Internationale Wettbewerbsstrategien : Die globaleWirtschaft und die Herausforderung China
 9783540745860, 3540745866, 9783540745853, 3540745858 [PDF]

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Zitiervorschau

Herausforderungen an das Management Schriftenreihe der Graduate School of Business Administration Zürich

Herausgegeben von Prof. Dr. Ralph Berndt, Tübingen (Geschäftsführender Herausgeber)

Prof. Dr. Salvatore Belardo, New York Prof. Dr. Carl Helbling, Zürich Prof. Dr. Reinhart Schmidt, Halle-Wittenberg Rektor Dr. Albert Stähli, Zürich

Band 14: Internationale Wettbewerbstrategien

Ralph Berndt (Hrsg.)

Internationale Wettbewerbsstrategien Die globale Wirtschaft und die Herausforderung China

Mit 104 Abbildungen und 25 Tabellen

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Professor Dr. Ralph Berndt c/o Graduate School of Business Administration Zuerichsee Hirsackerstrasse 46 CH-8810 Horgen Schweiz [email protected]

ISSN 1431-4088 ISBN 978-3-540-74585-3 Springer Berlin Heidelberg New York

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Gedruckt auf säurefreiem Papier

Geleitwort

Wettbewerbsstrategien orientieren sich an der Konkurrenzsituation, wobei das wettbewerbliche Umfeld im Zeitalter der Globalisierung dramatische Ausweitungen erfahren hat. Insbesondere die Milliardenmärkte China und Indien haben die weltweite Wettbewerbssituation fundamental verändert. Sie tragen dazu bei, dass die gesamte Wertschöpfungskette auch europäischer KMU radikale Veränderungen erlebt. Dabei stehen drei Normstrategien im Vordergrund: Kostenführerschaft, Differenzierung, Fokus. Wie also erfolgreich im Wettbewerb bestehen? Immer stärker wurde in den letzten Jahren die Konzentration auf die Kernkompetenzen als adäquate Wettbewerbsstrategie erkannt; doch das rechtzeitige Erkennen dieser Kernkompetenzen ist ebenso schwierig wie umstritten. Gleichermaßen schwierig ist deren zügige Materialisierung, was dazu führte, dass sie sich mitunter erst in der Ex-Post-Analyse definieren lassen. Und im Nachhinein ist man auch ohne Wettbewerbsstrategien klüger. Unbestritten allerdings ist, dass die wichtigste Kernkompetenz jedes Unternehmens in einem gut ausgebildeten, global denkenden und handelnden Management liegt. Es muss die Führungsaufgaben und -prozesse beherrschen und es verstehen, die komparativen Wettbewerbsvorteile zu nutzen. Dabei geht es nicht darum, die nationalen Regulierungsunterschiede auszuschöpfen, sondern sich durch eigen-ständige Leistungen mit echtem Mehrwert zu profilieren und gegenüber den Mitbewerbern durchzusetzen. Mehr denn je braucht es Managementweiterbildung mit weltweitem Fokus, um die Chancen, aber auch Risiken der globalisierten Märkte zu erkennen. Nicht nur geht es um ökonomische Zielsetzungen und um den Blick auf neue Märkte und Interdependenzen, sondern gleichermaßen um die Sensibilisierung der sozialen Verantwortung jener, die auf der Kommandobrücke stehen und mit darüber entscheiden, wohin die Wirtschaft – und damit auch Gesellschaft und Politik – steuern. Die Entscheidungsträger müssen willens und fähig sein, neue Handlungs- und Entscheidungsoptionen wahrzunehmen. Hier kann und muss die akademische Managementweiterbildung eine aktive Rolle spielen. Zu den ambitiösen Leistungszielen

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Geleitwort

gehören hohe Leistungsstandards, hervorragend geschulte und genutzte Humanressourcen, vorgelebte Mobilität sowie Bereitschaft zu Spitzenleistungen und zu neuem Verantwortungsbewusstsein. Wettbewerbsstrategien sind dann erfolgreich und nachhaltig, wenn sie zur Wahrung und Mehrung des Wohlstandes, der sozialen Gerechtigkeit und politischen Stabilität beitragen. Ich begrüße es denn auch, dass dieses Jahrbuch sich einem besonders aktuellen Aspekt widmet, nämlich globalen Wettbewerbsstrategien mit einem speziellen Fokus auf China. Ich hoffe, dass dieses Werk dazu beiträgt, entsprechende Wettbewerbsstrategien verständlich zu machen und deren wichtigen Anteil am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Fortschritt aufzuzeigen. Im Juli 2007

Dr. Dr. h. c. Hans-Dietrich Genscher ehem. deutscher Außenminister Präsident des GSBA Ehrenrates President GSBA Honorary Counsel

Editorial

Der vorliegende Sammelband „Internationale Wettbewerbsstrategien. Die globale Wirtschaft und die Herausforderung China“ ist der vierzehnte Band der Schriftenreihe „Herausforderungen an das Management“ der Graduate School of Business Administration Zürich. Der rasante Aufstieg Chinas als wirtschaftliche Macht zwingt europäische Manager, sich mit den wirtschaftlich relevanten Bedingungen Chinas auseinanderzusetzen und geeignete Strategien zu finden. Gegenstand des ersten Teils sind Internationale MBA-Konzepte. Albert Stähli arbeitet die Notwendigkeit eines globalen Executive MBA für die internationale Management Weiterbildung heraus. Im zweiten Teil werden Corporate Strategies betrachtet. Thomas Lichtenberger stellt diverse Methoden des Zukunftsmanagements kritisch dar. Georges Bächthold setzt sich mit der Entscheidungsfindung eines KMU bezüglich einer Niederlassung in China auseinander. Uwe Hess und Andreas Müllner zeigen die Möglichkeiten einer Simulation von Globalisierungsstrategien auf. Severin Weiss hinterfragt den Widerspruch zwischen Wohlstand (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) und individueller Happiness in China. Internationale Marketing-Strategien und -politiken sind Gegenstand des Dritten Teils. Rudolf Ergenzinger und Jan Krulis-Randa entwickeln erfolgreiche Marketingstrategien für den Chinesischen Markt. Adrienne Cansier setzt sich mit entsprechenden, geeigneten Marketing-Politiken auseinander. Peggy Chaudry und Stephen Stumpf präsentieren neue empirische Ergebnisse zur Produktpiraterie. Ebenfalls neue empirische Erkenntnisse liefert Kai-Uwe Seidenfuss zum „Made in“-Effekt. Spezifische Strategien zur Erhältlichkeit von Anti-Malaria-Tabletten entwickelt Jörg Möhrle. Für multinationale Unternehmen entwickelt Andreas Hinterhuber geeignete Preisstrategien. Das Problem der Preisfindung bei (internationalen) Ausschreibungen wird von Ralph Berndt analysiert. Ein Modell zur globalen Markenstrategie entwickelt Edgar Britschgi. Finances Strategies werden im Vierten Teil erörtert. Bernd Pichler beschreibt die zukünftigen Herausforderungen, die auf einen Chief Financial

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Editorial

Officer in China zukommen. Matthias Klein setzt sich mit Microfinance als erfolgreiches Konzept zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Entwicklungs- und Schwellenländern auseinander. Gegenstand des Fünften Teils ist das Human Resources Management. Doris Dull beschreibt in kritischer Weise das soziale System in China. Die Gliederung dieses Sammelbandes entspricht im Wesentlichen dem Aufbau des MBA-Studiums an der Graduate School of Business Administration Zürich, welches in sechs Blöcken • Corporate Strategy, • Marketing Management, • Operating Management, • Finance Management, • Controlling/Management Information Systems, • Human Resources Management durchlaufen wird. Jeder Unterrichtsblock wird typischerweise zweisprachig durchgeführt und von einem deutsch- und einem englischsprachigen Professor geleitet; dies drückt sich auch in der Zweisprachigkeit des vorliegenden Sammelbandes aus. Die Autoren des Sammelbandes sind Professoren, die an der GSBA Zürich lehren; sie stammen aus anerkannten bundesdeutschen und amerikanischen Universitäten und bürgen für die hohe Ausbildungsqualität der GSBA Zürich. Einige Autoren sind regelmäßige Hearing-Gäste der GSBA Zürich bzw. Absolventen des MBA-Studienganges an der GSBA Zürich. Wir würden uns im Namen aller Autoren freuen, wenn auch dieser Sammelband eine gute Aufnahme und eine erfolgreiche Umsetzung in der Praxis fände. Zürich, im Juli 2007

Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis

ERSTER TEIL: INTERNATIONAL MBA-CONCEPTS Der Globale Executive MBA (GEMBA) für die Managementweiterbildung ohne Grenzen.............................................. 3 Albert Stähli

ZWEITER TEIL: CORPORATE STRATEGIES Methoden des Zukunftsmanagements................................................... 37 Thomas Lichtenberger KMU im globalen Umfeld: Rahmenbedingungen und Entscheidungsfindung für eine Niederlassung in China...................... 59 Georges Bächthold Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems zur Simulation von Globalisierungsstrategien und Handlungsoptionen eines mittelgroßen Unternehmens ....................... 87 Uwe Hess und Andreas Müllner Gross Domestic Product (GDP) Versus Happiness............................ 125 Severin Weiss

DRITTER TEIL: MARKETING STRATEGIES Internationale Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China.............................................................................. 141 Rudolf Ergenzinger und Jan S. Krulis-Randa Marketingpolitische Besonderheiten des chinesischen Marktes ....... 167 Adrienne Cansier

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Inhaltsverzeichnis

Product Counterfeiting in China: Managerial Perceptions of Supplier and Buyer Interest in Counterfeit Goods and the Probable Effectiveness of Corporate Anti-Counterfeiting Actions....... 189 Peggy Chaudhry and Stephen A. Stumpf „Made in …“-Effects: Managing the Consequences.......................... 213 Kai-Uwe Seidenfuss Strategies to Improve Access to Anti-malarial Drugs........................ 233 Jörg Möhrle Pricing Strategies for Multinational Companies in China ................ 255 Andreas Hinterhuber Competitive Bidding – Preispolitik bei Ausschreibungen ................. 271 Ralph Berndt Global Brand Stewardship – New Challenges in Turbulent Times ...................................................................................................... 281 Edgar C. Britschgi

VIERTER TEIL: FINANCES STRATEGIES Future Challenges of the Chief Financial Officer in China............... 299 Bernd Pichler Microfinance als angepasste Form des Retail-Banking für Entwicklungs- und Schwellenländer ................................................... 325 Matthias Klein

FÜNFTER TEIL: HUMAN RESOURCES MANAGEMENT The Social System in China .................................................................. 341 Doris Dull

Autorenverzeichnis

Georges Bächthold

Verwaltungsrat und Geschäftsleiter Blumer Maschinenbau AG, Otelfingen; Absolvent des Dual MBA Programms der GSBA Zürich und der SUNY New York

Prof. Dr. Ralph Berndt

Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing an der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen; Mitglied des Stiftungsrates der GSBA Zürich

Edgar C. Britschgi

Chairman of Y&R Brands (Holding); Präsident/Delegierter Advico Young&Rubicam, Zürich; Mitglied des Stiftungsrates der GSBA Zürich

Priv.-Doz. Dr. Adrienne Cansier

Privatdozentin an der Universität Tübingen; Consultant bei der Hay Group GmbH

Prof. Dr. Peggy Chaudhry

Assistant Professor at Villanova University, Pennsylvania

Doris Dull

Director Human Resources Europe& Emerging Markets, TRW Automotive Electronics&Components GmbH&Co. KG; Absolventin des MBA Studienganges der GSBA Zürich

Prof. Dr. Rudolf Ergenzinger

Professor für Marketing-Management an der FHS Aargau; Lehrbeauftragter an der Universität Zürich

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Autorenverzeichnis

Dr. Andreas Hinterhuber

Visiting Professor an der Tsinghua University, Beijing, China; Partner von Hinterhuber&Partners, Strategic Pricing Leadership

Dipl.-Ök. Matthias Klein

Mitglied des Vorstandes der Sparkasse Gelsenkirchen; Absolvent des MBAStudienganges der GSBA Zürich

Dr. Dr. Jan S. Krulis-Randa

Ehem. Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Personalwirtschaft der Universität Zürich; Mitglied des Advisory Board der GSBA Zürich

Thomas Lichtenberger

Dipl.-Wirt.-Ing. (FH); Dipl.-Ing. (FH); Leiter Programm- und Marktstrategien bei der Festo AG, Esslingen. Absolvent des Dual MBA Programms der GSBA Zürich und der University of Maryland

Dr. Jörg Johann Möhrle

Director Clinical Development, Medicines for Malaria Venture, Genf; Absolvent des Dual MBA Programms der GSBA Zürich und der SUNY New York

Andreas Müllner

Unternehmensberater bei der 4 C Group München; Absolvent des MBA Programms der GSBA Zürich

Dipl.-Kfm. Bernd Pichler

Manager Sales, Finance and Sales Controlling, SAIC-Volkswagen Shanghai; Absolvent des MBA Programms der GSBA Zürich

Kai-Uwe Seidenfuß

Member of the Board and Vice President; Head of Sales and Service International Mitsubishi Fuso Truck and Bus Corporation, Kawasaki, Japan; Absolvent des Dual MBA Programms der GSBA Zürich und der SUNY New York

Autorenverzeichnis

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Rektor Dr. Albert Stähli

Rektor der GSBA Zürich; Präsident des Instituts für Management-Andragogik, Zürich

Prof. Dr. Stephen A. Stumpf

The Fred J. Springer Chair in Business Leadership, Professor of Management, Villanova University, Pennsylvania; Mitglied des JCME der GSBA Zürich

Severin Weiss

Unternehmensberater und Inhaber von Object Solutions Software AG und Protagan AG; Absolvent des Dual MBA Programms der GSBA Zürich und der SUNY New York

ERSTER TEIL

International MBA-Concepts

Der Globale Executive MBA (GEMBA) für die Managementweiterbildung ohne Grenzen Albert Stähli

Summary. The latest development of Chinese economy is presented. The specific challenges to executives within the western world – like international and global orientation – are worked out. The appropriate learning approach within management development is management andragogy. This approach is applied – in a unique way – by the GSBA Zürich with a main element, the living case. MBA programs have to be developed to world executive master of business administration programs (WEMBA).

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Der große Sprung: Business Goes China

China bewegt sich. Immer schneller, immer raumgreifender und immer machtbewusster verwandelt sich das Reich der Mitte von einer Planwirtschaft zu einer sozialistischen Marktwirtschaft eigener Prägung. Die Marschrichtung ist klar erkennbar: Unter Wahrung des zentralistischen politischen Systems soll sich die Wirtschaft schrittweise aus den staatlichen Fesseln befreien – dürfen. Die Gratwanderung der „Rotchina AG“ zwischen Plan und Profit ruft nicht bei allen Beobachtern blanke Freude hervor (Lorenz/ Wagner 2007). Denn für China geht es nicht mehr nur darum, mit der Globalisierung Schritt halten zu können. Viel mehr setzt die Führung augenscheinlich auf die hegemoniale Hebelkraft der Ökonomie. Mit jährlichen Wachstumsraten von mehr als zehn Prozent dürfte China schon bald die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde sein. Die von langer Hand geplanten und durchgeführten Direktinvestitionen in den Vereinigten Staaten, Europa sowie, strategisch möglicherweise ganz weit vorne, in der Wirtschaft Afrikas sprechen eine

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Albert Stähli

sehr beredte Sprache. 2006 investierten chinesische Firmen 16,1 Milliarden Dollar im Ausland, ein knappes Drittel mehr als im Jahr zuvor. Das sind im Weltmaßstab keine großen Summen, gewiss. Aber der chinesische Drache hat einen langen Atem. Und er bereitet sich darauf vor, die Weltmärkte zu erobern. Weil sich China bewegt, bewegt China die Welt. 2006 kauften sich Unternehmen aus dem Ausland mit rund 63 Milliarden Dollar auf dem fernöstlichen Binnenmarkt ein und überrundeten damit das Investitionsland USA. Kumuliert beziffern sich die ausländischen Kapitalanlagen in China mittlerweile auf eine knappe Billiarde Dollar – und dabei hat sich China gerade erst vor gut zehn Jahren für das Ausland geöffnet. Weder Abenteuerlust noch spätes Kolonisierungsdenken stehen im Mittelpunkt des unternehmerischen Kalküls. Der Konkurrenz voraus sein, die Kostenvorteile des Local Sourcing nutzen, Märkte besetzen, Erfahrungen vor Ort sammeln, Cross Culture praktizieren – das alles spricht für ein unternehmerisches Engagement im bevölkerungsreichsten Land der Welt. Während die Welt im Westen immer älter wird und schrumpft, liegen in Asien die großen, dynamischen Wachstumsmärkte. In China stehen mehr als 900 Millionen motivierte, gut ausgebildete und einsatzbereite Arbeitskräfte bereit und produzieren alles, vom Spielzeug über den Com-

Abb. 1. Ausländische Direktinvestitionen in China Quelle: German Foreign

Der Globale Executive MBA (GEMBA)

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puter bis zum modernen Automobil – in einer Qualität, die Vergleiche mit anderen Industrienationen nicht zu scheuen braucht. Selten genug sind sich die Nationalökonomen im Westen einig: „Vieles deutet darauf hin, dass der chinesische Drache in den kommenden Jahren weiter aufsteigt und eine dominierende Rolle in der Weltwirtschaft übernimmt“ (Haller 2006). Mit einer Wirtschaftsleistung von rund 7600 Dollar pro Kopf der Bevölkerung lag China 2006 noch weit hinter den Industrienationen zurück. Doch das Land wächst nicht nur um ein Vielfaches schneller, sondern nährt auch die wirtschaftliche Dynamik in Asien. Mehr noch: Wenn China bebt, zittern die Weltmärkte. Ende Februar 2007 brachte ein Kurzsturz des Shanghai Composite Index die Börsen weltweit ins Wanken; im März gab es einige kleinere Nachbeben. Die Anleger sind wachsam geworden und registrieren die Bewegungen des Drachens sehr genau. Die Chinesen selbst wahren eine undurchdringliche Miene und kommentieren ihre strategischen Pläne nur vage. Doch Unternehmer wie Chao Qing aus Shanghai, der als erster Studierender aus China im Rahmen eines Studienaustausches in der GSBA – Graduate School of Business Administration Zürich in Horgen eine Management-Weiterbildung absolvierte, kennen ihre Aufgabe genau: Er und seine Kollegen sollen das Reich der Mitte aus dem langen Schlaf wecken und den Traum Mao Tsedongs vom „Großen Sprung“ Chinas wahr machen.

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Was der chinesische Markt von westlichen Executives fordert

Chinas schneller Aufstieg in die Spitzenliga der Industrienationen treibt die Globalisierung auf eine neue, höhere, noch anspruchsvollere Stufe. Auch im Bildungsbereich: Weltweit fließen Milliardensummen in den Auf- und Ausbau der Universitäten. Immerhin hat sich die Volksrepublik zum Ziel gesetzt, binnen fünf Jahren zu den weltbesten Universitäten aufzuschließen. Die staatlichen Hochschulen in Europa und Amerika reagieren darauf mit einer Ausweitung ihrer Studienangebote, zumeist in Richtung spezieller und inhaltlich vertiefter Fachprogramme. Das Ziel scheint zu sein, die Studierenden so früh wie möglich zu einer beruflichen Spezialisierung zu bewegen. So kommt auch der klassisch-generalistische Master of Business Administration (MBA) heute in unzähligen Ausprägungen daher: Branchenspezifisch, funktionsspezifisch, länderspezifisch, aufgabenspezifisch. In Deutschland werden heute mehr als 350 unterschiedliche und zum Teil inhaltlich

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Albert Stähli

extrem tief verästelte MBA-Programme angeboten – für Immobilienfachwirte, für Personaldienstleister, für Gesundheitsökonomen, für Fertigungsingenieure in der Automobilwirtschaft; für die Lean Production, für die prozessorientierte Organisation, für das Offshoring von IT-Dienstleistungen und für die Bewältigung des demografischen Wandels, um nur einige Beispiele der voranschreitenden Verfeinerung zu nennen. So problematisch diese Entwicklung schon für Lernende vor Beginn ihrer Karriere sein mag – wer kann mit Anfang 20 schon wissen, wohin es ihn oder sie nach dem Examen beruflich zieht? –, so fragwürdig ist sie im Hinblick auf die Weiterbildung von Executives der Wirtschaft. Denn kaum jemand dürfte mit Ende 20 oder Anfang 30 mit absoluter Sicherheit sagen können, er oder sie würde seine weitere Laufbahn in diesem Wirtschaftszweig oder in jener betrieblichen Funktion fortsetzen und drei Jahrzehnte später ebenda beschließen. Weil moderne Karrieren nicht mehr den linearen Mustern der Vergangenheit folgen, sondern Wechsel und Sprünge quer über Funktionen und Branchen an der Tagesordnung sind, muss auf eine breit angelegte Wissensbasis eine ebenso breit, auch in geografischer Hinsicht, angelegte Managementweiterbildung folgen. Andersfalls erlischt der

Abb. 2. Management and Organization Factors Quelle: Total Global Strategy II, Int. Edition, 2003, Yip 2003

Der Globale Executive MBA (GEMBA)

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generalistische Anspruch an den Master of Business Administration und verwehrt den Absolventen gerade das, was sie aus Sicht der Wirtschaft heute so außerordentlich attraktiv macht: Ihr Blick über den Tellerrand des eigenen Unternehmens, ihrer Branche, ihres aktuellen Aufgabengebietes und ihres momentanen Standortes hinaus. Die Kunst des Managements hat keine Heimat. Die Weltwirtschaft ruft nach globalen Gesellschaften unter der Regie von globalen Führern, die über ein globales Denkmuster verfügen, um auf den globalen Märkten Erfolg zu haben. Die Welt wird zu einem Puzzle aus Wahrheit und Weisheit, aus dem wir einzelne Teilchen entnehmen können, um neue Wege des Managements und der Organisation der neuen transnationalen Unternehmen von morgen zu finden. Leider liegt zwischen den globalen Anforderungen unserer sich verändernden Welt und den individuellen und organisatorischen Fähigkeiten, die wir zum Meistern dieser Anforderungen benötigen, noch eine breite Kluft. Die Fähigkeit, effektiv und kreativ über kulturelle Schranken hinweg zu arbeiten, ist vielfach noch unterentwickelt. Hier muss moderne Management-Weiterbildung ansetzen, um die klaffende Wissens- und Know-how-Lücke zu schließen. Mit der Erweiterung der weltwirtschaftlich agilen Staaten um die Volksrepublik China stehen die Führungskräfte in den „alten Welten“ vor Herausforderungen, die sich – anders als bei den bisherigen Internationalisierungswellen – auf einen uns zumeist sehr fremden Kulturkreis richten. Größte Anstrengungen sind hierfür nötig, etwas weniger für die heute schon global operierenden Konzerne, deutlich mehr für die nach den Krisenjahren zu Beginn dieses Jahrhunderts wieder erstarkende mittelständische Wirtschaft. Die tragenden Kräfte für die Internationalisierung kleiner und mittelständischer Unternehmen sind deren mittlere Manager. Sie knüpfen Kontakte zu Partnern in anderen Ländern, sie sind Ansprechpartner für Kunden, sie müssen die weltweite Logistik organisieren oder für den After-SalesService sorgen. Sie werden in die Planung der InternationalisierungsStrategie eingebunden und geben dafür maßgeblich Impulse. Als FachExperten versorgen sie das Top-Management mit den notwendigen Informationen, die für strategische Planungen und Entscheidungen maßgeblich sind. Die mittleren Führungskader können diese Informationen filtern oder nach ihren eigenen Kriterien verändern, andere wichtige Mitarbeiter für oder gegen bestimmte Strategien motivieren und die Aufmerksamkeit des Top-Managements auf spezifische Themen oder Problemfelder lenken. Damit spielen sie für die Umsetzung der Strategien und für den Erfolg des Unternehmens die entscheidende Rolle.

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Albert Stähli

Diese Executives sind in einer zwiespältigen Situation. Zum einen sollen sie für ihr Unternehmen die Internationalisierung im Allgemeinen oder die Erschließung des chinesischen Marktes im Besonderen vorantreiben; zum anderen sind sie (oder fühlen sich zumindest) selbst in besonderem Maße davon betroffen. Viele empfinden das Herannahen Chinas als Bedrohung; sie befürchten mehr Arbeit oder mehr Druck oder verringerte Aufstiegschancen für sich. Doch wie bei jeder unbestimmten Furcht werden auch dieser die Wurzeln gekappt, wenn das Top-Management und die Entscheidungsvorbereiter wissen, was auf sie zukommt und was sie auf dem für sie fremden Terrain zu erwarten haben (Stähli 2006). „Das Zauberwort heißt Guanxi“, notierte beispielsweise ein Schweizer Teilnehmer des ersten GEMBAStudienmoduls der GSBA in China. Es führte eine Gruppe junger europäischer Führungskräfte an die Shanghai Maryland University. Hier hatten sie im Rahmen des GSBA/Smith Dual Degree Global Executive MBA regen Kontakt mit chinesischen Studienteilnehmern und erfuhren, was „Guanxi“ bedeutet: gegenseitiges abhängiges Networking. In China ist dies das A und O. Ohne Guanxi geht gar nichts; denn es ersetzt fast alle Verträge. Eine weitere zu berücksichtigende Eigenheit ist die völlige Unterordnung des Individuums unter die Gruppe. Wenn innerhalb eines Teams eine Entscheidung fällt, weiß man oft nicht, ob die einzelnen Teilnehmer in den Findungsprozess eingebunden waren oder nicht. Und nicht immer wird ausgeführt, was man vorher als Lösung ansah. Doch mit unglaublichem Fleiß und Hartnäckigkeit wird ein Ziel angesteuert, wobei auch mehrmaliges

Abb. 3. Class in China Quelle: GSBA, Mai 2007

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Scheitern nicht aufgeben lässt, sondern erst recht anspornt. Der Stolz verbietet es, einen Misserfolg einzugestehen. Auch jenseits dieser kulturellen Prägungen ist der chinesische Binnenmarkt für Auslandsunternehmen ein hartes Pflaster. Oft stehen sie in Konkurrenz mit staatlichen chinesischen Unternehmen. Diese verzichten meist auf Abschreibungskosten für Investitionen und können daher kostengünstiger anbieten. Wer trotzdem profitabel produzieren will, konzentriert sich auf Erzeugnisse, die die Chinesen (noch) nicht selbst herstellen, oder auf Produkte, die dank führender Technologie mit erheblich geringeren Kosten hergestellt werden können. Vorsicht ist dabei an der Tagesordnung, denn der Schutz des geistigen Eigentums ist nicht geregelt und der Zugang zur Justiz ist für Ausländer limitiert. Aufgrund der immer lauteren Klagen der europäischen Industrie sah sich die EU-Kommission im März 2007 veranlasst, dem Ideendiebstahl und der Produktpiraterie in China künftig entschiedener entgegenzutreten. Ein guter Ansatz. In erster Linie freilich wird die Lösung dieser Herausforderung doch wohl auf die Verantwortlichen in der Wirtschaft zurückfallen. Das gehört zu den zusätzlichen Hausaufgaben, die den Executives in Europa und Amerika seit Jahren unter dem Rubrum Globalisierung auf die Schreibtische gepackt werden. Aufsichtsräte, Shareholder, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit gehen selbstverständlich davon aus, dass hochschulgebildete Führungskräfte die Zeichen der Zeit erkennen und sich fit machen für ihre Rolle und Aufgaben in der Welt ohne Grenzen. Aber wie können sie das leisten – neben ihrem oft anstrengenden Job in der Führung eines Unternehmens?

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Lebenslanges Lernen: Der Schlüssel heißt Management-Andragogik

3.1

Manager lernen anders

Wenn Manager und Unternehmen erfolgreich auf der ökonomischen Zentralachse Europa – USA – China bestehen wollen, müssen sie in der Lage sein, sich den globalen Anforderungen hinsichtlich aller ökonomischsozialen und kulturellen Kriterien zu stellen, diese erkennen, aufnehmen und erfolgreich umsetzen zu können (Stähli 1996, S. 21). Das klingt einfach, bedeutet aber in praxi für die Führungskräfte nicht weniger als kontinuierliches Weiterlernen, auch und gerade nach dem Hochschulexamen. Und das nicht nur auf Einladung oder Anforderung der obersten Kader,

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sondern aus eigenem Antrieb und Interesse an der Sache. Und an der eigenen Karriere. Schließlich geht es auch um die nachhaltige Employability der Executives, um die Erhaltung und Stärkung ihrer Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt. Waren es früher die Betriebe und Organisationen, die ihre Mittelmanager zu themenspezifischen oder allgemein betriebswirtschaftlichen Weiterbildungsmaßnahmen aufgefordert oder gar entsandt haben, so übernehmen heute die Führungskräfte selbst die Verantwortung für die Aktualisierung und Vertiefung ihres Wissens und Know-how. Führungswissen und Führungsfähigkeit sind zu einem entscheidenden Faktor des Marktwertes von Managern geworden. Ohne große Worte wird von ihnen verlangt, das Niveau ihrer Primärausbildung durch die Aufnahme und Verarbeitung neuen Wissens mindestens zu halten, besser noch zu steigern. Permanente und das sich ständig verändernde Regelwerk der Weltmärkte integrierende Managementweiterbildung ist heute wichtiger denn je. „Back to school, Everyone“, sah James W. Michaels seiner Zeit weit voraus. „What we learned in school or by experience is obsolete or incomplete. If employees fall behind, so does the company that employs them“ (Michaels 2000, S. 18) Eingedenk dessen sind die Institutionen des Executive Development ganz besonders gefordert. Sie müssen die globalen Verschiebungen und die Einbeziehung neuer Kultur- und Wirtschaftsregionen in ihren Curriculae wenigstens berücksichtigen, wenn nicht diese sogar darauf vollends abstellen. Während es in der Primärausbildung an der Universität oder Fachhochschule vielleicht noch genügen mag, Kurse oder Hauptseminare zum Thema Management in den USA und China anzubieten, erwarten erfahrene Führungskräfte – insbesondere solche, die bereits mit der Bearbeitung dieser Märkte betraut sind oder sich darauf vorbereiten – weitaus mehr als reine Stoffvermittlung mittels Frontalunterricht. Sie wollen die ihnen fremde Kultur hautnah aufnehmen, spüren, erleben, am liebsten sich darin bewegen und die entscheidenden Handlungsimperative – Guanxi! – von Fachleuten vermittelt bekommen, die darin groß geworden sind. Für das Management Development bedeutet dies zum einen die Herausforderung, alle Elemente der Aus- und Weiterbildungsprozesse für Führungskräfte – mithin Dozentenschaft, Lerninhalte, Lernziele, Lernmethoden, Organisation und das Lernumfeld – zeitgemäß zu gestalten und die Globalisierung in beide Richtungen, nach Amerika wie nach Asien, ins Zentrum der Weiterbildung zu rücken. Zum zweiten muss die Art und Weise der Wissens- und Know-how-Vermittlung auf die Bedürfnisse reifer Menschen abgestellt werden. Denn erfahrene Executives, die sich bewusst sind,

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dass sie in erster Linie selbst die Verantwortung für ihre berufliche Karriere tragen, lernen nachweislich anders als Adoleszenten. Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Grundausbildung an Universitäten und Hochschulen orientiert sich die optimale Form des Unterrichtes und die optimale Art der Lehrstoffvermittlung an lernbereiten, führungserfahrenen und mitten im Leben stehenden Menschen, deren Ziel es ist, in das oberste Management ihrer Unternehmen vorzudringen. Sie haben Erfahrungen gesammelt, kennen den Wert permanenten Wissenszuwachses und sind bereit, Neues zu lernen (cf. Stähli 2001, S. 11). Und sie versprechen sich von einer Qualifizierungsmaßnahme wie der Weiterbildung zum Global Executive MBA einen deutlichen Vorteil bei ihrer beruflichen Karriere. Zu Recht, denn wie William Cox (Cox 2004, S. 7) feststellt: „Beim Executive MBA-Studium lernt man (beinahe) alles, was eine solide

Abb. 4. Adult Life Circle

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Diplom-Kaufmanns-Ausbildung vermissen lässt; das ist zum Beispiel ein maximales Pensum mit einem maximalen Leistungsdruck in einer vorgegebenen Zeit zu absolvieren, für längere Zeit nur mit wenigen Stunden Schlaf auszukommen (sonst würde man das Pensum nicht schaffen), ergebnisorientiert zu denken, zu planen und zu handeln, menschliche Unterschiede und Disharmonien so zu handhaben, dass dennoch am Ende vernünftige Arbeitsergebnisse erzielt werden.“ Das Executive Development an einer International Business School setzt auf der universitären Erstausbildung auf und ergänzt diese um all das, was Manager brauchen, um moderne Unternehmungen erfolgreich steuern, gestalten und nach vorne bringen zu können. Dabei sind die Methoden der Pädagogik wesentlich ungeeigneter als die der Andragogik, der Wissenschaft von der Bildung erwachsener Menschen. „Der Begriff der ‘Andragogik’ betont die Abhebung der Theorie der Erwachsenenbildung von derjenigen der Kinder- und Jugenderziehung … (und) … unterstellt, dass es heute nicht mehr angeht, Mentalität und Methode der Kinder- und Jugenderziehung auf die Weiterbildung mündiger Menschen zu übertragen“ (Poeggeler 1974, S. 17). Das Menschenbild des mündigen Lernwilligen impliziert ein Bildungsverständnis, das Erwachsenen selbstverständlich zutraut, die Ziele und die Organisation ihrer Bildung vorzugeben und mitzubestimmen. Für den Lernenden ist das entscheidende Kriterium für den Sinn und Zweck des Lernens seine eigene Erfahrung, und die allein ist der Prüfstein für die Gültigkeit, Akzeptierbarkeit und den Nutzen von theoretischem und praktisch verwertbarem Wissen. Entsprechend wird der Umgang mit der Erfahrung der Studierenden zum Ausgang- und Mittelpunkt andragogischer Lernprozesse. Von ihr aus erst leiten sich Lerninhalte und Lernmethoden ab. Seit mehr als einem Jahrhundert werden junge Menschen an Hochschulen zu Unternehmern und Führungskräften der Wirtschaften ausgebildet. Dabei folgten die Lehrmethoden in den frühen Business Schools den pädagogischen Paradigmen der juristischen und medizinischen Hochschulen. Viele dieser Prinzipien haben sich bis in die heutige Zeit hinein gehalten. So wird zum Beispiel seit 1908 in der Harvard Business School mit der Fallstudienmethode (case studies) gearbeitet: Den Studierenden werden historisch oft weit zurück liegende Fälle aus der Unternehmenspraxis zur Bearbeitung und Stellungnahme an die Hand gegeben, aus denen sie ihren Wissensvorrat für zukünftige Entscheidungssituationen nähren sollen. Allein mit Blick auf die sich rasant wandelnden Märkte und Rahmenbedingungen der Wirtschaft weist diese Methode gravierende Schwächen auf

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(cf. Stähli 2001, S. 7 ff.). Entgegen ihrem Anspruch, die Studierenden mit realen Situationen aus der Praxis eines Unternehmens zu konfrontieren, beschränkt sich diese Methode auf die schriftliche Zusammenfassung eines historischen Falles, der ohne Berücksichtigung exogener Einflussfaktoren und Randbedingungen im Team von mehreren Lernenden bearbeitet und gelöst werden soll. Doch diese Art der Wissensvermittlung entspricht weder der betrieblichen Gegenwart, in der Pläne und Entscheidungen in einem Führungsteam mit kreativen Überlegungen und Handlungen, gestützt auf Faktenbeschaffung und Informationsrecherchen im Internet, angegangen werden, noch der Zukunft, in der Entscheide immer stärker unter Unsicherheit und Vorbehalten getroffen werden müssen. Luhmann (1970) hat gezeigt, dass eine Unternehmung kein statisches und isoliertes Gebilde ist, sondern mit seiner Umwelt in ständigen Wechselwirkungen steht. Wie wahr diese Erkenntnis ist, zeigt aktuell der Blick nach Asien und auf die dortigen Veränderungen, die sich in atemberaubendem Tempo vollziehen. Strategische Beschlüsse, heute mit Blick auf die Mittelfrist getroffen, können durch politische Verschiebungen oder Veränderungen der Weltsicherheitslage blitzschnell obsolet werden. Eigentlich müsste jeder Manager heute ein hochbegabter Spieltheoretiker sein, um alle denkbaren Züge seiner Mitspieler und der Akteure am Spielfeldrand antizipativ in seinem Handeln berücksichtigen zu können. Kaum ein anderer Ökonom ist daher heute aktueller als der Strategieexperte und Wirtschaftsnobelpreisträger Thomas Schelling (cf. Schelling 1960), der an der Robert H. Smith School of Business – University of Maryland lehrt. Alle Executives streben danach, aktuelle und künftige unternehmerische Entscheidungen und strategische Weichenstellungen so zu treffen, dass die Auswirkungen unvorhersehbarer Ereignisse auf ihre Pläne möglichst gering und beherrschbar bleiben. Um das zu lernen, müssen sie mit Spielraumvariablen und Handlungsoptionen umgehen können, deren Bestimmungsfaktoren und Hintergründe – zumal auf fremdem Territorium – ihnen unbekannt sind. Sie brauchen dazu nicht nur kognitiv vermitteltes Sachwissen, sondern auch durch eigenes Erleben und von Experten vermitteltes Erfahrungswissen. Wer Entscheidungen von möglicherweise größter Tragweite für die Zukunft eines Unternehmens zu treffen hat, muss sie in der Lage sein, beides zielgerichtet miteinander zu kombinieren. Dazu soll schon der Lernprozess anregen, und deshalb kommt dem didaktischen Konzept der Andragogik speziell in der zielgruppenorientierten Ausprägung der Management-Andagogik besondere Bedeutung zu. Es ist wie folgt definiert:

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„Management-Andragogik ist jener Bereich der Erwachsenenbildung, der sich mit der Weiterbildung von Führungskräften in offenen soziotechnischen Systemen befasst. Sie setzt ihre Inhalte und Methoden in Beziehung zu den jeweiligen persönlichen und professionellen Bedürfnissen, Erfahrungswerten und Lebenszyklen der Studienteilnehmer. Dabei ist der laterale Lerntransfer obligatorischer Bestandteil ihres gesamten interdisziplinären Curriculums. Neben der Erarbeitung zeitgemäßer systemorientierter und global ausgerichteter Instrumente der Unternehmensführung wirkt die Management-Andragogik auf der Grundlage eines komplexen Menschenbildes und integriert die Berücksichtigung ethischer Prinzipien und Verantwortung gegenüber ökonomischer, politischer, sozialer und ökologischer Umwelt als Handlungsorientierung“ (Stähli 2001, S. 13.). Neben dem andragogischen Ansatz ist die moderne Business School in ökonomischer, lerntechnischer und ethischer Hinsicht zwei grundlegenden Prinzipien unternehmerischen Wirkens verpflichtet: 1. Der Effizienz ihrer Lernprozesse, d.h. der Leistungsfähigkeit in Bezug auf die rationelle Durchführung ihrer Programme in Hinsicht auf den Einsatz benötigter Ressourcen, und 2. der Effektivität, d.h. der Leistungswirksamkeit ihrer Lernprozesse. Durch den Einsatz adäquater Lernmethoden werden sowohl individuell als auch institutionell definierte Lern- und damit Leistungsziele erreicht. Es geht um den optimalen Transfer von Wissen und Können vom Lernort in das Funktionsfeld Unternehmung. Allein der vertikale Wissenstransfer in die Wirtschaft hinein reicht dafür nicht aus. Lerntransfer in der Management-Weiterbildung heißt lateraler Transfer von Wissen, Fähigkeiten und Werten in das Funktionsfeld Führungspraxis. Nur so kann der Qualitätsanspruch einer International Business School gehalten werden, über die Executive-Weiterbildung auch zu Wissensmehrung und Verhaltensänderungen der Führungskräfte zu gelangen (cf. Stähli 1995) und darüber den Erfolg der von ihnen geleiteten Unternehmen zu sichern. Denn wissenschaftlich ist die starke Korrelation zwischen professionell geführten Betrieben und wachsenden Volkswirtschaften längst erwiesen. Ergo bringt ein modernes, weit blickendes Management den dringend benötigten Wachstumsschub, ohne den die Volkswirtschaften die stetig zunehmenden Ansprüche nicht befriedigen können.

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Agogik

Pädagogik

Andragogik

Gerontagogik

(Zielgruppe: junge Menschen)

(Zielgruppe: Erwachsene)

(Zielgruppe: ältere Menschen)

Management Andragogik (Zielgruppe Führungskräfte)

Abb. 5. Agogische Wissenschaften Quelle: Stähli 1996, S. 24.

Diese Prinzipien sowie der andragogische Lehransatz werden an der Graduate School für Business Administration (GSBA) in Zürich im vollen Umfang gelebt. Die Idee der GSBA gründet darauf, dass die individuellen Lernstile der erwachsenen Studierenden differenziert sind, umsetzungsorientiert, nutzwertorientiert und pragmatisch. Neben den klassischen Lehransätzen wie Vorlesungen und die Bearbeitung gegenwartsnaher Fallstudien werden innovative und die Eigenmotivation der Studierenden stützende Lehrmethoden angeboten. Hierzu gehören unter anderem moderne, technologiegestützte Methoden des „action learning“: Aktives Tun, Experimente, Reflexionen, Diskussionen und Debatten. Doch zur Lehre muss die Übung hinzukommen. Männer und Frauen, die in der Wirtschaft Verantwortung übernehmen wollen, brauchen neben umfangreichem fachlichem Wissen ein breites Spektrum an praxiserprobtem und schnell anwendbarem Management-Know-how. Dies geschieht über einen Erkenntnisprozess unmittelbar in ihrem Arbeitsfeld, nämlich bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Führungsaufgaben. Um diese mit dem anspruchsvollen Lehrauftrag einer innovativen International Business School sinnvoll zu verknüpfen, arbeiten die Studienteilnehmer an der GSBA mit den andragogischen Modellen aktueller Living Cases sowie mit der „Genetisch Wachsenden Fallstudie“ (GWF, Stähli 1992). Beide beruhen auf realen und aus dem Heute geschöpften Unternehmenssituationen

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Wissenschaftliche Erkenntnisse

Lernfeld

Funktionsfeld

Vertikaler Transfer

Lateraler Transfer Übernahme in eigene Werturteile

Übernahme in eigene Führungspraxis

Abb. 6. Wissenstransfer in der Management-Andragogik

(Stähli 2005). Bei der GWF stammen die Cases in der Regel aus dem betrieblichen Umfeld der Studienteilnehmer. Im Rahmen ihres nebenberuflichen Studiums gewinnen sie folglich gleichzeitig neues Wissen und wirken aktiv an der Lösung konkreter Aufgaben und Herausforderungen in ihren Unternehmen mit. 3.2

Der Zurich Living Case™

Die an der GSBA entwickelte Methode der „Genetisch wachsenden Fallstudie“ (GWF) lässt die Studienteilnehmer realitätsnah und aktuell eine selbst gewählte betriebliche Aufgabenstellung so lösen, wie es in den Unternehmen auch geboten ist: Nicht allein, sondern gemeinsam mit Kollegen, und unter der Herausforderung von Unsicherheit und permanentem Wandel. Das Attribut „genetisch“ beschreibt dabei den Ablauf des Lernprozesses als einen Vorgang, in dem die Relevanz ständig neu einfließender Informationen betont wird. Ein getreues Abbild der Realität: Executives werden laufend mit neuen Daten und anderen Inputs konfrontiert, aufgrund derer sie ihre Entscheidungen gegebenenfalls überdenken und ihre geplante Aktion neu justieren müssen. Als „wachsend“ wird jener Prozess bezeichnet, in dem die Studienteilnehmer – im Anschluss an die absolvieren Studienblöcke und bei Verarbeitung stets neuester Umweltinformationen – ihre Transferkonzepte in ein Unternehmen ihrer eigenen Wahl, durchaus also auch in ihr eigenes, überführen: Die Fallstudie wächst somit im Verlauf der Zeit.

Der Globale Executive MBA (GEMBA)

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Abb. 7. Königsweg der Executive-Weiterbildung

Die Arbeit mit der GWF gliedert sich in folgende Phasen: • Vorbereitung zu den Studienblöcken (kognitiver Lernprozess, berufsbegleitend), • Teilnahme an den Studienblöcken (interaktiver Lernprozess mit dem Zurich Living Case – vertikaler Lerntransfer, Vollzeit), • Nachbearbeitung der Studienblöcke und Erarbeitung von Transferkonzepten zu den – entsprechend den Inhalten des vorangegangenen Studienblockes – Subsystemen eines Unternehmens eigener Wahl (lateraler Lerntransfer, berufsbegleitend).

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Albert Stähli

Die Vorbereitungszeit umfasst etwa drei Monate, die einzelnen Studienblöcke jeweils zwei Wochen. Anschließend wird ein praktischer Unterrichtsfall (Zürich Living Case) behandelt, der – auf der theoretischen Grundlage der vorangegangenen GWF – eine systemorientierte Beschreibung eines realen Unternehmens in einer schwierigen Lage darstellt (cf. Stähli, 2005). Der Zürich Living CaseTM ist ein von der GSBA nach andragogischen Gesichtspunkten entwickelter methodischer Ansatz in der Executive MBA Weiterbildung. Der Living Case ist eine vom europäischen, amerikanischen oder chinesischen Professor exklusiv für den betreffenden Studienblock verfasste Fallstudie eines real existierenden Unternehmens (Living Case Company), welche die aktuelle Unternehmenssituation erläutert oder die Lösung eines komplexen Geschäftsproblems fordert. Der Professor analysiert die Problemsituation und erarbeitet in Abstimmung mit der verantwortlichen Geschäftsleitung der Living Case Company die Formulierung der Problemstellung und den Bedarf an unterstützenden Materialien. Die Lösung des Living Case wird in sieben bis acht Consulting-Teams während der zwei Wochen eines MBA-Blocks erarbeitet. Zwei unterrichtende Senior Professoren der GSBA Faculty aus Europa, den Vereinigten Staaten oder Asien betreuen im Team-Teaching den Case. Sie bringen somit für die Studienteilnehmer das Wissen und den Erfahrungshintergrund aus zwei unterschiedlichen Kulturen zusammen. Die Consulting-Teams setzen sich zusammen aus Studienteilnehmern, die sowohl über eine wissenschaftliche Grundausbildung als auch über mehrjährige praktische Führungserfahrung im Management verfügen. An einem der ersten Tage des jeweiligen Unterrichtsblocks steht der CEO der Living Case Company den Consulting Groups zur Diskussion und zur Beantwortung von Fragen persönlich zur Verfügung. Praxiserfahrene Hearing Guests geben weiteren Input. Vor diesem Hintergrund analysieren die Teams den Fall, erheben die nötigen Zusatzinformationen zu dessen Interpretation selbstständig und bearbeiten diesen Fall bis zu einer präsentationsfähigen Lösungskonzeption unter dem Schwerpunktthema des Studienblocks. Dazu beschaffen sich die Studienteilnehmer über das Internet zusätzliche Informationen, beispielsweise über das im Mittelpunkt des Zürich Living Case stehende Unternehmen, dessen Wettbewerbsumfeld, relevante mikro- und makroökonomische Fakten sowie Daten, die ein Benchmarking erlauben. Dank der Teamarbeit werden die sozialen Kompetenzen der Studienteilnehmer und die Fähigkeit zur Reflektion und Diskussion von sozialpsychologischen Prozessen geschult. Jedem Mitglied des Teams wird eine Teilaufgabe zugewiesen, die seinen besonderen Fähigkeiten entspricht.

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Während des gesamten Studienprozesses soll jeder Teilnehmer verschiedene soziale und funktionale Rollen in den Gruppen einnehmen. Parallel zur Arbeit am Living Case vermitteln die begleitenden Professoren in einer kognitiven Lernphase den theoretischen Hintergrund (pre reading, pre testing). Damit wird die einheitliche Wissensbasis der Teilnehmer sichergestellt. Die erarbeitete Lösungsstrategie wird schriftlich in ausführlichen Reports festgehalten und am Ende des MBA-Blocks präsentiert und bewertet. Die Gruppenprüfungen werden von einem Professoren- und Expertengremium abgenommen (akademische Prüfung), das die vorgelegte Lösung durch Fakultät und Junior Board kritisch hinterfragt und die Qualität und formale Aufbereitung von Falllösungen und Präsentationen bewertet. Den Lackmustest der Praxis nimmt der bei der Präsentation anwesende CEO/ CFO der Living Case Company ab. Mit den Individualprüfungen werden die wissenschaftlichen Lernfortschritte der Studienteilnehmer durch Fragen zum Schwerpunktthema überprüft. In der Nachbereitungsphase des Studienblocks hat jeder Studienteilnehmer eine dem jeweiligen Subsystem der selbst gewählten Unternehmung entsprechende Transferkonzeption (Teiltransfer) zu erstellen, um das Gelernte auf „sein“ Unternehmen zu übertragen. Damit sollen die im Block neu erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in die Realität des jeweiligen Teilbereiches übertragen werden (lateraler Lerntransfer). Diese Konzepte sollen innerhalb eines Zeitraumes von ein bis drei Monaten erstellt werden. Den Abschluss des Studiums bildet der Masterplan, in dem die Teilkonzepte zu einer Gesamtheit integriert werden. Da die Teilnahme an den Blocks frei disponiert werden kann, ist es möglich, den gesamten Studienprozess in kurzer Zeit und weitgehend flexibel zu absolvieren. Zurich Living Cases und GWF erlauben den Führungskräften bereits während ihrer Weiterbildung, an der Erarbeitung und Implementierung strategischer Unternehmensentscheide mitzuarbeiten. Dies optimiert nicht nur das Managementwissen, sondern schärft auch die soziale Verantwortung allen Shareholdern gegenüber: Sie müssen die Konsequenzen ihres geplanten Handels erkennen und auch danach ihre Entscheidungen ausrichten. Mit ihrem sehr praxisbezogenen Ansatz unterscheidet sich die GSBA grundsätzlich von Universitäten und Hochschulen, wo die Studierenden vor allem mit theoretischen Modellen vertraut gemacht werden. Auf der Basis der Management-Andragogik und ihren fortgesetzten Innovationen in lerntechnologischer Hinsicht hat sich die Graduate School of Business Administration (GSBA) mittlerweile einen hervorragenden Ruf in der Weiterbildung von Executives und Unternehmensführern erarbeitet.

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MBA – EMBA – GEMBA: Management Development im Spiegel des Fortschritts

4.1

Die Diplompyramide

Die 1968 gegründete GSBA Zürich ist eine privatrechtlich organisierte Stiftung, die sich im Umfeld von staatlich finanzierten Schulen bewegt. Ihre Existenz beruht auf ihrer Fähigkeit zur Eigenfinanzierung. Das bedingt einen erstklassigen Ruf im Bildungsmarkt – eine Resultante des Erfolgs ihrer Absolventen in der Wirtschaft und der Zufriedenheit der Shareholder mit ihren Executives. In zahlreichen internationalen Rankings steht die GSBA in Spitzenpositionen; längst avancierte sie zur führenden MBA Business School im gesamten deutschsprachigen Raum. Zu den viel beachteten Vorzügen der GSBA gehört ihre Fähigkeit, die eigenen Stärken zu kennen, zu erweitern und stets bemüht zu sein, diese in Mehrwert für ihre Absolventen umzumünzen. Eine dieser Stärken ist ihre nachhaltige Fähigkeit und Bereitschaft, die Studienteilnehmern heute schon in Lernszenarien der Zukunft weiterzubilden. Die technologische Ausstattung des Auditoriums und der Studienräume auf dem Campus in Horgen sind state of the art und entsprechen dem eines mittleren IT-Unternehmens. Ziel ist es, den Studienteilnehmern das technische Umfeld eines innovativen Zukunftsunternehmens zu bieten, ihnen also schon während ihrer Weiterbildung die modernste Informations- und Kommunikationsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen, die sie auch von ihren Unternehmen her kennen. Vom der Umsetzung der so genannten Bologna-Resolution von 1999 in Europa, mit der nach angelsächsischem Vorbild das zweistufige BachelorMaster-System eingeführt wird, hat der Master-Titel zweifelsfrei profitiert. Mit ihm stellen sich nun auch die staatlichen Hochschulen dem, was private Business Schools seit langem praktizieren: Förderung von Mobilität und offenem Herangehen an eine Aufgabe, Ersatz des fragmentierten Spezialwissens durch Interdisziplinarität und vernetztes Denken, Entwicklung der Persönlichkeit von Führungskräften sowie deren Sozial- und Handlungskompetenz, Ablösung der bloßen Wissensvermittlung durch Problemlösungsfähigkeit und Förderung des Verantwortungsbewusstseins gegenüber sich selbst und der Gesellschaft. Für erfolgreiche Hochschulabsolventen der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen wird künftig der Abschluss als Master of Business Administration (MBA) die Regel sein. Wer noch ein traditionelles Universitätsdiplom erhält oder in der Vergangenheit erhalten hat, kann den Master-Studiengang zu einem späteren Zeitpunkt an einer privatrechtlich geführten Business School absolvieren und dort den MBA-Titel erwerben.

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Abb. 8. Diplompyramide GSBA Quelle: GSBA Zürich.

Erfahrene Führungskräfte mit bereits zurückgelegten ersten Karriereschritten dürften hierauf allerdings nur in Ausnahmefällen zurückkommen. Sie sind realistisch: Das Risiko, eine sichere Kaderposition und die enge Vernetzung mit den Branchenkollegen zugunsten eines Vollzeitunterrichtes von einem oder zwei Jahren Dauer aufzugeben und darauf zu hoffen, friktionsfrei nach dem Abschluss eine Stufe höher auf die Karriereleiter weiterklettern zu können, ist heute nicht unerheblich. Hinzu kommt, dass erfahrene Manager ungern zusammen mit Hochschülern lernen wollen, denen die Sprache und die Usancen in der Wirtschaft noch verschlossen sind. Hier fehlt ganz einfach die gemeinsame Basis von durchlebten Entscheidungsfindungsprozessen, nächtelangen Konferenzen und dem Ringen um die optimale Lösung in einem verantwortlichen Führungsteam. Überdies stellen Executives höhere Anforderungen an ihre Management Weiterbildung als Junioren: • Sie wollen sich im Rahmen des Executive Development mit anspruchsvollen Themen ihrer täglichen Unternehmerpraxis beschäftigen und mit neuestem Wissen und Erkenntnissen bekannt gemacht werden.

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• Sie wollen von Dozenten „auf Augenhöhe“ unterrichtet werden, Lehrern und Professoren also, die nicht nur theoretisch mit den Herausforderungen der Unternehmensführung vertraut sind. • Sie wollen ihr beruflichen Netzwerk weder aufgeben noch vernachlässigen. Im Gegenteil: Die zahlreichen neuen Kontakte, die sie im Laufe des Executive Development knüpfen, sollen ihr Business Network weiter stärken – auch und gerade durch Bekanntschaften mit Dozenten und Kollegen aus aller Welt. Da die Studienteilnehmer an einem GEMBA-Programm der GSBA ausschließlich Unternehmer und Senior Manager unterschiedlicher Herkunft und Nationalitäten sind, wird dieses „Upgrade“ gleichermaßen implizit mit der Weiterbildung mitgeliefert. • Anders als praxisferne Junioren haben sich Executives, die bereits auf oberer Führungsebene tätig sind, bereits für ihre berufliche Zukunft entschieden. Sie kennen ihre Ziele und ihre Möglichkeiten und wollen in möglichst kurzer Zeit so viel wie möglich, dabei aber so unkompliziert und flexibel wie möglich lernen. Das Studium soll größtmögliche Freiheit in räumlicher und zeitlicher Hinsicht bieten. 4.2

GEMBA Blöcke in drei Kontinenten

Insbesondere die privatrechtlich geführten International Business Schools in Europa spüren einen regelrechten Nachfrageboom nach berufsbegleitend durchgeführtem Executive Development. Bereits im Frühjahr 2005 prognostizierte das Graduate Management Admission Council, dass die allmähliche Aufhellung der gesamtwirtschaftlichen Lage die aktuelle Nachfrage der Unternehmen nach MBA-Absolventen scharf ansteigen lassen würde. Das zurückliegende und das laufende Jahr belegen die Richtigkeit dieser Prognose. Bei manchen Business Schools, zu denen auch die Graduate School of Business Administration in Zürich, gehört, steigt die Zahl der Bewerber um die Teilnahme an einem Global Executive MBAProgramm Jahr für Jahr um bis zu 30 Prozent. Sie werden von der weltweiten Wirtschaft, bei der dieser internationale Abschluss einen hohen Bekanntheitsgrad und wachsenden Stellenwert genießt, geschätzt und immer stärker nachgefragt. Denn nur bei den Absolventen einer International Business School können die Arbeitgeber wirklich sicher sein, global denkende und international versierte Führungskräfte für sich zu gewinnen. Genau aus diesem Grunde leiden die Vokabeln „global” und „international” im Zusammenhang mit Management-Weiterbildung gegenwärtig

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unter einem inflationären Missbrauch. „Many business schools have added the word ‚global’ to their house catalogs and brochures, but how many business schools have actually developed and implemented a comprehensive global approach to education? And how many are taking a true measure to see how global they really are?” Unschwer ist aus den Fragen von Ilan Alon und Craig McAllaster (2006) die Rhetorik herauszulesen. Denn tatsächlich zeigte eine Untersuchung der Autoren, dass viele Business Schools dem werblich herausgestellten Anspruch gar nicht genügen. Nach einem „Global footprint“ genannten multidimensionalen Modell muss eine wirklich auf Internationalität hin ausgerichtete Business School folgende sechs Kriterien erfüllen: • Der Lehrplan muss über alle Wissensbereiche hinweg global ausgerichtet sein, er darf also nicht nur eine oder zwei Weltregionen im Fokus haben. • Fremdsprachenunterricht und Vorlesungen in anderen als der Muttersprache sind zwingende Bestandteile des Curriculums. • Sowohl die Studentenschaft … • als auch die Fakultät müssen international gemischt sein. • Die Studienteilnehmer müssen im Rahmen ihres Studiums einen Teil des Unterrichtszeitraums im Ausland verbringen. • Auch die Dozenten müssen über Lehr- und Berufserfahrung in verschiedenen Ländern und Kulturkreisen verfügen. Ein absolut wichtiges Entscheidungskriterium bei der Wahl einer Business School ist daher neben dem Ansehen, der Praxisnähe und dem Niveau der Lernmittelausstattung eine international renommierte Dozentenschaft sowie die enge Kooperation mit anerkannten Universitäten im Ausland. Das trifft übrigens auch das Interesse der meisten weiterbildungsbereiten Manager. Viele Studienteilnehmer wählen bewusst eine Business School außerhalb ihres Heimatlandes aus und bevorzugen dabei solche, die gleichzeitig zwei anerkannte Abschlüsse ermöglicht. Der „Dual Degree“ (DD) besteht meistens aus einem europäischen Titel, begleitet von einem US-amerikanischen oder einem im asiatisch-pazifischen Raum anerkannten Grad. Die Wirtschaft, allen voran die großen, multinationalen Unternehmen, fördert diese Entwicklung nach Kräften: direkt, in dem die Global Player immer mehr und immer engere Allianzen mit den führenden Business Schools schließen, um Einfluss auf die Lehr-

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Abb. 9. Global footprint framework Quelle: Alon/McAllaster 2006, S. 34

inhalte nehmen zu können; indirekt, in dem sie ihren Rekrutierungsbedarf in steigendem Masse über die International Business Schools decken. Seit mehr als zwanzig Jahren kooperiert die GSBA mit amerikanischen Universitäten. Partner in den Vereinigten Staaten ist die sehr angesehene Robert H. Smith School of Business at the University of Maryland. Die große, staatliche Institution rangiert unter den Top 10 in den Vereinigten Staaten und verfügt über ein starkes, vor allem nach China orientiertes Netzwerk. Aus gutem Grund: Business Schools mit ernsthaftem globalen Anspruch und Programm und mit einer weltweiten Klientel kommen heute nicht mehr umhin, China in ihr Lehrprogramm und in Organisation der Weiterbildung einbeziehen. Die Antwort auf die fundamentale Verschiebung des Welthandels durch das Reich der Mitte ist der Dual Degree Global Executive MBA (DD GEMBA). Dieses drei Kontinente umspannende Studienprogramm wurde 2005 erstmals von der GSBA eingeführt. Es wendet sich an alle Executives, die bei der voranschreitenden Globalisierung mehr als eine Beobachterposition

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einnehmen wollen. Das GEMBA-Studium wurde für jene konzipiert, die den Wandlungsprozess für ihre Unternehmen und für ihre eigenen Karrieren aktiv mitgestalten wollen und wissen, dass es dazu interkulturellen Verständnisses und ständigen Weiterlernens bedarf. Das berufsbegleitend strukturierte Programm fördert das Verständnis für die unterschiedlichen Kulturen, und die Studienteilnehmer erwerben alle notwendigen Tools und Skills für internationale Managementfunktionen auf dem Top-Level. Weil die Abschlussexamina sowohl von der GSBA in Zürich als auch von der Robert H. Smith School of Business – University of Maryland abgenommen werden, erhalten die Absolventen gleichzeitig den europäischen und den amerikanischen Master-Degree. Die Kooperation der Robert H. Smith School of Business – University of Maryland mit Hochschulen in China (Beijing und Shanghai). Diese erlauben es den Teilnehmern am DD GEMBA-Programm, jeweils ein bis zwei Studienblöcke auf dem Campus der amerikanischen und/oder chinesischen Partnerschule zu verbringen. Die in den USA bzw. in China eingeschriebenen Studienteilnehmer – so der eingangs erwähnte Chao Qing aus Shanghai – absolvieren im Gegenzug einen Teil ihres Pensums in Horgen am Zürichsee. Ziel des GEMBA-Programms ist eine gleich große Anzahl europäischer, amerikanischer und chinesischer Studienteilnehmer. Sie absolvieren ihre Studienmodule sowohl in Europa (an der GSBA in Horgen) als auch in den USA (an der Robert H. Smith School of Business – University of Maryland) oder in China (Beijing oder Shanghai). Die Studienteilnehmer haben die freie Wahl – je nachdem, welche Wirtschaftsräume ihren Karrierezielen am besten entsprechen. Mit dem Einbezug chinesischer Executives und der Integration US-amerikanischer Studienteilnehmer sowie lehrenden und betreuenden Dozenten aus allen drei Erdteilen vereint die GSBA drei Kulturkreise auf ihrem Campus am Zürichsee. Dieses fortschrittliche Konzept hat bei den Studienteilnehmern und in der fachkundigen Öffentlichkeit eine hervorragende Resonanz gefunden. Während der DD GEMBA-Weiterbildung sind die Studienteilnehmer ordnungsgemäß an der Business School in Zürich und an der Robert H. Smith School of Business – University of Maryland eingeschrieben. Sie können sämtliche Studieneinrichtungen der Schweizer Business School und der amerikanischen Hochschule nach Belieben nutzen und gewinnen vor Ort wertvolle Einblicke in jeweils fremde Kultur und in das dortige Management. Sowohl in Maryland als auch in Zürich bleiben sie jederzeit über das schuleigene Intranet mit der Partnerinstitution verbunden; von China aus steht ihnen der Zugriff über das Internet offen. Sie können online

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Abb. 10. Die Win-Win Strategy in der World Executive Education Alliance

auf die Datenbestände in den Bibliotheken der auf dem jeweils anderen Kontinent liegenden Schule zugreifen und mit den Dozenten Rücksprache halten. Im World Wide Web recherchieren sie in allen on- und offline angeschlossenen Bibliotheken und Forschungseinrichtungen der Welt, beschaffen sich Statistiken und aktuelle Markt-, Branchen- und Unternehmensdaten. Sowohl an der GSBA als auch an der Robert H. Smith School of Business steht eine international rekrutierte Dozentenschaft als Lehrkörper und Ansprechpartner zur Verfügung. Die Abschlussarbeit (These) wird von beiden Institutionen abgenommen. Nach erfolgreichem Studium erhalten die Teilnehmer zusätzlich zum Executive MBA-Diplom der GSBA Zürich das der amerikanischen Partnerschule und damit den Dual Degree Global Executive MBA. 4.3

Von der regionalen zur globalen Akkreditierung

Der Erfolg des DD Global Executive MBA lässt immer mehr MBASchulen um die internationale Akkreditierung durch die Association to Advance Collegiate School of Business (AACSB) nachsuchen. Noch auf Regionalstufe ist die FIBAA eine von sechs Agenturen, die im Auftrag des

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Akkreditierungsrates die fachlich-inhaltliche Begutachtung von Studiengängen mit den Abschlüssen Bachelor/Bakkalaureus und Master/Magister in Deutschland leisten. Sie erarbeitet im Akkreditierungsverfahren ein Studiengangsprofil durch die Bestimmung von Ausprägungsstufen der Qualitätselemente. Das Profil setzt auf Mindeststandards des Akkreditierungsrates auf, die den unteren Referenzrahmen bilden, während gleichzeitig die Bewertungen oberhalb der Basislinie zu einem klaren Ausweis des Stärkenund Schwächenprofils führen. Noch höhere Ansprüche an die Qualität einer wirklich internationalen Business School stellt die amerikanische Akkreditierungsbehörde AACSB International. Wer ein global anerkanntes MBA-Programm besuchen will, sollte daher ein Programm besuchen, von der amerikanischen AACSB akkreditiert worden ist. Der weltweite Stellenwert dieser Anerkennung ist weitaus höher als der der rein europäischen regionalen FIBAA. Die 1916 als Non-Profit-Organisation gegründete AACSB, ansässig in Tampa/USA, ist eine der bedeutendsten unabhängigen Akkreditierungseinrichtungen der Welt für universitäre betriebswirtschaftliche Ausbildungsprogramme wie den MBA. Zu ihren 1086 Mitgliedern gehören der überwiegende Teil führender internationaler, wenn auch mehrheitlich nordamerikanischer Universitäten sowie zahlreiche bedeutende Unternehmen. Das Gütesiegel der AACSB ist der international renommierteste Qualitätsausweis eines MBA-Programms und wird von 517 Business Schools und Universitäten mitgetragen. Die Akkreditierung durch den AACSB ist die Grundvoraussetzung für die Bewilligung der meisten Stipendien für USBusiness Schools und absolute Mindestvoraussetzung, um in einem der großen US-Hochschul-Rankings aufzutauchen. Die Robert H. Smith School of Business – University of Maryland wurde vom AACSB akkreditiert. 4.4

Global Rankings für GEMBA

Die internationalen Rankings der Business Schools – regelmäßig vorgenommen von Whitefield Consultants sowie den großen internationalen Wirtschaftsmedien wie Financial Times – sind extrem wichtig für das Ansehen der Schule und ihrer Absolventen. Weil der kommerzielle Wert eines MBA-Titels für die Absolventen in direkten Zusammenhang mit dem Renommee der besuchten Schule steht, streben die meisten Interessenten weitaus lieber an eine Bildungsstätte von Rang als an eine Schule, die nicht auf den „Rennlisten“ vertreten ist. Aus Umfragen ist bekannt, dass für die Wahl einer Business School das Abschneiden in einem der einflussreichen Rankings fast das wichtigste

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Auswahlkriterium ist. Eine Schule unter den Top 20 kann für ihre MBAProgramme höhere Studiengebühren verlangen und aus einem interessanteren Bewerberpool schöpfen. Personalleiter und Berater nehmen die Bewertung der Schulen sehr ernst und messen den Wert des MBAAbschlusses am Namen der Business School. Die Kriterien für die Auswahl und Positionierung der Business Schools sind (FINANCIAL TIMES www.ft.com Monday October 20 2003 KEV TO TABLE). Alumni Survey (weights in brackets): • Salary today (20): The average salary three years after graduation n US dollars. The figure is a weighted average of final salary fr0m 2003 (50 per cent), 2002 (25 per cent) and 2001 (25 per cent). • Salary percentage increase (20): lire percentage increase in average salary from the beginning of the EMIIA to today as a percentage of the pre-EMP salary. The figure is a weighted average of the 2003 percentage increase (50 per cent), the 2002 increase (25 per cent) and the 2001 increase (25 per cent). • Career progress (5): A comparison of the level of seniority of alumni related to company size before the EMA and today. This appears as a rank where the top sore is one. • Career progress (5): A comparison of the level of seniority of alumni related to company size before the EMA and today. This appears as a rank where the top sore is one. • Career progress (5): A comparison of the level of seniority of alumni related to company size before the EMA and today. This appears as a rank where the top sore is one. Aims achieved (5): lire extent to which alumni fulfilled their goals or reasons for doing an EMBA. This appears as a rank where the top score is one. Business School Survey (weights in brackets): • Women faculty (3): Percentage of woman faculty. • Women students (3): Percentage of women students. • Women board (1): Women numbers of advisory board as a percentage. • International faculty (5): lire percentage of faculty that are international, that faculty whose nationality is different of the country employment.

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Abb. 11. Global EMBA Ranking 2006 mit Projektion auf Europa und den deutschen Sprachraum Quelle: Whitefield Consulting Worldwide

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• International students (5): An Index created from two data sources. The first is the number of participants that are resident in the country of the business school but whose nationality is different to the country in which the business school is situated. The other is for participants that are resident in a county outside in which the business school is situated. This appears as a rank where die top score is one. • International board (2): Percentage of advisory board that are international. • International course experience (5): The percentage of classroom teaching hours that arc carried out internationally (outside the country in which the business school is resident). ‘The appears as a rank where the top stare is one. • Languages (1): Number of languages required. • Faculty with doctorates (5): Percentage of faculty with a doctoral degree. • FT doctoral rating (5): Number of doctoral graduates from the past three years with added weighing for those doctoral graduates taking up faculty positions at one of the top 50 fuIl-time MLSA schools. This appears as a rank where the top scare is one. Research Survey (weights in brackets): • FT research rating (10): A rating of faculty publications in 40 international academic and practitioner journals, Points accrued by the business school at which the author is currently employed. This appears as a rank where the top score is one. Die Absolventen des Dual Degree Global Executive MBA (GEMBA) der GSBA/SMITH profitieren also von einer einzigartigen Doppel-Anerkennung ihres akademischen Grades in Europa und in den USA. Dies wird regelmäßig durch hervorragende Positionen in den jährlich publizierten Rankings zum Ausdruck gebracht. 4.5

Dual Degree Master of Science, GSBA/University of Wales

Auch der Master of Science gewinnt in der Wirtschaft stetig mehr Reputation. Vor sieben Jahren fiel der operative Startschuss für das durch die University of Wales validierte Master-of-Science-Programm an der GSBA. Seitdem haben mehr als 400 Studienteilnehmer diesen Studiengang mit einem Diplom abgeschlossen. Das Studium zum Master of Science (MSc.)

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Abb. 12. Compulsory Electives Quelle: GSBA News, April 2007, S. 1

in Business Administration bietet qualifizierten Teilnehmern mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss oder gleichwertiger Weiterbildung sowie einigen Jahren Praxis in einer Führungsfunktion ein abgerundetes Studium mit hohem Praxisbezug. Das MSc.-Programm wird in fünf Vertiefungsrichtungen angeboten: Marketing, Finance, Human Resource Management, MIS/IT und OM/Logistics. Es kann je nach Vorbildung als direktes Ziel oder neu über den Bachelor of Science in Business Administration (BSc.), über den Bachelor in Business Administration (BBA) und über den Produkt- und Projektmanager (PPM) angesteuert werden. Den akademischen Abschluss bildet die MSc.-These. Darin konkretisieren die Absolventen das Gelernte in der Anwendung auf ein strategisches Projekt ihres Berufsumfeldes. Als Abschluss des MSc. erhalten die erfolgreichen Studienteilnehmer nicht nur das MSc.-Diplom der GSBA Zürich, sondern auch jenes der 1893 gegründeten University of Wales, der zweitgrößten Universität Großbritanniens. Die in Wales gesetzten hohen akademischen Standards sind auch für die Partnerinstitutionen verpflichtend. Schirmherr des Instituts ist der Prince of Wales, His Royal Highness Prince Charles Windsor of Wales.

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Immer auf dem Sprung: What’s next?

„Unter denen, die über Europas Zukunftsvision schreiben und sich darüber auslassen, wie der alte Kontinent klammheimlich den amerikanischen Traum verblassen lässt, scheint niemand etwas von Demographie zu verstehen.“ Das schrieb der amerikanische Historiker Walter Laqueur (2005), und er stellte eine Frage, bei der man sich ihn kopfschüttelnd vor sich sieht: „Ist es denkbar, dass ein Erdteil mit geringen, schrumpfenden und obendrein überalterten menschlichen Ressourcen das 21. Jahrhundert dominieren werde?“. Asien und ganz besonders China verheißt Milliardenmärkte, die zwischen Chancen und Risiken oszillieren. Hoch gezüchtete Technologien, die globale Umweltsituation, gestraffte Wertschöpfungsketten, rasant gestiegene Innovationsraten – das alles fordert die heutigen Executives heraus. Die jungen Wirtschaftsgroßmächte China und Indien winken mit nie dagewesenen Chancen, aber auch mit nie da gewesenen Herausforderungen ans Management. Indien und China kurbeln die Fantasie der Weltwirtschaft an aufgrund markant tiefer Lohnkosten, plötzlich möglich gewordener Innovationsfreude und Erneuerungsbereitschaft dieser vormals schlafenden Giganten. Dies generiert Kreativitätsschübe und bringt echte Entrepreneurship hervor. Noch weiss niemand, welche von China und Indien ausgehenden Chancen sich auch tatsächlich realisieren lassen; so oder so jedoch verändern beide Länder die globale Ökonomie. Damit die westlichen Länder ihre Wohlfahrt aufrechterhalten können ist es nun wichtig, dass sie jene Kräfte verstehen lernen, die die im Aufbruch befindlichen Länder erfasst haben. Erst wenn dieser Lernprozess erfolgreich verläuft, können neue Kooperationsmodelle entstehen – und diese führen zu einer neuen ökonomischen Weltordnung, die nahe liegender Weise ihren Einfluss auch auf das Sozialgefüge ausüben wird. Dass der Aufbruch Chinas neben großen Chancen auch Risiken für die westlichen Unternehmungen birgt, liegt auf der Hand. Die für viele überraschend vollzogene Wende Japans vom me too-Produzenten zum erfolgreichen Innovator mag hierfür ein Beispiel geben. Die erkennbar größten Risiken in China freilich liegen im politischen Bereich, einem für westliche Executives nahezu undurchdringlichen Gebiet, sowie in der Belastung der Umwelt. Chinas Fabriken vergeuden Energie und belasten die Strommärkte. Das Land ist der zweitgrößte Emittent des klimaschädlichen Kohlendioxids. Großprojekte wie der umstrittene Drei-Schluchten-Staudamm führen zur Zerstörung riesiger Naturgebiete und zur Zwangsumsiedlung von Millionen Menschen. Dies hat mittelfristig Einfluss auf die soziale und die betriebswirtschaftliche Situation. Verteuert sich die Energie, werden

Der Globale Executive MBA (GEMBA)

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die Produktionskosten in China überproportional steigen. Niedrige Löhne, oft unter dem gesetzlichen Mindestlohn, und schlechte Arbeitsbedingungen sind die Kehrseite attraktiver Lohnkosten. Zudem gibt es viele Arbeitsunfälle. Wachsen die Ansprüche der Menschen an das Pro-KopfEinkommen, die Arbeitsbedingungen oder an gerechtere Verteilung, dann könnte es zu sozialen Unruhen kommen. China mag faszinieren, doch auch diese Überlegungen sollten im Sinne eines professionellen Risikomanagements von den Executives beachtet werden (cf. Thommen, S. 841 ff.). Die ökologischen und sozialen Spannungsfelder, in denen sich die Unternehmen in China bewegen, stehen heute im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. „Multinational companies also need to take into account the emerging backlash against globalization and multinational companies“ (Yip 2003, S. 24) So kann unzureichendes nachhaltiges Wirtschaften neben betrieblichen und gesetzlichen Risiken zu gravierenden Reputationsproblemen für die Unternehmen führen. Verbraucher und Öffentlichkeit erwarten von den Unternehmen, die in China investieren, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Umweltstandards in eigenen Fabriken in China oder bei Zulieferern führen zu Reputationsrisiken und zur Gefahr von Haftungsklagen. Weil zumeist die lokalen Zulieferer im Zentrum der Kritik stehen, ist es kaum verwunderlich, dass insbesondere Konsumgüterhersteller, die in China produzieren lassen, in der Vergangenheit mit negativen Schlagzeilen über ihre ethisch zweifelhaften Aktivitäten in Fernost konfrontiert wurden. Sie sind stärker betroffen als Konzerne mit eigenen Produktionsstandorten in China, da lokale Zulieferer in der Regel schlechter kontrolliert und beeinflusst werden können. Um die China-Risiken möglichst gering zu halten, achten viele Unternehmen darauf, angemessene Umwelt- und Sozialstandards in ihrer Lieferkette einzuhalten. Sie stellen Mindestanforderungen an ihre Lieferanten und setzen zur langfristigen Verbesserung der sozialen Verhältnisse unterstützende Maßnahmen wie Schulung und Beratung sowie Brancheninitiativen ein. Die Öffnung Chinas hat die Globalisierung auf eine neue, höhere Stufe getrieben. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ab, dass sich das Executive Development in Zukunft noch stärkere auf die internationale Verantwortlichkeit von Führungskräften gerichtet sein wird. Die ManagementWeiterbildung an der International Business School wird diese neue Herausforderung annehmen und mit einem WEMBA-(World Executive MBA) Programm antworten. Dieser neue Studiengang führt die Studienteilnehmer in jeweils zweiwöchigen Unterrichtsblöcken an reputierten Universitäten rund um die Welt. Jeder Block schließt mit einem Zertifikat der jeweiligen

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Albert Stähli

Top Universität ab. Zum Abschluss schreibt der Studienteilnehmer bei einem der 52 GSBA-Professoren als These ein Strategie-Papier für seine eigene Unternehmung. Die Anstrengungen der erfolgreichen Absolventen um den Erfolg ihrer Unternehmen und um ihre eigene Employability werden mit dem Dual Degree von zwei renommierten Universitäten gekrönt.

Literatur Alon, I., McAllaster, C. (2006), The Global Footprint, in: BizEd May/June 2006, S. 32-35 Cox, W. H. (2004), MBA für Executives. Die besten berufsbegleitenden Schulen in Europa, Frankfurt a. M. 2004 Haller, S. (2006), Chinas Markt bearbeiten, in: Swiss Export Journal, 2. Quartal 2006, S. 17-21 Laqueur, W. (2005), Europa im 21. Jahrhundert, in: Merkur, Juli 2005, S. 653-666 Lorenz, A., Wagner, W., Die Rotchina AG, in: Der Spiegel 3/2007, S. 84-99 Luhmann, N. (1970), Soziologische Aufklärung, 1. Aufsätze zur Theorie Sozialer Systeme, Opladen, 1970 Michaels, J.W. (2000), Perspectives, in: Forbes, Special Internet Issue, Summer 2000 Poeggeler, F. (1974), Erwachsenenbildung, Einführung in die Andragogik, Band 1, Stuttgart, 1974 Schelling, T. (1960), The Strategy of Conflicts, Harvard University Press 1960 Stähli, A. (1992), Europäische Lösung: Genetisch wachsende Fallstudie, Management-Andragogik Band 2, London 1992 Stähli, A. (1995), Total Quality Management und Management-Andragogik, in: Berndt, R. (Hg.), Total Quality Management als Erfolgsstrategie, Berlin/Heidelberg 1995 Stähli, A. (1996), Globalisierung in der Management-Andragogik, in: Berndt, R. (Hg.), Global Management, Berlin, Heidelberg 1996, S. 19-43 Stähli, A. (2001), Management-Andragogik I – Harvard Anti-Case, Berlin, Heidelberg, New York 2001 Stähli, A. (2005), Management-Andragogik II, Zurich Living Case, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 2005 Stähli, A. (2006), China als Chance packen, in: Organisator – Das Magazin für KMU, Nr. 1-2/2006, S. 16-17 Thommen, J.-P., (2004), Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre, 7. Auflage, 2004 Yip, G. S. (2003), Total Global Strategy II, Pearson Education 2003

ZWEITER TEIL

Corporate Strategies

Methoden des Zukunftsmanagements Thomas Lichtenberger

Summary. The author discusses and evaluates several important methods of future management like scenario management, future radar, trend studies, roadmaps, leadcustomer approach. Main aspects of implementation of an integrated future management are presented.

1

Bedeutung des Zukunftsmanagement

Jedes global agierende Unternehmen muss sich bewusst sein, dass sich die momentane Weltwirtschaft in einem epochalen Wandel befindet. Durch Verschiebungen von Wirtschaftskräften werden alte Strukturen aufbrechen. Aufstrebende Nationen wie die BRIC Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) aber auch Drittländer wie die afrikanischen Staaten werden Entwicklungen erfahren, welche die westliche Welt massiv beeinflussen werden. Die damit auch im Zusammenhang stehenden Faktoren wie Klimawandel, Rohstoffverknappung und die Bedeutung von regenerativen Energieformen werden deutlich erkennbare Auswirkungen haben. All diese Entwicklungen werden oft als sehr risikoreich für die etablierten westlichen Firmen beschrieben. Zu Recht, aber diese Risiken bestehen in erster Linie für solche Firmen, die auf Althergebrachtes vertrauen und für einen Wandel nicht bereit sind. Allen anderen öffnet sich ein wahres Füllhorn an neuen Opportunitäten; allerdings nur bei der Bereitschaft offen zu sein für Neues, Altes aufzugeben und sich einem immer anhaltenden Wandel zu stellen. Nicht alle Entwicklungen sind vorhersehbar, aber verschiedene Zukunftsentwicklungen lassen sich erwarten: „Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, aber wir dürfen uns nicht von ihr überraschen lassen“ (Autor: unbekannt) Vor solch einem Hintergrund, der von immensen Veränderungen geprägt ist und in dem sich vielfältige neue Opportunitäten ergeben können, ist es für Unternehmen unerlässlich, einen systematischen Prozess zu etab-

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Thomas Lichtenberger

lieren und Methoden anzuwenden, die Hilfestellung leisten, das Unternehmen für die Zukunft erfolgreich zu gestalten. Aktive Zukunftsgestaltung muss die Intention sein; d.h. sich nicht durch passives Verhalten durch Umfeldveränderungen in ungünstige Situationen treiben lassen. Es ist jedoch hervorzuheben, dass alle Methoden und Prozesse ein Hilfsmittel sind, den unternehmerischen Entscheidungsprozess zu unterstützen. Das unternehmerische Gespür, das Gefühl dafür, wo zukünftig erfolgreiche Geschäfte möglich sein werden und wann dafür der richtige Zeitpunkt sein wird, lässt sich nicht ersetzen, sondern nur unterstützen. Die zukünftige, globale Wirtschaft ist von hoher Komplexität und durch sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren geprägt. Methodiken und Prozesse, wie die nachfolgend beschriebenen, stellen immer eine Vereinfachung der Realität dar. Die richtige und auch persönlich geprägte Interpretation ist immer von großer Bedeutung.

2

Ebenen des Zukunftsmanagement

Zukunftsbezogene Fragestellungen: Wie muss das Unternehmen im Markt positioniert werden und welche Strukturen/Prozesse und Fähigkeiten sind dazu erforderlich? Welches sind die attraktiven Geschäftsfelder/Applikationsfelder in denen eine verteidigbare Wettbewerbsposition aufgebaut werden kann? Mit welchen Produkten und Leistungen kann ein Mehrwert für Kunden geschaffen werden? Bevor ein Unternehmen sich mit Methoden des Zukunftsmanagement beschäftigt, muss die Fragestellung geklärt werden, die es gerne beantwortet

Unternehmen

Geschäftsfelder

Produkte

Abb. 1. Ebenen des Zukunftsmanagements

Methoden des Zukunftsmanagements

39

haben möchte. Für jede der oben dargestellten Ebenen gibt es hilfreiche Tools, aber keine Methode deckt alle Fragestellungen in gleichem Maße ab. Geht es um grundsätzliche Positionierungsfragen eines Unternehmens ist es z.B. wichtig zu wissen, wie sich die Branchenstrukturen verändern werden, wohingegen dies für eine Ableitung von Produkten, mit denen in den nächsten 2-3 Jahren Umsatz generiert werden soll, nicht primär im Fokus steht. Neue Produkte werden nicht durch den Zukunftsmanager gefunden oder definiert, sondern durch den Produkt- oder Branchenmanager. Das primäre Anwendungsfeld eines Zukunftsmanagement bezieht sich auf die Ebene Gesamtunternehmen und auf die Ebene der Geschäftsfelder bzw. Applikationsfelder. Hier hat es seine Stärken, hier sollte es vorrangig eingesetzt werden. Methoden des Zukunftsmanagement können helfen, attraktive Anwendungsfelder zu identifizieren. Wenn es dann anschließend um die konkrete Findung und Definition von Produkten dafür geht, ist der Produktoder Branchenmanager gefragt diese zu definieren. Hier ist detaillierte Kenntnis der Kundenanforderungen, der Applikation und der technologischen Möglichkeiten erforderlich. Gemeinsam mit (potenziellen) Kunden diejenigen Produkte mit ihren Eigenschaften zu definieren, die einen echten added value bieten, muss die Kernkompetenz des Produkt- oder Branchenmanagers sein.

3

Ausgewählte Methoden und deren Anwendbarkeit in der Praxis

Nachfolgend werden einige wenige, ausgewählte Methoden vorgestellt. Das wesentliche Kriterium war das Wissen, dass all diese Methoden je nach Aufgabenstellung, in der Praxis ihre Anwendung finden. 3.1

Szenariomanagement

Unter Szenariomanagement versteht man die Nutzung von Szenarien in der strategischen Führung. Ein Szenario-Projekt ist ein Projekt, in dem unternehmerische Entscheidungen durch die Erstellung und Anwendung von Szenarien unterstützt werden. Diese Szenarien beziehen sich immer auf einen bestimmten Gegenstand, dieser Gegenstand wird als Gestaltungsbereich bezeichnet [Gausemeier 1999, S. 80]. Szenarien beschreiben Situationen von Märkten, in die das eigene Geschäft positioniert werden soll.

40

Thomas Lichtenberger Szenario-Vorbereitung

Szenario-Erstellung

1

Szenariofeld-Analyse 2

Szenario-Plattform: Projektdefinition und Ausgangssituation des Gestaltungsfeldes Schlüsselfaktoren

Szenariofeld-Prognostik 3

Zukunftsprojektionen

Szenariofeld-Bildung 4

Szenarien

Szenariofeld-Transfer 5

Strategische Handlungsoptionen

Abb. 2. Phasen des Szenariomanagement Quelle: Gausemeier, 1999, S. 85.

Zukunftsszenarien beruhen auf einem vernetzten System von Einflussfaktoren, wobei für jeden Einflussfaktor mehrere denkbare zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten ins Kalkül gezogen werden können. Dieser Denkansatz basiert auf den beiden Grundprinzipien „Vernetztes Denken“ und „Multiple Zukunft“ [Bingert/Stollt 2005, S. 4]. Nachdem der Gestaltungsbereich definiert ist, werden die Einflussbereiche definiert und für diese dann anschließend die Einflussfaktoren. Aus der Vielzahl der Faktoren werden in einem systematischen Prozess die Schlüsselfaktoren ermittelt. Für diese werden dann die potenziell möglichen Zukunftsausprägungen festgelegt. Anschließend erfolgt dann entweder direkt in einem kreativen Prozess die Vernetzung der Schlüsselfaktoren oder wie bei der Methode nach Gausemeier die Anwendung eines EDV-Tools, das die Korrelationen der Schlüsselfaktoren ebenfalls berücksichtigt. Aus den vernetzten Schlüsselfaktoren werden dann (mehrere) in sich konsistente Zukunftsbilder skizziert. Bewertung Für einen konkreten abgrenzbaren Betrachtungsbereich empfiehlt es sich, mögliche Zukunftsentwicklungen durchzuspielen und entsprechende Ableitungen für das eigene Unternehmen zu treffen. Mindestens so wichtig wie die Methodik ist der Prozess selbst, der davon lebt, dass die richtigen Personen daran teilnehmen. Für Unternehmen,

Methoden des Zukunftsmanagements

41

die sich noch nie mit einer längerfristigen Planung beschäftigt haben, ist die Methodik des Szenariomanagements sehr wertvoll. Es besteht jedoch die Gefahr, dass wenn der Betrachtungsbereich zu weit gesteckt wird, die Ergebnisse zu allgemein und abstrakt ausfallen und damit wenig hilfreich sind. 3.2

Zukunftsradar

Einen interessanten Ansatz hat Pero Micic mit seiner Firma Future Management Group. Der Fokus des Future Radar richtet sich grundsätzlich auf drei verschiedene Typen von Informationen: Wahrscheinliche bzw. erwartete Entwicklungen (Forecast Radar), aussichtsreiche neue Konzepte und Ideen (Opportunity Radar) sowie unwahrscheinliche und potenziell überraschende Ideen (Surprise Radar). Forecast Radar

Opportunity Radar

Surprise Radar

Aussagen von Think Tanks, Experten und Zukunftsforschern über wahrscheinliche bzw. erwartete Entwicklungen und Ereignisse als Grundlage für strategische Entscheidungen

Aussagen von internen und externen Akteuren über aussichtsreiche Geschäftsfelder, Geschäftsmodelle und Strategien als Grundlage für Investitionen

Aussagen von Think Tanks, Experten und Zukunftsforschern über Unwahrscheinliche und potenziell überraschende Entwicklungen und Ereignisse

Abb. 3. Kategorien des Future Radar Quelle: www. futuremanagementgroup.com. Phase

„FutureScan for Signals”

Aktivität Erfassung

Strukturierung

Evaluation

Ergebnis Roh-Signale

Strukturierte präzisierte Signale

Potenziell kritische Signale

200-500

200-500

Redundanz, Argumente

Starke Relevanz

Zahl

1.000

Qualitäts- Generelle kriterien Relevanz

Abb. 4. Signalerkennung Quelle: www. futuremanagementgroup.com.

42

Thomas Lichtenberger

Abb. 5. Bewertung der Signale mit verschiedenen „Brillen“ Quelle: www. futuremanagementgroup.com.

Der Future Radar ist ein Prozess, der eingebettet in ein ganzheitliches Modell die Zukunftschancen eines Unternehmen ermittelt. Dieses Modell nennt Micic „Eltviller Modell“. Sein Hauptansatz besteht darin, dass er einen sehr offenen Scan-Prozess über verschiedenste Zukunftssignale installiert, über verschiedene Bewertungsstufen die wichtigsten (für das jeweilige Unternehmen) herausfiltert und diese dann als Basis für die weiteren Ableitungen heranzieht. Die Signale werden bewertet, indem man sie durch verschiedene „Brillen“ betrachtet. Bewertung Die Betrachtung mit verschiedenen „Brillen“ ist ein interessanter Ansatz, baut aber darauf auf, dass ein umfangreicher „Scan-Prozess“ für die Signale installiert wird, um dann über mehrere Bewertungsstufen die relevanten Signale identifizieren zu können. Die Bewertung aufgrund verschiedener „Brillen“ setzt somit eine hohe Anteilnahme des Unternehmens, also einen hohen Kosten- und Zeitaufwand voraus, da nur hier die Experten vorhanden sind, welche die Relevanz für das Unternehmen beurteilen können.

Methoden des Zukunftsmanagements

3.3

43

Ableitungen von Trendstudien

Beschäftigt man sich ausführlich mit dem Thema Zukunftsplanung, fällt auf, dass es eine Vielzahl von Studien im Bereich der Mega-Trends gibt. Es gibt Institutionen und auch Einzelpersonen, die hieraus ein sehr prosperierendes Geschäft gemacht haben. Diese Art von Studien gibt es auf verschiedenen Ebenen: Studien mit globalem Ansatz oder auch solche, die einzelne Länder oder Branchensegmente abdecken. Als interessante Beispiele können angeführt werden: „Horizons 2020 – Ein Szenario als Denkanstoss für die Zukunft.“ Diese hervorragende Zukunftsstudie wurde im Auftrag der Siemens AG von tns-Infratest durchgeführt und deckt den kompletten Lebensbereich der Weltbevölkerung im Jahre 2020 ab. Oder auch das Ergebnispapier der Arbeitsgruppe MANUFUTURE-D. [Strategic Research Agenda Manufuture Germany 2006]. In einer außergewöhnlich breit angelegten und hochkarätig besetzten Research-Studie, die auch durch das BMBF gefördert wurde, wurden die wichtigsten beeinflussenden Trends im Technologiebereich identifiziert. Diese beiden, aus Sicht des Autors äußerst qualifizierten Studien, sollen als Beispiel für Trend-Studien genannt werden. Es gibt eine Vielzahl solcher Ausarbeitungen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die Qualität der einzelnen Studien durchaus sehr unterschiedlich sein kann. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Methoden für das Erkennen von Zukunftschancen liefern diese Studien Informationen über vorhandene Trends auf aggregiertem Niveau. Bewertung Im engeren Sinne sind diese Studien nicht unbedingt von methodischer Bedeutung. Als wichtiges take-away kann jedoch festgehalten werden, dass Untersuchungen zu Mega-Trends in verschiedenen Segmenten vorhanden sind und nicht erst durch eine primäre Exploration erhoben werden müssen. 3.4

Roadmaps

Eine weitere Methode der Vorausschau sind die so genannten ZukunftsRoadmaps. Dieses Vorgehen ähnelt den Trend-Studien, legt aber größeren Wert auf den zeitlichen Aspekt und ist konkreter bezüglich der Aufgabenstellung. Roadmaps sind in der Regel technisch orientiert. Als Beispiel soll hier die „Integrierte Technologie Roadmap, Automation 2015“ durchgeführt von ZVEI (Zentralverband Elektro- und Elektronikindustrie) und IZT (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung) angeführt werden.

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Thomas Lichtenberger

Abb. 6. Integrierte Technologie Roadmap Quelle: ZVEI (Zentralverband Elektro- und Elektronikindustrie) und IZT (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung)

Die Erstellung der Roadmaps besteht aus einem mehrstufigen Prozess, der mit der Trendanalyse beginnt und über Zukunftsbilder zur Identifikation von Wertschöpfungsmöglichkeiten und Herausforderungen für die Technologieentwicklung und Erschließung von Zukunftsmärkten führt. Während die Trendanalyse bekannte Entwicklungen in die Zukunft fortschreibt, lassen sich aus den Zukunftsentwürfen neue Aufgaben und Problemstellungen für die Innovationsplanung ableiten.

Abb. 7. Vorgehensweise Roadmaps Quelle: ZVEI (Zentralverband Elektro- und Elektronikindustrie) und IZT (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung)

Bewertung Die hier dargestellte Methode erscheint sehr interessant. Insbesondere der Aspekt, dass ausgehend von bekannten (technologischen) Trends zu bestimmten Themen eine Extrapolation in die Zukunft vorgenommen wird und diese dann mit langfristig wirkenden Zukunftsbildern abgeglichen wird.

Methoden des Zukunftsmanagements

45

Die Retropolation zeigt dann, welche Maßnahmen (Roadmaps) durchgeführt werden müssen, damit sich ein kongruentes und schlüssiges Bild ergibt, wie man von der heutigen Situation zu der wahrscheinlichen Zukunft kommt. 3.5

Leadcustomer-Ansatz

Als sehr pragmatischer und weniger methodenorientierter Ansatz soll ergänzend der Leadcustomer-Ansatz dargelegt werden. Dieser Ansatz baut darauf auf, dass es eine Kundengruppe gibt, die als Vorreiter für neue Produkte/Bedürfnisse angesehen werden kann. Diese Kunden werden direkt in den Produktdefinitionsprozess (manchmal auch in die operative Produktentwicklung) mit einbezogen. Das Vorhandensein und die Auswahl der richtigen Lead-Customer ist die Grundvoraussetzung bzw. die ergebnisbeeinflussende Größe. Der größte Vorteil hierbei ist, dass Produkte definiert werden, die ganz konkret auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet sind. Wichtig ist, dass die ausgewählten Kunden einen repräsentativen Charakter für ein bestimmtes Marktsegment besitzen. Bewertung Diese Methode zur konsequenten kundenorientierten Umsetzung von Produktneuheiten ist fast als Muss für ein modernes Unternehmen zu werten. Wenn es jedoch um eher langfristig orientierte Fragestellungen und um komplexere Themen wie neue Geschäftsfelder geht, kommt der LeaduserAnsatz sehr schnell an seine Grenzen. 3.6

Zusammenfassung und Bewertung der Ansätze

Die vorgestellten Ansätze sollen in einer Übersicht bewertet und gegenüber gestellt werden. Dazu werden folgende Kriterien angewendet: 1. Trenderkennung In wie weit ist der Ansatz geeignet, neue Zukunftstrends zielsicher und frühzeitig zu erkennen? 2. Trendbewertung Liefert der Ansatz eine praktikable Methodik, um einen erkannten Trend hinsichtlich seiner Relevanz und Bedeutung für das Unternehmen zu bewerten sowie konkrete Chancen daraus abzuleiten?

46

Thomas Lichtenberger

3. Prozessorientiertheit Stellt die Methode einen durchgängigen Prozess dar? Von einer Erkenntniserlangung bis hin zu einer abgeleiteten Aktivität. Implementierbar als kontinuierlicher oder regelmäßig wiederkehrender Prozess. 4. Aktivitätsorientiert Kann aus dem Ergebnis der Methodik konkret eine Aktivität abgeleitet werden, oder liefert sie nur zusätzliche Informationen im Rahmen der Erkenntnisvertiefung? 5. Entscheidungsprozess Ist der interne Entscheidungsprozess Bestandteil der Methode? 6. Eigener Aufwand Wie hoch ist der Umsetzungsaufwand, der selbst erbracht werden muss? Die Bewertung erfolgt qualitativ: ++ + o --

= = = = =

Sehr gut Gut Teilweise Nur bedingt Eher nicht

Die Bewertung basiert auf persönlich gemachten Erfahrungen und Einschätzungen. Aus der Tabelle 1 wird deutlich, dass fast alle diskutierten Methoden ihren Schwerpunkt bei der Erkennung und Bewertung von Trends haben. Die direkte Schnittstelle zu den Umsetzungsaktivitäten ist in den seltensten Fällen vorhanden. Eine Durchgängigkeit von der Trenderkennung bis zur Umsetzung in die operativen Planungsprozesse lässt sich nur teilweise erkennen. Ein Aspekt, der sich überraschender Weise ebenfalls in keiner der Methoden ausführlich wiederfindet, sind die Entscheidungsprozesse. Es wird beschrieben, wo welche Entscheidungen zu treffen sind, aber nicht, wie diese herbeizuführen sind. Die Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen und Erwartungshaltungen innerhalb der Entscheidungsprozesse ist nicht gegeben. Oft ist es die Situation, dass retrospektiv betrachtet, die wichtigsten Trends innerhalb des Unternehmens bekannt waren, es jedoch nicht gelungen ist, deren Bedeutung entsprechend zu beurteilen und vor allem zum richtigen Zeitpunkt die notwendigen (Umsetzungs-) Entscheidungen zu treffen. Die hier dargestellten Methoden sind eine Auswahl. Alle werden in der Praxis durch namhafte Firmen eingesetzt; sie werden i.d.R. jedoch an die individuellen Bedürfnisse angepasst.

Methoden des Zukunftsmanagements

47

Tabelle 1. Bewertung der Ansätze Methode Szenariomanagement

Trenderkennung ++

Erläuterung Liefert sehr gute Ergebnisse bei der Trenderkennung, jedoch sehr häufig nur auf einer sehr hohen Ebene. ZukunftsRadar

++

Trendbewertung

++

Wenn Thema Erläuterung stimmt, sind diese für Trenderkennung sehr gut geeignet. Roadmaps

+

Kein offener Erläuterung Ansatz. Oft bottom-up. Kann aber für ein abgegrenztes Gebiet gute Ergebnisse liefern. Leadcustomer

--

Erläuterung Nicht primär auf die Trenderkennung ausgerichtet.

Aktivitätsorientiert

+

Trendbewertung ist elementarer Bestandteil. Oft aber nur bezogen auf Gesamtunternehmen und nicht auf Produkte.

In den Planungsprozess integrierbar. Hat aber primär Projektcharakter.

++

++

+

O

hoch

Vom Grundansatz her bereits als kontinuierlicher Prozess konzeptioniert.

Das Endergebnis liefert ein bewertete Chance, und zeigt das Aktivitätsfeld auf.

Nicht explizit enthalten. Da aber sehr konkret, gute Basis für Entscheidung.

Je nach Anzahl der Sensoren; kann sehr hoch sein, ist aber skalierbar.

+

--

--

--

gering

Bewertung dann gut, wenn Thema auf Firmenstrategie abgestimmt.

Nicht prozessorientiert. Durchführung i.d.R. Ad hoc

+

++

Da sehr spezifisch, werden die ausgewählten Trends intensiv bewertet. Es wird aber keine Methodik zur Verfügung gestellt.

Kann in die Programmund Produktstrategie sehr konkret integriert werden.

O

EntscheiEigener dungsprozess Aufwand

++

Erläuterung Sehr systema- Gestufter tische Trender- Bewertungskennung. prozess der schrittweise heruntergebrochen ist. Trendstudien

Prozessorientiert

--

Konkrete Nicht enthalAktivitäten sind ten. nicht direkt ableitbar. Es hängt entscheidend von den Folgeschritten ab.

Liefert Grund- Nicht lagen für enthalten. nachfolgende Ableitungen

hoch Insbesondere bei erstmaliger Durchführung ist der Aufwand sehr hoch. Diskussionen aber sehr wertvoll.

Da i.d.R. extern, Aufwand nur finanziell bzw. Betreuung.

+

+

hoch

Je nach Ebene der Roadmap können Aktivitäten gut bis sehr gut abgeleitet werden.

Nicht als Methodik enthalten, liefert aber die Basis für die Entscheidungsfindung.

Da oft sehr konkret, ist der Aufwand sehr hoch.

O

+

++

O

mittel

Durch intensive Gespräche mit Leadkunden werden potenzielle Trends belastbar bewertet.

Kann gut in einen Neuheitenentstehungsprozess integriert werden.

Gespräche mit Kunden immer sehr konkret. Deshalb lassen sich Aktivitäten sehr gut ableiten

Auf dieser sehr konkreten Ebene sehr belastbare Informationen für die Entscheidungsfindung.

Abhängig von Kundenanzahl. Fast immer ist Aufwand in Relation zum Nutzen sehr gut.

48

4

Thomas Lichtenberger

Umsetzung eines integrierten Zukunftsmanagement

Ein integriertes Zukunftsmanagement ist dadurch geprägt, dass es durchgängig, von der Ebene des Gesamtunternehmens und dessen zukünftige Ausrichtung, bis hin zur Erkennung von neuen Opportunitäten auf der Ebene von Applikationsfeldern, gestaltet ist. Es liefert Informationen für das Top-Management, was auf das Unternehmen in der Zukunft zu kommt und gibt Handlungsempfehlungen. Ein kontinuierlicher Prozess identifiziert rechtzeitig neue Opportunitäten auf der Ebene von Applikationsfeldern und leistet die Vorarbeit dazu, dass Spezialisten in der Lage sind, neue Produkte für attraktive Applikationen zu definieren. Diese Anforderungen lassen sich nicht durch eine einzige Methode erfüllen. Eine Möglichkeit dieser Situation gerecht zu werden, ist die Kombination aus der Methode Szenariomanagement und eines kontinuierlichen Prozesses zur Chancenerkennung. Ein Szenariomanagement Projekt bezogen auf das Gesamtunternehmen hat eine entsprechende Größenordnung. Der Zeitraum, der dafür angesetzt werden muss, bewegt sich in der Größenordnung von mindestens 3-6 Monaten. Der Prozess ist geprägt durch mehre Workshops und die Qualität des Ergebnis wird maßgeblich durch die beteiligten Personen geprägt. Auch mit externer Unterstützung (welche sehr zu empfehlen ist) ist der interne Aufwand nicht zu unterschätzen. Mindestens so wichtig wie das Endergebnis sind die Diskussionen während der Workshops. Sie schärfen das gemeinsame Bild und das Verständnis für die in der Zukunft liegenden Chancen und Risiken. Es wird empfohlen, ein solches Projekt ca. alle 3-5 Jahre durchzuführen, um sicherzustellen, dass das Unternehmen als Ganzes und seine Geschäftsbereiche sich in die bestmögliche Richtung entwickeln und die richtigen Prioritäten setzen. Ein wesentliches Element des Szenarioprozesses ist es, sich über die wichtigsten Trends im Umfeld des Unternehmens und deren Einflüssen klar zu werden. Genau hier liegt die Schnittstelle und die Synergie zum ergänzenden kontinuierlichen Prozess der eigentlichen Chancenerkennung. Phasen 1. Kenntnis der relevanten Mega-Trends sowie der branchen-/segmentspezifischen Trends des Betrachtungsbereichs. 2. Bewertung der Trends hinsichtlich Bedeutung und Einfluss auf das eigene Unternehmen und die Strategie.

Methoden des Zukunftsmanagements

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Abb. 8. Stufen Szenariomanagement Quelle: Fraunhoferinstitut IAO in Stuttgart Szenariomanagement 1 Trenderkennung

2

3

Trendbewertung

Chancenableitung

4 Chancenbewertung

5 ChancenSelektion

6

7

8

ChancenUmsetzungs- Businessaufarbeitung entscheidung development

Jährlich rollierender Prozess

Abb. 9. Das 8-Phasen-Modell der Chancenerkennung Quelle: Fraunhoferinstitut IAO in Stuttgart

3. Identifizierung der Chancen, die ein Trend für das Unternehmen bietet. 4. Bewertung der Chancen nach klaren Kriterien. 5. Auswahl der Chancen, die sich lohnen weiter vertieft und ausgearbeitet zu werden. 6. Inhaltliche Ausarbeitung der Chancen (Business Case). 7. Herbeiführung der Umsetzungsentscheidung (sofern der Business Case die Grundlage liefert). 8. Hochfahren des Business oder Umsetzung des Projektes bis langfristige Wirtschaftlichkeit und Attraktivität nachgewiesen.

50

4.1

Thomas Lichtenberger

Kenntnis der relevanten Mega-Trends sowie der branchen-/ segment-spezifischen Trends des Betrachtungsbereichs

Ausgehend von den im Szenariomanagement identifizierten Mega-Trends werden die für das Unternehmen entscheidenden Suchfelder für neue Chancen festgelegt, und zwar aufgeteilt nach relevanten Kategorien. Die meisten Methoden des Zukunftsmanagement beinhalten eine sehr offene Betrachtung des Marktes zur frühzeitigen Erkennung von Signalen, die einen Hinweis auf potenzielle Chancen bieten. Ein solcher sehr offener Ansatz bietet natürlich den Vorteil, dass interessante Signale aus Feldern kommen, die bisher nicht betrachtet wurden. Auf der anderen Seite ist der Aufwand sehr groß, wenn es systematisch bzw. kontinuierlich erfolgen soll. Betrachtungsfeld

Korridorthema

Suchfeld

Gesellschaft

Mobilität

Alternative Kraftstoff sparende PKW-Antriebe

Gesellschaft

Alterung

Wohnmobile

Energie&Umwelt

Energieerzeugung

Windkraftanlagen Wasserstofferzeugung Anlagen zur Erzeugung von Biokraftstoffen

Energie&Umwelt

Wiederverwendung

Recycling von organischen Industrieabfällen

Technologie

Sensorik

RFID

Abb. 10. Fiktives Beispiel für Suchfelder

In der Praxis hat es sich bewährt, ausgehend von der Analyse der Megatrends aus dem Szenariomanagement die Suchfelder einzuschränken. Über die Kategorien, Betrachtungsfeld und Korridorthema werden diejenigen Suchfelder definiert, in denen die größten Chancen für ein Unternehmen in der Zukunft erwartet werden. Dies ist pragmatisch und fokussiert die Aktivitäten. 4.2

Bewertung der Trends hinsichtlich Bedeutung und Einfluss auf das eigene Unternehmen und die Strategie

Zu jedem definierten Suchfeld werden im Unternehmen Paten festgelegt. Deren Aufgabe ist es, kontinuierlich dieses Suchfeld zu beobachten. Ihnen

Methoden des Zukunftsmanagements

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zugeordnet werden „Sensoren“. Dies sind Experten für das jeweilige Suchfeld. Dies können beispielsweise Analysten, Hochschulprofessoren oder sonstige Spezialisten für das Thema sein. Aufgaben der Sensoren • Beobachtung des zugeteilten Suchfeldes hinsichtlich Trends und Veränderungen; • Kontinuierliche Sammlung von Informationen über Aktivitäten innerhalb des Suchfeldes; • Identifizierung der Lead-Firmen; • Quartalsweiser Kurzbericht (evtl. mit standardisiertem Formular); • Einmal jährlich schriftlicher „Expertenbericht“ über das Suchfeld; • Ad-hoc-Berichte bei wichtigen Ereignissen. Dies bedeutet, dass es die Aufgabe des „Paten“ ist, ein Netzwerk aufzubauen, das sicherstellt, dass kein Trend und keine Entwicklung unbekannt bleibt. Diese Tätigkeit erfolgt kontinuierlich und die Erkenntnisse werden einmal jährlich dokumentiert und zusammengefasst. 4.3

Identifizierung der Chancen, die ein Trend für das Unternehmen bietet

In einer Zukunftskonferenz, die einmal jährlich statt findet, stellen alle „Paten“ die Erkenntnisse für ihr Suchfeld vor. In einem kreativen Prozess werden potenzielle Chancen gemeinsam erarbeitet, die sich ggf. aus der Entwicklung innerhalb eines Suchfeldes ergeben. Eine weitere Aufgabe der Zukunftskonferenz ist es, die definierten Suchfelder zu überprüfen. Sind es noch die richtigen? Sollten welche ergänzt werden? 4.4

Bewertung der Chancen nach klaren Kriterien

Je nach Anzahl der identifizierten Chancen ist ggf. ein Priorisierung bzw. Bewertung nach üblichen und unternehmensangepassten Kriterien notwendig. Kommend von einer Longlist hin zu einer Shortlist, die nur noch die wirklich attraktiv erscheinen Chancen enthält. In einem nächsten Schritt wird dann für jede noch verbleibende Chance eine so genannte ChancenSkizze erstellt. Dies sind i.d.R. 10-20 Powerpoint-Seiten, die die potenzielle Chance näher beschreiben und es den Beteiligten erlaubt sich ein Urteil zu bilden.

52

4.5

Thomas Lichtenberger

Auswahl der Chancen, die sich lohnen weiter vertieft und ausgearbeitet zu werden

Dieser Schritt ist wichtig, da hier entschieden wird, für welche potenziellen Chancen nachfolgend Ressourcen zur weiteren Detaillierung investiert werden. Die Bewertung erfolgt ebenfalls anhand der geläufigen Verfahren mit gewichteten Kriterien und Nutzwertanalyse. Im Gegensatz zur Vorselektion im vorangegangen Schritt bewegt man sich hier auf einer tieferen und konkreteren Ebene. Die Darstellung kann beispielsweise wie in Abb. 11 dargestellt werden.

Investitionen

Potenzial auf das die Chance zielt 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

Chance 1 Chance 2 Chance 3 Markt know-how

Technolgie know-how

Vorschriften

Risiken

Barrieren

Abb. 11. Chancenbewertung

4.6

Inhaltliche Ausarbeitung der Chancen; Umsetzungsentscheidung

Es wurde deutlich gemacht, dass ein wesentlicher Schwachpunkt im Bereich der „Umsetzungsentscheidung“ liegt. Die Strategie, mit der dieser Schwäche begegnet werden soll, kann mit den Begriffen Belastbarkeit, Glaubwürdigkeit, Einbindung und Stufenkonzept charakterisiert werden. Das bedeutet, dass die Herangehensweise sehr fundiert und professionell durchgeführt wird, und dass bereits in diesen Prozess alle wichtigen Spieler eingebunden sind. Alle Themen, die diesen Prozess durchlaufen, sind ihrer Natur nach größere Themen und Projekte, die wesentlich die Zukunft

Methoden des Zukunftsmanagements

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des Unternehmens bestimmen. Aus diesem Grund muss akzeptiert werden, dass es nicht eine Grundsatzentscheidung zu einem Thema gibt. Das Unternehmen und alle Beteiligten müssen in Stufen an diese Entscheidung herangeführt werden. In der Regel gibt es nur zwei Möglichkeiten, zu einer positiven Entscheidung zu gelangen. Entweder man hat bzgl. eines Themas bereits eine sehr tiefe und das Unternehmen durchdringende Überzeugungsarbeit geleistet und kann infolgedessen die Grundsatzentscheidung zur „großen“ Umsetzung beantragen, oder man muss, wenn ein Thema noch nicht diese Reife hat, dieses in einzelne Stufen aufteilen. Diese Stufen bauen aufeinander auf, wobei der positive Abschluss jeder einzelnen Stufe den Entscheidern bei der Entscheidungsfindung die erforderliche Sicherheit gibt oder auch die psychologische „Hintertür“, dass das Projekt, falls es nicht funktioniert, später noch gestoppt werden kann. Der vorgeschlagene Prozess soll alle Beteiligten einbinden. Alle Themen werden professionell und fundiert aufgearbeitet, so dass alle Entscheider auf die vorgelegten Informationen vertrauen können. Ein Stufenkonzept bei der Aufarbeitung der Themen soll ausreichend Sicherheit für die jeweils notwendige Entscheidung bieten. Dieses Stufenkonzept besteht aus den Stufen: 1. Evaluierung 2. Konzeption 3. Businessplan Diese Vorgehensweise ist ein ausbalancierter Prozess, der das Gleichgewicht zwischen der Angemessenheit der Ressourcen zur Erarbeitung eines Themas und der notwendigen Sicherheit, die zur Entscheidungsfindung nötig ist, darstellt. 4.7

Hochfahren des Business oder Umsetzung des Projektes bis langfristige Wirtschaftlichkeit und Attraktivität nachgewiesen

Das Thema „Business Development“ ist so umfangreich, dass an dieser Stelle nur auf einige wichtige, erfolgskritische Punkte eingegangen werden soll: • Marktreife, • Internes Marketing und • Umsetzungsteam.

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Thomas Lichtenberger

Tabelle 2. Ein Stufenkonzept zur Evaluierung, Konzeption und Erstellung eines Businessplans Evaluierung

Ziel: Bewertung der Chance, „Gefühl“ für das Thema Inhalt: – IST-Analyse/Aktuelle Situation – Zahlen, Daten, Fakten – Branchenanalyse – Grober Business case Schwerpunkt: Umwelt-, Trend- und Branchenanalyse Ziel: Verstehen des Business, Lösungsansätze sowie Potentiale für Festo Æ Entscheidungsvorlage für Schritt 2!

Entscheidung Weiterführung

Vorstellung des Evaluierungspapiers und Entscheidung zur Erstellung eines Business Concept

Erstellung Business Concept

Ziel: – Erweiterung von Schritt 1, Konkretisierung Inhalt: – Inhalte Evaluierung plus: – Marktsegmente/Leistungsangebote – SWOT-Analyse – Konkrete Strategieempfehlungen – Vertriebskonzeption – verfeinerter Business Case Schwerpunkt: Strategieempfehlungen Ziel: Handlungsalternativen aufzeigen, Transparenz schaffen Æ Entscheidungsvorlage für Schritt 3!

Entscheidung Weiterführung

Vorstellung des Strategiepapiers und Entscheidung zur Erstellung eines Businessplans

Erstellung Businessplan

Ziel: Erweiterung Schritt 1 + 2. Umfassende, konkrete Darstellung des neuen Themas Inhalt: – Inhalte Business Concept plus: – Detaillierte Finanz-/Ressourcenplanung – Organisation und Zeit-/Aufgabenplan – Risk Management Schwerpunkt: Ressourcen und Finanzplan Ziel: Vorgehensweise darstellen und Wirtschaftlichkeit beurteilen

Umsetzungsent- Vorstellung des Strategiepapiers Entscheidung zur Umsetzung / Nichtscheidung Umsetzung.

Methoden des Zukunftsmanagements

4.7.1

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Marktreife

Man muss sich der „Reife“ eines Themas sehr genau bewusst sein. Haben die Wettbewerber einen deutlichen Vorsprung, ist es bekannter Weise ziemlich schwierig. Was aber selten Erwähnung findet, ist die Tatsache, dass es mindestens genauso schwierig ist, wenn man mit einem Thema zu früh dran ist. Insbesondere bei hochtechnologischen Themen ist oftmals eine überzogene Erwartungshaltung hinsichtlich Umsetzungsgeschwindigkeit und Erfolgspotenzialen vorhanden. Werden diese Faktoren anfänglich falsch bewertet, folgt sehr schnell eine deutliche Ernüchterung. Die Folge ist meist, dass ein solches Technologiethema im Unternehmen dann „verbrannt“ ist. Es wird geschlussfolgert, dass das Thema kein Potenzial besitzt, obwohl es nur daran liegt, dass für besagtes Thema noch nicht der richtige Zeitpunkt war. Die wichtigsten Punkte bei einer solchen Situation sind: • Eigene Klarheit über die Reife des Themas; • Keine zu hohe Erwartungshaltung im Unternehmen kommunizieren; • Intensive Einbindung von Lead-Kunden; • Pilotprojekte in einer frühen Phase durchführen; • In einem begrenzten Marktsegment starten und nicht in der Breite. 4.7.2

Internes Marketing

Je weiter das neue Thema vom üblichen Geschäft des Unternehmens entfernt ist, desto mehr muss auf das interne Marketing geachtet werden. Wenn zur Umsetzung eines neuen Geschäftsfeldes auf interne Organisationseinheiten zurückgegriffen werden muss, müssen diese vom Erfolg und dem Zusatznutzen überzeugt werden. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: • Artikel in Firmenzeitschrift • Präsentationen, die in Führungsgremien gehalten werden • Interne Informationsveranstaltung • Testimonial etc. Dem Thema internes Marketing ist genau so viel Aufmerksamkeit zu widmen wie dem externen. Es muss geplant werden und es muss dazu einen

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Thomas Lichtenberger

Aktivitätenplan geben. Es ist das Ziel, so viele Mitstreiter wie möglich zu bekommen. Am Anfang wird ein neues Thema nur durch eine Handvoll Mitarbeiter betreut. Um es in einem größeren Unternehmen zum Laufen zu bringen, muss es zum „Selbstläufer“ werden, d.h. es muss vorangehen, ohne dass es eines permanenten Anschubes bedarf. Erst wenn dies geschehen ist, ist das interne Marketing erfolgreich gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Thema aktiv voran zu treiben. 4.7.3

Umsetzungsteam

Sicherlich ist die Bildung des Umsetzungsteams je nach Thema differenziert zu betrachten. Bezogen auf ein Industrieunternehmen können folgende Aussagen gemacht werden: Wichtig ist es, ein kleines Team zu installieren, das sich zu 100% ausschließlich und mit voller Konzentration auf die Aufgabenstellung dieses Thema kümmern kann. Dieses Team sollte bestehen aus mind. einem Mitarbeiter, der aus der Branche oder dem Industriesegment stammt, auf die das Thema gerichtet ist. Ideal wäre z.B. ein Mitarbeiter von einem der zukünftigen Kunden. Dieser Person wird dann ein langjähriger interner Mitarbeiter an die Seite gestellt, der die eigenen Produkte, die Abläufe, aber auch die Kultur und Besonderheiten des Unternehmens kennt. Dieses Zweierteam ist dann die Keimzelle, aus der heraus das Team weiterentwickelt wird. Oftmals wird in Unternehmen ein solches neues Team komplett losgelöst oder sogar räumlich getrennt angesiedelt und es wird darauf geachtet, dass es nicht in die bestehenden Abläufe integriert (behindert) ist. Es mag sein, dass dies in manchen Unternehmen der richtige Weg ist. Dies gilt aber nicht generell. Wenn zur erfolgreichen Umsetzung des neuen Themas in nicht unerheblichem Maße bestehende Abläufe und Prozesse notwendig sind, ist diese Vorgehensweise nicht zielführend. In einer solchen Situation ist es am vorteilhaftesten, ein eigenständiges Team zu installieren, das sich voll auf das Thema konzentrieren kann, aber in die bestehende Organisation eingebunden ist. Diese Art der Umsetzung eignet sich für alle Firmen, wenn es darum geht, eine neue Geschäftsaktivität umzusetzen, die für den Erfolg die Zusammenarbeit mit weiteren Organisationseinheiten benötigt, insbesondere wenn es diejenigen sind, die eine Kundenschnittstelle besitzen.

Methoden des Zukunftsmanagements

5

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Schlussbetrachtung

In Fachzeitschriften, Tageszeitung und auf Kongressen sind die Themen Globalisierung, Zukunftsszenarien, Klimawandel, etc. derzeit ein wahrer Hype. Zukunftsforscher als Redner oder Schreiber sind gefragt wie nie. Es ist populär, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Aussagen dazu dürfen in keiner Vorstandspräsentation fehlen. Eine zunehmende Sensibilisierung dieser Themen ist gut! Bleibt die Diskussion in einem Unternehmen jedoch auf dieser Ebene, ist es wenig hilfreich. Diese Diskussionen, insbesondere die Bedeutung für das einzelne Unternehmen, gilt es zu operationalisieren. Dies ist die Anforderung an ein erfolgreiches und praxisgerechtes Zukunftsmanagement in einem Unternehmen. Sowohl die Recherche als auch die eigene Erfahrung zeigen, dass der Einsatz moderner Managementmethoden eine wesentliche Unterstützung darstellen kann. Es gibt jedoch kaum Unternehmen, die es geschafft haben, diese Tools erfolgreich miteinander zu verzahnen. Statt verschiedene Bausteine einzeln anzuwenden, ergibt sich der größte positive Effekt dann, wenn es gelingt, diese Bausteine so zu handhaben, dass sie in Wechselwirkung zueinander stehen und aufeinander aufbauen. Hierfür ist die kontinuierliche Anwendung und Abstimmung aufeinander unabdingbar. Ein ausgefeiltes Zukunftsmanagement bleibt unwirksam, wenn es nicht mit der Produkt- und Technologiestrategie und der Unternehmensstrategie verbunden ist. Dies klingt logisch, nachvollziehbar und einfach. Doch einfach ist es mit Sicherheit nicht, denn all diese Aktivitäten sind interdisziplinär. Die Verantwortungen befinden sich in verschiedenen Unternehmensteilen und jeder dieser Bereiche hat eine unterschiedliche Interessenlage. Oft geht es um Themenstellungen, die weit in der Zukunft liegen und durch näher liegende dringendere Themen verdrängt werden. Grundvoraussetzung für die nachhaltige und erfolgreiche Implementierung eines vernetzten Systems der strategischen Zukunftsplanung sind Unternehmenskultur und -führung. So benötigt ein Unternehmen die Kultur einer mittel- und auch langfristigen Ausrichtung, um erfolgreich zu sein. Doch bei vielen börsennotierten Unternehmen stehen die Quartalsberichte an erster Stelle und Investitionen in die hier behandelten Fragestellungen stellen einen Kostenfaktor dar, der erst dann einen potenziellen Rückfluss bringt, wenn die Führungsspitze schon mehrmals gewechselt hat. Wenn die Führung eines Unternehmens nicht vollständig hinter diese Form der aktiven Beschäftigung mit der Zukunft steht, dies vorlebt und dementsprechend kommuniziert, kann kein erfolgreiches Zukunftsmanagement implementiert werden. Im Gegensatz dazu werden sich für Unter-

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Thomas Lichtenberger

nehmen, die Ressourcen und Zeit investieren, ein solches System zu installieren, Möglichkeiten eröffnen, die im Vorfeld als undenkbar erschienen. Die frühzeitige Erkennung von neuen Geschäftsopportunitäten ist für international agierende Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Die zu erwartenden globalen Veränderungen der Wirtschaftsstrukturen führen zu einer Beschleunigung der Veränderungsprozesse. Märkte verändern sich, neue Wettbewerber entstehen; dies birgt Risiken, vor allem aber Chancen für diejenigen Unternehmen, die sich den Herausforderungen stellen und pro-aktiv die Zukunft gestalten.

Literatur Bingert, V., Stoll, G. (2005), Die Zukunft der Werkzeugmaschine 2015, Stuttgart 2005 FHGIPA (2006), Strategic Research Agenda Manufuture Germany, o.O. 2006 Gausemeier, J., Fink, A. (1999), Führung im Wandel, München 1999 Mimic, P. (2006), Das Zukunftsradar, München 2006 www.futuremanagementgroup.com ZVEI, IZT (2006) Integrierte Technologie-Roadmap Automation 2015+, o.O. 2006

KMU im globalen Umfeld: Rahmenbedingungen und Entscheidungsfindung für eine Niederlassung in China Georges Bächthold

Summary. The current middle class of about 100 million consumers is expected to grow to 400-500 million by 2012, making China’s domestic market larger than the North American domestic market. In the coming 10 to 15 years, all signs indicate that China will be the largest world market and the number one world economic power. Unless the current development process be halted by any – unlikely – social, financial or epidemic catastrophe.

1

Gründe für eine globale Geschäftstätigkeit mit Fokus auf China

Um es vorwegzunehmen: Es gibt die verschiedensten Gründe für ein KMU, um aus der angestammten geographischen Marktbearbeitungsumgebung auszubrechen. Dieser Teil des Buches soll dem interessierten Leser einige aktuelle Hinweise und Überlegungen vermitteln, wenn er sich mit dem Gedanken beschäftigt, geographische Diversifikation für das Unternehmen zu realisieren. Im Vordergrund jeder Expansionsstrategie steht die Absicht, das Geschäftsvolumen zu vergrößern, einen Gewinn an Marktanteilen zu realisieren, aus möglichen Konzentrationen am Markt auszubrechen, Marktsättigungen oder Bedrohungen durch den Mitbewerb kurz- bis mittelfristig zu begegnen und somit das Überleben oder weiteres Gewinnstreben zu ermöglichen. Wir konzentrieren uns im Wesentlichen auf die in Europa ansässigen KMU, welche ihre entwickelten und produzierten Produkte über die euro-

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Georges Bächthold

päischen Grenzen hinweg, in den asiatischen Raum und nach China exportieren wollen. In vielen Fällen kann es sinnvoll sein, die Möglichkeiten für die Herstellung von Produkten, Komponenten oder Produktgruppen in China zu prüfen. Diese Produkte können sowohl für den Verkauf in China selbst, oder aber für den Reexport in ein Drittland in Frage kommen. Voraussetzung für eine solche Entscheidung und die Realisierung des Projektes ist ein positives Resultat bei den vorgängig durchzuführenden Marktabklärungen über Möglichkeiten, Aussicht auf Erfolg und Risiken. 1.1

Einleitende Betrachtungen

China verfügt heute, aber auch in Zukunft über ein großes Potential an Möglichkeiten, die sowohl für chinesische, als auch für ausländische Unternehmen von Interesse und Bedeutung sind. Es ist zu beachten, dass theoretisch vorhandenes Marktpotential nicht unbedingt und in jedem Fall vollumfänglich genutzt werden kann. Vielfach haben Firmen erleben müssen, dass das theoretische Potential in der Praxis nicht, oder nicht in der erwarteten Zeitspanne, erschlossen werden konnte. Für viele mittelständische Unternehmen gibt es Alternativen zum chinesischen Markt, die aus heutiger Sicht je nach Zielsetzung für die geographische Diversifikation genauso interessant sein können, wie ein Engagement in China. Diese Alternativen sind unter Umständen mit weniger Risiken behaftet, oder sind zum heutigen Zeitpunkt einfacher zu realisieren. Nachhaltigkeit ist eines der Elemente, das bei jedem Engagement im globalen Umfeld im Vordergrund steht. Es geht nicht darum, möglichst schnell die „Flagge“ zu hissen, sondern es geht darum, zu verstehen, dass ein solches Engagement häufig über Jahre hinweg große finanzielle und materielle Ressourcen erfordert und der „Return on Investment“ in vielen Fällen erst nach Jahren erzielt werden kann. Die Erfolgsmeldungen in den Medien täuschen häufig darüber hinweg, dass in der Praxis Manager von namhaften Firmen, die in China investiert haben, überrascht sind von der zähen Rückführung ihrer Investments. Es ist ratsam, ein Engagement in China mit Beratern und Fachleuten zu planen, bevor man sich entschließt, loszulegen. Es sollten genügend finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um im Falle eines teilweisen oder ganzen Scheiterns des Projektes in der Existenz nicht gefährdet zu werden. In den Jahren 2001 und 2002 hat der Autor bei seinen Überlegungen für die Errichtung einer eigenen Niederlassung in China von kundiger Seite vernommen, dass nur etwa 10 % aller getätigten ausländischen Investitionen in Form von Joint Ventures etc. in China innerhalb von fünf Jahren finan-

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ziell erfolgreich waren, während weitere 20-30 % der Firmen zwar in die Gewinnzone gelangten, aber nie wirklich das erreichten, was sie sich ursprünglich erhofften. Das lässt den Schluss zu, dass ein großer Teil von Unternehmen, die sich für ein Engagement in China entschieden, Verluste erlitt. Darüber wird wenig berichtet. Vieles hat sich seit 2002 deutlich verbessert. Die Fachleute gehen heute davon aus, dass im Jahre 2007, je nach Branche, die Hälfte aller Firmen, die in China investieren, innerhalb weniger Jahre finanziell erfolgreich sein können. In jedem Fall muss davon ausgegangen werden, dass ein Engagement in China vorab bedeutsame Investitionen und Ressourcen erfordert und ein langer Atem benötigt wird, bevor man erfolgreich sein kann. Änderungen bei Vorschriften und Vorgehensweisen erfordern rasche und vielfach kostspielige Anpassungen an die neuen Gegebenheiten. Ein Pluspunkt ist heutzutage, dass immer mehr chinesische Staatsbürger in der Lage sind, am Wachstum der chinesischen Wirtschaft aktiv mitzuwirken und vom Erreichten direkt oder indirekt profitieren können. Das wiederum beschleunigt die Nachfrage nach Maschinen, Produkten des täglichen Lebens und Luxusgütern für einen schnell wachsenden Mittelstand und einer nicht zu unterschätzenden Oberschicht. Es genügt nicht, nur bis zum Durchbruch durchzuhalten. Vielmehr ist es notwendig, die Errungenschaften, welche man am Markt mit Aufwand erarbeitet hat, möglichst nachhaltig weiter zu entwickeln und zu nutzen. Zweifelsohne ist der Beitritt von China zur WTO ein sehr bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung. Die Umsetzung der Bestimmungen ist die Praxis ein langwieriger Weg, der vorab einmal für die multinationalen Firmen wesentlich schneller positive Resultate bringt, als generell für die KMU ohne nennenswerten Einfluss auf die Entwicklung der chinesischen Rahmenbedingungen. Es kann durchaus bestätigt werden, dass von chinesischer Seite eine große Portion an gutem Willen vorhanden ist, die WTOBestimmungen in die Praxis umzusetzen, aber letzten Endes ist die politische Führung in Peking verständlicherweise primär verantwortlich für das Wohlergehen der chinesischen Bevölkerung und nicht für die ausländischen Investoren. 1.2

Möglichkeiten und Gefahren

Beginnt man bei den Möglichkeiten, fällt einem primär das anhaltend enorme Wachstum der chinesischen Wirtschaft auf. Im 1. Quartal 2007 betrug das BIP 10 % und wurde nur von Indien leicht übertroffen. Das BIP in China war in den letzten Jahren immer in dieser Größenordnung und

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Georges Bächthold

Abb. 1. Shanghai: Das Zentrum der City mit mehr als 17 Mio. Einwohnern

wird noch einige Jahre anhalten. Wenn man das Wachstum differenzierter analysiert, stellt sich heraus, dass es nicht gleichmäßig über das ganze Land verteilt ist, sondern vor allem auf die Küstengebiete und die Ballungszentren wie Shanghai, Beijing etc. zutrifft. In vielen Provinzen, insbesondere im Norden des Landes, herrschen teilweise große Unterschiede, die sich erst ganz langsam auszugleichen beginnen. Es wird noch Jahre oder vielleicht Jahrzehnte dauern, bis die anderen Gebiete mit den weiter entwickelten Regionen entlang der Küste, respektive dem Süden Chinas, verglichen werden können. Die chinesische Regierung hat es nach Ansicht des Autors geschickt verstanden, die vorhandenen Kräfte und Strömungen so zu kontrollieren und zu steuern, dass eine mehr oder weniger geordnete Entwicklung stattfinden kann. Solche Regulierungen sind in einem schnell sich entwickelnden Land notwendig. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass es zu einem Wachstumskollaps kommt. Auf zahlreichen Reisen durch das Reich der Mitte war ich immer wieder beeindruckt, wie einfach und diszipliniert die meisten Chinesen leben, selbst wenn sich heute viele von ihnen zum „chinesischen Mittelstand“ zählen können. Es gibt heute zirka 100 Millionen Chinesen, die dieser Gruppe angehören. In den nächsten drei bis fünf Jahren wird sich diese Zahl vervierfachen. Ein Angehöriger des Mittelstandes erhält heute, abhängig von seinem Arbeitsort und seinem Job, ein Einkommen von circa 400 US$ – 2.000 US$ pro Monat und ist in der Lage, sich vermehrt Güter

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zu leisten, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren. Im Gegensatz zu unseren westlichen Gepflogenheiten, wo es üblich ist, dass man etwas für schlechtere Zeiten auf die „hohe Kante“ legt, erleben viele Chinesen den Aufschwung mit dem Gefühl, den Moment leben zu müssen. Sie kaufen deshalb vermehrt Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Kleider, dauerhafte Konsumgüter und trendige Gadgets. Was die Ess- und Trinkgewohnheiten anbelangt, können zumindest in den Ballungszentren starke Veränderungen festgestellt werden. Als Beispiel: Der Bierkonsum von lokalen Biermarken oder internationalen Brands wächst um über 20 % p.a., was für die entsprechenden Industrien interessante Möglichkeiten aufzeichnet. “Einmal ein eigenes Taxi besitzen …“. Diese Aussage stammt von einem Taxifahrer, der uns mit strahlenden Augen seine Vision kundtat. Noch kann er sich diesen Traum nicht leisten und muss hart auf dieses Ziel hin arbeiten. Mit dem Fleiß, dem Einsatz und der persönlichen Bescheidenheit der Menschen in dieser Region, traue ich die Erreichung ihrer persönlichen Wunschziele nicht nur dem erwähnten Chauffeur, sondern großen Bevölkerungsgruppen in China zu. Nebst dem Mittelstand verfügt heute nach wie vor der größte Teil der Bevölkerung nur über ein kleines Einkommen. Viele von Ihnen verdienen wenige Dollars pro Tag. Die Energie und die Dynamik, die in dieser Bevölkerungsschicht schlummert, lässt sich nur erahnen. Auch diese Schicht strebt ein komfortableres und erfüllteres Leben an. Nur um eine Größenordnung zu erhalten: Shanghai steht mit über 17 Millionen Einwohnern mit Sicherheit ein weiteres Wachstum bevor. Man sagt, dass weit über eine Million Chinesen aus ländlichen oder einfacheren Gebieten „mit den Koffern gepackt“ bereitstehen, um bei nächster Gelegenheit (Wohnräume sind immer noch knapp und verteuern sich stetig) in die Stadt umzuziehen, um dort am Leben und am Markt teilnehmen zu können. Dass sie bereit sind, dafür hart zu arbeiten, dürfte uns allen zwischenzeitlich bekannt sein. Für multinationale Firmen, wie auch für entsprechend agile, innovative KMU, bieten sich in den kommenden Jahren gute Chancen und Möglichkeiten, am Wachstum teilzuhaben, sofern sie die für den chinesischen Markt erforderlichen Produkte herstellen und auf die Distributionskanäle Zugriff haben. Was sind die Grenzen der Möglichkeiten? Viele westliche Firmen wollen mit einer Entfaltung in den chinesischen Raum in erster Linie zusätzliche Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte schaffen. In vielen Fällen dürfte dieses Ansinnen zu einem Misserfolg führen. Ein Beispiel: Hersteller von technologisch hoch entwickelten, exportfähigen Produkten sind vielfach davon überzeugt, dass ihre Produkte in der gleichen Ausführung für alle

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potentiellen Käufer interessant sind und gekauft werden. Das Interesse kann zwar vorhanden sein, aber es kommt häufig vor, dass diese Produkte wegen eines zu hohen Endverbraucherpreises unverkäuflich sind. Die Bedürfnisse der chinesischen Kundschaft zu kennen ist das eine, noch viel wichtiger ist, dass die Preise für diese Produkte ins chinesische „Budget“ passen. Für potentielle Kunden, die Produkte aus preislichen Gründen nicht kaufen können, ist ein Bedürfnis entstanden das es zu decken gilt. Was ist die Folge, wenn wir zwar das Richtige, aber finanziell unerschwingliche Produkt anbieten? Geschäftstüchtige Chinesen werden mit unglaublichem Elan, Fleiß und Geschicklichkeit versuchen, die teuren ausländischen Produkte durch selbstgemachte günstigere Produkte zu substituieren. Als Folge daraus sind dann die ausländischen Anbieter verunsichert und brüskiert, weil angeblich alles kopiert wird! Es liegt nicht immer an der chinesischen Mentalität, sondern vielmehr an der Uneinsichtigkeit, dass westliche Produkte, sollen sie erfolgreich am Markt verkauft werden, die Anforderungen der Chinesen erfüllen und erschwinglich sein müssen. Natürlich gibt es eine stark wachsende Gruppe von reichen und superreichen Chinesen, welche sich praktisch alles leisten können. Diese Gruppe wird in den nächsten Jahren stark zunehmen.

2

Planungsphase

Wenn die Führung eines Unternehmens plant, eine Firma in China zu gründen, kann davon ausgegangen werden, dass sie über eine Vision und Ideen verfügt, was für Ziele zu erreichen sind. Zusätzlich dazu müssen die Rahmenbedingungen, die vor Ort gegeben sind, bekannt sein. Es geht darum, eine Übersicht über die Gegebenheiten zu haben und diese nach Möglichkeit nicht mehr zu verlieren. Bedingt durch die Größe des Landes, den raschen, tief greifenden Veränderungen innerhalb der chinesischen Gesellschaft, sowie der kulturellen, gesetzgeberischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, ist das nicht immer einfach. Durch den Beitritt von China zur WTO hat sich in der Zwischenzeit vieles verändert. Man darf nicht davon ausgehen, dass alle Vorgaben zum heutigen Zeitpunkt in der Praxis umgesetzt sind. Es kann noch Jahre dauern, bis die vielen geplanten Projekte verwirklicht worden sind. Dieser Text kann nicht für sich in Anspruch nehmen, die komplexe Thematik vollständig zu behandeln. Vielmehr geht es dem Autor darum, eine Art Übersicht zu geben, die zur Erkenntnis führt, dass ein Engage-

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ment in China respektive im asiatischen Raum interessant sein kann, aber gut geplant und vorbereitet sein muss, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Alternative Szenarien sollten durchdacht und Pläne erarbeitet werden, um bei unerwarteten Situationen rasch, richtig und umfassend handeln zu können. Durch das Inkraftsetzen von neuen WTO Regeln ab Januar 2005, werden viele bis anhin gültige Vorschriften überarbeitet und bei Bedarf angepasst. Da dieser Prozess, bedingt durch die Größe Chinas, noch längere Zeit anhalten wird, werden Risiken für ausländische Investoren und Firmen nur langsam kleiner. 2.1

Eintritt in den Markt China: Risiko- & Erfolgsfaktoren für KMU

Grundsätzlich gibt es für KMU folgende Eintrittsmöglichkeiten in China: • 100 % ausländische Firma, • Joint Ventures, • Agenturen/Agents, • Lizensierungen. Jede der aufgezeichneten Möglichkeiten birgt eigene Chancen aber auch Risiken in sich. Am Anfang unserer Überlegungen muss das kulturelle Verständnis und der Erfolgsfaktor „Beziehungsnetzwerk“ (Guanxi) bekannt sein und verstanden werden. Das hört sich als vernünftig und selbstverständlich an, ist es aber nicht. Zum kulturellen Verständnis ist auch die Beherrschung der chinesischen Sprache wichtig, ohne die man die kausalen Zusammenhänge nicht erfassen, geschweige denn verstehen kann. Die wenigsten westlichen Firmen verfügen über qualifizierte chinesisch sprechende Expatriates, die das Beziehungsnetz in Gang bringen, erhalten und ausbauen können. Die Investoren sind also meistens von Anfang an auf vertrauenswürdige chinesische Quellen angewiesen. Bei einem kürzlich geführten Gespräch mit dem Geschäftsleiter einer deutschen Firma in Shanghai wurde mir endgültig klar, was das kulturelle und sprachliche Verständnis für eine erfolgreiche, langfristig ausgerichtete geschäftliche Tätigkeit in China bedeutet. Der mit einer Chinesin verheiratete 37-jährige Geschäftsführer ist seit knapp 10 Jahren für das deutsche Unternehmen in Shanghai tätig, spricht und versteht die chinesische Sprache mangelhaft, sagt jedoch, es werde in Zukunft in diesem Unternehmen keinen Geschäftsleiter mehr geben, der

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Abb. 2. Risiko- & Erfolgsfaktoren für KMU bei Eintritt in den chinesischen Markt Quelle: Swiss Center Shanghai ww.swisscenters.org

nicht die chinesische Sprache beherrsche. Es sei ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor, ohne das chinesische Sprachverständnis langfristigerfolgreich zu sein wollen. Der Zündstoff dieser Aussage ist enorm. Universitäten, Fachhochschulen und andere Institutionen haben sich diesen Herausforderungen und neuen Möglichkeiten schnellstens zu stellen. Universitäre globale Ausbildungskonzepte wie sie zum Beispiel von der Universität Maryland, Robert H. Smith School of Business, USA, der GSBA Zürich und chinesischen Partner Universitäten angeboten werden, sind der richtige Ansatz und bieten ein enormes Potenzial.

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Lizenzierungsformen

Um eine geschäftliche Tätigkeit in China aufnehmen zu können ist es notwendig, dass man von offizieller staatlicher Stelle eine spezifizierte, der Tätigkeit angepasste Lizenz erhält. Viele der bestehenden Regelungen werden, oder sind nach dem Beitritt zur WTO angepasst worden. Da es sich häufig um Regeln mit rechtlichem Inhalt handelt, ist es unumgänglich, dass fachkundige chinesische und andere Berater alle Aspekte beleuchten, um von Anfang an die gesetzlichen und rechtlichen Voraussetzungen ohne Ausnahme zu erfüllen. 2.2.1

Lizenz für ein „Representative Office“

Die „Business Lizenz“ für ein Representative Office ist bei ausländischen Unternehmen in China stark verbreitet. Viele Firmen, die in Zukunft in China tätig sein wollen, beantragen diese „Business Lizenz“ auch nach dem wirksam werden der WTO-Regeln in China. Der Grund liegt darin, dass eine solche Lizenz, abgesehen vom administrativen Aufwand für die Dokumentation, verhältnismäßig einfach und günstig zu erhalten ist. Die Kosten belaufen sich, je nach Standort, im Zentrum einer Metropole oder in einem Businesspark in speziellen Economic Development Districts rund um die Ballungsgebiete, zwischen ca. 5.000 US$ - 10.000 US$. Ein „Representative Office“ kann wie folgt charakterisiert werden: • Pflegt primär den Kontakt zu den chinesischen Kunden, Lieferanten und Behörden; • unternimmt Marketingaktivitäten, um den Namen der Firma oder eine Marke bekannt zu machen. Dazu gehört auch die Teilnahme an Ausstellungen etc.; • übernimmt das Erscheinungsbild der Firma mit dem Logo. Sie ist auch berechtigt, Außenwerbung zu machen und die firmeneigenen Visitenkarten zu verwenden; • ist die direkte Verbindungsstelle zum Mutterhaus; • kann Aufträge von Kunden entgegennehmen und den Auftrag an das Lieferwerk weitergeben; • die Lieferung der Ware/Dienstleistungen inkl. Verrechnung erfolgt in den meisten Fällen direkt durch das Lieferwerk über eine staatliche Import/Export Firma. Diese Dienstleistung kostet zwischen 0,8-2,5%

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Bearbeitungsgebühr. Die Mehrwehrtsteuer sowie Importzollkosten werden in Rechnung gestellt; • wird besteuert nach Umsatz der Muttergesellschaft und den Kosten der Firma in China; • hat keine Berechtigung Verkäufe zu tätigen, respektive Rechnung zu stellen; • kann Dienstleistungen erbringen, diese aber nicht selber verrechnen; • kann kein Ersatzteillager führen, da diese Art von Firmen nicht in einer Industrie, sondern in einer Office-Zone liegen. Für die Verrechung gilt das Gleiche wie für Dienstleistungen. Den vorgängig erwähnten Nachteil, dass man mit einer Business Lizenz für den Betrieb eines Representative Office in China keine Bewilligung zur Rechnungsstellung hat, kann über eine Firma in einer der sechs über China verteilten „bondet districts“ in der Tax Free Zone (in Shanghai Wai Giao Quiao) gelöst werden. Diese Firmen können Ersatzteile und andere Produkte zollfrei einführen und lagern. Erst wenn die Ware verkauft wird, erfolgt die Verzollung und anschließend die Lieferung der Ware an den Verbraucher. Die Auftragsabwicklung konnte in der Vergangenheit Tage oder Wochen in Anspruch nehmen und war deshalb für dringende Servicefälle eine unbefriedigende Lösung. Anfangs 2005 sind neue WTO-Regelungen in Kraft getreten, die die „Tax Free Zones“ beeinflussen und eine schnellere Abwicklung der Aufträge ermöglichen. Auf Grund von neuen Möglichkeiten werden diese Zonen weiter ausgebaut und sind, wenn man es genau betrachtet, auf dem Weg, sich zu eigentlichen „Business Parks“ zu entwickeln. 2.2.2

Vom kleinen „Virtual Representative Office“ zur richtigen Firma mit Lizenz

Die Registrierung und Inbetriebnahme eines Representative Office war noch vor wenigen Jahren eher langwierig und komplex. Für KMUNeueinsteiger ohne große China-Erfahrung bedeutete es meistens einen großen zeitlichen Aufwand, um die verlangten Dokumentationen regelkonform zu erstellen. Ist dies nicht der Fall, kann es passieren, dass die Registrierung nicht auf Anhieb angenommen wird. Das Nachbessern erfordert wiederum Zeit und finanzielle Mittel. Viele Firmen sind ungenügend informiert, was den Markt für die eigenen Produkte anbelangt. Marktanalysen und Bedarfsabklärungen müssen zuerst erarbeitet oder bestenfalls vervollständigt werden, bevor man größere Mittel nach China investiert. Es ist

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wichtig zu wissen, dass es in der Regel nicht einfach ist, zuverlässige und aussagekräftige Daten zu einem spezifischen Thema „einfach so“ zu erhalten. Es bedeutet vielfach Kapitaleinsatz, Knochenarbeit und Ausdauer, um einen umfassenden Gesamtüberblick zu erhalten, der dann zu einer richtigen Entscheidung führen kann. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden im positiven Fall die Marktstrategie und andere Entscheide weitgehend beeinflussen, oder führen im negativen Fall zum Abbruch des Projektes. Um den Aufwand für den Aufbau und den Betrieb eines Representative Office zu minimieren, wurde der nicht offizielle Begriff „Virtual Representative Office“ verwendet. Ein „Virtual Representative Office“ funktioniert mit Einschränkungen, die später näher beschrieben werden. Ähnlich wie das richtige Representative Office, bietet es in der beschriebenen Form den Vorteil, dass nebst den geringeren Kosten durch Ressourcensharing und unterstützende Dienstleistungen durch Partnerfirmen, der Registrierungsprozess verkürzt und die Risiken verkleinert werden. Als Starthilfe kann ein „Virtual Representative Office“ gute Dienste leisten. Es ist aber stets nur eine Übergangs- und Kompromisslösung für eine Dauer von maximal fünf Jahren. Dann sollte feststehen, ob ein weitergehendes Engagement in China Aussicht auf Erfolg hat oder nicht. Im Anschluss daran kann ein eigenes Representative Office oder eine Produktionsfirma an einem geeigneten Standort in China realisiert werden. Wesentliche Unterschiede zum richtigen Representative Office sind folgende: Das „Virtual Representative Office“ hat keinen registrierten Status als Firma in China. Vielmehr stellt eine akkreditierte Organisation ihren Status für die Gründung der Firma, die Lokalitäten und Dienstleistungen zur Verfügung, damit möglichst schnell mit der eigentlichen Arbeit begonnen werden kann. Wenn nach einer Übergangszeit von einem bis fünf Jahren der Start gelingt, wird eine eigene Business Lizenz für ein Representative Office, für Manufacturing oder für Serviceleistungen beantragt. Es kann keine Werbung unter eigenem Namen in China gemacht werden. Mit den heute gültigen Regelungen werden die offensichtlichen Nachteile des „Virtual Representative Offices“ hinfällig. Die Registrierung als eigentliches Representative Office ist durch die vereinfachte Bestimmungen zur Regel geworden. Es gibt in China schweizerische und europäische Organisationen, die sich auf den Einstieg von KMU in den chinesischen Markt spezialisiert haben. Sie bieten nicht nur KMU, sondern auch interessierten MNE wesentliche Starterleichterungen mit stark reduziertem Risiko, besserer Betreuung und niedrigeren Einstiegskosten.

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Als gutes Beispiel sei hier das Swiss Center Shanghai erwähnt, das im Xinzhuang Industry Park (XIP) ca. 18 km vom Zentrum Shanghais entfernt liegt. Dieses Zentrum wurde durch private Initiative gegründet sowie aufgebaut und ist eine Non-Profit-Organisation. Es wurde am 24.11.2003 durch den schweizerischen Bundespräsidenten Pascal Couchpin offiziell eröffnet. Zirka 40 Firmen sind zurzeit im SCS aktiv. Das Projekt wurde durch den Bund und einige Kantone mit einem einmaligen Beitrag unterstützt. Das SECO, die OSEC und andere Firmen und Organisation arbeiten mit dem Swiss Center Shanghai in vielen Bereichen zusammen. Das Swiss Center Shanghai ist im Wesentlichen spezialisiert auf: • Vorbereitende Aktivitäten für Firmen, die in China tätig werden wollen inkl. „Visiting Executive Support“ : ņ „Business/Cultural Environment“-Seminare; ņ Zusammenkünfte mit dem „General Consulate“, der lokalen Geschäftswelt und Handelskammern, Kunden und Lieferanten etc.; ņ Vorbereitungen für die Erstellung der „Feasibility Study & Concept“; ņ Rechtliche Aspekte; ņ Risiko Analysen & Management; ņ Markt- und Mitbewerberbeobachtungen; ņ Konzept Szenario Erstellung und Beratung. • Implementierung und Projektmanagement: ņ HRM Suche, Prüfung und Auswahl; ņ Erstellung der notwendigen Dokumente für die Registrierung und Akkreditierung; ņ Beschaffung von Ausrüstungen für Büro und Werkstatt; ņ IT- und Reporting-System Aufbau und Anpassungen; ņ Im-/Export, Aufbau von Verkaufs- und Distributions-kanälen; ņ Lizenzvergaben, Technologie-Transfer und Training von technischem Schlüsselpersonal. • Betrieb: Management Support: ņ ņ ņ ņ

Management Coaching und Überwachung; PR, Marketing, Verkaufs- und Distributionssupport; Finanz- und IT-Handling; Strategisches Management (Board of Directors).

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Abb. 3. Das Swisscenter Shanghai ist integriert im Shanghai Xinzhuang Industry Park

Um die Dienstleistungen dieser Organisation voll nutzen zu können, ist eine Mitgliedschaft notwendig. Die Mitgliedschaft kostet zurzeit 10.000 US$ für fünf Jahre und gibt Anrecht auf verfügbaren SCS Raum, besondere Rabatte auf alle Gebühren und Kosten für Dienstleistungen, die durch SCS selbst oder die akkreditierten Dienstleistungs- und Partnerfirmen erbracht werden. Büroplätze können in sowohl offener oder geschlossener Umgebung angeboten werden. Für Produktionseinheiten stehen normierte Räumlichkeiten zur Verfügung. Es empfiehlt sich, ein Gesamtkonzept zu erstellen, um einen Überblick über die zu erwartenden Gesamtkosten für die Implementierungs- und Betriebsphase bekommen zu können. Ein wesentlicher Vorteil einer solchen Organisation liegt darin, dass motivierte, erfahrene und zuverlässige Partner vor Ort anwesend sind, die nicht nur Marketingaspekte, sondern das gesamte Dienstleistungsspektrum durch eigene Mitarbeiter oder ausgewählte Drittanbieter abdecken können. Das SCS empfiehlt sich auch für strategisches Management mit der Möglichkeit, bei Bedarf im Verwaltungsrat der chinesischen Firma Einsitz zu nehmen. 2.2.2.1 Charakteristik einer „Business License for Manufacturing“ Viele westliche Firmen haben China bereits als Produktionsstandort entdeckt und sind dort seit Jahren vor Ort präsent. Niedrige Produktionskosten, ein großer Pool an fleißigen chinesischen Arbeitskräften auf den verschiedensten Ebenen, interessante Businessparkstandorte usw. ergeben gute Ansätze für Überlegungen oder die Realisierung einer Produktionsstätte in

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China. Entscheidend ist, dass man einerseits genau weiß, was man will, anderseits bekannt ist, wie die bestehenden Rahmenbedingungen ein solches Projekt positiv oder negativ beeinflussen können. Für die kulturellen Rahmenbedingungen gelten uneingeschränkt die gleichen Regeln wie im vorderen Abschnitt beschrieben, wenn die Absicht besteht, in China zu produzieren. Viele akkreditierte Firmen beweisen, dass es möglich ist, in China erfolgreich, kostengünstig und gewinnbringend zu produzieren. Bei der Strategiefestlegung ist die Entscheidung wichtig, ob man in China ausschließlich für den lokalen chinesischen Markt produzieren will, oder ob die Produkte auch für den Export in den asiatischen oder in einen anderen Raum vorgesehen sind. Je nach dem wofür man sich entscheidet, werden der Businessplan und die Strategien entsprechend unterschiedlich aussehen. Zusätzlich zu den kulturellen, wirtschaftspolitischen, patentrechtlichen und gesetzgeberischen Rahmenbedingungen müssen die branchenabhängigen Eigenheiten und Erfolgsfaktoren beurteilend mit einbezogen werden. Es empfiehlt sich, alle wichtigen Abklärungen mit erfahrenen Fachleuten vor Ort zu machen und sie allenfalls von der Planung bis zur Realisierung des Projektes in ein Team einzubinden. Folgende wichtige Aspekte für den Erhalt einer Business Lizenz sind zu beachten: • Eine „Business License for Manufacturing“ kann man bei den entsprechenden „Economic Development Bureaus“ in den Städten oder Provinzen beantragen und erhalten. Der Lizenz-Registrierungsprozess selbst wird später beschrieben. • Bei der Registrierung wird eine Basisinvestition fällig, die je nach Stadt, Region und Provinz verschieden ist. Generell gilt: Je attraktiver der Standort, desto höher die Basisinvestition. Die Provinz Jiangsu beispielsweise, 50 km nördlich von Shanghai, am Yangtse Fluss mit ca. 400.000 Einwohner verlangen ca. 80.000 US$. Nähere Regionen in und um Shanghai mit ca. 17 Mio Einwohner verlangen ca. 250.000 US$. Tendenziell werden die Gebühren steigen. • Entsprechende Auskünfte erhält man bei den „Economic Development Bureaus“. Diese Institutionen sind interessiert an neuen zahlungskräftigen Unternehmungen mit innovativen Produkten für den chinesischen Markt. Sie organisieren Meetings mit chinesischen Entscheidungsträgern, die für die Entwicklung des gewählten Standortes verantwortlich sind. Die Informationen, die man erhält, sind in der Regel ausreichend, um eine Entscheidung vorzubereiten.

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Für die Herstellung notwendige, importierte Produktionsmittel werden der Basisinvestition angerechnet. Der liquide Teil der Mittel kann für Löhne, Ersatzteile, etc. verwendet werden.



Vor Erteilung der Lizenz muss ein gültiges Rental Agreement für den Firmensitz vorgelegt werden. Es ist nicht erlaubt, als Untermieter bei einer anderen Firma an der gleichen Adresse registriert zu sein. Gerade für KMU kann das ein Hindernis darstellen, weil so verhindert wird, dass eine nicht-chinesische Firma sich zuerst als Untermieter bei einer Partnerfirma etablieren kann, bevor sie große Investitionen in Infrastruktur und Logistik tätigen muss. Diese Investitionen sind erst sinnvoll, wenn es sich abzeichnet, dass der Markt das hergeben kann, was im langfristigen Interesse der Unternehmung liegt.

Organisationen wie das Swiss Shanghai Center verfügen über die notwendigen Bewilligungen, um kleinere Produktionseinheiten zu etablieren und Dienstleistungen für einen Produktions-Startup zu offerieren. Positiv erwähnenswert ist, dass Organisationen wie das SCS mit ihrer Struktur in sich eine Business Community bilden, deren Mitglieder sich gegenseitig unterstützen können. Viele Mitgliedsfirmen kommen aus dem gleichen Kulturkreis und haben ähnliche Aufgaben zu lösen. Bei Firmen, die eine „Business License for Manufacturing“ besitzen und bei SCS oder einer anderen Organisation eingegliedert sind, wird die Standortfrage nach einem gelungenen Start und der Aussicht auf nachhaltigen Erfolg innerhalb von wenigen Jahren zum zentralen Thema: • Mit einer „Business License for Manufacturing“ können in den dafür vorgesehenen Zonen Komponenten, komplette Aggregate, Maschinen oder andere Produkte gefertigt werden. • Sofern Produkte (z.B. Maschinen und Ersatzteile) in China für den chinesischen Markt produziert und verkauft werden, kann das nur in der lokalen Währung RMB geschehen. • Mit einer „Business License for Manufacturing“ können keine Maschinen, die vollständig außerhalb China produziert wurden, über die lokale Firma in China verkauft werden, ohne dass nicht ein so genannter „added value“ realisiert wird. Das heißt in der Praxis, dass man eine Lizenz nur erhält, wenn Teile im Wert von min. 25 % des Verkaufswertes in China gefertigt oder Fertigungspro-

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zesse wie Montagen oder Teilmontagen, Elektrifizierung usw. in China realisiert werden. Alle importierten Produkte unterliegen einer Mehrwertsteuer von zurzeit 17 % und Importsteuern, die je nach Art des Produktes variieren (bei besonderen Luxusgütern bis 100%). Importe nach China müssen über eine staatliche Import/Export-Firma abgewickelt werden. Bearbeitungsgebühren in Höhe von 0,8 – 2,5 % des Warenwertes müssen für diese Dienstleistung bezahlt werden. • Unternehmensgewinne werden zurzeit mit 33 % besteuert. Es sind Bemühungen im Gange, diese Steuern in Zukunft auf ca. 25 % zu senken, um zusätzliche Anreize zu schaffen. Nur versteuerte Gewinne können mit entsprechender Bewilligung ausgeführt werden. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass monetäre Mittel, die nach China eingeführt werden, dort eingesetzt und verbraucht werden müssen. Nur versteuerte Gewinne aus operativer Tätigkeit in China dürfen ausgeführt werden. • In den ersten beiden Jahre ist die ausländische Firma in China von Steuern befreit. Ab dem dritten Jahr wird sie in der Regel steuerpflichtig, wobei Verluste von den Vorjahren angerechnet werden können. Wichtig: • Regelungen und Vorschriften sind bedingt durch den rasanten Aufschwung in China und dem Beitritt zur WTO Veränderungen unterworfen. Es empfiehlt sich, die aktuell geltenden Regelungen frühzeitig bei offiziellen Stellen, respektive bei Fachleuten in Erfahrung zu bringen. Damit können unliebsame Überraschungen mit negativen Folgen für die Firma in China vermieden werden. 2.2.3

Trading Licence

Es besteht die Möglichkeit, eine Lizenz als „Trading Company“ zu erwerben. Firmen mit dieser Lizenz können in China produzierte Produkte verkaufen und in RMB verrechnen. Der Verbraucher der Produkte hat zusätzlich die Mehrwertsteuer von zurzeit 17 % zu bezahlen. Das betrifft auch Produkte von ausländischen Firmen, die in China produzieren und eine „Licence for Manufacturing“ und/oder eine „Licence for Trading“ erworben haben.

KMU im globalen Umfeld

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Will die Firma im Ausland hergestellte Produkte importieren, muss sie sich an eine staatliche Import/Export-Firma wenden, die nach Bezahlung des Importpreises für das Produkt, der Importsteuern und der Mehrwertsteuer, den Import der Ware, die Verzollung und anderen Formalitäte erledigt. Es fallen ebenfalls Bearbeitungsgebühren in Höhe von 0,8 – 2,5% für diese Dienstleistungen an. Je mehr die WTO-Regeln in China zum tragen kommen, desto weniger hat diese „Licence for Trading“ eine Bedeutung, da der Weg einfacher, direkter und schneller wird. 2.2.4

Lizenz als Service-Firma

Diese Lizenz ist lediglich der Vollständigkeit halber aufgeführt. Um diese Lizenz zu erhalten, muss ebenfalls der ganze Registrierungsprozess durchlaufen werden. Es muss glaubhaft dokumentiert werden können, dass der Verkauf von importierten oder in China produzierten Produkten ohne intensive Serviceleistungen nicht sinnvoll ist. Die Dienstleistungen können nur in lokaler RMB Währung verrechnet werden. Theoretisch kann eine Verrechnung in Fremdwährung aus dem Ausland erfolgen, was aber erfahrungsgemäß nicht praktisch ist. Dadurch wird die Dienstleistung unnötig verteuert und der Prozess wird verlangsamt, was speziell für Dienstleistungen nicht wünschenswert ist. Die zu zahlende Mehrwertsteuer für Dienstleistungen beträgt zurzeit ca. 5,9 % und wird dem Kunden berechnet. 2.2.5

Import/Export-Firmen

Import/Export-Firmen wickeln Exportgeschäfte zwischen dem ausländischen Hersteller und dem chinesischen Kunden und Importgeschäfte zwischen chinesischen Herstellern und ausländischen Kunden ab. An diesen Firmen kommt man bis heute nicht vorbei. Für die Dienstleistungen dieser staatlichen Institutionen muss wie bereits vorgängig erwähnt ca. 0,8 – 2,5 % des Warenwertes als Bearbeitungsgebühr bezahlt werden. Die Bezahlung des Verkaufspreises, der Importsteuern und der Mehrwertsteuer wird immer vor der Auftragsabwicklung fällig. Einige bedeutende multinationale Firmen verfügen über eine eigene Import/Export-Lizenz. Mit dieser Lizenz können sie den Abwicklungsprozess beschleunigen und Kosten sparen. Es ist durchaus denkbar, dass in naher Zukunft auch kleinere Firmen solche Lizenzen beantragen können. Das würde bedeuten, dass die staatlichen Import/Export-Firmen die Kontrolle über die ein- und ausgeführten Güter verlieren.

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Register the enterprise‘ enterprise‘ s name



Get government approval of the feasibility study report and articles of association



Apply the notice of the enterprise code issued by Technology Supervise Bureau



Get the government approval certificate



Get the business license, license, publish announcement in a newspaper



Engrave the enterprise official seal



Obtain the enterprise code



Open RMB & foreign currency accounts



Taxation registration



Customs declaration

Abb. 4. Map of Shanghai Xinzhuang Industry Park Quelle: www.shxip.com

2.2.6

Der Registrierungsprozess für die Beantragung einer Lizenz

Grundsätzlich ist der administrative Aufwand für den Registrierungsprozess einer Lizenz heutzutage deutlich geringer als vor Jahren. Bis alle notwendigen Dokumente für den Registrierungsprozess erstellt und akzeptiert sind, kann es drei bis sechs Monate dauern. Es bleibt abzuwarten, ob durch die Liberalisierung und den Beitritt zur WTO weitere Erleichterungen realisiert werden. 2.2.7

Standortüberlegungen in China

Bedingt durch die Größe des Landes, den vorhandenen Transportmöglichkeiten zu Land, in der Luft und auf dem Wasser, den vorhandenen Ressourcen in Bezug auf Personal, Energie aber auch die rasante Entwicklung der Städte und Provinzen wird die Standortfrage zu einem zentralen Thema, wenn es darum geht, eine Firma zu gründen und zu etablieren. Es ist notwendig, mit erfahrenen Fachleuten die Standortsuche anzugehen. Überlegungen zu Personal, Logistik und Transport beeinflussen eine Standortwahl. Je näher sich der gewählte Standort an einer großen Stadt befindet, desto mehr werden finanzielle Überlegungen eine Rolle spielen.

KMU im globalen Umfeld

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Wenn einmal die Grundsatzentscheidung gefällt ist, in welcher Provinz oder Stadt die neu zu gründende Firma ihren Sitz haben soll, geht es darum, entsprechende Lokalitäten zu finden. In den meisten Fällen ist es richtig, wenn über die zuständigen „Economic Development Bureaus“ oder anderen Agenturen versucht wird, Informationen über die Business- und Industrieparks in der Region zu erhalten. Diese Parks sind in der Regel sehr groß. Das hier abgebildete Beispiel des Shanghai Xinzhuan Industry Parks, der 1995 eröffnet wurde, verfügt über eine Gesamtfläche von ca. 20 km2. Die Parks sind nach Aktivitäten gegliedert und hier können sich sowohl Investment-, Entwicklungs-, Produktions-, Representative Offices oder Hauptquartiere von multinationalen Firmen befinden. Die Parks verfügen weitgehend über moderne Infrastrukturen und modernste Kommunikationsmöglichkeiten. Auch sind sie meistens in Bezug auf Transportwege optimiert und offerieren entsprechende Sicherheitskonzepte, die eine ungestörte Entwicklung der Firma ermöglichen. Im Idealfall sind einladende Wohngebiete für lokale Arbeitskräfte, Kader und Expatriates in der Nähe vorhanden. Anschluss an das Netz von vorhandenen oder geplanten Massentransportmittel ist für die Standortwahl von großer Bedeutung. Der Straßenverkehr (Material-, Personen- und Individualverkehr) hat sich in den letzten Jahren explosionsartig entwickelt. Die Straßennetze in und um die großen Industriestädte werden laufend erweitert, aber das Wachstum geht so schnell voran, dass alles, was neu erstellt wird, stets schnell wieder an die Nutzungsgrenze stößt. Wie diese Probleme in Zukunft gelöst werden können, bleibt offen. Sicher ist nur, dass große Anstrengungen notwendig sind. Die Grenzen des Wachstums in China werden nach der Meinung des Autors wesentlich durch gut durchdachte und zukunftsgerichtete Konzepte, die erfolgreich implementiert und betrieben werden, beeinflusst. Das Gleiche gilt für die langfristige Sicherstellung der Energieversorgung, die nicht nur in China Anlass zur Besorgnis gibt. Ein Beispiel aus der Praxis: Der Verbrauch an elektrischer Energie für die bestehende und schnell wachsende Industrie ist so groß, dass obwohl praktisch monatlich ein neues konventionelles Kraftwerk ans Netz aufgeschaltet wird, die Rund-um-die-Uhr-Versorgung von Elektrizität in verschiedenen Regionen nicht sichergestellt ist. Bekannt ist, dass in Betrieben in Shanghai und Umgebung vielfach nur an vier Tagen pro Woche produziert werden kann, weil die notwendige Energie nicht konstant zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang ist auch die Umweltschutzproblematik ein brennendes Thema. Es bestehen Gesetze zum Schutz der Umwelt. Die

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Umsetzung dieser Gesetze ist, bedingt durch die Größe des Landes, der Anzahl Menschen, die hier leben, eine Herausforderung, welche mehr als nur mit gutem Willen und Verständnis zu tun hat. Der außenstehende Betrachter ist schlicht und einfach überfordert, die Dimensionen der Energieund Wasserversorgung, der Rohstoffrückgewinnung und der Abfallbeseitigung in China zu erfassen. Diese Thematik ist die große Herausforderung der chinesischen Regierung und der Wirtschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Dass die Zeit drängt, um tragfähige Lösungen zu finden, ist eine Tatsache, die nicht nur China, sondern alle Verantwortlichen dieser Welt in einen enormen Zugszwang bringt. 2.3

Hongkong: Alternative Basis für die Marktbearbeitung von „Mainland China“

Wenn man den chinesischen Markt erfolgreich bearbeiten will, ist es naheliegend, dass man auch über einen Firmensitz in China verfügt, um möglichst nahe am Geschehen zu sein. Dieses Konzept ist sicherlich richtig für große und multinationale Firmen. Schwieriger wird es, wenn eine Entscheidung für ein KMU getroffen werden muss. Wie in den vorgängigen Abschnitten zu lesen war, müssen viele Aspekte für die wirtschaftlich erfolgreiche Umsetzung von Expansionsplänen in China berücksichtigt werden. Auch ist zu beachten, dass trotz guter Planung und Realisierung eines China Projektes nach wie vor Risiken bestehen, deren Folgen für ein Unternehmen in der Einstiegsphase häufig nicht absehbar sind. Auch die laufenden Veränderungen und allen-

Abb. 5. Hongkong Central mit Ferry Terminal und Helicopter Hub

KMU im globalen Umfeld

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Abb. 6. Hongkong International Airport. Einer der modernsten Flughäfen, nicht nur in Asien

falls neuen Gesetze in China können einen großen Einfluss auf den Erfolg haben. Deshalb ist es notwendig, dass man alternative Pläne hat, und dass die Situation auch nach einer erfolgreichen Inbetriebnahme stetig überprüft und wo nötig situativ angepasst wird. Der Autor ist der Überzeugung, dass sich die Situation für Investitionen in China künftig weiter verbessert und dass bei langfristiger Betrachtung die Erfolgsaussichten für viele KMU positiv sind. Der Beitritt von China zur WTO hat diesen Prozess ausgelöst und wird ihn in näherer Zukunft weiter beschleunigen. All die in den letzten Jahren gesammelten Informationen und Erkenntnisse haben dazu geführt, dass alternative Lösungsansätze gesucht wurden, um das Ziel der langfristig erfolgreichen Erschließung des chinesischen Marktes zu ermöglichen. Eine Alternative ist Hongkong. Seit 1997 gehört diese Region zur Volksrepublik China, nachdem sie während mehr als 100 Jahren unter britischer Fahne und Einfluss stand. In dieser Epoche vollzog sich eine unglaubliche Entwicklung, sowohl in wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht. Hongkong hat sich zu einer der weltweit wichtigsten Metropolen im Dienstleistungssektor entwickelt. Vor allem in westlichen Kreisen gab es die Befürchtung, dass nach der Eingliederung von Hongkong in die Volksrepublik China, schwere Zeiten für die Wirtschaftsregion und die Bevölkerung anbrechen könnten. Diese sind nicht wie erwartetet eingetreten. Hongkong hatte im Jahre 2000 und danach eine für ihre Verhältnisse hohe Arbeitslosigkeit von bis zu 7,5 %. Diese war strukturell bedingt und ist weitgehend überwunden. Im Mai 2007 sind noch ca. 4,5 % der Bevölkerung arbeitslos gemeldet. Die Regierung in Peking und Hongkong hat es

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verstanden, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelten Standortvorteile als Wirtschaftsmetropole von globaler Bedeutung zu bewahren. Bis vor wenigen Jahren war es für die chinesische Bevölkerung schwierig, ein Visum für Hongkong zu erhalten. Die politische Führung befürchtete offensichtlich einen Massenexodus. Heute ist es wesentlich einfacher geworden, ein Visum für die Einreise nach Hongkong zu erhalten. Die Hongkong Chinesen wiederum sind für geschäftliche und touristische Zwecke sehr häufig in „Mainland China“ unterwegs. Hongkong verfügt über eine ausgezeichnete Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte, die effizient und geschäftstüchtig sind. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass es einfach und unkompliziert ist, eine Firma zu gründen. Die Rahmenbedingungen sind insgesamt günstig und das Risiko klein, dass sich in nächster Zeit etwas ereignen könnte, was den Standort unattraktiv machen könnte. Die Verkehrswege von Hongkong nach Mainland China und zurück sind per Flugzeug, Bahn oder Schiff vielfältig, zuverlässig und praktisch rund um die Uhr vorhanden. Praktisch alle Kontinente und deren Hauptstädte dieser Welt sind durch tägliche, teilweise

Abb. 7. Blick auf den sehr leistungsfähige „Hongkong International Dock Container Terminal“, HIDC auf Kwai Chung H.K. Er ist einer der bedeutendsten Hafenanlagen und Drehscheibe für den Warenumschlag in der Region.

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mehrmalige Flugverbindungen pro Tag von und nach Hongkong erreichbar. Das Gleiche gilt für den sehr leistungsfähigen und gut ausgebauten „Hongkong International Dock Container Terminal“ (HIDC Terminal) Kwai Chung sowie für den Personenschiffsverkehr ab Kowloon. Hongkong bietet in vielen Fällen für KMU, die sich in den chinesischen oder asiatischen Raum vorwagen, hervorragende Möglichkeiten für die Gründung einer Firma. Im Gegensatz zu Mainland China ist in Hongkong ein kleinerer Initialisierungs-, Zeit- und Finanzaufwand für einen erfolgreichen Aufbau und Betrieb einer Firma notwendig. Auch als Firmenstützpunkt oder Hub für den gesamten asiatisch-pazifischen Raum ist Hongkong durchaus prüfenswert. Mit dem Flugzeug erreicht man Shanghai in knapp zweieinhalb Stunden, Beijing in ca. drei Stunden. Gestartet wird vom modernen Flughafen in Hongkong. Dieser ist mit dem schnellen „Airport Express“ innerhalbvon 25 Minuten von „Central Hongkong“ erreichbar. Die südlichen Provinzen sind mittels Katamaran-Schnellbooten ebenfalls innerhalb ein bis drei Stunden je nach Destination erreichbar. Von der südchinesischen Stadt Shenzhen in der Provinz Guandong ist der Flughafen Hongkong per Schnellboot innerhalb einer Stunde erreichbar, was die enorme Mobilität und Verbindungsintensität in dieser Region dokumentiert. Auch der Schienenverkehr ist gut ausgebaut. Reisezeit und Reisekosten sind ein Faktor, den es zu berücksichtigen gilt. Das Reisen innerhalb Chinas, von Provinz zu Provinz oder von Stadt zu Stadt, ist sehr zeitintensiv. Das Gleiche gilt, wenn man sich innerhalb einer großen Stadt wie Shanghai oder Guangzhou bewegen muss. Der Verkehr hat enorme Ausmaße angenommen und wird weiter zunehmen, sodass man immer viel Zeit für Wege vorsehen muss. Ein bis drei Stunden per Taxi oder Firmenwagen sind nichts Besonderes, wenn man z.B. vom Zentrum Shanghai in einen Außenbezirk oder zurück gelangen will. Häufig ist man besser bedient, wenn man sich per Taxi direkt vom Flughafen in die außerhalb der Stadt liegenden Business- oder Industrieparks begibt. Hongkong, eine Stadt die rund um die Uhr pulsiert, hat in den Stosszeiten ebenfalls einen enormen Verkehr. Dennoch erscheint alles kompakter, kürzer und einfacher zu sein. In Hongkong ein Einreisevisum für „Mainland China“ zu erhalten, ist sehr einfach. Innerhalb eines Tages kann ein solches für drei oder sechs Monate über ein Reisebüro erstanden werden. Der Pass wird gegen einen kleinen Aufpreis im Hotel abgeholt und auch wieder zurückgebracht. Dies ist ein Beispiel dafür, wie serviceorientiert Hongkong ist. Was die Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und die Sicherheit anbelangt, bleiben praktisch keine Wünsche offen.

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Dienstleistungen haben ihren Preis. So können in Hongkong die Mieten für Büroflächen und Wohnraum je nach Lage und Bedarf sehr hoch sein. Das Gleiche gilt auch bei den Personalkosten, die den Standards in Europa und den USA, vor allem was leitendes Personal anbelangt, sehr nahe kommen. Dies ist einer der Gründe, wieso sich Hongkong in den letzen Jahrzehnten immer mehr zu einer Dienstleistungsmetropole gewandelt hat. Die Produktionskosten sind heutzutage zu hoch, so dass viele in Hongkong ansässige Firmen ihren Produktionsstandort nach „Mainland China“ verlegt haben, den Firmensitz aber in Hongkong belassen. Im Gegensatz zu Mainland China kann man in Hongkong praktisch problemlos in Englisch kommunizieren. Nebst vielen Europäern und Amerikanern, die ihren Wohnsitz für eine gewisse Zeit oder permanent in die Region Hongkong verlegt haben, sprechen die Mehrzahl der Chinesen, die sich im Business-Umfeld bewegen, Englisch. Viele von ihnen sprechen neben „Kantonese“ zusätzlich „Mandarin“. Mit diesen Sprachen ist die Kommunikation unter den Chinesen weitgehend sichergestellt. Eine hochwertige universitäre Ausbildung zu erhalten, hat für die Einwohner einen sehr hohen Stellenwert und ist ein primäres Ziel. Die Kosten einer solchen Ausbildung sind hoch und müssen in der Regel mit eigenen Mitteln bestritten werden. Stipendien sind unter bestimmten Voraussetzungen für finanzschwache Studenten erhältlich. Bedingt durch jahrzehntelangen Handel mit allen Teilen der Welt, kennen viele Hongkong Chinesen auch die westlichen Geschäftsgepflogenheiten. Eine stetig wachsende Zahl von ihnen hat sogar in Europa oder in den USA gearbeitet oder ein Studium an einer Universität absolviert. Kulturelle Unterschiede sind verständlicherweise vorhanden. Es bereitet vielen von ihnen Freude, neue Welten zu entdecken und das Gelernte bei nächster Gelegenheit zu nutzen. Das Steuersystem ist ein weiterer Vorteil in Hongkong. Firmen werden ausschließlich auf Basis des Unternehmensgewinnes besteuert. Der Steuersatz beträgt zurzeit 17,5 % und ist seit einigen Jahren stabil geblieben. In einer Banken- und Versicherungsmetropole wie Hongkong gibt es auch viele Buchhaltungs-, Revisions- und Beratungsfirmen. Hier ist alles vertreten was Rang und Namen hat. Die Qualität der Mitarbeiter dieser Firmen und das Dienstleistungsangebot ist in der Regel gut. Es sollten immer mehrere Angebote eingeholt werden, damit die Preise verglichen werden können, bevor der Auftrag erteilt wird. Es kann schon mal vorkommen, dass für die gleiche Leistung größere Preisunterschiede auszu-

KMU im globalen Umfeld

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machen sind. Häufig sind die Preise auf die Größe und das Ansehen der Firmen zurückzuführen. Die Anwaltskanzleien und die Beratungsfirmen können schlüssig Auskunft geben über die rechtlichen Vorschriften wie auch für die gesetzeskonforme Steuer- und Bücherrevision. Die Behörden arbeiten rasch und kontrollieren - auch im Detail. Das Bankensystem in Hongkong ist sehr gut ausgebaut und leistungsstark. Es gibt kaum Einschränkungen bei Transaktionen mit anderen Bankplätzen auf der Welt. Es können – wie in Europa oder den USA – Transaktionen in allen Währungen getätigt werden. Wenn man das mit der heutigen Situation in Mainland China vergleicht, bestehen große Systemunterschiede. Diese können sich aber im Laufe der Zeit in China anpassen. In Hongkong sind Firmen tätig, die teilweise schon seit Jahrzehnten Handel mit China tätigen. Die ältesten von ihnen waren schon um 1860 aktiv. Diese erfahrenen Firmen kennen die kulturellen Eigenheiten und durch die sprachliche Nähe sind sie in der Lage, die effizientesten Wege für den Güteraustausch als Import und/oder Exportfirmen gewinnbringend zu nutzen. Die Marktbearbeitung von Mainland China kann mittels eines eigenen Business-Hubs in Hongkong oder mit einer auf China ausgerichteten, Hongkong basierten Import/Export-Firma erfolgen. Diese Import/Export-Firmen sind meistens spezialisiert auf verschiedene Produktgruppen oder nach regionalen Gegebenheiten. Gerne nehmen viele von ihnen für sich in Anspruch, das gesamte Territorium Chinas bearbeiten zu können. Das muss in jedem Fall deutlich hinterfragt, geprüft und kontrolliert werden. Entscheidend ist das Beziehungsnetzwerk, das diese Firmen regional oder nach Branche aufgebaut haben. Die Effizienz und die Nutzbarkeit dieses Beziehungsnetzes ist nicht in jedem Falle transparent. Einige der in Hongkong sitzenden Firmen verfügen in China wiederum über Niederlassungen mit einer Business Lizenz. Durch diese registrierten und lizenzierten Niederlassungen in China ist es möglich, an Kunden in lokaler Währung zu verkaufen und das Geld legal zu exportieren, respektive umzutauschen. Der Business-Hub in Hongkong ermöglicht die intensive Zusammenarbeit mit den Agenturen. Eine andere Variante besteht darin, dass man mit einem geeigneten Hongkong Chinesen oder einem Expatriot als Geschäftsführer den Hub betreibt und mit eigenen chinesisch sprechenden Verkäufern den Markt bearbeitet und Ausstellungen besucht. Wenn die Produkte, die in China verkauft werden, regelmäßige Unterhaltsarbeiten erfordern, muss zusätzlich ein Servicetechniker-Team bereitgestellt werden. Eine Möglichkeit besteht darin, mit einer Agentur aus Hongkong, die über eine eigene Niederlassung in China

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Georges Bächthold

verfügt, Technik-Ressourcen gemeinsam zu nutzen und die Kosten entsprechend aufzuteilen. Unterhalts-, Dienstleistungs- und Reparaturarbeiten können bis anhin nur in RMB verrechnet werden. Der chinesische Kunde erwartet häufig, dass solche Arbeiten kostenlos geleistet werden. 2.4

Wenige Schritte bis zur Gründung einer Firma in Hongkong

Wenn die Entscheidung gefallen ist, in Hongkong eine Firma zu gründen, benötigt man für die Realisierung im Vergleich zu China wesentlich weniger Zeit. Am besten beauftragt man eine der darauf spezialisierten Firmen mit dieser Aufgabe. Die mit der Gründung beauftragte Firma kümmert sich um alle administrativen Belange, die notwendig sind, um möglichst schnell operativ tätig zu werden. Dazu gehört auch die Hilfe bei der Festlegung der Statuten, der Organisationsstruktur und die Beratung bei den vor, während und nach der Gründung der Firma zu erledigenden Arbeiten. Um den Registrierungsprozess weiter zu beschleunigen und wenig Gründungskosten zu generieren, kann es attraktiv sein, eine „Shell Company“ zu kaufen. Diese werden von den in Hongkong ansässigen „Lawfirms“ gegründet und verkauft. Es ist darauf zu achten, dass die zu kaufende Firma bis dahin noch nie operativ tätig war. Damit wird das Risiko vermieden, dass man mit dem Kauf Altlasten der früheren Besitzer übernimmt.

Grü Gründung einer Firma in Hongkong •

Grü Gründungsentscheid



Festlegung der Art der Firma, Firmenstruktur & Statuten



Registrierung im Handelsregister, Verö Veröffentlichung & Bewilligung



Festlegung der Revisionsstelle



Erö Eröffnung eines Bankkontos



Personalrekrutierung (Eigene, Expatriots, Expatriots, Lokale)



Versicherungsangelegenheiten erledigen (Product (Product reliability etc.)

Abb. 8. Wenige Schritte bis zur Gründung einer Firma in Hongkong

KMU im globalen Umfeld

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Zusammenfassung

Die Öffnung des chinesischen Marktes für westliche Produkte ergibt neue, interessante Perspektiven für viele KMU. Sie ist aber komplex und erfordert nebst Fachwissen und Erfahrung auch die Bereitschaft, wesentliche Ressourcen für die Realisierung des Projektes bereitzustellen. Des weiteren müssen die Personen, die dieses Projekt leiten und realisieren, bereit sein, die kulturellen Eigenheiten des Gastlandes zu akzeptieren. Häufig unterschätzt wird die zeitliche Komponente und damit zusammenhängend die finanziellen Mittel, die notwendig sind, einen geglückten Start in eine erfolgreiche Zukunft zu realisieren. Ein Engagement in China ist in allen Fällen immer langfristig zu sehen. In vielen Fällen kann es einige Jahre dauern, bis der Durchbruch geschafft ist. Nach dem Durchbruch kommt der Fokus auf die langfristig finanziell erfolgreiche Unternehmung.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems zur Simulation von Globalisierungsstrategien und Handlungsoptionen eines mittelgroßen Unternehmens Uwe Hess und Andreas Müllner

Summary. The article focuses on the development of a highly efficient survey method to search within relatively short time periods inside enterprises for themes with potentially high business impacts. Based on stakeholder interviews the results are structured and become the basis of an Active-Passive Matrix that allows extracting interdependencies among key performance indicators, KPI elements and levers. Through a PC based simulation program different business scenarios were applied and the KPIs calculated.

1

Einleitung

Viele Unternehmen müssen sich heute mit der Frage auseinandersetzen, wie sie auf die immer schnellere Dynamik des Marktes reagieren können. In dieser Arbeit werden die Möglichkeiten zur Entwicklung von dynamischen Kennzahlensystemen vorgestellt, die es einem Unternehmen erlauben, seine Strategien schnell externen Veränderungen anzupassen, das Thema „Veränderung“ dauerhaft in Unternehmensprozesse zu integrieren und es gleichzeitig positiv im Bewusstsein seiner „Stakeholder“ zu verankern. Die Vorgehensweise wird an Hand des Beispiels einer mittelgroßen Firma gezeigt, die sich den Herausforderungen der Globalisierung stellen muss. Für gewöhnlich wird ein Unternehmen seine Situation mit Hilfe der bekannten Instrumente der Unternehmens, Markt- und Umweltanalyse untersuchen, sich dann angemessene Ziele setzen und versuchen, sie mit geeig-

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Uwe Hess und Andreas Müllner

neten Strategien und Maßnahmen zu erreichen. Eine Alternative zu diesem analytischen Vorgehen ist Befragung von „Stakeholdern“, also von Mitarbeitern und anderer am Unternehmen beteiligter Personen. Eine solche Befragung und die darauf basierende Entwicklung von Strategien kann relativ häufig durchgeführt werden und unterstützt eine systembetonte Sichtweise des Unternehmens. Demnach besitzt ein Unternehmen ein gewisses Maß an Autonomie, wodurch die Notwendigkeit besteht, dauernd etwas über das Unternehmen und seine Umgebung zu lernen und damit auch die Gültigkeit beschlossener Strategien zu hinterfragen. Daraus abgeleitete Strategien und Maßnahmen können, müssen aber nicht realisiert werden. Sie können aber mit Hilfe von Simulationsprogrammen unter der Vorgabe bestimmter Szenarien getestet werden und ermöglichen ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Maßnahmen und ihren Wirkungen. Sehr gut geeignete Bindeglieder zwischen realen Geschäftsprozessen und Computersimulationen stellen Kennzahlensysteme dar, denn sie erlauben die Quantifizierung von Prozessen. Im Idealfall wäre man in der Lage, mit Hilfe von Kennzahlensystemen die Wechselwirkungen von Unternehmensprozessen darzustellen und somit die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens abhängig von bestimmten Szenarien zu bestimmen und vorherzusagen. In Wirklichkeit ist dies natürlich nur ansatzweise möglich, weil die Wechselwirkungen zu komplex sind. Zudem ist man besonders bezüglich der Wechselwirkung mit Umweltfaktoren auf Annahmen angewiesen. Heutzutage sind Kennzahlensysteme die entscheidenden Werkzeuge bei der Planung, Steuerung und Kontrolle von Unternehmen sowie der Durchsetzung von Strategien und Maßnahmen. Deshalb beschäftigt sich die Arbeit zunächst mit der historischen Entwicklung von Kennzahlensystemen und demonstriert dann die Entwicklung eines dynamisches Kennzahlensystem, des Aktiv-Passiv-Matrix Modells (APM Modell) sowie dessen Umsetzung in einfachen Simulationen mit dem so genannten „Value Analyzer“.

2

Historische Entwicklung von Kennzahlen und Kennzahlensystemen

2.1

Finanzwirtschaftliche Kennzahlen und Kennzahlensysteme

Bei der Betrachtung der historischen Entwicklung von Kennzahlen denkt man zunächst an finanzwirtschaftliche Kennzahlen, also an aus der Kostenrechnung kommende Rentabilitäts- und Liquiditätsgrößen, wie beispielsweise die Umsatzrendite, und davon abgeleiteten Kennzahlen.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

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Das 1919 entwickelte DuPont Kennzahlensystem ist der klassische Vorläufer von Kennzahlensystemen (Weber 2002). Es geht auf Daten des Rechnungswesens zurück. Der ROI (Return of Investment) bildet die oberste Kennzahl, die rechnerisch in ihre erzeugenden Kennzahlen zerlegt wird, also Kennzahlen wie Unternehmensrentabilität, Umschlagshäufigkeit des Vermögens, Gesamtvermögen, Umlaufvermögen oder Anlagevermögen. Problematisch sind aus heutiger Sicht in erster Linie die Unflexibilität des Systems und die Unausgewogenheit der Kennzahlen, die nur eine Beschreibung auf oberster Unternehmenslinie mit finanziellen Größen zulassen. Außerdem entspricht die Spitzenkennzahl, der ROI, nicht notwendigerweise dem Unternehmensziel. Zu der Klasse der finanzwirtschaftlichen Kennzahlensysteme gehören darüber hinaus das RL Kennzahl- und Controlling System (Reichmann 2001) und das 1969 vom Zentralverband der elektrotechnischen Industrie vorgestellte ZVEI System (ZVEI 1989). 2.2

Wertorientierte Kennzahlen und Kennzahlensysteme

Finanzwirtschaftliche Kennzahlen besitzen eine begrenzte Aussagekraft über den Zustand eines Unternehmens, weil sie auf Grund verschiedener Bewertungsmöglichkeiten nicht eindeutig sind und den Zeitwert des investierten Kapitals nicht berücksichtigen. Dies ist problematisch, weil möglicherweise der tatsächliche Wert einen Unternehmens nicht richtig wiedergegeben wird und sich ein Unternehmen dadurch der dauernden Gefahr einer feindlichen Übernahme aussetzt. Aus diesem Grund haben sich neben den finanzwirtschaftlichen Kennzahlen Stromgrößen (Cashflow-Größen) und Diskontierungsverfahren durchgesetzt. Darüber hinaus bieten diese Verfahren auch die Möglichkeit der Einführung der „Shareholders“ Perspektive. Daraus abgeleiteten Kennzahlen, wie der DCF (Discounted Cash Flow) nennt man wertorientierte Kennzahlen. Im Gegensatz zu finanzwirtschaftlichen Kennzahlen sind wertorientierte Kennzahlen nicht nur vergangenheitsorientiert sondern beinhalten auch zukunftsbezogene Erwartungshaltungen. Problematisch ist bei wertorientierten Kennzahlen häufig die Fokussierung auf zukünftige Zahlungsströme, und deshalb auf finanzielle Kennzahlen. Entsprechende Kennzahlensysteme beruhen deshalb auf einer rein rechnerischen Verknüpfung von Kennzahlen und sind kaum in der Lage, die Komplexität von tatsächlichen Unternehmensstrukturen wider zu geben. Insbesondere bleiben operative Ebenen unberücksichtigt und die Dynamik von Unternehmens- und Produktentwicklungen kann nur unzureichend abgebildet werden.

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Uwe Hess und Andreas Müllner

Der DCF, als typisch wertorientierte Kennzahl, ermittelt die Wertschöpfung eines Unternehmens und damit auch die Rendite des einzelnen Kapitalgebers. Er erfasst über mehrere Zeitperioden die Differenz zwischen Ein- uns Auszahlungen, die Kapitalkosten und damit den risikoabhängigen Renditeanspruch des Kapitalgebers sowie den Wert von nicht betriebsnotwendigen Investitionen. Der DCF eignet sich sowohl zur Abbildung des Unternehmens als auch einzelner Geschäftseinheiten. Er setzt aber Annahmen über die Risikobewertung und den zukünftigen Cash Flow eines Unternehmens voraus. Wertorientierte Kennzahlensysteme basieren auf diskontierten, in finanztheoretischen Arbeiten beschriebenen Stromgrößen (Markowitz 1952). Insbesondere werden spezifischen Rendite- und Risikoerwartungen aus Sicht des Kapitalgebers Rechnung getragen wird. Zentrale Gösse ist der „Share Holder Value“, also der Mehrwert im Vergleich zu einer Analage auf dem Kapitalmarkt. Die bekanntesten Verfahren sind DCF (DiscountedCashflow-Methode) (Rappaport 1986), EVA (Economic Value Added) (Stewart 1991) und CVA (Cash Value Added) (Lewis 1994). Die oberste Kennzahl, der EVA, entspricht dem Mehrwert, den ein Unternehmen währen einer Periode gegenüber einer mit dem eingesetzten Kapital erzielbaren Kapitalmarktverzinsung geschaffen hat. Wertorientierte Kennzahlensysteme erlauben die Steigerung des Werts einer Organisationseinheit durch Erhöhung des Ergebnisses bei konstantem Kapitaleinsatz, Investitionen in solche Einheiten, die eine höhere Rendite erwirtschaften als das dafür notwendige Kapital oder Reduzierung des gebundenen Kapitals, z.B. durch Verkauf unwirtschaftlicher Einheiten. Bei dem von der Boston Consulting Group entwickelten „Real Asset Value Enhancer“, dem RAVE, wird die oberste Kennzahl, der Mehrwert EVA, aus der Sicht der Kapitalgebers, der Kunden und der Mitarbeiter betrachtet. So berechnet sich beispielsweise aus Mitarbeitersicht der EVA als das Produkt aus der der „Anzahl der beschäftigten Personen“, multipliziert mit der Differenz aus „Wertschöpfung pro Person“ und „Kosten pro Person. Dadurch entsteht eine perspektivische Betrachtung, die die Entwicklung spezifischer Kennzahlen entlang so genannter Werthebelbäume für tiefer gelegene, operative Unternehmensebenen erlaubt. Durch seine perspektivische und operative Ausrichtung besitzt das RAVE Verfahren bereits wesentliche Elemente so genannter „Performance Measurement Systeme“, also Systemen zur „kennzahlengestützte Leistungs- und Ergiebigkeitsmessung“ (Lelke 2005).

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

2.3

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Selektive Kennzahlen und „Performance Measurement“ Systeme

Wie in dem 1997 entwickelten „Konzept der selektiven Kennzahlen (Weber 1997) beschrieben, stellen „Performance Measurement“ Systeme lediglich die Forderung nach Ausgewogenheit der Kennzahlen und einem hohen Maß an Flexibilität. Sie sind deshalb weitgehend von einem starren Kennzahlenkonzept befreit. Stattdessen erfordert die Aufstellung geeigneter Kennzahlen eine gewisse Methodik, die die Mitwirkung von Unternehmensmitarbeitern zur Kennzahlenentwicklung und -implementierung erfordert. Um eine bessere Abbildung von tatsächlichen Unternehmensprozessen zu gewährleisten, wurden sogenannte „Performance Measurement Systeme“ eingeführt, die auf selektiven Kennzahlen beruhen. Beurteilt soll damit „die Effektivität und Effizienz der Leistung und Leistungspotentiale unterschiedlicher Objekte im Unternehmen werden“ und entsprechende Kennzahlen und Kennzahlensysteme sollen „systematisch auf die strategischen Ziele und Erfolgsfaktoren eines Unternehmens ausgerichtet sein“ (Gleich 2001). Zudem soll ein entsprechendes Kennzahlensystem damit „die Lücken zwischen Wertorientierung, Strategie und operativer Leistung schließen, weshalb es eine zentrale Rolle im Steuerungs- und Strategieprozess einnimmt“ (Bischof 2002). Aus diesen Formulierungen erkennt man die Forderung nach Kennzahlen, die zum einen alle funktionalen Ebenen abdecken, und die zum anderen sowohl strategischen Zielrichtungen gerecht werden als auch die Implementierung und Bewertung von Maßnahmen auf allen operativen Ebenen zulassen. Die Strukturierung solcher Kennzahlen beruht auf Fragen nach deren Ansiedlung in der Unternehmenshierarchie, den Zugriffsrechten sowie wirkungs- und zeitspezifischer Gewichtung. Beispielsweise können Kennzahlen abhängig von Produktlebenszyklen unterschiedlich gewichtet sein: Am Anfang eines Produktlebenszyklus ist der Zuwachs an Marktanteilen wichtiger als der am Produkt erzielte Gewinn. Dieser Zusammenhang kehrt sich später um. Die bekanntesten Kennzahlensysteme dieser Gruppe sind das EFQM (European Foundation of Quality Management System) (Schmutte 1999) und die Balanced Score Card (BSC) (Kaplan 1996). Der Ausdruck „Balanced Score Card“ weist auf die Forderung nach Zielorientierung der Kennzahlen hin sowie nach deren Ausgewogenheit bezüglich Spät- und Frühindikatoren, unterschiedlichen internen und externen Perspektiven sowie kurz- und langfristigen Zielen. Die typische Vorgehensweise bei der Erstellung eines derartigen Kennzahlensystems ist mit der Erstellung einer Unternehmensanalyse und eines

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Geschäftsplanes synchronisiert. Wesentliche Elemente sind dabei die Festlegung von Zielsystemen, von Steuerkennzahlen und die Treiberanalyse. Sie stellt „eine Methodik der Identifizierung der internen und externe Faktoren (Treibergrößen) dar, die den Erfolg einer Organisationseinheit maßgeblich bestimmen und von Entscheidungsträgern signifikant beeinflusst werden können“ (Lelk 2005). Das Kennzahlensystem wird dann zum Führungsinstrument im Sinne von Planung, Durchführung und Kontrolle. Damit werden neuere Kennzahlensysteme ein wesentliches und integratives Element des so genannten „Performance Management“, dessen Aufgabenfeld Strategiefindung und –Implementierung umfasst. Bei der Einführung von Kennzahlensystemen muss man auch nach der Wirtschaftlichkeit fragen. Die Einführung eines BSC Systems ist in dieser Beziehung durchaus aufwendig. Zudem erfordert es einen oft langwierigen Prozess der Konsensbildung über geeignete Kennzahlen und besitzt einen weiten Zeithorizont. Außerdem wird nur unzureichend dargestellt, wie Kennzahlen aufeinander wirken.

3

Kennzahlen aus systemtheoretischer Sicht

3.1

Kritik an bestehenden Kennzahlensystemen

Es gibt Gründe anzunehmen, dass man Kennzahlensysteme schneller ändern muss, um sie besser einem sich schnell ändernden Geschäftsumfeld oder der Dynamik des Unternehmens anpassen zu können. Die bisher besprochenen Kennzahlenmodelle sind dafür nicht unbedingt geeignet. Einige Kennzahlensysteme, wie das DuPont Kennzahlensystem, beruhen auf starren Modellen und spiegeln nicht die Spezifität eines Unternehmens wider. Starre Modelle eignen sich gut, um Unternehmen zu vergleichen, spiegeln aber nur beschränkt deren operative und strategische Besonderheiten wider. Andere Kennzahlensysteme, wie die BSC Methode, erfordern einen relativ aufwendigem Erstellungsprozess und haben deshalb einen langen Zeithorizont. Die BSC Methode verbindet Strategien der verschiedenen Geschäftsebenen und dient der mittel- oder langfristigen Durchsetzung einer beschlossenen Strategie. Große Unternehmen besitzen Marktmacht und sollten viel Wissen über „ihr Geschäft“ mit sich tragen. Deshalb erwartet man von ihnen auch ein relativ großes Maß an Stabilität. Vergleicht man sie mit großen Ozeanschiffen, die unbeeindruckt von Wetterwidrigkeiten ihren Fahrplänen folgen, dann liegt der Schluss nahe, dass Unternehmen viel schwieriger zu

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

93

steuern sind und dass ihr Wert erstaunlich schnell steigen und fallen kann. Wie weit ist Cisco heute davon entfernt, das wertvollste Unternehmen der Welt zu sein? Entscheidende Kennzahlen von Unternehmen ähneln nicht der konstanten Fahrleistung eines Ozeanriesen, sondern schwanken oft stark und sind schlecht vorhersagbar. Als Beispiele möge man sich die jährlichen Unternehmensergebnisse von Daimler-Chrysler vor Augen führen. Stimmt man – wie viele es tun – diesen Beobachtungen zu, dann ist eine Schlussfolgerung daraus, dass Unternehmen in der Lage sein sollten, sich schneller als es meist getan wird, neuen Gegebenheiten anzupassen und dafür die entsprechenden Instrumente zu entwickeln. Schnelle Anpassung bedeutet auch, dass man Strategien relativ schnell überdenken und überarbeiten können muss – und mit ihnen auch die entsprechenden Kennzahlensystemen. Im Idealfall besäßen Unternehmen Änderungslabors, in denen dauernd verschiedene Strategien in sich ändernden Unternehmens- und Umweltszenarien durchgespielt und an Hand von Computerprogrammen getestet werden. Solche Strategien können natürlich nicht laufend in die Tat umgesetzt werden. Vielmehr sollen sie dazu dienen, ein dauerhaftes, positives Bewusstsein für Veränderung zu erzeugen und das Unternehmen besser auf möglicherweise notwendige Änderungsmaßnahmen vorzubereiten. Veränderungen müssen dann nicht, wie heute immer, überraschend und sprunghaft geschehen und von allen Beteiligten als Bedrohung wahrgenommen werden. Bevor man Strategien entwickelt, ist es notwendig in Erfahrung zu bringen, was im Augenblick die für das Unternehmen wichtigen Themen sind. Man kann dies durch eine klassische Unternehmensanalyse tun. Sie erfordert Zeit, erfolgt von „oben“ und ist möglicherweise durch die Sichtweise der Autoren gefiltert. Unterstellt man dem System Unternehmen eine gewisse Autonomie, dann erscheint es sinnvoll, die Themen durch relativ schnell durchführbare Befragungen repräsentativer „Stakeholdern“ zu erfassen. Die Themen besitzen nach Meinung der Befragten eine große Wirkung auf den Geschäftserfolg deren Bearbeitung ist folglich wichtig. Um der Dynamik des Marktes gerecht zu werden, sollen die Interviewrunden schnell wiederholbar sein. Die Themen können sehr allgemein formuliert sein und müssen keine formalen Voraussetzungen erfüllen, wie etwa die für Kennzahlen wichtige Messbarkeit. Die Themen können dann von erfahrenen „Änderungswissenschaftlern“ in operationalisierbare Aussagen umgewandelt, strukturiert und mit Kennzahlen hinterlegt werden. Man kann die Kennzahlen häufig direkt den vorhandenen Management Systemen (MIS) entnehmen, dann Leistungstreiber identifizieren und Strategien entwickeln. Bleibt man auf einer theo-

94

Uwe Hess und Andreas Müllner

retischen Ebene, dann erlauben Simulationsprogrammen die Anwendung verschiedene Szenarien und die Analyse der Wirkung verschiedener Leistungstreiber auf den Unternehmenserfolg. Vergleicht man die Wirkungen der Leistungstreiber im Programm und in der Realität, dann kann dadurch die schrittweise Veränderung der Gewichtungen von Leistungstreibern Simulationsprogramme lernfähig machen und somit zu besseren Vorhersagen kommen. Offensichtlich existieren in realen Unternehmen verschiedene Vorstellungen über die Geschwindigkeit und Stärke von Veränderungen, denen sie unterliegen. Klassische Auffassungen halten es für ausreichend, ausgehend von einer genauen Unternehmens- und Umweltanalyse, eine für den Unternehmenserfolg geeignete Strategie zu entwickeln und diese dann – beispielsweise nach einer durchaus zeitintensiven BSC Entwicklung – zu implementieren und zu überwachen. Ein solcher Prozess ist als mindestens mittelfristig zu bezeichnen. Auch in den Implementierungs- und Kontrollprozess eingebaute Rückkoppelmechanismen erlauben nur Modifikationen an einer beschlossenen Strategie. Andere, weniger klassischere Vorstellungen gehen davon aus, dass ein rascheres Reagieren auf die Dynamik des Marktes erforderlich ist. Schon Peters and Waterman (Peters 1982) haben darauf hingewiesen wie wichtig für erfolgreiche Unternehmen, neben Möglichkeiten zu spontaner Kommunikation, die Notwendigkeit dauernder Experimente ist. In Wirklichkeit verfolgen natürlich große Unternehmen häufig verschieden Strategien parallel. Beispielsweise bieten Automobilhersteller vom energiesparenden Hybridauto bis zum wenig umweltfreundlichen Geländewagen alles an, was der Kunden wünschen könnte. Versucht man eine Antwort darauf zu finden, welche Vorstellung über die Dynamik von Märkten und die Geschwindigkeiten die bessere ist, muss man sich die Frage stellen, was Märkte und Unternehmen eigentlich sind – und zu welchen Schlussfolgerungen man dann bezüglich Geschwindigkeit und Heftigkeit möglicher Veränderungen kommen kann. 3.2

Das Unternehmen als dynamisches System

Vergleicht man die Entwicklung eines Unternehmens noch einmal mit der gut vorher bestimmbaren Fahrt eines Ozeanriesen, dann liegt der Schluss nahe, dass sich ein Unternehmen in seinem Umfeld nicht so vorher bestimmbar und statisch bewegt. Der Grund liegt darin, dass ein Unternehmen viel komplexerer Wechselwirkungen ausgesetzt ist. Es sind insbesondere verstärkende Rückkopplungen möglich. Man erkennt das zum Bei-

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

95

spiel daran, dass der heutige Gewinn eines Unternehmens darüber entscheidet, was morgen in die Forschung investiert wird und wie hoch übermorgen der Gewinn ist. Weil in solchen, so genannten dynamischen Systeme alles, was in der Vergangenheit geschah, einen Einfluss auf die Zukunft hat, ist alles, was passiert, nicht genau vorher bestimmbar. Insbesondere können sich Effekte durch den zirkulären Charakter des Systems aufschaukeln und schlimmstenfalls zu unerwarteten Katastrophen führen. Bewegt man sich in einem solchen System, sollte man deshalb schnell reagieren können. Nur zum Vergleich: Der Supertanker besitzt – etwas vereinfacht – keine entsprechenden, verstärkenden Rückkopplungsmechanismen. Wenn er an einem Tag schnell fährt, hat dies keine Auswirkungen auf die Geschwindigkeit am nächsten Tag. Man nennt solche Systeme „statisch“. Es ist eine Maschine und was sie tut, ist vorhersagbar. Rückkopplungsschleifen (feeedback loops) spielen in der Kybernetik eine entscheidende Rolle. Die Kybernetik ist die Wissenschaft von der Steuerung von Systemen. Im Prinzip sollte man wissen, dass die meisten Steuerungen, die wir kennen, dämpfend sind, also in einer gewissen Weise zähmend wirken. Rückkopplungen können aber auch verstärkend sein und man bezeichnet die entsprechenden Phänomene oft mit dem populären Ausdruck „Butterfly Effekt“. Im verstärkenden Fall können sich kleinste Effekte in einer Abfolge von Prozessschritten aufschaukeln und zu Ergebnissen führen, die auch von den leistungsfähigsten Computern im Allgemeinen nicht berechnet werden können (Gleick 1987). Entsprechend dramatische Effekte bezeichnet man als chaotische Zustände oder, in technischen Zusammenhängen, als turbulente Zustände. Techniker kennen ihre Systeme aber oft gut genug, um im Betrieb turbulente Zustände auszuschließen. Etwa in den 1960er Jahren hat man erkannt, dass Unternehmen und auch deren Umwelt, die Märkte, dynamische Systeme sind. Um diesem dem Sachverhalt gerecht zu werden, hat man begonnen, schon bekannte Erkenntnisse aus der Kybernetik auf Unternehmenssysteme zu übertragen (Ulrich 1973 und 1984). Natürlich versucht eine Unternehmensführung ein Unternehmen in einem wohl kontrollierten Zustand zu halten. Die Zusammenhänge sind aber in der Regel zu komplex, als dass dies immer gelingt. Die Beschreibung von Rückkoppelschleifen in dynamischen System geschieht mit einfachen rekursiven Formeln, das sind mathematische, beliebig oft zu durchlaufende Schleifen, in denen das Ergebnisse einer bestimmten Periode den Input für die Ergebnisberechnung der nächsten Periode darstellt. Ein einfaches Beispiel ist das eines Blumenverkäufers, der jeden Tag immer mehr Blumen anbietet, weil er einen Teil seines Gewinns vom Vortag in die Beschaffung von mehr Blumen als am Vortag investiert. Theoretisch könnte

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Uwe Hess und Andreas Müllner

P

3

Wachstumsfaktor

4

Abb. 1. Änderung des Profits (P) mit zunehmendem Wachstumsfaktor (c, Abszisse) Quelle: Gleick

er dadurch ein unendliches Wachstum seines Geschäfts erzielen. In der Realität gibt es aber limitierende Faktoren wie die Begrenzung der Nachfrage, die das Wachstum beschränken. Das besondere an solchen Systemen ist, dass ihr Verhalten, wie in Abbildung 1 gezeigt, verschiedene Formen annehmen kann: Grundlage des Diagramms ist die rekursive Formel Pt+1 = c · Pt – c · Pt 2 = Wachstumsterm + Begrenzungsterm, mit c als Wachstumsfaktor sowie Pt und Pt+1 als Ergebnisse zu den Zeitpunkten t und t+1. Zunächst nimmt der Gewinn stetig zu und kommt dann zu einer Verzweigung, von wo ab er zwischen zwei und mehr Werten oszilliert. Schließlich erreicht der die grau gezeichneten, chaotischen Bereiche. Werden lediglich kleine Bruchteile des Gewinns – man spricht von Wachstumsfaktoren – in zusätzliche Blumenkäufe investiert, dann wächst das Geschäft tatsächlich in einer weitgehend kontinuierlichen und gut vorhersagbaren Weise. Wählt man größere Wachstumsfaktoren, dann können die Erträge zwischen bestimmten Werten periodisch wechseln und schließlich chaotisch werden, das heißt, dass die Ergebnisse innerhalb bestimmter Grenzen in prinzipiell unvorhersagbarer Weise schwanken (Stacey 1991). Man sollte hier vier Aspekte beachten. Erstens: Es eine Eigenart kybernetischer Systeme, dass sie universell vorkommen und dass sich ihre Ergebnisse verallgemeinern lassen. Man kennt zum Beispiel ähnliche Verhal-

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

97

tensweisen bei den Entwicklungen von Tierpopulationen. Zweitens: Diese einfache Beschreibung des Geschäftsmodells des Blumenverkäufers verwendet bereits Kennzahlen. Diese sind der tägliche Gewinn und der Wachstumsfaktor. Drittens: Die Beobachtung der Kennzahlen kann Aufschlüsse darüber geben, wann man den stabilen Bereich verlässt. Viertens: Das Verhalten solcher Systeme kann am Computer simuliert werden und die stabilen Bereiche abgeschätzt werden. Unternehmen sind dynamische Systeme und ihr Umfeld ist es auch. Dynamische Netzwerke besitzen oft zu komplexe Strukturen, um sie genau zu beschreiben. Diese Komplexität hat es mit bekannten biologischen und physikalischen Systemen gemein, wie zum Beispiel neuronalen und genetischen Netzen oder dem Wetter. Bei einer analytischen Betrachtung muss man sich fragen, was die Elemente der dynamischen Systeme sind – also was ihre kleinsten Einheiten sind und wie sie Rückkopplungen und Netze bilden können. Bei neuronalen Netzen sind dies offensichtlich Nervenzellen. Es besteht eine Analogie zwischen neuronalen Netzwerken und den „sozialen“ Netwerken, die ein Unternehmen konstituieren. Es liegt nahe anzunehmen, dass die entsprechenden Elemente in einem Unternehmen die einzelnen Prozesse oder Aufgaben sind, die ein Unternehmen erledigen können sollte (Hess 2006). Unternehmensprozesse sind, wie schon erwähnt, rückkoppelnd und haben einen zirkulären Charakter. Damit erfüllen sie eine wichtige Voraussetzung zum Aufbau dynamischer Netzwerke. Man sollte sich vor Augen halten, dass solche Mikroaufgaben die granulare Struktur eines Unternehmens verkörpern. Wenn man über Aufgaben spricht, meint man damit häufig etwas Mächtigeres – etwas, das sich genau genommen aus vielen Mikroaufgaben zusammensetzt. So besteht etwa ein Thema wie „Modularisierung des Produktes A“ aus einer Vielzahl kleinster Teilaufgaben, wie etwa „Beantragung der erforderlichen Mittel mittels Formular“, „Einnahme der finanziellen Mittel durch interne Überweisung“ oder „Ausarbeitung der Spezifikationen mit Zulieferer A“. Auch hier gibt es verschiedene Aspekte zu beachten. Erstens: Spricht man von Themen, dann meint man damit betriebliche Prozesse, die sich aus vielen Mikroprozessen zusammensetzen. Darüber läst sich leicht reden. Zweitens: Unter diesem „Themenniveau“ befindet sich das eigentliche dynamische Netzwerk, bestehend aus weiter nicht mehr unterteilbaren Aufgaben, die einen so genannten, binären Charakter haben, das heißt entweder aktiviert oder inaktiviert sind. So kann beispielsweise die Aufgabe „Ausarbeitung der Spezifikationen mit Zulieferer A“ aktiviert, hingegen die Aufgabe „Ausarbeitung der Spezifikationen mit Zulieferer B“ inaktiviert sein – möglicherweise, weil nicht genügend Ressourcen zu Abarbeitung vorhanden sind. Drittens: Man erkennt,

98

Uwe Hess und Andreas Müllner

dass bereits mit der Entstehung einer Geschäftsidee ein Aufgabenfeld bestimmt ist, dessen einzelne Elemente entweder bearbeitet werden oder nicht. Viertens: Aus systemtheoretischer Sicht, ergibt sich die Fitness eines Unternehmens bezüglich eines bestimmten Themas prinzipiell aus Summe der dazugehörigen, aktivierten Aufgaben. Man beachte, dass in klassischer Weise die Fitness eines Unternehmens bezüglich eines bestimmten Themas durch Kennzahlen bestimmt wird. Wenn man Interviewrunden mit „Stakeholdern“ zur Findung von Strategien und Kennzahlen durchführt, dann bewegt man sich auf dem „Themenniveau“, weil das darunter liegende Netzwerk bestehend aus einzelnen Aufgaben bzw. Prozessen zu komplex ist, um sprachlich leicht abgebildet zu werden. Möglicherweise ist man aber heutzutage von dem Ziel, mit Hilfe IT gestützter, leistungsfähige Management Systeme die dynamischen Strukturen eines Unternehmens abzubilden, gar nicht mehr so weit entfernt. Um die mögliche Komplexität solcher Systeme zu verdeutlichen, sei noch einmal auf neuronale Systeme hingewiesen: Auch hier findet sich ein Mikronetzwerk aus aktiven und inaktiven Nervenzellen, die die kognitiven Leistungen des Gehirns erzeugen. Wenn man diese Sichtweise akzeptiert, dann bedeutet dies auch, dass der Mensch außerhalb des Systems steht – er gehört zu seiner Umwelt. Dadurch besitzt das System ein Maß an Autonomie. Dies klingt befremdlich, bedeutet aber lediglich, dass Unternehmensprozesse ähnlich gut oder schlecht gesteuert werden können wie körperliche Prozesse durch den eigenen Willen. Neben der erwähnten Eigenschaft potentiell unkontrolliert reagieren zu können, besitzen dynamischer Systeme aber auch die Fähigkeit zur Evolution. Um die Möglichkeiten evolutionärer Entwicklung zu nutzen, sollten sich dynamische System im Idealfall in einem Zustand zwischen Unordnung und Stabilität befinden (Kaufman 1995). Zu viel Stabilität, beispielsweise durch die strikte Anwendung und Durchsetzung vorgefasster Strategien, kann notwendige Evolutionsprozesse in einem Unternehmen unterdrücken. Unter dem Blickwinkel der Systemtheorie können Kennzahlen – neben den klassischen Aufgaben der Strategieimplementierung und Kontrolle – auch etwas über die dynamischen Eigenschaften von Systemen auszusagen. Sie können die rasche Entwicklung von Strategiekonzepten unterstützen und als Frühindikatoren zum Erkennung von Chancen und von Risiken dienen. Dynamische Systeme werden wegen ihrer Komplexität oft durch Muster klassifiziert. Auch bei der Anwendung bekannter Kennzahlensysteme nutzt man das: Beispielsweise unterscheiden sich Unternehmen aus verschieden Branchen signifikant in ihren Kennzahlenwerten. Diese Art der

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

99

Mustererkennung kann man wahrscheinlich noch weiter vertiefen und dadurch Entwicklungen des Unternehmens besser erkennen. Jährliche oder vierteljährliche Kennzahlenerhebungen sind möglicherweise nicht ausreichend und müssten eventuell mit höherer Frequenz durchgeführt werden. 3.3

Der Markt als dynamisches System

Die Umwelt eines Unternehmens ist erster Linie dessen Markt. Was lässt sich nun aus systemtheoretischer Sicht über Märkte sagen und über deren Kennzahlen? Wechselkurse, Wertpapierkurse, Optionspreise, Warenpreise und deren Schwankungen sind die Kennzahlen der Märkte. Den sehr wahrscheinlichen Umstand, dass sich Aktivitäten auf dem Finanzmarkt gegenseitig verstärken und aufschaukeln können hat man lange Zeit in der klassischen Finanztheorie ignoriert. Stattdessen geht das klassische, auf den Arbeiten des Mathematikers Louis Bachelier beruhende Standardmodell der Finanztheorie davon aus, dass sich das „ganze Geschrei an der Börse“ gegenseitig kompensiert und sich Kurse mit der Wahrscheinlichkeit eines Münzwurfs entwickeln, also mit gleicher Wahrscheinlichkeit fallen oder steigen und dass die heutige Kursentwicklung von dem gestrigen Kurs unabhängig ist (Cootner 1964, Theorie vom idealen Markt). Daraus folgen eine Reihe von Konsequenzen. Erstens: Die Kursschwankungen werden durch eine so genannte Normalverteilung bestimmt. Eine solche Kurve ist in Abb. 2 dargestellt. Durch die Normalverteilung wird die Häufigkeit von Abweichungen vom Mittelwert bestimmt. Die Gültigkeit der Normalverteilung setzt das Auftreten zufälliger, von einander unabhängiger Ereignisse voraus, also beispielsweise die Ermittlung von Gewinnen durch Münzwürfe. Auf der Abszisse sind die Abweichungen von einem Durchschnittswert angegeben, also beispielsweise von einem mittleren Gewinn. Als Einheit dient die Standardabweichung, die ein Maß für die Streuung von Ergebnissen ist. Bei Gültigkeit der Normalverteilung liegen 95,5% der Ergebnisse in einem Bereich innerhalb der 2-fachen Standardabweichung. Die Ordinate stellt ein Maß für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Abweichungen dar. Obwohl beide Kurven sehr ähnlich aussehen, unterscheiden sie sich grundsätzlich durch die Annahmen, auf denen sie basieren. Der entscheidende Unterschied der Kurven liegt in ihren linken und rechten Ästen: Die Normalverteilung nähert sich wesentlich schneller der Abszisse an als die Exponentialfunktion und deshalb sind die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten extremer Abweichungen vom Mittelwert deutlich geringer. Das heißt, die Schwankungen lassen sich durch eine so genannte Gauß’sche Glockenkurve darstellen, wobei 99,7% der Abweichungen innerhalb der

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Uwe Hess und Andreas Müllner

Wahrscheinlichkeitsdichte

Standardabweichung

4

2

0

2

4

Abb. 2. Normalverteilung (schwarz) und Exponentialfunktion (grau)

dreifachen Standardabweichung liegen. Die Standardabweichung ist ein Maß für die Streuung zufällig schwankender Werte um einen Mittelwert. Zweitens: Die Wahrscheinlichkeit, mit der extreme Kurschwankungen oder Sprünge auftreten, lässt sich angeben. Bei einer Normalverteilung ist das Auftreten extremer Schwankungen sehr unwahrscheinlich, sie treten also sehr selten auf. Drittens: Einzelne, extreme Schwankungen verändern das statistische Gesamtergebnis nicht, haben also keinen Einfluss auf Mittelwert und Standardabweichung in einer Gauß’schen Normalverteilung. Wie Mandelbrot (Mandelbrot 2001a-d und 2006), der Begründer der Fraktalgeometrie, zeigt, stimmen die tatsächlichen Beobachtungen von Kursentwicklungen damit aber nicht überein. Er hat beispielsweise den US-amerikanischen Baumwollpreis seit 1900 untersucht und festgestellt, dass es viel mehr starke und sprunghafte Änderungen gab als nach der Normalverteilung zulässig wäre. Zu den gleichen Ergebnissen kommt man auch bei der Untersuchung mehr zeitnaher Aktienindices. Geht man davon aus, dass Kursentwicklungen der Vergangenheit einen Einfluss auf den aktuellen Kurs haben, also dass sich Kurse nicht mit der Zufälligkeit eines Münzwurfs entwickeln, dann erfordert die mathematische Beschreibung rekursive Formeln, ähnlich derer, die bei der Geschäftsmodellbeschreibung des Blumenverkäufers verwendet wurden. Die Anwendung rekursiver Formeln führt zu einer anderen statistischen Verteilung von Kursschwankun-

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

101

gen: „Ausreißer“ treten häufiger aus und die Kursschwankungen folgen nicht der Gauß’schen Normalverteilung sondern so genannter Exponentialfunktionen. Damit lassen sich die tatsächlich beobachteten Kursschwankungen mathematisch beschreiben. Darüber hinaus erlaubt die Anwendung entsprechender rekursiver Formeln auch die Simulation von Kursen, deren Eigenschaften den wirklichen Kursen entsprechen. Die zentralen Aussagen hier sind also, dass durch das Studium von Marktkennzahlen gezeigt werden konnte, dass am Markt verstärkende, dynamische Effekte eine Rolle spielen können und dass deshalb unerwartete Kurssprünge wesentlich häufiger auftreten als es bei Gültigkeit des Standardmodells und der dann gültigen Normalverteilung zu erwarten wäre. Wie für alle dynamischen Systeme ergibt sich daraus die Schlussfolgerung, dass man Strategien entwickeln sollte, um sich auf das dadurch gegebene, erhöhte Risiko einzustellen.

4

Fallstudie ProChem

4.1

Einleitung

In einer Fallstudie wird im Folgenden die teilweise fiktive Firma ProChem vorgestellt. Dabei werden erfolgskritische Themen durch eine „Stakeholder“ Befragung ermittelt und die dynamischen Wechselwirkung der Themen untereinander mit Hilfe einer so genannten „Cross Impact Matrix“ ermittelt. Die Themen werden dann in einer so genannten Passiv-Aktiv Matrix positioniert. Daraus ergibt sich deren Unterteilung der Themen in Indikatoren, Dynamischen Knoten und Leistungstreibern. ProChem ist eine KMU mit einer sehr spezifischen Ausrichtung auf ein Hochtechnologieprodukt in einem engen Markt. Die Firma wurde als SpinOff der Technischen Universität Eindhoven gegründet und ist seit vielen Jahren in einem geographischen Nischenmarkt tätig. Eine wichtige Kundengruppe sind Chemiefirmen, die heute verstärkt in China und Indien investieren. Der Umgang mit dieser globalen Herausforderung ist für den zukünftigen Geschäftserfolg von großer Bedeutung. Die beschriebene Situation ist typisch für viele Technologiefirmen in Westeuropa. „Spin-Off“ Unternehmen sollen den hohen Wissensstandards der Universitäten für die Gesellschaft wirtschaftlich nutzbar machen. Oft müssen sich solche Firmen bereits in einem frühen Entwicklungsstadium mit globalen Marktherausforderungen auseinander setzen.

102

4.2 4.2.1

Uwe Hess und Andreas Müllner

Unternehmensanalyse Hintergrund

ProChem wurde 1982 als Spin-Off der technischen Universität Eindhoven gegründet. Die Geschäftsidee stützte sich auf das große Wissen der Gründer über polymere Kunststoffe und die Messung von Reaktionswärmen. Dies führte zur Entwicklung und Produktion hochpräziser Geräte zur Messung der Wärmen chemischer Reaktionen, so genannter Reaktionskalorimeter. Bei fast jeder chemischen Reaktion entsteht Wärme, die abgeführt werden muss. Insbesondere in industriellen Prozessen, die im Tonnenmaßstab durchgeführt werden, müssen die Reaktionswärmen sehr genau bekannt sein, um ein so genanntes „Run-Away“ einer Reaktion zu verhindern. Spätestens seit dem Explosionsunglück in einer Chemiefabrik im italienischen Seveso hat sich die Messung von Reaktionswärmen als zentrales Element der chemischen Sicherheitstechnik etabliert. Währen der darauf folgenden Jahre hat ProChem eine solide Kundenbasis für „Reaktionskalorimeter“ in den Benelux Ländern entwickelt und besitzt Marktanteile von etwa 10% in den USA, Deutschland und der Schweiz. Neben den Geräten zur Messung von Reaktionswärmen bietet ProChem auch noch automatisierte Reaktorsysteme an. Dadurch ergeben sich für ProChem interessante Synergieeffekte, weil Peripheriegeräte und Software für beide Produktgruppen nahezu identisch sind. ProChem fertigt die wenigsten der Produktkomponenten selbst, integriert sie aber über eine eigene Software Plattform. 4.2.2

Organisation

Die Firma wird von den beiden Gründern geführt, wobei der eine für Marketing, Vertrieb und die Administration zuständig ist und der andere die technische Entwicklung, die Produktion und den „Anwendungssupport“ leitet. Die Firma besitzt eine mechanische und eine elektronische Werkstatt mit zwei Angestellten, die von Zeit zu Zeit von Studenten aushilfsweise unterstützt werden. Zur Kernmannschaft von ProChem gehören weiterhin ein Software Ingenieur, ein Applikationschemiker, der in Fachfragen mit Kunden zusammen arbeitet und eine Assistentin. Marketing Aufgaben werden von einem externen Büro übernommen, das allerdings weder auf die Vermarktung von technischen Produkten spezialisiert ist noch die Pflege des Internet Auftritts übernimmt. Die Kernmannschaft entwickelt Instrumente und Software, produziert die Komponenten, die die Kernkompetenz der Firma enthalten sowie montiert und testet die bestellten Systeme.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

103

Das Unternehmen besitzt eine schlanke Struktur und hat sich einen informellen, akademischen Charakter bewahrt. Das Vertriebsnetz besteht zum Großteil aus spezialisierten Händlern, die in ihren jeweiligen, lokalen Märkten die Bereiche Chemie und Pharma bedienen. Man unterhält eigene Büros für Benelux und zusammen mit anderen niederländischen Firmen Vertriebskonsortien in China, Indien und den USA. In den Konsortien teilen sich meist vier Firmen ein Vertriebsnetz. Leider sind die erhofften Synergieeffekte ausgeblieben, weil die Repräsentanten bevorzugt Produkte verkaufen, die leichter erklärbar und vermittelbar sind. 4.2.3

Produktion und Logistik

Die Produktion erfüllt durchaus moderne Standards. Mechanische und elektronische Komponenten werden von der Technischen Universität in Eindhoven und etwa 10 kleineren Firmen bezogen. Typischer Weise handelt es sich bei dem „Outsourcing“ um die Herstellung von Leiterplatten und Reaktoren aus bestimmten Metalllegierungen. Die räumliche Nähe zu den meisten Firmen hat dazu geführt, dass ein hoher Qualitätsstandard, kurze Lieferzeit und schnelle Entwicklungszeiten gewährleistet sind. Die Prozesse wurden über viele Jahre entwickelt und sind robust, standarisiert, modularisiert und bestens dokumentiert. Durch ein sinnvolles Design sind die Komponenten klar spezifiziert und aus gut strukturierten Untereinheiten aufgebaut. Manche der verwendeten Materialien erfordern ganz spezielle Verarbeitungsprozesse, die von Spezialfirmen ausgeführt werden. Peripheriegeräte, wie Zugabesysteme für Gase und Flüssigkeiten, werden, so weit wie möglich, von anderen Firmen zugekauft und, wenn nötig, modifiziert. Ersatzteile und Verbrauchsmaterialien werden nur auf Vorrat gehalten, wenn dies zur schnellen Reaktion auf Serviceanfragen notwendig ist. Geräte werden auf Bestellung und „just-in-time“ gefertigt. 4.2.4

Produkte

ProChem führt zwei Produktgruppen, Reaktionskalorimeter und automatisierte Reaktorsystem. Die Reaktionskalorimeter verkörpern die Kernkompetenz des Unternehmens und sind den Konkurrenzprodukten überlegen macht. Obwohl man anfangs versäumt hat, die Technologie durch Patente zu schützen, kann sie nicht leicht kopiert werden. Die Reaktorsysteme, also Metallreaktoren mit Peripheriegeräten und Steuerungs-Software, werden hauptsächlich in der chemischen Prozessentwicklung eingesetzt. Der Ertrag für die Reaktionskalorimeter ist relativ groß, weil sie dauernd weiter

104

Uwe Hess und Andreas Müllner

entwickelt werden und die Stückzahlen klein sind. Reaktorsysteme dagegen haben eine deutlich kleinere Gewinnspanne und eine Senkung der Produktionskosten erscheint für sie sinnvoll. Technisch weit entwickelte Laborprodukte benötigen eine ergänzende Software, die die weitgehend automatische Systemsteuerung übernimmt sowie die Archivierung und Auswertung der Daten. Insbesondere in pharmazeutischen Firmen müssen diese Prozesse noch im Einklang mit Qualitätssicherungs-vorschriften stehen. Darüber hinaus integriert die Software verschiedene Systemkomponenten auch anderer Hersteller. Die ProChem Software wurde entwickelt als die Microsoft Betriebssysteme noch nicht den heutigen Leistungsstand hatten und läuft deshalb noch nicht vollständig unter MS Windows. Es bestehen Überlegungen, die Software durch externe Software Firmen vollständig auf das Betriebssystem Windows übertragen zu lassen. Die Produkte werden durch ein effizientes Service Angebot ergänzt. Auf Grund der Tatsache, dass die Systeme sowieso stark modularisiert sind und sich auch durch einen geringen Platzbedarf auszeichnen, bietet ProChem seinen Kunden eine schnellen Austausch Service an. Defekte Komponenten können mit UPS direkt an ProChem geschickt und werden sofort durch entsprechende Ersatzteile ersetzt. Die dadurch gegebene, mangelnde lokale Präsenz wird aber von manchen Kunden kritisiert. Klassische Werbemaßnahmen bei analytischen Instrumenten haben immer einen starken Bezug zu Produktanwendungen. Deshalb sind Applikationsschriften ein wichtiger Teil wissenschaftlicher Produkte. Im Idealfall werden sie laufend erstellt, häufig in Zusammenarbeit mit externen Forschungseinrichtungen. 4.2.5

Umwelt und Markt

Der Markt für ProChem umfasst alle chemischen und pharmazeutische Firmen. Ein Teil dieser Firmen verlagert wesentliche Teile seiner Aktivitäten nach Asien. ProChem muss versuchen, an dem dortigen Marktwachstum teilzunehmen. Daneben gibt es noch die relativ wohlhabenden Pharma- und Biotechnologiefirmen, für die ein Stanortwechsel nach Asien wenig Vorteile bringt. Diese Firmen sind Produktinnovationen gegenüber sehr aufgeschlossen. Im Bereich der Reaktionskalorimeter sieht sich ProChem vor allem einem schweizerischen Mitbewerber gegenüber, der seinen großen Marktanteil auch der Tatsache verdankt, dass er Teil einen großen Mutterkonzerns mit weltweiter Vertriebsabdeckung ist. ProChem besitzt gegenüber diesem Konkurrenten einen technologischen Vorsprung.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

4.3

105

Befragung von Unternehmensführung, Mitarbeitern und externen Personen

Bei einer Befragung nach den erfolgskritischen Faktoren war man sich weitgehend darüber einig, dass die Kernkompetenz des Unternehmens die Beherrschung einer überlegenen Reaktionskalorimeter Technologie ist. Als besonders wichtig für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens betrachtet man den Gewinn weiterer Marktanteile im europäischen Pharmamarkt mit Hilfe innovativer Produkte und die Verstärkung der eigenen Aktivitäten in China und Indien, um sich der dorthin abwandernden Chemischen Industrie als starker Partner zu präsentieren. Es erscheint sinnvoll, dies nicht allein über Vertriebs- und Marketing Aktivitäten zu tun, sondern gleichzeitig Fertigungstätigkeiten nach China sowie IT Entwicklungen nach Indien auszulagern. Als Stärken identifizierte man die Innovationskraft des Unternehmens und seine schlanke Organisation. Beides ermöglicht eine schnelle Reaktion auf Bedürfnisse des Kunden sowie die Möglichkeit, statt fertiger, standardisierter Produkte kundenspezifische Lösungen anzubieten. Weiterhin wurde das fertigungs-freundliche Design der Produkte hervorgehoben, was ein problemloses „Outsourcing“ vieler Komponenten ermöglicht. Man war sich darüber einig, dass das Unternehmen auf Grund seiner Technologielastigkeit immer noch erhebliche Mängel im Bereich Marketing besitzt. Unbedingt erforderlich ist die Gestaltung eines exzellenten Internetauftritts, verstärkte Präsenz auf wissenschaftlichen Konferenzen und die Schaffung von Netzwerken bestehend aus Benutzern und anerkannten, wissenschaftlichen Experten. Eine Zusammenstellung der von den Befragten genannten Themen ist die Grundlage der Cross Impact Matrix als Teil des APM Modells im nächsten Kapitel.

5

Einführung des dynamischen Kennzahlenmodells APM

5.1

Erhebung der Themen

Das APM Modell (Aktiv-Passiv-Matrix Modell) erlaubt die schnelle Erhebung erfolgskritischer Informationen eines Unternehmens. Diese werden Themen genannt und haben nach Meinung der Befragten eine signifikante Wirkung auf die zukünftige Geschäftsentwicklung. Die Themen können,

106

Uwe Hess und Andreas Müllner

Tabelle 1. Auflistung der von ProChem Mitarbeitern genannten Themen Finanzen

Beziehungen zu Meinungsbildnern

Steigerung des Umsatzes weltweit

Schneller Reaktion auf Kundenbedürfnisse

Steigerung des Marktanteils weltweit

China

Produkt

Verbesserte Präsenz in China

Produktinnovationen

Gründung ProChem China

Modularisierung der Produkte

Einstellung eines Managing Directors China

Senkung der Produktionskosten

Aufbau Produkt Support China

Fähigkeit zum „Outsourcing“

Organisation von Kundenseminaren

Vollständiger Transfer auf MS Windows

Aufbau Komponenten Fertigung China

Wartung und Qualitätssicherung

Indien

Standardisierung der Prozesse

Verbesserte Präsenz in Indien

Anbieten von Lösungen statt Standardprodukten

Gründung ProChem India

Marketing

Einstellung eines Managing Directors India

Verbesserung Marketing

Aufbau Produkt Support India

Web Site als Sales Tool

Aufbau IT Entwicklung Indien

Verbesserung Schulung Vertrieb

Umwelt

Kontinuierliches Erstellen von Applikations- Verschiebung der Kundeninvestitionen schriften nach Asien Abdeckung aller wichtiger Veranstaltungen Dominanz eines starken Mitbewerbers Teilnahme am Marktwachstum in Asien

Marktkonsolidierung weitgehend abgeschlossen

Intensivierung von Mailingaktionen

Schutz Urheberrechte

wie in Tabelle 1 gezeigt, sehr allgemein formuliert werden und müssen nicht quantifizierbar sein. Sie können entweder durch eine klassische Unternehmensanalyse erhoben werden oder durch Interviews der Stakeholder. Eine solche Befragung erfordert weniger Zeit und fördert unter Umständen mehr Informationen über das Unternehmen zu Tage. Die durch die Befragung erfassten Themen wurden zur besseren Übersichtlichkeit geordnet, teilweise zusammengefasst und zum Zwecke einer späteren Operationalisierbarkeit umformuliert.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

107

Abb. 3. Pivot-Darstellung der Cross-Impact-Matrix (CIM) mit Themen als vertikale und horizontale Achse, den Aktiv-Summen (AS) als Summe der jeweiligen Zeilen und die Passiv-Summen (PS) als Summe der jeweiligen Spalten. Der Dynamische Index (DI) eines jeden Themas wird als Produkt aus AS und PS berechnet.

108

Uwe Hess und Andreas Müllner

Tabelle 2. Auflistung der Themen mit Rangangaben, basierend auf ihren AktivSummen (AS), Passiv-Summen (PS) und Dynamischem Indices (DI) Thema

Rang AS

Rang PS

Rang DI

Finanzen Steigerung des Umsatzes weltweit

33

Thema

Rang AS

Rang PS

Rang DI

Beziehungen zu Meinungsbildnern

22

6

8

Schneller Reaktion auf Kundenbedürfnisse

22

8

13

Rang AS

Rang PS

Rang DI

1

27

Steigerung des Marktanteils Nicht Nicht weltweit ermittelt erm.

Nicht erm.

China

Produkt

Verbesserte Präsenz in China

3

2

1

Rang AS

Rang PS

Rang DI

Produktinnovationen

20

8

10

Gründung ProChem China

5

7

4

Modularisierung der Produkte

10

14

7

Einstellung eines Managing Directors China

2

32

21

Senkung der Produktionskosten

21

18

20

Aufbau Produkt Support China

8

23

17

26

19

22

Organisation von Kundenseminaren

18

17

12

8

30

23

Aufbau Komponenten Fertigung China

7

25

16

Wartung und Qualitätssicherung

30

28

31

Rang AS

Rang PS

Rang DI

Standardisierung der Prozesse

24

8

14

4

3

2

Anbieten von Lösungen statt Standardprodukten

28

30

29

1

12

5

Rang AS

Rang PS

Rang DI

Einstellung eines Managing Directors India

10

34

32

13

11

6

Aufbau Produkt Support India

16

23

25

31

25

30

Aufbau IT Entwicklung Indien

18

22

24

Verbesserung Schulung Vertrieb

15

21

15

Rang AS

Rang PS

Rang DI

Kontinuierliches Erstellen von Applikationsschriften

27

5

19

Verschiebung der Kundeninvestitionen nach Asien

29

14

28

Abdeckung aller wichtiger Veranstaltungen

14

14

9

Dominanz eines starken Mitbewerbers

35

33

34

6

4

3

Marktkonsolidierung weitgehend abgeschlossen

34

35

34

32

28

33

12

19

11

Fähigkeit zum „Outsourcing“ Vollständiger Transfer auf MS Windows

Marketing Verbesserung Marketing Web Site als Sales Tool

Teilnahme am Marktwachstum in Asien Intensivierung von Mailingaktionen

Indien Verbesserte Präsenz in Indien Gründung ProChem India

Umwelt

Schutz Urheberrechte

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

5.2

109

Cross-Impact-Matrix (CIM)

Der nächste Schritt ist die Anordnung aller Themen in einer „Cross-ImpactMatrix“ (CIM) (Thonemann 2006). Dabei wird jedes Thema, wie in Abbildung 3 gezeigt, sowohl in horizontaler wie auch vertikaler Richtung aufgelistet. Der Grad der gegenseitigen Beeinflussung aller Themen wird mit Werten zwischen 0 (keine Beeinflussung) und 3 (sehr stake Beeinflussung) bewertet. Auch diese Bewertung erfolgt in Interviewrunden. Um eine bessere Übersichtlichkeit zu gewährleisten, werden die Themen nach bestimmten Gesichtspunkten, wie etwa „Umwelt“ oder „Produkt“, geordnet. Die Bewertungen der Wechselwirkungen erfolgt mit der Frage „Wie stark ist der Einfluss des Themas in der Zeile auf das Thema in der Spalte?“. In der Matrix ergeben sich durch Aufsummieren aller Bewertungen eines Thema entlang seiner Zeile die Aktiv-Summe (AS) und durch Aufsummieren aller Bewertungen entlang seiner Spalte die Passiv-Summe (PS). Daraus kann man ablesen, wie stark ein Thema in die Dynamik der Prozesswechselwirkungen des Unternehmens eingebunden ist. Hohe Werte entsprechen einer starken Wechselwirkung mit anderen Prozessen, wobei die Wechselwirkungen aktiver Natur und passiver Natur sein können. Themen mit hohen Passivsummen und niedrigen Aktivsummen tragen im Grunde nichts aktiv zu anderen Themen bei, aber sie werden durch andere Themen stark beeinflusst. Man nennt solche Themen Indikatoren und ein Beispiel eines Indikators ist das Thema „Steigerung des Marktanteils“. Als Maß der dynamischen Verflechtung dient der Dynamischen Index DI. Er ist das Produkt aus AS und PS. Gemäß den abnehmenden Werten ihrer AS, PS und DI erhalten die Themen Ränge. Das Thema mit der höchsten Aktivsumme erhält den Rang Eins, also den frühesten Rang, in der Rangordnung der Aktiv-Summen. Die in Tabelle 2 zusammengefasste Rangbildung stellt die Grundlage der Aktiv-Passiv-Matrix dar, die die Identifizierung von Leistungstreibern, dynamische Knoten und Indikatoren erleichtert. 5.3

Aktiv-Passiv-Matrix

Im nächsten Schritt werden die Themen entsprechend ihrer AS und PS Rangordnungen in die in Abb. 4 dargestellte Aktiv-Passiv-Matrix übertragen. Die Achsen stellen die Ränge dar. Dabei bezieht sich die vertikale Achse auf die Aktiv-Summe und die horizontale Achse auf die PassivSumme. Der erste AS Rang (er entspricht der größten Aktivsumme) ist ganz oben zu finden ist. Entsprechend befindet sich der erste PS Rang (er entspricht der größten Passivsumme) ganz rechts.

110

Uwe Hess und Andreas Müllner Dynamic Knots

Levers Einstellung Managing Director China

1

Intensivierung Mailingaktion

IT Entwicklung India KomponentenProduktion China

Einstellung Managing Standardisierung Director India der Prozesse Aufbau Produktsupport China Modularisierte Produkte Anbieten von Lösungen statt Standards Aufbau Produktsupport Ausbau Web-Site India zu Salestool Transfer auf MS Windows

Aktiv Summe (Rang)

Verbesserte Präsenz in China Gründung ProChem India Verbesserte Präsenz in Indien

Kontinuierliche Erstellung von Applicationpapers

10

Schutz Urheberrechte

Teilnahme Marktwachstum Asien Verbesserung Marketing

Gründung ProChem China

Abdeckung aller wichtigen Veranstaltungen Produktinnovation

Verbesserung Schulung Vertrieb

Schnellere Reaktion auf Kundenbedürfnisse

Senkung der Produktionskosten

Organisation Kundenseminare

Intensivierung der Beziehung zu Meinungsbildnern

20

Outsourcingfähigkeit Aufbau wissenschaftliches Netzwerk Verschiebung Kernmarkt nach Asien

Indicators Steigerung des Umsatzes Weltweit

Wartung, Qualitätssicherung, Serviceangebot Dominanz eines starken Marktpartners

Levers

30

Targets

Marktkonsolidierung abgeschlossen

30

20 Passiv Summe (Rang)

10

1

Dynamic Knots Low influence

Abb. 4. Aktiv-Passiv-Matrix mit Positionierung der Themen gemäß ihrer AS und PS Rangfolge

Interessant sind die von der diagonalen Linie abweichenden Themen. Sie besitzen unausgewogene Aktiv- und Passivsummen. Unten rechts befinden sich die bereits erwähnten Indikatoren. Ein entsprechendes Thema, wie die „Steigerung des Umsatzes weltweit“, wird zwar von allen Themen beeinflusst – hat also einen hohe Passivsumme und einen entsprechend führenden Passiv-Rang – kann aber auf nichts selbst Einfluss ausüben. Das heißt wiederum, dass die Aktiv-Summe niedrig ist mit dem entsprechend spätem Aktiv-Rang. Indikatoren verkörpern oft Unternehmensziele. In etwa entgegengesetzt verhalten sich Treiber (Levers, auch Hebel genannt): Sie sind sehr aktiv und haben deshalb führende Aktiv-Ränge. Andere Themen haben auf sie nur einen geringen Einfluss. Treiber verkörpern oft operative Maßnahmen und befinden sich in der APM-Matrix oben links. Wären die Themen bezüglich der Aktivität und Passivität ihrer dynamischen Wechselwirkung ausgeglichen, dann wären die Themen im Wesentlichen entlang einer Diagonalen von unten links nach oben rechts angeordnet. Themen mit späten aktiven Rängen hätten dann auch späte passive Ränge, das heißt sowohl die aktiven als auch die passiven Wechselwirkungen wären relativ gering. Tatsächlich ist dies häufig für Umweltthemen der

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

111

Fall, auf die Unternehmen nur wenig Einfluss nehmen können. Diese Themen befinden sich in der Matrix unten links. Themen dagegen, die sehr aktiv in die Unternehmensdynamik eingebettet sind, haben sowohl führende aktive als auch führende passive Ränge und befinden sich in der Matrix rechts oben. Ein Beispiel ist das Thema „Verbesserte Präsenz in China“. Ein solches Thema wird in passiver Weise von vielen operativen Maßnahmen angesprochen, gleichzeitig spricht es selbst wieder eine Reihe anderer Themen aktiv an, etwa die Erhöhung der Wirksamkeit von Marketingmaßnahmen oder die Steigerung des weltweiten Unsatzzieles. Solche Themen verkörpern oft strategische Ziele und werden – um ihren dynamischen Charakter zu unterstreichen – als Dynamische Knoten (Dynamic Knots) bezeichnet. Mit quantifizierbaren Kennzahlen hinterlegt, eignen sie sich auch als Frühindikatoren. 5.4

Treiberanalyse

Überträgt man die Aussagen einer Aktiv-Passiv-Matrix auf einen Unternehmensplan, so entsprechen die Indikatoren den höchsten Zielen, also beispielsweise dem Unternehmensziel „Steigerung des weltweiten Umsatzes“. Dynamischen Knoten entsprechen dann davon abgeleiteten, strategischen Zielen, wie etwa dem Thema „Verbesserte Präsenz in China“ und Treiber entsprechen operativen Maßnahmen. In der Abbildung 5 ist dieser Sachverhalt in Form eines Treiberbaums dargestellt, in der man die hierarchische Abfolge von Unternehmensziel, Strategien und Maßnahmen erkennt. Dem Treiberbaum liegt eine Treiberanalyse zu Grunde und durch sie wird bestimmt, wie stark sich einzelne Treiber auf die jeweiligen strategischen Ziele (Knoten) auswirken. Entsprechend muss bestimmt werden, wie stark sich die einzelnen Knoten auf das Unternehmensziel (Indikator) auswirkt. Für die Wirksamkeit der Knoten ist die Intensität ihrer Verknüpfung in die Dynamik des Systems entscheidend und deshalb verwendet man die Dynamischen Indices (DI) zur Gewichtung der Knoten. So werden die Dynamischen Indices der Knoten-Themen „Verbesserung Marketing“ (DI = 2500), „Produktinnovationen“ (2142), Verbesserte Präsenz in China“ (4278) und „Verbesserte Präsenz in Indien“ (3900) zusammengezählt und daraus die prozentuale Gewichtung eines jeden Dynamischen Knoten bestimmt. Die resultierenden Gewichtungsfaktoren werden als „Share Factors“ bezeichnet. Die Treiberanalyse entspricht einem 3-Stufiger Unternehmensplan mit einem Indikator als Unternehmensziel, Dynamische Knoten als strategischen Maßnahmen und Leistungstreibern (Levers) als operative Maßnahmen.

112

Uwe Hess und Andreas Müllner Indicator

Dynamic Knots

Levers Allocation Factors

Share Factors 17%

Anbieten von Lösungen statt Standardprodukte

Verbesserung Marketing

2.8%

Aufbau der Web-Site zum Salestool

1,8%

Wartung, Qualitätssicherung und Serviceangebot 1,9% Aufbau eines wissenschaftlichen Netzwerkes

11% Produktinnovation

Steigerung des Umsatzes weltweit

38%

34%

Verbesserte Präsenz in China

Verbesserte Präsenz in India

2,6%

Erstellung von Applikationsschriften

3,5%

Schnellere Reaktion auf Kundenbedürfnisse

3,7%

Vollkommener Transfer auf MS Windows

5,3%

Verbesserung Schulung und Vertreib

4,4%

Standardisierung der Prozesse

3,5%

Aufbau Beziehung zu Meinungsbildnern

3,7%

Intensivierung Mailingaktion

1,7%

Abdeckung aller wichtigen Veranstaltungen

4,5%

Teilnahme Marktwachstum Asien

5,6%

Organisation von Kundenseminaren

4,2%

Aufbau Komponentenproduktion China

5,4%

IT Entwicklung India

4,2%

Outsourcingfähingkeit

3,4%

Modularisierte Produkte

5,0%

Gründung von ProChem China / India

12,0%

Einstellung Managing Director China / India

11,1%

Aufbau Produktsupport China / India

9,5%

Abb. 5. Treiberbaum

Die Gewichtungsfaktoren „Share Factors“ und „Allocation Factors“ verdeutlicht die Wirkungen und von Knoten und Treibern. Die Gewichtung der Treiber geschieht in entsprechender Weise. Allerdings wird als Gewichtungskriterium nicht die Dynamischen Indices herangezogen, sondern die Aktiv-Summe AS, weil für die Wirksamkeit der Treiber deren Aktivitäten die entscheidenden Größen sind. Abbildung 5 zeigt für jeden Treiber seine prozentuale Gewichtung bezogen auf gesamte Aktiv-Summe der Treiber. Der entsprechende Gewichtungsfaktor wird „Allocation Factor“ genannt. Mit der Treiberanalyse sind die Wechselwirkungen der Themen untereinander bestimmt und durch die Abstufung der Themen die möglichen Strategien festgelegt. Man kann nun einem BSC Ansatz folgen und die Themen funktionalen Bereichen zuordnen und sie mit quantifizierbare Kennzahlen hinterlegen. Gleichzeitig kann man die Treiberanalyse dazu verwenden, um mit dem analog aufgebauten Simulationsprogramm „Value Analyzer“ zu arbeiten. Das Programm basiert darauf, dass jedem Treiber ein Wert zugeordnet wird, mit dem er betrieben wird. Dadurch lassen sich die Ergebnisse für verschiedene Szenarien ermitteln und vergleichen.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

5.5

113

Funktionalisierung der Themen und Hinterlegung mit Kennzahlen

Entscheidet man sich dafür, ein auf diese Weise erstelltes Unternehmenskonzept zu implementieren und in der Folge zu kontrollieren, dann sind weitere Schritte im Sinne eines BSC Ansatzes notwendig. Dazu werden die Themen, wie in Abbildung 6 skizziert, an die jeweiligen funktionellen Ebenen übergeben. Zur Festsetzung von Zielen und zur Überprüfung der Erreichung der Ziele, müssen die Themen mit Kennzahlen hinterlegt werden. Die ist exemplarisch an Hand des Kennzahlenbaums für den Knoten „Verbesserte Präsenz in China“ in Abbildung 7 gezeigt. Über die Themen können die tatsächliche, mit Kennzahlen gemessene Leistungsfähigkeit des Unternehmens und die durch Computersimulationen erhaltenen Ergebnisse korreliert werden.

ProChem Strategy Map Schutz der Urheberrechte

Dominanz eines starken Mitbewerbers

Marktkonsolidierung weitgehend abgeschlossen

Verschiebung Kernmarkt nach Asien

Steigerung des Umsatzes Weltweit

Finanzen

Umwelt

Organisation von Kundenseminaren

Schnellere Reaktion auf Kundenwünsche

Abdeckung aller wichtigen Veranstaltungen

Ausbau Web-Site zu Salestool

Aufbau eines wissenschaftlichen Netzwerkes

Anbeiten von Lösungen statt Standardprodukte

Kontinuierliche Erstellung von Applikationsschriften

Intensivierung der Beziehung zu Meinungsbildnern

Wartung, Q-Sicherung, Serviceangebot

Verbesserung Marketingc

Verbesserung Schulung Vertrieb

Intensivierung Mailingaktion

Markt

Verbesserte Präsenz in China

Gründung ProChem China

Einstellung MD China

Verbesserte Präsenz in India

Gründung ProChem India

Aufbau Produktsupport China

Teilnahme Marktwachstum Asien

Organisation von Kundenseminaren

Aufbau Komponentenproduktion China

Einstellung MD India

Aufbau Produktsupport India

Teilnahme Marktwachstum Asien

China

India

Organisation von Kundenseminaren

IT Entwicklung India

Produktinnovationen

Outsourcingfähigkeit

Qualitätssicherung bei Zulieferungen

Modularisierte Produkte

Vollkommener Transfer auf MS Windows Betreibssystem

Standardisierung der Prozesse

Senkung der Produktionskosten

Produkt

Abb. 6. Aufteilung der Themen an die verschiedenen funktionellen Bereiche zur Implementierung und Kontrolle im Sinne eines BSC Ansatzes

114

Uwe Hess und Andreas Müllner

Dynamic Knots

Verbesserte Präsenz in China

Levers

Kennzahlen Ist/Soll

Verbesserung Schulung und Vertrieb

Erhöhung Anzahl der Schulungen pro Vertriebs-MA

Intensivierung der Beziehung zu Meinungsbildnern

Erhöhung Anzahl Kontakte/gemeinsame Aktivitäten

Intensivierung Mailingaktion

Erhöhung Frequenz Mailingaktion (Quartal zu Monat)

Abdeckung aller wichtigen Veranstaltungen

Besuchte Veranstaltungen / Anzahl aller relevanten Veranstaltungen

Teilnahme Marktwachstum Asien

Höhe Umsatz Asien

Organisation von Kundenseminaren

Erhöhung Anzahl Seminare (Ist zu Soll)

Aufbau Komponentenproduktion China

Anzahl gefertigter Komponenten China / Anzahl aller gefertigten Komponenten

Outsourcingfähingkeit

Erreichung Übereinstimmung mit Sourcing Readiness Systematik

Modularisierte Produkte

Erreichung Zielwert Functionpoint Systematik pro Modul

Gründung von ProChem China / India

Gründung von ProChem China / India (Ja/Nein)

Einstellung Managing Director China / India

Einstellung Managing Director China / India (Ja/Nein)

Aufbau Produktsupport China / India

Anzahl qualifizierter Mitarbeiter im Produktsupport

Abb. 7. Kennzahlenbaum für den Knoten „Verbesserte Präsenz in China“. Die Themen können meist mit relativ einfach zu bestimmenden Kennzahlen quantifiziert werden.

6

Das Simulationsprogramm „Value Analyzer“

Simulationsprogramme verbessern das Verständnis für die Beeinflussungen innerhalb des Systems. Ziel ist es dabei, über die Intensität der Beeinflussung, eine Priorisierung der Hebel und Maßnahmen vornehmen zu können. Dabei geht man von der Annahme begrenzten Ressourcen aus. Der „Value Analyzer“ basiert auf einer 3-stufigen Matrixrechnung, mittels derer man die Intensität der Beeinflussung der Treiber auf die darüber liegende Ebene der Dynamischen Knoten berechnet, die wiederum den Wert des Indikators in der darüber liegenden, höchsten Ebene bestimmen. Das entspricht der Berechnung des Einflusses von Maßnahmen auf strategische Ziele und auf übergeordnete Unternehmensziele (Müllner 2004). 6.1

Abbildung des Treiberbaums im Value Analyzer

Die Zusammenhänge des Treiberbaums in Abbildung 5 können durch die in Tabelle 3 wider gegebene Matrix dargestellt werden. Dabei sind die Treiber

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

115

Tabelle 3. Matrix als Grundlage eines Simulationsrechners DYNAMISCHE KNOTEN (KPI ELEMENTS) TREIBER (ENABLER)

AlloMARK PROD- CHINA INDIA cation ETING INNNO Factor VATION

Abdeckung aller wichtiger Veranstaltungen

4,5

0,6

-

2,0

1,9

Anbieten von Lösungen statt Standardprodukten

2,6

2,6

-

-

-

Aufbau eines wissenschaftlichen Netzwerke

3,5

2,1

1,4

-

-

Ausbau der Website zum Sales Tool

1,8

1,8

-

-

-

Intensivierung der Beziehung zu Meinungsbildnern

3,7

0,5

-

1,7

1,5

Intensivierung der Mailingaktionen

1,7

0,2

-

0,8

0,7

Verbesserung der Schulung des Vertriebs

4,4

0,6

-

2,0

1,8

Wartung, Qualitätssicherung und Serviceangebote

1,9

-

1,9

-

-

Kontinuierliches Erstellen von Applikationsschriften

2,8

2,8

-

-

-

Vollkommener Transfer auf MS Windows Betriebssystem

5,3

-

1,3

-

3,9

Standardisierung der Prozesse

3,5

-

3,5

-

-

Verbesserung Produktsupport

5,1

5,2

-

-

-

Aufbau Produkt Support China

5,2

-

-

5,2

-

Einstellung eines Managing Direktors China

6,1

-

-

6,1

-

Gründung von ProChem China

5,7

-

-

5,7

-

Schnellere Reaktion auf Kundenbedürfnisse

3,7

-

3,7

-

-

Teilnahme Marktwachstum Asien

5,6

-

-

3,0

2,6

Aufbau Komponenten Produktion China

5,4

-

-

5,4

-

Organisation von Kundenseminaren

4,2

-

-

2,2

2,0

Fähigkeit zum Outsourcing

3,4

-

-

1,8

1,6

Einstellung eines Managing Direktors Indien

5,0

-

-

-

5,0

Gründung von ProChem Indien

6,3

-

-

-

6,3

IT Entwicklung India

4,2

-

-

-

4,2

Weitere Modularisierung der Produkte

5,0

-

-

2,6

2,4

Gesamt

100

17

11

38

34

116

Uwe Hess und Andreas Müllner

in vertikaler Richtung aufgetragen und die Knoten in horizontaler Richtung. Jeder Treiber hat auf Grund seiner Aktiv-Summe einen bestimmten „Allocation Factor“, der seiner möglichen Wirkung entspricht. Dem Treiberbaum kann man entnehmen, ob ein Treiber seine Wirkung nur einem Dynamischen Knoten zur Verfügung stellt oder mehreren (Cross Functionality). Trifft letzteres zu, muss seine ursprüngliche Wirkung auf mehrere Knoten verteilt werden. Dies geschieht mit Hilfe der „Share Factors“, der die Knoten gewichtet. Die grau eingefärbte Matrix in Tabelle 3 zeigt die sich ergebende prozentuale Verteilung der Treiberwirkungen auf die einzelnen Knoten. Die Treiber sind vertikal aufgetragen und die Knoten horizontal. Die Zahlen in den Feldern der Matrix entsprechen der Wirkung des jeweiligen Treibers auf die höchste Kennzahl, den Indikator. In anderen Zusammenhängen werden Treiber, Dynamischen Knoten und Indikatoren auch als „Enabler“, „KPI Element“ und „Key Performance Indicator“ bezeichnet. Wenn ein Treiber keine Wirkung auf einen bestimmten Dynamischen Knoten hat, dann bleibt das entsprechende Treiberfeld leer. Man kann die grau eingefärbte Matrix als Grundlage eines Taschenrechners zur einfachen Simulation von Geschäftsszenarien und den dadurch bedingten Aktivierungen von bestimmten Treibern auffassen. Die in Tabelle 3 wiedergegebene Matrix stellt die Ergebnisse der bisher durchgeführten Untersuchung des Unternehmens dar und die damit festgelegte Struktur der Verflechtungen von Treibern und Knoten. In einem nächste Schritt muss man die Eingabe von variablen Größen festlegen, die die Treiber an- und ausschalten oder die Intensität ihrer Wirkung regeln. 6.2

Eingabe von variablen Werten in den „Value Analyzer“

Der „Value Analyzer“ dient der Berechnung von Ergebnissen für die oberste Kennzahl. Dazu müssen in dem Programm Treiber aktiviert werden und die Wirkung der aktivierten Treiber festgelegt werden. Im Programm geschieht dies mit so genannten „Improvement Factors“. Das entsprechende Eingabefeld erkennt man in der Bildschirmmaske in Abbildung 8. Daneben links befindet sich der prozentuale Gewichtungsfaktor für jedes einzelne Treiberfeld. Er berechnet sich jeweils aus „Allocation Factor“ und „Share Factor“. Diese beiden Faktoren spiegeln die Struktur des Unternehmens wider und werden während der Simulationen nicht mehr verändert. Für jeden Treiber ist der „Allocation-Factor“ (Normalberechnung %) angegeben und die Verteilung dieses Wertes auf die verschiedenen Knoten (Faktor). Mit Hilfe des „Improvement-Factor“ kann jedes Treiberfeld entsprechend einer prozentualen Eingabe zwischen 0 und 100 aktiviert werden.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

117

Abb. 8. Die Eingabemaske des „Value Analyzers“ entspricht dem mit der APM Methode entwickelten Treiberbaum.

In der Eingabemaske von Abbildung 8 werden allen „Improvement Factors“ der Wert 100% zugeordnet. Dies bedeutet, dass jeder Treiber zu 100% aktiviert ist und dass er mit seiner voller Gewichtung zum Ergebnis der obersten Kennzahl beiträgt. Das Treiberthema „Abdeckung aller wichtiger Veranstaltungen“ trägt also mit 4.5% zum Gesamtergebnis bei, wobei dies zu 0.6% der allgemein verbesserten Marketingstrategie und zu 2% bzw. 1.9% den Aktivitäten in China und Indien zu verdanken ist. Natürlich müssen nicht alle Treiber aktiviert sein und der Wert eines aktivierten Treibers muss auch nicht 100% betragen. Das Ergebnis der 100% Simulation ist in Tabelle 4 zusammengefasst. Tabelle 4. Ergebnis des 100%-Szenarios Szenario: 100% Szenario Beschreibung: Alle Treiber werden mit 100% betrieben. Das Szenario stellt ein ideales Referenzszenario dar. Input in Prozentpunkten: 3600

Ergebnis für Indicator: 99,2%

An diesem Punkt sollte man sich vor Augen führen, dass dem „Value Analyzer“ ein Modell mit bestimmten Annahmen zu Grunde liegt. Damit verbunden ist auch die Frage, welche Art von Antworten man von dem „Value Analyzer“ erwarten kann. Es ist natürlich klar, dass das Programm keine tatsächlichen Umsatzverbesserungen in einer bestimmten Währung liefert, sondern lediglich relative Größen, die es aber erlauben, die Ergeb-

118

Uwe Hess und Andreas Müllner

nisse von Testläufen mit verschiedenen Szenarien zu vergleichen. Füllt man, wie es in dem in Tabelle 4 gezeigten Beispiel geschehen ist, alle zur Verfügung stehenden Treiberfelder mit einem „Improvement Factor“ von 100%, so wirkt sich jeder Treiber mit seiner, seinem spezifischen Gewichtungsfaktor entsprechenden Wirkung auf die oberste Kennzahl, den Indikator aus. Weil das jeder Treiber tut, ist das Ergebnis für den Indikator 100% (bzw. etwas weniger wegen Rundungsfehlern). Das diesem Ergebnis zu Grunde liegende Szenario stellt einen Idealfall dar, weil zum einen alle Treiber aktiviert sind und zudem jeder mit dem maximalen Leistungsvermögen von 100% betrieben werden. Eine solche Situation ist aber in der Realität nicht möglich, weil dazu ein nahezu unbegrenzter Vorrat an Ressourcen nötig wäre. Es erscheint deshalb sinnvoll, von einem zweiten Referenzszenario auszugehen, bei dem alle Treiber nur mit 50% ihres theoretisch möglichen Leistungsvermögens betrieben werden. Man sollte die später, mit variablen Szenarien erzielten Ergebnisse also besser mit dem 50% Referenz – Szenario vergleichen. Überlegt man sich, wie viel investiert wurde, dann sind dies beim 100% Szenario 36 x 100 Prozentpunkte, weil es 36 aktivierbare Matrixfelder gibt, die mit jeweils 100% belegt werden können. Beim 50% Szenario beträgt die Investition dann natürlich nur die Hälfte von 3600 Prozentpunkten, also 1800 Punkte. Diese 1800 Punkte sollen in den folgenden Simulationen die maximal zu verteilende Investition darstellen. Diese Investition darf beliebig auf die Treiber verteilt werden, aber mit der Einschränkung, dass keinem Treiber mehr als 100% zugewiesen werden darf. Zusammengefasst geht also das dem „Value Analyzer“ zu Grunde liegenden Modell von folgenden Annahmen aus: 1. Gültigkeit der durch die APM Methode entwickelten Treiber, Knoten und Indikator Struktur 2. Begrenzung der Ressourcen, die sich durch eine Investitionsobergrenze ausdrückt 3. Einzelne Treiber verhalten sich im Leistungsbereich zwischen 0 und 100% linear Die letzte Annahme ist prinzipiell problematisch, aber wegen des relativen Charakters der Ergebnisse möglich.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

6.3 6.3.1

119

Simulation von Szenarien 50% Szenario und Expansions-Szenario

Wie bereits erwähnt, dient dieses Szenario als Referenzszenario. Es sind alle Treiber mit 50% aktiviert. Das Ergebnis für den Indikator beträgt 49,7%. Dieses Szenario entspricht auch einer Unternehmensentscheidung, alle vier strategischen Ziele zu verfolgen, also das Marketing zu verbessern, Produktinnovationen voran zu treiben und sowohl in China als auch in Asien die Präsenz zu erhöhen. Das heißt auf den Treiberbaum und auf das Modell des „Value Analyzers“ übertragen, dass alle vier Knoten in diesem „Expansions-Szenario“ aktiviert sind. Tabelle 5. Ergebnis des 50% Szenarios und Expansions-Szenario Szenario: 50% Szenario oder Expansionsszenario mit Aktivierung Asien Beschreibung: Referenzszenarion bzw. Szenario mit Aktivierung aller Strategien Input in Prozentpunkten: 1800

6.3.2

Ergebnis für Indikator: 49,7%

Low-Profile-Szenario mit Verzicht auf verstärkte Präsenz in Asien

In diesem Fall verzichtet das Unternehmen auf eine Verstärkung der Aktivitäten in China und Indien. Es entscheidet sich aber die dadurch frei werdenden finanziellen Mittel für die zwei anderen strategischen Ziele, Produktinnovationen und Verbessertes Marketing, zu investieren.

Abb. 9. Eingabemaske des Low-Profile-Szenarios ohne Verstärkung der Präsenz in Asien

120

Uwe Hess und Andreas Müllner

Tabelle 6. Ergebnismaske des Low-Profile-Szenarios ohne Verstärkung der Präsenz in Asien Szenario: Low-Profile-Szenario mit Verzicht auf verstärkte Präsenz in Asien Beschreibung: Nur die den strategischen Ansätzen „Produktinnovationen“ und „Verbessertes Marketing“ entsprechenden Spalten werden betrieben. Die im Vergleich zum „Expansions-Szenario“ frei bleibenden Mittel werden gemäß einer Treiberpriorisierung auf die aktivierten Treiber verteilt. Input in Prozentpunkten: 1300

Ergebnis für Indikator: 28,2

Wie man in Abbildung 9 erkennt, wird nicht das gesamte „Budget“ von 1800 Prozentpunkten ausgenutzt. Das Ergebnis in Tabelle 5 zeigt, dass 1300 Prozentpunkte „investiert“ wurden, dass also pro investierte 100 Prozentpunkte 2,17% Ergebnis erzielt wurden. Zum Vergleich: Beim 50% Standard-Szenario waren dies 2.76%. 6.3.3

Quick-Effect-Szenario mit Aktivierung der schnell wirkenden Treiber

Das Unternehmen muss schnelle Erfolge erzielen und aktiviert die Treiber, von denen es sich eine schnelle Wirkung erhofft mit 100%. Die Aktivierung geschieht nach einer Treiberpriorisierung, das heißt die Treiberfelder mit einer hohen Gewichtung werden vorrangig mit 100% gefüllt. Tabelle 7. Ergebnismaske des Quick-Effect-Szenarios Szenario: Quick-Effect-Szenario Beschreibung: Schnell wirkende Treiber werden identifiziert und anschließend priorisiert. Den „Improvement Factors“ werden Werte von 100% zugewiesen. Input in Prozentpunkten: 1800

Ergebnis für Indikator: 45,4%

Bei einer „Investition“ von 1800 Prozentpunkten ergibt sich ein Nutzen von 2,52% pro 100 Prozentpunkte. 6.3.4

Low-Budget-Szenario mit Aktivierung der Treiber, die wenig kosten

In diesem Fall sind die finanziellen Mittel des Unternehmens beschränkt und es versucht das Leistungsvermögen „billiger“, aber wirksamen Treiber zu nutzen. Insgesamt beträgt die „Investition“ 1200 Prozentpunke. Die Aktivierung der Treiber ist in Abbildung 10 zu sehen.

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

121

Abb. 10. Eingabemaske des Low-Budget-Szenarios Tabelle 8. Ergebnismaske des Low-Budget-Szenarios Szenario: Low-Budget-Szenario Beschreibung: „Billige“ aber wirksame Treiber werden identifiziert und anschließend priorisiert. Es werden unterschiedliche „Improvement Factors“ zugewiesen. Input in Prozentpunkten: 1200

Ergebnis für Indicator: 36,21%

Das Gesamtergebnis von 36,2% entspricht pro 100 investierte Prozentpunkte einem Nutzen von 3,02%.

7

Schlussfolgerungen

Ein wesentliches Ziel der Arbeit war die Einführung eines effizienten Systems zur schnellen Erhebung erfolgskritischer Themen und deren Hinterlegung mit Kennzahlen. Ein Augenmerk wurde dabei auf die historische Entwicklung von Kennzahlensystemen und die Wandlung der ursprünglich finanzwirtschaftlich geprägten Kennzahlen zu flexiblen und ausgewogenen Kennzahlensystemen gerichtet. Ein weiterer Aspekt war die Diskussion von Kennzahlen aus systemtheoretischer Sicht, wodurch autonome Aspekte von Unternehmen begründet wurden und damit die Notwendigkeit, in relativ kurzen zeitlichen Abständen, Wissen über das Unternehmen zu sammeln und auszuwerten.

122

Uwe Hess und Andreas Müllner

Schließlich wurden die gesammelten Themen mit Hilfe einer Treiberbaumanalyse strukturiert. Ein Simulationsprogramm erlaubte dann die Berechnung von Ergebnissen für die oberste Kennzahl als Folge der Anwendung verschiedener Geschäfts-Szenarien. Das relativ einfache, auf Excel basierende Programm lässt das schnelle Erkennen von Zusammenhängen zwischen Treibern, Dynamischen Knoten und Indikatoren zu. Im Sinne einer weiteren Entwicklung von realitätsnahen Simulationsprogrammen wäre die Einführung von „Feeback Loops“ sinnvoll, wodurch das System stabile und instabile Kennzahlenkonfigurationen finden und sich selbst optimieren könnte. Dazu ist es notwendig, dass es nicht nur eine optimierte Lösung gibt – nämlich die, die am stärksten gewichteten Treiber aktiviert. Der Nutzen eines Treiberfeldes würde dann nicht in einfacher, linearer Weise durch seinen Input bestimmt, sondern durch eine Funktion bestehend aus einem Nutzen-Glied und einem Begrenzungs-Glied. Eine ähnliche Funktion bestehend aus einem Wachstumsterm und einem Begrenzungsterm wurde als rekursive Formel für den Fall des Blumenverkäufers in Kapitel 3.2 beschrieben. Solche Funktionen spiegeln die Tatsache wider, dass der über ein gewisses Maß hinaus gehende Versuch, die Wirkung einer Maßnahme zu verbessern, mehr Nutzen aufzehrt als generiert. Außerdem erscheint es sinnvoll, die starre, durch den Treiberbaum gegebene Struktur zu lockern. Ein Simulationsprogramm könnte spontane Mutationen der Struktur zulassen, also relativ kleine Änderungen in den Wechselwirkungen der Treiber. Dies entspräche mehr oder weniger zufällig auftretenden und nicht vorher bestimmbaren externen Einflüssen, denen ein Unternehmen ausgesetzt ist.

Literatur Bischof, J. (2001), Die Balanced Score Card als Instrument einer modernen Controlling Konzeption – Beurteilung und Gestaltungsempfehlung auf der Basis des Stakeholder Ansatzes, Dissertation, Katholische Universität Eichstätt 2001 Cootner, P.H., Ed. (1964), The Random Character of Stock Market Prices, Cambridge, MA, MIT Press 1964 Gleich, R. (2001), Das System des Performance Measurement – theoretisches Grundkonzept, Entwicklungs- und Anwendungsstand, München 2001 Gleick, J. (1987), Chaos, New York 1987 Hess, U. (2006), Über die Natur von KMUs und anderer Unternehmen, in Mangement Konzepte für kleine und mittlere Unternehmen, Ralph Berndt (Ed.), Berlin 2006

Die Entwicklung eines dynamischen Kennzahlensystems

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Gross Domestic Product (GDP) Versus Happiness Severin Weiss

Zusammenfassung. Das Bruttoinlandsprodukt ist ein Indikator für die ökonomische Leistung und in einem größeren Zusammenhang bezieht es sich auf das Wohlstandslevel der Gesellschaft. Wohlstand kann immer noch bis zu einem gewissen Ausmaß messbar sein – aber Lebensqualität kann nicht dasselbe sein wie materieller Besitz. Glück ist mehr als subjektiv empfunden begütert zu sein. Studien haben gezeigt, dass Menschen heute so zufrieden (oder unzufrieden) sind, wie sie es vor fünfzig Jahren waren – sogar an Orten, wo die Wirtschaft stark gewachsen ist und Menschen mehr Geld haben. Die Wachstumsgrenze scheint mit dem Glücksgefühl oder dem Bemühen, Glück zu erreichen, verbunden zu sein. Somit konnte China in den letzten zehn Jahren sein Pro-Kopf-Einkommen um fast 250 Prozent erhöhen. Jedoch hat sich die Zufriedenheit mit dem eignen Leben nicht ebenso dramatisch gesteigert; im Gegenteil – die Anzahl von Personen, die angeben glücklich zu sein, hat abgenommen.

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Introduction

People in the fields of economy, philosophy and a few other disciplines whose scope involves analysis of human beings to the last detail and explain each detail from their own perspective and point of view, are currently discussing whether the residents of the industrial metropolises of China are feeling prosperous or whether it is quite untrue mathematically that they are happy, whereas the residents of a rich country such as Switzerland should really feel a much greater sense of happiness because that is what the figures say. These figures are quoted by a fraction of the parameters of the economy that measure the Gross Domestic Product (GDP) – the opponents are just

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Severin Weiss

laid back and are trying to catch some explanations and intervene and disclaim the wisdom of these economists as not so unshakable. The GDP is an indicator of economic performance and in a larger sense, it speaks about the level of prosperity in society. Capturing the economic growth in figures is one thing –others however claim that prosperity is much more than just the economic dimension. Comparisons between development standards are often restricted to the economic dimension – however, mere economic resources and value generation are not the only indicators for quality of life – a criticism leveled by sociologists and socio-psychologists. Due consideration should also be given to aspects of economic ethics, economic philosophy and economic politics. Can the calorie consumption of a nation also be considered as an indicator of prosperity? What are the eating patterns and how much is the resulting difference in the body weights of the people of a country? Is it possible to define criteria for prosperity objectively or is the perception rather subjective and hence there can be no comparison with other nations or peoples? What is the measure and what are the indicators to be considered for calling a society and its people prosperous? It’s quite possible that a person feels economically satisfied and socially well-integrated even if his self-perception cannot stand the test of objective economic comparison with the rest of the world. Is it possible to define the essence of prosperity and can this be taken as a basis for economic and political measures to increase growth and quality of life? What are the standard dimensions and accepted-by-all indicators for subjective prosperity? It’s now time to give some thought to these goals and paths of the State on one hand and about human requirements and their order of priority on the other. Studies have shown that people today are as satisfied (or dissatisfied) to the same extent as fifty years ago – even in those places where the economy has certainly grown a lot and people have a lot more money. Lets take the example of Japan – the number of persons who said they are happy is constant since 1950 – however, during the same period, the per capita GDP has grown by almost six times. „Satisfaction is the biggest wealth” Geshe Ngawang Dhargyey, Tibetan Author According to the results of the „Report on the Quality of Life of the Chinese Citizens 2004” from the Social Blue Book 2005, almost 80% of the Chinese population leads a happy life. The group of persons who are mostly happy are the rural folk.

Gross Domestic Product (GDP) Versus Happiness

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self-realization social acceptance Annerkennung social relationship safety physical requirements Fig. 1. Maslow’s Requirements Pyramids

Listed in the order of priority, the following factors have an influence on the happiness levels of urban population: ability to withstand the stress of price fluctuations, professional satisfaction, satisfaction with the personal economic situation, optimistic perspective about China’s general economic trends and leisure satisfaction. On the whole, a society can get richer; individuals therein need not necessarily be more satisfied. Beyond a certain level, growth apparently does not make one happier. Thus, a high level of economic growth and increase in GDP says little about the relative prosperity of people – critics of this process fear misinterpretations due to the incompleteness of the portrayal of general economic situation. Further, critics also state that values that cannot be expressed in monetary terms do not seem to find any mention here.

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Is GDP a Suitable Index for Measuring Prosperity?

GDP is calculated in a nominal manner, i.e. without mapping the effects of inflation. Price rise thus appears to be a consequence of economic growth. Depending on the viewpoint, the picture becomes even more distorted, for e.g., while directly comparing a European industrialized nation with an Asian developing country. The „per capita GDP” was substantiated in 1954 with purchasing power as an indicator and is used as the basis for evaluating prosperity of the

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people. Going by the norm – „Do not trust statistics that you have not manipulated”, the actual GDP is calculated on the basis of the nominal GDP where all goods and services are evaluated on the basis of the market prices in a certain base year. A goods basket forms the basis for each country. Critics of GDP as a yardstick feel that comparing prosperity is not easy because the product mix of the respective goods basket is based on the different requirements and habits of the people of various climatic or cultural zones, which makes it very difficult or even impossible to compare. „Statistics are like bikinis – they reveal a lot but hide what is most crucial” Prof. Dr. Rolf Furrer, Zurich-Switzerland The main contention is – per capita income does not reveal anything about the distribution of resources; hence GDP figures do not say anything about the actual feeling of prosperity or happiness experienced by the people. Is Switzerland, the richest country of the world, paradise? Switzerland has one of the highest per capita income. In the year 2006, per capita income in Switzerland was USD 51,771. According to the International Monetary Fund, that had made a wide-spread comparison between countries. But that is only if you do not take into account the purchasing power. If you take the purchasing power into consideration, then the USD 51,771 shrinks to only USD 37,369. On an international level, this means a mere seventh position – after Luxembourg, Ireland, Norway, United States, Hong Kong and Iceland. In absolute terms, Hong Kong, China, is close on the heels of USA and has already surpassed Japan. In the year 2006, the per capita purchasing power was USD 38,127 whereby there are major differences in the figures, making it impossible to make a direct comparison; for e.g., the difference in the figures of the World Bank and CIA on China vary by more than 100%. Between the years 1994 and 2005, China could increase per capita income in real terms by more than 250% and thus induce a major improvement in material prosperity. The number of households with color televisions therefore rose from 40 to 82%; the number of telephone connections from 10 to 63%. There was however no increase in satisfaction levels. On the contrary, the number of persons who called themselves satisfied decreased and the percentage of dissatisfied Chinese rose. If you imagine a society consisting of two persons who have earned Euro 100,000 on an average, can you see which share of the cake each of them has had or which of the two can be called prosperous, satisfied and/or happy (perhaps independent of the money)? And if the cake becomes lar-

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ger in subsequent years – have both been able to increase their portions of the cake or is there only a growth in the disparity? Critics level that measuring prosperity based on the GDP does not say much about the increase or decrease in the disparities. Purely macro-economic considerations for measuring prosperity do not say much about „social equality” as a core social and economic problem and hence they also do not offer any solution for it. The Big-Mac Index (coined in the year 1986 by „Economist” the British business magazine) is sufficient if the aim is to just find out the purchasing power in real terms – at least in the affected countries. Comparing the price of the standard McDonald products sold across the globe in 120 countries is a simple but smart method to evaluate the local purchasing power (across countries) – however, even this does not take into account all the economic factors and processes. Big Mac is one of the few products that you can buy throughout the world. Prices fluctuate heavily, depending on the purchasing power of the respective countries. People from Iceland pay five times as much as the Chinese. GDP is criticized for the following reasons: There are factors that increase the GDP without making any contribution to prosperity or without expressing prosperity (a.) and there are factors that do not capture the statistical money flows and are hence not included in the calculations but they do make a significant contribution to social and economic security and thus to prosperity and satisfaction levels (b.). (a.) Includes costs for repairing and maintaining the damage to environment or health (even those that are actually caused by production) It’s quite possible that an increase in the number of sick persons will lead to an increase in the GDP because there will be a greater demand for health services that will be paid for in money terms and will thus be included in the GDP. Increased demand for instance for psychological consultation in a so-called prosperous economy will give rise to an increase in the GDP but this can hardly be an indicator of the well-being of the people. Similar scenarios can be drawn for an increase in the number of traffic accidents or for relief work resulting from natural calamities (such as earthquake, floods). (b.) Does not include household work and nursing at home, children’s education, income from illegal work, honorary activities, hobbies, „do-it-yourself” activities, goods from subsistence economies that are consumed by the producers themselves, etc.

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Excellent growth rates in China show that in the last three decades the country has approximately done the same amount of progress as the Western countries in 100 years; however, in the last 30 years China has also suffered environment damages that could have taken 100 years to occur. Since a decade, the world is waiting with bated breath for powerholders in China to take note of the serious environment crisis that will befall their country. According to estimates of the World Bank and the Chinese Academy for Economics, the annual environment damage amounts to 8 – 13% of the social product. Over a longer period, the environment damages and loss of resources will nullify all the results of economic progress. Another weakness of this process is that GDP does not generate a balance sheet, as in management studies, while capturing the assets. Thus, natural resources are exploited to generate income, i.e. progress is achieved but these balance sheet transactions are not taken into account in the overall balance sheet of the economy. Wealth located in the earth is not evaluated and exploited to the disadvantage of coming generations, also remains unaccounted. Further, goods that are sparingly or never used or have increased (such as clothes that are never worn, toys nobody plays with) or goods that are harmful (such as weapons, cigarettes, etc.) are never taken into account. These goods can hardly be termed as those for improving prosperity; but they are included in economic prosperity via the GDP. The concept of ISEW (Index of Sustainable Economic Welfare, later termed as GPI = Genuine Progress Indicator) takes into account not only the quantitative aspects of the GDP but also those of qualitative growth which include a series of factors of human development. Household services, costs for maintaining social and ecological balance, repairs to damages caused to the environment (on the liabilities side) are included as those contributing towards increased welfare and the question of distribution of work and income are also taken into account as contributors to welfare. It can thus be seen that the ISEW curve and thus welfare can stagnate despite a growth in GDP – something the GDP alone does not indicate. The best-known but relatively closed index for quality of life is the Human Development Index or HDI that is published every year by the United Nations Development Program. The index includes components such as life expectancy, level of education and GDP to measure the level of human development in different countries.

Gross Domestic Product (GDP) Versus Happiness

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Are Economic Growth and Human Values Contradictory to Each Other?

Even if the processes for capturing real economic growth are accepted in global consensus and are taken as the basis for solving economic, political and social problems or as basis for economic theories and plans there is great doubt about the direct relationship between economic output and welfare. One has to accept the criticism that there can be no equation between feeling good and welfare in purely economic terms. Welfare gains and quality of life are made of many more other factors. Thus OECD has submitted a list of indicators for defining welfare: • Socio-economic structure and classes in society, • Job market and employment conditions, • Income and its distribution, • Consumption, • Housing, • Health, • Education, • Environment, • Participation, democracy, • Public safety and criminality and • Leisure and use of media. Some economists (sociologists, ethicists, philosophers …) feel that this list is not exhaustive enough. Other social indicators for empirical research of the well-being level are in favor of the happiness theory, for e.g., life expectancy, infant mortality, adult illiteracy, schooling quota and duration, nourishment levels. The last few years have seen a growth of interest in alternative indicators that measure standard of living in a larger sense of the term rather than the number of goods and services produced and the income associated with it. The goal is now to integrate factors such as life expectancy, environment quality and illiteracy rate that also have an impact on the welfare of a society in the same way as income. Further, attempts are also being made

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to include factors such as exploitation of non-renewable resources such as fossil fuels and other ores, environment pollution through existing production processes and consumption patterns whose true costs are not taken into account while calculating the GDP. Output is currently evaluated on the basis of market prices that do not include or just about marginally include the different cost factors: costs for replenishing the resources that are lost in production processes (such as the rain forests in Amazon), for developing alternatives if the resources cannot be used and for cleaning up environmental pollution.

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Gross Social Happiness

In the year 2006 the Chinese government announced that it has plans to introduce a new index that takes into account economic happiness of the people. As compared to metrics used so far where only the prices of goods and services were taken into account, these new statistics are expected to be a better reflector of happiness of the Chinese people. Thus the happiness index is expected to include not only income of the people but also their living conditions and the environment. According to the Statistical Bureau, factors such as innovation and social harmony are also expected to be included in the happiness index. „The happiness index will also take into account the opinion of the common man about living conditions such as employment, governmental social aid and the natural environment”, Qiu Xiaohua, Chief of the Chinese Statistics Bureau. But how does one capture detailed information and relevant data about all aspects of economic success, social justice and satisfaction with life? Annual surveys amongst millions of citizens in – let’s say – 187 countries – how is this to be done? Going by the multitude of sources, the objections and reflections about this dilemma at least show that the familiar is being analyzed and economic experts are exchanging ideas with those of culture, psychology and many others and are enriching each other their respective perspectives to bring about a change in concepts using new ideas. Man – not just the smallest economic unit – calculates the quality of his life according to many factors such as health, political freedom and stability, job security, happy family life and involvement in local governance. Even flexible work timing, individualization in leisure, education, criminality rate and environmental pressure are thus immaterial indicators that are to be recognized for measuring welfare.

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Another research angle claims that activities that are not linked to material progress are of greater importance for welfare and for increasing the quality of life. This includes free unstructured time to enjoy „simple things” (such as sex, meeting up with friends, eating, relaxing). Many protagonists of the Homo Economicus species are discussing at cross-roads about the focus of (economic) policies on increasing the GDP and the classical economy based on the abstract concept of maximizing returns. The issue cannot (any longer) be resolved only by using econometric methods. Gross Social Happiness as a keyword may be the goal of a modern economic policy on the threshold of change. „Instead of concentrating on Gross Social Product, we want to strive towards Gross Social Happiness”. Jigme Singye Wangchuck, King of Bhutan The limits of growth seem to be also connected to the feeling of happiness or the endeavor to achieve happiness. „Happiness Economists” such as Bruno Frey (Zurich), Richard Layard (London School of Economics), and Daniel Kahneman (Princeton, Nobel Price 2002) are doing in-depth analyses of the paradox, against traditional economic thinking, that people are not happier if they are richer. Happiness seems to stagnate at an annual income of USD 15,000. When the basic needs are covered, then social prestige and status start gaining importance – comparing oneself with others limits one’s feeling of happiness. Four „effects” appear as mechanism that limit the growth of a sense of well-being and happiness: • The Status effect: The urge to earn or possess more than others does bring about a higher personal social status, but as more than half the population any way earns more than the average, individual efforts for the overall economy end up in a zero. • Pretence effect: People quickly get used to a higher income and the euphoria settles down, happiness almost disappears. • Multi-option effect: The increasing range of goods and services offered within the same time frame makes it difficult to select the right option. For e.g., given the so-called multitude TV programs, it has almost become impossible to decide which one to watch.

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• Time savings effect: Technical progress allows man to perform certain activities in shorter periods of time; which does not necessarily mean that one has saved or gained time. An example for this illusion is the transport system: Faster means of transport are put into use quickly, but statistics say that people spend 70 minutes per day for mobility whether in Tanzania where you travel on foot or in USA where one travels mostly by car.

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Significance of Happiness for Socio-Economic Circumstances

Researchers of the recognized economic discipline Happiness Economics have come to the following conclusion: Most people are increasingly interested in their relative income position than their absolute income. The following experiment confirms this: Chinese students were asked: Assuming same price levels, would you like to earn USD 50,000 if the average income is USD 25,000 or would you prefer to earn USD 100,000 when others get USD 200,000. Majority of the persons interviewed selected the first option. Above a certain existence minimum, income is apparently not important just because it gives you more consumption options – it is important because it directly and indirectly decides our status in society. Happiness economists have found that when there is an increase in income, one is more satisfied with life – statistically. But: When others earn more, those who have not been able to increase their income become more dissatisfied. A second aspect to the explanation of this paradox is the adjustment of wants and goals to actual development. After a few years, there is not even half of the positive effect of the impact of increase in income on satisfaction with life left. A third related aspect: To increase happiness, people need a continuous rise in income, independent of the amount of the rise. Stagnation means regression, regression is a catastrophe. The most important data supplier for the happiness economists are the on-going panel discussions such as the German Socio-Economic panel where the question of happiness with life is also being discussed. Panel on the one hand means a cross-section of society involved in discussing the same issue; on the other hand, it also means that the same persons are asked for their opinions every year. This is a reliable source to find out

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what factors such as unemployment, income and health status mean for satisfaction with life and what the effects of changes are. The happiness researchers have found out that absolute income considered by traditional economists as the only factor is not totally unimportant for being satisfied with life; however, it is marginal when compared to other factors. Unemployment, psychological disorders, divorces and lack of social integration are the most important happiness killers. An intact family, joy, nice colleagues and a high level of freedom and recognition at work place have the same positive influence on satisfaction with life as major differences or changes in income. Further, the degree of getting used to such factors is less in case of such factors. It is necessary to change the course of things if economic policy is based on these conclusions. In future, there is no consensus about economic and political implications. The Swiss happiness economist Bruno Frey thus rejects the approach of government intervention in the deep-rooted human aspiration for status. Even the theories of the happiness economists are being criticized. Thus, the Indian Noble Prize winning economist Amartya Sen asks with an eye on the poor who are happy because they expect little from life: „Can we really say that he is prosperous because he is happy and satisfied?” Amartya Sen, Nobel Prize Laureate in Economics The question is not just a philosophical one. Researchers have found out: In Europe the low level of happiness in the unemployed has not improved through generous unemployment benefits. Thus one can conclude that, against the prevalent opinions of economists, high unemployment benefits can hardly be a substitute for too low job prospects. But one could deduce that it does not make much political sense to provide high level of financial security for the unemployed – they continue to remain dissatisfied. The discussion about the strengths and weaknesses of the macro-economic method of measuring welfare not only starts off an active discussion about how the economy is functioning but also about how it should function. Ethical and psychological approaches decide how a „good” social and economic order should be. It is apparently necessary to integrate multiple scientific disciplines. The truth perhaps lies in a consensus as is often the case: GDP as an indicator of wealth PLUS alternative indicators for measuring the relationship between economic output and happiness can be combined (social indicators and comparative data and analysis) to simultaneously keep an

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eye on multiple systems and options across disciplines to analyze economic, political and social aspects and integrate them in the models of economic planning and development.

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Conclusion

Viewpoints can be expanded to any extent and this would increasingly lead to newer aspects of the issues: How do you view the plethora of data and links to resource consumption, environmental pollution, sustainability, globalization, differences in the distribution of GDP according to the regions of a country, effects of the population of a country on its growth potential, role of religion in growth, issues of subsidies, etc.? What is the computed level of poverty? The yardstick of economic growth based on welfare is based on data taken from democratic industrialized nations. Thus, someone who has USD 1 or less per day is poor. Poverty and underdevelopment will definitely not vanish with a few more cents and are also based on the living conditions and cost of living in a country. Further, the distribution or migration in poverty is not depicted. Estimates say that since 1980, 400 million people have moved beyond the poverty line in two decades – according to statistics, all in China. Thus poverty has „only” migrated. Poverty can be a motivator for higher output – but running after a higher income is apparently not the solution, if you take into account the viewpoint of the happiness economists. How do you then explain the high rate of suicide in „really” prosperous (and hence happy citizens) in countries due to a sense of failure, a certain feeling of senselessness because a person’s value is measured only in terms of this economically measurable performance? Does the large following of the „Thrifty is great!”-propagandists to economic collapse due to rejection of consumption or does the debate lead to a higher quality consciousness in consumption patterns? Prosperity still may be measurable to a certain extent – but quality of life cannot be the same as material possession and happiness is more than being subjectively well-off. If you view it philosophically, the illogical nature of the whole thing becomes clearer: a newborn and a person who possesses nothing are taken to be highly valuable; after a few years, the same are evaluated based on their material possessions. Love and security give people a much higher feeling of wealth and happiness than the monetary effects of the economic system. Showering material goods as a substitute will only be able to fill the gap insufficiently and only for a short period.

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DRITTER TEIL

Marketing Strategies

Internationale Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China Rudolf Ergenzinger und Jan S. Krulis-Randa

Summary. The importance and characteristics of Chinese market entry strategies are discussed. Examples for successful and non-successful engagements in China are given. Important consequences are worked out.

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Die Bedeutung Chinas als Markt

Der Strukturwandel in den industrialisierten Ländern wird vor allem vom technologischen aber auch ökonomischen Wandel geprägt. Dies zeigt sich in der Auflösung räumlicher Grenzen als auch im schnellen Wandel von Kundenbedürfnissen. Die Globalisierung von Märkten und Interaktionen haben daher nachhaltige Auswirkungen auf strategischer wie operativer Ebene. Damit entstehen neue Chancen der Wertschöpfung aufgrund der Möglichkeit globalisierter, effizienzoptimierter Märkte. Trotz dieser Veränderungen und den daraus resultierenden Konsequenzen im ökonomischen wie sozialen Bereich sind viele Unternehmen gezwungen, sich den neuen Anforderungen und Herausforderungen wie Anpassungsfähigkeit, bereitschaft, Expansion in neue Märkte usw. zu stellen. Um all diesen Entwicklungen effizient und effektiv begegnen bzw. diese Entwicklungen erfolgreich implementieren zu können, müssen sich Unternehmen vom produktorientierten Management distanzieren und sich nach dem „Customer Centric Management“ ausrichten (vgl. Heilmann 2006, S. 12), indem sich das Unternehmen als umfassende Wertschöpfungsstuktur versteht, die als eines der wichtigsten Ziele die Kundenbefriedigung und -zufriedenheit verfolgt. Damit werden an das internationale Management neue Anforderungen gestellt, das sich nunmehr durch eine bessere Qualität als auch durch eine

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Rudolf Ergenzinger und Jan S. Krulis-Randa

systematische und professionelle Vorgehensweise auszeichnen muss. Denn der Einstieg in neue Märkte wie beispielsweise China ist komplex und schwierig. In den letzten Jahren ist China zu einem der interessantesten Wachstumsmärkte weltweit geworden. Dies auch vor dem Hintergrund gesättigter inländischer Märkte. Asien wird als Liefer- und Produktionsstandort mehr und mehr an Gewicht zulegen. Es wird daher wichtig sein, die eigene Wertschöpfungsstufe dort anzusiedeln, wo jeweils die günstigsten Bedingungen herrschen. Dies wird vor allem an Küstenregionen sein, immer mehr wird aber auch das Hinterland wirtschaftlich attraktiv. Trotzdem sind die Kosten nicht die einzige Komponente. Ebenso wichtig sind die Human Resources und die Berücksichtigung kultureller Unterschiede, die Nähe zum Kunden und das Verstehen des Kunden, der Schutz des geistigen Eigentums und die Rechtssicherheit. China hat sich in der Zwischenzeit immer mehr geöffnet und ist für westliche Unternehmen zu einem riesigen, aber zugleich auch sehr schwierigen Markt geworden. Denn fundamentale kulturelle Unterschiede zwischen Orient und Okzident erschweren die Geschäftsbeziehungen und lassen Unternehmen häufig auch scheitern. Aus Sicht des Marketing gilt es wie überall, Kunden mit ausgezeichneten Leistungen zufrieden zu stellen und unter Berücksichtigung der Kaufkraft (die sehr unterschiedlich ist) auch solche Leistungen anzubieten, die sich der chinesische Kunde wünscht und leisten kann. Speziell an China ist, dass es sehr anders ist; es ist ein neuer Markt mit der ältesten Kultur und der größten Bürokratie der Welt, mit harter Konkurrenz und einer Wirtschaft, die sich so schnell ändert, dass es schwer ist, Schritt zu halten (vgl. Chee/West 2006, S. 10). Der wesentliche Unterschied zur westlichen (abendländischen) Kultur besteht in dem fehlenden Individualismus und privaten Eigentumsrecht. Nicht nur was den Absatzmarkt betrifft ist China zu einem wichtigen Markt geworden. Auch die Beschaffungsseite wird zunehmend an Bedeutung gewinnen. Denn die internationalen Märkte sind zunehmend von Konzentrationsprozessen sowie von gezielten handels- und wettbewerbsverzerrenden Eingriffen gekennzeichnet. So wird China in einigen Jahren die Weltproduktion von Eisenerz, aus dem Eisen und Stähle erzeugt werden, sowie von Bauxit, aus dem Aluminium gewonnen wird, maßgeblich beeinflussen (vgl. Abb. 1). 2006 führten zudem kartellähnliche Strukturen beim Handel von Eisenerz zu Preissteigerungen von 50% (vgl. Chalupny 2007, S. 3). Hinzu kommt, dass die Vorkommen wichtiger Rohstoffe auf wenige, teilweise politisch instabile Länder verteilt sind. So besitzen China, Indone-

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China Eisenerz

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Bauxit 124 Mio t (75%)

1048 Mio t (70%)

370 Mio t (24%) 102 Mio t (6%)

Restliche Welt

geplante Produktion Chinas

24 Mio t 17 Mio t (15%) (10%)

geplante Auslandsbeteiligung

Abb. 1. Chinas Anteil an der Weltproduktion heute/morgen Quelle: Chalupny 2007, S. 3.

sien und Peru 82 Prozent des Zinn-Vorkommens (wird benötigt für Leiterplatten und elektronische Bauteile). China, Australien und die USA verfügen über 66 Prozent aller Titan-Reserven (benötigt die Flugzeug-, Autound Schifffahrtsindustrie). China, Peru und Australien fördern zudem über 50 Prozent aller Zink-Vorkommen (Korrosionsschutz, für Legierungen). Ein Beispiel aus dem Dienstleistungssektor zeigt zudem, wie durch die kontinuierliche Öffnung Chinas dieses zu einer wichtigen Wachstumsregion wurde: Chinas Bankkunden können ihre Konten künftig auch bei ausländischen Geldinstituten eröffnen. Erstmals erteilte nämlich die Bankenaufsicht vier ausländischen Instituten die Genehmigung zur Gründung lokaler Gesellschaften. So können die HSBC, die Standard Chartered, Bank of East Asia und Citibank ihre Dienste künftig in der Landeswährung Renminbi und in ausländischen Währungen anbieten. Seit dem 11. Dezember 2006 (fünfter Jahrestag der Mitgliedschaft Chinas in der WTO) sind die geografischen und regulatorischen Beschränkungen für ausländische Geldhäuser aufgehoben worden. Seitdem müssen nicht chinesische Banken eine lokal registrierte Tochtergesellschaft gründen. Diese darf dann chinesische und ausländische Kunden gleichermaßen bedienen (vgl. o.V. 2007a, S. 33). Bereits sind viele Unternehmen in China, so auch Unilever. Bevorzugt wird in der Regel die Küstenregion. Aber immer mehr entsteht auch Wohlstand in anderen Städten als nur in Beijing, Schanghai; denn interes-

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sant und bedeutend wird auch das Hinterland. Die Märkte wachsen dort viel schneller (vgl. Woetzel 2004, S. 15). Unilever hatte 2002 Expansionspläne für die Reinigungsmittelproduktion in Shanghai (Küstenregion). Kurz darauf erhielt sie ein besseres Angebot aus Hefei, 450 km entfernte Hauptstadt der Provinz Anhui. Diese lockte mit Steuererleichterungen und billigen Grundstückpreisen. Dadurch konnte Unilever die Personalkosten im Vergleich zu denen im Finanzzentrum an der Küste halbieren, denn Shanghai wird immer mehr zum Zentrum der Finanzbranche und der Hochtechnologie, was die Kosten dadurch in die Höhe treibt. So waren drei Jahre nach dem Umzug die Produktionskosten von Unilever 70 Prozent geringer und die Investition hatte sich gelohnt. Daraus wird ersichtlich, dass in den großen Zentren an der Küste steigende Lohnkosten und Grundstückpreise zunehmend auf die Margen von westlichen Konzernen drücken. Ein Industriearbeiter in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen bei Hongkong verdiente 2005 im Schnitt 32’500 Yuan (rund 53’000 Franken). Der nationale Durchschnitt lag bei 15’000 Yuan oder weniger als die Hälfte (vgl. o.V. 2006a, S. 27). So verlagern Unternehmen zunehmend die Produktion ins chinesische Hinterland wie dies auch Bosch tat: 2005 wurde für 98 Millionen Dollar ein Werk für Autoteile in Changsha, der Hauptstadt der zentralchinesischen Provinz Hunan, eröffnet. Diese Tendenz spiegelt sich auch in den folgenden Zahlen: Die Investitionen in Zentralchina sind 2005 um 35 Prozent gestiegen, während sie in den östlichen Küstenprovinzen nur um 25 Prozent zulegten (vgl. o.V. 2006, S. 27). Ein weiteres Beispiel verdeutlicht die zunehmende Attraktivität jenseits der Ostküste. Zu beachten ist dabei, dass Konzepte (Geschäftsmodelle), die an der Ostküste erfolgreich sind (z.B. in Schanghai), sich nicht automatisch und ohne Anpassungen in Lanzhou oder Shijiazhuang (im Hinterland) übertragen bzw. implementieren lassen. Hier sind Anpassungen notwendig. Deshalb haben Procter & Gamble mit Crest oder die DanoneGruppe spezielle Produkte für das Hinterland entwickelt. Crest hat z.B. zwei Produkte der unteren Preisklasse eingeführt, um Marktanteile im mittleren Markt zu gewinnen. Danone bietet Kekse mit regionaler Geschmacksnote an und hat seine Verpackungen so verändert, dass sie chinesischen Kindern besser gefallen. Auch Coca Cola bietet Getränke an, die auf regionale Geschmäcker abgestimmt sind. Das induziert, dass es in diesen Märkten Anpassungen braucht wie z.B. eine andere Preispolitik, maßgeschneiderte Vermarktungskonzepte und neue Vertriebsstrukturen (vgl. Woetzel 2004, S. 14).

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

2

145

Besonderheiten von China

Es wurde bereits in den vorhergehenden Ausführungen auf einige Besonderheiten des chinesischen Marktes hingewiesen. Tabelle 1 soll weitere wichtige Kriterien aufzeigen, die auch bei der Wahl der Markteintrittsstrategie von Bedeutung sind. Wie bereits erwähnt, findet seit geraumer Zeit eine kontinuierliche Öffnung des Landes statt: So wurde beispielsweise 2005 der Markt für Handelsunternehmen geöffnet, da die bisherige Regelung, dass ausländische Unternehmen nur in Partnerschaften mit chinesischen Firmen im Lande aktiv werden können, an denen sie nicht mehr als 65 Prozent der Anteile halten dürfen, entfiel. Unternehmen dürfen nun 100-prozentige Töchter gründen. Die Folge ist: Es entsteht ein kompetitiver, wachstumsstarker Markt. Oder die Regierung legitimierte Marktliberalisierungskräfte und öffnete das Land für westliche Investitionen und kulturelle Einflüsse. China ist dabei stark auf wirtschaftliche Reformen und auf die Förderung der Beziehungen mit der globalen Umwelt konzentriert, jedoch müssen sie von nun an eine Transformation der Entwicklungsstrategie vornehmen, welche die Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes, das heißt die Beziehungen zu den Menschen und der Umwelt fördert und sich nicht mehr nur auf das Wirtschaftswachstum fokussiert. Der Wendepunkt des 21. Jahrhunderts soll China dabei helfen, die Armut, die Arbeitslosigkeit und die Ungerechtigkeit der Gesellschaft zu bekämpfen wie auch die Gleichberechtigung und die Meinungsfreiheit zu fördern (vgl. Gangopadhyay/Chatterji 2005, S. 152ff.). Ein Beispiel für kulturelle Unterschiede soll stellvertretend die Bedeutung von Farben aufzeigen (vgl. Tabelle 2). Wie bereits gezeigt, bestehen erhebliche Unterschiede zum chinesischen Kulturkreis und es ist davon auszugehen, dass sich diese auch im Führungsverhalten wiederfinden lassen. Es ist daher einleuchtend, dass in China weder Manager vom Format eines aufbrausenden Desperados noch des Kumpeltypen erfolgreich sein werden (vgl. Kühl, 2004, S. B5). Deshalb soll eine einfache Gegenüberstellung der soziokulturellen Ausgangssituationen der Manager dreier wichtiger Länder dies verdeutlichen (vgl. Tabelle 3). Eine erfolgreiche Expansion in neue Märkte und die Nutzung regionaler Wachstumspotenziale ist eine interessante Zukunftsperspektive global agierender Unternehmen. Doch jedes Land und jede Region besitzt seine eigenen kulturellen Welten und Werte, die die Konsumentenbedürfnisse prägen und zu signifikanten Unterschieden in der Produktwahrnehmung führen können. Da Erfolg und Wachstum im Wesentlichen aus der Relevanz

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Rudolf Ergenzinger und Jan S. Krulis-Randa

Tabelle 1. Chinas wichtigste Daten im Überblick Merkmale/Kriterien

Daten

Bevölkerung

1.3 Milliarden

Größe

Fläche 9.6 Millionen km2

Hauptstadt

Beijing – 7.44 Mio. Einwohner

Religion

5 Glaubensrichtungen wobei Buddhismus größte Anhängerschaft

Sprachen

bekannteste Sprache ist Mandarin (rund 11 Sprachgruppen) 90% gehört der „Han chinesischen Nationalität“ an

Klima

Norden/Westen trocken; Osten gemäßigt, Süden subtropisch

Arbeitszeit

5-Tage-Woche

Währung

Renminbi (RMB), Basiseinheit: Yuan

Kaufkraft

6.5 Trillionen US-Dollar im Jahr 2003

Bruttosozialprodukt

ca. 2100 Mrd. $ (3300 Mrd. $ im Jahr 2010 geschätzt)

BSP Wachstum

Wachstumsrate 9%

Außenhandel

Exporte 762 Mrd. US-Dollar

Ressourcen

Kohle, Eisenerz, Treibstoff, Zinn, Quecksilber usw.

Hauptindustrien

Eisen-, Stahl-, Kohle- und Autoindustrie, Telekommunikation, usw.

Anteil Bevölkerung in Städten (Urbanisierung)

38%

Quelle: o.V. 2006b, S. 3ff., Penhirin 2004, S. 112. Tabelle 2. Die chinesische Bedeutung der Farben Farbe

Erklärung

Red Purple Green Yellow White

Stands for joy and happiness to the Chinese Associated with heaven and emperor in China A wonderful color of health, growth, family life, wood, youth, prosperity and harmony Represents the earth for Chinese and another Imperial Color of mourning

Quelle: o.V. 2006b, S. 13.

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

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Tabelle 3. Soziokulturelle Hintergründe der Manager in drei Ländern Deutschland

China

Japan

Rationalismus: Analytisches Denken; logisch strukturierte Entscheidungsprozesse; Vorliebe für Bürokratie

Konfuzianismus: Hierarchieprinzip/Top-DownManagementstil; Senioritätsprinzip; Harmoniebedürfnis

Uchi-Mentalität: Loyalitätsprinzip; lebenslange Beschäftigung; Paternalismus

Partizipatives Management: Guanxi: Bottom-Up-Managementstil; Zentrale Position der Familie; Prinzip der Mitbestimmung Misstrauen gegenüber Ausländern; persönliche Beziehungen als Grundlage des Wirtschaftens

Partizipatives Management: Bottom-Up-Managementstil; Prinzip des Konsens; pragmatisches Training-onthe-job

Individualismus

Kollektivismus

Kollektivismus

Richtlinien und Prinzipien: Verträge als Grundlage des Wirtschaftens; strategische Planung

Prinzip des Gesichtwahrens Unerwartete Verhaltensweisen; situative Anpassung

Vorsicht bei internationalen Wirtschaftskooperationen: Misstrauen gegenüber Ausländern; Angst vor politischrechtlicher Instabilität im Gastland

Historisch bedingte Vorbehalte der Chinesen: Gegenüber dem Westen aufgrund der Opiumkriege und des „Boxer“-Aufstandes

Ambivalentes Verhältnis zu Ausländern: Negative Erfahrungen mit Ausländern; nutzenorientierte Wirtschaftskooperationen mit Ausländern

Historisch bedingte Vorbehalte der Chinesen: Gegenüber Japan aufgrund des chinesisch-japanischen Krieges

Quelle: Wind 2006, S. 73.

der Konsumenten resultieren, kommt dementsprechend dem interkulturellen Marketing eine strategische Schlüsselrolle in der Globalisierung von Produkten und Marken zu, insbesondere auf dem asiatischen Markt. Interkulturelles Marketing steht für das Entwickeln von kulturspezifischen Strategien, Segmentieren, Targeting, Positioning und den Marketing-Mix. Aber es geht dabei nicht ausschließlich um kulturelle Unterschiede, sondern auch um Gleichartigkeiten und Gemeinsames zu identifizieren! So ist es das Ziel und mitunter auch die Aufgabe, Produkte wie Marken in der Kultur eines Zielmarktes relevant zu machen, ohne dabei deren globale Identität aufzugeben. Um eben diese kulturelle Relevanz zu schaffen bzw. zum Tragen zu bringen, müssen so genannte „cultural consumer insights“ generiert, starke Management-Teams eingesetzt, kulturell optimierte Strategien und Maßnahmen entwickelt und globale Synergieeffekte genutzt wer-

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den. Dabei entscheidend sind die folgenden Faktoren: Verständnis der Kultur, Einfühlungsvermögen in das Fremde/Ungewohnte, Identifizieren der Bedürfnisse, das Wettbewerbsumfeld, zukünftige Trends sowie die Besonderheiten von Sprache und Humor (vgl. Jervoe 2006, S. 107ff.). Anhand dieser fünf Faktoren soll dies am Beispiel McDonald’s Rice Burger illustriert werden: McDonald’s stand in Teilen Asiens vor der Aufgabe, noch relevanter im alltäglichen Ernährungsplan der Konsumenten zu werden. Die Herausforderung war dabei die Tatsache, dass Reis in überwiegenden Teilen der asiatischen Bevölkerung als zentraler Bestandteil jeder Mahlzeit gilt. Das Angebot von McDonald’s aber baute sich bis dahin klassisch um BicMac&Co. auf. Bezüglich „Insights“ wurde evaluiert, dass eine Mahlzeit ohne Reis im größten Teil der asiatischen Bevölkerung nicht als vollwertig gilt. Was das „Bedürfnis“ betraf, kam man zur Erkenntnis, in Ergänzung zu BigMac&Co ein Reisgericht anzubieten, das die McDonald’s Selbstähnlichkeit besitzt; bezüglich „Wettbewerbsumfeld“ existieren einige Wettbewerber und „trendbezogen“ besteht ein traditioneller asiatischer FingerfoodGassenverkauf (casual dining) zum Verzehr unterwegs. Ideal also für McDonald’s, da in Asien bereits eine Kultur des convenience dining bestand. Die Lösung des Problems war: Durch vielseitige Produktentwicklung und Marktforschungsstudien ergab sich der Ansatz, ein aus Reis bestehendes „Brot“ als Ersatz für das bekannte Sesambrot einzusetzen – die Idee des Rice Burgers war geboren. Damit war die Selbstähnlichkeit des McDonald’s-Angebots gewährleistet (die klassische Burger-Architektur blieb bestehen) und gleichzeitig wurde auf das kulturelle Bedürfnis großer Teile des asiatischen Raumes eingegangen: Reis als Bestandteil einer jeden Mahlzeit. Das Konzept des Ricke-Burgers setzte zudem auf den wichtigen Trend im asiatischen Raum, traditionsverbunden seine Zukunft zu gestalten. Das bedeutet: traditionelle asiatische Ernährungsgewohnheiten mit neueren westlichen Angebotsformen (Familienrestaurant) und Markenwelten zu verbinden. Ausgehend von diesem Trend wurden parallel auch neue asiatisch inspirierte Side Orders zum Rice Burger entwickelt (z.B. Clam Chowder). Bezüglich „Sprache und Humor“ wurde die gesamte Kampagne zu 100 Prozent lokal entwickelt, allerdings unter Berücksichtigung der McDonald’s-spezifischen Features: Die McDonald’s Devise „food, folks and fun“ bildete den Hauptbestandteil der TV-Kampagne, die in einer McDonald’s-typischen, selbstähnlichen Art gestaltet wurde. Die Entwicklung des Rice-Burgers stellte so eine treffsichere lokale Adaption des Food-Konzeptes dar, in dem die Wahrung der McDonald’s Selbstähnlichkeit mit hoher lokaler Relevanz kombiniert werden konnte (vgl. ebd. 2006, S. 109f.).

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

3

149

Mögliche Optionen von Markteintrittsstrategien

Wenn sich Unternehmen entschließen, zu expandieren, in unserem Fall international tätig zu werden, so müssen sie sich darüber im Klaren sein, in welcher Form sie auf den neuen Märkten aktiv werden wollen. Dabei hängt das Engagement von drei wesentlichen Faktoren ab: (1) den erforderlichen Investitionen, (2) den Kontrollmöglichkeiten über Unternehmens- und Marketingaktivitäten und (3) der erzielbaren Marktkenntnis (vgl. Keegan/Schlegelmilch/Stöttinger 2002, S. 288f.). Abb. 2 bietet einen Überblick über mögliche Markteintrittsalternativen. Wie sich der Internationalisierungsgrad im Zeitablauf erhöht und damit auch die Präsenz der Unternehmung auf dem internationalen Markt verdeutlicht Abb. 3. Nach der Etablierung im Heimmarkt können die folgenden Markteintrittsformen den Phasenverlauf der Step-Up-Strategie kennzeichnen (vgl. Abbildung 3): Dem indirekten Export folgen Formen der Auslandstätigkeit ohne Kapitalbeteiligung (Lizenzvergabe, Franchising, Managementverträge und der direkte Export über Absatzmittler); darauf folgen Direktinvestitionen mit Kapitalbeteiligung (Exportniederlassungen, Joint Ventures, Errichtung eigener Lagerstätten oder Niederlassungen im Ausland). Alternativ können als eine Markteintrittsform auch Online-Kooperationen im Feld des Produkt-

hoch

Kontrolle und Marktzugang im Auslandsmarkt

Tochtergesellschaft/ Akquisition Joint Ventures Franchising Lizenzvergabe

Direkter Export Indirekter Export

niedrig

Produktion im Inland niedrig

Produktion im Ausland Mitteleinsatz

hoch

Abb. 2. Überblick Markteintrittsalternativen Quelle: Albaum/Strandskov/Duerr 2001, S. 309; Preissner 1997, S. 230.

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100-prozentige Niederlassung und internationaler Internetauftritt

Internationalisierungsgrad

Exportnie derlassung Eigenst ändiger internat. Internetauftritt Franchising/ Lizenzen Joint Venture Internat. Online-Affiliate Programm Indirekter Export

direkter Export über Absatzmittler Zeit

Abb. 3. Pfade von Markteintrittsstrategien Quelle: Kollmann/Christofor 2004, S. 107.

angebots, der Kommunikation und der Distribution für den Online-Handel mit Konsumgütern gewählt werden (Kollmann/Christofor 2004, S. 106). Beim Markteinstieg spielen Joint Ventures oft eine entscheidende strategische Option, wie z.B. bei VW, das sein erstes Gemeinschaftsunternehmen mit der Shanghai Automotive Industry Corporation und der Schanghaier Stadtregierung bereits Mitte der achtziger Jahre gegründet und auf Jahre die Marktführerschaft eroberte, bis der Wettbewerb zunahm (vgl. Woetzel 2004, S. 16). Oft war es in der Vergangenheit so, dass gewisse Markteintrittsalternativen durch staatliche Eingriffe beschränkt wurden, indem ein gewisser Teil der lokalen Wertschöpfung vorgeschrieben wurde. Immer mehr entstehen jedoch eigene Unternehmenstochter-Gesellschaften („wholly owned“) und bestehende Joint Ventures werden restrukturiert bzw. im Falle einer fehlenden Wertschöpfung seitens des chinesischen Partners sogar ganz übernommen. Die Wahl der Markteintrittsstrategie hängt von unternehmensinternen wie -externen Faktoren ab (vgl. dazu Berndt/Altobelli/Sander 1997, S. 24). Zudem existiert eine Vielzahl von Faktoren, so genannte „Driving Forces“ bzw. „Restraining Forces“, welche in den meisten Fällen sowohl die Frage der Marktwahl als auch der Strategiewahl beeinflussen und somit berücksichtigt werden sollten. Zur Illustration einer solchen Beeinflussung dient Tabelle 4.

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

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Tabelle 4. Drivers und Restraining Forces in der Wahl von Markt und Eintrittsstrategie Existenz Drivers/Restraining Forces

Wahl des Marktes (M) – Wahl der Markteintrittsstrategie (MS)

Tarifäre Handelshemmnisse

M: hohe Zölle beschränken Marktwahl MS: hohe Zölle begünstigen Strategien wie Lizenzen, Allianzen, Niederlassungen, Joint Ventures

Nicht-tarifäre Handelshemmnisse

M: schließen bestimmte Märkte aus MS: begünstigen Strategien wie z.B. Lizenzen, Allianzen, Joint Ventures, Niederlassungen

Kostenfaktoren

M: begünstigen Lizenzen, Joint Ventures, Allianzen oder beschränken die Marktwahl bei Exporten MS: günstigere Kostenbindungen in einem Zielmarkt favorisieren Allianzen, Niederlassungen, Lizenzen

Transportwege/-fähigkeit von Produkten

M: lange Transportwege schließen Exporte aus MS: lange Transportwege favorisieren Allianzen, Joint Ventures, Niederlassungen, Lizenzen usw.

Finanzierungsbedarf

M: Märkte mit hohen Investitionen: ausgeschlossen MS: billige Markteintrittsalternativen: risikoärmer

Berater

M: Existenz von marktkundigen Beratern begünstigt MS: Existenz von strategieerfahrenen Beratern begünstigt die Markteintrittsstrategie

Sprachliche und kulturelle Distanz zum Zielmarkt

M: große Distanz hemmt Marktwahl MS: große Distanz begünstigt Strategien mit niedriger Kostenintensität im Markt (Lizenz, Export)

Entwicklungsstand der Technik im Zielmarkt

M: niedriger Entwicklungsstand hemmt (abhängig vom Produkt) die Marktwahl MS: niedriger Entwicklungsstand hemmt (abhängig vom Produkt) bestimmte Strategien (z.B. Produktionsniederlassung, Lizenz, Franchising)

Marktmacht/Größe der eigenen Unternehmung

M: neutral MS: Strategien mit hohem Steuerungspotenzial werden begünstigt

Vorhandensein komparativer Wettbewerbsvorteile

M: Märkte, in denen komparative Vorteile zur Entfaltung kommen, werden bevorzugt MS: Strategien, die den Schutz und die Entwicklung der Wettbewerbsvorteile gewährleisten, werden bevorzugt (z.B. Niederlassungen)

Quelle: In Anlehnung an Apfelthaler 1999, S. 113 ff.

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Aus Marketingsicht können wir festhalten, dass eine Unternehmung, die ihre Auslandsaktivitäten stärker kontrollieren oder mehr Marktkenntnis erlangen möchte, als Eintrittsstrategie diejenige wählen sollte, die dies am besten gewährleistet, wie eigene Tochtergesellschaften, Joint Ventures oder strategische Partnerschaften. Jedoch gehen mit einer verbesserten Marktkenntnis und einer erhöhten Kontrollmöglichkeit aber auch höhere Kosten (Löhne, Grundstückskosten, Transportkosten) einher. Beschließt jedoch eine Unternehmung, lokal zu produzieren, steht sie vor der Wahl zwischen dem Kauf, der Errichtung oder der Anmietung von Produktionsstätten, einem Joint Venture oder einem Lizenznehmer (vgl. Keegan/Schlegelmilch/Stöttinger 2002, S. 288). Es ist aber möglich, dass Unternehmen die Markteintrittsalternativen auf Auslandmärkten auch kombinieren können. Soll in einem Markt möglichst hohe lokale Präsenz und Kontrolle über die Marktbearbeitung erzielt werden, wird man sich wahrscheinlich für ein Tochterunternehmen entscheiden; in einem anderen Ländermarkt hingegen nutzt man aus Effizienzgründen die Kostenvorteile des Handelsvertreters. Für eine ausführliche Erläuterung der einzelnen Strategien wird auf die weiterführende Literatur verwiesen (vgl. Kotler/Fahey/ Jatusripitak 1985, S. 244ff; Keegan/Schlegelmilch/Stöttinger 2002, S. 288ff.; Backhaus/Büschken/Voeth 2003, S. 175ff.; Neubert 2006, S. 40ff., Zentes/Swoboda/Schramm-Klein 2006 S. 249ff.). Überlegenswert erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis (vgl. Neubert 2006, S. 41), dass die ständige Präsenz im Ausland, zum Beispiel mit einer eigenen Tochtergesellschaft, umso ratsamer erscheint, • je intensiver und dauerhafter die Kundenbeziehungen sind, • je mehr Kunden zu betreuen sind, • je intensiver der Kontakt zu lokalen Märkten erforderlich ist, • je stärker die Präsenz der Wettbewerber im Auslandsmarkt ist und • je stärker die Notwendigkeit zu unmittelbaren Kundenkontakten ist. Bei der Wahl der Markteintrittsstrategie sind zudem noch folgende Faktoren in die Überlegungen einzubeziehen (in Anlehnung an ebd. S. 40): • Größe und Potenzial des Auslandmarktes, • nationale und internationale Abkommen, Gesetze, politische und soziokulturelle Faktoren, • eigene Personalkapazität/Diversity Management,

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

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• Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte im Zielland, • Art des Produktes/Leistung, • Entfernung und Erreichbarkeit, • Distributionssituation im Ausland (schlagkräftiges Vertriebsnetz), • bestehendes Know-how/interkulturelle Kompetenz, • soziale Kompetenzen (Aufbau von „guanxi“), • verfügbare Ressourcen und • ausgewiesene Kenntnisse der kulturellen Gepflogenheiten (um zum Insider zu werden). Als Fazit dieser Eintrittsmechanismen soll Abbildung 4 die Erkenntnisse kurz zusammenfassen: It is important to view the determinants of national competitive advantage as an interactive system in which activity in any one of the four points of the diamond impacts on all others and vice versa (Keegan/Schlegelmilch 2001, S. 331). Factor abundance or specialised factorcreating mechanisms spawn new entrants

Factor conditions

Firm strategy, structure and rivalry

World-class users enter supplying industries

Early product penetration feeds entry New entrants emerge from related and supporting industries

Related and Supporting industries

Abb. 4. Competitive Advantages of Nations Quelle: Keegan/Schlegelmilch 1999, S. 331, Porter 1990, S. 72.

Demand conditions

154

4

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Besonderheiten des Verhaltens chinesischer Konsumenten

Viele Manager sehen den Absatzmarkt China als einen einzig riesig wachsenden Absatzmarkt. Im Zusammenhang mit dem Eintritt in diesen Markt ist es notwendig, sich auch einige Gedanken über den Verbraucher bzw. die Zielgruppen und die sich ändernden Einstellungen chinesischer Verbraucher zu machen. Eine US-Studie (1994-2004) zeigt, welche Irrtümer noch immer in den Köpfen westlicher Manager existieren, was China bezüglich Verbraucher- und Arbeitnehmerverhalten betrifft. Die Autoren widerlegen vier weit verbreitete Annahmen (McEwen/Fang/Zhang/Burkhodler 2006, S. 37f.), die sich lange und hartnäckig gehalten haben und vermutlich auch noch einige Zeit überdauern werden: • Erste falsche Vorstellung ist, dass alle Chinesen, nachdem sie aus dem Kollektivismus entlassen wurden, jetzt vor allem hart arbeiten und reich werden wollen – dies entspricht jedoch nicht der Realität, denn nur noch 35 Prozent der Chinesen dachten im Jahre 2004 so. Stattdessen äußern chinesische Arbeitnehmer immer häufiger den Wunsch nach Selbstverwirklichung. • Die zweite falsche Vorstellung ist, dass die chinesischen Arbeiter und Angestellten, die nun in die Fabriken und Büros in den großen Städten strömen, sehr ehrgeizig, engagiert und motiviert bei der Arbeit sind. Auch dies entspricht nicht mehr der Realität, denn sie haben den Eindruck, dass ihre Leistung nicht ausreichend anerkannt und belohnt wird und ihnen die Unternehmen keine Lern- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten bieten, wie auch ihre eigene Meinung unerwünscht ist. Außerdem existiert bei ihnen immer noch das Gefühl, dass die Manager sie als Automaten statt als Menschen sehen. Folge ist ein mangelndes Engagement der Arbeitnehmer, mehr Unfälle sowie eine niedrige Gesamtleistung, was sich auf die Qualität der chinesischen Waren und Dienstleistungen auswirkt. • Die dritte falsche Vorstellung ist, dass der neue Wohlstand in China den Konsumenten dort erlaubt, vieles von dem, was sie begehren, auch zu kaufen. Es ist zwar richtig, dass die Einkommen kontinuierlich steigen, aber die meisten Bürger sind noch immer viel zu arm um das zu kaufen, was sie möchten. • Die vierte falsche Vorstellung ist die Annahme, dass es immer noch eine endlose Nachfrage nach einfachen Haushaltgeräten gibt,

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

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denn diese sollten die größten Marktchancen versprechen. Diese Aussage ist zu relativieren, indem zwar heute mehr Durchschnittshaushalte als vor zehn Jahren einen Fernseher, ein Telefon oder einen Kühlschrank besitzen, aber dieser Verkaufsanstieg ist im Vergleich zum Verkauf von Hightech-Produkten wie Handy, Computer, Digitalkamera, Fernseher relativ gering. Auch chinesische Verbraucher wollen Spaß, Unterhaltung und eine moderne Gestaltung des Produktes, was darauf hinweist, dass nicht nur Funktionalitäten (vgl. das nachfolgende Beispiel Nokia) im Vordergrund stehen. Die Studie zeigt auf, dass die Zeiten, in denen Unternehmer von 1.3 Milliarden potenziellen chinesischen Konsumenten träumen, vorbei sind, denn eine realistischere Betrachtung der Marktbedingungen ist absolut notwendig, um nicht falsche Entscheidungen zu treffen. Um chinesische Konsumenten als Käufer zu gewinnen, müssen diese (wie oben erläutert) über das nötige Einkommen und den Wunsch zu konsumieren verfügen. Um Wünsche zu wecken, reicht es bei weitem nicht, westliche Marketingkampagnen ins Chinesische zu transformieren. Denn Kenntnisse des Marktes und der Gepflogenheiten der gewünschten Zielgruppe sind ein „must“. Die angebotenen Leistungen sollen auf die chinesischen Bedürfnisse zugeschnitten sein, was besonders für das Design gilt, wie das Beispiel Nokia zeigt: das Design wurde über die Funktionalitäten gestellt und Nokia hatte so den Geschmack der jungen chinesischen Generation getroffen. Neben Klapphandys mit farblich auffallendem und verspieltem Design sind Handy-Accessories wie Schmuckanhänger sehr beliebt. In Fernost profitiert Nokia davon, dass die Konsumenten zwei Schritte auf einmal machen: Vom telefonlosen Zustand geht es direkt zum Mobilfunk, die Festnetztelefonie wird dabei übersprungen. Nokias Start erfolgte bereits im Jahre 1985. Mit diesem frühen Einstieg legte Nokia den Grundstein für die heutige Marktführerschaft (vgl. o.V. 2005c, S. 5). Ebenso geht Nivea auf die Wünsche der Chinesinnen ein, indem Vertreter von Beiersdorf vor Ort ein junges Paar in einer typischen Hochhaussiedlung in Nanjing besuchten. „On-site“ wollten sie sich ein Bild vom Lebensalltag der Konsumenten machen. Nach alter chinesischer Tradition mussten sie erst einmal an der Haustür die Schuhe ausziehen. Im dunklen Anzug und auf Socken begutachteten sie die Wohnung und das Badezimmer samt Kosmetik-Schrank. Mit anderen Worten: Verbrauchernähe in Reinkultur, denn der einzige Zweck war es, den chinesischen Verbraucher genau kennen zu lernen. Denn meistens reichen herkömmliche Marktforschungsmethoden unter Laborbedingungen nicht aus. Es ist zwingend, die

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Menschen zu beobachten, wo sie kaufen und/oder wo sie nicht kaufen sowie sie in ihren Lebensumfeldern zu beobachten. Es ist notwendig, am Point of Sale zu schauen, wie Kundinnen und Kunden handeln. Nur so lernt man, sie zu verstehen. Das Schönheitsideal bei den Chinesinnen verlangt im Gegensatz zu europäischen Ländern eine helle, fast weiße Haut. Deshalb sind statt Selbstbräuner bei Nivea Shanghai „Whitening Cremes“ der Verkaufsschlager (vgl. o.V. 2007b, S. 14). Auch Coca Cola bietet Getränke an, die auf regionale Geschmäcker abgestimmt sind. Ebenso musste sich Ikea anpassen: Ikea heißt in China „Yi-jia“ (Angenehmes für Haus und Familie). Dazu gehört in den Augen der Kunden, dass dem Käufer die Möbel geliefert und aufgebaut werden. Ikea musste also im Chinageschäft umdenken: Mit seinem Prinzip „Do it yourself“ konnten sich Chinas Käufer nicht anfreunden. Erst später konnte Ikea chinesische Kunden vom Doit-yourself-Konzept überzeugen (Woetzel 2004, S. 14, 16). Die erwähnte US-Studie kommt zum Schluss, dass für das Marketing die wichtigsten Konsumentengruppen in China die Städter und die wohlhabenden Bürger sein werden. Die Schicht der Wohlhabenden wächst kontinuierlich. Aus diesem Grund könnten auch kreative Finanzierungsangebote ein Weg sein, in dieser Gruppe neue Kunden zu gewinnen (vgl. das Banken-Beispiel in Kapitel 1). Denn Prestigekäufe existieren in China ebenso wie im Westen, und auch die chinesischen Verbraucher achten sehr darauf, immer auf dem neusten Stand zu bleiben. Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie war, dass die chinesischen Konsumenten eine Menge von Waren und Dienstleistungen haben wollen. Aber der chinesische Markt ist in vielerlei Hinsicht schwer oder fast kaum mit anderen Märkten vergleichbar, denn die chinesischen Verbraucher sind weder selbstgefällig noch leicht zu lenken, und schneller Wandel ist normal geworden (McEwen/Fang/Zhang/Burkhodler 2006, S. 45). Zudem garantieren westliche Maßstäbe an den Markt keine Erfolge, denn wie das Beispiel Nivea gezeigt hat, muss man „vor Ort“ die Konsumenten kennen und verstehen, ihre emotionalen Bedürfnisse, ihre Technikwünsche und Vorlieben für Details. Der Business-to-Consumer-Markt wird immer bedeutungsvoller: „… China is after all the world’s biggest potential consumer market … Market research and marketing information systems are still in their infancy in present day China. Nonetheless, the market is strongly characterized by rapidly growing brand awareness and preference of consumers. In order to exploit these trends, companies have to invest heavily in product innovation and quality” (Kotler/Pfoertsch 2006, S. 304). Dies zeigt sich auch darin, dass mehr und mehr die kaufkräftigen Kunden (Gruppe der 25- bis 35-jährigen) stark umworben werden. Denn diese Kunden verdienen nicht

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nur erstmals mehr als ihre Eltern, sie geben es auch mit vollen Händen aus; für die Spontankäufe existiert der neue Begriff „Chongdong Xiaofei“. Beim Shoppen sind sie in der Regel Erstkäufer. Sie achten darauf, ob ein Produkt Marktführer ist. Aber sie sind sofort bereit, Neues auszuprobieren. Sie sind markenbewusst, aber nicht markenloyal (vgl. Krüger 2004, S. 56).

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Erfolgreiche/nicht erfolgreiche Asien-Engagements und was man aus Fehlern lernen kann

Wie volkswirtschaftliche Daten zeigen, ist China nach dem Pro-KopfEinkommen arm. Jedoch ist für China diese Situation bzw. der Status eines Dritte-Welt-Landes ein Durchgangsstadium, denn China steht für Aufbruch. Diese Sinneshaltung der laufenden Transformation kommt dank qualifizierter Arbeitskräfte, einer ausreichenden Infrastruktur und der Geisteshaltung (Aufbruch als wesentlicher immaterieller Faktor) zum Tragen. Das wiederum führt zu einer kontinuierlichen Öffnung. So ist z.B. die Hafenstadt Dalian der Mandschurei das Drehkreuz für Dienstleistungen, die Japan einkauft. In der Stadt arbeiten 26.000 Software-Ingenieure, jedes Jahr kommen ca. 4.000 dazu, es sind dies Abgänger der 22 Hochschulen, die es dort gibt. Multinationale Unternehmen lassen hier Verwaltungs- und Entwicklungsarbeiten erledigen. Hitachi, Matushita, NEC, NTT Data und Sony entwickeln neue Software für ihre Produkte. So wird sich das Geschäft mit den Diensten in Zukunft weiter ausdehnen und kräftiger zulegen als der produzierende Sektor, so eine Prognose. In Dalian gibt es zwei Jahre Steuerfreiheit auf Gewinne und einen 80-prozentigen Nachlass auf die Wertschöpfungssteuer. Damit erweist sich China als offen gegenüber Unternehmen aus dem Ausland (o.V. 2005a, S. 3). Ein weiteres erfolgreiches Unternehmen ist der Betrieb für Malereibedarf Hansa Farbroller. Ein Messekontakt ermöglichte die Gründung eines Produktionsbetriebes in China. Die Fabrik in Beijing schaffte ab 1995 günstige Bedingungen für die Fertigung. Pinsel, Spachtel und Farbrollen wurden zunächst für den Verkauf in Europa hergestellt. Bald aber wurde die Fabrik zum Drehkreuz, das den globalen Markt versorgt: Zunächst wurde der nationale Markt von Beijing aus versorgt, später Südostasien und die USA. Was war das Besondere für den Erfolg? Der Eigentümer der Firma etablierte für die chinesischen Produkte die Marke Cristin. Die Positionierung erfolgte im oberen Marktsegment. Um diese Stellung abzusichern, führte Cristin (gleichzeitig auch der Firmenname) Schulungen für die chinesischen Händler durch. Das Thema war: Malerarbeiten mit einer Farb-

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global

Chance Segment 4

„erhöhte Wachsamkeit “

„zweischneidig “

Bsp.: Feinchemikalien

Bsp.: Technische Kunststoffe

Segment 1

Segment 2

„zu Hause bleiben“ Bsp.: Basis-Chemikalien

Gefahr

Produktcharakteristika

Segment 3

„am Wachstum teilhaben“ Bsp.: Massenkunststoffe

lokal

tief

Asiens Marktattraktivit ät

hoch

Abb. 5. Strategische Optionen für ein Engagement in China Quelle: Koch 2004, S. 42.

rolle auszuführen, denn bislang waren es die Maler gewohnt, auch große Flächen mit Pinseln zu bearbeiten, ein zeitaufwändiges Verfahren. Zudem wurden chinesische Baumärkte mit kostenfreien Regalen und DisplayStändern für Cristin-Produkte versorgt (vgl. o.V. 2005d, S. 5). Zwei wichtige Fragen, die über Chance oder Risiko entscheiden, muss man sich bei einem Markteintritt stellen: (1) Wie attraktiv ist der Markt bezüglich Größe, Wachstum, Profitabilität usw. und (2) handelt es sich um ein global verfügbares Produkt/Brand, bei dem die Transportkosten und Zölle im Vergleich zu den Herstellungskosten niedrig sind, oder um ein lokales Produkt? Ein solches Chancen/Risiko-Profil sieht für jedes Unternehmen wieder anders aus. Abb. 5 illustriert dies am Beispiel eines großen Chemie-Unternehmens (vgl. Koch 2004, S. 41f.). Segment 1 signalisiert, dass der Markt nicht besonders attraktiv erscheint, dafür die Transportkosten hoch. Eine Investition in China lohnt sich nicht, da chinesische Konkurrenten billiger und schneller sein werden. Segment 2 illustriert lokale Produkte (weil hohe Transportkosten), aber ein schnell wachsender chinesischer Markt. Wer also in China das Geschäft betreibt, muss wie bereits an anderer Stelle erwähnt vor Ort sein, nahe beim Kunden,

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

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um schnell und kostengünstig liefern zu können. Segment 3 zeigt ein globales Produkt und einen wenig attraktiven Markt. Momentan würden sich Investitionen nicht lohnen, da der lokale Markt im Vordergrund steht und die Kunden westliche Produkte ordern; aber sehr schnell kann sich dies ändern und chinesische Konkurrenten werden stärker. Segment 4 mit globalem Produkt und einem attraktiven Markt steht für lohnenswerte Investitionen vor Ort. Die Nachfrage vor Ort wird steigen; da der Markt attraktiv ist, werden sich auch chinesische Unternehmen mittelfristig diesem Markt stellen und damit national wie international zu bedeutenden Konkurrenten werden. Daher gilt, jedes Engagement in China sorgfältig, umfassend zu prüfen und kulturelle wie individuelle Besonderheiten in die strategischen Überlegungen einzubeziehen (vgl. Koch 2004, S. 41). Was also gilt es zu beachten, um in China erfolgreich zu sein? Folgende Aspekte sind u.a. von Bedeutung (vgl. o.V. 2005b, S.4; Chen 2005): • Geduld = Kapital: Westliche Geschäftsbeziehungen sind auf Effizienz und Minimierung des Zeitverbrauchs ausgerichtet. In China führt diese Vorgehensweise aber nicht zum Erfolg. Hier ist es üblich, sich mit größter Vorsicht an eine Sache heranzutasten. Es braucht Zeit, um ein Geschäft reifen zu lassen. Wenn im ersten oder zweiten Treffen nichts passiert, ist das keineswegs eine Absage der Gegenseite, sondern ein Zeichen dafür, dass der Reifeprozess in Gang kommt. Denn in China dauert der Verhandlungsprozess einerseits länger, andererseits wird auch mehr Zeit in die Vorbereitungen investiert. • In persönliche Beziehungen investieren: Das Stichwort dazu heißt „guanxi“. In China ist es dem Geschäftserfolg sehr zuträglich, wenn man familienähnliche Beziehungen aufbauen kann. Das ernsthafte persönliche Interesse am Gegenüber schafft eine Basis für gute Beziehungen, und nicht eine Reihe von Empfängen für die Geschäftspartner. • Der indirekten Kommunikation ist der Vorzug zu geben: Jede Art von Extremen ist im chinesischen Umfeld verpönt: Offene Kritik, Wutausbrüche, Dritte bloßstellen oder frontale Kommunikation sind nicht angebracht (Gesichtsverlust). Ein gegenseitiges Geben und Nehmen in Verhandlungen verbunden mit der Möglichkeit, dem Partner selbst Ansehen zu geben sind Pfeiler erfolgreicher Verhandlungen.

160

Rudolf Ergenzinger und Jan S. Krulis-Randa

• Ziele und Strategien langfristig verfolgen bzw. betreiben: Bei Misserfolgen nicht frustriert sein oder die Beziehung abbrechen, bei Erfolgen nicht zu euphorisch sein. Denn die Beziehung mit den chinesischen Partnern ist auf Langfristigkeit ausgelegt. Es ist zu signalisieren, dass man wirklich die Absicht hat, die Sache weiterzuführen, ganz gleich, wie gut oder schlecht es im Moment gerade läuft. Für die Gegenseite hat das Morgen ein sehr hohes Gewicht. Hinzu kommt als wichtiger Aspekt der Wertbeitrag für die Kunden mittels Innovationen, um damit neue Kundengruppen zu gewinnen. Jedoch darf der Transaktionsaufwand aufgrund fehlender Kenntnisse, geringerer Vertrautheit mit den Gepflogenheiten des Landes bzw. fremder Geschäftsmentalität nicht unterschätzt werden (vgl. o.V. 2004, S. 5). Abschließend soll an zwei Beispielen illustriert werden, wie man aus Fehlern im China-Geschäft lernen kann (vgl. o.V. 2005e, S. 8). Das erste Beispiel zeigt, wie lokale Gepflogenheiten im Heimmarkt das Geschäft in China behindern können. Subway, eine amerikanische Fastfood Kette und Sandwich-Spezialist, musste als Franchise-Unternehmen aus dem Westen in China Lehrgeld bezahlen. Folgendes hätte diese Unternehmung dabei beachten sollen: • Lokale Partner sorgfältig auswählen, wenn möglich 100-prozentige Töchter gründen. Subway eröffnete das erste Lokal in Beijing mit Hilfe eines inländischen Investors. Der Mann frisierte Rechnungen und erschlich sich 200’000 Dollar. • Vorsichtig kalkulieren. Die Kosten für die Einrichtung eines Restaurants erreichten das Siebenfache des Veranschlagten. • Wenn möglich mit Unternehmen, und nicht mit Einzelpersonen Geschäfte machen. Subway mietete sein zweites Ladenlokal bei einem Hausbesitzer. Eine Woche später versperrte dieser die Tür, weil er einen anderen Interessenten gefunden hatte, der die Miete für zwei Jahre im Voraus zahlte. • Lokale Geschmäcker vor dem Markteintritt eruieren. Subway bot in China sein US-Sortiment zunächst unverändert an. Folge: Bis auf amerikanische Expatriates kamen zunächst keine Kunden. Der Grund war, dass Vieles auf der Speisekarte unbekannt war. So glaubten z.B. Chinesen nicht, dass ein Thunfisch-Sandwich Fisch enthält, da weder Kopf noch Flosse sichtbar waren.

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

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• Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle. Bis Ende der 90er Jahre war das Franchise-Konzept in China völlig unbekannt. Die Folge war, dass Subway-Franchisenehmer Logo und Erscheinungsbilder sowie Läden nach eigenem Gutdünken veränderten. Zweites Beispiel BMW. Die Bayern sind mit ihrem China-Engagement bereits in den 90er Jahren gestartet, jedoch wurden folgende Aspekte zu wenig beachtet: • Sich nicht auf den Boom verlassen. BMW hatte sich vom Turbowachstum der letzten Jahre blenden lassen. Doch kurz nachdem die Produktion anlief, stoppte die Staatsbank billige Kredite an Autohändler, um die Konjunktur abzukühlen. • Einen eigenen Vertrieb aufbauen. Das Kalkül „die Kunden werden schon kommen“ geht in China nicht auf. BMW bot seine Fahrzeuge zu Preisen an, die über denen der Premiumkonkurrenz lagen. Den Bayern fehlte zudem ein Netz aus erfahrenen Verkäufern, die das Premiumprodukt an die Kundschaft brachte. Folge war, die Preise mussten um ein Zehntel gesenkt werden. • Mit Zollproblemen rechnen. BMW importierte seine Fahrzeuge als eine Art Bausatz, der vor Ort nur noch endmontiert werden musste. Die Teile mussten wie fertige Autos verzollt werden, weil der Hersteller keine Bescheinigung vorweisen konnte, die sie als Zulieferteile auswies. • Ein politisches Netzwerk aufbauen. Gegen den Willen von Beijing wählte BMW den Kleinbushersteller Brilliance als Joint-VenturePartner. Folge: Offizielle Stellen verschleppten die Genehmigungsverfahren. • Wenn möglich unabhängig bleiben. Noch bevor sich Brilliance und BMW handelseinig wurden, fädelte der Joint-Venture-Partner hinterrücks Kooperationen mit Toyota und General Motors ein. Zudem erkämpften sich die Chinesen die Oberhand über die wichtigen Ressourcen Personal und Finanzen. • Lokale Vorlieben beachten. BMW setzte in China auf den Geschmack westlicher Geschäftsleute und bot Wagen vorwiegend in Schwarz und Dunkelblau an. Chinesen bevorzugen jedoch die Farbe Silber. Zudem ist es besser, mit dem chinesischen statt dem deutschen Namen aufzutreten: BMW heißt in China „Bao Ma“ (wertvolles Pferd).

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Rudolf Ergenzinger und Jan S. Krulis-Randa

Abschließend ein erfolgreiches Beispiel der Firma Haier Haushaltgeräte: Diese Firma ist eine der bekanntesten Hersteller „Weißer Ware“. Erfolgreich ist sie, weil sie ihren Heimmarkt (China) wie viele kleine Länder behandelt, ihre Produktpalette sehr stark an regionale Gegebenheiten anpasst. Das Angebot reicht vom Luxuskühlschrank für mehrere tausend Dollar, den sich nur die Aufsteiger aus der Küstenregion leisten können, bis hin zur Mini-Waschmaschine für 37 Dollar, die in armen ländlichen Gebieten verkauft wird. Hintergrund ist, dass das jährliche Pro-KopfEinkommen auf dem Land in Sichuan bei 275 Dollar, in Shanghai bei 1835 Dollar liegt (o.V. 2006c, S. 10). Zu einem „Brand“ wurde diese Firma durch die folgenden marketing-strategischen Aktivitäten innerhalb von drei Entwicklungsphasen (vgl. Tabelle 5). „Some argue that this is partly due to the „borrowed“ belief among customers that the brand is of German origin. More than 20 years ago, the company bought the production-line technology from Liebherr, a German industrial conglomerate. They obviously made a decent attempt to borrow the name („-herr“ pronounced to the best of their linguistic ability as Haier) as well as the technology (Kotler/ Pfoertsch 2006, S. 305). Tabelle 5. Development Stages for Branding in China Branding in China 1984-1991 Built a strong brand Key name in refrigerators Initiative through a well developed TQC system

Key results

Won the first prize in „the most favorite light industry products refrigerators“ 5 years in a row Won the state prize for quality management Presented with the customer satisfaction cup by China’s customer satisfaction movement congress

Diversification and Expansion 1992-1998

Globalization 1998 -

Diversified the product portfolio to „avoid having all the company’s eggs in one basket“ through mergers and acquisitions

To build an international brand name Aspires to become fortune 500

Acquired 14 enterprises under the „eating dormant fish“ strategy Successfully turned these businesses around by leveraging Haier’s brand and introducing Haier’s OEC management Expanded product portfolio from 1 product to over 9000 products in 42 categories

Sold products to over 160 countries and regions and established more than 38000 sales outlets across the world

Quelle: Kotler/Pfoertsch 2006, S. 308.

Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

6

163

Fazit

Wie die Ausführungen zu zeigen versuchten, ist es äußerst wichtig zu erkennen, dass der chinesische Markt nicht leicht zu erobern ist. Die verschiedenen Beispiele verdeutlichten, dass es ohne Hilfestellung nicht gehen wird, erfolgreich zu sein, denn die Basis für Erfolge liegt im Aufbau von Beziehungen zu möglichen Partnern, denen man vertrauen kann. Notwendig dazu ist ein klares und umfassendes Gefühl für die chinesische Kultur und die Denk- und Verhaltensweisen der Chinesen. Weiter gilt es, die Spielregeln, die auf dem chinesischen Markt herrschen, zu lernen und die neue Geschäftskultur zu verinnerlichen. Der Aufbau von Netzwerken hilft, notwendige Informationen und Hilfestellungen zu erhalten. Es ist wichtig, eng mit den einheimischen Experten zusammenzuarbeiten (vor allem beim Vertrieb und Marketing eines neuen Produktes). Vor Ort den Konsumenten kennen lernen ist eine wichtige Voraussetzung, denn der chinesische Markt ist sehr vielschichtig (Bedeutung der Marktforschung, Segmentierung, Targeting und Positioning sowie eine geschickte Kombination von Innovation, Technologie und Marke kommen zum Tragen). Weiter sollte man sich in Geduld üben und soweit als möglich flexibel auf Änderungen im Markt und/oder von Rahmenbedingungen reagieren, und sich sensibel auf die Kultur und die Lebensgewohnheiten der Chinesen einstellen. Westliche Managementmethoden und Marketingkampagnen per se auf den chinesischen Markt übertragen zu wollen ist ein Verkennen der Situation und der Kultur. Es geht nicht darum, westliche Methoden gegen Traditionelles und kulturelle Werte auszuspielen, sondern es gilt zwischen den Partnern eine Win-Win-Situation anzustreben. Mit Bescheidenheit, Verständnis, Empathie und Respekt für die kulturellen Gegebenheiten und einem ständigen Lernen über die Kultur und Werte können nachhaltige Erfolge realisiert werden.

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Marketing-Strategien und Marketing-Aktivitäten mit Fokus auf China

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Marketingpolitische Besonderheiten des chinesischen Marktes Adrienne Cansier

Summary. Firms who want to enter the Chinese market should be familiar with its special risks and cultural features. The paper deals with these two aspects. A forecast of the general risks is done by applying the Business Environment Risk Intelligence-Index (BERI-Index). And to ensure a successful market entry the consequences for brand characteristics, product design, and communication media are outlined.

1

Einführung

Wer in China investieren will, denkt entweder daran, die extrem niedrigen Produktionskosten ausnutzen, um seine Wettbewerbsposition auf den Weltmärkten zu stärken, oder er sucht die Vorteile der Nähe zum weltweit größten und stark expandierenden Absatzmarkt. China weist seit zwei Jahrzehnten sehr hohe Wachstumsraten auf, die nach vorliegenden Prognosen auf absehbare Zeit anhalten werden. Das Wachstum des realen BIP lag 2006 nach Angaben der chinesischen Statistikbehörde bei 10,7% gegenüber dem Vorjahr. Die ausländischen Direktinvestitionen in China erreichten nach Verlautbarung der chinesischen Regierung rund 63 Mrd. US-Dollar (ohne Investitionen im Finanzsektor). Die Zuflüsse sind damit gegenüber dem Vorjahr um ca. 5% gestiegen. Diesen Chancen stehen für westliche Investoren die spezifischen politischen Risiken eines kommunistischen Regimes mit starker Zentralregierung gegenüber. Außerdem treffen die westlichen Unternehmen auf eine völlig andere Kultur, die von ihnen eine starke Anpassung ihrer Unternehmenspolitik erfordert. Damit sind die beiden Fragenbereiche dieser Arbeit umrissen: (1) Wie ist der Zutritt für Unternehmen zum chinesischen Markt nach Risikokriterien zu beurteilen? Die Entscheidungssituation für Di-

168

Adrienne Cansier

rektinvestoren ist komplex und im Einzelfall unterschiedlich. Deshalb kann hier nur auf allgemein relevante Risikokriterien eingegangen werden. Dafür wurden international verschiedene Indikatoren entwickelt. Den bekanntesten Ansatz bildet der so genannte BERI-Index (Business Environment Risk Intelligence-Index). Dieser Index soll im Folgenden zur Analyse herangezogen werden. (2) Welche Besonderheiten sollte die Produkt- und Kommunikationspolitik beachten? Ein Unternehmen, das mit seinen Produkten auf den chinesischen Markt eintreten will, muss sich ein Bild von den Eigenheiten des Marktes machen und sich mit Produktgestaltung und Werbung den Gegebenheiten anpassen.

2

Standortentscheidung nach dem BERI-Index

Der BERI-Index (vgl. BERI SA 2006; BERI SA 2007, Hake 1996, S. 485 ff., Hake 2004, S. 600 ff.) ist im Wesentlichen ein zweistufiges Scoring-Modell, das neben einer Risikobewertung auch eine Empfehlung bzgl. der zu wählenden Markteintrittsstrategie beinhaltet. Der Index besteht aus den drei Subindizes: • Operations Risk Index (ORI), • Political Risk Index (PRI), • Remittance and Repatriation of Capital Factor (R-Faktor). Der Index wird vom Business Environment Risk Intelligence SA seit 1966 erstellt und basiert auf der Befragung eines Panels von ca. 100 Experten (Führungskräften aus Industrieunternehmen, Politologen und Soziologen) überwiegend aus den Triade-Regionen USA, Japan und Europa. Der Index enthält jeweils Ein- und Fünfjahresprognosen und wird dreimal jährlich für 50 Länder erstellt (1. April, 1. August und 1. Dezember). 2.1

Der ORI

Der ORI beurteilt die Risiken der laufenden Geschäftstätigkeit. Jedes Land wird durch momentan 108 Experten anhand von 15 Kriterien bewertet. Kriterien sind u.a. politische Stabilität, Einstellung gegenüber ausländischen Investoren und bürokratische Hemmnisse (vgl. Abb. 1).

Marketingpolitische Besonderheiten des chinesischen Marktes Kriterien

Gewichte

1. Politische Stabilität 2. Einstellung gegenüber ausl. Investoren und Gewinnen 3. Expropriation 4. Inflation 5. Zahlungsbilanz 6. Bürokratische Hemmnisse 7. Wirtschaftswachstum 8. Währungskonvertibilität 9. Durchsetzbarkeit von Verträgen 10. Lohnkosten/Produktivität 11. Verfügbarkeit örtlicher Fachleute und Lieferanten 12. Nachrichten/Transport 13. Ortsansässiges Management und Partner 14. Verfügbarkeit kurzfristiger Kredite 15. Verfügbarkeit langfristiger Kredite und Eigenkapital max

169

25

*

3,0 1,5 1,5 1,5 1,5 1,0 2,5 2,5 1,5 2,0 0,5 1,0 1,0 2,0 2,0

4 = 100 Punkte

Abb. 1. Kriterien des ORI-Index Quelle: Meyer 1987, S. 92.

Beim ORI wird eine Skala von 0 = inakzeptable Bedingungen bis 4 = sehr gute Bedingungen verwendet. Die Bewertung erfolgt auf der Grundlage einer Delphi-Befragung (vgl. Berndt/Fantapié/Sander 2005, S. 109). Dabei werden die Kriterien gewichtet. Die Summe der Gewichte beträgt 25, so dass der maximale ORI-Wert eines Landes, der aus der gewichteten Gesamtpunktzahl resultiert, 100 Punkte beträgt. Als allgemeine Empfehlung wird der Markteintritt dann als zu riskant angesehen, wenn ein Land weniger als 40 Punkte erreicht. 41-55 Punkte werden mit hohem Risiko und schlechtem Geschäftsklima für den ausländischen Investor verbunden. Bei 56-70 Punkten wird mit mäßigem Risiko und einigen Erschwernisse im täglichen Betrieb gerechnet. Bei 71-100 Punkten handelt es sich um ein stabiles Land mit hervorragendem Geschäftsklima. China erreichte im April 2006 und April 2007 einen ORI-Wert von 53 Punkten (vgl. BERI SA 2006, BERI SA 2007). Betrachtet man die vorangegangenen sieben Jahre, so ist eine kontinuierliche Steigerung von 49 Punkten auf diesen aktuellen Wert festzustellen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird mit einem weiteren Anstieg auf 54 Punkte gerechnet. Man kann also festhalten, dass bereits seit sieben Jahren ein Eintritt in den chi-

170

Adrienne Cansier

nesischen Markt aufgrund des ORI vertretbar erscheint. Jedoch ist der Zutritt mit hohem Risiko verbunden, und das Geschäftsklima ist für ausländische Investoren „schlecht“. An dieser Situation wird sich nach Expertenmeinung in den nächsten fünf Jahren nichts ändern. Problembereiche sind vor allem die Korruption bei der Auftragsvergabe und die Markenpiraterie. China zählt zu den Ländern mit den schwerwiegendsten Verstößen gegen Rechte des geistigen Eigentums. Unternehmen verfügen dort nur über einen unzureichenden Rechtsschutz. Die chinesischen Gesetze zum Schutze des geistigen Eigentums, wie Patent-, Markenund Urheberrechte, entsprechen zwar weitgehend internationalen Standards, doch klafft eine Lücke zwischen Umsetzung und formalem Recht. Das mag damit zusammenhängen, dass in der chinesischen Kultur ein diesbezügliches Unrechtsempfinden kaum existiert. Die Aneignung geistigen Eigentums und fremden Know-hows wird im chinesischen Kulturraum traditionell als Zeichen der Lernbegierde, der Begeisterung und des Respekts gegenüber den betreffenden Inhalten aufgefasst. Erst langsam findet hier ein Umdenken und Bewusstseinswandel, auch als Folge permanenter westlicher Kritik, statt. Den Unternehmen drohen hohe Gewinneinbußen, aber auch Imageverluste und eventuell Sicherheitsrisiken. Nach Expertenschätzungen sind über 25% der in China verkauften Produkte Fälschungen (vgl. Ballhaus 2005, S. 40; Fischer et. al. 2005, S. 116; Hachenberger 2004, S. 70). Außerdem lässt die Verkehrsinfrastruktur Chinas noch zu wünschen übrig, obwohl sie ständig verbessert wird. Speziell die Ballungsgebiete besitzen bereits westliche Standards. Abgelegene Gebiete dagegen weisen schlechte Verkehrsanbindungen auf. Probleme bereitet auch die Elektrizitätsversorgung. Die Stromnetze sind zu schwach ausgelegt und verursachen häufigen Stromausfall (in China durchschnittlich 5mal im Monat (vgl. Zainulbhai 2006)). 2.2

Der PRI

Analog aufgebaut wie der ORI ist der PRI, welcher die langfristige politische Stabilität messen soll. Das Expertenpanel besteht hier momentan aus 102 Personen. Als Kriterien werden u.a. Zersplitterung und Macht politischer Parteien, soziale Konflikte und Unterdrückungsmaßnahmen berücksichtigt (vgl. Abb. 2). Auch hier können pro Land maximal 100 Punkte erreicht werden. China erreichte im April 2006 und April 2007 (vgl. BERI SA 2006, BERI SA 2007) einen überdurchschnittlichen PRI-Wert von 57. Auf diesem Niveau bleibt der PRI-Wert der Experten auch in den nächsten fünf Jahren

Marketingpolitische Besonderheiten des chinesischen Marktes

171

Kriterien y Interne Ursachen für politische Risiken 1. Fraktionalisierung des politischen Spektrums 2. Fraktionalisierung durch Sprache, Religion etc. 3. Unterdrückungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Macht 4. Mentalität: Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus etc. 5. Soziale Lage, Bevölkerungsdichte und Wohlstandsverteilung 6. Organisation und Stärke der radikalen Linken y Externe Ursachen für politische Risiken 7. Abhängigkeit von und/oder Bedeutung für eine(r) feindliche(n) Großmacht 8. Negative Einflüsse von regionalen politischen Kräften y Symptome für politische Risiken 9. Soziale Konflikte: Streiks, Aufruhr etc. 10. Merkmale für Instabilität, z.B. Putschversuche, politische Morde etc.

Abb. 2. Kriterien des PRI-Index Quelle: In Anlehnung an Hünerberg 1994, S. 386 f.; Berndt/Fantapié/Sander 2005, S. 110.

stehen. In den vorangegangenen sieben Jahren lag der PRI-Wert konstant auf dem Niveau von 56 Punkten (vgl. BERI 2006). Zu der Verbesserung hat insbesondere Chinas Beitritt zur WTO im Jahr 2001 beigetragen. Die zentralen Normen der WTO-Rechtsordnung betreffen die Transparenz, die Rechtsstaatlichkeit, die gleiche Behandlung der Ausländer wie der Inländer und den Marktzugang für Ausländer. An der Durchsetzung dieser Kriterien mangelt es aber in China noch. Die Kommunistische Partei lässt nur solche Reformen zu, die ihre politische Macht nicht untergraben. 2.3

Der R-Faktor

Der R-Faktor misst die Bedingungen für den Transfer von Gewinnen und Kapital ins Heimatland sowie das damit verbundene Währungsrisiko („Rückzahlungsfaktor“). Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Subindizes beruht der R-Faktor auf quantitativen Daten (finanzwirtschaftliche Analysen von Import- und Exportstatistiken, Zahlungs- und Kapitalbilanzen). Auch hier werden die Daten mit Hilfe eines Scoring-Modells verdichtet, wobei wiederum 100 Punkte erreicht werden können. Nachfolgende Abbildung zeigt das dem R-Faktor zugrunde liegende Scoring-Modell.

172

Adrienne Cansier Merkmalsausprägung (ai)

Gewichtung (gi)

A1. Formelle Vorschriften für Transfer von Erträgen u. Dividenden

0-5

4

A2. Formelle Vorschriften für Lizenzgebühren, Royalties usw.

0-5

3

A3. Formelle Vorschriften für Rückführung von Kapital

0-5

3

A4. Praktische Durchführung für Dividenden und Royalties

0-5

4

A5. Praktische Durchführung für Kapitaltransfer

0-5

3

A6. Termingeschäfte

0-5

3

Kriterien

A. Behördliche Vorschriften

max Σ ai * gi = 100

B1. Leistungsbilanz

0 - 50

B2. Kapitalbilanz

0 - 30

B3. Kapitalzuflüsse als Folge hoher Zinsen

0 - 10

B4. Kapitalanziehende Fluchtwährung

0 - 10

B. Deviseneinnahmen C1.

Devisenreserven monatliche Importe (Waren und Diensteistungen)

C2. Devisenreserven + Goldreserven Staatsschulden im Ausland

C. Währungsreserven D1. D2. D3.

Brutto-Inlandsprodukt Auslandsverschuldung

max Σ ai = 100

Gewichtung (gj)

0 - 100

0,2

0 - 100

0,3

0 - 100

0,3

0 - 100

0,2

0 - 50

max Σ ai = 100 0 - 40 0 - 40

Schuldendienst + Ölimporte Deviseneinnahmen

0 - 20

Rückzahlungs- bzw. R-Faktor

Merkmalsausprägung (aj)

0 - 50

Schuldendienst Deviseneinnahmen

D. Auslandsverschuldung

Oberkriterien

max Σ ai = 100

max Σ

aj * gj = 100

Abb. 3. Scoring-Modell zur Bestimmung des R-Faktors Quelle: In Anlehnung an Meyer 1987, S. 95; Berndt/Fantapié/Sander 2005, S. 111.

Marketingpolitische Besonderheiten des chinesischen Marktes

173

Im April 2006 hat der chinesische R-Faktor einen überdurchschnittlichen Wert von 72 Punkten erreicht, im April 2007 73 Punkte (vgl. BERI SA 2006, BERI SA 2007). Innerhalb der vorangegangen sieben Jahre ist er von 66 Punkten kontinuierlich auf diesen Wert angestiegen. Für die nächsten fünf Jahre wird ein weiterer Anstieg auf 75 Punkte prognostiziert. 2.4

Der POR

Durch arithmetische Mittelwertbildung der drei Subindizes erhält man den Profit Opportunity Recommendation Index (POR). Alle Teilrisiken werden gleich gewichtet. Auf dieser Basis werden grundsätzliche Markteintrittsstrategien vorgeschlagen (vgl. Abb. 4). Folgende Stufen werden dabei unterschieden: • I. Stufe (Investment Quality, 55-100 Punkte): Das Land ist für Direktinvestitionen mehr oder weniger uneingeschränkt geeignet. Die Bedingungen für die Geschäftstätigkeit, den Transfer von Dividenden und die Erwartung hinsichtlich der Währungskonvertibilität sind gut. Geordnet nach dem Erfordernis hoher schneller rückführbarer Gewinne wird gestaffelt nach: 1C (55-64 Punkte, 1B (65-74 Punkte und 1A (75-100 Punkte). • II. Stufe (Nondividend Cash Flow, 45-55 Punkte): Das Land ist geeignet für langfristige Aktivitäten mit geringem Eigenkapitaleinsatz und nur für Engagements mit dividendenlosen, ertragsunabhängigen Zahlungen (z.B. Lizenz- oder Management-Verträge); 2A (55 Punkte), 2B (45-55 Punkte), 2C (45-55 Punkte). • III. Stufe (Trade Only, 35-44 Punkte): Das Land ist nur für einzelne, kurzfristige Handelstransaktionen ohne Kapital- und ManagementTransfers geeignet; 3A (40-44 Punkte), (35-39 Punkte). • IV. Stufe (No Business Transactions, 0-35 Punkte): Das Land ist nicht für wirtschaftliche Aktivitäten geeignet, keine geschäftlichen Transaktionen. Der POR-Wert für China betrug im April 2006 und April 2007 61 Punkte. Dieses Niveau hat er in den letzten sieben Jahren, ausgehend von einem Wert von 57, erreicht. Für die nächsten sechs Jahre wird mit einem Anstieg auf 62 Punkte gerechnet. Demnach ist China für Direktinvestitionen uneingeschränkt geeignet und befindet sich auch schon seit längerem in der Länderkategorie 1C (vgl. BERI SA 2006, BERI SA 2007).

174

Adrienne Cansier

Submodell 1: Operation Risk Index 0 < ORI < 100

Submodell 2: Political Risk Index 0 < PRI < 100

Submodell 3: Rückzahlungsfaktor 0 < RF < 100

Summe der drei Teilindizes und Division durch drei: Profit Opportunity Recommendation Index 0 < POR < 100 0

25

75

35

45

100

55

Abb. 4. POR-Index Quelle: Berndt/Fantapié/Sander 2005, S. 112.

2.5

Prognose für die Zeit nach 2012

Nun soll mit Hilfe der BERI-Werte von 1999 bis 2006 und auf Basis der vorliegenden Prognosen für die nächsten 6 Jahre (vgl. BERI SA 2006) eine Prognose für die Jahre nach 2012 vorgenommen werden. Da ein (ansteigender) Trend bei allen Teilindizes zu erkennen ist, wird hierzu eine Trendprojektion durchgeführt. Es sind zwei Vorgehensweisen denkbar: Erstens kann eine Prognose durch eine Trendprojektion auf Basis der historischen POR-Werte vorgenommen werden. Dazu wird eine Regression durchgeführt. Mit einem Bestimmtheitsmaß von r²=0,942 liefert SPSS 14.0 die logistische Funktion (vgl. Abb. 5):

POR(t) =

1 1 + 0,003 ⋅ 0,857 t 63,3

(wobei t=1:1999, t=2:2000, …,)

mit einem POR-Sättigungswert von 63,3 Punkten. China wird demnach langfristig in der Kategorie der 1C-Länder bleiben. Zweitens kann eine Trendprojektion des POR auf Basis der einzelnen Subindizes erfolgen. Hierzu wird für jeden Subindize eine Regressionsfunktion geschätzt. Es resultieren auf Basis der Subindizes der Jahre t=1: 1999 bis t=8: 2006 folgende Schätzgleichungen:

Marketingpolitische Besonderheiten des chinesischen Marktes

175

POR Beobachtet Logistisch

62,00

61,00

60,00

59,00

58,00

57,00 0,0

2,5

5,0

7,5

10,0

12,5

Abb. 5. Prognose der Funktion POR(t)

1

mit r²=0,765, 1 + 0,376t 58 1 r²=0,942, ORI(t) = 1 t + 0,003 ⋅ 0,851 55,2 1 mit r²=0,971. R(t) = 1 + 0,003 ⋅ 0,898t 80 PRI(t) =

Mittels dieser prognostizierten Indizes wird im nächsten Schritt für die zukünftigen Jahre der POR durch arithmetische Mittelwertbildung der Indizes einer Planungsperiode ermittelt. Auch nach dieser Prognose bleibt China langfristig in der Gruppe der 1C-Länder. Der POR nähert sich jedoch dem Wert von 65 Punkten und damit der Gruppe der 1B-Länder an. 2.6

Fazit zu den Handlungsempfehlungen

Als Handlungsempfehlungen für einen Eintritt in den chinesischen Markt lässt sich nach diesen Ausführungen folgendes festhalten:

176

Adrienne Cansier

Nach dem POR-Wert gilt China als „uneingeschränkt“ für Direktinvestitionen geeignet. Allerdings liegt es an der unteren Grenze dieser Kategorie. Auch wenn mit einer kontinuierlichen Verbesserung des POR-Wertes zu rechnen ist, dürfte China in fünf Jahren immer noch in der unteren 1CGruppe angesiedelt sein. Die auf der Basis der vorliegenden POR-Werte durchgeführte Prognose lässt erwarten, dass China auch langfristig nicht in die 1A-Länder aufsteigen wird. 2.7

Abschließende Bemerkungen

Der BERI-Index wird in der Praxis sehr häufig für Entscheidungen über Direktinvestitionen herangezogen. Er hilft einem Unternehmen, das sich in China engagieren will, einen allgemeinen Eindruck von den wirtschaftlichen Risiken zu erlangen. Informationen über die Risiken in einem bestimmten Wirtschaftsbereich (Produktion, Handel, Dienstleistungen) und in einer bestimmten Wirtschaftsregion kann er nicht liefern. Die allgemeine Indikation ist aber – weil sie die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen des Landes erfasst – für viele Investoren auch direkt von Nutzen. Beispielsweise werden viele Unternehmen mit der Korruption und der Markenpiraterie zu rechnen haben, gegen die sie wenig ausrichten können. Der Index macht also individuelle Risikoabschätzungen nicht überflüssig, erleichtert sie aber. Schließlich informiert der Index nur über Risikoaspekte und nicht über wirtschaftliche Chancen. Er liefert somit nur ein partielles Hilfsmittel für die Investitionsplanung. Gewisse Mängel verbinden sich mit dem statistischen Konzept des BERI (vgl. Berndt/Fantapié/Sander, 2005, S. 112): • Manche Kriterien weisen nur ein ordinales Skalenniveau auf, werden jedoch als intervallskaliert behandelt. • Verschiedene Kriterien sind teilweise hoch korreliert. • Die Einteilung der Skala in Bereiche, für die in einem genau abgegrenzten Punkteschema Handlungsempfehlungen abgegeben werden, ist ziemlich willkürlich.

3

Besonderheiten der Absatzpolitik

Um auf neuen Absatzmärkten erfolgreich zu agieren, sind Marktanalysen durchzuführen. Es gilt insbesondere, Zielgruppen und Eigenheiten des Käuferverhaltens zu ermitteln sowie marketingspezifische Besonderheiten

Marketingpolitische Besonderheiten des chinesischen Marktes

177

zu analysieren. Darauf stellen die folgenden Ausführungen ab. Der Schwerpunkt liegt bei den produkt-, marken- und kommunikationspolitischen Besonderheiten. 3.1

Zielgruppen

Anhand der Kriterien Alter und Kaufkraft lässt sich eine Marktsegmentierung Chinas nach Abb. 6 vornehmen. Aufgrund der wachsenden Mittelund Oberschicht, zu deren Lieblingsbeschäftigung Shopping gehört, stellen die Kleinen Kaiser momentan die vorrangige Zielgruppe für die auf dem chinesischen Markt tätigen Unternehmen dar. Es handelt sich um Kinder der heutigen Mittelschicht, die zunehmend Einfluss auf die Kaufentscheidung ausüben (vgl. Schmitt 2005, S. 15 f.). Rund 80 Millionen Chinesen können derzeit zur Mittelklasse, genauer zu den Zielgruppen Familien mit Kind und Singles/DINK, gerechnet werden (vgl. Trinh 2005, S. 44; Reisach u. a. 2003, S. 127; Song/Pongracz 1997, S. 22). Sie leben in der Küstenregion, sind Unternehmer, gut verdienende Angestellte oder sonstige berufliche Spezialisten. Wenn man von Personen mit einem Jahreseinkommen zwischen 10.000-50.000 US $ ausgeht, so umfasst der Mittelstand zwar nur 30 Millionen Menschen, jedoch schätzt man für die nächsten fünf Jahre eine Zunahme auf 200 Millionen (vgl. Abb. 7). Diese Generation ist gegenwarts- und konsumorientierte. Sie legt wert auf Qualität und Image von Produkten, kauft bekannte Marken und neigt zur Bequemlichkeit. Sie ist westlich orientiert, aufgeschlossen gegenüber Neuem und gegenüber der modernen Technologie, und sie hat eine hohe Konsumquote. Die Superreichen, die 100 reichsten Chinesen (vgl. Schmitt 2005, S. 15 f.), brachten es 2004 auf ein gemeinsames Vermögen von 30 Milliarden US$. Sie sowie die Singles/DINK stellen die Zielgruppe für westliche Luxuswarenhersteller dar. 20% der chinesischen Bevölkerung sind Pensionäre (vgl. Reisach 2003, S. 128) und/oder Über 45 Jährige. Dieser Personenkreis ist konservativ im Umgang mit Geld und skeptisch gegenüber Neuerungen. Generell stellt die Stadtbevölkerung (in den Küstenregionen) die primäre Zielgruppe für ausländische Produkte dar, da ein erhebliches Einkommensgefälle zwischen städtischen und ländlichen Regionen besteht. 2004 verfügte die Stadtbevölkerung über ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von 9.422 Yuan (914 Euro; 1Euro=10,3 Yuan), ländliche Haushalte dagegen nur über 2.936 Yuan. Das schränkt die Erwartungen an das hohe Absatzpotenzial Chinas ein: Von den 1,3 Milliarden Chinesen leben nur 150-200

178

Adrienne Cansier

Alter in Jahren > 45

Pensionäre - niedriges Konsumniveau - hohe Sparneigung - Produkte: Gesundheit, chinesische Produkte, praktische Kleidung Les Nouveaux Richs - Demonstrativer Konsum - Hohe Konsumbereitschaft - Produkte: Luxusprodukte, Innovationen Familien mit Kind - Notwendiges und z.T. zusätzlicher Konsum

20-45

1-20

Les Nouveaux Richs - Demonstrativer Konsum - Hohe Konsumbereitschaft - Produkte: Luxusprodukte, Innovationen Singles/Double Income no Kids (DINK) - Demonstrativer Konsum - geringe Preissensitivität Einzelkinder „Kleine Kaiser“ - Demonstrativer Konsum - geringe Preissensitivität - westliche Qualitätsprodukte: Elektronik, Hifi, Schmuck, Kleider, Nahrungsmittel

niedrig

hoch Kaufkraft

Abb. 6. Segmentierung nach Alter und Einkommen Quelle: Bartscher/Haeusgen (2001), S. 225

Abb. 7. Prognose der Veränderung der Einkommenssegmente (Angaben in Yuan) Quelle: o. V. AHK China (2005)

Marketingpolitische Besonderheiten des chinesischen Marktes

179

Millionen Menschen in einem nach westlichen Maßstäben bescheidenen Wohlstand (vgl. Tank 2005, S. 1 ff.). Schließlich ist zu beachten, dass die Familie großen Einfluss auf das individuelle Kaufverhalten ausübt (vgl. Tank 2005, S. 10 f.; Tang/Reisch 1995, S. 188.). Chinesen handeln nicht nur für sich selbst, sondern treffen ihre Entscheidungen unter Berücksichtigung der Familienmitglieder. Das gilt vor allem für die ältere Generation (>45 Jahre). Die Befriedigung sozialer Bedürfnisse durch den Kauf bestimmter Produkte liegt bei ihnen deutlich vor der Befriedigung individueller Bedürfnisse im Sinne der Selbstverwirklichung. Junge Chinesen (