Hvanndalir – Beiträge zur europäischen Altertumskunde und mediävistischen Literaturwissenschaft. Festschrift für Wilhelm Heizmann 3110569175, 9783110569179, 9783110569483 [PDF]

Die facettenreiche Disziplin Altnordistik zielt darauf ab, den nordgermanischen Raum im ersten Jahrtausend nach Christus

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German, French, English, Swedish Pages 658 [660] Year 2018

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Table of contents :
Alessia Bauer und Alexandra Pesch, Vorwort ix
Autorenverzeichnis xiii
LITERATURWISSENSCHAFT
Alessia Bauer, Fremd und Eigen in der "Eiríks saga víðfǫrla": die Umkehrung der Erzählperspektive 3
Klaus Böldl, Die Götterbilder im Tempel. Zur religionsgeschichtlichen Relevanz eines Motivs in Adam von Bremens Kirchengeschichte 19
François-Xavier Dillmann, "Drjúg varð á því doegri konungs furða." Remarques sur la strophe de Sigvatr Þórðarson au sujet de l'éclipse solaire lors de la bataille de Stiklestad 33
Matthias Egeler, The Medialization of the Supernatural in the Toponymy of the Book of Settlements 47
Stefanie Gropper, Es sannliga es sagt: Die Íslendingabók des Ari Þorgilsson inn fróði 67
Daniela Hahn, Talismane als "handlungsmächtige Dinge" in den Isländersagas 81
Andreas Hammer, Der Ring der Nibelungen: Der Ring als Ding und Akteur in den skandinavischen und deutschen Versionen des "Nibelungenstoffes" 97
Rolf Heller, Laxdoela saga – eine Königssaga? 119
Ernst Hellgardt, Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 135
Karoline Kjesrud, Marian devotion in 14th century Norway 177
Irene Kupferschmied, Epiphanien des Teufels in den altnordischen Marienmirakeln der B-Sammlung 191
Jan Alexander van Nahl, Die Fiktion der Eindeutigkeit – Planung und Zufall in der Óláfs saga helga 209
Anita Sauckel, Brennu-Njáll als scheiternder Trickster oder: Warum ein Seidengewand keinen Vergleich bricht 223
Daniel Sävborg, Ynglingakungarna i medeltida svensk historieskrivning. En studie i stegvis korruption och transformation 239
Andreas Schmidt, Der Nekromant und der Ring: Spuren christlicher Gelehrsamkeit in der "Færeyinga saga"? 261
Monika Schulz, "Dei Huk uptrecken". Der häusliche Kesselhaken als "materia magica" 281
Rudolf Simek, Ekphrasis bei Snorri 301
Jiří Starý, Versöhnung im Jenseits Überlegungen zur altnordischen Ideologie in Heldensage und Mythos 317
Matthias Teichert, Svanhvít in den Wolfstälern: Die Chronotopologie des eddischen Wielandliedes und das "rewriting" des Schwanjungfrau-Mythos in der Erzählprosa des Codex Regius 343
ALTERTUMSKUNDE UND ARCHÄOLOGIE
Morten Axboe, Gudum Man 361
Charlotte Behr, Orsett-D – ein neuer Brakteatenfund aus Essex 379
Leszek Gardeła, Amazons of the North? Armed Females in Viking Archaeology and Medieval Literature 391
Sigmund Oehrl, Wieland – Herodes. Der Bethlehemitische Kindermord und die Frontseite des "Franks Casket" 429
Alexandra Pesch, Götterthrone und ein gefährlicher Stuhl: Bemerkungen zum "Odin aus Lejre" 463
Theo Vennemann, Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae 497
RUNOLOGIE
Klaus Düwel, Merkwürdiges zu Goldbrakteaten und anderen Inschriftenträgern 523
Bernd Päffgen, Klaus Düwel, Robert Nedoma, Der Runen-Glaskameo aus Mainz 545
Edith Marold, Die Bronzefibel von Skabersjö 585
Gaby Waxenberger, alu. An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English? 597
Register 625
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Hvanndalir – Beiträge zur europäischen Altertumskunde und mediävistischen Literaturwissenschaft. Festschrift für Wilhelm Heizmann
 3110569175, 9783110569179, 9783110569483 [PDF]

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Zitiervorschau

Hvanndalir – Beiträge zur europäischen Altertumskunde und mediävistischen Literaturwissenschaft

Reallexikon der germanischen Altertumskunde – Ergänzungsbände

Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold

Band 106

  Hvanndalir – Beiträge zur europäischen Altertumskunde und mediävistischen Literaturwissenschaft

Festschrift für Wilhelm Heizmann Herausgegeben von Alessia Bauer und Alexandra Pesch

Entstanden mit der Förderung des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie, Schloss Gottorf, Schleswig.

ISBN 978-3-11-056284-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-056948-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-056917-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Literaturwissenschaft Alessia Bauer Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla: die Umkehrung der Erzählperspektive   3 Klaus Böldl Die Götterbilder im Tempel. Zur religionsgeschichtlichen Relevanz eines Motivs in Adam von Bremens Kirchengeschichte   19 Francois-Xavier Dillmann ‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ Remarques sur la strophe de Sigvatr Þórðarson au sujet de l’éclipse solaire lors de la bataille de Stiklestad   33 Matthias Egeler The Medialization of the Supernatural in the Toponymy of the Book of Settlements   47 Stefanie Gropper Es sannliga es sagt: Die Íslendingabók des Ari Þorgilsson inn fróði  Daniela Hahn Talismane als ‚handlungsmächtige Dinge‘ in den Isländersagas 

 67

 81

Andreas Hammer Der Ring der Nibelungen: Der Ring als Ding und Akteur in den skandinavischen und deutschen Versionen des ‚Nibelungenstoffes‘   97 Rolf Heller Laxdœla saga – eine Königssaga? 

 119

Ernst Hellgardt Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen   135 Karoline Kjesrud Marian devotion in 14th century Norway 

 177

VI 

 Inhaltsverzeichnis

Irene Kupferschmied Epiphanien des Teufels in den altnordischen Marienmirakeln der B-Sammlung   191 Jan Alexander van Nahl Die Fiktion der Eindeutigkeit – Planung und Zufall in der Óláfs saga helga 

 209

Anita Sauckel Brennu-Njáll als scheiternder Trickster oder: Warum ein Seidengewand keinen Vergleich bricht   223 Daniel Sävborg Ynglingakungarna i medeltida svensk historieskrivning. En studie i stegvis korruption och transformation   239 Andreas Schmidt Der Nekromant und der Ring: Spuren christlicher Gelehrsamkeit in der Færeyinga saga?   261 Monika Schulz Dei Huk uptrecken. Der häusliche Kesselhaken als materia magica  Rudolf Simek Ekphrasis bei Snorri 

 281

 301

Jiří Starý Versöhnung im Jenseits. Überlegungen zur altnordischen Ideologie in Heldensage und Mythos   317 Matthias Teichert Svanhvít in den Wolfstälern. Die Chronotopologie des eddischen Wielandliedes und das ‹rewriting› des Schwanjungfrau-Mythos in der Erzählprosa des Codex Regius   343

Altertumskunde und Archäologie Morten Axboe Gudum Man   361 Charlotte Behr Orsett-D – ein neuer Brakteatenfund aus Essex 

 379



Inhaltsverzeichnis 

Leszek Gardeła Amazons of the North? Armed Females in Viking Archaeology and Medieval Literature   391 Sigmund Oehrl Wieland – Herodes. Der Bethlehemitische Kindermord und die Frontseite des Franks Casket   429 Alexandra Pesch Götterthrone und ein gefährlicher Stuhl: Bemerkungen zum „Odin aus Lejre“   463 Theo Vennemann Die niederrheinischen Matronen: Vacallinehae, Austriahenae, Aufaniae 

Runologie Klaus Düwel Merkwürdiges zu Goldbrakteaten und anderen Inschriftenträgern 

 523

Bernd Päffgen, Klaus Düwel, Robert Nedoma Der Runen-Glaskameo aus Mainz   545 Edith Marold Die Bronzefibel von Skabersjö 

 585

Gaby Waxenberger alu. An attestation of a Scandinavian trait in Pre-Old English?  Register 

 625

 597

 497

 VII

Wilhelm Heizmann

Vorwort Hvanndalir, die Engelwurz-Täler in einer abgelegenen Gegend an der Nordküste Islands, sind bekannt für den Reichtum an wunderbaren Heilpflanzen und Blumen. Dort liegt verschiedenen Überlieferungen nach der Ódainsakr, das Feld der Untoten, wo es Menschen nicht möglich war, zu sterben: Ein elysischer, wenn auch etwas unheimlicher Ort. Denn die saftigen Wiesen der Hvanndalir waren auch ein Schlachtfeld: In der Landnamezeit Islands sollen dort im Streit um die Erstbesiedlung 17 Schweden und Norweger gefallen sein. Die Erinnerungen daran, komponiert aus mythischen Tiefen, jahrhundertealten Traditionen und historischen Überlieferungen, wurden im Mittelalter verschriftlicht und wachgehalten bis in die Neuzeit. Als Wilhelm Heizmann 1998 seinen Beitrag “Hvanndalir – Glæsisvellir – Avalon“ in den Frühmittelalterlichen Studien (32, S. 72–100) veröffentlichte und dabei die dies- und jenseitigen Facetten der drei Titelstätten mit ihren Gemeinsamkeiten und mythischen Verbindungen untersuchte, nutzte er dies zu einem eindringlichen Appell daran, daß sich die Altnordistik als Teil einer umfassenden Kulturwissenschaft verstehen müsse (ebd. S. 98). Dies blieben für sein eigenes Schaffen keine leeren Worte: Als Initiator multidisziplinärer Tagungen und Konferenzen, Herausgeber von fachübergreifenden Sammelbänden und allgemein durch den Aufbau und die Pflege interdisziplinärer wissenschaftlicher Netzwerke hat Wilhelm Heizmann dies in vorbildlicher Weise wahr gemacht. Sein Interesse macht nicht Halt bei den immer enger werdenden Fachgrenzen, und es gilt auch nicht nur der Altertumskunde allgemein. 1953 in Eggenfelden, Landkreis Rottal-Inn, Bayern, geboren, studierte Wilhelm Heizmann nach seiner Schulbildung am klassisch-humanistischen Maristengymnasium in Fürstenzell von 1974 bis 1981 ältere deutsche und skandinavische Sprache und Literatur des Mittelalters, Germanische Altertumskunde, Ethnologie sowie Alte und Mittlere Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und der Universität Wien. Im darauffolgenden Jahr hielt er sich zu Studienzwecken in Oxford und London auf. 1987 wurde er von seinem Lehrer Kurt Schier mit einer Dissertation zu den Pflanzennamen der altnordischen Überlieferung (Studien zur Altwestnordischen Pflanzenkunde. Teil 1: Wildpflanzen) promoviert. Diese Studie zeugt von einem überaus großen Wissen im Feld der Heilpflanzen und Kräuter und weist seinen Autor als den besten Kenner dieser Materie aus. In seiner Zeit als Assistent an der Georg-August-Universität Göttingen habilitierte sich Wilhelm Heizmann 1994 mit dem breitgefächerten Thema des Marienleben und der Mirakel (Das Altisländische Marienleben. Teil I: Historisch-philologische Studien). Dabei bediente er sich einer interdisziplinären Vorgangsweise, um einerseits die vielseitigen Quellen einbeziehen zu können und andererseits das Thema sowohl in literaturwissenschaftlicher als auch in historisch-religiöser Perspektive zu beleuchten. Der interdisziplinäre Ansatz hatte sich ebenfalls als fruchtbar, wenn nicht sogar unumgänglich, bei der Erforschung der Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit

X 

 Vorwort

Hvanndalir, Island. Foto: Matthias Egeler.

erwiesen, welche einen weiteren Forschungsschwerpunkt des Gefeierten bilden. Zusammen mit einer Gruppe renommierter Kolleginnen und Kollegen verschiedener Disziplinen beteiligte er sich an der 1985–89 erschienenen, siebenbändigen Edition der frühmittelalterlichen Goldbrakteaten (Goldbrakteaten: Karl Hauck et al., Die Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit. Ikonographischer Katalog Münstersche Mittelalter-Schriften 24, 1,1 bis 3,2, München). In diesem vorbildlichen, heute unverzichtbar gewordenen Werk mit seiner Fotodokumentation, den Zeichnungen aller Stücke und den sorgfältigen Beschreibungen wurden alle Aspekte der kleinen goldenen Amulette berücksichtigt, insbesondere wurden ihre Bilddarstellungen gemeinsam mit den Runeninschriften vorgestellt und analysiert. Die Realisierung des seitdem geplanten Auswertungsbandes übernahm dann Wilhelm Heizmann als Herausgeber und Mitautor gemeinsam mit Morten Axboe: Die Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit. Auswertung und Neufunde erschien 2011 als RGA-Ergänzungsband. So versteht Wilhelm Heizmann Wissenschaft: Sie muss abgelegene Spezialfragen untersuchen, aber dabei die Fachgrenzen überwinden und weit über sich hinausblicken, um fruchtbar gedeihen zu können. Wissenschaft muss verbinden und vernetzen, und Wilhelm Heizmann betrachtet dies als Devise in seiner Tätigkeit als Autor und wie auch als Herausgeber. Ein gelungenes Beispiel für letzteres ist der Sammelband Bilddenkmäler zur germanischen Götter- und Heldensage (2015).



Vorwort 

 XI

In diesem Sinne bietet auch die vorliegende Festschrift einen Strauß von etwa 30 Beiträgen aus den Bereichen der Altnordistik, Altgermanistik, Archäologie, Geschichte, Ikonographie, Runologie und Toponymie, die als Blumen zu einer bunten Wiese auf den Feldern der Kulturwissenschaft zusammenwachsen. Viele von ihnen nehmen mehr oder weniger direkt Bezug auf die Schwerpunkte und die Interessen der Heizmannschen Forschung und zeugen von deren Vielseitigkeit. Inhaltlich wurden sie in drei größere Einheiten untergliedert, nämlich mediävistische Literaturwissenschaft, Archäologie bzw. Altertumskunde sowie Runologie, die ohne Wertung in besagter Reihenfolge erscheinen. Für die tatkräftige Unterstützung bei der redaktionellen Bearbeitung der Beiträge danken wir herzlichst Johanna Schreiber, Courtney Burrell und Johann Levin, für die Erstellung des Bandes den Damen Elisabeth Kempf und Katja Brockmann vom de Gruyter Verlag sowie auch den anderen Herausgebern der Reihe der Ergänzungsbände. München / Schleswig, im Januar 2018

Alessia Bauer und Alexandra Pesch

Autorenverzeichnis Dr. phil. Morten Axboe, Curator, The National Museum of Denmark, Frederiksholms Kanal 12, DK-1220 Copenhagen K, Denmark, [email protected] PD Dr. phil. habil. Alessia Bauer, Institut für Nordische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, [email protected] Dr Charlotte Behr, Department of Humanities, University of Roehampton, Roehampton Lane, London SW15 5PH, UK, [email protected] Prof. Klaus Böldl, Instituts für Skandinavistik, Frisistik und Allgemeine Sprachwissenschaft (ISFAS), Christian-Albrechts-Universität Kiel, [email protected] Professeur François-Xavier Dillmann, Correspondant de l’Institut, 35 bis, rue du Maréchal-Gallieni, F-78000 Versailles, France, [email protected] Prof. Dr. Klaus Düwel (emer.), Am Sölenborn 18, 37085 Göttingen, E-Mail: [email protected] PD Dr. Matthias Egeler, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Nordische Philologie, Geschwister-Scholl-Platz 1, D-80539 München, [email protected] Dr. Leszek Gardeła, Institute of Archaeology, University of Rzeszów, Ul. Moniuszki 10, 35–015, Rzeszów, Poland, [email protected] Prof. Dr. Stefanie Gropper, Eberhard Karls Universität Tübingen, Wilhelmstr. 50, 72074 Tübingen, [email protected] Daniela Hahn, Institut für Nordische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, ­Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München, [email protected] PD Dr. Andreas Hammer, Institut für Deutsche Sprache und Literatur I, Albertus Magnus Platz, D-50923 Köln, [email protected] Dr. Rolf Heller, Walter-Markov-Ring 114, 04288 Leipzig Prof. Dr. Ernst Hellgardt, Müllerstr. 39, 80469 München, [email protected] Dr. Karoline Kjesrud, Institutt for lingvistiske og nordiske studier, University of Oslo, [email protected] Dr. Irene Ruth Kupferschmied, Skandinavisches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen, KäteHamburger-Weg 3, 37073 Göttingen Prof. Dr. Edith Marold (emer.), Institut für Skandinavistik, Frisistik und Allgemeine Sprachwissenschaft, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leibnizstr. 8, 24098 Kiel, [email protected] Dr. Jan Alexander van Nahl, Stofnun Árna Magnússonar í íslenskum fræðum, Suðurgata, 101 Reykjavík, Island Prof. Dr. Robert Nedoma, Abteilung Skandinavistik, Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft, an der Universität Wien, 1010 Wien, E-Mail: [email protected] PD Dr. habil. Sigmund Oehrl, Institut für Nordische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität ­München, Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München PD Dr. phil. habil. Alexandra Pesch, Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie, Schloss Gottorf, 24837 Schleswig, [email protected] Prof. Dr. Bernd Päffgen, Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie und Provinzialrömische Archäologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, E-Mail: [email protected]. uni-muenchen.de Dr. Anita Sauckel, Stofnun Árna Magnússonar í íslenskum fræðum, Árnagarði/Suðurgötu, 101 Reykjavík, [email protected] Daniel Sävborg, Professor of Scandinavian Studies, University of Tartu, Department of Scandinavian Studies, Lossi 3, 51003 Tartu, Estonia, [email protected] Andreas Schmidt, M.A., Ringseisstraße 3, 80337 München, [email protected]

XIV 

 Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Monika Schulz, Universität Regensburg, Institut für Germanistik, Universitätsstraße 31, 93040 Regensburg, [email protected] Prof. Dr. Rudolf Simek, Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, [email protected] Dr. Jiří Starý, Ústav germánských studií, Filozofická fakulta, Univerzita Karlova, nám. Jana Palacha 2, 116 38 Praha 1, Tschechische Republik apl. Prof. Dr. Matthias Teichert, Georg-August-Universität Göttingen, Skandinavisches Seminar, Käte-Hamburger-Weg 3, D-37073 Göttingen, Germany, [email protected] Prof. Theo Vennemann, Ph.D., [email protected], Institut für Deutsche Philologie, Universität München, Schellingstr. 3 RG, D-80799 München PD Dr. Gaby Waxenberger, RuneS – Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Englisch Philologie, Schellingstr. 10, 80799 München, Gaby. [email protected]

Alessia Bauer

Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla: die Umkehrung der Erzählperspektive Abstract: The Eiríks saga víðfǫrla tells the story of a Norwegian heathen that ventures to make an adventurous journey in the unknown East to find a sort of paradise on earth, called Ódáinsakr. On his way to the edge of the world he comes into contact with the civilized world of Christianity and becomes part of it. A narration starting as a ‘Viking-story’ deceives its audience, offering nothing but sympathy and enlightenment, instead of conflicts and struggles. The question arises why the expected narrative pattern was not respected in this case, as for example in other víðfǫrla-narrations, such as Yngvars saga víðfǫrla. Operating with the concept of alterity, I would like to show that in the Eiríks saga víðfǫrla, the relation between the ‘own’ and the ‘other’ does not correspond to the usual start situation and that, therefore, the order has to be re-established by changing the ordinary course of the story and omitting some of the constitutive narrative elements.

1 Alteritätsdiskurs in der Reiseliteratur Das ‚Andere‘ als Relationsbegriff zum ‚Eigenen‘ wird häufig funktional zur Herausbildung der eigenen Identität eingesetzt.1 Reiseliteratur scheint dafür am besten geeignet zu sein, weil hier die Begegnung des Eigenen mit dem Fremden im Fokus der Narration steht und besonders hervorgehoben wird. Aus diesem Grund dient häufig die Darstellung von entfernten Ländern dazu, „to negotiate [the own] identities“.2 Dies vorausgesetzt, wird im vorliegenden Beitrag zu zeigen versucht, wie der Alteritätsbegriff im Zusammenspiel mit der Erzählperspektive die Handlung beeinflussen kann. Dafür wird vorwiegend auf die Eiríks saga víðfǫrla (im Folgenden Esv) eingegangen, die kontrastiv anderen ähnlichen Reiseerzählungen, sog. víðfǫrlaNarrationen, gegenübergestellt wird. Die Saga präsentiert die Geschichte einer quest, einer Suche, die als wiederkehrendes Erzählelement in bestimmten Sagauntergattungen, wie fornaldarsǫgur und riddarasǫgur,3 vermehrt vorkommt. Eine solche Suche ist

1 Stagl 1997 zeigt, dass durchaus unterschiedliche Abstufungen der Fremdheit existieren, die als Reaktion von der Akzeptanz – z.  B. im Falle eines Gastes – bis zur Vernichtung des Fremden führen können. 2 Sverrir Jakobsson 2006, 935. 3 Hermann Pálsson (1979, 16) plädierte bereits 1979 dafür, dass man keine scharfe Linie zwischen den beiden Subgenres ziehen sollte, da beide einen gemeinsamen Ursprung in der europäischen Tradition

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 Alessia Bauer

gewöhnlich mit einer Fahrt in fremde Länder verbunden, die man nach der Definition von Reichert (1998, 5) als ‚Fernreise‘ ansehen könnte. Der zufolge seien als Fernreisen solche Unternehmungen zu bezeichnen, die „die Grenzen einer Kultur erreichen, diese überschreiten oder ihre Überschreitung ins Auge fassen“.4 Der Text der Esv ist in mehr als 50 Handschriften überliefert, von denen die älteste die Flateyjarbók (GkS 1005 fol = A3 in der Textedition)5 aus dem Ende des 14. Jh.s ist, während die jüngsten Papierhandschriften aus dem 19. Jh. stammen. Kurz zur Handlung: Der Königssohn Eiríkr Ϸrándarson von Ϸrándheimr, der aufgrund der unternommenen Reise den Beinamen víðfǫrli6‚weitgereist‘ erhält, schwört an einem Julabend, in die weite Welt zu reisen, um das Jenseitsgefilde Ódáinsakr (wörtlich ‚Feld des Unverstorbenen‘)7 – was die Christen als Paradies identifizieren – aufzusuchen. Auf seiner Reise, die zunächst über Dänemark verläuft, trifft er im Süden auf den Kaiser von Byzanz (als Grikkjakonungr von Miklagarðr bezeichnet), mit dem er sich ausführlich über gelehrte und religiöse Stoffe austauscht. Der Kaiser erklärt ihm, Ódáinsakr bzw. das christliche Paradies befinde sich weit im Osten, im weitesten Teil von Indien, und sei durch eine Feuerwand von dieser Welt abgegrenzt. Nach einem dreijährigen Aufenthalt am Hof, während dessen er im Christentum unterwiesen wird, letztlich zum christlichen Glauben übertritt und getauft wird, entscheidet Eiríkr, seine Reise fortzusetzen und weiterhin Ódáinsakr finden zu wollen. Die Reise erweist sich als lang, doch nicht unbedingt gefährlich, unter anderen weil dem Königssohn dank eines in vielen Sprachen abgefassten Empfehlungsbriefs des Kaisers alle Türen offen stehen. So kommt es, dass Eiríkr und sein Gefolge nach vielen Jahren einer eher unbeschwerten Reise ihr Ziel erreichen: Sie befinden sich an der

der romances haben und zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen. Zu den spezifischen Erzählmotiven der quest in den riddarasǫgur (auch Märchensagas) siehe u.  a. Glauser 1983 sowie Lambertus 2013. 4 Dieser Argumentation entsprechend würde man folglich eine Reise von Island nach Norwegen oder Dänemark trotzt der erheblichen Entfernung nicht als Fernreise betrachten, da in diesem Fall der eigene Kulturraum nicht verlassen wird. 5 Aus dieser Fassung wird im Beitrag nach der Edition von Helle Jensen (1983) zitiert. 6 Die altnordische Überlieferung belegt einige Sagas und kürzere Erzählungen, sog. þættir (hier allesamt als víðfǫrla-Erzählungen bezeichnet), die abenteuerliche Reisen als zentrales Thema aufweisen. Dabei handelt es sich meist um Entdeckungsfahrten ins Unbekannte – weit im Osten oder im Westen gelegen, jedenfalls außerhalb der ‚normkonformen‘ Welt –, die sich teilweise als spirituelle Reisen erweisen. 7 Zu dieser Wohnstätte der Toten, die laut Heizmann (2002, 527  f.) einer eher volkstümlichen Vorstellung entspreche, wurde viel geschrieben, genau zu lokalisieren sei der Ort jedoch nicht. Die wichtigsten Belege der altnordischen Überlieferung, nämlich die Hervarar saga ok Heiðreks konungs und die Eiríks saga víðfǫrla, liefern entgegensetzte Angaben: Erstere platziert Ódáinsakr in die nördliche Region Jötunheimr, letztere hingegen östlich von Indien. Eine isländische Sage lokalisiert diesen Ort in den Hvanndalir am Eyjafjörður, einer gut versteckten und schwer zugänglichen Gegend im Norden Islands, in der zusätzlich besondere Kräuter wachsen sollen (siehe Heizmann 2002, 528  f. sowie Egeler 2015, 19–112).



Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla 

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Schwelle zum Jenseitsort, am Ufer des biblischen Flusses Phison (vgl. Genesis 2:11). Die letzte Hürde, um den Ort erreichen zu können, stellt ein schrecklicher Drache dar, in dessen Maul Eiríkr springen muss.8 Der Übergang ermöglicht ihm das Verweilen in einem sonnenüberfluteten Land voller Blumen und Kostbarkeiten, wo er nach einer Weile einschläft und einen Traum hat: Er träumt von einem Engel, der ihn über die Natur des überaus schönen Ortes unterrichtet und ihm klar macht, dass dieser lediglich als Kostprobe des wahren Paradieses gelte (En sa stadr er þu ser her er sem eyde mork til at iafnna vid Paradisum)9. Das Paradies sei allerdings den Lebenden vorenthalten und lediglich für diejenigen zugänglich, die es im Leben verdient haben ([…] þangat skulu öngir lifs koma ok skulu þar byggia andir rettlatra manna)10. Einmal aufgewacht, entscheidet Eiríkr zurückzukehren, um in der Heimat den christlichen Glauben zu verbreiten. Zehn Jahre werden ihm gewährt, bis er eines Tages beim Morgengebet vom Heiligen Geist abgeholt wird und endgültig aus dieser Welt scheidet.11 Im Diskurs der Reiseliteratur nimmt die Kategorie des Fremden eine zentrale Rolle ein. Reisebeschreibungen sind mehr oder weniger realitätsnahe Erzählungen über die Begegnung mit dem Fremden, das an sich keine festgelegte Entität darstellt, sondern immer in Relation zum Eigenen steht. Das Wechselverhältnis zwischen zwei sich bedingenden Identitäten generiert ein Denken in binären Oppositionen, in dem in der Regel die eigene Seite privilegiert wird und das ‚Fremde‘ als die Negativfolie des Eigenen erscheint. Letzteres wird meist als gefährlich, jedenfalls als nicht normkonform dargestellt. Und doch sind „[d]as Fremde und das Vertraute miteinander verschränkt“, wie Peter J. Brenner (1990, 18) in seiner Studie über den Reisebericht schreibt. Nach Todorov (1985, 221) kann sich das Subjekt auf verschiedene Weisen in Bezug auf das Fremde und den Anderen verhalten, nämlich: 1. Auf der axiologischen Ebene kann das Ich den Anderen als gut oder böse ansehen und über ihn als ebenbürtig oder untergeordnet urteilen. 2. Auf der praxeologischen Ebene kann sich das Ich für eine aktive Annäherung an den Anderen bzw. für die Distanzierung von ihm entscheiden: Das Ich identifiziert sich mit dem Anderen bzw. es zwingt den Anderen dazu, sich an das Ich anzupassen. Dazwischen kann es durchaus eine Haltung der Neutralität oder Indifferenz geben, wobei in der Literatur größtenteils eine dezidierte Stellungnahme des Subjekts dafür oder dagegen zu beobachten ist. Auf einem epistemologischen Niveau sieht

8 Durchaus grundlegend für die räumliche Gliederung einer Reise-Erzählung ist das Konzept der Grenze: Innerhalb der Grenze befindet sich der eigene Kulturraum, außerhalb das Unbekannte, wobei sich der Übergangsraum – wie in diesem Fall – als ergiebig für neue Impulse erweist. 9 Esv, 90 und 92 „Aber das Land, das du hier siehst, ist wie Ödland verglichen mit dem Paradies.“ (alle Übersetzung aus dem Altnordischen stammen von der Verf.) 10 Esv, 92 „Dahin sollen keine Lebenden kommen und dort sollen die Seelen rechtschaffener Menschen weilen.“ 11 Egeler (2015, 58  f.) vergleicht ihn dabei mit dem Propheten Elias, der noch lebend in den Himmel aufgenommen wurde, bzw. der biblischen Gestalt Enoch, der vor seinem Tod von Gott entrückt wurde.

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 Alessia Bauer

Todorov zudem die Möglichkeit, dass das Ich die Identität des Anderen kennenlernen möchte, unabhängig wie es diesen einschätzt.12

2 Die Erzählperspektive der Eiríks saga víðfǫrla Eine interessante und in gewisser Weise einzigartige Begegnung eines Subjekts in der Fremde wird in der kurzen Saga Eiríks saga víðfǫrla präsentiert. Der Text wird zu den fornaldarsǫgur gerechnet, stellt jedoch eher ein Mischwerk dar, in dem zwar die Rahmenerzählung die Kriterien einer fornaldarsaga erfüllt, die Inhalte jedoch eher belehrend und moralisierend sind und in den Kontext der didaktischen Literatur eingeordnet werden können. Die Themen, die darin vermittelt werden, stellen keinen besonderen originellen Einfall des Verfassers dar und sind den weitverbreiteten Werken des europäischen Mittelalters entlehnt, wie Elucidarius, Imago mundi und Visio Tnungdali, um die offensichtlichsten zu nennen (vgl. Jensen 1983 und Simek 1984).13 Hermann Pálsson (1979, 13) schlug für diesen besonderen Text, der sich schwer in die Kategorie der fornaldarsǫgur einordnen lässt, die Bezeichnung „sacred romance“ vor, aufgrund des religiösen Gelöbnisses des Protagonisten und der religiösen Natur der quest. Ein weiterer auffallender Aspekt des Textes ist die einzigartige Erzählperspektive, die im Fokus dieses Beitrages steht: In den fornaldarsǫgur wird in der Regel die Fiktion aufrechterhalten, dass es sich um die Darstellung einer Welt der Vorzeit handelt. Diese befindet sich außerhalb der historischen Zeit und deshalb spielt der christliche Glaube gar keine Rolle. Wie üblich in der Sagaliteratur, stellen die Autoren den Erzähler in den Hintergrund und zeigen meist kein Bestreben danach, sich durch ihn explizit in die Narration einzumischen und ihre eigene Sichtweise preiszugeben. Obwohl die fornaldarsǫgur erst in einer bereits christianisierten Gesellschaft verfasst und verschriftlicht wurden, akzeptieren die Verfasser stillschweigend, dass das Christentum innerhalb der erzählten Welt keine relevante Kategorie darstellt. Im Kosmos der fornaldarsǫgur taucht beispielsweise Odin des Öfteren auf und greift aktiv in das Geschehen ein, wie in der Vǫlsunga saga, oder es wird zumindest in den Strophen auf ihn verwiesen, wie es in der Ragnars saga loðbrókar geschieht.14

12 Interessante Beiträge zum Fremden und zu seinem Verhältnis zum Eigenen bieten u.  a. Simmel 1908 und Stagl 1997. 13 Durch einen Vergleich verschiedener Textstellen und der genannten Werke hat Simek herausgefunden, dass die lateinischen Originale als Vorlagen dienten und nicht die altisländischen Übersetzungen, da die Gemeinsamkeiten mit den lateinischen Texten markanter sind. 14 Odin erscheint weiter in Ketils saga hængs, Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana und Friðþjófs saga ins frækna, wobei er in den Texten unterschiedliche Funktionen erfüllt.



Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla 

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In Bezug auf die Alterität und die Festlegung der eigenen Identität anhand des Glaubens verhalten sich die Sagas unterschiedlich: In den Isländersagas, die in der historischen Zeit spielen, wird der Übergang zwischen Heidentum und Christentum explizit thematisiert und der religiöse Diskurs bzw. das Religionsdisput stehen oft im Vordergrund. Im Rahmen der Königssagas können zwei Gruppen ausgemacht werden: Zum einen präsentieren die Texte zu Beginn der Heimskringla eine weit zurückliegende Zeit, in der eine einheitliche, uniforme Welt mit eigenen Werten, Sitten und Gesetzen  – denen des Heidentums  – akzeptiert und nicht in Frage gestellt wird. Hierbei spielt das Religiöse eher eine untergeordnete Rolle. Im Fokus steht vielmehr der politische, weltliche Diskurs; es geht nämlich darum, Norwegen unter der Herrschaft eines starken Königs zu vereinen und das Land zu einem Königreich werden zu lassen. Zum anderen entfaltete sich im Verlauf der norwegischen Geschichte ein erbitterter Kampf zwischen dem heidnischen und christlichen Wertesystem und es entstanden Konflikte bei dem Versuch der Unterwerfung des Anderen, der inzwischen als ‚barbarisch‘ erachtet wurde. Dort, wo die Bestrebungen zur Etablierung des Christentums eine zentrale Rolle einnehmen, nämlich in der Hákonar saga góða und noch mehr in den Sagas der beiden Ólafr, Óláfs saga Tryggvasonar und Óláfs saga helga, stellt sich der Erzähler eindeutig auf die Seite der Könige und dementsprechend der ‚rechten‘ Lehre. Dies bedeutet, dass Snorri und andere Sagaverfasser, die Werke über die christlichen Könige verfassten (wie u.  a. Oddr Gunnlaugsson) grundsätzlich die Werte ihrer Protagonisten teilten. Letztere, und somit auch Skandinavien, standen von nun an als Vertreter der Christenheit und waren der zivilisierten Welt konform geworden. Die Erzählperspektive weist hier eine Übereinstimmung zwischen Erzähler (wenngleich dieser in der Regel in den Hintergrund gebannt und kaum sichtbar wird) und den Hauptfiguren auf, die grundsätzlich in ein positives Licht gestellt und für ihr Verhalten mehr oder weniger explizit gepriesen werden. Es handelt sich um eine dezidiert eurozentrische Perspektive, in der Spuren eines kolonialistischen Diskurses aufzufinden sind, obwohl dies für das Mittelalter womöglich anachronistisch erscheinen mag. Im Mittelalter herrschte die Vorstellung eines geschlossenen Kosmos: Die Himmelsphären waren materiell und wiesen klar definierte Grenzen auf. Auch innerhalb der irdischen Wirklichkeit findet sich eine dualistische Ordnung, in dem Eigenes und Fremdes dichotomisiert waren. Als entscheidendes Kriterium der Abgrenzung galt dabei die Zugehörigkeit zur christianitas, was nicht nur auf der religiösen, sondern auch auf der kulturellen und politischen Ebene Folgen hatte. Dies brachte beispielsweise Ari inn fróði dazu, die irischen papar – womöglich lediglich als fiktives Erzählmotiv in der narratio anzusehen  – an den Beginn der isländischen Geschichte zu stellen, damit das Land bereits in seinen Anfängen als Teil des zivilisierten Abendlands betrachtet werden konnte.15 Die Gemeinschaft der Christen konstituierte den

15 Eine solche Ansicht bezüglich der Íslendingabók vertreten u.  a. Hermann (2007) und Mundal (2011).

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nostrus mundus, dem sich unterschiedliche Arten von pagani – zunächst die Nordmänner, aber auch Muslime  – entgegensetzten. All diese werden in der Literatur undifferenziert als Heiden oder sogar ‚Barbaren‘ bezeichnet, ohne genauer auf ihre spezifischen Merkmale und die Unterschiede im Glauben einzugehen.16 Die Dichotomie war unüberwindbar, Abstufungen waren nicht vorgesehen. Dies kann als gemeinsamer Zug der europäischen Literatur, und nicht als skandinavischer Sonderweg, angesehen werden: Das Thema des Fremden, v.  a. in Verbindung mit der Religion, wird ebenfalls in den französischen Chansons de geste thematisiert, wobei hier unter pagani meist Araber (oder ‚Mauren‘) gemeint sind. Wer immer der ‚Andere‘ war und woher auch immer er kam, wurde er meist mit Argwohn und Ablehnung betrachtet. Der Argumentation des Kultursemiotikers Jurij M. Lotman (1990) folgend, könnte man sein Konzept der Semiosphäre auf einen geschlossenen Kulturraum auffassen, d.  h. als ein semiotisches Kontinuum, innerhalb dessen Zeichen auf unterschiedlichen Ebenen miteinander interagieren und als eigen betrachtet werden. Nur am Rande der Semiosphäre – in dem Übergangsraum – ist ein Austausch möglich. Das bedeutet konkret, dass die Religion und ihr Wertesystem (zusammen mit der Sprache, die im Alteritäts-Diskurs häufig thematisiert wird und eine wesentliche Rolle als maßgebender Teil der Identität spielt) bei der Identifikation der zwei in Relation stehenden Parteien ausschlaggebend sind. Obwohl es sich von selbst versteht, dass das Fremde keine feste Größe sein kann und als Relationsbegriff abhängig von der spezifischen Situation jeweils neu definiert werden muss, scheint im Mittelalter das binäre System eines ‚wir‘ – gemeint als die Christenheit – und der ‚Anderen‘ als die Heiden fest etabliert gewesen zu sein. Dem System entsprechend verhält sich beispielsweise die Yyngvars saga víðfǫrla (im Folgenden Ysv), in der der schwedische Häuptling Yngvar Eymundsson gen Osten in das Unbekannte auf der Suche nach einer mythischen Flussquelle aufbricht. Yngvar ist jedoch mehr als ein tapferer Held, der ein riskantes Unterfangen vor Augen hat; als überzeugter Christ ist er nämlich zudem bestrebt, die christliche Botschaft zu verbreiten und eine klare, unpassierbare Linie zwischen sich selbst und dem alter mundus, wo er immerhin mit zivilisatorischen Gestus eindringt, zu ziehen. Yngvar zuerst und sein Sohn Sveinn anschließend kommen in den Osten mit der Überzeugung, Träger

16 Ausschlaggebend ist dabei die Auffassung, dass jenseits der Grenzen der eigenen Kultur lediglich eine „kulturferne Region von ‚Barbaren‘ erscheint“ (Lambertus 2013, 14). Diesbezüglich differenziert Stagl (1997, 101) genauer zwischen benachbarten Fremden, die von den Griechen als xénoi bezeichnet wurden und meist eine hellenische Sprache redeten, und weit entfernten Fremden, sog. bárbaroi, die als kulturlos empfunden wurden. Letzteren wurde laut Simmel (1908, 690) sogar die Eigenschaft als Menschen partout abgesprochen. V.  a. in diesem Fall sei seiner Meinung nach ‚Fremdheit‘ für durch und durch negativ gehalten. Laut Lotman (1990, 293) braucht jede Kultur, um sich selbst definieren zu können, ein Gegenüber – als „äußere Desorganisation“ der inneren Organisation entgegengesetzt. Es spielt dabei keine Rolle, ob die ‚Barbaren‘ über eine (andere) Hochkultur verfügten und wer sie wirklich waren.



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der ‚Leitkultur‘ und der Wahrheit zu sein; die christliche Lehre wird als das ‚Wahre‘ geschätzt, während die Heiden den Protagonisten unterlegen sind. Letztere stellen sich nicht in Frage und ‚missionieren‘ das neue Land.17 Yngvar weigert sich zunächst, nähere Kontakte mit dem Gefolge von Königin Silkisif zu unterhalten, und verbietet seinen Männern, mit heidnischen Frauen zu verkehren, die er abwertend als teuflisch (djǫfullegar) bezeichnet. Dabei fühlt er sich offensichtlich dem Anderen überlegen und lässt ihm die Unterwerfung als einzig mögliche Wahl; sie wird friedlich verlaufen, wenn man sich bereit erklärt, sich taufen zu lassen, andernfalls gewaltsam, wenn man sich der Bekehrung entziehen möchte: Ynguar bio eina haull aullu lidi sinu ok lugti hana uanndliga, þuiat fullt uar af blotskap allt umhuertis. Ynguar bad þa uid uarzt allt samneyti heidinna manna, ok öllum konum bannadi hann at koma j sina haull utan drottningu. Nockurer menn gafu litinn gaum at hans mali, ok liet hann þa drepa; ok sidan treystizt engi at briota þat, er hann baud.18 Yngvar stattete eine Halle für sein ganzes Gefolge aus und schloss sie sorgfältig, denn überall war es voll heidnischer Götterverehrung. Yngvar befahl seinen Männern, sich vor jeglichem Umgang mit Heiden vorzusehen und verbot allen Frauen außer der Königin, in seine Halle zu kommen. Einige Männer achteten weniger auf seinen Befehl und er ließ sie töten, und danach traute sich niemand mehr zu missachten, was er sagte. Eina haull gaf Julfur þeim, ok þann uetur geymdi Ynguar suo sina menn, at engi spilltizt af kuenna uidskiptum edur audrum heidnum domi.19 Eine Halle gab ihnen Julfur und diesen Winter hielt Yngvar seine Männer so zusammen, dass niemand durch den Verkehr mit Frauen oder etwas Heidnisches Schaden erlitt.

Sein Glaube verleiht ihm zunächst den Schutz, dessen er bedarf, um durch Regionen zu reisen, die – wie Power (1985, 851) behauptet – der Autor mit Argwohn betrachtet. Die eigene Lebensform, sofern sie identitätsstiftend wirken soll, schafft immer eine Abgrenzung nach außen, die an obengenannter Textstelle durch das Hochziehen von Wänden und das Einsperren besonders plastisch dargestellt wird.

17 Todorov (1985) erkennt eine derartige kolonialistische Attitüde auch im Verhältnis zwischen den Konquistadoren und den Indianern, die den Einheimischen ihre Wahrheit aufzwingen wollten. Bezüglich der Aufteilung im Christianisierungsprozess sieht Scheel (2015, 700) Yngvar in der Rolle des Vorläufers und Sveinn als Vollender, parallel zur Geschichte von Óláfr Tryggvason und Óláfr helgi Haraldsson. 18 Yngvars saga víðfǫrla, 15  f. Diese Saga ist in einer sog. diplomatischen Ausgabe editiert, die exakt den Wortlaut wiedergibt, ohne ihn nach dem ‚Standard‘ des Altnordischen im Mittelalter zu normalisieren. Dabei werden jedoch die Abkürzungen, die durch Abbreviaturen in der Handschrift notiert sind, aufgelöst und durch die Kursivierung kenntlich gemacht. 19 Yngvars saga víðfǫrla, 17.

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Ein ähnliches Verhalten legt im letzten Teil der Saga auch Yngvars Sohn Sveinn an den Tag, der die Christianisierung zur Vollendung bringt ([…] þviat Sveinn kongur lætur christna landid ok oll þau rijke, sem drottning hafde adur stiórnad)20. Betrachtet man die Ysv als Beispiel für eine gattungskonforme Narration, so zeigt sich deutlich, dass dort, wo sich die zwei Weltanschauungen begegnen, in der Regel ein Konflikt entsteht, der des Öfteren durch Kämpfe ausgetragen wird und zu Verlusten an Menschenleben auf beiden Seiten führt. Bezugnehmend auf die originalen riddarasǫgur schätzt Glauser (1983, 216) den Konflikt als die notwendige Bedingung für die Profilierung des Helden ein. Dabei wird sowohl sprachlich durch die Stimme des Erzählers als auch durch die Handlung die Überlegenheit der eigenen Perspektive zum Ausdruck gebracht. Der Kategorisierung Todorovs zufolge werden die Anderen untergeordnet, ihnen wird das Weltbild des ‚wir‘ aufgezwungen und, um das zu tun, wählen die Hauptfiguren von Mal zu Mal, ob sie sich dem Anderen friedlich annähern, indem sie beispielsweise seine Sprache(n) lernen21 und in einen Dialog treten, oder ob sie ihn einfach erschlagen.22 In Bezug auf die Kategorie der romances, zu denen er sowohl fornaldarsǫgur als auch riddarasǫgur rechnet, erwähnt Hermann Pálsson (1979, 15) als gattungstypische Elemente „[t]he obstacles confronting the hero on his adventurous journey“. Diese Verallgemeinerung hebt hervor, dass Hindernisse und Konfliktsituationen offensichtlich als gattungsimmanent empfunden werden. Die Definition der fornaldarsǫgur als „a masculine warlike world“23 bestätigt und verstärkt diese Annahme. Die Tatsache, dass solche Elemente in der Esv fehlen, dürfte deswegen als etwas Besonderes angesehen werden (dazu mehr unten). Die Erzählperspektive der Ysv entspricht hingegen den Erwartungen der Leser bzw. Zuhörer: Am Ende der Saga ist auch in der Fremde Ordnung hergestellt. Der alter mundus wird nämlich in den nostrus mundus integriert. Erzähler, Protagonisten und Leser teilen dieselben Werte und dieselbe Weltanschauung, die zum Schluss als Norm etabliert wird. Die Saga präsentiert die Nordmänner als Mitglieder der Christenheit und Skandinavien als der zivilisierten Welt konform. In Anbetracht dieses wiederkehrenden Erzählmusters erstaunt umso mehr die Verkehrung der Erzählperspektive in der Esv. Hierbei teilt der sicherlich klerikale Verfasser, der eindeutige Beweise seiner Gelehrsamkeit und Belesenheit liefert, die Weltanschauung des vermeintlich ‚Fremden‘  – personifiziert durch den Kaiser von

20 Ysv, 44 „[…] denn Sveinn ließ das Land zum Christentum bekehren und das ganze Reich, über das die Königin zuvor geherrscht hatte.“ 21 Ysv, 12 „Þar uar Ynguar iij uetur ok nam þar margar tungur at tala“ („Dort hielt sich Yngvar drei Jahre und lernte viele Sprachen zu sprechen.“). Ähnlich wird sich später auch sein Sohn Sveinn verhalten, von dem gesagt wird, dass er dafür eine Schule besuchte. 22 Wie beispielsweise bei der Begegnung Sveinns und seines Gefolges mit den heidnischen Gastgebern, die beim Kreuzzeichen der Christen ausrasten (Kap. 10). 23 Hermann Pálsson / Paul Ewards (1971, 23).



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Byzanz, anstatt seinem Protagonisten gleichgesinnt zu sein. Die Erzählperspektive befindet sich deshalb zu Beginn der Narration im Ungleichgewicht. Der Adressat – Leser oder Zuhörer der Geschichte – kann sich nicht vollständig mit dem heidnischen Protagonisten identifizieren, denn dieser lebt und handelt außerhalb der normkonformen Welt: In einem bereits weitgehend christianisierten Europa ist Eiríkr noch ein Heide und unbewusst dessen unternimmt er eine Reise ins Zentrum der christianitas, um einen vermeintlich heidnischen Ort zu suchen.24 In der Saga wird die Geschichte eines Helden erzählt, der zwar nicht grundsätzlich als negativ konnotiert wird, der allerdings zunächst offensichtlich zum alter mundus gehört und  – anders als die meisten Protagonisten der fornaldarsǫgur – eine spirituelle Entwicklung durchlaufen muss, um in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen zu werden.25 Der Erzähler lässt sich auch nicht nehmen, alle Nordmänner  – und somit auch den Protagonisten – explizit zu verurteilen: Aus einer christlichen Perspektive gesehen, werden die Heiden durch die Worte des Kaisers insgesamt als illir (‚böse, verwerflich‘) verurteilt und damit wird eine Grenze zwischen Innen und Außen klar gezogen. Dies wird m.  E. sprachlich durch die Verwendung von Pronomen noch stärker betont (Paradisum köllum vér svá eða jörð lifandi): Dem ‚wir‘ (vér) steht der (heidnische) Andere gegenüber, der sich nach dem Ort Ódáinsakr erkundigt hatte.26 Bei der Frage nach der Hölle (helvíti), erklärt nämlich der Kaiser: Þat er iörd daudans er firir er buin syndugum monnum ok kallazst þat heluite. j þeim stad er huers kyns uesolld med ellde eilifum þar kueliazst vondir menn. Ærekr mællti. huerir eru þeir. konungr s(egir). hæidnir menn allir ok gudnidingar. Ærekr mællti. hui eru allir heidnir menn illir. (Hervorhebung durch die Verf.).27 Das ist die Welt der Toten, die für die Sünder geschaffen wurde, und nennt sich Hölle; an diesem Ort ist jede Art Elend im ewigen Feuer, dort werden die schlechten Menschen gequält. Eiríkr sprach: Wer sind es? Der König sagt: Heiden und Gottesleugner. Eiríkr sprach: Warum sind alle Heiden böse?

Woraufhin der Kaiser ihm den Unterschied zwischen Jesus Christus und den heidnischen Göttern erklärt. Anders als Dante in der Göttlichen Komödie, der die rechtschaffenen Paganen in einen ad hoc geschaffenen Ort, nämlich den Limbus, setzt und ihnen keine Schuld

24 Zur Bedeutung von Miklagarðr (Byzanz) in der altnordischen Literatur siehe Scheel 2015. Laut dieser Studie stellte Byzanz vielmehr als Rom den Bezugsort der christlichen Lehre dar (hier S. 710  f.). 25 Wie bereits gesehen, sind die Hauptfiguren in den anderen Narrationen entweder Heiden innerhalb einer heidnischen Welt oder sie sind Christen wie Yngvar víðfǫrli und bekämpfen die Heiden. 26 Die unterschiedliche Bezeichnung von ein und demselben Jenseitsort war bereits in den ersten Sätzen der Saga angesprochen worden und auch dort waren heiðnir menn und kristnir menn kontrastiv gegenüberstellt. Doch akzentuiert die Aussage durch die Pronomen noch stärker den Kontrast. 27 Esv, 28 und 30.

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für ihre Glaubensrichtung zukommen lässt, ist das Urteil der Esv unmissverständlich negativ und erbarmungslos zugleich: Alle Heiden gehören in die Hölle. Gewisse Einschränkungen sind zwar auch bei Dante den rechtschaffenen Heiden gesetzt: Vergil, der justus paganus, darf Dante als Erzähler und Protagonisten der Jenseitsreise, nur bis zur Pforte des Paradieses begleiten und nicht weiter. Doch ist Vergil in der Komödie eine vorbildliche Gestalt, die – wenngleich nicht christlich – bis zu einem gewissen Grad in der Lage ist, den göttlichen Plan zu durchschauen.28 Aufgrund dessen wird ihm kein Vorwurf gemacht. Lo buon maestro a me: “Tu non dimandi che spiriti son questi che tu vedi? Or vo’ che sappi, innanzi che più andi, ch’ei non peccaro; e s’elli hanno mercedi, non basta, perché non ebber battesmo, ch’è porta de la fede che tu credi; e s’e’ furon dinanzi al cristianesmo, non adorar debitamente a Dio: e di questi cotai son io medesmo. Per tai difetti, non per altro rio, semo perduti, e sol di tanto offesi che sanza speme vivemo in disio.“29

Der gute Meister sagte zu mir: „Warum fragst du nicht, welche Geister hier zu sehen? Nun sollst du wissen, eh du weiterschreitest, dass sie nicht sündigten, doch die Verdienste genügten nicht, da noch die Taufe fehlte die erst das Tor zu deinem Glauben öffnet. Und wenn sie vor dem Christentum lebten, so haben sie nicht richtig Gott verehret: Ich selbst gehöre auch zu diesen Leuten. Durch solch Mängel, nicht durch andre Sünde, sind wir verloren; und nichts andres drückt uns als das wir hoffnungslos in Sehnsucht leben.“

Kleivane (2011, 76) möchte Eiríkr mit einem biblischen Propheten der vorchristlichen Zeit, quasi als Präfiguration der christlichen Zeit im Norden, gleichsetzen. Doch aufgrund des scharfen Urteils, das in der Esv über die Heiden gefällt wird, halte ich diese Identifikation für zu stark und würde ihn eher als einen einsichtigen Heiden betrachten, der es in seiner Begegnung mit der genormten, christlichen Welt schafft, eine Entwicklung zu durchlaufen und seine Gesinnung zu ändern. Im ersten Kapitel der Hálfdanar saga Eysteinssonar wird Eiríkr nämlich als Urenkel Odins aufgelistet und scheint durch und durch in einen heidnischen Kontext eingeordnet zu sein. Anders als in den Königssagas bzw. in den Märchensagas, in denen die überaus ‚positiven‘ Protagonisten feindseligen Widersachern gegenüberstehen und große Anstrengungen auf sich nehmen, um die vermeintlich Fremden auf die Seite der rechten Lehre zu ziehen, nimmt Eiríkr bereitwillig den christlichen Glauben vom Kaiser an. Obwohl hier zwei sich gegenüberstehenden Weltanschauungen konfron-

28 Dantes Auffassung dieses Jenseitsorts ist allerdings milder als die Theologie seiner Zeit vorsah. In seinem Limbus versammeln sich berühmte Helden und große Denker des alten Griechenlands und Roms sowie berühmte Philosophen der arabischen Welt und biblische Gestalten. Ihnen kommt bei Dante keine direkte Schuld zu. 29 Dante, Inferno IV, 55; deutsche Übersetzung von Gmelin 1949, 49.



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tiert werden, entsteht merkwürdigerweise kein Konflikt.30 In der Erzählung, die wie eine Wikingersaga beginnt, wird erstaunlich wenig gekämpft und auch im weiteren Verlauf der Reise an die äußeren Ränder der Welt bleiben Gefahren und Probleme aus. Sverrir Jakobsson (2006, 941) hat zurecht auf die Mühelosigkeit des Unternehmens hingewiesen, wodurch sich die Esv von allen anderen víðfǫrla-Erzählungen stark unterscheidet. Das Mittel, das ihnen den Weg ebnet und eventuelle Probleme aus der Welt schafft, ist ein Empfehlungsbrief sowie ein Siegel des christlichen Kaisers.31 Im Text erweist sich zudem der austrvegr als frei von den zahlreichen Drachen, Riesen und Wunderwesen, die laut Ysv (1. Kap.) die Region Sviþjóð in mikla – als allgemeine Bezeichnung für die östliche, europaferne Region – bewohnen32 und mit denen sich beispielsweise Yngvar zu schlagen hat. Die Beschreibung dieses Landes ist weit entfernt von einer erkennbaren Landschaft; dieses schwer zugängliche Gebiet galt im Mittelalter als Enklave des ‚Wildfremden‘ und wurde zur Chiffre für das Exotische oder aber das Bedrohliche. Sviþjóð in mikla ist zudem das Gebiet, durch das Odin und die Asen in ihrer Auswanderung von Asien in den Norden zogen. Es steht für ein mythisches Land der Götter, dem Schweden (Svíþjóð) als Land der Menschen gegenübergestellt wird, und wird durch gewisse kennzeichnende Eigenschaften charakterisiert: einerseits die phantastischen und bedrohlichen Kreaturen, die es bevölkern, andererseits die Vervielfältigung der Sprachen, die eine klare Grenze, eine Barriere für die Verständigung darstellen können.33

30 Betrachtet man den ‚Katalog‘ der Grade der Fremdheit von Justin Stagl (1997), würde sich die soeben erwähnte Erzählsituation am besten mit der Kategorie des ‚Gastes‘ identifizieren lassen. Stagl (1997, 106) bezeichnet ‚Gastfreundlichkeit‘ als eine besondere Form der Begegnung mit dem Fremden, als eine „komplementäre Beziehung, wobei der eine Teil, der als gatekeeper seiner Gruppe fungierende Gastgeber, dem anderen, einem von ihm als Gast akzeptierten Fremden, Schutz und Versorgung gewährt und ihm dafür seine Verhaltensnormen auferlegt.“ 31 Vgl. hierzu Egeler (2015, 58): „Eiríkr übersteht seine lange Reise nicht durch lärmendes, aggressives Heldentum, sondern durch die Gnade Gottes und mit der Hilfe eines Engels und eines christlichen Herrschers […].“ 32 „En norðan at Svartahafi gengr Svíþjóð in mikla eða in kalda. […] Í Svíþjóð eru stórheruð mörg. Ϸar eru ok margs konar þjóðir ok margar tungr. Ϸar eru risar, ok þar eru dvergar, þar eru ok blámenn, ok þar eru margs konar undarligar þjóðir. Þar eru ok dýr ok drekar furðuliga stórir.“ (Ynglinga saga, 9  f.). In meiner Übersetzung: „Aber nördlich vom Schwarzen Meer erstreckt sich Großschweden oder das kalte Schweden. […] In Schweden sind zahlreiche Großgebiete. Dort befinden sich auch vielerlei Völker und es gibt viele Sprachen. Dort sind Riesen und dort sind Drachen und dort sind Zwerge und auch schwarzhäutige Menschen und dort sind viele wunderliche Völker. Dort sind auch Tiere und schrecklich große Drachen.“ 33 Das Thema des Erlernens von Sprachen nimmt in mehreren Sagas und insbesondere in den víðfǫrla-Erzählungen eine zentrale Rolle ein. Die Sprache markiert die klar wahrnehmbare Grenze zu einer anderen Kultur und einer anderen Semiosphäre und wirkt im höchsten Maße identitätsstiftend: Um den Kontakt zuzulassen bedarf der Kommunikation und dies geschieht am besten in den „Zonen kultureller Zweisprachigkeit“ (vgl. Lotman (1990, 292).

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Die Expedition Eiríks entwickelt sich auf zwei Ebenen: Sie entspricht einer tatsächlichen Bewegung, die sowohl per Schiff, zu Pferd und zu Fuß durchgezogen wird (en eftir þat fara þeir ymist askipum edr hestum en geingu þo oftazst, Evs, 54); sie ist aber auch eine spirituelle Reise in Richtung Norm, Zivilisation und christianitas, die vom Autor und seinem Erzähler begrüßt wird, und deswegen konfliktfrei und befreit von all den zu erwartenden phantastischen Elementen und den Gefahren gestaltet wird. Bezeichnend ist das Hilfsmittel, das der Expedition Tür und Tor öffnet: Ein Brief des Kaisers34 verfasst in allen Sprachen der Völker, die ihnen begegnen, stellt das Medium der ‚Übersetzung‘ und der Überwindung der Grenzen zwischen verschiedenen Semiosphären. Dieses Mittel der Mehrsprachigkeit ermöglicht den Kontakt und die Kulturberührung ohne Konfliktaustragung. Die Welt, die Eirekr begegnet, ist im Grunde die normkonforme Welt der Kleriker und des Sagapublikums; sie ist von Anfang an positiv konnotiert und deswegen kann es nicht zu Konflikten kommen, sondern zu sofortiger Akzeptanz von Seiten der Hauptfigur. Hinweise dafür werden durch ein Spiel mit mehrdeutigen Begriffen von Anfang an geliefert: Bezeichnend dabei ist die Tatsache, dass die Hauptfigur ausgerechnet an einem iola kuelld35 (awnord. jólakvǫld ‚Abend in der Jul- bzw. Weihnachtszeit‘) sein Vorhaben äußert und sein Gelöbnis nach dem Motiv der heitstrenging36 ablegt, zu einer Reise auf der Suche nach Ódáinsakr aufzubrechen. Durch eine konfliktscheue Strategie unternahm König Hákon Aðalsteinsfóstri den ersten Versuch, Norwegen auf unblutige Art und Weise zu christianisieren, was letzten Endes scheitern musste; um den Übergang zum neuen Glauben zu erleichtern, bediente sich der König einer Annäherungsstrategie, die zunächst die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Religionen, mehr als ihre Unterschiede, hervorheben sollte: Dabei wurde z.  B. das heidnische jól-Fest mit dem Weihnachtsfest zusammengelegt. Wenn also zu Beginn der Esv von jólkvǫld die Rede ist, ist die Angabe sicherlich mit Absicht zweideutig gehalten und der Begriff steht sowohl für ein heidnisches als auch für ein christliches Konzept.37

34 Nach der A-Redaktion, 56: „[…] bref ok jnnsigle Grikkia konungs ok patriarche ór Mikla garde ritat a allar tungur þeira þioda sem uon uar at þeir munde koma til.“ (‚[…] ein Brief und der Siegel des Griechen-Königs und des Patriarchen aus Miklagarðr, verfasst in allen Sprachen der Völker, wo es zu erwarten war, sie würden hinkommen‘). 35 Nach der Lesung der A-Redaktion, 4; leicht abweichend in den weiteren drei Hauptredaktionen: iola aptan (B), jolakuelld (C), jóladaxkuólld (D). 36 Damit wird die vorwiegend heidnische Praxis bezeichnet, ein feierliches Gelöbnis ablegen. Das Motiv, das i.  d.  R. mit einer abenteuerlichen Reise verbunden ist, ist ein häufig vorkommendes Erzählelement in Wikinger-oder Märchensagas. 37 In der Hákonar saga góða (Kap. 13, 166) wird erklärt, wie König Hákon Aðalsteinsfóstri in seinen Bestreben, das Christentum in Norwegen sanft und möglichst konfliktfrei einzuführen, u.  a. die bei-



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Das Spiel mit der Zweideutigkeit kommt ebenfalls bezüglich des Ziels der heitstrenging zum Ausdruck, wo der heidnische Ort per Analogiegedanken mit dem irdischen Paradies der Christen gleichgestellt wird ([…] ef hann fynde stad þann er heidnir menn kalla V dains akr. en kristnir menn jord lifande manna edr Paradisum)38. Möglicherweise könnte bereits der Name Ódáinsakr von der Vulgata Bezeichnung terra viventium abgeleitet worden sein und gar keiner heidnischen Vorstellung entsprechen.39 Dass der Konflikt ausbleibt, ist also u.  a. der Tatsache zu verdanken, dass Eiríkr im Grunde etwas sucht, das zwar einen anderen – heidnischen und fremden – Namen trägt, das jedoch in den Vorstellungen der Christen durchaus präsent ist. Als Mittel zur Verständigung und zugleich zur spirituellen Entwicklung des Helden wird auf die Erklärung durch Analogie rekurriert; Begriffe werden ‚übersetzt‘, wodurch der Vergleich der Konzepte erst möglich wird; auf ihre substantiellen inhaltlichen Unterschiede wird im Text jedoch nicht näher eingegangen. Sprache stellt – wie es scheint  – das Mittel der Mediation dar, sodass der Protagonist nicht lost in translation ist, sondern ausgerechnet dadurch für die gerechte Sache ‚gewonnen‘ wird.

3 Schlussbetrachtungen Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Assimilation und Integration in die Christenheit letztlich das Ergebnis der Handlung in der Esv sind. Der von der Erzähler- und Leserperspektive aus gesehen ‚fremde‘ und nicht normkonforme Protagonist kommt in seiner Suche nach einem heidnischen Ort zur genormten, christlichen Welt. Bemerkenswerterweise treffen die beiden Hauptakteure  – Eiríkr und der Kaiser  – aufeinander, ohne dass es zu einem Konflikt kommt und durch einen Aneignungsprozess, der durch Analogien entwickelt wird (Ódáinsakr = Paradies), wird schließlich der Heide zu einem Christen. Er assimiliert sich ganz ohne Zwang und eher durch kognitive Prozesse, nämlich durch die lange und gelehrte Unterweisung durch den Kaiser. Dieser wird zu seinem Mentor, zum „Vater im Glauben“ nach der Lesung Egelers (2015, 44). Anders als in den riddarasǫgur tritt der Held nicht

den Feierlichkeiten zusammenlegte. „Hann setti þat í lögum at hefja jólahald þann tíma sem kristnir menn, ok skyldi þá hverr maðr eiga mælis öl, en gjalda fé ella, ok halda heilagt, meðan öl ynnisk. En áðr var jólahald hafit hökunótt, þat var miðsvetrarnótt, ok haldin þriggja nátta jól. Hann ætlaði svá, er hann festisk í landinu ok hann hefði frjalsliga undir sik lagt alt land, at hafa þá fram kristniboð.“ Heute noch trägt das christliche Fest in den skandinavischen Sprachen den ursprünglichen heidnischen Namen nisl., fär. jól bzw. kontinentalskand. jul (siehe de Vries 1962, 292). 38 Esv, 4. „Ob er den Ort finden möge, den die Heiden ‚Unverstorbenengefilde‘ nennen, aber die Christen Welt der Lebenden oder Paradies.“ 39 Vgl. Power (1985, 851).

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durch den Kontrast zum Feind hervor, sondern vielmehr durch seine Fähigkeit vom ‚Anderen/Fremden‘ zu lernen und sich dessen Kultur unterzuordnen. Auf der anderen Seite bleiben die Erwartungen der Leser in gewisser Weise unerfüllt, denn die anfängliche heitstrenging als heldenhaftes Unternehmen wird nicht mit der stereotypen Vorstellung einer gefahrenträchtigen Reise nach Osten verbunden. Die anfängliche Beschreibung des Helden und seiner Mannschaft, denen Waffentüchtigkeit zugeschrieben wird, führt letztlich zu nichts und erweist sich als blindes Motiv. Wenngleich der Ansicht Egelers (2015, 58) gänzlich zuzustimmen ist, dass die Saga „dem mittelalterlichen Christentum ebenso verpflichtet [ist] wie in ihrer Gesamtstruktur“, würde ich einen Schritt weiter gehen wollen und behaupten, dass sie einen einzigartigen Aufbau innerhalb der altnordischen Überlieferung aufweist. Durch die vielen Abweichungen von der Regel, die Vermischung der Genres und die Verkehrung der Erzählperspektive erweist sich die Esv als beachtlicher Text, der sich schwer in eine Kategorie einordnen lässt – wie Hermann Pálsson zurecht bemerkte – und den Leser in vielerlei Hinsicht überrascht.

Literatur Quellen Dante Alighieri, La Divina Commedia, Inferno [dodicesima ristampa], Umberto Bosco, Giovanni ­Reggio (ed.). Firenze 1985. Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie: Italienisch und Deutsch. I. Teil: Die Hölle, übersetzt von Hermann Gmelin. Stuttgart 1949. Eiríks saga víðförla (Editiones Arnamagnæanæ, Series B, vol. 29), Helle Jensen (utg.). København 1983. Hákonar saga góða. In: Heimskringla I (Íslenzk Fornrit 26), Bjarni Aðalbjarnarson (útg.). Reykjavík 1941, 150–197. Hálfdanar saga Eysteinssonar. In: Fornaldar sögur Norðurlanda 4, Guðni Jónsson (útg.). Reykjavík 1954, 245–285. Ynglinga saga. In: Heimskringla I (Íslenzk Fornrit 26), Bjarni Aðalbjarnarson (útg.). Reykjavík 1941, 9–83. Yngvars saga víðfǫrla. Jämte ett bihang om Ingvarsinskrifterna (S.T.U.A.G.N.L. 39), Emil Olson (utg.). København 1912.

Sekundärliteratur Brenner 1989: Peter J. Brenner, Die Erfahrung der Fremde. Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der Geschichte des Reiseberichts. In: Ders. (Hg.), Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur (Suhrkamp-Taschenbuch 2097 / Materialien). Frankfurt a.  M. 1989, 14–49. Egeler 2015: Matthias Egeler, Avalon, 66°, Nord. Zu Frühgeschichte und Rezeption eines Mythos ­(Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 95). Berlin/Boston 2015.



Fremd und Eigen in der Eiríks saga víðfǫrla 

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Klaus Böldl

Die Götterbilder im Tempel. Zur religionsgeschichtlichen Relevanz eines Motivs in Adam von Bremens Kirchengeschichte Abstract: This article discusses the three images which Adam of Bremen describes in his Gesta Hammaburgensis in connection with the pagan temple in Uppsala. Most scholars today agree that the temple was in fact a hall. Various images found in Vendel and Viking age halls, e.  g. gold foils, indicate that images have played an important role in libation cults celebrated in chieftain’s halls. Literary sources mention images of deities in halls as well. Adam’s description could therefore be an authentic detail in the late pagan cult landscape of (Gamla) Uppsala. Über kaum ein tatsächlich vorhandenes Gebäude im Norden dürfte in den vergangenen Jahrhunderten so viel geschrieben worden sein wie über den ominösen Heidentempel von Uppsala, den Adam von Bremen in seiner Kirchengeschichte (IV, 26)1 von ca. 1076 in knappen Worten beschreibt. Seit der unbekannte Autor von Prosaiska Krönikan Mitte des 15. Jahrhunderts die Schilderung Adams in seine Darstellung der schwedischen Geschichte aufgenommen hat, sind der Tempel mit seinen Götterbildern und der benachbarte Hain, in dem alle neun Jahre Menschen und Tiere in großer Zahl geopfert worden sein sollen, zu einem festen Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses in Schweden geworden. Durch die teilweise von Prosaiska Krönikan abhängige Tempelschilderung in Ericus Olais wenig später entstandenen Chronica regni gothorum (Scheglov 2014) avancierte Gamla Uppsala zu einem Zentralort des Goticismus. Von der ideologischen Überhöhung, die Ende des 17.  Jahrhunderts in Olaus Rudbecks Bestimmung von Uppsala als dem Zentralheiligtum von Atlantis und mithin als Wiege der abendländischen Zivilisation kulminieren sollte (Alkarp 2009, 136–185, Eriksson 2002, bes. 279–340), hat sich die religionshistorische Forschung nie mehr völlig erholt, auch wenn man nach Rudbeck rasch zu Positionen fand, die Gamla Uppsala wieder einen bescheideneren Platz in der Weltgeschichte zuwiesen. Trotz der eindrucksvollen völkerwanderungszeitlichen Grabhügel und trotz des Umstands, dass Gamla Uppsala 1164 zum Sitz des ersten Erzbistums in Schweden erkoren wurde, hat der Platz am Nordrand der heutigen Universitätsmetropole

1 Alle Zitate und Verweise auf die Kirchengeschichte beziehen sich auf die Ausgabe von Schmeidler 1977.

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Uppsala seine Funktion als Gedächtnisort in einem hohen Maße seiner Charakterisierung durch Adam als eines Platzes von massierter paganer  – und damit autochthoner  – Heiligkeit zu verdanken. Die beiden Abschnitte der Kirchengeschichte einschließlich der drei ihnen zugeordneten Scholien – späteren Zusätzen zum Haupttext – bilden mit ihren kaum mehr als 400 Wörtern bis heute geradezu die Matrix aller Forschungen zur nordgermanischen Kultpraxis. So waren auch die Ausgrabungen, die Sune Lindqvist 1926 im Zuge einer Restaurierung der Kirche von Gamla Uppsala durchführte, von vornherein von der Erwartung geleitet, dass sich unter dem heutigen Kirchengebäude die Spuren eines wikingerzeitlichen Kulthauses mit besonderen Ausmaßen oder Formen entdecken ließen. Lindqvist hat die Resultate seiner archäologischen Untersuchung nie in einem zusammenhängenden Rapport, sondern nur einzelne Aspekte in eher populärwissenschaftlichen Zusammenhängen publiziert. Trotzdem stimulierten sie den Tempel-Diskurs in bemerkenswerter Weise und führten zu einer beträchtlichen Anzahl von Rekonstruktionen, die überwiegend von der Vorstellung einer baugeschichtlichen Kontinuität zwischen paganem Kultgebäude und mittelalterlicher Stabkirche gekennzeichnet waren (so etwa bei Boëthius 1930, Gellerstedt 1950, vgl. auch Gansum 2008). Tatsächlich lassen die Pfostenlöcher aus verschiedenen Perioden, die Lindqvist unter dem Boden der Steinkirche fand, keinerlei sichere Rückschlüsse auf einen paganen Vorgängerbau zu, wie Else Nordahl in ihrer gründlichen archäologischen Untersuchung des Tempelproblems darlegt (Nordahl 1996, speziell zu Lindqvists Interpretationen 56–60). Wenn sich also auch kein archäologischer Nachweis führen lässt, dass der Hei­ den­tem­pel jemals existiert hat, so hat man in Adams Notizen über Tempel und Opferhain doch andererseits Elemente identifizieren können, die auf eine partielle religionshistorische Authentizität seiner Darstellung des schwedischen Heidentums schließen lassen. Anders Hultgård hat ein Modell zur Analyse des Textes vorgeschlagen, bei dem zwischen vier Kategorien von Einflüssen unterschieden wird, die an der Formung des Texts beteiligt waren: eine rhetorische, bei der durch die Figuren der Evidentia und der Ekphrasis maximale Anschaulichkeit erzielt werden sollte, Umdeutungen nach dem Muster der interpretatio romana, ethnographische oder (heiden) polemische Klischees und schließlich Adams persönliche Wertungen und Einschätzungen (Hultgård 1997, 16–18). Es gelingt Hultgård überzeugend, durch die Dekonstruktion der Rhetorik des Textes zu den Sinnstrukturen jenes Augenzeugenberichts vorzudringen, auf den Adam sich beruft. Wenn man mit Hultgård davon ausgeht, dass Adams Notizen im Kern glaubwürdig sind, so stellt sich die Frage nach den konkreten religionshistorischen Realia, auf die Adams mit Elementen der klassischen und wohl auch biblischen Tradition komponierte Tempeldarstellung referiert. Die einzigen Elemente in den beiden Ubsola-Kapiteln, die sich an der physischen Realität unmittelbar überprüfen lassen, nämlich die Charakterisierung des Tempelumfelds, erweisen sich indessen als unzutreffend. Die Angabe in Scholion 139, das Heiligtum sei „von Bergen umgeben, die gleichsam ein Theater bilden“ lässt sich mit dem Terrain von Gamla Uppsala auch dann nicht in Übereinstimmung bringen, wenn



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man die montes mit den Großgrabhügeln identifizieren wollte, denn diese liegen in einer Reihe: Offenbar beabsichtigt Adam, dem Leser ein möglichst anschauliches Bild der Kultlandschaft vor Augen zu führen, indem er dieser die Struktur eines Am­phi­ thea­ters unterlegt (Adam av Bremen 1984, 252, Hultgård 1997, 17  f.). Diese Ekphrasis ist demnach rein rhetorisch und nicht informativ zu verstehen; als Hinweis etwa für eine Situierung des Tempels auf dem Domplatz des heutigen Uppsala, der der Topographie von Ubsola eher entspräche (so Sundquist 1953, 147–172, bes. 148; zu der Diskussion insgesamt Bonnier 1991, 83–85) kann sie kaum in Anspruch genommen werden. Schwieriger zu beurteilen ist die catena aurea, die goldene Kette, die den Tempel wiederum dem Scholion 139 zufolge umgeben haben soll. Lindqvist hat die Kette mit dem bisweilen vergoldeten Dachkamm norwegischer Stabkirchen in Zusammenhang gebracht (Lindqvist 1952, 93–95). Auch hausförmige Reliquiare, deren Trageketten an den Giebelenden befestigt sind, wurden als Vorbild vorgeschlagen (Simek 2003, 94). In Verbindung mit der Behauptung im Haupttext, der Tempel sei ganz aus Gold gefertigt, hat man eine Anspielung auf den Tempel Salomo erkennen wollen (1 Kön 6, 21; 1 Kön 7, 47–50) (Widéen 1951, 128, Holmquist 1981, Anm. 15). Das Motiv der Kette könnte allerdings auch aus dem Augenzeugenbericht oder der Erfahrungswelt Adams stammen, denn die Umhegung von Kirchen mit Ketten ist ein noch in neuerer Zeit in Bayern und Österreich belegter Brauch, der sich bis ins Frühmittelalter zurückverfolgen lässt und überdies außer- und vorchristliche Parallelen aufweist (Kretzenbacher 1973, zu Adam 19–22). Hier wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen literarischem Motiv und realer Erfahrung nicht immer leicht zu treffen ist – und sie mag auch nicht immer sinnvoll sein, bedarf es doch stets vorgeprägter Termini, Wendungen und Sprachbilder, um Erfahrenes narrativ verfügbar zu machen.2 Mit dieser Problematik wird man namentlich auch bei der Beschreibung und Charakterisierung der Götterbilder im Tempelinneren konfrontiert. Eine Reihe von Begriffen und Wendungen in dieser Passage indiziert indessen, dass Adam auf durchaus zutreffende Informationen über die dargestellten Götter zurückgreifen konnte: Wodan, dessen Namen Adam in einer interpretatio saxiana als furor deutet (Hultgård 1997, 20), werde mit Waffen dargestellt und im Kriegsfalle angerufen, Fricco, der wohl mit Freyr zu identifizieren ist, sei durch ein immenses Zeugungsglied (cum priapo ingentis) charakterisiert und komme bei Hochzeiten zum Zuge. Thor werde angerufen, wenn Hunger und Seuchen drohten (si pestis et fames imminet, IV, 26). Auf den ersten Blick zweifelhafter erscheinen die Angaben Adams über den Zentralgott Thor, der

2 Darauf hat v.  a. Hayden White aufmerksam gemacht: „[…] der Historiker muß aus dem Fundus an kulturell zur Verfügung stehenden mythoi schöpfen, um die Fakten so zu konstituieren, daß sie eine Geschichte von ganz bestimmter Art bilden.“ (White 1986, 78). Den Zusammenhang zwischen literarischem Motiv und zur Sprache zu bringender Erfahrung verkennt Holmquist wohl, wenn er von einem heidnischen Baumeister ausgeht, der in Abgrenzung vom Christentum bewusst nach alttestamentarischen Vorbild einen Tempel geschaffen habe (Holmquist 1981, 120  f.)

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durch sein Zepter Jupiter gleiche (cum sceptro Iovem simulare videtur). Während die Gleichsetzung Thors mit Jupiter seit der Antike als Gemeinplatz gelten kann, würde man als Attribut des nordgermanischen Himmelsgotts eher den Hammer erwarten, der gerade auch in der Region um Uppsala vielfältig ikonographisch präsent ist (Sund­ qvist 2013, 83). Besonderen Verdacht erregt hat die Wendung sicut nostri Martem, „wie bei unserem Mars“; man meinte hier einen bezeichnenden Lapsus Adams erkennen zu können, der zeige, dass es sich bei Adams Schilderung der Götterbilder um ein bislang nicht identifiziertes Zitat aus der antiken Literatur ohne Relevanz für das nordgermanische Heidentum handle (Widéen 1951, 128). Wahrscheinlicher ist hier aber wohl eine Bezugnahme auf zeitgenössische Mars-Darstellungen (Hultgård 1997, 19). Das von Adam verwendete Possessivpronomen ist kaum irritierend, wenn man bedenkt, in welchem Ausmaß die klassische Mythologie durch die Bestrebungen der ‚karolingischen Renaissance‘ bereits im Frühmittelalter in den Wissens- und Zeichenbestand der christlichen Kultur aufgenommen worden war (Panofsky 1996, 57–66). Die interpretatio romana, deren Adam sich hier in der für mittelalterliche Geschichtsschreiber typischen Weise bedient, ist kein Argument gegen die prinzipielle Authentizität des Beschriebenen, befördert aber die Gefahr von Ungenauigkeiten und Verwechslungen, wie das Beispiel von Thors Zepter zeigt, oder auch die WodanIkongraphie, die ein so zentrales Attribut wie die Raben vermissen lässt. Es stellt sich nun die Frage, ob Adams Erwähnung der kultischen Verehrung einer bildhaft dargestellten Göttertrias lediglich den in der Missionsliteratur stereotyp an die Heiden herangetragenen Vorwurf der Idolatrie variiert, hergeleitet aus den einschlägigen Stellen des Alten Testament und des Römerbriefs, oder ob der Reflex einer kultischen Praxis der Wikingerzeit vorliegt. Bemerkenswerterweise geht aus Adams Notizen nicht hervor, ob bzw. wie die Verehrung der Götterbilder im Zusammenhang steht mit den im Hain neben dem Tempel alle neun Jahre zelebrierten großen Tier- und Menschenopfern, bei denen die Opfermaterie in die Bäume gehängt und diese dadurch mit besonderer Heiligkeit aufgeladen worden sein sollen. Eine archäologische Bestätigung für eine derartige Praxis hat man unter der schwedischen Kirche von Frösö auf der gleichnamigen Insel im Storsjön (Jämtland) finden wollen, wo Knochen von Nutztieren sowie von Bären den Stumpf eines Baumes umgaben, an dem die Opfertiere zum Teil aufgehängt waren (Hildebrandt 1989, Näsström 1996, 65–67), während die Knochen um ein ergrabenes Gebäude mit vermutlich kultischer Funktion aus der jüngeren Eisenzeit in Borg (Östergötland) zu einem großen Teil von Pferden und Hunden stammten, also den Gattungen, die Adam erwähnt (Nielsen 1996, 95–102). Keiner der untersuchten wikingerzeitlichen Opferplätze zeigt allerdings Spuren von Menschenopfern; ob solche im Spätheidentum noch in nennenswertem Umfang vorkommen, ist zweifelhaft; die hierfür oft ins Feld geführten ikonographischen Belege, der gotländische Bildstein Lärbro Stora Hammars I und der Bildteppich aus dem Grab von Oseberg, lassen auch andere Deutungen zu (Hultgård 2001, 545, anders Simek 2003, 61). Es scheint sich bei den in die Bäume gehängten Menschenleibern also eher um ein heidenpolemisches Element zu handeln, ebenso wie die Angabe, die geopferten



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Lebewesen hätten männlich zu sein, offenkundig dem Alten Testament entstammt (Hultgård 1997, 36  f.). Die Neunzahl wiederum, die die Frequenz wie auch den Umfang der Opfer bestimmt, ist auch sonst aus nordgermanischen Opferzusammenhängen bekannt (Sundqvist 2007, 126–128, zum Motiv der neun Jahre Nordberg 2006, 80–84), so etwa von dem ins 6. oder 7.  Jahrhundert datierten Runenstein von Stentoften (Blekinge), dessen Inschrift der Deutung Lillemor Santessons zufolge ein Opfer von neun Hengsten und neun Böcken verkündet (Düwel 2008, 21, Schulte 2015, 183–185). Die Details der Opferschilderung brauchen an dieser Stelle nicht weiter vertieft zu werden,3 doch lässt sich festhalten, dass die Beschreibung Adams ungeachtet einer Reihe von ergänzenden Ausschmückungen die Praxis eines Hängeopfers indiziert, deren Authentizität, soweit es sich um Tiere handelt, durch Parallelen wahrscheinlich gemacht werden kann. Wie aber verhält sich dieses recht archaisch anmutende religiöse Handeln zu der Götterverehrung im Tempel? Der innere Zusammenhang zwischen den Kapiteln  26 und 27, der Tempel- und der Opferbeschreibung, wurde selten eingehender problematisiert; auf die heilige Handlung im Hain folgte eben das Opfermahl in dem hierfür vorgesehenen Kultgebäude (Hultgård 1997, 32). Dass nach Adams Worten die Götter durch das Opferblut besänftigt werden sollen (quorum sanguine deos placeri mos est), hat man mitunter so verstanden, dass die Götterbilder mit dem Blut bestrichen worden seien (Palm 1941, 100–102). Die ältere Forschung hat aus Adams Darstellung in einer religionsevolutionistischen Perspektive bisweilen zwei unterschiedlichen Entwicklungsstufen entsprechende Kultformen herauslesen wollen, einen archaischen Kult im Opferhain und eine spätzeitliche Götterverehrung im Tempel (Palm 1941, 97  f., Sundquist 1953, 201  f.), wobei Letztere auch als Reaktion auf das Christentum interpretiert wurde: Das Spätheidentum habe sich die Formen des neuen Glaubens anverwandelt, um konkurrenzfähig zu bleiben (Palm 1941, 108  f.). Die unterschwellige Analogie zu einem christlichen Sakralbau, die Adam insbesondere durch das triadisch strukturierte Heiligtum im Tempelinneren herstellt (Wessén 1924, 170), legt den Gedanken nahe, der Tempel könnte als ein religionshistorisches Übergangsphänomen aufgefasst werden, doch dürfte diese Parallelisierung zunächst mehr über Adams Konzeption des Verhältnisses zwischen Christentum und Heidentum aussagen als über die religiösen Verhältnisse Uppsalas im 11. Jahrhundert.4

3 Vgl. z.  B. die Diskussionen bei Sundqvist 2007, 115–122, Steinsland 2005, 295–298, Simek 2003, 82–86, Hultgård 1997, 30–40. 4 Die Antithetik zwischen Heidentum und Christentum bricht Adam in bemerkenswerter Weise auf, wenn er behauptet, die paganen Schweden hätten Christus bereits in die Schar ihrer Götter aufgenommen und ihn als den mächtigsten ausgewiesen (IV, 22; zur Interpretation dieser Stelle vgl. Fraesdorff 2005, 256  f.). Die Konstatierung solcher Annäherungen erleichtert es wohl nicht nur, die polytheistische Praxis überhaupt eingehender zu thematisieren, wie Fraesdorff schreibt, sie erlaubt auch die Annahme zumindest äußerlicher Ähnlichkeiten.

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In den sechziger Jahren brachte der Historiker Kjell Kumlien ein seit Jahrhunderten bekanntes, aber bis dahin meist als Fälschung betrachtetes Dokument in die Diskussion ein, die Annotationes ex scriptis Karoli episcopi Arosiensis excerptæ, angeblich aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die u.  a. von der Grundsteinlegung der Kathedrale von Gamla Uppsala berichten und die Reinigung mit Feuer und die ‚Heiligung‘ des Heidentempels vermerken, der danach mit der Kirche vereinigt worden sei, und zwar durch einen gewissen Yggemundus (ab Yggemundo igne purificato & sanctificato conjunxit) (zit. nach Bonnier 1991, 88). Wenngleich Kumlien für die Echtheit des Dokuments Argumente vorbringen konnte, steht die Authentizität des über den Tempel Berichteten doch in Frage, das auf 1138, also etwa ein Jahrhundert vor Entstehung des Dokuments, datiert wird (Kumlien 1967, 51–53). Als glaubhafter Beleg für einen paganen Vorgängerbau unter der Kathedrale von Gamla Uppsala können die Anmerkungen des Erzbischofs Karl jedenfalls kaum gewertet werden (Bonnier 1991, 90  f., Nilsson 2001, 170). Seit den neunziger Jahren lässt sich eine neue Perspektive auf den Heidentempel beobachten: Aus dem imaginierten mehr oder weniger stabkirchenartigen Kultbau, der Mitte des 20.  Jahrhunderts noch griechische Tempel an Umfang übertraf und eine Höhe von bis zu 31 Metern erreichen konnte (Gellerstedt 1950, bes. 210 und 216), ist nun eine Fürstenhalle geworden, wie sie auch andernorts, z.  B. in Borg auf den Lofoten, nachweisbar ist. Grabungen auf einem der beiden Plateaus nördlich der Kirche förderten Reste eines etwa 40 Meter langen und zehn Meter breiten Hallengebäudes zutage, das vom frühen 7. bis zum späten 8. Jahrhundert genutzt wurde, ehe es niederbrannte und nicht mehr aufgebaut wurde (Nordahl 1996, 60, Duczko 1998, 415). Da es keinen Hinweis darauf gibt, dass die königliche Macht, die man hinter einem derart großen Gebäude vermutet, und die sich auch in den Upsala auðr (‚UppsalaReichtum‘) genannten königlichen Besitztümern manifestiert, zu Beginn der Wikingerzeit einen Bruch erfuhr, hat man vermutet, die Halle sei an einer anderen Stelle, vielleicht unter der heutigen Kirche, wieder aufgebaut worden (Nordahl 1996, 60). Es erscheint durchaus plausibel, dass der von Adam eindrucksvoll ausgemalte templum nobilissimum tatsächlich eine Halle war, in der der Herrscher außer seinen sozialen auch seinen religiösen Verpflichtungen nachkam. Adam berichtet freilich, von Priestern, die die Opfer des Volkes den Göttern darbringen würden (sacerdotes, qui sacrificia populi offerant; IV, 27), und auch der durch eine Marienerscheinung in Uppsala Bekehrte gehört der Priesterschar an, die in Uppsala den Götzendienst versieht (e sacerdotibus qui ad Ubsolam demonibus astare; IV, 28). Kultfunktionäre, also hauptberuflich mit religiösen Aufgaben betraute Personen oder gar eine regelrechte Priesterkaste scheint es im Norden allerdings nicht gegeben zu haben; es herrscht daher in der Forschung Einigkeit darüber, dass Adam an dieser Stelle antike oder christliche Verhältnisse auf Uppsala projiziert (Hultgård 1997, 19  f., Sundqvist 2007, 128  f.). In Scholion 140 wird überdies angemerkt, dass der christliche König Anund vertrieben worden sei, weil er sich geweigert hat, den Abgöttern zu opfern, eine Notiz, die in Übereinstimmung mit einer Vielzahl norröner Quellen also den Fürsten



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als denjenigen vorstellt, der die Kulthandlung durchführt bzw. dieser vorsteht (Sund­ qvist 2007, 128). Hierbei ist freilich anzumerken, dass die Königsmacht in Schweden seit dem späten 10. Jahrhundert, von kurzzeitigen Ausnahmen abgesehen, christlich geprägt war, sodass die Frage nach der Identität des Kultleiters im 11.  Jahrhundert offen bleiben muss, wie überhaupt die Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Heidentum in Gamla Uppsala vor dem Kirchenbau im frühen 12. Jahrhundert kontrovers diskutiert wird, insbesondere im Hinblick auf die Runensteine in der Region und deren Aussagekraft für den Christianisierungsprozess (vgl. z.  B. Sundqvist 2013, 72–74, 78–82, Gräslund 2013, Zachrisson 2013, 173–190, Nilsson 2001, 90–93). Indessen enthält der Text Adams Begriffe, die ihrerseits die Assoziation einer Festhalle wecken: Im Zusammenhang mit der alle neun Jahre stattfindenden Opferfeier ist im Scholion 141 von commessationes et eiusmodi sacrificia (‚Festmahlzeiten und dergleichen Opferfeiern‘) die Rede, während im Haupttext (IV, 26) das Innere des Tempels mit triclinium (‚Speisesaal‘) umschrieben wird (Dillmann 1997, 65–67). Diese Beobachtung hatte schon Lindqvist zu dem Schluss geführt, dass es sich um ein ‚chorloses‘ Hallengebäude handeln müsse (Lindqvist 1923, 113), während FrançoisXavier Dillmanns Überlegungen weniger auf die architektonischen Implikationen von Adams Terminologie abzielen als vielmehr den Nachdruck auf das hier zum Ausdruck kommende Libationsopfer legen, das die Notizen Adams mit norrönen Opferfestschilderungen, v.  a. mit den Opferfesten von Lade und Mære (Hákonar saga goða Kap. 14 und 17) in einen religionsgeschichtlichen Zusammenhang bringt (Dillmann 1997, 59–67). Es stellt sich in dieser Perspektive die Frage, ob Adams Schilderung der Götterbilder den Schluss zulassen, dass bei den rituellen Gastmählern in der Herrscherhalle ein wie auch immer gearteter Bildkult eine Rolle gespielt haben könnte. Die triadische Struktur des Heiligtums bei Adam weckte bei einigen Forschern den Verdacht, diese könnte christlich beeinflusst sein (Palm 1941, 97). Wenngleich dies nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist, so liefern die germanischen und altnordischen Traditionen doch eine solche Fülle von Göttertriaden, dass die Annahme einer interpretatio christiana hier alles andere als zwingend ist (Simek 2003, 108–117; Beck 1998, 481). In Kosmogonie- und Anthropogoniemythen etwa bilden Dreiheiten von Göttern einen festen Bestandteil. Namentlich sind triadische Nennungen, in den Thor und Wodan bzw. Odin vorkommen, sehr früh belegt, ja bereits der älteste inschriftliche Beleg für diese beide Götternamen überhaupt nennt diese zusammen in einer Trias, nämlich in der Runeninschrift auf der ins 6. Jahrhundert datierten Bügelfibel von Nordendorf (Krause/Jankuhn 1966, 292  f.) Mit einer aus der Zeit Karls des Großen stammenden sächsischen Abschwörungsformel (Hauck 1994, 206), stimmt sie darin überein, dass sie Thor als erstes nennt und diesem Gott damit ebenso eine Spitzenstellung in der Hierarchie zuweist wie Adam dies tut, wenn er Thor ins Zentrum der Göttertrias rückt. Auch beim Opferfest von Lade huldigt man der Darstellung Snorris zufolge denselben drei Göttern; an anderer Stelle in der Heimskringla, nämlich in Kap. 69 der Óláfs saga Tryggvasonar, wird Thor ein besonderer Rang attestiert, sei er doch mest tígnaðr af ǫllum goðum gewesen, „am höchsten geehrt von allen

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Göttern“ (Heimskringla 1951, 317). Hier wie an anderen Stellen in den Königssagas erscheint Thor als der wichtigste Gott, mit dessen Verehrung die Missionare immer wieder konfrontiert sind. Auch bei Adam zerschlägt der englische Missionar Wulfrad in Schweden ein Thorsbild und wird daraufhin von den aufgebrachten Heiden im Moor versenkt (II, 62). Auch andere Quellen wie etwa die isländischen Personennamen deuten auf eine Dominanz Thors im Spätheidentum hin (Wessén 1924, 173). All diese Parallelen in der norrönen Tradition verleihen dem von Adam entworfenen Szenario ein in den Grundzügen authentisches Gepräge. Wenn man davon ausgehen darf, dass Adams Fricco mit Freyr zu identifizieren ist (Wagner 1989, Wessén 1924, 184–187), dürfen die drei Götter in den theophoren Ortsnamen Upplands als gut vertreten gelten: Thor ist sechzehnmal sicher belegt, Odin achtmal, Frö-Freyr sechsmal (Freyja fünfmal) (Hellberg 1986, 54). Nicht ins Bild passen die mit dem Götternamen Ull gebildeten Ortsnamen, elf an der Zahl, davon zwei, Ultuna und Ulleråker, in unmittelbarer Nähe von Uppsala. Indessen deutet vieles darauf hin, dass dieser Gott gegen Ende der heidnischen Periode kaum mehr eine Rolle spielte und seine Kultplätze zu dieser Zeit längst aufgegeben waren (Strid 1999, 105  f.). Trotz der hohen Übereinstimmung bei den Götternamen hat man aus onomastischer Perspektive doch Einwände gegen Adams Darstellung erhoben: In dem „uralten Vegetationskult“, von dem Lars Hellberg das wikingerzeitliche Uppland geprägt sieht, sei für den erst spät aus Südwesten, aus Västergötland ‚eingewanderten‘ Odin keinen Platz gewesen; die auf ihn verweisenden Ortsnamen deuteten auf einen eher marginalen Kult hin. Zudem indiziere der Ortsnamenbefund die Verehrung von nur jeweils einer Gottheit an einem Platz (Hellberg 1986, 68) – ein Argument, das stillschweigend voraussetzt, Ortsnamen könnten die kultische Praxis einer bestimmten Region in ihrer Gesamtheit abbilden. Dass Adams Uppsala so schlecht in die alte uppländische Kultlandschaft passt, ist indessen wohl weniger auf die verzerrte Perspektive des Kirchenhistorikers zurückzuführen als vielmehr auf Transformationen in der spätheidnischen Praxis angesichts einer machtvoll herandrängenden Konkurrenzreligion. Phänomene der Revitalisierung und Intensivierung des Heidentums im Horizont der Bekehrung wurden verschiedentlich beobachtet, etwa an den Gräbern des 10. Jahrhunderts im westnorwegischen Hordaland, die vielfach deutlicher heidnisch markiert sind als in früherer Zeit und offenbar auf die Präsenz des neuen Glaubens reagieren (Gellein 1998, 17  f.). Auch die „Renaissance heidnischer Ideen“ in der Skaldik aus dem Umkreis der norwegischen Ladejarle hat man auf diese Weise erklären wollen (Schier 1994, 92  f.) Reges et populi, omnes et singuli sua dona transmitterunt ad Ubsolam, (‚Könige und Stämme, die Gesamtheit und die Einzelnen, bringen das Ihre nach Ubsola‘) (IV, 27) schreibt Adam einleitend zu den Opferfeierlichkeiten. Christen hätten sich von der Kultteilnahme freizukaufen. Diese Notiz lenkt die Aufmerksamkeit auf einen in der Forschung lange Zeit vernachlässigten Aspekt, nämlich die ökonomische und damit politische Dimension des öffentlichen Kults. Auch Snorri berichtet von dem Brauch, dass die Bauern die Güter mitbrachten, die bei dem Opferfest dargebracht bzw. konsumiert wurden. Die Verpflichtung des Fürsten besteht darin, die von den Bauern in



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das Heil der Gemeinschaft investierte Opfermaterie an die Götter zu übermitteln bzw. im Rahmen eines Festmahls die Kommunikation mit diesen herzustellen. Die Legitimierung des Herrschers bestätigt sich in der Ausübung der Opferriten, die wiederum eine soziale Ordnung stiften bzw. abbilden, in der Eliten und Bauernschaft in reziproker Abhängigkeit zueinander stehen (Sundqvist 2002, 140–148). Der christliche König Hákon kann seine Herrschaft über die heidnischen Bauern des Trøndelag nur ausüben, solange er den Opferfeierlichkeiten vorsteht; der christliche König Anund wird folgerichtig aus Uppland vertrieben, als er sich dem Kult verweigert. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum es im immer stärker christlich dominierten Uppland des 11. Jahrhunderts zu einer Konzentration des paganen Kultwesens in Uppsala gekommen sein könnte, bei der zuvor getrennt gehuldigten Göttern in einem zentralen kalendarischen Ritus geopfert wurde: Es dürfte sich hierbei in erster Linie um eine Strategie der heidnischen Eliten zur Sicherung ihrer politischen und ökonomischen Macht gehandelt haben (Sundqvist 2013, 96–100). Wenn die in Uppland im Spätheidentum hauptsächlich verehrten Götter in Uppsala Gegenstand eines die ganze Region einbeziehenden ‚Königsopfers‘ gewesen sind, stellt sich also die Frage, ob im Rahmen dieser Feierlichkeiten Bildwerke eine Rolle gespielt haben könnten. Zwei- und dreidimensionale Götterbilder sind im nordgermanischen Bereich zwischen Völkerwanderungs- und ausgehender Wikingerzeit in relativ großer Menge überliefert; aber auch sprachliche Zeugnisse, von bildbeschreibenden Skaldengedichten bis zu Erwähnungen in der Sagaliteratur, machen deutlich, dass man sowohl numinose Gestalten als auch religiöse Narrative im Bild festgehalten hat. Ein nicht unwesentlicher Teil namentlich der beweglichen Bildwerke, ob archäologisch gesichert oder literarisch belegt, lässt sich mit Hallen oder anderen als kultisch gedeuteten Gebäuden in Verbindung bringen (Carstens 2016, 121– 125). So wurden zwei der Figurinen von Lunda (Södermanland) innerhalb der Wände eines als hof (‚Tempel‘) interpretierten Hauses gefunden (Andersson 2004, 14  f.). Diese nur etwa drei Zentimeter großen anthropomorphen Kleinplastiken sind ebenso wie die Goldbleche, die beispielsweise in den Hallenfundkontexten von Borg auf den Lofoten (Stamsø Munch 2003) oder in Uppåkra in Skåne (Larsson 2011, 193  f.) aufgetaucht sind, in Dimension und wohl auch in ihrer Funktion denkbar weit entfernt von Adams Götterbildern; sie indizieren aber doch, dass figürliche Darstellungen in der kultischen Praxis ihren Platz hatten. Wie die Statuette von Rällinge (Södermanland) sind die drei Figurinen aus Lunda phallisch und erinnern an Adams Fricco mit seinem riesigen Zeugungsglied, ohne dass man die Figuren deshalb problemlos einem Freykult zuordnen könnte (Andersson 2004, 83–85). Die ‚Guldgubber‘ genannten Goldbleche sind sicherlich nicht Gegenstand idolatrischer Kulte gewesen. Da sie meist nur daumennagelgroß und sehr dünn sind, wurden sie auch nicht als Amulette getragen; vielmehr werden sie in der Forschung als eine Art kultisches Zahlungsmittel, als ‚Opfergeld‘ betrachtet (Watt 1999, 140). Da sie häufig in Wandgräben und Pfostenlöchern deponiert wurden, standen sie vielleicht mit Ritualen des Hausbaus in Zusammenhang und sollten – darauf deuten besonders

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die häufigen ein sich umarmendes Paar zeigenden Goldbleche hin  – Fruchtbarkeit und Gedeihen des Hofs gewährleisten;5 zu einem literarischen Reflex dieser Praxis in Landnámabók und Vatnsdœla saga vgl. Meulengracht Sørensen 2001).6 In dieser Funktion dienten die Goldbleche also ausschließlich der Kommunikation mit dem Numinosen: Man trat ihnen nicht als Abbildern des Göttlichen verehrend entgegen, sondern vergrub sie, häufig auch noch zusammengefaltet, in der Erde – eine Handlungsweise, die in völlig andere religionsphänomenologische Zusammenhänge weist als Adams Schilderung. Indessen sind wahrscheinlich nicht alle Guldgubber auf diese Weise ‚verbraucht‘ worden. In Svintuna (Östergötland) wurde ein Zwei-Figuren-Goldblech innerhalb eines Gebäuderisses in offenkundiger Korrespondenz zum Hochsitz des Hauses gefunden, und ebenso hat man angenommen, dass die Deponierungen in Borg und in Mære (Trøndelag) in Relation zum Hochsitz oder zu diesem gehörigen Pfeilern standen (Stamsø Munch 2003, 254–257). Die breite Diskussion zu Aussehen, Funktion und Situierung des Hochsitzes und zu den Hochsitzpfeilern kann hier nicht aufgerollt werden (vgl. z.  B. Steinsland 1991, Beck 2000, Böldl 2005, 163–176); angemerkt sei hier nur, dass der zweifellos sakral aufgeladene Ehrensitz des Fürsten (und seiner Frau), mittig oder anderweitig exponiert, in einer Verbindung mit Götterbildern gestanden hat oder auch mit solchen versehen gewesen sein kann. Dies legt auch die ­Eyrbygg­ja saga nahe, der zufolge in Þórólfr Mostrarskeggs Hochsitzpfeiler eine Thorsdarstellung eingeschnitzt gewesen sein soll (þar var Þórr skorinn á annarri; Eyrbyggja saga,  7), wenngleich in dieser Saga die Pfeiler zur Ausstattung eines hof gehören. Den berühmtesten literarischen Beleg für eine mit einem sakralen Bildwerk versehene Halle liefert die Laxdœla saga (Kap. 29) mit ihrem Bericht von der Hochzeit auf Harðarholt, bei der der Skalde Úlfr Uggason ein Gedicht vorgetragen haben soll, das eine Wandschnitzerei zum Gegenstand hatte. Kurt Schier weist auf die enge Verbindung des Bauern von Harðarholt zu dem Hof der Ladejarle hin, von dem der Anstoß zu einer solchen Ausschmückung gekommen sein könnte (Schier 1994, 85–88). In einem anderen Gedicht dieses Zeitraums, der Sigurðardrápa von Kormákr Ǫgmundarson, hat Helmut de Boor einen Hinweis auf Bildwerke in der Halle des Ladejarls Sigurðr erkennen wollen, die Thor und Odin darstellten (de Boor 1964, 229  f., Schier 1994, 95). Hinter Adams zunächst wie eine christliche Projektion erscheinenden Notiz von den drei Götterbildern im triclinium des Tempels könnten also durchaus spätheidnische Realitäten stehen. Religiöse Bildwerke, die im Kontext von Fürstenhallen kultischen Zwecken gedient haben, sind sowohl archäologisch als auch literarisch reich belegt; dass ihre Bedeutung in der Konkurrenz zum Christentum noch zugenommen

5 Vgl. hierzu z.  B. Stamsø Munch 2003, 259 und die dort diskutierte Literatur. Gro Steinsland sieht diese Guldgubber ferner in einem herrschaftsideologischen Kontext (Steinsland 1990). 6 Auf Borg stammen die Bleche allerdings aus verschiedenen Schichten und können also nicht alle auf die Errichtung der Halle bezogen werden; vgl. Stamsø Munch 2003, 261.



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hat, liegt nahe.7 Die Göttertrias, die  – wenngleich nicht im Bild  – auch in Snorris Schilderung des Opferfestes von Lade vorkommt, könnte für die politisch-religiösen Machtzentren Lade und Uppsala jeweils als Krisensymptom interpretiert werden: In der Bekehrungsphase kam es zu einer Umwandlung des vorher wohl weitgehend dezentralen Kultwesens zu einer Praxis der Zusammenfassung und Zentrierung der Opferfeierlichkeiten, durch die nicht nur die religiösen, sondern auch die politischökonomischen Ressourcen des Heidentums gebündelt werden sollten. Wenn dies zutrifft, so wäre es auch denkbar, dass man in (Gamla) Uppsala die drei hauptsächlich im Uppland der ausgehenden Wikingerzeit gehuldigten Gottheiten im Rahmen eines überregionalen Opferfests verehrt hat, und dass hierbei – möglicherweise unter dem Eindruck von Elementen der christlichen Liturgie – auch ein Kult um ein triadisch organisiertes Götterbildwerk geübt wurde.

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7 Eine Parallele hierfür könnte man in den Thorshammer-Amuletten sehen, die offenbar vermehrt getragen wurden, seit die frühen Christen im Norden mit Kreuzamuletten ihre religiöse Identität deutlich machten; vgl. z.  B. Wamers 1997.

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François-Xavier Dillmann

‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ Remarques sur la strophe de Sigvatr Þórðarson au sujet de l’éclipse solaire lors de la bataille de Stiklestad Abstract : The main topic of the present article is a stanza composed by the Icelandic scald Sigvatr Þórðarson about the solar eclipse that suddenly occured during the battle of Stiklestad (in the summer of 1030). After a review of the current research on the topic, with particular attention to the second part of the stanza, the article focuses on the sentence frák atburð orrostu austan, as well on the particular meaning of the word furða in the sentence Drjúg varð á því dœgri konungs furða. The argumentation begins by considering the meaning behind the syntagm konungs furða placed at the end of this magnificent stanza. Two similar examples of the word furða, recorded in two Icelandic literary sources from the 13th century (Eyrbyggja saga and Heiðarvíga saga), offer an instructive elucidation on the topic. Lastly it can be observed that Sigvatr Þórðarson’s stanza is devoid of any hagiographical connotations, unlike stanza no. 19 from the poem Geisli, which was composed by the scald Einarr Skúlason some twenty years later, and which concerns the same phenomenon.

L’une des questions les plus débattues au sein de l’historiographie du roi de Norvège Óláfr Haraldsson concerne un événement qui se serait produit lors de la bataille qui fut livrée à Stiklestad pendant l’été de l’année 1030 : selon plusieurs sources norroises  – deux strophes scaldiques, composées pour l’une peu après la disparition d’Óláfr et pour l’autre au milieu du xiie siècle, et deux ouvrages historiques de la première moitié du siècle suivant –, l’obscurité serait tombée subitement au cours de ce combat. Depuis la publication de l’étude de l’astronome norvégien Christopher Hansteen (1833), la discussion a porté principalement sur les points suivants : une éclipse du soleil s’est-elle réellement manifestée dans la province du Trøndelag, en Norvège, le jour du combat qui vit la mort d’Óláfr Haraldsson et la défaite de ses forces? Ou s’agit-il plutôt d’une légende qui aurait pris naissance après les événements de l’été 1030 et qui, d’inspiration hagiographique, aurait eu pour dessein de modeler, en recourant au procédé de syncrisis, la fin tragique d’Óláfr Haraldsson sur les récits évangéliques de la Passio de Jésus? Dès lors, cette légende fut-elle créée de toutes pièces? Ou trouvet-elle son origine dans la connaissance que l’on avait pu conserver de l’éclipse solaire qui, le 31 août de l’année 1030, obscurcit le ciel du Trøndelag, en particulier dans la

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 François-Xavier Dillmann

vallée du Verdalen où se situe Stiklestad,1 en sorte que la description d’un phénomène naturel aurait été insérée dans le récit d’une bataille qui se serait déroulée à une autre date? Par exemple le 29 juillet de la même année, jour qui, au moins depuis le milieu du xie siècle, est celui de la célébration de la Saint-Olaf? Selon les réponses qui ont été apportées à ces questions, des conséquences d’une grande portée historique ont pu être tirées : elles concernent non seulement la date de la dernière bataille d’Óláfr Haraldsson, mais la vénération de ce personnage qui, si l’on en croit la tradition norroise, fut proclamé saint peu après l’inventio de ses reliques dans la bourgade de Nidaros, un an environ après sa mort. Compte tenu des limites imparties aux contributions à cette Festschrift, la présente étude ne traitera pas de l’ensemble de ce dossier, aussi riche que complexe, sur lequel nombre de philologues et d’historiens se sont penchés depuis près deux siècles. Notre propos sera nécessairement beaucoup plus restreint, en portant principalement sur le plus ancien témoignage qui nous ait été conservé au sujet de cette éclipse solaire. * C’est dans une strophe que le scalde islandais Sigvatr Þórðarson a dû composer au cours de la décennie qui suivit la mort d’Óláfr Haraldsson que figure, pour la première fois, l’évocation d’un phénomène astronomique de grande ampleur qui se serait produit le jour où le roi de Norvège livra son ultime bataille. Cette très belle strophe scaldique est parvenue jusqu’à nous par la tradition manuscrite de la Saga Óláfs konungs hins helga (ou Grande Histoire du roi Olaf le Saint), œuvre qui est généralement attribuée à l’historien islandais Snorri Sturluson (1179–1241), et par la version de cet ouvrage qui fut insérée dans le recueil de la Heimskringla (ou Histoire des rois de Norvège). Elle est citée au chapitre ccxxv de la première,2 qui correspond au chapitre ccxxvii du tome II de la seconde (l’Óláfs saga ins helga ou Histoire du roi Olaf le Saint3). Souvent considérée comme faisant partie de l’Erfidrápa Óláfs helga (ou Poème funèbre d’Olaf le Saint 4), que le scalde pourrait avoir composée au début du règne de Magnús Óláfsson (1035–10475), la strophe sur l’éclipse solaire peut tout aussi bien avoir vu le jour indépendamment de ce poème, dès que Sigvatr Þórðarson, de retour

1 Cf. Hansteen 1833, 462–466 ; Koht, 1924, 30–32 ; Landmark 1931a, 29–30 ; Þorkell Þorkelsson 1933, 147 ; Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, XCIII ; Brøgger 1946, 15. 2 Saga Óláfs konungs hins helga 1941, 572. 3 Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 382. 4 Finnur Jónsson 1912 A/I, 261, cf. B/I, 242 ; Kock I 1946, 125 ; Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 682– 683. – Selon le classement qui fut établi par Finnur Jónsson (ibid.) et qui a été retenu par les autres éditeurs, ce serait la strophe xv de ce poème. 5 Cf. Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 664–665.  – L’opinion qui a longtemps prévalu voulait que ce poème ait été composé peu de temps avant la mort du scalde vers 1044/1045, cf. p.ex. Lie 1970, col. 237 ; Turville-Petre 1976, 83.

‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ 



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dans le Trøndelag après un pèlerinage à Rome, aura appris la nouvelle de la bataille de Stiklestad : l’hypothèse en a été avancée, mais rien ne permet véritablement de trancher entre ces deux possibilités.6 Citons-la dans l’édition procurée par Bjarni Aðalbjarnarson (1945, 382), qui suit pour l’essentiel l’édition (en vieil islandais normalisé) qui fut établie par Finnur Jónsson7 : Undr láta þat ýtar eigi smátt, es máttit skæ-Njǫrðungum skorðu skýlauss rǫðull hlýja. Drjúg varð á því dœgri, dagr náðit lit fǫgrum, orrostu frák austan atburð, konungs furða.

L’ordre des mots et la disposition des phrases au sein des deux parties de cette strophe en dróttkvætt ne soulèvent pas de grandes difficultés, si bien que la construction proposée par Finnur Jónsson,8 à la suite de Konráð Gíslason,9 a le plus souvent été retenue,10 ainsi par Bjarni Aðalbjarnarson dans l’annotation de son édition de la Heimskringla (1945, 382–383) : Ýtar láta þat eigi smátt undr, es skýlauss rǫðull máttit hlýja skorðu skæ-Njǫrðungum. Drjúg varð furða konungs á því dœgri ; dagr náðit fǫgrum lit ; frák atburð orrostu austan.

Émise par le philologue suédois Otto von Friesen,11 la seule proposition divergente, qui concerne la seconde partie de la strophe, apparaît beaucoup trop contournée pour pouvoir emporter l’adhésion.12 *

6 Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, xciv. 7 Finnur Jónsson 1912 B/I, 242. 8 Heimskringla, Finnur Jónsson 1901, 169 ; Finnur Jónsson 1912, B/I, 242. 9 Konráð Gíslason 1892, 40. 10 Kock/Meissner 1931a, 32 ; Kock 1946, 125 ; Turville-Petre 1976, 85 ; Snorri Sturluson, Heimskringla, Bergljót S. Kristjánsdóttir et al. 1991, 532 ; Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 682. 11 Von Friesen 1924, 6–7 : selon cet auteur, le second helmingr (ou demi-strophe) comprendrait d’abord la phrase Drjúg varð furða konungs (limitée à ces quatre mots), tandis que la phrase dagr náðit fǫgrum lit serait une proposition relative (sans particule initiale) qui serait reliée au syntagme á því dœgri, lequel introduirait lui-même la phrase frák atburð orrostu austan, et la traduction de cette demi-strophe serait dès lors : « Ja, stort var det varsel om konungen, som inträffade ; samma dag, som dagsljuset ej fick sin (vanliga) klarhet, erfor jag i västerväg stridens förlopp. » 12 Reprise par Koht 1924, 37 ; puis par Landmark 1931a 15 sq. et passim, elle a été réfutée avec des arguments entièrement convaincants par Kock 1925, § 662, 32–33.

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Arrêtons-nous tout d’abord sur la kenning qui a été insérée dans la première partie de cette strophe et qui est constituée par le vers 3 (skæ-Njǫrðungum skorðu), dans lequel le composé skæ-Njǫrðungar est au datif : attesté uniquement au pluriel (et toujours dans des composés13), l’élément Njǫrðungar (ou njǫrðungar) doit être une formation sur le nom du dieu Njǫrðr ou sur la racine de ce dernier ;14 à ce titre, elle est employée dans des kenningar désignant les hommes, comme le montre la citation de la première partie de cette strophe dans un fragment de l’Edda de Snorri Sturluson.15 La périphrase métaphorique skorðu skær (« cheval des tins ») désigne quant à elle le navire lui-même : le féminin skorða signifie « étai de soutien [du navire en construction16] » en désignant l’ensemble des « accores » ou des « tins » ; les Njǫrðungar d’un tel navire sont les membres de l’équipage et, partant, les hommes.17 Il s’agit manifestement d’une kenning d’un type habituel pour désigner les hommes en général,18 plutôt que les navigateurs en particulier.19 C’est néanmoins en se fondant sur cette acception précise que l’hypothèse a été avancée selon laquelle, en choisissant (ou en forgeant lui-même) la présente kenning, le scalde aurait visé ses compatriotes qui, après avoir traversé la mer, seraient entrés au service du roi Óláfr Haraldsson,20 en sorte que la participation des Islandais à la bataille de Stiklestad aurait été « relativement importante ».21En dépit de l’ingéniosité de plusieurs des arguments développés en ce sens,22 il ne fait guère de doute que l’expression doit désigner de préférence les hommes considérés dans leur ensemble, tant il est vrai que l’évocation par le scalde des effets d’un phénomène astronomique doit avoir une portée générale plutôt que

13 Finnur Jónsson 1931, 429. 14 Falk 1928, 319–321 ; Finnur Jónsson 1931,  429 ; Ásgeir Blöndal Magnússon 1989, 671, s.  v. -njǫrðung(u)r. 15 Edda Snorra Sturlusonar, Jón Sigurðsson 1852, 497 ; Edda Snorra Sturlusonar, Finnur Jónsson 1924, 105. 16 Fritzner 3, 1896, 369–370 ; Falk 1912, 30–31 ; Finnur Jónsson 1931, 511. 17 Heimskringla, Finnur Jónsson, 1901, 169 ; Finnur Jónsson 1931,  517 ; Kock/Meissner 1931b, 160 ; Heimskringla, Bjarni Aðalbjarnarson, 1945, 383 ; Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 682. 18 Kock 1925, § 662. 19 von Friesen (1924, 5) traduit cette kenning par sjömännen, cf. son commentaire pp. 7–8, avec la glose sjömän, sjökrigare. 20 Barði Guðmundsson 1952, 154–157. 21 Ibid. 154 : en forholdsvis stor deltagelse av islendinger i slaget. 22 Ibid. 154–157, mais il est pour le moins incertain que la description donnée par Adam de Brême (Gesta Hammaburgensis ecclesiae Pontificum, II, lxi, Schmeidler 1917, 121, cf. éd. Trillmich 1961, 300) des forces du roi Óláfr Haraldsson à son retour d’exil fasse réellement mention d’Islandais (comme le voulait Barði Guðmundsson 1952, 156) : l’ensemble des manuscrits présentent ici la leçon de … populis insularum, qui paraît beaucoup plus acceptable que la leçon du seul manuscrit A1 : de … populis islanorum, cf. Tore Nyberg 1984, 327.



‘Drjúg varð á því dœgri konungs furða.’ 

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s’appliquer à un seul groupe de guerriers au sein de l’un des deux camps en présence sur le champ de bataille.23 * Disposée autour de cette remarquable kenning, la première partie de la strophe nous apprend que, lors même qu’il était « serein (skýlauss, littéralement : sans nuages) », qu’il brillait dans un ciel dégagé, l’astre solaire (rǫðull) ne put réchauffer (hlýja) les « hommes (skæ-Njǫrðungar skorðu) », et que cela fut considéré comme n’étant pas une « mince merveille (undr eigi smátt, littéralement : non petite) » ; il s’agit naturellement d’une litote pour exprimer le fait que l’on estima qu’il s’agissait là d’un grand prodige. Dans la seconde partie de la strophe, au vers 6, Sigvatr déclare que « belle couleur, le jour n’obtint pas (dagr náðit lit fǫgrum) », en employant à nouveau une litote afin de mettre en valeur l’obscurité qui se fit au cours de la bataille. Le scalde considère que ce fut un « puissant présage (drjúg furða) » qui se manifesta pour le roi « ce jour-là (á því dœgri) ». Et son propos s’achève sur cette phrase : Frák atburð orrostu austan, dans laquelle l’adverbe austan peut être interprété de plusieurs manières, en signifiant : a) « de l’Est », « en provenance de l’Est », en accord avec la signification obvie de cette forme adverbiale, ce qui pourrait laisser penser que Sigvatr se serait trouvé en Europe occidentale lorsqu’il apprit la nouvelle de l’événement ;24 b) « à l’Est », l’adverbe austan étant pris ici au sens de la locution adverbiale fyrir austan, et l’expression pourrait désigner l’Europe orientale, mais aussi la mer Baltique ou la Suède, et elle s’expliquerait par le fait que le scalde avait entrepris dans les années 1029–1030 des voyages en direction du Sud et de l’Est ;25 c) « à l’Est », entendons : « en Norvège », austan équivalant ici à austr, comme le proposait Finnur Jónsson,26 en accord avec les emplois proprement islandais de cet adverbe et des composés auxquels il a donné naissance (par exemple l’appellatif austmaðr, qui désigne notamment un Norvégien27), et aussi d’un emploi semblable dans une autre strophe de Sigvatr.28 Dans cette dernière hypothèse, que nous retenons de préférence, le scalde aura déclaré que ce fut la bataille elle-même qui se déroula « à l’Est », « en Norvège29 », l’adverbe se rapportant ici au mot orrosta (ou au syntagme nominal atburðr orrostu, voir ci-dessous), mais on ne peut exclure l’interprétation concurrente : l’adverbe

23 On observera que, dans sa première étude sur le sujet (Barði Guðmundsson 1937, 108), le même auteur rendait cette kenning par le mot hermenn (guerriers), sans autre commentaire. 24 Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 383 ; Turville-Petre 1976, 85. 25 Kock 1925, § 662 B. 26 Dans Heimskringla 4, Finnur Jónsson 1901, 169 ; Finnur Jónsson 1912 B/I, 242. 27 Ordbog over det norrøne prosasprog, I, 1995, s.  v. austmaðr. 28 Erfidrápa Óláfs helga, Judith Jesch 2012, 683. 29 Finnur Jónsson 1912, B/I, 242, qui traduit par : kampen i østen (Norge).

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austan se rapporterait plutôt à la forme verbale frák (« j’appris / j’ai appris »), et le scalde indiquerait alors que ce fut « de l’Est30 », « de Norvège », qu’il reçut la nouvelle de cet événement, et ce quel que fût le lieu où il s’était trouvé à ce moment-là. Si l’adverbe austan est équivoque, la signification des autres termes de la dernière phrase de cette strophe ne fait pas difficulté, et cependant l’un d’entre eux – le sub­ stantif atburðr – a souvent été traduit de manière fautive ou à tout le moins trop libre, comme le montrent ces quelques exemples : « I öster sporde / jag, hur drabbningen gått till31 », « of the battle / I heard news from parts eastern32 », « I have heard the course of the battle from the east33 ». Objet direct du verbe fregna, qui est employé ici sous l’acception « apprendre », le masculin atburðr signifie d’abord « événement, incident34 », en accord avec sa formation sur le verbe bera(sk) at.35C’est indéniablement sous cette acception que Snorri Sturluson l’a entendu, comme le montre le passage en prose qui suit la citation de la présente strophe au chapitre ccxxvii de l’Óláfs saga ins helga : l’auteur y décrit les conséquences d’ordre pratique qu’aurait eues sur le déroulement du combat la tombée soudaine de l’obscurité peu après le début de la bataille de Stiklestad36 : Váru þessir atburðir margir jafnsnimma eða sumir litlu fyrr eða síðar37. Il en résulte que la phrase Frák atburð orrostu doit être traduite au mieux par : « J’ai appris l’événement de la bataille […] » (sous-entendu : « l’événement [qui survint au cours] de la bataille »), comme le proposait déjà Finnur Jónsson.38 Par « événement de la bataille (atburðr orrostu) », Sigvatr entend manifestement le phénomène naturel qu’il s’est attaché à décrire dans la présente strophe – l’éclipse solaire39 –, si bien que cette déclaration constitue un témoignage d’une importance capitale : selon le scalde islandais, qui se fonde sur les informations qu’il a dû recueillir au retour d’un pèlerinage à Rome, ce fut bel et bien au cours de la bataille de Stikle­ stad que l’obscurité tomba subitement, et non pas à un moment ultérieur, un autre 30 Heimskringla 4, Finnur Jónsson 1901, 169 : østfra. 31 Kock 1925, § 662. 32 Heimskringla 2, Finlay 2014, 256. 33 Turville-Petre 1976, 85. 34 Ordbog over det norrøne prosasprog, I, 1995, s.  v. atburðr, sens 1 : hændelse, begivenhed (ofte uventet voldsom begivenhed, ulykke) ‖ occurrence, event (often an unexpected violent event, accident), voir aussi le sens 2 : (spec. om overnaturlig begivenhed ‖ spec. of a supernatural event). 35 Finnur Jónsson 1931, 20. 36 Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 383, cf. Saga Óláfs konungs hins helga, éd. Johnsen et Jón Helgason, 573 (chapitre ccxxv). 37 Voir aussi le début du chapitre ccxv (Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 369) au sujet de l’arrivée d’un champion du nom d’Arnljótr gellini qui voulait se joindre aux forces d’Óláfr Haraldsson. 38 Heimskringla 4, Finnur Jónsson 1901, 169 : « jeg har hørt om denne tildragelse under kampen […] », cf. Finnur Jónsson 1912, B/I, 242. Voir aussi la traduction de Judith Jesch (Erfidrápa Óláfs helga) 2012, 682) : « I heard of the event at the battle […]. » 39 Ce point est bien marqué par Barði Guðmundsson 1952, 108 ; Id. 1952, 152 ; voir aussi Bjarni Aðalbjarnarson, « Formáli », dans Heimskringla 2, 1945, xciv.



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jour, qui serait différent de celui de la mort d’Óláfr Haraldsson, comme l’envisageaient plusieurs exégètes qui voulaient dissocier les deux événements.40 * Revenons à présent sur la description de l’éclipse elle-même : au sein de chacune des deux parties de la strophe, Sigvatr met en évidence – comme dans un diptyque – l’une des caractéristiques principales du phénomène astronomique : d’un côté la chute de la température, de l’autre l’absence de clarté.41 Cette mise en parallèle, à la fois sobre et objective, des deux aspects essentiels d’une éclipse solaire est rehaussée par la place que le scalde a choisie pour chacun des deux termes qui lui servent à caractériser la tombée de l’obscurité le jour de la bataille : le neutre undr (merveille, prodige) vient tout au début du premier vers de la première demi-strophe, tandis que le dernier vers de la seconde demi-strophe s’achève sur le féminin furða. Avec le premier d’entre eux, le scalde se fait l’écho de l’opinion générale qui prévalut au sujet de l’événement : Undr láta þat ýtar (« les hommes déclarent… ») eigi smátt, tandis qu’avec le second Sigvatr livre manifestement sa propre interprétation de ce phénomène, qu’il relie au destin même de son ami le roi Óláfr Haraldsson : Drjúg varð á því dœgri … konungs furða. Placé qu’il est à la chute de la strophe, en formant un couple avec le mot undr, le substantif furða revêt dès lors une importance d’autant plus grande qu’il paraît exprimer le sentiment profond du scalde sur la signification qu’il accorda à cette merveille ou à ce prodige (undr). Mais quelle est ici l’acception du mot furða? Et que faut-il entendre par l’expression konungs furða? D’usage courant en vieux norrois pour désigner l’étonnement, la surprise, la stupéfaction voire la stupeur,42 le féminin furða signifie d’abord « présage, signe (annonciateur) », en accord avec son étymologie probable : *for-, *fur-riðōn (« qui chevauche en avant, qui va en avant43 »), et c’est certainement ce sens qu’il convient de retenir ici, de préférence à des acceptions telles que Schrecknis (Maurer 1856, 535), under (Koht 1924, 37) ou mirakel (Kock 1925, § 662).

40 Par exemple Landmark 1931a, 13 ; Id., 1931b, 110 ; Liestøl 1932, 17, cf. Id. 1941, 76. 41 Barði Guðmundsson 1937, 108–109 ;  Id. 1952,  152–153 ; Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, « Formáli », xcii. 42 Voir p.ex. Fritzner 1886, I, 505, s.  v. ; on sait que, sous la forme du cas oblique furðu, ce mot est volontiers placé devant un adjectif ou un adverbe pour marquer l’intensité voire la démesure, tournure que l’islandais moderne a conservée, cf. Sigfús Blöndal 1920–1924, 229, s.  v. ; Mörður Árnason et al. 2000, 404, s.  v. – Exceptionnellement il a servi à former des substantifs composés, p.ex. furðuhǫgg (dans la Karlamagnús saga, cf. Ordbog over det norrøne prosasprog, s.  v. [= onp.ku.dk]) et les énigmatiques Furðustrandir sur le littoral de l’Amérique du Nord, cf. Perkins 1976, 51–98. 43 Torp 1909, xl (repris dans Id. 1974, 15) ; Id. 1919, 140 ; Finnur Jónsson 1931, 159 ; Jan de Vries 1962, 147 ; Ásgeir Blöndal Magnússon 1989, 217.

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La notion de « présage », de « signe (annonciateur) », sur laquelle reposent à juste titre nombre de traductions des vers de Sigvatr,44 demande cependant à être précisée, à la lumière de deux épisodes des Íslendingasögur dans lesquels les mots undr et furða forment un couple, comme dans la présente strophe.45 Le premier d’entre eux est relaté au chapitre li de l’Eyrbyggja saga : un jour d’automne, par un beau temps sec, toute la maisonnée du domaine de Fróðá (sur la côte Nord de la péninsule de Snæfellsnes) était occupée aux travaux de la fenaison lorsqu’une panne de nuages noirs surgit subitement dans un ciel serein et se dirigea rapidement vers Fróðá : lorsque ces nuages passèrent au-dessus de la ferme, une obscurité totale se fit et il plut d’abondance, si bien que tout le foin qui n’avait pas encore été ratissé fut détrempé. Quand le ciel s’éclaircit à nouveau, on constata que c’était une pluie de sang qui était tombée. Interrogée sur la signification de ce prodige (undr) et sur ce qu’il annonçait,46 une femme du nom de Þórgunna répondit tout d’abord qu’elle ne le savait pas, puis elle ajouta47 : « …en þat þykkir mér líkligast […], at þetta muni furða nǫkkurs þess manns, er hér er. »

Soit dans une traduction littérale : « …mais il me semble que le plus vraisemblable est […] que cela doit être le présage de la mort de quelqu’un qui se trouve ici. »

De fait, l’un des membres de la maisonnée – Þórgunna en personne – tomba aussitôt malade, dut s’aliter et mourut peu de temps après. Dans la logique du récit, la mort de cette femme paraît être la conséquence directe de la « pluie de sang48 », mais l’interprétation qu’elle avait elle-même donnée du prodige n’en éclaire pas moins la valeur du mot furða d’une manière décisive : suivi d’un génitif d’objet, il prend l’acception particulière todesankündigung,49 feigðarboði,50 soit : « présage de mort », « annonce d’une mort (imminente) ».

44 Voir p.ex. Jón Ólafsson (frá Svefneyjum), dans Schøning, II, 1778, 368 : Tegn ; Sveinbjörn Egilsson, dans Historia regis Olavi Sancti, II, 1833, 85 : portentum ; Finnur Jónsson 1912, B/I, 242 : jærtegn ; Erfidrápa Óláfs helga, Jesch 2012, 682 : portent. 45 Cf. Turville-Petre 1976, 85. 46 Eyrbyggja saga, Einar Ól. Sveinsson, 1935, 140 : Þóroddr spurði, hvat Þórgunna ætlar, at undr þetta muni benda (au lieu du verbe benda, « indiquer, montrer », le manuscrit sur parchemin AM 162 E fol et, avec lui, trois autres manuscrits ([cf. Eyrbyggja saga, Scott, 2003, 238–239] présentent la leçon fyrirboða, « annoncer, présager, augurer », qui est plus explicite encore). 47 Eyrbyggja saga, Einar Ól. Sveinsson 1935, 140, cf. Eyrbyggja saga, Scott, 2003, 239, avec la leçon furða nǫkkurs manns þess, er hér er viðriðinn (« le présage de la mort de quelqu’un qui est ici concerné/ impliqué »). 48 Cf. Kjartan G. Ottósson 1983, 62. 49 Gering, dans l’annotation de son édition de l’Eyrbyggja saga, 1897, 185 50 Einar Ól. Sveinsson, dans l’annotation de son édition de l’Eyrbyggja saga, 1935, 140.



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C’est la même acception du mot furða que l’on relève également dans un curieux passage de la Heiðarvíga saga : au chapitre xxvi, l’auteur relate que, mécontent de la nourriture qui lui était présentée de bon matin, un homme du nom de Þorbjǫrn s’en prit violemment à la maîtresse de maison qui venait de le servir à table, en déclarant que ce plat ne contenait que du sang. Dans la réplique qu’elle adressa à Þorbjǫrn, la femme lui fit comprendre qu’il avait été victime d’une illusion des sens, mais que ce prodige (undr) signifiait qu’il séjournerait « bientôt dans le séjour des morts (brátt í helju) », avant d’ajouter51 : « et cela doit certainement être l’annonce de ta mort prochaine (þín furða) ». De fait, Þorbjǫrn périt au cours d’une bataille qui se déroula un peu plus tard et qui a donné son nom à cette œuvre islandaise du tout début du xiiie siècle.52 Employé avec un pronom possessif (comme dans ce dernier exemple) ou avec un génitif d’objet (comme dans l’Eyrbyggja saga), le mot furða doit non seulement posséder la signification de base « présage », « omen », mais désigner plus précisément le fait qu’un personnage était considéré comme feigr, c’est-à-dire « marqué par la mort », « voué à une mort prochaine53 ». Aussi l’acception spécifique « annonce d’une mort imminente » a-t-elle été légitimement retenue par plusieurs lexicographes54 de même que par les principaux éditeurs des poèmes scaldiques55 ou de la Heimskringla56. Comme le montre le parallélisme avec la déclaration attribuée à Þórgunna dans l’Eyrbyggja saga, le syntagme konungs furða, qui constitue la magnifique chute de la strophe de Sigvatr, ne peut pas être traduit par kongs-under57, ni par konunga­miraklet58

51 Heiðarvíga saga, Sigurður Nordal/Guðni Jónsson, 1956, 289. 52 Elle est relatée au chapitre xxx, éd. cit., pp. 301 sq. 53 Si la lecture du vers 3 de la strophe xxviii des Atlamál in grœnlenzku ne faisait pas difficulté, ce serait vraisemblablement cette acception qui devrait être retenue ici, mais l’on sait que le Codex regius des poèmes eddiques présente à cet endroit une graphie ambivalente : elle peut s’interpréter soit par le substantif fǫr suivi de l’adverbe þó (cf. Eddukvæði 2, Jónas Kristjánsson/Vésteinn Ólason 2014, 387) soit par le cas oblique du mot furða, comme cela a été proposé avec de bons arguments par Hjelmqvist 1894, 107–112), suivi notamment par Gering/Sijmons, Kommentar zu den Liedern der Edda 1931, 376 ; The Poetic Edda, Ursula Dronke 1969, 122 ; Kommentar zu den Liedern der Edda, Klaus von See et al. 2012, 490–491. 54 Erik Jonsson 1863, 154, s.  v. furða : « 1) Tegn, Varsel.  – Spec. Varsel for ens nærforestaaende Död […]. » ; Fritzner 1886, I, 505, s.  v., sens 2 : « Varsel, Forbud om en tilkommende Begivenhed, lat. portentum, omen ; […] ogsaa om ens (e-s) Død […] » ; Christopher Sanders dans Ordbog over det norrøne prosasprog, s.  v. furða [= onp.ku.dk], sens 1 : « [e-rs] [e-s / fyrir e-u] [e-m] omen (esp. of sby’s imminent death) ». 55 Notamment Konráð Gíslason 1892, 185, qui renvoie à Fritzner 1886, s.  v. furða, sens 2 (voir ci-dessus) ; Turville-Petre 1976, 85 : « Great was the portent of the King’s death […]. » 56 Par exemple Finnur Jónsson 1901, 169 : « det jærtegn, som angik kongen (dødsvarslet) » ; Snorri Sturluson, Heimskringla 2, Bjarni Aðalbjarnarson 1945, 383, dans l’annotation : « furða : feigðarboði ». 57 Koht 1924, 37. 58 Kock 1925, § 662.

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ou that miracle of the king59 : nous ne sommes pas ici en présence d’un génitif subjectif qui indiquerait que l’action aurait été accomplie par la personne désignée, mais d’un génitif objectif60 : l’action (ici : le présage de mort) a pour objet la personne dont il est question, en l’occurrence le roi. Il en résulte que le scalde considéra manifestement que l’éclipse solaire avait été en elle-même un signe annonciateur de l’événement capital qui survint au cours de la bataille de Stiklestad : la mort du roi Óláfr Haraldsson. L’interprétation de ce phénomène astronomique par Sigvatr procède ainsi de la croyance aux présages, conviction qui était profondément ancrée dans les mentalités scandinaves, comme en porte amplement témoignage la littérature norroise61. * En conclusion, soulignons que la strophe de Sigvatr est dépourvue de toute connotation d’ordre hagiographique, de tout rapprochement explicite ou implicite avec la venue des ténèbres au moment de la Crucifixion62, en sorte qu’il paraît improbable que le scalde ait pu être abusé par un récit fallacieux que des clercs auraient construit au sujet du dernier combat d’Óláfr Haraldsson.63 Dans sa sobriété, dans son réalisme, dans son absence d’analogie avec la Passio du Christ, la description par Sigvatr de l’éclipse solaire lors de la bataille de Stiklestad tranche fortement sur l’évocation qu’en donna Einarr Skúlason quelque cent vingt ans plus tard. Lorsqu’il célébra le roi saint Olaf dans le poème Geisli, qu’il récita au sein de la cathédrale de Nidaros, vraisemblablement en 1153, le jour même de la célébration de la Saint-Olaf,64 ce scalde islandais, qui était de formation cléricale, démarqua son prédécesseur en rappelant les circonstances de la fin du roi de Nor-

59 Geisli, Chase 2005, 140. 60 Cf. Heimskringla, Finnur Jónsson 1901,  169 ; sur la distinction genitivus subjectivus et genitivus objectivus en vieux norrois, voir notamment Nygaard 1905, §§  124–125 (130–133) ; Faarlund 2004, 59–67. 61 Voir notamment Gehl 1939, 47 sq. et 157 sq. 62 Comme l’avait bien observé Barði Guðmundsson 1937, 110–111 ; Id. 1952, 153. 63 Comme l’envisageait Finnur Jónsson, Heimskringla, 1901, 169 : « det er noget, de gjestlige har lavet og som Sigvatr har trot ». Mais le seul argument avancé à l’appui de cette assertion n’est pas recevable : le fait que Sigvatr déclara expressément qu’il tenait d’autrui sa connaissance des événements n’implique en aucune manière que ce fut auprès d’affabulateurs (qu’ils aient été clercs ou non) que le scalde apprit la tombée subite de l’obscurité lors de la bataille de Stiklestad. La déclaration frák (« j’appris / j’ai appris ») est relevée dans nombre de strophes du même scalde, que ce soit dans l’Erfidrápa Óláfs helga (strophes vii, xii, xviii) ou dans d’autres œuvres, et c’est là un trait narratif très fréquent chez les scaldes (voir p.ex. Clover 1978, 64). 64 Cf. Geisli, Chase 2005, 9–10 ; Id. 2007, 5–6.



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vège.65 À la strophe xix de ce poème66, Einarr reprit plusieurs termes que Sigvatr avait employés au sujet de l’éclipse solaire (en particulier le mot poétique rǫðull et la forme verbale náðit), mais il en fit non seulement un événement concomitant de la mort d’Óláfr, qu’il rapprocha ainsi de celle du Christ (v.isl. dauði harra hauðrtjalda), mais une manifestation des signes de Dieu (grundar salvǫrðr sýndi sín tǫ´kn). Si ces deux innovations importantes influencèrent fortement le récit de la mort d’Óláfr Haraldsson par l’auteur de l’Histoire légendaire,67 force est de constater que Snorri Sturluson ne les reprit pas à son compte lorsqu’il composa l’Óláfs saga ins helga : fondée principalement sur l’Erfidrápa Óláfs helga, sa relation de la bataille de Stiklestad n’est pas marquée au sceau de l’hagiographie de saint Olaf, et la description que l’historien islandais nous a laissée de l’éclipse solaire procède  – pour l’essentiel – de la strophe de Sigvatr Þórðarson.68

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65 Einarr fait explicitement référence à Sigvatr (ainsi qu’Óttarr svarti) à la strophe xii du même poème (édition Chase, 2005, 62, cf. Id. 2007, 17). 66 Geisli 2005, 69, cf. Id. 2007, 22: Náðit bjartr, þás beiðir / baugskjalda lauk aldri / – sýndi salvǫrðr grundar / sín tǫ´kn – rǫðull skína. / Fyrr vas hitt, at harra / hauðrtjalda brá dauða / happ- (nýtask mér) – mætu / (máltól) skini sólar. Soit dans la traduction anglaise proposée par l’éditeur (2005, 69) : The bright sun was not permitted to shine then, when the desirer of the ring-shield lost his life ; the guardian of the hall of earth showed his signs. It was previously that the blessing-rich shining of the sun ceased at the death of the king of earth’s roof ; speech-tools are of use to me. 67 Chap. lxxxii, éd. Heinrichs et al., 1982, 196. 68 Voir nos Études sur l’Óláfs saga ins helga de Snorri Sturluson (en cours d’édition), dans lesquelles cette question est abordée de manière plus détaillée, avec en particulier un développement sur la durée de l’éclipse solaire le jour de la bataille.

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Matthias Egeler

The Medialization of the Supernatural in the Toponymy of the Book of Settlements Abstract: Next to extended narratives as they are presented by Eddic literature, the Sagas of Icelanders, or lives of saints, one of the most important media reflecting medieval Icelandic conceptualizations of and attitudes to the supernatural is the Icelandic landscape, and here especially the toponymy, which forms a core element of the ascription of meaning to this landscape. Drawing on the corpus of placenames brought together in the Hauksbók-recension of the Book of Settlements, the article explores an approach to the supernatural in medieval Icelandic culture that differs from previous scholarship by choosing a perspective covering a wider spectrum of the religious cosmos of early Iceland than it had traditionally stood in the centre of research on sacred placenames: it looks beyond questions of pagan cult and the great gods of the North to include the mythological cosmos as a whole, inclusive of beings like giants and trolls and, furthermore, it places its focus not specifically on Old Norse paganism, but rather on the interweaving of pagan and Christian elements in Icelandic sacral toponymy. Thus, in short, it attempts to explore not pre-Christian paganism, but the supernatural in Icelandic toponymy, approaching a holistic picture of the supernatural cosmos of medieval Iceland as it is presented to us in the Book of Settlements.

The present essay will explore the possibility of approaching the supernatural in Old Norse culture through the medium of landscape. In doing so, it will focus on placenames with supernatural referents and, particularly, on the intermingling and entanglement of pagan and Christian motifs within this corpus. This exploration, it should be emphasized, is very much a first and somewhat experimental attempt, more intended to test the viability of the proposed approach than to offer definitive conclusions. As such, it will also restrict itself to a very small selection from the toponymic corpus, the placenames of the Hauksbók-recension of Landnámabók, the ‘Book of Settlements’ (in the following quoted as H + chapter). I do have some hope, however, that this exploration will venture into territory that might, in the end, open up some new and unconventional perspectives on the supernatural in the Norse culture of the Middle Ages. For the present purpose, I will use the term ‘supernatural’ as a generic term that equally covers pagan and Christian motifs and that encompasses both matters of cult and narrative themes. Approaching the supernatural within the framework of a philological discipline, it goes without saying that traditionally what has stood in the centre of research have normally been its reflexes in the great works of literature: in the lives

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of saints, in the Sagas of Icelanders, or in the stories about the Norse gods collected in the poems of the Poetic Edda and in Snorri Sturluson’s Prose-Edda. Such literary texts present us with extensive narratives about the supernatural and thus constitute the single most important type of source for the supernatural and the conceptualizations of and attitudes towards it in Old Norse culture. Literary texts, however, are not the only medium through which we can glimpse Old Norse engagements with the supernatural. Another one is iconography: monuments like the picture stones of Gotland or the sculpted crosses of Northumbria and the Isle of Man carry narratives of the supernatural, of gods, heroes, and all manner of fantastic beings, out of the scribe’s chamber into the open space of the landscape.1 Furthermore, even this landscape itself carries such narratives and, by doing so, meaning and significance. For ‘landscape’, in the sense in which the term is used by current writers such as Robert Macfarlane (2008), Simon Schama (1996), Tim Robinson (1994), or Christopher Tilley (1994), is more than just ‘natural’ space or mere topography – an insight that in recent years has also increasingly been taken up in research on Old Norse religious history (e.  g. Brink/Nordeide 2013; Brink 2001; Vikstrand 2001, esp. 17–20). In the sense in which the term ‘landscape’ is used in landscape-theoretical writing of the last decades, it designates “not just the terrain but also the human perspectives on it, the land plus its overburden of meanings” (Robinson 1994, 162). Landscape, understood in this way, is first and foremost (in the words of Simon Schama) a “work of the mind” that is “built up as much from strata of memory as from layers of rock” (1996, 7): when we look at a landscape, or when we look at a representation of a landscape or read a literary account of it, what we are engaging with is not primarily something ‘natural’, but rather a space that is charged with a wide range of associations that exist in the mind of the viewer long before the act of viewing and deeply, fundamentally colour the viewer’s perception of what they see.2 The Book of Settlements is a treasure-trove of examples. When Þórólfr Beard-of-Mostr takes land on Þórsnes Peninsula and for the first time sees the prominent outcrop of Helgafell, the most eye-catching rock formation on the peninsula, he immediately recognizes it as a ‘holy mountain’ (Helga-fell) into which he and his relatives will go after their deaths (H73): the gaze of the viewer does not merely see the bare rock that ‘is really there’ but rather what he ‘knows’ to be there on the basis of his cultural and religious background, and thus he recognizes a mere rock outcrop to be a place of the supernatural, a manifestation of the otherworld of the dead in this world. Similarly, when Þorsteinn Rednosed makes sacrifices to the waterfall at Fors (H313), his identification of this waterfall as a sacred site has

1 On the picture stones of Gotland cf., for instance, Karnell 2012; Nylén/Lamm 2003; Lindqvist 1941/42; on the sculptural monuments from northern England cf. CASSS; Kopár 2012; Bailey 1980; on the Manx Crosses cf. Margeson 1983; Kermode 1907. 2 On the importance of associations for the cultural construction of landscapes cf. Egeler 2016b, 3, 5  f., 8  f., 22.



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its basis in a pre-existing Norse religious convention according to which waterfalls could be viewed as holy places – as illustrated by the Swedish theophoric toponyms Odensfors, ‘Odin’s Waterfall’, and Ullfors, ‘Ullr’s Waterfall’ (cf. Egeler 2016a, 280–283; Brink 2007, 113, 129 [nos. 2, 23], 134 [no. 9]). In both these cases – Þórólfr’s Holy Mountain and Þorsteinn’s sacred waterfall –, features of the natural landscape are not primarily perceived as the formations of rock and water that they are, but, drawing on encultured patterns of an Old Norse religious worldview, they are viewed as entities transcending the natural world into the realm of the supernatural. Thus, what is seen by the contemporary observer is not so much the natural topography, but rather the cultural construct of the landscape: the landscape as a work of the mind, where physical features and cultural semantics are inseparably intertwined. This intertwining of physical topography and cultural meaning brings about that physical topography is charged with significance. Yet this is not a unidirectional process, but one which acts in two directions: topography is charged with meaning (and thus it is transformed from mere nature into a culturally constructed ‘landscape’), but by being charged with such meaning, it also – to quote W. J. T. Mitchell – becomes a “physical and multisensory medium […] in which cultural meanings and values are encoded” (2002, 14). As a medium, it acts as a conveyor of cultural significance: the observer of a place does not merely see (feel, smell, walk) its natural topography, but the act of observing also turns the observer into a recipient of the ‘message’ conveyed by the specific cultural connotations of a place. In this way, Þórólfr’s Holy Mountain and Þorsteinn’s waterfall serve as constant reminders of a whole complex of ideas about the world, the otherworld, and the powers that act between the two; and in doing so, they make a significant contribution towards naturalizing these ideas. There is a broad range of strategies of how landscape can be turned into and act as a medium encoded with meanings and values. Buildings can be constructed and proclaim a message: a little chapel by a farm or the steeple of a church proclaim that the observer is seeing Christian territory – here belongs, for instance, the church built by Ørlygr Hrappsson in ch. H15 of the Book of Settlements. The ruins of a building may be connected with narratives about their former inhabitants: in H303, the Book of Settlements points to the large ruins of a house once inhabited by Ketill Salmon and his most famous son. Monuments can be erected to commemorate persons and, by implication, their deeds, as is the case with the grave mounds of which the Book of Settlements repeatedly points out that they can still be seen in the landscape, such as the mounds of the men fallen in the fight between Þórarinn Angle and Steinólfr the Short in H92. One of the most prominent, and characteristically Icelandic, strategies of semanticizing the landscape, however, is the use of semantically clear toponyms. To name a place is to give it an individual identity, opening up the possibility of associating it with narratives that give it significance and meaning (Tilley 1994, 18). For it is only the name that allows the place to become part of speech and thus to become part of a narrative, acting, as it does, as the connection between language and

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the physical world: “Placenames are the interlock of landscape and language” (Robinson 1994, 155, cf. ibidem 163 and Vikstrand 2001, 18–20 with fig. 1:1; Vikstrand 2002, 121  f. with fig. 1). In Iceland the near-exclusive prevalence of semantically clear place­ names greatly encourages this aspect of toponymy. An Icelandic placename is not just a designation of a location, it does not merely refer to degrees of longitude and latitude, but it makes a statement about a place (cf. Robinson 1994, 156). Thus, Krist­ nes, ‘Christ-Peninsula’, is not just a location in northern Iceland, but over and above defining a location the name also evokes that the place is a Christian place filled with trust in the Christian saviour; Helgafell is not just a rock outcrop that happens to be located roughly in the centre of Þórsnes, but it is the ‘Holy Mountain’; Þórsmǫrk is not just a valley in southern Iceland, but it is the ‘Forest of Thor’. Being semantically clear, Icelandic toponyms convey associations that imbue the thus-named places with meaning. Importantly, that placenames semanticize places is not just a modern interpretation: it is made virtually explicit in Icelandic literature itself. One instance of this is provided by the account of where Ketill the Foolish claimed land (H280): Cetill hinn filfski […] hann for til Islandz af Svðreyivm ok var vel kristinn. Ketill bio i Kirkív bœ. þar hofðv aðr setið Papar ok eigi mattv þar heiðnir menn bva. Ketill the Foolish […], he went to Iceland from the Hebrides and was a good Christian. […] Ketill lived at Kirkjubœr (‘Church-Farm’). Before, Irish monks (papar) had sat there, and pagan men could not live there.

In this narrative, the placename Kirkjubœr, ‘Church-Farm’, is explicitly given an association with the Irish monks that were thought to have been the first human beings to have discovered Iceland, and furthermore it is connected with a story according to which this place was so deeply Christian that a pagan would not have been able to live there – which later is confirmed when the pagan Hildir tries to move to Kirkjubœr, but drops dead at the fence of the home-field (H283). The narrative complex formed by the placename Kirkjubœr and the stories associated with it illustrates that semantically Christian placenames were indeed connected with a concrete Christian religious significance, i.  e.: the meanings of placenames did indeed colour the meaning of their places. In this way, by conveying connotations (religious or otherwise) to their places, Icelandic toponyms fundamentally contribute to filling the Icelandic landscape with cultural and religious significance: named places, already by force of their name, evoke associations, connotations, and even whole narratives. In fact, their names are narratives in (if extreme) miniature.3

3 Helgesson, correspondingly, even classifies placenames as one of the three main categories of textual sources for the study of Norse ritual and religious history (2015, 159; cf. 165).



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This being so, one wonders what picture would arise if one tried to approach Old Norse-Icelandic attitudes to the supernatural not through the classic medium of literary narratives (Eddas, sagas, lives of saints, etc.) but through Icelandic toponymy. Much valuable work has of course already been done on religion and the supernatural in Old Norse placenames. The main thrust of this research to date has particularly been aimed at studying the reflexes of Old Norse cult in this material, and here much headway has been made.4 The approach I want to explore builds on this line of research, but it differs from it by choosing a somewhat different focus in two respects: first, I will look beyond cult and the great gods of the North to include the mythological cosmos as a whole, inclusive of beings like giants or trolls; and second, I will not focus on the reflexes that have been left specifically by Old Norse paganism, but rather I will pursue the interweaving of pagan and Christian elements in Icelandic sacral toponymy.5 Given the large number of Icelandic toponyms that contain religious and supernatural references, spread across the whole country from Þórsmǫrk in the south to Þórshǫfn in the north of Iceland and from our earliest textual sources up to the present, a complete survey of this material would of course be a truly monumental undertaking. The scope of the present, purely exploratory essay must be more restricted: on the following pages, I will try to develop a few first impressions that arise from reading the toponymy of a single recension of a particular text. The text chosen for this exploration is the Book of Settlements. Other texts could have also been chosen, but this particular text has the alluring trait that, by giving an account of the settlement of the whole of Iceland, it provides us with a cross-section of what a medieval writer, perhaps after long deliberation, thought important of Icelandic placenames.6 The question to be pursued on the following pages will be: what is the overall picture of Icelandic attitudes to the supernatural that is presented to us by the placename evidence collected in this text? Or perhaps better: what is the religious-supernatural cosmos, seen in its totality, that is created by the toponymy of the Book of Settlements? The following discussion will be based on the Hauksbók-recension of the work, as this is the most detailed of the extant medieval recensions of this text.7 Questions of chronology will, unfortunately, have to be left aside: while the Book of Settlements in many cases makes claims about the time at which a particular toponym

4 Cf., for instance, Vikstrand 2016, 2002, 2001, 1999; Brink 2013, 2008, 2007; Særheim 2012. 5 For a survey of some research that, over the last century or so, has to some extent anticipated this approach (yet always remained on the margin of the scholarly discourse), cf. Særheim 2012, 195  f. 6 Cf. also Bandle 1977, 47, who calls the Book of Settlements our most important source for the oldest stratum of Icelandic toponymy. 7 Ed. by Finnur Jónsson 1900, 1–125. The more recent edition by Jakob Benediktsson (1968) is primarily based on the Sturlubók-recension, and its presentation of the H-text partly conflates this text with the S-text, making it impossible to use this edition as the basis of a discussion of specifically the H-recension.

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supposedly was coined, it is virtually impossible to verify such claims, since Icelandic placenames cannot be dated linguistically and since there are no independent sources for them that would predate the great flowering of Icelandic literature from the twelfth century onwards. The chronological problem is similar to the chronological problems we are faced with when dealing, for instance, with the literary mythological tradition of the Poetic and the Prose-Edda: a priori, we have to assume that the extant material reflects a complex stratigraphy grown over a time-span of several centuries and combining very old material, potentially even dating back to the Viking Age, with much later, high medieval innovations as well as everything in between these two extremes. The only truly fixed point in our chronologies is the writing-down of the material in the thirteenth and fourteenth centuries. The rather soft chronological focus that this situation necessitates for any overall interpretation of the supernatural material is regrettable, but cannot be avoided. For the purpose of the following discussion, the only fixed chronological point is the terminus ante quem provided by the Hauksbók-recension, which was composed c. AD 1302–1310. If one, for the present purpose, assumes ‘supernatural toponyms’ to mean ‘toponyms that make reference to any aspect of religion and the supernatural’, then the Book of Settlements mentions supernatural toponyms referring to places in Iceland in some fifty of its 356 chapters.8 Thus, supernatural placenames – even broadly understood  – form the minority of toponyms; the vast majority of Icelandic placenames make reference either to persons (Náttfaravík, ‘Náttfari’s Bay’) or are topographically descriptive (Húsavík, ‘Bay of Houses’; Jǫkulsá, ‘Glacier-River’). The majority of the religious and supernatural placenames is, broadly speaking, pagan in character: pagan toponyms appear in some 37 chapters. The relevant instances in the Hauksbók-recension are:

8 Here left aside are toponyms referring to places outside of Iceland as well as names of places where supernatural occurrences take place but where the toponym itself does not directly make reference to these happenings. Also not individually counted are places named from burial sites and instances of supernatural toponyms used merely as distinguishers of persons, such as it is the case in the name of ‘Hof-Kolli’ (‘Temple-Kolli’) or in the repeated recurrences of ‘Eiríkr in/of Goðdalir’, the ‘Valleys of the Gods’ (chs. 151, 162, 232, 354; furthermore cf. the ‘daughter of Þorkell from Guðdalir Valleys’, dottvr Þorkels or Gvðdolvm, in ch. 178). Functionally, in these instances the Goðdalir are used as a nickname and thus appear to have little or no geographical force. On the semantics of the toponym cf. below, n. 10.



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29: Hofstaðir (‘Temple-Steads’) 49: Þursstaðir (‘Giant’s Steads’) 58: Hǫrgsholt (‘Altar-Forest’) 61: Hofgarðar (‘Temple-Yards’) 70: Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’) 71: Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’) 73: Þórsnes (‘Thor’s Peninsula’), Hofsvágr ­(‘Temple-Bay’), Hofstaðir (‘TempleSteads’), Þórsá (Thor’s River’), Helgafell (‘Holy ­Mountain’) 86: Hofstaðir (‘Temple-Steads’) 124: Gýgjarsporsá (‘River of the Ogress’ Track’) 141: Ægissíða (‘Ægir’s Water-Side’)9 145: Hof (‘Temple’) 147: Hof (‘Temple’), Hofsland (‘Temple-Estate’) 154: Hof (‘Temple’) 155: Hof (‘Temple’) 163: Goðdalir (‘Valleys of the Gods’),10 Hof (‘Temple’) 164: Goðdalir (‘Valleys of the Gods’) 170: Hofstaðir (‘Temple-Steads’) 174: Hof (‘Temple’)

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175: Hof (‘Temple’) 187: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’), Hǫrgárdalsá (‘Altar-River-Valley-River’) 188: Hǫrgá (‘Altar-River’) 189: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’) 190: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’) 192: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’) 202: Lundr (‘Grove’) 230: Hof (‘Temple’) 232: Hofslǫnd (‘Temple-Lands’) 236: Hofsteigr (‘Temple-Meadow’) 266: Hof (‘Temple’) 272: Hofsfell (‘Temple-Mountain’) 273: Hof (‘Temple’) 301: Þórsmǫrk (‘Thor’s Forest’) 302: Ægisdyrr (‘Ægir’s Door’) 303: Hof (‘Temple’) 305: Hof (‘Temple’) 312: Trǫllaskógr (‘Forest of the Trolls’), Hof (‘Temple’) 328: Goðdalir (‘Valleys of the Gods’)

The majority of these toponyms refer to cult buildings: hof, ‘temple’ (i.  e. a rich farm on which cultic celebrations were held?); hǫrgr, ‘altar, temple’.11 The use of Lundr as a

9 Cf. Bandle 1977, 49 for comparative material. Bandle considers the possibility that in this toponym ægir could simply be a common noun denoting the sea, but given the prominence of the mythological person Ægir, it seems unlikely that the toponym would not have been perceived as being connected to the figure of the sea-giant. 10 Linguistically, the toponym Goðdalir appears to be a stem compound of goð, n., ‘pagan gods’, plus the geographical term dalir, ‘valleys’ (Bandle 1977, 56). If this analysis is correct, this formation closely parallels the Goðheimr that is attested in a number of continental Scandinavian placenames (Gudhem, Gudme, etc.), in Egill Skallagrímsson’s Sonatorrek (stanza 21), and (in the plural form Goðheimar) in ch. 9 of Snorri’s Ynglinga saga; in the two latter attestations, this name appears to refer to the abode of Odin and the dead warriors. It should be noted, however, that the interpretation of Goðheimr has not always been uncontroversial; for a detailed discussion and summary of the history of research on this toponym cf. Brink 2011, esp. p. 17 on linguistic aspects. As a caveat, it should also be noted that the pattern of Kristnes (which likewise is a stem compound) and the spelling or Gvðdolvm in H178 suggests the possibility of understanding Goðdalir as a compound containing the Christian term Guð, m., ‘(the Christian) God’, and with a corresponding meaning ‘Valleys of God’. The predominance of the o-spelling in Hauksbók, however, suggests that most Icelanders would probably have understood the name as a primarily pagan one. 11 In detail on these terms as part of toponyms cf. Vikstrand 2001, 207–225, 253–272, 424  f.; 2016, 179; 2002, 132–135. As Per Vikstrand points out in these discussions of the two terms, not all Norse placenames formed with one of these elements necessarily seem to have been sacral toponyms, as both words not only had a religious, but also a topographical meaning (with hof designating an ‘eleva-

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toponym derived from a sacred grove also belongs here, since the eponymous ‘grove’ (lundr) – being a natural place used as a cult site – is the functional equivalent of a temple.12 There is only one deity whose appearance in the corpus of placenames in the Book of Settlements is beyond dispute:13 the god Thor, who is referred to in the three toponyms Þórsnes (‘Thor’s Peninsula’), Þórsá (‘Thor’s River’), and Þórsmǫrk (‘Thor’s Forest’). The comparative frequency of toponyms formed with the name of the god Thor ties in with the huge popularity of personal names formed with Þór-/ Þor-. In addition, this also correlates well with Per Vikstrand’s (2001, 422) observation that also among the theophoric placenames of his study area (the Lake Mälaren region in central Sweden), toponyms formed with the name of this god are the ones that are most common; both factors suggests that the medieval toponymy of the Book of Settlements may to some extent still reflect the actual religious preferences of the Icelanders, and more broadly the Scandinavians, of the late pagan period. Apart from this god, only one other indubitable mythological personal name appears in the toponymic corpus of the Book of Settlements:14 the sea-giant Ægir gives his name to the two places Ægissíða (‘Ægir’s Water-Side’) and Ægisdyrr (‘Ægir’s Door’), the former of which seems to refer to a stretch of shoreline, while the latter is suggestive of a harbour-entrance.15 Here, the zone where the area of human habitation and the sea meet is named after a mythological being of the sea. That Ægir is named side by side with a major god corresponds to the fact that Eddic poetry recurrently describes him as a close associate and frequent host of the gods, and thus as a figure (nearly) on a par with them.16 Here, the literary and the toponymic evidence strikingly agree with each other: in placenames, only mythological beings from the world of the gods appear as individuals. Beyond the world of the gods lead the placenames Þursstaðir (‘Giant’s Steads’), Gýgjarsporsá (‘River of the Ogress’ Track’), Trǫllaskógr (‘Forest of the Trolls’), and Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’). Of these, the mythological significance of Þursstaðir is insecure in that the narrative of the Book of Settlements explains the name as being derived not from a giant, but from one Þórðr þurs (‘Þórðr Giant’); while this person may be a secondary invention created to explain the toponym rather than its true origin, it has to be noted that in any case, the tradition represented by the Book of

tion, hill’ and hǫrgr indicating ‘stony ground’), and as the number of Icelandic toponyms containing these elements is suspiciously high. However, the usage of both terms in medieval Icelandic literature suggests that in medieval Iceland such placenames would at least have been thought to refer to built structures used in the context of pagan cult practices (cf., for instance, Book of Settlements H268; Vǫluspá st. 7; Hyndluljóð st. 10 [see Edda]). 12 Cf. Egeler 2016a, 289–304; Bandle 1977, 58. On the term ‘natural place’ cf. Bradley 2000. 13 Cf. the appendix to this essay. 14 Cf. the appendix. 15 On Ægisdyrr cf. Kålund 1877–1882, vol. 1, 280. 16 Introductory prose of Lokasenna; Grímnismál 45; Hymiskviða.



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Settlements did not consider the toponym Þursstaðir to be a mythological one. The three remaining toponyms of Gýgjarsporsá, Trǫllaskógr, and Trǫllaháls are as graphic as they are undetermined. In the extant medieval literature, Trǫllaskógr appears only in the Book of Settlements and in Njáls saga. In the latter text, the place as such does not play a noticeable role, though it just might be significant that Trǫllaskógr is the place of origin of the disagreeable character Ǫnundr Kolsson, who takes part in Gunnarr’s killing and personally slays Gunnarr’s hound Sámr (ch. 76).17 In modern-day toponymy, Tröllaskógur appears as the name of an abandoned farm in the Skógshraun,18 roughly in the area where one would expect the Trǫllaskógr of the Book of Settlements. The name Gýgjarsporsá does not seem to be attested elsewhere in the literature and furthermore has fallen out of use in contemporary toponymy; the river probably is today’s Skorará that flows from Lake Skorarvatn and the Drangarjökull glacier into the innermost part of the fjord Hrafnfjörður in the West Fjords. There are, however, possible reflexes of the old name Gýgjarsporsá in the modern folklore of this river: an alternative name of the river is Sporhamarsá, ‘Track-Rock’s River’ (Jakob Benediktsson 1968, 196 n. 6), which refers to the Gýgjarsporshamar rock (‘Rock of the Ogress’ Track’), a mountain spur located above the northern bank of the river and identified as a settlement of elves.19 Trǫllaháls, finally, is attested in modern-day toponymy, but this modern attestation of the placename designates a ridge above the fjord Vatnsfjörður in the West Fjords rather than the place on Snæfellsnes referred to by the toponym in the Book of Settlements; thus, the Trǫllaháls of this work remains restricted to this text. It may be worth highlighting that all these three ‘troll places’ – Trǫllaskógr, Gýgjarsporsá, and Trǫllaháls  – are located at the outer borders of the land-claims in connection with which they are mentioned; this seems very fitting, even though no explicit connection is made between their peripheral location and their association with trolls and ogres. Christian toponyms appear in a significantly smaller number of passages than pagan ones, being attested in a total of some 19 chapters:

17 Cf. Orri Vésteinsson and Sædís Gunnarsdóttir 1999, 212  f. 18 Ferðakort 2013: 21 P 12. 19 On the folklore of Gýgjarsporshamar cf. the Sagnagrunnur database of Icelandic folk legends (, last accessed 26 June 2016).

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1: Papey (‘Papar-Island’), Papýli ­(‘Papar-Abode’)20 15: Patreksfjǫrðr (‘Patrick’s Fjord’) 21: Ásólfsskáli (‘Ásólfr’s Hall’),21 Kirkjubólstaðr (‘Church’s-Farm-Stead’), Kirkjusandr (‘Church’s Sand’) 68: Kirkjufjǫrðr (‘Church-Fjord’) 69: Kirkjufjǫrðr (‘Church-Fjord’) 71: Kirkjufell (‘Church-Mountain’) 184: Kristnes (‘Christ-Peninsula’) 190: Kristnes (‘Christ-Peninsula’)

191: Kristnes (‘Christ-Peninsula’) 221: Krossáss (‘Cross-Ridge’) 229: Krossavík (‘Bay of the Crosses’) 233: Krossavík (‘Bay of the Crosses’) 255: Krossavík (‘Bay of the Crosses’) 273: Pappýli (‘Papar-Abode’) 280: Kirkjubœr (‘Church-Farm’) 283: Kirkjubœr (‘Church-Farm’) 301: Krossá (‘Cross-River’) 312: Kirkjubœr (‘Church-Farm’) 338: Byskupstunga (‘Bishop’s Tongue of Land’)

The composition of this group of placenames shows certain parallels to the composition of the pagan group. As is the case with the pagan toponyms, the majority of the Christian ones are formed with reference to a sacred building: just as most pagan toponyms refer to a hof (‘temple’), most Christian ones refer to a church (kirkja).22 Here, a particularly striking parallelism is constituted by the names Kirkjufell and Hofsfell, ‘Church-Mountain’ and ‘Temple-Mountain’. There may also be a structural parallel between the usage of Kross-/Krossa- and Hǫrg-, since both the cross and the hǫrgr (esp. if the latter is an altar rather than a ‘temple’)23 can be viewed as monuments representative of their respective religions. The toponym Byskupstunga (‘Bishop’s Tongue of Land’) probably expresses land ownership,24 just as the pagan name

20 Papýli (this form in H1; in H273 it appears as ‘Pappýli’) probably is to be understood as a contraction of an earlier *Papa(r)býli (Ahronson 2015, 67  f.), *Pap(a)-býli (Bandle 1977, 61), or *Pap-býli (Jakob Benediktsson 1968, 32 n. 2), the second element of which would be the word býli, ‘an abode’, a word which is predominantly used in compounds (Cleasby/Gudbrand Vigfusson 1874, s.  v. ‘býli’). Oskar Bandle (1977, 61, 63  f.) assumes that this toponym might have been transferred to Iceland directly from the British Isles (cf. Ahronson 2007); in detail see Egeler, forthcoming. 21 On Ásólfr as a Christian saint (which makes Ásólfsskáli a Christian sacral toponym) cf. Clunies Ross 2002; Egeler 2015b, 79–81, Egeler, forthcoming. 22 The main difference between hof-names and kirkja-names is that hof can be used as a toponym even as a simplex, while kirkja only appears in composites; i.  e., there are numerous instances of places simply called Hof, but there is no single instance of a place simply called Kirkja. The reason for this might be that hof, at least in its sacral meaning (cf. above, note 11), implies a complete working farm which also has a sacral function, whereas kirkja designates specifically, and exclusively, the cult building as such. This may have made the term as a simplex less suitable for the formation of placenames which, after all, first and foremost are names of farmsteads. 23 Even where it is used as a sacral term (cf. above, note 11), the exact meaning of the term hǫrgr is unclear, except that it designates some kind of built cultic structure: in Hyndluljóð st. 10 it is used of a stone-built altar (which is frequently thought to be its original meaning, cf. Brink 2008, 65), whereas in Vǫluspá st. 7 it seems to refer to a timbered building. 24 In H338, Byskupstunga is mentioned among the land taken by the first settler at Mosfell, which lies opposite the episcopal see of Skálholt, separated from it by the river Brúará. Thus, the narrative of the Book of Settlements anachronistically describes the property relations of the Settlement Period by using a name which semantically appears to reflect property relations consolidated only much



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Hofsteigr is claimed to do in H236.25 Furthermore, just as among pagan placenames, direct references to the highest divine power(s) are rare in Christian toponymy: there is only one single Christian placename that directly refers to the Christian saviour (Kristnes). In this sense, references to the highest power are even rarer in the Christian material than they are in pagan toponymy. This extreme scarcity of Christian toponymic references to the highest deity is, however, to some extent offset by some place­ names formed with the names of saints (Patreksfjǫrðr, Ásólfsskáli) and the saintly Irish papar (Papey, Papýli/Pappýli) (on these see Egeler, forthcoming). The parallels that can be observed between pagan and Christian toponymy strongly suggest that the one should not be seen in isolation from the other: both form part of one and the same culture of naming the land, and as such they are reflective of a particular cultural attitude to the semantization of the landscape and the medialization of religious meaning through toponyms. In fact, pagan and Christian toponymy are even more closely intertwined than it is suggested by the way of presentation chosen so far. So far, I have listed and discussed pagan and Christian toponyms separately. By doing so, I have, if implicitly, suggested a fundamental distinction between them. This, however, is not how they are used in the Book of Settlements: there, pagan and Christian toponyms are not two segregated classes of placenames, but intermingle indiscriminately. Therefore, if one were to follow the way how these two groups of religious toponyms appear in the text as it stands, one should perhaps list them not so much as two separate groups, as I have done above, but rather as a continuous sequence, in a way something like this (with Christian toponyms set in italics): Papey (‘Papar-Island’), Papýli (‘Papar-Abode’), Patreksfjǫrðr (‘Patrick’s Fjord’), Ásólfsskáli ­(‘Ásólfr’s Hall’), Kirkjubólstaðr (‘Church’s-Farm-Stead’), Kirkjusandr (‘Church’s Sand’), Hofstaðir (‘Temple-Steads’), Þursstaðir (‘Giant’s Steads’), Hofgarðar (‘Temple-Yards’), Kirkjufjǫrðr (‘ChurchFjord’), Kirkjufjǫrðr (‘Church-Fjord’), Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’), Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’), Kirkjufell (‘Church-Mountain’), Þórsnes (‘Thor’s Peninsula’), Hofsvágr (‘Temple-Bay’) …

Rather than separating pagan and Christian placenames, the toponymy of the Book of Settlements intermixes them. This not only happens within the larger structure of the text as a whole, but recurrently it even takes place within one and the same chapter of the text:

later, after the establishment of the episcopal see. Bandle 1977, 47 is likely to be correct to consider this placename to be a particularly late one. 25 The Book of Settlements claims about the origin of this name that Teigr (‘Strip of Meadow’) lay untaken between the land of the two settlers Þorsteinn the Charmer and Hákon, who then transferred ownership of Teigr to the local temple (hof); therefore it was renamed Hofsteigr (‘Temple’s Strip of Meadow’).

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71: Trǫllaháls (‘Ridge of the Trolls’) and 301: Krossá (‘Cross-River’) and Þórsmǫrk (‘Thor’s ­Kirkjufell (‘Church-Mountain’) Forest’) 190: Hǫrgárdalr (‘Altar-River-Valley’) and Kristnes 312: Trǫllaskógr (‘Forest of the Trolls’), Hof (‘Christ-Peninsula’) (‘Temple’), and Kirkjubœr (‘Church-Farm’) 273: Pappýli (‘Papar-Abode’) and Hof (‘Temple’)

In some of these instances, Christian and pagan toponyms are also associated with each other through close geographical relationships. The valley Hǫrgárdalr opens onto the same fjord on which the peninsula Kristnes is located; this geographical intimacy appears to mirror the tradition that one of the sons of Helgi the Skinny, the Christian name-giver of Kristnes, “built a big temple” (reisti þar hof mikit, H184) at his home, the son of the Christian erecting a pagan sanctuary. Similarly, Hof and – by implication – its eponymous temple were located in the district Pappýli, an area thought to be named from – and probably blessed by – its previous saintly Christian inhabitants. Here, the district takes its name from the papar, the holy Irish monks that Christian Icelanders used as a religious foundation myth by projecting them into their own prehistory; however, the sacred building standing in this district is a pagan hof, creating a situation in which the paganism of the building almost seems enveloped by the Christianity of the larger geographical unit. And similarly again, the Krossá, ‘Cross River’, flows through Þórsmǫrk, ‘Thor’s Forest’ (fig. 1), creating a situation in which the pagan sacred nature alluded to by the valley name ‘Forest of Thor’ virtually seems to envelope the Christian sacral element suggested by the river name ‘Cross River’.26 Looking at this intermingling of Christian and pagan elements in the toponymic cosmos of the Book of Settlements, and at the landscape of the mind created in this way, the question arises: what does all this mean? One possible answer is a confrontational one: perhaps the Christian-named river Krossá flowing through the pagannamed valley Þórsmǫrk is meant to split and break the pagan sacredness of the place; perhaps a Christian toponym Pappýli is meant to create an all-embracing, all-enveloping Christian significance intended to smother the paganism inherent in the farmname Hof. This is one possibility, and – as far as I can see – one that cannot be falsified, at least not easily. Yet, perhaps, it is not the only possible reading of the material.

26 Looking beyond toponymy as such, it might also be worthwhile mentioning here that Ketilbjǫrn, the owner of ecclesiastically-named Byskupstunga, is connected with a story about a failed plan to build a pagan temple (H338). Similarly, according to the narrative presented in H192, it might be worth noting that Hǫrgárdalr, the land-claim of the son-in-law of Helgi the Skinny, one of the foremost Christians of the Settlement Period, is named from a pagan sacred site: this once again connects the same piece of land with both pagan and Christian associations. In a very different way, this might also be the case in H191. There it is told how Þorljót, the daughter of Steinrøðr, moved to Kristnes, the ‘Christ-Peninsula’, in order to marry one Þorvarðr. With regard to this move it might be worth recalling (though it is not necessarily significant) that the Book of Settlements describes both Þorljót’s father Steinrøðr the Mighty and her grandfather Þórir Burster-of-Giants as great fighters against evil supernatural beings.



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Seeing the close intermingling of Christian and pagan toponymic elements, and how both are used in structurally significant parallel ways, it just might be possible that their respective ‘sacralities’ are used not so much in a confrontational but rather in an additive fashion. Perhaps pagan and Christian motifs are so remarkably interwoven in this material because they are both conveying the same fundamental meaning: the land is sacred, or at least it is a place in which sacrality becomes manifest, and in comparison to this manifestation of sacrality it just might be secondary whether the specific sacrality of a particular place is a pagan one, a Christian one, or both.27 From here, it is time to draw to a close, and in doing so to return to the question that was posed at the beginning of this essay: what might we be able to learn from viewing the Icelandic landscape, and more specifically, its toponymy, which represents a core strategy for inscribing significance into this landscape, as one of the central media through which the religious-supernatural cosmos of medieval Iceland is expressed? I think it is clear that  – however this may be interpreted in detail  – what we can see in this material is a remarkable interweaving of pagan and Christian motifs: of gods, Christ, and giants; temples and churches; crosses and altars; saints and places haunted by trolls. Thus, the toponymy of the Book of Settlements reflects the whole supernatural cosmos of medieval Iceland, and, importantly, it does so by spanning both its two religions in parallel and densely interwoven ways. It is virtually impossible to reconstruct the exact chronology of the toponymic material: in most cases, the placenames recorded in the Book of Settlements may, strictly speaking, have been coined at any point before the composition of the text. In this respect, the situation is not much different from the situation we face when dealing with the Eddic sources for Norse mythology, however much richer Eddic literature may be in narrative detail. In the Eddas, almost as much as in Icelandic toponymy, in many instances the only truly fixed chronological point is the date of composition of our texts, or even only the date of the writing of the extant manuscripts. In both cases, considerable parts of the material may be comparatively young, but in both cases also, much of the material may well be very old.28 Thus, from a source critical perspective, there is little reason to favour the picture painted by Eddic literature over the picture conveyed by the toponymy recorded in the Book of Settlements; and at the same time, the contrast between the two is striking. Eddic literature as a medium of the transmission of myth and as a way of engaging with aspects of the

27 Cf. Wellendorf 2010 on the depiction of the earliest settlers of the Settlement Period in Icelandic literature, where he suggests that it might have been viewed as more important that these early settlers were pious rather than whether they were pious Christians or pious pagans. 28 Given recent claims to the contrary, this has to be emphasized not only for the pagan, but also for the Christian part of the Icelandic toponymy of the Book of Settlements, as central parts of this toponymy are associated with prominent Christians from the first generation of settlers and as there is no plausible reason to question this association, even though it cannot be strictly speaking proven: cf. Egeler 2015a, 84  f. pace Sveinbjörn Rafnsson 2001, 615.

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Fig. 1: Krossá (‘Cross River’) flowing through Þórsmǫrk (‘Thor’s Forest’): does the Christian sacrality of the river name split and break the pagan sacrality of the valley name? Or is the folding-together of Christian and pagan toponyms in this valley indicative of a less confrontative relationship between Christian and pagan strategies of sacralizing the landscape? Photo: © M. Egeler, 2011.

supernatural presents us with a picture which is strikingly pagan; its nearly ‘pure’ paganism is especially noteworthy given that this literature was written down during the Christian Middle Ages and that already the Viking Age had been a semi-Christian period, which in itself could have suggested that we would find considerably more Christianity in Norse pagan myth than we do. In the picture that the Eddas draw of the religious cosmos of the Viking Age, Christianity is blinded out with noteworthy thoroughness.29 In strong contrast to this blinding-out of Christianity in Eddic mythology, the Icelandic landscape and toponymy, if viewed as media of an engagement with the supernatural, convey a much more multi-layered, more complex, and more nuanced picture. Here, pagan and Christian concepts appear remarkably intermingled, both appearing as presences in the landscape that are nearly on an equal footing and thus suggestive of closely comparable roles in the lives of those who lived in, travelled through, and worked this landscape on a daily basis. This coexistence of paganism and Christianity in the Icelandic landscape does not mean that Icelandic Christianity was not ‘proper’ Christianity and that Icelandic Christians were not ‘proper’ Christians; nor does it mean that pagan Icelanders were not ‘properly’ pagan. Yet it pro-

29 Though, it should perhaps be noted, the seeming absence of Christian elements from Eddic mythology is not always an ‘honest’ one; for instances of hidden elements of medieval Christianity and learned culture in the Eddas cf. Dronke 1997, 93–104; Maier 2003, 108; Egeler 2013.



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vides us with a glimpse of the richly varied supernatural cosmos that pervaded the scenery of their daily lives, a cosmos much more multifaceted than it becomes clear from the strongly systematized presentations of the mythological (Eddic) literature, a literature that, deriving from the same time as the toponymic record of the Book of Settlements, ultimately has no greater authority. Thus, landscape and toponymy, and the way religious, mythological, and broadly speaking supernatural motifs are medialized through them, can serve as an important corrective to understanding the religious cosmos of medieval Iceland.

Appendix: Helkunduheiðr, Njarðvík, and other problem cases Whether or not a placename should be considered in a treatment of sacred toponyms is not always clear-cut. For instance, the above discussion has primarily focused on passages where a toponym is used with a geographical force, designating a particular place; toponyms that are merely used to differentiate persons, and thus functionally appear as nicknames, have not been excerpted exhaustively, especially not where the same place recurs repeatedly as the determinative of one and the same person (cf. n. 8). Nor have toponyms been considered that refer to places that have a supernatural significance but where this significance is not expressed in the toponym itself. This last category is exemplified by H63: “Then Einarr ran as he could, and when he came past the Drangar Rock Towers, he saw a troll sitting up there and letting his feet swing, so that they touched the surf, and he banged them together, so that it made the sea foam” (þa rann Einarr sem hann matti en þa er hann kom hia Drongvm sa hann trollkall sitia þar a vppi ok lata roa fœtr sva at þeir tokv brimit ok skelldi þeim saman sva at sio drif varð af). Here, the Drangar are construed as the place of a supernatural encounter, marking the site of an intrusion of the supernatural in the physical landscape, but the placename Drangar itself, which simply means ‘Rock Towers’, has no intrinsic mythological or supernatural significance. Thus, this example illustrates a point made already by Per Vikstrand about sacred placenames and holy places (2001, 31, 34): not all holy places also have names that directly designate their holiness, meaning that only a selection of the components of a sacred landscape can be identified through its placenames. This holds true for the reconstruction of not just specifically the ‘sacred’, but also about the ‘supernatural’ landscape in a broader sense. Furthermore, another problem are toponyms whose semantic interpretation is disputable. In chs. H240 and H246, a toponym Njarðvík is mentioned. As a placename, Njarðvík finds a direct counterpart in the Norwegian Narvik, which Bandle has interpreted as indicating a direct transferral of a Norwegian toponym to Iceland (Bandle 1996, 1093; Bandle 1977, 50, 63; cf. the island Njarðey mentioned as a place in Norway in ch. H86). This and similar Njarð- toponyms have in the past been, and

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sometimes still are, connected with the name of the god Njǫrðr (e.  g., Böldl 2013, 237; Sandnes/Stemshaug 1997, 338  f. [s.  v. ‘Nærøy(a)’]; Bandle 1977, 50, 63). Thorsten Andersson, however, points out to me that the first part of this toponym cannot be derived from the god Njǫrðr, as in this case the divine name would have been expected to appear as a genitive (Njarðar-; cf. Vikstrand 2001, 94; Þórhallur Vilmundarson 1992, 54; Særheim 2012, 183, 193). Rather, the element Njarð- in such toponyms should best be seen as an adjective, related to English narrow (cf. Wahlberg 2003, 232 [s.  v. ‘Närdingen’, ‘Närtuna’]; Vikstrand 2001, 94–96; and the general rejection of a theophoric interpretation by Vikstrand 2016, 179). Therefore, the placename Njarðvík has not been taken into consideration in the above discussion. Likewise, I have refrained from including the toponym Helkunduheiðr in the discussion, which is mentioned in H226. Magnus Olsen (1933) has interpreted the element Helkundu- as referring to a female being from Hel (*helkunda, cf. Old English helcund, ‘stemming from hell’). Yet given that a being called *helkunda is mentioned nowhere else in our extant material, such an approach may perhaps seem somewhat speculative, even though it cannot be precluded that this interpretation is correct. Cf. Særheim 2012, 195; Schmidt 2009, 59; Bandle 1977, 57 (who accepts the interpretation as probable). It should, however, be noted that Helkunduheiðr is well-attested as functioning as a boundary (Olsen 1933, 12–17; also the attestation in H226), which constitutes a direct parallel to the other ‘troll-places’ of the Book of Settlements (Trǫllaháls, Trǫllaskógr, Gýgjarsporsá), all of which function as boundaries as well. A further type of problem is that of transmission. Problems of transmission affect particularly the placename Hvítbjǫrg mentioned in H33, as this form of the name may be a copying mistake for a form with mythological significance: instead of Hvítbjǫrg, the S-recension gives the toponym Hnitbjǫrg (S45). Bandle (1977, 53) considers the possibility that the latter is a cultic or mythological name, pointing to the Hnitbjǫrg of Skáldskaparmál g57, where Suttungr hides the mead of poetry. Since the form Hnit­ bjǫrg is not actually attested in H, however, it has not been taken into consideration for the purpose of the present essay. Finally, also toponyms referring to burial sites have not been considered in the above discussion, i.  e. placenames formed with -haugr or -leiði (H22, H60, H63, H64, H178, H182, H195, H273, H283, H303, H332). While a point could be made for including them in a treatment of the supernatural landscape, within the restricted framework of the present article there is no space for doing so. Acknowledgements: I owe thanks to Thorsten Andersson, Sigmund Oehrl, and the editors of this volume for detailed criticisms of earlier versions of this article, which have improved the text substantially, as well as to Courtney Burrell for numerous corrections to my English style and syntax. Any remaining mistakes of language, fact, or interpretation are, of course, solely my own responsibility. All translations are my own. This research was supported by a Marie Skłodowska-Curie Intra-European Fellowship within the 7th European Community Framework Programme.



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Stefanie Gropper

Es sannliga es sagt: Die Íslendingabók des Ari Þorgilsson inn fróði Abstract: Ari Þorgilsson’s Íslendingabók is one of the oldest vernacular texts from Iceland. It has been convincingly demonstrated that Ari modelled his text according to foreign historiographies. He nevertheless is astonishingly independent in his account and he treats his Latin models with a great deal of creativity. Ari established a specific Icelandic mode of chronology and he refers to selected witnesses for his information. This article intends to show that it is the aim of Ari’s Íslendingabók to describe the Icelandic society’s direct and unhampered way from its unstructured chaotic beginnings into the middle of Latin-Christian civilisation. Die um 1033 entstandene Íslendingabók ist eines der ältesten in isländischer Sprache entstandenen Textzeugnisse. Sie ist auch eines der wenigen Zeugnisse in volkssprachiger Prosa aus dem isländischen Mittelalter, deren Verfasser bekannt ist. Neben Ari sind als Autoren von Prosawerken sonst vor allem sein Zeitgenosse Sæmundr Sigfússon, von dem jedoch kein einziges Werk erhalten ist, und der im 13. Jahrhundert wirkende Snorri Sturluson bekannt. Im Vergleich zu diesen beiden – vor allem im Vergleich zu Snorri – hat Ari jedoch relativ wenig Aufmerksamkeit erregt.1 Unter seinen Zeitgenossen war Ari als Gelehrter geschätzt, auf den sich spätere Autoren als Autorität beziehen und für die dessen Angaben zur Besiedlung und Christianisierung als Grundlage dienen. Der Erste Grammatische Traktat nennt Ari als einen der ersten, die in isländischer Sprache schrieben.2 Im Prolog der Heimskringla ist Ari und seinen Verdiensten als erster isländischer Historiograph ein langer Abschnitt gewidmet, in dem Aris Klugheit und gute Erinnerungsgabe hervorgehoben werden.3 Obwohl sich

1 Vgl. dazu Jakob Benediktsson 1968, Formáli, §§ 1 sowie Grønlie 2006, x-xiv, die auch die Forschungsliteratur aufarbeitet. 2 „Sva þav hin spaklegv fræðí er ari þorgils son hefir a bøkr sett af skynsamlegv viti“ (‚Wie auch die kluge Gelehrsamkeit, die Ari Þorgilsson mit seinem verständigen Verstand aufgeschrieben hat‘); Hreinn Benediktsson 1972, 208. Alle Übersetzungen, sofern nicht anders vermerkt, stammen von der Autorin. 3 „Ari prestr inn fróði Þorgilsson, Gellissonar, ritaði fyrstr mann hér á landi at norrœnu máli frœði, bæði forna ok nýja. […] ok þykkir mér hans sǫgn ǫll merkiligust. Var hann forvitri ok svá gamall, at hann var fœddr næsta vetr eptir fall Haralds konungs Sigurðarsonar. […] Því var eigi undarligt, at Ari væri sannfróðr at fornum tíðendum bæði hér ok útan lands, at hann hafði numit at gǫmlum mǫnnum ok vitrum, en var sjálfr námgjarn ok minnigr.“ [„Der Priester Ari der Gelehrte, der Sohn des Þorgils, der der Sohn Gellirs war, schrieb als erster hier im Land in norröner Sprache gelehrte Dinge, sowohl alte als auch neue. […] und mir scheinen alle seine Berichte überaus bedeutsam. Er war sehr klug und

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 Stefanie Gropper

durchaus Parallelen zur kontinentaleuropäischen Geschichtsschreibung finden lassen, wurde bisher kein direktes Vorbild für die Íslendingabók nachgewiesen.4 Aus der Íslendingabók ist jedoch ersichtlich, dass Ari die Konventionen der europäischen Historiographie kannte und sie an die isländischen Verhältnisse anpasste. Da für Island die auf dem Kontinent übliche Chronologie der Königsherrschaften nicht griff, entwickelte er ein eigenes System der Chronologie von Gesetzessprechern, die er für die Zeit nach der Christianisierung um die Abfolge der Bischöfe ergänzte. Ari nennt nur wenige absolute Jahreszahlen und befestigt daran ein kohärentes System der indirekten Chronologie, die heute noch die Grundlage der isländischen Geschichtsschreibung bildet.5 Während somit Aris historiographische Leistung nicht bezweifelt wird, so fand die Íslendingabók als literarisches Werk bislang wenig Beachtung. Es wird zwar stets hervorgehoben, dass es Ari unbestrittenes Verdienst war, als erster ein Werk über Island in der Volkssprache zu schreiben, aber seine literarische Leistung gilt noch als gering im Vergleich zu späteren isländischen Werken. So weist Siân Grønlie zwar darauf hin, dass Ari bereits Stilelemente verwendet, die später für die Sagaliteratur als charakteristisch gelten, aber dennoch bescheinigt sie der Íslendingabók insgesamt doch eher „some clumsiness of style“.6 Auch Jakob Benediktsson beurteilt Aris stilistische Fähigkeiten eher zurückhaltend.7 Es entspricht der in der Literaturgeschichte gängigen Blüte-Verfalls-Theorie, dass frühe Werke als einfach gelten und dass sich anspruchsvollere Texte erst nach einiger Zeit entwickeln. Aber es gibt auch Gegenbeispiele: Bereits die ältesten bekannten Skaldengedichte enthalten die auch für die Blütezeit der Skaldik charakteristischen Elemente. Es ist das Ziel dieses Artikels, die narrativen Besonderheiten der Íslendingabók herauszuarbeiten und zu zeigen, wie Ari sich als reflektiert schaffender und durchaus selbstbewusster Autor zeigt und wie er die Geschichte Islands von der Besiedelung bis in seine eigene Zeit als kohärente und in sich konsistente Erfolgsgeschichte (be-)schreibt und sich selbst als Teil dieser Erfolgsgeschichte präsentiert. Die Íslendingabók ist in zwei Abschriften des 17. Jahrhunderts erhalten, die beide auf dieselbe Vorlage zurückgehen und die sich beide um eine genaue Wiedergabe der

so alt, dass er ein Jahr nach dem Tod von König Harald Sigurðsson geboren wurde. […] Deshalb ist es nicht zu verwundern, dass Ari gute Kenntnisse besaß über Ereignisse aus früher Zeit, sowohl inländische wie auch ausländische, denn er hatte sie von alten und weisen Männern gelernt und war selbst wissbegierig und hatte ein gutes Gedächtnis“]; Bjarni Aðalbjarnarson 1962, 5–7. 4 Vgl. Grønlie 2006, xix. 5 Vgl. Jakob Benediktsson 1968, XLI. 6 Grønlie 2006, xxix. 7 Vgl. Jakob Benediktsson 1968, XXVI: „Íslendingabók er fáort rit, og Ari hefur sýnilega gert sér far um að rita gagnort. Þó eru setningar stundum nokkuð langar og flóknar (…); má sumt af því rekja til latneskrar setningaskipunar, sumt er vafalítið að kenna þjálfunarleysi í framsetningu og skorti á stílkröfum til ritaðs máls.“



Es sannliga es sagt: Die Íslendingabók des Ari Þorgilsson inn fróði 

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Vorlage bemühen.8 Diese nicht erhaltene Vorlage entstand vermutlich im 12. Jahrhundert und gilt als zuverlässige Abschrift der ursprünglichen Handschrift.9 Trotz der zeitlichen Distanz der erhaltenen Handschriften darf daher Jakob Benediktssons Edition durchaus als zuverlässige Grundlage nicht nur für den Inhalt der Íslendingabók, sondern auch für eine Analyse ihrer narrativen Mittel gelten. Ari ist einer der wenigen Prosaautoren des skandinavischen Mittelalters, der sich als „ich“ in seinem Text zu Wort meldet.10 Im ersten Satz seines Werkes nennt er zuerst den Titel, dann sich selbst als „ich“ und für wen er das Buch schrieb: Íslendingabók gørða ek fyrst byskupum órum, Þorláki ok Katli, ok sýndak bæði þeim ok Sæmundi presti.11 Die Íslendingabók schrieb ich zunächst für unsere Bischöfe Þorlákr und Ketill, und ich zeigte sie sowohl ihnen als auch dem Priester Sæmundr.

Wie Sverrir Tómasson gezeigt hat, enthält Aris Prolog damit einige für mittelalterliche Prologe typische Elemente, verzichtet allerdings auch auf einige der sonst üblichen Angaben, wie genauere Aussagen zu seiner Person, den Anlass für sein Werk sowie die direkte Anrede an die beiden Empfänger.12 Es fällt auf, dass Ari sich selbst an die Spitze der genannten Personen setzt und dass er sein Werk nicht explizit als Auftragswerk bezeichnet. Erst im folgenden Satz wird deutlich, dass Ari auf die Wünsche seiner ersten Leser nach Ergänzungen einging. Dennoch bleibt aber auch hier Ari der Akteur, der letztendlich über den Inhalt des Textes entscheidet: En með því at þeim líkaði svá at hafa eða þar viðr auka, þá skrifaða ek þessa of et sama far, fyr útan ættartǫlu ok konunga ævi, ok jókk því es mér varð síðan kunnara ok nú es gerr sagt á þessi en á þeirri. (3) Aber weil es ihnen gefiel, es so oder hier und dort Zusätze zu haben, da schrieb ich dieses noch einmal in der gleichen Weise, ohne Genealogien und Königsbiographien, und ich ergänzte, was mir später besser bekannt geworden war und was jetzt deutlicher gesagt wird als vorher.

Ari hat Anregungen aufgenommen, bleibt aber der selbständige Urheber seines Werkes. Mit dem folgenden Satz, dass man ihn korrigieren möge, falls etwas nicht korrekt berichtet wurde, erfüllt dann Ari nur noch eine für mittelalterliche Autoren

8 Für eine detaillierte Diskussion der beiden Handschriften und deren Geschichte vgl. Jakob Benediktsson 1968, LIV–XLVII. 9 Jakob Benediktsson 1968, XLVII. 10 Vgl. dazu auch Sverrir Tómasson 2012, 245. 11 Jakob Benediktsson 1968, 3. Im Folgenden beziehen sich alle Zitate aus der Íslendingabók auf diese Ausgabe. Die Seitenangaben werden im Fließtext direkt nach dem Wortlaut angegeben. 12 Sverrir Tómasson 2012, 243.

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übliche Pflicht. Aber auch hier weicht er von den Konventionen der Prologe ab, indem er auf einen wirklichen Demutstopos verzichtet. Ein starkes literarisches Selbstbewusstsein mit einem expliziten Autoren-Ich kennen wir in der norrönen Literatur sonst nur von den Skalden, nicht aber aus der narrativen Literatur. Auch wenn dieser erste Satz des Prologs konventionelle Elemente mittelalterlicher Prologe enthält, so fällt doch die Parallele der Formulierung zu Skaldengedichten auf: Der Skalde nennt sich und den Empfänger des Werks, der durch das Gedicht beschenkt und geehrt wird.13 Skalden erhielten ihre gesellschaftlich herausgehobene Stellung jedoch nicht nur als Künstler, sondern auch als politische Ratgeber und Diplomaten an norwegischen Königshöfen.14 Es ist erstaunlich, dass sich Ari als erster isländischer Autor eines volkssprachigen Prosawerkes mit den Skalden verglich und damit nicht nur eine so deutliche persönliche Marke setzte, wie es bei späteren Autoren nicht mehr üblich war,15 sondern dass er sich damit auch als politisch wichtige Person präsentierte. Nicht nur im Prolog, sondern die gesamte Íslendingabók hindurch zeigt sich Ari als selbstbewusster Autor, der von sich selbst immer wieder in der ersten Person – sei es Singular oder Plural – schreibt, der Angaben zu seiner eigenen Person macht, der selbst Teil des Geschehens ist, der Auskunft über seine Gewährsleute ablegt und der Wichtiges von Unwichtigem in der isländischen Geschichte scheidet.16 Auch wenn Ari im Prolog des Werkes seinen Empfängern Korrekturen zugesteht, kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich Ari nicht nur der Bedeutung seiner Aufgabe bewusst ist, sondern dass er sich auch sicher ist, die Aufgabe bewältigen zu können. Warum schrieb Ari dieses Werk? Falls es ein Auftragswerk war, warum wurde dann damit nicht sein bereits bekannter Zeitgenosse Sæmundr betraut, der im Prolog als Priester und Berater erwähnt wird, der im Ausland studiert hatte17 und der einer von Aris Gewährsleuten18 war? Ob Ari Sæmundr als Autor kannte oder ob er seine Information mündlich übermittelt erhielt, lässt seine Formulierung offen: „at sǫgu

13 Beispiele in Kreutzer 1977, 276–282. 14 Zum Beruf des Skalden vgl. Guðrún Nordal 2001, 130–131. 15 In erster Person Singular „ek“ berichtet sonst nur noch der anonyme Erzähler der Hungrvaka (Vgl. Sverrir Tómasson 2012, 245). Auch der Verfasser der Heimskringla spricht in der 1. PS Singular, jedoch ohne seinen Namen zu nennen. 16 z.  B.: „at ætlun ok tǫlu þeira Teits fóstra míns, þess manns es ek kunna spakastan”, (‚nach Ansicht und Aussage meines Ziehvaters Teitr, des Mannes, den ich als sehr klug kannte.‘ 4); „Ek kom ok til Halls sjau vetra gamall, …, ok vask þar fjórtán vetr.“ (‚Ich kam auch als Siebenjähriger zu Hallr, …, und ich war dort 14 Jahre lang.‘ 20). Sehr häufig verwendet Ari die Floskel „sagði oss“, wenn er auf Gewährsleute verweist, wie z.  B. „Svá sagði Þorkell oss Gellissonr” (‚So berichtete uns Þorkell Gellisson‘ 6). 17 Dies wird auch von Ari erwähnt: „Á þeim dǫgum kom Sæmundr Sigfússonr sunnan af Frakklandi hingat til lands ok lét síðan vígjask til prests.” (‚In dieser Zeit kam Sæmundr Sigfússon von Süden aus Frankreich hierher zurück und ließ sich dann zum Priester weihen.‘ 20  f.). 18 Ari führt Sæmundr als Gewährsmann für die Datierung des Todes von Ólafr Tryggvason an (17  f.).



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Sæmundar prests“ (‚nach der Erzählung von Priester Sæmundr‘, 17  f.).19 Ari muss Sæmundr jedoch geschätzt haben, da er ihn ja ausdrücklich als einen der Berater für sein Werk nennt. Neben Sæmundr nennt Ari im Prolog auch zwei Bischöfe, denen er die erste Fassung seines Werkes zu lesen gab. Die Formulierung erweckt jedoch nicht den Eindruck, als habe Ari im Auftrag der Bischöfe geschrieben: „Íslendingabók gørða ek fyrst biskupum órum“ (‚Die Íslendingabók machte ich zuerst für unsere Bischöfe.‘ 3). Vielmehr scheint Ari die Bischöfe wie auch Sæmundr ausschließlich als Berater herangezogen zu haben. Inwieweit er auf deren Änderungsvorschläge für die endgültige Fassung der Íslendingabók einging, ist in der Forschung höchst umstritten. Während einige Forscher die Ansicht vertreten, dass die erste Version der Íslendingabók wesentlich umfangreicher gewesen sei und vor allem zusätzliche Genealogien und Angaben zu norwegischen Königen enthalten habe,20 mahnen andere zur Vorsicht21 oder beurteilen die ältere Fassung sogar als einen für mittelalterliche Prologe typischen literarischen Topos.22 Ari erweckt somit den Eindruck, dass die Íslendingabók in einem kirchlichen Umfeld entstanden ist. Das lange Kapitel über die Christianisierung lässt vermuten, dass sein Werk auch für kirchliche Zwecke gedacht war und eine frühe Kirchengeschichte Islands darstellen soll.23 Aber es fällt doch auf, dass Ari die Christianisierung in die politische Geschichte Islands einbettet, sie vor allem politisch begründet und dass er auch nach der Christianisierung weiterhin neben den Amtszeiten der Bischöfe auch die der Gesetzessprecher zur Datierung von Ereignissen benutzt. In der Forschung wurden daher immer wieder unterschiedliche Ansichten über die Zielsetzung der Íslendingabók geäußert. Es wurde vermutet, dass Ari die Einführung des Christenrechts unterstützen wollte,24 dass wegen eines Konflikts zwischen zwei mächtigen Häuptlingen die Bischöfe die Íslendingabók als Warnung vor weiteren Auseinandersetzungen in Auftrag gaben,25 bzw. dass die Íslendingabók ein Exemplum für das richtige Verhalten in der Gesellschaft ist.26 Alle diese Erklärungen sind plausibel, und keine schließt eine der anderen aus. Keine dieser Erklärungen berücksichtigt jedoch, dass Ari selbst der rote Faden durch die Geschichte Islands ist, dass er unverhohlen Personen und Ereignisse selbst bewertet und dass er auch selbst Teil der erzählten Geschichte ist.

19 Jakob Benediktsson (1968, XXIII) nimmt als sicher an, dass Ari das geschriebene Werk Sæmundrs kannte. 20 So z.  B. Hagnell 1938, 102–109; Turville-Petre 1953, 93–99; Ellehøj 1965, 44–53. 21 Jakob Benediktsson 1968, XVII; Grønlie 2006, xii. 22 Sverrir Tómasson 1975, 268. 23 So z.  B. Mundal 2011. Vgl. auch Hermann 2007, die in der Íslendingabók eine typologische Darstellung isländischer Geschichte sieht. 24 Halldór Hermansson 1930, 37–40. 25 Ellehøj 1965, 80–84. 26 Jakob Benediktsson 1968, XIX.

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Siân Grønlie hat gezeigt, dass Ari enge persönliche und auch familiäre Beziehungen zu zahlreichen wichtigen Charakteren seines Werkes besaß und dass die Íslendingabók daher auch als Familiengeschichte gelesen werden kann.27 Die wichtigste Verbindung besteht zur Familie der Haukdælir, aus der die ersten beiden Bischöfe Islands – Ísleifr und Gizurr – hervorgingen. Teitr, der Sohn Bischof Gizurs, wird gleich im ersten Kapitel als wichtiger Gewährsmann eingeführt: […] at ætlun ok tǫlu þeira Teits fóstra míns, þess manns es ek kunna spakastan, sonar Ísleifs byskups, ok Þorkels fǫðurbróður míns Gellissonar, es langt munði fram, ok Þóríðar Snorradóttur goða, es bæði vas margspǫk ok ólúgfrjóð, […] (4) […] entsprechend der Meinung und Berechnung derer: meines Ziehvaters Teitr, des Mannes, den ich als den klügsten kannte, des Sohnes von Bischof Ísleifr, und meines Onkels Þorkell Gellisson, der sich weit zurückerinnerte, und der Tochter des Goden Snorri, Þóríðr, die sehr klug und zuverlässig in ihren Berichten war, […]

Ari stellt hier seine wichtigsten Gewährsleute für die Geschichte Islands vor, etabliert ihre Vertrauenswürdigkeit und spannt darüber hinaus ein gesellschaftliches Netz bedeutender Personen, in dem er selbst einen zentralen Platz einnimmt. Somit listet er nicht nur die für ihn wichtigsten Quellen auf, sondern er baut aus ihnen das Fundament für die Geschichte Islands – und zwar sowohl für die durch diese Personen abgesicherte historische Tradition als auch die Geschichte, die Ari erzählt bzw. die er aus seinen Quellen (re-)konstruiert. Darüber hinaus hat Ari zu allen drei Personen enge persönliche Beziehungen, von denen er zwei explizit benennt: Teitr ist sein Ziehvater und Þorkell Gellisson ist sein Onkel. Aber auch Þóríðr Snorradóttir ist eine Verwandte Aris.28 Da alle drei hinsichtlich der Datierung der Besiedlung Islands übereinstimmen, kann der Leser dieser Angabe trauen und gleichzeitig daraus auf die Zuverlässigkeit der Quellen schließen. Aber letztendlich gründet das Urteil ihrer Zuverlässigkeit ausschließlich auf Ari selbst: Teitr ist sein Ziehvater, den er als den klügsten kannte und Þorkell ist sein Onkel. Die gute Erinnerungsfähigkeit seines Onkels wie auch die Zuverlässigkeit Þóríðrs werden schlicht festgestellt, ohne weitere Belege außer Aris eigener Aussage. Ari hat hier zwar ein Triumvirat seiner wichtigsten Zeugen etabliert, aber letztendlich ist Ari selbst mit seinem eigenen Urteilsvermögen der Gewährsmann für die Richtigkeit seines Berichtes. Somit ist auch der Kommentar „es sannliga es sagt“ (‚wie glaubwürdig berichtet wird‘, 5) zu Ingólfr als erstem Landnehmer, trotz der unpersönlichen Satzkonstruktion letztlich Aris Urteil. Diese drei zentralen Gewährsleute datieren die Besiedlung Islands „á dǫgum Haralds ens hárfagra” (“in der Zeit von Haraldr en hárfagri”, 4], die Ari in einen größeren historischen Kontext einfügt:

27 Grønlie 2006, xiv-xxvi. 28 Jakob Benediktsson 1968, XX.



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[…] es Ívarr Ragnassonr loðbrókar lét drepa Eadmund enn helga Englakonung; en þat vas sjau tugum ens níunda hundraðs eptir burð Krists, at því es ritit es í sǫgu hans. […] als Ívarr, der Sohn Ragnar loðbróks, den englischen König Eadmund den Heiligen töten ließ; das war 870 nach der Geburt Christi, wie in seiner Saga geschrieben ist. (4)

Auch wenn umstritten ist, auf welche schriftliche Quelle sich Ari hier genau bezieht,29 so etabliert er sich hier selbst als quellenkritischer Historiker, der aufgrund seiner Belesenheit die Geschichte Islands nicht nur mit der norwegischen, sondern auch der englischen Geschichte und der christlichen Weltgeschichte verknüpfen kann. Gleich im ersten Satz verdeutlicht Ari daher den Anspruch Islands auf einen Platz in der Weltgeschichte und dass der Beginn der isländischen Geschichte klar zu datieren ist, d.  h. dass es analog zur Schöpfung der Welt einen Nullpunkt der isländischen Geschichte gibt. Ari schreibt in seiner Íslendingabók gewissermaßen die Schöpfungsgeschichte Islands. Gleichzeitig weist sich Ari selbst aber auch als belesener und gelehrter Mann aus, der sich sein eigenes Urteil über seine Quellen und Gewährsleute bildet und der die erhaltene Information souverän selektiert und bewertet. Ari lässt gleich zu Beginn seines Berichts keine Zweifel daran, dass er der richtige Mann war, um die Geschichte Islands richtig zu schildern und dass er selbst Teil dieser Geschichte ist. Die isländische Geschichte wird geschaffen – von bedeutenden und klugen Männern als Kette von Ereignissen, und in der Íslendingabók von Ari als Bericht über diese Ereignisse. Ari demonstriert seinen Lesern, dass Geschichte gemacht wird – von klugen Männern, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Macht auszuüben. Dies gilt für die Ereignisgeschichte Islands genauso wie für die geschriebene Geschichte Islands. Ari legt großen Wert auf die Schriftlichkeit seines Berichts. Mit „sagði“ (‚sagte‘) und „rita“ (‚schreiben‘) bzw. „skrifa“ (‚schreiben‘) unterscheidet er mündliche und schriftliche Quellen. Wenn er von sich und seinem Werk spricht, verwendet er „skrifa“.30 Er entwirft von sich das Bild einer schriftlichen auctoritas, das ja auch Wirkung gezeigt hat, wie sein ihm später verliehener Beiname inn fróði und die ehrfürchtige Erwähnung in späteren Quellen bezeugen. Ari fühlt sich als Autor in einer starken Position und demonstriert dieses Gefühl der Überlegenheit wie auch seine Macht über den Text. Mit diesem Selbstbewusstsein als Autor, der seinen Namen nennt, weist sich Ari als Teilhaber an der neuen lateinischen und christlichen Welt, der europäischen Gegenwart und Gelehrsamkeit aus. Aber wie der Prolog zeigt, kennt Ari nicht nur die Regeln der gelehrten lateinischen Autoren, sondern er kennt auch die Konventionen der angesehenen volkssprachigen Autoren bzw. Skalden. Es ist die Besonderheit

29 Vgl. dazu die Zusammenfassung der Forschungsmeinungen bei Jakob Benediktsson 1968, XXII– XXIII. 30 Z.  B. „þá skrifaði ek“ (‚so schrieb ich‘; 3); „At hans sǫgu es skrifuð ævi allra lǫgsǫgumanna á bók þessi“ (‚Nach seinem Bericht wurden die Zeiten aller Gesetzessprecher in diesem Buch geschrieben.‘ 22).

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dieses Textes, dass Ari nicht einfach die neuen Vorbilder der lateinischen Literatur nachahmt, sondern dass er Elemente der volksprachigen Überlieferung beibehält und diese mit ausgewählten Elementen der neuen Tradition verbindet. Als mittelalterlicher Autor kannte Ari die Regeln zur Konstruktion von Autorschaft, setzte sie bei seinem Publikum voraus und verwendete sie, um seine kommunikativen Ziele zu erreichen.31 Obwohl Ari sich zu Beginn seines Textes als zuverlässiger und wahrhaftiger Berichterstatter etabliert, vermittelt er doch seine ganz persönliche Sicht der Ereignisse und damit auch ein ganz bestimmtes Bild von der frühen isländischen Geschichte. Diese erreicht Ari durch die Selektion der Information, die Gewichtung der berichteten Ereignisse und der erwähnten Personen sowie durch die sprachliche Gestaltung seines Textes. Die Auswahl der von Ari vermittelten Informationen hängt unmittelbar mit seinem eigenen Werdegang, d.  h. seiner Ausbildung in Haukadalr, und den ihm dadurch nahestehenden Personen zusammen.32 Ari berichtet ausschließlich über erfolgreiche Ereignisse. Die Besiedlung geht scheinbar ohne Probleme und ohne Konflikte unter den Siedlern vor sich. Laut Aris Bericht erfolgt die Besiedelung Islands direkt von Norwegen aus. Zwischenstationen der Siedler auf den britischen Inseln oder in Irland werden nicht erwähnt. Die irischen papar weichen freiwillig vor den Landnehmern, „af því at þeir vildi eigi vesa hér við heiðna menn“ (‚weil sie hier nicht zusammen mit heidnischen Leuten sein wollten‘; 5). Ari erwähnt Konflikte nur dann, wenn sie für die Allgemeinheit von Belang sind und zu Entscheidungen führen, die zur Stabilisierung der Ordnung führen. Sogar der größte Konflikt – zwischen Christen und Nichtchristen – wird friedlich beigelegt und führt zur Christianisierung des gesamten Landes (Kap. 7). In diesen Konflikten treffen kluge Männer die richtigen Entscheidungen, die zur Vermeidung ähnlicher Konflikte in der Zukunft führen.33 Unrecht wird nicht nur bestraft, sondern es hat legislative Konsequenzen. Jede dieser für ganz Island wichtigen Entscheidungen verdeutlicht, wie die Landnehmer aus negativen Erfahrungen lernen und so Schritt für Schritt eine staatliche Ordnung etablieren, die den Zusammenhalt und den Fortbestand der Gemeinschaft ermöglicht. In diesen Abschnitten beruft sich Ari auf seine Quellen und Gewährsleute, wenn neue Strukturen oder Gesetze etabliert werden.34 Andere

31 vgl. Jannidis 2004, 22. 32 Vgl. auch Grønlie 2006, xvii. 33 Der Konflikt zwischen König Haraldr hárfagri und ausreisewilligen Norwegern wird beigelegt, indem man sich auf eine Ausreisegebühr einigte (5); das für alle als Gerichtsort geltende Alþingi wird auf einem Ort gegründet, an dem sich zuvor ein Mann des Mordes schuldig gemacht hatte (8  f.); die Auseinandersetzung zwischen Þórðr gellir und Tungu-Oddr führt zur Einrichtung von Viertelsþingbezirken (12). 34 Die Einführung der Ausreisesteuer (6), die Adaption norwegischer Gesetze (7), wo das Alþingi stattfinden solle (9), die Einrichtung des Viertelsþingbezirken (12), die Besiedlung Grönlands (14), Christianisierung (17).



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Informationen, wie die Datierung von Ereignissen, stützt Ari auf die Aussagen nicht namentlich genannter Gewährsleute, die jedoch durch das Adjektiv „spakr“ (‚klug‘) aufgewertet werden.35 Am deutlichsten wird Aris selektive und erfolgsorientierte, die Einheit der Bevölkerung konsolidierende Berichterstattung am Beispiel der Christianisierung. Aus der Außenperspektive ist die Christianisierung Islands die Folge des zunehmenden Drucks, den der norwegische König Óláfr Tryggvason auf die Bevölkerung ausübte: Nachdem der König zunächst Missionare geschickt hatte, die in gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung gerieten und aus dem Land vertrieben wurden, nahm der König einige vornehme Isländer, die sich in Norwegen aufhielten, als Geiseln und drohte diese verstümmeln und töten zu lassen, falls sich die Isländer nicht zu Christentum bekehren lassen sollten. Doch aus Aris Perspektive entscheiden sich die Isländer aus Gründen des inneren Friedens dazu, den neuen Glauben anzunehmen. In diesem umfangreichsten Kapitel der gesamten Íslendingabók wird auch Aris rhetorische Kunst deutlich.  Der Abschnitt beginnt mit einem Paukenschlag: „Óláfr rex Tryggavason, Ólafssonar, Haraldssonar en hárfagra, kom kristini í Norveg ok á Ísland.“ (‚König Ólaf Sohn Tryggvis, des Sohnes Ólafs, des Sohnes Haralds Haarschöns, brachte das Christentum nach Norwegen und Island‘; 14). Gleich in diesem ersten Satz bietet Ari sowohl die höchste politische als auch die höchste intellektuelle Autorität auf. Er nennt den norwegischen König und führt dessen Vorfahren bis auf Harald Schönhaar zurück, der im ersten Kapitel den Anfang der Besiedlung Islands markierte. Indem er Óláfr aber als „rex“ tituliert, betont Ari sowohl seine Gelehrsamkeit als auch den Beginn der neuen Zeit, die mit dem Christentum und damit auch der lateinischen Sprache verbunden ist. Ari präsentiert sich hier als der mit der notwendigen Autorität und dem notwendigen Wissen ausgestattete Berichterstatter, um diesem wichtigen Kapitel der isländischen Geschichte gerecht zu werden. Er gibt sodann einen Überblick über die Ereignisse, die der entscheidenden Versammlung auf dem Alþingi vorausgingen. Der von König Ólaf gesandte Missionar Þangbrandr verkündete den christlichen Glauben und taufte die ersten Isländer, von denen Ari diejenigen namentlich nennt, die aus den bereits bis dahin die isländische Geschichte bestimmenden Familien stammen und die auch alle eine Beziehung zu Haukadalr aufweisen: Hallr á Síðu, Hjalti Skeggjason, Gizurr en hvíti. Dennoch bleibt Þangbrands Mission weitgehend erfolglos. Ohne zu werten, berichtet Ari vom Konflikt zwischen dem Missionar und den Isländern: „En þá es hann hafði hér verit einn vetra eða tvá, þá fór hann á braut ok hafði vegit hér tvá menn eða þrjá, þá es hann hafði nítt.“

35 Z.  B. die Dauer der Besiedlung: „svá hafa ok spakir menn sagt“ (‚so haben auch kluge Männer gesagt‘; 9); die Datierung von König Haralds Tod: „at tǫlu spakra manna“ (‚nach dem Bericht kluger Männer‘; 9); die Korrektur des Kalenders: „at ráði Þorkels mána ok annarra spakra manna“ (‚auf Rat von Þorkell máni und anderen klugen Männern‘; 11).

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(‚Nachdem er hier ein oder zwei Jahre lang gewesen war, reiste er ab und hatte hier zwei oder drei Männer getötet, die ihn geschmäht hatten.‘ 14). Doch diese zunächst neutrale Berichterstattung wird persönlich gefärbt, wenn Ari die isländischen Geiseln des norwegischen Köngis als „ossa landa“ (‚unsere Landsleute‘) bezeichnet. Ari verlässt seine distanzierte, aus der Ferne beobachtende und die Ereignisse souverän überblickende Position und Berichterstattung und zoomt gewissermaßen in die Mitte des Geschehens als dem Alþing. Wie in einer Isländersaga wechselt er hier in eine szenische Darstellung und baut die feindselige Szenerie zwischen Heiden und Christen sehr sorgfältig auf. Die Spannung steigt, bis es fast zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommt. Aber Ari führt nur die Vertreter der Christen namentlich auf, zu denen die bislang schon in der Íslendingabók maßgeblichen Entscheidungsträger zählen. Dieser prominenten Gruppe mächtiger Individuen stehen die Heiden als namenloses Kollektiv gegenüber. Der Streit verlagert sich auf Betreiben zweier Christen – Gizurr und Hjalti – zum lǫgberg, dem Gesetzesfelsen, d.  h. er wird von der physischen auf die intellektuelle Ebene verlagert. Hallr wird von den Christen aufgefordert, „at hann skyldi lǫg þeira upp segja, þau es kristninni skyldi fylgja.“ (‚dass er diejenigen Gesetze aufsagen solle, die dem Christentum folgen sollten.‘, 16). Doch Hallr tritt diese Aufgabe an den Gesetzessprecher Þorgeirr ab, den einzig namentlich genannten Heiden. Nachdem ­Þorgeirr eine Nacht lang nachgedacht hat, beruft er wieder eine Versammlung am lǫgberg ein. Obwohl seine Rede indirekt referiert wird, kommt Þorgeirrs Bemühen um eine sorgfältige und überlegte Wortwahl deutlich zum Ausdruck. Die Rede wird in einem langen, hypotaktischen Satz zusammengefasst und ist mit allitererierenden Wortpaaren geschmückt. Die eigentliche Entscheidung wird dann in direkter Rede wiedergegeben – es ist die einzige Passage der Íslendingabók, in der Ari direkte Rede verwendet. Darüber hinaus erhält dieser kurze Abschnitt durch Parallelismus, Assonanz und Alliteration zusätzliche Bedeutung: En nú þykkir mér ráð,“ kvað hann, „at vér látim ok eigi þá ráða, er es mest vilja í gegn gangask, ok miðlum svá mál á miðli þeira, at hvárirtveggju hafi nakkvat síns máls, ok hǫfum allir ein lǫg ok einn sið. Þat mon vera satt, es vér slítum í sundr lǫgin, at vér monum slíta ok friðinn. (17) (Hervorhebung der Verf.) Aber nun scheint es mir ratsam,“ sagte er, „dass wir nicht diejenigen entscheiden lassen, die am meisten dagegen sind, und dass wir so vermitteln, dass jede der beiden Seiten etwas zugestanden bekommt, und lasst uns alle ein Gesetz und einen Glauben haben. Es ist wohl wahr, dass wenn wir das Gesetz zerstören, wir auch den Frieden zerstören.

Ari enthält sich jeglicher Bewertung dieser Rede, verleiht ihr aber sowohl durch die Länge als auch die stilistischen Hervorhebungen besonderes Gewicht. Für die Geschichte der Christianisierung führt er Teitr als Gewährsmann an, diesmal jedoch ohne – wie zu Beginn des Kapitels – den Hinweis, dass Teitr seine Informationen von einem Augenzeugen erhalten habe. Teitr und Ari sind nun selbst Teil des berichteten Geschehens.



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Auch wenn dieses längste und gewichtigste Kapitel der Íslendingabók die Christianisierung des Landes behandelt, so stehen doch die politischen Aspekte eindeutig im Vordergrund. Es geht sowohl darum, den Frieden unter den Landsleuten aufrecht zu erhalten, als auch den Frieden mit den Nachbarländern. Diejenigen Männer, die sich für den Glaubenswechsel einsetzten, waren auch diejenigen, die schon bis dahin die Geschicke Islands gelenkt und die Gesetzgebung bestimmt hatten. Obwohl Ari das folgende Kapitel mit einer Aufzählung von ausländischen Bischöfen auf Island beginnt und das sich daran anschließende Kapitel zum größten Teil Ísleifr, dem ersten isländischen Bischof widmet, so erscheint die Christianisierung dennoch im Wesentlichen als Konsolidierung der politisch Mächtigen. Die isländischen Bischöfe entstammen den Familien, die seit der Besiedelung verantwortlich für die Organisation des Landes wie auch für dessen funktionierende Infrastruktur gewesen waren. In den letzten Kapiteln der Íslendingabók bleibt die Folge der Gesetzessprecher als chronologische Leitlinie weiterhin wichtig; sie steht gleichberechtigt neben der Folge der Bischöfe. Dennoch beginnt mit dem Christentum eine neue Zeit – die Zeit der Gelehrsamkeit und damit auch der Einbindung in die Weltgeschichte und in die internationale Politik. Ari benutzt bereits neben mündlichen auch schriftliche Quellen, wobei ihm die schriftlichen Quellen allerdings nur für Ereignisse außerhalb Islands zur Verfügung stehen. Erst mit der Christianisierung beginnt auch für Island das Zeitalter der schriftlichen Aufzeichnung. Doch auch diese stehen zunächst im Dienst der Politik: im Kapitel über Bischof Gizurr Ísleifsson, den Ari als überaus beliebt lobt, „vas nýmæli þat gǫrt, at lǫg ór skyldi skrifa á bók at Hafliða Mássonar” ,wurde die Neuerung eingeführt, dass unsere Gesetze von Hafliði Másson aufgeschrieben werden sollten‘, 23). Auch die Schrift steht somit im Dienst der inneren Einigkeit und des friedlichen Zusammenlebens, die der Gesetzessprecher Þorgeirr angemahnt hatte. Aris Íslendingabók erweist sich als ein historisches Metanarrativ über die isländische Gesellschaft, die mit der Besiedlung einen klar nennbaren Anfang hat und auf das Ziel des Fortschritts und der Zivilisation ausgerichtet ist.36 Wie andere Erzählungen vom Anfang erzählt er vor allem im Hinblick auf die Gegenwart, die er als Konsequenz der richtigen konzeptionellen Entscheidungen der machthabenden Familien darstellt. Er schreibt die Geschichte Islands als Erfolgsgeschichte, von der er selbst als der erste volkssprachige Historiograph ein Teil ist. Er zeichnet eine konsequente und zielstrebige Entwicklung der isländischen Gesellschaft nach, von der Besiedlung über die Organisation der Gesetze und der Infrastruktur bis hin zur Christianisierung, die Islands Eintritt in die zivilisierte und schriftliche Welt bedeutet. Es gibt weder Rückschläge noch Widerstand, sondern Konflikte dienen der Weiterentwicklung: Sie führen entweder zur Einführung neuer Gesetze, neuer Strukturen oder zu einem klugen Kompromiss. Immer handelt es sich dabei um den Ratschlag jeweils

36 Vgl. dazu Friedrich/Hammer/Witthöft 2014, 12.

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eines mächtigen Mannes, der sich für das Gemeinwohl verantwortlich fühlte, und alle diese Männer – ob weltlich oder später auch kirchlich – stammen aus dem Umfeld Haukadals, dem Ort, an dem auch Ari seine Ausbildung erhielt. Aris Text spiegelt diesen verantwortungsvollen und selbstbewussten Umgang mit der Macht: So wie sich die isländischen Politiker an Verhältnissen und Strukturen im Ausland orientieren und dort Bewährtes übernehmen und einheimische Verhältnisse anpassen, so orientiert sich Ari an ausländischen, d.  h. englischen und lateinischen, Vorbildern und passt deren literarische Verfahren an die isländischen Bedürfnisse an. Er legt damit den Grundstock für isländische Geschichte und Geschichten, d.  h. er legt das Fundament sowohl für die histoire als auch für den discourse. So kann er sich selbstbewusst als erzählendes „Ich“ in seinen Text einbringen und ganz stolz am Ende des Textes seinen Namen nennen „en ek heitik Ari“ (‚und ich heiße Ari‘; 28).

Literatur Bjarni Aðalbjarnason 1962: Bjarni Aðalbjarnason (útg.), Heimskringla 1 (Íslenzk fornrit 26). Reykjavík 1962. Ellehøj 1965: Svend Ellehøj, Studier over den ældste norrøne historieskrivning (Bibliotheca Arnamagnæana XXVI). København 1965. Friedrich/Hammer/Witthöft 2014: Udo Friedrich, Andreas Hammer, Christiane Witthöft, „Anfang und Ende“. In: Friedrich/Hammer/Witthöft (Hg.), Anfang und Ende. Formen narrativer Zeitmodellierung in der Vormoderne (Literatur – Theorie – Geschichte 3). Berlin 2014, 11–27. Grønlie 2006: Siân Grønlie (transl.), Íslendingabók. Kristnisaga. The Book of The Icelanders. The Book of The Conversion (Viking Society for Northern Research – Text Series 18). London 2006. Guðrún Nordal 2012: Guðrún Nordal, Tools of Literacy. The Role of Skaldic Verse in Icelandic Textual Culture of the Twelfth and Thirteenth Centuries. Toronto et al. 2012. Hagnell 1938: Eva Hagnell, Are Frode och hans författarskap. Lund 1938. Halldór Hermannsson 1930: Halldór Hermannsson (transl.), The Book of the Icelanders (Íslendingabók) by Ari Ϸorgilsson. Edited and translated with an introductory essay and notes by Halldór Hermannsson (Islandica XX). Ithaca 1930. Hermann 2007: Pernille Hermann, “Íslendingabók and History”. In: Pernille Hermann et al. (ed.), Reflections on Old Norse Myths (Studies in Viking and Medieval Scandinavia 1). Turnhout 2007, 17–32. Hreinn Benediktsson 1972: Hreinn Benediktsson (Hg.), The First Grammatical Treatise. Introduction, text, notes, translation, vocabulary, facsimiles (University of Iceland Publications in Linguistics 1). Reykjavík 1972. Jakob Benediktsson 1968: Jakob Benediktsson (Hg.), Íslendingabók, Landnámabók (Íslenzk fornrit 1). Reykjavík 1968. Jannidis 2004: Fotis Jannidis, Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie (Narratologia 3). Berlin/New York 2004. Kreutzer 1977: Gert Kreutzer, Die Dichtungslehre der Skalden: poetologische Terminologie und Autoren­kommentare als Grundlagen einer Gattungspoetik. 2. überarbeitete Auflage (Hochschulschriften Literaturwissenschaft 1). Meisenheim am Glan 1977.



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Daniela Hahn

Talismane als ‚handlungsmächtige Dinge‘ in den Isländersagas Abstract: This article examines from a narratological perspective the few talismans known from the Sagas of Icelanders in connection with other powerful objects in order to shed new light on the underlying concepts concerning them. The idea of powerful items with an agency of their own is widespread in the Icelandic sagas. I argue that the origin of the talismans’ inherent power can only be examined within this larger category of meaningful objects. These usually auspicious items need not necessarily refer to a numinous entity, but may also carry an energy in themselves which is connected to the gæfa (‚luck‘) of another person. Thus, newly examining the concept behind talismans and other auspicious objects could help to create a clearer image of the conceptualization of things in Old Norse texts. Die zahlreichen wikingerzeitlichen Amulettfunde Skandinaviens1 legen die Annahme nahe, dass der Glaube an die Heilswirkung von Gegenständen weit verbreitet gewesen sein muss.2 Ob einem Objekt eine besondere Funktion zugeschrieben wird oder es als profaner Gegenstand betrachtet wird, hängt mit der Einstellung des Trägers zusammen und ist daher schwer zu bestimmen,3 doch spezielle Formen, bildliche Darstellungen und Inschriften verweisen häufig auf Göttergestalten. Solche Objekte könnten damit „als materieller Ausdruck einer personalen Beziehung zwischen dem Besitzer des Amuletts und dem bezeichneten Gott“4 verstanden werden.5 In literarischen Quellen sind Amulette dagegen überraschend selten, neben zwei Runeninschriften listet beispielsweise Baetke in seiner Quellensammlung nur drei Beispiele, die alle aus Isländersagas stammen.6 Seine Liste könnte zwar ergänzt werden, doch gibt es auch darüber hinaus nur wenige Dinge in den Texten, die von der Forschung als ‚Amulette‘ oder ‚Talismane‘ diskutiert wurden. Es handelt sich vornehmlich um zwei

1 In seiner 2010 publizierten Dissertation legt Jensen einen Katalog von ca. 1350 wikingerzeitlichen Amuletten aus Skandinavien und Westeuropa vor (Jensen 2010, 1–4). Eine Besprechung neuerer Funde und eine Übersicht aus archäologischer Perspektive bietet auch Gardeła 2014, 45–65. 2 Vgl. Thrane et al. 1973, 270–272, vgl. auch Böldl 2005, 180. 3 Vgl. Sefrin 2001, 163–164. 4 Böldl 2005, 180. 5 Die Begriffe ,Amulett‘ und ,Talisman‘ werden hier, der Definition Sefrins (2001) folgend, synonym verwendet. 6 Baetke 1937, 128–129: Es sind der Talisman der Vatnsdœla saga, die Erbstücke der Víga-Glúms saga und ein Ring in der Laxdœla saga; diese werden im Folgenden alle besprochen.

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kleine Gegenstände, die jeweils ein Götterbildnis tragen und die als Freyrs hlutr7 bzw. Þórrs líkneski8 bezeichnet werden sowie um die Erbstücke der Víga-Glúms saga, die mit Óðinn in Verbindung gebracht wurden. Die Diskussion um solche Talismane war bisher eng mit der übergeordneten Frage verwoben, ob die Sagas heidnische Vorstellungen ihrer Handlungszeit bewahren könnten oder ob davon auszugehen sei, dass es sich bei den vermeintlichen Spuren paganer Religion in Wirklichkeit um christliche Umformungen und Rückprojektionen aus der Schreibezeit handle.9 Schiebt man diese ‚Glaubensfrage‘ zunächst beiseite und betrachtet die Talismane der Isländersagas als besondere Gegenstände innerhalb eines Textes, fällt auf, dass sie als wirkungsmächtige Dinge nicht alleine stehen: Viele Objekte haben eine vergleichbare Macht oder Funktion. Diese meist glückbringenden Gegenstände müssen nicht notwendigerweise auf einen Gott verweisen, sondern können ebenso eine Kraft in sich tragen, die mit irdischen Schenkern in Verbindung steht. Zieht man solche Objekte bei der Untersuchung von Talismanen heran, ergibt sich ein größeres Korpus besonderer Gegenstände, für die neuere narratologische Ansätze fruchtbar gemacht werden können. Im Rahmen dieses Beitrages soll gezeigt werden, dass der Glaube an wirkmächtige Gegenstände tief in der Vorstellungswelt der Isländersagas verankert ist, und erst innerhalb dieser größeren Gruppe nach dem Ursprung der dem Objekt innewohnenden Kräfte gefragt werden sollte. Die Talismane der Isländersagas werden hier daher zunächst als ‚handlungsmächtige Dinge‘10 in einer Erzählung verstanden, die in ihrer Eigenwilligkeit ähnlich wie Figuren konzeptualisiert sind. Nach einer Analyse der drei gängigen Beispiele für Talismane in den Isländersagas sollen verwandte Beispiele zeigen, dass Geschenke oder Erbstücke in ganz ähnlicher Weise Glück oder Unheil in sich tragen können und ebenfalls eine eigene Wirkmacht besitzen.

7 Vtn 10, 30. Der Begriff hlutr hat viele Bedeutungen, die nicht unbedingt ein Amulett bzw. einen Talisman bezeichnen müssen, und kann auch einen profanen Gegenstand, ein Los oder einen Anteil bezeichnen, vgl. Fritzner 1891, 17–20. Die Verwendung in der Vatnsdœla saga wird dort mit „et Slags Orakel eller Amulet“ (S. 18) übersetzt. 8 Hal 6, 162. Vgl. Fritzner 1891, 526: „líkneski, n. 1) Skikkelse, Figur, […] 2) Billede“. 9 Zu Talismanen äußert beispielsweise Baetke 1951 [1973, 339], man dürfe diese Berichte nicht „ohne weiteres als Quellen für nordisch-heidnischen Volksglauben“ werten. Meulengracht Sørensen 1992, 720, argumentiert dagegen, man dürfe aus Baetkes Annahmen nicht folgern, dass man „durchgehend Erfindungen oder Verfälschungen“ begegne. Im Gegenteil sei anzunehmen, dass die Verfasser interessiert gewesen seien, ein „möglichst wahrheitsgetreues Bild des Heidentums zu vermitteln“. 10 Auf die Diskussion einer begrifflichen Abgrenzung von ‚Sachen‘, ‚Objekten‘, ‚Dingen‘, ‚Artefakten‘, usw. wird hier verzichtet (vgl. Tsouparopoulou/Meier 2015, 47). Gemeint sind im Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Analyse alle nicht-menschlichen und nicht-tierischen Gegenstände einer Erzählung.



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Talismane als ‚handlungsmächtige Dinge‘ Die Talismane der Isländersagas sollen hier als ‚Dinge‘ verstanden werden, die in der Narration als ‚besonders‘ markiert werden. Solche Dinge ziehen neben den etablierten Grundpfeilern der Erzähltextanalyse (wie Figuren, Raum und Zeit), in den letzten Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich.11 Das vorrangige Ziel dieser neuen Bestrebungen ist es, die Figurenanalyse als traditionellen „hermeneutische[n] Angelpunkt“12 in Frage zu stellen und daneben eine Analysekategorie der Dinge zu etablieren. Diesen wird dabei, wie menschlichen „Aktanten“,13 eine eigene Handlungsmächtigkeit zugeschrieben.14 In seiner einflussreichen Studie von 2006 argumentiert Böhme, Dinge müssten ebenso wie Menschen als Handelnde verstanden werden – als „Mitspieler“ im narrativen Gefüge.15 Doch lässt sich nicht jedes Ding in einem Erzähltext als „Aktant“ verstehen. Viele Gegenstände haben eine rein (aus-)schmückende Funktion und tragen nur indirekt zur Gestaltung einer Figur oder Szenerie bei.16 Interessant sind jene Gegenstände, die eine eigene Geschichte erhalten, denen durch den Erzähler und durch die Figuren im Handlungsfortgang Bedeutungen und Funktionen ein- und zugeschrieben werden.17 Die so entstehende ‚Biographie‘ des Dinges umfasst dessen Herstellung, Material, Herkunft und seine Geschichte innerhalb der Erzählung.18 Dass besondere Gegenstände wie Menschen konzeptualisiert werden, lässt sich am deutlichsten an Dingen ablesen, die Namen tragen, etwa Schwerter wie Grásiða und Skǫfnungr, denen eine eigene Wirkmacht zugeschrieben wird.19

11 Vgl. insbesondere Böhme 2006, Kohl 2003, Mühlherr et al. (Hg.) 2016 sowie Knipp 2012 und Veddeler 2012. Einen Abriss der Forschungsgeschichte bieten Mühlherr/Sahm 2012, 236. 12 Mühlherr 2009, 461. 13 Ein ähnliches Konzept findet sich bei Bruno Latour, der den Begriff des ‚Aktanten‘ oder ‚Akteurs‘ verwendet, für „jedes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht“ (Latour 2014, 123). Auf mittelalterliche Erzähltexte wird dieses Konzept beispielsweise von Mühlherr/Sahm 2012 übertragen. 14 Auf eine Verwendung des auch in deutschsprachiger Forschung gebräuchlichen Begriffs der agency (vgl. bspw. Mühlherr 2014) wird hier verzichtet, da dieser gegenüber der Verwendung deutscher Begriffe wie ‚Handlungsmächtigkeit‘ oder ‚Wirkmacht‘ keinen klaren Vorteil zu bieten scheint. 15 Böhme 2006, 78. 16 Vgl. Schanze 2013, 539, der hierfür den treffenden Vergleich des Theaters wählt: Während es in der Natur eines Requisits liegt, ein für die Handlung notwendiges Ding zu sein, trifft dies nicht auf alle dinglichen Elemente eines Bühnenbildes zu. Ebenso gibt es in narrativen Texten Dinge, die keine spezielle Bedeutung tragen. 17 Vgl. Mühlherr/Sahm 2012, 238. Siehe auch Schanze 2013, 539, in Anlehnung an Mühlherr 2009. 18 Ähnliche Gedanken werden in der Archäologie unter dem Schlagwort der ‚Objektbiographie‘ verfolgt. Diese Methodik geht auf Kopytoff 1986 zurück und geht davon aus, dass der Mensch Dinge grundsätzlich wie Menschen konzeptualisiert. Vgl. zusammenfassend Tsouparopoulou/Meier 2015, 50–51. 19 Zur Namensgebung von Schwertern vgl. Rogan 1990, 49–50. Auch Grünzweig 2009, 409–420 und insb. 413–114, zeigt, dass es sich bei Schwertern in der altnordischen Literatur grundsätzlich nicht um

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Eine Übertragung des Konzeptes der Biographie auf literarische Gegenstände schärft den Blick auf die Veränderlichkeit des Dings. Neben der Möglichkeit der ständigen Neusemantisierung eines Objektes innerhalb seiner Lebenszeit stellt Mühlherr für besondere Dinge in mittelalterlichen Texten fest, ihnen wohne eine „eigene Bestimmtheit“ inne, die nicht unbedingt auf allen Erzählebenen gleichermaßen bekannt sein müsse.20 Interessante Bruchstellen entstehen immer dann, wenn das Wissen um den dinglichen Eigensinn zwischen dem Erzähler, den Figuren und dem Rezipienten ungleich verteilt ist und dieses Missverhältnis sichtbar wird.21 Die folgenden Beispiele werden zeigen, dass vielen besonderen Gegenständen der Isländersagas, wie Talismanen, sowohl eine Wandelbarkeit innerhalb ihrer Lebenszeit als auch ein Eigenwille innewohnen, mit dem die menschlichen Aktanten der Sagas zu ringen haben. Die den Gegenständen inhärente Logik trägt dabei zur kausalen wie kompositorischen Motivierung des Geschehens bei und eröffnet neue Verständnisperspektiven. Talismane sollen hier also als eine Untergruppe handlungsmächtiger Gegenstände verstanden werden, für die sich als konkrete Dinge fragen lässt, woher sie ihre Handlungsmacht beziehen. In ihrem Fall liegt die Begründung nahe, eine numinose Macht wirke durch den Talisman.

Die Talismane der Isländersagas Die beiden gängigen Beispiele für Talismane in Isländersagas handeln jeweils von einem kleinen Gegenstand, der ein Götterbildnis trägt. Einer davon begegnet in der Hallfreðar saga vandræðaskálds, als der Titelheld am Hof König Óláfrs zu Gast ist. Auf seine Nachfrage, wo Hallfreðr sich gerade aufhalte, bekommt der König zur Antwort: Hann mun enn hafa vanða sinn, at blóta á laun, ok hefir hann líkneski Þórs í pungi sínum af tǫnn gǫrt; […].22 Um zu behaupten, Hallfreðr halte noch am Heidentum fest, verbreitet man also die Gerüchte, er trage eine Þórrs-Figur23 bei sich und opfere den Göttern. Aussehen unbelebte Gegenstände handelt. Vielmehr wohne den Texten die Vorstellung inne, dass Schwerter einen eigenen Charakter besäßen, der mit dem ihres Besitzers korrespondiere. 20 Mühlherr 2009, 469. Vgl. auch Schanze 2013, 541. 21 Ein ähnliches Vorhaben verfolgt Sahm 2009 in ihrem Beitrag zum Schatz im Beowulf. Wie Mühlherr zeigt sie, dass dem Hort als Ding eine eigenmächtige Logik innewohnt, die dem Helden nicht vollumfänglich bekannt ist, und die zur Katastrophe beiträgt. Dem Hort widmen sich Mühlherr/Sahm 2012 erneut: Für das Nibelungenlied stellen sie fest, dass dieser sich als Ding der Anderwelt behauptet, das Figuren und Publikum mit einer ‚hermeneutischen Grenze‘ konfrontiert (237). 22 Hal 6, 162: „‚Er wird wohl immer noch seiner Gewohnheit anhängen, heimlich zu opfern, und er hat eine Þórrs-Figur in seinem Beutel, aus Walrosszahn gefertigt.‘“ Sämtliche Übersetzungen stammen von der Verfasserin. 23 Zur Verbindung dieser Textstelle mit archäologischen Funden von Þórrs-Figurinen siehe Perkins 2001, insb. 61–68.



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und Gebrauch des Talismans müssen ebenso wenig näher beschrieben werden wie das Opfern. Der Talisman scheint zum Requisitenrepertoire zu gehören, mit denen heidnische Figuren in den Isländersagas ausgestattet werden können. Dies weist darauf hin, dass es sich zwar um ein seltenes Textbeispiel handelt, aber nicht um einen Gegenstand, der Erklärungsbedarf mit sich brächte. Der Talisman tritt nur als ausschmückender Gegenstand auf und hat damit keine eigene Biographie oder Handlungsmacht. Auf diesen Talisman wird danach nicht weiter eingegangen, Eine bedeutendere Rolle kommt in der Vatnsdœla saga dem wohl bekanntesten Talisman der Gattung zu. Nach dem Erfolg bei der Schlacht am Hafrsfjǫrðr entlohnt König Haraldr hárfagri seine Gefolgsmänner und beschenkt sie reich. Unter diesen erhält Ingimundr neben Schiffen und Ausrüstung auch einen Talisman: [O]k til marks at þú hefir verit í Hafrsfirði, skaltu eignask at gjǫf hlut þann, er átt hefir [Ásbjǫrn] kjǫtvi, sem hann hafði mestar mætur á, nú er þat meir til sannenda þessa fundar en þat sé mikit fé, en þó sœmð í at þiggja af oss […]. (Vtn 9, 26–27). ([U]nd zum Zeichen, dass du im Hafrsfjǫrðr gewesen bist, sollst du als Geschenk diesen Talisman erhalten, den Ásbjǫrn kjǫtvi besessen hat, auf den er größten Wert gelegt hat. Nun dient er mehr zum Beweis für diese Schlacht, denn als großes Vermögen, und dennoch ist es ehrenvoll, ihn von uns zu empfangen.)

Wenig später findet ein Fest statt, auf dem eine zauberkundige Finnin allen Anwesenden deren Schicksal prophezeit. Sie weissagt Ingimundr, er werde nach Island segeln und dort ein angesehener Mann werden. Ingimundr will nichts davon hören, trotzdem fährt die Finnin fort: Þetta mun fram koma, sem ek segi, ok þat til marks, at hlutr er horfinn ór pússi þínum, sá er Haraldr konungr gaf þér í Hafrsfirði, ok er hann nú kominn í holt þat, er þú munt byggja, ok er á hlutnum markaðr Freyr af silfri; ok þá er þú reisir bœ þinn, mun saga mín sannask. (Vtn 10, 29–30). (Es wird geschehen, wie ich sage, und dies zum Beweis, dass der Talisman aus deinem Beutel verschwunden ist. Jener, den dir König Haraldr im Hafrsfjǫrðr gegeben hat, und dieser ist nun in jenen Wald gekommen, wo du siedeln wirst, und auf dem Talisman ist ein Zeichen Freyrs aus Silber; und wenn du dein Gehöft errichtest, werden sich meine Worte bewahrheiten.)

Tatsächlich ist der Talisman am folgenden Morgen verschwunden. Als Ingimundr wieder auf König Haraldr trifft, sprechen sie über die Prophezeiung. Der König hält es für möglich, dass hier Freyr wirke: [V]ili Freyr þar láta sinn hlut niðr koma, er hann vill sitt sœmðarsæti setja.24 Ingimundr schickt daraufhin nach drei Finnen, die den Talisman für ihn suchen sollen. Drei Tage und Nächte schließen diese sich in einer Hütte ein und berichten danach von ihren Schwierigkeiten: [O]k þar í holtinu ǫðru var hlutrinn, ok er vér ætluðum at taka hann, þá skauzk hann í annat holtit, ok svá sem vér 24 Vtn 12, 33; „Freyr wird seinen Talisman dorthin gelangen lassen, wo er seinen Ehrensitz errichten will.“

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sóttum eptir, hljóp hann æ undan, […].25 Als Ingimundr in Island angekommen ist und im Vatnsdalr siedelt, findet er den Talisman, als die Löcher für seine Hochsitzsäulen ausgehoben werden.26 Er entschließt sich nun, sich fortan nicht mehr gegen sein Schicksal wehren zu wollen.27 Wie Hallfreðrs angebliches Thorsfigürchen zeigt auch Ingimundrs Talisman ein Götterbild, nämlich das von Freyr, ist aber aus Silber gefertigt. Als der König Ingimundr den Talisman überreicht, betont er dessen Vorgeschichte und verweist auf sich als Schenker  – als Funktion des Talismans gibt der König an, er solle ein Beweisstück sein; das Gewicht liegt eindeutig auf seiner Symbolfunktion und nicht auf seinem materiellen Wert. Der König beschreibt das Aussehen des Talismans nicht und erwähnt auch Freyr nicht. Auch die Seherin nimmt in ihrer Beschreibung des Talismans Bezug auf dessen Biographie (sá er Haraldr konungr gaf þér í Hafrsfirði), im weiteren Verlauf funktioniert der Talisman als materieller Beweis für die Richtigkeit der Prophezeiung und als Kennzeichnung des Ortes, an dem Ingimundr siedeln soll. Die Besonderheit des Talismans erklärt sich in der Vatnsdœla saga also nicht nur über seine Verbindung zu dem auf ihm abgebildeten Gott Freyr, sondern auch über die Biographie des Gegenstandes: Er wurde zuvor von einem anderen Mann hoch geschätzt, soll als Erinnerung dienen und steht in enger Verbindung zu seinem Schenker, dem König. Neben die persönliche Verbindung zwischen dem Träger und dem bezeichneten Gott muss daher die Beziehung zwischen dem Träger, dem Vorbesitzer und dem Schenker des Amuletts gestellt werden. Hier findet eine Neusemantisierung statt, indem der Talisman bei seiner Einführung noch als Symbol der Freundschaft zwischen König und Ingimundr sowie als Erinnerungsstück fungiert, später aber die Beziehung zum Gott Freyr betont. Das Verschwinden des Glücksbringers weist zudem auf dessen eigene Bestimmtheit hin, die innerhalb der erzählten Welt nicht von allen Figuren auf die gleiche Weise interpretiert wird. Eine eigene Handlungsmächtigkeit wird dem Talisman durch die Seherin zugestanden (hlutr er horfinn ór pússi þínum), da nicht auf das aktive Eingreifen der Seherin oder des Gottes verwiesen wird. Zwar wird in ihrer Figurenrede zum ersten Mal das Bildnis Freyrs erwähnt, der Zusammenhang bleibt aber unbestimmt.28 25 Vtn 12, 35; „Und dort im anderen Wald war der Talisman, und als wir ihn nehmen wollten, da entzog er sich in den anderen Wald, und wenn wir ihn ergreifen wollten, sprang er immer davon […].“ 26 Diese Episode wurde zuerst von Lidén mit Guldgubber-Funden in Verbindung gebracht, vgl. Lidén 1969, insb. 18. Dabei handelt es sich um winzige Folien aus dünnem Goldblech, die figürliche Darstellungen tragen und der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit angehören. Sie wurden teilweise in den Aushublöchern von Gebäude- oder Hochsitzpfosten gefunden. Zusammenfassend zur daran anschließenden Forschungsdiskussion vgl. Schmidt 2015, 83–85. 27 Zur Verbindung Ingimundrs und seiner Landnahme zu Freyr siehe Meulengracht Sørensen 1992, 722–728. 28 Meulengracht Sørensen 1992 nimmt dagegen an, die Szene „muß so verstanden werden, daß es der Wille des Gottes ist, den sie Ingimundr offenbart“ (723). Dass Freyr hier erstmals erwähnt wird, scheint bemerkenswert, aber im Text wird eine direkte Verbindung nicht explizit. Die Seherinnen-Epi-



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Ebenso ist die Suche der Finnen zu deuten, die völlig ohne Gottesbezug erklären, der Talisman sei immer wieder an eine neue Stelle gesprungen und habe sich ihnen auf diese Weise entzogen. Der König dagegen sieht Freyr als Aktanten und den Talisman als sein Objekt (vili Freyr þar láta sinn hlut niðr koma). Diesen Aspekt scheint der König ursprünglich nicht bedacht zu haben, da er in seiner eigenen Beschreibung des Gegenstandes den Gott nicht erwähnt (diese Information enthüllt erst die Seherin). Anfangs ist damit die volle eigene Bestimmtheit des Talismans auch dem König nicht bekannt, der ihn als Erinnerungsstück und Königsgeschenk gedacht hatte. Damit erweist sich der Talisman der Vatnsdœla saga als ‚Mitspieler‘ der Erzählung. Ihm ist eine eigene Kraft eingeschrieben, die im Text sehr prominent, aber nicht allen Figuren zugänglich ist. Der Ursprung des Eigensinns lässt sich nicht eindeutig auflösen; er entzieht sich dem vollen Verständnis der Figuren, sodass sie verschiedene, konkurrierende Interpretationen vorbringen und numinose Mächte als Ursprung vermuten. Erst als Ingimundr die Macht des Talismans trotz seiner Skepsis als gegeben akzeptiert, kann er sein Glück im Vatnsdalr finden. Neben diesen beiden gängigen Beispielen für Talismane wurden auch drei Gegenstände der Víga-Glúms saga als solche angesprochen; schon Baetke listet sie in seiner Quellensammlung zur Religion der Germanen unter dem Schlagwort ‚Amulette‘.29 Es handelt sich um Geschenke, die der Protagonist in Norwegen von seinem Großvater Vigfúss erhält. Bevor der junge Glúmr zu seiner Reise aufbricht, findet sich ein Hinweis auf den Zweck dieser Unternehmung: [A]t ek hljóta gæfu af gǫfgum frændum mínum30 – er zieht also bewusst los, um sich gæfa (‚Glück‘) von seinen Verwandten zu holen. Glúmrs Großvater ist ein norwegischer Herse, und als der junge Glúmr zu ihm kommt, erkennt er seinen Großvater: [H]ann sá mann mikinn ok vegligan í ǫndvegi í skautfeldi blám, ok lék sér at spjóti gullreknu.31 Glúmr beweist sich in Norwegen und bekommt zum Abschied wertvolle Geschenke von seinem Großvater: [E]n einkagripi vil ek þér gefa, feld ok spjót ok sverð, er vér hǫfum mikinn trúnað á haft frændr; ok meðan þú átt gripina, vænti ek, at þú týnir eigi virðingu, en þá em ek hræddr um, ef þú lógar þeim. (Vig 6, 19). (Doch möchte ich dir besondere Kostbarkeiten schenken, einen pelzgefütterten Mantel, einen Speer und ein Schwert, auf die wir in der Familie großen Glauben gerichtet haben. Und während du diese Kostbarkeiten besitzt, erwarte ich, dass du nicht an Ansehen verlieren wirst, doch fürchte ich um dich, wenn du sie weggibst.)

sode verwendet ausschließlich die Begriffe forlǫg und ørlǫg, und ist damit dem dominanten Schicksalsdiskurs der Saga zuzurechnen. 29 Baetke 1937; als Talisman bezeichnet sie auch Baetke 1951 [1973, 344]; hier spricht er allerdings nur noch von einem internationalen Märchenmotiv. 30 Víg 5, 16; „dass ich gæfa von meinen vornehmen Verwandten erhalte.“ 31 Víg 6, 16; „Er sah einen großen und ansehnlichen Mann im Hochsitz, der einen schwarzen Kapuzenumhang trug und mit einem goldbeschlagenen Speer spielte.“

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North versammelt in seinem Aufsatz zur Víga-Glúms saga diverse Hinweise,32 die seiner Ansicht nach Glúmr und seinen Großvater mit Óðinn in Verbindung bringen, während Glúmrs Gegner unter dem Schutz des Gottes Freyr stehen33 – er interpretiert diese Episode damit als den Versuch, eine „besonders odinische Art gæfa zu erhalten, mit der er [Glúmr] den Kampf mit den Anhängern des Freyr aufnehmen kann,“34 und nennt diese Gegenstände anschließend „odinische Talismane“.35 Für einen Speer und einen Umhang ist dies nachvollziehbar, im Vergleich mit den Talismanen der Hallfreðar saga und der Vatnsdœla saga erscheint der Hinweis aber doch zu subtil, um neben Freyr und Þórr einen dritten Gott zu erkennen, dem in Isländersagas Talismane gewidmet sind – der Großvater als Schenker steht hier deutlich im Vordergrund. Als Glúmr nach Island zurückkehrt, stellt er fest, dass ein großer Teil seines Erbes nun nicht mehr zu seinem Land gehört, und er will dies an seinem Kontrahenten Sigmundr rächen. Hier werden die Gegenstände zum zweiten Mal erwähnt, als Glúmr mit dem Speer seines Großvaters Sigmundr den Kopf spaltet und sich auf Island zum ersten Mal als würdiger Spross seiner Familie zeigt: Einer der Gegenstände hat seine Macht bewiesen. Kurz darauf sieht Glúmr in einem Traum eine übernatürlich große Frau zu seinem Hof kommen. Er deutet dies als Nachricht des Todes seines Großvaters und die Frau als dessen hamingja:36 Ok var hann um aðra menn fram um flesta hluti at virðingu, ok hans hamingja mun leita sér þangat staðfestu, sem ek em.37 Glúmr ist nun viele Jahre ein angesehener Mann im Bezirk, doch muss er nach einem großen Kampf auf die Unterstützung zweier mächtiger Männer bauen. Nach erfolgreichem Abschluss der Rechtssache schenkt er ihnen aus Dankbarkeit den

32 North 2000 bezieht sich hier auf Holtsmark 1933. Ähnliche Argumentationen finden sich auch bei Turville-Petre 1964, 69–70 sowie Jón Hnefill Aðalsteinsson 1998, 111–115. Als Überblick dieses Forschungsansatzes siehe auch Schmidt 2015, 92–96. 33 Zu Freyr in der Víga-Glúms saga siehe auch Meulengracht Sørensen 1992, 732. Entschieden anderer Meinung ist Baetke 1951 [1973, 344]: „Mantel, Speer, Schwert; sie sollen auf Odin hinweisen. Dafür spricht jedoch nichts. Talismane, an die das Glück des Helden geknüpft ist, sind ein bekanntes, wahrscheinlich aus dem Orient stammendes internationales Sagen- und Märchenmotiv. Geschenke dieser Art kommen auch in anderen Sagas vor […].“ 34 North 2000, 349. 35 North 2000, 352. 36 Der Begriff hamingja bezeichnet das ‚Glück‘ oder die ‚Glückskraft‘ ebenso wie das personifizierte Glück, den ‚Schutzgeist‘ einer Person, vgl. Beck 1999, 478–480. Erwähnenswert ist, dass die einzige vergleichbare weibliche Personifikation persönlichen Glücks in den Isländersagas dem oben erwähnten Hallfreðr folgt: Vor seinem Tod sieht der Held seinen hier als fylgjukona bezeichneten Schutzgeist, und erklärt ihr, sie müssten sich nun trennen. Daraufhin geht sie auf dessen Sohn Hallfreðr über, der auch das Schwert und den Beinamen seines Vaters erhält und ein angesehener Mann wird (gæfumaðr), vgl. Hal 6, 155–167. Wenn auch nicht mit dem Talisman verbunden, spricht diese Episode für eine Glücksvorstellung in der Hallfreðar saga vandræðaskálds, die der Víga-Glúms saga ähnelt. Zum Zusammenhang von hamingja-, fylgja- und anderen Glückskonzepten siehe Sommer 2007, 279–282. 37 Víg 9, 31; „Und er übertraf andere Männer in den meisten Dingen an Ansehen und seine hamingja wird sich nun hier niederlassen, wo ich bin.“



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Mantel und den goldbeschlagenen Speer. Die Bedeutsamkeit dieser Handlung ist seinen Feinden sogleich bewusst: Einarr svarar: ‚Glúmr hefir nú lógat þeim hlutum, feldi ok spjóti, er Vigfúss, móðurfaðir hans, gaf honum ok bað hann eiga, ef hann vildi halda virðingu sinni, en kvað þaðan frá þverra mundu. Nú mun ek taka við málinu ok fylgja.‘ (Víg 25, 87) (Einar antwortet: ‚Glúmr hat jetzt die Dinge weggegeben, Mantel und Speer, die sein Großvater Vigfúss ihm gab und die er ihn zu behalten empfahl, wenn er sein Ansehen behalten wolle, das sonst schwinden würde, wie er sagte. Nun werde ich mich der Klage annehmen und sie verfolgen.‘)

Es kommt, wie von Einar angenommen: Glúmr unterliegt in dieser Rechtssache und verliert seinen Hof. Geschlagen, altersschwach und halb erblindet stirbt er am Ende der Saga. Der Ausspruch Einars zeigt ebenso, wie die zu Glúmr übergehende hamingja des Großvaters, dass es dessen gæfa war, die an den Gegenständen hing.38 Die eigene Bestimmtheit dieser Dinge ist zwar den Feinden Glúmrs ebenso bewusst wie dem Erzähler, dem Protagonisten selbst aber offenbar nicht: Anders lässt sich kaum erklären, wieso Glúmr diese Gegenstände trotz der unmissverständlichen Warnung seines Großvaters einfach weiterverschenkt.

Königsgeschenke als ‚handlungsmächtige Dinge‘ Eine ähnliche Gruppe von handlungsmächtigen Dingen in den Isländersagas stellen Königsgeschenke dar, die mit den Talismanen einige interessante Merkmale teilen. Glückbringende Königsgeschenke tauchen in dieser Gattung häufiger auf, was für eine den Texten inhärente Vorstellung spricht, nach der etwas vom Glück des Königs auf den von ihm verschenkten Gegenstand übergeht.39 Während manche für den Handlungsfortgang zentral bleiben, verschwinden andere nach kurzer Zeit wieder aus der Erzählung, oder bleiben nur als Statussymbole präsent. Letztere Funktion hat das Schwert Konungsnautr, das der norwegische König Kjartan in der Laxdœla saga zum Abschied schenkt, ebenfalls. Und doch scheint es mit dem Schwert mehr auf sich zu haben, als den Träger als Gefolgsmann des Königs auszuweisen. Bei der Übergabe 38 North weist außerdem darauf hin, dass es in der ersten Szene des Geschenks drei Gegenstände sind, die Glúmr von seinem Großvater erhält. Das dritte Geschenk, ein Schwert, taucht danach nicht wieder auf. Dies vermutet North als Auslassung des Kompilators der Mǫðruvallabók, ursprünglich sei dieser dritte Gegenstand für den dritten Helfer gedacht gewesen. Vgl. North 2000, 357–358. 39 Dieses Königsglück kann ebenso direkt auf einen anderen Menschen übergehen. Am deutlichsten wird diese Hoffnung im Hreiðars þáttr heimska durch Þórðr verbalisiert, der hofft, die gæfa des Königs könne auf seinen glücklosen Bruder abfärben: Þótti mér ok glíkligt, at hann mundi gæfu af yðr hljóta, ef hann kœmi á yðvarn fund. (Hreið, 250; „Es schien mir auch wahrscheinlich, dass er gæfa von Euch erhalten würde, wenn er an Euren Hof käme.“).

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des Schwertes spricht der König: [L]áttu þér vápn þetta fylgjusamt vera, því at ek vænti þess, at þú verðir eigi vápnbitinn maðr, ef þú berr þetta sverð.40 Das Schwert Konungsnautr soll Kjartan also stets bei sich tragen, um unverwundbar zu sein. Zurück auf Island befolgt er diesen Rat zunächst, nach einem Besuch der Familie von Bolli und Guðrún ist das Schwert aber verschwunden. Man findet es zwar wieder, die Scheide des Schwertes taucht aber nicht wieder auf. Als Kjartan das Schwert zurückbekommt, legt er es in eine Truhe, und es heißt: Kjartan hafði jafnan minni mætur á sverðinu síðan en áðr.41 Nachdem er es fortlegt, wird das Schwert Konungsnautr nur noch negiert erwähnt: Als Bolli und Kjartan zu ihrem tödlichen Endkampf aufeinander treffen, hat Kjartan ein schlechtes Schwert bei sich, ok hafði eigi konungsnaut.42 Somit bewahrheitet sich auch der Ausspruch des Königs, mit dem dieses Schwert erworben wurde: Da Kjartan es nicht trägt, ist er verwundbar und verliert in dieser Episode sein Leben. Katona (2014, 31) geht in seiner Interpretation einen Schritt weiter: „The sword possesses a hidden power and the good luck and success of the king will prevent unfortunate happenings. Thus, it is regarded as a token of magical protection in addition to the more obvious symbolic prestige and sign status.“ Obwohl Kjartan Konungsnautr zunächst kaum je aus der Hand legt, ist es ihm nach der Wiedererlangung nicht mehr so kostbar wie zuvor.43 Es scheint m.  E., als hätte der Diebstahl es besudelt, sodass es sich für Kjartan verändert hat.44 Die narrative Funktion des Schwertes wandelt sich an dieser Stelle vom segensreichen Symbol der Freundschaft (zum norwegischen Herrscher) zum Symbol der Feindschaft mit dem einstigen Ziehbruder. Dieses Beispiel zeigt, dass nicht nur das Schenken eine positive Kraft verleihen kann, sondern dass ein Diebstahl das Wesen eines Objektes negativ beeinflussen kann. Das Schwert schützt seinen Träger zunächst in ganz ähnlicher Weise wie die Geschenke der Víga-Glúms saga. Ebenso wie Glúmr wird der Beschenkte in der Laxdœla saga verwundbar, als er das Geschenk verliert. Kjartans Aufgabe des Schwertes deutet an, dass er sich im Gegensatz zu Glúmr der Wirkmacht und der Veränderung seines Glücksbringers bewusst ist. Die Laxdœla saga kennt ein weiteres Königsgeschenk, das seine Bedeutung im Lauf seiner Biographie verändert.45 Hǫskuldr erwirbt während seiner Auslandsfahrten einen Goldring und ein Schwert von König Hákon, die zunächst als Statussymbole fungieren. Als er sie am Ende seines Lebens weitergibt, tritt die Vorstellung, innerfamiliäres Glück könne zusammen mit einem Gegenstand weitergegeben werden, in 40 Lax 43, 132; „Lass diese Waffe stets bei dir sein, denn ich nehme an, dass du ein unverwundbarer Mann sein wirst, wenn du dieses Schwert trägst.“ 41 Lax 46, 142; „Kjartan hatte danach weniger Wertschätzung für das Schwert als zuvor.“ 42 Lax 49, 153; „und hatte Konungsnautr nicht [bei sich].“ 43 Vgl. Heller 1960, 130. 44 Vgl. auch Grünzweig 2009, 409–420, der hierzu anmerkt, dass Schwert und Scheide als eine zusammengehörende Einheit verstanden wurden, wodurch das Schwert Konungsnautr durch den Verlust der Scheide erheblich an Wert eingebüßt habe. 45 Auch diese Stelle listet Baetke 1937, 129, unter ,Amulette‘.



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den Vordergrund. Er gibt die Geschenke an seinen Lieblingssohn Óláfr weiter: Síðan lét Hǫskuldr taka gullhring Hákonarnaut – hann vá mǫrk – ok sverðit konungsnaut, er til kom hálf mǫrk gulls, ok gaf Óláfi, syni sínum, ok þar með giptu sína ok þeirra frænda.46 Hǫskuldr nennt die vererbten Gegenstände auch lange nach ihrem Erwerb Hákonarnautr und Konungsnautr und will mit ihnen seine gipta (‚Glück‘) und die seiner Verwandten weitergeben. Diese Gegenstände zeichnen seinen Sohn Óláfr im weiteren Verlauf der Saga als den von Hǫskuldr erwählten Erben aus, was durch den Neid und die negative Reaktion seiner Brüder deutlich wird. Neben der Biographie des Dinges spielt die an ihnen hängende gipta oder gæfa der Familie eine Rolle,47 es ist das Glück des Schenkers oder der Familie, das an den Gegenständen hängt und mit ihnen weitergegeben werden kann.48 Für solche glückbringenden Geschenke in den Isländersagas wurde die in vielen Kulturen verbreitete Vorstellung herangezogen, geschenkte Gegenstände behielten etwas von ihrem ursprünglichen Besitzer in sich.49 Solche Überlegungen schließen an die von Marcel Mauss etablierte Gabentheorie an,50 die eine Vorstellung vom „Geist der gegebenen Sache“ (Mauss 2013, 31–32) voraussetzt. Mauss verwendet für die Seele oder Macht der Dinge den Maori-Ausdruck hau, der meint, ein Stück des Gebers wohne fortan dem geschenkten Ding inne.51 Allerdings lässt sich der Begriff hau nicht ohne weiteres von den Maori auf die Isländersagas übertragen;52 zumal der Begriff die Vorstellung enthält, das hau eines Gegenstandes bewirke, dass der Gegenstand zu seinem ursprünglichen Besitzer zurückkehren möchte. Dies ist in den Isländersagas keineswegs der Fall, wie Miller (2014, 104) betont:

46 Lax 26, 72; „Danach ließ Hǫskuldr seinen Goldring Hákonarnautr nehmen – er wog eine Mark – und das Schwert Konungsnautr, das sich auf eine halbe Mark Goldes belief, und gab sie Óláfr, seinem Sohn, und damit sein Glück und das seiner Verwandten.“ Vgl. auch Katona 2014, 28. 47 Sommer 2007, 279 zeigt, dass die Begriffe gipta und gæfa synonym sind, und beide auf eine Art von Glück verweisen, die der Besitzer von sich geben kann, um anderen damit zu helfen. 48 Auch Katona 2014, 24, geht davon aus, dass es das Glück ist, das „as a type of social magic“ mit den Gegenständen weitergegeben wird: „Contrary to our perception of luck, the pagan mode of thought about it differed as being not unpredictable and fickle but an inherent quality residing in a man’s personality and/or lineage […] luck is a skill which can be acquired and included in a person or in an object“. 49 Vgl. bspw. Fichtner 1979, Miller 1986, Miller 2014 sowie Barreiro 2015. 50 Maussʼ Essai sur le don (1923/1924) erschien in deutscher Übersetzung zuerst 1968 unter dem Titel Die Gabe. Die Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, und wird im Folgenden aus seiner aktuellen Auflage, Mauss 2013, zitiert. 51 Vgl. Mauss 2013, 33–34. 52 Eine ähnliche, manaistische Vorstellung sieht allerdings bereits Gehl 1939, 64–65 in der altnordischen Literatur: „Gæfa/gipta ist ein ganz bestimmtes angeborenes megin (‚Mana‘) einer Person, das Sichtbar- und Wirksamwerden der sie erfüllenden geheimnisvollen Kräfte. Dieser manaistischen Vorstellung entspricht es, daß man dieses Glück übertragen, in eine andere Person hineinlegen kann, eine Vorstellung, die bei allen diesen Wörtern begegnet.“

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A ‚naut‘-gift is not going to come back home, despite all the anthropological writing on the Maori hau […]. The spirit imbuing other objects, a gift of more moveable property for instance, is willing to settle for some kind of equivalent return.

Und doch argumentiert Miller (2014, 108), den geschenkten Gegenständen hafte etwas an, das auch dann erhalten bleibe, wenn der Gegenstand weiterverschenkt wird, und das durch ihre Benennung greifbar wird. Doch ist auch dies nicht ohne Einschränkungen richtig, da die Benennung des Geschenks in den Isländersagas veränderlich sein kann und nicht wie das hau vom ursprünglichen Besitzer abhängen muss. Dies zeigt beispielsweise der scharlachrote Mantel der Gunnlaugs saga ormstungu, den Gunnlaugr zunächst vom englischen König Aðalráðr als Dichterlohn erhält. Als er ihn an seine Geliebte Helga weiterschenkt, heißt es noch: Ok þá gaf Gunnlaugr Helgu skikkjuna Aðalráðsnaut, ok var þat gersimi sem mest.53 Als am Ende der Saga aber von Helgas besonderer Beziehung zu diesem Mantel berichtet wird, wird derselbe Gegenstand nach seinem neuen Schenker benannt: Þat var helzt gaman Helgu, at hon rekði skikkjuna Gunnlaugsnaut ok horfði þar á lǫngum.54 In dieser Passage ist es nicht mehr König Aðalráðr, dessen Geist für Helga in diesem Ding greifbar wird, sondern Gunnlaugrs  – also der Geist desjenigen Mannes, von dem sie das Geschenk empfangen hat. Obwohl das von Mauss etablierte Vokabular somit im Detail nur eingeschränkt auf die Isländersagas übertragbar ist, lässt sich mit seiner Hilfe die besonders starke symbolische Bedeutung dieser Gegenstände deutlich machen, die aber – im Unterschied zu Maussʼ am neuseeländischen Material entwickelter Theorie – nicht an den Ursprungsbesitzer gebunden, sondern im Lauf der Narration veränderlich ist.

Die Eigenwilligkeit des Talismans Die Vorstellung von handlungsmächtigen Gegenständen ist in den Isländersagas als etabliertes Erzählmotiv verbreitet. Für Talismane in Form von Götterbildnissen als Requisit heidnischer Figuren besteht augenscheinlich kein Erklärungsbedarf, sodass davon auszugehen ist, dass man zur Zeit der Abfassung der Isländersagas eine Vorstellung von Aussehen und Gebrauch eines solchen hlutr hatte, auch wenn sich nicht bestimmen lässt, woher sich dieses speiste. Ingimundrs Talisman hat, wie die glückbringenden Königsgeschenke anderer Sagas, eine Symbolfunktion und fungiert als Marker seiner Beziehung zum König und dem Gott Freyr, später ist er der gegenständliche Beweis einer Prophezeiung, was auch in beiden Szenen verbalisiert wird; sowohl König als auch Seherin verwenden den Ausdruck til marks für die Funktion 53 Gun 11, 90: „Und da schenkte Gunnlaugr Helga den Mantel Aðalráðsnautr, das war eine überaus große Kostbarkeit.“ 54 Gun 13, 106–107: „Es war Helgas größte Freude, den Mantel Gunnlaugsnautr auszubreiten, und ihn lange anzusehen.“



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des Talismans. Wie veränderlich die Symbolfunktion innerhalb der Narration ist, zeigen die Beispiele des Mantels (Aðalráðsnautr – Gunnlaugsnautr) ebenso wie das Königsschwert der Laxdœla saga, das zunächst Kjartans Status und Glück markiert, später aber zum Symbol der verlorenen Freundschaft und des Unglücks wird. Die Biographie der geschenkten Dinge erscheint enorm bedeutungsvoll, und zeigt die Möglichkeit einer ständigen Neusemantisierung. Es sind die Figuren, durch deren Hände die Objekte wandern, die sie mit Bedeutung aufladen und durch deren Zuschreibungen die Dinge zu bedeutungstragenden Elementen in der Narration werden. Die Nennung dieser Gegenstände in den zitierten Episoden ruft ihre Biographie beim Rezipienten wach und lässt sie daher als positive oder negative Markierungen fungieren. Sie werden in den Isländersagas flexibel verwendet und passen hervorragend zu deren Erzählweise: Nach der Etablierung des Gegenstandes können durch simple Nennungen eines Gegenstandes vielschichtige Assoziationen aufgerufen werden, ohne den meist deskriptiven Erzählstil der Isländersagas verlassen zu müssen. Als es im zentralen Kampf der Laxdœla saga heißt, Kjartan hafði eigi konungsnaut, ist bereits durch diese kurze Nennung des Gegenstandes die Kausalkette präsent, die zum Tod des Helden führt: Seine Auslandsfahrt, sein Status am Königshof, das Zerwürfnis mit seinem Ziehbruder, der Diebstahl des Schwertes durch Guðrúns Bruder und die Prophezeiung des Königs. Sogar die innere Einstellung des Helden wird sichtbar: Er hat sich seinem Schicksal bereits ergeben, als er das Königsschwert wegsperrte und den Glücksbringer aufgab. Die dem Gegenstand innewohnende Kraft kann verschieden begründet sein. Zum einen kann, wie bei Ingimundrs Talisman, die Verbindung zu einer numinosen Macht für den Eigensinn und die Kraft des Dings verantwortlich sein. Der Talisman der Vatnsdœla saga wird zunächst völlig ohne Bezug zu Freyr verschenkt, und erst im späteren Verlauf hält es der König für möglich, dass Freyr einen Einfluss auf den Gegenstand haben könnte. Die Finnen dagegen begreifen den Talisman als selbstbestimmtes Ding, ohne Kenntnis eines göttlichen Eingreifens. Handelt es sich dagegen um ein Geschenk oder Erbstück, ist die Kraft eng mit dem Konzept gæfa verbunden, dem Glück, das Menschen oder Gegenständen innewohnt. Dieses kann von Mensch zu Mensch übertragen werden, was sowohl durch die geschenkten Gegenstände wie auch durch die zu Glúmr wandernde hamingja des Großvaters sichtbar wird. Möchte man Mauss heranziehen, ist der „Geist der gegebenen Sache,“55 der sich im Gegenstand einschließen lässt, in den Isländersagas die gæfa des Schenkers, nicht seine Seele. Innerhalb der Geschichte wird nicht klar unterschieden, ob es göttlicher Wille oder menschliche gæfa ist, die dem Gegenstand einen Eigenwillen verleiht. An den Figuren Ingimundrs, Kjartans und Glúmrs zeigen sich diese verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten. Während Glúmr trotz der expliziten Warnung seines Großvaters leichtfertig mit seinen Glücksbringern umgeht (ihm der Eigensinn der Dinge also 55 Mauss 2013, 31–32.

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verschlossen bleibt), ist Kjartan sich der Macht seines Schwertes bewusst und erkennt sogar dessen Veränderung nach dem Diebstahl. Ingimundr hingegen muss sich dem Willen des Talismans fügen, obwohl ihm verschlossen bleibt, wer oder was genau für diese Macht verantwortlich ist. Fasst man das Konzept des Talismans also weiter und betrachtet glückbringende Gegenstände unabhängig von ihrem Aussehen und ihrer Größe, lassen sich durch ‚close reading‘ einige Hinweise auf die Funktion solcher Stücke innerhalb der Texte ermitteln und es kann ein schärferes Bild der Konzeptualisierung von Dingen in altnordischen Texten gewonnen werden. Ungeklärt bleibt hier, ob diese neue Lektüren nun für oder gegen pagane Vorstellungen in den Isländersagas sprechen – diese ‚Glau­ bensfrage‘ sollte zukünftig unter Berücksichtigung anderer wirkmächtiger Ge­gen­ stände gestellt werden.

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Andreas Hammer

Der Ring der Nibelungen: Der Ring als Ding und Akteur in den skandinavischen und deutschen Versionen des ‚Nibelungenstoffes‘ Abstract: The Nordic version of the Nibelung tale, especially the eddic lays and Vǫlsunga saga, connect the story of the treasure with a cursed ring. In the Vǫlsunga saga, that ring is further connected to the swindle on Brynhild. The middle high German Nibelungenlied also knows a ring which plays a key role in exposing the swindle of Brünhild, though it is not a part of the treasure of the Nibelungs. The present paper attempts to illustrate the complex entwinement which the ring underlies in the various versions, thereby analysing its hybrid role between object and subject as well as object and actor. While the ring, under a certain perspective, could be ascribed its own agency in the Nordic version, it remains in the Nibelungenlied a symbolic character whose ambiguity by nature leaves room for misinterpretation which can lead to catastrophe. Das Nibelungenlied und der gesamte Erzählkreis um das Schicksal der ‚Nibelungen‘ haben in der Frühen Neuzeit und der Moderne zunächst wenig Beachtung gefunden. Die Rezeption bricht ab dem 16. Jh. weitgehend ab, erst in der Spätaufklärung wird der Stoff wiederentdeckt und erlangt vor allem in der Romantik wieder enorme Bedeutung, die in der Rückbesinnung auf heimische Dichtung und Mythologie das Nibelungenlied als ‚Nationalgeschichte‘ begreift (vgl. Härd 1996). Wie kaum ein Zweiter hat Richard Wagner diese Rezeption des Erzählstoffes um die Nibelungen geprägt. Seine fulminante Ring-Tetralogie ist „ein Musikdrama vom Anfang und Ende der Welt mit mythischen Dimensionen“ (Mertens 2011, 50), das den gesamten Stoff von der Geschichte des sagenhaften Hortes über die Verstrickungen der Götter, Siegfrieds Betrug an Brünhilde und ihrer beider Tod bis hin zur Götterdämmerung und der erneuten, endgültigen Versenkung des Ringes im Rhein umfasst. Doch schon der Titel der ‚Opernserie‘ macht deutlich, dass das zentrale, übergreifende Motiv ein Ding ist: Der Ring durchzieht die gesamte Handlung, ist Objekt des Begehrens, Instrument der Machtausübung (vgl. Niehaus 2012, 72) und Symbol des Untergangs. Wagner ist mit dieser Lesart weit über den von ihm vorgefundenen Stoff hinausgegangen und verschafft der Handlung eine viel stärkere innere Kohärenz, vor allem aber auch eine politische und ökonomische Komponente, die erst im Lichte des Entstehungskontextes in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts richtig betrachtet werden kann. Die Frage, weshalb Wagner dem Ring als Symbol der Macht einen derart hohen Stellenwert einräumt, dass er als verbindendes Element aller vier Opern erscheint und deren inneren Zusammenhang garantiert, hängt nicht zuletzt mit dem Stellenwert

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zusammen, der dem Motiv des Rings im mittelalterlichen Stoffkomplex zukommt. Zwar hat Wagners Ring als fluchbeladener Garant der Weltherrschaft kein direktes Pendant in den mittelalterlichen Erzählungen, die er für seine Musikdramen heranzog, doch ist das Motiv auch nicht völlig aus der Luft gegriffen, und es zeigen sich einige strukturelle Parallelen, besonders zur altnordischen Vǫlsunga saga, die Wagner diesbezüglich am meisten Material bot. Es soll im Folgenden jedoch nicht um eine Stoffuntersuchung von Wagners Vorlagen für den Ring-Zyklus gehen, sondern darum, welche Funktion dem Motiv des Rings in den einzelnen skandinavischen und mhd. Varianten dieses Stoffes zukommt. Dabei stehen nicht nur die strukturellen Eigenheiten im Mittelpunkt, sondern insbesondere auch die systematische Einordnung: Denn in einigen der skandinavischen Erzählungen scheint es, als ob der Ring beinahe ein Eigenleben führte und quasi als Akteur unter den Handlungsträgern auftritt. Im mhd. Nibelungenlied dagegen fungiert der Ring als Zeichenträger, dessen Deutung oder vielmehr Fehldeutung geradewegs zu Siegfrieds Tod führt. Zwei Punkte sind für die nachfolgende Betrachtung jedoch vorweg zu bemerken: Erstens soll in keiner Weise versucht werden, stoffgeschichtliche Abhängigkeitsverhältnisse zu rekonstruieren oder auch nur anzudeuten, und zweitens kann man  – daraus folgend  – eigentlich nicht von dem Ring sprechen, sondern nur von einem gleichgelagerten Motiv und dessen Einbindung in den Handlungsverlauf.

Der Ring als Ding: Zum Status von Dingen im kulturellen und narrativen Kontext Erzählungen werden bestimmt durch ihre Handlungsträger. Diese eröffnen eine Opposition von Subjekt und Objekt, wobei die Perspektive auf dem Subjekt als dem Akteur liegt, der (eben als handelnde Figur) ein Objekt abgibt oder empfängt. Akteure treiben die Handlung voran, oder, narratologisch formuliert, setzen Differenzen, welche überhaupt erst notwendig sind, damit aus einem Text eine Erzählung wird, denn erst das narrative Ereignis erzeugt eine Geschichte (zur Übersicht über die narratologischen Grundbegriffe vgl. Bleumer 2015, bes. 219–223). Als Akteure werden zunächst stets Personen angesehen, denn nur sie sind zur Handlung fähig (in fiktionalen Texten wie z.  B. Fabeln können etwa auch Tiere diese Funktion und damit die gleiche Rolle wie menschliche Figuren übernehmen). Während die (an G. Genette angelehnte) narratologische Terminologie sämtliche Handlungsträger als Aktanten fasst, ist für die folgenden Überlegungen die Differenzierung in menschliche, mit Bewusstsein ausgestattete Akteure einerseits und Aktanten als nicht-menschliche agierende Entitäten andererseits wichtig (vgl. Latour 2005). Ein Objekt kann, so sollte man meinen, unter Umständen Aktant, nicht aber Akteur sein, denn ein Objekt unterscheidet sich ja gerade dadurch von einem Subjekt, als es kein Bewusstsein hat, keine Entscheidungen treffen kann, kurzum: keine Handlungsmacht besitzt.



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Jüngere Untersuchungen zum ethnologischen und literarischen Status von Dingen widersprechen allerdings vermehrt einer solch strikten Dichotomie. Es gilt, den semantischen Gehalt von natürlichen Objekten und Artefakten1 zu erkennen und zu beschreiben; als Zeichenträger fungieren solche Dinge als Kommunikationsmedien, können jedoch auch über den Status des Mediums hinauswachsen. Sie sind dann „als ‚Akteure‘ zu begreifen, die menschliches Handeln in vielfältiger Hinsicht beeinflussen und dadurch soziale Zusammenhänge mitgestalten“ (Knipp 2012, 46). Es ist nicht möglich, an dieser Stelle tiefergehend auf die breite Diskussion zu dieser Thematik einzugehen,2 daher seien nur einige grundlegende Beobachtungen hierzu notiert: Wo immer Objekte oder Artefakte einen sozialen Stellenwert besitzen, sind sie integraler Bestandteil einer Gesellschaft und Teil kultureller Handlungen. Als solche können sie für ihre soziale Umwelt die Rolle eines Zeichenträgers einnehmen, werden mit bestimmten Bedeutungen aufgeladen. Insbesondere die Literatur ebnet dabei die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt immer wieder ein, spielt mit derartigen Grenzziehungen, stellt sie in Frage, setzt sie aus. Dabei geht es weniger um das Konzept der Dingbeseelung, bei denen Dinge (oder allgemeiner: nicht-menschliche Objekte) menschliche Eigenschaften erhalten oder übernehmen, durch die sie dann zu Aktanten werden. Es geht vielmehr um jenen Zwischenbereich, in dem die Grenze zwischen Subjekt und Objekt zwar noch erkennbar ist, sich aber aufzulösen beginnt, indem bestimmte Zuschreibungen, Handlungskompetenzen etc. nicht auf Menschen (oder Figuren mit menschlichen Eigenschaften), sondern auf Dinge übertragen werden. Dinge (der Begriff wird hier im übergreifenden Sinne für alle Gegenstände, Artefakte und Objekte verwendet) können einerseits natürlich weithin bloß vorhanden sein: Ein Schwert z.  B. ist zunächst lediglich eine Waffe in der Hand des Kriegers. Doch gerade dieses Beispiel zeigt, mit welch ausufernder Semiotik derartige Artefakte belegt sein können: Zahllose Erzählungen inszenieren das Schwert des Helden als Zeichenträger, der weit über den Status als bloßes Symbol hinausgeht

1 Zu differenzieren wäre mit Kohl 2003 einerseits zwischen Gegenstand und Objekt; letzterem kommt ein größeres Bedeutungsfeld zu: „Aufgrund ihrer Konkretheit und Beständigkeit eignen sich Objekte sogar besonders gut dazu, Erinnerungen, Ideen und Gefühle zu verkörpern, Bedeutungen über Raum und Zeit hinweg zu transportieren und ihnen auf diese Weise Dauer zu verleihen (Kohl 2003, 120  f.). Andererseits ist zwischen natürlichen Objekten (also von der Natur geformten Gegenständen, etwa einem Stein, einer Muschel etc., die mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen werden) und Artefakten, die vom Mensch geformt und bearbeitet sind, zu unterscheiden; beide eignen sich als Zeichenträger, wobei es vor allem die Mobilität dieser Dinge ist, denen eine entscheidende Bedeutung zukommt, denn gerade ihre Handhabbarkeit ermöglicht es, sie als Zeichenträger wie auch als Kommunikationsträger einzusetzen (vgl. Kohl 2003, 117–130; Knipp 2012, 53, Selmayr 2017, 36–41). 2 Zu weiterführender Literatur vgl. Niehaus 2012, Knipp 2012 und Vedder 2012, mit zahlreichen Literaturhinweisen. Die theoretische Basis der meisten Überlegungen geht auf die von Bruno Latour mitentwickelte Akteur-Netzwerk-Theorie zurück vgl. Latour 2001 und 2005; vgl. auch Barthes 1988, 187–198. Für die mediävistische Diskussion vgl. jüngst die Studie von Selmayr 2017, hier besonders 26–35; zahlreiche Literaturhinweise auch in der Einleitung von Mühlherr 2016, 1–5.

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(vgl. Mühlherr 2014; Selmayr 2015). Einige Schwerter haben Namen, sie haben sogar eine Geschichte, und manche von ihnen, wie das Schwer Tyrfing der Hervarar saga, entfalten ein Handlungspotential, das das der Protagonisten sogar noch übersteigt. Das mag ein besonders auffälliges Beispiel sein, doch zeigt es, wie Dinge vor allem im narrativen Kontext zu ‚telling objects‘ werden, die mit den Menschen bzw. den Handlungsträgern, mit denen sie in Kontakt stehen, verbunden sind (vgl. Knipp 2012, 55) – bis hin zu der Frage, ob der Mensch das Objekt benutzt oder nicht vielmehr das Objekt den Menschen. Solcherart können Objekte und Artefakte wie der ‚Ring der Nibelungen‘ zu Agenten werden, „die Kultur- und Erkenntnisprozesse konstituieren“ (Vedder 2012, 14). Das Ding, insbesondere wenn es beweglich ist, von einer Hand zur anderen wandert, wird zum Handlungsträger, indem es selbst Differenzen setzt (und damit auch die Handlungsmacht der anderen Akteure wenn nicht in Frage stellt, so doch entscheidend beeinflusst). Vor diesem hier nur in aller Kürze skizzierten Hintergrund erweisen sich gerade auch Ringe als Artefakte, die auf der literarischen Ebene nicht nur symbolische Bedeutung besitzen (wie etwa der Ehering als Zeichen von Liebe und Treue; vgl. Graf 2003/04, 691  f.; Fürbeth 2016, 424  f.), sondern in vielfacher Hinsicht als Zeichenträger fungieren und als solche sogar eigenständige Handlungsmacht zugesprochen bekommen können.3 Ringe sind bewegliche Artefakte, sie können weitergegeben und genommen werden; sie sind ‚wandernde Dinge‘ (Niehaus 2009), als Zeichen der Herrschaft und Machtinsignien wohnt ihnen eine institutionelle Dimension inne, die sie zu Zeichenträgern macht (vgl. Niehaus 2012, 72). Gerade in der mittelalterlichen Literatur können Ringe vielfältige Funktionen und Semantiken besetzen, wobei auffallend ist, dass sehr häufig Bindungen und Verpflichtungen damit verbunden werden: Ein Ring kann Herrschaftszeichen sein und dadurch Gefolgschaft an sich binden, die dem Träger zugehörig und verpflichtet ist – eine ähnliche, aber weiterreichende Funktion wie der Ehering, der die Treueverpflichtung zwischen zwei bestimmten Personen symbolisiert. In diesem Sinne kann der Ring auch als Erkennungszeichen dienen und die Zugehörigkeit zu seinem Besitzer anzeigen; hier kann ein Ring bisweilen sogar als Identitätsmarker dienen, ja mehr noch: Als „Signifikant der Eigenschaften seines Trägers“ (Fürbeth 2016, 425) steht der Ring dann pars pro toto für seinen Träger selbst – und entfaltet auf diese Weise entsprechende Wirkmächtigkeit. Als Gabe sind Ringe (besonders solche aus Gold) schon aufgrund ihres Materialwertes ausgesprochen wertvolle Geschenke, der Besitz vieler Ringe dient auch als Metapher für großen Reichtum (vgl. Zimmermann 2003, 5  f., mit Beispielen). Doch gerade als Gabe installiert der Ring wiederum eine Beziehung zwischen Schenker und Beschenktem; Entlohnung impliziert „Bindung in Bezug auf zukünftige Dienste“ (ebd., 5), eine Gabe verpflichtet zur Gegengabe. Gleiches gilt für ‚Bußringe‘, die als Wergeldzahlungen

3 Musterbeispiel eines solchen Ringes mit eigener Handlungsmacht wäre J.R.R. Tolkiens Lord of the Rings, vgl. Niehaus 2012.



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insbesondere im anord. Erzählkontext an die Hinterbliebenen von Totschlagopfern zu zahlen waren (vgl. ebd., 7): Die Gabe ist ein Schuldeingeständnis, die Annahme verpflichtet zur Beendigung der Blutrache. Es zeigt sich also, wie stark Ringe als Zeichenträger zwischenmenschlicher Beziehungen und Interaktionen fungieren können, ja regelrecht Interaktionsmuster festlegen. Die Literatur verbindet damit verschiedene Fragestellungen, die je neu ausgehandelt werden: Handelt der Träger im Ring? Handelt der Ring für den Träger? Oder kann der Ring irgendwann sogar autonom, abgekoppelt vom Träger, handeln? Einen besonderen Stellenwert nehmen dabei magische Ringe ein, die besonders häufig in der Erzählliteratur zu finden sind. Sie können einerseits dem Schutz ihres Trägers dienen, indem sie vor Verwundung, Feuer, Krankheit o.  ä. schützen oder indem sie unsichtbar machen (so wie der Ring der Lunete in Hartmanns Iwein), sie können aber auch Reichtum bewirken (z.  B. der Ring Draupnir in der Vorgeschiche der nordischen Nibelungensage) oder den rechten Weg weisen (z.  B. Otnits Ring im mhd. Heldenepos) – kurz: Sie erhalten den Zustand ihres Trägers oder verändern ihn in positiver Hinsicht. Bei Wagners „Ring der Nibelungen“ handelt es sich hingegen um das Negativbeispiel eines solchen Ringes: Alberichs Fluch setzt eine Ereigniskette in Gang, die den Ring durch mehrere Hände wandern lässt, da seine Träger immer wieder ums Leben kommen und den Ring einbüßen. Eben dieser Zusammenhang von Gabe und Verpflichtung einerseits, von Verfluchung und Handlungsmacht bzw. Entmächtigung andererseits sowie der Status des Ringes als Ding und Handlungsträger wird in den einzelnen Erzählungen der mittelalterlichen Stofftradition um die Nibelungen unterschiedlich verhandelt: Die LiederEdda weiß von der Vorgeschichte und dem Fluch des Ringes, verbindet ihn aber nicht unmittelbar mit dem Tod Sigurds. Im Nibelungenlied wiederum ist ein Ring das entscheidende Artefakt im Streit der beiden Königinnen, der zu Siegfrieds Ermordung führt, nur ist die Herkunft dieses Ringes nicht mit dem Nibelungenhort verbunden. Eine solche Verbindung wird dagegen im zweiten Teil der Snorra Edda, den Skáldskaparmál (Sprache der Dichtkunst) gezogen, und die altnordische Vǫlsunga saga macht diese Zusammenhänge noch expliziter. Es gilt daher, die Rolle des Rings in seinem je spezifischen Erzählkontext zu untersuchen.

Der Ring Andvaranautr in der Lieder-Edda Die sog. Lieder- Edda stellt eine Sammlung einzelner Lieder dar, die im Codex Regius überliefert sind. Die Handschrift ist entstanden in der zweiten Hälfte des 13.  Jahrhunderts, die darin enthaltenen Lieder werden z.  T. erheblich älter eingeschätzt. Das betrifft insbesondere jene Lieder mit mythologischem Inhalt, doch auch einige der als ‚Heldenlieder‘ klassifizierten Texte dürften auf eine wesentlich frühere Entstehung zurückgehen. Die in der Handschrift präsentierten Lieder bilden eine Überlieferungs-

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gemeinschaft, zwischen denen (wenn überhaupt) meist nur eine lose innere Kohärenz besteht. Am ehesten ist ein inhaltlicher Zusammenhang in den Liedern von Sigurds Jugend zu erkennen: Reginsmál, Fáfnismál und Sigrdrífumál (jeweils „Reginns, Fafnirs und Sigrdrífas Reden“), wobei für die Rolle des Rings im Folgenden nur die ersten beiden Lieder interessieren, da bei der Erweckung der Walküre Sigrdrífa weder Andvaranautr (‚Andvaris Gabe‘) noch der Drachenhort Erwähnung finden. Reginsmál und Fáfnismál sind nicht nur durch ihre unmittelbar nacheinander geschaltete Stellung innerhalb des Codex Regius miteinander verbunden, sondern auch durch eine überleitende Prosapassage, welche (ähnlich wie dann auch in Sigrdrífumál) die Erzählhandlung weitertreibt und eine strenge Trennung der einzelnen Lieder aufhebt. Die Texte können daher sowohl inhaltlich als auch überlieferungsgeschichtlich als Einheit betrachtet werden, wenngleich es kaum wahrscheinlich ist, dass es sich hierbei um die ursprüngliche Erscheinungsform handelt (vgl. Haimerl 1993, 81  f.). In Reginsmál erfahren wir von der mythischen Herkunft des Hortes, die Sigurds Erzieher Reginn in den Mund gelegt wird: Er erzählt, wie die drei Götter Odin, Loki und Hönir seinen in Ottergestalt umherwandelnden Bruder Otr getötet hätten und daher für seinen Vater Hreiðmarr Wergeld entrichten mussten; als Buße sollte der Otterbalg mit Gold gefüllt und mit Gold bedeckt werden. Loki, der auch den Otter getötet hatte, wird ausgeschickt, um das Gold zu beschaffen, und er erpresst es von dem Zwerg Andvari, der als Hecht verwandelt durch den Fluss schwimmt und in dieser Gestalt von Loki gefangen wird. Der Zwerg gibt seinen Goldschatz heraus, will jedoch einen Ring zurückbehalten, den ihm Loki ebenfalls wegnimmt. Daraufhin (also erst, nachdem er auch den Ring verloren hat) legt Andvari einen Fluch über das Gold: Þat skal gull, / er Gustr átti / bræðrom tveim / at bana verða, / ok ǫðlimgom / átta at rógi; / mun míns fíar / mangi nióta. (Rm., Str. 5)4 Es soll das Gold, das Gustr besaß, zwei Brüdern zum Töter werden, und acht Fürsten soll es Gegenstand des Streits werden; von meinem Besitz wird keiner Nutzen haben.

Die Asen übergeben das Gold wie gefordert an Hreiðmarr, dem bei genauer Überprüfung auffällt, dass noch ein Barthaar des Otterbalgs nicht mit Gold bedeckt ist. Darauf zieht Odin den Ring, der hier erstmals (Rm. 5 Pr.) Andvaranautr genannt wird, vom Finger und legt ihn als letzten Teil der Buße zu dem übrigen Gold; erst jetzt eröffnet er Hreiðmarr auch den darauf liegenden Fluch – vorher nämlich hätte dieser das Gold abgelehnt und die Götter nicht aus ihrer Bußverpflichtung entlassen (vgl. Rm. 7). So aber ist das Verhängnis in Gang gesetzt: Hreiðmarr beansprucht den Hort allein für sich (Rm. 9) und enthält den Brüdern des getöteten Otr, Reginn und Fafnir, die Verwandtenbuße vor. Daraufhin tötet Fafnir seinen Vater, bringt den Hort an sich und

4 Text und Übersetzung der Lieder-Edda richtet sich nach von See et al. 2005.



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verwandelt sich in einen Drachen, um ihn vor allen anderen zu verbergen, auch und gerade vor seinem Bruder Reginn. Dies leitet bereits über zu den Fáfnismál, denn Reginn stachelt den jungen Sigurd auf, für ihn die Vaterrache zu übernehmen und Fafnir zu töten; er schmiedet ihm ein Schwert, gibt ihm weitere Anweisungen (ebenso auch Odin selbst), so dass Sigurd den Drachen tatsächlich erschlagen kann. Doch im Sterben setzt der todwunde Fafnir Sigurd den Fluch, der auf dem Schatz liegt, auseinander: eiptyrði ein / telr þú þér í vívetna, / en ek þér satt eitt segik: / it gialla gull / ok it glóðrauða fé / þér verða þeir baugar at bana! (Fm. 9) Nur feindliche Worte erkennst Du in allem, aber ich sage dir nur Wahres: das klingende Gold und der glutrote Schatz, dir werden diese Ringe zum Töter.

Fafnir kündigt Sigurd damit das gleiche Schicksal an, das auch ihn und seinen Vater bereits ereilt hat; der entscheidende zweite Teil der Strophe, die Verse 4–6 (it gialla gull usw.) weisen dabei eine ähnliche Formulierung wie Andvaris Fluch in der o.  a. Str. 5 von Reginsmál auf. In Str. 20 rät Fafnir Sigurd noch einmal, den Schatz nicht an sich zu nehmen und verwendet dann die exakt gleichen Worte wie zuvor in Str. 9, 4–6.5 Auch Sigurds Reaktion weist Parallelen mit der Hreiðmarrs aus Reginsmál auf: Es ist nicht klar, ob Fafnirs Worte als Drohung oder Warnung gedacht sind, Sigurd antwortet in Fm. 10 jedenfalls mit der sentenzartigen Aussage, man könne seinen Besitz nur genießen, solange man lebe, auch in der Formulierung ganz ähnlich, wie Hreiðmarrs Antwort auf Lokis Warnung in Rm. 9 (vgl. von See et al. 2006, 425; Haimerl 1993, 89  f., der weitere derartige Parallelen zwischen Rm. und Fm. herausarbeitet). Fafnir verflucht Sigurd daraufhin noch einmal als Todgeweihten (Fm. 11), ohne dies allerdings explizit mit dem verfluchten Gold in Verbindung zu bringen. Unbeeindruckt davon bemächtigt sich Sigurd des Schatzes, nachdem er, motiviert durch die Belehrung der Meisen, Reginn getötet hat, und macht sich anschließend auf, die Walküre Sigrdrifa zu wecken. Die weiteren Lieder des Codex Regius, die in Zusammenhang mit Sigurds Tod stehen, erwähnen Fafnirs Hort nur implizit. Nirgendwo ist das Gold direkte Motivation für Sigurds Ermordung, vielmehr ist es Brynhilds Zorn über dessen Untreue und sein doppeltes Spiel, das sie dazu bringt, die Gjukungen-Brüder gegen Sigurd aufzuhetzen: Sigurds Gestalttausch mit Gunnar und der dadurch möglich gewordene Betrug sind verantwortlich für Sigurds Tod. Der Goldschatz wird dabei nur als eines der heroischen Erkennungszeichen Sigurds erwähnt: Im „Kurzen Sigurdlied“ (Sigurðarkviða in skamma) stellt Brynhild klar, sie habe sich dem versprochen, der mit Gold auf Granis Rücken saß (Str. 39). Grani ist Sigurds Pferd; dies könnte eine Anspielung auf Drachentötung und Hortgewinnung sein – eine heroische Tat, zu der

5 Die wörtliche Wiederholung dürfte dem Schreiber der Hs., der in Str. 20 nur noch die Anfangsbuchstaben setzte, bewusst gewesen sein (vgl. Haimerl 1993, 91).

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Gunnar ebensowenig fähig gewesen ist wie der Eroberung Brynhilds (die nicht näher beschrieben, aber in diesem Kontext wohl vorausgesetzt werden darf). Der Schatz ist hier aber gerade nicht mit dem Fluch verbunden, sondern vielmehr Zeichen der heroischen Stärke Sigurds. Deutlicher wird ein Zusammenhang im ersten Gudrunlied, wo Brynhild zumindest indirekt dem Drachengold (eldr ormbeðs, „das Feuer des Schlangenlagers:“ I Gðr. 26) eine Mitschuld an den unglücklichen Verwicklungen gibt. In dem wohl relativ spät entstandenen Lied Helreið Brynhildar („Brynhilds Helfahrt“) schließlich legt Brynhild ihr Zusammentreffen mit Sigurd dar und erklärt, Odin selbst habe festgelegt, dass es nur demjenigen erlaubt sei, den Feuerring um sie zu durchbrechen, der Fafnirs Gold brächte (vgl. zu den einzelnen Stellen von See 2006, 423  f.). Stets bleibt es bei Andeutungen, die höchstens mittelbar einen Zusammenhang zwischen dem Hort und Sigurds Tod zeichnen. In den beiden Liedern vom Untergang der Giúkungen bzw. Niflungen (Atlakviða „Atlilied“ und Atlamál „Grönländisches Atlilied“) lockt Atli zwar Gunnar und Hǫgni an seinen Hof, um sich ihre Schätze anzueignen, „doch deutet nichts darauf hin, daß dieser Hort mit dem Hort von Fafnir identisch sei“ (ebd., 423). Da die einzelnen Lieder der Edda weitgehend unverbunden nebeneinander stehen, ist es schwierig, übergreifende Zusammenhänge zwischen ihnen zu rekonstruieren; dies gelingt nur dort, wo der Stoff aus anderen Erzählungen bekannt ist bzw. als bekannt vorausgesetzt werden darf. Am ehesten besteht wie gesehen zwischen Reginsmál und Fáfnismál ein direkter innerer Zusammenhang, der sich auch in sprachlichen Parallelen ausdrückt. Hier wird dargelegt, woher der Hort kommt und wie er den Weg zu Sigurd findet. Dabei sind drei Punkte entscheidend: Die eigentliche Herkunft des Goldes wird erstens in einen mythischen Rahmen verlegt – es stammt von einem Zwerg, es wird von Göttern übergeben, und auch die Empfänger besitzen teilweise jedenfalls übernatürliche Fähigkeiten wie die des Gestaltwandels. Der Hort stammt damit ex illo tempore, aus einer mythischen Zeit des Anfangs (selbst für die Verhältnisse der Heldenlieder), was nicht zuletzt zeigt, welch übergreifende Bedeutung er für die nachfolgenden Erzählungen besitzt. Zweitens ist die Ursache seiner Herkunft eine Untat, und er ist mit immer weiteren Untaten verbunden: Der Hort ist Blutgeld, die Buße für die Tötung Otrs; die Initialtat stammt, wie das bei mythischen Anfängen häufig der Fall ist, von den Göttern (vgl. grundlegend Eliade 1984), nur handelt es sich hier eben nicht etwa um eine kulturbringende Tat oder gar einen Schöpfungsakt, sondern um einen Totschlag. Und mit Untaten ist auch das Weiterwandern des Goldes verbunden, denn Fafnir ermordet seinen Vater und wird von Sigurd getötet. Der Hort ist ein Ding des Unheils, und hier kommt der Ring ins Spiel und mit ihm der dritte wichtige Punkt: der auf ihm lastende Fluch (s.  o., Rm. 5). Der Ring konzentriert somit verschiedene Eigenschaften auf sich: Er steht einerseits zeichenhaft für den gesamten Schatz, wobei anord. baugar (‚Ringe‘) auch eine Kenning für ‚Schatz‘ darstellt (Zimmermann 2003, 5; von See 2006, 421  f.). Es ist bezeichnend, dass der Name Andvaranautr erst genannt wird, wenn Odin den Ring vom Finger zieht und auf den restlichen Hort legt (Rm. 5 Pr). Das bezieht sich



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zunächst nur auf den Ring, der jedoch den Hort erst komplett macht, so dass ‚Andvaris Gabe‘ auch für den gesamten Schatz gelten kann. Zudem manifestieren sich an dem Ring alle negativen Eigenschaften, die der ganze Schatz hervorruft: Die Weitergabe von Hort und Ring ist von Anfang an begleitet von Mord und Habgier. Auslöser ist die Tötung Otrs, Loki gibt sich danach nicht mit Andvaris Gold zufrieden, sondern fordert auch noch den Ring, und erst als ihm damit alles genommen worden ist, verflucht Andvari Ring und Gold. Ebenso Hreiðmarr, der auch das letzte Barthaar des Otterbalgs bedeckt sehen möchte und daher Odin nötigt, auch den Ring herauszugeben, den dieser  – so ließe sich jedenfalls daraus schließen  – ansonsten für sich selbst behalten hätte; der Ring wandert also sogleich von Loki, der nur der Überbringer ist, zu Odin (Haimerl 1993, 84). In beiden Fällen zeigt die verzögerte Herausgabe des Rings, wie die Goldgier aufs Äußerste ausgereizt wird und im weiteren Verlauf zum Mord führt: Hreiðmarr will wie Fafnir das Gold nicht herausgeben, beide werden darum getötet (von See 2006, 249). ‚Andvaris Gabe‘ ist das handlungsauslösende Element, und der Schatz bewirkt eine Untat nach der anderen, nachdem er ja bereits durch einen Totschlag in Umlauf gebracht worden ist. Die Vorgeschichte des Hortes begründet nicht nur Sigurds Drachenkampf, seine initiale heroische Jugendtat, sondern sorgt darüber hinaus dafür, dass der Hort in die Menschenwelt gelangt – mit allem Unheil, das daran hängt. Der Hort mit dem Ring als integrativer Bestandteil und der darauf liegende Fluch bilden den Ursprung aller weiteren unheilvollen Ereignisse – explizit bis zur Tötung Fafnirs, implizit aber weit darüber hinaus, über den Tod Sigurds bis zum Untergang der Giúkungen / Niflungen (von See 2006, 250). Die Dinge – Ring und Gold – sind zwar nicht selbst Akteure, doch bestimmen sie maßgeblich deren Handlungsweise und lenken die immer wiederkehrenden Interaktionsmuster. Ein äußeres Anzeichen dafür ist der von Andvari auferlegte Fluch. Jeder Besitzer des Hortes wird auf den Fluch aufmerksam gemacht: Loki als Repräsentant der Götter (durch den Fluch in Rm. 5), Hreiðmarr durch Loki (Rm. 6 und 8; letztere Strophe könnte bereits eine Andeutung der Geschehnisse im Grönländischen Atlilied sein),6 Sigurd schließlich durch Fafnir (Fm. 9 und 20). Betrachtet man die Szenen genauer, so ist zu fragen, ob wirklich allein Habsucht und die Gier nach Gold die Handlungen der einzelnen Figuren bestimmen, ob also gewissermaßen intrinsische Motive handlungsauslösend sind, oder ob nicht eigentlich der Fluch hier wirksam wird, der wiederum eng mit dem Ring verbunden ist. Es geht, mit anderen Worten, also darum, ob die Figuren mehr oder weniger selbstbestimmt handeln, oder ob vielmehr der Fluch handlungsbestimmend ist, was wiederum über ein Ding (den Ring) substituiert wird, das unter Umständen sogar eine

6 Da die Geschehnisse aus der Perspektive Reginns erzählt werden, hat dieser Lokis Warnung vor dem Fluch ebenfalls vernommen; auch wenn es nicht ausdrücklich erwähnt wird, so ist doch anzunehmen, dass als zweiter Bruder auch Fafnir anwesend ist, zumindest jedoch um die Folgen des Fluchs weiß (vgl. Haimerl 1993, 84).

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eigene Handlungsmacht entfalten kann. Um dies zu erörtern, bietet sich ein Blick auf Vǫlsunga saga und Snorra Edda an, da diese die Folgen des Fluchs viel weiter ausführen, nämlich über Sigurds Tod hinaus.

Die Handlungsmacht des Rings: Vǫlsunga saga und Snorra Edda Die Vǫlsunga saga ist eine prosifizierte Kompilation verschiedener Heldenlieder um die Sigurd-Figur bzw. seinem Geschlecht, den Völsungen. Sie schlägt einen weiten Handlungsbogen von Sigurds Vorfahren über Geburt und Tod des Helden bis zum Schicksal der Nachkommen Sigurds und Gudruns. Der Kompilator schöpft vornehmlich aus der Lieder-Edda, deren Einzeltexte er zu einer umfassenden, zusammenhängenden Prosa-Erzählung verbindet; an manchen Stellen werden sogar einzelne Strophen wie als Zitate eingeflochten. Die Vorgeschichte des Hortes ist in etwas geraffter Form im Wesentlichen die gleiche wie in Reginsmál,7 mit einem kleinen Unterschied: Andvaris Fluch gilt ausdrücklich dem Ring, erst danach zusätzlich noch dem übrigen Gold. Darüber hinaus ist er viel unspezifischer und damit weitreichender: Der Ring soll jedem, der ihn besitzt, den Tod bringen, ebenso das Gold. Die beiden Dinge werden damit zwar weiter als zusammengehörig betrachtet, aber nicht mehr als direkte Einheit wie in den Reginsmál.8 Dort wirkt der Fluch wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Das Gold soll zwei Brüdern den Tod bringen sowie acht Fürsten Streit. In der Vǫlsunga saga dagegen ist schlicht jeder vom Tod bedroht, der Ring oder Hort besitzt. Das ist vorerst noch nicht entscheidend; zunächst zeigt sich wie in der Lieder-Edda der Zusammenhang von initialer Untat, Habgier und Mord, auch in der weiteren Handlung um Sigurds Drachenkampf, die ganz parallel zu Fáfnismál gestaltet ist. Wie dort warnt der sterbende Fafnir zweimal mit ganz ähnlichen Worten Sigurd vor dem Gold, doch der schlägt die Warnung in den Wind. Ab den weiteren Ereignissen der Brautwerbung um Brynhild und Sigurds Tod differiert die Vǫlsunga saga von den Liedern der Edda z.  T. erheblich, da sie einen kohärenten Handlungszusammenhang herstellt und zudem Lücken füllt, die sich in den eddischen Texten durch die Nebeneinanderstellung der Einzellieder ergeben. Dabei spielt der verfluchte Ring eine zentrale Rolle. Auf Anraten der Meisen, deren Sprache er durch den Verzehr des Drachenherzens versteht, holt Sigurd Fafnirs Gold

7 Parallelen und Differenzen beider Texte, auch zu Skáldskaparmál und Nornagests þáttr, sind tabellarisch aufgeführt bei von See 2006, 233  ff. 8 Anders McGillivray 2015, 369, der Andvaranautr auch in der Vǫlsunga saga lediglich als Symbol für den gesamten Hort betrachtet, was mir, gerade im Hinblick auf die explizite Nennung des Rings, noch dazu an erster Stelle vor dem Schatz, zwar nicht falsch, aber doch zu kurz gegriffen erscheint.



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und reitet damit weiter zu Brynhild, die er aus ihrem Zauberschlaf weckt. Diese hat ihn bereits erwartet; sie nennt seinen Namen und weiß um seine Heldentat („Sigurd wird hergekommen sein, Sigmunds Sohn, der den Helm Fafnirs hat und seinen Töter in der Hand“ Vǫlsunga saga 50).9 Implizit erscheinen Drachentod und Erringung des Hortes damit als Voraussetzung für die Erweckung Brynhilds. Nachdem sie ihn mit vielen Weisheiten unterrichtet hat, versprechen sich Brynhild und Sigurd einander und schwören gegenseitige Treueeide, keinen anderen Partner zu wählen. Anschließend aber erzählt die Vǫlsunga saga eine doppelte Brautwerbungsgeschichte, was offensichtlich ihrem kompilatorischen Charakter geschuldet ist. Sigurd gelangt nämlich zu Brynhilds Pflegevater Heimir und begegnet dort erneut Brynhild. In einem vertrauten Gespräch bekräftigen die beiden ein weiteres Mal ihre Treueeide (obwohl Brynhild bereits Sigurds Heirat mit Gudrun prophezeit), und nun gibt Sigurd ihr auch einen Goldring – unklar bleibt an dieser Stelle noch, ob es sich dabei um Andvaranautr handelt. Das wird erst bei der nächsten Begegnung zwischen den beiden deutlich, nachdem Sigurd, der durch einen magischen Trank Brynhild vergessen hat, Gudrun geheiratet und später mit Gunnar die Gestalt getauscht hat, um erneut durch das Feuer in Brynhilds Saal zu reiten, da Gunnar diese Freiersprobe bekanntlich nicht durchführen kann. Nach dem – freilich keuschen – Beilager in der Brautnacht wird der Ring ausgetauscht: „Da nahm er den Ring Andvaranaut von ihr und gab ihr einen anderen Ring aus dem Erbe Fafnirs“ (Vǫlsunga saga 68).10 Genau das aber wird Sigurd später zum Verhängnis. Im Streit der Königinnen präsentiert Gudrun den Ring Andvaranautr, den sie ausdrücklich bei seinem Namen nennt, um damit zum einen die Betrugsgeschichte zwischen Sigurd, Gunnar und Brynhild aufzudecken, zum anderen aber ihr Wissen darum bekanntzugeben und auf diese Weise sowohl ihre eigene Position über Brynhilds zu stellen, als auch die Sigurds über Gunnar. Mit dem Ring erkennt nun auch Brynhild die Zusammenhänge. Der Rest ist bekannt: Brynhild stachelt Gunnar zur Ermordung Sigurds an, der jedoch (im Gegensatz zu den Edda-Liedern) in Sigurds Tod auch den Vorteil erkennt, dann selbst über den Drachenhort zu verfügen – ein weiteres Mal ist Goldgier eine, wenn auch nicht vorderste Handlungsmotivation. Und Goldgier ist es auch, die König Atli zur verräterischen Einladung an Gunnar und Hǫgni veranlasst, wodurch der Fluch des Hortes ein letztes Mal seine Wirksamkeit entfaltet, denn kaum jemand entkommt dem Inferno der brennenden Halle; der Schatz aber ist nun dem Zugriff entzogen und im Rhein versenkt.11

9 Vǫlsunga saga 48: „man her kominn Sigurdr Sigmundarson, er hefir hialm Fafnis ok hans bana i hende“. 10 Vǫlsunga saga 68: „Hann tok þa af henne hringinn Andvaranauth, er hann gaf henne, en feck henni nu annan hring af Fafnnis arfe“. 11 Die Formulierung „lieber mag denn der Rhein des Goldes walten, als daß die Hunnen es an ihren Händen tragen“ (Vǫlsunga saga 95  f. Vǫlsunga saga 100: „Skal Rin nu rada gullinu, fyrr enn Hynir bere

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Auf diese Weise stellt die Vǫlsunga saga die Geschehnisse um Sigurds Tod und den Untergang der Gjukungen in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Vorgeschichte des Drachenhortes und dem darauf liegenden Fluch, da die gesamte Handlung als aufeinander aufbauende Ereigniskette erscheint. Für sich betrachtet ist jede einzelne Mordtat je individuell auf die Gier nach dem Gold zurückzuführen. Im gesamten Erzählzusammenhang, den die Vǫlsunga saga eröffnet, tritt jedoch Andvaris Fluch in den Vordergrund, der sämtliche Besitzer von Hort und Ring trifft. Der Fluch entfaltet eine eigene Handlungsmacht, welche in der Tiefenstruktur wirksam wird, während Habgier nach dem Hort nur die oberflächliche Antriebskraft ist, welche dem Fluch zur Wirksamkeit verhilft. Das zeigt sich besonders bei den Verwicklungen um Sigurd und Brynhild: Die Motivation, in den Besitz des Goldes zu kommen, ist bei der Begründung für Sigurds Ermordung nachgeschoben und eher zweitrangig. Zuvorderst geht es um Brynhilds (und Gunnars) Ehre, diese aber wird erst in Frage gestellt durch den zweiten Bestandteil des Hortes: den Ring, den Gudrun Brynhild zeigt. Der Ring, eigentlich Symbol der Treue, wird so zum Zeichen der Untreue; der Fluch ergreift jeden, der ihn besitzt. Es macht gar keinen Sinn, darüber zu spekulieren, weshalb Sigurd, als er in Gunnars Gestalt ein zweites Mal bei Brynhild ist, ihr den Ring Andvaranautr nimmt, und wie dieser dann in die Hände Gudruns gelangt. Denn es geht hier nicht um kausale Beweggründe, sondern um die Finalität der Ereignisse, die von den verfluchten Dingen ausgeht. Damit aber sind Sigurd, Brynhild wie auch alle anderen Beteiligten ihrer Handlungsfreiheit mehr oder weniger entmächtigt. Nicht sie bestimmen über ihr Schicksal, sondern vielmehr der Ring und das Gold, in denen der Fluch wirksam ist. Ein Fluch ist, ähnlich wie ein Zauber- oder Segensspruch, eine magische Sprechhandlung, die den Zeichenbegriff zugunsten des gesprochenen Wortes aufhebt; er offenbart ein zeichenrealistisches Sprachverständnis, in dem res und signum, Zeichen und Bezeichnetes, zusammenfallen. Der hinter solch einem Sprechakt Stehende kann also durch seine Worte (d.  h. durch bloße Zeichen) Handlung bewirken (vgl. Schulz 2003, 13–29; Hammer 2012, 41  f.). Wenn aber die eigentlichen Aktanten (Sigurd, Brynhild, Gunnar, aber ebenso auch Fafnir, Hreiðmarr oder Atli) durch den Fluch in ihrer Handlungsmacht eingeschränkt sind, wer übernimmt dann für sie das Handeln? Der Zwerg Andvari hat den Fluch ausgesprochen und damit einen Prozess in Gang gesetzt, der in vorgezeichneten Bahnen (final, nicht kausal geordnet) verläuft. Andvari selbst allerdings verschwindet als Handlungsträger bereits ganz zu Anfang, nur über seinen Fluch bleibt er anwesend; indem Loki und Fafnir vor dem Gold warnen, halten sie ihn weiter präsent. Da Andvari aber nicht selbst da ist, rücken an seine Stelle die Artefakte, die mit dem Fluch beladen sind. Indem durch den Ring und auch das Gold Unheil geschieht, ‚handeln‘ die Dinge somit stellvertretend für Andvari (nicht

þat a haundum ser.”) impliziert noch einmal goldene Fingerringe wie den Andvaranautr, ohne dass an dieser Stelle die Sprache noch einmal explizit auf diesen Ring kommt.



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umsonst ist der Ring mit seinem Namen verbunden), vermittelt durch die magische Sprechhandlung des Fluches. Wenn auch diese Dinge keine handelnden Subjekte wie die eigentlichen Aktanten der Erzählung sind, so geht ihr Status doch weit über den eines passiven Objekts hinaus (vgl. nochmals Vedder 2012, 15). Diese verhängnisvolle ‚Eigenmacht‘ der Dinge (vgl. Vedder 2012, 8 unter Rekurs auf Barthes 1988; hierzu ist der Begriff der agency entwickelt worden, vgl. Mühlherr 2016, 6) wirkt sich insbesondere in der fatalen Beziehung zwischen Sigurd und Brynhild aus. Auch hier gibt es oberflächlich einige nachvollziehbare Begründungsmuster: Die von Gunnar und Sigurd durchgeführte Täuschung durch den Gestalttausch, die Brynhild als Verrat auffassen muss, und zwar im doppelten Sinne, denn allein Sigurd besteht die Freiersprobe und hat sie bereits einmal bestanden und sich mit Brynhild verlobt. Dadurch wird er ihr gegenüber ebenso eidbrüchig wie die Brüder Gunnar und Hǫgni an ihm. Zudem fällt auf, dass gerade Sigurd in seiner Entscheidungsfreiheit weitgehend eingeschränkt ist, denn er bringt die Ereignisse unbeabsichtigt ins Rollen, da er zu dem Zeitpunkt des Gestalttausches gar nicht mehr um seine frühere Verbindung mit Brynhild weiß. Es ist der Vergessenstrunk Griemhilds, der dafür sorgt – mithin ein magisches Elixier, das sich jeglicher Erklärung oder Motivation entzieht und durch das Sigurd unwissentlich zum Verräter wider Willen wird. Es wäre zu kurz gedacht, nun Griemhild als treibende Kraft dahinter zu sehen, denn ihr Handeln greift wiederum dem unabwendbaren Fluch nur voraus. Dessen Wirkpotential wird durch die mehr als nur zeichenhafte Ringgabe und -nahme markiert. Sigurd gibt Andvaranautr an Brynhild weiter, die dadurch ebenfalls in den Wirkungsbereich des Fluchs kommt. Indem Sigurd nach dem Täuschungsmanöver den Ring wieder an sich nimmt, ‚aktiviert‘ er gleichsam den Fluch: Das Verhängnis ist geschehen und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, Brynhild muss lediglich noch die Zusammenhänge aufdecken. Es ist kein Wunder, dass auch dies über das zentrale Artefakt, den Ring, geschieht.12 Nun wäre es aber ebenso einfach wie verfehlt, die gesamte Handlung nur auf die Auswirkungen des Fluchs zu beziehen, der die Aktanten beherrscht, ihre Motivation und Entscheidungskompetenz übernimmt, um sich selbst zu erfüllen und damit gleichzeitig die Protagonisten aus ihrer Verantwortung zu nehmen. Denn trotz der finalen Begründungslogik präsentiert die Erzählung ja durchaus immer wieder Motivationsstrukturen, die die Handlungsweise der Protagonisten nachvollziehbar machen. Dabei treten immer die gleichen Muster auf: Habgier, Verrat, Mord – basale negative Eigenschaften und Verhaltensweisen der Menschheit. Das verfluchte Gold

12 Brynhild erhält als Ersatz einen anderen Ring aus Fafnirs Hort, bleibt also mit dem Fluch quasi weiterhin in Kontakt. Im Gegensatz zur wesentlich undurchsichtigeren Rolle Kriemhilds im Nibelungenlied (dazu s.  u.) ist die Gudruns hier deutlich positiver besetzt. Weder sprechen die nordischen Texte ihr einen Anteil an der Ermordung Sigurds zu, noch ist sie, bei aller Trauer um den Tod ihres Mannes, auf Rache an ihren Brüdern aus, im Gegenteil warnt sie diese vor Atli und rächt sie an ihm. Das mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass auch Gudrun keine eigenständige Handlungsmacht zukommt, sondern auch sie lediglich als eine Erfüllungsgehilfin des Fluchs anzusehen ist.

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löst Habgier aus und bringt den Tod, wobei Ursache und Wirkung kaum zu trennen sind: Ist der Fluch verantwortlich für die Habgier oder ist die Habgier der Fluch? Näher betrachtet allerdings ist all dies auf die bereits in Reginsmál festgestellte mythische Herkunft zurückzuführen. Schon der Fluch wird hervorgerufen durch die Taten der Götter, die ihrerseits bereits einen initialen Zusammenhang von Habgier und Gewalt aufzeigen (vgl. McGillivray 2015, 370 u. 379). Dort freilich ist die Reihenfolge umgekehrt: Auf die Tötung Otrs folgt die Suche nach dem Gold als Bußleistung. Die Götter setzen einen absoluten Anfang; durch sie kommt die unheilvolle Verbindung von Gold und Totschlag in die Welt; die darauf basierenden Ereignisse sind jedoch nicht mehr kausal, sondern final begründet: Denn es steht ja schon von Beginn an fest, welches Schicksal den nächsten Hortbesitzer ereilt, und es sind die Götter, die diesen Beginn setzen und dem Geschehenszusammenhang dadurch eine mythische Koinzidenz (im Sinne von Cassirer 1977, 82) verleihen, gewissermaßen eine unhintergehbare Schicksalhaftigkeit. So betrachtet wäre der Fluch dann die Versprachlichung einer von den Göttern in Gang gesetzten Ereigniskette, die grundlegende negative Verhaltensmuster der Menschen offenlegt und begründet.13 Ein kurzer Blick auf Skáldskaparmál bestätigt diese Beobachtungen. Snorri Sturluson präsentiert damit eine Art Lehrbuch für Skaldendichtung, in dem u.  a. zahlreiche Metaphern bzw. Kenningar erläutert werden, unter Heranziehung mythologischer, aber auch heldenepischer Stoffe (zu den Quellen vgl. Faulkes 1993). Zur Erläuterung des Begriffs ‚Otterbuße‘ als Kenning für Gold wird die Erzählung von der Vorgeschichte des Hortes bis zum Schicksal von Gudruns Kindern in geraffter Prosa wiedergegeben. Gerade im Zusammenhang mit dem Ring Andvaranautr werden die Beweggründe der einzelnen Figuren hier deutlicher: Andvari will den Ring behalten, da er damit seinen Reichtum wieder vermehren kann, Odin nimmt den Ring an sich, weil er ihn schön findet. Der Zwerg verflucht einzig den Ring, nicht das übrige Gold, und Loki begrüßt die Prophezeiung, der Ring solle jedem den Tod bringen, da nicht er, sondern Hreiðmarr ihn in Besitz nehmen wird. Der Ring wird damit deutlich vom übrigen Schatz abgehoben; erst nachträglich, nachdem die ‚Otterbuße‘ beglichen ist, fügt Loki zum Fluch über den Ring auch noch das Gold hinzu: Beide sollen ihrem Besitzer den Tod bringen.

13 Die Finalität der Ereignisse ist auch daran abzulesen, dass Brynhild sich von Anfang an nicht nur demjenigen verspricht, der den Feuerwall durchreitet und sie erweckt; zusätzlich muss es eben jener sein, der den Drachenhort besitzt (vgl. Vs. 72). Damit läuft von vornherein alles auf Sigurd hinaus, den Brynhild bei ihrer ersten Begegnung ja auch sofort erkennt und mit Namen nennt. Mit Fafnirs Gold ist allerdings der darauf liegende Fluch schon inbegriffen und damit auch das weitere Verhängnis: Die Verbindung von Brynhild und Sigurd kann von vornherein nur tödlich enden. Insofern ist es nur konsequent, wenn Brynhild Sigurd den Verrat an ihr bereits bei ihrer zweiten Begegnung prophezeit – auch wenn gerade diese zweite, für den Handlungsverlauf eigentlich unnötige Werbung Sigurds wohl der Kompilation geschuldet ist und Brynhilds Prophezeiung insofern das Vorwissen des Kompilators (und seines Publikums) bestätigt.



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Wie verhängnisvoll nun gerade der Ring wirkt, wird an der Brynhild-Figur deutlich: Die erste Begegnung zwischen Sigurd und ihr wird in nur wenigen Worten abgehandelt, von einem Treueschwur ist keine Rede. Narrativ im Vordergrund steht die Täuschung durch den Gestalttausch; erst jetzt übergibt Sigurd (in Gunnars Gestalt) ihr den Ring Andvaranautr und nimmt einen anderen Ring von ihr. Im Vordergrund steht somit kein etwaiger Treuebruch Sigurds, sondern der Verrat an Brynhild durch die falsche Brautwerbung. Mit dem Ring Andvaranautr scheint sie gleichsam zum Werkzeug des Fluches zu werden: Indem nun Gudrun den Ring an ihrem Finger identifiziert, kann sie zeigen, dass Brynhild diesen nur von Sigurd erhalten haben kann, worauf Brynhild den Mord an Sigurd herbeiführt und darauf selbst stirbt. Vom Hort ist nirgendwo die Rede, erst nach Sigurds Tod heißt es, Gunnar und Hǫgni hätten sowohl das Gold Fafnirs als auch explizit Andvaranautr an sich genommen und später im Rhein versenkt, bevor sie durch Atli sterben. Im Zusammenhang mit dem Königinnenstreit zwischen Gudrun und Brynhild dient der Ring vordergründig als Beweisstück, der Fluch wird aber in erster Linie auf den Ring appliziert; durch die geraffte Erzählweise wird der Fluch selbst im weiteren Verlauf nicht mehr präsent gehalten (etwa durch Fafnirs Warnungen gegenüber Sigurd wie in Fáfnismál), er ist gegenwärtig nur noch über den Ring selbst und wirkt nur mittelbar über Brynhild, zu der der Ring wandert und die Sigurds und ihren eigenen Tod bewirkt.

Der Ring als (falsches) Zeichen im Nibelungenlied Betrachtet man vor diesem Hintergrund nun das mhd. Nibelungenlied, so zeigen sich fundamentale Unterschiede, die klarmachen, dass der Dichter sich zwar der gleichen Stofftradition bedient haben mag, Motive und Figuren jedoch völlig anders arrangiert.14 Auch hier taucht im Königinnenstreit zwischen Kriemhild und Brünhild ein Ring als (vermeintliches) Beweisstück auf, doch schon die Ausgangslage ist völlig anders: Die Vorgeschichte des Hortes, von Hagen bei Siegfrieds Ankunft in Worms nur knapp berichtet, hat nichts mit dem Drachenkampf zu tun, der nur in einer einzigen Strophe Erwähnung findet, um Siegfrieds Unverwundbarkeit zu erklären. Siegfried gelangt an den Schatz, als er ihn zwischen zwei Zwergen aufteilen soll, ihn aber dabei an sich nimmt. Von einem Fluch ist keine Rede, ebenso wenig von einem Ring als spezifischem Bestandteil. Stattdessen sind diverse, z.  T. magische Gegenstände, u.  a. sein Tarnmantel, aber auch das Schwert Balmunc, mit dem Hort verbunden (zu den Gegenständen vgl. Mühlherr 2009).

14 Es kann an dieser Stelle nicht der Platz für einen detaillierten Vergleich zwischen Vǫlsunga saga und Nibelungenlied sein; vgl. dazu genauer Teichert 2008, 129  ff. (mit weiterer Literatur) und Bryan 2012. Mir geht es hier lediglich um Funktion und Motiv des Rings, welche im mhd. Text fundamental anders gelagert ist.

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Ebenso wenig gibt es ein früheres Treffen zwischen Brünhild und Siegfried, auch wenn der Text eine Bekanntschaft der beiden zumindest suggeriert (vgl. Müller 1998, 85  ff.). Der Betrug bei der Werbung um Brünhild, deren Wettkämpfe Siegfried im Tarnmantel für Gunther gewinnt, ist vielmehr als eine Viereckskonstellation innerhalb des Schemas der gefährlichen Brautwerbung zu konstatieren (Strohschneider 1997). Die Verbindung Siegfrieds mit Kriemhild macht Brünhild misstrauisch, muss sie ihn nach Gunthers erfolgreicher Werbung doch für dessen Vasallen halten, der die über seinem Rang stehende Schwester des Königs heiraten darf: „umbe dîne swester ist mir von herzen leit./ die sihe ich nâhen sitzen dem eigenholden dîn“(NL 620, 2  f.: „Deine Schwester tut mir von Herzen leid. An der Seite Deines Eigenmannes sehe ich sie sitzen“). So ist ein erneuter Betrug an Brünhild in der Brautnacht nötig: Da sie nicht mit Gunther schlafen will, fesselt sie ihren Mann kurzerhand mit ihrem Gürtel und hängt ihn an einen Nagel. Daher muss Siegfried sie erneut, unter der Tarnkappe im dunklen Schlafzimmer verborgen, bezwingen: „dô wart si Guntheres wîp“ (NL 677,4: „Da wurde sie Gunthers Frau“). Bei dieser Gelegenheit nimmt Siegfried, immer noch unsichtbar, Brünhild den Gürtel sowie einen Ring ab: „er zôch ir ab ir hende ein guldîn vingerlîn,/ daz si des nie wart innen, diu edele künegîn“ (NL 679, 3  f.: „Er zog ihr einen Goldring von der Hand, ohne daß die hochgeborene Königin es merkte); beides gibt er später seiner Frau Kriemhild (NL 684; zur Stelle ausführlich Müller 1998, 273  f.). Der danach folgende Königinnenstreit ist in der Literatur so intensiv besprochen und analysiert worden, dass ich mich auf einige Stichworte beschränken kann (vgl. genauer Müller 1998, 276–283). Der Streit in seinen verschiedenen Eskalationsstufen beruht von Beginn an auf einer Doppelbödigkeit der Zeichen, die jeweils im Kontext der einzelnen Figuren für sich genommen stimmig sind: Aus Brünhilds Sicht ist Gunther ein größerer Held als Siegfried, der darum nur dessen eigenholt sein kann, für Kriemhild ist dagegen Siegfried mindestens gleichrangig. Durch die Erzählerperspektive weiß der Rezipient, dass es Siegfried war, der Brünhild zweimal bezwungen hat, und auch, dass Siegfried beim zweiten Mal, in der Brautnacht, Brünhild zwar körperlich besiegt, sie jedoch nicht entjungfert hat. Anders als auf Isenstein, wo es mit Hagen und Dankwart immerhin zwei Mitwisser gibt, ist es in Gunthers Schlafkammer so dunkel, dass selbst der anwesende König nichts sieht und damit selbst nur ein Ohrenzeuge des Geschehens ist. Es gibt mithin keinen Zeugen und keinen Beweis für das Geschehen, wenn nicht Siegfried Ring und Gürtel mitgenommen hätte, die damit wie eine Trophäe wirken, welche dennoch verborgen bleiben muss (Müller 1998, 272  f.). Über die Motive, weshalb Siegfried überhaupt die beiden Gegenstände mitnimmt, kann nicht spekuliert werden, das Nibelungenlied gibt lediglich seinen „hôhen muot“ (NL 680,2)15 an, die Gründe bleiben zwielichtig (zur heroischen Hand-

15 Zu Bedeutung dieses schwierigen Terminus und den Konnotationen mit übermuot vgl. Müller (1998), 242  f. und 273. Heinzle übersetzt in seiner Ausgabe hôhen muot in diesem Kontext mit „im Hochgefühl des Sieges“, doch liegen noch erheblich mehr Konnotationen in dieser Wendung.



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lungslogik dieser Szene vgl. Sahm 2012, 134  f.). Im Königinnenstreit bricht der durch die fortwährende Betrugshandlung stets virulente Widerspruch zwischen Worten und Zeichen konflikthaft auf. Beide ‚Beweisstücke‘ werden von Kriemhild vorgezeigt, d.  h. sichtbar gemacht, sind nun aber aus ihrem unmittelbaren Kontext herausgelöst und werden damit uneindeutig. Der „Verbindlichkeit öffentlich wahrnehmbarer Rede“ (Müller 1998, 278) muss durch visuelle Mittel Geltung verschafft werden, doch was Kriemhild behauptet, entspricht gerade nicht den in der Erzählung geschilderten Tatsachen: Brünhild habe sich „verkebset“ (NL 840, 1, d.  h., sie habe sich als Beischläferin hergegeben), sie habe also mit Siegfried zuerst geschlafen  – und als vermeintliche Beweise werden Ring und Gürtel gezeigt. Beide fungieren „als Memorialzeichen im Sinne der Bezeugung eines Rechtsanspruches: Der Ring als Zeichen der Bindung, der Gürtel als Zeichen der Lösung, beide zusammen als Zeichen der unehelichen Preisgabe Brünhilds an Siegfried“ (Wenzel 1992, 332). Dass dies nicht stimmt, können aber außer Siegfried nur die Rezipienten wissen. Ring und Gürtel „suggerieren erst eigentlich den Sachverhalt, den sie bezeugen sollen“ (ebd., 334). Als Zeichen widerlegen sie Brünhilds Worte und bestätigen Kriemhild – obwohl die Zeichen falsch sind und obwohl auch Kriemhilds Aussage falsch ist.16 Gerade darin liegt die Dramatik des Geschehens: Zwar werden Brünhild nun die Zusammenhänge um ihre Brautwerbung klar, entehrt ist sie jedoch nicht etwa durch Siegfrieds Untreue wie in den skandinavischen Versionen, denn eine vorherige Begegnung zwischen den beiden gibt es ja gar nicht. Entehrt wird sie durch den arbiträren Zeichencharakter von Ring und Gürtel, die, sobald sie öffentlich präsentiert werden, als Trophäe erscheinen, was zwar objektiv falsch ist, aber durch den Kontext, in dem sie gezeigt werden, Verbindlichkeit erhält (vgl. Müller 1998, 272). Es gibt keinen Fluch, der dafür verantwortlich ist, und dennoch entgleitet auch hier den Akteuren die Handlungsmacht. In diesem Sinne erzählen Ring und Gürtel durchaus eine Geschichte, aber eben eine, die Kriemhilds Aussagen unterstützt und nicht das, was Brünhild für wahr hält (Sahm 2012, 135). Doch das, was eigentlich ‚wahr‘ ist, kann zu diesem Zeitpunkt schon kaum mehr festgestellt werden. Denn schon längst haben sich die Zeichen bzw. ihre Deutung verselbständigt, klaffen Zeichen und Realität durch den ständig aufrecht zu erhaltenden Betrug immer weiter auseinander. Der Ring hat weder eine Vorgeschichte oder einen Namen, noch übernimmt er zusammen mit dem Gürtel die Handlungsmacht; beide bleiben zeichenhaft, aber als Zeichen entfalten sie eine eigene Deutungshoheit, die zusehends unkontrollierbar wird. Die

16 In der Þiðrékssaga ist genau das nicht der Fall, denn hier besitzen Ring und Gürtel als Zeichen eben jene Eindeutigkeit, die ihnen im Nibelungenlied nicht zukommt: Sigurd und Gunnar tauschen bewusst die Kleider und Gunnar entfernt sich aus dem Schlafgemach, damit Sigurd Brünhild an seiner Statt entjungfern kann (vgl. Wenzel 1992, 333  f.)

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eigentlichen Akteure verlieren die Kontrolle über die Wirkmächtigkeit der Zeichen, doch sie werden nicht von den Dingen selbst entmächtigt, sondern von der Arbitrarität ihrer Bedeutungen.

Fazit: Der Ring und Wagner Es zeigt sich, in welch unterschiedlichen narrativen Funktionen die Ringe in den jeweiligen Fassungen und Stofftraditionen um die Nibelungen erscheinen. In den altnordischen Fassungen wird dem Ring dabei eine wesentlich höhere Handlungsmacht zugeschrieben als im mhd. Nibelungenlied, nicht zuletzt besitzt der Ring als Bestandteil des Hortes dort einen eigenen Namen und eine Geschichte. Mit dem Fluch ist der Ring mehr als nur ein Signifikant für den gesamten Schatz. Andvaris Gabe bezeichnet einerseits den Hort, andererseits die damit verbundenen Verhaltensweisen, das Begehren des Goldes und die Morde, die das Gold in immer neue Hände wandern lassen. Ring und Gold sind zwar nicht selbst Handlungsträger, doch durch den Fluch handelt Andvari gewissermaßen mittelbar in ihnen, so dass die Dinge somit die Interaktionsmuster vorgeben, die dafür sorgen, dass der Fluch sich erfüllt. Noch viel deutlicher wird eine solche Konstellation in der Vǫlsunga saga und der Snorra Edda, denn hier erhält der Ring eine regelrechte Eigenmacht. Es wird eine verhängnisvolle Ereigniskette von der Herkunft des Hortes bis zu Sigurds Tod und darüber hinaus in Gang gesetzt, die zwar finalen, nicht kausalen Motivierungen folgt, andererseits aber zu komplex ist, um sie einzig auf Andvaris Fluch zu reduzieren. Vielmehr offenbart sich darin genau jene Grauzone zwischen unbelebten Objekten/ Artefakten und Handlungsträgern: Denn während die narrativen Figuren weitgehend entmächtigt erscheinen, ihnen die Kontrolle und Bestimmung über die Handlung verloren geht, schieben sich immer mehr die Dinge, insbesondere der Ring Andvaranautr in den Vordergrund: Sie agieren nicht selbst, und doch bestimmen sie die Handlung; sie nehmen den Figuren das Handlungspotential, ohne selbst explizit zu handeln; Ursache und Wirkung sind kaum mehr zu unterscheiden. Auf diese Weise erhält der Ring eine regelrechte Eigenmacht und bestimmt die Handlungsweisen der übrigen Aktanten. Wer eigentlich Handlungsträger ist, wird dabei zunehmend unklar. Ganz anders ist die Rolle des Rings im Nibelungenlied: Es gibt keinen Fluch, keine Vorgeschichte, da der Ring nicht mit dem Hort in Verbindung steht. Von Anfang an ist der Zeichencharakter des Rings hervorgehoben, immer aber handelt es sich um ein falsches, ein trügerisches Zeichen, denn Zeichen und Bedeutung gehen nicht ineinander auf. Dilemmatisch ist dabei, dass schon dann, wenn die beiden Artefakte überhaupt gezeigt werden, zwangsläufig nur eine einzige (aber eben falsche) Deutung der Zeichen möglich ist. Das führt dazu, dass ab diesem Zeitpunkt die Handlung vollkommen abhängig von diesen Zeichen ist und von den Aktanten praktisch nicht mehr kontrolliert werden kann. Siegfrieds Tod und der damit verbundene Untergang der



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Burgunden resultieren somit aus einer komplexen Gemengelage arbiträrer, widersprüchlicher Zeichen, deren Lesbarkeit immer stärker eingetrübt wird; am Ende dieser Kette steht die zwangsläufige Fehldeutung des Zeichencharakters von Ring und Gürtel. Die tragende Rolle des Rings in Wagners Opernreihe muss auf dieser Basis noch einmal anders beurteilt werden. Michael Niehaus beschreibt ihn als ‚Ding der Macht‘ und zeichnet seinen Weg durch die verschiedenen Hände der jeweiligen Figuren nach.  Zentral ist v.  a. der Fluch: „Der Fluch bestimmt das Ding zum Wandern und begleitet das wandernde Ding“ (Niehaus 2012, 76), deutlich gemacht auch durch das musikalische Motiv, das immer wieder anklingt. Alberichs Fluch hat allerdings andere Hintergründe, die in ihren grundlegenden Verhaltensweisen  – Gier und Macht – freilich wieder ähnlich gelagert sind wie in den nordischen Fassungen. Bei der Übergabe von Siegfried an Brünnhilde wird der Ring zugleich zum Wahrzeichen der Liebe, aber dies ist lediglich eine zusätzliche Konnotation. Innerhalb der Gesamthandlung hat der Ring „seinen Stellenwert strukturell gesehen allein dadurch, dass ihn die Nibelungen nicht mehr und die Rheintöchter noch nicht haben“ (ebd., 79). Der Ring ist v.  a. im Diskurs präsent, in der eigentlichen Handlung dagegen zumeist abwesend, weshalb Niehaus ihn (in Anlehnung an einen Ausdruck, den Alfred Hitchcock für die Filmgeschichte geprägt hat) einen ‚MacGuffin‘ nennt: Er ist ein Ding, das die Handlung anstößt und in Gang hält, in dieser selbst jedoch gar nicht entscheidend auftaucht: Der Ring ist das Zeichen der Macht, aber nicht die Macht selbst (vgl. ebd., 80). Nur im Zusammenhang mit Siegfried und Brünnhilde verlässt er diese Stellung, wird zum konkreten Zeichen (der Liebe, des Verrats), und auch das hebt Wagner von den mittelalterlichen Varianten ab: Dass der Ring in den unterschiedlichen Kontexten auch unterschiedliche Eigenschaften entfalten kann, dass der Fluch, der in der Vǫlsunga saga die gesamte Handlung (und damit auch den Verrat um Brynhild und Sigurd) bestimmt, sich hier nicht auswirkt. Zwar trifft auch Wagners Siegfried der Fluch, doch der Liebe entsagt er im Gegensatz zu Alberich nicht. Anders als im Nibelungenlied aber lässt die Zeichenqualität von Wagners Ring an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Und anders als in den nordischen Varianten entfaltet der Ring hier kein eigenes Handlungspotential, stattdessen legt er die Macht oder vielmehr Ohnmacht der Handelnden nur offen. Im Vergleich zu den mittelalterlichen Lesarten ist das allerdings schon beinahe eine konventionelle Option.

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Rolf Heller

Laxdœla saga – eine Königssaga? Abstract: During their stays in Norway, the author of the Laxdoela saga not only brings together some of the saga’s main characters with the respective Norwegian rulers of that time but also awards them an invitation to stay within the king’s immediate surroundings. The king then only reluctantly grants the visitor’s request to return to Iceland; he would rather have his guest stay. Eventually the visitor is allowed to leave with gifts and tokens of the king’s respect. Thus, the author clearly intends to set those Icelanders apart from others yet it remains unclear why they merit such high regard. Ármann Jakobsson maintains that the author of the Laxdoela saga views the Icelandic guests as equals to the Norwegian kings, therefore taking ‘royal’ demeanour and ‘royal’ treatment as given. An analysis of the saga’s text confirms indeed that the author has the Norwegian kings holding some of the saga’s characters in remarkably high esteem. However, analysing the text also proves that at all times the king is considered to be of higher rank than the guest of honour. Any interpretation of king and guest having equal status is precluded by the author’s choice of words. Die Laxdœla saga (im Folgenden Laxdœla) ist bekannt dafür, dass einige der bedeutendsten Personen des Werkes – Olaf Pfau, Kjartan und Bolli der Jüngere – mit auffallender Kleidung und kostbaren goldverzierten Waffen ausgestattet sind. Textvergleiche haben erkennen lassen, dass sich der Sagaverfasser dabei an Beschreibungen in Königssagas angelehnt und sie sich zunutze gemacht hat.1 Dass es sich bei den ‚Vorbildern‘ um Könige oder Leute königlichen Geblüts handelt, lässt kaum einen Zweifel, dass der Verfasser der Laxdœla auf die Weise diese Personen von der Masse abheben, gleichsam ‚erhöhen‘ wollte. Er billigt aber seinen Personen auch direkt eine Ausnahmestellung zu, indem er sie bei einem Auslandsaufenthalt auf den jeweiligen Herrscher, meist den norwegischen König, treffen lässt. Der isländische Gast wird achtungsvoll empfangen, selbst wenn er bis dahin nicht bekannt war. Der Einladung des Herrschers folgend hält er sich in dessen unmittelbarer Umgebung auf, wird meist sogar in seine Gefolgschaft aufgenommen, wird also hirðmaðr ‚Gefolgsmann‘. Zu festlichem Anlass erhält er neuangefertigte feine Kleidung als Geschenk. Den nach geraumer Zeit geäußerten Wunsch des Gastes, nach Island zurückkehren oder in andere Länder weiterreisen zu dürfen, erfüllt der Herrscher erst nach einigem Widerstreben; er würde ihn lieber in seiner Umgebung behalten. Schließlich verabschiedet er den Isländer mit kostbaren Geschenken, nicht ohne noch einmal hervorzuheben,

1 Heller 1960, 25  ff.; 1961, 11  ff.; 2003, 268  ff.

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wie hoch er seinen scheidenden Gast einschätzt. Es liegt auf der Hand, dass alle derartigen Szenenfolgen darauf zielen, die Bedeutung der im Mittelpunkt stehenden Isländer darzulegen. Und so wird denn auch nach der Rückkehr auf die Insel betont, dass ihr Ansehen durch den Auslandsaufenthalt gewachsen ist. Auffällig ist, dass in den Berichten die Frage, auf Grund welcher körperlicher oder geistiger Vorzüge oder welcher Verdienste die Isländer so hohe Wertschätzung erfahren, weitgehend unbeantwortet bleibt. Dieser Frage ist Ármann Jakobsson in der Studie „Konungasagan Laxdæla“ (1998) nachgegangen. Er vertritt darin die Auffassung, dass der Verfasser der Laxdœla diese Isländer, Angehörige der sog. Leute vom Laxárdalr, als den norwegischen Königen gleichgestellt betrachtet habe („jafningjar, jafnokar konunga“), sodass sich ‚königliche‘ Eigenschaften und entsprechendes Auftreten bei ihnen von selbst verstehen. Für derartige Überlegungen kann die kurze und wenig erfolgreiche Herrschaft Thorsteins des Roten über die Hälfte Schottlands keine Rolle gespielt haben, und Olafs Anerkennung durch seinen Großvater, den Irenkönig Myrkjartan, hinterlässt kaum Spuren in seinem weiteren Lebensverlauf und ist somit ebenfalls wenig als Stütze geeignet. Es erscheint danach angebracht, den Sagatext noch einmal nach Hinweisen auf die Vorstellungen des Verfassers zu durchleuchten. Bolli der Jüngere ist die letzte bedeutende Sagaperson, für die Ármann Jakobsson die Bezeichnung „jafnoki konunga“ (etwa ‚den Königen Gleichgestellter‘) gebraucht. Zur Begründung verweist er auf das großartige Auftreten Bollis in Norwegen, seine Weigerung, Gefolgsmann des Königs zu werden, sowie des Königs lobende Worte und die Geschenke beim Abschied. Ármann Jakobsson (1998, 375) sagt: Síðar (d.  h. nach Kjartans Norwegenaufenthalt) heldur Ϸorleikur Bollason á fund Ólafs helga og verður hirðmaður konungs en bróður hans, Bolla, þykir það ‚mikil nauð ok ófrelsi‘. Stórlæti hans er slíkt að hann gerist ekki hirðmaður, enda heldur hann sjálfur hirð. Konungur lætur sér það vel líka: ‘þér eruð um flest einráðir Íslendingar; en þó mun ek því orði á lúka, at mér þykkir þú, Bolli, hafa komit merkiligastr maðr af Íslandi um mína daga’. Später [nach Kjartans Norwegenaufenthalt] sucht Ϸorleikur Bollason König Olaf den Heiligen auf und wird sein Gefolgsmann, aber seinem Bruder Bolli erscheint dies als ‚eine große Mühe und Quälerei‘. Er ist so stolz, dass er nicht Gefolgsmann wird, sondern selbst eine Gefolgschaft unterhält. Der König lässt sich das gefallen: ‚Ihr Isländer seid ja in den meisten Dingen eigensinnig. Aber das will ich zum Schluss noch sagen, dass du, Bolli, in meinen Augen der bedeutendste Mann bist, der in meinen Tagen von Island gekommen ist.‘

Diese Darstellung stimmt in wesentlichen Punkten nicht mit dem Sagainhalt überein. Sie erweckt den Eindruck, dass die Entscheidung der Brüder  – Gefolgsmann oder nicht – bei gleicher Gelegenheit gefallen ist. Tatsächlich ist Ϸorleikr bei einer ersten Norwegenfahrt, die er auf eigenen Wunsch nicht mit großen Mitteln angetreten hatte, Gefolgsmann König Olafs geworden und hat sich Ansehen erworben. Als er nach wenigen Jahren nach Island zurückkehrt, heißt es: „Ϸorleiki hafði gott orðit til fjár ok virðingar, því at hann hafði gǫrzk handgenginn inum tignasta manni, Óláfi konungi.“ (Laxdœla Kap.  70; Übers. 654: ‚Thorleik hatte es erreicht, sich eine Menge Gut und



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hohes Ansehen zu verschaffen, denn er war Gefolgsmann des vornehmsten aller Männer, des Königs Olaf, geworden.‘). Die Stellung als hirðmaðr des Königs wird eindeutig positiv beurteilt. Ein Jahr später erklärt Bolli seine Absicht, ins Ausland fahren zu wollen („at hann ætlaði útan“). Anders als sein älterer Bruder lässt sich Bolli für die Fahrt großzügig ausstatten, wie sein Schwiegervater angeboten hatte: Bolli játar því, at hafa fét mikit –  ‚vil ek’, segir hann, ,engis manns miskunnarmaðr vera, hvárki hér né útanlendis‘. (Laxdœla, Kap. 72, 211) Bolli erkärte, daß er viel an Gut mitnehmen wolle; »ich will,« sagt er, »auf niemandes Gnade angewiesen sein, weder hier noch im Ausland.« (658)

Auf eigenem Schiff treffen die Brüder nach schwieriger Überfahrt im Herbst in Trondheim ein. Sie erfahren, dass sich der König im Osten des Landes, in Vík, aufhält und dort auch den Winter zu verbringen gedenkt. Þorleikr will sofort wieder aufbrechen und, an der Küste entlang segelnd, den König aufsuchen. Bolli ist anderer Meinung: Lítit er mér um þat, at rekask milli kaupstaða á haustdegi; þykki mér þat mikil nauð ok ófrelsi. (Laxdœla, Kap. 73, 212) Ich habe nur geringe Lust, jetzt zur Herbstzeit von einem Handelsplatz zum anderen weiterzufahren. Das ist in meinen Augen ein sehr mühsames und qualvolles Unterfangen. (658)

Er will den Winter in der Stadt verbringen und gegebenenfalls im Frühjahr zum König fahren, sollte der nicht nach Trondheim kommen. Þorleikr beugt sich dem Willen des Bruders. Zweifellos sind die Worte „mikil nauð ok ófrelsi“ auf die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Fahrt südwärts am Land entlang gemünzt, wobei das unberechenbare Herbstwetter zu berücksichtigen ist.2 Demgegenüber lässt sich „það“ in der Bemerkung von Ármann Jakobsson „en bróður hans, Bolla, þykir það ‚mikil nauð ok ófrelsi‘“, nur auf die Stellung als hirðmaðr beziehen. In dem Winter, den Ϸorleikr und Bolli in Trondheim verbringen, macht letzterer schnell auf sich aufmerksam. Durch seine Freigebigkeit schart er eine Anzahl von Leuten um sich, die durch bessere Kleidung und Bewaffnung von den übrigen Stadtbewohnern abstechen.3 Es ist kaum gerechtfertigt, diese Schar um Bolli als hirð

2 Die Übersetzer der Laxdœla sind sich einig in dieser Auffassung. Z.  B. Magnus Magnusson und Hermann Pálsson 1969, 225: „I’m not very keen on spending the autumn drifting from one market-town to another; it sounds too tedious and craven for my liking“; Beck 1997, 181: „Wenig halte ich davon, zur Herbstzeit zwischen Handelsplätzen hin und her zu treiben. Unbehaglich und allzu anstrengend erscheint mir das zu sein“; Wetzig 2011, 751: „Mir liegt wenig daran, im Herbst von einem Handelsplatz zum nächsten zu streunen. Ich finde, das bringt zu viele Unannehmlichkeiten und Einschränkungen mit sich.“ 3 Zu beachten bleibt: Das alles ist ihm nur möglich durch die Mittel, die ihm sein Schwiegervater zur Verfügung gestellt hat.

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anzusehen, wie Ármann Jakobsson das tut. Der Verfasser verwendet auch diesen Ausdruck, gewissermaßen einen Terminus technicus, nicht, sondern er sagt lediglich: „ Bolli helt sveit um vetrinn í Ϸrándheimi“ (‚Bolli hielt sich während des Winters eine begleitende Schar in Thrandheim‘), und bezeichnet diese Männer als „sveitungar“ (‚Gefährten oder Leute‘). Als die Brüder im Frühjahr den König im Osten aufsuchen, werden sie freundlich aufgenommen. Bolli beeindruckt den König sehr: Er konungr vel til Ϸorleiks sem fyrr, en þó mat hann Bolla miklu meira, því at konungi þótti hann mikit afbragð annarra manna. (Laxdœla Kap. 73, 213) Der [König] war freundlich zu Thorleik so wie früher schon, doch schätzte er Bolli viel höher, denn er war in seinen Augen ein ganz hervorragender Mann. (659)

Der Verfasser gibt nicht den geringsten Hinweis, worin sich Bolli so grundlegend von anderen unterscheidet, dass ihm mit „afbragð annarra manna“ eine der höchsten sprachlichen Auszeichnungen in den Sagas zuteil werden kann. Die hohe Wertschätzung durch den König gibt Bolli die nicht selbstverständliche Möglichkeit, die Einladung zu längerem Verbleib in Norwegen abzulehnen und sich in Freundschaft vom König zu trennen. Dieser Punkt spielt in der Argumentation von Ármann Jakobsson eine entscheidende Rolle. Er sieht im Verhalten des Königs den Beweis, dass er Bolli als gleichrangig betrachtet und behandelt hat. Sein Schlusswort über diesen Sagaabschnitt lautet deshalb (1998, 375): „[…] ef Bolli er, eins og Laxdælir allir, talinn jafnoki konunga er það vel við hæfi“ (‚[…] wenn Bolli, wie alle Bewohner vom Laxárdalr, als Königen gleichgestellt angesehen wird, dann ist das durchaus angemessen.‘). Dieser Auffassung widerspricht die Saga selbst, in der der Begriff jafnoki übrigens nicht auftaucht. Als Bolli dem König gegen Ende des Frühlings seine Reisepläne mitteilt, bedauert dieser den Entschluss. Er sähe es lieber, wenn Bolli noch bliebe, und sucht ihn dazu zu überreden: »Þœtti mér hinn veg bezt, er þú dvelðisk með mér um hríð; mun ek veita þér þvílíka nafnbót, sem ek veitta Ϸorleiki, bróður þínum«. (Laxdœla, Kap. 73, 213) »Mir erschiene es als das beste, wenn du dich noch eine Zeitlang bei mir aufhieltest. Ich werde dir die gleiche Stellung geben, die ich deinem Bruder Thorleik gab«. (659  f.)

Verbindlich, aber ablehnend antwortet Bolli: »Allfúss væra ek, herra, at bindask yðr á hendr, en fara vil ek fyrst þangat, sem ek hefi áðr ætlat […], en þenna kost vil ek gjarna taka, ef mér verðr aptrkvámu auðit«. (Ladœla, Kap. 73, 213  f.) »Ich wäre durchaus bereit, Herr, in Euren Dienst zu treten, doch möchte ich erst die Fahrt unternehmen, die ich vorgesehen hatte […]. Ich nehme aber Euer Angebot gern an, wenn mir die Rückkehr vergönnt ist«. (660)



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Der König sieht in dem Angebot an Bolli, als Gefolgsmann in seiner Umgebung zu bleiben, eine Auszeichnung.4 Er unterscheidet zwischen dem geschätzten Isländer, dessen Ansehen durch Zugehörigkeit zur königlichen Gefolgschaft erhöht werden kann, und seiner eigenen Person, die ein solches Angebot aussprechen kann. Und auch Bolli sieht die Sache nicht anders. Das beweisen die Anrede „herra“ (‚Herr‘) und die Wendung „bindask einhverjum á hendr“ (‚in jemandes Dienst treten‘). Letzte Zweifel werden durch die Bemerkung ausgeräumt: „Ok er Bolli hafði fengit orlof af konungi, þá býsk hann til ferðar“ (Kap.  73, 214; Übers. 660: ‚Als Bolli nun Urlaub vom König erhalten hatte, bereitete er seine Abreise vor.‘). Angesichts der Wortwahl in dieser Sagaszene kann man nicht von Gleichstellung oder Gleichrangigkeit sprechen. Auch hohe Wertschätzung ändert nichts am Rangunterschied zwischen Bolli und dem König. Der Laxdœla-Verfasser hat dafür klare Worte gefunden. Auch während des folgenden Aufenthalts in Dänemark spricht trotz mancher Ehrungen nichts dafür, dass man in Bolli einen Mann königlichen Geblüts gesehen hätte. Schließlich erreicht er Miklagarðr und tritt in die kaiserliche Leibgarde ein, wobei der Sagaverfasser festhält: […] hǫfu vér ekki heyrt frásagnir, at neinn Norðmaðr hafi fyrr gengit á mála með Garðskonungi en Bolli Bollason. (Laxdœla, Kap. 73, 214)5 Uns ist nichts darüber zu Ohren gekommen, daß irgendein Nordmann vor Bolli Bollissohn in den Dienst des Herrschers von Miklagard getreten sei. (660)

Er unterstellt sich damit dem Herrscher von Miklagarðr. Bei den Unternehmungen der Garde zeichnet er sich durch sein Vorgehen aus und erwirbt sich hohe Achtung. Mehr ist dem Text nicht zu entnehmen. Wie eingangs bereits angesprochen, gehört Bolli zu den Personen, die Aufmerksamkeit erregen durch besondere Kleidung und kostbare goldverzierte Waffen. Er trägt sie bei seiner Rückkehr aus dem Ausland. Der Laxdœla-Verfasser hat bei Schaffung der Szene literarisches Lehngut verwertet, aus einer (wohl auf Snorri Sturluson zurückgehenden) Erzählung über das Zusammentreffen des jungen Olafs, des späteren Heiligen, mit seinem Stiefvater Sigurðr sýr Hálfdanarson (in der Óláfs saga helga der Heimskringla, Kap. 34) und von den Angaben über die Ausrüstung des dänischen Königsbruders Benedikt in seinem letzten Kampf (in der Knýtlinga saga, Kap.  56).6 Im Hinblick auf sein prächtiges Auftreten wird Bolli als „mikill skartsmaðr“ bezeich-

4 In dem vom König verwendeten Begriff nafnbót kann man noch etwas von der ursprünglichen Bedeutung ‚Verbesserung einer Stellung, Erhöhung des Ranges‘ spüren. Aber auch die geläufige Übersetzung ‚Stellung, Rang‘ verändert den Gehalt der Aussage nicht, denn Ϸorleikr hatte ja an Ansehen gewonnen dadurch, dass er hirðmaðr des Königs geworden war. 5 Die Angabe dient allein der Hervorhebung Bollis, historisch gesehen ist sie fragwürdig. 6 Siehe Heller 1961, 13 und 2003, 268  ff.

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net, als ‚Mensch, der großen Wert auf sein Äußeres und Äußerlichkeiten legt‘. Auch dabei kann die Erzählung über Sigurðr sýr einen Anstoß gegeben haben. Nachdem da die Tüchtigkeit Sigurðrs hervorgehoben worden ist – „hann var sýslumaðr mikill ok búnaðarmaðr um fé sitt ok bú ok réð sjálfr búnaði“7 (‚er war ein sehr arbeitsamer Mann, kümmerte sich um sein Vieh und seinen Besitz und leitete seine Wirtschaft selbst‘) – schließt sich die Bemerkung an: „engi var hann skartsmaðr“ (‚er war kein prachtliebender Mann‘), was keine Abwertung bedeutet. Eher könnte in Bollis Charakterisierung ein kritischer Blick auf zu viel äußere Pracht verborgen sein. Der Laxdœla-Verfasser hat noch einen dementsprechenden Beinamen für Bolli parat „inn prúði“ (‚der Prächtige‘). Es ist nicht auszuschließen, dass er dabei auch einen Bericht der Óláfs saga helga im Sinn hatte, in dem der Skalde Sigvatr Ϸórðarson eine Gruppe von Gefolgsleuten des Königs bei einem heiklen Auftrag nach Gautland begleitet. Über den Ritt zum Sitz des dortigen Jarls Rǫgnvaldr berichtet Sigvatr in einer Strophe (in Prosawortfolge): „Prúðar ekkjur munu líta allsnúðula út, hvar ríðum í gǫgnum bœ Rǫgnvalds“8 (‚Prächtige Frauen werden rasch hinausschauen, wo wir durch den Wohnsitz Rǫgnvaldrs reiten.‘). Es ist nicht nur das Adjektiv „prúðr“, das an Bolli denken lässt, es sind auch die beobachtenden Frauen. In der Laxdœla heißt es beim Ritt Bollis durch das Land: „hvar sem þeir tóku gistingar, þá gáðu konur engis annars en horfa á Bolla ok skart hans“ (Laxdœla Kap. 77; Übers. 670: ‚Wo auch immer sie Herberge nahmen, hatten die Frauen nichts Besseres zu tun, als Bolli zu bewundern und seine prächtige Ausstattung anzustaunen‘), eine für eine Isländersaga ungewöhn­ liche Bemerkung. Der Verfasser hat sich Mühe gegeben, Bolli den Jüngeren als einen Isländer erscheinen zu lassen, dem auf der Insel wie bei den Großen des Auslands Aufmerksamkeit und hohe Achtung entgegengebracht wurde. Dabei hat er Anregungen für seine Darstellung vor allem in Königssagas gefunden. Es war aber nicht sein Ziel, Bolli auf gleiche Stufe mit Königen zu stellen. Dieses Ergebnis soll nun an dem reichhaltigen Erzählstoff geprüft werden, in dessen Mittelpunkt Kjartan, der Sohn Olaf Pfaus, steht. Der Verfasser sah in Kjartan sicherlich den Bedeutendsten der Laxdœlir. Das lag in erster Linie an Kjartans Aufenthalt in Norwegen und seinem Zusammentreffen mit König Óláfr Tryggvason. Es ist davon auszugehen, dass die Begegnung mit dem König einen historischen Hintergrund hat. Es könnte das wichtigste Ereignis in dem verhältnismäßig kurzen Leben Kjartans gewesen sein. Der Verfasser konnte sich in seiner Darstellung auf Berichte in Königssagas stützen. Er hat sich wohl hauptsächlich an Odds Óláfs saga Tryggvasonar angelehnt (in einer mit der Hs. AM 310 4to im Wesentlichen übereinstimmenden Form).9 Interessant sind jedoch die Abweichungen von

7 Heimskringla II, Kap. 33, 41. 8 Heimskringla II, Kap. 71, Strophe 58. 9 Heller 1961, 31  ff.



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diesem Bericht und die zahlreichen Erweiterungen. Sie dienen v.  a. der Hervorhebung Kjartans. Der Verfasser macht ihn zum Ersten unter den in Nidaros versammelten Isländern, zu ihrem Sprecher; bei Oddr tritt er weniger aus der Schar seiner Landsleute heraus. Zu prüfen ist, wie weit der Verfasser Kjartan ‚erhoben‘ hat und ob es berechtigt ist, von ihm als „jafningi“ König Óláfrs zu sprechen. Zum ersten Mal trifft Kjartan auf den (ihm noch unbekannten) König, als er sich im Fluss Nið auf einen Schwimmwettkampf mit dem Besten der Stadtbewohner einlässt. Ármann Jakobsson (1998, 373) sagt dazu: „Konung hittir hann á eftirminnilegan hátt í sundkeppni þar sem þeir kaffæra hvor annan og má heita jafntefli milli þeirra.“ (‚Den König trifft er in denkwürdiger Weise im Schwimmwettkampf, dort wo sie sich gegenseitig unter Wasser drücken, und man kann von einem Unentschieden zwischen ihnen sprechen.‘) Es ist schwer zu verstehen, wie man aus den Worten der Saga ein „jafntefli“ herauslesen kann. Kjartan ist ein guter Schwimmer, was der König später bestätigt, ihm gegenüber aber der klar Unterlegene. Bereits beim zweiten Untertauchen, durch den König eingeleitet, spürt Kjartan die Grenzen seines Könnens: „eru niðri ekki skemr en Kjartani þótti hóf at.“ (‚Sie waren so lange unter Wasser, daß es Kjartan vollauf genug schien.‘). Und beim dritten Untertauchen, offensichtlich wieder vom König eingeleitet, kommt Kjartan in größte Bedrängnis: Eru þeir þá miklu lengst niðri; þykkisk Kjartan nú eigi skilja, hversu sjá leikr mun fara, ok þykkisk Kjartan aldri komit hafa í jafnrakkan stað fyrr. (Laxdœla, Kap. 40, 117) [Sie] waren da am längsten unter Wasser. Kjartan konnte sich kaum vorstellen, wie das Spiel enden sollte, und glaubte, noch nie in einer solchen alles fordernden Lage gewesen zu sein. (573  f.)

Der Zorn über die ungewohnte Niederlage ist dann auch der Grund für Kjartans brüske Ablehnung, den Fremden nach dem Namen zu fragen. In Odds Werk fand der Laxdœla-Verfasser eindeutige Aussagen vor. Zwar bleibt da der zweite Tauchgang ohne Kommentar, bei dem folgenden aber wird Kjartans schwierige Lage genau beschrieben: Síðan fara þeir niðr þriðja sinni ok eru þá niðri miklu lengst, ok þykkir Kjartani þá mál upp, ok er þá engi kostr, ok kennir þá aflsmunar. Þeir eru lengi niðri um þat fram er honum þótti hófligt. (Óláfs saga Tryggvasonar nach Oddr Snorrason, Kap. 42)10

10 Das Zitat ist der Hs. AM 310 4to entnommen. In der Hs. Holm perg. 18 4to (Kap. 35), die einen kürzeren Text bietet, ist nur von zwei Tauchgängen die Rede, und es heißt an der entsprechenden Stelle lapidar: „Var Kjartan niðr fœrðr ok var lengi niðri, ok var auðsætt at hann mundi skorta við þenna mann.“ (‚Kjartan wurde niedergedrückt und war lange Zeit unten, und es war unverkennbar, dass er dem anderen Mann gegenüber unterlegen war‘).

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Danach tauchen sie zum dritten Mal unter und sie bleiben unter Wasser am längsten, und Kjartan scheint es an der Zeit hoch zu kommen, aber es besteht keine Möglichkeit, und es zeigt sich da der Kräfteunterschied. Sie bleiben lange unten, mehr als es ihm passend schien.

Der Text schließt den Gedanken an Gleichwertigkeit aus. Der Verfasser hat sich inhaltlich eng an sein Vorbild angelehnt und Kjartans Bedrängnis bei zwei Tauchgängen in unmissverständliche Worte gekleidet.11 Auch nach dem Wettkampf zeigt sich der König als der Überlegene. Er erkennt Kjartans Tüchtigkeit an, bezeichnet aber sein Verhalten als überheblich („lætr þú allstórliga“). Der Verfasser geht damit über Oddrs Bericht hinaus und zeigt den Unterschied zwischen dem König und Kjartan noch deutlicher. Trotz allem macht der König seinen guten Mantel Kjartan zum Geschenk, als dieser „skikkjulauss“ (‚ohne Mantel‘) davongehen will. Was an dieser Stelle nur vermutet werden kann, wird später ausdrücklich festgestellt: Kjartan ist von gleicher Körpergröße wie der König. Er erhält im folgenden Frühjahr vom König neu angefertigte Kleidung aus Scharlachtuch. Sǫmðu honum þau, því at þat sǫgðu menn, at þeir hafi jafnmiklir menn verit, þá er þeir gengu undir mál, Óláfr konungr ok Kjartan. (Laxdœla, Kap. 41, 124  f.) Sie passten ihm gut, denn nach Aussage der Leute sollen sich König Olaf und Kjartan bei einer Messung als gleich groß erwiesen haben. (580)

Diesem Umstand der gleichen Körpergröße misst Ármann Jakobsson besondere Bedeutung bei. Er sieht darin ein Zeichen, dass Kjartan nach dem Willen des Sagaverfassers als dem König gleichwertig betrachtet werden soll (1998, 379): „er sagt, að Kjartan sé jafnhár Ólafi konungi. Það hefur ótvíræða merkingu í ljósi áherslu konungasagna á hæð konunga.“ (‚es wird erzählt, Kjartan habe die gleiche Körpergröße wie König Olaf. Dies hat eine unbestreitbare Bedeutung im Lichte der Betonung der Körpergröße von Königen in Königssagas.‘). In seiner umfangreichen Untersuchung aus dem Jahr 1997 vertritt Ármann Jakobsson die Auffassung, dass körperliche Größe in den Königssagas ein wesentliches Element im Erscheinungsbild eines Königs ausmacht, und da fällt auch schon ein

11 Eine vergleichbare Beurteilung des Ausgangs des Schwimmwettkampfes wie bei Ármann Jakobsson findet sich auch bei anderen Sagaforschern. So spricht Wolf (1994, 743) von Kjartans Arroganz, „die auf seine Verärgerung über das Patt im Wettkampf zurückgeht, […]“, und Bjarni Guðnason (1999, 16) äußert die Ansicht, „Kjartan kunde mäte sig med kungen […] vad gäller kroppskrafterna vilket deras simningstävling in ån Nid visade.“ Demgegenüber hat z.  B. Schach (1982, 195) schon viel früher erklärt: „But the king, who has already demonstrated his physical superiority to Kjartan, now demonstrates his intellectual and psychological superiority as well.“ Zu diesem Ergebnis kommt auch Meulengracht Sørensen (1995, 199) bezüglich des Wettkampfes in Trondheim: „Her er kongen der overlegne“; damit korrigiert er eigene frühere Aussagen, in denen er Kjartan als „the king’s equal“ bzw. „kongens ligemand“ bezeichnet hatte.



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Seitenblick auf Kjartan (1997, 301): „Kjartan er jafnvel sagður jafnhár konungir (sic) sjálfum sem eru skýr skilaboð“ (‚Kjartan wird sogar als dem König selbst gleich groß beschrieben, was eine klare Ansage ist‘) – hinsichtlich des ‚Königlichen‘ in Kjartan. Nun werden zwar einige Könige als besonders groß, die Mehrzahl ihrer Gefolgsleute überragend, geschildert. Es gibt aber bezeichnende Ausnahmen. Da ist einmal Óláfr Haraldsson, der spätere Heilige. Bereits in Ágrip (Kap.  25, 26) heißt es von ihm „riðvaxinn meðalmaðr, ekki hár“ (‚von gedrungener Gestalt und durchschnittlicher Größe, nicht hochgewachsen‘), und Snorri beschreibt ihn in der Óláfs saga helga übereinstimmend (Kap. 3, 4): „Óláfr […] var ekki hár, meðalmaðr ok allþrekligr“ (‚Óláfr war nicht groß gewachsen, er war von durchschnittlicher Körpergröße und starkem Körperbau‘). Ähnliches wäre auch von König Sverrir zu sagen. Zwei der bedeutendsten norwegischen Könige passen danach nicht in das Bild des hochgewachsenen Herrschers. Das stärkt nicht Ármann Jakobssons These. Aber auch vom Text der Laxdœla wird sie nur bedingt gestützt. König Óláfr und Kjartan werden „jafnmiklir“ (‚gleich groß‘) genannt. Damit ist eigentlich nichts gesagt über die absolute Größe der beiden, und die tatsächliche Körpergröße Óláfs wird in der Laxdœla an keiner Stelle angegeben. Man könnte glauben, die Frage sei indirekt dadurch beantwortet, dass Kjartan bei seiner Einführung im Kap.  28 als „mikill maðr ok sterkr“ (‚großer und starker Mann‘) bezeichnet wird. Diese Angabe bietet jedoch kaum eine Hilfe. Nicht weniger als dreizehnmal hat der Sagaverfasser die Worte „mikill (maðr) ok sterkr“ für ebenso viele Sagapersonen verwendet und dazu noch zehnmal „mikill“ in Verbindung mit anderen Adjektiven für weitere acht Personen. Die so Bezeichneten stammen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten (selbst einen Unfreien einschließend), und sie treten nicht nur als für die Handlung wichtige Personen auf, sondern auch als Nebenfiguren. Meist fällt es nicht leicht, einen Bezug zwischen der Beschreibung und der Rolle in der Saga herzustellen. „mikill ok sterkr“ muss deshalb als formelhafter Ausdruck angesehen werden, der großzügig als positives Element in Personeneinführungen eingesetzt worden ist, der aber nur bedingt eine Aussage über die wahre Körpergröße (und Stärke) einer Person zulässt. Sicher ist, dass die Kleidungsgeschenke die Achtung des Königs vor Kjartan ausdrücken sollen. In ihnen darüber hinaus einen Hinweis sehen zu können, dass der Laxdœla-Verfasser Kjartan als gleichrangig neben den König gestellt wissen wollte, ist jedoch unsicher. Die wichtigsten Argumente für eine Gleichstellung Kjartans mit dem König findet Ármann Jakobsson in den Vorgängen in Norwegen, in die Ingibjörg, die Königsschwester, direkt und indirekt eingebunden ist. Er erklärt (1998, 374): „Tekin eru af öll tvímæli um göfgi Kjartans þegar konungur vill gifta honum systur sína, Ingibjörgu, til að halda honum í landi“ (‚Alle Zweifel an Kjartans hohem Ansehen sind beseitigt, als der König seine Schwester, Ingibjörg, mit ihm verheiraten will, um ihn im Land zu halten.‘), und wenig später: „Ϸegar konungur býður Kjartani hönd systurinnar viðurkennir hann Kjartan sem jafningja.“ (‚Wenn der König Kjartan die Hand seiner Schwester anbietet, erkennt er Kjartan als ebenbürtig an.‘). Ármann Jakobsson stützt

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sich dabei auf die Worte des Königs, als ihm Kjartan nach Aufhebung des Fahrverbots den Entschluss mitteilt, nach Island zurückzukehren: „Vilda ek, at þú fýstisk eigi út til Íslands, þó at þú eigir þar gǫfga frændr, því at kost muntu eiga at taka þann ráðakost í Nóregi, er engi mun slíkr á Íslandi.“ (Laxdœla, Kap. 43, 130; Übers. 585: ‚»Ich wünschte, daß es dich nicht so nach Island zöge, obgleich du dort vornehme Verwandte hast, steht dir doch hier in Norwegen die Möglichkeit offen, dir ein Leben aufzubauen, wie es dir Island nicht bieten kann«‘.). Ármann Jakobsson ist davon überzeugt, dass der König mit den letzten Sätzen auf Ingibjörg angespielt hat und Kjartan damit die Möglichkeit einer Verbindung mit seiner Schwester eröffnet hat. Entscheidend ist, welche Bedeutung für „ráðakostr“ anzusetzen ist. Für Ármann Jakobsson ist klar, dass es mit ‚Heirat‘, ‚Partie‘ wiederzugeben ist, und darauf basiert seine ganze Argumentation.12 Es ist jedoch keineswegs sicher, dass diese Bedeutung hier gemeint ist. Zu denken ist auch an die Bedeutung ‚Lebensverhältnisse‘, ‚Stellung‘. Sie beherrscht die Übersetzungen der Laxdœla in den vergangenen Jahrzehnten.13 Erschwert wird die Entscheidung dadurch, dass sich der Laxdœla-Verfasser beider Bedeutungen bedient hat, wie ein Überblick zeigt: Als Ketill flatnef nach Schottland kommt, wird er freundlich aufgenommen „af tignum mǫnnum“ (‚von angesehenen Männern‘), und diese „buðu honum þann ráðakost þar, sem hann vildi hafa. Ketill staðfestisk þar […]“ (Laxdœla, Kap. 4, 6  f.; Übers. 483: ‚Sie boten ihm an, sich da so einzurichten, wie es ihm zusagte. Ketill ließ sich dort nieder […]‘.). Von Heirat ist hier nicht die Rede. Dasselbe gilt für das Angebot König Haralds an Olaf Pfau: Ϸat væri mér næst skapi, at þú staðfestisk með mér ok tœkir hér allan (!) ráðakost, slíkan sem þú vill sjálfr. (Laxdœla, Kap. 22, 60) »Ich sähe es am liebsten, daß du für ständig bei mir bliebest und dir hier eine Stellung aussuchtest, wie du sie dir wünschst.«(526).

Anders ist es, als Bolli seinen Entschluss kundtut, um Gudrun zu werben: „Ekki mun ek mér ór sveit á brott biðja konu, meðan svá nálægir eru góðir ráðakostir“ (Laxdœla, Kap. 43, 128; Übers. 584: ‚»Ich will mich nicht um eine Frau außerhalb unseres Bezir-

12 Bjarni Guðnason (1999, 16) folgt dieser Auffassung: „Sagan antyder att Kjartan kunnat ta henne till äkta maka. Därav kan vi sluta oss till att de ansetts jämställda.“ Auch Meulengracht Sørensen (1995, 261) übersetzt „ráðakostr“ mit ‚giftermål‘ und fügt hinzu: „Det er sin søster, Ingibjǫrg, kongen tilbyder Kjartan til ægte.“ 13 Magnus Magnusson und Hermann Pálsson 1969, 156: ‚position‘; Heller 1982, 585: ‚Möglichkeit, dir ein Leben aufzubauen‘; Beck 1997, 113: ‚Lebensverhältnisse‘; Wetzig 2011, 677: ‚Position‘. Arent 1964, 113 übersetzt ‚station in life‘, erklärt jedoch in einer Anmerkung (S. 207): „The king is using the Icelandic word ráðakostr with both its connotations ‘station in life’ and ‘marriage’. Ähnlich Frölich 2000, 223.



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kes bemühen, solange eine gute Heirat in unmittelbarer Nähe ist.«‘).14 Und auch an zwei weiteren Stellen (Kap. 58 und 70) haben wir es mit der Bedeutung ‚Heirat‘, ‚Partie‘ zu tun. Die Belege helfen somit nicht bei der Klärung, welches Angebot der König mit „ráðakostr“ macht. In diesem Zusammenhang sind auch andere Textaussagen zu berücksichtigen. Der König und seine Schwester treten nicht zusammen auf, und er äußert – wenn man das problematische Wort „ráðakostr“ einmal beiseitelässt – nie etwas zum Verhältnis von Kjartan und Ingibjörg. Bolli ist es, der Kjartan gegenüber vor seiner Rückkehr nach Island darauf anspielt: »Vér þykkjumsk hitt skilja, at konungr vill fyrir engan mun þik lausan láta, en hǫfum þat fyrir satt, at þú munir fátt þat, er á Íslandi er til skemmtanar, þá er þú sitr á tali við Ingibjǫrgu konungssystur«. (Laxdœla, Kap. 41, 126) »Aber ich habe ganz den Eindruck, daß der König dich unter keinen Umständen fortlassen will. Und ich halte es auch für sicher, daß dir das wenig durch den Kopf geht, was es auf Island an angenehmer Unterhaltung gibt, wenn du mit der Königsschwester Ingibjörg zusammensitzt und plauderst«. (582)

Er ist es, der Ingibjörg ins Spiel bringt, das heißt in die Saga, und der Verfasser erklärt erst danach: „ Hon var þá með hirð Óláfs konungs“ (Laxdœla, Kap. 41, 126; Übers. 582: ‚Sie hielt sich zu der Zeit im Gefolge König Olafs auf.‘). Bolli überrascht Kjartan mit einer Vermutung, die der zwar zurückweist, aber keine klare Antwort gibt. So kann Bolli später Guðrun gegenüber seine Gedanken wiederholen: Bolli segir, hvert orðtak manna var á um vináttu þeira Kjartans ok Ingibjargar konungssystur, ok kvað þat nær sinni ætlan, at konungr myndi heldr gipta honum Ingibjǫrgu en láta hann lausan, ef því væri at skipta. (Laxdœla, Kap. 42, 127) Bolli erzählte, was man über die Freundschaft zwischen Kjartan und der Königsschwester Ingi­ björg munkelte, und sagte, er nehme an, daß der König ihm eher Ingibjörg zur Frau geben als ihn ziehen lassen würde, wenn er vor die Wahl gestellt wäre. (583)

Dass Kjartan vom König mit anderen bedeutenden jungen Leuten als Geisel in Norwegen zurückgehalten wird, um dessen Bekehrungsbemühungen an den Isländern Druck zu verleihen, lässt Bolli unerwähnt und macht damit die Entfremdung zwischen sich und Kjartan deutlich. Tatsächlich hatte sich zwischen Kjartan und der Königsschwester eine freundschaftliche Beziehung ergeben. Das lassen Worte und Verhalten Ingibjörgs in der

14 Ungewöhnlich ist der in der Laxdœla nur hier auftretende Plural „ráðakostir“, da Bolli allein an Gudrun denkt. Sollte an die durch eine gute Partie zu erreichenden guten Lebensverhältnisse gedacht sein?

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Abschiedsszene erkennen. Wesentlich aber ist, dass Kjartan sie nach der Rückkehr­ erlaubnis des Königs erst aufsucht, als das Schiff bereits seeklar ist. Der Sagaverfasser hat für Kjartan keine Zukunft im norwegischen Königsumfeld angedacht. Er schuf aber mit dem kostbaren Tuch („motr“) als Ingibjörgs Abschiedsgeschenk neben dem vom König überreichten Schwert wichtige Requisiten für die weiteren Ereignisse auf Island.15 Der Beantwortung der Frage, wie der Sagaverfasser das Verhältnis Kjartans zum König beurteilt hat, dient schließlich auch der Blick auf den speziellen Wortschatz, den er eingesetzt hat. Nach der Taufe Kjartans und Bollis sind beide Gäste des Königs beim Julfest. Danach wird berichtet: Ϸat er sǫgn flestra manna, at Kjartan hafi þann dag gǫrzk handgenginn Óláfi konungi, er hann var fœrðr ór hvítaváðum, ok þeir Bolli báðir. (Laxdœla, Kap. 40, 123) Die meisten Leute stimmen darin überein, daß Kjartan an dem Tage König Olafs Mann geworden sei, an dem er die weißen Taufgewänder ablegte, und mit ihm auch Bolli.‘ (579)

Damit ist Kjartan als „hirðmaðr“ des Königs zu betrachten. Daran ändert auch die Beobachtung nichts: „Samskipti þeirra eru ekki eins og konungs og hirðmanns“16 (‚Ihr Verhältnis ist nicht wie zwischen König und Gefolgsmann.‘). Selbst wenn man glaubt, in der Haltung des Königs gegenüber Kjartan Ansätze einer Freundschaft erkennen zu können, bleibt klar, dass für den Sagaverfasser ein Rangunterschied besteht. Die entsprechenden Textstellen seien hier der Sagahandlung folgend angeführt. Im Frühjahr plant Kjartan, mit Kalf eine Handelsfahrt nach England zu unternehmen, will aber erst mit dem König darüber sprechen. Nach der Begrüßung bringt er sein Anliegen vor: „Kvað þó þat sitt ørendi til konungs, at biðja sér orlofs um sína ferð“ (Laxdœla, Kap. 41, 124; Übers. 580: ‚[Kjartan] fügte aber hinzu, er sei zunächst zum König gekommen, um von ihm die Erlaubnis für diese Fahrt zu erbitten.‘). Es ist die Haltung des Gefolgsmannes gegenüber dem König. Der konfrontiert Kjartan jedoch mit einem anderen Plan: Er soll nach Island fahren und seine Landsleute zum christlichen Glauben bekehren. Wenn ihm das Unternehmen zu schwierig erscheint,

15 Möglicherweise hat der Verfasser bei Ausformung der Szene an den oben genannten Bericht über den Ritt nach Gautland zu Jarl Rögnvaldr in der Zeit König Óláfrs, des späteren Heiligen, gedacht. Der Gesandtschaft des Königs hatte sich der Isländer Hjalti Skeggjason angeschlossen. Er trifft am Hof des Jarls auf Ingibjörg, die Ehefrau Rögnvaldrs, und es heißt da (Heimskringla II, Kap. 69, 89): „Ingibjǫrg, kona jarls, gekk at Hjalta ok hvarf til hans. Hon kenndi hann, því at hon var þá með Óláfi Tryggvasyni, bróður sínum, er Hjalti var þar.“ (‚Ingibjörg, die Frau des Jarls, ging auf Hjalti zu und begrüßte ihn herzlich. Sie kannte ihn, weil sie damals bei ihrem Bruder, Óláfr Tryggvason war, als sich Hjalti dort aufhielt.‘). Hier besteht wörtliche Übereinstimmung mit den Szenen der Laxdœla um Ingibjörg und Kjartan bei zeitgleichem Aufenthalt von Hjalti bei König Óláfr Tryggvason. 16 Ármann Jakobsson 1998, 374.



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dann – so der König – „vil ek fyrir engan mun láta hendr af þér, því at ek virði, at þér sé betr hent at þjóna tignum mǫnnum heldr en gerask hér at kaupmanni.“ (Laxdœla, Kap. 41, 124; Übers. 580:»so will ich dich auf keinen Fall fortlassen, denn ich meine, es steht dir besser an, im Dienst von Vornehmen zu stehen als dich in einen Kaufmann zu verwandeln.«). Kjartan entscheidet sich, beim König zu bleiben. Er begründet es damit, dass er nicht mit seinen Verwandten aneinandergeraten will und diese sich wohl weniger hartnäckig dem Willen des Königs widersetzen, „at ek sjá í yðru valdi í góðum kostum.“ (Laxdœla, Kap. 41, 124; Übers. 580:»[…] wenn ich in angesehener Stellung in deinem Dienst stehe.«). Der König schickt daraufhin seinen Gefolgschaftspriester nach Island. Obgleich sich einige Isländer taufen lassen, schlägt dessen Bekehrungsversuch insgesamt fehl, und er verlässt die Insel fluchtartig. Im folgenden Sommer lässt der über den Verlauf der Dinge erzürnte König zwei bereits getaufte Isländer mit dem gleichen Auftrag nach Island segeln, hält aber vier ihrer Landsleute aus bedeutenden Familien als Geiseln in Norwegen zurück – „[…] en hann tók fjóra menn at gíslum eptir“ (Laxdœla, Kap. 41, 126; Übers. 582: ‚Vier Männer aber behielt er als Geiseln in Norwegen.‘) –, unter ihnen Kjartan. Auch wenn der König später die Entscheidung zu relativieren sucht – „Vér virðum svá, Kjartan, at þú hafir hér setit meir í vingan en gíslingu“ (Laxdœla, Kap. 43, 130; Übers. 585: ‚»denn wir meinen, daß du, Kjartan, hier mehr als Freund denn als Geisel gewesen bist«‘), ändert das nichts daran, dass Kjartan keine Möglichkeit hatte, sich der Anordnung des Königs zu widersetzen. Nach Aufhebung des Fahrverbotes für die Geiseln tut Kjartan augenblicks seine Absicht kund, nach Island zurückzukehren, und hält auch daran fest, als der König ihm ein Bleiben in Norwegen schmackhaft zu machen sucht: Várr herra launi yðr þann sóma, er þér hafið til mín gǫrt, síðan er ek kom á yðvart vald. En þess vænti ek, at þér munið eigi síðr gefa mér orlof en þeim ǫðrum, er þér hafið hér haldit um hríð. (Laxdœla, Kap. 43, 130) »Der Herr lohne Euch die Ehre, die Ihr mir erwiesen habt, seit ich unter Eurer Macht stand. Aber ich hege die Erwartung, daß Ihr mir ebenso Urlaub gebt wie den übrigen, die Ihr hier eine Zeitlang festgehalten habt.«(585  f.).

Der König entspricht dem Wunsch und „segir sér torfengan slíkan mann ótiginn, sem Kjartan var“ (Laxdœla, Kap. 43, 130; Übers. 586: ‚setzte hinzu, daß er unter den Männern ohne Titel und Rang schwerlich einen finden werde, der Kjartan gleichkomme.‘). Auch später fällt eine Bemerkung auf. Kjartan findet erst ein Jahr nach der Heimkehr auf seiner Hochzeit zu alter Heiterkeit zurück: Kjartan var ok svá kátr at boðinu, at hann skemmti þar hverjum manni í tali sínu ok sagði frá ferðum sínum; þótti mǫnnum þar mikils um þat vert, hversu mikil efni þar váru til seld, því at hann hafði lengi þjónat inum ágætasta hǫfðingja, Óláfi konungi Tryggvasyni. (Laxdœla, Kap. 45, 138  f.)

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Kjartan zeigte sich während des Gastmahls so heiter, daß er jedermann durch sein Gespräch unterhielt und von seinen Fahrten erzählte. Die Leute waren sehr beeindruckt davon, welch interessante und bedeutsame Dinge da zur Sprache kamen, hatte Kjartan doch längere Zeit jenem vortrefflichen Herrscher, König Olaf Tryggvissohn, gedient.‘ (593)

Alle zitierten Textstellen lassen keinen Zweifel daran, dass der Laxdœla-Verfasser Kjartan zwar als einen vom König hochgeschätzten Isländer gesehen, keinesfalls aber als einen dem König Gleichrangigen gezeichnet hat.17

Fazit Die Prüfung des Sagatextes hat bestätigt, dass der Sagaverfasser einige der Leute aus dem Laxárdalr besonders hervorgehoben, in ihrem Ansehen über ihre Umgebung gestellt hat. Er hat dafür vor allem die Sagapartien benutzt, in denen er den Isländer mit dem jeweiligen norwegischen Herrscher zusammentreffen lässt. Bei der Ausgestaltung der Szenen hat er sich, wie auch sonst in der Saga, zahlreicher Motive bedient, die er aus Königssagas entlehnt hat. Er hat damit auch einen gewissen Glanz auf seine Personen lenken wollen. Das bedeutet jedoch nicht, dass er diese Isländer den norwegischen Königen (oder anderen Herrschern) hat gleichstellen wollen. Seine Wortwahl beweist, dass ihm trotz aller ‚Erhöhung‘ der Laxdœlir der Rangunterschied zwischen ihnen und dem König stets bewusst war. Die Schlussfolgerung von Ármann Jakobsson (1998, 380): „Í Laxdælasögu eru Laxdælir jafningjar erlendra konunga“ (‚In der Laxdœla saga sind die Bewohner vom Laxárdalr ausländischen Königen gleichgestellt‘) ist nach allem nicht gerechtfertigt. Und so ist auch der These „Laxdælasaga er hlekkur í konungasagnaritun Íslendinga“18 (‚Die Laxdœla saga ist ein Glied in der Königssagaschreibung der Isländer‘) nicht zuzustimmen.

17 Nicht überraschend kehren die Begriffe handgenginn (‚im Dienstverhältnis zu einem König stehend‘) und orlof (‚Erlaubnis‘) – wie oben besprochen – in der Erzählung von Ϸorleikr und Bolli wieder. Hinzu kommt die Wendung bindask einhverjum á hendr (‚in jemandes Dienst treten‘), die dem Begriff handgenginn nahesteht. 18 Ármann Jakobsson 1998, 380.



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Literatur Quellen Ágrip = Ágrip af Nóregskonunga sǫgum (Íslenzk Fornrit 29), Bjarni Einarsson (útg.). Reykjavík 1985. Knýtlinga saga. In: Danakonunga sǫgur (Íslenzk Fornrit 35), Bjarni Guðnason (útg.). Reykjavík 1982. Laxdœla saga (Íslenzk Fornrit 5), Einar Ól. Sveinsson (útg.). Reykjavík 1934. Óláfs saga helga. In: Heimskringla II (Íslenzk Fornrit 27), Bjarni Aðalbjarnarson (útg.). Reykjavík 1945. Óláfs saga Tryggvasonar eptir Odd munk Snorrason (Íslenzk Fornrit 25), Ólafur Halldórsson (útg.). Reykjavík 2006.

Übersetzungen Arent 1964: A. Margaret Arent (transl.), The Laxdoela Saga. Seattle 1964. Beck 1997: Heinrich Beck (übers.), Laxdoela Saga. Die Saga von den Leuten aus dem Laxardal (Saga. Bibliothek der altnordischen Literatur). München 1997. Heller 1982: Rolf Heller, Die Saga von den Leuten aus dem Laxartal. In: Isländersagas 1, übertragen und hg. von Rolf Heller. Leipzig und Wiesbaden 1982, 465–672. Magnus Magnusson and Hermann Pálsson 1969: Magnus Magnusson, Hermann Pálsson (transl.), Laxdæla Saga. Harmondsworth 1969. Wetzig 2011: Karl-Ludwig Wetzig (übers.), Die Saga von den Leuten aus dem Laxárdal. In: Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack (Hg.), Isländersagas 2. Frankfurt am Main 2011, 567–765.

Sekundärliteratur Ármann Jakobsson 1997: Ármann Jakobsson, Í leit að konungi. Konungsmynd íslenskra ­konungasagna. Reykjavík 1997. Ármann Jakobsson 1998: Ármann Jakobsson, „Konungasagan Laxdæla“. In: Skírnir 172, 1998, 357–383. Bjarni Guðnason 1999: Bjarni Guðnason, „Guðrún Osvífursdóttir och Laxdæla Saga“. In: Scripta Islandica. Isländska sällskapets årsbok 50, 1999, 9–30. Frölich 2000: Dorothee Frölich, Ehre und Liebe. Schichten des Erzählens in der Laxdœla saga (Europäische Hochschulschriften 1, Deutsche Sprache und Literatur Bd. 1774). Frankfurt am Main 2000. Heller 1960: Rolf Heller, Literarisches Schaffen in der Laxdœla saga. Die Entstehung der Berichte über Olaf Pfaus Herkunft und Jugend (Saga, Heft 3). Halle (Saale) 1960. Heller 1961: Rolf Heller, Laxdœla saga und Königssagas (Saga, Heft 5). Halle (Saale) 1961. Heller 2003: Rolf Heller, „Literarisches Lehngut – Einsichten und Fragen: Laxdœla saga Kapitel 77“. In: Wilhelm Heizmann, Astrid van Nahl (Hg.), Runica – Germanica – Mediaevalia (Ergänzungsbände zum RGA 37). Berlin/New York 2003, 265–272. Meulengracht Sørensen 1995: Preben Meulengracht Sørensen, Fortælling og ære. Studier i islændingesagaerne. Oslo 1995. Schach 1982: Paul Schach, „The Theme of the Reluctant Christian in the Icelandic Sagas“. In: Journal of English and Germanic Philology 81, 1982, 186–203. Wolf 1994: Alois Wolf, „Aspekte des Beitrags der Laxdœla saga zur literarischen Erschließung der Sagazeit“. In: Heiko Uecker (Hg.), Studien zum Altgermanischen. Festschrift für Heinrich Beck (Ergänzungsbände zum RGA 11). Berlin/New York 1994, 722–750.

Ernst Hellgardt

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen Abstract: Charles the Great disposed in front of his palace at Aachen an equestrian statue of Theoderich the Great, which he had removed from its original location at Ravenna in the year of his coronation as emperor 801. Written testimony about the statue is recorded in a Latin poem by Walahfrid Strabo dating from the year 829 A.D. and in narrations by Agnellus, priest oft the church of Ravenna, given in his Liber Pontificale in the year 839. Both sources seemingly depend on oral tales about the statue, its location and its deportation. The here presented essay intends to discuss this information especially with regard to their value as documents for the statue’s appearence as a real objekt.

1 Die Versus  … de imagine Tetrici, die Walahfrid Strabo im Frühjahr 829 zu Aachen dichtete, sind eines der merkwürdigsten lateinischen Gedichte des frühen Mittelalters. Sie stellen Reflexionen Walahfrids im Anblick des Reiterstandbildes Theoderichs des Großen dar, das Karl der Große im Jahre 801 von seinem ursprünglichen Aufstellungsort in Ravenna nach Aachen geholt hatte, um es im Bereich seiner Residenz aufstellen zu lassen. Über das Aussehen und über die Verbringung des Monuments nach Aachen berichtet der Presbyter Agnellus von Ravenna (*800/805, † nach 846) in seinem Ravennatischen ‚Liber Pontificalis’, einer Art Bischofsgeschichte von Ravenna. Ein unmittelbares, quellenmäßiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Texten besteht nicht. Dazu gleich näher. Für die germanische Altertumskunde war das Standbild allein als solches schon immer faszinierend, besonders aber seine Überführung von Ravenna nach Aachen und seine neue Aufstellung in Karls Aachener Residenz. Sollte sich nicht die Aneignung des Theoderich-Standbildes und dessen Neuaufstellung durch Karl an einem so prominenten Ort als symbolischer Akt politischer Manifestation einer TranslatioIdee des neuen Kaisers interpretieren lassen? Der gerade zum Kaiser erhobene germanisch-, nämlich fränkisch-stämmige Karl hätte so sein imperiales und gentiles Selbstverständnis – insbesondere auch gegenüber Konstantinopel – auf signifikante Weise dokumentieren und legitimieren wollen, nämlich im Sinne einer bewussten Anknüpfung an die seinerzeitige Übernahme des weströmischen Reichsteils durch den germanisch-stämmigen Goten Theoderich, der als Statthalter des römischen

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Westreiches im kaiserlichen Auftrag Kaiser Zenos legitimiert war  – wenn auch in nicht ganz unproblematischer Weise. Es ließe sich doch die Politik Theoderichs recht wohl mit derjenigen Karls vergleichen: in ihren gleichgerichteten Intentionen auf die Schaffung eines großen Westreiches als Erneuerung des weströmischen Reiches, und dies in Spannung mit Ostrom und mit Unterstützung oder zumindest Duldung des Papstes. Mittel solcher Politik waren bei Theoderich und ebenso bei Karl der möglichst umfassende Zusammenschluss germanischer Gentes durch Bündnisse und notfalls durch militärische Expansion auf deren Territorien. Solche Herrschaftsverbünde sollten in beiden Fällen die Basis des neu zu formenden Reiches bilden.1 Vor dem Hintergrund einer solchen möglichen Reichsideologie wäre also Walahfrid Strabos Gedicht zu untersuchen. Aber auch die zeitnahen geschichtlichen Umstände zur Entstehungszeit von Walahfrids Gedicht sind zu bedenken. Es wurde 829 unmittelbar vor dem Ausbruch umwälzender Erschütterungen gedichtet, in deren Folge während der kommenden Jahrzehnte die Einheit des von Karl dem Großen geschaffenen fränkischen Reiches zerbrach.  Walahfrid war eben nach Aachen gekommen und auf nicht bestimmte Weise in den Hofdienst übernommen worden.2 Von der sich anbahnenden, aber noch nicht zum Ausbruch gekommenen Krise muss er gewusst haben. Aber der gerade erst ca. zwanzigjährige Newcomer wird sich kaum mit einer dezidierten Parteinahme herausgewagt haben, die auch niemand von ihm erwartet haben wird. Dennoch kann gefragt werden, wie weit die heraufkommende Krise Reflexe in Walahfrids Gedicht hinterlassen hat, inwieweit es also den Charakter eines politischen Gedichts trägt.3 Solche Fragen sind aber nicht Thema dieser Studie, die auch nicht das ganze Gedicht behandeln will.4 Mir kommt es vor allem auf die

1  Hierzu Löwe 1956, bes. 42–72; zu Theoderich Ensslin 21959, bes. 80–106; siehe auch Wolfram 1979, 381–409; unter dem Konzept von „Geblütsheiligkeit“, die Karl den Großen mit Theoderich verbunden hätte, ferner Hauck 1950. 2 Wie Irmgard Fees (zuletzt 2012) gezeigt hat, lässt sich die früher weit verbreitete und bei Fees (17–19) reich belegte Meinung nicht verifizieren, Walahfrid sei von Ludwig dem Frommen und seiner zweiten Gemahlin Judith zur Erziehung von deren Sohn Karl an den Hof berufen worden und mit dieser Aufgabe bis 838 betraut gewesen. Der bei Walahfrids Ankunft in Aachen erst sechsjährige Junge sollte als Nachkomme aus der zweiten Ehe des Kaisers zur Ursache von Reichsteilungsstreitigkeiten einerseits zwischen Ludwig und der Reichsgeistlichkeit, andrerseits zwischen dieser Partei und derjenigen der älteren Söhne Ludwigs und ihrer Anhänger werden, Streitigkeiten, die zum Zerbrechen der Einheit des karolingischen Reiches führten. Besondere Verdienste muss sich Walahfrid in seiner zehnjährigen Aachener Zeit aber doch erworben haben. Schließlich wurde ihm ausgerechnet zur Zeit der Volljährigkeit seines angeblichen Zöglings bei seiner Entlassung aus dem Hofdienst die Abtei Reichenau vom Kaiser übertragen. Zu Walahfrids Leben siehe Langosch/Vollmann 1999. 3 Explizite Äußerungen dieser Art erkenne ich in dem Gedicht nur in Vers 170, der eine Mahnung an Ludwig den Deutschen enthält, sich mit dem, was ihm an Besitz (gaza) zugefallen ist, um der Eintracht (concordia) willen zufrieden zu geben. Vielleicht ist auch der thermarum vulgus (Vers 34) auf die Gegner des Kaisers und seiner Anhänger zu deuten; dazu unten S. 153. 4 Für diese Fragen kann beispielsweise auf die Arbeiten von Bock 1844 und 1871 und von Däntl 1931 verwiesen werden.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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Verse an, in denen Walahfrid unmittelbar im Anblick des Standbildes Reflexionen anschließt, die für den Leser Vorstellungen von dessen realem Aussehen zulassen, anders als die Verse 116–146; zu diesen s.  u.

2 Agnellus hat seine Bemerkungen zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen im Jahre 839 geschrieben. Vollständig lag sein Liber Pontificalis erst nach 846 vor.5 Gesehen hat Agnellus das Standbild nicht mit eigenen Augen.6 Er berichtet offenbar nach mündlichen Gewährsleuten. Die Verse Walahfrids, der das Standbild selbst gesehen hat, sind durch die Überschrift des Textes in der einzigen (St. Galler) Handschrift auf das Jahr 829 datiert: Versus in Aquisgrani palatio editi anno Hludowici imperatoris XVI [=829] de imagine Tetrici.7 Rein chronologisch ist nicht auszuschließen, dass Agnellus die Verse Walahfrids kannte, als er über das Standbild schrieb. Dass umgekehrt Walahfrid, der 849 starb, etwa nach dem Bekanntwerden des Agnellus sein Gedicht in späterer Bearbeitung unmittelbar auf Agnellus abgestimmt habe, lässt sich zwar nicht ausschließen, es ist aber doch sehr unwahrscheinlich. Wo die beiden Texte übereinstimmen, kann dies entweder durch den Bezug auf ein und denselben Gegenstand, das Reiterstandbild, erklärt werden, oder durch Sprachquellen – mündliche oder schriftliche –, die beiden zugänglich waren. Ich möchte am ehesten mündlich umlaufende Erzählungen über das Standbild annehmen. Wo Agnellus und Walahfrids Darstellungen sich nicht decken, kann das immer noch auf eine unterschiedliche Wahrnehmung desselben Standbildes zurück zu führen sein. Aber es kann zu den unterschiedlichen, weit auseinander liegenden Zeiten, auf die über seine Aufstellung in Ravenna bzw. in Aachen Bezug genommen wird, tatsächlich auch unterschiedliche Merkmale gehabt haben, je nachdem, was Agnellus über das Denkmal erzählt worden war bzw. was Walahfrid tatsächlich sehen und wissen konnte. Wo derartiges zu berühren ist, wird auch meine Darstellung nicht über Vermutungen hinaus kommen können. Wo sie sich anbieten, sollen sie nicht unterdrückt werden. Die einschlägigen Passagen aus Agnellus werden unten vollständig zitiert. Aus dem Gedicht Walahfrids zitiere ich nur die unmittelbar auf das Standbild als Realie

5 Agnellus, ‚Liber’ 1996, 23. 6 Hierzu Schmidt 1873, 5. 7 CESG 869, 143. Bock (1844, 3, Anm. 3) verweist auf die Erwähnung einer vatikanischen Handschrift bei Greith 1838, 132; Schmidt 1873, 6 wiederholt das. Diese vatikanische Handschrift ist bisher jedoch nicht aufgetaucht. Zur Datierung des Gedichtes s. auch Schmidt 1873, 6.

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bezüglichen Verse 28–88.8 Sie allein beziehen sich konkret auf den Anblick des Denkmals in Aachen. Zu ihnen ausführlich später. Für das ganze Gedicht gebe ich vorweg eine knappe Inhaltsanalyse.9

3 Voran steht in den Versen 1–27 in der Art der vergilischen Ekloge die Schilderung eines frühlingshaften locus amoenus. Die idyllische Szenerie ermutigt Strabus dazu, seinem Dichtergenius Scintilla Fragen zu stellen und um Belehrung zu bitten. Scintilla lässt sich nur zögernd darauf ein und gibt zu bedenken, wie unerfreulich in Wirklichkeit die Umgebung ist, in der man sich befindet (Schmutz und Pfützen auf den Wegen, Geschrei von Bettlern und dem höfischen Mob von Verleumdern). Der nun folgende innere Dialog der Verse 28–88 reflektiert darauf, was Strabus und Scintilla im konkreten Augenschein vor sich sehen: die imago des Tetricus,10 das Reiterstandbild, das Karl der Große nach dem Bericht des Agnellus von Ravenna nach Aachen hat bringen lassen. Auf das Zwiegespräch des bukolisch ansetzenden Textes folgt nun der Panegyrikos auf den Hofstaat Ludwigs des Frommen selbst gemäß den Regeln des Quintilian, wonach einem düsteren Eingang im panegyrischen Gedicht der lobpreisende Teil folgen soll.11 In nächsten Abschnitt (Vers 147–257) schweigt Strabus, und es spricht nur noch Scintilla, wechselnd zwischen Erzählpräteritum und Präsens, sei es redend zum zuhörenden Strabus, sei es in Anreden an die gepriesenen Personen oder mit Bezug auf das Wir Scintilla/Strabus. Es handelt sich nun um einen prozessionsartigen Auftritt des Aachener Hofstaates. In diesen Passus ist die Schilderung einer sehr merkwürdigen schaustellerischen Szene integriert (Vers 116–146), die Scintilla als fiktive Zuschauerin imaginiert; diese Szene wird unten unter 7 (S. 165) besonders zu behandeln sein. Zunächst aber wird Kaiser Ludwig als neuer Moses gepriesen (Vers 93–157). Scintillas Lobpreis gilt dann im fiktiven Erblicken der Hofprozession den

8 Benutzt wird die Ausgabe von Dümmler 1884. Außerdem wurden zur Textkritik hinzugezogen Traube 1890 und Önnerfors 1971, hier 72–85; ferner Text und deutsche Übersetzung von Däntl 1931, 3–23 sowie Text und englische Übersetzung von Herren 1991; deutsche Übersetzung auch von Homeyer 1983. Eine schwedische Übersetzung aller auf Tetricus bezüglichen Verse mit Kommentar und Forschungsreferat bei Brate 1915. 9 Ausführlich Herren 1992, 27–32. 10 Man hat Walahfrid unterstellt, dass er mit dieser Form des Theoderich-Namens an taeter ‚hässlich, garstig, ekelhaft‘ wortspielerisch den Namen Theoderich umforme; das hat Smolak (2001, 90) überzeugend zurückgewiesen. Er macht darauf aufmerksam, dass der Name in der Form Tetricus im 6. und 7. Jahrhundert hochstehenden Persönlichkeiten und sogar dem letzten der illegitimen Söhne Karls des Großen gegeben wurde. Vgl. auch Schmidt 1873, 47, Anm.* 11 Smolak 2001, 94. Zur poetologischen Struktur von Walahfrids Gedicht s. auch Vélez Latorre 1998.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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anderen Herrscherpersönlichkeiten: dem Mitkaiser Lothar (Vers 158–164), den beiden anderen Söhnen Kaiser Ludwigs, König Ludwig dem Deutschen (Vers 165–170) und dem abwesenden König Pippin von Aquitanien (Vers 171–175), der Preis gilt ferner der Kaiserin Judith und ihrem Sohn Karl (Vers 174–208). Lobeserhebungen bedeutender Persönlichkeiten des Hofstaates folgen: solche auf Erzkaplan Hildwin (Vers 209–220), auf Einhard, den geistig „Großen“, wie er mit kontrastierendem Hintersinn auf seine Kleinwüchsigkeit genannt wird (Vers 221–226), und auf Magister Grimald (Vers 227– 232). Mit einem Unfähigkeitstopos erklärt Scintilla sich als außer Stande, die Größe all dieser Persönlichkeiten angemessen zu schildern (Vers 233–238). Fiktiver Höhepunkt der Szenerie: Scintilla findet sich, aus dem Beobachterstand heraustretend, schließlich sogar selbst in das Geschehen einbezogen (Vers 239–257). Man fragt den Dichter, woher er sei, und in welcher Sendung er komme (Vers 243). Er nennt den Lobpreis des Kaiserhofes als seine Aufgabe und setzt zu einem großen Segenswunsch für Kaiser Ludwig an (Vers 246–257). Der Schluss des Gedichtes (Vers 258–262) wendet sich zurück an den Tetricus des düsteren Anfangs. „Fahr dahin, törichter Tetricus!“ (Vers 258). Die hässlichen Flecken seines Gedichtes lastet Walahfrid der Figur des Tetricus an, der wieder präsent ist in seinem Standbild und zugleich in den Tetricus-Versen des Gedichtes (Vers 28–88). Der Dichter bittet seine Muse nun um Reinigung seiner Verse von den Flecken jenes Teils. Man kann das konkret als versteckte Forderung zur Beseitigung des Standbildes verstehen, über das dann kein Gedicht sich noch Gedanken zu machen bräuchte. Den Beschluss des Ganzen bilden – im Unterschied zu den vorangehenden Hexametern des Gedichtes – drei elegische Distichen mit einer Art Autor-Signatur. Walahfrid nennt sich in dritter Person als Reichenauer Mönch mit seinem Profess-Namen Strabo. Als Strabus aber, nämlich als schielend missgestaltetes Geschöpf Gottes, wenn solche Rede denn erlaubt ist, als Schieler also, bittet er um Nachsicht für die hässlichen Seiten seines Gedichtes.

4 Die Tetricus-Verse Walahfrieds Zurück zu den Tetricus-Versen 28–88. In ihnen wird das face-to-face gesehene Standbild nicht eigentlich beschrieben. Vielmehr wird sein Eindruck auf die beiden Betrachter Strabus und Scintilla, den Dichter Walahfrid und seinen Dichtergenius, reflektiert. Die Gedanken, die der Anblick auslöste, werden entfaltet. Wenn von Tetri­ cus die Rede ist, wechselt der Bezug auf den historischen Theoderich mit dem auf sein Standbild. Ich setze den Wortlaut der Verse hierher (zur Textgestaltung s.  u. Anm. 8). Im Anhang findet sich eine Version des Textes mit Umstellungen des Wortlauts in den ordo verborum naturalis und mit einer interlinearen Übersetzung.

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Strabus Primum nosse velim, iuxta quam saepe viamus, cur sit imago suis sic effigiata figuris. Scintilla Tetricus, Italicis quondam regnator in oris, multis ex opibus tantum sibi servat avarus; at secum infelix piceo spatiatur Averno, cui nihil in mundo nisi vix fama arida restat. quamqmquam thermarum vulgus vada praeparat olli, hoc sine nec causa, nam omni maledicitur ore, blasphemumque dei ipsius sententia mundi ignibus aeternis magnaeque addicit abysso. quam statuam vivo artifices si forte dederunt, credito blanditos insano hac arte leoni; aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat haec simulacra dari, quod saepe superbia dictat. infelix nam nullus erit, ni desierit ipse scire quod est, audens sese quod credere non est. curribus atque in equis noris si stare superbos, non quod sedit equo, tecum miraberis umquam. Strabus Cernimus aerias simul adventare columbas, terque – die exorta, media et vergente – venire: talia non vanis addam spectacula rebus.

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Scintilla Nonne vides humiles saevos quasi amare tyrannos? non ex corde tamen, sed enim pro tempore huius pace. petunt pastum, non nidificando quiescunt. Strabus Cur dextra de parte nolam gestare videtur nudus? ob hoc solum, puto, ut atra pelle fruatur.

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Scintilla Etsi non caneret, nequaquam pelle careret, quam semel induerat, sed erit quod dicere possis: flagitiosorum certe preconia summis laudibus accelebrant omnis virtutis egentes; verius ut dicam: dat nudo opprobria nudus.

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Strabus Si quid in his aliud, nobis edicito, nosti!

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Scintilla Fulget avaritia exornatis aurea membris, spicula fert, quae saepe latus pulsare pigrescens sufficiant solitisque accendant corda rapinis. aurea quod regnat stipata satellite nigro, non aliud portendit enim, quam quod mala quantum luxuries quodsdam sensu distendit avaro, tantum pauperies alios devastat adurens. quam subterlabuntur aquae, quia, teste poeta, semper avarus eget. quod desunt frena notabis; quodque super lapides plumbumque et inane metallum currit equo, signat se pectore belua duro, corde pigro sensuque cavo regnare superbiam. O pestis sine fine nocens! non sufficit omnem pervolitasse orbem bellis et caede potentum, quin etiam faciem praeclara palatia contra cristicolasque greges videas posuisse nefandam. ante pedes ternos parentibus undique nervis ille tuus sonipes vacuum super aera nando tollet, et albentes monstrabitur inter olores, quam pia corde tuis macules, vis pessima, telis. iam tamen ipsa pedem vanis conatibus unum optima nequiquam contra consulta levasti. nam quotiens procerum tibimet coniungere quemquam es conata, tibi totiens aut obvia mortis ex insperato venere repagula nigrae aut cautela patrum, quos arx sanctissima semper substituit, pestem monitis compescuit atram, deficiat quorum sceptrum de semine numquam donec in ignivoma veniet rex nube coruscans.

Walahfrids Gedicht wäre ohne die von Agnellus erhaltenen Nachrichten kaum verständlich. Deshalb seien auch diese hier eingerückt.

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A … In aspectu ipsorum piramis tetragonis lapidibus et bisalis, in altitudinem quasi cubiti sex; desuper autem equus ex aere, auro fulvo perfusus, ascensorque eius Theodoricus rex scutum sinistro gerebat humero, dextro vero brachio erecto lanceam tenens. Ex naribus vero equi patulis et ore volucres exibant in alvoque eius nidos haedificabant. Quis enim talem videre potuit, qualis ille? Qui non credit sumat Franciae iter, eum aspiciat. Alii aiunt, quod supradictus equus pro amore Zenonis imperatoris factus fuisset.[…]12 Pro isto [= pro Zenoni] equus ille praestantissimus ex aere factus, auro ornatus est, sed Theodoricus suo nomine decoravit. Et haec pene annis XXXVIII,13 cum Karolus rex Francorum omnia subiugasset regna et Romanorum percepisset a Leone III. papa imperium, postquam ad corpus beati Petri sacramentum praebuit, revertens Franciam, Ravenna ingressus, videns pulcherrimam imaginem, quam numquam similem, ut ipse testatus est, vidit, Franciam deportare fecit atque in suo eam firmare palatio qui Aquisgranis vocatur. (Nauerth 1996, 358/360) …14 Vor beider Angesicht war ein Sockel, der aus viereckigen zweischichtigen Steinen bestand und sechs Ellen hoch war, darauf befand sich das Pferd aus Erz, das mit blinkendem Gold überzogen war. Sein Reiter, der König Theoderich, hielt mit dem linken Arm den Schild, in der erhobenen Rechten die Lanze. Aus den geöffneten Nüstern und dem Maul des Pferdes flogen Vögel heraus und bauten ihre Nester in15 seinem Bauch. Kann sich jemand ein solches Denkmal vorstellen? Wer mir nicht glauben will, gehe ins Frankenland, dort wird er es erblicken! Andere behaupten, dass das erwähnte Pferd aus Liebe zu Kaiser Zeno geschaffen worden sei. […] Für ihn [=für Zeno] wurde jenes außerordentliche Pferd aus Erz gegossen und mit Gold überzogen. Theoderich aber schmückte es mit seinem Namen. Es sind jetzt ungefähr achtunddreißig Jahre her, seit der Frankenkönig Karl alle Reiche unterworfen und das römische Imperium empfangen hat. Als er beim Leichnam (sc. beim Grab) des seligen Petrus den Treueid geleistet hatte,

12 Hier ist ein kleiner Exkurs über Kaiser Zeno und seine Regierungszeit (474–491) eingeschoben, der mit dem Reiterstandbild nichts zu tun hat. 13 Agnellus schreibt dies also im Jahre 839, d.  h. zehn Jahre später als Walahfrid sein auf das Jahr 829 datiertes Gedicht; vgl. Nauerth 1996, 23 (mit Literaturhinweisen) und ebd. 14. 14 Textverlust durch Beschädigung der Handschrift. 15 Nauerth 1996, 359 übersetzt „unter“.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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kehrte er wieder ins Frankenreich zurück. Dabei kam er nach Ravenna und sah das herrliche Bild, von dem er selbst bezeugt, dass er niemals etwas Vergleichbares gesehen hat. Er sah es, ließ es ins Frankenreich transportieren und in seinem Palast in Aachen aufstellen. (Nauerth 1996, 359/361) Ergänzend sind dem noch Stellen hinzuzufügen, die den angegebenen Zitaten unmittelbar voranstehen. Hier erzählt Agnellus über weitere zeitgenössische Bildnisse Theoderichs, sei es dass er von ihnen wusste, sei es dass er sie selbst gesehen hat. Sie waren sämtlich als Mosaike gestaltet und sind insofern zu unterscheiden von dem Reiterstandbild in Ravenna. Sie können aber eine Vorstellung davon vermitteln, welche Darstellungen aus der Zeit des Theoderich zur Zeit des Agnellus bekannt oder noch vorhanden waren, und wie Theoderich auf ihnen dargestellt war. Erhalten ist keines dieser Bildwerke. Bei den Mosaiken ist es z.  T. unsicher, welche von ihnen Agnellus selbst gesehen hat.16 Auch das Standbild selbst hat Agnellus ja wahrscheinlich nicht mehr mit eigenen Augen sehen können. Es befand sich zumindest zur Zeit seines Berichtes seit „ungefähr 38 Jahren“ (paene annis XXXVIII, oben A Z. 10) nicht mehr an seinem ursprünglichen Ort. Agnellus wird nur vom Hörensagen über das Standbild berichtet haben, wohl aus Lokaltraditionen, wie sie in Ravenna und anderswo mündlich umliefen. Agnellus gedenkt der Plünderung Etruriens durch die Langobarden und schließt daran seine Schilderung an:

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B Post vero depraedata a Langobardis Tuscia, obsiderunt Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi et Theodoricus palatium struxit, et imaginem sedentem super equum in tribunalis cameris tessellis ornati bene conspexi.17 Hic autem similis fuit in isto palatio, quod ipse haedificavit, [Mosaik 1] in tribunale triclinii quod vocatur Ad mare, [Mosaik 2]18 supra portam et in fronte regiae quae dicitur Ad Calchi istius civitatis, ubi prima porta palatii fuit, in loco qui vocatur Sicrestum, ubi ecclesia Salvatoris esse videtur. In pinnaculum ipsius loci fuit Theodorici effigies, mire tessellis ornata, dextera manum lanceam tenens, sinistra clipeum, lorica indutus. Contra clipeum Roma tessellis ornata astabat cum asta et galea; unde vero telum tenensque fuit, Ravenna tessellis figurata,

16 S. die folgenden Anmerkungen. 17 Dieses Mosaik hat Agnellus also selbst gesehen. 18 Ob Agnellus diese Mosaiken selbst gesehen hat, ist unsicher; er beschreibt sie im Vergangenheitstempus. Vielleicht bezieht er sich auf sekundäre mündliche oder schriftliche Nachrichten; vgl. Nauerth 1996, 356, Anm. 414, dort auch zu den Ortsangaben.

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pedem dextrum super mare, sinistrum super terram ad regem properans.19 (Nauerth 1996, 356/358) Außerdem wurde auch Etrurien von den Langobarden geplündert. Sie besetzten die Stadt Ticinum, die auch Pavia heißt, wo sich auch Theoderich einen Palast hatte bauen lassen. Sein schmuckvolles Mosaikbild, auf dem er hoch zu Pferde dargestellt ist, habe ich in der Apsis gesehen. Es war nämlich dem Bilde im hiesigen20 Palast, den er selbst errichtet hatte, ähnlich, dies [Mosaik 1] befand sich in der Apsis des Tricliniums ‚Ad Mare’, (und ein zweites) [Mosaik 2] über der Tür an der Stirnseite des königlichen Palastes dieser Stadt, der ‚Ad Calchi’ genannt wird, wo das Hauptportal des Palastes war, an der Stelle, die ‚Sicrestum’ heißt und wo heute anscheinend die Salvatorkirche steht. Dort im Giebel befand sich das Bild des Theoderich in herrlichem Mosaikschmuck: In der rechten Hand hielt er eine Lanze, in der linken einen Schild, er war mit einem Panzer bekleidet. Am Schild stand die in Mosaik ausgeführte personifizierte Roma mit Lanze und Helm. An der Seite, an der Theoderich das Geschoss21 hielt, war die personifizierte Stadt Ravenna in Mosaik abgebildet, die den rechten Fuß auf das Meer, den linken auf das Erdreich gesetzt hatte und auf den König zueilte. (Nauerth 1996, 357/359)

Außer Agnellus berichten noch einige Bemerkungen späterer Chronistik, die Her­ mann Grimm22 in die Forschung eingeführt hat, über das Reiterstandbild von Ravenna. Nur zwei dieser Bemerkungen seien hier angeführt, weil sie lange Zeit für erhebliche Verwirrungen in der Auffassung des Aachener Reiterstandbildes verantwortlich waren. Grimm schreibt hierzu: „Wir besitzen in den Aufzeichnungen einer Ravennater Chronik (Mur[atori] Ib) eine lose Zusammenstellung von Nachrichten, welche offenbar verschiedenen Quellen entnommen und zum Teil ältesten Ursprungs sind.“23 Grimm zitiert im Besonderen die folgenden Stellen:

19 Auch bei diesem Mosaik ist es unsicher, ob Agnellus es selbst gesehen hat. Zudem ist hier nicht gesagt, ob Theoderich hier im Giebeldreieck des Gebäudes zu Pferde dargestellt war; vgl. Nauerth 1996, 357, Anm. 415. 20 D.h. im Ravennatischen Palast. 21 telum hier für die eben zuvor genannte lancea Theoderichs. 22 H. Grimm 1869, 60–72. 23 H. Grimm 1869, 60–61.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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C1 Circa annos Domini DXIX. Per haec tempora, quibus Theodoricus Rex Gothorum regnabat in Italia, ipse fecit construi egregia Opera maxime in Ravenna, scilicet Ecclesiam Gothicam, Turrim Palatii, Eccl. Sti Martini in Coelo aureo, Ecclesiam Stae Mariae Rotundae extra Muros, quae uno lapide tegitur, et equum cum equite aereo-auratum, quem postea Carolus Magnus Ravennam abstulit ut versus Franciam deportaret, sed in itinere Caroli postea Papiae remansit. (anonyme Ravennater Chronik, Mitte 14.  Jh. Muratori Scriptores rerum Italicarum I Pars II, 576; hier zitiert nach Grimm (1869, 60–61) und Schmidt (1873 30–31). Um das Jahr des Herrn 510: In den Zeiten, in denen Theodoricus als König der Goten in Italien herrschte, ließ er herausragende Werke besonders in Ravenna errichten, nämlich eine gotische [d.  h. arianische] Kirche, einen Palast-Turm, die Kirche St. Martins in Coelo aureo, die Rundkirche der heiligen Maria, die mit einem einzigen Stein gedeckt ist, und ein Ross mit Reiter aus vergoldetem Erz, das später Karl der Große von Ravenna wegnahm, um es nach Franken fort zu tragen. Aber auf Karls Weg blieb es später in Pavia zurück. C2 Circa Annos Domini DCCCX. Carolus imperator et rex Franciae venit Ravennam. Hic equum aureum qui erat in Ravenna abstulit ut in Franciam poneret, qui tamen Papiae visitur. (Johannes de Mussis, Chronik von Piacenza, laut Schmidt geschrieben um 1400; Muratori, wie o., 577; Grimm [1869, 61], Schmidt [1873, 31]). Um das Jahr des Herrn 810: Karl, Kaiser und König Frankens, kam nach Ravenna. Von hier nahm er das goldene Ross, das in Ravenna war, fort, um es nach Franken zu bringen. Dennoch ist es in Pavia zu sehen.

Diesen beiden Stellen ist noch eine weitere aus einer Mailänder Chronik des Benzo von Alessandria vom Jahre 1320 anzufügen, weil der Chronist anscheinend unmittelbar aus Agnellus zitierte und aus ihm eine Information über den Aufstellungsort der Statue am pons Austri (d. i. pons Augusti) zu Ravenna tradiert, die in eine Lücke der heute verfügbaren Überlieferung des ‚Liber Pontificalis’ zu fallen scheint24:

24 Hoffmann 1962, 322.

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D Legi etiam in cronicis Ecclesie Ravennatis, quod hoc simulachrum [das Reiterstandbild] fabricari fecit Rex Italie Theodericus apud Ravennam, et in ponte austri Ravenne locari: et sic in pontificali libro ejusdem Ecclesie legitur. (B. Bugatti, Memorie storico-critiche intorno le reliquie ed il culto di S. Celso Martire. Milano 1782, 133; hier zitiert nach Grimm [1869], Schmidt [1873, 28]; vgl. Hoffmann [196225, 322] mit den Hinweisen in Anm. 26) Auch habe ich in den Chroniken der Kirche von Ravenna gelesen, dass Theoderich, der König von Italien dieses Abbild in Ravenna machen und auf dem Pons Austri aufstellen ließ. Und so liest man es im ‚Liber Pontificalis’ jener Kirche.

Es gibt noch eine ganze Reihe ähnlicher Nachrichten aus dem späteren Mittelalter. Bei all ihnen handelt es sich letztlich um lokalpatriotische Fabeleien, besonders aus Pavia.26 Für das Aussehen der Statue im Einzelnen bringen sie keinen erwähnenswerten Wissenszuwachs über Agnellus hinaus. Sie behaupten, das Standbild sei zwar von Karl dem Großen aus Ravenna mitgenommen worden, aber nie nach Aachen gelangt, sondern in Pavia zurück geblieben, und Pavia könne den Ruhm, das Standbild zu besitzen, für sich verbuchen.27 Auch nach Mailand sei es zeitweise entführt worden. Dabei unterlaufen Verwechslungen mit dem sagenhaft berühmten, spät­ antiken Reiter­stand­bild, das Regisol genannt wurde und einst in Pavia stand. Wilhelm Schmidt hat all diese Notizen kritisch beleuchtet mit dem Ergebnis, dass sie

25 Hoffmann 1962, 322. 26 Bei H. Grimm (1869) haben diese unverbürgten Darstellungen zu der Meinung geführt, das Standbild sei tatsächlich nie nach Aachen gekommen. Das sieht er auch darin begründet, dass die Schilderungen bei Agnellus und die Bemerkungen Walahfrids nur unzureichend übereinstimmen und dass es im neunten Jahrhundert keine andere Nachricht von dem Standbild gebe außer dem Gedicht Walahfrids. Dehio (1873, 182) hat diese Auffassung neu zu begründen versucht. Demnach wäre das Aachener Standbild irgendein römisch-rheinisches Denkmal, das Walahfrid irrtümlich auf Theoderich bezogen habe. Dehio stützte sich dabei auf Müllenhoffs Zeugnisse und Excurse zur deutschen Heldensage XXI (zuerst in ZfdA 12 [1865], wieder abgedruckt in W. Grimm 1957, 605–621). Dort seien zahlreiche Zeugnisse dafür angeführt, dass man im deutschen Mittelalter antike Statuen, namentlich Reiterstatuen mit Vorliebe dem Dietrich von Bern zuschrieb. Schmidt (1873, 49) hat das widerlegt, und Däntl (1931, 33) wies darauf hin, dass solch (angebliche) Belege nicht über das Ende des 10. Jahrhunderts zurück reichen und vor den Italienzügen der Ottonen kaum denkbar seien. Tatsächlich dürften die Belege, von denen sogar nur wenige, nämlich allein XXI, 4 und 5 überhaupt in Anspruch genommen werden können, nicht einmal einschlägig im Sinne von Dehios These sein; vgl. jetzt Lienert 2008, 322. 27 Agnellus ist um 837/838 selbst in Pavia gewesen und hat seinem Bischof bei der Taufe Rotruds, der Tochter Kaiser Lothars, assistiert, Nauerth 1996, 356, Anm. 413 und 586 mit Anm. 728. Bei diesem Anlass kann er seine oben unter B gesammelten Beobachtungen gemacht haben und hätte dann doch wohl von der inzwischen angeblich in Pavia vorhandenen Statue erzählt, wenn sie denn wirklich inzwischen dort war. Vgl. Hoffmann, 1962, 322.

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keinen Zweifel an dem Bericht des Agnellus rechtfertigen, Karl der Große habe das ursprüngliche Standbild von Ravenna nach Aachen bringen lassen.28 Nicht zuletzt ist hier natürlich von Belang, dass Walahfrid der Meinung war, das Standbild stelle Theoderich dar.29 Wenn dem so war, kann es nicht in Pavia verblieben sein. Falls gewisse Bemerkungen Walahfrids darauf deuten, Walahfrid habe Überlieferungen gekannt, nach denen das Standbild ursprünglich Kaiser Zeno und nicht Theoderich dargestellt habe, so berechtigt auch dies natürlich nicht zu der Annahme, es sei nie nach Aachen gekommen.

5 Merkmalsynopse Im Folgenden gebe ich eine Merkmalsynopse, aus der ersichtlich werden soll, worin Agnellus und Walahfrid übereinstimmen und worin nicht. Ein Kommentar hierzu folgt. Dabei soll es im Besonderen – vor allem für Walahfrids Gedicht – soweit irgend möglich nur darum gehen, was aus dem Text für das Aussehen des Standbilds als Realie erschließbar ist. in Ravenna

in Pavia

in Aachen

Aufstellungsort

Aufstellungsort

Aufstellungsort

Skulptur … in aspectu ipsorum (A Z. 1) Skulptur in ponte austri (D Z. 2–3) Mosaik1 Hic autem similis fuit isto palatio, quod ipse haedificavit, in tribunale triclinii quod vocatur Ad mare (B Z. 3–5; vgl. Mosaik unter Pavia)

imago, iuxta quam saepe viamus (Vers 28–29) posuisse faciem nefandam (Vers 75) contra praeclara palatia christicolasque greges (Vers 74–75)

Mosaik Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi et Theodoricus palatium struxit … Quam aquae subterlabunin tribunalis cameris tes- tur (Vers 67) sellis ornati bene conspexi (B Z. 1–3; vgl. Mosaik 1)

28 Schmidt 1873, 24–41. 29 Dehio (1873, 182) meinte, dass Walahfrid mit der Zuschreibung des Standbildes an Theoderich einem Irrtum verfallen sei. Er verweist auf Müllenhoff (1865), wo etliche Beispiele aufgeführt sind, dass die Deutschen im Mittelalter antike Reiterstatuen gern Dietrich von Bern zuschrieben, so also auch Walahfrid die Aachener Statue; vgl. Anm. 26.

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Mosaik 2 supra portam et in fronte regiae quae dicitur Ad Calchi istius civitatis, ubi prima porta palatii fuit, in loco qui vocatur Sicrestum, ubi ecclesia Salvatoris esse videtur. In pinnaculum ipsius loci fuit Theodorici effigies, mire tessellis ornata (B Z. 5–8) Sockel

Sockel

currit equo super lapides plumbumque et inane metallum (Vers 69)

piramis tetragonis lapidibus et bisalis, in altitudinem quasi cubiti sex (A Z. 1–2) Gestaltung von Pferd und Reiter

Sockel

Gestaltung von Pferd und Reiter

Gestaltung von Pferd und Reiter

Skulptur equus ex aere, auro fulvo perfusus (A Z. 2)

Fulget aurea avaritia ­exornatis membris. (Vers 60)

Skulptur equus ille ex aere factus, auro ornatus (A Z. 8–9)

aurea regnat stipata satellite nigro (Vers 63)

Skulptur equum cum equite aereoauratum (C1 Z. 5) Skulptur equum aureum qui erat in Ravenna (C2 Z. 2) Skulptur vgl. auch unter „Vögel beim Standbild“ (A Z. 4–5)

parentibus undique nervis (Vers 76) ante … ille tuus sonipes tollet pedes ternos … levasti pedem unum (Vers 76–81) vgl. auch unter „Vögel beim Standbild“ (A Z. 4–5)

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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Pferd und Reiter

Pferd und Reiter

Pferd und Reiter

Skulptur equus ex aere, auro fulvo perfusus (A Z. 2)

Mosaik Theodoricus … imaginem sedentem super equum (B Z. 2–3)

Si noris superbos stare in curribus atque equis non tecum miraberis umquam, quod sedit in equo. (Vers 44–45)

Skulptur equum cum equite aereoauratum (C1 Z. 5)

Skulptur equum cum equite aereoauratum (C1 Z. 5)

currit equo (Vers 69–71)

ist Theoderich ist der Reiter?

ist Theoderich ist der Reiter?

ist Theoderich ist der Reiter?

Skulptur Theodoricus rex (A Z. 3, vgl. Z. 10; C1 Z. 1; D Z. 2)

Tetricus avarus, quondam Mosaik Theodorici effigies (B Z. 8; regnator in Italicis oris (Vers 30) vgl. D Z. 1–2) Si forte artifices vivo quam statuam dederunt, credito hac arte blanditos insano leoni. (Vers 38–39) Aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat dari haec simulacra, quod saepe superbia dictat (Vers 40–41)

ist Kaiser Zeno der Reiter? Skulptur Alii aiunt, quod supradictus equus pro amore Zenonis imperatoris factus fuisset … Pro isto equus ille praestantissimus ex aere factus, auro ornatus est, sed Theodoricus suo nomine decoravit. (A Z. 6–9)

ist Kaiser Zeno der Reiter?

ist Kaiser Zeno der Reiter? Si forte artifices vivo quam statuam dederunt, credito hac arte blanditos insano leoni. (Vers 38–39) Aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat dari haec simulacra, quod saepe superbia dictat (Vers 40–41)

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Begleitfigur

Begleitfigur

Begleitfigur Cur nudus dextra de parte nolam gestare videtur? Puto ob hoc solum, ut fruatur atra pelle. (Vers 52–53)

Mosaik 2 Contra clipeum [sc. Theodorici] Roma tessellis ornata astabat cum asta et galea; unde vero telum tenensque fuit, Ravenna tessellis figurata, pedem dextrum super mare, sinistrum super terram ad regem properans. B Z. 9–11)

aurea regnat stipata satellite nigro (Vers 63)

Waffen und Ausstattung Waffen und Ausstattung Waffen und Ausstattung Skulptur scutum sinistro gerebat humero, dextro vero brachio erecto lanceam tenens (A Z. 3–4) Mosaik 2 dextera manum lanceam tenens, sinistra clipeum, lorica indutus … unde vero telum tenensque fuit. Contra clipeum Roma tessellis ornata astabat cum asta et galea (B Z. 8–10)

Mosaik Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi et Theodoricus palatium struxit … in tribunalis cameris tessellis ornati bene … Hic autem similis fuit in isto palatio, quod ipse haedificavit (B Z. 3–4)

Fert spicula (Vers 61) desunt frena (Vers 68) macules pia corda tuis telis (Vers 79)

Vögel beim Standbild

Vögel beim Standbild

Skulptur Ex naribus vero equi patulis et ore volucres exibant in alvoque eius nidos haedificabant (A Z. 4–5)

Cernimus aerias columbas simul adventare, terque venire die: exorta, media et vergente. (Vers 46–47) petunt pastum, non quiescunt nidificando. (Vers 51)

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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6 Kommentar Aufstellungsorte Ravenna Wo die Statue in Ravenna stand, ist unsicher.30 Die Stelle, in ponte austri, auf die zuerst Schmidt verwies und dann wieder Hartmut Hoffmann31 (vgl. D Z. 2–3), liegt im Bereich der alten Römerstadt und nicht im Bereich des von Theoderich neu erbauten Palastes.32 Wenn die Statue einstmals hier stand, könnte sie ein Brückenstandbild gewesen sein. Dieser Standort würde vielleicht auch eher für eine Statue Kaiser Zenos sprechen als für eine solche Theoderichs. Interessant ist der Standort auch im Zusammenhang der Bemerkung bei Walahfrid, dass unter der Statue Wasser geflossen sei: Quam aquae subterlabuntur (Vers  67). Für diese Positionierung könnten in Aachen authentisches Wissen oder mündliche Berichte über den ursprünglichen Aufstellungsort in Ravenna ausschlaggebend gewesen sein (vgl. auch unten S. 153). Die Fundorte, die Agnellus für die Mosaiken in Ravenna und Pavia angibt,33 geben für den Aufstellungsort der Statue in Ravenna natürlich nichts her. Immerhin sind es sowohl dort als auch in Pavia Stellen im Bereich der Theoderich-Paläste beider Städte, und das Mosaik in Pavia bezeichnet Agnellus ausdrücklich als ähnlich dem Mosaik im Palast zu Ravenna: similis fuit in isto palatio, quod ipse haedificavit (B Z. 3–4). Auch bezeugen die Stellen bei Agnellus, dass als Anbringungsareal für Reiterdarstellungen Theoderichs in Mosaik sowohl Innen- als Außenorte beim Palast typisch sind. Für das Reiterstandbild aber muss man einen Ort im Freien annehmen, der von Vögeln besucht werden konnte (dazu unten, S. 163–164).

Aachen Von dem Standbild in Aachen hat sich keine Spur erhalten. Wohl spätestens im Jahre 881, als die Normannen Aachen verwüsteten, ist es verschwunden.34 Katalogisat

30 Im Rückgriff auf Standorte analoger Reiterstandbilder in Konstantinopel und Spalato (Split) erörtert Bock (1844, 17–46) Möglichkeiten, die Statue in Ravenna zu lokalisieren. Zum Ravennater Standort siehe Deichmann, 1969, 77  f.; er nimmt einen Standort „vor der Fassade des von Theoderich dem Großen erbauten Palastteils“ an. Allgemein zum Aufstellungsort siehe auch Schmidt 1873, 43–47. 31 Schmidt 1873, 44 und 28, Hoffman 1962, 322 mit Anm. 28. 32 Vgl. Pons Augusti bei Jaeggi (2013) im Stadtplan auf der vorderen Innenseite des Einbands ihrer Monographie. 33 Vgl. hierzu die o. Anm. 27 verzeichneten Anmerkungen Nauerths. 34 At illi [= Nordmanni] … plurima loca in regione regis nostri vastaverunt, hoc est … et Aquense palatium, ubi in capella regis equis suis stabulum fecerunt. „Aber [die Normannen] verwüsteten sehr viele

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Nr. 567 des Katalogs der Aachener Karls-Ausstellung vom Jahr 1965 gibt Standort und Stellung der Statue in Aachen präzis an: „Im inneren Pfalzhof … ist mit dem Gesicht zur Königshalle gewendet die Statue des Theoderich lokalisiert.“35 So ist sie in der Plandarstellung mit der Nummer 21 eingezeichnet (s. die Abb. im Anhang). Bei dieser Aufstellung hätte die Statue zwischen der Königshalle und der Pfalzkirche gestanden (Nr. 4 und Nr. 7 auf dem Plan). Sie hätte die Kirche und das zu ihr gehörige Metatorium (ein Oratorium für den Kaiser und die Geistlichkeit [Nr. 11 auf dem Plan]) im Rücken weit hinter sich gehabt, dicht hinter sich aber die durch den Pfalzbezirk führende Hauptstraße (sog. via principalis auf dem Plan Nr. 2–3 und Fortsetzung) und rechts ziemlich nahe neben sich die Gebäude, in denen man die Wohngemächer des Kaisers und seiner Familie vermutet (Nr. 16 auf dem Plan). Es erscheint allerdings als fraglich, wie verbindlich diese Festlegung ist. Leo Hugot, der in dem großen Begleitwerk zur Aachener Karls-Ausstellung im dritten Band den wohl eher maßgeblichen Beitrag über Karls Pfalz geschrieben hat,36 erwähnt oder verortet dort das Theoderich-Standbild gar nicht. Wie passen Walahfrids Bemerkungen und die moderne Rekonstruktion der Aachener Pfalz zusammen? Walahfrid gibt zu dem Standort der Statue mit der beiläufigen Bemerkung imago, iuxta quam saepe viamus (Vers  28) einen Fingerzeig, dass dies ein Ort war, an dem man oft vorbeikam (so, wenn man die via principalis beschritt?). Schwierigkeiten macht allerdings seine Bemerkung, das Standbild sei mit dem Gesicht auf die palatias (= Königshalle der Rekonstruktion?) und die christicolas greges (=Pfalzkirche und Metatorium?) hin ausgerichtet gewesen: posuisse faciem nefandam contra praeclara palatia christicolasque greges (Vers 74–75). An einem Platz zwischen den palatias (Nr.  4 auf dem Plan) und den christicolas greges (Nr.  7 und Umgebung) hätte das Gesicht des Reiters aber nicht zugleich auf beides, die pala-

Orte im Reich unseres Königs, nämlich […] die Pfalz zu Aachen, wo sie die Kapelle des Königs zum Stall für ihre Pferde machten.“ Annales Fuldenses zum Jahr 881, 114 Z. 22–28 / 115, 23–27. – Item eodem anno [881] mense Novembrio duo reges Nortmannorum, Godefridus et Sigifridus cum inestimabile multitudine peditum et equitum consederunt in loco, … iuxta Mosam … post haec Aquis palatium … in favillam redigunt. „Ebenso setzten sich in demselben Jahre [881] im November zwei Normannenkönige Godefrid und Sigifrid mit einer unübersehbaren Menge zu Fuß und zu Pferd an der Maas fest … Hiernach legten sie die Pfalz Aachen … in Asche.“ Reginonis chronica, Ebda. 260, Z. 19–27 / 261, Z. 22–30. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die damals sicher noch heidnischen Normannen das Standbild zerstört hätten, wenn sie in ihm den mythischen, zu Odin hypostasierten Theoderich erkannt hätten. Das Standbild müsste ihnen als eine Art Kultbild gegolten haben. 35 Aachen 1965, 395–400; das unsignierte Katalogisat Nr.  367 dürfte von Leo Hugot stammen; s. besonders die Planzeichnung der gesamten Pfalz 396 und die Modell-Abb. 119 dort; vgl. auch Hugots Detail-Abb. des Standortes der Statue bei Siemes 1966, 113. Eine entsprechende Planzeichnung der Pfalz schon bei Sage 1973, 3 und im Internet de.wikipedia.org: Aachener Königspfalz. 36 Leo Hugot 1965, 534–57, Abb. der gesamten Pfalz zwischen 542 und 543. Vgl. auch Kaemmerer (1967), wo die Statue ebenfalls nicht erwähnt ist.

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tias (die Königshalle) und die christicolas greges, (die Pfalzkirche und das Metatorium) schauen können.37 Das wäre nur bei einer Gegenüberstellung der Statue vor beiden Gebäudekomplexen denkbar. Ein solcher Platz wäre im Rekonstruktionsplan der Pfalz auf dem äußeren Pfalzhof rechts oder links neben der via principalis (quam saepe viamus, Vers 28) durchaus vorstellbar, d.  h. rechts oder links von Nr. 2 auf dem Plan. Man befände sich hier an einem Ort, wo Straßenschmutz und eine Menge lärmender, pöbelhafter Leute eher anzunehmen wären als auf dem repräsentativen inneren Pfalzhof, an dem auch die Wohnungen des Kaisers und seiner Familie lagen, einem Bereich, der im übrigen von dem äußeren Hof durch ein langes Quergebäude mit zentralem Torbau (Nr. 3 auf dem Plan) abgeriegelt war; dort soll die Palastwache untergebracht worden sein.38 Eine weitere Stelle bei Walahfrid besagt, wie schon bemerkt, dass unter dem Standbild Wasser geflossen sei: Quam aquae subterlabuntur (Vers  67). Aachen ist bekanntlich reich an Quellen, insbesondere auch an thermischen. Sollte die Erinnerung daran, dass die Statue ursprünglich eine Brückenstatue war, auch in Aachen für die Aufstellung auf einer Brücke oder in unmittelbarer Nähe eines Gewässers maßgeblich gewesen sein? Solche Überlegungen führten dazu, dass man sich die Statue als Brunnenstatue dachte.39 Aber gesichert ist das durch Walahfrids Text nicht wirklich. Zum Stichwort „Wasser“ gehört natürlich auch die Erwähnung des thermarum vulgus (Vers  34), welcher dem Reiter eine „Furt“40 bereitet, ihn durch das Wasser seines Standorts räumlich „passieren“ lässt, aber auch moralisch in Ignoranz gegenüber seinen Lastern und im Gegensatz zu der einhelligen sententia mundi (Vers 36), die Theoderich als arianischen Gotteslästerer verflucht.41 Gemeint sein wird mit diesem vulgus der gewöhnliche Hofpöbel schmarotzender, intriganter Verleumder, Bettler und Bittsteller (egentes), die den Hof indiskret und lärmend bevölkern: Hinc detractorum, sonat illinc clamor egentium (Vers 22). Leute, die bar jeder Tugend sind. Gewissenlose Lobhudler werden später noch einmal als solche erwähnt, die auch Theode-

37 Hoffmann (1962) stützt die Auffassung Hugots mit dem Hinweis auf die Verse 116 und 128–129, in denen gesagt sei, dass der Reiter zwischen der Kirche (magnum Salomonis opus) und „der anderen Seite“ (ast alia de parte) zu sehen sei. Ich kann dem nicht zustimmen, weil ich weder die Identifizierung dieses Reiters mit dem der Theoderich-Statue für vertretbar halte noch die mit jenen simulacra, die nach Vers 110 auf einer Säule angebracht worden sind. Beide sind weder untereinander, noch mit dem Reiterstandbild des Theoderich gleich, vgl. unten Anm. 45. 38 Querbau: Nr. 1 auf dem Plan. 39 So schon Bock 1844, 130  f. mit Bezug auf Theoderichs Schlacht gegen Odoaker am Fluss Sontius (Isonzio); vgl. dazu H. Grimm 1869, 20  f.; zuletzt unter neuem Gesichtspunkt Hoffmann 1962, 326. 40 vadum in der Bedeutung ‚Schutz‘ nach Terenz bei Däntl 1931, 7, Anm. 2; ähnlich auch Homeyer 1983, 110; die Bedeutung ‚Furt‘ ist aber ganz geläufig und hier durchaus passend, vgl. die Übersetzung ford bei Herren 1992, 132; Brate 1915, 80, übersetzt flöden ‚Fluten‘. 41 Bock (1871, 12 mit Anm. 3) vermutete in dem thermarum vulgus eine Dämonenschar, welche in den Thermen hauste und den Geist Theoderichs bei sich aufgenommen habe; vgl. auch Schmidt 1873, 17.

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rich zu den ihrigen zählen: flagitiosorum certe preconia summis / laudibus accelebrant omnis virtutis egentes (Vers 56–57). Auf die schmarotzerische Gesinnung dieses Pöbels und zugleich auf habsuchtsbesessenen Theoderich würde dann der Thermen-Luxus des vulgus thermarum anspielen. Man kann sich hier an Einhards Vita Karls erinnern, die Walahfrid selbst ja (später?) herausgegeben hat, und an die dort erwähnten Massenbäder in den Aachener Thermen, die Karl der Große liebte,42 einen Brauch, der zur Zeit von Walahfrids Gedicht vielleicht immer noch gepflegt wurde – dann wohl eher zu Walahfrids Missbilligung. Die große Massen-Therme der Aachener Pfalz wird von den Archäologen allerdings weit entfernt von einem Tetricus-Standbild lokalisiert, wenn dieses auf dem äußeren oder inneren Hof anzunehmen wäre.43 Wesentlich weiter hätte sich Walahfrid mit der Erwähnung des thermarum vulgus im Sinne einer politischen Parteinahme heraus gewagt, wenn man darin eine Anspielung auf die Partei der opponierenden Söhne des Kaisers und ihre Anhängerschaft sehen dürfte, der es um die Behauptung ihrer habsüchtigen politisch-territorialen und Machtansprüche ging. Diese Leute hätten dann in Tetricus eine Autorität für ihre Gesinnungen erblickt und ihn deshalb „passieren“ lassen.44 Ihre Bezeichnung als thermarum vulgus wäre allerdings sehr despektierlich, denn bei den so benannten hätte es sich größtenteils um Magnaten des Reiches gehandelt. Ist Walahfrid eine so diffamierende Charakterisierung zuzutrauen? Sockel Nach Agnellus stand die Statue in Ravenna auf einem sechs Ellen hohen Sockel, der wohl als Pyramidenstumpf vorzustellen ist (piramis A Z. 1). Der Sockel bestand aus viereckigen, „zweischichtigen“ (tetragonis lapidibus et bisalis A Z.1) Steinen. Ich stelle ihn mir ihn vor als gestaltet aus zwei großen, abgeschrägten und aufeinander geschichteten Steinblöcken. Aus der Höhe des Sockels hat man auf Überlebensgröße der Statue geschlossen. Weitere Einzelheiten fehlen. Walahfrid ist detailreicher, wenn er denn mit dem hier Folgenden einen Sockel meint.45 Bei ihm rennt der Reiter zu

42 Delectabatur etiam vaporibus aquarum naturaliter calentium  … Ob hoc etiam Aquisgrani regiam extruxit … Et non solum filios ad balneum, verum optimates et amicos, aliquando etiam satellitum et custodum corporis turbam invitavit, ita ut nonnumquam centum vel eo amplius homines una lavarentur. „Sehr angenehm waren ihm auch die Dämpfe warmer Quellen … Darum erbaute er sich auch zu Aachen ein Schloss … Und er lud nicht bloß seine Söhne, sonderen auch die Vornehmen und seine Freunde, nicht selten auch sein Gefolge und seine Leibwächter zum Bade, so dass bisweilen hundert und mehr Menschen mit ihm badeten.“ Einhard, 194, Z. 5–11 /1995, Z. 5–12. 43 Nr. 19 auf der Planskizze des Katalogisats 567 im Aachen-Katalog. 44 So Däntl 1931, 26. 45 Hoffmann (1962, 232) versteht Vers 110 in Walahfrids Gedicht als Hinweis darauf, dass die Statue auf einer Säule gestanden habe: Aurea cui ludunt summis simulacra columnis „es spotten deiner (gemeint ist Ludwig der Fromme) goldene Statuen auf höchsten Säulen“. Da hier aber eine Mehrzahl von simulacra genannt ist, kann das nicht das Reiterstandbild Theoderichs meinen; vgl. o. Anm. 37.

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Pferde über Steine, Blei und hohles Metall: quodque super lapides plumbumque et inane metallum / currit equo (Vers 69–70). Sollten unter dem Blei und dem Metall Materialien zu verstehen sein, mit denen die Sockelsteine verklammert waren?46 Das weiche Blei Walahfrids wäre aber kaum geeignet zur Stabilisierung eines Sockels. Und wie ist „hohles“ Metall in solcher Funktion zu denken?47 Offenkundig geht es Walahfrid hier weniger um eine kohärent-konsistente Vorstellung von der Beschaffenheit des Angedeuteten. Nur dass es sich irgendwie um die Unterlage des Standbildes handelt, ist anzunehmen. Aber worauf es Walahfrid bei deren Betrachtung ankommt, das ist offenbar die lückenlose Allegorisierbarkeit48 dessen, was er vor Augen hat: signat se pectore belua duro, / corde pigro sensuque cavo regnare superbiam (Vers 69–70). Was bedeutet es, dass der Reiter auf dem Pferd über Stein, Blei und hohles Metall rennt? Der Reiter auf dem Pferd (currit equo) bedeutet, dass die Hoffart mit einem unvernünftigen Tier herrscht (belua regnare), das Rennen über Steine (super lapides) steht für die Hoffart (superbia) des Reiters, die Härte der Steine (lapides) für seine Hartherzigkeit (pectore duro), das (geschmolzen trägflüssige?) Blei (plumbum) für seine Herzensträgheit (corde pigro), das hohle Metall (inanis metallum) für seine Gefühlsleere (sensu cavo) – sensu cavo, seine Unvernunft kann zugleich durch das unvernünftige Tier bezeichnet sein, auf dem er reitet. Gestaltung von Pferd und Reiter Alle Beschreibungen des Ravennatischen Standbildes heben die Vergoldung des ehernen Pferdes hervor. Nur einmal wird auch der Reiter ausdrücklich als vergoldet bezeichnet: equum cum equite aereo-auratum (C1 Z. 5), doch wird Agnellus wohl auch in den anderen Beschreibungen, die er liefert, Reiter und Pferd als vergoldet gemeint haben. Die Vergoldung des Standbildes war es, die gewaltigen Eindruck machte und als sinnlicher Effekt immer bestaunt wurde. In dieser Weise wird das Standbild sicherlich auch in Aachen bewundert worden sein. Aber bei Walahfrid wird merkwürdigerweise nur an zwei Stellen ausdrücklich Bezug auf die Vergoldung genommen, zuerst bei Vers  60: fulget avaritia exornatis aurea membris, und noch bei Vers  63: aurea quod regnat stipata satellite nigro. An beiden Stellen ist imago zu aurea elliptisch fortgelassen, also: „Es funkelt die goldene (Statue) vor Habsucht“ und: „Dass die goldene (Statue) eng an der Seite des schwarzen Gefolgsmannes herrscht, bedeutet …“. Indem die Rede hier, wie öfters, nicht auf Tetricus persönlich, sondern auf seine imago bezogen ist, ohne dass der Name des Dargestellten genannt wird, ist zwar die Vergoldung der Statue als etwas sinnlich

46 Schmidt 1873, 41–43 und Bock 1871, 29; s. auch von Schlosser 1891, 170. 47 Hoffmann (1962, 326) denkt an hohle Brunnenröhren. 48 Vélez Latorre (1998) befasst sich nicht mit dieser Art moralisierender Allegorie. Bei ihm geht es um die alttestamentlich-politischen Allegorien der Personen des Aachener Hofstaats in Walahfrids Gedicht.

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Wahrgenommenes hervorgehoben. Doch für Walahfrid bewirkt die sinnliche Qualität des Goldglanzes nicht sinnlich-ästhetisches Wohlgefallen. Vielmehr scheint er sich dagegen geradezu zu sträuben und nimmt stattdessen seine Zuflucht zu moralischer Deutung. Dabei bleibt die Vergoldung des Pferdes außer Betracht. Es kommt nur auf die Vergoldung der imago des Reiters an, denn sie ermöglicht die moralische Deutung des in der imago Dargestellten Theoderich. Scintilla sieht als Merkmal an dem Standbild, dass das Pferd einen Fuß erhoben hat: pedem … unum … levasti (Vers 80–81). Man hat gemeint, dass dies der rechte Vorderfuß gewesen sein müsse, wie man es bei römischen Reiterstandbildern in ruhiger Schrittbewegung zu sehen gewöhnt ist. Doch Scintilla deutet die Haltung des Pferdes als Ansatz zu einem wilden Sprung, wohl angeregt dadurch, dass sie an den Beinen des Pferdes allenthalben Adern (oder Sehnen) hervortreten sieht: parentibus undique nervis (Vers 76). Scintilla imaginiert einen Sprung, mit dem das Tier sich anschickt, im nächsten Augenblick drei Füße zu heben, um springend bis hoch in einen Luftbereich zu gelangen, wo man es dann unter weißen Schwänen schwimmen/fliegen sieht: ante pedes ternos parentibus undique nervis / ille tuus sonipes vacuum super aera nando … inter olores (Vers 76–78). In diesem Fall wäre freilich zu erwarten, dass das Pferd sich bei erhobenen Vorderfüßen mit den beiden Hinterbeinen abstößt, während der Text nur von einem erhobenen Fuß spricht. Schon das zeigt, dass Scintilla hier vom Augenschein des Denkmals unrealistisch zu einer Imagination übergeht. Und so hat man sich, ohne dass der Text dafür einen Anhalt bietet, zurecht gelegt, dass die Darstellung der Statue das Pferd auch mit eingeknickten Hinterbeinen gezeigt haben müsse, wie es bei der Gestaltung von Pferden der Fall ist, die zum Sprung ansetzen, und wie man es aus entsprechenden Kleinskulpturen und Münzdarstellungen kennt.49 All das ist aber nicht mehr etwas, was an dem Standbild sichtbar gewesen sein kann. Auch hier kommt es Walahfrid wieder allein auf die Deutung an, die sich durch imaginatives Fortspinnen des Gesehenen entwickeln lässt. Der maßlos übermütige Sprung wird nur erwartet, weil dem Reiter angelastet wird, er beabsichtige von allegorischer Höhe aus mit seinen Geschossen fromme Herzen (albentes olores / pia corda Vers 78  / 79) in himmlischen Gefilden zu verunreinigen: pia corda tuis macules, vis pessima, telis (Vers  79). Gleichsam nachträglich kommt hier allenfalls hinzu, dass man sich den imaginären Reiter auch als reales Standbild bewaffnet mit Geschossen (telis) vorstellen kann, die er springend bei sich geführt hätte. Diese tela wären wohl als Lanzen vorstellen,50 wobei freilich der Plural merkwürdig ist. Doch dem Krieger standen mehrere Lanzen zur Verfügung. Für eine geworfene wurde ihm eine neue als Ersatz gereicht.51

49 von Schlosser 1891, 167  f. 50 telum steht auch B Z. 10 für die Lanze Theoderichs, s.  o. Anm. 21. 51 Vgl. unten Anm. 61.

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Wen stellt das Standbild dar: Theoderich oder Kaiser Zeno?52 Die Bemerkungen des Agnellus sind in dieser Frage ambivalent. Sie bezeugen, dass über die Zuschreibung des Standbildes unterschiedliche Meinungen im (mündlichen?) Umlauf waren (alii aiunt … A Z.9). Die unterschiedlichen Zuschreibungen versucht Agnellus, der die Statue ja nicht selbst gesehen hat, in Einklang zu bringen, indem er es für möglich hält, das Standbild habe eigentlich Kaiser Zeno53 darstellen sollen, sed Theodoricus suo nomine decoravit, was wohl heißen soll, Theoderich habe das Standbild zur eigenen Ehre vereinnahmt, etwa indem er die Anbringung seines Namens darauf veranlasst und die des Zeno habe tilgen lassen.54 Was Walahfrid angeht, so scheint er zunächst eindeutig Theoderich in dem Standbild zu sehen. Auf die erste Frage des Strabus antwortet Scintilla: Tetricus avarus, quondam regnator in Italicis oris (Vers 30–31). Aber bei näherem Zusehen gibt es doch auch bei Walahfrid Ambivalenzen in dieser Frage. Scintilla macht sich Gedanken, wie es dazu kam, dass dem Theoderich das Standbild gewidmet wurde: Si forte artifices vivo quam statuam dederunt, credito hac arte blanditos insano leoni (Vers 38–39). Bitte, Strabus könne gern annehmen (credito), dass die Künstler dem lebenden Theoderich (vivo) das Standbild dargebracht haben, dies dann aber vermutlich (forte) nur aus Schmeichelei und Furcht vor seinem tyrannischen Wüten, nicht ihm als Lebenden zu Ehren. Warum dem Lebenden? War die Statue ursprünglich von wem auch immer einem nicht mehr Lebenden zugedacht, also etwa dem Kaiser Zeno († 491)? Oder war es nicht vielmehr so, dass die Künstler nur um Theoderich zu schmeicheln und aus Furcht vor seinem Wüten keinesfalls aber von sich aus tätig geworden wären? Sondern eher Theoderich selbst (ipse) und zwar aus Hochmut (superbia) hätte befohlen, wie es Art der hochmütigen ist (quod saepe superbia dictat), dass ihm, dem Lebenden, die Statue zugeeignet wurde (iubebat dari haec simulacra), die in Wirklichkeit dem nicht mehr lebenden Zeno gewidmet worden war? Und genau das scheint Scintilla

52 Hierzu Schmidt 1873, 47. 53 Hierzu Schmidt 1873, 47. 54 Ich gehe hier nicht auf Spekulationen ein, das Ravennater Standbild könnte mit jenem zu identifizieren sein, das Kaiser Zeno nach Jordanes’ Gotengeschichte dem Theoderich stiftete und vor seinem Palast in Konstantinopel aufstellen ließ. Zeno hatte den Theoderich auch als Waffensohn angenommen und zum consul ordinarius erhoben. Zur Frage der Identifikation des Standbildes in Konstantinopel mit dem in Ravenna bzw. Aachen s. Schmidt 1873, 47–50 und wieder Deichmann 1969, 77. Jordanis Getica LVII, 132: Theodorico vero gentis suae regem audiens ordinato imperator Zeno grate suscepit …, dignoque suscipiens honore inter proceres sui palatii conlocavit, et post aliquod tempus ad amplianum honorem eius in arma sibi eum filium adoptavit de suisque stipendiis triumphum in urbe donavit, factusque consul ordinarius, quod summum bonum primumque in mundo decus edicitur; nec tantum hoc, sed etiam et equestem statuam ad famam tanti viri ante regiam palatii conlocavit. Vgl. Paulus Diaconus, Hist. Rom. Liber XV, XIII, 212,15–213,2: dum ad Zenonem Augustum perlatum esset, gratanter accepit eumque ad se rursus evocatum Constantinopolis magno simul honore et divitiis extulit in tantum, ut etiam consularibus eum fascibus sublimaret, quae dignitas post imperiale fastigium prima est, aereamque illi equestrem statuam ante suum palatium collocaret.

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dann doch eher zu glauben: Aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat dari haec simulacra, quod saepe superbia dictat (Vers 40–41). Damit scheint mir hier ziemlich deutlich zu sein, dass noch in Aachen dieselben unterschiedlichen Meinungen wie bei Agnellus umliefen und auch ähnliche Harmonisierungsversuche solcher Meinungen darüber, wen das Standbild ursprünglich darstelle, die darauf hinausliefen, dass es erst sekundär dem Theoderich gewidmet worden sei. Von hier aus wird übrigens auch der dann folgende Satz in der auf Theoderich gemeinten Anwendung erst recht verständlich: Nam nullus infelix erit, nisi ipse desinet scire, quod est, sese audens credere, quod non est. (Vers 40–43). Theoderich war infelix, weil er nicht davon abließ, zu erkennen, was er wirklich (ipse) war (nämlich nicht Zeno), und sich nicht traute, zu akzeptieren, was er nicht war (nämlich nicht der im Standbild des Zeno Dargestellte). Die hier erschlossene Übereinstimmung zwischen Agnellus und Walahfrid kann, wie eingangs festgehalten, aus chronologischen Gründen nicht darauf zurückzuführen sein, dass Walahfrid den Agnellus kannte. Und erst recht nicht ist das Umgekehrte anzunehmen. Wie hätte aus den undeutlichen Bemerkungen Walahfrids die klare Ambivalenz in der Darstellung des Agnellus geflossen sein können? Dass beide letztlich irgendwie doch zusammenstimmen, wird auf entsprechende, mündlich umlaufende Überlieferungen zurück zu führen sein. Dafür spricht auch die unbestimmte Formulierungsweise beider Autoren, mit der die eine wie die andere Auffassung vorgetragen und der Kompromiss zwischen beiden versucht wird. Für Walahfrid aber ist es schlussendlich auch ohne Bedeutung, welcher Meinung zuzuneigen sei. In allen annehmbaren und angedeuteten Fällen könnte die Statue für Walahfrid die verderblichen Gesinnungen Theoderichs repräsentieren. Anzuschließen ist hier noch die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Theoderich-Strophe des Runensteins von Rök55 in Östergötland (Schweden) und dem Aachener Standbild gibt, auf das sich Walahfrids Gedicht bezieht. Auf dem Stein befindet sich eine in Runen geritzte Strophe in Stabreimversen, die ich hier in Übersetzung zitiere: Es herrschte Theoderich, der Fürst der Seekrieger Jetzt sitzt er gerüstet den Schild auf der Schulter,

der kühngemute, über den Strand des Hreidmeeres. auf seinem gotischen Ross, der Held der Märinge.

Wer ist der hier genannte Theoderich? In der skandinavischen Forschung wird seit Henrik Schück (1905 und 1908) ein Bezug der Theoderich-Strophe des Steins auf

55 Zu dem Runenstein s. Gustavson (2003); hieran orientiere ich mich auch im Folgenden. Dort 68 auch die Übersetzung der Theoderich-Strophe des Steins.

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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die Aachener Statue vertreten,56 was natürlich nicht heißt, unmittelbar auch auf Walahfrids Gedicht. Aber dann wäre der Theoderich der Rök-Strophe mit dem der Aachener Statue zu identifizieren, also mit Theoderich dem Großen. In neuerer Zeit wurde diese Auffassung unter Gesichtspunkten der Heldensagenforschung und eines sagenhaften, germanisch-mythologischen oder genealogischen Geschichtsdenkens wieder lebhaft diskutiert.57 Nun gehen die Forschungsmeinungen, wer mit dem Theoderich der Rökstein-Strophe gemeint sei, allerdings weit auseinander, bis hin zu der Annahme, dass Theoderich hier kein Name sei, sondern das Appellativ eines ungenannt bleibenden „Volksherrschers“. Aber selbst das ließe noch den Bezug auf Theoderich den Großen zu, den inzwischen mythisierten Dietrich von Bern als ‚wilden Reiter‘ der Sage. Das ist in etwa die Position Höflers, der allerdings keinen direkten Bezug der Rökstein-Strophe auf das Aachener Standbild annimmt, und Haucks. Für die Datierung der Runeninschrift findet sich nach runologisch-paläographischen Kriterien die Angabe ca. 830–840, nach Kriterien der Inhalts-Interpretation des ganzen runischen Textensembles auf dem Stein käme man auf ca. 796. Am ehesten konsensfähig ist wohl der Ansatz erste Hälfte des neunten Jahrhunderts. Wenn ein Bezug auf die Aachener Statue bestünde, ergäbe sich für die Setzung des Steins als terminus post quem das Jahr 801, in dem das Standbild nach Aachen gekommen war. Die Theoderich-Strophe, die auf dem Stein als Zitat angesehen wird, müsste dann vor 801 datiert werden. Nimmt man eine Bezugnahme der Strophe auf das Standbild an, dann hätte sie den Charakter einer Wiederaktualisierung ihres Inhalts, an der nun auch das Aachener Standbild teilhätte. Und Walahfrid? Hier fällt nun das „jetzt“ der Strophe auf: Jetzt sitzt er gerüstet den Schild auf der Schulter …

auf seinem gotischen Ross,

Der Rökstein hat keine bildliche Darstellung eines Reiters, ein Verweis auf eine solche kommt also nicht in Frage. Aber sollte der „jetzt“-Verweis auf mündliche Erzählungen von dem „neuerdings“ aus Ravenna nach Aachen verbrachten Standbild zurückzuführen sein, die sich bis nach Schweden verbreitet hätten, und auf die man mit dem „jetzt“ Bezug nehmen konnte? Sollte die Gleichzeitigkeit des Runensteins und der Nachrichten über das Aachener Standbild – Walahfrids Gedicht eingeschlossen – dafür sprechen? Immerhin ergab sich bereits mehrfach die Wahrscheinlichkeit, dass über das spektakuläre Standbild mündliche Gerüchte im Umlauf waren, die unter Umständen auch mythisch-sagenhafter Art gewesen sein können. Auch von daher wäre dann die leidenschaftliche Polemik Walahfrids gegen das Standbild zu verstehen.

56 Brate 1915, 72  f.; ich danke Michael Lundgreen für seine Hilfe beim sprachlichen Verstehen dieses Artikels. 57 Hauck 1950, 193; Höfler 1952; ausführliche Referate dieser Diskussion bei Zimmermann 1972, 149– 159, und Gustavson 2003.

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Begleitfigur Bei Agnellus werden zu dem Reiterstandbild keine Begleitfiguren erwähnt. Nur einmal, in den Mosaiken, gibt es mit Roma und Ravenna als Stadtallegorien Begleitpersonal zur Theoderich-Darstellung. (B Z. 9–11, Mosaik 2). Dass Walahfrid nur von einer Figur in der Umgebung des Standbilds spricht und nicht von einer Vielzahl, wie in der Forschung öfters angenommen wurde, scheint mir eindeutig.58 Es wird zwar an zwei Stellen eine männliche Begleitfigur (nudus Vers 53, satellite nigro Vers 63) bei der Statue erwähnt.59 Dass es aber ein und dieselbe Figur ist, darf man annehmen, denn beide Male wird sie als schwarzhäutig bezeichnet (Vers 53: atra pelle, Vers 63: nigro). Laut der ersten Stelle (Vers 52–58) sieht man sie eine Glocke schwingen (nolam gestare videtur Vers 52), und es heißt dort auch, dass sie, wie es Herolde tun, die Ruhmestaten ihres Herrn mit höchsten Lobsprüchen ausruft (accelebrant praeconia flagitiosorum summis laudibus Vers 56–57). Die Lobsprüche, an die hier zu denken ist, müssen im Urteil Scintillas freilich ironisch gemeint sein, denn was sie preisen, sind in Wirklichkeit nur die Schandtaten (flagitiosa) des Tetricus. Gleich danach, an der zweiten Stelle, wird die Figur als satelles niger bezeichnet, als ein schwarzer Herold, eng an der Seite der goldenen Statue (aurea regnat stipata satellite nigro Vers 63–66). Dass die Figur eine Glocke schwingt und dass sie nun als satelles bezeichnet wird, ergibt zusammengenommen wieder, dass man in ihr einen

58 Ich verstehe auch figuris (Vers  29) innerhalb der Wendung suis figuris sic sit effigiata nicht im Sinne einer Vielzahl von Skulpturen, sondern als technischen Terminus für übertragene Bedeutungen. Damit fallen viele Probleme weg, die mit der Annahme von mehreren Skulpturen verbunden wären. 59 Aufgrund einer falschen Interpunktion wurde nudus auf den Reiter selbst, also auf Tetricus bezogen; damit entfiele hier – freilich irrtümlich – eine Begleitfigur (so auch noch Brate 1915, 88). Bei Bock (1844) hat das zu einer unhaltbaren Erklärung der nola geführt, eines Glöckchens, das nun der (fast) nackte Tetricus getragen haben soll und zwar als mit einem Glöckchen ausgestattete Fibel seines schwarzen Pelzes (atra pelle Vers 53); später (1871, 18  f.) referiert Bock diese Auffassung noch einmal, verwirft sie aber zugunsten einer anderen, die er auch nicht für sicher hält: nun sollte das Glöckchen als magischer Talisman an der rechten Seite von Tetricus’ Pferd gehangen haben. Anders H. Grimm 1869, 20: Er nahm eine Begleitfigur des Reiters an, der mit der rechten Hand eine Leier spiele. Die Leier aber und die rechte Hand erschließt er nur mithilfe unhaltbarer Konjekturen am Text. Erst von Schlosser (1891, 171) klärte das Problem durch die Herstellung einer einleuchtenden Interpunktion. In dem Leierspieler meinte Grimm dann den Awaren Xerxer zu erkennen, den nach Fredegar der Frankenkönig Theoderich besiegt hatte, und der dann zu seinem unverbrüchlich treuen Begleiter geworden sei. (Fredegar II,57, 56–59). Aber abgesehen davon, dass dies dem Walahfrid eine Verwechslung des gotischen Theoderich mit dem fränkischen zumutet, kommt Grimm zu seiner Deutung auch hier nur mithilfe einer Konjektur des bei Vers 31 des Gedichts überlieferten avarus „habsüchtig“ zu Avarem „den Awaren“ (vgl. den Variantenapparat bei Dümmler 1884). Bock (1871, 14–18) hat all dies umständlich widerlegt, ebenso auch in Kürze Schmidt 1873, 17  f. Letztendlich laufen all diese Deutungen  – außer denjenigen Bocks und Brates – auf das Ergebnis hinaus, dass es bei dem Standbild in Aachen nur eine Begleitfigur des Tetricus gegeben habe, und diese ist als ein und dieselbe zweimal genannt (in Vers 52–53 und in Vers 63).

Agnellus von Ravenna und Walahfrid Strabo zum Reiterstandbild Theoderichs des Großen 

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Herold zu erkennen hat, der durch sein Glockenläuten auf den Reiter aufmerksam macht und seine „Ruhmestaten“ ausruft. Warum aber wird die Figur als schwarz vorgestellt? Strabus vermutet, dass sie stolz auf die Schwärze ihrer pellis ist, und deswegen mit Glockenläuten auf sich aufmerksam machen möchte. Scintilla widerspricht. Schwarz ist die Figur nun einmal, und darauf bräuchte sie nicht eigens aufmerksam zu machen. Die Schwärze der Figur nimmt Scintilla vielmehr zum Anlass für eine moralische Deutung. Die schwarze Hautfarbe passt zur moralischen Erbärmlichkeit des Dargestellten, weil er als Herold mit höchsten Lobsprüchen Taten preist, die in Wirklichkeit Schandtaten sind. Auch die Nacktheit des satelles bezeugt wie seine Schwärze seine moralische Verwerflichkeit. Nicht als unbekleidet, sondern als moralisch nackt erscheint in allegorischer Entsprechung dazu auch der goldene Reiter selbst, der bar aller Tugend ist (omnis virtutis egens Vers 57). Sein Hauptlaster, die avaritia, wird ja klar bezeichnet: Fulget aurea avaritia exornatis membris (Vers 60). In Wirklichkeit schmäht also der physisch Nackte mit seinen Lobhudeleien (summis laudibus Vers 56–57) passend den moralisch Nackten (dat nudo opprobria nudus, Vers 58), dessen Hauptlaster, die avaritia, durch seine Vergoldung angezeigt ist (Fulget aurea avaritia exornatis membris Vers 60). Wenn man sich ein konkretes Bild dessen machen möchte, was hier sichtbar war, so neige ich der Auffassung zu, dass die Begleitfigur, sollte es sie schon in Ravenna gegeben haben, als schwarzer Sklave zu verstehen ist, dem Heroldsaufgaben zugewiesen waren. Es ist aber auch denkbar, dass es diese schwarze und nackte Begleitfigur in Wirklichkeit gar nicht gegeben hat, und dass sie nur der literarisch-polemischen Phantasie Walahfrids entsprungen ist. Smolak hat sehr erwägenswerte Bemerkungen in die Diskussion gebracht, denen zufolge der nackte und schwarze Herold versteckt auf Ermoldus Nigellus (den „Schwärzlichen“) anspielt.60 Ermoldus, der nigellus, von Ludwig dem Frommen ins Exil verbannt, hatte mit einem umfangreichen elegischen Preisgedicht auf den Kaiser vergeblich versucht, seine Befreiung aus dem Exil zu erwirken. Sollte er hier als Lobhudler Ludwigs des Frommen von Walahfrid als polemische Fiktion an die Seite des Tetricus versetzt worden sein, während Walahfrid sich als „bescheidener“ Panegyriker dem Aachener Hof empfiehlt? Waffen und Ausstattung Zum Standbild in Ravenna erzählt Agnellus: Der Reiter führte auf der linken Schulter einen Langschild (scutum) und hielt mit erhobenem rechtem Arm lanceam, eine Lanze: scutum sinistro gerebat humero, dextro vero brachio erecto lanceam tenens (A Z. 3–4). Das Mosaik in Pavia sei dem in Theoderichs Ravennatischen Palast, also

60 Smolak 2001, 105–108; vgl. u. S. 166 und Anm. 69.

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dem Mosaik 1 ähnlich, bei dem zur Bewaffnung nichts gesagt wird (B Z. 3–4). Die Beschreibung von Mosaik 2 stimmt zu der des Standbildes (A Z. 3–4), nur dass statt des scutum (Langschild) ein clipeum, ein Rundschild, erwähnt ist; auch kommt hier noch eine Rüstung (lorica) hinzu, und außer lancea begegnet noch einmal die allgemeinere Bezeichnung telum (Wurfgeschoss): dextera manum lanceam tenens, sinistra clipeum lorica indutus … unde vero telum tenensque fuit … (B Z. 8–10). Als Waffen der Roma-Personifikation, die gewiss nicht als Reiter zu denken ist, nennt Agnellus noch die asta (=hasta, ein Wurfgeschoss) und die galea (den Helm). Ein Schwert wird in keiner der Beschreibungen erwähnt. Theoderich war also auf all diesen Darstellungen mit der Lanze bewaffnet. Nur die stehende (astabat B Z. 10), nicht reitende Roma-Personifikation hat ein nicht näher definiertes Wurfgeschoss (hasta) und einen Helm (galea). Bei dem Ravennatischen Standbild wird außer der Lanze nur der Langschild (scutum) erwähnt. Mosaik 2 hat stattdessen den Rundschild (clipeum); es ist die einzige Darstellung, zu der eine Rüstung (lorica) erwähnt wird. Eines Schwertes wird, wie gesagt, nirgendwo gedacht. Die typisch gotische Waffe war die Lanze oder auch der Speer.61 Da Theoderich die lancea mit dem erhobenen rechten Arm in der Hand hielt, ist eher anzunehmen, dass sie aufgerichtet und nicht aggressiv zum Angriff ausgestreckt war. Auf Reiterstandbildern römischer Herrscher trägt der Dargestellte, soweit mir bekannt ist,62 nie ein Wurfgeschoss. Er wird stattdessen mit Schild und Schwert dargestellt, in würdiger, ruhiger Haltung und mit herrscherlichem Gestus der erhobenen rechten Hand. Wenn ich die Haltung der Lanze bei dem Standbild Theoderichs richtig verstehe, ist auch seine Haltung bei Agnellus als eine ruhige beschrieben. Aber die für den Goten typische Lanze kennzeichnet ihn im Unterschied zum römischen als gotischen Krieger, dem Typ nach vergleichbar der Darstellung auf dem Reiterstein von Hornhausen, obwohl der Reiter hier eher in Bewegung „unterwegs“ und nicht stehend dargestellt ist.63 Bei Walahfrid wird als Ausstattung des Reiters außer unbestimmt bleibenden Geschossen (telis Vers 79), die wohl als Lanzen zu verstehen sind, nichts von alledem erwähnt. Dafür ziehen die bei Agnellus nicht genannten Sporen des Reiters (spicula Vers 61) die Aufmerksamkeit der Betrachtung auf sich. Sie, deren ursprüngliches Vorhandensein bei dem Standbild recht wohl konkret denkbar wäre, zeigen hier, wo sie fehlen, in der Betrachtung Scintillas für den Reiter das Drängen seiner räuberischen

61 Zur Kampfstrategie der Goten siehe Wolfram 1979, 374–380. Es ist zuzugestehen, dass die WaffenNennungen im Zusammenhang mit den Theoderich-Darstellungen sowohl bei Agnellus als auch bei Walahfrid terminologisch unscharf sind. Eine genauere Überprüfung anhand der Waffenkunde zur germanischen (fränkischen und gotischen) Bewaffnung wäre nötig; vgl. den Artikel „Bewaffnung“ im RGA 2 (1976), § 10–27, 423–482. 62 Durchgesehen wurde Bergemann 1990. 63 Siehe den Artikel „Hornhausen“ von H. Ament, im RGA 15 (2000), 130. Eine Abbildung dieses Reliefs (1. Hälfte 7. Jahrhundert) z.  B. in: Ludwig Wolff, 193.

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Gewohnheiten (sollitis rapinis Vers 62) an. Und das Fehlen von Zaumzeug (desunt frena Vers 68), das vielleicht ursprünglich vorhanden, aber später verloren gegangen war, gilt bei Walahfrid als typisch für Theoderichs zügellos-unersättliche Habgier (semper avarus eget Vers 69), zugleich mit dem bei dem Standbild stetig fließenden Wasser als Zeichen unersättlicher Avaritia (aquae subterlabuntur, quia … semper avarus eget Vers 67–68). Die tela des imaginär in den Lüften stürmenden Reiters, mit denen die reinen Herzen der Rechtgläubigen verwundet werden sollen (macules pia corda tuis telis Vers  79), bleiben als moralisch gefährliche Geschosse recht unverbindlich für eine Vorstellung von dem Standbild selbst. An Pfeile, wie sie zu Fuß kämpfende Bogenschützen oder Jäger haben, ist für den kriegerischen Reiter des Standbildes kaum zu denken. Theoderich erscheint ja nicht als bogenbewaffneter Fußkämpfer. Auch eine Jagdszene, wo Pfeile für den Reiter passend wären, kommt ja nicht in Frage. Deswegen führt hier auch der Hinweis auf den jagenden Theoderich von S. Zeno in Verona als Darstellung von Dietrichs Höllenritt nach der Sage von dem Aachener Standbild weg. Vögel beim Standbild Was schon eingangs aus chronologischen Gründen ausgeschlossen wurde, dass nämlich diese Nachrichten in einem unmittelbaren Quellenverhältnis zueinander stünden, ist nun noch einmal an ihrer Motivik bei Agnellus und bei Walahfrid im Einzelnen darzulegen. Zugleich wird dabei gefragt, warum die Geschichte von den Vögeln bei dem Standbild von Agnellus, und warum sie von Walahfrid erzählt wird. Agnellus, der die Geschichte später erzählt als Walahfrid, tradiert schlicht und ohne Hintersinn eine kuriose Fabelei, die sich um das spektakuläre Standbild entwickelt hat: ex naribus vero equi patulis et ore volucres exibant in alvoque eius nidos haedificabant (A Z. 4–5). Von einer Nahrungssuche der Vögel wie bei Walahfrid ist hier keine Rede. Mit eigenen Augen haben Agnellus und seine Leser/Hörer, besonders die in Ravenna, das abtransportierte Standbild ja nicht sehen können. Und gegen das, was da erzählt wird, so unwahrscheinlich es klingen mag,64 kann ja kein Augenschein geltend gemacht werden, und weil es so unterhaltsam ist, wird man es zum Ruhme des Standbildes gern weiter erzählen. Der ältere Text zum Thema bei Walahfrid bemerkt mit Strabos Rede, dass dreimal täglich Tauben das Standbild aufsuchen, und Strabus meint, dass dies nicht ohne Bedeutung sein könne: Non addam talia spectacula vanis rebus (Vers 48). Eine Vermutung über die Deutung äußert er nicht. Nun bestreitet Scintilla im Folgenden überraschend für den vergleichenden Leser beider Texte eine Deutung, die mit der Frage des Strabus gar nicht behauptet worden war, von der Scintilla aber ahnt, dass

64  Bedenkt man realistisch die Temperaturen, die sich bei Ravennatisch-mediterranem Klima im hohlen Metallkörper des Standbildes zur Nistzeit von Vögeln entwickeln müssen, so ist die Geschichte ja in der Tat absurd.

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Strabus sie im Sinne hat: „Solltest du etwas von Vogelnestern im Bauch des Pferdes gehört haben, so vergiss es: non nidificando quiescunt, nicht um zu nisten, lassen sich die Tauben nieder, sondern ganz normal nur um Nahrung aufzunehmen: petunt pastum. Die Fabelei von den zu Ravenna im Bauch des Pferdes nistenden Vögeln hat hier in Aachen, wie du siehst, keine Bedeutung.“ Walahfrid, der früher schreibt als Agnellus, muss also eine Geschichte, von der wir erst später bei Agnellus erfahren, bereits früher von anderswoher gekannt haben. „Aber dreimal täglich kommen doch die Tauben, das muss doch etwas zu bedeuten haben?“ Hier bedient Scintilla den bedeutungssüchtigen Strabus schließlich doch noch: „Versteh unter den Tauben die Armen, die humiles (Vers  49), die hier täglich dreimal versorgt werden, morgens, mittags und abends. Aber denk bloß nicht, weil das hier am Standbild des Tetricus stattfindet, dass diese humiles deswegen rasende Tyrannen wie den Tetricus wahrhaft und von Herzen lieben; sie kommen keineswegs, wie wenn sie den Tetricus des Standbildes aufrichtig lieben. Sie kommen nur, weil eben hier zu dieser Zeit Frieden ist, und suchen hier nichts weiter als Nahrung.“65 Walahfrid hat sich also die Geschichte von den Vögeln, die im Bauch des Pferdes nisten, eine Geschichte, die mit ihren unrealistischen Zügen typische Merkmale mündlichen Fabulierens zeigt und nichts weiter sein will als unterhaltend, in eine allegorisch-rational deutbare Geschichte umgewandelt. Was er sieht, ist nicht das fabulöse Herbeiflattern nistplatzsuchender Vögel, er sieht die humiles zur Armenspeisung herbeiströmen, und sogleich deutet er sie sich zu Tauben zurecht. So lässt sich das Gerücht von den Vögeln beim Standbild allegorisch deuten, nämlich wenn man sich die Vögel nicht etwa als irgendwelche Vögel denkt, wie bei Agnellus, sondern speziell als Tauben. Die Taube wird ja allegorisch traditionell als humilis gedeutet.66 Die Tauben, über die Strabus die Scintilla befragt, sind bereits in seiner Fragestellung allegorisch gemeint und auf die herbeiströmenden Armen bezogen. Scintilla soll das verstehen und ihre Antwort auf Strabos Frage entsprechend einrichten. Das geschieht denn auch. Scintilla belehrt den Strabus dahingehend, dass diese allegorischen Tauben, die humiles nämlich, keineswegs aus Verehrung für Tetricus hierher kommen, sondern bloß um ihr Essen entgegenzunehmen. Ich setze also eine tägliche Armenspeisung als realen Hintergrund des zwischen Strabo und Scintilla verhandelten Themas voraus. Man kann natürlich auch viel anspruchsloser an eine täglich dreimalige Taubenfütterung beim Standbild denken. Für das allegorische Denken ist aber der Unterschied zwischen diesen Varianten gar nicht groß. Im einen Fall erkennt man in den realen Tauben allegorisch die humiles (die Armen, die in der Pfalz versorgt werden), im anderen Fall werden die Bedürftigen, die sich real zur Speisung einfinden, allegorisch als Tauben verstanden.

65 Haarscharf auf dieses Verständnis zu und doch knapp daran vorbei führt Smolaks Erläuterung der Stelle, Smolak 2001, 93. 66 Dazu Smolak 2001, 93.

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7 Walahfrids Verse 116–146 Nun ist zwischen dem Eklogen-Teil des Gedichtes, in dem sich Strabus und Scintilla über das Standbild besprechen, und dem panegyrischen Teil innerhalb des Preises auf Kaiser Ludwig eine sehr merkwürdige Passage eingeschaltet (Vers 116–146). Hier handelt es sich um eine turbulente, schaustellerische Szene im Rahmen des prozessionsartigen Auftritts der Großen des Hofes,67 eine fiktive Szene, die Scintilla – wie auch den Aufzug der Großen des Hofes selbst  – als fiktive Zuschauerin imaginiert. Auf die hier eingefügte Szene ist jetzt näher einzugehen, weil sie Motive aus den Tetricus-Versen aufgreift, die anscheinend auf Merkmale des Standbildes referieren, aber nicht mehr aus dessen Betrachtung selbst entwickelt sind. Diese Dinge sind hier näher zu besprechen, und es ist zu untersuchen, ob auch sie Rückschlüsse auf deren reale Beschaffenheit nahelegen. Nach dem Lobpreis Kaiser Ludwigs als Antityp des Moses erschaut Scintilla durch die Fenster der Kirche einen paradiesischen Tierpark, in dem zahme und wilde Tiere friedlich beieinander leben (Vers 116–126). Man kann sich erinnert fühlen an den locus amoenus der Eingangsverse des Gedichtes. Diesen wonnevollen Ort, wenn man ihn sich – was gar nicht möglich ist – als realen Ort vorstellen wollte, müsste man ihn sich aber gewiss an anderer Stelle lokalisiert denken als an der hier durch die Fenster der Pfalzkirche fiktiv gesehenen, und auch frei von all den Unbilden, von denen der locus amoenus vom Eingang des Gedichtes bei näherem Zusehen doch beeinträchtigt war. Nun schweift Scintillas Blick in eine andere Richtung (alia de parte Vers 128) und erschaut dort einen umherreitenden, vergoldeten Reiter (auratus eques Vers 129). Zu Fuß scharen sich um ihn eine Menge von Begleitfiguren (comitante pedestri agmine Vers 129–130). Ein vergoldeter Reiter? Das erinnert natürlich an das vergoldete Reiterstandbild der Tetricus-Verse. Aber dieser Reiter ist kein statisches Standbild, er ist vielmehr in lebhafter Bewegung vorgestellt (discurrit Vers 129). Seine Begleiter, nicht ein Einzelner, sondern eine Vielzahl, werden als Musikanten erschaut und gehört; sie spielen ein Glockenspiel (tintinnum quidam … Vers 130), und andere Musikinstrumente (… quidam organa pulsant Vers 130), besonders aber das Prestige-Objekt einer „griechischen“ Orgel, die der Kaiser aber mit wenig Wertschätzung betrachtet: en quis praecipue iactabat Graecia sese, / organa rex magnus non inter maxima ponit (Vers 136–137).68 Es erklingt in dieser phantastischen Szene eine so sinnenbetörende Musik, dass eine Frau beim Anhören ihrer Klänge sogar das Leben verliert (Vers 132–133). Am Ende wird unter den Musikanten einer erwähnt, der sein Instrument mir einem Plek-

67 Smolak (2001, 98  f.) denkt an eine Art höfischer Festveranstaltung als Einleitung zu der feierlichen Prozession des Kaisers mit seiner Gefolgschaft von Magnaten. 68 Hinweise zur „griechischen“ Orgel bei Schmidt 1844, 50–54 und bei dems. 1871, 39–42; vor allem aber ausführlich von Bezold 1924, 404–412 (mit instrumentenkundlicher Literatur); vgl. auch Smolak 2001, 99; Brate 1915, 96  f. Das Motiv wäre eine eigene Abhandlung wert.

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trum spielt und wütend jene „griechische“ Orgel zerstört, die ihn um seinen verdienten Spielmannslohn gebracht hat. Zornig wirft er seine Kleider ab. Aber er erhält nicht einmal genügend bezahlt, um seine schwarzen Glieder (nigros … artus Vers 144–14569) bedecken zu können. Klar, bei dem tintinnum kann man sich wieder an die nola der Begleitfigur des Reiterstandbildes erinnern, aber die schwang nur eine Glocke, kein ganzes Glockenspiel. Schwarz und entblößt ist auch der des Weiteren hier erwähnte Spielmann wie die den Reiter des Standbildes begleitende Heroldsfigur. Sein Musikinstrument ist aber nicht als idiofone Glocke (nola) gedacht, sondern eines, das mit einem Plektrum geschlagen wird, also ein Saiteninstrument. Und wie ist sein zerstörerisches Wüten dem lobpreisenden Verhalten des satelles vergleichbar? Es gibt hier in der Tat auffällige Elemente, die auch in den Tetricus-Versen begegnen. In ihnen aber sind es statische Realien, die als realistisch wahrnehmbar und für Kenner der Örtlichkeit nachvollziehbar benannt sind; sie präsentieren sich als konsistente, aus dem Anblick der fest stehenden Statue abgeleitete Wahrnehmungen und Reflexionen, auch wo sie gelegentlich ins Fiktive hinüberspielen. Hier hingegen herrscht turbulent bewegte Phantastik. Alles, was Scintilla und Strabus bei Betrachtung der Statue gesehen haben, alles was sie intensiv reflektierend und deutend beschäftigt hat, steigert und verwirrt sich hier ins Visionäre, wie sich ein Traumgesicht zusammensetzt aus „Tagesresten“, und es verlieren sich dabei weitgehend trotz mancher Reminiszenzen an das Gesehene alle realistisch nachvollziehbaren Konturen. Ich meine deshalb, dass diesem Abschnitt von Walahfrids Versen nichts Konkretes über das Aussehen oder die situative Umgebung des Standbildes selbst zu entnehmen ist. Die Verse wären durch eine Interpretation zu analysieren, die nach einem ganz anderen methodischen Verfahren zu leisten wäre, als es hier für Vers 28–88 angestrebt wurde.

Das Traumgedicht Walahfrids Erwähnt sei hier noch ein anderes Gedicht Walahfrids. Es folgen unmittelbar auf die Versus … de imagine Tetrici im St. Galler Kodex 869 zwei der Kaiserin Judith gewidmete Stücke.70 Im zweiten von ihnen, einem Traumgedicht,71 liest der Dichter im Traum ein Buch, das von einer rätselhaften Person erzählt, welche, statt namentlich benannt zu sein, immer nur „Reitersmann“ (Equitatus) heißt und doch eindeutig als

69 Wieder eine Anspielung auf Ermoldus Nigellus und seinen unbelohnt gebliebenen Panegyrikos auf den Kaiser? Vgl. o. S. 161 zu Smolak. 70 CESG 869, 163–164 Ad Iudith Imperatricem und 164–167 Ad eandem de quodam somnio; Poet. II, Walahfrid Nr. XXIIIa, und Nr. XXIV. 71 Eine schöne Nachdichtung bei von Winterfeld (1913, 169–171); Walahfrid liebte wohl den Texttypus Traumgedicht; ein weiteres Stück dieser Art De quodam somnio ad Erluinum, Dümmler 1884, 353.

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Kaiser Ludwig zu verstehen ist (pro nomine Ludovici semper illic ‚Equitatus’ scriptus erat Vers 25–26). Siemes (1966, 162–168) interpretiert den im Traum so rätselhaft benannten Kaiser Ludwig, den Hoffnungsträger für die bedrohte Reichseinheit, wohl zutreffend als eine Art positiver Kontrafaktur im Blick auf den unheilvollen Theoderich des Tetricus-Standbildes. Dem Traum des Dichters lässt sich als gleichgeartet die phantastische Schilderung jener turbulenten Szene in den Versus … de imagine Tetrici an die Seite stellen.72

8 Fazit Das Gedicht Walahfrids auf das Tetricus-Standbild, darauf kann nun zusammenfassend hingewiesen werden, enthält neben Stellen, die eine Vorstellung vom realen Aussehen der Statue ermöglichen, immer wieder mehr oder weniger eindeutig Stellen, an denen eine ins Irreale, Imaginäre und Phantastische abhebende Szenerie begegnet. So schon am Eingang des Gedichtes bei der eklogenhaften Schilderung des frühlingshaften locus amoenus, der sich dann doch als schmutziger Ort entpuppt. Dann bei der Deutung der Vögel, welche das Standbild aufsuchen, im Sinne einer Armenspeisung, wenn ich dies richtig interpretiert habe. Noch einmal vielleicht bei der Erfindung des schwarzen satelles als Begleitfigur des Reiters, wenn diese als Erfindung im Sinne einer Polemik gegen Ermoldus Nigellus zutreffen sollte. Und schließlich, abgesehen von der eben behandelten schaustellerisch-turbulenten Szene mit dem goldenen Reiter (Vers 128–144), auch bei der Szene des Paradiesgartens, der durch die Fenster der Palastkirche fiktiv erschaut wird (Vers 116–126). Danksagung: Für Kritik und anregende Gespräche danke ich Stephan Cramer und Markus Kitzberger.

72 Siemes 1966, 162–168. Zu dem Traumgedicht s. auch von Bezold 1924, 425–426.

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Abb. 1: Grundriss der Aachener Pfalz Karls des Großen im frühen 9. Jh. Nach Aachen [Katalog], 1965, S. 396.

Anhang Ordo verborum naturalis und Übersetzung Ich setzte hierher den Wortlaut der oben behandelten Verse mit Umstellung ihrer Wortfolge aus dem ordo artificialis Walahfrids, in einem Fall sogar ihrer Satzfolge, in den ordo naturalis. Dabei bin ich mir des Barbarischen dieses Verfahrens selbstverständlich bewusst und bitte diejenigen, die sich das allenfalls abhandeln lassen, um ihre gütige Nachsicht. Es geht mir nur darum, mein Verständnis der teilweise recht schwierigen Verse auf diese Weise unmissverständlich zu dokumentieren. Zu diesem Zweck auch meine interlineare Übersetzung.

Strabus Zuerst möchte ich wissen, warum das Bild, neben dem wir oft gehen, mit seinen Sinnbildern73 so dargestellt ist. 28–29 Primum velim nosse, cur imago, iuxta quam saepe viamus, suis figuris sic sit effigiata.

73 Zu dieser Übersetzung s. Anm. 58.

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Scintilla Tetricus, der Habgierige, einst Herrscher in Italien, behielt für sich gar wenig von vielen Reichtümern. 30–31 Tetricus avarus, quondam regnator in Italicis oris, sibi tantum servat ex multis opibus; Stattdessen wandelt er im pechenen Avernus, er, dem in der Welt nichts zurückbleibt außer allenfalls vertrockneter Ruhm. 32–33 at infelix secum spatiatur piceo Averno74, cui nihil restat in mundo nisi vix fama arida.75 Denn einstimmig wird er verflucht, und den Gotteslästerer spricht die Meinung der Welt den ewigen Flammen zu und dem großen Abgrund. 35–37 Nam omni ore maledicitur, blasphemumque dei sententia mundi addicit ignibus aeternibus magnaeque abysso, Und das nicht grundlos, obwohl ihm der Thermenpöbel eine Furt76 bereitet. 35+34 nec hoc sine causa, quamquam thermarum vulgus olli vada praeparet. Für den Fall, dass vielleicht die Künstler dem Lebenden (von sich aus) diese Statue darbrachten, so halte sie mit diesem Kunstwerk für Schmeichler des rasenden Löwen. 38–39 Si forte artifices vivo quam statuam dederunt, credito hac arte blanditos insano leoni. Oder wiederum, was ich eher glaube, dieser Elende befahl selbst, dass (ihm) diese Abbilder dargebracht wurden, wie es oft der Hochmut befiehlt; 40–41 Aut etiam, quod credo magis, miser ipse iubebat dari haec simulacra, quod saepe superbia dictat. denn niemand wird unglücklich sein, außer er hört auf zu wissen, was er ist, und hat den Mut, zu glauben, was er nicht ist. 42–42 Nam nullus infelix erit, nisi ipse desinet scire, quod est, sese audens credere, quod non est. (Und:) Wenn du weißt, dass die Hoffärtigen sich auf Rennwagen und Pferden befinden, wirst du dich ganz und gar nicht wundern, dass er zu Pferde sitzt. 44–45 Si noris superbos stare in curribus atque equis non tecum miraberis umquam, quod sedit in equo.

74 Lesart und Spekulationen dazu Schmidt 1873, 17. 75 Smolak (2001, 92) hält in dieser ungewöhnlichen Metapher eine lautliche Anspielung auf den Ketzer Arius für möglich. 76 Zu dieser Übersetzung s. Anm. 40.

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Strabus Wir sehen die luftigen Tauben scharenweise herankommen, dreimal täglich: morgens, mittags und abends. Ich mag solche Schauspiele nicht Dingen ohne Sinn zuteilen. 46–48 Cernimus aerias columbas simul adventare, terque venire die: exorta, media et vergente. Non addam talia spectacula vanis rebus.

Scintilla Weißt du nicht, dass knechtische Leute so tun, als ob sie grausame Tyrannen lieben? – Nicht von Herzen freilich; vielmehr wegen des Friedens dieser Zeit. Sie suchen Nahrung, für das Nisten aber finden sie keine Ruhe. 49–51 Nonne vides, humiles quasi amare saevos tyrannos? Non ex corde tamen, sed enim pro pace temporis huius. petunt pastum, non quiescunt nidificando.

Strabus Warum sieht man den Nackten auf der rechten Seite eine Glocke schwingen? Ich glaube, nur um Bewunderung für seine schwarze Haut auf sich zu ziehen. 52–53 Cur dextra de parte nolam gestare videtur? Puto ob hoc solum, ut fruatur atra pelle.

Scintilla (Nein), auch wenn er nicht läutete, würde er ja keineswegs die Haut entbehren, die er nun einmal angezogen hat. 54–55 Etsi non caneret, careret nequaquam pelle, quam semel induerat. Vielmehr es wird sich so verhalten, dass du sagen kannst: Leute, die selbst ohne alle Ehrbarkeit sind, rufen natürlich (auch ihrerseits) den Ruhm von Schurken mit höchsten Lobsprüchen aus. 55–58 Sed erit, quod dicere possis: Egentes omnis virtutis certe accelebrant praeconia flagitiosorum summis laudibus. Um es noch wahrer zu sagen: Dieser (physisch) Nackte schmäht (in Wirklichkeit) jenen (moralisch) Nackten, (indem er ihn preist). 58 Ut dicam verius: dat nudus nudo opprobria.

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Strabus Wenn du noch anderes hierüber weißt, sage es uns! 59 Si nosti quid aliud in his, edicito nobis!

Scintilla Es funkelt die goldene (Statue) durch Habsucht mit den geschmückten Gliedern. 60 Fulget aurea avaritia exornatis membris.77 Sie trägt Sporen, die dazu taugen, die träge Weiche häufig zu stoßen, und welche die Herzen zu unaufhörlichen Räubereien entflammen sollen. 61–62 Fert spicula, quae sufficiant saepe pulsare pigrescens78 latus solitisque rapinis accendant corda. Dass die goldene (Statue) eng an der Seite des schwarzen Gefolgsmannes herrscht, bedeutet doch nichts anderes, als dass die böse Genusssucht, ganz wie sie jemanden mit gierigem Sinn zerreißt, so auch die brennende Armut andere zugrunde richtet. 63–66 Quod aurea regnat stipata satellite nigro, non enim aliud portendit, quam, quod mala luxuries, quantum quosdam sensu avaro distendit, tantum pauperies adurens alios devastat. Unter ihr (unter der Statue) fließen Gewässer, weil, wie der Dichter bezeugt, der Habgierige immer darbt. 67–69 Quam aquae subterlabuntur, quia – teste poeta – semper avarus eget. Dass Zügel fehlen, merkst du ja. 68 Quod desunt frena, notabis. Und dass sie zu Pferde rennt über Steine und Blei und hohles Metall, bedeutet, dass die Hoffart durch ein unvernünftiges Tier herrscht, mit harter Brust, trägem Herzen und hohlem Geist. 69–71 Quodque currit equo super lapides plumbumque et inane metallum, signat superbiam se belua regnare, pectore duro, corde pigro sensuque cavo. O endlos verderbliche Pest! Nicht genügt es, die ganze Welt zu durchrasen mit Kriegen und Mord an den Mächtigen, 72–73 O pestis nocens sine fine! Non sufficit, omnem orbem pervolitasse bellis et caede potentum,

77 Hierzu Schmidt 1873, 16 gegen H. Grimm. 78 Um des Metrums willen gekürzt, eigentlich: pigrescentes

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 Ernst Hellgardt

nein, du siehst auch noch, dass sie das frevelhafte Gesicht gegen die glanzvollen Paläste gerichtet hat und gegen die Christus verehrenden Herden. 74–75 quin etiam videas, posuisse faciem nefandam contra praeclara palatia christicolasque greges. Eher wird jener, dein Huftöner, die Beine, auf denen alle Adern (Sehnen) zu sehen sind, dreimal erheben, im Flug durch die Lüfte schwimmend übers Leere, 76–78 Ante ille tuus sonipes tollet pedes ternos  – parentibus undique nervis  – aera nando super vacuum, und eher wird er (dort) unter weißen Schwänen erscheinen, 78 et inter albentes olores monstrabitur, als dass du fromme Herzen verunreinigen wirst mit deinen Geschossen, allerübelste Macht, 79 quam macules pia corda tuis telis, vis pessima, obwohl du jetzt schon vergeblich einen Fuß erhoben hast mit sinnlosem Versuch gegen die besten Ratschlüsse selbst. 80–81 iam tamen nequiquam levasti unum pedem conatibus vanis contra ipsa optima consulta. Denn wie oft du auch versucht hast, dich mit irgendeinem der Vornehmen zu verbinden, 82–83 Nam quotiens es conata, tibimet coniungere quemquam procerum, ebenso oft kamen dir unverhofft, seien es entgegenstehende Riegel des schwarzen Todes, 83–84 totiens venere tibi ex insperato aut obvia repagula nigrae mortis, sei es die Vorsicht der Väter bezähmte die grässliche Pest mit Ermahnungen, der Väter, welche die hochheilige Festung stets an ihren Platz setzte, 84–86 aut cautela patrum pestem atram compescuit monitis, quos arx sanctissima semper substituit. von deren Samen (Nachkommen) möge das Zepter niemals weichen, bis der König kommt, schimmernd in feuerspeiender Wolke. 87–88 de semine quorum sceptrum numquam deficiat, donec rex veniet coruscans in ignivoma nube.

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Karoline Kjesrud

Marian devotion in 14th century Norway Abstract: In the 14th century the Church was expanding and people requested more detailed knowledge about the Divine. The origin of Mary, the mother of God, was one particular theme that was developed. In this article I gather art historical, textual and historical sources from Hardanger in the western part of Norway with the purpose of investigating how this new interest in outlining the life of Mary led to practical and spiritual consequences for the people and the Church. The hypothesis for the article is that the church founded in Odda in the beginning of the 14th century functioned as a centre for Marian devotion and may be a strategical and spiritual result of the pilgrims’ activity in Røldal. The unique Mariological altar frontal from Odda church and Norwegian fragments of Maríu saga connect the Marian devotion at Odda church to the surrounding landscape and the pilgrim’s route to Røldal.

During the 13th century the Virgin Mary became gradually closer to the people and a popular subject for personal devotion and interaction with the Divine. This development subsequently led to an increased need for explaining the origin of the Virgin Mary and the dimensions of her divinity, a change that correlated with the church’s expansion in 14th -century Norway. In this article, I will evaluate art historical, textual and historical sources from Hardanger in the western part of Norway with the purpose of investigating how the life of the Virgin Mary had practical and spiritual consequences for the people and the Church. The hypothesis for the article is that the church founded in Odda in the beginning of the 14th century functioned as a centre for Marian devotion and, furthermore, that this establishment has strategic explanations in the pilgrims’ site in Røldal. To put forward this argument I will explore the historical surroundings of the church and remnants of the church interior. In particular, my focus will be a unique Mariological altar frontal and its corresponding textual source in Maríu saga (‘the saga of Mary’). By taking Odda as a point of departure, I will try to illustrate how Marian cult and devotion was integrated in various parts and levels in society, from the individual’s path to spiritual enlightenment to societal and ecclesiastical strategies.

Background In the innermost part of Sørfjorden in Hardanger we find the small community of Odda (Fig. 1). A wooden church is situated in the inner fjord with mountains towering in the background. The church was built in 1870, whereas the prior stone church was

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Fig. 1: A historical photograph of the church of Odda, situated in the innermost part of Sørfjorden, Hardanger. Photo: Knut Knudsen, Norsk Folkemuseum.

raised at the same spot in 1309 (Dietrichson 1888, 78  f.). In the Middle Ages Odda was part of the diocese of Bergen, although it was situated close to the border of the diocese of Stavanger. The interior from the medieval church is now exhibited in the Bergen Museum. Amongst the objects is a preserved altar frontal (Fig. 2), measuring 94 cm in height and 165.5 cm in width, which is tentatively dated to c. 1325–50 (Hohler/Morgan/Wichstrøm 2004, 119). The altar frontal from Odda is one of very few Norwegian altar frontals that are purely Mariological; in fact, the selection of motifs is quite unique for altar decoration. So why did it come to be that this altar frontal should decorate the church of Odda? The central motif of the altar frontal is a depiction of the enthroned Mary, with a red dress and blue coat, as well as a veil and crown. Christ as a child sits on her lap. The richly ornamented buildings encircling her represent the Holy Jerusalem. The motifs in the side panels are related to Mary’s life, and may be read in a chronological order starting with the panel down to the left. Having been childless for 25 years, Anna and Joachim had patiently longed and prayed for a child. Yet they had been met with accusations and disrespect even in the Temple when Joachim carried forward his offering, because they did not have any heirs of their own (motif down to the left). In their prayers, Anna and Joachim made a vow to God: if He would let them have a child, they would offer the child to His service. Soon afterwards, their wish came true, and an angel told Joachim and Anna



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Fig. 2: The altar frontal from Odda church. c. 1325–1350. Photo: Svein Skare, Universitetsmuseet Bergen ©.

that Anna would become pregnant. Nine months later she gave birth to Mary (motif down to the right). Two midwives are standing beside her, lifting up the child (feast: September 8). When Mary was at the age of three, the time had come for her to enter the Temple in divine service just as her parents had promised. Anna and Joachim brought their single daughter to the Holy Temple in Jerusalem. The little family stood at the foot of the stairs for some moments, preparing their solemnly offer, when Mary walked up the fifteen steps all by herself – an achievement that later was considered to be the first great sign of her sublimity (motif upper left) (feast: November 21; however, no sources indicate that this feast was celebrated in Norway during the Middle Ages). Finally, in the upper right corner a motif of Mary’s suitors is presented. Because Mary had sworn to live alone in purity and hence not marry, the high priest asked God for assistance when he tried to find a husband for her. And God let him know that the one who carried a flowering branch should be Mary’s husband. All of the depicted motifs correlate with scenes from Maríu saga. The art historian Nigel Morgan has found only few European examples of altar decoration that display scenes from Mary’s childhood. There are some Italian altarpieces from before c. 1350, a couple of German and lastly one Icelandic embroidered altar frontal from Reykjahlíð dated to the late 14th century. These motifs are more frequently displayed in frescoes, stained glass and manuscript illuminations (Morgan 2004, 44). Morgan has therefore suggested that the iconographical model for the Odda frontal is an illuminated version of Maríu saga (Morgan 2004, 44). However, there are no indications that illuminated manuscripts of this saga existed, even though there

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are some quite beautiful manuscripts left, both large foliants and smaller quarto-formats, a few of them with decorated initials. A more probable explanation is thus that the saga itself and the content transmitted in it served as an inspirational source for the painted works. In this case, the saga must have been known to the artist – or at least to the commissioner of the altar frontal. Maríu saga is based on various European sources, but it was still written in the vernacular tongue. There are 19 Old Norse manuscripts and fragments of Maríu saga, most of them from Iceland. Two fragments derive from Norway, NRA 78 and NRA 79; both of them have been located to the western part of Norway. Many medieval books in Norway were cut up in pieces and reused for another purpose after the Reformation. The majority were used in the production of new accounting books. It is likely that this reuse took place within the same county as the manuscript originally belonged to. NRA 78 is a fragment of a quarto-format manuscript (or a small foliant), dated to c. 1250–1300, and later attributed to a younger hand: Nordfjord 1627 (and Nordfjord 1629). The other fragment NRA 79 consists of two pieces of a folio-sized manuscript, dated to c. 1350.1 A note also follows this manuscript with the information: “Søndhordland 1611, Nordhordland 1627”. This note may tell us that the medieval book was cut up by the county administration and further distributed to the districts. Could these manuscript fragments indicate a relation to the altar frontal in the church of Odda? Odda was part of Hardanger in the Middle Ages, and Hardanger was an independent region, not part of Hordaland as it is today. However, large parts of the farmland in Hardanger were subject to Halsnøy monastery (an Augustinian monastery) in Sunn­ hordland in medieval times. We do not know if this was especially the case with the church of Odda, but it is known that the two regions of Hordaland and Hardanger interacted with each other often concerning different tasks. Halsnøy was the most important monastery in the region, and due to their Augustinian order, they aimed to serve as apostles of their own time and they preferred to act as ‘kanniker’ rather than monks; subsequently, they valued teaching and preaching. The medieval library of Halsnøy monastery is only subject for imagination. Åslaug Ommundsen (2013) has suggested on a general basis several Latin books that may have circulated there. However, a lack of inventory lists has not allowed us to determine the range of Old Norse texts and books. Nonetheless, I believe it is a fair possibility that Halsnøy monastery was the medieval owner of the book that now remains as the NRA 79 fragment. Furthermore, the monastery of Halsnøy had its own townhouse in Bergen and may have had an influence on the flourishing craftsmen’s milieus there, which could have made the altar frontal later placed in the church of Odda in Hardanger.

1 The NRA 79 fragment contains the sections from the preparations for Mary’s marriage, the annunciation and the associated theological explanations (in Ungers edition of the saga II, 357–360).



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The church in Odda and its local surroundings The church built in Odda in 1309 was truly a result of the general expansion of the Church in the 14th century, a time when more and more people gathered in the church. The Mariological altar frontal may be an example of specific interest in Mary and Marian devotion in this church. In Bergens Kalvskinn (a register of the properties of Bjørgvin Diocese) it is described that part of the church’s income was directly set aside for costs related to the Marian altar in the church (BK 80 a-b). The Marian focus in this church thus appears to have been highly valued. Can any explanations for this be found in the surrounding area? The altar frontal was installed in the church for the first time, and was placed there by the commissioner, with the cooperation of his or her craftsman. Margrethe Stang (2009, 183  ff.) is of the opinion that most of the Norwegian altar frontals were lay donations, which points to the fact that every frontal was made with a specific purpose. This makes it relevant to research historical and geographical influences. Furthermore, Stang emphasises a document dated from the 20th of April 1340 that records how several wealthy persons from the Sørfjord district took up a collection in order to pay for a priest for Ullensvang church (DN XIII no. 90). She notices that seven of the eleven donors were women, and concludes that there was a large amount of female patronage in the area, which makes Stang consider the Odda frontal as being part of a community with spiritually and economically active women (Stang 2009, 94–95). Another indication can be that Rike Ragna (‘the Wealthy Ragna’) commissioned a church in the beginning of the 14th century to be built in Eidfjord, in the mouth of Sørfjorden north of Odda. A grave slab inside the church is proof of her involvement in the building of the church. Furthermore, a letter from Bishop Arne in Bergen instructs the priests in Odda, Kinsarvik and Ulfvik to give up the ‘suspicious women’ they kept with them (DN III, no. 85). We have no reason to assume that these women were involved in ecclesiastical decisions; nonetheless, the letter indicates that the ecclesiastical surroundings alongside Sørfjorden were associated with women in different ways. We do not know who the commissioner of the altar frontal in Odda was, but it is not unlikely that this strong womanly culture in Hardanger influenced the choice of this specific altar frontal. Perhaps there were other reasons that could explain the Marian interest in Odda? Øystein Ekroll (1997, 258) has pointed out that the church building in Odda and the integration of two stone sculptures in the outer wall indicate a costly project. The location of the church also indicates that it had a special meaning in the area, connecting people together in the innermost part of the fjord. One important route from Western to Eastern Norway in the Middle Ages led from Odda, over the mountains towards Røldal and further east (Fig. 3). Røldal, 40 kilometres away from Odda, was a popular pilgrims’ destination. The stave church in Røldal has been difficult to date, suggestions have been made from the early 13th century to around c. 1300 (Anker 2005, 158 with references), on the basis

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Fig. 3: Map showing the route from Odda (Hildal in the upper left corner) to Røldal (lower right corner)(Amtskartene 1867). The medieval road is marked out with a single stroke and runs almost parallel with the “mail-road” from the 18th/19th century, signified with a double stroke.2

2 Thanks to Prof. Frode Iversen (KHM, UiO) for preparing the map.



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of the medieval interior in the church, among which is the large triumph crucifix dating from around c. 1250. This crucifix, placed in the opening between the nave and the choir, was considered to possess healing powers. On one specific day of the year, around Jonsok, June 23rd, the crucifix was apparently sweating in a miraculous manner. This led a high number of pilgrims to the church at this time of the year. Diseased people were healed and left their different aids as a votive in the church. People left donations and money, and hoped to receive peace and good health in return. Partly due to this healing crucifix, the economy in the church of Røldal was quite healthy in the Middle Ages. The pilgrimages to Røldal continued until 1835, i.  e. even 300 years after the Reformation, and came first to an end when a provost discovered the activities there and found it unworthy (Bendixen 1904–13, 559). Pilgrims from the west, around Bergen, and from the north travelled through Odda on their way to Røldal (today new pilgrimages are arranged and organised from Seljord in Telemark and Suldal in Rogaland, but the route from Odda is not used for the same purpose any longer). Taking the pilgrim’s activity in Røldal into account, it is interesting to see that a crucifix displaying the tortured Christ also belonged to the church of Odda. However, this one was younger, and is dated to the same time as the altar frontal, c. 1325–50, which has led Margrethe Stang (2009, 93) to speculate if the crucifix and the altar frontal were acquired simultaneously. The healing crucifix in Røldal seems to have been an inspiration for the crucifix in Odda. The choice of church interior in Odda thus represents a connection to the pilgrim’s church in Røldal. Perhaps the building and decoration of the church in Odda inspired the renewal of church decoration in Røldal? Whereas the church in Odda was enriched with the beautiful Marian altar frontal in the late 14th century, the church of Røldal was supplemented with an altar frontal with depictions of the Passion of Christ, dated to c. 1325–1350 (Hohler/Wichstrøm 2004, 121). Stang (2009, 44) has noticed that the paintings of the crucifixion scene on the altar frontal may have been inspired by the idea of the sweating crucifix in the church, due to the depiction of Christ’s blood from all over his body. The altar frontal from Røldal most likely decorated a side altar, rather than a main altar, due to its size (Hohler/Wichstrøm 2004, 120), and obviously it is secondary to the crucifix. This enrichment corresponds with the tendencies in the 14th century where the nature of the Divine was explained in more detail. This origin of the miraculous Christ was even more exploited in Odda, where his mother Mary was the main figure. Odda must have been the starting point for many of the pilgrims setting out to Røldal.

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Fig. 4: Medieval road along Seljestadjuvet. Several sections of the medieval road are still apparent and used as a hiking path in today’s landscape. The route runs through several spots with a terrific view over the mountains, waters and nature. The height of the mountain is around 1070 meters at its highest point, and there are certainly physical challenges on this road. We must assume that this route was only available in the summer months. Photo: K. Kjesrud.

Fig. 5: Stairs on the old road from Odda to Røldal. Photo: K. Kjesrud.



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Mary’s presentation to the temple in the liturgy If we consider the church in Odda to be intended as the first stop on a pilgrimage route in Western Norway, the theme in the decoration of this church may have been introduced as an alternative to or preparation for the Passion theme seen in Røldal. Here Mary was the central figure, and not only that, but the topics depicted on the altar frontal in this church may have encouraged people and pilgrims during their internal reflections and sparked inner growth; a focus that could be useful and comforting on the challenging journey to Røldal. The motif displaying Mary’s presentation to the Temple is of particular interest. It is not known to be visually depicted elsewhere in Norway in the Middle Ages. The episode inspires a reflection about the symbolic features of the fifteen steps to the Temple, just as it is described in the saga. The relation to the prophetical text in Ezekiel 40, where the temple stairs are explained as a symbolic construction, is evident, and thus exemplifies a characteristic pattern for outlining Marian symbolism in the Middle Ages. Mary was the second Eve, and her roles and position in life were a result of prophesies given in the Old Testament. But not only that, a common feature in all types of narratives is that places, loci, and spatial elements function as rhetorical devices for structuring the story. Furthermore, they are rhetorical devices for memorising (Kjeldsen 2011, 78). But what was the reason for memorising the fifteen steps to the temple and their theological descriptions? Mary’s presentation to the Temple is mentioned in a couple of sentences in several European sources. The only one which also includes references to the fifteen Graduale songs, and thus marks out a symbolical relation between the stairs to the Temple and the fifteen Graduale Psalms is found in De nativitate Mariae, ‘The Book of Mary’s nativity’, dating from the 10th century. This is also pointed out by Heizmann (1993, 192). This text does not name the different psalms, nor outlines the deeper theological exegesis (Giversen 2002 (transl.) 6, 1–2). Other European sources describe the scene more briefly, often only with one or two sentences. The widely theological explications of the Old Norse text seem to be unique. Several scholars have discussed Mary’s presentation to the Temple in Maríu saga through the last decades. Ole Widding and Hans Bekker-Nielsen have tried to prove the European background for this passage, but end up admitting that the passage is be “a problem”, because they did not find any clear parallels in Latin sources (1961, 81). However, they “dare not hail the chapters as an instance of original creative work by the author of the saga” (1961, 81). Wilhelm Heizmann has discussed the passage thoroughly in his postdoctoral thesis. He emphasises the use of number symbolism in the text, and thus connects it to other theological writings from the continent, although without specifying one specific model text (Heizmann 1993, 192–207). Not dependent on which inspirational sources the passage is based upon, the episode is outstanding in the saga as a liturgical instruction and theological exploitation.

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Each step is related to a psalm, which should be sung as a symbol for something more complex. The psalms presented in the text are the Psalms of Ascents, Canticuum graduum (Vulgata 119–133; The Book of Psalms 120–134), known as ‘hopeful’ pilgrims’ songs. The passage in Maríu saga does not fully render each psalm, only the titles and the core messages of each of them are explained – serving to help in the memorisation of subject matter.3 The stairs to the Temple and the way they are described in Maríu saga invite the reader to a medieval exegetical reading, lectio, founded on gradual knowledge.4 The first part of the liturgical description, where the name of the psalm is mentioned, may be read at the historia/littera niveau; secondly, we are presented the allegorical interpretation, the main content of each psalm.5 Thereafter follows sophisticated theological explanations, which could be related to the third and the fourth step in the medieval reading lectio. The symbolic features of the psalms described in the first section also represent historical and typological events from the Old Testament, which represents a platform for a tropological (moral) and anagogical (pointing at the heavenly reconciliation) exploration of the songs sung. In the exegetical description of the fifteenth step it explicitly says: No-one will enter the heavenly Paradise and enjoy the everlasting joy the Temple symbolises without standing at the step of charity.6

3 In her impressive and often cited work on medieval memory, Mary Carruthers distinguishes between two different memorizing techniques: memoria rerum, the memorization of “thing”, the subject matter, or the main words in a quotation, the chief theses of an argument, and memoria verborum, the memorization of words, which means word-by-word phrases (Carruthers [1990] 2008, 91). 4 The reading practice Lectio is fully described for example by Mary Carruthers 2008 [1990], 206. 5 The first step is assigned Ad dominum dum tribularer (psalm 119), a psalm symbolizing forsaking of the world (“heíms hafnan”), explained that it is better to search for heavenly joy than earthly pleasure. The second step is assigned Levavi oculus meos (psalm 120) symbolizing divine protection (‘guðlict skiol’). The third is assigned Letatus sum (psalm 121) symbolizing heavenly joy (“himneskr fagnaðr”). The fourth step is assigned Ad te levavi (psalm 122) symbolizing divine confidence (“guðlict traust”). The fifth is Nisi quia dominus (psalm 123) in symbol of gratitude (“þacklæti”). The sixth step is for Qui confidunt in domino (psalm 124), symbolizing moderation in the pursuit of good things (“iafnlyndi til goðra luta”). At the seventh step one should sing In convertendo dominus (psalm 125) symbolizing consolation (“huggan”). The eighth step is assigned Nisi dominus edificaverit (psalm 126) the symbol of joy of the rebuilding of Jerusalem (“fagnaðr af uppreist ok endrbæting Jorsalaborgar”). The ninth step is assigned Beati omnes (psalm 127), symbolizing fear of God (“ræzla drottinns”), the tenth Sæpe expugnaverunt (psalm 128), in symbol of patience (“þolínmæði”) and the eleventh is assigned De profundis (psalm 129) symbolizing meekness (“miuklæti sannrar iðranar”). The twelfth step is Deus non est (psalm 130) symbolizing humility (“litillæti”) and the thirteenth Memento domine David (psalm 131) in memory of the rebuilding of the Temple (“minning þess er drottinn hafði þaa latið uppreisa musteri”). At the fourteenth step one should sing Ecce quam bonum (psalm 132) symbolizing unanimity (“samþycki”), and finally, the fifteenth step is assigned Ecce nunc benedicite (psalm 133) symbolizing the Abiding charity (“eilifva ast”). 6 Additionally, Ole Widding and Hans Bekker-Nielsen remarked that: “[t]he exposition ends with a fine piece of numerical subtlety: that charity (the 15 step), the greatest of the theological virtues,



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The textual interpretation of the motif in Maríu saga may very well stimulate lectio and meditatio and possible ways of interpreting the different parts. Each step up the temple stairs serves as a guide for prayer and worship. The episode is both practical and pedagogical in its style, and makes an impression of having been a practical liturgical instruction, possibly also related to the routines of the Mass. The singing of liturgical songs during Mass ensured the participants awareness of their inner journey towards a higher place. This was especially underlined in the graduale section of the Mass. In this section it was physically demonstrated by singing liturgical songs on actual stairs separating the choir from the nave. Thus the stairs work as instructions for meditation; a gradual change where it was possible to obtain new inner revelation at each step. Sigurd Hareide has showed how this section during Mass is interpreted as an invitation to ascend from lower to higher deeds in Old Norse ritual descriptions, Messuskýringar. The functional naming of the song, the song of Stairs, was thereby a metaphor of improving oneself, when the mass was moving to its first climax (Hareide 2014, 38).7 If we transfer the reading in Maríu saga to the parallel motif displayed at the altar frontal from Odda, and assume that this served as a practical tool for the priest in serving his liturgy, the most natural placement in the church would be at the main altar. From here, the priest might actively have integrated the altar front in his service to the congregation. The quite large size of the frontal has led Hohler and Wichstrøm to suggest that it must have decorated the main altar in the church (2004, 118). Margrethe Stang on the other hand argues that the subject matter – motifs representing the Childhood of the Virgin  – would be more suitable for a placement at the side altar (Stang 2009, 93). In my opinion, the choice of motifs reflects a general tendency of digging deeper into Mary’s life and origin in the early 14th century. This tendency may reflect an expansive Church in which the humanly aspects of the divinity were exploited to make the Church’s message relevant for a broader public. To me it thus seems likely that the Marian altar frontal in the medieval church of Odda decorated the main frontal. In this position it would serve as an important object for the people who attended the church. The principles of composition used can eventually tell us something more about the intended function of the images as they were chosen to affect the perceivers.

includes all other virtues of the Decalogue and the gospels thus representing the number 15 (10+4+1). Charity is also said to be derived from the 7 gifts of the Holy Ghost, and to lead Man to the 8 beatitudes, so that once more we arrive at the number 15 (7+8)” (1961, 87–88). 7 In the seventh chapter of The Rule of St. Benedikt the seven steps (gradus) of humility are explained with a tropological interpretation of the canticuum graduum and the graduale section in Mass. The gradual topic is a clear picture of how the inner journey towards a divine reconciliation is a gradual one, which also may have been embedded in the liturgical practice in the church, in such a manner that the singer was standing at a lower step in the church, symbolizing that divine ascension is still in its beginnings (Schumacher 2002, 105–106, with references to Rupert av Deutz, De divinis officiis I, 34).

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Actors depicted in frontal positions interact with the perceiver in another manner than depictions of actors in profile positions. The central motif, Mary with her son, Christ, on her lap in frontal depiction, catches immediately the attention of the observer: this is definitely something to dwell on. On the other hand, depictions of people in profile bring the perceiver more closely to the action (Schapiro 1996, 69–95). The motif of Mary’s presentation to the Temple could have been used by the priest to exemplify the exegesis – the strategies of understanding Biblical stories. Every psalm is sung as a symbol of something bigger. The Temple itself was a symbol of absolute wisdom and the earthly representation of Paradise. Walking the stairs to the Temple would possibly lead one to the highest level of spirituality. The stairs outside the Holy Temple in Jerusalem are still called the Stairs of Ascents. Even if it has been destroyed several times and not yet rebuilt after the third destruction, the temple is still standing. Visions and prophecies give promises to Jews about a third temple, when the arrival of Messiah is near. The sorrow related to the destruction and rebuilding of the Temple is remembered in rituals and prayers, such as the Song of Ascents. Climbing up the stairs to the Temple in Jerusalem makes a physical embodiment of the inner journey towards heavenly reconciliation possible. Transferring the most important elements of the Songs of Ascents and the stairs of Ascents in Jerusalem to the church and the service in the church of Odda presumably also in focusing on this gradual climb towards the divine powers. Ecclesiastical paintings and liturgical texts may very well have functioned in Mass, but they could also work as tools for individual meditatio. The stairs to the temple will thus achieve a role of being a physical representation of the journey each person has to undertake in order to attain the ultimate and everlasting joy of God. This could very well be suitable for a pilgrim to keep in mind when wandering the pilgrim routes in the Norwegian mountains. The patience of Anna and Joachim was rewarded with an exalted child, who served as a role model for inner growth and strength for believers. Mary was lifted up to the Heavens and united with the Divine and serves there as a Queen of Heaven together with her Son. By following the example of Mary, people may have been able to experience an inner growth themselves. The explicit choice of motifs for decorating the altar frontal in Odda church may have been a result of the influence of the pilgrims’ route on which many of the church’s visitors were about to set out on. The distance from Odda to Jerusalem must have been overwhelming for medieval people. But the physical gradual and meditative walk encouraged through the text may have had resonance for pilgrims that set out to Røldal, where people were cured of diseases by touching the sweat from a healing crucifix. The route from Odda to Røldal is characterised by high mountains with steep hills. Parts of the route are still sectioned in ‘stairs’, now prepared by stones, which have replaced logs that had the same purpose earlier. When the congregation and the people who visited the church of Odda looked at the beautiful Marian altar frontal and heard the priest telling about Mary climbing up



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the fifteen steps to the Temple, they might have carried this inspiration inside when setting out on the pilgrimage to Røldal; soon to meet steep hills and suitable surroundings for meditation and reflection.

Conclusions The purpose of this article has been to obtain a deeper understanding of Marian devotion in medieval society by taking the church of Odda in Hardanger as a starting point, from which a beautiful and unique Marian altar frontal derives. The scenes presented at the frontal are recognized as scenes from Maríu saga, a narrative about Mary preserved in numerous manuscripts from the Middle Ages, among others two fragments from Western Norway. I have suggested that the Marian focus in the church of Odda may have been related to the pilgrim’s route to Røldal. A natural starting point for several pilgrims on their way to the healing crucifix in Røldal must have been from Sørfjorden and Odda, in the innermost part of Sørfjorden. The healing crucifix in Røldal with a Christ’s cult may have inspired the community in the neighbouring bishopric to establish a cult of their own – ensuring money, activity and people passing by. With a healing crucifix in Røldal, it would be natural to implement another point of focus in Odda. The mother of God seems to be a fair choice. The spiritual reasons for implementing the altar frontal would furthermore have been to outline the history of the Divine, and making the mother of Christ and her genealogy the important message to be expressed. By exploring the two manifestations of Mary’s presentation to the Temple together, in text and image, and taking into consideration the contextual surroundings of the altar frontal, I find it appealing that the motif had a specific purpose in this church. The narrative text made a natural argument for the placement of the altar frontal within the church ― at the main altar ― which furthermore suggested that the priest and the clergy consulted the paintings in their liturgical instructions to the congregation, especially in the graduale-section of the Mass. People participating in the Mass could memorise the motif with the help of the spatial element, the fifteen steps to the Temple, for further meditative use and dwelling along the pilgrim’s route to Røldal. The Temple stairs function thus as a memorising device both in the text and in the image, as instructions for meditation, and as a structure for further theological elaboration. By following the virtues and exempla from Mary’s climb in the temple stairs one would reach the higher levels of spiritual experience. The symbolic features of the stairs to the Temple are highly emphasised with the purpose of encouraging the recipients to self-reflection and prayers. The motif would thus be an encouragement of how to fill every step in the following walk from Odda to Røldal with spiritual content. One has to climb in order to reach the highest level of spirituality.

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Irene Kupferschmied

Epiphanien des Teufels in den altnordischen Marienmirakeln der B-Sammlung Abstract: The devil is often described as a prototypical and more or less omnipresent adversary to Maria. The B-Collection of the Maria Miracles shows various conceptions of the devil. However, he is only an acting protagonist in a certain number of texts, in a few being little more than the cause of misbehaviour. The devil’s role in the B-Collection should therefore not be overestimated, though the descriptions of his work are suitable to leave an impression. In several manuscripts, the miracles Theophilus and Romaldus bookend the collection, both of which hold the motive of the devil’s pact. The devil achieves a great deal of attention therewith. For this arrangement of the miracles within the collection, which could be an independent development, a certain tradition seems to have existed in the north. Teufel und Dämonen erscheinen in der altnordischen Literatur unter verschiedenen Bezeichnungen und in unterschiedlichen Gestalten. Nicht selten sind es die Namen der heidnischen Götter, bestimmte ihrer Wesenszüge oder auch äußere Merkmale, die auf den Teufel der christlichen Religion und die mit ihm in Verbindung stehenden Dämonen übertragen werden.1 Die altnordischen Marienmirakel hingegen verhalten sich in ihrer Präsentation des Teufels bzw. der Teufel – nicht selten treten die Vertreter der Hölle gleich scharenweise auf – konservativer und nehmen kaum Anleihen in der heidnischen Religion in Anspruch, um den Teufel zu beschreiben. Sie basieren überwiegend auf lateinischen Ausgangstexten, die häufig relativ genau übersetzt, in einigen Fällen auch freier bearbeitet wurden. Es sind diese Texte, die hier genauer in den Blick genommen werden sollen, um zu untersuchen, welche Handlungsspielräume und Erscheinungsformen des Teufels dem Publikum in Island und Norwegen darin vorgeführt wurden. Mag die Übertragung dämonischer Züge auf heidnische Gottheiten und deren „teuflisches“ Wirken in der Sagaliteratur noch so bemerkenswert sein, es bleibt nicht zu vergessen, dass das Bild von Dämonen und Teufel(n) in der Bevölkerung auch, und sicherlich nicht zuletzt, durch Texte wie die Marienmirakel geprägt wurde. Viele der Marienmirakel

1 Dieses Phänomen begegnet nicht nur im explizit skandinavischen Kontext, siehe z.  B. Frenschkowski/Drascek 2010, Sp. 392  f.; Gerwing 1997, Sp. 578; Simek 1997, Sp. 590  f. Als ein besonders markantes Beispiel sei hier auf die Ólafs saga Tryggvasonar des Mönchs Oddr hingewiesen, in der der Teufel sowohl in Gestalt von Óðinn als auch von Þórr begegnet, vgl. Saga Óláfs Tryggvasonar, 131–134 und 173–174.

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dienten als Predigtexempel und als didaktische Lektüre für Klosterangehörige und wurden Laien wie Geistlichen zu diversen Gelegenheiten zu Gehör gebracht. Anlass, den Teufel als Protagonisten im Handlungsgeschehen auftreten zu lassen, bietet sich in den Marienmirakeln immer wieder. Vielen gilt der Teufel als Gegenspieler Mariens schlechthin, und bisweilen wird das Aufblühen der Marienverehrung sogar in direktem Zusammenhang mit der im Laufe des Mittelalters ebenso anwachsenden Angst vor dem Höllenfürsten gesehen.2 Der Kampf zwischen Maria ‒ manchmal vertreten durch Engel oder gemeinsam mit diesen ‒ und Teufel(n) um die Seelen der sündigen Menschen ist in vielen Mirakeln Thema.3 Oft entscheidet diesen Konflikt ein Schiedsspruch der übergeordneten göttlichen Macht, manchmal auch Mariens selbst. Die nicht zuletzt darauf fußende sog. „Prozessform“, also der „Widerstreit zweier unvereinbarer Rechtsansprüche“, wurde daher von Ursula Ebel (1965, 31) als strukturelles Muster postuliert, das in der einen oder anderen Form allen (Marien-)Mirakeln zugrunde liege. Im Weiteren geht Ebel davon aus, dass der Kampf des Guten gegen das Böse im Prinzip den meisten Mirakeln immanent ist, jedoch auch abstrakt stattfinden kann, also ohne dass beide Parteien in personam aufeinandertreffen müssen (Ebel 1965, 27–33; vgl. auch Gallais 1974, 131). Der Widerstreit von guter und böser Macht in seiner abstrakten Form soll allerdings im Folgenden weniger Betrachtung finden, vielmehr wird sich der Blick auf die konkreten Erscheinungsformen des Teufels in den Marienmirakeln richten. Wegen des hier gesetzten Rahmens beschränkt sich die Analyse auf die übersichtliche und gut zugängliche B-Sammlung.4 Unter der Bezeichnung B-Sammlung lassen sich mehrere Handschriften und Fragmente gruppieren,5 die mit kleineren oder größeren Ergänzungen, Auslassungen und Umstellungen die gleichen Mirakel überliefern. Die B-Sammlung stellt also nicht eine in Umfang und Anordnung der Mirakel exakt definierte Gruppe von Texten dar, sondern eher einen Sammlungstyp, zu dem sich mehrere der überlieferten norrönen Zeugnisse rechnen lassen. Da die B-Sammlung nicht nur einzelne Mirakel, sondern ganze Mirakelgruppen enthält, die auch innerhalb der lateinischen Tradition als älteste Bestandteile von Marienmirakelsammlungen aufgefasst werden,6 lässt auch

2 Maslowski 1978, 47: „Der aufblühende Mariencultus, der mit der Schutzbedürftigkeit der Christen­ men­schen gegen teuflische Anfechtungen zusammenhing, war jedenfalls vom Glauben an einen mächtigen Teufel nicht zu trennen. Je größer der Einfluß des Teufels wurde, desto mehr gewann Maria an Heiligkeit.“ Vgl. Mauthner 1963, 204  f. 3 Siehe zum Motiv des Kampfes zwischen Teufel und Engeln/Heiligen Uther 2010, Sp. 416–419. 4 Insgesamt liegen, je nach Zählweise, über 200 bis an die 300 Mirakelerzählungen vor, von denen die meisten wiederum in mehreren Versionen existieren, vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 2. 5 Die Bezeichnung „B-Sammlung“ geht auf Ole Widding (1996, 5–13) zurück. Zu den Vertretern der B-Sammlung vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 208–213. 6 Die ältesten Gruppierungen von Marienmirakeln identifiziert Mussafia (1889, 55–61). Siehe z.  B. auch Kupferschmied 2017, Bd. 1, 142–148; Widding 1996, 6–10 oder Southern 1958, 176–188.



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sie sich als alte, vermutlich ursprünglichste der bestehenden norrönen Sammlungen betrachten. Drei Handschriften, die zur B-Sammlung gezählt werden, überliefern vollständige Mirakelsammlungen: AM 234 fol, auf ca. 1340 datiert (vgl. ONPReg, 436), bietet die umfangreichste mit 56 Mirakeln.7 Geht man die Mirakel von AM 234 fol systematisch nach dem Auftreten oder wenigstens der expliziten Nennung von Teufel(n) und Dämonen durch, wird man in 14 davon fündig.8 AM 232 fol von ca. 1350 (vgl. ONPReg, 436) stellt mit 51 (53) Mirakeln den zweitgrößten Vertreter dar.9 Alle 14 genannten Mirakel sind auch in dieser Handschrift zu finden. Zehn von diesen enthält auch AM 633 4to,10 die eine kürzere Sammlung von 30 Texten überliefert. Bei dieser Handschrift handelt es sich um eine Papierhandschrift aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts, deren Vorlage auf ca. 1300 datiert wird (vgl. MS, XIII).

Widerstreit zwischen Maria/Engeln und Teufel(n) und Gestaltwechsel des Teufels Das erwähnte Motiv des Kampfes um die Seelen des sündigen Menschen zwischen Maria/Engeln und Teufeln kommt in insgesamt fünf der Texte in seiner konkret ausgestalteten Form vor. Als geradezu prototypisch kann die Ausführung des Widerstreits im Mirakel vom Ertrunkenen Sakristan (8) gelten.11 Die Hauptfigur, der Sakristan eines Klosters, ist des Nachts auf dem Rückweg von seiner Geliebten, kentert mit seinem Boot und ertrinkt. Der Sakristan hat noch das Ave Maria auf den Lippen, doch seine Seele wird von einer Schar Teufel ergriffen, die ihn in die Hölle ziehen wollen, „önd hans greip mikill fjölði diöfla, ok vóru giarnir at draga hana til helvítis kvala“ (MS, 76). Der anschließende Streit von Engeln und Teufeln wird bei aller Knappheit, die die Mirakel der B-Sammlung im Großen und Ganzen kennzeichnet, recht plastisch

7 AM 234 fol überliefert noch ein weiteres Marienmirakel. Dieses steht unmittelbar vor der Maríu saga, also dem Marienleben, auf das die Mirakelsammlung folgt, vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 2, 114. 8 Es handelt sich um folgende: Theophilus (1), Ertrunkener Sakristan (8), Mönch von Köln (13), Giraldus der Jakobspilger (14), Stephanus erleidet Schiffbruch (17), Habgieriger Bauer (21), Murieldis (26), Teufel in Tiergestalt (30), Schwangere Äbtissin (34), Marienbild entehrt (43), Teufel in Gestalt einer Frau (45), Türkischer Kopf (48), Heremannus contractus (49) und Romaldus (51). Titel und Nummerierung der Mirakel folgen der Konkordanz bei Kupferschmied 2017, Bd. 2. 9 Zwei Mirakel sind durch den Fehler eines Schreibers doppelt aufgenommen. C. R. Unger gibt in seiner Edition Mariu saga (im Folgenden mit „MS“ abgekürzt) den Text dieser Handschrift wieder. 10 Mirakel 13, 14, 26 und 48 besitzt AM 633 4to nicht. 11 Vgl. MS, 75–78. Dieses Mirakel kommt in der lateinischen Tradition in zahlreichen Varianten vor. Auch in der altnordischen Überlieferung finden sich verschiedene Versionen (in der B-Sammlung aber nur diese), vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 91–94.

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vor Augen geführt: Engel kommen und wollen überprüfen, ob sie der Seele helfen können. „[H]elldr drembiliga“, also „hochmütig“, „überheblich“, reagieren die Teufel: „Hvert erindi áttu þér hingat, því at þér meguð ekki yðvart mark á þessi önd finna, ok eigum vér valld á henni fyrir ill verk, þau er hann gerði“ (MS, 76). Die Teufel führen also an, dass sie rechtmäßig handeln, da sich keine guten Taten finden ließen und die Seele deshalb ihnen gehöre. Die Engel sehen sich offensichtlich außer Stande, weiter zu intervenieren. Als Maria sich einschaltet, ändert sich die Situation. Auch Maria gegenüber behaupten die Teufel zunächst, dass der Mann gestorben sei, während er schlechte Taten verübte („Því at vér fundum hana luka lífinu í vándum verkum.“ MS, 76). Maria weist sie jedoch zurecht und beschuldigt sie der Lüge („Flærðvitni beri þér […]“, MS, 77). Im Folgenden führt sie aus, dass der Sakristan gestorben sei, während er das Ave Maria sprach, seine nächtlichen Besuche im Nachhinein stets bereut und sie um Erbarmen gebeten habe. Maria schlägt vor, den Mund des Mönchs zu öffnen, und dort findet man ‒ typisches Motiv in Marienmirakeln ‒ die ersten Worte des Ave Maria auf seiner Zunge. Dies dient als Beweis für den Mariendienst des Mönchs sowie dafür, dass er zum Zeitpunkt seines Todes keineswegs in „vándum verkum“, „schlechten Taten“, befangen war. Bereits die Art, wie die Muttergottes sich an die Teufel wendet, nämlich „með röksemð“ (MS, 76), also in etwa „mit Argumenten“, „begründet“, macht deutlich, dass sie den Dämonen das Recht auf die Seele nicht prinzipiell streitig macht, sondern nur, weil sie gute Gründe dafür besitzt. Explizit erklärt sie ihr Vorgehen, nachdem man die Worte auf der Zunge des Toten gefunden hat, noch einmal. Sie habe den Mann nicht mit Gewalt von ihnen, den Teufeln, nehmen wollen, sondern mit Rechtmäßigkeit („At eigi segi þér þat, at ek vilia þenna mann með ofríki frá yðr taka helldr en fyrir rétt­ endi […]“, MS, 77). Teufel und Muttergottes stehen sich so zwar als widerstreitende Parteien gegenüber, der Anspruch der Teufel auf die Seelen sündiger Menschen wird aber von Maria und damit auch von der göttlichen Macht nicht in Frage gestellt. Die Teufel tun geradezu ihre Pflicht, bewegen sich in ihrem eigenen Aufgabenbereich, wenn sie Sünder in die Hölle bringen.12 Zu erwähnen ist, dass das sündige Verhalten des Sakristans am Anfang des Mirakels auf die Versuchung durch den Teufel zurückgeführt wird („af diöfulligri teygingu“, MS, 76). Der Teufel erscheint damit einerseits als Versucher, als derjenige, vor dem sich die Menschen in Acht nehmen müssen, um nicht vom rechten Weg abgebracht zu werden, andererseits als derjenige, der die in Sünde Gefallenen auch bestraft.

12 Siehe hierzu etwa Spreitzer 1995, 25–29, 37, 81 oder Schmidt 1926, 78  f., 119. Wie Schmidt zeigt, sind die Anlagen zu dieser Auffassung schon z.  B. bei Gregor dem Großen (Moralia in Iob, lib. II, cap. 10,17) zu finden, vgl. „Sciendum uero est quia satanae voluntas semper iniqua est sed numquam potestas iniusta, quia a semetipso uoluntatem habet sed a Domino potestatem.“ – „Aber es ist zu wissen, dass der Wille des Satans immer unangemessen ist, aber seine Macht niemals ungerecht, denn von sich selbst hat er den Willen, aber vom Herrn die Macht.“



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Rechtmäßig muss jedoch auch das Vorgehen der Teufel sein, so legt es dieses Mirakel nahe, und diese verhalten sich eben nicht nur „drembiliga“, „hochmütig“, sondern neigen offenbar dazu, vorschnell zu urteilen und absichtlich Seelen zu fordern, die ihnen nicht zustehen. Der Mariendienst des Verstorbenen wiegt, nicht nur in diesem Mirakel, jedenfalls schwerer als dessen Sünden. Das Einschreiten Mariens bildet in diesem Mirakel jedoch noch nicht den Abschluss. Die endgültige Entscheidung trifft Jesus, vor den die beiden Parteien auf den Vorschlag der Muttergottes treten. Dieser beschließt, dass die Seele des Mönchs in den Leib zurückkehren darf. Die übrigen Mirakel, die das Motiv der Auseinandersetzung zwischen Maria und Teufeln enthalten, variieren es in der einen oder anderen Weise. In Mirakel 13, Mönch von Köln (vgl. MS, 82–85), bittet zunächst Petrus (schließlich stammt der Mönch aus dem St. Peters-Kloster) bei Engeln, Aposteln und vielen weiteren um Fürsprache für den verstorbenen Mönch, der einen wenig angemessenen Lebenswandel pflegte. Der Allmächtige will sich jedoch nicht gnädig zeigen. Erst die Muttergottes kann ihren Sohn umstimmen. Bevor die Seele in den Körper zurückkehren kann, muss Petrus die Teufel einholen, die mit ihr bereits auf dem Weg zur Hölle sind. Was dann geschieht, wird bei den Rezipienten nicht nur Erleichterung, sondern Erheiterung ausgelöst haben: Petrus schlägt den Teufel, der die Seele führt, mit seinem Schlüssel („ok laust Petr með lykli, er hann hafði í hendi sér, fiándann, ok varð hann lausa at láta sálna“, MS, 84); der überrumpelte Teufel muss die Seele loslassen. Im Gegensatz zu Mirakel 8 kann hier nicht von einem auf Recht aufgebauten Schiedsspruch die Rede sein. Die Seele des Mönchs kommt frei, da Jesus seiner Mutter jede Bitte erfüllt. Warum Maria sich für den Mönch einsetzt, ist in diesem Mirakel im Grunde nicht ersichtlich. Es fehlt jeglicher Hinweis auf speziellen Mariendienst des Geistlichen. Dies mag darin begründet sein, dass das Mirakel ursprünglich ein PetrusWunder war und erst sekundär auf Maria übertragen wurde.13 Die Schwäche, die man dem Text in diesem Punkt evtl. attestieren wird, macht er zu einem gewissen Grad durch seine überlegte Dramaturgie wett ‒ drei Versuche mit immer höheren Instanzen der Fürsprache sind notwendig, um eine Umstimmung des Gottessohnes herbeizuführen. Diese Gestaltung bewirkt, dass die Muttergottes als über alle anderen Heiligen erhaben, als die mächtigste Fürsprecherin überhaupt vor Augen geführt wird. Sie kann erreichen, was keinem anderen Heiligen gelingt. Auf dieses Faktum wird gegen Ende des Mirakels noch einmal explizit hingewiesen: Denjenigen, die dieses Wunder bezweifeln, sollen bedenken, „at þeim mun meira þiggr dróttning himins ok iarðar af syni sínum, almátkum guði, konungi konunga en aðrir helgir menn, sem hon er öllum þeim helgari ok œðri […]“ (MS, 85).14 Das Auf-

13 In vergleichbaren lateinischen Fassungen unterbleibt ein Verweis auf eine Marienverehrung des von der Gottesmutter Geretteten ebenso, vgl. Dexter 1927, 21  f. und Pez, 316–319. 14 „dass die Königin des Himmels und der Erde umso mehr von ihrem Sohn erhält, dem allmächtigen Gott, dem König der Könige, als andere Heilige, da sie heiliger und erhabener als sie alle ist […].“

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treten der Teufel dient hier also vor allem dazu, diese Eigenschaft Mariens besonders deutlich hervortreten zu lassen. Besonders furchteinflößend wirkt der Erzfeind in diesem Text jedenfalls nicht (mehr), doch ginge man zu weit, würde man behaupten, er habe seinen Schrecken verloren. Dass der mit dem Schlüssel schlagende Petrus jedoch auch für das mittelalterliche Publikum etwas kurios gewirkt haben wird, legt die (heute etwas naiv klingende) Abschlussbemerkung nahe, die der Text noch bereithält: Man solle bedenken, dass „geistige Dinge nur erzählt werden könnten, wenn sie denen leiblich offenbart worden seien, deren Seelen in den Körper zurückkehren sollten“ („andliga luti má eigi segia, nema líkamliga sé þeim vitrat, er aptr skulu sálurnar hverfa til líkama“, MS, 85). Um vollends jeden Zweifel auszuschließen, erfolgt schließlich der Verweis auf Gottes Allmacht, für den zu tun nichts unmöglich ist: „guði er ekki um megn at gera“ (MS, 85).15 Wieder ein etwas anderes Bild vom Teufel zeichnet Mirakel 14, Giraldus der Jakobspilger (vgl. MS, 85–87). Wie im Mirakel vom ertrunkenen Sakristan wird das sündhafte Verhalten von Giraldus – er verbringt die Nacht vor seiner Pilgerfahrt mit seiner Geliebten – auf das Wirken des Teufels zurückgeführt. Um Giraldus vollends in seine Gewalt zu bringen, nimmt der Widersacher die Gestalt eines Menschen an und behauptet, der heilige Jakobus zu sein.16 Die Fähigkeit des Teufels zum Gestaltwechsel kommt hier zum ersten Mal in der Sammlung vor, und sie wirkt auch gleich besonders perfide, da der Erzfeind als Heiliger auftritt. Diese Täuschung ist für den Sünder Giraldus nicht zu durchschauen.17 Er tut, was der Erzfeind verlangt, schneidet sich den Körperteil ab, mit dem er gesündigt hat, und nimmt sich anschließend das Leben. Der Streit um die Seele wird zwischen den Teufeln und dem heiligen Jakobus ausgetragen, der seinen Pilger beschützen möchte.

15 Beide Bemerkungen besitzen Parallelen in den lateinischen Texten, vgl. „quia incorporalia corporeis nisi per corporalia narrari non possunt. Veruntamen Domino nihil est impossibile“ (Pez, 318  f; vgl. Dexter 1927, 22), „weil das Nicht-Leibliche den Leiblichen nur durch das Leibliche erzählt werden kann. Doch für den Herrn ist nichts unmöglich.“ 16 „Þá brá óvinrinn á sik mannz likneskiu ok gékk at Giralldo ok sýndiz biartr ok blíðligr í yfirbragði, ok sagðiz vera Jacobus postoli“, MS, 85. – „Da nahm der Feind die Gestalt eines Mannes an und ging zu Giraldus und erschien hell und mild von Aussehen und sagte, er sei der Apostel Jacobus.“ Vergleichbare lateinische Versionen berichten, der Erzfeind habe sich in einen „Lichtengel“ verwandelt, „transfigurat se in Angelum lucis“ (Pez, 319; vgl. Dexter 1927, 23) und sei Giraldus dann in der Gestalt des heiligen Jacobus erschienen. Diese im Grunde doppelte Verwandlung spart der norröne Text aus, einen Reflex des „Lichtengels“ bewahrt aber wohl der Ausdruck „biartr ok blíðligr í yfirbragði“, „hell und mild von Aussehen“. 17 Das Auftreten des Teufels in unterschiedlichen Gestalten kommt nicht nur innerhalb der Mirakelliteratur häufig vor. Sein Erscheinen als Lichtengel oder Heiliger ist öfters anzutreffen, hin und wieder nimmt er sogar die Gestalt der Jungfrau Maria an. Menschen von untadeligem, „heiligem“ Lebenswandel können derartige Täuschungen meist durchschauen und den Teufel vertreiben. Vgl. hierzu z.  B. Wagner 1995, 10b und Schmidt 1926, 73 unter Verweis auf Dialogus miraculorum III,14, V,47 und VII, 26.



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Maria fungiert in diesem Mirakel als letzte Instanz, die von den beiden Parteien um einen Schiedsspruch gebeten wird. Sie entscheidet, dass Giraldus weiterleben darf, um seine Sünden zu bereuen. Auch hier fehlt die direkte Verbindung von Giraldus zu Maria; das Mirakel war in seiner ursprünglichen Form ein Jakobus-Wunder, Maria wurde erst sekundär miteinbezogen. Sie erweist sich aber nicht nur als wichtige Fürsprecherin wie in Mirakel 13, sondern als mächtige Beschützerin und gnädige Richterin, die, so kann man interpretieren, den Betrug des Teufels an Giraldus als allzu dreistes Verhalten wertet, mit dem er seine Befugnisse überschreitet. Der Teufel erscheint hier regelrecht als Feind der Menschen, óvinr alls mannkyns, der sie nicht nur zu Fehlverhalten anstachelt, sondern sie mit Betrug und Täuschung in seine Gewalt zu bringen versucht. Zwei weitere Mirakel enthalten ebenfalls noch den Streit zwischen Maria/Engeln und Teufeln. Habgieriger Bauer (Mirakel 21) bietet wenig Neues, weswegen es hier nicht besprochen wird (vgl. MS, 104  f.). In Mirakel 45, Teufel in Gestalt einer Frau (vgl. MS, 134–136), nimmt der Erzfeind, wie im Titel ausgedrückt, das Aussehen einer Frau an und führt so einen in der Wüste lebenden Einsiedler in Versuchung, denn: „Þat öfundaði enn forni fiándi, er siá maðr lifði sva vel líf sitt“ (MS, 135). Stärker als in den bisher besprochenen Mirakeln kommt hier zum Ausdruck, dass der Teufel nicht nur aus einer Laune heraus als Täuscher und Betrüger agiert. Er begegnet hier als der forni fiandi, der alte Feind, der nicht ertragen kann, dass jemand ein gottgefälliges Leben führt. Der Topos vom Neid des Teufels, der hier zur Sprache kommt, lässt sich in mehrfacher Weise erklären. So wird der Sturz Lucifers u.  a. darauf zurückgeführt, dass er sich weigerte, den Menschen als Ebenbild Gottes zu verehren. Er hasst die Menschen, da er sie für den Verlust seiner Stellung verantwortlich macht, ebenso neidet er ihnen ihre Gottesnähe, ihre prinzipielle Erlösbarkeit und Versöhnbarkeit mit Gott, welche ihm selbst kaum zuteilwerden kann (siehe hierzu z.  B. Schmidt 1926, 42–47, 78; Spreitzer 1995, 30–36; Bodendorfer 2000, Sp. 1361  f.; Mahal 2010, 503). Im Mirakel hat der Teufel Erfolg mit seiner List. Der Eremit bricht sein Keuschheitsgelübde, erkennt jedoch sofort danach, dass er von einem Succubus getäuscht wurde – anstelle der Frau sieht er nun den Teufel. Anders als in den übrigen Mirakeln wollen die Dämonen den Überlisteten gleich, quasi mit Leib und Seele, ergreifen, werden aber von Maria daran gehindert. Sie erklärt, die Teufel hätten ihn mit List und Betrug zu der Sünde verleitet, und verweist zusätzlich darauf, dass der Eremit die Frau aus Barmherzigkeit eingelassen habe. Einmal mehr klingt Kritik Mariens am allzu hinterhältigen Verhalten des Widersachers an. Eines echten Schiedsspruches bedarf es nicht, die Teufel verlassen auf Gebot Mariens den Ort. In Mirakel 30, Teufel in Tiergestalt, begegnet der Kampf zwischen Maria und Teufel um die Seele eines Verstorbenen nicht, es kommt aber in anderer Weise zur direkten Konfrontation beider Parteien (vgl. MS, 115–117). Maria muss einen ihr treu ergebenen Mönch, der mit Freunden zu lange gefeiert und getrunken hat – auch dies wiederum ausgelöst durch das Wirken des Teufels –, mehrfach gegen den Teufel verteidigen. Die Gefahr für den Mönch ist hier direkt physischer Natur: Er sieht sich auf dem Weg in

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die Kirche, in der er schlafen will, wie es seiner Aufgabe entspricht, vom Widersacher in Gestalt eines Stieres, eines Hundes und schließlich eines Löwen bedroht. Jedes Mal erscheint Maria und schützt ihn, schließlich bringt sie selbst ihren Diener zu Bett, nicht ohne ihn zu ermahnen, am nächsten Morgen seinen Beichtvater aufzusuchen. Die Tiererscheinungen wirken aus nüchterner, moderner Perspektive wie die Sinnestäuschungen eines nicht mehr vollständig Nüchternen. Der Abschluss, oder viel eher die zweite Hälfte des Mirakels – die Szene, in der Maria den Mönch zu Bett geleitet, ist äußerst ausführlich gestaltet –, lässt sich geradezu als Wunschvorstellung eines eifrigen Marienverehrers interpretieren. Aus mittelalterlicher Sicht aber (und lange bis in die Neuzeit) lag das Auftreten des Teufels in diversen Wesensformen nicht nur im Bereich des Möglichen, sondern des Erwartbaren.18 Die hier vorkommenden Tiere stellen jedenfalls übliche Erscheinungsformen des Widersachers dar.19

Magie und Teufelspakt Drei Mirakel, die den Teufel einbeziehen, überschreiten die bislang vorgefundenen Strukturen und besitzen etwas anderen Charakter als die bisher besprochenen Texte. Das Geschehen ist nicht nur wundersam, sondern erhält durch Magie und Teufelsbeschwörungen zumindest an bestimmten Passagen ein stellenweise düsteres, unheimliches Gepräge. In „Tyrkland“ spielt Mirakel 48, das den Titel Türkischer Kopf trägt (vgl. MS, 140–143). Der König des genannten Landes besitzt eine Tochter, die er seinem besten Gefolgsmann nicht zur Frau geben will. Als sie stirbt, vergeht sich der Mann an deren Leichnam. Wenig später findet man in dem Grab „den Kopf eines lebenden Menschen“ („höfuð lifanda mannz“, MS, 141). Alle sterben, die den Kopf betrachten. Der König macht sich diese „Fähigkeit“ des Kopfes zu Nutze und eignet sich, „studdr diöfuls fulltingi“ (MS, 141), also mit dem Beistand des Teufels, die Länder seiner Feinde an. Deutlicher wird die unheimliche Macht des Kopfes an anderer Stelle auf den Teufel bezogen, wenn es heißt, dass der Teufel die Siege „gaf í höfði þessu“ (MS, 141), die Siege also quasi in den Kopf „hineinlegte“ und durch ihn verlieh. Besiegt wird der König mit seinem „Teufelsheer“ („diöfuls her“ MS, 142) von der (christlichen) Bevölkerung Konstantinopels, die ein Marienbildnis auf die Stadtmauer trägt, um durch die Muttergottes und ihren Sohn von dem „eitrfulla ásiánu deyðanda diöfuls“ (MS, 142), vom „giftvollen Angesicht des tötenden Teufels“, befreit zu werden. – An dieser

18 Siehe zur Allgegenwärtigkeit des Teufels z.  B. Dinzelbacher 1988; Bernt 1997, Sp. 586. 19 Vgl. z.  B. Ott 1997, Sp. 584; Restle 1997, Sp. 585; Bernt 1997, Sp. 586; Riegler 1936/37, Sp. 834  f. Siehe zum Vergleich die Erscheinungsformen des Teufels bei Caesarius von Heisterbach zusammengefasst von Wagner 1995, 11a, ausführlicher bei Schmidt 1926, 50–63. Vgl. für die Ikonographie Gerlach 1970, Sp. 334–336 (Hund); Bloch 1971, Sp. 115  f. (Löwe).



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letzten Stelle wird der Kopf also mit dem des Teufels gleichgesetzt. Die Anleihen bei antiken Mythen (dem Kopf der Medusa) sind kaum zu übersehen, deutlich wird aber die Umdeutung der Vorstellung vom todbringenden Kopf eines Ungeheuers im Sinne der interpretatio christiana: Er muss vom Teufel selbst stammen oder wenigstens von ihm seine unheilvolle Wirkung beziehen. Mirakel 1, Theophilus (vgl. MS, 65–69), behandelt einen Stoff, der schon früh bekannt und lange überliefert und bearbeitet wurde (vgl. etwa Weber 1966, 7–24; Günter 1910, 87). Das darin vorkommende Teufelsbündner-Motiv war natürlich besonders gut dazu geeignet, die Muttergottes als mächtige Beschützerin in aussichtslosen Situationen vor Augen zu führen, auch nach „dieser ärgsten Verfehlung“, die der „Dienstvertrag mit dem Teufel“ (Weber 1966, 22) darstellt. Die altnordische Variante der B-Sammlung versammelt die wesentlichen Elemente, die man für diese Erzählung kennt: Der Priester Theophilus lehnt es ab, Bischof zu werden, bereut dies aber, nachdem er seine Stellung verloren hat. Er bittet einen zauberkundigen Juden um Hilfe. Dieser vermittelt den Pakt mit dem Teufel, der mit einem Brief besiegelt wird, in dem Theophilus Gott und Maria (und allen Heiligen) abschwört. Theophilus kommt wieder zu Ehren, beginnt aber um sein Seelenheil zu fürchten. Mit Hilfe Mariens wird der Pakt rückgängig gemacht. Das Verhalten Theophilusʼ wird sehr klar auf die Ränke des Teufels zurückgeführt. Man sieht den Erzfeind geradezu auf der Lauer liegen, um den Geistlichen zur Fall zu bringen: „En er enn forni fiándi, sá er fyrir slœgðar sakir kallaz enn skœðazti höggormr fullr af eitri illzkunnar hafði lengi öfundat milldiverk þessa mannz ok sat um þat með sinni slœgð, ef hann mætti nökkut skeyti skaðsamligt senda sinnar illzku til andar Theophilo ok fyrirfara hans gœzku“ (MS, 66).20 Ein besonderes Epitheton wird hier verwendet und zugleich erklärt: Aufgrund seines betrügerischen Wesens werde der Teufel auch „skœðazti höggormr fullr af eitri illzkunnar“ („die schädlichste Schlange voller Gift der Schlechtigkeit“) genannt. Einmal mehr wird der Neid des Teufels als Ursache für sein Agieren ausgemacht. Unmittelbar im Anschluss wird der Einfluss des Teufels auf Theophilus noch einmal deutlich hervorgehoben: Als das Ansehen und das Vermögen des Geistlichen praktisch verschwunden sind, beginnt Theophilus, sich selbst zu bemitleiden, „durch die Anstachelung und die Versuchung des Teufels“ („þá tók hann af fiándans áeggian ok freistni at harma siálfan sik“, MS, 66). In einiger Ausführlichkeit wird geschildert, was Theophilus auf der Lichtung im Wald, zu der ihn der Jude nachts führt, zu Gesicht bekommt: Ein Häuptling sitzt auf einem hohen Stuhl, mit einer Krone auf dem Kopf und in königlichem Gewand. Um

20 „Aber als der alte Feind, der wegen seiner List die gefährlichste Schlange voller Gift der Bosheit genannt wird, lange die barmherzigen Werke dieses Mannes beneidet hatte und mit seiner List darauf lauerte, ob er irgendeine schädliche Botschaft seiner Bosheit zu Theophilus schicken und dessen Lauterkeit verderben könne […].“

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ihn herum sieht Theophilus ein Heer unzähliger unreiner Geister, die allerdings das Aussehen von königlichen Rittern haben und von denen einige Kerzen halten („sá Theophilus þar sitia höfðingia þess fólks á háfum stóli í konungs skrúði, ok hafði kórónu á höfði. Þar stóð alla vega hiá stólinum ótalligr herr illgiarnra anda, ok svá búnir sem konungs riddarar, en sumir hélldu kertum“, MS, 66  f.). So deutlich wie in der gesamten Sammlung sonst nie tritt der Teufel hier als Herrscher in Erscheinung, dem auch die Insignien der Macht zu eigen sind, ebenso wie er über ein Gefolge verfügt, das ihm dient. Die Interaktion zwischen Teufel und Theophilus findet vermittelt durch den Juden statt, bis Theophilus den Brief geschrieben hat, in dem er Gott und Maria verleugnet. Nachdem er das Schriftstück versiegelt hat, übergibt er es dem Teufel und küsst diesen auf sein Knie. So anschaulich der Teufel und der Teufelspakt auch beschrieben werden, danach tritt der Widersacher nicht mehr direkt auf. Maria erscheint in diesem Text erst, nachdem Theophilus sie um Beistand gebeten hat. Zu einer direkten Konfrontation Mariens mit dem Teufel kommt es nicht. Im Austausch miteinander müssen beide Seiten dennoch gestanden haben, denn Maria bringt Theophilus das fatale Schriftstück schließlich zurück. Selbst bei diesem ultimativen Vergehen kann die Muttergottes Versöhnung mit Gott bewirken, sofern der Sünder  – und dies tut Theophilus – Reue zeigt. Bei aller Ernsthaftigkeit zeigt der Text gegen Ende doch beinahe humoristische Züge. Die Gottesmutter erscheint ganz menschlich verärgert und tadelt Theophilus, bevor sie ihn ihrer Hilfe versichert. Geradezu dreist wirkt Theophilus, der Maria, nachdem sie ihm abermals erscheint, um seine Versöhnung mit Gott kundzutun, auch noch um die Aushändigung des Schriftstückes bittet, gerade so, als sei das Wort Mariens nicht genug und als wolle er auf Nummer sicher gehen, dass er nach seinem Tod nicht doch noch dem mit dem Dokument ausgestatteten Teufel gegenüberstehen werde. Mirakel 51, Romaldus (vgl. MS, 146–152), handelt von magischen Handlungen zur Teufelsbeschwörung und der Anbetung eines heidnischen Götzen: Der äußerst siegreiche Herzog Romaldus hat offenbar einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, dessen Zustandekommen jedoch, anders als in Theophilus, nicht thematisiert wird. Romaldus beschwört den Teufel, um Schlachtenheil zu erwirken, und begibt sich dazu nachts in den Wald. Dort breitet er die blutige Haut eines Ochsen aus, ritzt mit der Schwertspitze neun „Felder“ („reita“) um die Haut und „weiht“ („magnar“) sie mit „teuflischem Zauber“ („diöfuligum gölldrum“, MS, 148). Das Ritual erinnert entfernt an den Bannkreis, der z.  B. in mehreren Mirakeln bei Caesarius von Heisterbach erwähnt wird: Der Teufel kann den Kreis, der mit einem scharfen Gegenstand gezogen wird, nicht betreten und dem darin Verharrenden nicht schaden (vgl. Schmidt 1926, 113; Dialogus miraculorum V,2, V,3, V,4). Die Beschreibung des Rituals wird nicht direkt vom Erzähler des Mirakels wiedergegeben – mit ihr setzt der Text auch nicht ein –, sondern vom Priester Barbatus, also vermittelt durch einen Diener der Kirche. Dieser wird vom inzwischen nicht mehr siegreichen Romaldus um Hilfe gebeten.



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Diese Brechung nimmt dem magischen Ritual etwas von seinem Schrecken, „zähmt“ es gleichsam. Zudem kann Barbatus, indem er zeigt, dass er von dem Fehlverhalten des Herzogs weiß, ohne der Beschwörung jemals beigewohnt zu haben, seine Überlegenheit und die seines Gottes beweisen. Dass der Teufel den Herzog anscheinend im Stich lässt oder sich, alternativ gedeutet, als zu schwach erweist, vermittelt zudem die Botschaft, dass auf ihn kein Verlass ist. Im weiteren Verlauf wird Romaldus von Barbatus davon überzeugt, sich wieder Gott zuzuwenden. Mit einem Schriftstück „besiegelt“ Romaldus nicht den Teufelspakt wie Theophilus, sondern seinen vorerst wieder gewonnenen christlichen Glauben und damit seine Abkehr vom Teufel. Was mit dem Schriftstück geschieht, nachdem es Maria und anderen Heiligen gezeigt worden ist, kommt nicht zur Sprache, dient aber zumindest in diesem Augenblick als Nachweis der Reue und Buße Romaldusʼ. Weder Buße noch Schriftstück haben einen langfristigen Effekt: Romaldus kann seine Feinde zwar besiegen, wendet sich aber dennoch erneut vom christlichen Glauben ab. In Abwesenheit von Romaldus führt Barbatus, der inzwischen Bischof ist, dessen Frau in ein Haus, wo eine goldene Schlange („höggormr“, „dreki“, MS, 150  f.) auf einem schönen gestalteten Sitz liegt. Barbatus nimmt die Schlange an sich und lässt einen Kelch daraus fertigen. Diesen zeigt er Romaldus und erklärt, woraus der Kelch hergestellt wurde. Romaldus erschrickt, bekennt seine Sünden und wird Mönch. Warum Romaldus sich wieder vom christlichen Glauben abwendet und einen Götzen anbetet, erfährt man nicht. Eindrücklich ist die Schilderung der goldenen Schlange dennoch.  Dass in der Erzählung über Romaldus eigentlich heidnische Bräuche und die Bekehrung eines Heiden zugrunde liegen, deutet sich im Ritual mit der Ochsenhaut an, wird aber im Motiv des Götzen offenbar. Sowohl heidnische Praktiken als auch Götzendienst werden nach der interpretatio christiana mit dem Teufel in Verbindung gebracht und in diesem Mirakel in diesem Sinn umgedeutet.21 Erzähltechnisch bewirkt der (erneute) Abfall Romaldusʼ vom Glauben sowohl eine Verzögerung als auch eine Steigerung: Barbatus wird in der Zwischenzeit auf Anraten der Muttergottes zum Bischof geweiht; er erhält größeren Einfluss und wohl auch größere Einsicht in das Tun des Herzogs. Der Text erzählt also ebenso wie vom wankelmütigen Herzog von einem mit höchster göttlicher Gnade ausgezeichneten Priester – er ist derjenige, dem in diesem Text die eigentlichen Marienwunder zuteilwerden. Anzusprechen ist noch der im ersten Eindruck eigenartige und fast unnötig grausam erscheinende Fluch, mit dem Barbatus einen Gefolgsmann des Herzogs belegt. Dieser will Romaldus davon überzeugen, seine Frau habe dem Priester den Götzen gezeigt und ihn damit verraten. Barbatus entgegnet, der Teufel gebe ihm ein,

21 Die Erzählung besitzt einen historischen Hintergrund: Der heilige Barbatus war von 663 bis 682 Bischof von Benevent und bekehrte vermutlich tatsächlich den langobardischen Herzogs Romualdus, vgl. Paulus Diaconus und die übrigen Geschichtsschreiber der Langobarden, 248–250. Wie sich der Transformationsprozess hin zum Mirakelstoff genau vollzog, kann hier nicht untersucht werden.

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die Frau des Herzogs zu verleumden: „öfundarfullr ok illgiarn andi mælir fyrir munn þér, at þú skylir hrinda hertoga várum í glatan með þér ok þola eigi, at hann snúiz til guðs. Ok fyrir þat skaltu nú vera selldr í hendr diöflinum, ok kveli hann holld þitt, at öndin sé hólpin, ok nökkurr maðr or þinni ætt skal þvílíkum dauða deyia iafnan“ (MS, 152).22 Die Verwünschung, die Barbatus ausspricht, erstreckt sich also nicht nur auf den Gefolgsmann Romaldusʼ: Nicht nur er soll in der Hölle Strafe erleiden, sondern ebenso jeweils eine Person aus den folgenden Generationen seiner Familie. Vielleicht, so könnte man wegen dieser massiven Reaktion Barbatusʼ annehmen, ist der Glaubensabfall Romaldusʼ ebenfalls auf die Einflüsterungen des Mannes zurückzuführen. Nur um wenig gemildert werden die drastischen Worte dadurch, dass die Peinigung durch den Teufel hier dazu dient, um die Seele des Mannes doch noch zu retten; der „Fluch“ wird dem Diener letztlich zum Seelenheil gereichen. Das Mirakel schließt damit, dass Romaldusʼ erneute Umkehr nochmals schriftlich besiegelt wird, diesmal allerdings in wesentlich wertvollerem Material, nämlich in dem aus dem Götzen gefertigten goldenen Kelch. Auch wenn das Motiv der schriftlich festgehaltenen Zuwendung zu Gott bei seinem ersten Vorkommen wenig ausgeformt erscheint, erhält es auf diese Weise eine Wiederaufnahme und eine Steigerung.

Resümee: Der Teufel, eine omnipräsente Figur in den Marienmirakeln? Der Teufel begegnet in den Mirakeln der B-Sammlung in allen wesentlichen bekannten Formen und Funktionen: Im Streit mit Maria um die Seele eines Menschen, als Versucher, der auf der Lauer liegt, um Menschen ins Verderben zu reißen und vor dem es sich zu hüten gilt, genauso aber auch als rechtmäßiger Peiniger der Sünder. Er kann dabei verschiedene Gestalten annehmen und allein oder mit einer Vielzahl Helfer handeln. Der Streit von Maria und/oder Engeln mit dem Teufel wird in mehreren Mirakeln der B-Sammlung in jeweils etwas unterschiedlicher Weise ausgeführt. Die von Ebel proklamierte „Prozessform“ ist damit in ihrer expliziten Weise in einer gewissen Varianz vorhanden. Dies zeugt nicht zuletzt von ihrer guten Eignung, ein Mirakel zu beschließen und den Gläubigen vor Augen zu führen, mit welcher Autorität Maria für deren Belange einzutreten vermag. Am facettenreichsten sind die Vorstellungen und Funktionen des Teufels, die in Romaldus (Mirakel 51) aufscheinen: Er wird durch magische/heidnische Praktiken

22 „Der neidische und boshafte Teufel legt dir diese Worte in den Mund, dass du unseren Herzog mit dir ins Verderben reißen und nicht ertragen willst, dass er sich Gott zuwendet. Und dafür sollst du nun dem Teufel ausgeliefert werden, und er möge dein Fleisch quälen, so dass deine Seele gerettet werde, und aus deinem Geschlecht soll fortan immer irgendein Mann einen solchen Tod sterben.“



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beschworen und im Götzenbild angebetet; er verleiht dem Herzog Sieg und Reichtum; er ist der böse Feind, der dem Gefolgsmann Worte eingibt und ihn dadurch zu Fall bringt. Gleichzeitig ist er auch die Instanz, die rechtmäßig und von Gott geduldet Qualen auferlegt, um die Seele in beinahe paradoxer Weise von den Sünden zu reinigen, zu denen er vorher selbst verführt hat.23 Anders ausgedrückt vermag der Teufel sowohl, einen Menschen ins Verderben zu reißen, als auch, ihn durch die Qualen, denen er ihn aussetzt, wieder zu befreien, sofern dessen böse Taten nicht als zu schwerwiegend bewertet werden. In vielen der vierzehn Mirakel der B-Sammlung, in denen der Teufel erwähnt wird, wird das Wirken des Teufels als Auslöser für das sündige Verhalten der Protagonisten genannt.24 Damit scheint nicht nur das Konzept vom Teufel als Versucher auf, vor dessen Fallstricken man sich überall zu hüten hat, sondern auch die Möglichkeit, die Verantwortlichkeit für Fehlverhalten auf eine Instanz außerhalb der eigenen Persönlichkeit zu projizieren. Statt eine psychologische Motivierung schlechter Taten und Gedanken in Betracht zu ziehen, wird der Teufel als Verursacher bemüht (vgl. Bernt 1997, Sp. 586). Hier einen Automatismus zu vermuten, ginge allerdings zu weit; der Konnex zwischen Wirken des Teufels und Fehlverhalten des Protagonisten wird durchaus nicht in allen Mirakeln, in denen dies potentiell möglich wäre, hergestellt.25 Dort, wo es geschieht, sind vor allem Angehörige des geistlichen Standes, Priester, Mönche, Nonnen oder Eremiten, involviert. Dies lässt sich evtl. als größere Bereitwilligkeit deuten, das Fehlverhalten von Geistlichen auf Täuschungen und Verführungen durch den Teufel zurückzuführen und damit gleichsam zu entschuldigen. Dieses Erklärungsmuster bedeutet dennoch nicht die Entbindung des Protagonisten von jedweder Verantwortung. Zudem sind gewisse Differenzierungen in der Bewertung der Vergehen erkennbar, selbst wenn der Teufel als Anstifter benannt wird: Die schwangere Äbtissin (Mirakel 34) etwa ist sicherlich Angst und Gewissensqualen ausgesetzt, bekommt es aber weder mit Teufeln noch Dämonen zu tun und wird auch sonst nicht bestraft. Das ebenso auf teuflische Anstiftung zurückgeführte Fehlverhalten des Heremannus in Heremannus contractus (Mirakel 49)  – er verführt als Lehrmeister zahlreiche Nonnen – wird offenbar als wesentlich gravierender empfunden. Entspre-

23 Spreitzer (1995, 81) sieht den Teufel als „Agenten dieser Instanzen [= Gottes und der Tugendhelden, I.K.]“, „der als Sprachrohr christlicher Moral herhält und seinen infamen und blutigen Geschäften als göttlich sanktionierter Straf- und Scharfrichter nachgeht“. Sie bezeichnet ihn schließlich sogar als „ambige Personifikation des Bösen und Guten zugleich“. 24 In Theophilus (1), Ertrunkener Sakristan (8), Giraldus der Jakobspilger (14), Teufel in Tiergestalt (30), Schwangere Äbtissin (34) und Heremannus contractus (49) wird das sündige Verhalten der Protagonisten auf den Teufel zurückgeführt. In Stephanus erleidet Schiffbruch (17) wird der Teufel ebenfalls als Auslöser von Versuchungen bezeichnet, Stephanus fällt aber nicht in Sünde. 25 Möglichkeit dazu bestände z.  B. noch in Ebbo der Dieb (12), Zwei Brüder in Rom (20), Drei Ritter (23) oder auch Totem Kleriker wächst Lilie aus dem Mund (50).

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chend streng wird er bestraft. Die strafende Instanz ist dabei wohl nicht der Teufel, es sei denn, man möchte den Bären, der Heremannus schwer verletzt, als weitere von dessen Epiphanien betrachten.26 Diese Deutung wird im Text aber nicht ausgesprochen. Der Bär handelt offensichtlich im Auftrag der göttlichen Macht, ist ihr also dienstbar. Maria selbst tritt zusätzlich als Strafende auf: Nach Aussage einiger Leute erscheinen drei Frauen, von denen eine (Maria) den anderen die Anweisung gibt, Heremannus mit Stöcken zu schlagen. Später erscheint sie erneut, im Text nun als Mutter der Barmherzigkeit („móðir miskunnar“, MS, 144) bezeichnet, und heilt ihn. Spuren der Verletzung sind jedoch an seinem Körper für immer zu sehen (daher auch der Beiname „contractus“). Wie anfangs angesprochen, handelt es sich bei den altnordischen Marienmirakeln im überwiegenden Fall um aus dem Lateinischen übersetzte Texte. Es ist davon auszugehen, dass auch die Mirakel der B-Sammlung größtenteils auf lateinische Vorlagen zurückzuführen sind.27 Ebenso ist davon auszugehen, dass es sich um relativ genaue Übersetzungen handelt, der Übersetzer also keine großen inhaltlichen Veränderungen gegenüber der Quelle vorgenommen hat.28 Das Auftreten des Teufels in den einzelnen Mirakeln der B-Sammlung wird daher vermutlich im Wesentlichen mit dem in den Ausgangstexten übereinstimmen und keine norröne Neugestaltung darstellen. Auf der Ebene der Sammlung allerdings könnte eine eigenständige Art der Zusammenstellung vorliegen. Es gibt keine lateinische Sammlung, die auch nur einem der Vertreter der B-Sammlung genau entspricht. Wo genau die B-Sammlung ihre Wurzeln hat und wie sie in der ursprünglichen (lateinischen?) Fassung ausgesehen hat, bleibt unklar (wenn man überhaupt von einer „Urfassung“ ausgehen möchte). Widding (1996, 11  f.) ist einerseits darin zuzustimmen, dass bestimmte Mirakel weniger gut in die Sammlung zu passen scheinen. Hierzu zählt er u.  a. Türkischer Kopf (Mirakel 48), Heremannus contractus (Mirakel 49) und Romaldus (Mirakel 51). Andererseits entstanden auch lateinische Sammlungen aus kleineren „Keimzellen“ und unterlagen ständiger Veränderung und/oder Erweiterung.29 Wann genau die weniger konform wirkenden Mirakel der Sammlung einverleibt wurden, lässt sich daher kaum eruieren.

26 Den Teufel als Bären erwähnt z.  B. auch Ott 1997, Sp. 584, in ikonographischer Hinsicht WehrhahnStauch 1968, Sp. 242  f. 27 Ausnahmen bilden lediglich die letzten drei Mirakel in AM 234 fol, die isländischen Ursprungs sind. 28 Vgl. zu ausgewählten Mirakeln der B-Sammlung im Verhältnis zu lateinischen Paralleltexten Kupferschmied 2017, Bd. 1, 208–277; siehe auch Widding 1996, 5–13. 29 Die Beziehungen zwischen den einzelnen Handschriften, die Marienmirakelsammlungen enthalten, sind nicht nur im norrönen Bereich, sondern auch in der lateinischen Tradition sehr unübersichtlich. Auch bei den lateinischen Handschriften stimmt praktisch keine mit einer anderen überein, so dass von einem fortwährenden Veränderungsprozess ausgegangen werden muss. Grundlegend für die Erfassung v.  a. der lateinischen Sammlungen sind die Studien von Adolph Mussafia 1886, 1888, 1889, 1891, 1898.



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Theophilus (Mirakel 1), ein Text, der u.  a. wegen seiner Länge ebenfalls ein wenig aus dem Rahmen der B-Sammlung fällt, eröffnet wohl nicht zufällig die Sammlung in zwei der drei vollständigen Vertreter, AM 232 fol und AM 234 fol, ebenso auch im ältesten Fragment.30 Für dessen Anfangsstellung bescheinigt Widding (1996, 6) eine gewisse Tradition. Romaldus (Mirakel 51) hingegen bildet den Abschluss in AM 232 fol und zwei weiteren Fragmenten.31 – In AM 234 fol folgen nach 51 noch fünf Mirakel, die sicher als spätere Ergänzungen aufzufassen sind (vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 212  f.). – Wann auch immer Romaldus in die Sammlung aufgenommen wurde, in den bestehenden Zeugnissen der B-Sammlung zeichnet sich für die Endstellung dieses Textes also eine gewisse Tradition ab.32 Dies ist durchaus bemerkenswert, da dieses Mirakel in lateinischen Handschriften nach bisherigen Erkenntnissen so gut wie keine Rolle spielt (ebenso wenig wie auch Türkischer Kopf, Mirakel 48). Die Sammlung mit Theophilus und Romaldus, und damit mit Teufelspakt und -beschwörung zu beginnen resp. zu beenden, lässt sich also durchaus als Eigenheit der B-Sammlung auffassen und bildet möglicherweise eine norröne Entwicklung. Durch die exponierte Stellung dieser beiden recht speziellen Mirakel wird dem Teufel in der Sammlung natürlich Aufmerksamkeit zuteil. Es lässt sich dennoch nicht konstatieren, dass die Marienmirakel nicht auch ohne ihn auskämen oder generell nur über das stete Aufeinandertreffen von guten und bösen Kräften funktionierten. An sich darf die Rolle, die der Teufel in der B-Sammlung spielt, nicht überbewertet werden: Wenn von 56 (in AM 234 fol) bzw. 50 Mirakeln (in AM 232 fol) 14 den Widersacher erwähnen, stellt dies keinen besonders hohen Anteil an der Gesamtzahl der Erzählungen dar.33 Wenn der Teufel darüber hinaus in einigen der Mirakel eben lediglich als Verursacher sündigen Verhaltens genannt wird (Schwangere Äbtissin, Mirakel 34, Heremannus contractus, Mirakel 49), als Auslöser einer Art Besessenheit in Murieldis (Mirakel 26) oder als strafende Instanz, die einen Juden, der ein Marien­ bild beschmutzt (Marienbild entehrt, Mirakel 43), mit sich in die Hölle reißt, zeugt dies zwar generell vom bestehenden Bewusstsein, dass der Erzfeind für derlei Dinge

30 Es handelt sich um NRA 78, vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 223–227. 31 Es handelt sich um AM 240 XI fol und AM 656 I 4to, vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 214–223. 32 Handschrift AM 633 4to setzt diesen Text unmittelbar vor Theophilus und stellt damit die beiden thematisch durch das Teufelsbündner-/Teufelspakt-Motiv verwandten Texte zusammen. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass die Vorlage von AM 633 4to auf eine Sammlung zurückgeht, die der von AM 232 fol ähnlich gewesen ist, also deren Reihenfolge aufgewiesen hat (vgl. Kupferschmied 2017, Bd. 1, 211  f.). 33 In Handschrift AM 633 4to kommt der Teufel in einem Drittel der Mirakel vor (in 10 von 30). Seine Präsenz ist damit etwas auffälliger. Zugleich fehlen aber auch einige Mirakel, in denen er in relativ markanter Weise vor Augen tritt: Mönch von Köln und Giraldus der Jakobspilger, in denen der Streit Mariens mit dem Teufel vorkommt, oder auch die relativ spezielle Erzählung vom Türkischen Kopf sind ausgelassen, darüber hinaus noch Marienbild entehrt.

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verantwortlich gemacht werden kann. Diese Erwähnungen bleiben jedoch mehr oder weniger toposartig. Sie rufen das Bild vom Teufel auf, lassen es aber nicht besonders eindrücklich werden. Die Mirakel, in denen er als handelnde Figur auftritt, sind hingegen durchaus dazu angetan, Eindruck zu hinterlassen, und es ist nicht unangemessen, anzunehmen, dass diese Erzählungen den Rezipienten besonders gut im Gedächtnis blieben. Der Schrecken, den er auslöst und die Macht, die Maria im Widerstreit mit ihm demonstrieren kann, wird stärker gewirkt haben als manch andere Begebenheit aus den Mirakelerzählungen. Der Teufel ist in der B-Sammlung damit als wichtige Figur „anwesend“, allgegenwärtig ist er jedoch nicht.

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Die Fiktion der Eindeutigkeit – Planung und Zufall in der Óláfs saga helga Wenn einer tut, was er will, indem er kann, was er will, so ergibt das keine Geschichte, die wir als passierte Geschichte erzählen würden. (Lübbe 1978, 237)

Abstract: Twelfth-century Europe witnessed a fundamental shift in human understanding of the world: the natural conditions of historical development became intelligible through human inquiry. At about the same time, the intensified reception of Aristotelian writings incited heated theological debate about the contingent state of God’s creation. The Europe-wide emergence of literature at that time is hardly a coincidence. Neither is it far-fetched to assume that the experience of social and political disruption in thirteenth-century Iceland aroused the feeling that things could easily be otherwise. It is against this background that the present paper introduces a case study about Óláfs saga helga. It argues for a concept of historical development in Heimskringla which builds upon random occurences in close relation to human planning. The argument aims at increasing our insight into narratological traits of Old Icelandic historiography and at deepening our understanding of intellectual attitudes in thirteenth-century Iceland.

Eine literarische Gesellschaft – Vorbemerkung „Daß jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken. Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen, und jetzt wird er gar noch Pöbel“  – Zarathustras Kommentar zum „Lesen und Schrei­ben“ wurde als Abgesang auf das Verhältnis von Dichter, Erzähler und Publikum gewertet, als Irritation narratologischer Ordnungskategorien. In ihm wird indes zugleich eine fundamentale Eigenart von Erzählung greifbar: ihre Macht über den menschlichen Geist, ihr suggestiver Charakter, der unwiderruflich das mensch­ liche Glauben und Denken formt. Anders gesagt: Literatur, im Sinne verschriftlichter Erzählung, ist Kommunikationsakt, „a catalyst for critical thinking, for exercising our brain, for imagining alternative models of human existence, and for reflecting on the fundamental discrepancies in our lives“ (Classen 2016, 5). Doch gehört es zu den „Spielregeln der Schriftkultur, daß die Absender ihre wirklichen Empfänger nicht

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vorhersehen können. […] Die Schrift lanciert eine Verführung in die Ferne“ – eine literarische Gesellschaft würde gründen im „Traum von der schicksalhaften Solidarität derer, die dazu auserwählt sind, lesen zu können“ (Sloterdijk 2014, 8  ff.). Konstituiert Erzählung Gesellschaft, dann etabliert sich die Kontrolle von Textkultur als Moment politischer Machtausübung und fördert eine elitäre „Sekten- oder Club-Phantasie“ (ibid., 10). Und wie immer in exklusiven Kreisen geht es  – im Sinne eines intellektuellen Stolzes und stolzen Intellekts  – auch darum, sich gegenüber anderen Mitgliedern auszuzeichnen: „As a given text introduced ever-more-subtle innovations to its version of the story, the fewer and more select would be the number of those who could recognise these shifts and understand their import“ (Lincoln 2014, 4). Der Geist, der einst im Gottesglauben verankert war, so könnten wir Zarathustra von hier aus auch verstehen, wurde im Akt des Dichtens und des Rezipierens des Erdichteten menschlich – aber man wird ihn keinesfalls jedem Zeitgenossen zugestehen wollen. Diese Überlegung gewinnt für den vorliegenden Beitrag an Relevanz, bedenkt man, dass das mittelalterliche Island keine Hierarchie kannte, die den Strukturen des Kontinents unmittelbar vergleichbar gewesen wäre. Von einer egalitären Gesellschaft wird man nicht sprechen dürfen. Wohl aber deuten die Zahl erhaltener Manuskripte und das Spektrum an Texten an, dass in dieser kleinen Bevölkerung literarische Produktion in besonderem Maße gesellschaftlich verankert und politisch bedeutsam war (vgl. Heizmann 2012). Wird das 12. Jahrhundert als intellektuelle Umbruchszeit anerkannt – „the twelfth century desacrilizes nature, proclaiming both the intelligibility of the natural world and the efficacy of human inquiry“ (Gross 2005, 90)  –,1 dann kann man den nordeuropäischen Raum angesichts dokumentierter Kontakte mit dem Kontinent nicht ausklammern. Rudolf Simek betonte vielmehr „the very high standard of Icelandic natural science by the end of the twelfth century and the first half of the thirteenth century, which knew nearly all the continental scholars of any stature“ (Krebs/Simek 1991, 304). Unlängst bemerkte auch Gunnar Harðarson, die isländische Gelehrtenkultur sei bereits im 12. Jahrhundert geprägt gewesen durch „a class of intellectuals whose education could find expression equally in religious and secular matters, in liturgy as well as in the court of law, in the saint’s hagiography as well as the king’s saga“ (Gunnar Harðarson 2016, 39). Altisländische Annalen verzeichnen ab jener Zeit nicht zufällig einen intensivierten Austausch mit kontinentalen Zentren, in denen die Idee der Universität Gestalt annahm (vgl. Johnsen 1951) (vgl. Johnsen 1951; Bagge 1984). Das Schlagwort ‚Kulturkontakt‘ hat unter den Bedingungen des frühen 21. Jahrhunderts Konjunktur. Nicht zuletzt das gepflegte Desinteresse an einem grundlegenden Austausch zwischen Altnordistik und Altgermanistik (vgl. van Nahl 2013b) scheint aber befördert zu haben, dass die nordeuropäische schriftliterarische Überlieferung befremdlich oft zu einem Sondergut stilisiert wird. Das betrifft auch den

1 Für einen ersten Überblick zur vielschichtigen Debatte vgl. Flasch 2013, 210–418.



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Einfluss kontinentaler philosophisch-theologischer Diskurse. Nach Anthony Faulkes’ Absage an die Kenntnis aristotelischer Konzepte in Island – „no likelihood that Aristotle was available in Iceland in the thirteenth century“ (Faulkes 1993, 64) – schwand überhaupt das Interesse an solchem Diskurs im altisländischen Schrifttum. Dies ungeachtet des Einwandes, gerade das 12. Jahrhundert sei in Island „the age of the lost works“ (Ármann Jakobsson 2012, 7) gewesen. Es stellt sich jedenfalls die Frage, weshalb mittelalterliche skandinavische Gelehrte (oder Skandinavier generell, einschließlich Isländer) weniger an existenziellen Fragen interessiert gewesen sein sollten als ihre kontinentalen Zeitgenossen. Intellektuelle Anreize – darunter der Kontakt zur islamischen Wissenschaft2 – waren vorhanden. Gelehrte wie Adelard von Bath († 1152) oder William von Conches († nach 1154)  – „extensively used by the Icelandic compilators, but never mentioned anywhere“ (Krebs/Simek 1991, 305) – bezeugen, dass Weltordnung ab dem 12. Jahrhundert zunehmend verstanden wurde als „a complicated and semiautonomous chain of secondary causes that depended distantly, but only distantly, on the First Cause, God“ (Daston/Park 1998, 110). Vor allem denke man an den Streit um die neu übertragenen Schriften des Aristoteles in Paris um 1210 (zu einer Zeit, als Paris Ausbildungszentrum der skandinavischen geistlichen Elite war), Auslöser von „one of the most dramatic reversals in European intellectual history“ (Bartlett 2008, 30). 1215 wurde das Pariser Aristoteles-Verbot im Auftrag von Innozenz III. (dem Initiator des 4. Laterankonzils, an dem u.  a. der neue Erzbischof von Nidaros und Berater des norwegischen Königs, Guttorm, teilnahm) nochmals bekräftigt; 1277 wurde schließlich Aristoteles’ Argumentation gegen die Möglichkeit der Existenz einer anderen Welt als der bestehenden verdammt, schränke sie doch Gottes Allmacht ein (vgl. Schulthess 2010, 73  ff.) – die intensivierte Aristoteles-Rezeption der Hochscholastik ließ den Aristotelismus zum „ernsten theologischen Problem“ (Knapp 2011, 109) werden. Es ist dieses Milieu sowohl des „philosophischen Rationalismus“ und des „szientifischen Autonomiebestrebens“ (Hödl 2003, 949) als auch der „schöpfungstheologische[n] Neuorientierung“ (Schulthess 2010, 78), in das skandinavische Gelehrte ab dem frühen 13. Jahrhundert hineinstoßen. Und wenn wir in Annalen von anschließenden Treffen dieser Gelehrten mit anderen hochrangigen Skandinaviern lesen – stefnt hófþingivm af Íslandi á fvnd Gvthorms erki byskups (Islandske Annaler 1888, 185), ‚Oberhäupter aus Island zu einem Treffen des Erzbischofs Guttorm einberufen‘ –, dann wäre es fast verwegen anzunehmen, die revolutionären Streitfragen des Kontinents hätten den Norden unberührt gelassen. Sollten sie nicht vielmehr auch dort zu jenen „ever-moresubtle innovations“ zählen, durch deren Kenntnis eine Auszeichnung gegenüber Zeitgenossen möglich war? Die folgenden Überlegungen gehen skizzenhaft einer Spur nach.

2 Christian Etheridge hielt jüngst fest: „Islamic scientific knowledge translated from Arabic came to Iceland at a surprisingly early date […] – at the end of the eleventh century“ (2015, 70).

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Prekärer Sinn – Theoretische Überlegungen Jesse Byock notierte vor 30 Jahren, der archäologische Befund würde eine Erschütterung der isländischen Gesellschaft im 13. Jahrhundert, im Sturlungenzeitalter, nicht stützen (vgl. Byock 1986). Belegt andererseits die altisländische Literatur dieser Zeit ein Interesse an Krisen und deren (scheiternder) Bewältigung, so wird der historiographische Maßstab in Frage gestellt. Es deutet sich darin indes jenes Potenzial der Bewusstseinsbildung durch Literatur an. Die narratologische Formulierung dieser Leistungsfähigkeit lässt sich in der westlichen Welt zu Aristoteles zurückverfolgen: Eine gute Erzählung sei das Resultat kausallogischer Verknüpfungen; sie bedürfe aber auch des selbstbewussten Dichters, der Ereignisse erzählerisch so zu handhaben verstünde, dass das Publikum zu eigenen Schlüssen stimuliert würde. So nutzt Aristoteles um 335 v. Chr. in seiner Poetik den fatalen Sturz der Königsstatue auf den Königsmörder als Beispiel für ein zufälliges Zusammentreffen zweier Ereignisse, das indes durch die Erzählstruktur – nach dem Mord wird unmittelbar der Unfall geschildert – zum Nachdenken über Zusammenhänge anregen müsse – denn, so Aristoteles, „solche Dinge scheinen sich ja nicht blindlings zu ereignen“. Rund 400 Jahre später greift Plutarch die Episode wieder auf, deutet sie aber als Gottes unmittelbaren Eingriff in den Lauf der Geschichte radikal anders. Boethius sollte dann noch einmal rund vier Jahrhunderte später mit dem Terminus contingens (übernommen von Marius Victorinus) einen ambigen Begriff für unterschiedliche Konzepte von Notwendigkeit, Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit etablieren, dem für das Mittelalter „ein großes Konfliktpotential inhärent“ (Schulthess 2010, 67) war.3 Kontingenz, so ein Vorwurf, sei heute „zu einem geistes-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Modeterminus avanciert“ (Dillmann 2011, 2). Dem wurde scharf widersprochen: „Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Kontingenzbegriff ist nicht modisch, sondern notwendig“ (Hoffmann 2012, 49). Umso mehr, wenn Kontingenz „zum bedrohlichen Anderen einer ‚heroischen‘ Politik“ wird, in der „Vertrauen und Legitimität aus der Fiktion der Eindeutigkeit und Alternativenlosigkeit resultieren“ (Toens/Willems 2012, 12). Geht es um kausal motiviertes Handeln, dann steht jene Dimension menschlicher Handlungsorientierung zur Debatte, in der es darum geht, Handlungsabsichten so zu hegen, dass sie nachfolgend nicht ad absurdum geführt werden (vgl. Rüsen 1983, 50  f.). Kontingenz ist dann zu verstehen als Handlungsraum offener Möglichkeiten, das „Reich des Zufalls“ (von Arnauld 2003, 171), wobei erst diese Offenheit autonomes menschliches Handeln begründbar macht. Damit wird keiner starren Konfrontation von Kontingenz als Handlungshemmnis und Handeln als Kontingenzbewältigung das Wort geredet, wohl aber vorausgesetzt, dass die Erfahrung von Kontingenz „vom menschlichen Geist beantwortet werden muß“ (Rüsen 2001, 149) – „Sinn bleibt prekär“ (ibid., 41).

3 Zur komplexen bis diffusen Ideen- und Begriffsgeschichte vgl. vor allem Vogt 2011.



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Die Einsicht, dass man sich „menschliches Leben ohne eine solche Erfahrung beunruhigender oder gar zerstörender zeitlicher Veränderungen, die quer zu den Hoffnungen, Erwartungen und Absichten geschehen, nicht denken“ (ibid., 150) kann, ist in der Altnordistik, auch narratologisch, meines Wissens nie näher diskutiert worden (vgl. van Nahl 2017). Der Gemeinplatz einer ‚Entdeckung‘ von Kontingenz erst in der Renaissance, der bisweilen die mediävistische Debatte zu ersticken drohte, wird mittlerweile aber verstärkt in Frage gestellt (vgl. Reichlin 2010). Im Gegenteil postulierte Richard Utz unlängst für das späte Mittelalter gar eine „central mood of contingency“ (2007, 126). Konsequent hat die Altgermanistik herausgearbeitet, dass bereits für mittelalterliche Literatur ein „breites Spektrum an Kontingenzdarstellungen und verhandelten Kontingenzkonzeptionen“ (Reichlin 2010, 46) charakteristisch ist – sei es nun Kontingenz des Erzählens oder im Erzählen –, und aus anglistischer Sicht wurde der Zufall jüngst gar zum „cornerstone in a theory of the world-modelling functions of narration“ (Wolf 2008, 205) erklärt. Aus altnordistischer Perspektive beträfe dies aber auch die Frage nach dem Verhältnis von im Sturlungenzeitalter literarisch stilisierten Krisen und deren tatsächlicher Existenz. Vielleicht war Literatur in dieser kleinen Gesellschaft gar nicht allein eine Reaktion auf Unruhen: Die Ambiguisierung4 narrativer Ordnungen mag vielmehr deren Anstoß gewesen sein (vgl. van Nahl 2017), erlaubte doch eine zunehmend selbstbewusste Literatur (vgl. van Nahl 2015), Ordnungsmuster in Frage zu stellen und Alternativwelten (vgl. Utz 2007) durchzuspielen. Der Fragenkomplex steht in seiner Bearbeitung am Anfang. Die folgenden Beobachtungen sollen einen Beitrag leisten, den theoretischen Rahmen langsam zu füllen.

Emundr von Skara – Eine Fallstudie Vor der Prämisse, dass historische Erinnerungen und narrative Sinnbildungsleistungen erst durch die „Erfahrung eines Zeitbruchs“ und „Kontinuitätseinbruchs in Lebensordnungen“ aktiviert werden (Rüsen 2001, 79), erscheinen die altisländischen Königssagas mit ihrem Fokus auf geschichtlichen und politischen Entwicklungen des mittelalterlichen Skandinaviens als besonders interessantes Corpus (vgl. van Nahl 2016). Interessant deshalb, weil in der Forschung wiederholt für Subtexte in diesen Erzählungen argumentiert worden ist, über die subtile Spielregeln5 solcher Entwick-

4 Konzepte von Ambiguität in mittelalterlicher Literatur wurden jüngst in einem Greifswalder Tagungsband bedacht (vgl. Auge/Witthöft 2016). Mit Blick auf altisländische Literatur sprach zuletzt Birgit Sawyer von Snorri Sturlusons „art of ambiguity“ (Sawyer 2015, 146). 5 Ich fasse den Begriff hier mit Müller 1998, S. 48: „‚Spielregeln‘ meinen kein für alle Male festgelegtes Inventar, sondern einen Rahmen der Ermöglichung, der Bestimmtes zuläßt und Bestimmtes ausschließt, eben Regeln für ein Geschehen, das ein weites, gleichwohl begrenztes Repertoire von Optionen offenläßt. Insgesamt schließen sie sich zu einem (fiktiven) anthropologischen Kontext

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lung erörtert worden seien. Diese Debatte hat wichtige Aspekte altnordischer Historiographie herausgearbeitet: Ein „Rationalismus und Realismus“ wurde betont, ein „Prinzip der Wahrscheinlichkeit“ und „Prinzip des Realen und Empirischen“, das kennzeichnend sei für das Bestreben, „so viel wie möglich aus den natürlichen Bedingungen menschlichen Verhaltens zu erklären“ (Bandle 1992, 38 und 46). Schon siebzig Jahre früher gab Gustav Cederschiöld die Richtung vor mit der Bemerkung, gerade in der Heimskringla, der umfangreichsten mittelalterlichen Sammlung an Königssagas, zeige sich die Tendenz, „att sätta händelserna i naturligt orsakssammanhang“, ‚die Geschehnisse in einen natürlichen Ursachenzusammenhang zu setzen‘ (Cederschiöld 1922, 9). Auch Sverre Bagge notierte „aspects of events which men cannot control and which modern historians explain by chance or structural conditions“ (Bagge 1991, 219). Vésteinn Ólason resümierte unlängst: „Kongene er individer som har forskjellige egenskaper, og disse egenskapene, i samspill med omstendighetene, gjør at deres skjebner blir forskjellige“, ‚die Könige sind Individuen, die verschiedene Eigenschaften haben, und diese Attribute, im Zusammenspiel mit den äußeren Umständen, bedingen, dass ihre Schicksale sich unterscheiden‘ (Vésteinn Ólason 2008, 36). Diese sich über einen Zeitraum von fast einem Jahrhundert erstreckenden Forschungsansichten werden geeint durch ihre Voraussetzung von Rahmenbedingungen menschlichen Handelns. Macht man sich bewusst, dass damit theoretisch nach dem Verhältnis von Handeln und Erleiden in ihrer Relation zu zeitlichem Wandel gefragt ist, dann lässt sich die Relevanz solcher Bedingungen für unsere Bewertung altnordischer Historiographie schwerlich überschätzen. Befremdlicherweise ist die Diskussion aber über den diffusen Gemeinplatz der ‚externen Bedingungen‘ nie hinausgekommen; allenfalls wurde auf ein ambiges Konzept von Glück (hamingja) rekurriert (vgl. Beck 1999). Dabei ist augenfällig, dass die geschilderten Handlungsabsichten der Protagonisten und das nachfolgende Geschehen oft auseinanderklaffen, dass viele vermeintlich wohldurchdachte Unternehmungen scheitern oder Pläne ins Gegenteil umschlagen, und dass damit der Sinn menschlicher Planung (zumindest temporär) überhaupt in Zweifel gezogen wird. Eine Episode aus der Óláfs saga helga mag die umrissene These für weitere Diskussion fruchtbar machen; behandelt werden kann hier allein die HeimskringlaFassung,6 zu der Jón Torfason einmal nüchtern bemerkte: „Ólafs saga Snorra Sturlu­ sonar er margþætt og hana má túlka á ýmsa vegu“, ‚Snorri Sturlusons Óláfs saga ist komplex und kann in verschiedener Weise gedeutet werden‘ (Jón Torfason 1992, 170). Zu den zentralen Themen, die in dieser umfangreichsten Königssaga verhandelt werden, gehört die latente Auseinandersetzung zwischen Norwegen und Schweden,

zusammen. Er bildet kein geschlossenes Ganzes. […] In dem, was als geltend unterstellt ist, muß mitgelesen werden, was implizit oder explizit ausgeschlossen oder als ungültig gelöscht wird.“ 6 Zitate nach Bjarni Aðalbjarnasons Ausgabe.



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zum Konflikt zweier Könige stilisiert. Nicht allein durch ihre Namensgleichheit  – Gegenspieler des norwegischen Königs Óláfr Haraldsson ist der Schwedenkönig Óláfr Eiríksson –, sondern auch durch die Porträtierung beider Regenten als rechtschaffene und rechtskundige Christen begegnen sich die Kontrahenten auf Augenhöhe; es geht um die Verhandlung weltlicher Macht und, noch pragmatischer, um einen geregelten Marktverkehr zwischen den Ländern (kaupfriðr milli landa, Kap.  67). An Intensität gewinnt die angespannten Situation durch die wiederholten (und letztlich erfolgreichen) Versuche Óláfr Haraldssons, eine der Töchter seines Erzfeindes zu heiraten. Einen Einschnitt stellt angesichts dieses Konflikts der schließlich ausgehandelte Friede dar. Kapitel 94 fokussiert Emundr von Skara, der als Vermittler fungieren soll. Emundr ist manna vitrastr og orðsnjallastr, der weiseste und wortgewandteste der Männer, erfüllt also die formalen Kriterien eines Beraters, doch man nannte ihn auch einen undirhyggjumaðr og meðallagi trúr, einen hinterhältigen, nur bedingt zuverlässigen Mann – eine ambivalente Persönlichkeit, deren Funktion in den Verhandlungen als uneindeutig markiert ist. Emundr willigt ein, dem Schwedenkönig die Zweifel der Götländer, schwankend zwischen dem schwedischen und norwegischen Herrscher, vorzutragen. In Uppsala tritt er vor den König und beginnt, Geschichten zu erzählen. Zunächst die Geschichte vom Pelzjäger Atti, der sich nach einer erfolgreichen Jagd durch ein Eichhörnchen derart aus der Ruhe bringen lässt, dass er alle Pelze verliert. Dann die Geschichte vom kriegerischen Gauti, der mit fünf Kriegsschiffen fünf dänische Handelsschiffe angegriffen habe: Ohne Verluste hätten sie vier Schiffe gekapert, aber das fünfte sei auf offene See entkommen, wo die Verfolgung aufgegeben werden musste; ein Sturm habe schließlich zu Gautis verlustreichem Schiffbruch geführt. Schließlich entwickelt Emundr, unter Verweis auf eine vertrackte Gesetzeslage, eine dritte Erzählung, in der er von zwei sich streitenden Männern spricht, deren Vergleich ungerecht zugunsten des Mächtigeren ausgefallen sei. Der gesetzeskundige Schwedenkönig spricht spontan Recht zugunsten des Geschädigten. Am folgenden Tag jedoch ruft er seine Berater zusammen, und rasch wird deutlich, dass Emundrs Erzählungen auf den Streit zwischen Norwegen und Schweden zielten. Die Weisen7 raten dem König, sofort zu seinem Volk zu sprechen – die Zeit, so betonen sie, sei noch zu kurz gewesen (stund hefir skǫmm verið), als dass das Volk seinen wachsenden Unmut hätte organisieren können. Beim Zusammentreffen ist die Lage indes bereits aussichtslos (þá sá hann í hvert óefni komið var, ‚da sah er, wie schwierig die Situation geworden war‘). Man einigt sich, einen von Óláfr Eiríkssons Söhnen zum neuen König zu ernennen, jedoch nicht ohne dass Emundr Zweifel ob der Nachhaltigkeit dieser Wahl sät. Das Kapitel schließt mit der kurzen Erzählung, es habe noch einen Grenzbesitz gegeben, dessen Zugehörigkeit ungewiss gewesen sei. Die Könige beschließen,

7 Es wäre einer eigenen Untersuchung wert, die herausgestellte Behinderung der engsten Berater – der erste ist blind, der zweite stammelt, der dritte ist taub – in einen kulturgeschichtlichen Kontext einzuordnen.

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das Würfelglück entscheiden zu lassen. Und nachdem sie anfangs gleichziehen, zerbricht schließlich ein Würfel Óláfr Haraldssons, sodass er die höhere Augenzahl erzielt. Die Könige scheiden in Frieden. Die Episode ist im größeren Erzählrahmen zu lesen, der hier nur ansatzweise skizziert werden konnte. Bemerkenswert ist aber zweierlei: erstens die explizite Ermahnung der Königsberater, in den Erzählungen Emundrs nach einer subtilen Botschaft zu suchen: þér munuð þat hugsat hafa, ef þat kom til annars en hann mælti, ‚du wirst dich gefragt haben, ob das [d.  i. Emundrs Erzählungen] nicht doch auf etwas anderes zielte als das, was er [d.  i. Emundr] sagte‘  – es ist nicht überstrapaziert, diese Aufforderung auf die Leserschaft der Saga überhaupt auszuweiten. Zweitens ist auffällig, welch großes Gewicht auf die Darstellung pragmatischen Handelns gelegt wird. Emundr zählt zwar zu den mächtigsten und klügsten Männern, gleichwohl wartet er die Beurteilung der Lage durch die Götländer selbst ab (þá áttu Gautar þing sín í milli, ‚da hielten die Götländer eine eigene Versammlungen ab‘). Bevor er den König erreicht, berät er sich mehrfach mit anderen klugen Männern (hann átti þar tal við ina vitrustu menn um þetta vandamæli, ‚er besprach dieses Problem mit den weisesten Männer‘). Der rechtskundige Schwedenkönig wiederum ruft, nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hat, seine Weisen zusammen, um die Botschaft richtig zu deuten (er hann var klæddr, lét hann kalla til sín spekinga sína, ‚als er angekleidet war, ließ er seine Weisen zu sich rufen‘); ausdrücklich wird dabei erneut seine Gesetzestreue betont: konungi líkaði illa, ef dómum var hallat frá réttu, ‚dem König missfiel es, wenn Urteile sich vom Recht entfernten‘. Schließlich handelt er nach dem Rat seiner engsten Vertrauten: konungr segir, at hann vill þetta ráð þekkjask, ‚der König sagt, er wolle diesem Rat folgen‘. Zum Zeitpunkt der folgenden Zusammenkunft blickt das Volk auf mehrtägige Beratung zurück (bœndr áttu þing dag og nótt, ‚die Bauer hielten Tag und Nacht Versammlungen ab‘), und auch Emundr wird wieder um Rat gefragt: spyrr þá Freyviðr Emund: hverja ætlan hafið þér um þat, ‚da fragt Freyviðr [d.  i. einer der Königsberater] Emundr: welche Meinung hast du dazu‘. Evident wird in dieser konzentrierten Abfolge von Besprechungen der Wille, den zunehmend die Ordnung gefährdenden Streit zwischen den Konfliktparteien zu schlichten und einen tragfähigen Konsens zu erzielen. Sämtliche Protagonisten vertrauen nicht auf irgendeine schicksalshafte Fügung zur Klärung des weiteren Geschehens, sondern werden pragmatisch aktiv: Sie bestimmen Vermittler, sie beraten sich und sie nehmen sich Zeit für Entschlüsse – sie sind sich der Gefahr eines allzu spontanen Handelns bewusst. Diese Einsicht wird auch illustriert durch die ad hoc-Rechtssprechung des Schwedenkönigs, die anschließend auf ihn zurückfällt und damit andeutet, dass der souveräne Rückgriff auf bestehendes Regelwerk allein kein erfolgreiches Verhandeln garantiert. Diesem pragmatischen Streben nach Spielregeln zwecks Schaffung von Eindeutigkeit stehen Hürden entgegen. Hürden, die nicht in per se mangelnder Eignung zum Regieren begründet sind, sondern menschliches Handeln als sinnvolles Handeln überhaupt in Frage stellen, indem sie dessen kontingente Bedingungen hervorheben und damit Erfahrungswissen, Beratung und Planung eine Grenze setzen. Dieser



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Umstand wird in den Ausführungen Emundrs reflektiert, also in den Erzählungen innerhalb der Erzählung, die recht zu deuten von den Weisen als Aufgabe gestellt ist. Natürlich lassen sich, wie die Berater es tun, die Episoden um Atti und Gauti so verstehen, dass Gier zu einem unabsehbar großen Verlust führen kann. Tatsächlich aber erfasst diese moralische Deutung nur einen Teil des Aussagegehalts. Signifikant ist nämlich, welch großes Gewicht Emundr auf die Räume des Scheiterns legt.8 Der legendäre Pelzjäger Atti (hann kǫllum vér mestan veiðimann, ‚ihn nennen wir den größten Jäger‘) ist zwar erfahren im Gebirge (á fjalli), das Eichhörnchen aber trifft er auf dem Rückweg im Wald: þar sem þrøngstr var skógrinn, dort, wo der Wald am dichtesten war, versagt Attis Expertise, entsteht vielmehr ein Raum, dessen drückende Enge und Undurchschaubarkeit die Grenzen menschlichen Vermögens versinnbildlichen. Intensiviert wird diese Erfahrung des Kontrollverlustes noch durch den Umstand, dass es zugleich Nacht wird (myrkva tók) und das Wetter in dichten Schneesturm umschlägt (veðr var drífanda). Terrain und Wetter bringen auch Gauti zu Fall: Zwar ist er im Küstengewässer siegreich agil (þeir Gauti unnu skjótt fjǫgur kaupskipin ok létu enga menn, ‚Gauti und seine Leute besiegten rasch vier Schiffe und verloren dabei keinen einzigen Mann‘), doch auf offener See ist er plötzlich stärker werdendem Wind ausgesetzt (þá tók veðrið að vaxa, ‚da nahm der Wind zu‘) – als dieser Wind zum Sturm ausartet (þá gerði storm veðurs), ist Gauti verloren. Wie der Wald, so erscheint das Meer hier als Raum des Unberechenbaren – im Wald endet der menschliche Blick am nächsten Baum, auf dem Meer verliert er sich in unbestimmter Ferne –, in dem die vorausgehend betonte Kompetenz der Protagonisten in einem kontingenten Zustand aufgehoben wird. Bemerkenswert ist auch das Fehlurteil der Königsberater: Die Bemerkung, noch sei Zeit zum Handeln, erweist sich als eklatante Fehleinschätzung; tatsächlich hat sich zwischenzeitlich (also während der König über der Angelegenheit ruht und dann im Laufe der Beratung) der Unmut der Schweden derart verschärft, dass an ein Festhalten am ursprünglichen Plan nicht mehr zu denken ist  – die explizite Aufforderung des Königs, die drei ausgezeichneten Weisen möchten sich der Durchführung ihres Plans selbst annehmen (vil ek […] at þér brœðr farið þessa ferð, því at ek trúi yðr bezt af mínum mǫnnum, ‚ich will, dass ihr Brüder diese Fahrt macht, denn von meinen Leuten vertraue ich euch am meisten‘), hat nicht den gewünschten Erfolg. Und obwohl die Weisen für ihre verständige Rede gerühmt werden (þótti vel mælt, ‚das schien [allen] gut gesprochen‘), so kommen Emundr doch genau in dem Moment Zweifel, in dem zwei dieser Weisen (der eine blind, der andere taub) zu den Verhandlungsführern bestimmt werden: en er þat fann Emundr, þá grunaði hann, hvárt þetta ráð myndi framgengt verða, ‚aber als Emundr das bemerkte, da zweifelte er, ob dieser Entschluss Erfolg haben würde‘. Der geregelte Zugriff auf die Situation, das planende Abwägen von Optionen mit dem Ziel, klare Verhältnisse zu schaffen, hat sich nicht

8 Zu ‚Räumen der Kontingenz‘ vgl. Schnyder 2010.

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bewährt, seine Geltung ist vom faktischen Geschehen gleichsam überholt worden – und damit ist auch der künftige Erfolg solcher Planung, hier expliziert durch Emundr, in Zweifel gezogen. Und schließlich ist da noch der Epilog um diesen Grenzbesitz, wiederum eine räumliche Symbolisierung der Unbestimmtheit.9 Eine abwägende Entscheidung ist nicht möglich und so entschließen sich die Könige zu würfeln. Dass der titelgebende Held die Oberhand behält, mag vorhersehbar sein. Faktisch aber impliziert Würfeln per se ein Moment der Ungewissheit, wird die Entscheidung aus der Sphäre menschlicher Einflussnahme herausgenommen (zum Motiv vgl. auch van Nahl 2016).

Die Produktivität des Zweifels – Ausblick Einleitend wurde das Milieu skizziert, in dem Konzepte von Kontingenz erstarken konnten: Krisen, auch imaginäre, lassen zweifeln, und Zweifel ist produktiv, zumal wenn er, wie in der Scholastik, professionalisiert wird. Eindeutigkeit mag auf den ersten Blick Vertrauen und Legitimität stiften, doch dem weltgeschichtlichen Betrachter muss diese Alternativlosigkeit als unbefriedigendes Konstrukt erscheinen. Kontingenz wäre in gesellschafts- und bewusstseinsformender Erzählung somit als Potenzialität zu verstehen, die als Movens von Geschichte einerseits Hoffnung auf das Verwirklichen menschlicher Wünsche macht  – im Sinne einer „Chancenoffenheit“ (von Arnauld 2003, 157  ff.)  –, andererseits eine Erklärung für das Scheitern von menschlicher Ordnung, von Spielregeln liefern kann (vgl. van Nahl 2017). Dabei bietet dieses Changieren dem Dichter auf Diskursebene aber die Möglichkeit, sich selbst als fähig für die Etablierung und Aufrechterhaltung von Ordnung zu präsentieren; pointiert gesagt: Wer Kontingenz narrativ zu instrumentalisieren versteht, der ist angesichts der narrativen Dimension von Gesellschaft auch im wirklichen Leben zu solcher Leistung fähig. Gestehen wir Snorri Sturluson eine Urheberschaft an der Heimskringla zu (zur Autorendebatte vgl. van Nahl 2015), so fügt sich sein persönlicher Werdegang bemerkenswert stimmig zu diesem zweischneidigen Konzept. Es wird jedenfalls kein Zufall sein, dass Snorri nach unserem Wissen seine literarische Tätigkeit erst im Alter von etwa 40  Jahren begann, nachdem er also einige Jahre in Norwegen und Schweden verbracht und dort über Männer wie Guttorm sehr wahrscheinlich Kunde von kontinentalem Diskurs erhalten hatte (vgl. van Nahl 2013a, 53  ff.). Just zu dieser Zeit, um 1220, erhielt er vom norwegischen König Hákon Hákonarson auch den Auftrag,

9 Dass es sich dabei in der Saga ausgerechnet um die Insel Hísing handelt  – „den avskurna eller kluvna (ön)“, ‚die abgeschnittene oder gespaltene Insel‘ (Wahlberg 2016, 129) – fügt sich stimmig zu dieser Deutung.



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dessen Herrschaftsansprüche in Island durchzusetzen; faktisch tat Snorri dann vor Ort bekanntermaßen zunächst einmal nichts dergleichen, wohl auch, weil ihm die politische Lage in Island zu undurchsichtig für solche Aktivitäten schien. In diesem Licht betrachtet, wird man jener Beherrschung des Unvorhersehbaren wiederum eine Grenze setzen müssen, jenseits welcher Kontingenz herrscht: Durch die Spielregeln der Schriftkultur, die schicksalshafte Verführung in die Ferne, das heißt einen letztlich offenen Empfängerkreis und die Kraft ihrer Suggestion, kann Literatur ein produktives Potenzial entfalten – Eindeutigkeit also zersetzen –, das über sie selbst unkontrolliert und unvorhersehbar hinauswirkt. Snorris wiederholte Notiz in der Heimskringla, er wolle keine unbezeugten Geschichten verbindlich machen, ist insofern zwar bemerkenswert. Bemerkenswert ist aber auch, dass der norwegische König kurz nach vermutlicher Fertigstellung der Heimskringla um 1230 erstmals an Snorris Loyalität zu zweifeln begann: 1233/34 instruierte er hochrangige Isländer, Snorris ursprünglichen Auftrag zu übernehmen (vgl. Strauch 2013, 279  f.). Hatte auch er in dieser Historiographie jenes umwälzende Moment erkannt, jenen Abgesang auf Eindeutigkeit (und damit Ordnung) zugunsten alternativer, ‚zufälliger‘ Entwicklungen von Geschichte? Birgit Saywer (2015, 146) merkte in ihrem letzten Buch richtig an, „hidden meanings“ in der Heimskringla „cannot have escaped the audience who had time and ability to scrutinize the whole written work“. Sollte König Hákon  – berühmt für sein Bemühen, an kontinentaler Bildung und Literatur zu partizipieren – nicht prominenter Vertreter jenes ‚Clubs der Ausgezeichneten‘ gewesen sein? In jedem Fall erreichten zum Schluss auch Snorris Spielregeln ihre Grenzen: Auf dem eigenen Gehöft vom eigenen Schwiegersohn (wohl im Auftrag des Königs) getötet, ist er schließlich in seinem subtilen bis subversiven Spiel ge- und erschlagen worden.

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Anita Sauckel

Brennu-Njáll als scheiternder Trickster oder: Warum ein Seidengewand keinen Vergleich bricht Abstract: Although Njáls saga has been examined from different perspectives repeatedly, its protagonist Njáll has usually been read as a Christian martyr and victim of vicious antagonists. In this paper, I attempt to present a different reading based on the concept of the “Figure of the Third”. Particularly interesting for my examination is the so-called trickster, a specific type of third figure. Here, I would like to interpret the protagonist of the saga as an Old Icelandic trickster figure. Furthermore, I add a new interpretation concerning the chapters dealing with the failed settlement between Flosi and Njáll’s family. „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“1 Dieses Zitat des Münchner Komikers Karl Valentin scheint auf den ersten Blick auch auf die Erforschung der berühmtesten aller Isländersagas, die Njáls saga, zuzutreffen. Die Untersuchungen zur Njáls saga konzentrierten sich meist auf die Einflüsse kontinentaler Literatur und christlicher Theologie. Handlung und einzelne Protagonisten sind im Lichte der Christianisierung Islands interpretiert worden.2 Insbesondere Njáll Þorgeirsson wurde nicht selten als Märtyrer gelesen, der trotz seiner Bestrebungen, Konflikte friedlich zu lösen, am Ende den üblen Machenschaften seiner Feinde zum Opfer fällt.3 Eher selten wurde dieser gängigen Deutung der Saga als Erzählung von Islands Bekehrung und einem damit verbundenen Wertewandel innerhalb der geschilderten Gesellschaft widersprochen. Dennoch haben in jüngerer Zeit einige Forscher alternative Interpretationen vorgeschlagen: So unterzieht Theodore Andersson sowohl die Figur Njáll Þorgeirsson als auch die Saga einer kritischen Lesung; er erkennt in dem Protagonisten nicht den aufopferungsvollen christlichen Märtyrer, sondern eine berechnend agierende Persönlichkeit, die am Ende zu hoch gepokert hat. Andersson zufolge weise die Saga zudem eine Reihe invertierter Erzählmuster auf, die dem Text ironische, bisweilen sogar satirische Konnotation verleihen würden.4 Jüngst beschrieb William Ian Miller den Mordbrand an Njálls Familie nicht als schrecklichen Rachemord an unschuldigen Opfern, sondern als Teil von Njálls

1 Karl Valentin, autorisierte Homepage, http://www.karl-valentin.de/zitate/zitate.htm (10.08.2016). 2 Vgl. jüngst Hamer 2014 und besonders Lönnroth 1976. 3 Vgl. Einar Ól. Sveinsson 1971, 162. 4 Vgl. Andersson 2006, 183–203, besonders 186–192.

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eigenem Racheplan, der die darauffolgenden Wunder im Zusammenhang mit der Bergung seiner Leiche bereits mit einkalkuliert hätte.5 Daniel Sävborg argumentiert, dass Njáll sich nicht aus Nächstenliebe den Flammen geopfert habe, sondern weil er der gängigen Norm, seine Söhne nach dem Mordbrand (brenna) zu rächen, nicht mehr habe nachkommen können.6 Diesen Lesarten, die bisweilen zu einem angeregten Disput unter ihren jeweiligen Vertretern geführt haben,7 möchte ich im Folgenden noch eine weitere hinzufügen.

Die Figur des Dritten und Trickster Der Protagonist der Njáls saga sticht durch seine Andersartigkeit, seine Nonkonformität in Bezug auf die geschilderte altisländische Gesellschaft heraus und stellt eine Herausforderung für deren Gleichgewicht dar. Wie kann eine solche Figur gedeutet werden? Innerhalb der letzten zehn Jahre hat ein kulturtheoretisches Phänomen das Interesse der Forschung geweckt, das dazu imstande ist, solche Spannungen in der Literatur zu beschreiben, nämlich die sogenannte „Figur des Dritten“. Bereits Georg Simmel entwickelte eine soziologische Figur des Dritten in seinen Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung.8 Simmel erachtet jegliche Form der Zweierbeziehung als vorsozial: Zwei Partner in einer Liebesbeziehung können sich lieben, streiten, zusammenarbeiten oder interagieren. Aber erst durch das Hinzutreten eines Dritten, im Fall des Liebespaars ein gemeinsames Kind, entsteht eine Familie. Bestehende Beziehungen und Verhältnisse werden durch Hinzutreten des Dritten neu verhandelt, Gesellschaft tritt erst dadurch als Gesellschaft hervor. Dieses Phänomen lässt sich auf soziale Entitäten übertragen, wie z.  B. Markt, Recht und Staat.9 In der Soziologie steht der Dritte für diejenige Figur, die innerhalb sozialer Interaktion oder Intersubjektivität neue Funktionen für die Kommunikation übernimmt, z.  B. der Vermittler, der Bote oder der Übersetzer. Ein Vertreter dieses Figurenkabinetts im personalen Sinne ist der sogenannte Trickster: Der aus dem Englischen stammende Terminus Trickster existiert seit dem 18. Jahrhundert und bezeichnet eine Person, die Andere betrügt oder täuscht.10 Das

5 Vgl. Miller 2014, 232  f. 6 Vgl. Sävborg 2014, 255. Das Argument, Njáll sei alles andere als ein aufopferungsvolles, friedliches Mitglied der Gesellschaft findet sich auch in Tirosh 2014, 208–226. 7 Vgl. hierzu Sävborg 2011, 181–209; Lönnroth 2012, 367–374; Sävborg 2014, 251–257. 8 Vgl. Simmel 1908. Die moderne Soziologie hat Simmels Theorie vom Dritten weiterentwickelt. Vgl. Fischer 2010, 193; Hessinger 2010, 65–67. 9 Vgl. Simmel 1908, 93  ff.; Koschorke 2010, 16. 10 OED Online, s.  v. trickster http://www.oed.com/view/Entry/205876?redirectedFrom=trickster& (20.08.2016); s. v. trick http://www.oed.com/view/Entry/205845?result=4&rskey=isYBby& (20.08.2016); vgl. Doty/Hynes 1997, 14.



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Substantiv „Trick“ ist vom französischen Verb tricher abgeleitet, das ‚beim Spiel betrügen‘ bedeutet.11 Daniel Garrison Brintons Monographie Myths of the New World aus dem Jahr 1868, die den Versuch unternimmt, die Mythologie nordamerikanischer Indianerstämme zu sammeln und zu analysieren, verwendet bereits die Bezeichnung Trickster.12 Die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erreichte allerdings erst der Schweizer Ethnologe Paul Radin mit The trickster. A study in American Indian Mythology. Seine Studie enthielt den Tricksterzyklus der Winnebago-Indianer, den der Winnebago Sam Blowsnake niedergeschrieben und Radin anschließend zur Verfügung gestellt hatte. Bei diesem Mythenzyklus handelt es sich um eine der weltweit bekanntesten Sammlungen von Trickstermythen und somit um eine der Grundlagen zur Erforschung des Phänomens Trickster überhaupt.13 Ursprünglich von Seiten der Religionswissenschaft und Anthropologie erforscht, eignet sich der Trickster nicht nur zur Beschreibung mythologischer Wesen, sondern bietet als Modell vielversprechende Ansätze zur Interpretation der Isländersagas, weil der Trickster durch seinen ambivalenten Charakter die in den Texten beschriebene Spannung reflektiert: Ich werde im Folgenden die Figur Njáll Þorgeirsson als Trickster identifizieren und eine Skizze seines tricksterhaften Handelns erstellen. Eine Neuformulierung des Trickstermodells zur Interpretation der Isländersagas ist bereits an anderer Stelle in ausführlicher Form erfolgt;14 ich werde mich im Folgenden auf die für meine Untersuchung maßgeblichen Ansätze aus der Medienwissenschaft konzentrieren und auf die Aufzählung allseits bekannter Trickster-Charakteristika aus der religionswissenschaftlichen und anthropologischen Forschung verzichten.

Das Modell Trickster Der Trickster hat nach der Jahrtausendwende verstärkt das Interesse der modernen Kultur- und Literaturwissenschaften geweckt. Insbesondere Medientheorie15 und Filmwissenschaft beleuchten die narrative Struktur von Trickstergeschichten, analysieren die Bedeutung des Tricksters innerhalb einzelner Narrationen, oder greifen signifikante Charakteristika dieser Figuren heraus und interpretieren sie innerhalb der filmischen Handlungsebene. Darüber hinaus untersuchen Filmwissenschaftler die psychologische Wirkung von Trickstermerkmalen auf den Rezipienten, begreifen die Interaktion zwischen Zuschauer und Leinwand (Screen), erst als „Trickster“: Unter

11 Kluge 2002, s. v. Trick. 12 Vgl. Doty/Hynes 1997, 14. 13 Vgl. Radin 1956; Radin/Kerenyi/Jung 1954; Schüttpelz 2005, 64. 14 Vgl. Sauckel 2016. 15 Vgl. z.  B. Schüttpelz 2010; Schüttpelz 2005. Für die Filmwissenschaft vgl. z.  B. Bassil-Morozow 2011; Müller 2009; Waddell 2010.

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diesem Tricksterkonstrukt ist zu verstehen, dass jeder Zuschauer eigene persönliche Erinnerungen und Erfahrungen in die auf der Leinwand erzählte Geschichte einfließen lässt. Der Prozess des Zuschauens stellt somit eine Verhandlung des Inneren mit dem Äußeren dar. Durch permanentes Hin- und Herüberschreiten dieser Grenzen werden Sinn und Bedeutung erzeugt.16 Für meine Untersuchung von besonderer Relevanz ist der Ansatz des Medientheoretikers Erhard Schüttpelz: In seiner Monographie Die Moderne im Spiegel des Primitiven. Weltliteratur und Ethnologie (1870–1960)17 analysiert Schüttpelz Wak’djunk’aga, den Trickster der Winnebago-Kultur, im Spiegel des persönlichen Schicksals des Winnebago Sam Blowsnake von 1900–1915. Schüttpelz beleuchtet in seinen Ausführungen kein vermeintliches Einzelschicksal, sondern bezieht den Niedergang der Winnebago-Kultur infolge der Kolonisation durch die Europäer mit ein und weitet seine Interpretation auf die Ereignisse der Entstehungszeit des Winnebago-Trickster­ zyklus – oder richtiger – auf den Zeitraum seiner Niederschrift aus. So habe Schüttpelz’ Protagonist Sam Blowsnake nach eigener Aussage während seines Gefängnisaufenthalts eine Segnung durch den Trickstergott der Winnebago-Kultur erfahren.18 Durch diese Auszeichnung werde Sam Blowsnake selbst zur liminalen Figur, die sich auf ihrer Reise zwischen den Welten auf die Suche nach der eigenen (kulturellen) Identität begebe. Bei diesen Welten handele es sich Schüttpelz zufolge um Sam Blowsnakes vertraute Welt des eigenen kulturellen Hintergrunds einerseits und um die neue Welt der Europäer andererseits.19 Schließlich liest Schüttpelz den Ethnologen Paul Radin, der durch Sam Blow­ snake Zugang zu den Trickstermythen erhalten hatte, als Trickster in einer von Auflösung begriffenen Zeit.20 Als Mythensammler habe Radin im Zusammenhang mit dem Untergang der Winnebago-Religion eine durchaus ambivalente Rolle gespielt: Ohne Radins wissenschaftliche Neugier wären die Mythen der Winnebago heute sehr wahrscheinlich verloren. Jedoch trug sein Interesse auch zur raschen Zerstörung der Winnebago-Religion und somit zur Zerstörung einer ganzen Kultur bei.21 Schüttpelz’ innovativer Ansatz, die Lesart Trickster nicht nur auf die Figuren­ ebene der Mythen zu beschränken, sondern auf die Zeit ihrer Niederschrift auszudehnen und ‚historische‘ Protagonisten samt ihrer Schicksale miteinzubeziehen, kann auch für die Interpretation altisländischer Texte fruchtbar gemacht werden. Geringe

16 Vgl. z.  B. Waddell 2010, XIII: „In analyzing the selection of narratives in Wild/lives, trickster emerges as an energy permeating every facet of the text, from music, set design, dialogue, casting and editing to the intricate relationship of viewer and viewed. To my way of thinking it’s trickster who cements the bond between a film or television program and its audience.“ 17 Vgl. Schüttpelz 2005, 63–104. 18 Vgl. Schüttpelz 2005, 65–89. 19 Vgl. Schüttpelz 2005, 66. 20 Vgl. Schüttpelz 2005, 94–100. 21 Vgl. Schüttpelz 2005, 98–100.



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Einschränkungen ergeben sich auf der Ebene der Schreiberzeit, da die Isländersagas anonym überliefert worden sind; allerdings ist das Milieu, in dem diese Texte entstanden sind, vergleichsweise gut erforscht.22 In Bezug auf die altnordische Literatur sind der Gott Loki und einige Sagafiguren als Trickster bewertet worden; umfassende Ausdeutung hat allerdings nur Loki von religionswissenschaftlicher Seite erfahren: Der trickreiche Gott ist in Bezug auf das Geschlecht der Asen von unreiner (riesischer) Abstammung. Als Gestaltwandler überwindet Loki sowohl Geschlechtergrenzen als auch die Grenze zwischen den Spezies. Er beschafft den Göttern durch seinen Listenreichtum wertvolle Attribute wie Þórrs Hammer Mjöllnir oder Óðinns Speer Gungnir. Loki ist aber auch für die Ermordung Baldrs verantwortlich und kämpft in dem als ragnarǫk bezeichneten Weltende aufseiten der Riesen.23 Von den als Trickster angesprochenen Protagonisten einiger Isländersagas sind bisher nur die Figuren der Bandamanna saga eingehender analysiert worden.24

Brennu-Njáll als Trickster Zu den wesentlichen Eigenschaften des Tricksters gehört es, wie beispielsweise Loki, von unreiner beziehungsweise zweifelhafter Herkunft zu sein.25 Dieses Kriterium erfüllt auch Njáll: Er stammt väterlicherseits von einem gewissen Þorgeirr gollnir Þórólfsson ab, der keine weitere Erwähnung findet. Seine Mutter Ásgerðr entstammt dem Geschlecht des norwegischen Hersen Áskell ómálgi und wird als Landnahmefrau beschrieben.26 Die Landnámabók (‚Buch der Landnahmen‘) führt Þorgeirr gollnir allerdings als Ásgerðrs Sohn aus der Ehe mit einem gewissen Ófeigr aus dem norwegischen Raumsdœlafylki, der von den Männern Haraldr hárfagris getötet wurde.27 Njálls Abstammung väterlicherseits muss demnach im Dunkeln bleiben. Mit seinen Fähigkeiten, in die Zukunft zu sehen bzw. sich lange zurückerinnern zu können, wird die Grenze zwischen menschlicher und übernatürlicher Sphäre überschritten. Njáll besitzt darüber hinaus praktisches Wissen, über das andere Sagafiguren nicht verfügen: So berichten in Kapitel 44 einige Landstreicherinnen, die an Hlíðarendi vorbeikommen, dass Njálls Hausleute Mist auf die Erdhügel um das Gehöft ausbrächten. Erstaunt erkundigt sich Hallgerðr, welchen Nutzen ein solches

22 Vgl. jüngst Sverrir Jakobsson 2016. 23 Vgl. etwa Hultgård 2001, 583–595. 24 Zur Forschungsgeschichte des Tricksters in der mittelalterlichen altnordischen Literatur vgl. Sauckel 2016. Zum Trickster in der Bandamanna saga vgl. Lindow 1989. 25 Bezüglich einzelner Charakteristika vgl. Sauckel 2016, 59  f. 26 Vgl. Njáls saga, Kap. 20, 55  f. 27 Vgl. Landnámabók, S 341/H 299, 343.

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Vorgehen habe. Die Gefragten geben Njálls Auskunft weiter: ‚Þat sagði hann‘, kváðu þær, ‚at þar yrði taða betri en annars staðar. („Das sagte er“, erzählten sie, „dass dort das Gras besser wachse als an anderen Stellen.“)28 Möglicherweise ist dieses Wissen der Grund dafür, dass Njáll selbst in Zeiten von Hungersnöten über genügend Vorräte verfügt, so dass er den Haushalt seines Freundes Gunnarr Hámundarson mit Lebensmitteln ausstatten kann.29 Eine weitere Grenzüberschreitung ist in Njálls Äußerem auszumachen: Bereits in Kapitel 20, in dem der Protagonist in die Handlung eingeführt wird, bemerkt die Saga: en sá hlutr var á ráði hans at honum óx eigi skegg („und diese Besonderheit hatte er an sich, dass ihm kein Bart wuchs.“)30 Sein mangelnder Bartwuchs wird stets mit Weiblichkeit assoziiert und sogar bei der Eskalation des Konflikts, der zum Mordbrand führt, thematisiert. Dabei spielt auch die eben erwähnte Episode um die wachstumsfördernde Wirkung von Dung keine geringe Rolle: Hallgerðr zufolge hätte Njáll den Dung lieber auf sein Gesicht streichen sollen, um seinen Bartwuchs anzuregen, weshalb sie beschließt, Njáll den ‚Bartlosen‘ (karl inn skegglausi) und seine Söhne ‚Dungbärtlinge‘ (taðskegglingar) zu nennen. Ausgerechnet der Gode Flosi greift Hallgerðrs boshaften Spitznamen für Njáll auf dem Althing wieder auf, als er nach der Ermordung seines Schwagers den bereits ausgehandelten Vergleich ausschlägt.31 Es ist allerdings nicht nur Njálls Aussehen, das mit Weiblichkeit assoziiert wird; auch sein Verhalten weist weibliche Züge auf: So agiert Njáll im Gegensatz zu vielen anderen freien Männern und Goden der Isländersagas oftmals von zuhause aus. Nur in außergewöhnlichen Fällen verlässt er seinen Hof, um beispielsweise an einer Thingversammlung teilzunehmen oder um einen Vergleich auszuhandeln. Der Rezipient erfährt nichts darüber, dass Njáll sich persönlich um seinen Besitz oder seine Felder kümmert. Anders als sein Freund Gunnarr Hámundarson oder Hǫskuldr Hvítanessgoði, beide respektable Männer, sucht Njáll niemals seine Felder auf, um Saatgut auszubringen. Ebenso ungewöhnlich muss die Tatsache erscheinen, dass Njáll bereits als erwachsener und vor allem verheirateter Mann in die Saga eingeführt wird. Er scheint niemals Auslandsfahrten unternommen zu haben, an Wikingerzügen teilzunehmen, am Hof eines fremdländischen Herrschers seine Gefolgschaft anzubieten oder Handel zu treiben. Das Agieren innerhalb des eigenen Hauses (innan stokks) steht eigentlich Frauen zu, während Männer außerhalb des eigenen Anwesens politische Entscheidungen treffen, Blutrache verüben, sich auf Handelsreisen und Kriegsfahrten begeben. Die Njála schildert in keiner einzigen Szene ihren Protagonisten in einer kriege­ ri­schen Auseinandersetzung. Njáll führt keine Waffen, lediglich eine Szene in

28 Vgl. Njáls saga, Kap. 44, 112  f. Insofern nicht anders gekennzeichnet, sind alle Übersetzungen von der Autorin. 29 Vgl. Njáls saga, c. 47, 122. 30 Njáls saga, Kap. 20, 57. 31 Vgl. Njáls saga, Kap. 44, 113 sowie Kap. 123, 314.



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Kapitel 118 beschreibt, wie er mit einer kleinen Axt in der Hand aufs Pferd steigt. In diesem Fall handelt es sich bei der Axt jedoch nicht um eine Waffe. Sie dient vielmehr als ‚Accessoire‘ seiner Verkleidung, während er sich auf den Weg zu Ásgrímr ElliðaGrímsson macht, um für seine Söhne rechtlichen Beistand zu erwirken.32 Anstatt eigene Höfe zu errichten leben die Njálssöhne auch als verheiratete Männer weiterhin auf dem elterlichen Hof Bergþórshváll und integrieren ihre Ehefrauen in den dortigen Haushalt. Von dieser ungewöhnlichen Lebensweise profitiert in erster Linie ihr Vater Njáll; er setzt die eigenen Söhne als Mittel zum Zweck ein, nutzt sie gewissermaßen als seine Exekutivgewalt, indem er sie z.  B. zum Totschlag an Sigmundr Lambason ermutigt: Hann [Njáll] mælti: „Hvert skal fara Skarphéðinn?‘ „Leita sauða þinna,“ segir hann. Njáll mælti: „Ekki mundu þér þá vera vápnaðir, ef þér ætlaðið þat, ok mun annat vera ørendit.“ „Laxa skulu vér veiða, faðir, ef vér rǫtum eigi sauðina, segir hann.“ „Vel væri þat, þó at svá væri, at þá veiði bæri eigi undan,“ segir Njáll.‘33 Er [Njáll] sprach: „Wo willst du hin, Skarpheðinn?“ „Deine Schafe suchen“, sagt er. Njáll entgegnete: „Dafür müsst ihr nicht bewaffnet sein, wenn ihr das tun wolltet, und ein anderes Vorhaben wird es sein.“ „Lachse werden wir fangen“, Vater, „wenn wir der Schafe nicht habhaft werden“, sagt er. „Gut wäre es, wenn es so wäre, dass euch der Fang dann nicht durch die Lappen ginge“, sagt Njáll.

Auf diese Weise gleicht Njáll seinen eigenen Mangel an Kampfkraft aus, die er auch als (vermeintlich) friedliebendes Mitglied der Sagagesellschaft benötigt, um sein Recht durchzusetzen. Als seine Söhne in Kapitel 92 losziehen, um Þráinn Sigfússon zu erschlagen, ahnt Njáll die schwerwiegenden Konsequenzen zwar voraus, unternimmt aber nichts, um sie aufzuhalten: Njáll kallaði á Skarpheðinn: „Hvert skal fara, frændi?“ „Í sauðaleit,“ sagði hann. „Svá var ok eitt sinn fyrr,“ segir Njáll, „ok veidduð þér þá menn.“ Skarpheðinn hló at ok mælti: „Heyrið þér, hvat karlinn segir! Eigi er hann grómlauss.“ […] Njáll gekk heim, en þeir fóru upp í Rauðaskríður ok biðu þar.34 Njáll rief Skarpheðinn zu: „Wo soll es hingehen, mein Sohn? Auf Schafsuche, sagte er. „So war es schon einmal zuvor“, sagt Njáll, „und damals habt ihr Jagd auf Menschen gemacht.“ Skarpheðinn lachte und sprach: „Hört ihr, was der alte Mann sagt? Er hegt einen Verdacht.“ […] Njáll ging heim und sie zogen hinauf nach Rauðaskríða und warteten dort.

William Ian Miller hat das Verbleiben der verheirateten Söhne auf dem elterlichen Hof damit erklärt, dass es sich bei Njáll Þorgeirsson um einen homo novus, einen Auf-

32 Vgl. Njáls saga, Kap. 118, 296; Sauckel 2014, 80  f. 33 Njáls saga, Kap. 44, 115. 34 Vgl. Njáls saga, Kap. 92, 231  f.

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steiger handle, dem Vermögen und Ansehen fehlten, um seine Söhne mit eigenen Anwesen auszustatten.35 Dagegen spricht meiner Meinung nach die Tatsache, dass er in Kapitel 20 mütterlicherseits als reicher Abkömmling eines norwegischen Hersen und Gesetzeskenner in die Handlung eingeführt wird.36 Njáll Þorgeirsson ist in erster Linie als herausragender Protagonist, friedliebender und weiser Ratgeber gelesen worden, der ein Opfer übler Machenschaften wird, die den Mordbrand zur Folge haben. Bei genauer Betrachtung des Handlungsverlaufs wird jedoch deutlich, dass dies nur teilweise zutrifft und der Protagonist durch sein Handeln permanent als Grenzüberschreiter, als liminale Figur, dargestellt wird. So provoziert Njáll durch juristische Winkelzüge geradezu sein dramatisches Ende: Bereits in Kapitel 22 führt die Njáls saga den Listenreichtum und die Durchtriebenheit ihres Protagonisten beispielhaft vor Augen: Es handelt sich um die burlesk ausgestaltete Verkleidungsepisode des Gunnarr von Hlíðarendi, der das Vermögen seiner geschiedenen Verwandten Unnr Marðardóttir von Hrútr Herjólfsson zurückfordern will. Da Gunnarr nur bei einer korrekt ausgesprochenen Vorladung eine Chance auf Unnrs Mitgift hat, schmiedet Njáll einen perfiden Plan, an dessen Ablauf sich sein Freund unbedingt zu halten hat, und an dessen Ende eine korrekt vorgebrachte Thing­ vorladung steht. Die zum Plan gehörende Maskerade als fahrender Händler dient einzig und allein dazu, sich dem Rechtskenner Hrútr nähern zu können. Schließlich funktioniert Njálls durchtriebener Plan, durch den er respektable Oberschichtangehörige auf eulenspiegelhafte Weise narrt.37 Als weiser Ratgeber und Friedensstifter nimmt Njáll nach der Erschlagung Þráinn Sigfússons dessen Sohn Hǫskuldr als Ziehsohn bei sich auf. Durch diesen Schachzug gelingt es ihm zunächst, Rachetaten von seiner Familie fernzuhalten. Für seinen neuen Ziehsohn, dem er voraussagt, dass aus ihm ein guter Mensch werde,38 versucht Njáll eine standesgemäße Heirat zu arrangieren. Da die Auserwählte jedoch ausschließlich mit einem Goden vermählt werden will, sieht sich Njáll genötigt, ein Godentum für Hǫskuldr zu beschaffen. Dieses Vorhaben kann allerdings kaum durchgesetzt werden, weil alle isländischen Godentümer zu dieser Zeit vergeben sind. Njáll weiß allerdings einen Ausweg: Auf geschickte Art und Weise hebelt er das isländische Staatssystem aus. Auf sein Betreiben wird das sogenannte ‚fünfte Gericht‘ (fimmtardómr) eingerichtet und neue Godentümer geschaffen, wovon eines an Hǫskuldr geht.39 Die Aufnahme Hǫskuldrs in Njálls Familie führt schließlich zu seinem Tod durch die Njálssöhne. Ohne Umschweife gibt der Protagonist zu erkennen, dass ihn der Tod

35 Vgl. Miller 2014, 34. 36 Njáls saga, Kap. 20, 57: Hann [Njáll] var vel auðigr at fé […] Hann var lǫgmaðr svá mikill, at engi fannsk hans jafningi. (‘Er [Njáll] war wohlhabend […] Er war ein so großer Rechtskenner, dass es keinen gab, der ihm ebenbürtig war.’) Vgl. Landnámabók, S 341/H 299, 343. 37 Vgl. Njáls saga, Kap. 22–23, 59–65. 38 Vgl. Njáls saga, Kap. 94, 237. 39 Vgl. Njáls saga, Kap. 97, 241–247; Andersson 2006, 197.



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seines Ziehsohns härter trifft als ein möglicher Tod seiner eigenen Söhne. Auch wenn die Njálssöhne Opfer einer Intrige des hinterlistigen und bösartigen Mǫrðr Valgarðsson werden, wird ihnen die Bevorzugung Hǫskuldrs durch ihren Vater kaum gefallen haben, zumal er der Sohn ihres Feindes Þráinn Sigfússon ist, den sie am Ende einer langwierigen Fehde erschlagen.40

Flosi, Skarpheðinn und das Seidengewand Der Tod seines abgöttisch geliebten Ziehsohns ist es schließlich, der den fragilen Frieden zwischen der Familie Njálls und ihrer Feinde endgültig zusammenbrechen lässt. Nach einem gescheiterten Versuch, für die Ermordung Hǫskuldrs durch die leiblichen Njálssöhne einen Vergleich zu erwirken, lässt sich eine gewaltsame Vergeltung nicht mehr verhindern. Die Forschung hat diverse Erklärungsansätze für das Scheitern des Vergleichs auf dem Althing geliefert; eine allgemein anerkannte Interpretation ist bisher allerdings nicht gelungen. So ist beispielsweise die Zugabe eines prächtigen Seidengewandes, der silkislœður, und die damit in Zusammenhang stehende Schmähung Flosis durch Skarpheðinn als Ursache für den gescheiterten Vergleich erachtet worden. Dieser These wurde zu Recht mehrfach widersprochen,41 da es sich bei dem Gewand um ein Kleidungsstück handelt, das zur erzählten Zeit von beiden Geschlechtern getragen werden konnte. Einar Ól. Sveinsson bewertet die Zugabe kostbaren Handelsguts zu Bußgeldzahlungen als gewöhnlich und von geschlechtsspezifischer Konnotation befreit.42 Allerdings hält er es durchaus für möglich, dass die Figur Flosi das Schleppgewand als effeminiert und damit als entehrend empfindet. Gleichzeitig deutet Einar Ól. Sveinsson ein wichtiges Detail an, das der Rezipient aufgrund der dramatischen Schilderung der Geschehnisse auf dem Althing möglicherweise bereits vergessen hat: die Hetzrede Hildigunnr Starkaðardóttirs.43 Sie ist der wahre Grund für das Scheitern des Vergleichs, den Flosi ohnehin nie gewillt war zu akzeptieren, weil er gemäß der vorherrschenden Normen durch die Aufhetzung seiner Nichte zur Blutrache verpflichtet ist.44 Käme Flosi der Forderung nach Blutrache nicht nach, würde er unweigerlich zu einem Feigling (níðingr)!

40 Vgl. Andersson 2006, 197–199. 41 Vgl. zuletzt Miller 2014, 218. 42 Vgl. Njáls saga, 312  f., Fußnote 4. Zur geschlechtsspezifischen Einordnung der slœður vgl. u.  a. Falk 1919, 137; vgl. ferner Sauckel 2014, 110–112. 43 Vgl. Njáls saga, 313, FN 4: Flosa fannst tvíbent merking klæðanna, svo sem storkað sé karlmennsku hans; samtímis kemur honum í hug frýja Hildigunnar. (‘Flosi erkannte die Zweideutigkeit des Gewandes, die seine Männlichkeit zu verhöhnen droht; gleichzeitig fällt ihm Hildigunnrs Aufhetzung wieder ein.’); vgl. Einar Ól. Sveinsson 1971, 153. 44 Vgl. Meulengracht Sørensen 1983.

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Ebenso wenig wie das Seidenkleid ist die Schmähung Flosis durch Skarpheðinn Njálsson die Ursache für das Scheitern des Vergleichs. Flosi selbst ist in dieser zentralen Szene als eigentlicher Friedensbrecher zu bezeichnen, da er Njáll auf Skarp­ heðinns harmlose Nachfrage lautstark und in Anwesenheit der vornehmsten Männer Islands beleidigt: Flosi mælti: „Hvárt er þat, at engi yðvarr veit, hverr þenna búning hefir átt, eða þorið þér eigi at segja mér?“ Skarpheðinn mælti: „Hvat ætlar þú, hverr til hafi gefit?“ Flosi mælti: „Ef þú vill þat vita, þá mun ek segja þér, hvat ek ætla: þat er min ætlan, at til hafi gefit faðir þinn, karl inn skegglausi – því at margir vitu eigi, er hann sjá, hvárt hann er, karlmaðr eða kona.“45 Flosi sagte: „Wie kann es sein, dass niemand von euch weiß, wem dieses Gewand gehörte, oder traut ihr euch nicht, es mir zu verraten?“ Skarpheðinn sprach: „Was glaubst du, wer es dazu gegeben hat?“ Flosi antwortete: „Wenn du das wissen willst, dann werde ich dir sagen, was ich glaube: das ist meine Annahme, das es dein Vater, der bartlose Kerl, dazu gegeben hat, – weil viele nicht wissen, die ihn sehen, ob er ein Mann oder eine Frau ist.“

Njálls Sohn reagiert mit seinem häufig zitierten Wutausbruch lediglich auf Flosis infame Beleidigung seines Vaters: Skarpheðinn mælti: „Illa er slíkt gǫrt at sneiða honum afgǫmlum, er engi hefir áðr til orðit dugandi maðr. Meguð þér þat vita, at hann er karlmaðr, því at hann hefir sonu getit við konu sinni.“ […] Síðan tók Skarpheðinn til sín slœðurnar, en kastaði brókum blám til Flosa ok kvað hann þeira meir þurfa. Flosi mælti: „Hví mun ek þeira meir þurfa?“ Skarpheðinn mælti: „Því þá – ef þú ert bruðr Svínfellsáss, sem sagt er, hverja níundu nótt ok geri hann þik at konu.“ Skarpheðinn sprach: „Boshaft ist es, über einen so alten Mann zu spotten, wozu sich zuvor kein rechtschaffener Mann hat hinreißen lassen. Das sollt ihr wissen, dass er ein Mann ist, weil er seiner Frau Söhne gemacht hat.“ […] Dann nahm Skarpheðinn das Seidengewand und warf Flosi eine blauschwarze Hose zu und sagte, dass er diese dringender brauchen werde. Flosi sprach: „Warum werde ich sie dringender brauchen?“ Skarpheðinn antwortete: „Weil du jede neunte Nacht die Braut des Trolls vom Svínafell bist, wie man sich erzählt, und er dich [dann] zur Frau macht.“46

Skarpheðinns unberechenbares Temperament ist sowohl Teil des Figurenwissens als auch dem Sagarezipienten hinlänglich bekannt: Es fällt auf, dass die schicksalsträchtige Episode auf dem Althing, die in den Kapiteln 119–123 abgehandelt wird, ausgerechnet mit der vierfachen (!) Schmähung potenzieller Unterstützer durch Skarp­ heðinn beginnt. Das Aufsuchen dieser Männer wird stets gleich geschildert: Der Begleiter und Unterstützer der Njálssöhne, Ásgrímr Elliða-Grímsson, betritt als Erster die jeweilige

45 Njáls saga, Kap. 123, 313  f. 46 Njáls saga, Kap. 123, 314.



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Thingbude und trägt das Bittgesuch vor. Anschließend antwortet der Gefragte, ob er Unterstützung leisten wolle. Gizurr hvíti, der als erster aufgesucht wird, muss nicht lange gebeten werden und sichert ihnen Beistand zu. Der Gesetzessprecher Skapti Þóroddsson weist die Bittsteller dagegen ab und erkundigt sich nach dem Mann im Gefolge Ásgrímrs, der wie ein Troll aussehe.47 Skarpheðinn reagiert auf diese Provokation prompt mit einer Schmähung und wirft Skapti Feigheit vor, indem er dessen unglückliches Verhalten nach einem Totschlag schildert. Auch Snorri goði, der dritte Adressat, verweigert unmittelbare Hilfe, verspricht aber immerhin, sich nicht auf die Seite der Feinde zu schlagen. Wie zuvor Skapti kommentiert auch Snorri die Gestalt Skarpheðinns negativ, der abermals scharf kontert und Snorri daran erinnert, dass er seinen Vater zu rächen habe. Hafr inn auðgi, bereits der vierte Mann, der um Beistand ersucht wird, reagiert ebenso wie seine beiden Vorgänger – er weist die Hilfesuchenden ab und erkundigt sich nach ihrem unheimlich aussehenden Begleiter. Abermals enthüllt Skarpheðinn als Antwort ein kompromittierendes Detail aus Hafrs Leben, das den Vorwurf der Unmännlichkeit beziehungsweise Feigheit zum Inhalt hat. In der Thingbude der Mǫðruvellingar trifft die Gruppe schließlich auf Guðmunðr inn ríki Eyjólfsson, der sich ebenfalls zu Skarpheðinns Erscheinung äußert, jedoch nicht in abfälliger Weise. Zwar bescheinigt er seinem Gegenüber, dass ihm das Glück nicht hold sein werde, bezeichnet ihn aber als svá skjótligr til karlmennsku, at heldr vilda ek hans fylgi hafa en tíu annarra48 („[einen] solchen mannhaften Kerl, dass ich seine Gefolgschaft lieber hätte als die von zehn anderen Männern.“) Unterstützung sagt er den Njálssöhnen vorerst nicht zu, sondern erbittet sich Bedenkzeit. Als letzten möglichen Unterstützer sucht die Gruppe den Häuptlingssohn und Krieger Þorkell hákr auf. Seine Begleiter mahnen Skarpheðinn auf dem Weg zu Þorkells Thingbude zur Zurückhaltung. Der Njálssohn kommt dieser Aufforderung solange nach bis Þorkell nicht nur arrogant das Anliegen der Gruppe abweist, sondern sich auf abfällige Art und Weise über ihn erkundigt: Þorkell mælti: ‚Hverr er sá inn mikli ok inn feiknligi, ok ganga fjórir menn fyrri, fǫlleitr ok skarpleitr, ógæfusamligr ok illmannligr?“49 (Þorkell sagte: „Wer ist der große und unheilvoll aussehende Mann, dem vier Männer vorangehen, der bleich ist und scharfe Gesichtszüge hat, der unheilvoll und wie ein Bösewicht aussieht?“) Es folgt ein verbaler Schlagabtausch, in dem beide Männer ihre kriegerischen Fähigkeiten herausstreichen und sich gegenseitig mit dem Tod bedrohen. Skarpheðinn behält gegen seinen hochmütigen Gegner die Oberhand. Schließlich kehrt die Gruppe zu ihren eigenen Buden zurück. Die vorgebrachten Schmähungen, die stets kompromittierende Details aus dem Leben des jeweiligen Gegenübers enthüllen, führen dazu, dass der Sohn Njálls dem

47 Vgl. Njáls saga, Kap. 119, 298. 48 Njáls saga, Kap. 119, 302. 49 Njáls saga, Kap. 120, 304.

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Rezipienten als notorischer Unruhestifter im Gedächtnis bleibt. Inhaltliche Details der Vorwürfe spielen zunächst eine untergeordnete Rolle; als entscheidend für den weiteren Handlungsverlauf erweisen sich vielmehr die vierfache Wiederholung seiner Verbalattacken und die Tatsache, dass sämtliche Beleidigungen Unmännlichkeitsbezichtigungen darstellen. Skarpheðinns verhängnisvolle Auseinandersetzung mit Flosi läuft nach demselben Schema von Provokation und Reaktion ab, das bereits während des Bittgangs der Njálssöhne Anwendung findet: Eine Provokation seines Gegenübers vergilt Skarpheðinn mit dem Vorwurf der Unmännlichkeit. Folglich muss er dem Handlungsschema entsprechend, das in den Kapiteln 119 und 120 in ausführlicher Form präsentiert worden ist, als optimaler Sündenbock für das Scheitern des Vergleichs erscheinen. Dass Flosi möglicherweise nie gewillt war, einen Vergleich zu akzeptieren, sondern gemäß der Aufhetzung seiner Nichte Hildigunnr zu handeln beabsichtigt, tritt in dieser Szene in den Hintergrund.

Njáll als scheiternder Trickster Njáll behält über weite Teile der Handlung hinweg die Kontrolle, sei es über seine Söhne, deren kriegerischen Handlungen er sich kaum entgegenstellt, oder über seine juristischen Winkelzüge, die er geschickt einsetzt, um für sich und seine Freunde Wohlstand, Macht und Ansehen zu sichern. In der soeben analysierten Episode scheint die Tricksterfigur Njáll jedoch keinen Einfluss auf die Geschehnisse auf dem Thing und die darauffolgenden, schicksalsträchtigen Ereignisse mehr zu haben. Inwiefern kann die Lesart Trickster der Episode um die Eskalation des Vergleichs und den Kapiteln bis zum Mordbrand gerecht werden? Zu den wesentlichen Merkmalen des Tricksters gehört es, dass seine Handlungen eine gewisse Eigendynamik entwickeln; dabei verliert er nicht selten die Kontrolle über seine Taten und wird zum Opfer der eigenen Streiche.50 Diese Erfahrung muss auch Njáll machen: Sein Plan, auf dem Thing durch das Gewinnen möglichst vieler Unterstützer sein eigenes Leben und das seiner Familie zu retten, scheitert. Selbst Njálls tränenreiche Ansprache über den Verlust Hǫskuldrs sowie die Bereitschaft der Thinggemeinschaft, einen Großteil der festgesetzten Mannesbuße im Kollektiv zu begleichen, können die Eskalation des Konflikts nicht verhindern.51 Nach dem Bruch des Vergleichs ahnt Njáll die für seine Familie tödlichen Konsequenzen voraus. Der gescheiterte Trickster versucht folglich, einen letzten Plan in die Tat umzusetzen:

50 Vgl. Sauckel 2016; Hynes 1997. 51 Vgl. Njáls saga, Kap. 122–123, 309–313.



Brennu-Njáll als scheiternder Trickster oder 

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Seinen gewaltsamen Tod wirkungsvoll zu inszenieren und als Christ auf den damit verbundenen Status als Märtyrer zu hoffen.52 Die von Theodore Andersson und William Ian Miller vorgebrachte Interpretation der Figur Njáll als durchaus berechnend agierende Persönlichkeit, deren Feuertod Teil ihres eigenen Racheplans sei, lässt sich mithilfe der von mir vorgeschlagenen Lesart ‚Trickster‘ bestätigen und vertiefen. Das neu formulierte Trickster-Konzept erlaubt eine minutiöse Analyse des Protagonisten, anhand derer spezifische körperliche Merkmale, Charaktereigenschaften und Gedankengänge seines tricksterhaften Wesens nachvollziehbar werden. Insbesondere die in Kapitel 123 geschilderte Szene, die die Eskalation des Konflikts mit Flosi zum Inhalt hat, erfährt eine Neuinterpretation. Bisher wurden vornehmlich das von Njáll stammende Seidengewand und Skarp­ heðinns impulsives Wesen als Hauptursachen für ein Scheitern des ausgehandelten Vergleichs angesehen. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass an dieser Stelle vielmehr der ­Protagonist selbst scheitert: Die tränenreiche Ansprache des alten Mannes und seine Zugabe des kostbaren Kleidungsstücks wiegen gegen die Hetzrede Hildigunnrs nicht schwer genug, um den Frieden zu wahren; es scheint dagegen die in den Isländersagas thematisierte Konvention der männlichen Ehre zu sein, die den Handlungsverlauf bestimmt. In weiteren Untersuchungen soll das von mir präsentierte Trickster-Konzept auf die Erzählmuster der Brennu-Njáls saga und die damit in der Erzählung präsentierten sozialen Normen zur Anwendung kommen.

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52 Vgl. Miller 2014, S. 232  f.

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 Anita Sauckel

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Daniel Sävborg

Ynglingakungarna i medeltida svensk historieskrivning. En studie i stegvis korruption och transformation Abstract: “The Yngling Kings in Medieval Swedish Historiography. A Study in Corruption and Transformation.” The article examines the treatment of the kings of the Yngling dynasty in medieval Swedish historiography. The focus of the study is how the original text from Historia Norwegiæ is transformed through textual corruption (misreadings) and reinterpretation of personal names and factual information. The article attempts to explain how the – in the end fundamental – changes of names and information has taken place. The case also proves to be a fruitful analogy which helps us to better understand some of the much discussed corrupt texts of the U version of Snorra Edda in relation to the standard RTW version. I jämförelse med den norröna historieskrivningen är den medeltida svenska historieskrivningen ett föga känt och ett föga utforskat fenomen. Några stora litterära konstverk som kan jämföras med norröna kungasagor eller Saxos Gesta Danorum innehåller nu inte heller den svenska historieskrivningen. Ändå bjuder även den på åtskilligt av intresse, inte minst för norrönforskare. Även i den svenska historieskrivningen spelar kungarna av ynglingaätten efter en tid en viktig roll för skildringen av Sveriges fornhistoria. Hur denna tradition återges och förvaltas av medeltidens svenska historiker är föremål för ett forskningsprojekt jag nu bedriver. En intressant aspekt är de förändringar och omtolkningar som sker i behandlingen av materialet under de århundraden jag har studerat. Under tidens lopp förändras element i skildringen av dessa kungar, förändringar som får betydelse för bilden av den svenska historien. Denna successiva framväxt av en standardbild av svensk fornhistoria är värd att studera, inte minst då det är en idag föga känd del av det nordiska medeltidsstudiet. Jag skall här presentera något av detta och fokusera på just frågor kring vad som förändras av det ursprungliga materialet, hur och varför förändringarna äger rum och vilka konsekvenser de får, på frågor kring vad som är korruption respektive medveten omtolkning och vad som är växelverkan mellan dessa två förändringsmekanismer. Förhoppningsvis kan de exempel jag analyserar illustrera mer generella fenomen och kunna användas till att belysa även andra fall inom forskningen. *

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 Daniel Sävborg

I oktober 2011 höll jag ett föredrag vid en konferens i München anordnad av Wilhelm Heizmann. Mitt ämne var U-versionen av Snorra Edda och dess relation till RTW-versionen, som ofta setts som standardversionen.1 I mitt föredrag diskuterade jag inledningsvis några av de argument som andragits för att U-versionen inte skulle kunna återgå på RTW-versionen utan representera en tradition  – muntlig eller skriftlig  – oberoende av denna; de två versionerna skulle enligt det diskuterade synsättet alltså inte gå tillbaka på en gemensam arketyp. Här har vissa forskare anfört sakliga motsättningar mellan versionerna och menat att de är av sådant slag att de bör vittna om sinsemellan oberoende traditioner. Ett exempel jag nämnde i mitt föredrag är episoden om Tors fiske. I RTW sägs att Tor kastade sin hammare på Midgårdsormen och ”folk säger att den slog av honom huvudet” (”segja men, at hann lysti af honum hǫfuðit”; s. 45), men i U syftar samma ord på jätten: Tor kastar sin hammare på honom och slår av hans huvud (”ok laust af honum hǫfuðit”; s. 74). Från det traditionella perspektivet (hos Finnur Jónsson och andra) är U:s avvikande uppgift på denna punkt bara ett misstag till följd av en radikal förkortning där nästan hälften av texten skurits bort, varvid syftningen råkat bli en annan. Men för en forskare som Heimir Pálsson, som svarar för den senaste editionen av U-versionen, är detta ett exempel som i stället kan antyda en alternativ muntlig version av myten i U (2010, 5). Heimir Pálsson (2012, lv f. och cxvii) argumenterar också för att de sakliga skillnaderna mellan RTW- och U-versionerna i berättelser som Balders död och stölden av Iduns äpplen indikerar alternativa muntliga versioner. I mitt Münchenföredrag ägnade jag mig i första hand åt att undersöka de stilistiska och narratologiska skillnaderna mellan Snorra-Edda-versionerna, men det finns skäl ta upp tråden med de sakliga diskrepanserna igen. Heimir Pálsson fäster i sin argumentation nämligen påfallande stor vikt vid dem. Det är sådana skillnader, närmare bestämt den stora omfattningen av dem, som får honom att dra sin centrala slutsats: From what has been said above it seems clear that it is not always the same source that underlies the myths as they are told in the Codex Regius version and the Uppsala Edda version. There are simply too many differences between the two versions […] for it to be possible for the two versions to have come about by the shortening of one or the lengthening of the other. A much more natural explanation is that the two versions were based on different oral narratives that varied in quality and were told by different storytellers [---]. Some of what appears in DG 11 4to cannot be derived from the same archetype as the Codex Regius version is derived from. This applies particularly to the very different texts of verses in Skáldskaparmál and extremely different tellings of stories in Gylfaginning and Skáldskaparmál” (Heimir Pálsson 2012, CXVI [mina kursiveringar]).

Till Hemir Pálssons återkommande belägg hör skillnader vad gäller egennamn. I berättelsen om skaldemjödet motsvaras RTW:s namnformer Fjalarr, Galarr och Rati i U av Falas, Galas och Roði, och Heimir Pálsson kommenterar som en självklarhet: ”None

1 En omarbetad version av föredraget publicerades i Sävborg 2013, 247–266.



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of them are likely to be misreadings” (2010, 23). Vid ett annat tillfälle listar han en mängd mytologiska namn som har olika lydelse i R och U, t.ex. Biflindi-Riflindi, JálkrSalkr, Byrgir-Byggvir, Hvergelmir-Hergelmir, och drar slutsatsen att dessa varianter icke stöder tanken att de två versionerna skulle återgå på en gemensam förlaga, utan att de tvärtom indikerar ”different original sources” (Heimir Pálsson 2010, 35). En delvis likartad syn möter hos Heimir Pálssons projektkollega Maja Bäckvall. Ämnet för hennes doktorsavhandling om Snorra Edda från 2013 är U-versionens återgivning av eddastrofer. Ett av hennes exempel är behandlingen av Vafþrúðnismál 45. Strofen introduceras i RTW av en prosapassage som börjar: ”En þar sem heitir Hoddmímis holt leynask menn tveir í Surtaloga” (s. 54), vilket i U motsvaras av ”En í holdi Mímis leynast meyjar í svartaloga” (s. 84). Redan här finns sakliga diskrepanser (Hoddmímis holt-hold Mímis; menn-meyjar; í Surtaloga-í svartaloga) och fler blir det i den härpå citerade strofen (Vm 45). I RTW lyder första helmingen: ”Líf ok Leifþrasir, / en þau leynask munu / í holti Hoddmímis”; i U lyder raderna i stället: ”Líf ok Lífþræsir / er þar leynast meyjar / í Mímis holdi”. Här motsvaras RTW:s holt (”í holti”) av U:s hold (”í […] holdi”), RTW:s ”en þar” av U:s ”en þau” och RTW:s ”munu” av U:s ”meyjar”. Det är onekligen många sakliga diskrepanser i en kort text, men de utseendemässiga likheter som finns mellan de skiljaktiga orden (holt-hold, þau-þar, menn-meyjar etc.) har ändå lett tidigare forskare att anta felläsningar i U. Bäckvall (2013, 172) avvisar denna tanke: ”hela strofen tycks komma ur en annan tradition än de övriga textvittnenas”, skriver hon. Slutsatsen baseras närmast på de påtagligt stora skillnaderna  – det är en av de strofer där ”det inte [är] fråga om en enstaka variant som ändrar innebörden av strofen utan […] strofer där strukturen är väsentligt annorlunda, eller där flera mer eller mindre betydelsetunga varianter tillsammans ger en annan bild” (Bäckvall 2013, 189). Härtill andrar Bäckvall också sin uppfattning att samtliga varianter i detta fall ”hör till såväl avsändar- och mottagarvittnet” – d.  v.  s. att Bäckvall anser att U-skrivaren medvetet bör ha skrivit de aktuella raderna som de står och att de medeltida läsarna bör ha ansett sig kunna utläsa något begripligt ur dem2 – som skäl till slutsatsen att ”DG11:s [=U:s] strof citeras från en annan tradering än vad som är fallet i de övriga textvittnena” (Bäckvall 2013, 173). Möjligheten att det snarare skulle handla om felläsningar än felskrivningar hos en skrivare aktualiseras anmärkningsvärt nog inte av Bäckvall, inte heller möjligheten att eventuella misstag (felläsning, felskrivning, feltolkning) ägt rum på ett tidigare stadium av den skriftliga traderingen än vid U-skrivarens framställning av det specifika manuskriptet DG 11 4to. Heimir Pálssons och Maja Bäckvalls arbeten skiljer sig åt på flera punkter. Heimir Pálsson ägnar stort utrymme åt varianter av egennamn, medan Bäckvall i stort sett helt undviker egennamn i sin undersökning. Heimir Pálsson ägnar sig primärt åt prosan, medan Bäckvall undersöker strofcitaten. Heimir Pálsson diskuterar möjliga

2 För definition av begreppen avsändarvittne och mottagarvittne, se Bäckvall 2013, 41.

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felläsningar, medan Bäckvall diskuterar möjliga felskrivningar. Ändå uttrycker de i ett viktigt hänseende en gemensam syn på U och dess relation till RTW-versionen: de sakliga diskrepanser som finns, både vad gäller namnformer och innehållsliga element i berättelsen, skall inte förklaras som följd av felläsningar eller missförstånd i relation till en gemensam arketyp, utan som en följd av att U nyttjat källor eller traditioner oberoende av RTW-versionen eller dess yttersta skriftliga ursprung. Slutsatsen dras på grundval av diskrepansernas stora antal och deras ofta stora omfattning. Det är naturligtvis svårt att bevisa något i fall som dessa. Däremot bör det vara möjligt att sätta in detta slags textvariation i en större kontext av variation i texttradering i Norden under den aktuella tiden. Genom analogier i form av fall där vi bättre känner de skiljaktiga versionernas relation till en ursprungsversion bör frågan åtminstone kunna belysas. De avgörande frågorna är alltså om många och kraftiga förändringar av namnformer är osannolika i rent skriftlig tradering av texter med gemensamt skriftligt ursprung och om sakliga förändringar av centralt slag av skeenden och information är osannolik i sådan rent skriftlig tradering. Om vi tvärtom kan belägga dessa slags förändring som normala i tiden försvagas Heimir Pálssons och Maja Bäckvalls argumentation kring U-versionen av Snorra Edda. Här kan den medeltida svenska historieskrivningen ha en roll att spela som jämförelseobjekt. Kungarna av ynglingaätten, såsom de skildras i de olika handskrifterna av Historia Norwegiæ och i den medeltida svenska historieskrivningen, utgör ett fall som på flera punkter ter sig jämförbart med fallet Snorra Edda. I båda fallen rör det sig om material som förmedlar norrön fornkunskap. Verken – Historia Norwegiæ och Snorra Edda – är från ungefär samma tid, och de aktuella handskrifterna är också de i huvudsak samtida. I båda fallen rör det sig om snarast mytologiska namn och skeenden som ofta avviker påtagligt från det ”vanliga” och normala. Något bevis i de enskilda fallen kan denna jämförelse inte sägas ge, däremot kan den som en analogi förhoppningsvis kasta ljus över de problem som nämndes.

Den svenska historieskrivningen under medeltiden Den svenska historieskrivningen kommer igång på 1200-talet i form av kungalängder och kungakrönikor. Två, delvis skiljaktiga, traditioner finns, och de fästs i skrift ungefär samtidigt. Vi har dels en västgötsk tradition i form av en kortfattad kungakrönika, först nedtecknad ca 1230 (äldsta handskrift Cod. Holm. B 59 av Äldre Västgötalagen; krönikan nedtecknad i början av 1300-talet), dels en östsvensk tradition, nedtecknad ca 1255 (äldsta handskrift Cod. Ups. C 70 från ca 1260).3 De två traditionerna är

3 Se Bolin 1931, 161–171; Lovén 2012, 65; Sävborg 2015, 202–204.



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dock lika på en central punkt: de börjar med Sveriges förste kristne kung, Olof skötkonung. Någon inhemsk historia äldre än så nedtecknades inte i Sverige före 1300-talet. På 1300-talet förändrades situationen. Från tiden kring 1340 stammar två kortfattade kungakrönikor, sinsemellan tydligt skriftligt relaterade, vilka båda för Sveriges historia betydligt längre bakåt i tiden. Verken är på latin och brukar betecknas som Catalogus Regum Sueciæ ad Annum Christi 1333 och Registrum Upsalense. För tiden från och med Olof skötkonung bygger de på Västgötalagens kungakrönika, men båda innehåller också en översikt över Sveriges kungar under hednatiden.4 I båda verken är det kungarna av ynglingaätten vi möter här.5 Den som är bekant med ynglingaätten genom Snorri Sturlusons Ynglinga saga noterar åtskilliga avvikelser från denna, t.ex. att Yngvi anges som far till Njord eller att tillnamnet Vendelkråka tilldelas Egil i stället för Ottar. Men de svenska krönikornas förlaga är inte Snorri utan den norska Historia Norwegiæ. Historia Norwegiæ är ett lärt verk på latin om Norges geografi och historia, författat under senare delen av 1100-talet eller början av 1200-talet.6 Eftersom den norska kungaätten stammade från den svenska inleds Historia Norwegiæs historiska avdelning, liksom Snorris Ynglinga saga, med de svenska kungarna av ynglingaätten och deras stamfäder Ingui, Neorth och Froy, vilka namn motsvarar de norröna Yngvi, Njǫrðr och Freyr. Texten om ynglingakungarna i Catalogus och Registrum Upsalense står huvudhandskriften av Historia Norwegiæ så nära att de inom forskningen ses som fragment av Historia Norwegiæ snarare än som separata verk.7 Huvudhandskriften av Historia Norwegiæ är den s.  k. Dalhousie-handskriften.8 Denna handskrift är från Skottland och nedtecknad ca 1500, men återgår sannolikt på en förlaga från ca 1425 från de då norska Orkneyöarna (Ekrem/Mortensen 2006, 38, 39, 43). Dalhousiehandskriften har förvisso flera klara fel, om vi med fel avser avvikelser från originalversionen. Man kan t.ex. nämna ”Emkr” och ”Broutonnud”, där Historia Norwegiæs ursprungliga text på goda grunder kan antas ha haft ”Erikr” och ”Broutonund”9, motsvarande de norröna formerna Eiríkr och Braut-Ǫnundr. Ändå är det knappast någon tvekan om att Dalhousiehandskriften på det hela taget ger en relativt god text, en text som bör ha legat nära originalversionen, vilken oftast med

4 I Registrum Upsalense står avsnittet om de kristna kungarna tidigare i handskriften än det här aktuella avsnittet om hednakungarna. Catalogus följer däremot en kronologisk ordning fullt ut. 5 I båda verken finns också en brygga mellan den siste svenske ynglingakungen Olof trätälja och den förste kristne kungen Olof skötkonung i form av fyra kungar hämtade från Saxo och norrön sagalitteratur. Denna brygga kommer inte att behandlas här. För detta avsnitt, se Bolin 1931, 194–195. 6 Ekrem/Mortensen 2006, 43, daterar Historia Norwegiæ till 1160–1175. Andra forskare förordar en datering till 1200-talet (se exempel i Holtsmark 1961, 586). 7 Så t.ex. i Ekrem&Mortensens utgåva, där ynglingaavsnitten i Catalogus och Registrum Upsalense betecknas som handskrift B och C av Historia Norwegiæ; Ekrem/Mortensen 2006, 31–32. 8 Se Michael Chesnutts beskrivning i Ekrem/Mortensen 2006, 28. 9 Så återges namnen även i Ekrem/Mortensens emenderade text (Ekrem/Mortensen 2006, 76; 78).

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relativ säkerhet kan fastställas; de olika norröna versionerna av listan med ynglingakungar (i Snorris Ynglingasaga, Aris Íslendingabók m.fl.) utgör här en viktig jämförelsepunkt. Lika vänligt kan man inte uttala sig om ynglingapartiet i Catalogus och Registrum Upsalense. I båda verken finns åtskilligt som avviker markant från vad vi möter i såväl de emenderade standardutgåvorna av Historia Norwegiæ som i Dalhousiehandskriften och de norröna verk som nämner ynglingakungarna. Namnformer och ibland även de händelser som skildras är ofta annorlunda. Det kan inte råda någon tvekan om att vi här har att göra med en stor mängd regelrätta fel, där den text vi har oavsiktligt avviker från originalversionen. För den senare svenska historieskrivningen ligger dessa verks återgivning av ynglingakungarna till grund för den hedniska delen av den svenska kungalängden. Så förblir det fram till 1600-talet, då Snorris Ynglingasaga blir känd och successivt tar över som huvudkälla. Verk efter verk bygger vidare på föregångarna, men ytterst är det Catalogus och Registrum Upsalense och deras version av Historia Norwegiæs ynglingaavsnitt som är källan. Inga andra versioner om ynglingakungarna än dessa föreligger för de svenska historieskrivarna före 1600-talet: man saknade i Sverige all tillgång till och kunskap om de norröna källor som nämnde ynglingakungarna; därmed kunde ingen korrigering utifrån dessa källor göras – alla de svenska historieskrivarna t.  o.  m. början av 1600-talet bygger för ynglingakungarnas del enbart på de äldre svenska verken, och då ytterst på Catalogus och Registrum Upsalense. Detta faktum är centralt när det gäller denna analogis möjlighet att belysa fallet Snorra Edda: i det svenska materialet torde vi kunna utesluta möjligheten av andra, oberoende, traditioner eller källor som förklaring till de avvikelser från Historia Norwegiæ som vi möter, alltså den förklaring som andragits i fallet Snorra Edda i polemik mot tanken på felläsningar och korrupta texter. I det följande skall jag undersöka de korrupta formerna och vad som händer med dem över tid. Dessutom skall jag analysera korruptionens, förändringarnas och omtolkningarnas karaktär. Jag skall följa dem i den svenska historieskrivningen från 1330-talet till 1540-talet. För att denna artikel skall få ett hanterligt omfång skall jag fokusera på ett urval fall: dels ett antal personnamn, dels berättelsen om kung Sveigðir och hans öde.

De svenska historieverken Här följer först en presentation av de svenska historieverk jag undersöker. Catalogus Regum Sueciæ ad Annum Christi 1333 utgörs av en kungakrönika från äldsta tider fram till 1333, kung Magnus Erikssons tid, då krönikan av allt att döma är skriven. Dess inledande del utgörs som nämnts av en version av Historia Norwegiæs avsnitt om de svenska ynglingakungarna. Krönikan avslutas med upplysningen att Magnus Eriksson blivit kung över de båda kungarikena Sverige och Norge, och kröni-



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kans inledning med ynglingakungarna, som var stamfäder för både det svenska och norska kungahuset, liksom användandet av norskt material, bör sannolikt sättas i förbindelse med denna uppgift (Bolin 1931, 199; Ekrem/Mortensen 2006, 40). Handskriften är dock betydligt yngre än Magnus Erikssons tid. Catalogus är bevarad i Cod. Holm. B 17, en handskrift huvudsakligen innehållande Magnus Erikssons landslag samt några ytterligare lagar. Den aktuella delen av handskriften dateras till första hälften av 1400-talet (Ekrem/Mortensen 2006, 31). Den andra svenska ynglingalistan från Historia Norwegiæ ingår i Registrum Upsalense, bevarad i handskrift A 8 på Riksarkivet i Stockholm, huvudsakligen nedskriven 1344. I handskriften samlas åtskilligt material kopplat till Uppsala domkyrka. Utdraget ur Historia Norwegiæ omfattade ursprungligen endast de nio första ynglingakungarna, t.  o.  m. Domar (senare lade en annan hand till även de övriga hednakungarna). Ynglingaavsnitten i Catalogus och Registrum Upsalense kan inte vara direkt beroende av varandra utan bygger på en gemensam förlaga (Bolin 1931, 193; Ekrem/Mortensen 2006, 32; 40). Texten i Catalogus och Registrum Upsalense ligger dock nära varandra, och redan deras gemensamma förlaga har omfattat många av de markanta avvikelserna från Historia Norwegiæs ursprungliga text. Prosaiska krönikan utgör det första större svenska historieverket. Krönikan är skriven i början av 1450-talet, sannolikt på uppdrag av kung Karl Knutsson (Westin 1968, 504–505; Löw 1908, 3). Huvudhandskrift är D 26 på Kungliga biblioteket i Stockholm, från tiden mycket kort efter författandet.10 Krönikan startar i biblisk tid och utnämner Noaks sonson Magog till svenskarnas stamfar (s. 219–220). Som den förste svenske kungen (”konungh j götalandom”) nämns en ”Erik”(s. 221), som genom mellanledet Rodericus Toletanus återgår på Jordanes’ gotiske kung Berig (Löw 1908, 11–12), och härpå uppräknas flera ytterligare gotiska kungar från samma källor. Denna lista avslutas med Philimer, som sägs vara far till Jnge (s. 224–226), identisk med ynglingaättens stamfar (”Ingo” i Catalogus och Registrum Upsalense, ”Ingui” i Historia Norwegiæ). Därefter följer ynglingakungarna från Catalogus/Registrum Upsalense med vissa inskott från en helt annan källa, den danska Annales Esromenses, en källa som dock inte känner ynglingakungarna; namnen Urbar, Östen och Attila skjuts in på olika ställen i krönikan (s. 227–228).11 När det gäller själva ynglingalistan följer Prosaiska krönikan dock Catalogus/Registrum Upsalense relativt nära. Bara i ett fall påverkar nya källor informationen om ynglingakungarna: kung Hakon, som övertagits med detta namn från Catalogus/Registrum Upsalense och motsvarar Historia Norwegiæs Auchim/Auchun och Ynglinga sagas Aun, ges tillnamnet ”ringe” (s. 229) och identifieras med Saxo Grammaticus Ringo, som besegrade Harald hildetand. Redan efter några få år tillkom en interpolerad version av Prosaiska krönikan, där kungar från den norska Þiðreks saga sköts in mellan eller sammanslogs med de sista

10 G. E. Klemming daterar handskriften till ”medlet af 1400-talet” (Klemming 1868–1881, 293). 11 För beroendet av Annales Esromenses, se Löw 1908, 14–15.

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kungarna från gotiska källor (s. 224–226). Det finns även en interpolation från det s.  k. Saxokompendiet gällande Bråvallaslaget (Löw 1908, 26). Bearbetningen påverkar dock inte egentligen informationen om ynglingakungarna. Den äldsta handskriften med denna version är Codex Verelianus, skriven 1457 (Klemming 1868–1881, 292). Det är Prosaiska krönikan i denna interpolerade version som blir huvudkällan till det följande århundradets svenska historieskrivning. Lilla rimkrönikan tillkom kort efter den interpolerade versionen av Prosaiska krönikan och bygger på denna. Den äldsta handskriften är även i detta fall Codex Verelianus från 1457, som ligger till grund för standardutgåvan. Krönikan låter varje kung framsäga en monolog om sig själv. Lilla rimkrönikan saknar de två första ynglingakungarna, men alla de övriga finns med. Cronica Regni Gothorum har betydligt större omfattning än några tidigare svenska historieverk, och nu är språket återigen latin. Verket författades av Uppsalakaniken Ericus Olai åren kring år 1470. Även här inleds den svenska historien med forntidens gotiska kungar, vilka växlar med vissa kungar från Saxo, och krönikan avslutas med Karl Knutsson. För ynglingakungarna och deras tid bygger Ericus Olai främst på Prosaiska krönikan, och själva kungaräckan överensstämmer helt med detta verk, men han har uppenbart även konsulterat flera av de äldre verken (Nygren 1957, 603; Löw 1908, 31). Från 1520-talet stammar en ny version av Lilla rimkrönikan (Löw 1908, 29). Den ena av de två första ynglingakungarna som saknades i den äldre versionen är återinförd; i övrigt är räckan av ynglingakungar densamma som i den äldre versionen, men texten är ofta både omarbetad och utvidgad. Huvudhandskrift är nr 51 i Benzelius samling i Linköpings bibliotek, daterad till 1520-talet (Klemming 1867–1868, 269–270). Sveriges protestantiske reformator Olavus Petri skrev En swensk cröneka vid slutet av 1530-talet (Löw 1908, 41). Han har en betydligt mer kritisk inställning till historia än föregångarna och anser egentligen att enbart den yngsta svenska historien, från vilken samtida dokument finns, kan fastställas (s. 8). Ändå återger han även den tidigare historien som skildrats av föregångarna. Han börjar i forntiden med den Erik han funnit hos Ericus Olai (ytterst Jordanes’ Berig) och slutar med Kristian II. För ynglingakungarna och deras tid följer han Ericus Olai och de äldre svenska krönikorna, men diskuterar även några påstådda kungar från Saxo som eventuellt samtida med dem (s. 26–27). Huvudhandskrift är en avskrift från 1540-talet med författarens egna ändringar (Klemming 1860, 338 samt inledningen [opaginerad]). Verket förblev otryckt ända fram till 1800-talet. Sveriges siste katolske ärkebiskop Johannes Magnus anses ha fullbordat sin Gothorum Sueonumque Historia 1540 (Löw 1908, 50). Verket trycktes postumt 1554. I Johannes Magnus version omfattar den svenska historien 4000 år. Han utser Noaks sonson Magog till nr 1 av de svenska kungarna och slutar med Gustav Vasa på plats nr 143. På 54:e plats möter ynglingaättens stamfar Ingo, och härifrån följer Johannes Magnus Ericus Olais kungaräcka men skjuter också bland dem in hela 25 kungar som han i huvudsak tycks ha hittat på själv (Löw 1908, 83). Efter publiceringen år 1554



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kom Johannes Magnus historia att ligga till grund för den svenska historieskrivningen under mer än hundra år.

Kunganamnen Vi börjar med att följa ett antal av kunganamnen genom de olika fornsvenska versionerna av ynglingaättens historia. Som utgångspunkt anges nedan den norröna formen, som kan ses som ett slags extern standard. I själva jämförelserna är det dock de i Historia Norwegiæ och de svenska historieverken belagda formerna som är relevanta. Njǫrðr: Historia Norwegiæ anger honom som den andre kungen av ynglingaätten, son till ättens stamfar Ingui. Dalhousiehandskriften använder formen Neorth om honom (s.  74), vilket anses vara den ursprungliga formen i verket. I Catalogus heter han Neork (s. 270) och i Registrum Upsalense Neroch (s. 265).12 Prosaiska krönikan kallar honom Neorch (s. 226). I Lilla rimkrönikan saknas han, både i den äldre och den yngre versionen. Ericus Olai har formen Neark (s. 41), samma form har Olavus Petri (s. 22), och Johannes Magnus kallar honom Nearchus (s. 237). Freyr: I Historia Norwgiæ, liksom i den norröna traditionen, är han Neorths son och möter i Dalhousiehandskriften under namnformen Froy (s. 74), vilket anses vara verkets ursprungliga form. Catalogus (s. 270) kallar honom Stroy och Registrum Upsalense (s. 265) Froy (första omnämnandet) och Froyr (andra omnämnandet). Prosaiska krönikan kallar honom Froee vid första omnämnandet och Froe vid det andra (s. 226–227). Lilla rimkrönikan kallar honom Frode (s. 217), vilket i den yngre versionen stavas Phrodhe (s. 257). Ericus Olai skriver Froto (s. 42), Olavus Petri Frodhe (s. 22) och Johannes Magnus Frotho, med alternativformen Froë parentetiskt (s. 238). Fjǫlnir: Historia Norwegiæ har av allt att döma kallat denna kung Fiolni, vilken form också möter i Dalhousiehandskriften (s. 74). Läsningen i Catalogus är mindre säker. I G.E. Klemmings utgåva står ”fiolm [fiolnj?]” (s. 270), medan Storm i sin utgåva läser ”Fiolnj” (Storm s. 225). Ekrem&Mortensens utgåva av Historia Norwegiæ anger inga

12 Vid återgivningen av Catalogus, Registrum Upsalense och Prosaiska krönikan följer jag G.E. Klemmings utgåvor i Småstycken på forn svenska (1868–1881). Till skillnad från denna utgåva inleder jag dock egennamn med versal och återger utgåvans a med hake med æ.

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avvikelser från Dalhousiehandskriften i den kritiska apparaten i detta fall, vilket indikerar att de också läst ”Fiolni” i Catalogus-manuskriptet (s. 270). Jag har inte haft möjlighet att själv kontrollera handskriften. Det är alltså oklart om Catalogus har Fiolm eller Fiolni, men den enda utgivare som anger Fiolm anger också Fiolnj som en möjlig läsning, varför detta (eller Fiolni, då j här snarast är en grafisk variant av i) framstår som huvudalternativet. Registrum Upsalense kallar honom ”Siolm” (s. 265). I Prosaiska krönikan heter han Solen (s. 228), vilket återkommer i Lilla rimkrönikan (s. 218); i dess yngre version kallas han Solon (s. 259). Ericus Olai anger två alternativa former, Fyolm och Solen (s. 42), Olavus Petri skriver Syolm (s. 23) och Johannes Magnus har åter två alternativa former, Fliolmus och Siolmus (s. 242). Braut-Ǫnundr: Dalhousiehandskriften har formen ”Broutonnud”, vilket utgåvorna av Historia Norwegiæ på goda grunder emenderar till ”Broutunund” (s. 78), vilket kan antas vara Historia Norwegiæs ursprungliga form. I Catalogus kallas han ”Bræntomund” (s. 272) och i Registrum Upsalense ”Brentomundir” (s. 266). Prosaiska krönikan kallar honom Bräntemundher (s. 230), Lilla rimkrönikan Bretimunder (s. 222) och dess yngre version Brämwnd (s. 268). Hos Ericus Olai kallas han Brentemunder (s. 45), hos Olavus Petri Brentemunder (s. 33) och hos Johannes Magnus Bratemundus (s. 543). För överskådlighetens skull kan denna förenklade översikt göras för de fyra namnen ovan: Norrön form Historia Norwegiæ (Dalhousie) Catalogus Registrum Upsalense Prosaiska krönikan Lilla rimkrönikan Ericus Olai Lilla rimkrönikans yngre red. Olaus Petri Johannes Magnus

Njǫrðr Neorth Neork Neroch Neorch – Neark – Neark Nearchus

Freyr Froy Stroy Froy Froe(e) Frode Froto Phrodhe Frodhe Frotho/Froë

Fjǫlnir Fiolni Fiolni Siolm Solen Solen Fyolm/Solen Solon Syolm Fliolmus/Siolmus

Braut-Ǫnundr Broutonnud Bræntomund – Bräntemundher Bretimunder Brentemunder Brämwnd Brentemunder Bratemundus

I de flesta fall bjuder namnvariationen på mindre dramatik, och formerna förändras inte alltför mycket. Några ytterligare fall kan dock nämnas kort. Den kung som i norrön form heter Dyggvi kallas i Catalogus för det näraliggande Digguir (s. 270)13, och varianter av detta möter i flertalet av de svenska historieverken, men Olavus Petri

13 Dalhousiehandskriften har Dyggur, vilket av Historia Norwegiæs utgivare Ekrem/Mortensen på basis av en kombination av den norröna formen och Catalogus emenderas till Dyggui (Ekrem/Mortensen 2006, 74).



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har i stället Digner (s. 25) och Johannes Magnus Dignerus (s. 249). Den kung vars norröna form lyder Jǫrundr kallas ännu i Dalhousiehandskriften av Historia Norwegiæ Iorundr (s. 76) och i Catalogus Jorundir (s. 271). I Prosaiska krönikan står dock Järunder (s. 229), och de följande svenska verken har varianter av detta; Johannes Magnus har dock Germundus (s. 259). Det norröna Yngvarr lyder ännu i Dalhousiehandskriften Ynguar (s. 78) och i Catalogus Ingwar (s. 271), men i Prosaiska krönikan får han heta Jngemar (s. 230), och alla de senare svenska historieverken följer efter (med lätt ortografisk variation). Det norröna Sveigðir lyder i Dalhousiehandskriften Swegthir (s. 74), men redan i Catalogus och Registrum Upsalense kallas han Suerchir respektive Swærkir (s. 270 resp. 265), och alla de följande svenska verken följer dem med olika varianter av namnet Sverker. Ett mer egendomligt fall är det norröna Aun, som i Dalhousiehandskriften av Historia Norwegiæ lyder Auchim, vilket av utgivarna emenderas till Auchun (s. 76); i Catalogus kallas han dock Haquon (s. 271), och alla senare svenska historieverk följer detta med olika varianter av namnet Håkon.

Kung Sveigðir Berättelsen om kung Sveigðir återfinns i alla de verk och versioner som diskuteras här. Närmast återger jag texten i de olika versionerna som den står. Kommentar och analys följer senare. Historia Norwegiæ (Dalhousiehandskriften) (s. 74): Cuius filius Swegthir nanum in petram persequitur nec redisse dicitur, quod pro certo fabulosum creditor. [Hans son Swegthir, sägs det, förföljde en dvärg in i en sten och återvände aldrig, men det anses vara en saga].14 Catalogus (s. 270): Cuius filius suerchir manum in petram proiciens non retraxisse dicitur, quod pro certo fabulosum creditur. [Hans son Suerchir, sägs det, slog in sin hand i en sten och kunde inte dra ut den, men det anses vara en saga.]

14 Det kan för fullständighetens skull nämnas att denna version av historien ligger relativt nära den som Snorri ger i Ynglinga saga (s. 27): ”[…] Um kveldit eptir sólarfall, þá er Sveigðir gekk frá drykkju til svefnsbúrs, sá hann til steinsins, at dvergr sat undir steininum. Sveigðir ok hans menn váru mjǫk drukknir ok runnu til steinsins. Dvergrinn stóð í durum ok kallaði á Sveigði, bað hann þar inn ganga, ef hann vildi Óðin hitta. Sveigðir hljóp í steininn, en steininn lauksk þegar aptr, ok kom Sveigðir aldri út.”

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Registrum Upsalense (Klemming s. 265 och Ekrem/Mortensen s. 74): Cuius filius swærkir manum in petram proiciens non retraxisse dicitur de quo arguitur fortis. quod pro certo fabulosum creditor. [Hans son Swærkir, sägs det, slog in sin hand i en sten och kunde inte dra ut den, vilket visar hur stark han var, men det anses vara en saga.] Prosaiska krönikan (s. 228): Solen hafde en son ok het swerker han wart konung epter sin fadher ok sigx han war swa starker at han sloo sina hand j ena häl at hon fastnade. Lilla rimkrönikan (s. 218): Swärker solensson Jak ärffde götaland effter min fader ok war tha then starkasta madher til min alboga i en helan sten slo jak min hand vtan men. Ericus Olai (s. 42): Post hunc dicunt regnasse Suercherum aut Suerkar filium eius, qui manum proiciens in petram dicitur non retraxisse, quod omnino creditur fabulosum. [Man säger att efter honom härskade hans son Suercherus eller Suerkar, som, sägs det, slog in sin hand i en sten och inte kunde dra ut den, men det anses allmänt vara en saga] Lilla rimkrönikan, yngre versionen (s. 259  f.): Swerke solonson xiii k Jag kaller then ware en wsall man szom inghen mandom göre kan Så dana stycke giordes thå når iag fiik göteland före staå Jnghen man fandz tha aå marck som iagh i håndom war så stark Jag slogh myn hand i hallasteen hon wek ssig wndhen, iag kende ey meen Sedhen doo iag aff allers meen Oc lagdess i iord oppundher en steen. Olavus Petri (s. 23–24): Thå Syolm war dödh, bleff Swerker hans son konung epter honom, och han war en mechta stark man, ther aff gick en sådana fabele vth om honom, at han kunde slå sin näffua vthi en hårdan steen vp til almboghan. Thet haffuer så warit wore förfädhers pläghsidh, at the beteeknade stora krafft och macht med sådana fabeler. Ther



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före seya the om sombliga kiempar, at the haffua rykt vp med rööter, stoor trää och slaget sina fiender med, The haffua stora stenar, som andre icke lyffta kunde, kastat theres fiender med, och annat sådana ther stoor krafft behöffdes til, som nogh är merkiandes aff them Danska Crönekone, ther full är med sådana fabeler, och ther moste han haffua acht vppå som henne rätt förstå wil. Man seer clarliga at woro förfädher i hedendomen, haffua mera lust hafft, til fabeler och förtäkt ordh, än til clara och enfaldiga sanningene. Johannes Magnus (s. 243–244): [Merparten av Johannes Magnus avsnitt om Sverker handlar om hans krig, något som han tycks ha hittat på själv. Vid slutet följer dock episoden om handen och stenen:] Cum enim Daniæ regnum in varias atque, discordes præfecturas, distractum, Gothicis armis subiicere statuisset, iamque ad id copias paratas, & proxime transmittendas haberet, ecce subito equi casu brachium dextrum subiectis saxis ita collisit, vt breui post tempore, cum casus ille ex solicitudine suscepti belli maiora sumeret incrementa, vitam præmatura morte commutaret, dolentibus cunctis subditis, qui sibi a tam optimo Principe omnia prospera & felicia pollicebantur. Creditur apud ciuitatem Scarensem non procul a collibus Kindiæ vna cum patre tumulatus. [min kursivering] [Då han hade beslutat att underkasta det danska riket, som var uppsplittrat i åtskilliga inbördes fientliga provinser, de götiska vapnen, och då han redan hade trupperna redo att inom kort sändas dit, då snavade hans häst plötsligt och han slog armen mot de stenar som låg därunder på ett sådant vis att han efter kort tid, då denna händelse på grund av det påbörjade krigets strapatser fick allt större följder, bytte sitt liv mot en för tidig död. Alla hans undersåtar, som i denna förträffliga furste hade sett ett löfte om rikedom och lycka, sörjde detta. Han tros vara begraven i Skara, inte långt från Kinnekulle, tillsammans med sin far.]15

Korruption och transformation Vilka mer generella kommentarer kan göras efter dessa exempel? Finns det några generella slutsatser som kan dras? Ett påfallande faktum när det gäller Historia Norwegiæ är att handskriftens ålder uppenbart inte är avgörande för textens kvalitet, dess tidsmässiga närhet till ursprungsversionen. Dalhousiehandskriften är den ojämförligt yngsta av de tre handskrifter vi har för ynglingadelen av verket, men den är lika ojämförligt den bästa. Registrum Upsalense, som är mer än 150 år äldre, står verkets tillkomsttid betydligt

15 Ett tack till Mikael Males för denna översättning.

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närmare, men har en starkt korrupt text där flera namn, som i Dalhousiehandskriften torde återge ursprungsversionen, har förvandlats till oigenkännlighet (t.ex. Siolm, att jämföra med Dalhousiehandskriftens säkerligen korrekta Fiolni), och där en hel episod, Sveigðirepisoden, till följd av felläsningar och omtolkningar transformerats till en fullkomligt annorlunda historia. De flesta av korruptionerna bör, att döma av Catalogus’ vittnesmål, ha funnits redan i Registrum Upsalenses förlaga. Förvisso tillkommer även senare åtskilliga fel, men särskilt en individuell skrivare bör alltså ha åstadkommit en påfallande stor mängd felaktiga namnformer och sakliga fel. Dalhousiehandskriftens och dess förlagors skrivare har haft samma märkliga forntidsnamn och händelser att återge, men gör det betydligt mer korrekt, och de fel som möter är både få och obetydliga. Fallet är en tydlig illustration att det är individuella skrivares skicklighet, inte handskriftens tidsmässiga närhet till ursprungsversionen, som är avgörande för kvaliteten hos en version. Genomgången har överlag visat på förekomsten av mycket stora förändringar, särskilt av namnformer. Det säkerligen ursprungliga Fiolni förvandlas med tiden till bl.a. Solen och Solon, former med minimal likhet med den ursprungliga formen. Froy ger upphov till både Stroy och Frodhe, två former som är sinsemellan fullständigt olika. Men det viktiga här är att minnas: hur olika Stroy och Frodhe än är så har de ett gemensamt skriftligt ursprung. De grundskilda Stroy och Frodhe går tillbaka på samma skrivna text, som haft formen Froy. Detsamma gäller Fiolni och Solon; ”Solon”, så helt olikt Fiolni, kommer inte från en annan, oberoende, tradition, vare sig muntlig eller skriftlig, utan är verkligen avledd från samma ursprungliga form i en och samma skrivna text. Enskilda skrivares rena felläsningar som resulterar i mycket stora förändringar i relation till ursprungsversionen är alltså ett faktum. Det mest extrema exemplet på detta är kanske Sveigðirhistorien. I Historia Norwegiæ (Dalhousiehandskriften) berättas historien hur kungen förföljde en dvärg in i en sten och aldrig återvände. Det är säkerligen den ursprungliga texten, och den överensstämmer med Ynglinga saga och Ynglingatal, vilka också har historien om dvärgen och bergtagningen. Men i Catalogus och Registrum Upsalense sägs i stället att kungen slog sin hand i en sten och inte kunde dra ut den. Det sakliga innehållet är ett helt annat, ändå kan förändringen enkelt förklaras: det ursprungliga ordet ”nanum” [dvärg] i Historia Norwegiæ motsvaras i de svenska texterna av ”manum” [hand]. Felläsningen av ett ord, ja av en enskild bokstav (n som m), av en enskild skrivare vid ett enskilt tillfälle har alltså fått stora konsekvenser för det sakliga innehållet och gett upphov till en helt ny historia, som senare återkommer i de följande svenska verken. När vi i de enstaka fallen jämför en läsning med dess direkta eller näraliggande förlaga kan förvrängningen oftast relativt enkelt förklaras. Det kan handla om 1) en ren felläsning av en enstaka bokstav eller om 2) ett försök att göra ett märkligt eller obegripligt ord eller namn till ett begripligt eller normalt eller om att göra ett svårbegripligt skeende begripligt. Exempel på 1 är den felläsning av de i medeltida texter mycket lika bokstäverna f och s, vilket lett till utvecklingen Froy→Stroy och Fiolm→Siolm, och de likaledes



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utseendemässigt lika -ni och -m, vilket lett till Fiolni→Fiolm.16 Även c och t ser lika ut i de medeltida handskrifterna, vilket kan förklara hur Neorth (Historia Norwegiæ/Dalhousiehandskriften) blivit Neorch (så Prosaiska krönikan; i Registrum Upsalense står Neroch och i Catalogus Neork). Hit hör givetvis också felläsningen nanum→manum, två ord som ser lika ut men har helt olika betydelse. Exempel på 2 torde vara förändringen Svegthir→Sverchir, Järmunder→Germund, Auchun→Haquon, Froe→Frode. Hit hör möjligen också utbytena av orden persequitur och redisse mot proiciens och retraxisse sedan nanum förvandlats till manum; att ’förfölja en hand in i en sten och inte kunna återvända’ bör ha framstått som en egendomlig formulering, varför den gjordes rimligare genom att orden för ’förfölja’ och ’återvända’ ersattes av de utseendemässigt i viss mån likartade orden för ’slå in’ och ’dra tillbaka’. Gränsen mellan 1 och 2 är dock flytande. Bokstäverna c och t ser som nämnts lika ut i de medeltida handskrifterna – vi minns utvecklingen Neorth→Neorch  – och det är fullt möjligt att Svegthir av en svensk skrivare helt enkelt kan ha fellästs som Sverchir, om än den psykologiska förutsättningen självfallet är den större bekantskapen med det i medeltidens Sverige välkända namnet Sverker än med det okända namnet Svegthir. På samma sätt kan förändringarna av persequitur och redisse till proiciens och retraxisse också vara omedvetna automatiska korrigeringar av en skrivare som trott sig läsa de senare orden, vilket var den möjliga läsningen för att få mening i orden om handen, och orden skulle i så fall snarast kunna ses som felläsningar även de. Som nämndes nyss kan en enstaka skrivare åstadkomma både många och stora fel. Men de verkligt stora förändringarna är ändå en konsekvens av stegvis korruption. Vid nästan varje ny avskrift och vid nästan varje ny användning tillkommer nya felläsningar, anpassningar och omtolkningar, vilket leder till att namnformer och historier successivt avlägsnar sig allt längre från det skriftliga ursprunget. Det är t.ex. först när Catalogus’ Jorundir – nära Dalhousiehandskriftens sannolikt ursprungliga Iorundr – blivit till Järunder (Prosaiska krönikan) som vägen är öppen för Johannes Magnus’ Germundus. Det är först när Froy (så ännu Registrum Upsalense) blivit Froe (Prosaiska krönikan) som det genom onomastisk anpassning kan bli Frode (Lilla rimkrönikan m.fl.). Det är först sedan f i Fiolni blivit till s och lett till formen Siolm (Registrum Upsalense) som vi kan få namnen Solen (Prosaiska krönikan) och Solon (Lilla rimkrönikans yngre version). Det är först när Historia Norwegiæs Broutonund (Broutonnud i Dalhousiehandskriften), motsvarande det norröna Braut-Ǫnundr, blivit Bræntomund (Catalogus) som det kan bli Brämwnd (Lilla rimkrönikans yngre version). Jag nämnde ovan den totala olikheten mellan Fiolni och Solon, där det senare likväl stammar från de förra i en rent skriftlig tradering, men vi kan alltså följa framväxten av den helt

16 Kanske skall formen Solen på likartat sätt förklaras som en felläsning m-in, d.  v.  s. Siolm→*Siolin, vilket tolkats som ’Solen’, även om denna precisa förklaring onekligen är en gissning.

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annorlunda formen steg för steg; detsamma gäller utvecklingen från Broutunund till Brämwnd m.fl. I flera fall har en och samma namnform fellästs på olika, men lika felaktiga, sätt av olika skrivare, något som i några fall lett till utveckling av former som är vitt skilda sinsemellan men som ändå återgår på samma skriftliga ursprung. Jag nämnde redan tidigare hur formerna Stroy och Frodhe har ett gemensamt skriftligt ursprung i Froy, och man kan lägga till de likaledes starkt olikartade Solen och Fliolmus, vilka har ett gemensamt skriftligt ursprung i Fiolni. Men varje enskild förändring är inte stor, och vi kan följa framväxten av de häpnadsväckande olika formerna steg för steg, förvisso alltmer olika det gemensamma skriftliga ursprunget men ännu mer olika varandra. Intressant att notera i fallet Fiolni är att Ericus Olai anger två alternativa namn för honom, Fyolm och Solen, och detsamma gäller Johannes Magnus, som för samma kung dock anger alternativnamnen Fliolmus och Siolmus. Av särskilt intresse när det gäller fenomenet med stegvis förändring är fallet med historien om kung Sveigðir. Här har vi ett exempel på en historia som förändras i grunden. Ytterst är skälet felläsningen nanum→manum, men när man följer historien hos de svenska historieskrivarna från 1300-talet till 1500-talet möter man markanta förändringar även på andra punkter, och även här kan förändringarna i regel följas steg för steg. Ingrid Ekrem och Lars Boje Mortensen har i sin behandling av de tre HistoriaNorwegiæ-handskrifterna diskuterat förändringen av Sveigðir-historien. De hävdar att en transformering har skett i två steg. Deras utgångspunkt är Dalhousiehandskriftens text (som de betecknar som A), som de på goda grunder anser vara den ursprungliga: ”Cuius filius Swegthir nanum in petram persequitur nec redisse dicitur”. Det första steget i transformeringen är misstaget hos en skrivare där nanum [dvärg] blivit manum [hand]. Det andra steget är att persequitur [förföljde] omtolkats till proiciens [slog in] och redisse [återvända] till retraxisse [dra ut] för att få någon mening i den nya texten. Förändringarna till följd av båda dessa steg återfinns i såväl Catalogus och Registrum Upsalense (betecknade som B och C av Ekrem&Mortensen). C-texten, alltså Registrum Upsalense, söker dessutom få ut en poäng ur den nya historien genom att tillägga: ”de quo arguitur fortis” [vilket visar hur stark han var].17 Ekrem och Mortensen ger en god beskrivning av hur förändringen ägt rum och vilka steg det handlar om. Från en historia om en kungs märkliga försvinnande på grund av ett övernaturligt väsen får vi en historia om hur en kung visar sin styrka. Vi ser att hela förändringen inte kommer på en gång eller har samma förklaring. Ursprunget till förändringen ligger i en felläsning av en bokstav i ett ord, men denna felläsning ger upphov till nya förändringar till följd av nya felläsningar eller försök till korrigeringar i begripliggörande syfte, och sist gör en skrivare aktivt ett tillägg där den nya historien ges en förklarande poäng. Förändringarna leder till en helt ny historia med helt ny poäng, men det är värt att notera att

17 Ekrem/Mortensen 2006, 36.



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hela förändringen äger rum inom den skriftliga traderingen av ett och samma textverk. Det är också värt att minnas att tillkomsten av den nya historien grundas på ett rent läsfel av en enda bokstav. Men vi kan gå vidare och följa även de senare svenska historieverkens behandling av samma historia. I Prosaiska krönikan berättas: ”sigx han war swa starker at han sloo sina hand j ena häl at hon fastnade”. Krönikan följer den text vi har i Registrum Upsalense nära, men här finns ännu en liten men signifikant förändring: upplysningen om kungens styrka, som var ett tillägg i Registrum Upsalenses version, kommer nu som inledning, inte som avslutning. Därmed blir kungens styrka inte längre bara en förklarande avslutning på historien om hur Sverker slog handen i stenen, utan nu är den extraordinära styrkan huvudsaken i historien om Sverker, och den följande upplysningen om handen i stenen tjänar som ren illustration av denna. Denna förändring får betydelse för flera av de följande versionerna av historien. I Lilla rimkrönikan står på samma sätt uppgiften om kungens styrka som inledning och huvudinformation om Sverker (”Jak ärffde götaland effter min fader / ok war tha then starkasta madher”) och handslåendet är också här en illustration av denna. Att just styrkan är huvudsaken markeras ytterligare genom tilläggsuppgiften att han slog handen i stenen ända ner till armbågen (”til min alboga i en helan sten / slo jak min hand […]”). Att det är kungens styrka som är det centrala i episoden framgår även av en liten men högst signifikant förändring: kungen slår nu sin hand i stenen utan men (”til min alboga i en helan sten / slo jak min hand vtan men”). Detta är inte bara ett tillägg; det är en grundläggande förändring av historien, som när den först möter i de svenska versionerna av Historia Norwegiæ fokuserar just på att kungen höggradigt fick men av handslåendet – han kunde inte dra ut handen ur stenen igen. I Lilla rimkrönikan har dock elementet med oförmågan att dra ut handen ur stenen försvunnit. Genom att kungen nu sägs slå handen i stenen utan men ända till armbågen har historien åter fått en ny poäng, och det gamla huvudelementet från den svenska versionen av Historia Norwegiæ (såsom vi möter episoden i Catalogus), att handen fastnade i stenen, är borta. I stället är styrkan nu det centrala, ett element som inte ens fanns i de ursprungliga svenska versionerna. Och jämför vi med ursprungsversionen i Historia Norwegiæ är förändringen naturligtvis än större: inte nog med att dvärgen försvunnit och handen och styrkan tillkommit; hela momentet med att kungen på något vis fastnade i en sten – som var det enda inslag som i viss mån fanns kvar från ursprunget i den nya svenska versionen av historien – är nu borta. Lilla rimkrönikans version av historien är den som Olavus Petri tar upp, och han ökar fokuseringen på kungens styrka ytterligare, låt vara att Olavus också tar upp Historia Norwegiæs bedömning – kvar i både Catalogus och Registrum Upsalense; bedömningen försvann i Prosaiska krönikan – att den centrala händelsen är en ren saga. Precis som i Prosaiska krönikan och Lilla rimkrönikan är också här kungens styrka själv utgångspunkten, det som nämns först och sedan illustreras med ett exempel (”han war en mechta stark man, ther aff gick en sådana fabele vth om honom, at han kunde slå sin näffua vthi en hårdan steen”). Från Lilla rimkrönikan tar Olavus

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Petri över preciseringen att kungen slog handen i stenen ner till armbågen (”vp til almboghan”) och liksom i detta verk saknas uppgiften att han inte kunde dra tillbaka handen. Men framför allt noterar man att större delen av det avsnitt Olavus Petri viger åt kung Sverker består i en längre utläggning med utgångspunkt just i kungens styrka, ett element som därmed blir än mer framhävt. Olavus tror som sagt inte på historiens verklighetsförankring, men hans argumentation på denna punkt visar tydligt att han ser historien som just en berättelse om extrem styrka: ”Thet haffuer så warit wore förfädhers pläghsidh, at the beteeknade stora krafft och macht med sådana fabeler. Ther före seya the om sombliga kiempar, at the haffua rykt vp med rööter, stoor trää och slaget sina fiender med, The haffua stora stenar, som andre icke lyffta kunde, kastat theres fiender med, och annat sådana ther stoor krafft behöffdes til […].” Lilla rimkrönikans bild kan sägas föras vidare även av den yngre versionen av detta verk. Uppgiften att kungen inte fick men av slaget i stenen (här: ”iag kende ey meen”) återkommer, och den i Lilla rimkrönikan strukna oförmågan att dra ut handen igen saknas också här. Betoningen på kungens styrka ökas ytterligare, liksom hos Olavus Petri, men i detta verk genom att presentationen inleds med en utläggning om hur osäll den man är som inte kan visa sin manlighet, vilket däremot skedde när Sverker blev kung – så följer orden om hans styrka och härpå historien om slaget i stenen som en illustration av denna. Berättelsen om Sverker har i de svenska verken utvecklats från en historia om en kung som utan angivna skäl slog sin hand i en sten och inte kunde dra ut den igen till en historia om en kung som helt kännetecknas av sin oerhörda styrka, vilken illustreras av hans förmåga att slå en hand djupt i en sten utan att ta skada, och där utläggningar gjordes om just hans sällsamma styrka. Förändringarna mellan varje verk är små och gäller detaljer, men sammantagna blir förändringarna signifikanta och förändrar själva inriktningen på historien. Ericus Olai är den enda av den svenska historikerna som inte deltar i förändringsarbetet; han återger tämligen troget Catalogus ord om Sverker. Men historien tar också en annan väg. Hos Johannes Magnus finns visserligen handen och stenen med, men de är tämligen oviktiga detaljer, och själva elementet med Sverkers styrka saknas helt. Johannes skriver inledningsvis om Sverkers krig, och först vid slutet kommer en berättelse som baseras på historien om handen och stenen. Men hos Johannes Magnus finns ingen anmärkningsvärd styrka hos Sverker, inte heller något slag med handen i en sten. I stället får vi en trivial historia om hur Sverker under kriget ramlar av sin häst och skadar armen i fallet mot den underliggande klippan; i kombination med de faror han utsatt sig för under kriget leder detta till hans död. Fallet med historien om kung Sveigðir är betecknande i denna undersökning av stegvis korruption och transformation. Den historia som berättades i Historia Norwegiæ är mindre än en mening lång och handlar om en kung som förföljde en dvärg in i en sten och aldrig återvände – det handlar alltså om en människa som bergtas av ett övernaturligt väsen. Denna historia har i 1400- och 1500-talets Sverige utvecklats dels till en berättelse om en kung med oerhörd styrka, illustrerad av förmågan att



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slå handen i en sten ända till armbågen utan att ta skada och utvecklad i diverse kommentarer om mänsklig styrka, dels till en berättelse om ett trivialt fall från en häst, där en kung skadade armen och dog på grund av denna och andra krigsskador. Vägen från en berättelse om ett övernaturligt väsen som bergtar en människa till dels en historia om oerhörd styrka, dels en historia om ett fall från en häst går att följa steg för steg, icke desto mindre är det en historia som transformerats fundamentalt. De yngsta berättelserna om denna kung har inte någonting gemensamt med den ursprungliga historien. Men det är viktigt att komma ihåg att ingen av förändringarna bottnar i inflytande från andra, oberoende traditioner om samma skeende. Historierna i de yngsta versionerna är oigenkännliga i relation till den ursprungliga. Ändå går de tillbaka på detta ursprung, på en och samma skrivna text, utan påverkan från alternativa oberoende källor. Den fundamentala innehållsliga förändringen i relation till ursprungsversionen går tillbaka på en felläsning, där nanum oriktigt lästes som manum. Det handlar om en felläsning av en enda bokstav vid ett enskilt tillfälle.

Tillbaka till Snorra Edda Låt oss återknyta till frågan om Snorra Edda och U:s påstådda oberoende källor för avvikande namn och information. Det centrala i Heimir Pálssons argumentation var att markant många och stora skillnader (”simply too many differences”; 2012, CXVI) i U i relation till RTW vad gäller såväl skildring av skeenden som återgivning av namn gjorde felläsningar i U omöjliga eller osannolika. I de svenska versionerna av Historia Norwegiæ och deras relation till Dalhousiehandskriften har vi emellertid ett exempel på ett mycket stort antal skillnader i en relativt kort text, vad gäller såväl namnformer som saklig information. Vi kan kort påminna om namnvarianter som Froy-Stroy och Fiolni-Siolm och om diskrepansen mellan historien om kungen som blev bergtagen av en dvärg och historien om kungen som visade sin styrka genom att slå in sin hand i en sten. Både avvikelsernas mängd och deras omfattning i de enskilda fallen i Catalogus och Registrum Upsalense i relationen till Dalhousiehandskriften framstår som väl så påfallande som i fallet med U och dess relation till RTW. Och i fallet med de svenska historieverken vet vi att det handlar om verk med samma skriftliga ursprung, och vi vet att förändringarna inte bottnar i tillgång till alternativa oberoende källor eller traditioner – det handlar om något så banalt som felläsningar av enskilda skrivare. Vi har ovan kunnat se hur felläsningar kan förklaras och vi har kunnat följa hur de genom nya avskrifter och nya felläsningar alltmer avlägsnat sig från ursprungsformen. Ändå är det också ett faktum att stora förändringar inte med nödvändighet kräver många mellanled. Vi har skäl att tro att det mellan så olika former som Fiolni-Siolm och Froy-Stroy inte ligger något mellanled alls – det handlar om en enstaka skrivares felläsning i vartdera fallet. Den mest radikala sakliga förändringen av historien om kung Sveigðir krävde bara en

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felläsning av en bokstav vid ett enskilt tillfälle – när nanum lästes som manum. De svenska historieverken vi har undersökt ger alltså gott om belägg för förekomsten av sådana rent textuella förändringar  – omfattande felläsningar och omtolkningar av enskilda skrivare – som Heimir Pálsson håller för omöjliga eller osannolika. Det centrala i Maja Bäckvalls argumentation i det refererade exemplet var också omfattningen av avvikande text i ett enskilt fall som motiverade avfärdandet av tanken på skrivarfel och ledde till antagandet av en ”annan tradition” än de övriga Snorra-Edda-textvittnenas version; det var enligt henne inte bara ”en enstaka variant” som förändrade innebörden utan det handlade om att ”flera mer eller mindre betydelsetunga varianter tillsammans ger en annan bild” (Bäckvall 2013, 189). Bäckvall kan tyckas ha en god poäng här – det handlar om påtagligt många sakliga avvikelser i en och samma strof och dess korta introduktion. Ändå tycks det mig som om just detta är något vi möter också i de fall som undersökts här. Framför allt gäller det Sveigðirhistorien. I grunden handlar det om en trivial felläsning av nanum som manum, vilket förändrar historien i grund. Men detta är trots allt inte den enda förändringen: i Catalogus/Registrum Upsalense har också persequitur [förföljde] ändrats till proiciens [slog in] och redisse [återvända] till retraxisse [dra tillbaka], ord som visserligen har vissa utseendemässiga likheter med de ursprungliga, men dessa likheter är trots allt relativt små och omfattar främst begynnelsebokstaven i båda fallen, och de nya orden har en annan betydelse. Man kan jämföra med de betydelseskiljande varianterna i Bäckvalls exempel (holt-hold, þau-þar, menn-meyjar, munu-meyjar), vilka knappast är mer olika till utseendet än persequitur och proiciens. Redan i Registrum Upsalense görs dessutom ut- och omtolkande tillägg till historien, vilket i följande återgivningar förändrar historien i grunden. Ändå handlar det i detta fall om just skriftlig variation. Det handlar inte om en ”annan tradition”, utan dessa olikartade versioner har samma skriftliga ursprung, och olikheterna är också här följden av enkla misstag och omtolkningar av enskilda skrivare. Textuell korruption och innehållslig transformation till följd av denna är inte något okänt fenomen inom vare sig norrönfilologi eller medeltidsfilologi i stort, men de nämnda forskarna förefaller helt obekanta med hur text faktiskt traderas och transformeras i just medeltida nordiska verk och handskrifter.

Fornsvensk historieskrivning i nordisk medeltidsforskning Den fornsvenska historieskrivningen är ett försummat område inom den nordiska medeltidsfilologin. Men även för den vars fokus ligger på den norröna litteraturen finns paralleller att upptäcka och analysera. När det gäller konstruerandet av en inhemsk fornhistoria erbjuder den svenska historieskrivningens successiva utveckling av en alltmer omfattande forntid en intressant jämförelsepunkt, både som kont-



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rast och som parallell till norska och danska förhållanden. Denna undersökning har fokuserat på de förändringar och omtolkningar av detaljer som äger rum, förändringar som samlade får stora konsekvenser. På denna punkt torde den fornsvenska historieskrivningen erbjuda en intressant parallell för alla som sysslar med texttradering och litterär omarbetning i norrön litteratur. Förhoppningsvis kan denna undersökning inspirera till fortsatta jämförelser.

Källor Catalogus Regum Sueciæ ad Annum Christi 1333: Småstycken på forn svenska 1, G. E. Klemming (utg.). Stockholm 1868–1881. Ericus Olai: Chronica regni Gothorum, Ella Heuman och Jan Öberg (utg.). Stockholm 1993. Historia Norwegiæ (Dalhousiehandskriften): Historia Norwegie, Ingrid Ekrem, Lars Boje Mortensen (utg.). Köpenhamn [e-book 2006]. Johannes Magnus: Historia Ioannis Magni etc., Olaus Magnus (utg.). Rom 1554. Lilla rimkrönikan: Svenska medeltidens rim-krönikor 1, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1865. Lilla rimkrönikans yngre version: Svenska medeltidens rim-krönikor 1, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1865. Olavus Petri: Olai Petri svenska krönika, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1860. Prosaiska krönikan: Småstycken på forn svenska 1, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1868–1881. Registrum Upsalense: Småstycken på forn svenska 1, G.E. Klemming (utg.). Stockholm 1868–1881. Snorra Edda (RTW-versionen): Snorri Sturluson, Edda: Prologue and Gylfaginning, Anthony Faulkes (ed.), 2 ed. London 2005. Snorra Edda (U-versionen): Snorri Sturluson, The Uppsala Edda: DG 11 4to, Heimir Pálsson (ed.), Anthony Faulkes (trans.). London 2012. Ynglinga saga: Snorri Sturluson, Heimkringla 1 (Íslenzk fornrit 26), Bjarni Aðalbjarnarson (útg.). Reykjavík 2002.

Litteratur Bolin 1931: Sture Bolin, Om Nordens äldsta historieforskning: Studier över dess metodik och källvärde (Lunds Universitets årsskrift 1 / N.F. 27,3). Lund 1931. Bäckvall 2013: Maja Bäckvall, Skriva fel och läsa rätt? Eddiska dikter i Uppsalaeddan ur ett avsändar- och mottagarperspektiv (Nordiska texter och undersökningar 31). Uppsala 2013. Ekrem/Mortensen 2006: Ingrid Ekrem, Lars Boje Mortensen (utg.), [Inledning och kommentarer till] Historia Norwegie. Köpenhamn [e-book 2006]. Heimir Pálsson 2010: Heimir Pálsson, Tertium vero datur – A study on the text of DG 11 4to. http://uu.diva-portal.org/smash/get/diva2:322558/FULLTEXT02.pdf [hämtad 2016–08–28]. Heimir Pálsson 2012: Heimir Pálsson, [Inledning till] Snorri Sturluson, The Uppsala Edda: DG 11 4to, ed. Heimir Pálsson, trans. Anthony Faulkes. London 2012. Holtsmark 1961: Anne Holtsmark, ”Historia Norvegiæ”. In: Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid 6, 1961, 585–587. Klemming 1860; Gustaf Edvard Klemming, [Inledning och kommentar till] Olai Petri svenska krönika. Gustaf Edvard Klemming (utg.). Stockholm 1860.

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 Daniel Sävborg

Klemming 1867–1868: Gustaf Edvard Klemming, [Handskriftbeskrivning i] Svenska medeltidens rim-krönikor 3, utg. Gustaf Edvard Klemming. Stockholm 1867–1868. Klemming 1868–1881: Gustaf Edvard Klemming, [Kommentarer till] Småstycken på forn svenska 1. Gustaf Edvard Klemming (utg.). Stockholm 1868–1881. Lovén 2012: Christian Lovén, Historieskrivning vid Uppsala domkyrka under högmedeltiden: ­Handskriften UUB C 92 och dess källor (Samlingar 1 / 96). Uppsala 2012. Löw 1908: Gustav Löw, Sveriges forntid i svensk historieskrivning 1. Uppsala 1908. Nygren 1957: Ernst Nygren, ”Cronica regni Gothorum”. In: Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid 2, 1957, 603–604. Sävborg 2013: Daniel Sävborg, ”Snorra Edda and the Uppsala Edda”. In: Heinrich Beck, Wilhelm Heizmann, Jan Alexander van Nahl (Hg.), Snorri Sturluson – Historiker, Dichter, Politiker ­(Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 85). Berlin 2013, 247–266. Westin 1968: Gunnar T. Westin, ”Prosaiska krönikan”. In: Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid 13, 1968, 504–505.

Andreas Schmidt

Der Nekromant und der Ring: Spuren christlicher Gelehrsamkeit in der Færeyinga saga? Abstract: Færeyinga saga has often been read as a conversion-discourse and Christian ideologies have been supposed to shape its content. Fitting to those readings, Christian legendary texts, in specific Maríu saga, have been identified among the sources the saga draws upon. A scene in which Sigmundr, one of the saga’s protagonists, receives a ring from the statue of the heathen figure Þorgerðr Hǫrðabrúðr has been declared to be a direct adaption of a miracle of the Holy Virgin, in which a clerk is betrothed to her statue. The present article reviews this assessment and provides an alternative reading by concentrating on the motif of the ring and its narrative functionalisation. The ring’s paradox ascriptions in the course of the narrative, being given to Sigmundr as a heathen sign of luck, but suddenly becoming his bane after the conversion to Christianity, can be reconciled by defining the ring as a numinous item with its own inherent logic, theoretically drawing on recent narratological approaches. This logic inherent to the ring can be traced back to its origins in a narrative layer which may be dubbed ‘mythic’ in its nature. This layer of narration is, however, shut to Sigmundr, who ignores any sign of the ring’s numinous powers, as opposed to this adversary Þrándr. Þrándr can participate in the logic of the mythic text layer, which can be seen in his association with pagan deities and his magical powers. This narrative construction sharpens and widens the dichotomy between the two protagonists and displays an ideology in Færeyinga saga that cannot be reduced its drawing on Christian legendary sources. Die Færeyinga saga, ein Text, der nur als Interpolation und nicht selbstständig überliefert ist, wird meist auf den Beginn des 13. Jahrhunderts datiert.1 Inhaltlich behandelt der rekonstruierte Gesamttext als einziger des altnordischen Korpus Machtstreitigkeiten auf den Färöern des 10.–11.  Jahrhunderts. Wegen ihrer frühen Datierung und ihres Status als alleinige Geschichtsquelle der färöischen Wikingerzeit wurde die Saga bisher recht ausführlich auf ihre Quellen hin untersucht.2 Verschiedentlich

1 Ausgehend vom Verhältnis zu den umgebenden Texten, in welche die Saga interpoliert wurde, wird gemeinhin ein verlorenes Originalmanuskript angenommen, obwohl die einzige ‚vollständige‘ Version der Saga in der Flateyjarbók enthalten ist. Vgl. Ólafur Halldórsson 1987, ccxxxii–ccxxxix als Überblick zur Datierungsfrage. 2 Dabei wurden hauptsächlich mündliche Quellen aus ihrem Handlungsraum, den Färöern, ange-

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 Andreas Schmidt

wurden Versuche unternommen, sie insgesamt als eine Schrift zu lesen, in der sich die Frage kolonialer Unterwerfung mit einem Diskurs über die Bekehrung zum Christentum verbindet (vgl. Glauser 1994, 115). Zugleich suchte man eine mittelalterlichchristliche Moralethik in ihrer Darstellung. Die Saga ist geprägt vom Dualismus der beiden Hauptfiguren Sigmundr Brestisson und Þrándr í Gǫtu, wobei ersterer als vornehmlich moralisch ‚guter‘ und christlicher Held und letzterer als Repräsentant eines überkommen heidnischen Weltbildes kategorisiert wurde. Für eine solche Interpretation muss als ungewöhnlich gelten, dass der christliche Sigmundr dennoch ein scheiternder Held ist, während gerade der skrupellose und heidnische Þrándr scheinbar proto-nationale Souveränität garantiert. Vor diesem Hintergrund haben Óláfur Halldórsson (1987, clxxxvi-clxxxviii sowie cxci-cxciii), Peter Foote (1984 und 1988, 193) und Bo Almqvist (2005) in zwei der auf den ersten Blick ‚heidnischsten‘ aller Szenen in der Færeyinga saga intertextuelle Verbindungen zur christlichen Legendenliteratur festmachen wollen: Zum einen in der Beschreibung des Tempels und der Statue der Þorgerðr Hǫlgabrúðr (nach der Version der Saga Hǫrðabrúðr),3 zum anderen in der Beschreibung des nekromantischen Rituals des Þrándr í Gǫtu.4 Dort seien Elemente kontinentaler Gelehrsamkeit in Form von Motivübernahmen aus der Marienliteratur (auf Island der Maríu saga) im Text zu bemerken. Dass eine mögliche Verwendung von Texten der kontinentalen Gelehrsamkeit als Quellen aber keineswegs eine bloße Übernahme von deren Verständnismustern bedeutet, soll der vorliegende Artikel zeigen. So zeugt die hohe literarische Qualität der Einbindung von Motiven aus verschiedensten Quellen in der Færeyinga saga etwa keineswegs von „sagaskrivningens barnaålder“ (Almqvist 1992, 44), sondern von einem literarisch überaus anspruchsvollen Entstehungsmilieu.5 Dieser Befund ergibt sich insbesondere aus der narratologischen Betrachtung der Funktionalisierung verwendeter Motive im Text. Im Folgenden soll dies in einer Beispielanalyse anhand der oben genannten beiden Szenen demonstriert werden. Dabei wird das Gewicht meiner Analyse auf der ersten Szene und dem damit zusammenhängenden Ringmotiv liegen, während die Ritualszene zum Abschluss vergleichend miteinbezogen werden soll. In ihrer Betrachtung erweist sich, dass beide Elemente zwar einerseits gut im Text verwoben sind  – was zunächst zur Annahme einer christlichen Ideologie der Saga anregen könnte – dass beiden andererseits aber Bedeutungsmehrwerte eingeschrieben sind, die dieser einfachen Annahme entgegenstehen. Sie verleihen dem Text unterhalb seiner Oberfläche eine Tiefenschicht, die eine weit offenere Ethik der Saga

setzt sowie frühe isländische Historiographie (vgl. als ausführlichen Überblick Ólafur Halldórsson 1987, cliii–ccxii). Wiederholt auf das Gepräge der Saga durch eine ‚mündliche Erzählkunst‘ kommen vor allem Ólafur und daneben auch Peter Foote in ihren Forschungen zu sprechen. 3 Fær Kap. 23. 4 Fær Kap. 40. 5 Zur möglichen Diskrepanz zwischen dem Alter der Færeyinga saga und ihrer literarischen Gestalt und Qualität vgl. auch Mundal 2005.



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deutlich macht, als eine Basierung auf Motiven christlicher Legendentexte naheliegend erscheinen ließe.

Eine Statuenverlobung? Die Maríu saga und das Ringmotiv in der Færeyinga saga Sigmundr Brestisson wurde häufig als christlicher Held der Færeyinga saga angesprochen (vgl. Glauser 1994, 115). Er wird im Laufe der Handlung Hofangehöriger des Missionskönigs Óláfr Tryggvason und christianisiert sein Heimatland, die Färöer, in dessen Auftrag. Doch König Óláfr wundert sich eines Tages während eines Festmahls, auf dem Sigmundr anwesend ist, über dessen goldenen Armring: [K]onungr m(ælti) lat sea hringinn. Sigmundr tok hringinn af hendi ser ok feck konungi. konungr mælti. Vilt þu gefa mer hring þenna. S(igmundr) svar(ar). þat hefi ek ætlat at loga eigi hring þessum.6 Obgleich der König ihm einen Ersatz anbietet, und ihm letztendlich sogar seinen Tod wegen des Rings prophezeit (was sich schließlich auch erfüllt),7 lehnt Sigmundr standhaft ab, ihn seinem Herrn auszuhändigen. Denn Sigmundr ist auch mit einer Szene explizit heidnischen Gepräges verbunden: Er hat den Ring von seinem früheren Herrn, dem heidnischen Jarl Hákon erhalten. Dieser hatte Sigmundr zu einem Tempel seiner Privatpatronin Þorgerðr Hǫrðabrúðr geführt, vor eine Statue von ihr,8 und dort Folgendes getan: [J](arl) kastade ser nidr firir fætr henni ok la læingi ok sidan stendr hann upp ok segir S(igmundi) at þeir skulu færa henni fornn nokkura ok koma silfri þui astolinn firir hana en þat skulum vit at marki hafua segir Hakon huort hon uill þiggia at ek villde at hon leti lausan hring þann er hon hefir ahendi ser attu S(igmundr) af þeim hring heílir at taka en nu tekr j(arl) til hringsins ok þikir S(igmundi) hon beygia at hnefan. ok nadi j(arl) æigi hringnum j(arl) kastar ser nídr j annan tíma firir hana ok þat finnr S(igmundr) at j(arl) tarazst ok stendr upp eftir þat ok tekr til hringsíns ok | er þa lauss ok færr j(arl) S(igmundi) hringinn ok mællti sua at þessum hring skyllde S(igmundr) æigi loga ok þui het hann.9

6 Fær Kap. 33, 79: Der König sprach: ‚Lass mich den Ring sehen!‘ Sigmundr nahm den Ring vom Arm und gab ihn dem König. Der König sprach: ‚Willst du mir diesen Ring geben?‘ Sigmundr antwortet: ‚Ich hatte beschlossen, Herr, diesen Ring nicht fort zu geben.‘ (Sämtliche Übersetzungen im Text sind meine eigenen). 7 Siehe Fær Kap. 38. Vgl. näher auch unten. 8 Um welche Art mythisches Wesen es sich hierbei genau handelt ist strittig. Als Überblick des Forschungsstandes vgl. Schmidt 2015, 127–30, bes. Fußnote 455. 9 Fær Kap. 23, 50: Der Jarl warf sich ihr zu Füßen nieder und lag lange und dann steht er auf und sagt zu Sigmundr, dass sie ihr ein Opfer darbringen sollten und das Silber auf den Stuhl vor ihr legen – ‚das aber wollen wir als Zeichen halten‘, sagt Hákon, ‚ob sie es annehmen will, dass ich wollte, sie ließe den Ring los, den sie am Arm trägt. Du, Sigmundr, hast von diesem Ring Heil zu erwarten.‘ Nun aber greift der Jarl nach dem Ring, und es scheint Sigmundr, als dass sie die Hand zur Faust balle.

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 Andreas Schmidt

Die Szene der Ringübergabe hat Peter Foote als „a parody of tales associated with images of the Blessed Virgin and other saints“ bezeichnet (1988, 193). Bo Almqvist (2005) hat diese Assoziation stark erweitert und führt die Szene trotz ihres explizit heidnischen Inhalts auf eine spezifische Vorbildszene in den sog. Maríu jarteinar, den altisländischen Marienmirakeln, zurück. In dieser verlobt sich ein Geistlicher mit einem Marienstandbild, dessen Schönheit ihn auf der Stelle verzückt, indem er der Statue einen Ring aufsteckt, den er von seiner irdischen Geliebten erhalten hat: Hann gengr inn i kirkiuna fyrir likneski iungfru Marie, ok sem hann ser vpp aa skriptina, vndrazt hann hennar fegrd ok heilsar aa hana fallandi aa kne. Eptir þat sagdi hann: „Sannliga ert þu fogr, ok ollum konvm ok iungfrvn ert þu fegri, ok eigi sidr þeiri, sem mer gaf þetta gull til fullkominnar elsku, ok sakir þess nita ek henni, en ek iata, at hedan af skal ek þik elska ok þer þiona, þo med þeim skildaga, ef þu villt virdazt mik at elska.“ Fyrr sagdr klekr dro gullit aa fingr likneskiunni, þann sem hun retti adr vpp. Enn sidan gullit kom þar aa, vard vndarligr hlutr, skriptin beygdi þegar fingrinn at gullinu, sem vor frv samþykti med þui þat, er klerkrinn hafdi talat.10

Obwohl Almqvist die „uppenbara olikheter“ zwischen dem Bericht der Maríu saga und dem der Færeyinga saga durchaus bewusst sind (2005, 24–5), möchte er daran festhalten, dass das Marienmirakel „den direkta förebilden“ (22) für die Færeyinga saga-Szene ausmacht, weil es „vissa detaljlikheter“ gäbe, nämlich die kirchliche Umgebung, die Prosternation und ein innigliches Gebet (23). Dabei ist anzumerken (wie bereits Almqvist), dass das Motiv der ‚Verlobten Statue‘ ein der Weltliteratur verbreitetes Motiv ist,11 und eine Variante des Motivs die Verlobung eines Jünglings mit einer dämonischen Statue der römischen Liebesgöttin Venus vorsieht.12 Bei näherer

Und der Jarl erreichte den Ring nicht. Der Jarl wirft sich ein zweites Mal vor sie nieder, und Sigmundr bemerkt, dass der Jarl weint, und danach steht er auf und greift nach dem Ring und der ist da lose und der Jarl gibt Sigmundr den Ring und sagte, dass Sigmundr diesen Ring nicht hergeben sollte, und er versprach es. 10 Mar, 1034: Er geht in die Kirche vor einem Standbild der Jungfrau Maria, und als er zum Bildnis hinauf sieht, verwundert ihn ihre Schönheit und er grüßt sie, indem er auf die Knie fällt. Danach sagte er: ‚Wahrlich bist du schön, und schöner als alle Frauen und Jungfrauen, und nicht zuletzt jene, die mir diesen Goldring als Zeichen ihrer vollkommenen Liebe geschenkt hat, und deshalb weise ich sie zurück, aber gelobe, dass ich dich von jetzt an lieben und dir dienen werde, jedoch unter der Bedingung, dass du dich erweisen möchtest, mich zu lieben.‘ Der zuvor genannte Geistliche zog dem Standbild den Goldring auf den Finger, den sie zuvor nach oben gerichtet hatte. Aber als das Gold darauf kam, geschah ein wunderbares Ereignis: Das Bildnis beugte sogleich den Finger nach dem Gold, als sei Unsere Frau einverstanden mit dem, was der Geistliche gesagt hatte. 11 Vgl. zur Übersicht Nyrop 1933. Eine sehr umfangreiche, in den Details aber wenig überzeugende Studie über Vergleichsmaterial, dessen gemeinsamer Nenner die (meist zerstörerische und böse) Macht eines steinernen Wesens ist, stellt Kurt Wais auf, vgl. Wais 1952; zum hier diskutierten Material 255–60. 12 Für eine Übersicht des Materials und Motivstudie vgl. Baum 1919. Die älteste greifbare Version des Motivs findet sich in Williams von Malmesbury De Gestis Regum Anglorum (2. Buch § 205). Dort steckt ein verheirateter Mann einer Venusstatue seinen Ehering an,



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Betrachtung erscheinen allerdings auch Almqvists „detaljlikheter“ mehr allgemein denn konkret – so ist im Mirakelbericht von einem ‚inniglichen‘ Gebet etwa wenig zu spüren, ein Kniefall vor einer angebeteten Gottheit keine Seltenheit und das kirchliche Ambiente der Þorgerðr-Szene allgemein auf die ‚unauthentische‘ Darstellung heidnischer Religion in der Sagaliteratur zurückzuführen.13 Zudem unterscheidet die Szenen die gewichtige Tatsache, dass Sigmundr sich weder mit dem Bildnis in Hákons Tempel verlobt, noch der Þorgerðr einen Fingerring ansteckt. Im Gegenteil erhält er von ihr durch einen Mittler einen Armring, überdies erst beim zweiten Versuch Hákons. Eine ‚Verlobung‘ wird insofern, wenn überhaupt, als symbolische Handlung durch Hákon an Sigmundr vollzogen. Dies macht Almqvists Postulat einer direkten Verbindung zwischen beiden Szenen sehr unwahrscheinlich.  Scheint also ein Vergleich des Gesamtnarrativs der unterschiedlichen Redaktionen des Motivs der ‚Verlobten Statue‘ mit der Færeyinga saga eher lohnenswert? In der Maríu saga wird der verlobte Kleriker seinem Schwur vor dem Marienbild bald untreu und verheiratet sich mit einer irdischen Frau. In der ersten Nacht an der Seite seiner Ehefrau erscheint ihm daraufhin wenigstens zweimal14 die Gottesmutter, die sich zunächst zwischen ihn und seine Gattin setzt und ihm den Ring an ihrem Finger entgegenhält, während sie ihn wegen seiner Treulosigkeit anklagt. Beim zweiten Mal stellt sie ihm aufgrund seiner Untreue Höllenqualen in Aussicht und wendet sich von ihm ab.15 Die Venusredaktion des Wandermotivs hingegen erzählt

da er ihn beim Ballspiel nicht gebrauchen kann. Er kann den Ring nicht mehr entfernen und wird von einer Erscheinung der Venus vom Beischlaf mit seiner Frau abgehalten, da er sich durch die Ringübergabe mit ihr verlobt habe. Ein zauberkundiger Priester schickt den Mann schließlich mit einem Schriftstück auf eine dämonische Zusammenkunft. Dort überreicht der Mann dem Anführer der Dämonen die Schriftrolle, woraufhin dieser den Ring von Venus zurückholen lässt. Eine andere Version bietet die deutsche Kaiserchronik (VV 13067–367): Dort verlobt sich ein in Liebe zum Bildnis der Venus entflammter junger Mann spontan und freiwillig mit der Statue, was zu einer Besessenheit durch den Teufel führt, sodass der Jüngling keine Nahrung mehr zu sich nehmen und nicht mehr schlafen kann. Obwohl selbst dem Christentum bisher abgeneigt, wendet sich der junge Mann an einen Priester, der den Teufel für ihn zur Herausgabe des Rings zwingt und die Venusstatue vernichten lässt. Der junge Heide bekehrt sich daraufhin. 13 Wie Preben Meulengracht Sørensen formuliert ist ein „zusammenhängendes unverfälschtes Bild vorchristlicher Religionsausübung […] nicht überliefert“ (1992, 721) – die heidnische „Sagareligion“ der literarischen Zeugnisse ist, schon aufgrund der zeitlichen Differenz zwischen tatsächlichem Kult und Schriftfixierung der Texte, vielfach gebrochen und Walter Baetke (1951) zufolge auch stark mit christlichen Elementen durchsetzt, was sich häufig gerade in der Darstellung heidnischer Tempel nach dem Bilde mittelalterlicher Kirchen äußert (vgl. als Überblick etwa Böldl 2005, 218–26). Hierzu passt auch die anachronistische Darstellung von Hákons Tempel in der Færeyinga saga mit seinen Glasfenstern (vgl. Foote 1988, 193). 14 Der Schlussteil des Mirakelberichts ist verloren – nach der zweiten Erscheinung bricht der altnordische Text ab – und muss daher im Abgleich mit kontinentalem Material ergänzt werden: Der Kleriker entsagt schließlich der Welt und zieht sich ins Kloster zurück, wo er Mariens Vergebung erfährt. 15 Siehe Mar, 1035.

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von der Verlobung eines jungen Mannes mit einer Venusstatue, der er symbolisch durch das Anstecken eines Rings die Ehe verspricht. Diese Dämonin verfolgt ihn anschließend, indem sie ihn von einer irdischen Braut bzw. von Essen und Schlaf abhält. Der Fluch kann schließlich durch die Mithilfe eines magisch begabten Priesters, der mit dem Teufel in Kontakt treten kann, gebrochen werden. Beiden Versionen liegt eine stark christliche Botschaft zugrunde: Die Marienredaktion kritisiert die Treulosigkeit des Klerikers gegenüber der Gottesmutter und seine Weltbezogenheit, und der Jüngling der Venusredaktion ist wahlweise ein leichtfertiger Ehemann oder ein sich der Konversion verweigernder Heide. Die Situation in der Færeyinga saga unterscheidet sich von beiden Redaktionen diametral. Im Gegensatz zu den verschiedenen Redaktionen des Wandermotivs wird Sigmundr in keiner Weise von einer dämonischen oder göttlichen Erscheinung zur Treue ermahnt oder gar geplagt und verfolgt, auch sind ihm die Freuden einer irdischen Braut nicht versagt. Er heiratet ungehindert seine Jugendliebe Þuríðr, die zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits eine Tochter geboren hat und ihm später noch mehrere Söhne schenkt.16 Stattdessen erhält er den Ring der Þorgerðr von Jarl Hákon als Glücksbringer (attu af þeim hring heílir at taka), ehe er vom Jarlshof zur Rückkehr in sein Heimatland, die Färöer, aufbricht, aus dem er als Kind durch seinen Widersacher Þrándr in die Sklaverei exiliert wurde. Eine enge Verbindung des Ringmotivs mit der Maríu saga-Szene scheint im Ganzen schon wenig glaubhaft angesichts der Tatsache, dass es sich bei Þorgerðr um eine zweifelsohne zutiefst mit dem Element des Heidentums aufgeladene Figur handelt (vgl. Almqvist 2005, 24–5). Im Gegenteil ist eine Anregung des Færeyinga saga-Narrativs eher durch die Venusredaktion denkbar, wie die Rolle dieses Rings im Laufe der Narration zunächst nahelegen könnte, die im folgenden Abschnitt nachvollzogen werden soll.

Der Ring als Zeichen des Dämonischen: Christliche Perspektive einer heidnischen Szene Sigmundr wird vor seiner Rückkehr in sein Heimatland von Hákon in den Tempel der Þorgerðr geführt und erhält von dieser den Ring als Glückszeichen (til heilla). Auf den Färöern steigt er einstweilig zum Machthaber auf, zunächst durch die Hilfe einer vom Jarl bereitgestellten Mannschaft und anschließend gestützt auf Hákons Autorität. Dabei lebt er aber im ständigen, schwelenden Konflikt mit Þrándr, der sich ihm nur scheinbar unterwirft. Der laut Hákon Glück bringende Ring spielt dabei allerdings zu keinem Zeitpunkt eine Rolle in der Erzählung, seine nächste Erwähnung findet er in der eingangs geschilderten Szene nach der Konversion Sigmundrs und der Färöer

16 Vgl. Fær Kap. 26 und 35.



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zum Christentum. König Óláfr Tryggvason verlangt von Sigmundr die Herausgabe des Rings und prophezeit ihm den Tod, als dieser sich wegen des Bezugs des Rings zu seinem früheren Herrn weigert: [K]onungr m(ælti) þa lát þer hann þickia sva godan sem þu vill. bæði hringinn ok þann er þer gaf. en giptu faatt verðr þer nv. þviat þessi hringr verðr þinn bani. þetta veit ek iafngiỏrla ok þat huersu þu hefir hann fengit e(ðr) huaðan hann er at komiɴ. gengr mer meiʀ þat til at ek uilldi fiʀa vini mina vandræðum. en mik lysti i hring þenna. Var konungr þa ravðr sem dreyri i andliti. en tal þetta fell niðr. Ok alldri siþan varð konungr iafn blið[r] við Sigmund sem aðr.17

Tatsächlich bringt der Ring Sigmundr den Tod, nachdem es zu offenen Auseinandersetzungen zwischen ihm und Þrándr kommt: Schwimmend entkommt er einem Angriff auf seinen Hof und liegt danach erschöpft am Strand einer Insel, wo ihn der dort ansässige Bauer auffindet und aus Goldgier wegen seines Rings ermordet: S(igmundr) hefir suo mikít fe a ser at þui er mer litzst sagde hann at ver hefim alldri sligs æigande vordít ok er gull hringr hans hardla dígr litz mer þat ʀad at vær drepim hann ok myrdím hann sidan mun þessa alldri vist verda.18

Die letzte Erwähnung findet der Ring im Zuge der Aufklärung des Mordes an Sigmundr. Sein alter Rivale Þrándr will aus Gründen machtpolitischer Absicherung seinen Ziehsohn Leifr mit Sigmundrs Tochter Þóra verheiraten, die der Werbung zustimmt, falls Þrándr und Leifr den Tod ihres Vaters aufklären können. Þrándr sucht Sigmundrs Mörder auf und vollführt in dessen Haus ein nekromantisches Zauberritual, das Sigmundr und seine Begleiter nacheinander und in ihrer Todesart entsprechender Weise das Haus betreten lässt (Sigmundrs ertrunkene Begleiter durchnässt, Sigmundr selbst enthauptet). Überführt wird der Mörder, indem Sigmundrs Ring schließlich in einem Lumpenbündel aus einer Kiste im Haus aufgefunden wird.19 Zeit seines Lebens scheint der Ring, trotz der Übergabe til heilla durch Hákon, keinerlei Bedeutung für Sigmundr zu haben, der allerdings zunächst ein erfolgreiches Leben führt. Erkennbar im Text bedeutsam wird der Ring erst wieder im Zuge von Sigmundrs Tod, von König Óláfr umgewertet vom Glücks- zum Todesbringer, worin man doch eine dämonische Kraft des Rings und eine christliche Botschaft des

17 Fær, 79–80: Der König sprach da: ‚Lass ihn dir so gut scheinen, wie du willst, sowohl den Ring als auch den, der ihn dir gab! Doch wenig Glück wirst du nun haben. Denn dieser Ring wird dein Tod. Das weiß ich ebenso wohl als das, wie du ihn erhalten hast oder woher er gekommen ist. Es geht mir eher darum, dass ich meine Freunde vor Unheil bewahren wollte, als dass es mich nach diesem Ring gelüstete.‘ Der König war da blutrot von Angesicht. Aber diese Rede verstummte. Und niemals danach war der König ebenso milde gegen Sigmundr wie zuvor. 18 Fær, 86: ‚Sigmundr hat so viel Reichtum bei sich, wie es mir scheint‘, sagte er, ‚dass wir solchen noch nie erlangt haben, und sein Goldring ist sehr schwer. Es scheint mir ratsam, dass wir ihn töten und ermorden. Später wird das nie bekannt werden.‘ 19 Siehe Fær Kap. 40.

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Textes ausmachen könnte. Óláfr argumentiert damit, dass er Sigmundr vor Unheil bewahren will und nimmt explizit Bezug auf die Herkunft des Rings. Hákons Heidentum erwähnt König Óláfr nicht eigens, dennoch ist es der entscheidende Unterschied zwischen beiden Herrschern. Eine göttliche Eingebung scheint Óláfr zu seiner Prophezeiung zu veranlassen, denn woher sein plötzliches Wissen stammen soll, wird nicht erklärt. Der Konvertit Sigmundr trägt über den Ring noch eine Verbindung zum Heidentum an sich, und davor scheint ihn Óláfr warnen zu wollen; für den Neuchristen ist eine solche Verbindung gefährlich.  Diese Perspektive könnte die christliche Ideologie der Venusredaktion der Statuenverlobung wiederspiegeln: Sigmundr wird schließlich von den unheilvollen Mächten der heidnischen Dämonin heimgesucht. Will man die Ringübergabe als Zeichen einer Statuenverlobung verstehen, kann auch die Kombination dieses Motivs mit dem eines zauberkundigen ‚Helfers‘ in Kontakt zu sinisteren übermenschlichen Mächten als weiteres Indiz für eine Inspiration der Færeyinga saga durch das Wandermotiv gewertet werden (da Sigmundrs Tod durch den zauberkundigen Þrándr aufgeklärt wird). Dabei ist zu bedenken, dass es sich hierbei keineswegs um eine direkte literarische Entlehnung, sondern viel eher um eine sehr lose Inspiration handeln könnte, die sehr eigenwillig umgesetzt wird. Denn der Effekt der heimsuchenden Statuenverlobung wäre mehr als nur „kraftig retarderad“ (Almqvist 2005, 24): Sigmundr besitzt den Ring Jahre lang problemlos als sich behauptender Herrscher der Färöer, und zudem bringt der Ring auch Sigmundrs Mörder den Tod, eine sicherlich positiv einzuschätzende Tatsache angesichts des Mordes am Missionar der Färöer. Es bleibt festzuhalten, dass sich in Óláfrs Rede die Perspektive der Saga auf den Ring ändert: In der Færeyinga saga scheinen sich zwei unterschiedliche Diskursperspektiven am Motiv des Rings zu kristallisieren. Die ‚heidnische‘ Perspektive spricht Jarl Hákon aus, der den Ring von seiner Schutzgöttin als Glückszeichen für Sigmundr gewinnt, und die ‚christliche‘ Perspektive wird erst durch die Aussage König Óláfrs in die Erzählung eingeführt. Der plötzliche Perspektivenwechsel, gefolgt von baldigen Tod Sigmundrs, unterstreicht diese Doppelung: Der Knackpunkt scheint Sigmundrs Glaubenswechsel zu sein, denn der zuvor nur von Hákon als Glücksbringer eingeführte Ring, den Sigmundr jahrelang besessen hat, wird vor Óláfr unvermittelt zum Todessymbol. Hinsichtlich der Gesamtinterpretation des Motivs ergibt sich somit eine Uneindeutigkeit, die sich auch in seiner Erforschung konstatieren lässt: Während Bo Almqvist eine Parodie des Madonnamirakels durch einen humorvollen Sagaautor hinter der Szene in Þorgerðrs Tempel ausmacht (2005, 25), wurde Óláfrs Warnung an Sigmundr, ihm den Ring auszuhändigen, häufig wortwörtlich genommen. Als „Symbol für tiefsten heidnischen Irrglauben“ (Glauser 1989, 217) wurde diese Weigerung für den Tod des ansonsten gut-christlichen Sagahelden Sigmundr verantwortlich gemacht – eine christliche Moralbotschaft der Saga werde hier also explizit. Dennoch hat Gro Steinsland (2005) auch eine heidnische Ideologie in der Saga dingfest zu machen versucht. Ihr zufolge werde Sigmundr schrittweise einer Initiation unter den Götterfürsten Óðinn unterzogen, wobei die Verbindung zu Þorgerðr – der hieros



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gamos20 – für sein, als Fürst zu erwartendes, tragisches Schicksal verantwortlich sei. Steinslands These wirkt m.  E. insgesamt ebenso wenig überzeugend (vgl. Schmidt 2015, 124–7) wie A ­ lmqvists Versuch, die Tempelszene in direkten Zusammenhang mit der Madonnamirakel-Redaktion der Statuenverlobung zu setzen. Dennoch wird an diesen stark gegenläufigen Inter­pre­ta­tion­en die Vielschichtigkeit der Motivverwendung in der Færeyinag saga deutlich. Allen Interpretationen zufolge ist das Ringmotiv essentieller Teil der Darstellung der Sigmundr-Figur, doch entzieht es sich einer eindeutigen Interpretation. Wie kann der christliche Missionar Sigmundr eng mit einer heidnischen Figur verbunden sein, seinem König fatalerweise nicht gehorchen und dennoch einen guten Teil der Erzählung die Herrschaft auf den Färöern – wenn auch mehr schlecht als recht – behaupten? Wenn Þorgerðr eine dämonische, unchristliche Macht darstellt, wie kann sich Sigmundrs Verbindung mit ihr erst so spät rächen? Und wie kann sein skrupelloser und unmoralischer Konkurrent Þrándr über ihn triumphieren? Wohnt der Færeyinga saga somit eine unchristliche Botschaft inne, obwohl Sigmundrs Tod gleichzeitig mit seiner Verweigerung des Befehls seines christlichen Königs und somit einem „heidnischen Makel“ (Glauser 1989, 221) motiviert zu sein scheint und der Ausgangsszene vermeintlich eine Inspirationsquelle zugrunde liegt, die eine stark christliche Moralbotschaft ausdrückt? Wie kann der Ring zugleich als Glückszeichen eingeführt werden, lange Zeit keinen expliziten Effekt besitzen, sich plötzlich aber doch zum Todesbringer entwickeln?

Der narrative Mehrwert des Rings – Multiple Erzählebenen in der Færeyinga saga Die Resistenz dieses Erzählelements gegen eine klare Interpretation illustriert die essentielle Komplexität der Færeyinga saga, die ‚Uneindeutigkeit‘ geradezu zu ihrem Erzählprinzip erhebt. Dem Ringmotiv ist insgesamt ein narrativer Mehrwert eingeschrieben, der allerdings in der Erzählung nicht klar aufgelöst wird. Lässt sich dieser Mehrwert in seiner Sinnhaftigkeit aber möglicherweise auf einer anderen Ebene der Erzählung erhellen? Einer neueren Richtung der historischen Narratologie zufolge muss Gegenständen bei der Erzähltextanalyse ein größeres eigenes Recht eingeräumt werden. Hier sind insbesondere die Forschungen von Anna Mühlherr und Heike Sahm von Interesse: Innen zufolge könnten Dinge in Erzählungen mit einem Eigensinn ausgestattet sein, mit „inhärenten Logiken“, die zwar den Plot entscheidend bestimmen könnten, gleichzeitig aber durchaus „sperrig“ blieben und deren Funktionslogik weder von den

20 Für Steinslands Ausgangsthese des hieros gamos siehe Steinsland 1991.

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Figuren, noch vom Rezipienten (oder dem Erzähler) vollständig durchschaut werden müsse (Mühlherr/Sahm 2012, 235–7).21 Beispielhaft zeigen Mühlherr und Sahm im hier genannten Aufsatz die Möglichkeiten dieses Ansatzes anhand einer Analyse von Siegfrieds Schwert Balmunc im Nibelungenlied auf; Anna Mühlherr darüber hinaus auch für Hort und Tarnkappe im gleichen Text (2009). Die von beiden Forscherinnen festgehaltenen, dingeigenen Logiken könnten sich geradezu als „Störfaktoren“ ihrer Benutzung durch die Figuren erweisen; die Dinge würden „ein Anderes gegenüber Akteuren“ (Mühlherr 2009, 492). Sie konfrontierten Figuren wie Rezipienten insofern mit einer „hermeneutischen Grenze“ (Mühlherr/Sahm 2012, 237), die sich auch darin äußern könne, dass die Dinge von den Figuren mitunter ungleich und vor allem nicht ding-gerecht semantisiert würden. So setzen die Protagonisten des Nibelungenliedes etwa den Hort für verschiedene Zwecke ein: Kriemhild verteilt ihn zur Gefolgschaftsbindung, Hagen versenkt ihn zur Eliminierung der sich daraus ergebenden Gefahr für den Burgundenhof. Sie schreiben ihm im Zuge dessen auch unterschiedliche Bedeutungen zu. So symbolisiert der unermessliche Schatz für Kriemhild gleichermaßen ihren Geliebten wie das ihr angetane Unrecht, während er für den Burgundenhof hauptsächlich einen Machtfaktor darstellt. Dabei ist das Grundverhängnis dieses Handlungsteils des Epos darin auszumachen, dass der Schatz überhaupt vom Land der Nibelungen in die Menschenwelt transportiert und geteilt wird. Der eigenen Bestimmung des Hortes nach hätte beides nicht geschehen dürfen: Siegfried erwirbt den Hort im Zuge eines Streits aufgrund von dessen Unteilbarkeit im Nibelungenland. Weil aber geschieht, was nicht hätte geschehen sollen, drängt der Schatz selbst als Ding in seiner Logik dem Untergang unaufhaltsam entgegen (vgl. insgesamt Mühlherr 2009). Eine auf die dingeigenen Logiken ausgerichtete Analyse verspreche Mühlherr zufolge insofern Einsichten in zusätzliche narrative „Sinnschichten“ (2009, 462 und 489). Dieser Ansatz ist gewinnbringend auch im hier gegebenen Fall anwendbar: Im Umgang der Figuren mit dem Hort im Nibelungenlied zeigt sich die gleiche Mehrfachcodierung und widerstreitende Eigengesetzlichkeit des Gegenstands wie im oben geschilderten Falle von Sigmundrs Ring.22 Der Ring als Gegenstand besitzt seine eigene narrative Wirkmacht, die aus mehr besteht als den durch die Figuren an ihn herangetragenen Interpretationen. Die Figuren semantisieren den Ring unterschiedlich (als Glücksbringer und Zeichen des Heidnischen), erfassen damit aber die ihm eigene Funktionslogik als narratives Element nicht vollständig. Interessant scheint in diesem Zusammenhang die Assoziation handlungsmächtiger und eigensinniger Dinge mit mythischen Anderwelten, wie etwa gerade beim Hort

21 Dieser Ansatz geht zurück auf Hartmut Böhme (2006), der Dinge als „Mitspieler“ in narrativen Gefügen bewusst zu machen versucht. 22 Für die Übertragung dieses narratologischen Ansatzes auf altnordische Texte siehe auch den Aufsatz von Daniela Hahn im vorliegenden Band, der ich für diese Anregung zu tiefstem Dank verpflichtet bin.



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der Nibelungen (vgl. Mühlherr 2009) – die aus sich selbst handlungsrelevanten und mit einer eigenen Logik ausgestatteten Dinge zeichnet oftmals eine Affinität zum „faszinierend Numinose[n]“ (Mühlherr/Sahm 2012, 237) aus. Diese Beobachtung gewinnt an Bedeutung, wenn man sie mit einer jüngeren Schule religionshistorischer Sagaforschung korreliert, welche die narrative Funktionalisierung religiöser Elemente ins Zentrum ihres Erkenntnisinteresses stellt.23 Hauptsächlich geht es dieser Forschungsrichtung um Einsichten in vorchristliche Glaubensvorstellungen. Doch auch wenn man von der Historisierung der religiösen Narrationselemente absieht, die in diesem Rahmen nicht angestrebt ist, bleibt der Befund übrig, dass sie eine weitere narrative Ebene in den Text einziehen, eine „mythische“ Erzählebene in den Tiefenstrukturen des Textes. Diese liegt eben „wie ein magnetisches Feld unter dem [Oberflächen-] Text“ (Meulengracht Sørensen 1992, 735) der Erzählung, und verleiht ihm insofern eine zusätzliche Sinndimension – jene, auf die auch Mühlherrs und Sahms eigensinnige Dinge Bezug nehmen können. Beide Ansätze lassen sich in Kombination auch für eine Analyse der obigen Elemente der Færeyinga saga nutzbar machen. Der mehrdeutige Sinnbezug von Sigmundrs Ring (als heidnischer Glücksbringer und aus christlicher Perspektive Todesursache) eröffnet den Blick des Rezipienten auf die Eigengesetzlichkeit dieses Gegenstands. Dabei wird zwar nur die christliche Interpretation im Text explizit gemacht (in der Rede König Óláfrs). Dennoch ist auffällig, dass Sigmundr seinen Ring erhält, noch bevor er (zeitweilig) zum Herrn der Färöer aufsteigt. Insofern mag sich Hákons Prophezeiung, Sigmundr habe mit dem Ring heilir zu erwarten, also durchaus bewahrheiten. Zusätzlich trägt der Ring auch zur Aufklärung des Mordes an ihm bei, obwohl er ihm selbst den Tod gebracht hat. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Hákon Sigmundr den Ring in einer aufwändig ausgestalteten Szene verschafft, die handlungslogisch, angesichts des auf der Textoberfläche fehlenden heilir-Effekts, geradezu überschüssig wirkt.24 Sigmundr benötigt für seine Rückeroberung der Herrschaftsmacht auf den Färöer lediglich Hákons militärische Unterstützung und seine Autorität. Dennoch scheint das Ringgeschenk wenigstens aus der Perspektive des Jarls essentiell notwendig zu sein. Dass der Jarl die Statue mehrfach anfleht und beim zweiten Mal sogar weint, um den Ring zu erhalten, steigert diesen Eindruck zusätzlich. Zumindest auf der Figurenebene, durch die Augen Hákons, besitzt der Ring zu diesem Zeitpunkt einen offenbar unabdingbaren, positiven Effekt. Auch im Zusam-

23 Als Überblick siehe Schmidt 2015. Wichtige Arbeiten aus diesem Bereich der Forschung bilden der Aufsatz von Preben Meulengracht Sørensen (1992), die zweibändige Monographie von Margaret Clunies Ross (1994–98) und die Monographie von Klaus Böldl (2005). 24 Hákon fragt Sigmundr vor der Abreise unvermittelt, woran er glaube, und rät ihm, auf Þorgerðr zu vertrauen. Sigmundr fügt sich und folgt Hákon auf eine abgelegene Waldrichtung, wo ein prächtiger Tempel steht, der ausführlich (außen wie innen) beschrieben wird. Der Jarl führt seinen Schützling hinein, wo er die oben zitierten Handlungen vollzieht, siehe Fær Kap. 23.

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menhang mit Sigmundrs Tod ist durchaus bedenkenswert, dass die Figur der Þorgerðr in ihren beiden Auftritten innerhalb des Genres der Isländersagas ebenfalls mit einem Ringmotiv assoziiert ist. In der Njáls saga stiehlt der Unruhestifter Víga-Hrappr ihrer Statue, der ihrer Schwester und einer von Þórr je einen Goldring, ehe er den Tempel von Jarl Hákon verbrennt. Der erzürnte Jarl verfolgt ihn und ist in der Lage, prophetisch sein Versteck zu entdecken, nachdem er allein in Verbindung zu übersinnlichen Mächten getreten zu sein scheint.25 In der Harðar saga tritt Þorgerðr wenigstens implizit ebenfalls als strafende numinose Instanz auf, nachdem ein Ring (diesmal der ihres Bruders Sóti) entwendet wurde: Grímkell, der sie aufgesucht hat, stirbt urplötzlich, nachdem Þorgerðr seinem Sohn Hörðr, der den Ring gestohlen hat, eine ungünstige Zukunft ankündigt und Grímkell daraufhin ihren Tempel verbrennt.26 Im Kontext dieser Szenen scheint immerhin in die Færeyinga saga induzierbar, dass sich in Sigmundrs Tod ein rachsüchtiger Wille der Þorgerðr äußert, nachdem Sigmundr sie und die Verbindung zu ihr durch seine Konversion ‚betrogen‘ und ihr den Ring insofern ‚entwendet‘ hat.27 Auch in dieser Hinsicht lässt sich der Saga also möglicherweise die heidnische Perspektive auf den Ring unterstellen, die Jarl Hákons ursprüngliche Gewinnung des Rings als Glückszeichen seiner Patronin in den Text einführt. Eine solche entspräche den oben genannten mythischen Tiefenstrukturen, die die religionsgeschichtliche Sagaforschung in anderen Sagas angesetzt hat. Gleichzeitig äußert sich die christliche Perspektive, die König Óláfr ausspricht. Der Umschlagpunkt ist Sigmundrs Bekehrung; der zuvor offenbar positive Gegenstand der Þorgerðr wird ab diesem Moment umgewertet zum bedrohlichen heidnischen Überbleibsel. Nach Sigmundrs Tod macht der Ring aber eine weitere Bedeutungsveränderung durch, denn

25 Njál Kap. 88, 214–6. Dabei wird nicht explizit gemacht, was genau vorgeht. Der Jarl entfernt sich von seinem Gefolge, kniet nieder und bedeckt das Gesicht. Ein Gebet zu den geschändeten Göttern scheint annehmbar. Dabei wird nicht spezifiziert, dass Hákon zu Þorgerðr betet, oder woher sein Wissen um Hrapprs Versteck stammt, zudem werden drei Götter (Þorgerðr, ihre Schwester Irpa und Þórr) geschändet und könnten potenziell um Hilfe ersucht werden. Dennoch lässt sich die Vermutung in den Text lesen, dass (auch) die rachsüchtige Schutzgöttin Hákons sich hier gegen den frevlerischen Hrappr wendet. Speziell Þorgerðr und Irpa treten in der Jómsvíkinga saga und dem Þorleifs þáttr jarlsskálds als Hákons dämonische Unterstützerinnen gegen Feinde auf. Bemerkenswert scheint auch, dass Þorgerðr von den drei Götterstatuen im Tempel am stärksten herausgehoben wird, auch wenn sie nicht alleine in Verbindung mit einem Ring steht und durch Hrappr entehrt wird. 26 Harð Kap. 19, 51–2. 27 Weiter bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass John McKinnell (2002) Überlegungen zu einer Verbindung zwischen Þorgerðr und der Vanengöttin Freyja angestellt hat, die sich in beider Doppelfunktion als Schutzmächte und Spenderinnen von Reichtum und Todesbotinnen äußert. Meulengracht Sørensen (1992) diskutiert eine Doppelfunktion des Gottes Freyr in den Isländersagas, der als wohlwollender Helfer (etwa in der Vatnsdœla saga) oder strafender Rachegott (in der Víga-Glúms saga) auftreten kann. Diese Sagas dienen ihm als Ausgangspunkte für sein Konzept mythischer Substrukturen in den Isländersagas. Da Þorgerðr ebenso wie Freyr in möglichen mythischen Sagatiefenstrukturen offenbar gleichzeitig als glückbringende und strafende numinose Instanz auftreten kann, lässt sich McKinnells Überlegung zu ihrer vanischen Natur unter Umständen weiter stützen.



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der in Óláfrs Augen offenbar gefährliche heidnische Ring sorgt dann für die Aufklärung des Mordes – was in dieser Perspektive sicher positiv zu bewerten wäre. In dieser mehrfachen und widerstreitenden Sinnbesetzung zeigt sich eine Eigen­ge­setz­lichkeit des Ringmotivs im Mühlherr’schen Sinne, die sich nicht auf Óláfrs Todesprophezeiung und die dahinterstehende literarhistorische Anregung des Motivs durch die von einer Strafe gefolgten Statuenverlobung mit einer Heiligen (aus der Maríu saga) oder Dämonin (in der Venusredaktion) reduzieren lässt. Der Ring hat seine eigene Bestimmung und strahlt einen Widerstand gegen die von Óláfr in den Text eingebrachte Interpretation samt ihrer christlichen Moralbotschaft aus. Auch unterbleibt etwa eine Moralisierung von Sigmundrs Weigerung, den Ring herauszugeben, seitens des Erzählers. So ließe sich der Ring auch aus Hákons (vom Oberflächentext allerdings weitgehend verschwiegener) Perspektive deuten: Þorgerðr garantiert für Sigmundrs Aufstieg und nach seiner Abwendung von ihr auch für seinen Fall. Die Funktion dieses Dings als Erzählelement steht letztendlich aber konträr zu beiden von den Figuren an es herangetragenen Interpretationen. Es lässt sich interpretativ verschieden benutzen, zeigt aber dennoch einen nicht ganz aufgehenden Mehrwert. Der Grund dafür ist seine scheinbare Verbindung mit mythischen Mächten. Der Ring bezieht seine Logik, ob als Glücksbringer oder Todeszeichen, von den numinosen Mächten, mit dem ihn die Figuren in ihrem Verständnis aufladen. Somit lässt sich das Ringmotiv lose in Parallele zum oben beschriebenen Motiv des Hortes aus der Anderwelt im Nibelungenlied setzen (vgl. Mühlherr 2009). Auch dieser besitzt seine Handlungsmacht hauptsächlich deshalb, weil er aus einer anderen Welt stammt und weiter an deren Logiken geknüpft bleibt, wobei sich den Figuren diese Bedeutungsebene verschließt. Dabei wird die dingeigene Funktionslogik in beiden Texten aber nur implizit tradiert, nicht in den Vordergrund gespielt. So scheint die Marginalisierung des Rings innerhalb der Erzählung der Færeyinga saga Sigmundrs eigene Ansicht des Rings zu spiegeln: Er glaubt a matt min ok megin,28 und misst dem Ring weder Bedeutung bei, als er ihn von Hákon erhält, noch als er von Óláfr vor den Auswirkungen seines Festhaltens an ihm gewarnt wird. Für ihn symbolisiert der Ring vielmehr die persönliche Freundschaft zum heidnischen norwegischen Herrscher, die tiefer geht als seine Verbindung zu König Óláfr (immerhin war es auch Hákon, durch dessen Hilfe sich Sigmundr zum färöischen Herrscher aufschwingen konnte). Dadurch verdeutlicht der Ring auch die inneren Spannungen der Sigmundr-Figur und seine widerstreitenden Loyalitätsbindungen (vgl. Bick 2005, 7–8). Auf den Ring bezogen bedeutet dies, dass Sigmundr keine Einsicht in die Funktionsweise dieses Dings besitzt; er hat kein Wissen um die tiefere Sinnschicht von dessen Bedeutung oder den Grund für dessen Eigenlogik, diese Sinndimension des Gegenstands entzieht sich ihm.

28 Fær, 49: [A]n meine Kraft und Stärke.

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Damit unterscheidet er sich fundamental von seinem Kontrahenten Þrándr. Während dieser dezidiert nicht als heidnischer Widerständler gezeichnet ist, sondern seine Religiosität als bewusstes Mittel im Machtkampf mit Sigmundr einzusetzen weiß (vgl. North 2005, 60 und 66–70), weist er Bezüge auf eine quasi-mythische Narrationsebene auf. So lässt sich Þrándr einerseits mit dem Wettergott Þórr assoziieren, etwa wenn das eigenwillige färöische Wetter sich stets nach seinen Bedürfnissen fügt oder Þórr als Gott des Landes Þrándrs mythische Präfiguration zu sein scheint (vgl. North 2005, 67–8). Auch übernimmt Þrándr in der Erzählung die Verteidigerfunktion Þórrs im mythischen Weltentwurf: Wie Þórr das Land der Götter vor bedrohlichen Mächten von außerhalb beschützt, so wehrt Þrándr jegliche äußere Einflussnahme auf den Färöern ab. Dabei wird auf einen Bezug Þrándrs zu Þórr im Text nicht explizit hingewiesen, doch nennt Þrándr die heidnischen Götter hinir fornir vínir mínar,29 und gerade während seines Widerstandes gegen den Missionskönig Óláfr Tryggvason leistet ihm das Wetter, das dem paganen Glauben nach Þórr kontrolliert, gute Dienste. Andererseits agiert Þrándr auch nach dem Bilde des Göttervaters Óðinn: Er ist ebenso kriegstreiberisch, listig und trügerisch wie dieser Gott; in einer Szene der Saga tritt er zudem in einer Maskerade auf, die an die Óðinn-Auftritte in den Vorzeitsagas erinnert (vgl. North 2005, 70 und Ólafur Halldórsson 1990). Daneben agiert Þrándr ebenso wie der mythische Göttervater als Gründungsfigur und oberster Herr desjenigen Herrschaftsraums, für den er auch die Rolle Þórrs übernimmt. Ausgestattet mit diesen Bezügen entsteht um die Figur Þrándrs auf den Färöern eine eigengesetzliche Erzählwelt, frei von äußeren Einflüssen und abgeschnitten vom norwegischen Reich, die Þrándr vollständig dominiert und die seinen Gesetzen gehorcht. Welche das sind, wird in der Szene offenbar, in der Þrándr seinen ehemaligen Gegenspieler nach seinem Tod in einem nekromantischen Ritual beschwört, um seinen Tod aufzuklären. Þrándr zeigt sich in diesem Moment als übermenschlich, zauberisch, begabt.30 Er partizipiert in dieser Szene offenbar an einer Erzählwelt, die sich den Regularien der ordinären Figurenwelt entzieht, und erhält aus dieser seine Macht. Dabei scheint auch diese Szene doppelt perspektiviert, ebenso wie Sigmundrs Ring: Þrándr zeigt sich zwar einerseits als aus christlicher Perspektive verdammenswerter Nekromant, lässt sich aber gleichzeitig nicht auf einen sinisteren Antagonisten reduzieren, sondern ist lange Zeit der siegreiche Protagonist der Saga (vgl. hierzu ausführlich

29 Fær Kap. 31, 76: „[M]eine alten Freunde“. Das Adjektiv forn besitzt dabei nicht nur die Bedeutung „alt, aus alter Zeit“, sondern kann auch für „heidnisch“ stehen. 30 Auch in dieser Szene haben Peter Foote (1984, 214) und Ólafur Halldórsson (1987, cxcii) eine Inspiration durch eine in den Maríu jarteinar überlieferte Ritualbeschreibung angesetzt, bei der der Teufel selbst beschworen wird (siehe Mar, 147–8, 730 und 737 für drei verschiedene Redaktionen derselben Erzählung; die älteste Version, auf die sich Ólafur und Foote explizit beziehen, ist jedoch in Ungers Ausgabe nicht enthalten). Auch diese Inspiration erscheint überaus generell, zumal Þrándr kaum den Teufel beschwört und sein Ritual auch Parallelen zu anderen Magie- und Totenvorstellungen in der altnordischen Literatur aufweist, vgl. hierzu ausführlich Foote 1984.



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Schmidt 2016). Auch beschwört er weder den Teufel, noch schadet er seinem Gegenspieler, sondern klärt im Gegenteil dessen Tod auf (auch wenn dies hintergründig vor allem der eigenen Machtsicherung dient). Ohne Wertung seiner Tat gesprochen stellt Þrándr hier unter Beweis, dass in seiner Figur der Zugriff auf eine extraordinäre Textdimension stattfindet. Er kann an den Logiken dieser numinos-mythischen Erzählebene partizipieren und sie sich zu Nutze machen. Diese extraordinäre Erzählwelt lässt sich weitergehend mit dem Urgrund der nicht-verstandenen Eigengesetzlichkeit von Sigmundrs Ring als Gabe der Þorgerðr Hǫrðabrúðr kurzschließen. Dabei unterscheiden sich Þrándr und sein Gegenspieler diametral: Für Sigmundr haben heidnische wie christliche numinose Mächte keine offenbare Bedeutung, für Þrándr allerdings sehr wohl. Þrándr nutzt diese Einsichten in die Bedeutung übermenschlicher Mächte zur Erschaffung seiner eigenen Welt auf den Färöern. In dieser besitzt er, auch dank seines Bezugs zu der extraordinären Erzählebene, die sich Sigmundr verschließt, eine semiotische Deutungshoheit, mit der Sigmundr nicht in Konkurrenz treten kann. Die an Sigmundrs Ring kristallisierte, in den Text der Færeyinga saga eingezogene mythische Textdimension erschafft insofern eine narrative Anderwelt, die sich „faszinierend [n]uminos[]“ (Mühlherr/Sahm 2012, 237) gestaltet, deshalb aber gleichzeitig auch uneindeutig verbleibt. Woher genau Þrándrs Zauberkraft oder aber die implizite Wirkmacht von Sigmundrs Ring letztendlich stammen, wird im Text nicht aufgelöst.31 Rezipienten wie Figuren stoßen hier insofern an eine Grenze der für sie verfügbaren Möglichkeiten von Bedeutungszuschreibung, ohne die der Text zwar ebenso funktionieren könnte, die aber im Gesamtzusammenhang dennoch als bedeutend erscheint, weil sie ihm eine zusätzliche Sinnschicht verleiht. Die darüber erschließbaren „Zusammenhänge und Sinnbildungsmöglichkeiten […] jenseits [der] rein funktionalen Einbindung“ (Mühlherr 2009, 469) von Þrándrs Zaubermacht und Sigmundrs Ring verleihen der Erzählung eine weitere, grundsätzlichere Verankerung (vgl. Mühlherr 2009, 491) und transponieren den Konflikt zwischen Sigmundr und Þrándr in eine mythische Dimension an den Grenzen des menschlich Erfassbaren. Schon der politische Diskurs der Færeyinga saga ist offen: Sie diskutiert nicht allein die Unterwerfung einer norwegischen Kolonie unter die Krone oder die Dichotomie von Christentum und Heidentum, sondern spielt weitgehend wertungsfrei Charakteristika verschiedener Herrschertypen durch (vgl. auch Schmidt 2016). Auch die Interpretationsmöglichkeiten im Hinblick auf die mythische Erzählebene bleiben weitgehend offen. Sigmundrs Ring ist heidnisches Glückzeichen ebenso viel wie christliches Todessymbol, doch welche Macht sich tatsächlich in ihm manifestiert, bleibt unbeantwortet – ob nun eine heidnische Gottheit, die zunächst hilft und dann

31 So bleibt letztendlich sogar offen, ob Þrándr tatsächlich mit übernatürlichen Mächten im Bunde steht oder ob es sich dabei nur um eine Täuschung von Figuren wie Rezipienten handelt (vgl. Almqvist 1992, 52–3). Zur häufigen Täuschung seiner Umgebung wie dem Rezipienten durch Þrándr siehe näher Schmidt 2016.

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straft, oder eine dämonische Kraft. Oder äußert sich hier doch lediglich eine profane Verkettung ungünstiger Umstände ohne übermenschliches Zutun? Die unterbliebene Auflösung des Mehrwerts dieses dinglichen Narrationselements fordert den Rezipienten zu eigenen, weitergehenden Sinnbildungsmaßnahmen auf, die sehr grundsätzliche Überlegungen zulassen: Inwiefern ist Sigmundrs Leben von jenseitigen Mächten geleitet, welche sind diese, und ist menschliche Einsicht in solche Gegenstände angesichts ihrer Offenheit im Text überhaupt möglich? Somit wird nicht nur politische, sondern auch religiöse Spekulation und Diskussion des Rezipienten in sehr grundsätzlicher Art durch die Færeyinga saga angeregt und befördert.

Fazit Für die Færeyinga saga lässt sich somit eine weitere, mit übernatürlichen Elementen verknüpfte Erzählebene festhalten, die sich als mythisch konzipiert verstehen ließe. Ihr entstammt die mehrdeutige Eigensinnigkeit von Sigmundrs Ring ebenso wie Þrándrs paranormale magische Fähigkeiten. Dabei liegt sie, Meulengracht Sørensens Argumentation folgend, „wie ein magnetisches Feld unter dem Text“ (1992, 735). Damit ist weder gesagt, dass die mythische Erzähldimension Überbleibsel mündlicher Vorstufen der Færeyinga saga mit noch heidnischem Weltbild ist, noch dass die mythische Textdimension der Saga in besonders vordringlicher Weise eingeschrieben ist. Die Dualität von Sigmundr und Þrándr ergibt sich auch auf der profanen Ebene des politischen Konflikts, Sigmundrs Ring symbolisiert seine konflingierenden Loyalitäten und Þrándrs Zaubermacht scheint in einem mittelalterlichen Verständnishorizont nicht zwangsläufig per se problematisch. Dennoch lässt sich für beide Elemente der Narration ein einer vereinfachenden Lesung entgegenstehender Mehrwert festhalten, der die Bezugnahme auf eine weitere Erzählebene zulässt. Auch in dieser sind Sigmundr und Þrándr gegensätzlich konzipiert, ihr Dualismus auf der primären Figurenebene wird zusätzlich verschärft. Der Unterschied zwischen beiden Figuren ist die Tatsache, dass Sigmundr diese tiefere Dimension nicht erkennt, während in Þrándrs Fall durch die Narration bewusst Bezug auf sie genommen wird. Dadurch wird dem Geschehen ein weiteres Sinnangebot eingeschrieben, welches für ein Textverständnis zwar nicht unabkömmlich ist, den Konflikt zwischen beiden Figuren aber um eine zusätzliche Dimension erweitert. Die Narration selbst wird dadurch beeinflusst und ermöglicht (indem es Sigmundrs Ring ist, der letztlich seinen Tod verursacht), zudem kann der Rezipient dadurch sogar zu weitergehender, religiöser Spekulation aufgerufen werden. Darin zeigt sich, dass es sich bei den – möglichen – Motiventlehnungen aus der Maríu saga lediglich um Inspirationsquellen der Færeyinga saga handelt, und keineswegs um Ausgangsmaterial, das statisch und samt seiner christlichen Ideologie übernommen wird. Stattdessen weiß die Saga ihre Quellen sehr distinguiert einzusetzen.



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Hier wird weder lediglich humorvoll mit aus christlicher Gelehrsamkeit bekannten Elementen gespielt, noch eine christliche, das Heidentum verdammende Perspektive in den Sagatext übernommen. Im Gegenteil werden bekannte Motive in ganz eigener Art und Weise adaptiert, die hohe literarische Qualität ausdrückt.32 Die Mehrfachcodierung übernatürlicher Motive im Text eröffnet den Blick auf multiple Sinnebenen der Erzählung, die dem Rezipienten mehr bieten als eine christliche Ideologie oder einen einfachen politischen Konflikt. Dass dieser ihr Zentralanliegen ist, verliert die Saga allerdings nie aus dem Blick, da sie ihr Spiel der Narrationsebenen geschickt zur Unterstreichung der Modalitäten des Machtkampfs und der Figuren einzusetzen weiß. Dass dabei heidnische und christliche Logiken offen konkurrieren, und dass gerade die Figur den Sieg davonträgt, die der mythischen und durchaus unchristlichen Textdimension offen gegenübersteht, widerspricht der Verortung einer einfachen Christentum-Heidentums-Dichotomie in der Færeyinga saga. Ihre Position in Bezug auf die Unterschiede dieser Glaubenssysteme ist differenzierter zu bewerten, und eine Reduktion des textlichen Gehalts auf die Inspiration durch christliche Gelehrsamkeit greift zu kurz. Dennoch kann gerade der klassische Blick auf die Ausgangsquellen und ihre Zusammenhänge das Verständnis der Saga erhellen, insofern nach der genauen Art und Weise ihrer Umsetzung gefragt wird.

Literatur Quellen Fær: Færeyinga saga (Stofnun Árna Magnússonar á Íslandi 30), Ólafur Halldorsson (útg.). Reykjavík 1987. Harð: Harðar saga Grímkelssonar eða Hólmverja saga. In: Harðar saga, Barðar saga, þorskfirðinga saga, Floamanna saga ­(Íslenzk Fornrit 13), Bjarni Vilhjálmsson og Torhallur Vilmundarson (útg.). Reykjavík 1991, 1–97.

32 Ein weiteres Beispiel wäre etwa das Motiv des Meisterdiebs in Fær Kap. 2/3. Zu dessen Funktionalisierung vgl. ausführlich Schmidt 2016. Für die oben geäußerte literarhistorische Einschätzung bin ich Daniela Hahn dankbar. Damit befindet sich die Færeyinga saga auf pari mit den Isländersagas, in denen, wie Heizmann (1999) aufzeigt, fremde Texte häufig adaptiert, aber sehr stark ‚islandisiert‘ werden. Das Modell der ‚literarischen Camouflage‘, das Heizmann dabei von Detering übernimmt (60), entspricht in seiner Spannung zwischen Oberflächen- und Subtext der hier konstatierten Multiplizität der Narrationsebenen. Dabei lässt sich in der Art der Camouflage in der Færeyinga saga dennoch eine von den Isländersagas unterschiedliche Tendenz beobachten, denn obwohl der fremde Text (die Marienlegende) stark einheimischen Erzählmustern angepasst wird bzw. nur als Inspiration dient und die Saga ihre Intertextualität somit verbirgt, scheint die Spannung zwischen den Textebenen durchaus dazu da, dem „Leserkreis indirekt […] vermittel[t]“ (Heizmann 1999, 60) zu werden. Darin zeigt sich eine gewisse Einzigartigkeit der Færeyinga saga.

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Mar: Mariu saga. Legender om Jomfru Maria og hendes jartegn. Efter gamle haandskrifter, C. R. Unger (utg.). Christiania 1871. Njál: Brennu-Njáls saga (Íslenzk Fornrit 12), Einar Ol. Sveinsson (útg.). Reykjavík 1954. De Gestis Regum Anglorum: William of Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, 2 vols, R.A.B. Mynors et al. (ed. and trans.). Oxford 1998. Kaiserchronik: Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen (MGH Dt. Chron. I,1), Edward Schroder (Hg.). Hannover 1895.

Sekundärliteratur Almqvist 1992: Bo Almqvist (utg./overs.), Färinga sagan. Hedemora 1992. Almqvist 2005: Bo Almqvist, Bruden i templet. En episod i Färingasagan och ett madonnamirakel. In: Andras Mortensen (útg.), Fólkaleikur. Heiðursrit til Jóan Paula Joensen. Tórshavn 2005, 19–27. Baetke 1951: Walter Baetke, Christliches Lehngut in der Sagareligion. In: Walter Baetke, Christliches Lehngut in der Sagareligion, Das Svolder-Problem. Zwei Beiträge zur Sagakritik (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologischhistorische Klasse 98, Heft 6). Berlin 1951, 5–55. Baum 1919: Paul Franklin Baum, The Young Man Betrothed to a Statue. In: Publications of the Modern Language Association of America 34 (New Series 27,4), 1919, 523–579. Bick 2005: Julia Bick, Zwischen Heidentum und Christentum – Þrándr í Gǫtu in der Færeyinga saga. In: skandinavistik 35, 2005, 1–18. Böhme 2006: Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne (Rowohlts Enzyklopädie 55677). Reinbek bei Hamburg 2006. Böldl 2005: Klaus Böldl, Eigi einhamr. Beiträge zum Weltbild der Eyrbyggja und anderer Isländer­ sagas (Ergänzungsbände zum RGA 48). Berlin/New York 2005. Einfügen zwischen Böldl 2005 und Foote 1984 (Eintrag von unten, hier mit kleiner Korrektur, nach der 7 bitte eine Leerstelle einfügen): Clunies Ross 1994–98: Margaret Clunies Ross, Prolonged Echoes. Old Norse Myths in medieval Northern society. 2 Bde (The Viking Collection. Studies in Northern Civilisation 7; 10). Odense 1994–1998. Foote 1984: Peter Foote, Færeyinga saga, chapter 40. In: Michael Barnes et al. (eds.), Aurvandilstá. Norse Studies (The Viking Collection. Studies in Northern Civilisation 2). Odense 1984, 209–221. Foote 1988: Peter Foote, Observations on Orkneyinga saga. In: Barbara E. Crawford (ed.), St Magnus Cathedral and Orkney’s Twelfth Century Renaissance. Aberdeen 1988, 192–207. Glauser 1989: Jürg Glauser, Narratologie und Sagaliteratur. Stand und Perspektiven der Forschung. In: Julia Zernack et al. (Hg.), Auf-Brüche. Uppbrott och uppbrytningar i skandinavistisk metod­ diskussion (Artes et Litterae Septentrionales 4/norrøna Sonderband 2). Leverkusen 1989, 181–234. Glauser 1994: Jürg Glauser, Færeyinga saga. In: Heinrich Beck et al. (Hg.), Reallexikon der Germa­ nischen Altertumskunde 8. Zweite, völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Berlin/ New York 1994, 111–117. Heizmann 1999: Wilhelm Heizmann, Die verleugnete Intertextualität. Adaption und Camouflage fremder Texte in der Sagaliteratur. In: Stig Toftgaard Andersen (Hg.), Die Aktualität der Saga. Festschrift für Hans Schottmann (Ergänzungsbände zum RGA 21). Berlin/New York 1999, 53–61. McKinnell 2002: John McKinnell, Þorgerðr Hölgabrúðr and Hyndluljóð. In: Rudolf Simek, Wilhelm Heizmann (eds.), Mythological Women. Studies in Memory of Lotte Motz (1922–1997) (Studia Medievalia Septentrionalia 7). Wien 2002, 265–290.



Der Nekromant und der Ring 

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Monika Schulz

Dei Huk uptrecken. Der häusliche Kesselhaken als materia magica Abstract: The household kettle hook (also boiler hook or trammel hook) is the central materia magica in the banishment of witches and plague as well as in magical healing practices, such as are documented in the records from witch trials. The study shows that these are not arbitrary remarks, but rather accurate recourses conveyed through the use of the kettle hook as a legal symbol or rather a lar familiaris going back to antiquity. Das Folgende versucht, einigen enigmatischen Beschwörungen und magischen Handlungsanweisungen der Frühen Neuzeit auf die Spur zu kommen, in denen der häusliche Kesselhaken die Hauptrolle spielt. Ich halte es dabei mit Lévi-Strauss (1994), der immer wieder die Scharfsinnigkeit und Logik eines ‚wilden Denkens‘ betonte. Die Magie stellt (zumindest solange sie nicht von mannigfachen Korrumpierungserscheinungen entwertet ist) ein rationales System von Welterklärung und Kontingenzbewältigung bereit. Dabei beutet sie ausgesprochen eklektisch vorhandene Wissenssysteme für ihre Zwecke aus. Dennoch bleibt die Magie sozusagen immer dieselbe über Zeiten und Räume hinweg, was möglicherweise mit den ‚Gesetzen des Geistes‘1 zusammenhängt. Ihre ubiquitäre Ausprägung veranlasste Mauss/Hubert zu der bekannten Einschätzung, „dass die Magie bei aller Variabilität ihrer Beziehungen zu den anderen Klassen sozialer Phänomene in den verschiedenen Zivilisationen doch überall dieselben wesentlichen Elemente enthält und im Ganzen gesehen überall identisch ist“2. Freilich irritiert den modernen Betrachter, dass sie auf eine handlungsbetonte Körper-Kommunikation setzt (siehe v.  a. die Ausführungen zum Huk weiter unten). Archaischem Denken eignet unzweifelhaft eine „unmittelbar sinnliche, primäre Gewissheit des Handelns“3, und Frankfort sprach einst treffend davon, dass das mythische Denken außerstande ist, „die Sphäre des Konkreten zu verlassen“4. Die folgende Suche nach dem verlorenen Sinn anscheinend närrischer Handlungsanweisungen oder vermeintlich absurder Beschwörungen geht davon aus, dass der/dem modernen Rezipienten/in das Signifikat für den frei flottierenden Signifikanten (in diesem Fall der Kesselhaken) abhanden gekommen ist. Als relevante

1 Vgl. hierzu Lévi-Strauss/Eribon 1996, 143–207. 2 Mauss/Hubert 1989, 48. 3 Czerwinski 1989, 13. 4 Frankfort/Frankfort 1954, 21.

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Referenzräume erweisen sich dabei Recht/Rechtspraxis/Heilkunde, wobei Spuren relevanter Diskurse bis in die Antike zurückverfolgt werden können.

1 Der Kesselhaken als Rechtssymbol und lar familiaris In der Hs 41125 der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums, einem Kunstund Zauberbuch des 17. Jh.s, findet sich in Kapitel 11, 9: Von Hexen vnndt Bezauberungen, folgender Eintrag: Ein ander wißenschaft, das keine Hexe auß dem hauße gehen kan. So gehe hin still schweigens, undt henge den Keßell haken über den feur 3. haken höher auf, alß er zue uohr gehenget hat, darnach so nimb ein Kreutzseßling, unndt stich den vnter die Schwellen deß Haußes da die Hexe wieder umb auß gehen muß, vnndt fürs dritte, so lege Ihr gleichfals, doch still schweigens der Hexen, das sie es nicht gewar werde, Hinten auff den Rogk, recht vnter den Wammeß 3. heuflein salz, vnndt laß die liegen Vnndt wan dieses geschehen, ists der Hexe vnmüglich auß dem Hauße zue gehen, Wans ihr auch den halß kosten solte. Eß sey dan dass der Keßell hake wieder her vnter, der Kreutz Sechßling vnter der Schwellen weg genommen, vnndt das saltz der hexen vom Leibe abgeschlagen werde wie Ichß selbst probiert habe.5

Leider fehlen die ersten Seiten der Handschrift, mithin auch so etwas wie eine Titelseite oder ähnliches. Doch liegt die Intention der Handlungsanweisung offen: Es geht darum, eine Hexe an das Haus zu binden, so dass sie gefangen werden kann, wie es der Nachsatz (Wans ihr auch den halß kosten solte) nahe legt. Wer die Magie und ihre Gesetze kennt, verortet zunächst übliche Requisiten: Die Schwelle ist nicht nur innerhalb der Magie eine bedeutsame Grenzscheide,6 das Salz (weiß und ‚rein‘) gilt als dämonenabwehrend, und das still schweigens soll sicherstellen, dass auch nicht der kleinste Laut als störender Zwischenträger die magische Handlung beeinflusst bzw.

5 Nürnberg, Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums, Hs 41125, S.  224  f. Ich danke sehr herzlich Dr. Christiane Lauterbach und Josefine Eckardt von der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums, die mir sehr freundlich und überaus rasch diesen Handschriften-Ausschnitt (S. 224  f.) zukommen ließen. Für ausgesprochen kompetente Hilfe, insbesondere bei der Beschaffung grauer und schwer zugänglicher Literatur, danke ich ebenso Dr. Renate Achenbach, Universitätsbibliothek Regensburg. Für fleißige bibliographische Recherche und mannigfache Hilfestellung danke ich meinen MitarbeiterInnen Katja Biersack, Isabell Hesse, Tobias Klich sowie Alexander Kastenmayer. 6 Vgl. z.  B. die traditio per ostium, von der Grimm wie folgt berichtet: „eines hauses besitz wurde angetreten, indem der erwerbende in die thür eingieng, seinen rechten fuß auf die thürschwelle setzte, oder mit der rechten hand thürpfosten, oder thürring oder thürangel fasste […]“; die Bedeutung der Schwelle war weitreichend: „für wie heilig die thürschwelle geachtet wurde, lehrt der verbreitete gebrauch, den leichnam eines missethäters nicht über sie zu schleifen, sondern durch ein unter ihr gegrabenes loch zu ziehen“; Grimm 1899, 240 und 243.



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in unerwünschte Bahnen lenkt, und schließlich ist die Drei als potente Zahl in unterschiedlichsten Kontexten gut bekannt. Dass einmal von Kreutzseßling, das zweite Mal von Kreutz Sechßling die Rede ist, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass der auch ansonsten flüchtige Schreiber bei der ersten Nennung zwei Buchstaben vergaß.7 Der Sechsling ist eine Silbermünze mit einem Kreuz.8 Das Silber gilt als dämonenabwehrend9 wie auch das Kreuzzeichen10, das in christlicher Deutung Christi Sieg über Tod und Teufel symbolisiert. Silber und Kreuz unter der Schwelle wirken apotropäisch, gelten magischem Denken also geeignet, die Hexe am Austritt zu hindern. Was aber soll der Kesselhaken hier? Jakob Grimm beschrieb die profane Funktion des Kesselhakens wie folgt: „vorrichtung über dem herde, die den kessel hängend trägt, eine eisenstange mit haken oder zähnen in verschiedener höhe, an denen er auf und nieder geschürzt wird“11. Der Kesselhaken gehörte zum Heergewäte.12 Er ist Teil des Herdes, dem „heilige[n] Symbol der ignis communio“13. Was die Anweisung für das Hexenbannen betrifft, greift, wie zu zeigen ist, die Bedeutung des Kesselhakens als Rechtssymbol beim sog. ‚Liegenschaftsübereignungsgeschäft‘. Goldmann (1912) belegte einst überzeugend, dass der Kesselhaken identisch ist mit dem sog. ‚andelang‘, der die entscheidende Rolle bei der symbolischen Investitur, bei der Inbesitznahme etwa von Ländereien etc., spielt. Grimm sah den ‚andelang‘ „als symbol der donation und tradition. Die […] formeln stellen es mit der festuca zusammen: per hanc chartulam donationis (traditionis) sive per festucam atque per andelangum“14. Zum Nachweis, dass der „andelang ein fränkisches Rechtssymbol ist“15, brachte Goldmann zahlreiche Rechtsurkunden aus der Zeit vom 9. bis 16. Jh. bei.

7 Wenn man dagegen eine bewusste Variation annimmt (dem steht freilich die Struktur der Handlungsanweisung, Setzungen zu veranschlagen, die dann wieder gelöscht werden, im Wege), so könnte der Kreutzseßling möglicherweise das Kreuzkraut, lat. ‚Senecio vulgaris‘, meinen, das ein sog. ‚Berufkraut‘ ist; vgl. hierzu den Eintrag in Zedler 1732, 19  f. Die Beruf- oder Beschreikräuter werden eingesetzt, wenn ein Mensch ‚beschrien‘, also verhext ist, um den Zauber unwirksam zu machen; vgl. Marzell 1963, 60  f. 8 Zum ‚Sechsling‘ als Münze in der Frühen Neuzeit vgl. Jesse 1927, insbes. 138–163.; Abb. von Silbermünzen mit einem Kreuz ebd. in den Münztafeln ab S. 291. Zum Tragen von solchen Kreuz-Münzen als Amulett vgl. Ficker 1896, 473. 9 „Wie allen Metallen ist auch dem Silber die Kraft eigen, Dämonen und Krankheiten abzuwehren“; als besonders wirksam galt ‚Erbsilber‘, d.  h. durch mehrere Generationen vererbtes Silber, so wurden alte Silberringe getragen um sich „vor Verhexung zu schützen“; Olbrich 1987, Sp. 1 bzw. Sp. 3. 10 Ein typischer volkskundlicher Beleg: „An die Stallthüre werden drey Kreuze gezeichnet, dass die Hexe nicht ein= und auskann“; Schönwerth 1857, 314 (5. Buch, § 1 Stall). 11 Grimm/Grimm 1865, Sp. 825. 12 Vgl. Grimm 1899, 105 (570). 13 von Geramb 1987, Sp. 1764. 14 Grimm 1899 (I), S. 271 (196). 15 Goldmann 1912, S. 66.

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Der Kesselhaken (bzw. der andelang: per andelangum tradere) wurde als das „hauptsächlichste Symbol des Herd- und Hausbesitzes bei Investituren und Übergaben dem neuen Besitzer überreicht“16; der Kesselhaken ist der „rechtliche Hausmittelpunkt“17. Das HRG weist unter dem Lemma ‚andelang‘ auf traditio und vermerkt: traditio (mlat.) ist in den Urkunden zunächst allgemein die Bezeichnung für eine Übergabe (einer Sache oder einer Person) […]. Bei beweglichen Sachen meint t. in der Regel die reale Übergabe derselben. Bei Grundstücken wird die rechtsförmliche Handlung zuerst auf dem Grundstück selbst vorgenommen. Dabei wird ein mit dem Grundstück im Zusammenhang stehender Gegenstand wie eine Grasscholle, ein Stück Torf, ein Zweig […] oder ein Herrschaftssymbol wie Kesselhaken […] als äußeres Zeichen der Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber übergeben. Dem folgte dann die reale Investitur als förmliche Einweisung des Erwerbers in den Besitz des Grundstücks mit gemeinsamen Umgehen der Grundstücksgrenzen.18

Die rechtliche Bedeutung des Kesselhakens, auch Helhaken, Hel oder Hal19 genannt (vgl. ahd. hahan, hahen, haen ‚hängen‘20), der vor allem in Niedersachsen Mittelpunkt des Wohnhauses21, ja dessen „Heiligtum“22 war, ist unzweifelhaft. Er steht als pars pro toto für Haus und Hof23 und vermittelt über rechtssymbolische Handlungen den „abstrakte[n] Übergang der Berechtigung an der Sache“24. Das zeigt sinnfällig der rechtsrelevante Akt einer Besitzergreifung aus dem 17. Jh. Die Abtei Siegburg in der Nähe von Bonn ließ am 23. und 24. September 1669 Höff und Heuser durch einen mit der Inbesitznahme beauftragten Notar in Anwesenheit zweier Siegburger Vertreter und zweier namentlich genannter Zeugen, Schöffen des zugehörigen Dingstuhls, „feierlich mit Beschlag belegen“25, und zwar mit ahnzundt: und aussleschung dess fewrs, auf: und abschurtzung dess Heelhags, fort abnehmung dess darahn hangenden duppenss animo et corpore realiter et actualiter die unyrdt: und coniungirte possession und besitz ergriffen und eingenohmmen […].26

Objekt dieser rechtsförmlichen Einweisung ist also die Herdstelle: Das Feuer wird entfacht und gelöscht, der Kesselhaken auf- und abgehängt (d.  h. der Hausstand in

16 von Geramb 2000: Victor von Geramb, Art. Kesselhaken. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. IV. Berlin/Leipzig 2000, Sp. 1269–1279, hier Sp. 1272. 17 Ebd. Darauf scheint auch die rechtsrelevante Formel „vom kesselhaken bis zum thorweg“ wie sie Grimm beibringt, zu weisen; Grimm 1899 (I), S. 53 (37). 18 Werkmüller 1998, Sp. 296  f. 19 Vgl. den Eintrag Häl im Schweizerischen Idiotikon: Staub/Tobler/Schoch 1885, Sp. 1133. 20 Vgl. Schützeichel 1989, 135. 21 Vgl. von Amira 2011, 124. 22 Schwebel 1887, 70. 23 Lück 2012, Sp. 956. 24 Ebd. 25 Leider steht mir nur folgende Sekundärquelle zur Verfügung: Wiedemann 1894, 142  f. 26 Ebd., 142.



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Betrieb genommen), der am Kesselhaken befindliche Topf der Vorbesitzer entfernt. Dieser Beleg ist nicht singulär, es existieren zahlreiche Nachweise für eine Übereignung einer Liegenschaft mit dem Kesselhaken als Investitursymbol.27 Geht es andersherum um eine (unfreiwillige) Auflassung eines Hauses, etwa wenn eingeforderte Abgaben an den Grundherrn nicht geleistet wurden, wird der Kesselhaken durch einen Richter entfernt (die folgende Anweisung stammt aus dem Jahr 1571): Wer ein hälen ob dem für und brotkorb hat, der soll dem twingherrn haber und hüener geben und wer das nit täte, dem mag der richter die hälen ab dem für nehmen.28

Der Kesselhaken als Herrschaftssymbol markiert also Besitzverhältnisse bzw. Zugehörigkeiten. Von hier aus erklären sich kultische Handlungen wie der Umwandlungsbrauch der sog. ‚Helleite‘, die als initiatorischer Ritus ihren Ursprung womöglich in der Zeremonie der Amphidromien hat, einer altgriechischen Lustrationsfeier, die nach der Geburt eines Kindes abgehalten wurde.29 In dieser Zeremonie wird durch einen Umlauf um den Herd „die Bindung des Kindes an den Herd und seinen geweihten Bannkreis vollzogen […] damit ist es in den häuslichen Kultverband aufgenommen“30. Die Herdumwandlung ist die „häufigste und meistverbreitete Form der noch heute [das meint hier das erste Drittel des 20. Jh.s] erhaltenen H. kulte. Die Sitte […] ist zweifellos sehr alt, da sie sich bereits in den altindischen Quellen nachweisen lässt und in der Antike früh und reichlich bezeugt ist“31. Die Aufnahmezeremonie ist in ihrem Grundgedanken der genannten Helleite als Aufnahmeritus identisch, die in zahlreichen ethnographischen Belegen dokumentiert ist. So wird der neue Hausherr „ums Hel geleitet“32, der Bräutigam trägt die Braut ins Haus und umwandelt mit ihr drei Mal den Kesselhaken33 oder eine neue Magd wird bei Dienstantritt um dat hal geführt34. Andersherum wird die detestatio sanctorum, wenn die Braut das väterliche Haus verlässt, rechtssymbolisch dadurch markiert, dass die Braut „die Herdkette mit der Hand leicht zurückstößt“35. Die Bindung an das Haus als eigentliche Handlungsintention wird in der folgenden Anweisung des 16. Jh.s ganz explizit genannt:

27 Vgl. z.  B. die Einträge bei Goldmann 1912, v.  a. 29–33. 28 Staub/Tobler/Schoch 1885, Sp. 1134. 29 Stengel 1894, Sp. 1902. 30 Knuchel 1919, 4; Knuchel bezieht sich hierbei u.  a. auf Scholien zu Plato. 31 von Geramb 2000, Sp. 1768. 32 von Geramb 2000, Sp. 1276. 33 Vgl. z.  B. Kauffman 1910, 148; Weiser 1926, 3. 34 Vgl. Kuhn 1973, 61. 35 Knuchel 1919, 22.

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Welcher sein Katz oder Hund daheym behalten wil / daß sie nicht außlaufft, der treyb sie drey mal umb die haal / vnnd reib jren arß an die maur deß schornsteins / so bleiben sie immer daheym.36

Dass übrigens haal 200  Jahre später nicht mehr verstanden wurde, zeigt folgende ‚emendatio‘ im Planeten=Buch von 1757. Denn hier heißt es dann: […] der treibe sie dreymal um den Saal […]37, danach wird jedoch genauso die Prozedur mit dem Schornstein genannt und damit die Angelegenheit wiederum am häuslichen Herd lokalisiert. Damit kehre ich zurück an den Anfang. Man versteht jetzt, dass die magische Handlungsanweisung des Hexenbanns passgenau den Kesselhaken für ihre Zwecke instrumentalisiert: Der Kesselhaken als rechtsrelevantes Symbol des Herd- und Hausbesitzes, als rechtlicher Hausmittelpunkt, wird hier gemäß der Handlungsvorgabe eben nicht abgeschürzt, das heißt abgenommen (wie bei der zitierten Hausauflassung), er wird im Gegenteil aufgeschürzt, also höher gehängt und damit das Feuer der offenen Herdstelle aktiviert. Andersherum bedeutete in mittelalterlicher Rechtspraxis das „Kaltlegen des Herdes und Ausschütten des Herdfeuers auf offener Straße die Vertreibung von Haus und Hof“38. Das Aufschürzen des Kesselhakens ist innerhalb solcher Setzungen also das adäquate Zwangsmittel, die Hexe an den häuslichen Herd und seinen Bannkreis zu binden. Die Translozierbarkeit des Kesselhakens, der als „leicht ab- und aufzuhängender Gegenstand […] im Gegensatz zum H[erd] und zum Haus körperlich sowie für jedermann sichtbar an den Erwerber übergeben werden“39 konnte, macht(e) ihn zu einem vielseitig einsetzbaren (magischen) Objekt. Das zeigt im Folgenden ein vordergründig kurioser Bericht aus der Chronik des wendischen Bauern Johann Parum Schultze (1677–1740) aus Süthen im heutigen Hannoverschen Wendland, der 40  Jahre lang Dorfschulze war und um 1720 mit der Niederschrift seiner 310 Seiten umfassenden Chronik begann, die das bäuerliche Leben in mannigfacher Perspektive festhält.40 Im Kapitel „Pest ist in alten Zeiten nicht in Sühten gewesen“41 beschreibt er, wie ein Mann die Pest mit einem Kesselhaken-Umlauf von seinem Dorf ferngehalten haben soll, und zwar folgendermaßen: Hans Niebuhr (hanns Niebuhr) – vermutlich meint das Johann Parum selbst, sein Vater ist der Erbschulze Jürgen Niebuhr42 – nahm

36 Der alten Weiber Philosophey, 106. Für zielführende und unkomplizierte Recherchehilfe danke ich sehr herzlich Frau Dr. Elke Krotz, Universität Wien. 37 Das Große Planeten=Buch, 328 (35). 38 von Geramb 2000, Sp. 1766. Grimm berichtet vom Einschlagen des Ofens, wenn ein Sträfling aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden sollte, oder von der Löschung des Feuers „gegen den säumigen und widerspenstigen“ noch im 17. Jh.; Grimm 1899 (II), 329 (729). 39 Lück 2012, Sp. 956. 40 Eine Abschrift (das Original ist nicht erhalten) hat Karl Kowalewski unter den Titel WendlandChronik […] ediert; hier Vorwort von Kulke 1991, 18. 41 Kowalewski 1991, 32–34. 42 Vgl. Kulke in Kowalewski 1991, S. 18.



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des Nachts auf seinem Wagen einen Gast mit, der in das nächste Dorf wollte, sich dann aber als Pest (ich bin der Pest) zu erkennen gibt. Niebuhr bittet um sein Leben, daraufhin gibt der Pest ihm ein Lehr: Niebuhr solt ihn vor Dorf stehen lassen mit dem Wagen und sich nackend ausziehen und überall kein Kleid an seinen Leibe haben und soll seinen Kesselhaaken nehmen, forne aus seine Hauss ausgehen, mit der Sonnen umb sein Hoff Erumb lauffen. […] Den solte Er unter die Thür-Schwelle vergraben […]. Niebuhr jedoch setzt die Pest eine gute Ecke von dem Dorfe aus, er läuft nicht nur um seinen eigenen Hof, sondern mit dem Kesselhaken nackend aus das Dorf und rund umb, um dann das Eysen unter die Brücke43 zu stecken. Die Pest bedauert: hatte ich das gewust, solt ich dir das nicht kundt gethan haben, dasz du ein solches in deinen Sinn hast fürgenommen und hast mir das ganze Dorff zugemachet. Der Chronist bestätigt das: Ist auch kein Kranckheit von Pestilenz im Dorf gespüret worden, sonsten in allen umliegenden Gegenden hat die Säuche heftig grassiret. Zugrunde liegt die Vorstellung einer Umwandlung bzw. Umfahrung. In der Rechtspraxis bezeichnet dies die rechtsförmliche Besitzergreifung etwa im Rahmen einer traditio (s.  o.), wie sie bereits die Lex Baioariorum beschreibt. Hier heißt es hinsichtlich der förmlichen Einweisung des Erwerbers in den Besitz eines Grundstücks: Per IIII angulos campi aut designatis terminis per hec verba tollat de ipsa terra vel aratrum circumducat […]44. In die magische Praxis übersetzt bedeutet eine Umwandlung/Umfahrung das Anlegen eines Bannkreises, der nach innen geschützt ist und nach außen zum Beispiel durch einen Kreide- oder Mehlkreis (weiß gilt als dämonenabwehrend) markiert ist. Dieser Bannkreis wird im Falle des Hans Niebuhr mit dem Kesselhaken gezogen, auch noch sonnenläufig und nackt.45 Der intendierte Ausschluss der Pest aus dem Dorf ist hier also gleich mehrfach markiert: Umlauf bzw. Bannkreis, die ihrerseits bereits eine Besitzergreifung symbolisieren, werden durch das Investitur- und Herrschaftssymbol des Kesselhakens auf dessen Besitzer hin, den Dorfschulzen des bedrohten Dorfes, spezifiziert. Diesem gehört nun das Dorf, nicht der Pest, die er überlistete: Durch die Umrundung des ganzen Dorfes (nicht nur seines eigenen Hofes) mit dem besitzanzeigenden Kesselhaken ist dieses als Ganzes geschützt; der Haken wird an strategisch bedeutsamer Stelle vergraben, unter der Brücke nämlich, dem Zugang zum Dorf, so dass die Pest nicht hinein kann (hast mir das ganze Dorff zugemachet). Dabei spielt auch das Material des Kesselhakens eine Rolle: Eisen und Erz gelten im magischen Kontext als dämonenabwehrend,46 man denke hier etwa auch an Kessel-47

43 Nimmt man einen biographischen Bezug an, so ist von Interesse, dass Johann Parum tatsächlich den Hof gegenüber dem Dorfeingang bewohnte; vgl. Kulke in Kowalewski 1991, 18. 44 Lex Baioariorum, 132 (XVII). 45 Die Nacktheit soll gewährleisten, dass keine störende Materie zwischen den Ausführenden und den magischen Akt tritt, die letzteren unerwünscht beeinflussen könnte. 46 Vgl. etwa Weinhold 1896, 39. 47 Der Sachsenspiegel (102, Kap. 25) nennt drei Möglichkeiten des Unschuldserweises bezüglich der Gottesurteile: De er recht mit rove oder mit duve verloren hebben, of men se duve oder roves anderweide

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bzw. Eisenprobe48 in den sog. ‚Gottesurteilen‘ (Ordalen); andersherum ist schon in der Lex Salica die Vorstellung belegt, dass Hexen in einem Kessel ‚brauen‘, und zwar unter folgendem Eintrag: Si quis alterum herburgium clamaverit, hoc est strioportium, aut qui aeneum portare dicitur, ubi striae concinunt […].49 Die genannte Pest-Bannung ist kein Einzelfall. In einer volksmedizinischen Sammlung, in der Erfahrungsmedizin und magische Handlungsanweisungen bzw. Beschwörungen als ‚Zaubermedizin‘ unmittelbar nebeneinander stehen,50 operieren drei Mädchen gegen die Pest, indem sie mit einem ‚Lenkhaken‘ dreimal um das Dorf reiten (hier ist die ‚hexische‘ Adaption nicht zu übersehen) und diesen dann in der Erde vergraben.51 Ein Lenkhaken ist der „Gelenkhaken zur Verkürzung der Kesselkette“52. Dieser Pest-Umritt mit dem besitzanzeigenden Herdgerät repräsentiert eine besondere Spielart indogermanischer Pflügebräuche; diese waren, soweit sie die Abwehrpflügung oder die „Umfurchung des Dorfes mit dem Frühlingspfluge“53 betrafen, bereits 743 (Synode von Lestines)54 als pagane Umtriebe verboten worden.55 Ich komme zu einer weiteren Bedeutungsebene des Kesselhakens. Eine volksmedizinische Sammlung aus Island notiert folgende Anweisung: Wenn man eine Blase an der Lippe bekommt, braucht man nur in die Küche gehen, dreimal den Kesselhaken zu küssen und dazwischen zu sprechen: ‚Guten Tag, Kesselhaken mein, / Ist der Hausherr daheim? / Ich will küssen die Spitze dein, / Wenn du heilst die Lippe mein‘.56

Die Auffassung des Kesselhakens als Rechtssymbol hilft hier nicht weiter, genauso wenig wie in den folgenden Beispielen einer magischen Heilpraktik:

sculdeget, se ne mogen mit erme ede nicht unsculdich werden; se hebben drier kore: dat [hete] iseren to dragene, oder in enen wallenden ketel to gripene bit to deme elembogen, oder deme kempen sek to werende. Ähnlich nennt die Lex Salica (88 bzw. 82) die Kesselprobe als Mittel, seine Unschuld zu beweisen (und zwar unter De eo qui ad mallum venire contempserit, Kap. 59), allerdings konnte man auch ‚die Hand von der Kesselprobe lösen‘ (De manu de aeneo redimenda, Kap. 55). 48 Ein Beispiel aus dem Königsgesetz von 803: Wenn jemand einen Verwandtenmord leugnet, kann er sich durch das Gehen über 9 glühende Pflugscharen vom Todesurteil lösen: Et si negaverit se illum occidisse, ad IX vomeres ignitos iudicio dei examinandus accedat (Kap. 5); Eckhart 1934, 102. 49 Eckhart 1934, 66 (Kap. 67). 50 So z.  B. unter der Rubrik Gegen Krämpfe: „Gegen Magenkrampf nimm Mutterkraut, Krauseminze, Gülte, Bärenwurzel, Bärenkraut, jedes für 6 Pfennig, giesse ein Quart Kornbranntwein darüber und lass es 24 Stunden ziehen. Das hilft“; gleich darüber steht: „Will man sich von Krämpfen befreien, so ziehe man sich das Hemde vom Leibe und gebe es der Leiche eines Erhängten mit ins Grab“; Haase 1897, 290. 51 Ebd., 292. 52 Beltz 1895, 27. 53 Meyer 1904, 135. 54 Vgl. dazu etwa Weizsäcker 2016. 55 Vgl. Meyer 1904, 135. 56 Lehmann-Filhés 1897, 287.



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Bekommt Jemand von dem Hauspersonal das sog. böse Ding an den Finger, dann verordnet die Hausfrau dreimal um die Heerdstatt zu gehen und dabei jedes Mal zu sagen: ‚Hohlhang vertreib mir doch mein Nägelzwang‘.57 Feuerhaken ich klage dir. Die Refkau und Hardspann die plagen mir […] Im Namen Gottes 3 mal.58 Ketelhaken, ik klag di, / De Heerbran die plagen mi […] Zuletzt spricht man den Namen Gottes neunmal und kreuzt mit einem Kesselhaken vor dem schlimmen Auge.59

Den genannten Beschwernissen eignet in volksmedizinisch-magischer Perspektive eine dämonistische Ätiologie. Blasen bzw. Blattern60 galten im Sinne der Projektilthese61 meist als ‚aufgeschossen‘, d.  h. durch einen (dämonischen) Verursacher via Projektil auf die Haut aufgebracht; im Cambridger Augensegen62 aus dem 12. Jh. ist explizit von scuzblatrun die Rede. Das ‚böse Ding‘ ist das sog. ‚Panaritium‘, der ‚Fingerwurm‘63. Die Vorstellung von wurmartigen Dämonen ist alt und sehr verbreitet64 und betrifft Beschwörungen unterschiedlicher Krankheiten; so werden z.  B. Schmerzen in den Augen als von Augenwürmern verursacht gedacht, es ist von Zahnwürmern, von Fingerwürmern oder überhaupt von wurmme in dem libe65 die Rede. Hardspann meint ‚Herzgespann‘ oder ‚Herzgespärr‘: Diese Krankheitsbezeichnungen bezeichnen „jede[n] stärkere[n] Anfall von schmerzhafter Hemmung der freien Bewegung des Zwerchfells, der plötzlich (wie ein dämonistisch veranlasster sperrender Balken) über den sonst freien Atmungsweg sich einstellt“66. Bei Refkau liegt möglicherweise eine Bildung mit Reff vor, ein „vermutlich aus der heidnischen Opfer-Anatomie stammendes Wort für den inneren Teil, namentlich für die Schlingen des Gedärms“67; Reff

57 Diese Anweisung befindet sich im Corpus der deutschen Segen und Beschwörungsformeln (CSB), eine Sammlung mit über 28000 Texten, die sich heute im Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, TU Dresden, befindet. Eingeordnet ist die Sammlung unter Panaritium (Nr. 2). Ich danke sehr herzlich Frau Dorothea Döhler, Bibliothek des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde, die mir ausgesprochen freundlich und zuvorkommend, verbunden mit einem enormen Leseaufwand, Scans relevanter Texte übermittelte. 58 Bibliothek des Instituts für Sächsische Geschichte, CSB Herzgespann 378. Als Fundstelle wird angegeben: „Altes Besprechungsheft von Hans Olischer, Rostock, am 3.1.1937 übersandt“. 59 Bibliothek des Instituts für Sächsische Geschichte, CSB Augen 445. 60 Blatter(n) = Blase; vgl. Höfler 1970, 48. 61 Vgl. hierzu grundlegend Honko 1959. 62 Cambridge, University Library, Ms. Peterhouse 130, 219v, Homiliarium des 12. Jh.s; Text bei Wilhelm 1914, 52  f. 63 Der Fingerwurm bezeichnet ein „neben der Nagelwurzel sich bildendes Geschwär oder Geschwür“; Höfler 1970, 824  f. 64 Vgl. Honko 1959, v.  a. 34. 65 Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs 1631 (Fragment, sog. ‚Elsässisches Arzneibuch‘), 6 Blätter. 66 Höfler 1970, 662. 67 Ebd., 500.

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konnte auch die „tragenden Knochen (wie Brustkorb) als knöchernes Sparrenwerk, Skelett“68 meinen (was zu ‚Herzgespann‘ passen würde). Das enigmatische Heerbran erscheint als herbrodt in mehreren althochdeutschen Beschwörungen gegen Augenkrankheiten.69 Die Bezeichnung weist auf eine heute fremde Welt altertümlicher Krankheitserklärungen rund um das Auge; sie vereinigt nämlich gleichermaßen alte Vorstellungen von fressenden Würmern in den Augen wie auch archaische Konzepte hinsichtlich der Projektilthese. Wie aber nun weiter? Dämonistische Ätiologie, das drohende Kreuzen vor dem Auge (das dem innewohnend gedachten Krankheitsdämon gilt), vor allem aber die Nennung des ‚Hausherrn‘70 scheinen auf den Kesselhaken als lar familiaris zu deuten. Denn der Herd bzw. der Kesselhaken waren einst auch „Örtlichkeit der Götterverehrung und der Opfergabe“71 im Rahmen einer vorchristlichen antiken religio domestica, die so unterschiedliche Elemente wie Feuer- und Herdverehrung, verschiedene Gottheiten, Ahnenkult etc. vereinte.72 Innerhalb der griechischen und römischen Mythologie bezeichnet der „Name Lar familiaris den Gott als den Beschützer der familia im weitesten Sinne, d.  h. […] des ganzen Hausstandes mit Einschluss des unfreien Gesindes“73. Sein Sitz ist am Herd,74 er wird begrüßt, ihm wird geopfert und man betet zu ihm und betrachtet „ihn wie einen mit den Schicksalen der Familie eng verbundenen Hausgeist“75. Der Kesselhaken als Teil des Herdes ist auch noch Anfang des 20. Jh.s mancherorts der kultische ‚Herr des Hauses‘(!), das meint den Ahnengeist, der zugleich auch Herdgottheit ist.76 Die Geister der Verstorbenen halten sich gedachterweise also am Herd auf,77 dieser ist Sitz der Geister78 (was möglicherweise auf den Herd als ursprünglichen Begräbnisplatz eines Familienmitgliedes79 innerhalb einer archäologisch häufig zu beobachtenden „Verbindung von Wohnsitz/Residenz und Grab“80

68 Ebd. 69 Vgl. dazu Schulz 2000. 70 Hierzu bemerkte Goldmann: Der „‚Hausherr‘ des isländischen Zauberspruchs ist der Schutzgeist des Hauses, der Ahnengeist, der im Kesselhaken wohnend gedacht wird. Der Kesselhaken muss am besten wissen, ob die Ahnengottheit zugegen ist, denn er ist der Sitz der Ahnengottheit“; Goldmann 1912, 46  f. 71 Lück 2012, Sp. 955. 72 Wachsmuth 1980, 53. 73 Drexler 1897, Sp. 1876. Samter (1965, 372) unterscheidet zwischen ‚Lar‘ und ‚Lares‘: „Der Plural Lares wird kollektiv für die Gesamtheiten der Herdgottheiten gebraucht, der Singular aber wird wohl metonymisch für Herd und Haus verwendet“. 74 Vgl. Drexler 1897, Sp. 1877. 75 Vgl. Ebd., Sp. 1878. 76 Vgl. Goldmann 1912, 46. 77 Rademacher 1893, 58. 78 Lauffer 1901, 119. 79 Rademacher 1893, 57. 80 Graen 2011, 73.



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zielt). Den Ahnengeistern wurde auch zugeschrieben, die Heilkunst ausüben zu können.81 In einer interpretatio christiana werden aus dem am Herd ansässigen Haus- bzw. Ahnengeist82 nicht nur die ‚Armen Seelen‘ (denen z.  B. an Allerseelen ein Speiseopfer in das Herdfeuer geworfen wird)83, sondern Hexen: Der Hexenritt führt bekanntlich durch den Schornstein, wobei neben dem Besen auch der Feuerhaken oder die Ofengabel als Transportmittel dienen.84 Die antike Gepflogenheit, dem Herd bzw. dem Feuer zu opfern, wird dann im berüchtigten Hexenhammer (Malleus Maleficarum) von 1486 so umgedeutet, dass die Hexen ein neugeborenes Kind an der Herdstelle über dem Feuer dem Teufel opfern: Wenn nämlich ein Kind geboren ist, trägt es die Hebamme, falls die Wöchnerin nicht schon selber eine Hexe ist, als wollte sie eine Verrichtung zur Erwärmung des Kindes vollbringen, aus der Kammer heraus [und] hebt es in die Höhe, dem Fürsten der Dämonen, d.  h. Luzifer, und allen Dämonen [entgegen]. Sie [die Hexen] opfern es, und zwar an einer Kochstelle über dem Feuer.85

Es folgt ein Fallbeispiel: Ein Kindsvater bemerkt „Gotteslästerung und teuflische[] Anbetung“ und sieht „wie ihm schien, daß das Kind mittels eines Kesselhakens, nicht durch menschliche Hilfe, sondern durch die Dämonen gestützt, schwebte“86. Die Folgen sind fatal: Mutter und Tochter (letztere hatte bei der Entbindung geholfen) „wurden gleichzeitig eingeäschert und [damit wurde] die [Un]tat der göttesläster­ lichen Opferung, die gewöhnlich durch Hebammen begangen wird, aufgedeckt“87.

2 Dei Huk uptrecken Auch im Folgenden geht es um Hexenprozesse. Dabei kommt das Rostocker Ordelbuch des Niedergerichts in den Blick, insbesondere die Akten aus dem Jahr 1584:88 In

81 Vgl. Negelein 1902, 66. 82 Ahd. hûsing meint den ‚Hausgott‘ (wohl im Sinne von ‚penates‘); ahd. ingoumo meint ‚Schutzgott‘ (wohl im Sinne von ‚lares‘); vgl. Schützeichel 1989, 149 bzw. 150. 83 Vgl. von Geramb 1987, Sp. 1762. Die ‚Armen Seelen‘ wurden im (Fege)-Feuer gedacht, das zum Beispiel am Ätna lokalisiert wurde, wie ein Pilgerbericht aus dem 17. Jh. zeigt: […] was ihme auff seiner Pilgerfart im Ruckweeg von Jerusalem begegnet seye / wie er nehmlich naͤ chst um den Berg Aethna, worauff der Rauchfang von der Hoͤ llen und Fegfeur seyn soll / und man die arme Seelen mit grossen Geschrey herauß heulen / und lamentiren hoͤ re […]; Ludwig 1696, 551. 84 Lauffer 1901, 119. 85 Hexenhammer, 475 (Kap. II/1,13). 86 Ebd., 475. 87 Ebd., 476. 88 Für die überaus freundliche und sehr rasche Bereitstellung entsprechender Bilddateien des Ordelbuchs danke ich Dr.  Kasten Schröder, Ramona Fauk und Bodo Keipke vom Archiv der Hansestadt Rostock.

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diesem Jahr wurden allein in den beiden Monaten August und September 17 Hexen und ein Zauberer in Rostock verbrannt.89 In der Bekendtnus der Anneke Metlinges vom 19. August 1584 heißt es unter anderem: (6) Bekandt, wen sie den Kindern den halß gezogen, da hette sie gesagt, die halß in den haken in den namen des vatters, vnd des sohns vnd des heiligen geistes, Amen.90

In der Aussage der Elsebe Schulten vom 10. September desselben Jahren heißt es: (3) Bekandt, das ihr die alte Pralsche […] gesagt, wen sie den Kindern den Halß in den haken toge, so solte sie sprechen […].91

Am 11. September sagt Anneke Swartten aus: (18) Bekandt, Wan sie den leuten den halß in den haken getagen so hette sie gesagt. Ich ziehe dich den halß in den haken das dich die düfel nicht nake in namen des vatters sons und des heiligen geistes Amen.92

Der Schluss der Prozessakte von Anneke Swartten verzeichnet lapidar: Ist dieß wib mit dem feur vom leben zum tode gerichtet worden93. Der genannte haken wird genauer spezifiziert in der Aussage einer Angeklagten in einem Wittenburger Hexenprozess vom März/April 1689. Hier heißt es dann: Den huck hätte sie folgender massen gestillt: Sie nehme einen Keßelhaken, so ufn feur herde hengende, in die handt, ließ den Ahten darüber gehen undt Japete darüber undt sagte: Jode, Joduth Ick kan den Kehtelhaken nicht upschluken. Im Nahmen usw.94

Diese Aussagen gehören in die Kategorie ‚Segnen‘ oder ‚Böten‘. In erster Linie wurde jedoch in den Hexenprozessen versucht, den überwiegend weiblichen Angeklagten das standardisierte Kumulativdelikt ‚Hexerei‘ nachzuweisen (Teufelspakt, Hexenflug, Teilnahme am Hexensabbat, Schadenzauber, Verwandlung in ein Tier), um sie so besser verurteilen zu können. Typisch hierfür sind ‚Geständnisse‘ aus dem Ordelbuch wie die von Elsebe Schulten, dass ihr ein Mann zaubern gelehrt95 oder dass ihr

89 Vgl. Beese 1993, 21. 90 Archiv der Hansestadt Rostock, Ordelbuch des Niedergerichts 1539–1586, AHR 1.1.3.1. 231, 314v. 91 Ebd., 330v. 92 Ebd., 341v. 93 Ebd., 342r. 94 Die Prozessakte befindet sich heute im Landeshauptarchiv Schwerin; Frau Brigitte Steinberger vom Archiv Stadt Wittenburg übermittelte mir sehr engagiert die Fundstelle wie folgt: „191–226, Vol. III. Fasc. 1, Inquisitionalia I 1555–1726“. Das Landeshauptarchiv Schwerin nannte mir folgenden Hinweis (LHAS, 2.12–4/3–43 Stadt Wittenburg), sah sich dann aber aus Zeit- und Personalkosten außerstande, ein entsprechendes Digitalisat anzufertigen. Ich war deshalb auf folgende Sekundärquelle angewiesen: Sello 1875, 160  f. 95 Ordelbuch des Niedergerichts 1539–1586, AHR 1.1.3.1. 231 330v. (Punkt 4).



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die Mutter do sie von 12. Jharrn gewesen segenen und böden gelehrt96 habe; in einem Prozess vom 28. März sagt Margretha Gudowen aus, dass sie in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg gewesen sei und dort mit dem Teufel getanzt habe97 usw. Doch auch die volksmedizinischen Einsprengsel, jene meist harmlosen Versuche, gegen Krankheiten aller Art mit Wort und Tat vorzugehen, wurden als Verstoß gegen das 2. Gebot geahndet, indem sie [die Frauen] ihr Segnen, Böten und andere Phantasien mit dem Namen des heiligen, hochgelobten und unzerteilten Dreieinigkeit geschlossen und damit sehr gemißbrauchet98. Hexenprozesse allgemein sind in ihren Rahmenbedingungen gut erforscht, nicht jedoch die in den Protokollen inserierten volksmedizinischen Rezepte bzw. Verfahren. Wie also ist die Vergesellschaftung von Kesselhaken und Huk in den Rostocker Prozessakten und im Wittenburger Fall zu verstehen? Der Huck (auch Houg, Hugk, Huge, Hauch etc.) meint „uvula, Hauchblatt, Zäpf­ lein“99 des Gaumens; die Bezeichnungen Auf, Auff, Uve sind ebenso aus lat. ‚uvula‘ umgebildet.100 Konrad von Megenberg nennt das Gaumenzäpfchen plat: Daz aichelein oder daz weinperl ist ain klaines flaischel hinten in dem mund und ist sinbel als ain aichel oder ain weinper. dar umb haizet ez ze latein uvula, daz spricht weinper; aber die laien haizent ez daz plat und ist kain ander dinch.101

Bereits bei Plinius ist die Vorstellung belegt, dass das Gaumenzäpfchen ‚herunterfällt‘ (das meint das stark angeschwollene und damit ‚verlängerte‘ Zäpfchen etwa bei einer Angina tonsillaris) und wieder ‚aufgezogen‘ werden kann, wenn eine andere Person den Scheitel des Kranken mit den Zähnen in die Höhe zieht: si iaceat uva, verticem morsu alterius suspendi.102 Bei Marcellus wird das ‚Aufheben‘ des Zäpfchens durch eine aufwärts (!) kriechende und ‚webende‘ (= Festbinden des Zäpfchens?) Spinne imaginiert: Araneam, quae sursum uersus subit et texit, prendes et nomen eius dices, cui medendum erit, et adicies: ‚Sic cito subeat uua eius, quem nomino, quomodo aranea haec sursum repit et texit‘.103

Der Begriff des gefallenen Zäpfchens kam über die arabischen Medizinschulen: Uva jacens = Casus uvae Rhazes104 in den abendländischen Kulturraum. Unter dem Titel

96 Ebd., 330v. (Punkt 5). 97 Ebd., 148v. (Punkt 2). 98 Schneider (1996, 44) bezieht sich dabei auf einen Prozess gegen Anna Rukit 1604. 99 Vgl. Höfler 1970, 221. 100 Vgl. Ebd., S. 19. 101 Pfeiffer 1962: Franz Pfeiffer (Hg.): Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Hildesheim 1962, S. 16  f (Kap. 14). 102 Plinius, 48. 103 Marcellus, 244 (Buch I, Kap. XIIII 68). 104 Vgl. Hovorka/Kronfeld 1909, 78.

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Dei Huk uptrecken (plattdeutsch uptrecken bedeutet ‚emporziehen‘),105 wenn nämlich de Huk is dalschaten106 (d.  h. sich hinunter bewegt hat),107 nennt noch die große volkskundliche/volksmedizinische Sammlung von Bartsch vom Ende des 19. Jh.s das ‚Zapflheben‘108 (so genannt im Alpenraum), eine Heilpraktik, die Plinius’ Rezept doch sehr nahekommt: „Wenn Einem das Zäpfchen angeschwollen ist, werden drei Haare aus der Mitte der Kopfplatte um die Hand gewunden und stark daran gezogen“109. 1742 hatte Theodor Zwinger Kritik an dieser Methode geübt: Viele lassen sich in diesem Zufall bey einem locken Haar auf dem Scheitel in die Hoͤ he ziehen, dadurch gedenken sie bißweilen das niedsichhangende Zaͤ pflein wiederum in die Hoͤ he zu bringen; der Glaube muß aber groß sey wann es helffen soll.110

Daneben wurde Kräutermedizin111 eingesetzt, es gibt ein eigens ausgewiesenes Zapffenkraut112 und ausgeklügelte Verfahren mit Agatstein und Sauerteig, um das Zäpfchen wieder in die Höhe zu bringen wie Albertus Magnus berichtet: 96. Den gefallenen Zapfen wieder in die Höhe zu bringen. Man streut auf den Wirbel des Kopfs einen gepulverten weißen Agatstein, nimmt nachher mit Sauerteig das Pulver wieder auf und bindet alles zusammen in einem leinenen Lappen auf den Wirbel, so wird der Zapfen in Kurzem wieder in die Höhe gebracht. Oder man siedet ein Ei hart, schneidet es mitten von einander, streut auf den Dotter und das Weiße der einen Haͤ lfte gepulverten Agatstein und bindet es so warm auf den Wirbel, worauf gleiche Wirkung erfolgt.113

Jedoch wurden auch radikalere Behandlungen vorgeschlagen: So aber nichts helffen wil / so soll man sie [die Zaͤ pflin] mit einem Zaͤ nglein herfuͤ r ziehen / vnd hoͤ flichen abschneiden.114 Die antike Heilanweisung und ihre späteren Nachahmer setzen voraus,

105 Vgl. Lindow 1984, 228. 106 Vgl. Goldschmidt 1854, 116. 107 Vgl. plattdeutsch daal, dool als ‚hinunter, herunter, herab, abwärts‘; scheten als ‚sich schnell bewegen‘; Lindow 1984, 43 bzw. 174. 108 Vgl. hierzu die informativen Ausführungen von Grabner 1997, 259–266 (Kap. 5: Das ‚Zapflheben‘). 109 Bartsch 1978, 123; Bartsch fügt hinzu: „Viel gebrauchtes Mittel“ und nennt als Quelle den „Domänenpächter Behm in Nienhagen“. 110 Theodori Zvingeri Sicherer […], 767  f. 111 Z.B: Zu Pulver gestossener Alaun kann in einem Theeloͤ ffel an das geschossene Zaͤ pflein, etlich mal des Tags angebracht werden; Mellin 1786, 6. 112 Zapffenkraut oder Hauckenblat / hat den Nahmen / dieweil es zu den Halß=Zaͤ pfflein dienlich ist / heißt auch Keelkraut / Hockenblat […]; Lonicerus 1703, 380. 113 Das Buch der Geheimnisse. Eine Sammlung von zweihundert und sechszig, besonders magnetischer und sympathetischer Mittel wider Krankheiten, körperliche Mängel und Uebel […]; 4.  Teil: Albertus Magnus bewährte und approbirte sympathetische und natürliche egyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh, Reading 1852, 29. 114 Kurtzes Hand=Buͤ chlein […], 28.



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dass eine Verbindung zwischen dem Gaumen und dem Schädeldach besteht115 – doch nicht nur das: Die volksmedizinische Perspektive kennt sogar eine direkte Verbindung von Gaumenzäpfchen und Magen wie es Peter Rosegger beschreibt: Hat nämlich […] jeder Mensch in der Kehle ein Fleischzapfchen; wenn du in den Spiegel schaust, kannst es sogar an dir selber sehen. Nun, dieses Zapfchen fällt dem Menschen manchmal hinab in den Magen und dann ist er heiser und kann kein lautes Wort sprechen. Oben mitten auf dem Scheitel hat der Mensch ein bestimmtes Haar, und wenn man daran zieht, so kann man wie durch eine Schnur das hinabgefallene Zapfchen wieder herziehen in die Kehle. Aber die wenigsten finden unter den tausend Haaren das rechte auf dem Scheitel, diese Geschicklichkeit muß angeboren sein.116

Plinius’ Rezept wird hier durch die genannte ‚Schnur‘ konkretisiert. Ob dabei die alte Fadenvorstellung eine Rolle spielt, kann nur vermutet werden: Dass nämlich in volksmedizinischer Vorstellung zum Beispiel auch Herz und Lunge an einem Faden hängen (sog. ‚Herzbändel‘), ja dass überhaupt Leben und Schicksal eines Menschen buchstäblich ‚an einem Faden hängend‘ gedacht wurden (vgl. den von den Parzen gesponnenen ‚Lebensfaden‘ oder den ‚Schicksalsfaden‘, den die Nornen spinnen).117 Dass in Roseggers Beschreibung auch der Magen eine Rolle spielt, erscheint grotesk; anatomisch richtig ist aber immerhin, dass der Pharynx Anteil am Atem- wie auch am Verdauungstrakt hat, der Ausgang aus dem Pharynx führt nach unten, ventral in den Kehlkopf und von dort in die Trachea, dorsal in den Ösophagus.118 Auch der medizinische Laie kennt den Zusammenhang, dass bei einer mechanischen Reizung des Zäpfchens ein Würgereflex entsteht; bereits Galen sprach von zwei Magenausgängen, wobei der Weg beim Erbrechen eben nach oben führt.119 Auch dass ein geschwollenes und deshalb ‚herunterhängendes‘ Zäpfchen Schluckbeschwerden, Atem- und Stimmprobleme (Heiserkeit) bewirkt, ist ohne weiteres einsichtig und wird in Des Beneventus Grapheus Hierosolymitanus Arznei= und Wundarzneikunst, einer Pergament-Handschrift aus dem 15. Jh., lapidar folgendermaßen beschrieben: Ufula hayst der auff oder das plat das den menschen macht hort Redent vn haiyser an der Stym.120

115 Eine solche Verbindung existiert de facto über den Vagusnerv. Dieser versorgt u.  a. sowohl den weichen Gaumen, zu dem die Uvula gehört, als auch die harte Hirnhaut (Dura mater) der hinteren Schädelgrube. Das äußere Blatt der Dura mater ist gleichzeitig die Knochenhaut der Schädelknochen. Bei mechanischer oder auch thermischer Reizung im Bereich der hinteren Schädelknochen wäre eine Vagusstimulation mit Impulsleitung zum weichen Gaumen zumindest denkbar“; für diese medizinischen Details danke ich sehr herzlich Dr. Renate-Maria Clauss, Regensburg. 116 Rosegger 1885, 115. 117 Vgl. zum Fadenkonzept Höfler 1970, 116. 118 Vgl. Liem 2003, 440. Für den medizinischen Hinweis danke ich herzlich Frau Barbara Angerer. 119 Galen, 368 (10,6  f.). 120 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 170, fol. 6a. Für die rasche Bereitstellung des Mikrofilms danke ich sehr herzlich Sophie Schrader, Bayerische Staatsbibliothek.

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All das führt zurück zu den Rostocker Hexenprotokollen. Das dort genannte ‚Hals ziehen‘ (plattdeutsch tehn, teihn [tagen] = ‚ziehen‘, ‚einen Ortswechsel vornehmen‘)121 meint genauer das ‚Aufziehen‘ der Uvula. Anders als bei Marcellus dient als materia magica nicht eine aufwärts kriechende Spinne, sondern eben der Kesselhaken, der aufgrund seiner Translozierbarkeit geradezu ideal die Aufwärtsbewegung eines Objekts imaginieren kann. Die Gleichsetzung von Zäpfchen und Kesselhaken erhält zusätzlich Nahrung dadurch, dass (engl.) hock, houk, huk, hook etc. allgemein so etwas wie ‚Haken‘ bedeutet.122 Den halß in den haken tagen heißt nichts anderes, als dass der Kesselhaken das ‚gefallene‘ Zäpfchen (den ‚Haken‘ im Hals) über eine analogische Setzung (vgl. Marcellus’ Spinnenrezept) nach oben befördern soll: Denn zur ‚Idee‘ (im platonischen Sinne) des Kesselhakens gehört es, dass er (über die Hakenleiste) beliebig höhenverstellbar ist. Die Magen-Vorstellung im Kopf, erhellt sich dann auch das Zetergeschrei (Joduth), den (Kessel)-Haken (= Zäpfchen) nicht upschlucken, d.  h. ‚heraufwürgen‘ zu können: Jodute ist ein „vom frühen bis zum späten MA gebräuchliche[r] Hilferuf“123, ein „Zetergeschrey“124. Das genannte Japen (= ‚heftig atmen, nach Luft schnappen‘)125 imitiert die Atemnot im Falle eines geschwollenen bzw. ‚heruntergefallenen‘ Zäpfchens126; Notruf und Japen markieren die akute Bedrohung, die mit Hilfe des Kesselhakens beseitigt werden soll.

Fazit Es konnte gezeigt werden, dass scheinbar absurde Beschwörungen und Handlungsanweisungen (hier der Frühen Neuzeit) durchaus sinntragend sein können. Im Zentrum stand der häusliche Kesselhaken, der, als materia magica genutzt, dem Anschein nach frei flottierend Eingang fand in Hexen- und Pestbannungen sowie in magische Heilpraktiken z.  B. in Hexenprozessakten. Als bei der Spurensuche relevant erwie-

121 Vgl. Lindow 1984, 212. 122 Vgl. Kurath/Leues 1967, 828, bzw. Klein 1966, 741. 123 Schmidt-Wiegand 2012, Sp. 1371; der Schrei rief bei „Feuersbrunst und Wasserschaden, Verfolgung eines Unrechtstäters, bei Mord und Totschlag, Vergewaltigung (Notzucht), Diebstahl und Raub die Nachbarn mit den sog. Schreimannen (Gerüfte) zu gegenseitiger Hilfeleistung“ zusammen. 124 Adelung 1811, 1693  f. 125 Vgl. Lindow 1984, 97. 126 Die Bedeutung eines ‚Aufheben‘ des Zäpfchens dürfte besonders in epidemischen Perioden der sogenannten ‚Bräune‘, der Diphtherie also, groß gewesen sein. Nicht selten nämlich stellte sich in deren Gefolge „eine Dysfunktion des Vagusnervs mit einer Lähmung des weichen Gaumens ein. Das Gaumensegel konnte nicht mehr gehoben werden, das Zäpfchen lag auf der Zunge (es war ‚heruntergefallen‘). Die dadurch bedingte Blockade der Mundatmung und des Schluckvorgangs begünstigte einen finalen Verlauf der Diphtherie“; für diesen weiterführenden medizinischen Einblick danke ich wiederum Frau Dr. Renate-Maria Clauss.



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sen sich obsolet gewordene und daher vergessene Referenzräume: Der Kesselhaken war über viele Jahrhunderte Rechtssymbol bei Liegenschaftsübereignungsgeschäften und hatte von der Antike bis in die Neuzeit die Stellung eines lar familiaris; eine dritte magische Inanspruchnahme des Kesselhakens betrifft die Kategorie der Ähnlichkeit bzw. der analogischen Setzung, die beim Uptrecken des Huk auf die Höhenverstellbarkeit des Herdgeräts enggeführt ist. In allen Fällen erwiesen sich die untersuchten Anweisungen und Praktiken als in sich logisch und sinnhaft, sobald das abhanden gekommene Signifikat gefunden war. Der Fall liegt in gewisser Hinsicht ähnlich wie bei den bereits aus dem ersten Jahrtausend v. Chr. bekannten sog. ‚Abrakadabra‘Beschwörungen, die erst im 20.  Jh. als verballhornte Formeln erkannt wurden, die sich zum Teil bis ins Elamische bzw. Subaräisch-Hurrische verfolgen lassen,127 also ursprünglich Sinn transportierten, und nicht, wie man lange meinte, lediglich bedeutungslose Zauberformeln waren.

Literatur Quellen Adelung 1811: Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Bd. IV. Wien 1811. [Alte Weiber Philosophey] Der alten Weiber Philosophey. In: Astronomia Teutsch. Himmels Lauff/ Wirckung vnnd Natuͤ rliche Außfluentz der Planeten vnnd Gestirn/Auß Grundt der Astronomey/ nach jeder Zeit/Jar/Tag vnnd Stunden Constellation […], Getruckt zu Frankckfort/Bey Christ. Egen. Erben 1583. [Artzney-Buch]: Theodori Zvingeri Sicherer & geschwinder Artzt oder neues Artzney-Buch, worinnen alle &. jede Kranckheiten des Menschlichen Leibs, nach Ordnung des Alphab. […] beschrieben […]. Basel 1742, Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, Med. 5030. [Arznei= und Wundarzneikunst]: Des Beneventus Grapheus Hierosolymitanus Arznei= und Wundarzneikunst, München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 170. [Buch der Geheimnisse]: Das Buch der Geheimnisse. Eine Sammlung von zweihundert und sechszig, besonders magnetischer und sympathetischer Mittel wider Krankheiten, körperliche Mängel und Uebel […]; 4. Teil: Albertus Magnus bewährte und approbirte sympathetische und natür­ liche egyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh, Reading 1852. [Buch der Natur]: Pfeiffer 1962: Franz Pfeiffer (Hg.): Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Hildesheim 1962. [CSB]: Corpus der deutschen Segen und Beschwörungsformeln. Institut für Sächsische Geschichte und Volksunde, Dresden. Elsässisches Arzneibuch, Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs 1631, 6 Blätter. [Galen]: Florian Gärtner (Hg.), Galen. Über das Erkennen erkrankter Körperteile. Bd. II. Berlin 2015. Grimm 1899: Jacob Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, Bd. I., Bd. II. Leipzig 1899. Grimm/Grimm 1865: Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. XXI. Leipzig 1865.

127 Farber/Kümmel/Römer 1987, S. 271.

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 Monika Schulz

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Rudolf Simek

Ekphrasis bei Snorri Abstract: Snorri’s mythography is usually credited with quite a range of source mate­ rial, like Eddic poetry, Skaldic poetry, classical and indigenous learning and even lokal oral tradition, but little heed has been paid to the iconographical sources avail­ iable to him at the turn of the 12th century, despite the fact that decorative wall hang­ ings and wooden panels were availiable in Icelandic churches as well as the halls of the elite. Additionally, there must have been a large large corpus of illustrated manu­ scripts accessible in Iceland and Norway in his days, mainly in Latin, which are now for the greatest part lost, which provided information as well as models of descrip­ tion. References to these iconographical sources are looming all over Snorri’s Edda, and the present paper shall try and exemplify this in a few case studies. Die Interpretation von frühmittelalterlichen Bilddarstellungen stellt uns heute vor nicht unbeträchtliche Probleme, vor allem dann, wenn es um die religionsgeschicht­ liche Einordnung von mythologisch relevanten Szenen geht. Dies gilt sowohl für Bildinhalte der klassisch-antiken Mythologie, welche von Anfang an  – trotz gele­ gentlicher christlicher Bilderstürme wie dem byzantinischen Bilderstreit des 8./9. Jahr­ hunderts – in die christliche Bildwelt übernommen wurden, als auch diejenigen von anderen Kulturen außerhalb der mediterranen Welt, die im Lauf der Geschichte eben­ falls integriert wurden. Die Erfolgsgeschichte des Christentums im ersten Jahrtausend darf wohl getrost auch mit der Fähigkeit und Bereitschaft zur Akkulturation und Akkomodation erklärt werden, die es ermöglichte, Symbole, Stoffe und Motive aus vorchristlichen und anderen nichtchristlichen Religionen in das Christentum zu über­ nehmen, neu zu interpretieren und damit in die eigene Gedankenwelt zu integrieren. Beispiele für diese Umdeutung antiker Mythologie ins Christliche reichen bis in die älteste Schicht des Frühchristentums zurück: Die Übernahme des Fabeltieres Phönix als Symbol des Auferstandenen findet sich bereits in den römischen Katakom­ ben, Odysseus als Kämpfer gegen das Meerungeheuer Scylla oder sich den Sirenen versagend steht für den tugendhaften Christen, der gestärkt durch seinen Glauben den Verlockungen der sündigen Welt widersteht. Dass dabei schon früh Überlagerun­ gen zu konstatieren sind, die nicht nur eine Neuinterpretation des stofflich erkannten Bildinhalts darstellten, sondern eine völlige neue Füllung alter Darstellungsformen mit neuen Inhalten umfasste, braucht nicht zu überraschen. Nur ein Beispiel dafür wäre die Neudeutung des mit der Scylla kämpfenden Odysseus mit dem Erzengel Michael im Kampf mit dem (teuflischen) Drachen. Der Delphinreiter Aríon, dem Mit­ telalter durch Hyginus vermittelt, konnte ebenfalls im kirchlichen Raum, wie etwa im Westwerk von Corvey, dargestellt werden – ohne dass wir heute wissen, wofür er hier tatsächlich stand (und ob man ihn nicht sogar mit Odysseus verwechselt hat). Dass es

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 Rudolf Simek

dabei nicht nur um einzelne Motive ging, zeigt das Poseidon-Fries im istrischen Poreč (Parenzo), wo die gesamte Cella des Poseidon-Tempels samt Mosaiken als Apsis einer frühchristlichen Basilika übernommen wurde  – gemäß der christlichen Deutung stand ja Poseidon ganz einfach für das Element Wasser. Die Fähigkeit und Bereitschaft der frühen Christen, auch vorchristliche Formen und Bilder zu übernehmen und neu zu interpretieren – statt sie etwa prinzipiell abzu­ lehnen oder sogar zu dämonisieren –, setzt sich im gesamten europäischen Christi­ anisierungsprozess fort. Selbst die Übernahme vorchristlicher Kultstätten und Fest­ zeiten ist im Rahmen der Missionstätigkeit belegt, ja sogar ausdrücklich empfohlen, wie der berühmte Brief Papst Gregors des Großen an Abt Mellitus in Britannien aus der Zeit um 600 belegt, den Beda venerabilis zitiert.1 Schon aus der Not der Stunde und einem gesunden Pragmatismus gehorchend wird diese Form der Akkulturation in der Missionszeit nahegelegen haben. Aber auch darüber hinaus wurde offensicht­ lich systematisch der Versuch unternommen, an Glaubenswelten und Gewohnheiten der zu missionierenden Bevölkerung anzuknüpfen. Eine eindrückliche Illustration dieses Vorgangs finden wir im Sarkopharg des Hl. Cuthbert (um 698) in Durham, der an den vier Ecken die Namen der Evangelisten trug, aber davon Lukas in lateinischer Kapitalis, Matthäus, Markus und Johannes in Runen.2 Aber weit über den Versuch hinaus, „es jedem Recht zu machen“, dienten die Anknüpfungen an Bilder und Symbole einer polytheistischen Welt dem Zweck, die christliche Bilderwelt den Neophyten verständlich zu machen, in dem man bestimmte christliche Mytheme mit entsprechenden paganen gleichsetzte, um den Sinninhalt greifbarer und verständlicher zu machen. Dass dabei in der Praxis zweifellos Syn­ kretismen entstanden, ist naheliegend, mag aber dem größeren Ganzen, nämlich die christliche Glaubenswelt verständlicher und somit überzeugender zu machen, keinen großen Abbruch getan haben. Schon vor etlichen Jahrzehnten hat Gschwantler über­ zeugend nachweisen können, dass der Mythos von Thors Fischfang als Christi Über­ windung des Teufels neu interpretiert werden könnte: So wie Thor mit dem Stierschä­ del des Riesen Hrungnir die Midgardschlange geködert hatte, so ködert Christus mit dem Monster Behemot den Teufel (vgl. Job 41,1) und kann diesen in seinem Descensus ad inferos endgültig besiegen. Während aber Thors Fischfang entsprechend dem christlichen Weltbild einen ungewissen Ausgang hatte, wurde der Teufel durch Chris­ tus in Tod und Auferstehung wahrhaft und endgültig besiegt.3 Ebenso konnte auch das Verschlingen Odins durch den Fenriswolf neu mit Inhal­ ten geladen werden: Auf dem sog. Thorvald-Kreuz von Kirk Andreas auf der Isle of Man ist ein Wolf dargestellt, der eine Person (in mythologischem Kontext wohl Odin) verschlingt. Auf dem Kreuz von Gosforth im ebenfalls skandinavischen Northum­

1 Vgl. Simek 2015, 88  f. 2 Vgl. Page 1989; Wilson 1984, 49  f. 3 Gschwantler 1968.



Ekphrasis bei Snorri 

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bria des 10. Jahrhunderts ist der Wolf nun mit einer Kiefernsperre dargestellt, wie es die Mythographie des Hochmittelalters für Fenrir berichtet, welchem die Götter zum Zwecke der Fesselung ein Schwert in den Rachen stellten. In diesen christlichen Dar­ stellungen ist ausgesagt: Während der Fenriswolf für die Heiden noch eine wesent­ liche eschatologische Bedrohung war, der Sonne und Odin verschlang, hat Christus den Wolf (= Teufel) besiegt, indem er ihn mit dem Kreuz als Gaumensperre unschäd­ lich machte.4 Aber jenseits aller missionarischen Bestrebungen dienten Bildinhalte wohl auch lange nach der Phase der Christianisierung als Quelle vorchristlicher Bildinhalte: Bilder verlangen nach sinnstiftender Deutung, und so wie heute viele Besucher christlicher Gotteshäuser bei der Interpretation der reichen spätmittelalterlichen Bildwelten in Fresken und Bauplastik trotz der uns zur Verfügung stehenden Lite­ ratur nur 500 Jahre nach der Entstehung der Bilddenkmäler überfordert sind – und falsche oder wenigstens oberflächliche Auslegungen sich selbst in gedruckten Kir­ chenführern nur zu häufig finden – so war die Interpretation vorchristlicher, in der Regel wikingerzeitlicher Darstellungen auch für die hochmittelalterlichen Mythogra­ phen keineswegs einfach. Auch dem bedeutendsten Mythographen des skandinavischen Mittelalters, Snorri Sturluson, standen trotz seiner umfassenden Kenntnis der älteren Dichtung ebenfalls nur begrenzte Quellen zur Verfügung. Obwohl er vermutlich über 3000 Skaldenstrophen und andere Gedichte aus dem Westskandinavien des 9.–13.  Jahr­ hunderts zur Verfügung hatte,5 und obwohl er für die Interpretationsmuster der alten Mythologie auf die Schemata klassischer antiker Autoren von Vergil bis Ovid zurück­ greifen konnte, ist es uns heute auf Grund der Überlieferungslücken noch lange nicht klar, woher Snorri viele seiner Mythengeschichten und ihre Interpretation bezog. Im Falle des Fehlens von erhaltenen schriftlichen Quellen wird in der Regel rasch eine mündliche Quelle postuliert, ohne dass wir über derartige mündliche Prosaerzählun­ gen das Geringste wissen. Über die ihm zur Verfügung stehenden Bildquellen wird kaum jemals gesprochen. Dabei spielen Bildquellen für die Überlieferung von mythologischen Szenen eine wichtige und auch wohlbekannte Rolle: Beschreibungen solcher bildlicher Szenen sind angeblich die Grundlage einiger skaldischer Bildgedichte, und die Sagaaussa­ gen über die Entstehung des mythologischen Gedichts Húsdrápa des Skalden Uggr Uggason (fl. 980)6 wirkt insofern überzeugend, als die zwölf bei Snorri erhaltenen Strophen und Halbstrophen einen durchaus in kurze, zweifellos bildlich knapp dar­ stellbare Einzelszenen gegliederten Aufbau erkennen lassen. Außer diesem, eine dekorative Schnitzarbeit in der Halle des Olaf Pfau im Island des späten 10.  Jahr­

4 Gschwantler 1990. 5 Simek 2013. 6 Laxdoela saga Kap. 29; Snorri: Skáldskaparmál Kap. 8.

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 Rudolf Simek

hunderts beschreibenden Bildgedicht, sind aber auch die wiederholt genannten Schildgedichte zu erwähnen. Einen anderen Weg als die knappe, nur einstrophige Beschreibung einzelner mythologischer Szenen wählte der norwegische Skalde Þjóðólfr ór Hvíni in seiner Haustlǫng. Hier werden, wenigstens in den erhaltenen 20 Dróttkvætt-Strophen des ursprünglich längeren Gedichts, im Wesentlichen nur zwei mythologische Szenen dichterisch ausgestaltet, die angeblich auf einem Schild dar­ gestellt waren, den der Dichter von einem gewissen Þorleifr bekommen haben will. Die beiden Szenen sind zum einen Lokis Abenteuer mit dem Riesen Þjazi und dem Raub der Göttin Iðunn, zum anderen Thors Kampf mit dem Riesen Hrungnir. Da die Handlung beider Mythen im Gedicht relativ breit ausgeführt ist  – was auf einem Schild kaum der Fall gewesen sein kann – ist anzunehmen, dass der Dichter die auf dem Schild sicher nur in je zwei bis maximal drei Bildchiffren skizzierten Szenen mit eigenem mythologischem Wissen und dichterischer Freiheit aufgefüllt hat. Das berühmteste Beispiel eines Schildgedichts, ebenfalls aus der früheren Wikin­ gerzeit, ist die Ragnarsdrápa des Skalden Bragi Boddason (fl. 930? 900?), in deren erhaltenen 20 Dróttkvætt-Strophen(-resten) ebenfalls zwei mythologische Szenen, nämlich Thors Fischzug und der Mythus von Gefjon und ihren Söhnen, neben zweien aus der Heldensage behandelt werden, hier der Kampf der Guðrunssöhne Hamðir und Sörli in Ermanarichs Halle sowie die Ursache für den Hjaðningavíg. All diese Strophen des Bildgedichts sind bei Snorri in seiner Edda überliefert und zitiert, aber natürlich ist Snorris Ausgestaltung und interpretierende Nacherzählung der Strophen damit eine Quelle dritter Hand. Ein wikingerzeitlicher Künstler hat also – wir nehmen an, nach seinem Wissens­ stand, also mündlicher Überlieferung  – knappe Bildabbreviaturen der Szenen auf einen Schild gebannt, dessen Darstellung von einem Dichter in mehr oder weniger knappe Strophen gefasst werden. Diese wiederum werden mehr als 300 Jahre später von Snorri interpretiert und in Prosa aufgelöst: Dieser Prosatext mit einigen Resten der Skaldenstrophen ist nun unsere Hauptquelle für die ursprüngliche Erzählung. Dass derartige bildliche Darstellungen – ebenso wie ihre sekundäre dichterische Umsetzung  – keineswegs selten waren, bestätigt die Erwähnung einiger weiterer Schildgedichte, die allerdings bis auf Einzelstrophen heute verloren sind (oder auch schon im Mittelalter waren?): Dazu zählen zwei Schildgedichte Egill Skallagrímsons,7 von denen nur je eine Strophe erhalten ist, und von einem des Skalden HofgarðaRefr mit nur zwei bewahrten Strophen.8 Von dem erstgenannten Schild der Egils saga wird (wohl von Snorris selbst) ausdrücklich gesagt, dass er eine große Kostbarkeit (in mesta gersemi) war; „auf ihm waren Geschichten aus der Vorzeit dargestellt und überall zwischen den Abbildungen war er mit Goldspangen dekoriert und mit Edel­

7 Egils saga Skallagrímssonar Kap. 78 und 79. 8 Snorri, Skáldskaparmál Kap. 48.



Ekphrasis bei Snorri 

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steinen besetzt.“9 (hann var skrifaðr fornsǫgum, en allt milli skriptanna váru lagðar yfir spengr af gulli, ok settr steinum10). Wenn Snorri die Schildgedichte ebenso wie die Schilde selbst sowohl in seiner Edda als auch in der Egils saga wiederholt erwähnt, ist es wohl naiv anzunehmen, dass er die Bilder selbst als Quelle seiner eigenen literarischen Werke verschmäht habe, und in der Tat finden sich durchaus Hinweise auf bildliche Quellen bei Snorri, die sich als Ekphrasis11 in seinen Werken niedergeschlagen haben. Der Begriff Ekphra­ sis soll hier im Folgenden nicht so sehr in seiner engeren Bedeutung als detaillierte Beschreibung von Kunstwerken der bildenden Kunst, sondern in einer weiteren als Literarisierung von Bildzeugnissen bzw. sogar darüber hinaus als bewusste literari­ sche Visualisierungsstrategie verstanden werden. Zwei sehr auffällige Belege für Ekphrasis finden sich in Snorris Behandlung der physischen Form der Erde und ihrer drei Kontinente, und zwar sowohl im ersten Satz der Heimskringla als auch im entsprechenden Teil des Prologs der Snorra Edda im zweiten Abschnitt. Hier beschreibt er die Einteilung der bewohnbaren Ökumene der Nordhalbkugel in die drei Kontinente: Die Welt wurde in drei Teile eingeteilt; von Süden nach Westen und dann beim Mittelmeer hinein, dieser Teil wurde Afrika genannt. Der südliche Teil dieses Kontinents ist heiß und von der Sonne verbrannt. Der zweite Teil, von Westen nach Norden und hinein zum Meer, wird Europa oder Enea genannt; der nördliche Teil ist aber dort so kalt, daß kein Gras wächst und niemand dort wohnt. Die ganze Osthälfte von Norden bis nach Süden, das wird Asien genannt. (meine Über­ setzung)

Zwar ist hier klar, dass Snorri bei der Beschreibung dem gängigen Handbuchtext des Mittelalters folgt, nämlich Isidors von Sevilla Etymologiae XIV, aber im Detail doch von ihm abweicht, sodass es sich um keine reine Übersetzung handelt, denn die Beschreibung verläuft nicht von Süden nach Westen und Norden nach Osten, sondern gerade umgekehrt: Divisus est autem trifarie: e quibus una pars Asia, altera Europa, tertia Africa nuncupatur. [2]  Quas tres partes orbis veteres non aequaliter diviserunt. Nam Asia a meridie per orientem usque ad septentrionem pervenit; Europa vero a septentrione usque ad occidentem; atque inde Africa ab occidente usque ad meridiem. Vnde evidenter orbem dimidium duae tenent, Europa et Africa, alium vero dimidium sola Asia.12

9 Übersetzung von Reinhard Hennig 2011, 228. 10 Egils saga Kap. 78, 271  f. 11 Das Phänomen der Ekphrasis in der altnordischen Literatur hat bislang nur wenig Aufmerksam­ keit erfahren; bemerkenswerte Ausnahmen sind Poole 1997, Heslop 2009 und Kjesrud, die sich aber mit anderen Genres beschäftigen als die vorliegende Studie. 12 Isidor: Etymologiae XIV, II, 1; Simek 1990, 145  ff.

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 Rudolf Simek

Abb. 1: Kleine T-O-Karte aus Isidor: Etymologiae. Wien: ÖNB, Cod. 67, fol 117r. Nach Simek: Erde und Kosmos 1992, 62. Sie ist auch dreigeteilt: davon wird ein Teil Asien, der zweite Europa, der dritte Afrika genannt. Diese drei Teile haben die Alten nicht gleich eingeteilt. Denn Asien reicht vom Süden über den Osten bis in den Norden, Europa aber vom Norden bis zum Westen, und dann Afrika vom Westen bis zum Süden. Daher enthält eine Hälfte der Welt offenbar zwei, nämlich Europa und Afrika, die andere Hälfte allein Asien.

Es erscheint daher wahrscheinlicher, dass Snorri zwar die Stelle bei Isidor kannte, aber hier nicht dem Text folgte, sondern die ihm näherliegende Richtung über den Westen wählt. Beide Texte, der altnordische wie der lateinische, sind ja nichts anderes als schematische Beschreibungen der lateinischen T-O-Karten, von denen praktisch alle Isidor-Handschriften Exemplare aufweisen (Abb. 1). Auch die entsprechende Stelle der Heimskringla, nämlich gleich der namenge­ bende Eingangssatz, weist auf eine bildliche Quelle, aber eine andere: Während die schematischen T-O-Karten der Isidor-Handschriften (ebenso wie die wenigen erhalte­ nen isländischen mappae mundi) auf Grund der ganz minimalistischen Darstellung einen glatten Rand der drei Kontinente ohne Inseln und Buchten zeigen, weisen eine Reihe von mittelalterlichen mappae mundi, besonders solche insularer Herkunft, die Ränder der Erde ebenso wie die Küsten des Mittelmeers als ausgesprochen buchten­ reich aus (Abb. 2), sodass sich die Beschreibung hier auf eine solche Weltkarte bezie­ hen dürfte: Der von der Menschheit bewohnte Erdkreis ist sehr eingebuchtet. Große Meere gehen vom Ozean aus in die Erde hinein. Es ist bekannt, daß ein Meer von der Straße von Gibraltar bis ganz zum Hl. Land reicht. Von dem Meer geht eine lange Bucht nach Nordosten, welche Schwarzes Meer genannt wird. So teilt man die drei Kontinente ein: im Osten heißt es Asien, aber im Westen nennen es manche Europa und manche Enea.13

Während diese bildlichen Vorbilder literarischer Beschreibungen relativ unproble­ matisch sind, weil sie im Vergleich mit den lateinischen Texten keinen wesentlichen Erkenntniszuwachs bringen, sondern offenbar nur die Form der schriftlichen Darstel­ lung beeinflussen, ist bei den Fällen von Ekphrasis mythologischer Bildquellen sehr

13 Meine Übersetzung von Ynglinga saga, Kap. 1.



Ekphrasis bei Snorri 

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Abb. 2: T-O-Karte, sogen. Cottoniana: London, BM, Ms Cotton Tib. B.V. fol. 58r. Nach Brincken 1992, Tafel 19.

wohl zu fragen, ob Snorri aus Bildquellen Informationen bezogen hat, welche seine Interpretation anderer Quellen wesentlich beeinflusst hat. Ein solcher Fall dürfte mir bei der Beschreibung von Sleipnir vorliegen. Bekanntlich beschreibt Snorri dieses Produkt des Riesenhengsts Svadilfari mit Loki in Gestalt einer Stute wie folgt: En Loki hafði þá ferð haft til Svaðilfœra at nokkvoru síðar bar hann fyl. Þat var grátt ok hafði átta fœtr, ok er sá hestr beztr með goðum ok mǫnnum.14

14 Snorri: Gylfaginning Kap 42, 35.

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 Rudolf Simek

Abb. 3 und 4: Der achtbeinige Sleipnir auf den gotländischen Bildsteinen Ardre VIII und Alskog Tjängvide I, Ausschnitte. Nach: Nylén/Lamm 1988, 71 und 69.

Aber Loki hatte damals solch ein Zusammentreffen mit Swadilfari, daß er etwas später ein Fohlen gebar. Das war grau und hatte acht Beine. Dieses Pferd ist das beste bei Göttern wie bei Menschen.15

Die Achtbeinigkeit Sleipnirs erwähnt er auch noch einmal an anderer Stelle.16 Ein Pferd mit acht Beinen ist aber von gotländischen Bildsteinen her bekannt, nämlich die von Alskog Tjängvide I und Ardre VIII sowie Lärbro Tängelgårda I (ohne Reiter), die alle in das 8. Jahrhundert datiert werden, und die man als Bestätigung des hohen Alters von Snorris Behauptung eines achtbeinigen Sleipnir herangezogen hat (Abb. 3 und 4). Nun dient aber die mehrfache Darstellung von Körperteilen im gesamten Mittelal­ ter in erster Linie der Betonung bestimmter Eigenschaften. So wird das indische (oder äthiopische) Volk der Maritimi als so scharfäugig beschrieben, als hätte diese Men­ schen vier Augen (Plinius VI, 194); in der mittelalterlichen Ikonographie werden die Menschen dann aber durchweg mit vier Augen dargestellt (z.  B. bei Hartmann Schedel in der Chronica universalis von 1492, Abb.  5). Ähnlich findet sich schon im Früh­ mittelalter die Darstellung von Bienen auf den illustrierten Exultetrollen der Oster­ nachtsliturgie nicht mit zwei, sondern mit bis zu vier Flügelpaaren pro Insekt, um die Geschwindigkeit des Flügelschlages optisch wiedergeben zu können (Abb. 6).17 Da die steinernen Zeugnisse mythologischer Szenen nur die am besten erhalte­ nen, aber keineswegs die einzigen Zeugnisse mythologischer Szenen im Mittelalter waren, stellt sich die Frage, wie sehr es derartige bildliche Darstellungen waren, die

15 Nach der Übersetzung von Krause 2008, 53. 16 Snorri: Gylfaginning Kap 14. 17 Vgl. die Abbildung zahlreicher Bienen auf der Exultetrolle Barb. Lat. 592, Fragm. 4b, entstanden zwischen 1075 und 1090 in Montecassino, in: Biblioteca Apostolica Vaticana 1992, 166.



Ekphrasis bei Snorri 

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Abb. 5: Die vieräugigen Maritimi bei Hartmann Schedel: Liber Chronicarum. Nürnberg 1493, fol. 12r.

Abb. 6: Multiple Flügelpaare bei der ­Darstellung fliegender Bienen in einer Exultetrolle des späteren 11. Jahrhunderts. Vatikan, BAV, Barb. Lat. 592, Fragm. 4b. Nach: Bibliotheca Apostolica Vaticana 1993, 166.

Snorri zu der Aussage gebracht haben, dass Sleipnir acht Beine habe; naheliegen­ der wäre ja schon auf Grund der anatomischen Probleme die Aussage gewesen, dass Sleipnir als bestes aller Pferde so schnell gewesen sei, als habe es acht Beine. Die Frage stellt sich umso mehr, als Sleipnir in der Skaldik kaum vorkommt, geschweige denn, dass sich hier ein Hinweis auf die Achtbeinigkeit fände. Der einzige Verweis auf diese Eigenschaft findet sich in den Heiðreks gátur, einer in der Hervarar saga ok Heiðreks eingebetteten Rätselsammlung im Versmaß Ljóðaháttr und Fornyrðislag, welche aber in erster Linie Fragen der natürlichen Welt, nur ausnahmsweise der Mythologie behandeln. Wie alt das hier zitierte Rätsel ist, das auf Odin auf seinem Pferd Sleipnir als Antwort zielt, läßt sich unmöglich sagen:

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 Rudolf Simek

Hverir eru þeir tveir Er tíu hafa fœtr, augu þrjú ok einn hala?18 „Wer sind die zwei, die zehn Füße haben, drei Augen und einen Schwanz?“

Das völlige Fehlen des Konzepts vom achtbeinigen Sleipnir in der Skaldik macht es also sehr wahrscheinlich, dass erst Snorri selbst nach Vorlage von Bilddenkmälern – und ich denke keineswegs nur an gotländische Bildsteine19, da zu bedenken ist, wie viele andere Bildzeugnisse auf Holz längst vergangen sind – die Achtbeinigkeit Sleip­ nirs verbalisiert hat, von wo sie auch in das Rätsel geraten ist. In der wikingerzeitli­ chen Ikonographie dienten die acht Beine aber wohl ursprünglich nur dazu, den Ein­ druck der Geschwindigkeit zu vermitteln, um die Definition von Sleipnir als bestem aller Pferde auch optisch zu untermauern. Einen weiteren Hinweis auf Ekphrasis gibt Snorri selbst beim Mythos von Hrung­ nir: Hrungnir átti hjarta þat, er frægt er, af hǫrðum steini ok tindótt með þrimr hornum, svá sem síðan er gert ristubragð þar, er Hrungnishjarta heitir. Aber das machte ihn nicht standhaft, als Thor kam. Hrungnir hatte das Herz, das berühmt war, aus hartem Stein und mit drei Ecken versehen, so wie seitdem geritzte Figuren gemacht werden, die Hrungnirs Herzen heißen.20

Während der bei Snorri breit erzählte Mythos in Þjóðólfs Haustlǫng nur wenige Stro­ phen einnimmt, ist anderswo von Hrungnirs Herz gar keine Rede, aber Snorri selbst verweist auf seine Quelle, denn die (in Stein) geritzten Symbole mit drei Ecken (oder aus drei Hörnern gebildet) finden sich im mittelalterlichen Skandinavien außeror­ dentlich häufig und werden heute meist (aber fälschlich) als Valknútr (‚Knoten der Gefallenen‘) bezeichnet, ein Ausdruck, der jedoch erst neuzeitlich belegt ist (Abb. 7 u. 8). Zwar ist eine religiöse Bedeutung des besser als ‚Dreieckssymbol‘ zu bezeich­ nenden Symbols unumstritten, die genaue Bedeutung aber bis heute enigmatisch.21

18 Tolkien 1960, 44. 19 Dass es wohl etliche weitere Bildzeugnisse, auch Bildsteine, gegeben hat, die Sleipnir zeigten, wird durch die Verwendung von Schablonen bei der Darstellung wahrscheinlich gemacht, wie sie Kitzler Åhfeldt nachweisen konnte 2009, mit Sleipnir 501. 20 Snorri, Skáldskaparmál Kap. 17, S. 21 (meine Hervorhebung). 21 Vgl. zum Gesamtkomplex Hellers 2012.



Ekphrasis bei Snorri 

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Abb. 7 und 8: Das Dreieckssymbol auf dem gotländischen Bildstein von Lärbro St Hamars I und dem Runenstein von Snoldelev (Sj 35). Nach: Hellers 2012, 229 und 243.

Snorri dürfte das ihm aus Ritzungen ausdrücklich bekannte Symbol erst selbst mit dem Mythos von Hrungnir in Verbindung gebracht haben. Anlass dafür mag das Auf­ treten des Symbols in einer von ihm als Hrungnir-Mythos interpretierten Kampfszene gegeben haben, aber wohl nur in seiner Interpretation, denn „[a]uf Riesen, geschweige denn auf Hrungnir, deutet beim ‚Nordischen Dreiecksymbol‘ nichts hin.“22 Einen weiteren, wenn auch von Snorri nicht so explizit markierten Hinweis auf Ekphrasis bietet Snorri bei seiner Wiedergabe der Drachentötung in der Jung-SigurdSage. Jüngste neuerliche Untersuchungen zur Ikonographie dieser Drachentötung haben gezeigt,23 dass Sigurd ikonographisch besonders durch zwei Szenen als Dra­ chentöter identifizierbar ist: Zum einen durch die Darstellung als Daumenlutscher, da er nach dem Genuss des Drachenbluts dadurch die Sprache der Vögel versteht, was für die Erklärung des Handlungsverlaufs wichtig ist, zum anderen die Wiedergabe der Tötung des Fafnir durch Sigurd mittels eines Stichs von unten (Abb. 9), also in die ungeschützte Unterseite des Drachenleibs; diese ist wiederum für das Bad Sigurds im Drachenblut von Bedeutung. Interessanterweise findet sich aber gerade dieses erzäh­ lerische Element nirgendwo in der eddischen Dichtung zu diesem Thema, sondern ausschließlich bei Snorri (Skáldskaparmál 40), dann in der erst um 1250 entstande­ nen Vǫlsunga saga (Kap. 18) sowie in der Prosaeinleitung des Codex Regius zu Fáfnismál, also erst um 1270. Die Edda-Lieder selbst enthalten keinerlei Hinweis auf diese spezifische Tötungsart und das mittelhochdeutsche Nibelungenlied spricht ja von der Tötung selbst nur sehr indirekt und mittels des Verweises auf das Bad im Drachen­ blut.

22 Hellers 2012, 172, der fast 100 Belege für das Symbol in der Wikingerzeit von den Bildsteinen bis hin zu Münzen nachweisen kann. 23 Vgl. Sigmund Oehrl 2013 und 2015.

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Abb. 9: Säulenbasis von Nes, Telemark (um 1150). Nach: Oehrl 2013, 364.

Abb. 10: Die Reiterin auf dem Bildstein Nr. 4 des Hunnestad-Monuments. Kulturen, Lund.

Ebenfalls auf ein steinernes Bildzeugnis könnte Snorris phantasievoll ausschmü­ ckende Erzählung von Balders Bestattung zurückgehen, zumindest in einem der Details. Schon Otto Höfler (1952) hatte vor langer Zeit vermutet, dass Snorris Erwäh­ nung eines Zwergs Litr, den Thor angeblich bei Seite tritt und der daraufhin durch die Luft fliegt, auf die Darstellung von kleinen Voltigeuren, die sich über den Schiffen der bronzezeitlichen Felszeichnungen finden, zurückgehen könnte, und bei der Verbrei­ tung von Kultszenen über Schiffen auf südskandinavischen Felszeichnungen ist dies keineswegs unwahrscheinlich. Aber auch ein weiteres Detail der Schilderung mag gut auf ein wikingerzeitliches Bildzeugnis zurückgehen, nämlich die Beschreibung der Riesin Hyrrokkin. Diese kommt laut Gylfaginning 49 auf einem Wolf geritten, wobei sie Schlangen als Zügel verwendet24: „Da kam sie auf einem Wolf geritten und hatte Gift­ schlangen als Zügel“ (En er hon kom ok reið vargi ok hafði hǫggorm at taumum […]25) und dies mag auf eine verlorene Strophe der Húsdrápa und somit auf ein Detail der

24 Die Meinung von Oehrl, Sigmund (2010, 418–452, Fußnote 102): „Daß es sich bei der Gestalt auf dem Raubtier tatsächlich um Hyrrokkin handelt, bezeugen die signifikanten Schlangenzügel und darf als opinio communis betrachtet werden“ kann als leicht übertrieben bezeichnet werden: tatsäch­ lich spricht kaum etwas auf dem wikingerzeitlichen Hunnestadmonument für eine Verwandtschaft mit der von Snorri erst aus verschiedensten Quellen zusammengebastelten Geschichte von Balders Bestattung. 25 Snorri, Gylfaginning Kap. 49, S. 46.



Ekphrasis bei Snorri 

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Schnitzerei in Ólaf Pás Halle zurückgehen. Allerdings ist neben dieser nur poten­tiel­ len, und jedenfalls vergangenen Quelle auch eine ebenfalls aus der Wikingerzeit erhal­ ten, nämlich auf dem einzigen erhaltenen der Bildsteine des Hunnestad-Monuments (Abb.  10; DR 284, jetzt im Museum Kulturen in Lund, Schonen). Hier ist ein große Gestalt – wobei keineswegs klar ist, dass dies ein Riese oder eine Riesin sein muss – auf einem Raubtier (nach der Mähne eher ein Löwe, nach den Ohren eher ein Wolf) reitend dargestellt, welches mit Schlangen gezügelt ist. So wie Snorri den Namen des Zwergs Litr dem Zwergenkatalog der Vǫluspá 10–12 entnommen hat, so fand er auch den Namen Hyrrokkin26 in einer Strophe des Skalden Thorbjörn dísarskald (wohl der Rest eines Gedichts über Thor) unter acht Riesinnen, welche Thor erschlagen hätte. Dies gab ihm zusätzlich die Information vor, dass Thor die Riesin (beinahe) erschla­ gen hätte, die bildhafte Beschreibung mit dem Wolf als Reittier und den Schlangen als Zügeln konnte er aber einem Bilddokument wie dem des Hunnestad-Bildsteins entnehmen. Übrigens mag eine nur gering abweichende Abbildung Snorris Interpre­ tation als Wolf insinuiert haben, denn auf dem Stein von Hunnestad ist dies keines­ wegs so deutlich: Mähne, Haltung und Form des Tier sprechen hier eher für einen männlichen Löwen.27 Die Aggressionen, die Snorri Thor gegenüber der Riesin (und auch dem Zwerg Litr) unterstellt, stammen demnach aus seiner eigenen kreativen Interpretation seiner bildlichen Quellen samt dem Hinweis in der Strophe des Thor­ björn dísarskald und kaum aus irgendeiner Fassung des Baldermythos selbst.28 Der stichhaltigste Hinweis auf Snorris Verwendung bildlicher Quellen, in diesem Fall sogar von lateinischen Handschriften, ist jedoch seine Erwähnung von den Katzen der Freyja in der Gylfaginning Kap. 24: „Wenn sie reist, fährt sie mit einem Katzenge­ spann und sitzt in einem Wagen“ (En er hon ferr, þá ekr hon kǫttum tvein ok sitr í reið)29 und Kap. 49 über Balders Begräbnis: „Heimdall ritt auf dem Pferd namens Gulltop, und Freyja fuhr mit ihrem Katzengespann“ (En Heimdallr reið hesti þeim er Gulltoppr heitri, en Freyja kǫttum sínum)30. Nun ist das eher absurd anmutende Konzept eines Katzengespanns nirgendwo sonst in der gesamten nordischen Literatur belegt, und wenn Holtsmark vermutete, dass gerade dieses Element seine Grundlage in den oben erwähnten Schnitzereien in der Halle des Olaf Pfau hätte, dann ist dies eben­ falls völlig aus der Luft gegriffen.31 Allerdings war schon Holtsmark vor einem halben Jahrhundert auf der richtigen Fährte von Snorris so alleinstehendem und unpassen­ dem Bild: nämlich die antiken Skulpturen von Kybele in ihrem von Löwen gezogenen Wagen. Man muss aber nicht gleich an eine Bekanntschaft Snorris mit griechischen

26 Der Name ist handschriftlich auch als Hyrrockin, Hyrokkin u.  ä. überliefert. 27 Diese Frage wird eingehend diskutiert bei Sigmund Oehrl 2015, 469, 485, 491. 28 Ähnlich auch Liberman 2004, 33  f. 29 Snorri, Gylfaginning Kap. 24, 25. 30 Snorri, Gylfaginning Kap. 49, 47. 31 Holtsmark 1970, 96: „På bileta i Olaf Pås hall køyrer Frøya til Balders bålferd i ei vogn som er dregen av to kattar.“

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Abb. 11: Kybele in ihrem Löwenwagen aus der Martianus Capella Handschrift München, Staatsbibliothek, Cod. Mon. Lat. 14271, 11v. Nach: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0004/ bsb00046659/images/index.html?id=00046659&groesser=&fip=qrsyztsxdsydensdaseayaewqqrse ayaenw&no=6&seite=26

Skulpturen denken, wenn man den Einfluss der antiken Göttin auf das mittelalterli­ che Island erklären will, denn Handschriften des 12.  Jahrhunderts aus Frankreich, die sich mit mythographischen Themen befassen, zeigen durchaus auch Abbildungen der Kybele neben denen anderer Götter, auch mit einem von Löwen gezogenen Wagen (Abb 11); übrigens hat die Art der Darstellung von offenbar weiblichen Löwen dazu geführt, dass man in der Neuzeit die Zugtiere häufig als Panther bezeichnete. In den skizzenartigen Darstellungen antiker Götter, wie sie sich etwa in einer Münchener Handschrift des Hyginuskommentars des Remigius von Auxerre finden, ist die nahe­ liegendste Deutung jedenfalls die von katzenartigen Tieren, was Snorri zu der von ihm übernommenen Annahme eines Katzenwagens animiert haben muss. Diese wenigen Beispiele für Bildquellen als Grundlage der Mythographie bei Snorri mögen als Ansatz dafür dienen, neben Skaldengedichten und den von Snorri weniger häufig genutzten Edda-Liedern zuerst einmal auf Bilddenkmäler zurück­ zugreifen, bevor man vage mündliche Überlieferungen postuliert, die wohl in Ein­



Ekphrasis bei Snorri 

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zelfällen anekdotisch existiert haben mögen. Sie besaßen aber zweifellos nicht den Quellenwert einer ikonographischen Überlieferung, die auch in Form auf Holz darge­ stellter Szenen eine wesentlich höhere Lebensdauer aufweisen – wie etwa sowohl die Kirchentür von Valþjófsstaðir32 in Nordostisland als auch die hölzernen TympanoiBretter mit einer Weltgerichtsszene von Flatatunga (bzw. später Bjarnarstaðahlíð) in Skagafjörður33 belegen –, selbst wenn wir heute davon nur wenig bewahrt haben.

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32 Vgl. dazu Harris 1970. 33 Vgl. dazu Heslop 2009, 384; Abb. bei Guðbjörg Kristjánsdóttir 2000 und ebenso bei Selma Jóns­ dóttir 1959, bes. Abb. 39.

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 Rudolf Simek

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Jiří Starý

Versöhnung im Jenseits Überlegungen zur altnordischen Ideologie in Heldensage und Mythos […] bis dass der Tod euch scheidet. Katholisches Ehegelöbnis

Abstract: This article tries to interpret the occurrences of the dispute settlement in the other world. It consists of four case studies concerning the everyday fighting of the einherjar, king Hákon the Good’s arrival in Walhall, the description of the settlement of Hǫgni and Heðinn in late Icelandic Skíðaríma and the settlement of Baldr, Hǫðr and Váli after the destruction of the world respectively. According to the author’s opinion, it is possible to observe profound similarities between these cases of settlement in myth and heroic lore and the historical (or “pseudo-historical”) descriptions of dispute settlement in the sagas of Icelanders. On the other hand, the importance of the cases of settlement in the other world cannot be reduced to a ‘projection’ of the ‘terrestrial’ ways of conflict resolution. Their very presence in the mythic-heroic world proves that the process of dispute settlement was more than just a political solution for the Old Norsemen. Especially the myth of Baldr shows that the right functioning of the settlement process was felt to be basic condition for the consistence of the society. Nach der opinio communis gelten die Wikinger nicht als besonders friedliche und versöhnungsbereite Menschen. Auch in der Forschung hielt sich lange das Bild des unversöhnlichen Rächers als Stereotyp des Nordgermanen in der Wikingerzeit. Unter diesem Aspekt wurden die eddischen Lieder interpretiert und die Sagas gelesen. „Die Blutspur des Fehdewesens“, wie es Hermann Kamp formuliert, hatte „lange Zeit das Islandbild dominiert.“1 Es ist vor allem der Verdienst von Klaus von See und Theodore Andersson, dass sie die altnordische Spruchdichtung bzw. die Familiensagas von der Einseitigkeit dieses Deutungsmusters befreit haben. Diesem Ansatz folgend erzählen beide Gattungen nicht mehr von der rücksichtlosen Abwehr der eigenen Ehre, sondern sie sprechen auch von der Nachgiebigkeit, der Bemühung um Frieden und dem Willen zur Versöhnung (sætt). „What gives consistency to the ethical temper of these sagas,“ ist laut Theodore Andersson, „precisely a sense of proportion and

1 Kamp 1994, 392. Vgl. Byock 1984.

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moderation.“2 Und die Gnomen des eddischen Sittengedichtes Hávamál kommentiert er mit den Worten: It seems to me rather that Hávamál propounds the values of the middle way and social accomodation and it seems to me further that this is very close to the spirit which moves the authors of the sagas […] The outlook of this literature is not animated by selfishness or by a hectic pursuit of honour but by search for moderation.3

Ähnlich bemerkt Klaus von See zu Hávamál, dass sie „vom rechten Verhalten gegenüber dem Freund, dem Gast, dem Fremden sehr viel sprechen und nur wenig oder gar nicht von Ehre, Rachepflicht und Kriegerruhm.“4 Zudem könnte man zahlreiche weitere Beispiele anführen, die zeigen, dass die Sympathie für den friedlichen Abschluss der Fehden und Konflikte nicht nur in den zwei genannten Gattungen zu finden ist, sondern dass sie die gesamte altnordische Literatur in dem Maße durchdringt, das uns erlaubt, von ihrer versöhnungsfrohen Natur zu sprechen.5 Die literarische Anwendung des Versöhnungsmotivs ist jedoch nicht als Beweis dafür zu sehen, dass Konflikt, Fehde und Blutrache in der altnordischen Gesellschaft negativ bewertet wurden. Nichts wäre der Wahrheit ferner. Darüber hinaus kann die wiederholte Hervorhebung der Versöhnung kein Indiz dafür sein, dass es keine Konflikte gab, denn letztendlich ist die Versöhnung durch die Existenz des Konflikts bedingt. Die gewalttätige Rache wird in den Familiensagas und Sittengedichten ebenso oft gepriesen wie die Fähigkeit, die blutige Fehde friedlich beizulegen. Es mag sein – wie Andersson zu beweisen versucht  –, dass die Begriffe ófriðarmaðr (‚Unfriedenstifter‘) und ójafnaðarmaðr (‚der, der sich mit anderen nicht vertragen kann‘) in den isländischen Familiensagas meist mit negativen Assoziationen verbunden sind. Dies weist aber nicht so sehr auf eine Verurteilung der auf Konflikt ausgelegten Haltung an sich hin – die durchaus positiv bewertete Personen handeln ebenso aggressiv und rachsüchtig  –, sondern nur auf die Verurteilung der Unfähigkeit sich ehrenhaft zu versöhnen (sætta), also die Fehde bis zu ihrem Ende auszutragen. Denn „Wie […] die Rache erweist sich auch […] die Einigung […] als integraler Bestandteil der Fehde.“6

2 Andersson 1970, 588. 3 Andersson 1970, 592. 4 Von See 1972, 50. 5 Dabei ist das Augenmerk auch auf die komplizierten Handlungen zu legen, die die Versöhnung begleiteten (für ihre Beschreibung siehe Miller 1990, 271–299 und Byock 1982, 101–111). Die Frage, inwiefern es sich um echte ‚Rechtsrituale‘ oder bloße ‚Rechtsmechanismen‘ gehandelt hat, kann hier dahingestellt bleiben (siehe Doová/Polách 2008, 28). 6 Kamp 1994, 402 mit Hinweis auf Miller 1990.



Versöhnung im Jenseits 

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Versöhnung und Jenseits In den archaischen Kulturen laufen Mythos, Heldensage und Leben meistens parallel. Es ist wenig ergiebig, darüber zu spekulieren, was als Erstes war: Ob ,Mythos‘ die Realität widerspiegelt – wie Materialisten glauben –, oder – wie Idealisten meinen – der Mythos eine Grundlage ist, wodurch die Realität erst zu einer wahrnehmbaren Wirklichkeit wird. Hier muss nicht erwähnt werden, dass sich der Mythos bzw. die Heldensage mit der gesellschaftlichen Realität selten ganz übereinstimmen. Ohne ‚Freudianer‘ zu sein, sollte man sich doch vor Augen führen, dass in Mythos und Heldensage nicht nur Fragmente der erlebten Welt enthalten sind, sondern dass in ihnen auch viele unausgesprochene Wünsche, Ängste, Ideale, Vorurteile und viele andere geheime Gefühle und Sehnsüchte der menschlichen Seele Ausdruck finden. Die Nachweisbarkeit eines Phänomens, z.  B. der kriegerischen Frauen, in Mythos oder Heldensage ist an sich noch kein Beleg dafür, dass sie in der alltäglichen Realität existiert haben. Sie ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass sie in der mentalen Welt der alten Nordleute eine Rolle gespielt haben. Ein ‚Forscherglück‘ ist es doch, wenn wir ein aus dem Mythos oder der Heldensage bekanntes Phänomen als Teil der realen Welt der alten Skandinavier belegen können. Die Tatsache, dass ein solches Phänomen auch in den geistigen Ebenen der menschlichen Kultur thematisiert wird, beweist, dass man diesem mehr Bedeutung zuteil werden ließ, als den anderen Aspekten der Realität. Im weiteren Verlauf werden wir uns nur einigen Beispielen der Versöhnung widmen, die im altnordischem Mythos und der Heldensage beschrieben werden, insbesondere den Fällen, bei denen sich legendäre oder mythische Persönlichkeiten im Jenseits versöhnen und in der einen oder anderen Form Frieden schließen.

‚Und sitzen beisammen versöhnt.‘ Die einherjar Wir beginnen mit den prominenten Bewohnern des altnordischen Jenseits, mit den einherjar. Der Plural bedeutet‚ ‚diejenigen, die alleine kämpfen‘ und seine ursprüngliche Bedeutung ist unbekannt.7 Der Begriff bezeichnet die gewählten Krieger des höchsten Gottes Óðinns, des Herrschers der Poesie, berauschenden Trankes, der Magie und nicht zuletzt des Krieges. Nach den Quellen der altnordischen Mythologie,

7 de Vries 1977, 96. Die selten bezeugte Singularform einheri dient der Bezeichnung der Götter. Finnur Jónsson (1966, 102) löst die Sache so, dass er dem Singular des Wortes eine andere Bedeutung gibt als dem Plural (‚die, die zu einem Heer gehören‘) aber diese Lösung wirkt nicht besonders überzeugend. „Dass einheri an dieser Stelle etwas anderes meint als sonst, ist eine unbegründete Annahme, die alle Tatsachen gegen sich hat“ (Neckel 1913, 125). Es scheint wahrscheinlicher, dass die Belege auf die halb-göttliche Natur der einherjar hinweisen.

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vor allem der Lieder Edda und der Snorra Edda, werden vor allem die vornehmen oder die sich mit Mut und Tapferkeit besonders auszeichnenden Krieger nach dem Tode von den Walküren mit in Óðinns Saal Walhall (valhǫll ‚Halle der Gefallenen‘) geführt und dort mit Essen und Trank bedient. So soll es bis zu den ragnarǫk, dem Schicksalstag der Götter, weiter gehen. Die über die Zeit auf die Anzahl von 43.200 angewachsenen einherjar brechen anschließend unter ihrem Anführer Óðinn in die letzte Schlacht auf und nehmen an dem Krieg zwischen den Göttern und den vernichtenden kosmischen Mächten teil. In dem hoffnungslosen Kampf zerstören letztere die Welt, die in sich zusammenbricht. Für uns ist die Vorstellung im zweifachen Sinne interessant: Erstens zeigt sie, in welchem Ausmaß die Idee der Welt und die Idee des Konflikts für die alten Skandinavier zusammenhingen. Die Existenz des bestehenden Kosmos beruht im permanenten Konflikt zwischen Göttern und den Riesen. Gerade die daraus entstehende Unsicherheit wird als Grund dafür angeführt, warum der Kriegsgott Óðinn immerwährend neue in den Schlachten gefallene Opfer braucht. Die Eiríksmál, ein Preisgedicht auf den um 954 gefallenen norwegischen König Eiríkr Blutaxt, lassen den in Walhall anwesenden Held Sigmundr fragen, warum Óðinn so tapfere Männer wie Eiríkr sterben lässt. Die kurze, aber klare Antwort weist auf den Wolf Fenrir, eines der Weltuntergangsungeheuer, hin: Óvíst’s at vita,  sér ulfr enn hǫsvi   greypr at sjǫt goða.8 Nichts weiß man gewiss  und der Wolf, der graue   sieht die Sitze der Götter an.

Der Hinweis auf die konfliktvolle Natur und Vergänglichkeit insbesondere der gött­ lichen Welt stellt die dunkle Seite der einherjar dar. Aber die Vorstellung des im Jenseits kämpfenden Heeres hat auch einen positiven Sinn: Sie bietet die glanzvollste Alternative der jenseitigen Existenz. Die um den Kriegsgott Óðinn gesammelten Krieger stellen eine vorbildliche Gefolgschaft dar, eine exemplarische Männergruppe, die die höchsten Qualitäten verkörpert, die der Skandinavier der Wikingerzeit erreichen konnte. Und es ist auch kein Zufall, dass in ihrem jenseitigen Leben Konflikt und Versöhnung eine wichtige Rolle spielen. Die Vafþrúðnismál, eines der mythologischen Gedichte der Lieder Edda, berichten von der Tagesführung der einherjar: ‚Segðu þat it ellipta:  hvar ýtar túnom í   hǫggvaz hverian dag? hvat einheriar vinna  Heriafǫðrs at,   unz riúfaz regin.‘

8 Eirm 7,3–5, Finnur Jónsson 1912, 175 (vom Verf. modifizierte Übersetzung von Felix Genzmer).



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‚Allir einheriar  Óðins túnom í   hǫggvaz hverian dag; val þeir kiósa,  oc ríða vígi frá,   sitia meirr um sáttir saman.‘9 ‚Sag das als Elftes,  wo die Männer im Hof   sich jeden Tag schlagen; was die Einherjer  bei Heervater [= Óðinn] tun,   bis die Ratenden [= Götter] untergehn.‘ ‚Alle Einherjer  schlagen sich in Óðinns   Hof jeden Tag; sie wählen die Gefallenen aus,  und reiten vom Kampf,   sie sitzen versöhnt zusammen.‘

Hier sehen wir eine seltsame Dialektik des permanenten Kampfes und ebenso des permanenten Versöhnens. Die auserwählten Krieger sitzen „weiter versöhnt“ (meirr sáttir), obwohl sie sich jeden Tag gegenseitig töten, denn der Ausdruck ‚die Gefallenen wählen‘ (kjósa val) kann kaum etwas anderes bedeuten als ‚zu töten‘. Das bezeugt die Paraphrase der Stelle von Snorri Sturluson, dem großen isländischen Mythographen des 13. Jahrhunderts, der den Ausdruck als falla hverr anann, „sich gegenseitig erschlagen“ wiedergibt:10 Hvern dag, þá er [einherjar] hafa klæzk, þá hervæða sik ok ganga út í garðinn ok berjask ok fellir hverr annan; þat er leikr þeira; ok er líðr at dǫgurðar-máli, þá ríða þeir heim til Valhallar ok setjask til drykkju. Täglich nach dem Anziehen legen sie gleich auch Heergewänder an, gehen in den Hof hinaus, kämpfen und erschlagen einander. Das ist ihr Spiel. Wenn die Frühstückszeit herankommt, reiten sie heim nach Walhall und setzen sich zum Trunk.

Es ist interessant und auffällig, dass in diesem ausführlichen Bericht die explizite Erwähnung der Versöhnung fehlt. Doch ist es kaum vorstellbar, dass Snorri ein so wichtiges Detail verschweigen wollte. Viel vielwahrscheinlicher scheint es, dass für ihn die Versöhnung in dem Bild des Trinkgelages (setjask til drykkju) enthalten ist.11 Dass das gemeinsame Sitzen und das gemeinsame Trinken als Zeichen der Versöhnung dient, werden wir noch beobachten können.

9 Vm 40–41, Neckel 1983, 52 (die fehlende zweite Hälfte der Strophe 40 nach pap.hss. zitiert. Übersetzung von Arnulf Krause 2011, 70.). 10 Snorri, Gylf Kap. xl 41; Übersetzung von Gustav Neckel/Felix Niedner). An eine Dissonanz der beiden Quellen, wie sie Lorenz konstruiert (Lorenz 1984, 484), kann ich hier nicht glauben. Vgl. Machan 2008, 95. 11 Siehe dazu Starý 2018.

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Aber auch in anderer Hinsicht ist die Paraphrase interessant. Snorri bezeichnet das gegenseitige Töten der einherjar als ein leikr (‚Spiel‘ oder ‚Kurzweil‘), obwohl, es in vollem Ernst gekämpft wird. Es mag sein, dass das Bild der sich im Jenseits schlagenden einherjar den an den altnordischen Höfen üblichen Waffenspielen und -übungen entspricht, worauf das Wort leikr wahrscheinlich hinweist. Bei solchen Spielen wurden die Menschen jedoch gewöhnlich nicht getötet. Im Jenseits stehen die Dinge anders und der Grund ist nicht schwer zu erkennen. Der erwähnte Ausdruck kjósa val bedeutet wortwörtlich ‚die Gefallenen wählen‘, seine übliche Bedeutung ist aber ‚ins Jenseits abholen‘ und deshalb wird er gewöhnlich in Zusammenhang mit den todbringenden Wesen benutzt.12 Die einherjar befinden sich aber schon hinter der Grenze, die das Jenseits vom Diesseits trennt und eine Abholung ins Jenseits droht hier nicht. Der Übergang von dieser Welt in eine andere entzieht dem Konflikt dessen tragischen Abschluss.

‚Mir macht Sorge sein Sinn.‘ König Hakon im Jenseits Hakon der Gute, ein Sohn Harald Schönhaars, des Reichseinigers von Norwegen, regierte das Land von 935 bis 961. Sein Weg zur Macht war alles andere als geradlinig. Nach den altnordischen Quellen war Hakon Haralds jüngster Sohn, er wurde als Kind nach England zu König Athelstan geschickt, während sein Bruder Erik Blutaxt als Thronfolger bestimmt war. Aufgrund seines Regierungsstils wurde Erik jedoch bald äußerst unpopulär und der junge Hakon wusste die Situation zu nutzen. Im Jahre 934 erschien er in Norwegen und ließ sich zum König wählen. Erik verließ Norwegen und ging nach England, wo er einige Jahre später fiel (aus diesem Anlass entstanden die bereits erwähnten Eiríksmál). Seine Söhne, angetrieben durch ihre Mutter Gunnhild, ‚Königenmutter‘ genannt, griffen Norwegen ununterbrochen an und trafen regelmäßig auf Hakon in blutigen Kämpfen. 961 fiel Hakon bei einem erneuten Kampf bei Fitjar auf der Insel Storð und die Macht über Norwegen ging an Eriks Sohn Harald Graumantel. Zum Anlass von Hakons Tod wurde von seinem Freund und Hofskalde Eyvindr Finnsson ein Preislied gedichtet. Es heißt Hákonarmál und wurde paradoxerweise nach dem Muster der Eiríksmál komponiert, also nach dem Vorbild des Gedichtes, das zu Ehren Hakons Bruders und Erzfeindes entstanden war. Ebenso wie im Fall der Eiríksmál beschreibt das Gedicht den Eintritt des toten Königs in Walhall. Der gefallene Hakon zeigt aber keine große Freude an der Tatsache, dass er in die erlesene Kriegerschaar des höchsten Gottes aufgenommen werden soll. Noch auf dem Schlachtfeld offenbart er den Walküren seine Meinung, dass er nicht des Todes sondern eines

12 Vor allem mit den oben erwähnten Walküren. Der Name valkyrja (pl. valkyrjur) ist direkt von kjósa val abgeleitet (siehe Neckel 1936, 94 (s.  v. kjósa) und 185 (s.  v. valr); Neckel 1913, 95).



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glanzvollen Sieges würdig sei.13 Als er später vor Walhall von den Göttern Bragi und Hermóðr empfangen wird, weigerte er sich, die Waffen vor dem Eintritt abzulegen und gibt Begründung an:14 Ræsir þat mælti,  vas frá rómu kominn,   stóð allr í dreyra drifinn: illúðigr mjǫk  þykkjumk Óðinn vesa,   séumk vér hans of hugi. Gerðar órar,  kvað enn góði konungr,   viljum vér sjálfir hafa; hjalm ok brynju  skal hirða vel,   gótt’s til gǫrs at taka. Der König sprach  ‒ er kam aus der Schlacht   und stand vom Speertau bespritzt ‒ „Gar ungnädig  scheint mir Óðinn zu sein;   mir macht Sorge sein Sinn.“ […] „Meine Waffen,“  sprach der wackre Fürst,   „will ich behalten hier: Helm und Brünne  soll man hüten gut   und nicht vergessen den Ger.“

Wir können nur vermuten, was der Grund für ein so seltsames Benehmen angesichts der versammelten Götter war. Mindestens zwei Ursachen bieten sich an: Erstens können wir auf die Erbitterung Hakons verweisen, dass ihm von Óðinn der Sieg nicht zuteil wurde. Hat er vielleicht die Niederlage als Zeichen der göttlichen Ungunst (illúð) empfunden? Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit: Mehrere altnordische historiographische Schriften behaupten, dass Hakon während seines Aufenthaltes bei dem englischen König Athelstan das Christentum angenommen hatte und versuchte, nach seiner Etablierung in Norwegen den christlichen Glauben und christliche Bräuche einzuführen. Allerdings berichten die Quellen, dass Hakons Mission keinen Erfolg hatte und dass der König selbst (zumindest äußerlich) zum Heidentum zurückkehrte.15 Lässt sich seine Furcht vor dem Eintritt in das heidnische Paradies möglicherweise mit seinem christlichen Intermezzo begründen?

13 Eyv, Hák 12, Finnur Jónsson 1912, 58  f. 14 Eyv, Hák 15, 17, Finnur Jónsson 1912, 59; Übersetzung Felix Genzmer). 15 Inwiefern Hakons Bekehrung zum Christentum und Rückkehr zum Heidentum rein äußerlich waren, ist schwer zu beurteilen, weil die Quellen unterschiedliche Auskunft geben. Eine extreme Position vertritt die Historia de antiquitate regum Norwagiensium, die gar nicht erwähnt, dass Hákon je Christ geworden ist (und deshalb selbstverständlich auch nicht seine Bekehrung zurück zum Heidentum). Auf dem anderen Extrem steht die Historia Norwegiæ, die Hakon als echten Neubekehrten

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Wie immer es sei, die willkommen heißenden Götter verlieren nicht die Fassung und laden Hakon ein:16 Einherja grið  skallt þú allra hafa,   þigg þú at ǫ´sum ǫl; jarla bági,  þú átt inni hér   átta brœðr – kvað Bragi. ‚Der einherjar Frieden (grið)  sollst du allen haben;   trink bei den Asen Äl [=Bier]! Fäller der Fürsten,  hier findest du   acht Brüder,‘ sprach Bragi.

Die Asen [= Götter] bieten Hakon Versöhnung an, die hier in Form eines angebotenen Tranks dargestellt wird, ähnlich wie im bereits genannten Fall der kämpfenden einherjar. Als wichtiger Zusatz wird hier noch grið, der ‚Geleits-‘ oder ‚Friedensschwur‘ der einherjar erwähnt.17 Und als letzter Schritt erfolgt noch die Versicherung, dass Hakon nichts fürchten müsse, weil sich unter den einherjar acht seiner bereits gestorbenen Brüder befänden. Letzteres muss auf uns zugegebenermaßen ein wenig beunruhigend wirken, Hakons Brüder waren seine Machtkonkurrenten und insbesondere der erwähnte Erik Blutaxt, der auf Hakons Betreiben hin sein Königsreich verlor, aus Norwegen fliehen musste und folglich in England fiel, hatte keinen Grund, Hakon zu lieben und zu schonen. Trotzdem erhielt die Rede Bragis offenbar die gewünschte Wirkung, denn das Gedicht endet mit der glorreichen Aufnahme Hakons in die in Walhall versammelte göttliche Gemeinschaft:18

und danach als echten Apostat schildert (die Angriffe der Eiríkssöhne werden hier als Gottes Strafe dafür aufgefasst). Die übrigen Quellen nehmen nuancierte Mittelpositionen an, so z.  B. Ágrips af ­Nóregs konungasǫgum, das angibt, Hakon habe am Ende seines Lebens seine Sünde (d.  h. Annahme der heidnischen Bräuche) bereut und habe seine heidnische Bestattung als eine Art Selbstdemütigung und Busse dafür verstanden. Snorris Heimskringla ersetzt dagegen den religiösen Diskurs mit dem politischen: hier wird Hákons politische Meisterschaft in Verkehr mit beiden Religionen betont und die daraus resultierende Beliebtheit gepriesen. Eine offene Frage dabei bleibt, ob man schon zur Zeit Hákons mit dem modernen Gegensatz der „inneren Überzeugung“ und des „äusserlichen Behaltens des Kultus“ operieren darf. Für eine Übersicht der Quellen und ihre sorgfältige Analyse siehe Kreutzer 1999. 16 Eyv, Hák 16, Finnur Jónsson 1912, 59; Übersetzung von Felix Genzmer. 17 Es handelte sich um Eid, bei dem der Schwörende versprach, auf die Anwendung der Gewalt gegen den Empfänger des Eides für eine bestimmte Frist (z.  B. für die Dauer der Friedensverhandlung, des gemeinsames Treffens, einer Versammlung usw.) zu verzichten. 18 Eyv, Hák 18, Finnur Jónsson 1912, 59 (Übersetzung Felix Genzmer). Dasselbe gilt im noch höheren Maße für die obenerwähnten Eiríksmál. Erik Blutaxt tritt dort Walhall begleitet von fünf Königen. Die Forscher sind nicht in der Frage einig, wer genau diese fünf Könige waren, es besteht aber Möglich-



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Þá þat kyndisk,  hvé sá konung hafði   vel of þyrmt véum, es Hǫ´kon bǫ´ðu  heilan koma   rǫ´ð ǫll ok regin. Da ward es kund,  wie der König wohl   gehegt die Heiligtümer, als Hakon alle  Heil nun boten,   die Rater und Richtenden [= die Götter].

Weder religiöse noch politische Konflikte stören die jenseitige Versöhnung. Und dies bestätigt, was wir im Falle der einherjar beobachten konnten: Die Konflikte existieren im Jenseits ebenso wie im alltäglichen Leben. Aber ihr Charakter ist anders: Der Gang durch den Tod beruhigt die bestehenden Feindseligkeiten und gegenseitige Beleidigungen. Jenseits und Tod einigen, was das Leben und die Welt geschieden haben. Bei dem Blick vom anderen Ufer sind die weltlichen Konflikte der Welt plötzlich nicht mehr relevant.19

‚Der Götter uralte Butter‘. Die Parodie der Skíðaríma Die isländische Skíðaríma wird selten als Quelle von Mythos und Heldensage zitiert. Der Grund liegt darin, dass es sich um späte Dichtung handelt,20 deren parodistische Züge eher eine lächerliche Diffamierung des Mythos und der Heldensage erkennen lassen. Der unerwartete Held der Geschichte ist ein armer Bettler namens Skíði, der eines Nachts träumt, dass ihm der höchste Gott Óðinn schriftlich gebeten hat, nach

keit, dass es sich um von Erik getötete Könige handelt, vier von denen könnten sogar seine Brüder sein (siehe dazu Neckel 1913, 121). 19 Man soll dabei nicht eine wichtige Ausnahme verschweigen, nämlich die Passage aus der zweiten Helgakviða Hundingsbana, wo sich der tote Helgi seinem Gegner Hundingr nach dem Ankunft in Walhall bitter rächt (Übersetzung Arnulf Krause 2011, 245). Er bietet: „Du musst, Hunding, / jedem Mann / das Fußbad bereiten / und Feuer anzünden; / Hunde festbinden, / Pferde bewachen / Schweinen Futter geben, / eh du schlafen gehst.“ (Þú scalt, Hundingr, / hveriom manni / fótlaug geta / oc funa kynda, / hunda binda, / hesta gæta, / gefa svínom soð, / áðr sofa gangir - HH ii.39, Neckel 1983, 158). Die Stelle ist schwierig zu erklären. Der neue Eddakommentar ist der Meinung, dass „wahrscheinlich die Strophe aus dem Kontext eines Streitgesprächs vor einem Kampf [stammt]“, was eine relativ breite Umstellung des Textes voraussetzt (von See et al. 2004, 768). Gustav Neckel bemerkt, dass die Stelle auf eine ursprünglichere Jenseitsvorstellung hinweisen kann, nach der „[…] der Besiegte im Jenseits dem Sieger dienen muss“ (Neckel 1913, 120). Das wäre eine ganz logische Hypothese, wofür aber mehr altnordische Belege nötig wären. 20 Von Forschern wird das Gedicht meistens in das 14. oder 15. Jahrhundert datiert, also lange nach der Abkehr des Heidentums.

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Walhall zu kommen um dort die Helden Heðinn und Hǫgni zum Friedensschluss zu bewegen. Die beiden haben sich wegen der jungen Heldin, Hild der Schlanken, zerstritten, und ihre permanenten gewaltigen Zusammenstöße bedrohen andere Bewohner des Göttersitzes. Skíði eilt nach Walhall, wo er alle großen Helden der Vorzeit beim Sitzen und Trinken antrifft. Er wird von Óðinn ehrenvoll willkommen geheißen und vortrefflich mit Bier und einem Platz an Óðinns Thron bedient. Schließlich erhält er auch das Angebot, sich nach seinem Geschmack von den versammelten Heldinnen und Göttinnen eine zur Frau zu wählen. Skíði zögert nicht und wählt keine andere als Hild die Schlanke, die Streitursache. Er geht direkt zu ihrem Vater Hǫgni, der sich mit Hinweis auf Skíðis Herrlichkeit sofort mit der Brautwerbung einverstanden erklärt. Skíði fährt fort und bittet Hǫgni und Heðinn, dass sie mit ihrer Feindschaft aufhören und auch diese Bitte wird nach kurzem Zögern erfüllt. Schließlich wird auch Hild nach ihrer Meinung befragt: Sie behauptet, sie sei zwar in Heðinn verliebt, aber wenn alle anderen einverstanden sind, nehme sie das Heiratsangebot an. Nichts steht also der prächtigen Heirat im Wege, deren Ablauf nur durch Skíðis permanentes Bekreuzigen und Anrufen des christlichen Gottes gestört wird. Die Verbitterung der Götter und alten Helden wird damit aber in dem Maße provoziert, dass sie Skíði angreifen, und die großartige Hochzeitsfeier endet in einem ebenso großen Gemetzel, an dessen Ende Skíði aus Walhall hinausgeworfen wird und wieder daheim auf Island erwacht. Der Humor der Skíðaríma basiert hauptsächlich auf der Parodie von zwei literari­ schen Subgenres: Draumþættir und Íslendingaþættir. Die Draumþættir (‚Traumgeschichten‘), eine interessante Quelle des altnordischen Traumglaubens, beschreiben gewöhnlich Träume, in denen numinose Gestalten (göttliche Wesen, Tote usw.) erscheinen und eine Prophezeiungen für die Träumenden vorhersagen. Die Prophezeiungen gehen immer in Erfüllung und die Wahrheit der Traumerscheinung wird oft dadurch verstärkt, dass die Gaben, die der Träumende in der Traumwelt erhält, in der realen Welt nach dem Erwachen weiterbestehen, sowohl die materiellen (wie Waffen), als auch immateriellen (wie z.  B. dichterische Begabung). Auch im Fall von Skíðaríma finden wir solche Anzeichen. Es handelt sich aber um eher skurrile Gegenstände, wie etwa den Zahn des sagenhaften Drachen Fáfnir, mit dem Skíði während seines Walhall-Aufenthaltes zusammenstößt, sowie ‚dreimal-alte‘ (þrífornt) Butter, die Skíði von den Göttern als Geschenk bekommt. Die Butter erweist sich darüber hinaus als kein glücklicher Traumgewinn, sie wird den Hunden zum Fressen zur Probe gegeben, die danach „breit umher sterben“ und damit bezeugen, dass man weder den Träumen noch den heidnischen Göttern Glauben schenken sollte. Die Íslendingaþættir (‚Isländergeschichten‘), das zweite Ziel der Parodie der Skíðaríma, bestehen hauptsächlich aus einem Bericht über den Besuch eines Isländers am Hofe eines skandinavischen Herrschers oder Königs. Der Isländer wird anfangs von den Hofleuten verachtet, im Verlauf der Handlung erweist er sich aber in schwierigen Bewährungsproben als tapferer Mann, so dass er am Ende in die königliche Gefolgschaft aufgenommen respektive reich beschenkt wird. Dieses Schema wird



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in Skíðaríma völlig auf den Kopf gestellt. Der arme Bettler ist nicht in der Position eines Neuankömmlings an irgendeinem skandinavischen Hofe, sondern wird direkt nach Walhall eingeladen und dort von dem höchsten Gott mit aller Pracht willkommen geheißen. Er erweist sich aber als eher hilfloses Individuum, das sich durch nichts als Frechheit auszeichnet und seine Unfähigkeit, die christlichen Gewohnheiten abzulegen, verschafft ihm die Feindschaft der Götter und Helden, woraufhin er aus Walhall ausgewiesen wird. Für uns ist besonders die dritte Intention der Parodie wichtig: Es ist die berühmte Geschichte vom Hjaðningavíg (‚Kampf der Heðinn-Krieger‘), fester Bestandteil der altnordischen Heldensage. Ihr Hauptheld ist der Seekönig (Wikingeranführer) Heðinn, der sich in Hild, Tochter des Kleinkönigs Hǫgni, leidenschaftlich verliebt und sie während der Abwesenheit ihres Vaters entführt. Das Paar wird vom Vater verfolgt und zum Schluss auf einer Insel eingeholt. Heðinn schickt Hild mit einer Buße und mit der Bitte um Versöhnung zu ihrem Vater. Aber Hǫgni verweigert beides und trifft sich mit Heðinn in blutiger Schlacht, in der Heðinn, Hǫgni und alle ihre Männer fallen. Hild, des Geliebten und des Vaters zugleich beraubt, geht in der Nacht auf das Schlachtfeld und erweckt alle Gefallenen zum Leben. Der unversöhnliche Vater und der Geliebte treffen sich aber am nächsten Tag in einem weiteren unerbittlichen Kampf, infolge dessen das Schlachtfeld am Abend wieder mit den Leichen aller Beteiligten übersät ist. Und so soll sich der Kampf der Hjaðningar bis zu den ragnarǫk, dem endgültigen Untergang der Welt und der Menschheit, Tag für Tag wiederholen. Die blutige Sage variiert in verschiedenen skandinavischen Aufzeichnungen stark.21 Keine Aufzeichnung wagt aber, die Geschichte mit so grobem Witz zu erzählen, wie die Skíðaríma. Das zeigt schon der Charakter der Hauptheldin Hild, die in den Quellen von einem in den tragischen Konflikt verstrickten liebenden Mädchen bis zu einer starken Persönlichkeit variiert, die in die Handlung tatkräftig eingreift, oder zumindest einzugreifen versucht. Nie wird sie als so passiv und hörig dargestellt wie in der Skíðaríma, in der sie auf das Heiratsangebot des unbekannten Bettlers antwortet: Heðni hefig heitið því,  hans eg skyldi bíða, en ef hann faðir minn fæz þar í  forsmáig ekki hann Skíða.22 Eigentlich hab’ ich gelobt, auf Heðinn, den Helden, zu warten; will’s der Vater nicht leiden, begnüg’ ich mich gern mit Skíði.

21 Für eine Übersicht siehe Rowe 2002. Die Geschichte wurde auch zum Thema des mittelhochdeutschen Heldenepos Kudrun, der die ganze Handlung in ein ritterliches Milieu versetzt. 22 Skí 122, Finnur Jónsson 1905–12,28. Die Übersetzung Rudolf Meissners benutze ich hier und im Folgenden, obwohl sie in Hexametern verfasst ist und metrisch nicht dem Original entspricht.

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Uns interessiert an der ganzen Geschichte besonders das Motiv des Konflikts und der Versöhnung von Hǫgni und Heðinn, Schwiegervater und Schwiegersohn. Für unseren Standpunkt ist wichtig, dass die alten Nordleute deren Verhältnis als die hartnäckigste, ja extremste Form der Fehde sahen, die in der Konfliktphase stehengeblieben ist und bei der kaum einer Chance auf Versöhnung bleibt. Einen Beweis dafür liefert der sogenannte Háttalykill inn forni, ein Gedicht des Orkadenjarl Rǫgnvaldr und des isländischen Dichter Hallr Þórarinsson. Das Gedicht formuliert die Frage „[Wer sind diejenigen,] welche sich kaum je versöhnen?“ und bietet die Antwort: „Hjaðningar immer kämpfen, die werden sich nie versöhnen.“23 In Skíðaríma finden sich beide Helden in Walhall (wo sie eigentlich als Lebende nichts zu suchen haben), sie stehen aber im permanenten Konflikt und „werfen sich Steine vor Wut an die Köpfe“.24 Schon die Tatsache, dass ihre Feindschaft in Walhall andauert, wirkt als Hohn an der Idee der jenseitigen Versöhnung, wie wir sie gesehen haben. Die Pointe des Witzes ist aber selbstverständlich die Tatsache, dass sie Hild, die Ursache der Feindschaft, ganz bedenkenlos dem armen Bettler übergeben und sich auf seine Zusprache hin auch versöhnen: Skíði veik að Hǫgna hér  ok hóf svó ræðu sína: ‚Hvað skal ek leggja í lófann á þér  þú leyfir mér mey svó fína.‘ Hǫgni segir, að hilmir má  Hildi sjálfur gipta ‚Hvergi kýs eg hærra á,  því hér er við dreng að skipta.‘ ‚Alt í heimi ynnig til,  að þið, Hǫgni, sættuz.‘ ‚Þeygi gengur þetta í vil,  þó þið Hildur ættuz.‘ ‚Mágur þinn eg verða vil,‘  veik svó Skíði að Hǫgna, ’verið kátir ok víkið til  víst við kónginn rǫgna. Hǫgni segir, að mágr hans má  mikið um þetta ráða – ‚séuð þið kvittir og sættiz þá,  signi guð ykkur báða.‘25 Skíði sprach zu Hǫgni gewandt: „Was kostet die Sache, dass du erlaubst, bei dem schönen Kind mein Heil zu versuchen?“ Hǫgni erwidert: „Wie Óðinn es wünscht, so geb’ ich die Tochter;

23 Hverir síðarla sætask? […] Hjaðningar æ berjask, þeir síðarla sættask (Hl 23a,3,6–7, Finnur Jónsson 1912, 498). Vgl. Judy Quinn (2006, 813) bezüglich Sǫrlaþáttr als zweite Referenz zu Hjaðningavíg: “Indeed far from the utopian vision of an endless cycle of sportive combat followed by bacchanalian feasting that is described in Grímnismál and Gylfaginning, Sǫrla þáttr fashions a picture of everlasting battle as ghastly and mawkish spectacle – without, it seems, either time on the sidelines or refreshment.” Und Versöhnung, darf man ergänzen. 24 Skí 88,4, Finnur Jónsson 1905–12, 24. 25 Skí 115–119, Finnur Jónsson 1905–12, 27–28. Ich musste hier Meissners Übersetzung leicht modifizieren, weil seine Versfolge vom Original abweicht.



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will nicht höher hinaus, du scheinst mir ein tüchtiger Bursche.“ [Skíði:] „Aber vor allem möchte ich, dass du dich mit Heðinn versöhnest.“ [Hǫgni:] „Das wirst kaum geschehen, auch wenn ich Hilde zur Frau dir gebe.“ [Skíði:] „Nein, dein Schwiegersohn bleib’ ich, das ist nun bestimmt und beschlossen. Aber so seid doch gemütlich, versöhnt euch, Óðinn zuliebe.“ [Hǫgni:] „Schwiegersohn! Ja, wie du meinst: an mir soll’s wahrlich nicht fehlen.“ [Skíði:] „Macht drum friedlich ein Ende, und Gott mag segnen euch beide.“

Die Nichtigkeit des Versöhnungsmotivs, die im Gegensatz zu der Dauerhaftigkeit des Konflikts steht, das leichtsinnige „lass sie denn fahren …“ pointiert die Parodie. Wenn aber eine Sache parodiert wird, muss es sie auch geben. Und die meisterhaft parodierte Versöhnung, die die an sich tragische Geschichte der Hjaðningar abschließt, zeigt den Ernst, den die endgültige Versöhnung der lebenslangen Feindschaft haben musste.26 Dass der unbekannte Verfasser der Skíðaríma die Idee der Versöhnung im Jenseits kannte und im Stande war, sie wohl zu nutzen, beweisen auch andere Stellen, wie beispielsweise die, in denen der Gott Þórr Skíði die in Walhall versammelten Helden der Vorzeit zeigt. Unter ihnen ist auch ein Bruderpaar der Heldensage zu sehen: Reginn und Fáfnir. Es handelt sich um zwei Söhne von Hreiðmarr, die nach seinem Tod in Streit wegen des Erbes geraten. Fáfnir verwandelt sich in einen Drachen und hütet das Gold, wobei Reginn den jungen Held Sigurðr dazu bewegt, Fáfnir zu töten und das Gold zu rauben. Soweit die Heldensage, die jetzt Skíðaríma mit einem grotesken Nachklang schmückt (Skí 82): Die Brüder sind nun versöhnt in Walhall und Reginn sitzt gemütlich zusammen mit seinem Bruder, der, wie wir später erfahren, immer noch in Drachengestalt ist. Mit dem Bild von zwei Brüdern, von denen einer den anderen getötet hat, jetzt aber mit ihm versöhnt sitzt, verlassen wir die humorvolle Skíðaríma und gehen zu einem ernsteren Beispiel über.

26 Die Unversöhnlichkeit, die sich in der Vorstellung des Kampfes der Hjaðningar zeigt, erweckte in der christlichen Zeit mehr Reaktionen und die Idee des Heldenkampfes, der bis zu den ragnarǫk, heidnischer Vorstellung des Weltuntergangs andauern sollte, war offensichtlich als ein Vorstoß gegen die christliche Ethik und Eschatologie empfunden. Das zweite Beispiel findet sich im erwähnten Sǫrla þáttr, wo aber der Konflikt in ernsterer Weise gelöst wird. Der Streit wird hier durch einen Eingriff des norwegischen Missionskönigs Óláfr Tryggvason beendet (Sǫrla ix, Finnur Jónsson 1944, 108–110; vgl. Quinn 2006, 813–815). Auch die mittelhochdeutsche Version in Kudrun gibt der Geschichte ein neues friedliches Ende.

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‚Alle setzen sich zusammen.‘ Baldr und Hǫðr Es handelt sich um das wahrscheinlich bekannteste Beispiel einer Versöhnung nach dem Tode, deren Protagonisten der bereits erwähnte Gott Baldr und sein Bruder Hǫðr sind: Von dem Bösewicht Loki angestiftet, schießt der blinde Gott Hǫðr mit einem Mistelzweig auf Baldr, tötet ihn und wird dann selbst in einem Racheakt von Óðinns Sohn Váli getötet. In Hel (altnordische Unterwelt) überleben Baldr und Hǫðr die ragnarǫk und regieren dann mit anderen Göttersöhnen die neue Welt, die nach dem Untergang der alten entsteht. Dabei kommt es auch zu einer Versöhnung zwischen dem Mörder und seinem Opfer: Upp skýtr jǫrðunni þá ór sænum ok er þá grœn ok fǫgr, vaxa þá akrar ósánir. Víðarr ok Váli lifa, svá at eigi hefir særinn ok Surta-logi grandat þeim […] ok þar koma þá sønir Þórs, Móði ok Magni […] Því næst koma þar Baldr ok Hǫðr frá Heljar; setjask þá allir samt ok talask við […].27 Die Erde steigt aus dem Meere empor und ist grün und schön; auf den Feldern wächst es ohne Aussaat. [Óðinns Söhne] Víðarr und Váli sind am Leben, da weder die See noch Surts Lohe ihnen etwas angehabt hat […] Dahin kommen auch Þórrs Söhne, Móði und Magni […]. Dann kommen dorthin auch Baldr und Hǫðr aus der Hel. Alle setzen sich zusammen und unterhalten sich […].

Die Versöhnung nimmt hier wieder eine ähnliche Form an. Die überlebenden Götter, darunter auch Hǫðr, der Mörder, und Baldr, sein Opfer, setjask allir samt, („setzen sich alle zusammen“). Zwar nicht til drykkju, „zum Trinken“ (wie die einherjar), sondern zur Unterhaltung, es ist aber kaum zu bezweifeln, dass es zu einer Versöhnung kommt und sogar einer doppelten: Der Gott Váli, der noch vor den ragnarǫk Baldr gerächt und Hǫðr erschlagen hat, ist nämlich auch anwesend.28 Dass Baldr und Hǫðr, Mörder und Opfer, die neue Welt gemeinsam regieren, betont auch die Vǫluspá, die vollkommenste Beschreibung der altnordischen Kosmogonie und vielleicht das berühmteste altnordische Gedicht überhaupt:29 Muno ósánir  acrar vaxa, bǫls mun allz batna,  Baldr mun koma: búa þeir Hǫðr ok Baldr  Hroptz sigtóptir, vel, valtívar   ‒ vitoð ér enn, eða hvat?

27 Snorri, Gylf lii, Finnur Jónsson 1900, 66; Übersetzung Gustav Neckel/Felix Niedner. 28 Freilich ist beachtenswert, dass in Bezug auf die Konstellation Baldr  – Hǫðr  – Váli der Begriff ‘Versöhnung‘ in den Quellen nie explizit erwähnt wird. Mit Recht bemerkt aber Neckel (1920, 64), dass sich die Versöhnung unter dem vel in der unten zitierten Vǫluspá-strophe verstecken kann. Er weist auf die Bindung zwischen dem Adverb vel und dem Adjektiv ásáttr in den juristischenWendungen wie verða vel ásáttir (Grágás) oder nú er vel, ef þeir verða ásáttir (Gulaþingslǫg). 29 Vsp 62–63, Neckel 1983, 14; Übersetzung Arnulf Krause 2011, 25  f.



Versöhnung im Jenseits 

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Þá kná Hœnir  hlautvið kiósa, oc byrir byggia  brœðra tveggia vindheim víðan   ‒ vitoð ér enn, eða hvat? Die Äcker werden  unbesät wachsen, aller Schaden wird sich bessern,  Balder wird kommen; Höd und Balder wohnen  auf Hropts [=Óðinns] Kampfstätte [=Walhall], Heiligtum der Walgötter.   - Wisst ihr nun noch etwas? Da kann Hönir [ein Gott]  den Loszweig wählen, und die Söhne beider  Brüder bewohnen das weite Windheim [= Himmel]   - Wisst ihr nun noch etwas?

Baldr und Hǫðr kommen in die neue Welt direkt aus Hel (frá Heljar). Deshalb darf dieses Beispiel in unserem Rahmen nicht fehlen, obwohl es sich hier nicht um die Versöhnung nach dem Tod, sondern nach dem allgemeinen Untergang handelt. Wir beobachten hier – jetzt im kosmologischen Kontext – wieder dasselbe Schema: Der Gang durch Tod und Totenreich verwischt die Feindseligkeit und vergangenes Übel.30 Nur der bescheidene Tod Einzelner wird hier durch Weltuntergang ersetzt. Die Figur Baldrs und besonders die Szene seines Rückkehrs, des darauffolgenden Wohlstands und besonders der friedlichen Versöhnung wurden von vielen Forschern als „unnordisch“ empfunden und es wurde große Mühe darauf gelegt, sie durch Parallelen in anderen Religionen zu erklären und zu deuten. Baldrs Wurzel wurden in indischen, vorderasiatischen, antiken und  – selbstverständlich  – christlichen Vorstellungen gesucht, weitere Analogien dann in ossetischen, finnischen und zoroastrischen Überlieferung.31 Die meisten Forscher des zwanzigsten Jahrhunderts folgten grundsätzlich die Worten, mit denen Gustav Neckel die Forschung des 19. Jahrhunderts verurteilt hat: „[Die älteren Erklärungen des Mythos] drehten sich um den Satz, dass der Mythos etwas ‚bedeuten‘ müsse, nicht um den, der für uns heute im Mittelpunkt steht, dass er entstanden sein müsse“.32 Trotz dem, dass Neckel diese Vorgehensweise lobend als „historisch“ bezeichnete und in positiven Gegensatz zu der älteren „unhistorischen“ Forschung stellte, wirkt sie heute überhaupt nicht so überzeugend wie im Jahre 1920, in dem Neckel seine Worte

30 Diese Tatsache widderspricht m.  E. der Hypothese von John Stanley Martin, dass nämlich der Mythos von Baldrs Rückkehr vom ragnarǫk-Mythos unabhängig ist und mit ihm erst sekundär verschmolzen wurde (Martin 1972,138, 140). 31 Für die antiken Analogien siehe Bugge 1889, für die christlichen wieder Bugge 1889, weiter auch Ólsen 1894, 79, Meyer 1889, 18, Turville-Petre 1964, 119 und zuletzt auch Pesch 2015, für die finnischen Fromm 1963 und Turville-Petre, 1964, 118, für die indischen Wikander 1947, 27–39 und Dumézil 1973, 63–4, für die ossetischen Dumézil 1959, für die vorderasiatischen Neckel 1920 und Turville-Petre 1964, 117–118 und für die zoroastrischen Rydberg 1889, 6–182 und Ström 1967, 194. Die Liste ist keinenfalls erschöpfend. 32 Neckel 1920, 259.

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formulierte. Die Frage, woher der Einfluss gekommen ist, und ob man überhaupt mit einem Einfluss rechnen sollte, wurde bis heute nicht mit Sicherheit beantwortet. Die Antworten bleiben an der Ebene von Hypothesen und bleiben letzendlich unbeweisbar. Mit Recht fragt Kurt Schier in seinem nüchternen und kritischen Aufsatz zum Thema: „Beruhen [die postulierten Übereinstimmungen] nur auf typologischen Entsprechungen, oder müsste man mit Wanderung eines solchen Mythos rechnen?“33 Und man muss, glaube ich, sein Endurteil eindeutig bejahen, mit dem er die Suche nach den Ähnlichkeiten zwischen dem altnordischen Baldr und altorientalischen sterbenden Gottheitenden resummiert: „Zunächst sehe ich nur bestimmte typologische Übereinstimmungen, oder anders: Die verschiedenen […] Mythen und Kulte, deren gegenseitiges Verhältnis ja keineswegs klar ist, sollen zunächst nur als Vorstellungsmodelle dienen. Es soll daran auch gezeigt werden, dass zum Verständnis religiöser Zeugnisse die einfachen, plausiblen, scheinbar selbstverständlichen Erklärungen nicht immer die besten sind.“34 Und der Satz, glaube ich, gilt nicht nur im Fall der orientalischen sondern auch im Fall aller anderen vermutlichen Parallelen des Baldr-Mythos. Zudem kommt auch ein anderer wichtiger Einwand gegen diese Interpretationsmethode, konkret gegen die Ansicht, dass die beste Deutung eines Mythos durch seine Entstehungsgeschichte zu gewinnen ist. Ist es aber wirklich so? Besteht die Bedeutung eines Mythos nicht eher in seiner Rolle im semantischen Universum der Kultur, in seiner Beziehung zu anderen Mythen und nicht zuletzt in seinem Zusammenhang mit der Welt des Alltags –kurz in seinem Leben im Ganzen der Mythologie und Gesellschaft – als in seiner Prähistorie? Falls man diese Frage mit ja beantwortet – und anders ist sie meiner Meinung nach kaum zu beantworten – muss man mit dem Baldr-Mythos ganz anders umgehen, ähnlich wie es John Lindow in Murder and Vengeance Among the Gods oder Frederik Stjernfelt in Baldr og verdensdramaet taten. Und das gilt auch für den Schluss des Mythos, der die doppelte Versöhnung zwischen Baldr, Hǫðr und Váli schildert. Die neue Welt weist überraschende Züge auf, zu denen man in den altnordischen Weltschilderungen nur wenige Parallelen findet und die fast idyllisch anmuten: Sér hon upp koma  ǫðro sinni iorð ór ægi,  iðiagrœna; falla forsar,  flýgr ǫrn yfir, sá er á fialli  fisca veiðir.35 Sie [= die Seherin] sieht ein zweites Mal  aufsteigen die Erde aus dem Meer,  die neu ergrünte; Wasserfälle stürzen,  darüber fliegt der Adler, der auf dem Felsen  Fische jagt.

33 Schier 1995, 127. 34 Schier 1995, 148. 35 Vsp 59, Neckel 1983, 14; Übersetzung Arnulf Krause 2011, 25.



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Aber muss der Ursprung dieser seltsamen Weltbeschreibung wieder in fremden Einflüssen gesucht werden? Preben Meulengracht Sørensen hat darauf hingewiesen, dass die überzeugendste Parallele zu den Schlussbildern der Vǫluspá in den Bildern der Tryggðamál zu finden ist, des rechtlichen Spruches, der bei Beilegung von Fehde rezitiert wurde (Es handelte sich um temporär gehobene Form von grið, die für Ewigkeit dauern sollte):36 En sá ykkar   er gengr á gǫrvar sáttir   eða vegr á veittar tryggðir, þá skal hann   svá víða vargr,   rækr ok rekinn,   sem menn víðast  varga reka,   kristnir menn  kirkiur sœkia,   heiðnir menn  hof blóta,   eldr upp brennr,  iǫrð grœr,     mǫgr móður kallar     ok móðir mǫg fœðir,     aldir elda kynda,   skip skríðr,  skildir blíkia,   sól skínn,  snæ leggr,   Finnr skríðr,  fura vex,   valr flýgr  várlangan dag,   stendr honum byrr beinn  undir báða vængi,   himinn hverfr,  heimr er byggðr,   vindr þýtr,  vǫtn til sævar falla,     karlar korni sá. Doch wer von euch     angreift den Urfehdeschwur     oder zertrümmert das Treugelöbnis, der sei     so weit wölfisch,     friedlos und flüchtig,   soweit Menschen  Wölfe jagen,   Christenmenschen  Kirchen besuchen,   Heiden opfern  im Heiligtum,   Feuer flammt  die Erde grünt,     Knabe Mutter ruft,     Mutter Knaben nährt,     Leute Lohe fachen;   Schiff schwimmt,  Schilde blinken,   Sonne scheint,  Schnee fällt,

36 Tryggð iv.A-B1, Vogt 1936, 171 (Übersetzung Felix Genzmer). Neu und umfassend zu den ­Tryggðamál siehe Riisoy 2016, 149–150.

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  Finne Schi läuft,  Föhre wächst,   Falke fliegt  frühlingslangen Tag,   steht ihm Brise frisch  unter beiden Flügeln,   Himmel sich wölbt,  Heim bewohnt ist,   Wind braust,  Wasser zur See fallen,     Knechte Korn säen.

Preben Meulengracht Sørensen weist auf die parallelen Bilder der grünenden Erde (jǫrð grœr, jǫrð iðjagrœna), des fallenden Wassers (falla forsar, vǫtn til sævar falla) und des fliegenden Raubvogels (flýgr ǫrn, valr flýgr) und sagt dazu: Wir können nicht sagen, welche von den zwei Stellen die ältere ist und ob die eine als Vorlage für die andere diente. Der einzige Schluss, den wir mit Wahrscheinlichkeit ziehen können, ist der, dass den beiden Stellen eine gemeinsame Vorstellung über Welt und Raum zugrunde liegt und dass diese Vorstellung im Bilde des fliegenden Raubvogels ihren Ausdruck fand.37

Meiner Meinung nach kann man einen Schritt weitergehen: Die Strophen der Vǫluspá beschreiben die neue Welt, zu der die Versöhnung gehört und die nach dem Untergang der alten Welt entsteht, die auf dem unüberwindbaren Konflikt zwischen den Göttern und ihren Gegnern beruhte. Der Text der Tryggðamál beschreibt die positive Welt, aus welcher der, der die Versöhnung gebrochen hat, herausgejagt werden soll. Beiden Fällen gemeinsam ist die Anschauung, dass die Überwindung des Konflikts Grund für das Positive der Welt ist. In den Bildern der Vǫluspá und der Tryggðamál haben wir eher mit einer alten Poetik der Versöhnung als mit einem fremden Einfluss zu tun. Es ist ein Bild der wohl geordneten Welt, in der die Versöhnung nicht fehlen darf. Der Mythos von Baldr und Hǫðr samt ihrem Ende zeigt die Bedeutung, die der Versöhnungsgedanke für den altnordischen Menschen hatte.

„Sie verglichen sich nun in ehrlicher Versöhnung“ Die Beispiele der Versöhnung im Jenseits, die wir betrachtet haben, sind nicht zahlreich, dennoch decken sie ein relativ breites Spektrum der Ausdrucksformen der archaischen Gesellschaft ab: Kosmologie (Baldr und Hǫðr bzw. Hǫðr und Váli), Eschatologie (einherjar), politisch aktualisierter Mythos (Eiríksmál, Hákonarmál) sowie ironische Polemik gegen die heidnische Heldensage seitens des Christentums (Skíðaríma). Trotz der Mannigfaltigkeit des Standpunkts lassen sich die versöhnungsbegleitenden Akten in vier Hauptformen kategorisieren:

37 „Vi kan intet sige om, hvilket af de to udtryk, der er ældst, eller om det ene har ligget til grund for det andet. Det som vi med sandsynlighed kan sluttet, er, at der har ligget en fælles forestilling om verden og rummet til grund for de to halvstrofer, og at denne forestilling har haft et af sine udtryk i billedet af den flyvenden rovfugl“ (Sørensen 2000, 345).



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I) gemeinsames Sitzen (einherjar, Skíðaríma, Baldr – Hǫðr - Váli) II) Begrüßung und gemeinsames Sprechen (Hákonarmál, Baldr – Hǫðr - Váli) III) Angebot des Tranks und gemeinsames Trinken (einherjar, Eiríksmál, Hákonarmál) IV) Sicherheitsspruch (Hákonarmál)

Diese vier Hauptformen umspannen in einer straffen Reduktion weite Teile der menschlichen und der gesellschaftlichen Lebenserfahrung. Das gemeinsame Sitzen führt in den Bereich der körperlichen Gestik ein, zeigt Entspannung und Beruhigung der Racheaffekte. Das Angebot des Trankes und gemeinsames Trinken verweisen einerseits auf körperliche Nahrung, beinhalten aber schon einen Teil der menschlichen Kultur.38 Den Übergang ins Soziale deutet dann grið (‚Geleitschwur‘), eine feste soziale und rechtliche Institution, die zwar ihre physische Seite hat, bei der aber der verbale Anteil überwiegt. Fortsetzen lässt sich diese Aufstellung durch Begrüßen und gemeinsames Reden, was den sozialen, kulturellen und geistigen Bereich umfaßt. Dennoch wäre es ein Fehler, wenn wir die vier geschilderten Akte, die die Versöhnung begleiten, nur auf mythische und sagenhafte Überlieferung begrenzen wollten und man könnte eine Unmenge von Beispielen zitieren, wo dieselben Handlungen die realistisch beschriebenen Versöhnungsszenen in Sagas begleiten. Das bezeugt z.  B. das vielleicht berühmteste Beispiel der Versöhnung in der Sagaliteratur, wie eine Szene der Njáls saga, die das Treffen der erbitterten Feinde Kári Sǫlmundarson und Flosi Þórðarson beschreibt: Þeir urðu heldr síðbúnir, ok siglðu þó í haf ok hǫfðu langa útivist; en um síðir tóku þeir Ingólfshǫfða ok brutu þar skipit allt í spánn; þar varð mannbjǫrg. Þá gerði á hríð veðrs. Spyrja þeir nú Kára, hvat nú skal til ráða taka, enn hann sagði þat ráð at fara til Svínafells ok reyna þegnskap Flosa. Gengu þeir nú heim til Svínafells í hríðinni. Flosi var í stofu; hann kendi Kára, er hann kom í stofuna, ok spratt upp í móti honum ok mintiz til hans ok setti hann í hásæti hjá sér. Flosi bauð Kára at vera þar um vetrinn. Kári þá þatt. Sættuz þeir þá heilum sáttum.39

38 Wir wissen, dass das Trinken in den archaischen Gesellschaften bestimmten Regeln und Normen folgte, die die Hierarchie und die gegenseitigen Verhältnisse der Trinkenden berücksichtigten und mit deren Hilfe feine Nuancen der gesellschaftlichen Ordnung zum Ausdruck gebracht werden konnten (siehe Znojemská 2017). Bemerkenswert ist, dass auch die Tryggðamál, der große Friedensspruch der altnordischen Rechtsliteratur das gemeinsame Essen und Trinken ausdrücklich erwähnt. „Ihr sollt sein /versöhnt und gesellt/bei Met und Mahl […] Teilen sollt ihr / Messer und Mahl “ (skuluð vera menn / sáttir ok samværir / at ǫldri ok at áti […] it skuluð deila / kníf ok kjǫtstykki […] - Tryggð ii.1–2, Vogt 1936, 168; Übersetzung von Felix Genzmer). Die Meinung Vilhelm Grønbechs, dass „Ein Vergleich galt nicht, bevor er nicht durch Tischgenossenschaft bestätigt worden war,“ ist zwar übertrieben, aber die angeführten Formen können doch dem Verlauf der Versöhnung der Praxis entsprechen (Grønbech 1954, 92). „Die endgültige Erledigung von Zwistigkeiten geschah bei den Germanen durch gemeinschaftliches Essen und Trinken“ (Gschwantler 2010, 242). 39 Nj clix Finnur Jónsson 1908, 421; Übersetzung Andreas Heusler.

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Sie wurden ziemlich spät fertig und segelten dennoch in See und hatten eine lange Überfahrt. Endlich erreichten sie das Ingólfshǫfði, und dort zerschellte ihnen das Schiff in Tausend Stücke; die Menschen konnten sich bergen. Da brach ein Unwetter herein. Sie fragten nun den Kári, was man jetzt anfangen solle, aber er sagte, das Richtige sei, nach Svínafell zu gehen und die Ehrenhaftigkeit Flosis zu erproben. Sie gingen denn ohne Verzug zum Hofe Svínafell. Flosi war in der Stube; er erkannte Kári, als er in die Stube kam, und sprang auf vor ihm, küsste ihn und setzte ihn auf den Hochsitz neben sich. Flosi lud Kári ein, den Winter bei ihm zu bleiben. Kári nahm dies an. Sie verglichen sich nun in ehrlicher Versöhnung.

Die Njáls saga gehört zu den Familiensagas, in denen das christlich-kontinentale Lehngut am häufigsten untersucht wurde, und das mit gutem Grund. Wenn dabei aber leichtfertig und fast automatisch auch die angeführte Versöhnungsszene als Beleg dafür angeführt wird, wäre hier eine stärkere Differenzierung angebracht. Andersson sagt zu Recht in seinem bereits erwähnten Beitrag: Signs of moderation in the sagas are regularly attributed to Christian influence. But the concept of moderation is older than Christianity and has hardly been a notable feature of the Christian teaching.40

Auch Hermann Kamp betont, dass zwar „das Christentum […] eine Gruppe von Leuten entstehen [ließ], die die Sorge um Frieden als ihre Angelegenheit betrachteten“ aber es hat „die Isländer die Friedensstiftung nicht erst gelehrt“.41 Eine interessante Frage wäre dann, inwiefern das neue Christentum an den bestehenden Versöhnungs­ gedanken anknüpfen wollte und konnte. Und die Antwort scheint eher negativ zu sein. In den durch Ernst Walter verarbeiteten latein-altnordischen Übersetzungswerken findet sich keine altnordische Übersetzung eines christlich-dogmatischen Terminus, die mit dem Stamm sætt-, sátt- gebildet wäre.42 Dem Bereich dominieren die Bildungen fyrirgefa, fyrirgefning, lausn, aflausn, líkn und ähnliche, die wieder in der Richtung Vergeben/Begnädigung gehen und nicht auf Versöhnung im eigentlichen Sinne zielen.43 Die Idee der Versöhnung ist in der abendländischen Kultur von heute meist, nicht zu Unrecht, mit dem Christentum verbunden. Niemand bezweifelt, dass Versöhnung und Vergebung zu den Grundwerten der christlichen Ethik geworden sind, und es wird auch kaum angezweifelt, dass das Christentum die Versöhnung in den weltlichen Konflikten stark unterstützte. Das gilt nicht minder für das skandinavische Christentum, man bedenke nur den Schluss der Þorgils saga ok Hafliða, wo die anrüh-

40 Andersson 1970, 592. 41 Kamp 1994, 403. 42 Siehe Walter 1969 und Walter 1976. 43 Kahle 1890, 405  f.



Versöhnung im Jenseits 

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rende Rede des zukünftigen Bischofs Ketill Þorsteinsson an Hafliði Másson zu einer friedlichen Lösung des Konflikts führt.44 Das muss jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, dass Versöhnung in den vorchristlichen Kulturen Europas gar keine Rolle spielte. Im Gegenteil: Es ist offensichtlich, dass gerade in den Kulturen, in denen die Rache ein wichtiges Mittel zur Aufrechthaltung der sozialen Stabilität war (sogenannte feuding societies), die Versöhnung als Regulator der potenziell destruktiven Rachekräfte eine viel größere Bedeutung haben musste als in den Gesellschaften, welche die Rache aus dem Bereich des Rechts gestrichen hatten. Die Versöhnung ist an gewisser Stelle der Staatsentwicklung unumgänglich, sie ist eine Idee, deren Geltung nicht nur auf eine Gesellschaft und eine Religion begrenzt werden darf und dementsprechend auch in der Literatur nicht fehlt. Das vielleicht bekannteste Zeugnis stellt die große Versöhnungsszene der Ilias dar, der man eine große Anzahl an Beispielen aus der griechischen, römischen, irischen, albanischen und südslavischen Literatur zur Seite stellen kann.45 Und die zitierte Szene der Njáls saga darf man mit gutem Gewissen ihnen zurechnen.

Fazit: Menschen und Götter Mehrere Forscher haben darauf hingewiesen, dass der Mythos von Baldr und Hǫðr mit seiner Struktur von Konflikt  – Klimax (Tötung)  – Rache  – Versöhnung sehr an die isländischen Familiensagas erinnert, die meist dem gleichen Ablauf folgen, was wiederum dem gewöhnlichen Verlauf der Fehde entspricht. John Lindow sagt: If I am right, the Íslendingasǫgur and the mythology […] shared a basic narrative curve […] Something like this structure could easily be applied to the whole of Scandinavian mythology if it is systemized, especially if the Baldr story is placed at its center […] With respect to feuding, then, we might regard the mythology as one form of theory (law would be another) and the Íslendingasǫgur (and contemporary sagas) as praxis […].46

44 Stu i.25, Kålund 1906–1911, 42–43. Es ist trotzdem bemerkenswert, dass in der eigentlichen dæmisaga des Bischofs eher von Vergebung (gefa upp) als von „Versöhnung“ gesprochen wird. Derselbe Problem betrifft viele oft angeführte Beispiele, die beweisen sollen, dass die Idee der Versöhnung im Altnordischen mit dem Christentum verbunden wurde, z.  B. die Stelle in der Árna saga biskups, wo der isländische Bischof Árni Þorláksson mit dem heiligen Ambrosius verglichen wird, weil er für seinen toten Feind betet (ok veitti Árni byskup honum þá fagrliga bœn móti mǫrgum meingerðum, eigi ólíkt þeim Ambrosio er fyrir þeim mǫnnum bað eptir dauðann er hans mótstǫðumenn vóru í lífinu - ÁBp cxlv, Grímssdóttir 1998, 204). Hier handelt es sich wieder nicht um Versöhnung, sondern um Vergebung. 45 Il xix.56–275, Murray 1993, 340–357. 46 Lindow 1997, 179, 177, 178.

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Ähnlich bemerkt Neckel in Bezug auf den Baldr-Mythos, dass die altnordische Götterwelt „eine mythisch verkleidete Menschenwelt ist“.47 Das ist einerseits gewiss richtig, andrerseits ist gerade der mythische Charakter dieser Welt wichtig, der ihn von dem Alltäglichen deutlich sondert. Und es wäre m.  E. zu eng, den Baldr-Mythos auf die Ebene von „part of social charter, and therefore myth in Malinowskian sense“ zu reduzieren, wie es Lindow zu tun scheint.48 Den alten Skandinaviern und schon den alten Germanen musste die Dynamik von Konflikt und Versöhnung aus dem alltäglichen Leben wohl bekannt gewesen sein. Bereits Tacitus spricht von einem permanenten Wechsel von Streit, Wunden und Mord (conviciis […] caede et vulneribus) einerseits und Versöhnung (reconciliatio) andrerseits, als einem typischen Merkmal des gewöhnlichen germanischen Trinkgelages.49 Die Präsenz von Versöhnung in Heldensage und Mythos zeigt aber, dass ihre Gültigkeit für die alten Nordleute das Alltägliche hoch überstieg. Durch Mythos und Heldensage und damit verbundenen Jenseitsvorstellungen wurden Versöhnung und Beilegung des Konflikts sogar in Fällen angestrebt, in welchen sie in der realen Welt nicht stattfinden konnten. Das zeigt vor allem der Baldr-Mythos, wo die Versöhnung auf die göttliche Ebene gehoben und in Zusammenhang mit den ragnarǫk gebracht wird. Die Tötung und die Versöhnung laufen hier parallel zum Weltuntergang und der Entstehung der neuen Welt: Der Konflikt wird hier mit dem allgemeinen Vernichtung verbunden, die Überwindung des Konflikts entspricht hier der Wiederherstellung der kosmischen Ordnung.50 Der Mythos sieht die Fehde und ihren friedlichen Abschluss aus einer höheren Perspektive und gibt ihnen deshalb auch eine tiefere Bedeutung.51

47 Neckel 1920, 64. 48 Lindow 1997, 177. 49 Tac. Germ. xxii., Koestermann 1949, 14. 50 „Murderer and victim [Baldr und Hǫðr] can together inherit and inhabit their father’s patrimony. Only the end of the former world order can make possible this ‚solution‘ […] Ragnarǫk purges all […] flaws“ (Lindow 1997, 166, 171). Lindow sieht den Hauptsinn des Baldr-Mythos in der Vergegenständlichung eines „flaw“ im realen Rachesystem, nämlich dass er nicht im Stande war, den Totschlag innerhalb der Familie zu regulieren. Aber von wie vielen Totschlägen innerhalb der Familie berichten die Familiensagas? Soll der Mythos, den mehrere Forscher als „die grundlegende mythische Struktur der nordischen Mythologie“ bezeichnet haben (Stjernfelt 1990, 62, vgl. de Vries 1955, 46), durch die wenigen Beispiele des Totschlags innerhalb der Familie (die noch dazu meistens der Heldensage angehören) erklärt werden? 51 Der Autor wurde während der Arbeit an dieser Studie von dem Programm Progres Q07 der KarlsUniversität Prag unterstützt (Subprogram Centrum pro studium středověku). Mein persönlicher Dank geht an Eva Pfab, die mein Deutsch dem deutschen Leser zugänglich machte.



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Axboe, Fig. 2: The Gudum figurine, front and back. Height 9.0 cm. Photo A. Mikkelsen, Nationalmuseet.

Axboe, Fig. 3: The head seen from different angles. Height 4.50 cm. Photo M. Petersen, Museum Vestsjælland.

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Axboe, Fig. 6: The mounts from Søholt Skov, Lolland. Left mount height 6,2 cm. Photo R. Fortuna/K. Ursem/L. Larsen.

Axboe, Fig. 7: Details from the Ålleberg collar. After Pesch 2015a, 429 und Taf. 15.

Behr, Abb. 1: Vorder- und Rückseite des Goldbrakteaten aus Orsett, Essex (IK 659), Durchmesser 24,1 mm. © The Trustees of The British Museum.



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Behr, Abb. 3: Goldbrakteat aus King’s Field, Kent (IK 456), Durchmesser 27,8 mm. © The Trustees of The British Museum.

Düwel, Abb. 1: Goldbrakteat IK 128 Nebenstedt I-B, Durchmesser 2,85 cm. Foto: Landesmuseum Hannover.

Düwel, Abb. 3: Goldbrakteat von IK 128 Nebenstedt I-B. Aus: Grundlagen der germanischdeutschen Sprachkunde & Vor- & Früh-Geschichte. [Handschrift] 1935, 217.

Düwel, Abb. 6: Revers des Goldsolidus von Schweindorf, Durchmesser 2,2 cm. Photo: Ostfriesisches Landesmuseum.

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Gardeła, Fig. 1: Artistic reconstruction of the Gerdrup grave (Zealand, Denmark). Illustration by Mirosław Kuźma. © Leszek Gardeła and Mirosław Kuźma.

Gardeła, Fig. 2: Artistic reconstruction of grave A505 from Trekroner-Grydehøj (Zealand, Denmark). Illustration by Mirosław Kuźma. © Leszek Gardeła and Mirosław Kuźma.



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Gardeła, Fig. 3: Artistic reconstruction of grave BB from Bogøvej (Langeland, Denmark). Illustration by Mirosław Kuźma. © Leszek Gardeła and Mirosław Kuźma.

Gardeła, Fig. 4: 1. Armed female figure from East Midlands, England. After Portable Antiquities Scheme (www.finds.org.uk). 2. Armed female figure from Galgebakken/Vrejlev, Denmark. After Varberg 2011, 82. 3. Armed female figure from Wickham Market, England. After Portable Antiquities Scheme (www.finds.org.uk). 4. Representations of female figures on the Oseberg tapestry. After Pesch 2005, 125. 5. Three-dimensional female figure from Hårby, Denmark. Photo by Arnold Mikkelsen.

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Gardeła, Fig. 5: 1–2. Armed female and rider from Tissø, Denmark. After Petersen 2005, 77. 3. Armed female and rider from Stentinget, Denmark. After Petersen 2005, 77. 4. Armed female and rider from Truso (Janów Pomorski), Poland. After Jagodziński 2010, 106. 5. Armed female and rider from Bylaugh (Norfolk, England). Photo by Tim Pestell. Used by kind permission of Norwich Castle Museum and Art Gallery.

Gardeła, Fig. 6: Selection of iron staffs from the collections of Statens Historiska Museum, Stockholm, Sweden. 1. Staff from grave Bj 834 at Birka (Adelsö sn., Uppland, Sweden). 2. Staff from grave Bj 760 at Birka (Adelsö sn. Uppland, Sweden). 3. Staff from grave Bj. 845 at Birka (Adelsö sn., Uppland, Sweden). 4. Staff from Gnesta (Södermanland, Sweden). 5. Staff from Aska mound 1 (Hagebyhöga sn. Östergötland, Sweden). 1a-5a. Details of the staffs’ handles. All photographs by Leszek Gardeła.



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Kjesrud, Fig. 2: The altar frontal from Odda church. c. 1325–1350. Photo: Svein Skare, Universitetsmuseet Bergen ©

Kjesrud, Fig. 3: Map showing the route from Odda (Hildal in the upper left corner) to Røldal (lower right corner)(Amtskartene 1867). The medieval road is marked out with a single stroke and runs almost parallel with the “mail-road” from the 18th/19th century, signified with a double stroke.

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 Tafelteil

Kjesrud, Fig. 4: Medieval road along Seljestadjuvet. Several sections of the medieval road are still apparent and used as a hiking path in today’s landscape. The route runs through several spots with a terrific view over the mountains, waters and nature. The height of the mountain is around 1070 meters at its highest point, and there are certainly physical challenges on this road. We must assume that this route was only available in the summer months. Photo: K. Kjesrud.

Kjesrud, Fig. 5: Stairs on the old road from Odda to Røldal. Photo: K. Kjesrud.



Tafelteil 

Marold, Abb. 3: Vergoldete Vorderseite der Fibel von Skabersjö, Anfang 8. Jahrhundert. Breite 14,3 cm. Foto © Dänisches Nationalmuseum.

Marold, Abb. 4: Fibel von Skabersjö, Detail mit Runeninschrift am Rande auf der Rückseite. Foto © Dänisches Nationalmuseum, Fotograf: Roberto Fortuna.

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Nedoma, Päffgen, Düwel, Abb. 1: Fragment eines römischen Weihesteins mit der Darstellung von Diana und Apoll, geborgen 1902 bei der von Ludwig Lindenschmit durchgeführten archäologischen Begleitung des Bauvorhabens in der Bauerngasse 13 in Mainz. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).

Nedoma, Päffgen, Düwel, Abb. 6: Der 1902 in der Bauerngasse 13 in Mainz gefundene runde Glaskameo mit Runeninschrift. Maße L. 2,6 cm, H. 2,8 cm. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).

Nedoma, Päffgen, Düwel, Abb. 7: Der 1902 in der Bauerngasse 13 in Mainz gefundene ovale Glaskameo mit dunkler Grundplatte und weißer Darstellung eines Meerwesens. Maße: L. 5,3 cm, H. 3 cm. Foto: GDKE Landesmuseum Mainz (Ursula Rudischer).



Tafelteil 

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Oehrl, Abb. 17: Handschrift des Osterhymnus Carmen paschale des Sedelius Coelius, Antwerpen, M 17.4, fol. 15v und 16r (2. Drittel des 9. Jh.). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Museum Plantin-Moretus, Antwerp.

Pesch, Abb. 1: Die 1,8 cm hohe Silberfigur aus Lejre, genannt „Odin“. Foto: Ole Malling, ROMO, Zeichnungen: Rune Knude/Zoomorgraphic (mit freundlicher Genehmigung von T. Christensen).

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 Tafelteil

Pesch, Abb. 3: Wotan-Denkmal vor dem Landesmuseum in Hannover, von Friedrich Wilhelm Engelhard 1888. Vgl. Abb. 2. Foto: A. Pesch.

Pesch, Abb. 15: Zwei Schachfiguren aus Walroßelfenbein aus Lewis, Schottland, Höhe 9,7 bzw. 7,7 cm. Die beiden Bischöfe (Läufer) tragen einen langen, vorne offenen Mantel und darunter das durch einen Punktsaum bzw. parallele Randlinien erkennbare, schürzenartige Pallium bzw. Epitrachelion. Gekennzeichnet sind sie auch durch den Bischofsstab, die Mitra und ein Buch. Die Biegung an den Seiten des Palliums der linken Figur kann andeuten, dass hier ebenfalls eine sitzende Gestalt dargestellt ist. Auf den Seiten des Thrones der rechten Figur sind jeweils Salomoknoten zu sehen. Rein ikonographisch liegen mit diesen Spielsteinen Parallelen zur Lejrefigur vor. © The Trustees of the British Museum.



Tafelteil 

Simek, Abb. 2: T-O-Karte, sogen. Cottoniana: London, BM, Ms Cotton Tib. B.V. fol. 58r. Nach Brincken 1992, Tafel 19.

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 Tafelteil

Simek, Abb. 6: Multiple Flügelpaare bei der Darstellung fliegender Bienen in einer Exultetrolle des späteren 11. Jahrhunderts. Vatikan, BAV, Barb. Lat. 592, Fragm. 4b. Nach: Bibliotheca Apostolica Vaticana 1993, 166.

Simek, Abb. 11: Kybele in ihrem Löwenwagen aus der Martianus Capella Handschrift München, Staatsbibliothek, Cod. Mon. Lat. 14271, 11v. Nach: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0004/ bsb00046659/images/index.html?id=00046659&groesser=&fip=qrsyztsxdsydensdaseayaewqqrse ayaenw&no=6&seite=26



Tafelteil 

Vennemann, Abb. 1: Entfernungen (in Kilometern) der Fundorte der Matronae Vacallinehae zu Wachendorf. Karte: Jörg Nowotny/ZBSA (Entwurf Th. Vennemann).

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Versöhnung im Jenseits 

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340 

 Jiří Starý

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Versöhnung im Jenseits 

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 Jiří Starý

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Matthias Teichert

Svanhvít in den Wolfstälern Die Chronotopologie des eddischen Wielandliedes und das ‹rewriting› des Schwanjungfrau-Mythos in der Erzählprosa des Codex Regius Abstract: The present paper presents a new reading of the swan-girl tale in the eddic Vǫlundarkviða, stressing the palimpsest-like character of the layering of (older) verses with the (younger) prose texts preceding them in the Codex Regius which partially rewrite the narrative of the verse material and partially, as a prequel, stretch its plot nexus upstream. Then, the narration strategy of this rewriting will be outlined. The darkening of scenery, setting, and plot, especially using a readjustment of animal and colour symbolism as well as a reordering of the figure-tableau including a successive dæmonization of both types of figures involved – hunters/brothers and swan-virgins - which reaches into abjection, will thereby be documented. Zu den eigentümlichsten Texten aus dem Spätwerk August Strindbergs zählt das 1902 erschienene Märchenspiel Svanehvit, zu dem u.  a. Jean Sibelius eine prägnante Bühnenmusik komponiert hat und das inhaltlich gewisse Ähnlichkeiten mit dessen einziger Oper Jungfrun i tornet aufweist. Die Titelfigur mit dem poetischen Namen ist bei Strindberg eine 15jährige Prinzessin, die sich nach einigen von der genretypischen bösen Stiefmutter zu verantwortenden Irrungen und Wirrungen mit ihrem geliebten Prinzen verloben kann und damit den Idealtypus der eher passiven Märchenprinzessin verkörpert, die auf standesgemäße und zugleich durch wechselseitige Liebe legitimierte Verehelichung programmiert ist. Strindbergs von Maeterlinck inspiriertes Märchendrama,1 unter dessen beschaulich und kindgerecht anmutender Oberfläche freilich ein ganzes Arsenal von Subtexten eingeschrieben ist  – darunter Reminiszenzen an Wagners Lohengrin2 und Tristan3 –, hat außer dem Namen der Protagonistin und einigen ubiquitären Standardmotiven zwar weder mit Inhalten der altnordischen Überlieferung noch mit dem weltweit verbreiteten Schwanjungfrauen-Narrativ sonderlich viel gemein, eignet sich aber schon eben aufgrund des besagten sprechenden Namens samt seiner tier- und farbsymbolischen Implikationen als Kontrastfolie eines metamorphen Vorstellungs-

1 Paul 1979, 74–75. 2 Paul 1979, 75. 3 Müller 1986, 713.

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 Matthias Teichert

verbunds, dessen ältester erhaltener europäischer Beleg das eddische Wielandlied, die Vǫlundarkviða, ist: Die phantastische Idee einer temporär schwangestaltigen und somit auch flugfähigen jungen Frau, die unter äußerem Zwang eine problematische erotische und sexuelle Beziehung mit einem Mann eingeht, sich dieser Mesalliance jedoch nach einer gewissen Zeit durch Flucht entzieht. Die abstrahierbare Standardnarration der Schwanmädchenfabel lässt sich mit dem Frankfurter Edda-Kommentar wie folgt zusammenfassen: Der Schwanenmädchen-Abschnitt der Vkv. (1–5) gehört zu einem außerordentlich weitverbreiteten Erzähltypus, nämlich der Vermählung eines Menschen mit einem übernatürlichen Wesen (Fee, Melusine, Seejungfrau, Meermann, Vogelwesen, Schwanenjungfrau), das nach einer gewissen Zeit verschwindet. In vielen Fällen erscheint dieses übernatürliche Wesen zunächst in Tiergestalt (meist als Vogel), nimmt aber Menschengestalt an, nachdem es sein (Feder-)Kleid abgelegt hat. Der menschliche Partner erlangt Gewalt über das fremde Wesen, indem er dessen Kleid entwendet und versteckt. Das – meist weibliche – übernatürliche Wesen bleibt als Ehefrau bei ihm und bringt in vielen Fällen Kinder zur Welt. Eines Tages aber findet es das entwendete Kleid und fliegt davon. Der Mann begibt sich auf die Suche nach der verschwundenen Gattin und findet sie nach vielen Mühen wieder, wobei die übernatürliche Gattin den Mann in manchen Fällen an einem Ring wiedererkennt, den sie ihm einst gegeben hat […]. Die SchwanenmädchenEpisode der Vkv. Ist das älteste Beispiel einer solchen Geschichte in Westeuropa, unterscheidet sich aber in mehrfacher Hinsicht von der typischen Erzählung dieser Art.4

In einem Teil der Überlieferungssubstanz folgt noch die (ergebnislose) Suche des verlassenen Ehemannes nach seiner entflohenen Gattin, so auch in der Vǫlundarkviða. In diesem eddischen Gedicht, das im Codex Regius am Ende des Götterliederteils steht, aufgrund seiner Nähe zur heroischen Epik in den meisten modernen Editionen und Übersetzungen aber dem Heldenliederteil zugeschlagen wird, vermählen sich drei Jäger mit drei Schwanenmädchen5 – Egill mit Ölrún, Slagfiðr mit Svanhvít und Völundr mit Alvit –, aber nur Egill und Slagfiðr ziehen nach der Flucht der drei Mädchen aus, um nach ihren Gemahlinnen zu suchen, während Völundr, ein Meisterschmied, in den heimatlichen Wolfstälern zurückbleibt und goldenes Geschmeide herstellt, darunter einen Ring für seine entflohene Ehefrau, offenbar in der Hoffnung, sie werde früher oder später von sich aus zu ihm zurückkehren. Der Schwedenkönig Niðuðr, der von Völundrs kunsthandwerklicher Begabung erfährt, lässt den Schmied entführen und kerkert ihn, nachdem er ihm auf Anraten der Königin die Sehnen hat durchschneiden lassen, auf einer einsamen Insel ein, wo Völundr Kostbarkeiten für den König herstellen soll. Als Völundr eines Tages den für seine Alvit bestimmten Ring an der Hand der Königstochter erblickt, rächt er diesen Frevel und das ihm zuge-

4 Von See et al. 2000, 99–100. 5 Die Termini ‚Schwanjungfrauen‘ und ‚Schwanenmädchen‘ werden im Folgenden synonym verwendet. In der Sekundärliteratur zeichnet sich eine gewisse Bevorzugung von ‚Schwanjungfrauen‘ ab; sowohl die Enzyklopädie des Märchens als auch das Reallexikon der Germanischen Altertumskunde führen Artikel unter entsprechenden Lemmata (siehe Bäcker 2007 und Böldl 2004).



Svanhvít in den Wolfstälern 

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fügte Unrecht auf grausame Weise, indem er zunächst die beiden Söhne des Königs tötet, die Königstochter vergewaltigt und sich schließlich auf mysteriöse Art in die Luft erhebt, um höhnisch lachend davonzufliegen, den König und dessen Tochter in ihrem Leid zurücklassend. Die Besonderheit und der außerordentliche Status der Vǫlundarkviða innerhalb der Schwanjungfrauenüberlieferung ergeben sich neben dem Alter des eddischen Gedichts vor allem aus der singulären Kombination der Schwanenmädchen-Motivik mit dem Stoff um den Meisterschmied Wieland/Völundr und der Konzentration dieses Plots auf die drei Kernelemente a. Entführung und Gefangennahme, b. Rache und c. Flucht. Dass es sich bei diesen beiden Teilerzählungen der Vǫlundarkviða um ursprünglich selbständige Narrative und bei ihrer Synthese um eine ­individuelle Schöpfung des Lieddichters, also um ein literarisches Konstrukt jenseits der Volksüberlieferung handelt, belegt der Umstand, dass beide Stoffe  – die Schwanenmädchenfabel und die Erzählung von Wieland dem Schmied  – außerhalb der Vǫlundarkviða mehrfach unabhängig voneinander belegt sind, der Wielandstoff etwa im Velents þáttr der Þiðreks saga. Der Gedankengang, auf dem die Verquickung beider Stoffe in der Literarisierung der Vǫlundarkviða beruht, erschließt sich dem aufmerksamen Rezipienten recht unmittelbar und ist in der Forschung u.  a. von Robert Nedoma rekonstruiert worden: Die Schwanjungfrauen bzw. Vǫlund werden mehr oder weniger gewaltsam von den Brüdern bzw. Níðuð in der Umgebung eines Sees (oder des Meeres) festgehalten […] Die Objektrolle der zuerst Gefangenen verwandelt sich jedoch durch abschließendes Entfliehen, bei der der jeweilige Se­xual­partner (Vǫlund bzw. Bǫðvild) – schwer getroffen – zurückgelassen wird, in eine aktive Rolle.6

Schwanenmädchenerzählung und Rachefabel also stehen in einem auffälligen Spiegelverhältnis zueinander, insofern sich zentrale Motiv- und Figurenkonstellation aus der einleitenden Schwanjungfrauenfabel in invertierter Form in der Rachegeschichte wieder finden, mit dem Ring als verbindendem symbolisch aufgeladenen Objekt und Völundr als spiegelnder Klammergestalt, die vom Täter zunächst zum Opfer (und als Folge davon wieder zum Täter) wird und in potenzierter Form das Schicksal erleidet, das er und seine Brüder zuvor den Schwanjungfrauen zugefügt haben. Aus der hier skizzierten Lektüreperspektive ergeben sich zum einen Hinweise auf die der Vǫlundarkviða zugrunde liegende Vorstellung von der Flucht der Flucht Wielands, zum anderen Indizien für die Deutung von solchen Aspekten der Schwanenmädchenfabel, die sich aus deren knapper und zum Teil rätselhaften Darstellung heraus nicht unmittelbar ergeben; die umfangreichere Wielanderzählung lässt sich also als Folie lesen, vor der solche Aspekte lesbar gemacht können, die in den Versen arkan und fragmentarisch bleiben. Die beiden Teile – Schwanenmädchenfabel einer-

6 Nedoma 1986, 131  f.

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 Matthias Teichert

seits und die Sage um Wielands Rache andererseits – leuchten sich also wechselseitig aus und können zur Ergänzung der im jeweils anderen Teil verbleibenden Leerstellen herangezogen werden. Zunächst sehr kurz zu Wielands Flucht. Akzeptiert man die These von der Dialogizität und Parallelität bzw. Inversität der beiden Sagenteile, so ist es m.  E. unwahrscheinlich, dass in Vǫlundarkviða die ‚rationalistische’ Idee eines mechanischen Flugapparats zu veranschlagen ist, wie sie sich im Velents þáttr findet: Denn die drei Schwanenmädchen fliehen nicht unter Benutzung einer aeronautischen Apparatur, sondern mit Hilfe ihrer einst geraubten Schwanengewänder, also ihrer Verfügungsgewalt temporär entzogenen und wiedererlangten phantastischen Artefakte bzw. eines vorübergehend gewaltsam dysfunktionalisierten und nunmehr reaktivierten Merkmals körperlicher Exorbitanz (Tiermenschentum). Die Verwendung einer Flugmaschine durch Völundr würde demzufolge dem ansonsten stringent komponierten Spiegelungsprinzip zuwiderlaufen. Vor allem jedoch gibt die Ausgestaltung der Rachefabel Hinweise oder zumindest Deutungsangebote im Hinblick auf die Bewertung der Schwanenjungfrauerzählung, die den Vǫlundarkviða-Text eröffnet. Die lediglich fünf Strophen, die auf die Schwanenjungfrauenfabel entfallen (Str. 1–5), scheinen bereits der mittelalterlichen Rezeption als kommentierungsbedürftig und auserzählungsfähig aufgefallen zu sein, denn im Codex Regius ist dem Gedicht eine recht umfängliche Erzählung vorgeschaltet, die nicht nur eine vorstellbare Vorgeschichte bietet und Unklarheiten aus dem Strophenmaterial glättet, sondern auch Erklärungen und Schlussfolgerungen bietet, die über den Inhalt der Strophen hinausgehen und ihm teilweise sogar explizit widersprechen. Dieser relativ lange und vor allem handlungsintensive Prosatext wird in der Forschung zumeist unter der Bezeichnung ‚Einleitungsprosa‘ verhandelt, was m.  E. der Intention und Funktion des Textes aber aus den genannten Gründen nicht gerecht wird, denn er leitet nicht nur in die Strophen der Vǫlundarkviða ein und führt den Rezipienten zu ihnen hin, sondern interpretiert die Strophen, konterkariert sie teilweise und weitet den Plot der verknappten Schwanjungfrauenerzählung aus. Dabei kommt es zu Akzentverschiebungen in Handlung, Figurenzeichnung und Setting. Der den Strophen vorgeschaltete Prosatext ist somit kaum als die Gedichtstrophen flankierende und ihnen subordinierte Einleitung im Sinne einer den Rezipienten unterstützenden Lektürehilfe zu verstehen, sondern als Neuschreibung und Weitererzählung des Schwanjungfrau-Themas der Strophen, sozusagen als eine Art ‚novelization in nuce‘, die strukturell durchaus der Vǫlsunga saga als „novelization“ der Lieder des Nibelungenzyklus vergleichbar ist; wie diese setzt sie auf einen gewissen Handlungsreichtum und verwertet dabei auch sekundäres Erzählgut sowie vermutlich eigene Erfindungen und strebt zugleich eine gewisse Stringenz und nachvollziehbare Motivationskette an. Der Prosaist ist mit Sicherheit nicht mit dem Dichter der Strophen identisch.  Auch der Schreiber des Codex Regius, sofern er wiederum als mit dem Prosaisten nicht-identisch angenommen wird (s.  u.), scheint den handlungsreichen Prosatext nicht als bloße Einleitung zu den Liedstrophen begriffen zu haben, denn



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er versieht beide Texte mit einer jeweils eigenen, paläographisch und in Schriftgröße ‚gleichrangingen‘ Überschrift – „Frá Vǫlundi“ für die Prosa, „Frá Vǫlundi ok Níðaði“ für das Strophenmaterial –, subordiniert also die Prosa keineswegs dem strophischen ‚Haupttext‘ als Paratext, sondern signiert beide Texte als auf einer hierarchischen Ebene stehend und somit als einander sozusagen ebenbürtig. Der Prosaist erst erklärt die drei Jäger zu Brüdern und versieht sie mit einer genealogischen Anknüpfung – in den Strophen ist von beidem nicht die Rede –, und er löst u.  a. das Problem, dass in den Strophen insgesamt fünf Namen für die drei Mädchen genannt werden – Ölrún, Svanhvít, Alvit, Hlaðguðr und Hervör – auf recht elegante Art, indem er die sprechenden märchenhaften Personennamen Svanhvít und Alvit zunächst als Epitheta von Hlaðguðr und Hervör einführt.7 Neu sind in der sog. Einleitungsprosa der mitgeteilte Status der drei Brüder als Söhne des ‚Finnenkönigs‘ sowie das Hydronym Úlfsjár (‚Wolfssee‘), bei dem es sich offensichtlich um eine Analogiebildung zu den Úlfdalir (‚Wolfstäler‘, Str. 5) handelt. Die vielleicht auffallendste Ergänzung des Prosastücks ist allerdings die Angabe, dass es sich bei den drei (Schwan-)Mädchen um Walküren handeln soll. Diese Rubri­ zie­rung ist, abgesehen vom weiblichen Geschlecht und der Flugfähigkeit, sicherlich der Str. 1 zu entnehmenden Information geschuldet, dass die drei Mädchen „Fäden spinnen“, also eine Tätigkeit ausüben, die in Darraðarljóð, einem in der Njáls saga überlieferten Gedicht in eddischem Versmaß, für die Walküren belegt ist. Ob in Vǫlundarkviða allerdings tatsächlich ein mythisch-eschatologisches Spinnen von Schicksalsfäden gemeint ist, wie Helge Holmström in seiner Dissertation zum Schwanjungfraumotiv8 und Richard Constantijn Boer in seinem Edda-Kommentar von 1922 meinen,9 oder es sich lediglich um profanes Kunsthandwerk handelt, sei dahingestellt. Die Identifikation der drei fliegenden Mädchen mit Walküren durch den Prosaisten mag zudem durch die tragisch endende Liebesbeziehung der Drei mit den Brüdern begünstigt worden sein, denn auch Verbindungen von männlichen Helden mit Walküren enden meist unglücklich oder sogar tödlich, wie Helgi Hundingsbani und der völsungische Drachentöter Sigurd schmerzhaft erfahren müssen. Nicht zuletzt die Apostrophierung der drei Mädchen als Walküren hat einige Forscher zu der Frage veranlasst, ob und inwiefern die drei Mädchen überhaupt als Schwanenmädchen anzusprechen sind und die Vǫlundarkviða der Schwanenjungfrauenüberlieferung zuzurechnen ist. Eine ablehnende Haltung nimmt diesbezüglich Matthias Egeler ein, demzufolge „die Ähnlichkeit zur folkloristisch definierten Schwanenmädchengeschichte [….] äußerst beschränkt“10 sei und der dafür drei

7 Vergleichbar wäre hier die Identifikation der eddischen Gestalten Sigrdrífa und Brynhildr in der Vǫlsunga saga. 8 Vgl. Holmström 1919. 9 Vgl. Boer 1922, 115. 10 Egeler 2011, 71.

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durchaus valide Argumente vorweisen kann: Erstens baden die Schwanenmädchen in Vǫlundarkviða nicht, sondern spinnen; zweitens komme die Beziehung nicht durch Zwang und Raub der Schwanengewänder zustande sondern auf freiwilliger Basis, wodurch auch die Wiedererlangung der Schwanengewänder entfalle; drittens widerspreche die Kinderlosigkeit der drei Ehen der Standarddefinition der folkloristischen Schwanenmädchenfabel. So begründet die einzelnen Einwände Egelers gegen eine Zugehörigkeit der Vǫlundarkviða zur Schwanenmädchentradition für sich betrachtet sein mögen, erschienen sie mir in der Summe eine Nuance zu hyperkritisch. Insbesondere übersieht bzw. unterschätzt er, wie mir scheint, den Umstand, dass in der Vǫlundarkviða eben keine folkloristische, also volkstümliche Quelle vorliegt, sondern eine poetisch überformte und stilisierte (wenngleich anonyme) Kunstdichtung, deren Literarizität schon durch die eben genannte singuläre und präzise arrangierte Kombination mit der Sage um Wielands Rache ausgewiesen ist. Zudem verbleibt auch nach Maßgabe der vermerkten Abweichungen immer noch ein Figurenmuster und Handlungsnexus, der ungeachtet der im Literarisierungsprozess vorgenommenen Subtraktionen, Entstellungen und Umschreibungen m.  E. strukturell einigermaßen klar unter dem Schwanjungfrauen-Narrativ zu verbuchen ist. Die Vǫlundarkviða repräsentiert damit einen von zwei Überlieferungszweigen, die die Schwanenmädchenthematik im Medium der Schriftlichkeit tradieren bzw. aus den vorliegenden Schriftquellen rekonstruiert werden können: Am Anfang, also sozusagen als verlorener hypothetischer Archetypus, steht das, was in der Forschung als folkloristische Version der Schwanjungfrauenerzählung verhandelt wird, oder, exakter formuliert, die Vorstufe der uns durch schriftliche Aufzeichnung erhaltenen Fassungen, wie sie im Erzähltypus AT 40011 vorliegen. Sie hat, mit der für mündliche Volkserzählungen typischen Varianzbreite, über Jahrhunderte mündlich existiert und wurde mit der Verschriftung und Verschriftlichung von Volkssagen, Märchen usw. kodifiziert. Aus der relativen Homogenität der uns vorliegenden Fassungen ist zu ersehen, dass die besagte Varianzbreite vergleichsweise gering und damit die Schwanjungfrauenerzählung einigermaßen robust und konstant war. Die Tradierung dieser folkloristischen Zweiges der Schwanmädchenfabel erfolgt kontinuierlich an der bereits im Mittelalter verschriftlichten ‚Hochliteratur‘ vorbei, jedenfalls gelangt sie nicht aufs Pergament und scheint ausweislich beider Eddas und der einschlägigen Sagas auch kein integraler Bestandteil der ‚hohen Mythologie‘ gewesen zu sein – im Unterschied etwa zu anderen Formen des Tiermenschentums wie der Werwolfsthematik oder Schlangenverwandlung12 –, sondern ist der niederen Mythologie und dort dem unterem Segment zuzuordnen.

11 Vgl. hierzu Bäcker 2007, Sp. 311. 12 Vgl. etwa die Werwolfepisoden um Sinfjötli und Sigmundr in Vǫlsunga saga und Helgakviða Hundingssbana I (hierzu Teichert 2008) oder Odins Metamorphose in eine Schlange in dem – im Lichte seiner indogermanischen Parallelen (vgl. Doht 1974) mutmaßlich sehr alten  – Dichtermetmythos (Skáldskaparmál Kap. 1).



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Als einziger schriftliterarischer Text des nordischen Mittelalters greift die Vǫlundarkviða die Schwanjungfrauenerzählung auf, synthetisiert sie mit der Rachesage um Wieland den Schmied und schreibt sie im Zuge des Literarisierungsvorgangs bis zu einem Grad um, der bei einer rein synchronen Vergleichsanalyse mit den folkloristischen Versionen des Stoffes in der Tat auf den ersten Blick den Anschein erwecken mag, hier liege ein gänzlich anderer Stoff vor. Die Schwanenjungfrauenepisode ist somit als eine Art Hyperliterarisierung eines volkstümlichen Vorstellungskomplexes lesbar, dessen folkloristische Wurzeln hier und dort noch palimpsestartig durchschimmern, etwa in der Dreierstruktur mit Achtergewicht, der insgesamt jedoch signifikante Umdeutungen und Neudeutungen aufweist, die sich aus dem Bestreben ergeben, die prologartige Schwanenmädchenepisode mit der Kernsage um Wieland den Schmied zu kompatibilisieren und ihr zugleich eine neue, über das in den Strophen Mitgeteilte hinausgehende Sinnebene abzugewinnen. So weit, so gut. Der hier skizzierte Versuch einer partiellen Neulektüre der Schwanenjungfrauenepisode der Vǫlundarkviða lässt sich nun hinsichtlich des Verhältnisses der Gedichtstrophen zu dem von mir als ‚novelization in nuce‘ bezeichneten vorangestellten Prosatext noch einen Schritt weiterführen, was ich im Folgenden mit Blick auf die Raumzeitkonzeption sowie die Tier- und Farbsymbolik umreißen will. Zunächst ein Blick auf die jeweils erzählte Storyline (Abb. 1). Die Strophen beginnen mit dem Heranfliegen der drei Schwanjungfrauen aus dem Myrkviðr (Str. 1), Vermählung, Flucht der Schwanjungfrauen und Suche (Str. 2–5), das Zurückbleiben Völundrs in den Wolfstälern (Str. 6) und die Gefangennahme Vǫlundrs durch Níðuðr (Str. 7  ff.), gefolgt von Verstümmelung, Einkerkerung, Vǫlundrs Rache und Flucht. Der Prosatext setzt mit der Vorstellung Königs Níðuðrs und seiner drei Kinder ein. Es folgt nach einem impliziten Perspektiven- und Szenenwechsel die Einführung der drei Brüder, gegenüber den Strophen ergänzt um die Abstammung vom Finnenkönig sowie die Tätigkeitsbeschreibungen der Brüder als Eis- oder Schneeschuhläufer und Jäger, von der nur der zweitgenannte Bereich, das Jägertum, ein Äquivalent in den Strophen hat. Sodann folgen das Spinnen, die Verbindung der Schwanjungfrauen mit den Brüdern und die Flucht nach sieben (Prosa) bzw. neun (Strophen) Jahren samt Auszug der beiden Brüder Völundrs, dessen Zurückbleiben in den Wolfstälern und seine Gefangennahme durch die Schergen des Schwedenkönigs Níðuðr. Es besteht also eine Überlappung von Strophen und Prosa, die vom Heranfliegen der drei Schwanjungfrauen aus dem Myrkviðr bis zur Gefangennahme Vǫlundrs reicht; die Prosa erzählt diesen gemeinsamen Nukleus aus und verlängert geringfügig seine Vorgeschichte, die Strophen prolongieren seine Nachgeschichte signifikant. Zu der m.  E. irrigen Bezeichnung der Prosa als ‚Einleitungsprosa‘ dürfte der Umstand beigetragen haben, dass sich am Ende die Floskel „svá sem hér er um kveðit“13 („so wie hier gesagt wird“) findet, die einen gleitenden Übergang von einem Erzähl-

13 Zitiert nach von See et al. 2000, 118.

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medium in das andere suggeriert und die Prosa als rezeptionsfördernden Prolog zu den Strophen zu markieren scheint. Stutzig sollte neben den bereits genannten Argumenten jedoch die abrupte und bis zu einem gewissen Grad unmotivierte Nennung Níðuðrs und seiner Kinder in den beiden ersten Sätzen des Textes machen, dies umso mehr, als die Erwähnung der Söhne und die sogar namentliche Nennung der Tochter zum blinden Motiv resp. zur Überinformation wird, denn in der Prosa tauchen alle drei nicht mehr auf und in den Strophen werden erst die Tochter und anschließend die Söhne noch einmal als ‚neue Figuren‘ eingeführt. Sowohl die ersten beiden Sätze mit der Nennung des Königs und seiner Kinder als auch der letzte Satz mit dem Bericht von der Gefangennahme Vǫlundrs stehen innerhalb der Prosa recht unverbunden. Auch das Ende des vorletzten Satzes mit einem intertextuellen Verweis auf ‚alte Mären‘ – hier „í fornom sǫgum“14 („in alten Geschichten“) – als klassische Marker des Anfangs und Endes eines Erzählvorgangs legen den Verdacht nahe, dass die ersten beiden Sätze sowie der letzte Satz der Prosa spätere Hinzufügungen sind und insgesamt die handschriftlich im Codex Regius fixierte Gestalt der Vǫlundarkviða möglicherweise  – das Eis der Spekulation ist freilich äußerst brüchig  – das Resultat einer Dreifachschreibung ist: Am ältesten wären in einer solchen Lesart die Lied­ strophen, am zweitältesten die Prosa als deren re-writing und „novelization in nuce“ der Schwanjungfrauen-Erzählung abzüglich der inkriminierten Sätze zu Beginn und am Schluss, die, so könnte eine kühne These lauten, erst vom Schreiber des Codex Regius bzw. dessen schriftlicher Vorlage hinzugefügt worden sind, um die inhaltliche Kluft zwischen den beiden Texten zu verkürzen und den eigentlich eigenständigen Prosatext nachträglich in das innereddische Subgenre „Prosaeinleitung“ zu zwingen. Bezüglich der gemeinsamen Erzählsubstanz von Strophen und Prosa ist in der Prosafassung eine narrative Strategie erkennbar, die als fortgeführte Abdunklung bezeichnet werden könnte und entsprechende Tendenzen weiterspinnt, die schemenhaft bereits in den Gedichtstrophen gegenüber dem folkloristischen Überlieferungszweig zu veranschlagen sind, soweit letzterer für das Mittelalter durch Rückprojektion aus den neuzeitlich aufgezeichneten Quellen extrapoliert werden kann. Eine entscheidende Größe ist hierbei die ausdrücklich festgestellte Zugehörigkeit des Meisterschmiedes Vǫlundr zum mythischen Geschlecht der Alben, die wohl der Grund war, weshalb der Redaktor des Codex Regius das Lied der mythologischen Abteilung, also dem Götterliederteil, und nicht den Heldenliedern zugeschlagen hat. Die albentypischen dämonischen Züge Vǫlundrs treten in der Dichtung mehrfach hervor, am deutlichsten sicherlich in der schaurigen Rache an den Königssöhnen, denen er die Köpfe abschlägt, um ihre Schädel zu Trinkgefäße zu verarbeiten, und in der Vergewaltigung der Prinzessin sowie in seinem diabolischen Lachen bei der Flucht und der triumphalen Genüsslichkeit, mit der davonfliegend dem konsternierten König seine Verbrechen offenbart.

14 Zitiert nach von See et al. 2000, 118.



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Die Prosa schreibt diese Dämonisierungstendenz der Vǫlundr-Figur unter veränderten Vorzeichen fort, indem sie ihn, wie erwähnt, mitsamt seinen Brüdern zum Sohn eines/des „Finnenkönigs“ erklärt. Das Ethnonym Finnar bezieht sich dabei im Altwestnordischen primär auf die finnougrischen Samen, die in der norrönen Literatur stereotyp als zauberkundig und meist auch als listig, heimtückisch und – aus der Kombination dieser Eigenschaften folgend – als äußerst gefährlich und bedrohlich gelten und somit eine spezifisch altnordische Form eines pejorisierenden Exotismus repräsentieren.15 Chronotopologisch16 werden die Finnen in der Sagaliteratur überwiegend als atavistisches ‚Barbarenvolk‘ an der Peripherie der bewohnten Welt in rauen, schroffen Winterlandschaften verortet, und dieser Topos scheint neben der offensichtlichen Zauberkundigkeit Vǫlundrs der zweite Anknüpfungspunkt für die sekundäre ‚Fennisierung‘ Vǫlundrs durch den Prosaisten gewesen zu sein, denn schon in den Strophen wird die Unheimlichkeit Vǫlundrs topographisch abgebildet, indem ihm und seinen Brüdern als Lebensraum die Wolfstäler (Úlfdalir) zugewiesen werden, also ein über die Wolfssymbolik als entlegen und gefahrvoll gezeichneter sowie mit Gewalt und Tod assoziierter Wohnort. Diese dämonisierende, mit Raubtiermetaphorik kodierte Raumsemiotik dehnt der Prosaist auf die Schwanjungfrauen aus, die er nach ihrer Ankunft aus dem Süden am Úlfsjár (‚Wolfssee‘) verweilen lässt, sodass den Wolfstälern ein der Schwanennatur der drei Mädchen adäquates aquatisches Analogon an die Seite gestellt wird (auch auf rhetorischer Ebene, denn der Úlfsjár wird unmittelbar im Anschluss an die Úlfdalir eingeführt, also diskursiv aus diesen abgeleitet). Auch dieses Paradigma der Verdunklung schafft der Prosaist nicht ex nihilo, sondern entwickelt es aus einer durch die Strophen vorgegebenen chronotopologischen Keimzelle; die erste Strophe lässt die Schwanjungfrauen aus dem Süden durch den Myrkviðr in den nördlich davon gelegenen Handlungsraum der Erzählung kommen, der in realgeographischer Betrachtung offenbar in Schweden oder dessen näherem Umkreis vorzustellen ist. Die hier appellativisch gebrauchte Bezeichnung Myrkviðr (‚Dunkelwald‘) ist die altnordische Bezeichnung für den dichten Waldgürtel, der einst Mitteleuropa durchzog, in der mythologischen und heroischen Dichtung verselbständigt sich der Begriff zuweilen und nimmt über die konkrete geographische Bedeutungsnuance auch die eines finsteren, schwer zu durchdringenden phantastischen Urwalds an, dessen Durchquerung als Kategorie des Liminal-Transgressiven inszeniert wird (in Atlakviða müssen etwa die Gjúkungen auf ihrem verhängnisvollen Zug zu den Hunnen ebenfalls den Myrkviðr durchziehen)17. Nebenbei bemerkt, deutet die Hinzufügung des Wolfssees darauf hin, dass bereits der Prosaist sich die Schwan-

15 Einschlägig sind hier etwa Snorris Heimskringla, insbesondere die Haralds saga hárfágra, sowie die Örvar-Odds saga. 16 Zu den Begrifflichkeiten Chronotopos und Chronotopologie vgl. Bachtin 2008. 17 Zum Begriff myrkviðr, seine realgeographischen Grundlagen und seine literarische Überlieferung vgl. Eggers 2002, 460–461.

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jungfrauen als badende oder schwimmende Wesen vorgestellt zu haben scheint, denn nur unter dieser Prämisse ergibt die Neuerfindung des Sees handlungspragmatisch Sinn. Die Schwanjungfrauen sind Fremde, und das in mehrfacher Hinsicht. Das erste Element der Alienation ist ihre geographische und/oder ethnische Herkunft, die bereits in den Strophen erwähnt wird und dem Prosaisten so bedeutsam erschien, dass er die dort mitgeteilten Informationen noch einmal wiederholt. Eines der Mädchen wird mit Valland (‚Frankreich‘, ‚Wallonien‘) assoziiert, zwei sind Hlǫðvers (‚Ludwig‘) Töchter, was auf einen südgermanischen Hintergrund verweist. Die Schwanjungfrauen sind, in Anlehnung an eine Theorie der postkolonialen Theoretikerin Sarah Ahmed,18 bodies /not/ at home – und zwar in einem aus (post)moderner Sicht geradezu karnevalesk umgestülpten Sinn: Aus einer Kulturlandschaft jenseits des großen dunklen Waldes kommend und über ihre Schwanennatur eminent mit whiteness geradezu hypermarkiert, erleben sie in den rauen, anscheinend weitgehend menschenleeren und farbsemantisch über die Wolfsmetaphorik als ‚grau‘ bis ‚dunkel‘ sowie stark maskulin chiffrierten Wolfstälern eine Migrations-, Fremdheitsund out-of-placeness-Erfahrung, die denen von Ahmed und anderen Vertreterinnen des post colonialism und Linda H. Ruggs Begriff des „hyperwhite“19 auf fast bizarre Weise spiegelbildlich entgegengesetzt ist. Hierzu passen einerseits die Personennamen Svanhvít (‚Schwanenweiß‘) und Alvit (‚fremdes Wesen‘), aber auch die Verortung in Schweden oder an dessen Peripherie, denn Schweden gilt in altwestnordischer Perzeption kontinuierlich als düstere und bedrohliche terra horribilis (Svecia-sinsitraTopos) und könnte mit einem Neologismus des kolumbianischen Philosophen und Ästhetikers Ricardo Javier Arcos-Palma als „Phobotopie“ in der Definition „l’espace configuré et construit à partir de la peur“20 bezeichnet werden, ein in der europäischen Literaturwissenschaft bislang nahezu unbeachtet gebliebener, m.  E. aber treffender Begriff, den ich hiermit sozusagen in die Debatte werfe. Die Schwanjungfrauen kampieren am und  – so ist vorauszusetzen  – baden im Wolfssee, dessen tiersymbolische Zeichenhaftigkeit als Chronotopos des Gefähr­ lichen, Bedrohlichen betont wurde. Bekanntlich erscheint der Wolf, ähnlich wie im Märchen, auch in der eddischen Dichtung fast inflationär als Inkarnation von Gefahr, Tod, Gewalt und prä-zivilisatorischer Wildheit von Landschaften und Personen; die eben erwähnte Atlakviða kennt sogar das Adjektiv „ylfskr“21 („wölfisch“) als Umschreibung für das psychopathologische Set-up des goldgierigen, fremdländischen Despo-

18 Vgl. Ahmed 2010. 19 Vgl. Rugg 2014. – „Hyperwhiteness is a general stereotype of a brand of white culture that results from the uptight, conservative white people […]. Because some white people are so obsessed with controlling themselves, they are ultimately repressed. Sexually, emotionally, socially repressed. This intense degree of repression leads to pyschopathic tendencies like violence.“ (THECOENSRULE 2005). 20 Arcos-Palma 2010. 21 Zitiert nach: von See et al. 2012, 220.



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ten Atli, der seine Schwager in verräterischer Absicht zu sich einlädt. Zumindest auf den ersten Blick etabliert der Prosaist damit eine Dichotomie aus Wolfs- und Schwansymbolik, wobei letztere im Inventar der traditionellen europäischen Tiersymbolik und -metaphorik mit positiv bewerteten ästhetischen und ethischen Konzepten wie Schönheit, Anmut, Eleganz und Treue (Monogamie), aber auch mit Melancholie bis zum Morbiden, Fragilität und zuweilen Eitelkeit verbunden ist. Ganz so klar ist die binäre Opposition von Schwan (Schwanenmädchen) und Wölfen als eponyme Gattung der theriophoren Ortsbezeichnungen Úlfdalir und Úlfsjár allerdings nicht. Nur am Rande sei vermerkt, dass der Wolf in der vormodernen Kultur und Erzähltradition ambivalenter semantisiert ist, als es etwa seine Rolle im europäischen Volksmärchen vermuten lassen könnte. Die Wölfin in der Remusund-Romulus-Mythe ist hier ebenso zu nennen wie die signifikante Produktivität des Elements Úlfr-/Wolf zur Bildung von (männlichen) Personennamen im Germanischen und die in ihrer literarischen Rezeption nicht selten durchaus positiv besetzte Werwolfsvorstellung. Vor allem aber erfordert der scheinbar so liebreizende und Schönheit verkörpernde Schwan eine differenziertere Betrachtung. Über die schon erwähnten sinistren und morbiden Aspekte hinaus kann der Schwan auch mit Tod assoziiert sein, wie dies etwa in der finnischen Mythologie und deren Totenreich Tuonela der Fall ist (vgl. auch den sprichwörtlich gewordenen Schwanengesang). Die doppelte Kodierung bzw. ‚schwarze‘ (Sekundär-)Kodierung des Schwan-Motivs ist sehr augenfällig in der Urfassung von Schwanensee und der dortigen Dichotomie zwischen der (im buchstäblichen) zauberhaften Odette und ihres schwarzen Gegenbildes Odile, die als dämonische femme fatale für allerlei Turbulenzen sorgt. Noch radikaler hat bekanntlich Baudelaire den Schwanenmythos als Bilderkammer des Schönen und Erhabenen in seinem Gedicht Le Cygne dekonstruiert. All diese düsteren Aspekte mögen den Prosaisten zusätzlich motiviert haben, die Schwanenjungfrauen mit den Walküren, also (in der wikingerzeitlichen Vorstellung) Totendämoninnen, zu asso­ ziieren, eine Idee, die umso näher liegt, als auch die Strophen die drei Frauen mit Krieg verbinden. Der von mir attestierten fortgeführten Abdunklungstendenz der Prosa entgegen scheint auf den ersten Blick neben der Schwanenmotivik die damit eng verbundene Topik des ‚Weißen‘ zu stehen, die für Svanhvít, eines der drei Mädchen, sogar eponym ist. Der Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer, denn noch mehr als in anderen Zeichensystemen steht diese Farbe in der altnordischen Kultur nicht nur oder nicht primär für Reinheit, Unschuld Helligkeit etc., sondern ist, ähnlich wie Schnee und andere ‚winterliche‘ Zeichen und Narrative, sehr häufig mit Registern wie Bedrohlichkeit, Gefahr sowie des Peripheren und Marginalen assoziiert,22 ein Umstand, der sich kulturanthropologisch wahrscheinlich nicht zuletzt aus der unmittelbar real erfahrbaren Gefährlichkeit von Kälte, Eis, Schnee und Schneestürmen zumal in ent-

22 Vgl. Teichert 2016.

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legeneren Regionen des vormodernen Nordeuropas erklären lässt. Die succubusartige Verführerin Snæfríðr aus der Haralds saga gehört in diesen Kontext ebenso wie das tiefwinterlich-verschneite Setting des Beginns der Vǫlsunga saga, deren erster Protagonist Sigi einen Jagdgenossen ermordet und die Leiche in einer Schneewehe verscharrt. Jenseits der scheinbar positiven Zuschreibungen von ‚Weißheit‘ wird auch hier eine deutliche Sekundärsemantik und -semiotik erkennbar, die, häufig im Verbund mit einer phantasmatischen Perzeption des Hibernalen, Nuancen wie Unbekanntheit, Wildheit, Unheimlichkeit und Isolation umfasst. Bezüglich der Vǫlundarkviða-Strophen schließlich ist bemerkenswert, dass nicht nur die Schwanjungfrauen, sondern auch Vǫlundr selbst mit der Nicht-Farbe Weiß assoziiert wird, und zwar mit Bezug auf seinen Hals (Str. 2), so dass ein regelrecht als schwanenartig zu bezeichnender Zug im Porträt Vǫlundrs entsteht. In einem früheren Aufsatz habe ich nachzuweisen versucht, dass in der nordischen Heldenepik die Zuschreibungen des Heroischen und des Monströs-Ungeheuerlich-Abjekten durchlässig sind und sich zuweilen Spiegeleffekte ergeben, die eine Art von Reziprozität oder sogar Identität zwischen Ungeheuerkämpfer und Ungeheuer konstituieren, beide ‚Rollen‘ sich also nicht in binärer Opposition gegenüberstehen, sondern sich Dialogizitäts- und Verschränkungsmuster abzeichnen, häufig derart, dass ein monströses Attribut vom Ungeheuer auf den heroischen Ungeheuerkämpfer transferiert und dieser selbst als ‚ungeheuerlich‘ markiert wird.23 Eben dies scheint bis zu einem gewissen Grad auch im vorliegenden Fall insinuiert zu sein, die Grenze zwischen der Schwanen- und der Vǫlundr zugewiesenen Wolfssymbolik erweist sich jedenfalls als brüchig. Die Unheimlichkeit und Dämonie des Weißen und Hibernalen dürfte schließlich den Prosaisten veranlasst haben, die drei Brüdern im Zuge seines re-writings nicht nur als Jäger, sondern auch als Schneeschuh- oder Skiläufer zu zeichnen und somit ihre Möglichkeiten, sich in Schnee und Eis zu bewegen und ‚Beute­objekten‘ nachzusetzen, markant zu erhöhen. Unter diesen Vorzeichen findet die Begegnung der drei Jäger mit den Schwanjungfrauen an der Úlfsjár statt, und zwar, wie der Prosaist betont, in der Morgendämmerung, zu einer Zeit des Übergangs von Nacht zum Tag also, die im besonderen Maße mit Jagd verbunden ist (nicht nur bei menschlichen Jägern, sondern auch bei vielen Raubtieren). Tatsächlich fallen der Jagdtopologie der Begegnung und der ‚Beute‘-Charakter der Mädchen auf (abgelegte Schwanenhemden, das ‚Heimbringen‘), und dies ist der letzte auffallende Unterschied zwischen Strophen und Prosa: Während in den Gedichtversen suggeriert wird, die Verbindung der drei Mädchen mit den drei Jägern gehe von der weiblichen Seite aus und die Schwanenmädchen seien die ‚Wählenden‘ (Str. 2), erscheinen die Verlobungen und Vermählungen in der Prosa eindeutig als durch die Männer dominiert und möglicherweise von ihnen auch gewaltsam durchgesetzt. Die Prosa erwähnt im Gegensatz zu den Strophen außerdem, dass die Brüder sich Wohnstätten errichten

23 Vgl. Teichert 2014.



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(„gerðo sér þar hús“24 („bauten sich da ein Haus“), also eine permanente oder zumindest längerfristige Verweildauer in den Wolfstälern beabsichtigen; diese Information legt zugleich nahe, dass die drei Jäger (und Brüder) im Verständnishorizont des Prosaisten selbst Neuankömmlingen, also Fremde in den Wolfstälern sind, während in den Strophen zwar nicht explizit, aber doch subkutan der Eindruck vermittelt wird, die Region sei das angestammte Habitat der drei Jäger und diese hätten zumindest schon eine längere Zeit dort gelebt und seien möglicherwiese sogar dort geboren und/ oder aufgewachsen. Summa summarum ist für die Prosaerzählung als Rezeptionsstufe der Liedstrophen eine Um- und Neuschreibungsstrategie erkennbar, deren zentrale Komponenten sich herauskristallisieren: Zum einen die epische Ausgestaltung des in den Strophen nur trümmerhaft ‚anerzählten‘ Schwanjungfrauen-Plots und damit der Vorgeschichte der Erzählung um Vǫlundr und König Níðuðr (Funktion ‚Prequel‘, also eine Verlängerung des Erzählnexus in Richtung upstream), zum zweiten eine bis zur Abjektivierung reichende Verdüsterung von Szenerie, Setting und Plot insbesondere mittels einer Nachjustierung der Tier- und Farbsymbolik, und zum dritten eine Neuordnung des Figurentableaus mitsamt einer sukzessiven Dämonisierung der im Gegensatz zu den Strophen nunmehr explizit dominant bis grausam gezeichneten Brüder, denen allerdings keine umso ‚strahlenderen‘ Schwanjungfrauen im Rahmen einer simplen Gut-Böse-Dichotomie gegenüberstehen, im Gegenteil. Ein beachtenswerter Umstand ist, dass das albische Wesen Vǫlundrs in der Prosa eliminiert, die mythisch-dämonische Natur der drei Mädchen hingegen mit der Betonung ihres Tiermenschentums noch verstärkt wird, während sich die Dämonie und Unheimlichkeit Vǫlundrs und seiner Brüder nunmehr aus ihrer physischen Aggressivität speist. Die Schwanjungfrauenfabel der Gedichtstrophen erscheint letztlich im Medium ihres ‚re-tellings‘ in opaker Spiegelung, oder – um den biblisch inspirierten Titel eines Ingmar-BergmanFilms in seiner englischsprachigen Fassung zu zitieren: Through a glass, darkly.

24 Zitiert nach: von See et al. 2000, 118.

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Prosa („Frá Vǫlundi“)

Strophen („Frá Vǫlundi ok Níðaði“)

Vorstellung Níðuðrs und seiner Kinder Heranfliegen der drei Schwanjungfrauen aus dem Myrkviðr

Heranfliegen der drei Schwanjungfrauen aus dem Myrkviðr (Str. 1)

Einführung der drei Brüder als Söhne des Finnenkönigs und Jäger Erwähnung des Wolfssees und Errichtung von Hütten Verlobung / Vermählung

Verlobung / Vermählung

Flucht der Schwanjungfrauen und Suche

Flucht der Schwanjungfrauen und Suche (Str. 2–5),

Zurückbleiben Vǫlundrs in den Wolfstälern

Zurückbleiben Vǫlundrs in den Wolfstälern (Str. 6)

Gefangennahme Vǫlundrs durch Níðuðr

Gefangennahme Vǫlundrs durch Níðuðr (Str. 7), Verstümmelung, Einkerkerung Vǫlundrs Rache und Flucht

Abb. 1: Vǫlundarkviða – Die Storylines von Prosa und Strophen im Vergleich

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Svanhvít in den Wolfstälern 

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Müller 1986: Ulrich Müller, Richard Wagner in Literatur und Film. In: Ulrich Müller, Peter Wapnewski (Hg.), Richard-Wagner-Handbuch. Stuttgart 1986, 704–730. Nedoma 1988: Robert Nedoma, Die bildlichen und schriftlichen Denkmäler der Wielandsage (Göppin­ger Arbeiten zur Germanistik 490). Göppingen 1988. Paul 1979: Fritz Paul, August Strindberg (Sammlung Metzler 178, Abteilung D, Literaturgeschichte). Stuttgart 1979. RGA = Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Hg. von Heinrich Beck u.  a., Bd. 1–35 und 2 Registerbände. Berlin/New York 1973–2007. Rugg 2014: Linda H. Rugg, Hyperwhite: The Representation of Extreme Whiteness in Contemporary American and Nordic Literature and Film (Vortrag New Haven, CT - 03/2014). von See et al. 2000: Klaus von See, Beatrice La Farge, Eve Picard, Katja Schulz, Kommentar zu den Liedern der Edda 3: Götterlieder (Volundarkviða, Alvíssmál, Baldrs draumar, Rígsþula, ­Hyndlolióð, Grottasongr). Heidelberg 2000. von See et al. 2012: Klaus von See, Beatrice La Farge, Simone Horst, Katja Schulz, Kommentar zu den Liedern der Edda 7: Heldenlieder: Atlakviða in groenlenzka, Atlamál in groenlenzko, Frá ­Guðrúno, Guðrúnarhvǫt, Hamðismál. Heidelberg 2012. Teichert 2009: Matthias Teichert, „Þeir Sigmundr fóru í hamina“. Die Werwolferzählung im 8. Kapitel der Völsunga saga. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 138, 2009, 281–295. Teichert 2014: Matthias Teichert, Der monströse Heros oder: Wenn der ungeheure Held zum Ungeheuer wird. Zur Rezeptionsgeschichte des Figuren-Typus „Drachenkämpfer“ in der altnordischen und altenglischen Literatur. In: Victor Millet, Heike Sahm (Hg.), Narration and Hero. Recounting the Deeds of Heroes in Literature and Art of the Early Medieval Period (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 87). Berlin/New York 2014, 143–173. Teichert 2016: Matthias Teichert, The Sorcerous Succubus from Samiland. Monstrous Womanhood and the Abject in the Snæfríðr Episode of Haralds saga hárfagra. In: Daniela Hahn, Andreas Schmidt (Hg.): Bad Boys and Wicked Women (Münchner Nordistische Studien 27). München 2016, 186–202. THECOENSRULE 2005: Hyperwhiteness in „Fargo“ – Linda Rugg’s lecture. Online abrufbar unter: http://coensdecal.blogspot.de/2005/04/hyperwhiteness-in-fargo-linda-ruggs.html ­(aufgerufen am 30/11/2016).

Altertumskunde und Archäologie

Morten Axboe

Gudum Man Abstract: Gudum north of Slagelse (Zealand) is one of five place names in Denmark that derive from the compound Gudhem, meaning ‘home of the gods’. The name indicates that the site might contain traces of a pre-Christian sanctuary, resembling the rich Iron Age settlement at Gudme on Funen. The topographical and archaeological sources from Gudum were analysed at the conference ‘The Gudme/Gudhem Phenomenon’ in Schleswig in 2010. The available archaeological evidence at that time gave no indications that Gudum on Zealand comprised a ‘home of the gods’. A few years later, the fields surrounding Gudum Church were subjected to comprehensive detector surveys, uncovering several hundred bronze, silver and gilded artefacts from the Late Iron and Viking Age. These finds reflect activities at a rich settlement and production site and thereby shed new light on the character of the site. Among the finds is an anthropomorphic figure, 9 cm high, found as two fragments c. 25 m apart. It is shown en face with a round head and a parted hairstyle, large eyes, chubby cheeks and an open mouth with protruding tongue. It wears a neck ring and what appears to be clothing, with marked sleeves and trousers. The hands are placed on the abdomen. There are no traces of legs. Comparable pieces allow for dating the figure to the Migration Period. There are no traces of soldering or other fastening techniques. It is proposed that the figure may have adorned a baldric, though other uses can be considered as well. An interpretation as Odin/Woden is worth consideration. During the last three decades, metal detector enthusiasts have been changing our knowledge of Danish prehistory profoundly, working in close cooperation with the local archaeological museums and the National Museum. This symbiosis has grown from a general interest in the past, fostered among other ways by the Danish folk high schools founded in the 19th century, and later by popular television programmes. This cooperation has been further enhanced by positive use of the danefæ (treasure trove) regulations, first formulated in the 13th century, which since the 18th century have promised full compensation to the finder of ‘gold, silver, or other rarities’. The majority of the objects found from the Bronze Age and the Pre-Roman Iron Age come from graves spoiled by ploughing, with some hoards as an extra bonus. They sometimes add spectacular aspects to the general picture of the general find picture (Kaul 2010; Henriksen 2014), but it is only when we turn to the late Iron Age that we can see the profound impact of the work of the metal detectorists. Their finds of thousands of metal objects have provided new dimensions and new depth to our knowledge of settlement structure and social diversity in the Late Iron Age/Early Medieval period.

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 Morten Axboe

‘Central places’ in southern Scandinavia Much of the focus has been on so-called ‘central places’, sites with finds that are outstanding both in numbers and in quality, leading to hypotheses that they indicate aristocratic sites with political, religious and economic functions. Many of these sites have been subject to minor or major excavations, and a highly varied picture is emerging. A ‘first generation’ of these putative magnates’ residences includes Gudme in southeast Funen, Sorte Muld on Bornholm, Uppåkra in Scania and Helgö in Central Sweden (Jørgensen 2009). Among them Gudme stands out as a classic site, famous for the numerous and rich finds of gold recorded since the 16th century. Sorte Muld and Uppåkra have thick cultural layers reaching back into the Early Iron Age, and like Helgö, all these sites have indications of craft activities (Axboe 2012). The heyday of these sites was the 2nd to 6th centuries AD, although they continued to be active to a greater or lesser degree through the Viking Age. Since then, a ‘second generation’ of magnates’ residences has emerged with sites like Tissø, Lejre and Toftegård on Zealand, Stavnsager in northern Jutland, Järrestad in Scania, Borg in Östergötland, Lunda in Sörmland, and Slöinge in Halland (Jørgensen 2009; Jørgensen 2014).1 Although these sites have much in common – rich finds, large halls and presumed cult-houses – there are also many variations, and it seems possible that functions that we associate with a ‘central place’ may have been distributed over different points in the landscape (Axboe 2017).

Gudme/Gudum Gudme holds a special position in the discussions of ‘central places’. Firstly, it was one of the first sites to be scanned when metal detecting started in the 1980s, because it had long been known that there had been many gold finds in the area. Besides, the detector finds were followed up by several excavations, with the result that Gudme, with around 3,000m² of excavations (over a settlement area of c. 100 hectares), is now probably the best known ‘central place’ in present-day Denmark, with workshops and

1 The literature on detector sites and central places is very large. Besides the references already given, see Gudme/Gudhem 2011; Wealth and Complexity 2014. On metal-detector finds, see e.  g. Feveile 2015b; Martens/Ravn 2016. Literature on specific sites, all with further refs.: Borg: Lundqvist et al. 1996; Lindeblad/Nielsen 1997. Gudme: Østergaard Sørensen 1994; Jørgensen 2010; L. Jørgensen 2011. Helgö: Arrhenius/O’Meadhra 2011; Lamm 2011; Lamm 2012. Järrestad: Söderberg 2003; Söderberg 2005; Jørgensen 2009, 346. Lejre: Christensen 2015. Lunda: Andersson et al. 2004; Andersson/ Skyllberg 2008. Slöinge: Lundqvist et al. 1996; Lundqvist 2003. Sorte Muld: Adamsen et al. 2009. Stavnsager: Wealth and Complexity 2014. Tissø: Jørgensen 2010. Toftegård: Jørgensen 2009, 345  f.; Tornbjerg 2011. Uppåkra: Larsson/Lenntorp 2004; Hårdh/Larsson 2013; Hårdh 2017.



Gudum Man 

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a manorial complex (L. Jørgensen 2011). To this we can add the harbour and trading area at Lundeborg (Thomsen et al. 1993), Denmark’s largest Iron Age cemetery at Møllegårdsmarken, and – last, but not least – the onomastic indications of a special sacred role for the Gudme area. The name Gudme can be interpreted as ‘home of the gods’ and Gudme itself is surrounded by Gudbjerg, Galdbjerg and Albjerg, which have been interpreted as ‘The hill of the god(s)’, ‘The hill of sacrifice’ and ‘The hill of the shrine’ respectively. All these interpretations are subject to discussion;2 nevertheless, they have contributed to the fascination of Gudme. However, Gudme is not the only ‘Home of the gods’ in Scandinavia. Eleven places in Denmark, Southern Norway and Central Sweden have a variant of this name (Fig. 1). They were analysed at an interdisciplinary workshop in Schleswig in 2010 (Gudme/Gudhem 2011), where Mogens Bo Henriksen focused on comparing the parish of Gudum near Slagelse on Zealand (first mentioned c. 1170 as ‘Guthem’) to Gudme (Henriksen 2011). The topography, climate and agricultural history of the two areas are very similar and thus cannot be the reason for the limited number of finds from Gudum, as well as for their less than extraordinary character. Therefore, at the time of writing, Henriksen found no indication that Gudum on Zealand was of any religious or political importance during the Iron Age, although he concedes that negative archaeological evidence cannot be conclusive. The present village of Gudum is located at the centre of the parish, while the small Romanesque church lies c. 1 km to the south, close to the small river Gudum Å, which forms the SW parish boundary and is adjacent to a former mill farm. This might indicate that the church was built next to a magnate’s farm, but at present there is no other evidence for this, apart perhaps from the field name ‘Borrevænge’ (‘The Stronghold Field’) west of the mill farm and church (Henriksen 2011, 120; B. Jørgensen 2011, 28  ff.). Minor excavations south of the river prompted by ploughing and construction work had revealed traces of a former settlement, and Medieval and Renaissance metal detector finds confirmed this, including a possible dispersed hoard of base-metal civil war coinages (‘borgerkrigsmønter’, 1241 to c. 1340. See Claudi-Hansen 2016; ClaudiHansen/Axboe in press). When the detectorists moved to the fields around the church north of the river, their finds increased not only in number, but also in quality (Claudi-Hansen 2016; Claudi-Hansen/Axboe in press). As at other detector sites, there were few finds from the Pre-Roman and Roman Iron Age. At the time of writing, the finds from the Migration and Vendel Period are also scarce and rather mediocre in quality  – with one exception, which will be discussed below. The Viking Age finds include indicators of trade and craft activities such as weights, silver ingots, hack silver and melted silver drops, as well as two Viking Age moulds for ornamental rivet heads and pen-

2 On the place-names in the Gudme area, see Kousgård Sørensen 1985; Hauck 1985, 170  ff.; Brink 2011; B. Jørgensen 2011, 31  ff.

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 Morten Axboe

      Gudum    Gudum   Gudim      Gudhem   Gudhem                 Gudhem    Gudum  Gudum        Gudum   Gudhjem Gudme

Fig. 1: The eleven Gudhem sites (adapted from Gudme/Gudhem 2011, 3).

dants respectively. There are numerous finds of silver artefacts in the form of gilded pendants, large silver beads and chain terminals with animal heads, often of a high quality. Most notable is an imported silver-gilt Carolingian trefoil mount with acanthus ornamentation, which is only the third specimen of the type known from present-day Denmark (Claudi-Hansen/Axboe in press). Another rare find is a Byzantine silver miliaresion issued by Basil II between 976 and 989 (Horsnæs 2015). Carolingian and Anglo-Saxon coins have been found as well, some of them pierced for use as pend