeden Staat getrennt zu ermitteln; der Übertrag eines ungenutzten Anrechnungsbetrags aus einem Staat auf einen nicht anrechenbaren Betrag eines anderen Staates ist nicht zulässig.

x

Kürzung des Anrechnungshöchstbetrags Die im Rahmen des StVergAbG neu eingefügten § 34c Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG gelten gem. § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG auch für juristische Personen.

2.3.4.1.1.2

Direkte Steueranrechnung bei Dividendeneinkünften

Nach § 8b Abs. 1 KStG bleiben Dividenden, die eine ausländische Tochtergesellschaft an ihre inländische Muttergesellschaft ausschüttet, bei der Ermittlung des Einkommens grundsätzlich außer Ansatz (generelles Dividendenprivileg). Die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer nach Maßgabe des § 26 Abs. 1 KStG ist daher nicht möglich, weil die Gewinnausschüttung im Inland unbesteuert bleibt. Für den inländischen körperschaftsteuerpflichtigen Anteilseigner wird der im Ausland gezahlte Steuerbetrag somit definitiv.

52

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Merke: Empfangene ausländische Dividenden sind beim inländischen, körperschaftsteuerpflichtigen Anteilseigner nicht steuerpflichtig (§ 8b Abs. 1 KStG). Die Steuerbefreiung von Beteiligungserträgen nach § 8b Abs. 1 KStG ergibt sich unabhängig von x dem Sitzstaat der ausschüttenden Körperschaft, x der Mindestbeteiligung, x der Mindestbehaltefrist, x dem Bestehen eines DBA, x der Art der Einkünfte (aktiv/ passiv). Die Regelung des § 8b Abs. 1 KStG ist eine zwingende Konsequenz des klassischen Körperschaftsteuersystems, welches sonst zu einer stufenweisen Aufzehrung der Dividende innerhalb eines Konzerns führen würde (sog. Kaskadeneffekt).

2.3.4.1.2

Steuerabzugsmethode

Anstelle der Methode der direkten Steueranrechnung kann nach § 26 Abs. 6 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 2, 3 EStG alternativ die Abzugsmethode angewandt werden. Die Vorschriften des EStG gelten entsprechend.34

2.3.4.1.2.1

Steuerabzugsmethode bei Nicht-Dividendeneinkünften

Das Vorgehen des Steuerabzugs knüpft an die Ermittlung der Einkünfte an; diese werden durch den Abzug der ausländischen Steuern gemindert. Das Verhältnis von Anrechnungs- und Abzugsmethode ergibt sich aus dem Gesetz: x Liegen die Voraussetzungen des § 34c Abs. 1 EStG vor, kann der Steuerpflichtige als Alternative zur direkten Steueranrechnung die Abzugsmethode wählen (§ 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 2 EStG). x Werden die geforderten Bedingungen nicht erfüllt, bestimmt das Gesetz die Anwendung der Abzugsmethode als Instrument zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (§ 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 3 EStG). x Die Methode der direkten Steueranrechnung knüpft an den Steuerbetrag an. Die Anrechnung der Auslandssteuer ist beschränkt auf die Höhe der inländischen Tarifbelastung (25 %). x Bei der Abzugsmethode verringern ausländische Steuern wie Betriebsausgaben den Umfang der Bemessungsgrundlage. Dadurch tritt eine Minderung des körperschaftsteuerlichen Gewinns sowie des Gewerbeertrags ein.

34

Vgl. R 76 Abs. 27 ff. EStR.

Doppelbesteuerung

53

Wahlrecht nach § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m.§ 34c Abs. 2 EStG

9 ! Abbildung 19:

2.3.4.1.2.2

Grundsätzlich ist die direkte Steueranrechnung günstiger

9

bei hohen Anrechnungsüberhängen kann die Abzugsmethode vorteilhaft sein

!

Entscheidungsregeln

Steuerabzugsmethode bei Dividendeneinkünften

Gewinnausschüttungen von ausländischen an inländische Kapitalgesellschaften bleiben nach § 8b Abs. 1 KStG unbesteuert. Folglich erübrigt sich die Anwendung der Steuerabzugsmethode.

2.3.4.1.3

Pauschalierung

In Übereinstimmung mit den Regelungen des EStG ist für unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Subjekte gem. § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 5 EStG auch die Pauschalierung der Steuer auf Auslandseinkünfte möglich. Die im Rahmen des Pauschalierungserlasses35 festgesetzte Körperschaftsteuer auf pauschal zu besteuernde ausländische Einkünfte beträgt 25 %. Der Anwendungsbereich der Pauschalierungsmethode erstreckt sich auf die Einkünfte einer inländischen Körperschaft aus: x einer im Ausland belegenen Betriebsstätte, x der Beteiligung an einer ausländischen Personengesellschaft, x der Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft. Diese müssen im Ausland eine aktive Tätigkeit i.S.d. § 2a Abs. 2 EStG ausüben.

35

Vgl. BMF v. 10.04.1984, IV C 6 – S 2293 – 11/84, BStBl. I 1984, S. 252.

54

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Merke: Besondere Voraussetzungen gelten darüber hinaus für Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften: 9Beteiligungsquote mindestens 10 %, 9unmittelbare Beteiligung, 9Mindestbesitzzeit von 12 Monaten. Der Pauschalierung kommt in der Praxis allerdings keine Bedeutung zu. Ausschlaggebend sind zwei Gründe: x Der in § 23 Abs. 1 KStG festgesetzte Körperschaftsteuersatz beträgt ohnehin 25 %. Damit entspricht die Höhe der Tarifbelastung genau dem pauschalen Steuersatz gemäß dem Pauschalierungserlass. x Dividenden, die von einem ausländischen (oder inländischen) Tochterunternehmen an ihre Muttergesellschaft ausgeschüttet werden, sind nach § 8b Abs. 1 KStG, unabhängig von der Beteiligungsquote, der Besitzzeit sowie der Tätigkeit des Tochterunternehmens, steuerbefreit. Die sich auf diesen Fall erstreckende Regelung des Pauschalierungserlasses läuft somit ins Leere. Merke: Die Pauschalierung nach § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 5 EStG ist für die steuerliche Praxis unbedeutend.

2.3.4.2 Bilaterale Maßnahmen Die bereits dargestellten Grundsätze der Zuteilung der Besteuerungsrechte zu Quellenstaat und Wohnsitzstaat für natürliche Personen gelten auch für Körperschaften. Korrespondierend zur Besteuerung im Quellenstaat ist im Wohnsitzstaat entweder die begrenzte Anrechnung der ausländischen Steuer oder die Anwendung der Freistellungsmethode unter Progressionsvorbehalt vorgesehen. Da der deutsche Körperschaftsteuersatz nach § 23 KStG nicht progressiv, sondern proportional verläuft, läuft der im Inland im Rahmen der Freistellungsmethode grundsätzlich anzuwendende Progressionsvorbehalt ins Leere.

2.3.4.3 Vermeidung der Doppelbesteuerung im supranationalen Recht: Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie im nationalen Recht Um die Mehrfachbelastung in internationalen Konzernen innerhalb der EU zu vermeiden, postuliert die Mutter-Tochter-Richtlinie, dass der Sitzstaat der Tochtergesellschaft keine Quellensteuer auf Dividendenausschüttungen erheben darf und dass korrespondierend dazu der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft die empfangenen Dividenden freistellen muss.

Doppelbesteuerung

55

Die Voraussetzungen zur Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie sind kumulativ: 9Ansässigkeit der Mutter- und der Tochterkapitalgesellschaft in EUMitgliedsstaaten, 9Beteiligung der Mutterkapitalgesellschaft zu mindestens 20 %,36 9Mindestbeteiligungsfrist von 24 Monaten. Die Umsetzung erfolgt in Deutschland durch § 43b EStG und § 8b KStG, wobei beide Bestimmungen weiter als die Mutter-Tochter-Richtlinie gefasst sind.

2.4 Behandlung negativer ausländischer Einkünfte Den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit durch Anerkennung des unbeschränkten Verlustausgleichs37 im selben Jahr schränkt § 2a EStG empfindlich ein. Darüber hinaus verstößt § 2a EStG gegen den Sinn von DBA, da die Beschränkungen auch für die Steuersatzermittlung im DBA-Fall gelten. In diesem Fall sollten sich ausländische Gewinne wie Verluste durch Anwendung des positiven oder negativen Progressionsvorbehalts (§ 32b EStG) auf die Höhe des Steuersatzes auswirken.38 Die Anwendung des – für den Steuerpflichtigen günstigen – negativen Progressionsvorbehalts wird durch § 2a Abs. 1 EStG verhindert. § 2a EStG hat damit nicht nur negative Auswirkungen auf die Bemessungsgrundlage, sondern gleichfalls auf die Höhe des Steuersatzes. Merke: Positive und negative Auslandseinkünfte dürfen nur für bestimmte Einkunfts(unter)arten uneingeschränkt ausgeglichen werden. Die folgende Übersicht zeigt, in welchen Fällen ein uneingeschränkter Verlustausgleich möglich ist: x negative Einkünfte aus einer im Ausland belegenen gewerblichen Betriebsstätte (§ 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG), x Verluste aus der Teilwertabschreibung eines zu einem Betriebsvermögen gehörenden Anteils an einer ausländischen Kapitalgesellschaft (§ 2a Abs. 1 Nr. 3 Bst. a EStG), 36

In der Richtlinie 2003/123/EG wurde die ursprüngliche Mutter-Tochter-Richtlinie (90/435/EWG) geändert, indem eine stufenweise Absenkung des Beteiligungsschwellenwerts festgelegt wurde. Die Mindesthöhe einer Beteiligung zur Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie verringert sich demnach von ursprünglich 25 % (bis zum 31.12.2004) über 20 % (01.01.2005 bis 31.12.2006) und 15 % (01.01.2007 bis 31.12.2008) auf 10 % (ab 01.01.2009).

37

Bis 1998 bestand die Möglichkeit, durch DBA freigestellte ausländische Betriebsstättenverluste im Inland zu berücksichtigen (§ 2a Abs. 3, 4 EStG a.F.). Diese Regelung wurde durch das StEntlG 1999/2000/2002 v. 24.03.1999 (BGBl. I 1999, S. 402) aufgehoben.

38

Vgl. BFH v. 25.05.1970, I-R-109/68, BStBl. II 1970, S. 660.

56

Behandlung negativer ausländischer Einkünfte x Verluste aus der Veräußerung, Entnahme oder Kapitalherabsetzung des Anteils an einer ausländischen Körperschaft (§ 2a Abs. 1 Nr. 3 Bst. b EStG), x Verluste aus der Veräußerung einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung i.S.d. § 17 EStG an einer ausländischen Kapitalgesellschaft (§ 2a Abs. 1 Nr. 4 EStG).

Ein uneingeschränkter Verlustausgleich wird für die aufgezählten Einkünfte allerdings nur gewährt, wenn die Aktivitätsklausel des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG erfüllt ist. Diese schreibt vor, dass die ausländische Betriebsstätte bzw. Kapitalgesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich, d.h. zu mindestens 90 %39, bestimmte „aktive“ Tätigkeiten ausüben muss. Für alle anderen negativen Einkünfte, die der Katalog des § 2a Abs. 1 EStG aufführt, gelten Beschränkungen, da diese Verluste als nicht förderungswürdig angesehen werden und somit die inländische Bemessungsgrundlage nicht mindern sollen: x Der Verlustausgleich ist nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art zulässig, d.h. die positiven Einkünfte müssen unter dieselbe Nummer des Katalogs fallen = Quellenidentität. x Es ist nur möglich, Einkünfte zu verrechnen, die aus demselben Staat stammen (per-country-limitation) = Staatenidentität. x Die Beschränkungen des Ausgleichs zwischen negativen und positiven Auslandseinkünften gelten auch für den Verlustausgleich nach § 10d EStG.

negative ausländische Einkünfte uneingeschränkter Verlustausgleich § 2a Abs. 2 EStG 9 Aktivitätsklausel beachten

eingeschränkter Verlustausgleich § 2a Abs. 1 EStG 9 Quellenidentität 9 Staatenidentität 9 Beschränkungen gelten auch für Verlustvortrag nach § 10d EStG

Beispiel

Abbildung 20:

39

Beschränkung des Verlustausgleichs i.S.d. § 2a EStG

Berücksichtigung ausländischer Verluste aus Nicht-DBA-Staaten Harry Klein erzielt im Jahr 01 inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 110.000 €. Außerdem erwirtschaftet er negative Einkünfte aus einer aktiv tätigen Betriebsstätte i.H.v. 45.000 € im Staat A. Aus der Vermietung eines Wohnhauses im Staat B entsteht Harry Klein ein Verlust i.H.v. 8.000 €.

Vgl. BFH v. 30.08.1995, I-R-77/94, BStBl. II 1996, S. 122.

Lösung

Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland

57

Das zu versteuernde Einkommen in Deutschland ergibt sich aus den inländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb abzüglich des Verlustes aus Gewerbebetrieb im Staat A, da die Betriebsstätte eine aktive Tätigkeit ausübt. Die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus Staat B können bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte nicht nach § 2a EStG erfasst werden; die Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts (§ 32b EStG) ist für diese Verluste ebenfalls nicht möglich. Harry Klein kann diese Verluste lediglich in den folgenden Jahren mit positiven Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die aus Staat B stammen, ausgleichen.

3 Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland 3.1 Einführung in die Problematik Im Falle der beschränkten Steuerpflicht richtet sich der staatliche Besteuerungsanspruch auf im Inland belegene Quellen, d.h. das Besteuerungsrecht des Staates knüpft an die sachliche Beziehung eines verwirklichten Tatbestandsmerkmals zum inländischen Territorium an (Quellenbesteuerung). Merke: Der beschränkten Steuerpflicht werden nur Einkünfte aus im Inland verwirklichten objektiven Tatbeständen (§ 1 Abs. 4 EStG) unterworfen. Ausländische Einkünfte werden nicht berücksichtigt (Territorialitätsprinzip). Die beschränkte Steuerpflicht umfasst bei natürlichen Personen inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG. Der Umfang der Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Körperschaften bestimmt sich nach den inländischen Einkünften, die in §§ 2, 7 ff. KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG genannt werden. Aufgrund der Anknüpfung an objektive Tatbestände werden die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht berücksichtigt (§ 50 Abs. 1, 2 EStG). Diese soll der Steuerausländer in seinem Wohnsitzstaat geltend machen. Insofern weist die Quellenbesteuerung einen objektsteuerlichen Charakter auf.

3.2 Grenzpendler 3.2.1

Diskriminierungsverbot

Unter der Bezeichnung „Grenzpendler“ versteht man Personen, die im Ausland wohnen und somit im Inland weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, aber „arbeitstäglich“ ins Inland einpendeln, um hier ihrer Arbeit nachzugehen. Dabei kann es sich sowohl um selbständige Unternehmer (Gewerbetreibende, Freiberufler) als auch um

58

Grenzpendler

Arbeitnehmer handeln. Wegen ihrer täglichen Rückkehr ins Ausland sind sie in Deutschland beschränkt, in ihrem Heimatstaat unbeschränkt steuerpflichtig. Aufgrund der beschränkten Steuerpflicht werden in Deutschland persönliche Aspekte (Existenzminimum, Sonderausgaben etc.) grundsätzlich nicht berücksichtigt, da dies im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht erfolgen sollte. In ihrem Heimatstaat erzielen die Grenzpendler üblicherweise jedoch kein oder nur ein sehr niedriges Einkommen, so dass ihre persönlichen Umstände auch dort – mangels steuerpflichtigen Einkommens – steuerlich nicht berücksichtigt werden können. Die Bestimmungen der beschränkten Steuerpflicht wirken sich daher negativ auf das Recht der Freizügigkeit der Arbeit aus und diskriminieren Grenzpendler. Ohne besondere steuerliche Vorschriften wären Grenzpendler benachteiligt, so dass ein Verstoß gegen die Grundsätze des EU-Rechts vorläge. Art. 39 EG-Vertrag bestimmt: Das Recht eines Mitgliedsstaats, die Voraussetzungen und Modalitäten der Besteuerung der in seinem Hoheitsgebiet von Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaats erzielten Einkünfte festzulegen, kann insoweit eingeschränkt werden, als es einem Mitgliedsstaat nicht erlaubt ist, Staatsangehörige eines anderen Mitgliedsstaats bei der Erhebung von direkten Steuern schlechter zu behandeln als eigene Staatsangehörige, soweit sie sich in der gleichen Lage befinden. Für die (Neu)Formulierung des Diskriminierungsverbots war das „Schumacker-Urteil“40 grundlegend: Der belgische Staatsangehörige Roland Schumacker wohnte mit seiner Ehefrau sowie seinem Kind in Belgien. Er bezog aus der Ausübung einer nichtselbständigen Tätigkeit in Deutschland ein Gehalt, welches das einzige Einkommen der Familie darstellte. Die Besteuerung in Deutschland richtete sich nach §§ 50, 50a EStG. Der Kläger beantragte beim FA/ FG/ BFH/ EuGH, ihn aus Billigkeitsgründen nach dem Splitting-Tarif (Steuerklasse III) zu besteuern. Problem: Da der Steuerpflichtige in keinem der beiden Länder die steuerliche Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse erreichen konnte, fiel er somit in die Lücke zwischen Wohnsitz- und Quellenstaatsbesteuerung. Der EuGH gab dem Kläger Recht und forderte Deutschland auf, dafür zu sorgen, dass der Kläger alle Vorteile der unbeschränkten Steuerpflicht in Anspruch nehmen könne, obwohl er im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe.

40

Vgl. Rs. SCHUMACKER, EuGH v. 14.02.1995, C-279/93, DB 1995, S. 407 ff.

Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland

3.2.2

59

Fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht

Nach Maßgabe des „Schumacker-Urteils“ wurde eine Sonderregelung in das EStG eingefügt, welche sich in ihrer Zielsetzung auf alle beschränkt Steuerpflichtigen erstreckt, die den wesentlichen Teil ihrer Einkünfte in Deutschland erwirtschaften. Unter der Voraussetzung, dass 9 mindestens 90 % der Gesamteinkünfte des beschränkt Steuerpflichtigen der deutschen Einkommensteuer unterliegen, oder 9 die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte 6.136 € nicht übersteigen, können natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, soweit sie inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielen (§ 1 Abs. 3 EStG). Dies gilt unabhängig von der Nationalität der betreffenden Steuerpflichtigen. Mit der Beschränkung auf 6.136 € für Auslandseinkünfte trägt der Gesetzgeber dem Gedanken des Existenzminimums Rechnung, welches ein Steuerpflichtiger in seinem Wohnsitzstaat zum Lebensunterhalt benötigt. Merke: Eine beschränkt steuerpflichtige natürliche Person kann, soweit die gesetzlichen Bedingungen erfüllt werden, nach § 1 Abs. 3 EStG auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden (fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht). Dadurch haben Personen, die auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 EStG im Wesentlichen Anspruch auf dieselben die Bemessungsgrundlage mindernden Vorschriften wie Inländer. Darüber hinaus besteht aber das Problem, dass das deutsche EStG Begünstigungen enthält, die nicht nur die unbeschränkte Steuerpflicht des Einkünfteerzielers selbst voraussetzen, sondern auch die unbeschränkte Steuerpflicht des Ehegatten.41 Bei Grenzpendlern ist dies aber gerade nicht der Fall, so dass diese Vergünstigungen – ohne weitere Regelungen – nicht gewährt werden könnten.

41

Die Begünstigung nicht im Inland gemeldeter Kinder ist durch die Streichung des Haushaltsfreibetrages gem. § 32 Abs. 7 EStG im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 v. 29.12.2003 (BGBl. I 2003, S. 3076) auch im § 1a EStG mit Wirkung ab VZ 2004 gestrichen worden.

60

Grenzpendler

Familienspezifische Begünstigungen

Voraussetzung

Zusammenveranlagung mit Splittingtabelle Unbeschränkte Steuerpflicht des Ehe(§ 26 Abs. 1 EStG) partners Realsplitting Unbeschränkte Steuerpflicht des Ehe(§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) partners Die Gewährung dieser subjekt- und familienspezifischen Sonderregelungen ist hierbei durch die Einführung von § 1a EStG ermöglicht worden. Diese sind allerdings beschränkt auf Staatsangehörige von EU-Mitgliedsstaaten. Die Ausgestaltung der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht von EU-Familienangehörigen nach § 1a EStG zeigt die folgende Abbildung.

Privilegien für EU-Bürger (§ 1a EStG)

Abbildung 21:

Ausl. Ehegatte wird im Inland als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt

Splittingtarif (§ 26 Abs. 1 EStG)

Realsplitting (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG)

Geschiedener oder dauernd getrennt lebender ausl. Ehegatte gilt im Inland als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig

Fiktive unbeschränkte Steuerpflicht von EU-Familienangehörigen

Die folgende Aufzählung stellt dar, welche Regelungen zur Minderung der Bemessungsgrundlage Grenzpendlern i.S.v. § 1 Abs. 3 EStG zugebilligt werden. Darüber hinaus zeigt sie die genannten besonderen Privilegien für Staatsangehörige von EU-Mitgliedsstaaten (§ 1a EStG). Besteuerung der Grenzpendler aus Drittstaaten (§ 1 Abs. 3 EStG) 9Sonderausgaben 9Außergewöhnliche Belastungen 9Kindergeld/ Kinderfreibetrag 9Grundfreibetrag

Zusätzliche Privilegien für EU-Bürger (§ 1a EStG) 9Zusammenveranlagung mit Splittingtarif (§ 26 Abs. 1 EStG) 9Realsplitting (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG)

Die den Grenzpendlern zugebilligten Regelungen (§ 1 Abs. 3 EStG) dürfen sowohl von Staatsangehörigen eines Drittstaats als auch von EU-Bürgern angewandt werden. Die Sonderrechte des § 1a EStG können allerdings nur von EU-Staatsangehörigen in Anspruch genommen werden. Mit der Osterweiterung der EU sind folglich (nahezu) alle Grenzpendler betroffen.

Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland

61

Regelungskreis der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht Staatsangehörige von Drittstaaten

EU-Bürger

Anwendung von § 1 Abs. 3 EStG

9

9

Anwendung von § 1a EStG

-

9

Abbildung 22:

Anwendungskreis der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht

Die Begünstigungen des § 1a EStG können nur von Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden, die Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der EU sind und die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG erfüllen. Im Gegensatz zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht gem. § 1a EStG sind die nach § 1 Abs. 3 EStG gewährten Maßnahmen zur Minderung der Bemessungsgrundlage subjektbezogen, d.h. sie gelten lediglich für die Person des fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtigen selbst. Der Bestimmung des § 1a EStG liegt demnach die Vorschrift des § 1 Abs. 3 EStG zugrunde, dieser geht aber über den Regelungskreis der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) hinaus. Insoweit stellt § 1a EStG einen Sonderfall von § 1 Abs. 3 EStG dar. Anspruchsberechtigte Personen

Ehegatte

Steuerpflichtiger



9

9

9 Steuerpflicht im Inland

Fiktive unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG

Abbildung 23:

Sonderregelungen gem. § 1a EStG

Verhältnis zwischen § 1 Abs. 3 EStG und § 1a EStG

62

Beschränkt steuerpflichtige Einkünfte

Anhand des Umfangs der Steuerpflicht sowie der Modalitäten der Besteuerung im deutschen Einkommensteuerrecht lassen sich für natürliche ausländische Personen drei Kategorien unterscheiden:

Besteuerung einer ausländischen natürlichen Person im Inland

beschränkte Steuerpflicht § 1 Abs. 4 EStG

9 Im Ausland ansässiger Steuerpflichtiger, der im Inland Einkünfte erzielt

fiktive unbeschränkte Steuerpflicht § 1 Abs. 3 EStG

9 Bürger eines Drittstaats oder EU-Mitgliedsstaats 9 Inländisches Einkommen > 90 % oder ausländische Einkünfte < 6.136 € 9 Bürger eines EU-Mitgliedsstaats

Sonderregelungen § 1a EStG

9 Inländisches Einkommen > 90 % oder ausländische Einkünfte < 6.136 € 9 Einbeziehung des Ehegatten

Abbildung 24:

Regelungen für Steuerausländer nach §§ 1 Abs. 3, 1a EStG

3.3 Beschränkt steuerpflichtige Einkünfte Der Gesetzgeber hat in § 1 Abs. 4 EStG bzw. §§ 2, 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 EStG festgelegt, an welche inländischen Tatbestände er die Besteuerung knüpft. Voraussetzung ist eine sachliche Beziehung des Steuertatbestands bzw. Steuerguts mit dem inländischen Territorium (Territorialitätsprinzip). Die Art und Weise der Besteuerung und die Besonderheiten der Steuererhebung ergeben sich aus §§ 50, 50a EStG. Die abschließende Aufzählung inländischer Einkünfte i.S.d. beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 49 Abs. 1 EStG lehnt sich im Aufbau an § 2 Abs. 1 EStG an, enthält aber für die einzelnen Einkunftsarten weitere Anknüpfungsmerkmale, die den Inlandsbezug konkretisieren sollen. Der beschränkten Steuerpflicht unterliegen nach § 49 Abs. 1 EStG: x

Einkünfte aus einer im Inland betriebenen Land- und Forstwirtschaft (Nr. 1),

Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland

63

x

Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Nr. 2), – wenn sie mittels einer im Inland unterhaltenen Betriebsstätte (§ 12 AO) erzielt werden (Bst. a), – wenn dafür ein ständiger Vertreter (§ 13 AO) bestellt ist (Bst. a), – in den Sonderfällen Schifffahrt und Luftverkehr (Bst. b, c), – bei künstlerischen, sportlichen, artistischen oder ähnlichen Darbietungen (Bst. d)42, – im Falle der Veräußerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft i.S.d. § 17 EStG, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland hat (Bst. e) oder – bei Veräußerung von unbeweglichem Vermögen, Sachinbegriffen oder Rechten in bestimmten Fällen (Bst. f).

x

Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist oder für die im Inland eine feste Einrichtung oder eine Betriebsstätte unterhalten wird (Nr. 3),

x

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Nr. 4), – die im Inland ausgeübt oder verwertet wird (Bst. a), – dazu zählen auch Vergütungen für die Tätigkeit als Geschäftsführer, Prokurist oder Vorstandsmitglied einer Gesellschaft, die in Deutschland ansässig ist (Bst. c).

x

Einkünfte aus Kapitalvermögen (Nr. 5), und zwar: – Dividenden und Gewinnanteile, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat (Bst. a), – Zinsen aus Forderungen mit dinglicher Sicherheit an im Inland belegenen Grundstücken oder grundstücksgleichen Rechten oder Schiffen, die im inländischen Schiffsregister eingetragen sind (Bst. c, DBst. aa), – Einnahmen aus der Veräußerung von Zins- und Dividendenscheinen (Bst. c, DBst. cc).

Merke: Andere Zinseinnahmen, insbesondere Zinsen aus Guthaben bei Kreditinstituten sowie aus nicht dinglich gesicherten privaten Forderungen stammende Zinsen, sind bei beschränkt Steuerpflichtigen in Deutschland nicht steuerpflichtig. x

42

Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wenn das unbewegliche Vermögen, die Sachinbegriffe oder Rechte im Inland belegen sind (Nr. 6).

Zu Fragen bzgl. Ausübung oder Verwertung einer Tätigkeit als Künstler oder Berufssportler hat die Finanzverwaltung in einem Erlass Stellung genommen, vgl. BMF v. 23.01.1996, IV B 4 – S 2303 – 14/96, BStBl. I 1996, S. 89, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 1, § 50a/2.

64

Steuererhebung bei beschränkt Steuerpflichtigen x

Sonstige Einkünfte in den aufgelisteten Fällen: – Wiederkehrende Bezüge, soweit sie dem Steuerabzug unterliegen (Nr. 7), – Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften hinsichtlich inländischer Grundstücke und vergleichbarer Rechte (Nr. 8), – Einkünfte aus Leistungen, die zu keiner anderen Einkunftsart gehören, z.B. aus der gelegentlichen Vermittlung und Vermietung beweglicher Gegenstände, insbesondere Erfindungen, Patente, Know-how (Nr. 8a).

3.4 Steuererhebung bei beschränkt Steuerpflichtigen In den meisten Fällen wird bei beschränkt Steuerpflichtigen zur Erhebung der Steuer der Steuerabzug an der Quelle gem. §§ 38, 43, 50a EStG angewandt. Eine Veranlagung entfällt in den meisten Fällen, da die inländische Steuer mit dem Steuerabzug als abgegolten gilt (§ 50a i.V.m. § 50 Abs. 5 EStG). Ein Veranlagungsverfahren wird nur nach Maßgabe des § 50 EStG durchgeführt.

3.4.1

Steuerabzug

3.4.1.1 Das Verfahren

Beispiel

Zur Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts wird der Steueranspruch oftmals nur im Wege des Abzugsverfahrens geltend gemacht. Der im Inland ansässige Schuldner der Vergütung führt einen Teil des von ihm zu zahlenden Betrags direkt im Namen und auf Rechnung des beschränkt Steuerpflichtigen an das Finanzamt ab. Der Steuerpflichtige muss keine Steuererklärung abgeben und wird auch nicht veranlagt. Die drei Tenöre Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras gerieten im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den Konzertveranstalter Michael Hoffmann in die Schlagzeilen. Dieser wurde wegen Steuerhinterziehung angeklagt, da er die „Künstlersteuer“ gem. § 50a EStG für die Tenöre in Form eines Steuerabzugs von den Gagen nicht abgeführt hat (§§ 49 Nr. 2 Bst. d, 50a Abs. 4 Nr. 1 EStG).43

Merke: Der Steuerabzug stellt eine spezielle Form der Steuererhebung bei bestehender Steuerpflicht dar, kann aber selbst keine eigene Steuerpflicht begründen. Lässt sich ein Sachverhalt nicht unter die in § 49 EStG genannten Tatbestände subsumieren, unterliegt er folglich nicht der beschränkten Steuerpflicht. Somit darf auch kein Quellensteuerabzug durchgeführt werden, selbst wenn ein Tatbestand i.S.d. § 50a EStG erfüllt wird.

43

Vgl. BGH v. 05.04.2000, 5-StR-226/99, HFR 2001, S. 289.

Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland

65

Die Anwendung des Abzugsverfahrens für beschränkt Steuerpflichtige findet in allen Fällen statt, in denen auch im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht ein Quellensteuerabzug vorgesehen ist: x Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 38 Abs. 1 Satz 1, § 39d EStG),44 x Einkünfte aus Kapitalvermögen (§§ 43 ff. EStG). Bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern richtet sich der Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse I (§ 39d EStG). Für die Höhe der Kapitalertragsteuer ist § 43a EStG maßgeblich. Zusätzlich schreibt § 50a EStG die Verpflichtung zum Steuerabzug für beschränkt Steuerpflichtige in weiteren Fällen vor: x Aufsichtsratsvergütungen (Abs. 1), x Einkünfte aus bestimmten künstlerischen, sportlichen, schriftstellerischen und journalistischen Tätigkeiten, die im Inland ausgeübt oder verwertet werden, soweit es sich nicht um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit handelt, die dem Lohnsteuerabzug unterliegen (Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 2 EStG), x Einkünfte aus der Nutzung beweglicher Sachen, z.B. Leasing, und der Überlassung der Nutzung von Rechten, z.B. Urheberrechte, gewerbliche Schutzrechte, Know-how (Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG), x Steuerabzug auf Anordnung des Finanzamts im Einzelfall (Abs. 7). Die Höhe des pauschalierten Abzugssteuersatzes variiert nach den Einkunftsarten. Er beträgt: x 30 % für Aufsichtsratsvergütungen (§ 50a Abs. 2 EStG), x 25 % in den in § 50a Abs. 4 EStG genannten Fällen (§ 50a Abs. 4 Satz 4 EStG), x für Einnahmen aus im Inland ausgeübten künstlerischen, sportlichen, artistischen oder ähnlichen Darbietungen gilt eine Minderungsregelung, d.h. pauschale Steuersätze in Abhängigkeit von der Höhe der Einnahmen (§ 50a Abs. 4 Satz 5 EStG). Merke: Der Steuerabzug wird vom Bruttobetrag vorgenommen (§ 50a Abs. 4 Satz 2, 3 EStG): Dem Steuerabzug unterliegt der volle Betrag der Einnahmen. Die mit diesen Einnahmen zusammenhängenden Aufwendungen können die Bemessungsgrundlage nicht mindern.

Aufgrund der Bruttobesteuerung hat der eigentlich niedrig anmutende Steuersatz von 25 % eine erhebliche Auswirkung, wenn Betriebsausgaben oder Werbungskosten anfallen:

44

Hierzu hat die Finanzverwaltung in einem Schreiben mit Fallbeispielen Einzelheiten geregelt, vgl. BMF v. 23.01.1996, IV B 4 – S 2303 – 14/96, BStBl. I 1996, S. 89.

66

Steuererhebung bei beschränkt Steuerpflichtigen Einnahmen

Ausgaben

Steuer bei NETTO-Rechnung

100.000 €

0€ 25.000 € 50.000 € 75.000 € 100.000 €

25,00 % 33,33 % 50,00 % 100,00 % > 100,00 %

Wird von einem Anteil der Betriebsausgaben von 50 % ausgegangen, beträgt der Steuersatz netto 50 %. Aufgrund der aus dieser Tatsache resultierenden hohen Steuerbelastung treten ausländische Künstler wie z.B. Michael Jackson nur sehr ungern in Deutschland auf. Aufgrund dieser hohen Belastungswirkungen sieht § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 Satz 3 EStG zur Vermeidung einer Überbesteuerung eine Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer vor, soweit die Steuer 50 % des Unterschiedsbetrags zwischen den Einnahmen und den damit in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben oder Werbungskosten übersteigt. Durch das „Gerritse“-Urteil des EuGH45 ist allerdings abweichend von § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 EStG nicht mehr Voraussetzung, dass die mit den Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben oder Werbungskosten die Hälfte der Einnahmen übersteigen. Die Steuer wird auf Antrag bereits dann erstattet, soweit sie den Betrag übersteigt, der sich bei Anwendung des tariflichen Steuersatzes nach § 32a Abs. 1 EStG auf die um den Grundfreibetrag erhöhten Einkünfte ergibt.46 Im DBA-Fall regeln die Bestimmungen des Abkommens, für welche Einkünfte dem Quellenstaat das Besteuerungsrecht zusteht. Allerdings ist auch in diesem Fall zunächst der Steuerabzug gem. § 50d Abs. 1 EStG vorzunehmen. In einem zweiten Schritt kann der Steuerpflichtige dann die Erstattung beantragen.47 § 50d Abs. 2 EStG sieht jedoch auch eine Freistellung vom Steuerabzug vor, sofern eine entsprechende Freistellungsbescheinigung vom Bundesamt für Finanzen vorliegt.

45

Vgl. Rs. GERRITSE, EuGH v. 12.06.2003, C-234/01, IStR 2003, S. 458.

46

Vgl. BMF v. 03.11.2003, IV A 5 – S 2411 – 26/03, BStBl. I 2003, S. 535, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 1, § 50a/6.

47

Zum Verfahren zur Entlastung eines ausländischen Anteilseigners von der deutschen Quellensteuer; vgl. BMF v. 01.03.1994, IV C 5 – S 1300 – 49/94, BStBl. I 1994, S. 203.

Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland

67

3.4.1.2 Abgeltungswirkung § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG: „Die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn oder vom Kapitalertrag oder dem Steuerabzug auf Grund des § 50a unterliegen, gilt bei beschränkt Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug als abgegolten.“

Der Steuerabzug bewirkt, dass mit der Einbehaltung der Steuer an der Quelle die steuerlichen Pflichten aus der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland erfüllt sind. Die im Abzugswege erhobene Steuer kann daher nicht auf die übrige in Deutschland erhobene Steuer angerechnet werden.48 Folglich findet für die dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte keine (weitere) Veranlagung statt. Merke: Die im Abzugsverfahren erhobene Steuerbelastung ist für beschränkt Steuerpflichtige definitiv.

Die Abgeltungswirkung gilt nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG auch für beschränkt steuerpflichtige Körperschaften. Merke: Das Steuerabzugsverfahren dient der Sicherung des deutschen Steueraufkommens. Die Abgeltungswirkung i.S.d. § 50 Abs. 5 EStG übt, insbesondere für die Finanzverwaltung, eine (Verwaltungs-)Vereinfachungsfunktion aus.

Für einige Einkunftsarten sieht § 50 Abs. 5 Satz 2 EStG eine Ausnahme vor, bei denen die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs nicht definitiv ist. In solchen Fällen wird zur Ermittlung der Steuerschuld ein Veranlagungsverfahren angewendet, dem die Einkünfte, nicht die Einnahmen, unterliegen.

3.4.2

Veranlagungsverfahren

Für beschränkt Steuerpflichtige, die keine dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte erzielen, sieht das Gesetz die Steuererhebung durch Veranlagung vor. Im Veranlagungsverfahren werden die Einkünfte, nicht die Einnahmen versteuert. Das Veranlagungsverfahren wird insbesondere angewandt für Einkunftsarten, bei deren Erzielung der Steuerpflichtige eine intensive Beziehung zum Inland eingeht:

48

Aus diesem Grund war beschränkt Steuerpflichtigen die Anrechnung der Körperschaftsteuer nach dem alten Verfahren verwehrt, vgl. § 50 Abs. 5 Satz 2 EStG a. F., § 51 KStG a.F.

68

Steuererhebung bei beschränkt Steuerpflichtigen x x x x x x

3.4.3

Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG), Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG), Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG), in Ausnahmefällen bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG), Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG) sowie Sonstige Einkünfte (§ 49 Abs. 1 Nr. 8, 8a EStG).

Beispiel zur Veranlagung bei beschränkt steuerpflichtigen Einkünften

Alonzo Harris ist chilenischer Staatsbürger. In Valparaíso führt er einen Gewerbebetrieb, der auf die Herstellung von Lederwaren spezialisiert ist. Seit seiner Studienzeit in Heidelberg fühlt sich Alonzo Harris mit Deutschland besonders verbunden und kommt mehrmals im Jahr für ein paar Wochen nach Deutschland. Deshalb geht er hier gerne einigen geschäftlichen Aktivitäten nach: x

x

x

x

x

x

In Mannheim unterhält Alonzo Harris ein Warenlager für seine Lederprodukte. Da er keinen Angestellten hat, liefert er selbst die Waren aus. Die Verträge mit inländischen Geschäftspartnern schließt er jedoch vom Ausland aus ab. Gleichzeitig ist er Gesellschafter der Schie & Bung OHG mit Sitz in Potsdam. Die Gesellschaft produziert Gummibärchen mit Anlagen, die sie zu diesem Zweck von Alonzo Harris angemietet hat. Zum Betriebsvermögen seines chilenischen Einzelunternehmens gehört ein Einfamilienhaus in Freiburg. Dieses hat Alonzo Harris an eine deutsche Familie vermietet. Während des Veranlagungszeitraums veräußert er eine in seinem Privatvermögen befindliche Beteiligung i.H.v. 10 % am Nennkapital der Knaxs GmbH in Frankfurt. Diese hatte er vor zehn Jahren erworben. Der Veräußerungsgewinn beläuft sich auf 60.000 €. Da er vorübergehend einen Liquiditätsengpass hatte, war Alonzo Harris von April bis Juni auf einer Baustelle in München als Maurer angestellt. Für die Ausübung dieser Tätigkeit war ein Bruttolohn i.H.v. 5.000 € vereinbart. Seinem Freund Hans Müller hat er zur Errichtung eines Einfamilienhauses ein Darlehen gewährt, das durch eine Hypothek an dem Einfamilienhaus gesichert ist. Für dieses Darlehen erhält Alonzo Harris von seinem deutschen Freund Zinsen.

Lösung: Aufgrund der Angabe ist auszuschließen, dass Alonzo Harris gem. § 1 Abs. 1 EStG in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, da weder die Voraussetzungen eines Wohnsitzes (§ 8 AO) noch des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 9 AO) im Inland gege-

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ben sind. Alonzo Harris könnte jedoch der beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG unterliegen, wenn er inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt. Die Vorschriften des deutschen Einkommensteuerrechts regeln, wann ein Ausländer Einkünfte aus inländischen Quellen bezieht, an die das Gesetz die beschränkte Steuerpflicht knüpft. Grundsätzlich haben völkerrechtliche Regelungen, z.B. DBA, Vorrang vor Normen der nationalen Gesetzgebung. Daher kann nach Maßgabe eines DBAs der Umfang des Besteuerungsrechts von Deutschland als Quellenstaat eingeschränkt werden, selbst wenn nach § 49 EStG inländische Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht vorliegen. Da Alonzo Harris chilenischer Staatsbürger ist und zwischen Deutschland und Chile bislang kein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht, sind ausschließlich §§ 49 ff. EStG zu prüfen.

(1) Warenlager in Mannheim Alonzo Harris ist in Höhe der Einkünfte, die er aus dem Verkauf seiner Lederwaren erzielt, gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. a EStG in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig, da er eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO in Mannheim unterhält. Es ist unerheblich, dass er keinen ständigen Vertreter bestimmt hat und daher die Geschäftsabschlüsse vom Ausland aus abschließt. Maßgebend ist allein, dass sich im Inland eine feste Geschäftseinrichtung befindet, die der Tätigkeit eines Unternehmers dient (§ 12 AO).

(2) Mitunternehmerschaft Als Gesellschafter der Schie & Bung OHG in Potsdam ist Alonzo Harris Mitunternehmer i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Da die OHG als Personengesellschaft kein eigenständiges Steuersubjekt darstellt, wird nach dem Einheitsprinzip der Gewinn der Gesellschaft im Wege der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung (§ 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Bst. a AO) ermittelt und auf die Gesellschafter aufgeteilt. Alonzo Harris ist mit den im Rahmen der Mitunternehmerschaft erzielten Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. a EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Schie & Bung OHG wird als Personengesellschaft und damit als transparente Gesellschaft einer Betriebsstätte gleichgestellt. Die Alonzo Harris gehörenden Anlagen, welche zum unmittelbaren Einsatz im Betrieb bestimmt sind, werden seinem Sonderbetriebsvermögen I zugerechnet. Die dafür erzielten Mieteinnahmen gelten als gewerbliche Einkünfte gem. § 15 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 EStG und müssen ihm nach Maßgabe der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung vorab zugerechnet werden. Die Summe der aus der Mitunternehmerschaft an der Schie & Bung OHG erzielten Einkünfte von Alonzo Harris setzt sich daher zusammen aus:

70

Steuererhebung bei beschränkt Steuerpflichtigen Anteil am Gewinn der Schie & Bung OHG + Mieteinnahmen der überlassenen Anlagen = beschränkt steuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. a EStG)

(3) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Das im Inland belegene Einfamilienhaus gehört zum Betriebsvermögen des chilenischen Gewerbebetriebs von Alonzo Harris. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. a EStG wären die aus der Vermietung des Gebäudes erzielten Einkünfte nicht steuerpflichtig, da das Grundstück weder die in § 12 AO genannten Voraussetzungen einer Betriebsstätte erfüllt, noch ein ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO in Deutschland bestellt ist. In einem zweiten Schritt erfolgt die Prüfung nach Maßgabe der „Isolierenden Betrachtungsweise“ (§ 49 Abs. 2 EStG). Dabei werden die im Ausland gegebenen Besteuerungsmerkmale zur Klärung der Frage, ob inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG vorliegen, nicht beachtet. Stattdessen unterliegen die im Inland verwirklichten Sachverhalte „isoliert“ der Einzelfallbetrachtung. Die Tatsache, dass das vermietete Grundstück zu einem ausländischen Betriebsvermögen gehört, welche zum Ausscheiden der Einkünfte aus der beschränkten Steuerpflicht geführt hatte, bleibt nunmehr unberücksichtigt. Maßgebend ist vielmehr, dass das Gebäude im Inland belegen ist. Ob es im Ausland im Betriebsvermögen oder Privatvermögen gehalten wird, ist aufgrund der isolierenden Betrachtungsweise irrelevant. Da das Einfamilienhaus im Inland belegen ist, handelt es sich um beschränkt steuerpflichtige Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG.

(4) Veräußerung der Beteiligung Bei der Veräußerung der 10 % Beteiligung an der Knaxs GmbH, die dem Privatvermögen von Alonzo Harris zuzurechnen ist, handelt es sich um einen steuerbaren Tatbestand i.S.d. § 17 EStG, der nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. e EStG zur beschränkten Einkommensteuerpflicht führt. Veräußerungsgewinne beschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner unterliegen, wie inländische Anteilseigner auch, dem Halbeinkünfteverfahren. Der Veräußerungsgewinn wird daher, nach Maßgabe des § 3 Nr. 40 Bst. c EStG, bei der Ermittlung der Einkünfte nur zur Hälfte berücksichtigt. Allerdings darf Alonzo Harris nur 50 % der mit der Veräußerung in Zusammenhang stehenden Kosten (einschließlich der Anschaffungskosten) abziehen (§ 3c Abs. 2 EStG).

(5) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit Durch seine Tätigkeit als Maurer erzielt Alonzo Harris Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG. Da die Tätigkeit im Inland ausgeübt wird, unterliegen diese Einkünfte in Deutschland der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Die auf die Bruttoeinnahmen (Bruttorechnung!) entfallende Einkommensteuer wird direkt vom Ar-

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beitslohn abgezogen (§ 38 Abs. 1 EStG) und gilt nach § 50 Abs. 5 EStG als abgegolten. Für Alonzo Harris findet in der Folge insoweit keine weitere Veranlagung statt.

(6) Zinseinkünfte Die Zinsen stammen aus einer aufgrund der Hypothek durch inländischen Grundbesitz unmittelbar gesicherten Forderung i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Damit ist eine sachliche Verknüpfung zwischen dem inländischen Sachverhalt und dem Belegenheitsstaat Deutschland gegeben, welche zu beschränkt steuerpflichtigen Einkünften gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Bst. c DBst. aa EStG führt. Wäre das Darlehen nicht durch inländischen Grundbesitz gesichert, würden die Zinsen nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG fallen, so dass diesbezüglich keine beschränkte Steuerpflicht in Deutschland bestünde.

3.4.4

Sondervorschriften für die beschränkte Steuerpflicht im Veranlagungsfall

Im Gegensatz zur unbeschränkten Steuerpflicht gelten für beschränkt Steuerpflichtige gem. § 50 EStG das objektive und das subjektive Nettoprinzip nur in eingeschränktem Maß.

3.4.4.1 Einschränkung von Steuerermäßigungen § 50 Abs. 1 EStG normiert: x

Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4-8 EStG) oder Werbungskosten (§ 9 EStG) dürfen nur insoweit abgezogen werden, als sie mit inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Auch der Ansatz von Pauschbeträgen (§ 9a EStG) ist nicht zulässig. Diese Beschränkungen entsprechen dem objektiven Nettoprinzip.

x

Sonderausgaben (§ 10 EStG), Altervorsorgebeiträge (§ 10a EStG), sowie Pauschbeträge und Vorsorgepauschale nach § 10c EStG sind nicht abzugsfähig. Somit ist das subjektive Nettoprinzip eingeschränkt.

x

Ein Verlustausgleich (§ 10d EStG) ist nur mit inländischen Einkünften möglich, soweit diese nicht dem Steuerabzug unterliegen, oder es sich um Einkünfte aus dinglich gesicherten Forderungen sowie aus sonstigen Kapitalforderungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 5, 7 EStG) handelt (§ 50 Abs. 2 EStG).

x

Der Abzug des Freibetrags i.S.d. § 16 Abs. 4 EStG ist für Steuerausländer nicht vorgesehen.

72

Steuererhebung bei beschränkt Steuerpflichtigen x

Außergewöhnliche Belastungen (§§ 33, 33a, 33b, 33c EStG) werden grundsätzlich nicht berücksichtigt.

x

Der Sparerfreibetrag (§ 20 Abs. 4 Satz 1 EStG), der Altersentlastungsbetrag (§ 24a EStG), der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) und der Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 6 EStG) werden nicht gewährt.

Merke: Spenden i.S.d. § 10b EStG können auch von beschränkt Steuerpflichtigen angesetzt werden.

3.4.4.2 Tarifvorschriften Auch die Tarifvorschriften gelten nicht uneingeschränkt für Steuerausländer. Eine Steuerbegünstigung außerordentlicher Einkünfte nach § 34 EStG wird nur für Veräußerungsgewinne aus Land- und Forstwirtschaft (§ 14 EStG), aus Gewerbebetrieb (§ 16 EStG) und aus freiberuflichem Vermögen (§ 18 Abs. 3 EStG) gewährt49. § 50 Abs. 3 EStG postuliert die Anwendung der Grundtabelle für beschränkt Steuerpflichtige. Die Einkommensteuer beträgt mindestens 25 % des Einkommens. Begründet wird dies damit, dass nur die inländischen Einkunftsteile des Steuerausländers besteuert werden und so eine beschränkt steuerpflichtige natürliche Person steuerliche Vorteile dadurch erlangen könnte, dass die deutsche Einkommensteuer einem niedrigen Progressionsniveau unterliegt. In Anbetracht dessen, dass das Nettoprinzip nur eingeschränkt gilt, ist diese Argumentation äußerst fragwürdig.

Da die Vorschrift offensichtlich Staatsangehörige aus EU-Staaten im Vergleich zu Inländern schlechter stellt, wurde als Reaktion auf das „Gerritse“-Urteil des EuGH bestimmt, dass der Mindeststeuersatz von 25 % nur noch Anwendung findet, sofern es sich bei dem beschränkt Steuerpflichtigen nicht um einen Staatsangehörigen der EU/EWR handelt.50 Merke: Der Mindeststeuersatz von 25 % gem. § 50 Abs. 3 EStG findet auf beschränkt Steuerpflichtige, die Staatangehörige eines EU-/EWR-Staates sind, keine Anwendung mehr. Somit gilt der Mindeststeuersatz lediglich für beschränkt Steuerpflichtige aus Drittstaaten.

49

Veräußerungsgewinne nach § 17 EStG unterliegen dem Halbeinkünfteverfahren.

50

Vgl. BMF v. 10.09.2004, IV A 5 – S 2301 – 10/04, BStBl. I 2004, S. 860.

Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland

73

3.4.4.3 Abschließendes Beispiel zur beschränkten Steuerpflicht Freddy Schenk hat vor über zehn Jahren die Bundesrepublik Deutschland verlassen, um sich als Wildhüter zusammen mit seiner Freundin im Kongo eine neue Existenz aufzubauen. Sporadisch sucht er den Kontakt zu alten Freunden und seiner Familie in Deutschland. Außerdem erzielt er noch einige Einkünfte in seiner alten Heimat. Sein inländisches Vermögen setzt sich folgendermaßen zusammen: x ein bei der Commerzbank geführtes Depot, in dem er Aktien der Gorilla AG hält, x eine Eigentumswohnung in Berlin, die er an einen Bundestagsabgeordneten vermietet hat, x ein Sparkassenkonto, das mit einem Guthabenbetrag geführt wird, x eine Hochseeyacht am Starnberger See. Während des Veranlagungszeitraums haben sich folgende Sachverhalte zugetragen: (1) Die Gorilla AG hat eine Bruttodividende i.H.v. 7.500 € an Freddy Schenk ausgeschüttet. (2) Für das Konto werden ihm von der Sparkasse Zinsen i.H.v. 130 € gutgeschrieben. Außerdem erfährt Freddy Schenk von seinem privaten Kundenbetreuer, dass er angeblich „pauschale Kontoführungsgebühren“ einkommensteuerlich absetzen könne. (3) Da er in seiner Berliner Wohnung einige Reparaturen durchführen lassen musste, ist ihm ein Verlust i.H.v. 3.000 € entstanden. (4) Freddy Schenk musste sich aufgrund seiner Knieprobleme für zwei Wochen in die Behandlung eines deutschen Krankenhauses begeben. Die Rechnung für die ärztliche Behandlung beläuft sich auf 4.900 €. Wegen einer Sehbehinderung auf dem rechten Auge (30 %) möchte Freddy Schenk einen Behinderten-Pauschbetrag i.H.v. 310 € geltend machen. (5) Des Weiteren vermietet Freddy Schenk gelegentlich seine Hochseejacht am Starnberger See. Er erzielt einen Gewinn i.H.v. 12.000 €. (6) Aus Freude über das gutgehende Geschäft spendet Freddy Schenk 250 € an Greenpeace und erhält dafür eine Spendenbescheinigung.

Lösung: Einkommensteuerveranlagung

§ 1 Abs. 1 EStG regelt, dass nur natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz i.S.d. § 8 AO oder einen gewöhnlichen Aufenthalt gem. § 9 AO haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind. Aus der Angabe ist zu folgern, dass Freddy Schenk weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Es sind daher die Vorschriften über die beschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG anzuwenden. Die Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Personen richtet sich nach den Vorschriften der §§ 49 bis 50d EStG. Zwischen Deutschland und Kongo besteht kein DBA.

74

Steuererhebung bei beschränkt Steuerpflichtigen (1) Die Bruttodividende i.H.v. 7.500 € zählt zu den beschränkt steuerpflichtigen Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Bst. a EStG. Da Einkünfte aus Kapitalvermögen in Deutschland dem Quellensteuerabzug i.H.v. 20 % (§§ 43 ff. EStG) unterliegen, wurden bereits 1.500 € im Abzugswege einbehalten. Freddy Schenk erhielt eine Nettodividende i.H.v. 6.000 €. Mit dem Steuerabzug vom Kapitalertrag gilt die beschränkte Steuerpflicht nach § 50 Abs. 5 EStG als abgegolten. In der Folge findet für diese Einkünfte keine Veranlagung statt. Die Steuerbelastung i.H.v. 20 % wird somit bei Freddy Schenk definitiv. (2) Zinsen aus Bankguthaben sind wegen fehlender Nähe zum Belegenheitsstaat Deutschland keine inländischen Einkünfte i.S.d. beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Bst. c EStG). (3) Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus der Berliner Wohnung unterliegen nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG der beschränkten Steuerpflicht. Die Steuererhebung erfolgt nicht durch Steuerabzug, sondern durch Veranlagung. Da die damit zusammenhängenden Werbungskosten gem. § 50 Abs. 2 EStG zum Abzug zugelassen sind, kann Freddy Schenk die Reparaturkosten in Höhe von 3.000 € bei der Ermittlung der Einkünfte berücksichtigen. (4) Außergewöhnliche Belastungen nach § 33 bis 33c EStG werden im Rahmen der Veranlagung beschränkt Steuerpflichtiger nach § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht berücksichtigt. Freddy Schenk kann also weder die Arztrechnungen i.H.v. 4.900 € noch den Behinderten-Pauschbetrag i.H.v. 310 € geltend machen. (5) Die Vergütungen für die Vermietung der Hochseeyacht sind Sonstige Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG aufgrund der gelegentlichen Vermietung beweglicher Gegenstände (§ 22 Nr. 3 EStG) i.H.v. 12.000 €. Die Steuererhebung erfolgt durch Veranlagung. Es gilt somit das (eingeschränkte) Nettoprinzip. (6) Spenden i.S.d. § 10b EStG sind im Katalog der Sondervorschriften bei der Veranlagung beschränkt Steuerpflichtiger (§ 50 Abs. 1, 2 EStG) nicht miteinbezogen. Da ihm eine Spendenquittung ausgestellt wurde, kann Freddy Schenk den gespendeten Betrag i.H.v. 250 € bei der Ermittlung der Einkünfte steuermindernd berücksichtigen.

Ermittlung der Einkünfte im Rahmen des Veranlagungsverfahrens (§ 2 EStG): Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Sonstige Einkünfte Summe der Einkünfte Sonderausgaben z.v.E.

./. +

3.000 € 12.000 €

./.

9.000 € 250 € 8.750 €

Inbound-Besteuerung: Ausländer mit wirtschaftlichen Interessen im Inland

75

Ermittlung des Steuerbetrags (§ 32a Abs. 1 Sätze 2 und 6 EStG) (838,74 € x 0,1086 + 1.500 €) x 0,1086 = 173 € Sofern Freddy Schenk nicht Staatsangehöriger eines EU-/EWR-Mitgliedstaates im Veranlagungszeitraum ist, muss der Mindeststeuersatz nach § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG berücksichtigt werden. Demnach würde die Einkommensteuer mindestens 25 % des Einkommens betragen: 8.750 € x 0,25 = 2.187,50 € In diesem Fall würde sich somit die inländische Einkommensteuer für Freddy Schenk auf einen Betrag i.H.v. 2.187 € belaufen.

76

Entwicklung und Bedeutung von Vertragsmustern

Kapitel II: Funktionsweise von Doppelbesteuerungsabkommen 1 Einführung in das Recht der DBA 1.1 Entwicklung und Bedeutung von Vertragsmustern DBA sind eines der wichtigsten Instrumente zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Obwohl jedes Doppelbesteuerungsabkommen gesondert zwischen den Staaten verhandelt wird, ähneln sich viele der weltweit abgeschlossenen Abkommen. Dies liegt vor allem an der Orientierung der Vertragspraxis an den von internationalen Organisationen erarbeiteten Vertragsmustern. Diese Musterabkommen werden bei den Vertragsverhandlungen zugrunde gelegt, und die Vertragspartner weichen nur in jenen Bereichen von der Vorlage ab, in denen sie ihre speziellen wirtschaftspolitischen und rechtlichen Bedürfnisse berücksichtigen wollen. Durch dieses Vorgehen werden die Transaktionskosten der Verhandlungen gesenkt. Die Musterabkommen selbst entfalten keine unmittelbare Rechtswirkung, sondern haben nur empfehlenden Charakter.51 Bilaterale Abkommen existieren seit der späten Mitte des 19. Jahrhunderts.52 Das Abkommensnetz in Mitteleuropa wurde aber erst nach dem ersten Weltkrieg verstärkt ausgebaut. Vor allem der Völkerbund53 bemühte sich seit dieser Zeit um eine Angleichung der Abkommenspraxis und entwickelte u.a. zwei bilaterale Musterabkommen54. Die Grundsätze dieser Musterabkommen dienten der OECD als Grundlage für ein bilaterales Vertragsmuster, da die Doppelbesteuerung zunehmend als Hemmnis bei den sich intensivierenden internationalen Wirtschaftsbeziehungen erkannt wurde. Im Juli 196355 gelang es dem Steuerausschuss der OECD, ein Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und Vermögen zu präsentieren. Dieses OECDMusterabkommen (kurz: OECD-MA) sollte den Staaten als Verhandlungsgrundlage 51

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Vor Art. 1 MA, Rz. 34; Vogel, K./Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Einl., Rz. 35; Hundt, L., UN-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern, RIW 1981, S. 309.

52

Das erste DBA überhaupt wurde am 16.04.1869 zwischen Preußen und Sachsen über die direkten Steuern abgeschlossen. Im September 2005 waren laut OECD mehr als 2.500 Abkommen weltweit in Kraft.

53

Der Völkerbund entstand am 10.01.1920 mit Inkrafttreten des Versailler Vertrages als eine Vereinigung von Staaten zur Sicherung des Weltfriedens.

54

Lateinamerikanisches Musterabkommen von Mexiko 1943 und Europäisches Abkommensmuster von London 1946.

55

Vgl. OECD-MK, Einl., Rz. 6.

Einführung in das Recht der DBA

77

dienen, sowohl bei Neuabschlüssen als auch bei Revision der bereits bestehenden Abkommen. Ziel des Musterabkommens war eine größere Harmonisierung der bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten, indem auf einheitliche Begriffsbestimmungen, Systematik, Grundsätze und Auslegung bei Abschluss und Anwendung von DBA zurückgegriffen wurde. Zur Erläuterung des OECD-MA entwickelte die OECD einen Musterkommentar (kurz: OECD-MK). Dieser enthält auch Vorbehalte einzelner OECD-Mitgliedstaaten. Den dynamischen Entwicklungen im Bereich der Steuersysteme, der Organisation von internationalen Unternehmen, der Liberalisierung der Märkte und den vielseitigen Erfahrungen bei der bisherigen Anwendung des Abkommens wurde durch Revisionen des ursprünglichen Abkommens und des Kommentars 1977 und 1992 Rechnung getragen. Seit dem Musterabkommen des Jahres 1992 wird das Abkommen permanent und zeitnah angepasst. Die letzte Anpassung des OECD-MA sowie des OECD-MK erfolgte durch die vom OECD-Rat am 15. Juli 2005 genehmigten Änderungen. Merke: Die OECD hat zur Harmonisierung des internationalen Abkommensnetzes Vertragsmuster für DBA-Verhandlungen entwickelt (OECD-MA). Die einzelnen Artikel des OECD-MA werden durch den Musterkommentar der OECD erläutert (OECD-MK). Das OECD-MA hat für DBA zwischen Mitgliedstaaten der OECD stets eine maßgebliche Rolle gespielt. Die Musterabkommen haben nicht nur den Vertragsverhandlungen zugrunde gelegen, sondern die Mitgliedstaaten haben sich auch an den Aufbau und die Regelungssystematik des OECD-MA gehalten.56 Darüber hinaus hat das OECD-MA andere Abkommensmodelle stark beeinflusst. Die Mitglieder der OECD sind fast ausnahmslos westliche Industriestaaten mit gleicher wirtschaftlicher Interessenlage und einem nahezu ausgeglichenen Kapital-, Güter- und Dienstleistungsfluss. Hinzu kommt, dass die westlichen Industrienationen meist Kapitalexportländer sind und bei der Besteuerung das „Welteinkommen“ zugrunde legen. Diese wirtschaftliche und steuerliche Ausgangssituation liegt dem OECD-MA als Annahme zugrunde. Die Mitgliedstaaten der OECD haben daher gegen eine Einschränkung der Quellenbesteuerung zugunsten der Wohnsitzbesteuerung, wie es im OECD-MA praktiziert wird, nichts einzuwenden, weil durch diese Prinzipien im Allgemeinen kein Staat einseitig auf Steuereinnahmen verzichten muss. An der Grundannahme eines ausgeglichenen Wirtschaftsverkehrs fehlt es allerdings, wenn Wirtschaftsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern57 betrachtet werden. Hier führte eine Einschränkung der Quellenbesteuerung zu einer einseitigen Reduktion der Steuereinnahmen der Entwicklungsländer. 56

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Einl., Rz. 20 f.; Krabbe, H./ Scherer, T./ Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Vor Art. 1 MA, MK 12-15.

57

Als Entwicklungsländer gelten bspw. die in der Anlage zu § 5 KStDV genannten Länder.

78

Entwicklung und Bedeutung von Vertragsmustern

Daher haben einige lateinamerikanische Staaten 197158 ein Gegenmodell zum OECD-MA entwickelt, das der Interessenlage von Entwicklungsländern durch eine uneingeschränkte Quellenstaatsbesteuerung angepasst ist (Modell der Anden-Gruppe59). Zwar wurde die strikte Anwendung des Quellenprinzips im Laufe der Zeit etwas abgemildert, dennoch hat aber aufgrund der geringen Kompromissbereitschaft dieses Ansatzes das Modell der Anden-Gruppe kaum Anwendung gefunden.60 Zur Förderung von Entwicklungsländern hat die UNO 1979 ein Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erarbeitet und publiziert, das als Basis für Verhandlungen zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern dienen sollte. Da in der UNO sowohl Industriestaaten als auch Entwicklungsländer repräsentiert sind, war sie die geeignete Institution, um ein Abkommensmuster zu entwickeln. Das UN-Modell61 nähert sich dem OECD-MA stark an, weicht aber inhaltlich insofern ab, als dass es vor allem durch ein verstärktes Quellenbesteuerungsrecht die Entwicklungsländer als typische Kapitalimportländer fiskalisch begünstigt.62 In das UN-Musterabkommen wurde im Sinne einer Vereinheitlichung der Rechtsanwendung der Kommentar zum OECD-MA einschließlich der Bemerkungen zum Kommentar wörtlich übernommen, sofern weitgehende Regelungsidentität bestand. Die Vereinigten Staaten von Amerika verwenden für ihre Verhandlungen seit 1976 ein eigenes Modell, das im Aufbau dem OECD-MA gleicht, aber inhaltlich in einigen Punkten abweicht, um die Interessen der Vereinigten Staaten stärker zu berücksichtigen.63 Das USModell verwendet als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausschließlich die sog. Anrechnungsmethode und betont Maßnahmen, die eine „missbräuchliche“ Inanspruchnahme von DBA verhindern sollen.64 Die Maßnahmen zur Verhinderung der Steuerverkürzung gehen über die vom OECD-MA vorgesehenen Regelungen hinaus und sind fester Bestandteil der US-amerikanischen Abkommenspolitik. Am 20. September 1996 haben die USA ein neu überarbeitetes US-Modell veröffentlicht. 58

Damals Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru. Venezuela trat erst 1973 der AndenGruppe bei. Chile schied 1976 aus.

59

Heutige Bezeichnung: Anden-Gemeinschaft.

60

Vgl. Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 70.

61

Eine ausführliche Darstellung des UN-Modells mit Vergleich zum OECD-MA findet sich bei Surrey, S., United Nations Model Convention for Tax Treaties between Developed and Developing Countries, Vol. 5 der Schriftenreihe „Selected Monographs on Taxation“, hrsg. von Harvard Law School International Tax Program u. International Bureau of Fiscal Documentation, Cambridge, Massachusetts, Amsterdam 1980.

62

Vgl. Debatin, H., Handbuch der Vereinten Nationen für Verhandlungen über Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern, DB 1980, Beilage 15, S. 7.

63

Vgl. Shannon, H., Die Doppelbesteuerungsabkommen der USA, Heft 11 der Schriftenreihe „Münchener Schriften zum Internationalen Steuerrecht“, München 1987, S. 58 f.

64

Bereits der Titel des US-Modells verdeutlicht die Zielsetzung der US-Abkommenspolitik: „Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung“.

Einführung in das Recht der DBA

79

Merke: Trotz der Vereinheitlichungstendenzen weichen die einzelnen Abkommen der Länder meist in Details vom Musterabkommen ab. Um einen konkreten Fall beurteilen zu können, genügt es daher nicht, das Musterabkommen allein zu beherrschen. Es müssen sowohl das betroffene DBA selbst als auch Zusatzprotokolle etc. herangezogen werden. Die folgende Tabelle vermittelt einen Überblick über die wichtigsten Vertragsmuster mit ihren wesentlichen Eigenschaften.

Vertragsmuster

Beschränkung der Besteuerungsrechte und Vermeidung der Doppelbesteuerung x Einschränkung der Quellenbesteuerung zugunsten der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat

OECD-MA

x Falls dem Quellenstaat dabei ein Besteuerungsrecht verbleibt Æ Freistellungs- oder Anrechnungsmethode, je nach Ausmaß der Verknüpfung der jeweiligen Einkünfte zum Quellenstaat x Ähnlich zum OECD-MA

US-MA

Relevanz

DBA zwischen westlichen Industriestaaten (Grundannahme des ausgeglichenen Wirtschaftsverkehrs)

DBA der USA

(zur besonderen Berückx Aber: ausschließliche Verwendung sichtigung von USder Anrechnungsmethode Interessen) x Ähnlich zum OECD-MA

UN-Modell

x Aber: verstärktes Quellen- DBA mit Entwicklungsbesteuerungsrecht für Entwicklungs- ländern länder (zur besonderen Fördex dann Freistellungs- oder Anrech- rung derer Interessen) nungsmethode

Gering Modell der Anden- Weitestgehend uneingeschränkte Quel(Mangelnde KomproGruppe lenbesteuerung missbereitschaft)

80

Deutsche Abkommenspolitik

1.2 Deutsche Abkommenspolitik Die Bundesrepublik Deutschland verfügt auf dem Gebiet der Besteuerung vom Einkommen und Vermögen über ein dichtes Netz von DBA. Mit allen wichtigen Industrienationen, nahezu allen Ländern Europas65 und vielen Entwicklungsländern, die sich als bevorzugte Zielländer für deutsche Investitionen herauskristallisiert haben, wurden DBA abgeschlossen. Insgesamt sind derzeit 88 Abkommen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen in Kraft.66 Die Abkommen der BRD orientieren sich im Inhalt und Aufbau wesentlich am OECD-MA.67 Abweichungen erklären sich einerseits durch die unterschiedliche Zugehörigkeit des anderen Vertragsteils zu einer der drei Gruppen der Industrie- und Entwicklungsländer bzw. der Länder Süd- und Osteuropas und andererseits durch die spezifischen Ziele der deutschen Vertragspolitik.68 Vertragsverhandlungen zwischen Industrienationen sind durch eine weitgehende Parallelität der Zielvorstellungen gekennzeichnet. Solange die Wirtschaftsbeziehungen – wie zwischen vielen Industrienationen – symmetrisch geprägt sind, führt die gegenseitige Beschränkung von Besteuerungsrechten dazu, dass das DBA-Recht steueraufkommensneutral ist. Nur bei asymmetrischen Wirtschaftsbeziehungen verschiebt sich das Steueraufkommen zu Lasten eines Vertragspartners. Daher ist die deutsche Abkommenspraxis mit Entwicklungsländern durch ein verstärktes Quellenbesteuerungsrecht der Entwicklungsländer und durch die Aufrechterhaltung der Investitionsanreize, die Entwicklungsländer für den erwünschten und erforderlichen Kapitalimport setzen, gekennzeichnet. Die BRD erhält die Investitionsanreize durch eine ausgeweitete Anwendung der sog. Freistellungsmethode (erweiterte Betriebsstättendefinition)69 und durch das Instrument der fiktiven Anrechnung. Im Rahmen der fiktiven Anrechnung (sog. matching credit) wird nicht nur die in Entwicklungsländern gewöhnlich geringere Steuerbelastung angerechnet, sondern ein Betrag in Höhe der sonst entstehenden in-

65

Zwischen den Ländern der EU bestehen DBA auf Grundlage des OECD-MA; vgl. dazu auch EuGH v. 12.05.1998 – Rs. C-336/96, FR 1998, S. 849.

66

Eine Übersicht über den aktuellen Stand der DBA und der Doppelbesteuerungsverhandlungen findet sich im Schreiben des BMF v. 11.01.2006, IV B 5 – S 1301 – 1/06, BStBl. I 2006, S. 85.

67

Vgl. Lehner, M./ Reimer, E., Generalthema I: Quelle versus Ansässigkeit – Wie sind die grundlegenden Verteilungsprinzipien des Internationalen Steuerrechts austariert?, IStR 2005, S. 547, 550.

68

Vgl. BMF, Monatsbericht Januar 2004, Berlin 2004, S. 66; BMF v. 30.10.1991, IV C 5 – S 1300 – 227/91, EWS 1992, S. 74.

69

Durch eine erweiterte Betriebsstättendefinition werden weitere Geschäftseinrichtungen im Ausland als Betriebsstätte klassifiziert. Der ausländische Staat kann in der Folge auch deren Gewinne besteuern (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 OECD-MA). Deutschland wendet zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei Einkünften aus einer im Ausland gelegenen gewerblichen Betriebsstätte die Freistellungsmethode an, und dies bei einer erweiterten Betriebsstättendefinition somit umfassender.

Einführung in das Recht der DBA

81

ländischen Steuerschuld.70 Im Ergebnis lassen sich die deutschen DBA mit Entwicklungsländern zwischen dem OECD-MA und dem UN-Modell einordnen. Deutschland hat bspw. bei den Verhandlungen zum DBA mit der Volksrepublik China von 198571 das UN-Modell in Ergänzung zum OECD-MA als Muster zugrunde gelegt. In den Ländern Süd- und Osteuropas findet seit dem Ende des Kalten Krieges ein tiefgreifender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel statt. Das wirtschaftliche System wird von einer staatlich gelenkten Wirtschaft auf eine Marktwirtschaft umgestellt. Davon ist auch das Abgabensystem stark betroffen. DBA mit diesen Ländern berücksichtigen die sich aus dem Wandel ergebenden Besonderheiten. Die Ziele der deutschen Vertragspolitik stellen sich als Zielbündel dar, in dem die Vermeidung der Doppelbesteuerung lediglich ein Teilziel ist. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung soll die Aktivitäten internationaler Unternehmen schützen und eine Besteuerung entsprechend der Leistungsfähigkeit garantieren. Folgende Ziele spielen eine Rolle bei Vertragsverhandlungen: x

Wettbewerbspolitik: die Methoden der Vermeidung der Doppelbesteuerung (Anrechnung/Freistellung) orientieren sich an den wettbewerbspolitischen Überlegungen der Kapitalimport-/Kapitalexportneutralität. Deutschland wendet beide Methoden an. Für Einkünfte und Vermögensteile, die der ausländische Vertragspartner ausschließlich besteuert, bevorzugt Deutschland die Anwendung der Freistellungsmethode mit Progressionsvorbehalt als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Im Gegensatz zu den unilateralen Maßnahmen Deutschlands (insbes. Anrechnungsmethode) erfolgt somit keine Heraufschleusung auf das deutsche Steuerniveau. Durch die vorteilhaftere Freistellungsmethode in den deutschen DBA kommt Investitionen in DBA-Ländern eine besondere Bedeutung zu. Die Anrechnungsmethode findet in deutschen DBA vor allem Anwendung, wenn der Quellenstaat eine Quellensteuer erheben darf. Die Anwendung der Methoden auf deutscher Seite ist (zum Teil) unabhängig von der Anwendung durch den anderen Vertragsstaat. So sieht das DBA mit den USA amerikanischerseits ausschließlich das Anrechnungsverfahren vor, während auf deutscher Seite sowohl das Anrechnungsverfahren als auch die Freistellungsmethode normiert werden.

x

Fiskalische Interessen: ein weiteres Ziel der BRD besteht in der Sicherung des Steueraufkommens. Durch DBA verpflichten sich die Vertragsstaaten zur Beschränkung ihrer Besteuerungsrechte. Solange die bilateralen Wirtschaftsbezie-

70

Vgl. BMF v. 12.05.1998, IV C 6 – S 1301 – 18/98, DB 1998, S. 1258; BMF v. 30.10.1991, IV C 5 – S 1300 – 227/91, EWS 1992, S. 76.

71

Vgl. DBA-China v. 10.06.1985, BGBl. II 1986, S. 446, BStBl. I 1986, S. 329.

82

Deutsche Abkommenspolitik hungen ausgeglichen sind, führt eine eingeschränkte Quellenbesteuerung mit einer korrespondierend durch die Anrechnungsmethode ebenfalls eingeschränkten Wohnsitzbesteuerung nicht zu einem verminderten Steueraufkommen. Entscheidend für das Verhandlungsziel ist damit die Struktur der Wirtschaftsbeziehungen. x

Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung, Bekämpfung von Missbräuchen und Steueroasen: in zunehmendem Maße enthalten deutsche DBA Regelungen, die eine Einmalbesteuerung, z.B. bei Qualifikationskonflikten, sicherstellen sollen.72 Sog. subject-to-tax-Klauseln73 (Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung) bzw. sog. switch-over-Klauseln (Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode)74 sollen aus Sicht der Verhandlungspartner unerwünschte Steuerverkürzungen vermeiden. Bisher gingen Störungen des Wettbewerbs der Steuerrechte vor allem von einer begrenzten Zahl von Niedrigsteuerländern aus. Nach neueren Entwicklungen sind auch auf dem Territorium der Hochsteuerländer der EU steuersparende Gestaltungen möglich. Rein nationale Unternehmen werden durch diese Wettbewerbsverzerrungen benachteiligt mit der Folge, dass die Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefährdet ist. Bei zukünftigen Neuverhandlungen der DBA werden daher korrigierende Eingriffe zu erwarten sein.

Merke: Die deutschen DBA orientieren sich weitestgehend am OECD-MA. Abweichungen ergeben sich aus zwei wesentlichen Gründen: (1) Zugehörigkeit des Vertragspartners zu einer bestimmten Ländergruppe x Industrienationen (ausgeglichener Wirtschaftsverkehr) x Entwicklungsländer (verstärktes Quellenbesteuerungsrecht und Instrument des „matching credit“) x Länder Süd- und Osteuropas (Besonderheiten des Wandels hin zu marktwirtschaftlichen Systemen) (2) Ziele der deutschen Vertragspolitik x Wettbewerbspolitische Überlegungen (Kapitalimportund -exportneutralität) x Fiskalische Interessen (Sicherung des Steueraufkommens) x Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung und Bekämpfung von Missbrauch und Steueroasen 72

Vgl. BMF v. 30.10.1991, IV C 5 – S 1300 – 227/91, EWS 1992, S. 76.

73

Durch die „subject-to-tax“-Klausel erhält der eine Staat das Besteuerungsrecht „zurück“, wenn der andere Staat aufgrund fehlender innerstaatlicher Norm diesen Tatbestand nicht besteuern kann.

74

Erhebt der Quellenstaat keine Steuer, so werden beim Anrechnungsverfahren diese Einkünfte im Wohnsitzstaat der Besteuerung im Rahmen des Welteinkommens unterworfen, während bei der Freistellungsmethode diese unberücksichtigt bleiben („switch-over“-Klausel).

DBA als Völkerrecht: Rechtliche Besonderheiten

83

2 DBA als Völkerrecht: Rechtliche Besonderheiten 2.1 Rechtliche Grundlagen 2.1.1

Definition und Rechtsnatur eines DBA

Die einzelnen Staaten der Völkergemeinschaft sind in Bezug auf ihre Steuergesetzgebung und Steuerrechtsanwendung souverän. Dabei ist die Besteuerung wirtschaftlicher Aktivitäten völkerrechtlich zulässig, wenn der steuerliche Tatbestand eine tatsächliche Beziehung zum besteuernden Staat aufweist.75 Da davon ausgegangen werden kann, dass die einzelnen nationalen Steuergesetze völkerrechtskonform sind, widersprechen Doppelbesteuerungen, die aus dem Zusammenwirken mehrerer nationaler Steuergesetze entstehen, auch nicht geltendem Völkerrecht.76 Aufgrund der staatlichen Souveränität besteht ebenso die Möglichkeit, bestehende Besteuerungsansprüche bilateral zugunsten des Steuerpflichtigen einzuschränken, um Doppelbesteuerungen zu vermeiden. Das Recht der DBA stellt einen Teilbereich des Internationalen Steuerrechts i.e.S. dar. Es umfasst alle Rechtsnormen, deren Quelle die Doppelbesteuerungsabkommen sind.

Internationales Steuerrecht i.w.S.

Internationales Steuerrecht i.e.S.

Allgemeines Völkerrecht (ohne DBA)

Nationales Außensteuerrecht

Supranationales Recht (v.a. EU-Recht) Recht Recht der der DBA DBA

Abbildung 25:

Einordnung des Rechts der DBA in das Internationale Steuerrecht i.w.S.77

75

Vgl. BFH v. 16.12.1964, II-154-61-U, BStBl. III 1965, S. 135; BFH v. 18.12.1963, I-230-61-S, BStBl. III 1964, S. 254, 256 f.

76

Vgl. BFH v. 14.02.1975, VI-R-210/72, BStBl. II 1975, S. 498; BFH v. 18.12.1963, I-230-61-S, BStBl. III 1964, S. 257.

77

In Anlehnung an Scheffler, W., Besteuerung grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit, 2. Aufl., München 2004, S. 28.

84

Rechtliche Grundlagen

Vertragliche Vereinbarungen zwischen zwei Staaten mit dem Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung werden als Doppelbesteuerungsabkommen bezeichnet. Doppelbesteuerungsabkommen sind völkerrechtliche Verträge, deren Zustandekommen sich nach den Regeln des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) vom 23. Mai 1969 bestimmt.78 Durch ein DBA verpflichten sich zwei souveräne Staaten, ihre durch innerstaatliches Recht bestehenden Besteuerungsansprüche zu beschränken.79 DBA begründen keine Besteuerungsansprüche, sondern schränken bestehende innerstaatliche Besteuerungsrechte ein80, indem bestimmt wird, welche von mehreren kollidierenden Besteuerungskompetenzen zurückzutreten hat. DBA-Recht erfüllt die Funktion einer rechtlichen Schranke.81 Die vom Abkommen auferlegten Schranken können sich auf die Besteuerungsgrundlage oder lediglich auf die Besteuerungshöhe beziehen. Das Ausmaß der Schrankenwirkung bestimmt sich nach dem Grad der wirtschaftlichen Verknüpfung des Steuergutes mit den beteiligten Volkswirtschaften. Ob und inwieweit ein Staat von seinem durch ein DBA aufrechterhaltenen Besteuerungsrecht Gebrauch macht, richtet sich ausschließlich nach seinem innerstaatlichen Recht. Sind die innerstaatlichen Vorschriften weiter gefasst als die Regelung des DBA, so darf der Staat sein Besteuerungsrecht nur innerhalb der vom DBA gezogenen Grenzen ausüben. Sind hingegen die DBA-rechtlichen Regelungen weiter gefasst als die innerstaatlichen, so kann der Staat nur im Rahmen seiner nationalen Vorschriften besteuern. DBA können nach herrschender Meinung keine Besteuerungsrechte begründen. Merke: DBA können keine neuen innerstaatlichen Besteuerungsrechte schaffen. DBA können nur bestehende Besteuerungsrechte einschränken: Nationale Vorschriften > DBA

Ÿ

DBA

Nationale Vorschriften < DBA

Ÿ

Nationale Vorschriften

Falls nationale Vorschriften weiter gefasst sind als ein DBA, dann regelt ausschließlich dieses DBA die Besteuerung. Falls umgekehrt das DBA weiter gefasst ist, wird die Besteuerung durch das weniger weitgehende nationale Recht geregelt. 78

Vgl. BGBl. II 1985, S. 926.

79

Vgl. BFH v. 28.06.1972, I-R-35/70, BStBl. II 1972, S. 789.

80

Vgl. RFH v. 03.10.1935, III-A-267/34, RStBl. 1935, S. 1400; RFH v. 14.07.1938, III-78/38, RStBl. 1938, S. 937; BFH v. 15.01.1971, III-R-125/69, BStBl. II 1971, S. 380; Art. 13 Nr. 3 OECD-MK.

81

Die Bezeichnung des Rechts der DBA als Schrankenrecht geht auf Debatin, H., zurück; vgl. ders., Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, S. 2; a.A. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 1 MA, Rz. 9.

DBA als Völkerrecht: Rechtliche Besonderheiten

85

Für die Anwendung von DBA ergibt sich aus der Schrankenfunktion folgende zweistufige Prüfungsreihenfolge: Zunächst ist zu untersuchen, welchem Vertragsstaat in welcher Höhe für ein bestimmtes Steuergut das Besteuerungsrecht zugewiesen wird. In einem zweiten Schritt wird geprüft, ob und auf welche Weise das nationale Außensteuerrecht den Umfang und die Höhe der Steuerbelastung konkretisiert. Merke: DBA-Recht ist Schrankenrecht. Nationales Steuerrecht begründet Steueransprüche dem Grunde und der Höhe nach. Es bestimmt das „Ob“ und „Wie“. DBA setzen Schranken gegen diese nationale Steuerpflicht (das „Ob“). Die Schrankenwirkung kann sich auf die Besteuerungsgrundlage oder auf die Besteuerungshöhe beziehen.

2.1.2

Zustandekommen eines DBA und Überleitung in nationales Recht

Nach Art. 59 Abs. 1 GG vertritt der Bundespräsident die BRD völkerrechtlich. Für die Vertragsverhandlungen auf dem Gebiet der DBA stattet allerdings der Bundespräsident Vertreter des Bundesministeriums der Finanzen mit einer Vollmacht aus. Je nach Notwendigkeit werden Mitarbeiter anderer Ministerien, vor allem des Außenministeriums, hinzugezogen. Als Grundlage für die Erarbeitung eines Abkommenstextes dient das OECD-MA, für den Fall der Revision eines DBA der bereits bestehende Vertragstext. Für Vertragsverhandlungen zwischen Entwicklungsländern wird das OECD-MA gegebenenfalls modifiziert. Schlussprotokolle und Briefwechsel sind Bestandteile des Abkommens. Die Verhandlungsleiter unterzeichnen das Abkommen (Paraphierung). Im Gegensatz zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) sind DBA als spezielles Völkerrecht weder automatisch innerstaatliches Recht noch gehen sie diesem automatisch vor. Laut Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedarf ein völkerrechtlicher Vertrag, der sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht, der parlamentarischen Zustimmung in Form eines Zustimmungsgesetzes.82 Durch das Zustimmungsgesetz wird der Inhalt des DBA unmittelbar anwendbares, innerstaatliches Recht. 82

Bzgl. der Umsetzung von Völkerrechtsverträgen in innerstaatliches Recht besteht ein Theorienstreit: Vollzugstheorie vs. Transformationstheorie; die h.M. geht von der Vollzugstheorie aus, wonach ein DBA mit seinem gesamten völkerrechtlichen Inhalt anzuwenden ist. Das Zustimmungsgesetz wird als Anwendungsbefehl verstanden, der den völkerrechtlichen Vertrag innerstaatlich für verbindlich erklärt; vgl. Henkel, U., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBA-Kommentar, 4. Erg.Lief., Herne 1998, Grundlagen I 4, Rz. 7 f.; Kruse, H.-W./ Drüen, A., in: Tipke, K./ Kruse, H.-W., Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar zur AO 1977 und FGO, 108. Erg.Lief., Köln 2005, § 2, Tz. 28; vgl. auch Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Einl., Rz. 61 f.

86

Verhältnis von DBA-Recht zum nationalen Recht

Zuletzt wird eine Ratifikationsurkunde ausgestellt, die die Vertragsparteien austauschen. Durch diese Urkunde erklären die Parteien formell ihre völkerrechtliche Gebundenheit an den Vertragstext. Die Bindungswirkung beginnt mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden. Die erstmalige Anwendung des DBA wird in der Regel vertraglich vereinbart und fällt häufig mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden zusammen. Merke: Vertreter des BMF sind vom Bundespräsidenten bevollmächtigt, in dessen völkerrechtlicher Vertretung DBA-Verhandlungen zu führen und die Unterzeichnung der Abkommen (Paraphierung) vorzunehmen. Die DBA als spezielles Völkerrecht müssen dann durch Zustimmungsgesetz in innerstaatliches Recht überführt werden. Der Austausch einer Ratifikationsurkunde bindet die Vertragspartner völkerrechtlich an das jeweilige DBA.

2.2 Verhältnis von DBA-Recht zum nationalen Recht Die Normen des durch Zustimmungsgesetz überführten DBA nehmen einfachen Gesetzesrang ein, d.h. sie stehen auf der gleichen Stufe wie nationale Steuergesetze.83 § 2 AO räumt bei wörtlicher Auslegung völkerrechtlichen Verträgen i.S.d. Art. 59 Abs. 2 GG einen Vorrang ein, so dass DBA aus dieser Sicht den nationalen Steuergesetzen vorgingen. Aber die Abgabenordnung ist nur ein einfaches Bundesgesetz, das keinen allgemeinen Vorrang völkerrechtlicher Verträge begründen kann.84 Nur die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehen gem. Art. 25 GG den nationalen Gesetzen vor. In diesem Fall bestimmt die ranghöhere Verfassung den Vorrang vor den rangniedrigeren Bundesgesetzen. Das völkerrechtliche Vertragsrecht ist spezielles Völkerrecht und gehört nicht zum Anwendungsbereich des Art. 25 GG. Entgegen der wörtlichen Auslegung des § 2 AO erhalten DBA einen höheren Rang nur über ihren „lex-specialis“- bzw. „lex-posterior“-Charakter.85 § 2 AO lässt die allgemeinen Kollisionsregeln der „lex specialis“ und „lex posterior“ in Kraft. Völkervertragsrecht 83

Vgl. BVerfG v. 26.03.1957, BVerfGE 6, S. 363.

84

Vgl. BFH v. 13.07.1994, I-R-120/93, BStBl. II 1995, S. 130.

85

Nach der „lex-specialis“-Regel geht die speziellere Norm der allgemeinen Norm vor. Nach der „lex-posterior“-Regel geht die spätere Norm der früheren Norm vor. Die Auslegung des § 2 AO ist umstritten. Für die Auflösung der Kollision nach allgemeinen Regeln („lex specialis“, „lex posterior“) spricht sich aus: Kruse, H.-W./ Drüen, A., in: Tipke, K./ Kruse, H.-W., Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar zur AO 1977 und FGO, 108. Erg.Lief., Köln 2005, § 2, Tz. 1 f.; Debatin, H., Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, S. 2; a.A. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Vor Art. 1 MA, Rz. 9.

DBA als Völkerrecht: Rechtliche Besonderheiten

87

kann entsprechend der „lex posterior“-Regel durch späteres innerstaatliches Recht geändert werden, allerdings mit der Besonderheit, dass eine allgemeine spätere Norm der früheren spezielleren Norm nicht vorgeht („lex generalis posterior non derogat legi speciali priori“). Nur ein spezielleres nachfolgendes Gesetz kann die DBA-Regelungen beeinträchtigen. Diese Vertragsbrüche werden als „treaty override“ bezeichnet. Ein „treaty override“ liegt vor, wenn Bestimmungen des nationalen Steuerrechts inhaltsgleiche Regelungen in einem bestehenden DBA mit Vorbehalten versehen, aufheben oder ändern. Die Zulässigkeit und innerstaatliche Wirksamkeit eines „treaty override“ hat der BFH grundsätzlich anerkannt.86 Im Außenverhältnis verletzt ein „treaty override“ die allgemeine Regel der Vertragstreue („pacta sunt servanda“). Dem Vertragspartner wird bei Vertragsbrüchen nach Art. 60 WÜRV ein Kündigungsrecht eingeräumt.87 Beispiele für „treaty override“ im deutschen Steuerrecht finden sich in § 8a KStG und § 20 AStG; § 50d Abs. 1 EStG enthält einen scheinbaren „treaty override“. § 8a KStG beschränkt die Fremdkapitalfinanzierung inländischer Kapitalgesellschaften durch die Fiktion einer verdeckten Gewinnausschüttung. Diese Regelung steht im Widerspruch zu Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. § 20 Abs. 1 AStG erklärt die Abkommensregelungen für unbeachtlich bezüglich der Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7-14 AStG. Durch § 20 Abs. 2 AStG sind die Regelungen eines DBA auch für Betriebsstätteneinkünfte unbeachtlich mit der Folge, dass die Anrechnungsmethode anstelle der Freistellungsmethode Anwendung findet („switch-over“Klausel). § 50d Abs. 1 EStG schreibt vor, dass entgegen der Reduzierung bzw. Befreiung von Quellensteuern gem. den Abkommensregelungen, Quellensteuern zunächst erhoben und abgeführt werden müssen. Erst anschließend wird der Zustand des Abkommens im Rahmen eines Erstattungsverfahrens hergestellt. § 50d EStG ist im Verhältnis zu bestehenden DBA das speziellere und spätere Gesetz. In den Fällen eines „treaty override“ versagt die Schrankenwirkung von DBA. Die durch ein DBA geschaffenen Beschränkungen der Besteuerungskompetenzen werden durch „treaty override“ ausgehöhlt und die Funktion eines DBA – Bindung beider Vertragsparteien in gleicher Weise – konterkariert.

86

Vgl. BFH v. 13.07.1994, I-R-120/93, BStBl. II 1995, S. 129 f.; BVerfG v. 26.03.1957, BVerfGE 6, S. 363.

87

Vgl. hierzu auch Rust, A./ Reimer, E., Treaty Override im deutschen Internationalen Steuerrecht, IStR 2005, S. 843 ff.

88

Auslegung der DBA

Merke: Eine Normenkollision zwischen DBA und nationalen Steuergesetzen ist nicht nach § 2 AO aufzulösen (trotz des Wortlauts), sondern nach den allgemeinen rechtlichen Grundsätzen. DBA gehen nur aufgrund ihres „lex-specialis“Charakters nationalen Steuergesetzen vor, es sei denn, Regelungen von DBA werden durch nachfolgende nationale Steuergesetze derogiert, d.h. verdrängt („treaty override“) – die Schrankenwirkung von DBA versagt in diesem Fall.

2.3 Auslegung der DBA 2.3.1

Auslegung nach völkerrechtlichen Grundsätzen

DBA sind völkerrechtliche Verträge, deren Auslegung nicht allein nach innerstaatlichen Regeln erfolgen kann, sondern völkerrechtliche Auslegungsgrundsätze mit einbeziehen muss.88 Die bisher gewohnheitsrechtlich geltenden Auslegungsregeln völkerrechtlicher Verträge wurden durch die Art. 31-33 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) kodifiziert. Die BRD ist durch das Zustimmungsgesetz vom 03. August 198589 der Wiener Vertragsrechtskonvention beigetreten, so dass die Art. 31-33 WÜRV auch für die Auslegung von DBA relevant sind. Ähnlich wie innerstaatliche Gesetze werden DBA als völkerrechtliche Verträge nach den grammatikalischen, systematischen, teleologischen und historischen Auslegungsmethoden interpretiert.90 Diese Grundregel wurde im Art. 31 Abs. 1 WÜRV festgeschrieben: „Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zwecks auszulegen.“ Grundlage der Auslegung ist danach also der Wortlaut in seiner gewöhnlichen, d.h. fachspezifischen Bedeutung (grammatikalische Auslegung). Die Begriffe einzelner Vertragsnormen sind aber nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem gesamten Vertragsdokument, einschließlich Präambel und Anlagen (Art. 31 Abs. 2 WÜRV) zu betrachten (systematische Auslegung). Der Zusammenhang wird in Art. 31 Abs. 2 und 3 WÜRV noch erweitert. Neben der Auslegung nach dem Wortlaut bzw. dem Zusammenhang kann eine Begriffsbedeutung auch aus dem Ziel und Zweck hergeleitet werden (teleologische Auslegung). Die historische Auslegung hat gem. Art. 32 WÜRV nur eine nachrangige Bedeu-

88

Vgl. hierzu auch BVerfG v. 04.05.1955, BVerfGE 4, 157/168.

89

Vgl. BGBl. II 1985, S. 926.

90

Vgl. BFH v. 15.06.1973, III-R-118/70, BStBl. II 1973, S. 811; BFH v. 24.04.1975, I-R-04/73, BStBl. II 1975, S. 605; BFH v. 20.02.1979, VII-R-16/78, BStBl. II 1979, S. 274.

DBA als Völkerrecht: Rechtliche Besonderheiten

89

tung. Zu beachten ist, dass erst die parallele Anwendung der vier Methoden die maßgebliche Bedeutung einer Vorschrift erschließt.91 Merke: Die Auslegung der DBA nach den völkerrechtlichen Grundsätzen der Art. 3133 des WÜRV hat zum Ziel, den objektiven Willen einer Vorschrift zu erfassen. Diesem Ziel dienen die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung. Alle vier Methoden sind gleichberechtigt – mit gewisser Nachrangigkeit der historischen Auslegung – und müssen somit parallel angewendet werden. DBA werden üblicherweise in den Sprachen beider Verhandlungspartner abgefasst. Nach Art. 33 WÜRV ist der Abkommenstext in beiden Sprachen verbindlich, solange die Vertragsparteien nicht eine andere Vereinbarung treffen. Für die Auslegung von DBA spielen auch das OECD-MA und der OECD-MK eine wichtige Rolle. Das OECD-MA ist kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern hat nur den Charakter einer Empfehlung. Das gleiche gilt für den OECD-MK. Da das OECD-MA und der OECD-MK nicht Bestandteil der deutschen Gesetzgebung geworden sind, kommt ihnen keine bindende Wirkung zu. Sie sind auch nicht Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts. Umstritten ist die Subsumtion des MA und des MK unter den Art. 31 Abs. 1 bzw. Abs. 4 WÜRV bzw. den Art. 32 WÜRV.92 Im Rahmen der Auslegungsmethoden (Wortlaut, Systematik, Teleologie) werden das OECD-MA und der OECD-MK als wichtige Hilfsmittel herangezogen.93 Dies gilt besonders, wenn eine Orientierung des DBA am Aufbau und der Konzeption des OECD-MA zum Ausdruck kommt.94

91

Vgl. BFH v. 15.06.1973, III-R-118/70, BStBl. II 1973, S. 811.

92

Vgl. BFH v. 16.12.1998, I-R-40/97, BStBl. II 1999, S. 208 f.; Wassermeyer, F., spricht sich für eine Subsumtion unter Art. 32 WÜRV aus; ders., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Vor Art. 1 MA, Rz. 38; so auch der OECD-Steuerausschuss laut Krabbe, H., OECDMusterabkommen 2000, IStR 2000, S. 197; a.A. Vogel, K./ Lehner, M., mit weiteren Literaturverweisen, dies., in: Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Einl., Rz. 125 f.

93

Vgl. Henkel, U., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBAKommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Grundlagen I 4, Rz. 44.

94

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Vor Art. 1 MA, Rz. 34, 44, 51. So auch Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Einl., Rz. 130 f.

90

Auslegung der DBA

2.3.2

Autonome Auslegung

Beispiel

Bei der Auslegung von DBA ist zu beachten, dass DBA einen eigenständigen Regelungskreis mit einer eigenständigen Begriffssprache bilden.95 Dieser Umstand verlangt eine hierauf bezogene eigene Auslegung. Begriff der „Betriebsstätte“ Sowohl Art. 5 OECD-MA als auch § 12 AO definieren den Begriff der Betriebsstätte. Trotz der Verwendung desselben Begriffs in beiden Vorschriften ist der Ausdruck „Betriebsstätte“ nach Art. 5 OECD-MA ein rein abkommensrechtlicher Begriff, der enger gefasst ist als die Bestimmung nach der AO.

Die abgegrenzte Begriffswelt folgt aus der Schrankenrechtsfunktion des Abkommensrechts. Als völkerrechtliche Verträge greifen DBA in die innerstaatliche Steuerrechtsordnung zweier Staaten ein, um ein von der Doppelbesteuerung erfasstes Steuergut den beteiligten Staaten (evtl. anteilig) zuzuordnen. Um eine eindeutige Zuordnung zu erreichen und auf diese Weise eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, muss das DBA von beiden Staaten in gleicher Weise verstanden werden. Das Abkommen bestimmt aus sich heraus durch eigene Begriffsbestimmungen die Voraussetzungen für die abkommensrechtliche Ausübung des Besteuerungsrechts.96 Vor allem wenn es um die Beschränkung des Besteuerungsrechts geht, verwendet das Abkommen seine eigene Begriffswelt. Auf die Begriffswelt des innerstaatlichen Rechts der Vertragsparteien wird wesentlich Bezug genommen, wenn es um die Begründung der Steuerpflicht nach Art, Höhe oder Person geht.97 Der Regelungskreis des DBA besteht daher nicht völlig unabhängig von innerstaatlichem Recht. In bestimmten Bereichen setzt das Abkommen innerstaatliches Recht voraus bzw. innerstaatliches Recht bildet innerhalb einer Abkommensnorm den Bezugspunkt der Schrankensetzung.98

95

Vgl. BFH v. 15.01.1971, III-R-125/69, BStBl. II 1971, S. 380; BFH v. 15.06.1973, III-R-118/70, BStBl. II 1973, S. 811.

96

Z.B. durch den Begriff „Ansässigkeit“ nach Art. 4 OECD-MA.

97

Vgl. Wassermeyer, F., Auslegung völkerrechtlicher Verträge, in: Mössner, J./ Blumenwitz, J., Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, Heft 18 der Schriftenreihe „Münchener Schriften zum Internationalen Steuerrecht“, hrsg. von Klaus Vogel, München 1995, S. 25; Debatin, H., Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, S. 5.

98

So nimmt Art. 6 Abs. 2 OECD-MA bspw. ausdrücklich Bezug auf innerstaatliches Recht; das Abkommen setzt in Bezug auf das nach innerstaatlichem Recht des Belegenheitsstaates definierte Steuergut Schranken; vgl. Debatin, H., Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen als Gegenstand verfehlter Rechnungshofsrüge, DStZ 1989, S. 421; Debatin, H., System und Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1985, Beilage 23 zu Heft Nr. 39, S. 4.

DBA als Völkerrecht: Rechtliche Besonderheiten

91

2.3.3 Abkommenseigene Auslegungsregel: Art. 3 Abs. 2 OECD-MA Das OECD-MA verfügt mit Art. 3 Abs. 2 OECD-MA (sog. lex-fori-Klausel) über einen eigenen Artikel, der die Frage lösen soll, wann ein Vertragsstaat einen Ausdruck des MA nach seinem innerstaatlichen Recht, der „lex fori“, auslegen darf. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA wird auf zwei verschiedene Weisen interpretiert. Vertreter der völkerrechtlichen Theorie wollen innerstaatliches Recht nur subsidiär zur Anwendung bringen. Nach dieser Interpretation ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 OECD-MA folgende Auslegungsreihenfolge99: 1. Wortlaut und Begriffsdefinition des DBA, 2. Sinn- und Vorschriftenzusammenhang des DBA, 3. Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts. Vertreter der landesrechtlichen Theorie100 betonen den Vorrang des innerstaatlichen Rechts. Dies folge aus dem zweiten Halbsatz des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“. Zunächst vollzieht sich die Auslegung nach dem Wortlaut und den Definitionen des Abkommens. Danach kann die Auslegung nach innerstaatlichem Recht erfolgen, „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“. Ein systematischer Vorrang der Auslegung aus dem Zusammenhang vor der Auslegung nach nationalem Recht sei nicht zu erkennen.101 Art. 3 Abs. 2 OECD-MA ist nach den Regeln der Art. 31 ff. WÜRV auszulegen, d.h. im Falle des Fehlens einer Definition im Abkommen selbst muss eine Auslegung aus dem Kontext unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck vorgenommen werden. Zweck der Verträge ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Eine Auslegung nach innerstaatlichem Recht des einen oder anderen Vertragsstaates steht im Widerspruch zur Erkenntnis des eigenen Regelungskreises und beeinträchtigt den Zweck der Abkommen, Doppelbesteuerungen durch ein einheitliches Abkommensverständnis zu vermeiden. Bei Rückgriff auf nationales Recht besteht die Gefahr, dass Doppelbesteuerungen entweder bestehen bleiben oder Doppelfreistellungen entstehen (Qualifikationskonflikte)102. Die Auslegung des Begriffs „erfordert“ des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA führt zu dem Ergebnis, dass Gegenstand und Zweck der Abkommen einen vorschnellen Rückgriff auf inner-

99

So auch die Entscheidung des BFH v. 30.05.1990, I-R-179/86, BStBl. II 1990, S. 907.

100

Vertreter der landesrechtlichen Theorie sind u.a. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 3, Rz. 119.

101

Vgl. Djanani, C./ Brähler, G./ Hartmann, T., Die Finanzverwaltung und die autonome Abkommensauslegung, IStR 2004, S. 481 ff.

102

Vgl. zu dieser Thematik auch Gündisch, S., Analoge Abkommensanwendung zur Überwindung von Qualifikationskonflikten, IStR 2005, S. 829 ff.

92

Grundlegende Systematik des OECD-MA

staatliches Recht verbieten.103 Der völkerrechtlichen Theorie ist deshalb der Vorzug zu geben.104 Merke: Normen von DBA sind nach den Art. 31-33 WÜRV auszulegen. DBA verkörpern einen eigenständigen Regelungskreis mit einer eigenständigen Begriffssprache (autonome Abkommensauslegung). Entsprechend der völkerrechtlichen Theorie gilt folgende Auslegungsreihenfolge: 1. Wortlaut und Begriffsdefinition des DBA, 2. Sinn- und Vorschriftenzusammenhang des DBA, 3. Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts.

3 Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens Für einen konkreten bilateralen Besteuerungsfall ist stets das DBA einschlägig, das zwischen den betroffenen Ländern abgeschlossen wurde. Da sich die internationale und deutsche Vertragspraxis weitgehend an den Aufbau und die Regelungssystematik des OECDMA halten, wird die Struktur und Wirkungsweise der Abkommen anhand des OECD-MA erläutert.

3.1 Grundlegende Systematik des OECD-MA 3.1.1

Abkommensaufbau

Das OECD-MA ist in sieben Abschnitte untergliedert: I.

Geltungsbereich des Abkommens (Art. 1, 2 OECD-MA) Dieser Abschnitt bestimmt den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich, beantwortet also die Frage, für wen und für welche Steuerarten das Abkommen gilt.

II.

Begriffsbestimmungen (Art. 3-5 OECD-MA) Das Abkommen definiert in diesem Abschnitt entsprechend seiner Funktion als eigenständiger Regelungskreis mit eigenständiger Begriffssprache die im Abkommen verwendeten Begriffe. Abkommenseigene Definitionen finden sich darüber hinaus auch

103

Vgl. Gloria, C., Die Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland und die Bedeutung der Lex Fori-Klausel für ihre Auslegung, RIW 1986, S. 975 f.

104

So die h.M.; vgl. die Diskussion in Brähler, G., Deutsche Direktinvestitionen in den USA, Hamburg 2002, S. 211 ff.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

93

in Artikeln außerhalb des II. Abschnitts. Zum Beispiel definiert Art. 10 Abs. 3 OECDMA den Dividendenbegriff und Art. 11 Abs. 3 OECD-MA den Zinsbegriff. III. Zuweisung der Besteuerungsrechte an den Einkünften (Art. 6-21 OECD-MA) Der Abschnitt III legt mit Blickrichtung auf den Quellenstaat fest, inwieweit dessen Besteuerungsrechte hinsichtlich der aufgeführten Einkunftsarten aufrechterhalten oder beschränkt werden („Schrankennormen“).105 Die Auflistung verschiedener Einkunftsarten ähnelt den Katalogeinkünften des § 2 EStG. Die abkommensrechtlichen Einkunftsarten sind aufgrund ihres eigenständigen Charakters aber von diesen zu unterscheiden und jede Ähnlichkeit als zufällig zu betrachten. IV. Zuweisung der Besteuerungsrechte am Vermögen (Art. 22 OECD-MA) Der IV. Abschnitt entspricht in seiner Funktion dem III. Abschnitt, bezieht sich jedoch auf die Vermögensbesteuerung („Schrankennorm“). V.

Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Art. 23 A, B OECD-MA) Soweit die Art. 6-22 OECD-MA nicht schon selbst eine Doppelbesteuerung verhindern, definiert der V. Abschnitt die beiden Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung: Anrechnungs- und Freistellungsmethode106 („Methodenartikel“).

VI. Besondere Bestimmungen (Art. 24-29 OECD-MA) Der VI. Abschnitt regelt bestimmte Sondertatbestände, wie z.B. das Verständigungsverfahren oder den Informationsaustausch zwischen den Behörden. VII. Schlussbestimmungen (Art. 30, 31 OECD-MA) Die beiden Artikel des VII. Abschnitts regeln das Inkrafttreten und die Kündigung des Abkommens. Der III. und IV. Abschnitt, die die sog. Schrankennormen enthalten, bilden mit dem „Methodenartikel“ des V. Abschnitts den Kernbereich des OECD-MA. Die folgende Übersicht zeigt den Aufbau des OECD-MA:

105

In der Literatur finden sich alternative Bezeichnungen wie z.B. „Verteilungsartikel“; vgl. Debatin, H., Zum Grundverständnis der Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1988, S. 728; Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Einl., Rz. 70.

106

Statt „Freistellungsmethode“ wird auch der Begriff „Befreiungsmethode“ verwendet, so z.B. in der Überschrift des Art. 23 A OECD-MA im Originaltext.

94

Grundlegende Systematik des OECD-MA Titel und Präambel Abschnitt I. Geltungsbereich des Abkommens Art. 1 Unter das Abkommen fallende Personen Art. 2 Unter das Abkommen fallende Steuern Abschnitt II. Begriffsbestimmungen Art. 3 Allgemeine Begriffsbestimmungen Art. 4 Ansässige Person Art. 5 Betriebsstätte Abschnitt III. Besteuerung des Einkommens Art. 6 Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen Art. 7 Unternehmensgewinne Art. 8 Seeschifffahrt, Binnenschifffahrt und Luftfahrt Art. 9 Verbundene Unternehmen Art. 10 Dividenden Art. 11 Zinsen Art. 12 Lizenzgebühren Art. 13 Gewinne aus der Veräußerung von Vermögen Art. 14 (aufgehoben) Art. 15 Einkünfte aus unselbständiger Arbeit Art. 16 Aufsichtsrat - und Verwaltungsratsvergütungen Art. 17 Künstler und Sportler Art. 18 Ruhegehälter Art. 19 Öffentlicher Dienst Art. 20 Studenten Art. 21 Andere Einkünfte

Schrankennormen Adressat: Quellenstaat

Kernbereich des OECD-MA

Abschnitt IV. Besteuerung des Vermögens Art. 22 Vermögen Abschnitt V. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Art. 23 A Befreiungsmethode Art. 23 B Anrechnungsmethode Abschnitt VI. Besondere Bestimmungen Art. 24 Gleichbehandlung Art. 25 Verständigungsverfahren Art. 26 Informationsaustausch Art. 27 Amtshilfe bei der Erhebung von Steuern Art. 28 Diplomaten und Konsularbeamte Art. 29 Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs

Methodenartikel Adressat: Wohnsitzstaat

Abschnitt VII. Schlussbestimmungen Art. 30 Inkrafttreten Art. 31 Kündigung

Abbildung 26:

3.1.2

Übersicht über den Abkommensaufbau des OECD-MA

Wirkungsweise der Abkommen

Dem OECD-MA liegt als Ausgangsproblem die Kollision zwischen unbeschränkter Besteuerung im Wohnsitzstaat und beschränkter Besteuerung im Quellenstaat zugrunde:

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

95

Doppelzugriff!

Quellenstaat

Wohnsitzstaat

sachliche Beziehung zum Staat:

persönliche Bindung an den Staat:

Einkunfts -, Vermögensquelle

Ansässigkeit (Wohnsitz)

Quellenbesteuerung

Welteinkommensbesteuerung

Territorialitätsprinzip

Universalitätsprinzip

Abbildung 27:

Ansatzpunkt des OECD-MA

An dieser Ausgangssituation setzt das OECD-MA mit dem Ziel an, den Doppelzugriff auf Person und Quelle zu vermeiden, so dass im Idealfall keine Überschneidungen mehr bestehen. Grundlegend für das Verständnis der Wirkungsweise des MA ist die Stellung der Staaten einerseits als Quellenstaat und andererseits als Wohnsitzstaat. Bereits sprachlich wird diese entgegengesetzte Stellung in den Schrankennormen und im Methodenartikel deutlich. Nimmt das OECD-MA Bezug auf den Wohnsitzstaat, so ist in der Regel die Rede von „einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person“, seltener von „einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Person“. Spricht das Abkommen den Quellenstaat an, so verwendet es korrespondierend mit der Wortwahl für den Wohnsitzstaat den Begriff „anderer Vertragsstaat“, seltener spricht es von „einem Vertragsstaat“. Vergleiche dazu die folgenden Beispiele: Art. 6 Abs. 1 OECD-MA – Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen „Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person (Wohnsitzstaat) aus unbeweglichem Vermögen (...) bezieht, das im anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) liegt, können im anderen Staat (Quellenstaat) besteuert werden.“ Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA – Befreiungsmethode „Bezieht eine in einem Vertragsstaat ansässige Person (Wohnsitzstaat) Einkünfte (...) und können diese Einkünfte (...) im anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) besteuert werden, (...)“

96

Grundlegende Systematik des OECD-MA

Art. 12 Abs. 1 OECD-MA – Lizenzgebühren „Lizenzgebühren, die aus einem Vertragsstaat (Quellenstaat) stammen und deren Nutzungsberechtigter eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person (Wohnsitzstaat) ist, können nur im anderen Staat (Wohnsitzstaat) besteuert werden.“ Dabei kommt nicht einem Staat die ausschließliche Rolle als Quellen- oder Wohnsitzstaat zu, sondern die Staaten sind wechselseitig angesprochen.107 Ein Staat ist für die in seinem Staatsgebiet ansässigen Personen Wohnsitzstaat, für die im anderen Vertragsstaat ansässigen Personen ist er Quellenstaat. Um den Doppelzugriff auf Person und Quelle zu vermeiden, bieten sich grundsätzlich die folgenden Möglichkeiten an: x x x

Das OECD-MA kann das Besteuerungsrecht des Quellenstaates aufheben. Das OECD-MA kann das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates ausschließen. Das OECD-MA kann als Kombination der beiden zuvor genannten Möglichkeiten das Besteuerungsrecht des Quellen- und des Wohnsitzstaates teilweise aufheben.

Das OECD-MA sieht in Abhängigkeit von der Einkunftsart alle drei Möglichkeiten vor. Für die Vermeidung der Doppelbesteuerung verwendet das OECD-MA zwei ineinandergreifende Regelungsebenen: Zunächst legen die Art. 6-22 OECD-MA („Schrankennormen“) grundsätzlich für den Quellenstaat fest, welche Steuerberechtigung diesem für die einzelnen Einkunfts- und Vermögenskategorien verbleibt. Die Steuerberechtigung des Quellenstaates kann aufgehoben, aufrechterhalten sowie in der Besteuerungsgrundlage oder Besteuerungshöhe beschränkt werden. Da sich die Schrankennormen nur in Ausnahmefällen an den Wohnsitzstaat richten, bleibt das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates von den Schrankennormen grundsätzlich unangetastet. Der Wohnsitzstaat darf nach der Systematik des Abkommens alle Einkünfte bzw. jedes Vermögen des Steuerpflichtigen besteuern. Durch die Schrankennormen allein wird daher in der Regel eine Doppelbesteuerung noch nicht vermieden. Es bedarf einer zweiten Regelungsebene. In Abhängigkeit von der Quellensteuerberechtigung, die dem Quellenstaat nach den Art. 6-22 OECD-MA verbleibt, bestimmt Art. 23 OECD-MA als „Methodenartikel“, auf welche Weise – Anrechnung oder Freistellung – der Wohnsitzstaat eine Doppelbesteuerung auszugleichen hat. Die Beschränkung der Besteuerungsrechte des Wohnsitzstaates besteht in der Freistellung ausländischer Einkünfte von der eigenen Besteuerung bzw. in der Anrechnung der Steuern des anderen Vertragsstaates auf die eigene Steuer. Dies soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden:

107

Vgl. Debatin, H., System und Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1985, Beilage Nr. 23 zu Heft Nr. 39, S. 1.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

97

Art. 6 OECD-MA – Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen „(1) Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unbeweglichem Vermögen (...) bezieht, das im anderen Vertragsstaat liegt, können im anderen Staat besteuert werden.“ Ö Art. 6 OECD-MA bestimmt keine Regelung zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung; im Gegenteil wird dem Quellenstaat zusätzlich zum ohnehin berechtigten Wohnsitzstaat ein Besteuerungsrecht zugesprochen. Ö Es wird eine weitere Bestimmung benötigt, die eine Vermeidung der Doppelbesteuerung bewirkt. Dies ist der Methodenartikel (Art. 23 A bzw. Art. 23 B OECD-MA). Art. 23 A OECD-MA – Befreiungsmethode „(1) Bezieht eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte (...) und können diese Einkünfte (...) nach diesem Abkommen im anderen Vertragsstaat besteuert werden, so nimmt der erstgenannte Staat (...) diese Einkünfte (...) von der Besteuerung aus.“ Die Art. 6-22 OECD-MA und der Art. 23 OECD-MA stehen in einem aufeinander abgestimmten Wirkungszusammenhang. Immer wenn nach den Art. 6-22 OECD-MA ein Besteuerungsrecht des Quellenstaates (teilweise) aufrechterhalten bleibt, muss der Wohnsitzstaat nach Art. 23 OECD-MA Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ergreifen. Beide Regelungskategorien stellen ein System von Steuerverzichten dar, durch das eine Doppelbesteuerung vermieden wird und gleichzeitig die beteiligten Staaten in angemessener Weise am Steueraufkommen beteiligt werden. Wiederum lässt sich anhand der Sprache der Schrankennormen und des Methodenartikels die Wirkungsweise verdeutlichen: Beispiel: Art. 10 OECD-MA („Dividenden“) Art. 10 Abs. 1 OECD-MA „Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖDer Wohnsitzstaat des Empfängers kann Dividenden einer im Quellenstaat ansässigen Gesellschaft besteuern.

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Grundlegende Systematik des OECD-MA

Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA „Diese Dividenden können jedoch auch in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden (...)“

ÖAuch der Quellenstaat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, kann besteuern.

Die Schrankennorm des Art. 10 OECD-MA führt noch nicht zu einer Vermeidung der Doppelbesteuerung. Erst aus dem Zusammenspiel mit dem Art. 23 OECD-MA ergibt sich, auf welche Weise der Wohnsitzstaat die Doppelbesteuerung auszugleichen hat. Das OECDMA stellt den Vertragsstaaten die beiden Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Anrechnung, Freistellung) als gleichberechtigte Alternativen zur Verfügung. Deutschland vereinbart bei Dividendeneinkünften regelmäßig die Anrechnungsmethode gem. Art. 23 B OECD-MA: Art. 23 B Abs. 1 Bst. a OECD-MA – Anrechnungsmethode

Beispiel

„Bezieht eine in einem Vertragsstaat an- Ö Der Wohnsitzstaat rechnet die im sässige Person Einkünfte (...) und könQuellenstaat erhobene Quellensteuer nen diese Einkünfte (...) nach diesem Abauf die (auf Grundlage des Welteinkommen im anderen Vertragsstaat bekommens) ermittelte Steuerschuld der steuert werden, so rechnet der erstgeim Wohnsitzstaat ansässigen Person an. nannte Staat a) auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der im anderen Staat gezahlten Steuer vom Einkommen entspricht (...)“ Sprache und Wirkungsweise von Schrankennormen und Methodenartikel (1) Der in Deutschland ansässige Luke Skywalker ist an der australischen „Down under“Public Company Limited by Shares, die einer deutschen AG entspricht, beteiligt. Von dieser erhält Luke eine Dividende von 10.000 €. Zwischen Deutschland und Australien besteht ein DBA, das dem OECD-MA entspricht.

Lösung

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

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Nach Art. 10 Abs. 1 OECD-MA kann die Dividende in Deutschland als Lukes Wohnsitzstaat besteuert werden. Auch Australien kann als Quellenstaat, in dem die „Down under“ Public Company Limited by Shares als die Dividende zahlende Gesellschaft ansässig ist, die Dividende besteuern (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA). Nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 Bst. b OECD-MA darf die Steuer aber 15 % nicht übersteigen. Demnach behält Australien eine KapESt von 1.500 € ein. In Deutschland als Ansässigkeitsstaat versteuert Luke die Bruttodividende im Rahmen seiner unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 3 Nr. 40 Bst. d EStG ist nur die Hälfte der Bruttodividende, also 5.000 €, steuerpflichtig. Bei einem angenommenen Einkommensteuersatz von 40 % muss Luke eine ESt von 2.000 € zahlen. Soweit ist Luke mit australischer Quellensteuer i.H.v. 1.500 € und deutscher ESt i.H.v. 2.000 € belastet. Hätte Luke eine Dividende einer deutschen AG empfangen, so hätte er nur eine ESt von 2.000 € zahlen müssen. Durch alleinige Anwendung der Schrankennorm des Art. 10 OECD-MA ist eine Doppelbesteuerung noch nicht vermieden. Deutschland ist als Wohnsitzstaat gem. Art. 23 B Abs. 1 Bst. a OECD-MA verpflichtet, die in Australien abgeführte KapESt entsprechend anzurechnen. Danach muss Luke nur noch 2.000 € ./. 1.500 € = 500 € an das Finanzamt abführen.

Von dem Grundsatz, dass durch die Anwendung der Schrankennormen die Doppelbesteuerung noch nicht vermieden wird, sondern erst im Zusammenspiel mit dem Methodenartikel ausgeglichen wird, gibt es jedoch Ausnahmen. Einige Schrankennormen vermeiden eine Doppelbesteuerung von vornherein auf Ebene der Schrankennormen ohne Anwendung des Art. 23 OECD-MA. Die folgende Tabelle zeigt zwei Gruppen von Schrankennormen, die sich anhand ihrer Rechtsfolge charakterisieren lassen. Wiederum ist der Wortlaut der jeweiligen Abkommensnorm bedeutend. Wortlaut

Beispiel

Art der Schrankennorm

Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 Nur noch ein Staat besitzt das OECD-MA: Besteuerungsrecht. „Gewinne eines Unternehmens ÖSchrankennorm mit abeines Vertragsstaats können nur in schließender Rechtsfolge diesem Staat besteuert werden, (...)“ (Die Rechtsfolge im Wohn„(...) können nur sitzstaat wird allein durch die in (...) besteuert Schrankennorm bestimmt.) werden (...)“ ÖVermeidung der Doppelbesteuerung bereits auf Ebene der Schrankennorweiteres Beispiel: men; keine Anwendung des Art. 19 Abs. 1 Bst. a OECD-MA Methodenartikels mehr nötig

100

Grundlegende Systematik des OECD-MA Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2, Satz 2 Hs. 1 OECD-MA: „(...) es sei denn, das Unternehmen übt seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus.

Beide Staaten besteuern weiterhin. Erst die Anwendung des Methodenartikels bestimmt über Anrechnung oder Freistellung und gleicht eine Doppelbesteuerung aus.

Beispiel

Sprache und Wirkungsweise von Schrankennormen und Methodenartikel (2)

Lösung

Übt das Unternehmen seine Ge- ÖSchrankennorm mit offener „können (auch) schäftstätigkeit auf diese Weise aus, Rechtsfolge (Die Rechtsfolin (...) besteuert so können (lies: können auch!) die ge im Wohnsitzstaat wird werden“ Gewinne des Unternehmens im nicht durch die Schrankenanderen Staat besteuert werden, norm, sondern erst durch den jedoch nur insoweit, als sie dieser Methodenartikel bestimmt.) Betriebsstätte zugerechnet werden ÖFreistellung oder Anrechkönnen.“ nung (Art. 23 A o. B OECD-MA) weiteres Beispiel: Art. 10 Abs. 1 und 2 OECD-MA

Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA können die Gewinne des österreichischen Unternehmens Pegaform nur in Österreich besteuert werden, außer das Unternehmen verfügt in Deutschland über eine Betriebsstätte (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 OECD-MA). Da dies im vorliegenden Sachverhalt nicht der Fall ist, darf nur Österreich die Gewinne besteuern. Die Schrankennorm des Art. 7 Abs. 1 Hs. 1 OECD-MA teilt ausschließlich Österreich das Besteuerungsrecht zu. Für eine Anwendung des Art. 23 OECD-MA durch Deutschland besteht keine Notwendigkeit, da Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA die Doppelbesteuerung abschließend bereits auf Ebene der Schrankennormen vermeidet.

Die österreichische Pegaform GmbH aus Linz beliefert die in München ansässige Horch AG als Just-In-Time Lieferant direkt aus Österreich. Für die Pegaform GmbH war das vergangene Geschäftsjahr aufgrund der konjunkturellen Entwicklung außerordentlich erfolgreich. Darf Deutschland die Gewinne der Pegaform GmbH besteuern, wenn zwischen Österreich und Deutschland ein dem OECD-MA entsprechendes DBA besteht?

Wie die vorangehenden Beispiele zeigen, verwendet das OECD-MA in einigen Artikeln mit offener Rechtsfolge explizit die Formulierung „können (...) auch“ (vgl. Art. 10 Abs. 2 OECD-MA), wenn es Bezug nimmt auf das Besteuerungsrecht des Quellenstaates. In anderen Artikeln wird auf das Wort „auch“ verzichtet (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 OECD-

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

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MA). Es heißt lediglich „können (...) im anderen Staat besteuert werden“. Auch ohne explizite Erwähnung des Wortes „auch“ ist diese Formulierung im Sinne von „können auch“ zu verstehen, denn das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates bleibt grundsätzlich unangetastet, es sei denn, eine Schrankennorm mit abschließender Rechtsfolge weist das Besteuerungsrecht ausschließlich dem Quellenstaat zu. Die folgende Übersicht verdeutlicht die Wirkungsweise der beiden Regelungsebenen des OECD-MA mit dem Ziel, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Quellenstaat

Wohnsitzstaat

Schrankennormen (Art. 6 - 22 OECD-MA)

Methodenartikel (Art. 23 OECD-MA)

Schrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

Schrankennorm mit offener Rechtsfolge

„können nur“

„können (auch)“

Schrankennorm ist selbst Vermeidungsnorm keine Anwendung des Methodenartikels

Schrankennorm vermeidet noch nicht eine Doppelbesteuerung, da Wohnsitzstaat grds. das Besteuerungsrecht hat

Anwendung des Methodenartikels Freistellungsmethode

Anrechnungsmethode

Vermeidung der Doppelbesteuerung

Abbildung 28:

Zusammenspiel von Schrankennormen und Methodenartikel

Das OECD-MA ist zwar primär auf die Vermeidung einer effektiven, d.h. tatsächlich eintretenden Doppelbesteuerung gerichtet, doch aus Praktikabilitätsgründen gelten die Regelungen auch uneingeschränkt für sog. virtuelle Doppelbesteuerungen. Nach diesem Verbot einer denkbaren Doppelbesteuerung gelten die Normen des OECD-MA unabhängig davon, ob ein Staat sein Besteuerungsrecht tatsächlich ausübt.108

108

Vgl. BFH v. 28.04.1982, I-R-151/78, BStBl. II 1982, S. 567; BFH v. 20.10.1982, I-R-104/79, BStBl. II 1983, S. 403; BFH v. 14.12.1988, I-R-148/87, BStBl. II 1989, S. 321.

102

Grundlegende Systematik des OECD-MA

Merke: Das OECD-MA setzt an der Ursache der Doppelbesteuerung an: Kollision der Besteuerungsnormen im Wohnsitz- und im Quellenstaat. Zur Vermeidung des Doppelzugriffs verwendet das OECD-MA zwei aufeinander abgestimmte Regelungsebenen: Zunächst umgrenzen die Schrankennormen, Art. 6-22 OECDMA, die Besteuerungsrechte des Quellenstaates. Danach gleicht der Wohnsitzstaat unter Anwendung des Methodenartikels, Art. 23 OECD-MA, eine aufrechterhaltene Quellenbesteuerung durch die Anrechnungs- oder Freistellungsmethode aus. Es muss unterschieden werden zwischen Schrankennormen mit offener und abschließender Rechtsfolge. Schrankennormen mit abschließender Rechtsfolge lassen Schrankennormen selbst zur Vermeidungsnorm werden.

3.1.2.1 Erläuterung der Schrankennormen Die meisten Schrankennormen des OECD-MA sind nach einem einheitlichen Schema aufgebaut.109 Sie enthalten folgende charakteristische Normbestandteile: x x x x

Beschränkung der Besteuerungsrechte zwischen den Vertragsstaaten, Definition des Besteuerungsgegenstands, Definition von (Gewinn)Ermittlungsgrundsätzen (Erfolgs-/Vermögenszuordnung), Abgrenzung zu anderen Abkommensartikeln (Subsidiaritätsklauseln).

Im Grundsatz steht dem Wohnsitzstaat das uneingeschränkte Besteuerungsrecht zu. Zusätzlich wird dem Quellenstaat ein Besteuerungsrecht in unterschiedlichem Umfang eingeräumt. Der Umfang des Besteuerungsrechts des Quellenstaates richtet sich dabei nach der Stärke der Beziehung der wirtschaftlichen Aktivität zur Volkswirtschaft des Quellenstaates. Bezüglich der Zuweisung des Besteuerungsrechts an den Quellenstaat lassen sich vier Gruppen von Besteuerungsrechten unterscheiden: x x x x

Zuweisung eines uneingeschränkten Besteuerungsrechts, Begrenzung des Umfangs der Bemessungsgrundlage (Einschränkung des Besteuerungsrechts dem Grunde nach), Begrenzung der Höhe des Steuersatzes (Einschränkung des Besteuerungsrechts der Höhe nach), kein Besteuerungsrecht des Quellenstaates.

Der Umfang des Besteuerungsrechts des Quellenstaates wird durch die Schrankennormen der Art. 6-22 OECD-MA bestimmt.

109

Vgl. Scheffler, W., Besteuerung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit, 2. Aufl., München 2002, S. 88 ff.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

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Die vorgenommene Differenzierung soll im Folgenden durch die Erläuterung anhand des Wortlauts des OECD-MA weiter vertieft werden. x

Zuweisung eines uneingeschränkten Besteuerungsrechts: Liegt eine unmittelbare, nachhaltige Verknüpfung mit der ausländischen Volkswirtschaft vor, so wird das Besteuerungsrecht des Quellenstaates uneingeschränkt aufrechterhalten. Solch eine enge Beziehung zur Volkswirtschaft des Quellenstaates wird bei Einkünften aus unbeweglichem Vermögen unterstellt, wenn das unbewegliche Vermögen im Quellenstaat belegen ist (Art. 6 OECD-MA). Im Wohnsitzstaat werden diese Einkünfte von der Besteuerung freigestellt. Diese Vorgehensweise wird als „Belegenheitsprinzip“ bezeichnet.

x

Einschränkung des Besteuerungsrechts dem Grunde nach: Eine enge Verknüpfung zur ausländischen Volkswirtschaft liegt in dieser Kategorie nur vor, wenn sich diese durch bestimmte Anknüpfungsmerkmale konkretisiert hat. Im Bereich der Unternehmensgewinne ist dies der Fall bei Vorhandensein einer Betriebsstätte (Art. 7 OECD-MA). Nach dem „Betriebsstättenprinzip“ werden die durch die Betriebsstätte erzielten Einkünfte im Quellenstaat besteuert. Im Wohnsitzstaat werden diese Einkünfte freigestellt. In diesem Fall liegt eine unmittelbare, nachhaltige Teilnahme am Wirtschaftsverkehr des Quellenstaates vor. Durch die Freistellung unterliegt die Betriebsstätte bzw. das Stammhaus als Trägerunternehmen den gleichen steuerlichen Rahmenbedingungen, wie die auf diesem Markt agierenden einheimischen Unternehmen (Kapitalimportneutralität). Bei Einkünften aus selbständiger Arbeit durfte der Quellenstaat diese Einkünfte nur bei Vorliegen einer festen Einrichtung besteuern (Art. 14 OECD-MA a.F.). Art. 14 OECD-MA gleicht in seiner Funktion Art. 7 OECD-MA. Ab dem Jahr 2000 ist Art. 14 OECD-MA als eigenständige Vorschrift gestrichen worden und in Art. 7 OECD-MA aufgegangen. Im vorliegenden Zusammenhang soll Art. 14 OECD-MA dennoch als Beispiel dafür dienen, dass sich für die Einkunftsarten Unternehmensgewinne, selbständige Arbeit und unselbständige Arbeit eine hinreichende Verknüpfung zur Volkswirtschaft des Quellenstaates erst durch bestimmte Anknüpfungsmerkmale (hier: feste Einrichtung) konkretisiert.

104

Grundlegende Systematik des OECD-MA Art. 14 Abs. 1 OECD-MA (a.F.) „Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus einem freien Beruf oder sonstiger selbständiger Tätigkeit bezieht, können nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass der Person im anderen Vertragsstaat für die Ausübung der Tätigkeit gewöhnlich eine feste Einrichtung zur Verfügung steht. Steht ihr eine solche feste Einrichtung zur Verfügung, so können (lies: können auch!) die Einkünfte im anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser festen Einrichtung zugerechnet werden können.“

ÖGrundsatz: Besteuerung im Wohnsitzstaat ÖAusnahme: Feste Einrichtung im Quellenstaat. Durch die feste Einrichtung entsteht eine nachhaltige Verknüpfung mit der Volkswirtschaft des Quellenstaates. Nur soweit Gewinne der festen Einrichtung zugerechnet werden können, bleibt das Besteuerungsrecht im Quellenstaat aufrechterhalten. (Beschränkung des Umfangs der Bemessungsgrundlage = Beschränkung dem Grunde nach)

Im Bereich der unselbständigen Arbeit gilt prinzipiell das „Arbeitsortsprinzip“, nach dem eine Besteuerung im Tätigkeitsstaat vorgenommen wird (Art. 15 OECDMA). Im Entsendungsfall wird eine unselbständige Tätigkeit erst nach einer Verweildauer im Quellenstaat von mindestens 184 Tagen mit der Volkswirtschaft des Quellenstaates als hinreichend eng verknüpft angesehen, außer die Vergütungen werden von einem Arbeitgeber oder einer Betriebsstätte gezahlt, die sich im Quellenstaat befinden. Liegen diese Anknüpfungsmerkmale nicht vor, darf im Entsendungsfall ausschließlich der Wohnsitzstaat besteuern. x

Einschränkung des Besteuerungsrechts der Höhe nach: Bei Einkünften aus bestimmten Leistungen (Dividenden, Zinsen) ist die Verbindung zur ausländischen Volkswirtschaft schwächer ausgeprägt. Die Besteuerung ist in diesen Fällen auf einen bestimmten Höchststeuersatz eingeschränkt, da die Erträge aus der Nutzung des Kapitals im Quellenstaat (= Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft) bereits einer Besteuerung – allerdings bei einem anderen Steuersubjekt – unterliegen. Beispiel: Art. 11 OECD-MA („Zinsen“)

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

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Art. 11 Abs. 1 OECD-MA „Zinsen, die aus einem Vertragsstaat stammen und an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person gezahlt werden, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖEinkünfte aus Zinsen können im Wohnsitzstaat besteuert werden.

Art. 11 Abs. 2 OECD-MA „Diese Zinsen können jedoch auch in dem Vertragsstaat, aus dem sie stammen, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden; die Steuer darf aber, wenn der Nutzungsberechtigte der Zinsen eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person ist, 10 vom Hundert des Bruttobetrags der Zinsen nicht übersteigen. (...)“

ÖAuch der Quellenstaat, in dem die auszahlende Gesellschaft ihren Sitz hat, kann besteuern. ÖDie Verbindung zur Volkswirtschaft im Quellenstaat ist schwächer ausgeprägt. Der Steuersatz ist auf maximal 10 % begrenzt (Begrenzung der Höhe des Steuersatzes = Einschränkung des Besteuerungsrechts der Höhe nach).

Beispiel

Der Wohnsitzstaat verhindert eine Doppelbesteuerung durch die Anrechnungsmethode. Beide Staaten begrenzen ihre Besteuerungskompetenz und teilen sich die Besteuerung. Aufteilung des Steueraufkommens zwischen Wohnsitz- und Quellenstaat Ulf, genannt „Bierchen“, der in der Nähe von Dortmund wohnt, gewährt der Lakefront Brewery Inc. in Milwaukee, Wisconsin, USA, ein Darlehen in Höhe von 100.000 € zu einem Zinssatz von 10 %.

Grundlegende Systematik des OECD-MA

Lösung

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Die USA dürfen nach Art. 11 Abs. 2 OECD-MA maximal eine KapESt von 10 %, also 1.000 € erheben. Im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland entfällt auf die Zinseinkünfte bei einem angenommenen Einkommensteuersatz von 40 % ferner eine Steuer von 4.000 €. Nach dem DBAUSA110, das die Anrechnungsmethode gem. Art. 23 B OECD-MA vorsieht, rechnet Deutschland die in den USA erhobene KapESt auf die deutsche Steuerschuld an, so dass noch 3.000 € zu entrichten sind. Deutschland und die USA teilen das Steueraufkommen untereinander auf. Steueraufkommen insgesamt: Steueraufkommen Deutschland: Steueraufkommen USA:

4.000 € 3.000 € 1.000 €

Es kommt zu einer kapitalexportneutralen Besteuerung. „Bierchen“ wird in Höhe des inländischen Steuerniveaus besteuert. x

Kein Besteuerungsrecht des Quellenstaates: Bei einer nur schwach ausgeprägten Beziehung zum Quellenstaat wird das Besteuerungsrecht zugunsten des Wohnsitzstaates gänzlich aufgehoben. Dies gilt für die „anderen Einkünfte“ nach Art. 21 OECD-MA, also Einkünfte, die in den anderen Schrankennormen nicht behandelt wurden sowie für Lizenzeinkünfte nach Art. 12 OECD-MA. Das ausschließliche Besteuerungsrecht steht in diesem Fall grundsätzlich dem Wohnsitzstaat zu.

Die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen richtet sich nach den gleichen Grundsätzen. Bei unbeweglichem Vermögen und Betriebsstättenvermögen steht das Besteuerungsrecht dem Quellenstaat zu. Der Wohnsitzstaat stellt diese Gewinne von der Besteuerung frei, allerdings unter Anwendung eines Progressionsvorbehaltes. In allen anderen Fällen hat der Wohnsitzstaat das ausschließliche Besteuerungsrecht (Art. 13 OECD-MA).

110

Vgl. DBA-USA v. 29.08.1989, BGBl. II 1991, S. 354, BStBl. I 1991, S. 94.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

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Merke: Grundsätzlich hat der Wohnsitzstaat das volle Besteuerungsrecht. Zusätzlich wird dem Quellenstaat ein Besteuerungsrecht in dem Ausmaße eingeräumt, das der Stärke der wirtschaftlichen Verknüpfung der beiden Staaten entspricht: (1) Uneingeschränkt, z.B. bei Einkünften aus unbeweglichem Vermögen, (2) dem Grunde nach eingeschränkt, z.B. bei Betriebsstättengewinnen, (3) der Höhe nach eingeschränkt, z.B. bei Zins- und Dividendeneinkünften. Kein Besteuerungsrecht erhält der Quellenstaat bei einer schwach ausgeprägten wirtschaftlichen Verknüpfung (z.B. bei Lizenzeinkünften).

3.1.2.2 Erläuterung der Methodenartikel Die Anwendung der Methodenartikel durch den Wohnsitzstaat hängt davon ab, inwieweit der Besteuerung im Quellenstaat Schranken auferlegt wurden. Darf der Quellenstaat nach den Schrankennormen weiterhin besteuern, so wird die Doppelbesteuerung im Wohnsitzstaat ausgeglichen. Adressat des Art. 23 OECD-MA ist in erster Linie der Wohnsitzstaat.111 Die Art. 23 A und B OECD-MA sehen für den Wohnsitzstaat grundsätzlich zwei Möglichkeiten vor: Freistellung oder Anrechnung. Nach der Freistellungsmethode werden die ausländischen Einkünfte nicht in die inländische Bemessungsgrundlage einbezogen. Allerdings können die ausländischen Einkünfte bei der Berechnung des inländischen Steuersatzes berücksichtigt werden, der auf die restlichen Einkünfte zur Anwendung gelangt (Freistellung unter Progressionsvorbehalt). Die Freistellungsmethode führt zur Besteuerung der ausländischen Einkünfte in Höhe des ausländischen Steuerniveaus (Kapitalimportneutralität). Der Steuerpflichtige sieht sich den gleichen steuerlichen Rahmenbedingungen gegenüber wie der im Quellenstaat ansässige Steuerpflichtige. Nach der Anrechnungsmethode fließen Einkünfte des Quellenstaates mit in die inländische Bemessungsgrundlage ein, allerdings werden Quellensteuern auf die inländische Steuerschuld (in begrenztem Umfang) angerechnet. Es erfolgt also immer eine Besteuerung zumindest in der Höhe des Steuerniveaus des Wohnsitzstaates (Kapitalexportneutralität). Für den Fall eines niedrigeren ausländischen Steuerniveaus spricht man von einer „Heraufschleusung“ auf das inländische Steuerniveau. Liegt das Steuerniveau des Quellenstaates über dem inländischen Steuerniveau, so bleibt der Steuerpflichtige mit dem höheren Steuerniveau des Auslands belastet. Im Inland wird maximal die auf die ausländischen Einkünf-

111

Vgl. zu der Problematik Djanani, C./ Hartmann, T., Der Progressionsvorbehalt im Nichtansässigkeitsstaat und bei subjektiven Qualifikationskonflikten, IStR 2000, S. 321 ff.

108

Grundlegende Systematik des OECD-MA

te entfallende deutsche Einkommensteuer angerechnet, §§ 34c Abs. 6 Satz 2 i.V.m. 34c Abs. 1 Satz 2 EStG („Anrechnungshöchstbetrag“). Das OECD-MA sieht beide Methoden als gleichwertige Alternativen. Welche Methode für welche Einkunftsart Anwendung findet, hängt von der individuellen Vereinbarung der Vertragsstaaten ab. Deutschland verwendet beide Methoden in seinen DBA. Dabei hängt die zur Anwendung gelangende Methode von der Entscheidung ab, in welchem Ausmaß die ausländischen Einkünfte steuerlich belastet sein sollen. Dies richtet sich wiederum nach der Nähe der Einkunfts- bzw. Vermögensquelle zur Volkswirtschaft des Quellenstaates und nach der volkswirtschaftlichen Förderungswürdigkeit der wirtschaftlichen Aktivitäten. Merke: Wenn der Quellenstaat nach den Schrankennormen weiterhin besteuern darf, soll eine Doppelbesteuerung durch die Anwendung des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA) seitens des Sitzstaates vermieden werden. Es stehen zwei grundsätzliche Methoden zur Auswahl: (1) Freistellungsmethode (Art. 23 A OECD-MA) Die ausländischen Einkünfte werden nicht in die inländische Bemessungsgrundlage mit einbezogen, möglicherweise aber in die Berechnung des inländischen Steuersatzes (Progressionsvorbehalt). Æ Kapitalimportneutralität (2) Anrechnungsmethode (Art. 23 B OECD-MA) Die ausländischen Einkünfte werden in die inländische Bemessungsgrundlage mit einbezogen. Die im Ausland bezahlten Quellensteuern werden in begrenztem Umfang auf die Steuerschuld im Inland angerechnet. Durch den Anrechnungshöchstbetrag kommt immer das höhere in- oder ausländische Steuerniveau zum Tragen. Æ Kapitalexportneutralität In den deutschen DBA werden in Abhängigkeit von der Förderungswürdigkeit der wirtschaftlichen Aktivität und der Nähe zur Volkswirtschaft des Quellenstaats beide Methoden verwendet. Einkünfte sollen vorrangig im Quellenstaat besteuert und im Inland unter Progressionsvorbehalt freigestellt werden, wenn diese Quellen eng mit dem Quellenstaat verknüpft sind. Im OECD-MA wird für folgende Einkünfte die Freistellungsmethode verwendet: x x x x x

Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen, Einkünfte aus einer im Ausland belegenen gewerblichen Betriebsstätte, Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Rahmen einer festen Einrichtung bzw. Betriebsstätte im Quellenstaat, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Regelfall), Einkünfte aus öffentlichen Kassen im Ausland,

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens x

109

Veräußerungsgewinne, bei Veräußerung von unbeweglichem Vermögen oder Betriebsstättenvermögen.

Die Anrechnungsmethode findet Anwendung, wenn dem Wohnsitzstaat ein vorrangiges Besteuerungsrecht zugestanden wird, da die Beziehung zum Quellenstaat relativ schwach ausgeprägt ist. Dies ist bei folgenden Einkünften der Fall: x x

Dividendenzahlungen, Zinszahlungen.

Keine Methode der Vermeidung der Doppelbesteuerung findet Anwendung, wenn dem Quellenstaat ohnehin kein Besteuerungsrecht zugewiesen wird. Dies ist bei folgenden Einkünften der Fall: x x x x

x

Lizenzgebühren, gewerbliche Einkünfte, soweit keine Betriebsstätte im Ausland vorhanden ist, Einkünfte aus selbständiger Arbeit, soweit keine feste Einrichtung im Ausland vorliegt, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wenn der Auslandsaufenthalt nicht länger als 183 Tage andauert und die Vergütung nicht von einem Arbeitgeber oder einer Betriebsstätte im Quellenstaat gezahlt wird, Veräußerungsgewinne bei Veräußerung von Vermögen, das nicht unbeweglich oder einer Betriebsstätte zuzurechnen ist.

3.1.2.3 Überblick über die Abgrenzung der Besteuerungsrechte nach dem OECD-MA In der Spalte „Besteuerung im Wohnsitzstaat“ sind jeweils die nach Art. 23 A und B OECD-MA alternativ zur Verfügung gestellten Methoden und die regelmäßig in deutschen DBA für die entsprechende Einkunftsart vereinbarte Methode dargestellt. Einkunftsart („Schrankennorm“)

Besteuerung im Quellenstaat

unbewegliches Vermögen (Art. 6 OECD-MA)

Aufrechterhaltung des uneingeschränkten Besteuerungsrechts „Belegenheitsprinzip“

Besteuerung im Wohnsitzstaat („Methodenartikel“) Freistellung (Art. 23 A OECD-MA) bzw. Anrechnung (Art. 23 B OECD-MA) Deutsche DBA: Freistellung unter PV

110 Unternehmensgewinne (Art. 7 OECD-MA)

See-, Binnenschiff- und Luftfahrt (Art. 8 OECD-MA)

Dividenden (Art. 10 OECD-MA)

Zinsen (Art. 11 OECD-MA) Lizenzgebühren (Art. 12 OECD-MA) Veräußerungsgewinne (Art. 13 Abs. 1-3 OECDMA)

(Art. 13 Abs. 4 OECDMA) Selbständige Arbeit (Art. 14 OECD-MA a.F.)

Grundlegende Systematik des OECD-MA Einschränkung des Besteuerungsrechts dem Grunde nach, Begrenzung auf Betriebsstättengewinne „Betriebsstättenprinzip“ kein Besteuerungsrecht im Quellenstaat, da Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung entscheidend Einschränkung des Besteuerungsrechts der Höhe nach Schachteldividenden: 5 %, Portfoliodividenden: 15 % Einschränkung des Besteuerungsrechts der Höhe nach (10 %) Aufhebung des Besteuerungsrechts Einschränkung des Besteuerungsrechts dem Grunde nach: Veräußerungsgewinne aus unbeweglichem Vermögen, Betriebsstättenvermögen, Vermögen einer festen Einrichtung, Schiffe, Luftfahrtzeuge; Aufhebung des Besteuerungsrechts Einschränkung des Besteuerungsrechts dem Grunde nach, bei Vorliegen einer festen Einrichtung

Freistellung bzw. Anrechnung

Deutsche DBA: Freistellung unter PV Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV Anrechnung

Ausnahme: Freistellung für Dividenden bei Schachtelbeteiligungen Anrechnung

uneingeschränktes Besteuerungsrecht Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV

uneingeschränktes Besteuerungsrecht Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens Unselbständige Arbeit (Art. 15 OECD-MA)

Aufsichtsrats- und Verwaltungsvergütung (Art. 16 OECD-MA)

Aufrechterhaltung des uneingeschränkten Besteuerungsrechts, aber bei Entsendungen Einschränkung des Besteuerungsrechts dem Grunde nach gem. dem eingeschränkten „Arbeitsortprinzip“ (183Tage-Regel) Aufrechterhaltung des uneingeschränkten Besteuerungsrechts

Künstler und Sportler (Art. 17 OECD-MA)

Aufrechterhaltung des uneingeschränkten Besteuerungsrechts

Ruhegehälter (Art. 18 OECD-MA) Öffentlicher Dienst (Art. 19 OECD-MA)

Aufhebung des Besteuerungsrechts Aufrechterhaltung des uneingeschränkten Besteuerungsrechts „Kassenstaatsprinzip“ Aufrechterhaltung des uneingeschränkten Besteuerungsrechts

Studenten (Art. 20 OECD-MA)

Andere Einkünfte (Art. 21 OECD-MA)

Aufhebung des Besteuerungsrechts Ausnahme: Zurechnung zu einer Betriebsstätte im Quellenstaat

Abbildung 29:

111 Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV, wenn 183-Tage-Regel erfüllt

Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV uneingeschränktes Besteuerungsrecht Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV uneingeschränktes Besteuerungsrecht Ausnahme: Freistellung bzw. Anrechnung Deutsche DBA: Freistellung unter PV

Abgrenzung der Besteuerungsrechte nach dem OECD-MA

112

Anwendung der Abkommen

3.2 Anwendung der Abkommen 3.2.1

Anwendungsbereich der Abkommen

3.2.1.1 Persönlicher Anwendungsbereich (Art. 1 OECD-MA) Als erster Artikel des Musterabkommens definiert Art. 1 OECD-MA den persönlichen Anwendungsbereich, d.h. er legt den Personenkreis fest, der in den Schutzbereich des Abkommens fällt. Art. 1 OECD-MA ist eine Schlüsselvorschrift, da bei Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 1 OECD-MA das Abkommen nicht anwendbar ist. Art. 1 OECD-MA („Unter das Abkommen fallende Person“) „Dieses Abkommen gilt für Personen, die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig sind.“ Zwei Tatbestandsvoraussetzungen sind für eine Abkommensberechtigung zu erfüllen: es muss sich um eine „Person“ i.S.d. Abkommens handeln, und diese Person muss in mindestens einem der beiden Vertragsstaaten „ansässig“ sein. „Personen“ i.S.d. Abkommens sind nach Art. 3 Abs. 1 Bst. a OECD-MA „natürliche Personen, Gesellschaften und andere Personenvereinigungen“. Der abkommensrechtliche Begriff „Gesellschaft“ wird in Art. 3 Abs. 1 Bst. b OECD-MA näher festgelegt. Danach gelten als „Gesellschaft“ i.S.d. Abkommens „juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden.“ Zur Erfordernis des Vorliegens einer „Person“ i.S.d. Abkommens tritt die Voraussetzung einer persönlichen Bindung an einen der beiden Vertragsstaaten: die „Ansässigkeit“ der Person. Eine Person ist nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA in einem Vertragsstaat ansässig, wenn sie „nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals112 steuerpflichtig ist.“ Durch die ausdrückliche Verweisung auf das innerstaatliche Recht werden die genannten ortsbezogenen Ansässigkeitsmerkmale nach nationalem Recht bestimmt. Es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis der abkommensrechtliche Begriff „Ansässigkeit“ zum innerstaatlichen Begriff der „unbeschränkten Steuerpflicht“ steht. Das OECDMA setzt zur Vermeidung der Doppelbesteuerung an der Kollision zwischen Wohnsitzund Quellenbesteuerung an. Auf innerstaatlicher Ebene entspricht dies dem Konflikt zwischen unbeschränkter Steuerpflicht und beschränkter Steuerpflicht. Dementsprechend bestimmt sich der Vertragsstaat, der als Wohnsitzstaat bzw. Ansässigkeitsstaat gilt, nach der

112

Ein solches „ähnliches Merkmal“ ist der Sitz einer Gesellschaft.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

113

unbeschränkten Steuerpflicht, die das innerstaatliche Recht beansprucht.113 Die Vorschrift des Art. 4 OECD-MA erfasst die verschiedenen ortsbezogenen Formen einer persönlichen Bindung an einen Staat, die in der Regel nach innerstaatlichem Steuerrecht eine unbeschränkte Steuerpflicht zur Folge haben. Soweit die unbeschränkte Steuerpflicht an die genannten ortsbezogenen Merkmale anknüpft, besteht durch die ausdrückliche Verweisung auf das innerstaatliche Recht Identität zwischen den Begriffen „Ansässigkeit“ und „unbeschränkte Steuerpflicht“.114 Die unbeschränkte Steuerpflicht nach innerstaatlichem Recht bildet daher eine Voraussetzung für die Ansässigkeit.115 Da die Ansässigkeit einer Person die unbeschränkte Steuerpflicht im Ansässigkeitsstaat voraussetzt, kann nur eine Person ansässig sein, die nach dem Steuerrecht dieses Staates Steuersubjekt ist. Daher kann Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA wie folgt gelesen werden: Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA („Ansässige Person“) „Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck „eine in einem Vertragsstaat ansässige Person“ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals (unbeschränkt) steuerpflichtig ist, (...)“ Nach Satz 2 des Art. 4 Abs. 1 OECD-MA gilt eine Person nicht als eine im Vertragsstaat ansässige Person, wenn diese nach innerstaatlichem Recht zwar als ansässig gilt, aber lediglich zu einer Quellensteuerbesteuerung herangezogen wird. Nach dem OECD-MK bezieht sich diese Konstellation vor allem auf ausländische Diplomaten und Konsularbeamte.116 Folgendes Prüfungsschema veranschaulicht die Voraussetzungen für den persönlichen Abkommensschutz:

113

Vgl. Debatin, H., Standort und Orientierung des deutschen internationalen Steuerrechts, FR 1970, S. 11 f.

114

Vgl. BFH v. 10.08.1983, I-R-241/82, BStBl. II 1984, S. 12; BFH v. 29.01.1986, I-R-109/85, BStBl. II 1986, S. 444; Krabbe, H., OECD-Musterabkommen 2000, IStR 2000, S. 198; Debatin, H., Standort und Orientierung des deutschen internationalen Steuerrechts, FR 1970, S. 11 f.; a.A. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F., (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 1 MA, Rz. 34, Art. 4 MA, Rz. 2.

115

Vgl. BFH v. 29.01.1986, I-R-109/85, BStBl. II 1986, S. 444; Krabbe, H., OECDMusterabkommen 2000, IStR 2000, S. 198.

116

Vgl. Art. 4 Nr. 8 OECD-MK.

114

Anwendung der Abkommen

Person Abs.1 1Bst. Bst. a OECD-MA Personi.S.d. i.S.d. Art. Art. 33Abs. a OECD -MA

natürliche Person

Gesellschaften

andere Personenvereinigungen

Ansässigkeit einemVertragsstaat Vertragsstaat Ansässigkeit in in einem (Art. MA) (Art.4 4Abs. Abs.11 OECDOECD -MA)

Wohnsitz

ständiger Aufenthalt

Ort der Geschäftsleitung

ähnliches Merkmal

juristische Personen und Rechtsträger, die wie juristische Personen behandelt werden (Art. 3 Abs. 1 Bst. b OECD-MA)

beide Voraussetzungen kumulativ erfüllt: Abkommensberechtigung i.S.d. Art. 1 OECD-MA

Abbildung 30:

Prüfungsschema – persönliche Abkommensberechtigung

Die Ansässigkeit hat aber nicht nur Bedeutung für die Erlangung des Abkommensschutzes, sondern auch für den Wirkungsmechanismus des OECD-MA. Die Schrankennormen (Art. 6-22 OECD-MA) und der Methodenartikel (Art. 23 OECD-MA) setzen voraus, dass sich ein Staat in der Rolle des Quellenstaates und der andere in der Rolle des Ansässigkeitsstaates befinden. Daher können sich für die Regelungssystematik Probleme ergeben, wenn eine Person in beiden Vertragsstaaten ansässig ist. Für diesen Fall verwendet Art. 4 Abs. 2 bzw. 3 OECD-MA (sog. tie breaker rule) eine gesetzliche Fiktion, nach der nur einer der beiden Staaten als Ansässigkeitsstaat gilt. Mittels einer Rangfolge von Ansässigkeitsmerkmalen wird die engere persönliche Bindung zu einem der beiden Staatsgebiete ermittelt. Für natürliche Personen ergibt sich dabei nach Art. 4 Abs. 2 OECD-MA folgende Rangfolge der Ansässigkeitsmerkmale: 1. 2. 3. 4. 5.

ständige Wohnstätte, Mittelpunkt der Lebensinteressen, gewöhnlicher Aufenthalt, Staatsangehörigkeit, Verständigungsverfahren.

Gesellschaften und andere Personenvereinigungen werden von Art. 4 Abs. 3 OECDMA erfasst, wonach Ansässigkeit nur am Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung vorliegt. Die Regelungen der Absätze 2 und 3 des Art. 4 OECD-MA bewirken, dass nur noch in einem Staat eine Ansässigkeit im Sinne des Abkommens vorliegt. Dies führt dazu, dass der Ansässigkeitsstaat seine Rechte als Wohnsitzstaat geltend machen kann, während der Vertragsstaat, der die Rolle des Quellenstaates übernimmt, nur noch in den Grenzen besteuern kann, die ihm die Schrankennormen vorgeben, obwohl die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht auch in seinem Staatsgebiet vorliegen. Diese Rechtsfolge kann für

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

115

die Steuerplanung genutzt werden, indem eine doppelte Ansässigkeit bewusst herbeigeführt wird, um die Nachteile der beschränkten Steuerpflicht – insbesondere die Nichtberücksichtigung persönlicher Aspekte – zu vermeiden. Besonderheiten für die Abkommensberechtigung ergeben sich für Betriebsstätten und vor allem für Personengesellschaften. Eine Betriebsstätte ist weder eine Person i.S.d. Abkommens noch kommt ihr eine Steuersubjekteigenschaft zu, so dass eine Betriebsstätte grundsätzlich nicht abkommensberechtigt ist.117 Üblicherweise ist der Träger der Betriebsstätte (sog. Stammhaus) abkommensberechtigt (Einzelunternehmer, Kapitalgesellschaft, etc.). Bei Personengesellschaften steht die Frage im Vordergrund, ob die Personengesellschaft selbst den Abkommensschutz in Anspruch nehmen kann oder ob dieser eventuell nur ihren Gesellschaftern zusteht. Abkommensschutz wird nur einer Person gewährt, die in mindestens einem Vertragsstaat ansässig ist. Daher ist zunächst zu prüfen, ob sie Person i.S.d. Abkommens sein kann. Personengesellschaften können Person i.S.d. Abkommens sowohl nach Art. 3 Abs. 1 Bst. a OECD-MA („andere Personenvereinigungen“) als auch nach Art. 3 Abs. 1 Bst. a, b OECD-MA („Gesellschaft“ i.S.v. „Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden“) sein. Personengesellschaften als Person i.S.d. Abkommens „andere Personenvereinigungen“

„Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden“

Art. 3 Abs. 1 Bst. a OECD-MA

Art. 3 Abs. 1 Bst. a, b OECD-MA

Beispiel: Deutsche OHG HGB), KG (§§ 161 ff. HGB)

Abbildung 31:

(§§ 105 ff.

Beispiel: Eine amerikanische partnership, die für eine in den USA mögliche Besteuerung als Kapitalgesellschaft optiert hat (sog. check-the-box-regulations)

Subsumtion von Personengesellschaften unter den Personenbegriff

Nach deutschem Verständnis fallen unter den Begriff „andere Personenvereinigungen“ die OHG, KG, GmbH & Co KG als Sonderfall der KG, GbR, Erbengemeinschaft, stille Gesellschaft und EWIV. Einige Länder, wie Ungarn und Spanien, unterwerfen Personengesellschaften wie Kapitalgesellschaften einer eigenen Besteuerung. Andere Länder gewähren Personengesellschaften ein Wahlrecht, steuerlich als Personen- oder Kapitalgesellschaft behandelt zu werden. So können in den USA seit der Einführung der sog. check-the-boxregulations Personengesellschaften für eine Besteuerung als Kapitalgesellschaft optieren.118 117

Vgl. BFH v. 29.01.1986, I-R-109/85, BStBl. II 1986, S. 444; Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 1, Rz. 8.

118

Vgl. Brähler, G., Deutsche Direktinvestitionen in den USA, Hamburg 2002, S. 6.

116

Anwendung der Abkommen

Unter den Begriff „Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden“ fallen nach deutschem Körperschaftsteuerrecht z.B. nichtrechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen, andere Zweckvermögen (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG) und Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG).119 Trotzdem ist eine Personengesellschaft nicht immer abkommensberechtigt. Die Ursache hierfür liegt in der unterschiedlichen ertragsteuerlichen Behandlung von Personengesellschaften. Das Ertragsteuerrecht einiger Staaten besteuert Personengesellschaften intransparent, während andere Staaten Personengesellschaften steuerlich transparent behandeln.120 Bei einer intransparenten Behandlung werden Personengesellschaften selbst als Steuersubjekte eingestuft. Von einer transparenten Besteuerung wird gesprochen, wenn Personengesellschaften selbst keine Steuersubjekteigenschaft zukommt, sondern die dahinterstehenden Gesellschafter mit ihrem entsprechenden Gewinnanteil besteuert werden (Mitunternehmerkonzept). Abkommensberechtigt sind Personengesellschaften nur dann, wenn sie in einem der Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig sind, also steuerliche Subjektfähigkeit besitzen.121 Folgende Fälle sind zu unterscheiden: (1) Wird in beiden Vertragsstaaten eine Personengesellschaft als Steuersubjekt behandelt und liegen Sitz oder Geschäftsleitung in einem der beiden Staaten, dann ist die Personengesellschaft Person i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Bst. a, b OECD-MA, da zumindest in einem Vertragsstaat eine unbeschränkte Steuerpflicht vorliegt, so dass nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA die Personengesellschaft in einem Vertragsstaat ansässig ist. Ist die Personengesellschaft in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt sie nach Art. 4 Abs. 3 OECD-MA nur in einem Vertragsstaat als ansässig. In beiden Konstellationen ist die Personengesellschaft selbst abkommensberechtigt. (2) Wird eine Personengesellschaft in beiden Vertragsstaaten transparent besteuert, dann ist die Personengesellschaft Person i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Bst. a OECD-MA, aber sie unterliegt in keinem der beiden Staaten einer unbeschränkten Steuerpflicht. Mangels unbeschränkter Steuerpflicht ist sie somit in keinem der beiden Vertragsstaaten ansässig i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA und deshalb auch nicht nach Art. 1 OECD-MA abkommensberechtigt. In diesem Fall können aber die Gesellschafter abkommensberechtigt sein, wenn diese Personen i.S.d. Abkommens und in einem Ver-

119

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 3, Rz. 16.

120

Vgl. Art. 1 Nr. 2-6 OECD-MK.

121

Vgl. hierzu auch BMF v. 19.03.2004, IV B 4 – S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, S. 411.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

117

tragsstaat ansässig sind.122 Sind die Gesellschafter in verschiedenen Ländern ansässig, so müssen mehrere Abkommen zur Beurteilung der Abkommensberechtigung herangezogen werden. Es ist das jeweilige DBA anzuwenden, das zwischen dem Quellenstaat und dem Wohnsitzstaat des Gesellschafters besteht. Abkommensberechtigt sind die Gesellschafter jeweils mit ihrem Anteil an der Mitunternehmerschaft. Die Beteiligung an einer nicht abkommensberechtigten ausländischen Personengesellschaft wird wie eine im Ausland belegene Betriebsstätte des jeweiligen Mitunternehmers behandelt.123 Der Gesellschafter gilt jeweils als das Stammhaus.124 Jeder einzelne Gesellschafter wird so behandelt, als betreibe er mit seinem Gesellschaftsanteil ein eigenes, von den Mitgesellschaftern unabhängiges Unternehmen, für das er eine Betriebsstätte am Ort der Geschäftsleitung der ausländischen Personengesellschaft unterhält.125 (3) Behandelt der Sitzstaat die Personengesellschaft als Steuersubjekt, während sie im Quellenstaat kein Steuersubjekt ist, dann ist sie Person i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Bst. a, b OECD-MA und im Sitzstaat aufgrund ihrer unbeschränkten Steuerpflicht gem. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA ansässig und somit abkommensberechtigt.126 Der Quellenstaat muss der Personengesellschaft als unter das Abkommen fallende Person den Abkommensschutz gewähren, auch wenn nach seinem innerstaatlichen Recht die Personengesellschaft kein Steuersubjekt ist.127 Für die Erfüllung des persönlichen Anwendungsbereiches ist es in diesem Fall ausreichend, dass der Sitzstaat dem Rechtsgebilde für seine Besteuerungszwecke eigene Steuersubjekteigenschaft zuspricht.128 (4) Wird die Personengesellschaft im Sitzstaat nicht als Steuersubjekt anerkannt, dafür aber im Quellenstaat, so ist die Personengesellschaft im Sitzstaat nicht unbeschränkt steuerpflichtig. Damit ist die Ansässigkeitsvoraussetzung zu verneinen, denn Art. 4 122

Die deutsche Rechtsprechung stellt in diesem Fall auf die einzelnen Gesellschafter ab; vgl. Wilke, K.-M., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBA-Kommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 1 OECD-MA, Rz. 25; Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 585 ff.

123

Vgl. BFH v. 17.10.1990, I-R-16/89, BStBl. II 1991, S. 212; BFH v. 27.02.1991, I-R-15/89, BStBl. II 1991, S. 446; BFH v. 26.02.1992, I-R-86/91, BStBl. II 1992, S. 938; BFH v. 04.12.1991, I-R-140/90, BStBl. II 1992, S. 750.

124

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 1, Rz. 28; Debatin, H., Subjektiver Schutz unter Doppelbesteuerungsabkommen, BB 1989, Beilage 2 zu Heft 3, S. 8.

125

Vgl. BFH v. 31.07.1991, I-R-60/90, BFH/NV 1992, S. 11; BFH v. 22.01.1992, I-R-42/91, BFH/NV 1992, S. 600.

126

Vgl. BMF v. 19.03.2004, IV B 4 – S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, S. 411; BMF v. 28.05.1998, IV C 5 – S 1301 Spa – 2/98, BStBl. I 1998, S. 557.

127

Vgl. Debatin, H., Subjektiver Schutz unter Doppelbesteuerungsabkommen, BB 1989, Beilage 2 zu Heft 3, S. 5; Krabbe, H., OECD-Musterabkommen 2000, IStR 2000, S. 197.

128

Vgl. Djanani, C./ Brähler, G./ Hartmann, T., Die Finanzverwaltung und die autonome Abkommensauslegung, IStR 2004, S. 481 ff.

118

Anwendung der Abkommen Abs. 1 Satz 1 OECD-MA spricht von einer Person, „die nach dem Recht dieses Staates (also des Sitzstaates) dort aufgrund ihres (...) Ortes der Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals (unbeschränkt) steuerpflichtig ist, (...)“ Mangels unbeschränkter Steuerpflicht im Sitzstaat entfällt die Abkommensberechtigung der Personengesellschaft.129

Folgende Tabelle fasst die Abkommensberechtigung einer Personengesellschaft entsprechend den Fallkonstellationen zusammen. Abkommensberechtigung einer Personengesellschaft Steuersubjekt / unbeschränkte Steuerpflicht im

Abkommensberechtigung

Sitzstaat

Quellenstaat

ja

ja

ja

nein

nein

nein

ja

nein

ja

nein

ja

nein

Abbildung 32:

Übersicht über die Abkommensberechtigung einer Personengesellschaft

Merke: Der persönliche Anwendungsbereich eines DBA erfordert eine Person i.S.d. Abkommens, die in mindestens einem Vertragsstaat ansässig, d.h. unbeschränkt steuerpflichtig, ist. Bei doppelter Ansässigkeit fingiert die „tie breaker rule“ (Art. 4 Abs. 2, 3 OECD-MA) einen einzigen Ansässigkeitsstaat. Betriebsstätten sind mangels Personeneigenschaft und mangels Steuersubjektfähigkeit nicht abkommensberechtigt. Zu prüfen bleibt die Abkommensberechtigung des Trägers der Betriebsstätte (Stammhaus). Bei einer Personengesellschaft ist auf die Behandlung in ihrem Sitzstaat abzustellen. Nach deutschem Verständnis ist eine PersGes zwar Person i.S.d. Abkommens, aber niemals abkommensberechtigt, da eine PersGes kein Steuersubjekt ist. Abkommensberechtigt sind jedoch die einzelnen Gesellschafter. Personengesellschaften sind abkommensberechtigt, wenn sie zumindest im Sitzstaat nach dessen innerstaatlichem Recht als Steuersubjekt behandelt werden.130

129

Vgl. Krabbe, H., OECD-Musterabkommen 2000, IStR 2000, S. 197.

130

Vgl. hierzu auch BMF v. 19.03.2004, IV B 4 – S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, S. 411.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

119

3.2.1.2 Sachlicher Anwendungsbereich (Art. 2 OECD-MA) Art. 2 OECD-MA legt die unter das Abkommen fallenden Steuern fest. Nach Art. 2 Abs. 1 OECD-MA gilt das Abkommen „für Steuern vom Einkommen und Vermögen, die für Rechnung eines Vertragsstaates oder seiner Gebietskörperschaften erhoben werden.“ Damit fällt die deutsche Kirchensteuer als nichtstaatliche Abgabe nicht unter den sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens. Da sie allerdings an die Einkommensteuer anknüpft, wird mittelbar auch die Kirchensteuer erfasst. Die Art der Erhebung – Abzugssteuer an der Quelle oder Veranlagung – spielt keine Rolle. Abs. 2 umschreibt die Steuern vom Einkommen und Vermögen näher, ohne eine genaue Definition des Begriffs „Steuer“ vorzunehmen. Nach der Auslegungsregel des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA kann daher § 3 Abs. 1 AO für die nähere Definition herangezogen werden. Nicht zum Steuerbegriff gehören die Sozialversicherungsbeiträge. Aus deutscher Sicht gehören in den Kreis der einbezogenen Steuern die Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-131, Grund- und Gewerbesteuer132. Art. 2 Abs. 3 OECD-MA stellt den Vertragsstaaten die Aufstellung eines möglichen Verzeichnisses der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu den Steuern vom Einkommen und Vermögen zählenden Steuern frei. Nach Abs. 4 ist das Abkommen auch auf zukünftige Steuern „gleicher oder im Wesentlichen ähnlicher Art“ anzuwenden, damit nicht bei jeder Änderung der innerstaatlichen Gesetze der Abschluss eines neuen Vertrages erforderlich ist.133 Der in Deutschland erhobene Solidaritätszuschlag ist eine im Verhältnis zur Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer ähnliche Steuer.

3.2.1.3 Räumlicher Anwendungsbereich (Art. 29 OECD-MA) Unter den räumlichen Anwendungsbereich fällt üblicherweise das Hoheitsgebiet der jeweiligen Vertragsstaaten, das vor allem durch die Staatsgrenzen abgegrenzt wird. Von dieser Regel gibt es allerdings auch Ausnahmen wie das DBA-Dänemark134, welches Grönland und die Färöer Inseln trotz staatsrechtlicher Zugehörigkeit zu Dänemark nicht in den räumlichen Anwendungsbereich aufnimmt. Das DBA-Niederlande135 gilt derzeit niederländischerseits nur für den in Europa belegenen Teil des Königreichs. In einigen Fällen gibt es die Möglichkeit, dass ein Staat in bestimmten Gebieten begrenzte Hoheitsrechte ausüben kann oder aus politischen Gründen eine Einbeziehung oder einen Ausschluss eines Gebietes vornimmt.

131

Die Vermögensteuer wird seit dem 01.01.1997 nicht mehr erhoben.

132

Die Gewerbekapitalsteuer ist seit dem 01.01.1998 abgeschafft.

133

Vgl. Art. 2 Nr. 1 OECD-MK.

134

Vgl. DBA-Dänemark v. 22.11.1995, BGBl. II 1996, S. 2565, BStBl. I 1996, S. 1219.

135

Vgl. DBA-Niederlande v. 16.06.1959, BGBl. II 1960, S. 1781, BStBl. I 1960, S. 381.

120

Anwendung der Abkommen

Art. 29 Abs. 1 OECD-MA bietet die Möglichkeit, das Abkommen auf zuvor ausgeschlossene Gebiete, überseeische Gebiete oder Gebiete, dessen internationale Beziehungen der Vertragsstaat wahrnimmt, zu erstrecken. Die Erstreckung des räumlichen Geltungsbereichs erfolgt durch bloßen Austausch von Noten, ohne Neuverhandlungen über das Abkommen. Nach Abs. 2 gilt eine Kündigung nach Art. 31 OECD-MA auch für Gebiete, auf die das Abkommen erstreckt wurde. Die meisten deutschen DBA enthalten keine dem Art. 29 OECD-MA entsprechende Regelung.136 Der räumliche Anwendungsbereich betrifft daher meist das Hoheitsgebiet des jeweiligen Vertragsstaates.

3.2.1.4 Zeitlicher Anwendungsbereich (Art. 30, 31 OECD-MA) Nach dem Recht einiger Staaten kommt völkerrechtlichen Verträgen unmittelbare innerstaatliche Wirkung zu, während sie in anderen Staaten – so auch in Deutschland nach Art. 59 Abs. 2 GG – der parlamentarischen Zustimmung bedürfen. Art. 30 Abs. 1 OECDMA (Ratifikationsklausel) bestimmt, dass das Abkommen erst für beide Vertragsstaaten völkerrechtlich verbindlich ist, wenn es beide ratifiziert haben.137 Abs. 2 bestimmt sowohl das Inkrafttreten als auch die erstmalige Anwendung. Art. 31 OECD-MA regelt die Kündigung und letztmalige Anwendung von DBA. DBA werden normalerweise auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Um sie außer Kraft zu setzen, bedarf es einer Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten und einer vereinbarten Mindestlaufzeit des Vertrages. Die letztmalige Anwendung eines DBA fällt häufig mit dem Außerkrafttreten zusammen, kann aber auch abweichend davon geregelt werden.

3.2.2

Anwendung der Schrankennormen (Art. 6-22 OECD-MA)

3.2.2.1 Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 OECD-MA) Art. 6 OECD-MA ist die erste Schrankennorm des III. Abschnitts des OECD-MA. Der Artikel regelt die Besteuerung von Einkünften, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unbeweglichem Vermögen, das im anderen Vertragsstaat liegt, bezieht.

136

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 29, Rz. 9, 18.

137

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F., (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 30, 31 MA, Rz. 1.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

121

Art. 6 OECD-MA folgt dem typischen Aufbau einer Schrankennorm: Absätze Abs. 1 Abs. 2 und 3

Abs. 4

Erläuterung des Abs. 1

Abbildung 33:

charakteristische Normbestandteile spezifischer Regelungsinhalt Beschränkung der Besteuerungsrechte zwischen den Vertragsstaaten

Belegenheitsprinzip

Definition des Besteuerungsgegenstands

abkommensrechtliche Legaldefinition des Ausdrucks „unbewegliches Vermögen“

Abgrenzung zu anderen Abkommensartikeln (Subsidiaritätsklausel)

Vorrang des Belegenheitsprinzips vor dem Betriebsstättenprinzip

Aufbau des Art. 6 OECD-MA

Absatz 1 formuliert den Grundsatz der Besteuerung im Staat der Einkunftsquelle, d.h. im Belegenheitsstaat. Das Besteuerungsrecht steht dem Vertragsstaat zu, in dem das unbewegliche Vermögen belegen ist, aus dem die Einkünfte bezogen werden (Belegenheitsprinzip).138 Zu den Einkünften aus der Nutzung unbeweglichen Vermögens gehören nach Art. 6 Abs. 1 OECD-MA auch Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Art. 6 Abs. 1 OECD-MA „Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unbeweglichem Vermögen (einschließlich der Einkünfte aus land- und forstwirtschaftlichen Betrieben) bezieht, das im anderen Vertragsstaat liegt, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖBesteuerungsrecht des Quellenstaates (Belegenheitsprinzip) ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

Nach der Formulierung des Absatzes 1 handelt es sich um eine Schrankennorm mit offener Rechtsfolge. Art. 6 Abs. 1 OECD-MA weist dem Quellenstaat, in dem das Vermögen belegen ist, das uneingeschränkte Besteuerungsrecht zu. Der Grund dafür liegt in der engen wirtschaftlichen Verbindung zwischen der Quelle der Einkünfte und dem Quellenstaat.139 Parallel dazu steht auch dem Wohnsitzstaat das uneingeschränkte Besteuerungsrecht zu. Eine Doppelbesteuerung wird deshalb erst durch das Zusammenspiel von Schrankennorm (Art. 6 OECD-MA) und Anwendung des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA) durch den Wohnsitzstaat vermieden. Deutschland stellt in seinen vereinbarten DBA die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen in der Regel unter Progressionsvorbehalt frei.

138

Vgl. Art. 6 Nr. 1 OECD-MK.

139

Vgl. Art. 6 Nr. 1 OECD-MK.

122

Anwendung der Abkommen

Die weiteren Absätze 2-4 haben im Verhältnis zu Absatz 1 nur eine erläuternde Funktion. Absätze 2-3 definieren Begriffe des Absatzes 1 näher, Absatz 4 regelt das Verhältnis des Art. 6 zu den weiteren Schrankennormen. Art. 6 Abs. 2 OECD-MA „Der Ausdruck „unbewegliches Vermögen“ hat die Bedeutung, die ihm nach dem Recht des Vertragsstaates zukommt, in dem das Vermögen liegt. Der Ausdruck umfasst in jedem Fall das Zubehör zum unbeweglichen Vermögen, das lebende und tote Inventar land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, die Rechte, für die die Vorschriften des Privatrechts über Grundstücke gelten, Nutzungsrechte an unbeweglichem Vermögen sowie Rechte auf veränderliche oder feste Vergütungen für die Ausbeutung oder das Recht auf Ausbeutung von Mineralvorkommen, Quellen und anderen Bodenschätzen; Schiffe und Luftfahrzeuge gelten nicht als unbewegliches Vermögen.“

ÖVerweis auf innerstaatliches Recht ÖPositivkatalog, Satz 2 hat Vorrang vor Satz 1

ÖNegativkatalog

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA erläutert, was unter dem Ausdruck „unbewegliches Vermögen“ zu verstehen ist. Das MA macht die Begriffsdefinition des nationalen Rechts des Belegenheitsstaates zum Vertragsinhalt des DBA, so dass dessen Verständnis des Ausdrucks „unbewegliches Vermögen“ auch für den Wohnsitzstaat verbindlich ist (Qualifikationsverkettung). Der Zweck der Qualifikationsverkettung liegt in der Festlegung eines für beide Vertragsstaaten verbindlichen Begriffsverständnisses. Auf diese Weise werden Qualifikationskonflikte vermieden, wenn bspw. ein Vermögensgegenstand nach dem Recht eines Staates nicht zum unbeweglichen Vermögen zählt.140 Merke: Durch Qualifikationsverkettungen in DBA soll ein einheitliches Begriffsverständnis durch den Quellen- und Wohnsitzstaat erreicht werden, um die Abkommensanwendung zwischen den beiden Staaten zu harmonisieren. Neben dem Begriff des „unbeweglichen Vermögens“ nimmt das OECD-MA auch beim Dividendenbegriff eine Qualifikationsverkettung vor. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 OECD-MA enthält einen Katalog von Vermögenswerten, die „in jedem Fall“ unbewegliches Vermögen darstellen. Satz 2 genießt insoweit Vorrang vor Satz 1.141 Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 OECD-MA zählen Schiffe und Luftfahrzeuge 140

Vgl. Art. 6 Nr. 2 OECD-MK.

141

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 6 MA, Rz. 26.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

123

nicht zum unbeweglichem Vermögen. Diese Negativdefinition ist nur klarstellender Natur, da Art. 8 OECD-MA „lex-specialis“-Charakter gegenüber Art. 6 OECD-MA besitzt.142 Nach Abs. 3 der Vorschrift gilt das Belegenheitsprinzip für Einkünfte aus jeder Art der Nutzung unbeweglichen Vermögens.143 Dies schließt eine mittelbare Nutzung ein.144 Art. 6 Abs. 3 OECD-MA „Absatz 1 gilt für die Einkünfte aus der unmittelbaren Nutzung, der Vermietung und Verpachtung sowie jeder anderen Art der Nutzung unbeweglichen Vermögens.“ In einigen Fällen können Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen verschiedenen Einkunftsarten des OECD-MA gleichzeitig zugeordnet werden. Aus diesem Grund formuliert Art. 6 Abs. 4 OECD-MA den Vorrang des Belegenheits- vor dem Betriebsstättenprinzip der Art. 7, 14 OECD-MA.145 Art. 6 Abs. 4 OECD-MA „Die Absätze 1 und 3 gelten auch für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen eines Unternehmens.“ Der Vorrang des Belegenheitsprinzips bedeutet, dass stets dem Belegenheitsstaat das Besteuerungsrecht zusteht, unabhängig davon, ob das unbewegliche Vermögen zu einem Betriebsstättenvermögen (bzw. einer festen Einrichtung) oder zum Privatvermögen gehört.146 Absatz 4 verfolgt den Zweck, Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen auch dann in dem Staat zu besteuern, in dem das Vermögen liegt, wenn das Vermögen zu einer dort gelegenen Betriebsstätte gehört.147 Auf diese Weise kann der Belegenheitsstaat unbewegliches Vermögen selbst dann besteuern, wenn er Unternehmensgewinne nach Art. 7 OECD-MA mangels Betriebsstätte nicht besteuern könnte.

142

Vgl. Grotherr, S./ Herfort, C./ Strunk, G., Internationales Steuerrecht, 1. Aufl., Achim 1998, S. 458.

143

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 6, Rz. 131.

144

Vgl. BFH v. 28.04.1982, I-R-151/78, BStBl. II 1982, S. 566.

145

Vgl. BFH v. 14.07.1993, I-R-71/92, FR 1994, S. 60.

146

Da Art. 14 OECD-MA in Art. 7 OECD-MA aufgegangen ist, wurde im Art. 6 Abs. 4 OECD-MA der Halbsatz „(...) und für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen, das der Ausübung einer selbständigen Arbeit dient“ gestrichen.

147

Vgl. Art. 6 Nr. 4 OECD-MK.

Beispiel

Anwendung der Abkommen Belegenheits- und Betriebsstättenprinzip; Isolierende Betrachtungsweise

Lösung

124

Nach Art. 7 Abs. 1 OECD-MA können Unternehmensgewinne nur in Deutschland besteuert werden, außer das Unternehmen verfügt über eine Betriebsstätte in Dänemark. Die Vermietung der Ferienwohnung auf Fünen begründet keine Betriebsstätte, so dass Dänemark die Mieteinkünfte nicht besteuern könnte. Allerdings geht nach Art. 6 Abs. 4 OECD-MA das Belegenheitsprinzip des Art. 6 Abs. 1 OECD-MA dem Betriebsstättenprinzip des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA vor, so dass Dänemark die Einkünfte aus der Vermietung der Ferienwohnung besteuern darf.

Die Hamburger Unternehmerin Grace vermietet ein auf der dänischen Insel Fünen gelegenes Ferienhaus für Erholungszwecke an ihre Angestellten. Das Grundstück gehört zum gewillkürten Betriebsvermögen.

Nach innerstaatlichem Recht wird Dänemark die isolierende Betrachtungsweise (analog § 49 Abs. 2 dEStG) anwenden, so dass Grace mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (!) beschränkt steuerpflichtig in Dänemark ist.

Merke: Nach dem Belegenheitsprinzip hat jener Staat das uneingeschränkte Besteuerungsrecht, mit dessen Volkswirtschaft eine unmittelbare, nachhaltige Verknüpfung vorliegt (z.B. Art. 6 OECD-MA). Bei Unternehmensgewinnen ist grundsätzlich das Vorhandensein einer Betriebsstätte entscheidend dafür, ob nur im Sitz- oder auch im Quellenstaat besteuert werden kann (Betriebsstättenprinzip). Für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen hat das Belegenheitsprinzip Vorrang, Art. 6 Abs. 4 OECD-MA. Veräußerungen unbeweglichen Vermögens fallen nicht unter Art. 6 OECD-MA, sondern unter Art. 13 OECD-MA, der als „lex specialis“ Vorrang genießt. Entgelte für die Ausbeutungsrechte an unbeweglichem Vermögen werden hingegen von Art. 6 OECD-MA und nicht von Art. 12 OECD-MA („Lizenzen“) erfasst. Der Regelungsbereich eines DBA beschränkt sich auf die Zuteilung der Besteuerungsrechte, genauer auf die Auferlegung von Besteuerungsgrenzen, d.h. das „Ob“ der Besteuerung wird bestimmt. Daher regelt Art. 6 OECD-MA nicht das „Wie“ der Besteuerung. Die Ermittlung der Einkünfte richtet sich ausschließlich nach innerstaatlichem Recht. Bezogen auf Deutschland werden die abkommensrechtlichen Einkünfte einer der sieben Einkunftsarten des EStG zugeordnet.148

148

Vgl. BFH v. 24.09.1985, IX-R-143/83, BStBl. II 1986, S. 288; BFH v. 22.05.1991, I-R-32/90, BStBl. II 1992, S. 94; BFH v. 14.08.1991, I-R-133/90, BStBl. II 1992, S. 90.

Beispiel

125

„Ob“ und „Wie“ der Besteuerung

Lösung

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

Art. 6 Abs. 1 OECD-MA weist Deutschland als Belegenheitsstaat das uneingeschränkte Besteuerungsrecht zu („Ob“ der Besteuerung).

Der in London lebende Mr. Ripley ist Besitzer eines im friesischen Stil erbauten Hauses in Kampen/Sylt, das er ganzjährig an prominente Schauspieler und Künstler vermietet.

Deutschland füllt innerstaatlich dieses Besteuerungsrecht nach den Vorschriften über die beschränkte Einkommensteuerpflicht aus. Mr. Ripley ist eine natürliche Person, die im Inland weder über einen Wohnsitz (§ 8 AO) verfügt noch einen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) begründet. Daher ist Mr. Ripley nach § 1 Abs. 4 EStG beschränkt steuerpflichtig, wenn er inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG fallen unter inländische Einkünfte i.S.d. § 1 Abs. 4 EStG Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG. Mr. Ripley erzielt durch die Vermietung des Hauses in Kampen nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung („Wie“ der Besteuerung).

3.2.2.2 Unternehmensgewinne (Art. 7 OECD-MA) 3.2.2.2.1

Überblick

Der Artikel über die Unternehmensgewinne ist einer der bedeutendsten innerhalb des OECD-MA. Der weitaus größte Teil der internationalen Wirtschaftsaktivitäten fällt unter diese Einkunftsart.149 Systematisch gehören Art. 7, 8 und 9 OECD-MA zusammen, da alle drei Unternehmensgewinne behandeln.150 Art. 8 OECD-MA steht zu Art. 7 OECD-MA in einem Verhältnis der Spezialität, denn er behandelt den Sonderfall der Unternehmensgewinne aus dem Betrieb von Seeschiff-, Binnenschiff- und Luftfahrt. Art. 9 OECD-MA regelt die Korrektur von Unternehmensgewinnen zwischen verbundenen Unternehmen. Nach Art. 7 OECD-MA führt nicht jede grenzüberschreitende unternehmerische Betätigung zu einer Besteuerung im Quellenstaat, sondern sie bedarf einer hinreichend engen Verknüpfung mit der Volkswirtschaft des Quellenstaates in Form einer Betriebsstätte. Für den Bereich der Unternehmensgewinne entscheidet das Vorliegen einer Betriebsstätte darüber, ob Unternehmensgewinne nur im Sitzstaat des Unternehmens oder auch im Quellenstaat besteuert werden können (Betriebsstättenprinzip). Der Betriebsstättentatbestand entscheidet somit darüber, welchem Steuerniveau die Gewinne eines Unternehmens unter149

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 7, Rz. 2.

150

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 7, Rz. 7.

126

Anwendung der Abkommen

liegen. Ist das ausländische Steuerniveau niedriger, so erscheint die Begründung einer Betriebsstätte im Ausland vorteilhaft, wenn der Wohnsitzstaat eine Freistellung der Einkünfte gewährt. Bei höherem ausländischen Steuerniveau ist die Begründung einer Betriebsstätte im Ausland aus steuerlicher Sicht möglichst zu vermeiden. Daher kommt dem Begriff der Betriebsstätte entscheidende Bedeutung zu. Was als Betriebsstätte gilt, bestimmt Art. 5 OECD-MA.

3.2.2.2.2

Betriebsstättenbegriff (Art. 5 OECD-MA)

Der Begriff der Betriebsstätte verfolgt den Zweck festzulegen, wann ein Vertragsstaat berechtigt ist, die Gewinne eines Unternehmens des anderen Vertragsstaates zu besteuern.151 Art. 5 OECD-MA zeigt folgenden Aufbau: Absätze

spezifischer Regelungsinhalt

Abs. 1 Abs. 2 Abs. 3

allgemeine Betriebsstättendefinition Positivkatalog von Betriebsstätten sachliche Anknüpfungsmerkmale für Betriebsstätten Bauausführungen und Montagen

Abs. 4 Abs. 5 Abs. 6

Negativkatalog von Betriebsstätten persönliche Anknüpfungsmerkmale

Abs. 7 Abbildung 34:

abhängiger Vertreter unabhängiger Vertreter

Vertreterbetriebsstätte

Anti-Organ-Klausel für verbundene Unternehmen Aufbau des Art. 5 OECD-MA

Art. 5 Abs. 1 OECD-MA definiert eine Betriebsstätte ganz allgemein als „eine feste Geschäftseinrichtung, durch die die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird.“ Der Betriebsstättenbegriff setzt demnach voraus:152 x x x

Das Bestehen einer Geschäftseinrichtung, d.h. einer Einrichtung wie Räumlichkeiten oder in gewissen Fällen maschineller Anlagen153 oder Ausrüstungen, die Geschäftseinrichtung muss fest sein, d.h. sie muss sich an einem bestimmten Ort für eine gewisse Dauer befinden, das Unternehmen muss seine Tätigkeit durch die feste Geschäftseinrichtung ausüben.

151

Vgl. Art. 5 Nr. 1 OECD-MK.

152

Vgl. Art. 5 Nr. 2 OECD-MK.

153

Bspw. ein Server für den Internethandel.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

127

Abs. 2 des Artikels ergänzt die allgemeine Betriebsstättendefinition des Abs. 1 durch einen beispielhaften Katalog von Betriebsstätten. Durch den Ausdruck „insbesondere“ wird deutlich, dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Die aufgeführten Beispiele müssen die allgemeinen Betriebsstättenmerkmale des Abs. 1 erfüllen.154 Art. 5 Abs. 2 OECD-MA „Der Ausdruck „Betriebsstätte“ umfasst insbesondere: a) einen Ort der Leitung, b) eine Zweigniederlassung, c) eine Geschäftsstelle, d) eine Fabrikationsstätte, e) eine Werkstätte, f) ein Bergwerk, ein Öl- oder Gasvorkommen, einen Steinbruch oder eine andere Stätte der Ausbeutung von Bodenschätzen.“ Art. 5 Abs. 3 OECD-MA stellt eine „lex-specialis“-Vorschrift zu Abs. 1 dar, nach der eine „Bauausführung oder Montage (...) nur dann (als) eine Betriebsstätte“ anzusehen ist, „wenn ihre Dauer zwölf Monate überschreitet“. Bei Überschreiten der zwölf Monate ist eine Bauausführung oder Montage stets eine Betriebsstätte, auch wenn die allgemeinen Voraussetzungen des Abs. 1 nicht erfüllt sind. Bei Unterschreiten der Zwölf-MonatsGrenze wird keine Betriebsstätte begründet. Hinter der Frist von zwölf Monaten steht die Idee, dass erst ab einer gewissen Intensität der wirtschaftlichen Aktivität der Quellenstaat ein Besteuerungsrecht erhalten soll. Abweichend vom MA wird – häufig in Abkommen mit Entwicklungs- oder Schwellenländern – bereits bei Überschreiten einer Frist von sechs oder neun Monaten eine Betriebsstätte begründet. Damit erhält der Betriebsstättenstaat früher ein Besteuerungsrecht. In Anbetracht dessen, dass Bauleistungen eher von Unternehmen der Industriestaaten ausgeführt werden, begünstigt eine kürzere Frist die Entwicklungsländer.155 Art. 5 Abs. 4 OECD-MA stellt einen Negativkatalog auf, welche Einrichtungen nicht als Betriebsstätten gelten. Selbst wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind, werden die aufgeführten Einrichtungen nicht als Betriebsstätte behandelt („Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen (...)“). Auch Abs. 4 kommt „lex-specialis“-Charakter im Vergleich zu

154

Vgl. Art. 5 Nr. 12 OECD-MK.

155

Deutschland hat eine Sechs-Monats-Frist in den DBA mit bspw. Australien, Bangladesch, China, Singapur und Zypern, eine Neun-Monats-Frist in den DBA mit bspw. Belgien, Estland, Kuwait, Lettland und Litauen, eine Zwölf-Monats-Frist in den DBA mit bspw. Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Korea, Kroatien, Österreich, Polen, Rumänien, der Russischen Föderation, der Schweiz und den USA, sowie eine nach Art der Bauausführung bzw. Montage differenzierende Sechs- oder Drei-Monatsfrist im DBA-Thailand vereinbart.

128

Anwendung der Abkommen

Abs. 1, 2 und 3 zu.156 Allen Tatbeständen des Negativkatalogs ist gemein, dass sie Hilfsoder vorbereitende Tätigkeiten darstellen. Diese Hilfs- oder vorbereitenden Tätigkeiten werden mittels einer gesetzlichen Fiktion („gelten nicht“) aus der Betriebsstättenbesteuerung herausgenommen.157 Hilfstätigkeiten und vorbereitende Arbeiten sind weit von einer tatsächlichen Gewinnerzielung entfernt, und es bereitet Schwierigkeiten, diesen Tätigkeiten Gewinne zuzurechnen.158 Art. 5 Abs. 4 OECD-MA „Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels gelten nicht als Betriebsstätten: a) Einrichtungen, die ausschließlich zur Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern oder Waren eines Unternehmens benutzt werden; b) Bestände von Gütern oder Waren des Unternehmens, die ausschließlich zur Lagerung, Ausstellung, oder Auslieferung unterhalten werden; c) Bestände von Gütern und Waren des Unternehmens, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten werden, durch ein anderes Unternehmen bearbeitet oder verarbeitet zu werden; d) eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für das Unternehmen Güter oder Waren einzukaufen oder Informationen zu beschaffen; e) eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für das Unternehmen andere Tätigkeiten auszuüben, die vorbereitender Art sind oder eine Hilfstätigkeit darstellen; f) eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, mehrere der unter den Buchstaben a bis e genannten Tätigkeiten auszuüben, vorausgesetzt, dass die sich daraus ergebende Gesamttätigkeit der festen Geschäftseinrichtung vorbereitender Art ist oder eine Hilfstätigkeit darstellt.“ Die bisherigen Absätze knüpfen für die Begründung einer Betriebsstätte an sachliche Merkmale an. Durch Art. 5 Abs. 5 OECD-MA tritt ein persönlicher Anknüpfungspunkt für die Begründung einer Betriebsstätte hinzu. Der Absatz regelt sog. Vertreterbetriebsstätten. Die Tätigkeit eines abhängigen Vertreters führt zur Annahme einer fiktiven Betriebsstätte („(...) wird das Unternehmen (...) so behandelt, als habe es (...)“), wenn x x x

er die Vollmacht hat, im Namen des Unternehmens Verträge abzuschließen, diese Vollmacht gewöhnlich im anderen Staat ausübt, keine vorbereitende oder unterstützende Tätigkeiten i.S.d. Abs. 4 durchführt,

156

Vgl. BFH v. 23.01.1985, I-R-292/81, BStBl. II 1985, S. 419.

157

Vgl. Art. 5 Nr. 21 OECD-MK.

158

Vgl. Art. 5 Nr. 23 OECD-MK.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens x x

129

er kein unabhängiger Vertreter i.S.d. Abs. 6 ist, er ein unabhängiger Vertreter ist, aber außerhalb der ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt.

Bei Art. 5 Abs. 5 OECD-MA handelt es sich um einen Ersatztatbestand, d.h. das allgemeine Merkmal der festen Geschäftseinrichtung nach Abs. 1 geht vor.159 Falls eine feste Geschäftseinrichtung vorhanden ist, so ist eine in diesem Rahmen ausgeübte Tätigkeit eines Vertreters als eine Tätigkeit anzusehen, die die Annahme einer Betriebsstätte rechtfertigt. Als abhängige Vertreter kommen nur Personen in Betracht, die weisungsgebunden handeln und in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Unternehmen stehen.160 Führt der abhängige Vertreter lediglich Hilfs- oder vorbereitende Tätigkeiten i.S.d. Abs. 4 aus, so wird eine Betriebsstätte nicht begründet, da für feste Einrichtungen Abs. 4 lex specialis zu Abs. 1 ist und dies auch für den abhängigen Vertreter gelten soll. Unabhängige Vertreter begründen nach Abs. 6 keine Betriebsstätte des Unternehmens des anderen Vertragsstaates. Ein unabhängiger Vertreter ist eine Person, die keinen persönlichen Weisungen des Geschäftsherrn unterliegt und von ihm rechtlich, wirtschaftlich und persönlich unabhängig ist. Der Vertreter ist unabhängig, wenn er x x

von dem Unternehmen sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich unabhängig ist und bei der Tätigkeit für das Unternehmen im Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt.161

Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, so begründet der unabhängige Vertreter keine Betriebsstätte des Unternehmens des anderen Vertragsstaates. Wird eine der beiden Voraussetzungen des Abs. 6 nicht erfüllt, dann ist Abs. 5 zu prüfen. Art. 5 Abs. 7 OECD-MA enthält die sog. Anti-Organ-Klausel. Die bloße Beherrschung einer Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft führt nicht automatisch dazu, dass in der Tochtergesellschaft eine Betriebsstätte der Muttergesellschaft gesehen wird. Damit wird nur der Grundsatz bestätigt, dass die zivilrechtliche Selbständigkeit einer Tochtergesellschaft auch steuerrechtlich (abkommensrechtlich) anerkannt wird.162 Aus den Zusammenhängen der Absätze des Art. 5 OECD-MA ergibt sich die folgende Prüfungsreihenfolge. Die Absätze 1 bis 4 werden vor den Absätzen 5 und 6 geprüft, da letztere lediglich einen Ersatztatbestand darstellen. Liegt eine Betriebsstätte nach den Abs. 1 bis 4 vor, so kommt eine zusätzliche Vertreterbetriebsstätte nicht mehr in Betracht, da die Tätigkeit des Vertreters der Betriebsstätte zugerechnet wird. 159

Vgl. Art. 5 Nr. 35 OECD-MK.

160

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 5, Rz. 145.

161

Vgl. Art. 5 Nr. 37 OECD-MK.

162

Vgl. Art. 5 Nr. 40 OECD-MK.

130

Anwendung der Abkommen

vorrangig zu prüfen: Absätze 1-4

Abs. 4: Negativkatalog lex specialis zu Abs. 1-3

+

keine BS

+

BS

+

BS

+

BS

Abs. 3: lex specialis zu Abs. 1 12-Monats-Zeitraum überschritten?

Abs. 1, 2 allgemeine BS-Definition Positivkatalog des Abs. 2

subsidiär zu prüfen: Absätze 5 und 6

Abs. 5: Vertreterbetriebsstätte (abhängiger Vertreter) keine Tätigkeiten i.S.d. Abs. 4 -----------------------------------------------Tätigkeiten i.S.d. Abs. 4

+

keine BS

+ (-) Tatbestandsvoraussetzungen (nicht) erfüllt BS

Betriebsstätte

Abbildung 35:

Abs. 6: Vertreterbetriebsstätte (unabhängiger Vertreter)

+

keine BS

-

Prüfungsschema des Art. 5 OECD-MA

Der abkommensrechtliche Ausdruck der Betriebsstätte ist vom gleichnamigen Begriff Betriebsstätte (§ 12 AO) bzw. des (ständigen) Vertreters (§ 13 AO) des innerstaatlichen Rechts zu trennen, denn DBA bzw. das OECD-MA als Muster für den Abschluss von DBA verkörpern ihren eigenen Regelungskreis mit eigener Begriffssprache. Trotz Gleichnamigkeit besteht keine Funktionsgleichheit.163 Im Kontext des OECD-MA dient die Betriebsstätte bzw. der Vertreter als Kriterium für die Zuweisung des Besteuerungsrechts an den Quellen- oder Wohnsitzstaat. Im innerstaatlichen Zusammenhang wird der Betriebsstättenbegriff zur Bestimmung der materiellen Steuerpflicht verwendet.164 Die abkommensrechtliche Definition der Betriebsstätte ist im Vergleich zur Definition nach § 12 AO enger gefasst. § 12 AO kennt zum Beispiel nicht den Negativkatalog des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA. In Bezug auf Bauausführungen und Montagen wird nach § 12 Satz 1 Nr. 8 AO eine Betriebsstätte schon nach sechs Monaten begründet, während im Abkommensrecht eine Frist von zwölf Monaten vorgesehen ist (Art. 5 Abs. 3 OECD-MA). Der 163

Vgl. BFH v. 28.06.1972, I-R-35/70, BStBl. II 1972, S. 789.

164

Vgl. §§ 34d Nr. 2 Bst. a, 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG; Debatin, H., Das Betriebsstättenprinzip der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (Teil I), DB 1989, S. 1693.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

131

Grund für die weitere innerstaatliche Fassung liegt darin, dass Deutschland die ihm per DBA zugewiesenen Besteuerungsrechte auf jeden Fall durch eine innerstaatliche Norm ausfüllen möchte. Daher muss nach innerstaatlichem Recht eine Betriebsstätte vorliegen, denn DBA können keine Besteuerungsrechte schaffen, sondern nur bereits bestehende einschränken. Wäre die innerstaatliche Definition enger gefasst als die abkommensrechtliche, so könnte Deutschland maximal im Rahmen der innerstaatlichen Definition besteuern, obwohl die ihm durch das DBA auferlegte Schranke großzügiger ausgestaltet wäre. Besteuerungsrecht des Quellenstaates bei Vorliegen einer Betriebsstätte Betriebsstätte nach Abkommensrecht

Betriebsstätte nach innerstaatlichem Recht

Besteuerungsrecht im Quellenstaat

nicht gegeben

nicht gegeben

nein

nicht gegeben

gegeben

nein

gegeben

nicht gegeben

nein

gegeben

gegeben

ja

Abbildung 36:

Übersicht über das Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaates165

Die Streichung des Art. 14 OECD-MA führt dazu, dass die Definition der Betriebsstätte auf die zuvor für freiberufliche Einkünfte maßgebende „feste Einrichtung“ anwendbar wird.166

3.2.2.2.3 Besteuerungsrecht für Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) Die Absätze des Art. 7 OECD-MA lassen sich drei verschiedenen Regelungsbereichen zuordnen. Abs. 1 der Vorschrift grenzt die Besteuerungsrechte des Quellen- und Wohnsitzstaates ab. Die Absätze 2-6 enthalten Grundsätze über die Gewinnzuordnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte und Abs. 7 regelt das Verhältnis dieses Artikels zu den weiteren Schrankennormen des OECD-MA.

165

Vgl. Djanani, C., Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Wien 1998, S. 156.

166

Vgl. Art. 5 Nr. 1.1 OECD-MK.

132

Absätze Abs. 1

Anwendung der Abkommen

charakteristische Normbestandteile

spezifischer Regelungsinhalt

Beschränkung der Besteuerungsrechte Betriebsstättenprinzip zwischen den Vertragsstaaten

Abs. 2

Fremdvergleichsgrundsatz („dealingat-arm’s-length“), direkte Methode

Abs. 3

Definition von ErmittlungsgrundsätErgänzung des Fremdvergleichgrundzen (Erfolgszuordnung): satzes mit Bezug zur Aufwandsseite

Abs. 4 Abs. 5 Abs. 6 Abs. 7

indirekte Methode Regeln über die Gewinnzurechnung keine Gewinnzurechnung bei Einzwischen Stammhaus und Betriebskaufstätigkeiten stätte Kontinuität der Gewinnzurechnungsmethode Abgrenzung zu anderen Abkommens- Subsidiarität der Unternehmensgeartikeln (Subsidiaritätsklausel) winne

Abbildung 37:

Aufbau des Art. 7 OECD-MA

Auch für die Behandlung eines Unternehmens findet das Regelungsschema des OECDMA, das Quellen- und Wohnsitzstaat anspricht, Anwendung. Nach Art. 3 Abs. 1 Bst. d OECD-MA wird unter einem „Unternehmen eines Vertragsstaates“ ein Unternehmen verstanden, „das von einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person betrieben wird“. Nach dieser Definition ist ein Unternehmen dem Vertragsstaat zuzuordnen, in dem die das Unternehmen betreibende Person, der Unternehmer, ansässig ist. Angesprochen ist der Wohnsitzstaat des Unternehmers.167 Unter einem „Unternehmen“ wird nach Art. 3 Abs. 1 Bst. c OECD-MA „die Ausübung einer Geschäftstätigkeit“ verstanden. Unter Geschäftstätigkeit sind gewerbliche und selbständige unternehmerische Tätigkeiten zu verstehen, denn nach Art. 3 Abs. 1 Bst. h OECDMA gehört zur unternehmerischen Tätigkeit auch eine „freiberufliche oder sonstige selbständige Tätigkeit.“ Der Einbezug selbständiger Tätigkeiten in den Anwendungsbereich des Art. 7 OECD-MA ergibt sich aus der Streichung des Art. 14 OECD-MA, der zuvor selbständige Einkünfte behandelte. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA enthält die Grundregel und die Ausnahme von der Grundregel für die Besteuerung von Unternehmensgewinnen im Quellen- bzw. Wohnsitzstaat.

167

Vgl. Debatin, H., Das Betriebsstättenprinzip der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (Teil I), DB 1989, S. 1693.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

133

Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA „Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaates können nur in diesem Staat besteuert werden, (...)“

Grundregel Besteuerung von Unternehmensgewinnen ausschließlich im (Wohn-)Sitzstaat des Unternehmens ÖSchrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

Nach der Grundregel können Unternehmensgewinne auch dann nicht im Quellenstaat besteuert werden, wenn die Gewinne teilweise oder ganz aus Einkunftsquellen des Quellenstaates stammen. Dies ist vor allem der Fall bei Direktgeschäften (Export).168 Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2, Satz 2 Hs. 1 OECD-MA

Ausnahme

„(...), es sei denn, das Unternehmen übt seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus. Übt das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit auf diese Weise aus, so können die Gewinne des Unternehmens im anderen Staat besteuert werden, (...)“

Ausnahmetatbestand: Vorliegen einer Betriebsstätte im Quellenstaat (Betriebsstättenprinzip) ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

Liegt eine Betriebsstätte des Unternehmens im Quellenstaat vor, so darf auch der Quellenstaat Unternehmensgewinne besteuern. Aus der Tatsache, dass es sich um eine Schrankennorm mit offener Rechtsfolge handelt, folgt, dass der Wohnsitzstaat weiterhin besteuern darf. Eine Doppelbesteuerung vermeidet der Wohnsitzstaat durch Anwendung des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA). Deutschland stellt Betriebsstättengewinne grundsätzlich von der Besteuerung frei, allerdings unter Progressionsvorbehalt. Teilweise ist dieses Prinzip durch eine Aktivitätsklausel eingeschränkt. Danach muss die ausländische Betriebsstätte eine aktive Wirtschaftstätigkeit entfalten. Ist dies nicht gegeben, wird anstelle der Freistellungs- nur die Anrechnungsmethode gewährt. Der Umfang des Besteuerungsrechts des Quellenstaates richtet sich nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 OECD-MA. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 OECD-MA „(...) jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können.“

168

Umfang des Besteuerungsrechts Zurechnung der Gewinne nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Verursachung, keine Attraktivkraft der Betriebsstätte

Vgl. aber die Protokolle zu Art. 7 zum DBA-Indonesien bzw. zum DBA-Philippinen.

134

Anwendung der Abkommen

Nach dem Prinzip des wirtschaftlichen Zusammenhangs erstreckt sich der Umfang des Besteuerungsrechts des Quellenstaates auf die von der Betriebsstätte erwirtschafteten Gewinne.169 Dies schließt Gewinne ein, die in Drittstaaten oder im Wohnsitzstaat des Unternehmens erzielt werden, solange sie der Betriebsstätte zugerechnet werden können. Das Besteuerungsrecht des Quellenstaates bezieht sich somit nicht auf Gewinne, die das Unternehmen in diesem Staat auf andere Weise als durch eine Betriebsstätte erzielt.170 Einige Staaten besteuern ein ausländisches Unternehmen, das in ihrem Staatsgebiet eine Betriebsstätte errichtet mit allen Gewinnen, die das Unternehmen in diesem Staat erzielt. Nach diesem Konzept wären u.U. auch Direktgeschäfte erfasst. Dieses sog. Prinzip der Attraktivkraft der Betriebsstätte wird durch Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 OECD-MA abgelehnt.171 Merke: Im OECD-MA gilt das Prinzip der Attraktivkraft der Betriebsstätte nicht (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 OECD-MA). Demnach hat der Quellenstaat das Besteuerungsrecht nur bzgl. der von der Betriebsstätte erwirtschafteten Gewinne, nicht aber für Gewinne die das ausländische Stammhaus im Quellenstaat auf andere Weise als durch die Betriebsstätte erzielt (z.B. Direktgeschäfte).

3.2.2.2.4

Gewinnzurechnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (Abs. 2-6)

Der Quellenstaat darf die Unternehmensgewinne besteuern, soweit sie der Betriebsstätte zugerechnet werden können. Die Beschränkung des Besteuerungsrechts des Quellenstaates auf diesen Teil der Unternehmensgewinne erfordert die Abgrenzung des Betriebsstättenergebnisses vom Stammhausergebnis. Daher bestimmen die Abs. 2-6, auf welche Weise der Betriebsstätte Einkünfte zuzurechnen sind. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA steht in engem Zusammenhang zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 OECD-MA und enthält die Grundregel für die Gewinnabgrenzung zwischen Betriebsstätte und Stammhaus.

169

Vgl. BFH v. 20.07.1988, I-R-49/84, BStBl. II 1989, S. 140.

170

Vgl. Art. 7 Nr. 5 OECD-MK.

171

In den deutschen DBA ist eine Attraktivkraft der Betriebsstätte nur im DBA-Bulgarien nicht grundsätzlich verneint.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens Art. 7 Abs. 2 OECD-MA

135 Grundregel der Gewinnabgrenzung

„(...) so werden (...) in jedem Vertragsstaat für beide Vertragsstaaten verbindlich dieser Betriebsstätte die Gewinne zugerechnet, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit Öwirtschaftliche Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unter- ÖFremdvergleichsgrundsatz nehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, („dealing-at-arm’s-length“Prinzip) völlig unabhängig gewesen wäre.“ Um der Betriebsstätte den Anteil am Unternehmensgewinn zuzurechnen, den sie durch Wahrnehmung ihrer betrieblichen Funktionen erwirtschaftet hat, wird sie im Verhältnis zum Stammhaus als wirtschaftlich selbständig fingiert (wirtschaftliche Selbständigkeitsfiktion). Auf der Grundlage der Selbständigkeitsfiktion wird die Höhe des zuzurechnenden Betriebsstättengewinns anhand des Fremdvergleichs bestimmt. Der englische Ausdruck „dealing-at-arm’s-length“ versinnbildlicht die Unabhängigkeit, die die Betriebsstätte nach diesem Grundsatz vom Stammhaus für Zwecke der Gewinnzurechnung genießt.172 Die Selbständigkeitsfiktion gilt nicht für die Gewinnermittlung, sondern erst für die nachfolgende Gewinnzuordnung auf Stammhaus und Betriebsstätte. Die Gewinnermittlung erfolgt nach den jeweiligen nationalen Gewinnermittlungsvorschriften (also nach denen im Betriebsstättenstaat und denen im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens). Zwischen Stammhaus und Betriebsstätte fehlt es an einem Interessengegensatz wie zwischen zwei unabhängigen Unternehmen. Beide Unternehmensteile, Stammhaus und Betriebsstätte, verfolgen das gleiche übergeordnete Unternehmensziel. Durch den unternehmensinternen Leistungsaustausch bestünde die Möglichkeit, Gewinne zu verschieben. Voneinander unabhängige Unternehmen würden ohne Grund dem jeweils anderen Unternehmen keine Vorteile zu Lasten der eigenen Position gewähren. Durch den Fremdvergleich werden die Einflüsse eliminiert, die Ausdruck eines Nahestehens der beiden Unternehmensteile sind und mit dem „dealing-at-arm’s-length“-Prinzip nicht im Einklang stehen.173 Das Prinzip behandelt Betriebsstätten wie ein selbständiges Unternehmen und legt die Bewertung der Gegenleistung entsprechend fest.

172

Vgl. Art. 7 Nr. 11 OECD-MK.

173

Vgl. BFH v. 30.05.1990, I-R-97/88, BStBl. II 1990, S. 877.

Beispiel

Anwendung der Abkommen „Dealing-at-arm’s-length”-Prinzip des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA

Lösung

136

Der Gesamterfolg des Unternehmens bei Veräußerung durch die Betriebsstätte beläuft sich auf 50 (= 150 ./. 100), wenn weitere Kosten bei der Betriebsstätte nicht betrachtet werden.

Das irische Stammhaus liefert seiner deutschen Betriebsstätte Fertigfabrikate, für die Herstellungskosten von 100 angefallen sind, zu einem Preis von 130 pro Stück. Gegenüber externen Abnehmern kann das Stammhaus die Fertigfabrikate üblicherweise nur zu 120 pro Stück absetzen. Die Betriebsstätte vertreibt die Produkte zu einem Preis von 150 pro Stück.

Unter Missachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes teilt sich der Gesamterfolg auf in einen Produktionsgewinn von 30 (= 130 ./. 100) für das Stammhaus und einen Vertriebsgewinn von 20 (= 150 ./. 130) für die Betriebsstätte. Unter Anwendung des durch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA aufgestellten Fremdvergleichsgrundsatzes hätte die Betriebsstätte als selbständiges, unabhängiges Unternehmen den Preis von 130 nicht akzeptiert, wenn die Produkte zu einem Marktpreis (= Fremdvergleichspreis) von 120 erhältlich sind. Daher wird der Betriebsstätte ein Vertriebsgewinn von 30 (= 150 ./. 120) und dem Stammhaus ein Produktionsgewinn von 20 (= 120 ./. 100) zugerechnet. Der Gesamtgewinn von 50 verändert sich durch die Gewinnzurechnung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht.

Merke: Für die Gewinnzurechnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gilt das „dealing-at-arm’s-length“-Prinzip. Es wird eine wirtschaftliche Selbständigkeit der Betriebsstätte fingiert (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA). Dadurch soll den Möglichkeiten zur Verschiebung von Gewinnen zwischen diesen beiden sich nahe stehenden Unternehmensteilen entgegengewirkt werden. Für die Gewinnabgrenzung wird die Selbständigkeit der Betriebsstätte fingiert. Dennoch sind Betriebsstätte und Stammhaus Teile ein und desselben Unternehmens, die nicht wie Dritte miteinander verkehren können. Daraus folgt, dass zwischen Betriebsstätte und Stammhaus keine Kauf-, Miet-, Pacht-, Darlehens-, Lizenz- oder sonstigen Verträge fingiert werden können, da sie zivilrechtlich nicht möglich sind und somit auch steuerrechtlich nicht anerkannt werden können (eingeschränkte Selbständigkeit)174. Der Betriebsstätte kann grundsätzlich erst ein Gewinn zugewiesen werden, wenn er durch einen Außenumsatz realisiert wurde.175

174

Vgl. hierzu auch BFH v. 20.07.1988, I-R-49/84, BStBl. II 1988, S. 140.

175

Über den Grad der Selbständigkeitsfiktion besteht ein Meinungsstreit: absolute (hypothetische) vs. eingeschränkte (hypothetische) Selbständigkeit. Die h.M. folgt der eingeschränkten Selbständigkeitsfiktion; vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl.,

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

137

Nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA gilt der Fremdvergleichsgrundsatz für beide Vertragsstaaten („in jedem Vertragsstaat“). Auf diese Weise kann trotz unterschiedlicher nationaler Gewinnermittlungsvorschriften eine doppelte Erfassung von Einkommensbestandteilen vermieden werden.176 Für die Gewinnzurechnung auf eine Betriebsstätte und ihr Stammhaus gibt es zwei Methoden: die direkte und die indirekte Methode. Die direkte Methode beruht auf der Fiktion der Selbständigkeit der Betriebsstätte. Nach der direkten Methode wird der Betriebsstättengewinn aufgrund einer eigenständigen Betriebsstättenbuchführung wie bei einem selbständigen Unternehmen ermittelt.177 Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes wird gewährleistet, indem untersucht wird, ob und inwieweit die Gewinne auch angefallen wären, wenn die Betriebsstätte ein unabhängiges Unternehmen gewesen wäre.178 Eine gesonderte Betriebsstättenbuchführung wird in den meisten Fällen nicht nur aus steuerrechtlichen Gründen, sondern bereits aus betriebswirtschaftlichen Gründen vorliegen, da das Unternehmen zur Unternehmenssteuerung Informationen über die Rentabilität der Zweigniederlassung benötigt.179 Nach der indirekten Methode wird zunächst der gesamte Erfolg des Einheitsunternehmens nach den jeweiligen inländischen Gewinnermittlungsvorschriften ermittelt. Anschließend wird der Gesamtgewinn des Unternehmens nach bestimmten Schlüsseln auf das Stammhaus und die Betriebsstätte aufgeteilt.180 Hinter dieser Methode steckt die Annahme, dass alle Teile des Unternehmens entsprechend dem gewählten Schlüssel zum Gewinn des Gesamtunternehmens beitragen. Die verwendeten Schlüssel beziehen sich üblicherweise auf ein bestimmtes Verhältnis der Einnahmen (z.B. Umsatz, Provisionen), Aufwendungen (z.B. Löhne, Materialkosten) oder des Betriebsvermögens des Unternehmens. Das Hauptproblem der indirekten Methode besteht im Auffinden eines geeigneten Schlüssels, der den Gewinn verursachungsgerecht zuordnen kann. Die Gewinngröße wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, der die bisher gefundenen Schlüssel nicht Rechnung tragen. Die direkte Methode genießt daher wegen einer exakteren Gewinnzurechnung Vorrang vor der

München 2003, Art. 7, Rz. 78 ff.; BMF v. 12.02.1990, IV B 2-S – 2135 – 4/90, IV C 5 – S 1300 – 21/90, BStBl. I 1990, S. 72. 176

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 7, Rz. 71.

177

Vgl. BMF v. 24.12.1999, IV B 4-S-1300-111/99, BStBl. I 1999, S. 1076, Tz. 2.3.1, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 800, § 12/1 (sog. Betriebsstättenerlass).

178

Vgl. Djanani, C., Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Wien 1998, S. 166.

179

Vgl. Art. 7 Nr. 11 OECD-MK.

180

Vgl. Betriebsstättenerlass Tz. 2.3.2.

138

Anwendung der Abkommen

indirekten Methode.181 Unter bestimmten Bedingungen kann dennoch die indirekte Methode Anwendung finden (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA). Entspricht die Verrechnung der zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ausgetauschten Leistungen nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz, so können die zugerechneten Gewinne berichtigt werden. Stellt wie im oben angeführten Beispiel das Stammhaus eine Warenlieferung der Betriebsstätte zu höheren Preisen in Rechnung als sie zwischen fremden Dritten vereinbart worden wäre, so führt dies zu einer Gewinnverlagerung zugunsten des Wohnsitzstaates. In diesem Fall wird der Gewinn entsprechend der sich nach Marktpreisen ergebenden Situation berichtigt. Der Betriebsstättengewinn wird bspw. im Rahmen einer späteren Betriebsprüfung erhöht. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA ergänzt den allgemeinen Grundsatz des Fremdvergleichs und stellt für die Aufwandsseite klar, dass bei der Ermittlung des Gewinns einer Betriebsstätte „die für diese Betriebsstätte entstandenen Aufwendungen“ abgezogen werden können, „gleichgültig“, wo sie angefallen sind. Durch die Formulierung „für diese Betriebsstätte entstandenen Aufwendungen“ wird gleichzeitig die Grenze des Abzugs festgelegt. Aufwendungen, die wirtschaftlich nicht durch die Betriebsstätte verursacht wurden, dürfen nicht bei der Betriebsstätte abgezogen werden. Durch die ausdrückliche Erwähnung von „allgemeinen Verwaltungskosten“ und „Geschäftsführungskosten“ wird anerkannt, dass diese Kosten für die Gesamtheit des Unternehmens und damit auch für Betriebsstätten anfallen. Art. 7 Abs. 4 OECD-MA erwähnt die Bedingungen, unter denen eine Gewinnzurechnung nach der indirekten Methode möglich ist. Der Hauptnachteil der indirekten Methode liegt in der nicht verursachungsgerechten Ergebniszuordnung, weil sich ein Schlüssel, der die Gewinne verursachungsgerecht zuordnet, meist nicht bzw. nur schwer finden lässt. Der Aufteilungsschlüssel spiegelt oft nicht wider, dass der Gewinn der einzelnen Betriebsteile durch viele Faktoren bestimmt wird. Deshalb wird die indirekte Methode nur unter zwei Bedingungen zugelassen: x x

die Anwendung der indirekten Methode ist in einem der Vertragsstaaten üblich, die Gewinnaufteilung entspricht den Grundsätzen des Art. 7 OECD-MA, d.h. die Anwendung eines Aufteilungsschlüssels kommt der Gewinnzurechnung entsprechend der gesonderten Buchführung nach der direkten Methode (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA) möglichst nahe.182

Art. 7 Abs. 5 OECD-MA ist eine Ergänzung zu Art. 5 Abs. 4 Bst. d OECD-MA. Nach dieser Vorschrift des Negativkatalogs stellt eine feste Geschäftseinrichtung, die lediglich 181

Vgl. Art. 7 Nr. 25 OECD-MK; BFH v. 29.07.1992, II-R-39/89, BStBl. II 1993, S. 65; BFH v. 12.01.1994, II-R-95/89, IStR 1994, S. 176; Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 7, Rz. 101.

182

Vgl. Art. 7 Nr. 27 OECD-MK.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

139

Einkaufstätigkeiten ausübt bzw. Informationen beschafft, keine Betriebsstätte dar. Da eine Einkaufsstelle keine Betriebsstätte darstellt, werden die Gewinnzurechnungsvorschriften auch nicht angewandt. Art. 7 Abs. 5 OECD-MA bezieht sich auf eine Betriebsstätte, die neben anderen unternehmerischen Tätigkeiten, durch die sie sich als Betriebsstätte qualifiziert, auch Einkäufe tätigt. Abs. 5 stellt sicher, dass der Betriebsstätte für die Einkaufstätigkeit kein Gewinn zugerechnet wird.183 Art. 7 Abs. 5 OECD-MA „Auf Grund des bloßen Einkaufs von Gütern oder Waren für das Unternehmen wird einer Betriebsstätte kein Gewinn zugerechnet.“ Art. 7 Abs. 6 OECD-MA gebietet die kontinuierliche Anwendung einer Gewinnzurechnungsmethode, indem ein unbegründeter Wechsel von der direkten zur indirekten Gewinnermittlungsmethode als unzulässig angesehen wird. Art. 7 Abs. 6 OECD-MA „(...) sind die der Betriebsstätte zuzurechnenden Gewinne jedes Jahr auf dieselbe Art zu ermitteln, es sei denn, dass ausreichende Gründe dafür bestehen, anders zu verfahren.“ Vor allem ist es unzulässig, die Methode zu wechseln, nur weil die andere Zurechnungsmethode in einem bestimmten Jahr zu günstigeren Ergebnissen führt.184

3.2.2.2.5

Abgrenzung des Art. 7 OECD-MA zu den übrigen Schrankennormen

Art. 7 Abs. 7 OECD-MA regelt das Verhältnis des Art. 7 OECD-MA zu den übrigen Schrankennormen. Der Ausdruck „Unternehmensgewinne“ ist nicht im Abkommen definiert, und deshalb könnten alle Einkünfte eines Unternehmens als „Unternehmensgewinne“ zu behandeln sein.185 Welcher Artikel anzuwenden ist, wenn ein Unternehmen z.B. auch Einkünfte aus Dividenden erzielt, regelt Art. 7 Abs. 7 OECD-MA, der grundsätzlich der spezielleren Einkunftsart den Vorrang einräumt (Subsidiarität des Art. 7 OECD-MA). Deshalb gehen die Artikel über Dividenden (Art. 10 OECD-MA), Zinsen (Art. 11 OECDMA) und Lizenzgebühren (Art. 12 OECD-MA) dem Art. 7 OECD-MA vor, selbst wenn die Beteiligungen, Forderungen oder Lizenzen zum Betriebsvermögen eines Unternehmens gehören. Ansonsten könnte ein Quellenstaat bei Nicht-Bestehen einer Betriebsstätte Divi-

183

Vgl. Art. 7 Nr. 30 OECD-MK.

184

Vgl. Art. 7 Nr. 31 OECD-MK.

185

Vergleichbar mit der Subsidiarität der letzten drei Einkunftsarten der sieben Katalogeinkünfte des § 2 EStG.

140

Anwendung der Abkommen

denden-, Zins- und Lizenzeinkünfte des Unternehmens nicht besteuern, da nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA nur der Wohnsitzstaat besteuern darf.186 Art. 7 Abs. 7 OECD-MA „Gehören zu den Gewinnen Einkünfte, die in anderen Artikeln dieses Abkommens behandelt werden, so werden die Bestimmungen jener Artikel durch die Bestimmungen dieses Artikels nicht berührt.“ Zu beachten bleiben aber Rückverweisungsklauseln in den erwähnten Art. 10, 11, 12 OECD-MA. Erzielt die Betriebsstätte Einkünfte aus Dividenden, Zinsen oder Lizenzen, so werden diese nach Art. 10 Abs. 4 OECD-MA, Art. 11 Abs. 4 OECD-MA bzw. Art. 12 Abs. 3 OECD-MA als Betriebsstättengewinne qualifiziert (sog. Betriebsstättenvorbehalt). Die Betriebsstätte erzielt nur Einkünfte aus Unternehmensgewinnen. Durch den Betriebsstättenvorbehalt wird das Besteuerungsrecht des Quellenstaates für Einkünfte aus Dividenden und Zinsen nicht in der Höhe beschränkt. Der Grund für den Betriebsstättenvorbehalt liegt in der engen wirtschaftlichen Verbindung zur ausländischen Volkswirtschaft, die ein Unternehmen durch eine Betriebsstätte eingeht. Der Betriebsstättenvorbehalt gilt nicht für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 Abs. 4 OECD-MA). Merke: Art. 7 OECD-MA ist gegenüber den spezielleren Art. 10, 11, 12 OECD-MA subsidiär anzuwenden (Art. 7 Abs. 7 OECD-MA), außer es erfolgt eine Rückverweisung auf Art. 7 OECD-MA durch den Betriebsstättenvorbehalt (= Qualifizierung der Dividenden-, Zins- und Lizenzeinkünfte einer Betriebsstätte als Betriebsstättengewinne).

3.2.2.3 Seeschifffahrt, Binnenschifffahrt und Luftfahrt (Art. 8 OECD-MA) Art. 8 OECD-MA gehört systematisch gesehen auch zu den Unternehmensgewinnen, steht aber zu Art. 7 OECD-MA in einem Verhältnis der Spezialität („lex specialis“). Nach dem Zweck der Vorschrift sollen Gewinne der international tätigen Schifffahrts- und Luftverkehrsunternehmen, die in vielen Staaten Einnahmen erzielen, nur in einem Staat versteuert werden, damit es nicht zu einer Zersplitterung der Besteuerung kommt.187 Die Vorschrift dient der Vereinfachung der Besteuerung.

186

Dies entspricht dem Konzept des § 49 Abs. 2 EStG (sog. isolierende Betrachtungsweise); vgl. Portner, R., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBAKommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 10 OECD-MA, Rz. 16.

187

Vgl. Lippek, V./ Wilden, G., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBA-Kommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 8 OECD-MA, Rz. 1, 161.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

141

Art. 8 OECD-MA ist daher als Schrankennorm mit abschließender Rechtsfolge („können nur“) ausgestaltet, die das Besteuerungsrecht ausschließlich dem Staat zuteilt, in dem sich der „Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung“ des Unternehmens befindet. Eine Anwendung des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA) zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erübrigt sich aufgrund der abschließenden Rechtsfolge dieser Schrankennorm. Unter Art. 8 Abs. 1 OECD-MA fallen nur Gewinne aus dem Betrieb von Seeschiffen und Luftfahrzeugen im „internationalen Verkehr“. Dieser Ausdruck ist näher in Art. 3 Abs. 1 Bst. e OECD-MA definiert. „Internationaler Verkehr“ ist danach „jede Beförderung mit einem Seeschiff oder Luftfahrzeug“, mit der Ausnahme von innerstaatlichen Beförderungen im Vertragsstaat, der nicht der Geschäftsleitungsstaat ist. Für alle nicht-internationalen Einkünfte des Unternehmens i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Bst. e OECD-MA gelten die allgemeinen Vorschriften des OECD-MA.

3.2.2.4 Verbundene Unternehmen (Art. 9 OECD-MA) Art. 9 OECD-MA regelt die Besteuerung zweier verbundener Unternehmen in ihren Sitzstaaten. Unter verbundenen Unternehmen sind Unternehmensverbindungen von rechtlich selbständigen Unternehmen (i.d.R. Kapitalgesellschaften) unter gemeinsamer Kontrolle zu verstehen. Aufgrund des Trennungsprinzips werden schuldrechtliche Verträge zwischen den einzelnen verbundenen Unternehmen zivilrechtlich und steuerrechtlich anerkannt. Mangels Interessengegensatz zwischen den beteiligten Unternehmen besteht die Möglichkeit, dass unternehmensinterne Leistungsbeziehungen mittels Verrechnungspreisen so ausgestaltet werden, dass Gewinne verlagert werden. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA erlaubt es den Steuerbehörden, Gewinnberichtigungen vorzunehmen, wenn Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen unter anderen Bedingungen als denen des freien Marktes abgewickelt worden sind. Als Maßstab für die Angemessenheit der Verrechnungspreise dient das „dealing-at-arm’s-length“-Prinzip, wie es auch für die Beziehung Stammhaus-Betriebsstätte nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA Anwendung findet.188 Die Steuerbehörden eines Vertragsstaates dürfen Gewinnberichtigungen vornehmen, wenn aufgrund von „(...) Bedingungen (...), die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden (...)“ Gewinne nicht ausgewiesen werden. Die Vornahme der Gewinnkorrektur richtet sich nach den innerstaatlichen Korrekturvorschriften. Rechtsgrundlagen der Gewinnkorrektur sind in Deutschland § 1 AStG, der ebenso den „arm’s-length“-Grundsatz verwendet, die verdeckte Gewinnausschüttung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, die verdeckte Einlage sowie § 42 AO.

188

Vgl. Art. 9 Nr. 1 OECD-MK.

142

Anwendung der Abkommen

Art. 9 Abs. 1 OECD-MA legt den innerstaatlichen Vorschriften zur Gewinnkorrektur Schranken auf. Nur wenn die Bedingungen dem „arm’s-length“-Prinzip nicht entsprechen, sind Gewinnkorrekturen zulässig.189

Beispiel

„Dealing-at-arm’s-length”-Prinzip des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA

Lösung

Nimmt nur ein Vertragsstaat eine Gewinnkorrektur vor, so entsteht für das verbundene Unternehmen eine (wirtschaftliche) Doppelbesteuerung, denn die Gewinne in Höhe des unangemessenen Teils wurden bereits beim Unternehmen im anderen Vertragsstaat versteuert.

In Kanada entsteht so ein vergleichsweise höherer Gewinn, der dort zu einem höheren Steueraufkommen führt. Nimmt nun Deutschland eine Gewinnkorrektur in Höhe des unangemessenen Teils des Verrechnungspreises vor, so wird der bereits in Kanada der Besteuerung unterlegene Gewinnanteil in Deutschland bei der MagicAutoGmbH besteuert. Als Folge tritt eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung ein, da dasselbe Steuergut „Gewinn“ in Höhe des korrigierten Betrages bei zwei eigenständig Steuerpflichtigen – Tool-Inc. und MagicAuto GmbH – besteuert wird.

Die Muttergesellschaft Tool-Inc. in Kanada stellt der in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft MagicAuto-GmbH für eine Werkzeuglieferung einen im Vergleich zu unabhängigen Unternehmen zu hohen Konzernverrechnungspreis in Rechnung.

Aus diesem Grund verpflichtet Art. 9 Abs. 2 OECD-MA den anderen Vertragsstaat, eine Gegenberichtigung in Höhe des unangemessenen Teils vorzunehmen, um die eingetretene wirtschaftliche Doppelbesteuerung auszugleichen.190 Der Zweck des Abs. 2 besteht in der Beseitigung einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. In den tatsächlich abgeschlossenen DBA findet sich jedoch die Bestimmung des Absatz 2 selten wieder, bspw. in dem mit den USA, aber nicht in denen mit Bolivien, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Niederlanden, Norwegen, usw. Die Staaten befürchten, durch dieses Zugeständnis dem anderen Staat Rechte über die eigene Besteuerungshoheit einzuräumen.

3.2.2.5 Dividenden (Art. 10 OECD-MA) Art. 10 OECD-MA („Dividenden“) und der folgende Art. 11 OECD-MA („Zinsen“) unterscheiden sich von den übrigen Schrankennormen dadurch, dass sie eine Steueraufteilung zwischen Wohnsitz- und Quellenstaat vorsehen.

189

Vgl. Art. 9 Nr. 2 OECD-MK.

190

Vgl. Art. 9 Nr. 5 OECD-MK.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

143

Art. 10 OECD-MA regelt die Besteuerung von Dividendeneinkünften, die ein Gesellschafter erhält. Die folgende Abbildung zeigt die für Schrankennormen charakteristischen Normbestandteile und den spezifischen Regelungsinhalt der einzelnen Absätze des Art. 10 OECD-MA. Absätze Abs. 1

charakteristische Normbestandteile

spezifischer Regelungsinhalt

Abs. 2

Beschränkung der Besteuerungsrech- Besteuerungsrecht d. Wohnsitzstaates te zwischen den Vertragsstaaten Besteuerungsrecht des Quellenstaates

Abs. 3

Def. des Besteuerungsgegenstandes

Abs. 4

Abgrenzung zu anderen AbkomBetriebsstättenvorbehalt mensartikeln (Subsidiaritätsklausel)

Abs. 5 Abbildung 38:

Definition des Dividendenbegriffs

extraterritoriale Besteuerung Aufbau des Art. 10 OECD-MA

Art. 10 Abs. 1 OECD-MA bestätigt das Recht des Wohnsitzstaates des Dividendenempfängers, Dividenden zu besteuern. Die Schrankennorm richtet sich an den Quellenstaat und begrenzt sein Besteuerungsrecht, während das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates uneingeschränkt aufrechterhalten bleibt. Eine Beschränkung seines Besteuerungsrechts erfährt der Wohnsitzstaat erst durch Art. 23 OECD-MA. Art. 10 Abs. 1 OECD-MA „Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖDie Grundregel des uneingeschränkten Besteuerungsrechts des Wohnsitzstaates wird für Dividendeneinkünfte bestätigt.

„Eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft“ ist eine Gesellschaft i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Bst. b OECD-MA, die in einem Vertragsstaat nach Art. 4 Abs. 1 OECD-MA ansässig (also unbeschränkt steuerpflichtig) ist. Der Begriff „Dividende“ ist ebenso abkommensrechtlicher Natur, wird allerdings nicht im Abschnitt II des OECD-MA, der die Begriffsbestimmungen enthält, definiert, sondern in Abs. 3 des Art. 10 OECD-MA. Art. 10 Abs. 2 OECD-MA sieht auch für den Quellenstaat, d.h. für den Staat, in dem die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, ein Besteuerungsrecht vor.

144

Anwendung der Abkommen

Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA „Diese Dividenden können jedoch auch in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden; (...)“

ÖDer Quellenstaat hat neben dem Wohnsitzstaat ein Besteuerungsrecht. ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

Als Schrankennorm mit offener Rechtsfolge vermeidet Art. 10 OECD-MA die Doppelbesteuerung von Dividendeneinkünften noch nicht, sondern es bedarf dafür der Anwendung des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA) durch den Wohnsitzstaat. Der Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft als Quellenstaat verfügt zwar über ein Besteuerungsrecht, allerdings wird dieses der Höhe nach auf bestimmte Höchststeuersätze beschränkt: Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 OECD-MA „(...) die Steuer darf aber, ÖDas Besteuerungsrecht des Quellenstaates wird der wenn der Nutzungsberechtigte der Dividenden Höhe nach beschränkt. eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person ist, Unterscheide 2 Fälle: nicht übersteigen: a) 5 vom Hundert des Bruttobetrages der Dividen- ÖHöchststeuersatz für den, Schachteldividenden wenn der Nutzungsberechtigte eine Gesellschaft (jedoch keine Personengesellschaft) ist, die unmittelbar über mindestens 25 vom Hundert des Kapitals der die Dividenden zahlenden Gesellschaft verfügt; b) 15 vom Hundert des Bruttobetrags der Dividenden in allen anderen Fällen.“

ÖHöchststeuersatz für Portfoliodividenden

Nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 OECD-MA sind für Schachtel- und Portfoliodividenden unterschiedliche Quellensteuerhöchstsätze vorgesehen. Für Schachteldividenden beträgt der Quellensteuerhöchstsatz 5 %. Eine Schachtelbeteiligung liegt vor, wenn eine Gesellschaft am Grund- oder Stammkapital der ausschüttenden Gesellschaft unmittelbar zu mindestens 25 % beteiligt ist. Die Mindestbeteiligungsquote von 25 % ist ein in vielen Staaten angewandter Prozentsatz zur Abgrenzung unternehmerischer Beteiligungen von Portfoliobeteiligungen, denn eine 25 %ige Beteiligung garantiert ein gewisses Maß an Einfluss auf

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

145

die Gesellschaft (Sperrminorität).191 Zusätzlich muss die Empfängerin der Dividende eine Kapitalgesellschaft sein. In Ländern, die wie Deutschland Personengesellschaften transparent besteuern, ist der Klammerzusatz „jedoch keine Personengesellschaft“ nur klarstellender Natur, da eine Personengesellschaft ohnehin keine Gesellschaft i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Bst. b OECD-MA ist. Dividenden, die „in allen anderen Fällen“ gezahlt werden, werden als Streubesitz- oder Portfoliodividenden bezeichnet. Eine Portfoliodividende liegt vor, wenn der Nutzungsberechtigte eine natürliche Person, eine Personengesellschaft oder eine Gesellschaft ist, die entweder nicht über die erforderliche Mindestbeteiligung von 25 % verfügt oder nicht unmittelbar beteiligt ist. Dividendeneinkünfte aus einer Schachtelbeteiligung werden somit gegenüber Portfoliobeteiligungen bevorzugt. Der im Vergleich zu Portfoliodividenden geringere Quellensteuerhöchstsatz soll eine Mehrfachbelastung von Dividenden im Konzern (sog. Kaskadeneffekt) verringern und direkte Auslandsinvestitionen fördern.192 Die Beschränkung des Quellensteuerhöchstsatzes hat keine Auswirkung auf die Besteuerung der im Quellenstaat ansässigen, die Dividenden ausschüttende Gesellschaft. Die Besteuerung der Gesellschaft vollzieht sich nach dem innerstaatlichen Recht des Quellenstaates. Art. 10 Abs. 2 Satz 3 OECD-MA stellt dies lediglich klar: „Dieser Absatz berührt nicht die Besteuerung der Gesellschaft in Bezug auf Gewinne, aus denen die Dividenden gezahlt werden.“ Die Differenzierung in Schachtel- und Portfoliodividenden wird auch im Wohnsitzstaat vollzogen, der durch Anwendung des Methodenartikels die doppelte Steuerbelastung zu vermeiden hat. Hier findet sich allerdings ein wichtiger Unterschied zwischen dem OECDMA und den von Deutschland abgeschlossenen DBA: Das OECD-MA sieht für Dividenden i.S.d. Art. 10 gem. Art. 23 A Abs. 2 (lediglich) die Anrechnungsmethode vor. Demgegenüber unterscheidet die deutsche Abkommenspraxis zwischen begünstigten Schachteldividenden, für die der Wohnsitzstaat die Freistellungsmethode anwendet, sowie nicht begünstigten Portfoliodividenden, für die nur die Anrechnungsmethode Anwendung findet.

191

Der Prozentsatz von 25 % stammt aus dem Aktienrecht; vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 10, Rz. 56.

192

Vgl. Art. 10 Nr. 10 OECD-MK.

146

Anwendung der Abkommen

Merke: Eine Schachtelbeteiligung liegt vor, wenn eine inländische Kapitalgesellschaft eine Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft zu unternehmerischen Zwecken hält, d.h. eine bestimmte Mindesthöhe erreicht (i.d.R. 25 %). Schachteldividenden werden in deutschen DBA wie folgt begünstigt: x Reduktion der KapESt auf 5 % x Freistellung auf Ebene der Mutterkapitalgesellschaft = sog. Internationales Schachtelprivileg

Beispiel

Grund: Vermeidung einer Mehrfachbelastung mit KSt (Kaskadeneffekt). Art. 23 Abs. 1 DBA-Ungarn193 „Bei einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Person wird die Steuer wie folgt festgesetzt: a)

Soweit nicht Buchstabe b anzuwenden ist, werden die Einkünfte und die Vermögenswerte, die nach diesem Abkommen in der Ungarischen Volksrepublik besteuert werden dürfen, von der Bemessungsgrundlage für die Steuer der Bundesrepublik Deutschland ausgenommen. (...). Auf Dividenden ist Satz 1 nur anzuwenden, wenn die Dividenden einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Gesellschaft von einer in der Ungarischen Volksrepublik ansässigen Gesellschaft gezahlt werden, deren stimmberechtigte Anteile zu mindestens 25 vom Hundert der erstgenannten Gesellschaft gehören. (…)“

= Internationales Schachtelprivileg Nach innerstaatlichem deutschen Recht sind gem. § 8b Abs. 1 KStG alle von einer Kapitalgesellschaft bezogenen Inlands- und Auslandsdividenden (somit Schachtel- und Portfoliodividenden) grundsätzlich in vollem Umfang von der Steuer freigestellt. Die Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 1 KStG knüpft weder an Mindestbeteiligungshöhen oder -fristen noch an Aktivitätsvorbehalte an. Merke: Aufgrund § 8b Abs. 1 KStG läuft das in den DBA vereinbarte Schachtelprivileg weitgehend ins Leere. Für „alle anderen Fälle“, d.h. für Ausschüttungen, die nicht an eine inländische Kapitalgesellschaft geleistet werden, gewährt Deutschland lediglich die Anrechnungsmethode. Aus der Gesamtbetrachtung der Behandlung von Schachtelbeteiligungen im Quellen- und Wohnsitzstaat folgt, dass sich Schachteldividenden als unternehmerisch geprägte Beteili-

193

Vgl. DBA-Ungarn v. 18.07.1977, BGBl. II 1979, S. 626, BStBl. I 1979, S. 348.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

147

Beispiel

Quellenbesteuerung in Deutschland

Lösung

gung in der Belastung Unternehmenseinkünften annähern.194 Portfoliobeteiligungen haben im Gegensatz dazu eher Kapitalanlagecharakter und die daraus bezogenen Dividenden sind eher mit Zinsen vergleichbar.195

Nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA kann diese Dividende auch in Deutschland als dem Staat, in dem die EggNog GmbH ansässig ist, nach den deutschen Vorschriften („nach dem Recht dieses Staates“)196 besteuert werden. Johnnie Knoxville ist nach § 1 Abs. 4 EStG in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig, da er inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt. Dividenden stellen Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar, die zu den inländischen Einkünften i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Bst. a EStG zählen. Auf die Dividende wird seit dem 01.01.2001 eine KapESt (Quellensteuer) i.H.v. 20 % zzgl. SolZ i.H.v. 5,5 % erhoben (§§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG, §§ 1 Abs. 1, 2 Nr. 1, 3 Abs. 2, 4 Satz 1 SolZG).

Der in den USA ansässige Johnnie Knoxville hält eine 15 %ige Beteiligung an der deutschen EggNog GmbH, von der er eine Dividende in Höhe von 10.000 € brutto bezieht.

Nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. b OECD-MA wird die 20 %ige KapESt auf 15 % beschränkt. Johnnie Knoxville ist danach mit einer Quellensteuer von 1.500 € in Deutschland belastet.197 Da die ESt bei Kapitalerträgen im Wege des Steuerabzugs einbehalten wird, ist damit die Einkommensteuerpflicht von Johnnie abgegolten (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG). Die hälftige Steuerfreiheit von Dividenden nach § 3 Nr. 40 Bst. d EStG steht der Anwendung des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. b OECD-MA nicht entgegen. Die USA dürfen die Dividende ebenfalls besteuern. Dies wird durch Art. 10 Abs. 1 OECD-MA bestätigt. Gleichzeitig sorgen die USA durch Anwendung der Anrechnungsmethode im Rahmen des Methodenartikels für die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Das Privileg der Quellensteuerreduzierung kann nur beansprucht werden, wenn der „Nutzungsberechtigte der Dividende eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person ist.“ 194

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 10 MA, Rz. 9.

195

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 10, Rz. 11.

196

Vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA.

197

Er muss aber die Differenz (zwischen 20 % und 15 %) im Erstattungswege beantragen, § 50d Abs. 1 EStG, oder eine Freistellung (Reduktion) der Quellensteuer beantragen, § 50d Abs. 3 EStG.

148

Anwendung der Abkommen

Diese Voraussetzung verfolgt den Zweck, eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Abkommens zu verhindern, indem nicht auf den Empfänger, sondern auf denjenigen abgestellt wird, dem das Kapital wirtschaftlich zuzurechnen ist.198 Falls der Nutzungsberechtigte nicht abkommensberechtigt ist, könnte er ansonsten durch Einschaltung von Zwischengesellschaften in den Genuss der Vorteile des Abkommens gelangen (sog. treaty shopping). Nach der Mutter-Tochter-Richtlinie199 darf innerhalb der EU bei Ausschüttungen einer Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft keine Quellensteuer mehr erhoben werden, wenn die Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft mindestens zu 20 %200 beteiligt ist und die Beteiligung 24 Monate ununterbrochen bestanden hat (Art. 3 Abs. 1 Bst. a, Abs. 2 MTRl). Deutschland verzichtet auf eine Erhebung der Quellensteuer nach § 43b Abs. 3 EStG bereits bei einer Beteiligung von 10 % der Muttergesellschaft an der ausschüttenden Tochtergesellschaft, wenn der andere Staat diese Regelung im umgekehrten Fall erwidert (Reziprozitätsvorbehalt) und bereits dann, wenn die Beteiligung lediglich zwölf Monate ununterbrochen bestanden hat (§ 43b Abs. 2 EStG). Die Mutter-Tochter-Richtlinie ist gem. Art. 7 Abs. 2 MTRl neben dem DBA anwendbar. Die jeweils günstigere Regelung – regelmäßig die MTRl – ist für den Steuerpflichtigen anzuwenden. Merke: Unter bestimmten Voraussetzungen darf bei grenzüberschreitenden Ausschüttungen von Tochter- an Muttergesellschaften innerhalb der EU keine Quellensteuer erhoben werden (MTRl). Nach § 43b EStG (der die MTRl weitergehender in deutsches Recht umsetzt) muss dazu x eine Beteiligung von über 10 % x für mehr als zwölf Monate bestehen. Art. 10 Abs. 3 OECD-MA definiert den Dividendenbegriff. Diese Definition ist als abkommensrechtliche Legaldefinition für beide Vertragsstaaten verbindlich. Der Dividendenbegriff ist von Bedeutung für den Quellenstaat, da er den Rahmen des Besteuerungsgutes absteckt. Aber auch für den Ansässigkeitsstaat hat die Definition Bedeutung, denn Art. 23 A Abs. 2 OECD-MA bezieht sich auf Art. 10 OECD-MA und dessen Definition des

198

Vgl. BFH v. 18.12.1986, I-R-52/83, BStBl. II 1988, S. 524; BFH v. 22.08.1990, I-R-69/89, BStBl. II 1991, S. 38.

199

Vgl. Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates v. 22.12.2003 (ABl. L 7, S. 41), Beck’sche Textausgaben Steuergesetze, Nr. 2; die Richtlinie wurde in Deutschland umgesetzt durch §§ 44d EStG, 26 Abs. 2a KStG (bis VZ 2000) bzw. § 43b EStG (ab VZ 2001).

200

Ab 01.01.2007 beträgt die Mindestbeteiligung 15 %, ab 01.01.2008 10 % (Art. 3 Abs. 1 Bst. a MTRl).

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

149

Dividendenbegriffs. Durch diese sog. Qualifikationsverkettung201 wird eine harmonisierte Abkommensanwendung sichergestellt. In diesem Fall wird durch die Qualifikationsverkettung ein einheitliches Verständnis von „Dividenden“ durch den Quellen- und Wohnsitzstaat gewährleistet.202 Art. 10 Abs. 3 OECD-MA „Der in diesem Artikel verwendete Ausdruck „Dividenden“ bedeutet Einkünfte aus Aktien, Genussaktien oder Genussscheinen, Kuxen, Gründeranteilen oder anderen Rechten – ausgenommen Forderungen – mit Gewinnbeteiligung sowie aus sonstigen Gesellschaftsanteilen stammende Einkünfte, die nach dem Recht des Staates, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, den Einkünften aus Aktien steuerlich gleichgestellt sind.“

dreigliedrige Definition: Ö1. Gruppe (Beispiele) Ö2. Gruppe (Auffangtatbestand) Ö3. Gruppe (Generalklausel, Rückgriff auf nationales Recht des Quellenstaates)

Eine abschließende Bestimmung des Ausdrucks „Dividenden“ ist wegen der Vielfalt der nationalen Rechtsordnungen kaum möglich. Deshalb verwendet die Definition des Abs. 3 eine kurze Aufzählung von Beispielen, die in vielen Rechtsordnungen als Dividenden qualifiziert werden. Ergänzt wird die Aufzählung durch eine Generalklausel, die das innerstaatliche Verständnis des Quellenstaates zur abkommensrechtlichen Definition erhebt.203 Aus dem Ausdruck „sowie aus sonstigen Gesellschaftsanteilen“ ergibt sich, dass Gesellschaftsanteile den Oberbegriff der unter Abs. 3 fallenden Dividenden bilden.204 Der Begriff „Gesellschaftsanteile“ grenzt zum einen Gesellschaftsanteile von Anteilen an einer Personengesellschaft ab, und zum anderen werden Anteile von Forderungen abgegrenzt, deren Erträge unter Art. 11 OECD-MA („Zinsen“) fallen.205 Anteile am Gewinn von Personengesellschaften sind keine Dividenden, außer die Personengesellschaften werden in dem Staat, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung befindet, steuerlich wie Kapitalgesellschaften behandelt. 201

Vgl. Debatin, H., Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, S. 4.

202

Vgl. Djanani, C./ Brähler, G./ Hartmann, T., Die Finanzverwaltung und die autonome Abkommensauslegung, IStR 2004, S. 481 ff.

203

Vgl. Art. 10 Nr. 23 OECD-MK.

204

Vgl. Portner, R., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBAKommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 10 OECD-MA, Rz. 151.

205

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 10, Rz. 188.

150

Anwendung der Abkommen

Art. 10 Abs. 4 OECD-MA ist die korrespondierende Vorschrift zu Art. 7 Abs. 7 OECDMA. Art. 7 Abs. 7 OECD-MA bestimmt, dass Art. 7 OECD-MA („Unternehmensgewinne“) subsidiär anzuwenden ist und Art. 10 OECD-MA somit Vorrang genießt. Allerdings ist in diesem Fall der sog. Betriebsstättenvorbehalt des Art. 10 Abs. 4 OECD-MA zu beachten, der eine Rückverweisung auf den Artikel über Unternehmensgewinne enthält. Art. 10 Abs. 4 OECD-MA „Die Absätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden, wenn der in einem Vertragsstaat ansässige Nutzungsberechtigte im anderen Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, eine Geschäftstätigkeit durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt und die Beteiligung, für die die Dividenden gezahlt werden, tatsächlich zu dieser Betriebsstätte gehört. In diesem Fall ist Artikel 7 anzuwenden.“

ÖSubsidiarität des Art. 10 OECD-MA

ÖBetriebsstättenvorbehalt ÖArt. 7 OECD-MA genießt Vorrang

Art. 10 OECD-MA wird nicht angewendet, wenn der Nutzungsberechtigte in dem Vertragsstaat, in dem die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, über eine Betriebsstätte verfügt und die Beteiligung zum Betriebsvermögen dieser Betriebsstätte gehört (Betriebsstättenvorbehalt). Aus dem Betriebsstättenvorbehalt folgt, dass der Quellenstaat Dividenden im Rahmen der Betriebsstättengewinne uneingeschränkt besteuern darf. Art. 10 Abs. 5 OECD-MA enthält das Verbot der extraterritorialen Besteuerung für den Nichtansässigkeitsstaat der Gesellschaft. Damit soll der Besteuerungspraxis einiger Staaten206 entgegengetreten werden, die die Gewinne der Betriebsstätten von Kapitalgesellschaften neben der Körperschaftsteuer einer zusätzlichen Besteuerung unterwerfen. Ziel ist es, die Ausschüttungen, die aus den Betriebsstättengewinnen stammen, zu besteuern, obwohl sich diese der Besteuerung durch den Betriebsstättenstaat entziehen. Der Betriebsstättenstaat versucht, diesen Steuerausfall, der sich daraus ergibt, dass eine Betriebsstätte im Gegensatz zu einer Kapitalgesellschaft keine Ausschüttungen vornehmen kann und somit keine Quellensteuern entstehen, über eine extraterritoriale Besteuerung zu kompensieren.207 Im Ergebnis sollen auf diese Weise Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften ausländischer Eigentümer steuerlich gleich behandelt werden.

206

Als Beispiel können die USA angeführt werden, die eine sog. branch profits tax erheben. Deutschland erkennt diese Praxis in Art. 10 Abs. 8 DBA-USA an.

207

Vgl. Djanani, C., Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Wien 1998, S. 187.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

151

Merke: Art. 10 Abs. 5 OECD-MA verbietet dem Nichtansässigkeitsstaat eine extraterritoriale Besteuerung von Betriebsstättengewinnen. Deren gegenüber den ausgeschütteten Gewinnen von Tochterkapitalgesellschaften steuerlich günstigere Behandlung darf nicht durch über die KSt hinausgehende Besteuerung (sog. branch profits tax) egalisiert werden. Hintergrund: Eine Betriebsstätte kann keine Ausschüttungen vornehmen, weswegen bzgl. derer Gewinne auch keine Quellensteuern entstehen.

Art. 10 Abs. 5 OECD-MA „Bezieht eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft Gewinne oder Einkünfte aus dem anderen Vertragsstaat, so darf dieser andere Staat weder die von der Gesellschaft gezahlten Dividenden besteuern, es sei denn, dass diese Dividenden an eine im anderen Staat ansässige Person gezahlt werden oder dass die Beteiligung, für die die Dividenden gezahlt werden tatsächlich zu einer im anderen Staat gelegenen Betriebsstätte gehört, noch Gewinne der Gesellschaft einer Steuer für nichtausgeschüttete Gewinne unterwerfen, selbst wenn die gezahlten Dividenden oder die nichtausgeschütteten Gewinne ganz oder teilweise aus im anderen Staat erzielten Gewinnen oder Einkünften bestehen.“

Zwei Regelungen zur extraterritorialen Besteuerung: ÖVerbot extraterritorialer Besteuerung von Ausschüttungen

ÖVerbot der Erhebung von Sondersteuern auf thesaurierte Gewinne

Die zweite Regelung des Abs. 5 bezieht sich darauf, dass nichtansässige Gesellschaften zu keiner Sondersteuer auf nicht ausgeschüttete Gewinne herangezogen werden dürfen.208 Diese Vorschrift scheint mit der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG zu kollidieren, die nicht ausgeschüttete Gewinne zwecks Verhinderung einer Steuerumgehung durch Annahme einer fiktiven Ausschüttung besteuert. Darin ist aber keine Verletzung des Art. 10 Abs. 5 OECD-MA zu sehen, da sich Art. 10 OECD-MA auf die Besteuerung im Quellenstaat richtet und nicht in die Besteuerung im Wohnsitzstaat eingreift. Abs. 5 spricht nur von der Besteuerung der Gesellschaft und nicht von derjenigen der Gesellschafter.209 Deutschland behandelt nach § 10 Abs. 5 AStG die fiktive Ausschüttung als Dividende i.S.d. Art. 10 OECD-MA, so dass Art. 10 Abs. 2 OECD-MA angewendet wird.

208

Vgl. Art. 10 Nr. 36 OECD-MK.

209

Vgl. Art. 10 Nr. 37 OECD-MK.

152

Anwendung der Abkommen

3.2.2.6 Zinsen (Art. 11 OECD-MA) Wie die Dividendeneinkünfte folgen auch Zinseinkünfte dem Konzept einer Steueraufteilung zwischen Quellen- und Wohnsitzstaat: die Besteuerung im Quellenstaat ist begrenzt und der Wohnsitzstaat rechnet die Steuer des Quellenstaates an, so dass beide Staaten auf einen Teil ihres Steueraufkommens verzichten. Da Art. 11 OECD-MA in etwa die gleiche Funktion innehat wie Art. 10 OECD-MA, nähern sich beide Artikel im Aufbau stark an. Die Absätze 1-4 stimmen nahezu überein. Die folgende Abbildung zeigt den Aufbau des Art. 11 OECD-MA: Absätze

charakteristische Normbestandteile

spezifischer Regelungsinhalt

Abs. 2

Beschränkung der Besteuerungsrechte Besteuerungsrecht d. Wohnsitzstaates zwischen den Vertragsstaaten Besteuerungsrecht des Quellenstaates

Abs. 3

Def. des Besteuerungsgegenstandes

Abs. 4

Abgrenzung zu anderen AbkommensBetriebsstättenvorbehalt artikeln (Subsidiaritätsklausel)

Abs. 1

Definition des Zinsbegriffs

Abs. 5

Ermittlung der Quelle der Zinsen

Abs. 6

Beschränkung des Anwendungsbereichs

Abbildung 39:

Aufbau des Art. 11 OECD-MA

Art. 11 Abs. 1 OECD-MA bestätigt lediglich das Recht des Wohnsitzstaates des Zinsempfängers, Einkünfte aus Zinsen uneingeschränkt besteuern zu können.210 Art. 11 Abs. 1 OECD-MA „Zinsen, die aus einem Vertragsstaat stammen und an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person gezahlt werden, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖDie Grundregel des uneingeschränkten Besteuerungsrechts des Wohnsitzstaates wird für Zinseinkünfte bestätigt.

Art. 11 OECD-MA erfasst nur Einkünfte aus Zinsen, die die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen. Stammen die Zinsen aus einem Drittstaat oder aus dem Ansässigkeitsstaat des Gläubigers, so gilt Art. 21 OECD-MA („andere Einkünfte“). 210

In DBA zwischen Industrienationen ist häufig wegen des ausgeglichenen Wirtschaftsverkehrs ein alleiniges Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates verankert; dies ist aber ebenso häufig bereits im nationalen Recht festgelegt; vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 11, Rz. 2, 24.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

153

Art. 11 Abs. 2 OECD-MA sieht auch für den Quellenstaat, d.h. für den Staat, aus dem die Zinsen stammen, ein Besteuerungsrecht vor. Dabei richtet sich die Art der Besteuerung nach dem innerstaatlichen Recht des Quellenstaates („nach dem Recht dieses Staates“). Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA „Diese Zinsen können jedoch auch in dem Vertragsstaat, aus dem sie stammen, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden; (...)“

ÖDer Quellenstaat hat neben dem Wohnsitzstaat ein Besteuerungsrecht. ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

Als Schrankennorm mit offener Rechtsfolge vermeidet Art. 11 OECD-MA die Doppelbesteuerung von Zinseinkünften noch nicht. Es bedarf dafür der Anwendung des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA) durch den Wohnsitzstaat. Deutschland vermeidet die Doppelbesteuerung, indem es sein Besteuerungsrecht durch die Anrechnungsmethode einschränkt. Der Vertragsstaat, aus dem die Zinsen stammen, verfügt als Quellenstaat zwar über ein Besteuerungsrecht, allerdings wird dieses der Höhe nach auf einen Höchststeuersatz von 10 % des Bruttobetrages der Zinsen beschränkt.211 Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 OECD-MA „(...) die Steuer darf aber, wenn der Nutzungsberechtigte der Zinsen eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person ist, 10 vom Hundert des Bruttobetrages der Zinsen nicht übersteigen.“

ÖDas Besteuerungsrecht des Quellenstaates wird der Höhe nach beschränkt. ÖHöchststeuersatz: 10 %

Eine Begrenzung auf einen Höchststeuersatz von 10 % im Quellenstaat erscheint ausreichend, da der Quellenstaat auch Erträge besteuern darf, die in seinem Staatsgebiet aufgrund von fremdfinanzierten Investitionen entstehen.212 Die Quellensteuerbeschränkung tritt nur ein, wenn der Nutzungsberechtigte eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person ist. Auch im Zusammenhang mit Zinseinkünften wird über die Tatbestandsvoraussetzung „Nutzungsberechtigter“ versucht, eine missbräuchliche Inanspruchnahme durch Nicht-Abkommensberechtigte durch Einschaltung von abkommensberechtigten Zwischengesellschaften zu verhindern („treaty shopping“). 211

Viele Industriestaaten – wie z.B. Deutschland – besteuern aber aufgrund des nationalen Rechts Zinsen aus ungesicherten Forderungen überhaupt nicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Bst. c EStG).

212

Vgl. Art. 11 Nr. 7 OECD-MK.

154

Anwendung der Abkommen

Art. 11 Abs. 3 OECD-MA bestimmt, was für Zwecke des Abkommens unter „Zinsen“ zu verstehen ist (abkommensrechtliche Legaldefinition). Die Definition der Zinsen ist als abschließend zu betrachten.213 Es erfolgt – abweichend zum Dividendenbegriff – keine Verweisung auf das innerstaatliche Recht des Quellenstaates wie beim Dividendenbegriff (Art. 10 Abs. 3 OECD-MA). Art. 11 Abs. 3 OECD-MA „Der in diesem Artikel verwendete Ausdruck „Zinsen“ bedeutet Einkünfte aus Forderungen jeder Art, auch wenn die Forderungen durch Pfandrechte an Grundstücken gesichert oder mit einer Beteiligung am Gewinn des Schuldners ausgestattet sind, und insbesondere Einkünfte aus öffentlichen Anleihen und aus Obligationen einschließlich der damit verbundenen Aufgelder und der Gewinne aus Losanleihen. Zuschläge für verspätete Zahlungen gelten nicht als Zinsen im Sinne dieses Artikels.“

Öabschließende Definition des Zinsbegriffs ÖHervorhebung zweier Beispiele ÖVerzugszinsen erfüllen nicht den Zinsbegriff

Das OECD-MA erklärt nicht, was genau „Forderungen jeder Art“ sind. Im OECD-MK werden dazu beispielhaft Bareinlagen und Barkautionen sowie die im Vertragstext erwähnten öffentlichen Anleihen und Obligationen („insbesondere“) aufgeführt.214 Zur Abgrenzung der Zinsen i.S.d. des Art. 11 Abs. 3 OECD-MA von den Dividenden i.S.d. Art. 10 Abs. 3 OECD-MA vergleiche folgende Übersicht:

213

Vgl. Art. 11 Nr. 21 OECD-MK.

214

Vgl. Art. 11 Nr. 18 OECD-MK.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

155

Zinsen i.S.d. Art. 11 Abs. 3 OECD-MA Dividenden i.S.d. Art. 10 Abs.3 OECD-MA Ö Entgelt für die Kapitalüberlassung zur Nutzung und Rückzahlung215

Ö Entgelt für die Kapitalüberlassung mit Unternehmerrisiko

Ö aufgrund schuldrechtlicher Basis216

Ö aufgrund gesellschaftsrechtlicher Basis

Ö Einkünfte aus Forderungen

Ö Einkünfte aus Gesellschaftsanteilen

Ö Vergütung für Fremdfinanzierung

Ö Vergütung für Eigenfinanzierung217

Abbildung 40:

Abgrenzung Zinsen – Dividenden

Art. 11 Abs. 4 OECD-MA löst das Konkurrenzverhältnis zwischen Art. 7 und Art. 11 OECD-MA, für den Fall, dass ein Unternehmen Zinseinkünfte erzielt. Art. 11 Abs. 4 OECD-MA steht im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 7 OECD-MA und enthält den auch für Dividendeneinkünfte geltenden Betriebsstättenvorbehalt. Art. 7 Abs. 7 OECD-MA gewährt dem spezielleren Artikel über die Zinsen den Vorrang vor der Anwendung des Artikels über Unternehmenseinkünfte, solange keine Rückverweisung mittels Betriebsstättenvorbehalts erfolgt. Werden Zinsen für Forderungen gezahlt, die Teil des Betriebsstättenvermögens des im anderen Staat ansässigen Gläubigers sind, so werden die Zinsen im Quellenstaat im Rahmen der Betriebsstättengewinne besteuert, und der Quellenstaat unterliegt nicht den Beschränkungen des Art. 11 OECD-MA. Der Betriebsstättenvorbehalt kann sich in Fällen, in denen den Zinseinkünften Betriebsausgaben oder Werbungskosten (z.B. Finanzierungsaufwand) gegenüberstehen, steuerlich günstig auswirken. Die Quellenbesteuerung nach Art. 11 Abs. 2 OECD-MA erfolgt auf Bruttobasis, so dass Betriebsausgaben oder Werbungskosten nicht abgezogen werden können.218 Die Besteuerung nach Art. 7 OECD-MA erfolgt auf Basis des Nettogewinns mit der Folge, dass ein Abzug von Betriebsausgaben (z.B. Finanzierungsaufwand) zulässig ist. Art. 11 Abs. 5 OECD-MA bestimmt, wann Zinsen „aus einem Vertragsstaat stammen“. Die Bestimmung legt also die Quelle der Zinsen fest. Die beiden Sätze der Vorschrift stehen in einem Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis.219 Satz 1 der Vorschrift formuliert den Grundsatz, dass Zinsen ihre Quelle in dem Staat haben, in dem der Schuldner der Zinsen 215

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 11, Rz. 4, 56.

216

Vgl. BFH v. 09.12.1981, I-R-179/77, BStBl. II 1982, S. 243; Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 11 MA, Rz. 10.

217

Vgl. Kluge, V., Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl., München 2000, S. 859; diese vereinfachte Trennung lässt sich aufgrund moderner Finanzinnovationen (Mischformen, sog. hybride Finanzierungsinstrumente) nicht vollständig aufrechterhalten.

218

Vgl. BFH v. 29.05.1996, I-R-167/94, IStR 1996, S. 336.

219

Vgl. Art. 11 Nr. 26 OECD-MK.

156

Anwendung der Abkommen

ansässig ist. Satz 2 enthält eine Ausnahme („aber“) von diesem Grundsatz für den Fall, dass die Schuld in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Betriebsstätte steht. Wurde bspw. ein Darlehen für eine Betriebsstätte aufgenommen, die die Zinsen wirtschaftlich trägt, so ist die Quelle der Zinsen in dem Vertragsstaat, in dem sich die Betriebsstätte befindet. Dies gilt selbst dann, wenn der Eigentümer der Betriebsstätte in einem dritten Staat ansässig ist. Durch die Ausnahmeregelung wird der Betriebsstättenstaat, der durch den Abzug des Zinsaufwandes beim Betriebsstättenergebnis eine Verringerung seiner Steuerbemessungsgrundlage erleidet, durch ein begrenztes Zinsbesteuerungsrecht entschädigt.220 Art. 11 Abs. 5 OECD-MA

Hat aber der Schuldner der Zinsen, ohne Rücksicht darauf, ob er in einem Vertragsstaat ansässig ist oder nicht, in einem Vertragsstaat eine Betriebsstätte und ist die Schuld, für die Zinsen gezahlt werden, für Zwecke der Betriebsstätte eingegangen worden und trägt die Betriebsstätte die Zinsen, so gelten die Zinsen als aus dem Staat stammend, in dem die Betriebsstätte liegt.“

Ö Ausnahme: Anknüpfung an Betriebsstätte, wenn wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Darlehensverbindlichkeit und Betriebsstätte

Beispiel

Ö Grundsatz: Anknüpfung an Ansässigkeit des Schuldners

Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis des Art. 11 Abs. 5 OECD-MA

Lösung

„Zinsen gelten dann als aus einem Vertragsstaat stammend, wenn der Schuldner eine in diesem Staat ansässige Person ist.

Die Zinsen mindern den Betriebsstättengewinn in Belgien. Als Quellenstaat der Zinsen gilt nach Art. 11 Abs. 5 Satz 2 OECD-MA Belgien, da die NoCash-GmbH als Schuldner der Zinsen im Vertragsstaat Belgien eine Betriebsstätte hat, die Schuld für diese eingegangen wurde und die Zinsen von der Betriebsstätte selbst getragen werden.

Die Geschäftsleitung der deutschen NoCash-GmbH nimmt bei der deutschen NoLimits-Bankgesellschaft mbH ein Darlehen auf, das ausschließlich den Zwecken einer in Belgien belegenen Betriebsstätte dient. Die Zinsen werden von der Geschäftsleitung gezahlt, aber der Betriebsstätte weiterbelastet.

Art. 11 Abs. 6 OECD-MA verfolgt das Ziel, den Anwendungsbereich dieses Artikels zu beschränken, falls die vereinbarten Zinsen vom „dealing-at-arm’s-length“-Prinzip ab220

Vgl. Portner, R., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBAKommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 11 OECD-MA, Rz. 145.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

157

weichen. Als Folge gilt die Schrankenwirkung des Art. 11 OECD-MA nur für den Teil der Zinsen, der dem Fremdvergleich entspricht. Der unangemessene Teil der Zinsen wird nach dem Recht der Vertragsstaaten unter Berücksichtigung des Abkommens behandelt. Art. 11 Abs. 6 OECD-MA „Bestehen zwischen dem Schuldner und dem Nutzungsberechtigten oder zwischen jedem von ihnen und einem Dritten besondere Beziehungen und übersteigen deshalb die Zinsen, gemessen an der zugrundeliegenden Forderung, den Betrag, den Schuldner und Nutzungsberechtigter ohne diese Beziehungen vereinbart hätten, so wird dieser Artikel nur auf den letzteren Betrag angewendet. In diesem Fall kann der übersteigende Betrag nach dem Recht eines jeden Vertragsstaats und unter Berücksichtigung der anderen Bestimmungen dieses Abkommens besteuert werden.“

Ö Maßstab des „arm’slength“-Prinzip Ö Kausalität zwischen überhöhten Zinsen und besonderer Beziehung Ö Beschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 11 OECDMA Ö Art. 11 OECD-MA findet für den unangemessenen Teil keine Anwendung

Als „besondere Beziehung“ stellen sich vor allem gesellschaftsrechtliche Verflechtungen (z.B. Mutter- und Tochtergesellschaft) dar, aber auch jede andere Interessengemeinschaft fällt unter diese Bezeichnung.221 Gerade im Verhältnis Mutter- und Tochtergesellschaft lässt sich durch schuldrechtliche Vereinbarungen, die sowohl zivilrechtlich als auch steuerrechtlich anerkannt werden, eine steueroptimale Gewinnverteilung herbeiführen. Aufgrund der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit führen diese Gestaltungen nicht zu Interessengegensätzen.

3.2.2.7 Lizenzgebühren (Art. 12 OECD-MA) Lizenzgebühren als Entgelte für die Nutzung geistigen Kapitals fallen unter Art. 12 OECD-MA. Den Aufbau des Art. 12 OECD-MA verdeutlicht die folgende Abbildung.

221

Vgl. Art. 11 Nr. 34 OECD-MK. Der Begriff ähnelt der Definition der „nahestehenden Person“ nach § 1 Abs. 2 AStG.

158

Absätze

Anwendung der Abkommen

charakteristische Normbestandteile

spezifischer Regelungsinhalt

Abs. 1

Beschränkung der Besteuerungsrechte Besteuerungsrecht des Wohnsitzzwischen den Vertragsstaaten staates

Abs. 2

Def. des Besteuerungsgegenstandes

Abs. 3

Abgrenzung zu anderen AbkommensBetriebsstättenvorbehalt artikeln (Subsidiaritätsklausel) Beschränkung des Anwendungsbereichs

Abs. 4 Abbildung 41:

Def. des Begriffs „Lizenzgebühr“

Aufbau des Art. 12 OECD-MA

Das Besteuerungsrecht für Lizenzgebühren wird nach Art. 12 Abs. 1 OECD-MA ausschließlich dem Wohnsitzstaat des Lizenzgebers zugewiesen.222 Art. 12 Abs. 1 OECD-MA „Lizenzgebühren, die aus einem Vertragsstaat stammen und deren Nutzungsberechtigter eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person ist, können nur im anderen Staat besteuert werden.“

Ausschließliches Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates des Lizenzgebers. Ö Schrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

Der Ausschluss der Quellenbesteuerung vermeidet eine Doppelbesteuerung bereits auf Ebene der Schrankennormen, so dass eine Anwendung des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA) ausscheidet. Gerechtfertigt wird ein ausschließliches Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates für Lizenzgebühren damit, dass der Wohnsitzstaat steuerlich die Forschungs- und Entwicklungskosten für das Wirtschaftsgut trägt, auf dem die Lizenzgebühren basieren.223 Die Abkommenspraxis gesteht aber häufig aufgrund des fehlenden Gleichgewichtes dem Quellenstaat ein beschränktes Besteuerungsrecht an den Lizenzgebühren zu und verpflichtet den Wohnsitzstaat zur Anrechnung.224

222

Viele deutsche DBA weichen hiervon ab und gewähren dem Quellenstaat ein der Höhe nach begrenztes Besteuerungsrecht. Die Besteuerung vollzieht sich dann entsprechend der Systematik des Art. 11 Abs. 1 und 2 OECD-MA; vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 12, Rz. 30.

223

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 12, Rz. 8.

224

Als Beispiele seien hier die DBA mit Luxemburg (5 %), Spanien (5 %) und Portugal (10 %) angeführt.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

159

Art. 12 OECD-MA findet nur Anwendung, wenn die im Abs. 1 beschriebene Fallkonstellation vorliegt, d.h. die Lizenzgebühren müssen aus dem jeweils anderen Vertragsstaat stammen und dem „Nutzungsberechtigten“ zufließen. Nur in diesem Fall ergibt sich eine Befreiung von der Quellensteuer. Wie im Bereich der Dividenden- und Zinseinkünfte dient die Voraussetzung des „Nutzungsberechtigten“ der Verhinderung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Abkommens. Abs. 2 des Artikels enthält die abkommensrechtliche Legaldefinition des Begriffs „Lizenzgebühr“. Die Definition ist als abschließend zu betrachten.225 Art. 12 Abs. 2 OECD-MA „Der in diesem Artikel verwendete Ausdruck „Lizenzge- Definition mit 2 Elementen: bühren“ bedeutet Vergütungen jeder Art, die 1. Element: jede Vergütung für die Benutzung oder für das Recht auf Benutzung 2. Element: Nutzungsübervon Urheberrechten an literarischen, künstlerilassung von Urheberschen oder wissenschaftlichen Werken, einschließrechten lich kinematographischer Filme, und Rechten aus gewerblivon Patenten, Marken226, Mustern oder Modellen, chem Vermögen sowie Plänen, geheimen Formeln oder Verfahren oder Mitteilung von Know-how für die Mitteilung gewerblicher, kaufmännischer oder wissenschaftlicher Erfahrung gezahlt werden.“ Lizenzen zeichnen sich durch eine zeitlich begrenzte Überlassung einer Vermögensposition aus, wodurch sie sich von einer Veräußerung als endgültiger Übertragung einer Vermögensposition unterscheiden.227 Die Definition von Lizenzgebühren ist sehr weit gefasst, um ein Besteuerungsrecht des Quellenstaates so umfassend wie möglich auszuschließen. Daher beinhaltet die Definition geleistete Zahlungen für einen Lizenzvertrag genauso wie Schadensersatzzahlungen für unerlaubte Nachahmung oder anderweitige Rechtsverletzung.228

225

Vgl. Portner, R., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBAKommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 12 OECD-MA, Rz. 46.

226

In der für Deutschland maßgebenden Fassung wird anstelle von „Marken“ der Ausdruck „Warenzeichen“ verwendet.

227

Vgl. BFH v. 01.12.1982, I-B-11/82, BStBl. II 1983, S. 368; BFH v. 23.05.1973, I-R-163/71, BStBl. II 1974, S. 289; BFH v. 25.02.1975, III-R-64/74, BStBl. II 1976, S. 529, 531.

228

Vgl. Art. 12 Nr. 8 OECD-MK.

160

Anwendung der Abkommen

Beispiel

Achtung: In einigen deutschen DBA werden die Vergütungen für Mobilienleasing – in Abweichung vom OECD-MA – unter den Lizenzartikel subsumiert und stellen in diesen Fällen keine Unternehmenseinkünfte dar. Art. 12 DBA-Korea229 [Lizenzgebühren] Eine Subsumierung von Mobilienleasingraten unter den Artikel „Lizenzgebühren“ ist bspw. im DBA-Korea enthalten, wie folgender Auszug aus Art. 12 Abs. 3 DBA-Korea zeigt: „Der in diesem Artikel verwendete Ausdruck „Lizenzgebühren“ bedeutet Vergütungen jeder Art, die für (…) die Benutzung oder für das Recht auf Benutzung gewerblicher, kaufmännischer oder wissenschaftlicher Ausrüstung (…) gezahlt werden (…).“ Es erfolgt ein Quellensteuerabzug vom Bruttobetrag der Leasingraten in Korea (Art. 12 Abs. 1, 2 DBA-Korea) und eine Anrechnung dieser Quellensteuer in Deutschland (Art. 23 Abs. 1 Bst. b DBst. cc DBA-Korea). (Bei einer Subsumtion unter Unternehmensgewinne würde eine Nettogröße nach Tarif besteuert).

Beispiel

In einigen Fällen können sich bei der Subsumtion von wirtschaftlichen Vorgängen unter Art. 12 Abs. 2 OECD-MA Abgrenzungsprobleme zu anderen Artikeln des Abkommens ergeben. Vergleiche dazu folgendes:

229

Abgrenzung von Lizenzgebühren Professor Lawrence aus Buntingford/Großbritannien gilt aufgrund langjähriger Erfahrung als Spezialist für die Konfiguration von Betriebsabläufen bei Just-In-TimeFertigung in der Automobilindustrie. Die deutsche Automobilfirma Borschwagen AG möchte dieses Wissen für ihre neu einzurichtende Fertigungsstraße nutzen und vereinbart mit Professor Lawrence vertraglich, dass er sein Spezialwissen der Firma bis zum Abschluss der Errichtung der Fertigungsstraße zur Verfügung stellt. Handelt es sich bei der Gegenleistung um eine Vergütung für die Mitteilung kaufmännischen Knowhows i.S.d. Art. 12 Abs. 2 OECD-MA oder um eine Vergütung für eine beratende, also selbständige Arbeit nach Art. 7 OECD-MA?

Vgl. DBA-Korea v. 10.03.2000, BGBl. II 2002, S. 1630, BStBl. I 2003, S. 24.

Lösung

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

161

Professor Lawrence macht sein Know-how der Borschwagen AG zugänglich, die als Know-how-Nehmer die Erfahrung des Professors in eine optimierte Fertigungsstraße umsetzt. In der Gegenleistung ist eine Vergütung für die Mitteilung kaufmännischer Erfahrung i.S.d. Art. 12 Abs. 2 OECD-MA zu sehen. Nur für den Fall, dass Professor Lawrence selbst eine für die Just-In-Time-Fertigung optimale Fertigungsstraße ausarbeitet und als Empfehlung der Borschwagen AG übergibt, liegt keine „Mitteilung“ kaufmännischer Erfahrung vor, da Professor Lawrence sein Spezialwissen nicht nur zugänglich macht, sondern selbst anwendet und umsetzt. Daher kommt hier vielmehr eine selbständige Arbeit in Betracht, deren Vergütung von Art. 7 OECD-MA erfasst wird.230

Beispiel

Betriebsstättenvorbehalt des Art. 12 Abs. 3 OECD-MA

Lösung

Die einzige Ausnahme vom ausschließlichen Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates des Lizenzgebers ist der in Art. 12 Abs. 3 OECD-MA enthaltene Betriebsstättenvorbehalt. Art. 12 Abs. 3 OECD-MA entspricht damit Art. 10 Abs. 4 bzw. Art. 11 Abs. 4 OECD-MA. Als Folge des Betriebsstättenvorbehalts tritt der eigentlich speziellere Art. 12 OECD-MA hinter Art. 7 OECD-MA zurück, so dass Lizenzgebühren im Quellenstaat als Teil der Gewinne der dort belegenen Betriebsstätte des im Wohnsitzstaat ansässigen Lizenzgebers besteuert werden können.

Art. 12 OECD-MA als lex specialis geht Art. 7 OECD-MA vor (Art. 7 Abs. 7 OECD-MA). Nach Art. 12 Abs. 1 OECD-MA können Einkünfte aus Lizenzgebühren nur in Italien als Wohnsitzstaat Donnie Brascos besteuert werden. Allerdings gehört in diesem Fall das Verfahren zur Betriebsstätte in Berlin, so dass aufgrund der Rückverweisung nach Art. 12 Abs. 3 OECD-MA (Betriebsstättenvorbehalt) auf Art. 7 OECD-MA Deutschland als Betriebsstättenstaat die Lizenzgebühren im Rahmen der Betriebsstättengewinne besteuern darf.

Der italienische Einzelunternehmer Donnie Brasco verfügt über eine Betriebsstätte in Berlin, in der ein sensationelles Verfahren zur Herstellung einer ofenfrischen Tiefkühlpizza entwickelt wurde. Das Verfahren wird der deutschen Backfrisch GmbH zur Verfügung gestellt. Welcher Staat darf die Lizenzgebühren besteuern?

Art. 12 Abs. 4 OECD-MA entspricht Art. 11 Abs. 6 OECD-MA und bezweckt, den Anwendungsbereich des Art. 12 OECD-MA einzuschränken, sobald aufgrund „besonderer Beziehungen“ die Lizenzgebühr vom „dealing-at-arm’s-length“-Prinzip abweicht. Die Bestimmung beugt steuerlich motivierten Gewinnverlagerungen vor. Für den Fall, dass die als Lizenzgebühr bezeichnete Leistung wirtschaftlich gesehen zum Teil keine Gegenleistung für die Benutzung bzw. das Recht auf Benutzung von bestimmten Rechten oder für die Mitteilung von Know-how darstellt, sondern eine Zuwendung oder ein Entgelt anderer Art 230

Vgl. BFH v. 16.12.1970, I-R-44/67, BStBl. II 1971, S. 235, 237; Art. 12 Nr. 11 OECD-MK.

162

Anwendung der Abkommen

ist, sollen insoweit keine Lizenzgebühren anzunehmen sein.231 Der als unangemessen eingestufte Teil der Vergütung wird unter die ihrem Charakter entsprechende Einkunftsart des innerstaatlichen Rechts bzw. des Abkommensrechts subsumiert.232

3.2.2.8 Gewinne aus der Veräußerung von Vermögen (Art. 13 OECD-MA) Art. 13 OECD-MA regelt die Besteuerung der abkommensrechtlichen Einkunftsart „Veräußerungsgewinne“. Der Sinn dieser Einkunftsart liegt in der Erfassung und Besteuerung der stillen Reserven. Für Art. 13 OECD-MA gilt folgender Grundsatz: Der Vertragsstaat besitzt das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Vermögen, dem nach dem Abkommen auch das Besteuerungsrecht für die laufenden Einkünfte aus diesem Vermögen zusteht.233 Die Besteuerungsprinzipien der Schrankennormen, die für die laufenden Einkünfte gelten, werden auf Veräußerungsgewinne übertragen. Veräußerungsgewinne

Laufende Einkünfte

Art. 13 OECD-MA

Besteuerungsprinzip

Abs. 1

Veräußerung unbeweglichen VerBelegenheitsprinzip mögens

Art. 6 OECD-MA

Abs. 2

Veräußerung beweglichen VerBetriebsstättenprinzip mögens

Art. 7 OECD-MA

Abs. 3

Veräußerung von Seeschiffen Ort der tatsächlichen Art. 8 Geschäftsleitung OECD-MA oder Luftfahrzeugen

Abs. 4

Veräußerung von Anteilen an Belegenheitsprinzip Grundstücksgesellschaften

Art. 6 OECD-MA

Abs. 5

Veräußerung des nicht in Abs. 1, Auffangklausel 2, 3 und 4 genannten Vermögens

Art. 21 Abs. 1 OECD-MA

Abbildung 42:

Besteuerungsprinzipien für laufende Einkünfte und Veräußerungsgewinne

Nach Art. 13 Abs. 1 OECD-MA können Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens im Belegenheitsstaat besteuert werden. Der Staat, der zuvor die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen besteuern durfte, besteuert auch die Gewinne aus dessen Veräußerung. 231

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 12 MA, Rz. 115.

232

Vgl. Art. 12 Nr. 25 OECD-MK.

233

Vgl. Art. 13 Nr. 4 OECD-MK.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

163

Art. 13 Abs. 1 OECD-MA „Gewinne, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens im Sinne des Artikels 6 bezieht, das im anderen Vertragsstaat liegt, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖBesteuerung nach dem Belegenheitsprinzip ÖVerweisung auf Definition des Art. 6 Abs. 2 OECDMA ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

Art. 13 Abs. 1 OECD-MA ist eine Schrankennorm mit offener Rechtsfolge, so dass der Wohnsitzstaat eine Doppelbesteuerung durch Anwendung des Methodenartikels (Art. 23 OECD-MA) vermeidet. Deutschland wendet in diesem Fall die Freistellungsmethode an.234 Der Begriff „unbewegliches Vermögen“ wird mittels einer Verweisung auf Art. 6 Abs. 2 OECD-MA festgelegt. Unter Art. 13 Abs. 1 OECD-MA fallen auch Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens, das Betriebsvermögen ist oder einer selbständigen Arbeit dient, selbst dann, wenn es zum Umlaufvermögen gehört.235 Art. 13 Abs. 2 OECD-MA behandelt Veräußerungsgewinne aus beweglichem Betriebsstättenvermögen eines Unternehmens. Wie im Falle des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA für die Gewinne einer Betriebsstätte folgt die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Betriebsstättenvermögen dem Betriebsstättenprinzip. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA „Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Vermögens, das Betriebsvermögen einer Betriebsstätte ist, die ein Unternehmen eines Vertragsstaates im anderen Vertragsstaat hat, einschließlich derartiger Gewinne, die bei der Veräußerung einer solchen Betriebsstätte (allein oder mit dem übrigen Unternehmen) erzielt werden, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖBesteuerung nach dem Betriebsstättenprizip, gilt sowohl für einzelne Vermögensgegenstände als auch für die Betriebsstätte als solche

ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

234

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 23, Rz. 16.

235

Vgl. BFH v. 23.03.1971, I-R-128/70, BStBl. II 1972, S. 948.

164

Anwendung der Abkommen

Abs. 2 stellt eine Schrankennorm mit offener Rechtsfolge dar, so dass eine Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung oder Steuerfreistellung (Art. 23 OECD-MA) im Wohnsitzstaat vermieden wird. Deutschland stellt diese Veräußerungsgewinne frei.236 Der Ausdruck „bewegliches Vermögen“ ist im Abkommen nicht explizit definiert, kann aber in Abgrenzung zum „unbeweglichen Vermögen“ nach Art. 6 Abs. 2 OECD-MA als das Vermögen angesehen werden, dass nicht zum „unbeweglichen Vermögen“ zählt.237 Art. 13 Abs. 2 OECD-MA stellt dabei klar, dass die Regelung dieses Absatzes sowohl für die Veräußerung einzelner Vermögenspositionen des beweglichen Vermögens als auch für die Veräußerung der Betriebsstätte als solcher gilt („einschließlich“). Abs. 2 spricht nur vom „beweglichen Vermögen“, was als Ausdruck des Vorrangs des Belegenheitsprinzips vor dem Betriebsstättenprinzip gedeutet werden kann. Dieser Vorrang gilt daher nicht nur für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 Abs. 4 OECD-MA), sondern auch für Veräußerungsgewinne. Art. 13 Abs. 3 OECD-MA behandelt Gewinne aus der Veräußerung von Schiffen und Luftfahrzeugen und legt fest, dass die Veräußerungsgewinne ausschließlich in dem Vertragsstaat besteuert werden können, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung befindet. Diese Regelung über Veräußerungsgewinne entspricht damit der Regelung über die Besteuerung von Einkünften aus dem Betrieb dieser Unternehmen (Art. 8 OECD-MA). Art. 13 Abs. 3 OECD-MA ist lex specialis gegenüber Art. 13 Abs. 2 und 4 OECD-MA.238 Art. 13 Abs. 4 OECD-MA ist durch die Revision des OECD-MA im Jahr 2003 neu eingefügt worden. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA „Gewinne, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der Veräußerung von Anteilen bezieht, deren Wert zu mehr als 50 vom Hundert unmittelbar oder mittelbar auf unbeweglichem Vermögen beruht, das im anderen Vertragsstaat liegt, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖBesteuerung nach dem Belegenheitsprinzip ÖVoraussetzungen für die Anwendung ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

236

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 23, Rz. 16.

237

Vgl. Art. 13 Nr. 24 OECD-MK.

238

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 13, Rz. 44.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

165

Durch diesen neuen Abs. 4 gilt das Belegenheitsprinzip gleichfalls für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA formuliert den Grundsatz der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat, wenn die Veräußerungsgewinne nicht von den vorhergehenden drei Absätzen erfasst werden. Abs. 5 ist somit eine Auffangvorschrift, die subsidiär gegenüber Abs. 1 – 4 anzuwenden ist. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA „Gewinne aus der Veräußerung des in den Absätzen 1, 2 und 3 nicht genannten Vermögens können nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Veräußerer ansässig ist.“

Auffangvorschrift Öausschließliche Besteuerung im Wohnsitzstaat ÖSchrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

Als Schrankennorm mit abschließender Rechtsfolge wird eine Doppelbesteuerung bereits auf Ebene der Schrankennormen vermieden. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA findet seine parallele Ausgestaltung in Art. 21 Abs. 1 OECD-MA („andere Einkünfte“).

Beispiel

Vermögensveräußerung nach Art. 13 Abs. 5 OECD-MA

Lösung

Von Abs. 5 werden im Wesentlichen Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Privatvermögens sowie Veräußerungsgewinne im Wohnsitzstaat und aus Drittstaaten erfasst.239 Hauptanwendungsfall des Abs. 5 sind Veräußerungsgewinne aus im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften und Wertpapieren.240

Gem. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA können die Veräußerungsgewinne nur im Wohnsitzstaat von Karl, also in Deutschland, besteuert werden. Veräußerungsgewinne sind eine abkommensrechtliche Einkunftsart, die das deutsche EStG in dieser Form nicht kennt. Nach dem deutschen EStG stellen sie nach § 22 Nr. 2 EStG Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG dar, gehören also zu den „sonstigen

Der deutsche Privatmann Karl kauft am 17.01.2005 Aktien der französischen AuBonPain-SA., wobei die Beteiligung weniger als 1 % des Grundkapitals umfasst. Am 25.03.2006 veräußert Karl die Aktien gewinnbringend.

239

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 13, Rz. 68.

240

Vgl. Fischer-Zernin, J., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBA-Kommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 13 OECD-MA, Rz. 42.

166

Anwendung der Abkommen Einkünften“ gem. § 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG liegen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften vor, wenn seit dem Zeitpunkt der Anschaffung der Aktien weniger als 1 Jahr (Spekulationsfrist) vergangen ist. Im vorliegenden Fall beträgt der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung allerdings mehr als 1 Jahr. Daher unterliegen diese Einkünfte in Deutschland keiner Steuerpflicht. Obwohl nach dem OECD-MA Deutschland über das Besteuerungsrecht für die Veräußerungsgewinne verfügt, unterliegen diese nach dem innerstaatlichen Recht Deutschlands keiner Steuerpflicht. Dieses Beispiel verdeutlicht den Charakter der Abkommen, die nur eine Schrankenwirkung gegenüber dem bestehenden innerstaatlichen Recht entfalten, aber keine Besteuerungsansprüche schaffen können.

3.2.2.9 Selbständige Arbeit (Art. 14 OECD-MA a.F.) Art. 14 OECD-MA a.F. behandelte bis zur Streichung aus dem Musterabkommen am 29. April 2000241 die Besteuerung von Einkünften aus selbständiger Arbeit. Art. 14 OECDMA a.F. war eine Parallelregelung zu Art. 7 OECD-MA („Unternehmensgewinne“), so dass die Besteuerungsprinzipien beider Bestimmungen auf den gleichen Grundsätzen aufgebaut wurden (Betriebsstättenprinzip). Anstelle einer „Betriebsstätte“ legte Art. 14 OECD-MA a.F. den synonymen Tatbestand einer „festen Einrichtung“ als Voraussetzung für ein Besteuerungsrecht des Quellenstaates zugrunde. Der Begriff der „Betriebsstätte“ sollte gewerblichen Tätigkeiten vorbehalten bleiben, allerdings war der Unterschied zwischen beiden Begriffen nur schwer festzustellen. Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung der Abgrenzungsprobleme, ob Tätigkeiten unter Art. 7 oder Art. 14 OECD-MA a.F. fallen, wurde Art. 14 OECD-MA gestrichen.242 Als Folge der Streichung des Art. 14 OECD-MA a.F. werden Einkünfte aus einem freien Beruf oder einer sonstigen selbständigen Tätigkeit wie Unternehmensgewinne nach Art. 7 OECD-MA behandelt. In Abweichung zum OECD-MA n.F. ist in den neueren deutschen Abkommen die Besteuerung von Einkünften aus selbständiger Arbeit nach wie vor in einer separaten Norm geregelt.243

241

Vgl. Art. 14 Vor Nr. 1 OECD-MK.

242

Vgl. Art. 14 Nr. 4, Vor Nr. 1 OECD-MK.

243

Vgl. Lehner, M./ Reimer, E., Generalthema I: Quelle versus Ansässigkeit – Wie sind die grundlegenden Verteilungsprinzipien des Internationalen Steuerrechts austariert?, IStR 2005, S. 549.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

167

3.2.2.10 Einkünfte aus unselbständiger Arbeit (Art. 15 OECD-MA) Die Besteuerung von Einkünften aus unselbständiger Arbeit verteilt sich auf folgende Artikel des OECD-MA: Art. 15 („unselbständige Arbeit“) und die im Verhältnis zu Art. 15 als „leges speziales“ einzuordnenden Art. 16 („Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen“), Art. 17 („Künstler und Sportler“), Art. 18 („Ruhegehälter“), Art. 19 („Öffentlicher Dienst“), Art. 20 („Studenten“) und Art. 28 („Diplomaten und Konsularbeamte“). Art. 15 OECD-MA behandelt die Besteuerung von Einkünften aus unselbständiger Arbeit. Unter Berücksichtigung des „lex-specialis“-Charakters der Art. 16-20 und 28 OECD-MA werden von Art. 15 Abs. 1 OECD-MA nur Vergütungen aus einem gegenwärtigen Arbeitsverhältnis mit einem privaten Arbeitgeber erfasst.244 Die Systematik des Art. 15 Abs. 1 und 2 OECD-MA folgt der Regelungstechnik: Grundsatz – Ausnahme – Unterausnahme. Zunächst geht Art. 15 Abs. 1 OECD-MA im scheinbaren Grundsatz davon aus, dass Einkünfte aus unselbständiger Arbeit ausschließlich im Wohnsitzstaat zu besteuern sind (Wohnsitzprinzip). Allerdings dürfen diese Einkünfte auch im anderen Vertragsstaat besteuert werden, wenn in diesem Staat die Arbeit ausgeführt wird. Der Grundsatz und die Ausnahme bilden zusammen die Grundlage für die Anwendung des Arbeitsortprinzips. Nach dem Arbeitsortprinzip wird dem Staat die Steuerberechtigung eingeräumt, in dessen Staatsgebiet die unselbständige Arbeit ausgeübt wird. Art. 15 Abs. 1 OECD-MA „Vorbehaltlich der Artikel 16, 18 und 19

Ö„leges Art. 15

speziales“

zu

können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden,

ÖGrundsatz: Wohnsitzprinzip, (Schrankennorm mit abschließender Rechtsfolge)

es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.“

ÖAusnahme: Arbeitsortprinzip (Schrankennorm mit offener Rechtsfolge)

Art. 15 Abs. 2 OECD-MA (sog. Monteurklausel) enthält bei bestimmten Arbeitnehmerentsendungen eine Ausnahme von der Regel des Arbeitsortprinzips des Abs. 1. Das Besteuerungsrecht wird bei nur vorübergehenden Tätigkeiten im Tätigkeitsstaat dem Wohnsitzstaat belassen. Für den Ausschluss der Besteuerung im Tätigkeitsstaat müssen in diesem 244

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 15, Rz. 7.

168

Anwendung der Abkommen

Fall drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Diese Ausnahme wurde vor allem aus Praktikabilitätsgründen eingeführt, da der Erfassungsaufwand im Tätigkeitsstaat bei kurzfristigen Tätigkeiten in keinem angemessenen Verhältnis zum Steueraufkommen steht.245 Art. 15 Abs. 2 OECD-MA „Ungeachtet des Absatzes 1 können Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, nur im erstgenannten Staat besteuert werden, wenn a) der Empfänger sich im anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten, der während des betreffenden Steuerjahres beginnt oder endet, aufhält und b) die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht im anderen Staat ansässig ist, und c) die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte getragen werden, die der Arbeitgeber im anderen Staat hat.“

ÖUnterausnahme vom Arbeitsortprinzip, Besteuerung nur im Wohnsitzstaat, wenn drei Kriterien kumulativ erfüllt sind: Ö183-Tage-Regel, abgestellt wird auf Aufenthaltsdauer (physische Anwesenheit)246 ÖVergütung trägt üblicherweise Arbeitgeber im Wohnsitzstaat ÖVergütung wird nicht durch Betriebsstätte im Tätigkeitsstaat getragen

Art. 15 Abs. 1 und 2 OECD-MA stellen das Arbeitsortprinzip in den Mittelpunkt, allerdings beschränkt Abs. 2 das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates bei vorübergehenden Arbeitnehmerentsendungen. Die Beschränkung wird an eine Intensitätsgrenze (183-TageRegel) und zwei fiskalisch motivierte Kriterien geknüpft. Die 183-Tage-Regel verfolgt die gleiche Funktion wie das Betriebsstättenprinzip. Als Intensitätsgrenze dient sie dem Zweck, dem Quellenstaat ein Besteuerungsrecht erst einzuräumen, wenn die grenzüberschreitende Tätigkeit mit der Volkswirtschaft des Quellenstaates hinreichend eng verknüpft ist. Das zweite und dritte Kriterium nach Art. 15 Abs. 2 Bst. b und c OECD-MA schaffen für den Quellenstaat einen Ausgleich für den Fall, dass ein Arbeitgeber bzw. eine Betriebsstätte im Tätigkeitsstaat Vergütungen für unselbständige Arbeit als Betriebsausgaben absetzt und auf diese Weise die steuerliche Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer im Tätigkeitsstaat schmälert. Dem Tätigkeitsstaat wird für diese Fälle ein Besteuerungsrecht für diese Vergütungen eingeräumt.

245

Vgl. Art. 15 Nr. 6.2 OECD-MK.

246

Vgl. Art. 15 Nr. 5 OECD-MK; zu Einzelheiten der Berechnung siehe BMF v. 05.01.1994, IV C 5S-1300-197/93, BStBl. I 1994, S. 11, Tz. 2.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

169

Merke: Es gilt der Grundsatz, dass der Quellenstaat ab dem ersten Tag der Arbeitsaufnahme besteuern darf (Arbeitsortprinzip). Der Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers bleibt aber besteuerungsberechtigt, wenn der Aufenthalt im Tätigkeitsstaat weniger als 183 Tage andauert und die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder einer Betriebsstätte gezahlt werden, die sich nicht im Quellenstaat/Tätigkeitsstaat befinden. Die folgende Abbildung verdeutlicht die Regelungssystematik und die darauf basierende Einräumung der Besteuerungsrechte nach Art. 15 Abs. 1 und 2 OECD-MA:

Einleitungssatz

Grundsatz

Ausnahme

Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 OECD-MA

Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 OECD-MA

Art. 15 Abs. 2 OECD-MA

Besteuerung im Ansässigkeitsstaat, wenn die Tätigkeit dort ausgeübt wird

Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats (Arbeitsortprinzip)

Ausnahme vom Arbeitsortprinzip (Monteurklausel)

ja

Aufenthalt im Tätigkeitsstaat länger als 183 Tage (183-Tage-Regel) nein

ja

Vergütung von einem oder für einen Arbeitgeber im Quellenstaat bezahlt nein

ja

Vergütung von Betriebsstätte des Arbeitgebers im Quellenstaat getragen

nein

Abbildung 43:

Regelungssystematik des Art. 15 OECD-MA

Als „lex specialis“ zu Abs. 1 und 2 stellt Art. 15 Abs. 3 OECD-MA für Vergütungen, die die Besatzung von Seeschiffen, Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr oder Binnenschiffen erhält, eine Regel auf, die auch im Zusammenhang mit den Einkünften aus See-, Binnenschiff- und Luftfahrt nach Art. 8 OECD-MA gilt.247 Nur in dem Staat, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung befindet, können die Vergütungen besteuert werden.

247

Vgl. Art. 15 Nr. 9 OECD-MK.

170

Anwendung der Abkommen

Art. 15 Abs. 3 OECD-MA „Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels können Vergütungen für unselbständige Arbeit, die an Bord eines Seeschiffes oder Luftfahrzeuges, das im internationalen Verkehr betrieben wird, oder an Bord eines Schiffes, das der Binnenschifffahrt dient, ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet.“

Ö„lex specialis“ zu Abs. 1 und 2 ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

Eine Bestimmung des Arbeitsortes bei diesen Tätigkeiten wäre nur mit hohem Aufwand möglich, so dass Abs. 3 die Besteuerung vereinfacht.248 Außerdem schafft Abs. 3 einen Ausgleich für den Betriebsausgabenabzug für Vergütungen, der die Unternehmensgewinne in dem Staat der tatsächlichen Geschäftsleitung gemindert hat. Die Besteuerung am Wohnsitz der Besatzungsmitglieder bleibt unberührt, muss aber durch Anwendung des Methodenartikels vermieden werden.

Beispiel

Das OECD-MA enthält keine sog. Grenzgängerregelung, obwohl sie häufig in (deutschen) DBA anzutreffen sind. Als Grenzgänger werden Arbeitnehmer bezeichnet, die im Ansässigkeitsstaat nahe der Grenze wohnen, im Tätigkeitsstaat in der Nähe der Grenze arbeiten und täglich von der Wohnstätte zur Arbeit in den anderen Staat pendeln. In diesen Fällen verbleibt das Besteuerungsrecht dem Wohnsitzstaat; der Tätigkeitsstaat hat meist ein auf wenige Prozentpunkte begrenztes Besteuerungsrecht. Die Doppelbesteuerung wird durch die Anrechnungsmethode verhindert. Deutschland hat diese Regelung mit Frankreich, den Niederlanden (Zusatzprotokoll), Österreich und der Schweiz (Protokoll) vereinbart. Art. 15a DBA-Schweiz249 [Grenzgänger] „(1) Ungeachtet des Artikels 15 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem dieser ansässig ist. Zum Ausgleich kann der Vertragsstaat, in dem die Arbeit ausgeübt wird, von diesen Vergütungen eine Steuer im Abzugsweg erheben. Diese Steuer darf 4,5 vom Hundert des Bruttobetrages der Vergütungen nicht übersteigen, (…).“

248

Vgl. BFH v. 10.11.1993, I-R-53/91, BStBl. II 1994, S. 219.

249

Vgl. Protokoll v. 21.12.1992 zum DBA-Schweiz v. 11.08.1971, BGBl. II 1993, S. 1886, BStBl. I 1972, S. 927.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

171

Merke: Steuerpflichtige, die arbeitstäglich ins Ausland pendeln, um dort einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen, werden als Grenzpendler bezeichnet. Ihre steuerliche Behandlung richtet sich nach den Vorschriften der jeweiligen nationalen Steuergesetze (z.B. für die BRD das Wahlrecht des § 1 Abs. 3 EStG), die im Falle eines vereinbarten DBA nicht über dieses hinausgehen dürfen. Falls die Arbeitnehmer im einen Staat in der Nähe der Grenze wohnen und im anderen Staat (Tätigkeitsstaat) in der Nähe der Grenze arbeiten, werden sie als Grenzgänger bezeichnet. Für diese Fälle hat Deutschland in den DBA mit einigen Ländern spezielle Regelungen getroffen, wonach der jeweilige Tätigkeitsstaat weitgehend auf das Besteuerungsrecht verzichtet. Der Steuerpflichtige hat hierbei kein Wahlrecht.

3.2.2.11 Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen (Art. 16 OECD-MA) Art. 16 OECD-MA als „lex-specialis“-Vorschrift zu Art. 15 OECD-MA behandelt nur Vergütungen, die eine natürliche oder juristische Person für ihre die Geschäftsführung überwachenden Tätigkeiten als Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats erhält. Für diese Vergütungen weist der Artikel dem Quellenstaat das Besteuerungsrecht zu. Quellenstaat ist der Staat, in dem die Gesellschaft ansässig ist. Wird die Person gleichzeitig in einer anderen Funktion für die Gesellschaft tätig, z.B. als Angestellter oder Berater, so sind solche Vergütungen von denen für die Aufsichtsratstätigkeit zu trennen.250 Art. 16 OECD-MA „Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen und ähnliche Zahlungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsoder Verwaltungsrats einer Gesellschaft bezieht, die im anderen Vertragsstaat ansässig ist, können im anderen Staat besteuert werden.“

ÖAuch der Quellenstaat hat neben dem Wohnsitzstaat ein Besteuerungsrecht ÖSchrankennorm mit offener Rechtsfolge

Art. 16 OECD-MA ist eine Schrankennorm mit offener Rechtsfolge, so dass der Wohnsitzstaat der die Vergütungen empfangenden Person durch Anwendung des Methodenartikels eine Doppelbesteuerung vermeidet. Deutschland rechnet die ausländische Steuer meist an.251

250

Vgl. Art. 16 Nr. 2 OECD-MK.

251

Vgl. Wilke, K.-M., Lehrbuch des internationalen Steuerrechts, 5. Aufl., Herne, Berlin 1994, S. 156.

172

Anwendung der Abkommen

3.2.2.12 Künstler und Sportler (Art. 17 OECD-MA) Art. 17 OECD-MA ist eine Spezialvorschrift für die Berufsgruppe der Künstler und Sportler. Die Norm legt fest, dass Künstler und Sportler in dem Vertragsstaat, in dem sie ihre Tätigkeit persönlich ausüben, einer Quellensteuer unterliegen können. Art. 17 OECD-MA hat gegenüber Art. 7 und Art. 15 OECD-MA „lex-specialis“Charakter. Für den Fall, dass der Künstler oder Sportler seine Tätigkeit selbständig oder gewerblich ausübt, ist es für den Quellenstaat somit unerheblich, ob der Künstler oder Sportler über eine Betriebsstätte in seinem Staatsgebiet verfügt (Art. 7 i.V.m. Art. 5 OECDMA). Wird die künstlerische oder sportliche Aktivität im Rahmen einer unselbständigen Tätigkeit ausgeübt, so ist der Quellenstaat aufgrund des spezielleren Art. 17 OECD-MA nicht an die 183-Tage-Regel252 gebunden. Für international auftretende Künstler und Sportler ist ein kurzer Aufenthalt am Tätigkeitsort charakteristisch, so dass ohne die Sonderregelung des Art. 17 OECD-MA Sportler und Künstler dem Tätigkeitsstaat keine Anknüpfung für eine Quellenbesteuerung bieten würden.253 Art. 17 Abs. 1 OECD-MA „Ungeachtet der Artikel 7 und 15 können Einkünfte, ÖArt. 17 als „lex speciadie eine in einem Vertragsstaat ansässige Person lis“ als Künstler, wie Bühnen-, Film-, Rundfunk-, und Öbeispielhafte Aufzählung Fernsehkünstler sowie Musiker, oder als Sportler aus ihrer im anderen Vertragsstaat persönlich ausgeübten ÖSchrankennorm mit Tätigkeit bezieht, im anderen Staat besteuert werden.“ offener Rechtsfolge Obwohl Abs. 1 den Begriff „Person“ verwendet und somit nach der abkommensrechtlichen Legaldefinition des Art. 3 Abs. 1 Bst. a OECD-MA auch Gesellschaften und andere Personenvereinigungen für den Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 1 OECD-MA in Betracht kämen, können nur natürliche Personen Einkünfte als Künstler oder Sportler erzielen. Denn nur eine natürliche Person kann die beschriebenen Tätigkeiten „persönlich“ ausüben. Eine Definition der Begriffe „Künstler“ oder „Sportler“ nimmt das OECD-MA nicht vor. Im Abs. 1 wird lediglich eine beispielhafte Aufzählung von Personen vorgenommen, die als Künstler anzusehen sind.254 Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich auf 252

Unselbständige Künstler und Sportler werden von ihrem Arbeitgeber in den Auftrittsstaat entsendet; sie würden daher erst nach 183 Tagen im Tätigkeitsstaat steuerpflichtig.

253

Vgl. Kluge, V., Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl., München 2000, S. 898 f.; Maßbaum, M., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBA-Kommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 17 OECD-MA, Rz. 2.

254

Vgl. Art. 17 Nr. 3, 5 OECD-MK.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

173

vortragende, d.h. vor Publikum auftretende Künstler. Maler, Bildhauer oder Komponisten, die ein Werk ohne öffentliche Präsentation anfertigen, fallen nicht unter den Begriff. Hinsichtlich des Sportlerbegriffs gibt es keine Beschränkung auf professionelle255 Sportler, aber auch sie müssen öffentlich vor Publikum auftreten.256 Das Niveau der künstlerischen oder sportlichen Darbietung ist irrelevant.257

Beispiel

Künstlerbesteuerung

Lösung

Art. 17 Abs. 2 OECD-MA ist vor dem Hintergrund des folgenden Beispiels zu lesen:

Ein Besteuerungsrecht Großbritanniens an den Einkünften nach Art. 17 Abs. 1 OECDMA scheidet aus, da die WrestlingMania Inc. dort keine sportliche Tätigkeit persönlich ausübt. Für die von der Gesellschaft bezogenen Einkünfte ist Art. 7 OECD-MA („Unternehmensgewinne“) einschlägig. Großbritannien hätte nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 OECD-MA nur für den Fall ein Besteuerungsrecht an den Unternehmensgewinnen, wenn die WrestlingMania Inc. über eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 OECD-MA in Großbritannien verfügen würde. Im vorliegenden Fall wird die Begründung einer Betriebsstätte bewusst vermieden mit der Folge, dass Großbritannien als Tätigkeitsstaat kein Besteuerungsrecht an den Einkünften hat.258 Über den schuldrechtlichen Arbeitsvertrag der WrestlingMania Inc. mit „The Rock“ bzw. über Ausschüttungen kommen die Einkünfte aus der sportlichen Tätigkeit „The Rock“ ohne Quellensteuerbelastung zugute.

Der amerikanische Wrestler „The Rock“ plant eine Teilnahme an englischen Wrestling Veranstaltungen. Zu diesem Zweck gründet er in den USA die WrestlingMania Inc., deren Alleingesellschafter er wird und die ihn im Rahmen eines unselbständigen Arbeitsverhältnisses anstellt. Die WrestlingMania Inc. schließt Verträge mit englischen Veranstaltern ab, in denen sie sich verpflichtet, „The Rock“ für diverse Wettkämpfe zur Verfügung zu stellen. Die Einkünfte aus den Veranstaltungen fließen der WrestlingMania Inc. zu.

255

Manchmal sind in DBA Amateure von diesen Bestimmungen ausgenommen (bspw. DBA mit Großbritannien oder mit den Philippinen; Wortlaut: „berufsmäßige Künstler“).

256

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 17, Rz. 22; BFH v. 02.12.1992, I-R-77/91, FR 1993, S. 241.

257

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 17 MA, Rz. 22.

258

Da „The Rock“ Angestellter der WrestlingMania Inc. ist, von ihr bezahlt und nur entsendet wird, würde er selbst nur bei Überschreiten der 183 Tage in Großbritannien steuerpflichtig.

174

Anwendung der Abkommen

Art. 17 Abs. 2 OECD-MA stellt in jenen Fällen, in denen die Vergütung nicht dem Auftretenden zufließen, die Besteuerung im Quellenstaat sicher.259 Art. 17 Abs. 2 OECD-MA knüpft an Abs. 1 an und dehnt dessen Grundsätze auf andere Personen aus.260 Art. 17 Abs. 2 OECD-MA „Fließen Einkünfte aus einer von einem Künstler oder Sportler in dieser Eigenschaft persönlich ausgeübten Tätigkeit nicht dem Künstler oder Sportler selbst, sondern einer anderen Person zu, so können diese Einkünfte ungeachtet der Artikel 7 und 15 in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Künstler oder Sportler seine Tätigkeit ausübt.“

Ö„Künstlerdurchgriff“ ÖBesteuerungsrecht des Quellenstaates, wie es nach Abs. 1 ohne Zwischengesellschaft bestünde

Deutschland verwirklicht innerstaatlich den Künstlerdurchgriff durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. b EStG. Dieser normiert, dass unabhängig davon, wem die Einkünfte zufließen, die Einkünfte in Deutschland der Besteuerung unterliegen. Auch §§ 7 ff. AStG und 42 AO bieten Durchgriffsmöglichkeiten. Voraussetzung hierfür ist, dass im DBA dieser Künstlerdurchgriff vereinbart wurde.261 Merke: Art. 17 Abs. 2 OECD-MA weist dem Tätigkeitsstaat eines Künstlers oder Sportlers das Recht der Besteuerung des Honorars auch dann zu, wenn dieses nicht an den Künstler direkt fließt (sog. Künstlerdurchgriff). Achtung: Im DBA-Falle kommt der – in Deutschland durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. b EStG normierte – Künstlerdurchgriff nur zum Tragen, falls er auch im jeweiligen Abkommen enthalten ist (Schrankenwirkung der DBA).

3.2.2.13 Ruhegehälter (Art. 18 OECD-MA) Nach Art. 18 OECD-MA können Ruhegehälter aus einem privaten Arbeitsverhältnis262 nur im Ansässigkeitsstaat des Empfängers besteuert werden (Wohnsitzstaatsprinzip), unab259

Befindet sich Deutschland in der Rolle des Quellenstaates, so wird Art. 17 Abs. 2 OECD-MA durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. d EStG innerstaatlich ausgefüllt. Um den Steueranspruch zu sichern, wird die Quellensteuer im Wege des Steuerabzugs (§ 50a Abs. 4 EStG) mit den Steueranspruch abgeltender Wirkung (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG) erhoben.

260

Vgl. Maßbaum, M., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBAKommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 17 OECD-MA, Rz. 207.

261

Der Künstlerdurchgriff fehlt bspw. im DBA mit Polen.

262

Vgl. hierzu auch Toifl, G., Pensionen im DBA-Recht, in: Gassner, W./ Lang, M./ Lechner, E./ Schuch, J./ Staringer, C., Arbeitnehmer im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2003, S. 289.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

175

hängig davon, in welchem Staat die unselbständige Arbeit ausgeübt wurde bzw. unabhängig vom Sitz der die Altersversorgung tragenden Kasse. Art. 18 behandelt im Prinzip Ruhegehälter für ein Arbeitsverhältnis, das unter Art. 15 OECD-MA fallen würde. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA ist aber Art. 18 OECD-MA als „lex specialis“ vorrangig anzuwenden. Ruhegehälter sind nach Eintritt in den Ruhestand gezahlte Vergütungen, die vorwiegend der Versorgung des Empfängers dienen und für frühere unselbständige Arbeit gezahlt werden, d.h. üblicherweise Betriebsrenten.263 Renten aus einem Versicherungsverhältnis einschließlich solcher aus der gesetzlichen Sozialversicherung gehören nicht zum Anwendungsbereich des Art. 18 OECD-MA, sondern werden von Art. 21 OECD-MA erfasst.264 Als Schrankennorm mit abschließender Rechtsfolge schließt Art. 18 OECD-MA ein Besteuerungsrecht des Quellenstaates aus. Ruhegehälter aus dem öffentlichen Dienst fallen unter Art. 19 Abs. 2 OECD-MA („lex specialis“).265 Art. 18 OECD-MA „Vorbehaltlich des Artikels 19 Absatz 2 können Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen, die einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person für frühere unselbständige Arbeit gezahlt werden, nur in diesem Staat besteuert werden.“

ÖArt. 19 Abs. 2 als „lex specialis“ Öfür private Ruhegehälter: Wohnsitzprinzip ÖSchrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

Eine Doppelbesteuerung wird durch die abschließende Rechtsfolge bereits auf Ebene der Schrankennorm vermieden.

3.2.2.14 Öffentlicher Dienst (Art. 19 OECD-MA) Art. 19 OECD-MA stellt eine Sondervorschrift zu Art. 15 bzw. Art. 18 OECD-MA dar. Dabei geht Art. 19 Abs. 1 OECD-MA als „lex specialis“ Art. 15 OECD-MA für Vergütungen vor, die für eine gegenwärtige unselbständige Arbeit im Rahmen eines öffentlichrechtlichen Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Während Art. 18 OECD-MA für private Ruhegehälter gilt, ist Art. 19 Abs. 2 OECD-MA als speziellere Vorschrift für Ruhegehäl-

263

Vgl. BFH v. 27.01.1972, I-R-37/70, BStBl. II 1972, S. 459; BFH v. 12.10.1978, I-R-69/75, BStBl. II 1979, S. 65.

264

Vgl. Art. 18 Nr. 3, 24, 26 OECD-MK; Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 18, Rz. 11 f.

265

Vgl. Art. 18 Nr. 24 f. OECD-MK.

176

Anwendung der Abkommen

ter einschlägig, die aus einem früheren öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis herrühren. Im Grundsatz gilt für Vergütungen nach Art. 19 Abs. 1 Bst. a OECD-MA und Ruhegehälter nach Art. 19 Abs. 2 Bst. a OECD-MA, die für im öffentlichen Dienst geleistete Arbeit bezahlt werden, das sog. Kassenstaatsprinzip. Danach können diese Vergütungen bzw. Ruhegehälter nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die zahlende öffentliche Körperschaft ihren Sitz hat. Das Kassenstaatsprinzip entspricht den Regeln internationaler Courtoisie und gegenseitiger Achtung souveräner Staaten, nach denen der Staat, der die Vergütungen und Ruhegehälter aus seinen Steuermitteln finanziert, das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte beibehalten darf.266 Die Ruhegehälter der ehemals im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmer werden steuerlich wie die Aktivbezüge behandelt (Parallelregelung).267 Vom Kassenstaatsprinzip macht Art. 19 OECD-MA eine Ausnahme, wenn der Empfänger im Nicht-Kassenstaat ansässig und dessen Staatsangehöriger ist. In diesem Fall besteuert ausschließlich der Nicht-Kassenstaat die Vergütungen (Art. 19 Abs. 1 Bst. b OECD-MA) bzw. Ruhegehälter (Art. 19 Abs. 2 Bst. b OECD-MA). Von der Ausnahme ist vor allem das sog. Ortspersonal von Botschaften und Konsulaten betroffen. Bei diesem Personenkreis besteht zum Kassenstaat nur eine sehr schwache persönliche Beziehung, so dass eine ausschließliche Besteuerung im Empfangsstaat gerechtfertigt erscheint.268 Als „Staatsangehöriger“ wird nach Art. 3 Abs. 1 Bst. g UBst. i OECD-MA „jede natürliche Person, die die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates besitzt“ verstanden. Art. 19 Abs. 1 Bst. a OECD-MA „Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, ausgenommen Ruhegehälter, die von einem Vertragsstaat oder einer seiner Gebietskörperschaften an eine natürliche Person für die diesen Staat oder der Gebietskörperschaft geleisteten Dienste gezahlt werden, können nur in diesem Staat besteuert werden.“

ÖGrundsatz: Kassenstaatsprinzip ÖSchrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

266

Vgl. Art. 19 Nr. 1, 2 OECD-MK; BFH v. 31.07.1991, I-R-47/90, RIW 1992, S. 85; FG Köln v. 18.12.1989, 7-K-5136/87, EFG 1990, S. 411; Croxatto, G., Die Begrenzung der staatlichen Steuerhoheit durch internationales Gewohnheitsrecht, StuW 1964, S. 879 ff.

267

Vgl. Art. 19 Nr. 4 OECD-MK.

268

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 19, Rz. 30; Rupp, T., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBA-Kommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 19 OECD-MA, Rz. 2.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

177

Art. 19 Abs. 1 Bst. b OECD-MA ÖAusnahme: Wohnsitzprinzip ÖSchrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

„Diese Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen können jedoch nur im anderen Vertragsstaat (d.h. im Nicht-Kassenstaat) besteuert werden, wenn die Dienste in diesem Staat geleistet werden und die natürliche Person in diesem Staat ansässig ist und i) ein Staatsangehöriger dieses Staates ist oder ii) nicht ausschließlich deshalb in diesem Staat ansässig geworden ist, um die Dienste zu leisten.“

Art. 19 Abs. 2 Bst. a OECD-MA (Parallelregelung zu Abs. 1 Bst. a) „Ungeachtet des Absatzes 1 können Ruhegehälter und ÖGrundsatz: Kassenstaatsprinzip ähnliche Vergütungen, die von einem Vertragsstaat oder einer seiner Gebietskörperschaften oder aus einem von diesem Staat oder der Gebietskörperschaft errichteten ÖSchrankennorm mit Sondervermögen an eine natürliche Person für die diesem abschließender Staat oder der Gebietskörperschaft geleisteten Dienste geRechtsfolge zahlt werden, nur in diesem Staat besteuert werden.“ Art. 19 Abs. 2 Bst. b OECD-MA (Parallelregelung zu Abs. 1 Bst. b) ÖAusnahme: Wohnsitzprinzip ÖSchrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

„Diese Ruhegehälter und ähnlichen Vergütungen können jedoch nur im anderen Vertragsstaat (d.h. im Nicht-Kassenstaat) besteuert werden, wenn die natürliche Person in diesem Staat ansässig ist und ein Staatsangehöriger dieses Staates ist.“

Als Schrankennormen mit abschließender Rechtsfolge vermeiden diese Absätze des Art. 19 OECD-MA eine Doppelbesteuerung schon auf der Ebene der Schrankennormen. Art. 19 Abs. 3 OECD-MA macht eine Ausnahme von Abs. 1 und 2 für Betriebe gewerblicher Art der öffentlichen Hand. Werden Vergütungen aus öffentlichen Kassen nicht für die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben, sondern für gewerbliche Tätigkeiten gezahlt, so fallen diese Vergütungen unter die allgemeinen Regeln der Art. 15, 16, 17 oder 18 OECD-MA.

178

Anwendung der Abkommen

Art. 19 Abs. 3 OECD-MA „Auf Gehälter, Löhne, Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen für Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaates oder einer seiner Gebietskörperschaften erbracht werden, sind die Artikel 15, 16, 17 oder 18 anzuwenden.“

ÖAbs. 3 als „lex specialis“ gegenüber Abs. 1 und 2 ÖAnwendung der allgemeinen Schrankennormen

3.2.2.15 Studenten (Art. 20 OECD-MA) Der Zweck des Art. 20 OECD-MA liegt in der Förderung des internationalen Ausbildungsaustausches. Damit Unterhalts- und Ausbildungszahlungen, die aus dem Wohnsitzstaat stammen, nicht durch eine Besteuerung im Gastland verringert werden, beinhaltet Art. 20 OECD-MA ein Besteuerungsverbot des Gastlandes für diese Zahlungen. Dies gilt auch für den Fall, dass der Auszubildende nach der Einreise im Gastland ansässig wird. Art. 20 OECD-MA „Zahlungen, die ein Student, Praktikant oder Lehrling, der sich in einem Vertragsstaat ausschließlich zum Studium oder zur Ausbildung aufhält und der im anderen Vertragsstaat ansässig ist oder dort unmittelbar vor der Einreise in dem erstgenannten Staat ansässig war, für seinen Unterhalt, sein Studium oder seine Ausbildung erhält, dürfen im erstgenannten Staat nicht besteuert werden, sofern diese Zahlungen aus Quellen außerhalb dieses Staates stammen.“ Art. 20 OECD-MA unterscheidet sich von den übrigen Schrankennormen, da weder eine Steueraufteilung zwischen Quellen- und Wohnsitzstaat vorgenommen noch einem der beiden Vertragsstaaten das ausschließliche Besteuerungsrecht gewährt wird. Die Schrankennorm des Art. 20 OECD-MA stellt bestimmte Einkünfte im Gastland frei.269 Da der Zahlungsempfänger im Herkunftsland meist keiner Besteuerung unterliegt, wird durch Art. 20 OECD-MA eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung vermieden, da die Unterhalts- und Ausbildungszahlungen aus bereits versteuertem Einkommen oder Vermögen stammen.270

269

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 20, Rz. 3.

270

Vgl. Kolb, A., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBAKommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 20 OECD-MA, Rz. 3.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

179

3.2.2.16 Andere Einkünfte (Art. 21 OECD-MA) Art. 21 OECD-MA ist eine Auffangklausel zugunsten des Wohnsitzstaates für Einkünfte, die von den vorherigen Schrankennormen (Art. 6-20 OECD-MA) ihrer Art oder ihrer Quelle nach nicht erfasst werden.271 Art. 21 OECD-MA wird nur subsidiär angewendet, da zunächst eine Anwendbarkeit der Art. 6-20 OECD-MA geprüft wird („Einkünfte, (...) die in den vorstehenden Artikeln nicht behandelt wurden“).272 Art. 21 Abs. 1 OECD-MA „Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person, die in den vorstehenden Artikeln nicht behandelt wurden, können ohne Rücksicht auf ihre Herkunft nur in diesem Staat besteuert werden.“

ÖWohnsitzprinzip (Auffangklausel) ÖSchrankennorm mit abschließender Rechtsfolge

Unter den Artikel fallen z.B. Sozialversicherungsrenten,273 Lotteriegewinne, Unterhaltszahlungen oder Gewinne aus Finanzinnovationen (Swaps, Futures). Am bedeutendsten ist der Artikel für sog. Drittstaateneinkünfte.274 Als Drittstaateneinkünfte werden Einkünfte bezeichnet, die außerhalb der Territorien der beiden Vertragsstaaten anfallen. Die Schrankennormen behandeln meistens die Konstellation, dass eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte aus dem anderen Vertragsstaat bezieht. Art. 21 Abs. 1 OECD-MA ist auch für Einkünfte anwendbar, die ihre Quelle in Drittstaaten haben („ohne Rücksicht auf ihre Herkunft“). Für diese Fälle müssen allerdings eventuell bestehende DBA mit dem Drittstaat beachtet werden. Sind die „anderen Einkünfte“ allerdings einer im Quellenstaat befindlichen Betriebsstätte zuzurechnen, so findet Art. 7 OECD-MA Anwendung (Art. 21 Abs. 2 OECD-MA).

271

Vgl. Art. 21 Nr. 1 OECD-MK.

272

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 21, Rz. 11; Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 21 MA, Rz. 2.

273

Sofern diese nicht nach dem Kassenstaatsprinzip dem Quellenstaat zugewiesen wurden. Die Behandlung ist uneinheitlich.

274

Vgl. Fischer-Zernin, J., in: Becker, H./ Höppner, H.-D./ Grotherr, S./ Kroppen, H.-K. (Hrsg.), DBA-Kommentar, 4. Erg.Lief., Herne/Berlin 1998, Art. 21 OECD-MA, Rz. 17.

180

Anwendung der Abkommen

Art. 21 Abs. 2 OECD-MA „Absatz 1 ist auf andere Einkünfte als solche aus unbeweglichem Vermögen im Sinne des Artikels 6 Absatz 2 nicht anzuwenden, wenn der in einem Vertragsstaat ansässige Empfänger im anderen Vertragsstaat eine Geschäftstätigkeit durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt und die Rechte oder Vermögenswerte, für die die Einkünfte gezahlt werden, tatsächlich zu dieser Betriebsstätte gehören. In diesem Fall ist Artikel 7 anzuwenden.“

ÖEinschränkung des Abs. 1 zugunsten des Quellenstaates, mit Ausnahme der Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen ÖBetriebsstättenvorbehalt

Unbewegliches Vermögen ist von der Anwendung des Abs. 2 ausgenommen. Hieraus ergibt sich wiederum der Vorrang des Belegenheitsprinzips vor dem Betriebsstättenprinzip. Art. 6 OECD-MA bezieht sich auf Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unbeweglichem Vermögen bezieht, das im anderen Vertragsstaat liegt. Liegt das unbewegliche Vermögen im Wohnsitzstaat oder in einem Drittstaat, findet Art. 21 Abs. 1 OECD-MA Anwendung. Der Ausdruck „Rechte und Vermögenswerte“ fasst die in den Betriebsstättenvorbehalten aufgeführten Güter wie Beteiligungen, Forderungen, Rechte und Vermögenswerte zusammen. Somit gilt Art. 21 Abs. 2 OECD-MA für Dividenden, Zinsen und Lizenzen. Die Betriebsstättenvorbehalte der Art. 10-12 OECD-MA beziehen sich immer auf die Konstellation, dass eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte aus dem anderen Vertragsstaat erzielt. Unterhält diese Person eine Betriebsstätte im Quellenstaat, so werden die Einkünfte der Betriebsstätte zugerechnet. Art. 21 Abs. 2 OECD-MA erweitert den Betriebsstättenvorbehalt der Art. 10-12 OECD-MA auf Einkünfte aus dem Wohnsitzstaat und aus Drittstaaten. Art. 21 Abs. 2 OECD-MA hat nur klarstellenden Charakter. Für die Art. 10-12 OECD-MA ist ein Betriebsstättenvorbehalt notwendig, da Art. 7 Abs. 7 OECD-MA den Vorrang speziellerer Artikel vor dem Art. 7 OECD-MA anordnet. Von Art. 10-12 OECD-MA werden aber Einkünfte aus dem Wohnsitzstaat oder Drittstaaten nicht behandelt, so dass ohnehin Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA anzuwenden ist, der auch Einkünfte aus dem Wohnsitzstaat und Drittstaateneinkünfte erfasst, wenn sie der Betriebsstätte zuzurechnen sind.275 Auf diese Weise steht dem Betriebsstättenstaat in jedem Fall ein Besteuerungsrecht zu.

275

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 21, Rz. 44; a.A. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 21 MA, Rz. 63-67.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

181

Die folgende Abbildung vermittelt einen Kurzüberblick über die verschiedenen Besteuerungstatbestände der Art. 15-21 und 28 OECD-MA und über das Verhältnis dieser Normen zueinander. Art. 15 Vergütungen aus einem gegenwärtigen Arbeitsverhältnis mit einem privaten Arbeitgeber

SONDERVORSCHRIFTEN

Art. 16

Art. 17

Vergütungen für Aufsichtsoder Verwaltungsratstätigkeiten

Vergütungen für die Berufsgruppe der Künstler und Sportler

Art. 18

Art. 19

Art. 20

Art. 28

Ruhegehälter aus einem privaten Arbeitsverhältnis

Zahlungen aus einem gegenwärtigen oder früheren öffentlichrechtlichen Arbeitsverhältnis

Studenten (Unterhalt, Studium, Ausbildung)

Diplomaten und Konsularbeamte

SONDERVORSCHRIFT

Art. 21 SUBSIDIÄRE AUFFANGKLAUSEL

Abbildung 44:

z.B. Renten aus einem Versicherungsverhältnis einschließlich solcher aus der gesetzlichen Sozialversicherung

Übersicht über die Besteuerungstatbestände der Art. 15-21 und 28 OECD-MA

182

Anwendung der Abkommen

3.2.2.17 Vermögen (Art. 22 OECD-MA) Art. 22 OECD-MA als letzte Schrankennorm des OECD-MA regelt die Vermögensbesteuerung, die eine Ergänzung zur Besteuerung der Einkünfte darstellt.276 Daher erhält der Vertragsstaat, der die Einkünfte aus dem Vermögen besteuern darf, auch das Besteuerungsrecht hinsichtlich einer Vermögensteuer. Aus deutscher Sicht gibt es keine Vermögensteuern mehr, die unter das Abkommen fallen könnten. Die Gewerbekapitalsteuer wurde mit Wirkung zum VZ 1998 abgeschafft, und eine Vermögensteuer wird seit dem VZ 1997 nicht mehr erhoben. Aus diesen Gründen soll auf Art. 22 OECD-MA nicht näher eingegangen werden.

3.2.3 Anwendung der Methodenartikel (Art. 23 A und B OECD-MA) Das OECD-MA verwendet zwei Typen von Schrankennormen. Schrankennormen mit abschließender Rechtsfolge („können nur“) vermeiden eine Doppelbesteuerung bereits auf Ebene der Schrankennormen, da entweder der Quellenstaat oder der Wohnsitzstaat von der Besteuerung ausgeschlossen wird. Schrankennormen mit offener Rechtsfolge („können auch“) schließen keinen der beiden Vertragsstaaten von der Besteuerung aus. In diesem Fall behält der Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht im Grundsatz bei, ist aber verpflichtet, eine Entlastung durch Anwendung der Methodenartikel (Art. 23 A und B OECDMA) herbeizuführen. Art. 23 A und B OECD-MA sehen zwei Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Wohnsitzstaat vor: die Freistellungsmethode mit Progressionsvorbehalt nach Art. 23 A OECD-MA und die Methode der verhältnismäßigen Anrechnung nach Art. 23 B OECD-MA.

3.2.3.1 Freistellungsmethode (Art. 23 A OECD-MA) Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA regelt die Freistellungsmethode277 als erste Alternative zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durch den Wohnsitzstaat. Nach der Freistellungsmethode werden im Wohnsitzstaat die Einkünfte von der inländischen Steuerbemessungsgrundlage ausgenommen, die im Quellenstaat besteuert werden können. Die Freistellungsmethode stellt also auf die Steuerbemessungsgrundlage ab.

276

Vgl. Art. 22 Nr. 2 OECD-MK.

277

Im Originaltext lautet die Überschrift für Art. 23 A OECD-MA „Befreiungsmethode“.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

183

Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA „Bezieht eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte (...)278 und können diese Einkünfte (...) nach diesem Abkommen (d.h. nach Art. 6-21 OECD-MA) im anderen Vertragsstaat besteuert werden, so nimmt der erstgenannte Staat (also der Wohnsitzstaat) vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 diese Einkünfte (...) von der Besteuerung aus.“ Die Freistellungsmethode führt zu einer Belastung der ausländischen Einkünfte in Höhe des ausländischen Steuerniveaus. Auf diese Weise erfährt der Steuerpflichtige eine steuerlich gleiche Behandlung mit den Wettbewerbern im Quellenstaat (Kapitalimportneutralität). Die deutschen DBA verwenden überwiegend die Freistellungsmethode (mit Progressionsvorbehalt) als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Aus der Freistellung der ausländischen Einkünfte ergibt sich, dass auch negative ausländische Einkünfte von der inländischen Bemessungsgrundlage ausgenommen werden.279 Eine steuermindernde Wirkung der ausländischen Verluste ergibt sich lediglich über den Progressionsvorbehalt nach Art. 23 A Abs. 3 OECD-MA (sog. negativer Progressionsvorbehalt).280 Deutschland schränkt diesen durch § 2a EStG entgegen den Vorschriften des DBA innerstaatlich ein. In vielen DBA steht die Freistellungsmethode unter bestimmten Vorbehaltsklauseln, um eine missbräuchliche Inanspruchnahme der begünstigenden Freistellung zu verhindern. Werden die Voraussetzungen der Vorbehaltsklauseln nicht erfüllt, so wird anstelle der Freistellung nur die weniger günstige Anrechnungsmethode gewährt. So ist in diesen Fällen die Freistellung davon abhängig, ob die Einkünfte einer Betriebsstätte oder Tochtergesellschaft aus einer aktiven, d.h. produktiven Tätigkeit stammen (Aktivitätsvorbehalt). Unter eine aktive Tätigkeit fallen z. B. die Herstellung oder der Verkauf von Gütern und Waren, die Ausbeutung oder Verarbeitung von Mineralien, technische oder kaufmännische Dienstleistungen und Bank- oder Versicherungsgeschäfte. Zur Anrechnungsmethode wird auch nach der eventuell vereinbarten sog. „switch-over“Klausel gewechselt. Im Fall von Qualifikations- und Zurechnungskonflikten zwischen Quellen- und Wohnsitzstaat könnten ebenfalls „weiße Einkünfte“, d.h. Einkünfte, die weder

278

Sämtliche Auslassungszeichen im Originaltext des OECD-MA beziehen sich im Folgenden auf die Vermögensbesteuerung.

279

Vgl. BFH v. 25.02.1976, I-R-150/73, BStBl. II 1976, S. 454; BFH v. 09.08.1989, I-B-118/88, BStBl. II 1990, S. 176; BFH v. 26.03.1991, IX-R-162/85, BStBl. II 1991, S. 708.

280

Vgl. BFH v. 25.05.1970, I-R-109/68, BStBl. II 1970, S. 661; BFH v. 09.08.1989, I-B-118/88, BStBl. II 1990, S. 176; BFH v. 11.10.1989, I-R-124/86, BStBl. II 1990, S. 157; BFH v. 17.10.1990, I-R-182/87, BStBl. II 1991, S. 136.

184

Anwendung der Abkommen

im Quellen- noch im Wohnsitzstaat steuerbar sind, entstehen. Dies soll durch einen Übergang zur Anrechnungsmethode verhindert werden. Einen Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode kennt auch das AStG bei Einkünften von Betriebsstätten (§ 20 Abs. 2 AStG). Dabei bestimmt das AStG, dass diese Vorschrift unabhängig von einem bestehenden DBA angewendet wird („treaty override“ – § 20 Abs. 1 AStG). Für Art. 10 („Dividenden“) und Art. 11 („Zinsen“) sieht das OECD-MA eine Aufteilung der Steuerberechtigung vor. Aus diesem Grunde findet sich im Art. 23 A OECD-MA, der eigentlich die Freistellungsmethode beinhaltet, folgender Abs. 2: Art. 23 A Abs. 2 OECD-MA „Bezieht eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte, die nach den Artikeln 10 und 11 im anderen Vertragsstaat besteuert werden können, so rechnet der erstgenannte Staat (also der Wohnsitzstaat) auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der im anderen Staat gezahlten Steuer entspricht. Der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer nicht übersteigen, der auf die aus dem anderen Staat bezogenen Einkünfte entfällt.“ Der zweite Satz der Vorschrift bestimmt, dass eine Anrechnung der ausländischen Quellensteuer maximal bis zu einem Anrechnungshöchstbetrag möglich ist, der im Zusammenhang mit Art. 23 B OECD-MA erörtert wird. Die in Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA beschriebene Freistellungsmethode wird „vorbehaltlich der Absätze 2 und 3“ angewendet. Art. 23 A Abs. 3 OECD-MA räumt dem Wohnsitzstaat die Möglichkeit ein, die freigestellten Einkünfte zur Berechnung des Steuersatzes, der auf die restlichen Einkünfte zur Anwendung kommt, zu berücksichtigen (sog. Progressionsvorbehalt). Art. 23 A Abs. 3 OECD-MA „Einkünfte (...) einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in diesem Staat auszunehmen sind, können gleichwohl in diesem Staat bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen (...) der Person einbezogen werden.“ Durch den Progressionsvorbehalt wirkt sich die Steuerfreistellung neben der Herausnahme aus der Steuerbemessungsgrundlage nicht auch noch zusätzlich steuermindernd auf einen

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

185

progressiv ausgestalteten Steuertarif aus. Für die Körperschaftsteuer spielt der Progressionsvorbehalt keine Rolle, da der Körperschaftsteuersatz ein linearer Tarif ist. Positive ausländische Einkünfte führen zur Anwendung eines höheren Steuersatzes (positiver Progressionsvorbehalt). Bei negativen ausländischen Einkünften führt der Progressionsvorbehalt zu einer mildernden Wirkung auf den anzuwendenden Steuersatz (negativer Progressionsvorbehalt). Zur Erinnerung: Nach deutschem Steuerrecht steht der negative Progressionsvorbehalt unter dem Vorbehalt des § 2a Abs. 1 und 2 EStG.281

Lösung

Beispiel

Auf welche Weise die Freistellung unter Progressionsvorbehalt zu erfolgen hat, bestimmt sich nach innerstaatlichem Recht. Nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG kommt bei der Freistellung ein besonderer Steuersatz i.S.d. § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG zur Anwendung. Freistellung unter Progressionsvorbehalt „Bierchen“ hat seinen Wohnsitz in Deutschland und erzielt im Jahr 01 inländische Einkünfte i.H.v. 90.000 € und ausländische Einkünfte i.H.v. 30.000 € aus der Vermietung eines Apartments in Rimini, Italien. Im Jahr 01 sind „Bierchen“ Sonderausgaben i.H.v. 10.000 € entstanden. „Bierchen“ ist in Deutschland nach § 1 Abs. 1 EStG mit seinem Welteinkommen (§ 2 EStG) unbeschränkt steuerpflichtig. 1. Ermittlung des z.v.E. (§ 2 EStG)

inländische Einkünfte ausländische Einkünfte, freigestellt nach Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA = Summe der Einkünfte ./. Sonderausgaben = z.v.E.

90.000 € 30.000 € 90.000 € 10.000 € 80.000 €

Aufgrund des im DBA-Italien282 vereinbarten Progressionsvorbehaltes dürfen die inländischen Einkünfte mit dem Steuersatz besteuert werden, der für das um die ausländischen Einkünfte erhöhte Gesamteinkommen maßgeblich ist:

281

Vgl. BFH v. 17.10.1990, I-R-182/87, BStBl. II 1991, S. 136; aber a.A. im BFH v. 09.08.1989, IB-118/88, BStBl. II 1990, S. 176.

282

Vgl. DBA-Italien v. 18.10.1989, BGBl. II 1990, S. 742, BStBl. I 1990, S. 396.

186

Anwendung der Abkommen 2. Berechnung des Durchschnittssteuersatzes (§ 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG)

inländische Einkünfte freigestellte ausländische Einkünfte = Summe der Einkünfte ./. Sonderausgaben = für die Berechnung des Steuersatzes maßgebliches Einkommen Ö Steuerbetrag (nach der Grundtabelle) Ö Durchschnittssteuersatz (gerundet)

3. Multiplikation mit dem zu versteuernden Einkommen

z.v.E. 80.000 €

x Durchschnittssteuersatz x 0,3481

90.000 € 30.000 € 120.000 € 10.000 € 110.000 € 38.286 € 34,81 %

= 27.848 €

Art. 23 A Abs. 4 OECD-MA zielt darauf ab, eine doppelte Nichtbesteuerung („weiße Einkünfte“) zu verhindern.283 Kommt der Quellenstaat zu dem Schluss, dass bestimmte Einkünfte unter einen Abkommensartikel fallen, der seinen Besteuerungsanspruch aufhebt oder begrenzt, während der Wohnsitzstaat eine andere Auslegung mit der Folge vertritt, dass die Einkünfte nur im Quellenstaat besteuert werden können, so wäre der Wohnsitzstaat nach Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA verpflichtet, die Einkünfte freizustellen. Es ergäbe sich eine doppelte Freistellung bzw. im Fall der Dividenden und Zinsen lediglich eine begrenzte Besteuerung im Quellenstaat verbunden mit einer Freistellung im Wohnsitzstaat. Aufgrund des Abs. 4 fällt hier das Besteuerungsrecht auf den Wohnsitzstaat zurück. Ein Beispiel für eine solche Konstellation wäre die Annahme einer Betriebsstätte durch den Wohnsitzstaat, während der Quellenstaat das Vorliegen einer Betriebsstätte verneint. Art. 23 A Abs. 4 OECD-MA „Absatz 1 gilt nicht für Einkünfte (...) einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person, wenn der andere Vertragsstaat dieses Abkommen so anwendet, dass er diese Einkünfte (...) von der Besteuerung ausnimmt oder Absatz 2 des Artikels 10 oder des Artikels 11 auf diese Einkünfte anwendet.“

3.2.3.2 Anrechnungsmethode (Art. 23 B OECD-MA) Art. 23 B Abs. 1 OECD-MA beinhaltet die Anrechnungsmethode als zweite Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Wohnsitzstaat. Auch Art. 23 B OECD-MA regelt nur die Besteuerung im Wohnsitzstaat.

283

Vgl. Art. 23 A Nr. 56.1 OECD-MK.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

187

Die Anrechnungsmethode vermeidet eine Doppelbesteuerung durch Anrechnung der ausländischen Steuer auf die inländische Steuerschuld. Die Anrechnungsmethode stellt also auf die Steuerschuld und nicht wie die Freistellungsmethode auf die Bemessungsgrundlage ab. Die Anrechnungsmethode führt zu einer Steueraufteilung zwischen dem Wohnsitzund Quellenstaat. Art. 23 B Abs. 1 OECD-MA „Bezieht eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte (...) und können diese Einkünfte (...) nach diesem Abkommen im anderen Vertragsstaat besteuert werden, so rechnet der erstgenannte Staat a) auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der im anderen Staat gezahlten Steuer vom Einkommen entspricht; b) auf die vom Vermögen (...). Der anzurechnende Betrag darf jedoch in beiden Fällen den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer vom Einkommen (...) nicht übersteigen, der auf die Einkünfte, die im anderen Staat besteuert werden können (...) entfällt.“ Der Methodenartikel bestimmt in der Regel nicht, wie das innerstaatliche Anrechnungsverfahren technisch ausgestaltet sein soll. In Deutschland bestimmt § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG, dass die unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Grundsatz subsidiär gegenüber bilateralen Maßnahmen anzuwenden sind. Allerdings wird die Berechnung des Anrechungshöchstbetrags (§ 34c Abs. 1 Satz 2 EStG) nach § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG für entsprechend anwendbar erklärt. Falls ein DBA eine Doppelbesteuerung nicht beseitigt oder nicht alle Steuern erfasst, so bleiben nach § 34c Abs. 6 Satz 3 EStG die unilateralen Maßnahmen der Steueranrechnung nach § 34c Abs. 1 EStG oder des Steuerabzugs nach § 34c Abs. 2 EStG subsidiär anwendbar. Über § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG gelten diese Vorschriften auch für die Körperschaftsteuer. Wesentliches Merkmal der Anrechnungsmethode ist der Anrechnungshöchstbetrag nach Art. 23 B Abs. 1 Satz 2 OECD-MA, demzufolge nur der Betrag angerechnet wird, der der inländischen Steuer auf die ausländischen Einkünfte entspricht. Durch den Anrechnungshöchstbetrag profitiert ein Staat von einem niedrigeren ausländischen Steuerniveau, schützt sich aber gleichzeitig vor einer Erstattung ausländischer Steuer, sollte das ausländische Steuerniveau höher sein.284 Zur Erinnerung: Nach § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG ergibt sich der Anrechnungshöchstbetrag nach folgender Formel: Anrechnungshöchstbetrag

284

=

deutsche ESt bzw. KSt

x

ausländische Einkünfte aus Staat X Summe der Einkünfte

Vgl. Vogel, K./ Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 23 A Abs. 2/Art. 23 B Abs. 1, Rz. 145.

Lösung

Beispiel

188

Anwendung der Abkommen Begrenzte Anrechnung Es gelten die Angaben des vorherigen Beispiels mit der Änderung, dass „Bierchen“ die ausländischen Einkünfte aus einem gewährten Darlehen erhält. Auf die ausländischen Zinseinkünfte wurde eine Quellensteuer i.H.v. 7.500 € einbehalten. Bei Zinseinkünften vermeidet Deutschland eine Doppelbesteuerung durch die Anrechnungsmethode. 1. Ermittlung des z.v.E. (§ 2 EStG)

inländische Einkünfte ausländische Einkünfte, = Summe der Einkünfte ./. Sonderausgaben = z.v.E.

90.000 € 30.000 € 120.000 € 10.000 € 110.000 €

2. Steuer auf das z.v.E. (§ 32a Abs. 1, 2 EStG bzw. nach Grundtabelle) 3. Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags (§ 34c Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 S. 2 EStG)

38.286 €

38.286 x

30.000 = 120.000

9.572 €

Da der Anrechnungshöchstbetrag die ausländische Quellensteuer i.H.v. 7.500 € nicht übersteigt, wird sie im Inland in voller Höhe angerechnet. 4. Anrechnung der Quellensteuer

inländische Steuer 38.286 € ./. anrechenbare ausländische Steuer 7.500 € = zu zahlender Steuerbetrag 30.786 €

Nicht im OECD-MA ist der sog. matching credit vorgesehen. Darunter versteht man die in manchen DBA zwischen Industrie- und Entwicklungsländern enthaltene einseitige Bestimmung, dass der Ansässigkeitsstaat (Industrieland) sich verpflichtet, eine höhere als die tatsächlich im Quellenstaat (Entwicklungsland) gezahlte Steuer anzurechnen. Damit können Entwicklungsländer Steuerermäßigungen als Investitionsanreiz bieten, ohne zu befürchten, dass diese durch das Anrechnungsverfahren im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen kompensiert werden. Deutschland hat eine solche Regelung bspw. in den DBA mit Bangladesch, China, Marokko, Tunesien und der Türkei vereinbart.285

285

Vgl. hierzu auch BMF v. 12.05.1998, IV C 6 – S 1301 – 18/98, BStBl. I 1998, S. 554.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

3.2.4

189

Besondere Bestimmungen (Art. 24-28 OECD-MA)

Art. 24 OECD-MA („Gleichbehandlung“) enthält das Verbot der steuerlichen Diskriminierung. Es lassen sich vier Fälle unterscheiden: Der erste Fall knüpft an die Staatsangehörigkeit an. Staatsangehörige eines Vertragsstaates dürfen im anderen Vertragsstaat bei gleichen Verhältnissen keiner anderen oder belastenderen Besteuerung oder Verpflichtung ausgesetzt werden als Staatsangehörige des anderen Vertragsstaates. Da die Besteuerung natürlicher Personen in den meisten Staaten nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft, ist dieses Diskriminierungsverbot von geringer praktischer Bedeutung. Das Diskriminierungsverbot wird auch auf Staatenlose ausgedehnt. Das zweite Diskriminierungsverbot bestimmt, dass eine Betriebsstätte der Besteuerung eines selbständigen Unternehmens im Betriebsstättenstaat gleichzustellen ist. Das dritte Diskriminierungsverbot betrifft eine Form der Diskriminierung, bei der Staaten den Abzug von Zinsen, Lizenzgebühren und sonstigen Entgeltzahlungen bzw. Schulden eines Unternehmens nur eingeschränkt oder gar nicht zulassen, wenn der Empfänger im Vertragsstaat dieses Unternehmens eine nicht ansässige Person ist.286 Die Gewinnberichtigungsvorschriften der Art. 9 Abs. 1, Art. 11 Abs. 6 und Art. 12 Abs. 4 OECD-MA bleiben allerdings von diesem Verbot unberührt. Nach dem vierten Verbot dürfen Unternehmen eines Vertragsstaates nicht schlechter gestellt werden, weil im anderen Vertragsstaat ansässige Personen an diesem beteiligt sind.287 Alle Diskriminierungsverbote stehen selbständig nebeneinander288 und gelten ungeachtet des Art. 2 OECD-MA („Unter das Abkommen fallende Steuern“) für Steuern jeder Art und Bezeichnung. Ergeben sich bei der Anwendung eines DBA Schwierigkeiten, so sieht Art. 25 OECD-MA („Verständigungsverfahren“) ein zwischenstaatliches Verständigungsverfahren zur übereinstimmenden Anwendung von DBA vor.289 Insgesamt besteht Art. 25 OECD-MA aus drei Verständigungsklauseln. Das Verständigungsverfahren i.e.S. dient der Lösung von Einzelfällen, in denen eine Person der Auffassung ist, abkommenswidrig durch einen oder beide Vertragsstaaten besteuert zu werden. In diesem Fall kann der Steuerpflichtige seine Auffassung der für ihn zuständigen Finanzbehörde darlegen. Ist die zuständige Behörde allein nicht in der Lage, Abhilfe zu schaffen, so leitet sie ein Verständigungsverfahren mit der entsprechenden Finanzbehörde des anderen Vertragsstaates ein. Innerstaatliche Rechtsmittel bleiben von dem Verfahren unberührt. In Deutschland könnte bei einem Scheitern des Verfahrens eine Vermeidung der Doppelbesteuerung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) in Frage kommen.290 286

Vgl. Art. 24 Nr. 55 OECD-MK.

287

Vgl. BMF v. 08.12.2004, IV B 4 – S 1301 USA – 12/04, BStBl. I 2004, S. 1181.

288

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin, H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 96. Erg.Lief., München 2005, Art. 24 MA, Rz. 2.

289

Vgl. Art. 25 Nr. 1 OECD-MK.

290

Vgl. BMF v. 01.04.1993, IV C 5-S-1300-158/92, BStBl. I 1993, S. 332, Tz. 1.1, 1.2, 2.3.1, 8; Art. 25 Nr. 1-3 OECD-MK.

190

Anwendung der Abkommen

Daneben gibt es ein Konsultationsverfahren, bei dem die zuständigen Behörden beider Vertragsstaaten in Einzelfällen aber auch allgemein bei Schwierigkeiten oder Zweifeln bezüglich der Auslegung oder Anwendung eines Abkommens versuchen, diese einvernehmlich zu lösen. Um Doppelbesteuerungen bei vertraglich nicht geregelten Fragen zu vermeiden, können die zuständigen Behörden beider Vertragsstaaten ebenfalls ein Konsultationsverfahren zum Schutz des Steuerpflichtigen einleiten. Bei den drei Verfahrensarten steht es den Behörden der Vertragsstaaten offen, direkt miteinander zu verkehren oder eine gemeinsame Kommission einzurichten. Der Hauptanwendungsfall des Art. 25 OECD-MA betrifft Gewinnkorrekturen bzw. -aufteilungen bei Verrechnungspreisen.291 Treten die Schwierigkeiten zwischen zwei EU-Staaten auf, ist ein EU-Schiedsgerichtsverfahren einzuleiten. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist die Finanzverwaltung zur Durchführung des Abkommens bzw. des innerstaatlichen Rechts häufig auf Informationen von Finanzbehörden des anderen Vertragsstaates angewiesen, da ihre Ermittlungskompetenzen auf das eigene Staatsgebiet begrenzt sind.292 Den erforderlichen Informationsaustausch unter Einhaltung von Geheimhaltungspflichten ermöglicht Art. 26 OECD-MA („Informationsaustausch“). Die OECD führt seit 1996 Untersuchungen zum schädlichen Steuerwettbewerb durch. Im Bericht über den schädlichen Steuerwettbewerb von 1998 wurde festgestellt, dass das Fehlen eines effektiven Informationsaustauschs zwischen den Steuerbehörden verschiedener Länder einen der Hauptgründe für die Schädlichkeit eines Steuerregimes darstellt.293 Die daraufhin getroffenen Empfehlungen der OECD haben zu einer Ausweitung der Bestimmung des Art. 26 OECD-MA über den Informationsaustausch geführt. Bisher musste die gewünschte Information für die konkrete Durchführung eines DBA oder für die Durchführung des innerstaatlichen Rechts „erforderlich“ sein („große Auskunftsklausel“294). Nach der Aktualisierung des OECD-MA im Jahre 2005 ist statt der Erforderlichkeit eine „voraussichtliche Erheblichkeit“ – nun auch lediglich für die Verwaltung selbst – ausreichend. So soll ein Informationsaustausch in „weitest möglichem Ausmaß“ erreicht werden.295 In der Abkommenspraxis werden demgegenüber oft lediglich „kleine Auskunftsklauseln“296 291

Vgl. Grotherr, S./ Herfort, C./ Strunk, G., Internationales Steuerrecht, 1. Aufl., Achim 1998, S. 579.

292

Vgl. BMF v. 01.07.1997, IV C 5 – S 1300 – 189/96; Art. 25 Nr. 1-3 OECD-MK; Eicker, K./ Stockburger, L., Internationale Verfahren zur Beseitigung der Doppelbesteuerung – Überblick und Folgerungen für die Praxis anlässlich des rückwirkenden Wiedereintritts der EUSchiedskonvention zum 1.1.2004, IWB 2005, S. 206.

293

Vgl. OECD, Harmful Tax Competition: An Emerging Global Issue, Paris 1998, S. 10 f., 21 ff., 33 ff., 44 ff., 67 ff.; Huber, M. F./ Helbing, A./ Kubaile, H./ Raab, J., Entwicklungen im internationalen Steuerrecht, Steuer Revue 2005, S. 923.

294

Vgl. BMF v. 03.02.1999, IV B 4 – S 1320 – 3/99, BStBl. I 1999, S. 228 ff.

295

Vgl. Art. 26 Nr. 2, 5, 10.3 OECD-MK.

296

Vgl. BMF v. 03.02.1999, IV B 4 – S 1320 – 3/99, BStBl. I 1999, S. 228 ff.

Analyse der Struktur des OECD-Musterabkommens

191

vereinbart, nach denen Auskünfte nur für die konkrete Durchführung eines DBA ausgetauscht werden. Art. 27 OECD-MA ist durch die Revision im Jahr 2003 neu eingefügt worden. Durch Art. 27 OECD-MA wird die Zusammenarbeit der beiden Vertragsstaaten in Bezug auf die Erhebung der Steuern weiter vertieft. Besteht ein berechtigter Steueranspruch des einen Vertragsstaates, so verpflichtet sich der andere Vertragsstaat bei entsprechender Anfrage diesen Anspruch zu erheben und zu vollstrecken. Mit Steueransprüchen sind jegliche dem einen Vertragsstaat geschuldeten Beträge gemeint, aber auch mit diesen Beträgen zusammenhängende Zinsen, Geldbußen und Kosten der Erhebung und Sicherung. Auf diese Weise soll das Steueraufkommen gesichert werden. Art. 28 OECD-MA schützt Diplomaten und Konsularbeamte vor Einschränkungen steuerlicher Vergünstigungen, die ihnen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts oder nach besonderen Übereinkünften zustehen. Im Verhältnis zu diesen völkerrechtlichen Verträgen gelten DBA nur subsidiär.

192

Aktivitäten ohne Stützpunkt im Ausland: Direktgeschäfte

Kapitel III: Steuerliche Behandlung von Direktinvestitionen 1 Die wichtigsten Formen einer grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit Für die Besteuerung der internationalen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ist es maßgeblich, welche Gestaltungsform für die Abwicklung der Auslandsgeschäfte gewählt wird. Diese organisatorische Struktur bildet die Grundlage für steuerliche Anknüpfungspunkte und beeinflusst so die Besteuerung der grenzüberschreitenden Tätigkeit. Auslandsaktivitäten beginnen in der Regel mit dem Aufbau von grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen. Dabei erfolgt der Leistungsaustausch üblicherweise vom Inland aus, ohne dass ein fester Stützpunkt im Ausland errichtet wird (Direktgeschäft/ Export). Die nächste Stufe besteht darin, dass der Handel mit dem Ausland nicht nur vom Inland aus getätigt wird, sondern dass das Unternehmen seine wirtschaftlichen Aktivitäten durch Investitionen auf das ausländische Staatsgebiet (Direktinvestitionen) verlagert bzw. erweitert. Die einfachste Form der Internationalisierung ist die Errichtung einer unselbständigen Niederlassung (Betriebsstätte). Als weitere Alternativen sind die Gründung oder die Beteiligung an einer ausländischen Kapital- oder Personengesellschaft denkbar.

Formen der Unternehmenstätigkeit im Ausland International tätiges Unternehmen

Handelsbeziehungen ohne Stützpunkt im Ausland

Außenhandel (Direktgeschäft)

Abbildung 45:

Betriebsstätte

Aktivitäten mit Stützpunkt im Ausland (Direktinvestitionen)

Tochterkapitalgesellschaft

Tochterpersonengesellschaft

Grundformen der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit

Die Gestaltungsalternativen der grenzüberschreitenden Unternehmensaktivitäten können auch in kombinierter Form auftreten: die vom inländischen Mutterunternehmen im Ausland gegründete Betriebsstätte hält in ihrem Betriebsvermögen Anteile an anderen Gesellschaf-

Die wichtigsten Formen einer grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit

193

ten aus dem Betriebsstättenstaat oder aus Drittländern. Alternativ kann das inländische Mutterunternehmen Anteile an einer ausländischen Personen- oder Kapitalgesellschaft erwerben, die im selben Land bzw. in Drittstaaten eine Betriebsstätte oder Beteiligungen an weiteren Unternehmen besitzt. Aus den verbundenen Unternehmen ergibt sich eine mehrstufige Struktur, bestehend aus inländischer Spitzeneinheit, ausländischer Zwischeneinheit sowie ausländischer Grundeinheit.

Struktur eines zweistufigen Aufbaus von Auslandsbeziehungen: Inland

Ausland Spitzeneinheit

Grundeinheit Grenze

Struktur eines dreistufigen Aufbaus von Auslandsbeziehungen: Ausland A

Inland Spitzeneinheit

Zwischeneinheit Grenze

Abbildung 46:

Ausland B Grundeinheit

Grenze

Mehrstufiger Aufbau der grenzüberschreitenden Unternehmensaktivität

1.1 Aktivitäten ohne Stützpunkt im Ausland: Direktgeschäfte Unter der Bezeichnung „Direktgeschäft“ wird der kommerzielle Leistungsaustausch über die Grenze ohne Errichtung eines festen Stützpunktes im Ausland verstanden. Das Unternehmen steht im Rahmen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs in unmittelbarem Kontakt mit den ausländischen Abnehmern. Die Basis der Handelsbeziehungen sind schuldrechtliche Leistungsaustauschbeziehungen. Zu den Direktgeschäften zählen: x Güterexport, x Dienstleistungen, x Überlassung von Kapital, x Vermietung und Verpachtung von beweglichen und unbeweglichen Gegenständen, x Kurzfristige Bau- und Montageleistungen.

194

Aktivitäten mit Stützpunkt im Ausland: Direktinvestitionen

Die Eigenschaften eines Direktgeschäftes sind: 9direkter Leistungsaustausch zwischen einem inländischen Unternehmen und seinen ausländischen Abnehmern, 9auf Basis schuldrechtlicher Leistungsbeziehungen sowie 9kein fester Stützpunkt im Ausland.

1.2 Aktivitäten mit Stützpunkt im Ausland: Direktinvestitionen Aktivitäten mit einem Stützpunkt im Ausland werden als Direktinvestitionen bezeichnet. Dabei wird zwischen Outbound-Investitionen (Steuerinländer engagieren sich im Ausland) und Inbound-Investitionen (Steuerausländer nehmen Direktinvestitionen im Inland vor) unterschieden. In der BRD ist in den letzten Jahren ein steigender Trend bei den Direktinvestitionen im Ausland zu beobachten.297

in Mrd. US-$

619,9

800

622,5

513,8 600 400 200 0 2001

Abbildung 47:

2002

2003

Summe der deutschen Direktinvestitionen im Ausland (2001-2003)298

Werden nur die Neuinvestitionen seit Beginn der neunziger Jahre betrachtet, haben sich die Direktinvestitionen Deutschlands im Ausland vervierfacht.299 Ausschlaggebend für die starke Zunahme waren Merger- und Akquisitionsaktivitäten internationaler Unternehmen in diesem Zeitraum sowie der Privatisierungsschub vieler Länder speziell im Bereich der Energie-, Transport- und Telekommunikationsbranche. Auch der Liberalisierungstrend im Kapitalverkehr, insbesondere in Schwellenländern, wirkte sich investitionsfördernd aus. 297

298 299

Direktinvestitionen liegen nach der Definition der deutschen Zahlungsbilanz vor, sobald ein deutscher Investor unmittelbar mindestens 10 % der Anteile oder Stimmrechte hält; vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht November 2001, Zahlungsbilanzstatistik, S. 48. Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2005 für das Ausland, S. 404. Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht November 2001, Zahlungsbilanzstatistik, S. 48.

Die wichtigsten Formen einer grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit

195

Im Vergleich der weltweit größten Investoren liegen deutsche Betriebe mit Nettoanlagen von ca. 622 Mrd. US-$ seit Jahren an vierter Stelle hinter den Spitzenreitern USA (2.069 Mrd. US-$), Großbritannien (1.129 Mrd. US-$) und Frankreich (643 Mrd. US-$).300 Direktinvestitionen können aufgrund mehrerer Aspekte für deutsche Unternehmen interessant sein. Die wichtigste Rolle dürften absatzpolitische Überlegungen spielen, aber auch die Nutzung des internationalen Steuergefälles kann ein entscheidender Anlass für ein Auslandsengagement sein.

1.2.1

Betriebsstätte

Eine Betriebsstätte liegt vor, wenn unternehmerische Aktivitäten im Ausland über eine feste Geschäftseinrichtung ohne eigene Rechtspersönlichkeit ausgeübt werden, die der Tätigkeit des Unternehmens unmittelbar dient.301 Die Struktur eines im Inland belegenen Stammhauses (Spitzeneinheit) mit dem damit verbundenen rechtlich unselbständigen Unternehmensteil im Ausland (Grundeinheit) bezeichnet man als „Internationales Einheitsunternehmen“. Da durch die Errichtung einer Betriebsstätte Ressourcen (Kapital und Personal)302 im Ausland gebunden werden, ist die Betriebsstätte im Regelfall eine auf Dauer angelegte Unternehmenseinrichtung.303 Großprojekte im Baugewerbe oder bei Montagetätigkeiten sind meist nicht auf Dauer angelegt. Diese können eine zeitlich begrenzte Betriebsstätte darstellen, wenn vorgegebene Mindestzeiten (sechs bzw. zwölf Monate) überschritten werden. Merkmale einer Betriebsstätte sind: 9 rechtlich unselbständige (Auslands-)Niederlassung einer inländischen Unternehmung, 9 wirtschaftliche Selbständigkeit, 9 Dauerhaftigkeit der Geschäftseinrichtung bzw. Anlage.

1.2.2

Tochterkapitalgesellschaft

Für die Investition im Ausland wählen Unternehmen am häufigsten die Rechtsform der Kapitalgesellschaft, welche als juristische Person rechtlich eigenständig ist. Das in Be-

300

Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2005 für das Ausland, S. 404.

301

Vgl. § 12 AO; BFH v. 10.02.1988, VIII-R-159/84, BStBl. II 1988, S. 653.

302

Der BFH hat im sog. Pipeline-Urteil entschieden, dass auch die Errichtung einer technischen Anlage ohne das Vorhandensein von Personal als Betriebsstätte gilt; vgl. BFH v. 30.10.1996, II-R-12/92, BStBl. II 1997, S. 12. Auch ein Server kann allein eine Betriebsstätte begründen.

303

Vgl. BFH v. 28.08.1986, V-R-20/79, BStBl. II 1987, S. 162.

196

Aktivitäten mit Stützpunkt im Ausland: Direktinvestitionen

triebsstätten investierte ausländische Unternehmensvermögen ist als relativ unbedeutend zu bezeichnen.304 Aus der Verbindung zwischen ausländischer Tochterkapitalgesellschaft (Grundeinheit) und inländischem Mutterunternehmen (Spitzeneinheit) entsteht ein internationaler Konzern.

Internationaler Konzern INLAND

AUSLAND

Beteiligungssphäre (Beteiligungsquote mind. 10% )

Mutterunternehmen

Konzerninterne Leistungsverflechtungen

Andere Gesellschafter Beteiligung

Tochterkapitalgesellschaft Konzernexterne Leistungsverflechtungen Kunde

Grenze

Abbildung 48:

Aufbau eines internationalen Konzerns

Tochterkapitalgesellschaften sind als juristische Personen eigenständige Rechtssubjekte, die mit ihren Gesellschaftern Rechtsgeschäfte abschließen können.305 Schuldrechtliche Verträge zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern werden aufgrund des Trennungsprinzips auch mit steuerlicher Wirkung anerkannt. Aus der zivil- und steuerrechtlich anerkannten eigenen Rechtspersönlichkeit der Tochterkapitalgesellschaft folgt, dass im Rahmen der Besteuerung immer zwei Ebenen berücksichtigt werden müssen (Sphärentrennung): die Ebene der Kapitalgesellschaft als intransparente Einheit und getrennt davon die Ebene der Anteilseigner.

304

Vgl. Deutsche Bundesbank, Struktur der Kapitalverflechtung deutscher Unternehmen mit dem Ausland Ende 1999, Monatsbericht April 2001, S. 66 f.

305

Der Umfang der wirtschaftlichen Selbständigkeit richtet sich nach der Verteilung der Entscheidungsbefugnisse innerhalb des Konzerns.

Die wichtigsten Formen einer grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit

197

Der nach den Besteuerungsvorschriften des Sitzstaates ermittelte Gewinn wird im Zeitraum der Entstehung von der Tochterkapitalgesellschaft selbst versteuert. Erst im Fall der Ausschüttung der Gewinne entstehen steuerpflichtige Einkünfte der Gesellschafter.

Steuerliche Gewinnbehandlung bei intransparenten Einheiten Intransparente Einheit Gewinnentstehung

Versteuerung der Gewinne durch die Einheit selbst

Gewinnverwendung

---

Abbildung 49:

Anteilseigner Keine Besteuerung beim Anteilseigner (Trennungsprinzip) Ausschüttungsfall: Besteuerung beim Anteilseigner

Gewinnentstehung bzw. Gewinnverwendung bei intransparenten Einheiten

Beachte folgende Charakteristika der Tochterkapitalgesellschaft: 9rechtlich selbständige Unternehmenseinheit, 9wirtschaftliche Selbständigkeit, 9Trennungsprinzip.

1.2.3

Tochterpersonengesellschaft

Für das organisatorische Gebilde in Form der ausländischen Tochterpersonengesellschaft als Grundeinheit und dem inländischen Mutterunternehmen als Spitzeneinheit gibt es keine einheitliche Bezeichnung. Die Bezeichnung „Konzern“ wird i.d.R. nur bei dem Zusammenschluss von Kapitalgesellschaften verwendet.

198

Aktivitäten mit Stützpunkt im Ausland: Direktinvestitionen

Ausländische Tochterpersonengesellschaft INLAND

AUSLAND Andere Mitunternehmer Beteiligung

Beteiligungssphäre

Inländische Anteilseigner

Unternehmensinterne Leistungsverflechtungen auf schuldrechtlicher Basis

Tochterpersonengesellschaft Unternehmensexterne Leistungsverflechtungen Kunde

Grenze

Abbildung 50:

Beteiligung an einer ausländischen Personengesellschaft

Personengesellschaften sind üblicherweise nur beschränkt rechtsfähig.306 Im internationalen Steuerrecht werden sie in den meisten Industriestaaten einer rechtlich unselbständigen Betriebsstätte gleichgestellt und sind in diesen Fällen kein eigenständiges Steuersubjekt. Aufgrund des in diesem Fall geltenden Transparenzprinzips wird nicht die Gesellschaft, sondern der Gesellschafter der Tochterpersonengesellschaft zur Besteuerung herangezogen; je nach seiner Rechtsform zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Zwar wird der Gewinn selbständig von der Personengesellschaft ermittelt, die Besteuerung erfolgt jedoch direkt bei den Gesellschaftern (Mitunternehmern) in Höhe der auf sie entfallenden Anteile am Gewinn der Personengesellschaft zum Zeitpunkt der Gewinnentstehung.307 Die Gewinnverwendung stellt steuerlich irrelevante Entnahmen aus der Personengesellschaft dar. Nach deutschem308 Verständnis bilden aus Sicht der Gesellschafter der 306

Durch das BGH v. 29.01.2001, II-ZR-331/00, DB 2001, S. 423 wurde entschieden, dass die GbR im Zivilprozess parteifähig ist, soweit sie als Teilnehmerin am Rechtsverkehr eigene (vertragliche) Rechte und Pflichten begründet.

307

Die Zurechnung der Einkünfte auf die Gesellschafter erfolgt beispielsweise in Deutschland gemäß der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung nach § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO.

308

Andere nationale Steuerrechte ordnen die Vergütungen einer Personengesellschaft an ihre Gesellschafter für auf schuldrechtlicher Basis erbrachte Leistungen unter die jeweilige Einkunftsart ein. Bsp.: USA, Schweiz.

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

199

Betrieb der Mitunternehmerschaft sowie die mit der Beteiligung zusammenhängenden schuldrechtlichen Leistungsbeziehungen eine einheitliche Einkunftsquelle.

Steuerliche Gewinnbehandlung bei transparenten Einheiten Transparente Einheit

Anteilseigner

Gewinnentstehung

Kein eigenständiges Steuersubjekt

Besteuerung des Gewinnanteils beim Anteilseigner (Transparenzprinzip)

Gewinnverwendung

---

Entnahmen: nicht steuerbar

Abbildung 51: Gewinnentstehung bzw. Gewinnverwendung bei transparenten Einheiten Probleme ergeben sich, wenn der eine Vertragsstaat das Transparenzprinzip, der andere das Intransparenzprinzip der Besteuerung von Personengesellschaften zu Grunde legt. Auf diese Weise entstehen Qualifikationskonflikte. Beachte folgende Charakteristika der Tochterpersonengesellschaft: 9eingeschränkte Rechtsfähigkeit der Tochterpersonengesellschaft, 9Transparenzprinzip, seltener Intransparenzprinzip.

2 Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte 2.1 Gründe für die Wahl einer Betriebsstätte Der wesentliche Vorteil im Vergleich zur Tochterkapitalgesellschaft liegt in dem einfacheren Vorgang der Errichtung einer Betriebsstätte. So ist z.B. die bei Gründung einer Kapitalgesellschaft vorgesehene Vorgründungs- und Vorgesellschaft nicht notwendig. Ferner ist eine bei Kapitalgesellschaften vorgeschriebene Mindestkapitalausstattung (Grund-/ Stammkapital) bei Betriebsstätten nicht erforderlich. Auch stellt sich die Schließung einer Betriebsstätte als weitaus unkomplizierter dar als der Liquidationsvorgang einer Kapitalgesellschaft.309 Damit rentiert sich die Errichtung einer Betriebsstätte bereits bei kürzeren Engagements.

309

In Deutschland etwa ist bei einer GmbH ein dreijähriger Liquidationszeitraum erforderlich, § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG.

200

Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Auch steuerliche Gründe können für die Wahl der Betriebsstätte sprechen. Falls bspw. mit dem Investitionsland kein DBA besteht, können – unter den Voraussetzungen des § 2a EStG – Verluste der ausländischen Betriebsstätte unmittelbar im Inland steuerlich ausgeglichen werden, während negative Ergebnisse einer ausländischen Körperschaft grundsätzlich nicht mehr mit steuerlicher Wirkung berücksichtigt werden können. Merke: Aufgrund des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG kann mit Wirkung ab 01.01.2002 keine Kapitalgesellschaft mehr Teilwertabschreibungen von Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften steuerwirksam vornehmen. Ferner unterliegen bspw. Geldentnahmen des Stammhauses aus der Betriebsstätte nicht der Besteuerung. Quellensteuern fallen hier ebenfalls nicht an.

2.2 Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte Eine Betriebsstätte ist zwar rechtlich unselbständig, wirtschaftlich aber eigenständig. Daher kann es bei einem innerbetrieblichen Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zu Konflikten bei der Zurechnung von Leistungen zum Stammhaus bzw. der Betriebsstätte kommen. Aus steuerlicher Sicht muss daher beim innerbetrieblichen Leistungsaustausch eine Kompromisslösung gefunden werden, die einerseits der rechtlichen Einheit zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, aber andererseits auch der Selbständigkeitsfiktion des dealing-at-arm’s-length-Prinzips der Betriebsstätte Rechnung trägt. Interne Unternehmensbeziehungen können daher u.U. nur partiell steuerlich anerkannt werden. Nachfolgende Ausführungen gelten unter Annahme der direkten Gewinnaufteilungsmethode.

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

201

Merke: Das dealing-at-arm’s-length-Prinzip begründet das Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit einer Leistung zur Betriebsstätte. Daraus folgt, dass der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke eine Eigenständigkeit beigemessen wird. Daraus ergibt sich folgender Widerspruch: Stammhaus und Betriebsstätte bilden rechtliche Einheit

œ

Fiktion der steuerlichen Selbständigkeit der Betriebsstätte

x Leistungsbeziehungen zwischen Betriebsstätte und Stammhaus stellen lediglich unternehmensinterne Vorgänge dar. x Schuldrechtliche Verträge zwischen Stammhaus und Betriebsstätte können mangels rechtlicher Selbständigkeit der Betriebsstätte nicht abgeschlossen werden. x Die Betriebsstätte ist nur abrechnungstechnisch verselbständigt, aber kein eigenständiges Rechts- und Steuersubjekt. Diese muss daher für Zwecke der Gewinnzuweisung nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit fingiert werden; dazu dient das dealing-at-arm’s-length-Prinzip. Aufgrund der rechtlichen Einheit führen Vorgänge zwischen den beiden Unternehmensteilen nicht zu einer Gewinnrealisation. Der Realisationstatbestand kann grundsätzlich nur durch Außenbeziehungen erfüllt werden. Merke:

x Interne Leistungsbeziehungen erfüllen nicht die Voraussetzungen des Realisationsprinzips, da es an einem Leistungsaustausch zwischen zwei eigenständigen Rechtssubjekten fehlt. x Trotz Fremdvergleichspreis führt der unternehmensinterne Leistungsfluss nicht zu einer Gewinnrealisation! x Die Bewertung von internen Leistungsbeziehungen mit dem Fremdvergleichspreis (dealing-at-arm’s-length-Prinzip) dient ausschließlich der verursachungsgerechten Aufteilung der steuerlichen Bemessungsgrundlage des Einheitsunternehmens. x Ein Unternehmensteil soll sich am anderen nicht bereichern!

202

Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Dies soll durch die nachstehende Abbildung noch einmal verdeutlicht werden:

Inland

Stammhaus

Abbildung 52:

Ausland

Nicht möglich: 1 Kaufverträge 1 Miet-, Pachtverträge 1 Darlehensverträge

Betriebsstätte

Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Die genannten Prinzipien werden anhand der folgenden Geschäftsvorfälle näher erläutert.

2.2.1

Überführung von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens in eine ausländische Betriebsstätte

Beispiel

Bei der Überführung von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens vom Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte stellen sich die Fragen, x welchem Unternehmensteil welcher Gewinn zuzurechnen ist und x wann die Gewinnrealisation erfolgt. Der Ingolstädter Autohersteller Howdie produziert einen H2 zu Herstellungskosten i.H.v. 40.000 € für die ausländische Betriebsstätte. Diese veräußert das Auto für 50.000 € an einen Dritten weiter. Der Fremdvergleichspreis (Marktpreis) für den H2 ist mit 43.000 € anzusetzen.

Lösung

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

203

Dem Prinzip der rechtlichen Einheit folgend darf eine Gewinnrealisation erst bei einer Weiterveräußerung an Dritte erfolgen. Bis dahin wird der Gewinn des Stammhauses durch einen passiven Ausgleichsposten (Differenz zwischen Fremdvergleichspreis und Buchwert des überführten Wirtschaftsguts) neutralisiert.310, 311 Die Betriebsstätte führt die bisherigen Buchwerte fort; die Differenz zum Fremdvergleichspreis wird in einen aktiven Ausgleichsposten eingestellt. Erfolgsneutraler Herstellungsvorgang: Buchung auf Ebene des Stammhauses: Diverse Aufwendungen 40.000 an Finanzkonto (z.B. Personal) Umlaufvermögen

40.000 an Ertrag aus Bestandserhöhung

40.000

40.000

Weitergabe an die Betriebsstätte: unternehmensinterne, erfolgsneutrale Lieferung Buchung auf Ebene des Stammhauses: Bank/Forderungen 43.000 an Umlaufvermögen Ausgleichsposten (passiv) Buchung durch die Betriebsstätte: Umlaufvermögen 40.000 an Bank/Verbindlichkeiten Ausgleichsposten (aktiv) 3.000

40.000 3.000 43.000

Verkauf an Dritte: erfolgswirksame Realisation Buchung auf Ebene des Stammhauses: Ausgleichsposten (passiv) 3.000 an Ertrag Buchung durch die Betriebsstätte: Finanzkonto 50.000 an Umsatzerlöse Aufwand aus Bestandsminderung 40.000 an Umlaufvermögen Aufwand 3.000 an Ausgleichsposten (aktiv)

3.000

50.000 40.000 3.000

310

Vgl. BMF v. 24.12.1999, IV B 4 – S 1300 – 111/99, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 800, § 12/1, sog. Betriebsstättenerlass, Tz. 2.6.

311

Allerdings besteht aus Vereinfachungsgründen das Wahlrecht, den Gewinn oder Verlust bereits im Zeitpunkt der Überführung bei der inländischen Besteuerung zu berücksichtigen; vgl. Betriebsstättenerlass Tz. 2.6.1 Bst. b, Bst. d.

204

Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte Da der Gesamterfolg entsprechend dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit nach dem jeweiligen Beitrag jeder Unternehmenseinheit aufgeteilt werden soll, wird in Deutschland nicht der Gesamtgewinn von 10.000 € pro Fahrzeug, sondern nur der Produktionsgewinn i.H.v. 3.000 € (Fremdvergleichspreis ./. Herstellungskosten) besteuert. Der Vertriebsgewinn von 7.000 € wird durch die Tätigkeit der Betriebsstätte erwirtschaftet und unterliegt somit der Besteuerung im Quellenstaat.

Die Korrekturpostentechnik ermöglicht eine verursachungsgerechte Erfolgszuordnung trotz Einhaltung des Realisationsprinzips: x x x

Der dem Stammhaus zuzurechnende Produktionsgewinn wird im Inland versteuert. Dem Prinzip der wirtschaftlichen Selbständigkeit wird Rechnung getragen. Der Grundsatz der rechtlichen Einheit bleibt gültig (eine Gewinnrealisation erfolgt erst im Zeitpunkt der Weiterveräußerung an Außenstehende).

Grenze Stammhaus

Betriebsstätte

Dritter Umsatz 50.000

Vertrieb 43.000 €

Herstellung 40.000 € Weitergabe 43.000 € erfolgsneutral Lieferzeitpunkt

Verkaufszeitpunkt

Abbildung 53:

passiver Ausgleichsposten 3.000 €

Produktionsgewinn 3.000 €

aktiver Ausgleichsposten 3.000 €

Verkauf 50.000 € erfolgswirksam

Vertriebsgewinn 7.000 €

Warenaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Antwort auf die obigen Fragen: x

x

Jedem Unternehmensteil ist gem. des dealing-at-arm’s-length-Prinzips der Gewinn zuzurechnen, den er „verursacht“ hat, d.h. zu dessen Erzielung er wirtschaftlich beigetragen hat. Die Gewinnrealisierung erfolgt bei Veräußerung an außenstehende Dritte.

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

2.2.2

205

Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens in eine ausländische Betriebsstätte

Die Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens zielt nicht auf eine Weiterveräußerung durch die Betriebsstätte ab, sondern auf die Eigennutzung der Wirtschaftsgüter durch die Betriebsstätte. Es stellen sich die Fragen, x

Beispiel

Der Ingolstädter Autohersteller Howdie produziert einen H8 zu Herstellungskosten i.H.v. 100.000 €. Das Fahrzeug wird anschließend von einer ausländischen Betriebsstätte genutzt. Die Nutzungsdauer des H8 beträgt 5 Jahre. Der Fremdvergleichspreis ist mit 130.000 € anzusetzen.

Lösung

x

mit welchem Wert das Wirtschaftsgut des Anlagevermögens in die Betriebsstätte übernommen wird und welche Bemessungsgrundlage der Abschreibung zugrunde gelegt wird.

Die ausländische Betriebsstätte führt den Buchwert des Stammhauses (100.000 €) fort. Die Differenz zwischen dem Fremdvergleichspreis (130.000 €) und dem Buchwert (100.000 €) wird durch die Bildung eines passiven Ausgleichspostens i.H.v. 30.000 € beim inländischen Stammhaus steuerneutral erfasst.312 Dem passiven Ausgleichsposten steht in der Betriebsstättenbuchführung die Aktivierung in gleicher Höhe gegenüber. Erfolgsneutraler Herstellungsvorgang: Buchung auf Ebene des Stammhauses: Diverse Aufwendungen 100.000 (z.B. Personal) Anlagevermögen (Aktivierte Eigenleistung)

312

100.000

an Finanzkonto

100.000

an Ertrag aus Bestandserhöhung 100.000

Wie beim Umlaufvermögen besteht auch hier das Wahlrecht für eine sofortige Gewinnrealisation; vgl. Betriebsstättenerlass Tz. 2.6.1 Bst. a, Bst. d.

206

Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte Weitergabe an die Betriebsstätte: unternehmensinterne, erfolgsneutrale Lieferung Buchung auf Ebene des Stammhauses: Bank/Forderungen 130.000

Buchung durch die Betriebsstätte: Anlagevermögen 100.000 Ausgleichsposten (aktiv) 30.000

an Anlagevermögen Ausgleichsposten (passiv)

100.000 30.000

an Bank/Verbindlichkeiten

130.000

Entsprechend dem Konzept der wirtschaftlichen Zugehörigkeit („dealing-atarm’s-length“) errechnet die Betriebsstätte die Abschreibungen aus dem Fremdvergleichspreis. Bei einer fünfjährigen Nutzung und einer linearen Abschreibung ergeben sich jährliche Aufwendungen in Höhe von 26.000 € (= 130.000 € / 5 Jahre).

Diese 26.000 € setzen sich zusammen aus:

anteilige Minderung des Buchwerts i.H.v. 100.000 € (= 20.000 €) anteilige Auflösung des Ausgleichspostens i.H.v. 30.000 € (= 6.000 €)

Auf Ebene des Stammhauses Howdie ist der passive Ausgleichsposten in den Perioden, in denen die Betriebsstätte den H8 nutzt, erfolgswirksam aufzulösen (= 6.000 €/Jahr). Die Auflösung der stillen Reserven erfolgt entsprechend dem Abschreibungsverlauf des Fahrzeugs. Buchung auf Ebene des Stammhauses (jeweils für das 1. bis 5. Jahr): Ausgleichsposten (passiv) 6.000 an Ertrag

6.000

Buchung durch die Betriebsstätte bei linearer Abschreibung (jeweils für das 1. bis 5. Jahr): Abschreibungen 20.000 an Anlagevermögen 20.000 Zusatzabschreibung 6.000 an Ausgleichsposten (aktiv) 6.000 Somit stehen den Aufwendungen der Betriebsstätte i.H.v. 26.000 €/Jahr Erträge des Stammhauses von 6.000 €/Jahr gegenüber.

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

207

Merke: Durch die Korrekturpostentechnik wird erreicht, dass 9 der Produktionsgewinn i.H.v. 30.000 € im Inland versteuert wird, 9 dem Realisationsprinzip entsprochen wird, da auf Ebene des Einheitsunternehmens kein Gewinn erzielt wird, weil dem Gewinn i.H.v. 30.000 € in Deutschland entsprechende Aufwendungen im Ausland gegenüberstehen, 9 dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit entsprochen wird, da die Betriebsstätte Aufwendungen i.H.v. 130.000 € geltend macht, so als ob sie das Fahrzeug von einem fremden Dritten erworben hätte. Antwort auf die obigen Fragen: x

Wegen des Prinzips der wirtschaftlichen Einheit werden die stillen Reserven des Wirtschaftsguts des Anlagevermögens bei Überführung in die Betriebsstätte nicht realisiert. Die Überführung des Wirtschaftsguts erfolgt daher zum Buchwert.

x

Wegen des dealing-at-arm’s-length-Prinzips ist Basis der Abschreibung jedoch der Fremdvergleichspreis. In Höhe der Differenz zwischen Fremdvergleichspreis und Buchwert kommt es daher auf Ebene der Betriebsstätte zu einer Zusatzabschreibung.

2.2.3

Dienst- und Verwaltungsleistungen

Bei der Ermittlung des durch die Tätigkeit der Betriebsstätte erwirtschafteten Gewinns sind auch die Dienst- und Verwaltungsleistungen zu berücksichtigen, die Stammhaus und Betriebsstätte einander erbringen. Die zugehörigen Aufwendungen für diese Leistungen müssen dem leistungsempfangenden Unternehmensteil zugerechnet werden. Ein Gewinnaufschlag wird im Grundsatz nicht anerkannt: Erbringt das Stammhaus der Betriebsstätte oder umgekehrt Leistungen, so kann der Betriebsstätte bzw. dem Stammhaus nur der diesen Leistungen entsprechende Aufwand belastet werden, nicht jedoch eine zwischen unabhängigen Dritten übliche Vergütung, die regelmäßig einen Gewinnzuschlag enthält. Geschäftsführungs- und allgemeine Verwaltungskosten des Stammhauses sind weder grundsätzlich auf die Betriebsstätte aufzuteilen noch stets von der Aufteilung ausgeschlossen. Eine Aufwandszuordnung ist nur dann geboten, wenn und soweit die Aufwendungen durch eine spezielle Dienstleistung des Stammhauses an die Betriebsstätte ausgelöst werden oder wenn die Leistungen im Interesse des Gesamtunternehmens erbracht wurden. Erbringt das Stammhaus gegenüber einer Betriebsstätte Leistungen auf dem Gebiet der Werbung, der Rechtsberatung sowie des Revisions- und Prüfungswesens, so handelt es sich insoweit um spezielle Dienstleistungen, die eine entsprechende Aufwandszuordnung nach dem jeweiligen Leistungsnutzen erfordern.

208

Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Grundsatz: Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte werden in Höhe der hierbei entstandenen Aufwendungen ohne Gewinnzuschlag weiterberechnet. Vom Grundsatz der Aufwandszuordnung ohne Gewinnzuschlag sind jene Fälle zu unterscheiden, in denen die Erbringung von Dienstleistungen Gegenstand der eigentlichen Unternehmenstätigkeit ist. Ein Gewinnzuschlag setzt daher stets voraus, dass die einzelne Dienstleistung zum eigentlichen Geschäftsbetrieb des Stammhauses gehört und folglich auch gegenüber Außenstehenden erbracht wird. Ausnahme: Gehören Dienstleistungen zum eigentlichen Geschäftsbetrieb des Stammhauses, ist ein Gewinnzuschlag möglich.

Betriebsstätte Ausnahme: Gewinnzuschlag möglich, wenn DL vom Stammhaus Dritten am Markt angeboten wird Grundsatz: Aufwandverrechnung ohne Gewinnzuschlag bei speziellen DL und Leistungen im Gesamtunternehmensinteresse

Stammhaus

Abbildung 54:

Zum eigentlichen Geschäftsbetrieb des Stammhauses gehörende Dienstleistungen, die Dritten am Markt angeboten werden

Dienst- und Verwaltungsleistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

2.2.4

209

Dotationskapital

2.2.4.1 Allgemeine Grundsätze Unter Dotationskapital versteht man im Internationalen Steuerrecht das der Betriebsstätte vom Stammhaus zur Verfügung gestellte bzw. zu stellende Eigenkapital. Für dieses Eigenkapital kann aufgrund des Prinzips der rechtlichen Einheit keine Vergütung gefordert werden. Jedoch besteht auch für eine Betriebsstätte der Grundsatz der Finanzierungsfreiheit. Dies bedeutet, dass der Steuerpflichtige frei darüber entscheiden kann, ob die Tätigkeiten der Betriebsstätte mit „Eigenkapital“ oder mit Fremdkapital finanziert werden. Fremdkapital kann jedoch nur von Dritten stammen; dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Betriebsstätte selbst oder das Stammhaus für die Betriebsstätte das Fremdkapital aufnimmt. Hierbei ist zu beachten, dass die Betriebsstätte im Rahmen der Fremdkapitalaufnahme an gewisse Eigenkapitalquoten gebunden ist. Fremdkapital wird als solches nur anerkannt, wenn die Betriebsstätte über ausreichendes Dotationskapital verfügt. Ansonsten könnte es zu Gewinnverschiebungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kommen, wenn ein Unternehmensteil ausschließlich oder überwiegend kostenloses Eigenkapital zur Verfügung gestellt bekommt, während der andere Teil für sein Kapital Zinsen zahlen muss. Für die Bestimmung eines ausreichenden Dotationskapitals sind drei Ansätze möglich:313

Dotationskapital

Fremdvergleich (branchenübliche Eigenkapitalquote)

Abbildung 55:

interner Fremdvergleich (Schätzung)

Entscheidung des Stammhauses

Bestimmung des Dotationskapitals einer Betriebsstätte

Zunächst ist nach den Regelungen der direkten Methode ein äußerer Fremdvergleich (mit Funktions- und Risikoanalyse) zur Ermittlung der branchenüblichen Eigenkapitalquote vorzunehmen.314 Dabei werden von der Marktstellung her (bzgl. Marktchancen und -risiken) vergleichbare, unabhängige Unternehmen zur Bestimmung der Dotationskapitalhöhe herangezogen. Ist ein äußerer Fremdvergleich nicht möglich, kann das Eigenkapital des Einheitsunternehmens anhand einer Schätzung durch einen internen Fremdvergleich auf die einzelnen

313

Vgl. Betriebsstättenerlass Tz. 2.5.1.

314

Vgl. BFH v. 25.06.1986, II-R-213/83, BStBl. II 1986, S. 785.

210

Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Betriebsteile – je nach der ausgeübten Funktion – aufgeteilt werden. Entspricht die Tätigkeit der Betriebsstätte der Funktion des Stammhauses oder ist sie ihr zumindest sehr ähnlich, kann die Eigen-/Fremdkapitalrelation der Spitzeneinheit einen geeigneten Anhaltspunkt für die Eigenkapitalquote der ausländischen Grundeinheit bieten (sog. Kapitalspiegeltheorie315). Schließlich kann auch unternehmensintern durch Beschluss des Stammhauses über die Höhe der Eigenkapitalausstattung entschieden werden;316 der Ermessenspielraum der Geschäftsleitung ist hierbei jedoch beschränkt, da eine der wirtschaftlichen Situation der Betriebsstätte unangemessene Dotierung, die gegen Fremdvergleichsmaßstäbe verstößt, nicht anerkannt wird.317 Die Ermittlung des Gewinns und des Vermögens hat so zu erfolgen, als ob mit angemessenem Dotationskapital kalkuliert worden wäre. Kommt es aufgrund des von der Betriebsstätte erwirtschafteten Gewinns zu einer Überdotierung, d.h. ist das Eigenkapital der Betriebsstätte im Vergleich zu dem des Stammhauses zu hoch, wird das der Überdotierung entsprechende Kapital dem Stammhaus zugerechnet.318

2.2.4.2 Zuordnung der Verbindlichkeiten Für die korrekte Aufwandszuweisung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte muss zwischen der externen und der internen Kapitalausstattung unterschieden werden. Die externe Kapitalausstattung umfasst dabei die direkte Fremdkapitalaufnahme und das durchgeleitete Fremdkapital. Zunächst kann die Betriebsstätte selbst als Kreditnehmerin auftreten (direkte Fremdkapitalaufnahme); von Dritten (z.B. Kreditinstituten) gewährte Darlehen sind unter den Voraussetzungen des Fremdvergleichs zuzurechnen. Das bedeutet, dass ein selbständiger gewerblicher Betrieb, der über dieselbe Eigenkapitalausstattung verfügt, genau diese Kreditsumme aufnehmen müsste, um am gleichen Ort und unter gleichen bzw. ähnlichen Konditionen ein vergleichbares Geschäftsergebnis zu erlangen; die Verbindlichkeiten müssten hierbei Schulden des Vergleichsunternehmens darstellen. Die dafür anfallenden Zinsen werden der Betriebsstätte als Aufwand zugerechnet ungeachtet der Tatsache, dass das Stammhaus der zivilrechtliche Schuldner ist. 315

In Tz. 2.5.1 des Betriebsstättenerlasses ist die Kapitalspiegeltheorie als mögliche Alternative zur Bestimmung des Dotationskapitals aufgeführt, obwohl der BFH die generelle Anwendung dieser Methode ausdrücklich abgelehnt hat, vgl. BFH v. 25.06.1986, II-R-213/83, BStBl. II 1986, S. 786.

316

Vgl. BFH v. 25.06.1986, II-R-213/83, BStBl. II 1986, S. 785.

317

Vgl. BFH v. 01.04.1987, II-R-186/80, BStBl. II 1987, S. 550.

318

Vgl. Betriebsstättenerlass Tz. 2.4.

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

211

Daneben kann das Stammhaus zweckgebunden für eine Betriebsstätte ein Darlehen aufnehmen; dabei handelt es sich – soweit der Kreditbetrag der Betriebsstätte überlassen wird – um sog. durchgeleitetes Fremdkapital. Auch in diesem Fall stellen die Zinsen Aufwand der Betriebsstätte dar, da die Betriebsstätte diesen Aufwand verursacht hat. Die Kreditmittel müssen hierbei zu unveränderten Konditionen vom Stammhaus an die Betriebsstätte weitergegeben werden. Ein Gewinnzuschlag darf nicht verrechnet werden. Der nicht durch externe Mittel gedeckte Finanzierungssaldo stellt die interne Kapitalausstattung der Betriebsstätte dar, die sich aus dem Dotationskapital und dem weitergeleiteten Kapital zusammensetzt. Bei dem weitergeleiteten Fremdkapital handelt es sich um Fremdkapital, das vom Stammhaus zur Finanzierung des Gesamtunternehmens aufgenommen wurde und der Betriebsstätte anteilig zugeordnet wird. Es ermittelt sich durch Subtraktion des Dotationskapitals von der externen Kapitalausstattung.

./. ./. ./. = Abbildung 56:

Aktiva Dotationskapital direkte Fremdkapitalaufnahme durchgeleitetes Fremdkapital weitergeleitetes Fremdkapital

Saldo an weitergeleitetem Fremdkapital

Die anteiligen Zinsen werden der Betriebsstätte zugerechnet, soweit sie Drittaufwand darstellen; die abstrakte Berechnung eines Fremdvergleichszinssatzes ist nicht zulässig. Kann eine direkte Kreditzuordnung nach den beschriebenen Kategorien nicht durchgeführt werden – möglicherweise handelt es sich um einen Kreditpool –, wird der Zinsaufwand wie folgt aufgeteilt:319 Dotationskapital der Betriebsstätte x Zinsaufwand = Zinsaufwand der Betriebsstätte Gesamtkapital des Unternehmens Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Finanzmittel – soweit sie dem Gesamtunternehmen dienen – vom Stammhaus zu halten sind.320 Ist das Kapital allerdings zur Absicherung der Geschäftstätigkeit oder für Investitionen der Betriebsstätte notwendig, muss eine Zuordnung zur Betriebsstätte erfolgen. Praktisch wird diese Forderung aufgrund von Abgrenzungsproblemen nur schwer umzusetzen sein.

319

Vgl. Betriebsstättenerlass Tz. 3.3.

320

Vgl. Betriebsstättenerlass Tz. 2.4.

212

Besteuerung von Gewinnen aus einer ausländischen Betriebsstätte

Notwendige Voraussetzung für die Anerkennung von Fremdkapital (nicht vom Stammhaus zur Verfügung gestelltes Kapital) durch die Finanzverwaltung321 ist außerdem, dass die Betriebsstätte mit einem – an ihren Funktionen gemessen – ausreichenden Dotationskapital ausgestattet ist. Verfügt die Betriebsstätte nicht über ausreichendes Dotationskapital, muss eine Aufstockung erfolgen. Hierbei sind zwei Alternativen möglich: Entweder stattet das Stammhaus die Betriebsstätte mit zusätzlichem Dotationskapital aus, oder Fremdkapital der Betriebsstätte wird bis zur Höhe des steuerlich angemessenen Dotationskapitals in Eigenkapital der Betriebsstätte umqualifiziert. Die Umqualifizierung erfolgt mittels einer Fiktion: Obwohl das Fremdkapital von der Betriebsstätte aufgenommen wurde, wird fingiert, dass der umzuqualifizierende Teil vom Stammhaus für dessen Belange aufgenommen und der Betriebsstätte ein angemessenes Dotationskapital überlassen wurde. Die Gewinnermittlung der Betriebsstätte erfolgt dann unter der Annahme, dass kein Zinsaufwand angefallen ist.

2.3 Besteuerung von Gewinnen aus einer ausländischen Betriebsstätte Grundsätzlich kann sowohl der Betriebsstättenstaat als auch der Staat, in dem das Stammhaus ansässig ist, den Gewinn der Betriebsstätte besteuern. Es sind daher Maßnahmen erforderlich, die eine Doppelbesteuerung der Betriebsstättengewinne vermeiden.

2.3.1

Nicht-DBA-Fall

2.3.1.1 Allgemeine Grundsätze Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sind im Nicht-DBA-Fall nur unilaterale Maßnahmen (bei natürlichen Personen / Kapitalgesellschaften) möglich: a) direkte Anrechnung entrichteter ausländischer Steuern auf die inländische Steuerschuld (§ 34c Abs. 1 EStG / § 26 Abs. 1 KStG), b) Abzug der entrichteten ausländischen Steuern bei der Einkünfteermittlung (§ 34c Abs. 2, 3 EStG / § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 2, 3 EStG), c) Pauschalierung (§ 34c Abs. 5 EStG / § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 5 EStG). Der Ansässigkeitsstaat des Stammhauses wird die im Betriebsstättenstaat entrichtete Steuer üblicherweise anrechnen.

321

Vgl. Betriebsstättenerlass Tz. 2.5.1.

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

213

2.3.1.2 Gewerbesteuerliche Aspekte und Exkurs Eine Doppelbesteuerung aus gewerbesteuerlicher Hinsicht wird dadurch vermieden, dass das Ergebnis des Einheitsunternehmens um den Gewinn der ausländischen Betriebsstätte gekürzt wird (§ 9 Nr. 3 GewStG). Dies entspricht dem Territorialitätsprinzip der Gewerbesteuer, das in § 2 GewStG festgelegt wird und besagt, dass Gegenstand der Gewerbesteuer nur der im Inland ausgeübte Gewerbebetrieb ist. Exkurs: In der folgenden Übersicht werden die Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften des GewStG systematisch dargestellt. Diejenigen Vorschriften, die sich auf den Bereich des Internationalen Steuerrechts beziehen, werden hervorgehoben. Aufgrund der territorialen Beschränkung der GewSt haben die Vorschriften nur klarstellenden Charakter. Eine Belastung ausländischer Gewinnanteile erfolgt bei Portfoliodividenden, da eine Mindestbeteiligung an der auszahlenden Gesellschaft in Höhe von 10 % normiert ist.

214

Besteuerung von Gewinnen aus einer ausländischen Betriebsstätte

Kürzungen, § 9 GewStG

Hinzurechnungen, § 8 GewStG

Gewährleistung des Objektsteuercharakters

Vermeidung von Mehr- Zuordnung facherfassungen bei zum Ort des Beschränkung auf inländiObjektsteuern/ keine wirtschaftschen Gewerbeertrag Zusatzbelastung mit lichen EinGewSt satzes

Nr. 1: Hälfte der Entgelte für Dauerschulden Nr. 2: Renten und dauernde Lasten Nr. 3: Gewinnanteile stiller Gesellschafter

Nr. 5: die nach § 3 Nr. 40 EStG (zu 50 %) oder § 8b Abs. 1 KStG (zu 100 %) steuerfreien Dividenden, wenn Beteiligung an inländischer KapGes < 10 % Nr. 8: Verlustanteile aus inländischen Mitunternehmerschaften

Nr. 7: Hälfte bestimmter Miet- und Pachtzinsen beim Mieter/Pächter

Nr. 5: die nach § 3 Nr. 40 EStG (zu 50 %) oder § 8b Abs. 1 KStG (zu 100 %) steuerfreien Dividenden, wenn Beteiligung an ausländischer KapGes < 10 % (gewerbesteuerliches Schachtelprivileg) Nr. 8: Verlustanteile aus ausländischen Mitunternehmerschaften Nr. 12: Im Rahmen der Abzugsmethode als Betriebsausgabe abgezogene ausländ. Steuer

Nr. 5: Spenden

Nr. 1: 1,2 % des Einheitswerts der Betriebsgrundstücke Nr. 2: Gewinnanteile aus inländischen Mitunternehmerschaften Nr. 2a: Gewinne aus Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften (nationales Schachtelprivileg)

Nr. 4: Hälfte bestimmter Miet- und Pachtzinsen beim Vermieter/ Verpächter

Nr. 2: Gewinnanteile aus ausländischen Mitunternehmerschaften Nr. 3: Anteile ausländischer Betriebsstätten am Gewerbeertrag Nr. 7, Nr. 8: Gewinne aus Anteilen an ausländischen KapGesen, wenn Beteiligung > 10 % (internationales Schachtelprivileg)

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

215

Merke: Hinzurechnungen: § 8 Nr. 5: Dividenden, wenn Beteiligung < 10 % § 8 Nr. 8: Verlustanteile an in- und ausländischen Mitunternehmerschaften Kürzungen: § 9 Nr. 2: Gewinnanteile an in- und ausländischen Mitunternehmerschaften § 9 Nr. 2a: Gewinne aus Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften, wenn Beteiligung > 10 % § 9 Nr. 3: Der Teil des Gewerbeertrages, der auf eine im eine im Ausland belegene Betriebsstätte entfällt § 9 Nr. 7: Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg (> 10 %) § 9 Nr. 8: Erweiterung eines DBA-Schachtelprivilegs (nicht für Portfoliodividenden) § 9 Nr. 10: (weggefallen ab VZ 2004) Vergütungen bei Gesellschafter-Fremdfinanzierung gem. § 8a KStG

2.3.1.3 Beispiel zur Besteuerung des Betriebsstättengewinns im NichtDBA-Fall 2.3.1.3.1

Einzelunternehmen als Stammhaus

Der international tätige Einzelunternehmer Boromir, ansässig in Deutschland, erwirtschaftet im Jahr 01 einen Gesamtgewinn von 150.000 €. Auf das Stammhaus entfällt ein Teilgewinn von 100.000 € und auf die ausländische Betriebsstätte 50.000 €. Der Gewerbesteuerhebesatz beläuft sich auf 400 %. Der ausländische ESt-Tarif gestaltet sich wie folgt: für die ersten für die nächsten für die nächsten

10.000 € 30.000 € 30.000 €

10 % 20 % 30 %

Aus Vereinfachungsgründen werden außergewöhnliche Belastungen und Sonderausgaben nicht in die Berechnung miteinbezogen.

Lösung: Betriebsstätteneinkünfte, Besteuerung im Ausland Boromir ist mit dem Betriebsstättengewinn im Ausland (50.000 €) beschränkt einkommensteuerpflichtig. Die ausländische Steuer errechnet sich folgendermaßen:

216

Besteuerung von Gewinnen aus einer ausländischen Betriebsstätte 10.000 € x 10 % 30.000 € x 20 % 10.000 € x 30 %

1.000 € 6.000 € 3.000 € 10.000 €

Gem. § 9 Nr. 3 GewStG i.V.m. § 2 Abs. 1 GewStG ist der ausländische Betriebsstättengewinn in Deutschland von der Gewerbesteuer befreit. Einzelunternehmer Boromir, Besteuerung in Deutschland 1. Berechnung der Gewerbesteuer: Natürliche Personen und Personengesellschaften erhalten einen gewerbesteuerlichen Freibetrag i.H.v. 24.500 € (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 GewStG). Die Gewerbesteuer beträgt 8.583 € und ergibt sich aus folgender, rekursiver Berechnung, die die Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer von ihrer eigenen Bemessungsgrundlage berücksichtigt:

24.500 € 12.000 € 12.000 € 12.000 € 12.000 € 18.917 € 91.417 €

x 0,00 x 4 = x 0,01 x 4 = x 0,02 x 4 = x 0,03 x 4 = x 0,04 x 4 = x 0,05 x 4 =

GewSt 0€ 480 € 960 € 1.440 € 1.920 € 3.783 €

24.500 € 12.480 € 12.960 € 13.440 € 13.920 € 22.700 €

SUMME 24.500 € 36.980 € 49.940 € 63.380 € 77.300 € 100.000 €

8.583 €

2. Berechnung der Einkommensteuer: Im Inland ist Boromir unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Sein Einkommen errechnet sich folgendermaßen:

./. = + =

Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG) Gewerbesteuer inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb ausländische Einkünfte (§ 34d Nr. 2 Bst. a EStG) Welteinkommen ESt nach Grundtabelle (§ 32a Abs. 1 EStG)

100.000 € 8.583 € 91.417 € 50.000 € 141.417 € 51.481 €

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

217

Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags (AHB): AHB = =

deutsche Einkommensteuer auf das Welteinkommen 51.481 €

x

50.000 € 141.417 €

x

ausländische Einkünfte Summe der Einkünfte

= 18.202 €

Da der Anrechnungshöchstbetrag höher als die ausländische Steuer ist, kann diese in voller Höhe angerechnet werden. Die inländische Steuerschuld i.H.v. 51.481 € vermindert sich allerdings nicht nur um die bereits im Ausland gezahlte Steuer, sondern außerdem um die pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer. Gewerbliche Einzelunternehmer und Personengesellschafter können gem. § 35 EStG die anfallende Gewerbesteuer pauschal auf ihre persönliche Einkommensteuerschuld anrechnen. Diese pauschale Anrechnung erfolgt zusätzlich zu dem Abzug der GewSt als Betriebsausgabe auf Ebene des Gewerbebetriebs. Der Absetzbetrag beträgt das 1,8 fache des Gewerbesteuermessbetrages; der Gewerbesteuermessbetrag ergibt sich aus der Gewerbesteuerschuld, die durch den Hebesatz von 400 % dividiert wird: GewSt-Anrechnungsbetrag =

8.583 € 4

x 1,8 = 3.862 €

Die im Inland festzusetzende Einkommensteuer ergibt sich wie folgt: ESt nach Grundtabelle (§ 32a Abs. 1 EStG) ./. anrechenbare ausländische Steuern ./. pauschale Anrechnung der GewSt (§ 35 EStG) = in Deutschland zu entrichtende deutsche ESt Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 SolZG)

51.481 € 10.000 € 3.862 € 37.619 € 2.069 €

Zur Erinnerung: Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag ist gem. § 3 Abs. 2 SolZG die Einkommensteuer, die sich nach § 2 Abs. 6 EStG ergibt; gem. § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG ist die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die anzurechnenden ausländischen Steuern, die festzusetzende Steuer. Die verbleibende Einkommensteuer stellt also die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag dar.

218

Besteuerung von Gewinnen aus einer ausländischen Betriebsstätte

Gesamtsteuerbelastung des Einheitsunternehmens:

+ + + =

2.3.1.3.2

ausländische ESt Gewerbesteuer in Deutschland zu entrichtende deutsche ESt Solidaritätszuschlag Gesamtsteuerbelastung

10.000 € 8.583 € 37.619 € 2.069 € 58.271 €

Kapitalgesellschaft als Stammhaus

Die international tätige Boromir-AG, ansässig in Deutschland, erwirtschaftet im Jahr 01 einen Gesamtgewinn i.H.v. 150.000 €. Auf die deutsche Spitzeneinheit entfällt ein Teilgewinn von 100.000 €, die ausländische Betriebsstätte erzielt 50.000 €. Der ausländische Körperschaftsteuersatz beträgt 30 %. Der Gewerbesteuerhebesatz ist mit 400 % festgesetzt.

Lösung: Betriebsstätteneinkünfte, Besteuerung im Ausland: Gewinn vor KSt = 50.000 € Ÿ KSt (30 %) = 15.000 € Gem. § 9 Nr. 3 GewStG i.V.m. § 2 Abs. 1 GewStG ist der ausländische Betriebsstättengewinn in Deutschland nicht gewerbesteuerpflichtig. Boromir-AG, Besteuerung in Deutschland: 1. Berechnung der Gewerbesteuer auf den im Inland erwirtschafteten Teil der Einkünfte:

GewSt =

also =

Gewerbeertrag vor GewSt x Messzahl x Hebesatz 1 + Messzahl x Hebesatz 100.000 € x 5 % x 400 % 1 + 5 % x 400 %

= 16.667 €

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

219

2. Berechnung der Körperschaftsteuer: Gewinn vor GewSt ./. GewSt Gewinn nach GewSt + ausländische Einkünfte (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 34d Nr. 2 Bst. a EStG) Welteinkommen

100.000 € 16.667 € 83.333 € 50.000 € 133.333 €

KSt (25 %, § 23 Abs. 1 KStG) ./. anrechenbare ausländische KSt (§ 26 Abs. 1 KStG) (Anrechnungshöchstbetrag = 25 % von 50.000 =) in Deutschland zu entrichtende KSt

33.333 € 12.500 € 20.833 €

Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 3 i.V.m. § 4 SolZG)

1.146 €

Gesamtsteuerbelastung des Einheitsunternehmens: ausländische KSt + deutsche GewSt + in Deutschland zu entrichtende deutsche KSt + Solidaritätszuschlag Gesamtsteuerbelastung

15.000 € 16.667 € 20.833 € 1.146 € 53.646 €

2.3.1.4 Verluste im Nicht-DBA-Fall Nach dem Welteinkommensprinzip sollen nicht nur in- und ausländische Gewinne besteuert, sondern auch in- und ausländische Verluste berücksichtigt werden. Demnach sind negative Einkünfte prinzipiell in den Verlustausgleich einzubeziehen. Im Nicht-DBA-Fall können sich Einschränkungen des Verlustausgleichs bei der Besteuerung von Betriebsstätten lediglich aus § 2a EStG ergeben. Im Nicht-Abkommensfall mindern ausländische Verluste grundsätzlich das Welteinkommen. Durch die Regelung des § 2a EStG ist die Verlustausgleichsmöglichkeit davon abhängig, ob „steuerschädliche“ oder „steuernützliche“ Verluste vorliegen. Liegen „steuerschädliche“ Verluste vor, so können diese nicht mit in- oder ausländischen positiven Einkünften verrechnet werden. Lediglich ein Ausgleich dieser Verluste mit einem Gewinn aus der ausländischen Betriebsstätte ist möglich. Dabei ist jedoch zu beachten, dass das positive Ergebnis für einen Verlustausgleich aus derselben Einkunftsart (Quellengleichheit), im selben Veranlagungszeitraum und in demselben ausländischen Staat (Staa-

220

Besteuerung von Gewinnen aus einer ausländischen Betriebsstätte

tenidentität) erwirtschaftet worden sein muss (§ 2a Abs. 1 Satz 1 EStG). „Steuernützliche“ Verluste können stets zur Gänze ausgeglichen werden.

„Steuerschädliche Verluste“

Ausländische negative Einkünfte gem. § 2a Abs. 1 EStG aus: x x x x x x x

Beispiel

Zusammenfassung § 2a EStG

„Steuernützliche“ Verluste Das international tätige Ork-Unternehmen (deutsche Spitzeneinheit, ausländische Betriebsstätte), ansässig in Deutschland, erwirtschaftet im Jahr 01 einen Gesamtgewinn von 45.000 €. Im Jahr 02 erleidet die ausländische Betriebsstätte (aktiv tätige gewerbliche Betriebsstätte) einen Verlust von 40.000 €; die deutsche Spitzeneinheit erwirtschaftet ein positives Ergebnis von 30.000 €.

Lösung

Abbildung 57:

land- und forstwirtschaftlichen Einkünften (Nr. 1) gewerblichen Einkünften (Nr. 2) Anteilen an ausländischen Körperschaften (Nr. 3) Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften (Nr. 4) stillen Beteiligungen und partiarischen Darlehen (Nr. 5) Vermietung und Verpachtung (Nr. 6) zwischengeschalteten Inlandsbeteiligungen (Nr. 7)

Aktivitätsklausel erfüllt: „Steuernützliche Verluste“

Zur Erinnerung:

Betriebsstätteneinkünfte, Besteuerung im Ausland: Aufgrund der Verlustsituation erfolgt im Ausland keine Besteuerung. Besteuerung in Deutschland: Da die Betriebsstätte eine aktive Tätigkeit ausübt, liegen „steuernützliche“ Verluste vor. Somit kann ein Ausgleich im Jahr 02 vorgenommen werden. Nach diesem verbleiben noch 10.000 € ausländische Verluste, die nach § 10d Abs. 1 EStG in das Jahr 01 zurückgetragen und mit dem damaligen Gewinn i.H.v. 45.000 € verrechnet werden können. Falls das Ergebnis des Jahres 01 nicht ausgereicht hätte, wäre außerdem ein Verlustvortrag ins Jahr 03 nach § 10d Abs. 2 EStG möglich gewesen.

Auf die Gewerbesteuer wirken sich Betriebsstättenverluste nicht aus, da aufgrund der Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 8 GewStG das ausländische Betriebsstättenergebnis nicht in die deutsche gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen wird.

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

2.3.2

221

DBA-Fall

2.3.2.1 Allgemeine Grundsätze Im Abkommensfall wird die Doppelbesteuerung durch Freistellung des Betriebsstättenergebnisses unter Progressionsvorbehalt in Deutschland (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. Art. 23 A OECD-MA) verhindert; der Betriebsstättengewinn unterliegt nur der ausländischen Steuer des Betriebsstättenstaates. Die abkommensrechtliche Freistellung erfolgt unabhängig davon, ob der Quellenstaat auch tatsächlich sein Besteuerungsrecht ausübt.

2.3.2.2 Gewerbesteuerliche Aspekte Die Freistellung gilt auch für die Gewerbesteuer, da sie durch Art. 2 Abs. 2 OECD-MA in den abkommensrechtlichen Anwendungsbereich fällt; die Kürzungsvorschrift des GewStG geht daher ins Leere.

2.3.2.3 Beispiel zur Besteuerung des Betriebsstättengewinns im DBA-Fall 2.3.2.3.1

Einzelunternehmen als Stammhaus

Der Einzelunternehmer Boromir erwirtschaftet im Jahr 01 50.000 € in seiner ausländischen Betriebsstätte und 100.000 € im deutschen Stammhaus. Der Gewerbesteuerhebesatz beträgt 400 %. Der ausländische ESt-Tarif gestaltet sich wie folgt: für die ersten für die nächsten für die nächsten

10.000 € 30.000 € 30.000 €

10 % 20 % 30 %

Lösung: Betriebsstätteneinkünfte, Besteuerung im Ausland Boromir ist mit dem Betriebsstättengewinn im Ausland (50.000 €) beschränkt einkommensteuerpflichtig. Die ausländische Steuer errechnet sich folgendermaßen: 10.000 € x 10 % 30.000 € x 20 % 10.000 € x 30 %

1.000 € 6.000 € 3.000 € 10.000 €

Einzelunternehmer Boromir, Besteuerung in Deutschland Der Gewinn der ausländischen Betriebsstätte ist von der deutschen Besteuerung freigestellt (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. Art. 23 A OECD-MA); zur Berechnung des Progressi-

222

Besteuerung von Gewinnen aus einer ausländischen Betriebsstätte

onsvorbehalts wird der Gewinn der Betriebsstätte jedoch in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG) ./. Gewerbesteuer = inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb + ausländische Einkünfte = Welteinkommen fiktive ESt nach Grundtabelle (§ 32a Abs. 1 EStG) Durchschnittssteuersatz:

51.481 € 141.417 €

100.000 € 8.583 € 91.417 € 50.000 € 141.417 € 51.481 €

= 36,40 %

Die Einkommensteuerbelastung unter Progressionsvorbehalt ergibt sich durch Multiplikation der inländischen Einkünfte mit dem Durchschnittssteuersatz.

./. =

inländische Einkünfte x 36,40 % pauschale Anrechnung der Gewerbesteuer (§ 35 EStG) in Deutschland zu entrichtende deutsche ESt Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 SolZG)

33.275 € 3.862 € 29.413 € 1.617 €

Gesamtsteuerbelastung des Einheitsunternehmers:

+ + + =

ausländische ESt Gewerbesteuer in Deutschland zu entrichtende deutsche ESt Solidaritätszuschlag Gesamtsteuerbelastung

10.000 € 8.583 € 29.413 € 1.617 € 49.613 €

Die Berechnung zeigt, dass in dem hier gewählten Beispiel die Freistellungsmethode für den Steuerpflichtigen eindeutig günstiger ist als die Anrechnungsmethode, denn die inländische Steuer auf die ausländischen Einkünfte ist höher als die ausländische Steuer.

2.3.2.3.2

Kapitalgesellschaft als Stammhaus

Die Kapitalgesellschaft erwirtschaftet im Jahr 02 50.000 € in ihrer ausländischen Betriebsstätte und 100.000 € im deutschen Stammhaus. Der ausländische KSt-Satz beträgt 30 %, der Gewerbesteuerhebesatz 400 %.

Direktinvestition in Form einer Betriebsstätte

223

Betriebsstätteneinkünfte, Besteuerung im Ausland: Gewinn vor KSt = 50.000 € Ÿ KSt (30 %) = 15.000 € Boromir-AG, Besteuerung in Deutschland: Für den Betriebsstättengewinn erfolgt die Freistellung nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. Art. 23 A OECD-MA; die deutsche Spitzeneinheit ist zur Entrichtung von Gewerbesteuer i.H.v. 16.667 € auf den in Deutschland erwirtschafteten Gewinn i.H.v. 100.000 € verpflichtet. Aufgrund des DBA ist der Betriebsstättengewinn auch von der GewSt freizustellen. Da der KSt-Satz gem. § 23 Abs. 1 KStG linear 25 % beträgt, hat der im DBA vorgesehene Progressionsvorbehalt keine Auswirkung. ./. =

Gewinn vor GewSt GewSt Gewinn nach GewSt KSt (25 %, § 23 Abs. 1 KStG) Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 3 i.V.m. § 4 SolZG)

100.000 € 16.667 € 83.333 € 20.833 € 1.146 €

Gesamtsteuerbelastung des Einheitsunternehmens: + + +

ausländische KSt deutsche GewSt deutsche KSt Solidaritätszuschlag Gesamtsteuerbelastung

15.000 € 16.667 € 20.833 € 1.146 € 53.646 €

Die Gesamtsteuerbelastung entspricht derjenigen bei Anwendung des Anrechnungsverfahrens (im Nicht-DBA-Fall). Dies ist einerseits auf den proportionalen Verlauf des KStSatzes in Deutschland und andererseits auf den höheren Steuersatz im Ausland zurückzuführen. Dadurch entspricht der Anrechnungshöchstbetrag exakt der in Deutschland anfallenden KSt, so dass zwar einerseits keine zusätzliche Belastung in Deutschland entsteht, andererseits das ausländische Besteuerungsniveau voll erhalten bleibt. Die Prinzipien der Vermeidung der Doppelbesteuerung bei der Besteuerung von OutboundInvestitionen in der Form einer Betriebsstätte sollen wie folgt zusammenfassend dargestellt werden:

224

Besteuerung von Gewinnen aus einer ausländischen Betriebsstätte

Maßnahmen

kein DBA

DBA

unilateral

bilateral

Vermeidung der Doppelbesteuerung durch

Anrechnung (§ 34c Abs. 1 EStG/ Freistellung unter Progressions§ 26 Abs. 1 KStG) vorbehalt (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 Abzug (§ 34c Abs. 2, 3 EStG/ i.V.m. Art. 23 A OECD-MA) § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 2, 3 EStG) Pauschalierung (§ 34c Abs. 5 EStG/ § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 5 EStG

Gewerbesteuer

Kürzung (§ 9 Nr. 3 GewStG i.V.m. § 2 Abs. 1 GewStG)

Prinzip Abbildung 58:

Kapitalexportneutralität

Freistellung gilt auch für die Gewerbesteuer (Art. 2 Abs. 2 OECD-MA) Kapitalimportneutralität

Zusammenfassung der Besteuerung der Betriebsstättengewinne

2.3.2.4 Verluste im DBA-Fall Da im Abkommensfall nicht nur die Gewinne der Betriebsstätte, sondern auch deren Verluste von der deutschen Steuerpflicht freigestellt sind,322 wird die inländische Bemessungsgrundlage durch ein negatives Betriebsstättenergebnis nicht gemindert. Handelt es sich allerdings um eine aktive Betriebsstätte, kann ein Einzel- bzw. Mitunternehmer aufgrund der Freistellung unter negativem Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG) im Verlustentstehungsjahr von der Senkung des Einkommensteuersatzes profitieren.

Beispiel

Beachte: Die Verlustbeschränkungsregelung des § 2a EStG gilt auch im DBA-Fall. Sie betrifft sowohl die Bemessungsgrundlage als auch die Steuersatzhöhe. Ein negativer Progressionsvorbehalt ist daher nicht möglich, sofern die Betriebsstätte keiner „aktiven Tätigkeit“ nachgeht.323 Der deutsche Einzelunternehmer Frodo Beutlin betreibt im Ausland eine Betriebsstätte. Während die deutsche Spitzeneinheit im Wirtschaftsjahr 01 einen Gewinn von 24.000 € erwirtschaftet, erzielt die aktiv tätige ausländische Betriebsstätte einen Verlust von 11.000 €.

322

Vgl. RFH v. 25.01.1933, VI-A-199/32, RStBl. 1933, S. 478; BFH v. 12.01.1983, I-R-90/79, BStBl. II 1983, S. 382 ff.

323

Vgl. H 185 EStR.

Lösung

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

225

Betriebsstätteneinkünfte, Besteuerung im Ausland: Aufgrund der Verlustsituation erfolgt im Ausland keine Besteuerung. Einzelunternehmer Frodo, Besteuerung in Deutschland: Das Welteinkommen Frodos beträgt aufgrund des Betriebsstättenverlustes 13.000 € (inländische Einkünfte 24.000 € ./. ausländischer Verlust 11.000 €). Der negative Progressionsvorbehalt wirkt sich aus: fiktive ESt nach Grundtabelle (§ 32a Abs. 1 EStG) Durchschnittssteuersatz =

1.051 €

1.051 € = 8,08 % 13.000 €

Tatsächliche ESt: 24.000 € x 8,08 % = Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 SolZG)

1.939 € 106 €

Gesamtsteuerbelastung des Einheitsunternehmens: +

ESt Solidaritätszuschlag Gesamtsteuerbelastung

1.939 € 106 € 2.045 €

Da der Gewinn i.H.v. 24.000 € unter dem Freibetrag von 24.500 € (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 GewStG) liegt, entsteht keine Gewerbesteuerschuld.

3 Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft 3.1 Gründe für die Wahl einer Tochterkapitalgesellschaft Ein wesentlicher Vorteil einer ausländischen Direktinvestition in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft ist die Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung. Ferner können aufgrund ihrer rechtlichen Selbständigkeit schuldrechtliche Verträge aller Art zugunsten der Tochtergesellschaft (unter Beachtung der Drittvergleichsgrundsätze) mit steuerlicher Wirkung abgeschlossen werden. Aufgrund des Intransparenzprinzips ist es des Weiteren möglich, Gewinne in der Tochterkapitalgesellschaft zu thesaurieren und somit von einer Besteuerung durch den Staat der Mutterkapitalgesellschaft – zumindest bis zur Ausschüttung – „abzuschirmen“. Betriebsstättengewinne hingegen unterliegen bereits im Jahr der Gewinnentstehung der Besteuerung.

226

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft

3.2 Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft Grundsätzlich werden Gewinne zum Zeitpunkt ihrer Entstehung auf Ebene der Tochterkapitalgesellschaft und bei Ausschüttung erneut bei den inländischen Anteilseignern versteuert, denn die Tochterkapitalgesellschaft und der Anteilseigner sind jeweils in ihrem Ansässigkeitsstaat unbeschränkt steuerpflichtig. Ferner fällt grundsätzlich ausländische Quellensteuer an, da der inländische Anteilseigner mit den Dividenden im Sitzstaat der ausschüttenden Tochtergesellschaft beschränkt steuerpflichtig wird. Bei Direktinvestitionen in Form einer Tochterkapitalgesellschaft besteht also die Gefahr einer Dreifachbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne. Dies wird durch die nachstehende Abbildung verdeutlicht. Ansässigkeitsstaat

der Gesellschaft

des Gesellschafters

Steuerobjekt Gewinn der Kapitalgesellschaft

Universalitätsprinzip

Steuersubjekt

Steuerpflicht

Kapitalgesellschaft o KSt

unbeschränkt

Ausschüttung Territorialitäts(Dividende) prinzip

Anteilseigner o Quellensteuer

beschränkt

Ausschüttung Universalitäts(Dividende) prinzip

Anteilseigner o ESt bzw. KSt

unbeschränkt

Abbildung 59:

Merke:

Prinzip

Dreifachbesteuerung einer Dividende aus der Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft

Da die ausländische Kapitalgesellschaft ein eigenständiges Steuersubjekt ist, kann die von ihr im Ausland entrichtete Körperschaftsteuer auf Seiten der deutschen Gesellschafter nicht berücksichtigt werden (Trennungsprinzip).

Aus diesem Grunde sind Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu ergreifen.

3.2.1

Nicht-DBA-Fall

3.2.1.1 Natürliche Person als Gesellschafter 3.2.1.1.1

Dividenden

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sind bei Dividendeneinkünften folgende unilateralen Maßnahmen möglich:

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

227

xAnrechnung (§ 34c Abs. 1 EStG), xAbzug (§ 34c Abs. 2, 3 EStG). Die Pauschalierungsmethode ist bei Dividendeneinkünften nicht möglich. Die ausländische Quellensteuer kann der inländische Anteilseigner bspw. auf seine inländische Steuerschuld anrechnen.

Beispiel

In Deutschland wird die Doppelbesteuerung durch das Halbeinkünfteverfahren weitgehend vermieden. Die ausländischen Dividenden werden nur zur Hälfte in die Bemessungsgrundlage einbezogen (§ 3 Nr. 40 Bst. d EStG). Im Gegenzug kann dafür jedoch auch nur die Hälfte der Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben, die mit den Dividendeneinnahmen in Zusammenhang stehen, geltend gemacht werden (§ 3c Abs. 2 EStG). Natürliche Person als Anteilseigner (Nicht-DBA-Fall) Der deutsche Gesellschafter Asterix ist zu 40 % an der ausländischen Obelix-AG beteiligt. Diese erwirtschaftet im Jahr 01 einen Gewinn von 60.000 €, den sie im Jahr 02 voll ausschüttet. In Deutschland erzielt Asterix im Jahr 02 außerdem Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 27.000 €. An Werbungskosten in Zusammenhang mit dem Bezug der ausländischen Dividenden entstehen Asterix 1.000 €. Im Ausland sollen ein Körperschaftsteuersatz von 30 % sowie ein Quellensteuersatz von 20 % gelten. Aus Vereinfachungsgründen werden außergewöhnliche Belastungen und Sonderausgaben nicht in die Berechnung miteinbezogen.

Lösung

Als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung wählt Asterix die Anrechnungsmethode, da diese im Regelfall günstiger ist als die Abzugsmethode. Obelix-AG: (im Jahr 01)

./. =

körperschaftsteuerpflichtiges Einkommen Körperschaftsteuer (30 %) ausschüttungsfähiger Betrag

Besteuerung des Asterix im Ausland: (im Jahr 02) anteiliger Ausschüttungsbetrag (40 %) = 16.800 € Ÿ Quellensteuer (20 %) = 3.360 €

60.000 € 18.000 € 42.000 €

228

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft Besteuerung des Asterix im Inland: (im Jahr 02)

./. + = ./. =

steuerpflichtiges ausländisches Einkommen (§ 34d Nr. 6 i.V.m. § 3 Nr. 40 Bst. d EStG) 16.800 € x 0,5 8.400 € Werbungskosten (§ 3c Abs. 2 EStG) 1.000 € x 0,5 500 € Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) 27.000 € Welteinkommen 34.900 € ESt nach Grundtabelle (§ 32a Abs. 1 EStG) anrechenbare ausländische Quellensteuer (§ 34c Abs. 1 EStG)324 in Deutschland zu entrichtende ESt Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 SolZG)

Gesamtsteuerbelastung des Asterix: ausländische Quellensteuer + deutsche ESt + Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 SolZG) = Gesamtsteuerbelastung

3.2.1.1.2

7.424 € 1.786 € 5.638 € 310 €

3.360 € 5.638 € 310 € 9.308 €

Veräußerungsgewinne

Veräußerungsgewinne einer Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft können mangels Zuweisung des Besteuerungsrechts an einen Staat sowohl im Wohnsitzstaat des Anteilseigners als auch im Quellenstaat (= Sitzstaat der Tochtergesellschaft) der Besteuerung unterliegen. Denn der Anteilseigner und die Tochtergesellschaft sind in dem jeweiligen Staat unbeschränkt steuerpflichtig. Deutschland besteuert Veräußerungsgewinne, die der deutsche Investor als natürliche Person im Privatvermögen hält, nur, sofern eine „wesentliche“ Beteiligung i.S.d. § 17 EStG vorliegt oder die Veräußerung der Beteiligung innerhalb einer Frist von einem Jahr nach Anschaffung erfolgt (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Veräußerungsgewinne, die der deutsche Investor in einem inländischen Betriebsvermögen hält, sind stets steuerpflichtig. Für die Veräußerungsgewinne kommt das Halbeinkünfteverfahren zur Anwendung (§ 3 Nr. 40 Bst. c, Bst. j, Bst. a EStG).

324

Anrechnungshöchstbetrag: 7.424 € x (8.400 € / 34.900 €) = 1.786 €. Eine volle Anrechnung i.H.v. 3.360 € ist daher nicht möglich.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

§ 3 Nr. 40

Bst. c Bst. j Bst. a

229

Privatvermögen: Beteiligung i.S.d. § 17 EStG Privatvermögen: Private Veräußerungsgeschäfte, § 23 EStG Betriebsvermögen

Da u.U. der Ansässigkeitsstaat der Tochterkapitalgesellschaft Veräußerungsgewinne zusätzlich besteuert, kann es zu einer Doppelbesteuerung kommen. Diese wird durch die Anwendung der unilateralen Maßnahmen – Anrechnung oder Abzug – vermieden. Die Pauschalierung scheidet bei Veräußerungsgewinnen als Vermeidungsmaßnahme aus.

3.2.1.1.3

Gewerbesteuerliche Aspekte

Aufgrund der Vorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG wird die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage um die Beteiligungserträge gekürzt, soweit die Beteiligung mindestens 10 % beträgt. Bei einer Beteiligung von weniger als 10 % unterliegen die Beteiligungserträge der Gewerbesteuer, da die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG in diesem Fall keine Anwendung findet. Da die Dividenden aufgrund des Halbeinkünfteverfahrens nur zur Hälfte im Gewerbeertrag (§ 7 GewStG) enthalten sind, ist in § 8 Nr. 5 GewStG eine gewerbesteuerliche Hinzurechnungsvorschrift verankert. Ohne diese hälftige Hinzurechnung des steuerfreien Teils der Dividende hätte die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG, die eine volle Kürzung vorsieht, entsprechend angepasst werden müssen. Dividenden unterliegen im Ergebnis ab einer Beteiligung von 10 % nicht der Gewerbesteuer. Für Veräußerungsgewinne gilt die Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG nicht. Es kommt somit nicht zu einer Hinzurechnung der steuerbefreiten Hälfte des Veräußerungsgewinns für gewerbesteuerliche Zwecke. Da für Veräußerungsgewinne keine Kürzungsvorschrift in § 9 GewStG enthalten ist, unterliegen im Ergebnis die Veräußerungsgewinne hälftig der Gewerbesteuer.

3.2.1.2 Kapitalgesellschaft als Gesellschafter 3.2.1.2.1

Dividenden

In Deutschland sind (in- und) ausländische Dividenden an Kapitalgesellschaften aufgrund des § 8b Abs. 1 KStG – unabhängig von der Beteiligungshöhe, der Beteiligungsdauer oder dem Vorliegen einer Aktivitätsbedingung – (grundsätzlich!) von der Besteuerung freigestellt. Würde – wie bei natürlichen Personen – die Hälfte des Ausschüttungsbetrags einer Besteuerung unterliegen, würde sich die Dividende bei Weiterausschüttung durch die daraus folgende kumulierte Besteuerung aufzehren (sog. Kaskadeneffekt). Um bei Beteiligungsketten zwischen Kapitalgesellschaften eine kumulierte Besteuerung desselben mehrmals ausgeschütteten Gewinns zu vermeiden, müssen die Beteiligungserträge von anderen Gesellschaften von der Körperschaftsteuer befreit werden. Damit bleibt es bei einer einma-

230

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft

ligen Belastung des Gewinns mit dem Körperschaftsteuersatz, bis der Gewinn die Ebene der Körperschaften verlässt und an eine natürliche Person ausgeschüttet wird.325 Kapitalgesellschaft schüttet aus an natürliche Person   Besteuerung der Ausschüttung zur Hälfte

Beispiel

Behandlung der Ausschüttung beim Empfänger

Im Betriebsvermögen der deutschen Cats AG befindet sich eine Beteiligung i.H.v. 10 % an der ausländischen Dogs AG, aus der ihr in 01 eine Dividende i.H.v. 27.000 € zufließt. Im Jahr 02 nimmt die Cats AG selbst eine Vollausschüttung des Jahresgewinns 01 an die Gesellschafter Bernhard und Bianca vor.

Lösung

Abbildung 60:

Kapitalgesellschaft   steuerfrei gem. § 8b Abs. 1 KStG

Die Dividende der Dogs AG an die Cats AG ist bei dieser nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei. Die Dividende ist im Gewinn enthalten, welchen die Cats AG an die Gesellschafter Bernhard und Bianca ausschüttet. Der Gewinn unterliegt auf Gesellschafterebene der Besteuerung nach dem Halbeinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 Bst. d EStG, da Bernhard und Bianca natürliche Personen sind.

Die Kapitalgesellschaft als Anteilseigner kann jedoch die ausländische Quellensteuer aufgrund ihrer beschränkten Steuerpflicht im Sitzstaat der Tochtergesellschaft nicht anrechnen bzw. abziehen. Durch die Dividendenfreistellung entfällt die Grundlage für die Anrechnung (§ 26 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 KStG) der im Ausland entrichteten Quellensteuer, da dies maximal in Höhe der durch das ausländische Einkommen verursachten deutschen Steuer möglich ist; gleiches gilt für den Abzug der ausländischen Quellensteuer bei der inländischen Einkünfteermittlung. Die Belastung mit ausländischen Quellensteuern ist somit definitiv.

3.2.1.2.1.1

Fiktiver Betriebsausgabenabzug

Grundsätzlich gilt, dass Ausgaben, die in Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden dürfen (§ 3c Abs. 1 EStG). 325

Vgl. Djanani, C./ Brähler, G./ Lösel, C., Ertragsteuern, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 2006, S. 229.

Beispiel

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

231

Der arbeitslose Saruman erhält Arbeitslosengeld. Durch die Fahrten zum Arbeitsamt sind ihm erhebliche Aufwendungen entstanden, die er als Werbungskosten geltend machen möchte. Da das Arbeitslosengeld gem. § 3 Nr. 2 EStG steuerfrei ist, kann Saruman verständlicherweise auch die Fahrtkosten zum Arbeitsamt gem. § 3c Abs. 1 EStG steuerlich nicht geltend machen.

Würde diese Logik auf steuerfreie Dividenden übertragen, ergäbe sich hieraus eine Nichtabzugsfähigkeit von Aufwendungen, die mit diesen Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Allerdings bestimmt § 8b Abs. 5 KStG sowohl für steuerfreie Inlandsdividenden als auch für steuerfreie Auslandsdividenden ein pauschales Abzugsverbot i.H.v. 5 % der Bruttodividende. § 3c Abs. 1 EStG findet ausdrücklich keine Anwendung. Merke: Pauschalierungsregel des § 8b Abs. 5 KStG x Nach § 8b Abs. 5 KStG gelten bei in- und ausländischen Dividenden, die bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben, 5 % der Einnahmen als Ausgaben, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen (unwiderlegbare gesetzliche Fiktion). x Alle mit der Beteiligung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden tatsächlich entstandenen Aufwendungen können dafür uneingeschränkt gewinnmindernd geltend gemacht werden. x Auf die tatsächlichen Betriebsausgaben wird also § 3c Abs. 1 EStG nicht noch zusätzlich angewendet. x Aufgrund der Pauschalierungsregel des § 8b Abs. 5 KStG beläuft sich die Freistellung in- und ausländischer Dividenden lediglich auf 95 % der Bruttodividende. Der oben erläuterte Grundsatz § 3c Abs. 1 EStG findet somit im Rahmen von Dividendenausschüttungen keine Anwendung mehr. Dies soll wie folgt verdeutlicht werden: Anteilseigner Beteiligung an inländischer Kapitalgesellschaft ausländischer Kapitalgesellschaft

natürliche Person

Kapitalgesellschaft

§ 3c Abs. 2 EStG, d.h. hälftiger Abzug

§ 8b Abs. 5 KStG, d.h. fiktiver Abzug

In- und ausländische Dividenden werden folglich gleich behandelt. Bis zum VZ 2003 galt noch für Inlandsdividenden die Regelung des § 3c Abs. 1 EStG, nach der der Abzug von

232

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft

Beispiel

Ausgaben, die mit inländischen steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, untersagt war. Nur für steuerfreie Auslandsdividenden galt die Pauschalierungsregelung des § 8b Abs. 5 KStG. Da auf diese Weise Auslandsdividenden, bei denen die tatsächlich angefallenen Betriebsausgaben unter 5 % der Bruttodividende lagen, gegenüber Inlandsdividenden benachteiligt wurden, ist § 8b Abs. 5 KStG im Rahmen des Korb-II-Gesetzes326 mit Wirkung ab VZ 2004 dahingehend geändert worden, dass nunmehr auch Dividenden inländischer Kapitalgesellschaften beim Empfänger zu einem pauschalen 5 %igen Betriebsausgabenabzugsverbot führen. Die Besteuerung von Auslandsdividenden ist durch das Korb-II-Gesetz somit nicht geändert worden. Die ausländische Chong Li-GmbH erzielt einen Gewinn i.H.v. 100.000 €, den sie nach Bezahlung der ausländischen KSt von 35 % an die zu 25 % beteiligte deutsche DuxGmbH ausschüttet.

Lösung

Ausschüttung der Chong Li-GmbH ausländische KSt Bruttodividende ausl. Quellensteuer (20 % / 5 % / 0 %) Nettodividende ./. deutsche GewSt/ KSt/ SolZ in D ausschüttungsfähiger Betrag

./. 13,00 52,00 ./. 1,26 50,74

./. 3,25 61,75 ./. 1,26 60,49

./. 0,00 65,00 ./. 1,26 63,74

Berechnung der inländischen Steuerbelastung nach § 8b Abs. 5 KStG: 1) Ermittlung des kombinierten Steuersatzes aus GewSt, KSt und SolZ 16,67 % (Hebesatz 400 %) + (100 ./. 16,67) x 25 % + (100 ./. 16,67) x 25 % x 5,5 % inländische Steuerbelastung

326

Nicht-DBA-Fall DBA-Fall EU-Fall 100,00 100,00 100,00 ./. 35,00 ./. 35,00 ./. 35,00 65,00 65,00 65,00

GewSt KSt SolZ

= = =

16,67 % 20,83 % 1,15 % 38,65 %

Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 22.12.2003, BGBl. I 2003, S. 2840.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

233

2) Ermittlung der Steuerbelastung 5 % der Bruttodividende – unabhängig davon, ob und in welcher Höhe im Ausland Quellensteuer einbehalten wird327 – gelten gem. § 8b Abs. 5 KStG als fiktive Betriebsausgaben (65 x 5 % = 3,25). In Höhe dieser fiktiven Betriebsausgaben unterliegen die Dividenden der Besteuerung mit dem oben ermittelten kombinierten Steuersatz, d.h. 3,25 x 38,65 % = 1,26. Es ergibt sich damit eine Mehrsteuer aufgrund der Versagung des Betriebsausgabenabzugs gem. § 8b Abs. 5 KStG i.H.v. 1,26. Diese ist in allen drei Fällen gleich hoch. Eine Weiterausschüttung der erhaltenen Dividende ist nur mehr um den Betrag von 1,26 vermindert möglich. Durch die Änderung des § 8b Abs. 5 KStG würde sich am pauschalen Betriebsausgabenabzugsverbot i.H.v. 5 % nichts ändern, wenn die Chong Li-GmbH eine inländische Kapitalgesellschaft wäre!

Merke:

3.2.1.2.1.2

Nicht der Steuersatz beträgt 5 %, sondern die nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben, die außerhalb der Bilanz dem Ergebnis wieder hinzuaddiert werden müssen. Bei einer Bruttodividende (= Bardividende + KapESt) von 100 € beträgt die Steuerbelastung durch § 8b Abs. 5 KStG somit nicht 5 %, sondern 100 € x 5 % x 38,65 % = 1,9325 %.

Bilanzielle Darstellung

Beispiel Inlandsfall

Die buchhalterische Erfassung von Ausschüttungen in- und/oder ausländischer Kapitalgesellschaften ergibt sich aus einem komplexen Zusammenspiel von Vorschriften sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bilanz. Dabei soll zwischen dem Fall der Ausschüttung einer inländischen Kapitalgesellschaft und einer ausländischen Kapitalgesellschaft unterschieden werden.

327

Die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Legolas-GmbH erhält im Jahr 01 von der ebenfalls inländischen „Agent Smith“ AG eine Dividende i.H.v. 100.000 €. Nach Abzug von Kapitalertragsteuer i.H.v. 20 % (ohne Berücksichtigung des SolZ) fließen der Legolas-AG entsprechend 80.000 € auf ihr Bankkonto zu. Des Weiteren entstehen der Legolas-GmbH Aufwendungen, die mit dem Erwerb der Agent Smith AG unmittelbar zusammenhängen, i.H.v. 3.000 €.

Vgl. BMF v. 10.01.2000, IV D – S 1300 – 217/99, BStBl. I 2000, S. 71, Tz. 2.

234

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft

Im Rahmen der handels- und steuerrechtlichen Gewinnermittlung werden grundsätzlich die Dividenden als Erträge und die Aufwendungen als Betriebsausgaben erfasst. Merke:

Erhält die Legolas-GmbH einen Betrag i.H.v. 80.000 € auf ihr Bankkonto überwiesen, so lautet der Buchungssatz ausdrücklich nicht: Per Bank 80.000 €

an

Erträge 80.000 €

Ÿ Jahresüberschuss 80.000 € In diesem Fall wäre nicht berücksichtigt, dass bereits Kapitalertragsteuer i.H.v. 20.000 € von der Agent Smith AG für die Legolas-GmbH einbehalten worden ist. Diese Kapitalertragsteuer stellt jedoch eine Steuervorauszahlung der Legolas-GmbH dar, nur mit dem Unterschied, dass sie nicht von der GmbH selbst, sondern von der Agent Smith AG abgeführt wurde. Korrekterweise ist der Sachverhalt somit wie folgt zu erfassen: Per Bank 80.000 € Kapitalertragsteuer 20.000 €

an

Erträge 100.000 €

Ÿ Jahresüberschuss 80.000 €

Lösung Inlandsfall

Außerhalb der Bilanz muss nun gem. § 10 Nr. 2 KStG die als Aufwand gebuchte Kapitalertragsteuer dem Ergebnis wieder hinzuaddiert werden; gleichsam muss die gesamte Bruttodividende (und nicht nur die Bardividende!) gem. § 8b Abs. 1 KStG vom zu versteuernden Einkommen wieder abgezogen werden. Die tatsächlichen Betriebsausgaben werden nicht mehr außerhalb der Bilanz korrigiert, da gem. § 8b Abs. 5 Satz 2 KStG die Vorschrift des § 3c Abs. 1 EStG keine Anwendung mehr findet. Allerdings müssen 5 % der Bruttodividende dem Ergebnis außerhalb der Bilanz wieder hinzuaddiert werden. Die Legolas-GmbH erzielt einen Jahresüberschuss i.H.v. 77.000 €. Dies ergibt sich durch die folgenden Buchungssätze: Per

Bank 80.000 € Kapitalertragsteuer 20.000 €

an

Erträge 100.000 €

Per

Finanzierungskosten 3.000 €

an

Bank 3.000 €

Aufwendungen GuV der Legolas GmbH Kapitalertragsteuer 20.000 € Dividendenerträge Finanzierungskosten 3.000 € Jahresüberschuss 77.000 €

Erträge 100.000 €

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

235

Außerhalb der Bilanz sind folgende Anpassungen vorzunehmen:

+ ./. + =

Jahresüberschuss 77.000 € KSt-Vorauszahlungen + 20.000 € Steuerfreie Dividenden ./. 100.000 € 5 % Betriebsausgabenabzugsverbot + 5.000 € Zu versteuerndes Einkommen = 2.000 €

(§ 10 Nr. 2 KStG) (§ 8b Abs. 1 KStG) (§ 8b Abs. 5 KStG)

Beispiel Auslandsfall

Aufgrund der „Altregelung“ unter Anwendung des § 3c Abs. 1 EStG hätte sich in diesem Fall ein zu versteuerndes Einkommen von 0 € ergeben (= Einnahmen und Ausgaben werden nicht berücksichtigt). Nunmehr errechnet sich ein positives zu versteuerndes Einkommen i.H.v. 2.000 €, das bei einem kombinierten Steuersatz von 38,65 % zu einer Steuerbelastung i.H.v. 773 € führt (unter Berücksichtigung der Erstattung der Vorauszahlung). Die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Legolas-GmbH erhält im Jahr 01 von der ausländischen Trinity Inc. (= AG) eine Dividende i.H.v. 100.000 €. Nach Abzug von Kapitalertragsteuer i.H.v. 15 % (Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 Bst. a OECD-MA sind nicht gegeben) fließen der Legolas-GmbH entsprechend 85.000 € auf ihr Bankkonto zu. Erneut entstehen der Legolas-GmbH Aufwendungen, die mit dem Erwerb der Agent Smith AG unmittelbar zusammenhängen, i.H.v. 3.000 €.

Lösung Auslandsfall

Der Auslandsfall unterscheidet sich von dem Inlandsfall lediglich darin, dass die im Ausland einbehaltene Quellensteuer i.H.v. 15 % auf Ebene der Legolas-GmbH nicht angerechnet werden kann, da sich die Freistellungs- und die Anrechnungsmethode gegenseitig ausschließen. Aus diesem Grunde verbietet sich die Verbuchung der 15 %igen Quellensteuer als Kapitalertragsteuer der Legolas-GmbH; stattdessen hat eine Verbuchung als nichtabzugsfähige Betriebsausgabe zu erfolgen. Die Legolas-GmbH erzielt einen Jahresüberschuss i.H.v. 82.000 €. Dies ergibt sich durch die folgenden Buchungssätze: Per

Bank 85.000 € Nabz. Betriebsausgabe 15.000 €

an

Erträge 100.000 €

Per

Finanzierungskosten 3.000 €

an

Bank

3.000 €

236

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft Aufwendungen GuV der Legolas GmbH Nabz. Betriebsausgabe 15.000 € Dividendenerträge Finanzierungskosten 3.000 € Jahresüberschuss 82.000 €

Erträge 100.000 €

Außerhalb der Bilanz sind folgende Anpassungen vorzunehmen:

+ ./. + =

Jahresüberschuss 82.000 € Nichtabzugsfähige Betriebsausgaben + 15.000 € Steuerfreie Dividenden ./. 100.000 € 5 % Betriebsausgabenabzugsverbot + 5.000 € Zu versteuerndes Einkommen = 2.000 €

(§ 8b Abs. 1 KStG) (§ 8b Abs. 5 KStG)

Es ergibt sich erneut für die Legolas-GmbH ein pauschales Betriebsausgabenabzugsverbot i.H.v. 5.000 € sowie ein zu versteuerndes Einkommen i.H.v. 2.000 €. Übersteigen die tatsächlich angefallenen Betriebsausgaben allerdings den Pauschalbetrag i.H.v. 5 % der Bruttodividende gem. § 8b Abs. 5 KStG, ist die Pauschalierungsregelung für den Steuerpflichtigen sogar vorteilhaft gegenüber der Anwendung des § 3c Abs. 1 EStG, da er sämtliche Betriebsausgaben in voller Höhe geltend machen kann und nur der geringere Betrag von 5 % als nichtabzugsfähig behandelt wird.

3.2.1.2.1.3

Beteiligung über eine Mitunternehmerschaft

Bezüge, die einer Körperschaft von einer anderen Körperschaft zufließen, bleiben nach § 8b Abs. 6 KStG auch dann außer Ansatz, wenn die inländische Kapitalgesellschaft nur mittelbar über eine Mitunternehmerschaft an dem ausländischen Tochterunternehmen beteiligt ist. Gewinnanteile einer Tochterkapitalgesellschaft, die einer inländischen Muttergesellschaft mittelbar im Rahmen des Gewinnanteils aus der Beteiligung an einer zwischengeschalteten Personengesellschaft zufließen, sind ebenfalls von der Besteuerung ausgenommen.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

237

Beispiel: Tochterkapitalgesellschaft

Beteiligung 100 % Personengesellschaft

Beteiligung 50 %

Mutterkapitalgesellschaft 1

3.2.1.2.2

Beteiligung 50 %

Mutterkapitalgesellschaft 2

Die Tochterkapitalgesellschaft schüttet eine Dividende i.H.v. 100 an die Personengesellschaft aus. Der Gewinn der Personengesellschaft, der auch die Dividende der Tochterkapitalgesellschaft i.H.v. 100 enthält, beträgt 300. Jeder Mutterkapitalgesellschaft wird ein steuerlicher Gewinnanteil i.H.v. 150 aus der Beteiligung an der Personengesellschaft zugerechnet. Die darin enthaltenen mittelbaren Gewinnanteile der Tochter i.H.v. 50 sind bei beiden Mutterkapitalgesellschaften gem. § 8b Abs. 6 KStG von der Besteuerung ausgenommen.

Veräußerungsgewinne

Nach § 8b Abs. 2 KStG bleiben Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. Die Begünstigung hängt ebenfalls weder von einer Mindestbeteiligungshöhe noch von einer Mindestbehaltefrist328 noch von einer Aktivitätsbedingung ab. Die Befreiung gilt unabhängig von der Besteuerung in dem Sitzstaat der Gesellschaft, deren Anteile veräußert werden. Merke: Die Steuerbefreiung des § 8b Abs. 2 KStG gilt auch für die Gewerbesteuer. Die Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG bezieht sich nur auf die Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG. Durch das Korb-II-Gesetz wurde die bisher nur in § 8b Abs. 5 KStG geregelte Pauschalierungsvorschrift durch den neugefassten § 8b Abs. 3 KStG mit Wirkung ab VZ 2004 auch auf Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen ausgedehnt. Gem. § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG gelten 5 % des Gewinns aus einer Beteiligungsveräußerung gem. § 8b Abs. 2 KStG pauschal als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben; § 3c Abs. 1 EStG ist im Gegenzug allerdings nicht mehr anzuwenden (§ 8b Abs. 3 Satz 2 KStG). 328

Eine Ausnahme stellen Finanzunternehmen gem. § 8b Abs. 7 KStG dar.

238

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft

Merke: Durch die Pauschalierungsregeln der §§ 8b Abs. 3 und Abs. 5 KStG werden im Ergebnis Beteiligungsveräußerungen sowie Dividendenausschüttungen steuerlich gleich behandelt. Dies ist sinnvoll, da die Beteiligungsveräußerung als letztmalige Dividendenausschüttung angesehen werden kann. Die Steuerbefreiung der Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist ausgeschlossen, soweit die Anschaffungskosten der Beteiligung in früheren Jahren steuerlich erfolgswirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben wurden (§ 8b Abs. 2 Satz 4 KStG). Korrespondierend zur Steuerfreistellung der Veräußerungsgewinne nach § 8b Abs. 2 KStG bestimmt § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG, dass sämtliche Verluste, die im Zusammenhang mit den in Abs. 2 genannten Anteilen entstehen, bei der Gewinnermittlung steuerlich unberücksichtigt bleiben. Insbesondere wird hierdurch das Verbot der Teilwertabschreibung auf Beteiligungen bestimmt.

3.2.1.2.3

Gewerbesteuerliche Aspekte

Aufgrund der Vorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG wird die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage um die Dividendenerträge gekürzt, soweit die Beteiligung mindestens 10 % beträgt. Bei einer Beteiligung von weniger als 10 % unterliegen die Beteiligungserträge der Gewerbesteuer, da die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG in diesem Fall nicht anwendbar ist. Da die Dividenden aufgrund des § 8b Abs. 1 KStG nicht mehr im Gewerbeertrag enthalten sind (§ 7 GewStG), werden die Dividendeneinkünfte aufgrund der gewerbesteuerlichen Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG in vollem Umfang wieder hinzugerechnet. Durch die volle Hinzurechnung der Dividende kann die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG unverändert zur Anwendung kommen. Dividenden an Kapitalgesellschaften unterliegen daher – ebenso wie Dividenden an natürliche Personen – im Ergebnis ab einer Beteiligung von 10 % nicht der Gewerbesteuer. Für Veräußerungsgewinne gilt die Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG nicht. Es kommt somit nicht zu einer Hinzurechnung der zur Gänze freigestellten Veräußerungsgewinne für gewerbesteuerliche Zwecke. Im Ergebnis unterliegen die Veräußerungsgewinne von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften – abweichend zu den Veräußerungsgewinnen von natürlichen Personen – nicht der Gewerbesteuer. Erneut ist auf das pauschale Betriebsausgabenabzugsverbot der §§ 8b Abs. 3 und Abs. 5 KStG hinzuweisen, das durch § 7 Satz 1 GewStG auch auf die Gewerbesteuer durchschlägt und daher zu einer entsprechenden Belastung führt.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

3.2.2

239

DBA-Fall

3.2.2.1 Natürliche Person als Gesellschafter 3.2.2.1.1

Dividenden

Der deutsche Anteilseigner wird im Ausland durch seinen anteiligen Ausschüttungsbetrag beschränkt steuerpflichtig. Ist eine natürliche Person an einer ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt, wird das Besteuerungsrecht des Quellenstaates im Abkommensfall in der Regel der Höhe nach auf 15 % (Art. 10 Abs. 2 Bst. b OECD-MA) beschränkt. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist bei Dividenden an natürliche Personen bilateral stets die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer auf die inländische Steuerschuld vorgesehen (= Steueraufteilungsgedanke).

Beispiel

Natürliche Person als Anteilseigner (DBA-Fall) Der deutsche Gesellschafter Miraculix ist zu 40 % an der in einem DBA-Staat ansässigen Gallier-AG beteiligt. Diese erwirtschaftet im Geschäftsjahr 01 einen Gewinn von 60.000 €, den sie im Jahr 02 voll ausschüttet. In Deutschland erzielt Miraculix im Jahr 02 zusätzlich Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i.H.v. 27.000 €. An Werbungskosten entstehen Miraculix in Zusammenhang mit dem Bezug der ausländischen Dividenden 1.000 €. Im Ausland soll annahmegemäß ein Körperschaftsteuersatz von 30 % sowie ein Quellensteuersatz von 20 % gelten. Aus Vereinfachungsgründen werden außergewöhnliche Belastungen und Sonderausgaben nicht in die Berechnung miteinbezogen.

Lösung

In Deutschland wird auf in- und ausländische Dividenden das Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Bst. d EStG) angewandt.

Gallier-AG: (im Jahr 01) ./.

körperschaftsteuerpflichtiges Einkommen Körperschaftsteuer (30 %) Gewinn 01

60.000 € 18.000 € 42.000 €

Besteuerung des Miraculix im Ausland: (im Jahr 02) anteiliger Ausschüttungsbetrag (40 %) = 16.800 € Ÿ KapESt i.H.v. 15 % (durch DBA begrenzt) = 2.520 € Aufgrund Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. b OECD-MA wird die Höhe der Kapitalertragsteuer im Quellenstaat auf 15 % begrenzt.

240

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft Besteuerung des Miraculix im Inland: (im Jahr 02)

./. + =

./. =

steuerpflichtiges ausländisches Einkommen (§ 34d Nr. 6, § 3 Nr. 40 Bst. d EStG) 16.800 € x 0,5 Werbungskosten (§ 3c Abs. 2 EStG) 1.000 € x 0,5 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) Welteinkommen ESt nach Grundtabelle (§ 32a Abs. 1 EStG) anrechenbare ausländische Quellensteuer (§ 34c Abs. 1 EStG) in Deutschland zu entrichtende ESt Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 SolZG)

8.400 € 500 € 27.000 € 34.900 € 7.424 € 1.786 € 5.638 € 310 €

Gesamtsteuerbelastung des Miraculix: + + =

ausländische Quellensteuer deutsche ESt Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 SolZG) Gesamtsteuerbelastung

2.520 € 5.638 € 310 € 8.468 €

Zum Vergleich mit dem Nicht-DBA-Fall: Gesamtsteuerbelastung des Asterix: + +

ausländische Quellensteuer deutsche ESt Solidaritätszuschlag (5,5 %, § 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 SolZG) Gesamtsteuerbelastung

3.360 € 5.638 € 310 € 9.308 €

Der Vergleich zeigt, dass im DBA-Fall die Doppelbesteuerung durch die Beschränkung der Quellensteuer auf 15 % im größeren Umfang vermieden wird als im Nicht-DBA-Fall. Die Höhe der Quellensteuer ist für die endgültige Steuerbelastung bestimmend, da in beiden Fällen der Anrechnungshöchstbetrag überschritten wird. Abschließend wird die Besteuerung der Beteiligung einer inländischen natürlichen Person an einer ausländischen Kapitalgesellschaft wie folgt dargestellt:

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

Anteilseigner

Nicht-DBA

DBA

Höhe der ausländischen Quellensteuer

nach den jeweiligen nationalen Bestimmungen

max. 15 % der ButtoDividende (BD), Art. 10 Abs. 2 Bst. b OECD-MA

Dividende im Inland

steuerpflichtig nur zur Hälfte wg. Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Bst. d EStG), korrespondierend nur hälftiger BA/WK-Abzug (§ 3c Abs. 2 EStG)

steuerpflichtig nur zur Hälfte wg. Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Bst. d EStG), korrespondierend nur hälftiger BA/WKAbzug (§ 3c Abs. 2 EStG)

Berücksichtigung der ausländischen Quellensteuer in Deutschland

Anrechnungsmethode (§ 34c Abs. 1 EStG), Abzugsmethode (§ 34c Abs. 2, 3 EStG)

Anrechnungsmethode (§ 34c Abs. 1 EStG)

deutsche Gewerbesteuer

Freistellung bei Mindestbeteil. von 10 % (§ 9 Nr. 7 GewStG i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG, hälftige Hinzurechnung)

Freistellung bei Mindestbeteil. von 10 % (§ 9 Nr. 7 GewStG i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG, hälftige Hinzurechnung)

Natürliche Person

Abbildung 61:

3.2.2.1.2

241

Besteuerung der Beteiligung eines deutschen Anteilseigners an einer ausländischen Kapitalgesellschaft (I)

Veräußerungsgewinne

Nahezu alle DBA folgen der Regelung des Art. 13 Abs. 4 OECD-MA und weisen das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters zu, hier also Deutschland. Zu einer Doppelbesteuerung kommt es aufgrund des alleinigen Besteuerungsrechts des Ansässigkeitsstaates des Gesellschafters nicht. In Deutschland wird bei Veräußerungsgewinnen von natürlichen Personen das Halbeinkünfteverfahren angewendet (§ 3 Nr. 40 Bst. a EStG).

242

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft

3.2.2.1.3

Gewerbesteuerliche Aspekte

Es gelten dieselben Vorschriften wie im Nicht-DBA-Fall: Dividenden sind bei natürlichen Personen in Deutschland wegen des Halbeinkünfteverfahrens zur Hälfte steuerfrei. Durch § 9 Nr. 7 GewStG i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG kommt es zu einer vollen Freistellung von der Gewerbesteuer. Bezüglich der Veräußerungsgewinne steht gem. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA allein Deutschland das Besteuerungsrecht zu, aber diese sind wegen § 3 Nr. 40 Bst. a EStG i.V.m. § 7 GewStG sowohl von der Einkommensteuer als auch von der Gewerbesteuer zur Hälfte steuerfrei gestellt.

3.2.2.2 Kapitalgesellschaft als Gesellschafter 3.2.2.2.1

Dividenden

Hält eine deutsche Kapitalgesellschaft eine Beteiligung von mindestens 25 % an einer ausländischen Körperschaft (Schachtelbeteiligung), wird die Quellensteuer abkommensrechtlich auf 5 % der Bruttodividende reduziert (Art. 10 Abs. 2 Bst. a OECD-MA). Bei einer niedrigeren Beteiligungsquote wird eine Quellensteuer von 15 % erhoben. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist im Abkommensfall regelmäßig die Anrechnungsmethode für die ausländische Quellensteuer vorgesehen. Ist eine deutsche Kapitalgesellschaft bei einer Beteiligungsdauer von mindestens 12 Monaten zu mindestens 20 % ununterbrochen an einer EU-ansässigen Kapitalgesellschaft beteiligt, geht – auch im DBA-Fall – § 43b EStG (Mutter-Tochter-Richtlinie) vor. In diesem Fall wird keine Quellensteuer erhoben.

Beispiel

In Deutschland gilt die Steuerfreistellung der ausländischen Dividende gem. § 8b Abs. 1 KStG. Erneut ist auf die pauschale Regelung des § 8b Abs. 5 KStG hinzuweisen. Die US-amerikanische Wolverine Corp. (= AG) schüttet im Jahr 01 eine Dividende i.H.v. 150.000 € an die zu 100 % beteiligte deutsche Edel & Stark GmbH aus (Banküberweisung nach Abzug von 5 % Quellensteuer i.H.v. 142.500 €). An Finanzierungskosten in Zusammenhang mit dem Erwerb der Wolverine Corp. fielen der Edel & Stark GmbH 8.000 € an. Die Anteilseigner der Edel & Stark GmbH, Herr Felix Edel und Frau Sandra Stark, wollen den gesamten Betrag ausgeschüttet bekommen.

Lösung

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

243

1. Ebene der Edel & Stark GmbH Der Jahresüberschuss der Edel & Stark GmbH beträgt 134.500 €. Dies ergibt sich durch die folgenden Buchungssätze: Per

Bank 142.500 € Nabz. Betriebsausgabe 7.500 €

an

Erträge 150.000 €

Per

Finanzierungskosten 8.000 €

an

Bank 8.000 €

Aufwendungen GuV der Edel & Stark GmbH Nabz. Betriebsausgabe 7.500 € Dividendenerträge Finanzierungskosten 8.000 € Jahresüberschuss 134.500 €

Erträge 150.000 €

Außerhalb der Bilanz sind folgende Anpassungen vorzunehmen:

+ ./. + =

Jahresüberschuss 134.500 € Nichtabzugsfähige Betriebsausgaben + 7.500 € Steuerfreie Dividenden ./. 150.000 € 5 % Betriebsausgabenabzugsverbot + 7.500 € Zu versteuerndes Einkommen = ./. 500 €

(§ 8b Abs. 1 KStG) (§ 8b Abs. 5 KStG)

Da die tatsächlich angefallenen Finanzierungskosten i.H.v. 8.000 € höher sind als der Pauschalierungsbetrag von 7.500 €, ist die Vorschrift des § 8b Abs. 5 KStG für die Edel & Stark GmbH vorteilhaft, da sie auf diese Weise steuerlich einen Verlust erwirtschaftet. 2. Ebene der Gesellschafter Felix Edel und Sandra Stark Gem. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 3 Nr. 40 Bst. d EStG muss jeder Gesellschafter im Ausschüttungsfall 50 % von 134.500 €, davon die Hälfte, d.h. 33.625 €, mit seinem persönlichen Steuersatz versteuern.

244

Besteuerung der Gewinne aus einer ausländischen Kapitalgesellschaft

Zusammenfassend lassen sich die steuerlichen Regelungen für Kapitalgesellschaften wie folgt abbilden: Anteilseigner

Kapitalgesellschaft

Abbildung 62:

3.2.2.2.2

Nicht-DBA

DBA

Höhe der ausländischen Quellensteuer

entsprechend den jeweiligen nationalen Bestimmungen

max. 5 % der BD bei mind. 25 %iger Beteiligung, sonst 15 %, Art. 10 Abs. 2 Bst. a bzw. Bst. b OECDMA 0 % bei MTRl

Dividende im Inland

steuerfrei, § 8b Abs. 1 KStG, aber: 5 % der BD nichtabzugsfähige Betriebsausgabe, § 8b Abs. 5 KStG

steuerfrei, § 8b Abs. 1 KStG, aber: 5 % der BD nichtabzugsfähige Betriebsausgabe, § 8b Abs. 5 KStG

Berücksichtigung der ausländischen Quellensteuer in Deutschland

Wegen Freistellung in Deutschland nicht möglich (irrelevant bei MTRl)

wegen Freistellung in Deutschland nicht möglich (irrelevant bei MTRl)

deutsche Gewerbesteuer

Freistellung bei Mindestbeteil. von 10 % (§ 9 Nr. 7 GewStG i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG, volle Hinzurechnung)

Freistellung bei Mindestbeteil. von 10 % (§ 9 Nr. 7 GewStG i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG, volle Hinzurechnung)

Besteuerung der Beteiligung eines deutschen Anteilseigners an einer ausländischen Kapitalgesellschaft (II)

Veräußerungsgewinne

Veräußerungsgewinne, die aus dem Verkauf von Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften resultieren, können im DBA-Fall nur im Wohnsitzstaat des veräußernden Gesellschafters besteuert werden (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA), d.h. in Deutschland. Als Schrankennorm mit abschließender Rechtsfolge wird daher eine Doppelbesteuerung bereits auf Ebene der Schrankennormen vermieden. In Deutschland gilt bei Veräußerungsgewinnen von Kapitalgesellschaften die 95 %ige Freistellung nach § 8b Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 KStG.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

3.2.2.2.3

245

Gewerbesteuerliche Aspekte

Es gelten dieselben Regelungen wie im Nicht-DBA-Fall. Schachteldividenden und Veräußerungsgewinne unterliegen nicht der Gewerbesteuer (§ 8b Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 7, 8 Nr. 5, 9 Nr. 7 GewStG und § 8b Abs. 2 KStG i.V.m. § 7 GewStG), wobei allerdings die Regelungen des § 8b Abs. 3 und Abs. 5 KStG über § 7 Satz 1 GewStG auch für die Gewerbesteuer bedeutsam sind.

3.3 Behandlung des Solidaritätszuschlags im Internationalen Steuerrecht Prinzipiell sind bei Zuschlagsteuern wie dem Solidaritätszuschlag steuerfreie Einkünfte nach § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b KStG bei Ermittlung der Einkommensteuer zu berücksichtigen (§ 51a Abs. 2 EStG). Gem. § 3 Abs. 2 SolZG ist aber die gem. § 2 Abs. 6 EStG festzusetzende Einkommensteuer Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag; die steuerfreien Beträge nach § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b KStG sind also nicht in die Ermittlung einbezogen. Die Regelung des § 3 Abs. 2 SolZG hat als lex specialis Vorrang vor § 51a Abs. 2 EStG; für die Berechnung des Solidaritätszuschlags ist das Halbeinkünfteverfahren und die Freistellung nach § 8b KStG also entsprechend zu berücksichtigen.

246

Behandlung des Solidaritätszuschlags im Internationalen Steuerrecht

Zur Verdeutlichung der Behandlung des Solidaritätszuschlags dienen die folgenden Übersichten, wobei zwischen natürlichen und juristischen Personen unterschieden wird: Empfänger Art der Einkünfte

Besteuerung

Berücksichtigung der im Ausland gezahlten Steuer

natürliche Personen Dividenden

Nicht-Dividenden-Einkünfte

ohne / mit DBA

ohne DBA

mit DBA

Halbeinkünfteverfahren (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Nr. 40 Bst d)

Besteuerung im Inland gem. § 15 Abs. 1 EStG

Freistellung mit Progressionsvorbehalt gem. Art. 7 Abs. 1 Hs. 2 i.V.m. Art. 23 A OECD-MA

Anrechnungsmethode (Art. 23 B OECDMA / § 34c EStG)

Anrechnungs methode (§ 34c EStG)

keine Berücksichtigung, insbesondere keine Anrechnung

Gem. § 3 Abs. 2 SolZG ist die ESt Bemessungsgrundlage für den SolZ Solidaritätszuschlag folgt der Einkommensteuer Dividenden erhöhen die BMG zur Hälfte, anrechenbare Steuern vermindern die BMG

Einkünfte erhöhen die BMG, anrechenbare Steuern vermindern die BMG

Ermittlung der tariflichen ESt unter Progressionsvorbehalt

Erhöhung oder keine Auswirkung auf die BMG

Erhöhung oder keine Auswirkung auf die BMG

Erhöhung der BMG aufgrund des Progressionsvorbehaltes

Auswirkungen auf den Solidaritätszuschlag

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft Empfänger Art der Einkünfte

Besteuerung

Berücksichtigung der im Ausland gezahlten Steuer

247

Kapitalgesellschaften Dividenden

Nicht-Dividenden-Einkünfte

ohne / mit DBA

ohne DBA

mit DBA

Freistellung (§ 8b Abs. 1 KStG) aber pauschale Zurechnung gem. § 8b Abs. 5 KStG

Besteuerung im Inland gem. § 8 Abs. 1 KStG

Freistellung mit Progressionsvorbehalt gem. Art. 7 Abs. 1 Hs. 2 i.V.m. Art. 23 A OECD-MA

keine Berücksichtigung, insbesondere keine Anrechnung

Anrechnungsmethode (§ 26 Abs. 1 KStG)

keine Berücksichtigung, insbesondere keine Anrechnung

Gem. § 3 Abs. 2 SolZG ist die KSt Bemessungsgrundlage für den SolZ Solidaritätszuschlag folgt der Körperschaftsteuer

Auswirkungen auf den Solidaritätszuschlag

Dividenden und ausländische Steuern haben keine Auswirkungen auf die Höhe der BMG, die pauschale Zurechnung erhöht die BMG

Einkünfte erhöhen die BMG, anrechenbare Steuern vermindern die BMG

Einkünfte und ausländische Steuern haben keine Auswirkung auf die Höhe der BMG

Erhöhung der BMG

Erhöhung oder keine Auswirkung auf die BMG

keine Auswirkung auf die BMG

3.4 Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft Da die Diskussion über die steuerliche Behandlung von Beteiligungen ausländischer Anteilseigner an inländischen Kapitalgesellschaften Kenntnisse über die Funktionsweise von DBA voraussetzt, erfolgt sie erst an dieser Stelle.

248

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

3.4.1

Ausländische natürliche Person als Gesellschafter

3.4.1.1 Dividenden Gewinnausschüttungen einer inländischen Kapitalgesellschaft an Anteilseigner, die im Inland weder über einen Wohnsitz noch über einen gewöhnlichen Aufenthalt verfügen, unterliegen nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Bst. a EStG der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Die Einkommensteuer gilt mit der einbehaltenen Kapitalertragsteuer i.H.v. 20 % zuzügl. 5,5 % Solidaritätszuschlag (insgesamt 21,10 %) als abgegolten (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG). Insofern findet keine Veranlagung statt. Im DBA-Fall ist das Besteuerungsrecht des Quellenstaates der Höhe nach begrenzt. Die Begrenzung richtet sich nach den mit dem anderen Staat abgeschlossenen Vereinbarungen. Nach Maßgabe des Art. 10 OECD-MA darf die Kapitalertragsteuer höchstens 15 % betragen. Im Abkommensfall darf kein Solidaritätszuschlag erhoben werden, da die Quellensteuerbelastung lt. DBA die Belastungs-Höchstgrenze darstellt. Die Quellensteuer auf Kapitaleinkünfte wird im Abzugswege erhoben. Der Kapitalertragsteuer liegen die Einnahmen (als Bruttobetrag) zugrunde; das Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG) gilt hier nicht. Quellensteuer ist also auf die volle Bruttodividende einzubehalten.

Beispiel

Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die Besteuerung auf Ebene des ausländischen Gesellschafters nach dem jeweiligen ausländischen Recht erfolgt; das in Deutschland geltende Halbeinkünfteverfahren kommt im Ausland nicht zur Anwendung. Gewinnausschüttung an eine ausländische natürliche Person Gesellschafter im Nicht-DBA-Staat Gewinn nach GewSt ./. KSt (25 %) ./. SolZ (5,5 %)

./. ./.

100,00 25,00 1,38

Bruttodividende ./. KapESt (20 % / 15 %) ./. SolZ (5,5 %)

./. ./.

73,62 14,72 0,81

Nettodividende

58,09

Gesellschafter im DBA-Staat ./. ./. ./.

100,00 25,00 1,38 73,62 11,04 -,-62,58

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

249

3.4.1.2 Veräußerungsgewinne Die Veräußerung eines Anteils an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch einen Ausländer unterliegt in folgenden Fällen grundsätzlich der beschränkten Steuerpflicht im Inland: x Veräußerung einer qualifizierten Beteiligung aus dem Privatvermögen eines Gesellschafters i.S.d. § 17 EStG (§ 49 Abs. 1 Nr. 2e EStG), x Privates Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 22 Nr. 2, § 23 EStG (§ 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG), x Veräußerung der Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft, die im Betriebsvermögen der inländischen Betriebsstätte eines Steuerausländers gehalten wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 2a EStG). Art. 13 OECD-MA weist das Besteuerungsrecht am Veräußerungsgewinn grundsätzlich dem Wohnsitz- bzw. Sitzstaat des Gesellschafters zu. Gehört die Beteiligung jedoch zu einer Betriebsstätte, so hat der Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht. Damit ist üblicherweise im DBA-Fall der Besteuerungsanspruch Deutschlands auf Veräußerungsgewinne und -verluste im Rahmen einer inländischen Betriebsstätte beschränkt. Auf Veräußerungsgewinne wird bei beschränkter Steuerpflicht in Deutschland die Steuer nicht durch Quellensteuerabzug erhoben, sondern im Rahmen einer Veranlagung festgesetzt. Es gelten – abgesehen von den Sondervorschriften des § 50 EStG – die gleichen Vorschriften wie für unbeschränkt Steuerpflichtige, d.h. die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer inländischen Kapitalgesellschaft unterliegen dem Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Bst. a EStG). Das Halbeinkünfteverfahren wird unabhängig davon angewandt, ob die Beteiligung zum Privat- oder Betriebsvermögen gehört (isolierende Betrachtungsweise gem. § 49 Abs. 2 EStG).

3.4.2

Ausländische Kapitalgesellschaft als Gesellschafter

3.4.2.1 Dividenden Bei ausländischen Kapitalgesellschaften als Gesellschafter gelten grundsätzlich die gleichen Regelungen wie bei natürlichen Personen als Gesellschafter. Zusätzlich sind folgende Sonderregelungen zu beachten: Sofern ein DBA vorliegt, reduziert sich der Quellensteuersatz auf 15 %; liegt eine Schachtelbeteiligung vor, beträgt im DBA-Fall die in Deutschland einbehaltene Kapitalertragsteuer lediglich 5 %. Bei Ausschüttungen an ausländische Kapitalgesellschaften, die in EUMitgliedsstaaten ansässig sind, ermäßigt sich die Quellensteuer nach § 43b EStG auf 0 %, sofern die Mutter-Tochter-Richtlinie Anwendung findet.

250

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

Um die Quellensteuerreduktion lt. DBA auf 5 % oder gem. § 43b EStG auf 0 % zu erreichen, ist ein Erstattungsantrag (§ 50d Abs. 1 EStG) oder vorab ein (partieller) Freistellungsantrag (§ 50d Abs. 2 EStG) zu stellen. Eine Quellensteuerreduktion von Amts wegen ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Liegt also kein Freistellungsbescheid im Zeitpunkt des Quellensteuerabzugs vor, muss zunächst zwingend der „reguläre“ Steuerabzug i.H.v. 21,10 % vorgenommen werden. Die Quellensteuer kann jedoch dann im Erstattungswege zurück erhalten werden.

Beispiel

Zur Klarstellung soll wieder darauf hingewiesen werden, dass die Besteuerung auf Ebene des ausländischen Gesellschafters nach dem jeweiligen ausländischen Recht erfolgt; der in Deutschland geltende § 8b Abs. 1 KStG kommt im Ausland nicht zur Anwendung. Gewinnausschüttung an eine ausländische Kapitalgesellschaft, die keine Betriebsstätte in Deutschland unterhält SchachtelSchachtelSchachtelbeteiligung im beteiligung im beteiligung im Nicht-DBA-Fall DBA-Fall EU-Fall Gewinn nach GewSt ./. KSt (25 %) ./. SolZ (5,5 %)

*

./. ./.

100,00 25,00 1,38

= Bruttodividende ./. KapESt ( 20 %/ 5 %/ 0 %) ./. SolZ (5,5 %)

73,62 14,72 0,81

= Nettodividende

58,09

./. ./. ./.

100,00 25,00 1,38 73,62 3,68 -,--* 69,94

./. ./. ./.

100,00 25,00 1,38 73,62 0,00 -,--* 73,62

§ 5 SolZG: Steuerbegrenzungen aufgrund eines DBA sind zuerst auf den SolZ anzuwenden.

Die abschließende Übersicht zeigt die Besteuerung von inländischen Dividenden ausländischer Anteilseigner.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

251

Gewinnausschüttung ausländische natürliche Person als Anteilseigner Nicht-DBA-Fall 9 Quellensteuer abgegolten durch KapESt i.H.v. 20 % zzgl. SolZ (§§ 43 ff. i.V.m. § 50 Abs. 5 EStG) DBA-Fall 9 Kapitalertragsteuer i.H.v. 15 % (Art. 10 Abs. 2 Bst. b OECD-MA)

ausländische Kapitalgesellschaft als Anteilseigner

9 Dividendeneinkünfte unterliegen KapESt-Abzug i.H.v. 20 % zzgl. SolZ (§§ 43 ff. i.V.m. § 50 Abs. 5 EStG)

9 Bei Schachtelbeteiligungen beträgt die Kapitalertragsteuer 5 % (Art. 10 Abs. 2 Bst. a OECD-MA)

EU-Fall 9 Es gelten die DBA-Regelungen

Abbildung 63:

9 Quellensteuer entfällt bei Schachtelbeteiligungen (§ 43b EStG)

Grundzüge der Dividendenbesteuerung ausländischer Anteilseigner

3.4.2.2 Veräußerungsgewinne Bei ausländischen Kapitalgesellschaften als Gesellschafter gelten grundsätzlich die gleichen Regelungen wie bei natürlichen Personen als Gesellschafter, d.h. sie unterliegen nur in den in § 49 EStG genannten Fällen der beschränkten Steuerpflicht. Im Abkommensfall wird dem Sitzstaat der veräußernden Gesellschaft das alleinige Besteuerungsrecht zugewiesen. Zusätzlich sind folgende Sonderreglungen zu beachten: Gewinne aus der Veräußerung einer Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch eine Kapitalgesellschaft sind nach § 8b Abs. 2 KStG i.V.m. § 8b Abs. 3 KStG zu 95 % steuerfrei gestellt. Es ist ferner rechtsunerheblich, ob sich die Anteile im Vermögen der in Deutschland unterhaltenen Betriebsstätte einer ausländischen Kapitalgesellschaft befinden oder ob die ausländische Kapitalgesellschaft mittelbar über eine inländische Personengesellschaft an der inländischen Kapitalgesellschaft beteiligt ist (§ 8b Abs. 6 KStG). Die inländische Besteuerung ausländischer Anteilseigner einer inländischen Kapitalgesellschaft im Falle der Veräußerung ihrer Beteiligung zeigt folgende Abbildung.

252

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

Veräußerung einer Beteiligung

durch eine ausländische natürliche Person Nicht-DBA-Fall 9 Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Bst. a EStG), wenn Veräußerungsgewinn nach § 49 EStG beschränkt steuerpflichtig ist

DBA-Fall 9 Besteuerung im Wohnsitzstaat des Veräußerers (Art. 13 OECD-MA)

Abbildung 64:

3.4.3

durch eine ausländische Kapitalgesellschaft

9 Veräußerungsgewinn zu 95% steuerfrei (§ 8b Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 KStG), wenn Veräußerungsgewinn nach § 49 EStG beschränkt steuerpflichtig ist 9 Veräußerungsgewinn ist steuerfrei, wenn Beteiligung der inländischen Betriebsstätte bzw. der inländischen Personengesellschaft einer ausländischen Kapitalgesellschaft zugerechnet wird (§ 8b Abs. 6 KStG) 9 Besteuerung im Wohnsitzstaat des Veräußerers (Art. 13 OECD-MA)

Grundzüge der Besteuerung ausländischer Anteilseigner bei Veräußerungen

Gesellschafter-Fremdfinanzierung

Grundsätzlich steht es dem Anteilseigner frei, seine Gesellschaft – über das handelsrechtliche Mindestkapital hinaus – mit Eigen- oder Fremdkapital auszustatten, sofern kein Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten vorliegt.

3.4.3.1 Sinn und Zweck der Einführung des § 8a KStG a.F. Um die Steuerbelastung in Deutschland aus KSt, GewSt, SolZ auf Ebene der Kapitalgesellschaft sowie KapESt und SolZ auf KapESt auf Ebene des Gesellschafters zu vermeiden, tendieren beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner dazu, ihre deutsche Kapitalgesellschaft überwiegend mit Fremdkapital statt mit Eigenkapital auszustatten. Zinszahlungen unterliegen – außer das Kapitalvermögen ist durch inländischen Grundbesitz gesichert (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Bst. c DBst. aa EStG) – nicht der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Im Fall der Fremdfinanzierung entstehen in Deutschland folglich mit Ausnahme der Hinzurechnung der hälftigen Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer gem. § 8 Nr. 1 GewStG keine bzw. nur geringe Steuereinnahmen. Diese betragen bei einem durchschnittlichen

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

253

Hebesatz von 400 % lediglich 8,34 % (16,67 % / 2). Erwirtschaftet die Gesellschaft darüber hinaus Gewinne, ist die Gewerbesteuer als Betriebsausgabe i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG abzugsfähig, was zu einer weiteren Minderung i.H.v. 8,34 % x 0,25 = 2,09 % führt. Dies soll wie folgt vergleichend gegenübergestellt werden: Eigenfinanzierung 329

20 % KapESt Gewerbesteuer 331

Körperschaftsteuer SolZ auf KSt

Kapitalertragsteuer SolZ auf KapESt Summe Belastung

330

15 % KapESt

Fremdfinanzierung

16,67 %

16,67 %

8,34 %

20,83 %

20,83 %

-2,09 %

1,15 %

1,15 %

-0,11 %

12,27 %

9,20 %

0,67 %

-

51,59 %

47,85 %

6,14 %

Aus diesem Grund hat Deutschland ab VZ 1994332 mit § 8a KStG eine gesetzliche Regelung zur Einschränkung der Fremdfinanzierung unbeschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften durch ausländische Gesellschafter eingeführt. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift verhindern, dass inländische Kapitalgesellschaften mit zu geringem Eigenkapital ausgestattet werden („thin capitalization“), um deren Gewinn als Fremdkapitalzinsen ins Ausland zu verlagern. Die Regelung diente somit der Sicherstellung inländischer Steuereinnahmen. Seine Auffassung zum § 8a KStG hat das BMF in einem Anwendungserlass ausgeführt.333

3.4.3.2 Das Urteil Lankhorst-Hohorst In Fällen, in denen die Vergütungen für das Fremdkapital nicht ins Ausland abgeflossen, sondern der darlehensgewährende Anteilseigner im Halbeinkünfteverfahren der Veranlagung im Inland unterlegen ist (§ 8a Abs. 1 Satz 2 KStG a.F.), griff folglich § 8a KStG in 329

KapESt i.H.v. 20 % nach § 43a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 EStG i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG.

330

Quellensteuer i.H.v. 15 % nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 Bst. b OECD-MA.

331

Die Abzugsfähigkeit der GewSt von der KSt wurde bei der Eigenfinanzierung durch Minderung der KSt-Belastung dargestellt. Diese Überlegung gilt analog auch für die Fremdfinanzierung.

332

Standortsicherungsgesetz v. 13.09.1993, BGBl. I 1993, S. 1569 ff.

333

Vgl. Anwendungserlass zur Gesellschafter-Fremdfinanzierung, BMF v. 15.12.1994, IV B 7 – S 2742a – 63/94, BStBl. I 1995, S. 25, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 100, § 8a/1.

254

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

der Fassung von 1993 nicht. Es lag daher für inländische und ausländische Anteilseigner eine unterschiedliche Behandlung vor, die zu einer Bevorteilung von rein inländischen Gesellschaftskonstellationen geführt hat. Dies bedeutete eine Diskriminierung der ausländischen Anteilseigner und Muttergesellschaften aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit und stand im Widerspruch zur Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrages (Art. 43 EG). Art. 43 EG (ex-Art. 52) bestimmt: Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. (…) Daher wurde die Vorschrift schon seit Inkrafttreten ab VZ 1994 als problematisch bezüglich ihrer Europarechtskonformität erachtet. Zwar liegt die Zuständigkeit für die Ausgestaltung der direkten Steuern bei den Mitgliedsstaaten, die Ausübung muss jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechtes stattfinden. Zu dieser Problematik nahm der EuGH aufgrund einer Klage der Lankhorst-Hohorst BV in seinem Urteil vom 12. Dezember 2002 Stellung. Dabei ging es um folgenden Sachverhalt: Die niederländische Lankhorst-Hohorst BV gewährte ihrer deutschen TochterGmbH ein festverzinsliches Darlehen, welches den Zweck verfolgte, ein bei einem Kreditinstitut zu höheren Zinskonditionen aufgenommenes Darlehen zu tilgen und somit die Zinsbelastung zu senken, um die finanziell angespannte Lage des Unternehmens zu entschärfen. Da die Lankhorst-Hohorst GmbH in den für die Regelung der Gesellschafter-Fremdfinanzierung relevanten Jahren ein negatives Eigenkapital aufwies und auch keines der Ausschlusskriterien erfüllen konnte, nahm die Finanzbehörde gem. § 8a KStG eine Umqualifizierung der Zinszahlungen in eine verdeckte Gewinnausschüttung vor und addierte diese außerhalb der Bilanz wieder hinzu. Der Kläger beantragte daraufhin eine Prüfung beim FG Münster / EuGH, ob die Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrages (Art. 43 EGV) der Regelung des § 8a KStG entgegenstehe. Der EuGH stellte fest, die Regelung des § 8a KStG bewirke „eine unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger Tochtergesellschaften, je nachdem, ob ihre Muttergesellschaft ihren Sitz in Deutschland hat oder nicht“.334 Die Ausübung der garantierten Niederlassungsfreiheit in Form der Gründung einer deutschen Tochtergesellschaft durch eine in einem anderen EU-Staat ansässige Gesellschaft wird durch die Einschränkungen der GesellschafterFremdfinanzierung weniger attraktiv. Da die Regelung im Rahmen des § 8a KStG generell an den Sitz der Muttergesellschaft anknüpft und nicht im konkreten Einzelfall prüft, ob eine 334

Vgl. Rs. LANKHORST-HOHORST, EuGH v. 12.12.2002, C-324/00, DB 2002, S. 2690, Rn. 27.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

255

Steuerumgehungsabsicht besteht, impliziert sie eine unzulässige pauschale Missbrauchsvermutung. Dies hatte zur Folge, dass die Regelung des § 8a KStG zwar bestehen blieb, aber auf transnationale Sachverhalte innerhalb der EU in der bestehenden Formulierung keine Anwendung mehr finden durfte. Da im Rahmen der Umsetzung des Urteils von einer generellen Außerkraftsetzung abgesehen wurde, viele Doppelbesteuerungsabkommen aber ebenfalls einen Gleichbehandlungsgrundsatz enthalten, war für diese Fälle im Rahmen einer Einzelprüfung festzustellen, ob eine Anwendung des § 8a KStG weiterhin zulässig war.

3.4.3.3 Neufassung des § 8a KStG durch das Korb-II-Gesetz Aufgrund der Europarechtswidrigkeit sah sich der Gesetzgeber gezwungen, eine Neuregelung zu finden, die keine Unterscheidung zwischen einem inländischen und einem ausländischen Anteilseigner vornimmt. Im Rahmen der Verabschiedung des Korb-II-Gesetzes335, das zahlreiche innerdeutsche Gesetzesänderungen beinhaltet, wurde § 8a KStG mit Wirkung ab VZ 2004 neu gefasst, um der geforderten Gleichbehandlung gerecht zu werden. Da die Finanzverwaltung eine Regelung zur Vermeidung einer übermäßigen Fremdfinanzierung einer Gesellschaft durch seinen Gesellschafter noch immer für erforderlich hielt, wurde der Anwendungsbereich des § 8a KStG unter der Prämisse der Wettbewerbsneutralität und Gleichmäßigkeit auf inländische Gesellschaftskonstellationen ausgedehnt und gleichzeitig bisherige Ausweichgestaltungsmöglichkeiten unterbunden. Die bis dahin nur in Sonderfällen relevante Regelung wurde dadurch zu einer zentralen Vorschrift der Unternehmensbesteuerung, da nunmehr auch reine Inlandsfälle von der Regelung erfasst werden. Auch hier soll auf das BMF-Schreiben bzgl. der Neufassung des § 8a KStG hingewiesen werden.336 Merke: § 8a KStG ist nach dem Lankhorst-Hohorst-Urteil sowohl für inländische als auch für ausländische Gesellschafter von Relevanz.

3.4.3.4 Grundkonzeption Sinn und Zweck des § 8a KStG ist, eine Ausstattung mit Fremdkapital zu verhindern, die steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten ausnutzt. Dies wird erreicht, indem den Zinsaufwendungen nicht der steuerliche Abzug von der Bemessungsgrundlage verwehrt wird, sondern in Höhe des als unangemessen angesehenen Zinsanteils eine verdeckte Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 KStG angenommen wird. Auf diese Weise wird der vorher (z.B. in Form von Zinszahlungen) geltend gemachte Betriebsausgabenabzug durch eine 335

Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22.12.2003, BGBl. I 2003, S. 2840.

336

Vgl. BMF v. 15.07.2004, IV A 2 – S 2742a – 20/04, BStBl. I 2004, S. 593.

256

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

Hinzurechnung außerhalb der Bilanz wieder rückgängig gemacht und schlägt auf die Körperschaftsteuer und – nach dem Wegfall des § 9 Nr. 10 GewStG – auch in vollem Maße auf die Gewerbesteuer durch. Führt somit ein wesentlich beteiligter Anteilseigner seiner Kapitalgesellschaft Fremdmittel zu, so gelten die an ihn gezahlten Vergütungen als verdeckte Gewinnausschüttungen, 

wenn sie eine Freigrenze i.H.v. 250.000 € überschreiten und



soweit das von ihm hingegebene Fremdkapital ein bestimmtes Verhältnis seines anteiligen Eigenkapitals an der Kapitalgesellschaft übersteigt.

Hiervon sind nach neuer Fassung alle Anteilseigner betroffen, unabhängig davon, ob sie im Inland veranlagt sind oder nicht. Von Relevanz ist hingegen, ob der Anteilseigner wesentlich beteiligt ist, da nur in diesen Fällen von einer Einflussnahme auf die steuerlichen Unternehmensentscheidungen ausgegangen werden kann. Bei wesentlich beteiligten Anteilseignern unterliegen die als verdeckte Gewinnausschüttungen umqualifizierten Vergütungen ebenso wie „normale“ Gewinnausschüttungen als Einkünfte i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG dem Halbeinkünfteverfahren; d.h. dass bei einer natürlichen Person als Empfänger § 3 Nr. 40 EStG und bei einer juristischen Person als Empfänger § 8b Abs. 1 KStG anzuwenden ist. Gleichfalls sind § 8b Abs. 5 KStG sowie § 3c EStG relevant.337 Für Zwecke der Gewerbesteuer soll allerdings auf die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 2a GewStG hingewiesen werden (beachte: Kürzungsvorschrift auf Ebene des empfangenden Anteilseigners, nicht auf Ebene der ausschüttenden Kapitalgesellschaft!).

3.4.3.5 Freigrenze für Zinszahlungen Aus Praktikabilitäts- und Verwaltungsvereinfachungsgründen wurde in der Neufassung in Form des § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG eine Freigrenze von 250.000 € eingefügt, bis zu der, unabhängig von der Art der Vergütung und der Eigenkapital-Fremdkapital-Relation, keine Umqualifizierung der Zinszahlungen erfolgt. Es handelt sich hierbei um eine Freigrenze, nicht um einen Freibetrag, d.h. bei Überschreiten ist die Regelung auf den vollen Betrag anzuwenden. Diese Freigrenze ist gesellschaftsbezogen und gilt nicht für jeden einzelnen Teilhaber. Somit ist bei Beteiligung mehrerer Anteilseigner die Summe der angefallenen Zinszahlungen an wesentlich beteiligte Gesellschafter zu berücksichtigen. Andererseits kann die Freigrenze bei Beteiligung eines Anteilseigners an weiteren Gesellschaften mehrfach ausgeschöpft werden.

337

Vgl. BMF v. 15.07.2004, IV A 2 – S 2742a – 20/04, BStBl. I 2004, S. 593.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

257

Mit dieser Regelung wird vor allem der Entlastung mittelständischer Unternehmen Rechnung getragen, die häufig von ihrem Anteilseigner bzw. von einem Kreditinstitut mit Rückgriffsmöglichkeit auf den Anteilseigner Fremdkapital erhalten. Bei einem Zinssatz von 5 % kann daher eine Summe von 5.000.000 € fremdfinanziert werden, ohne dass eine Erfassung durch § 8a KStG stattfindet.

3.4.3.6 Zulässiger Fremdfinanzierungsrahmen (safe haven) Die Systematik des § 8a KStG knüpft an zulässige Relationen zwischen GesellschafterFremdkapital und anteiligem Eigenkapital des Gesellschafters an. Bei Überschreiten des sog. safe havens werden die Vergütungen für Fremdkapital steuerlich nicht anerkannt und in eine verdeckte Gewinnausschüttung umqualifiziert. Gewinn- und umsatzabhängige Vergütungen – beispielsweise eine stille Beteiligung, partiarische Darlehen oder Genussrechtskapital – führen in jedem Fall und in voller Höhe zu einer verdeckten Gewinnausschüttung (§ 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG). Die Möglichkeit eines Gegenbeweises besteht nicht. Der Grund dafür, dass für gewinn- oder umsatzabhängige Vergütungen im Gegensatz zu den Vergütungen in Form von festen Zinszahlungen kein safe haven gewährt wird, mit der Folge, dass alle Vergütungen sofort als verdeckte Gewinnausschüttungen qualifiziert werden, liegt darin, dass gewinnabhängiges Fremdkapital eine größere Nähe zum Eigenkapital aufweist und daher eine stärkere Vermutung des Missbrauchs vorliegt. Bis zu welchem Umfang das Verhältnis zwischen Eigenkapital und Fremdkapital keine Umqualifizierung der Vergütung auslöst, bestimmt § 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG für Vergütungen in Form eines festen Zinssatzes: x

Grundsatz: Zinszahlungen an einen Anteilseigner gelten als verdeckte Gewinnausschüttung, soweit das ihm zuzurechnende Fremdkapital zu einem Zeitpunkt des Wirtschaftsjahres das Eineinhalbfache des anteiligen Eigenkapitals des Anteilseigners übersteigt, d.h. eine Umgehung der Regelung durch ein kurzfristiges Unterschreiten der safe haven-Grenze – z.B. durch eine Sondertilgung zum Jahresende – ist nicht möglich. safe haven eines Gesellschafters

=

anteiliges Fremdkapital anteiliges Eigenkapital

=

1,5 1

Beispiel

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft Der in Großbritannien veranlagte Marty und der in Deutschland veranlagte Alex sind zu je 50 % an der in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen NY GmbH beteiligt. Das anteilige Eigenkapital der beiden an der Gesellschaft beträgt jeweils 500.000 €. Gegen einen angemessenen Zinssatz von 10 % gewährt Marty der Gesellschaft ein Darlehen i.H.v. 1.750.000 €. Alex stellt zu gleichen Konditionen 2.000.000 € zur Verfügung.

Lösung

258

Da die Freigrenze von 250.000 € gesellschaftsbezogen anzuwenden ist, sind die erfolgten Zinszahlungen zu addieren. Der Zinsaufwand der Gesellschaft beträgt 375.000 € und überschreitet somit die gewährte Freigrenze. Dies hat zur Folge, dass die Vergütungen in voller Höhe der Regelung des § 8a KStG unterliegen. Das Fremdkapital übersteigt das jeweilige anteilige Eigenkapital um mehr als das Doppelte. Der safe haven beträgt jedoch in beiden Fällen lediglich 1,5 x 500.000 € = 750.000 €. Bei dem ausländischen Anteilseigener Marty müssen die auf den übersteigenden Mehrbetrag i.H.v. 1.000.000 € (1.750.000 € ./. 750.000 €) gezahlten Vergütungen nach § 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG i.H.v. 10 % von 1.000.000 € = 100.000 € in eine verdeckte Gewinnausschüttung umqualifiziert werden. Nach der Neufassung ist § 8a KStG auch für inländische Anteilseigner und damit auch für Alex relevant. Bei ihm wird der zulässige safe haven um 1.250.000 € (2.000.000 € ./. 750.000 €) überschritten; dies hat zur Folge, dass die dafür gezahlten Zinsen i.H.v. 10 % von 1.250.000 € = 125.000 € auch bei ihm in eine verdeckte Gewinnausschüttung umqualifiziert werden.

Merke: § 8a KStG ist auf alle Anteilseigner anzuwenden und stellt eine Gleichbehandlung von Steuerin- und -ausländern her. Allerdings kann durch den Nachweis, dass die Kapitalgesellschaft dieses Fremdkapital bei sonst gleichen Umständen auch von einem fremden Dritten erhalten hätte, die Behandlung der Vergütungen als verdeckte Gewinnausschüttung vermieden werden (sog. Drittvergleich). Gleiches gilt, wenn die Gesellschaft nachweisen kann, dass es sich um eine Mittelaufnahme zur Finanzierung banküblicher Geschäfte handelt. x

Holdinggesellschaften: Eine Privilegierung von Holdinggesellschaften, sofern die Haupttätigkeit im Halten von Beteiligungen und Finanzieren dieser Kapitalgesellschaften bestand oder sie mehr als 75 % ihrer Bilanzsumme in Beteiligungen investiert hatte, wurde we-

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

259

gen der in der Praxis möglichen „Nutzung zur Gewinnabsaugung“ im Rahmen der Neufassung aufgehoben. Für sie beträgt der safe haven für Fremdkapitalgewährungen nun ebenfalls das Eineinhalbfache des anteiligen Eigenkapitals.

3.4.3.7 Anwendungsbereich Betroffene Rechtsform Die Regelung erstreckt sich auf eine wesentliche Beteiligung des Anteilseigners am Grundoder Stammkapital einer Kapitalgesellschaft, insbesondere einer AG, GmbH oder KGaA. Im Rahmen der Neufassung ab VZ 2004 sind neben unbeschränkt steuerpflichtigen auch beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften mit ihren im Inland erwirtschafteten Einkünften eingeschlossen. Es ist daher nicht mehr maßgeblich, dass sich der Sitz (§ 11 AO) bzw. die Geschäftsleitung (§ 10 AO) einer Kapitalgesellschaft im Inland befinden – es reicht aus, wenn im Inland steuerpflichtige Einkünfte erzielt werden (§ 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 EStG). Aufgrund anderer Gesellschaftsformen im Ausland besteht in letzterem Fall die Notwendigkeit, einen Typenvergleich durchzuführen, in dem festzustellen ist, ob die Gesellschaft den Kriterien einer deutschen Kapitalgesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG genügt. Andere unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die die Merkmale des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG nicht aufweisen, fallen nicht unter § 8a KStG. Betroffene Kapitalform Gegenstand der Bestimmung sind Vergütungen für langfristiges Fremdkapital, das ein Anteilseigner einer Körperschaft zuführt (§ 8a Abs. 1 Satz 1 KStG). Jegliches nicht nur kurzfristig erhaltene Fremdkapital wird von § 8a KStG erfasst, denn nach dem Sinn und Zweck soll nur Fremdkapital berücksichtigt werden, dass die Funktion von Eigenkapital ersetzt. Kurzfristige Kredite, z.B. zur überbrückenden Liquiditätssicherung mit einer maximalen Laufzeit von sechs Monaten, sowie die Zuführung von Sachkapital, z.B. in Form von Leasing-, Pacht- oder Lizenzüberlassung, unterliegen daher nicht dem Regelungsbereich des § 8a KStG. Wesentliche Beteiligung Eine wesentliche Beteiligung liegt nach § 8a Abs. 3 KStG vor, wenn der Anteilseigner am Grund- und Stammkapital der Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar, d.h. auch über eine Personengesellschaft, zu mehr als 25 % beteiligt ist. Dabei reicht es aus, wenn diese Grenze einmal im Wirtschaftsjahr überschritten wurde. Umschichtungen in Form von Beteiligungskäufen und -verkäufen werden berücksichtigt und führen nicht zu einer Umgehung der Umqualifizierung. Eine wesentliche Beteiligung kann aber auch vorliegen, falls ein Gesellschafter, der für sich betrachtet zwar nicht wesentlich beteiligt ist, mit anderen Gesellschaftern einen beherrschenden Einfluss auf die Kapitalgesellschaft ausüben könnte.

260

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

Anteiliges Eigenkapital Ausgangspunkt für die Ermittlung des anteiligen Eigenkapitals ist das Eigenkapital der Kapitalgesellschaft. Maßgebend ist das Eigenkapital der Handelsbilanz zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs. Die Zusammensetzung des Eigenkapitals der Kapitalgesellschaft ergibt sich aus § 8a Abs. 2 KStG:

./. + + / ./. + / ./. + ./. =

Gezeichnetes Kapital ausstehende Einlagen Kapital- und Gewinnrücklage Gewinnvortrag/ Verlustvortrag Jahresüberschuss/ Jahresfehlbetrag 50 % des Sonderpostens mit Rücklageanteil Buchwert der Beteiligungen an Kapitalgesellschaften Eigenkapital der Kapitalgesellschaft

Das anteilige Eigenkapital ermittelt sich aus der Anwendung der Beteiligungsquote des Anteilseigners auf das Eigenkapital der Kapitalgesellschaft. x

Holdinggesellschaften: Es ist keine Kürzung des Eigenkapitals um den Buchwert der Beteiligungen an Kapitalgesellschaften vorzunehmen (§ 8a Abs. 4 Satz 1 KStG).

x

Personengesellschaften: An die Stelle des Buchwerts der Beteiligungen an einer Personengesellschaft treten die anteiligen Buchwerte der Vermögensgegenstände der Personengesellschaft (§ 8a Abs. 2 Satz 3 KStG).

Nahe stehende Personen Die Anwendung des § 8a KStG bezieht sich auch auf Vergütungen für Fremdkapital von Personen, die keine Anteilseigner der Kapitalgesellschaft sind. Personen, die als nahe stehend i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG gelten, werden den Anteilseignern gleichgestellt. Diese Ausdehnung des „persönlichen Anwendungsbereichs“ dient der Vermeidung von Umgehungen. Die aus der Anwendung des § 8a KStG resultierende verdeckte Gewinnausschüttung kann nur dem wesentlich beteiligten Anteilseigner zugerechnet werden. Gleichzeitig unterliegen die empfangenen Zinszahlungen aber bei der nahe stehenden Person der Besteuerung. Um eine Mehrfachbelastung zu verhindern, fließt der das Fremdkapital gewährenden Gesellschaft der Vermögensvorteil in Form einer verdeckten Einlage des Gesellschafters zu. Bei dieser fallen damit die steuerpflichtigen Zinserträge weg, und es wird die Situation herge-

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

261

stellt, als hätte der Anteilseigner seiner finanzierten Gesellschaft das Darlehen direkt gewährt.338 Merke: Finanzierungsgestaltungen, bei denen als Kapitalgeber nicht der Anteilseigner selbst, sondern eine Tochtergesellschaft auftritt, führen zu keiner Umgehung des § 8a KStG.

Beispiel

Fremder Dritter mit Rückgriffsmöglichkeit Darüber hinaus können die steuerlichen Folgen des § 8a KStG auch für konzernfremde Dritte eintreten, wenn diese in Bezug auf das überlassene Fremdkapital auf den Anteilseigner oder eine dem Anteilseigner nahe stehende Person zurückgreifen können. Als Dritter i.S.d. Vorschrift gilt nur, wer nicht nahe stehende Person ist. Ein Kreditinstitut gewährt einer Kapitalgesellschaft ein Darlehen, das von Seiten der Gesellschafter mit einer Bürgschaft bzw. einer vergleichbaren Sicherheitsleistung (Garantieerklärung, Grundschuld) abgesichert ist, die im Fall der Zahlungsunfähigkeit einen Rückgriff ermöglicht.

Durch Einbeziehung fremder Dritter mit Rückgriffsmöglichkeit in den Regelungskreis der Vorschrift sollen Umgehungsgestaltungen vermieden werden, die sich ergeben könnten, wenn nicht der Anteilseigner selbst der Körperschaft ein Darlehen gewährt, sondern eine Einlage bei einer Bank tätigt, die diese zu einem Fremddarlehen an die zu finanzierende Kapitalgesellschaft verwendet; die dafür gezahlten Zinsen werden anschließend an den Anteilseigner weitergeleitet (sog. back-to-back-Finanzierung). Von Bedeutung ist in diesem Fall, in welcher Höhe dem wesentlich beteiligten Anteilseigner oder einer diesem nahe stehenden Person unmittelbar oder mittelbar ein Vermögensvorteil zufließt; nur auf diesen Betrag ist eine Umqualifizierung anzuwenden. Die Umqualifizierung der Zinszahlungen an rückgriffsberechtigte Dritte in eine verdeckte Gewinnausschüttung i.S.d. § 8a Abs. 1 KStG wird nicht angewandt: 339 

wenn dem Darlehen keine back-to-back Finanzierung zugrunde liegt,



wenn die Kapitalgesellschaft den Nachweis dieser Voraussetzungen erbringt.

Beim rückgriffsberechtigten Dritten hat eine Anwendung des § 8a KStG keine Auswirkung auf die steuerliche Behandlung der Vergütungen. Rechtsfolge Vergütungen für das schädliche Fremdkapital werden nach § 8a Abs. 1 KStG in verdeckte Gewinnausschüttungen umqualifiziert, wenn sie oberhalb der gewährten Freigrenze 338

Vgl. Entwurf des BMF v. 12.05.2004, IV A 2 – S 2742a – 20/04, Tz. 12 -14.

339

Vgl. BMF v. 14.12.2000, IV A 2 – S 2742a – 4/00, BStBl. I 2001, S. 48.

262

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

liegen und soweit diese den safe haven übersteigen. Nach § 8a KStG wird der Gesellschafter in diesem Fall so behandelt, als hätte er der Kapitalgesellschaft Eigenkapital zugeführt. Merke: Die Umqualifizierung bezieht sich nur auf die Vergütungen. Das Fremdkapital selbst wird nicht umqualifiziert. Die Korrekturen werden wie bei jeder verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG durch eine Hinzurechnung außerhalb der Bilanz vorgenommen. Die Rechtsfolge tritt seit VZ 2004 nicht nur auf der körperschaftsteuerlichen Ebene auf, sondern greift auch in vollem Maße auf die Gewerbesteuer durch, da die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 10 GewStG im Rahmen des Gesetzes zur Änderung des GewStG und anderer Gesetze aufgehoben wurde. Zu beachten ist, dass die allgemeinen Grundsätze der verdeckten Gewinnausschüttung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG Vorrang vor § 8a KStG haben. Erhält der Gesellschafter für das überlassene Kapital eine überhöhte Vergütung, ist der Teil der Vergütung, der das angemessene Zinsniveau übersteigt, nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG in eine verdeckte Gewinnausschüttung umzuqualifizieren.340 Eine Umqualifizierung nach § 8a KStG wird nur für „angemessene“ Vergütungen vorgenommen, soweit sie den safe haven übersteigen.

340

Vgl. BMF v. 15.12.1994, IV B 7 – S 2742a – 63/94, BStBl. I 1995, S. 25.

Direktinvestition in Form einer Tochterkapitalgesellschaft

263

Zusammenfassend lässt sich folgendes vereinfachtes Prüfungsschema aufstellen: Kapitalgesellschaft nein

ja

weitere 8 keine Prüfung

9

Beteiligung > 25 %

nein

ja

weitere 8 keine Prüfung

langfristiges

9 Fremdkapital nein

ja

weitere 8 keine Prüfung

9

gewinnunabhängige Vergütung

ja Zinszahlung

9 > 250.000 € ja Fremdkapital >

9 1,5-fache Eigenkapital 8 ja

9

Drittvergleich möglich

ja

9

keine weitere Prüfung

nein

8

nein

Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe nicht gegeben; Umqualifizierung in verdeckte Gewinnausschüttung

keine weitere Prüfung

nein weitere 8 keine Prüfung

nein

8

Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe nicht gegeben; Umqualifizierung in verdeckte Gewinnausschüttung

Abbildung 65: Prüfungsschema zur Anwendung des § 8a KStG

3.4.3.8 Sonderfall: Personengesellschaften Die Anwendung des § 8a KStG a.F. war auf Kapitalgesellschaften beschränkt. Durch § 8a Abs. 5 KStG werden früher mögliche Umgehungsstrukturen unterbunden, in denen eine Kapitalgesellschaft nicht direkt von ihrem Gesellschafter finanziert wurde, sondern die Darlehensgewährung und der entsprechende Fremdkapitalaufwand auf eine Personengesellschaft verlagert wurde, an der die Kapitalgesellschaft beteiligt war. Im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung bei der Personengesellschaft wurde der Zinsaufwand in die Kapitalgesellschaft geschleust.

264

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

§ 8a Abs. 5 KStG ist als Folge für sog. nachgeschaltete Personengesellschaften einschlägig. Hierzu zählen Personengesellschaften, denen von einem wesentlich beteiligten Anteilseigner der Kapitalgesellschaft, von einer nahe stehenden Person oder von einem rückgriffsberechtigten Dritten Fremdkapital gewährt wird. Das vom Anteilseigner an die nachgeschaltete Personengesellschaft gewährte Fremdkapital gilt in diesen Fällen als der Kapitalgesellschaft überlassen. Dabei hat eine Prüfung der Voraussetzungen auf Ebene der Kapitalgesellschaft stattzufinden, ein evtl. Drittvergleich jedoch bei der Personengesellschaft. tatsächliche Zinszahlung fiktive Zinszahlung § 8a Abs. 5 KStG

Anteilseigner

Beteiligung > 25%

Mitunternehmeranteil GmbH

GmbH & Co. KG

fiktive Darlehensüberlassung § 8a Abs. 5 KStG tatsächliches Darlehensverhältnis

Abbildung 66: Nachgeschaltete Personengesellschaften341 Weiterhin nicht erfasst werden einer Kapitalgesellschaft vorgeschaltete Personengesellschaften, die von einem ihrer Mitunternehmer Fremdkapital zur Verfügung gestellt bekommen und dieses dann als Eigenkapital an die Kapitalgesellschaft weiterleiten.

3.4.3.9 Maßnahmen zur Vermeidung der Umqualifizierung Die Umqualifizierung der Fremdkapitalvergütung in eine verdeckte Gewinnausschüttung nach Maßgabe des § 8a KStG kann durch gestalterische Maßnahmen vermieden werden. Ansatzpunkte dafür liegen sowohl auf Ebene der Kapitalgesellschaft als auch in der Sphäre des Gesellschafters vor.

341

In Anlehnung an Dötsch, E./ Pung, A., Die Neuerungen bei der Körperschaftsteuer und bei der Gewerbesteuer durch das Steuergesetzgebungspaket vom Dezember 2003, DB 2004, S. 98.

Direktinvestition in Form einer Personengesellschaft Mehrfache Nutzung der Freigrenze Verringerung der wesentlichen Beteiligung Erreichung höherer Toleranzzonen (safe havens)

265

Betriebsaufspaltung Venture Capital Private Equity Vermeidung gewinn- und umsatzabhängiger Finanzierungsinstrumente Verschmelzung von Gesellschaften (höhere Eigenkapitalbasis) Ausübung von Bilanzierungsund Bewertungswahlrechten Auflösung stiller Reserven

Stärkung des Eigenkapitals

Gesteuerte Ausschüttungspolitik Ausstattung mit Eigenkapital

Verringerung des schädlichen Fremdkapitals

vGA-Vermeidung bei Überschreiten des safe havens

Forderungsmanagement in Form von Wechseln, Factoring, Forfaitierungen und sonstige Off-balance Finanzierungen Überlassung von Sachkapital Miete, Pacht und Leasing Nutzung von kurzfristigem Fremdkapital aus Waren- und Lieferkrediten Kreditaufnahme bei Inlandsbanken ohne back-to-back Finanzierung Entlastungsbeweis Festlegung unverzinslicher Darlehenskontrakte

Abbildung 67: Maßnahmen zur Vermeidung einer verdeckten Gewinnausschüttung Es sollte jedoch immer im Einzelfall kontrolliert werden, ob nicht die Kosten der Umstrukturierung die Mehrbelastungen aus der Regelung des § 8a KStG übersteigen und ungewollte Nebenwirkungen dadurch verursacht werden.

266

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

4 Direktinvestition in Form einer Personengesellschaft Grundsätzlich entspricht die steuerliche Behandlung einer Direktinvestition in Form einer Personengesellschaft der Behandlung einer Betriebsstätte. Der Grund ist darin zu sehen, dass eine Betriebsstätte einen steuerlich unselbständigen Teil eines Unternehmens darstellt. Daher ist das Ergebnis steuerlich nicht bei der Betriebsstätte selbst, sondern bei deren Eigentümern zu erfassen. Aufgrund der begrenzten zivil- und steuerrechtlichen Selbständigkeit einer Personengesellschaft wird das Ergebnis aus der Tätigkeit direkt dem Gesellschafter zugerechnet (Transparenzprinzip). Weil die Personengesellschaft regelmäßig in ihrem Sitzstaat über eine feste Geschäftseinrichtung verfügt, die den einzelnen Gesellschaftern zuzuordnen ist, lässt sich folgern, dass die Beteiligung an der Personengesellschaft ausländischen Rechts steuerlich unter die Betriebsstätten-Alternative zu subsumieren ist. Grund hierfür ist die Unselbständigkeit der Personengesellschaft, die dazu führt, dass ihre Erfolge ebenso wie die der Betriebsstätte unmittelbar bei den einzelnen Gesellschaftern erfasst werden. Diese Sichtweise schlägt sich auch im OECD-MA nieder, indem aufgrund der mangelnden Selbständigkeit üblicherweise einer Personengesellschaft ebenso wie einer Betriebsstätte die Abkommensberechtigung versagt wird. Aus diesem Grunde erübrigt sich eine separate Berechnung der steuerlichen Behandlung von Direktinvestitionen in Form einer Personengesellschaft. Zur Übersicht der Besteuerung von Tochterpersonengesellschaften bei übereinstimmender Steuersubjektqualifikation dient die folgende Abbildung:

Direktinvestition in Form einer Personengesellschaft

Nicht-DBA-Fall

DBA-Fall

Abbildung 68:

267

Besteuerung im Ausland

Besteuerung im Inland

beschränkte Steuerpflicht des Gesellschafters, da Beteiligung an einer ausländischen PersGes der Errichtung einer Betriebsstätte im Ausland gleichgestellt wird

unbeschränkte Steuerpflicht des Gesellschafters (Welteinkommensprinzip) Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Anrechnungsmethode oder Abzugsmethode

Betriebsstättenprinzip (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) beschränkte Steuerpflicht des inländischen Gesellschafters

Personengesellschaft ist nicht abkommensberechtigt Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Freistellungsmethode

Personengesellschaft und übereinstimmende Qualifikationen

Als Exkurs soll abschließend der Fall einer abweichenden Steuersubjektqualifikation diskutiert werden. Dieser Fall trifft beispielsweise bei Direktinvestitionen in Ungarn zu, da Personengesellschaften in Ungarn immer intransparent besteuert werden, oder bei Direktinvestitionen in den USA, wo auf Grund der sog. check-the-box-regulations dem in- oder ausländischen Steuerpflichtigen das Wahlrecht eingeräumt wird, eine Personengesellschaft der Besteuerung als transparente oder intransparente Rechtseinheit zu unterwerfen.342

342

Vgl. hierzu ausführlich Brähler, G., Deutsche Direktinvestitionen in den USA, Hamburg 2002, S. 123 ff.

268

Sonderfall: Inbound-Investition in eine deutsche Kapitalgesellschaft

Nicht-DBA-Fall

DBA-Fall

Abbildung 69:

Besteuerung im Ausland

Besteuerung im Inland

unbeschränkte Steuerpflicht der PersGes als eigenständiges Steuersubjekt Gewinnausschüttungen führen zu einer beschränkten Steuerpflicht des Anteilseigners, die üblicherweise durch eine KapESt abgegolten wird

Die abweichende Einordnung der PersGes durch das Ausland wirkt sich auf die inländische Besteuerung nicht aus: Unbeschränkte Steuerpflicht des Gesellschafters (Welteinkommensprinzip) Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Anrechnungsmethode (sowohl der „KSt“ als auch der KapESt)

unbeschränkte Steuerpflicht der PersGes als eigenständiges Steuersubjekt Gewinnausschüttungen führen zu einer beschränkten Steuerpflicht des Anteilseigners, die durch eine KapESt abgegolten wird Einschränkung der Quellenbesteuerung durch DBA der Höhe nach

Die PersGes gilt auf Abkommensebene als eigenständige Person (Art. 3 OECD-MA); dieser Qualifikation ist auch für Deutschland verpflichtend auf Ebene des DBA zu folgen, so dass Deutschland im Rahmen der Gewinnentstehung kein Besteuerungsrecht zusteht. Im Rahmen der Gewinnverwendung wird Deutschland ein Besteuerungsrecht an den „Ausschüttungen“ zugewiesen, da auf Ebene des DBA Dividenden i.S.d. Art. 10 OECD-MA vorliegen. Da DBA allerdings keine innerstaatlichen Besteuerungsrechte erschaffen können, ist in Deutschland keine Besteuerung vorzunehmen, da Deutschland die Qualifikation innerstaatlich als Personengesellschaft beibehält, so dass von nichtsteuerbaren Entnahmen ausgegangen wird.

Personengesellschaft und abweichende Qualifikationen

Exkurs: Erbschaftsteuer im Internationalen Steuerrecht

269

5 Exkurs: Erbschaftsteuer im Internationalen Steuerrecht 1.1 Persönliche Steuerpflicht im Erbschaftsteuerrecht Das ErbStG spricht in § 2 zwar nicht expressis verbis von der unbeschränkten und der beschränkten Steuerpflicht, diese sind jedoch auch in der Erbschaftsteuer gebräuchlich. Zu ergänzen sind diese Vorschriften noch um diejenigen einer erweitert beschränkten Erbschaftsteuerpflicht nach § 4 AStG.

5.1.1

Unbeschränkte Steuerpflicht

Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland ist bei: x x

natürlichen Personen nach § 2 Abs. 1 ErbStG die Inländereigenschaft; juristischen Personen (Körperschaften) gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Bst. d ErbStG Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder Sitz (§ 11 AO) im Inland.

Die unbeschränkte Steuerpflicht tritt ein, wenn entweder der Erblasser/Schenker oder der Erwerber zur Zeit der Steuerentstehung Inländer war. Die Besteuerung umfasst das gesamte übergegangene Weltvermögen nach Berücksichtigung von Freibeträgen etc.

Übersicht über die Inländereigenschaft im Erbschaftsteuerrecht Als Inländer gelten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG x natürliche Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, x deutsche Staatsangehörige, die sich nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben (erweitert unbeschränkte Steuerpflicht), x unter bestimmten Voraussetzungen deutsche Staatsangehörige, ggf. einschließlich deren Angehörige, ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, wenn sie zu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür aus öffentlichen Kassen Arbeitslohn beziehen, x Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die ihre Geschäftsleitung oder Sitz im Inland haben.

270

Persönliche Steuerpflicht im Erbschaftsteuerrecht

Beispiel

Am 03.04.2004 stirbt die in Budapest lebende Mia Wallace und hinterlässt ihr Vermögen ihrem in Rom lebenden Neffen Vincent Vega, der 1950 in München geboren und deutscher Staatsbürger ist. Er lebte bzw. lebt zwischen 1950-2001 in München ab 2002 in Rom.

Lösung

Zwar ist die Erblasserin Mia in Budapest und der Erbe Vincent in Rom ansässig, aber gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Bst. b ErbStG sind deutsche Staatangehörige, die sich nicht länger als 5 Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben, in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Vega ist daher in Deutschland unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig.

5.1.2

Beschränkte Steuerpflicht

Beschränkt steuerpflichtig sind alle diejenigen, die nicht unter die Tatbestände des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG fallen. Dies sind somit: x

natürliche Personen, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben,

x

deutsche Staatsangehörige, die sich länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben und die weder selbst noch deren Angehörige Auslandsbedienstete i.S.d. Bst. c sind,

x

juristische Personen ohne Geschäftsleitung oder Sitz im Inland, aber

x

denen Inlandsvermögen i.S.d. § 121 Abs. 2 BewG und Nutzungsrechten an solchen Gegenständen vererbt bzw. geschenkt wird.

Sind an dem Vermögensübergang ausschließlich beschränkt Steuerpflichtige beteiligt, so beschränkt sich die Besteuerung nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG auf das Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG. Unter den Begriff Inlandsvermögen werden u.a. subsumiert: 1. 2. 3. 4.

inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen, inländisches Grundvermögen, inländisches Betriebsvermögen im Rahmen einer Betriebsstätte, Anteile an einer Kapitalgesellschaft, wenn die Gesellschaft Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat und der Gesellschafter entweder alleine oder zusammen mit anderen ihm nahe stehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG am Grund- oder Stammkapital der Gesellschaft mindestens zu einem Zehntel unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 ErbStG verschärft diesen Tatbestand

Exkurs: Erbschaftsteuer im Internationalen Steuerrecht

5. 6.

7.

271

u.a. noch dahingehend, dass diese Untergrenze nur bei der ersten Schenkung überschritten sein muss. Für alle nachfolgenden Teilübertragungen ist die Höhe des Anteils irrelevant. unmittelbare Erfindungen, Gebrauchsmuster und Topographien, die in ein inländisches Buch oder Register eingetragen sind, Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden und andere Forderungen und Rechte, wenn sie durch inländischen Grundbesitz, durch inländische grundstücksgleiche Rechte unmittelbar oder mittelbar gesichert sind, Forderungen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter und aus partiarischen Darlehen, wenn der Schuldner Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat.

Beispiel

Erblasser Mr. Big hat seinen Wohnsitz in Italien. Sein Vermögen besteht aus einem Mietwohngrundstück in Düsseldorf (Grundstückswert 400.000 €), einem Sparguthaben bei einer Bank in Düsseldorf (Nennwert 20.000 €) und einem Grundstück im Ausland (200.000 €). Die Alleinerbin Carrie (Steuerklasse III) wohnt ebenfalls im Ausland.

Lösung

Für beschränkt Steuerpflichtige ist nach § 16 Abs. 2 ErbStG nur ein Freibetrag i.H.v. 1.100 € normiert. Die Besteuerung erfolgt nach dem Tarif gem. § 19 ErbStG.

Carrie ist beschränkt erbschaftsteuerpflichtig i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. Ihre Steuerpflicht bezieht sich nur auf das Inlandsvermögen gem. § 121 BewG. Damit wird das Grundstück im Ausland nicht in die deutsche Steuerpflicht einbezogen. Das Sparguthaben gehört nicht zum Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG. Der Steuerpflicht unterliegt somit lediglich das Grundstück in Düsseldorf mit dem Grundstückswert gem. §§ 138 ff. BewG von 400.000 € abzüglich des Freibetrages i.H.v. 1.100 € (§ 16 Abs. 2 ErbStG). Der Wert des steuerpflichtigen Erwerbs beträgt somit 398.900 €, worauf ein Steuersatz von 29 % erhoben wird.

5.1.3

Erweitert beschränkte Steuerpflicht nach dem AStG

Die erweitert beschränkte Steuerpflicht kommt nur dann in Betracht, wenn die beschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG gegeben ist. Jedoch müssen im Einzelnen nach § 4 i.V.m. § 2 AStG darüber hinaus noch folgende Voraussetzungen erfüllt sein: x

Der Erblasser muss in den letzten 10 Jahren vor seiner Auswanderung als Deutscher insgesamt mindestens 5 Jahre unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sein,

272

Vermeidung der Doppelbesteuerung x

der Erblasser muss in einem ausländischen Gebiet den Wohnsitz haben, in dem er mit seinem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt, oder in keinem ausländischen Staat ansässig sein und

x

wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland haben.

Beispiel

Die erweitert beschränkte Steuerpflicht kommt für eine Dauer von 10 Jahren nach Wegzug ins Ausland in Betracht. Da aber nach der Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Bst. b ErbStG die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht ohnehin auf solche deutsche Staatsangehörige ausgedehnt wird, die sich nicht länger als 5 Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben, kommt die erweitert beschränkte Erbschaftsteuerpflicht nur bei Erbfällen innerhalb der Restzeit des Zehn-Jahres-Zeitraums zum Zuge. Die deutsche Staatsangehörige Marla Singer verlegt am 01.02.05 ihren Wohnsitz von Berlin nach Liechtenstein (Niedrigsteuerland). Alle von ihr ausgehenden Erwerbe, die bis zum 31.01.10 anfallen, unterliegen der (erweitert) unbeschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1b ErbStG). Alle Erwerbe, die zwischen dem 01.02.10 und dem 31.12.15 anfallen, unterliegen der erweitert beschränkten Steuerpflicht.

Liegen die Voraussetzungen der erweitert beschränkten Erbschaftsteuerpflicht vor, so erstreckt sich die Steuerpflicht über das Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG hinaus auf das sog. erweiterte Inlandsvermögen. Dazu gehören alle Wirtschaftsgüter, deren Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG wären (§ 4 Abs. 1 AStG). Folglich werden folgende Vermögensgegenstände zusätzlich der Besteuerung unterworfen: x

Kapitalforderungen gegen Schuldner im Inland,

x

Spar- und Bankguthaben bei Geldinstituten im Inland,

x

Ansprüche auf Renten und wiederkehrende Leistungen gegen Schuldner im Inland,

x

Erfindungen und Urheberrechte, die im Inland verwertet werden,

x

Versicherungsansprüche gegen Versicherungsunternehmen im Inland sowie

x

sämtliche bewegliche Wirtschaftsgüter, die sich im Inland befinden.

5.2 Vermeidung der Doppelbesteuerung Als Rechtsfolge der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt der gesamte Vermögensanfall einschließlich der im Ausland belegenen Vermögensteile der deutschen Erbschaftsteuer. Wird in dem betreffenden ausländischen Staat ebenfalls eine Erbschaftsteuer erhoben, so kann dies zu einer doppelten Besteuerung desselben Erwerbs führen.

Exkurs: Erbschaftsteuer im Internationalen Steuerrecht

273

Die Vermeidung der Doppelbesteuerung hängt davon ab, ob mit dem betreffenden Staat ein Doppelbesteuerungsabkommen bezüglich der Erbschaftsteuer abgeschlossen wurde oder nicht. Demnach muss auch im Erbschaftsteuerrecht eine Unterscheidung in DBA- und Nicht-DBA-Fall erfolgen.

5.2.1

Nicht-DBA-Fall

Besteht mit dem betreffenden ausländischen Staat kein DBA, so kann nach § 21 ErbStG die im Ausland entrichtete Steuer auf die deutsche Steuer angerechnet werden (Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer). Um die ausländische Steuer anrechnen zu können, müssen jedoch die folgenden Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG vorliegen: x x x x x

Antrag, kein Doppelbesteuerungsabkommen, unbeschränkte Steuerpflicht, Auslandsvermögen, Erwerber muss im Ausland zu einer der deutschen Erbschaftsteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, x festgesetzte, auf den Erwerber entfallende, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer, x Entstehung der deutschen Steuer innerhalb von 5 Jahren seit Entstehung der ausländischen Steuer. Analog zu den Steuern vom Einkommen kennt auch die Erbschaftsteuer einen Anrechnungshöchstbetrag. Dieser ermittelt sich gem. § 21 Abs. 1 Satz 2 ErbStG wie folgt:

Anrechnungshöchstbetrag = deutsche ErbSt x

steuerpflichtiges Auslandsvermögen steuerpflichtiges Gesamtvermögen

Sofern das Auslandsvermögen in verschiedenen ausländischen Staaten belegen ist, muss der Anrechnungshöchstbetrag für jeden einzelnen ausländischen Staat gesondert berechnet werden („per-country-limitation“), § 21 Abs. 1 Satz 3 ErbStG.

274

Vermeidung der Doppelbesteuerung

Beispiel

Erblasser Mr. Burns ist am 01.06.05 verstorben. Er hinterlässt das gesamte Vermögen seiner einzigen Tochter Maggie (30 Jahre), die in München lebt. Zu seinem Nachlass gehören Nachlassgegenstände, die mit 500.000 € bewertet worden sind. Nachlassverbindlichkeiten bestehen i.H.v. 50.000 €. Des Weiteren gehört ein in Italien belegenes Geschäftsgrundstück zum Nachlass, dessen Verkehrswert 100.000 € beträgt. Maggie ist im Ausland i.H.v. 15.000 € zur Erbschaftsteuer herangezogen worden.

Lösung

I. Ermittlung der deutschen Erbschaftsteuer + ./. = ./. =

Nachlassgegenstände (Inland) Grundstück (Ausland) Nachlassverbindlichkeiten Bereicherung (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG) Freibetrag (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 ErbStG) steuerpflichtiger Erwerb (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG)

+ ./. = ./. =

500.000 € 100.000 € 50.000 € 550.000 € 205.000 € 345.000 €

Der Steuersatz beträgt nach § 19 Abs. 1 ErbStG 15 %, da Maggie als Kind des Mr. Burns der Steuerklasse I zuzuordnen ist. Die Erbschaftsteuer beträgt demnach 51.750 € (345.000 € x 15 %). II. Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags 51.750 € x

100.000 €

= 9.409 €

550.000 €

III. Steuerfestsetzung Da die tatsächlich gezahlte ausländische Steuer höher ist als der Anrechnungshöchstbetrag, ist nur dieser anrechenbar, so dass Maggie noch 51.750 € ./. 9.409 € = 42.341 € Steuern in Deutschland zu entrichten hat.

5.2.2

DBA-Fall

Doppelbesteuerungsabkommen, die sich auf die Erbschaftsteuer beziehen, wurden von Deutschland bisher sehr selten abgeschlossen. Derzeit bestehen mit Österreich, der Schweiz, Dänemark, Griechenland, Schweden und den USA derartige Abkommen. Davon beziehen sich die DBA mit Dänemark, Schweden und den USA auch auf die Schenkungsteuer. Wie ein solches Abkommen aufgebaut ist und wie die Besteuerungsrechte verteilt sind, zeigt der nachstehende Abschnitt. Wurde mit dem betreffenden Staat ein DBA abgeschlossen, so richtet sich die Vermeidung/Minderung der Doppelbesteuerung nach den darin vorgesehenen Methoden. Die DBA wenden auch im Erbschaftsteuerrecht die Anrechnungs- und Freistellungsmethode an.

Exkurs: Erbschaftsteuer im Internationalen Steuerrecht

275

Die Anrechnung ausländischer Steuern nach § 21 ErbStG ist gem. § 21 Abs. 4 ErbStG auch dann anzuwenden, wenn das DBA die Anrechnungsmethode vorsieht. Insoweit soll auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

Beispiel

Gleicher Sachverhalt wie im Ausgangsbeispiel, jedoch liegt das Grundstück nun in Österreich. Maggie hat für den Erwerb 10.000 € Steuern in Österreich bezahlt. Der Wert des Nachlassvermögens beträgt 500.000 €, die Nachlassverbindlichkeiten 50.000 €.

Lösung

Die Freistellungsmethode soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden.

Wem das Besteuerungsrecht bezüglich des Grundstücks zusteht, bestimmt sich nach der Regelung im DBA-Österreich. Gem. Art. 3 Abs. 1 DBA-Österreich wird unbewegliches Vermögen, das in einem der Vertragsstaaten liegt, nur in diesem Staat besteuert. Folglich steht das Besteuerungsrecht für das Grundstück nur Österreich zu. Deutschland kann jedoch die Steuer von dem ihm zur Besteuerung überlassenen Teil des Vermögens nach dem Steuersatz erheben, der dem Wert des gesamten Nachlasses entspricht (Art. 7 DBA-Österreich). Demnach kann Deutschland für die Festsetzung der Erbschaftsteuer das ausländische Grundstück bei der Ermittlung des anzuwendenden Steuersatzes auf das inländische Vermögen mit einbeziehen (Progressionsvorbehalt). I. Ermittlung des gesamten steuerpflichtigen Erwerbs + ./. = ./. =

Nachlassgegenstände (Inland) Grundstück (Ausland) Nachlassverbindlichkeiten Bereicherung (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG) Freibetrag (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 ErbStG) steuerpflichtiger Erwerb (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG)

+ ./. = ./. =

500.000 € 100.000 € 50.000 € 550.000 € 205.000 € 345.000 €

Steuersatz: 15 % (§ 19 ErbStG) II. Anwendung des Steuersatzes auf den inländischen steuerpflichtigen Erwerb ./. = ./. =

Nachlassgegenstände (Inland) Nachlassverbindlichkeiten Bereicherung Freibetrag inländischer steuerpflichtiger Erwerb

Festzusetzende Erbschaftsteuer:

./. = ./. =

245.000 € x 15 % = 36.750 €

Steuer ohne Progressionsvorbehalt: 245.000 € x 11 % = 26.950 €

500.000 € 50.000 € 450.000 € 205.000 € 245.000 €

276

Grundlegende Systematik des OECD-MA im Bereich der Erbschaftsteuer

5.3 Grundlegende Systematik des OECD-MA im Bereich der Erbschaftsteuer 5.3.1

Anwendungsbereich des Abkommens

Das OECD-MA dient der Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Erbschafts- und Schenkungsteuern (sachlicher Anwendungsbereich). Unter den persönlichen Anwendungsbereich des OECD-Musterabkommens fallen neben Nachlässen von Erblassern, die im Zeitpunkt ihres Todes einen Wohnsitz in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten hatten, auch Schenkungen, wenn der Schenker im Zeitpunkt der Schenkung seinen Wohnsitz in einem der beiden Staaten hatte (Art. 3 OECD-MA).

Beispiel

Jason Wynn verstirbt und hinterlässt seinem Sohn Al eine Villa in Österreich. Der Sohn ist in Deutschland, Jason Wynn selbst war in Spanien wohnhaft.

Lösung

Im Unterschied zum deutschen Recht ist für die Anwendbarkeit des Musterabkommens nur der Wohnsitz des Erblassers/Schenkers, nicht aber der des Erben/Beschenkten für das Besteuerungsrecht bestimmend. Nach Art. 4 Abs. 1 OECD-MA ist der Wohnsitzbegriff weit auszulegen, und zwar im Sinne aller in den beiden Vertragsstaaten bestehenden subjektiven Steueranknüpfungsmerkmale. Auch bei einer weiten Auslegung des Wohnsitzbegriffs bleiben aber Fälle denkbar, in denen trotz Steuerpflicht in beiden Vertragsstaaten das grundsätzlich zwischen diesen Staaten bestehende DBA nicht anwendbar ist.

Deutschland besteuert den Erbanfall beim Erben Al aufgrund dessen unbeschränkter Steuerpflicht. Da die Villa in Österreich belegen ist, wird Österreich den Vorgang im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht einer Erbschaftsteuer unterwerfen. Das zwischen Österreich und Deutschland abgeschlossene DBA ist nicht anwendbar, da der Erblasser in keinem der Vertragsstaaten ansässig war. Die Doppelbesteuerung kann nur durch unilaterale Maßnahmen (Anrechnung) beseitigt werden.

5.3.2

Abkommensaufbau

Das OECD-MA ist in fünf Abschnitte untergliedert: I.

Geltungsbereich des Abkommens (Art. 1, 2 OECD-MA) Dieser Abschnitt bestimmt den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich, beantwortet also die Frage, für wen und für welche Steuerarten das Abkommen gilt.

Exkurs: Erbschaftsteuer im Internationalen Steuerrecht II.

277

Begriffsbestimmungen (Art. 3-4 OECD-MA) Das Abkommen definiert in diesem Abschnitt entsprechend seiner Funktion als eigenständiger Regelungskreis mit eigenständiger Begriffssprache die im Abkommen verwendeten Begriffe.

III. Zuweisung der Besteuerungsrechte am Vermögen (Art. 5-8 OECD-MA) Abschnitt III legt mit Blickrichtung auf den Quellenstaat fest, inwieweit dessen Besteuerungsrechte hinsichtlich der aufgeführten Vermögensarten aufrechterhalten oder beschränkt werden („Schrankennormen“). IV. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Art. 9 A und B OECD-MA) Soweit die Art. 5-8 OECD-MA nicht schon selbst eine Doppelbesteuerung verhindern, definiert der IV. Abschnitt die beiden Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung: Anrechnungs- und Freistellungsmethode („Methodenartikel“). V.

Besondere Bestimmungen (Art. 10-14 OECD-MA) Der V. Abschnitt regelt bestimmte Sondertatbestände, wie z.B. das Verständigungsverfahren oder den Informationsaustausch zwischen den Behörden.

VI. Schlussbestimmungen (Art. 15, 16 OECD-MA) Die beiden Artikel des VI. Abschnitts regeln das Inkrafttreten und die Kündigung des Abkommens. Der III. Abschnitt, der die sog. „Schrankennormen“ enthält, bildet mit dem „Methodenartikel“ des IV. Abschnitts den Kernbereich des OECD-MA.

5.3.3

Besteuerungsrechte

Das OECD-MA zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Nachlässe und Erbschaften folgt im Aufbau jenem zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Einkommen- und Vermögensteuern. Im Wesentlichen gilt auch im Bereich der Erbschaftsteuer das Universalitätsprinzip: der Ansässigkeitsstaat besteuert den gesamten Nachlass, sofern er nicht dem anderen Staat explizit zur Besteuerung zugewiesen wird. Dem anderen Vertragsstaat werden dem Territorialitätsprinzip folgend Besteuerungsrechte an in seinem Staatsgebiet belegenem unbeweglichen Vermögen, Betriebsstätten bzw. festen Einrichtungen eingeräumt.

278

Grundlegende Systematik des OECD-MA im Bereich der Erbschaftsteuer

Verteilung der Besteuerungsgüter Vermögensart

Besteuerungsrecht

OECD-MA

unbewegliches Vermögen (einschließlich unbeweglichem Unternehmensvermögen)

Belegenheitsstaat

Art. 5

Betriebsstättenstaat, Staat der festen Einrichtung

Art. 6

Ansässigkeitsstaat

Art. 7

Vermögen einer Betriebsstätte bzw. einer festen Einrichtung sonstiges Vermögen x im Belegenheitsstaat oder im Ansässigkeitsstaat befindliches, nicht unter die vorrangig anzuwendenden Verteilungsnormen der Art. 5 oder 6 fallendes Vermögen x in Drittstaaten belegenes Vermögen Abbildung 70:

Zuteilungsregeln bei Erbschaft- und Schenkungsteuer

Beispiel

Art. 8 OECD-MA enthält eine ausdrückliche Regelung bzgl. des Schuldenabzugs. Bestimmend hierfür ist der wirtschaftliche Zusammenhang. In erster Linie werden Schulden von dem Vermögensteil abgezogen, dem sie wirtschaftlich zugehören oder mit dem sie sichergestellt sind (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Schulden, die zu einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung gehören, werden von diesen Vermögenswerten abgezogen. Schulden ohne besonderen wirtschaftlichen Zusammenhang werden von den im Wohnsitzstaat zu versteuernden Nachlassaktiven abgezogen. Übersteigen die Schulden den Wert des Vermögens, dem sie nach diesen Bestimmungen zuzurechnen sind, werden sie von den Vermögenswerten abgezogen, die im selben Staat zu besteuern sind. Verbleibt in einem Staat auf diese Weise ein ungedeckter Schuldenrest, so ist er auf das im anderen Staat zu versteuernde Vermögen zu übertragen. Die Vorschrift des § 10 Abs. 6 Satz 1 ErbStG entfaltet insoweit keine Wirkung. Durch diese Regelung wird vermieden, dass in einem Land ein Schuldenüberhang besteht, während im anderen Land erbschaftsteuerpflichtiges Vermögen verbleibt. Herr Wallenberger, wohnhaft in Stuttgart, erbt von seinem zuletzt in Düsseldorf ansässigen Vater Vermögenswerte in Höhe von 2.000.000 €, wovon aufgrund der Zuteilungsregeln 700.000 € in Deutschland und 1.300.000 € in Dänemark der Besteuerung unterliegen. Die zu übernehmenden Schulden belaufen sich auf 1.000.000 € und stehen ausschließlich im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem deutschen Vermögen.

Lösung

Exkurs: Erbschaftsteuer im Internationalen Steuerrecht

279

Die Zurechnung der Schulden ausschließlich aufgrund des wirtschaftlichen Zusammenhanges würde dazu führen, dass Dänemark die Erbschaftsteuer auf der Bemessungsgrundlage von 1.300.000 € erhebt, obwohl an Nettovermögen insgesamt nur 1.000.000 € vorhanden ist. Der deutsche Schuldenüberhang ist daher in Dänemark zu berücksichtigen.

Ein im Inland berücksichtigungsfähiger ausländischer Schuldenüberhang entsteht erst, wenn der Wert des ausländischen Vermögens – ermittelt zum Verkehrswert – die dort zu berücksichtigenden Schulden unterschreitet. Erlaubt das innerstaatliche Recht einen über die Abkommensregelung hinausgehenden Schuldenabzug, bleibt dieser unberührt.343 Doppelbesteuerungsabkommen können gemäß der ihnen zukommenden Schrankenwirkung keine innerstaatlichen Besteuerungsrechte begründen, sondern diese nur begrenzen. Die zwischenstaatliche Verpflichtung zum Schuldenabzug stellt eine solche Einschränkung dar.

343

Vgl. aber Art. 8 Abs. 6 OECD-MA.

280

Begriff und Merkmale einer Holding

Kapitel IV: Internationale Steuerplanung mit Holdinggesellschaften 1 Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften In diesem Kapitel wird als Anwendungsbeispiel des Internationalen Steuerrechts die internationale Steuerplanung durch die Einschaltung von Holdinggesellschaften erklärt. Hierbei wird deutlich werden, dass zu großen Teilen auf bereits dargestelltes Wissen zum Internationalen Steuerrecht zurückgegriffen werden kann und internationale Steuerplanung somit hauptsächlich auf einer geschickten Ausnutzung von Basiskenntnissen beruht. Grenzüberschreitend tätige Unternehmen unterliegen oftmals einer Vielzahl von Steuerhoheiten, wobei sich die einzelnen Gesetzgebungen mehr durch Unterschiede als durch Gemeinsamkeiten auszeichnen. Das starke Steuergefälle zwischen den Ländern und die teilweise divergierende Qualifikation von Sachverhalten eröffnen global tätigen Unternehmen die Möglichkeit, ihre Konzernsteuerquote durch das Ausnutzen der unterschiedlichen Steuergesetzgebungen zu senken. Eine entscheidende Rolle spielen dabei Holdingstrukturen, die die erforderliche Flexibilität und Innovationskraft bieten, auf wandelnde Strukturanforderungen im Zuge der fortschreitenden Globalisierung zu reagieren. Insbesondere aufgrund steuerlicher und betriebswirtschaftlicher Überlegungen aber auch vor dem Hintergrund haftungsrechtlicher Fragestellungen sind viele Großkonzerne344 im Zuge des „leanmanagement“-Gedankens von überholten Stammhausstrukturen zu einer Konzernholding345 mit rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften umstrukturiert worden. Aufgrund der relativ hohen Standortflexibilität von Holdinggesellschaften nehmen steuerliche Faktoren einen weitaus bedeutenderen Stellenwert für die Wahl des Standortes ein als bei der Standortsuche für produzierende Einheiten im Konzern.

1.1 Begriff und Merkmale einer Holding 1.1.1

Der Begriff der Holding

„Holding“ leitet sich aus dem englischen „to hold“ ab und ist keine gesetzlich geregelte Gesellschaftsform, sondern ein von der Rechtsform unabhängiger Klassifikationsbegriff.346 344

Vgl. u.a. Hoch Tief AG (2001); Salzgitter AG (2001); Bayer AG (2003).

345

Vgl. Lutter, M., Die Holding, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 4; Keller, T., Unternehmungsführung mit Holdingkonzepten, 2. Aufl., Köln 1993, S. 38.

346

Vgl. Bremer, S., Der Holdingstandort Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main u.a. 1996, S. 5.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

281

Eine Holding bzw. Holdinggesellschaft bezeichnet den betrieblichen Hauptzweck einer Unternehmung, der darin besteht, eine auf Dauer angelegte Beteiligung an einem oder mehreren rechtlich selbständigen Gesellschaften zu halten und zu verwalten.347 In Abhängigkeit von den spezifischen Ausprägungsmerkmalen der Holding kann deren Tätigkeitsbereich über die allgemeine Verwaltungsfunktion hinausgehen und sich von der Finanzierung der Holdinggruppe bis hin zur Führung des Holdingkonzerns zur sog. konzernleitenden Holding ausweiten.348 Letzteres erfordert hinreichende Eigentumsrechte in Form entsprechender Kapital- und Stimmrechtsanteile, um Weisungs- und Entscheidungsbefugnisse gegenüber den abhängigen Konzerngesellschaften vorzunehmen. Holdingstrukturen eignen sich somit zur finanziellen und strukturellen Organisation von Unternehmensgruppen, weil sie die Kontrolle des Beteiligungsbesitzes erleichtern und eine wirtschaftlich einheitliche Leitung der Gruppe sicherstellen.349 Die Rechtsform der Holdinggesellschaft ist dabei unerheblich; es kommen grundsätzlich Kapital- oder Personengesellschaften sowie Stiftungen, Einzelunternehmungen und seit dem 08. Oktober 2004 die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE)350 in Betracht. Merkmale der Holding:351 x Spitzeneinheit als Konzernzentrale x Keine eigene produktionswirtschaftliche Aktivität352 x Ausübung von Verwaltungs- und Koordinationsaufgaben x Übernahme strategischer Planung und Führung des Unternehmensverbundes x Rechtliche Selbständigkeit einzelner Konzerneinheiten

1.1.2

Wesensmerkmale und Typisierung von Holding-Arten

Die Vielzahl von bestehenden Besonderheiten bezüglich der Holdingvarianten lässt sich u.a. nach ¾Funktion, ¾hierarchischer Einordnung oder 347

Vgl. Keller, T., Unternehmungsführung mit Holdingkonzepten, 2. Aufl., Köln 1993, S. 32.

348

Vgl. Scheffler, E., Vor- und Nachteile der Holding, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 31.

349

Vgl. Kessler, W., Die Euro-Holding, München 1996, S. 10.

350

SE-Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 08.10.2001, ABl. Nr. L 294/22 v. 10.11.2001; vgl. hierzu ausführlich Djanani, C./ Brähler, G., Umwandlungssteuerrecht, 3. Aufl. Wiesbaden 2005, S. 260 ff.

351

Vgl. Schulte, C., Holding-Strategien, Wiesbaden 1992, S. 30.

352

Vgl. Walter, W., in: Ernst & Young, Körperschaftssteuergesetz, Kommentar, § 14 KStG, Rz. 201.

282

Begriff und Merkmale einer Holding ¾lokaler Ausrichtung

der Holding differenzieren, wodurch keinesfalls Doppelfunktionen ausgeschlossen werden sollen. In der nachfolgenden Tabelle sind die Bezeichnungen dargestellt, die im Zeitablauf aufgrund besonderer Zielvorgaben bzw. Einsatzbereiche der jeweiligen Holding sowie deren charakteristischen Merkmale entstanden sind. Typisierungsmerkmal

Ausprägungsformen

Eigentümer bzw. Branchengruppe

Familienholding, Staatsholding, Gewerkschaftsholding, Postholding, Mitarbeiterholding

Branchenzugehörigkeit der Untergesellschaften

Industrieholding, Versicherungsholding, Bankholding, Zeitungsholding, Energieholding, Automobilholding

Funktion der Holding

Finanzholding, Führungsholding

Tätigkeit der Holding

reine Holding, gemischte Holding

hierarchische Einordnung der Holding

Dachholding, Zwischenholding

lokale Ausrichtung

Auslandsholding, Landesholding

Art der Entstehung

geborene Holding, gestaltete Holding

Abbildung 71:

Typologie der Holding-Arten353

Eine gebräuchliche Anwendung von Holdinggesellschaften ist beispielsweise die Bündelung von regionalen Beteiligungen in einer Landesholding, wie in der unteren Abbildung veranschaulicht. Im Beispiel sind alle Auslandsaktivitäten des Konzerns in der GmbH 3 zusammengefasst, an die wiederum Zwischenholdings angeschlossen sind.

353

Abbildung in Anlehnung an Schulte, C., Holding-Strategien, Wiesbaden 1992, S. 31.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

283

Dach- oder Konzernholding

GmbH 1

GmbH 2

UKLandesholding

UKPlc. A

Abbildung 72:

UKPlc. B

GmbH 3 Auslandsholding

AsienRegionalholding

Malaysia

Korea

Niederlande Zwischenholding

Singapur

Monaco AG

Beispiel für eine Holdingstruktur

1.1.2.1 Funktionale Differenzierung: Die Führungs- und Finanzholding Die Intensität, mit der die Unternehmensspitze auf den Unternehmensverbund einwirkt, ist das entscheidende Differenzierungsmerkmal für die funktionale Betrachtungsweise einer Holdingstruktur. Grundsätzlich ist von den Holdingorganisationen der Stammhauskonzern, der lange Zeit die dominierende Organisationsform deutscher Großunternehmen war, abzugrenzen. Im Unterschied zu den Holdingformen, die sich dadurch auszeichnen, dass das gesamte operative Geschäft in rechtlich selbständige Tochtergesellschaften ausgegliedert ist, finden beim Stammhauskonzern alle wichtigen Unternehmenstätigkeiten beim Mutterunternehmen selbst statt.354 Tochtergesellschaften dienen lediglich der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit des Stammhauses und sind, von der rechtlichen Selbständigkeit abgesehen, wie abhängige Betriebsabteilungen organisiert. Die Tätigkeit der Management- oder Führungsholding355 als Dach- bzw. Muttergesellschaft geht über das reine „Halten“ der Beteiligungen hinaus.356 Sie übt allerdings keinen Einfluss auf die operative Tätigkeit der abhängigen Beteiligungsgesellschaften aus, übernimmt aber deren strategische Steuerungs- und Konzernkoordinationsfunktionen.

354

Vgl. Scheffler, E., Konzernmanagement, 2. Aufl., München 2005, S. 59 f.

355

Vgl. Bühner, R., Management-Holding – Unternehmensstruktur der Zukunft, Landsberg/Lech 1992, S. 33.

356

Vgl. Lutter, M., Die Holding, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 12.

284

Begriff und Merkmale einer Holding

Insbesondere werden Funktionen wie die x x x x

Festlegung einer einheitlichen strategischen Gesamtzielsetzung, Festlegung einer entsprechenden Unternehmenspolitik (u.a. durch die Besetzung von Führungspositionen), Koordination der Aktivitäten der Geschäftsfelder und der Sparten unter Sicherstellung der Kompatibilität mit der Unternehmensstrategie sowie ggf. Bereitstellung von Dienst- und Serviceleistungen

für den untergeordneten Teilkonzern übernommen.357 Zusätzlich kann durch den Abschluss von Unternehmensverträgen eine intensivere Einflussnahme vereinbart werden, die über die Ausübung der Kapital- und Stimmrechte hinausgeht. Gegenstand eines solchen Vertrages können Vereinbarungen bezüglich einer Personalunion der Führungspositionen in der Holding und den Tochtergesellschaften sein oder die Festlegung eines gemeinsamen Finanz- oder Personalmanagements. Übt die Holding die einheitliche Leitung über ihre Beteiligungen aus, wird sie als konzernleitende Holding aktiv.358 Die Trennung von strategischer und operativer Ebene erleichtert die Schaffung flacher Hierarchien und fördert die Nutzung von Skalen- und Synergieeffekten zwischen den Geschäftsfeldern über die Schnittstelle der Holding-Spitze, welche die zentralen Dienstleistungen erbringt. Im Gegensatz dazu verzichtet das Unternehmen an der Verbundspitze einer Finanz- bzw. Vermögensholding auf sämtliche Führungsfunktionen gegenüber den operativen Gesellschaften. Diese sog. reine Holding beschränkt sich auf das Halten und Verwalten der Beteiligungen und stellt mangels einheitlicher Leitung keinen Konzern i.S.d. § 18 AktG dar. Unabhängig von der Beteiligungsquote werden lediglich mitgliedschaftsrechtliche Aufsichtspflichten wahrgenommen, ohne unternehmerischen Einfluss auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaften auszuüben.359 Im Rahmen der Finanzierungsfunktion sorgt die Holding für die Gewährleistung und Optimierung des Finanzbedarfs der Unternehmensgruppe unter Liquiditäts-, Rentabilitäts- und Stabilitätsaspekten. Dabei kann sie bspw. selbst zentral für die Gruppe am Kapitalmarkt auftreten und den Gesellschaften Eigenmittel zuführen oder Sicherheiten gegenüber Kreditgebern für eine dezentrale Kapitalbeschaffung durch die Untergesellschaften stellen (sog. back-to-backFinanzierung).360

357

Vgl. Bremer, S., Der Holdingstandort Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main u.a. 1996, S. 15; Keller, T., Unternehmensführung mit Holdingkonzepten, Köln 1990, S. 37; Schulte, C., Holding-Strategien, Wiesbaden 1992, S. 33 f.

358

Vgl. Scheffler, E., Konzernmanagement, 2. Aufl., München 2005, S. 62.

359

Vgl. Keller, T., Unternehmensführung mit Holdingkonzepten, 2. Aufl., Köln 1993, S. 35 f.

360

Vgl. Bremer, S., Der Holdingstandort Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main u.a. 1996, S. 14.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

285

1.1.2.2 Hierarchische Differenzierung: Dach- und Zwischenholding Eine Dachholding ist die Spitzeneinheit eines geschlossenen und hierarchisch aufgebauten Unternehmensverbundes, die selbst die Unternehmensleitungsfunktion innehat.361 Durch die Ausübung einer einheitlichen Leitung auf die untergeordneten Hierarchieebenen wird eine Konzernholding i.S.d. § 18 AktG begründet. Die Funktion einer Dachholding kann daher nicht von einer reinen Holding ausgefüllt werden, weil diese typischerweise keine Führungsfunktion gegenüber ihren Tochtergesellschaften ausübt. 362 Die Zwischenholding als rechtlich selbständige Gesellschaft ist in der Hierarchie unterhalb der Dachholding angesiedelt. Durch die Zwischenschaltung wird eine zusätzliche Beteiligungsebene im Unternehmensverbund geschaffen, so dass eine mehrstufige Unternehmensstruktur entsteht. Innerhalb des Unternehmensverbundes übernimmt eine Zwischenholding oft die Funktion einer Bereichsleitung in der ordnungsstrukturellen Form einer nationalen Landesholding oder internationalen Auslandsholding. Neben betriebswirtschaftlichen Vorteilen wie der organisatorischen Gestaltung, haftungsrechtlichen Absicherung und der liquiditätsmäßigen Versorgung stellt die Zwischenholding ein zentrales steuerliches Gestaltungsinstrument der internationalen Steuerplanung dar.363 Merkmale einer Zwischenholding:364 x Zwischeneinheit als rechtliches oder steuerliches Gestaltungsmedium x Beschränkung von Haftungsrisiken x Nutzung des internationalen Steuergefälles x Umleitung, Umformung oder zeitliche Abschirmung von Einkünften Die folgende Abbildung dient der Veranschaulichung bezüglich des Wirkungszusammenhangs, den die Zwischenschaltung einer Holdinggesellschaft auf eine bestehende Konzernstruktur entfaltet.

361

Vgl. Keller, T., Unternehmensführung mit Holdingkonzepten, Köln 1990, S. 38; Keller bezeichnet einen Beteiligungsverbund als geschlossen, wenn die Dachgesellschaft alle Anteile an den Untergesellschaften hält.

362

Vgl. Lutter, M., Die Holding, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 16.

363

Vgl. Schänzle, T., Steuerorientierte Gestaltung internationaler Konzernstrukturen, Köln 2000, S. 15.

364

Vgl. Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5 .Aufl., München 2002, S. 820.

286

Begriff und Merkmale einer Holding

Konzernkreis der Dachholding

Dachholding

Zwischenholding

Konzerntochter

Beteiligungsgesellschaft Beteiligungsgesellschaft

Konzernkreis der Zwischenholding

Abbildung 73:

Hierarchische Einordnung von Dach- und Zwischenholdings365

1.1.2.3 Regionale Differenzierung: Auslands- und Landesholding Die Untergesellschaften einer Auslandsholding (internationale Holding) haben ihren Sitz in verschiedenen Staaten. Die Holding kann zugleich als Zwischenholding für mehrere ausländische Tochtergesellschaften Finanzierungs- und Führungsaufgaben übernehmen. Durch die relativ hohe Mobilität einer internationalen Holdinggesellschaft kann der Konzern lokale steuerliche Standortvorteile wie z.B. niedrige Besteuerung von ausländischen Beteiligungs- und Zinserträgen, einen guten Zugang zum internationalen Kapitalmarkt oder besondere Finanzierungsinstrumente durch die Wahl des Domizilstaates der Holding ausnutzen. Im Gegensatz zur Auslandsholding hält die Landesholding nur Beteiligungen an Unternehmen, die im selben Staat ansässig sind. Dabei kann sie ebenso wie die Auslandsholding als Obergesellschaft eines Unternehmensverbundes oder als Zwischenholding ausgestaltet sein und dabei Finanz- oder Führungsfunktionen übernehmen. Der Sitz einer Landesholding ist durch die Tochtergesellschaften bestimmt und hängt nicht wie bei einer Auslandsholding primär von steuerlichen Faktoren ab.366

1.1.3

Steuerrechtliche Holdingformen in Deutschland

Vor dem Hintergrund eines nicht vorhandenen eigenständig kodifizierten Konzernsteuerrechts und zahlenmäßig überschaubaren holdingspezifischen Gesetzesvorschriften speziell 365

Abbildung in Anlehnung an Keller, T., Unternehmensführung mit Holdingkonzepten, Köln 1990, S. 39.

366

Vgl. Keller, T., Unternehmensführung mit Holdingkonzepten, Köln 1990, S. 40.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

287

im Zusammenhang mit rein inländischen Sachverhalten greift das deutsche Steuerrecht auf die ertragsteuerliche Individualbesteuerung der einzelnen Rechtssubjekte des Holdingkonzerns zurück.367 Gleichwohl trägt es durch das Rechtsinstitut der Organschaft dem Konzernsachverhalt Rechnung und wird der wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Holdingkonzerns als einheitlichem Unternehmensverbund mit auf Dauer angelegten Beteiligungen i.S.d. § 271 Abs. 1 HGB gerecht. Die Organschaft, die aus einem Organträger und wenigstens einer Organgesellschaft besteht, ermöglicht die steuerliche Zusammenfassung von mindestens zwei rechtlich selbständigen Steuersubjekten für die Ermittlung der ertrag- und umsatzsteuerlichen Besteuerungsgrundlagen.368 Mangels eines steuerartenübergreifenden Organschaftskonzepts ist die steuerliche Anerkennung der Organschaft von der jeweiligen Erfüllung der steuerartspezifischen Voraussetzungen abhängig.369

1.1.3.1 Voraussetzungen der ertrag- und umsatzsteuerlichen Organschaft Die Voraussetzungen für die Begründung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft i.S.d. § 14 Abs. 1 KStG sind durch Einführung des Steuersenkungsgesetzes370 gelockert worden. Demzufolge sind aufgrund des Wegfalls der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung nach aktueller Gesetzeslage lediglich x x

eine finanzielle Eingliederung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG sowie ein Ergebnisabführungsvertrag gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1, Satz 2 KStG

notwendig. Die gleichen Tatbestandsvoraussetzungen gelten seit dem Inkrafttreten des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes371 gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG ebenfalls bezüglich der gewerbesteuerlichen Organschaft. Folglich existiert ein gemeinsames Organschaftskonzept unter ertragsteuerlichen Gesichtspunkten. Die Tatbestandsmerkmale eines gewerblichen Unternehmens i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG, die ein Organträger erfüllen muss, knüpfen nach der zwischenzeitlichen Rechtsprechung nur noch an die Vorraussetzungen des Gewerbebetriebs gem. § 2 GewStG an, da zwischen diesen Begriffen Identität besteht.372 Somit wird ein Gewerbebetrieb kraft 367

Vgl. Schaumburg, H./ Jesse, L., Die nationale Holding aus steuerrechtlicher Sicht, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 646.

368

Vgl. Grashoff, D., Steuerrecht 2005, München 2005, S. 148.

369

Vgl. Thiel, R., Grundsätzliche Probleme des Körperschaftsteuerrechts, StbJb 1961/62, S. 201 ff.; Herzig, N., Einführung, in: Herzig, N. (Hrsg.), Organschaft, Stuttgart 2003, S. 3.

370

Vgl. StSenkG v. 23.10.2000, BGBl I 2000, S. 1433.

371

Vgl. UntStFG v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3858, BStBl. 2002 I S. 35.

372

Vgl. Walter, W., in: Ernst & Young, Körperschaftssteuergesetz, Kommentar, § 14 KStG, Rz. 188.

288

Begriff und Merkmale einer Holding

Rechtsform gem. § 8 Abs. 2 KStG und insbesondere auch eine gewerblich geprägte Personengesellschaft373 i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG akzeptiert. Die Konsequenz hieraus ist, dass eine Holdinggesellschaft Organträger sein kann, unabhängig von der Ausgestaltung der Holdingfunktion374 sowie der Ausübung von geschäftsleitenden Tätigkeiten. Die umsatzsteuerliche Organschaft tritt unabhängig vom Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages ein, sobald die Organgesellschaft finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eingliedert wird. Die Rechtsfolge dieser Eingliederung ist mangels erforderlicher Selbständigkeit die Versagung der Unternehmereigenschaft für die Organgesellschaft, wodurch ihre steuerbaren Umsätze dem Organträger als verbleibendem Unternehmer zuzurechnen sind.

1.1.3.2 Die Mehrmütterorganschaft Im Zusammenhang mit der Abschaffung der Mehrmütterorganschaft durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz375 ist gleichzeitig die Verwendung der Personengesellschaft als Organträger gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG eingeschränkt worden. Seitdem bedarf es einer eigenen originär gewerblichen Tätigkeit der Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Ferner wurden gewerblich geprägte Personengesellschaften gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als Organträger nicht mehr anerkannt, um Gestaltungen mit dem Ziel zu verhindern, das steuerliche Ergebnis einer Mehrmütterorganschaft zu erreichen.376 In der Praxis erfolgte die Bildung einer Mehrmütterorganschaft z.B. für die Durchführung eines Joint Ventures, indem sich mehrere Unternehmen zur Ausübung einer einheitlichen Willensbildung in Form einer GbR zusammengeschlossen haben, die daraufhin als Organträger gegenüber einer nachgeordneten Kapitalgesellschaft aufgetreten ist.377 Aus körperschaftsteuerlicher Sicht wurde den Gesellschaftern der GbR im Verhältnis ihrer Beteiligungen direkt im Rahmen der sog. Durchleitung der Gewinn bzw. Verlust zugerechnet. Auf diese Weise konnten anfängliche Verluste unmittelbar von den Gesellschaftern genutzt werden und mussten nicht als Verlustvortrag bei der Organgesellschaft verbleiben. Gewerbesteuerlich konnte diese Wirkung nicht erzielt werden, da die GbR selbst Gewerbesteuer373

Mit Einführung des StVgAbG v. 16.05.2003 wurde die Verwendung explizit verboten.

374

Die frühere Rechtsprechung differenzierte zwischen vermögensverwaltender und geschäftsleitender Holding; RFH v. 01.04.1941, I-290/40, RStBl. 1942, S. 947; BFH v. 17.12.1969, I-252/64, BStBl. II 1970, S. 257; BFH v. 15.04.1970, I-R-122/66, BStBl. II 1970, S. 554; BFH v. 03.12.1976, III-R-98/74, BStBl. II 1977, S. 235; BFH v. 09.12.1980, VIII-R-11/77, BStBl. II 1981, S. 339; BFH v. 13.09.1989, I-R-110/88, BStBl. II 1990, S. 24.

375

StVergAbG v. 16.05.2003, BGBl. I 2003, S. 660, BStBl. 2003 I S. 318.

376

Vgl. Walter, W., in: Ernst & Young, Körperschaftssteuergesetz, Kommentar, § 14 KStG, Rz. 235; BMF v. 10.11.2005, IV B 7 – S 2770 – 24/05, BStBl. I 2005, Tz. 17.

377

Vgl. Jonas, B., Abschaffung der Mehrmütterorganschaft und Ersatzlösungen, in: Herzig, N. (Hrsg.), Organschaft, Stuttgart 2003, S. 306.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

289

subjekt war und somit eine Abschirmwirkung gegenüber ihren Gesellschaftern entfaltet hat.378 Diese Abschirmwirkung entfiel allerdings aufgrund der Rechtsprechung des BFH379 mit der Folge, dass die tatsächlichen Muttergesellschaften und nicht die GbR als Organträger der nachgeordneten Kapitalgesellschaft angesehen wurden.

1.1.3.3 Exkurs: Österreichische Gruppenbesteuerung Mit Einführung des Steuerreformgesetzes 2005380 zum 01. Januar 2005 hat Österreich das bisher bestehende Organschaftsmodell, das im Wesentlichen dem deutschen Modell vor dem Steuersenkungsgesetz entsprach, durch eine modernere Gruppenbesteuerung ersetzt. Dieser Entschluss stellte einen Vorgriff auf die damals anhängige Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Marks & Spencer381 dar, wodurch eine grenzüberschreitende Verlustanrechnung ausländischer Tochtergesellschaften in Österreich unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen wurde. Gleichzeitig erfolgte eine Reduzierung der Voraussetzungen zur Begründung einer Gruppe, bestehend aus Gruppenträger und Gruppenmitgliedern im Vergleich zur früheren Organschaft, auf nachfolgende Kriterien: x x x

Finanzielle Eingliederung bei mehr als 50 %iger Beteiligung am Grund- oder Stammkapital und Stimmrechtsmehrheit, Mindestzugehörigkeit zur Gruppe von 3 Jahren sowie Stellung eines Gruppenantrags beim Finanzamt des Gruppenträgers.

Die Auswirkungen dieser Maßnahmen gehen weit über die deutschen Gesetzesänderungen382 hinaus. Demzufolge können nicht nur Beteiligungsgemeinschaften, die die Errichtung sog. Mehrmüttergruppen ermöglichen, für die Funktion des Gruppenträgers genutzt werden, sondern es werden auch grenzüberschreitende Gruppenbildungen ermöglicht. Darüber hinaus bietet der Gruppenantrag ein rein steuerliches, vom Gesellschaftsrecht gelöstes und sehr flexibles Zurechnungskonzept.383

378

Vgl. Schaumburg, H./ Jesse, L., Die nationale Holding aus steuerrechtlicher Sicht, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 836.

379

Vgl. BFH v. 09.06.1999, I-R-43/97, BStBl. II 2002, S. 695; BFH v. 09.06.1999, I-R-37/98, BFH/NV 2000, S. 347.

380

Vgl. StRefG 2005 v. 06.05.2004, ÖBGBl. I Nr. 57/2004, S. 7.

381

Vgl. Rs. MARKS & SPENCER, EuGH v. 13.12.2005, C-446/03, NZG 2006, S. 105 ff.

382

Vgl. StSenkG v. 23.10.2000, BGBl. I 2000, S. 1433; UntStFG v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3858, BStBl. I 2002, S. 35.

383

Vgl. Prinz, U., Neue österreichische Gruppenbesteuerung - Steuersystematische und steuerplanerische Erwägungen aus deutscher Sicht, GmbHR 2005, Heft 14, S. 918.

290

Begriff und Merkmale einer Holding

Die steuerliche Ergebniszurechnung der Gruppenbesteuerung stellt eine Ausnahme von der Individualbesteuerung dar. So erfolgt einerseits gem. § 9 Abs. 6 öKStG weiterhin die ertragsteuerliche Gewinnermittlung für jedes inländische Gruppenmitglied individuell. Auf der anderen Seite werden die Ergebnisse dem Gruppenträger zugerechnet und bei diesem der Besteuerung unterworfen. Daraus resultierende Steuerausgleichszahlungen sind gem. § 9 Abs. 6 öKStG bilanzwirksam, aber steuerneutral und entsprechend der Gruppenvertragsvereinbarungen auszugleichen. Zentrales Element der Gruppenbesteuerung gem. § 9 Abs. 6 öKStG und insofern wesentliches Unterscheidungskriterium zur bisherigen Gesetzlage ist die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung im Bezug auf ausländische Gruppenmitglieder. Der österreichische Gesetzgeber ermöglicht – obwohl ausländische Gewinne selbst mangels Besteuerungsrecht nicht steuerpflichtig sind – angefallene ausländische Verluste im Verhältnis zur Beteiligung sofort mit steuerpflichtigen Gewinnen der ansässigen Gruppenmitglieder zu verrechnen. Erfolgt eine spätere Verwertung dieser Verluste durch das ausländische Gruppenmitglied im Ausland, z.B. in Form einer Verrechnung mit zukünftigen Gewinnen, löst dieser Tatbestand allerdings eine Nachversteuerung der in der Vergangenheit in Abzug gebrachten Verluste in Österreich aus. Dies hat zur Folge, dass sich das zu versteuernde Einkommen der in Österreich ansässigen Gruppenmitglieder im Verhältnis zur Beteiligung um den verwerteten Betrag des ausländischen Gruppenmitglieds erhöht. Ziel dieser gesetzlichen Regelung ist die Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung innerhalb der Gruppe, einmal in Österreich im Zeitpunkt der Entstehung des Verlustes und ein weiteres Mal im Ausland im Rahmen eines Verlustvortrags in späteren Jahren. Aufgrund der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Marks & Spencer am 13. Dezember 2005 ist nun auch Deutschland zu entsprechenden Gesetzesänderungen verpflichtet, die im Gegensatz zum bisherigen Organschaftsmodell eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung ermöglichen können. Ob und in wieweit die österreichische Gruppenbesteuerung übernommen werden kann, bleibt abzuwarten. Merke: Die österreichische Gruppenbesteuerung ermöglicht eine x Vereinfachte Gruppenbildung aufgrund reduzierter Voraussetzungen x Verrechnung von Auslandsverlusten mit inländischen Gewinnen x Errichtung einer Mehrmüttergruppe

1.1.4

Rechtsformüberlegungen

Die Entscheidung für eine bestimmte Rechtsform eines Holdingunternehmens ist konstitutiv und wird von unterschiedlichen Einflussfaktoren wie den rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Zielen sowie den allgemeinen Umweltbedingungen bestimmt.384 384

Vgl. Jacobs, O., Unternehmensbesteuerung und Rechtsform, 3. Aufl., München 2002, S. 5 f.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

291

Die Unternehmensstruktur einer internationalen Konzernholding basiert überwiegend auf kapitalgesellschaftlichen Rechtsformen.385 Die Gründe hierfür liegen in der sehr viel homogeneren gesellschafts- und steuerrechtlichen Behandlung von Kapitalgesellschaften in den verschiedenen nationalen Steuersystemen. Bei Personengesellschaften hingegen bestehen in weitaus größerem Maße steuerliche Qualifikationskonflikte386 bei grenzüberschreitenden Aktivitäten. Auf europäischer Ebene kann seit dem 08. Oktober 2004 auf die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE)387 zurückgegriffen werden, die sich gerade durch ihre uneingeschränkt anerkannte Rechtspersönlichkeit und die freie Standortwahl innerhalb der Europäischen Union (EU) auszeichnet. Voraussetzung für die Verwendung der SE ist die gemeinschaftliche Gründung durch zwei Kapitalgesellschaften, die in unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten ansässig sind.388 Die Behandlung von Kapitalgesellschaften als eigenständige Rechtssubjekte, auch wenn sie wirtschaftlich in einen Konzern eingegliedert sind, ist ein international anerkannter und geltender Rechtsgrundsatz, der zur rechtlich getrennten Behandlung von Gesellschaftern und Gesellschaft führt. Durch die Geltung des Trennungsprinzips lässt sich auch eine Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen erreichen. Dieses Prinzip der rechtlichen Selbständigkeit und damit der eigenständigen Steuersubjekteigenschaft von Kapitalgesellschaften verhindert den Durchgriff auf die Anteilseigner der Gesellschaft, solange die Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaft nicht missbräuchlich ausgenutzt wird, um Gläubigern zu schaden.389 Darüber hinaus werden in den meisten Fällen die Tochtergesellschaften internationaler Konzerne in einer einheitlichen Rechtsform organisiert sein, um durchgehende Organisationsstrukturen und eine einfache Umsetzung der Vorgaben der Spitzeneinheit zu gewährleisten.390 Als Folge der steuerlichen Abschirmwirkung der Gesellschaft gegenüber ihren Eigentümern können negative Einkünfte auf Gesellschaftsebene nicht mit positiven Einkünften auf 385

Vgl. Haarmann, W., Besteuerungsfragen beim Einsatz von Holdinggesellschaften im Rahmen des Aufbaus internationaler deutscher Konzerne, in: Fischer (Hrsg.), Internationaler Unternehmenskauf und -zusammenschluss im Steuerrecht, Köln 1992, S. 86 f.; Schaumburg, H./ Jesse, L., Die nationale Holding aus steuerrechtlicher Sicht, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 648.

386

Vgl. Schaumburg, H./ Jesse, L., Die internationale Holding aus steuerrechtlicher Sicht, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 848.

387

SE-Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 08.10.2001, ABl. EG Nr. L 294/22 v. 10.11.2001.

388

Vgl. Marsch-Barner, R., in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding-Handbuch, 4. Aufl., Köln 2004, S. 935 ff.

389

Vgl. BGH v. 16.09.1985, II-Z-R 275/84, BGHZ 95, 330; BGH v. 20.02.1989, II-Z-B 10/88, BGHZ 107, 1.

390

Vgl. Schaumburg, H./ Jesse, L., Die nationale Holding aus steuerrechtlicher Sicht, in: Lutter, M. (Hrsg.), Holding Handbuch, Köln 2004, 4. Aufl., S. 650.

292

Rahmenbedingungen für Holdinggesellschaften im deutschen Steuerrecht

Gesellschafterebene verrechnet werden. Weiterhin können der Gesellschaft gegenüber gewährte Steuerbefreiungen im Allgemeinen nicht vom Gesellschafter in Anspruch genommen werden. Als Beispiel sind die im deutschen Steuerrecht gem. § 8b Abs. 1 KStG (unter Beachtung des § 8b Abs. 5 KStG) von der Besteuerung auf Ebene der Gesellschaft ausgenommenen Dividendeneinkünfte zu nennen. Bei Weiterausschüttung an natürliche Personen verlieren diese ihre Steuerfreiheit und werden gem. § 3 Nr. 40 i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG zur Hälfte mit dem persönlichen Steuersatz des Gesellschafters versteuert (Halbeinkünfteverfahren). Für ausländische Konzernspitzen ist neben der Abschirmwirkung die Möglichkeit zur Vermeidung der Doppelbesteuerung für die Rechtsformwahl ausschlaggebend. Durch die eigene Rechtspersönlichkeit sind Kapitalgesellschaften grundsätzlich abkommensberechtigt (Art. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Bst. a OECD-MA). Demnach können sie selbst die Vorzüge eines DBA, wie das internationale Schachtelprivileg gem. Art. 23 A Abs. 1 OECD-MA, in Anspruch nehmen und gezielt grenzüberschreitende Doppelbesteuerungen verhindern. Personengesellschaften selbst sind dagegen in der Regel mangels Steuersubjektfähigkeit nicht abkommensberechtigt; an ihre Stelle treten jedoch die Gesellschafter, die entweder als natürliche Person oder in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft den Abkommensschutz in Anspruch nehmen können. Den weiteren Betrachtungen werden ausschließlich Gesellschaften in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft zugrunde gelegt.

1.2 Rahmenbedingungen für Holdinggesellschaften im deutschen Steuerrecht Das deutsche Steuerrecht kennt nur wenige holdingspezifische Rechtsnormen. Diesbezüglich sind insbesondere die x 95 %ige Steuerfreiheit für Beteiligungserträge und Veräußerungsgewinne nach § 8b Abs. 1 und 2 KStG, x Abzugsfähigkeit von Refinanzierungsaufwand (§ 8b Abs. 3 und 5 KStG) und die x Organschaft gem. §§ 14-19 KStG, § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG maßgeblich. Da die beiden erstgenannten Problembereiche bereits in den einführenden Kapiteln erläutert wurden bzw. das letztgenannte kein Spezifikum des Internationalen Steuerrechts darstellt, sollen sie im Folgenden lediglich überblickartig dargestellt werden:

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

293

Beteiligungsertragsbefreiung § 8b Abs. 1 KStG: Schachteldividenden Tatbestandsvoraussetzungen ;unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften ;Ausschüttung von Dividenden oder dividendenähnlichen Beträgen ;beliebige Ansässigkeit der ausschüttenden Körperschaft Rechtsfolgen :95 %ige Steuerfreiheit der Dividenden („Verlängerung des internationalen Schachtelprivilegs“) :5 % der Dividenden von in- und ausländischen Gesellschaften gelten fiktiv als nichtabziehbare Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 KStG) :Im Gegenzug dürfen sämtliche Ausgaben, die im Zusammenhang mit den in- und ausländischen Dividenden entstanden sind, unbegrenzt abgezogen werden (§ 3c Abs. 1 EStG gelangt nicht zur Anwendung) Abbildung 74:

Übersicht Befreiung der Beteiligungserträge nach § 8b Abs. 1 KStG

Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften § 8b Abs. 2 KStG Tatbestandsvoraussetzungen ;unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften ;Veräußerung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ;beliebige Ansässigkeit der Kapitalgesellschaft, an der die Beteiligung gehalten wird ;Beteiligung ist nicht einbringungsgeboren (§ 8b Abs. 4 Nr. 1 KStG) oder Veräußerung nach 7 Jahren seit Erwerb (§ 8b Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 KStG) Rechtsfolgen :95 %ige Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinns, soweit dieser nicht auf früheren Teilwertabschreibungen beruht (§ 8b Abs. 2 Satz 4 KStG) :5 % des Veräußerungsgewinns gelten fiktiv als nichtabziehbare Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 3 KStG) :Im Gegenzug dürfen sämtliche Ausgaben im Zusammenhang mit der Veräußerung unbegrenzt abgezogen werden (§ 3c Abs. 1 EStG gelangt nicht zur Anwendung) :Keine Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) Abbildung 75:

Übersicht Befreiung der Beteiligungserträge nach § 8b Abs. 2 KStG

294

Rahmenbedingungen für Holdinggesellschaften im deutschen Steuerrecht Abzugsbeschränkungen § 3c EStG, § 8b Abs. 3, 5 KStG Aufwendungen von natürlichen Personen :hälftiges Abzugsverbot für Aufwendungen, die mit Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die gem. § 3 Nr. 40 EStG zur Hälfte steuerfrei sind (§ 3c Abs. 2 EStG) Aufwendungen von Kapitalgesellschaften :5 % der Einnahmen gelten fiktiv als nichtabziehbare Betriebsausgaben, die tatsächlichen Aufwendungen können in voller Höhe geltend gemacht werden, da § 3c Abs. 1 EStG für nicht anwendbar erklärt wird (§ 8b Abs. 3 und 5 KStG)

Abbildung 76:

Abzugsbeschränkungen für Refinanzierungsaufwand Ertragsteuerliche Organschaft § 14 KStG, § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG

Tatbestandsvoraussetzungen ;Organgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland gem. §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 17 KStG (doppelter Inlandsbezug) ;Organträger lediglich mit Geschäftsleitung im Inland (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG)391 ;unbeschränkt steuerpflichtiger Organträger (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG) ;gewerbliches bzw. gewerblich tätiges Unternehmen als Organträger gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 KStG bzw. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG unter den Voraussetzungen des § 2 GewStG bzw. für PersGes § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG ;finanzielle Eingliederung des Organs (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG) ;Gewinnabführungsvertrag (§ 291 Abs. 1 AktG) mit mindestens fünfjähriger Laufzeit (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG) ;Gleiche Voraussetzungen auch für die Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) Rechtsfolgen :Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft auf den Organträger Damit wird der wirtschaftlichen Einheit der Organschaft Rechnung getragen und die verbundenen Unternehmen werden wie ein Unternehmen besteuert. Abbildung 77:

391

Übersicht Organschaft

Abschaffung der sog. doppelten Inlandsanbindung durch das UntStFG v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3858, BStBl. 2002 I, S. 35.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

295

Weiterhin werden die Gestaltungsmöglichkeiten für Holdingkonzerne durch Vorschriften eingeschränkt, die den gezielten Missbrauch von Zwischenholdings zur Steuerverkürzung verhindern und den Abfluss von Besteuerungssubstrat in niedriger besteuernde Länder einschränken sollen. Dabei sind aus nationaler Sicht vor allem die Problembereiche x x x

Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO, Anti-Treaty-/Anti-Directive-Shopping Regelung des § 50d Abs. 3 EStG und Gesellschafter-Fremdfinanzierung gem. § 8a KStG

zu prüfen.

1.2.1 Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO Zur Vermeidung von Steuerumgehungen und damit zum Schutz des nationalen Steueraufkommens haben viele Staaten Gegenmaßnahmen ergriffen. In Deutschland wird dies unter anderem durch die allgemeinen Normen der §§ 41, 42 AO (Durchgriffsbesteuerung) erreicht. § 42 AO hat das Ziel, den „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts“ zu verhindern. Dabei bleibt im Gesetz unbestimmt, wann eine Gestaltung als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Im vorliegenden Zusammenhang sind darunter einerseits Versuche von Inländern zu subsumieren, ihre der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte durch die Verlagerung von Erträgen auf Gesellschaften in Niedrigsteuerländer so weit wie möglich zu reduzieren (Basisgesellschaften392 oder Zwischengesellschaften). Andererseits sind auch Gestaltungen von Ausländern zur Umgehung der beschränkten Steuerpflicht auf Rechtsmissbräuchlichkeit zu überprüfen. Im einfachsten Fall streben in Nicht-DBA-Ländern ansässige Gesellschafter einer im Zielland eigens errichteten Gesellschaft durch sog. treaty shopping-Gestaltungen eine Reduzierung von Quellensteuern an; der Begriff „treaty shopping“ bezeichnet somit das „Hineinkaufen“ in den Anwendungsbereich eines DBA. Die Anwendbarkeit der allgemeinen Missbrauchsverhinderungsvorschriften des § 42 AO erstrecken sich nunmehr, nach anfänglich abweichender Rechtsprechung393, sowohl auf nationale als auch internationale Sachverhalte der beschränkten und unbeschränkten Steuerpflicht.394 Zur Beurteilung missbräuchlicher Gestaltungsmaßnahmen durch Steuer392

Für den Begriff der Basisgesellschaften existiert keine eigenständige Definition. Wichtigstes Kriterium ist die Errichtung in einem Land, das die gewählte Rechtsform niedrig besteuert; vgl. Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 507.

393

Vgl. sog. Monaco-Urteil, BFH v. 29.10.1981, I-R-98/80, BStBl. II 1982, S. 150.

394

Vgl. BFH v. 21.12.1994, I-R-65/94, BFHE 176, S. 571; BFH v. 29.10.1997, I-R-5/96, BStBl. I 1998, S. 235, BFH v. 20.03.2002, I-R-63/99, BStBl. I 2002, S. 819.

296

Rahmenbedingungen für Holdinggesellschaften im deutschen Steuerrecht

ausländer orientiert sich die Rechtsprechung an den für Inländer geltenden Missbrauchskriterien der Basisgesellschaften. Grundsätzlich ist eine Gestaltung mit dem Ziel, Steuern zu sparen, nicht per se als missbräuchlich anzusehen.395 Ein Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die, gemessen am erstrebten Ziel, unangemessen ist, und wenn die Rechtsordnung das Ergebnis missbilligt. Im Ausland errichtete (funktionslose) Basisgesellschaften erfüllen den Tatbestand des Rechtsmissbrauch vor allem dann, wenn für ihre Errichtung wirtschaftliche oder sonstige beachtliche Gründe fehlen und wenn sie keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfalten.396 Wirtschaftliche Gründe liegen nicht vor bei (Negativkatalog): x Errichtung einer Gesellschaft mit dem alleinigen Ziel, Steuern zu sparen.397 x Ausländische Gesellschaft (Briefkastengesellschaft) entfaltet keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit.398 x Errichtung einer Gesellschaft zum Halten der Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft und zur Finanzierung dieser mit Fremdkapital.399 x Halten von Gesellschaftskapital ohne weitere Tätigkeiten.400 x Ausschließliche Wahrnehmung von Gesellschaftsrechten bei Tochtergesellschaften ohne gleichzeitige Ausübung von geschäftsleitenden Funktionen.401 Für die Errichtung einer (Zwischen-)Gesellschaft kommen folgende wirtschaftliche Gründe in Betracht (Positivkatalog): x Die Gesellschaft ist die Spitze eines weltweit aufgebauten Konzerns.402 x Die Gesellschaft wird errichtet, um Beteiligungen von einigem Gewicht im Basisland und/oder in Drittländern zu erwerben.403

395

Vgl. BFH v. 22.08.1951, IV-246/50-S, BStBl. III 1951, S. 181; BFH v. 08.01.1958, I-131/57 U, BStBl. III 1958, S. 97; BFH v. 14.10.1964, II-175/61 U, BStBl. III 1964, S. 667; BFH v. 02.03.1966, II-113/61, BStBl. III 1966, S. 509; BFH v. 29.11.1966, I-216/64, BStBl. III 1967, S. 392; BFH v. 13.09.1972, I-R-130/70, BStBl. II 1973, S. 57.

396

Vgl. BFH v. 16.01.1976, III-R-99/74, BStBl. II 1976, S. 401; BFH v. 29.01.1975, I-R-135/70, BStBl. II 1975, S. 553.

397

Vgl. BFH v. 29.07.1976, VIII-R-142/73, BStBl. II 1977, S. 264.

398

Vgl. BFH v. 19.01.2000, I-R-94/97, BStBl. II 2001, S. 222; BFH v. 20.03.2002, I-R-63/99, BStBl. 2002, S. 819.

399

Vgl. BFH v. 09.12.1980, VIII-R-11/77, BStBl. II 1981, S. 339.

400

Vgl. BFH v. 29.07.1976, VIII-R-142/73, BStBl. II 1977, S. 264.

401

Vgl. BFH v. 24.02.1976, VIII-R-155/71, BStBl. II 1977, S. 265.

402

Vgl. BFH v. 29.07.1976, VIII-R-41/74, BStBl. II 1977, S. 261.

403

Vgl. BFH v. 29.07.1976, VIII-R-1/74, BStBl. II 1977, S. 261.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften x

297

Es ist nicht erforderlich, dass die Gesellschaft als geschäftsleitende Holding (Konzernleitung) auftritt, sondern es reicht die Wahrnehmung einzelner Funktionen wie die Finanzierung mehrerer Tochtergesellschaften,404 die Bürgschaftsübernahme405, das Ausnutzen von günstigen Finanzierungsmöglichkeiten im Ausland406 oder der finanziellen Ausstattung von Tochtergesellschaften.407

Folglich ist das Tatbestandsmerkmal des Missbrauchs gem. § 42 AO nicht erfüllt, wenn sich die eigene wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft durch entsprechende Entscheidungsbefugnisse, Übernahme des wirtschaftlichen Risikos, Handel auf eigene Rechnung oder die Ausübung von „geschäftsleitenden Funktionen“408 auszeichnet. Merke: Je komplexer, künstlicher und außergewöhnlicher die verwendete Gestaltung ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rechtsmissbrauch angenommen wird.409 Wird eine Gestaltung als missbräuchlich qualifiziert, so ist die Rechtsfolge des § 42 AO die Annahme eines angemessenen Sachverhalts als Grundlage der Besteuerung.410 Bei treaty shopping durch Steuerausländer führt dies zur Außerachtlassung der Gesellschaften, die zur Erlangung der Abkommensvorteile gegründet wurden.411 Bei zwischengeschalteten Basisgesellschaften unbeschränkt Steuerpflichtiger wird das Bestehen der Gesellschaft nicht anerkannt. Der deutsche Gesellschafter wird so behandelt, als würde er die Anteile an der Grundeinheit direkt halten (Durchgriffsbesteuerung).

404

Vgl. BFH v. 09.12.1980, VIII-R-11/77, BStBl. II 1981, S. 339.

405

Vgl. BFH v. 29.07.1976, VIII-R-116/72, BStBl. II 1977, S. 268.

406

Vgl. BFH v. 29.07.1976, VIII-R-116/72, BStBl. II 1977, S. 268.

407

Vgl. BFH v. 23.10.1991, I-R-40/89, BStBl. II 1992, S. 1026.

408

Vgl. BFH v. 09.12.1980, VIII-R-11/77, BStBl. II 1981, S. 339; BFH v. 23.10.1991, I-R-40/89, BStBl. II 1992, S. 1026.

409

Vgl. Frotscher, G., Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., München 2005, S. 120.

410

Vgl. BFH v. 27.08.1997, I-R-8/97, BStBl. II 1998, S. 163.

411

Vgl. BFH v. 17.07.1968, I-121/64, BStBl. II 1968, S. 695.

298

Rahmenbedingungen für Holdinggesellschaften im deutschen Steuerrecht

Beispiel

Eine in den Niederlanden ansässige Stiftung ist an zwei – nach niederländischem Recht gegründeten – Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in den Niederlanden beteiligt. Diese schließen sich zu einer GbR zusammen.412 Die GbR erwirbt in Deutschland ein Grundstück, für dessen Finanzierung sie ein Darlehen von der Stiftung aufnimmt. Die Zinsaufwendungen sind dabei dauerhaft höher als die in Deutschland steuerpflichtigen Mieteinnahmen, wodurch inländische Verluste entstehen. Diese schließen eine Ertragsbesteuerung der Vermietungstätigkeit im Inland aus. Die GbR übt sonst keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit aus. Die Stiftung erzielt ihrerseits in den Niederlanden steuerfreie Zinseinkünfte. Hätte die Stiftung die inländischen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unmittelbar selbst erzielt, wäre es nicht zu Verlusten aus Vermietung und Verpachtung der GbR, sondern zu (beschränkt) steuerpflichtigen positiven Einkünften auf Ebene der Stiftung gekommen. Damit steht fest, dass die von der Stiftung und der GbR gewählte Gestaltung ausschließlich steuerlich motiviert war. Somit wird nach § 42 AO die Vermietung des inländischen Grundbesitzes steuerlich der Stiftung zugerechnet.

Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten: § 42 AO Tatbestandsvoraussetzungen: x Rechtsmissbrauch durch unangemessene Gestaltung, fehlende wirtschaftliche Gründe für die Einschaltung von Zwischengesellschaften und keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit der (Basis-)Gesellschaft. x Umgehung des Steuergesetzes: Bei einer angemessenen Gestaltung wäre eine höhere Steuer zu zahlen als auf dem gewählten Weg.413 Rechtsfolgen: x Fiktion der rechtlich angemessenen Gestaltung gem. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO: Die Steuer ist so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden wäre (Durchgriffsbesteuerung).414 Zivilrechtliche Auswirkungen ergeben sich aufgrund der Fiktion jedoch nicht. Abbildung 78:

Übersicht Gestaltungsmissbrauch

412

Vgl. BFH v. 27.08.1997, I-R-8/97, BStBl. II 1998, S. 163.

413

Vgl. BFH v. 01.12.1982, I-R-37/81, BStBl. II 1982, S. 2; BFH v. 03.03.1988, V-R-183/83, BStBl. II 1989, S. 205; BFH v. 12.07.1989, I-R-46/85, BStBl. II 1990, S. 113; BFH v. 19.04.1994, VIIIR-3/93, BStBl. II 1995, S. 705.

414

Vgl. BFH v. 13.10.1992, VIII-R-3/89, BStBl. II 1993, S. 477.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

1.2.2

299

Anti-Treaty-/Anti-Directive-Shopping Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

Neben der allgemeinen Missbrauchsnorm des § 42 AO existiert im deutschen Steuerrecht insbesondere für den Bereich des internationalen Steuerrechts die speziellere Anti-treatyshopping-Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG. § 50d Abs. 3 EStG: Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonstige beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet. Diese Vorschrift ist im Zusammenhang mit der sog. Monaco-Entscheidung415 des BFH zu sehen, die eine Anwendbarkeit des § 42 AO auf Gestaltungen von beschränkt Steuerpflichtigen nicht vorgesehen hat. Das Ergebnis war eine faktische Legitimation von treaty shopping durch beschränkt Steuerpflichtige. § 50d Abs. 3 EStG zielt speziell auf gesellschaftsrechtliche Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften ab, die in einem Vertragsstaat ansässig sind, und versagt den Abkommensschutz, ohne einen Rechtsmissbrauch vorauszusetzen. Hierzu muss eine an der ausländischen Gesellschaft beteiligte Person bei einer direkten Beziehung zum Inland einer höheren Steuerbelastung unterliegen. Des Weiteren müssen für die Einschaltung der ausländischen Körperschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die ausländische Körperschaft keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet.416 Grund hierfür ist, dass diesen Gestaltungen unterstellt wird, lediglich den Wegfall der Kapitalertragsteuer zwischen EUGesellschaften (directive shopping) gem. § 43b EStG oder die Reduzierung der Kapitalertragsteuer aufgrund des Abkommensschutzes durch ein DBA (treaty shopping) zum Ziel zu haben.

415

Vgl. BFH v. 29.10.1981, I-R-98/80, BStBl. II 1982, S. 150.

416

Vgl. BFH v. 29.01.1975, I-R-135/70, BStBl. II 1975, S. 553; BFH v. 29.07.1976, VIII-R-41/74, BStBl. II 1977, S. 261; BFH v. 09.12.1980, VIII-R-11/77, BStBl. II 1981, S. 339; BFH v. 23.10.1991, I-R-40/89, BStBl. II 1992, S. 1026.

300

Rahmenbedingungen für Holdinggesellschaften im deutschen Steuerrecht

Beispiel

Eine in Saudi-Arabien ansässige Person ist an einer Kapitalgesellschaft in Luxemburg beteiligt, die wiederum Anteile an einer deutschen GmbH hält. Alleiniges Ziel der Einschaltung der Kapitalgesellschaft in Luxemburg ist es, mit den Dividendenzahlungen der GmbH in den Schutzbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie417 gem. § 43b EStG zu gelangen. Auf diese Weise könnte die deutsche Kapitalertragsteuer vermieden werden, die sich daraus ergibt, dass Deutschland mit Saudi-Arabien kein DBA abgeschlossen hat. Die zwischengeschaltete Gesellschaft entfaltet keine wirtschaftliche Tätigkeit, weswegen § 50d Abs. 3 EStG die Anwendung des § 43b EStG hinsichtlich der Beteiligungshöhe des in Saudi-Arabien ansässigen Gesellschafters verweigert. Stattdessen wird eine unmittelbare Ausschüttung an diesen fingiert, auf die Kapitalertragsteuer i.H.v. 20 % der Dividende zzgl. Solidaritätszuschlag i.H.v. 5,5 % erhoben wird.

Es ist somit von hoher Bedeutung, dass der (Zwischen-)Gesellschaft noch andere Aufgaben zugewiesen werden als lediglich das Halten einer Beteiligung. Wird sie als Zwischenholding ausgestaltet, wird § 50d Abs. 3 EStG in den meisten Fällen nicht anzuwenden sein, da bei typischen Holdingtätigkeiten wie der Zusammenfassung der Konzernleitung und Konzernfinanzierung keine rechtsmissbräuchliche Basisgesellschaft unterstellt wird.418 Auf Gestaltungen von unbeschränkt Steuerpflichtigen, die auf ein „Hineinkaufen“ in ein DBA abzielen, ist § 50d Abs. 3 EStG nicht anwendbar; diese fallen unter § 42 AO. Anti-treaty-shopping-Vorschrift: § 50d Abs. 3 EStG Tatbestandsvoraussetzungen: x Bestehen einer ausländischen Gesellschaft, x den beteiligten Personen stehen bei unmittelbarer Erzielung der Einkünfte weder Erstattung noch Freistellung zu, x das Fehlen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe, x keine eigene Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft. Rechtsfolgen: x Abkommensschutz wird versagt. Abbildung 79:

Übersicht Anti-treaty-shopping-Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG

417

Vgl. Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates v. 22.12.2003 (ABl. L 7, S. 41), Beck’sche Textausgaben Steuergesetze, Nr. 2; die Richtlinie wurde in Deutschland umgesetzt durch §§ 44d EStG, 26 Abs. 2a KStG (bis VZ 2000) bzw. § 43b EStG (ab VZ 2001).

418

Vgl. BFH v. 29.01.1975, I-R-135/70, BStBl. II 1975, S. 553; BFH v. 29.07.1976, VIII-R-41/74, BStBl. II 1977, S. 261; BFH v. 09.12.1980, VIII-R-11/77, BStBl. II 1981, S. 339; BFH v. 23.10.1991, I-R-40/89, BStBl. II 1992, S. 1026.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

1.2.3

301

Gesellschafter-Fremdfinanzierung gem. § 8a KStG

Durch das Korb-II-Gesetz419 ist der begünstigte safe haven für Holdinggesellschaften von vormals dem Dreifachen des anteiligen Eigenkapitals auf das Eineinhalbfache des anteiligen Eigenkapitals gekürzt worden, so dass für Holdings der gleiche safe haven wie für sonstige Kapitalgesellschaften gilt. safe haven =

Fremdkapital = Eigenkapital

1,5 1

Holdinggesellschaften werden allerdings durch § 8a Abs. 4 KStG im Vergleich zu sonstigen Kapitalgesellschaften privilegiert. Gem. § 8a Abs. 4 Satz 1 KStG müssen sie ihr Eigenkapital nicht um den Buchwert der Beteiligungen am Grund- oder Stammkapital einer Kapitalgesellschaft mindern (sog. Buchwertkürzung). Dadurch sinkt ihr Eigenkapital nicht, so dass im Ergebnis gleichzeitig der safe haven der Holdinggesellschaft steigt. Um dieses Holdingprivileg in Anspruch nehmen zu können, muss es sich bei der Kapitalgesellschaft um eine eigens zu diesem Zweck definierte Holdinggesellschaft handeln. Eine Holdinggesellschaft ist gem. § 8a Abs. 4 Satz 1 KStG eine Kapitalgesellschaft, deren Haupttätigkeit420 darin besteht, Beteiligungen an Kapitalgesellschaften zu halten und diese Kapitalgesellschaften zu finanzieren (1. Alternative) oder deren Vermögen zu mehr als 75 % ihrer Bilanzsumme421 aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften besteht (2. Alternative). Des Weiteren müssen durch die Holding mindestens zwei unmittelbare Beteiligungen an in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften gehalten werden.422 Gem. § 42 AO als funktionslos qualifizierte Gesellschaften bleiben unberücksichtigt.423

1.3 Internationale Gestaltungsstrategien Der folgende Abschnitt stellt zunächst allgemeine Überlegungen in Bezug auf die Aufgaben und Ziele der Steuerplanung im internationalen Konzern an. Ausgehend vom Oberziel, der betriebswirtschaftlichen Gewinnmaximierung nach Steuern, werden im weiteren Ver419

Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 22.12.2003, BGBl. I 2003, S. 2840, BStBl. I 2004, S. 14.

420

Vgl. BMF v. 15.12.1994, IV B 7 – S 2742a – 63/94, BStBl. I 1995, S. 25, Tz. 81; demnach müssen 75 % der Bruttoerträge aus der Beteiligungs- und Finanzierungstätigkeit stammen (vgl. R 76 Abs. 8 Satz 1 KStR).

421

Maßgeblich sind dabei die Buchwerte; die Beteiligungsquoten müssen dabei in Anlehnung an § 271 Abs. 1 HGB jeweils mehr als 25 % betragen (vgl. BMF v. 15.12.1994, IV B 7 – S 2742a – 63/94, BStBl. I 1995, S. 25, Tz. 83).

422

Vgl. BMF v. 15.12.1994, IV B 7 – S 2742a – 63/94, BStBl. I 1995, S. 25, Tz. 84, 85

423

Vgl. BMF v. 15.12.1994, IV B 7 – S 2742a – 63/94, BStBl. I 1995, S. 25, Tz. 84.

302

Internationale Gestaltungsstrategien

lauf mögliche Strategien und konkrete Gestaltungsmittel durch den Einsatz von Holdinggesellschaften dargestellt, deren Gestaltungsziel die Minimierung der Konzernsteuerquote ist.

1.3.1

Ziele der internationalen Steuerplanung

Bei grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit eröffnen sich vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten zur Reduzierung der Steuerlast, bspw. durch das Ausnutzen von Steuergefällen, von uni- und bilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sowie von Qualifikationskonflikten. Das Ziel der Steuerplanung im Konzern liegt in der geschickten Nutzung dieser bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten, um die konzernweite Steuerquote zu verringern. Die Instrumente und Aufgaben des Steuerplaners sind breit gefächert und lassen sich in drei Bereiche unterteilen:424

424

x

Strukturplanung: Die Errichtung einer effizienten Konzernstruktur gehört zu den Kernaufgaben der Steuerplanung. In diesem Zusammenhang sind Entscheidungen über Rechtsformwahl und die Anbindung von Beteiligungsgesellschaften zu treffen. Diese können entweder direkt von der Spitzeneinheit oder mittelbar über eine Zwischenholding gehalten werden. Um eine steueroptimale Aufgabenverteilung innerhalb des Unternehmensverbundes zu ermöglichen, kann deshalb der Aufbau von Holdingstrukturen notwendig sein.

x

Steuerung der Bemessungsgrundlagen: Das Gesamtergebnis der Konzerneinheiten ist im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auf die einzelnen Einheiten aufzuteilen. Die Allokation erfolgt dabei über Verrechnungspreise für konzerninterne Lieferungen und Leistungen, Finanzierungsgestaltungen, der Nutzung von Qualifikationskonflikten und über die Aufteilung von betrieblichen Funktionen und Risiken im Konzern.

x

Vermeidung konzerninterner Gewinnrealisierungen: Die dynamische Unternehmung muss sich laufend an neue Rahmenbedingungen anpassen. Geänderte wirtschaftliche, rechtliche oder steuerliche Sachverhalte erfordern oftmals konzerninterne Anpassungen, Reorganisationen und die Übertragung von Wirtschaftsgütern auf andere Konzerneinheiten. Ziel des Steuerplaners muss es sein, auftretende steuerliche Belastungen durch Transaktionssteuern gering zu halten sowie die Aufdeckung stiller Reserven möglichst zu vermeiden.

Vgl. Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 709.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

303

Instrumente und Aufgaben der internationalen Steuerplanung

Planung der Gruppenstruktur, z.B.:

Steuerung der Bemessungsgrundlagen, z.B.:

x Vermeidung von Doppelbesteuerungen x Rechtsformwahl x Einsatz von Holdinggesellschaften

x Nutzung des Steuergefälles dem Grunde und der Höhe nach x Finanzierungspolitik x Verrechnungspreise x Qualifikationskonflikte

Abbildung 80:

Vermeidung konzerninterner Gewinnrealisierungen, z.B.: x Aufschub der Aufdeckung von stillen Reserven x Vermeidung von Verkehrsteuerbelastungen

Instrumente und Aufgaben der internationalen Steuerplanung425

Im Folgenden wird insbesondere der Einsatz von Zwischenholdings zur konzernweiten relativen Steuerminimierung anhand von Gestaltungsbeispielen näher erläutert. Dazu bedarf es in vielen Fällen der vorherigen Einbringung von Beteiligungen an den entsprechenden Grundeinheiten in die zwischenzuschaltende Holding seitens der Spitzeneinheit. Dieser Einbringungsvorgang ist unter Berücksichtigung der §§ 20-23 UmwStG sowohl für nationale als auch europäische Sachverhalte in Folge der Umsetzung der Fusionsrichtlinie426 steuerneutral möglich, d.h. ohne Aufdeckung stiller Reserven, wenn die Spitzeneinheit im Gegenzug Gesellschaftsrechte an dem übernehmenden Rechtsträger erhält.427 Die gewählten Beispiele sind aus didaktischen Gründen stark abstrahiert und sollen in erster Linie die verschiedenen Möglichkeiten der Steuerung aufzeigen. Durch die Zwischenschaltung einer Holding in Form einer Kapitalgesellschaft ist auf den ersten Blick zu erwarten, dass sich die Gefahr einer steuerlichen Mehrbelastung durch die verlängerte Dividendenroute erhöht. Grund hierfür ist die eigenständige Rechtsfähigkeit der Kapitalgesellschaft, die eine zusätzliche Besteuerungsebene im Konzern im Vergleich zur direkten Anbindung der Tochtergesellschaften erzeugt. Bei Einbeziehung von Drittstaaten ergeben sich jedoch durch die Kombination von verschiedenen Steuersystemen interessante Gestaltungsmöglichkeiten, so dass Steuervorteile gegenüber der direkten Anbindung von Tochtergesellschaften erlangt werden können. Eine umsichtige Gestaltungsplanung kann deshalb ungünstige Steuerwirkungen vermeiden 425

Abbildung in Anlehnung an Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 710.

426

Vgl. Rl. 90/434/EWG v. 23.07.1990.

427

Vgl. Djanani, C./ Brähler, G., Umwandlungssteuerrecht, 3. Aufl., Wiesbaden 2005, S. 384 ff.

304

Internationale Gestaltungsstrategien

und günstige Steuerwirkungen gezielt herbeiführen. Auf diese Weise werden einerseits Mehrbelastungen durch die international ausgerichtete Konzernstruktur verhindert, andererseits durch den gezielten Einsatz von aktiven Gestaltungen holdingspezifische Minderbelastungen für den Unternehmensverbund ermöglicht. Die Vermeidung von Doppelbesteuerungen, Reduzierung von Quellensteuern, Ergebniskonsolidierung und Minimierung von Veräußerungsgewinnen dienen vorrangig der Vermeidung von Steuermehrbelastungen, während die Vermeidung von Anrechnungsüberhängen sowie die Einkünfteerzielung in Niedrigsteuerländern und steuerwirksame Beteiligungsfinanzierung der Prämisse der Erzielung von Steuerminderbelastungen zuzuordnen sind.

Minimierung der Steuerquote im Konzern Vermeidung von konzernspezifischen Mehrbelastungen x Vermeidung von Doppelbesteuerungen x Reduzierung von Quellensteuern x Ergebniskonsolidierung x Minimierung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen

Abbildung 81:

Erzielung von konzernspezifischen Minderbelastungen x Vermeidung von Anrechnungsüberhängen x Einkünfteerzielung in Niedrigsteuerländern x steuerwirksame Beteiligungsfinanzierung

Ziele der internationalen Steuerplanung

Die Gestaltungsmaßnahmen können in zwei Bereiche gegliedert werden, wobei die in der Folge getrennt voneinander vorgestellten Strategien in der betrieblichen Praxis miteinander kombiniert werden können:428 x

428

Durch die Anwendung von Repatriierungsstrategien wird eine zeitnahe bzw. verzögerte Rückführung von operativen Gewinnen der Grundeinheiten an die Konzernspitze ermöglicht. Angestrebt wird eine minimale steuerliche Belastung des konzerninternen Einkommensflusses durch die Einschaltung einer Holdinggesellschaft als zusätzlichem Gestaltungsobjekt. Direkte Auswirkungen auf das erzielte Konzernergebnis resultieren aus dieser Gestaltung nicht, da lediglich der konzerninterne Einkommenstransfer verändert wird. Die Repatriierungsstrategien lassen sich in die Umleitung, Umformung und temporäre Abschirmung von Einkünften unterteilen.

Vgl. Kessler, W., Die Euro-Holding, München 1996, S. 82.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften x

1.3.2

305

Die Anwendung von Allokationsstrategien führt zur steuerinduzierten Zuordnung von Erträgen und/oder Aufwand im Konzernverbund, wodurch der konzernexterne Einkommenstransfers beeinflusst wird und eigene Einkünfte von der zwischengeschalteten Holding erzielt werden. Das Gesamtergebnis des Konzerns ändert sich ebenfalls durch diese Gestaltung nicht, jedoch wird die Zuordnung der konzernexternen Einkünfte zu den Gesellschaften beeinflusst. Abhängig von der Verlagerungsrichtung der Einkünfte wird zwischen der Verlagerung nach unten oder oben unterschieden (top down bzw. bottom up).

Repatriierungsstrategien

Die Hauptaufgabe der Zwischenholding bei der Anwendung der Repatriierungsstrategien besteht im Regelfall lediglich in der Aufnahme der auf Ebene der Grundeinheit angefallenen Gewinne und deren (zeitnahe) Weiterausschüttung (sog. Durchschüttung) an die Spitzeneinheit, um letztlich bei dieser eine steueroptimale Vereinnahmung zu realisieren. In Folge der Zwischenschaltung einer meist in einem Drittstaat ansässigen Holdinggesellschaft in den Dividendenfluss entsteht eine verlängerte Dividendenroute. Diese kann im Vergleich zur direkten Anbindung der Grundeinheit an die Spitzeneinheit zur Reduzierung der Steuerbelastung für die Gewinnausschüttung führen. Sinnvoll ist eine derartige Gestaltung allerdings nur dann, wenn zum einen die Holding in einem Staat ansässig ist, der die entsprechenden Erträge im Ergebnis nicht oder nur gering besteuert. Zum andern muss die auf der verlängerten Dividendenroute insgesamt anfallende Quellensteuer, zuzüglich ggf. erhobener Körperschaftsteuer, niedriger sein als bei direkter Beteiligung an der Grundeinheit.429 Daneben sind aber auch die Kosten für die Errichtung und Erhaltung der Holding in das betriebswirtschaftliche Kalkül einzubeziehen.

1.3.2.1 Umleitung von Einkünften Die auf Ebene der Grundeinheit erwirtschafteten Einkünfte werden nicht direkt an die Spitzeneinheit ausgeschüttet, sondern auf dem Umweg über eine zwischengeschaltete Holdinggesellschaft vereinnahmt. Die eigenständige Rechtsfähigkeit einer Holding in Form einer Kapitalgesellschaft ermöglicht es der Spitzeneinheit, indirekt von den Vergünstigungen in deren Sitzstaat zu profitieren, ohne ursprünglich selbst dazu berechtigt gewesen zu sein. Durch diese sog. verbesserte Dividendenroute kann sowohl eine Reduzierung der juristischen Doppelbesteuerung durch Quellensteuern als auch eine Minderung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung durch Ertragsteuern erreicht werden. Den bekanntesten Anwendungsfall einer derartigen Gestaltung stellt das treaty shopping dar. Durch die Umleitung des Dividendenstroms über eine Zwischenholding kann die Belastung mit Quellensteuern im Vergleich zur direkten Anbindung reduziert oder in einigen Fällen sogar gänzlich beseitigt werden. Ein Spezialfall des treaty shopping ist das directive shopping, bei dem die 429

Vgl. Kessler, W., Die Euro-Holding, München 1996, S. 83 f.

306

Internationale Gestaltungsstrategien

Quellensteuerfreiheit von Dividendenausschüttungen innerhalb der EU aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie ausgenutzt wird.

1.3.2.1.1

Reduktion von Quellensteuern

Besteht ein DBA zwischen den beteiligten Ländern, resultieren daraus in vielen Fällen höhere steuerliche Entlastungen als bei alleiniger Inanspruchnahme von unilateralen Maßnahmen des Ansässigkeitsstaates. Es liegt daher nahe, durch die Einschaltung einer formal abkommensberechtigten Gesellschaft die Vergünstigungen eines DBA auch ohne originäre Abkommensberechtigung der Gesellschafter zu nutzen, um eine möglichst hohe Reduzierung der Quellenbesteuerung zu erreichen. Dieses Ziel wird in der steuerplanerischen Praxis durch die Wahl eines entsprechenden Holdingstandortes in einem Drittstaat mit günstigem DBA-Netzwerk und der Zwischenschaltung einer dort ansässigen Kapitalgesellschaft in den Dividendenstrom verwirklicht. Die Zwischenholding dient dabei als „conduit company“430 zur Erreichung der Abkommensberechtigung.431 Die treaty shopping-Gestaltungen lassen sich in drei Fälle einteilen: x x x

Zwischen Sitzstaat der Anteilseigner und Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft besteht kein DBA (Nicht-DBA-Fall). Der Sitzstaat der Anteilseigner hat ein DBA mit dem Domizilstaat der Tochter abgeschlossen (DBA-Fall). Gesellschaften mit Sitz außerhalb der EU halten mehrere Beteiligungen in verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU (EU-Fall).

Eine treaty shopping-Gestaltung ist nur dann vorteilhaft, wenn die Summe der Quellensteuern im Sitzstaat der Grundeinheit und im Holdingstandort geringer ist als bei direkter Anbindung der Grundeinheit, wobei zusätzliche Kosten der Zwischengesellschaft zu berücksichtigen sind. x Treaty Shopping: Nicht-DBA-Fall Besteht zwischen dem Quellen- und dem Wohnsitzstaat des Empfängers der Einkünfte kein DBA, unterliegen die Ausschüttungen ungemindert der Quellensteuer. Um diese zu reduzieren, wird die Beteiligung in eine Zwischenholding eingebracht, die in einem Drittstaat angesiedelt ist, der mit dem Sitzstaat der Tochter- sowie dem Sitzstaat der Muttergesellschaft ein DBA abgeschlossen hat, das die Verringerung der Quellensteuer vorsieht. Der Empfänger der Dividende kommt so in den Genuss der Vorteile des Abkommens zwischen Dritt- und Quellenstaat.

430

Der englische Begriff „conduit“ lässt sich treffend mit „Kanal“ oder „Rohrleitung“ übersetzen.

431

Vgl. Hintzen, B., Die deutsche Zwischenholding als Gegenstand der internationalen Steuerplanung, Frankfurt a. M., u.a. 1997, S. 50.

Beispiel

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

307

Eine in den Niederländischen Antillen ansässige Gesellschaft hält eine Beteiligung an der deutschen X-GmbH. Da im DBA zwischen Deutschland und den Niederlanden die NL-Antillen nicht in den räumlichen Geltungsbereich miteinbezogen wurden (Art. 27 DBA-Niederlande), unterliegen die ausgeschütteten Dividenden ungemindert der deutschen Kapitalertragsteuer in Höhe von 20 % der Bruttodividende zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag. Durch die Einbringung der Beteiligung in eine Zwischenholding in einem Drittstaat, der mit Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, kann die deutsche Kapitalertragsteuer dem OECD-MA zufolge auf 15 % (Portfoliodividenden) reduziert werden. Im Fall einer Schachtelbeteiligung (> 25 %) bzw. einer Holding in einem EU-Staat (ab 20 %) wird die Kapitalertragsteuer sogar auf 5 % (OECD-MA) bzw. 0 % (MTRl) begrenzt. Um eine solche Begünstigung zu realisieren, wird eine Holding mit Sitz in den Niederlanden zwischengeschaltet, da die Niederlande sowohl mit Deutschland als auch mit den NL-Antillen ein DBA abgeschlossen haben. Folglich unterliegt auch die Weiterausschüttung aus den Niederlanden an die NL-Antillen den begünstigenden Regelungen des konkreten DBA in Höhe von 15 % bzw. bei einer Beteiligung von mindestens 25 % nur einer 5 %igen Quellensteuerbelastung.

Anmerkung: Eine derartige Gestaltung fiele mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unter die Missbrauchsvorschrift des § 50d Abs. 3 EStG, oder, falls dieser als lex specialis nicht anwendbar ist, unter die Auffangvorschrift des § 42 AO mit der Folge, dass Deutschland keine Reduzierung der Quellensteuer gewähren würde. Um zu vermeiden, dass die gewählte Gestaltung als rechtsmissbräuchlich eingestuft wird, müsste die Holdinggesellschaft eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, die über das reine Halten und Verwalten der Beteiligungen hinausgeht.

Direkte Anbindung ohne DBA

Treaty Shopping Zwischenschalten einer Holding in DBA-Staat

Mutter (NL-Antillen)

Dividenden

Mutter (NL-Antillen) DBA

21,1 % QSt* Tochter (Deutschland)

Gewinn

* 20 % KapESt zzgl. 5,5 % SolZ (§ 43 EStG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 SolZG) Abbildung 82:

Dividende

Holding (Niederlande)

5 % QSt Dividende

MTRl

0 % QSt Tochter (Deutschland)

Treaty Shopping ohne bestehendes DBA

Gewinn

308

Internationale Gestaltungsstrategien

Beispiel

x Treaty Shopping: DBA-Fall Auch wenn zwischen Sitz- und Quellenstaat bereits ein DBA besteht, lassen sich möglicherweise durch die Umleitung von Dividenden mittels Zwischenholding weitere Steuereinsparungen erreichen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Sitzstaat der Grundeinheit mit dem Holdingstaat weitergehende Steuerbeschränkungen in dem DBA vereinbart hat.

Eine in Kanada ansässige Kapitalgesellschaft ist zu 100 % an einer in Italien ansässigen Tochterkapitalgesellschaft beteiligt. Nach Art. 10 Nr. 2 DBA Kanada-Italien ist die in Italien zu entrichtende Quellensteuer (Kapitalertragsteuer) auf 15 % des Bruttobetrags der Dividende begrenzt. Bringt die kanadische Muttergesellschaft die italienische Beteiligung in eine niederländische Holding-Kapitalgesellschaft ein, reduziert sich die Quellensteuerbelastung auf 5 %. Gemäß der Mutter-Tochter-Richtlinie sind Dividenden, die aus Italien in die Niederlande fließen, von der Besteuerung ausgenommen. Die Niederlande beschränken darüber hinaus gem. Art. 10 Nr. 2 Bst. a DBA Kanada-Niederlande die Höhe der Quellensteuer auf 5 % der Bruttodividende.

Direkte Anbindung

Treaty Shopping QSt 5 % gem. DBA Kanada-Niederlande; Ausschüttung innerhalb der EU quellensteuerfrei gem. MTRl

QSt 15 % gem. DBA Kanada-Italien

Mutter (Kanada)

Dividende DBA

Tochter (Italien)

Mutter (Kanada) DBA

15 % QSt Gewinn

Dividende

Holding (Niederlande)

5 % QSt Dividende

MTRl

0 % QSt Tochter (Italien)

Abbildung 83:

Treaty Shopping bei bestehendem DBA

Gewinn

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

309

Beispiel

x Directive Shopping: EU-Fall Seit der Einführung der europäischen Mutter-Tochter-Richtlinie für verbundene Unternehmen und den daraus resultierenden quellensteuerfreien Gewinnausschüttungen innerhalb der EU erlangt das directive shopping als Sonderfall des treaty shopping besondere praktische Relevanz. Der Begriff „directive“ bezeichnet im Englischen eine Richtlinie i.S.d. Art. 249 EG-Vertrag und bedeutet im Zusammenhang mit dem umgangssprachlichen directive shopping das „Hineinkaufen“ in den Anwendungsbereich von EU-Richtlinien. Ein „Hineinkaufen“ kann sowohl durch EU-Spitzeneinheiten als auch durch im Drittland ansässige Spitzeneinheiten mittels Zwischenschaltung abkommensberechtigter Tochtergesellschaften geschehen. Sinn und Zweck des ersten Falls ist die Wahl eines geeigneten Holdingstandorts in einem EU-Mitgliedstaat, der aufgrund bestehender DBA im Verhältnis zu Grundeinheiten in Drittstaaten eine quellensteueroptimale Dividendenroute gewährt.432 Der zweite Fall bezieht sich auf die Suche nach einem zweckmäßigen Standort für eine sog. Europa-Holding, die sämtliche Aktivitäten innerhalb der EU bündelt und die Gewinne anschließend an den Sitzstaat der Spitzeneinheit weiterleitet (sog. steueroptimale ExitLösung).433 Die Standortwahl fällt letztlich auf den EU-Mitgliedstaat, der den günstigsten Quellensteuersatz per DBA für die Durchschüttung an diesen Drittstaat eingeräumt hat.

Die in Kanada ansässige Umbrella Industries Ltd. betreibt ihre europäischen Aktivitäten über vier innerhalb der EU ansässige Tochtergesellschaften, an denen sie jeweils zu 100 % beteiligt ist. Da in der gegenwärtigen Gruppenstruktur relativ hohe Quellensteuern434 anfallen, sucht der kanadische Geschäftsführer eine steueroptimale Lösung für die Vereinnahmung der Erträge der europäischen Töchter.

Gestaltungsmöglichkeit: Die europäischen Beteiligungen werden in einer Europa-Holding gebündelt. Von den europäischen Staaten bietet derzeit Spanien die günstigsten Voraussetzungen für die Weiterleitung von Dividenden in einen Nicht-EU-Staat. Für anerkannte Auslandsholdings435 wird dort unilateral eine steuerfreie Dividendeneinnahme und eine vollständige Quellensteuerfreiheit für abfließende Dividenden und Veräußerungsgewinne gewährt. Es ist daher sinnvoll, die Beteiligungen in eine spanische Gesellschaft einzubringen.

Die Quellensteuerbelastung kann auf diese Weise von 7,5 % auf 0 % gesenkt werden.

432

Vgl. Kessler, W., Internationale Holdingstandorte, in: Schaumburg, H./ Piltz, D. (Hrsg.), Holdinggesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 22, Köln 2002, S. 85.

433

Vgl. Kessler, W., Die Euro-Holding, München 1996, S. 9.

434

Vgl. Art. 10 Nr. 2 Bst. a DBA Kanada-Frankreich; Art. 10 Nr. 2 DBA Kanada-Italien; Art. 10 Nr. 1 Bst. a DBA Kanada-Großbritannien; Art. 10 Nr. 2 DBA Kanada-Deutschland.

435

In Spanien werden diese „ETVE“ (Entidad de Tenencia de Valores Extranjeros) genannt.

310

Internationale Gestaltungsstrategien

Vor der Reorganisation: Umbrella Industries Ltd. (Kanada)

QSt-Belastung 7,5 %

DBA

Tochter S.A. (Frankreich) QSt: 5 %

Tochter S.p.a. (Italien) QSt: 15 %

Tochter Ltd. (England) QSt: 5 %

Tochter GmbH (Deutschland) QSt: 5 %

Unterschiedliche Begrenzung der Höhe der Quellensteuer auf eine Ausschüttung in den einzelnen DBA mit Kanada Nach der Einschaltung einer Europa-Holding (Directive Shopping): Umbrella Industries Ltd. (Kanada)

QSt-Belastung 0%

DBA

Europa-Holding B.V. (Spanien)

Unilateraler Verzicht Spaniens auf Quellensteuer

MTRl

Tochter S.A. (Frankreich)

Tochter S.p.a. (Italien)

Tochter Ltd. (England)

Tochter GmbH (Deutschland)

Verzicht auf Quellensteuer für Ausschüttungen innerhalb der EU gem. Mutter-Tochter-Richlinie

Abbildung 84:

1.3.2.1.2

Directive Shopping durch Einschaltung einer Europa-Holding

Vermeidung von Doppelbesteuerungen

Der Grund für eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung ist i.d.R. das gleichzeitige Bestehen von unbeschränkter Steuerpflicht im Ansässigkeitsstaat der Spitzeneinheit und beschränkter Steuerpflicht im Domizilstaat der operativen Gesellschaft. International werden drei verschiedene Methoden zur Vermeidung der ertragsteuerlichen Mehrfacherfassung praktiziert:

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften x x x

311

Uni- und bilaterale Anwendung der Anrechnungsmethode.436 Uni- und bilaterale Anwendung der Freistellungsmethode.437 Unilaterale Anwendung der Anrechnungsmethode mit internationalem Schachtelprivileg für Einkünfte aus DBA-Ländern.438

Ein wesentliches Merkmal der Anrechnungsmethode ist das Heraufschleusen der Steuerbelastung auf das Steuerniveau des Ansässigkeitsstaats des Dividendenempfängers. Dieses Vorgehen setzt jedoch voraus, dass eine Spitzeneinheit, deren Domizilstaat nur für DBA-Einkünfte eine Freistellung gewährt, Dividenden aus einem Nicht-DBA-Staat mit geringerer Steuerbelastung empfängt. Dessen ungeachtet kann durch die Zwischenschaltung einer Holding in einem DBA-Staat das Heraufschleusen vermieden werden (sog. participation exemption shopping),439 und ggf. das DBA-Schachtelprivileg in Anspruch genommen werden, um die Dividenden steuerfrei zu vereinnahmen.440 Das „Hineinkaufen“ in ein Schachtelprivileg ist auch dann sinnvoll, wenn im Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers grundsätzlich ein internationales Schachtelprivileg (participation exemption) existiert, der Steuerpflichtige aber die notwendigen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn es sich um eine natürliche Person handelt oder bestimmte Mindestbeteiligungsgrenzen bzw. eine Mindestbesitzzeit nicht erreicht werden.

Beispiel

x

Participation Exemption Shopping

Eine in Dänemark ansässige Kapitalgesellschaft hält eine Beteiligung i.H.v. 18 % an einer spanischen Tochterkapitalgesellschaft. In Dänemark ist ein internationales Schachtelprivileg (Participation Exemption) erst ab einer Beteiligungshöhe von 20 % sowie einer Mindesthaltedauer von 12 Monaten vorgesehen; die als Portfolioeinkünfte qualifizierten Dividenden unterliegen somit der dänischen Körperschaftsteuer.

Gestaltungsmöglichkeit: Trotz eines innereuropäischen Sachverhalts gelangt die Mutter-Tochter-Richtlinie nicht zur Anwendung, da die notwendige Beteiligungshöhe von 20 % nicht erreicht ist. Dennoch kann die Steuerbelastung reduziert werden, indem die spanische Beteiligung z.B. in eine in Deutschland ansässige Gesellschaft eingebracht wird. Gem. § 8b Abs. 1 KStG können die

436

Vor allem in der anglo-amerikanischen Rechtstradition, insbes. Großbritannien und USA.

437

Vor allem in Ländern mit sog. klassischem Körperschaftsteuersystem, insbes. Deutschland (seit VZ 2001), Niederlande, Luxemburg und Österreich. Im klassischen System gibt es derzeit meist nach innerstaatlichem Recht ein Schachtelprivileg.

438

Dies war in Deutschland vor der Einführung des StSenkG der Fall; in Kanada nach wie vor gültig.

439

Analog zu der Definition des „treaty shopping“ kann darunter das „Einkaufen in ein Schachtelprivileg“ verstanden werden.

440

Vgl. Hintzen, B., Die deutsche Zwischenholding als Gegenstand der internationalen Steuerplanung, Frankfurt a. M., u.a. 1997, S. 52.

312

Internationale Gestaltungsstrategien

Gewinnausschüttungen grundsätzlich steuerfrei441 von der deutschen Gesellschaft vereinnahmt werden, ohne Berücksichtigung einer Mindestbeteiligung oder Mindestbesitzzeit. Bei Weiterausschüttung an Dänemark werden die Dividenden aus Deutschland nicht mehr als Portfoliodividenden qualifiziert (Beteiligung 100 %; die Mindesthaltedauer kann auch nach erfolgter Ausschüttung erfüllt werden442) und sind folglich durch das dänische Schachtelprivileg von der Besteuerung ausgenommen.

Participation Exemption Shopping

Direkte Anbindung Mindestbeteiligung für Schachtelprivileg in DK (Beteiligung > 20 %) nicht erreicht Mutter A/S (Dänemark)

Keine Mindestbeteiligung bzw. Mindestbesitzdauer in Deutschland gefordert; Beteiligung an der Holding qualifiziert für das Schachtelprivileg

KSt: 28 %

Mutter A/S (Dänemark)

18 %

100 %

Tochter S.A. (Spanien)

Holding (Deutschland)

KSt: 0 %

KSt: 0 %

18 %

Tochter S.A. (Spanien)

Abbildung 85:

1.3.2.1.3

Participation Exemption Shopping

Reduktion von Anrechnungsüberhängen

Für Spitzeneinheiten, deren Sitzstaat die Anrechnungsmethode zur Minderung der Doppelbesteuerung verwendet, kann es im Fall einer Begrenzung der Anrechnungsmöglichkeit aufgrund einer per-country-limitation zu Anrechnungsüberhängen („excess tax credit“) kommen.

441

Gem. § 8b Abs. 5 KStG werden 5 % der Bruttodividenden als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben qualifiziert.

442

Vgl. International Bureau of Fiscal Documentation, European Tax Handbook 2005, Band 16, Amsterdam 2005, Denmark, S. 169.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

313

Eine per-country-limitation bestimmt bei einem proportionalen Tarif einen identischen Anrechnungshöchststeuersatz für alle Länder, in denen operative Tochtergesellschaften ansässig sind. Dementsprechend kann zum einen die Situation eintreten, dass das ausländische Steuerniveau unter dem inländischen liegt, wodurch ein Teil der Anrechnungsmöglichkeiten mangels Übertragbarkeit auf andere Länder verfällt. Zum anderen ist es möglich, dass im Gegensatz dazu ein höherer ausländischer Steuersatz existiert, so dass ein Anrechnungsüberhang als effektive Doppelbesteuerung verbleibt. Durch die Anwendung einer sog. over-all-limitation eröffnet sich die Möglichkeit, ungenutzte Anrechnungsbeträge eines Landes auf andere Länder zu übertragen mit dem Ziel, eine drohende Definitivbelastung in Form von Anrechnungsüberhängen zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Eine betroffene Spitzeneinheit kann durch die Zwischenschaltung einer sog. mixer company ihre Einkünfte aus mehreren Staaten in einer Zwischenholding zusammenfassen. Dadurch werden die Nachteile der per-country-limitation in ihrem Sitzstaat umgangen und faktisch eine overall-limitation der Anrechnungsbeträge bewirkt. Voraussetzung ist dabei, dass der Sitzstaat der Holding den Anrechnungshöchstbetrag mittels einer over-all-limitation festlegt oder die Dividenden freistellt. Der Ansässigkeitsstaat der Spitzeneinheit muss ferner die Anrechnung der von den Enkelgesellschaften gezahlten Steuern in Drittstaaten erlauben, wenn die Dividenden im Holdingstaat freigestellt sind. Eine solche Gestaltung erweist sich nur dann als vorteilhaft, wenn tatsächlich relevante Anrechnungsbeträge anfallen und diese auch mit entsprechenden Anrechnungsüberhängen kompensiert werden können. Darüber hinaus sind profitable operative Einheiten notwendige Voraussetzung, da negative Ergebnisse bei einer over-all-limitation den Anrechnungshöchstbetrag reduzieren und damit die Vorteilhaftigkeit der gesamten Gestaltung gefährden.

314

Beispiel

x

Internationale Gestaltungsstrategien Credit Mix Shopping und die Anwendung von EUFT443 in England

Die Muttergesellschaft ist in England ansässig und hält 100 % der Anteile an einer deutschen Tochter-GmbH und an einer Tochter-AG in der Schweiz. Die deutsche und die schweizer Tochter erwirtschaften jeweils einen Gewinn vor Steuern i.H.v. 1.000.000 €. Der deutsche Gewinn ist mit Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer (Hebesatz 400 %) und Solidaritätszuschlag i.H.v. 38,65 % belastet. Die Höhe der Ertragsteuern in der Schweiz liegen in dem gewählten Kanton bei 16 %444. In England wurde bis 2001 die Anrechnungsmethode mit per-country-limitation zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen angewendet. Daraus ergab sich je Land ein Anrechnungshöchstbetrag i.H.v. 300.000 €445, und es kam infolgedessen einerseits zu einem Anrechnungsüberhang von 86.500 € für die deutschen Einkünfte und andererseits zu einem ungenutzten Anrechnungsbetrag von 140.000 € für die Einkünfte aus der Schweiz. Die Differenz von 140.000 € verfiel ungenutzt und konnte nicht auf den Anrechnungsüberhang in Deutschland übertragen werden. Ab 2001 gelten nach entsprechenden Gesetzesänderungen nunmehr verschärfte Anrechnungsregelungen. Zum einen wurde die starre per-country-limitation für in England ansässige Gesellschaften durch eine modifizierte446 over-all-limitation ersetzt.447 Zum anderen wurde ein sog. Mixer-Cap eingeführt, der eine Durchschnittsbildung der Steuerbelastungen einer ausländischen Mixer-Company nicht mehr anerkennt, sondern den Anrechnungshöchstbetrag für die nachgelagerten ausländischen Gesellschaften direkt berechnet.

Gestaltungsmöglichkeit: Bis 2001 war der direkten Anbindung an die Muttergesellschaft die Zwischenschaltung einer niederländischen Holding (mixer company), die sowohl die deutsche als auch die schweizer Tochter gehalten hat, vorzuziehen. Die Holding konnte die Beteiligungserträge in den Niederlanden steuerfrei einnehmen und „vermischte“ die mit unterschiedlich hohen 443

Eligible Unrelievied Foreign Tax (= Steuergutschrift zur Verrechnung mit Anrechnungsüberhängen im englischen Steuersystem).

444

Das Schweizer Steuersystem erfasst Erträge auf Bundesebene und auf Kantonsebene getrennt. Die Bundessteuer beträgt 8,5 %. Da die Steuern von der Bemessungsgrundlage abziehbar sind, ergibt sich eine effektive Steuerbelastung auf Bundesebene von 7,8 %. Die regionalen Steuern schwanken zwischen 6 % und 32 % des Einkommens vor Steuern. In dem Fallbeispiel betragen die Regionalsteuern 8,2 %.

445

Die Anrechnung darf die Höhe der britischen Ertragsteuern (30 %) auf die ausländischen Gewinne nicht überschreiten.

446

Ausländische Ertragsteuern werden nicht uneingeschränkt anerkannt, sondern nur bis zu einer maximalen Höhe von 45 %.

447

Vgl. Endres, D., Typische Holdingstrukturen anhand von Beispielfällen, WPg-Sonderheft 2003, S. 60; Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 834 ff.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

315

Steuern belasteten Erträge, so dass es zu einer Durchschnittsbildung kam (Belastung: (368.500 € + 160.000 €) / 2.000.000 € = 27,32 %) und der britische Anrechnungshöchstbetrag von 600.000 € fast vollständig ausgenutzt wurde. Ab 2001 ist wahlweise die direkte Anbindung an die Muttergesellschaft oder die Zwischenschaltung einer in England ansässigen Gesellschaft sinnvoller. Insbesondere die Nutzung der modifizierten over-all-limitation für englische Gesellschaften ermöglicht, im Rahmen des EUFT, die länderübergreifende Verrechnung von Anrechnungsüberhängen mit ungenutzten Anrechnungsbeträgen. Des Weiteren ist durch Einführung des Mixer-Cap eine ausländische mixer-company wirkungslos.

Bis 2001 sinnvolle Gestaltung durch Einschaltung einer mixer company

Fast vollständige Anrechnung möglich

Ertragsteuern GB: 30,00 %

Mutter Ltd. (England)

Mixer-Holding (Niederlande)

Tochter GmbH (Deutschland) KSt,GewSt, SolZ: 38,65 %

Abbildung 86:

Ab 2001 direkte Anbindung der Tochtergesellschaften

Anrechnungsüberhang für deutsche Dividenden i.H.v. 8,65 %

Nutzung des Anrechnungs guthabens durch EUFT für schweizer Dividenden i.H.v. 14,00 %

Nach Verrechnung verbleiben 53.500 € Anrechnungsguthaben Belastung: 27,32 %

Tochter GmbH (Schweiz) Ertragsteuern: 16,00 %

Credit Mix Shopping

Mutter Ltd. (England)

Tochter GmbH (Deutschland) KSt,GewSt, SolZ: 38,65 %

Tochter GmbH (Schweiz) Ertragsteuern: 16,00 %

316

Internationale Gestaltungsstrategien

1.3.2.2 Umformung von Einkünften Bei der Umformung von Einkünften (sog. secondary sheltering448) ist der Steuerpflichtige bestrebt, die ausländischen Einkünfte in eine Einkunftsart umzuformen, für die ein bestehendes DBA vergleichsweise günstigere Regelungen bietet. Typischer Anwendungsfall ist die Vergabe von verzinslichen Gesellschafterdarlehen an Stelle der Ausstattung mit Eigenkapital. Gewinnausschüttungen werden dadurch schon auf Ebene der operativen Einheit in Zinsaufwand umgeformt, so dass korrespondierend (oft quellensteuerfreie) Zinserträge bei der Holding anfallen. Des Weiteren können Ziele wie die Verlagerung von Erträgen in Niedrigsteuerländer oder die Transformierung von „steuerschädlichen“ Einkünften durch die Einschaltung zusätzlicher Gesellschaften in „steuerbegünstigte“ Einkünfte verfolgt werden.449

Beispiel

Unter dem Begriff „rule shopping“ werden Gestaltungen zur Umgehung „eigentlich“ zutreffender Regelungen verstanden, um noch günstigere Regelungen in Anspruch nehmen zu können.450 Im Gegensatz zum treaty shopping genießt der Steuerpflichtige bereits Abkommensschutz, versucht aber, durch Ausnutzen von Gestaltungsspielräumen die Anwendung bestimmter Vorschriften herbeizuführen. Zinsen statt Betriebsstättengewinne Zwei niederländische Staatsangehörige sind Gesellschafter einer deutschen oHG. Weiterhin sind sie Gesellschafter einer Schweizer AG, die an der oHG still beteiligt ist. Die Einkünfte aus der typischen stillen Beteiligung an der oHG wären ohne die Einschaltung der AG beschränkt steuerpflichtige Sondervergütungen und dem Ergebnis der oHG zuzurechnen. Durch die Einschaltung der AG sind die Zahlungen an diese als Zinsen abzugsfähige Betriebsausgaben bei der oHG und eben keine Gewinnanteile nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG.451

1.3.2.2.1

Reduktion von Quellensteuern

In der Grundform der Vergabe von Gesellschafterdarlehen an untergeordnete Gesellschaften kann eine Holdinggesellschaft das von der Spitzeneinheit erhaltene Eigenkapital in Form von Gesellschafterdarlehen an die Grundeinheit weiterleiten. Somit wird die Gewinnausschüttung der operativen Einheit in Zinsaufwand transformiert, der auf Ebene 448

Im Gegensatz zum „primary sheltering“ soll nicht nur der Zugriff des Ansässigkeitsstaates der Spitzeneinheit verhindert werden, sondern die Erträge sollen in Form einer anderen Einkunftsart an die Spitzeneinheit weitergeleitet werden.

449

Vgl. Kessler, W., Die Euro-Holding, München 1996, S. 86 ff.

450

Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin H./ Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Band I: Kommentierung des OECD-MA, 92. Erg.Lief., München 2004, Art. 1 OECD-MA, Rz. 56 ff.

451

Vgl. BFH v. 10.11.1983, IV-R-62/82, BStBl. II 1984, S. 605.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

317

der Holding als Zinsertrag zu versteuern ist. Eine derartige Konstruktion ist nur dann vorteilhaft, wenn der Sitzstaat Zinsen niedriger als Dividenden besteuert und die Erträge in der Holding nicht oder nur gering mit Quellen- und Ertragsteuern belastet werden. Eine alternative Möglichkeit ist die Vergabe von Darlehen durch die Spitzeneinheit an die Holding; dementsprechend findet die Umqualifizierung dann auf Ebene der Holding statt. Dies ist dann vorteilhaft, wenn der Holdingstaat keine oder nur geringe Quellensteuern auf Zinsen erhebt und die Ertragsteuerbelastung im Staat der Spitzeneinheit niedriger ist als auf Ebene der Holding. x Beispiel

Rule Shopping: Reduktion der Quellensteuer Zinsen statt Dividenden Der in einem DBA-Staat ansässige Gesellschafter einer deutschen GmbH stattet diese (im nach § 8a KStG zulässigen Rahmen) mit Darlehen aus. Er strebt dabei die Vermeidung der deutschen Quellensteuer auf Dividenden an, da für Zinsen üblicherweise keine oder nur eine geringe Quellensteuer erhoben wird.

Mit Einschaltung einer Holding könnte die Umqualifizierung je nach Vorteilhaftigkeit auf Ebene der Grundeinheit oder auf Ebene der Holding vorgenommen werden.

Rule Shopping: Umqualifizierung auf Ebene der Holding

Rule Shopping: Umqualifizierung auf Ebene der Grundeinheit Mutter

Dividende

Mutter

Zinserträge

FK Holding

Zinserträge

Holding

BAAbzug

Tochter

BAAbzug

Tochter

Gewinn

FK

Abbildung 87:

1.3.2.2.2

Rule Shopping

Einkünfteerzielung in Niedrigsteuerländern

Tochtergesellschaften von international operierenden Konzernen sind in Staaten mit zum Teil höchst unterschiedlichen Steuersystemen und Ertragsteuersätzen ansässig. Diese Ge-

318

Internationale Gestaltungsstrategien

gebenheit kann durch die geschickte Planung der Gewinnentstehung in den einzelnen Tochtergesellschaften unter Beachtung des internationalen Steuergefälles genutzt werden, um die Konzernsteuerquote zu senken, indem Aufwand in hoch besteuernden Ländern und die korrespondierenden Erträge in niedrig besteuernden Ländern realisiert werden. Während Gewinnabgrenzungen zwischen den produzierenden Einheiten vor allem über eine gezielte Verrechnungspreispolitik vorgenommen werden, steht bei Einschaltung einer Zwischenholding die Gestaltung der Beteiligungsfinanzierung im Mittelpunkt. Vor diesem Hintergrund werden auf Ebene der operativen Gesellschaft im hoch besteuernden Quellenstaat durch die Aufnahme von konzerninternen Darlehen Gewinnausschüttungen in Zinsaufwand umgeformt. Die korrespondierenden Zinserträge fließen einer Holding zu, deren Ansässigkeitsstaat die Zinserträge gering oder überhaupt nicht besteuert. Derartige Gestaltungen führen nur dann zu einer niedrigeren Gesamtsteuerbelastung, wenn die als Dividenden repatriierten Zinserträge bei der Spitzeneinheit keiner – die Gestaltung wirkungslos werden lassender – Steuerbelastung mehr unterliegen. Darüber hinaus erschwert eine Hinzurechnungsbesteuerung452 im Sitzstaat der Spitzeneinheit weitgehend die Verlagerung von Einkünften in Niedrigsteuerländer.

Beispiel

x

Tax Rate Shopping

Die in England ansässige Muttergesellschaft führt ihr Europageschäft über eine in Brüssel ansässige Holdinggesellschaft, die die Beteiligung an einer sehr profitablen deutschen sowie einer schweizer Tochtergesellschaft hält. Wird der deutschen Gesellschaft über die schweizer Tochtergesellschaft ein Darlehen gewährt, kann ein Teil der Gewinne in Zinsaufwendungen umgeformt werden. Die korrespondierenden Zinserträge werden in der Schweiz lediglich einer Ertragsbesteuerung von 16 %453 unterworfen.

452

Vgl. hierzu das folgende Kapitel zum AStG.

453

Vgl. hierzu das Beispiel zum Credit Mix Shopping.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

319

Tax Rate Shopping Mutter Ltd. (England)

Holding (Belgien)

Tochter (Deutschland) Gewinn Zinsaufwand KSt, GewSt, SolZ: 38,65 %

FK

Keine Hinzurechnungsbesteuerung in Belgien

Tochter (Schweiz) Gewinn Ertragsteuern: 16,00 %

Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerland durch Umformung von Gewinnen in Zinsaufwendungen

Abbildung 88:

Tax Rate Shopping

1.3.2.3 Temporäre Abschirmung von Einkünften Die temporäre Abschirmung von Einkünften (primary sheltering) ist vor allem für Spitzeneinheiten interessant, deren Ansässigkeitsstaaten die Anrechnungsmethode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung verwenden. Dabei kommt es bei höheren Steuersätzen im Staat der Spitzeneinheit systembedingt immer zu einem Heraufschleusen auf dieses Steuerniveau. Bei einer unmittelbaren Beteiligung an der Tochtergesellschaft kann dieser Effekt nur durch die Thesaurierung der Dividenden durch die Tochter unterbunden werden. Allerdings ist in vielen Fällen der Verbleib der Erträge in der operativen Gesellschaft unerwünscht, da sie nicht mehr für andere Investitionsprojekte im Konzern zur Verfügung stehen würden. Durch die Zwischenschaltung einer Holdinggesellschaft, die in einem Staat ansässig ist, der für Dividenden ein Schachtelprivileg gewährt (deferral shopping)454,lassen sich die Erträge der Grundeinheit vor der Besteuerung des Domizilstaates der Spitzeneinheit bewahren. Wird die Dividendenkette derartig (temporär) unterbrochen und werden die Einkünfte auf Ebene der Holdinggesellschaft thesauriert, stehen dem Unternehmensverbund die Finanzmittel für Reinvestitionen zur Verfügung. Die Holding wird auf diese Weise zu einer „Finanzdrehscheibe“ im Konzern. Darüber hinaus entstehen

454

„Deferral“ wird wörtlich mit „Abgrenzung“ übersetzt.

320

Internationale Gestaltungsstrategien

Steuerstundungs- und Zinseffekte, da die höhere Ertragsteuerbelastung des Staates der Muttergesellschaft zeitlich hinausgezögert werden kann. Falls die Steuersätze im Ansässigkeitsstaat der Spitzeneinheit niedriger sind als in jenem der Tochtergesellschaft, kommt es durch die per-country-limitation im Ausschüttungsfall häufig zu Anrechnungsüberhängen und damit zu Definitivbelastungen durch Quellensteuern, die in gleicher Weise durch die Holding vermieden werden könnten. x

Beispiel

Deferral Shopping: Vermeidung des Heraufschleusens auf das Steuerniveau des Ansässigkeitsstaates des Dividendenempfängers

Werden die Dividenden einer schweizer Tochtergesellschaft direkt an die amerikanische Muttergesellschaft ausgeschüttet, geht der Vorteil des niedrigen Steuersatzes in der Schweiz verloren. Wird hingegen eine niederländische Holdinggesellschaft zwischengeschaltet, können die Dividenden aus der Schweiz aufgrund unilateraler Maßnahmen steuerfrei vereinnahmt, thesauriert und reinvestiert werden.

Mutter (USA)

Holding (Niederlande)

KSt: 35 %

Dividende

QSt: 5 % bzw. 0 % bei Beteiligungshöhe > 80 % Reinvestition QSt: 0 %

Tochter (Schweiz) Ziel: Folge:

Abbildung 89:

Gewinn

KSt: 16 %

Vermeidung des Heraufschleusens auf das höhere US-amerikanische Steuerniveau Zins- und Liquiditätsvorteile durch Thesaurierung bei der Holding

Deferral Shopping zur Vermeidung des Heraufschleusens auf das Steuerniveau des Domizilstaates der Spitzeneinheit

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften x

321

Beispiel

Deferral Shopping: Beseitigung von Anrechnungsüberhängen Sind die Tochtergesellschaften einer amerikanischen Muttergesellschaft ausschließlich in Deutschland ansässig, so entsteht durch die höhere Steuerbelastung in Deutschland trotz der over-all-limitation ein Anrechnungsüberhang, wodurch die Quellensteuer (zumindest teilweise) zu einer Definitivbelastung wird. Bei einer Thesaurierung auf Ebene einer niederländischen Holding lässt sich diese Definitivbesteuerung zeitlich verlagern bzw. vollständig vermeiden, da die Beteiligungshöhe größer als 80 % ist; der Konzern erhält in dieser Zeit aus der als Finanzdrehscheibe fungierenden Holding zusätzliche Mittel zur Investition in eine andere Tochtergesellschaft.

Deferral Shopping Mutter (USA)

KSt: 35 %

ve sti tio n

100 %

Re in

Holding (Niederlande)

Tochter 2 (Deutschland)

Abbildung 90:

1.3.3

QSt: 0 %

100 %

100 %

Ziel:

Dividende

Tochter 1 (Deutschland)

QSt: 0 % Beteiligungshöhe > 80 %

Gewinn

KSt, GewSt, SolZ: 38,65 %

Vermeidung der definitiven Quellensteuerbelastung aufgrund des Anrechnungsüberhangs Deferral Shopping zur Beseitigung von Anrechnungsüberhängen

Allokationsstrategien

Bei den dargestellten Repatriierungsstrategien war die Holdinggesellschaft stets lediglich ein zusätzliches Element, das in den konzerninternen Zahlungsstrom von der Grund- an die Spitzeneinheit zwischengeschaltet wurde, selbst aber keine Einkünfte realisierte. Allokationsstrategien erweitern den Einsatzbereich von Holdinggesellschaften, indem diese selbst Einkünfte erzielen und so die Zurechnung der konzernexternen Einkünfte auf die einzelnen Konzernebenen beeinflussen. Das ökonomische Ergebnis des Gesamtkonzerns verändert sich dabei wie bei den Repatriierungsstrategien nicht. Der Einsatz von Allokationsgestaltungen ist zu empfehlen, wenn durch die Realisation der Ergebnisse bei der Holding eine geringere Belastung als auf Ebene der Grund- oder Spitzeneinheit entsteht.

322

Internationale Gestaltungsstrategien

Je nach Ausgangspunkt ist dabei eine Verlagerung nach unten (top down) von der Spitzengesellschaft in die Holding oder eine Verlagerung nach oben (bottom up) von der Grundeinheit in die Holding denkbar.

1.3.3.1 Verlagerung nach unten Eine Verlagerung von Einkünften von der Spitzeneinheit in die Holding ist nur dann möglich, wenn diese unmittelbar wirtschaftlich mit der Beteiligung zusammenhängen. Denkbar sind die Realisation von Veräußerungs- und Liquidationsgewinnen (bzw. -verlusten), die Vornahme von Teilwertabschreibungen auf Beteiligungen und Gesellschafterdarlehen sowie die Verlagerung von Aufwendungen, die mit dem Erwerb, dem Halten oder der Finanzierung von Beteiligungen zusammenhängen.

Beispiel

x Capital Gains Exemption Shopping Grundsätzlich unterliegen Veräußerungsgewinne (capital gains) sowohl im Domizilstaat der Grundeinheit im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht als auch im Sitzstaat der Spitzeneinheit aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht einer Besteuerung. Durch ein DBA wird das Besteuerungsrecht regelmäßig dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers zugesprochen (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Eine Verlagerung von Veräußerungs- und Liquidationserlösen in die Zwischenholding ist dann sinnvoll, wenn der Holdingstandort die Erlöse günstiger besteuert als der Sitzstaat der Muttergesellschaft oder diese sogar vollständig freistellt.

Eine in Frankreich ansässige Gesellschaft hält ihre Beteiligung an einer italienischen Tochtergesellschaft mittelbar über eine deutsche Zwischenholding. Die italienische Tochter erfuhr seit dem Erwerb der Beteiligung eine beträchtliche Wertsteigerung und soll nun gewinnbringend veräußert werden. Zur Ausgliederung stehen alternativ der Verkauf der deutschen Holding oder der Verkauf der Beteiligung an der italienischen Tochter durch die Holding zur Diskussion. Da zwischen allen beteiligten Staaten DBA bestehen, wird der Veräußerungserlös jeweils im Ansässigkeitsstaat des Veräußerers besteuert. Eine Veräußerung der Anteile an der Holding wäre mit einer Realisation des Veräußerungsgewinns bei der Muttergesellschaft und der Besteuerung in Frankreich verbunden, da Frankreich kein Schachtelprivileg für Veräußerungsgewinne gewährt. Verkauft stattdessen die Holding ihre Anteile, ist der Veräußerungserlös gem. § 8b Abs. 2 KStG von einer Besteuerung befreit und kann von der Holding als Dividende an die französische Muttergesellschaft weitergeleitet werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass gem. § 8b Abs. 3 KStG 5 % der Bruttoveräußerungsgewinne als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben qualifiziert werden, im Gegenzug aber sämtliche Aufwendungen uneingeschränkt abzugsfähig sind.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

323

Capital Gains Exemption Shopping Mutter (Frankreich)

Dividende

Holding Veräußerungs(Deutschland) gewinn

Tochter (Italien)

Abbildung 91:

Steuerfrei: Schachtelprivileg für Dividenden in Frankreich Steuerfrei: § 8b Abs. 2 KStG

Gewinn

Capital Gains Exemption Shopping

x Deduction Shopping Für grenzüberschreitend tätige Konzerne sind die Möglichkeiten der steuerwirksamen Berücksichtigung von defizitären Tochtergesellschaften stark eingeschränkt. Lediglich ein Verlustvortrag bzw. -rücktrag zum Ausgleich mit positiven Einkünften der Tochtergesellschaft in anderen Perioden ist in den meisten Ländern möglich. Für deutsche Spitzeneinheiten ist durch das Steuersenkungsgesetz auch die Möglichkeit entfallen, auf defizitäre Beteiligungen im Ausland steuerwirksame Teilwertabschreibungen vorzunehmen (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG). Im Falle von dauerhaften Verlusten der Tochter wird auch ein Liquidationsverlust bei Aufgabe des Engagements auf Ebene der deutschen Spitzeneinheit nicht mehr anerkannt. Da Verluste nicht verrechnungsfähig sind, stellt es jedoch einen Verstoß gegen das Nettoprinzip dar, wenn sich auch Liquidationsverluste steuerlich nicht auswirken dürfen. Durch die Verlagerung des Liquidationsverlustes auf eine Holding in einem Land, das eine Berücksichtigung des Liquidationsverlustes erlaubt, bleibt der Verlust für den Unternehmensverbund erhalten und lässt sich zumindest zur Verrechnung mit anderen positiven Einkünften der Zwischenholding nutzen.

Internationale Gestaltungsstrategien

324

Direkte Anbindung

Deduction Shopping Liquidationsverlust bleibt in der Holding nutzbar zur Verrechnung mit anderen Einkünften

Liquidationsverlust kann steuerlich nicht geltend gemacht werden: § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG

Mutter Liquidations(Deutschland) verlust

Keine TWMutter (Deutschland) Abschreibung 100%

Tochter (Spanien)

operativer Verlust

Holding Liquidations(Niederlande) verlust

Tochter (Spanien)

Abbildung 92:

operativer Verlust

Deduction Shopping

In Deutschland können für in- und ausländische Beteiligungen weder Teilwertabschreibungen noch Veräußerungs- und Liquidationsverluste steuerlich geltend gemacht werden (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG). Werden hingegen Gesellschafterdarlehen gewährt, kann der Gläubiger die Verluste in Form von Wertberichtigungen auf die Darlehensforderungen berücksichtigen. Direkte Anbindung

Deduction Shopping

Liquidationsverlust kann steuerlich nicht geltend gemacht werden: § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG

Indirekte Berücksichtigung des Liquidationsverlustes über eine Forderungsabschreibung

Mutter Liquidations(Deutschland) verlust

Mutter Forderungs(Deutschland) abschreibung FK

Tochter (Deutschland)

operativer Verlust

Holding Liquidations(Deutschland) verlust Tochter (Deutschland)

Abbildung 93:

Deduction Shopping, Forderungsabschreibung

operativer Verlust

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

325

x Debt-push-down Bei der steueroptimalen Gestaltung der Beteiligungsfinanzierung ist im Rahmen der Steuerung der Bemessungsgrundlage auch die Finanz- und Kapitalausstattung der einzelnen Konzerngesellschaften festzulegen. Die Finanzierung kann dabei unmittelbar durch die Spitzeneinheit oder mittelbar über eine Zwischenholding bzw. Finanzierungsgesellschaft erfolgen. Dies geschieht bei Außenfinanzierung durch Eigen- oder Fremdkapital oder über eine Innenfinanzierung aus thesaurierten Gewinnen bzw. gebildeten Rücklagen. Im rein national tätigen Konzern ist die Neutralität der Finanzierung gewährleistet, da bei einem Gesellschafterdarlehen der gewinnmindernde Zinsaufwand der Tochter bei der Muttergesellschaft einen Zinsertrag in gleicher Höhe darstellt, der dem gleichen Steuersatz unterliegt wie die Gewinne der Tochtergesellschaft. Bei internationalen Konzernen ist eine steuerneutrale Finanzierung hingegen nicht garantiert, wenn bspw. Dividenden einer höheren Quellensteuer unterliegen als Zinsen. Ist zusätzlich der Körperschaftsteuersatz im Sitzstaat der Tochtergesellschaft höher als im Sitzstaat der Muttergesellschaft, wird die Steuerdifferenz noch größer. Die Entscheidung der Spitzeneinheit zwischen Eigenkapital- und Fremdkapitalfinanzierung ist somit eine Wahl zwischen Dividenden- und Zinseinkünften sowie eine Bestimmung des Besteuerungsortes.

Direkte Anbindung

Debt-Push-Down

Zinsaufwand führt in der niedrig besteuernden Schweiz (Belastung i.H.v. ca. 16 %) zu Aufwand

Durch Weiterleitung des Darlehens kann der Zinsaufwand im höher besteuernden Inland (Belastung i.H.v. 38,65 %) abgezogen werden FK

FK Mutter AG (Schweiz)

Mutter AG (Schweiz)

Bank

Bank FK

Tochter GmbH (Deutschland)

Abbildung 94:

Tochter GmbH (Deutschland)

Verlagerung von Zinsaufwand

Die Steuerplanung zielt auf eine Verlagerung von Aufwendungen in hoch besteuerte Konzerneinheiten bei gleichzeitiger Übertragung von Erträgen in niedrig besteuernde Länder ab. Dahinter steht der Gedanke, dass die Zinsaufwendungen dort anfallen sollen, wo sie die größte steuerliche Wirkung entfalten. Bei der Entscheidung zwischen Eigen- und Fremdkapitalvergabe an ausländische Konzerneinheiten kann allerdings das Steuergefälle nicht das

Internationale Gestaltungsstrategien

326

einzige Kriterium bleiben, da insbesondere die Regelungen zur Unterkapitalisierung, sog. thin capitalization rules, in die Betrachtung einzubeziehen sind.

1.3.3.2 Verlagerung nach oben Um steuerlich die wirtschaftliche Einheit des Konzerns zu berücksichtigen, wurden in den meisten Staaten spezielle Rechtsinstitute geschaffen, die eine Gruppenbesteuerung zulassen. Vorteilhaft ist eine Besteuerung des Unternehmensverbundes vor allem durch die sofortige Ergebniskonsolidierung von Gewinnen und Verlusten im Konzern. In Deutschland wird dies durch das Rechtsinstitut der Organschaft gem. §§ 14 ff. KStG realisiert. Durch die Begründung einer derartigen Organschaft wird dem Organträger das Einkommen der Organgesellschaften zugerechnet (Verlagerung nach oben) und unterliegt bei diesem mit dem konsolidierten Ergebnis der Besteuerung. In manchen Ländern wie z.B. England sind außerdem die Eliminierung von Zwischengewinnen sowie die steuerneutrale Übertragung von Wirtschaftsgütern innerhalb des Organkreises unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Als Folge müssen erst dann Steuern bezahlt werden, wenn der Konzern als Ganzes ein positives Ergebnis erwirtschaftet (group relief shopping).

Group Relief Shopping

Mutter

Inland Ausland

a

Holding

Organschaft Tochter 1

Abbildung 95:

Tochter 2

Group Relief Shopping

Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Einheit eines Konzerns endet allerdings im Allgemeinen an den jeweiligen Landesgrenzen. Die Möglichkeit, grenzüberschreitende Organschaften zu errichten, ist in Dänemark, Frankreich455 sowie seit dem 01. Januar 2005 in Österreich durch die Gruppenbesteuerung gegeben. Für internationale Konzerne sind somit 455

Frankreich erhebt allerdings strenge Auflagen für eine grenzüberschreitende Organschaft; vgl. International Bureau of Fiscal Documentation, European Tax Handbook 2005, Band 16, Amsterdam 2005, France, S. 223.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

327

die Grundlagen für eine grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung (cross border group relief shopping) größtenteils eingeschränkt.

Cross Border Group Relief Shopping

Mutter

Inland Dänemark

a

Holding

Organschaft Tochter 1

Tochter 2

Frankreich Tochter 3

Abbildung 96:

Cross Border Group Relief Shopping

Die folgenden Schaubilder stellen nochmals die unterschiedlichen Ziele und Strategien dar, die dem Steuerplaner durch den Einsatz von Holdinggesellschaften offen stehen.

328

Internationale Gestaltungsstrategien

Repatriierungsstrategien

Umleitung von Einkünften

Umformung von Einkünften

Temporäre Abschirmung von Einkünften

Î Verbesserte Dividendenroute

Î Umqualifikation in eine andere Einkunftsart, für die günstigere DBARegelungen gelten

Î Umgehung der negativen Folgen der Anrechnungsmethode

Gestaltungsziele x Reduktion von Quellensteuern x Vermeidung von Doppelbesteuerung x Reduktion von Anrechnungsüberhängen

x Reduktion von Quellensteuern x Einkünfteerzielung in Niedrigsteuerländern

x Vermeidung des Heraufschleusens auf ein höheres Steuerniveau im Ansässigkeitsstaat x Reduktion von Anrechnungsüberhängen

beispielhafte Gestaltungsmittel x Umleitung von Dividenden über Zwischenholding mit niedrigeren Quellensteuersätzen (treaty shopping/ directive shopping) x Umleitung von Dividenden über Zwischenholding mit günstigerem Schachtelprivileg (participation exemption shopping) x Umleitung über Holding mit günstigem Schachtelprivileg (credit mix shopping)

Abbildung 97:

x Umformung von Dividenden in Zinsen (rule shopping) x Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerland durch Umformung von Gewinnen in Zinsaufwendungen (tax rate shopping)

Übersicht Repatriierungsstrategien

x Temporäre Abschirmung durch steuerfreie Gewinnthesaurierung auf Ebene der Holding (deferral shopping)

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften

Allokationsstrategien

Verlagerung nach unten

Verlagerung nach oben

ÎVerlagerung von Einkünften der Spitzeneinheit in die Holding

ÎVerlagerung von Einkünften der Grundeinheit in die Holding

Gestaltungsziele x Minimierung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen x Steuerwirksame Beteiligungsfinanzierung

x Sicherstellung der Konsolidierung von Gewinnen und Verlusten im Konzern (Organschaft)

beispielhafte Gestaltungsmittel x Verlagerung von Veräußerungsgewinnen in Holding in einem Land mit günstigerem Schachtelprivileg für Veräußerungsgewinne (capital gains exemption shopping) x Verlagerung von Veräußerungsund Liquidationsverlusten in Holding in einem Land mit weitergehenden Abzugsmöglichkeiten (deduction shopping) x Verlagerung von Aufwendungen in hoch besteuerte Konzerneinheiten bei gleichzeitiger Übertragung von Erträgen in niedrig besteuernde Länder (debt-push-down)

Abbildung 98:

x Verlagerung der Gewinne und Verluste der Grundeinheiten in Holding (group relief shopping / cross border group relief shopping)

Übersicht Allokationsstrategien

329

330

Standortbedingungen

1.4 Standortbedingungen Durch die äußerst unterschiedlichen steuerlichen Zielsetzungen der Einschaltung einer Holdinggesellschaft kann keine allgemeine Empfehlung für einen „optimalen“ Holdingstandort ausgesprochen werden. Die Auswahl wird im Einzelfall davon abhängig sein, in wieweit der entsprechende Standort die Anforderungen des Konzerns im Zusammenhang mit dem angestrebtem Gestaltungsziel erfüllen kann. Anders als bei der Wahl von Produktionsstandorten ist eine Holdinggesellschaft nur wenig von außersteuerlichen Standortfaktoren abhängig; dementsprechend ist eine Vielzahl von Ländern mit zum Teil sehr unterschiedlichen Steuersystemen auf ihre Eignung zu überprüfen. Zusammen mit der oft hohen Änderungsgeschwindigkeit der steuerrechtlichen Bestimmungen und der unterschiedlichen Gewichtung der entscheidungsrelevanten Kriterien ergibt sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Einzelfall ein höchst komplexes Entscheidungsfeld. Dementsprechend können dieselben Merkmale, die für die Standortentscheidung eines Konzerns von besonderer Relevanz waren, wiederum völlig unerheblich für die Wahl eines anderen Standorts sein.

1.4.1

Entscheidungsrelevante Standortkriterien

Unabhängig von einer konkreten Zielvorstellung sollte ein vorteilhafter Holdingstandort die in der folgenden Tabelle dargestellten Merkmale aufweisen. Die jeweilige Gewichtung der einzelnen Standortkriterien resultiert primär aus der individuellen steuerlichen Zielverfolgung, die mit Einschaltung der Holding erreicht werden soll. Beispielsweise sind für eine erfolgreiche Vermeidung von Quellensteuern durch treaty shopping ein möglichst umfassendes DBA-Netz sowie eine Steuerfreistellung von Beteiligungserträgen im Ansässigkeitsstaat der Holdinggesellschaft Voraussetzung. Die Sicherstellung der Abzugsfähigkeit von Aufwand in Zusammenhang mit den Beteiligungen durch deduction shopping gelingt nicht, wenn der Domizilstaat der Holding Refinanzierungsaufwendungen und Teilwertabschreibungen nicht anerkennt.

Internationale Steuergestaltung durch den Einsatz von Holdinggesellschaften Außersteuerliche Kriterien x politische Stabilität und positives wirtschaftliches Klima x stabile und frei konvertierbare Währung x keine Kapital- und Gewinntransferbeschränkungen x geringe gesetzliche oder administrative Auflagen (z.B. keine lokalen Mindestkapitalbeteiligungen, großzügige Aufenthaltsregelungen für Ausländer)

331

Steuerliche Einflussfaktoren x Freistellung von Dividenden- und Betriebsstätteneinkünften sowie von entsprechenden Veräußerungsgewinnen x Abzugsfähigkeit von Refinanzierungskosten, Teilwertabschreibungen und Betriebsstättenverlusten x umfangreiches Abkommensnetz (zur Minimierung von Quellensteuern auf eingehende Erträge)

x gute Infrastruktur, wie z.B. Kommunikations- und Verkehrsverbindungen

x keine Quellensteuern auf abfließende Lizenzgebühren, Zinsen und Dividenden

x flexibles Gesellschaftsrecht und geringe Errichtungskosten für Gesellschaften

x niedrige laufende Besteuerung der Holding und ihrer Mitarbeiter

x hohe Qualität an Beratungsleistungen bzw. von Arbeitskräften

x positives lokales Steuerklima (z.B. unbegrenzter Verlustvortrag, keine Hinzurechnungsbesteuerung, großzügige Regelungen zur Gesellschafter-Fremdfinanzierung, Prüfungspraxis der Steuerverwaltung) x Verzicht auf Substanz- und Kapitalverkehrsteuern

Abbildung 99:

1.4.2

Kriterien eines vorteilhaften Holdingstandortes456

Deutschland als Holdingstandort

Deutschland hat ein klassisches Körperschaftsteuersystem mit einem proportionalen Steuersatz von 25 %. Die grundsätzliche Steuerfreistellung inländischer und ausländischer Dividendeneinkünfte von Kapitalgesellschaften (§ 8b Abs. 1 KStG) erlaubt zusammen mit dem Verzicht auf Quellensteuern innerhalb der EU (§ 43b Abs. 2 EStG) eine zu 95 % steuerfreie Vereinnahmung und Weiterausschüttung von Beteiligungserträgen durch in Deutschland ansässige Zwischenholdings bei gleichzeitigem unbeschränktem Abzug von Finanzierungskosten bzw. diesbezüglicher Aufwendungen. Auch die Umschichtung des Beteiligungsportfolios von Holdinggesellschaften ist durch die ebenfalls 95 %ige Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen (§ 8b Abs. 2 KStG) begünstigt, wobei gleichsam sämtliche damit zusammenhängende Aufwendungen zum Abzug zugelassen sind. Aufgrund der 456

Tabelle in Anlehnung an: Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 841.

332

Standortbedingungen

Lockerung der Voraussetzungen für die Begründung einer ertragsteuerlichen Organschaft (§ 14 KStG, § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) können in Zukunft auch reine Finanzholdinggesellschaften eine Organträgerschaft übernehmen und so eine sofortige Ergebniskonsolidierung im Beteiligungsportfolio erreichen. Den Verbesserungen der Standortfaktoren für Holdinggesellschaften stehen jedoch Maßnahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage entgegen, die die Vorteilhaftigkeit Deutschlands als Holdingstandort relativieren. Dazu zählen insbesondere die pauschale Hinzurechnung von 5 % der steuerfreien Bezüge gem. § 8b Abs. 3, 5 KStG, die im internationalen Vergleich enge Ausgestaltung des safe havens der GesellschafterFremdfinanzierung von Holdinggesellschaften von 1,5:1 (§ 8a Abs. 4 Satz 1 KStG), das Verbot von Teilwertabschreibungen (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) sowie restriktivere Abschreibungsregeln. Viele ausländische Investoren scheuen darüber hinaus das schnelle Änderungstempo der deutschen Steuergesetzgebung und die damit verbundene Rechtsunsicherheit. Ein Beispiel für die ausschließlich an Staatsinteressen ausgerichtete, sprunghafte Gesetzgebung in Deutschland war die Einführung des sog. Körperschaftsteuer-Moratoriums in § 37 Abs. 2a KStG, die als willkürlich und vollkommen unsystematisch bezeichnet werden kann.457 Das relativ hohe Steuerniveau für die Holdingmitarbeiter und die Prüfungspraxis durch die Finanzverwaltung werden von vielen Investoren als weitere Standortnachteile für Deutschland angesehen.458 Häufig werden daher Holdinggesellschaften bevorzugt in Länder mit einer längeren Holdingtradition verlagert, wie bspw. die Niederlande oder Luxemburg.

457

Vgl. Djanani, C./ Brähler, G./ Wesel, K., Das „Körperschaftsteuer-Moratorium“ oder die „Notbremse“ des Fiskus, StB 2003, S. 284 ff.

458

Vgl. Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 843.

Grundlagen

Kapitel V:

333

Verrechnungspreise im Internationalen Steuerrecht

1 Grundlagen 1.1 Verrechnungspreis Die Verrechnungspreisproblematik war im Jahre 2005 nach einer Umfrage unter großen multinationalen Unternehmen das wichtigste Thema im Internationalen Steuerrecht neben der Steuerminimierung und der Vermeidung der Doppelbesteuerung.459 Für den Umfang des Leistungsaustausches zwischen Konzerngesellschaften gibt es bis heute keine genauen Daten. Es wird jedoch geschätzt, dass der Anteil des Austauschs innerhalb von Konzernen mehr als 60 % des Welthandels ausmacht.460 Das gesamte Verrechnungspreisvolumen der EU allein beläuft sich nach Schätzungen auf über 810 Mrd. US-$.461 Aufgrund der Fusions- und Übernahmewelle in den letzten Jahren dürfte dieser Anteil sogar noch gestiegen sein. Die wichtigsten Positionen der grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen innerhalb eines Konzerns sind: x x x x x

Übertragung von Wirtschaftsgütern (Warenlieferungen, Kauf und Verkauf von Anlagevermögen, Sacheinlagen), Gebrauchsüberlassung von materiellen Wirtschaftsgütern (Miete, Pacht), Gebrauchsüberlassung von immateriellen Gütern (Lizenz-, Know-how-Verträge), Dienstleistungen (Assistenz-, Management-, Kontrollleistungen), Kapitalverkehr (Darlehen, Verlustabdeckung, Bürgschaft, Garantie).

In der folgenden Abbildung ist beispielhaft ein Unternehmen mit seinen internationalen konzerninternen Lieferungs- und Leistungsverflechtungen grafisch dargestellt:

459

Vgl. Ernst & Young, Global Transfer Pricing Surveys 2005-2006, S. 4 ff.

460

Vgl. EU (Hrsg.), Studie über die Unternehmensbesteuerung, (SEK 2001) 1681, Brüssel 2001, S. 284.

461

Vgl. Rasch, S., Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht, Köln 2001, S. 11 f.

334

Verrechnungspreis

Konzerninterner Leistungsaustausch Tochtergesellschaft (Vertrieb)

Niederlande

Deutschland

Tochtergesellschaft (Dienstleistung)

Muttergesellschaft

Portugal

(Produktion) Warenlieferungen Erbringung von Dienstleistungen Finanzierungsleistungen

Konzern

Abbildung 100: Konzerninterner Leistungsaustausch Obwohl aus Sicht des Konzerns die Realisierung des Gewinns einen Außenumsatz erfordert, müssen aus steuerlichen Gründen die einzelnen Gesellschaften ihren Gewinn ermitteln, wobei aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit auch konzerninterne Lieferungen und Leistungen zu berücksichtigen sind. Da diese aber nicht auf einem tatsächlichen Markt gehandelt werden, können für konzerninterne Leistungen nur Verrechnungspreise angesetzt werden. Diese Verrechnungspreise stellen somit ein Substitut für fehlende Marktpreise dar; sie schaffen fiktive interne Märkte.462 Da mit Hilfe von Verrechnungspreisen Gewinne verschoben werden können, kommt auf Grund der fortschreitenden Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit den Verrechnungspreisen eine immer größere Bedeutung zu. Insbesondere westliche Industrieländer mit vergleichsweise hohen Steuersätzen haben in den letzten Jahren die Vorschriften zur Verrechnungspreisbestimmung und zur Dokumentationspflicht deutlich verschärft, allen voran die USA463 und Japan. Auf berichtigte Verrechnungspreise können zusätzlich empfindliche Strafzuschläge erhoben werden (in den USA 20-40 %, in Japan bis zu 35 % der nachzuzahlenden Steuern). Dieses Vorgehen ist jedoch kritisch zu beurteilen, da zur Verhängung 462

Vgl. Raupach, A., Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen, Herne/Berlin 1999, S. 34.

463

Vgl. US-Bußgeldvorschriften, Treas. Reg. 1.6662-6 i.V.m. US-Verrechnungspreisvorschriften, Sec. 482.

Grundlagen

335

von Strafzahlungen ein Verschulden des Steuerpflichtigen notwendig wäre, wofür häufig die Beweise fehlen. Abgesehen von den USA und Japan verhängen nur wenige Staaten verschuldensunabhängige Strafen.464 Die Höhe der Strafzuschläge ist dabei von der Schwere des Verstoßes der Unternehmen abhängig. Führen berichtigte Verrechnungspreise zu Gewinnkorrekturen im Inland und wird im Ausland keine Gegenberichtigung vorgenommen, droht dem Unternehmen eine Doppelbesteuerung in Höhe der Gewinnkorrektur. Zur Beseitigung einer solchen Doppelbesteuerung sehen DBA ein Verständigungsverfahren zwischen den Finanzbehörden der beiden betroffenen Staaten vor. Lediglich bei mangelnder Mitwirkung des Steuerpflichtigen kann die Finanzverwaltung als Sanktion ein Verständigungsverfahren ablehnen.465 Die Bestimmung eines exakten Verrechnungspreises erweist sich in Ermangelung des zwischen unabhängigen Unternehmen üblichen Preisbildungsprozesses durch Angebot und Nachfrage in der Praxis meist als äußerst schwierig bzw. nahezu unmöglich, da sämtliche den Verrechnungspreis bestimmende Parameter (wie z.B. die Stellung der Unternehmen im Markt, das Abhängigkeitsverhältnis der beiden beteiligten Unternehmen) berücksichtigt werden müssen. Es wird daher anstatt eines exakten Verrechnungspreises eine Bandbreite festgelegt, innerhalb der der angemessene Verrechnungspreis als jener Preis, der zwischen unabhängigen Dritten zustande gekommen wäre (Fremdvergleichsgrundsatz), liegt. Merke: Der Verrechnungspreis ist derjenige Preis, den eine Gesellschaft eines Konzerns einer anderen Gesellschaft desselben Konzerns für erbrachte Lieferungen oder Leistungen in Rechnung stellt. Die Bestimmung eines exakten Verrechnungspreises ist äußerst schwierig, da er durch eine Vielzahl von Parametern beeinflusst wird und eine Verifizierung durch den Markt fehlt. Verrechnungspreise werden auch zur Steuerung von Unternehmen(steilen) eingesetzt und erfüllen betriebswirtschaftliche Koordinations- und Kontrollfunktionen.466 Im Rahmen der Koordinationsfunktion wird die optimale Ressourcenallokation anhand der Verrechnungspreise gesteuert; sie vereinfachen die Planungsentscheidungen (Wahlmöglichkeit zwischen Fremdbezug oder Eigenproduktion) und ermöglichen die Verkaufspreiskalkulation.467 Insofern sind Verrechnungspreise eine wichtige Voraussetzung, um eine Profit464

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 4.23.

465

Vgl. Vögele, A. (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Aufl., München 2004, S. 583.

466

Vgl. Ewert, R./ Wagenhofer, A., Interne Unternehmensrechnung, 6. Aufl., Berlin 2005, S. 577 ff.; Djanani, C./ Winning, M., in: Kutschker, M. (Hrsg.), Perspektiven der internationalen Wirtschaft, Wiesbaden 1999, S. 247 f.

467

Vgl. Raupach, A., Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen, Herne/Berlin 1999, S. 39 f.

336

Gestaltungsmöglichkeiten

Center-Organisation aufbauen zu können. Die Kontrollfunktion besteht darin, dass durch Soll-Ist-Vergleiche die geplanten Ergebnisse der einzelnen Kostenstellen den tatsächlichen gegenübergestellt werden können. Durch diese Wirtschaftlichkeitskontrolle und die Ermittlung der Ursachen für eventuelle Ergebnisabweichungen werden dem Konzernmanagement Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Außerdem ist mit Hilfe von Verrechnungspreisen eine getrennte Erfolgsermittlung der autonomen Teilbereiche eines Unternehmens möglich (Erfolgsermittlungsfunktion).468

1.2 Gestaltungsmöglichkeiten Den Verrechnungspreisen kommt insofern besondere Bedeutung zu, als mit ihrer Hilfe die Gewinne eines Konzerns zwischen den Konzernunternehmen aufgeteilt werden. Der absolute Gewinn des Konzerns (vor Steuern) bleibt dabei zwar gleich. Es verändern sich jedoch die Gewinne der einzelnen Konzernunternehmen.

Beispiel

Der besondere Reiz der Verrechnungspreise liegt nun darin, dass bei einem entsprechenden Transaktionsvolumen bereits kleine Preisänderungen große Wirkungen auf Gewinne und Verluste der einzelnen Konzernunternehmen haben. Dabei wird man im Konzerninteresse bemüht sein, die Gewinne in jenen Unternehmen entstehen zu lassen, die bspw. entweder niedrig besteuert werden oder hohe Verlustvorträge aufweisen, um die Konzernsteuerquote zu minimieren. Gewinnverlagerungen ins Ausland durch unangemessene konzerninterne Verrechnungspreise werden von dem jeweilig betroffenen Fiskus jedoch verständlicherweise nicht akzeptiert.

468

Die in den USA ansässige Muttergesellschaft Kobayashi Inc. (MG) stellt Kaffeetassen zu Herstellungskosten von 2 €/Stück her und verkauft diese zu alternativen Verrechnungspreisen (siehe Tabelle) an ihre deutsche Tochtervertriebsgesellschaft (TG), die Fenster GmbH. Die Fenster GmbH verkauft nun 10 Mio. dieser Tassen zu 3 €/Stück an einen unabhängigen Abnehmer, was zu einem Umsatzvolumen von 30 Mio. € führt.

Vgl. Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 404.

Grundlagen

337 Verrechnungspreisvolumen

Verrechnungspreise (€/Stück)

von MG an TG verkaufte Tassen

Gesamtverrechnungspreisvolumen (€)

a)

2,00

10 Mio.

20 Mio.

b)

3,00

10 Mio.

30 Mio.

c)

2,10

10 Mio.

21 Mio.

d)

2,50

10 Mio.

25 Mio.

e)

2,90

10 Mio.

29 Mio.

Abbildung 101: Beispiel Verrechnungspreise – Verrechnungspreisvolumen Aus der Tabelle geht das Verrechnungspreisvolumen für die gewählten Alternativen a) - e) hervor. Aufgrund der alternativen Verrechnungspreise ergeben sich unterschiedlich hohe Volumina. Gewinnsituation Gewinn Kobayashi Inc. (€) (Verrechnungspreisvolumen abzüglich HK v. 20 Mio. €)

Gewinn Fenster GmbH (€) (Umsatzvolumen abzügl. Verrechnungspreisvolumen)

Konzerngewinn (€)

a)

0,0 Mio.

10,0 Mio.

10 Mio.

b)

10,0 Mio.

0,0 Mio.

10 Mio.

c)

1,0 Mio.

9,0 Mio.

10 Mio.

d)

5,0 Mio.

5,0 Mio.

10 Mio.

e)

9,0 Mio.

1,0 Mio.

10 Mio.

Abbildung 102: Beispiel Verrechnungspreise – Gewinnsituation Hieraus wird ersichtlich, dass der Konzerngewinn unabhängig von dem jeweils zugrunde gelegten Verrechnungspreis immer gleich hoch ist. Die Gewinne der Kobayashi Inc. und der Fenster GmbH variieren jedoch stark in Abhängigkeit vom jeweiligen Verrechnungspreis.

338

Gestaltungsmöglichkeiten Steuerbelastung Ertragsteuer Kobayashi Inc. (€) (Steuersatz 30 %)

Ertragsteuer Fenster GmbH (€) (Steuersatz 40 %)

Ertragsteuer Gesamtkonzern (€)

a)

0,0 Mio.

4,0 Mio.

4,0 Mio.

b)

3,0 Mio.

0,0 Mio.

3,0 Mio.

c)

0,3 Mio.

3,6 Mio.

3,9 Mio.

d)

1,5 Mio.

2,0 Mio.

3,5 Mio.

e)

2,7 Mio.

0,4 Mio.

3,1 Mio.

Abbildung 103: Beispiel Verrechnungspreise – Steuerbelastung Die Steuerbelastung des Konzerns setzt sich aus der jeweiligen Steuerbelastung der beiden Gesellschaften zusammen. Im vorliegenden Beispielfall wird deutlich, dass die Ertragsteuerbelastung des Gesamtkonzerns am geringsten ist, wenn der gesamte Gewinn bei der Kobayashi Inc. anfällt, und somit dem niedrigeren Ertragsteuersatz von 30 % unterliegt. Dies wird dadurch erreicht, dass die Kobayashi Inc. einen Verrechnungspreis festsetzt, der genau mit dem Absatzpreis der Fenster GmbH übereinstimmt, so dass diese keinen Gewinn erwirtschaftet.

Grundlagen

339

Die folgende Abbildung soll dies noch einmal grafisch verdeutlichen:

Gewinnverlagerung Deutschland

USA

Steuersatz 40 %

Steuersatz 30 %

F - GmbH

Gewinn

K - Inc.

Vor der Gewinnverlagerung Nach der Gewinnverlagerung

Ziel: Verlagerung des Gewinns in die USA Abbildung 104: Gewinnverlagerung Merke: Mit Hilfe von Verrechnungspreisen kann eine Gewinn- bzw. Verlustverlagerung von einem Konzernunternehmen zu einem anderen Konzernunternehmen herbeigeführt werden, so dass eine möglichst geringe Steuerbelastung für den gesamten Konzern entsteht.

Über das tatsächliche Ausmaß des Spielraums von Gewinnverlagerungen durch die Gestaltung von Verrechnungspreisen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Einerseits wird die Meinung vertreten, dass Verrechnungspreise grundsätzlich nach betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Grundsätzen festgelegt werden, und dass aufgrund der Verankerung des Fremdvergleichgrundsatzes kaum Spielraum für eine Gewinnverlagerung gegeben sei.469 Die US-Finanzbehörde hingegen schätzt die Steuereinbußen aus Verrechnungspreismanipulationen auf jährlich ca. 2,8 Mrd. US-$.470 Außerdem geht aus einer Umfrage, die die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young im Jahr 2005 durchgeführt hat,

469

Vgl. Vögele, A. (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Aufl., München 2004, S. 614.

470

Vgl. Boos, M./ Rehkugler, H./ Tucha, T., Internationale Verrechnungspreise – Ein Überblick, DB 2000, S. 2390.

340

Fremdvergleichsgrundsatz

hervor, dass mehr als 40 % der befragten Unternehmen ihre angesetzten Verrechnungspreise berichtigen mussten.471

1.3 Fremdvergleichsgrundsatz Richtlinien zur Bewältigung der Verrechnungspreisproblematik sind insbesondere in den „Grundsätzen für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze)“472 zu finden. Zentraler Grundsatz für die Verrechnungspreisbestimmung ist der Fremdvergleichsgrundsatz (sog. dealing-at-arm’s-lengthPrinzip). Dieses Prinzip ist in den VWG 1983 in Tz. 2.1. als grundlegender Maßstab verankert. Der Fremdvergleichsgrundsatz liegt sämtlichen nationalen Regelungen zur Verrechnungspreisbestimmung zugrunde; damit ist er die Grundlage für die verdeckte Gewinnausschüttung, die verdeckte Einlage und in Deutschland für die Berichtigung von Einkünften nach § 1 AStG. Im internationalen Recht ist das dealing-at-arm’s-length-Prinzip in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA festgelegt und wurde daher in alle deutschen DBA übernommen. Fremdvergleichsgrundsatz: „Geschäftsbeziehungen zwischen Nahestehenden sind steuerlich danach zu beurteilen, ob sich die Beteiligten wie voneinander unabhängige Dritte verhalten haben (Fremdvergleich). Dabei sind Maßstab die Verhältnisse des freien Wettbewerbs. Zugrunde zu legen ist die verkehrsübliche Sorgfalt ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter gegenüber Fremden.“473 Dieser Grundsatz verlangt, dass der Verrechnungspreis für eine Lieferung oder Leistung, die zwischen einem Steuerpflichtigen und einer ihm nahe stehenden Person bzw. zwischen verbundenen Unternehmen erbracht wird, genauso bemessen sein muss, als wenn die Transaktion zwischen unabhängigen Dritten stattgefunden hätte. Das bedeutet, die Verrechnungspreise müssen dem Fremdvergleich standhalten. Der fiktiven Figur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters kommt in diesem Zusammenhang eine „normalisierende und objektivierende Funktion“474 zu. Es wird davon ausgegangen, dass dieser nur Geschäfte nach betriebswirtschaftlichen Aspekten innerhalb 471

Vgl. Ernst & Young, Global Transfer Pricing Surveys 2005-2006, S. 5.

472

Vgl. BMF v. 23.02.1983, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze), IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, S. 218 (im Folgenden zitiert als VWG 1983), Tz. 2.1.1.

473

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.1.1. [Hervorhebungen nicht im Original].

474

Vgl. Vögele, A. (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Aufl., München 2004, S. 179.

341

Grundlagen

seines Handlungsraums tätigt. Der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter ist eine Person, die alles weiß und sich fast nie irrt.475 Er ist somit eine Person, die dem Fremdvergleich verpflichtet ist. Die genannten Rechtsquellen definieren den Fremdvergleich jedoch nicht alle exakt gleichlautend. Auf die genaue Definition des Fremdvergleichs in der jeweiligen Rechtsquelle wird im entsprechenden Unterkapitel im nächsten Abschnitt eingegangen. Es bestehen verschiedene Arten des Fremdvergleichs. So lässt sich unterscheiden zwischen einem betriebsinternen und einem betriebsexternen Fremdvergleich. Der betriebsinterne Fremdvergleich vergleicht eine Transaktion, die ein Konzernunternehmen mit einem anderen, zum gleichen Konzern gehörigen Unternehmen durchführt, mit einer Transaktion, die dasselbe Konzernunternehmen mit einem fremden Unternehmen durchführt. Diese Art des Fremdvergleichs liegt der verdeckten Einlage gem. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG und der verdeckten Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zugrunde.

Betriebsinterner Fremdvergleich

Konzern

Transaktion

= Konzernunternehmen

T ra n sakti on

= fremdes Unternehmen

Abbildung 105: Betriebsinterner Fremdvergleich Im Gegensatz dazu wird beim betriebsexternen Fremdvergleich eine Transaktion zwischen zwei Konzernunternehmen mit einer zwischen zwei anderen, unabhängigen Unternehmen durchgeführten Transaktion verglichen. Auf den betriebsexternen Fremdvergleich wird bei der Berichtigung von Einkünften nach § 1 AStG und bei der GesellschafterFremdfinanzierung gem. § 8a KStG abgestellt.

475

Vgl. BFH v. 28.11.1991, I-R-13/90, BStBl. II 1992, S. 359.

342

Fremdvergleichsgrundsatz

Betriebsexterner Fremdvergleich

Konzern

Transaktion

Transaktion = Konzernunternehmen = fremdes Unternehmen

Abbildung 106: Betriebsexterner Fremdvergleich Demnach können die beiden Arten des Fremdvergleichs (betriebsinterner und -externer), die sich aus den verschiedenen Rechtsquellen ergeben, in Verbindung mit den verschiedenen Methoden zur Verrechnungspreisbestimmung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Daher ist die Frage zu klären, welche Bestimmungen vorrangig sind. Mit dem BFH-Urteil vom 17. Mai 1995476 zielte die Rechtsprechung darauf ab, den Fremdvergleich, der der verdeckten Gewinnausschüttung zugrunde liegt (interner Fremdvergleich), dem aus § 1 AStG (externer Fremdvergleich) anzugleichen. Dies soll erreicht werden, indem auch beim betriebsexternen Fremdvergleich der Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt wird. Der Verrechnungspreis zwischen zwei verbundenen Unternehmen soll deshalb mit dem Preis verglichen werden, den zwei andere, unabhängige Unternehmen vereinbart hätten. Diese Vorgehensweise ist jedoch umstritten. Des Weiteren ist zwischen einem konkreten und einem hypothetischen Fremdvergleich zu unterscheiden. Ein konkreter Fremdvergleich lässt sich nur durchführen, wenn Transaktionen nicht nur zwischen den Konzernunternehmen selbst, sondern auch mit unabhängigen Dritten tatsächlich stattgefunden haben. Ist dies nicht der Fall, muss anhand eines hypothetischen Fremdvergleichs ermittelt werden, welchen Preis unabhängige Unternehmen untereinander vereinbart hätten. Ein konkreter Fremdvergleich ist nur im Rahmen der

476

Vgl. BFH v. 17.05.1995, I-R-147/93, BStBl. II 1996, S. 204.

Grundlagen

343

Preisvergleichsmethode möglich. In der Praxis wird jedoch mangels vergleichbarer Transaktionen mit fremden Dritten meist auf den hypothetischen Fremdvergleich abgestellt. Außerdem ist zu unterscheiden zwischen einem direkten und einem indirekten Fremdvergleich. Bei einem direkten Fremdvergleich müssen die entscheidenden Faktoren der verglichenen Transaktionen (nahezu) deckungsgleich sein, während bei einem indirekten Fremdvergleich ähnliche Geschäftsbeziehungen zugrunde gelegt werden, die um die Abweichungen von den tatsächlichen Gegebenheiten korrigiert werden. Wegen der Vielfältigkeit der in der Realität gegebenen Sachverhalte findet der direkte Fremdvergleich – wie auch der konkrete Fremdvergleich – in der Praxis kaum Anwendung. Daher ist in Tz. 2.2.2. der VWG 1983 der indirekte Fremdvergleich zugelassen. Der Fremdvergleichsgrundsatz führt nicht zu einer exakten Bestimmung des Verrechnungspreises. Er bildet vielmehr die Grundlage, auf der verschiedene Methoden basieren, die zur Verrechnungspreisbestimmung herangezogen werden können. In der Praxis ermitteln Konzernunternehmen ihre Fremdvergleichspreise mittels verschiedener Methoden. Die Finanzverwaltung verfügt – im Gegensatz zu den Unternehmen – aufgrund ständiger Betriebsprüfungen über eine Vielzahl von Datenbeständen über den Leistungsaustausch zwischen unabhängigen Unternehmen und nutzt diese Daten auch bei der Angemessenheitsprüfung von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen. Dieser Informationsvorsprung der Finanzverwaltung führt regelmäßig zu Auseinandersetzungen über die korrekte Bemessung der Verrechnungspreise. Merke: Grundlage der Verrechnungspreisbestimmung ist der Fremdvergleichsgrundsatz. Demnach müssen Transaktionen zwischen abhängigen Unternehmen zu den gleichen Bedingungen bzw. Preisen verrechnet werden, wie sie zwei unabhängige Unternehmen bei gleichen bzw. ähnlichen Bedingungen vereinbart hätten. Hierbei dient die verkehrsübliche Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters als Maßstab. Es lassen sich verschiedene Arten des Fremdvergleichs unterscheiden: x betriebsinterner/ betriebsexterner Fremdvergleich, x konkreter/ hypothetischer Fremdvergleich, x direkter/ indirekter Fremdvergleich.

1.4 Dokumentationspflichten und Sanktionsvorschriften Die speziellen Dokumentationspflichten und Sanktionsvorschriften im Rahmen der Verrechnungspreisbestimmung sind das beherrschende Thema in der Verrechnungspreisdiskussion der vergangenen Jahre. Mit der Konkretisierung und gleichzeitigen Verschärfung der Dokumentationspflichten bei der Verrechnungspreisbestimmung durch das StVergAbG ist die Bundesrepublik Deutschland den Entwicklungen in anderen Ländern gefolgt,

344

Dokumentationspflichten und Sanktionsvorschriften

wonach fast alle Industriestaaten spezielle Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise eingeführt haben.477 Die neuen Dokumentationspflichten, die zum 01. Januar 2003 in Kraft getreten sind, stehen grundsätzlich auch in Einklang mit der internationalen Praxis sowie den Verrechnungspreisgrundsätzen der OECD des Jahres 1995.478 Mit den Gesetzesänderungen wurden erstmals spezielle Dokumentations- und Sanktionsvorschriften für Verrechnungspreise explizit gesetzlich festgelegt und weiter konkretisiert. Die Dokumentations- und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen in Bezug auf Verrechnungspreise werden im neu geschaffenen § 90 Abs. 3 AO gesetzlich verankert. Zur genaueren Bestimmung von Art, Inhalt und Umfang der gem. § 90 Abs. 3 AO zu erstellenden Aufzeichnungen hat das BMF eine – für den Steuerpflichtigen verbindliche – Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV)479 erlassen. Ferner wurden im BMF-Schreiben vom 12. April 2005 die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren480 veröffentlicht, die der Konkretisierung und Erläuterung der gesetzlichen Regelungen dienen sollen, insbesondere in Bezug auf die Verrechnungspreisdokumentation. Allerdings ist nur die Finanzverwaltung an diese Verwaltungsgrundsätze gebunden. Zudem wurden Sanktionsvorschriften erlassen, die bei einer Verletzung der neuen Dokumentationspflichten zur Anwendung kommen. Für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, wurden die Schätzungsvorschriften für die Verrechnungspreise durch § 162 Abs. 3 AO verschärft. Mit § 162 Abs. 4 AO wird den Finanzbehörden darüber hinaus die Möglichkeit eingeräumt, Strafzuschläge bei Verletzung der Dokumentationspflichten zu verhängen.

477

Vgl. Baumhoff, H./ Ditz, X./ Greinert, M., Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, DStR 2004, S. 157.

478

Vgl. Vögele, A./ Brem, M., Die neue Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO: Systematik zu Aufbau und Struktur der Verrechnungspreisdokumentation, IStR 2004, S. 48 f.

479

Vgl. GAufzV v. 13.11.2003, BGBl. I 2003, S. 2296.

480

Vgl. BMF v. 12.04.2005, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahe stehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungsund Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), IV B 4 – S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, S. 570 (im Folgenden zitiert als VWG-Verfahren 2005).

345

Grundlagen

Vorschriften für Verrechnungspreise

Inhalt

§ 90 Abs. 3 AO

Erweiterung der Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise

§ 162 Abs. 3 AO

Schätzungsvorschriften bei Verletzung der Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO

§ 162 Abs. 4 AO

Strafzuschläge bei Verletzung der Mitwirkungs- und Dokumentationsvorschriften gem. § 90 Abs. 3 AO

§ 1-8 GAufzV

Konkretisierung der Dokumentationspflichten hinsichtlich Art, Inhalt und Umfang

Abbildung 107: Spezielle Vorschriften für Verrechnungspreise Durch diese Gesetzesänderungen kommt es ab dem VZ 2003 im Vergleich zur bis dahin geltenden Rechtslage zu einer erheblichen Verschärfung bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen. Merke: Durch das StVergAbG wurden die Dokumentationspflichten im Bereich der Verrechnungspreise durch § 90 Abs. 3 AO erheblich ausgeweitet. Eine Konkretisierung dieser Dokumentationspflichten erfolgte in der GAufzV. Die Sanktionen bei Verletzung der Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten wurden im Rahmen des StVergAbG durch § 162 Abs. 3 und 4 AO ebenfalls verschärft.

1.4.1

Einführung spezieller Gesetzesvorschriften für Verrechnungspreise

Die neu eingeführten Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, die speziell für Verrechnungspreise gelten, ersetzen die allgemeinen Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten nicht, sondern ergänzen diese. Merke: Die durch das StVergAbG geschaffenen speziellen gesetzlichen Vorschriften für Verrechnungspreise heben die allgemeinen Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten weder auf noch schränken sie sie ein. Diese speziellen Dokumentations-, Mitwirkungs- und Sanktionsvorschriften dienen der Ergänzung der bestehenden Vorschriften und erweitern diese zum Teil erheblich. Gem. § 90 Abs. 1 AO unterliegt der Steuerpflichtige einer allgemeinen Mitwirkungspflicht. In diesem Rahmen ist er zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts ver-

346

Dokumentationspflichten und Sanktionsvorschriften

pflichtet; d.h. er muss für die Besteuerung erhebliche Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offen legen und die ihm bekannten Beweismittel angeben. Unter Umständen müssen Unternehmen auch im Rahmen der erhöhten Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 2 AO Unterlagen aus dem Ausland beschaffen und vorlegen, wenn dies erforderlich sein sollte. Im Rahmen der allgemeinen Dokumentationspflicht ist der Steuerpflichtige dazu angehalten, Unterlagen für die Finanzverwaltung zu erstellen und aufzubewahren. So unterliegt der Steuerpflichtige z.B. den allgemeinen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten gem. § 140 ff. AO. Darüber hinaus muss er gem. § 97 Abs. 1 AO und § 200 Abs. 1 AO vorhandene Aufzeichnungen, Bücher, etc. zur Verfügung stellen und der allgemeinen Auskunftspflicht gem. § 93 AO i.V.m. § 200 AO nachkommen. Die Einführung spezieller Gesetzesvorschriften für Verrechnungspreise erfolgte in erster Linie als Reaktion des Gesetzgebers auf Entscheidungen des BFH: x Die Vorschriften über die allgemeinen und erhöhten Mitwirkungspflichten sowie über die allgemeine Dokumentationspflicht wurden durch die Verwaltungsgrundsätze des BMF vom 23. Februar 1983 konkretisiert.481 Zudem sollte ein BMFSchreiben auch die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen näher erläutern.482 x Der BFH hat jedoch mit seinem Beschluss vom 10. Mai 2001483 sowie seinem Urteil vom 17. Oktober 2001484 entschieden, dass ausgehend von den rechtlich verankerten allgemeinen Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten keine speziellen Aufzeichnungs- oder Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise abgeleitet werden dürfen, die über §§ 140 ff. AO und §§ 238 ff. HGB hinausgehen. Auch die erlassenen Verwaltungsgrundsätze des BMF vom 23. Februar 1983 würden keine zwingenden Dokumentationsvorschriften für Verrechnungspreise begründen. Verwaltungsgrundsätze bilden keine eigenständige Rechtsnorm, so dass nur die Finanzverwaltung an sie gebunden ist. x Der Beschluss des BFH vom 10. Mai 2001 und seine Grundsatzentscheidung vom 17. Oktober 2001 waren insofern ein Rückschlag für die Finanzbehörden. Um die Gesetze und Vorschriften für Verrechnungspreise gesetzlich zu fixieren und zu konkretisieren, hat der Gesetzgeber auf diese Entscheidungen mit dem StVergAbG reagiert, wodurch die Mitwirkungs-, Dokumentations- und Sanktionsvorschriften in Bezug auf Verrechnungspreise in Deutschland erstmals gesetzlich festgehalten wurden.

481

Vgl. BMF v. 23.02.1983, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze), IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, S. 218.

482

Vgl. Becker, H., Neues Gesetz zur Dokumentationspflicht?, IWB v. 26.09.2001, Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, S. 1765 ff.

483

Vgl. BFH v. 10.05.2001, DB 2001, S. 1180.

484

Vgl. BFH v. 17.10.2001, I-R-103/00, IStR 2001, S. 745.

347

Grundlagen

Merke: Die Erweiterung der Mitwirkungs-, Dokumentations- und Sanktionsvorschriften für Verrechnungspreise durch das StVergAbG ist eine Reaktion des Gesetzgebers auf Entscheidungen des BFH. Durch das StVergAbG wurden die speziellen Vorschriften für Verrechnungspreise gesetzlich fixiert und konkretisiert.

1.4.2

Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise

Durch das StVergAbG wurden die allgemeinen Mitwirkungspflichten von § 90 AO um einen dritten Absatz ergänzt und erheblich ausgeweitet. Voraussetzungen für die Aufzeichnungspflicht für Verrechnungspreise gem. § 90 Abs. 3 AO sind eine x x x

Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG mit Auslandsbezug mit einer nahe stehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, muss der Steuerpflichtige Aufzeichnungen über Art und Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen zu den nahe stehenden Personen führen. Der Begriff der Geschäftsbeziehung richtet sich nach § 1 Abs. 4 AStG, der durch das StVergAbG ausgeweitet wurde. Demnach ist jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist, eine Geschäftsbeziehung. Mit dieser Neuformulierung soll klargestellt werden, dass es für das Bestehen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG irrelevant ist, ob sie betrieblich oder gesellschaftsrechtlich veranlasst ist.485

485

Vgl. Schnitger, A., Internationale Aspekte des Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG), IStR 2003, S. 76.

348

Dokumentationspflichten und Sanktionsvorschriften

Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG Ja Vorgang mit Auslandsbezug Ja Nahe stehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG Ja Spezielle Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise

Nein Nein Nein Keine speziellen Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise

Abbildung 108: Anwendungsvoraussetzungen für § 90 Abs. 3 AO Die Aufzeichnungspflicht umfasst auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsvorfällen mit nahe stehenden Personen. Dies begründet explizit eine Pflicht zur Verrechnungspreisdokumentation. Bei gewöhnlichen Geschäftsvorfällen existiert keine gesetzliche Vorgabe, bis zu welchem Zeitpunkt die Dokumentation zu erfolgen hat. Bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen bestimmt § 90 Abs. 3 Satz 3 AO dagegen, dass die Aufzeichnungen zeitnah zu erstellen sind. Als noch zeitnah gelten gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 GAufzV Zeitspannen von sechs Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahres, in dem sich der außergewöhnliche Geschäftsvorfall ereignet hat. § 3 Abs. 2 GAufzV enthält dabei eine beispielhafte Aufzählung, welche Geschäftsvorfälle als außergewöhnlich anzusehen sind, z.B. Vermögensübertragungen im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen. Die Vorlage sämtlicher Aufzeichnungen muss nach Aufforderung durch die Finanzbehörde gem. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO grundsätzlich innerhalb einer Frist von 60 Tagen erfolgen. Gem. § 90 Abs. 3 Satz 5 AO werden die Dokumentationspflichten in der GAufzV konkretisiert, um eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen. Nach § 1 Abs. 1 GAufzV wird sowohl eine Sachverhaltsdokumentation, d.h. Angaben über Art, Umfang und Abwicklung der Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen einschließlich der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, als auch eine Angemessenheitsdokumentation, d.h. Aufzeichnungen über die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes, verlangt. Dabei ist es wichtig, dass der Steuerpflichtige bei der Erstellung dieser Aufzeichnungen gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV sein ernsthaftes Bemühen zur Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes erkennen lässt. Für die Finanzverwaltung sind insbesondere

349

Grundlagen

eine ausreichende Beweisvorsorge und die Erstellung einer konzerninternen Verrechnungspreisrichtlinie Zeichen ernsthaften Bemühens.486

Dokumentationspflichten

Sachverhaltsdokumentation • Allgemeine Informationen über Beteiligungsverhältnisse, Geschäftsbetrieb und Organisationsaufbau • Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen • Funktions- und Risikoanalyse • Aufzeichnungen in besonderen Fällen

Angemessenheitsdokumentation • Verrechnungspreisanalyse

Abbildung 109: Dokumentationspflichten gem. GAufzV Zur Sachverhaltsdokumentation gehört gem. § 4 Nr. 1 und Nr. 2 GAufzV die Darstellung von Beteiligungsverhältnissen und Geschäftsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und den nahe stehenden Personen, eine Übersicht der organisatorischen und operativen Konzernstruktur sowie die Beschreibung des Tätigkeitsbereichs des Steuerpflichtigen. Gem. § 4 Nr. 3 GAufzV soll auch eine Funktions- und Risikoanalyse durchgeführt werden, die über die jeweils vom Steuerpflichtigen und der nahe stehenden Person im Rahmen der Geschäftsbeziehungen ausgeübten Funktionen und die übernommenen Risiken informieren soll. Um ausreichend zu dokumentieren, dass der gewählte Verrechnungspreis angemessen ist (Angemessenheitsdokumentation), d.h. dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, muss der Steuerpflichtige gem. § 4 Nr. 4 GAufzV die angewandte Verrechnungspreismethode darstellen, die Wahl seiner Methode begründen und Unterlagen über die Berechnungen und die zum Vergleich genommenen Daten aufbereiten und aufbewahren. Für diese Daten sind gem. § 1 Abs. 3 GAufzV Markt- und Wettbewerbsverhältnisse darzustellen, die für die Vereinbarung des Fremdvergleichspreises von Bedeutung sind. Zur Verrechnungspreisanalyse kann sowohl der externe Fremdvergleichspreis als auch der interne Fremdvergleichspreis benutzt werden. Entsprechend der gewählten Methode hat der Steuerpflichtige zur Plausibilitätskontrolle Vergleichsdaten aufzuzeichnen. Dies sind z.B. Daten über vergleichbare Geschäfte mit Dritten oder die Dokumentation von Kostenaufteilungen, Gewinnzu486

Vgl. Vögele, A./ Brem, M., Die neue Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO: Systematik zu Aufbau und Struktur der Verrechnungspreisdokumentation, IStR 2004, S. 49; Baumhoff, H./ Ditz, X./ Greinert, M, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, DStR 2004, S. 164.

350

Dokumentationspflichten und Sanktionsvorschriften

schlägen und ähnlichen Daten. Die Ermittlung und Rechtfertigung von Verrechnungspreisen ist grundsätzlich auch mit Hilfe einer Datenbankanalyse möglich. Der BFH hat den Einsatz von Datenbanken bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen erlaubt;487 allerdings muss die Datenbank qualitative Mindestanforderungen erfüllen. Aufgrund der schwierigen Herleitung der Vergleichbarkeit mit den in der Datenbank erfassten Unternehmen kommt es bei Betriebsprüfungen regelmäßig zu Streitigkeiten zwischen den geprüften Unternehmen und den Finanzbehörden. Verschärft wird die Situation noch durch die Auffassung des BMF, dass der Einsatz von Datenbanken i.d.R. abzulehnen ist.488 Die geforderten Aufzeichnungen für Verrechnungspreise sind grundsätzlich gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 GAufzV geschäftsvorfallbezogen zu erstellen. Allerdings dürfen vergleichbare Geschäftsvorfälle in Gruppen zusammengefasst werden. Somit sind weiterhin hauptsächlich transaktionsbasierte Verrechnungspreismethoden, wie die Preisvergleichsmethode, die Wiederverkaufspreismethode sowie die Kostenaufschlagsmethode, anwendbar. Pauschale Gewinnvergleichsmethoden werden dagegen abgelehnt.489 Die GAufzV enthält keine konkreten formalen Anforderungen an eine Verrechnungspreisdokumentation. Art, Inhalt und Umfang der zu erstellenden Aufzeichnungen bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls. Gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV müssen es die Aufzeichnungen einem sachverständigen Dritten lediglich ermöglichen, innerhalb einer angemessenen Frist festzustellen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit seinen Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen verwirklicht hat und ob und inwieweit er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. Merke: Übergeordnete Aufgabe der Verrechnungspreisdokumentation ist die Dokumentation des Sachverhalts, d.h. Angaben über Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen, und die Dokumentation der Angemessenheit des gewählten Verrechnungspreises. Die GAufzV konkretisiert diese Dokumentationspflichten; die Umsetzung in der Praxis richtet sich nach dem Einzellfall.

1.4.3

Sanktionsvorschriften

Werden die Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO dadurch verletzt, dass x x x

vorgesehene Aufzeichnungen nicht vorgelegt werden, vorgelegte Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind, oder Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen nicht zeitnah erstellt wurden,

487

Vgl. BFH v. 17.10.2001, I-R-103/00, IStR 2001, S. 745.

488

Vgl. VWG-Verfahren 2005, Tz. 3.4.12.4.

489

Vgl. BR-Drs. 583/03 v. 15.08.2003.

351

Grundlagen

wird widerlegbar vermutet, dass die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, die gem. § 90 Abs. 3 AO ermittelt wurden, höher sind als vom Steuerpflichtigen erklärt. Auf welche Weise die Vermutung der Finanzbehörde widerlegt werden kann, ist derzeit noch unklar. Es ist aber anzunehmen, dass von den Gerichten hohe Anforderungen an eine solche Widerlegung der Vermutung gestellt werden.490 Kann der Steuerpflichtige die Vermutung nicht widerlegen, darf die Finanzverwaltung eine Schätzung vornehmen, wenn sie die Einkünfte nicht auf andere Weise ermitteln kann. Kann für die Einkünfte nur eine geschätzte Bandbreite bestimmt werden, besteht die Möglichkeit, diese Bandbreite gem. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO zu Lasten des Steuerpflichtigen auszuschöpfen. Eine andere Sanktionsvorschrift ist in § 162 Abs. 4 AO geregelt, welcher in bestimmten Fällen einen Strafzuschlag vorsieht. Legt ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen nicht vor oder sind diese nicht verwertbar, wird eine Mindeststrafe von 5.000 € verhängt. Werden die Einkünfte des Steuerpflichtigen gem. § 162 Abs. 3 AO korrigiert, so kann der Strafzuschlag abhängig von der Schwere des Verstoßes 5-10 % der Einkommenskorrektur betragen, mindestens aber 5.000 €. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Strafzuschlag gem. § 162 Abs. 4 Satz 3 AO mindestens 100 € für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung, wobei der Zuschlag allerdings auf 1.000.000 € begrenzt ist. Auf die Festsetzung eines Zuschlags kann verzichtet werden, wenn die Nichterfüllung der Dokumentationsvorschriften gem. § 90 Abs. 3 AO entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist.

Sanktionsvorschriften

Nichtvorlage oder Vorlage nicht verwertbarer Aufzeichnungen • Schätzung der Einkünfte durch das Finanzamt. Ist dies nur innerhalb einer Bandbreite möglich, Ausschöpfung dieser Bandbreite zu Lasten des Stpfl.

Verspätete Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen • Strafzuschlag von mind. 100 € für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung, insgesamt höchstens 1.000.000 €

• Strafzuschlag von 5 – 10 % des Einkommenskorrekturbetrags, mind. 5.000 €

Abbildung 110: Sanktionsvorschriften gem. § 162 Abs. 3 und 4 AO

490

Vgl. Vögele, A./ Vögele, F., Vorschriften zur Verrechnungspreisdokumentation im StVergAbG, IStR 2003, S. 467.

352

Verhältnis der Korrekturvorschriften zueinander

Beispiel

Beispiel für Sanktionsvorschriften Die Maverick-AG mit Sitz in Deutschland verkauft Spielzeugflugzeuge an die GooseInc., ihr amerikanisches Tochterunternehmen. Der für die Flugzeuge von beiden Unternehmen festgelegte Verrechnungspreis beträgt für die gesamte Lieferung 350.000 €. Bei einer Betriebsprüfung der Maverick-AG stellt der Finanzbeamte Iceman jedoch fest, dass der fremdübliche Verrechnungspreis einer solchen Lieferung innerhalb einer Bandbreite von 380.000 € bis 420.000 € liegt. Die von der Maverick-AG daraufhin nachgereichten Unterlagen, die die Angemessenheit des gewählten Verrechnungspreises beweisen sollen, werden vom Finanzamt als vollkommen unverwertbar eingestuft. Der Steuersatz der Maverick-AG in Deutschland sei 25 %.

Lösung

Das Finanzamt erhöht das Einkommen der Maverick-AG gem. § 8 Abs. 3 KStG i.V.m. § 162 Abs. 3 AO auf 420.000 €. Die Korrektur am oberen Ende der Bandbreite ist gem. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO möglich. So entsteht eine zusätzliche steuerliche Belastung i.H.v. 17.500 € (= 70.000 € x 25 %). Wegen der nachgereichten unverwertbaren Aufzeichnungen wird durch die Finanzbehörde zusätzlich ein Strafzuschlag gem. § 162 Abs. 4 Satz 2 AO i.H.v. 7.000 € (= 70.000 € x 10 %) festgelegt.491 Die Gesamtbelastung der Maverick-AG beträgt 24.500 € (17.500 € + 7.000 €).

2 Rechtliche Regelungen Im Folgenden werden die rechtlichen Regelungen der Verrechnungspreisproblematik (Einkünftekorrekturnormen) zum einen auf nationaler Ebene (unilaterales Recht) und zum anderen auf internationaler Ebene (bilaterales Recht) dargestellt. Im Internationalen Steuerrecht muss zwischen den OECD-Richtlinien (bei Bestehen eines DBA) und dem EUÜbereinkommen unterschieden werden. Ziel sämtlicher unten angeführter rechtlicher Regelungen ist es zu verhindern, dass einerseits Unternehmen aufgrund unangemessener Verrechnungspreise Gewinnverlagerungen herbeiführen und dass es andererseits aufgrund von nachfolgenden Gewinnberichtigungen zu Doppelbesteuerungen kommt.

2.1 Verhältnis der Korrekturvorschriften zueinander Die gesetzlichen Regelungen zur Verrechnungspreisbestimmung im nationalen Steuerrecht ergeben sich aus den Rechtsnormen zur Einkünftezuordnung, die gleichzeitig auch die Vorschriften für die Einkünftekorrektur sind. Nach Tz. 1.1.1. der VWG 1983 gehören 491

Dieser Strafzuschlag ist als steuerliche Nebenleistung i.S.d. § 3 Abs. 4 AO eine nichtabzugsfähige Betriebsausgabe, so dass gem. § 12 Nr. 3 EStG bzw. § 10 Nr. 2 KStG eine Hinzurechnung außerhalb der Bilanz vorzunehmen ist, die zu einer zusätzlichen Steuerbelastung führt.

353

Rechtliche Regelungen

die Vorschriften über die verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), die Gesellschafter-Fremdfinanzierung (§ 8a KStG) als Sonderregelung der verdeckten Gewinnausschüttung, die verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 u. 5 EStG) sowie die Berichtigung von Einkünften bei Geschäftsbeziehungen zum Ausland (§ 1 AStG) dazu. Die bilateralen Vorschriften aus Art. 9 OECD-MA haben lediglich eine Schrankenwirkung und können daher keine innerstaatlichen Besteuerungsrechte begründen. Die folgende Abbildung zeigt das Verhältnis der Rechtsnormen zueinander. Die verdeckte Gewinnausschüttung und die verdeckte Einlage schließen sich gegenseitig aus. Die Gesellschafter-Fremdfinanzierung bildet zwar einen eigenen Tatbestand, ist aber lediglich eine Sonderregelung der verdeckten Gewinnausschüttung. § 1 AStG hat gegenüber den vorgenannten Regelungen der verdeckten Gewinnausschüttung und der verdeckten Einlage nur subsidiären Charakter; dies geht aus dem Gesetzestext hervor („unbeschadet anderer Vorschriften“).

Verhältnis der Korrekturvorschriften zueinander § 8a KStG GesellschafterFremdfinanzierung § 8 Abs. 3 S. 2 KStG Verdeckte Gewinnausschüttung § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 u. 5 EStG

§ 1 AStG Berichtigung von Einkünften

Verdeckte Einlage Schrankenwirkung der bilateralen Gewinnkorrekturvorschriften Abbildung 111: Verhältnis der Korrekturvorschriften zueinander Verwaltungsgrundsätze bilden keine eigenständigen Rechtsnormen, da sie lediglich für die Finanzverwaltung eine bindende Wirkung haben. Sie konkretisieren und erläutern lediglich bestehendes Recht.

354

Nationales Recht

2.2 Nationales Recht 2.2.1

Verdeckte Gewinnausschüttung gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG

Unter einer verdeckten Gewinnausschüttung versteht man eine Vermögensminderung oder eine verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und es sich dabei nicht um eine offene Ausschüttung handelt.492 Aus der oben formulierten Definition der verdeckten Gewinnausschüttung ergeben sich vier Tatbestandsmerkmale: (1) Es muss sich zum einen um eine Vermögensminderung oder eine verhinderte Vermögensmehrung handeln. In Bezug auf die Verrechnungspreisproblematik bedeutet dies, dass die Verrechnungspreise von den Unternehmen zu hoch bzw. zu niedrig angesetzt worden sein müssen. (2) Die Vermögensminderung muss durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sein. Hierfür gibt es zwei Bewertungsmaßstäbe. Zum einen wird eine solche Veranlassung vermutet, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter diese Vermögensminderung nicht akzeptiert hätte (Fremdvergleichsgrundsatz).493 Dieser Grundsatz dient als Maßstab für die Ermittlung der Minderung des Einkommens. Wenn eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte, liegt somit eine verdeckte Gewinnausschüttung vor.494 Bei diesem Fremdvergleich handelt es sich, wie bereits angesprochen, um den betriebsinternen Fremdvergleich. Zum anderen gibt es für Vereinbarungen zwischen einem beherrschenden Gesellschafter495 und der Gesellschaft strenge Anforderungen.496 Werden diese nicht erfüllt, wird eine verdeckte Gewinnausschüttung angenommen. (3) Die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung muss sich auf die Höhe des Einkommens auswirken, d.h. den Jahresüberschuss beeinflusst haben. (4) Außerdem darf die verdeckte Gewinnausschüttung nicht im Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung stehen.

492

Vgl. R 31 Abs. 3 Satz 1 KStR; BFH v. 06.12.1995, I-R-88/94, BStBl. II 1996, S. 383.

493

Vgl. Tz. 1.3.1.1. der VWG 1983 i.V.m. R 31 KStR.

494

Vgl. BFH v. 06.12.1995, I-R-88/94, BStBl. II 1996, S. 383.

495

Vgl. BFH v. 13.12.1989, I-R-99/87, BStBl. II 1990, S. 454; BFH v. 14.3.1990, I-R-6/89, BStBl. II 1990, S. 795.

496

Vgl. Vögele, A. (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Aufl., München 2004, S. 57 ff.

Rechtliche Regelungen

355

Wenn mehrere Geschäfte zwischen den verbundenen Unternehmen getätigt werden, ist ein sog. Vorteilsausgleich möglich. Darunter versteht man den Ausgleich von Vor- und Nachteilen, die sich aus mehreren in sich abgeschlossenen Geschäften ergeben. Dies ist aber nur möglich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:497 x x x x

Die Geschäfte müssen in einem inneren Zusammenhang stehen. Der Ausgleich würde auch zwischen Fremden stattfinden. Die Vor- und Nachteile müssen quantifizierbar sein. Die Vorteilsverrechnung muss im Voraus vereinbart gewesen sein oder zur Geschäftsgrundlage des nachteiligen Geschäfts gehören.

Der Saldo, der nach der Durchführung eines Vorteilsausgleichs verbleibt, stellt eine verdeckte Gewinnausschüttung bzw. eine verdeckte Einlage dar. Auch zwischen Schwestergesellschaften (Dreiecksverhältnis) kann es zu verdeckten Gewinnausschüttungen kommen. Im Rahmen der Verrechnungspreisproblematik sind vor allem grenzüberschreitende verdeckte Gewinnausschüttungen von Bedeutung. Dabei lassen sich die folgenden vier Grundfälle unterscheiden: x Eine inländische Muttergesellschaft liefert an ihre ausländische Tochtergesellschaft Güter zu einem unangemessen hohen Entgelt. x Eine inländische Muttergesellschaft erwirbt von ihrer ausländischen Tochtergesellschaft Güter zu einem unangemessen niedrigen Entgelt. x Eine inländische Tochtergesellschaft liefert an ihre ausländische Muttergesellschaft Güter zu einem unangemessen niedrigen Entgelt. x Eine inländische Tochtergesellschaft erwirbt von ihrer ausländischen Muttergesellschaft Güter zu einem unangemessen hohen Entgelt.

Diese Geschäftsvorfälle sind um Geschäfte mit nahen Angehörigen, bspw. Schwestergesellschaften, zu erweitern. Die folgende Abbildung stellt noch einmal grafisch dar, welche Geschäftsvorfälle zwischen der Mutter- und der Tochtergesellschaft, die in unterschiedlichen Ländern ansässig sind, zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führen.

497

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.3.2.

356

Nationales Recht

Grenzüberschreitende verdeckte Gewinnausschüttung Muttergesellschaft

Lieferung

Erwerb

Erwerb

Lieferung

Zu hohes Entgelt

Zu niedriges Entgelt

Grenze

Tochtergesellschaft

Abbildung 112: Grenzüberschreitende verdeckte Gewinnausschüttung § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG regelt die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung.

§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG: Auch verdeckte Gewinnausschüttungen sowie Ausschüttungen jeder Art auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Kapitalgesellschaft verbunden ist, mindern das Einkommen nicht. Ist der Jahresüberschuss aufgrund einer verdeckten Gewinnausschüttung zu niedrig, erfolgt eine Hinzurechnung außerhalb der Bilanz. Die verdeckte Gewinnausschüttung wird auf Ebene des Gesellschafters wie eine offene Ausschüttung versteuert. Mit dem Rechtsinstitut der verdeckten Gewinnausschüttung soll die Abgrenzung zwischen der gesellschaftsrechtlichen Ebene und der schuldrechtlichen Ebene gesichert werden. Zuwendungen an den Gesellschafter aufgrund seiner Stellung („durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst“) dürfen den zu versteuernden Gewinn nicht mindern, da es sich hierbei um eine Einkommensverwendung handelt. Wie bereits im Abschnitt zuvor erwähnt, haben die Regelungen zur verdeckten Gewinnausschüttung Vorrang vor denen des § 1 AStG. Merke: Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist eine Vermögensminderung oder eine verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und keine offene Ausschüttung ist (R 31 Abs. 3 Satz 1 KStR). Diese darf gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das Einkommen nicht mindern und muss dementsprechend dem zu versteuernden Einkommen hinzugerechnet werden.

Beispiel

357

Die Brick Top GmbH ist im Diamantengeschäft tätig. Einziger Gesellschafter der GmbH ist die Franky Four Fingers AG. Aus Anlass der alljährlichen Gesellschafterversammlung überreicht regelmäßig der Geschäftsführer der Brick Top GmbH den Gesellschaftern der Franky Four Fingers AG Rohdiamanten. Hierbei handelt es sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung in Form einer Vermögensminderung, da die Entnahme von Rohdiamanten eine Vermögenszuwendung der GmbH an die Gesellschafter der Muttergesellschaft darstellt und deshalb das Vermögen der Brick Top GmbH gemindert wird.

Beispiel

Rechtliche Regelungen

Aufgrund steuerlicher Überlegungen schüttet die Brick Top GmbH keine Gewinne aus; stattdessen gewährt sie der Franky Four Fingers AG einen zinslosen Kredit über 100.000 €. Üblicher Zinssatz in dieser Branche ist 12 %. In diesem Beispiel handelt es sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung in Form einer verhinderten Vermögensmehrung, da die Brick Top GmbH auf mögliche Einnahmen in Höhe von 12.000 € p.a. verzichtet und dies zu einem niedrigeren Ergebnis für das Unternehmen führt.

2.2.2

Verdeckte Einlage

Die verdeckte Einlage ist das Gegenstück zur verdeckten Gewinnausschüttung; sie ist aber im Gesetz nicht explizit verankert. Aufgrund von § 8 Abs. 1 KStG gelten die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes. Der Begriff der Einlage ist dort folgendermaßen definiert:

§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG: Einlagen sind alle Wirtschaftsgüter (Bareinzahlungen und sonstige Wirtschaftsgüter), die der Steuerpflichtige dem Betrieb im Laufe des Wirtschaftsjahres zugeführt hat. Die Gesellschafter tätigen in der Regel Einlagen im Rahmen der Gründung, der Rücklagenzuführung oder der Kapitalerhöhung. Diese sind durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst. Einlagefähig sind nur bilanzierungsfähige Vermögensgegenstände (Erhöhung von Aktiva bzw. Verminderung von Passiva). Im Gegensatz dazu stellen Nutzungen und Leistungen keine einlagefähigen Wirtschaftsgüter dar.498 Dies bedeutet, dass die Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern durch den Gesellschafter keine Vermögensmehrung der Gesellschaft darstellt und somit auch nicht zu einer Einlage führt. Im Gegensatz dazu kann

498

Vgl. BFH v. 26.10.1987, GrS-2/86, BStBl. II 1988, S. 348.

358

Nationales Recht

aber eine Nutzungsüberlassung der Gesellschaft an den Gesellschafter sehr wohl zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führen.499 Merke: Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft Vermögensvorteile zuführt, die nicht als gesellschaftsrechtliche Einlage ausgewiesen werden, aber ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben.500 Bei verdeckten Einlagen wird – analog zur verdeckten Gewinnausschüttung – auf den betriebsinternen Fremdvergleich abgestellt. Im Unterschied zur offenen Einlage werden bei der verdeckten Einlage keine Gesellschaftsrechte gewährt. Die Rechtsfolge der Einlage ist im Einkommensteuergesetz geregelt: § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG: Gewinn ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Dies bedeutet also, dass die offenen, aber auch die verdeckten Einlagen auf Ebene der Gesellschaft den Gewinn nicht erhöhen dürfen. Der Gesellschafter seinerseits kann die Einlage nicht als Betriebsausgabe geltend machen, sondern muss diese als nachträgliche Anschaffungskosten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG auf die Beteiligung aktivieren. Merke: Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft Vermögensvorteile zuführt, die keine gesellschaftsrechtlichen Einlagen (i.e.S.) darstellen, aber ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben. Nutzungsüberlassungen sind keine einlagefähigen Güter.

2.2.3

Gesellschafter-Fremdfinanzierung gemäß § 8a KStG

Bei der Gesellschafter-Fremdfinanzierung nach § 8a KStG handelt es sich zwar um einen eigenständigen Tatbestand, dieser stellt jedoch lediglich eine Sonderregelung der verdeckten Gewinnausschüttung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG dar, weil die Fremdkapitalvergütung einer verdeckten Gewinnausschüttung gleichgestellt wird. Die Regelung konkretisiert somit den Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 499

Dieser Unterschied zwischen der verdeckten Gewinnausschüttung und der verdeckten Einlage wird in der Literatur kritisiert; vgl. hierzu u.a. Rasch, S., Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht, Köln 2001, S. 106.

500

Vgl. R 36a Abs. 1 KStR; BFH v. 07.07.1992, VIII-R-24/90, BStBl. II 1993, S. 333.

Rechtliche Regelungen

359

KStG und beinhaltet ein spezielles Abzugsverbot in Gestalt der Fiktion einer verdeckten Gewinnausschüttung.

2.2.4

Berichtigung von Einkünften gemäß § 1 AStG

§ 1 AStG verfolgt genau wie die verdeckte Gewinnausschüttung und die verdeckte Einlage das Ziel, Einkünfte zu berichtigen, die aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse unsachgerecht (zu niedrig bzw. zu hoch) ausgewiesen wurden. Jedoch haben die Vorschriften aus § 1 AStG wie bereits erwähnt nur subsidiären Charakter. Dies führt dazu, dass § 1 AStG in der Praxis kaum Anwendung findet. Lediglich bei Vorteilszuwendungen aufgrund einer schuldrechtlichen Beziehung, d.h. es besteht keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung, und im Falle einer kostenlosen oder zu günstigen Nutzungsüberlassung einer inländischen Muttergesellschaft an eine ausländische Tochtergesellschaft kommt diese Vorschrift zum Einsatz. Wie bereits erläutert, stellen Nutzungsüberlassungen und Leistungen zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft keine einlagefähigen Güter dar. Daher findet eine Gewinnberichtigung bei einer zu niedrig oder gar nicht angesetzten Nutzungsüberlassung im Rahmen der verdeckten Einlage nicht statt. Da es bei § 1 AStG nicht auf die Einlagefähigkeit ankommt, ist diese Norm als Auffangvorschrift anzuwenden.501 § 1 Abs. 1 AStG: Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Geschäftsbeziehungen mit einer ihm nahe stehenden Person dadurch gemindert, dass er im Rahmen solcher Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbart, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten, so sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Es zeigen sich vier Tatbestandmerkmale: (1) Es muss zum einen die Minderung des Gewinns eines im Inland ansässigen Steuerpflichtigen vorliegen. (2) Diese muss aus einer Geschäftsbeziehung mit dem Ausland entstanden sein. Steuerpflichtiger i.S. dieser Gesetzesstelle kann sowohl eine unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige natürliche Person als auch eine Körperschaft sein.502

501

Vgl. Wassermeyer, F./ Baumhoff, H., Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2001, Rz. 77.

502

Vgl. BFH v. 30.05.1990, I-R-97/88, BStBl. II 1990, S. 875.

360

Nationales Recht (3) Zum anderen muss der ausländische Geschäftspartner des Steuerpflichtigen eine ihm nahe stehende Person sein. (4) Außerdem müssen zwischen den Beteiligten unübliche Bedingungen vereinbart worden sein, die unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen nicht vereinbart hätten. Hierbei handelt es sich jedoch nicht wie bei der verdeckten Gewinnausschüttung um den betriebsinternen Fremdvergleich, der auf den Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters abstellt, sondern um einen betriebsexternen Fremdvergleich, was zu einer unterschiedlichen Bewertung der Bedingungen aufgrund der unterschiedlichen Fremdvergleichsmaßstäbe führen kann.

Sind diese Tatbestandsmerkmale erfüllt, so wird eine Korrektur dahingehend vorgenommen, dass die Einkünfte bzw. Entgelte für Lieferungen und Leistungen so angesetzt werden, wie sie unabhängige Dritte miteinander vereinbart hätten.

Beispiel

Die Hamburger Mickey GmbH, die mehrheitlicher Gesellschafter der in London ansässigen Turkish Inc. ist, überlässt dieser einen Wohnwagen, der bisher von Außendienstmitarbeitern auf Geschäftsreise verwendet wurde, zur Nutzung als Geschäftsraum zu einem Mietpreis von 1.000 € p.a. Marktüblich wäre aber ein Entgelt von 8.000 € p.a.

Lösung

Der oben beschriebene Vorteilsausgleich bei mehreren Geschäften, die in engem Zusammenhang stehen, ist auch bei der Berichtigung von Einkünften nach § 1 AStG möglich.

Eine Einkünfteberichtigung im Rahmen der verdeckten Einlage kommt nicht in Betracht, da eine Nutzungsüberlassung kein einlagefähiges Wirtschaftsgut darstellt. Daher greift die Auffangvorschrift des § 1 AStG. Da im vorliegenden Beispielsfall alle Tatbestandsmerkmale des § 1 AStG erfüllt sind, ist eine Berichtigung (d.h. Erhöhung) der zu versteuernden Einkünfte der Mickey GmbH um 7.000 € p.a. vorzunehmen.

Merke: § 1 AStG stellt eine Auffangvorschrift für Einkünfteminderungen dar, die nicht durch die verdeckte Gewinnausschüttung oder die verdeckte Einlage erfasst werden. Die Anwendung des § 1 AStG ist an die Erfüllung bestimmter Tatbestandsmerkmale geknüpft. Rechtsfolge ist die Einkünftekorrektur entsprechend den Drittvergleichsgrundsätzen (betriebsexterner Fremdvergleich).

2.2.5

Verwaltungsgrundsätze

Verwaltungsgrundsätze bilden keine eigenständigen Rechtsnormen, sondern konkretisieren und erläutern lediglich bestehendes Recht. Die Grundsätze stellen für die Finanzverwaltung eine sie selbst bindende Vorgehens- und Betrachtungsweise dar. Nur die Fi-

361

Rechtliche Regelungen

nanzverwaltung ist somit an sie gebunden. Daher können sich Steuerpflichtige auf die Bindung der Finanzverwaltung berufen, sind aber ihrerseits nicht an die Grundsätze gebunden. Dies schafft für den Steuerpflichtigen Rechtssicherheit gegenüber der Finanzverwaltung. Die „Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze)“503 vom 23. Februar 1983 wurden vom BMF zur Bewältigung der Verrechnungspreisproblematik erlassen. Zu diesem Zweck spiegeln die VWG 1983 die Auffassung der Finanzverwaltung zur Abgrenzung und Berichtigung von Einkünften sowie zur Bestimmung von Verrechnungspreisen wieder. Sie lassen sich nach ihrem Inhalt im Wesentlichen in drei Kategorien einteilen. Sie enthalten entweder  norminterpretierende Aussagen, die die gesetzlichen Regelungen auslegen,  Rechtsverweisungen, die lediglich auf bestehende Gesetze verweisen bzw. deren Inhalt wiedergeben oder  Darstellungen der Verrechnungspreismethoden.504

In der folgenden Tabelle sind die konkreten Inhalte der VWG 1983 dargestellt. Inhalt der Verwaltungsgrundsätze Tz. 1:

Aufzählung und Erläuterung der rechtlichen Regelungen für die Einkunftsabgrenzung

Tz. 2:

Darstellung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach dem Verständnis der Finanzverwaltung; Beschreibung der Standardmethoden

Tz. 3-6:

Spezielle Regelungen für die verschiedenen Lieferungs- und Leistungsarten

Tz. 7-10: Verschiedene Verfahren; Durchführung der Berichtigung von Einkünften Abbildung 113: Inhalt der Verwaltungsgrundsätze Zur gesetzlichen Verankerung der Dokumentations- und Mitwirkungspflichten eines Steuerpflichtigen in Bezug auf seine Verrechnungspreise wurde durch das StVergAbG der § 90 Abs. 3 AO eingeführt und am 13. November 2003 die GAufzV erlassen. Bei der Anwendung dieser gesetzlichen Regelungen in der Praxis traten jedoch regelmäßig Unklarheiten

503

Vgl. BMF v. 23.02.1983, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze), IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, S. 218.

504

Vgl. Vögele, A. (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Aufl., München 2004, S. 89.

362

Internationales Recht

auf. In den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“505 vom 12. April 2005 konkretisiert und erläutert das BMF die bestehenden Vorschriften und versucht damit die praktische Anwendung zu erleichtern. Dazu wird die Auffassung der Finanzverwaltung insbesondere bezüglich der Angemessenheitsdokumentation, dem Kernstück der Verrechnungspreisdokumentation, wiedergegeben.

2.3 Internationales Recht Im folgenden Kapitel werden die internationalen Vorschriften und Regelungen vorgestellt, die zum Einsatz kommen, wenn zwischen den Ansässigkeitsstaaten der verbundenen Unternehmen ein Doppelbesteuerungsabkommen vorliegt oder wenn beide Staaten Mitglied der Europäischen Union sind.

2.3.1

Besteuerung verbundener Unternehmen gemäß Art. 9 Abs. 1 OECD-MA

Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA sind grundsätzlich Unternehmensgewinne im Ansässigkeitsstaat der Unternehmung zu versteuern. Wird im Ausland eine Betriebsstätte errichtet, so steht dem ausländischen Staat ein Besteuerungsrecht für die in der Betriebsstätte erwirtschafteten Gewinne zu. Jedes der verbundenen Unternehmen hat somit den von ihm erwirtschafteten Gewinn im jeweiligen Ansässigkeitsstaat zu versteuern. Ein verbundenes Unternehmen ist gem. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA dann gegeben, wenn ein Unternehmen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital eines anderen Unternehmens beteiligt ist oder wenn dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital zweier Unternehmen beteiligt sind. Um eine verursachungsgerechte Besteuerung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA zu ermöglichen, muss eine Gewinnabgrenzung zwischen den verbundenen Unternehmen stattfinden. Die Transaktionen zwischen diesen Unternehmen müssen dem betriebsexternen Fremdvergleich gem. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA standhalten. Dieser ist nicht erfüllt, wenn beide Unternehmen in ihren kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen an vereinbarte oder auferlegte Bedingungen gebunden sind, die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbart hätten. § 1 AStG entspricht diesem Grundsatz.

505

Vgl. BMF v. 12.04.2005, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahe stehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungsund Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), IV B 4 – S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, S. 570.

Rechtliche Regelungen

363

Hält die Gewinnabgrenzung zwischen den verbundenen Unternehmen dem Fremdvergleich nicht stand, so hat derjenige Staat, dessen Besteuerungsgrundlage unsachgerecht gemindert wurde, das Recht, diese im Zuge der so genannten Erstberichtigung gem. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zu korrigieren. Da das Ziel von Doppelbesteuerungsabkommen die Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung ist, sollte der andere Staat eine Gegenberichtigung nach Art. 9 Abs. 2 OECD-MA vornehmen, um einseitigen Gewinnkorrekturen und somit Doppelbesteuerungen entgegenzuwirken. Jedoch haben die Korrekturnormen der DBA keine „self-executing“-Wirkung;506 sie räumen dem betroffenen Staat lediglich eine Ermächtigung zur Korrektur ein.507 Die eigentliche Rechtsgrundlage für eine Einkünftekorrektur muss sich aus dem nationalen Recht des berichtigenden Staates ergeben, wie z.B. die verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), die verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 u. 5 EStG) und die Berichtigung von Einkünften (§ 1 AStG) im deutschen Steuerrecht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, besitzt ein Staat keine nationalen Korrekturvorschriften, kann auch bei Vorliegen eines DBA keine Gewinnberichtigung vorgenommen werden.508 Die DBA-Gewinnberichtigungsklauseln i.S.d. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA stellen zwar keine eigenständige Rechtsgrundlage dar, definieren aber den Fremdvergleichsmaßstab für alle Staaten verbindlich als gemeinsames Abgrenzungskriterium, so dass ihnen eine „Schrankenwirkung“ beizumessen ist. Die beteiligten Staaten dürfen deshalb nur nach dem Maßstab des Fremdvergleichs Gewinnkorrekturen durchführen. Diese Bindungswirkung ist in der Literatur umstritten;509 allerdings halten sich die OECD-Staaten an eine weitgehende Selbstbindung.510 Da eine über den Fremdvergleichsmaßstab hinausgehende Korrektur nach h.M. nicht zulässig ist, haben Unternehmen – jedenfalls theoretisch – Rechtssicherheit bezüglich des Korrekturmaßstabs.

506

Vgl. BFH v. 12.03.1980, I-R-186/76, BStBl. II 1980, S. 531.

507

Vgl. Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 441.

508

Vgl. Vogel, K./Lehner, M., Doppelbesteuerungsabkommen Kommentar, 4. Aufl., München 2003, Art. 9, Rz. 19.

509

Vgl. u.a. Vögele, A. (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Aufl., München 2004, S. 123 ff.; Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 442.

510

Vgl. Vögele, A. (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Aufl., München 2004, S. 125.

364

Internationales Recht

Merke: Unternehmensgewinne von verbundenen Unternehmen dürfen gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens, von dem sie erwirtschaftet wurden, versteuert werden. Als Maßstab für die Gewinnabgrenzung gilt der Fremdvergleichsgrundsatz nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 OECDMA. Die DBA-Gewinnberichtigungsklauseln bilden jedoch keine eigenständige Rechtsgrundlage, sondern verpflichten lediglich die beteiligten Staaten, den Fremdvergleich als Maßstab anzuerkennen (Schrankenwirkung).

2.3.2

Verrechnungspreisgrundsätze der OECD

Die OECD hat zur Erläuterung des Art. 9 OECD-MA, zur Klärung besonderer Aspekte der Verrechnungspreisproblematik und insbesondere auch zur Präzisierung des Maßstabs des Fremdvergleichsgrundsatzes in den Jahren 1995 und 1996 überarbeitete „Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen“ herausgegeben.511 Eine rechtliche Bindung der OECD-Mitgliedsstaaten an die Grundsätze besteht nicht. Es steht den Mitgliedsstaaten frei, die Grundsätze in nationales Recht umzusetzen. Die Verrechnungspreisgrundsätze sind lediglich ein amtliches, hochrangiges Rechtsgutachten und eine Orientierungshilfe.512

2.3.3

EU-Übereinkommen

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten innerhalb der Europäischen Union ist außer den Doppelbesteuerungsabkommen auch europäisches Recht zu beachten. Im Rahmen der Gewinnabgrenzung und Verrechnungspreisbestimmung ist das „Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen“ von Bedeutung. Das Übereinkommen wurde bereits am 23. Juli 1990 unterzeichnet, es ist jedoch erst am 01. Januar 1995 in Kraft getreten. Damit das Übereinkommen als ein völkerrechtlicher Vertrag Gültigkeit erlangen konnte, musste es zunächst von sämtlichen Mitgliedsstaaten der EU ratifiziert werden. Es wird als wichtiger Schritt für die Harmonisierungsbestrebungen auf dem Gebiet der Steuern in der EU gewertet.513 Das

511

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Einführung.

512

Vgl. Rasch, S., Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht, Köln 2001, S. 199 f.

513

Vgl. u.a. Saß, G., Zum EG-Abkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung (Schlichtungsverfahren) im Falle einer Gewinnberichtigung bei Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen, DB 1991, S. 984; Rasch, S., Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europäischen Steuerrecht, Köln 2001, S. 263 f.

Rechtliche Regelungen

365

Übereinkommen verlängert sich jeweils um weitere fünf Jahre, wenn kein Mitgliedsstaat Widerspruch einlegt.514 Ziel des Übereinkommens ist es, Doppelbesteuerungen bei der Berichtigung von Verrechnungspreisen zu vermeiden. Gem. Art. 1 des EU-Übereinkommens muss es sich dabei um eine Doppelbesteuerung aufgrund einer nicht koordinierten Gewinnberichtigung eines Rechtsgeschäfts zwischen verbundenen Unternehmen handeln, die in zwei verschiedenen Mitgliedsstaaten ansässig sind. Als Maßstab hierfür gilt der in Art. 4 des EUÜbereinkommens verankerte Fremdvergleichsgrundsatz. Hierbei wurde Art. 9 Abs. 1 OECD-MA wörtlich übernommen. In Art. 14 des EU-Übereinkommens werden zwei Möglichkeiten der Beseitigung der Doppelbesteuerung genannt: entweder Zuteilung des Besteuerungsrechts auf einen der beiden Staaten oder Aufteilung des Besteuerungsrechts zwischen beiden Staaten. Aufgrund dieser Regelung besteht eine Schutzwirkung für verbundene Unternehmen vor einer einseitigen Gewinnkorrektur und somit einer Doppelbesteuerung.515 Die Beseitigung der Doppelbesteuerung erfolgt in einem dreistufigen Verfahren. Zuerst muss die Finanzbehörde eines Vertragsstaats in einem Vorverfahren (Art. 5 des EUÜbereinkommens) das betroffene Unternehmen rechtzeitig von der Gewinnberichtigung unterrichten. Ist das Unternehmen und das verbundene Unternehmen mit der Gewinnberichtigung einverstanden und darf auch das verbundene Unternehmen eine entsprechende Gegenberichtigung vornehmen, ist das Verfahren damit beendet. Erachtet jedoch ein Unternehmen die Gewinnberichtigung für nicht konform mit dem Fremdvergleichsgrundsatz, hat es die Möglichkeit, dies seiner zuständigen Finanzbehörde mitzuteilen. Diese wiederum kontaktiert die Finanzverwaltung des anderen Staates, und es wird ein Verständigungsverfahren gem. Art. 6 Abs. 1 des EU-Übereinkommens eingeleitet. Kommt es nicht innerhalb einer Frist von zwei Jahren (Art. 7 Abs. 1 des EUÜbereinkommens) zu einer Einigung, beginnt ein Schlichtungsverfahren. Hierzu wird ein beratender Ausschuss eingesetzt, der innerhalb von sechs Monaten (Art. 11 Abs. 1 des EUÜbereinkommens) eine Stellungnahme zur Beseitigung der Doppelbesteuerung vorlegen muss. Die endgültige Entscheidung hierüber obliegt den beteiligten Finanzbehörden. Sie sind dabei nur an die Beseitigung der Doppelbesteuerung, nicht jedoch an die Stellungnahme des Ausschusses gebunden (Art. 12 Abs. 1 des EU-Übereinkommens). Dieses EU-Übereinkommen stellt insbesondere wegen der zeitlichen Befristung des Verfahrens eine wertvolle Hilfe für Unternehmen dar, zumal die beteiligten Finanzverwaltungen im Gegensatz zu den Vereinbarungen in den DBA verpflichtet sind, sich zu einigen.516 514

Vgl. EU ECOFIN, Council of Ministers Conclusions, 19.05.1998.

515

Vgl. Schaumburg, H., Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 1998, S. 817.

516

Vgl. Kaminski, B., Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied 2001, S. 409 f.

366

Internationales Recht

Zusätzlich hat die Europäische Kommission im Jahr 2002 ein EU-Verrechnungspreisforum eingesetzt, dessen Mitglieder Vorschläge erarbeiten, die zu einer einheitlicheren Anwendung der Verrechnungspreisvorschriften innerhalb der EU führen sollen. Bisher wurden u.a. der „Vorschlag eines Verhaltenskodexes zur effektiven Durchführung des Schiedsübereinkommens“517 sowie der „Vorschlag eines Verhaltenskodexes zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen“518 veröffentlicht. Letzterer zielt darauf ab, dass multinationale Unternehmen den Finanzbehörden der EU-Mitgliedstaaten eine standardisierte Verrechnungspreisdokumentation vorlegen können.

3 Methoden zur Festlegung der Verrechnungspreise Wie bereits im vorherigen Abschnitt dargelegt, stellen sowohl die internationalen als auch die nationalen Einkünftekorrekturnormen auf den allgemein anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz ab, wenngleich mit einigen geringen Unterschieden, wie beispielsweise der Differenzierung nach betriebsexternem bzw. betriebsinternem Fremdvergleich. Die deutsche Rechtsprechung hat sich für eine Vereinheitlichung der Korrekturmaßstäbe entschieden, so dass der Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auch auf den betriebsexternen Fremdvergleich Anwendung findet.519 Verbundene Unternehmen müssen ihre Verrechnungspreise für den konzerninternen Leistungsaustausch grundsätzlich so bestimmen, wie sie ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter auch mit fremden Dritten vereinbart hätte. Als Unterstützung zur Verrechnungspreisbestimmung innerhalb des vorgegebenen gesetzlichen Rahmens können Unternehmen auf eine Reihe von Methoden zur Berechnung der Verrechnungspreise zurückgreifen. Aufgrund der zahlreichen Parameter, die den Verrechnungspreis beeinflussen, gibt es nach herrschender Meinung520 nicht den exakten Verrechnungspreis, sondern nur gewisse Bandbreiten,521 innerhalb derer der Verrechnungspreis liegen muss.522 Dies wird durch die folgende Grafik verdeutlicht. Wird der Verrechnungspreis von dem Unternehmen zu hoch angesetzt, so ist er auf den obersten Wert der Bandbreite zu reduzieren. Wenn er jedoch zu niedrig angesetzt wurde, ist er auf den untersten Wert der Bandbreite zu erhöhen. Insofern ist jeweils der für den Steuerpflichtigen günstigere Ober- oder Unterwert der Bandbreite zu berücksichtigen, da der so festgelegte Verrechnungspreis grundsätzlich im 517

Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission v. 23.04.2004, KOM/2004/297.

518

Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission v. 07.11.2005, KOM/2005/543.

519

Vgl. BFH v. 17.05.1995, I-R-147/93, BStBl. II 1996, S. 204.

520

Vgl. Wassermeyer, F./ Baumhoff, H., Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2001, S. 180 f.

521

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 1.45; VWG-Verfahren 2005, Tz. 3.4.12.5.

522

Diese Auffassung unterstützt auch der BFH in seinem Urteil v. 17.10.2001, I-R-103/00, IStR 2001, S. 745.

367

Methoden zur Festlegung der Verrechnungspreise

gleichen Maße dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht wie jeder andere Wert innerhalb der Bandbreite.523

Bandbreiten bei der Verrechnungspreisbestimmung Höhe des VP

Bandbreite des angemessenen VP

VP innerhalb Zu hoher VP der Bandbreite

Zu niedriger VP

Abbildung 114: Bandbreiten bei der Verrechnungspreisbestimmung Neben den drei Standardmethoden, die zur Bestimmung von Verrechnungspreisen grundsätzlich zulässig sind, gibt es die sog. gewinnbasierten Methoden, wobei die geschäftsvorfallbezogenen Methoden und die globalen Gewinnaufteilungsmethoden zu unterscheiden sind. Da ausschließlich die geschäftsvorfallbezogenen Methoden dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, sind nur diese in den OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 1995/96 sowie den deutschen VWG-Verfahren 2005 zugelassen und unter bestimmten Voraussetzungen anzuwenden.524 Während anhand der Standardmethoden die Angemessenheit von einzelnen Preisen überprüft wird, geht es bei den gewinnorientierten Methoden um die Aufteilung des Gewinns zwischen verbundenen Unternehmen. Die folgende Abbildung stellt die Einordnung der verschiedenen Verrechnungspreismethoden, unabhängig von ihrer rechtlichen Zulässigkeit, graphisch dar:

523

Vgl. BFH v. 17.10.2001, I-R-103/00, IStR 2001, S. 745, S. 749.

524

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 3.1; VWG-Verfahren 2005, Tz. 3.4.10.3 Bst. b, c.

368

Standardmethoden

Verrechnungspreismethoden Transaktionsbasierte Methoden (Standardmethoden) Preisvergleichsmethode

Wiederverkaufspreismethode

Gewinnbasierte Methoden Kostenaufschlagsmethode

Geschäftsvorfallbezogene Methoden Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode

Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode

Globale Gewinnaufteilungsmethoden Gewinnvergleichsmethode

Global formelhafter Gewinnzuordnungsansatz

Abbildung 115: Einordnung der Verrechnungspreismethoden Im Rahmen einer Betriebsprüfung kontrolliert die Finanzverwaltung, ob die vom Unternehmen festgelegten Verrechnungspreise nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs angemessen sind. Dies erfolgt vorrangig anhand der vom Unternehmen gewählten Methode, sofern diese geeignet ist den Verrechnungspreis nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu bestimmen und die Wahl sachlich nachvollziehbar ist.525 Eine Berichtigung der Verrechnungspreise wird vorgenommen, wenn die Überprüfung zu abweichenden Ergebnissen führt oder der Betriebsprüfer zu der Ansicht gelangt, dass die vom Unternehmen gewählte Methode nicht vertretbar ist.

3.1 Standardmethoden Bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen kann auf drei Standardmethoden zurückgegriffen werden. Diese werden von den deutschen VWG 1983 (Tz. 2.2.), den OECDVerrechnungspreisrichtlinien von 1995/96 (Tz. 2.1) und auch den USVerrechnungspreisrichtlinien (Sec. 1.482-3(a)) aufgeführt. Dazu zählen die Preisvergleichsmethode, die auf den am Markt erzielbaren Preis abstellt, die Wiederverkaufs525

Vgl. Jacobs, O. (Hrsg.), Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 903.

369

Methoden zur Festlegung der Verrechnungspreise

preismethode, die vom Wiederverkaufspreis abzüglich einer Handelsspanne ausgeht, und die Kostenaufschlagsmethode, die auf die Herstellungskosten einen bestimmten Gewinn aufschlägt. Welche Methode am besten geeignet ist, richtet sich nach dem Einzelfall. Je nach Art der Transaktion zwischen Konzernunternehmen kann dennoch eine grundsätzliche Aussage bezüglich der Methodenverwendung getroffen werden. Bspw. wird bei der Lieferung von beweglichen Gütern an ein verbundenes Unternehmen i.d.R. die Preisvergleichsmethode bevorzugt.526 Die Standardmethoden können auch vermischt oder modifiziert werden, um sie an die Marktanforderungen anzupassen.527 Die folgende Grafik stellt anhand der Stufen der Wertschöpfung dar, wie der Verrechnungspreis mit Hilfe der drei Standardmethoden zustande kommt.

Grafische Darstellung der Standardmethoden Stufen der Wertschöpfung Marktpreis c) a)

Verrechnungspreis b) Herstellungskosten

Verbundene Unternehmen

Fremde Unternehmen

Abbildung 116: Darstellung der Standardmethoden anhand der Wertschöpfungskette Bei der Preisvergleichsmethode (a) orientiert sich der Verrechnungspreis an dem Preis, den zwei fremde Unternehmen vereinbart haben bzw. hätten. Bei der Kostenaufschlagsmethode (b) wird dagegen von den Herstellungskosten des liefernden verbundenen Unternehmens ausgegangen, diese werden um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht. Bei der Wiederverkaufspreismethode (c) wird von der entgegengesetzten Seite auf den Verrechnungspreis geschlossen, indem vom Marktpreis, zu dem das verbundene Unternehmen 526

Vgl. Ernst & Young, Global Transfer Pricing Surveys 2005-2006, S. 11.

527

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.4.2.

Standardmethoden

370

das Gut weiterveräußert, eine marktübliche Handelsspanne abgezogen wird, um den Lieferpreis an das verbundene Unternehmen zu ermitteln. Eine Rangfolge dieser Methoden existiert nicht,528 allerdings sollte die Methode gewählt werden, die den tatsächlichen Marktverhältnissen am nächsten kommt und für die die zuverlässigsten Daten zur Verfügung stehen.

3.1.1

Preisvergleichsmethode

Die Preisvergleichsmethode529 (comparable uncontrolled price method – CUP) ist die einzige, die einem tatsächlichen Fremdvergleich entspricht. Es handelt sich daher um die direkteste und verlässlichste Methode.530 Man vergleicht hierbei den zwischen zwei verbundenen Unternehmen vereinbarten Verrechnungspreis für eine Lieferung oder Leistung mit dem Marktpreis, der zwischen Fremden bei vergleichbaren Geschäften vereinbart wurde. Der innere Preisvergleich setzt voraus, dass ein Unternehmen vergleichbare Geschäfte zum einen mit einem verbundenen Unternehmen und zum anderen mit einem fremden Unternehmen getätigt hat. Der Verrechnungspreis wird mit dem Marktpreis, den das verbundene Unternehmen mit dem fremden Dritten vereinbart hat, verglichen. Die Tatsache, dass eines der verbundenen Unternehmen an dem Zustandekommen des Marktpreises beteiligt war, ist nicht hinderlich, solange keine unüblichen Bedingungen, etwa zum Zweck der Manipulation der Vergleichsbasis, für diese Geschäfte vereinbart wurden. Im Gegensatz dazu bedarf es für einen äußeren Preisvergleich zweier fremder Unternehmen, die vergleichbare Geschäfte wie die verbundenen Unternehmen tätigen. Da bei Zustandekommen dieses Preises keines der verbundenen Unternehmen beteiligt war, gibt es üblicherweise keine Bedenken bezüglich der Validität des Marktpreises. Der äußere Preisvergleich kommt i.d.R. für standardisierte und marktgängige Güter und Dienstleistungen in Betracht, sowie für Güter, die börsennotiert sind oder für die branchenübliche Preise existieren. Für börsennotierte Güter existiert ein Börsenpreis, zu dem diese auf Waren- oder Terminbörsen gehandelt werden. Maßgeblich ist in diesem Fall auch der Zeitpunkt, da sich Börsenpreise innerhalb kurzer Zeit verändern können. Branchenübliche Preise sind Listenpreise für Waren, die in großen Mengen gehandelt werden. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Methode ist, dass eine direkte oder zumindest indirekte Vergleichbarkeit der Geschäfte gegeben ist. Eine direkte Vergleichbarkeit (direkter Preisvergleich) der Geschäfte ist möglich, wenn die maßgebenden Bewertungs- und 528

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.4.1.

529

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.2.2.

530

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 2.7.

Methoden zur Festlegung der Verrechnungspreise

371

Einflussfaktoren (z.B. Menge, Lieferbedingungen, Service) ähnlich oder identisch sind. Im Gegensatz dazu können bei einem indirekten Preisvergleich auch Geschäfte verglichen werden, die sich stärker unterscheiden. Es muss allerdings möglich sein, die abweichenden Faktoren zu eliminieren und den Preis für das Geschäft zu korrigieren.531

Beispiel

Häufig ergeben sich in der Praxis Probleme bei der Anwendung der Preisvergleichsmethode. Insbesondere ist es im konkreten Einzelfall häufig unmöglich, die Vergleichbarkeit der Geschäfte herzustellen, da sich nicht alle Einflussfaktoren quantifizieren und/oder eliminieren lassen. Vergleichspreise sind gerade dann, wenn die konzerninternen Lieferungen oder Leistungen nicht börsennotiert oder branchenüblich sind, nur sehr schwer zu ermitteln. Für Leistungen, die ausschließlich innerhalb von Konzernen anfallen, gibt es de facto keine externen Vergleichswerte.532 Die kolumbianische Tochtergesellschaft Banana Joe Corp. liefert 100 t Bananen an die deutsche Muttergesellschaft Bud Spencer AG zu einem Preis, der 10 % über dem Börsenpreis für Bananen zum Lieferdatum liegt. Da keine abweichenden Bedingungen vereinbart wurden, die einen höheren Preis als den an der Warenterminbörse bestimmten üblichen Börsenpreis rechtfertigen, ist der Verrechnungspreis überhöht.

Beispiel

In diesem Beispielfall liegt die Vermutung nahe, dass der Verrechnungspreis für Zwecke der Gewinnverlagerung nach Kolumbien bewusst zu hoch angesetzt wurde, um das dortige Steuerniveau, das deutlich geringer ist als in Deutschland, auszunutzen. Die US-amerikanische Teddy Inc. stellt Jeanshosen unter dem sehr bekannten Label Sammy Jeans her. Die in München ansässige Tochtervertriebsgesellschaft Leonard Shelby GmbH vertreibt diese Jeanshosen in Deutschland. Die Horst Tappert AG aus Hamburg ist der einzige Konkurrent, der ebenfalls Jeanshosen von gleicher Qualität herstellt und diese an unabhängige Vertriebsgesellschaften in ganz Europa verkauft. Die Horst Tappert AG hat jedoch im Gegensatz zur Teddy Inc. keinen besonderen Markennamen und verkauft ihre Jeanshosen daher an Wiederverkäufer 30 % günstiger als die Teddy Inc.

Da im Beispielfall die Produkte aufgrund des Markenimages nicht direkt vergleichbar sind, kommt im Falle eines äußeren Preisvergleichs lediglich die indirekte Variante in Betracht. Dabei muss der Wert des Produktimages quantifiziert werden, um feststellen zu können, ob ein Aufschlag von 30 % gerechtfertigt ist. Dieses Beispiel zeigt, dass eine exakte Bestimmung des Verrechnungspreises in der Praxis sehr schwer durchführbar ist.

531

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.1.7.

532

Vgl. Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 461.

Standardmethoden

372

Eine andere Möglichkeit ist die Anwendung eines inneren Preisvergleichs. Dieser lässt sich allerdings nur dann durchführen, wenn die Teddy Inc. ihre Jeanshosen neben der Leonard Shelby GmbH auch an fremde Dritte zu denselben Bedingungen veräußert. Ist dies der Fall, können diese Marktpreise mit den tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreisen verglichen werden, und es lässt sich so feststellen, ob diese gerechtfertigt sind.

3.1.2

Wiederverkaufspreismethode

Die Wiederverkaufspreismethode533 (resale price method – RPM), auch Absatzmethode genannt, verwendet als Basis den Absatzpreis bzw. den Marktpreis, zu dem ein Unternehmen Waren, die es von einem verbundenen Unternehmen erworben hat, an fremde Dritte weiterveräußert. Ausgehend vom Absatzpreis wird dieser retrograd durch Abzug einer marktüblichen Handelsspanne gekürzt, um so den Preis zu erhalten, den das verbundene Unternehmen für die Ware beim wiederverkaufenden Unternehmen in Rechnung stellen kann. Dieser stellt den Verrechnungspreis dar. Die marktübliche Handelsspanne wird i.d.R. ausgehend vom Absatzpreis prozentual in Form einer Rohgewinnmarge angesetzt und hauptsächlich durch drei Komponenten determiniert: durch die entstandenen Kosten des Wiederverkäufers, die Funktionen und Risiken, die der Wiederverkäufer innerhalb des Konzerns übernimmt, und durch einen angemessenen Gewinnaufschlag. Daraus ergibt sich, dass der absolute Betrag der Handelsspanne aufgrund variabler Markt- bzw. Absatzpreise und Stückzahlen im Voraus nicht feststeht. Der Verrechnungspreis lässt sich anhand der Wiederverkaufspreismethode folgendermaßen ermittelt: Marktpreis bei Wiederverkauf ./. marktübliche Handelsspanne des Wiederverkäufers = Verrechnungspreis Das Hauptproblem der Wiederverkaufspreismethode besteht darin, die marktübliche Handelsspanne festzulegen. Diese lässt sich zum einen aus vergleichbaren Geschäften des verbundenen Unternehmens mit fremden Dritten ableiten (innerer Preisvergleich). Zum anderen kann die Handelsspanne eines unabhängigen Unternehmens herangezogen werden, das vergleichbare Geschäfte tätigt (äußerer Preisvergleich).534 In diesem Fall müssen die Vergleichsunternehmen jedoch unter anderem eine ähnliche Stellung im Markt haben, eine ähnliche Kostenstruktur aufweisen, über vergleichbare Kundenbeziehungen 533

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.2.3.

534

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 2.15.

Methoden zur Festlegung der Verrechnungspreise

373

verfügen, ein vergleichbares unternehmerisches Risiko tragen und ähnliche Konditionen vereinbaren.535 Eine Quantifizierung ist äußerst schwierig, da ein großer Teil der benötigten Daten nicht verfügbar ist. Problematisch wird die Ermittlung der Handelsspanne auch dann, wenn das Produkt vor der Weiterveräußerung verändert wird oder in ein anderes Produkt integriert wird, so dass seine ursprüngliche Identität verloren geht.

Beispiel

Diese Methode eignet sich also, sofern die zuvor genannten Probleme bei der Bestimmung der marktüblichen Handelsspanne beseitigt werden können, besonders für Unternehmen im Vertriebsbereich,536 wenn ein verbundenes Unternehmen an ein anderes verbundenes Unternehmen Lieferungen oder Leistungen erbringt und diese dann vom anderen verbundenen Unternehmen an fremde Dritte weiterveräußert werden. Die AVI GmbH, Tochtergesellschaft der amerikanischen Crocodile Dundee Corp., vertreibt in Deutschland von der Muttergesellschaft produzierte Krokodillederhandtaschen. Die DOUG AG vertreibt in Deutschland vergleichbare Handtaschen. Sie kauft diese allerdings bei unabhängigen Herstellern zu einem Preis von 100 € ein. Die Handelsspanne der DOUG AG beträgt 50 %, ausgehend vom Absatzpreis. Darin enthalten sind die Kosten des Unternehmens sowie ein angemessener Gewinnaufschlag. Somit bietet sie die Handtaschen zu einem Preis von 200 € zum Verkauf an. Da die AVI GmbH deutlich geringere Kosten hat und auch kein Risiko übernimmt, muss die Handelsspanne im Vergleich zur DOUG AG geringer ausfallen. Es soll eine Rohgewinnmarge, die 10 % unter der der DOUG AG liegt, als angemessen unterstellt werden. Wenn die AVI GmbH ihre Handtaschen zum gleichen Preis anbietet wie ihr Konkurrent, bedeutet dies somit, dass der Verrechnungspreis bei 120 € liegen muss. Beispiel zur Wiederverkaufspreismethode – Handtaschen

DOUG AG Absatzpreis ./. Handelsspanne (50 % / 40 %)

AVI GmbH

200

200

./. 100

./. 80

100

120

Stückverrechnungspreis

Abbildung 117: Beispiel – Wiederverkaufspreismethode

535

Vgl. Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 481.

536

Vgl. BFH v. 17.10.2001, I-R-103/00, IStR 2001, S. 745.

Standardmethoden

374

3.1.3

Kostenaufschlagsmethode

Die dritte Standardmethode ist die Kostenaufschlagsmethode537 (cost plus method). Ausgangspunkt dieser Methode sind die Selbstkosten des liefernden Unternehmens. Die Kosten werden dabei anhand von Kalkulationen ermittelt, die das Unternehmen auch bei seiner Preispolitik gegenüber fremden Dritten verwendet. Falls keine Geschäfte mit Fremden getätigt werden, so ist die Kalkulation nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen vorzunehmen.538 Einbezogen werden dabei sowohl Einzel- als auch Gemeinkosten. Der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter hat somit einen Spielraum bei der Wahl der Kalkulationsmethode. Soweit betriebswirtschaftliche Gründe dafür sprechen, kann er bei der Verwendung der Kostenaufschlagsmethode variieren. Dies ist beispielsweise bei verschiedenen Produkten oder Geschäftsbereichen erforderlich. Außerdem kann er frei wählen, ob er als Basis die Ist-, Soll- oder Plankosten heranzieht;539 üblicherweise werden die Istkosten verwendet.540 Die Selbstkosten sind um einen angemessenen (betriebs- oder branchenüblichen) Gewinnaufschlag zu erhöhen. Zur Bestimmung des angemessenen Gewinnaufschlags ist sowohl ein innerer Preisvergleich („betriebsüblich“) als auch ein äußerer Preisvergleich („branchenüblich“) möglich. Beim inneren Vergleich wird die Gewinnspanne, die das liefernde Unternehmen mit dem verbundenen Unternehmen vereinbart hat, mit derjenigen verglichen, die gegenüber fremden Dritten vereinbart wurde. Beim äußeren Vergleich dagegen werden branchenübliche Preise herangezogen, die fremde Dritte miteinander vereinbaren. Eine generelle Aussage über die angemessene prozentuale Höhe der Gewinnspanne lässt sich nicht treffen. Es muss daher jeweils der konkrete Einzelfall betrachtet werden. Ebenso wie bei der Wiederverkaufspreismethode spielen auch bei der Kostenaufschlagsmethode Funktion und Risikoverteilung der verbundenen Unternehmen eine bedeutende Rolle. So ist denkbar, dass nur ein geringer Gewinnaufschlag verrechnet werden darf, wenn es sich bei der Lieferung oder Leistung lediglich um einen durchlaufenden Posten handelt. Wenn das gesamte Geschäftsrisiko dagegen beim liefernden Unternehmen liegt, kann eine deutlich höhere Gewinnspanne gerechtfertigt sein. Aufgrund der Überlegung, dass ein Unternehmen Gewinn erzielen muss, um langfristig überleben zu können, ist es auf längere Sicht gesehen nicht möglich, dass der Verrechnungspreis keinen Gewinnaufschlag enthält.

537

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.2.4.

538

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.2.4.

539

Vgl. VWG 1983, Tz. 2.1.6.c und Tz. 2.4.3.

540

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 2.42.

Methoden zur Festlegung der Verrechnungspreise

375

Somit ergibt sich für die Berechnung des Verrechnungspreises nach der Kostenaufschlagsmethode: Selbstkosten des liefernden Unternehmens + angemessener Gewinnaufschlag = Verrechnungspreis

Beispiel

Die in Texas ansässige Happy Inc. hat einen neuartigen Golfball entwickelt, der 20 % weiter fliegt als ein herkömmlicher Golfball. Dabei stellt sie den Kern des Golfballs selbst her, liefert danach das halbfertige Produkt an die deutsche Tochtergesellschaft Shooter GmbH in Stuttgart, die die Schale um den Kern des Golfballs fertigt und den Vertrieb des Golfballs übernimmt. Aufgrund der einzigartigen Eigenschaften des Balls gibt es kein vergleichbares Produkt auf dem Markt.

Lösung

Wenn sowohl die Preisvergleichs- als auch die Wiederverkaufspreismethode nicht anwendbar sind, kommt die Kostenaufschlagsmethode als letzte Möglichkeit in Frage.541 Sie eignet sich besonders dann, wenn keine Marktpreise für die Lieferungen oder Leistungen als Vergleichsmaßstab zur Verfügung stehen. Dies ist insbesondere bei konzernspezifischen Gütern und Dienstleistungen der Fall, die nicht marktfähig sind. In der Praxis wird diese Methode beispielsweise bei konzerninternen Dienstleistungen, für die Lieferung halbfertiger Erzeugnisse zwischen verbundenen Unternehmen oder bei langfristigen Liefervereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen angewandt.

Zur Ermittlung des Verrechnungspreises bietet sich ausschließlich die Kostenaufschlagsmethode an, da sowohl die Preisvergleichsmethode als auch die Wiederverkaufspreismethode nicht anwendbar sind. Die Happy Inc. ermittelt ihre Selbstkosten nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen auf Basis ihres Kostenrechnungssystems. Hinzu kommt ein Gewinnaufschlag, der im Vergleich zu den anderen Golfbällen, die die Happy Inc. herstellt, aufgrund der Neu- und Einzigartigkeit des Balls und des somit höheren erzielbaren Absatzpreises über dem betriebsüblichen Gewinnaufschlag liegt. Die Summe aus den Selbstkosten und dem ermittelten Gewinnaufschlag der Happy Inc. bildet den Verrechnungspreis für die Shooter GmbH.

Die folgende Tabelle stellt abschließend die Funktionsweise der Verrechnungspreisermittlung und die Anwendungsbereiche der drei oben beschriebenen Standardmethoden in einer tabellarischen Übersicht gegenüber.

541

Vgl. Raupach, A., Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen, Herne/Berlin 1999, S. 112 f.

Standardmethoden

376

Tabellarische Übersicht zu den Standardmethoden

Methode

Ermittlung des VP

Anwendungsgebiete

x Vergleich mit Marktpreis, der Grundsatz: mit oder zwischen Fremden x standardisierte und marktgängige Güter und Dienstleistungen für vergleichbare Geschäfte vereinbart wurde Beispiele: x innerer/äußerer Preisvergleich x börsennotierte Güter PreisverPreisver- x Güter, für die branchenübliche gleichsmethode x direkter/indirekter gleich Preise existieren x gewerbliche Dienstleistungen x Kredite x Lizenzverträge

Wiederverkaufspreismethode

x Ausgangspunkt: Absatzpreis, Grundsatz: den das verbundene Unter- x besonders geeignet für Unternehmen, die Lieferungen oder nehmen beim Wiederverkauf Leistungen von verbundenen erzielt hat Unternehmen beziehen und diese x Abzug einer marktüblichen dann weiterveräußern (WiederHandelsspanne bestehend aus verkäufer) den Kosten des wiederverkaufenden Unternehmens, einer Beispiele: Vergütung für übernommene x Vertriebsgesellschaften Funktionen und Risiken sowie einem angemessenen Gewinnaufschlag

x Ausgangspunkt: Selbstkosten des Unternehmens, das die Lieferungen oder Leistungen an ein verbundenes UnternehKostenaufmen erbringt schlagsmethode x Hinzurechnung eines angemessenen (betriebs- oder branchenüblichen) Gewinnaufschlags

Grundsatz: x Lieferungen und Leistungen, für die keine Marktpreise existieren Beispiele: x konzernspezifische Güter und Dienstleistungen x konzerninterne Dienstleistungen x halbfertige Erzeugnisse x langfristige Liefervereinbarungen

Abbildung 118: Tabellarische Übersicht zu den Standardmethoden

Methoden zur Festlegung der Verrechnungspreise

377

3.2 Gewinnorientierte Methoden Die gewinnorientierten Methoden lassen sich unterteilen in geschäftsvorfallbezogene Methoden und globale Gewinnaufteilungsmethoden. Die geschäftsvorfallbezogenen Methoden werden von der OECD bereits seit den OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 1995/96 unter bestimmten Voraussetzungen akzeptiert.542 Die deutschen Finanzbehörden haben diese erstmalig in den VWG-Verfahren 2005 zur Anwendung zugelassen.543 Die globalen Gewinnaufteilungsmethoden werden dagegen sowohl von der deutschen Finanzverwaltung als auch durch die OECD-Richtlinien 1995/96 abgelehnt, da sie nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Die USA gehen diesbezüglich einen Sonderweg; sie erkennen in ihren Verrechnungspreisrichtlinien die Gewinnvergleichsmethode als gleichwertig zu den Standardmethoden an.544 Lediglich der global formelhafte Gewinnzuordnungsansatz, bei dem der konsolidierte Gewinn des Konzerns aufgrund eines festgelegten Zerlegungsschlüssel aufgeteilt werden soll, wird einhellig abgelehnt und daher im Folgenden nicht näher erläutert.

3.2.1

Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode

Bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (profit split method) wird der aus einem einzelnen Geschäft erwartete Gewinn im Voraus zwischen den verbundenen Unternehmen aufgeteilt. Auf den tatsächlich erwirtschafteten Gewinn kommt es dabei nicht an. Die Gewinnaufteilung erfolgt dabei anhand der zu erbringenden Leistungen, der Funktionen der Unternehmen und der Risikoverteilung. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode soll zur Anwendung kommen, wenn zwischen Geschäften eine so enge Beziehung besteht, dass eine getrennte Beurteilung nicht möglich ist. In solchen Fällen können die verbundenen Unternehmen eine Art „Mitunternehmerschaft“ gründen und eine Gewinnaufteilung vornehmen.545 Die Gewinnaufteilung kommt außerdem in Frage, wenn keine ähnlichen Geschäfte zwischen unabhängigen Unternehmen ermittelt werden können.546 In der Praxis kann diese Methode beispielsweise bei der konzerninternen Nutzungsüberlassung von immateriellen Gütern zum Einsatz kommen, für die mangels valider Daten kein Fremdvergleich mit Hilfe der Standardmethoden möglich ist. 542

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 3.50.

543

Vgl. VWG-Verfahren 2005, Tz. 3.4.10.3 Bst. b, c.

544

Vgl. US-Verrechnungspreisrichtlinien, Sec. 1.482-3.

545

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 3.5.

546

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 3.6.

378

Gewinnorientierte Methoden

Beispiel

Die amerikanische Goldie Corp. überlässt ihrer deutschen Tochtergesellschaft Marv GmbH die Rechte an der in den USA bekannten Marke „Hard Goodbye“, um diese auch in Deutschland zu vermarkten. Mit Hilfe einer Funktionsanalyse wird ermittelt, dass das Verhältnis ihrer Leistungsbeiträge am daraus erzielten Gewinn 50:50 beträgt, weshalb unter Anwendung der Beitragsmethode auch eine Gewinnaufteilung von 50:50 vereinbart wird. Daraufhin schließt die Marv GmbH mit der Kevin GmbH eine Lizenzvereinbarung über die Nutzung der Marke „Hard Goodbye“ in Deutschland ab. Vom Gesamtgewinn stehen der Goldie Corp. und der Marv GmbH jeweils die Hälfte zu.

3.2.2

Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode

Die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (transactional net margin method – TNMM) vergleicht die bei einem Geschäft zwischen verbundenen Unternehmen erzielte Nettogewinnspanne mit der Nettogewinnspanne, die bei vergleichbaren Geschäften vom Konzernunternehmen mit fremden Dritten oder von unabhängigen Unternehmen erzielt wird. Dazu muss der erzielte Nettogewinn im Verhältnis zu einer Basis, z.B. Kosten, Umsatz oder Kapital, betrachtet werden. Entscheidender Unterschied zum angemessenen Gewinnaufschlag bei der Kostenaufschlagsmethode oder der marktüblichen Handelsspanne bei der Wiederverkaufspreismethode ist, dass bei der Nettomargenmethode nur die Nettomarge eines einzelnen Geschäftsvorfalls betrachtet wird.

Beispiel

Die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 1995/96 sehen einen Vorteil der Nettomargenmethode gegenüber der Wiederverkaufspreismethode und der Kostenaufschlagsmethode darin, dass sich Funktionsunterschiede zwischen den konzerninternen und -fremden Geschäften weniger stark auf die Nettogewinnspanne auswirken als auf die Bruttogewinnspanne.547 Kritik erfährt die Nettomargenmethode jedoch, da sie unabhängig von der Kostenstruktur und dem wirtschaftlichen Verhalten eines Unternehmens einen sicheren Gewinn annimmt.548 Die amerikanische Lisa Ramos Corp. ist die Tochtergesellschaft der in München ansässigen Samuel Ramos GmbH. Bei einer Transaktion im „electronic-commerce“Bereich zwischen beiden Unternehmen beträgt die Nettogewinnspanne der Lisa Ramos Corp. 3 %. Da die unabhängige John Creasy Inc. bei einem vergleichbaren Geschäft eine Nettomarge in Höhe von 2,9 % erzielt, ist davon auszugehen, dass der zwischen den Konzernunternehmen vereinbarte Verrechnungspreis angemessen ist.

547

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 3.27.

548

Vgl. Jacobs, O. (Hrsg.), Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 941.

Methoden zur Festlegung der Verrechnungspreise

3.2.3

379

Gewinnvergleichsmethode

Die Gewinnvergleichsmethode (comparable profits method – CPM) findet insbesondere in den USA Anwendung. Die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 1995/96 und auch die deutschen VWG-Verfahren 2005 lehnen diese Methode aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz ab, da der Bezug zum jeweiligen Geschäftsvorfall verloren geht.549 Die Überprüfung der Verrechnungspreise erfolgt in einem dreistufigen Verfahren. Im ersten Schritt werden Renditekennzahlen, wie z.B. die Umsatzrentabilität, bei vergleichbaren Fremdunternehmen ermittelt. Je unterschiedlicher die Vergleichsunternehmen sind, desto unpräziser werden dabei die Vergleichskennzahlen. Daraufhin wird im zweiten Schritt überprüft, ob der Gewinn des verbundenen Unternehmens innerhalb einer bestimmten Bandbreite der ermittelten Vergleichskennzahlen liegt. Ist dies der Fall, so gelten die Verrechnungspreise als angemessen. Andernfalls werden in einem dritten Schritt die Verrechnungspreise so lange angepasst, bis dies der Fall ist.550 Dies führt u.U. bei einem Teil der verbundenen Unternehmen zu einer Sollgewinnbesteuerung. Der Bezug zu Einzelgeschäften, wie dies bei den Standardmethoden üblich ist, geht völlig verloren.

Beispiel

Diese Methode setzt zum einen voraus, dass die Vergleichsunternehmen dem verbundenen Unternehmen sehr ähnlich sind, und zum anderen, dass die Erfolgsunterschiede ausschließlich auf die Verrechnungspreise zurückzuführen sind. Die kolumbianische Vertriebstochtergesellschaft John Hartigan Corp. erzielt bei einem Umsatz von 1.000 T€ einen Gewinn in Höhe von 80 T€, d.h. eine Umsatzrendite von 8 %. Das unabhängige Vergleichsunternehmen Jack Rafferty Inc. erzielt dagegen bei vergleichbaren Geschäften nur eine Umsatzrendite von 5 %. Aufgrund der erheblichen Abweichung bei der Umsatzrentabilität kann angenommen werden, dass die Verrechnungspreise der John Hartigan Corp. unangemessen sind. Der Gewinn wird deshalb auf 50 T€ (5 % von 1.000 T€) korrigiert.

3.3 Advance Pricing Agreements Häufig ergeben sich im Rahmen einer Betriebsprüfung Differenzen bezüglich der Angemessenheit der Verrechnungspreise zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen. Während die Steuerbehörden daran interessiert sind, ihr Steueraufkommen zu sichern, 549

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 3.74; VWG-Verfahren 2005, Tz. 3.4.10.3 Bst. d.

550

Vgl. US-Verrechnungspreisrichtlinien, Sec. 1.482-5.

380

Advance Pricing Agreements

verfolgen die Unternehmen bei der Verrechnungspreisbestimmung betriebswirtschaftliche Ziele. Um einen möglichen Konflikt über die Angemessenheit eines Verrechnungspreises schon im Vorfeld auszuräumen, gibt es seit einigen Jahren sog. Advance Pricing Agreements (APAs), die eine Alternative zu den ex post durchgeführten Verrechnungspreisüberprüfungen bieten sollen. APAs sind verbindliche Vorwegauskünfte der Finanzbehörden gegenüber dem Steuerpflichtigen. Hierbei wird im Voraus eine formelle Absprache getroffen, damit es nicht zu den bereits angesprochenen Konflikten bezüglich der Höhe der Verrechnungspreise bei der Betriebsprüfung kommt. Inhalt dieser Vereinbarung ist ein Kriterienkatalog, anhand dessen die Verrechnungspreise für einen vorher festgelegten Zeitraum ermittelt werden. Insbesondere die Methode zur Verrechnungspreisbestimmung, aber auch Vergleichswerte und andere kritische Annahmen (sog. critical assumptions) werden hier festgelegt.551 Diese Absprachen gibt es seit 1991 in den USA (Revenue Procedure 91-11 und 91-22 vom 01. März 1991) und wurden zwischenzeitlich auch in vielen anderen Ländern (z.B. Kanada, Australien und den Niederlanden) eingeführt. In Deutschland wurde in diesem Zusammenhang ein richtungsweisender koordinierter Ländererlass vom 28. November 1994 veröffentlicht.552 Darin wurde erstmals bestätigt, dass eine solche verbindliche Vorwegauskunft zu Verrechnungspreisen grundsätzlich auch in Deutschland möglich ist. Derzeit arbeiten die deutschen Finanzbehörden an einem BMF-Schreiben bezüglich einem künftigen Verfahren zur Vereinbarung von APAs, mit dessen Veröffentlichung im Frühjahr 2006 gerechnet wird.553 Dem APA-Verfahren kann eine informelle Vorbesprechung vorausgehen (sog. Prefiling Conference), bei der der Steuerpflichtige, vertreten durch seine Berater, zunächst anonym bleibt und mit der Finanzbehörde klären kann, ob überhaupt die Möglichkeit besteht, eine Vereinbarung zu erreichen. Ist dies der Fall, wird im nächsten Schritt das offizielle Verfahren eröffnet. Der Steuerpflichtige muss alle für die Finanzbehörde relevanten Informationen vorlegen. Dazu gehören v.a. die Identität des Unternehmens, die genaue Darstellung des Sachverhalts, die Verrechnungspreismethode sowie weitere verrechnungspreisbestimmende Faktoren, mit denen die Finanzbehörde die Angemessenheit von Verrechnungspreisen überprüfen kann. Die Verfahrensdauer beträgt in den USA durchschnittlich drei Jahre, wobei im Jahr 2004 allein in den USA 65 APAs abgeschlossen wurden.554

551

Vgl. OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 4.124.

552

Vgl. Finanzministerium Baden-Württemberg, Erlass vom 28.11.1994, IStR 1995, S. 34.

553

Vgl. IStR-Länderbericht, Heft 19/2005, S. 1; IStR-Länderbericht, Heft 1/2006, S. 2.

554

Vgl. Internal Revenue Service, Announcement and report concerning advance pricing agreements, März 2005, S. 8.

Ausgewählte Anwendungsbereiche

381

Entscheidender Vorteil eines APAs ist, dass der Steuerpflichtige Sicherheit darüber hat, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung der durch APAs vereinbarte Verrechnungspreis von der Finanzbehörde akzeptiert wird, sofern keine Abweichungen von den critical assumptions festgestellt werden, und er somit auf einer verlässlichen Grundlage seine geschäftlichen Dispositionen vornehmen kann (Planungssicherheit). Obwohl die Alternative der verbindlichen Vorwegauskünfte in Form der APAs auf sehr positive Resonanz stößt, gibt es auch einige entscheidende Nachteile von APAs. Der größte Nachteil besteht sicherlich darin, dass der Steuerpflichtige umfassende interne Daten preisgeben muss, die der Finanzverwaltung tiefe Einblicke in das Unternehmen ermöglichen und diese die gewonnenen Informationen auch anderweitig, z.B. bei einer Betriebsprüfung, nutzen darf. Ein weiterer Nachteil ist, dass die APAs i.d.R. nur unilateral bindende Abkommen darstellen.555 Dies bedeutet, dass zwar die Finanzbehörde, mit der das APA geschlossen wurde, daran gebunden ist. Dies gilt jedoch nicht für die Finanzbehörde eines anderen Staates, weshalb der Abschluss eines unilateralen APAs Unternehmen nicht vor einer Doppelbesteuerung schützt. Bei bilateralen und multilateralen APAs erhöht sich zwar noch die Komplexität des Verfahrens, dafür ist die getroffene Vereinbarung gleich für zwei oder mehrere Staaten bindend. Zum erfolgreichen Abschluss eines APAs muss es letztendlich noch zu einer Einigung des Unternehmens mit den Finanzbehörden kommen. Nicht zuletzt ist das Verfahren zur Erzielung einer verbindlichen Vorwegauskunft sehr kompliziert und zeitaufwendig, und daher auch sehr kostspielig.556 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Advance Pricing Agreements dazu geeignet sind, mögliche Differenzen und Konflikte bei der Verrechnungspreisermittlung auszuschalten, ihr Nutzen jedoch erheblich eingeschränkt wird, sofern sich die Bindungswirkung nur unilateral erstreckt. In Deutschland ist das für 2006 angekündigte BMF-Schreiben abzuwarten, in dem die deutschen Finanzbehörden ihre Auffassung bezüglich APAs mitteilen.557

4 Ausgewählte Anwendungsbereiche Im Folgenden wird die Anwendung der verschiedenen Verrechnungspreismethoden für ausgewählte konzerninterne Lieferungen und Leistungen dargestellt. 555

Eine bilaterale Bindung lässt sich allerdings durch ein Verständigungsverfahren mit Finanzbehörden anderer Länder herstellen.

556

Vgl. hierzu auch OECD, Verrechnungspreisgrundsätze für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 1995/96, Tz. 4.148 ff.

557

Vgl. IStR-Länderbericht, Heft 19/2005, S. 1; IStR-Länderbericht, Heft 1/2006, S. 2.

Lieferungen von Gütern und Waren

382

4.1 Lieferungen von Gütern und Waren Der Austausch von Gütern und Waren hat den größten Anteil am konzerninternen Leistungsverkehr und ist daher für die Verrechnungspreisbestimmung der wichtigste Anwendungsbereich. Der Fremdvergleichspreis und somit der angemessene Verrechnungspreis für den konzerninternen Warenaustausch ist im Vergleich zu anderen Leistungen jedoch vergleichsweise einfach zu ermitteln. Dabei handelt es sich um den Preis, den Fremde für Lieferungen x x x x x x

gleichartiger Güter oder Waren, in vergleichbaren Mengen, in den belieferten Absatzmarkt, auf vergleichbarer Handelsstufe, zu vergleichbaren Lieferungs- und Zahlungsbedingungen und auf wirtschaftlich vergleichbaren Märkten

vereinbart hätten (oder haben).558 Allerdings sind auch hier bei der Bestimmung der Verrechnungspreise für den jeweiligen Einzelfall eine Reihe von Umständen und Einflussfaktoren mit einzubeziehen: x Art, Beschaffenheit, Qualität und Innovationsgehalt der Güter, x Verhältnisse des Marktes, auf dem die Güter zum Einsatz kommen oder an Dritte veräußert werden, x Funktionen und Handelsstufen, die von den verbundenen Unternehmen wahrgenommen werden, x Liefervereinbarungen, wie z.B. Haftungsverhältnisse, Zahlungsfristen, Rabatte, Skonti, Gefahrentragung, Gewährleistung, x Vorteile und Risiken bei längerfristigen Beziehungen und x besondere Wettbewerbssituationen.

Maßgeblich sind dabei die Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.559 Werden die Güter und Waren von einem Eigenproduzent sowohl an verbundene als auch an fremde Dritte geliefert, ist die Preisvergleichsmethode am besten geeignet. Vertreibt der Eigenproduzent seine Güter und Waren dagegen ausschließlich über verbundene Vertriebsgesellschaften ist die Wiederverkaufspreismethode zu bevorzugen. Sofern es sich bei der Produktionsgesellschaft um einen sog. Lohnfertiger handelt, bietet sich die Kostenauf-

558

Vgl. VWG 1983, Tz. 3.1.1.

559

Vgl. VWG 1983, Tz. 3.1.2.1.

Ausgewählte Anwendungsbereiche

383

schlagsmethode an.560 In der Praxis werden die Verrechnungspreise für Waren und Güter meistens anhand der Preisvergleichsmethode ermittelt.561

4.2 Dienstleistungen Bei der Verrechnung von Dienstleistungen innerhalb eines Konzerns muss zwischen gesellschaftlich und betrieblich veranlassten Dienstleistungen unterschieden werden. Gesellschaftlich bedingte Dienstleistungen dürfen aufgrund des Fremdvergleichsprinzips grundsätzlich nicht verrechnet werden.562 Hierzu gehören insbesondere Entgelte für x den Rückhalt im Konzern,563 x das Recht, den Konzernnamen zu führen, x Tätigkeiten des Vorstands, des Aufsichtsrats und der Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft, x die rechtliche Organisation, x die Produktions- und Investitionssteuerung des Gesamtkonzerns, x Tätigkeiten, die sich aus der Gesellschafterstellung ergeben, einschließlich der allgemeinen Organisation sowie der Kontrolle und Revision, die der Konzernspitze dienen, x Schutz und Kontrolle der Beteiligung und x die Konzernführung.564

Falls Entgelte für solche Dienstleistungen verrechnet wurden, muss eine Einkünftekorrektur vorgenommen werden. Im Gegensatz dazu können Entgelte für betrieblich bedingte Dienstleistungen innerhalb eines Konzerns verrechnet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass für dieselben Leistungen zwischen fremden Dritten ein Entgelt bezahlt worden wäre. Die Leistungen müssen außerdem tatsächlich erbracht worden, eindeutig abgrenzbar und messbar sein sowie im Interesse der empfangenden Gesellschaft liegen.565 Solche verrechenbare Leistungen sind insbesondere 560

Vgl. Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 514 ff.

561

Vgl. Ernst & Young, Global Transfer Pricing Surveys 2005-2006, S. 11.

562

Vgl. hierzu auch die Übersicht bei Jacobs, O. (Hrsg.), Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 917 f.

563

Hierbei handelt es sich um die sog. passive Konzernwirkung. Dazu gehören bspw. eine erhöhte Kreditwürdigkeit, verbilligte Einkaufsmöglichkeiten, Risikostreuung, etc. Vgl. hierzu auch Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 544.

564

Vgl. VWG 1983, Tz. 6.3.2.

565

Vgl. VWG 1983, Tz. 6.2.

Immaterielle Wirtschaftsgüter

384 x x x x x

die Übernahme von Buchhaltungsarbeiten, die zeitlich begrenzte Überlassung von Arbeitskräften, die Aus- und Fortbildung von Mitarbeitern, die Bereitstellung von marktüblichen Dienstleistungen und die Auftragsforschung.

In der Praxis werden Dienstleistungen üblicherweise über eine der drei folgenden Alternativen verrechnet: Zum einen die Verrechnung über Lieferpreise, die hauptsächlich bei Nebenleistungen zum Einsatz kommt. Die zweite Möglichkeit ist die Kostenumlage. Hierbei handelt es sich um eine pauschale Abrechung betrieblich veranlasster Dienstleistungen ohne Gewinnaufschlag. Die Aufteilung der Kosten erfolgt dabei mit Hilfe besonderer Aufteilungsschlüssel. Als dritte Möglichkeit bietet sich die Einzelabrechnung an, die sich an den drei Standardmethoden orientiert.566

4.3 Immaterielle Wirtschaftsgüter Werden einem verbundenen Unternehmen immaterielle Wirtschaftsgüter überlassen, muss dies ebenfalls gemäß dem Grundsatz des Fremdvergleichs erfolgen. Dabei ist für die Veräußerung bzw. Gewährung von Marken, Patenten, Know-how, etc. ein angemessener Verrechnungspreis im Rahmen einer Lizenzvereinbarung zu vereinbaren.567 Falls keine vergleichbaren Marktpreise zur Verfügung stehen, ist der Verrechnungspreis durch den Ansatz von Nutzungsentgelten auf der Basis einer sachgerechten Bemessungsgrundlage, wie z.B. Umsatz oder Menge, zu ermitteln.568 Für die Bewertung von Lizenzen hat das Bundesamt für Finanzen die sog. Lizenzkartei erstellt, die von Betriebsprüfern als Datenbank bei der Überprüfung der Angemessenheit von Lizenzvereinbarungen genutzt werden kann.569 Die Bewertung muss dennoch unter Berücksichtigung der im Einzelfall geltenden Faktoren wie z.B. den Marktbedingungen, dem Geltungsbereich und Umfang der Lizenz, den Gewinnerwartungen, dem Innovationsgrad sowie der Gültigkeitsdauer der Lizenz erfolgen. Aufgrund der Individualität von immateriellen Wirtschaftsgütern sind die drei Standardmethoden allerdings nur bedingt geeignet, einen angemessenen Verrechnungspreis zu ermitteln. Gemäß den VWG 1983 kann bei der Bewertung einer Lizenzgebühr davon ausgegangen werden, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter diese nur bis zu einer 566

Vgl. Schaumburg, H., Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 1998, S. 1243 ff; Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 550.

567

Vgl. Mössner, J. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl., Köln 2005, S. 527 f.

568

Vgl. VWG 1983, Tz. 5.2.2.

569

Vgl. VWG 1983, Tz. 5.2.2.; VWG-Verfahren 2005, Tz. 2.6.

Ausgewählte Anwendungsbereiche

385

bestimmten Höhe bezahlt, so dass seinem Unternehmen ein angemessener Betriebsgewinn aus der Lizenz verbleibt.570 Insofern kann für die Bestimmung einer angemessenen Lizenzgebühr auf die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode zurückgegriffen werden.

4.4 Finanzierungsleistungen Gewährt eine Muttergesellschaft einer Tochtergesellschaft ein Gesellschafterdarlehen, so erfolgt die Prüfung der Angemessenheit in zwei Stufen. Zunächst muss geprüft werden, ob es sich um eine ernst gemeinte Darlehensgewährung handelt oder um eine verdeckte Einlage. Eine verdeckte Einlage ist dann anzunehmen, wenn mit einer Rückzahlung nicht ernsthaft zu rechnen ist oder wenn die schuldrechtliche Vertragsgestaltung äußerst ungewöhnlich ist. Bei dieser Prüfung handelt es sich um eine Prüfung dem Grunde nach.571 Liegt keine verdeckte Einlage vor, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Darlehensvergütung angemessen ist (Prüfung der Höhe nach). Der Fremdvergleichspreis ist dabei der Zinssatz, zu dem fremde Dritte den Kredit am Geld- oder Kapitalmarkt gewährt hätten.572 Die Höhe des Zinssatzes wird im Einzelfall von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören insbesondere x x x x x x

Kredithöhe und Laufzeit, Art und Zweck des Kredits, Sicherheiten und Kreditwürdigkeit des Schuldners, Wechselkursrisiken, Refinanzierung (bei durchgeleiteten Krediten) und Verhältnisse am Kapitalmarkt.573

Zu berücksichtigen sind dabei die Regelungen des § 8a KStG (GesellschafterFremdfinanzierung) als Sonderregelung der verdeckten Gewinnausschüttung. Demnach sind Vergütungen für Darlehen, die ein Gesellschafter einer Gesellschaft gewährt hat, als verdeckte Gewinnausschüttung umzuqualifizieren, sofern ein bestimmtes angemessenes Verhältnis zwischen Fremdkapital und Eigenkapital überschritten ist.

4.5 Electronic Commerce Im innerkonzernlichen, elektronischen Geschäftsverkehr wird zwischen Offline- und Online-Geschäften unterschieden. Bei Offline-Geschäften wird das Internet lediglich zur Ver570

Vgl. VWG 1983, Tz. 5.2.3.

571

Vgl. VWG 1983, Tz. 4.1.

572

Vgl. BFH v. 25.11.1964, I-116/63-U, BStBl. III 1965, S. 176.

573

Vgl. VWG 1983, Tz. 4.2.2.

386

Electronic Commerce

tragsanbahnung und für den Vertragsabschluss genutzt, während die Ausführung auf konventionellem Wege erfolgt. Dagegen wird bei Online-Geschäften die gesamte Transaktion, insbesondere der steuerrelevante Leistungsvorgang, über elektronische Netze abgewickelt. Während sich bei Offline-Geschäften keine spezifischen Verrechnungspreisprobleme ergeben und somit auf die Standardmethoden zurückgegriffen werden kann, kommt es bei Online-Geschäften zwischen verbundenen Unternehmen ebenso wie zwischen selbständigen und unselbständigen Unternehmensteilen (z.B. als Betriebsstätte gestaltete Internet-Server) zu speziellen Verrechnungspreisproblemen. Die Gründe hierfür liegen in den Charakteristika des Electronic Commerce wie insbesondere x Digitalisierung von Gütern und Leistungen, x schwierige Identifizierung und Bewertung der immateriellen Güter (z.B. Software), x häufig Verlust einer festen Bindung an einen Ort, x gegenseitige Beeinflussung von Leistungen (insbesondere beim Global Development). Beim elektronischen Geschäftsverkehr zwischen verbundenen Unternehmen sind die Verrechnungspreise grundsätzlich mit der Preisvergleichsmethode oder bei fehlenden Fremdvergleichsdaten mit der Kostenaufschlagsmethode zu bestimmen. Sofern diese Standardmethoden aufgrund der internetspezifischen Besonderheiten nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen, ist auf die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode zurückzugreifen.574

5 Fazit Die Bestimmung der Verrechnungspreise ist und bleibt auch in naher Zukunft eines der wichtigsten und schwierigsten Themen der Steuerdiskussion nicht nur in Deutschland. Dies hängt zum einen mit der stetig zunehmenden internationalen Verflechtung von Konzernen, aber auch mit der Schwierigkeit der Verrechnungspreisbestimmung zusammen. Die aktuelle Brisanz zeigt sich insbesondere durch den Erlass der „VerwaltungsgrundsätzeVerfahren“ am 12. April 2005 und den geplanten Erlass eines BMF-Schreibens für ein künftiges Verfahren zur Vereinbarung von APAs. Auf europäischer Ebene versucht die Europäische Kommission mit dem im Jahr 2002 eingesetzten EU-Verrechnungspreisforum eine einheitlichere Anwendung der Verrechnungspreisvorschriften innerhalb der EU zu erreichen. Aufgrund der Heterogenität der zwischen verbundenen Unternehmen zu verrechnenden Lieferungen und Leistungen gibt es keine generelle Empfehlung hinsichtlich der anzuwendenden Methode zur Verrechnungspreisbestimmung. Vielmehr muss im Einzelfall, unter 574

Vgl. Vögele, A. (Hrsg.), Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Aufl., München 2004, S. 1015 ff.

Fazit

387

Berücksichtigung eventueller anderer Zielsetzungen der Verrechnungspreisbestimmung, entschieden werden, welche Vorgehensweise, welche Methodenwahl und welche Grundlagen hierfür herangezogen werden sollen. Bei der Verrechnungspreisbestimmung bestehen deshalb nach wie vor Spielräume, die die Unternehmen für ihre Zwecke nutzen können. Nicht ohne Grund unterhalten die großen Steuerberatungsgesellschaften eigene Abteilungen, die sich ausschließlich mit Verrechnungspreisen beschäftigen.

388

Überblick

Kapitel VI: Außensteuergesetz 1 Einführung, Zielsetzung des AStG Das Außensteuergesetz (AStG)575 wurde als Art. 1 des so genannten Außensteuerreformgesetzes (AStRG)576 eingeführt. Der sehr ausführliche Anwendungserlass (AEAStG)577 soll die Handhabung des Gesetzes erleichtern und Unklarheiten beseitigen. In jüngster Zeit hat das AStG durch das StVergAbG sowie das Korb-II-Gesetz zum Teil gravierende Änderungen erfahren. Das AStG wurde erlassen, um die Nutzung des internationalen Steuergefälles zur internationalen Steuerflucht zu verhindern, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung bei Auslandsbeziehungen wieder herzustellen und damit die wirtschaftliche Chancengleichheit zu wahren. Das AStG lässt sich im Wesentlichen in vier Hauptbereiche gliedern: x die Berichtigung von Einkünften bei international verflochtenen Unternehmen (1. Teil des AStG – § 1 AStG), x die erweitert beschränkte Steuerpflicht bei Wohnsitzverlagerung in niedrig besteuernde Gebiete (2. Teil des AStG – §§ 2-5 AStG), x die Besteuerung des Vermögenszuwachses von Anteilen an einer inländischen Kapitalgesellschaft bei Wohnsitzwechsel ins Ausland (3. Teil des AStG – § 6 AStG), x die Hinzurechnungsbesteuerung bei Beteiligungen an ausländischen Zwischengesellschaften (4. Teil des AStG – §§ 7-14 AStG). Der fünfte Teil des AStG (§ 15 AStG) enthält Regelungen betreffend Familienstiftungen. Teil sechs (§§ 16-18 AStG) kodifiziert eine Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandsgeschäften und Verfahrensweisen zur Sachverhaltsaufklärung. Die Schlussvorschriften des AStG sind im siebenten Teil (§§ 19-22 AStG) zusammengefasst.

575

Gesetz über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz 1972 – AStG 1972) v. 08.09.1972, BGBl. I 1972, S. 1713.

576

Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen (Außensteuerreformgesetz – AStRG) v. 08.09.1972, BGBl. I 1972, S. 1713.

577

BMF v. 14.05.2004, IV B 4 – S 1340 – 11/04, BStBl. Sondernummer 1 2004, S. 3, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 725.

Berichtigung von Einkünften – § 1 AStG

389

Merke: Es sind in naher Zukunft weit reichende Änderungen des AStG zu erwarten, da diverse Urteile des EuGH sowie Vertragsverletzungsverfahren der EUKommission insbesondere bei den Regelungen der §§ 1, 6, 7-14, 15 und 20 AStG Verstöße gegen EG-Recht aufzeigen.578

2 Das Verhältnis des AStG zu anderen steuerrechtlichen Vorschriften Im Anwendungserlass wird das Verhältnis des AStG zu anderen steuerrechtlichen Vorschriften unter Tz. 0 behandelt. Danach tritt das AStG ergänzend zu den Bestimmungen der Abgabenordnung und anderen Steuergesetzen hinzu, welche die Besteuerung von Auslandsbeziehungen regeln. Weiter heißt es dort, dass Doppelbesteuerungsabkommen dem AStG nicht entgehen stehen.

3 Berichtigung von Einkünften – § 1 AStG 3.1 Überblick Ziel des § 1 AStG ist es, die Verlagerung von Einkünften des inländischen Steuerpflichtigen ins Ausland bei Leistungsbeziehungen zwischen nahe stehenden Personen zu verhindern. Eine Verlagerung von Einkünften wird erreicht, indem Geschäfte mit einer nahe stehenden Person im Ausland zu Bedingungen getätigt werden, welche die Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen mindern und die Einkünfte des ausländischen Geschäftspartners erhöhen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob es sich beim Ausland um ein Niedrigsteuerland handelt oder nicht. Inländische Steuerpflichtige können sowohl unbeschränkt steuerpflichtige, als auch beschränkt bzw. erweitert beschränkt steuerpflichtige Personen sein. Außerdem fallen Personengesellschaften, Gemeinschaften und ähnliche Gebilde grundsätzlich auch unter die Regelung des § 1 AStG. Wenn die zwischen den nahe stehenden Personen vereinbarten Leistungsbeziehungen einem Fremdvergleich nicht standhalten, so sind die Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter unabhängigen Dritten angefallen wären („dealing-atarm’s-length“-Prinzip). 578

Vgl. hierzu auch Schaumburg, H., Außensteuerrecht und europäische Grundfreiheiten, DB 2005, S. 1129 ff.

390

Anwendungsvoraussetzungen

Beispiel

Die deutsche Möbelfabrik Möblig-AG kauft von der belgischen Betriebsstätte ihrer deutschen Tochtergesellschaft Spänig-GmbH Spanplatten zu einem überhöhten Preis.

Für die Anwendung des § 1 AStG verweist der Anwendungserlass auf die „Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze)“579, in denen der Begriff „nahe stehende Person“ geregelt ist.580 Zum Berichtigungsmaßstab und zur Behandlung von Berichtigungsbeträgen hat das BMF ein „Schreiben betr. Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EUSchiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren)“ 581 veröffentlicht.

3.2 Anwendungsvoraussetzungen Die Anwendung des § 1 AStG setzt voraus, dass x der Geschäftspartner eine nahe stehende Person ist, x eine Geschäftsbeziehung zum Ausland besteht, x unübliche Bedingungen vereinbart sind und x eine Einkunftsminderung des inländischen Steuerpflichtigen vorliegt.

579

Vgl. BMF v. 23.02.1983, IV C 5 – S 1341 – 4/83, BStBl. I S. 218, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 725, § 1/1.

580

Vgl. Tz. 1.0.1 AEAStG.

581

Vgl. BMF v. 12.04.2005, IV B 4 – S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, S. 570, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 725, § 1/5.

Berichtigung von Einkünften – § 1 AStG

Nahe stehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG Ja Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG Ja Unübliche Bedingung Ja Einkünfteminderung des inl. Steuerpflichtigen Ja Berichtigung der Einkünfte des inl. Steuerpflichtigen

391

Nein

Nein Nein Nein Keine Berichtigung der Einkünfte des inl. Steuerpflichtigen

Abbildung 119: Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG

3.2.1

Nahe stehende Person

Die Merkmale einer „nahe stehenden Person“ regelt § 1 Abs. 2 AStG. Zusätzlich enthalten die Verwaltungsgrundsätze unter Tz. 1.3.2 weitere Ausführungen. Es lassen sich vier Merkmalsgruppen unterscheiden: a) b) c) d)

wesentliche Beteiligung, beherrschender Einfluss, besondere Einflussmöglichkeiten und Interessenidentität.

392

Anwendungsvoraussetzungen

Zu a) wesentliche Beteiligung unmittelbare o. mittelbare Geschäftspartner

Steuerpflichtiger Beteiligung von mind. 25 % oder

Dritter jeweils unmittelbare o. mittelbare Beteiligung von mind. 25 %

Abbildung 120: Wesentliche Beteiligung Unter einer wesentlichen Beteiligung ist – unabhängig von § 17 EStG – nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG eine Beteiligung von mindestens einem Viertel zu verstehen. Diese Beteiligung muss der Steuerpflichtige an der nahe stehenden Person halten oder umgekehrt. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG ist es auch möglich, dass eine dritte Person an den beiden Personen wesentlich beteiligt ist, beispielsweise ein Mutterkonzern, der wesentliche Beteiligungen an zwei Tochtergesellschaften hält.

Beispiel

Es ist diesbezüglich unerheblich, ob es sich um eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung handelt. Allerdings ist eine Zusammenrechnung unmittelbarer und mittelbarer Beteiligungen oder mehrerer mittelbarer Beteiligungen nicht zulässig.582 Bei der Berechnung der mittelbaren Beteiligung einer Person an einer Gesellschaft sind die Beteiligungen, die eine vermittelnde Gesellschaft hält, in dem Verhältnis zu berücksichtigen, das der mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung der Person an der vermittelnden Gesellschaft entspricht.583 Die Beteiligungen werden also proportional zugerechnet. Simon Kruger ist an der dänischen Yoga-GmbH zu 40 % beteiligt. Die dänische Yoga-GmbH besitzt 70 % der Aktien der finnischen Novo-AG. Damit ist Kruger mittelbar zu 28 % (= 40 % von 70 %), also wesentlich, an der finnischen Novo-AG beteiligt. Die finnische Novo-AG ist für ihn eine nahe stehende Person im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG.

582

Vgl. Flick, H./ Wassermeyer, F./ Baumhoff, H., Außensteuerrecht: Kommentar, Köln 1999, § 1 AStG, Rz. 838.

583

Vgl. Tz. 1.3.2.3 Verwaltungsgrundsätze.

Berichtigung von Einkünften – § 1 AStG

393

Bei der wesentlichen Beteiligung muss es sich nicht um eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft handeln, d.h. Anteilseigner kann auch eine Personengesellschaft oder ein Einzelunternehmen sein.584 Darüber hinaus kann die wesentliche Beteiligung in einer stillen Beteiligung oder einem partiarischen Darlehen bestehen. Zu b) beherrschender Einfluss unmittelbarer o. mittelbarer Geschäftspartner

Steuerpflichtiger beherrschender Einfluss oder

Dritter jeweils unmittelbarer o. mittelbarer beherrschender Einfluss

Abbildung 121: Beherrschender Einfluss Gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG ist dem Steuerpflichtigen ein Geschäftspartner nahe stehend, wenn der Steuerpflichtige auf die Person unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt. Sie sind sich gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG auch dann nahe stehend, wenn eine dritte Person unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf die beiden erstgenannten Personen ausüben kann, was z.B. im Verhältnis von Schwestergesellschaften zu ihrer Muttergesellschaft der Fall ist. Ein beherrschender Einfluss kann auf rechtlicher oder tatsächlicher Grundlage oder dem Zusammenwirken beider beruhen. Der beherrschende Einfluss muss dabei jedoch nicht wirklich ausgeübt werden. Es genügt schon die Möglichkeit, um das Nahestehen von Personen zu begründen.585 Ein beherrschender Einfluss liegt beispielsweise vor, wenn ein Unternehmen völlig von einem Kapitalgeber oder von einem Rohstofflieferanten abhängig ist. Eine Verflechtung durch beherrschenden Einfluss kann auch auf beteiligungsähnlichen Rechten oder unmittelbarer bzw. mittelbarer Beteiligung derselben Personen an der Geschäftsleitung zweier Unternehmen beruhen.586

584

Vgl. BFH v. 30.05.1990, I-R-97/88, BStBl. II 1990, S. 875.

585

Vgl. Tz. 1.3.2.4 Verwaltungsgrundsätze.

586

Vgl. Tz. 1.3.2.5 Verwaltungsgrundsätze.

394

Anwendungsvoraussetzungen

Beispiel

Die Terminatrix-GmbH benötigt für die Produktion von ökologischem Radiergummi Kautschuk aus ökologischem Anbau. Einziger Anbieter von Kautschuk aus ökologischem Anbau ist die John Connor AG. Die John Connor AG erlangt dadurch einen beherrschenden Einfluss auf die Terminatrix-GmbH, da diese bezüglich der Rohstoffe von der John Connor AG vollständig abhängig ist.

Zu c) besondere Einflussmöglichkeiten

Steuerpflichtiger

Ausübung eines außerhalb der Geschäftsführung begründeten Einflusses

Geschäftspartner

Abbildung 122: Besondere Einflussmöglichkeiten Die dritte Möglichkeit, das Nahestehen zweier Personen zu begründen, besteht in einem außerhalb der Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auf die andere Person (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG). Der Einfluss muss sich dabei auf die Geschäftsbeziehung selbst erstrecken. Auch hier reicht die Möglichkeit aus, einen solchen Einfluss ausüben zu können.587 Bei dieser Art von Einflussmöglichkeit kann es sich beispielsweise um Abhängigkeitsverhältnisse handeln, die ihren Grund in persönlichen oder verwandtschaftlichen Verbindungen haben. Zu d) Interessenidentität

Steuerpflichtiger

eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung des Anderen

Geschäftspartner

Abbildung 123: Interessenidentität Ein Nahestehen von Personen wird auch in dem Fall angenommen, wenn der Steuerpflichtige oder sein Geschäftspartner ein geschäftliches oder persönliches Interesse an der Einkunftserzielung des Anderen hat.

587

Vgl. Tz. 1.3.2.6 Verwaltungsgrundsätze.

Berichtigung von Einkünften – § 1 AStG

3.2.2

395

Geschäftsbeziehung zum Ausland

Zur Anwendung von § 1 AStG muss es sich gem. § 1 Abs. 1 AStG zusätzlich um eine Geschäftsbeziehung zum Ausland handeln. Mit dem Begriff Ausland ist dabei jedes Gebiet gemeint, das nicht zum Inland gehört. Da es sich um eine Geschäftsbeziehung mit einer nahe stehenden Person handeln muss, d.h. mit einer vom Steuerpflichtigen verschiedenen Person, sind grenzüberschreitende Geschäfte innerhalb eines Unternehmens, z.B. zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder zwischen zwei Betriebsstätten, von dieser Regelung ausgeschlossen. Was genau unter einer Geschäftsbeziehung zu verstehen ist, regelt § 1 Abs. 4 AStG, der durch das StVergAbG ausgedehnt wurde. Danach ist jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist, eine Geschäftsbeziehung, wenn sie bei dem Steuerpflichtigen oder der nahe stehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, deren Einkünfte nach den §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG zu behandeln sind oder wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Auf diese Weise soll jede tatsächliche oder rechtliche Leistungsbeziehung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft außerhalb der gesellschaftsvertraglichen Ebene von § 1 Abs. 1 AStG erfasst werden. Keine Geschäftsbeziehung sind demnach die Beziehungen, die das Nahestehen selbst begründen, d.h. die das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter regeln. Dazu gehört insbesondere die Überlassung von Eigenkapital, da sie nicht aufgrund einer schuldrechtlichen, sondern einer gesellschaftsrechtlichen Vereinbarung erfolgt.588 Der BFH hat in seinem Urteil vom 28. April 2004 dem Tatbestand einer Geschäftsbeziehung zum Ausland i.S.d. § 1 Abs. 1 und 4 AStG eine personale Beziehung zwischen inländischem Steuerpflichtigen und der ausländischen nahe stehenden Person vorausgesetzt, und somit eine Gesetzeslücke aufgezeigt.589 Konkret urteilte der BFH, dass bei zinsloser Darlehensgewährung eines Steuerpflichtigen an eine inländische nahe stehende Person eine personale Beziehung nicht gegeben ist, wenn letzt genannte Person die Darlehensmittel zur Finanzierung einer ausländischen Betriebsstätte heranzieht.590 Ein vom BMF veröffentlichter Nichtanwendungserlass591 betreffend dieses BFH-Urteils erscheint zumindest fragwürdig, da dessen Anwendung bei anderen Sachverhalten zu neuen Rechtsproblematiken führt.592

588

Vgl. Tz. 1.4.2. AEAStG.

589

Vgl. Andresen, U., Keine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG bei Begebung eines zinslosen Darlehens an inländische GmbH mit Schweizer Betriebsstätte, IStR 2005, S. 123 f.

590

Vgl. BFH v. 28.04.2004, I-R-5, 6/02, IStR 2004, S. 758.

591

Vgl. BMF v. 22.07.2005, IV B 4 – S 1341 – 4/05, DStR 2005, S. 1315 f., Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 725, § 1/6.

592

Vgl. Strunk, G./ Kaminski, B., Anmerkungen zum BMF-Schreiben zum Vorliegen von Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Abs. 4 AStG, IStR 2006, S. 141, 144.

Berichtigungsumfang

396

3.2.3

Unübliche Bedingungen

Dritte Voraussetzung für die Anwendung von § 1 AStG ist, dass zwischen den Beteiligten Bedingungen vereinbart wurden, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten. Dieser Fremdvergleich ist relativ einfach durchzuführen, wenn der Steuerpflichtige mit nicht nahe stehenden Geschäftspartnern vergleichbare Geschäfte tätigt. Gibt es solche vergleichbaren Fremdgeschäfte nicht, muss ein anderer Vergleichsmaßstab gefunden werden. Die Möglichkeiten hierzu sind in Tz. 2.1.6 der Verwaltungsgrundsätze geregelt.

3.2.4

Einkunftsminderung

Schließlich müssen durch die unüblichen Bedingungen die Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen gemindert werden, d.h. es muss eine Einkünfteverlagerung ins Ausland vorliegen. Im umgekehrten Fall, d.h. wenn die Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen durch solche Geschäfte erhöht werden, ist eine Gewinnkorrektur nach unten nicht vorgesehen. Bei der Prüfung, ob Einkünfte durch unübliche Bedingungen gemindert worden sind, stellt sich die Frage, ob das Ergebnis einzelner Geschäfte oder eines gewissen Zeitraums, z.B. eines Wirtschaftsjahres, betrachtet werden muss. § 1 AStG spricht von der Minderung von „Einkünften“. Daraus lässt sich schließen, dass das Ergebnis eines Zeitraums gemeint ist, da nach deutschem Steuerrecht Einkünfte immer für den Zeitraum eines Wirtschaftsjahres ermittelt werden. Die positiven und negativen Geschäftsergebnisse eines Wirtschaftsjahres werden miteinander verrechnet, und nur das saldierte Ergebnis wird betrachtet.

3.3 Berichtigungsumfang Der Berichtigungsumfang wird durch die Höhe der Einkunftsminderung bestimmt. Die Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen sind so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen erzielt worden wären (Grundsatz des Fremdverhaltens).593 Der Berichtigungsbetrag wird nach Tz. 5.3.3 der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren außerhalb der Steuerbilanz zugerechnet. In der Literatur hat sich ein beachtlicher Teil der Autoren gegen diese Vorgehensweise ausgesprochen.594 Argument dafür ist, dass durch die Vorgehensweise der Verwaltungsgrundsätze die Gefahr der Doppelbesteuerung bei späterer Beteiligungsveräußerung besteht. Der BFH hat sich aber in seinem Urteil vom 30. Mai 593

Vgl. Tz. 1.1 AEAStG.

594

Vgl. Flick, H./ Wassermeyer, F./ Baumhoff, H., Außensteuerrecht: Kommentar, Köln 1999, § 1 AStG, Rz. 811.

Berichtigung von Einkünften – § 1 AStG

397

1990 der Verwaltungsauffassung angeschlossen.595 Des Weiteren wurde klargestellt, dass bei einer drohenden Doppelbesteuerung ein Anspruch auf Erlass von Steuern aus sachlichen Billigkeitsgründen besteht. Für den Fall, dass die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlage eines Steuerpflichtigen nicht ermitteln kann, sieht § 1 Abs. 3 AStG eine Schätzung des Berichtigungsbetrages nach § 162 AO vor. Bei fehlenden geeigneten Anhaltspunkten für die Schätzung ist als Schätzmaßstab die übliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals oder eine unter normalen Umständen zu erwartende Umsatzrendite vorgesehen. Merke: Für die Anwendung des § 1 AStG müssen folgende vier Voraussetzungen gegeben sein: 9nahe stehende Personen (wesentliche Beteiligung, beherrschender Einfluss, besondere Einflussmöglichkeiten oder Interessenidentität), 9Geschäftsbeziehung zum Ausland, 9Vereinbarung von unüblichen Bedingungen, 9Einkunftsminderung beim inländischen Steuerpflichtigen.

Sind diese Voraussetzungen gegeben, werden die Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen in dem Maße korrigiert, dass sie dem Umfang entsprechen, wie sie bei Geschäften unter üblichen Bedingungen, d.h. wie unter fremden Dritten, angefallen wären.

3.4 Das Verhältnis des § 1 AStG zu anderen Berichtigungsvorschriften Nach dem Wortlaut des Gesetzes findet § 1 AStG nur „unbeschadet anderer Vorschriften“ Anwendung. Dies bedeutet, dass die Anwendung anderer Gewinnkorrekturvorschriften nicht eingeschränkt wird. § 1 AStG wird somit lediglich subsidiär angewandt. Wenn aber die Gewinnkorrekturmöglichkeit einer anderen Vorschrift nicht so weit reicht wie die des § 1 AStG, wird § 1 AStG ergänzend angewendet. Somit fungiert § 1 AStG als Auffangvorschrift.596 Zu einer Überschneidung der Anwendungsbereiche kann es zwischen § 1 AStG und verdeckter Gewinnausschüttung bzw. zwischen § 1 AStG und verdeckter Einlage kommen. Die Vorschriften über die verdeckte Gewinnausschüttung (R 31 Abs. 3 KStR) und die verdeckte Einlage (R 36a Abs. 1 KStR) haben innerhalb ihrer Geltungsbereiche generell je-

595

Vgl. BFH v. 30.05.1990, I-R-97/88, BStBl. II 1990, S. 857.

596

Vgl. Tz. 1.1.2 AEAStG.

398

Überblick

weils Vorrang vor § 1 AStG.597 Somit kommt § 1 AStG nur zur Anwendung, wenn es sich nicht um eine verdeckte Gewinnausschüttung oder eine verdeckte Einlage handelt. Praktische Bedeutung hat § 1 AStG bei der Ergebnisabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen daher nur im Fall der zu günstigen oder kostenlosen Nutzungsüberlassung bzw. Dienstleistungserbringung.

4 Wohnsitzverlagerung in niedrig besteuernde Gebiete – §§ 2-5 AStG 4.1 Überblick Verlegt eine Person ihren Wohnsitz ins Ausland, ist sie nicht mehr mit ihren gesamten Einkünften in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, sondern nur noch beschränkt mit den inländischen Einkünften. Um die Steuerflucht von inländischen Steuerpflichtigen mit relativ hohen Einkünften aus Deutschland – z.B. erfolgreiche Sportler wie Michael Schumacher oder Steffi Graf – zu erschweren, wurde mit den §§ 2-5 AStG die erweitert beschränkte Steuerpflicht eingeführt. §§ 2 und 5 AStG beziehen sich auf die Einkommensteuer, § 4 AStG bezieht sich auf die Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 3 AStG bezog sich auf die Vermögensteuer, wurde aber zum 01. Januar 1997 aufgehoben, da die Vermögensteuer seit diesem Zeitpunkt nicht mehr erhoben wird. Die erweitert beschränkte Steuerpflicht betrifft deutsche Staatsangehörige, die nach ihrem Wegzug in ein niedrig besteuerndes Gebiet weiterhin wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland haben. Diese müssen für die folgenden zehn Jahre nach ihrem Umzug ihre gesamten deutschen Einkünfte, d.h. die inländischen Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG, in Deutschland versteuern. Die Erweiterung der beschränkten Steuerpflicht liegt also darin, dass nicht nur die im Katalog des § 49 EStG aufgeführten inländischen Einkünfte (beschränkt) steuerpflichtig werden, sondern die Einkünfte, die im Katalog des § 2 EStG genannt sind. Die Vorschrift des § 2 EStG nennt die steuerpflichtigen Einkünfte für unbeschränkt Steuerpflichtige und ist daher entsprechend weiter gefasst als die Vorschrift des § 49 EStG für beschränkt Steuerpflichtige. Allerdings wird dadurch nicht das Welteinkommen erfasst, sondern nur die inländischen Einkünfte, da sich die erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht zwar auf den in § 2 EStG genannten Einkunftskatalog erstreckt, jedoch § 2 Abs. 1 AStG die ausländischen Einkünfte aus dem Anwendungsbereich herausnimmt.

597

Vgl. BMF v. 12.04.2005, IV B 4 – S 1341 – 1/05, Tz. 5.3.3, BStBl. I 2005, S. 570, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 725, § 1/5.

Wohnsitzverlagerung in niedrig besteuernde Gebiete – §§ 2-5 AStG

399

Diese Regelung über die erweitert beschränkte Steuerpflicht gilt nur für natürliche Personen. Ausländische Staatsangehörige sind von der erweitert beschränkten Steuerpflicht nicht betroffen. Grundsätzlich gehen Doppelbesteuerungsabkommen den Bestimmungen zur erweitert beschränkten Steuerpflicht (§§ 2-5 AStG) vor. Allerdings muss angemerkt werden, dass es kaum Niedrigsteuerländer gibt, mit denen DBA abgeschlossen wurden. Eine Ausnahme ist die Schweiz – wobei die Schweiz nicht als typisches Niedrigsteuerland anzusehen ist –; in das DBA Deutschland-Schweiz sind Sonderregelungen zur erweitert beschränkten Steuerpflicht aufgenommen worden. Die Vorschriften über die erweitert beschränkte Steuerpflicht stoßen in der Literatur immer wieder auf Kritik. Vor allem die Begünstigung von unbeschränkt Steuerpflichtigen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, wird als ungerecht empfunden; die Regelungen der erweitert beschränkten Steuerpflicht betreffen nur unbeschränkt Steuerpflichtige mit deutscher Staatsbürgerschaft. Weiterhin wird kritisiert, dass sachliche Gründe für einen Wohnsitzwechsel nicht beachtet werden und die erweitert beschränkte Steuerpflicht in vielen Fällen leicht umgangen werden kann.598

4.2 Erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht – § 2 AStG 4.2.1

Persönliche Voraussetzungen

Von der erweitert beschränkten Steuerpflicht sind nur natürliche Personen betroffen, die in den letzten zehn Jahren vor dem Ende ihrer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG als Deutsche insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren und in einem ausländischen Gebiet ansässig sind, in dem sie nur einer geringen Besteuerung unterliegen, aber noch wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland haben.

4.2.1.1 Natürliche Person Aus der Formulierung des § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG geht hervor, dass nur natürliche Personen, aber keine juristischen Personen der erweitert beschränkte Steuerpflicht unterliegen können. Dies liegt daran, dass bei juristischen Personen ein Wechsel zur beschränkten Steuerpflicht nur durch Auflösung im Inland und Neugründung im Ausland möglich ist. Dabei findet nach § 12 KStG eine Gewinnrealisierung der bisher gebildeten stillen Reserven statt, die im Inland der Körperschaftsteuer unterliegt. Somit kann auf eine Vorschrift wie § 2 AStG für juristische Personen verzichtet werden. 598

Vgl. Kluge, V., Das Internationale Steuerrecht, München 2000, S. 200 ff.

400

Erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht – § 2 AStG

4.2.1.2 Deutsche Staatsangehörigkeit Als Deutscher gilt, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Dabei ist es unerheblich, ob der Steuerpflichtige in der relevanten Zeitspanne zusätzlich eine andere Staatsangehörigkeit innehat. Die deutsche Staatsangehörigkeit muss im Zehn-Jahres-Zeitraum vor der Auswanderung mindestens fünf Jahre gemeinsam mit der unbeschränkten Steuerpflicht vorgelegen haben. Die erweitert beschränkte Steuerpflicht kann also nicht dadurch verhindert werden, dass der Steuerpflichtige beim Wegzug ins Ausland seine deutsche Staatsangehörigkeit aufgibt.

4.2.1.3 Unbeschränkte Steuerpflicht vor Umzug

Beispiel

Der deutsche Staatsangehörige Paul Vitti lebt seit seiner Geburt (02.01.1965) in Deutschland. Da seine Mutter Schweizerin ist, besitzt er auch die schweizerische Staatsangehörigkeit. Am 01.06.1996 verlegt er erstmals seinen Wohnsitz nach Monaco. Da es ihm dort nicht sonderlich gefällt, kehrt er am 01.03.1998 wieder nach Deutschland zurück. Am 01.09.2000 beschließt er, seine deutsche Staatsangehörigkeit aufzugeben, und verlegt am 01.02.2004 seinen Wohnsitz endgültig in die Schweiz. Die anderen Voraussetzungen für die erweitert beschränkte Steuerpflicht liegen vor.

Lösung

Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht muss – genau wie die deutsche Staatsangehörigkeit – in den letzten zehn Jahren vor dem Wegzug für mindestens fünf Jahre bestanden haben. Die Zehn-Jahres-Frist wird von dem Tag an zurückgerechnet, an dem der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz im Inland aufgibt. Die fünfjährige unbeschränkte Steuerpflicht muss nicht ununterbrochen bestanden haben. War der Steuerpflichtige in den letzten zehn Jahren vor dem Wegzug mehrere Male im Inland unbeschränkt steuerpflichtig, sind diese Zeiträume zusammenzurechnen.

Bei seinem ersten Wegzug nach Monaco tritt für Vitti die erweitert beschränkte Steuerpflicht ein, da er in den zehn Jahren vor dem Wegzug mehr als fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Nach seinem endgültigen Wegzug in die Schweiz wird Vitti nicht erweitert beschränkt steuerpflichtig, da er im letzten Zehn-Jahres-Zeitraum vor Wegzug (01.02.1994 bis 01.02.2004) weniger als fünf Jahre als Deutscher (mit deutscher Staatsangehörigkeit) unbeschränkt steuerpflichtig war (01.02.1994 bis 01.06.1996 und 01.03.1998 bis 01.09.2000; insgesamt also nur 4 Jahre und 10 Monate).

Wohnsitzverlagerung in niedrig besteuernde Gebiete – §§ 2-5 AStG

401

4.2.1.4 Ansässigkeit in einem niedrig besteuernden Gebiet Weitere Voraussetzung für die Begründung der erweitert beschränkten Steuerpflicht ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AStG die Ansässigkeit in einem niedrig besteuernden ausländischen Gebiet oder keine Ansässigkeit in einem Gebiet. Ansässig ist eine Person dort, wo sie aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres gewöhnlichen Aufenthalts oder eines ähnlichen Merkmals nach dortigem Recht steuerpflichtig ist. Dabei muss es sich um eine umfassende Besteuerung handeln, also nicht nur um eine Quellenbesteuerung. Keine Ansässigkeit liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger beispielsweise ständig seinen Wohnsitz bzw. Aufenthalt wechselt.599 In diesem Fall wird von einer niedrigen Besteuerung ausgegangen. Behält ein Auswanderer seinen Wohnsitz im Inland bei (Doppelwohnsitz), greift bei ihm die erweitert beschränkte Steuerpflicht nicht, weil er unbeschränkt steuerpflichtig ist.

Beispiel

Die Deutsche Anna Scott lebt seit ihrer Geburt (09.06.1972) in Deutschland. 2002 gewinnt sie in einer Quizsendung einen Geldbetrag in Höhe von 500.000 €, den sie bei einer deutschen Bank anlegt und hiermit Zinseinnahmen erzielt. Am 01.01.2003 verlegt Scott ihren Wohnsitz nach Großbritannien, am 01.06.2004 zieht Scott nach Andorra, wo sie keinerlei Einkommensteuer zahlen muss.

Lösung

Die erweitert beschränkte Steuerpflicht greift auch dann, wenn der Steuerpflichtige zuerst in einem Land ansässig wird, in dem die Steuerbelastung mit der deutschen vergleichbar ist, und erst später in ein Niedrigsteuerland umzieht. Die Ansässigkeit in dem Niedrigsteuerland muss lediglich innerhalb des Zehn-Jahres-Zeitraums nach Beendigung der unbeschränkten inländischen Steuerpflicht bestehen.

Anna Scott ist vom 01.01.2003 bis zum 01.06.2004 in Deutschland beschränkt steuerpflichtig, da Großbritannien kein Niedrigsteuerland ist. Nach ihrem Umzug nach Andorra wird sie erweitert beschränkt steuerpflichtig. Bleibt Anna in Andorra ansässig, besteht die erweitert beschränkte Steuerpflicht bis zum 31.12.2013.

In welchen Fällen eine niedrige Besteuerung vorliegt, regelt § 2 Abs. 2 AStG. Eine niedrige Besteuerung liegt demnach vor x bei einem günstigeren Steuertarif oder x bei einer Vorzugsbesteuerung.

599

Als Beispiel lässt sich ein Luxusschiff nennen, auf dem sich Millionäre ein Appartement kaufen und dies bewohnen, um auf diese Weise einen ständigen Aufenthalt und damit eine unbeschränkte Steuerpflicht zu vermeiden.

402

Erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht – § 2 AStG

Ein günstigerer Steuersatz ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG gegeben, wenn die Einkommensteuer einer unverheirateten Person, die ein zu versteuerndes Einkommen von 77.000 € hat, in dem ausländischen Gebiet um mehr als ein Drittel geringer ist als die deutsche Einkommensteuer.600 Es wird ein abstrakter Steuerbelastungsvergleich vorgenommen, da dieser Vergleich unabhängig vom tatsächlichen Einkommen und den persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen durchgeführt wird. Im VZ 2005 beläuft sich die deutsche Einkommensteuerbelastung bei unbeschränkter Steuerpflicht gem. § 32a Abs. 1-3 EStG für ein zu versteuerndes Einkommen von 77.000 € auf 24.426 €. Das entspricht einem durchschnittlichen Steuersatz von 31,72 %. Die ausländische Einkommensteuer darf – unter gleichen Voraussetzungen – nicht unter 16.284 € oder 21,15 % liegen, damit das ausländische Gebiet nicht als Niedrigsteuerland qualifiziert wird. Mit Vorzugsbesteuerung ist gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG jede Art von Steuervergünstigung gemeint, die aufgrund von persönlichen Merkmalen zu einer steuerlichen Bevorzugung einer bestimmten Person oder Personengruppe gegenüber der sonst üblichen Steuerbelastung führt. Eine solche Steuervergünstigung kann beispielsweise Steuerfreiheit, Pauschalbesteuerung oder bevorzugte Besteuerung von deutschen Einkünften sein. Die Vorzugsbesteuerung muss von dem Steuerpflichtigen nicht tatsächlich in Anspruch genommen werden. Es reicht aus, wenn die Inanspruchnahme der Vorzugsbesteuerung zu einer erheblichen Steuerminderung führen würde. In welchem Fall aber eine Steuerminderung erheblich ist, regelt weder das Gesetz noch der Anwendungserlass. Der Steuerpflichtige hat die Möglichkeit, die Vermutung einer niedrigen Besteuerung zu widerlegen. Dazu muss er nachweisen, dass seine vom Einkommen insgesamt zu entrichtende Steuer mindestens zwei Drittel der Einkommensteuer beträgt, die er bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG zu entrichten hätte. Dieser Nachweis erfolgt durch einen konkreten Belastungsvergleich. Dazu werden alle weltweit zu entrichtenden Steuern vom Einkommen des Steuerpflichtigen (Istbesteuerung) der Einkommensteuer, die bei Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland zu entrichten wäre (Sollbesteuerung), gegenübergestellt.601 Bei der Ermittlung der Sollbesteuerung werden die tatsächlichen persönlichen Verhältnisse (z.B. Familienstand, Kinder) berücksichtigt. Beträgt die Istbesteuerung mehr als zwei Drittel der Sollbesteuerung, wird die Vermutung der Niedrigbesteuerung fallengelassen.

600

Vgl. Tz. 2.2.2. AEAStG; demnach zählt der Solidaritätszuschlag nicht zur deutschen Einkommensteuer.

601

Vgl. Göttsche, M., Wohnsitzverlagerung natürlicher Personen ins Ausland, Neuwied 1997, S. 204.

Wohnsitzverlagerung in niedrig besteuernde Gebiete – §§ 2-5 AStG

4.2.2

403

Sachliche Voraussetzungen

4.2.2.1 Wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland Zusätzlich zu den bisher erläuterten persönlichen Tatbeständen müssen noch starke wirtschaftliche Verbindungen – sog. wesentliche wirtschaftliche Interessen – zum Inland bestehen. Es kann sich dabei um unmittelbare (§ 2 Abs. 3 AStG) oder mittelbare (§ 2 Abs. 4 AStG) wesentliche wirtschaftliche Interessen handeln. § 2 Abs. 3 AStG definiert für unmittelbare wesentliche wirtschaftliche Interessen drei unterschiedliche Tatbestände, von denen einer erfüllt sein muss, um die erweitert beschränkte Steuerpflicht zu begründen: (1) Nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG hat ein Steuerpflichtiger wesentliche wirtschaftliche Interessen, wenn er – unabhängig von der Höhe – Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Diese liegen vor, wenn er Einzelunternehmer, Mitunternehmer oder Kommanditist eines inländischen Gewerbebetriebs oder Inhaber einer Beteiligung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG ist. Für einen Kommanditist gilt, dass wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen erst dann gegeben sind, wenn mehr als 25 % der nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ermittelten Einkünfte der Gesellschaft auf ihn entfallen. Darunter fallen beispielsweise auch Zinsen, Geschäftsführergehälter und andere Vorabvergütungen. Problematisch ist, dass sich § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG auf den Beginn des VZ bezieht. Zu diesem Zeitpunkt können die Einkünfte des Kommanditisten aber noch nicht festgestellt werden. Diese Vorschrift ist somit praktisch nicht durchführbar. (2) Der zweite Tatbestand bezieht sich auf die Höhe der nichtausländischen Einkünfte. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 AStG hat eine Person wesentliche wirtschaftliche Interessen, wenn ihre Einkünfte, die bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG sind, im VZ mehr als 30 % ihrer gesamten Einkünfte betragen oder 62.000 € übersteigen. Bei der Prüfung, ob die Einkunftsgrenze überschritten wird, ist nach deutschen Gewinnermittlungsvorschriften vorzugehen. (3) Der letzte Tatbestand (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 AStG) bezieht sich auf den Umfang des Vermögens einer Person. Einbezogen wird nur das Vermögen, dessen Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte im Sinne des § 34d EStG wären. Es interessiert nicht, ob sich das Vermögen in Deutschland befindet oder nicht, ausschlaggebend sind die möglichen – nicht tatsächlichen – inländischen Erträge des Vermögens. Beträgt dieses Vermögen mehr als 30 % des Gesamtvermögens der Person oder übersteigt es 154.000 €, liegt ein wesentliches wirtschaftliches Interesse vor. Mittelbare wesentliche wirtschaftliche Interessen bestehen nach § 2 Abs. 4 AStG dann, wenn eine Person unter den Voraussetzungen des § 5 AStG an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits unmittelbare wesentliche wirtschaftliche Interessen in

404

Erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht – § 2 AStG

Deutschland hat. Nach den §§ 5, 7-14 AStG handelt es sich dann um eine sog. Zwischengesellschaft, was zur Folge hat, dass dem Auswanderer die über die Zwischengesellschaft gehaltenen wesentlichen wirtschaftlichen Interessen entsprechend seiner Beteiligung zugerechnet werden. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass ein erweitert beschränkt Steuerpflichtiger die Anwendung des § 2 AStG dadurch zu umgehen versucht, dass er entsprechende inländische Vermögensgegenstände in eine Auslandsbeteiligung einbringt.

4.2.2.2 Überschreiten der Freigrenze Die erweitert beschränkte Steuerpflicht gelangt nicht zur Anwendung, wenn die hiernach steuerpflichtigen Einkünfte in einem VZ insgesamt weniger als 16.500 € betragen, selbst wenn sonst alle anderen persönlichen und sachlichen Voraussetzungen gegeben sind (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AStG). Diese Freigrenze wurde eingeführt, damit die komplizierten Regelungen der erweitert beschränkten Steuerpflicht bei Fällen von geringfügiger Bedeutung nicht angewandt werden müssen. In diesem Fall bleibt es bei der beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG i.V.m. §§ 49-50a EStG. Merke: Die erweitert beschränkte Steuerpflicht kommt erst zur Anwendung, wenn alle persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Die persönlichen Voraussetzungen sind: 9 natürliche Person in den letzten zehn Jahren vor Wegzug als Deutscher mindestens fünf Jahre unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, 9 Ansässigkeit in einem niedrig besteuernden ausländischen Gebiet. Die sachlichen Voraussetzungen sind: 9 unmittelbare oder mittelbare wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland, 9 Überschreiten der Freigrenze.

4.2.3

Umfang der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht

Sind die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für die erweitert beschränkte Steuerpflicht erfüllt, ist der Steuerpflichtige nach § 2 Abs. 1 AStG bis zu zehn Jahre nach Ende des Jahres, in dem seine unbeschränkte Steuerpflicht endet – also für längstens elf Jahre – mit allen Einkünften, die nicht ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG sind, erweitert beschränkt steuerpflichtig. Innerhalb dieses Zeitraums muss jedes Jahr erneut geprüft werden, ob die Voraussetzungen für die erweitert beschränkte Steuerpflicht erfüllt sind. Die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht erstreckt sich über die in § 49 EStG genannten Einkünfte hinaus auf alle anderen Einkünfte, die nicht ausländische Einkünfte

Wohnsitzverlagerung in niedrig besteuernde Gebiete – §§ 2-5 AStG

405

nach § 34d EStG sind (sog. erweiterte Inlandseinkünfte).602 Die folgende Abbildung zeigt den Umfang der beschränkten, der erweitert beschränkten und der unbeschränkten Steuerpflicht:

Einkünfte i.S.d. § 49 EStG

Sonstige inländische Einkünfte (= Einkünfte, die nicht ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG sind)

Ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG

beschränkte Steuerpflicht erweitert beschränkte Steuerpflicht unbeschränkte Steuerpflicht

Abbildung 124: Umfang der geltenden Steuerpflichtarten Neben den Einkünften i.S.d. § 49 EStG fallen unter die erweitert beschränkte Steuerpflicht beispielsweise Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung von beweglichem Vermögen im Inland oder Einkünfte aus „Spekulationsgeschäften“ i.S.d. § 22 Nr. 2 EStG – auch wenn keine wesentliche Beteiligung veräußert wird –, sofern das veräußerte Wirtschaftsgut im Inland belegen ist. Das zu versteuernde Einkommen wird im Rahmen des Veranlagungsverfahrens ermittelt. Ehepaare werden getrennt veranlagt. Betriebsausgaben und Werbungskosten dürfen nur insoweit abgezogen werden, als sie mit inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.603 Die Verlustverrechnung ist grundsätzlich erlaubt, das Verlustausgleichsverbot des § 50 Abs. 2 EStG wird somit außer Kraft gesetzt.604 Die Verlustverrechnung kann sogar so weit gehen, dass sich bei der erweitert beschränkten Steuerpflicht eine niedrigere Steuer ergibt als bei der beschränkten Steuerpflicht.605 Es muss aber § 2 Abs. 5 Satz 3 AStG beachtet werden. Danach darf die erhobene Einkommensteuer die Steuerabzugsbeträge nicht unterschreiten. Die Finanzverwaltung und ein Teil der Literatur vertreten

602

Vgl. Tz. 2.5.0.1 AEAStG.

603

Vgl. BFH v. 28.03.1984, I-R-129/79, BStBl. II 1984, S. 620.

604

Vgl. BFH v. 03.11.1982, I-R-3/79, BStBl. II 1983, S. 259.

605

Vgl. für ein Beispiel hierzu: Göttsche, M., Wohnsitzverlagerung natürlicher Personen ins Ausland, Neuwied 1997, S. 192 ff.

406

Erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht – § 2 AStG

die Meinung, dass diese Vorschrift einen Mindeststeuersatz von 25 % begründet. Diese Meinung ist allerdings umstritten.606 Im Gegensatz zur „normalen“ beschränkten Steuerpflicht (§ 50 Abs. 5 EStG) ist mit dem einbehaltenen Quellensteuerabzug die Einkommensteuer nicht abgegolten. Allerdings sind die einbehaltenen Steuern auf die festzusetzende Einkommensteuer anzurechnen. Eine Ausnahme gibt es bei Einkünften, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterlegen haben. Für diese Einkünfte bleibt die Abgeltungswirkung bestehen. Für den Steuersatz, der bei dem ausländischen Steuerpflichtigen anzuwenden ist, sieht § 2 Abs. 5 AStG einen Progressionsvorbehalt vor. Dies bedeutet, dass die der erweitert beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte mit dem Steuersatz besteuert werden, der sich aus dem Welteinkommen des Steuerpflichtigen ergibt. Der Steuersatz darf allerdings nicht unter dem (Mindest-)Steuersatz von 25 % liegen (§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG).

Beispiel

Die erweitert beschränkte Steuerpflicht könnte zu einer höheren Steuer führen als die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht. Um das zu verhindern, normiert § 2 Abs. 6 AStG, dass in solchen Fällen die Steuer auf den Betrag gekürzt wird, der sich bei unbeschränkter Steuerpflicht ergäbe. Dazu muss der Steuerpflichtige aber von sich aus den Nachweis erbringen, dass dieser Fall tatsächlich vorliegt. Der erfolgreiche Boxer Jean-Luc Picard wechselt auf Anraten seines Managers Ende 2003 den Wohnsitz. Er zieht von Hannover, wo er seit seiner Geburt im Hause der Eltern gewohnt hat, nach Monaco in eine angemietete Wohnung. Nachdem er sich dort eingelebt hat, erwirbt er in der Nachbarschaft eine Eigentumswohnung, die er ab Februar 2005 vermietet. Die nach deutschem Steuerrecht ermittelten Mieteinkünfte belaufen sich auf 4.000 € im Jahr 2005. In der Bundesrepublik Deutschland erzielte er 2005 folgende Einkünfte: x Festgeldzinsen i.H.v. 20.000 € aus einem Festgeldkonto bei einer deutschen Bank, bei der Picard seine bisherigen Preisgelder angelegt hatte. x Einkünfte aus einem vermieteten Mehrfamilienhaus in Berlin, die sich in 2005 auf 3.000 € beliefen. x Gewinnanteile an der Glücksklee OHG i.H.v. 1.500 €. Den OHG-Anteil hat er vor Jahren von einem Onkel geerbt. x Einnahmen aus Wettkämpfen in der BRD i.H.v. 15.000 €, für die ein Steuerabzug von 3.500 € vom Vertragspartner vorgenommen wurde. x Bei einem Aufenthalt in Deutschland entdeckte Picard in den Auslagen eines Juweliers in Düsseldorf eine Uhr, die er für 2.700 € erwarb. Sein Kollege

606

Vgl. Flick, H./ Wassermeyer, F./ Baumhoff, H., Außensteuerrecht: Kommentar, Köln 1999, § 2 AStG, Rz. 119; Lempenau, G., in Brenzing, K. u.a.: Außensteuerrecht-Kommentar, Herne/Berlin 1991, § 2 AStG, Rz. 86.

Wohnsitzverlagerung in niedrig besteuernde Gebiete – §§ 2-5 AStG

x

x

407

James T. Kirk, der die Uhr bei ihm sah, bat ihn so inständig, diese an ihn zu verkaufen, dass Picard zwei Tage nach Erwerb der Uhr dieser Bitte zum Preis von 3.300 € nachkam. Im Januar und Februar 2005 war Picard als angestellter Geschäftsführer der Sporting GmbH in Köln tätig. Seine Einkünfte beliefen sich auf 4.500 €. Hierfür hat die Sporting GmbH Lohnsteuer einbehalten. Ansonsten hat Picard lediglich Einnahmen aus Wettkämpfen in Italien erzielt. Diese beliefen sich auf 7.500 €.

Lösung

Wie hoch ist die im Jahr 2005 von Picard in der BRD zu zahlende Einkommensteuer? Picard unterliegt im Rahmen seiner erweitert beschränkten Steuerpflicht dem Veranlagungsverfahren. 1) Bestimmung des Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehaltes: § 2 Abs. 5 Satz 1 AStG: „Ist Absatz 1 anzuwenden, so kommt der Steuersatz zur Anwendung, der sich für sämtliche Einkünfte der Person ergibt.“ Ÿ Welteinkommen muss ermittelt werden.

ABER: § 2 Abs. 5 Satz 2 AStG: Auf Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag oder dem Steuerabzug auf Grund des § 50a EStG unterliegen, ist § 50 Abs. 5 EStG (=Abgeltungswirkung) nicht anzuwenden. Daraus ergibt sich: EINKÜNFTE (in €) aus

beschränkt steuerpflichtige Einkünfte

erweitert beschränkt steuerpflichtige Einkünfte

Eigentumswohnung Festgeldzinsen

4.000 ---

20.000

Mehrfamilienhaus

3.000

3.000

OHG-Beteiligung

1.500

1.500

Wettkämpfe BRD

(15.000) *

Verkaufsgewinn Uhr

---

Geschäftsführergehalt

(4.500) ***

15.000 ** 600 (4.500) ****

Wettkämpfe Italien SUMME

ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG

7.500 4.500

40.100

11.500

Erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht – § 2 AStG

408 *

Gem. § 50 Abs. 5 EStG gilt bei beschränkt Steuerpflichtigen die ESt für Einkünfte, die dem Steuerabzug auf Grund des § 50a unterliegen (hier: § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG), durch den Steuerabzug als abgegolten.

**

Da Einkünfte vorliegen, die dem Steuerabzug auf Grund des § 50a EStG unterliegen, ist § 50 Abs. 5 EStG gem. § 2 Abs. 5 Satz 2 AStG nicht anzuwenden, d.h. die Abgeltungswirkung tritt nicht ein. Somit werden die Einnahmen aus den Wettkämpfen zur Gänze in die Bemessungsgrundlage der erweitert beschränkten Steuerpflicht einbezogen.

***

Gem. § 50 Abs. 5 EStG gilt bei beschränkt Steuerpflichtigen die ESt für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, durch den Steuerabzug als abgegolten.

**** Das Verbot der Abgeltungswirkung gem. § 2 Abs. 5 Satz 2 AStG gilt nicht für Einkünfte, die der Lohnsteuer unterliegen. Aus diesem Grunde bleibt die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 5 EStG bei Einkünften, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterlegen sind, im Rahmen des § 2 Abs. 5 Satz 2 AStG bestehen. + + =

Erweitert beschränkt steuerpflichtige Einkünfte ausländische Einkünfte Geschäftsführervergütung Summe des Welteinkommens

40.100 € 11.500 € 4.500 € 56.100 €

Steuerschuld laut Grundtabelle: 15.648 € Steuersatz: 15.648 € / 56.100 € = 27,89 % 2) Anwendung des berechneten Steuersatzes auf das erweitert beschränkte steuerpflichtige Einkommen: Erweitert beschränkt steuerpflichtiges Einkommen multipliziert mit 27,89 % abzüglich Steuerabzug Wettkämpfe Deutschland Verbleibende Steuerschuld

40.100 € 11.184 € ./. 3.500 € 7.684 €

Merke: 9 Die erweitert beschränkte Steuerpflicht besteht bis zu zehn Jahren nach Ende des Jahres, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht endet. 9 Die Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 5 EStG) des Steuerabzugs gem. § 50a EStG gilt bei der erweitert beschränkten Steuerpflicht nur für den Steuerabzug vom Arbeitslohn. 9 Es wird der Steuersatz angewendet, der sich für das Welteinkommen des erweitert beschränkt Steuerpflichtigen ergibt (Progressionsvorbehalt).

Besteuerung des Vermögenszuwachses – § 6 AStG (sog. Wegzugsbesteuerung)

409

4.3 Erweitert beschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht – § 4 AStG Die erweitert beschränkte Erbschaft- bzw. Schenkungsteuerpflicht erfasst Erblasser bzw. Schenker, die im Todes- bzw. Schenkungszeitpunkt der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 2 AStG unterliegen. Sind die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld gegeben, unterliegt nicht nur das Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG der Erbschaftsteuer, sondern das sog. erweiterte Inlandsvermögen. Darunter fallen alle Vermögenswerte, deren Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG wären, z.B. Bankguthaben bei Kreditinstituten im Inland, Versicherungsansprüche gegen Versicherungsunternehmen im Inland.607 Bezüglich der Erbschaft- und Schenkungsteuer gibt es eine erweitert unbeschränkte Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Bst. b ErbStG). Diese bezieht sich auf deutsche Staatsangehörige, die sich nicht länger als fünf Jahre im Ausland aufgehalten haben und sieht vor, dass diese Personen unbeschränkt erbschaft- und schenkungsteuerpflichtig sind. Dies bedeutet, dass die erweitert beschränkte Steuerpflicht erst nach Ablauf dieser Frist greifen kann; die erweitert unbeschränkte Steuerpflicht geht der erweitert beschränkten Steuerpflicht vor. Die Zehn-Jahres-Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG verändert sich dadurch aber nicht. Die erweitert beschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht findet nach § 4 Abs. 2 AStG keine Anwendung, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass für die Teile des Erwerbs, die nach § 4 Abs. 1 AStG zusätzlich in die Steuerpflicht einbezogen sind, im Ausland eine der deutschen Erbschaftsteuer entsprechende Steuer zu entrichten ist, die mindestens 30 % der deutschen Erbschaftsteuer beträgt.

5 Besteuerung des Vermögenszuwachses – § 6 AStG (sog. Wegzugsbesteuerung) 5.1 Überblick Veräußert ein unbeschränkt Steuerpflichtiger eine im Privatvermögen gehaltene Beteiligung i.S.d. § 17 EStG, unterliegt der Veräußerungsgewinn der Einkommensteuer. Bei beschränkt Steuerpflichtigen zählen solche Gewinne nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. e EStG zu den Inlandseinkünften und werden in Deutschland besteuert. Der Wegzug eines unbeschränkt Steuerpflichtigen führt aber in vielen Fällen zum Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts – nämlich dann, wenn mit dem ausländischen Staat ein DBA besteht und in

607

Eine Aufzählung findet sich in Tz. 4.1.1 AEAStG.

410

Überblick

diesem das Besteuerungsrecht für solche Veräußerungsgewinne dem Wohnsitzstaat zugewiesen wird, wie es in Art. 13 Abs. 5 OECD-MA vorgesehen ist. § 6 AStG sieht vor, dass bei der Verlegung des Wohnsitzes in das Ausland der Wertzuwachs einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG – also die Differenz zwischen den Anschaffungskosten und dem gemeinen Wert zum Zeitpunkt des Wegzugs – der deutschen Einkommensteuer zu unterwerfen ist, obwohl keine tatsächliche Veräußerung vorliegt. Grund für diese Regelung ist, dass Deutschland das Recht hat, alle während der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland erwirtschafteten Gewinne zu besteuern. Im Zeitpunkt des Wegzugs besteht die letzte Möglichkeit, stille Reserven steuerlich zu erfassen. Durch die Tatsache, dass der Wertzuwachs noch dem unbeschränkt Steuerpflichtigen zuzurechnen ist, wird § 6 AStG nicht durch bestehende DBA eingeschränkt. Die Abkommensregelungen eines DBA können erst dann greifen, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz in dem anderen DBALand begründet hat. Die Regelung des § 6 AStG wird in der Literatur immer wieder kritisiert. Auch beim Wegzug in ein Nicht-DBA-Land kommt die Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG zur Anwendung, obwohl Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. e EStG im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht erfasst werden. Außerdem verstößt § 6 AStG offenbar gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, vor allem gegen Grundfreiheiten wie das Recht auf Freizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit oder Kapitalverkehrsfreiheit. Mit dem Recht auf Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit geht die Ausreisefreiheit einher, die grundsätzlich durch Steuerschranken nicht behindert werden darf.608 Mit dem EuGH-Urteil „de Lasteyrie du Saillant“ vom. 11. März 2004609 wurde die französische Wegzugsbesteuerung, die der deutschen sehr ähnelt, für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Es ist daher eine baldige Änderung des § 6 AStG zu erwarten. Bis dahin wollte das BMF mit seinem Schreiben vom 08. Juni 2005 eine Zwischenlösung erreichen: Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer soll nach § 6 Abs. 1 AStG entstandene Steuer weiterhin festgesetzt werden. Diese wird dann allerdings – unter bestimmten Voraussetzungen – in Abweichung von § 6 Abs. 5 AStG bis zu einer neuen gesetzlichen Regelung gestundet.610 Die Anwendung dieses BMF-Schreibens würde allerdings schon alleine deswegen, weil ein Erlass nicht zu einer Korrektur gemeinschaftsrechtswidriger Normen ausreicht, einer Überprüfung auf Europarechtskonformität nicht standhalten.611 608

Vgl. Pohl, D., Zuzug und Wegzug – Aktuelle Rechtsentwicklung im Ertragsteuerrecht, IStR 2001, S. 462 f.; Schaumburg, H., Internationales Steuerrecht: Außensteuerrecht, Doppelbesteuerungsrecht, 2. Aufl. Köln 1998, S. 284 f.

609

Vgl. Rs. DE LASTEYRIE DU SAILLANT, EuGH v. 11.03.2004, C-9/02, Slg. 2004, I-2409.

610

Vgl. BMF v. 08.06.2005, IV B 5 – S 1348 – 35/05, BStBl. I 2005, S. 714, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 725, § 6/1; siehe hierzu auch Nagler, J./ Kleinert, J., Wegzugsteuer tot, BMF in Not!, GmbHR 16/2005.

611

Vgl. zur materiell-rechtlichen Fragwürdigkeit dieses BMF-Schreibens: Kinzl, U.-P./ Goerg, D., Wegzugsbesteuerung – Abhilfe durch Schreiben des BMF vom 8. Juni 2005?, IStR 2005, S. 450 ff.

Besteuerung des Vermögenszuwachses – § 6 AStG (sog. Wegzugsbesteuerung)

411

Merke: 9 § 6 AStG fingiert bei einem Wohnsitzwechsel die Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen von mindestens 1 % (d.h. Anteile i.S.d. § 17 EStG). 9 Keine Voraussetzung ist der Wegzug in ein Niedrigsteuerland, d.h. auch durch den Wegzug z.B. in die USA findet § 6 AStG Anwendung.

5.2 Voraussetzungen für die Besteuerung des Vermögenszuwachses 5.2.1

Persönliche Voraussetzungen

§ 6 AStG ist nur bei einem eng begrenzten Personenkreis anzuwenden. Es muss sich um natürliche Personen handeln, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig waren. Unerheblich ist, welche Staatsangehörigkeit der Steuerpflichtige hat, ob er seinen Wohnsitz in ein Niedrig- oder Hochsteuerland verlegt und ob mit dem neuen Wohnsitzstaat ein DBA besteht oder nicht. Wichtig ist nur, dass durch die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes die unbeschränkte Steuerpflicht endet.

Beispiel

Der italienische Staatsangehörige Giovanni Trappotani verlegt auf Wunsch seiner Freundin im März 1999 seinen Wohnsitz nach Deutschland. Anfang 2001 erbt er von seinem verstorbenen Onkel Struunz eine Beteiligung in Höhe von 30 % an der deutschen Flasche-leer-GmbH. Onkel Struunz war schon im Mai 1989 von Italien nach Deutschland ausgewandert. Nachdem die Beziehung mit seiner Freundin gescheitert ist, zieht Giovanni im Oktober 2004 wieder zurück nach Italien.

Lösung

Der Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht muss nicht zusammenhängend bestanden haben. Bei Unterbrechungen sind die Zeiträume zusammenzurechnen, in denen unbeschränkte Steuerpflicht bestand. Sind die Anteile ganz oder teilweise unentgeltlich auf den Steuerpflichtigen übergegangen – z.B. durch Schenkung oder Erbfall – sind für die ZehnJahres-Frist die Zeiträume mit einzubeziehen, in denen der bzw. die Rechtsvorgänger bis zur Übertragung der Anteile unbeschränkt steuerpflichtig war bzw. waren.

Zwar war Giovanni im Zeitpunkt der Rückkehr nach Italien in Deutschland noch keine zehn Jahre unbeschränkt steuerpflichtig, da er aber die Anteile an der Flasche-leerGmbH von seinem Onkel unentgeltlich erworben hat, ist nach § 6 Abs. 2 AStG der Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht seines Onkel Struunz mit zu berücksichtigen. Folglich ist die Voraussetzung der Zehn-Jahres-Frist erfüllt und Giovannis Anteile an der Flasche-leer-GmbH unterliegen der Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG.

Voraussetzungen für die Besteuerung des Vermögenszuwachses

412

5.2.2

Sachliche Voraussetzungen

Beispiel

Patch Adams lebt seit seiner Geburt 1940 in Deutschland. Im Jahr 2003 erbt er nach dem Tod des Vaters zusammen mit seinen neun Geschwistern dessen Beteiligung an der deutschen Topfstiel-AG in Höhe von 5 %. Folglich besitzt nun jedes der zehn Geschwister eine Beteiligung von 0,5 % an der Topfstiel-AG. Patch möchte seinen Lebensabend im sonnigen Süden verbringen und verlegt im Juli 2004 seinen Wohnsitz nach Spanien.

Lösung

Die Wegzugsbesteuerung kommt nur dann zur Anwendung, wenn es sich um eine im Privatvermögen gehaltene Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft handelt und für diese Beteiligung im Zeitpunkt des Wegzugs die Voraussetzungen des § 17 EStG – ausgenommen die tatsächliche Veräußerung – gegeben sind. Seit dem VZ 2002 ist somit erforderlich, dass der Steuerpflichtige innerhalb der letzen fünf Jahre mindestens zu einem Prozent unmittelbar oder mittelbar an der Kapitalgesellschaft beteiligt war. Es genügt, wenn die Beteiligung in diesem Zeitraum nur kurzfristig ein Prozent oder mehr betragen hat. Somit ist es möglich, dass § 6 AStG auch dann greift, wenn die Beteiligung zum Zeitpunkt des Wegzugs die Grenze von einem Prozent unterschreitet. Beim unentgeltlichen Erwerb innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums ist diese Voraussetzung auch dann schon erfüllt, wenn der Rechtsvorgänger irgendwann in diesem Zeitraum eine Beteiligung von mindestens einem Prozent besaß. Inländisch ist eine Kapitalgesellschaft dann, wenn sich der Sitz oder der Ort der Geschäftsleitung im Inland befindet.

Zwar unterschreitet die Beteiligung im Zeitpunkt des Wegzugs die Grenze von 1 %, doch muss nach § 17 Abs. 1 Satz 5 EStG bei unentgeltlichem Erwerb von Anteilen die Höhe der Beteiligung des Rechtsvorgängers innerhalb der letzen fünf Jahre berücksichtigt werden. Demnach löst die Wohnsitzverlegung von Patch die Wegzugsbesteuerung aus, da sein Vater in diesem Zeitraum eine Beteiligung in Höhe von 5 % besessen hat.

5.2.3

Ergänzungstatbestände

Nach § 6 Abs. 1 AStG kommt die Wegzugsbesteuerung dann zur Anwendung, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt. Um Umgehungsmöglichkeiten auszuschließen, stehen der Wohnsitzverlagerung vier Ergänzungstatbestände gleich, die in § 6 Abs. 3 AStG aufgeführt werden. x

Unentgeltliche Anteilsübertragung auf beschränkt Steuerpflichtige: Nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 AStG löst die Schenkung von Anteilen an einen nicht unbeschränkt Steuerpflichtigen die Rechtsfolgen des § 6 Abs. 1 AStG aus. Nicht davon betroffen ist ein Anteilsübergang auf einen beschränkt Steuerpflichtigen infolge eines Erbfalls. Die bezüglich der Schenkung anfallende Einkommensteuer wird auf Antrag

Besteuerung des Vermögenszuwachses – § 6 AStG (sog. Wegzugsbesteuerung)

413

ermäßigt oder erlassen, sofern für die Übertragung der Anteile Erbschaftsteuer zu entrichten ist. x

Begründung einer Ansässigkeit in einem DBA-Staat: § 6 Abs. 3 Nr. 2 AStG erweitert die Wegzugsbesteuerung auf die Fälle, in denen ein Steuerpflichtiger eine Doppelansässigkeit in einem DBA-Staat begründet. Zwar behält der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz im Inland bei und bleibt weiterhin unbeschränkt steuerpflichtig. Besteht aber mit dem zweiten Wohnsitzstaat ein DBA und befindet sich in diesem Land der Mittelpunkt der persönlichen Lebensinteressen des Steuerpflichtigen, gilt abkommensrechtlich der ausländische Staat als Ansässigkeitsstaat. Nach den meisten DBA steht nur dem Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen zu. Der Verlust des Besteuerungsrechts für die bisher entstandenen stillen Reserven soll durch diesen Ergänzungstatbestand vermieden werden.

x

Einlage der Anteile in ein Betriebsvermögen in einem DBA-Staat: Bei der Einlage von inländischen Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG in einen ausländischen Betrieb oder in eine ausländische Betriebsstätte des Steuerpflichtigen greift nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 AStG die Wegzugsbesteuerung ebenfalls, sofern das deutsche Besteuerungsrecht für den Veräußerungsgewinn durch ein DBA ausgeschlossen wird. In diesem Fall tritt die Wegzugsbesteuerung in Kraft, obwohl der Steuerpflichtige weiterhin im Inland ansässig ist.

x

Tausch gegen Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft: Schließlich bestimmt § 6 Abs. 3 Nr. 4 AStG, dass der Tausch der Anteile gegen Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft ebenfalls zur Besteuerung des Vermögenszuwachses führt. Ausgenommen von diesen Rechtsfolgen sind die Sachverhalte, die gleichzeitig die Voraussetzungen des Umwandlungsteuergesetzes (§ 23 Abs. 4 UmwStG) erfüllen. Das betrifft vor allem den grenzüberschreitenden steuerneutralen Anteilsaustausch innerhalb der EU.

Merke: Damit die Besteuerung des Vermögenszuwachses i.S.d. § 6 AStG erfolgen kann, müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: 9 natürliche Person, die insgesamt mindestens 10 Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war, 9 Aufgabe des inländischen Wohnsitzes (oder Ergänzungstatbestand), 9 im Privatvermögen gehaltene Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft, die innerhalb der letzten fünf Jahre mindestens 1 % betrug (§ 17 EStG).

414

Rechtsfolgen

5.3 Rechtsfolgen Sind die oben genannten persönlichen und sachlichen Voraussetzungen gegeben, ist als Rechtsfolge § 17 EStG anzuwenden. Damit unterliegt der Wertzuwachs der Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft der deutschen Einkommensteuer. Da keine Veräußerung der Anteile stattfindet, wird nach § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG an Stelle des Verkaufspreises der gemeine Wert der Anteile im Zeitpunkt des Wegzugs angesetzt. Der gemeine Wert wird nach § 9 Abs. 2 BewG durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen. Es wird somit von einer fiktiven Veräußerung der Anteile auf dem freien Markt ausgegangen. Bei börsennotierten Wertpapieren ist nach § 11 Abs. 1 BewG der letzte notierte Kurs maßgebend, bei anderen Anteilen wird sich an Verkäufen orientiert, die innerhalb des letzten Jahres stattgefunden haben. Liegen solche Verkäufe nicht vor, muss der gemeine Wert geschätzt werden. Dazu wird üblicherweise das Stuttgarter Verfahren angewendet (R 96 ff. ErbStR) an. Dem gemeinen Wert der Anteile sind die Anschaffungskosten der Anteile gegenüberzustellen. Hat der Steuerpflichtige die Anteile bereits zu dem Zeitpunkt besessen, als er zum ersten Mal unbeschränkt steuerpflichtig wurde, z.B. durch Zuzug aus dem Ausland, ist anstatt der Anschaffungskosten der gemeine Wert zum Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht anzusetzen. Es sollen nur die stillen Reserven besteuert werden, die während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht entstanden sind. Hat der Steuerpflichtige die Anteile unentgeltlich erworben, sind als Anschaffungskosten nach § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers anzusetzen, der die Anteile zuletzt käuflich erworben hat. Ist die Differenz zwischen den Anschaffungskosten und dem fiktiven Veräußerungserlös negativ, darf dieser fiktive Veräußerungsverlust nicht berücksichtigt werden.612 Aus der Anwendung des § 17 EStG folgt, dass nur der Wertzuwachs besteuert werden darf, der nach § 17 Abs. 3 EStG den Freibetrag von 9.060 € übersteigt. Allerdings muss beachtet werden, dass der Freibetrag bei steigendem Wertzuwachs abnimmt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 EStG). Nach dem erfolgten Wohnsitzwechsel bleibt der Auswanderer in Deutschland beschränkt steuerpflichtig. Veräußert er seine Anteile, unterliegt der Veräußerungsgewinn grundsätzlich nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. e i.V.m. § 17 EStG der beschränkten Steuerpflicht, sofern das deutsche Besteuerungsrecht nicht durch ein DBA eingeschränkt wird. Zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns wird der Veräußerungserlös den Anschaffungskosten gegenübergestellt; Veräußerungskosten dürfen abgezogen werden. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist der so ermittelte Veräußerungsgewinn um den bereits versteuerten Wert612

Vgl. BFH v. 28.02.1990, I-R-43/86, BStBl. II 1990, S. 615.

Besteuerung des Vermögenszuwachses – § 6 AStG (sog. Wegzugsbesteuerung)

415

zuwachs zu kürzen. Ergibt sich dadurch ein Verlust, darf dieser nach geltendem Recht mit anderen positiven, der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünften ausgeglichen werden.613 Besteht mit dem Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen ein DBA, durch das das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen wird, kann es für den Steuerpflichtigen zur Doppelbesteuerung kommen, wenn der Ansässigkeitsstaat ebenfalls die bisherigen Anschaffungskosten heranzieht. Es besteht die Gefahr, dass der in Deutschland bereits versteuerte Teil des Vermögenszuwachses im neuen Wohnsitzstaat erneut besteuert wird. Merke: Sind die oben genannten Voraussetzungen gegeben, erfolgt eine Besteuerung des Wertzuwachses der Beteiligung auch ohne Veräußerung. Veräußert der beschränkt Steuerpflichtige zu einem späteren Zeitpunkt die Beteiligung tatsächlich, darf (sofern das deutsche Besteuerungsrecht nicht durch ein DBA eingeschränkt wird) zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung der bereits versteuerte Wertzuwachs vom Veräußerungsgewinn abgezogen werden.

5.4 Minderungsregelungen 5.4.1

Vorübergehende Abwesenheit

Verlegt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz nur vorübergehend in ein anderes Land, normiert § 6 Abs. 4 AStG, dass der Steueranspruch unter bestimmten Voraussetzungen entfällt. Der Steuerpflichtige muss allerdings vor dem Wegzug glaubhaft machen, dass er innerhalb von fünf Jahren erneut unbeschränkt steuerpflichtig wird. Die Steuerschuld wird zwar während der Abwesenheit endgültig oder vorläufig festgesetzt, aber nach Rückkehr des Steuerpflichtigen ist der Bescheid – je nachdem ob es sich um einen endgültigen oder vorläufigen handelt – nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO aufzuheben oder nach § 165 Abs. 2 AO zu ändern. Die Frist kann vom Finanzamt um höchstens fünf Jahre verlängert werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass seine Abwesenheit durch berufliche Gründe veranlasst ist und die Rückkehrabsicht unverändert fortbesteht. Veräußert der Steuerpflichtige in der Zwischenzeit seine Anteile oder greift ein Ersatztatbestand nach § 6 Abs. 3 Nr. 1, 3 und 4 AStG, bleibt es bei der Wegzugsbesteuerung.

5.4.2

Stundung der Steuerschuld

Bei der Wegzugsbesteuerung entsteht die Steuerpflicht für den Steuerpflichtigen, obwohl ihm keine entsprechende Liquidität zur Begleichung der Steuerschuld zur Verfügung steht. Ist dies für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Härte, räumt ihm § 6 Abs. 5 AStG den Anspruch auf Stundung der Steuerschuld ein. § 6 Abs. 5 AStG erweitert damit die Stundungsvorschrift nach § 222 AO. Dem Steuerpflichtigen wird ermöglicht, die Steuerschuld 613

Vgl. R 222 Abs. 4 EStR.

Minderungsregelungen

416

Beispiel

Der in Freiburg wohnhafte Sam Baldwin erwarb 1981 für 150.000 € eine Beteiligung von 40 % an der LKW-Handels-GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Stuttgart. Mitte 1991 übertrug er die Beteiligung unentgeltlich auf seinen Sohn Jonah. Der gemeine Wert der Anteile betrug zu diesem Zeitpunkt 400.000 €. Jonah verlegte im Februar 2004 seinen Wohnsitz nach Frankreich. Der gemeine Wert der Anteile betrug zu diesem Zeitpunkt 450.000 €. Mitte 2004 veräußert Jonah die Beteiligung an den Hauptgesellschafter in Stuttgart für 500.000 €.

Lösung

über einen Zeitraum von fünf Jahren in regelmäßigen Teilbeträgen zu tilgen. Das Finanzamt fordert aber im Gegenzug eine Sicherheitsleistung vom Steuerpflichtigen. Für die Stundung können nach § 234 Abs. 1 AO Stundungszinsen erhoben werden.614 Veräußert der Steuerpflichtige innerhalb des Stundungszeitraums Anteile, entfällt für ihn im Regelfall die erhebliche Härte, und die Stundung wird aufgehoben. Bei vorübergehender Abwesenheit des Steuerpflichtigen richtet sich die Stundung nach der Dauer der Abwesenheit; auf die Erhebung von Teilbeträgen wird verzichtet.

Da Jonah im Zeitpunkt des Wegzugs mehr als zehn Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war und es sich um eine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG handelt, ist die Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG anzuwenden. Da Jonah die Beteiligung von seinem Vater geschenkt bekam, sind bei der Bestimmung des Wertzuwachses als Anschaffungskosten nach § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG die Kosten anzusetzen, die der Vater für den Kauf der Beteiligung aufgewendet hat. Demnach beträgt der zu versteuernde Wertzuwachs im Zeitpunkt des Wegzugs: gemeiner Wert ./. Anschaffungskosten

450.000 € 150.000 €

= Wertzuwachs

300.000 €

Nach § 6 Abs. 5 AStG ist die Steuerschuld auf Antrag für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren zu stunden. Da Jonah in Deutschland weiterhin beschränkt steuerpflichtig ist, hat er den Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf der Beteiligung nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. e i.V.m. § 17 EStG der deutschen Einkommensteuer zu unterwerfen. Allerdings darf der Veräußerungsgewinn um den bereits versteuerten Wertzuwachs gekürzt werden. Demnach beträgt der noch zu versteuernde Veräußerungsgewinn:

614

Vgl. BFH v. 16.10.1991, I-R-145/90, BStBl. II 1992, S. 321.

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG Veräußerungspreis ./. Anschaffungskosten Veräußerungsgewinn ./. bereits versteuerter Wertzuwachs = zu versteuernder Veräußerungsgewinn

417

500.000 € 150.000 € 350.000 € 300.000 € 50.000 €

Mit der Veräußerung der Beteiligung wird die Stundung der Steuerschuld aufgehoben.

6 Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG 6.1 Überblick Die §§ 7-14 AStG regeln das Problem der Basisgesellschaften in Niedrigsteuerländern. Vor Einführung des AStG konnten Gewinne ausländischer Gesellschaften im Inland nur besteuert werden, wenn sie an inländische Gesellschafter ausgeschüttet wurden, außer es lag ein Missbrauchstatbestand i.S.d. § 42 AO vor. Mit Hilfe von sog. Basis- oder Zwischengesellschaften war es also möglich, Gewinne im Ausland zu thesaurieren und sie gegen die deutsche Besteuerung abzuschirmen. Dieser Abschirmeffekt, der aus dem Trennungsprinzip resultiert, wird durch die Hinzurechnungsbesteuerung durchbrochen, sofern die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft aus passiven Tätigkeiten stammen und einer niedrigen Besteuerung unterliegen. Diese Zwischeneinkünfte werden nach Ablauf des Wirtschaftsjahres, in denen sie erwirtschaftet werden, den inländischen Anteilseignern entsprechend ihrer Beteiligung an der Zwischengesellschaft zugerechnet. Der inländische Anteilseigner wird damit steuerlich so gestellt, als hätte die ausländische Gesellschaft eine Gewinnausschüttung in Höhe der Zwischeneinkünfte vorgenommen.

Grundproblematik der sog. Basisgesellschaften

418

Grundsatz: Trennungsprinzip

Anteilseigner

KAPITALGESELLSCHAFT

Anteilseigner

Gewinnentstehung

Anteilseigner

Ausnahme: Hinzurechnungsbesteuerung

Anteilseigner

KAPITALGESELLSCHAFT

Anteilseigner

Gewinnentstehung

Anteilseigner

Abbildung 125: Durchbrechung der Abschirmwirkung durch §§ 7-14 AStG

6.2 Grundproblematik der sog. Basisgesellschaften 6.2.1

Begriff und Merkmale einer Basisgesellschaft

Der Begriff der Basisgesellschaft ist gesetzlich nicht definiert. Man versteht unter Basisgesellschaften selbständige, von in Hochsteuerländern ansässigen Kapitalgebern gegründete oder erworbene Rechtsträger, deren statutarischer Sitz in einem ausländischen Staat mit i.d.R. günstigen steuerlichen Bedingungen liegt. Sie verfolgen wirtschaftliche Interessen ausschließlich oder fast ausschließlich außerhalb ihres Sitzstaates. Von Basisgesellschaften sind die sog. Briefkasten- oder Domizilgesellschaften zu unterscheiden. Hierunter wird eine nach dem Recht des betreffenden Staates errichtete Gesellschaft verstanden, die über kein eigenes Personal, keine eigenen Liegenschaften oder Rechte an solchen und keinen eigenen Geschäftsbetrieb verfügt, also keine wirtschaftlichen Funktionen ausübt. Häufig ist lediglich eine bestimmte Adresse oder ein bestimmtes Postfach vorhanden (daher die Bezeichnung „Briefkastengesellschaft“). Die Geschäfte einer Briefkasten- oder Domizilgesellschaft werden oft von einem so genannten Verwaltungsrat wahrgenommen. Dieser besteht üblicherweise aus ortsansässigen Rechtsanwälten, Notaren, Anlageberatern oder Treuhandunternehmen, die manchmal für Hunderte solcher Gesellschaften unter derselben Anschrift tätig werden.

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

6.2.2

419

Abschirmwirkung einer Basisgesellschaft

Werden Leistungen über eine Basisgesellschaft abgerechnet, vermindern sich die Besteuerungsgrundlagen in den Hochsteuerländern durch die Erhöhung von Betriebsausgaben und Verringerung von Betriebseinnahmen, während sich die Besteuerungsgrundlagen im Basisland, wo sie einer geringeren Besteuerung unterliegen, entsprechend erhöhen (primäre Abschirmwirkung). Mögliche Gestaltungen sind: x x

x

x x

Auslagerung von Eigen- oder Fremdkapital auf die Basisgesellschaft mit den daraus resultierenden Dividenden- oder Zinszahlungen, Vornahme von Investitionen oder Vergabe von Forschungsaufträgen durch die Basisgesellschaft mit anschließender entgeltlicher Überlassung an Unternehmen in Hochsteuerstaaten (z.B. Mieten, Pachten, Lizenzgebühren), Umleitung des Handelsverkehrs (Ein- und Verkauf) über die Basisgesellschaft mit entsprechend hoher Gewinnspanne, wobei die Wirtschaftsgüter aber nur rechtlich, nicht aber real über die Basisgesellschaft fließen, entgeltliche Wahrnehmung von bestimmten Dienstleistungen (z.B. Buchführung, Marktforschung) oder Verwaltungsfunktionen durch die Basisgesellschaft, treuhänderische Tätigkeit der Basisgesellschaft.

Die in der Basisgesellschaft steuerfrei oder steuergünstig angesammelten Gewinne sollen – wenn möglich steuerfrei – in den Wirtschaftskreislauf des Hochsteuerlandes zurückgeführt werden (sekundäre Abschirmwirkung). Je nachdem, ob der Steuerpflichtige eine natürliche oder eine juristische Person ist, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl. Eine natürliche Person kann eine steuerfreie Rückführung durch die Gewährung eines nicht rückzahlbaren Darlehens oder die Zahlung von Aufsichtsratsvergütungen erreichen. Aufsichtsratsvergütungen können grundsätzlich im Sitzstaat versteuert werden. Der Ansässigkeitsstaat wendet die Freistellungsmethode mit Progressionsvorbehalt an. Wurde die Basisgesellschaft dagegen von einer juristischen Person errichtet, sind deren Ausschüttungen unter den Voraussetzungen eines Schachtelprivilegs bzw. der Mutter-Tochter-Richtlinie615 steuerbefreit. Merke: 9 Primäre Abschirmwirkung: Abrechnung von Leistungen über Basisgesellschaften zur Verminderung von Besteuerungsgrundlagen in Hochsteuerländern. 9 Sekundäre Abschirmwirkung: möglichst steuerfreie Rückführung von steuerfrei oder steuergünstig angesammelten Gewinnen der Basisgesellschaft in den Wirtschaftskreislauf des Hochsteuerlandes. 615

Vgl. Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates v. 22.12.2003 (ABl. L 7, S. 41), Beck’sche Textausgaben Steuergesetze, Nr. 2; die Richtlinie wurde in Deutschland umgesetzt durch §§ 44d EStG, 26 Abs. 2a KStG (bis VZ 2000) bzw. § 43b EStG (ab VZ 2001).

Grundproblematik der sog. Basisgesellschaften

420

6.2.3

Typische und atypische Basisgesellschaft

Bezüglich des Ortes der wirtschaftlichen Interessen einer Basisgesellschaft wird zwischen typischen und atypischen Auslandsbasen unterschieden. Im Fall einer typischen Basisgesellschaft existieren internationale Geschäftsbeziehungen zwischen dem Inland und einem Drittland, in welche die Basisgesellschaft zwischengeschaltet wird. Im Gegensatz dazu werden bei einer atypischen Basisgesellschaft rein nationale Beziehungen internationalisiert, wobei der wirtschaftliche Vorgang derselbe bleibt. Deshalb ist die atypische Basisgesellschaft ganz besonders dem Missbrauchsverdacht ausgesetzt. Merke: 9 Typische Basisgesellschaft: internationale Geschäftsbeziehungen zwischen Inland und Drittland, in die eine Basisgesellschaft zwischengeschaltet wird.

Beispiel

9 Atypische Basisgesellschaft: Internationalisierung von nationalen Geschäftsbeziehungen durch Zwischenschaltung einer Basisgesellschaft.

Typische Basisgesellschaft

Ausgangssituation: Die in Land A ansässige Handelskönig-GmbH liefert Waren an Abnehmer in Land C gegen einen Kaufpreis von 2.000 €. Bei der Handelskönig-GmbH sind Aufwendungen in Höhe von 1.000 € angefallen. In Land A gilt ein Körperschaftsteuersatz von 50 %. Wird die Ware direkt von A nach C geliefert, entsteht bei der Handelskönig-GmbH ein Gewinn von 1.000 €. Hieraus resultiert eine Steuerbelastung von 500 €.

Land A s = 50 %

Land C Bestimmungsland Ware

HandelskönigGmbH K

Abnehmer

2.000 €

= 1.000 €

GB = 1.000 € S = 500 € GN = 500 €

Bezeichnungen:

s S K GB GN

= = = = =

Steuersatz Steuer Aufwand Bruttogewinn Nettogewinn

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

421

In den Lieferverkehr wird die in Land B ansässige Profit-AG zwischengeschaltet. Die Handelskönig-GmbH liefert an die Profit-AG für 1.000 €, die Profit-AG liefert für 2.000 € an die Abnehmer in Land C weiter. Die Profit-AG ist in einer Steueroase ansässig, so dass der bei ihr angefallene Gewinn von 1.000 € keiner steuerlichen Belastung unterliegt. Bei der Handelskönig-GmbH stehen sich Erlöse und Aufwendungen von je 1.000 € gegenüber, so dass keine steuerliche Belastung entsteht. Schüttet die Profit-AG ihren Gewinn von 1.000 € an die Handelskönig-GmbH aus, entsteht – unter den Voraussetzungen eines internationalen Schachtelprivilegs – keine zusätzliche steuerliche Belastung.

Land A s = 50 %

Internationales Schachtelprivileg

Land B s=0% Ware

Ware HandelskönigGmbH

1.000 €

K = 1.000 €

Land C Bestimmungsland

Profit-AG

2.000 €

Abnehmer

K = 1.000 € primäre Abschirmwirkung

GB = 1.000 € S = 0€ GN = 1.000 €

GBZ = GNZ = 0 €

Ausschüttung D S

= 1.000 € = 0€

(internationales Schachtelprivileg)

GN = 1.000 € sekundäre Abschirmwirkung

Bezeichnungen:

s S K GB GN GZ D

= = = = = = =

Steuersatz Steuer Aufwand Bruttogewinn Nettogewinn Zwischengewinn Dividende

Grundproblematik der sog. Basisgesellschaften

Beispiel

422 Atypische Basisgesellschaft

Ausgangssituation: Die in Land A ansässige Plump-GmbH weist ein Eigenkapital von 20.000 € auf. Sie erwirtschaftet einen operativen Gewinn von 1.000 €. In Land A gilt ein Körperschaftsteuersatz von 50 %. Hieraus resultiert eine Steuerbelastung von 500 €.

Land A s = 50 % Plump-GmbH GB = 1.000 €

S = GN =

500 € 500 €

Einschaltung einer atypischen Basisgesellschaft: Die Plump-GmbH beteiligt sich nun mit 100.000 € an der Money-AG in Land B, wo ein Körperschaftsteuersatz von 0 % gilt. Die Geschäftsleitung der Money-AG wird einem in Land B ansässigen Treuhandunternehmen überlassen. Die Money-AG gewährt der Plump-GmbH ein Darlehen in Höhe von 10.000 € zu einem Zinssatz von 10 %. Hierdurch entsteht bei der Money-AG ein Gewinn in Höhe von 1.000 €, der infolge des in Land B geltenden Körperschaftsteuersatzes von 0 % steuerfrei bleibt. Bei der Plump-GmbH stehen dem operativen Gewinn von 1.000 € abzugsfähige Zinsen in gleicher Höhe gegenüber, so dass auch in Land A keine Steuer anfällt. Bei Bestehen eines internationalen Schachtelprivilegs kann die Money-AG ihren Gewinn ohne steuerliche Folgen an die Plump-GmbH ausschütten.

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

Land A s = 50 %

internationales Schachtelprivileg

423

Land B s=0%

Beteiligung Plump-GmbH

Money-AG Darlehen

GB ./. Zinsen GZ + Dividende ./. S

1.000 € Zinsen: 1.000 € ./. 1.000 € (primäre Abschirmwirkung) 0€ 1.000 € Dividende: 1000 € ./. 0 € (sekundäre Abschirmwirkung)

Zinsen ./. S GN

1.000 € 0€ 1.000 €

(internationales Schachtelprivileg)

GN

1.000 € Bezeichnungen: s S GB GN GZ

= = = = =

Steuersatz Steuer Bruttogewinn Nettogewinn Zwischengewinn

6.3 Die Durchbrechung der Abschirmwirkung einer Basisgesellschaft Da die Einschaltung von Basisgesellschaften zu ungerechtfertigten Steuervorteilen führt, haben viele Staaten Maßnahmen zur Durchbrechung der Abschirmwirkung von Basisgesellschaften getroffen. In Deutschland ist entweder die Durchgriffsbesteuerung oder die Hinzurechnungsbesteuerung vorgesehen.

6.3.1

Durchgriffsbesteuerung

Eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland ist daraufhin zu überprüfen, ob sie überhaupt als eigenständiges Steuersubjekt gilt. Die bei einer Nichtanerkennung als selbständige Kapitalgesellschaft vorgenommene Durchgriffsbesteuerung bewirkt, dass die Einkünfte der ausländischen Grundeinheit direkt dem inländischen Gesellschafter zugerechnet werden und von diesem im Inland zu versteuern sind. Die als Basisgesellschaft fungierende ausländische Kapitalgesellschaft wird nicht als intransparente Einheit angesehen, das Trennungsprinzip kommt insoweit nicht zur Anwendung. Im Zusammenhang mit der Durchgriffsbesteuerung sind insbesondere die folgenden Normen der Abgabenordnung relevant:

Die Durchbrechung der Abschirmwirkung einer Basisgesellschaft

424 x x x

Scheingeschäfte (§ 41 Abs. 2 AO, z.B. Briefkastenfirmen), Treuhandverhältnisse (§ 39 AO) sowie Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO).

Die Zwischenschaltung einer juristischen Person wird als Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten beurteilt, wenn für die Errichtung einer ausländischen Kapitalgesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und wenn die ausländische Kapitalgesellschaft keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet.

6.3.2

Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7-14 AStG)

Bei der Hinzurechnungsbesteuerung wird die ausländische Kapitalgesellschaft zwar als eigenständiges Steuersubjekt anerkannt, die Besteuerung wird jedoch so durchgeführt, als ob die Auslandstochter das erzielte Ergebnis in vollem Umfang an ihre Gesellschafter ausgeschüttet hätte. Den an der ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligten Steuerinländern werden Einkünfte prozentual in Höhe ihrer Beteiligung zugerechnet. Das Trennungsprinzip wird also durch eine Ausschüttungsfiktion durchbrochen. Ziel der Hinzurechnungsbesteuerung ist es, die Abschirmwirkung zu unterlaufen, die eintritt, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger bestimmte in- oder ausländische Einkünfte nicht mehr persönlich erzielt, sondern wenn er zwischen sich und der Einkunftsquelle eine ausländische Kapitalgesellschaft zwischenschaltet und die Einkunftsquelle auf diese Kapitalgesellschaft mit der Folge überträgt, dass die Einkünfte nunmehr von dieser erzielt werden (sog. Zwischengesellschaft). Die Hinzurechnungsbesteuerung verfolgt noch ein weiteres Ziel, das sog. Belastungsziel. Durch die Hinzurechnungsbesteuerung soll das Belastungsniveau niedrig besteuerter passiver Auslandseinkünfte auf das Belastungsniveau vergleichbarer inländischer Erträge angehoben werden. Grund dafür ist, dass Gewinnausschüttungen nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei sind oder gem. § 3 Nr. 40 EStG dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen. Es soll sichergestellt werden, dass diese Einkünfte ausreichend vorbelastet sind. Zur Erreichung des Belastungsziels wurde im Rahmen des StSenkG eine Definitivbesteuerung in Höhe von 38 % eingeführt. Durch das UntStFG wurde diese Definitivbesteuerung zwar rückgängig gemacht, die Zielsetzung bleibt allerdings bestehen.

6.3.3

Verhältnis der §§ 7-14 AStG zu den Vorschriften der AO

In der Regel werden andere Vorschriften – unter anderem die Vorschriften der §§ 39 und 41 AO – von den §§ 7-14 AStG nicht berührt. Eine Ausnahme stellt das Verhältnis zu § 42 AO dar. § 42 AO geht der Hinzurechnungsbesteuerung vor, was aus den unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Normen hergeleitet wird.616 Im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung wird die Zwischengesellschaft als Einkunftserzielungssubjekt behandelt. Die 616

Vgl. auch Tz. 7.0.2 AEAStG.

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

425

Rechtsfolge des § 42 AO führt hingegen dazu, dass die Einkünfte nicht von der Zwischengesellschaft, sondern von den Gesellschaftern selbst erzielt werden. Dadurch wird die Hinzurechnungsbesteuerung von vornherein ausgeschlossen.617 Dieser logische Vorrang wird allerdings in zweifacher Hinsicht eingeschränkt: x

x

Die Anwendung des § 42 AO setzt voraus, dass sich die gewählte Gestaltung auch nach dem Gesetzeszweck der §§ 7-14 AStG noch als ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts darstellt. Das Erzielen von passiven Einkünften an sich rechtfertigt noch keinen Missbrauchsvorwurf, sondern löst lediglich die Hinzurechnungsbesteuerung aus. Es müssen weitere Umstände hinzutreten, die eine Gestaltung als missbräuchlich kennzeichnen, damit § 42 AO zur Anwendung kommt. § 42 AO setzt voraus, dass die gewählte Gestaltung zu einer Steuerersparnis führt. Bewirkt die Hinzurechnungsbesteuerung eine höhere Besteuerung, kommt die Anwendung des § 42 AO nicht in Betracht.618

Es sei noch darauf hingewiesen, dass die Einkünfte einer ausländischen Gesellschaft nicht nach § 42 AO bzw. §§ 7 ff. AStG dem inländischen Anteilseigner zugeordnet werden können, wenn die ausländische Gesellschaft ihre tatsächliche Geschäftsleitung im Inland hat. In diesem Fall greift bereits die Regelung des § 10 AO, was zu einer unbeschränkten Steuerpflicht im Inland führt.

6.4 Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung Die Hinzurechnungsbesteuerung greift nur, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind, die in den §§ 7-9 AStG festgelegt sind: x x x x

Inländerbeherrschung einer ausländischen Gesellschaft (§ 7 AStG), Erzielen von passiven Einkünften (§ 8 Abs. 1 AStG), Niedrige Besteuerung der passiven Einkünfte (§ 8 Abs. 2 AStG), Überschreitung der Freigrenze (§ 9 AStG).

617

Vgl. BFH v. 23.10.1991, I-R-40/89, BStBl. II 1992, S. 1026; BFH v. 10.06.1992, I-R-105/89, BStBl. II 1992, S. 1029.

618

Vgl. BFH v. 12.07.1989, I-R-46/85, BStBl. II 1990, S. 113.

426

Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung

Inländerbeherrschung einer ausländischen Gesellschaft Ja Passive Einkünfte Ja Niedrige Besteuerung im Ausland Ja Überschreiten der Freigrenze Ja Hinzurechnungsbesteuerung d. Einkünfte d. ausl. Gesellschaft

Nein Nein Nein Nein keine Hinzurechnungsbesteuerung

Abbildung 126: Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung

6.4.1

Inländerbeherrschung einer ausländischen Gesellschaft – § 7 AStG

Zur Hinzurechnungsbesteuerung können nach § 7 Abs. 1 AStG nur unbeschränkt steuerpflichtige Personen herangezogen werden, die an einer ausländischen Gesellschaft – allein oder zusammen mit anderen unbeschränkt oder erweitert beschränkt Steuerpflichtigen – zu mehr als der Hälfte beteiligt sind. Unbeschränkt steuerpflichtige Personen können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein. Die unbeschränkte Steuerpflicht muss am Ende des maßgebenden Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft bestehen. Der unbeschränkt Steuerpflichtige muss an einem ausländischen Rechtsträger beteiligt sein, der mit einer in § 1 KStG genannten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse vergleichbar ist. Es muss sich um ein Unternehmen handeln, das weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland hat und folglich nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, das aber unbeschränkt steuerpflichtig wäre, wenn es Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hätte. Beim Vergleich der ausländischen Gesellschaft mit den deutschen Gesellschaftsformen ist ausschlaggebend, ob die ausländische Gesellschaft nach ihrem rechtlichen Aufbau und ihrer wirtschaftlichen Stellung mit einer deutschen Gesellschaftsform vergleichbar ist.619 Grundsätzlich erfolgt die Hinzurechnungsbesteuerung nur, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger allein oder gemeinsam mit anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen bzw. mit erweitert beschränkt Steuerpflichtigen zu mehr als 50 % an der ausländischen Gesellschaft 619

Vgl. RFH v. 12.02.1930, RStBl. 1930, S. 44; BFH v. 17.07.1968, I-121/64, BStBl. II 1968, S. 695.

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

427

beteiligt ist. Man spricht dabei auch von einer Inländerbeherrschung der ausländischen Gesellschaft. Bei der Überprüfung, ob eine Inländerbeherrschung vorliegt, sind die Beteiligungen der einzelnen Personen zu addieren, man erhält die sog. Beteiligungsquote. Dabei ist nach § 7 Abs. 2 Satz 1 AStG von den Verhältnissen am Ende des maßgeblichen Wirtschaftsjahres auszugehen. Die Beteiligungsquote darf nicht mit der Hinzurechnungsquote verwechselt werden: Die Beteiligungsquote gibt darüber Auskunft, ob eine Inländerbeherrschung der ausländischen Gesellschaft gegeben ist. Die Hinzurechnungsquote dagegen besagt, in welchem Umfang dem unbeschränkt Steuerpflichtigen Einkünfte der ausländischen Gesellschaft zuzurechnen sind. § 7 Abs. 2-4 AStG sieht verschiedene Tatbestände vor, die eine Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft begründen.

Beispiel

§ 7 Abs. 2 Satz 1 AStG setzt voraus, dass die Beteiligungen den Steuerpflichtigen unmittelbar gehören oder ihnen (z.B. aufgrund der §§ 39, 41 und 42 AO) steuerlich zuzurechnen sind. Neben den Beteiligungen müssen die Stimmrechte beachtet werden, die den Steuerpflichtigen zuzurechnen sind. Es wird die Quote herangezogen, die bei der Berechnung zu einem höheren Ergebnis führt. An der ausländischen Xanthippe-GmbH sind der unbeschränkt steuerpflichtige Chili Palmer zu 20 %, der erweitert beschränkt steuerpflichtige Harry Zimm zu 25 % und der Ausländer Martin Weir zu 55 % beteiligt. Die Aufteilung der Stimmrechte sieht folgendermaßen aus: auf Chili Palmer entfallen 35 %, auf Harry Zimm 20 % und auf Martin Weir 45 % der Stimmrechte. Betrachtet man die Beteiligungsquote, wäre die Xanthippe-GmbH mit 45 % nicht inländerbeherrscht. Da Chili Palmer und Harry Zimm zusammen aber 55 % der Stimmrechte innehaben, ist die Xanthippe-GmbH inländerbeherrscht. Folglich unterliegt Chili Palmer mit seiner Beteiligung in Höhe von 20 % der Hinzurechnungsbesteuerung. Harry Zimm unterliegt als erweitert beschränkt Steuerpflichtiger nicht der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7-14 AStG. Für ihn ergibt sich nach § 5 AStG lediglich die Zurechnung der – aus deutscher Sicht – nicht ausländischen Einkünfte der ausländischen Gesellschaft.

Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung

428

Inland

Ausland

Harry Zimm 25 %

20 %

Martin Weir 55 %

45 %

35 % Xanthippe-GmbH

Chili Palmer 20 %

Beteiligungsquote Stimmrechtsquote

Außer den unmittelbaren Beteiligungen an einer ausländischen Gesellschaft sind nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AStG auch mittelbare Beteiligungen zu beachten, die über andere ausländische Gesellschaften gehalten werden. Es ist nicht erforderlich, dass diese vermittelnden Gesellschaften ihrerseits auch inländerbeherrscht sind. § 7 Abs. 3 AStG regelt den Fall, in dem unbeschränkt Steuerpflichtige über eine oder mehrere Personengesellschaften an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt sind. Die Vorschrift besagt, dass Beteiligungen über Personengesellschaften stets als unmittelbare Beteiligungen an der ausländischen Gesellschaft anzusehen sind. Damit sind auch diese Beteiligungen bei der Berechnung der Beteiligungsquote zu berücksichtigen. Schließlich sind nach § 7 Abs. 4 AStG die Anteile einer weisungsgebundenen Person dem Weisungsberechtigten zuzurechnen. Dies gilt aber nur für die Berechnung der Beteiligungsquote. Für die Hinzurechnungsquote ist die Beteiligung am Nennkapital maßgebend.620 Weisungsgebunden sind Personen, die den Weisungen ihrer Auftraggeber so folgen, dass sie keinen wesentlichen Entscheidungsspielraum haben. Hauptsächlich betrifft diese Regelung die Fälle, in denen unbeschränkt Steuerpflichtige für die Wahrnehmung von Stimmrechten oder Beteiligungen Notare, Rechtanwälte oder Banken beauftragen.

620

Vgl. BFH v. 26.10.1983, I-R-200/78, BStBl. II 1984, S. 258.

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

429

Zur Feststellung, ob eine Mindestbeteiligung vorliegt, sind gem. § 7 AStG anzusetzen: x x x x x

Anteile (Stimmrechte), die unbeschränkt Steuerpflichtigen unmittelbar gehören, Anteile (Stimmrechte) von Personen, die die persönlichen Voraussetzungen des § 2 AStG erfüllen, Mittelbare Beteiligungen, d.h. Anteile (Stimmrechte), die eine andere ausländische Gesellschaft vermittelt, Anteile (Stimmrechte), die von im Inland oder im Ausland errichteten Personengesellschaften gehalten werden, Anteile (Stimmrechte) einer weisungsgebundenen Person.

Abweichend von den bisher erläuterten Voraussetzungen enthält § 7 Abs. 6 AStG eine Sonderregelung für Zwischengesellschaften, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S.d. § 7 Abs. 6a AStG erzielen. Nach der Definition in § 7 Abs. 6a AStG sind Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter Einkünfte einer ausländischen Zwischengesellschaft, die aus dem Halten, der Verwaltung, Werterhaltung oder Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Forderungen, Wertpapieren, Beteiligungen (ausgenommen der in § 8 Abs. 1 Nr. 8 und 9 AStG genannten Einkünfte) oder ähnlichen Vermögenswerten stammen. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass die Einkünfte aus einer Tätigkeit stammen, die einer unter § 8 Abs. 1 Nr. 1-6 AStG fallenden eigenen – so genannten aktiven – Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft dient (ausgenommen des Investmentgeschäfts – § 1 Abs. 1 Nr. 6 KWG). In diesem Fall liegen keine Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter vor. Für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erfolgt eine Hinzurechnung bereits dann, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger allein zu mindestens 1 % an der ausländischen Gesellschaft beteiligt ist. Es muss sich dabei um eine Beteiligung am Nennkapital handeln; Stimmrechtsbeteiligungen werden nicht beachtet. Eine Inländerbeherrschung der Gesellschaft muss nicht vorliegen. Allerdings müssen die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter mehr als 10 % der den gesamten Zwischeneinkünften zugrunde liegenden Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft darstellen und den Betrag von 62.000 € übersteigen. Nach § 7 Abs. 6 Satz 3 AStG ist die Beteiligungshöhe für die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung sogar ganz unerheblich, wenn die ausländische Gesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich621 Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt, es sei denn, mit den Aktien der ausländischen Gesellschaft findet ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse statt, wie es beispielsweise bei Fonds der Fall ist.

621

Dies bedeutet, dass mindestens 90 % der Bruttoerträge Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter zu Grunde liegen.

Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung

430

Merke: Im Normalfall findet eine Hinzurechnung erst statt, wenn eine Inländerbeherrschung der ausländischen Gesellschaft gegeben ist. Das trifft nicht auf Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter zu. Bei solchen Einkünften findet eine Hinzurechnung bereits statt, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger zu mindestens 1 % an der ausländischen Gesellschaft beteiligt ist; u.U. ist die Beteiligungshöhe sogar unerheblich.

„normale“ passive Einkünfte

Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter (wenn zugrundeliegende Bruttoerträge > 10 % der gesamten zugrunde liegenden Bruttoerträge und Bagatellgrenze überschreiten)

Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter (wenn zugrundeliegende Bruttoerträge • 90 % der gesamten zugrundeliegenden Bruttoerträge und kein Aktienhandel an Börse)

Beteiligung von unbeschränkt Steuerpflichtigen u. erweitert beschränkt Steuerpflichtigen i.S.v. § 2 AStG > 50 %

Beteiligung • 1 %

keine Mindestbeteiligung

Abbildung 127: Beteiligungsvoraussetzungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung

6.4.2

Zwischengesellschaft i.S.d. § 8 AStG

§ 8 AStG enthält zwei Tatbestandsmerkmale, die erfüllt sein müssen, damit eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist: (1) Zum einen muss es sich bei den Einkünften der Gesellschaft um passive Einkünfte handeln, (2) zum anderen müssen diese Einkünfte einer niedrigen Besteuerung unterliegen.

6.4.2.1 Erzielen von passiven Einkünften – § 8 Abs. 1 AStG Das Gesetz verzichtet auf die Nennung der passiven Einkünfte. Vielmehr sind passive Einkünfte solche, die nicht aktive i.S.d. § 8 Abs. 1 AStG sind. Durch diese inverse Definition soll möglichst wenig Spielraum für Steuergestaltungen verbleiben. Die gewählte Definition macht die Vorschrift aber andererseits unübersichtlich. Erzielt eine ausländische Gesellschaft sowohl aktive als auch passive Einkünfte, werden die gesamten Einkünfte entsprechend aufgeteilt. Dabei ist die funktionale Betrachtungsweise zu berücksichtigen, wonach Einkünfte aus wirtschaftlich zusammengehörenden Tätigkeiten einheitlich zu bewerten sind. Es ist die Tätigkeit maßgebend, auf der nach allgemeiner

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

431

Beispiel

Verkehrsauffassung das wirtschaftliche Schwergewicht liegt.622 Fallen im Rahmen einer aktiven Tätigkeit betriebliche Nebenerträge an, sind diese den Einkünften aus der aktiven Tätigkeit zuzuordnen. Eine ausländische Gesellschaft produziert und verkauft Möbel. Zeitweilig überschüssige Geldmittel werden bei einer Bank angelegt. Die daraus resultierenden Zinserträge stellen in diesem Fall keine passiven Einkünfte dar, da es sich um betriebliche Nebenerträge handelt und das wirtschaftliche Schwergewicht der Gesellschaft auf der Produktion von Möbeln liegt.

Die Einkünfte aus den Tätigkeiten des § 8 Abs. 1 Nr. 1-7 AStG bzw. die Einkünfte des § 8 Abs. 1 Nr. 8 und 9 AStG sind grundsätzlich aktive Einkünfte. Allerdings gibt es bei manchen Tätigkeiten zahlreiche Einschränkungen und Ausnahmen. Im Einzelnen sind folgende Einkünfte nach § 8 Abs. 1 AStG grundsätzlich aktiv:623 Aktive Einkünfte

§ 8 AStG

1. Aktive Tätigkeiten durch Branchenzugehörigkeit x Land- und Forstwirtschaft x industrielle Tätigkeit

Abs. 1 Nr. 1 Abs. 1 Nr. 2

2. Aktive Tätigkeiten mit Funktionsnachweis x Banken und Versicherungsunternehmen x Handel x Dienstleistung x Nutzungsüberlassung von Rechten usw. x Vermietung/Verpachtung beweglicher Sachen x Veräußerung eines Anteils an einer anderen Gesellschaft

Abs. 1 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 4 Abs. 1 Nr. 5 Abs. 1 Nr. 6a Abs. 1 Nr. 6c Abs. 1 Nr. 9

3. Aktive Tätigkeit wegen DBA-Befreiung bei persönlicher Erzielung der Einkünfte durch Inländer x Vermietung/Verpachtung von Grundstücken

Abs. 1 Nr. 6b

4. Aktive Tätigkeit aufgrund weitgehender Auslandsorientierung x Aufnahme und darlehensweise Vergabe von Kapital

Abs. 1 Nr. 7

5. Aktive Tätigkeit zur Vermeidung der Ungleichbehandlung von Konzernstrukturen x Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften

Abs. 1 Nr. 8

622

Vgl. BFH v. 16.05.1990, I-R-16/88, BStBl. II 1990, S. 1049.

623

Die Abbildung ist eine Erweiterung der Darstellung von Bächle E./ Rupp, T., Internationales Steuerrecht, Stuttgart 2002, S. 381.

Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung

432

6.4.2.2 Niedrigbesteuerung – § 8 Abs. 3 AStG Einkünfte aus passiver Tätigkeit sind nur dann Zwischeneinkünfte, wenn sie einer niedrigen Besteuerung unterliegen. Das Gesetz normiert in § 8 Abs. 3 AStG zwei Fälle niedriger Besteuerung: x x

Die Belastung durch Ertragsteuern beträgt nicht mehr als 25 %, die Steuerbelastung der Zwischengesellschaft wird um Steuern gemindert, die die ausschüttende Gesellschaft zu tragen hat (indirekte Steueranrechnung).

Als Ertragsteuern gelten alle Steuern vom Gesamteinkommen oder von Teilen des Einkommens. Bei der Ermittlung der Belastung mit Ertragsteuern ist grundsätzlich davon auszugehen, dass diese dem Steuersatz des ausländischen Staates entspricht. Es müssen aber auch in Betracht kommende Vorzugssätze, Befreiungen für Einkünfte aus passiver Tätigkeit und Steuern dritter Staaten berücksichtigt werden. Kommt der Ertragsteuersatz des ausländischen Staates nicht zur Anwendung oder werden die Einkünfte in diesem Staat anders ermittelt als nach deutschem Steuerrecht, muss die Ertragsteuerbelastung durch eine Belastungsrechnung ermittelt werden. Im Rahmen der Belastungsrechnung wird die Ertragsteuerbelastung durch die Gegenüberstellung der nach deutschem Steuerrecht ermittelten Zwischeneinkünfte und den von der ausländischen Gesellschaft zu entrichtenden Ertragsteuern ermittelt. Bei den von der ausländischen Gesellschaft zu entrichtenden Steuern geht es nicht um die tatsächlich gezahlten, sondern um die abstrakt geschuldeten Steuern, d.h. ein Verlustausgleich oder die Anrechnung von Steuern bleiben außer Betracht. Die Formel für die Ermittlung der Ertragsteuerbelastung lautet:

Ertragsteuerbelastung =

Ertragsteuern Summe der Zwischeneinkünfte

100

Eine Aufstellung der Ertragsteuersätze, der Steuervergünstigungen und Privilegien der wichtigsten Staaten mit niedrigen Steuersätzen, die insbesondere für die §§ 7-14 AStG in Betracht kommen, enthält die Anlage 1 des AEAStG.

6.4.3

Überschreiten der Freigrenze – § 9 AStG

Für Gesellschaften, die sowohl Einkünfte aus aktiver als auch aus passiver Tätigkeit erzielen, sieht § 9 AStG eine Bagatellgrenze vor. Die Hinzurechnungsbesteuerung unterbleibt, wenn die passiven Erträge höchstens 10 % der gesamten Bruttoerträge der Gesellschaft betragen (relative Freigrenze) und die passiven Einkünfte einer Gesellschaft oder eines Steuerpflichtigen den Betrag von 62.000 € nicht übersteigen (absolute Freigrenze). Ist ein Steuerpflichtiger an mehreren ausländischen Gesellschaften beteiligt, darf die Summe aller ihm zurechenbaren Hinzurechnungsbeträge die absolute Freigrenze von 62.000 € nicht übersteigen.

Beispiel

433

Die unbeschränkt steuerpflichtigen Miles Edward O’Brian und Benjamin Sisco sind an der ausländischen Keks-GmbH zu jeweils 50 % beteiligt. Sisco hält außerdem eine Beteiligung in Höhe von 60 % an der ausländischen Krümel-AG. Im Jahr 02 erzielten die Keks-GmbH und die Krümel-AG jeweils Zwischeneinkünfte in Höhe von 60.000 €. Die Zwischeneinkünfte betragen in beiden Firmen jeweils weniger als 10 % der gesamten Bruttoerträge.

Lösung

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

Gesellschaftsbezogen kommt die Hinzurechnungsbesteuerung nicht zur Anwendung, da die Zwischeneinkünfte in beiden Firmen unter der absoluten Freigrenze von 62.000 € liegen und diese weniger als 10 % der Bruttoerträge ausmachen. Gesellschafterbezogen müssen die Zwischeneinkünfte aller Beteiligungen beachtet werden. O’Brian ist nur an der Keks-GmbH beteiligt. Auf ihn entfallen Zwischeneinkünfte in Höhe von 30.000 €. Demnach kommt die Hinzurechnungsbesteuerung bei ihm nicht zur Anwendung. Auf Sisco entfallen Zwischeneinkünfte der Keks-GmbH in Höhe von 30.000 € und Zwischeneinkünfte der Krümel-AG in Höhe von 36.000 €. Demnach betragen die Zwischeneinkünfte, die auf seine Anteile entfallen, insgesamt 66.000 €. Die Freigrenze des § 9 AStG ist somit überschritten und die Hinzurechnungsbesteuerung kommt bei Sisco zur Anwendung.

Merke: Damit die Hinzurechnungsbesteuerung zur Anwendung kommt, müssen folgende Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sein: 9 unmittelbare oder mittelbare Inländerbeherrschung der ausländischen Gesellschaft (es müssen sowohl Beteiligungen als auch Stimmrechte beachtet werden), wobei für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter eine Sonderregelung gilt, 9 passive Einkünfte, 9 niedrige Besteuerung der passiven Einkünfte, 9 Überschreiten der relativen oder der absoluten Freigrenze.

6.5 Rechtsfolgen Sind die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 7-9 AStG erfüllt, sind nach § 7 Abs. 1 AStG jedem unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner die Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft entsprechend seiner Hinzurechnungsquote zuzurechnen. Die Hinzurechnungsquote entspricht der unmittelbaren Beteiligung am Nennkapital der ausländischen Gesellschaft, die auf den unbeschränkt Steuerpflichtigen entfällt. Ist für die Gewinnverteilung nicht die Beteiligung am Nennkapital maßgebend oder hat die ausländische Gesellschaft kein Nennkapital, ist für die Aufteilung der Zwischeneinkünfte der Maßstab der Gewinnverteilung zugrunde zu legen. Der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen – sofern

Rechtsfolgen

434

die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind – alle unbeschränkt Steuerpflichtigen unabhängig von der Beteiligungshöhe, d.h. auch bei sehr geringer Beteiligung. Dem unbeschränkt Steuerpflichtigen können im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung nur die Zwischeneinkünfte zugerechnet werden, die der ausländischen Gesellschaft nach Abzug der bereits von der Zwischengesellschaft entrichteten Steuer auf die Zwischeneinkünfte und auf das damit in Zusammenhang stehende Vermögen noch verbleiben. Dieser Betrag nennt sich „Hinzurechnungsbetrag“. § 10 Abs. 1 AStG regelt die Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags. Der Hinzurechnungsbetrag wird dem inländischen Anteilseigner erst nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft zugerechnet; dabei wird der Anteilseigner so gestellt, als hätte die ausländische Gesellschaft eine Gewinnausschüttung in Höhe des Hinzurechnungsbetrages vorgenommen. Für die Besteuerung ist der Hinzurechnungsbetrag deshalb der Einkunftsart zuzuordnen, zu der die entsprechenden Gewinnausschüttungen dieser ausländischen Gesellschaft gehören. Merke: In Höhe des ermittelten Hinzurechnungsbetrags kommt es unter Umgehung der Abschirmwirkung des Trennungsprinzips zu einer fiktiven Gewinnausschüttung.

6.5.1

Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages

Der Hinzurechnungsbetrag wird auf Grundlage der erwirtschafteten passiven Einkünfte der ausländischen Gesellschaft unter Beachtung der Vorschriften des § 10 Abs. 1 und 3 AStG ermittelt. Danach wird der Betrag um die abzuziehenden Steuern und gegebenenfalls um einen Verlustabzug der ausländischen Gesellschaft vermindert. Ist der Hinzurechnungsbetrag negativ, entfällt die Hinzurechnung. Ist die ausländische Zwischengesellschaft (Obergesellschaft) wiederum an einer oder mehreren anderen ausländischen Zwischengesellschaften (Untergesellschaften) beteiligt, werden die Zwischeneinkünfte der nachgeschalteten Untergesellschaften der vorgeschalteten Obergesellschaft zugerechnet. Gewinne, die die Zwischengesellschaft u.a. aus der Veräußerung von Anteilen an einer Untergesellschaft erzielt, sind nach § 11 AStG aus dem Hinzurechnungsbetrag in dem Umfang auszunehmen, in dem Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter dieser Untergesellschaft bereits durch eine Hinzurechnung besteuert wurden. Somit ergibt sich folgendes vereinfachtes Schema für die Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages:624

624

Vgl. AEAStG Anlage 3.

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

+ ./. ./. ./. =

435

Zwischeneinkünfte (§ 10 Abs. 3 AStG) übertragende Zurechnung nachgeschalteter Zwischengesellschaften i.S.d. § 14 AStG vom Hinzurechnungsbetrag auszunehmende Veräußerungsgewinne (§ 11 AStG) abzuziehende ausländische Steuern (§ 10 Abs. 1 AStG) Verlustabzug (§ 10 Abs. 3 Satz 5 AStG i.V.m. § 10d EStG) Hinzurechnungsbetrag

6.5.1.1 Ermittlung der Zwischeneinkünfte Zur Feststellung der Höhe der Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft wird eine Gewinnermittlung durchgeführt. Der deutsche Steuerpflichtige ist verpflichtet, den Gewinn zu ermitteln, da es sich bei dem Hinzurechnungsbetrag um Auslandseinkünfte des Steuerpflichtigen handelt. Es sind bei der Gewinnermittlung die Vorschriften des deutschen Steuerrechts entsprechend anzuwenden. Die Anwendung dieser Vorschriften wird aber durch § 10 Abs. 3 Satz 4 AStG in der Weise eingeschränkt, dass steuerliche Vergünstigungen, die an die unbeschränkte Steuerpflicht oder an das Bestehen eines inländischen Betriebs bzw. einer inländischen Betriebsstätte anknüpfen sowie die Vorschriften des § 8b Abs. 1 und 2 KStG, unberücksichtigt bleiben. Hinsichtlich der Gewinnermittlungsmethode besteht das Wahlrecht, die Zwischeneinkünfte durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG oder durch EinnahmenÜberschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG vorzunehmen. Allerdings kann das Wahlrecht bei mehreren inländischen Beteiligten nur einheitlich ausgeübt werden. Wird das Wahlrecht nicht oder nicht einheitlich ausgeübt, sind die Gewinne durch Vermögensvergleich zu ermitteln. Sind bei einer ausländischen Gesellschaft die Voraussetzungen für die Hinzurechnungsbesteuerung erstmals gegeben, ist – unabhängig von der Gewinnermittlungsmethode – für den Zeitpunkt des Beginns des betreffenden Wirtschaftsjahres eine „eröffnende Hinzurechnungsbilanz“ zu erstellen. Darin ist das gesamte Vermögen der ausländischen Gesellschaft auszuweisen. Erzielt die ausländische Gesellschaft gemischte Einkünfte, sind die passiven Einkünfte von den aktiven Einkünften abzugrenzen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: x

x

Im Rahmen der Gesamtermittlung wird vom Gesamtbetrag der nach deutschem Steuerrecht ermittelten Einkünfte die Summe der darin enthaltenen aktiven Einkünfte abgezogen. Bei der Sonderermittlung können die passiven Einkünfte separat durch eine Teilbilanz bzw. Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt werden, sofern die passiven Einkünfte aufgrund der Buchführung der Zwischengesellschaft leicht und eindeutig zu erfassen sind.

Sind aktive und passive Einkünfte so eng verbunden, dass sie nicht gesondert ausgewiesen werden können, sind die gesamten Einkünfte nach dem Umsatz aufzuteilen, falls kein besserer Aufteilungsmaßstab gegeben ist.

436

Rechtsfolgen

Bei Ermittlung der Zwischeneinkünfte dürfen nach § 10 Abs. 4 AStG nur solche Betriebsausgaben abgezogen werden, die mit den passiven Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Aufwendungen, die für das Aufstellen einer Hinzurechnungsbilanz entstehen, dürfen nicht bei der Ermittlung der Zwischeneinkünfte berücksichtigt werden, können aber Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen darstellen bzw. Betriebsausgaben bei Gewinneinkünften.625

6.5.1.2 Abziehbare Steuern § 10 Abs. 1 AStG bestimmt, dass bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages die Steuern abgezogen werden dürfen, die auf die Zwischeneinkünfte sowie auf das diesen Zwischeneinkünften zugrunde liegende Vermögen entfallen. Es ist unerheblich, ob die Steuern vom Sitzstaat der Zwischengesellschaft oder von einem Drittstaat erhoben wurden. Zu beachten ist allerdings, dass nur die Steuern abgezogen werden dürfen, die im maßgebenden Wirtschaftsjahr von der Zwischengesellschaft auch tatsächlich gezahlt wurden. Anstatt des Steuerabzugs kann der inländische Steuerpflichtige auch die Steueranrechnung nach § 12 Abs. 1 AStG wählen.

6.5.1.3 Behandlung von Verlusten Bei der Ermittlung der Zwischeneinkünfte dürfen negative passive Einkünfte mit positiven passiven Einkünften derselben Zwischengesellschaft verrechnet werden. Ergibt sich nach Abzug der bezahlten Steuern ein negativer Hinzurechnungsbetrag, entfällt nach § 10 Abs. 1 Satz 3 AStG die Hinzurechnung. Der Verlust kann im gleichen Wirtschaftsjahr mit positiven Zwischeneinkünften vor- und nachgeschalteter Gesellschaften der Zwischengesellschaft ausgeglichen werden oder nach § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG entsprechend den Vorschriften des § 10d EStG entweder zurück- oder vorgetragen werden. Bedingung dafür ist allerdings, dass der Verlust die Freigrenze des § 9 AStG übersteigt. Ist ein inländischer Steuerpflichtiger an mehreren Zwischengesellschaften beteiligt, dürfen Verluste der einen Zwischengesellschaft nicht mit positiven Hinzurechnungsbeträgen einer oder mehrerer anderer Zwischengesellschaften verrechnet werden. Der Grund für die fehlende Möglichkeit einer Verlustverrechnung liegt darin, dass die §§ 7 ff. AStG das Trennungsprinzip nicht zur Gänze aufheben, sondern lediglich eine Ausschüttungsfiktion schaffen.

625

Vgl. BFH v. 15.03.1995, I-R-14/94, BStBl. II 1995, S. 502.

Beispiel

437

Der unbeschränkt steuerpflichtige Andrew Bechett ist sowohl an der ausländischen Black-corporation als auch an der ausländischen White-corporation beteiligt. Zwischen den Gesellschaften besteht keine Verbindung, aber beide erwirtschafteten im Jahr 02 Zwischeneinkünfte. Die für Bechett anzusetzenden Hinzurechnungsbeträge betragen: Black-GmbH: 85.000 € White-AG: ./. 65.000 €

Lösung

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

Der negative Hinzurechnungsbetrag der White-corporation darf nicht mit dem positiven Hinzurechnungsbetrag der Black-corporation verrechnet werden. Hinsichtlich des Verlusts der White-corporation gibt es nur die Möglichkeit, den Verlust gem. § 10d EStG entweder zurück- oder vorzutragen. Die 85.000 € der Black-corporation werden Bechett in vollem Umfang hinzugerechnet.

6.5.1.4 Veräußerungsgewinne – § 11 AStG Durch die Regelung des § 11 AStG soll eine Doppelbesteuerung vermieden werden, wenn bei einer ausländischen Tochtergesellschaft (Untergesellschaft) der ausländischen Zwischengesellschaft (Obergesellschaft) Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter thesauriert werden und die Obergesellschaft ihre Anteile an der Untergesellschaft veräußert. Da die Untergesellschaft Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter, also passive Einkünfte erzielt, ist davon auszugehen, dass diese Zwischeneinkünfte bis zur Veräußerung der Anteile gem. § 14 AStG der Obergesellschaft zuzurechnen waren und somit schon einmal der Hinzurechnungsbesteuerung unterlagen. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, sieht § 11 AStG vor, dass der Veräußerungsgewinn in dem Umfang vom Hinzurechnungsbetrag auszunehmen ist, in dem die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Untergesellschaft für das gleiche Wirtschafts- bzw. Kalenderjahr oder für die vorangegangenen sieben Wirtschafts- bzw. Kalenderjahre als Hinzurechnungsbetrag der Einkommenoder Körperschaftsteuer unterlegen haben und diese Einkünfte nicht ausgeschüttet wurden. Die Beweislast obliegt dem Steuerpflichtigen.

6.5.2

Besteuerung des Hinzurechnungsbetrages

Sind mehrere unbeschränkt steuerpflichtige Personen an der ausländischen Zwischengesellschaft beteiligt, wird der Hinzurechnungsbetrag den Hinzurechnungsquoten entsprechend aufgeteilt. So ergibt sich für jeden Anteilseigner ein individueller Hinzurechnungsbetrag. Entscheidet sich der Steuerpflichtige für eine Steueranrechnung, wird der Hinzurechnungsbetrag um die auf den Steuerpflichtigen entfallenden Steuern, die bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages abgezogen wurden, erhöht (§ 12 AStG). Danach erhält man den sog. anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag. Die Besteuerung des anzusetzenden Hinzurechnungsbetrages regelt § 10 Abs. 2 AStG.

438

Rechtsfolgen

Merke: Der Hinzurechnungsbetrag ergibt sich aus der fiktiven Gewinnausschüttung und ist nicht zu verwechseln mit einer eventuell später erfolgenden tatsächlichen Gewinnausschüttung.

Es muss unterschieden werden, ob die Anteile an der Zwischengesellschaft im Privatvermögen oder im Betriebsvermögen gehalten werden. Einkünfte aus im Privatvermögen gehaltenen Anteilen gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG und gelten unmittelbar nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahres der Zwischengesellschaft als zugeflossen. Von diesen Einnahmen werden die Werbungskosten abgezogen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Beteiligung stehen (z.B. Kosten für die Aufstellung der Hinzurechnungsbilanz). Der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag unterliegt somit dem individuellen Steuersatz des Anteilseigners. Merke: Auf den Hinzurechnungsbetrag ist weder das Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Bst. d EStG) noch die Dividendenfreistellung (§ 8b Abs. 1 KStG) anzuwenden (§ 10 Abs. 2 Satz 3 AStG).

Gehören Anteile an der Zwischengesellschaft zum Betriebsvermögen, zählt der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb, aus Land- und Forstwirtschaft oder aus selbständiger Arbeit und erhöht den Gewinn des Betriebs für das Wirtschaftsjahr, das nach dem Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahres der Zwischengesellschaft endet. Der Hinzurechnungsbetrag wird somit – je nach Gesellschaftsform – mit dem individuellen Einkommensteuersatz oder mit 25 % Körperschaftsteuer, mit Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag besteuert. Merke: Wird eine Beteiligung an einer Zwischengesellschaft im Privatvermögen gehalten, wird der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag mit dem persönlichen Steuersatz versteuert. Bei Beteiligungen im Betriebsvermögen erhöht der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag den ermittelten Betriebsgewinn. Hinsichtlich des Steuersatzes kommt es auf die Rechtsform des Unternehmens an. Das Halbeinkünfteverfahren bzw. die Dividendenfreistellung kommen auf die Hinzurechnungsbeträge nicht zur Anwendung.

Auf die Besteuerung des Hinzurechnungsbetrages sind die begünstigenden Regelungen eines DBA mit der Streichung der §§ 10 Abs. 5-7 AStG im Rahmen des StVergAbG nicht mehr anzuwenden. Mit den begünstigenden Regelungen ist das Schachtelprivileg gemeint, durch das ausländische Dividendeneinkünfte bei inländischen Kapitalgesellschaften steuerfrei gestellt werden. Das Schachtelprivileg ist allerdings üblicherweise mit einer Aktivitätsklausel versehen war, so dass die Freistellungsmethode bei passiver Tätigkeit im Ausland ohnehin nicht zur Anwendung gekommen ist. Insbesondere in älteren DBA wurde jedoch keine Aktivitätsklausel vereinbart, so dass trotz Erzielens passiver Einkünfte unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 AStG a.F. die Begünstigung des Schachtelprivileges

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

439

genutzt werden konnte. Zur konsequenten Durchsetzung der Ziele der Hinzurechnungsbesteuerung im Verhältnis zu den wenigen Ländern, die sich in bestimmten Bereichen für Ausländer als Gebiete mit Vorzugssteuersätzen anbieten und damit potenziell unfairen Steuerwettbewerb betreiben, wurden die §§ 10 Abs. 5-7 AStG aufgehoben.626 Der DBASchutz wird auf diese Weise durchbrochen („treaty override“), so dass sich die Besteuerung des Hinzurechnungsbetrags allein nach innerstaatlichem deutschem Recht richtet.

Besteuerung Hinzurechnungsbetrag

Beteiligung im Privatvermögen

Beteiligung im Betriebsvermögen

Hinzurechnungsbetrag erhöht Einkünfte aus Kapitalvermögen

Hinzurechnungsbetrag erhöht ermittelten Betriebsgewinn

Berücksichtigung von Werbungskosten

Personengesellschaften, Einzelunternehmen

Kapitalgesellschaften

Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Land-/Forstwirtschaft, selbst. Arbeit

Besteuerung: individueller ESt-Satz

Besteuerung: individueller ESt-Satz und GewSt

Besteuerung: 25 % KSt und GewSt

Abbildung 128: Unterschiedliche Besteuerung des Hinzurechnungsbetrages bei Beteiligungen im Privat- bzw. Betriebsvermögen

626

Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/119, S. 54.

Steueranrechnung – § 12 AStG

440

6.5.3

Behandlung tatsächlicher Ausschüttungen

Werden im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung erfasste ausländische Einkünfte zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich als Dividenden ausgeschüttet, können diese gem. § 3 Nr. 41 Bst. a EStG bzw. § 8b Abs. 1 KStG grundsätzlich zur Gänze steuerfrei vereinnahmt werden; insbesondere gilt nicht das Halbeinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 EStG für natürliche Personen. Allerdings ist erneut auf § 8b Abs. 5 KStG hinzuweisen. Auf diese Weise wird vermieden, dass Einkünfte, die bereits der Hinzurechnungsbesteuerung als fiktive Ausschüttung unterlegen haben, bei tatsächlicher Ausschüttung erneut mit Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer belastet werden. Folgen der Hinzurechnungsbesteuerung

Anteilseigner

Zeitpunkt der Gewinnentstehung

Zeitpunkt der Gewinnverwendung

natürliche Person

steuerpflichtig, kein § 3 Nr. 40 Bst. d EStG

steuerfrei, § 3 Nr. 41 Bst. a EStG

Kapitalgesellschaft

steuerpflichtig, kein § 8b Abs. 1 KStG

steuerfrei, § 8b Abs. 1 KStG

Abbildung 129: Übersicht Folgen der Hinzurechnungsbesteuerung Im Ergebnis erhält der Anteilseigner als natürliche Person somit nicht die Begünstigungen durch das Halbeinkünfteverfahren, d.h. er muss den vollen Betrag versteuern. Es handelt sich somit nicht um eine dividendengleiche Besteuerung, was dadurch gerechtfertigt wird, dass keine ausreichende Vorbelastung auf Ebene der ausländischen Kapitalgesellschaft stattgefunden hat.

6.6 Steueranrechnung – § 12 AStG Im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung sollen Steuervorteile, die durch Zwischenschaltung ausländischer Gesellschaften erzielt werden können, verhindert werden. Durch eine Ausschüttungsfiktion muss der unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner die auf ihn zurechenbaren Einkünfte der Zwischengesellschaft nach deutschem Steuerrecht versteuern. Allerdings soll dem inländischen Beteiligten durch diese Regelung keine Mehrbelastung auferlegt werden. Deshalb werden bei der Hinzurechnungsbesteuerung die Steuern, die die ausländische Zwischengesellschaft bereits entrichtet hat, berücksichtigt. Der unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner hat die Wahl, diese Steuern durch den in § 10 Abs. 1 AStG vorgesehenen Abzug bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrages oder alternativ nach § 12 AStG durch die Anrechnung dieser Steuern auf seine Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer zu berücksichtigen. Sind mehrere unbeschränkt Steuerpflichtige an einer Zwi-

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

441

schengesellschaft beteiligt, kann jeder von ihnen für sich entscheiden, ob er vom Steuerabzug oder der Steueranrechnung Gebrauch macht. Beim Steuerabzug wird der Hinzurechnungsbetrag um die Steuern gemindert, die zu Lasten der Zwischengesellschaft von ihren Einkünften und von dem diesen Einkünften zugrunde liegenden Vermögen erhoben wurden und bereits gezahlt wurden.

Lösung

Beispiel

Im Rahmen der Steueranrechnung wird der Hinzurechnungsbetrag durch die abziehbaren Steuern nicht gemindert. Es muss daher der Hinzurechnungsbetrag nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AStG um die bereits abgezogenen Steuern erhöht werden. Die Steuern werden dann auf die Steuerschuld des Anteilseigners angerechnet. Erzielt die Zwischengesellschaft gemischte Einkünfte, dürfen nur die Steuern angerechnet werden, die auf die Zwischeneinkünfte entfallen. Zu beachten ist, dass die Steueranrechnung auf Ebene des inländischen Steuerpflichtigen stattfindet. Es dürfen also nur die Steuern angerechnet werden, die dem Steuerpflichtigen gemäß der Beteiligung am Nennkapital der Zwischengesellschaft zuzurechnen sind. Im Regelfall ist die Steueranrechnung für den inländischen Steuerpflichtigen günstiger als der Steuerabzug. Der unbeschränkt steuerpflichtige Martin Riggs ist zu 100 % an der ausländischen Zwischengesellschaft Car-Company beteiligt. Er hält die Beteiligung in seinem Privatvermögen. Die ermittelten Zwischeneinkünfte der Car-Company betragen 400.000 €. Die Car-Company hat 50.000 € Steuern i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG bezahlt. Riggs durchschnittlicher Einkommensteuersatz beträgt 40 %. Steuerabzug nach § 10 Abs. 1 AStG: Zwischeneinkünfte ./. Steuern Hinzurechnungsbetrag Einkommensteuer Gesamtsteuerbelastung

400.000 € 50.000 € 350.000 € 140.000 € 190.000 €

Steueranrechnung nach § 12 AStG: Zwischeneinkünfte ./. Steuern Hinzurechnungsbetrag + Steuern anzusetzender Hinzurechnungsbetrag Einkommensteuer ./. anzurechnende Steuern zu entrichtende ESt Gesamtsteuerbelastung

400.000 € 50.000 € 350.000 € 50.000 € 400.000 € 160.000 € 50.000 € 110.000 € 160.000 €

442

Nachgeschaltete Zwischengesellschaften – § 14 AStG

Nach § 12 Abs. 2 AStG sind die Vorschriften des § 34c Abs. 1 EStG und des § 26 Abs. 1 und 6 KStG entsprechend anzuwenden. Da es sich um einen Rechtsfolgenverweis handelt, müssen die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschriften nicht erfüllt sein. Allerdings muss der in diesen Regelungen vorgesehene Höchstbetrag auch bei der Anwendung von § 12 Abs. 2 AStG berechnet werden. Dieser Höchstbetrag bestimmt die maximale Höhe der anrechenbaren Steuern und berechnet sich folgendermaßen:

Anrechnungshöchstbetrag = deutsche Steuer

anzusetzender Hinzurechnungsbetrag Summe der Einkünfte

Gewinnausschüttungen, die in den vorangegangenen sieben Jahren der Hinzurechnungsbesteuerung unterlagen, sind nach § 3 Nr. 41 EStG steuerfreie Einnahmen. Da sie steuerfrei sind, besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, die bei Ausschüttung an den inländischen Gesellschafter tatsächlich anfallenden ausländischen Quellensteuern anzurechnen oder abzuziehen. Durch § 12 Abs. 3 AStG besteht die Alternative, dass auf Antrag auch Quellensteuern abgezogen oder angerechnet werden, die von steuerfreien Gewinnausschüttungen einbehalten wurden.

6.7 Nachgeschaltete Zwischengesellschaften – § 14 AStG Der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen nicht nur Zwischeneinkünfte ausländischer Zwischengesellschaften, an denen inländische Steuerpflichtige unmittelbar beteiligt sind (Obergesellschaften), sondern auch Zwischeneinkünfte nachgeschalteter Zwischengesellschaften (Untergesellschaften). Dadurch wird die Umgehung der Hinzurechnungsbesteuerung durch Zwischenschaltung mehrerer ausländischer Gesellschaften verhindert. Sind die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 AStG erfüllt, werden die Zwischeneinkünfte einer Untergesellschaft der Obergesellschaft zugerechnet (übertragende Zurechnung). Das geschieht in der letzen logischen Sekunde vor Ablauf des Wirtschaftsjahrs der Untergesellschaft.627 Maßstab für die Zurechnung ist die Beteiligung der Obergesellschaft am Nennkapital der Untergesellschaft.

627

Vgl. BFH v. 28.09.1988, I-R-91/87, BStBl. II 1989, S. 13.

Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften – §§ 7-14 AStG

Inland unbeschränkt Steuerpflichtiger

443

Ausland

100 %

Obergesellschaft

Hinzurechnung nach § 7 AStG

100 %

Untergesellschaft

Zurechnung nach § 14 AStG

Abbildung 130: Hinzurechnung und Zurechnung Voraussetzung für die übertragende Zurechnung nach § 14 AStG ist, dass die Obergesellschaft an der Untergesellschaft unmittelbar beteiligt ist und beide Gesellschaften gem. § 7 AStG inländerbeherrscht sind. An der Obergesellschaft müssen nicht dieselben inländischen Steuerpflichtigen beteiligt sein wie an der Untergesellschaft. Liegen Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter vor, erfolgt die übertragende Zurechnung bereits ab einer Beteiligungshöhe von 1 %.

Mit Einführung des Korb-II-Gesetzes wurden die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 AStG verschärft. Eine Zurechnung gilt nicht, wenn die passiven Einkünfte den aktiven Einkünften einer höherstufigen Gesellschaft dienen. Das „Dienen“ muss nun derart sein, dass die passive Tätigkeit in „unmittelbarem Zusammenhang“ mit der aktiven Tätigkeit der Obergesellschaft steht. Ausgenommen von der Zurechnung sind Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter gem. § 7 Abs. 6a AStG wie z.B. Zinseinkünfte aus der Anlage liquider Mittel. Der Zurechnung unterliegen nur niedrig besteuerte Einkünfte der ausländischen Gesellschaft. Den Tatbestand der niedrigen Besteuerung normiert § 8 Abs. 3 AStG. Ob eine Niedrigbesteuerung vorliegt, ist für jede Untergesellschaft gesondert zu überprüfen. Es kann vorkommen, dass beispielsweise nur die Einkünfte der Untergesellschaft niedrig besteuert wurden, die Einkünfte der Obergesellschaft dagegen mit einem normalen Steuersatz. In diesem Fall werden die Zwischeneinkünfte der Untergesellschaft gem. § 14 AStG der Obergesellschaft zugerechnet. Da die Obergesellschaft keine eigenen Zwischeneinkünfte hat, entspricht der Hinzurechnungsbetrag der Obergesellschaft genau den ihr zugerechneten Zwischeneinkünften der Untergesellschaft. Unerheblich ist gem. BFH-Urteil vom 09. Juli 2003, ob die ausländische Gesellschaft tatsächlich besteuert worden ist, sondern wie sie hätte besteuert werden müssen.628

628

BFH v. 09.07.2003, I-R-82/01, BStBl. II 2004, S. 4.

444

Nachgeschaltete Zwischengesellschaften – § 14 AStG

Merke: Unter „übertragender Zurechnung“ versteht man die Zurechnung der Zwischeneinkünfte von Untergesellschaften auf Obergesellschaften; unter „Hinzurechnung“ die Zurechnung der Zwischeneinkünfte von Obergesellschaften auf unbeschränkt Steuerpflichtige.

Voraussetzungen für die übertragende Zurechnung sind: 9 unmittelbare Beteiligung der Obergesellschaft an der Untergesellschaft, 9 Inländerbeherrschung beider Gesellschaften, 9 niedrig besteuerte Einkünfte der Untergesellschaft. Für jede Untergesellschaft ist die Freigrenze des § 9 AStG gesondert zu prüfen. Für den unbeschränkt Steuerpflichtigen sind alle unmittelbar und über § 14 AStG in die Hinzurechnung gelangenden Zwischeneinkünfte zusammenzurechnen. Nur wenn der Gesamtbetrag 62.000 € nicht übersteigt, kommt die Hinzurechnungsbesteuerung nicht zur Anwendung. Die Einkünfte der Untergesellschaft, die der Zurechnung unterliegen, sind nach § 10 AStG zu ermitteln. Dabei ist für jede Untergesellschaft der Gewinn unabhängig zu ermitteln. Die zu Lasten der Untergesellschaft erhobenen Steuern i.S.d. § 10 Abs. 1 AStG sind abzuziehen. § 10 Abs. 1 Satz 3 AStG ist bei der Zurechnung nicht anzuwenden.629 Negative und positive Zwischeneinkünfte von Untergesellschaft und Obergesellschaft werden gegeneinander verrechnet. Ein Verlustvor- oder -rücktrag i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG i.V.m. § 10d EStG ist möglich. Allerdings dürfen sich Verluste nur einmal auswirken. Nimmt die Untergesellschaft einen Verlustvortrag i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG i.V.m. § 10d EStG vor, kann der gleiche Verlust im Verlustjahr nicht mit positiven Zwischeneinkünften der Obergesellschaft verrechnet werden. Die Vorschriften des § 14 Abs. 1 AStG sind entsprechend anzuwenden, wenn einer Untergesellschaft weitere ausländische Untergesellschaften nachgeschaltet sind. Das bedeutet, dass der jeweils vorgeschalteten Gesellschaft die Zwischeneinkünfte entsprechend der Beteiligung zugerechnet werden. Somit erhöhen sich die Zwischeneinkünfte der vorgeschalteten Gesellschaft. Bei der Obergesellschaft werden die zugerechneten Zwischeneinkünfte der nachgeschalteten Untergesellschaften zusammen mit den eigenen Zwischeneinkünften im Hinzurechnungsbetrag erfasst. Dieser Hinzurechnungsbetrag wird nach § 10 Abs. 2 AStG dem inländischen Steuerpflichtigen nach Ablauf des maßgeblichen Wirtschaftsjahres zugerechnet.

629

Vgl. BFH v. 20.04.1988, I-R-41/82, BStBl. II 1988, S. 868.

Mitwirkungspflicht und Sachverhaltsaufklärung – § 16-17 AStG

445

7 Mitwirkungspflicht und Sachverhaltsaufklärung – § 16-17 AStG Die Prüfung von Auslandsbeziehungen ist für deutsche Steuerbehörden nicht problemlos möglich, da sie im Ausland selbst grundsätzlich keine Sachverhaltsermittlungen durchführen dürfen. Aus diesem Grund sieht die Abgabenordnung für den Steuerpflichtigen die Mitwirkungspflicht bei Auslandsgeschäften und die Anzeigepflicht über Auslandsbeziehungen vor (§§ 90 Abs. 2, 138 Abs. 2 AO). Diese Vorschriften werden durch die §§ 16 und 17 AStG ergänzt; dem Steuerpflichtigen werden dadurch erhöhte Mitwirkungspflichten auferlegt.

7.1 Mitwirkungspflicht § 16 AStG bestimmt eine umfassende Offenlegungspflicht des Steuerpflichtigen bei Geschäftsbeziehungen zu nicht oder nur unwesentlich besteuerten Personen im Ausland. Dadurch wird die Benennungspflicht nach § 160 AO erweitert. § 160 AO sieht vor, dass Schulden, Lasten, Betriebsausgaben und Werbungskosten steuerlich nicht zu berücksichtigen sind, wenn der Steuerpflichtige auf Verlangen der Finanzbehörde die Gläubiger oder Empfänger nicht genau benennt. Durch § 16 AStG wird diese Regelung verschärft. Der Steuerpflichtige muss demnach von vornherein die Gläubiger und Empfänger benennen, nicht erst auf Verlangen der Finanzbehörde. Voraussetzung für die Mitwirkungspflicht i.S.d. § 16 AStG ist, dass eine Geschäftsbeziehung zu einer ausländischen Person besteht, die mit ihren Einkünften aus dieser Geschäftsbeziehung nicht oder nur unwesentlich besteuert wird. „Person“ i.S.d. § 16 AStG ist jede natürliche oder juristische Person einschließlich Personengesellschaften. Was unter einer unwesentlichen Besteuerung zu verstehen ist, definiert § 16 AStG nicht. Die Finanzverwaltung legt den Begriff der unwesentlichen Besteuerung im Sinne der niedrigen Besteuerung nach § 8 Abs. 3 AStG aus, d.h. eine unwesentliche Besteuerung liegt vor, wenn ein Steuersatz von weniger als 25 % gegeben ist. Diese Ansicht ist allerdings in der Literatur stark umstritten.630 Der Steuerpflichtige ist seiner Mitwirkungspflicht erst dann nachgekommen, wenn er alle Beziehungen, die zu der ausländischen Person bestehen oder bestanden haben, offengelegt hat. Er muss alle für ihn bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten ausschöpfen631 und außerdem im Rahmen der ihm obliegenden Beweisvorsorgepflicht Beweismittel schaffen, beschaffen und sichern.632 Erfüllt der Steuerpflichtige seine Offenle630

Vgl. Flick, H./ Wassermeyer, F./ Baumhoff, H., Außensteuerrecht: Kommentar, Köln 1999, § 16 AStG, Rz. 25.

631

Vgl. BFH v. 13.03.1985, I-R-7/81, BStBl. II 1986, S. 318.

632

Vgl. BFH v. 16.04.1980, I-R-75/78, BStBl. II 1981, S. 492.

446

Sachverhaltsaufklärung

gungspflicht nicht, ist die steuerliche Berücksichtigung von Schulden, Lasten, Betriebsausgaben oder Werbungskosten nicht möglich. Auf Verlangen der Finanzbehörde kann der Steuerpflichtige seine Offenlegungspflicht dadurch erfüllen, dass er gem. § 95 AO eine eidesstattliche Versicherung darüber abgibt, dass er nicht oder nur in begrenztem Umfang in der Lage ist, Tatsachen offen zu legen, sowie darüber, dass seine Angaben über bestimmte Tatsachen richtig und vollständig sind. Es soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass durch das StVergAbG die Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten für den Steuerpflichtigen verschärft wurden: Durch § 90 Abs. 3 AO wurden spezielle Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten in Bezug auf Verrechnungspreise eingeführt. Die Nichteinhaltung der Aufzeichnungspflichten führt zu Sanktionen gem. § 162 Abs. 3 und 4 AO. Merke: § 16 AStG stellt eine Ergänzung zu den allgemeinen abgabenrechtlichen Vorschriften dar und ist somit nicht nur in Bezug auf das AStG anzuwenden.

7.2 Sachverhaltsaufklärung Im Gegensatz zu § 16 AStG ist § 17 AStG eine spezielle Vorschrift zur Anwendung der §§ 5 und 7-15 AStG. § 17 AStG verpflichtet betroffene Steuerpflichtige, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Dazu gehören vor allem die Offenlegung von Geschäftsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der ausländischen Gesellschaft sowie die Vorlage von sachdienlichen Unterlagen, vor allem von Bilanzen und Erfolgsrechnungen der ausländischen Gesellschaft. Auf Verlangen der Finanzbehörde müssen die Unterlagen mit dem im Ausland vorgeschriebenen oder üblichen Prüfungsvermerk einer anerkannten Wirtschaftsprüfungsstelle oder einer vergleichbaren Stelle versehen sein. Die betroffenen Steuerpflichtigen können sich nicht darauf berufen, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen können, wenn sie sich nach Lage des Falls die Möglichkeit dazu hätten verschaffen oder einräumen lassen können. Kommt ein Steuerpflichtiger seiner Mitwirkungspflicht nicht oder nicht vollständig nach, sind nach § 17 Abs. 2 AStG die Zwischengesellschaftseinkünfte der ausländischen Gesellschaft gem. § 162 AO zu schätzen. Gibt es keine geeigneten Anhaltspunkte für eine Schätzung, werden die Einkünfte mit mindestens 20 % des gemeinen Werts der von dem betroffenen Steuerpflichtigen gehaltenen Anteile angesetzt.

Bestimmungen über die Anwendung von DBA – § 20 AStG

447

8 Bestimmungen über die Anwendung von DBA – § 20 AStG § 20 AStG wurde durch das Steueränderungsgesetz 1992633 eingeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis der Hinzurechnungsbesteuerung zu den DBA umstritten. Mit § 20 Abs. 1 AStG hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, in der klargestellt wird, dass §§ 7-18 AStG und § 20 Abs. 2 AStG durch DBA nicht berührt werden. Dies bedeutet, dass die Hinzurechnungsbesteuerung durch DBA-Regelungen nicht eingeschränkt wird (treaty override). § 20 Abs. 2 AStG schließt eine Umgehung der Hinzurechnungsbesteuerung durch die Gründung einer Betriebsstätte anstelle einer Kapitalgesellschaft aus. Eine Umgehung wäre möglich, da die Einkünfte einer Betriebsstätte, die sich in einem Land mit dem ein DBA besteht befindet, grundsätzlich von der inländischen Besteuerung befreit werden (Betriebsstättenprinzip Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 OECD-MA) und die Hinzurechnungsbesteuerung nur bei Kapitalgesellschaften Anwendung findet. Um dies zu vermeiden, stellt § 20 Abs. 2 AStG ausländische Betriebsstätten einer ausländischen Kapitalgesellschaft gleich. Erfüllt eine ausländische Betriebsstätte alle Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung, so wird sie fiktiv wie eine Kapitalgesellschaft behandelt. Die Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung treten so auch bei einer ausländischen Betriebstätte in Kraft. Der DBASchutz in Form der Anwendung der Freistellungsmethode, der eigentlich für ausländische Betriebsstättengewinne gilt, entfällt. Es ist nur noch die Anrechnungsmethode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anwendbar (Erweiterung der sog. switch-over-Klausel).

633

Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 – StÄndG 1992) v. 12.03.1992, BGBl. I 1992, S. 297 ff.

448

Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags

Kapitel VII: Die steuerrechtlichen Verfahren des EuGH zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrags 1 Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags 1.1 Einführung Die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes innerhalb der Europäischen Union ist die Grundvoraussetzung für die Erreichung der in Art. 2 EG-Vertrag (EG)634 formulierten Ziele. Die Prinzipien von Marktfreiheit und -gleichheit sowie freiem Wettbewerb sind hierbei elementar. Zur Herbeiführung bzw. zur Einhaltung dieser Prinzipien haben die EUMitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zu treffen. Diese politisch, ökonomisch und rechtlich komplexen Prozesse führen zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten, mit denen sich der EuGH befasst hat und weiterhin befassen wird. Insbesondere die Rechtsprechung des EuGH zu den sog. Grundfreiheiten des EG-Vertrags hat vielfach erhebliche Auswirkungen auf bestehende Gesetze der EU-Mitgliedstaaten.635 Einen Überblick über die Grundfreiheiten gibt die folgende Abbildung. Warenverkehrsund Dienstleistungsfreiheit können unter dem übergeordneten Begriff der sog. Produktverkehrsfreiheiten zusammengefasst werden, Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit als „Freizügigkeiten der Personen“ (sog. Personenverkehrsfreiheiten).

634

Vgl. Konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 25.03.1957, (ABl. C 325 v. 24.12.2002).

635

Vgl. Lang, M., Steuerharmonisierung: Motor in der EU stottert, Die Presse 2005, S. 6; Schaumburg, H., Außensteuerrecht und europäische Grundfreiheiten, DB 2005, S. 1129.

Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags

449

Grundfreiheiten des EG-Vertrags

Arbeitnehmerfreizügigkeit

Niederlassungsfreiheit

Personenverkehrsfreiheiten Kapitalverkehrsfreiheit

Dienstleistungsfreiheit

Warenverkehrsfreiheit

Produktverkehrsfreiheiten

Abbildung 131: Grundfreiheiten des EG-Vertrags

1.2 Warenverkehrsfreiheit – Art. 23 ff. EG Ziel dieser Grundfreiheit ist ein freier Warenverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Ein- und Ausfuhrzölle (oder in der Wirkung ähnliche Abgaben) zwischen den Staaten der EU sind genau so wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen (oder in der Wirkung ähnliche Maßnahmen) verboten. Es dürfen keinerlei Maßnahmen getroffen werden, die grenzüberschreitenden gegenüber rein inländischem Warenverkehr benachteiligen.

1.3 Arbeitnehmerfreizügigkeit – Art. 39 ff. EG Die Normierung des Gebots der Gleichbehandlung aller EU-Bürger hinsichtlich Beschäftigung, Entlohnung und sonstiger Arbeitsbedingungen schützt die Mobilität abhängig Beschäftigter innerhalb der Gemeinschaft grundsätzlich. Vergleichsmaßstab für eventuelle Verstöße gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die Behandlung der eigenen Staatsangehörigen durch den jeweiligen EU-Mitgliedstaat unter objektiv gleichen Umständen.

1.4 Niederlassungsfreiheit – Art. 43 ff. EG Die Niederlassungsfreiheit ermöglicht den Unionsbürgern die auf Dauer angelegte Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Tätigkeit innerhalb der EU unabhängig von der Staatsangehörigkeit (sog. unternehmerische Freizügigkeit). Dies gilt neben natürlichen Personen ausdrücklich auch für Gesellschaften, insbesondere Kapitalgesellschaften mit

450

Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags

eigener Rechtspersönlichkeit. Die Schutzwirkung dieser Grundfreiheit erstreckt sich dabei auf zwei Ebenen: 1.

2.

Neu gegründete Wirtschaftsaktivitäten in anderen Mitgliedstaaten unabhängig davon, ob in der Form einer Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur;636 die Ebene der jeweiligen Muttergesellschaft bzw. des Stammhauses637.

1.5 Dienstleistungsfreiheit – Art. 49 ff. EG Die Dienstleistungsfreiheit schützt die vorübergehende Erbringung von (gewerblichen, kaufmännischen, handwerklichen oder freiberuflichen) entgeltlichen Dienstleistungen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ohne dauerhafte Niederlassung. Es geht hierbei ausschließlich um kurzfristige und auftragsspezifische Leistungserbringungen. Ausdrücklich wird auch der Empfänger der Dienstleistung geschützt (sog. Verbraucherfreiheit).

1.6 Kapitalverkehrsfreiheit – Art. 56 ff. EG Die Kapitalverkehrsfreiheit ermöglicht den EU-Mitgliedstaaten reibungslosen grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr, sowie Transfer von Geld- und Sachkapital (z.B. Investitionen, Finanzdienstleistungen, Zugang von Wertpapieren zum Kapitalmarkt) untereinander und in Drittländer durch ein grundsätzliches Verbot jeglicher diesbezüglicher Beschränkungen.

Merke: Die EU will mit den im EG-Vertrag normierten Grundfreiheiten Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verhindern. In bedeutenden steuerrechtlichen Urteilen hat der EuGH die Grundfreiheiten im Sinne dieses Ziels gewahrt.

1.7 Schutzgehalt der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten sind entsprechend ständiger Rechtsprechung des EuGH unmittelbar anwendbares Recht, wodurch die Bürger der EU direkt berechtigt und verpflichtet werden. Kollidieren nationale und EU-Regelungen, besteht ein Anwendungsvorrang des Gemein-

636

Vgl. Rs. SAINT GOBAIN, EuGH v. 21.09.1999, C-307/97, Slg. 1999, I-6161; Rs. X UND Y, EuGH v. 21.11.2002, C-436/00, Slg. 2002, I-10829.

637

Vgl. Rs. X AB UND Y AB, EuGH v. 18.11.1999, C-200/98, Slg. 1999, I-8261; Rs. AMID, EuGH v. 14.12.2000, C-141/99, Slg. 2000, I-11619.

Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags

451

schaftsrechts gegenüber nationalem Recht.638 Dies bedeutet keinen Geltungsvorrang der EU-Regelungen, da das nationale Recht weiterhin für innerstaatliche Sachverhalte und gegenüber Nicht-Unionsbürgern (Drittstaaten) anzuwenden ist. Merke: Rein innerstaatliche Sachverhalte werden durch die Regelungen des EGVertrags nicht berührt. Voraussetzung für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist also ein Sachverhalt, der die Grenzen von EU-Mitgliedstaaten überschreitet. Ein allgemeines Diskriminierungsverbot wird durch Art. 12 EG normiert, wonach jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Grundsatz verboten ist. Die Grundfreiheiten sind spezielle Diskriminierungsverbote, welche Art. 12 EG konkretisieren. Zwischen dem allgemeinen Diskriminierungsverbot und den speziellen Diskriminierungsverboten besteht ein Ausschließlichkeitsverhältnis, so dass innerhalb des Schutzbereiches einer Grundfreiheit das allgemeine Diskriminierungsverbot subsidiär anzuwenden ist. Grundsätzlich wird der Schutzgehalt der Grundfreiheiten durch Diskriminierungsverbot und Verbot der Beschränkung von Grundfreiheiten gewahrt.639 Das sog. offene Diskriminierungsverbot knüpft an das Tatbestandsmerkmal der Staatsangehörigkeit an. Nationale Regelungen, die Ungleichbehandlungen von Unionsbürgern anderer EU-Mitgliedstaaten gegenüber Inländern allein wegen der Nationalität verursachen, sind grundsätzlich unzulässig. Auch sog. versteckte Diskriminierung ist prinzipiell verboten.640 Hierunter versteht man die Differenzierung nach scheinbar neutralen Kriterien wie z.B. der Ansässigkeit, wobei im Ergebnis Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten schlechter gestellt sind als Inländer. Darüber hinaus verbietet das sog. Beschränkungsverbot (Art. 14 Abs. 2 EG) im Grundsatz auch alle nicht diskriminierenden Beschränkungen, d.h. Maßnahmen die bspw. zusätzliche Kosten verursachen, wodurch die Inanspruchnahme von Grundfreiheiten weniger attraktiv wird.

638

Vgl. Rs. COSTA/E.N.E.L., EuGH v. 15.07.1964, 6/64, Slg. 1964, 1251; Rs. INTERNATIONALE HANDELSGESELLSCHAFT, EuGH v. 17.12.1970, 11/70, Slg. 1970, 1125; Rs. SIMMENTHAL, EuGH v. 09.03.1978, 106/77, Slg. 1978, 629.

639

Vgl. Kluth, W., in: Calliess, C./ Ruffert, M. (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl., Neuwied/Kriftel 2002, Art. 18 EGV, Rz. 5.

640

Vgl. Rs. SOTGIU, EuGH v. 12.02.1974, 152/73, Slg. 1974, 153; Rs. BIEHL, EuGH v. 08.05.1990, 175/88, Slg. 1990, I-1789.

452

Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags

der Grundfreiheiten

Diskriminierungsverbot offen Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit

Beschränkungsverbot

versteckt Diskriminierung ohne ausdrückliche Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit (z.B. Ansässigkeit als Differenzkriterium im Steuerrecht)

Sämtliche Maßnahmen, die die Inanspruchnahme der Grundfreiheiten behindern oder weniger attraktiv machen

Beispiel

Abbildung 132: Schutzgehalt der Grundfreiheiten Versteckte Diskriminierung (Rs. BIEHL – EuGH v. 08.05.1992, 157/88) Der deutsche Staatsbürger Biehl verlegte seinen Wohnsitz (nach elf Jahren) im November 1983 von Luxemburg zurück nach Deutschland. In Luxemburg erzielte er zuvor Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, wobei für das Steuerjahr 1983 zuviel ESt einbehalten wurde. Biehls Erstattungsantrag wurde von den luxemburgischen Steuerbehörden abgelehnt. Begründung: Er war nicht das komplette Jahr 1983 in Luxemburg ansässig. Der EuGH gab Biehl Recht. Die Verwehrung der Erstattung verstößt gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 39 (ex-Art. 48) EG. Im vorliegenden Sachverhalt wurde Biehl anhand des Kriteriums der Ansässigkeit ungleich behandelt (versteckte Diskriminierung).

1.8 Rechtfertigungen für Diskriminierung und Beschränkung der Grundfreiheiten Eine Einschränkung der Grundfreiheiten ist insbesondere im Steuerrecht immer dann gegeben, wenn nationale Regelungen eines EU-Mitgliedstaats Personen die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind formell oder materiell benachteiligen.641 Allerdings kann eine Ungleichbehandlung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein, ohne gegen Gemeinschaftsrecht zu verstoßen. Es kommen einerseits offene Diskriminierungen, andererseits versteckte Diskriminierungen oder Beschränkungen in Betracht, sofern sie ein Ziel verfol641

Vgl. Frotscher, G., Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., München 2005, S. 42.

Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags

453

gen, das mit dem EG-Vertrag vereinbar ist. Bezüglich offener Diskriminierungen spricht man von sog. geschriebenen Rechtfertigungsgründen, bei versteckten Diskriminierungen und Beschränkungen von „ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen“. Erstere spielen im Steuerrecht so gut wie keine Rolle. Letztere betreffen zwingende Gründe des Allgemeinwohls,642 wobei sich in der EuGH-Rechtsprechung einige konkretisierende Gründe herauskristallisiert haben: x x

x x

Steuerumgehende Gestaltungen643 im Falle rein künstlicher Konstruktionen644; die Kohärenz des Steuersystems645; nach dieser ist zwischen der Gewährung einer steuerlichen Vergünstigung und dem Ausgleich dieser Vergünstigung durch eine Steuererhebung – beim selben Steuersubjekt und betreffend des selben Steuersachverhalts – ein systematischer Zusammenhang zu berücksichtigen;646 die Wirksamkeit der (grenzüberschreitenden) Steueraufsicht647; das Territorialitätsprinzip648 (= Prinzip, nachdem jeder Staat auf eigenem Territorium hoheitlich agieren kann).

Merke: Der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz des Steuersystems schützt eine nationale Gesamtregelungssystematik, nach der mehrere steuerrechtliche Bestimmungen miteinander korrespondieren und gemeinsam eine mit Europarecht vereinbare Regelung darstellen. Der EuGH ließ diesen Rechtfertigungsgrund für eine Einschränkung von Grundfreiheiten bisher nur in zwei Rechtssachen greifen.649

642

Vgl. Rs. GEBHARD, EuGH v. 30.11.1995, C-55/94, Slg. 1995, I-4165.

643

Vgl. Rs. AVOIR FISCAL, EuGH v. 28.01.1986, C-270/83, Slg. 1986, 285.

644

Vgl. Rs. ICI, EuGH v. 16.07.1998, C-264/96, Slg. 1998, I-4711.

645

Vgl. Rs. BACHMANN, EuGH v. 28.01.1992, C-204/90, Slg. 1992, I-276 (hier wurde der Begriff der Kohärenz erstmals als möglicher Rechtfertigungsgrund vom EuGH genannt); Rs. GEBHARD, EuGH v. 30.11.1995, C-55/94, Slg. 1995, I-4165.

646

Vgl. Rs. EUROWINGS, EuGH v. 26.10.1999, C-294/97, Slg. 1999, I-7463.

647

Vgl. Rs. REWE, EuGH v. 29.02.1979, 120/78, Slg. 1979, 649. Zuvor muss lt. EuGH (Rs. BACHMANN, EuGH v. 28.01.1992, C-204/90, Slg. 1992, I-276) der jeweilige EU-Mitgliedstaat alle Möglichkeiten der sog. EG-Amtshilferichtlinie ausschöpfen – Richtlinie 77/799/EWG des Rates der EG vom 19.12.1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15-20), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/56/EG des Rates der EU v. 21.04.2004 (ABl. L 127, S. 70 f.).

648

Vgl. Rs. FUTURA PARTICIPATIONS, EuGH v. 15.05.1997, C-250/95, Slg. 1997, I-2492.

649

Vgl. Rs. BACHMANN, EuGH v. 28.01.1992, C-204/90, Slg. 1992, I-276; Rs. GEBHARD, EuGH v. 30.11.1995, C-55/94, Slg. 1995, I-4165.

Beispiel

454

Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags Kohärenz (Rs. BACHMANN – EuGH v. 28.01.1992, C-204/90) Der deutsche Staatsbürger Bachmann verlegte seinen Wohnsitz nach Belgien, um dort einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen. In Deutschland zahlte er Beiträge für eine noch zuvor abgeschlossene Lebensversicherung. Die Steuerbehörden in Belgien versagten ihm einen Abzug der Versicherungsprämien bei der dortigen EStVeranlagung, da dieser nach belgischem Recht nur möglich ist, wenn die Versorgungsprämien in Belgien besteuert werden können (sog. nachgelagerte Besteuerung). Im Sachverhalt besteht ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit von Versicherungsprämien und der Besteuerung der Versorgungsprämien. Bei einer Rückverlegung von Bachmanns Wohnsitz nach Deutschland wäre die nachgelagerte Besteuerung nicht sichergestellt. Demzufolge ließ der EuGH in diesem Fall die Kohärenz des belgischen Steuersystems als Rechtfertigungsgrund für eine Einschränkung von Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit zu.

Die Auslegung der Rechtfertigungsgründe durch den EuGH ist sehr eng und erfolgt gemäß bestimmter Prüfungskriterien. Die Ungleichbehandlung muss x Situationen betreffen, die objektiv miteinander vergleichbar sind; x ein berechtigtes und mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel betreffen, das aufgrund zwingender Gründe des Allgemeininteresses zu rechtfertigen ist; x dem in Art. 5 EG manifestierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit: • • • • •

Art. 30 EG Art. 39 Abs. 3 EG Art. 46 EG Art. 55 i.V.m. Art. 46 EG Art. 58 EG

„geschriebene“

Versteckte Diskriminierung bzw. Beschränkung: • Zwingende Gründe des Allgemeininteresses -

Verhinderung der Steuerumgehung Kohärenz des Steuersystems Wirksamkeit der Steueraufsicht Territorialitätsgrundsatz

• unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

Rechtfertigungsgründe

„ungeschriebene“

- Wahl der mildesten Maßnahme, die die Zielerreichung noch ermöglicht - Eingriffsbeschränkung vs. Nutzen durch Schutz des Gemeinwohls

Abbildung 133: Geschriebene und ungeschriebene Rechtfertigungsgründe

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

455

Laut ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine Einschränkung von Grundfreiheiten nicht zu rechtfertigen, wenn x ein EU-Mitgliedstaat Steuermindereinnahmen vermeiden will, indem er Inländern das Ausnutzen von Steuervorteilen in anderen Ländern durch Regelungen wie bspw. zu Wegzugs- und Hinzurechnungsbesteuerung verwehrt;650 x lediglich die Rechtsvorschriften in der EU nicht harmonisiert sind;651 x ein EU-Mitgliedstaat steuerliche Vorteile ausgleichen will (steuerliche Besserstellung von EU-Ausländern in anderen Bereichen zum Ausgleich steuerlicher Nachteile gegenüber Inländern in einem Bereich);652 x die Ungleichbehandlung auf einem DBA beruht;653 x EU-Mitgliedstaaten rein wirtschaftliche Ziele wie z.B. Wirtschaftsförderung durch das Schaffen von Investitionsanreizen verfolgen.654 Merke: Diskriminierungen und Beschränkungen der Grundfreiheiten können in Einzelfällen durch geschriebene und ungeschriebene Gründe gerechtfertigt sein. Der EuGH trifft in seinen diesbezüglichen Verfahren sehr enge Auslegungen und geht gemäß fester Prüfungskriterien vor. In ständiger Rechtsprechung hat sich vor allem eine Reihe von Tatbeständen herauskristallisiert, die keine Rechtfertigungsgründe darstellen.

2 Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht Im Folgenden werden die wichtigsten Rechtssachen des EuGH zum Internationalen Steuerrecht überblickartig dargestellt. Bei Verfahren bzw. Urteilsbildung stehen mögliche Verstöße gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags im Mittelpunkt. Wesentliche nationale Steuervorschriften der EU-Mitgliedstaaten wurden vom EuGH für europarechtswidrig befunden.655 Der EuGH hat in den bedeutendsten steuerrechtlichen Verfahren zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrags deren Schutzgehalt stets gewahrt. 650

Vgl. Rs. ICI, EuGH v. 16.07.1998, C-264/96, Slg. 1998, I-4695.

651

Vgl. Rs. AVOIR FISCAL, EuGH v. 28.01.1986, C-270/83, Slg. 1986, 285.

652

Vgl. Rs. AVOIR FISCAL, EuGH v. 28.01.1986, C-270/83, Slg. 1986, 285.

653

Vgl. Rs. AVOIR FISCAL, EuGH v. 28.01.1986, C-270/83, Slg. 1986, 285.

654

Vgl. Rs. DECKER, EuGH v. 28.04.1998, C-120/95, Slg. 1998, I-1831; Rs. VERKOOIJEN, EuGH v. 06.06.2000, C-35/98, Slg. 2000, I-4113.

655

Vgl. Lang, M., Steuerharmonisierung: Motor in der EU stottert, Die Presse 2005, S. 6.

456

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

Rs. SCHUMACKER – EuGH v. 14.02.1995, C-279/93 Verstoß:

Arbeitnehmerfreizügigkeit

Bezug in Deutschland:

beschränkte und unbeschränkte Steuerpflicht

Sachverhalt Der belgische Staatsbürger Schumacker (wohnhaft in Belgien, verh.) pendelte arbeitstäglich nach Deutschland ein, um einer nicht selbständigen Tätigkeit nachzugehen (woraus er seine einzigen Einkünfte bezog). Er war somit in Belgien unbeschränkt, in Deutschland beschränkt steuerpflichtig. Demnach waren persönliche Aspekte (Existenzminimum, Freibeträge, Sonderausgaben etc.) in Deutschland und Belgien nicht berücksichtigungsfähig, und er unterlag in der Steuerklasse I dem vereinfachten Besteuerungsverfahren (LSt-Abzug mit Abgeltungswirkung) ohne LSt-Jahresausgleich. Schumacker beantragte beim Finanzamt, ihn aus Billigkeitsgründen nach dem Splittingtarif (Steuerklasse III) zu besteuern und ihm den LSt-Jahresausgleich zu gewähren, was ihm verwehrt wurde.

Urteil Der EuGH gab Schumacker Recht und forderte Deutschland auf, ihm alle Vorteile der unbeschränkten Steuerpflicht zu gewähren, da er als Angehöriger eines anderen EUMitgliedstaats bei der Erhebung der deutschen ESt nicht schlechter als deutsche Staatsbürger gestellt sein darf. Andere Modalitäten verstoßen gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 (ex-Art. 48) EG.

Auswirkungen in Deutschland Der deutsche Gesetzgeber fügte § 1 Abs. 3 neu in das EStG ein. Beschränkt Steuerpflichtige gleich welcher Nationalität, die dessen Tatbestandsmerkmale (90-%-Klausel, 6.136-€Grenze, kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland) erfüllen, werden auf Antrag als in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Dadurch sind im Wesentlichen alle persönlichen Aspekte genau so wie bei Inländern berücksichtigungsfähig. Um auch jene Begünstigungen für Verheiratete zu erhalten, für die das EStG die unbeschränkte Steuerpflicht beider Ehepartner vorsieht (Splittingtarif und Realsplitting), wurde § 1a EStG neu eingefügt, der sich auf EU-Staatsangehörige beschränkt.

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

457

Rs. FUTURA PARTICIPATIONS – EuGH v. 15.05.1997, C-250/97 Verstoß:

Niederlassungsfreiheit

Bezug in Deutschland:

Verlustverrechnung und Buchführungsvorschriften

Sachverhalt Die französische Futura Participations SA (Aktiengesellschaft) hatte eine Zweigniederlassung (Singer) in Luxemburg. Die Gewinnaufteilung auf die beiden Unternehmensbereiche erfolgte entsprechend der jeweils erzielten Umsatzhöhe. Von 1981-1985 erwirtschaftete Singer erhebliche Verluste, die Futura Particpiations mit dem Singer-Gewinn aus 1986 verrechnen wollte. Dies wurde durch die Steuerbehörden in Luxemburg versagt, da die Verluste nicht nach luxemburgischem Recht ermittelt wurden und die relevante Buchhaltung nicht in Luxemburg erstellt und aufbewahrt wurde.

Urteil Der EuGH gab Futura Participations insofern Recht, als die Führung und Aufbewahrung der Bücher in Luxemburg nicht einer Verlustverrechnung vorausgesetzt werden können. Diese luxemburgischen Regelungen verstoßen gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 (ex-Art. 52) EG. Die Verlustermittlung nach einschlägigem inländischem Recht kann Luxemburg aber fordern.

Auswirkungen in Deutschland Deutschland zog keine gesetzgeberischen Konsequenzen aus dem Urteil, obwohl § 50 Abs. 1 Satz 2 EStG den luxemburgischen Regelungen vergleichbar ist. Allerdings führt eine Anwendung der R 223a EStR zu dem Urteil entsprechenden Ergebnissen. Der EuGH forderte in der Rs. BIEHL II (EuGH v. 16.10.1995, C-151/94, Slg. 1995, I-3685) jedoch eine Beseitigung von mit dem EG-Vertrag unvereinbaren nationalen Rechtsvorschriften durch Bestimmungen mit derselben rechtlichen Wirkung. Bloße Verwaltungspraxis zur Korrektur des Verstoßes von Gesetzen gegen Europarecht ist demnach nicht ausreichend, weswegen Deutschland eine Gesetzesänderung bewirken muss. Auch die Vorschriften der §§ 146 Abs. 2 Satz 1, 147 AO, wonach Steuerpflichtige ihre Bücher im Inland führen und aufbewahren müssen, würden einer europarechtlichen Überprüfung möglicherweise nicht standhalten.

458

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

Rs. EUROWINGS – EuGH v. 26.10.1999, C-294/97 Verstoß:

Dienstleistungsfreiheit

Bezug in Deutschland:

Gewerbesteuerliche Hinzurechnungsvorschriften

Sachverhalt Die deutsche Fluglinie Eurowings leaste von einer irischen Kapitalgesellschaft ein Flugzeug. Bei der GewSt-Festsetzung rechnete das Finanzamt die Hälfte der Mietzahlungen dem Gewerbeertrag von Eurowings hinzu, da sie bei der irischen Gesellschaft keiner GewSt unterlagen (und auch die sonstigen Tatbestandsmerkmale des § 8 Nr. 7 GewStG erfüllt waren). Eurowings klagte gegen die Hinzurechnung.

Urteil Der EuGH gab Eurowings Recht. Die Regelungen des § 8 Nr. 7 GewStG verstoßen gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 (ex-Art. 59) und 50 (ex-Art. 60) EG, welche auch für die Leasingnehmerin Eurowings gilt (nicht nur für den Dienstleistenden selbst). Steuervorteile aus niedrigerer Steuerbelastung in einem anderen EU-Mitgliedstaat dürfen nicht durch nationale Regelungen konterkariert werden.

Auswirkungen in Deutschland § 8 Nr. 7 GewStG wurde bis heute nicht entsprechend dem EuGH-Urteil geändert. Stattdessen wurde ein Steuererlass veröffentlicht (BMF v. 26.04.2000, BStBl. I 2000, S. 486, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 450, § 8/6), nach dem eine gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen, welche an in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässige Vermieter, Verpächter oder Leasinggeber gezahlt werden und dort keiner GewSt unterliegen, unterbleibt.

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

459

Rs. LANKHORST-HOHORST – EuGH v. 12.12.2002, C-324/00 Verstoß:

Niederlassungsfreiheit

Bezug in Deutschland:

Finanzierung durch Gesellschafter-Darlehen („thin capitalization rules“)

Sachverhalt Die Lankhorst-Hohorst GmbH (Sitz: Deutschland) war zu 100 % in Besitz der niederländischen Lankhorst-Hohorst BV (LH) die wiederum zu 100 % in Besitz der niederländischen Lankhorst Taselaar BV (LT; Muttergesellschaft) war. Die LT gewährte der GmbH ein (Gesellschafter-)Darlehen (3.000.000 DM zum Zwecke der Zurückführung eines Bankdarlehens), welches sie wegen einer Überschuldung der LH und Mangel an Sicherheiten von Dritten nicht erhalten hätte. Die Zinszahlungen aus dem Darlehen wurden bei der GmbH als vGA (§ 8a KStG) qualifiziert und entsprechend besteuert, wogegen die GmbH klagte.

Urteil Der EuGH gab der Lankhorst-Hohorst GmbH Recht. Die Regelungen des damaligen § 8a KStG verstießen gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 (ex-Art. 52) EG, da die Qualifizierung der Darlehenszahlungen als vGA ausschließlich wegen des ausländischen Sitzes der finanzierenden Kapitalgesellschaft erfolgte. Bei einer inländischen (deutschen) Muttergesellschaft als Darlehensgeber und sonst identischem Sachverhalt hätte keine Umqualifizierung stattgefunden.

Auswirkungen in Deutschland Im geänderten § 8a KStG gelten die Regelungen zum zulässigen Fremdfinanzierungsrahmen („safe haven“) für unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften in gleicher Weise. Steuerin- und -ausländer werden somit gleich (schlecht) behandelt.

460

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

Rs. GERRITSE – EuGH v. 12.06.2003 , C-234/01 Verstoß:

Dienstleistungsfreiheit

Bezug in Deutschland:

Definitive Bruttobesteuerung und Betriebsausgabenabzug bei beschränkt Steuerpflichtigen

Sachverhalt Der niederländische Staatsbürger Gerritse, wohnhaft in den Niederlanden, trat 1996 bei einem Radiosender in Deutschland gegen ein Honorar von 6.000 DM als Schlagzeuger auf. Dies verursachte Gerritse 1.000 DM Betriebsausgaben. Seine sonstigen Bruttoeinkünfte (in Belgien) betrugen 1996 55.000 DM. Deutschland behielt 1.500 DM Lohnsteuer (pauschal 25 %) ein (beschränkte Steuerpflicht). Gerritse reichte 1998 eine Einkommensteuererklärung beim Finanzamt ein, um eine unbeschränkte Steuerpflicht und so eine Veranlagung in Deutschland zu erreichen. Nur so hätte er seine Betriebsausgaben überhaupt geltend machen können. Das Finanzamt versagte ihm dies aber aufgrund des Überschreitens der gesetzlichen Obergrenze (12.000 DM) an sonstigen Einkünften.

Urteil Der EuGH gab Gerritse Recht. Die deutschen Regelungen, wonach gebietsfremde Angehörige von EU-Mitgliedstaaten der Bruttobesteuerung unterliegen, Gebietsansässige bei gleicher Tätigkeit dahingegen der Nettobesteuerung, verstießen gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 (ex-Art. 59) und 50 (ex-Art. 60) EG. Die Definitivbesteuerung für Gebietsfremde zu einem pauschalen Steuersatz im Wege des Abzugsverfahrens ist allerdings grundsätzlich möglich. Dazu dürfte die so entstehende Gesamtsteuerlast die sich bei denselben Einkünften ergebende Steuerlast von Gebietsansässigen – unter Berücksichtigung von progressivem Tarif und Grundfreibetrag – nicht überschreiten.

Auswirkungen in Deutschland § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 EStG wurde bis heute nicht entsprechend dem EuGH-Urteil geändert. Stattdessen wurde ein Steuererlass veröffentlicht (BMF v. 03.11.2003, BStBl. I 2003, S. 553, Beck’sche Textausgaben Steuererlasse, Nr. 1, § 50a/6), nachdem Deutschland auf Antrag Steuern nun bereits dann erstattet, soweit sie die sich bei Anwendung des deutschen ESt-Tarifs ergebende Steuerlast auf die um den Grundfreibetrag erhöhten Einkünfte übersteigen.

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

461

Rs. DE LASTEYRIE DU SAILLANT – EuGH v. 11.03.2004, C-9/02 Verstoß:

Niederlassungsfreiheit

Bezug in Deutschland:

Wegzugsbesteuerung

Sachverhalt Der Franzose de Lasteyrie du Saillant verlegte seinen Wohnsitz nach Belgien. Er und seine Familie hielten zum Zeitpunkt der Wohnsitzverlegung (oder einem Zeitpunkt der fünf Jahre davor) Wertpapiere einer körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaft in Frankreich, die eine 25 %ige Gewinnbeteiligung verbrieften. Die französischen Finanzbehörden setzten gem. den nationalen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung Steuern auf die in den Wertpapieren enthaltenen stillen Reserven fest, wogegen der Franzose klagte.

Urteil Der EuGH gab de Lasteyrie du Saillant Recht. Die französische Wegzugsbesteuerung verstieß gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 (ex-Art. 52) EG – auch wenn sie der Steuerflucht hätte vorbeugen sollen. Der Steuerpflichtige hätte seinen Wohnsitz aus welchen Gründen auch immer verlagern können und wäre von der Wegzugsbesteuerung erfasst worden.

Auswirkungen in Deutschland § 6 AStG ist europarechtlich bedenklich. Derzeit verhandelt Deutschland mit der Europäischen Kommission über eine Änderung dieser Rechtsnorm hin zu einer gemeinschaftsrechtlich konformen Regelung.

462

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

Rs. MANNINEN – EuGH v. 07.09.2004, C-319/02 Verstoß:

Kapitalverkehrsfreiheit

Bezug in Deutschland:

Umstellung auf klassisches Körperschaftsteuersystem; Änderung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO

Sachverhalt Der finnische Staatsbürger Manninen erhielt Dividenden aus der Beteiligung an einer schwedischen Gesellschaft. Sein Antrag auf Anrechnung der von der schwedischen Gesellschaft gezahlten KSt wurde abgelehnt, da das finnische KStG eine KSt-Gutschrift nur für Dividenden finnischer Gesellschaften vorsah.

Urteil Der EuGH gab Manninen Recht. Eine KSt-Gutschrift auszuschließen, weil die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat als der unbeschränkt steuerpflichtige Empfänger der Dividenden hat, verstößt gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 und Art. 58 EG.

Auswirkungen in Deutschland Für ausländische Dividenden erfolgte in Deutschland im Jahre 2001 der Wechsel vom (mit dem finnischen System vergleichbaren) Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren. Auswirkungen auf Steuerfestsetzungen bis 2001 sind demnach zu erwarten, da die damaligen deutschen Regelungen (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG a.F.) einer Überprüfung auf Konformität zum Gemeinschaftsrecht wohl nicht standhalten werden. Wegen der grundsätzlichen Rückwirkung der EuGH-Urteile müsste Deutschland für den Zeitraum der Gültigkeit des Anrechnungsverfahrens im Ausland gezahlte KSt voll anrechnen. Für offene Veranlagungen ist diese Auswirkung eindeutig, nicht aber für bestandskräftige, da hier die ausländischen KSt-Bescheinigungen erst erteilt werden müssen. Solche nachträglich erteilten Bescheinigungen versucht der deutsche Gesetzgeber – mit der in Reaktion auf das Manninen-Urteil erfolgten Änderung des § 175 Abs. 2 AO – als nicht ausreichend für die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids einzustufen. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Änderung der AO einer Überprüfung auf Europarechtskonformität standhalten wird.

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

463

Rs. MARKS AND SPENCER – EuGH v. 13.12.2005, C 446/03 Verstoß:

Niederlassungsfreiheit

Bezug in Deutschland:

Grenzüberschreitende Verlustverrechnung

Sachverhalt Die britische Konzernmutter Marks & Spencer plc hatte mehrere Verluste erwirtschaftende Tochtergesellschaften in den EU-Mitgliedstaaten Belgien, Deutschland und Frankreich. Diese Verluste wollte das Unternehmen mit Gewinnen aus Großbritannien verrechnen. Das britische Recht ließ dies jedoch nicht zu, da es eine Ansässigkeit der verlustreichen Töchter in Großbritannien (oder zumindest deren dortige Tätigkeit über eine Zweigniederlassung) der Gruppenbesteuerung voraussetzte.

Urteil Der EuGH gab Marks & Spencer Recht. Die britischen Regelungen verstoßen gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43, 48 EG. Muttergesellschaften mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat müssen Verluste aus ihren Tochtergesellschaften mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat mit Inlandsgewinnen verrechnen können. Dies gilt allerdings nur, wenn im anderen Staat keine Gewinne zur dortigen Verlustverrechnung vorhanden sind. Ein pauschales Verbot ist also europarechtswidrig.

Auswirkungen in Deutschland Auswirkungen auf die deutschen Regelungen zu Organschaften, nach denen Verluste im Rahmen der grenzüberschreitenden Konzernbesteuerung in der EU nicht genutzt werden können, sind zu erwarten. Kurzfristig ist eine Änderung des KStG in Anlehnung an die Vorschriften der österreichischen Gruppenbesteuerung zu erwarten. Eine langfristige Lösung kann die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene einheitliche konsolidierte KSt-Bemessungsgrundlage sein.

464

Bedeutende EuGH-Rechtssachen zum Internationalen Steuerrecht

Rs. CADBURY SCHWEPPES – anhängig beim EuGH seit 19.04.2004, C-196/04 Möglicher Verstoß:

Niederlassungs-, Dienstleistungs-, Kapitalverkehrsfreiheit

Bezug in Deutschland:

Grenzüberschreitende Verlustverrechnung

Sachverhalt Die britische Konzernmutter Cadbury Schweppes plc hatte u.a. mittelbare (über die Tochter CSO = Cadbury Schweppes Overseas Ltd.) 100-%-Beteiligungen an zwei irischen Finanzierungsgesellschaften (der CSTS = Cadbury Schweppes Treasury Services und der CSTI = Cadbury Schweppes Treasury International). Nach irischem Recht wurden diese beiden Gesellschaften als internationale Finanzdienstleister besteuert und unterlagen somit einem Steuersatz von 10 %. Die CSTS erzielte Verluste, die CSTI Gewinne. Aufgrund der britischen Regelungen zur Besteuerung von Zwischengesellschaften wurden die Gewinne der CSTI zum Einkommen der CSO hinzugerechnet. (Der diesbezügliche Steuersatz im Vereinigten Königreich beträgt 55 %.) Eine Berücksichtigung der CSTIVerluste wurde dahingegen verwehrt – wogegen Cadbury Schweppes und die CSO klagten.

Stand des Verfahrens Der EuGH hat über die Vereinbarkeit der geltenden britischen Rechtsnormen zur Hinzurechnungsbesteuerung mit der Niederlassungs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 43, 49, und 56 EG zu entscheiden. Die zu klärende Frage ist, ob ein EU-Mitgliedstaat mit höherem Steuerniveau die dort ansässige Muttergesellschaft für Gewinne ihrer Tochter aus einem EU-Mitgliedstaat mit niedrigerem Steuerniveau mit zusätzlichen Steuern belasten darf.

Mögliche Auswirkungen in Deutschland Wenn der EuGH erwartungsgemäß die britischen Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung für europarechtswidrig erklärt, werden die deutschen §§ 7-14 AStG und wohl auch § 20 Abs. 2 AStG nicht mehr fortbestehen können, was sich durch vergangene EuGHRechtsprechung bereits abzeichnete.