Handbuch des offentlichen Wirtschaftsrechts: Band 1 Band 2, 2.Auflage [2., vollst. überarb. und erw. Aufl.] 9783211367384, 3211367381 [PDF]


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Table of contents :
Inhaltsübersicht......Page 12
Erster Teil: Ordnungsrecht......Page 23
Gewerberecht......Page 24
Rechtsgrundlagen......Page 25
Grundlegende Literatur......Page 27
I. Grundlagen......Page 28
II. Anwendungsbereich der GewO......Page 34
III. Gewerbeantritt......Page 46
IV. Gewerbeumfang......Page 83
V. Gewerbeausübung......Page 87
VI. Endigung und Ruhen der Gewerbeberechtigung......Page 100
VII. Verletzungen der GewO......Page 103
Rechtsgrundlagen......Page 108
I. Grundlagen......Page 109
II. Berufsausbildungsrecht......Page 117
III. Öffnungszeitenrecht......Page 132
IV. Preisauszeichnungsrecht......Page 137
V. Öffentliches Werberecht......Page 146
Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce......Page 162
Grundlegende Literatur......Page 163
I. Grundlagen......Page 164
II. Die Verwaltung der Domain-Namen im Internet......Page 175
III. Ordnungsrecht im Bereich des E-Commerce......Page 178
IV. Die rechtlichen Rahmenbedingungen kommerzieller Kommunikation (Werbung) im Internet......Page 181
V. Verantwortlichkeit im Internet......Page 184
VI. Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus für den elektronischen Geschäftsverkehr......Page 185
VII. Durchsetzung der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Anforderungen im Bereich des E-Commerce......Page 187
Gewerblicher Rechtsschutz......Page 188
Rechtsgrundlagen......Page 189
Grundlegende Literatur......Page 192
I. Grundlagen......Page 194
II. Markenrecht......Page 201
III. Patentrecht......Page 226
IV. Gebrauchsmuster......Page 242
V. Geschmacksmusterrecht......Page 249
VI. Halbleiterschutzrecht......Page 255
Vereinsrecht......Page 260
I. Grundlagen......Page 261
II. Der Verein nach dem Vereinsgesetz von 2002......Page 265
III. Der ideelle Verein im Geschäftsleben......Page 271
IV. Behörden und Verfahren......Page 275
Veranstaltungsrecht......Page 277
Rechtsgrundlagen......Page 278
Grundlegende Literatur......Page 280
I. Grundlagen......Page 281
II. Die einfachgesetzlichen Grundlagen......Page 302
Datenschutzrecht......Page 318
I. Grundlagen......Page 319
II. Anwendungsbereich des DSG 2000......Page 323
III. Das Grundrecht auf Datenschutz......Page 327
IV. Zulässigkeit der Datenverwendung......Page 330
V. Pflichten des Auftraggebers......Page 335
VI. Rechte des Betroffenen......Page 339
VII. Ausblick......Page 344
Rechtsgrundlagen......Page 345
I. Begriff und rechtshistorische Bedeutung......Page 346
II. Verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Fragen......Page 348
III. Verwaltungsrechtliche Fragen......Page 361
Rechtsgrundlagen......Page 379
I. Grundlagen......Page 381
II. Tourismusrecht ieS......Page 386
III. Tourismusrecht iwS......Page 405
IV. Bezüge zu anderen Rechtsbereichen......Page 412
Recht der freien Berufe......Page 414
Rechtsgrundlagen......Page 415
Grundlegende Literatur......Page 417
I. Grundlagen......Page 418
II. Erwerbsantritt......Page 440
III. Erwerbsausübung......Page 465
IV. Zusammenfassung und Ausblick......Page 482
Krankenanstaltenrecht......Page 483
Rechtsgrundlagen......Page 485
Grundlegende Literatur......Page 486
I. Grundlagen......Page 488
II. Begriff und Arten von Krankenanstalten......Page 502
III. Errichtungs- und Betriebsbewilligung......Page 514
IV. Innere Organisation (Personal und Organe)......Page 524
V. Allgemeine Vorschriften für den Betrieb......Page 533
VI. Aufsicht......Page 553
VII. Besondere Bestimmungen für öffentliche Krankenanstalten......Page 555
VIII. Besondere Bestimmungen für private Krankenanstalten......Page 568
IX. Unmittelbares Bundesrecht......Page 571
X. Querbezüge zu anderen Rechtsmaterien......Page 576
Mineralrohstoffrecht......Page 579
Rechtsgrundlagen......Page 581
I. Grundlagen......Page 582
II. Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen und Aufbau des MinroG......Page 585
III. “Aufsuchen” mineralischer Rohstoffe und Suchen und Erforschen von Speichern......Page 593
IV. Gewinnung mineralischer Rohstoffe und das Speichern von Kohlenwasserstoffen......Page 601
V. Tätigkeiten, für deren “bergbautechnische Aspekte” das MinroG gilt......Page 625
VI. Weitere Bestimmungen über die Ausübung der Bergbauberechtigungen mit Ausnahme des Bergbauanlagenrechts......Page 628
VII. Bergbau und Grundeigentum......Page 636
VIII. Vollzug, Behörden und Bergbauaufsicht......Page 641
IX. Übergangsrecht......Page 643
X. Mineralrohstoffnebenrecht......Page 644
Zweiter Teil: Wettbewerbsrecht......Page 645
Allgemeines Wettbewerbsrecht......Page 646
Grundlegende Literatur......Page 648
I. Grundlagen......Page 649
II. Anwendungsbereich......Page 654
III. Verbot der Verhaltenskoordination......Page 663
IV. Missbrauch einer marktbeherrschender Stellung......Page 676
V. Zusammenschlusskontrolle......Page 680
VI. Verfahren, Behörden und Rechtsdurchsetzung......Page 687
VII. Verhältnis zwischen KartG 2005 und Sonderwettbewerbsrecht......Page 693
Beihilfe- und Förderungsrecht......Page 695
Rechtsgrundlagen......Page 696
Grundlegende Literatur......Page 698
I. Grundlagen......Page 702
II. Beihilfetatbestand......Page 710
III. Österreichisches Förderungsrecht......Page 743
IV. Rechtfertigung von Beihilfen: Vereinbarkeitsprüfung......Page 756
V. Grundzüge des Verfahrens der Beihilfeprüfung......Page 768
VI. Grundzüge des Rechtsschutzes vor den Gemeinschaftsgerichten in Beihilfesachen......Page 799
Vergaberecht......Page 805
Rechtsgrundlagen......Page 807
Grundlegende Literatur......Page 808
I. Grundlagen......Page 810
II. Das BVergG 2006......Page 830
III. Persönlicher Geltungsbereich des BVergG......Page 834
IV. Sachlicher Geltungsbereich des BVergG......Page 846
V. Das Vergabeverfahren nach dem BVergG......Page 862
VI. Besonderheiten für Auftragsvergaben in den Sektoren......Page 900
VII. Rechtsschutz......Page 903
Dritter Teil: Regulierungsrecht......Page 919
Energiewirtschaftsrecht......Page 920
Rechtsgrundlagen......Page 921
I. Grundlagen......Page 922
II. Elektrizitätsrecht......Page 927
III. Gasrecht......Page 941
IV. Regulierungsbehörden......Page 950
Verkehrsrecht......Page 955
Kapitel 1: Straßenverkehrsinfrastruktur......Page 963
I. Grundlagen......Page 964
II. Die Genehmigung des Baus von Bundesstraßen......Page 978
III. Bau und Erhaltung von Bundesstraßen......Page 993
IV. Finanzierung......Page 995
Kapitel 2: Schieneninfrastruktur......Page 1003
I. Grundlagen......Page 1004
II. Die Genehmigung von Eisenbahnen......Page 1008
III. Bau, Betrieb und Finanzierung der Schieneninfrastruktur......Page 1026
Kapitel 3: Binnenschifffahrtsinfrastruktur......Page 1029
I. Grundlagen......Page 1030
II. Die Genehmigung von Schifffahrtsanlagen und Wasserstraßen......Page 1033
III. Instandhaltung von Wasserstraßen: Bundes-Wasserstraßenverwaltung (via donau)......Page 1038
IV. Finanzierung......Page 1039
I. Grundlagen......Page 1040
II. Die Genehmigung von Flugplätzen......Page 1043
III. Betrieb von Flugplätzen......Page 1046
IV. Rechtliche Ordnung des Luftraums und einheitlicher europäischer Luftraum......Page 1050
Kapitel 1: Marktzulassung von Straßentransportunternehmen......Page 1052
I. Grundlagen......Page 1053
II. Marktzulassung von Gelegenheitsverkehrsunternehmen......Page 1055
III. Marktzulassung von Güterbeförderungsunternehmen......Page 1059
IV. Marktzulassung von Kraftfahrlinienverkehrsunternehmen......Page 1061
I. Grundlagen......Page 1067
II. Marktzulassung von Eisenbahnverkehrsunternehmen......Page 1070
III. Ausübungsvorschriften......Page 1072
Kapitel 3: Marktzulassung von Schifffahrtsunternehmen......Page 1075
II. Marktzulassung von Schifffahrtsunternehmen......Page 1076
III. Schiffsführerschulen......Page 1079
I. Grundlagen......Page 1080
II. Marktzulassung von Luftfahrtunternehmen......Page 1086
III. Ausübungsvorschriften......Page 1096
IV. Fachbehördliche Aufsicht über Luftfahrtunternehmen......Page 1098
I. Grundlagen......Page 1101
II. Regulierung im Straßenverkehr......Page 1105
III. Regulierung des Schienenverkehrs......Page 1108
IV. Regulierung des öffentlichen Personennahverkehrs......Page 1116
V. Regulierung der Binnenschifffahrt......Page 1117
VI. Regulierung des gewerblichen Luftverkehrs......Page 1120
Telekommunikationsrecht......Page 1129
Rechtsgrundlagen......Page 1130
Grundlegende Literatur......Page 1132
I. Grundlagen......Page 1133
II. Der ordnungsrechtliche Rahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte......Page 1148
V. Verwaltung knapper Ressourcen......Page 1155
VI. Wettbewerbsregulierung......Page 1169
V. Universaldienst und Nutzerrechte......Page 1182
VI. Datenschutz......Page 1186
VII. Organisation der Regulierung auf den Telekommunikationsmärkten......Page 1188
VIII. Verfahren und Rechtsschutz......Page 1193
Recht der Massenmedien......Page 1199
Rechtsgrundlagen......Page 1201
Grundlegende Literatur......Page 1202
I. Entwicklung und rechtliche Rahmenbedingungen im Überblick......Page 1203
II. Europäisches Medienrecht - gemeinschaftsrechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen......Page 1211
III. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Medienrechts......Page 1229
IV. Medienordnungsrecht......Page 1236
V. Medienwettbewerbsrecht......Page 1274
VI. Medienwerbung......Page 1283
VII. Medienförderung......Page 1290
VIII. Medienaufsichtsrecht - Die Organisationsstruktur der audiovisuellen Medienregulierung......Page 1294
Postrecht......Page 1299
I. Grundlagen......Page 1300
II. Internationale und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben......Page 1302
III. Der innerstaatliche Rahmen für das Postwesen......Page 1316
Abfallwirtschaftsrecht......Page 1325
Grundlegende Literatur......Page 1326
I. Grundlagen......Page 1327
II. Abfallwirtschaftsrecht des Bundes......Page 1331
II. Zum Abfallwirtschaftsrecht der Länder......Page 1359
III. Altlastenrecht......Page 1363
Wasserversorgung - Abwasserentsorgung......Page 1368
Rechtsgrundlagen......Page 1369
Grundlegende Literatur......Page 1371
I. Grundlagen......Page 1372
II. Einschlägige nationale Regelungen - Wasserversorgung......Page 1383
III. Einschlägige nationale Regelungen - Abwasserentsorgung......Page 1392
IV. Zur Frage der Liberalisierung der Wasserversorgung......Page 1397
V. Beteiligung Privater an der Abwasserentsorgung......Page 1410
Vierter Teil: Aufsichtsrecht......Page 1444
Kapitalmarktrecht......Page 1445
Rechtsgrundlagen......Page 1446
Grundlegende Literatur......Page 1450
I. Kapitalmarkt......Page 1451
II. Kapitalmarktrecht......Page 1452
III. Zugangsregelungen......Page 1453
IV. Emittenten......Page 1467
V. Übernahmerecht......Page 1480
VI. Kapitalmarktaufsicht......Page 1482
VII. Ausblick......Page 1483
Rechtsgrundlagen......Page 1484
Grundlegende Literatur......Page 1485
I. Grundlagen......Page 1486
II. Kreditinstitutsbegriff......Page 1494
III. Grundsätze der Bankenaufsicht......Page 1508
IV. Anleger- und kundenbezogene Pflichten......Page 1542
V. Geschäftsaufsicht über Kreditinstitute......Page 1550
Versicherungsaufsichtsrecht......Page 1552
Rechtsgrundlagen......Page 1553
I. Grundlagen......Page 1554
II. Anwendungsbereich des VAG......Page 1571
III. Aufsichtsmittel......Page 1573
IV. Aufsichtsbehörde......Page 1603
Pensionskassenaufsichtsrecht......Page 1606
I. Grundlagen......Page 1607
II. Die Aufgabe von Pensionskassen......Page 1609
III. Pensionskassengeschäfte......Page 1612
IV. Errichtung und Betrieb von Pensionskassen......Page 1614
V. Mitwirkung der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten an der Verwaltung der Pensionskasse......Page 1627
VI. Aufsicht über Pensionskassen......Page 1628
VII. Auflösung des Pensionskassenvertrages und Auflösung der Pensionskasse......Page 1629
Staatliche Aufsicht über Verwertungsgesellschaften......Page 1634
Grundlegende Literatur......Page 1635
I. Grundlagen......Page 1636
II. Staatliche Aufsicht über VerwGes nach VerwGesG 2006......Page 1656
III. Finanzierung der Aufsicht......Page 1676
IV. Aufsichtsbehörden......Page 1678
V. Würdigung......Page 1683
Glücksspiel- und Wettrecht......Page 1684
I. Grundlagen......Page 1685
II. Das Glücksspielmonopol - Glücksspielrecht des Bundes......Page 1692
III. Das Glücksspielrecht der Länder (“Kleines Glücksspiel”)......Page 1705
IV. Wettrecht......Page 1708
Fünfter Teil: Wirtschaftsrecht der öffentlichen Hand......Page 1711
Haushaltsrecht......Page 1712
Rechtsgrundlagen......Page 1713
Grundlegende Literatur......Page 1714
I. Grundlagen......Page 1715
II. Bundeshaushaltsgesetz......Page 1741
III. Haushalts(verfassungs)rechtsreform......Page 1767
IV. Haushaltsrechtliche Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden......Page 1770
V. Haushaltsrecht der Länder und Gemeinden......Page 1776
Öffentliche Unternehmen......Page 1785
Rechtsgrundlagen......Page 1786
Grundlegende Literatur......Page 1787
I. Grundlagen......Page 1788
II. Der Begriff des öffentlichen Unternehmens......Page 1802
III. Einteilung öffentlicher Unternehmen......Page 1805
IV. Ausgliederung und Privatisierung......Page 1809
V. Öffentliche Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftssektoren......Page 1819
I. Grundlagen......Page 1856
III. Das Tabakmonopol......Page 1859
Sechster Teil: Produktrecht......Page 1866
Vermessungswesen-Messwesen-Eichwesen......Page 1867
Grundlegende Literatur......Page 1868
I. Grundlagen......Page 1869
II. Vermessungswesen......Page 1873
III. Mess- und Eichwesen......Page 1878
Normung......Page 1886
Rechtsgrundlagen......Page 1887
I. Grundlagen......Page 1888
II. Normen......Page 1892
III. Nationale Normung......Page 1901
IV. Europäische Normung......Page 1910
V. Rechtsstaatliche und demokratische Probleme der Normung......Page 1932
VI. Umweltnormung......Page 1935
Rechtsgrundlagen......Page 1938
I. Grundlagen......Page 1939
II. Kompetenzrechtliche Einordnung......Page 1942
III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen......Page 1943
IV. Die Regelungen des Akkreditierungsgesetzes (AkkG)......Page 1945
V. Sonderbestimmungen für elektronische Signaturen......Page 1960
Rechtsgrundlagen......Page 1962
I. Grundlagen......Page 1963
II. Kompetenzrechtliche Einordnung......Page 1964
III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen......Page 1965
IV. Die Regelungen des Elektrotechnikgesetzes......Page 1967
Rechtsgrundlagen......Page 1975
I. Kompetenzrechtliche Einordnung......Page 1976
II. EU-Bauproduktenrichtlinie......Page 1979
III. Umsetzung in Österreich......Page 1987
IV. Schwierigkeiten auf Gemeinschaftsebene......Page 1989
I. Grundlagen......Page 1991
II. Inhalt......Page 1996
III. Produktsicherheitsbeirat......Page 2003
Lebensmittelrecht......Page 2005
Rechtsgrundlagen......Page 2006
I. Grundlagen......Page 2013
II. Der Geltungsbereich des LMSVG......Page 2018
III. Die lebensmittelrechtliche Ordnung......Page 2019
IV. Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel......Page 2027
V. Nationales Verordnungsrecht......Page 2029
VI. Die Vollziehung des unmittelbar anwendbaren EG-Lebensmittelrechts......Page 2031
VII. Lebensmittelpolizeiliche Aufsicht......Page 2033
VIII. Zwischenstaatlicher Lebensmittelverkehr......Page 2038
IX. Lebensmitteluntersuchungsanstalten und Lebensmittelgutachter......Page 2039
X. Das österreichische Lebensmittelbuch......Page 2040
XI. Lebensmittelstrafrecht......Page 2041
XII. Zusammenhänge......Page 2043
Tabakrecht......Page 2046
I. Grundlagen......Page 2047
II. Tabakgesetz......Page 2055
III. Sonstige tabakbezogene Regelungen......Page 2062
Gentechnikrecht......Page 2064
Grundlegende Literatur......Page 2065
I. Grundlagen......Page 2066
II. Arbeiten im geschlossenen System......Page 2075
III. Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen......Page 2083
IV. In-Verkehr-Bringen gentechnisch veränderter Produkte......Page 2096
V. Die Gentechnik-Vorsorgegesetze der Länder......Page 2107
VI. Genetische Analyse......Page 2111
VII. Gentherapie......Page 2118
VIII. Schlussbemerkung......Page 2121
Chemikalienrecht......Page 2123
Rechtsgrundlagen......Page 2124
I. Grundlagen......Page 2127
II. Das Chemikaliengesetz 1996......Page 2149
III. Die Regulierung von Pestiziden......Page 2183
I. Grundlagen......Page 2216
II. Das Waffengesetz......Page 2219
III. Behörden und Verfahren......Page 2222
Siebenter Teil: Anlagenrecht......Page 2224
Gewerbliches Betriebsanlagenrecht......Page 2225
Rechtsgrundlagen......Page 2226
I. Grundlagen......Page 2227
II. Begriff der gewerblichen Betriebsanlage......Page 2232
III. Genehmigungspflicht......Page 2234
IV. Genehmigungsverfahren......Page 2239
V. Genehmigung......Page 2247
VI. Die genehmigte Betriebsanlage......Page 2256
VII. Rechtsverletzungen......Page 2263
VIII. Gewerbliches Betriebsanlagenrecht und Raumordnung......Page 2264
Umweltverträglichkeitsprüfung......Page 2267
Grundlegende Literatur......Page 2268
I. Grundlagen......Page 2269
II. Die UVP im konzentrierten Genehmigungsverfahren......Page 2284
III. Sonderregelungen......Page 2314
Rechtsgrundlagen......Page 2321
I. Grundlagen......Page 2322
II. AWG des Bundes......Page 2338
III. Landesabfallrecht......Page 2371
Rechtsgrundlagen......Page 2374
I. Grundlagen......Page 2375
II. Das anlagenrelevante Naturschutzrecht im Überblick......Page 2384
III. Ausgewählte Genehmigungsregime......Page 2387
Anlagenrelevante Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes......Page 2403
Rechtsgrundlagen......Page 2404
Grundlegende Literatur......Page 2405
I. Grundlagen......Page 2406
II. Anlagenrecht und WRG - Instrumentarium......Page 2417
III. Begriffsbestimmungen......Page 2418
IV. Benutzung der Gewässer......Page 2422
V. Gewässerschutz......Page 2429
VI. Weitere anlagenrelevante Regelungen......Page 2446
VII. Instandhaltungspflicht......Page 2447
X. Verfahren - Einzelaspekte......Page 2448
IX. Aufsicht......Page 2456
X. Strafen......Page 2457
Rechtsgrundlagen......Page 2459
I. Grundlagen......Page 2460
II. Begriff der Bergbauanlage im MinroG......Page 2461
III. Bewilligung von Bergbauanlagen......Page 2465
IV. Die bewilligte Bergbauanlage......Page 2470
V. Zusatzbestimmungen für Aufbereitungsanlagen (IPPC-Anlagen)......Page 2474
VI. Bergwerksbahnen......Page 2475
Energieanlagenrecht......Page 2476
I. Grundlagen......Page 2477
II. ElWOG......Page 2481
III. Das Anlagenrecht im ÖSG......Page 2485
IV. Das Anlagenrecht im GWG......Page 2488
IV. Das Anlagenrecht im RohrleitungsG......Page 2493
Rechtsgrundlagen......Page 2496
Grundlegende Literatur......Page 2497
I. Grundlagen......Page 2498
II. Ziel und Funktion des Emissionszertifikategesetzes......Page 2504
III. Anwendungsbereich des EZG......Page 2505
IV. Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen......Page 2507
V. Überprüfung von Treibhausgasemissionen......Page 2510
VI. Zuteilung von Emissionszertifikaten......Page 2513
VII. Emissionszertifikate, Emissionsreduktionseinheiten und Zertifizierte Emissionsreduktionen......Page 2516
VIII. Anlagenpools......Page 2522
IX. Register......Page 2523
Achter Teil: Lenkungsrecht......Page 2524
Außenwirtschaftsrecht der EU......Page 2525
Rechtsgrundlagen......Page 2526
Grundlegende Literatur......Page 2527
I. Grundlagen und Konzeption des Beitrags......Page 2528
II. Die Zuständigkeitsverteilung in der EU......Page 2530
III. Der völkerrechtliche Rahmen......Page 2548
IV. Die Instrumente der Gemeinsamen Handelspolitik......Page 2559
V. Ausgewählte weitere Gemeinschaftspolitiken in außenwirtschaftlicher Perspektive......Page 2571
VI. „Säulenübergreifendes” Außenwirtschaftsrecht......Page 2587
VII. Die Vertretung der EG/EU und der Mitgliedstaaten in Internationalen Wirtschaftsorganisationen......Page 2593
VIII. Ausblick auf die Verfassung für Europa......Page 2598
Rechtsgrundlagen......Page 2602
Grundlegende Literatur......Page 2603
I. Grundlagen......Page 2604
II. Währungsrecht......Page 2606
III. Devisenrecht......Page 2613
Agrarmarktrecht......Page 2616
Rechtsgrundlagen......Page 2617
Grundlegende Literatur......Page 2620
I. Grundlagen......Page 2621
II. Grundzüge und Prinzipien der Gemeinsamen Agrarpolitik......Page 2658
III. Grundzüge der einzelnen Marktorganisationen in ausgewählten Bereichen......Page 2696
Preis- und Versorgungssicherungsrecht......Page 2733
I. Grundlagen......Page 2734
II. Preisrecht......Page 2738
III. Versorgungssicherung......Page 2758
Rechtsgrundlagen......Page 2765
I. Grundlagen......Page 2766
II. Energielenkung......Page 2774
III. Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz......Page 2781
IV. Lebensmittelbewirtschaftsungsgesetz......Page 2786
A......Page 2789
B......Page 2790
C......Page 2791
E......Page 2792
G......Page 2793
K......Page 2795
M......Page 2796
O......Page 2797
P......Page 2798
S......Page 2799
U......Page 2800
V......Page 2801
W......Page 2802
Z......Page 2803
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51

52 53 54 55

Eurostat, 13. Eine Ausnahme sind Produzenten, bei denen es sich um finanzielle Mittler handelt, denn sie sind dem Sektor finanzielle Kapitalgesellschaften zuzuordnen. Bundesministerium für Finanzen et al (Hrsg), Arbeitsbehelf für Gemeinden und Städte zur Unterstützung der Einrichtung von Betrieben mit marktbestimmter Tätigkeit (1997), 13. Siehe dazu zB Schwarz, Die VGR als System, Nichtfinanzielle Sektorkonten nach ESVG 1995, Statistische Nachrichten 2001, 449. § 5 Abs 4 Bundesmuseen-Gesetz 2002, BGBl 2002 I/14. § 7 Abs 2 Bundestheaterorganisationsgesetz, BGBl 1998 I/108 idF BGBl 2001 I/136. § 32 Bundesstatistikgesetz 2000, BGBl 1999 I/163 idF BGBl 2001 I/136.

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lich signifikanten Preisen verkaufen. Nichtmarktproduzenten sind Produzenten, die Dritten den größten Teil ihrer Produktion kostenlos oder zu wirtschaftlich nicht signifikanten Preisen zur Verfügung stellen. Dementsprechend erfordert ein „Umsatz“ im Sinne des ESVG 95 einen wirtschaftlich signifikanten Preis. Ein Preis ist wirtschaftlich signifikant, wenn er die von den Produzenten angebotenen und von den Käufern nachgefragten Mengen signifikant beeinflusst und umgekehrt.56

bbb) Zahlungen des Staates Der Begriff des Umsatzes erfasst nach dem ESVG 95 auch „Zahlungen des Staates“, wenn sie „allen Produzenten eines Wirtschaftszweiges“ gewährt werden und „an das Volumen oder den Wert der Produktion“ gebunden sind (Punkt 3.33. des ESVG 95). Derartige Zahlungen des Staates spielen bei ausgegliederten Rechtsträgern eine ganz besondere Rolle, da sie üblicherweise manchmal auch überwiegend und ausschließlich - Leistungen für den Staat erbringen und als Entgelt dafür entsprechende Zahlungen vom Staat empfangen. Diese Zahlungen als Entgelt für bestimmte Leistungen können von vorneherein nicht „allen Produzenten eines Wirtschaftszweiges“ zugestanden werden. Daher stellen „Zahlungen des Staates“ wohl dann Umsätze dar, wenn sie für die betreffende Gegenleistung auch anderen Produzenten des betreffenden Wirtschaftszweiges geboten werden müssten - also ihrer Höhe nach „marktkonform“ sind - und das Ausmaß der Zahlungen durch Angebot und Nachfrage („Volumen“ und „Wert“ der Produktion) bestimmt wird.

Öffentliche institutionelle Einheiten, die hauptsächlich vom Staat finanziert werden, und zwar entweder entsprechend ihren Kosten oder auf der Grundlage von Verhandlungen (Globalbudget), bei denen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden (Gesamtleistung, Zahlungen in Form von Arbeitnehmerentgelten usw), sind dem Sektor Staat zuzurechnen, da diese Zahlungen des Staates keinen Umsätzen entsprechen.57

D. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Budgetrechts 1. Die Budgethoheit des Nationalrats Verfassungsgesetzliche Grundlagen für das Haushaltsrecht des Bundes finden sich in den Bestimmungen der Art 51 bis 51c so wie in Art 42 Abs 5 B-VG. Unter dem Budgetrecht im subjektiven Sinn wird das Recht des Nationalrates verstanden, die Ausgaben und Einnahmen des Staates durch formelles Gesetz zu bewilligen und damit die Entscheidungsgewalt über die Staatsfinanzen, also Budgethoheit auszuüben.58 Damit hängt zusammen, dass dem Bundesrat bei Gesetzesbeschlüssen gemäß Art 42 Abs 5 B-VG keine Mitwirkung zusteht, so dass der Bundesrat gegen die genannten Gesetzesbeschlüsse keinen Einspruch erheben kann und diese Gesetzesbeschlüsse ohne weiteres zu beurkunden und 56

57 58

Eurostat, 13. Wenn unter administrativen, sozialen oder politischen Gesichtspunkten entschieden worden ist, welche Gesamtmenge eines bestimmten nichtmarktbestimmten Gutes oder einer bestimmten nichtmarktbestimmten Dienstleistung angeboten werden soll, wird für dieses Gut bzw diese Dienstleistung absichtlich ein Preis festgelegt, der deutlich unter dem Gleichgewichtspreis liegt, bei dem die Nachfrage genau dem Angebot entsprechen würde. Eurostat, 15. Holoubek, ÖHW 1989, 175 mwH.

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kundzumachen sind.59 Die Bundesverfassung enthält keine Ermächtigung an den Budgetgesetzgeber, generelle, über ein Finanzjahr hinausgehende Regelungen betreffend die Bewilligung von Ausgaben zu treffen. Der Nationalrat kann die ihm durch die Bundesverfassung eingeräumte Ermächtigung weder übertragen noch auf sie verzichten.60 Dem Nationalrat steht es im Gegenzug dazu nicht zu, das Budgetgesetz mit außerbudgetären materiellen Normen zu bepacken (Bepackungsverbot).61 Die näheren Bestimmungen über die Erstellung des BFG und über die Haushaltsführung des Bundes sind gemäß Art 51 Abs 6 B-VG durch Bundesgesetz zu treffen. Nach § 32 BHG ist primär der Bundesminister für Finanzen für die Ausarbeitung des Budgetgesetzentwurfes verantwortlich. Er hat von den haushaltsleitenden Organen Entwürfe einzuholen (§ 30 BHG) und mit den Ressortleitern Budgetverhandlungen zu führen. Der Bundesminister für Finanzen hat die Voranschlagsentwürfe unter Bedachtnahme auf die gesetzlich festgelegten Ziele der Haushaltsführung (§ 2 BHG) sowie die finanzielle Leistungsfähigkeit des Bundes zu überprüfen und sodann den Bundesvoranschlagsentwurf62 zu erstellen.63 Art 51 Abs 2 B-VG verpflichtet die Bundesregierung den Entwurf eines BFG für das folgende Finanzjahr spätestens zehn Wochen vor Ablauf des Finanzjahres - konkret spätestens am 22. Oktober - vorzulegen.64 Art 51 Abs 1 B-VG verpflichtet den Nationalrat, seinen Beratungen den Entwurf der Bundesregierung zugrunde zu legen. Bis zum 22. Oktober hat die Bundesregierung das Antragsmonopol, danach initiiert ihre Vorlage das Gesetzgebungsverfahren nur dann, wenn noch kein Initiativantrag eingebracht wurde. Ein BFG ist damit subsidiär auf Grund eines Initiativantrages möglich.65 Existiert bereits ein Selbständiger Antrag des Nationalrates, so kann dieser selbst entscheiden, ob er einen verspäteten Regierungsentwurf noch in Verhandlung nimmt oder nicht.66 Auch Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates, die einen der in Art 42 Abs 5 B-VG genannten Gegenstände zum Inhalt haben und „ohne Mitwirkung“ des Bundesrates zustande kommen, sind vom Präsidenten des Nationalrates dem Bundesrat zu übermitteln. Nimmt der Bundesrat einen derartigen an ihn übermittelten Gesetzesbeschluss in 59 60

61 62 63 64

65 66

Rödler, Haushaltsrecht, 18. VfSlg 4340. Die Budgethoheit des Nationalrates wird zB verletzt, wenn die Zuständigkeit des Nationalrates zur Aufnahme oder Konvertierung von Bundesanleihen oder die Zuständigkeit zur Verfügung über Bundesvermögen an den Bundesminister für Finanzen in verfassungswidriger Weise delegiert wird. Damit wird auch das im Art 18 B-VG verankerte Legalitätsprinzip verletzt, weil eine solche Delegation die Verwaltungsbehörde zu einem Handeln ermächtigt, das nicht durch das Gesetz vorausbestimmt ist. Hengstschläger, Das Haushaltsrecht des Bundes aus juristischer Sicht, in Gantner (Hrsg), 34. Der Bundesvoranschlag muss eine Spezialisierung der Ausgaben mindestens hinsichtlich ihrer Art und ihrer Höhe nach vornehmen, VfSlg 4340. Die Erstellung des Stellenplanentwurfes obliegt dem Bundeskanzler im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen (§ 33 BHG). Bei nicht rechtzeitiger Vorlage des Budgetgesetzentwurfes kann die Säumigkeit der Bundesregierung zu einem Misstrauensvotum durch den Nationalrat gemäß § 74 Abs 1 und 2 B-VG führen oder zur staatsrechtlichen Anklage gegen die Regierungsmitglieder gemäß Art 142 B-VG, siehe dazu Hengstschläger in Korinek/ Holoubek (Hrsg), Art 51 Rz 27. Holoubek, ÖHW 1989, 176. Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 35 f.

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Behandlung fehlt ihm dafür eine Zuständigkeit.67 Würde er einem diesbezüglichen Gesetzesbeschluss des Nationalrates zustimmen, wäre das eine verfassungswidrige Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren. Probleme können hierbei Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates bereiten, welche sowohl einfachgesetzliche Bestimmungen als auch solche enthalten, welche den Materien gemäß Art 42 Abs 5 B-VG zuzuordnen sind (zB in den Budgetbegleitgesetzen). In der Gesetzgebungspraxis werden die dem Art 42 Abs 5 B-VG unterfallenden Bestimmungen in den Materialien als solche bezeichnet und der Bundesrat nimmt diese Bestimmungen von seiner Beschlussfassung aus.68 Die Beurteilung darüber, ob ein Gesetzesbeschluss des Nationalrates einen der in Art 42 Abs 5 B-VG genannten Gegenstände betrifft, obliegt primär dem Bundeskanzler, der in solchen Fällen unverzüglich die Beurkundung und Kundmachung in die Wege zu leiten hat.69

2. Die Staatszielbestimmung im Art 13 Abs 2 B-VG Nach Art 13 Abs 2 B-VG haben Bund, Länder und Gemeinden bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes anzustreben. Art 13 Abs 2 B-VG stellt eine Staatszielbestimmung im Sinne einer materiellen Wertentscheidung dar.70 Unter Haushaltsführung im Sinne dieser Bestimmung ist die Erstellung des Haushaltsplanentwurfes, die Bewilligung des Haushaltsplanes durch den Nationalrat, der Vollzug des Haushaltsplanes und die Rechnungslegung zu verstehen.71 Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht besteht nach § 2 Abs 2 BHG bei einem ausgewogenen Verhältnis zwischen einem hohen Beschäftigungstand, einem hinreichend stabilen Geldwert, der Sicherung des Wachstumspotentials und der Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichtes. § 2 Abs 1 BHG verpflichtet darüber hinaus den Bund, bei seiner Gebarung die Verbundenheit der Finanzwirtschaft der Gebietskörperschaften zu berücksichtigen.72

3. Rechtswirkungen und Inhalt des Bundesfinanzgesetzes Dem vom Nationalrat genehmigten Entwurf eines BFG kommt die Form eines Bundesgesetzes zu. Dennoch richtet sich das Budgetgesetz nicht wie bei anderen Bundesgesetzen üblich an die Rechtsunterworfenen, sondern enthält nur Ermächtigungen für Verwaltungsorgane.73 Das BFG ist demnach mit bloßer Innenwirkung ausgestattet. Gemäß § 37 BHG werden durch das BFG Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben. Es enthält vielmehr nur Ermächtigungen für Verwaltungsorgane. Demnach sind Regelungen, die sich an außenstehende Rechtsunterworfene richten und in Form eines BFG erzeugt werden, verfassungswidrig. Umgekehrt bleiben materiellrechtliche Ansprüche (zB Subventionen) auch mangels budgetmäßiger Deckung bestehen und sind für materiellrechtliche Verbindlichkeiten (zB Steuern) ausschließlich 67 68 69 70 71 72

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Schick in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 42, Rz 33. Lödl, ÖHW 2002, 56. Schick in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 42, Rz 33. Holoubek, ÖHW 1989, 174. Rödler, Haushaltsrecht, 14. Schwab, Die Haushaltsrechtsreform des Bundes, ÖHW 1986, 1 (10). Zur Kritik an dieser verfassungsrechtlichen Verankerung keynesianischen Gedankenguts siehe Rödler, ecolex 1999, 728 f. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 (2000), Rz 517.

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die einschlägigen Gesetze maßgeblich.74 Da das Budgetgesetz im Außenverhältnis weder Rechte begründet noch Pflichten auferlegt, kann beispielsweise ein materiellrechtlicher Anspruch einzelner Personen gegen den Bund nicht deshalb untergehen, weil er im Budgetgesetz nicht ausreichend dotiert ist. Grundsätzlich kann beim BFG nach einer sachlichen, betraglichen und zeitlichen Bindungswirkung differenziert werden. Die sachliche Bindungswirkung (qualitative Spezialität) besagt, dass Ausgaben nur insofern geleistet werden dürfen, als sie im BFG bzw in einem Budgetprovisorium ihrer Art nach (durch einen Voranschlagsansatz) vorgesehen sind (Ausnahmen bestehen für außerplanmäßige Ausgaben). Einnahmen sind nach Maßgabe der materiellrechtlichen Bestimmungen (zB den Abgabengesetzen) aufzubringen. Die zeitliche Bindung (temporale Spezialität) erstreckt sich auf die Dauer des Haushaltszeitraumes, somit für jeweils ein Finanzjahr. Aufgrund der betraglichen Bindungswirkung (quantitative Spezialität) dürfen Ausgaben grundsätzlich nur insoweit geleistet werden, als sie im BFG bzw im Provisorium der Höhe nach vorgesehen sind (Ausnahmen bestehen für überplanmäßige Ausgaben).75 Im Gegensatz zur Ausgabenveranschlagung stellt die Höhe der Einnahmenveranschlagung mit Rücksicht auf den Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (Art 126b Abs 5 BVG) kein Limit dafür dar, jede rechtlich begründete Einnahmemöglichkeit wahrzunehmen.76 Dem Grundsatz der doppelten gesetzlichen Bedingtheit der Finanzverwaltungsakte, wonach ein Gebarungsvorgang gleichzeitig sowohl materiellrechtlich begründet als auch bundesfinanzgesetzlich vorgesehen sein muss77, kommt somit nur im Innenverhältnis hinsichtlich der Ausgaben Berechtigung zu.78 Selbst bezogen auf die Ausgabenseite kann die „doppelte gesetzliche Bedingtheit“ relativiert werden, wenn man beachtet, dass die budgetären Ausgabenansätze Höchstbeträge bedeuten und dass die Vollziehung über die im BFG festgelegten Mittel nur nach Maßgabe etwaiger gesetzlicher Vorschriften verfügen darf, aber keinesfalls verpflichtet ist, sie unbedingt zu verausgaben.79 Das BFG heißt genau genommen Bundesfinanzgesetz über die Bewilligung des Bundesvoranschlages. Inhalt des BFG ist daher die Bewilligung des „Voranschlages der Einnahmen und Ausgaben des Bundes“. Die Ansätze der veranschlagten Einnahmen und der bewilligten Ausgaben sind ausschließlich im Bundesvoranschlag enthalten, der dem BFG zwingend als Anlage anzuschließen ist. Das BFG selbst weist nur die Ge74 75 76 77 78

79

Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, Kurzkommentar3 (2002), 215. Rödler, Haushaltsrecht, 132. AB 877 BlgNR 16.GP, 7. Hengstschläger, Budgetrecht, 201 und 258 f. Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51, Rz 91 f. Rödler, Haushaltsrecht, 133. AA Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51, Rz 94, der einerseits betont, dass budgetgesetzliche Ansätze die materiellrechtliche Regelung unberührt lassen und daraus resultierende Rechte und Pflichten nicht tangieren, während er andererseits verneint, dass Ausgaben aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen jedenfalls, unabhängig davon, ob sie in einem Voranschlagsansatz dotiert wurden oder nicht, zu leisten sind. Es kann aber nicht auf der einen Seite ein Anspruch auf Leistung bestehen, dem auf der anderen Seite keine Leistungsverpflichtung gegenübersteht. So ist mE die Auffassung zutreffender, wonach dem Grundsatz der doppelten gesetzlichen Bedingtheit nur im Innerverhältnis hinsichtlich der Ausgaben Bedeutung zukommt. Die haushaltsrechtlichen Bestimmungen binden nur die Organe der Haushaltsführung ohne Außenwirkung, eine Nichtbeachtung derselben kann daher Konsequenzen nur für diese herbeiführen, nicht jedoch für Außenstehende. Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer2 (1988), 240 f.

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samtsumme der Einnahmen und Ausgaben, getrennt in den allgemeinen Haushalt und den Ausgleichshaushalt, sowie den Gebarungsabgang bzw den Überschuss aus.80 Im „Ausgleichshaushalt“ sind die Einnahmen aus der Aufnahme von Finanzschulden und die Ausgaben für die Rückzahlung von Finanzschulden sowie die zur vorübergehenden Kassenstärkung eingegangenen Geldverbindlichkeiten und die Einnahmen und Ausgaben infolge eines Kapitalaustausches bei Währungstauschverträgen darzustellen. Aus dem allgemeinen Haushalt soll somit das „echte Nettoergebnis“ sichtbar sein.81

4. Die Stellung des Bundesministers für Finanzen im Rahmen des Haushaltsverfassungsrechts Art 51a B-VG verpflichtet den Bundesminister für Finanzen zu vorrangiger Ausgabenbewilligung zur Erfüllung fälliger Verpflichtungen und zur Beachtung der Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit bei Bewilligung der übrigen vorgesehenen Ausgaben nach Maßgabe der jeweils zur Verfügung stehenden Einnahmen und ermächtigt ihn zur konjunkturpolitisch erforderlichen Anwendung des Konjunkturausgleichvoranschlags bzw zu vorläufigen Ausgabenbindungen mit Zustimmung der Bundesregierung. Damit wird der Bundesminister für Finanzen zum „Controller“ der Haushaltsführung.82 Er hat auf die Einhaltung der Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu achten und zur Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne des Art 13 Abs 2 B-VG konjunkturpolitisch aktiv zu werden. Um diesen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen gerecht werden zu können, sieht auch das BHG eine Stärkung der Stellung des Bundesministers für Finanzen vor.83

a) Vollzug der Einnahmen- und Ausgabengebarung Der Bundesminister für Finanzen ist nach Art 51a B-VG für die Führung des Gesamthaushaltes verantwortlich. Er hat die verfassungsrechtliche Pflicht, die „Haushaltsführung“ zu gestalten und zu überwachen. In erster Linie hat er dafür Sorge zu tragen, dass die zur Erfüllung fälliger Verpflichtungen erforderlichen Ausgaben geleistet werden. Sodann sind die Mittel für die übrigen im BFG oder einer anderen haushaltsrechtlichen Grundlage (zB im Provisorium) vorgesehenen Ausgaben bereitzustellen, diese jedoch nur nach Maßgabe der jeweils zur Verfügung stehenden Einnahmen.84 Der gesamte Ausgabenbedarf ist durch die Einnahmen des Bundes zu bedecken (Gesamtbedeckungsgrundsatz bzw Grundsatz der Nonaffektation85 nach § 38 BHG). Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen nur für die zweckgebundene Gebarung86 und die Haushaltsrücklagen. Nähere Regelungen betreffend die Einnahmenaufbringung und die Geldmittelbereitstellung durch den Bundesminister für Finanzen sind im § 39 f BHG enthalten. Durch die Bindung des Bundesministers für Finanzen an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, wäre eine Ausga80 81 82 83 84

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Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51, Rz 63. Walter/Mayer (FN 73), Rz 527. Schwab, ÖHW 1986, 8. Holoubek, ÖHW 1989, 177. Das bedeutet nicht, dass die Ausgaben im BFG nur unter der Voraussetzung genehmigt sind, dass auch die für ihre Bedeckung erforderlichen Geldmittel eingenommen werden, siehe Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51a, Rz 2. Rödler, Haushaltsrecht, 134. Unter Gebarung ist jedes Verhalten (Tun oder Unterlassen) zu verstehen, das finanzielle Auswirkungen hat, VfSlg 7944.

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be, die den im BFG bewilligten Höchstbetrag zwar nicht überschreitet, aber den im BHG geforderten Effektivitätsprinzip nicht gerecht wird, unzulässig.

b) Die Begründung von Finanzschulden Aus Art 42 Abs 5 iVm Art 51 Abs 6 B-VG geht hervor, dass für jede Finanzschuld des Bundes eine konkrete gesetzliche Ermächtigung vorliegen muss und dass die Aufnahme solcher Schulden nach den Bestimmungen des BHG zu erfolgen hat. Nach Ansicht von Hengstschläger sind Finanzschulden demnach „doppelt gesetzlich bedingt“.87 Das BFG räumt dem Bundesminister für Finanzen das Recht ein, bestimmte Kreditoperationen „nach den Bestimmungen des Bundeshaushaltsgesetzes“ durchzuführen. In Ausführung dieser Bestimmung dürfen nach § 65 Abs 1 BHG Finanzschulden des Bundes nur vom Bundesminister für Finanzen und nur nach Maßgabe der hierfür im BFG oder in einem besonderen Bundesgesetz iSd Art 42 Abs 5 B-VG enthaltenen Ermächtigung eingegangen, prolongiert oder konvertiert werden. Nach Art 51 Abs 6 B-VG sind Finanzschulden „Verbindlichkeiten aus Geldmittelbeschaffungen, die nicht innerhalb desselben Finanzjahres getilgt werden, oder aus langfristigen Finanzierungen“.

c) Die Übernahme von Haftungen Gestützt auf Art 51 Abs 6 B-VG bestimmt § 66 BHG, dass eine Haftung des Bundes nur der Bundesminister für Finanzen und nur nach Maßgabe der hierfür im BFG oder in einem besonderen Bundesgesetz iSd Art 42 Abs 5 B-VG enthaltenen Ermächtigung übernehmen darf. Auch Haftungsübernahmen sind somit doppelt gesetzlich bedingt. Der Haushaltsgesetzgeber ist zuständig, die allgemeinen Bestimmungen für Haftungsübernahmen zu erlassen, während es dem Gesetzgeber nach § 42 Abs 5 B-VG - also ausschließlich dem Nationalrat - obliegt, zur Übernahme einer konkreten Haftung zu ermächtigen.88 Ausnahmen davon sind in § 66 Abs 2 BHG vorgesehen (siehe Punkt II.C.g.).

d) Verfügungen über Bundesvermögen Verfügungen über Bundesvermögen sind grundsätzlich durch Gesetze iS von Art 42 Abs 5 B-VG, also ohne Mitwirkung des Bundesrates, zu genehmigen. Durch Art 51 Abs 6 B-VG ermächtigt, trifft das BHG allgemeine Anordnungen über bestimmte Verfügungen. Diese betreffen Forderungen des Bundes oder sonstige Bestandteile des beweglichen bzw unbeweglichen Bundesvermögens. Diese Verfügungen können unter bestimmten Voraussetzungen auch vom Bundesminister für Finanzen ohne spezielle (auf den Einzelfall bezogene) gesetzliche Ermächtigung iSd Art 42 Abs 5 B-VG getroffen bzw bewilligt werden. Die allgemeinen Bestimmungen über die Gebarung von Bundesvermögen (§§ 61 64 BHG) verweisen darauf, dass die Festlegung des konkreten Höchstbetrages, bis zu dem solche Rechtsgeschäfte von geringerer finanzieller Bedeutung durchgeführt werden dürfen, Jahr für Jahr vom Budgetgesetzgeber selbst oder in einem sonstigen Ermächtigungsgesetz nach Art 42 Abs 5 B-VG getroffen werden muss. Alle Verfügungen, die nicht zu den „Kleinverfügungen“ des Bundes oder zu den Verfügungen im Rahmen der normalen Haushaltsführung gehören, unterliegen hingegen der gesetzlichen Ermächtigung nach Art 42 Abs 5 B-VG.89 Grundsätzlich ist daher die Erteilung von Ermächtigungen an die Vollziehung durch das BFG zulässig, wenn das Verhalten der Vollzie-

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Hengstschläger in Korinek Holoubek (Hrsg), Art 51 Rz 64. Ebenda, Rz 68f. Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), Art 51 Rz 71ff.

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hung dem Art 18 Abs 1 B-VG entsprechend durch das BFG vorherbestimmt wird und die ziffernmäßige Bestimmtheit bzw Errechenbarkeit gewährleistet wird.90

e) Konjunkturausgleichvoranschlag und Ausgabenbindungen Mit Art 51a Abs 2 B-VG werden dem Bundesminister für Finanzen zwei Instrumente des Konjunkturausgleichs in die Hand gegeben, auf Grund derer er besonderen konjunkturellen Entwicklungen Rechnung tragen kann. Zum einen handelt es sich hierbei um den Konjunkturausgleichvoranschlag, den der Bundesminister für Finanzen nur verfügen kann, wenn er im BFG vorgesehen war91, zum anderen sind vorläufige oder endgültige Ausgabenbindungen normiert, deren Verfügung mit Zustimmung der Bundesregierung möglich ist. Voraussetzung für die Anwendung dieser Instrumente ist, dass sich die gesamtwirtschaftliche Lage oder die Einnahmen und Ausgaben im Laufe des Finanzjahres wesentlich anders entwickeln, als dies bei der Erstellung des Bundesvoranschlagentwurfes absehbar war.92 Ausgabenbindungen sind grundsätzlich befristet für die Dauer von längstens sechs Monaten zu verfügen. Nur bei einer voraussichtlich bis zum Ende des laufenden Finanzjahres anhaltenden wesentlichen Änderung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder abweichenden Entwicklung der veranschlagten Einnahmen und Ausgaben können endgültige Ausgabenbindungen verfügt werden.93 Diese Verfügungen des Bundesministers für Finanzen stellen nach den Materialien weder Rechtsverordnungen noch Bescheide dar.94 Berücksichtigt man den Innennormcharakter des BHG, so ist diese Verfügung nicht als hoheitlicher Rechtsakt mit Außenwirkung zu verstehen.95 Betrachtet man diese Rechtsakte als generelle Weisungen bzw Verwaltungsverordnungen, so ist es bemerkenswert, dass zumindest im Falle einer Ausgabenbindung das BFG teilweise (da finanzgesetzlich bewilligte Ausgabenhöchstbeträge vorübergehend oder endgültig herabgesetzt werden) abgeändert wird, so dass die Verfügung des Bundesministers für Finanzen (natürlich mit Zustimmung der Bun-

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VfSlg 4340 und 5421. Es ist jedoch dem Budgetgesetzgeber nicht verboten, hierbei Voraussetzungen zu bestimmen, auf deren Eintritt Einfluss zu nehmen ihm unmöglich ist (zB wenn die Inanspruchnahme von Ausgaben von der Notwendigkeit, bestimmte Seuchenbekämpfungsmaßnahmen durchzuführen, abhängig gemacht wird), VfSlg 5636. Nach § 29 Abs 1 BHG kann dem Entwurf des BFG auch der Entwurf eines Konjunkturausgleichvoranschlages angefügt werden, der den Einsatz zusätzlicher Bundesmittel vorsieht. Mit diesem Instrument soll unerwarteten Entwicklungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage gegenüber der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft rasch und wirksam entgegengesteuert werden können, AB 877 BlgNR 16.GP, 6. Walter/Mayer (FN 73), Rz 542. Die näheren Voraussetzungen für die Erlassung des Konjunkturausgleichsvoranschlags enthält naturgemäß das ihn vorsehende BFG sowie § 29 BHG. Von der Ermächtigung des Art 51a Abs 2 Z 1 B-VG, einen Konjunkturausgleichvoranschlag vorzusehen, hat der Bundesfinanzgesetzgeber bisher immer Gebrauch gemacht, seine Verpflichtung dazu kann besagter Verfassungsnorm selbst im Falle absehbarer Konjunkturschwankungen nicht entnommen werden. Siehe Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51a, Rz 7. Die einfachgesetzliche Regelung im § 42 BHG gibt nahezu vollständig den Verfassungswortlaut des Art 51a Abs 2 Z 2 B-VG wieder. AB 877 BlgNR 16.GP, 6 f. Holoubek, ÖHW 1989, 191.

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desregierung) einen gesetzesändernden Verwaltungsakt darstellt.96 Die Kontrolle durch den Nationalrat wird in diesem Fall durch eine entsprechende vierteljährliche Berichtspflicht an den Budgetausschuss sichergestellt (§ 42 Abs 3 BHG).

5. Budgetprovisorien Um allenfalls einen budgetlosen Zustand zu verhindern trifft das B-VG entsprechende Vorsorge. Denkbar wäre, dass einerseits die Bundesregierung den Bundesvoranschlagsentwurf nicht rechtzeitig vorlegt, andererseits könnte der Nationalrat bei der Verabschiedung des BFG säumig sein. Was den ersten Fall betrifft, sieht Art 51 Abs 4 B-VG vor, dass ein Entwurf im Nationalrat in diesem Fall auch durch einen Antrag seiner Mitglieder eingebracht werden kann. Sollte die Bundesregierung später einen Entwurf vorlegen, so kann der Nationalrat beschließen, diesen Entwurf seinen Beratungen zugrunde zu legen. Für den zweiten Fall sieht das B-VG ein automatisches sowie ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium vor. a) Das automatische Budgetprovisorium Beschließt der Nationalrat vor Ablauf des Finanzjahres kein BFG und trifft er auch keine vorläufige Vorsorge durch Bundesgesetz, so wird das im Art 51 Abs 5 B-VG geregelte „automatische Budgetprovisorium“ unmittelbar aufgrund der Verfassung wirksam. Die rechtzeitige Vorlage eines Entwurfes durch die Bundesregierung ist dafür keine Voraussetzung. Das Provisorium gilt bis zur Erlassung eines BFG. Während seiner Geltung sind die Einnahmen nach der bestehenden Rechtslage aufzubringen. Gemeint sind hiermit die materiellen Verwaltungsvorschriften, denn die Ansätze im BFG sind weder dem Grunde noch der Höhe nach für die Einnahmengebarung bindend.97 Liegt ein Entwurf eines BFG durch die Bundesregierung (spätestens am 31. Dezember) vor, dann sind die Ausgaben bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung, längstens jedoch während der ersten vier Monate des folgenden Finanzjahres (bis Ende April) gemäß diesem Entwurf zu leisten. In diesem Fall sind die Ausgaben ab Mai - und im Fall, dass die Bundesregierung keinen Entwurf vorgelegt hat, vom Beginn des folgenden Finanzjahres an - gemäß den im letzten BFG enthaltenen Ansätzen zu leisten. Hierbei gilt für jeden Monat ein Zwölftel dieser Ausgabenansätze als Grundlage („System der provisorischen Zwölftel“).98 Ausgaben, die ihrer Art nach zwar im Entwurf der Bundesregierung, nicht aber auch im letzten BFG vorgesehen waren, dürfen ab dem fünften Monat des automatischen Budgetprovisoriums nicht mehr getätigt werden (außer solche Ausgaben, die durch die Änderung materieller Gesetze erforderlich geworden sind).99 Die zur Erfüllung von Verpflichtungen (egal ob sie auf einem Gesetz, einem Vertrag oder einer sonstigen Rechtsgrundlage beruhen) erforderlichen Ausgaben sind jedoch nach Maßgabe ihrer Fälligkeit zu leisten. Finanzschulden können nur bis zur Hälfte der jeweils vorgesehenen Höchstbeträge eingegangen werden. Im Übrigen sind die Bestimmungen des letzten BFG (samt Anhängen) sinngemäß anzuwenden. Die während dieses 96 97 98 99

Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51b Rz 11. Lödl, ÖHW 2002, 75 f. Walter/Mayer (FN 73), Rz 534. Lödl, ÖHW 2002, 75.

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Budgetprovisoriums vollzogenen Ausgaben und Einnahmen sind grundsätzlich nur dem Zeitraum des Provisoriums zuzurechnen, sie werden jedoch regelmäßig durch eine bundesfinanzgesetzliche Anordnung der Gesamtgebarung des Finanzjahres zugerechnet, so dass ein einheitlicher Bundesrechnungsabschluss erstellt werden kann.100

b) Das bundesgesetzliche Budgetprovisorium Die Zulässigkeit bundesgesetzlicher Budgetprovisorien geht aus Art 51 Abs 5 B-VG hervor, wo das Wirksamwerden des automatischen Budgetprovisoriums davon abhängig gemacht wird, dass „auch keine vorläufige Vorsorge durch Bundesgesetz“ getroffen wurde. Wird vor Ablauf des Finanzjahres ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium erlassen und kundgemacht, dann tritt das automatische Budgetprovisorium nicht in Kraft. Unklar ist, ob der Nationalrat ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium auf Antrag der Mitglieder auch dann erlassen kann, wenn die Bundesregierung rechtzeitig den Entwurf eines BFG vorgelegt hat.101 Nähere Regelungen über den Inhalt und das Zustandekommen des gesetzlichen Budgetprovisoriums treffen weder das Haushaltsverfassungsrecht noch das BHG. Nach dem Grundsatz der parlamentarischen Budgethoheit kann aber von einer primären Kompetenz des Nationalrates, über den Staatshaushaltsplan zu entscheiden, ausgegangen werden.102

Nach Art 51 Abs 5 B-VG gilt das automatische Budgetprovisorium bis „zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung“. Da ausdrücklich nicht von einer „bundesfinanzgesetzlichen“ Regelung gesprochen wird, kann der Nationalrat demzufolge auch nach Wirksamwerden des automatischen ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium erlassen.103

6. Budgetüberschreitungen Ausgaben, die im BFG entweder ihrer Art nach (außerplanmäßige Ausgaben) nicht vorgesehen sind oder die die vorgesehenen Höchstansätze überschreiten (überplanmäßige Ausgaben), dürfen nach Art 51b Abs 1 B-VG nur auf Grund einer bundesfinanzgesetzlichen Ermächtigung geleistet werden. Diese Novellen zum BFG werden als sogenannte Budgetüberschreitungsgesetze vom Nationalrat beschlossen. Die Abs 2 bis 6 des Art 51b B-VG (bzw in deren Umsetzung § 41 BHG104) beschreiben hingegen die Fälle, in denen außer100 101

102 103 104

Pichler, Bundeshaushaltsrecht: Akteure, Kompetenzen, Prozesse, in Steger (Hrsg), 190. Nach Hengstschläger ist das der Bundesregierung in Art 51 Abs 4 B-VG eingeräumte Antragsmonopol restriktiv zu verstehen und auf den Entwurf des BFG für das kommende Finanzjahr zu beschränken, in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51 Rz 106. Hat die Bundesregierung fristgerecht den Entwurf eines BFG vorgelegt, kommt nach Rödler ein bundesgesetzliches Budgetprovisorium auf Antrag des Nationalrates nicht mehr in Betracht, Haushaltsrecht, 26. Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51 Rz 104. So zB das gesetzliche Budgetprovisorium 2003 (BGBl 2003 I/13). Seinem Wortlaut nach lässt § 41 Abs 2 BHG „bei Gefahr im Verzug“ aufgrund einer Verordnung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Budgetausschuss Mehrausgaben innerhalb der im Art 51b Abs 2 „und 6“ B-VG vorgesehenen Betragsgrenzen zu. Eine Inanspruchnahme von Mitteln in der von Abs 6 vorgesehenen Höhe (10 % der Gesamtausgabensumme) ist jedoch nur im Verteidigungsfall zuläs-

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und/oder überplanmäßige Budgetüberschreitungen ohne Erlassung eines Budgetüberschreitungsgesetzes vorgenommen werden können. Ausgabenüberschreitungen dürfen aber stets nur bewilligt werden, wenn die Bedeckung durch Einsparungen oder durch Mehreinnahmen sichergestellt ist. Außerplanmäßige Ausgaben im Ausmaß von höchstens 1 ‰ bzw überplanmäßige Ausgaben im Ausmaß von höchstens 2 ‰ der durch das BFG vorgesehenen Gesamtausgabensumme105 können ohne bundesfinanzgesetzliche Ermächtigung bei Gefahr im Verzug geleistet werden. Zur Leistung dieser Ausgaben kann die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Budgetausschuss im Nationalrat durch Verordnung ermächtigen. Trifft der Ausschuss innerhalb von zwei Wochen keine Entscheidung, so gilt das Einvernehmen als hergestellt. Mehrausgaben, die auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung, aus einer bestehenden Finanzschuld, auf Grund einer bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des BFG bestehenden sonstigen Verpflichtung oder infolge unmittelbar damit zusammenhängender Mehrleistungen oder Mehreinnahmen erforderlich werden, können nach Art 51b Abs 3 B-VG als überplanmäßige Budgetüberschreitungen mit Zustimmung des Bundesministers für Finanzen geleistet werden. Während der Bundesminister für Finanzen im Abs 3 verfassungsunmittelbar zur Genehmigung von Budgetüberschreitungen ermächtigt wird, kann er nach Abs 4 vom Bundesfinanzgesetzgeber vorsorglich zur Zustimmung zu überplanmäßigen Ausgaben ermächtigt werden. Hierbei ist die Ermächtigung des Bundesministers für Finanzen an sachliche Voraussetzungen zu knüpfen und die Höhe der zulässigen Ausgabenüberschreitung muss ziffernmäßig bestimmt oder errechenbar sein. Die Ermächtigung darf sich nur auf Ausgaben beziehen, deren Umschichtung wegen unvorhersehbarer Dringlichkeit notwendig ist, ohne dass dadurch die Ausgabengliederung des Bundesvoranschlages erheblich verändert wird, oder die notwendig werden, wenn sich im Laufe des Finanzjahres eine wesentliche Änderung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abzeichnet, sowie auf geringfügige Mehrausgaben.

Im Verteidigungsfall106 dürfen unabweisliche außerplanmäßige und überplanmäßige Ausgaben bis zur Höhe von 10 % der durch das BFG vorgesehenen Gesamtausgabensumme geleistet werden. Nach Art 51b Abs 6 B-VG dürfen diese Budgetüberschreitungen nur auf Grund einer Verordnung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Budgetausschuss des Nationalrates geleistet werden. Ausnahmsweise kann hier auch durch das Eingehen oder die Umwandlung von Finanzschulden für die ansonsten nicht gegebene Bedeckung gesorgt werden.107

Der Budgetausschuss ist ein Ausschuss, zu dessen Einrichtung der Nationalrat durch Art 51c B-VG verpflichtet ist. Neben seinen Aufgaben im Zusammenhang mit

105

106 107

sig, weshalb sich die verbale Einbeziehung des Abs 6 in § 41 Abs 2 BHG als verfassungswidrig erweist, Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 51. Unter „Gesamtausgabensumme“ ist die in Art I des jährlichen BFG ausgewiesene Schlusssumme des Gesamthaushaltes zu verstehen. Gemäß § 16 Abs 1 BHG bilden der Allgemeine Haushalt und der Ausgleichshaushalt gemeinsam den Gesamthaushalt. Bei Fehlen eines BFG kommt es im Falle eines automatischen Budgetprovisoriums auf die Gesamtausgabensumme des eingebrachten Regierungsentwurfes oder des letzten BFG an, im Falle eines gesetzlichen Budgetprovisoriums wird man sich an dessen Gesamtausgabensumme zu orientieren haben. „Verteidigungsfall“ meint den Fall eines militärischen Angriffes auf Österreich, siehe Walter/Mayer, (FN 73), Rz 540. Hierzu muss der Bundesminister für Finanzen durch Verordnung der Bundesregierung ermächtigt werden.

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Budgetüberschreitungen wird er auch mit der Vorberatung von BFG betraut. Der Budgetausschuss kann bestimmte Aufgaben einem ständigen Unterausschuss übertragen. Der Ausschuss bzw sein ständiger Unterausschuss sind auch außerhalb der Tagungen des Nationalrates einzuberufen, wenn sich dies als notwendig erweist. Der Bundesminister für Finanzen hat dem Budgetausschuss vierteljährlich über getroffene Konjunkturausgleichsmaßnahmen oder Maßnahmen nach Art 51b Abs 2 bis 4 (Budgetüberschreitungen) zu berichten. Weitere Berichte sind nach Maßgabe besonderer bundes(finanz)gesetzlicher Vorschriften zu übermitteln. Die Wahrnehmung dieser Kontrollaufgaben durch den Nationalrat entspricht seinem Budgetrecht im subjektiven Sinn.

7. Grundsätze der Budgeterstellung a) Grundsatz der Einjährigkeit Nach § 51 Abs 2 B-VG ist das Budget für ein Jahr (Finanzjahr) aufzustellen. Gemäß § 3 BHG ist das Finanzjahr das Kalenderjahr. Dies führte in der Praxis dazu, dass regelmäßig gegen Ende der Periode ein „Verbrauchstress“108 festzustellen war, der damit zusammenhing, dass bei Nichtverbrauch der bewilligten Mittel eine Kürzung des Budgets im Folgejahr zu befürchten war. Um dieser Tendenz entgegen zu wirken, hat der Haushaltsgesetzgeber einige Maßnahmen wie zB die in § 52 BHG geregelte Auslaufperiode, die Möglichkeit der Bildung von Rücklagen nach § 53 BHG bzw zum Eingehen von Vorbelastungen nach § 45 BHG vorgesehen.109 Mit der BHG-Novelle 1999 wurden verfassungsrechtliche Ermächtigungen geschaffen, in bestimmten Bereichen den Grundsatz der Einjährigkeit zu durchbrechen (§§ 17a und 17b BHG).110 Die „Flexibilisierungsklauseln“ galten ursprünglich mit einer Befristung bis Ende 2002 (§ 100 Abs 20 und 21 BHG), um dieses moderne Steuerungsinstrument in der Praxis zu erproben. Nachdem die Erprobungsphase gezeigt hat, dass die Anwendung der Flexibilisierungsklausel zu einer eindeutigen Verbesserung der Leistungsund Budgetziele geführt hat, wurde die Geltungsdauer zunächst bis Ende 2006 prolongiert.111 Da die Flexibilisierungsklausel zum Teil in die verfassungsrechtlich vorgegebenen Budgetgrundsätze eingreift, war ihre Einführung mit Verfassungsbestimmung erforderlich. Der Zweck der Regelung liegt in der Schaffung verstärkter Entscheidungsfreiheit gepaart mit mehr Ergebnisverantwortlichkeit (im Sinne des New Public Management), indem den jeweils durch Verordnung112 ausgewählten Organisationseinheiten die volle Flexibilität bei Überschreitungen von Ausgabenansätzen eingeräumt werden soll, ohne dass insoweit das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen hergestellt werden muss.113 Näheres dazu siehe unter Punkt II.B.2.c. 108 109 110 111 112

113

Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51 Rz 44. Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 40 ff. BGBl 1999 I/30. BGBl 2002 I/98, siehe dazu RV 781 BlgNR 21.GP, 2. Solche Verordnungen gelten derzeit ua für das Bundesamt für Wasserwirtschaft (BGBl 2004 II/361), die Bundesanstalt für Agrarwirtschaft (BGBl 2004 II/362) bzw für Alpenländische Milchwirtschaft (BGBl 2004 II/363), die Finanzprokuratur (BGBl 2001 II/471 idF BGBl 2005 II/51), die Sicherheitsakademie (BGBl 2003 II/610), das Österreichische Staatsarchiv (BGBl 2003 II/620), das Österreichische Patentamt (BGBl 2004 II/472), die Heeresforstverwaltung Allentsteig (BGBl 2005 II/441) und einige Justizanstalten. AB 1489 BlgNR 20.GP, 2f.

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b) Grundsatz der Einheit Gemäß Art 51 Abs 3 B-VG ist dem Nationalrat ein Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Bundes vorzulegen. Demnach soll der Bundesvoranschlag der einzige Voranschlag sein und ein Gesamtbild des Bundeshaushalts vermitteln. Selbständige Nebenetats dürfen nicht bestehen. Ein wesentlicher Aspekt des Einheitsgrundsatzes liegt in der grundsätzlichen Neutralität der staatlichen Einnahmen. Diesem Postulat entspricht nun die in § 38 Abs 1 BHG statuierte Verpflichtung, dass grundsätzlich (mit Ausnahme zulässiger Zweckbindungen nach § 38 Abs 2 BHG) alle Einnahmen des Bundes (egal woher sie stammen) der Bedeckung seines gesamten Ausgabenbedarfs zu dienen haben (Nonaffektation).114 Verfassungsrechtlich durchaus problematisch ist die Ausgliederung von Vorhaben mit großem Finanzbedarf aus dem Haushaltsplan. Damit werden Sonderetats eingerichtet, die selbständig neben dem Bundesvoranschlag gebaren („Flucht aus dem Budget“).115 Werden eigene juristische Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts gegründet, denen Aufgaben der Hoheits- oder Privatwirtschaftsverwaltung übertragen werden, dann sind die Einnahmen und Ausgaben dieses selbständigen Rechtsträgers nur mehr ihm und nicht dem Bund zuzurechnen.116 Diese Sonderetats können in Hinblick auf Art 51 Abs 3 B-VG grundsätzlich als verfassungswidrig angesehen werden, allerdings könnte eine sachliche Rechtfertigung für ihre Einrichtung dann gegeben sein, wenn sich ihre Gebarung im Hinblick auf den Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit als effizienter erweist, als eine Verbleib in der Budgetgebarung des Bundes. Die zunehmende Verselbständigung der Finanzgebarung bestimmter Institutionen ermöglicht zwar eine erhöhte finanzielle Flexibilität der jeweiligen Einrichtung durch die relative Unabhängigkeit vom Staatshaushalt bzw den haushaltsrechtlichen Normen, beschränkt aber zugleich die parlamentarische Budgethoheit, weil sich die Einflussnahme des Parlaments zumeist in der Beschlussfassung über das Errichtungsgesetz der Institution erschöpft und der eingerichtete Rechtsträger in der Folge weitgehend finanziell autonom agieren kann.117 c) Grundsatz der Vollständigkeit Aus Art 51 Abs 3 B-VG ist auch abzuleiten, dass in dieses „eine“ Budget alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes aufzunehmen sind, da anderenfalls der Grundsatz der Einheitlichkeit keinen Sinn machen würde. Ganz im Einklang mit dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe ordnet § 16 Abs 1 BHG an, dass in den Voranschlagsentwurf „sämtliche“ im folgenden Finanzjahr zu erwartende Einnahmen und voraussichtlich zu leistende Ausgaben des Bundes aufzunehmen sind. Insbesondere sind auch die Einnahmen aus der Aufnahme und die Ausgaben für die Rückzahlung von Finanzschulden und anderer Geldverbindlichkeiten ins Budget aufzunehmen. Im „Gesamthaushalt“ werden die allgemeinen Einnahmen und Ausgaben (allgemeiner Haushalt) gesondert von den 114 115 116 117

Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 46. Dazu ausführlich Smekal, Die Flucht aus dem Budget, 1977; Gantner (Hrsg), Budgetausgliederungen - Fluch(t) oder Segen?, 1994. Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung (1993), 217. Rödler, Haushaltsrecht, 7 f.

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Einnahmen und Ausgaben für die Rückzahlung von Finanzschulden (Ausgleichshaushalt) dargestellt. Der Gesamthaushalt, der aus dem „allgemeinen Haushalt“ gemeinsam mit dem „Ausgleichshaushalt“ gebildet wird, ist stets ausgeglichen zu erstellen. Somit findet die Finanzschuldengebarung im „allgemeinen Haushalt“ nur in Form der Ausgaben für die Verzinsung und Spesen ihren Niederschlag, während im „Ausgleichhaushalt“ alle übrigen Finanzschuldengebarungen und die Kassenstärkungstransaktionen ausgewiesen werden. Die im § 16 Abs 2 BHG angeführten Grenz- und Zweifelsfälle von Einnahmen und Ausgaben, die nicht veranschlagt werden müssen, stellen zwar eine Durchbrechung des Grundsatzes der Vollständigkeit dar, sie werden jedoch zumindest in der Bestandsund Erfolgsrechnung118 erfasst.

d) Grundsatz des Bruttobudgets Einnahmen und Ausgaben sind voneinander getrennt und in der vollen Höhe (brutto) zu veranschlagen (§ 16 Abs 1 BHG). Eine Nettobudgetierung ist nur bei Bundesbetrieben und rechtlich unselbständigem Sondervermögen des Bundes zulässig, indem hier auch nur die Zuschüsse zur Abgangsdeckung und die dem Bund zufließenden Überschüsse in den Bundesvoranschlag aufgenommen werden können. Auch im Falle der Nettobudgetierung wäre nach Art 51 Abs 3 B-VG ein Bruttobudget (zB für Bundesbetriebe) in einer Anlage zum BFG auszuweisen.119 e) Grundsatz der qualitativen und quantitativen Budgetspezialität Die Vollziehung ist grundsätzlich an die einzelnen Budgetansätze gebunden und zwar sowohl qualitativ als auch quantitativ. Ausgaben dürfen also nur dann und nur insoweit getätigt werden, als für sie Mittel im Budget vorgesehen sind. Art 51b Abs 1 B-VG bindet überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben ausdrücklich an eine bundesfinanzgesetzliche Ermächtigung. Näheres dazu siehe unter Punkt I.D.3. f) Grundsatz der Budgetwahrheit Die Einnahmen und Ausgaben sind möglichst genau zu veranschlagen. Die Voranschlagsbeträge sind zu errechnen und wo dies nicht möglich ist, zu schätzen (§17 BHG).

8. Haushaltsrechtliche Aspekte in der Finanzverfassung Regelungsgegenstand des F-VG ist neben der Verteilung der Zuständigkeiten des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Abgabenwesens auch die Bestimmungen über den Finanzausgleich, über Finanzzuweisungen und Zuschüsse und über Fragen des Kreditwesens sowie eben des Haushaltsrechts. Nach § 2 F-VG tragen der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt, den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt grundsätzlich selbst. Der Aufgaben118

119

Nach § 80 Abs 2 BHG werden auf den Bestandskonten jeweils der Anfangsbestand, die Zu- und Abgänge sowie der Endbestand und auf den Erfolgskonten die Aufwendungen und Erträge verrechnet. Voranschlagsunwirksam dürfen nur Einnahmen und Ausgaben gemäß § 16 Abs 2 Z 3 und 9 bis 14 sowie 16 BHG verrechnet werden. Hengstschläger in Gantner (Hrsg), 46 f.

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begriff ist grundsätzlich funktionell zu interpretieren. So hat in den Fällen der mittelbaren Verwaltung grundsätzlich jene Gebietskörperschaft die Kosten zu tragen, deren Angelegenheiten in mittelbarer Vollziehung besorgt werden (zB der Bund die Kosten der mittelbaren Bundesverwaltung). Der Verfassungsgerichtshof120 zählt jedoch die Bereitstellung der für die mittelbare Verwaltung erforderlichen Organe (Personalaufwand) sowie die Vorsorge für die nötigen Sachmittel, die eine unerlässliche Voraussetzung für die Tätigkeit dieser Organe bilden (sog Amtssachaufwand) zu den Aufgaben jenes Rechtsträgers, der zur mittelbaren Verwaltung herangezogen wird. Die Kostentragungspflicht jener Gebietskörperschaft, deren Aufgaben in mittelbarer Verwaltung vollzogen werden, erstreckt sich somit nur auf jenen Teil des Sachaufwandes, „der mit der konkreten Tätigkeit (der in der mittelbaren Verwaltung tätigen Organe) erst entsteht“, sowie auf den Zweckaufwand, das sind jene Aufwendungen, die von vornherein unmittelbar für einen bestimmten Zweck gemacht werden. Dies gilt grundsätzlich auch für die Gemeindeverwaltung nicht nur im eigenen Wirkungsbereich, sondern auch für die Aufgabenerfüllung der Gemeinde im übertragenen Wirkungsbereich des Bundes und des Landes.121 Entschärft wird dieses Problem durch den Konsultationsmechanismus (siehe Punkt VI.B.), da nunmehr die belastete Gebietskörperschaft der Kostentragung widersprechen kann.122 In Umkehrung des in § 2 F-VG enthaltenen Kostentragungsgrundsatzes geht Art 104 Abs 2 B-VG für die Auftragverwaltung (mittelbare Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes) davon aus, dass die Kosten für die Besorgung derselben grundsätzlich von den Ländern zu tragen sind, weil bundesgesetzlich zu bestimmen ist, inwieweit „in besonderen Ausnahmefällen“ vom Bund ein Kostenersatz zu leisten ist.123 Eine derartige bundesgesetzliche Ausnahmebestimmung enthält § 1 Abs 2 FAG 2005124 für die im Bereich der Bundesstraßenverwaltung sowie des Bundeshochbaus und bei der Verwaltung bundeseigener Liegenschaften den Ländern übertragenen Aufgaben.125

Nach Art 16 F-VG kann sich der Bund einen Überblick über die finanzielle Lage der Gebietskörperschaften verschaffen, insbesondere durch eine vom Bundesminister für Finanzen im Einvernehmen mit dem Rechnungshof zu erlassende Verordnung über die Form und Gliederung der Voranschläge und Rechnungsabschlüsse der Gebietskörperschaften.126 120 121 122

123 124 125

126

VfSlg 9507. Neuhofer, 435 f. Dies hat zur Folge, dass entweder einstimmig eine Kostentragungsvereinbarung von den jeweiligen Gebietskörperschaften getroffen wird oder dass die rechtsetzende Gebietskörperschaft der belasteten Gebietskörperschaft entstehende finanzielle Mehrausgaben zu ersetzen hat, siehe dazu Matzinger in Steger (Hrsg), 103. Schäffer, Die österreichische Finanzverfassung, in Weigel ua (Hrsg), 88 f. BGBl 2004 I/156 idF BGBl 2005 I/105. Durch die Ausgliederung von Aufgaben des Bundes im Bereich des Hochbaus und des Straßenbaus an die BIG und die ASFINAG bzw durch die Übertragung der Bundesstraßen B an die Länder sind die Bestimmungen über die Kostentragung für die Auftragsverwaltung iSd Art 104 b-VG praktisch obsolet geworden, RV 702 BlgNR 22.GP, 4. Aufgrund der Ermächtigung in § 16 F-VG wurde die Voranschlags- und Rechnungsabschlussverordnung (VRV) erlassen, BGBl 1996/797 idF BGBl 2006 II/45.

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II. Bundeshaushaltsgesetz A. Allgemeine Bestimmungen 1. Der Geltungsbereich des BHG Das BHG gilt nach § 1 „für alle Organe des Bundes, die an der Führung des Bundeshaushaltes beteiligt sind (Organe der Haushaltsführung)“. Hierbei ist vom Organbegriff des B-VG auszugehen. Das BHG bindet Organe des Bundes „im funktionellen Sinn“ und kommt daher auch für die Landeshauptmänner zur Anwendung, wenn diese im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung oder der Auftragsverwaltung tätig werden. Wie schon in Punkt I.D.3. erwähnt kommt dem BHG reiner „Innennormcharakter“ zu, da nur die Beziehungen der haushaltsführenden Organe untereinander geregelt werden. Außenstehende können sich grundsätzlich nicht auf das BHG berufen.127 Dementsprechend normiert § 35 Abs 2 BHG, das durch das jeweilige BFG Ansprüche oder Verbindlichkeiten gegenüber Außenstehenden weder begründet noch aufgehoben werden können.128 Ein Organ des Bundes ist an der Haushaltsführung beteiligt, wenn sein Verhalten geeignet ist, sich auf die Planung, Vollziehung und Kontrolle des Bundeshaushaltes auszuwirken (Beteiligung im abstrakten Sinn). Ob es durch dieses Verhalten zu tatsächlichen Auswirkungen kommt (Beteiligung im konkreten Sinn), ist nicht entscheidend.129

Die Bereiche der Haushaltsführung sind im § 1 Abs 2 BHG taxativ aufgezählt. Demnach umfasst die Haushaltsführung die Vorarbeiten für das Budgetprogramm und den Budgetbericht, die Vorbereitung und Erstellung des Entwurfs für das BFG, die Einnahmen- und Ausgabengebarung, die Bundesvermögens- und Schuldengebarung, den Zahlungsverkehr, die Verrechnung, die Innenprüfung, die Rechnungslegung und das Budget- und Personalcontrolling. Das nichthoheitliche Verwaltungshandeln des Staates ist ebenso Teil der öffentlichen Verwaltung wie das hoheitliche Handeln, daher sind die damit verbundenen Ausgaben Teil der Gebarung mit den im Bundesvoranschlag veranschlagten öffentlichen Geldern.130 Jede Tätigkeit des Bundes, sei es im Hoheitsbereich oder im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung, ist im Voraus einer Prüfung auf ihre finanzielle Auswirkung zu unterziehen, wobei sich diese Prüfung an den in § 2 BHG festgelegten Zielen zu orientieren hat. Für nichthoheitliches Verwaltungshandeln ist damit festgelegt, dass jedes Handeln eines Organs der Haushaltsführung im Innenverhältnis durch § 2 iVm den jeweils anzuwendenden haushaltsrechtlichen Bestimmungen determiniert ist.131

Die im § 1 Abs 3 BHG vormals erwähnten Besonderheiten der Haushaltsführung durch Bundesbetriebe wurde durch das Budgetbegleitgesetz 2001132 mit der Begründung aufgehoben, dass es faktisch keine Bundesbetriebe mehr gibt, womit sich eine 127 128

129 130 131 132

Holoubek, ÖHW 1989, 178. So kommt auch den Abgabenschuldner keine Ingerenz darauf zu, welche von mehreren zulässigen Vollstreckungsmaßnahmen die Vollstreckungsbehörde ergreift, VwGH 2004/13/0049 Rödler, Haushaltsrecht, 48. Wenger, ÖHW 1987, 4 mH auf VfSlg 3262. Holoubek, ÖHW 1989, 183. BGBl 2000 I/142.

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Sonderregelung im BHG erübrigt.133 Selbst der Heeres-Land- und Forstwirtschaftsbetrieb Allentsteig134 wird haushaltsrechtlich zur betriebsähnlichen Einrichtung degradiert.

Die haushaltsleitenden Organe haben nach den Bestimmungen des BHG vielfach das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen herzustellen. In diesem Zusammenhang wird die „Herstellung des Einvernehmens“ mit der „Einholung der (vorherigen) Zustimmung“ gleichgesetzt.135 Kommt in den Fällen, in denen nach dem BHG (und nicht nach anderen Gesetzen136) ein Einvernehmen zwischen dem Bundesminister für Finanzen und einem anderen Bundesminister herzustellen ist137, ein solches nicht zustande, so kommt § 5 Abs 3 letzter Satz Bundesministeriengesetz 1986138 zur Anwendung, wonach sowohl das zuständige als auch ein beteiligtes Bundesministerium, mit dem das Einvernehmen herzustellen ist, die Angelegenheit der Bundesregierung zur Beratung vorlegen kann. Auch bestimmte Richtlinien139 des Bundesministers für Finanzen können zum Gegenstand der Beratung und Beschlussfassung durch die Bundesregierung gemacht werden. Gegebenenfalls sind die Richtlinien entsprechend dem Ergebnis einer solchen Beschlussfassung vom Bundesminister für Finanzen unverzüglich zu ändern (§ 1 Abs 5 BHG).140 Grundsätzlich sind die vom Bundesminister für Finanzen zu erlassenden Richtlinien auf der Grundlage des BHG im Gegensatz zu den ebenfalls im BHG vorgesehenen Verordnungen als generelle Weisungen des Bundesministers für Finanzen zu

133 134

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RV 311 BlgNR 21.GP, 46. Eine eigene Regelung besteht noch hinsichtlich der Betriebsabrechnung im § 82 BHG. Bei der Heeresforstverwaltung handelt es sich um eine Organisationseinheit, bei der die Flexibilisierungsklausel zur Anwendung gelangt (§ 17a BHG), BGBl 2005 II/441. Fleischmann in Steger (Hrsg), 312. Pichler in Steger (Hrsg), 193. Nicht erfasst werden beispielsweise Einvernehmensfälle nach § 13 ASFINAGErmächtigungsgesetz 1997 BGBl 1997/113 idF BGBl 2004 I/174 oder § 1 Abs 3 Schönbrunner Tiergartengesetz BGBl 1991/420. Vgl § 12 Abs 2 UG 2002 BGBl 2002 I/120 mit ausdrücklichem Verweis auf § 45 BHG. BGBl 1986/76. Konkret sind davon Richtlinien gemäß § 15 Abs 1 Z 3 (für die Beurteilung, wann die finanzielle Bedeutung anderer, also nicht rechtsetzender Maßnahmen als erheblich anzusehen ist), gemäß § 43 Abs 2 (zur Vorbereitung von Vorhaben von außerordentlicher finanzieller Bedeutung), § 45 Abs 2 (über die Wesentlichkeit von Änderungen bereits genehmigter Vorbelastungen), § 46 Abs 2 (nähere Regelungen zur Durchführung von Vorhaben, aus denen voraussichtlich Berechtigungen des Bundes erwachsen werden), § 55 Abs 4 und 5 (über den Erwerb von Sachen und die Anschaffung von Fahrzeugen für den Bund) sowie § 58 Abs 5 (über die Verwaltung der Bestandteile des Bundesvermögens sowie der im Gewahrsam des Bundes befindlichen fremden Sachen) betroffen. Betrachtet man diese Richtlinien als generelle Weisungen, so müsste hinsichtlich der gesetzlich normierten zwingenden Abänderung solcher Richtlinien durch den Bundesminister für Finanzen ein Eingriff in die ihm als obersten Organ der Vollziehung nach Art 20 B-VG garantierte Weisungsfreiheit geortet werden. Unterstellt man, dass Beschlüsse im Ministerrat immer einstimmig gefasst werden, muss der Bundesminister für Finanzen selbst der Abänderung zugestimmt haben, womit dieses Problem wieder relativiert werden würde. So sah dies offensichtlich auch der Verfassungsausschuss, AB 877 BlgNR 16.GP, 2.

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qualifizieren, und haben daher nur für die dem Bundesminister für Finanzen unterstellten Organe der Haushaltsführung verbindlichen Charakter.141

Die Bestimmung im § 1 Abs 6 BHG musste infolge der Ausgliederung der Universitäten adaptiert werden. Die Universitäten erlangten durch das Universitätsgesetz 2002142 bekanntlich die Vollrechtsfähigkeit und fallen daher gänzlich aus den Geltungsbereich des BHG heraus.143 § 1 Abs 6 BHG bezieht die Ausnahmeregelung vom Geltungsbereich nunmehr auf andere Einrichtungen des Bundes, die aufgrund von Bundesgesetzen im Rahmen ihrer Rechtspersönlichkeit tätig werden (teilrechtsfähige Einrichtungen).

Dazu zählen beispielsweise die öffentlich-rechtlich organisierte Geologische Bundesanstalt144 oder das Patentamt145.

2. Ziele der Haushaltsführung Die im § 2 BHG verankerten Ziele der Haushaltsführung entsprechen den verfassungsrechtlichen Vorgaben und tragen „hinsichtlich der Erfordernisse des ‚gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes’ im Besonderen der Entwicklung des Bundeshaushaltes zu einem zentralen Instrument der Wirtschaftspolitik Rechnung“146. § 2 Abs 1 BHG legt die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fest. Weiters wird der Bund zur Rücksichtnahme auf die Verbundenheit der Finanzwirtschaft der Gebietskörperschaften verpflichtet. Die Verbundenheit der Finanzwirtschaften ergibt sich vorrangig aus den finanzausgleichsrechtlichen Regelungen. Daneben bestehen finanzielle Verbundenheiten auf privatrechtlicher Grundlage zwischen den Gebietskörperschaften (sog grauer Finanzausgleich).147 Durch die privatrechtliche Rechtsform solcher Vereinbarungen ist man von der Kompetenzverteilung frei gezeichnet und kann folglich auch vom Kostentragungsprinzip abweichen. Ferner bestehen Sondergesetze mit Kostentragungsbestimmungen für Bund, Länder und Gemeinden (zB Krankenanstaltenzusammenarbeitsfondsgesetz)148 oder der Konsultationsmechanismus, welcher vom Kostentragungsprinzip abweichende Bestimmungen enthält. Die untereinander grundsätzlich gleichrangigen Teilziele werden in § 2 Abs 2 BHG angeführt. Dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht kann demnach nur durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Beschäftigungsstand, einem hinreichend stabilen Geldwert, der Sicherung des Wachstumspotentials und der Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung getragen werden. Da die konjunkturpolitischen Steuerungsmaßnahmen nach § 2 Abs 3 BHG jeweils auf die am meisten gefährdeten Ziele zu konzentrieren sind, zeichnet sich trotz grundsätzlicher Parität aller Einzelziele 141 142 143

144 145 146 147 148

Holoubek, ÖHW 1989, 203 f. BGBl 2002 I/120. Zu beachten ist jedoch, dass nach § 12 Abs 2 UG 2002 der Bundesminister bzw die Bundesministerin „den für die nächste Leistungsvereinbarungsperiode zur Finanzierung der Universitäten zur Verfügung stehenden Gesamtbetrag festzusetzen“ und darüber das Einvernehmen gemäß § 45 BHG herzustellen hat. § 18a Forschungsorganisationsgesetz BGBl 1981/341 idF BGBl 2004 I/74. § 58a Patentgesetz 1970 BGBl 1970/259 idF BGBl 2004 I/149. AB 877 BlgNR 16.GP, 2. Rödler, Haushaltsrecht, 54. Schäffer (123) 95.

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eine gefahrdominierte Rangordnung ab.149 Als Parameter für die konjunkturelle Entwicklung nennen die jährlichen BFG üblicherweise die reale und nominelle Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes, die Entwicklung des Verbraucherpreisindex, die Arbeitslosenrate, die Gesamtnachfrage, den Index der industriellen Produktion ua. Den im § 2 BHG verankerten Zielen der Haushaltsführung kommt insgesamt eine zentrale Bedeutung im Rahmen der Haushaltsführung zu, weshalb ihre Nichtbeachtung sowohl disziplinarrechtlich geahndet werden kann (§ 99 BHG), als auch zivilrechtliche Haftungsfolgen nach sich ziehen kann. Soweit es sich um oberste Organe iSv Art 142 B-VG handelt, kann auch die staatsrechtliche Verantwortlichkeit der mit der Haushaltsführung befassten Organe zum Tragen kommen.150

3. Das Haushaltsjahr Nach § 3 BHG ist der Bundeshaushalt für jedes Finanzjahr, das dem Kalenderjahr entspricht, gesondert zu führen. Für die zeitliche Zuordnung zu einem bestimmten Finanzjahr ist nach § 52 Abs 1 BHG der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Einnahmen tatsächlich zugeflossen und die Ausgaben tatsächlich geleistet worden sind (Zufluss-Abflussprinzip). Ausnahmen von diesem Prinzip ergeben sich aus mittelfristigen Überlegungen, welche ins BHG Eingang gefunden haben. Konkret bestehen Ausnahmen etwa hinsichtlich der Ausgaben für Schulden, die im abgelaufenen Finanzjahr entstanden und fällig geworden sind. Diese dürfen, sofern die Rechnung bis zum Ablauf des Finanzjahres in der Buchhaltung eingelangt ist, noch bis zum 20. Jänner des Folgejahres zu Lasten des abgelaufenen Finanzjahres getätigt werden (Vorbelastungen und die Bildung von Haushaltsrücklagen). Weitere Vorschriften zur zeitlichen Abgrenzung ergeben sich aus § 52 Abs 2 bis 6 BHG. Auch das Budgetprogramm gemäß § 12 BHG stellt ein Instrument zur mittelfristigen Budgetplanung dar.

B. Organisation der Haushaltsführung 1. Aufbauorganisation a) Organe der Haushaltsführung Als Organe der Haushaltsführung werden Amtsorgane sowie Organe der betriebsähnlichen Einrichtungen tätig. Amtsorgane im Sinne des BHG sind nach § 4 Abs 3 alle Organe der Haushaltsführung einschließlich jener, die die Rechte des Bundes im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung wahrzunehmen haben. „Betriebsähnliche Einrichtungen“ sind dadurch charakterisiert, dass sie im allgemeinen Sachgüter oder Dienstleistungen nach wirtschaftlichen Grundsätzen bereitzustellen haben, wobei die Kostendeckung anzustreben ist.151 Für ihre Errichtung ist die Erlassung einer Verordnung durch den/die ressortzuständige/n Bundesminister/in im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen erforderlich (zB Bundesversuchsanstalt152). Während diese Bestimmung 149

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AB 877 BlgNR 16.GP, 2. Die nähere Bestimmung der maßgeblichen Bestimmungsgrößen bleibt dem jeweiligen BFG (§ 29 BHG) bzw den Erläuterungen hierzu (§ 34 Abs 3 BHG) vorbehalten. Holoubek, ÖHW 1989, 181. Holoubek, ÖHW 1989, 179. Verordnung des Bundesministers für Bauten und Technik vom 17. Feber 1987 über die Erklärung der Bundesversuchs- und Forschungsanstalt Arsenal, des Kurhauses Semmering und des Kurheimes Badeschloß Badgastein zu betriebsähnlichen Ein-

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grundsätzlich eine Möglichkeit zur Schaffung von organisatorischen Einrichtungen durch Verordnung bietet, ist eine solche Verordnung zwingend jedoch dann vorzusehen, wenn dadurch die Aufgaben dieser Einrichtung zweckmäßiger, wirtschaftlicher und sparsamer erfüllt werden können. Des Weiteren differenziert das Gesetz zwischen anordnenden und ausführenden Organen. Anordnende Organe sind die haushaltsleitenden und die anweisenden Organe (§ 5 Abs 1 BHG). Ausführende Organe sind die Buchhaltungsagentur153, die Kassen, die Zahlstellen154 und die Wirtschaftsstellen. Durch § 4 Abs 6 BHG wird gewährleistet, dass ein anordnendes Organ die Aufgaben eines ausführenden Organs nicht selbst besorgen darf, was gleichzeitig eine wechselseitige Prüfung indiziert (Trennungsgrundsatz). Davon besteht allerdings eine Ausnahme. § 2 Abs 1 Bundeshaushaltsverordnung 1989 (BHV)155 enthält eine Sonderbestimmung hinsichtlich der Möglichkeit der direkten Weitergabe von bestimmten Verrechnungsdaten (insbesondere unter Einsatz von SAP R/3) durch die anweisenden Organe ohne Mitwirkung der ausführenden Organe (Buchhaltung) an die „Zentrale elektronische Datenverarbeitungsanlage“ (ZEDVA) des Bundes. Mit § 4 Abs 6a BHG wurde erst nachträglich die Verordnungsermächtigung für diese Sonderbestimmungen in der BHV geschaffen.156

Mit Aufgaben der Haushaltsführung dürfen gemäß § 4 Abs 7 BHG Bedienstete nur dann betraut werden, wenn die volle Unbefangenheit157 und Gebarungssicherheit158 gewährleistet sind.

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richtungen, BGBl 1987/88. Mit Verordnung vom 9. Dezember 1986 wurde auch die Heeres-Land- und Forstwirtschaftsverwaltung Allentsteig zur betriebsähnlichen Einrichtung erklärt, BGBl 1986/720. Die Verordnung betreffend das Bundesamt für Zivilluftfahrt, BGBl 1987/10 scheint durch die Gründung der Austro-Control GmbH durch BGBl 1993/898 wohl materiell derogiert worden zu sein. Zur Besorgung der Buchhaltungsaufgaben nach dem BHG wurde eine Buchhaltungsagentur als Anstalt öffentlichen Rechts mit dem Namen „Buchhaltungsagentur des Bundes“ mit Sitz in Wien errichtet. Die Aufgabe der Buchhaltungsagentur besteht in der Führung der Buchhaltung des Bundes ausschließlich für die anweisenden Organe gemäß § 5 BHG, und für die vom Bund verwalteten Rechtsträger (§ 7 Abs 4 BHG) unter Anwendung der Haushaltsvorschriften des Bundes, insbesondere des BHG, siehe BHAG-G BGBl 2004 I/37 idF BGBl 2004 I/93. Ihre wichtigsten Aufgaben sind die Prüfung der Anordnungen, die Voranschlagsüberwachung, die Weitergabe der Verrechnungsdaten, die Forderungs- und Schuldenüberwachung, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs sowie die Buchführung im Wege des Bundesrechenzentrums. Nach § 6 Abs 4 BHG gelten die Zahlstellen als Teile der Buchhaltung. Nach Gründung der Buchhaltungsagentur wird jedoch nur mehr diese als Buchhaltung angesehen. Da die Zahlstellen jedoch - im Gegensatz zu den Buchhaltungen - weiterhin in der Bundesverwaltung verbleiben und eine Zuordnung zu anderen ausführenden Organen nicht zweckmäßig erscheint, werden die Zahlstellen als eigene ausführende Organe festgelegt; RV 381 BlgNR 22.GP, 9. BGBl 1989/570 idF BGBl 2005 II/26. RV 381 BlgNR 22.GP, 9 f. Befangenheit ist dann anzunehmen, wenn subjektive Umstände vorliegen, die bei Wahrnehmung von Aufgaben der Haushaltsführung durch den Bediensteten befürchten lassen, dass sich dieser von anderen als von sachlichen Überlegungen leiten lässt. Nähere Ausführungen zur Befangenheit und zu Unvereinbarkeiten können auch dem § 18 BHV entnommen werden. Gebarungssicherheit liegt vor, wenn jedes für den Bund nachteilige Verhalten in Bezug auf die Haushaltsführung ausgeschlossen erscheint. Bei Unregelmäßigkeiten

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b) Anordnende Organe Im § 5 BHG werden die haushaltsleitenden Organe im Abs 1 und die anweisenden Organe im Abs 2 aufgezählt, wobei beide Gruppen zu den anordnenden Organen zählen. Zu den haushaltsleitenden Organen zählen demnach der Bundespräsident, der Präsident des Nationalrates, der Präsident des Bundesrates, die Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes, der Vorsitzende der Volksanwaltschaft, der Präsident des Rechnungshofes, sowie der Bundeskanzler und die übrigen Bundesminister, soweit sie mit der Leitung eines Bundesministeriums betraut sind. Bundesminister/innen sind als oberste Organe weisungsfrei. Eine rechtliche Bindung beispielsweise an Richtlinien des Bundesministers für Finanzen würde daher dem Organisationsprinzip des Art 20 B-VG widersprechen. Grundsätzlich sind aber alle Ressortminister durch die Ziele und Grundsätze des BHG gebunden und können daher eine diesen Zielen dienende Richtlinie nicht einfach unbeachtet lassen.159

Zu den anweisenden Organen zählen alle haushaltsleitenden Organe, die Landeshauptmänner, soweit sie als Organe des Bundes tätig werden. Bundesorgane im funktionalen Sinn sind die Landeshauptmänner in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung (Art 102 f B-VG) und in den Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung (Art 17 iVm Art 104 Abs 2 B-VG „Auftragsverwaltung“).

Für die Übertragung von Aufgaben der Privatwirtschaftsverwaltung seitens des Bundes an die Länder ist bedeutsam, dass daraus eine „Verbandslast“ des jeweiligen Bundeslandes insoweit erwächst, als dieses auch organisatorisch für eine wirksame Wahrnehmung der betreffenden Geschäfte zu sorgen hat. Daher können dem betreffenden Bundesland erhebliche Aufwendungen entstehen. Im Lichte der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes160 ist nämlich im Rahmen von Art 104 Abs 2 B-VG der Zweckaufwand nur nach Maßgabe bundesgesetzlicher Ermächtigung (hier ist auf den jeweiligen Stand des Finanzausgleichrechtes zu verweisen) zu ersetzen, und das „nur in Ausnahmefällen“ (siehe Punkt I.D.8.).161

Weiters zählen zu den anweisenden Organen Organe des Bundes, denen vom zuständigen haushaltsleitenden Organ im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen durch Verordnung Aufgaben gemäß § 5 Abs 4 BHG übertragen wurden.162 Ohne Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen können einzelne der im Abs 4 genannten Aufgaben an Bundesorgane übertragen werden, wenn diese in einem Abrechnungsverhältnis zu einem anderen (anweisungsermächtigten) Organ stehen. Letztendlich zählen auch die Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA)163 in Bezug auf die Erfüllung der im § 2 Bundesfinan-

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oder Ordnungswidrigkeiten sind die betreffenden Bediensteten ihrer Funktion zu entheben, siehe Rödler, Haushaltsrecht, 65. Holoubek, ÖHW 1989, 204. VfSlg 11.204, 12.667, 13.737. Raschauer in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 104 B-VG, Rz 35 ff. ZB die VO des Bundesministers für Landesverteidigung betreffend die Übertragung von Aufgaben nach § 5 Abs 2 Z 4 des Bundeshaushaltsgesetzes, BGBl 2006 II/309. Gemäß der Verfassungsbestimmung im § 1 Abs 1 Bundesfinanzierungsgesetz (BGBl 1992/763) ist der Bundesminister für Finanzen ermächtigt, zur Durchführung der in § 2 bezeichneten Aufgaben eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu

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zierungsgesetz genannten Aufgaben (zB die Aufnahme von Finanzschulden des Bundes, den Abschluss von Währungstauschverträgen und sonstiger Kreditoperationen) zu den anweisenden Organen. Mit dem Arbeitsmarktservice-Begleitgesetz164 wurden schließlich auch die Leiter der Geschäftsstellen und Ämter des Arbeitsmarktservices zu anweisenden Organen.

Zu den Aufgaben der haushaltsleitenden Organe zählen nach § 5 Abs 3 BHG unter anderen: • die Ermittlung der ihren Wirkungsbereich betreffenden voraussichtlichen Ausgaben und Einnahmen, einschließlich der finanziellen Auswirkungen der in Aussicht genommenen rechtsetzenden und sonstigen Maßnahmen (für die nächsten drei Finanzjahre) • die Mitwirkung an der Erstellung des Budgetprogrammes und des Budgetberichtes • die Mitwirkung an der Vorbereitung des Bundesvoranschlagsentwurfes und des Stellenplanentwurfes • weitere Aufgaben im Rahmen des unterjährigen Budgetvollzuges Den anweisenden Organen obliegt die Mitwirkung an den Aufgaben der haushaltsleitenden Organe sowie insbesondere die Begründung und Aufhebung von Berechtigungen und Forderungen sowie von Verpflichtungen und Schulden des Bundes und Verfügungen über Bundesvermögen oder fremdes Vermögen, welches sich in Verwahrung des Bundes befindet. Der Bundeskanzler und die übrigen Bundesminister haben zur Besorgung ihrer Aufgaben im Rahmen der Haushaltsführung Haushaltsreferenten zu bestellen.165

c) Ausführende Organe Grundsätzlich haben sich die anweisenden Organe gemäß § 6 Abs 1 BHG bei der Besorgung der Buchhaltungsaufgaben der „Buchhaltung“ zu bedienen. Die „Buchhaltung“ ist die Buchhaltungsagentur, eine ausgegliederte Anstalt öffentlichen Rechts, auf die die Aufgaben der Haushaltsverrechnung des Bundes übertragen wurden. Die Buchhaltung ist bei der Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben (die im § 7 BHG aufgezählt werden) an die Weisungen166 des jeweils zuständigen anweisenden Organs gebunden. Hinsichtlich der Aufgaben nach § 7 Abs 1 BHG obliegt der Buchhaltungsagentur eine Betriebspflicht. Kassen sind Einrichtungen des Zahlungsverkehrs und des Rechnungswesens auf der Ebene der gemäß § 5 Abs 2 Z 5 BHG zu bestimmenden anweisungser-

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gründen, die zur Gänze im Eigentum des Bundes steht. Der Sitz der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist Wien. BGBl 1994/314. Die Bestimmung schließt nicht aus, dass mehrere Ministerien einen gemeinsamen Haushaltsreferenten bestellen können, oder andererseits auch ein Bundesminister mehrere Haushaltsreferenten bestellen kann, AB 877 BlgNR 16.GP, 3. Das Haushaltsrecht verwendet üblicherweise den Begriff der „Anordnung“, wobei nach dem abgeschlossenen Katalog von Rechtsformentypen solche Anordnungen wohl nur als Weisungen qualifiziert werden können. Dies verdeutlicht auch § 21 BHV durch die Normierung eines Widerspruchsrechtes, wonach von der Buchhaltung oder der Kasse derartige Anordnungen dann nicht zu vollziehen sind, wenn sie mit den Haushalts- und sonstigen Vorschriften nicht übereinstimmen. Allerdings kann der Anordnende in solchen Fällen auf seiner Anordnung beharren, was dann schriftlich festzuhalten ist.

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mächtigten Organe. Die im § 9 BHG geregelten Aufgaben der Kassen sind im Wesentlichen jenen der Buchhaltung vergleichbar. Auch die Kassen sind nur an die Anordnungen jener anweisenden Organe gebunden bei denen die Kasse eingerichtet wurde. Nach § 8 Abs 3 BHG ist vom zuständigen haushaltsleitenden Organ zu prüfen, ob die weitere Beibehaltung einer Kasse wirtschaftlich vertretbar ist. Trifft dies für eine Kasse nicht mehr zu, ist sie aufzulassen und dies dem Bundesminister für Finanzen, dem Rechnungshof und der Buchhaltung mitzuteilen.167 Mit anderen Aufgaben können die Buchhaltung bzw die Kassen nur beauftragt werden, wenn die Erbringung der Kernaufgaben durch die Übernahme von Zusatzaufgaben nicht beeinträchtigt wird.168

Der Zahlungsverkehr des Bundes ist grundsätzlich bargeldlos abzuwickeln.169 Für die Abwicklung des Barzahlungsverkehrs, der auf ein unumgängliches Ausmaß zu beschränken ist, sind Zahlstellen zuständig. Infolge der Gründung der Buchhaltungsagentur wurden die Zahlstellen als eigene ausführende Organe festgelegt und sind seither keine Teile der Buchhaltung mehr. Die Abwicklung des Barzahlungsverkehrs durch die Buchhaltungsagentur wurde im Hinblick auf die beschränkte Anzahl von Standorten (Wien, Graz, Innsbruck und Linz) als nicht sinnvoll erachtet. Organisatorisch sind die Zahlstellen den Dienststellen, bei denen sie eingerichtet sind, zugehörig.

Werden Zahlstellen errichtet, um die Barzahlungsgeschäfte von Kassen abzuwickeln, gelten sie organisatorisch weiterhin als Teile der Kasse. Den nach § 10 Abs 1 BHG bei den anweisenden Organen einzurichtenden Wirtschaftstellen obliegt die Verwaltung, Pflege und Erhaltung des beweglichen und unbeweglichen Bundesvermögens (mit Ausnahme des Geldvermögens und der Bundesbeteiligungen) sowie des in der Verwahrung des Bundes stehenden fremden Vermögens. Soweit ein anweisendes Organ die Geschäfte eines anderen Rechtsträgers führt, so sind die Aufgaben des Rechnungswesens auch von der Buchhaltung bzw der Kasse des anweisenden Organs zu besorgen. Als andere Rechtsträger kommen hierbei sowohl juristische Personen des öffentlichen Rechts (zB Anstalten, Fonds) als auch solche des Privatrechts (zB Kapitalgesellschaften, Stiftungen, Vereine) in Betracht.

Den Wirtschaftsstellen, die ähnlich den Zahlstellen organisiert sind, obliegt nach § 10 Abs 2 BHG die Ausführung von Anordnungen betreffend der Zu- und Abgänge der Bestandteile des Bundesvermögens oder fremden Vermögens.

2. Ablauforganisation a) Planung aa) Budgetprogramm und Budgetbericht (mehrjährige Planung) Das BHG 1986 hat ursprünglich für Zwecke langfristiger Planung lediglich die Erstellung einer Budgetprognose und eines Investitionsprogrammes vorgesehen. Die Budgetprognose lieferte eine Vorschau auf die voraussichtliche Entwicklung des Bundeshaushaltes für die nächsten vier Jahre. Das Investitions167

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Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung hat jedoch jedes haushaltsleitende Organ innerhalb seines Wirkungsbereiches mittels Verordnung die Kassenaufgaben mehrerer anweisender Organe einer Kasse bzw die Kassenaufgaben der Kasse im Wirkungsbereich eines anderen haushaltsleitenden Organs zu übertragen. RV 381 BlgNR 22.GP, 6. § 40 Abs 1 BHV.

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programm beinhaltete für eben diesen Zeitraum eine Übersicht über die vom Bund geplanten Investitionen. Am Vorabend des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union erkannte der Gesetzgeber in Eigeninitiative die Notwendigkeit einer Anpassung der im BHG enthaltenen mittelfristigen Planungsinstrumentarien an die Anforderungen, die „an den Leistungsstaat“ gestellt werden, „wie etwa im Zusammenhang mit der Europäischen Integration“.170 Gleichfalls schon erkennbar waren die langfristigen Auswirkungen der damals in Aussicht genommenen (und später nahezu gänzlich in die Tat umgesetzten) Ausgliederungs- und Privatisierungsvorhaben auf den Bundeshaushalt. Im Budgetprogramm sollen die haushaltspolitischen Ziele für die laufende Legislaturperiode und die budgetären Ergebnisse der von der Bundesregierung verfolgten Politik dargelegt werden. Im jährlichen Budgetbericht soll dargestellt werden, inwieweit das Budgetprogramm verwirklicht wurde und allenfalls notwendige Anpassungen vorgenommen wurden. Durch die Einführung der neuen Instrumente erhoffte man sich im Ergebnis auch eine verstärkte Koordinierung der Haushaltsführung durch die Mitglieder der Bundesregierung und darüber hinaus eine Stärkung der parlamentarischen Kontrollrechte im Bereich der Haushaltsführung des Bundes. Gemäß § 12 Abs 1 BHG hat die Bundesregierung bis spätestens sechs Monate nach ihrer Ernennung durch den Bundespräsidenten dem Nationalrat ein Budgetprogramm vorzulegen. Eine Genehmigung des Budgetprogramms durch den Nationalrat ist nicht vorgesehen. Der Geltungszeitraum eines Budgetprogramms entspricht in der Regel der Legislaturperiode von vier Jahren, außer in Fällen, wo die Bundesregierung während einer laufenden Gesetzgebungsperiode neu bestellt wird.

Den Entwurf des Budgetprogramms und des Budgetberichtes hat der Bundesminister für Finanzen (soweit es Planstellen betrifft im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler) zu erstellen und der Bundesregierung gemeinsam mit dem Entwurf des BFG vorzulegen (§ 13a BHG). Dem in § 2 Abs 1 BHG verankerten Ziel, bei der Haushaltsführung das aktuelle Budgetprogramm zu beachten, kommt nur bis zum Zeitpunkt der Bestellung einer neuen Bundesregierung Bedeutung zu. Dieses Budgetprogramm ist jedoch der Haushaltsführung durch die Mitglieder einer mit der Fortführung der Verwaltung betrauten einstweiligen Bundesregierung nach Art 71 B-VG weiterhin zugrunde zu legen. Ab dem Zeitpunkt der Bildung der neuen Bundesregierung bis zur Vorlage eines neuen Budgetprogramms durch diese herrscht gleichsam ein budgetprogrammloser Zustand.171 Nach § 12 Abs 2 BHG hat das Budgetprogramm eine Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung für einen mittelfristigen Zeitraum zu enthalten. Ferner ist dem Budgetprogramm eine Darstellung der Haushaltsentwicklung anzuschließen. Das Budgetprogramm muss die haushaltspolitischen Zielsetzungen auf der Basis der Ziele der Haushaltsführung (§ 2 Abs 1 BHG) festlegen. Hierbei können auch jene Aufgabenbereiche genannt werden, denen hinsichtlich der Durchführung Priorität zukommt (Schwerpunktsetzungen). Weiters sind die finanziellen Perspektiven der in Aussicht genommenen, rechtsetzenden und sonstigen (insbesondere der personalwirtschaftlichen) Maßnahmen sowie der in Aussicht genommenen außerbudgetären Finanzierungsvorhaben anzuführen. Änderungen und Ergänzungen (§ 12 Abs 3 BHG) des Budgetprogramms

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AB 1797 BlgNR 18.GP, 1. AB 1797 BlgNR 18.GP, 3.

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sind zulässig und dem Nationalrat spätestens mit dem nächsten Budgetbericht zur Kenntnis zu bringen.

§ 13 BHG sieht als weiteres Instrument der Haushaltsführung die Erstellung eines jährlichen Budgetberichtes durch die Bundesregierung vor. Dieser ist dem Nationalrat zur Kenntnis zu bringen, was aus § 12 Abs 3 BHG abgeleitet werden kann. Der Bericht hat über Lage, Rahmenbedingungen und Entwicklungen des Bundeshaushalts sowie der außerbudgetären Finanzierungsvorhaben Aufschluss zu geben und darzulegen, inwieweit die Vorgaben des Budgetprogramms erfüllt wurden. bb) Finanzielle Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen, über- oder zwischenstaatlicher Vereinbarungen und Vereinbarungen gemäß Art 15a B-VG Jedem Entwurf eines Bundesgesetzes, einer Vorordnung oder einer der genannten Vereinbarungen ist eine Darstellung anzuschließen, ob und inwieweit die Durchführung der geplanten Maßnahmen zu Mehrausgaben bzw Mindereinnahmen des Bundes führen, deren Höhe für die nächsten drei Finanzjahre zu beziffern sind. Weiters sind die Gründe für die Notwendigkeit solcher Mehrausgaben bzw Mindereinnahmen anzuführen, Kosten-Nutzenüberlegungen anzustellen und Vorschläge zur Bedeckung der erwarteten Mehrausgaben zu unterbreiten (§ 14 Abs 1 BHG).

Ein unter Missachtung des § 14 BHG zustande gekommenes Bundesgesetz ist nicht bekämpfbar, da der Verfassungsgerichtshof Gesetze nur auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen kann, nicht aber deren Übereinstimmung mit anderen - stufenbautheoretisch gleichrangigen - Rechtsvorschriften. Eine unter diesen Umständen erlassene Verordnung ist hingegen gesetzwidrig zustande gekommen und wird vom Verfassungsgerichtshof im Rahmen eines Prüfungsverfahrens nach Art 139 B-VG aufzuheben sein.172

In Beachtung des Gebots, auf die Verbundenheit der Finanzwirtschaft der Gebietskörperschaften Rücksicht zu nehmen, ordnet § 14 Abs 3 BHG an, dass in einer Stellungnahme nach Abs 1 auch aufzuzeigen ist, ob für ein Land oder eine Gemeinde mit der betreffenden Vorschrift des Bundes Ausfälle an Steuererträgen oder Mehrausgaben verbunden sind (siehe dazu auch die Ausführungen zum Konsultationsmechanismus in Punkt IV.B.).173 Soweit es sich bei den in § 14 Abs 1 genannten Maßnahmen nicht um Bundesgesetze handelt, ist vor deren Erlassung oder Abschluss bzw vor der Inkraftsetzung sonstiger Maßnahmen von finanzieller Bedeutung gemäß § 15 BHG (wozu auch Maßnahmen der nichthoheitlichen Verwaltung zählen174) vom zuständigen Bundesminister mit dem Bundesminister für Finanzen das Einvernehmen herzustellen. Für die Ausarbeitung der Darstellung der finanziellen Auswirkungen hat der Bundesminister für Finanzen Richtlinien zu erlassen.175 Nachdem Gemeinschaftsrechtsvorschriften mittelbare oder unmittelbare Auswirkungen auf den Bund und den Bundeshaushalt haben, wurde die Kalkulationspflicht 172 173 174 175

Holoubek, ÖHW 1989, 183 f; Rödler, Haushaltsrecht, 93. Holoubek, ÖHW 1989, 184. Ebenda. Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Richtlinien für die Ermittlung und Darstellung der finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen, (BGBl 1999 II/50 zuletzt idF BGBl 2004 II/387).

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des/der zuständigen Bundesministers/Bundesministerin durch § 14 Abs 6 BHG auch auf diese Vorschriften ausgedehnt. Die Darstellung hat sich hierbei insbesondere auf die Veränderung der Mittel zur Finanzierung des Gesamthaushaltes gemäß Art 249 EGVertrag und auf den Nutzen, welcher aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen für Österreich zu erwarten ist, insbesondere auf allfällige Rückflüsse aus dem EU-Haushalt zu beziehen.176

cc) Budget- und Personalcontrolling Mit der Bundeshaushaltsgesetz-Novelle 2002 wurden Bestimmungen zur Einrichtung eines Budget- und Personalcontrollings eingeführt (§§ 15a und b BHG), welches die Erreichung der Ziele der Haushaltsführung und insbesondere die Steuerung des Ressourceneinsatzes (Personal- und Sachmittel) unterstützen sollte. Zur Unterstützung der Planung, Steuerung und Kontrolle von Gesellschaften, an denen der Bund direkt oder indirekt mehrheitlich beteiligt ist, sowie von den der Aufsicht des Bundes unterliegenden Gesellschaften und Anstalten öffentlichen Rechts177 - ausgenommen die Träger der Sozialversicherung - ist die generelle Durchführung eines Beteiligungscontrollings durch den die Anteilsrechte des Bundes verwaltenden bzw durch den für die Aufsicht zuständigen Bundesminister erforderlich, soweit dies nicht ohnehin ausdrücklich im betreffenden Ausgliederungsgesetz vorgesehen ist.178 Für Zwecke des Finanzcontrollings ist von den berichtspflichtigen Unternehmen der Finanzbericht auszuarbeiten, der die Zahlungen des Bundes an die jeweiligen Unternehmungen und die Einnahmen des Bundes von den Unternehmungen sowie allfällige Darlehens- und Haftungsstände des Bundes beinhaltet.179 Auf Aktiengesellschaften, deren Aktien zum amtlichen Handel oder zum geregelten Freiverkehr an der Börse zugelassen sind, ist § 15b BHG nicht anwendbar, um den Publizitätsgrundsatz des Börsenrechts nicht zu verletzen.180 b) Veranschlagung Der Abschnitt IV des BHG enthält auf Basis der verfassungsrechtlichen Bestimmungen (Art 51 B-VG) eine nähere Ausgestaltung der Budgetgrundsätze sowie ausführliche Bestimmungen über die Vorbereitung und Aufstellung des Bundesvoranschlages sowie der sonstigen Anlagen und Übersichten zum BFG und dessen Vorlage an den Nationalrat. Die Budgetgrundsätze wurden bereits im Punkt I.D.7 behandelt. Neben diesem jährlichen Voranschlag sieht § 51 BHG auch einen „Monatsvoranschlag“ vor. Die Ermittlung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben des nächsten Monats soll sicherstellen, dass die 176 177

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RV 59 BlgNR 22.GP, 91. Ausgegliederte Rechtsträger des Bundes unterliegen § 15b Abs 1 Z 2 BHG selbst dann, wenn sie im jeweiligen Ausgliederungsgesetz nicht als Anstalt oder Gesellschaft des öffentlichen Rechts bezeichnet werden, RV 649 BlgNR 22.GP, 17. Das Beteiligungscontrolling soll die betriebswirtschaftliche Berichterstattung auf Basis von Soll-Ist-Vergleichen umfassen. Entsprechende diesbezügliche Informationen an den Bundesminister für Finanzen sind vorgesehen. RV 780 BlgNR 21.GP, 5 f. RV 780 BlgNR 21.GP, 6. Nach dem Publizitätsgrundsatz sind wesentliche Informationen über Unternehmen nach bestimmten Regeln öffentlich bekannt zu machen, um einen Insiderhandel zu verhindern (§ 82 Börsegesetz 1989), RV 780 BlgNR 21.GP, 6.

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zur Erfüllung verbindlicher Verpflichtungen des Bundes erforderlichen Ausgaben nach Maßgabe ihrer Fälligkeit geleistet werden können (Liquiditätsplanung).181 Für die Ermittlung der Voranschlagsbeträge ist der Grundsatz der Budgetwahrheit bestimmend, wobei auf den Stellenplan Bedacht zu nehmen ist. Besondere Veranschlagungsvorschriften sind für Einzelvorhaben und für Ausgaben nach Maßgabe zweckgebundener Einnahmen vorgesehen. Nach § 17 Abs 3 BHG sind Ausgaben für Einzelvorhaben des Bundes, die über einen Zeitraum von mehreren Finanzjahren zu leisten sein werden, mit dem auf das jeweilige Finanzjahr entfallenden Teilbetrag der voraussichtlichen Gesamtausgaben zu veranschlagen. Die für die erstmalige Veranschlagung ursprünglich vorgesehene Plankostenrechnung in den sog Teilheften wurde im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung fallen gelassen und stattdessen in § 25 Abs 2 Z 3 BHG eine Übersicht über die konkreten Vorbelastungen vorgesehen. Für die Veranschlagung größerer Einzelvorhaben waren sogar aufwendige Kosten-Nutzen-Untersuchungen vorgesehen, die sich in der Praxis als kaum durchführbar erwiesen haben, zumal hinsichtlich der Grundsätze dieser Untersuchungen kein Konsens erzielt werden konnte. Durch die Einführung des Controllings (§ 15a) in den Bereich der Haushaltsführung des Bundes ist eine entsprechende Planung, Steuerung und Kontrolle des Bundeshaushalts sichergestellt. 182

Ausgaben nach Maßgabe zweckgebundener Einnahmen (zB die Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds) sind nach § 17 Abs 5 BHG als solche zu veranschlagen, wenn die betreffenden Einnahmen auf Grund eines Bundesgesetzes (zB dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967183), eines Vertrages oder einer letztwilligen Verfügung nur für bestimmte Zwecke zu verwenden sind.184 Schließlich sind auch Gewinnabfuhren von Unternehmungen und sonstigen Einrichtungen, an denen der Bund (egal in welchem Ausmaß) Anteilsrechte besitzt, mit den voraussichtlich zufließenden Beträgen zu veranschlagen (§ 17 Abs 6 BHG). An dieser Stelle sollen noch einige Bemerkungen zum Budgeterstellungsprozess in der Praxis gemacht werden. Die Erstellung des Bundesbudgets obliegt - wie erwähnt dem Bundesminister für Finanzen. Vor Erlassung der Budgeterstellungsrichtlinien durch den Bundesminister für Finanzen werden vorerst Budget-Zielgrößen für das nächste Finanzjahr ermittelt. Grundlage hierfür bilden das Budgetprogramm der Bundesregierung, das von der Bundesregierung beschlossene und der EU-Kommission übermittelte österreichische Stabilitätsprogramm und die Prognosen über das Wirtschaftswachstum, die insbesondere für die Einnahmenentwicklung der Abgaben besondere Bedeutung haben. Ins Auge gefasst wird auch das jeweilige Defizitziel, das im österreichischen Stabilitätsprogramm im Rahmen des mehrjährigen Defizitpfades festgelegt ist. Auf Basis dieser Vorgaben werden die Budgeteckwerte (Gesamtausgaben und -einnahmen) ermittelt und auf die Ressorts und einzelnen Ressortkapitel aufgeteilt. Im Frühjahr ergehen die Richtlinien für die Erstellung des Budgets an die haushaltsleitenden Organe. In diesen werden pro Budgetkapitel die Budgeteckdaten und allfällige weitere kapitelspezifische Hinweise bekannt gegeben. Die so den haushaltsleitenden Organen mitge181 182 183 184

RV 877 BlgNR 16.GP, 8. RV 311 BlgNR 21.GP, 47. BGBl 1967/376 idF BGBl 2005 I/100. Die im § 17 Abs 5 BHG geregelte „zweckgebundene Gebarung stellt eine Abweichung vom Budgetgrundsatz der „Nonaffektation“ dar, AB 877 BlgNR 16.GP, 6.

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teilten Globaldaten sind von diesen nach den Erfordernissen innerhalb des Ressorts aufzuteilen und das Ergebnis bis Mitte Mai dem Bundesminister für Finanzen bekannt zu geben. Dieser stellt dann die Teilvoranschläge der Ressorts zu einem Gesamtentwurf des BFG zusammen. Ende August bis Mitte September kommt es zu den Ministerverhandlungen. Kann auf Ministerebene keine Einigung erzielt werden, werden die offenen Fragen auf der höchsten politischen Ebene (Bundeskanzler, Vizekanzler, betroffene/r Ressortminister/in und Bundesminister für Finanzen) weiterverhandelt. Die Verhandlungen werden grundsätzlich solange fortgesetzt, bis eine Einigung vorliegt. Jedenfalls müssen die Verhandlungen zeitlich so gestaltet werden, dass der vom Bundesminister für Finanzen erstellte Entwurf des BFG rechtzeitig (zehn Wochen vor Ablauf des Finanzjahres) von der Bundesregierung beschlossen werden kann.185

c) Flexibilisierungsklausel Die im § 17a BHG vorgesehenen - schon im Punkt I.D.7.a. erwähnten - Ausnahmebestimmungen hinsichtlich der Flexibilisierungsklausel können auf die ausgewählte Organisationseinheit über einen mehrjährigen Zeitraum Anwendung finden, wenn dadurch eine bessere Erreichung der Ziele und der Ordnungsmäßigkeit der Haushaltsführung sichergestellt werden kann. Die betreffenden Organisationseinheiten bleiben weiterhin in den Bundeshaushalt integriert. Grundsätzlich bedürfen überplanmäßige Ausgaben einer bundesfinanzgesetzlichen Ermächtigung sowie der Zustimmung des Bundesministers für Finanzen (Art 51b Abs 1 ff B-VG, siehe Punkt I.D.6.). Durch die im § 17a Abs 3 BHG normierte Verfassungsbestimmung kann der Leiter der Organisationseinheit vom Bundesminister für Finanzen darüber hinaus zu überplanmäßigen Ausgaben ermächtigt werden, soweit diese Ausgaben durch Ausgabeneinsparungen oder Mehreinnahmen sichergestellt sind, so dass sich keine Saldoverschlechterung gegenüber dem Bundesvoranschlag des jeweiligen Finanzjahres ergibt.186 Im Falle einer Verschlechterung der tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben gegenüber der Voranschlagsvergleichrechnung (negativer Unterschiedsbetrag), ist dieser durch die für die Organisationseinheit gebildete Rücklage abzudecken. Ein positiver Unterschiedsbetrag soll zwischen der Organisationseinheit und dem allgemeinen Haushalt aufgeteilt werden, wobei der verbleibende Teilbetrag, sofern er nicht zur Abdeckung negativer Unterschiedsbeträge aus früheren Finanzjahren erforderlich ist, einer Rücklage für die Organisationseinheit zugeführt werden soll.187 Besteht eine Minusrücklage, so ist diese binnen der folgenden zwei Finanzjahre auszugleichen und wenn dies nicht möglich ist, hat das zuständige haushaltsleitende Organ durch Ausgabenrückstellungen diese Minusrücklage spätestens in dem auf ihre Entstehung folgenden dritten Finanzjahr abzudecken. Zu Zwecken der Evaluierung und Erfolgskontrolle ist bei der betreffenden Organisationseinheit für die Dauer des Projektzeitraumes ein sog Controlling-Beirat einzurichten, dessen Mitglieder über ein betriebswirtschaftliches Fachwissen verfügen sollten.188 Die 185 186 187

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Pichler in Steger (Hrsg), 204 f. AB 1489 BlgNR 20.GP, 3. Diese Rücklagen sind teilweise auch für Belohnungen und Leistungsprämien an ihre am Erfolg beteiligten Bediensteten und für deren Fortbildung zu verwenden (§ 17a Abs 5 BHG). AB 1489 BlgNR 20.GP, 4.

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vorerst geltende Befristung der Flexibilisierungsklausel wurde mit BGBl 2006 I/46 wegen der eindeutig positiven Erfahrungen mit diesem Instrument hinsichtlich Steigerung der Effizienz und Motivation in den betreffenden Dienststellen und in Hinblick auf Bestrebungen zur Modernisierung und Flexibilisierung des Haushaltsrechts im Sinne des New Public Management aufgehoben.189 d) Gliederung des Voranschlages Die Gliederung des Voranschlages richtet sich in erster Linie nach institutionellen Gesichtspunkten. Den jeweiligen Gliederungseinheiten sind die Einnahmen und Ausgaben nach organorientierten (=institutionellen) (§§ 18 und 19 BHG) sowie finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten (§§ 19 und 20 BHG) unter gesonderten Voranschlagsansätzen zuzuordnen, wobei die innerstaatliche und internationale Vergleichbarkeit zu berücksichtigen ist.190 Nach organorientierten Gesichtspunkten sind die Einnahmen und Ausgaben in Gruppen (nach der Verwandtheit der zu besorgenden Aufgaben) zu gliedern. Die Gruppen sind weiter in Kapitel, Titel, Paragraphen und Unterteilungen zu gliedern. Nach finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten wird zwischen bestandswirksamen und erfolgswirksamen Einnahmen und Ausgaben unterschieden. Erfolgswirksam sind Einnahmen oder Ausgaben, wenn sie den Unterschied zwischen dem Vermögen und den Schulden des Bundes vermehren oder vermindern, bestandswirksam sind sie dann, wenn sie diesen Unterschied nicht verändern. Die erfolgswirksamen Ausgaben sind nach Personalund Sachausgaben zu unterscheiden. Die Sachausgaben gliedern sich weiter in Ausgaben für Anlagen, für Förderungen und sonstige Aufwendungen. Nach dem Verpflichtungsgrund wird zwischen Ausgaben auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen und Ermessensausgaben differenziert. Gleichartige Einnahmen und Ausgaben sind nach kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gesichtspunkten einem Aufgabenbereich zuzuordnen.

Besondere Bedeutung kommt der vorhabensbezogenen Veranschlagung (§ 23 BHG) zu, wobei als Einzelvorhaben Vorhaben zu behandeln sind, die in wirtschaftlicher, rechtlicher und finanzieller Hinsicht einen einheitlichen Vorgang zum Gegenstand haben. Einzelne Vorhaben sind unter Voranschlagsposten (§ 24 BHG) oder sonst unter Voranschlagsansätzen gesondert zu veranschlagen.

Unter einem eigenen Voranschlagsposten werden rechtlich oder wirtschaftlich gleichartige Einnahmen oder Ausgaben zusammengefasst. Um ein einheitliches Postenschema zu gewährleisten, ist ein eigener „Kontenplan“ vorgesehen, der für alle Gebietskörperschaften gilt.191 Dieser Gliederung des Voranschlages kommt auch insoweit Bedeutung zu, als finanzielle Ausgleiche innerhalb des jeweiligen Voranschlagsansatzes, also nur in Bezug auf seine Voranschlagsposten, grundsätzlich ohne Befassung des Bundesfinanzgesetzgebers zulässig sind (§ 48 BHG), während Postenausgleiche, von denen nicht nur ein Voranschlagsansatz betroffen ist, zwingend die Überschreitung des Voranschlagsansatzes bewirken und damit den Regelungen betreffend die überplanmäßigen Ausgaben unterliegen.192 Die Voranschlagsposten eines Kapitels sind vom Bundesminister für Finanzen in besonderen Nachweisungen (Teilheften) zusammenzufassen. Die Teilhefte sind nach 189 190 191 192

RV 1269 BlgNR 20.GP, 2. AB 877 BlgNR 16.GP, 6. Kontenplanverordnung - KPV, BGBl 1987/507 idF BGBl 1990/314. Rödler, Haushaltsrecht, 153.

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§ 25 Abs 1 BHG nicht Bestandteil des Bundesvoranschlages und unterliegen daher nicht der Beschlussfassung des Nationalrates über das BFG. Sie dienen jedoch - wie der Arbeitsbehelf193 - zur Unterstützung der Beratungen des Nationalrates.194

Schließlich ist in einem Stellenplan die höchstzulässige Personalkapazität des Bundes festzulegen, der als Anlage dem jährlichen BFG anzuschließen ist. Es ist dem Budgetgesetzgeber verwehrt, den Stellenplan derart zu fassen, dass damit die innere Organisation einer Behörde bindend festgelegt wird. Es bleibt jedoch dem Budgetgesetzgeber - soweit sich nicht aus der Bundesverfassung Schranken (etwa aus dem Gleichheitsgebot oder aus Art 18 B-VG) ergeben überlassen, wie er in diesem Zusammenhang die Spezialisierung vornimmt, wie er demnach die Planstellen und die Planstellenbereiche umschreibt. Womit eindeutig feststeht, dass durch den Stellenplan die zur Erlassung von organisationsrechtlichen Normen berufenen anderen Normsetzer nicht gebunden werden. Das BFG (samt Anlagen) ermächtigt lediglich dazu, die sich in diesem Zusammenhang ergebenden finanziellen Aufwendungen zu machen.195

3. Einnahmen- und Ausgabengebarung Nachdem dieses Thema aus dem Blickwinkel des Verfassungsrechts schon im Punkt I.D.4.a. behandelt wurde, soll im Folgenden nur mehr auf die im BHG geregelten Besonderheiten im Gebarungsvollzug eingegangen werden. a) Vorbereitung eines Vorhabens Einzelvorhaben iSv § 23 Abs 1 BHG unterliegen hinsichtlich ihrer finanziellen Abwicklung von der Planung bis zur laufenden Kontrolle des fertigen Projekts dem Verfahren gemäß den §§ 43 bis 47 BHG. Damit werden Kontrollmöglichkeiten durch die Einbindung des Nationalrates und die Verpflichtung zur Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundesminister für Finanzen rechtlich gesichert.196 Bereits vor Durchführung eines Einzelvorhabens (§ 23 Abs 1 BHG), also im Vorbereitungsstadium, ist ein Zusammenwirken des zuständigen haushaltsleitenden Organs und des Bundesministers für Finanzen vorgesehen, soweit es sich im Hinblick auf die voraussichtlich damit verbundenen Ausgaben um Vorhaben von außerordentlicher finanzieller Bedeutung 193

194 195

196

Der Arbeitsbehelf (§ 34 Abs 3) enthält insbesondere einen Überblick über die wirtschaftliche Lage und deren voraussichtliche Entwicklung, wobei auch die der Erstellung des BFG zugrunde gelegten Annahmen darzulegen sind, sowie Erläuterungen zu den einzelnen Kapiteln. AB 877 BlgNR 16.GP, 6. VfSlg 9006 mHa Hengstschläger, Budgetrecht, 189. Jede Umschreibung eines Planstellenbereiches durch den Budgetgesetzgeber zielt wesensmäßig auf eine Beschränkung der Leitungsbefugnis der haushaltsleitenden Organe insofern ab, als diese dadurch verhalten werden sollen, die auf eine Planstelle dieses Bereiches ernannte Person auch in diesem Planstellenbereich zu verwenden. Diese Beschränkung der Leitungsbefugnis ist aber von der Verfassung vorausgesetzt (Art 51 Abs 3 B-VG) und somit nicht verfassungswidrig. Jedoch ist es dem haushaltsleitenden Organ durch budgetgesetzliche Bestimmungen nicht verwehrt, Bedienstete trotz Beibehaltung ihrer dienstrechtlichen Stellung ausnahmsweise außerhalb ihres Planstellenbereiches zu verwenden, dies allerdings nur im Rahmen der Dienstrechtsvorschriften und nur dann, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist und im Einzelfall besondere Gründe vorliegen. Holoubek, ÖHW 1989, 187 ff.

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handelt. Der Bundesminister für Finanzen hat bei seiner Beurteilung des Vorhabens nicht nur auf die Bedeckungsmöglichkeiten, sondern auch auf die Vereinbarkeit mit den Zielen der Haushaltsführung abzustellen. Die Herstellung des Einvernehmens kann entfallen, wenn es sich bei dem Vorhaben um Ausgaben nach Maßgabe von zweckgebundenen Einnahmen (§ 17 Abs 5 BHG) handelt. Sofern die Durchführung eines Vorhabens das Eingehen von Verpflichtungen erfordert, bedarf dies grundsätzlich des Zusammenwirkens mit dem Bundesminister für Finanzen. Wurde das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen jedoch schon im Vorbereitungsstadium hergestellt, wird sich eine neuerliche Befassung des Ministers mangels gravierender Projektänderungen erübrigen (§ 44 Abs 2 BHG). Soweit die Durchführung eines Vorhabens das Eingehen von Verpflichtungen erfordert, zu deren Erfüllung in mehreren Finanzjahren oder zumindest in einem künftigen Finanzjahr Ausgaben des Bundes zu leisten sind (sog Vorbelastungen), stellt § 45 BHG eine dem Informations- und Kontrollbedürfnis des Nationalrates adäquate Bestimmung auf, die für bestimmte finanziell bedeutsame Vorhaben eine bundesgesetzliche Ermächtigung vorsieht.197 Ein derartiges Bundesgesetz ist im Art 42 Abs 5 B-VG nicht genannt, womit dem Bundesrat diesbezüglich ein Mitwirkungsrecht zukommt.198

Entstehen aus einem Vorhaben Berechtigungen199 oder Vorberechtigungen (dh Rechte des Bundes auf Einnahmen in künftigen Finanzjahren), die ihrer Art oder dem Umfang nach von erheblicher finanzieller Bedeutung sind, hat das zuständige haushaltsleitende Organ das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen herzustellen (§ 47 BHG). Die Durchführung des Vorhabens unterliegt nach § 47 BHG einer Erfolgskontrolle. b) Vergaberechtliche Aspekte im BHG Nach § 49 Abs 1 BHG haben Organe des Bundes für Leistungen, die sie von anderen Organen des Bundes empfangen, eine Vergütung zu entrichten. Aufgrund der Entgeltlichkeit des Vorganges könnte die Frage aufkommen, ob hier das Vergaberecht zur Anwendung gelangt. Im Falle der hier gegenständlichen Eigenleistungen oder Inhouse-Vergaben, dh der Deckung des Eigenbedarfes an Leistungen im Rahmen der eigenen Organisation und mit eigenen Ressourcen,200 wurde dies vom EuGH als nicht vergaberechtlich relevanter Vorgang eingestuft.201 Nach den Vergaberichtlinien wird als Anwendungsvoraussetzung neben der Entgeltlichkeit auch das Vorliegen eines Vertrages gefordert. Ein Vertrag liegt nur vor, wenn eine Vereinbarung zwischen zwei verschiedenen Personen getroffen wurde.202 Nach § 49 BHG müssen sowohl auf Seiten des Leistungsempfängers als auch auf Seiten des Leistungserbringers Organe des Bundes handeln. Daher kommt wegen der Identität des Rechtssubjektes kein zivilrechtlicher Vertrag, sondern nur ein Verwaltungsüberein-

197 198 199 200 201 202

AB 877 BlgNR 16.GP, 7. Rödler, Haushaltsrecht, 149. Die Begriffe „Berechtigungen“ und „Verpflichtungen“ sind im zivilrechtlichen Sinn zu verstehen. Potacs, Öffentliche Unternehmen, in Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2 (2003), Rz 936. EuGH Rs C-107/98 Teckal, Slg 1999, I-8121. EuGH Rs C-107/98 Teckal, Slg 1999, I-8121, Rz 49.

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kommen in Betracht.203 Der Organbegriff wird wie in § 1 BHG204 so auch hier im Sinne der Art 19 ff B-VG zu verstehen sein, sodass der Leistungsaustausch zwischen dem Bund und beispielsweise anderen Gebietskörperschaften, Selbstverwaltungsträgern oder rechtlich selbständigen Eigengesellschaften des Bundes nicht erfasst wird. Es geht demnach im § 49 Abs 1 BHG ausschließlich um Leistungsbeziehungen zwischen Organen des Bundes. Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn die Organe funktionell als Bundesorgane handeln (zB Organe der Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich des Bundes). Als Organe des Bundes werden funktionell auch die Landeshauptmänner im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung bzw der Auftragsverwaltung tätig, sodass hier von einer Vergütungspflicht nach § 49 BHG ausgegangen werden könnte, wäre diese einfachgesetzliche nicht durch anders lautende verfassungsrechtliche Bestimmungen überlagert (vgl Punkt I.D.8.). Hinsichtlich der Kostentragungspflicht der Gemeinden (§ 2 F-VG) für Aufgaben des übertragenen Wirkungsbereiches legt der Verfassungsgerichtshof jedoch eine organisatorische (und nicht funktionale) Betrachtungsweise zugrunde, wonach die Gemeinden den mit der Besorgung des übertragenen Wirkungsbereiches verbundenen Personalaufwand und Sachaufwand selbst zu tragen haben und nur der mit der Aufgabenbesorgung verbundene Zweckaufwand vom Bund zu tragen ist.205

c) Haushaltsrücklagen Zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung im Allgemeinen und des Mitteleinsatzes im Besonderen sieht § 53 BHG unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Rücklagenzuführung und -entnahme vor.206 Nach Rödler erweitert die Möglichkeit der Bildung von Haushaltsrücklagen den Budgetgrundsatz der Einjährigkeit um den Grundsatz der planerischen Mehrjährigkeit.207 Nicht in Anspruch genommene Teile der Ausgabenansätze können vom Bundesminister für Finanzen für Konjunkturausgleichsmaßnahmen gemäß § 29 oder für Anlagen gemäß § 20 Abs 4 BHG einer Rücklage zugeführt werden.208 Die im § 53 Abs 3 BHG vorgesehene „Ausgleichsrücklage“ ermöglicht einerseits Zahlungen für Schulden und bestimmte Verrechnungsvorgänge, die das jeweils abgelaufene Finanzjahr betreffen, noch innerhalb des gesetzlichen Auslaufzeitraumes (§ 52 Abs 2 und 3) für Rechnung des abgelaufenen Finanzjahres, während andererseits allfällige Schuldaufnahmen zur Bedeckung solcher Ausgaben im Rahmen der finanzgesetzlichen Ermächtigung nur bis zum 31. Dezember des jeweils abgelaufenen Finanzjahres vorgenommen werden dürfen. Daraus können Divergenzen auf der Einnahmen- oder

203 204 205

206 207 208

Rödler, Haushaltsrecht, 155. AB 877 BlgNR 16.GP, 1. Neuhofer, 323 mH auf VfSlg 9507. Zum Amtssachaufwand zählt der Verfassungsgerichtshof jenen Aufwand, der die Voraussetzungen für das Tätigwerden der amtlichen Organe schafft, dagegen gehört jener Aufwand, der mit der konkreten Tätigkeit erst entsteht, nicht mehr dazu (und wäre daher vom Bund zu tragen), VfSlg 2533 und 7314. AB 877 BlgNR 16.GP, 8. Rödler, Haushaltsrecht, 160. Die Rücklagenbildungsmöglichkeit für Bauvorhaben und Liegenschaftsankäufe des Bundes wurde mit der Neuregelung des Immobilienvermögens des Bundes durch das Bundesimmobiliengesetz grundsätzlich obsolet. Sollte dennoch eine Rücklagenbildung im Einzelfall erforderlich sein, kann mit einer Ermächtigung im jeweiligen BFG (§ 53 Abs 4) das Auslangen gefunden werden, RV 59 BlgNR 22.GP, 255.

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Ausgabenseite resultieren, die nur anhand einer „Ausgleichsrücklage“ ausgeglichen werden können.209

d) Förderungsbericht Die Bundesregierung hat dem Nationalrat nach § 54 Abs 1 BHG alljährlich eine sachlich und zeitlich gegliederte Übersicht über die im abgelaufenen Finanzjahr gewährten direkten und indirekten Förderungen vorzulegen (Förderungsbericht).210 Der Förderungsbericht soll die Förderungsmaßnahmen des Bundes überschaubar machen und eine regelmäßige und systematische Grundlage für eine Effizienzkontrolle bieten. Die Berichterstattung des Förderungsberichts umfasst aus Bundesmitteln gewährte direkte Förderungen (Budgetausgaben) sowie geleistete Einnahmenverzichte des Bundes (indirekte Förderungen). Direkte Förderungen sind Ausgaben für zins- oder amortisationsbegünstigte Gelddarlehen, Annuitäten-, Zinsen- und Kreditkostenzuschüsse sowie sonstige Geldzuwendungen, die der Bund einer natürlichen oder juristischen Person für eine von dieser erbrachten oder beabsichtigten Leistung, an der ein erhebliches, vom Bund wahrzunehmendes öffentliches Interesse besteht, gewährt, ohne dafür unmittelbar eine angemessene geldwerte Gegenleistung zu erhalten.211 Indirekte Förderungen sind demgegenüber Einnahmenverzichte des Bundes, die einer natürlichen oder juristischen Person für eine von dieser in ihrer Eigenschaft als Träger von Privatrechten erbrachten Leistung, an der ein vom Bund wahrzunehmendes öffentliches Interesse besteht, durch Ausnahmeregelungen von den allgemeinen abgabenrechtlichen Bestimmungen gewährt wurden (§ 54 Abs 1 Z 2 BHG).

Problematisch erscheint, dass jene Förderungen, die von Organen des Bundes direkt an die Förderungsnehmer ausbezahlt und unter eigenen Voranschlagsposten verrechnet werden, im Förderungsbericht namentlich aufscheinen, während die von sog „Subventionsmittlern“212 an einen größeren Personenkreis ausbezahlten Förderungen lediglich summarisch als an diesen Rechtsträger überwiesen dargestellt werden.213

209

210 211 212

213

AB 877 BlgNR 16.GP, 8. § 52 Abs 2 BHG gilt auch für die Abfuhr von Mitteln gemäß § 16 Abs 3a (das sind die an die EU abzuführenden Mittel zur Finanzierung des Gesamthaushaltes gemäß Art 269 EG-Vertrag). Für den Fall, dass die EU die ihr in einem Finanzjahr gutgeschriebenen Eigenmittel bis zum 31. Dezember nicht vollständig kassenwirksam abruft, sollte die Regelung des Auslaufzeitraumes angewendet werden können. Die am Beginn des laufenden Finanzjahres an die EU zu leistenden Eigenmittelüberweisungen (durch die Einräumung von Guthaben zugunsten der EU) können sodann im Ausmaß der am 31. Dezember des abgelaufenen Finanzjahres bestehenden Differenz zwischen Gutschriften und Überweisungen noch bis 20. Jänner zu Lasten des abgelaufenen Finanzjahres verrechnet werden, AB 389 BlgNR 19.GP, 3. AB 877 BlgNR 16.GP, 8. Vgl § 20 Abs 5 BHG, Wenger, ÖHW 1987, 10. Ausführliches zu diesem Begriff bei Rebhahn, Beihilfen- und Subventionsrecht in Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2 (2003), Rz 853 ff. Rödler, Haushaltsrecht, 163.

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e) Bundesvermögens- und Schuldengebarung Vorgänge im Rahmen der Vermögens- und Schuldengebarung (zB das Eingehen und die Umwandlung von Finanzschulden, die Übernahme und Umwandlung von Bundeshaftungen, sonstige Verfügungen über Bundesvermögen) benötigen zumeist eine besondere Ermächtigung, die gemäß Art 42 Abs 5 BVG nur durch Gesetzesbeschluss des Nationalrates (ohne Mitwirkung des Bundesrates) erteilt werden kann. Solche gesetzlichen Ermächtigungen können für den Einzelfall oder global durch ein besonderes Bundesgesetz - regelmäßig im Rahmen des jährlichen BFG - erteilt werden. Nach § 55 BHG dürfen Sachen (im Sinne der §§ 285 ff ABGB) vom Bund nur dann entgeltlich erworben werden, wenn sie zur Erfüllung seiner Aufgaben aktuell benötigt werden. Hierbei ist vom Effizienzgrundsatz nach Art 126b Abs 5 B-VG und von den im § 2 Abs 1 BHG angeführten Zielsetzungen der Haushaltsführung auszugehen.214 Das BHG enthält weiters Gliederungs- und Bewertungsvorschriften, die den Besonderheiten des Bundesvermögens Rechnung tragen.215 f) Beteiligungserwerb durch den Bund und Aufgabenübertragung an andere Rechtsträger Durch die Ausgliederungswellen der letzten Jahre gewann diese Bestimmung des BHG große Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion, welche Grenzen für Ausgliederungen sich aus dem Haushaltsrecht ergeben. Die „Flucht aus dem Budget“ hat wegen der damit angestrebten finanz- und konjunkturpolitischen Beweglichkeit, aber wohl auch durch die Möglichkeit der außerbudgetären Finanzierung - und sich damit der Bindung des Budgets zu entziehen, - sehr große Ausmaße angenommen.216 § 59 BHG ist funktional gesehen als wichtiger Ansatz inhaltlicher Determinierung nicht hoheitlichen Verwaltungshandelns zu werten.217 § 59 BHG regelt nämlich die Voraussetzungen, unter denen Anteilsrechte (Beteiligungen) an Gesellschaften und Genossenschaften des Privatrechts erworben werden dürfen. Der Erwerb von Beteiligungen an sowie die Übertragung von Aufgaben des Bundes auf andere Rechtsträger sind in der Regel mit außerbudgetären Finanzierungen verbunden. Nach Absicht des Gesetzgebers soll diese im Haushaltsrecht verankerte Regelung gewährleisten, dass die Vornahme von Ausgliederungen nicht ausufert, „sondern auf ein mit den tragenden Grundsätzen staatlicher Haushaltsführung vereinbares gesamtwirtschaftlich vertretbares Maß beschränkt bleibt, und andererseits der dem Art 20 B-VG entsprechende und insbesondere dem Ausmaß der Bundesbeteiligung nach angemessene Einfluß der obersten Organe der Vollziehung auf die von ihnen in die Aufsichtsorgane solcher Gesellschaften oder Genossenschaften entsandten Vertreter gewahrt bleibt“.218

Anwendung findet diese Bestimmung nur für Beteiligungen an „Gesellschaften und Genossenschaften des Privatrechts“. Beteiligungen an Körperschaften oder anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind davon nicht betroffen.

214 215 216 217 218

AB 877 BlgNR 16.GP, 8 f. §§ 56 ff BHG. Holoubek, ÖHW 1989, 194. Wenger, ÖHW 1987, 7. AB 877 BlgNR 16.GP, 9.

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Problematisch nach Holoubek ist die Verwendung des Begriffes der „Beteiligung“ schlechthin. So scheint der Klammerausdruck „Anteilsrechte“ darauf hinzuweisen, dass unter Beteiligung jede Beteiligung unabhängig von ihrem Ausmaß zu verstehen ist. Diese Auslegung hätte allerdings zur Konsequenz, dass jeder auch noch so geringe Anteilserwerb des Bundes nach § 59 Abs 1 BHG nur zulässig wäre, wenn der Bund einen angemessenen Einfluss im Aufsichtsorgan erhalten würde und seine Interessenswahrung durch die entsprechenden Mitglieder dieses Organs sichergestellt sei. Eine andere denkbare Auslegung des § 59 Abs 1 BHG läge darin, unter einer „Beteiligung“ im hier vorliegenden Verständnis nur eine Beteiligung an einer Gesellschaft ab einer Größenordnung von mindestens 25 % des Gesamtkapitals zu verstehen, wie es der gesellschaftsrechtlichen Terminologie entspricht.219

Beteiligungen dürfen grundsätzlich von einem haushaltsleitenden Organ im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen für den Bund nur erworben werden, wenn einem wichtigen volkswirtschaftlichen Anliegen auf diesem Weg in Übereinstimmung mit den im § 2 Abs 1 BHG genannten Zielen besser entsprochen werden kann. Die sich aus der Beteiligung ergebende Zahlungsverpflichtung des Bundes muss mit einem bestimmten Betrag begrenzt sein. Eine Beteiligung des Bundes an einer Offenen Gesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft als Komplementär ist daher unzulässig.220 Beteiligungen dürfen nach § 59 Abs 1 Z 3 BHG nur erworben werden, wenn der Bund - wie erwähnt - einen angemessenen Einfluss in dem Aufsichtsorgan der betreffenden Gesellschaft oder Genossenschaft erhält und sichergestellt ist, dass die vom Bund gewählten oder entsandten Mitglieder des Aufsichtsorgans in Ausübung ihrer Tätigkeit auch die besonderen Interessen des Bundes berücksichtigen.

Eine Weisungsbindung der Vertreter des Bundes im Aufsichtsorgan der betreffenden Gesellschaft oder Genossenschaft wird allerdings nur in engen Grenzen möglich sein, weil nach den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften beispielsweise die Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in erster Linie den Interessen der Gesellschaft verpflichtet sind.221 Trotz des grundsätzlich bloßen Selbstbindungscharakters des BHG, sieht Wenger in einzelnen Bestimmungen (so auch im § 59) inhaltliche Determinanten für das Verwaltungshandeln mit Außenwirkung, weil privatrechtliches Handeln des Staates der zulässigen Zielverfolgung nach nicht den Handlungen Privater gleichgesetzt werden können, müsste seiner Ansicht nach konsequenterweise auch diese Bestimmung als Sondergesellschaftsrecht qualifiziert werden.222 Nach aA scheidet die Qualifikation des § 59 BHG als Sondergesellschaftsrecht aufgrund des bloßen Innennormcharakters dieses Gesetzes aber aus.223 Die durch § 59 BHG geforderte Sicherstellung der Interessenwahrung des Bundes im Aufsichtgremium verpflichtet demnach nur den Bundesvertreter, der dafür auch verantwortlich gemacht werden kann. Die Wahrnehmung dieser Verpflichtung wird ihm aber nur im Rahmen des allgemeinen Gesellschaftsrechts möglich sein, da § 59 BHG mangels Außenwirkung keine rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf Gesellschaftsebene statuiert.

219 220 221 222 223

Wie beispielsweise im § 131 AktG. Holoubek, ÖHW 1989, 194 ff. Korinek/ Holoubek (FN 185), 220 ff. Holoubek, ÖHW 1989, 195. Holoubek, ÖHW 1989, 196 mwN. Wenger, ÖHW 1987, 3; Holoubek, ÖHW 1989, 196. Holoubek, ÖHW 1989, 196. Korinek/Holoubek (FN 185), 222 f.

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Zudem bedarf der Erwerb einer Beteiligung der bundesgesetzlichen (also nicht bundesfinanzgesetzlichen) Ermächtigung, wenn der im Gesetz bestimmte Höchstbetrag überschritten wird oder die Höhe der Beteiligung bei einer der genannten Gesellschaften die Hälfte des sich ergebenden Grund- bzw Stammkapitals erstmalig übersteigen würde. Bei der Übertragung von Aufgaben des Bundes zur Besorgung an Rechtsträger des Privatrechts, an denen der Bund nicht im Sinne des § 59 Abs 1 BHG beteiligt ist, ist unter sinngemäßer Anwendung des Abs 1 und 2 vorzugehen, wenn die dem betreffenden Rechtsträger aus der Aufgabenbesorgung erwachsenden Kosten zum überwiegenden Teil endgültig den Bund belasten.

Damit sollen in erster Linie Fälle erfasst werden, in denen andere Rechtsformen als Gesellschaften und Genossenschaften gewählt werden (zB Vereine). Der Bund ist an einem Rechtsträger auch dann „nicht im Sinne des Abs 1“ beteiligt, wenn er zB keinen angemessen Einfluss in dem Aufsichtsorgan erhält. Dennoch verpflichtet § 59 Abs 5 BHG dazu, in diesem Fall in sinngemäßer Anwendung der Abs 1 und 2 (die einen angemessenen Einfluss im Aufsichtsorgan fordern) vorzugehen. Das kann wohl nur so zu verstehen sein, dass durch den Bund ein angemessener Einfluss auf die Besorgung der übertragenen Aufgaben in jedem Fall sichergestellt werden muss. Dies kann sowohl durch gesetzliche Vorschriften als auch durch privatrechtliche Vereinbarungen - effizienterweise unter Androhung allfälliger Sanktionen für den Fall des Zuwiderhandelns erfolgen.

Weiters ist erforderlich, dass die Kosten aus der Besorgung der übertragenen Aufgaben „endgültig“ den Bund belasten. Von so einer „endgültigen“ Belastung kann im Falle der Übernahme einer „Bundeshaftung“ wohl noch nicht ausgegangen werden. g) Finanzschulden Aus § 65 BHG ergibt sich eine dem Art 51 Abs 6 B-VG und der herrschenden Lehre entsprechende Umschreibung des Begriffes „Finanzschulden“. Demnach sind „Finanzschulden“ alle Geldverbindlichkeiten des Bundes, die zum Zwecke, dem Bund die Verfügungsmacht über Geld zu verschaffen, eingegangen werden. Das wesentliche Begriffsmerkmal liegt demnach in der Geldmittelbeschaffung, für die bestimmte Arten von Kreditoperationen (zB die Aufnahme von Darlehen gegen die Hingabe von Schatzscheinen oder sonstigen Schuldverschreibungen) typisch sind und die insbesondere zur Deckung eines Finanzierungsbedarfes des Gesamthaushaltes oder zur Umwandlung bestehender Finanzschulden zu dienen hat. Zur Eingehung und Umwandlung (Prolongierung und Konvertierung) von Finanzschulden ist ausschließlich der Bundesminister für Finanzen befugt, der hierzu durch einen Beschluss des Nationalrates gemäß Art 42 Abs 5 B-VG ermächtigt wird (üblicherweise im Rahmen des jährlichen BFG). Alle Urkunden über Finanzschulden bedürfen überdies der Gegenzeichnung durch den Präsidenten des Rechnungshofs (siehe Punkt II.E.2.).224

Im § 65 Abs 3 BHG werden Sonderformen von Finanzschulden angeführt. Hierbei handelt es sich um Verbindlichkeiten, die zwar im Zusammenhang mit der laufenden Verwaltungstätigkeit entstehen, bei denen jedoch dem Bund in Ansehung der Finanzierung durch üblicherweise einem am zu Grunde liegenden Rechtsgeschäft nicht unmit224

Korinek/Holoubek (FN 116) 216.

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telbar beteiligten Dritten (zumeist ein Kreditinstitut) bzw wegen der langfristigen Fälligkeitsvereinbarung (zB im Rahmen eines Kauf- oder Leasingvertrages) besondere Finanzierungserleichterungen eingeräumt werden.225 Damit wird der Verwaltung die Möglichkeit versperrt, mittels Zwischenfinanzierung durch Dritte die strengen Bindungen bei der Begründung von Staatsschulden zu unterlaufen.

Alle im § 65 BHG nicht ausdrücklich als „Finanzschulden“ qualifizierten Geldverbindlichkeiten des Bundes gelten als „Verwaltungsschulden“. Diese entstehen gewöhnlich aus Verbindlichkeiten, die im Rahmen der laufenden Verwaltungstätigkeit zustande gekommen sind, bei denen jedoch die Erfüllung durch Zahlung zeitlich hinausgeschoben wird. Eine Mitbefassung des Nationalrates bei der Eingehung von Verwaltungsschulden, wozu es keiner bundesfinanzgesetzlichen Ermächtigung bedarf, ist im Besonderen durch § 45 Abs 3 und 4 BHG sichergestellt.226 Die Eingehung kurzfristiger Verwaltungsschulden, die innerhalb desselben Finanzjahres wieder getilgt werden, steht grundsätzlich jedem Organ der Haushaltsführung im Rahmen seines Wirkungsbereiches zu. § 65a BHG ermöglicht zur Abdeckung notwendiger kassenmäßiger Erfordernisse gemäß § 52 Abs 5 im laufenden Finanzjahr weitere über § 65 hinausgehende Kreditoperationen. Die voranschlagswirksame Verrechnung dieser Gebarung erfolgt im nachfolgenden Finanzjahr. Zur Realisierung wirtschaftlicher Vorteile (zB Schuldaufnahmen vor Eintritt eines erwarteten höheren Zinsniveaus auf den Geld- und Kapitalmärkten) wird darüber hinaus eine betragsmäßig begrenzte Finanzierungsmöglichkeit vor Beginn eines Finanzjahres geschaffen.227 Die einzuhaltenden Voraussetzungen für diese Kreditoperationen sind im § 65b BHG geregelt.

Kreditoperationen für sonstige Rechtsträger oder für Länder sind grundsätzlich nicht dem öffentlichen Sektor Bund zuzurechnen, dh sie sind nicht als Finanzschulden des Bundes zu behandeln. Dennoch darf nach § 65c BHG der Bundesminister für Finanzen bestimmte Kreditoperationen vornehmen und Währungstauschverträge für sonstige Rechtsträger oder für Länder abschließen, natürlich nur auf Grundlage der im BFG oder in einem anderen Bundesgesetz nach Art 42 Abs 5 B-VG enthaltenen Ermächtigungen. „Sonstige Rechtsträger“ im Sinne dieser Bestimmung sind nur solche, an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist oder für deren Kreditoperationen der Bund die Haftung als Bürge und Zahler gemäß § 1357 ABGB oder in Form von Garantien übernommen hat. Der Bundesminister für Finanzen hat sich hierbei der Bundesfinanzierungsagentur zu bedienen.228

225 226 227 228

Pichler in Steger (Hrsg), 201. AB 877 BlgNR 16.GP, 10. AB 1428 BlgNR 18.GP, 2. Die Aufgaben der Bundesfinanzierungsagentur sind im § 2 Bundesfinanzierungsgesetz taxativ aufgezählt, die unter dem Begriff „Public Debt Management“ subsumiert werden können. Der Bundesminister für Finanzen ist berechtigt, Auskünfte über alle Geschäftsfälle zu verlangen und jederzeit in die Unterlagen der Bundesfinanzierungsagentur Einschau zu nehmen. Zudem kann er der Geschäftsführung der Bundesfinanzierungsagentur Weisungen betreffend die Besorgung ihrer Aufgaben nach § 2 Abs 1 Bundesfinanzierungsgesetz erteilen. Kocher, Das Finanzierungsmanagement des Bundes in Steger (Hrsg), 147 ff.

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h) Bundeshaftungen Der Begriff der „Bundeshaftungen“ wird im § 66 Abs 1 BHG näher umschrieben. Die aus der Übernahme von Haftungen grundsätzlich resultierende Beihilfenproblematik wird im Beitrag von Jäger in diesem Handbuch näher ausgeführt. Nach § 66 BHG ist eine „Bundeshaftung“ eine Haftung im Sinne einer Bürgschaft nach den §§ 1346 und 1348 bis 1367 ABGB oder eine Garantie des Bundes. Die Haftungsform der „Garantie“ hat sich aus dem bankgeschäftlichen Verkehr entwickelt. Sie hat einen einseitig verpflichtenden Schuldvertrag zum Gegenstand, auf Grund dessen der anspruchsberechtigte Gläubiger eines Dritten selbständige Rechte erwirbt. In den meisten Fällen stellt die Garantie einen Vertrag zwischen dem Financier (zB eine inländische Bank) und dem Garanten (dem Bund) dar, wodurch dem Financier das Risiko des Verlustes der gewährten Mittel im Wesentlichen abgenommen wird.229 Die „Garantie“ ist im Gegensatz zur „Bürgschaft“ nicht akzessorisch.230

Haftungsübernahmen durch den Bund wirken wie Finanzierungshilfen, weil sie für die Begünstigten in Anbetracht der außerordentlich hohen Bonität des Bundes bedeutende wirtschaftliche Vorteile bei der Geldmittelbeschaffung bringen.231 Haftungen belasten den Bundeshaushalt nicht unmittelbar, sondern nur im Ausmaß abzudeckender Schäden aus dem Obligo.232 Daher wird durch sie ein „Schattenhaushalt“ etabliert.233 Der Bund selbst unterliegt auch mit der Haftungsübernahme für ausgegliederte Rechtsträger den Schranken des § 66 BHG, wohingegen diese Bestimmung auf die von ausgegliederten Rechtsträgern ihrerseits übernommenen Haftungen keine Anwendung findet (zB auf Haftungen der Österreichischen Kontrollbank AG). Die Tätigkeiten dieser Rechtsträger zählen nicht mehr zur Verwaltung im Sinne des B-VG, sodass § 66 BHG insofern leer läuft.234 Eine Haftung des Bundes darf ausschließlich der Bundesminister für Finanzen übernehmen. Anderen Bundesministern ist dies nicht gestattet. Die Erteilung der konkreten Ermächtigung hiezu obliegt dem Nationalrat im Rahmen seiner Kompetenzen nach Art 42 Abs 5 B-VG, der hiervon üblicherweise im Rahmen des jährlichen BFG Gebrauch macht. Hierbei sind die zulässigen Höchstbeträge und eine Verknüpfung mit konkreten Vorhaben festzulegen und der Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit ist zu beachten. Grundsätzlich soll bei der Übernahme einer Haftung durch den Bund ferner durch eine Regressvereinbarung darauf geachtet werden, dass der 229 230 231

232 233 234

Pale, Haftungsübernahme der Finanzierungsgarantiegesellschaft, ecolex 1995, 411. AB 877 BlgNR 16.GP, 10f. Das geförderte Unternehmen erhält meist relativ zur Marktsituation kostengünstige, von der marktüblichen Risikoprämie aufgrund der Bundeshaftung entlastete Fremdkapitalmittel. Rödler, Haushaltsrecht, 188. Hengstschläger, Budgetrecht, 311. Holoubek, ÖHW 1989, 202. Allerdings wird eine Beteiligung des Bundes an solchen Subventionsmittlern gemäß § 59 BHG nur zulässig sein, wenn sichergestellt ist, dass die für die Übernahme von Bundeshaftungen nach § 66 BHG geltenden Voraussetzungen vom Subventionsmittler erfüllt werden, „um einem wichtigen volkswirtschaftlichen Anliegen auf diesem Wege in Übereinstimmung mit den in § 2 Abs 1 genannten Zielen besser“ zu entsprechen, Korinek/Holoubek (FN 116) 225.

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Bund auf seinen Haftungsanteil eingeschränkt wird, wenn für dieselbe Verpflichtung auch noch andere Rechtsträger eine Haftung übernommen haben (§ 66 Abs 1 Z 4 BHG).

Im Falle einer Inanspruchnahme des Bundes aus der Haftungsübernahme steht ihm nach § 66 Abs 2 Z 4 BHG ein Regressanspruch gegen den Schuldner zu. § 66 Abs 4 BHG statuiert eine jährliche Berichtspflicht des Bundesministers für Finanzen an den Budgetausschuss betreffend die Übernahme von Bundeshaftungen.

C. Vollziehung 1. Anordnungen im Gebarungsvollzug Das BHG regelt im Abschnitt VII die grundsätzlichen Voraussetzungen, die beim Gebarungsvollzug zu beachten sind. Diese Bestimmungen sollen insbesondere den Grundsatz der Trennung zwischen Anweisung und Vollziehung (Anordnung und Ausführung) untermauern. Zahlungen, Verrechnungen sowie Zu- und Abgänge von Sachen sind nur aufgrund einer schriftlichen Anordnung vom ausführenden Organ durchzuführen (§ 67 BHG). Unvorschriftsmäßige Anordnungen dürfen jedoch erst ausgeführt werden, wenn das anordnende Organ die Anordnung berichtigt hat oder trotz Einwendungen des ausführenden Organs aufrecht erhält (§ 67 Abs 4 BHG).235 Werden im Rahmen der Haushaltsführung des Bundes Verrechnungsdaten elektronisch entweder an die Buchhaltung oder direkt an die ZEDVA weitergegeben, entfällt die Schriftlichkeit der Anordnung. Solche Anordnungen sind nach Tunlichkeit unverzüglich zu erteilen. § 69 BHG sieht ausnahmsweise Zahlungen ohne schriftliche Anordnung vor, in Fällen, bei deren Abwicklung das Vorliegen eines Zahlungsauftrages in der Regel nicht abgewartet werden kann (zB Buschauffeur, Kartenautomaten).236

2. Zahlungsverkehr Der Zahlungsverkehr des Bundes ist gemäß § 71 Abs 1 BHG grundsätzlich bargeldlos abzuwickeln und nach Tunlichkeit im Wege der Österreichischen Postsparkasse zu besorgen. Außerdem ist der Barzahlungsverkehr auf das unumgänglich notwendige Ausmaß zu beschränken. Der Zahlungsverkehr des Bundes ist durch den Grundsatz der zentralen Kassenhaltung und die Veranlagung nicht (sofort) benötigter Mittel geprägt.237 Ausgaben sind gemäß Abs 5 von den ausführenden Organen nach Maßgabe ihrer Fälligkeit zu leisten und die Schulden des Bundes sind nach Möglichkeit mit Forderungen gegen denselben Empfangsberechtigten aufzurechnen.

235

236 237

RV 381 BlgNR 22.GP, 11. Zahlungs- und Verrechnungsaufträge haben insbesondere Namen und Anschrift des Zahlungspflichtigen oder Empfangsberechtigten, den anzunehmenden oder auszuzahlenden Betrag, den Grund der Zahlung oder der Verrechnung, die Verrechnungsweisung, Datum der Anordnung mit Unterschrift des Anordnungsbefugten bzw elektronische Unterschrift oder Signatur zu enthalten (§ 68 BHG). RV 877 BlgNR 16.GP, 11. Csoka/Ihle, Das Rechnungswesen des Bundes, in Steger (Hrsg), 231.

Koller

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3. Verrechnung Der Begriff „Verrechnung“ wird im BHG in einem umfassenden Sinn verwendet und bezieht sich neben der voranschlagswirksamen Verrechnung, der Bestands- und Erfolgsrechnung beispielsweise auch auf die Lohn- und Gehaltsverrechnung, die Anlagenbuchführung sowie Teile der Statistik. § 74 Abs 1 BHG stellt den Grundsatz der Geldwertverrechnung unter Zugrundelegung der Eurowährung auf. Unter dem Begriff „Geschäftsfälle“ sind alle Vorgänge zu verstehen, die nach den Vorschriften des BHG zur Verrechnung in Betracht kommen. § 75 Abs 1 BHG verankert das Prinzip der Bruttoverrechnung, wonach Vorwegabrechnungen der bei Einnahmenansätzen vorkommenden Ausgaben und umgekehrt grundsätzlich unzulässig sind.238 Bestimmten Verrechnungszwecken dienende gleichartige Konten sind in einem Verrechnungskreis zusammenzufassen (§ 75 Abs 6 BHG). Bezüglich der Verrechnungskreise wird zwischen Hauptverrechnungskreisen und Nebenverrechnungskreisen unterschieden. Hauptverrechnungskreise bestehen für die voranschlagswirksame Verrechnung und für die Bestands- und Erfolgsverrechnung. Zur gesonderten Erfassung von sachlich zusammengehörigen Verrechnungsgrößen können auch Nebenverrechnungskreise eingerichtet werden. Im Rahmen der voranschlagswirksamen Verrechnung werden die aufgrund gesetzlicher, vertraglicher oder sonstiger Bestimmungen einzuhebenden Einnahmen oder zu leistenden Ausgaben des Bundes, die gemäß § 16 BHG zu veranschlagen sind, wirksam für Rechnung eines Voranschlagsansatzes verrechnet (§ 78 BHG). Insgesamt werden für das Verrechnungsverfahren fünf Phasen festgelegt, die von der Genehmigung der Voranschlagsbeträge durch den Nationalrat, über die Verfügungen, die Berechtigungen bzw Verpflichtungen und die Forderungen bzw Schulden bis zur Zahlung reichen. In der Bestands- und Erfolgsverrechnung sind voranschlagswirksame und unwirksame Vermögensänderungen bzw Aufwendungen und Erträge zu buchen. In der Rechnungslegungsverordnung (RLV)239 ist deren bundeseinheitliche Gliederung festgelegt. Auf den Bestandskonten sind nach § 80 Abs 2 BHG jeweils der Anfangsbestand, die Zu- und Abgänge sowie der Endbestand und auf den Erfolgskonten sind die Aufwendungen und Erträge zu verrechnen. Hierbei sind Bewertungen und Abschreibungen nach den diesbezüglichen handels- und steuerrechtlichen Vorschriften vorzunehmen.240 Seit 2005 ist in den Zentralstellen der Bundesministerien auch eine Kosten- und Leistungsrechnung zu führen. Die Kostenrechnung besteht aus einer Kostenartenrechnung und einer Kostenstellenrechnung, um die Kostenstrukturen festzustellen. Darauf aufbauend erfolgt die Leistungsrechnung (Kostenträgerrechnung). Die Ergebnisse der Kosten- und Leistungsrechnung sollen sowohl den ressorteigenen als auch ressortübergreifenden bundesweiten Steuerungszwecken (zB dem Budget- und Personalcontrolling, dem Leistungscontrolling, Leistungskennzahlenvergleich, Benchmarking usw) dienen.241 Nach den §§ 83 bis 87 BHG sind zum Ende jeden Monats Abschlussrechnungen aufzustellen. Diese Monatsnachweisungen sind sowohl über die voranschlagswirksame Verrechnung als auch über die Bestands- und Erfolgsverrechnung aufzustellen. Weiters hat monatlich eine Kassenabrechnung zu erfolgen. Diese monatlichen Aufstellungen 238 239 240 241

RV 877 BlgNR 16.GP, 12. Ausnahmen hiervon sind im § 16 Abs 2 BHG enthalten. BGBl 1990/150, eine Verordnung des Rechnungshofs. RV 877 BlgNR 16.GP, 13. RV 649 BlgNR 22.GP, 17.

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dienen zusammen mit dem Monatshaushalt der Überwachung der Einhaltung des Bundesvoranschlages während des Finanzjahres, der Sicherung der Zahlungsbereitschaft sowie der Ermittlung von monatlichen Gebarungsergebnissen für alle Organe des Bundes.

D. Kontrolle 1. Innenprüfung, Rechnungslegung Grundsätzlich steht den ausführenden Organen das Recht zu, dass sachlich unrichtige oder den Haushaltsvorschriften widersprechende Anordnungen nicht vollzogen werden dürfen. Im Sinne einer umfassenden Gebarungssicherheit sind unter dem Begriff „Innenprüfung“ sowohl die vorhergehenden Prüfungen im Gebarungsvollzug als auch die Nachprüfung zu verstehen. Jeder einer Anordnung zugrunde liegende Beleg242 ist vom jeweiligen Organ auf seinen Grund und auf seine Höhe (materiellrechtliche und rechnerische Richtigkeit) unter Bedachtnahme auf die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (Art 126b Abs 5 B-VG) zu prüfen. Die Anordnungen selbst sind dahingehend zu prüfen, ob diese den Haushaltsvorschriften und den sonstigen Vorschriften entsprechen. Mit solchen Tätigkeiten dürfen Bedienstete nur betraut werden, wenn die volle Unbefangenheit gewährleistet ist und keine Unvereinbarkeit vorliegt. Die Nachprüfung der Geld-, Wertpapier- und Schuldenverrechnung kann wegen der Vielzahl der zu überwachenden Organe nur stichprobenweise (laut § 92 Abs 1 BHG fallweise und unvermutet) vorgenommen werden.243

Die Abschlussrechnungen dienen der Kontrolle der im Bundesvoranschlag enthaltenen Planung durch den Vergleich mit den Ergebnissen der Gebarung eines Jahres. Abschlussrechnungen sind für jedes Finanzjahr von jedem anweisenden Organ aufzustellen. Darüber hinaus haben die haushaltsleitenden Organe zusätzlich Abschlussrechnungen für ihren gesamten Wirkungsbereich aufzustellen. Die Jahresrechnungen sind dem Rechnungshof, jene der haushaltsleitenden Organe auch dem Bundesminister für Finanzen vorzulegen. Die im § 94 BHG vorgesehene Gliederung der Voranschlagsvergleichsrechnung entspricht der Gliederung des Bundesvoranschlagentwurfes und dient somit einer weitestgehenden Transparenz der Verrechnungsergebnisse. Auch die Bestandsund Erfolgsverrechnungen müssen ordnungsgemäß abgeschlossen werden.244 Zu jeder Jahresbestandsrechnung sind die Beteiligungen des Bundes, die Wertpapiere des Bundes, die keine Beteiligungen sind, die Finanzschulden und die Haftungen des Bundes aufgegliedert darzustellen.

2. Bundesrechnungsabschluss und Gebarungskontrolle durch den Rechnungshof Die Verrechnungsergebnisse jedes Finanzjahres finden ihren Niederschlag im Bundesrechnungsabschluss. Nach Art 121 Abs 2 B-VG und den Bestimmun242 243 244

Außer es handelt sich um verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Entscheidungen oder Verfügungen. RV 877 BlgNR 16.GP, 14. RV 877 BlgNR 16.GP, 14.

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gen des Rechnungshofgesetzes245 ist der Rechnungshof zur Erstellung des Bundesrechnungsabschlusses zuständig. Diese Zuständigkeit des Rechnungshofes wird allgemein als Mitwirkung an Verwaltungsaufgaben angesehen.246 Der Bundesrechnungsabschluss ist ein detaillierter Vergleich des tatsächlichen Jahresergebnisses mit dem Jahresvoranschlag und dient damit der parlamentarischen Kontrolle. Dem Bundesrechnungsabschluss ist auch eine Bestands- und Erfolgsrechnung (Vermögens- und Schuldenrechnung) anzuschließen. Der Rechnungshof kann dem Bundesrechnungsabschluss insbesondere als Anlage eine Aufgliederung der wirksamen Ausgaben und Einnahmen des Bundes nach den Kriterien der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung anschließen.247

Der vom Rechnungshof verfasste Bundesrechnungsabschluss ist dem Bundesminister für Finanzen zu übermitteln, der innerhalb von drei Wochen dazu Stellung nehmen kann. Der Rechnungshof hat den Bundesrechnungsabschluss bis spätestens 30. September des nächsten Finanzjahres dem Nationalrat vorzulegen. Zugleich mit dem Bundesrechnungsabschluss ist auch ein Nachweis über den Stand der Bundesschulden vorzulegen. Der Bundesrechnungsabschluss wird vom Budgetausschuss in Verhandlung genommen und in Form eines Gesetzesbeschlusses des Nationalrates (ohne Mitwirkung des Bundesrates) genehmigt.248 Eine allfällige Versagung der Genehmigung hat mittels Beschluss zu erfolgen.249 Im Rahmen der im fünften Hauptstück des B-VG und des Rechnungshofgesetzes geregelten Rechnungs- und Gebarungskontrolle obliegt dem Rechnungshof insbesondere auch die Überprüfung der gesamten Gebarung des Bundes. Weiters wirkt er gemeinsam mit dem Bundesminister für Finanzen an der Ordnung des Rechnungswesens des Bundes mit. Alle Urkunden über Finanzschulden des Bundes sind nach Art 121 Abs 3 B-VG vom Präsidenten des Rechnungshofes gegenzuzeichnen. Diese Gegenzeichnung, die lediglich die Gesetzmäßigkeit zu gewährleisten hat, stellt keine Gültigkeitsvoraussetzung für die Aufnahme von Finanzschulden des Bundes dar.250 Mit dieser Gegenzeichnung wird gewährleistet, dass der zur Eingehung von Finanzschulden ausschließlich zuständige Bundesminister für Finanzen im Rahmen seiner gesetzlichen Ermächtigung zur Schuldenaufnahme gehandelt hat. Darüber hinaus wird mit der Gegenzeichnung auch die ordnungsgemäße Eintragung in das Hauptbuch der Staatsschulden bestätigt.251

III. Haushalts(verfassungs)rechtsreform Die geplante Novelle zum Haushaltsverfassungsrecht soll in zwei Etappen umgesetzt werden, wobei die erste bereits mit 1. Jänner 2007 und die zweite mit 1. Jänner 2011 in Kraft treten sollte. Hauptpunkte des Entwurfs sind eine 245 246 247 248 249 250 251

BGBl 1948/144 idF BGBl 2003 I/100. Hengstschläger, Der Rechnungshof, 1982, 324 mwN. RV 877 BlgNR 16.GP, 14f. Pichler in Steger (Hrsg), 208 f. Rödler, Haushaltsrecht, 42. Ebenda. Pichler in Steger (Hrsg), 203.

Haushaltsrecht

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Ergänzung der Haushaltszielbestimmung im Art 13 B-VG, der mehrjährige, verbindliche Finanzrahmen und die neuen Grundsätze der Haushaltsführung. Neben der Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts252 hätten Bund, Länder und Gemeinden bei ihrer Haushaltsführung künftig auch „nachhaltig geordnete Haushalte“ bzw „die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern“ anzustreben. Mit nachhaltig geordneten öffentlichen Haushalten wären eine unangemessen hohe öffentliche Verschuldung sowie erhebliche persistente öffentliche Defizite nicht vereinbar.253 Die Berücksichtigung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter als Zielbestimmung der Haushaltsführung entspricht dem international etablierten Konzept des Gender Budgeting. Der Grundgedanke von Gender Budgeting ist es, die Auswirkungen des Verwaltungshandelns und der Budgetpolitik insbesondere hinsichtlich der Verteilung und Aufbringung öffentlicher Mittel auf Männer und Frauen zu analysieren und gegebenenfalls korrigierende Maßnahmen zu ergreifen.254 Gut getarnt und in einer knappen Formulierung in den Erläuterungen angemerkt ist die - meines Dafürhaltens doch spektakuläre - geplante Änderung des Art 42 Abs 5 BVG. Demnach sollen in Zukunft nicht nur wie bisher das BFG sowie allfällige Novellen und die Budgetprovisorien ohne Mitwirkung des Bundesrates zustande kommen, sondern auch das Bundesfinanzrahmengesetz sowie „ein Bundesgesetz, mit dem nähere Bestimmungen über die Erstellung des Bundesfinanzrahmengesetzes, des Bundesfinanzgesetzes und über die sonstige Haushaltsführung des Bundes getroffen werden“. Letztgenanntes Bundesgesetz enthält Regelungen über Gegenstände, welche bislang (abgesehen von der Erstellung des Bundesfinanzrahmengesetzes) im BHG geregelt wurden. Dies lässt darauf schließen, dass mit Gesetzwerdung des Entwurfes das BHG „ohne Mitwirkung des Bundesrates“ zustande kommen soll. Allgemeine, nicht nur das nächste Finanzjahr betreffende Haushaltsregelungen sind bisher gemäß Art 51 Abs 6 BVG dem einfachen Bundesgesetzgeber (und nicht dem Gesetzgeber nach Art 42 Abs 5 B-VG) vorbehalten. Solche allgemeinen Haushaltsregelungen dürfen grundsätzlich nicht durch ein BFG getroffen werden, sie wären gegebenenfalls verfassungswidrig (Bepackungsverbot). Mit Umsetzung des Entwurfes würden nunmehr bundeshaushaltsgesetzliche Regelungen zwar nicht im Rahmen eines BFG getroffen, aber dennoch durch einen Gesetzgeber, der dem Budgetgesetzgeber gleichkommt (ohne Mitwirkung des Bundesrates). ME wäre damit unvermeidlich eine Aushöhlung des Bepackungsverbotes verbunden.

Zeitlich vorrangig geht es um die Einführung einer mehrjährigen, verbindlichen Finanzplanung (Finanzrahmen). In seiner Ausgestaltung soll der Finanzrahmen verbindlich, mehrjährig, flexibel sowie klar und einfach verständlich sein. Der Finanzrahmen ist somit kein technisches Planungsinstrument, sondern verkörpert die wesentliche politische Prioritätensetzung und steckt somit in verbindlicher Weise den Rahmen ab, innerhalb dessen sich Budgeterstellung und -vollzug bewegen „müssen“.

Er fixiert damit die Ausgabenseite des Budgets (Planung des Ressourcenverbrauchs) mit einer vierjährigen Perspektive und erhöht damit die Planungssicherheit und die Flexibilität. Die erhöhte Flexibilität besteht insbesondere darin, dass nicht ausgeschöpfte Ausgaben grundsätzlich automatisch einer Rücklage gutgeschrieben werden und die 252 253 254

Entsprechend Art I-3 des Entwurfes des Vertrages über eine Verfassung für Europa. Als Obergrenze für die Verschuldung sollte das Maastricht-Schuldenkriterium herangezogen werden. RV 1331 BlgNR 22.GP, 5.

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Zweckbestimmung für Rücklagen wegfällt.255 Die Gliederung erfolgt auf hochaggregierten Ebenen, die Obergrenzen für einzelne Politikbereiche abstecken, die bei der Budgetierung nicht überschritten werden dürfen. Es wird zwischen fixen und variablen Obergrenzen unterschieden. Variable Obergrenzen gelten für jene Bereiche, die stark konjunkturabhängig sind (Arbeitsmarkt, Pensionen, FLAF).256 Auf oberster Ebene wird der Finanzrahmen in fünf Rubriken257 gegliedert. Die Einnahmenseite des Budgets soll jeweils geschätzt werden.

An die Stelle des bisher unverbindlichen Budgetprogramms soll künftig ein verbindliches Bundesfinanzrahmengesetz258 treten. Dieses legt für vier Jahre die Obergrenzen für Ausgaben in vorhinein fest, wobei die festgelegten Obergrenzen auf Ebene der Rubriken grundsätzlich weder beim darauf aufbauenden BFG noch bei dessen Vollzug überschritten werden dürfen.259 Eine Überschreitung der durch das Bundesfinanzrahmengesetz vorgesehenen Obergrenzen durch das BFG würde eine vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Verfassungswidrigkeit darstellen.260 Das Bundesfinanzrahmengesetz wird durch einen Strategiebericht261 flankiert, welcher die Ziele des Bundesfinanzrahmens (zB Defizit-, Schulden- und Abgabenquote) erläutern und Auskunft über die voraussichtlichen Einnahmen sowie über die politischen Prioritäten und die Ausgabenschwerpunkte der Bundesregierung geben soll.262 Die neuen Grundsätze der Haushaltsführung betreffen die Wirkungsorientierung, die Transparenz, die Effizienz und die möglichst getreue Darstellung der finanziellen Lage. Der Grundsatz der Wirkungsorientierung bedeutet, dass die Budgeterstellung und Haushaltsführung sich an den mit den eingesetzten Mitteln erreichten Wirkungen zu orientieren hat. Es geht um eine Orientierung an der politischen Zielsetzung und an deren tatsächlichen Umsetzung. Im Zusammenhang mit der Wirkungsorientierung wird auch eine angemessene Evaluierung der Ziele vorzunehmen sein. Der Grundsatz der Transparenz erfasst die schon traditionellen Grundsätze der Budgetklarheit, der Einheit und der Vollständigkeit des Budgets sowie der Bruttobudgetierung. Darüber hinaus bezieht sich der Grundsatz der Transparenz auf die Erkennbarkeit der haushaltspolitischen Ziele, die zeitnahe Veröffentlichung von Informationen bezüglich Budgeterstellung und -vollzug, das Berichtswesen ua. Die Effizienz besteht entweder darin, ein 255 256 257

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RV 1332 BlgNR 22.GP, 2 f. Steger/Mungenast, Grundlagen für ein modernes Haushaltswesen in Steger (Hrsg), 464 f. Rubrik 1: Sicherheit und Recht; Rubrik 2: Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie; Rubrik 3: Bildung, Forschung und Kultur; Rubrik 4: Wirtschaft, Infrastruktur und Umwelt; Rubrik 5: Kassa und Zinsen. Der Entwurf des Bundesfinanzrahmengesetzes ist von der Bundesregierung dem Nationalrat bis spätestens zum 30. April vorzulegen. Sollte bereits ein Bundesfinanzrahmengesetz beschlossen sein, so ist im darauf folgenden Jahr im Sinne einer rollierenden Vorgangsweise jedenfalls das neue Finanzjahr n+4 dem beschlossenen Finanzrahmen anzufügen, RV 1331 BlgNR 22.GP, 6. RV 1332 BlgNR 22.GP, 3 f. RV 1331 BlgNR 22.GP, 8. Neben dem Strategiebericht soll weiterhin ein Budgetbericht erstellt werden, welcher Auskunft über die Einnahmen und Ausgaben des abgelaufenen Finanzjahres erstatten soll, um die Einhaltung des Bundesfinanzrahmengesetzes überprüfen zu können. RV 1332 BlgNR 22.GP, 7. RV 1332 BlgNR 22.GP, 5.

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gegebenes Ziel (eine bestimmte staatliche Leistung) mit einem möglichst geringen Mitteleinsatz zu erreichen (Minimalprinzip) oder mit vorgegebenen Mitteln ein maximales Ergebnis zu erreichen (Maximalprinzip). Der Grundsatz der möglichst getreuen Darstellung der finanziellen Lage betrifft die Anforderungen an die Beschaffenheit des Budget-, Verrechnungs- und Berichtssystems im weitesten Sinn.263

Zusätzliche Änderungen des Haushaltsverfassungsrechts betreffen die Provisoriumsregelungen im Art 51a B-VG sowie die Budgetüberschreitungen im Art 51b B-VG. Geplant ist weiters eine Reform der Rücklagenbildung, die nicht mehr wie bisher voranschlagswirksam gebildet und verrechnet werden sollen, vielmehr sollen eingesparte bzw nicht verbrauchte Ausgabenbeträge und zweckgebundene Mehreinnahmen auf Grund bundesfinanzgesetzlicher Regelung für Mehrausgaben zur Verfügung stehen und erst dann finanziert werden, wenn sie tatsächlich gebraucht werden.264 Zudem soll der Katalog an zusätzlichen Übersichten zum BFG erweitert werden und auch Angaben zu den finanziellen Beziehungen mit der Europäischen Union gemacht und Informationen über Kapitalbeteiligungen sowie über ausgegliederte Einrichtungen und deren Konnex zum Bundesbudget aufgenommen werden.265

IV. Haushaltsrechtliche Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden A. Finanzausgleich Aus vielerlei Gründen (zB wegen der Komplexität des Themas) ist es im Rahmen dieses Beitrages nicht möglich, auf den Finanzausgleich auch nur in seinen Grundzügen einzugehen. Es kann hier nur auf Publikationen namhafter Autoren zu diesem Themenbereich verwiesen werden.266 In aller Kürze soll angeführt werden, was Regelungsgegenstand des Finanzausgleichs ist. Die verfassungsrechtliche Grundlage des Finanzausgleichs ist das F-VG 1948. Finanzausgleichgesetze sind traditionell zeitlich befristet und ihrer Erlassung gehen intensive Verhandlungen der Finanzausgleichspartner (Bund, Länder sowie Österreichischer Gemeindebund und Österreichischer Städtebund als Vertreter der Gemeindeinteressen) voraus (paktierter Finanzausgleich). Ausgehend vom Grundsatz der eigenen Kostentragung im § 2 F-VG, der eine entsprechende Finanzausstattung der Gebietskörperschaften voraussetzt, ergibt sich die Notwendigkeit eines Finanzausgleiches unter den Gebietskörperschaften. Unter Finanzausgleich im engeren Sinn sind die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge und die Gewährung von Finanzzuweisungen und Zuschüssen für bestimmte Zwecke zu verstehen. Die bundesgesetzliche Verteilung der Besteuerungsrechte ist nicht abschließend, da auch den Ländern ein eingeschränktes Steuererfindungsrecht zukommt und die Länder in dem nicht vom Bund geregelten Bereich zur Verteilung der Besteuerungsrechte und 263 264 265 266

RV 1331 BlgNR 22.GP, 8 f. RV 1332 BlgNR 22.GP, 5. Ebenda, 8. Matzinger in Steger (Hrsg), 67 ff; KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung (Hrsg), Finanzausgleich 2005. Ein Handbuch - mit Kommentar zum FAG 2005 (2005); Matzinger, Der Finanzausgleich ab 2005, ÖGZ 1/2005;

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Abgabenerträge unter sich und den Gemeinden befugt sind.267 Bei der Regelung des Finanzausgleiches ist § 4 F-VG zu beachten, wonach der Finanzausgleich in Übereinstimmung mit der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen hat und darauf Bedacht zu nehmen ist, dass die Grenzen der Leistungsfähigkeit der beteiligten Gebietskörperschaften nicht überschritten werden.268

B. Der Konsultationsmechanismus Der Konsultationsmechanismus beruht auf einer Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.269 Diese Vereinbarung ist am 15. Jänner 1999 in Kraft getreten. Als Vertragspartner scheinen der Bund, die Länder und Gemeinden, letztere vertreten durch den Österreichischen Städtebund und den Österreichischen Gemeindebund, auf (Drei-Ebenen-Vertrag). Die überaus notwendige Mitwirkung der beiden Interessenvertretungen der Gemeinden an einer Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG bedurfte spezieller verfassungsgesetzlicher Ermächtigung270. Der Konsultationsmechanismus bewirkt eine Abweichung vom Kostentragungsprinzip des § 2 F-VG insofern, als nicht die vollziehende Körperschaft die Kosten zu tragen hat, sondern diejenige Gebietskörperschaft, die den betreffenden Rechtsakt erlassen hat.271 Durch den Konsultationsmechanismus soll verhindert werden, dass Gebietskörperschaften ohne ihre Zustimmung mit Belastungen konfrontiert werden, die sich aus rechtsetzenden Maßnahmen anderer Gebietskörperschaften ergeben.272 Die Vereinbarung ist unmittelbar anwendbar, da es aber nur um eine Berechtigung und Verpflichtung der Vertragsparteien selbst geht, stellt sich die Frage der speziellen Transformation gar nicht.273 Außerdem besteht im Streitfall durch die Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshofes gemäß Art 137 B-VG anzurufen, auch ein genügender Rechtschutz.274

Die Geltung der Vereinbarung ist mit der Existenz der Vereinbarung über den Stabilitätspakt verknüpft und umgekehrt ebenso (Art 10 Abs 2 und 3). Die Vereinbarung kann vom Bund, jedem Land und den Gemeinden, vertreten durch den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen Städtebund, schriftlich gekündigt werden (Art 10 Abs 1).

267 268 269 270

271 272 273

274

Hüttner/Griebler in KDZ (Hrsg), Finanzausgleich 2005. Ein Handbuch - mit Kommentar zum FAG 2005 (2005), 36. Siehe auch VfSlg 12.505. BGBl 1999 I/35. BVG Gemeindebund, BGBl 1998 I/61. Dazu Hattenberger, Öffentlich-rechtliche Vereinbarungen zwischen staatlicher und gemeindlicher Ebene (“Drei-EbenenVerträge”), in Österreichischer Gemeindebund/Österreichischer Städtebund (Hrsg), 15 Jahre kommunale Interessenvertretung in der Bundesverfassung (2003), 17 ff. Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Hüttner, ÖGZ 1/1999, 6. Oberndorfer/Leitl, Die Kostentragungsregeln nach Art 4 Konsultationsmechanismus im System der Finanzverfassung, in Funk ua (Hrsg), Der Rechtsstaat vor neuen Herausforderungen (FS Adamovich) (2002), 561. Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Eine im Konsultationsgremium beschlossene Einigung bedarf gemäß Art 2 Abs 1 Z 2 BVG Gemeindebund keiner weiteren gesetzlichen Umsetzung und ist daher unmittelbar anwendbar und einklagbar, Oberndorfer/Leitl (FN 273), 565.

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Kernstück des Konsultationsmechanismus ist die wechselseitige Informationspflicht von Bund und Ländern sowie dieser Gebietskörperschaften gegenüber den Gemeinden über so genannte „Vorhaben“. Unter Vorhaben im Sinne der Vereinbarung sind Gesetzesentwürfe der Bundesministerien oder der Ämter der Landesregierung, Gesetzesvorschläge der Bundesregierung oder der Landesregierungen sowie beschlussreife Verordnungsentwürfe der Bundesregierung, einzelner Bundesminister, einer Landesregierung, eines Mitglieds einer Landesregierung oder des Landeshauptmannes in mittelbarer Bundesverwaltung (Art 1 Abs 1 und 2) zu verstehen.275 In die Erläuterungen zu diesen Vorhaben ist eine Darstellung der finanziellen Auswirkungen aufzunehmen, welche den Richtlinien des Bundesministers für Finanzen gemäß § 14 Abs 5 BHG276 zu entsprechen hat. Diese Vorhaben sind innerhalb einer angemessenen Frist (die bei Gesetzes- und Verordnungsentwürfen vier Wochen und bei Gesetzesvorschlägen der Bundesregierung oder einer Landesregierung eine Woche nicht unterschreiten darf) zur Stellungnahme zu übermitteln (Art 1 Abs 4). Die am Vorhaben nicht beteiligten Gebietskörperschaften277, also bei Vorhaben des Bundes die Länder und Gemeinden, können innerhalb der genannten Frist die Vornahme von Verhandlungen in einem Konsultationsgremium verlangen. Die Verhandlungen betreffen die aus der Verwirklichung des Vorhabens resultierenden zusätzlichen finanziellen Ausgaben (einschließlich zusätzlicher Personalkosten)278 des Antragstellers (Art 2 Abs 1).279 Art 3 regelt die Zusammensetzung des Konsultationsgremiums. Wird die Aufnahme von Verhandlungen im Konsultationsgremium verlangt, ist dieses zu 275

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Nicht zu den Vorhaben zählen Gesetzesvorschläge die auf einem selbständigen Antrag im Nationalrat beruhen (Initiativanträge), für die aber die besonderen Kostentragungsfolgen nach Art 5 gelten. Vereinbarungen gemäß Art 15a B-VG werden auch nicht erfasst, dies ist aber insoweit unproblematisch, als aus einer solchen Vereinbarung für die anderen Gebietskörperschaften nur dann Verpflichtungen resultieren können, wenn sie ihr beitreten. Problematischer erscheint die Ausnahme hinsichtlich Staatsverträgen, denn aus dem Abschluss von Staatsverträgen durch den Bund können sich in den Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der Länder (Art 15 Abs 1 B-VG) uU recht kostenaufwändige Erfüllungsverpflichtungen ergeben, Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Richtlinien für die Ermittlung und Darstellung der finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen gemäß § 14 Abs 5 BHG, BGBl 1999 II/50. Hierbei wird der Bund als Antragsteller vom Bundesminister für Finanzen vertreten. Die Gemeinden werden auch hier durch den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen Städtebund vertreten. Hinsichtlich der Vertretung der Länder geht aus der RV hervor, dass die Länder im Rahmen ihrer Verfassungsautonomie ihre Vertretung selbst regeln können, wobei in den meisten Fällen der Landeshauptmann zur Vertretung berufen wird, RV 1210 BlgNR 20.GP, 8. Bezug nehmend auf die Kostentragungspflicht im § 2 F-VG könnten zu den „zusätzlich verursachten finanziellen Ausgaben“ der Amtssachaufwand und der Personalaufwand gerechnet werden. Die Richtlinien für die Ermittlung und Darstellung der finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen gemäß § 14 Abs 4 BHG rechnen auch die so genannten Nominalausgaben dazu, worunter Transferzahlungen oder materielle oder immaterielle Leistungen eines öffentlichen Rechtsträgers an Einzelpersonen, Personengruppen oder andere öffentliche Rechtsträger und Institutionen verstanden werden. Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Nur wenn durch Vorhaben des Bundes bei den anderen Gebietskörperschaften Mehrausgaben von mehr als 0,1 vT der Ertragsanteile aller Länder und Gemeinden bzw durch ein Vorhaben eines Landes Mehrausgaben von mehr als 0,25 vT der Ertragsanteile der Gemeinden dieses Landes verursacht werden (Bagatellgrenze), können Verhandlungen verlangt werden, andernfalls bleibt es bei den bestehenden Regelungen über die Kostentragung (Art 4 Abs 5).

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konstituieren und hierzu vom Vorsitzenden unverzüglich einzuberufen (Art 4 Abs 1). Den Vorsitz führt im Fall von Einwänden gegen ein Vorhaben des Bundes der Bundeskanzler und bei Einwänden gegen ein Vorhaben eines Landes ein Landesregierungsmitglied (Art 3 Abs 2). Kommt im Konsultationsgremium kein Einvernehmen zustande, sind die tatsächlichen, nach Maßgabe einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Vollziehung angefallenen finanziellen Mehrausgaben durch die rechtsetzende Gebietkörperschaft zu ersetzen.280 Kommt im Konsultationsgremium eine Einigung über die Höhe der zu ersetzenden finanziellen Ausgaben und deren Tragung zustande, dann ist diese Einigung maßgeblich (Art 4 Abs 2). Bezieht sich die Einigung nur auf die Kostentragung, bemisst sich die Höhe des Ersatzes nach der finanziellen Darstellung auf Grundlage der Richtlinie gemäß § 14 Abs 5 BHG. Der Konsultationsmechanismus gilt nicht für Rechtsakte, die in zwingender und nicht überschießender Umsetzung des Gemeinschaftsrechts ergehen281 oder die Gebietskörperschaften in ihrer Eigenschaft als Träger von Privatrechten so wie jeden anderen Rechtsträger treffen282 sowie für rechtsetzende Maßnahmen, die auf dem Gebiet des Abgabenrechts und des Finanzausgleichs getroffen werden (Art 6). Art 5 normiert schließlich eine besondere Kostentragungspflicht für den Fall, wenn ein Gesetzesbeschluss von der dem Konsultationsverfahren unterzogenen Vorlage inhaltlich abweicht und dadurch zusätzliche finanzielle Ausgaben verursacht werden oder wenn er von der Vorlage, über die im Konsultationsgremium Einvernehmen erzielt wurde inhaltlich abweicht oder ein Vorhaben betrifft, das nicht gemäß Art 1 zur Stellungnahme übermittelt werden musste (zB Initiativanträge). Diese Ersatzpflicht trifft jene Gebietskörperschaft, der das rechtsetzende Organ angehört. Eine über Art 5 hinausgehende Sanktionierung ist nicht vorgesehen, insbesondere begründet ein Verstoß des Gesetzgebers gegen die erzielte Einigung keine in eine Verfassungswidrigkeit mündende Fehlerhaftigkeit des Gesetzes.283 Der Vorteil eines Verfahrens nach Art 5 besteht aber darin, dass keine langwierigen Verhandlungen in einem Konsultationsgremium durchgeführt werden müssen.

C. Österreichischer Stabilitätspakt Im Zuge der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Vermeidung eines übermäßigen Defizits (Art 104 EG-Vertrag siehe Punkt I.C.1.) schlossen Bund, Länder und Gemeinden im Jahre 1999 den (ersten) österreichischen Stabilitätspakt284 ab, dessen erklärtes Ziel die Koordination der Haus-

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Diese Rechtsfolge tritt auch ein, wenn die Empfehlungen des Konsultationsgremiums nicht abgewartet werden bzw wenn ihnen nicht Rechnung getragen wird. Siehe dazu Oberndorfer/Leitl (FN 273), 558 mit grafischer Übersicht. Eine Umsetzungsverpflichtung besteht lediglich hinsichtlich von Richtlinien. Verordnungen sind unmittelbar anwendbar. Auch allenfalls zweckmäßige Anpassungen der österreichischen Rechtsordnung an die unmittelbar anwendbaren Verordnungen sind keine Erfüllung von Umsetzungsverpflichtungen und daher nicht von der Vereinbarung ausgenommen, Bußjäger, ÖJZ 2000, 581. Diese Ausnahme bezieht sich nicht auf Maßnahmen, welche die Gebietskörperschaften deswegen besonders treffen, weil gerade sie regelmäßig in dem durch die Maßnahme betroffenen Bereich tätig sind, wie etwa bei der Erhaltung von Krankenanstalten, RV 1210 BlgNR 20.GP, 11. Oberndorfer/Leitl (FN 273), 565. BGBl 1999 I/101. Hierbei erfolgte eine Aufteilung der Defizitquote, wobei 90 % auf den Bund und 10 % (0,3 % des BIP) auf die Länder und Gemeinden entfiel. Die Gebietskörperschaften verpflichteten sich auch zu einer anteiligen bzw verursa-

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haltsführung der Gebietskörperschaften ist. Auch beim Österreichischen Stabilitätspakt handelt es sich um eine modifizierte Variante einer Vereinbarung nach Art 15a B-VG.285 In einer Art Drohgebärde normierte der mit 1. Jänner 2001 in Kraft getretene § 27 Abs 7 FAG 2001, dass die Ertragsanteile der Länder an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben monatlich gekürzt würden, wenn die Länder nicht bis zum Ablauf des 31. Dezember 2001 eine Vereinbarung mit Bund und Gemeinden über einen Stabilitätspakt ratifizieren, in dem sie sich zu einen durchschnittlichen Haushaltsüberschuss verpflichten würden. Unter dem Druck dieser Bestimmung schlossen die Länder mit Bund und Gemeinden den „Österreichischen Stabilitätspakt 2001“286 ab.287 Im Rahmen der Einigung über den Finanzausgleich 2005288 wurde am 25. Oktober 2005 Einvernehmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden über einen neuen Österreichischen Stabilitätspakt erzielt. Mit dem „Österreichischen Stabilitätspakt 2005“ soll weiterhin die nachhaltige Einhaltung der Maastricht-Kriterien sichergestellt werden.289 Die Vereinbarung sieht vor, dass zur Verstärkung einer stabilitätsorientierten Haushaltsführung von den Gebietskörperschaften Stabilitätsbeiträge zu leisten sind. Art 2 legt den ordentlichen Stabilitätsbeitrag des Bundes fest, wobei für die Jahre der Geltungsdauer jeweils ein Maximaldefizit vereinbart wurde. Der Beitrag des Bundes ist so berechnet, dass bei ordnungsgemäßer Erbringung der ordentlichen Stabilitätsbeiträge der anderen Vereinbarungspartner Österreich im Jahr 2008 einen ausgeglichenen gesamtstaatlichen Haushalt aufweist. Für die Jahre 2005 und 2006 sind Unterschreitungen des ordentlichen jährlichen Stabilitätsbeitrages nicht zulässig. Liegt das Haushaltsergebnis im Jahr 2007 und 2008 unterhalb des ordentlichen Stabilitätsbeitrags, aber noch oberhalb der in Abs 2 festgelegten Schwellgrenze, gilt dies als zulässig (verringerter Stabilitätsbeitrag). Der Ausnahmecharakter dieser Bestimmung wird dadurch betont, dass im Folgejahr die Unterschreitung auszugleichen ist (erhöhter Stabilitätsbeitrag).290

Art 3 legt den ordentlichen Stabilitätsbeitrag der Länder (einschließlich Wiens) fest, wobei für die Jahre der Geltungsdauer der Vereinbarung jeweils ein Minimalüberschuss vereinbart wurde. Art 4 legt schließlich den ordentli-

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chungsgerechten innerösterreichischen Tragung allfälliger supranationaler Sanktionslasten im Falle mangelnder Budgetdisziplin, vgl dazu Rödler, ecolex 1999, 729. Gamper, JRP 2002, 240. BGBl 2002 I/39. Im Art 18 verpflichtete sich der Bund, § 27 Abs 7 FAG 2001 unter bestimmten Voraussetzungen ersatzlos aufzuheben, zu dieser Problematik ausführlich Gamper, JRP 2002, 240. Da die Höhe der Ertragsanteile und Transfers untrennbar mit der Höhe der Beiträge der Länder gemäß dem Österreichischen Stabilitätspakt zusammenhängen blieb § 25 Abs 6 über die Suspendierung auch im FAG 2005 unverändert bestehen, RV 702 BlgNR 22.GP, 9. RV 701 BlgNR 22.GP, 3. RV 701 BlgNR 22.GP, 4. Soweit ein verringerter Stabilitätsbeitrag erbracht wird, hat er sich innerhalb des maximal zulässigen Unterschreitungsausmaßes zu bewegen. Außerdem hat ein Ausgleich derart stattzufinden, dass über den Zeitraum der Jahre 2007 bis 2008 zumindest der durchschnittliche ordentliche Stabilitätsbeitrag erreicht wird.

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chen Stabilitätsbeitrag der Gemeinden (ohne Wien) fest, wobei für die Geltungsdauer der Vereinbarung jährlich ein ausgeglichener Haushalt vereinbart wird und die Gemeinden landesweise jeweils solidarisch dazu beizutragen haben.291 Bund, Ländern und länderweise den Gemeinden steht es frei, jeweils durch schriftliche Vereinbarung die Haushaltsergebnisse untereinander zu übertragen, soweit der jeweilige ordentliche Stabilitätsbeitrag erfüllt wird. Durch das gemeinsame Ziel, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, ist eine der wichtigsten Eckpunkte des Stabilitätspaktes die gegenseitige Information über sowie die Koordination der Haushaltsführung untereinander. Zu diesen Zwecken wurden einerseits auf Bundesebene ein Bundeskoordinationskomitee, in dem Bund, Länder, Städtebund und Gemeindebund vertreten sind, andererseits auch acht Landeskoordinationskomitees, in dem das jeweilige Land und die jeweilige Landesorganisation des Gemeindebundes und Städtebundes vertreten sind, eingerichtet.

Gegenstand der Haushaltskoordinierung im österreichischen Koordinationskomitee sind unter anderem die mittelfristige Ausrichtung der Haushaltsführung, die Überwachung der Entwicklung der Haushalte, des öffentlichen Defizits und des öffentlichen Schuldenstandes sowie die Empfehlung oder gar die Festlegung von Maßnahmen, wenn vom Rat auf Grund einer Entscheidung über das Vorliegen eines übermäßigen Defizits eine Empfehlung ausgesprochen wurde. Zur Unterstützung des Vollzugs der Vereinbarung wurde ein sanktioniertes Informationssystem vereinbart (Art 9).292 Auf den Ergebnissen der Haushaltskoordinierung aufbauend erstellt der Bundesminister für Finanzen den Entwurf des österreichischen Stabilitätsprogramms, welches dem Nationalrat zur Kenntnis zu bringen und den zuständigen Organen der Europäischen Union zu übermitteln ist (Art 8).293 Zur Absicherung der in der Vereinbarung festgelegten „verstärkten Haushaltsdisziplin“ wird ein eigener Sanktionsmechanismus eingeführt. Hierbei hat ein ad hoc eingerichtetes Schlichtungsgremium einvernehmlich zu entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Sanktionsbeitrag294 zu leisten ist (Art 11). Trotz unzulässiger Unterschreitung unterbleibt eine Sanktion, wenn zB eine Änderung der Interpretation des ESVG 95 die Ursache war, oder wenn ein Höchstgericht eine ausschließliche Abgabe durch seine Rechtsprechung vermindert, oder wenn Österreich insgesamt sein Ziel (Nulldefizit) trotzdem erreicht hat (in diesem Fall ist der Fehlbetrag aber nachzubringen).295

Der Österreichische Stabilitätspakt 2005 ist auf bestimmte Zeit, nämlich für die Jahre 2005 bis 2008 abgeschlossen, eine einseitige Kündigungsmöglichkeit wurde nicht vereinbart. Er tritt daher mit Ablauf des Jahres 2008 außer Kraft. Der alte Stabilitätspakt aus 1999 wurde im Übrigen nicht außer Kraft gesetzt,

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RV 701 BlgNR 22.GP, 4. Bei schuldhafter Verletzung der Informationsverpflichtungen ist ein Sanktionsbeitrag an die Statistik Austria zu leisten. Ob eine schuldhafte Verletzung vorliegt, entscheidet das jeweilige Schlichtungsgremium. Aus dem Österreichischen Stabilitätsprogramm können sich für die Länder und Gemeinden keine über den Inhalt dieser Vereinbarung hinaus reichenden Verpflichtungen ergeben. Der Sanktionsbeitrag beträgt 8 % des jeweils vereinbarten Stabilitätsbeitrages als Fixbeitrag zuzüglich 15 % der unstatthaften (Über?)- bzw Unterschreitung des vereinbarten Stabilitätsbeitrages, höchstens jedoch die Differenz zwischen dem ermittelten Haushaltsergebnis und dem vereinbarten Stabilitätsbeitrag bzw dem vereinbarten Maastricht-Defizit. Matzinger in Steger (Hrsg), 130.

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sondern suspendiert, um nach Außer-Kraft-Treten des neuen Stabilitätspaktes wieder in Kraft zu treten. Lediglich bei Kündigung des Konsultationsmechanismus durch den Bund soll auch der Stabilitätspakt 2005 vorzeitig außer Kraft treten, was einem indirekten Kündigungsrecht des Bundes gleichkommt.296 Umgekehrt soll aber weder Abschluss noch Beendigung des Stabilitätspaktes 2005 eine Auswirkung auf die Geltung des Konsultationsmechanismus haben.297

V. Haushaltsrecht der Länder und Gemeinden A. Der rechtliche Rahmen für die Landeshaushalte Das Haushaltsrecht der Länder sowie die Führung der Landeshaushalte sind grundsätzlich Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Länder (Art 15 Abs 1 B-VG). Die einzelnen Landesverfassungen regeln eingehend jene Rechte des Landtages, die in ihrer Gesamtheit als „finanzielle Kontrolle“ bezeichnet werden können. Dazu zählt das Recht auf Genehmigung des Landesvoranschlages, von Budgetüberschreitungen sowie von Landesrechnungsabschlüssen. Einfachgesetzliche Bestimmungen sind teilweise in den Geschäftsordnungen und Dienstanweisungen enthalten. Nach hL ist der Landesverfassungsgesetzgeber an die Vorstellungen vom rechtlichen Charakter des Voranschlages und der Budgetgenehmigung (insbesondere an die Budgetgrundsätze), wie sie aus dem B-VG sowie der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hervorgehen, gebunden.298

Obwohl es sich beim Landesbudget um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches handelt, verfügt der Bund über eine Reihe von Eingriffsmöglichkeiten in die Budgetgestaltung der Länder, an oberster Stufe im Rahmen des B-VG und des F-VG. Durch einfache Bundesgesetze kommt es zu einer Beschränkung der Budgethoheit der Länder durch den Finanzausgleich. Eine weitere Ausnahme von der Haushaltsführung im selbständigen Wirkungsbereich ist die Möglichkeit des Bundesministers für Finanzen aufgrund der Ermächtigung im Art 16 Abs 1 F-VG, durch Verordnung die Form und Gliederung der Voranschläge und Rechnungsabschlüsse einheitlich zu regeln.

Der Bundesminister für Finanzen hat von dieser Möglichkeit in der Voranschlagsund Rechnungsabschlussverordnung (VRV)299 Gebrauch gemacht. Die Ausgabenseite wird durch die im österreichischen Stabilitätspakt enthaltene Verpflichtung der Länder, genau vorgegebene Haushaltsergebnisse zu erzielen, zusätzlich eingeschränkt.

Im Bereich der Finanzkontrolle hat der Bund schließlich die ihm verfassungsmäßig eingeräumten Rechte zur Überprüfung der Voranschläge und

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Ein gemäß Art 10 Abs 1 des Konsultationsmechanismus durch Kündigung einer anderen Gebietskörperschaft bewirktes Außer-Kraft-Treten des Konsultationsmechanismus führt zwar zum Außer-Kraft-Treten des alten Stabilitätspaktes 1999 gemäß dessen Art 6 Abs 1, aber nicht zum Außer-Kraft-Treten des neuen Stabilitätspaktes, vgl Gamper, JRP 2002, 240. RV 701 BlgNR 22.GP, 5 f. Nach Wiederaufleben des alten Stabilitätspaktes aus 1999 gelten wiederum die dort festgelegten Verschränkungen von Stabilitätspakt und Konsultationsmechanismus. Koja (FN 79) 248 f mwN. BGBl 1996/797 idF BGBl 2006 II/45.

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Rechnungsabschlüsse der Länder. Die selbständige Führung des Landeshaushaltes wird durch § 6 F-VG gewährleistet, wonach die Abgaben nach ihrem Ertrag den Gebieteskörperschaften im eigenen Haushalt zur Verfügung stehen. Allerdings haben die Länder Voranschläge und Rechnungsabschlüsse gemäß Art 127 Abs 2 B-VG dem Rechnungshof zu übermitteln. Der Rechnungshof hat als Organ des Landtages die Gebarung zu überprüfen.300 Weiters kann die Bundesregierung gegen bestimmte Gesetzesbeschlüsse eines Landtages Einspruch erheben, und falls der Landtag seinen Beschluss wiederholt, gilt das im § 9 F-VG vorgesehene Verfahren, das eine Art Oberaufsicht des Bundes vorsieht. Im Falle eines Beharrungsbeschlusses des Landtages entscheiden über das Aufrechtbleiben des Einspruchs (falls er von der Bundesregierung nicht zurückgezogen wird) der Nationalrat und der Bundesrat durch einen ständigen gemeinsamen Ausschuss. Dieser Ausschuss fasst seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Der Gesetzesbeschluss des Landtages kann kundgemacht werden, wenn der Ausschuss nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen entscheidet, dass der Einspruch der Bundesregierung aufrecht zu bleiben hat.301

Allerdings erstellen die Länder ihre jährlichen Haushaltspläne nicht in Form eines Landesgesetzes, sondern sind (mit Ausnahme von Salzburg) auf schlichte Landtagsbeschlüsse ausgewichen, um auf diese Weise zu vermeiden, dass die Bundesregierung dagegen gemäß Art 98 B-VG Einspruch erhebt.302

1. Der Landesvoranschlag Im Allgemeinen wird vom Landesfinanzreferenten der Entwurf für den Landesvoranschlag samt Erläuterungen auf der Grundlage der Teilvoranschläge der zuständigen Verwaltungsstellen verfasst. Nach der Vorberatung durch die Landesregierung wird der Entwurf des Voranschlages dem Landtag vorgelegt. Nach allen Landesverfassungen steht dem Landtag das Recht zu, den Landesvoranschlag zu genehmigen. Für die finanziellen Erfordernisse der Verwaltungsangelegenheiten von Wien als Land hat die Gemeinde Vorsorge zu treffen. Damit hat die Gemeinde Wien in ihrem Voranschlag auch jene Mittel zu veranschlagen, die für die Erfüllung der Landesaufgaben erforderlich sind (§ 132 Abs 4 WStV). Es besteht ein einziges Budget für Wien als Stadt und Land. Die Genehmigung des Voranschlages erfolgt länderweise unterschiedlich, teilweise in Form eines Landesgesetzes oder durch einfachen Beschluss des Landtages.303 300 301 302 303

Smutny in Steger (Hrsg), 325 f. Ebenda, 326. Hengstschläger in Korinek/Holoubek (Hrsg), zu Art 51, Rz 34. Burgenland: Die Landesregierung hat den Landesvoranschlag spätestens einen Monat vor Ablauf des Finanzjahres dem Landtag vorzulegen (Art 37 L-VG, LGBl 1981/42 idF LGBl 2006/44); Kärnten: vor Ablauf des Finanzjahres (Art 60 K-LVG, LGBl 1996/85 idF LGBl 2006/45); Niederösterreich: sechs Wochen vor Ablauf des Kalenderjahres (Art 29 NÖ LV, LGBl 0001-13); Oberösterreich: (Art 55 OÖ Landes-Verfassungsgesetz, LGBl 1991/122 idF LGBl 2004/79); Salzburg: Die Landesregierung hat für das folgende Haushaltsjahr vor seinem Beginn alle Einnahmen und Ausgaben in einem Haushaltsplan zu erfassen. Der Landtag stellt diesen durch Gesetzesbeschluss fest (Art 44 L-VG, LGBl 1999/25 idF LGBl 2006/85); Steiermark: acht Wochen vor Ablauf des Finanzjahres (Art 16 Landes-Verfassungsgesetz, LGBl 1960/1 idF LGBl 2005/94); Tirol: spätestens bis zum 15. November (Art 61 Tir Landesordnung, LGBl 1988/61 idF LGBl 2003/125); Vorarlberg: (Art 56 Verfas-

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Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung die Gesetzesform für die Bewilligung des Landesvoranschlages zu wählen besteht nicht, da die Budgetbewilligung ihrem Inhalt nach nicht Gesetzgebung, sondern Zustimmung zu einem Akt der Vollziehung ist.304

Die Grundsätze für die Erstellung des Voranschlages (und der Rechnungsabschlüsse) ergeben sich - wie erwähnt - aus der VRV 1997.

Nach dem Grundsatz der Jährlichkeit ist der Veranschlagungszeitraum das Kalenderjahr (§ 1 VRV). Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit hat der Voranschlag sämtliche Einnahmen und Ausgaben auszuweisen, die im Haushaltsjahr erwartet werden können (§ 2 VRV). Der Grundsatz der Bruttosaldierung (§ 3 VRV) sieht eine Veranschlagung der Einnahmen und Ausgaben in voller Höhe unsaldiert vor. Zudem wären noch die Grundsätze der Budgeteinheit und der Budgetklarheit zu erwähnen, die sich in mehreren Bestimmungen der VRV manifestieren.

Alle Landesverfassungen sehen sowohl Budgetprovisorien vor, für den Fall, dass vor Ablauf des Finanzjahres von den Landtagen kein Landesvoranschlag beschlossen wird, als auch Regelungen hinsichtlich eines Nachtragshaushaltes, sofern außer- oder überplanmäßige Ausgaben durch das Eintreten bestimmter Ereignisse (zB Naturkatastrophen) erforderlich werden.305

2. Der Rechnungsabschluss Nach allen Landesverfassungen haben die Landesregierungen für das abgelaufene Finanzjahr den Rechnungsabschluss zu verfassen und dem Landtag vorzulegen. Die Landtage sind regelmäßig befugt, nach Ablauf des Haushaltsjahres über den ordnungsgemäßen Vollzug der im Voranschlag genehmigten Ansätze zu befinden. Die Vorlage des Rechnungsabschlusses erfolgt im Regelfall „zur Genehmigung“, lediglich in Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg ist der Rechnungsabschluss dem Landtag „zur Kenntnisnahme“ vorzulegen.306 Als Angaben zum Rechnungsabschluss sind diesem eine Gebarungsübersicht über die Einnahmen und Ausgaben der Gruppensummen 0 bis 9, gegliedert nach ordentlichen und außerordentlichen Einnahmen und Ausgaben, voranzustellen (§ 17 Abs 1 VRV). Ein Rechnungsquerschnitt, der zur Ermittlung des Maastricht-Ergebnisses dient, kann ebenfalls beigelegt werden (§ 17 Abs 5 VRV).307 Mit der Genehmigung bzw der Kenntnisnahme des Rechnungsabschlusses durch den Landtag erteilt dieser der Landesregierung gewissermaßen die „Entlastung“.308

3. Gebarungskontrolle im Bereich der Länder Nach Genehmigung durch den Landtag ist der Rechnungsabschluss dem Rechnungshof zu übermitteln. Der Rechnungshof ist gemäß Art 121 Abs 1 B-VG nicht nur zur Kontrolle der Gebarung des Bundes, sondern auch zu jener der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden und anderer durch Gesetz

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sungsgesetz über die Verfassung des Landes Vorarlberg, LGBl 1999/9 idF LGBl 2004/43), näheres dazu siehe bei Smutny in Steger (Hrsg), 330. Koja (FN 79), 243 ff. Mit kritischen Überlegungen dazu Koja (FN 79), 251 ff. Burgenland: (Art 41 L-VG); Kärnten: (Art 62 L-VG); Niederösterreich: (Art 31 NÖ LV); Oberösterreich: (Art 55 Oberösterreichisches Landes-Verfassungsgesetz); Salzburg: (Art 45 L-VG); Steiermark: (Art 16 Landes-Verfassungsgesetz); Tirol: (Art 63 (Tiroler Landesordnung); Vorarlberg: (Art 56 Verfassungsgesetz über die Verfassung des Landes Vorarlberg). Smutny in Steger (Hrsg), 330 ff. Koja (FN 79), 261.

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bestimmter Rechtsträger berufen. In Angelegenheiten der Länder-, Gemeindeverbände- und Gemeindegebarung sowie der Gebarung der gesetzlich beruflichen Vertretungen, soweit sie in die Vollziehung der Länder fallen (zB die Landwirtschaftskammern), ist der Rechnungshof als Organ des betreffenden Landtages tätig (Art 122 Abs 1 B-VG). Im Unterschied zur Prüfung der Bundesgebarung hat der Präsident des Rechnungshofes Urkunden über Finanzschulden der Länder nicht gegenzuzeichnen und die Landesrechnungsabschlüsse werden regelmäßig von den Landesregierungen erstellt und den Landtagen zur Genehmigung vorgelegt, wohingegen die Erstellung des Bundesrechnungsabschlusses dem Rechnungshof obliegt. Zur Wahrnehmung der Finanzkontrolle haben die Länder auch eigene Landesrechnungshöfe309 bzw in Wien das Kontrollamt310 installiert. Die Landesrechnungshöfe werden als Organ des jeweiligen Landtages tätig und unterliegen bei der Durchführung von Kontrollen keinen Weisungen.311

B. Das Haushaltsrecht der Gemeinden Die Gemeinden haben nach Art 116 Abs 2 B-VG das Recht, im Rahmen der Finanzverfassung ihren Haushalt selbständig zu führen, wobei den Gemeinden eine „eigenverantwortliche, weisungsfreie, gesetzmäßige Haushaltsführung“ (Art 118 Abs 4 B-VG) gewährleistet wird. Dieses Recht bildet einen Kernbereich des eigenen Wirkungsbereiches und damit des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechtes. Eine Übertragung der Haushaltsführung auf eine staatliche Behörde (Art 118 Abs 7 B-VG) kommt nicht in Betracht, weil dadurch die Gemeindeautonomie beseitigt würde.312 Das Gemeindehaushaltsrecht wurde landesgesetzlich in den Gemeindeordnungen und Stadtrechten, zum Teil mit weiteren Durchführungsverordnungen oder durch eigene landesgesetzliche Gemeindehaushaltsordnungen geregelt.313

1. Voranschlag Die Gemeindeordnungen und Stadtrechte verpflichten die Gemeinden zur Erstellung eines jährlichen Voranschlages und erklären diesen als verbindliche Grundlage für die Führung des Gemeindehaushaltes. Der Voranschlag der 309

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Burgenland: Art 74 bis 77 L-VG; Kärnten: Art 70 f K-LVG, Niederösterreich: Art 51 bis 56 NÖ LV; Oberösterreich: Art 35 OÖ L-VG; Salzburg: Art 54 L-VG; Steiermark: Landesrechnungshof-Verfassungsgesetz (LGBl 1982/59 idF 2001/34); Tirol: Art 67 bis 70 Tir Landesordnung; Vorarlberg: Art 67 bis 70 Verfassungsgesetz über die Verfassung des Landes Vorarlberg. § 73 WStV. Smutny in Steger (Hrsg), 337. Sturm/Havranek, Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung2 (1998), Rz 1 zu § 86. §§ 67 ff Bgld GO, LGBl 2003/55; §§ 86 ff K-AGO, LGBl 1998/66; §§ 72 ff NÖ GO, LGBl 1000; §§ 74 ff OÖ GO, LGBl 1990/91 idF LGBl 2005/8; §§ 49 ff Sbg GO, LGBl 1994/107 idF LGBl 2004/12; §§ 75 ff Stmk GO, LGBl 1967/115 idF LGBl 2004/49; §§ 75 ff Tir GO, LGBl 2001/36; §§ 73 ff Vlbg GO, LGBl 1985/40 idF LGBl 2004/20. Eigene Haushaltsordnungen gibt es im Burgenland (LGBl 1966/32), Kärnten (LGBl 1999/2 idF LGBl 2004/18), der Steiermark (LGBl 1977/22 idF LGBl 2001/94) sowie in Vorarlberg (LGBl 1998/62). In Wien ist das Gemeindehaushaltsrecht in den §§ 86 f, 101 ff WStV (LGBl 1968/28 idF LGBl 2003/22) geregelt.

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Gemeinde stellt nach der Judikatur des VfGH eine Verordnung, genauer eine so genannte „Verwaltungsverordnung“ dar, da er nur die Organe der Gemeinde selbst bindet und keine Außenwirkung gegenüber anderen Rechtsträgern entfaltet.314 Da die VRV 1997 auch auf die Haushaltsführung der Gemeinden (und Gemeindeverbände315) Anwendung findet, ist hinsichtlich der Form und der Gliederung der Voranschläge und Rechnungsabschlüsse sowie der Budgetgrundsätze auf die Ausführungen zum Haushaltsrecht der Länder zu verweisen. Die einzelnen Gemeindeordnungen und Stadtrechte regeln die Festsetzung des Voranschlages recht unterschiedlich. Im Wesentlichen hat jedoch der Bürgermeister den Entwurf des Voranschlages so zeitgerecht zu erstellen, öffentlich aufzulegen und dem Gemeinderat zur Beratung vorzulegen, dass der Voranschlag mit Beginn des Haushaltsjahres (= Kalenderjahres) wirksam werden kann. Während der öffentlichen Auflage des Voranschlagsentwurfes kann jeder Gemeindebürger schriftliche Einwendungen einbringen.316 Der Gemeinderat hat bei der Beratung des Voranschlagsentwurfes auf diese Einwendungen Rücksicht zu nehmen, er ist jedoch nicht an die vorgebrachten Einwendungen der Bürger gebunden. Die Beschlussfassung über den Voranschlag muss immer in einer öffentlichen Sitzung erfolgen (Art 117 Abs 4 B-VG).317

Der beschlossene Voranschlag ist an der Amtstafel kundzumachen und der Aufsichtsbehörde (Landesregierung) vorzulegen. Die Landesregierung kann im Wege der Gemeindeaufsicht gesetzwidrige Teile des Voranschlages durch Verordnung aufheben.318 Die Bürgermeister von Gemeinden mit mindestens 20.000 Einwohnern haben gemäß Art 127a Abs 2 B-VG die Voranschläge und Rechnungsabschlüsse dem Rechnungshof und gleichzeitig der Landesregierung zu übermitteln. Dies gilt auch für die Gemeindeverbände gemäß Art 127a Abs 8 B-VG. Nach § 16 Abs 1 letzter Satz F-VG ist der Bundesminister für Finanzen berechtigt, sich die Voranschläge und Rechnungsabschlüsse der Gebietskörperschaften (somit auch der Gemeinden) vorlegen zu lassen und Auskünfte über deren Finanzwirtschaft einzuholen. Der Voranschlag enthält die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde im Haushaltsjahr. Für die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinde sind Wirtschaftspläne zu erstellen, die dem Gemeindevoranschlag anzuschließen sind. In den Voranschlag selbst ist nur der an den Gemeindehaushalt abzuführende Betrag bzw der aus dem Gemeindehaushalt zu deckende Abgang aufzunehmen.

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VfSlg 1878, 5637. Ausführlich dazu Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 41 ff. Da die Ermächtigung zur Erlassung der VRV im § 16 Abs 1 F-VG nur für „Gebietskörperschaften“ gilt und Gemeindeverbände keine Gebietskörperschaften sind, ist die Regelung für Gemeindeverbände verfassungsrechtlich bedenklich, siehe Neuhofer, 490. Das Mitwirkungsrecht der Gemeindebürger ist ein wesentlicher Bestandteil des Voranschlagserzeugungsverfahrens, dessen Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Gemeindevoranschlages führt, Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 38. Neuhofer, 496. Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 8; Aufhebungsgrund kann nur die Rechtswidrigkeit, nicht auch die Zweckwidrigkeit oder Unwirtschaftlichkeit des Voranschlages sein.

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Nach manchen Gemeindeordnungen hat die Gemeinde für einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren einen „mittelfristigen Finanzplan“319 aufzustellen, der der Gemeindevertretung zur Beschlussfassung vorzulegen ist. Der mittelfristige Finanzplan ist zumindest jährlich der Entwicklung anzupassen und um ein weiteres Haushaltsjahr fortzuschreiben.

Nicht jede Abweichung vom Voranschlag führt zu einem Nachtragsvoranschlag. Die Pflicht zur Festsetzung eines Nachtragsvoranschlages wird erst bei erheblichen Abweichungen vom Voranschlag ausgelöst. Für außerplanmäßige und überplanmäßige Ausgaben, die unvermeidlich sind, hat der Bürgermeister den Gemeinderat einen Nachtragsvoranschlag vorzulegen.320 Alle Gemeindeordnungen und Stadtrechte sehen ein Voranschlagsprovisorium für den Fall vor, dass der Voranschlag vom Gemeinderat nicht rechtzeitig zu Beginn des Haushaltsjahres festgesetzt wird.321

In diesem Fall hat der Gemeinderat meist beschränkt auf die ersten drei Monate der nächsten Budgetperiode ein Voranschlagsprovisorium zu beschließen. Kommt weder ein Voranschlag noch ein vom Gemeinderat verfügtes Budgetprovisorium zustande, tritt das in den Gemeindeordnungen und Stadtrechten vorgesehene automatische Budgetprovisorium in Kraft. In einigen Bundesländern gilt das automatische Provisorium nur solange der Gemeinderat keine vorläufige Vorsorge getroffen hat, in anderen kommt es darüber hinaus zur Anwendung, wenn das vom Gemeinderat verfügte Provisorium abgelaufen ist.322

Die Verwendung von Voranschlagsbeträgen für andere als im Gemeindevoranschlag vorgesehene Zwecke (sog Kreditübertragung) bedarf einer Bewilligung des Gemeinderates. Mit solchen Novellen zum Voranschlag in Form von Verordnungen kann erreicht werden, dass ein Mehrbedarf bei einem Ansatz aus einer Ersparnis bei einem anderen Ansatz gedeckt wird.323 Auch außeroder überplanmäßige Ausgaben dürfen nur nach vorheriger Zustimmung des Gemeinderates oder des sonst zuständigen Organs angewiesen werden. In Fällen äußerster Dringlichkeit, bei Gefahr im Verzug, wenn die Einholung des Gemeinderatsbeschlusses nicht rechtzeitig möglich ist, kann der Bürgermeister die dringend notwendigen Ausgaben, für die im Gemeindevoranschlag keine Vorsorge getroffen wurde, anordnen. Zu dieser Notanordnung des Bürgermeisters ist in der nächsten Sitzung des Gemeinderates die Genehmigung einzuholen.324

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Siehe dazu Enzinger, Mittelfristige Finanzplanung in Gemeinden in Pilz/ Platzer/Stadler (Hrsg), Handbuch der kommunalen Finanzwirtschaft2 (2000), 269 ff. Neuhofer, 499. Im Lichte des Zweckes dieser Vorschrift, nämlich budgetlose Zustände zu vermeiden, wird man die Wortfolge „nicht rechtzeitig beschlossen“ wohl so interpretieren können, dass das Provisorium in allen Fällen wirksam wird, in denen aus irgendeinem Grund (zB wegen seiner Aufhebung durch die Aufsichtsbehörde gemäß Art 119a Abs 6 B-VG) der Voranschlag nicht zu Beginn des folgenden Finanzjahres in Wirksamkeit treten kann; Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 44. Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 44 ff. Entsteht trotz dieser gesetzlichen Vorsorge für das Nichteintreten budgetloser Zustände kein Voranschlag und auch kein Provisorium bzw ist dessen befristeter Geltungszeitraum abgelaufen, dann wäre die Erstellung eines Voranschlages im Wege der Ersatzvornahme durch die Aufsichtsbehörde gemäß Art 119a Abs 7 B-VG denkbar und auch zulässig. Hengstschläger in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), 23. Neuhofer, 500 f.

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Eine Besonderheit des Gemeindehaushaltsrechts besteht in der Teilung des Haushaltes in einen ordentlichen und in einen außerordentlichen Haushalt, was eine bessere Übersicht über die Schuldengebarung der Gemeinden ermöglichen soll. Die Gliederung des Voranschlages in einen ordentlichen und in einen außerordentlichen Haushalt bleibt der landesgesetzlichen Regelung vorbehalten. Nach § 4 Abs 1 VRV 1997 sind außerordentliche Einnahmen und Ausgaben als solche besonders zu kennzeichnen und von den Gemeinden in einem besonderen Teil des Voranschlages zu erfassen.325 Nach Abs 2 sind Ausgaben nur dann als außerordentlich zu behandeln, wenn sie der Art nach im Gemeindehaushalt nur vereinzelt vorkommen oder der Höhe nach den normalen Rahmen erheblich überschreiten. Die Veranschlagung außerordentlicher Ausgaben ist weiters nur zulässig, als sie gänzlich oder teilweise durch außerordentliche Einnahmen326 gedeckt werden sollen. In Konsequenz dieser Bestimmung ist es daher nicht möglich, eventuelle Abgänge des ordentlichen Haushaltes mit außerordentlichen Einnahmen zu bedecken (Durchbrechung des Gesamtdeckungsprinzips).327 Allerdings ist infolge dieses finanzwirtschaftlichen Konzeptes die Summe der Investitionen nicht ohne weiteres aus dem Haushaltsplan erkennbar. Sie können nämlich sowohl im ordentlichen als auch im außerordentlichen Haushalt stehen.328

2. Vermögens- und Schuldengebarung Zur rechtzeitigen Leistung von Ausgaben des ordentlichen Haushaltes können mit Beschluss des Gemeinderates Kassenkredite aufgenommen werden. Diese sind gewöhnlich innerhalb einen Jahres zurückzuzahlen und dürfen einen bestimmten Teilbetrag der Einnahmen des ordentlichen Haushalts nicht überschreiten. Soweit es die finanzielle Lage gestattet, soll die Gemeinde zur Vorsorge für künftige Erfordernisse Rücklagen (zB allgemeine Betriebsmittelrücklagen oder bestimmte Sonderrücklagen) anlegen. Darlehen darf die Gemeinde grundsätzlich nur im Rahmen des außerordentlichen Voranschlages zur Bestreitung eines außerordentlichen Bedarfes (zB für Bauvorhaben) aufnehmen, soweit eine andere Bedeckung nicht möglich ist und die Verzinsung und Tilgung des aufzunehmenden Darlehens die Erfüllung der der Gemeinde obliegenden gesetzlichen und vertraglichen Pflichten nicht gefährdet. Die Gemeinden dürfen Darlehen nur gewähren und Bürgschaften und Haftungen nur übernehmen, wenn hierfür ein besonderes Interesse der Gemeinde gegeben ist und der Schuldner nachweist, dass eine ordnungsgemäße Verzinsung und Tilgung gesichert ist. Nach vielen Gemeindeordnungen bedürfen die Aufnahme von Darlehen und die Übernahme von Bürgschaften und Haftungen einer gemeindeaufsichtsbehördlichen Genehmigung.329 Zur Gewährleistung eines flexiblen Haushaltsvollzugs sind verschiedene Instrumente vorgesehen. So können wirtschaftlich und sachlich zusammen gehörige Posten als deckungsfähig erklärt werden, dh dass Einsparungen ohne besondere Beschlussfassung 325

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Dies wird durch die im § 7 Abs 1 lit a VRV vorgesehene Kennzeichnung der Einnahmen und Ausgaben nach haushaltswirtschaftlichen Gesichtspunkten ermöglicht. Dieser Haushaltshinweis gibt an, ob der Budgetansatz dem ordentlichen oder dem außerordentlichen Voranschlag zugehört. Außerordentliche Einnahmen sind zB Darlehen, Erlöse aus der Veräußerung von unbeweglichem Gemeindevermögen, Entnahmen aus dem Kapitalvermögen oder aus den Rücklagen. Bauer, Das Haushaltswesen in Österreichs Gemeinden, in Steger (Hrsg), 354. Palm, Das kommunale Haushaltswesen: Reformerfordernisse und Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung, in Gantner (Hrsg), 86. Neuhofer, 501 f.

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zum Ausgleich von Mehrerfordernissen bei anderen Ausgaben herangezogen werden können (einseitige oder gegenseitige Deckungsfähigkeit). Weiters können Verstärkungsmittel zur Deckung von überplanmäßigen ordentlichen Ausgaben bereits bei der Aufstellung des Voranschlags veranschlagt werden (Deckungsreserve - § 2 Abs 4 VRV 1997). Nicht verbrauchte Mittel können bei gleichzeitiger Dotierung einer Resterücklage in das nächste Finanzjahr vorgetragen werden. Ergänzend zum Voranschlag bzw zum Rechnungsabschluss sind auch der Voranschlags- bzw der Rechnungsquerschnitt zu erstellen, welche die Ableitung des Finanzierungssaldos (Maastricht-Ergebnis) enthalten.330 Ergänzend wird vielfach eine mittelfristige Finanzplanung vorgenommen (mittelfristiger Einnahmen-Ausgabenplan, mittelfristiger Investitionsplan). Schließlich sind das Führen von Vermögens- und Schuldennachweisen sowie die Vermögensrechnung als Bestandteile des Gemeindehaushaltswesens zu erwähnen (§ 16 VRV 1997).

3. Rechnungsabschluss und Gebarungskontrolle Nach Ablauf des Jahres hat der Bürgermeister (in den Städten mit eigenem Statut der Magistrat) den Rechnungsabschluss zu erstellen. Der Rechnungsabschluss umfasst den Kassenabschluss, die Haushaltsrechnung (Jahresrechnung) und die Vermögens- und Schuldenrechnung (§ 10 VRV). Für wirtschaftliche Unternehmungen und „Betriebe mit marktbestimmter Tätigkeit“ haben die Gemeinden gesondert für jede Einrichtung einen Vermögens- und Schuldennachweis zu führen (§ 16 Abs 1 VRV). „Betriebe mit marktbestimmter Tätigkeit“ sind nach dem Abschnitt 85 Betriebe der Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Müllbeseitigung, der Einrichtung und Verwaltung von Wohn- und Geschäftsgebäuden sowie zusammengefasste und sonstige Betriebe mit marktbestimmten Tätigkeiten.

Der Rechnungsabschluss ist meist zunächst dem Prüfungsausschuss (Kontrollausschuss) oder dem Kontrollamt zur Vorprüfung vorzulegen.

Wie beim Voranschlag so besteht die Verpflichtung zur öffentlichen Auflage des Rechnungsabschlusses und die Möglichkeit schriftliche Einwendungen einzubringen. Nach Ablauf der Auflagefrist hat der Bürgermeister den Rechnungsabschluss mit etwaigen Einwendungen und dem Bericht des Prüfungsausschusses dem Gemeinderat zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen. Die betreffende Sitzung des Gemeinderates ist öffentlich abzuhalten (Art 117 Abs 4 B-VG).

Der Gemeinderat stellt fest, ob der Rechnungsabschluss gesetzmäßig und richtig ist. Der Beschluss des Gemeinderates über die zustimmende Kenntnisnahme des Rechnungsabschlusses ist keine Verordnung, aber dennoch als Beschluss, der die Öffentlichkeit berührt, öffentlich kundzumachen. Der vom Gemeinderat beschlossene Rechnungsabschluss ist fristgerecht (bis Ende Mai nach Ablauf des Haushaltsjahres) der Aufsichtsbehörde vorzulegen. Die Gemeinden mit mindestens 20.000 Einwohnern und die Gemeindeverbände haben den Rechnungsabschluss bis spätestens sechs Monate nach Abschluss des Rechnungsjahres dem Rechnungshof und der Landesregierung vorzulegen. Zur Prüfung der Gemeindegebarung (sowie der Gebarung der von der Gemeinde verwalteten Stiftungen und Fonds und bestimmter Unternehmungen) ist regelmäßig ein eigener Prüfungsausschuss (oder Kontrollausschuss)331 vom

330 331

§ 9 Abs 1 Z 2 bzw § 17 Abs 2 Z 2 VRV 1997. In den Städten mit eigenem Statut ist idR ein eigenes Kontrollamt als eigene Abteilung des Magistrats mit Sonderrechten einzurichten. So ist der Leiter des Kontrollamtes in Angelegenheiten der Gebarungsprüfung weisungsfrei.

Haushaltsrecht

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Gemeinderat einzurichten. Alle im Gemeinderat vertretenen Parteien (Fraktionen) haben Anspruch auf Vertretung im Prüfungsausschuss.332 Der Bürgermeister, Mitglieder des Gemeindevorstandes oder des Stadtsenats dürfen dem Prüfungsausschuss nicht angehören. Die Gebarung der Gemeinde wird daraufhin überprüft, ob sie wirtschaftlich, zweckmäßig, sparsam, richtig und in Übereinstimmung mit den bestehenden Gesetzen und Vorschriften geführt wird. Private Betriebe und Einrichtungen, an welchen die Gemeinde beteiligt ist, dürfen nur mit deren Zustimmung von den Kontrolleinrichtungen der Gemeinde überprüft werden. Die Gemeinde kann sich vertraglich anlässlich einer Beteiligung an einem Unternehmen das Recht der Gebarungsprüfung vorbehalten.333

Über das Ergebnis der Prüfung ist ein schriftlicher Bericht anzufertigen. Nach Einholung der gesetzlich vorgesehenen Stellungnahmen (des Bürgermeisters) ist der Prüfbericht dem Gemeinderat zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen.334 Nach Art 119a Abs 2 B-VG hat weiters das Land das Recht, die Gebarung der Gemeinde auf ihre Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Die Gemeindeordnungen berufen durchwegs die Landesregierung zur Kontrolle der Gemeindegebarung.335 Die Gemeinde ist hierbei nicht verpflichtet, den Vorschlägen der Aufsichtsbehörde zu folgen. Im Rahmen der Gebarungskontrolle hat die Aufsichtsbehörde nicht die Rechtsmacht, ihre Empfehlungen gegenüber der Gemeinde durchzusetzen. Allerdings wird ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde gegenüber der Gemeinde mit den Mitteln der Rechtsaufsicht (zB Auflösung des Gemeinderates, Ersatzvornahme) möglich, wenn im Zuge der Gemeindegebarung durch rechtswidrige Vorgangsweisen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.336

332 333 334 335 336

Dazu Hengstschläger, Gebarungskontrolle, in Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), Das Österreichische Gemeinderecht (1982), 5 ff. Hengstschläger (FN 332) 22 ff. Neuhofer, 507 ff. Näheres zum Verfahren siehe bei Hengstschläger (FN 332) 29 ff. Die Landesregierung kann diese Aufgabe unter bestimmten Voraussetzungen auch an die Bezirksverwaltungsbehörden delegieren. Dazu Hengstschläger (FN 332) 42.

Arno Kahl

Öffentliche Unternehmen Rechtsgrundlagen ...........................................................................................348 Grundlegende Literatur...................................................................................349 I. Grundlagen ................................................................................................350 A. Entstehungsgeschichtlicher Abriss ........................................................350 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................352 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeiten.........................................352 2. Gemeinschaftskompetenzen ..............................................................354 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................355 1. Art 295 EG-Vertrag...........................................................................355 2. Art 86 EG-Vertrag.............................................................................355 3. Die Akzentuierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse durch Art 16 EG-Vertrag ........................362 4. Die Transparenzrichtlinie ..................................................................363 II. Der Begriff des öffentlichen Unternehmens ..........................................364 A. Nationales Recht....................................................................................364 B. Gemeinschaftsrecht ...............................................................................365 III. Einteilung öffentlicher Unternehmen...................................................367 A. Unterscheidung nach der Unternehmensträgerschaft...........................368 B. Unterscheidung nach der Rechtsform ...................................................368 C. Unterscheidung nach den Zielen ...........................................................370 IV. Ausgliederung und Privatisierung ........................................................371 A. Ausgliederung........................................................................................371 B. Privatisierung ........................................................................................374 C. Ausgliederung, Privatisierung und Vergaberecht .................................377 1. Vorbemerkung...................................................................................377 2. In-house-Vergabe ..............................................................................378 3. Die Auftragsvergabe durch (öffentliche) Unternehmen....................380 V. Öffentliche Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftssektoren .......381 A. Vorbemerkung .......................................................................................381 B. Die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft......................................................383 1. Elektrizitätswirtschaft........................................................................383 2. Gaswirtschaft.....................................................................................388 C. Post und Telekommunikation ................................................................390 1. Die strukturelle Trennung von Post und Telekom ............................390 2. Post....................................................................................................390 3. Telekommunikation...........................................................................391 D. Der Rundfunk ........................................................................................393 E. Der Eisenbahnverkehr...........................................................................395 F. Der Kraftfahrlinienverkehr....................................................................397

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G. Die Bundesstraßen................................................................................ 399 H. Die Verwaltung von Bundesimmobilien ............................................... 400 I. Die gemeinnützigen Bauvereinigungen.................................................. 402 J. Der Bankensektor .................................................................................. 403 K. Die Österreichische Nationalbank (OeNB) .......................................... 405 L. Die Unternehmen im Bereich der ÖIAG ............................................... 407 M. Die Österreichische Staatsdruckerei.................................................... 408 N. Die Staatsmonopole .............................................................................. 409 O. Regulierungsbehörden.......................................................................... 409 1. Die Austro Control GmbH................................................................ 410 2. Von der Telekomregulierung zur konvergenten Regulierung .......... 411 3. Der Postregulator .............................................................................. 414 4. Der Schienenregulator ...................................................................... 414 5. Der Energieregulator......................................................................... 415 6. Die Finanzmarktaufsicht................................................................... 416 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: Art 12, 16, 31, 86, 87, 88, 295 EG-Vertrag. VO 1191/69/EWG, Abl L 156/1, idF VO 1893/91/EWG, Abl L 169/1 - gemeinwirtschaftliche Dienste-VO für die Personenbeförderung; RL 80/723/EWG, Abl L 195/35, idF RL 2005/81/EG, Abl L 312/47 - TransparenzRL; RL 91/440/EWG, Abl L 237/25, idF RL 2004/51/EG, Abl L 220/58 - Eisenbahn-BinnenmarktRL; RL 97/67/EG, Abl 1998 L 15/14, idF RL 2002/39/EG, Abl L 176/21 - PostRL; RL 2003/54/EG, Abl L 176/37, idF RL 2004/85/EG, Abl L 236/10 - BeschleunigungsRL Elektrizität; RL 2003/55/EG, Abl L 176/57 - BeschleunigungsRL Erdgas; Außer Kraft getreten: RL 90/387/EWG, Abl L 192/1, idF RL 97/51/EG, Abl L 295/23 ONP-RL (aufgehoben durch Art 26 RL 2002/21/EG, Abl L 108/33 - RahmenRL); RL 90/388/EWG, Abl L 192/10, idF RL 1999/64/EG, Abl L 175/39 - TelekommunikationsdiensteRL (aufgehoben durch Art 10 RL 2002/77/EG, Abl L 249/21 - RahmenRL); RL 96/92/EG, Abl 1997 L 27/20 - Elektrizitäts-BinnenmarktRL (aufgehoben durch Art 29 RL 2003/54/EG, Abl L 176/37 - BeschleunigungsRL Elektrizität); RL 98/30/EG, Abl 204/1 - Erdgas-BinnenmarktRL (aufgehoben durch Art 32 RL 2003/55/EG, Abl L 176/57 - BeschleunigungsRL Erdgas). BVG: Art 7, 10, 17, 51a Abs 1, 116 Abs 2, 118 Abs 2, 119a Abs 2, 126b Abs 5, 127 Abs 1, 127a Abs 1, 133 B-VG; BVG-Rundfunk (BGBl 1974/396); BVG über die Eigentumsverhältnisse in der österreichischen Elektrizitätswirtschaft (Art 2 BGBl I 1998/143); Art 6 EMRK. BG: Erstes VerstaatlichungsG - Erstes VerstG (BGBl 1946/168 idF BGBl 1987/298); Zweites VerstaatlichungsG - Zweites VerstG (BGBl 1947/81 idF BGBl 1992/762); EisenbahnG - EisbG (BGBl 1957/60 idF BGBl I 2006/125); LuftfahrtG - LFG (BGBl 1957/253 idF BGBl I 2006/149); ÖIG-G (BGBl 1967/23); WohnungsgemeinnützigkeitsG - WGG (BGBl 1979/139 idF BGBl I 2003/113); ASFINAG-G (BGBl 1982/591 idF BGBl I 2006/26); NationalbankG - NBG (BGBl 1984/50 idF BGBl I 2004/161); ORF-Gesetz - ORF-G (BGBl 1984/379 idF BGBl I 2005/159); Bundes-HaushaltsG BHG (BGBl 1986/213 idF BGBl I 2006/49; BörseG (BGBl 1989/555 idF BGBl I 2006/48); Schönbrunner TiergartenG (BGBl 1991/420 idF BGBl 1994/117);

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Schönbrunner SchloßG (BGBl 1992/208 idF BGBl 1994/117); BundesbahnG - BBG (BGBl 1992/825 idF BGBl I 2005/80); BG über Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften, BGBl 1992/826 idF BGBl I 2004/174); Austro Control-G - ACG (BGBl 1993/898 idF BGBl I 2004/173); Brenner Eisenbahn GmbH-G (BGBl 1995/502 idF BGBl I 2005/163); PoststrukturG - PTSG (BGBl 1996/201 idF BGBl I 2003/71); BundesforsteG (BGBl 1996/793 idF BGBl I 2004/136); StaatsdruckereiG (BGBl 1997/1 idF BGBl I 2001/47); PostG (BGBl I 1998/18 idF BGBl I 2006/33); Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG - ElWOG (BGBl I 1998/143 idF BGBl I 2005/44); Schienenverkehrsmarkt-RegulierungsG (BGBl I 1999/166); KraftfahrlinienG - KflG (BGBl I 1999/203 idF BGBl I 2006/12); Öffentlicher Personennah- und RegionalverkehrsG ÖPNRV-G (BGBl I 1999/204 idF BGBl I 2002/32); ÖIAG-G 2000 (BGBl I 2000/24 idF BGBl I 2005/103); GaswirtschaftsG - GWG (BGBl I 2000/121 idF BGBl I 2004/115); BG betreffend den stufenweisen Übergang zu der im GWG vorgesehenen Marktorganisation (Art 2 BGBl I 2000/121); Energie-RegulierungsbehördenG - E-RBG (BGBl I 2000/121 idF BGBl I 2002/148); BundesimmobilienG (BGBl I 2000/141 idF BGBl I 2005/144); PrivatradioG - PrRG (BGBl I 2001/20 idF BGBl I 2004/169); KommAustriaG - KOG (BGBl I 2001/32 idF BGBl I 2006/9); BG über die Errichtung einer Bundesbeschaffung GmbH - BB-GmbH-G (BGBl I 2001/39 idF BGBl I 2002/99); PrivatfernsehG - PrTV-G (BGBl I 2001/84 idF BGBl I 2004/169); FinanzmarktaufsichtsbehördenG - FMABG (BGBl I 2001/97 idF BGBl I 2006/141); Austria Wirtschaftsservice-G (BGBl I 2002/130 idF BGBl I 2004/119); TelekommunikationsG 2003 - TKG (BGBl I 2003/70 idF BGBl I 2005/133); BundesbahnstrukturG (BGBl I 2003/138); BundesvergabeG 2006 - BVergG (BGBl I 2006/17).

Grundlegende Literatur: Die folgenden Angaben beziehen sich angesichts des Querschnittcharakters des Themas nur auf grundlegende Literatur, die sich mit öffentlichen Unternehmen im engeren Sinne beschäftigt. Im Übrigen wird auf die Literaturangaben in den einzelnen Spezialbeiträgen des Handbuchs verwiesen. Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1987; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1996; Berka, Die Gemeinde als Unternehmer, in: Rebhahn (Hrsg), Beiträge zum Kärntner Gemeinderecht, 1998, 181; Binder, Wirtschaftsrecht2, 1999; Cox (Hrsg), Perspektiven öffentlicher Unternehmen in der Wirtschafts- und Rechtsordnung der Europäischen Union, Bd II, 1996; Eichhorn (Hrsg), Perspektiven öffentlicher Unternehmen in der Wirtschafts- und Rechtsordnung der Europäischen Union, Bd I, 1995; Fremuth, Grundlagen der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich (1992) 21; derselbe, Die Gründung und Führung von öffentlich-gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich (1992) 25; derselbe (Hrsg), Wirtschaft und öffentliches Interesse (1998); Fremuth/Klecatsky/Wenger/Wimmer/Franz, Gemeinwirtschaft in der österreichischen Volkswirtschaft am Beispiel der öffentlichen Wirtschaft (1980); Holoubek, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001) 513; derselbe, Liberalisierung, Regulierung und Privatisierung - „Entstaatlichungsdruck“ durch das Gemeinschaftsrecht?, in: ÖJK (Hrsg), Entstaatlichung - Gefahr für den Rechtsstaat?, 2002, 122; derselbe, Die Regulierung des liberalisierten Eisenbahnverkehrs - Aufgaben, Organisation und Verfahren der Schienenverkehrsmarktregulierung im Rechtsvergleich, in: Dullinger/Holoubek/Segalla (Hrsg), Recht und Praxis der Eisenbahnliberalisierung, 2004, 106; Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005; Laurer, Die öffentliche Unternehmung, FS Antoniolli, 1979, 317; Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006; Morscher, Kommunale Unternehmun-

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gen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag - Rechts- und politikwissenschaftliche Analyse, in: Morscher/Smekal, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag, 1982, 9; Mühlenkamp, Öffentliche Unternehmen, 1994; Neuhofer, Gemeinderecht2, 1998; Obermann/Soukup, Öffentliche Unternehmen und die europäische Integration, 1992; Pauger, Zur Funktionalität der privaten Gesellschaftsformen AG und GmbH für Wirtschaftstätigkeiten der öffentlichen Hand. Plädoyer für eine „Gesellschaft öffentlichen Rechts“, FS Wenger, 1983, 999; Potacs, Öffentliche Unternehmen unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, in: Aicher/Holoubek/Korinek (Hrsg), Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht, 2000, 263; derselbe, Öffentliche Unternehmen, in: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, 401; derselbe, Europäischer Leistungsstaat im Wandel, FS Öhlinger, 2004, 486; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen2, 1985; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 2003; Schader Stiftung (Hrsg), Die Zukunft der Daseinsvorsorge, 2001; Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: Raschauer (Hrsg) Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, 181; Schroeder/Weber (Hrsg), Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen und das Europäische Gemeinschaftsrecht (2004); von Loesch, Die gemeinwirtschaftliche Unternehmung, 1977; Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969; derselbe, Recht der öffentlichen Unternehmungen, in: derselbe (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, Bd II, 1990, 245; Wimmer, Öffentliche Unternehmen und EWG-Vertrag, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich, 1992, 115; derselbe, „Service Public“ in Österreich Öffentliche Aufgabenbesorgung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Verantwortung und Marktmechanismus, in: Fremuth (Hrsg), Wirtschaft und öffentliches Interesse (1998) 31; derselbe, Daseinsvorsorge durch die Kommunen unter dem Einfluss des EG-Rechts, ÖGZ 1/2003, 13; Wimmer/Kahl, Die öffentlichen Unternehmen im freien Markt (2001).

I. Grundlagen1 A. Entstehungsgeschichtlicher Abriss Der Bestand öffentlicher Unternehmen lässt sich bis in das 18. Jh zurückverfolgen. In der Zeit des Merkantilismus (Kameralismus) waren die staats- und wirtschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der öffentlichen Wirtschaft2 günstig3. Insbesondere im Rahmen ihm selbst vorbehaltener Bereiche4 entwickelte „der Staat“ unternehmerische Tätigkeiten, um seinen stetig steigenden Geldbedarf zu decken. Mithin stellt das Recht der Staatsmonopole den Ausgangspunkt der öffentlichen Unternehmen dar5. Auch wenn zum Unterschied vom Merkantilismus in der zweiten Hälfte des 19. Jh dem bürgerlich-liberalen Zeitgeist entsprechend der private Unternehmer im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung stand und die öffentliche Wirtschafts1 2 3 4 5

Dieser Beitrag wurde im August 2006 fertiggestellt. Öffentliche Wirtschaft verstanden als Oberbegriff, der sowohl die gemein- als auch die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand umfasst. Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969, 29f. ZB das Post-, Tabak-, Glücksspiel- und Branntweinmonopol. Fremuth, Die Gründung und Führung von öffentlich-gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich, 1992, 25 (26).

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tätigkeit dementsprechend abnahm, bedeutete dies keineswegs, dass sich der Staat gänzlich aus dem Wirtschaftsleben zurückgezogen hätte. Dies lag insbesondere daran, dass die öffentliche Hand auf Grund des großen Allgemeininteresses an bestimmten, für das Gemeinwesen unverzichtbaren Dienstleistungen gezwungen war, diese Leistungen selbst zu erbringen, da sie von privater Seite nicht oder nicht in ausreichender Qualität oder zu den „vom Staat gewünschten“ gemeinwohlorientierten Modalitäten vorgehalten wurden6. In dieser Zeit liegen - entgegen der damals herrschenden liberalen Doktrin - die Wurzeln zahlreicher kommunaler Wirtschaftstätigkeiten wie beispielsweise der Gasund Wasserversorgung oder des Betriebs von Elektrizitätswerken. Vor dem Hintergrund des staatspolitischen und wirtschaftlichen Notstandes kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer wesentlichen Akzentverschiebung im österreichischen Wirtschaftssystem. Die in zwei Schritten vorgenommenen, umfangreichen Verstaatlichungen7 in den Bereichen Grundstoffindustrie und Banken8 sowie Elektrizitätswirtschaft9 stellten primär den - letztendlich erfolgreichen - Versuch dar, das „Deutsche Eigentum“ für die österreichische Wirtschaft zurückzugewinnen; sie brachten aber zugleich auch einen erheblichen Bedeutungsgewinn der öffentlichen Wirtschaft mit sich. So wurde vom Ersten VerstG rund ein Fünftel des österreichischen Industriepotentials und vom Zweiten VerstG praktisch die gesamte E-Wirtschaft erfasst („verstaatlichte Industrie“). In der Folge entwickelte sich der so bewirkte, überdurchschnittlich große Anteil der öffentlichen Wirtschaft an der Volkswirtschaft zu einem Spezifikum des österreichischen Wirtschaftssystems10. Verbunden damit war ein vergleichsweise hohes Maß an Staatseinfluss und Regulierung in den betroffenen Wirtschaftssektoren. Im Zuge der massiven wirtschaftlichen Probleme der verstaatlichten Industrie ab den 1980’er Jahren kam es zunächst zu umfassenden Teil-, später Totalprivatisierungen11. Etwa zur selben Zeit wurden - auch aus budgetären Gründen - vermehrt Ausgliederungen im Wege der Errichtung von Kapitalgesellschaften12 bzw durch die Bildung selbstständiger Wirtschaftskörper13 vorge6

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So war der Staat zB angesichts zu geringer privater Aktivitäten letztlich gezwungen, den Eisenbahnbau und -betrieb selbst durchzuführen. Eine vergleichbare Entwicklung griff im Bereich der Elektrizitätswirtschaft Platz. Wimmer/Arnold, Die neue Freiheit der Elektrizitätswirtschaft in Österreich, in: Oberösterreichische Kraftwerke AG (Hrsg), Aktuelle Rechtsprobleme der Elektrizitätswirtschaft 1995, 1995, 9 (10ff). Zum wirtschaftlichen Notstand als Zulässigkeitsvoraussetzung der umfassenden Enteignungen durch das Ersten VerstG VfSlg 3118/1956. Schambeck, Wirtschaftsverfassung und Verstaatlichung in Österreich, FS Wenger, 1983, 39 (47f). Vgl das Erste VerstG, BGBl 1946/168. Vgl das Zweite VerstG, BGBl 1947/81. Wenger, Recht der öffentlichen Unternehmungen, in: derselbe (Hrsg), Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, Band II, 1990, 245 (Rz 47); Obermann/Soukup, Öffentliche Unternehmen und die europäische Integration, 1992, 12ff. Nicht zuletzt die Krise der „Verstaatlichten“ löste in Österreich eine umfassende Privatisierungsdiskussion aus. Wimmer/Arnold, Wirtschaftsrecht in Österreich und seine europarechtliche Integration2, 1998, 258f. ZB Salinen AG, Grazer Stadtwerke AG, Innsbrucker Kommunalbetriebe AG.

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nommen. Der Trend, in staatlichem Eigentum befindliche erwerbswirtschaftliche Betriebe zu veräußern und somit zu privatisieren, hat sich in jüngster Zeit deutlich verstärkt. Dazu kommt, dass die marktwirtschaftlichen Prinzipien durch den Beitritt Österreichs zur EU eine zusätzliche Betonung erfahren haben. Auch wenn der EG-Vertrag gemäß Art 295 die Eigentumsordnungen in den Mitgliedstaaten unberührt lässt und somit kein europarechtlicher Zwang zu Privatisierungen besteht: Der Druck, das Budget zu konsolidieren, ist durch den EU-Beitritt nicht geringer geworden. Schließlich stieße auch eine großzügige Alimentierung defizitärer öffentlicher Unternehmen seitens der öffentlichen Hand, wie sie der „Verstaatlichten“ in den 1970’er und 1980’er Jahren zu Gute gekommen ist, heute angesichts des gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsrechts (Beihilfenrecht) auf enge Grenzen und wäre sowohl in der Form als auch in dem Ausmaß nicht mehr möglich.

B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeiten Die Fähigkeit von Bund und Ländern, Träger öffentlicher Unternehmen zu sein, wird aus Art 17 B-VG abgeleitet, der diesen Gebietskörperschaften unabhängig von der Kompetenzverteilung im hoheitlichen Bereich - das Handeln in privatrechtlicher Form ermöglicht (Privatwirtschaftsverwaltung)14. Häufig verfolgt die öffentliche Hand mit dem Betrieb eigener Unternehmen die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben bzw „öffentlichen Aufgaben“ iSd Daseinsvorsorge. Während die Zulässigkeit der Führung öffentlicher Unternehmen durch Bund und Länder zu diesem Zweck nicht bezweifelt wird, hält ein Teil der Lehre eine rein erwerbswirtschaftliche Betätigung des Staates auf Grund seiner im Vergleich zum privaten Unternehmer in vielfacher Weise überlegenen Stellung nur „subsidiär“ für zulässig15. Hinsichtlich des bloßen Ziels der Mittelaufbringung wird der (Steuer)Staat - mit Ausnahme der in der Verfassung vorgesehenen Monopole - auf den Weg der Abgabenerhebung verwiesen. Die entgegengesetzte Auffassung sieht eine solche Beschränkung nicht16. Den Gemeinden ist das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Bundes- und Landesgesetze Vermögen aller Art zu besitzen, zu erwerben und darüber zu verfügen sowie wirtschaftliche Unternehmen zu betreiben, durch Art 116 Abs 2 B-VG eingeräumt (Gemeinde als selbstständiger Wirtschaftskörper). Die Bindung an die allgemeinen Bundes- und Landesgesetze 13 14

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ZB Staatsdruckerei, PSK. ZB Laurer, Die öffentliche Unternehmung, FS Antoniolli, 1979, 317 (321); Novak, Verfassungsrechtliche Grundsatzfragen, in: Funk (Hrsg), Die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1981, 37 (47). ZB unter Berufung auf Raschauer und Oberndorfer Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 45, die gleichzeitig betonen, dass der erwerbswirtschaftlichen Betätigung des Staates nur „äußerste Grenzen“ gesetzt sind. Vgl dazu Pauger, Zur Funktionalität der privaten Gesellschaftsformen AG und GmbH für Wirtschaftstätigkeiten der öffentlichen Hand, FS Wenger, 1983, 999 (1003); Binder, Wirtschaftsrecht2, 1999, Rz 775ff.

Öffentliche Unternehmen

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bedeutet, dass den Gemeinden (auch) beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen nur Pflichten auferlegt werden dürfen, die allgemein, also für alle juristischen Personen, gelten. Die Gemeinden dürfen diesbezüglich nicht schlechter gestellt werden als andere Rechtssubjekte17. Lediglich Beschränkungen, die das verfassungsrechtliche Effizienzgebot konkretisieren18, und Restriktionen, die sich aus den Grundrechten oder den Bindungen des Art 118 Abs 2 B-VG ergeben, sind zulässig19. Aus letzterer Bestimmung ergibt sich, dass die (privat)wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde in deren eigenen Wirkungsbereich fällt und somit als Teil der Gemeindeselbstverwaltung verfassungsrechtlich geschützt ist20. Aus dieser Zuordnung wird von der hL21 abgeleitet, dass die wirtschaftliche Tätigkeit - zumindest dort, wo sie einem konkreten Verwaltungszweck dient im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sein muss, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. In zahlreichen Gemeindeordnungen und Stadtstatuten finden sich denn auch Bestimmungen, die die im B-VG zur wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden bzw zum eigenen Wirkungsbereich enthaltenen Vorschriften „konkretisieren“. Diese beschränken den Betrieb kommunaler Unternehmen auf den Fall, dass dies zur Befriedigung eines Bedarfs der Bevölkerung der Gemeinde erforderlich ist und dass die Art und der Umfang der Unternehmung in einem angemessenen Ver-

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Neuhofer, Gemeinderecht2, 1998, 77. ZB die Bindung der Führung öffentlicher Unternehmen an kaufmännische Grundsätze. Korinek/Holoubek (FN 15), 45 (FN 226); Neuhofer (FN 17), 402; Weber, Art 116 BVG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rz 14. VfSlg 9885/1983. Rill, Art 118 B-VG, in: Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Rz 1. ZB Ringhofer, Die verfassungsrechtlichen Schranken der Selbstverwaltung in Österreich, 3. ÖJT 1967, Bd II/3, 59 f; Fröhler, Die Gemeinde im Spannungsfeld des Sozialstaates, 1970, 36 ff; Fröhler/Oberndorfer, Recht und Organisation der Kommunalwirtschaft, 1974, 56 ff; Pernthaler/Purtscheller, Die Gemeinde im Spannungsfeld von privatrechtlicher Vertragsbindung und öffentlichrechtlicher Aufgabenerfüllung, JBl 1979, 281 (284); Schwarzer, Die verfassungsgesetzliche Garantie der freien wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden und ihre Grenzen, Arbeitshefte der WU - Reihe Rechtswissenschaft Nr 11, 1980, 50 f, 64 ff; Morscher, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag - Rechts- und politikwissenschaftliche Analyse, in: Morscher/Smekal, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag, 1982, 9 (38); Binder, 3.11 Wirtschaftsunternehmungen der Gemeinden, in: Fröhler/Oberndorfer (Hrsg), Österreichisches Gemeinderecht, Loseblatt 1983, 16f; Korinek, Das Zusammenspiel hoheitlicher und privatrechtlicher Gestaltungsakte in der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, in: Krejci/Ruppe (Hrsg), Rechtsfragen der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, 1992, 27 (33); Funk, Gestaltungsformen kommunaler Wirtschaftsverwaltung, in: Krejci/Ruppe (Hrsg), Rechtsfragen der kommunalen Wirtschaftsverwaltung, 1992 1 (8); Korinek/Holoubek (FN 15), 38; Weber (FN 19) Rz 14; ders, Der Staat als Unternehmer - verfassungsrechtliche Aspekte, in: Schroeder/Weber (Hrsg), Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen und das Europäische Gemeinschaftsrecht, 2004, 1 (7 f).

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hältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf stehen22. Verschiedentlich finden sich in Landesverfassungen und Gemeindeordnungen darüber hinausgehend auch spezifische Subsidiaritätsklauseln für die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden. Wirtschaftliche Unternehmen dürfen von Gemeinden demnach nur dann errichtet, übernommen oder betrieben werden, wenn der Zweck der Unternehmung nicht in gleicher Weise durch andere, namentlich Private, erfüllt wird23. Solche spezifischen Subsidiaritätsklauseln werden - weil sie über die erwähnte Konkretisierung hinausgehen - überwiegend als bundesverfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Eine rein erwerbswirtschaftlich ausgerichtete Wirtschaftstätigkeit der Gemeinden wird jedoch überwiegend als nicht zulässig abgelehnt24.

2. Gemeinschaftskompetenzen Gemäß Art 5 Abs 1 EG-Vertrag wird die Gemeinschaft innerhalb der Grenzen der ihr im Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig. Da der EG-Vertrag hinsichtlich der Eigentumsordnung an Produktionsmitteln keine positive Kompetenzbestimmung für ein Tätigwerden der Gemeinschaftsorgane enthält, fällt die entsprechende Zuständigkeit schon nach dem im zitierten Artikel grundgelegten „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigungen“ in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Ob und in welchem Ausmaß es also einen öffentlichen Wirtschaftssektor und demnach öffentliche Unternehmen in einem Mitgliedstaat gibt, ist ausschließlich eine wirtschaftspolitische Entscheidung des jeweiligen Staates. Ausdrücklich bestimmt dies Art 295 EG-Vertrag, der als negative Kompetenzbestimmung25 festhält, dass der Vertrag die Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten unberührt lässt26. Art 295 EG-Vertrag räumt der Gemeinschaft was die Errichtung bzw Beibehaltung eines öffentlichen Wirtschaftssektors betrifft - mithin zwar keine Kompetenz ein, zählt aber im Zusammenspiel mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigungen gerade deshalb zu den gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen öffentlicher Unternehmen. Die Kompetenzen der Gemeinschaft beginnen im Zusammenhang mit öffentlichen Unternehmen dort, wo durch die Gestaltung der Eigentumsordnung (Verstaatlichungen, Privatisierungen) sonstige Vertragsvorschriften - insbeson22 23

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Vgl für viele § 71 Abs 1 Vlbg Gemeindegesetz. Zahlreiche Nachweise bei Kahl, Der öffentliche Personennahverkehr auf dem Weg zum Wettbewerb - Zugleich ein Beitrag zur Liberalisierung kommunaler Daseinsvorsorgeleistungen, 2005, 157 (FN 696). Vgl dazu die in FN 21 zitierte Literatur. AA allerdings Ostheim, Gedanken zur Zulässigkeit erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand und zur Prüfungskompetenz des Rechungshofes bei wirtschaftlichen Unternehmungen, in: Korinek (Hrsg), Die Kontrolle wirtschaftlicher Unternehmungen durch den Rechnungshof, 1986, 59 (68); Potacs, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen von Public Private Partnerships, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Public Private Partnership, 2003, 27 (38). Kingreen, Kommentar zu Art 295 EG-Vertrag, in: Calliess/Ruffert (Hrsg), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag2, 2002, Rz 5. Der EG-Vertrag selbst geht in Art 86 von der Existenz öffentlicher Unternehmen aus.

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dere das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art 12 EG-Vertrag), die Grundfreiheiten oder das Wettbewerbsrecht inklusive Art 86 EG-Vertrag - berührt werden. So hat die Kommission beispielsweise, um die Offenlegung möglicher Beihilfen an (öffentliche) Unternehmen zu erreichen, die auf Art 86 Abs 3 EGVertrag gestützte TransparenzRL27 erlassen. Eine wettbewerbliche Besserstellung öffentlicher Unternehmen auf Grund ihrer Nahebeziehung zur öffentlichen Hand soll durch die Transparenz ihrer finanziellen Verflechtungen verhindert werden.

C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Art 295 EG-Vertrag Gemäß Art 295 lässt der EG-Vertrag - wie eben erwähnt - die Eigentumsordnungen iSd verfassungsmäßigen Gefüges der Eigentumsrechte unberührt. Es ist daher Sache der Mitgliedstaaten, die Eigentumsordnung als Mittel der nationalen Wirtschaftspolitik zu gestalten und in weiterer Folge öffentliche Unternehmen zu führen oder nicht. Zum Unterschied von den Gemeinschaftsorganen können die Mitgliedstaaten mithin Verstaatlichungen und Privatisierungen vornehmen. Die diesbezügliche Grenze stellen die den Binnenmarkt sichernden Vorgaben des EG-Vertrags dar. Somit bleiben nicht nur die Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten durch den Vertrag, sondern auch der Vertrag durch die Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten unberührt.

2. Art 86 EG-Vertrag a) Vorbemerkung Der EG-Vertrag statuiert eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb als Prinzip nicht nur für die gemeinschaftliche, sondern auch für die nationale Wirtschaftspolitik28. Die Tatsache, dass der Staat auf die wirtschaftliche Gestion „seiner“ öffentlichen Unternehmen auf vielfältige Art und Weise Einfluss nehmen kann, birgt die Gefahr der Wettbewerbsverfälschung in sich. Aus diesem Grund unterwirft Art 86 Abs 1 EG-Vertrag (auch) öffentliche Unternehmen ausdrücklich den Vertragsvorschriften29. Sein Abs 2 enthält für bestimmte Unternehmen die Möglichkeit einer begrenzten Ausnahme von eben diesen Regeln; es zeigt sich der historisch erklär- und belegbare30 Kompromisscharakter des Art 86 EG-Vertrag. 27

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RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, Abl L 195/35, idF RL 2005/81/EG, Abl L 312/47. Vgl dazu ausführlich Wimmer/Arnold (FN 11), 42 ff; Pauger, Marktwirtschaft durch EU-Recht, 1996, 28. Den Grund für die Aufnahme des Art 86 in den EG-Vertrag sieht der EuGH „gerade in dem Einfluß, den die öffentliche Hand auf die kaufmännischen Entscheidungen der öffentlichen Unternehmen ausüben kann“ (EuGH verb Rs 188-190/88, Transparenzrichtlinie, Slg 1982, 2545 [Rz 26]). Der Grund für den Formelkompromiss des Art 86 EG-Vertrag ist darin gelegen, dass es unter den Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Länder gab, die von einer starken öffentlichen Wirtschaft geprägt waren (Frank-

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Die daraus resultierende Unklarheit seines rechtlichen Gehalts war Grund dafür, dass Art 86 EG-Vertrag anfangs keine praktische Wirkung entfalten konnte31. In jüngerer Zeit allerdings fand sein Schattendasein ein Ende und Anwendungsbereich und Tragweite wurden durch eine mittlerweile reichhaltige Judikatur des EuGH sowie das verstärkte Tätigwerden der Kommission weitgehend ausgeleuchtet. Heute stellt Art 86 EG-Vertrag eines der wichtigsten Instrumente der Gemeinschaft zur Liberalisierung geschützter Wirtschaftsbereiche dar. b) Die Integration öffentlicher Unternehmen in die Wettbewerbsordnung des EG-Vertrags durch Art 86 Abs 1 EG-Vertrag Gemäß Art 86 Abs 1 EG-Vertrag sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, „in bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Vertrag und insbesondere dessen Artikeln 12 und 81 bis 89 widersprechende[n] Maßnahmen [zu] treffen oder bei[zu]behalten“. Erfasst sind von Art 86 Abs 1 EG-Vertrag mithin öffentliche und so genannte privilegierte Unternehmen32. Zwar wird auf den Begriff des öffentlichen Unternehmens nachfolgend in einem eigenen Punkt ausführlicher eingegangen, es ist jedoch für das Verständnis des Art 86 EG-Vertrag bereits an dieser Stelle erforderlich, jene Formel des EuGH wiederzugeben, mit der der Gerichtshof Unternehmen - einer funktionalen Sicht folgend - umschreibt. Danach ist ein Unternehmen „... jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“33. Das maßgebliche Kriterium, das ein Unternehmen zu einem öffentlichen Unternehmen macht, ist die Möglichkeit der Einflussnahme der öffentlichen Hand. Die Art der (möglichen) Einflussnahme ist nicht ausschlaggebend. Das Element der Abhängigkeit vom Staat ist auch für die zweite Gruppe von Unternehmen konstitutiv, die Art 86 Abs 1 EG-Vertrag unterfällt; also für Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren (privilegierte Unternehmen). Während durch die Einräumung besonderer Rechte die betroffenen Unternehmen im Vergleich zu ihren nicht privilegierten Wettbewerbern eine begünstigte Stellung auf dem Markt erlangen, ist bei einem ausschließlichen Recht die Erbringung einer Dienstleistung bzw die Ausübung einer Tätigkeit einem Unternehmen34 zur Gänze vorbehal-

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reich, Italien), und solche, bei denen dies nicht der Fall war (Belgien, Niederlande, Luxemburg). Marhold, Europäisches Wettbewerbsrecht für öffentliche Unternehmen, FS Frotz, 1993, 645 (648); Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, 54. König/Kühling, Kommentar zu Art 86 EG-Vertrag, in: Streinz (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Rz 6ff. Für viele EuGH Rs C-41/90, Höfner, Slg 1991, I-1979 (Rz 21). Vgl aber EuGH Rs C-209/98, FFAD, Slg 2000, I-3743 (Rz 54), wo der EuGH die bevorzugte Bewirtschaftung bestimmter Abfälle durch drei Unternehmen als ausschließliches Recht qualifiziert hat.

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ten35. Mitunter sind ausschließliche bzw besondere Rechte auch konkret in sekundärrechtlichen Bestimmungen definiert36. Das Geschilderte bedeutet zunächst, dass der Bestand von öffentlichen bzw privilegierten Unternehmen per se nicht gegen den EG-Vertrag verstößt. Zudem ergibt sich aus Abs 1 des Art 86 EG-Vertrag, dass private und öffentliche Unternehmen zur Sicherung der wettbewerblichen Chancengleichheit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unterliegen37. Auch führt die Bestimmung im Ergebnis dazu, dass öffentliche Unternehmen sowohl die unternehmensbezogenen Vorschriften des EG-Vertrags38 als auch jene Regeln beachten müssen, die die Mitgliedstaaten betreffen39 und somit von Unternehmen nicht unmittelbar verletzt werden können. Nicht nur ein vertragswidriges Verhalten des beeinflussten Unternehmens, sondern auch Vertragsverstöße durch den handelnden Mitgliedstaat selbst sind verboten. Eine mittelbare Vertragsverletzung durch die Mitgliedstaaten auf Grund ihres beherrschenden Einflusses auf öffentliche und privilegierte Unternehmen ist unzulässig40. Art 86 Abs 1 unterstellt öffentliche Unternehmen und Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten mithin umfassend der Wettbewerbsordnung des Vertrags. Der EuGH geht davon aus, dass ein Mitgliedstaat, wenn er einem Unternehmen besondere oder ausschließliche Rechte überträgt, für das Unternehmen in der Regel eine marktbeherrschende Stellung schafft41. Dies ist an und für sich noch nicht verboten. Allerdings gilt für diese Unternehmen das Missbrauchsverbot des Art 82 iVm Art 86 EG-Vertrag. Dabei verstößt ein Staat nicht erst dann gegen die Verpflichtungen aus Art 86 Abs 1 EG-Vertrag, wenn er dem Unternehmen eine Position verschafft, in der dieses zwangsläufig - also durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen ausschließlichen Rechte42 zum gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht in Widerspruch gerät43. Vielmehr 35 36

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ZB im Falle eines staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols. So zB in Art 2 lit f des Vorschlags für eine VO des Europäischen Parlaments und des Rats über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, KOM(2005) 319 endg., sowie in Art 2 Abs 1 lit f und g der TransparenzRL. Dazu EuGH Rs 188-190, Transparenzrichtlinie, Slg 1982, 2545 (Rz 12). ZB das Kartellrecht. Insb das allgemeine und die besonderen Diskriminierungsverbot(e) sowie das Beihilfenrecht. König/Kühling (FN 32), Rz 26 ff. Der EuGH sieht bei entsprechend intensiven Waren- bzw Dienstleistungsströmen schon ein relativ kleines, wirtschaftlich dann aber bedeutendes Gebiet als „wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes“ an. Vgl EuGH Rs C-179/90, Porto di Genova, Slg 1991, I-5889 (Rz 15). Zwangsläufig verstoßen zB mit ausschließlichen Rechten ausgestattete staatliche Arbeitsvermittlungsstellen dann gegen Art 86 EG-Vertrag, wenn sie offenkundig nicht in der Lage sind, für alle Arten von Tätigkeiten die auf dem Arbeitsmarkt bestehende Nachfrage zu befriedigen. EuGH Rs C-41/90, Höfner, Slg 1991, I-1979 (Rz 34). Kahl, Neue Bedeutung der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ durch den Vertrag von Amsterdam, wbl 1999, 189 (192). EuGH Rs C-323/93, Centre d’insémination de la Crespelle, Slg 1994, I-5077 (Rz 18); Rs C-387/93, Banchero, Slg 1995, I-4663 (Rz 51); Rs C-55/96, Job Centre coop arl, Slg 1997, I-7119 (Rz 31); Rs C-163/96, Silvano Raso, Slg 1998, I-533 (Rz 27, 29f).

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ist schon die Schaffung missbrauchsgeneigter Strukturen, dh die Herbeiführung der Möglichkeit des Verstoßes gegen die Art 81ff EG-Vertrag, mit der sich aus Art 86 Abs 1 EG-Vertrag für die Mitgliedstaaten ergebenden Pflicht unvereinbar44. In solchen Fällen spielt es keine Rolle, dass ein betroffenes Unternehmen allenfalls tatsächlich keinen Missbrauch seiner beherrschenden Stellung begangen hat45. Führen ausschließliche und besondere Rechte zu Beschränkungen von Grundfreiheiten, besteht die Möglichkeit, sie aus Gründen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen46. Dienstleistungsmonopole können - wie nachstehend dargestellt wird - gemäß Art 86 Abs 2 EG-Vertrag aus im öffentlichen Interesse gelegenen Gründen nicht-wirtschaftlicher Art mit dem EG-Vertrag vereinbar sein. Der als Verweisungsnorm zu qualifizierende Art 86 Abs 1 EG-Vertrag ist immer dann unmittelbar anwendbar, wenn der Norm, auf die er im konkreten Fall verweist, unmittelbare Anwendbarkeit zukommt. Ist dies der Fall, so unterliegen vertragswidrige staatliche Maßnahmen der direkten Kontrolle nationaler Gerichte47. c) Abs 2 als Regelungsschwerpunkt des Art 86 EG-Vertrag Art 86 Abs 2 EG-Vertrag hat einen anderen Anwendungsbereich als sein Abs 1. Er erfasst nicht Unternehmen, die in einem Abhängigkeits- bzw Naheverhältnis zur öffentlichen Hand stehen, sondern sämtliche Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse („gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen“) betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols48 haben49. Faktisch wird es sich in der Mehrzahl der Fälle freilich um öffentliche Dienstleistungsunternehmen handeln. Für die erwähnten Unternehmen ermöglicht Art 86 Abs 2 EG-Vertrag die Ausnahme von der gemeinschaftlichen Wettbewerbsordnung, soweit deren Anwendung die Erfüllung der einem Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern würde. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf dabei nicht in einem dem Interesse der Gemeinschaft widersprechenden Ausmaß beeinträchtigt werden. Art 86 Abs 2 EG-Vertrag 44

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Vgl EuGH Rs C-260/89, ERT, Slg 1991, I-2925 (Rz 37, 38); Rs C-179/90, Porto di Genova, Slg 1991, I-5889 (Rz 17); Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 18ff); Rs C-18/93, Corsica Ferries, Slg 1994, I-1783 (Rz 42f); Rs C-387/93, Banchero, Slg 1995, I-4663 (Rz 51); Rs C-163/96, Silvano Raso, Slg 1998, I-533 (Rz 27, 29f). Vgl dazu auch Ehricke, Der Art 90 EWGV - eine Neubetrachtung, EuZW 1993, 211 (213) mwN. Vgl dazu EuGH Rs C-163/96, Silvano Raso, Slg 1998, I-533 (Rz 31). Potacs, Öffentliche Unternehmen, in: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, Rz 933. Vgl EuGH Rs 155/73, Sacchi, Slg 1974, 409 (Rz 18); Rs C-179/90, Porto di Genova, Slg 1991, I-5889 (Rz 23f); Rs C-242/95, GT-Link, Slg 1997, I-4449 (Rz 57). Unter Finanzmonopolen werden mit einem ausschließlichen Recht ausgestattete Unternehmen verstanden, die mit dem Ziel gegründet wurden, im Wirkungsbereich dieses Rechts besondere Einnahmen für die öffentliche Hand zu lukrieren. Diese Unternehmen sieht der EuGH als Instrumente der nationalen Wirtschaftsoder Fiskalpolitik. EuGH Rs C-202/88, Telekommunikationsendgeräte, Slg 1991, I-1223 (Rz 12); Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5834 (Rz 55).

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stellt somit den Schnittpunkt von Wettbewerbswirtschaft und gemeinwohlorientierter Wirtschaft50 dar. Unter Dienstleistungen iSd Art 86 Abs 2 EG-Vertrag werden Versorgungsleistungen im weiteren Sinne verstanden, dh wirtschaftliche Aktivitäten zur Sicherung der Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Als solche Dienstleistungen wurden anerkannt: im öffentlichen Interesse liegende Verkehrsdienstleistungen auf defizitären Strecken51, die ununterbrochene und flächendeckende Versorgung mit elektrischer Energie52, bestimmte Postdienste53, das Betreiben eines öffentlichen Fernmeldenetzes54, die öffentliche Arbeitsvermittlung55, die Wasserversorgung56, bestimmte Fernsehdienste57, die Bewirtschaftung bestimmter Abfälle58. Dienstleistungen von allgemeinem59 wirtschaftlichen60 50

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Zum häufig in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff des „service public“ Wimmer, „Service Public“ in Österreich - Öffentliche Aufgabenbesorgung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Verantwortung und Marktmechanismus, in: Fremuth (Hrsg), Wirtschaft und öffentliches Interesse, 1998, 31 (38); Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, 111ff. EuGH Rs 66/86, Ahmed Saeed, Slg 1989, 803 (Rz 35); EuGH Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747 (Rz 47ff). EuGH Rs C-393/92, Almelo, Slg 1994, I-1477 (Rz 47 ff); Rs C-157/94, Kommission/Niederlande, Slg 1997, I-5699 (Rz 41f); Rs C-158/94, Kommission/Italien, Slg 1997, I-5789 (Rz 39ff); Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815 (Rz 57f). S auch GA Cosmas zu den zitierten Urteilen, Slg 1997, I-5701 (Rz 91 ff, 100 ff, 105 ff). EuGH Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 15). Vgl auch EuGH Rs C-147 und 148/97, Deutsche Post AG, Slg 2000, I-825 (Rz 44). Europäische Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Abl 1996 C 281/3, Rz 37ff. EuGH Rs C-18/88, GB-INNO-BM, Slg 1991, I-5941 (Rz 16). EuGH Rs C-41/90, Höfner, Slg 1991, I-1979 (Rz 24); Rs C-55/96, Job Centre coop arl, Slg 1997, I-7119 (Rz 26). Europäische Kommission, E v 17. 12. 1981, Abl 1982 L 167/39, Rz 65 (NavewaAnseau). EuGH Rs 155/73, Sacchi, Slg 1974, 409 (Rz 15). EuGH Rs C-209/98, FFAD, Slg 2000, I-3743 (Rz 75ff). Es genügt, wenn die Erbringung einer Dienstleistung im Interesse einer Bevölkerungsgruppe (zB einer Gemeinde) gelegen ist. Dem Wortlaut nach fordert Art 86 Abs 2 EG-Vertrag eine wirtschaftliche Betätigung sowie die Verfolgung eines wirtschaftlichen Interesses. Allerdings ist die Besorgung einer wirtschaftlichen Tätigkeit bereits für die Bejahung der Unternehmenseigenschaft erforderlich. Daher nimmt der EuGH die Differenzierung zwischen wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Tätigkeit bereits auf der Ebene des Unternehmensbegriffs vor. Die Frage nach der wirtschaftlichen bzw nicht-wirtschaftlichen Natur des allgemeinen Interesses im Sinne des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag tritt damit in den Hintergrund. Dies erscheint deswegen zutreffend, weil es sonst zu einem Wertungswiderspruch dergestalt kommen könnte, dass nicht-wirtschaftliche Interessen zwar die Ausnahme von den Grundfreiheiten rechtfertigen können, nicht jedoch nach Art 86 Abs 2 EG-Vertrag von den Wettbewerbsregeln. Eine wirtschaftliche Tätigkeit bzw ein Unternehmen, die bzw das ein öffentliches Interesse nicht-wirtschaftlicher Art (zB kultureller, sozialer oder karitativer Natur) verfolgt, würde stellte man nach Art 86 Abs 2 EG-Vertrag tatsächlich auf das Vorliegen eines wirtschaftlichen Interesses ab - unter das Wettbewerbsrecht fallen. Daher sieht Öhlinger in der Bezeichnung „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ zu Recht eine „Unzulänglichkeit der deutschen Fassung“ (Öhlinger, Verfassungsrechtliche Determinanten des Staates als Leistungsträger, in: Fremuth [Hrsg], Wirt-

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Interesse lassen sich nicht nur aus inhaltlicher Sicht determinieren61. Vielmehr ist für sie typisch, dass sie auf eine ihnen eigene Art und Weise, also unter charakteristischen Modalitäten, erbracht werden62. Zu den Grundsätzen der Dienstleistungserbringung zählen insbesondere die metabetriebswirtschaftlichen Kriterien der Sicherheit, Kontinuität und Flächendeckung der Versorgung, der Transparenz, einer einheitlichen und sozialen Tarifgestaltung sowie des Ausgleichs regionaler Unterschiede. Diese Modalitäten der Leistungserbringung führen häufig zu deren mangelnder Rentabilität. Um in den Genuss der Ausnahme nach Art 86 Abs 2 EG-Vertrag kommen zu können, ist es erforderlich, dass das Unternehmen mit der Dienstleistung betraut wurde. Welche Anforderungen an eine solche Betrauung genau zu stellen sind, ist - angesichts der unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen - nicht gänzlich geklärt. Der EuGH misst die Betrauung an einem strengen Maßstab, weil es sich bei Art 86 Abs 2 EG-Vertrag um eine Ausnahmebestimmung handelt, die eng auszulegen sei. Sicher ist, dass eine Betrauung privater Unternehmen in der Form eines „Hoheitsaktes der öffentlichen Gewalt“63 vorgenommen werden kann. Fraglich ist hingegen, ob eine Betrauung im Sinne des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag auch in anderer als in hoheitlicher Form erfolgen kann. Diese Frage ist zu bejahen64. Insbesondere die „Schwierigkeiten einer gemeinschaftseinheitlichen Bestimmung des ‚Hoheitlichen‘ “ dienen als Ausgangspunkt für eine materielle Beurteilung des Betrauungskriteriums65.

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schaft und öffentliches Interesse, 1998, 9 [22, 29 FN 57]) und schlägt die Wendung „wirtschaftliche Dienstleistung von allgemeinem (= öffentlichem) Interesse“ vor. Nach diesem Verständnis sind Leistungen der Daseinsvorsorge mit Marktbezug erfasst. Eine umfassende inhaltliche Festlegung der „öffentlichen Dienstleistungen“ findet sich im Gemeinschaftsrecht nicht. Diesbezüglich sei aber auf die Bemühungen des Centre Européen de l’Enterprise Publique (CEEP) verwiesen. Die von diesem erstellte „Europäische Charta der öffentlichen Dienstleistungen“ ist abgedruckt in Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg), Europa, Wettbewerb und öffentliche Dienstleistungen, 1996, 78. Vgl auch Tettinger, Vorüberlegungen zu einer „Charte européenne de service public“, RdE 1995, 175. Der EuGH hat dies deutlich im Corbeau-Urteil (Rs C-320/91, Slg 1993, I-2533 [Rz 15]) zum Ausdruck gebracht und in Bezug auf die Postdienste die Pflicht zur „Sammlung, ... Beförderung und ... Verteilung von Postsendungen zugunsten sämtlicher Nutzer, im gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, zu einheitlichen Gebühren und in gleichmäßiger Qualität sowie ohne Rücksicht auf Sonderfälle und auf die Wirtschaftlichkeit jedes einzelnen Vorgangs“ als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse qualifiziert. Vgl hinsichtlich der Versorgung mit elektrischer Energie EuGH Rs C-393/92, Almelo, Slg 1994, I-1477 (Rz 48). EuGH Rs 127/73, BRT, Slg 1974, 318 (Rz 19/22). Mestmäcker, RabelsZ 1988, 561 f; Zorn, Die Sicherstellung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im wettbewerbsorientierten Umfeld der Europäischen Union, 2000, 79, jeweils mit Judikaturnachweisen. Vgl auch das NON-Paper der Kommission „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und staatliche Beihilfen“ v 12.11.2002, Tz 62ff. Pielow (FN 50), 85. Auch Wilmowsky, Mit besonderen Aufgaben betraute Unternehmen unter dem EWG-Vertrag, ZHR 155 (1991) 545 (551); Rapp-Jung, Zur Tragweite von Art. 90 Abs. 2 EGV für die Energiewirtschaft, RdE 1994, 165 (168); Fesenmair, Öffentliche Dienstleistungsmonopole im europäischen Recht, 1996, 206, 296 ff; Burgi, Die öffentlichen Unternehmen im Gefüge des primären Gemeinschaftsrechts,

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Demnach können auch privatrechtliche Vereinbarungen Betrauungen darstellen. Aus materieller Sicht werden für eine Betrauung eine das Unternehmen treffende rechtliche Erfüllungsverpflichtung und - um das Erfordernis eines Vertragsverstoßes für die Erfüllung der übertragenen Aufgabe prüfen zu können - eine eindeutige Festlegung des Leistungsumfangs gefordert. Als entscheidend wird auch angesehen, dass die Übertragung der Sonderpflichten von den Mitgliedstaaten aktiv ausgeht, also vom Staat veranlasst wird, und nicht auf unternehmerischer Eigeninitiative beruht, da Art 86 Abs 2 EG-Vertrag nicht private, sondern mitgliedstaatliche wirtschaftliche Interessen schützt. Damit eine Suspendierung der Vertragsvorschriften in Betracht kommt, muss die Erfüllung der den gemeinwohlorientierten Unternehmen bzw Finanzmonopolen übertragenen besonderen Aufgabe bei Anwendung dieser Vorschriften rechtlich oder tatsächlich unmöglich sein. Die Bestimmungen des EG-Vertrags sind für das betroffene Unternehmen dann nicht einschlägig, wenn ihre Anwendung die Erfüllung der besonderen Pflichten, die den Unternehmen obliegen, tatsächlich oder rechtlich gefährden würde. Geschützt wird also nicht das Monopol, sondern alleine die Erfüllung der übertragenen Aufgabe. Nicht erforderlich ist, dass das Überleben des Unternehmens bedroht wäre66. Der EuGH hält eine Ausnahme von den Vertragsbestimmungen dann für denkbar, wenn diese notwendig ist, um dem betrauten Unternehmen die Erfüllung der besonderen Aufgabe zu wirtschaftlich tragbaren (ausgewogenen) Bedingungen zu ermöglichen67. Letztendlich ausschlaggebender Prüfungsmaßstab für das Aussetzen der Anwendung der Vertragsvorschriften ist das Interesse der Gemeinschaft an einem freien Handelsverkehr. Seine Entwicklung darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft68. Da eine nicht diskriminierende Vergabe ausschließlicher Rechte die Entwicklung

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EuR 1997, 261 (276); Ehricke, Zur Konzeption von Art. 37 I und Art. 90 II EGV, EuZW 1998, 741 (744 f); Rinne, Die Energiewirtschaft zwischen Wettbewerb und öffentlicher Aufgabe, 1998, 62 f; Frenz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse - Neuerungen durch Art. 16 EG, EuR 2000, 901 (907); Rumpff, Das Ende der öffentlichen Dienstleistungen in der Europäischen Union?, 2000, 215; Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, 321 f; Nettesheim, Europäische Beihilfeaufsicht und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, EWS 2002, 253 (257); von Danwitz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in der europäischen Wettbewerbsordnung Eine Perspektive für das öffentliche Kreditwesen? NWVBl 2002, 132 (137). EuGH Rs 159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815 (Rz 95). EuGH Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 21); Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815 (Rz 96); verb Rs C-147 bis 148/97, Deutsche Post, Slg 2000, I-825 (Rz 52). Der Akzent des letzten Satzes des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag liegt auf der Zunahme des innergemeinschaftlichen Handels als dynamischem Element. Eine unwesentliche hemmende Auswirkung der fraglichen Maßnahmen auf die Entwicklung des Handelsverkehrs kann die Anwendbarkeit des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag nicht verhindern. Vgl dazu GA Rozès zu EuGH Rs 78/82, Kommission/Italien, Slg 1983, 1955 (1971, Abschnitt VI, C). Vgl auch GA Cosmas, der im Fall EuGH Rs 157/94, Kommission/Niederlande, Slg 1997, I-5701 (Rz 127) betont, dass durch das Bestehen entsprechender ausschließlicher Einfuhrrechte zunehmende Stromimporte nicht verhindert wurden.

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des Handelsverkehrs am wenigsten beeinträchtigt, fordert die Kommission zum Unterschied vom EuGH, der sich dieser Meinung (noch) nicht angeschlossen hat - grundsätzlich deren wettbewerbliche bzw nicht diskriminierende Vergabe69. Der EuGH hat klargestellt, dass Art 86 Abs 2 EG-Vertrag prinzipiell auch Verstöße gegen Art 31 EG-Vertrag (Verbot diskriminierender Handelsmonopole) rechtfertigen kann70. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Anwendung des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag auf den drei Grundsätzen Neutralität, Gestaltungsfreiheit und Verhältnismäßigkeit basiert. Das bedeutet, dass es zum Ersten nicht auf die jeweilige Unternehmensform (öffentlichrechtlich oder privatrechtlich) ankommt. Zum Zweiten fällt es in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu definieren und diese gegebenenfalls auch zu finanzieren. Allerdings dürfen mit der Erbringung einer solchen Dienstleistung zum Dritten keine unnötigen Handelshemmnisse verbunden sein. Der Wettbewerb und die Binnenmarktfreiheiten dürfen nur soweit eingeschränkt werden, als dies für die Erfüllung der übertragenen Aufgaben tatsächlich erforderlich ist71.

3. Die Akzentuierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse durch Art 16 EG-Vertrag Da öffentliche Unternehmen häufig Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, ist in Bezug auf den für sie maßgeblichen Rechtsrahmen - zumindest kursorisch - auch auf Art 16 EG-Vertrag einzugehen. Diese durch den Vertrag von Amsterdam in den EG-Vertrag eingefügte Bestimmung betont erstmals den Stellenwert solcher Dienstleistungen innerhalb der Gemeinschaft und anerkennt ihre Bedeutung bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts72. Sie statuiert das an die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche gerichtete Gebot, dafür Sorge zu tragen, „daß die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, daß sie ihren Aufgaben nachkommen können“. Nicht zuletzt deshalb, weil die Art 73, 86 und 87 des Vertrags ausdrücklich nicht berührt werden73, hat Art 16 EGVertrag nichts am grundsätzlichen Verhältnis zwischen Wettbewerbs- und Gemeinwirtschaftsprinzip im Sinne eines Regel-Ausnahme Verhältnisses geändert. Eine Ausnahme von den Vertragsbestimmungen, insbesondere vom Wettbewerbsrecht, zu Gunsten der genannten Dienstleistungen ist auch nach 69

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Vgl dazu die verschiedenen Vorschläge der Kommission für eine Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, zuletzt KOM(2005) 319 endg. EuGH Rs 159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I 5819 (Rz 43ff). Vgl Mitteilung der Kommission - Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM(2000) 580 endg., Rz 20 ff. Art 16 EG-Vertrag hat nicht eine eigenständige Gemeinschaftspolitik zum Gegenstand, sondern einen Teil des Politikbereichs „wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt“ (Art 3 Abs 1 lit k EG-Vertrag). Vgl dazu die 13. von der Konferenz angenommene Erklärung, Abl 1997 C 340/133, wonach Art 16 EG-Vertrag nur auf der Grundlage der Beachtung der geltenden Rechtslage, insbesondere der Rsp des EuGH, umgesetzt wird.

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dem Inkrafttreten des Art 16 EG-Vertrag nur insoweit möglich, als sie für die Aufgabenerfüllung unter zumutbaren wirtschaftlichen Bedingungen unverzichtbar ist (Primat des Wettbewerbs). Dennoch erfahren die Dienste der Daseinsvorsorge durch die Einführung des Art 16 als einen Grundsatz des Vertrags am Ende des Ersten Teils des EGVertrags eine Aufwertung74. Diese Akzentuierung entspricht dem politischen Bedürfnis, nach der in den vorangegangenen Jahren erfolgten Liberalisierung auf dem Gebiet der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen die grundlegende Bedeutung solcher Dienste „positiv zu würdigen“75, und soll beim Erreichen eines Gleichgewichts zwischen dem dominierenden Wettbewerbsprinzip und dem gemeinwirtschaftlichen Prinzip helfen.

4. Die Transparenzrichtlinie Da die TransparenzRL heute für den Großteil der öffentlichen und daseinsvorsorgenden Unternehmen über die Grenzen der verschiedenen Wirtschaftssektoren hinaus gilt76, konstituiert auch sie einen wesentlichen Teil des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens für öffentliche Unternehmen. Ziel der Richtlinie ist seit jeher die Sicherstellung der Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen der öffentlichen Hand und ihren Unternehmen, um eine wirkungsvolle Anwendung der Beihilfevorschriften zu gewährleisten. Demnach müssen sowohl die mittelbare als auch die unmittelbare Bereitstellung öffentlicher Mittel sowie deren Verwendung offengelegt werden. Nach einer Überarbeitung der Richtlinie77 verfolgt die Kommission seit dem Jahr 2000 das zusätzliche Ziel, finanzielle Beziehungen innerhalb der teilweise im gemeinwirtschaftlichen Bereich, teilweise im Wettbewerbsbereich 74

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Vgl dazu Welti, Die kommunale Daseinsvorsorge und der Vertrag über eine Verfassung für Europa, AÖR 2005, 529 (543f, 548), der eine vermeintlich „vorsichtige Tendenz [des EuGH] zur restriktiveren Auslegung von Tatbeständen, mit denen die Reichweite der Markt- und Wettbewerbsregeln bestimmt wird“, ua auch auf Art 16 EG-Vertrag zurückführt. Vgl dazu den De Vigo- und Tsatsos-Bericht über den Vertrag von Amsterdam vom 5. 11. 1997, abgedruckt in EuGRZ 1998, 72 (Z 109). Ursprünglich waren vom Anwendungsbereich der RL Unternehmen, die in den Sektoren Wasser, Energie, Post- und Fernmeldewesen und Verkehr tätig waren, sowie öffentliche Krankenanstalten ausgenommen. Durch die Wettbewerbsentwicklung in der Gemeinschaft zu Beginn der 1980’er Jahre sah sich die Kommission veranlasst, den Anwendungsbereich der RL auszudehnen (RL 85/413/EWG zur Änderung der RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, Abl L 229/20). In ihrer Stammfassung fand die TransparenzRL zudem nur auf öffentliche Unternehmen Anwendung. In ihrer geltenden Fassung erfasst sie auch bestimmte private Unternehmen. Dies erklärt sich dadurch, dass auch solche Unternehmen in gemeinwirtschaftlichen und zugleich auch in wettbewerblichen Wirtschaftsbereichen tätig sind. RL 2000/52/EG zur Änderung der RL 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, Abl L 193/75. Auch aus dem mit dieser Novellierung geänderten Namen der TransparenzRL - RL über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen - geht ihr auf bestimmte private Unternehmen erweiterter Anwendungsbereich hervor. Derzeit steht die RL idF RL 2005/81/EG, Abl L 312/47, in Geltung.

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tätigen Unternehmen zu durchleuchten. Die Kommission hat durch die Novellierung der Richtlinie mithin eine Ausweitung der Transparenzpflichten und damit ihrer Befugnisse herbeigeführt78. Neben der finanziellen Transparenz müssen „Unternehmen, die verpflichtet sind, getrennte Bücher zu führen“, Transaktionen zwischen ihren Geschäftsbereichen sichtbar machen und demgemäß auch ihre Finanz- und Organisationsstruktur offen legen. Zum betroffenen Kreis zählen Inhaber besonderer oder ausschließlicher Rechte nach Art 86 Abs 1 EG-Vertrag, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nach Art 86 Abs 2 EG-Vertrag betraut sind, eine Vergütung in Bezug auf diese Tätigkeit erhalten und die zugleich auch andere Tätigkeiten ausüben. Die Buchführung solcher Unternehmen muss eine nach Geschäftsbereichen getrennte Aufstellung der Kosten und Erlöse sowie die Methode, nach der diese zugeordnet werden, enthalten79. Im Ergebnis stellt sich die TransparenzRL in ihrer geltenden Fassung auch als Instrument zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen (Quersubventionierungen) durch Unternehmen dar, die teils in gemeinwirtschaftlichen Sonderrechtsbereichen, teils im wettbewerblichen Umfeld agieren. Für die Kommission ist die Kenntnis der entsprechenden Finanzströme für die weitere Durchsetzung der Marktfreiheiten und des Wettbewerbsrechts hinsichtlich der unter Art 86 Abs 2 EG-Vertrag fallenden Bereiche jedenfalls von großem Nutzen. Wegen mangelnder Umsetzung der Richtlinie hat die Kommission im Sommer 2006 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.

II. Der Begriff des öffentlichen Unternehmens A. Nationales Recht Das österreichische Recht kennt einen gesetzlich definierten einheitlichen Unternehmensbegriff nicht. Vielmehr ist nach dem jeweiligen Normzweck von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet zu unterscheiden. Im Sinne des B-VG ist ein Unternehmen nach ständiger Rechtsprechung des VfGH eine in einer bestimmten Organisationsform in Erscheinung tretende wirtschaftliche Tätigkeit, die sich auf Vermögenswerte stützt und mit Einnahmen und Ausgaben verbunden ist. Nicht maßgeblich ist die Organisationsform, ob eine Einheit Rechtspersönlichkeit besitzt und ob für die verfolgte Tätigkeit besondere Berechtigungen erforderlich sind. Ausschlaggebend ist auch nicht, ob das Handeln auf Gewinn gerichtet ist80. In der österreichischen Lehre wurden bei der Definition des Begriffs des öffentlichen Unternehmens verschiedene Wege beschritten. 78 79

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Bartosch, Neue Transparenzpflichten - eine kritische Analyse des Kommissionsentwurfs einer neuen Transparenzrichtlinie, EuZW 2000, 333. Die neuen Regelungen über die getrennte Buchführung gelten allerdings nicht, soweit entsprechende Spezialvorschriften wie zB im Bereich der Post oder der Energiewirtschaft bestehen. Britz, Staatliche Förderung gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen in liberalisierten Märkten und Europäisches Wettbewerbsrecht, DVBl 2000, 1641 (1649). Für viele VfSlg 3296/1957.

Öffentliche Unternehmen

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Insbesondere Wenger hat als wesentliches Merkmal eines öffentlichen Unternehmens den Einsatz des Unternehmens als Gestaltungsmittel der Verwaltung in den Vordergrund gestellt. Öffentliche Unternehmen dienen demnach der Erfüllung eines öffentlichen Zwecks iSd Daseinsvorsorge oder der Wirtschaftslenkung81. Eine andere - heute vorherrschende - Auffassung stellt auf die Trägerschaft am Unternehmen ab und versteht unter öffentlichen Unternehmen all jene, die durch eine qualifizierte Beteiligung der öffentlichen Hand bzw durch ein entsprechendes Naheverhältnis zwischen Unternehmen und „Staat“ charakterisiert werden82. Nach diesem weiteren Verständnis wird auch die rein erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand vom Begriff des öffentlichen Unternehmens umfasst.

B. Gemeinschaftsrecht Seit dem Beitritt zum EWR bzw in der Folge zur EU wird der nationale Begriff des (öffentlichen) Unternehmens vom gemeinschaftsrechtlichen Unternehmensbegriff überlagert. Dieser ist autonom europarechtlich zu bestimmen, wobei mit Blick auf die Ziele vor allem des europäischen Wettbewerbsrechts von einem weiten, funktionalen Unternehmensbegriff auszugehen ist. Der EuGH stellt daher auf die Art der ausgeübten Tätigkeit ab und versteht unter einem Unternehmen „... jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit83, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“. Als wirtschaftlich gilt eine Tätigkeit, wenn es sich um nicht-hoheitliche Maßnahmen handelt, die marktgängig sind, die also einen Güter- oder Dienstleistungsaustausch auf einem Markt zum Gegenstand haben (marktbezogene Tätigkeit)84. EuG und Kommission folgen dieser Definition. Nicht konstitutiv für den Unternehmensbegriff sind Rechtspersönlichkeit sowie das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht85. Jedoch bedarf es eines Minimums an organisatorischer Selbstständigkeit der wirtschaftlich tätigen Einheit. Ob die entsprechende Stelle in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist, ist unbedeutend, wie der Fall der italienischen Tabakmonopolverwaltung gezeigt hat86. Auch Anstalten des öffentlichen Rechts können Unternehmen sein. So qualifizierte der EuGH eine in dieser Weise organisierte Arbeitsvermittlung als Unternehmen iSd EG-Vertrags: Dass die Vermittlungstätigkeit 81 82

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Wenger (FN 3), 154, 569. Schauer, Öffentliche Unternehmen in Österreich, in: Chmielewicz/Eichhorn (Hrsg), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989, 1127. Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1987, 204. Vgl auch die Definition des Statistischen Zentralamtes, das unter öffentlichen Unternehmen jene Betriebe versteht, die im überwiegenden Eigentum bzw in der Verfügungsgewalt von Gebietskörperschaften stehen. Obermann/Soukup (FN 10), 13 (FN 3). Mangels Einheit stellen „anerkannte Hafenarbeiter“ eines Hafengebietes kein Unternehmen dar und zwar auch dann nicht, wenn man sie gemeinsam betrachtet. EuGH Rs C-22/98, Becu, Slg 1999, I-5665 (Rz 26ff). EuGH Rs C-475/99, Ambulanz Glöckner, Slg 2001, I-8089, Rz 19. EuGH Rs 209 bis 215 und 218/78, Van Landewyck/Kommission, Slg 1980, 3125 (Rz 88); Rs C-244/94, FFSA ua, Slg 1995, I-4013 (Rz 21). EuGH Rs 118/85, Kommission/Italien, Slg 1987, 2599 (Rz 8ff).

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normalerweise öffentlich-rechtlichen Anstalten übertragen sei, spreche nicht gegen die wirtschaftliche Natur der Tätigkeit. Die Arbeitsvermittlung sei nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben worden und müsse nicht notwendig von solchen Einrichtungen betrieben werden, was insbesondere für die Tätigkeit der Vermittlung von Führungskräften der Wirtschaft gelte87. Auch ein von einer Standesvertretung eines freien Berufs eingerichteter Rentenfonds, der die Höhe der Beiträge und Leistungen selbst bestimmt und in dem Pflichtmitgliedschaft herrscht, ist ein Unternehmen iSd Wettbewerbsrechts88. Anders ist die Situation hinsichtlich - im Sinne des Gemeinschaftsrechts hoheitlicher Tätigkeiten89. Diese stellen keine wirtschaftliche Betätigung dar. So hat der Gerichtshof etwa die Flugsicherungseinrichtung Eurocontrol nicht als Unternehmen angesehen90. Ferner hat er Betätigungen, die ausschließlich sozialen und kulturellen Zwecken dienen und keinen Erwerbszweck verfolgen, als von der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften ausgenommen betrachtet. Öffentlich-rechtliche Sozialversicherungssysteme werden etwa nicht als Unternehmen gewertet, wenn sie einem sozialen Zweck dienen, Zwangsmitgliedschaft vorsehen, nach dem Solidaritätsprinzip organisiert sind und ohne Gewinnerzielungsabsicht geführt werden91. Der EuGH hat diese Ausnahme vom Unternehmensbegriff, seinem funktionalen Ansatz folgend, nicht etwa mit dem sozialen Charakter der wahrgenommenen Aufgabe begründet, sondern damit, dass es sich um ein System der sozialen Sicherung handle. Dies ergibt sich für den Gerichtshof vor allem aus der Zwangsmitgliedschaft sowie daraus, dass die gewährten, gesetzlich festgelegten Leistungen für Krankheit und Mutterschaft unabhängig von den Einzahlungen für alle gleich waren. Demgegenüber wurde ein freiwilliges soziales Sicherungssystem mit leistungsorientierter Auszahlung nach dem Kapitalisierungsprinzip als Unternehmen bewertet92. Abgelehnt hat der Gerichtshof auch die Anwendung der (nur bei entgeltlichen Tätigkeiten einschlägigen) Dienstleistungsfreiheit auf nationale Bildungssysteme, wie zB staatliche Schulen93 und Hochschulen, die im Wesentlichen mit öffentlichen Geldern finanziert werden94. Die Kommission

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EuGH Rs C-41/90, Höfner, Slg 1991, I-1979 (Rz 22). Vgl auch EuGH Rs 78/76, Steinike, Slg 1977, 595 (Rz 18); Rs C-55/96, Job Centre coop arl, Slg 1997, I-7119 (Rz 22). EuGH verb Rs C-180 bis 184/98, Pavlov, Slg 2000, I-6451 (Rz 74ff). Zur nicht unproblematischen Unterscheidung zwischen hoheitlichem und unternehmerischem Handeln Heinemann (FN 31), 75ff; Schwarze, Der Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613 (614f). EuGH Rs C-364/92, Eurocontrol, Slg 1994, I-43, Rz 18. EuGH verb Rs C-159 und 160/91, Poucet und Pistre, Slg 1993, I-637 (Rz 18f); Rs C-218/00, Cisal die Battistello, Slg 2002, I-691 (Rz 335ff). Vgl auch EuGH verb Rs C-264/01, 306/01, 354/01 und 355/01, AOK Bundesverband, Slg 2004, I-2493 (Rz 47). EuGH Rs C-244/94, FFSA ua, Slg 1995, I-4013 (Rz 17ff); vgl auch Rs C-67/96, Albany, Slg 1999, I-5751 (Rz 84); Rs C-115 bis 117/97, Brentjens’ Handelsonderneming, Slg 1999, I-6025 (Rz 79ff); Rs C-219/97, Maatschappij Drijvende Bokken, Slg 1999, I-6121 (Rz 69ff). EuGH Rs C-263/86, Humbel, Slg 1988, 5365 (Rz 18). EuGH Rs C-109/92, Wirth, Slg 1993, I-6447 (Rz 15).

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unterstützt diese Rechtsprechung95 und sieht beispielsweise eine staatliche Straßenbauverwaltung nicht als Unternehmen an96. Dass die Grenzziehung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit im Einzelfall mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist, zeigen die diesbezüglichen Ausführungen in der zitierten Kommissionsmitteilung. Dort sieht die Kommission zunächst unter Berufung auf die Judikatur des EuGH die Tätigkeiten von Gewerkschaften, politischen Parteien, Kirchen und religiösen Gemeinschaften, Verbraucherverbänden, wissenschaftlichen Gesellschaften, Wohlfahrtseinrichtungen sowie Schutz- und Hilfsorganisationen auf Grund ihrer Nichtwirtschaftlichkeit (Besorgung weitgehend sozialer Aufgaben ohne Gewinnabsicht) als von der Anwendbarkeit des europäischen Wettbewerbsrechts ausgenommen. Gleichzeitig hält die Kommission jedoch fest, dass (erst) dann, wenn solche Einrichtungen bei der Erfüllung des Gemeinwohlauftrags wirtschaftliche im Sinne von marktbezogenen Tätigkeiten entfalten, die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zum Tragen kämen. Dass diese „Erläuterungen“ bei der Abgrenzung von wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht weiterhelfen, ist evident. Ein Unternehmen ist dann als öffentliches Unternehmen iSd Gemeinschaftsrechts zu qualifizieren, wenn der Staat die Möglichkeit besitzt, auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss auszuüben. Dies wird vermutet, wenn die öffentliche Hand zumindest mittelbar „die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt oder ... über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen Stimmrechte verfügt oder ... mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann“ (Art 2 Abs 2 TransparenzRL). Als öffentliches Unternehmen (iSd Art 86 EG-Vertrag) stellt sich somit jedes Unternehmen dar, „auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann“97.

III. Einteilung öffentlicher Unternehmen Öffentliche Unternehmen lassen sich nach den verschiedensten Kriterien einteilen98. Im Folgenden werden sie nach Unternehmensträgerschaft, Rechtsform und ihren Zielen systematisiert.

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Mitteilung der Kommission - Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM(2000) 580 endg., Rz 28 ff. Vgl den Vorschlag für eine Koordinierungsbeihilfenverordnung, KOM(2000) 5 endg., Rz 18 der Begründung. Vgl Art 2 Abs 1 lit b TransparenzRL. Der EuGH hat zwar klargestellt, dass sich diese Definition nur auf den Begriff der öffentlichen Unternehmen im Rahmen der TransparenzRL bezieht (EuGH verb Rs 188-190/80, Transparenzrichtlinie, Slg 1982, 2545 [Rz 24]), sie hat sich mittlerweile jedoch allgemein durchgesetzt. ZB nach ihrem wirtschaftlichen Gegenstand, dem verfolgten Ziel, ihrem wirtschaftlichen Ergebnis oder ihrer Marktstellung und Größe.

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A. Unterscheidung nach der Unternehmensträgerschaft Gliedert man die öffentlichen Unternehmen nach ihren Trägern, kann man vor allem99 Bundes-, Landes- und Gemeindeunternehmen unterscheiden. Als Bundesunternehmen stellten sich insbesondere die heute zum Großteil privatisierten Unternehmen der „Verstaatlichten“ dar. Auch die Verbundgesellschaft, Straßenbaugesellschaften, Gesellschaften zur Verwaltung von Bundesimmobilien, die Bundesbahnen sowie die Post zählen dazu. Aus dem Kreis der Landesunternehmen sind insbesondere LandesElektrizitäts- und -Gasgesellschaften, die Landes-Hypothekenbanken und Landesversicherungsunternehmen zu nennen. Zu den Gemeindeunternehmen zählen beispielsweise Unternehmen im Bereich der Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, der Versorgung mit Strom und Gas, der Verkehrsbedienung oder der Müllabfuhr sowie die Gemeindesparkassen.

B. Unterscheidung nach der Rechtsform Die Unterscheidung öffentlicher Unternehmen nach dem Kriterium ihrer Rechtsform ist bedingt durch das Mischverhältnis funktionaler Selbstständigkeit und organisatorischer Beherrschung. Es ergibt sich folgende Einteilung: Einheiten, denen ein geschlossenes wirtschaftliches Konzept bzw eine besondere budgetmäßige Behandlung zukommt, die organisatorisch aber in die allgemeine Verwaltung integriert sind (mangels Selbstständigkeit also Unternehmen nur im weitesten, funktionalen Sinn), stellen so genannte Regiebetriebe dar100. Beispiele hiefür sind die häufig in das Gemeindeamt (den Magistrat) eingegliederten kommunalen Schlachthöfe, Müllabfuhren oder Friedhofsverwaltungen. Eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen diese Unternehmen ebenso wenig wie eine institutionalisierte Selbstständigkeit. Die Betriebsleitung ist an Beschlüsse und Weisungen der vorgesetzten Verwaltungsstellen gebunden. Ein aus organisatorischer Sicht Mehr an Selbstständigkeit bietet der Eigenbetrieb. Dieser entsteht dann, wenn - neben den Kriterien des wirtschaftlichen Konzepts und der besonderen budgetmäßigen Berücksichtigung (Regiebetrieb) - die Trägergebietskörperschaft von ihrem inneren Organisationsrecht Gebrauch macht101 und eine eigene Organisation für den Betrieb zur Verfügung stellt. Auch beim Eigenbetrieb als Erscheinung der inneren Verwaltungsorganisation verbleibt die letztendliche Entscheidungsbefugnis - insbesondere über grundlegende Unternehmensentscheidungen - bei den Organen der Trägergebietskörperschaft. Die Organisationsbefugnis und die Vertretung des Eigenbetriebs nach außen sind im Ergebnis immer auf die entsprechende Gebietskörperschaft rückführbar. Der Eigenbetrieb besitzt zwar finanzielle Selbstständig-

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Auch von den Gebietskörperschaften verschiedene juristische Personen wie zB Kammern oder Tourismusverbände können - dem Staat zuzurechnende - Unternehmensträger sein. Binder (FN 21), 6; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 2003, Rz 322. Vgl VfSlg 8844/1980.

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keit102, eine eigene Rechtspersönlichkeit kommt aber auch ihm nicht zu. Eigenbetriebe werden auch als unselbstständige Anstalten103 bezeichnet. Weiter organisationsrechtlich verselbstständigt als die bisher behandelten Unternehmen ist die selbstständige Anstalt. Ihr kommt eine von der Trägergebietskörperschaft verschiedene Rechtspersönlichkeit zu. Prominenteste Beispiele waren die Landes-Hypothekenbanken104. Die wichtigste Rolle bei den öffentlichen Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit spielen schon seit Langem die Kapitalgesellschaften (AG, GmbH), wobei die Form der GmbH zahlenmäßig überwiegt105. Je nach Eigentum an den Anteilsrechten kann unterschieden werden: Besitzt ein einziger öffentlicher Unternehmensträger sämtliche Anteilsrechte, liegt eine Einmanngesellschaft vor. Teilen sich mehrere öffentliche Unternehmensträger die Anteilsrechte, spricht man von gemischt-öffentlichen Gesellschaften. Beteiligen sich an der Kapitalgesellschaft auch Private, handelt es sich um eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft. Die Beantwortung der Frage, ob für ein öffentliches Unternehmen die Form einer AG oder GmbH gewählt wird, hängt nicht selten mit dem gewünschten Grad der Unabhängigkeit der Geschäftsführung zusammen. Bei der GmbH haben die Gesellschafter insbesondere die Befugnis, dem Geschäftsführer Weisungen zu erteilen und so die Geschäftsführung wesentlich zu beeinflussen. Darüber hinaus kann auch die Satzung anordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften der Zustimmung des Aufsichtsrats unterliegen. Die konkrete Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis ist weitestgehend dispositiv. Tendenziell anders verhält es sich bei der AG, deren Organisation in höherem Maße durch Gesetz determiniert ist. Der Aufsichtsrat ist nicht in der Lage, selbst Geschäftsführungshandlungen zu setzen106 oder dem Vorstand Weisungen zu erteilen. Zwar können Satzung oder Aufsichtsrat anordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden können. Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht bei laufenden Geschäften107. Der Bundesgesetzgeber kann auf der Grundlage der ihm durch Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG eingeräumten Kompetenz für von ihm gegründete Kapitalgesellschaften so genanntes Sondergesellschaftsrecht erlassen, das auch Gesellschaftern einer AG besondere Weisungs- und Aufsichtsrechte einräumen kann108. Den Ländern kommt eine solche Kompetenz zur Schaffung von Son-

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Vermögensmäßige, rechnungsmäßige und haushaltsrechtliche Selbstständigkeit. Als (selbstständige) Anstalt gilt die zur juristischen Person erhobene Einrichtung mit einem Bestand an sachlichen und persönlichen Mitteln, die dauernd bestimmten Zwecken der öffentlichen Verwaltung gewidmet sind. Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 1996, 322. Früher waren auch der ORF und die PSK selbstständige Anstalten. Vgl Korinek S., Ausgliederung - Privatisierung - Beleihung, ZfV 1998, 296 (297). § 95 Abs 5 AktG. Vgl zur Entscheidungsstruktur auch Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen (1987) 40 ff. Korinek/Holoubek (FN 15), 99ff; Winner, Öffentlich-rechtliche Anforderungen und gesellschaftsrechtliche Probleme bei Ausgliederungen, ZfV 1998, 104 (106); Walzel

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derzivilrecht nicht zu109. Dies mag Grund dafür sein, dass von diesen häufiger Unternehmen in der Form von Anstalten betrieben werden. Ausnahmsweise sind öffentliche Unternehmen auch als Vereine110 errich111 tet . Vereine iSd VereinsG 2002 müssen „ideelle Vereine“ sein, das heißt, sie dürfen nicht „auf Gewinn berechnet“ sein. Der Qualifikation als ideeller Verein schadet es jedoch nicht, wenn im Rahmen der Vereinstätigkeit auch unternehmerische Handlungen gesetzt werden, soweit diese den ideellen nachgeordnet sind („Nebentätigkeitsprivileg“). Der VfGH verfolgt in seiner Rechtsprechung eine liberale Linie und lässt auch erwerbswirtschaftliche Vereinstätigkeiten allerdings etwa unter dem Verbot der Gewinnausschüttung - zu112. Ob sich die öffentliche Hand an einer OHG oder KG (als Komplementär) beteiligen darf, ist umstritten, aus haushaltsrechtlichen Gründen aber wohl zu verneinen113.

C. Unterscheidung nach den Zielen Schon alleine aus dem Umstand heraus, dass rationales Handeln ohne Ziel niemals möglich ist, können öffentliche Unternehmen auch nach ihren Zielsetzungen eingeteilt werden; dies allerdings mit der Einschränkung, dass sie in den seltensten Fällen nur ein einziges Ziel verfolgen werden. Das gilt umso mehr, als in der Regel Zielkonkurrenzen bestehen und der Stellenwert des einzelnen Ziels innerhalb eines Zielbündels nicht immer einfach zu bestimmen sein wird114. Die Zuordnung eines konkreten Unternehmens zu einer der nachfolgenden Rubriken wird also nicht in jedem Einzelfall eindeutig sein. Die einmal getroffene Zuteilung eines Unternehmens zu einer Gruppe bedeutet auch nicht, dass sich diese zB auf Grund einer neuen Ausrichtung der öffentlichen Unternehmenstätigkeit nicht wieder ändern könnte. Typisierend kann folgende Einteilung getroffen werden. Versorgungsleistungen: Häufig werden öffentliche Unternehmen betrieben, um die Bevölkerung mit Dienstleistungen zu versorgen, die ein privater Betreiber nicht oder nicht in angemessener Qualität oder zu angemessenen Bedingungen bereithalten würde. Solche gemeinwirtschaftlichen Dienstleistun-

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von Wiesentreu, Rechtsfragen der Ausgliederung öffentlicher Aufgaben, insbesondere im kommunalen Bereich, ÖGZ 1997, H 12, 11 (13f). Holoubek, Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen von Ausgliederungen und Privatisierungen, ÖGZ 2000, H 12, 22 (23). Ein Verein ist ein freiwilliger, auf Dauer angelegter, auf Grund von Statuten organisierter Zusammenschluss mindestens zweier Personen zur Verfolgung eines bestimmten, gemeinsamen ideellen Zwecks (§ 1 Abs 1 VereinsG 2002). Vgl zum Vereinsbegriff auch für viele VfSlg 1397/1931. Vgl das „Kuratorium zur Förderung der Wirtschaftsuniversität“, VfSlg 10.371/1985. Vgl zum Nebentätigkeitsprivileg mit einer instruktiven Zusammenfassung der verschiedenen Meinungen Krejci/S. Bydlinski/Rauscher/Weber-Schallauer, Vereinsgesetz 2002 - Kommentar, 2002, § 1 Rz 21 ff. Vgl dazu Wenger (FN 3), 586; Aicher, Zivil- und gesellschaftsrechtliche Probleme, in: Funk (Hrsg), Die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1981, 191 (217ff). Vgl dazu ausführlich Diederich, Ziele öffentlicher Unternehmen, in: Chmielewicz/ Eichhorn (Hrsg), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989, 1856.

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gen sind häufig defizitär, gleichzeitig aber im öffentlichen Interesse gelegen und für ein funktionierendes Staatswesen unverzichtbar. Ihr Bereithalten wird als öffentliche Aufgabe bzw als Leistung der Daseinsvorsorge gesehen. Die Sicherung solcher Basis- bzw Universaldienste betrifft Wirtschaftssektoren wie beispielsweise die Post, Telekommunikation oder die Strom- und Gasversorgung. Viele der nach Ansicht der Europäischen Kommission nicht zum engsten Kreis der Daseinsvorsorge zählenden Tätigkeiten werden zusehends dem (beschränkten) Wettbewerb unterstellt. Gewinnerzielung: Auch wenn dem Staat zur Mittelbeschaffung primär das Instrument der Steuereinhebung zur Verfügung steht, stellt ein weiteres Ziel öffentlicher Unternehmenstätigkeit die Gewinnerzielung dar. Insbesondere die Errichtung der Staatsmonopole war in hohem Maße vom Zusammenhang zwischen Monopol- und Finanzwesen geprägt (Finanzmonopol)115. Fiskalische Überlegungen waren Hauptmotiv für die Errichtung des Tabak-, Branntwein-, Salz- und Glücksspielmonopols116. Wirtschaftspolitik: Dass mit öffentlichen Unternehmen auch Wirtschaftspolitik betrieben werden kann, liegt auf der Hand. Insbesondere die nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommenen Verstaatlichungen sind auch in diesem Licht zu sehen. Bei der Beteiligung des Bundes an privaten Rechtsträgern müssen gemäß § 59 Abs 1 Z 1 BHG wirtschaftspolitische Überlegungen sogar im Vordergrund stehen. So darf der Bund Beteiligungen an privatrechtlich organisierten Gesellschaften und Genossenschaften nur erwerben, wenn damit „einem wichtigen volkswirtschaftlichen Anliegen“ entsprochen werden kann. Die Rolle, die öffentliche Unternehmen im Rahmen der Wirtschaftspolitik spielen können, ist heute durch das (europäische) Wettbewerbsrecht freilich beschränkt. Verwaltungstätigkeiten: Öffentliche Unternehmen werden auch gegründet, um Verwaltungstätigkeiten effizienter zu erfüllen, als dies bei einer Wahrnehmung der entsprechenden Aufgabe durch die öffentliche Hand selbst der Fall ist („Abstoßen der Hoheitsverwaltung“).

IV. Ausgliederung und Privatisierung A. Ausgliederung Der Begriff Ausgliederung kann typisierend dahin definiert werden, dass Aufgaben nicht mehr vom Verwaltungsapparat einer Gebietskörperschaft wahrgenommen, sondern auf einen für die Aufgabenerfüllung eigens geschaffenen, von der öffentlichen Hand kontrollierten Rechtsträger übertragen werden117. Es findet mithin eine organisatorische, haushaltsmäßig-wirtschaftliche

115 116 117

Wenger (FN 10), Rz 33; Raschauer, Monopolunternehmen, ZfV 1987, 1 (2). Vgl dazu grundlegend Mayer, Staatsmonopole, 1976, 10ff. Vgl Binder, Der Staat als Träger von Privatrechten, 1980, 186; Funk, Allgemeine verwaltungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Probleme, in: derselbe (Hrsg), Die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1981, 1 (8f).

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Verlagerung und Verselbstständigung von Verwaltungseinheiten statt118. Funktional ist - einen hinreichenden Einfluss auf die Willensbildung vorausgesetzt die ausgliedernde Gebietskörperschaft Unternehmensträgerin, organisatorisch der betreffende Rechtsträger. Als häufigste Ausgliederungsmotive gelten119: • die Flexibilisierung von Entscheidungsprozessen auf Grund strafferer Führungsorganisation; • die gesteigerte Möglichkeit wirtschaftlicher Geschäftsführung durch die Zurückdrängung des politischen Einflusses (Entpolitisierung der Aufgabenfelder); • die Stärkung des Wirtschaftlichkeitsprinzips durch längerfristige Planung; • die Abkoppelung der Personalpolitik vom relativ starren Dienst- und Arbeitsrecht des Trägergemeinwesens (unternehmensorientierte Personalpolitik); • die erhöhten Kooperationsmöglichkeiten des Unternehmens; • die Ermöglichung außerbudgetärer Finanzierungen; • die Einhaltung der Maastricht-Konvergenzkriterien. Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Betrauung ausgegliederter Rechtsträger mit Angelegenheiten der nicht-hoheitlichen Verwaltung kann positiv beantwortet werden120. Dies ergibt sich ua aus der Kontrollzuständigkeit des RH, die auch ausgegliederte Unternehmen erfasst. Da die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch ausgegliederte, in den Formen des Privatrechts handelnde Rechtsträger - also die unmittelbare Aufgabenerfüllung selbst - keinen Fall von Verwaltung iSd B-VG (mehr) darstellt121, greifen die die Vollziehung determinierenden, verfassungsrechtlichen Bindungen wie zB das Weisungsprinzip (Art 20 Abs 1 B-VG), die Amtsverschwiegenheit (Art 20 Abs 3 B-VG) und die Auskunftspflicht (Art 20 Abs 4 B-VG) hinsichtlich der entsprechenden Tätigkeiten nicht. Lediglich die Verwaltung von Anteilsrechten des ausgegliederten öffentlichen Unternehmens und sonsti118

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Vgl nur die Bundesrechenzentrum GmbH, die Landwirtschaftliche Bundesversuchswirtschaften GmbH, die Staatsdruckerei und Print Media AG, die BIG mbH, die Eisenbahn-Hochleistungs-AG, die Österreichische Bundesforste AG, die ÖBB, die Austro Control GmbH, die Burgtheater GmbH, die Wiener Staatsoper GmbH, die Volksoper Wien GmbH, die Theaterservice GmbH sowie die Gesellschaft öffentlichen Rechts „Spanische Hofreitschule - Bundesgestüt Piber“. Vgl zB Puck, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch juristische Personen des Privatrechts, die von der öffentlichen Hand beherrscht werden, in: Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft (Hrsg), Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Privatrechtssubjekte, Schriftenreihe der Bundeskammer, oJ, 9 (15); Binder (FN 117), 196f; Aicher (FN 113), 213f; Funk, Sondergesellschaften in der Bundesverwaltung, ÖZW 1984, 65 (75); derselbe (FN 117), 29ff; Wimmer, Die Ausgliederung von Gemeindebetrieben, ÖGZ 1993, H 9, 2 (4); Atzmüller, Entpolitisierung kommunaler Unternehmen durch Ausgliederung und Neugründung?, in: Strunz/Fohler-Norek/ Edtstadler (Hrsg), Öffentliche Verwaltung im Wandel, 1996, 341ff. Potacs (FN 46), Rz 909. VfSlg 14.075/1995. Funk (FN 117), 1ff; Adamovich/Funk (FN 82), 235; Aicher/Schuster, Die Errichtung und der Betrieb von Gemeindeunternehmen sowie die Erbringung von kommunalen Dienstleistungen unter dem Gesichtspunkt des Artikels 90 EG-Vertrag, in: Neuhofer (Hrsg), Die Gemeinde unter EU-Recht, 1994, 117 (119).

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ges Ingerenzverhalten sind der Trägergebietskörperschaft zuzurechnen und stellen Vollziehung dar. Regie- und Eigenunternehmen sowie Beliehene bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten üben hingegen Verwaltungstätigkeiten iSd B-VG aus. Ausgegliederte Rechtsträger können sich bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch nicht-hoheitliches Handeln mangels Geltung des Legalitätsprinzips122 auch außerhalb gesetzlich entsprechend determinierter organisatorischer, verfahrensmäßiger und inhaltlicher Ermächtigung im Rahmen des allgemeinen Privatrechts bewegen123. Das Gesetz ist „nicht Voraussetzung, sondern Schranke“ des Handelns124. Hinsichtlich der Frage nach der Grundrechtsgebundenheit ausgegliederter öffentlicher Unternehmen bei der Wahrnehmung nicht-hoheitlicher Tätigkeiten (Fiskalgeltung der Grundrechte) wird einerseits die Meinung vertreten, dass die Auslagerung der Verwaltungsagenden den Grundrechtsschutz des Privaten nicht schmälern könne. Ausschlaggebend dafür sei die aus der Staatlichkeit öffentlicher Unternehmen erfließende Übermacht gegenüber dem Einzelnen, die auch nach einer Ausgliederung herrsche125. Andererseits wird die Ansicht vertreten, dass abgestufte Grundrechtsbindungen bestünden, je nachdem, ob es sich um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts handle und in welchem Ausmaß die Trägergebietskörperschaft am ausgegliederten Rechtsträger beteiligt sei126. Der OGH leitet aus dem Gleichheitssatz jedenfalls überall dort, wo die faktische Übermacht eines Beteiligten bei bloß formaler Parität die Möglichkeit der Fremdbestimmung über andere eröffnet, einen Kontrahierungszwang zu angemessenen inhaltlichen Bedingungen für öffentliche Unternehmen ab127. Grenzen für die Ausgliederung öffentlicher Aufgaben ergeben sich insbesondere aus der Kompetenzverteilung, den Grundrechten und dem verfassungsrechtlichen Effizienzprinzip128. Ausgegliederte Rechtsträger können auch mit der Besorgung hoheitlich wahrzunehmender öffentlicher Aufgaben betraut und als Beliehene129 in die öffentliche Verwaltung eingegliedert werden. Nach der Judikatur des VfGH gelten für die Beleihung ausgegliederter Rechtsträger (zB OeNB, Austro 122 123

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Nachweise bei Korinek/Holoubek (FN 15), 68f; Antoniolli/Koja (FN 103), 246. VfSlg 7717/1975. An das allgemeine Effizienzgebot der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit staatlichen Handelns sind ausgegliederte Rechtsträger natürlich gebunden. VfSlg 7716/1975. Holoubek, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konsequenzen der Ausgliederung, Privatisierung und Beleihung, ÖZW 2000, 33 (39). So insb Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54, 1995, 165 (191f). ZB Korinek/Holoubek (FN 15), 163ff. Für viele OGH 30. 11. 1993, 4 Ob 146/93. Potacs (FN 46), Rz 909. Zu den Grenzen der Ausgliederung Kucsko-Stadlmayer, 15. ÖJT 2003, Bd I/1, 2003. Zum Begriff der Beleihung als Betrauung privater natürlicher oder juristischer Personen mit der Befugnis zur Erlassung von Hoheitsakten in eigener Entscheidungskompetenz vgl mit zahlreichen weiteren Nachweisen Krajcsir, Staatliche Hoheitsverwaltung durch Private, 1999, 95f, 123.

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Control GmbH, Telekom Regulierungs-GmbH, Schienen-Control GmbH, Energie-Control GmbH) folgende, verfassungsrechtliche Vorgaben: Hoheitliches Handeln kommt für ausgegliederte Unternehmen immer nur dann in Betracht, wenn sie dazu ausdrücklich durch Gesetz130 befugt sind. Die Beleihung muss dem aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeits-131 und dem Effizienzgebot entsprechen. Außerdem dürfen Beleihungen nur für „vereinzelte Aufgaben“, nicht jedoch für ganze Verwaltungsbereiche, vorgenommen werden132. Auch die Notwendigkeit der Unterstellung unter ein verantwortliches oberstes Organ (zB Aufsichts- und Weisungsrechte, Berichtspflichten) stellt eine verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Betrauung ausgegliederter Unternehmen mit hoheitlichen Aufgaben dar133. Damit soll der Ausdünnung der parlamentarischen Kontrolle, die sich nur auf Verwaltungstätigkeiten bezieht, entgegengewirkt werden. Staatliche „Kernaufgaben“ - etwa die Vorsorge für die innere und äußere Sicherheit und die Ausübung der (Verwaltungs)Strafgewalt134 - sind (privatisierungs- und) „ausgliederungsfest“135. Im Einzelnen ergeben sich hier freilich nicht unerhebliche Abgrenzungs- und Begründungsschwierigkeiten136. Die Lehre zieht die Grenzen der zulässigen Beleihung öffentlicher Unternehmen zT erheblich enger als der Gerichtshof137. Insbesondere der sich aus den Art 20 und 77 B-VG ergebenden Leitungsbefugnis (Weisungsbefugnis, Personalhoheit, Organisations- und Finanzgewalt) und dem Verantwortungszusammenhang gegenüber den obersten Organen entspricht es nach dieser Ansicht nicht, wenn als „nachgeordnete Dienststelle“ eine Kapitalgesellschaft zum Einsatz gebracht wird. Überhaupt dürfen nach dieser strengeren Meinung hoheitliche Aufgaben von ausgegliederten Unternehmen nur in einem engen, durch historische Interpretation zu ermittelnden Umfang wahrgenommen werden138.

B. Privatisierung Seitdem die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Wirtschaftstätigkeit besteht, spielt auch der Begriff der Privatisierung eine Rolle. Es handelt sich dabei um einen schillernden, zT ideologisch gefärbten Terminus, unter dem heute nicht mehr nur ein Eigentumsübergang aus dem öffentlichen in den privaten Sektor verstanden wird. Vielmehr findet der Begriff in einer Vielzahl 130 131 132 133 134

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Vgl VfSlg 7717/1975. Vgl zu Beleihungen auch VfSlg 2332/1952, 4413/1963. Dazu VfSlg 8457/1978, 11.369/1987, 11.693/1988. VfSlg 3685/1960, 10.213/1984. VfSlg 14.473/1996; 16.400/2001. Dazu Korinek, Staatsrechtliche Bedingungen und Grenzen der Ausgliederung und Beleihung, ÖZW 2000, 46 (52f). VfSlg 14.473/1996. S auch VfSlg 17. 341/2004 („Zivildienst“); dazu Baumgartner, Ausgliederung der Zivildienstverwaltung - eine juristische Nachlese, FS Schäffer, 2006, 69. Rill, Grenzen der Ausgliederung behördlicher Aufgaben aus der unmittelbaren Staatsverwaltung - Überlegungen anläßlich der geplanten Betrauung eines eigenen Rechtsträgers mit der Wertpapieraufsicht, ÖBA 1996, 748 (754). Für viele Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006, 176ff mwN. Raschauer, Keine Grenzen für Privatisierungen?, ecolex 1994, 434. Raschauer (FN 137), 434. AA Rill (FN 135), 752f.

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von divergierenden139, für die betroffenen öffentlichen Unternehmen mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen verbundenen Sinngehalten Verwendung. Definitionen des Begriffs Privatisierung sind selten. Meist begnügt man sich damit, verschiedene Arten der Privatisierung voneinander zu unterscheiden. In Österreich begann die heute noch nachwirkende Privatisierungsdiskussion zu Beginn der 1980’er Jahre140 vor allem als Reaktion auf wirtschaftliche Probleme der verstaatlichten Industrie. Nach dem Vorbild der Entwicklungen insbesondere in Großbritannien und Deutschland wurden seit 1987 auch in Österreich immer wieder bedeutende Privatisierungsmaßnahmen gesetzt141. In jüngster Zeit sind Privatisierungen wieder vermehrt Gegenstand der österreichischen (Wirtschafts)Politik. Die Motive für Privatisierungen142 klingen ähnlich wie jene für Ausgliederungen. Im Vordergrund steht häufig die Budgetentlastung öffentlicher Haushalte durch die Erzielung von Staatseinnahmen. Dazu kommt, dass von privatisierten Unternehmen höhere Effizienz und mehr Flexibilität erwartet werden. Auch bessere rechtliche Rahmenbedingungen für die jeweilige Aufgabenwahrnehmung in Form geeigneterer, privater Organisationsstrukturen sind Gründe für Privatisierungen. Das Thema Privatisierung betrifft zwei verschiedene Fragenkomplexe. Zum einen steht die Verringerung des Leistungsangebots öffentlicher Verwaltungen und öffentlicher Unternehmen im Zentrum, zum anderen geht es um die Übertragung öffentlichen Eigentums auf private Personen oder Unternehmen143. Hierauf aufbauend kann insbesondere144 die Vermögens- von der Leistungs139 140

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Vgl Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, 20ff. Zu früheren Privatisierungen vgl Smekal, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag - Finanzwissenschaftliche Analyse, in: Morscher/Smekal, Kommunale Unternehmungen zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem Auftrag, 1982, 85 (145 f). Vgl dazu Schauer, Privatisierung in Österreich - Stand der Entwicklung und wirtschaftliche Hintergründe, in: Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (Hrsg), Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft in Österreich, 1992, 77 (78, 83f). Dazu Eschenbach/Müller/Gabriel (Hrsg), Privatisierung öffentlicher Leistungen, 1993, 34; Hengstschläger (FN 125), 166ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54, 1995, 204 (215ff). Kritisch dazu Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg), Privatisierungsdogma widerspricht Sozialer Marktwirtschaft, 1994; dieselbe, (Hrsg), Öffentliche Unternehmen - eine Alternative zur Privatisierung, 1996. Vgl auch Lee (FN 139), 46ff. Eichhorn/von Loesch, Privatisierung, in: Chmielewicz/Eichhorn (Hrsg), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, 1989, 1302 (1303). Schauer (FN 141), 78 weist darauf hin, dass über 15 verschiedene Bedeutungen des Wortes „Privatisierung“ dokumentiert sind. Vgl auch die relativ jungen Begriffe der Finanzprivatisierung, funktionellen Privatisierung, Verfahrensprivatisierung und Gewährleistungsprivatisierung, die zT Formen der von Privaten und der Verwaltung arbeitsteilig und kooperativ wahrgenommenen Aufgabenerledigung bezeichnen. Dazu für viele Schuppert, Geändertes Staatsverständnis als Grundlage des Organisationswandels öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, in: Budäus (Hrsg), Organisationswandel öffentlicher Aufgabenträger, 1998, 19 (23f); Reichard, Institutio-

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privatisierung unterschieden werden145. Leistungsprivatisierung ist wiederum der Oberbegriff für die so genannte Organisationsprivatisierung (formelle bzw unechte Privatisierung) einerseits und die Aufgabenprivatisierung (materielle bzw echte Privatisierung) andererseits. • Im Rahmen einer Vermögensprivatisierung kommt es zur Übertragung von öffentlichem Eigentum (Anteilsrechten an öffentlichen Unternehmen) auf Private im Wege einer Voll- oder Teilprivatisierung146. Die Teilprivatisierung führt zu gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, bei denen es nicht selten zum Konflikt zwischen erwerbswirtschaftlichen und den von der öffentlichen Aufgabenerfüllung geprägten Zielsetzungen kommt. Überwiegend stehen aber auch bei einer Teilprivatisierung finanzwirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund (Abbau von Budgetdefiziten)147. • Bei der Organisationsprivatisierung verbleibt die Verantwortung für eine Verwaltungsaufgabe grundsätzlich in der Hand des Verwaltungsträgers. Dieser betraut mit ihrer Durchführung einen privatrechtlich organisierten Rechtsträger (insbesondere AG, GmbH), der in seinem Eigentum steht148. Eine Eigentumsübertragung vom öffentlichen Sektor auf private Personen oder Institutionen findet nicht statt149. • Die Aufgabenprivatisierung wird durch einen materiellen Übergang der Verwaltungsaufgabe vom Verwaltungsträger auf den privaten Rechtsträger charakterisiert. Soll die Verwaltungsaufgabe nach Ansicht der öffentlichen Hand nach ihrer Überführung auf den Privaten als solche weiterbestehen, kann der Verwaltungsträger eine fortbestehende Verwaltungsverantwortung statuieren150. Wird dies nicht gewünscht, richtet sich die Durchführung der Verwaltungstätigkeit nach einer Aufgabenprivatisierung nach dem Marktgeschehen151. Dies kann letztlich auch das Ende der Verwaltungsaufgabe zur Folge haben.

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nelle Wahlmöglichkeiten bei der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung, in: Budäus (Hrsg), Organisationswandel öffentlicher Aufgabenträger, 1998, 121 (122ff). Vgl dazu etwa Morscher (FN 21), 63ff; Hengstschläger (FN 125), 170; Stolzlechner, Privatisierung staatlicher Verwaltungsaufgaben und Kontrolle durch die Volksanwaltschaft, ZfV 1997, 1 (2f); Peine, Grenzen der Privatisierung, DÖV 1997, 353 (354f); Kraus, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1997, 104f. Zu Vermögensprivatisierungen kam es in Österreich insb seit dem Ende der 1980’er Jahre im Bereich der „Verstaatlichten“. Demgemäß wird gesetzlich oft die „bestmögliche Veräußerung“ von Bundesanteilen an öffentlichen Unternehmen vorgeschrieben. Vgl für die CA und Länderbank Art I BGBl 1991/163, für die Schönbrunner Tiergarten-GmbH § 2 Abs 1 BGBl 1991/420 idF BGBl 1994/117. So zB geschehen bei der Bau- und Liegenschaftsverwaltung des Bundes (Bundesimmobilien GmbH, Schönbrunner Tiergarten-GmbH), der Luftraumüberwachung (Austro Control GmbH), der Arbeitsmarktverwaltung (AMS), der Post- und Telegraphenverwaltung (Post und Telekom Austria AG) sowie der Forstverwaltung (Österreichische Bundesforste AG). Vgl Obermann/Scharmer/Soukup, Budgetäre Auswirkungen von Ausgliederungen aus dem öffentlichen Haushalt, ÖHW 1993, 180 (183). Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54, 1995, 243 (277ff); Wimmer (FN 50), 34. Vgl dazu Hamer/Gebhardt, Privatisierungspraxis - Hilfe zur Umstellung von Staatsauf Privatwirtschaft2, 1992, 74 ff; Obermann/Scharmer/Soukup (FN 149), 183.

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Hinsichtlich einer Grenze für Privatisierungen wurde in der Literatur vor allem auf die so genannten „genuinen Staatsaufgaben“ verwiesen152. Aufgaben aus diesem Bereich dürften nicht auf Private übertragen werden. Was zum Kreis genuiner Staatsaufgaben zählt, ist freilich umstritten (Landesverteidigung, Auswärtige Gewalt, Gesetzgebung und Rechtsprechung, Polizei, Finanzverwaltung etc). In diesem Zusammenhang ist mittlerweile auch auf die dargestellte Judikatur des VfGH zu den Grenzen für Ausgliederungen zu verweisen („staatliche Kernaufgaben“).

C. Ausgliederung, Privatisierung und Vergaberecht 1. Vorbemerkung Das Vergaberecht ist im Zusammenhang mit Ausgliederungen und Privatisierungen unter verschiedenen Aspekten von Bedeutung. So kann mittels Durchführung eines Vergabeverfahrens etwa vermieden werden, dass der Verkauf eines öffentlichen Unternehmens beihilferechtliche Bedenken auslöst153. Finanzielle Kompensationen durch den Staat für - nach wie vor häufig von (ausgegliederten) öffentlichen Unternehmen erbrachte - gemeinwirtschaftliche Leistungen begegnen dann (mit Sicherheit) keinen beihilferechtlichen Problemen, wenn die entsprechenden Dienste ausgeschrieben wurden154. Schließlich sollen ganze Sektoren, wie der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), in dem zahlreiche öffentliche Unternehmen meist in der Form von GmbH oder GmbH & Co KG agieren, mittels Vergaberecht liberalisiert werden. Zu guter Letzt ist zur „Wahrnehmung von Aufgaben auf dem Gebiet des Beschaffungswesens mit dem Ziel einer ökonomisch sinnvollen Volumens- und Bedarfsbündelung zur Optimierung der Einkaufsbedingungen des Bundes nach wirtschaftlichen und qualitativen Kriterien“ im Jahr 2001 die Bundesbeschaffung GmbH (BBG) als ausgegliederte, 100%-ige Tochter des BMF gegründet worden155. Alles in allem kann somit festgestellt werden, dass das Vergaberecht heute im Zusammenhang mit öffentlichen Unternehmen und deren Ausgliederung und Privatisierung mannigfache Aufgaben zu erfüllen imstande ist, die weit über den Aspekt einer kostengünstigen Beschaffung hinausreichen. Im Folgenden ist nicht der Raum, vergaberechtliche Aspekte ausgegliederter Unternehmen umfassend und einlässlich zu erörtern. Auf zwei Aspekte soll aber etwas näher eingegangen werden. Sie betreffen die Vergabe von Leistungen an ausgegliederte Unternehmen im Wege der so genannten In-houseVergabe und die Vergabe von Leistungen durch ausgegliederte Rechtsträger. Beide Bereiche sind in erheblichem Maße den Entwicklungen auf Ebene des Gemeinschaftsrechts unterworfen, wobei jener der In-house-Vergabe in jüngerer Zeit durch die Rechtsprechung des EuGH wesentlich vorangetrieben wurde. 152

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Hengstschläger (FN 125), 174f; Steegmann, Die Privatisierung polizeilicher Aufgaben, in: Gusy (Hrsg), Privatisierung von Staatsaufgaben: Kriterien - Grenzen - Folgen, 1998, 237 (243). Vgl dazu Kahl, Beihilfen in der Daseinsvorsorge, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg), Beihilfenrecht, 2004, 225 (259) mwN. EuGH Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747 (Rz 93). BGBl I 2001/39 idF BGBl I 2002/99.

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2. In-house-Vergabe Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Vergaberechts ist der Abschluss eines schriftlichen, entgeltlichen Vertrags zwischen beschaffender Stelle und Auftragnehmer. Das heißt, es sind übereinstimmende Willenserklärungen zweier verschiedener (juristischer) Personen erforderlich. An dieser „Drittstellung“ iS einer Eigenständigkeit des Auftragnehmers fehlt es, wenn sich der Vergabevorgang ausschließlich innerhalb des Verwaltungsbereichs abspielt. Eine solche Beschaffung eines Auftraggebers im Wege eigener Ressourcen wird als (echte) In-house-Vergabe bezeichnet. Auf In-house-Vergaben finden vergaberechtliche Bestimmungen mangels Vertragsschlusses keine Anwendung (teleologische Reduktion des Auftragbegriffs)156. Der gleiche Vorgang - also die Vergabe von Leistungen an „eigene“ Einheiten der Verwaltung - erfordert dann eine differenziertere Betrachtung, wenn der ins Auge gefasste Leistungserbringer aus dem Verwaltungsapparat ausgegliedert ist und damit etwa zwar im Eigentum der vergebenden Gebietskörperschaft steht, aber doch eine von dieser unterscheidbare Einrichtung darstellt. In einem solchen Fall ist ein Vertragsschluss - zumindest bei einer rein formalen Betrachtung - möglich (Quasi-In-house-Vergabe). Nach ursprünglicher Ansicht der Kommission157 sollten die zur In-houseVergabe aufgestellten Grundsätze auch dann gelten, wenn öffentliche Auftraggeber Leistungen von Rechtsträgern nachfragen, die zu 100% in ihrem Eigentum stehen (Organisationsprivatisierung)158 und ihre Tätigkeiten ausschließlich159 für den Auftraggeber erbringen (Quasi-In-house-Vergabe). Der EuGH ist dieser Ansicht nicht gänzlich gefolgt und hat in seinem Teckal-Urteil160 eine weniger strenge Sicht an den Tag gelegt. Danach sind die VergabeRL dann nicht anwendbar, „wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben“. Sowohl das Kriterium der „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ als auch jenes der Ausübung der Tätigkeit „im wesentlichen für die Gebietskörperschaft“161 wurden in der Zeit nach dem Urteil unter den verschiedensten Aspekten eingehend diskutiert, wobei bezüglich beider Kriterien jeweils verschiedene Auffassungen

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Vgl bereits GA La Pergola in der Rs C-360/96, BFI Holding BV, Slg 1998, I-6821 (Tz 38); GA Cosmas in Rs C-107/98, Teckal, Slg 1999, 8121 (Tz 52ff). Mitteilung der Kommission - Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union, KOM(98) 143 endg., 11. Die 100%ige Eigentümerschaft soll sicherstellen, dass es sich materiell betrachtet trotz Ausgliederung um einen rein verwaltungsinternen Vorgang handelt. Das Kriterium der ausschließlichen Tätigkeit für den öffentlichen Auftraggeber soll gewährleisten, dass der ausgegliederte Rechtsträger keinerlei andere Tätigkeiten am Markt entfaltet, und so Wettbewerbsverzerrungen vermeiden. EuGH Rs C-107/98, Teckal, Slg 1999, 8121 (Rz 50). Beide Kriterien müssen auch bei gemischt-öffentlichen Gesellschaften (Kooperationsvereinbarungen zwischen Einrichtungen des öffentlichen Rechts; dazu sogleich) erfüllt sein. EuGH, Rs C-84/03, Kommission/Spanien, Slg 2005, I-139 (Rz 38f).

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vertreten wurden162. In der Folgejudikatur zum Teckal-Urteil hat der EuGH die ursprünglich recht weit verstandene Möglichkeit zur Quasi-In-house-Vergabe schrittweise eingeschränkt.163 Mit seinem Urteil in der Rechtssache Stadt Halle beendete der Gerichtshof anders lautende Spekulationen und stellte klar, dass „die - auch nur minderheitliche - Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall aus[schließt], dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen“164. Im Falle gemischtwirtschaftlicher Unternehmen kommt eine Quasi-In-houseVergabe auf Grund möglicher Wettbewerbsverfälschungen somit nicht in Betracht. Im Parking-Brixen-Urteil konkretisierte der EuGH das Kontrollkriterium: Der Auftraggeber muss - unter Berücksichtigung sämtlicher Rechtsvorschriften und maßgebenden Umstände - die Möglichkeit haben, auf die Entscheidungen der Einrichtung einzuwirken, und zwar „sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen“165. Gegen eine entsprechende Kontrolle sprachen im konkreten Fall - im Sinne einer funktionellen Gesamtbetrachtung - die Natur der Aktiengesellschaft, deren Geschäftsführung (alleine) dem Vorstand obliegt und allfälligen Beeinflussungen somit nicht zugänglich ist166, die im konkreten Fall geplante baldige Öffnung der Gesellschaft für Fremdkapital sowie eine von der Gesellschaft sowohl in inhaltlicher als auch geographischer Hinsicht vorgenommene deutliche Ausweitung der Gesellschaftstätigkeit. Die wesentlichste im Parking-Brixen-Urteil enthaltene Beschränkung liegt in der Reduktion der für eine Quasi-In-house-Vergabe geeigneten Gesellschaftsformen; die Rechtsform der AG ist - wenn dem Vorstand die nach dem Gesellschaftsrecht übliche umfassende Geschäftsführungsautonomie eingeräumt ist für eine Quasi-In-house-Vergabe nicht geeignet167. Hinderlich für eine Quasi-In-house-Vergabe ist zudem die (teilweise) Veräußerung (Privatisierung) des leistungserbringenden Auftragnehmers an einen privaten Dritten (unmittelbar) nach der Vergabe. Dies hat der EuGH unter Verweis auf die andernfalls bestehende Möglichkeit der Umgehung des Vergaberechts in seinem Stadtgemeinde Mödling-Urteil klargestellt168. Beurteilungs162

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Für viele Eilmansberger, Vergaberechtliche Schranken von Ausgliederungen und Privatisierungen, JBl 2001, 562 (566); Heid, Exkurs: In-house-Vergabe, in: Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch des Vergaberechts2, 2005, 139 (141ff); Fruhmann, § 6, in: Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel (Hrsg), Bundesvergabegesetz 2002, 2005, Rz 112ff mwN. Im Carbotermo-Urteil hat der EuGH festgestellt, dass das Wesentlichkeitskriterium nicht nach der 80%-Regel des Art 13 RL 93/38/EWG zu prüfen ist (EuGH 11. 5. 2006, Rs C-340/04, Carbotermo, Rz 57). Zusammenfassend Bauer, In-House-Vergabe: Slimmed Fast, ecolex 2006, 107. EuGH Rs C-26/03, Stadt Halle, Slg 2005, I-1 (Rz 49). Dazu Potacs, Neubestimmung der In-house-Vergabe, ZfV 2005, 513 mit Verweis auf Fruhmann. EuGH Rs C-458/03, Parking Brixen GmbH, Slg 2005, I-8612 (Rz 65). In diesem Sinne auch EuGH 11. 5. 2006, Rs C-340/04, Carbotermo, Rz 36 ff. S auch EuGH 11. 5. 2006, Rs C-340/04, Carbotermo, Rz 38. S aber auch EuGH 6.4.2006, Rs C-410/04, ANAV. EuGH Rs C-29/04, Kommission/Österreich, Slg 2005, I-9705 (Rz 38ff).

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zeitpunkt für die Zulässigkeit des Vergabevorgangs ist mithin wegen der Besonderheit des konkreten Falls (Umgehungsabsicht) nicht der Zeitpunkt der Auftragsvergabe; vielmehr sind auch unmittelbar nach der Vergabe unternommene (Umgehungs)Handlungen zu berücksichtigen. Anknüpfend an seine Entscheidung Kommission/Spanien in der der EuGH erkannte, dass auch im Falle einer öffentlich-öffentlichen Partnerschaft (interkommunale Zusammenarbeit) bezüglich einer Quasi-In-house-Vergabe die Teckal-Kriterien einschlägig sind, präzisierte der Gerichtshof diese Kriterien in seinem Carbotermo-Urteil für solche Partnerschaften. Er stellte fest, dass das Kontrollkriterium aus europarechtlicher Sicht auch von gemischt-öffentlichen Unternehmen erfüllt werden könne und zwar auch im Falle indirekter Beteiligungen (Vergabe an eine Enkelgesellschaft)169. Dass der öffentliche Auftraggeber - ggf auch zusammen mit anderen Stellen - das gesamte Kapital der auftragnehmenden Gesellschaft hält, könne als Indiz dafür gewertet werden, dass er über diese Gesellschaft eine „Kontrolle wie über seine eigene Dienststelle“ ausübt. Auch nach Carbotermo bestehen allerdings nicht unerhebliche Unsicherheiten betreffend die konkrete Form einer vergabefreien interkommunalen Zusammenarbeit. Für die Beurteilung des Kontrollmaßstabs sind nach Ansicht des Gerichtshofs alle Rechtsvorschriften und maßgebenden Umstände, also etwa auch Satzungen, einschlägig. Die Gebietskörperschaft muss auf alle wesentlichen Ziele und Entscheidungen der Gesellschaft Einfluss nehmen. Was das Kriterium der im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft verrichteten Tätigkeit betrifft, hat der EuGH festgehalten, dass das Unternehmen - aus quantitativer und qualitativer Sicht - „hauptsächlich für diese Körperschaft tätig wird und jede andere Tätigkeit rein nebensächlich“ sein muss. Heranzuziehen sind alle Tätigkeiten, auch die für andere Anteilseigner. Im Ergebnis zeigt sich die Möglichkeit, von der Quasi-In-house-Vergabe Gebrauch zu machen, nach den in relativ kurzen Abständen ergangenen Entscheidungen des EuGH seit dem Teckal-Urteil doch deutlich beschränkt.

3. Die Auftragsvergabe durch (öffentliche) Unternehmen Sowohl im klassischen als auch im Sektorenbereich können öffentliche Unternehmen bei ihrer Auftragsvergabe an vergaberechtliche Bestimmungen gebunden sein. Im klassischen Bereich betrifft dies die so genannten „Einrichtungen öffentlichen Rechts“. Dieser Begriff soll zum Ausdruck bringen, dass diese Stellen mit der öffentlichen Hand in enger Verbindung stehen. Sie werden dem Vergaberecht unterworfen, weil nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass sie sich bei Beschaffungsvorgängen von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lassen. 169

EuGH Rs C-84/03, Kommission/Spanien, Slg 2005, I-139; EuGH 11. 5. 2006, Rs C340/04, Carbotermo. Vgl zu den Urteilen Müller, In-House-Vergaben kommen nicht zur Ruhe, ZVB 2005/112; Potacs, Neubestimmung der In-house-Vergabe, ZfV 2005, 513; Rieder/Reinthaler, Stadt Halle – Rechtsschutz gegen Direktvergabe und „Aus“ für private Beteiligungen, RdW 2005, 204; Storr, Public-Public-Partnerships, wbl 2005, 555; Egger, Neues vom EuGH: Öffentlich-öffentliche Partnerschaften vergabefrei? ÖGZ 8/2006, 18; Stempkowski, EU-Vergaberecht 2005: Ein Jahr der Entscheidungen …, RFG 2006/2.

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Erfasst sind vom Begriff der Einrichtungen öffentlichen Rechts insbesondere ausgegliederte Rechtsträger, von denen nach der oben vorgenommenen Definition zahlreiche als öffentliche Unternehmen zu beurteilen sein können (zB ORF, OeNB, Müllabfuhr). Um als Einrichtungen öffentlichen Rechts zu gelten, muss zumindest Teilrechtsfähigkeit vorliegen, die Einrichtung einer näher beschriebenen (§ 3 Abs 1 Z 2 BVergG 2006) staatlichen Beherrschung unterliegen und zu dem besonderen Zweck gegründet worden sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind. Im Mittelpunkt steht in der Regel die Frage nach einer Tätigkeit im Allgemeininteresse, also im öffentlichen Interesse (gemeinwohlorientierte Zielsetzung), sowie nach der Erfüllung von Aufgaben nicht gewerblicher Art, die dann vorliegt, wenn eine Einrichtung „sich von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt“170. Parameter, die in diese Richtung weisen, sind zB das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht, ein Mangel an Wettbewerb auf dem Markt, die Risikotragung durch andere als die Einrichtung selbst sowie deren Finanzierung aus öffentlichen Mitteln. Selbst dann, wenn die Wahrnehmung von Aufgaben nicht gewerblicher Art nur einen im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten der Einheit untergeordneten Stellenwert besitzt, vermag dies nichts daran zu ändern, dass eine Einrichtung öffentlichen Rechts vorliegt, die den vergaberechtlichen Bestimmungen unterworfen ist171 (Infektionstheorie)172. Im Sektorenbereich sind öffentliche Unternehmen dann Auftraggeber iSd BVergG 2006, wenn sie einer Sektorentätigkeit nachgehen. Dies sind zB die Bereitstellung und das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Gas und Wärme sowie von Trinkwasser und die Einspeisung von Gas und Wärme oder Trinkwasser in diese Netze. Weitere Sektorentätigkeiten finden sich insbesondere im Bereich der Verkehrsleistungen (zB ÖBB) und der Postdienste (zB Österreichische Post AG)173. Private Unternehmen fallen dann unter den Begriff des Sektorenauftraggebers, wenn sie ihre Sektorentätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben.

V. Öffentliche Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftssektoren A. Vorbemerkung In Österreich lassen sich öffentliche Unternehmen in zahlreichen wichtigen Wirtschaftssektoren ausmachen. Die Bandbreite ihrer Aktivitäten ist äußerst weit und reicht von der Wahrnehmung (defizitärer) öffentlicher Aufgaben bis hin zu vorwiegend erwerbswirtschaftlichen Betätigungen. Öffentliche Unter170 171 172

173

ZB EuGH Rs C-470/99, Universale-Bau, Slg 2002, I-11617 (Rz 52). EuGH Rs C-44/96, Mannesmann Anlagenbau Austria AG ua/Strohal Rotationsdruck GmbH, Slg 1998, I-73 (Rz 25 f). Griller/Tremmel, Ausgegliederte Rechtsträger im Vergaberecht - Alles oder Nichts?, ecolex 1998, 369; Heid, Geltungsbereich des Bundesvergabegesetzes, in: Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht2, 2005, 33 (41). Näher dazu §§ 167 bis 172 BVergG 2006.

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nehmen wurden seit jeher auch als Mittel der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik eingesetzt. Der diesbezügliche Spielraum wurde zwar durch den Beitritt Österreichs zum EWR und in der Folge zur EU durch die damit verbundene Übernahme des europäischen Wettbewerbsrechts erheblich eingeschränkt. Dennoch: Auch der EuGH sieht Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, als Instrumente der nationalen Wirtschafts- oder Fiskalpolitik174. Solche Unternehmen können zwar auch private Unternehmen sein, sind in der Regel jedoch öffentliche Unternehmen. Eine Entwicklung der letzten Jahre ist die vermehrte Schaffung ausgegliederter Rechtsträger als Rechtspersonen des Privatrechts, die zur Wahrnehmung marktregulierender Aufgaben auch mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind („Ausgliederung der Hoheitsverwaltung“). Solche Gesellschaften - meist in Form von GmbH - finden sich insbesondere in Wirtschaftsbereichen, in denen der Staat im Rahmen ehemaliger Monopole nicht nur die Erbringung der jeweiligen Dienstleistung selbst, sondern auch die für die Erbringung der Leistungen unverzichtbaren Infrastruktureinrichtungen betrieben hat. Voraussetzung einer Öffnung dieser Infrastruktursektoren für den Wettbewerb ist der diskriminierungsfreie Zugang zur Infrastrukturnutzung für neue, konkurrierende Anbieter. Eine besondere, von den neuen Regulierungsbehörden zu kontrollierende Gefahr liegt darin, dass die ehemaligen Monopolunternehmen ihre in den entstehenden Märkten (noch) marktbeherrschenden Stellungen missbrauchen, indem sie über die ihnen gehörende Infrastruktur selbst Leistungen erbringen, Konkurrenten aber bei der Nutzung der für die Erbringung der Leistung und somit für fairen Wettbewerb unverzichtbaren Infrastrukturen („essential facilities“) diskriminieren. Die Errichtung unabhängiger Regulierungsbehörden, die auch mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind, ist zum einen durch entsprechendes gemeinschaftliches Sekundärrecht bedingt, zum anderen dadurch, dass die Bewältigung der neuen Verwaltungsbereiche neben juristischem auch umfassenden technischen und wirtschaftlichen Sachverstand erfordert175. Als typische Beispiele seien die Bereiche Post, Telekommunikation, Eisenbahnverkehr sowie Elektrizitäts- und Gasversorgung genannt. Können die Regulierungsbehörden mangels Wahrnehmung wirtschaftlicher Tätigkeiten auch nur schwerlich als öffentliche Unternehmen qualifiziert werden, sollen sie dennoch am Ende dieses Beitrags kursorisch dargestellt werden. Dies erscheint nicht zuletzt deshalb gerechtfertigt, weil Motiv ihrer Schaffung neben dem Aspekt ihrer Unabhängigkeit und Sachkunde auch die Stärkung unternehmerischer Komponenten im Sinne des „New Public Management“ ist. 174 175

EuGH Rs C-202/88, Telekommunikationsendgeräte, Slg 1991, I-1223 (Rz 12); Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5834 (Rz 55). Vorbild sind die „Independent Regulatory Agencies“ des amerikanischen Verwaltungsrechts. Schäffer, Wirtschaftsaufsichtsrecht, in: Raschauer (Hrsg), Grundriss des österreichischen Wirtschaftsrechts2, 2003, Rz 506; Grabenwarter/Holoubek, Demokratie, Rechtsstaat und Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, ZfV 2000, 194 (199); Holoubek, Die Organisation der Medienregulierung im Lichte der Konvergenz, JRP 2000, 216 (219f).

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B. Die Elektrizitäts- und Gaswirtschaft 1. Elektrizitätswirtschaft Obwohl das Zweite VerstG176 nicht mehr in Kraft steht177, prägt es die österreichische Elektrizitätswirtschaft noch heute178. Dies liegt daran, dass der betroffene Wirtschaftssektor im Zuge seiner Verstaatlichung eine systematische Neuordnung erfahren hat. Der von den damals unmittelbar präsenten Erinnerungen an die Kriegszeit geprägte, tragende Gedanke war, eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Strom zu angemessenen Preisen im Wege öffentlicher Unternehmen sicherzustellen, wobei die Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) auf verschiedenen Ebenen angesiedelt waren. Zu ihnen zählten nach § 6 Zweites VerstG auf Bundesebene die Verbundgesellschaft (Herbeiführung eines Ausgleichs zwischen Erzeugung und Verbrauch im Verbundnetz), die Sondergesellschaften (Bau und Betrieb von Großkraftwerken), die Landesgesellschaften (Allgemeinversorgung in den Ländern) und die städtischen EVU der Landeshauptstädte Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz und Salzburg (Allgemeinversorgung in den Städten). Nicht zuletzt durch die gesetzliche Verteilung der Aufgaben auf die verschiedenen Unternehmen war die österreichische E-Wirtschaft nach dem Zweiten VerstG im Ergebnis ein geschlossenes System, dessen tragende Pfeiler einerseits ausschließliche Versorgungskonzessionen und den EVU exklusiv zugewiesene Versorgungsgebiete sowie andererseits allgemeine Anschlussund Versorgungspflichten der EVU zu einheitlichen Bedingungen waren. Dieses System war zudem durch eine administrative Strompreisfestsetzung charakterisiert. Das gesetzlich festgeschriebene Gebot, dass die Anteilsrechte an den EVU zu 100% im Eigentum der öffentlichen Hand stehen mussten, wurde 1987 ausschlaggebend waren budgetäre Engpässe - mit der so genannten „Privatisierungsnovelle“ beseitigt179. Die Möglichkeit, 49 bzw 50% der jeweiligen Anteilsrechte zu veräußern, führte in der Folge tatsächlich zur Realisierung entsprechender Privatisierungserlöse. Auf europäischer Ebene wurden beginnend mit dem Weißbuch „Der Binnenmarkt für Energie“180 Schritte zur Liberalisierung des Energie- und damit auch des Elektrizitätsmarktes gesetzt. Die wesentlichste gemeinschaftliche Regelung zur Verwirklichung dieses Zieles stellte die so genannte Elektrizitäts-BinnenmarktRL181 dar. Wesentlicher 176 177 178

179

180 181

BGBl 1947/81. Grundlage des Zweiten VerstG war Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG (Kriegsfolgentatbestand). Vgl dazu VfSlg 4570/1963, 4939/1965. Vgl § 4 Abs 2 BVG über die Eigentumsverhältnisse in der österreichischen Elektrizitätswirtschaft, Art 2 BGBl I 1998/143. Zur geschichtlichen Entwicklung der E-Wirtschaft und des Elektrizitätsrechts Steffek, Überblick über das österreichische Energierecht, RdE 1995, 64ff; Winkler, Das Elektrizitätsrecht, 2000, 45ff. BVG BGBl 1987/321. Seit dieser Novelle müssen sich die Anteile an der Verbundgesellschaft und an den Landesgesellschaften nur mehr zu 51% in öffentlichem Eigentum befinden. Bei Sondergesellschaften liegt die Schwelle bei 51 bzw 50%. Vgl §§ 3 Abs 3, 4 Abs 2 und 5 Abs 1 Zweites VerstG idF der zitierten Novelle. KOM(88) 238 endg. RL 96/92/EG betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, Abl 1997 L 27/20.

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Ansatzpunkt der RL, mit der die Ära nationaler Versorgungsmonopole beendet werden sollte, war eine funktionale Dreiteilung der E-Wirtschaft in die Bereiche Erzeugung, Übertragung und Verteilung von Strom. Die Schlüsselbestimmungen der RL betreffen die Beseitigung ausschließlicher Rechte für die Elektrizitätserzeugung, die funktionelle Entflechtung (Unbundling) der erwähnten Betriebsbereiche sowie den freien, nicht diskriminierenden Netzzugang, insbesondere für so genannte „zugelassene Kunden“. Da sich die erhofften Liberalisierungen nicht einstellten, wurde die ElektrizitätsBinnenmarktRL im Jahr 2003 durch die so genannte BeschleunigungsRL182 ersetzt. Diese sollte einen zweiten Liberalisierungsschub auslösen und enthält sowohl in zeitlicher als auch in rechtlicher Hinsicht engere Umsetzungsvorgaben (zB hinsichtlich des Unbundling und des Netzzugangs bzw der Zugangsverweigerung)183. Der hier interessierende, aus dem Blickwinkel der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft einschneidende Schritt wurde freilich bereits mit der der Elektrizitäts-BinnenmarktRL folgenden Systemumstellung gesetzt.

In Österreich haben die europarechtlichen Vorgaben dazu geführt, dass zunächst das Zweite VerstG mit Wirkung vom 19. 2. 1999, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Elektrizitäts-BinnenmarktRL, außer Kraft gesetzt wurde184 und die österreichische Elektrizitätswirtschaft auf der Grundlage des neu erlassenen Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG (ElWOG)185 eine tiefgreifende Neuordnung erfahren hat186. Das vor dem ElWOG im Zweiten VerstG enthalten gewesene Organisationsrecht iSd Mindestbeteiligung der öffentlichen Hand an den Elektrizitätsunternehmen wurde mit gleichem Inhalt in einem eigenen BVG geregelt187. Mit dem Inkrafttreten der im EnergieliberalisierungsG188 enthaltenen Novelle zum ElWOG wurden in der Folge erneut umfassende Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen vorgenommen189. Ins Spiel kamen neue Akteure, wie Bilanzgruppen, Regelzonenführer und ein unabhängiger Regulator. Vor allem aber wurde der Elektrizitätsmarkt mit 1. 10. 2001 - noch bevor dies die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen erforderten - vollständig geöffnet. Die Anpassung des ElWOG an die BeschleunigungsRL wurde im Jahr 2004 vorgenommen und betraf im Wesentlichen die gesellschaftsrechtliche Entflechtung auch der Verteilernetzbetreiber, die einem integrierten Unter182

183

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186 187 188 189

RL 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG, Abl L 176/37, idF RL 2004/85/EG, Abl L 236/10. Rabl, Energierechtsreform 2003 in Europa - endlich freier Strommarkt?, ecolex 2003, 877. Vgl dazu Schneider, Unbundling nach den neuen RL für den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt, ecolex 2004, 85; Hoffer/Marth, Energiewirtschaft - Umsetzung des Unbundling nach den BeschleunigungsRL, ecolex 2004, 89. Art 2 § 4 Abs 2 BGBl I 1998/143. BG, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz - ElWOG), Art 1 BGBl I 1998/143. Zum Elektrizitätswirtschaftsrecht ausführlich Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 13ff. Art 2 BGBl I 1998/143. BGBl I 2000/121. Dazu Schmelz/Tremmel, Willkommen im freien Markt?, ecolex 2000, 551; Pauger, Der zweite Liberalisierungsschub - rechtliche Gesamtbilanz, in: Pauger (Hrsg), Das Elektrizitätsrecht nach der ElWOG-Novelle, 2001, 3.

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nehmen angehörten190. Der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die (öffentlichen) Unternehmen liegt auf der Hand. Die Kardinalnormen des ElWOG sind jene über die Marktöffnung. Gemäß § 15 ElWOG haben Netzbetreiber den Berechtigten Netzzugang zu genehmigten Allgemeinen Bedingungen und zu bestimmten Systemnutzungstarifen (regulated third party access) zu gewähren, den Kunden steht ein entsprechender Anspruch zu (§ 17 ElWOG). Gemäß § 18 ElWOG müssen die Netzzugangsbedingungen nicht diskriminierend gestaltet sein und dürfen keine missbräuchlichen Praktiken oder ungerechtfertigten Beschränkungen enthalten. Nach der Stammfassung des ElWOG wurde der Kreis der zum Wettbewerb „zugelassenen Kunden“ schrittweise erhöht191. Im Sinne einer Vollliberalisierung sind nunmehr alle Kunden berechtigt, mit Erzeugern, Stromhändlern sowie Elektrizitätsunternehmen Verträge über die Lieferung von elektrischer Energie zur Deckung ihres Bedarfes zu schließen und hinsichtlich dieser Strommengen Netzzugang zu begehren. Die für eine Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes unverzichtbaren technischorganisatorischen Rahmenbedingungen betreffen vor allem die Übertragungs- und Verteilernetze. Die Übertragungsnetze sind in drei so genannte Regelzonen192 einzuteilen. Sie müssen - iSd Unbundling - einem unabhängigen Netzbetreiber (Regelzonenführer) übertragen werden, der für den Betrieb des Netzes verantwortlich ist (§§ 22 Abs 2, 23 ElWOG). Den Betreiber eines Übertragungsnetzes treffen besondere Pflichten. Er muss das System insbesondere sicher, zuverlässig, leistungsfähig und unter Bedachtnahme auf den Umweltschutz betreiben und erhalten. Als Ausgleich dafür steht ihm ein Entgelt einschließlich eines angemessenen Gewinnzuschlags zu. Nach der Stammfassung des ElWOG kam dem Betreiber eines Verteilernetzes das ausschließliche Recht der Allgemeinversorgung zu, was bedeutete, dass er innerhalb seines Gebietes die Stromversorgung aller „seiner“ Kunden durchführen konnte. Nach der Neufassung des ElWOG durch das EnergieliberalisierungsG hat ein Verteilernetzbetreiber (nur mehr) das Recht, innerhalb des von ihm abgedeckten Gebietes alle Endverbraucher und Erzeuger an sein Netz anzuschließen (Recht zum Netzanschluss; § 27 ElWOG). Auch die ursprünglich vorgesehene Versorgungspflicht hat sich zu einer allgemeinen Anschlusspflicht gewandelt. Um die Kosten für die Versorgung des Netzes mit Ausgleichsenergie möglichst verursachergerecht zu gestalten, sieht das ElWOG ein System von Bilanzgruppen vor, denen sich Erzeuger, Verbraucher und Lieferanten anzuschließen haben (§§ 46f). Innerhalb dieser virtuellen Gruppen kommt es zu einem statistischen Ausgleich zwischen dem vorweg pauschalierten Bedarf der Kunden und der Einspeisung der Erzeuger, da eine laufende Bedarfserfassung aller Kunden nicht wirtschaftlich wäre. Die wichtigste Aufgabe des Bilanzgruppenverantwortlichen besteht darin, den Energiesaldo der Gruppe festzustellen und dem Netzbetreiber weiterzugeben193. 190

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BGBl I 2004/63. Mit der Novelle des ElWOG, BGBl I 2005/44, wurde die Tätigkeit des Bilanzgruppenkoordinators auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt, nachdem der VfGH wesentliche Teile des VerrechnungsstellenG aufgehoben hatte, das die Aufgaben und Befugnisse der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für Ausgleichsenergie geregelt hatte (VfSlg 17.160/2004). Endverbraucher, deren Verbrauch im jeweils letzten Abrechnungsjahr 40 (ab 19. 2. 1999; ca 75 Verbraucher), 20 (ab 19. 2. 2000; ca 150 Verbraucher) bzw 9 (ab 19. 2. 2003) GWh überschritten hatte. Die Regelzonen gliedern sich gem §§ 22 ElWOG nach den Netzen der Austrian Power Grid GmbH (Ostösterreich), der Tiroler Wasserkraftwerke AG und der Vorarlberger Kraftwerke AG. Dazu Derler, Bilanzgruppen und Zusammenarbeit mit den Marktpartnern im freien Strommarkt, in: Pauger (Hrsg), Das Elektrizitätsrecht nach der ElWOG-Novelle,

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Mit der Erlassung des ElWOG wurde das die Lieferung elektrischer Energie betreffende Preisrecht aus dem Anwendungsbereich des PreisG 1992 herausgelöst194 und als unmittelbar anwendbares Bundesrecht - in die Stammfassung des ElWOG integriert (§ 33). Die Möglichkeit zur amtlichen Preisregelung wurde zunächst vor allem aufrecht erhalten, um eine Überwälzung der Erlöseinbrüche bei Großabnehmern auf Kleinverbraucher zu verhindern. Mit der vollständigen Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes wurde die amtliche Preisregelung systemkonform im Wesentlichen auf die Bestimmung des Systemnutzungstarifs beschränkt (§ 25 ElWOG).

Nach Ansicht des EuGH ist die Sicherstellung der „ununterbrochenen Stromversorgung im gesamten Konzessionsgebiet für alle Abnehmer, lokale Versorgungsunternehmen oder Endverbraucher, in den zu jeder Zeit geforderten Mengen zu einheitlichen Tarifen und unter Bedingungen ..., die nur nach objektiven Kriterien unterschiedlich sein dürfen, die für alle Kunden gelten“, eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse195. Was die Beschränkung der Vertragsvorschriften betrifft, ging der EuGH noch kurze Zeit vor dem Inkrafttreten der Elektrizitäts-BinnenmarktRL bei der Anwendung des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag großzügig vor und sah weder eine Aufteilung des Strommarktes zwischen Erzeugungs- und Versorgungsunternehmen noch die ausschließliche Bindung der lokalen Versorger an die regionalen Versorgungsunternehmen noch das Verbot des Strombezugs aus dem Ausland als mit dem Vertrag jedenfalls unvereinbar196. Mittlerweile zeigt sich der Anwendungsbereich des Art 86 Abs 2 EG-Vertrag durch die Elektrizitäts-BinnenmarktRL und die BeschleunigungsRL freilich erheblich beschränkt. In dem Maß, in dem sich aus sekundärrechtlichen Regelungen ergibt, dass die Sicherstellung der im öffentlichen Interesse gelegenen Dienstleistung einer qualitativ hochwertigen Versorgung mit Strom auch mit weniger schwerwiegenden Eingriffen in die Vertragsvorschriften zu bewerkstelligen ist, erscheinen massive Beschränkungen der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts nicht mehr verhältnismäßig. Gemäß § 4 ElWOG sind den Netzbetreibern und Elektrizitätsunternehmen als gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen insbesondere die nicht diskriminierende Behandlung aller Kunden, die allgemeine Anschlusspflicht, die Errichtung und Erhaltung einer ausreichenden Netzinfrastruktur, die Erfüllung der durch Rechtsvorschriften auferlegten Pflichten im öffentlichen Interesse sowie die Mitwirkung an Maßnahmen zur Beseitigung von Netzengpässen und an Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit, aufgetragen. Diese Aufzählung zeigt, dass es sich bei den erwähnten Pflichten nur in einem weitesten Sinne um gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen iSd Gemeinschaftsrechts, über weite Strecken jedoch um klassische Marktregulierung handelt. Nicht jede im öffentlichen Interesse auferlegte Handlungsbeschränkung ist als

194 195 196

2001, 81. S auch J. Mayer, Die Liberalisierung des österreichischen Elektrizitätsmarktes, in: Fremuth/Parak (Hrsg), Regulierung der Deregulierung von Infrastrukturmärkten, 2002, 183 (189f). Vgl Art 4 BGBl I 1998/143. EuGH Rs C-393/92, Almelo, Slg 1994, I-1477 (Rz 48). EuGH Rs C-157/94, Kommission/Niederlande, Slg 1997, I-5699; Rs C-158/94, Kommission/Italien, Slg 1997, I-5789; Rs C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg 1997, I-5815; Rs C-160/94, Kommission/Spanien, Slg 1997, I-5851.

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gemeinwirtschaftliche Verpflichtung zu qualifizieren. So entsprechen etwa Anschlusspflichten und Diskriminierungsverbote im Rahmen des Netzzugangs dem allgemeinen Grundsatz, dass (Netz)Monopolunternehmen ihre Vertragspartner nicht diskriminieren dürfen197. Der durch die Liberalisierung bewirkte Systemwandel im Elektrizitätswirtschaftsrecht, von dem vor allem öffentliche Unternehmen betroffen sind, lässt sich abschließend plastisch am Beispiel der Versorgungspflicht aufzeigen. Nach deren Abschaffung im Zuge der Vollliberalisierung wurde in der österreichischen Literatur - in Anknüpfung an gewohnte Traditionen im Elektrizitätsbereich - die Frage nach einer subsidiären Versorgungspflicht erhoben, also der Pflicht eines Unternehmens, einen Endkunden mit Energie zu beliefern, dem kein Netzzugang gewährt wird, unabhängig davon, warum dies der Fall ist198. Die Ableitung einer Versorgungspflicht aus der Möglichkeit der Zuweisung von Lieferanten oder Kunden zu einer Bilanzgruppe durch den Regulator wurde schließlich „unter Umständen“ für möglich gehalten199. Nunmehr würde Art 3 Abs 3 BeschleunigungsRL - anders als die Elektrizitäts-BinnenmarktRL - die Möglichkeit der Normierung eines Rechts auf Versorgung (Grundversorgung) mit Strom in Bezug auf Haushaltskunden bzw Kleinunternehmen vorsehen; der in der Abschaffung der Versorgungspflicht erblickte Paradigmenwechsel erscheint zumindest insofern auf europäischer Ebene nicht (mehr) bzw nur mehr beschränkt zu bestehen. Jedoch hat der österreichische Gesetzgeber keinerlei Änderungen betreffend die Versorgungspflicht unternommen200. Das Risiko, mangels Netzzugangs nicht durchgehend mit Energie beliefert zu werden, mag tatsächlich sehr gering sein, prinzipiell besteht es heute aber201, da es vom Markt abhängig ist202. Für die österreichischen Elektrizitätsversorgungsunternehmen hatte die geschilderte Entwicklung nicht nur zur Folge, dass sie sich den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechend, also iSd Unbundling, umorganisieren 197 198 199

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Holoubek, Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen in einem liberalisierten Markt, in: Mayer (Hrsg), Hauptfragen des Elektrizitätswirtschaftsrechts, 2003, 19 (23ff). Schmelz/Tremmel (FN 189), 552. Pauger, Reform des Strom- und Gasrechts durch das Energieliberalisierungsgesetz, ÖZW 2001, 2. Vgl auch Holoubek, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60, 2001, 513 (527 FN 64); ausführlich ders (FN 197), 27ff. Dies, obwohl in der Literatur hinsichtlich des Rechts auf Versorgung deutlich darauf hingewiesen wurde, dass die entsprechenden „konkreten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen für Energieversorger … derzeit nicht (mehr)“ bestünden und im ElWOG nur „ähnliche Verpflichtungen für Netzbetreiber“ als „Placebos“ normiert seien. Holoubek (FN 197), 34; Rabl (FN 182), 878. Nach dem Wegfall der Versorgungsmonopole im Zuge der Systemumstellung könnte eine Versorgungspflicht tatsächlich als „gemeinwirtschaftliche Pflicht“ eines betroffenen Unternehmens betrachtet werden. Vgl im Zusammenhang mit den Zielbestimmungen des § 3 ElWOG Raschauer (FN 186), 29. Vgl auch zum Ziel der Versorgungssicherheit den gleichnamigen Beitrag von Holoubek/Segalla, in: Nowotny/Parak/Scheucher (Hrsg), Handbuch der österreichischen Energiewirtschaft, 2004, 75. In jüngerer Zeit wird sowohl im Elektrizitäts- als auch im Erdgasbereich vermehrt Augenmerk auf eine Verbesserung der Versorgungssicherheit beim Betrieb von Energienetzen gelegt. Vgl dazu das Energie-VersorgungssicherheitsG 2006, BGBl I 106, durch das auch das EnergielenkungsG und das EBMG geändert wurden.

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mussten, sondern auch, dass sie heute insofern in nicht unerheblich veränderter Form bestehen, als es nicht nur vermehrt zu Verschränkungen und Fusionen, sondern auch zu (Teil)Verkäufen203, zT an ausländische Unternehmen, gekommen ist204. Ob die seit Jahren angekündigte (kleine) „Österreichische Stromlösung“ (Verbund und Energieversorger von Wien, Niederösterreich und Burgenland) realisiert wird, ist (noch) nicht klar.

2. Gaswirtschaft Die Entwicklungen in der Erdgaswirtschaft folgen jenen im Bereich der EWirtschaft. Auch im Gasbereich ist die Einführung von Wettbewerb deklariertes Ziel, das begonnen wurde, mit der Erdgas-BinnenmarktRL205 umzusetzen, und nunmehr auf der Grundlage einer diese ablösenden BeschleunigungsRL206 (weiter) verfolgt wird. Nach dem Erlassen der Erdgas-BinnenmarktRL wurden die gasrechtlichen Vorschriften vom österreichischen Gesetzgeber konzentriert und im GaswirtschaftsG (GWG)207 kodifiziert208. Auch hier stehen die Bestimmungen über den Netzzugang im Mittelpunkt. Erdgasunternehmen waren seit 10. 8. 2000 203

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Der Gemeinderat der Stadt Graz hat als Eigentümer der Grazer Stadtwerke AG 2002 beschlossen, die Teilbetriebe Strom, Erdgas und Fernwärme aus der Grazer Stadtwerke AG auszugliedern und in eine neue Gesellschaft, die Energie Graz, einzubringen. Die Energie Graz ist nunmehr eine Tochtergesellschaft der Grazer Stadtwerke AG, Energie Steiermark AG, sowie der Stadt Graz. Im Jahr 2002 verkaufte die Stadt Innsbruck 25% plus eine Aktie der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG (Stadtwerke) an die TIWAG. 2003 wurde der Geschäftsbereich Gas ausgegliedert und mit der TIGAS Erdgas Tirol GmbH fusioniert. In Linz wurden 2001 umfangreiche Umstrukturierungsmaßnahmen der städtischen Unternehmen (Errichtung einer Holding mit fünf operativen Gesellschaften mbH darunter auch die Elektrizitätsversorgung) mit dem Ziel der Effizienzsteigerung abgeschlossen. Im Februar 2006 wurde der Erwerb des 49%-Anteils der Verbundgesellschaft an der mit 1. 10. 2005 neu gegründeten Energie Klagenfurt GmbH abgeschlossen, in der die Strom-, Wärme- und Gasaktivitäten der Stadtwerke AG gebündelt worden waren. Das Vermögen der Salzburger Stadtwerke AG wurde im Jahr 2000 als Ganzes in die übernehmende Landesgesellschaft (SAFE) eingebracht, sodass das im Zweiten VerstG erwähnte städtische Elektrizitätsunternehmen in Salzburg nicht mehr existiert. Vgl auch den Teilverkauf der KELAG: 63,85% Kärntner Energieholding Beteiligungs GmbH (51% Land Kärnten, 49% RWE Energy), 35,12% Verbund, 0,03% Kärntner Stadtgemeinden. Vgl auch die Auflistung bei Raschauer (FN 186), 26ff. RL 98/30/EG betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, Abl 204/1. Dazu Heidinger/Schneider, Wettbewerb gibt Gas, ecolex 1998, 807; Pauger, Reform des Strom- und Gasrechts durch das Energieliberalisierungsgesetz, ÖZW 2000, 97 (98f). RL 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG, Abl L 176/57. Art 1 EnergieliberalisierungsG, BGBl I 2000/121. Zeitpunkt des Inkrafttretens war der 10. 8. 2000. Vgl dazu die Änderungen der GewO 1994, des RohrleitungsG, des PreisG 1992 und des ReichshaftpflichtG in den Art 2 bis 6 leg cit. Zum Gasrecht ausführlich Raschauer (FN 186), 147ff. Zu aktuellen Fragen des Gaswirtschaftsrechts der gleichnamige Tagungsband von Potacs (Hrsg), 2005.

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verpflichtet, zugelassenen Kunden Netzzugang zu gewähren. Diese konnten Bezugsverträge mit in- und ausländischen Gasversorgern ihrer Wahl abschließen. Seit 1. 10. 2002 - also noch bevor dies gemeinschaftsrechtlich geboten war - ist der Gasmarkt vollständig liberalisiert209. Auch im Bereich der Gaswirtschaft wurde vom österreichischen Gesetzgeber das Modell des geregelten Netzzugangs (Zugang zu genehmigten Allgemeinen Bedingungen und veröffentlichten Netzzugangstarifen) gewählt. Die Bestimmungen über die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, die rechnerische Entflechtung integrierter Erdgasunternehmen und die Pflichten der Netzbetreiber sind analog zu den entsprechenden elektrizitätsrechtlichen Bestimmungen gestaltet. Mittlerweile verfügen E-Wirtschaft und Gaswirtschaft über gemeinsame Regulierungsbehörden, die Energie-Control GmbH und die Energie-Control Kommission. Analog zum Bereich der Elektrizitätswirtschaft wird auch die Versorgung mit Erdgas über weite Strecken von auf Landes- bzw Stadtebene eingerichteten, häufig öffentlichen Unternehmen besorgt. Allerdings kommt es laufend zu Ausgliederungen, (Teil)Verkäufen und Restrukturierungen, auch in der Form wechselseitiger Beteiligungen210, sodass manchmal erst nach eingehenderen Recherchen festgestellt werden kann, ob die öffentliche Hand tatsächlich (noch) die Anteilsmehrheit hält. Am bedeutendsten Erdgasunternehmen, der OMV, die sich wiederum in mehrere Gesellschaften gliedert (zB Gas-Fernleitung, Rohöl-Auffindung), hält der Bund über die ÖIAG (nur) noch 31,5%. Im Mai 2006 wurden Pläne bekannt, die OMV und die Verbundgesellschaft zu einem großen „EnergiePlayer“ zusammenzuführen. Die in einem BVG festgeschriebene Mehrheit der öffentlichen Hand an der Verbundgesellschaft hätte dann aufgegeben werden müssen. Derzeit werden die Fusionspläne nicht mehr verfolgt.

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§ 1 Abs 3 BG betreffend den stufenweisen Übergang zu der im Gaswirtschaftsgesetz vorgesehenen Marktorganisation. Vgl nur die Herausnahme und Fusion des Gasbereichs der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG mit der TIGAS Erdgas Tirol GmbH. Vgl weiters folgende Unternehmen(sbeteiligungen): TIGAS (85,9993% TIWAG, 14% IKB AG, 0,0007% SPZ Zementwerk Eiberg GmbH & Co KG); BEGAS (51% Gemeindeanteilsverwaltungs GmbH [Zusammenschluss erdgasversorgter burgenländischer Gemeinden], 49% Burgenland Holding AG [69,58% EVN AG, daneben: Wiener Stadtwerke Holding AG, BEWAG, Austrian Hydro Power AG und Streubesitz]); EVN AG (51% NÖ Landes-Beteiligungsholding GmbH, 29,7% EnBW, 13,3% Streubesitz, 6% Raiffeisen Landesbank Oberösterreich); KELAG (63,85% Kärntner Energie-Holding GmbH [51% Land Kärnten, 49% RWE Energy], 35,12% Verbund - Österreichische Elektrizitätswirtschafts AG, 1% Streubesitz und 0,03% Gemeinden); Salzburg AG für Energie, Verkehr und Telekommunikation (42,56% Land Salzburg, 31,31% Stadt Salzburg, 26,13% Energie Oberösterreich Service- und Beteiligungsverwaltungs-GmbH); Steirische Gas-Wärme GmbH (99,996% Energie Steiermark Holding AG [75% minus 1 Aktie Land Steiermark, 25% plus 1 Aktie Société d’Investissement en Autriche], 0,004% STEWEAG); WIEN ENERGIE Gasnetz GmbH: 100% WIEN ENERGIE GmbH (100% Wiener Stadtwerke Holding AG); Energie Graz GmbH & Co KG (49% Grazer Stadtwerke Energie Holding AG [100% Grazer Stadtwerke AG], 2% Stadt Graz, 49% Energie Steiermark AG).

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C. Post und Telekommunikation 1. Die strukturelle Trennung von Post und Telekom Dienstleistungen im Bereich des Post- und Fernmeldewesens wurden in Österreich traditionell in der Form eines Eigenbetriebes (unselbstständige Anstalt) des Bundes im Rahmen der Post- und Telegraphenverwaltung (PTV) erbracht211. Erst mit dem PoststrukturG (PTSG) aus dem Jahr 1996212 wurde die PTV aus dem ministeriellen Bereich ausgegliedert und ihr Aufgabengebiet dem neu gegründeten selbstständigen Unternehmen „Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft“ (PTA AG) zum 1. 5. 1996 übertragen. Unternehmensgegenstand der Gesellschaft waren die Erbringung von Leistungen in den Bereichen Postdienst, Fernmeldedienst, Paketdienst, Omnibusdienst und andere kommerzielle Leistungen (§ 2 PTSG). Ebenfalls mit dem PTSG wurde die „Post- und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft“ (PTBG) als GmbH errichtet (§ 11 Abs 1 PTSG). Dieser Gesellschaft wurden die Aktien der PTA AG ins Eigentum übertragen. Aufgabe der PTBG waren das Ausüben der Aktionärsrechte bei der PTA sowie die Verwaltung und Tilgung der Schulden, die nicht in der Eröffnungsbilanz der PTA dargestellt wurden. Im Oktober 1996 wurde der Betrieb der Mobilkommunikation rückwirkend per 1. 5. 1995 auf die neu gegründete Mobilkom Austria AG übertragen und per 1. 1. 1998 schließlich der Teilbereich Telekommunikation aus der PTA herausgelöst und in eine 100%ige Tochtergesellschaft (einschließlich der Mobilkom), die Telekom Austria, eingebracht. Damit waren die Bereiche Telekommunikation und „gelbe Post“ nach einer mehr als 100-jährigen gemeinsamen Geschichte rechtzeitig zur Liberalisierung des Telekommarkts strukturell voneinander getrennt.

2. Post Die Pflicht zur „Sammlung, ... Beförderung und ... Verteilung von Postsendungen zugunsten sämtlicher Nutzer, im gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, zu einheitlichen Gebühren und in gleichmäßiger Qualität sowie ohne Rücksicht auf Sonderfälle und auf die Wirtschaftlichkeit jedes einzelnen Vorgangs“ hat der EuGH als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse iSd Art 86 Abs 2 EG-Vertrag qualifiziert213. Da solche Dienste (Universaldienste) zT defizitär strukturiert sind, kann es zur Sicherstellung ihrer Erbringung erforderlich sein, bestimmte (andere) Postdienste jenem Unternehmen vorzubehalten (Beförderungsvorbehalt), das die für die Allgemeinheit besonders wichtigen Basisdienste erbringt. Damit soll ein finanzieller Ausgleich für durch den Universaldienst beim Unternehmen auftretende wirtschaftliche Belastungen gewährt werden214. Die entsprechenden Rahmenbedingungen finden sich in der PostRL215, die durch das PostG 1997216 umgesetzt wurde. 211 212 213 214

Wenger (FN 3), 269; Funk (FN 117), 24. Art 95 BGBl 201. EuGH Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 15). Betrifft ein Beförderungsvorbehalt Leistungen, die besonderen Bedürfnissen von Wirtschaftsteilnehmern entsprechen und bestimmte Leistungen verlangen, die der

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Mit der Erbringung des Universaldienstes217 ist in Österreich die Österreichische Post AG betraut (§ 5 PostG 1997). Als Ausgleich dafür ist ihr - bis auf wenige Ausnahmen - das Erbringen von Postdienstleistungen für persönlich beanschriftete Briefsendungen bis zu einem Gewicht von 50 Gramm als ausschließliches Recht vorbehalten (§ 6 PostG 1997)218. Eine (weitergehende) Einschränkung des Beförderungsvorbehalts ist bis zum Beginn des Jahres 2009 nicht vorgesehen. Die Telekom-Control-Kommission mit einem eigenen dafür zuständigen Senat und die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH fungieren ab 1. 1. 2008 als Post-Regulator (§ 25a PostG 1997219). Die PostRL sieht vor, den Postsektor bis zum Jahr 2009 zur Gänze zu liberalisieren. Nicht zuletzt in Vorbereitung auf diesen Schritt hat die Post AG in den vergangenen Jahren eine erhebliche Zahl von Postämtern geschlossen und die Versorgung der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten auf PostGeschäftsstellen, Landzusteller oder so genannte „mobile Postämter“ umgestellt (vgl § 4 Abs 5 PostG 1997). Am 9. 5. 2006 wurde die ÖIAG ermächtigt, eine Börseneinführung der Österreichischen Post AG von bis zu 49% zum bestmöglichen Zeitpunkt durchzuführen. Ende Mai dieses Jahres wurde die Post-Aktie zum ersten Mal an der Wiener Börse gehandelt.

3. Telekommunikation Das Paradebeispiel einer erfolgreichen Liberalisierung im Sog des Gemeinschaftsrechts ist der Telekommunikationssektor. Beginnend mit dem Grünbuch der Kommission über die „Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte“ aus dem Jahr 1987220 wurde der Markt bis 1. 1. 1998 schrittweise liberalisiert. Nachdem sich im Telekommunikationsbereich lebhafter Wettbewerb, der durch einen neuen Rechtsrahmen auch im Sinne der Konvergenz zukünftig noch forciert werden soll, mit Preissenkungen und Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Anbietern etabliert hat und die Marktanteile der Incumbents (in

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herkömmliche Postdienst nicht anbietet, hält der EuGH einen Beförderungsvorbehalt für unzulässig. EuGH Rs C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533 (Rz 19). RL 97/67/EG über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität, Abl 1998 L 15/14, idF RL 2002/39/EG, Abl L 176/21. BGBl I 1998/18 idF BGBl I 2006/33. Der Universaldienst umfasst nach § 4 PostG 1997 folgende Leistungen: Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg und von Postpaketen bis 20 kg sowie Dienste für Einschreib- und Wertsendungen. Der VfGH hält einen Beförderungsvorbehalt im Hinblick auf die Erwerbsfreiheit an sich für unbedenklich, solange die Post die Beförderungsleistungen ordnungsgemäß erbringen kann. Ein Beförderungsvorbehalt für Beförderungsleistungen, für die keine Beförderungspflicht der Post besteht, sowie für Beförderungsleistungen, die von der Post nicht erbracht werden können, stellen allerdings eine nicht mehr adäquate und sachlich nicht gerechtfertigte Beschränkung der Erwerbsfreiheit dar. VfSlg 11.494/1987. Dazu unten beim Postregulator. KOM(87) 290 endg.

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Österreich: Telekom Austria AG) zurückgegangen sind, plant die Kommission, die (asymmetrische) Regulierung nach und nach zu reduzieren. In Österreich trafen die gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Liberalisierungsschritte auf einen zu 100% geschlossenen Telekommunikationsmarkt, in dem bis zum PTSG 1996 die PTV Monopolist in Bezug auf alle öffentlichen Telekommunikationsdienste, die Errichtung der Infrastruktur sowie die Zulassung von Endgeräten war. Nach einem Zwischenschritt in Gestalt des Fernmeldegesetzes 1993221 war der dann vollkommen wettbewerblich ausgerichtete Rechtsrahmen in Österreich im TKG 1997222 grundgelegt, das unter anderem Bestimmungen über den Netzzugang für Wettbewerber und die wettbewerbssichernde Regulierungsbehörde enthielt. Vorbehalte zu Gunsten der Telekom Austria kannte dieses Gesetz nicht mehr. Eine Weiterentwicklung erfuhr das Telekom-Recht zuletzt durch das TKG 2003223, mit dem der Gesetzgeber den umfangreichen neuen europäischen Rechtsrahmen in Gestalt der Rahmen-, Genehmigungs-, Universaldienst-, Zugangs- und der Datenschutzrichtlinie umgesetzt hat. Im Wesentlichen parallel zur rechtlichen Liberalisierung wurden auf unternehmensorganisatorischer Ebene Umstrukturierungen vorgenommen. Im April 1997 verkaufte die PTA AG 25,001% des Aktienkapitals der Mobilkom Austria AG an die Telecom Italia. Diese erwarb 1998 zudem 25,001% an der Telekom Austria AG, die von dieser im Jahr 2002 wieder zurückgekauft wurden. Im Jahr 2000 fand der Börsegang der Telekom Austria statt, der vom Volumen her gesehen der bedeutendste Privatisierungsschritt war. In der Folge kam es in den verschiedenen Unternehmen mehrfach zu massiveren Änderungen der Aktionärsstruktur, wobei sich die Unternehmen ihrerseits an ausländischen Unternehmen beteiligten224. Per 31. 12. 2005 hielt die ÖIAG an der Telekom Austria AG, die im Laufe des Jahres 2006 in eine Holding umstrukturiert werden soll, einen Anteil von weniger als 30%. Das Dargestellte zeigt plastisch, dass die Unternehmensentwicklung von der in den ministeriellen Bereich integrierten PTV als umfassender Monopolistin zu einem im Wettbewerb stehenden Telekommunikationsunternehmen geführt hat, dessen Totalprivatisierung als AG im Übrigen bereits einmal im Raum gestanden ist. Die Telekom Austria AG ist - ähnlich wie die Post AG Universaldienstbetreiber225. Als Ausgleich für die entsprechenden Tätigkeiten 221

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Mit dem FernmeldeG 1993, BGBl 908, wurde der Marktzutritt für sämtliche Bereiche mit Ausnahme der Erbringung des öffentlichen Sprachtelefondienstes sowie der Bereitstellung der öffentlichen Festnetzinfrastruktur liberalisiert. Der behördliche Bereich wurde von jenem der Diensteerbringung getrennt und die Rechtsbeziehung zwischen Post- und Telegraphenverwaltung und ihren Kunden nicht mehr hoheitlich, sondern in privatrechtlicher Form gestaltet. Vgl zum Telekommunikationsrecht das gleichnamige Handbuch von Damjanovic/Holoubek/Kassai/Lehofer/Urbantschitsch, 2006. BGBl I 100. BGBl I 70 idF BGBl I 2005/133. So stehen beispielsweise 100% der Mobiltel Bulgarien im Eigentum der Telekom Austria AG. Nach § 26 Abs 2 TKG 2003 umfasst der Universaldienst 1. den Zugang zum öffentlichen Telefondienst über einen an einem festen Standort realisierten Anschluss, über den auch ein Fax und ein Modem betrieben werden können, einschließlich der

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erhält sie Zahlungen aus dem Universaldienstfonds, der von Marktteilnehmern, die einen gewissen Mindestjahresumsatz erzielen, nach dem Verhältnis ihrer Marktanteile gespeist wird. Zwar normiert das TKG 2003 den Grundsatz, dass der Universaldienstbetreiber im Wege einer jedenfalls alle zehn Jahre stattfindenden Ausschreibung zu eruieren ist (§ 30 TKG 2003), doch ist eine solche faktisch nur dann sinnvoll möglich, wenn der entsprechende Markt ausreichend entwickelt ist. Dies scheint derzeit noch nicht der Fall zu sein, der BMVIT hat den Markt allerdings regelmäßig zu überprüfen und allenfalls eine Ausschreibung zu veranlassen (§ 133 Abs 9 TKG 2003). Der Übergang vom Monopol zum Wettbewerb ist im Bereich der Telekommunikation insofern ein vollständiger, als nicht nur der open entry verwirklicht wurde, sondern darüber hinaus das ehemalige Staatsunternehmen wozu das Gemeinschaftsrecht nicht zwingt - bereits vor seiner Totalprivatisierung stand. Derzeit hält der Bund noch knappe 30% an der Telekom Austria AG, sodass von einem öffentlichen Unternehmen wohl nicht mehr gesprochen werden kann. Zudem wird der Ausschreibungswettbewerb zukünftig auch die Erbringung der Universaldienstleistungen erfassen. Damit ist rechtlich ein Maximum an Wettbewerb realisiert.

D. Der Rundfunk In Österreich stellt Rundfunk kraft verfassungsgesetzlicher Anordnung (BVGRundfunk) eine öffentliche Aufgabe dar226. Nach hL und Rsp227 bedarf der Betrieb von Rundfunk auf der Grundlage dieser verfassungsrechtlichen Norm einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung. Für den Österreichischen Rundfunk (ORF) bildet diese Grundlage das ORF-G228. In Österreich war die Rundfunklandschaft über Jahrzehnte durch ein Monopol des ORF geprägt229. Schließlich war die Marktöffnung im Rundfunkbe-

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fernmeldetechnischen Übertragung von Daten mit Datenraten, die für einen funktionalen Internetzugang ausreichen, 2. die Erbringung eines betreiberübergreifenden Auskunftsdienstes, 3. die Erstellung eines betreiberübergreifenden Teilnehmerverzeichnisses von Teilnehmern an öffentlichen Telefondiensten sowie den Zugang zu diesem Verzeichnis, 4. die flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Sprechstellen an allgemein und jederzeit zugänglichen Standorten. Art I Abs 3 BVG über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks (BVGRundfunk), BGBl 1974/396. Für viele Funk, Medienaufsicht, in: Aicher/Holoubek (Hrsg), Das Recht der Medien, 1998, 45 (54); Holoubek/Damjanovic, Medienregulierung unter „Konvergenz“-Bedingungen, MR, Beilage zu Heft 2/2000, 9; Korinek, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen staatlicher Regulierung der Medien vor dem Hintergrund der Konvergenz, JRP 2000, 129 (132). VfSlg 9909/1983. BGBl 1984/379 idF BGBl I 2005/159 (Titel mit BGBl I 2001/83 geändert von RundfunkG in ORF-G). Vgl dazu VfSlg 2721/1954, wonach der Bund - aus kompetenzrechtlicher Sicht befugt ist, im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeit die privatwirtschaftliche Betätigung auf einem bestimmten Gebiet dem Bund als Regal vorzubehalten und dadurch jedes andere Rechtssubjekt von einer gleichartigen Betätigung auszuschließen.

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reich jedoch nicht nur gemeinschaftsrechtlich230, sondern auch verfassungsrechtlich231 geboten. (Erst) In den 1990’er Jahren kam es durch die Schaffung entsprechender gesetzlicher Grundlagen nach und nach zur Liberalisierung im Bereich des privaten Hörfunks, des Hörfunks und Fernsehens im Kabelnetz bzw über Satelliten sowie des terrestrischen Fernsehens232. Aus rechtlicher Sicht ist Wettbewerb im Bereich des Rundfunks heute umfassend möglich.

Hinsichtlich dieses Wettbewerbs wird von der Kommission seit einigen Jahren233 vor allem die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks mittels Gebühren kritisch beobachtet. Die Kommission sah in dieser Form der Finanzierung den gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenbegriff berührt234. Zwar ist eine Finanzierung (auch) durch öffentliche Mittel nicht per se unzulässig. Die Gebühren dürfen aber nur zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden, was eine Quersubventionierung wettbewerblicher Bereiche ausschließt. Zudem unterliegt diese Art der Finanzierung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, sodass staatliche Ausgleichszahlungen die mit der Sicherstellung des öffentlichen Auftrags verbundenen Nettomehrkosten nicht übersteigen dürfen und der Wettbewerb auf dem jeweils sachlich relevanten Markt nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Gemeinschaftsinteresse zuwider läuft.

Ursprünglich war der ORF in der Form einer im Eigentum des Bundes und der Länder stehenden GmbH organisiert („Österreichische Rundfunk GmbH“)235. Im Zuge der Rundfunkreform des Jahres 1974236 wurde er in einen eigenen Wirtschaftskörper mit Rechtspersönlichkeit umgewandelt (§ 1 Abs 1 RFG). Als selbstständige Anstalt öffentlichen Rechts237 war er sein eigener Rechtsträger, an dem keine fremden Anteilsrechte bestanden. Heute ist der ORF eine Stiftung des öffentlichen Rechts238. Ihr Zweck ist die Erfüllung des ihr übertragenen öffentlich-rechtlichen Auftrags (§ 1 ORF-G). Dieser umfasst 230

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Nach zutreffender Auffassung werden die wirtschaftlich-wettbewerblich relevanten Bereiche des Rundfunks vom EG-Vertrag (Dienstleistungsfreiheit) erfasst, inhaltliche, geistig-gesellschaftlich relevante Belange fallen hingegen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Kulturpolitik). Vgl insb EGMR 24.11.1993, Informationsverein Lentia/Österreich, JBl 1994, 324. Ausführlich Holoubek, Rundfunkgesetz wohin?, 1995. Vgl BG, mit dem Regelungen über regionalen und lokalen Hörfunk erlassen werden (Regionalradiogesetz - RRG), BGBl 1993/506, das durch das BG, mit dem Bestimmungen für privaten Hörfunk erlassen werden (Privatradiogesetz - PrR-G), BGBl I 2001/20 idF BGBl I 2004/169, abgelöst wurde, das nunmehr bundesweite private Radioprogramme ermöglicht; BG, mit dem Bestimmungen über den Kabel- und Satellitenrundfunk erlassen werden (Kabel- und Satelliten-Rundfunkgesetz), BGBl I 1997/42, das durch das BG, mit dem Bestimmungen für privates Fernsehen erlassen werden (Privatfernsehgesetz - PrTV-G), BGBl I 2001/84 idF BGBl I 2004/169, ersetzt wurde. Anstoß war insb eine Verurteilung der Kommission im September 1998 wegen ihrer Untätigkeit in zwei Beschwerdefällen (EuG Rs T-95/96, Gestevision Telecinco, Slg 1998, II-3407). Dazu Kahl (FN 153), 240 ff mwN; Thyri/Jäger, Sportfernsehen und EG-Wettbewerbsrecht, wbl 2006, 197 (200). Vgl RFG 1966, BGBl 195. Funk, Rundfunkmonopol aus verfassungsrechtlicher Sicht in Österreich - Gesetzesvorbehalt, Art. 10 EMRK, Rechtsstaatsprinzip, FS Ermacora, 1988, 349 (350). Vgl RFG 1974, BGBl 397, wv durch das RFG 1984, BGBl 379. VfSlg 7593/1975, 7717/1975. Dazu Riccabona, Der ORF am Prüfstand des Stiftungsbegriffs, RfR 2002, 1.

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den Versorgungs- und den Programmauftrag sowie die besonderen Aufträge (vgl §§ 3, 4, 5 ORF-G). Soweit Tätigkeiten des ORF im Rahmen dieses öffentlich-rechtlichen Auftrags erfolgen, ist dieser nicht auf Gewinn gerichtet. Darüber hinausgehende Aktivitäten können gewinnorientiert betrieben werden, müssen aber organisatorisch und rechnerisch von Tätigkeiten im Rahmen des Versorgungsauftrages getrennt werden239. Mittel aus dem Programmentgelt (Rundfunkgebühren) dürfen hiezu nicht verwendet werden (§ 2 ORF-G). Die wichtigsten Organe des ORF sind der Stiftungsrat (Aufsicht), der Generaldirektor (Geschäftsführung), der Publikumsrat (Wahrung der Interessen der Hörer und Seher) sowie die Prüfungskommission (Kontrolle des Jahresund des Konzernabschlusses und des Lageberichts). Das Verhältnis zwischen Generaldirektor und Stiftungsrat entspricht im Wesentlichen jenem zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einer AG. Angesichts dessen, dass die überwiegende Zahl von Stiftungsräten nach § 20 ORF-G von der öffentlichen Hand (BReg und Länder) und dass der Generaldirektor wiederum vom Stiftungsrat bestellt und abberufen wird, kann im ORF ein öffentliches Unternehmen gesehen werden, das sich mittlerweile in einem wettbewerblichen Umfeld befindet.

E. Der Eisenbahnverkehr Ausgangspunkt der Liberalisierung des Schienenverkehrs war die Neuausrichtung der europäischen Eisenbahnverkehrspolitik nach dem Untätigkeitsurteil des EuGH240, in dem der Gerichtshof im Gefolge der nur schleppenden Liberalisierung des Verkehrsbereichs urteilte, dass der Rat seiner Verpflichtung, die Dienstleistungsfreiheit auf dem Verkehrssektor herzustellen, nicht nachgekommen sei. Als sich Ende der 1980’er Jahre zudem die wirtschaftliche Lage und die Wettbewerbsposition der Eisenbahnen zunehmend verschlechterten, war es politisch möglich, Entscheidungen in Richtung schrittweiser Liberalisierung des Schienenverkehrs im Rat herbeizuführen und so die gemeinsame Verkehrspolitik im Sinne der Verwirklichung des Binnenmarkts auch im Bereich der Eisenbahndienste neu auszurichten. Herzstück auf dem Weg zu einem „echten gemeinschaftlichen Eisenbahnsystem“241 ist die Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft242. Ihr Art 1 legte ursprünglich fest, „dass internationalen Gruppierungen von Eisenbahnunternehmen sowie Eisenbahnunternehmen, die Verkehrsleistungen im grenzüberschreitenden kombinierten Güterverkehr erbringen, Zugangsrechte zu den Eisenbahnnetzen der Mitgliedstaaten garantiert werden“. Eine umfassende Marktöffnung im Bereich der Beförderung mit der Bahn war damit ersichtlich (noch) nicht angestrebt243. Um den Wettbewerb fair zu gestalten, enthält die Richtlinie - analog zu den anderen

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Zur TransparenzRL Pkt I.C.4. EuGH Rs 13/83, Parlament/Rat, Slg 1985, 1513. Mitteilung der Kommission über eine Eisenbahnpolitik der Gemeinschaft, KOM(89) 564 endg., 5. Abl L 237/25. Zugangs- und Transitrechte standen, abgesehen vom grenzüberschreitenden kombinierten Güterverkehr, lediglich so genannten internationalen Gruppierungen als Verbindung mindestens zweier Eisenbahnunternehmen und dies nur im grenzüberschreitenden Personenverkehr zwischen jenen Staaten zu, in denen die Mitglieder der Gruppierung ihren Sitz haben.

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liberalisierten Netzsektoren - neben den Vorschriften über den Zugang zum Schienennetz auch Bestimmungen, die die Unabhängigkeit der Geschäftsführung der Bahnen sowie die Trennung des Betriebs der Infrastruktur von der Erbringung der Verkehrsleistungen garantieren244. In der Folge wurden als weitere Liberalisierungsschritte auf europäischer Ebene drei so genannte „Eisenbahnpakete“ geschnürt, die aus einer Vielzahl von Liberalisierungsund Harmonisierungsakten bestehen245. Kurz zusammengefasst stellt sich die daraus resultierende Lage derzeit folgendermaßen dar: Der Güterverkehr wird ab 1. 1. 2006 in zwei Schritten vollständig für den Wettbewerb geöffnet, und zwar nicht nur im grenzüberschreitenden Verkehr, sondern auch hinsichtlich des inländischen Verkehrs (Kabotage), der mit 1. 1. 2007 liberalisiert ist (Zweites Eisenbahnpaket). Die Marktöffnung im Personenverkehr ist Gegenstand des dritten Pakets und geht vergleichsweise langsamer vor sich. Während sich das Europäische Parlament für eine Öffnung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs zum 1. 1. 2008 und für eine Liberalisierung der nationalen Eisenbahnmärkte bis zum 1. 1. 2012 ausgesprochen hat, einigten sich die Verkehrsminister lediglich auf eine Marktöffnung des grenzüberschreitenden Verkehrs ab dem Jahr 2010. Ob sich das Parlament damit begnügen wird, ist offen.

In Österreich wurde die überragende Bedeutung der Eisenbahn für den Staat, die (Volks)Wirtschaft und die Gesellschaft von Beginn246 an erkannt. Dementsprechend sah man nicht nur die Staats-, sondern auch die Privatbahnen als der Staatsverwaltung näherstehend „als irgend ein anderes Institut“ und letztlich als „Theil des Staatsorganismus“ (der Staatsverwaltung) zur Förderung des Allgemeinwohls (Regal)247. Im Laufe der Jahrzehnte griff ein mehrfacher Wechsel zwischen Staats- und Privatbahnsystem Platz248. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Bundesbahnen - nach ihrer Trennung von der Reichsbahn - in die unmittelbare Staatsverwaltung249 eingegliedert, die Überleitung der Österreichischen Staatseisenbahnen in einen selbstständigen Wirtschaftskörper allerdings in § 51 Abs 3 BehördenÜberleitungsG ausdrücklich vorbehalten. Das BBG 1969250 trennte schließlich die Hoheitsverwaltung von der Betriebsverwaltung und sah die Errichtung eines selbstständigen Wirtschaftskörpers „Österreichische Bundesbahnen“ vor. Während der ersten Liberalisierungsschritte führten die ÖBB als ausgegliederte, im Eigentum des Bundes stehende und vom Bundeshaushalt losgelöste Gesellschaft sui generis mit eigener Rechtspersönlichkeit den Bereich Erbrin244 245

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Vgl Burmeister, Der Wettbewerb der Eisenbahnen im europäischen Binnenmarkt, 2001, 58ff. Vgl dazu Segalla, Offener Netzzugang im Schienenverkehr, 2002; Zellhofer, Der Wettbewerb auf den Europäischen Schienenverkehrsmärkten, 2003; Dullinger/ Holoubek/Segalla (Hrsg), Recht und Praxis der Eisenbahnliberalisierung, 2004. Als erste Eisenbahn auf dem europäischen Kontinent beruhte die Pferdeeisenbahn zwischen Mauthausen und Budweis, also zwischen Donau und Moldau, auf einer Privilegiumsurkunde vom 7. 9. 1824. Haberer, Das österreichische Eisenbahnrecht, 1885, 6 ff. Erste Staatsbahnperiode ab 1841; Privatbahnsystem ab 1854; bis heute andauerndes Staatsbahnsystem ab 1879. Staatsamt für Industrie, Gewerbe, Handel und Verkehr. Die Generaldirektion der ÖBB wurde zu einer Sektion des zuständigen Bundesministeriums. BGBl 137.

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gung der Verkehrsleistung und den Infrastrukturbereich einschließlich der Funktion als Fahrwegbetreiber und Zuweisungsstelle organisatorisch und rechnerisch voneinander getrennt. Das Schienennetz wurde vom „ÖBB-Bereich Infrastruktur“ verwaltet und betrieben (zB Trassenvergabe, Benützungsentgeltberechnung und -einhebung). Mittlerweile sind die ÖBB auf der Grundlage des Bundesbahnstrukturgesetzes 2003251 als Holding organisiert. Insbesondere Infrastruktur- (ÖBBInfrastruktur Betrieb AG) und Transportbereich (ÖBB-Personenverkehrs AG bzw Rail Cargo Austria AG) sind organisatorisch getrennt252. Am 100%-igen Eigentum des Bundes und an den Aufgaben der ÖBB hat sich zwar nichts Wesentliches geändert, der organisatorische Rahmen wurde jedoch - nicht zuletzt im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben - wesentlich transparenter253. Bisher ist der Druck auf die ÖBB im Gefolge der Liberalisierungsschritte insbesondere im Güterverkehr gestiegen.

F. Der Kraftfahrlinienverkehr Das Ermöglichen eines gewissen Maßes an Mobilität - insbesondere für mobilitätsbehinderte Personen bzw für Personen, die nicht über ein privates Kraftfahrzeug verfügen - wird in Österreich, was den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) betrifft, seit jeher „als eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse, insbesondere der Daseinsvorsorge“254, betrachtet, die traditionell von öffentlichen Unternehmen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene wahrgenommen wird. Auch im Gemeinschaftsrecht gelten die entsprechenden Dienste als gemeinwirtschaftliche Leistungen. Auf Gemeinschaftsebene gestaltet sich die Liberalisierung des ÖPNV vor allem aus drei Gründen interessant: Zum Ersten war es lange Zeit umstritten, ob die entsprechenden Tätigkeiten angesichts der häufig nur regionalen und lokalen Tätigkeiten der betroffenen Unternehmen überhaupt binnenmarktrelevanten Charakter besitzen. Dies hat der EuGH im Jahr 2003 für die Zeit nach

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BGBl I 138. Unter der ÖBB-Holding AG finden sich die ÖBB-Personenverkehrs AG und die Rail Cargo Austria AG, als deren gemeinsame Töchter die ÖBB-Traktion GmbH (Loks und Lokführer) und die ÖBB-Technische Services-GmbH (Werkstätten), sowie die ÖBB-Dienstleistungs GmbH, die ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG und die ÖBB-Infrastruktur Bau AG (Planung, Kraftwerke etc) und als Tochter letzterer die ÖBB-Immobilienmanagement GmbH (Bewirtschaftung und Verwertung der Liegenschaften der ÖBB-Infrastruktur Bau AG). Ob integrierte Unternehmen - auch in Gestalt einer Holding - nach dem ersten Infrastrukturpaket zulässig sind, ist umstritten. Dazu Zellhofer (FN 245), 74 unter Verweis auf die Äußerungen der deutschen Bundesregierung, die die Konformität der Holdinglösung mit dem Gemeinschaftsrecht bejaht. Ebenso Holst, RL 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft, in: Frohnmeyer/Mückenhausen (Hrsg), EG-Verkehrsrecht - Kommentar, Loseblatt 2001, Rz 17; Ronellenfitsch, Die Umsetzung des Eisenbahninfrastrukturpakets, DVBl 2002, 657 (667). AA Berschin, Zur Trennung von Netz und Betrieb der Deutschen Bahn AG aufgrund des europäischen Eisenbahnpakets, DVBl 2002, 1079. AB 2047 BlgNR 20. GP, 1.

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1995 bejaht255. Zum Zweiten handelt es sich bei den ÖPNV-Dienstleistungen über so weite Strecken wie in keinem anderen der hier behandelten Sektoren um defizitäre Dienste, die nur durch massive Zuführung öffentlicher Mittel256 auf die gewünschte, am Gemeinwohl orientierte Weise erbracht werden. Eine bloße Öffnung des Marktes im Sinne der Schaffung eines open entry wäre für eine Liberalisierung daher nicht ausreichend. Adäquat, aber auch erforderlich ist vielmehr eine Öffnung des Marktes mittels Leistungsausschreibung (nicht Wettbewerb am Markt, sondern Wettbewerb um den Markt). Als Drittes ist der Umstand zu beachten, dass sich die für den ÖPNV-Markt wichtigsten Bestimmungen in einer Verordnung aus dem Jahr 1969 finden, die im Jahr 1991 novelliert wurde257. Auf die aktuellen Verhältnisse sind diese Normen nur mit Mühe und erheblichen rechtlichen Unsicherheiten umlegbar. Die Bemühungen für einen zeitgemäßen Rechtsrahmen laufen auf Europäischer Ebene seit dem Jahr 2000, in dem die Kommission ihren ersten, mittlerweile mehrfach überarbeiteten Entwurf für eine neue ÖPNV-Verordnung vorgelegt hat258. Eine Einigung zwischen Kommission, Parlament und Rat konnte bisher nicht erreicht werden. Derzeit stehen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht die Einhaltung des Beihilfenverbots, des Vergaberechts sowie des von der Kommission hervorgehobenen Gebots der transparenten Vergabe ausschließlicher und besonderer Rechte im Mittelpunkt. Österreich musste auf Grund eines einschlägigen Vertragsverletzungsverfahrens im Gefolge einer intransparenten Vergabe eines Busverkehrs in Osttirol259 jüngst sein KflG ändern. Passend zur unsicheren Rechtslage im Bereich des ÖPNV hat der EuGH im Jahr 2003 das viel beachtete Altmark-Urteil gefällt, in dem er - ausgehend von einer gemeinschaftswidrigen Finanzierungspraxis im ÖPNV - ein beihilferechtliches Sonderregime betreffend den finanziellen Ausgleich für die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen geschaffen hat260. Die österreichischen Nahverkehrsunternehmen gehen angesichts der unklaren gemeinschaftsrechtlichen Situation unterschiedliche Wege. Während sich das Innsbrucker Unternehmen (IVB/Innbus) ua durch umfassende organisatorische (Entflechtungs)Maßnahmen261 auf den Wettbewerb vorbereitet hat, 255

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EuGH Rs C-280/00, Altmark Trans, Slg 2003, I-7747 (Rz 79). Vgl auch Kahl, „Kontrollierter Wettbewerb“ als Marktöffnungsinstrument der Kommission am Beispiel des öffentlichen Personennahverkehrs, wbl 2001, 49. Der Bund gibt jährlich über 1 Mrd Euro für den Betrieb im Bereich Nah- und Regionalverkehr aus. VO 1191/69/EWG über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffverkehrs, Abl L 156/1, idF VO 1893/91/EWG, Abl L 169/1. Aktuell ist momentan der dritte Entwurf der Kommission, der „Vorschlag für eine Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße“, KOM(2005) 319 endg. Vgl Mahnschreiben der Europäischen Kommission v 13.10.2004, C(2004) 3808. Dazu näher Kahl (FN 23), 293ff. Verkürzt dargestellt werden alle durch Beihilfen belasteten bzw nicht wettbewerbsfähigen Unternehmensbereiche einer so genannten Regieebene (dieser Begriff hat nichts mit jenem des Regiebetriebes zu tun, sondern bezeichnet eine aus der Verwal-

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legen andere Unternehmen eine eher abwartende Haltung an den Tag. Auf Ebene der größten österreichischen Kraftfahrlinienunternehmen, dem Postbus und dem Bahnbus, kam es im Gefolge der sich abzeichnenden Marktöffnung zur Fusion, die sich - anknüpfend an die Schilderung im Bereich der Post- und Telekommunikation - folgendermaßen darstellt: Nachdem nach der strukturellen Trennung von Post und Telekom Austria der Bereich „Post und Postauto“ in einer AG verselbstständigt worden war, wurde mit Oktober 2000 die Österreichische Postbus AG in eine Schwestergesellschaft der Österreichischen Post AG abgespalten. Die Anteile an der Postbus AG wurden 2001 an die ÖIAG übertragen. Im Jahr 2003 übernahm die ÖBB unter dem Titel „Privatisierung“ 100% der Postbus AG. 2004 spaltete sich die Österreichische Postbus AG in die ÖBB Postbus GmbH (operatives Geschäft) und die Österreichische Postbus AG (Liegenschaften und Personalamt). Mit 1. 1. 2005 fand schließlich die rechtliche Fusion von Bahnbus und ÖBB-Postbus GmbH zu einem gemeinsamen Busunternehmen mit der Marke „Postbus - Ein Unternehmen der ÖBB“ statt262.

G. Die Bundesstraßen Seit den 1960’er Jahren wurden für die Errichtung, Erhaltung und Finanzierung von Bundesstraßen zahlreiche Sondergesellschaften gegründet263. Erst zu Beginn der 1990’er Jahre wurde diese „’Familie’ von Aktiengesellschaften“264 durch Verschmelzungen auf zwei Gesellschaften, die „Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Aktiengesellschaft“ (ÖSAG)265 und die „Alpen Straßen Aktiengesellschaft“ (ASAG)266, reduziert. Die Anteile an diesen Gesellschaften standen im Eigentum des Bundes267 und der jeweils an den verschmolzenen Sondergesellschaften beteiligten Länder. Die Finanzierung der den Gesellschaften übertragenen Aufgaben erfolgte zT unmittelbar durch den

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tung ausgelagerte Verkehrskoordinationsstelle im Gegensatz zu den operativ tätigen Gesellschaften) zugeordnet, die die entsprechenden Dienste dem jeweils, in einem Vergabeverfahren als Bestbieter hervorgekommenen Unternehmen diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen kann. Darüber hinaus liegen die Aufgaben der Regieebene insbesondere in der Bestellung von Verkehren, der Koordination von Fahrplänen und der Sicherung der Qualität. Am Kraftfahrlinienmarkt agiert hingegen das von der Regieebene getrennte operative Unternehmen (Innbus GmbH). Dazu ausführlich Baltes/Schaaffkamp, Auf dem Weg in den Wettbewerb, Der Nahverkehr 2000, H 4, 21. Eine kritische beihilferechtliche Beurteilung der Fusion findet sich bei Kahl (FN 153), 261ff. Die erste war die Brenner Autobahn AG, BGBl 1964/135. Funk (FN 119), 65. Bestehend aus der Autobahnen- und Schnellstraßen-AG, der Pyhrn Autobahn AG, der Tauernautobahn AG und der Wiener Bundesstraßen AG (§§ 1 und 2 BG über Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften, BGBl 1992/826 idF BGBl I 2004/174). Bestehend aus der Arlberg Straßentunnel AG und der Brenner Autobahn AG (§§ 3 und 4 BG über Maßnahmen im Bereich der Bundesstraßengesellschaften). Nach § 1 ASFINAG-ErmächtigungsG 1997, BGBl I 113, war die Beteiligung des Bundes an der ÖSAG als Sacheinlage in die ASFINAG einzubringen.

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Bund, zT über die 1982 gegründete, in seinem Eigentum stehende „Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG)268. Im Jahr 2002 wurde die ÖSAG in eine GmbH umgewandelt, was den ersten Schritt einer Neuorganisation des ASFINAG-Konzerns bedeutete. Mit 1. 1. 2005 wurden die vormaligen Tochterunternehmen ÖSAG und ASAG mit der ASFINAG verschmolzen. Die einzelnen Bereiche Planung und Bau, Betrieb und Erhaltung sowie Maut wurden in neuen Gesellschaften zusammengeführt269. Die ASFINAG steht gemäß § 1 ASFINAG-G zur Gänze im Eigentum des Bundes und stellt so ein öffentliches Unternehmen dar. Seit 1997 hat die ASFINAG das Fruchtgenussrecht an den im Eigentum des Bundes stehenden Grundstücken und Anlagen des hochrangigen Bundesstraßennetzes und ist berechtigt, Mauten und Benützungsgebühren einzuheben. Sie plant, finanziert, baut, erhält und betreibt das gesamte österreichische Autobahnen- und Schnellstraßennetz mit einer Gesamtlänge von über 2.000 km. Ihre Leistungen finanziert die ASFINAG durch zweckgebundene Einnahmen (Mauten).

H. Die Verwaltung von Bundesimmobilien Seit Beginn der 1990’er Jahre griff eine schrittweise Ausgliederung der Verwaltung von Bundesimmobilien aus ministeriellen Bereichen Platz, die mit der Übertragung der jeweiligen Aufgaben an Gesellschaften des Privatrechts einherging. So wurde beispielsweise die Dienststelle der BundesgebäudeverwaltungSchloßhauptmannschaft Schönbrunn aufgelöst und für die Erhaltung, Verwaltung und den Betrieb des Schlosses die „Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft m.b.H“ gegründet270. Unternehmensgegenstand ist das Betreiben führender österreichischer Kulturdenkmäler, wie zB des Schlosses Schönbrunn, der Kaiserappartements oder der Silberkammer in der Hofburg, mit der Zielsetzung, diese authentisch zu erschließen und für Kultur, Tourismus und Freizeitangebote nutzbar zu machen. Schon zuvor war zur Fortführung der „betriebsähnlichen Einrichtung“ „Tiergarten Schönbrunn“ die „Schönbrunner Tiergarten-Gesellschaft m.b.H.“ gegründet worden271. Der nicht mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Wirtschaftskörper „Österreichische Bundesforste“, dem insbesondere die nachhaltige Bewirtschaftung des Waldbodens und die Verbesserung seiner Produktionskraft sowie die Er268 269

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ASFINAG-G, BGBl 1982/591. Derzeit stellt sich der ASFINAG-Konzern (Holding) folgendermaßen dar: ASFINAG Bau Management GmbH; ASFINAG Autobahn Service GmbH Süd; ASFINAG Autobahn Service GmbH Ost; ASFINAG Alpenstraßen GmbH; ASFINAG Autobahn Service GmbH Nord; ASFINAG Verkehrstelematik GmbH; ASFINAG Maut Service GmbH; ASFINAG Verkehrsinfrastrukturberatungs- und BeteiligungsGmbH. BG über die Gründung einer Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft m.b.H. (Schönbrunner Schloßgesetz), BGBl 1992/208 idF BGBl 1994/117. BG über die Errichtung einer Schönbrunner Tiergarten-Gesellschaft m.b.H. (Schönbrunner Tiergartengesetz), BGBl 1991/420 idF BGBl 1994/117. Gem § 2 Abs 1 können die Geschäftsanteile des Bundes an der Gesellschaft veräußert werden.

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haltung der Trink- und Nutzwasserreserven oblagen, ging auf die Mitte der 1990’er Jahre ins Leben gerufene „Österreichische Bundesforste AG“ über272. Diese betreut und bewirtschaftet etwa 10% der Staatsfläche Österreichs und ist damit der größte Naturraummanager, Forstbetrieb sowie Jagdflächenund Fischereigewässerinhaber. Bereits vier Jahre vor der Gründung der Bundesforste AG wurde die gänzlich im Bundeseigentum stehende „Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.“ (BIG) errichtet273. Ihr Unternehmensgegenstand war der Erwerb, die Nutzung, Verwaltung und Veräußerung von Liegenschaften, die Errichtung und Erhaltung von Bauten sowie die Gründung von Gesellschaften zum Erwerb bundeseigener Mietwohngebäude und deren Verwertung. In der Folge wurde die Bauund Liegenschaftsverwaltung des Bundes im Jahr 2000 mit dem BundesimmobilienG274 neu organisiert. Zielsetzung dabei war in Fortsetzung des mit dem BIG-Gesetz begonnenen Weges, das Immobilienvermögen und den Immobilienbedarf des Bundes nach wirtschaftlichen und marktorientierten Grundsätzen zu organisieren, das Kostenbewusstsein bei den Nutzerressorts zu fördern und Instrumente synergetischer Bedarfsfeststellung zu schaffen. Primärer Unternehmensgegenstand der BIG, der wesentliche Teile des Immobilienvermögens275 des Bundes entgeltlich übertragen wurden, ist nunmehr die Bereitstellung von Raum für Bundeszwecke alleine oder gemeinsam mit Dritten276. Im Ausmaß bestehender Nutzungen wurden Mietverhältnisse des Bundes begründet277. Zur Fortführung der Bundesgebäudeverwaltung wurde mit Wirkung zum 1.1.2001 die „Bundesgebäudeverwaltung Österreich“ in die neu errichtete „Immobilienmanagementgesellschaft des Bundes mbH“ (IMB) ausgegliedert. Wichtigste Aufgabe der IMB, die eine Tochtergesellschaft der BIG ist, ist die Erbringung von Hausverwaltungs- und Baubetreuungsleistungen für die BIG zu marktkonformen Bedingungen. Einschlägige Tätigkeiten von Dienststellen der Bau- und Liegenschaftsverwaltung sind - mit Ausnahme der Burghauptmannschaft Österreich (historische Objekte) - ausgelaufen.

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BG zur Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Bundesforste und Errichtung einer Aktiengesellschaft zur Fortführung des Betriebes „Österreichische Bundesforste“ (Bundesforstgesetz 1996), BGBl 793, idF BGBl I 2004/136. BG über die Errichtung einer Bundesimmobiliengesellschaft mit beschränkter Haftung und die Verfügung über bundeseigene Liegenschaften einschließlich Mietwohngebäuden (BIG-Gesetz), BGBl 1992/419 (außer Kraft getreten durch § 46 BundesimmobilienG [s nächste FN]). BGBl I 141 idF BGBl I 2005/144. Dazu Anlage A des BundesimmobilienG. Zu den Haupttätigkeiten der BIG zählen: Vermietung von Liegenschaften mit dem Schwerpunkt Bundesschulen, Universitäten und Amtsgebäuden, Kundenorientierte Verwaltung und Instandhaltung, Neubau, Generalsanierung, Verkauf von Liegenschaften, Immobiliendevelopement, Facility Management im Einvernehmen mit den Mietern sowie Verwertung entwickelter Projekte mit Privatnutzungscharakter. Der Bund verkaufte der Gesellschaft etwa 5.000 Gebäude mit einem Flächenausmaß von 7,2 Millionen m². Gleichzeitig schloss die BIG mit dem Bund marktmäßige Mietverträge über die von den öffentlichen Stellen genutzten Gebäude ab.

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Für die Finanzierung, Planung, den Bau und die Erhaltung der Bundesstraßen wurde - wie vorstehend erwähnt - die „Autobahnen- und SchnellstraßenFinanzierungs-Aktiengesellschaft“ (ASFINAG) errichtet.

I. Die gemeinnützigen Bauvereinigungen Ein weiterer Bereich der Daseinsvorsorge, in dem auch öffentliche Unternehmen eine bedeutende Rolle spielen, ist die Schaffung von Wohnraum zu erschwinglichen Preisen für breite Bevölkerungsgruppen. Erste Ansätze der Entwicklung eines Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts liegen in der zweiten Hälfte des 19. Jh278. Heute finden sich die zentralen Bestimmungen über den gemeinnützigen Wohnungsbau im WohnungsgemeinnützigkeitsG (WGG)279. Gemeinnützige Bauvereinigungen sind demnach in privatrechtlichen Formen (Genossenschaft, GmbH oder AG) organisiert (Indienstnahme). Gemäß § 1 Abs 2 WGG haben sie ihre Tätigkeit auf die Erfüllung dem Gemeinwohl dienender Aufgaben des Wohnungs- und Siedlungswesens zu richten, ihr Vermögen der Erfüllung solcher Aufgaben zu widmen und ihren Geschäftsbetrieb regelmäßig prüfen und überwachen zu lassen. Die Betätigung als gemeinnützige Bauvereinigung bedarf einer bescheidmäßigen Anerkennung durch die LReg280, die an eine Bedarfsprüfung geknüpft ist281. Der Status der Gemeinnützigkeit beschränkt einerseits die Freiheiten des Unternehmens im Vergleich zu nicht-gemeinnützigen Bauträgern, andererseits sind mit ihm Steuererleichterungen und bevorzugte Förderungen verbunden. Die unternehmerischen Restriktionen bestehen in der Bindung des Kapitals282, der Limitierung der Geschäftsbereiche283, der Baupflicht284, der Pflicht zur Gewährung kostendeckender Preise sowie der Beschränkung der Gewinnerzielung und -verteilung285. Dazu kommt, dass gemeinnützige Bauvereinigungen einem mehrschichtigen Aufsichts- und Kontrollsystem unterworfen sind286. 278

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Zur Geschichte Funk, Die Entwicklung des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts Vom Förderungsstatut zum branchenbezogenen Wirtschaftsrecht, in: Korinek/Krejci (Hrsg), Handbuch des Bau- und Wohnungsrechts, Bd II, 1988, III - G - 1, 3. BGBl 1979/139 idF BGBl I 2003/113. §§ 1, 31 Abs 1 WGG. § 3 WGG. Dazu Korinek, Das Eigenkapital - Funktion, Aufbringung, Sicherung und Verwendung, in: Korinek/Nowotny (Hrsg), Handbuch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, 1994, 377 (381ff). § 7 WGG sieht drei Geschäftskreise vor: Hauptgeschäfte (die Errichtung und Verwaltung von Wohnungen), Nebengeschäfte (zB Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes) und zustimmungsbedürftige Zusatzgeschäfte (Geschäfte, die zur ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung erforderlich sind, aber nicht zu den Hauptoder Nebengeschäften zählen). Dazu ausführlich Kleinert, Zum Geschäftskreis gemeinnütziger Bauvereinigungen (§ 7 WGG), WoBl 1991, 109ff; Holoubek, Die Geschäftskreisregelung als Kernstück des WGG, in: Korinek/Nowotny (Hrsg), Handbuch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, 1994, 345 (353ff). § 7 Abs 5 WGG. Vgl §§ 10, 13, 15 Abs 1 WGG. Dazu zählen die Kontrolle durch unternehmensinterne Organe (§ 12 WGG), die Kontrolle durch Revisoren des zuständigen Prüfungsverbandes (§ 28 WGG) sowie die Aufsicht durch die jeweilige LReg als Behörde der staatlichen Wirtschaftsauf-

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Auch die öffentliche Hand ist an vielen dieser Unternehmen in unterschiedlichem Ausmaß unmittelbar oder mittelbar beteiligt287. Als europarechtliche Schranke kommt hinsichtlich der Tätigkeit gemeinnütziger Bauvereinigungen vor allem bei der Wohnbauförderung in der Form der „Objektförderung“ das Beihilfenrecht der Gemeinschaft in Betracht. Ob die Förderung allerdings geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, erscheint auf Grund ihrer nur regionalen und lokalen Wirkungen zweifelhaft288. Soweit ersichtlich, haben sich in der Praxis bislang noch keine beihilfenrechtlichen Probleme ergeben.

J. Der Bankensektor Auf dem Bankensektor zählen zum Kreis der öffentlichen Unternehmen nach dem Verkauf der Anteile an der CA und der PSK289 im Bereich des Bundes nur mehr die OeNB (dazu im nachfolgenden Punkt) und die Austria Wirtschaftsservice GmbH (AWS), die aus der Finanzierungsgarantie-GmbH und der BÜRGES Förderungsbank GmbH hervorgegangen ist290. Die AWS GmbH steht zu 100% im Eigentum des Bundes und ist als dessen (unveräußerliche) Spezialbank zur Vergabe und Abwicklung von unternehmensbezogenen Wirtschaftsförderungen des Bundes sowie zur Erbringung sonstiger, im öffentlichen Interesse liegender Finanzierungs- und Beratungsleistungen zur Unterstützung der Wirtschaft berufen (§ 2 Austria Wirtschaftsservice-ErrichtungsG). Auf Landes- und Gemeindeebene sind die Landes-Hypothekenbanken und die aus ihnen hervorgegangenen Landesbanken291 sowie die Gemeinde-

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sicht (§ 29 WGG). Korinek, Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftsaufsichtsrechtlicher Sanktionen über gemeinnützige Wohnungsunternehmungen, wbl 1987, 290ff; Scherz, Das dichte Netz von Aufsicht und Kontrolle, in: Korinek/Nowotny (Hrsg), Handbuch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, 1994, 389ff. Zu den Grenzen der Aufsicht durch die LReg Korinek/Holoubek, Unbegrenzte Wirtschaftsaufsicht? Möglichkeiten und Schranken der Aufsicht nach dem WGG, ecolex 1997, 399ff. Vgl zB „Tiroler Gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft m.b.H.“ TIGEWOSI (Land Tirol 61,39%, Landes-Hypothekenbank Tirol AG und die Tiroler Landesversicherung mit je 7,5%, Stadtgemeinde Innsbruck 4,5%, 9,95% Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaft mbH, Rest: 16 Gemeinden in Nord- und Osttirol); die „Neue Heimat Tirol“ (je 50% Land Tirol und Stadt Innsbruck); Innsbrucker Stadtbau GmbH (51% Neue Heimat Tirol, 49% Stadt Innsbruck); die „Neue Heimat“ Kärnten (seit 1962 im Alleineigentum des Landes). Aicher, Europarechtliche Rahmenbedingungen gemeinnütziger Wohnungswirtschaft, in: Korinek/Nowotny (Hrsg), Handbuch der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, 1994, 459 (472). Die PSK wurde durch Art I BGBl 1996/742 ausgegliedert und in die „Österreichische Postsparkasse Aktiengesellschaft“ umgewandelt. Diese wurde der Post- und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft (PTBG) übertragen, welche zur Veräußerung der Aktien der PSK ermächtigt wurde (§ 3 Abs 3 BG über die Einbringung der Österreichischen Postsparkasse in eine Aktiengesellschaft, Art I BGBl 1996/742 idF BGBl I 2000/25). Die ÖIAG hat die PSK schließlich im Sommer 2000 um 17,8 Mrd öS an die BAWAG veräußert. Austria Wirtschaftsservice-Gesetz, BGBl I 2002/130 idF BGBl I 2004/119. ZB Hypo Tirol Bank AG (100% Land Tirol); Niederösterreichische LandesbankHypothekenbank AG (zu 41% privatisiert); Vorarlberger Landes- und Hypotheken-

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sparkassen als öffentliche Unternehmen zu erwähnen. Allerdings kommt es (auch) hier immer wieder zu Veräußerungen292. Die früher regelmäßig übernommene Haftung der öffentlichen Hand für „ihre“ Banken für den Fall der Zahlungsunfähigkeit (Ausfallsbürgschaft)293 ist vor einigen Jahren auf Grund ihrer wettbewerbsverfälschenden Wirkungen zunehmend in die Kritik geraten. Beihilferechtliche Bedenken führten (sogar) dazu, dass in einer von Deutschland abgegebenen Erklärung zum Vertrag von Amsterdam die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute als Unternehmen bezeichnet wurden, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind294, eine Auffassung, der sich Österreich und Luxemburg anschlossen, nicht jedoch die Kommission295. Diese prüfte in der Folge die Rechtmäßigkeit der Ausfallsbürgschaften (in Deutschland: Gewährträgerhaftung) in mehreren Ländern - darunter auch Österreich296 - und erzielte jeweils Einigungen über die Abschaffung dieser Begünstigung nach ausverhandelten Übergangsfristen297. Die entsprechenden legistischen Maßnahmen waren von Österreich bis zum 30. 9. 2004 zu setzen298.

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bank AG, (ca 73% Vorarlberger Landesbank Holding [Sondervermögen des Landes], ca 23% Austria BeteiligungsGmbH [Landesbanken Baden Württemberg], ca 3% Streubesitz); Oberösterreichische Landesbank AG (50,57% Land OÖ). Vgl zB den Verkauf der Bank Burgenland an die Grazer Wechselseitige, die wiederum zu 45,6% Miteigentümerin an der Kärntner Hypo Alpe-Adria-Bank ist. Die Bundeshaftung für die PSK wurde mit deren Verkauf an die BAWAG im Jahr 2000 beendet. 37. Erklärung zur Schlussakte zu öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten in Deutschland, Abl 1997 C 340/138, sowie die 1. von der Konferenz zur Kenntnis genommene Erklärung Österreichs und Luxemburgs zu Kreditinstituten, Abl 1997 C 340/143. Vgl die Mitteilung über die Anwendung der Art 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften, Abl 2000 C 71/14. In Österreich waren nach Ansicht der Kommission 7 Landes-Hypothekenbanken und 27 Sparkassen betroffen. Mit Österreich wurde eine „Verständigung über die Ausfallshaftung zugunsten der Landes-Hypothekenbanken und Sparkassen“ erreicht. Der einschlägigen, nicht veröffentlichten Kommissionsentscheidung C(2003) 1329 endg. stimmte Österreich mit Schreiben vom 15. 5. 2003 zu. Demgemäß wird die Ausfallshaftung nach einer am 1. 4. 2007 endenden Übergangsfrist aufgehoben. Zum Beihilfeverfahren der Kommission wegen einer staatlichen Haftung zu Gunsten der Dornbirner Sparkasse, die die Kommission als „maßgeschneiderte Garantie, um die Ausfallshaftung zu ersetzen“, bezeichnete, die Zweifel daran wecke, „ob die nützliche Wirkung der Kommissionsentscheidung C(2003) 1329 endg. erhalten bleibt“, Abl 2006 C 92/4 (Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme nach Art 88 Abs 2 EG-Vertrag). Zum Problem der Ausfallshaftung der öffentlichen Hand aus beihilferechtlicher Sicht inklusive der Haftung für die Bank Burgenland ausführlich Jäger, Bestand und Betrieb öffentlicher Kreditinstitute als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, JBl 2005, Teil II, 487ff mit zahlreichen Nachweisen. Zur Bundeshaftung für die BAWAG, BGBl I 2006/61, Jäger, BAWAG-Bürgschaft, Beihilfeverbot und Konkurrentenrechtsschutz, ecolex 2006, 445. Vgl etwa die Änderungen des BG über die Pfandbriefstelle der österreichischen Landes-Hypothekenbanken, des SparkassenG und des Gesetzes betreffend fundierte Bankschuldverschreibungen (zu allen RV 392 BlgNR 22. GP). S zB auch § 2 SparkassenG idgF sowie § 16 vlbg Landes- und Hypothekenbank-Gesetz idF LGBl 2004/24.

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K. Die Österreichische Nationalbank (OeNB) Die Österreichische Nationalbank (OeNB) nimmt im Kreise der österreichischen Banken eine Sonderstellung ein. Sie wurde 1816 zur Neuordnung des durch die Napoleonischen Kriege zerrütteten Währungswesens gegründet und ist heute299 gemäß § 2 Abs 1 NBG300 eine unter Dominanz des Bundes stehende Aktiengesellschaft301. Der beherrschende Einfluss des Bundes ergibt sich zum einen aus seiner 50%igen Beteiligung am Unternehmen302, zum anderen insbesondere dadurch, dass die überwiegende Zahl der Mitglieder des Generalrats sowie die Mitglieder des Direktoriums von der BReg bzw dem BPräs ernannt werden. Diese Ernennungsrechte stellen das Gegengewicht zu einer weitreichenden Notenbankautonomie303 dar, die schon bei der Schaffung des NBG 1955 ein vorrangiges Ziel des Gesetzgebers war304. Vor dem Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion am 1. 1. 1999 war die OeNB als österreichische Zentral- und Notenbank vor allem für die Stabilität des Schillings verantwortlich. Seit dem 1. 1. 1999 ist die OeNB305 integraler Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB). Das ESZB als Gremium insbesondere zur Festlegung und Ausführung der Währungspolitik im Euroraum306 (Art 105 Abs 2 EG-Vertrag) setzt sich aus der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt und den Notenbanken der Mitgliedstaaten zusammen. Es wird von den Beschlussorganen der EZB (EZB-Rat, EZB299

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Insb durch das NBG 1955 wurden die rechtlichen Verhältnisse der OeNB - nach ihrer zweimaligen Liquidierung im Gefolge der beiden Weltkriege - einer umfassenden Neuregelung unterworfen und ihr geld- und währungspolitisches Instrumentarium ausgebaut. Pauger, Österreichisches Bankenrecht, 1989, 124. NBG 1984, BGBl 50 idF BGBl I 2004/161. Zur Anwendung kommt allerdings nicht primär das AktG, sondern das besondere Regelwerk des NBG. Zu den verschiedenen Auffassungen über die Rechtsnatur der OeNB vgl Schwartz, Nationalbank und Bundesvergabegesetz, ecolex 1997, 195f mwN. Vgl auch Potacs, Devisenbewirtschaftung, 1991, 85ff. Gem § 9 Abs 2 NBG 1984 hält der Bund „die Hälfte des Grundkapitals“. Im Zuge des im Mai 2006 geschnürten „Rettungspakets“ für die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene BAWAG wurde vereinbart, dass alle vom ÖGB und von der BAWAG gehaltenen Anteile an der OeNB (zusammen rund 20%) an den Bund übertragen werden. Damit steigt der Anteil des Bundes auf über 50%. Man kann die organisatorische (eigene Rechtspersönlichkeit der OeNB), personelle (entsprechende Unvereinbarkeitsbestimmungen, Unabsetzbarkeit von Generalratsmitgliedern) und funktionelle (Monopol der Banknotenausgabe, Kreditverbot gegenüber Gebietskörperschaften, Weisungsfreiheit) Autonomie unterscheiden. Wenger, Die Notenbankautonomie der österreichischen Nationalbank, FS Koren, 1979, 265 (270ff). Die Novellen des NBG 1984 BGBl I 1998/60 und BGBl I 2000/72 standen im Zeichen der Teilnahme Österreichs an der Europäischen Währungsunion. Es wurde den Anforderungen des EG-Vertrags (vgl va die Unabhängigkeitserfordernisse gem Art 108) und der ESZB-Satzung im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Notenbank und der Integration der OeNB in das ESZB durch eine Neudefinition der Ziele, Aufgaben und Befugnisse und einer Adaptierung des währungspolitischen Instrumentariums entsprochen. Weitere Aufgaben sind die Durchführung der Devisengeschäfte, das Halten der Währungsreserven der MS sowie das Fördern des Funktionierens der Zahlungssysteme.

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Direktorium) geleitet. Vorrangiges Ziel des ESZB ist die Sicherung der Preisstabilität307 (Art 105 Abs 1 EG-Vertrag; § 2 NBG 1984). Für die operative Umsetzung der geldpolitischen Entscheidungen der EZB bzw des EZB-Rats in Österreich ist die OeNB verantwortlich. Im Rahmen dieser Mitwirkung an der Erreichung der Ziele und der Vollziehung der Aufgaben des ESZB ist die Nationalbank durch das NBG mit hoheitlichen Aufgaben betraut308. Auch im Rahmen der Vollziehung des DevisenG 2004 ist die OeNB zur Bescheid- und Verordnungserlassung und somit als beliehenes Unternehmen zu behördlichen Tätigkeiten berufen309. Mithin stellt die OeNB als relativ autonome, außerhalb des staatlichen Verwaltungsapparats stehende Trägerin dezentralisierter öffentlicher Verwaltung eine in ihrer Organisation auch gemeinschftsrechtlich geprägte Einrichtung mittelbarer Staatsverwaltung dar. Die OeNB ist im Wesentlichen wie eine Aktiengesellschaft gestaltet. Die Generalversammlung entspricht der Hauptversammlung, der Generalrat dem Aufsichtsrat und das Direktorium dem Vorstand. Der Generalrat, bestehend aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und 12 weiteren Mitgliedern, hat im Gefolge des Übergangs der währungs- und geldpolitischen Kompetenzen auf das ESZB seine Befugnis zur obersten Leitung der Geschäftsführung und Vermögensverwaltung eingebüßt310. Ihm kommt - neben seiner Funktion als Aufsichtsrat - als neue Zuständigkeit die Beratung des Direktoriums in währungspolitischen Fragen zu. Das Direktorium besteht aus dem Gouverneur, dem Vizegouverneur und zwei weiteren Mitgliedern. Es leitet den gesamten Dienstbetrieb, führt die Geschäfte entsprechend den Leitlinien und Weisungen der EZB und vertritt die OeNB nach außen. Als Mitglied des EZB-Rats ist der Gouverneur bei der Wahrnehmung dieser Funktionen weder an Beschlüsse des Direktoriums noch an solche des Generalrates gebunden und unterliegt auch sonst keinerlei Weisungen. Auf Grund der dezentralen Arbeitsteilung im ESZB hat die OeNB auch nach der Realisierung der Währungsunion wesentliche Aufgaben wie zB die Abwicklung des täglichen Geschäftsverkehrs mit den Banken, die Durchführung von Transaktionen auf dem Geld- und Devisenmarkt, die Sicherstellung der Geldversorgung und Verwaltung der Währungsreserven sowie die Produktion und Ausgabe von Banknoten und Münzen. Deren Herstellung wird entweder direkt von der OeNB vorgenommen oder durch die Oesterreichische Banknoten- und Sicherheitsdruck GmbH (OeBS), die 1998 aus der Abteilung „Druckerei für Wertpapiere“ der OeNB ausgegliedert wurde311, bzw durch die Mün307

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Preisstabilität iS auch geringfügiger Preissteigerungen („relative Preisstabilität“). Dazu Potacs, Art 105 EG-Vertrag, in: Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, Rz 3. Pauger (FN 299), 146f; Potacs (FN 301), 90ff, 99ff. Vgl §§ 4, 6 Abs 3 DevisenG 2004, BGBl I 2003/123. §§ 20 und 21 NBG 1984 idF der Novelle BGBl I 1998/60. Die Produktion von Schillingbanknoten durch die OeBS ist im Jänner 2000 ausgelaufen. Als gesetzliches Zahlungsmittel wurden Schillingbanknoten und -münzen von der OeNB noch bis Ende 2001 in Umlauf gebracht. Seit Oktober 1999 werden Eurobanknoten produziert.

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ze Österreich AG (MOeAG). Diese wurde mit 1. 1. 1989 als AG unter dem Dach der OeNB organisiert.

L. Die Unternehmen im Bereich der ÖIAG Die Österreichische Industrieholding Aktiengesellschaft (ÖIAG) wurde als Konzernholding durch das ÖIAG-G aus dem Jahr 1986312 gegründet und ist die Nachfolgerin der Österreichischen Industrieverwaltungs-Aktiengesellschaft313. Zählten zu den Aufgaben der ÖIAG ursprünglich die Erhaltung der durch das Erste VerstG verstaatlichten Unternehmen im Industriebereich und die Durchführung von Teilprivatisierungen, wurden im Laufe der Zeit - nicht zuletzt bedingt durch budgetäre Engpässe - die Vorbereitung314 und Durchführung insbesondere auch von Totalprivatisierungen zu wesentlichen Unternehmenstätigkeiten315. So erklärt § 7 ÖIAG-G 2000316 nunmehr - neben dem Beteiligungsmanagement iSd Sicherns eines Mindestmaßes an Einflussmöglichkeit auf ihre Beteiligungsgesellschaften und dem Akquisitionsmanagement (s zu beiden § 9) - das Privatisierungsmanagement iSd Erfüllung des jeweils für eine Legislaturperiode von der BReg beschlossenen Privatisierungsauftrages317 ausdrücklich zur zentralen Aufgabe318 der ÖIAG. Demnach ist die 312 313

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BGBl 204. Die Herauslösung der „Verstaatlichten“ aus der ministeriellen Verwaltung wurde durch das ÖIG-G, BGBl 1967/23, bewirkt. Die Österreichische Industrieverwaltungs-Gesellschaft mbH (ÖIG) war Treuhandverwalterin der Anteilsrechte des Bundes an den verstaatlichten Unternehmen. Sie wurde durch die ÖIG-G Novelle 1969, BGBl 1970/47, in eine AG, die Österreichische Industrieverwaltungs-Aktiengesellschaft umgewandelt. Schon die Novellen BGBl 1991/421 und 1993/973 verpflichteten die ÖIAG zur Erstellung von Privatisierungskonzepten und zum totalen bzw mehrheitlichen Verkauf der verstaatlichten Unternehmen. Der Versuch, verstaatlichte Unternehmen zusammenhängend zu erhalten und gemeinsam abzugeben (sechs Branchenholdings im Schoße der Austrian Industries AG als Tochtergesellschaft der ÖIAG), scheiterte. Vgl dazu die vollständigen Verkäufe zB der Voest Alpine Bergtechnik GmbH, der AMSAG, der VAMED AG, der Schoeller-Bleckmann Edelstahlrohr GmbH sowie der AMAG und der Salinen AG. BG über die Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Industrieholding Aktiengesellschaft und der Post und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft (ÖIAG-Gesetz 2000), BGBl I 24 idF BGBl I 2005/103. Im Rahmen des Auftrages vom 17. 5. 2000 waren der ÖIAG die Privatisierungen der Österreichischen Staatsdruckerei, der Dorotheum GmbH, der Print Media Austria AG, der Flughafen Wien AG, der Austria Tabak AG und der PSK aufgetragen. Gemäß Privatisierungsauftrag vom 1. 4. 2003 ist für folgende Unternehmen oder Anteile an Unternehmen eine vollständige Privatisierung angestrebt: BöhlerUddeholm AG, VA Technologie AG, Voestalpine AG und Österreichische Bergbauholding AG. Für die Telekom Austria AG ist die Privatisierung bis zu 100% anzustreben. Für die Österreichische Post AG wird ein strategischer Partner gesucht. Für die Österreichische Postbus AG ist nach Abgabe von 100% der Aktien an die ÖBB die Übertragung eines maßgeblichen Teils der Österreichischen Postbus AG an private Wettbewerber sicherzustellen. Dass mehrere der erwähnten Aufträge bereits erfüllt wurden, ist an den jeweils einschlägigen Kapiteln dieses Beitrages dargestellt. Ausführlich dazu Nowotny, ÖIAG-Gesetz 2000, ÖZW 2000, 116 (117ff).

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ÖIAG mit der gänzlichen oder teilweisen Privatisierung jener Unternehmen betraut, deren Anteile ihr übertragen sind319 oder ihr künftig durch BG oder Rechtsgeschäft zur Privatisierung übertragen werden. Von 1994 bis 2005 hat die ÖIAG insgesamt einen Privatisierungserlös von über 10 Mrd Euro erzielt. Durch die Tätigkeit der ÖIAG wurde und wird vor allem der Kreis erwerbswirtschaftlich tätiger öffentlicher Unternehmen erheblich geschmälert.

M. Die Österreichische Staatsdruckerei Vor dem 1. 1. 1982 war die Österreichische Staatsdruckerei ein Bundesbetrieb ohne Rechtspersönlichkeit. Durch das StaatsdruckereiG320 wurde sie zum genannten Zeitpunkt in einen Wirtschaftskörper mit eigener Rechtspersönlichkeit (selbstständige Anstalt) umgewandelt. Zu dessen Aufgaben zählten neben der Herstellung von Druckerzeugnissen für die Bundesverwaltung, bei deren Produktion Geheimhaltung bzw die Befolgung von Sicherheitsvorschriften geboten war (zB Reisepässe, Führerscheine, Personalausweise, Briefmarken, Wertpapiere und Fahndungsbücher), auch der Druck der Bundesgesetzblätter und der Stenographischen Protokolle des NR und des BR, der Berichte der VA, die Herstellung von Formularen, Verlautbarungsblättern sowie der Druck der Wiener Zeitung. Die Staatsdruckerei konnte auch sonstige Druckprodukte herstellen sowie den Verlag und den Vertrieb von Büchern, Zeitschriften usw ausüben. Da die Rechtsform der selbstständigen Anstalt als Unternehmensträgerin der geplanten Privatisierung im Wege stand, wurde der Wirtschaftskörper „Österreichische Staatsdruckerei“ durch das StaatsdruckereiG 1996321 mit 1. 1. 1997 in die „Österreichische Staatsdruckerei AG“ umgewandelt. Zugleich wurde die ausschließliche Betrauung der Druckerei mit der Herstellung der erwähnten Druckprodukte auf die Produktion jener Erzeugnisse beschränkt, die wegen des Erfordernisses ihrer Geheimhaltung bzw der Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen322 vom Anwendungsbereich des einschlägigen Vergaberechts ausgenommen waren323. Von der neu errichteten Aktiengesellschaft wurde mit 1. 1. 1998 die „Wiener Zeitung GmbH“ abgespalten, deren Aufgabe die Herstellung und der Verlag der Wiener Zeitung ist (§ 1 Abs 4 StaatsdruckereiG 1996). Die Anteilsrechte des Bundes an der Österreichischen Staatsdruckerei wurden zum Zwecke der Privatisierung in das Eigentum der ÖIAG übertragen324.

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Austrian Airlines AG (39,7%), GKB-Bergbau GmbH (100%), OMV AG (31,5%), Österreichische Post AG (100%), Telekom Austria AG (29,63%). BGBl 1981/340. BGBl I 1997/1. Der Sicherheitsdruck, die Drucklegung und der Vertrieb des BGBl und amtlicher Verlautbarungsblätter für Dienststellen des Bundes sowie der stenographischen Protokolle (§ 2 Abs 3). RV 502 BlgNR 20. GP. § 1 Abs 7 StaatsdruckereiG 1996 idF Art IV BGBl I 1997/97 (PrivatisierungsG).

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Mit der StaatsdruckereiG-Novelle 1999325 wurde die ehemalige Österreichische Staatsdruckerei in „Print Media AG“ umbenannt. Von dieser Gesellschaft wurde die „Österreichische Staatsdruckerei GmbH“ abgespalten, die sich nur mehr mit dem Wert- und Sicherheitsdruck beschäftigt326. Sie wurde im Jahr 2000 privatisiert. Der Verlag der Staatsdruckerei erhielt bereits 1993 den Namen „Verlag Österreich“. Im Jahr 2000 wurde dieser Geschäftsbereich in die Verlag Österreich GmbH eingebracht und privatisiert.

N. Die Staatsmonopole Seit dem Beitritt Österreichs zur EU hat die Bedeutung der Staatsmonopole rasant abgenommen. Bestanden zuvor noch umfassende staatliche Monopolrechte zu Gunsten öffentlicher Unternehmen im Rahmen des Salz-, Tabak-, Branntwein- und Glücksspielmonopols327, wurde das Salzmonopol anlässlich des EU-Beitritts aufgegeben328. Das Alkohol- sowie das Glücksspielmonopol kommen nicht mehr öffentlichen Unternehmen zu Gute. In der Form des Produktions- und Einfuhrmonopols gegenüber Drittstaaten bestand ein Monopol für die Austria Tabak AG. Auch diese Monopolstellungen konnten wohl nur so lange mit Hinweis auf den Charakter eines Finanzmonopols gerechtfertigt werden, als die Austria Tabak AG nicht (vollständig) privatisiert war und für die öffentliche Hand noch die für ein Finanzmonopol erforderlichen Einflussmöglichkeiten bestanden329. Mitte 2001 wurden die letzten Anteile der ÖIAG an der Austria Tabak an die Gallaher Group, den weltweit fünftgrößten Tabakkonzern, verkauft.

O. Regulierungsbehörden Im Folgenden werden für den Kreis (ehemaliger) öffentlicher Unternehmen wichtige Regulierungsbehörden dargestellt. Die Tendenz der Übertragung von Regulierungsaufgaben an spezialisierte, unabhängige, ausgegliederte Rechtsträger steht in engem Zusammenhang mit den entsprechenden Entwicklungen auf europäischer Ebene und hat sich seit der ersten Auflage dieses Buchs fortgesetzt. Immer mehr kristallisiert sich das „Regulierungsrecht“ als abgrenzbare Kategorie des Rechts heraus330. Nachfolgend wird dieser Prozess nachgezeichnet und der Status Quo dargestellt. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung oder einzelnen Problemstellungen, die häufig auch in die Verfassungssphäre reichen, kann an 325 326 327 328

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BGBl I 93. Brief- und Wertmarken, (Zulassungs)Bescheinigungen, Reisepässe, Personalausweise, Führerscheine, Sichtvermerke, Aufenthaltstitel. Raschauer (FN 115), 2; Wenger (FN 10), Rz 35ff. Grundlegend Mayer (FN 116). Vgl dazu RV 72 BlgNR 19. GP, 3. Mit dem Verzicht auf das Einfuhrmonopol (vgl Art 31 EG-Vertrag) hatten auch die übrigen Bestimmungen des SalzmonopolG keine wirtschaftliche Bedeutung mehr. Die Salinen AG wurde 1997 privatisiert. So Potacs Öffentliche Unternehmen unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, in: Aicher/Holoubek/Korinek (Hrsg), Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht, 2000, 263 (277f). Vgl nur Kneihs, Regulierungsrecht - Eine neue rechtswissenschaftliche Kategorie?, ZÖR 2005, 1.

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dieser Stelle nicht geleistet werden. Diesbezüglich sei auf die mittlerweile zahlreiche Spezialliteratur verwiesen.

1. Die Austro Control GmbH Die Errichtung der Austro Control GmbH sorgte verfassungsrechtlich für Furore, nachdem der VfGH in VfSlg 14.473/1996 die Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf die Gesellschaft als verfassungsrechtlich zulässig erachtet und entgegenstehende Bedenken verworfen hatte331. Mittlerweile stellt die Austro Control GmbH ein viel zitiertes Beispiel für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Rechtsträger des Privatrechts mit Mitteln der Hoheitsverwaltung dar. Der örtliche Wirkungsbereich der Austro Control GmbH umfasst das gesamte Bundesgebiet (§ 139 LFG332), die Gesellschaftsanteile sind zu 100% dem Bund vorbehalten333. Sitz der Gesellschaft, die dem BM weisungsgebunden ist, ist Wien. Auf der Grundlage des ACG hat die Austro Control GmbH sämtliche Agenden des früheren Bundesamtes für Zivilluftfahrt übernommen, die nicht durch die in Art II BGBl 1993/898 enthaltene Novelle des LFG dem BM oder dem LH übertragen wurden334. Sie nimmt heute zahlreiche behördliche Aufgaben wahr, wie zB die Bewilligung von Ein-, Aus- und Überflügen, die Prüfung der Luft- und Betriebstauglichkeit, die Bewilligung von und die Aufsicht über Zivilluftfahrschulen und die Erteilung, Verlängerung und den Widerruf von Zivilluftfahrerpersonalausweisen. Die Austro Control GmbH ist auch zur 331

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Ausschlaggebend dafür, dass der Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Einbindung in einen Weisungszusammenhang, die Organisationsverantwortung und die Verantwortlichkeit der obersten Organe (Art 20 und 77 BVG) als nicht verletzt erachtete, war, dass dem Bundesminister „umfassende Aufsichts- und Weisungsbefugnisse“ eingeräumt waren, der Gesetzgeber für die Ausgliederung die Rechtsform einer GmbH gewählt hatte, „wobei gemäß Art. I § 1 Abs. 2 und 3 ACG die Mehrheit der Gesellschaftsanteile beim Bund ... zu verbleiben hat“. Dadurch wurde nach Ansicht des Gerichtshofs sichergestellt, dass „auch die Gesellschafterrechte durch ein dem Nationalrat verantwortliches oberstes Organ wahrgenommen werden müssen“. Zudem sei der Bundesminister sachlich in Betracht kommende Ober- und im Instanzenzug übergeordnete Behörde. Schließlich wären der Gesellschaft nur vereinzelte, ganz bestimmte Teilbereiche von Verwaltungsmaterien übertragen, die nicht zu den „Kernbereichen der staatlichen Verwaltung“ zählten. Kritisch insb Raschauer (FN 137), 434ff. BGBl 1957/253 idF BGBl I 2006/149. Gem § 1 Abs 3 ACG, BGBl 1993/898 idF BGBl I 2004/173, sind Kapitalerhöhungen möglich, wenn der Bund die Mehrheit der Anteile (Mehrheit der Stimmrechte; Winner [FN 108], 107) hält und die weiteren Anteile von Flughafenbetriebsgesellschaften übernommen werden. Kritisch dazu Raschauer (FN 137), 436; Resch, Die Austro Control GmbH, ZfV 1998, 272 (274). Gem dem derzeit inkraftstehenden § 2 ACG hat die Austro Control sämtliche dem Bundesamt für Zivilluftfahrt im LFG sowie in den auf Grund des LFG erlassenen Verordnungen und im FlugsicherungsstreckengebührenG bisher übertragenen Aufgaben wahrzunehmen, ausgenommen jene, welche durch Verordnung gemäß § 140b LFG übertragen sind (Gemäß § 140b LFG kann der BMVIT auch andere private Einrichtungen mit an sich der Austro Control GmbH übertragenen Agenden betrauen). Die Austro Control GmbH hat weiters jene Aufgaben zu erfüllen, die ihr durch Bundesgesetze oder auf Grund dieser Bundesgesetze erlassener Verordnungen übertragen worden sind.

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Führung von Verwaltungsverfahren335 und somit zur Bescheiderlassung berufen. Sie wirkt an der Vertretung der Republik Österreich bei internationalen Luftfahrtorganisationen mit, unterstützt die Vorbereitung und Durchführung von luftfahrtrechtlichen Verwaltungsakten des Bundesministers und erstellt über dessen Anforderung Gutachten. Nicht-hoheitliche Tätigkeiten (zB Flugberatung, Flugwetterberatung) spielen eine untergeordnete Rolle. Der Unternehmenszweck der Austro Control GmbH ist kein primär erwerbswirtschaftlicher, sodass die Gesellschaft als Non-Profit-Organisation eingestuft werden kann336. Auch wenn § 1 Abs 2 ACG die Gesellschaft zum „Luftfahrtunternehmen“ erklärt, ist die Austro Control GmbH nicht zum Kreis der öffentlichen Unternehmen zu zählen. Dafür mangelt es an der wirtschaftlichen Tätigkeit. In diesem Sinne hat auch der EuGH in der Eurocontrol, der ähnlich der Austro Control die Kontrolle und Überwachung des Luftraumes übertragen sind, auf Grund des überwiegend „hoheitlichen“, also nicht-wirtschaftlichen, Charakters ihrer Tätigkeiten kein Unternehmen gesehen337.

2. Von der Telekomregulierung zur konvergenten Regulierung Eine unverzichtbare Voraussetzung für die Liberalisierung der Infrastrukturmärkte ist die Trennung regulatorischer von unternehmerischen Aufgaben. Im Bereich der Telekommunikation lagen ursprünglich beide Agenden in der Hand der Post- und Telegraphenverwaltung (PTV). Dies hätte jedoch Art 7 der TelekommunikationsdiensteRL338 widersprochen, wonach die Erteilung von Betriebsgenehmigungen, die Überwachung von Zulassungen und andere regulatorische Aufgaben in den Mitgliedstaaten mit 1. 7. 1991 von einer von der Fernmeldeorganisation unabhängigen Einrichtung durchzuführen waren. Darüber hinaus mussten und müssen die Mitgliedstaaten dann, wenn sie (Mit)Eigentümer von Telekommunikationsunternehmen sind oder die Kontrolle über solche Unternehmen ausüben, eine wirksame strukturelle Trennung zwischen den hoheitlichen Regulierungsfunktionen und den Tätigkeiten im Zusammenhang mit Eigentum oder Kontrolle sicherstellen339. In dieser Hinsicht hatte der gemeinschaftsrechtliche Rahmen in Österreich zur Folge, dass zunächst mit dem FernmeldeG 1993340 eine oberste Fernmel335

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Gem § 6 Abs 2 ACG ist der Höhe der entsprechenden Verwaltungsverfahrensgebühren das Kostendeckungsprinzip zu Grunde zu legen (zur Verfassungskonformität dieser Bestimmung VfSlg 14.474/1996). Winner (FN 108), 109f leitet dies zutreffend aus der Tatsache ab, dass die gemeinwirtschaftlichen Aufgaben Priorität genießen und ihre Erfüllung nicht durch die in gewissem Rahmen möglichen erwerbswirtschaftlichen Leistungen gefährdet werden darf. Vgl dazu auch Weigel, Gibt es Grenzen der Privatisierung?, ÖHW 1999, 179 (192). EuGH Rs C-364/92, Eurocontrol, Slg 1994, I-43 (Rz 30f). RL 90/388/EWG über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste, Abl L 192/10 (mittlerweile außer Kraft getreten). Vgl bereits Art 5a der mittlerweile ebenfalls außer Kraft getretenen RL 90/387/EWG zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (Open Network Provision - ONP), Abl L 192/1. BGBl 908.

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debehörde beim damaligen Bundesministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr errichtet wurde. Die rasch fortschreitende Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes erforderte jedoch alsbald eine neuerliche Adaptierung der nationalen Rechtsvorschriften. Dies führte zum TKG 1997341, das eine Restrukturierung der Behördenorganisation vornahm und die Grundlage für einen neuen Typus von Regulierungsbehörden bildete. Mit der Errichtung der Telekom-Control Kommission und der TelekomControl GmbH342 beschritt der Gesetzgeber einen neuen Weg bei der Marktregulierung, also der Regulierung hinsichtlich der Erbringung von Telekommunikationsleistungen343. Für Regulierungstätigkeiten im Bereich der civil rights wurde im Lichte des Art 6 EMRK als Tribunal die Telekom-Control Kommission als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag344 (Art 133 Z 4 B-VG) errichtet. Die übrigen Regulierungsagenden nahm die Telekom-Control GmbH wahr, sodass die Sicherstellung eines funktionierenden Wettbewerbs seit dem TKG 1997 eigentlich von zwei Behörden bzw von einer unabhängi341 342 343 344

BGBl I 100. „Telekom-Control Österreichische Gesellschaft für Telekommunikationsregulierung mbH“ (TKC); Anteilsrechte zu 100% dem Bund vorbehalten. Lust, Telekommunikationsrecht im Überblick, 2004, 22. In VfSlg 15.427/1999 nahm der VfGH grundsätzlich zur Zulässigkeit der Errichtung von Art 133 Z 4-Behörden und des Ausschlusses der Bekämpfbarkeit der von diesen Behörden gefällten Entscheidungen vor dem VwGH Stellung. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass sich Ausmaß und Gewicht der von solchen Behörden zu besorgenden Aufgaben der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen inzwischen so weit genähert hätten, dass „die Einrichtung solcher Behörden, welche die Besorgung wesentlicher Staatsaufgaben in größerem Umfang aus der (insbesondere parlamentarischen) Verantwortlichkeit der zur Leitung der Verwaltung berufenen obersten Organe entlässt und der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht, nach beiden Richtungen bereits einer besonderen Rechtfertigung durch gewichtige Gründe bedarf“. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung der TelekomControl Kommission leitete der Gerichtshof aus der Eigenart des ihr zugewiesenen Sachbereichs und der Tatsache ab, dass es sich dabei um einen neuen Verwaltungsbereich handelt, dessen Bewältigung neben juristischen und wirtschaftlichen in besonderem Maße auch technischen Sachverstand erfordert. Dazu komme, dass häufig Entscheidungen über „civil rights“ getroffen werden müssten. Was die Bekämpfbarkeit von Bescheiden der Telekom-Control Kommission betrifft, kam der VfGH im selben Erk zum Ergebnis, dass Art 133 Z 4 B-VG von Art 5a der RL 90/387/EWG idF der RL 97/51/EG verdrängt werde und Beschwerden an den VwGH demgemäß zulässig seien. Der VwGH war anderer Ansicht und legte diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vor. Daraufhin wurde durch die Novelle BGBl I 2000/26 der Rechtszug an den VwGH gesetzlich ausdrücklich für zulässig erklärt (§ 115 Abs 2 TKG 1997). Da also sowohl rechtfertigende Gründe für die Errichtung der Kommission als auch der Rechtszug zum VwGH gegeben waren, erachtete der VfGH die Schaffung der Telekom-Control Kommission als verfassungsrechtlich zulässig. Zum gegenteiligen Ergebnis führte den VfGH allerdings die Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung der Regionalradio- und Kabelrundfunkbehörde (Privatrundfunkbehörde) als Art 133 Z 4-Behörde (VfSlg 15.886/2000). Kritisch zur Judikatur des VfGH betreffend die Grenzen der Errichtung von Art 133 Z 4-Behörden Mayer, Möglichkeiten und Grenzen der Schaffung neuer unabhängiger Kollegialbehörden nach Art 133 Z 4 B-VG, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Senatsverfahren in Steuersachen, 2001, 45 (46ff). Dazu auch Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006, 163ff.

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gen345 zweigeteilten Behörde erbracht wurde, wobei der Telekom-Control Kommission die Telekom-Control GmbH als Geschäftsstelle zur Seite gestellt war. Unter dem Blickwinkel der voranschreitenden Verschränkung von Medien- und Telekommunikationsindustrie („Konvergenz“)346 wurde mit 1. 4. 2001 als „Know-how“-Trägerin im Bereich der Konvergenz und als Geschäftsapparat sowohl der Telekom-Control Kommission als auch der neu errichteten KommAustria die nicht gewinnorientierte „Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH)“ ins Leben gerufen. Die Gesellschaft wurde mit der Telekom-Control GmbH ex lege verschmolzen347. Die RTR-GmbH ist im Sinne eines „Konvergenzregulators“ in einen Fachbereich Telekommunikation, der die Telekom-Control Kommission348 unterstützt, und einen Fachbereich Rundfunk, der als Geschäftsapparat der KommAustria fungiert, gegliedert. Die ursprünglich der Telekom-Control GmbH übertragenen Regulierungsaufgaben werden seither von der RTR-GmbH wahrgenommen349. Auch sie ist ein beliehener Privatrechtsträger350. Die KommAustria ist zur Verwaltungsführung in Angelegenheiten der Rundfunkregulierung berufen. Sie ist eine dem Weisungsrecht des Bundeskanzlers unterliegende351 Medienbehörde und übernahm die Agenden der Privatrundfunkbehörde und der Kommission zur Wahrung des RRG, die zugleich Kommission zur Wahrung des KSRG war. Die Zuständigkeiten der KommAustria sind überwiegend352 im KOG (§ 2)353 festgeschrieben. Beru345 346 347 348 349

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Zu den Maßstäben der Unabhängigkeit vgl Polster, Das Telekommunikationsrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 22. Dazu umfassend Damjanovic, Regulierung der Kommunikationsmärkte unter Konvergenzbedingungen, 2002. § 5 Abs 2 KOG. Zu den Zuständigkeiten der Telekom-Control Kommission § 117 TKG 2003. S Parschalk/Otto/Weber/Zuser, Telekommunikationsrecht, 2006, 234f. Zu den Agenden der RTR-GmbH zählen neben der Wahrnehmung der Aufgaben des Geschäftsapparates der KommAustria und der Telekom-Control Kommission die Aufgaben, die ihr nach dem TKG 2003 übertragen sind (§ 115), Aufgaben nach dem SigG, dem ECG und dem KartG, der Aufbau eines Kompetenzzentrums, insbesondere für Fragen der Konvergenz von Medien und Telekommunikation, sowie die Verwaltung und Vergabe der Mittel aus dem Digitalisierungsfonds und aus dem Fernsehfilmförderungsfonds. Vgl zB die Kompetenz zur Erlassung verschiedener Verordnungen (zB Nummerierungsverordnung und Entgeltverordnung). Die parlamentarische Mehrheit für die Errichtung einer verfassungsrechtlich abgesicherten (vgl dazu VfSlg 15.886/2000 - Privatrundfunkbehörde) unabhängigen Behörde kam nicht zustande. Dazu Leitl, Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, 2006, 146f. Die Aufgaben der KommAustria wurden im Jahr 2002 mit dem WettbewerbsG, BGBl I 62, um Befugnisse im Bereich des allgemeinen Wettbewerbsrechts und im Jahr 2003 mit dem TKG 2003 um die Regulierung der Kommunikationsinfrastruktur zur Verbreitung von Rundfunk (§ 120) erweitert. Seit 2004 vergibt die KommAustria nach dem PresseförderungsG 2004 die Presseförderung und nach dem PublizistikförderungsG 1984 die Publizistikförderung des Bundes, seit 2006 fungiert sie auf der Grundlage des VerwertungsgesellschaftenG 2006 als Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften. BGBl I 2001/32 idF BGBl I 2006/9.

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fungsinstanz ist der Bundeskommunikationssenat, eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag, der zusätzlich zur Aufgabe als Berufungsbehörde gegenüber Entscheidungen der KommAustria die Agenden der Kommission zur Wahrung des RFG übertragen wurden (Rechtsaufsicht über den ORF)354.

3. Der Postregulator Mit der PostG-Nov 2005355 legte der Gesetzgeber auch für den Bereich des Postwesens den Grundstein für die Errichtung eines unabhängigen Regulators. Zwar wird noch bis Ende 2007 der BMVIT Regulierungsbehörde im Sinne der PostRL sein, ab 1. 1. 2008 tritt diesbezüglich jedoch „die Regulierungsbehörde gemäß § 25a PostG“ an dessen Stelle. Danach sind die TelekomControl Kommission und die RTR-GmbH auch als Postregulatoren tätig. Bei der Telekom-Control Kommission wird ein zweiter Senat errichtet, dem anstelle des Mitglieds mit einschlägigen technischen Kenntnissen (§ 118 Abs 1 TKG 2003) ein Mitglied mit Kenntnissen im Postwesen angehört. Die RTRGmbH fungiert - unter der Leitung des Geschäftsführers für den Fachbereich Telekommunikation - als Geschäftsapparat der Telekom-Control Kommission in Postangelegenheiten. Sie nimmt darüber hinaus - als Beliehene - sämtliche Aufgaben wahr, die im PostG 1997 und in den einschlägigen Verordnungen der Regulierungsbehörde übertragen sind, sofern hiefür nicht die TelekomControl Kommission zuständig ist356.

4. Der Schienenregulator Nach dem Vorbild der Regulierung auf dem Telekommunikationssektor wurde auch für den Bereich der Schienenverkehrsleistungen ein Regulator bestehend aus der Schienen-Control GmbH und der Schienen-Control Kommission ins Leben gerufen357. Ausschlaggebend hiefür war die gemeinschaftsrechtlich motivierte Erkenntnis, dass auch die Marktöffnung für Schienenverkehrsleistungen eine regulierende Aufsichtsfunktion mit allen nötigen Befugnissen erfordere358. Geschaffen wurden die Regulierungsstellen durch das „Schienenverkehrsmarkt-RegulierungsG“359. Auch die „Schienen-Control Österreichische Gesellschaft für Schienenverkehrsmarktregulierung mit beschränkter Haftung“ (Schienen-Control GmbH) ist eine zu 100% im Eigentum des Bundes stehende, nicht gewinnorientierte Gesellschaft, die mit der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse betraut ist. 354 355 356 357

358 359

Zur Verfassungskonformität des Bundeskommunikationssenats VfSlg 16.625/2002. BGBl I 2006/2. Vgl dazu insb § 25a f PostG 1997 nach seinem Inkrafttreten mit 1. 1. 2008. Vgl dazu Urbantschitsch/Feiel, Schienenverkehrsmarkt-Regulierungsgesetz: Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Fragestellungen, JBl 2000, 431. Zum Eisenbahnregulierungsrecht allgemein s den gleichnamigen Kommentar von Lewisch, 2002. Vgl auch Holoubek, Die Regulierung des liberalisierten Eisenbahnverkehrs Aufgaben, Organisation und Verfahren der Schienenverkehrsmarktregulierung im Rechtsvergleich, in: Dullinger/Holoubek/Segalla (Hrsg), Recht und Praxis der Eisenbahnliberalisierung, 2004, 106. RV 1835 BlgNR 20. GP, 2. BG, mit dem das Eisenbahngesetz 1957, das Bundesbahngesetz 1992 und das Schieneninfrastrukturfinanzierungs-Gesetz geändert werden (Schienenverkehrsmarkt-Regulierungsgesetz), BGBl I 1999/166.

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Fachbereiche der Gesellschaft sind Netz, Recht, Betriebswirtschaft Controlling und Verkehrsökonomie. Ihre wichtigsten Aufgaben bestehen in der Entscheidung bei Nutzungskonflikten sowie in der Wettbewerbsaufsicht am Schienenverkehrsmarkt in technischer, rechtlicher, betriebs- und volkswirtschaftlicher Hinsicht. Konkret kommen der Gesellschaft nach dem EisbG 1957 etwa folgende Aufgaben zu360: Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Anschlussund Mitbenützungsbegehren sowie zur Gewährleistung des Zugangs zur Schieneninfrastruktur, Durchführung des Verfahrens zur Feststellung der Voraussetzungen für die Ausstellung einer Sicherheitsbescheinigung, Aufsicht über Verhandlungen über die Höhe von Benützungsentgelten, die Marktbeobachtung sowie die Geschäftsführung der Schienen-Control Kommission. Die Schienen-Control Kommission ist eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art 133 Z 4 B-VG für Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Schienen-Control GmbH zuständig (§§ 78 Abs 2 und 81 Abs 2 EisbG 1957). Weiters fallen in ihren Aufgabenbereich gemäß dem EisbG 1957361 die Entscheidung über Beschwerden von Anschluss- und Mitbenützungsberechtigten, die Wettbewerbsaufsicht im Zusammenhang mit der Verknüpfung von Schienenbahnen, die Genehmigung von Rahmenregelungen mit einer Laufzeit von mehr als 10 Jahren und von Entgelten im Zusammenhang mit der Erhöhung der Fahrwegkapazität, die Entscheidung über Beschwerden gegen Zuweisungsstellen und Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie die Wettbewerbsaufsicht im Zusammenhang mit dem Zugang zur Schieneninfrastruktur und sonstigen Leistungen.

5. Der Energieregulator Auch für die Aufsichts- und Regulierungsfunktionen im Bereich der liberalisierten Energiemärkte stand der Regulator im Telekommunikationssektor Pate. Nach seinem Vorbild wurden als Regulierungsbehörde zunächst eine „Elektrizitäts-Control Österreichische Gesellschaft für die Regulierung in der Elektrizitätswirtschaft mit beschränkter Haftung“ (Elektrizitäts-Control GmbH) und eine Elektrizitäts-Control Kommission errichtet362. Mit einer Novelle zum zitierten Gesetz aus dem Jahr 2002363 wurde auch für den Bereich Erdgas ein Regulator ins Leben gerufen und der Titel des Gesetzes in Energie-RegulierungsbehördenG (E-RBG) abgeändert. Regulierungsbehörden sind die Energie-Control GmbH und die Energie-Control Kommission364. 360 361 362

363 364

§§ 53e, 75, 61, 68a, 77 Abs 1 Z 1, 77 Abs 1 Z 3. §§ 53c, 53f, 64 Abs 5, 65e Abs 4, 72, 73, 74. BG über die Aufgaben der Regulierungsbehörden im Elektrizitätsbereich und die Errichtung der Elektrizitäts-Control GmbH und der Elektrizitäts-Control Kommission, Art 8 EnergieliberalisierungsG, BGBl I 2000/121. Zur Verfassungskonformität der Strom-Regulatoren vgl Feiel/Urbantschitsch, Die neuen Strom-Regulatoren, ecolex 2000, 826 (827ff). Art 2 BGBl I 148. Zur europäischen Dimension der Regulierung, insb zur „Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für Elektrizität und Erdgas“ (ERGEG) als unabhängiges Beratergremium der Europäischen Kommission und zum „Council of European Energy Regulators“ (CEER) als Vereinigung europäischer Regulatoren mit verschiedenen Arbeitsgruppen, die insb der Erörterung aktueller einschlägiger Themen dienen, Boltz, Die europäische Dimension: Aktuelle Entwicklungen der Strommarktregulie-

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Die „Energie-Control Österreichische Gesellschaft für die Regulierung in der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft mit beschränkter Haftung“ (EnergieControl GmbH) ist gemäß § 7 E-RBG zur Wahrnehmung folgender Aufgaben berufen, sofern hiefür nicht die Energie-Control Kommission zuständig ist: sämtliche Aufgaben, die im ElWOG365, im Bundesgesetz, mit dem die Ausübungsvoraussetzungen, die Aufgaben und die Befugnisse der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie geregelt werden, im GWG, im E-RBG sowie im Ökostromgesetz und in den auf diesen Gesetzen erlassenen Verordnungen der Regulierungsbehörde übertragen sind. Erwähnt seien auch die Erstellung von Gutachten und Stellungnahmen über die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse im Elektrizitäts- und Erdgasbereich sowie die Wahrnehmung der den Regulatoren durch das KartG eingeräumten Antrags- und Stellungnahmerechte366. Die Energie-Control GmbH ist zudem zur Geschäftsführung der Energie-Control Kommission berufen. Die Energie-Control Kommission ist eine weisungsfreie Behörde, deren vielfältige Aufgaben in § 16 E-RBG festgelegt sind. Beispielhaft seien erwähnt die Genehmigung der allgemeinen Bedingungen der Netzbetreiber für die Inanspruchnahme der Übertragungs- und Verteilernetze, die Bestimmung der Systemnutzungstarife und sonstiger Tarife gemäß § 25 ElWOG sowie von Tarifen und Verrechnungsgrundsätzen bei Regelzonen überschreitenden Lieferungen von elektrischer Energie, die Untersagung der Anwendung von Bedingungen, die auf Endverbraucher Anwendung finden und die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen sowie die Entscheidungen über Netzzugangsverweigerung. Die Kommission ist eine Art 133 Z 4-Behörde, gegen deren Entscheidungen der VwGH angerufen werden kann367.

6. Die Finanzmarktaufsicht Im Gegensatz zu den bisher dargestellten Regulierungsbehörden ist die Finanzmarktaufsicht (FMA) - wie ihre Vorläuferin, die Bundes-Wertpapieraufsicht (BWA)368 - nicht in privatrechtlicher Form organisiert. Vielmehr stellt

365

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rung auf Ebene der Europäischen Union, in: Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005, 113 (115ff). Zur Verfassungswidrigkeit der Verhängung von Einfuhrsperren gegenüber anderen Staaten durch die Elektrizitäts-Control GmbH VfSlg 16.995/2003 (ausgliederungsfeste staatliche Kernaufgabe der Außenpolitik). Zur Streitschlichtung s § 10 E-RBG. Zur Strommarktregulierung insb Holoubek/Boltz (Hrsg), Strommarktregulierung, 2005. Die BWA sollte ursprünglich als GmbH organisiert werden. Im Ergebnis wurde sie jedoch als unabhängige Anstalt öffentlichen Rechts errichtet (Kalss, Die Gestaltung der Kapitalmarktaufsicht in Österreich, ZfV 1998, 252 [258]). Zur Verfassungswidrigkeit der BWA als selbstständige, mit Hoheitsgewalt ausgestattete Anstalt öffentlichen Rechts auf Grund ihrer mangelnden Unterstellung unter die Leitungs- und Organisationsgewalt eines obersten Organs VfSlg 16.400/2001 (vgl bereits zuvor Raschauer [FN 137], 434; Rill [135], 748). Ohne die vom VfGH geforderte Ingerenz des BMF in Gestalt einer unselbstständigen Anstalt oder einer GmbH herzustellen, hat der Gesetzgeber nach dem zitierten Erkenntnis auch die FMA als selbstständige, unabhängige Anstalt öffentlichen Rechts errichtet, allerdings mit verfassungsrechtlicher Absicherung (Schäffer [FN 175], Rz 574 [FN 98f]). Zur Verfassungskonformität der FMA VfSlg 16.641/2002.

Öffentliche Unternehmen

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sie gemäß § 1 Abs 1 FMABG369 eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit dar. Die FMA nahm ihren Betrieb am 1. 4. 2002 auf370, ist in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden und zur Durchführung der Banken-, Versicherungs-, Wertpapier- und Pensionskassenaufsicht (Allfinanzaufsicht) berufen371. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sind der FMA mit der Erlassung von Bescheiden und Verordnungen auch hoheitliche Instrumente an die Hand gegeben.

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BG über die Errichtung und Organisation der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FinanzmarktaufsichtsbehördenG - FMABG), Art I FMAG, BGBl I 2001/97 idF BGBl I 2006/141. Die Rechte und Pflichten der BWA gingen auf die FMA im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über. Zu den einzelnen Tätigkeitsbereichen § 2 FMABG.

Patrick Segalla

Monopolbetriebe Rechtsgrundlagen ...........................................................................................419 Grundlegende Literatur...................................................................................419 I. Grundlagen ................................................................................................419 A. Allgemeines............................................................................................419 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................420 II. Das Glücksspielmonopol .........................................................................422 III. Das Tabakmonopol ................................................................................422 A. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................422 B. Allgemeines............................................................................................423 C. Die Monopolverwaltung........................................................................423 D. Ehemaliges Einfuhr- und Herstellungsmonopol ...................................423 E. Das Großhandelsmonopol.....................................................................424 F. Der Kleinhandel ....................................................................................425 Rechtsgrundlagen: GlücksspielG - GSpG (BGBl Nr 620/1989 idF BGBl I Nr 145/2006); TabakmonopolG 1996 - TabMG (BGBl Nr 830/1995 idF BGBl I Nr 47/2006); Tabaksteuergesetz 1995 (BGBl Nr 704/1994 idF BGBl I Nr 47/2006); Tabakgesetz (BGBl Nr 431/1995 idF BGBl I Nr 47/2006).

Grundlegende Literatur: Erlacher, Glücksspielgesetz2, 1997; Herzig/Hecht, Tabakmonopol, Gastgewerbebetriebe und Freiheit des Warenverkehrs, WBl 1997, 277; Mayer, Staatsmonopole, 1976; Raschauer, Monopolunternehmen: Zugleich ein Beitrag zum Recht der öffentlichen Unternehmung, ZfV 1987, 1; Schwartz, Strukturfragen und ausgewählte Probleme des österreichischen Glücksspielrechts, 1998; Schwartz/Wohlfahrt, Glücksspielgesetz Kurzkommentar, 1988; Vcelouch, Vereinbarkeit von Gemeinschaftsrecht und österreichischem „Tabakmonopol“, ÖJZ 1999, 701.

I. Grundlagen A. Allgemeines Das österreichische Wirtschaftssystem folgt bekanntermaßen prinzipiell den Grundsätzen einer liberalen und marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung: Staatliche Monopole erscheinen in einem derartigen System geradezu systemwidrig, waren aber in der Vergangenheit durchaus häufig - und nicht nur in unbedeutenden Wirtschaftssektoren - anzutreffen. Sie entwickelten sich in der Regel aus königlichen Regalien, bei denen bestimmten Privaten Exklusivrechte

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eingeräumt wurden,1 wobei diese Regalien im Laufe der Zeit in Monopole umgewandelt wurden, bei denen der Staat die gegenständlichen Wirtschaftsgebiete selbst übernahm. Hauptmotiv für die Schaffung der Staatsmonopole - va Tabak, Salz, Glücksspiel, teilweise Alkohol - waren in fast allen Fällen fiskalische Überlegungen. Durch die Besteuerung bestimmter Tätigkeiten (Verbrauchssteuer) konnte der Staat zusätzliche Einnahmen erzielen.2 Neben diesem finanziellen Aspekt kamen jedoch auch andere Motive zum tragen, so beispielsweise die Gewährleistung sozialer Preise beim Salz als Gut mit unelastischer Nachfrage und die Verwendung der Glücksspieleinnahmen für soziale Zwecke.3 Im vergangenen Jahrzehnt sank hingegen die Zahl derartiger Staatsmonopole erheblich. Neben einer allgemeinen Tendenz zum Rückzug des Staates aus der eigenverantwortlichen Wahrnehmung wirtschaftlicher Tätigkeiten spielte hierbei auch der EU-Beitritt Österreichs eine zentrale Rolle. So wurden Salzund Branntweinmonopol aufgegeben, und als wirtschaftlich relevante Staatsmonopole bestehen heutzutage nur mehr das Glücksspielmonopol und das Tabakmonopol.

B. Kompetenzrechtliche Einordnung Gem Art 10 Abs 1 Z 4 ist das Monopolwesen in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Trotz dieser scheinbar klaren Festlegung durch den Verfassungsgeber bereitet die genaue Auslegung des Begriffs Monopolwesen einige Schwierigkeiten.4 Unbestrittenermaßen besteht die Bundeskompetenz des Art 10 Abs 1 Z 4 nur für Staatsmonopole.5 Private Monopole können daher vom Bundesgesetzgeber nicht auf Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG gestützt werden.6 Unabhängig geht die hL jedoch davon aus, dass es dem Bundesgesetzgeber erlaubt ist, die Bewirtschaftung von staatlichen Monopolen an (natürliche und) juristische Personen des Privatrechts zu übertragen.7 In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Österreichischen Lotterien GmbH und die Casinos Austria AG mehrheitlich in privater Hand befinden, ist es allerdings durchaus fragwürdig, ob das Glücksspielmonopol noch ein Staatsmonopol darstellt und die diesen Unternehmen eingeräumten Monopolrechte noch auf Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG gestützt werden können. 1 2 3

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Vgl Mayer, Staatsmonopole, 1976, 15f. Vgl Raschauer, Monopolunternehmen: Zugleich ein Beitrag zum Recht der staatlichen Unternehmung, ZfV 1987, 1 (2). Vgl Raschauer (FN 2), 2f. Im Glücksspielbereich spielten lange Zeit auch moralisch-religiöse Überlegungen eine wichtige Rolle (Vgl Schwartz, Strukturfragen und ausgewählte Probleme des österreichischen Glücksspielrechts, 1998, 6), in jüngerer Zeit kamen auch das Ziel der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Geldwäsche sowie des Spielerschutzes hinzu. Vgl Mayer (FN 1), 1976, 1; Raschauer (FN 2), 1. Mayer, B-VG3, 2002, 24. Vgl Raschauer (FN 2), 3. Raschauer (FN 2), 4f, Schwartz/Wohlfahrt, Glücksspielgesetz, 1998, 39f. AA Mayer (FN 1), 5ff.

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Ein Teil der Lehre und insb Mayer nimmt an, dass dem einfachen Bundesgesetzgeber eine Kompetenzkompetenz zur Normierung der Monopolgegenstände zukommt.8 Dies gelte insbesondere auch dann, wenn die in Frage stehende Angelegenheit im Übrigen in die Kompetenz der Länder fällt,9 und bedeute weiters, dass der (einfache) Bundesgesetzgeber jedes Sachgebiet als Monopol ausgestalten darf. Der Bundesgesetzgeber könne in den Monopolbereichen selbst bestimmen, inwieweit er auch tatsächlich ein Monopol begründet. Sofern er in einem Sachbereich die Reichweite des Monopols begrenzt, falle die Regelung des über das Monopol hinausgehenden Bereichs unter die allgemeinen Kompetenzregeln. Deshalb fallen z.B. jene Glücksspiele, die nicht vom Glücksspielmonopol erfasst sind - weil sie „Veranstaltungswesen“ darstellen Gem Art 15 B-VG in die Zuständigkeit der Länder.10 Nach abweichender Auffassung gewährt Art 10 Abs 1 Z 4 dem einfachen Bundesgesetzgeber keine Kompetenzkompetenz, vielmehr sei der Bedeutungsinhalt des Kompetenztatbestandes „Monopolwesen“ im Wege der Versteinerung zu gewinnen. Raschauer macht als Wesensmerkmal von Staatsmonopolen den Aspekt der Verbrauchsbesteuerung aus.11 Eine Kompetenz zur Monopolschaffung komme dem Bundesgesetzgeber nur insoweit zu, als sich ein derart geschaffenes Monopol auf Verbrauchsabgaben bezieht und sich im Übrigen als intersystematische Fortentwicklung jener Vorbehalte darstellt, die vom Verfassungsgesetzgeber in der Österreichischen Zoll- und Staatsmonopolordnung12 vorgefunden wurden. Sofern der Bundesgesetzgeber ein solches Monopol aber nicht schafft, ergebe sich die Regelungszuständigkeit auch hier nach den allgemeinen Kompetenzregeln. Der einfache Bundesgesetzgeber darf sich auf den Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG „Monopolwesen“ nur dann stützen, wenn er den zu regelnden Bereich tatsächlich als Monopol ausgestaltet, also die monopolisierte Tätigkeit von niemandem außer dem Monopolinhaber ausgeübt werden darf:13 Dies ist einsichtig, weil sonst dem einfachen Bundesgesetzgeber eine Kompetenzkompetenz zukommen würde, jeden beliebigen Regelungsbereich an sich zu ziehen. Es führt aber zu einem durchaus relevanten Problem: Wie zu zeigen sein wird, sieht das TabMG heutzutage kein Monopol im eigentlichen Sinn mehr vor: Vielmehr geht das TabMG von einem streng regulierten Markt aus, der im Bereich des Kleinhandels intensiven Zugangsbeschränkungen unter8 9 10 11

12 13

Ausführlich Mayer (FN 1), 13ff. Mayer (FN 1), 1976, 22f; Schwartz/Wohlfahrt, Der glücksspielrechtliche Ausspielungsbegriff, ÖJZ 1999, 339. Kritisch Schwartz (FN 3), 24ff. Schwartz/Wohlfahrt (FN 7), 19f, Erlacher, Glücksspielgesetz, 1997, 15. VfSlg. 7.567/1975. Raschauer (FN 2), 2. Schwartz will den Inhalt des Kompetenztatbestandes ebenfalls im Wege der Versteinerungstheorie gewinnen: Vgl Schwartz (FN 3), 26 ff. Bei den hier zu behandelnden Rechtsgebieten des Glücksspiel- und Tabakmonopols ergeben sich dadurch kaum Unterschiede zur anderen Sichtweise, weil diese Gebiete bereits im Jahr 1925 als Staatsmonopole ausgestaltet waren, also im versteinerten Inhalt des Kompetenztatbestandes beinhaltet sind. Zu Bedenken hinsichtlich der Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Regelung des Totos siehe den Beitrag Glückspiel- und Wettrecht in diesem Band. ZuStMO, PGS LXIII, 113. Ein „Weniger“ an Beschränkungen wäre auf Grundlage des Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG nicht zulässig: Vgl Mayer (FN 1), 17.

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liegt. Weder die Erzeuger-, noch die Großhändler-, noch die Kleinhändlertätigkeit sind aber heutzutage einem Monopolisten vorbehalten. Daher dürften die heutigen Regelungen des TabMG nicht mehr auf diese Kompetenzgrundlage zu stützen sein; als Alternative kommt Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie“ in Betracht.14

Besondere Beachtung verdient weiters das Verhältnis zwischen den Art 5 und 6 StGG und der Kompetenznorm des Art 10 Abs 1 Z 4 B-VG. Denn die Schaffung eines Staatsmonopols gerät zwangsläufig in Konflikt mit den verfassungsgesetzlich gewährleistetet Rechten auf Eigentum und freier Erwerbsbetätigung. Der VfGH hat jedenfalls die Auffassung abgelehnt, dass die Erwerbsfreiheit bei der Regelung von Konzessionsvergaben an Private im Bereich staatlicher Monopole keine Schranke für das gesetzgeberische Handeln darstellt und stattdessen die Beschränkung der Zahl der Spielbankenkonzessionen nach § 21 Abs 4 GSpG an Art 6 StGG gemessen.15

II. Das Glücksspielmonopol Das GSpG unterwirft mit wenigen Ausnahmen - siehe § 4 GSpG - die Veranstaltung von Glücksspielen zur Gänze dem Glücksspielmonopol des Bundes: siehe dazu den Beitrag „Glückspiel- und Wettrecht“ in diesem Band.

III. Das Tabakmonopol A. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Tabakwaren sind Waren iSd Art 28 EGV. Die klassischer Weise in den Mitgliedsstaaten bestehenden Handelsmonopole mit Tabakwaren unterliegen daher auch der Bestimmung des Art 31 EGV, wonach sie derart umzuformen sind, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedsstaaten ausgeschlossen ist. Art 71 der Beitrittsakte Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft16 sah zur Umformung des österreichischen Tabakmonopols eine dreijährige Übergangsfrist vor. Seit Ablauf dieser Frist gelten die allgemeinen Vertragsvorschriften. Nicht unter Art 31 EGV fällt nach Ansicht des EuGH jedoch eine Regelung, die den Einzelhandel mit Tabakwaren staatlich zugelassenen Vertriebshändlern vorbehält, wenn der Staat nicht in die Wahl der Bezugsquellen durch die Einzelhändler eingreift.17 Es handle sich dabei um eine bloße Verkaufsmodalität iSd Keck-Rsp,18 die den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedsstaaten nicht stärker berühre als von inländischen Produkten.19 Aus diesem 14

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Zu bemerken ist freilich, dass nach Mayer bereits die Übertragung des Monopols auf die juristische Person des Privatrechts „Austria Tabak AG“ - noch vor ihrer Vollprivatisierung - nicht mit dem Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 4 BVG vereinbar war, weil dieser nur Staatsmonopole im engen Sinn betreffe. Vgl Mayer (FN 1), 7. VfSlg 12.165/1989. BGBl 1995/45. EuGH, Rs C-387/93, Banchero, Slg 1995 I-4663. Vgl Becker in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art 28 EGV Rz 47ff. Vgl Beck in Schwarze (Hrsg.), (FN 18), Art 31 EGV Rz 11.

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Urteil ergibt sich in Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht, dass eine Beschränkung der Einzelhändler in Hinsicht auf ihre Bezugsquelle auf einen bestimmten Großhandelsmonopolisten gemeinschaftsrechtswidrig wäre. Mit Bezug auf die österreichische Rechtslage wurden zum Teil die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit der Beschränkung des Großhandels auf Gesellschaften, welche im Besitz einer österreichischen Großhandelsgenehmigung sind sowie der Verpflichtung des Gastgewerbes, Tabakerzeugnisse von Tabaktrafiken zu beziehen angezweifelt.20

B. Allgemeines § 1 Abs 1 Tabakmonopolgesetz (TabMG 1996) bestimmt, dass Tabakerzeugnisse im Monopolgebiet nach den Bestimmungen dieses Gesetzes dem Bund als Monopolgegenstände vorbehalten sind.21 Monopolgebiet ist dabei das gesamte Bundesgebiet mit Ausnahme des Gebiets der Ortsgemeinden Jungholz (Tirol) und Mittelberg (Vorarlberg). Das Tabakmonopol wurde allerdings wegen des EU-Beitritts Österreichs stark umgestaltet, wodurch die ehemaligen Ausschließlichkeitsrechte heute keine solchen mehr sind. Dies gilt insbesondere für das Einfuhr- und Herstellungsmonopol, welche beseitigt wurden, sowie das Großhandelsmonopol, wo der Marktzutritt auch anderen Unternehmen als der Austria Tabak AG ermöglicht wurde.22

C. Die Monopolverwaltung Die Verwaltung des Tabakmonopols wird sowohl hinsichtlich des Groß-, wie des Kleinhandels einheitlich von der Monopolverwaltungsgesellschaft mbH wahrgenommen (§ 3):23 Die Monopolverwaltungs GmbH ist eine vom BMF gegründete Gesellschaft, deren Anteile zu 100% dem Bund vorbehalten sind (§ 13). § 13 bis 18 enthaltenen nähere organisationsrechtliche Vorschriften für diese Gesellschaft.

D. Ehemaliges Einfuhr- und Herstellungsmonopol Das bis zum EU-Beitritt bestehende strikte Einfuhrmonopol wurde zunächst auf die Einfuhr von Tabakerzeugnissen aus Drittstaaten beschränkt und 2002 20

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So Herzig/Hecht, Tabakmonopol, Gastgewerbebetriebe und Freiheit des Warenverkehrs, WBl. 1997, 277. Sie sehen neben der Problematik des Art 31 EGV auch einen Verstoß gegen Art 86 EGV. AA Vcelouch, Vereinbarkeit von Gemeinschaftsrecht und „Tabakmonopol“ ÖJZ 1999, 701, der die Vereinbarkeit der Regelungen des TabMG mit der Warenverkehrsfreiheit im Lichte des Banchero-Urteils bejaht. Tabakerzeugnisse sind gem § 1 Abs 2 definiert als die Tabakwaren iSd § 2 Tabaksteuergesetz 1995, BGBl Nr 704/1994 (das sind Zigaretten, Zigarren, Zigarillos und Rauchtabak) sowie Kau- und Schnupftabake, auch wenn sie nur zum Teil aus Tabak bestehen. Zur vorgehenden Rechtslage vgl Curda, Das Tabakmonopolgesetz 1968, 1979. Vor der TabMG-Novelle BGBl I 2002/132 war die Verwaltung des Monopols zweigeteilt: Die gewerbliche Einfuhr und Herstellung von sowie der Großhandel mit Tabakerzeugnissen wurden von der Austria Tabak Aktiengesellschaft wahrgenommen, die Angelegenheiten des Kleinhandels hingegen von der Monopolverwaltungsgesellschaft mbH. Die Änderungen seit damals sollten der Vollprivatisierung der Austria Tabak AG Rechnung tragen.

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vollständig aufgehoben (ehemaliger § 2). Die Einfuhr von Tabakerzeugnissen aus Mitgliedsstaaten der EG wie auch aus Drittstaaten ist daher jedermann gestattet. Als Folge der Vollprivatisierung der Austria Tabak AG wurde 2002 auch deren Herstellungsmonopol (ehemaliger § 4) beseitigt.

E. Das Großhandelsmonopol Ebenfalls aufgrund des Beitritts zur Europäischen Union wurde das davor bestehende völlige Großhandelsmonopol im Ergebnis beseitigt.24 Im Gegensatz zur Vergangenheit ist der Großhandel nunmehr nicht mehr ausschließlich der Austria Tabak vorbehalten. Allerdings ist der Erwerb einer Großhandelsbewilligung an strenge Voraussetzungen geknüpft. § 6 regelt die Voraussetzungen zum Erwerb einer solchen Bewilligung. Sie darf nur an Personen oder Personenvereinigungen erteilt werden, die • ihren Sitz oder Hauptwohnsitz in der EG haben,25 • gem § 13 Abs 2 oder § 19 TabStG 1995 berechtigt sind, Tabakerzeugnisse unter Steueraussetzung zu lagern oder zu beziehen, es sei denn, es werden ausschließlich Kau- oder Schnupftabake gehandelt. Steuerlager gem § 13 Abs 2 TabStG sind Herstellungsbetriebe oder Tabakwarenlager, soweit sie nach § 14 (Herstellungsbetriebe) bzw § 16 (Lager) TabStG bewilligt sind, sowie in anderen Mitgliedsstaaten zugelassene Steuerlager. § 19 TabStG bestimmt, wer als berechtigter Empfänger zu gelten hat: Gem § 19 Abs 1 sind dies Personen, denen von einem anderen Mitgliedsstaat oder gem § 19 Abs 2 die Bewilligung erteilt worden ist, Tabakwaren unter Steueraussetzung aus einem anderen Mitgliedsstaat zu gewerblichen Zwecken nicht nur gelegentlich (Z 1) oder im Einzelfall (Z 2) zu beziehen. Wichtigste Voraussetzung für die Erteilung einer Bewilligung im Fall des Abs 1 Z 1 („nicht nur gelegentlich“) ist die grundsätzliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung.26 Weiters ist Sicherstellung in Höhe der Tabaksteuer erforderlich, die voraussichtlich während eines Kalendermonats anfallen wird. Für die Bewilligung im Einzelfall (§ 19 Abs 1 Z 2 TabStG) muss nur eine Sicherheit in Höhe der im Einzelfall anfallenden Tabaksteuer geleistet werden.

• • •

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eine Gewerbeberechtigung gem § 124 Z 10 der GewO 1994, BGBl Nr 194/1994 besitzen (Handelsgewerbe), nicht Tabaktrafikanten sind und weder rechtlich noch faktisch kontrollierend an einem Unternehmen beteiligt sind, das eine Tabaktrafik führt,27 Geschäfts- und Lieferbedingungen gem § 10 Abs 1 und 2 TabMG festgelegt haben.

Unter Großhandel ist gem § 5 Abs 1 der gewerbliche Vertrieb von Tabakerzeugnisse zu verstehen, so weit es sich nicht um Kleinhandel handelt (und keine der sonstigen Ausnahmen vorliegt). Unter Kleinhandel ist gem Abs 2 die entgeltliche Abgabe von Tabakerzeugnisse an Verbraucher im Monopolgebiet aufgrund eines Bestellungsvertrages zu verstehen. Er ist im Regelfall den Tabaktrafikanten vorbehalten. Gilt auch für die zur Geschäftsführung berufenen Personen (§ 6 Abs 3). Diese Pflicht gilt gem § 6 Abs 4 TabMG auch, wenn nur mit Kau- oder Schnupftabaken gehandelt wird. Gilt auch für die zur Geschäftsführung berufenen Personen (§ 6 Abs 3).

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Für die Erteilung der Großhändlerbewilligung ist gem § 7 Abs 1 TabMG der BMF zuständig. Treten die Voraussetzungen des § 7 Abs 5 TabMG ein, ist die Bewilligung zu widerrufen. § 8 TabMG normiert weitreichende Pflichten des Großhändlers. Der Großhändler muss gem § 8 Abs 1 alle Tabakerzeugnisse, die er im Monopolgebiet abgeben will, nach Maßgabe der vorhandenen Bestände auf Bestellung allen Tabaktrafikanten zu den gleichen Bedingungen liefern, wobei für übliche Gebindegrößen eine Lieferverpflichtung gilt und die Lieferung binnen drei Wochen ab Bestellung zu erfolgen hat. Lieferkosten darf der Großhändler nur verrechnen, wenn die Summe der Kleinverkaufspreise der jeweiligen Bestellung weniger als EUR 400,- beträgt (§ 8 Abs 4). § 8 Abs 5 bis 8 regeln weitere Modalitäten der Lieferung und des Preises.

Es ist dem Großhändler untersagt, Tabakerzeugnisse entgeltlich direkt an Verbraucher abzugeben, es sei denn, eine tabaksteuerfreie Abgabe ist zulässig (§ 8 Abs 2). Der Großhändler bestimmt unter Beachtung der Vorschriften des Tabakgesetzes über Mindestverkaufspreise (§ 2 Abs 4 Tabakgesetz) die Preise, zu denen seine Tabakerzeugnisse durch die Tabaktrafikanten zu verkaufen sind. Er hat die Preise dem BMF schriftlich bekannt zu geben und muss sie auf eigene Kosten im Amtsblatt zur Wiener Zeitung veröffentlichen; davor ist ein Verkauf der Tabakerzeugnisse an Tabaktrafikanten unzulässig (§ 9 Abs 1; Dasselbe gilt sinngemäß für Preisänderungen: Abs 2).

Der 2006 neu eingeführte § 2 Abs 4 Tabakgesetz sieht vor, dass der Gesundheitsminister im Einvernehmen mit dem Finanzminister „im Interesse der Tabakprävention zur Sicherstellung eines Mindestpreisniveaus den Mindestkleinverkaufspreis für Tabakerzeugnisse durch Verordnung“ festsetzen darf. Auf Grundlage dieser gesetzlichen Bestimmung wurde die Mindestpreisregelungsverordnung28 erlassen. Diese Regelung von Mindestpreisen dürfte aber gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, nämlich gegen die vom EuGH29 aus Art 9 der Richtlinie 95/59/EG30 abgeleitete Befugnis von Tabakherstellern oder Importeuren, ihre Preise frei festzulegen.31

§ 10 TabMG enthält nähere Bestimmungen über die vom Großhändler verpflichtend festzulegenden allgemeinen Geschäfts- und Lieferbedingungen, welche die Geschäftsbeziehungen zu den Tabaktrafikanten regeln. Weiters treffen den Großhändler Meldepflichten über seine Umsätze (§ 11).

F. Der Kleinhandel Der Kleinhandel mit Tabakerzeugnissen ist zwar Bestandteil des Tabakmonopols, stellt aber kein Monopol im technischen Sinn dar. Er ist allerdings streng reglementiert: Das Recht, Kleinhandel mit Tabakerzeugnissen zu betreiben

28 29 30

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BGBl II Nr 171/2006. Vgl zB EuGH, C-302/00, Kommission gg Frankreich, Slg 2002 S I-02055. Richtlinie 95/59/EG des Rates vom 27. November 1995 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer, Abl L 291/40 vom 6.12.1995. Die Europäische Kommission hat aus dem genannten Grund ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet. Vgl die Pressemeldung der Kommission IP/06/483 vom 10.4.2006.

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steht grundsätzlich nur Tabaktrafikanten zu (§ 5 Abs 2 TabMG).32 Das TabMG enthält genaue Vorschriften über ihre Bestellung und ihren Betrieb. Zuständig hierfür ist grundsätzlich die Monopolverwaltungsgesellschaft mbH, die für die Mitwirkung bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben verschiedene Organe zu bilden hat: • Der Neuerrichtungsbeirat wirkt mit bei Neuerrichtungen oder Verlegungen von Tabaktrafiken bzw. Tabakwarenautomaten, die außerhalb des Standorts einer Tabaktrafik betrieben werden (§ 19). • Die Besetzungskommissionen treffen grundsätzlich die Entscheidung über die Bestellung von Tabaktrafikanten. Je Bundesland ist eines solche Kommission zu bilden (§ 20). • Die Besetzungsoberkommission (§ 21) hat gem § 33 Gutachten über die Bestellung von Tabaktrafikanten zu erstellen. § 22 enthält gemeinsame Bestimmungen für Bildung und Tätigkeit des Beirats bzw. der Kommissionen. Tabaktrafiken sind Geschäfte, in denen der Kleinhandel mit Tabakerzeugnissen betrieben wird. Ihre Inhaber werden als Tabaktrafikanten bezeichnet (§ 23 Abs 1). Das TabMG unterscheidet in § 23 zwischen Tabakfachgeschäften, welche ausschließlich Tabakerzeugnisse führen (oder Tabakerzeugnisse und die in § 23 Abs 3 aufgezählten Waren, in einem Umfang der den Charakter als Tabakfachgeschäft wahrt) und Tabakverkaufsstellen (alle anderen Tabaktrafiken).

Im Bereich des Kleinhandels mit Tabakerzeugnissen besteht ein ausgeprägter Konkurrenzschutz: Tabaktrafiken dürfen an Standorten, an denen bisher kein solches Geschäft bestanden hat, nur errichtet werden, wenn hierfür ein dringender Bedarf besteht und eine nicht zumutbare Schmälerung des Ertrags benachbarter Tabaktrafiken ausgeschlossen erscheint (§ 24 Abs 1). Selbiges gilt sinngemäß für Standortverlegungen bestehender Tabaktrafiken (§ 24 Abs 2). Die Entscheidung über die Zulassung einer Neuerrichtung bzw. Verlegung erfolgt durch die Monopolverwaltungs GmbH, die zwingend ein Gutachten des Landesgremiums der Tabaktrafikanten einzuholen hat. Spricht sich das Landesgremium dagegen aus, kann ein Gutachten des Neuerrichtungsbeirats eingeholt werden; vor Gutachtenserstattung ist die Neuerrichtung bzw. Verlegung unzulässig (§ 24 Abs 3). Vor Bestellung eines Tabaktrafikanten hat eine Ausschreibung zu erfolgen (§ 25 Abs 1), solange nicht einer der Ausnahmetatbestände des § 25 Abs 6 und 7 greift. Die Ausschreibung wird von der Monopolverwaltung GmbH durchgeführt (Abs 2), wobei die Frist zur Anbotstellung mindestens einen Monat ab Anschlag der Ausschreibung zu betragen hat (Abs 4). In der Ausschreibung ist bekannt zu geben, ob die Tabaktrafik als Tabakfachgeschäft oder als Tabakverkaufsstelle zu führen ist, wobei als Tabakfachgeschäft nur solche Trafiken auszuschreiben sind, aus deren Erträgen der Lebensunterhalt des Trafikanten

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Ausgenommen davon ist der Verkauf durch Gaststätten gem § 40 Abs 1 TabMG sowie gem § 5 Abs 5 TabMG der Verkauf unter Freilassung von der Tabaksteuer (z.B. auf Flughäfen im Duty-Free-Verkauf für Reisende in Drittstaaten).

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voraussichtlich bestritten werden kann (Abs 5). Vor der Ausschreibung bestehen Anhörungsrechte des Landesgremiums der Tabaktrafikanten (Abs 8). § 27 TabMG normiert Ausschließungsgründe für die Person des Tabaktrafikanten. U.a. besteht ein Vorrangsrecht von Personen, die die Staatsangehörigkeit eines EWRVertragsstaates besitzen. Weiters werden Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Bewerbers gestellt. Bewerber (bzw. Angehörige, die mit dem Bewerber in Haushaltsgemeinschaft leben oder ein vom Bewerber rechtlich oder faktisch kontrolliertes Unternehmen) dürfen den Großhandel mit Tabakerzeugnissen nicht ausüben. Um ein Tabakfachgeschäft dürfen sich nur natürliche Personen bewerben (§ 27 Abs 2). Bei der Bestellung des Tabaktrafikanten aus der Liste der nicht ausgeschlossenen Bewerber genießen gewisse Personen Vorzugsrechte. Vorzugsberechtigt sind gem § 29 Abs 3 Inhaber einer Amtsbescheinigung oder eines Opferausweise nach § 4 OpferfürsorgeG, Empfänger einer Beschädigtenrente nach dem KriegsopferversorgungsG oder dem HeeresversorgungsG, wenn ihre Erwerbsfähigkeit um mind 50% gemindert ist, Empfänger einer Witwen- oder Witwerrente bzw. beihilfe nach OpferfürsorgeG, KriegsopferversorgungsG oder HeeresversorgungsG sowie begünstigte Behinderte iSd § 2 BehinderteneinstellungsG. Ausgenommen von diesem Vorzugsrecht sind diese Personen, wenn der Zeitraum bis zum Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters weniger als fünf Jahre beträgt (§ 29 Abs 2). Bestimmte Angehörige des bisherigen Tabaktrafikanten haben gem § 31 Abs 1 Anspruch auf Fortführung der Tabaktrafik. Besteht ein solcher Anspruch, ist eine Neuausschreibung nicht vorzunehmen (§ 25 Abs 6 Z 2). Die Auswahl des Tabaktrafikanten unter den Bewerben ist nach bestimmten, in § 30 festgelegten Kriterien zu treffen: Unter den vorzugsberechtigten Personen gem § 29 ist die Auswahl nach dem Maß der Bedürftigkeit, bei gleicher Bedürftigkeit nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. der Behinderung vorzunehmen. Die Auswahl unter nicht vorzugsberechtigten Bewerbern ist nach kaufmännischen Grundsätzen zu treffen. § 30 enthält nähere Bestimmungen betreffend die Auswahlkriterien.

Die Auswahl trifft im Regelfall die Besetzungskommission nach § 20 (§ 32 Abs 1). § 32 Abs 2 bis 4 bestimmt Ausnahmen. Von der Entscheidung sind alle Bewerber durch die Monopolverwaltungs GmbH schriftlich unter Angabe der Gründe zu verständigen (§ 32 Abs 5). Die übergangenen Bewerber können binnen zwei Wochen bei der Monopolverwaltungs GmbH schriftlich beantragen, dass diese endgültig über die Bestellung entscheiden soll. Ein solcher Antrag kann auch von jenem Mitglied der Besetzungskommission gestellt werden, das von der GmbH namhaft gemacht wurde. Es sind nur solche Anträge zu berücksichtigen, die begründet sind (§ 33 Abs 1). Die GmbH hat sodann innerhalb von drei Monaten eine endgültige Entscheidung zu treffen, wobei vor der Entscheidung ein Gutachten der Bestellungsoberkommission einzuholen ist (§ 33 Abs 2). Der ausgewählte Bewerber ist durch zivilrechtlichen Bestellungsvertrag zum Tabaktrafikanten zu bestellen (§ 34 Abs 1; §§ 34 bis 39 enthalten nähere Bestimmungen über den Vertrag und die Rechte und Pflichten der Trafikanten).33

33

Weil der Bestellungsvorgang von Tabaktrafikanten ein privatrechtlicher Akt ist, sind ausschließlich die Zivilgerichte zuständig: VfSlg 12114/1989.

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Segalla

Eine Ausnahme vom Kleinhandelsmonopol der Tabaktrafiken regelt § 40,34 wonach Gaststätten unter den dort festgelegten Bedingungen Tabakerzeugnisse, die sie in einer Tabaktrafik zu den Kleinverkaufspreisen eingekauft haben, zu einem Preis verkaufen dürfen, der um mindestens 10% über dem Kleinverkaufspreis liegt.35

34

35

Vgl Hecht/Herzig, Tabakmonopol und Erwerbsfreiheit: Zur Zulässigkeit des Tabakwarenverkaufs an Tankstellen, ZfV 1997, 444 für eine kritische Betrachtung des § 40 TabMG aus verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Sicht. In der Vergangenheit war für den Verkauf von Tabakerzeugnisse in Gaststätten auch ein Höchstpreis vorgeschrieben. Der VfGH hat diese Regelung jedoch in VfSlg 15509/1999 aufgehoben.

Sechster Teil: Produktrecht

Lukas Binder

Vermessungswesen Messwesen - Eichwesen Rechtsgrundlagen ...........................................................................................432 Grundlegende Literatur...................................................................................432 I. Grundlagen ................................................................................................433 A. Allgemeines............................................................................................433 1. Vermessungsrecht .............................................................................433 2. Maß- und Eichwesen.........................................................................434 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................435 1. Vermessungsrecht .............................................................................435 2. Maß- und Eichwesen.........................................................................436 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................436 1. Maß- und Eichwesen.........................................................................436 II. Vermessungswesen ..................................................................................437 A. VermG....................................................................................................437 1. Aufgaben der Landesvermessung .....................................................437 2. Vermessungsbehörden ......................................................................438 3. Kataster .............................................................................................439 4. Verhältnis Vermessungsbehörden - Grundbuchsgericht Finanzämter ......................................................................................440 5. Zivilrechtliche Folgen der Vermessung ............................................440 6. VermessungsVO 1994.......................................................................441 7. Staatsgrenzen.....................................................................................441 B. Andere bundesrechtliche Regelungen....................................................441 1. MarkscheideVO ................................................................................441 2. Grundbuchsregelungen .....................................................................442 III. Mess- und Eichwesen .............................................................................442 A. Maß- und Eichgesetz (MEG) .................................................................442 1. Allgemein ..........................................................................................442 2. Gliederung des MEG.........................................................................442 3. Mess- und Eichbehörden...................................................................443 B. Eichwesen (MEG)..................................................................................444 1. Eichung - rechtliche Qualifikation ....................................................444 2. Eichzeichen .......................................................................................446 3. Eichpflicht .........................................................................................447 4. Eichbehörden und ihre Aufgaben......................................................448

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Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht: RL 71/316/EWG,Abl 1971 L202/1 idF RL 83/575/EWG, Abl 1983 L 332/43; RL 80/181/EWG, Abl 1980 L39/40 idF RL 1999/103/EWG, Abl 2000 L 34/17; RL 76/211/EWG, Abl 1976 L 46/1, RL 90/384/EWG, Abl 1990 L 189/1 idF RL 93/68/EWG, Abl 1993 L 220/1. Innerstaatliches Recht Bundesrecht: VermessungsG (VermG, BGBl 1968/306 idF BGBl 2005 I/136); BundesG vom 5. Juli 1950 über das Maß- und Eichwesen (MEG, BGBl 1950/152 idF BGBL 2004 I/137); Allgemeines GrundbuchsanlegungsG (AllgGAG, BGBl 1930/2 idF BGBl 2003 I/112); GrundbuchsumstellungsG (GUG, BGBl 1980/550 idF BGBl 2004 I/128); LiegenschaftsteilungsG (LiegTeilG, BGBl 1930/3 idF BGBl 2003 I/112); StaatsgrenzG (BGBl 1974/9 idF BGBl 2001 I/98); Gegenseitige Anerkennung auf dem Gebiet des Maß- und Eichwesens (BGBl 1993/858 idF BGBl 1993/917); Staatsgrenze Österreich Deutschland (BGBl 1975/490); MarkscheideVO (BGBl 2001 II/69); Staatsgrenze Österreich - Schweiz (BGBl 1972/331); Staatsgrenze Österreich - Tschechoslowakei (Slowakei) (BGBl 1975/344); Staatsgrenze Österreich - Tschechoslowakei (Tschechien) (BGBl 1975/344); Staatsgrenze Österreich - Ungarn (BGBl 1965/72 idF BGBl 1990/656); VermessungsVO 1994 (VermV, BGBl 1994/562); Akkreditierung des Österr. Verbandes für Elektrotechnik (ÖVE), BGBl 1997 II/298; Eich-ZulassungsVO, BGBl 1992/785 idF 1993/917; VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Eichgebühren (Eichgebührenverordnung 1999, BGBl 1998 II/467); VO des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über den Sitz der Eichämter und den Umfang ihrer fachlichen Befugnisse, BGBl 1997 II/390. Landesrecht: Salzburg: SbG BaupolizeiG 1997 (BauPolG); Salzburger FlurverfassungsLandesG (Sbg FLG 1973); Tirol: Tir FlurverfassungslandesG 1996 (TFLG 1996); Vorarlberg:G über die Abfuhr, die Vermeidung, die Verwertung und die Ablagerung von Abfällen (vlbg AbfallG); G über die Regelung der Flurverfassung (vlbg FlVG); G über die Raumplanung (vlbg RPG); Niederösterreich: Nö BodenschutzG (nö BSG); Burgenland:G vom 27. Juli 1970 über die Regelung der Flurverfassung (bgl FlVG); Kärnten: Flurverfassungs-LandesG 1979 (K-FLG); Oberösterreich: Oö Flurverfassungs-LandesG 1979 (Oö FLG 1979); LandesG vom 6. Oktober 1993 über die Raumordnung im Land Oberösterreich (Oö ROG 1994); LandesG über die land- und forstwirtschaftlichen Bringungsrechte (Oö BRG 1998); Steiermark: Steiermärkisches AgrargemeinschaftenG 1985 (StAgrGG 1985); Steiermärkisches BauG (Stmk BauG). Völkerrecht: Übereinkommen über die Gründung einer Internationalen Organisation für das gesetzliche Messwesen (Eichwesen), BGBl 1958/171 idF BGBl 1968/364 (Kundmachung des Bundeskanzlers betreffend den Geltungsbereich des Übereinkommens über die Gründung einer Internationalen Organisation für das gesetzliche Messwesen (Eichwesen), BGBl 1994/326)

Grundlegende Literatur: Bydlinski, Welche Neuerungen bringt die Grundbuchsnovelle 1997?, immolex 1997, 125; Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, 139; Dittrich/Hrbek/Kaluza (Hrsg), Das österreichische Vermessungsrecht, 1976; Junius (Hrsg), Recht und Vermessung, 1993; Kaluza/Twaroch, Österreichisches Maß- und Eichrecht 1993; Kienast, Die Aufgabe der Vermessungsämter bei den Sonderverfahren nach den §§ 13 und 14 und den §§ 15 bis 22 LTG; Österreichischer Geodätentag 2, 1985, Graz Vermessung und Recht,

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1985; Schwarzer, Nationale und internationale Verpackungsreglementierung als Unternehmensdatum, ÖZW 1993, 16.

I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Vermessungsrecht a) Historischer Überblick1 Die erste Regelung der Landvermessung auf österreichischem Gebiet erfolgte mit dem Allerhöchsten Patent vom 23. Dezember 1817. Zum Zwecke der gerechten Erhebung der Grundsteuer in den deutschen und italienischen Provinzen sah es die Anlegung eines Grundsteuerkatasters vor. Die dazu notwendigen Vermessungsarbeiten wurden durch „eigene, wissenschaftlich gebildete und praktisch geübte Feldmesser“ in den Jahren 1818 bis 1861 vorgenommen.2 Es folgten im Jahre 1869 das Gesetz über die Regelung der Grundsteuer,3 mit dem Gesetz vom 23. Mai 1883 wurde die Evidenzhaltung des Katasters völlig neu geregelt und zugleich eine Verbindung zum Grundbuchsrecht hergestellt. Im Jahre 1896 wurde es durch das Revisionsgesetz4 ergänzt. Hinsichtlich der Organisation der Vermessung bestanden lange Zeit zerstreute Zuständigkeiten. Ursprünglich war das staatliche Vermessungswesen auf das Finanz(Grundsteuerkataster), das Innen- (Kommission für die internationale Erdmessung, Gradmessungsbüro) und das Militärressort verteilt, erst 1919 wurde es unter einer einheitlichen Leitung zusammengefasst. Im Jahre 1923 schuf man schließlich das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. Durch das Vermessungsgesetz 1968, mehrfach novelliert bis zum heutigen Tage in Geltung, erfuhr das Vermessungswesen eine vollständige Überarbeitung und Erneuerung. So stellen beispielsweise die Angaben des Katasters die relevante Grundlage für die Bestimmung des Grenzverlaufes dar. Der Naturgrenze kommt nur sekundäre Bedeutung insoferne zu, als sie nur innerhalb der Fehlerabweichung des Katasters beachtlich ist. b) Vermessung als Wirtschaftsfaktor Hinter dem Projekt der Erfassung von Grundstücken in einem Kataster stand ursprünglich die Absicht eine möglichst lückenlose und effektive Besteuerung des Grundbesitzes zu ermöglichen. Neben diesen primär steuertechnischen Zwecken tat sich schließlich ein besonderer Vorteil des Katasters hervor: Durch die bücherliche Erfassung sämtlicher Grundstücke und Grenzen war es möglich geworden ein Grundstück einer bestimmten Person zuzuordnen. Durch das Publizitätsprinzip5 besteht für den Erwerber einer Lie1 2 3

4 5

Siehe näher bei Knechtel, Die Rechtlichkeit des Raumes, FS Winkler (1997), 461ff. Vgl die Erläuternden Bemerkungen zu BGBl 306/1968, 508 Blg NR 11.GP. RGBl 1869/88. Mit ihm wurden neue Vorschriften über die Bewertung der Grundstücke erlassen und erstmals auch die Vermessung von Veränderungen vorgesehen. RGBl 1896/121. Siehe zu diesem gesetzlich nicht ausdrücklich verankertem Prinzip insbesondere die §§ 63ff GBG.

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genschaft umfassende Sicherheit über das tatsächliche Ausmaß und sonstige Eigenschaften, wie etwa Belastungen des zu erwerbenden Grundstückes. Nach dem bis zum Inkrafttreten des Vermessungsgesetzes alleinig bestehenden Grundsteuerkataster6 nahmen hingegen nur die Grundstücksnummern am öffentlichen Glauben des Grundbuches teil, während die Grundbuchsmappe lediglich zur Veranschaulichung der Lage der Liegenschaft bestimmt war.7 Seit der Einführung des § 49 VermG sind die im Kataster verzeichneten „Papiergrenzen“ rechtlich relevant. Dies bewirkt einen erheblichen Ausbau des Schutzes des Vertrauens auf den Grundbuchstand. Schon die Erläuternden Bemerkungen zum Vermessungsgesetz erklären die Darstellung der Verhältnisse an Grund und Boden, die für zahlreiche staatliche und private Anliegen erforderlich sind, zum Zweck der Landvermessung.

2. Maß- und Eichwesen a) Historischer Überblick8 Die in Österreich seit 1871 bestehende Maß- und Gewichtsordnung wurde bis zum Jahre 1933 siebenmalig novelliert und schließlich 1939 durch das deutsche Maß- und Gewichtsgesetz außer Kraft gesetzt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war es durch die in der Zwischenzeit weiter entwickelten Methoden und praktischen Erfahrungen nicht mehr möglich, zu den ursprünglichen Regelungen zurückzukehren, sodass der Weg einer völligen Neukodifikation beschritten wurde. Das Maß- und Eichgesetz (MEG) wurde zwischenzeitig mehrmalig novelliert, einerseits um Anpassungen an internationale Übereinkünfte über zu verwendende Einheiten und deren Definitionen9 vorzunehmen, andererseits um Ergänzungen hinsichtlich neu hinzugekommener Messwerte10 einzufügen. b) Maß- und Eichwesen als Wirtschaftsfaktor Die Tatsache, dass Messwesen und Messgeräte neben der Münzprägung zu jenen Bereichen gehören, die weltweit als erste amtlich kontrolliert wurden, zeigt, dass die Genauigkeit von Messungen das tägliche Leben der Allgemeinheit im speziellen und den Handel im besonderen direkt und indirekt beeinflusst. Schon die bereits genannte Regierungsvorlage zählte das Eichwesen zu den Aufgaben der Hoheitsverwaltung und verstand darunter die „Obsorge um die Richtigkeit von Messgeräten, deren Anzeigen Interessen der Öffentlichkeit berühren”. Es liegt auf der Hand, dass im Zuge der zunehmenden Technisierung des Alltages und des zunehmenden Warenaustausches zwischen immer mehr Staaten über immer weitere Entfernungen einerseits die Notwendigkeit einheitlicher Maßsysteme, andererseits eine 6

7 8 9

10

Das VermG 1968 ist auch im Zusammenhang mit der Umstellung der Besteuerungsgrundlage von Katasterreinertrag und Bonität auf Einheitswerte (Bewertungsgesetz 1955) zu sehen. Vgl § 3 Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz, und 508 BlgNR, 11.GP, 12. RV 159 BlgNR 6. GP, 15ff. So wurde beispielsweise im Zuge der 9. GKMG von 1948 (Generalkonferenz für Maß und Gewicht) das Joule als Wärmeeinheit festgelegt und eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen, den Gebrauch der Kalorie möglichst zu vermeiden. Vgl etwa die Maßeinheit des Becquerel als Messwert für die Radioaktivität eines Radionuklids.

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Gewährleistung der Richtigkeit der angezeigten Einheiten für einen reibungslosen und ungehinderten Warenaustausch zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Notwendigkeit nach einem staatlichen Regulativ zur Förderung der Lauterkeit des Handels ist aber insoferne nicht neu, als es gilt, das Vertrauen der Konsumenten in das System des Handelsverkehrs generell zu stärken, indem die einzelnen Parteien im Geschäftsverkehr ebenso geschützt werden, wie das reibungslose Funktionieren der Handelsmärkte insgesamt. Diesem Bedürfnis trägt das MEG dadurch Rechnung, dass es Anforderungen an die Genauigkeit und die sonstigen Leistungsmerkmale von Messgeräten normativ festlegt und die laufende Überprüfung der Einhaltung dieser Vorschriften vorschreibt. Auf internationaler Ebene sichert das Internationale Büro für Maße und Gewichte (BIPM)11 die weltweite Vereinheitlichung physikalischer Messungen. Zu seinen Aufgaben gehören etwa die Festlegung der grundlegenden Normen und Maßstäbe für die Messung der physikalischen Grundeinheiten sowie die Aufbewahrung der internationalen Prototypen. Bei diesen Tätigkeiten wird das BIPM durch das Internationale Komitee für Maße und Gewichte (CIPM)12 überwacht, welches seinerseits wiederum der Aufsicht der Generalkonferenz für Maße und Gewichte (CGPM)13 untersteht. Dieses höchste Organ der Meterkonvention ist für deren Durchsetzung verantwortlich. Ihr gehören Delegierte aus allen Konventionsstaaten an.

B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Vermessungsrecht Das B-VG nennt zwei Kompetenztatbestände, denen die im Vermessungsgesetz geregelten Angelegenheiten des Vermessungswesens zugeordnet werden können. Es sind dies einerseits Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG, der die Grenzvermarkung der Staatsgrenzen neben anderen auswärtigen Angelegenheiten in Gesetzgebung und Vollziehung in den Kompetenzbereich des Bundes verweist, und Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG andererseits. Letzterer bestimmt eine umfassende Zuständigkeit des Bundes in den Angelegenheiten des Vermessungswesens. Auch vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bundesverfassung bereits bestehenden einfachgesetzlichen Regelungen bezüglich Landvermessung und Grundkataster ist das Vermessungsgesetz diesen Kompetenztatbeständen zuzuordnen. Über die genannten Kompetenztatbestände hinaus berühren einige Regelungen des Vermessungsgesetzes Angelegenheiten des Zivilrechtswesens,14 welches gem Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG ebenso in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund vorbehalten ist. Die Vollziehung des Vermessungsgesetzes erfolgt in Übereinstimmung mit Art 102 Abs 2 B-VG15 durch den Bundesminister, das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen sowie die Vermessungsämter in unmittelbarer Bundesverwaltung. 11 12 13 14 15

Bureau International des Poids et des Mesures, http://www.bipm.fr. Comité International des Poids et Mesures, http://www.bipm.fr/en/committees/cipm. Conférence Général des Poids et Mesures. Vgl etwa die §§ 12 Abs 3, 25 Abs 4, 44 Abs 2, sowie 52 Z 3 und 4 VermG. Art 102 Abs 2 B-VG sieht vor, dass bestimmte, taxativ aufgezählte Kompetenzmaterien, zu denen auch das Vermessungswesen zählt, in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden können.

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2. Maß- und Eichwesen Als Kompetenzgrundlage des Maß- und Eichgesetzes kommt Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG in Betracht, der die Angelegenheiten des Maß- und Gewichtswesens in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund zuweist. Jedenfalls bezüglich des Maßwesens kann diese Zuordnung in die Bundeskompetenz begrifflich eindeutig und ohne weitere Erläuterungen erfolgen. Das Eichwesen lässt sich demgegenüber nicht eindeutig dem Begriff des Gewichtswesens zuorrdnen. Ausgehend von der Versteinerungstheorie16 ist das, was unter den einzelnen Kompetenzbegriffen zu verstehen ist, danach zu beurteilen, in welcher rechtlichen Prägung die Rechtsordnung diese Begriffe im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bundesverfassung verwendet hat.17 Als solches der Begriffsbildung zu Grunde zu legendes Versteinerungsmaterial findet sich - ausgehend davon, dass sie als Bundesgesetz übergeleitet wurde18 - die bereits erwähnte „Neue Maß- und Gewichtsordnung“19. Deren Art XI sah vor, dass zum Messen und Wägen im öffentlichen Verkehr nur gehörig geeichte und gestempelte Maße, Gewichte und Waagen angewendet werden dürfen. Die Eichung und Stempelung der Maße, Gewichte und Apparate hatte durch die hierzu bestellten öffentlichen Eichämter zu erfolgen. Insofern deckt also der Kompetenztatbestand des „Gewichtswesens“ in Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG auch die Agenden der Eichung ab. Berücksichtigt man über das bloße Versteinerungsmaterial hinaus auch noch den jeweils stattgefundenen Fortschritt und alle Neuentwicklungen, die in das einschlägige Gebiet Einzug gehalten haben,20 so werden aufgrund der genannten Kompetenzgrundlage auch all jene Messgeräte der Eichpflicht nach diesem Bundesgesetz unterstellt, die erst in jüngerer Zeit entwickelt wurden bzw erstmalig Verwendung gefunden haben. Hinsichtlich der Vollziehung ermöglicht Art 102 Abs 2 B-VG, dass die Angelegenheiten des Maß- und Gewichtswesens unmittelbar von Bundesbehörden vollzogen werden können. Es steht dem Bund jedoch frei21, mit diesen Angelegenheiten die Landeshauptmänner zu betrauen.

C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Maß- und Eichwesen Der Grund für das Bestehen metrologischer Rechtsvorschriften ist, wie bereits dargelegt, im Schutzbedürfnis einzelner Parteien des Handelsverkehrs sowie in der Gewährleistungsfunktion für das Funktionieren der Handelsmärkte zu suchen. Vor Schaffung der Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend gemeinsame Vorschriften über Messgeräte sowie 16 17 18 19 20

21

Vgl Funk, Das System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im Lichte der Verfassungsrechtsprechung, 1980, 69ff. Vgl VfSlg 4349/1963, 2721/1954, 3227/1957, 5679/1968 ua. Siehe hierzu näher mwN Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, 139 (140ff). RGBl 1872/16. Das sind jene Neuregelungen, die nach ihrem Inhalt systematisch dem Kompetenzgrund angehören, vgl VfSlg 3670/1960; Zum Begriff der intrasystematischen Fortentwicklung siehe mwN Funk (FN 16) 77ff. Vgl hierzu Art 102 Abs 3 B-VG.

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über Mess- und Prüfverfahren22 waren die technischen Merkmale für Messgeräte sowie die Mess- und Prüfverfahren durch zwingende, jedoch von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat differierende Vorschriften festgelegt. In dem Ausmaß, als diese Unterschiede geeignet waren, den Warenverkehr zu behindern oder ungleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft zu schaffen, sollten sie durch die genannte Richtlinie beseitigt werden. Im Besonderen sah die Richtlinie entsprechende Verfahren für die EWG-Bauartzulassung, die EWG-Ersteichung und für das EWG-Meß- und Prüfverfahren vor. Die Garantie für ein Funktionieren des Systems ist eine gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Prüfverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Mittlerweile können die in der genannten Richtlinie getroffenen Vorkehrungen jedoch aufgrund des starken technischen Fortschrittes der Messtechnik und geänderter ökonomischer Umstände die Zielerreichung nicht mehr in vollem Umfang gewährleisten, sodass eine grundlegende Überarbeitung bereits in Vorbereitung ist.23

II. Vermessungswesen A. VermG 1. Aufgaben der Landesvermessung Aufgabe und Zweck der Landesvermessung ist es, die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse an Grund und Boden im gesamten Bundesgebiet, deren Kenntnis für zahlreiche öffentliche und private Anliegen erforderlich ist, in Karten, Plänen und Büchern darzustellen.24 Die sich daraus ergebenden Aufgaben lassen sich in drei Gruppen unterteilen: Die Grundlagenvermessungen, die Angelegenheiten des Katasters und die Herstellung von Landkarten, Messungsaufnahmen aus Flugzeugen, die Vermarkung und die Vermessung der Staatsgrenzen.25 Die erste Gruppe umfasst alle grundlegenden Vermessungen, die nach außen dem Anschluss an die internationale Erdmessung und nach innen der Schaffung einheitlicher Ausgangspunkte für alle Detailvermessungen dienen.26 Die zweite betrifft alle Arbeiten, die zur Anlage und Führung eines Katasters über die einzelnen Grundstücke und deren Grenzen maßgeblich und notwendig sind.27 Die letzte Gruppe schließlich bilden jene Arbeiten, deren Ergebnis die Darstellung des Bundesgebietes in Form einer der den wissenschaftlichen und praktischen Anforderungen entsprechenden Landkarte ist. 28 22 23 24 25 26

27 28

RL 71/316/EWG, Abl 1971 L 202/1. Vgl den von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Messgeräte, KOM 2000, 566 endg. Vgl FN 1. § 1 Z 9 und 10 VermG. § 1 Z 1 VermG. Es sind dies: 1. Die Schaffung und Erhaltung eines engmaschigen Festpunktefeldes, 2. Die astronomisch-geodätischen Arbeiten für die Zwecke des Festpunktefeldes und solche zur Erforschung der Erdgestalt, 3. Die Schaffung und Erhaltung von Höhenpunkten besonderer Genauigkeit und 4. Die Arbeiten zur Erforschung des Schwerkraftfeldes der Erde und für die geophysikalische Landesaufnahme. § 1 Z 2 bis 6 VermG. § 1 Z 8 VermG.

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2. Vermessungsbehörden a) Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen Bis 1921 waren die Aufgaben des Vermessungswesens mannigfaltig aufgeteilt und zerstreut zwischen dem Finanzministerium, dem Staatsamt für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten und dem Militärressort. Durch das Statut des Ministers für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, vom 12.1.1921 wurde erstmals eine einheitliche Zentralstelle, das Bundesvermessungsamt geschaffen. 1923 erweiterte eine Verordnung der Bundesregierung29 den Wirkungskreis des Bundesvermessungsamtes und übertrug diesem die Zuständigkeit für das gesamte Eichwesen. Unter einem erhielt es die auch heute noch gültige Bezeichnung als „Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen“. In organisatorischer Hinsicht ist das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit nachgeordnet und hat mit diesem und den ihm unterstellten Vermessungsämtern die Aufgaben des Vermessungsgesetzes zu besorgen. Auf das behördliche Verfahren ist in beiden Fällen das AVG 195030 anzuwenden. Dann, wenn das Ergebnis des Verfahrens eine reine Beurkundung oder eine bloße Erhebung tatsächlicher Verhältnisse darstellt,31 ist abweichend vom AVG vorgesehen, dass ein Bescheid nur dann zu erlassen ist, wenn dem Begehren des Antragsstellers nicht oder nicht vollinhaltlich stattgegeben wird. b) Aufgaben des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen Die grundlegende Verteilung der im §1 VermG angeführten Aufgaben der Landesvermessung erfolgt in § 2 VermG. Die Grundlagenvermessungen,32 die allgemeine Neuanlegung des Grenzkatasters, die Übernahme der Ergebnisse von Verfahren der Agrarbehörden in den Angelegenheiten der Bodenreform in den Grenzkataster, die topographische Landesaufnahme zum Zweck der kartographischen Bearbeitung, die Herstellung der staatlichen Landkarten, die Herstellung von Messungsaufnahmen aus Zivilluftfahrzeugen im Fluge und die Vermarkung der Staatsgrenzen sind vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen zu besorgen. Den dem Bundesamt nachgeordneten Vermessungsämtern kommt die Aufgabe zu, für die teilweise Neuanlegung des Grenzkatasters und die Führung

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32

BGBl 1923/550. BGBl 1950/172. Vgl § 3 VermG, welcher als solche Angelegenheiten die folgenden nennt: § 34 VermG: Antrag der Grundeigentümer auf Grenzvermessungen; §38 VermG: Erhebungen der Benützungsart auf Antrag des Grundstückseigentümers; § 40 VermG: Wiederherstellung streitiger Grundstücksgrenzen auf Antrag des Grundstückseigentümers; § 41 VermG: Vermessung von nicht im Grenzkataster enthaltenen Grundstücken auf Antrag der beteiligten Eigentümer. §1 Z 1 VermG; Nach Maßgabe der Erfordernisse der Landesvermessung kann das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen vermessungstechnische Arbeiten von Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen durchführen lassen.

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desselben zu sorgen, sowie Amtshandlungen durchzuführen, die im Zusammenhang mit diesem stehen.33

3. Kataster Zum Zweck der Errichtung des Katasters wurde das Bundesgebiet zunächst in Katastralgemeinden eingeteilt. In jeder dieser Verwaltungseinheiten bekam schließlich nach der Vollendung des Katasters jedes Grundstück eine eigene Grundstücksnummer zugewiesen, so dass an Hand der Kennzahl der Katastralgemeinde und der Grundstücksnummer jedes Grundstück34 eindeutig bezeichnet ist. Waren früher zwecks Erhebung der Grundsteuer die einzelnen Grundstücke in einem Grundsteuerkataster35 eingetragen, so wurde dessen Inhalt durch das Vermessungsgesetz in einen neuen Grenzkataster übergeleitet. Grundstücke, die noch nicht im Grundsteuerkataster enthalten waren, wurden vermessen und im Grenzkataster erfasst. Der Grenzkataster setzt sich aus dem technischen Operat und dem Grundstücksverzeichnis zusammen. Seine Funktion ist es, die Grenzen der einzelnen Grundstücke verbindlich nachzuweisen und die Benützungsarten, Flächenausmaße und sonstiger Angaben zur leichteren Kenntlichmachung ersichtlich zu machen.36

Das Grundstücksverzeichnis als Kernstück des Katasters enthält die einzelnen bereits aufgenommenen Grundstücke sowie bestimmte Schlüsselinformationen zu diesen: Es sind dies die Grundstücksnummer,37 die Benützungsarten

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37

Die nach § 34 VermG bestehende, uneingeschränkte Verpflichtung der Vermessungsämter, Grenzvermessungen durchzuführen, besteht nur hinsichtlich jener Sprengel, in denen kein Ingenieurkonsulent für Vermessungswesen seinen Sitz hat. Vgl. § 7a Abs 2 VermG: Grundstücke werden durch Grundbuchsbeschluss oder im Zuge der Neuanlegung des Grundbuches neu gebildet oder gelöscht. Bis zum Jahre 1940 erfolgte die Bewertung des Grundbesitzes auf der Grundlage des Grundsteuerregelungsgesetzes, so dass die darauf beruhenden Katastervorschriften vollständig anwendbar blieben. Das BewertungsG hat dieses Rechtsgebiet völlig umgestaltet und sind die Einheitswerte als Besteuerungsgrundlage an die Stelle der früher von den Vermessungsämtern ausgestellten Grundbesitzbögen getreten. Diese Einheitswerte werden von den Finanzämtern nicht mehr auf Grund von Katastralreinertrag und Bonität erstellt, sondern beruhen zumeist auf den Ergebnissen der Bodenschätzung. Diese enthalten lediglich bestimmte Angaben über tatsächliche Verhältnisse an Grund und Boden, ziehen aber keine Rechtswirkungen nach sich, insbesondere ist hieraus keine Flächenwidmung ersichtlich. Nach § 7a VermG ist jedes Grundstück als Teil einer Katastralgemeinde mit einer eigenen Nummer zu bezeichnen. Hinsichtlich der Vorgangsweise bei der Numerierung ist zu differenzieren in: 1. Numerierung bei der Teilung: Wird ein Grundstück geteilt, so wird die neue Nummer in Form eines Bruches dargestellt. Den Zähler bildet die ursprüngliche Grundstücksnummer, während der Nenner fortlaufend zu numerieren ist. Werden geteilte Grundstücke neuerlich geteilt, so erhält ein Teilstück die Nummer des geteilten Grundstückes, die weiteren sind in Bruchform mit dem gleichen Zähler und fortlaufenden Nennern zu bezeichnen. 2. Numerierung bei der Vereinigung: Übernommen wird jene Grundstücksnummer, die den Anschluss an die umliegenden Grundstücke am besten vermittelt. 3. Die fortgesetzte Numerierung: neu entstehende Grundstücke sind im Anschluss an die bisherige höchste Grundstücksnummer fortlaufend weiter zu numerieren.

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der einzelnen Benützungsabschnitte,38 das Gesamtflächenausmaß sowie die Ausmaße der einzelnen Benützungsabschnitte, die sonstigen Angaben zur leichteren Kenntlichmachung und die jeweiligen Eintragungen39. Gemäß den Anordnungen des § 14 VermG ist der Grenzkataster öffentlich im Sinne des Datenschutzgesetzes40 und kann somit jedermann zu den festgesetzten Zeiten den Grenzkataster unter Aufsicht eines Organes des Vermessungsamtes sowie unter Leistung einer hierfür einzuhebenden Verwaltungsabgabe41 in den Kataster Einsicht nehmen42 und Abschriften und Auszüge anfertigen. Von der öffentlichen Einsicht ausgenommen ist jedoch das Personenverzeichnis des Grundbuches.43

4. Verhältnis Vermessungsbehörden - Grundbuchsgericht Finanzämter Der Abschnitt VII des VermG bestimmt das Verhältnis zwischen den Vermessungsämtern, den Grundbuchsgerichten und den Finanzämtern. Zweck ist, das Grundstücksverzeichnis des Grenzkatasters in einer elektronischen Datenbank mit dem Hauptbuch des Grundbuches zu verbinden. Weiters wird durch die Verpflichtung der mit der Führung der Verzeichnisse bzw Bücher betrauten Stellen, wechselseitig alle Änderungen, die zu einer Änderung im anderen Buch führen könnten, bekanntzugeben, eine vollständige Übereinstimmung dieser beiden Bücher erreicht.44 Jedenfalls aber ist dem Grundbuchsgericht in angemessenen Zeitabständen eine (aktuelle) Kopie der Katastralmappe zur Verwendung als Grundbuchsmappe zu übersenden.45 Um auch der Finanzverwaltung den direkten Zugriff auf die Angaben des Grundstücksverzeichnisses zu gewährleisten, die diese benötigt, um den Grundbesitz bewerten und besteuern zu können, bestimmt § 46 VernG, dass dieser Auszüge aus dem Grundstücksverzeichnis auf elektronischem Wege zu übermitteln sind.

5. Zivilrechtliche Folgen der Vermessung Neben dem Großteil der verwaltungsrechtlichen Bestimmungen des Vermessungsgesetzes normiert der IX. Abschnitt die zivilrechtlichen Folgen des neu geordneten Vermessungswesens: Aus § 49 VermG ergibt sich die negative Seite dessen, was im Grundbuchsrecht als positives Publizitätsprinzip bezeichnet wird:46 Jemandem, der im Vertrauen auf die im Grenzkataster 38

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Vgl den Anhang zum VermG: Als Kategorien der Benützungsarten werden genannt: 1. Bauflächen, 2. Landwirtschaftlich genutzte Grundflächen, 3. Gärten, 4. Weingärten, 5. Alpen, 6. Wald, 7. Gewässer und 8. Sonstige. Eintragungen nach § 11 VermG sind 1. Einverleibungen, 2. Anmerkungen und 3. Ersichtlichmachungen. Datenschutzgesetz 2000, BGBl 1999 I/165, idF BGBl 2005 I/13. Vgl § 47 VermG sowie die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Vermessungsgebühren, BGBl. Nr. 753/1994. Der Umfang der Einsichtsbefugnis richtet sich nach den §§ 47 und 48 VermG. Um in dieses Einsicht zu erhalten, bedarf es der Bescheinigung eines rechtlichen Interesses, wie etwa eines Exekutionstitels. § 45 Abs 1 und 2 VermG. § 45 Abs 3 VermG. Siehe zu diesem gesetzlich nicht ausdrücklich verankerten Prinzip insbesondere die §§ 63ff GBG. Anders als im Grundbuchsrecht hängt der Schutz des Vertrauens nach den vermessungsrechtlichen Bestimmungen nicht vom Verstreichen einer Frist ab, sondern tritt unmittelbar mit erfolgter bücherlicher Eintragung ein.

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enthaltenen Grenzen ein Recht erworben hat,47 kann ein Anspruch, der sich auf eine in der Natur ersichtliche Grenze stützt, nicht entgegengehalten werden.48 In weiterer Verfolgung dieses Prinzipes des Schutzes des Vertrauens auf den bücherlichen Stand schließt § 50 VermG die Ersitzung von Teilen eines im Kataster eingetragenen Grundstückes aus, um so einer Verschiebung der im Kataster eingetragenen Grenzen hintanzuhalten. Nicht verhindert wird dadurch allerdings die Ersitzung von ganzen Grundstücken, oder jene von Teilen von Grundstücken, die noch nicht im Kataster eingetragen sind.

6. VermessungsVO 1994 Um eine einheitliche technische Gestaltung der Vermessungsarbeiten gewährleisten zu können wurden für die im Vermessungsgesetz vorgesehenen Tätigkeiten einheitliche Vorschriften in Gestalt der Vermessungsverordnung 199449 geschaffen. Diese enthält nähere Bestimmungen über obligatorische Angaben in zu bestimmten Zwecken angefertigten Plänen sowie Vorsehungen über zu verwendende Verfahren und schliesslich nähere Bestimmungen über die Vermessungszeichen und deren Anbringung.

7. Staatsgrenzen Vermessung findet nicht nur im Inland statt, auch das Bundesgebiet hat gemäß den zwischenstaatlichen Vereinbarungen über die Vermessung und Vermarkung von Staatsgrenzen gegenüber dem Ausland auf bestimmte Weise gekennzeichnet zu werden. Das Staatsgrenzgesetz50 enthält diesbezüglich einschlägige Bestimmungen und regelt darüber hinaus weitere Angelegenheiten in diesem Zusammenhang, wie etwa die Freihaltung von Grenzflächen51 und Kennzeichnung der Staatsgrenzen, Durchführung von Arbeiten an der Staatsgrenze sowie Entschädigungsfragen im Zusammenhang mit diesen Arbeiten.

B. Andere bundesrechtliche Regelungen 1. MarkscheideVO52 Für die Durchführung von Vermessungen im Anwendungsbereich des Mineralrohstoffgesetzes53, also im Bereich des Bergbaues,54 normiert die Markscheide47

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Ob jemand in Vertrauen auf den Inhalt des Katasters ein Recht erworben hat, ist nach den in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Vertrauensschutz in Grundbuchssachen zu beurteilen. Hiervon ist die Frage der schuldrechtlichen Beziehung zum Vormann zu trennen, die naturgemäss von den vermessungsrechtlichen und grundbuchsrechtlichen Vorschriften nicht berührt wird. BGBl 1994/562. BGBl 1974/9 idF BGBl 2001 I/98. Vgl § 1 Staatsgrenzgesetz: Es sind dies jene Grundflächen, die innerhalb eines Streifens von 1 Meter Breite entlang der Staatsgrenze liegen, sowie jene inländischen Grundstücksteile, die innerhalb eines Kreises mit dem Radius von 1 m um die neben der Grenzlinie angebrachten Staatsgrenzzeichen liegen. Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Vermessungen beim Bergbau, das Bergbaukartenwerk und die Erfassung von Bodenbewegungen, BGBl. II Nr. 69/2001. BGBl 1999 I/38, idF BGBl 2006 I/84. Siehe im Einzelnen § 2 MinroG.

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verordnung einschlägige vermessungstechnische Vorschriften. Ganz grundlegend sieht diese Verordnung eine vollständige Orientierung der markscheiderischen Vermessung am System der Landesvermessung vor. Zur kartographischen Erfassung der Messergebnisse ist die Führung eines eigenen Bergbaukartenwerkes vorgesehen.

2. Grundbuchsregelungen Zentrale Vorschrift des zivilrechtlichen Grundbuchsrechtes ist das Allgemeine Grundbuchsgesetz 1955,55 das das Grundbuch, bestehend aus dem Hauptbuch und der Urkundensammlung, geordnet nach Katastralgemeinden und laufenden Tagebuchzahlen, eingerichtet hat. Neben diesem enthalten das Liegenschaftsteilungsgesetz56 und das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch einschlägige Vorschriften.

III. Mess- und Eichwesen A. Maß- und Eichgesetz (MEG) 1. Allgemein Für das Funktionieren eines jeden Marktes ist es von emminenter Bedeutung, dass die Teilnehmer wissen, was, und in welchen Mengen gehandelt wird. Hat man sich zum Warenaustausch auf bestimmte Einheiten geeinigt ist aber auch ein gewisses Vertrauen darauf, dass die Waren entsprechend diesen Einheiten genau gehandelt werden, unabdingbar. Es bedarf daher einer exakten Festlegung der Maßeinheiten wie der Umrechnungsschlüssel einerseits und einer Gewährleistung der Richtigkeit der Messergebnisse andererseits. Letzteres sollen die Vorschriften des Eichwesens gewährleisten. Insgesamt betrachtet liefert das Maß- und Eichgesetz in diesem Bereich die grundlegenden, vereinheitlichten Rahmenbedingungen für Technik und Wirtschaft.

2. Gliederung des MEG Wie sich schon der Bezeichnung als Maß- und Eichgesetz entnehmen lässt, besteht das MEG aus zwei Regelungsbereichen. Der erste Abschnitt regelt die gesetzlichen Maße und deren im amtlichen und geschäftlichen Verkehr innerhalb Österreichs zu verwendenden Einheiten. Er beinhaltet die Definitionen der gesetzlichen Maßeinheiten57 und eine Festsetzung ihrer zulässigen Vielfachen und Teile.58 Die nach dem MEG in Österreich zu verwendenden gesetzlichen Maßeinheiten gehören zum größten Teil dem Internationalen Einheitensystem (SI59) an und entsprechen daher den Beschlüssen der Generalkonferenz 55 56 57 58 59

Bundesgesetz vom 2. Feber 1955 über die Grundbücher, BGBl 1955/39, idF BGBl 2003 I/112. BGBl 1930/3, idF BGBl 2003 I/112. § 2 MEG. §3 MEG. Système International d’Unités. Die Einteilung der Maßeinheiten beruhen auf sieben Basiseinheiten, von denen sechs durch physikalische Experimente auf Naturkonstante zurückgeführt werden können (Meter, Sekunde, Ampere, Kelvin, Candela und Mol). Hinzu kommen die beiden rein mathematisch definierten Einheiten für

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für Maß und Gewicht der Internationalen Meterkonvention.60 Jene Einheiten, bei denen es sich im wesentlichen um physikalische Größen handelt, die im Eich- und Prüfungswesen zur Anwendung kommen, bilden die Grundlage des österreichischen Maß- und Messwesens. Entsprechend dem technischen Fortschritt und dem internationalen Bestreben um eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung der Maßeinheiten unterliegt das MEG diesbezüglich einer ständigen Erweiterung und laufenden Aktualisierung. Untrennbar verbunden mit der Festlegung der gesetzlichen Maßeinheiten ist das Eichwesen. Dieses bildet den zweiten Abschnitt des Maß- und Eichgesetzes und gewährleistet, dass den Maßeinheiten entsprechend tatsächlich gemessen und abgerechnet wird. Die verwendeten Messgeräte müssen so richtig eingestellt sein, dass ihre Messergebnisse, freilich innerhalb bestimmter normierter Fehlergrenzen, mit den gesetzlichen Definitionen der Maßeinheiten in Übereinstimmung gebracht werden können. Dementsprechend versteht man unter dem Begriff des Eichwesens die Obsorge um die Richtigkeit jener Messgeräte, deren Anzeigen Interessen der Öffentlichkeit berühren.61 Das MEG62 schreibt für jene Messeräte, deren Richtigkeit durch ein rechtlich geschütztes Interesse gefordert wird, eine Eichung verpflichtend vor.63 Jeder, der ein eichpflichtiges Messgerät verwendet64 oder auch bloß bereit hält65 ist auch für dessen vorschriftsgemäße Eichung verantwortlich.

3. Mess- und Eichbehörden Im Rahmen der Festlegung der gesetzlichen Maßeinheiten kommt dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen die Aufgabe zu, entsprechend dem Stand und den Erfordernissen der Messtechnik die nationalen Etalons66 aufzubewahren, deren Anschluss an die internationalen Etalons zu gewährleisten und

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den ebenen Winkel einerseits (Radiand) und den Raumwinkel (Steradiant) andererseits. Mittels festgelegten Dezimalfaktoren werden von diesen Einheiten Teile und Vielfache gebildet. Abweichend von diesem System bestehen lediglich einige allgemein gebräuchliche Einheiten, wie zB der rechte Winkel oder die Zeiteinheiten Tag, Stunde und Minute. RGBl 1876/20. So die Erläuternden Bemerkungen zu § 7 MEG, 159 BlgNR 6. GP, S 23. Vgl § 7 Abs 1 MEG Sogenannte Eichpflicht. Darunter wird die Verwendung unter den im Gesetz angeführten Bedingungen verstanden. Ferner werden auch Messgeräte im Gesundheits- und im Sicherheitswesen der Eichpflicht unterworfen. Gemäß § 7 Abs 3 MEG wird ein Messgerät dann bereitgehalten, wenn die äußeren Umstände erkennen lassen, dass es ohne besondere Vorbereitung in Gebrauch genommen werden kann. Dies trifft jedoch dann nicht zu, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass dieses Gerät ausschließlich musealen oder dekorativen Zwecken dient. „Etalon“ wird definiert als: „Maßverkörperung, Messgerät oder Messeinrichtung, die den Zweck haben, eine Einheit oder einen oder mehrere bekannte Größenwerte zu bestimmen, zu verkörpern, zu bewahren oder zu reproduzieren, um diese an andere Messgeräte durch Vergleich weiter zu geben.“ Siehe hierzu Kaluza/Twaroch, Österreichisches Maß- und Eichrecht 1993, 37; Vgl weiters mwH Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, 139 (140).

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durch Verordnung Darstellungsverfahren festzulegen.67 Die dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen unterstehenden Eichämter sind darüber hinaus für die Eichung eichpflichtiger Messgeräte, die eichpolizeiliche Revision,68 die Fertigpackungskontrolle,69 die Festlegung von geeigneten Verfahren für die Bewertung von Getreide, bestimmte Aufgaben im Rahmen der objektiven Schallpegelmessung und die Verfahren zur Darstellung der Normalzeit zuständig.

B. Eichwesen (MEG) 1. Eichung - rechtliche Qualifikation Vor der Klärung der Rechtsnatur des Vorganges der „Eichung“ bedarf es zuallererst einer Erläuterung dieses Begriffes: Es handelt sich dabei um die technische Überprüfung eines bei der Eichbehörde zur Eichung beantragten Messgerätes. Die Eichbehörde hat zu prüfen, ob das Messgerät eichfähig70 im Sinne des MEG ist. Im Rahmen spezifischer Tests wird bei der Eichung die Rückführbarkeit der Messergebnisse auf die gesetzliche, physikalische Definition der Maßeinheit überprüft und im Falle von Abweichungen wieder hergestellt. Entspricht das Messgerät danach den Eichvorschriften, so wird das Gerät als geeicht gekennzeichnet indem der Eichstempel71 angebracht wird. Die Eichung wird jeweils nur für eine bestimmte Dauer, die „Nacheichfrist“, bestätigt, nach deren Ablauf das eichpflichtige Messgerät einer neuerlichen Eichung zu unterziehen ist. Entspricht das Messgerät hingegen nicht der Zulassung, ist der Antrag auf Eichung mittels Bescheid zurückzuweisen. 67

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Da sich die Definitionen der gesetzlichen Einheiten im wesentlichen nur auf die Größe und nicht die Art ihrer Verkörperung beziehen, muss eine reale Grundlage geschaffen werden, auf die bei der Entscheidung von Streitfragen zurückgegriffen werden kann. Als Beispiel für ein derartiges Darstellungsverfahren wäre etwa die Darstellung eines Meters durch Lichtwellenlängen zu nennen. Vgl 159 BlgNR, 6. GP, S. 23. Im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit überprüfen die Organe des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen über die Eichpflicht und kontrollieren insbesondere, ob der gemäß § 14 MEG bestehenden Nacheichpflicht zeitgerecht nachgekommen wurde. Neben den Organen der Eichbehörden sind weiters bestimmte im Lebensmittelgesetz und im Preisauszeichnungsgesetz genannte Organwalter sowie Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Verwendung und Gültigkeit der Stempel befugt. Vgl hierzu § 50 MEG. Vgl die Fertigpackungsverordnung 1993 idF BGBl 2001 II/211. Geprüft werden hierbei Maßbehältnis-Flaschen, ds Behältnisse aus Glas oder anderen Werkstoffen mit einer Formsteifigkeit, die dieselben messtechnischen Garantien zulässt, wie Glas. Voraussetzung hierbei ist, dass es sich um Behältnisse handeln muss, die verschlossen oder verschließbar und für Flüssigkeiten bestimmt sein müssen. Vgl § 38 MEG; Eichfähig sind nur jene Messgeräte, die vom Bundesamt für Eichund Vermessungswesen zur Eichung zugelassen sind. Dies können nur jene Messgeräte oder Teile derselben sein, deren physikalische Grundlage und technische Ausführung die Richtigkeit und Zuverlässigkeit der Messergebnisse während einer für diese Geräte festgelegten Nacheichfrist sicherstellen. Dies wird durch eine eingehende physikalisch-technische Untersuchung festgestellt. Die nähere Ausgestaltung des Eichstempels wird in der Eich-Zulassungsverordnung geregelt.

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Ausgehend davon ist die rechtliche Qualifikation der Eichung vorzunehmen: Der nahe liegendste Schluss, es handle sich bei der Eichung um einen Bescheid,72 wird durch § 56 Abs 5 MEG ausgeschlossen, welcher bestimmt, dass über die Eichung und über die Prüfung der Verkehrsfähigkeit eines Messgerätes ein Bescheid nicht zu erlassen ist.73 Während also die Zurückweisung der Eichung und die Verneinung der Eichpflicht einer bescheidmäßigen Erledigung zugeführt werden, ist die erfolgreiche Eichung durch die Anbringung des Eichstempels zu bestätigen. Dieser Vorgang lässt auf das Vorliegen einer behördlichen Beurkundung, also einer behördliche Bestätigung über nicht bestrittene Rechtsverhältnisse oder Tatsachen, schließen.74 Das Abgrenzungsmerkmal zwischen einer behördlichen Beurkundung und Bescheiden ist nach herrschender Ansicht im normativen Gehalt des behördlichen Aktes zu suchen. Bescheidqualität kommt nur Akten mit normativem Gehalt zu, von Bedeutung ist, ob die Behörde hoheitliche Gewalt ausüben will.75 Beurkundungen erschöpfen sich im Gegensatz dazu in einer schlichten Wissenserklärung der Behörde. Ganz verbergen lassen sich jedoch gewisse normative Elemente einer erfolgreichen Eichung nicht, erfüllt doch etwa die Verwendung eines eichpflichtigen aber nicht geeichten Gerätes den Straftatbestand des § 63 MEG ungeachtet des Umstandes, ob es richtig misst. Davy76 erblickt daher in der Eichung einen Verwaltungsakt sui generis, den er etwa als „verbindliche Beurkundung“ bezeichnet wissen möchte. Demgegenüber beurteilen Kaluza/Twaroch die Anbringung des Eichstempels als Bekanntgabe eines Gutachtens mit (unmittelbaren) Rechtsfolgen. Walter/Mayer77 beziehen insoferne eine vermittelnde Stellung, als sie die Eichung als „behördliche Beurkundung“ bezeichnen, sich aber bezüglich ihrer Rechtsnatur nicht festlegen. Im Endergebnis scheint der Ansicht Davys der Vorzug zu geben sein, ist doch bereits den Ausführungen der Regierungsvorlage zu § 56 MEG zu entnehmen, dass zur Erleichterung des Vorganges Eichung Ausnahmen vom AVG vorgesehen wurden. Es wäre verfehlt, eine Einordnung der Eichung in die Konzeption des AVG zu versuchen,

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Nach herrschender Auffassung wird der Bescheid gekennzeichnet als individueller, hoheitlicher, im Außenverhältnis ergehender, normativer, d.h. rechtsgestaltender oder rechtsfeststellender Verwaltungsakt. Sämtliche dieser Elemente werden durch die Eichung verwirklicht. Zum Begriff siehe exemplarisch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7 (1999), Rz 373ff. Ursprünglich umfasste § 56 Abs 5 MEG zusätzlich das Verbot, über die Zurückweisung des Antrages auf Eichung einen Bescheid zu erlassen. Der Verfassungsgerichtshof griff jedoch korrigierend ein, als er diese Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen Prinzip insoweit aufhob, als sie auch bei einer Zurückweisung des Eichgesuches die Erlassung eines (zurückweisenden) Bescheides verhinderte. Siehe VfSlg 13223/1992. Vgl mwN FN18, 146. Vgl statt aller: Walter/Mayer, (FN72), Rz 384, 397. Vgl FN18. Walter/Mayer, Grundriß des Besonderen Verwaltungsrechts2 ( 1987), 541.

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als deren Ausnahme sie schon nach der Intention des Gesetzgebers konzipiert war.78 Dem zu Folge ist die Eichung somit als Verwaltungsakt sui generis zu werten. Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen ist ermächtigt, im Wege einer Verordnung festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Messgeräte, die lediglich für den einmaligen Gebrauch bestimmt sind79 und die den Eichvorschriften nicht vollkommen entsprechen, ausnahmsweise dennoch zur messtechnischen Kontrolle zuzulassen sind.

2. Eichzeichen a) Begriffsbestimmung Im Zuge der Stempelung der geeichten Geräte ist das Eichzeichen anzubringen, das aus dem Bundeswappen mit zwei jeweils seitlich beigefügten sechsstrahligen Sternen besteht. Handelt es sich bei den Geräten um Präzisionsgeräte, so ist diesem Zeichen als Präzisionszeichen ein weiterer, vierstrahliger Stern beizufügen. Wird einem Messgerät die Verkehrsfähigkeit entzogen, so ist das Eichzeichen durch die Beifügung eines Entwertungszeichens zu entwerten.

b) Eich-Zulassungsverordnung Diese Verordnung des BMWA dient - unter Bedachtnahme auf den Stand der Wissenschaft, auf bestehende internationale Verpflichtungen sowie auf vergleichbare ausländische oder internationale Vorschriften - der Festlegung der näheren Bestimmungen über die Arten der Zulassung, die Zulassungsprüfung und die Erprobung der Messgeräte oder deren Teile, die Zulassungserteilung, die Beschränkung, die Aufhebung und das Erlöschen der Zulassung.80 Ferner legt sie die genauen Ausgestaltungsformen der Eichzeichen fest. Hinsichtlich der Zulassung von Geräten zur Eichung ist zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu unterscheiden. Es kann bereits eine bestimmte Eichvorschrift bestimmte Bauarten von Geräten allgemein zur Eichung freigeben, es muss also nicht eigens um eine Zulassung der Bauart angesucht werden.81 Auf Antrag kann darüber hinaus eine bestimmte Bauart von Messgeräten oder deren Teilen sowie diese selbst mittels Bescheid zugelassen werden.82 Jene Geräte, die den Eichvorschriften nicht vollkommen entsprechen, oder bezüglich derer noch keine Eichvorschriften erlassen worden sind, können ausnahmsweise zur Eichung zugelassen werden.83 Entspricht das fragliche Messgerät oder dessen Bauart einer Harmonisierungsrichtlinie der Gemeinschaft, so ist diesem eine EWG-Zulassung bzw eine EWG-Bauartzulassung zu erteilen, aufgrund derer das EWG-Zulassungszeichen auf dem Gerät anzubringen ist.

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Davon zu trennen ist die Frage der verfassungsmäßigen Zulässigkeit einer derartigen, vom AVG abweichenden Regelung nur zu Zwecken der Verwaltungsvereinfachung. Vgl mwH Davy, FN18, 140ff. Vgl § 18a MEG. Vgl § 38 Abs 8 MEG. Allgemeine Zulassung. Besondere Zulassung. Ausnahmsweise Zulassung.

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3. Eichpflicht84 a) Allgemeines Messgeräte, deren Richtigkeit durch ein rechtlich geschütztes Interesse gefordert wird, sind eichpflichtig. Es sind dies etwa Messgeräte, die im amtlichen und im rechtsgeschäftlichen Verkehr verwendet oder bereit gehalten werden.85 Abgesehen vom amtlichen oder rechtsgeschäftlichen Verkehr unterliegen die genannten Messgeräte auch dann der Eichpflicht, wenn sie in bestimmten, in § 8 Abs 3 genannten Zusammenhängen86 entweder verwendet oder bereit gehalten werden. Gewichtsstücke und Waagen unterliegen sogar dann der Eichpflicht, wenn sie in öffentlichen Wägeanstalten verwendet oder auch nur bereitgehalten werden. Unter besonderen Bestimmungen werden weiters jene Geräte der Eichpflicht unterstellt, die im Gesundheitswesen und für den Umweltschutz verwendet oder bereitgehalten werden,87 wie etwa im Speziellen Dosimeter für ionisierende Strahlung, Messgeräte zur Bestimmung von Kennwerten des Schalls oder Messgeräte zur Bestimmung der Aktivität von Radionukliden, sowie solche, die im Sicherheitswesen und im Verkehrswesen verwendet oder bereitgehalten werden.88 Erleichterungen der Eichpflicht gibt es hingegen für die in § 8 MEG genannten Messgeräte, wenn sie ausschliesslich der Herstellung von Fertigpackungen89 dienen, die gem § 19 MEG von der Eichbehörde überwacht werden. Diese unterliegen dann ebensowenig der Eichpflicht wie die in Abs 6 leg cit genannten Viehwaagen oder Messgeräte in staatlich akkreditierten Beglaubigungs- oder Kalibrierstellen. Ebenfalls von der Eichpflicht ausgenommen sind jene Messgeräte in staatlich akkreditierten Prüfund Überwachungsstellen, bezüglich derer die Richtigkeit und Zuverlässigkeit für die beabsichtigte Verwendung im Rahmen der Akkreditierung nachgewiesen wird.

b) Nacheichung Um den grundlegenden Zweck des Eichwesens, nämlich der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit und Richtigkeit der zu Messzwecken herangezogenen oder auch nur bereitgehaltenen Geräte erfüllen zu können, sind diese neben der Ersteichung laufend, binnen bestimmter normierter Zeitspannen einer weiteren Überprüfung zu unterziehen. Zu diesem Zweck ist daher eine Pflicht zur

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Vgl §§ 7 ff MEG. Es sind dies jedenfalls Lager- und Transportbehälter, wenn sie als Messgeräte zur Bestimmung des Rauminhaltes im amtlichen oder rechtsgeschäftlichen Verkehr verwendet werden. Siehe weiters § 8 Abs 1 MEG: Messgeräte zur Bestimmung der Länge, der Fläche und des Raumes, Taxameter, Messgeräte zur Bestimmung der Masse, Gewichtsstücke und Waagen, Messgeräte für Gas, Flüssigkeiten und kalorische Energie, ua. Eichpflicht besteht somit beispielsweise bei Verwendung oder Bereithaltung auf Grund geltender Rechtsvorschriften oder im Zusammenhang mit behördlichen Verfügungen, zur Prüfung von An- und Verkäufen, zur Ermittlung des Arbeitslohnes, zur Prüfung der Arbeitsleistung, zur Messung von Sachentschädigungen, oder zur Erstattung bestimmter Gutachten Vgl § 11 MEG. Vgl § 13 MEG. Vgl § 8 Abs 5 MEG.

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Nacheichung bestimmt,90 deren sich eichpflichtige Geräte binnen einer bestimmten Frist91 zu unterziehen haben.

Explizit ausgenommen von der Eichpflicht92 sind Schankgefässe93 und Fertigpackungen94. Um bei diesen Gefäßen die Einhaltung der eichrechtlichen Vorschriften gewährleisten zu können, knüpft das MEG bereits an deren Herstellung an. Für die Einhaltung der diesbezüglichen eichrechtlichen Vorschriften, die durch die Eichbehörden überwacht wird, sind die Hersteller verantwortlich.

4. Eichbehörden und ihre Aufgaben Die Agenden des Mess- und Eichwesens werden gemäss Art 102 Abs 2 B-VG in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen.95 Oberstes Organ ist somit der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit,96 dessen Aufsicht das mit Sitz in Wien errichtete Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen97 (BAEV) untersteht. Der Wirkungsbereich des BAEV bezieht sich auf das gesamte Bundesgebiet. Dem BAEV sind wiederum die einzelnen Eichämter unterstellt, die jeweils durch Verordnung des Bundesministers eingerichtet werden. In diesen wird die Errichtung, die Auflassung, der Sitz und der Umfang der Befugnisse der einzelnen Eichämter im jeweiligen Einzelfall geregelt.

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§ 14 MEG; Gem § 17 MEG sind bestimmte Messgeräte von dieser Verpflichtung ausgenommen; es sind dies etwa Messgeräte, die ausschließlich aus Glas, Porzellan oder Steingut bestehen. § 15 MEG. Diese Fristen bewegen sich zwischen einem Jahr für Messgeräte zur Bestimmung des Wassergehaltes von Getreide und sechzehn Jahren bei bestimmten Induktions-Elektrizitätszählern. Diese Fristen sind jedoch insoferne flexibel gestaltet, als sie durch Verordnung verlängert werden können. Vgl § 19 MEG. Dies sind gemäß der Legaldefinition des § 20 MEG jene Gefäße, die erst bei eintretendem Bedarf gefüllt werden. Sie müssen mit einem Füllstrich, einer Liter- und einer Herstellerbezeichnung versehen sein. Jene Getränke, die in Schankgefäßen ausgeschenkt werden müssen, welche Werkstoffe zulässig sind, sowie Nenninhalte und gestattete Mengenabweichungen, sind durch Verordnung des Bundesministers festzulegen. Dabei handelt es sich um Behältnisse beliebiger Art, die in Abwesenheit des Käufers abgepackt und verschlossen werden, wobei die Menge des darin enthaltenen Erzeugnisses einen vorausbestimmten Wert besitzt und ohne Öffnen oder merkliche Veränderung der Verpackung nicht verändert werden kann. Fertigpackungen gleicher Nennfüllmenge dürfen gewerbsmäßig nur so hergestellt werden, dass die Füllmenge zum Zeitpunkt der Herstellung im Mittel die Nennfüllmenge nicht unterschreitet und gewisse, gem § 27 MEG vom Bundesminister mittels Verordnung festgelegte Minusabweichungen nicht unterschreitet. Gem. Art 102 Abs 3 B-VG könnte sich der Bundesminister im Rahmen der Vollziehung dieser Agenden auch der Landeshauptmänner bedienen. Diesem kommen im Bereich des Maß- und Eichwesens umfassende Verordnungsermächtigungen zu. Die Hauptaufgabe des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen liegt in seiner Zuständigkeit, die Eichvorschriften zu erlassen sowie die Messgeräte, die diesen Eichvorschriften entsprechen, zur Eichung zuzulassen. Die Eichvorschriften enthalten insbesondere Bestimmungen über die näheren Bedingungen der Eichfähigkeit, die zulässigen Grenzen der Abweichung von der Richtigkeit, sowie über die Art der Stempelung der Messgeräte. Daneben kommen ihm noch verschiedene weitere Aufgaben, wie etwa die Aufbewahrung der nationalen Etalons zu.

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In Bezug auf die einzelnen Eichämter ist wiederum zu unterscheiden hinsichtlich der ständigen Amtsstellen, also der Stamm- bzw der Nebeneichämter, und der nicht ständiger Amtsstellen. Eichungen in nicht ständigen Amtsstellen können entweder ambulant, die Eichungen werden in diesen Fällen mit den transportablen Ausrüstungen des Eichamtes durchgeführt, oder in Abfertigungsstellen erfolgen. Die Letztgenannten können auf Antrag und Kosten einzelner Unternehmungen eingerichtet werden, die Eigenschaft als Amtsstelle kommt ihnen aber nur während der Zeit der dienstlichen Anwesenheit der Beamten zu. Aber auch am Herstellungs- oder Aufstellungsort der Messgeräte können Amtsstellen eingerichtet werden, wenn die Eichbehörde dies vorschreibt oder auf Antrag zulässt.

Technisches Sicherheitsrecht Michael Holoubek

Kapitel 1: Normung Rechtsgrundlagen ...........................................................................................452 Grundlegende Literatur...................................................................................453 I. Grundlagen ................................................................................................453 A. Allgemeines............................................................................................453 1. Historischer Hintergrund...................................................................453 2. Ökonomischer Hintergrund und Zielsetzungen der Normung ..........454 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................456 II. Normen .....................................................................................................457 A. Rechtsnatur von Normen .......................................................................457 B. Nationale Normen..................................................................................458 1. ÖNORMEN.......................................................................................458 2. ON Regel (ONR)...............................................................................459 C. Europäische Normen.............................................................................460 1. Allgemeines.......................................................................................460 2. Arten europäischer Normen ..............................................................462 D. Internationale Normen und Normungsorganisationen .........................464 1. Internationale Normen.......................................................................464 2. Internationale Normungsorganisation (ISO) .....................................464 3. Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC)........................465 4. International Telecommunication Union (ITU) ................................465 5. Sonstige Internationale Normungsorganisationen.............................465 III. Nationale Normung................................................................................466 A. Das NormenG als innerstaatliche Rechtsgrundlage .............................466 B. Österreichisches Normungsinstitut (ON)...............................................469 1. Allgemeines.......................................................................................469 2. Prinzipien der Tätigkeit des ON........................................................470 3. Aufgaben des ON ..............................................................................471 C. Das Verfahren zur Erstellung einer „ÖNORM“...................................471 1. Fachnormenausschüsse, Fachnormenunterausschüsse und Arbeitsgruppen .................................................................................471 2. Das Verfahren ...................................................................................472 3. Einspruchsverfahren..........................................................................473 4. Laufende Geschäfte...........................................................................474 5. Mitgliedschaft im CEN .....................................................................474

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IV. Europäische Normung........................................................................... 475 A. Die „Neue Konzeption“ ........................................................................ 475 1. Allgemeines ...................................................................................... 475 2. Grundsätze der neuen Konzeption.................................................... 477 B. Organisation der europäischen Normung ............................................ 479 1. CEN .................................................................................................. 479 2. CENELEC (Comité Européen de Normalisation Électrotechnique) 483 3. Gemeinsame Facharbeit ................................................................... 483 4. ETSI.................................................................................................. 483 C. Ablauf des Normungsverfahrens........................................................... 484 1. Prinzipien.......................................................................................... 484 2. Fragebogenverfahren ........................................................................ 485 3. Verfahren in den technischen Komitees ........................................... 486 4. CEN/CENELEC-Umfrage................................................................ 487 5. Annahme von EN und HD................................................................ 488 6. CDL-Verfahren ( Normenkontrollverfahren) ................................... 489 7. Einstufiges Annahmeverfahren (UAP) ............................................. 489 8. Abweichungen und besondere nationale Bedingungen .................... 490 9. Sicherung des Vorrangs der europäischen Normung........................ 491 D. Konformitätsnachweis .......................................................................... 493 E. Schutzklauselverfahren ......................................................................... 496 V. Rechtsstaatliche und demokratische Probleme der Normung ............ 497 VI. Umweltnormung .................................................................................... 500 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und der technischen Vorschriften, Abl 1998 L 204/37; Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Technische Normen und gegenseitige Anerkennung“, Abl 1996 C 212/7; Beschluss 90/683/EWG des Rates vom 13.12.1990 über die in den technischen Harmonisierungsrichtlinien zu verwendenden Module für die verschiedenen Phasen der Konformitätsbewertungsverfahren, Abl 1990 L380/13 idF 93/465/EWG, Abl 1993 L 220/23; Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Parlaments und Rates über die Finanzierung der europäischen Normung, KOM (2005), 377 endg.; Mitteilung der Kommission über die Rolle der europäischen Normung im Rahmen der europäischen Politik und Rechtsvorschriften, KOM(2004) 674 endg.; Mitteilung der Kommission „Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung“, KOM (2004) 130 endg.; Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Massnahmen auf Grundlage der Entschliessungen über die Europäische Normung, die 1999 vom Rat und vom Europäischen Parlament verabschiedet wurden, KOM (2001) 527 endg.; Bericht der Kommission „Effizienz und Verantwortlichkeit in der europäischen Normung im Rahmen des neuen Konzepts“, KOM (1998) 291 endg. Innerstaatliches Recht NormenG 1971 - NormenG (BGBl 1971/240).

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Grundlegende Literatur: Anselmann, Technische Vorschriften und Normen in Europa, 1991; Attlmayr, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des „Bezugnehmens“ auf Normen anderer Rechtsetzungsautoritäten, ÖJZ 2000, 96; Breier, Das PCP-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, ÖJZ 1994, 794; Breulmann, Normung und Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1993; Buschbaum/Schulz, Europäisierung des deutschen Umweltrechts am Beispiel des Technikstandards „Beste verfügbare Techniken“, Natur und Recht 2001, 181ff.; Davy, Legalität durch Sachverstand?, ZfV 1982, 345ff.; DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg), Gesamtwirtschaftlicher Nutzen der Normung, 2000; Geuder, Normen und ihre Bedeutung im technischen Recht, ÖJZ 1976, 652ff.; Griller, Das Österreichische Normungsinstitut im Geflecht internationaler Beziehungen, ÖZöRV 1988, 237; Hartmann, ÖNORMEN, ihr Zustandekommen, ihre Rechtsnatur und ihre Anwendung im technischen Recht, in: Korinek/Krejci (Hrsg), Handbuch des Bau- und Wohnungsrechts, Loseblatt, 1982 ff; Holoubek, Verbraucherschutz durch Produktrecht, in: Aicher/Holoubek (Hrsg), Der Schutz von Verbraucherinteressen, 2000; Korinek, Die Verbindlichkeit technischer Normen im nationalen Recht und im europäischen Gemeinschaftsrecht, in: FS Lendi, 1998, 315 ff; Korinek, Normung im Spannungsfeld von Effizienz und demokratischer Legitimation, DIN-Mitt. 75.1996, 436ff; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979; Müller-Graff (Hrsg), Technische Regeln im Binnenmarkt, 1991; Nicolas/Repussard, Gemeinsame Normen für die Unternehmen, 1995; Rengeling (Hrsg), Schriften zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Band 13 (Umweltnormung), 1997; Rönck, Technische Normen als Gestaltungsmittel des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1995; SchmidtPreuss, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56, 1997, 160; Schulte, Materielle Regelungen: Umweltnormung, in: Rengeling (Hrsg), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band I² Allgemeines Umweltrecht, 2003; Sladecek/Dübell/Mayer (Hrsg), Das Österreichische Normenwesen, 1972; Thienel, Verweisungen auf ÖNORMEN, 1990; Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, 1999.

I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Historischer Hintergrund Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung des 19. Jhdts wurden, bedingt durch die Vielzahl der Betriebe, in unüberschaubarer Vielfalt verschiedenste „Werknormalien“ geschaffen.1 Die dadurch bedingte Inkompatibilität der Produkte unterschiedlicher Hersteller brachte unweigerlich die Notwendigkeit großer Lagerhaltungen, die Unmöglichkeit der Spezialisierung auf Teilprodukte sowie in deren Gefolge Beschränkungen des Handelsverkehrs mit sich. Diese Hemmnisse standen dem verstärkten Anliegen der Rationalisierung des Produktionsprozesses naturgemäß entgegen. Dies führte zur Gründung der ersten Normungsausschüsse und in weiterer Folge zur Schaffung nationaler Normungsorganisationen. So gründeten die USA im Jahre 1901 die erste derar-

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Vgl. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, 179.

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tige Institution, das National Bureau of Standards (NBS), während zeitgleich in Großbritannien die British Standards Institution (BSI) geschaffen wurde.2 Österreich folgte im September 1920 mit der Gründung des Österreichischen Normenausschusses für Industrie und Gewerbe (ÖNIG).3 Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde der Österreichische Normenausschuss neu gegründet und kümmerte sich sofort um die Schaffung der für den Wiederaufbau vordringlich benötigten Normen, also insbesondere jener für das Bauwesen.4 1969 änderte der Normenausschuss seinen Namen in die auch heute noch gültige Bezeichnung „Österreichisches Normungsinstitut“ (ON), behielt jedoch seine Rechtsnatur als Verein nach dem Vereinsgesetz bei.5 Schon früh erkannte auch der Gesetzgeber die Notwendigkeit der Einbindung privaten Sachverstandes in das Recht der Technik und unterstrich dies bereits 1910 durch Erlassung der „Lex Exner“.6 Dem folgte 1954 das erste Bundesgesetz über das Normenwesen, welches die Regelung der Tätigkeiten eines mit der Normungsarbeit beauftragten Vereines zum Gegenstand hatte.7 Auf dessen Grundlage erfolgte die formelle Beauftragung des Österreichischen Normungsinstitutes, ÖNORMEN zu erarbeiten und Österreich in den entsprechenden Organisationen auf internationaler Ebene zu vertreten.

2. Ökonomischer Hintergrund und Zielsetzungen der Normung Dem System der Normung kommt für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes8 eine entscheidende Rolle zu: Eine einheitliche und damit leistungsfähige Normung bewirkt sowohl auf nationaler wie auch internationaler Ebene die Aufhebung von Handelshemmnissen im Bereiche des Warenverkehrs einerseits durch die erweiterte Möglichkeit zum Austausch der einzelnen Produkte untereinander, andererseits auch durch die Möglichkeit der Spezialisierung auf die Entwicklung oder Erzeugung von Teilprodukten. Nicht zu übersehen sind schließlich die vielfach durch die umfassende Beteiligung der betroffenen Verkehrskreise erzielbaren Synergieeffekte wie auch die Bünde-

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Siehe Sladecek/Dübell/Mayer (Hrsg), Das Österreichische Normenwesen, 1972, 16f. Siehe bei Geuder, Normen und ihre Bedeutung im technischen Recht, ÖJZ 1976,652 (653). Hartmann, ÖNORMEN, ihr Zustandekommen, ihre Rechtsnatur und ihre Anwendung im technischen Recht, in: Korinek/Krejci (Hrsg), Handbuch des Bau- und Wohnungsrechts, Loseblatt, 1982 ff, V-Mon-1, 1 (7 f). Hinsichtlich der historischen Entwicklung auf dem Gebiet der elektrotechnischen Normung siehe Holoubek, Elektrotechnikrecht. Gesetz vom 9. September 1910, betreffend das technische Untersuchungs-, Erprobungs- und Materialprüfungswesen, RGBl. Nr. 185, abgedruckt in Sladecek/Dübell/Mayer (FN2), 122. Im Bereich der Elektrotechnik findet sich erstmals 1965 eine gesetzliche Regelung: Das Elektrotechnikgesetz normiert die Zuständigkeit des Österreichischen Vereines für Elektrotechnik (ÖVE), elektrotechnische Bestimmungen auszuarbeiten. Vgl. näher Holoubek, Elektrotechnikrecht. siehe den Bericht der Kommission für den Rat und das Europäische Parlament vom 13.05.1998 „Effizienz und Verantwortlichkeit in der europäischen Normung im Rahmen des neuen Konzepts“, KOM(98) 291 endg.

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lung des jeweils einschlägigen Sachverstandes zu einem bestimmten Gegenstand. Die Grundidee der Normung ist Einheitlichkeit, Konsistenz und Systematik.9 Normung wird eingesetzt, um durch Rationalisierung Kosten einzusparen, durch Vereinheitlichung von Terminologie zu einer besseren Verständigung zu kommen und um Technologietransfer und Technologieaustausch zu unterstützen. Normung wird aber auch vermehrt dazu verwendet, eine Auswahl aus mehreren gleichgerichteten innovativen Systementwicklungen zu treffen, auf deren Grundlage dann von den unterschiedlichen Unternehmen jeweils kompatible Produkte weiterentwickelt werden können.10 Aus all dem ergibt sich die Funktion der Normung als wichtiger Beitrag zum freien Verkehr mit Industriewaren. Darüber hinaus fördert ein für alle Unternehmen gleiches, gemeinsames technisches Umfeld deren Wettbewerbsfähigkeit insbesondere auf dem Gebiet der neuen Technologien sowohl auf dem Gemeinschaftsmarkt wie insbesondere auch auf den Außenmärkten. In jüngerer Zeit trat zu diesen „klassischen“ Funktionen der Normung ein weiteres Aufgabenfeld hinzu: Bedingt durch die zunehmende Komplexität der wirtschaftlichen Prozesse und die rasch fortschreitende Technisierung bei immer spezialisierterem Sachverstand steht die Gesetzgebung, will sie selbst alle Bereiche, insbesondere des Produkt, Technik- und Umweltrechts einer materiellen Regelung zuführen, vor schier unbewältigbaren Anforderungen.11 In diesem Zusammenhang wurde dem Versuch umfassender materieller Regelungen im Gesetz selbst mangelnde Steuerungsfähigkeit attestiert,12 und in der darauf entstandenen Diskussion nach Lösungen und Alternativen gesucht, um den notwendigen technischen Sachverstand zu inkorporieren, ohne sich ihm auszuliefern. Rechtstechnisch war der entscheidende Schritt der von der umfassenden materiellen Steuerung im Gesetz selbst hin zum vermehrten Einsatz von eher prozedural ausgelegten Regelungen im Sinne einer „regulated self-regulation“. Man erkannte, dass verbindlich erklärte technische Normen nicht nur eine sachverständige Aussage, sondern darüber hinaus auch eine wertende Komponente enthalten. Dies aber erfordert, dass auch im (technischen) Normsetzungsverfahren staatliche Letztverantwortung gegeben sein muss. Der Weg zum Einsatz privater Normen im Rahmen der Gesetzgebung, also der Weg zum „kooperativen Staat“,13 ist durch solche Regelungstechniken geebnet.

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Vgl. mwN. Rönck, Technische Normen als Gestaltungsmittel des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1995, 29f. Beispielsweise anzuführen sind in diesem Zusammenhang etwa GSM, GPRS sowie UMTS. In diesem Zusammenhang ist etwa an die Diskussion rund um Mobilfunksendeanlagen im Zusammenhang mit technischen Anforderungen und gesundheitlich notwendigen Grenzwerten zu erinnern. Hinsichtlich der Biotechnologie sei exemplarisch die prEN 13441:2001, die sich mit der Einschließung gentechnisch veränderter Pflanzen beschäftigt, erwähnt. Zur Diskussion siehe Schulte, Materielle Regelungen: Umweltnormung, in: Rengeling (Hrsg) Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band I², Allgemeines Umweltrecht, 2003, 497ff mwN; mit besonderer Bezugnahme auf das konstatierte Steuerungsversagen des Rechtes in Bezug auf die Technik siehe Schuppert, Grenzen und Alternativen von Steuerung durch Recht, in: Grimm (Hrsg) Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, 217, 218f. Schulte (FN12) Rz 15f.

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B. Kompetenzrechtliche Einordnung Gemäß Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG ist das „Normenwesen“ in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Gemäß Art 102 Abs 2 B-VG kann das Normenwesen auch im Wege unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden. Der Inhalt dieses Kompetenztatbestandes ist umstritten.14 Weil dieser Kompetenztatbestand mit dem B-VG neu eingeführt wurde und zum damaligen Zeitpunkt keine einschlägigen Gesetzgebungsakte bestanden, stößt die Sinnermittlung mittels der „Versteinerungstheorie“ an Grenzen.15 Der historische Kontext legt es nahe,16 dass der Verfassungsgesetzgeber damit nicht nur die Ermächtigung zur bundesgesetzlichen Festlegung von „technischen Normen“ sondern vor allem auch die Konstituierung einer zukunftsträchtigen17 staatlichen Aufgabe wahrnehmen wollte, die nicht nur durch staatliche Vollziehung sondern auch durch staatlich regulierte private Tätigkeit erfüllt werden kann.18 Der Kompetenztatbestand „Normenwesen“ in Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG deckt daher nicht nur gesetzliche Standardisierungen sondern vor allem auch gesetzliche Regelungen, die diese Aufgabe privaten Institutionen über- und diesen bestimmte Organisations- und Verfahrensanforderungen auftragen.19 Gute Gründe sprechen damit dafür, dass auch insoferne die „Regulierung der Selbstregulierung“, also die Voraussetzungen, die Organisation und das Verfahren einschließlich der inhaltlichen Grundsätze für staatlich anerkannte Normierungstätigkeit in Rede stehen, durch Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG eine ausschließliche Bundeskompetenz begründet wird. Den Landesgesetzgebern ist damit eine vergleichbare „Anerkennung“ von Normungseinrichtungen kompetenzrechtlich verwehrt. Damit ist allerdings die Frage, welche „Standardisierungen“ durch solchermaßen anerkannte Normungseinrichtungen geschaffen werden dürfen, nicht 14 15

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17 18 19

Ausführlich Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlagen für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, WBl 2001, 175 (181 ff mwH). Zur Problematik des „Versteinerungszeitpunkts“ im Hinblick auf bereits in der Stammfassung des B-VG 1920 enthaltene Kompetenztatbestände wie das Normenwesen Wiederin, Anmerkungen zur Versteinerungstheorie, FS Winkler, 1997, 1231 (1237 f mwN) und zum Problem neu geschaffener Kompetenztatbestände aaO, 1245 f. Siehe dazu Griller, Das Österreichische Normungsinstitut im Geflecht internationaler Beziehungen, ÖZöRV 1988, 237 (243); Thienel, Verweisungen auf ÖNORMEN, 1990, 13; Larcher, Die neuen ÖNORMEN des Verdingungswesens A 2060 und B 2110, RdW 1984, 166, 202 (166 f); Geuder (FN 3) 652 f; Gutknecht, BBl 2001, 182 f (dort insbesondere die Hinweise auf die Stellungnahmen der Staatskanzlei bzw vor allem des Staatsamts für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten zur Einführung des Kompetenztatbestands). Vgl Gutknecht (FN 16) 182. Zum Zusammenhang zwischen der Aufnahme neuer Kompetenztatbestände und der Anerkennung bzw Aufwertung von Staatsaufgaben Wiederin (FN 15) 1246 mwH. Zur historischen Entwicklung des Normenwesens mit dem im Rahmen der technischen Abteilung des Hauptverbandes der Industrie Österreichs gegründeten „Österreichischen Normenausschuß für Industrie und Gewerbe (ÖNIG)“ vgl. die EB zum NormenG 1954, 137 BlgNR, 7. GP, 3 und Hatschek, Die Bedeutung des Normenwesens im österreichischen Recht, ÖVBl 1936, 156, 179, 203 (159 f); Hartmann (FN 4) 7f.

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entschieden. Sie beantwortet sich auch nicht aus der staatlichen Kompetenzzuweisung, sondern zunächst aus der grundrechtlich abgesicherten privatautonomen Stellung der Normungseinrichtungen, ihrer „Normungsautonomie.“20 Abgesehen von dem Umstand, dass als „Normen“ im Sinne des Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG Standardisierungen zur Vereinheitlichung von Wirtschaftsprozessen zu verstehen sind, lassen sich diesem Kompetenztatbestand keine inhaltlichen Grenzen darüber entnehmen, was Normungseinrichtungen, die der Bund auf Grundlage des Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG staatlich anerkannt hat, zum Gegenstand ihrer Normierung machen. Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG enthält daher auch keine Begrenzung für Normierungsprozesse im Dienstleistungsbereich oder im Hinblick auf typische Vertragsgestaltungen.21 Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG ermächtigt allerdings den Bundesgesetzgeber nicht, in einem entsprechenden Verfahren erzeugte technische Normen in jeglicher Hinsicht für verbindlich zu erklären. Die Verbindlicherklärung technischer Normen stellt vielmehr eine Regelung der jeweiligen materiellen Angelegenheit dar, die kompetenzrechtlich je nach der zugrundeliegenden Sachmaterie zu beurteilen und insoweit nach dem System der Kompetenzverteilung sowohl dem Bundes- wie dem Landesgesetzgeber zukommt.22

II. Normen Die europäischen Normungsorganisationen CEN/CENELEC haben in EN 45020 „Norm“ als „Dokument, das mit Konsens erstellt und von einer anerkannten Institution angenommen wurde und das für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung Regeln, Leitlinien oder Merkmale für Tätigkeiten oder deren Ergebnisse festlegt, wobei ein optimaler Ordnungsgrad in einem gegebenen Zusammenhang angestrebt wird“,23 definiert.

A. Rechtsnatur von Normen Normen im Sinne des Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG sind Spezifikationen, die von einer anerkannten Normungsorganisation zur wiederholten oder ständigen 20

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Schulte (FN 12) Rz 127; Schmidt-Preuss, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung VVDStRL 56 (1997), 160, 203ff. Vgl zur diesbezüglichen Diskussion und mit diesbezüglich anderer Auffassung Larcher (FN 16) 167; Geuder (FN 3) 652 ff; siehe in diesem Zusammenhang auch den Hinweis auf den historisch nachweisbaren Zweck derartiger Regelungswerke, unter anderem auch Lieferbedingungen zu standardisieren, bei Gutknecht (FN 16) 182, mwN. Siehe in diesem Sinn - bezogen auf die Frage der Publikation von verbindlich erklärten ÖNORMEN - Thienel, Verweisungen auf ÖNORMEN, 1990, 47 f; Thienel zu Folge deckt Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG nur eine bundesgesetzliche Regelung bezüglich der Publikation von Normen allgemein, also von nicht verbindlich erklärten Normen. Bei verbindlich erklärten Normen können die Länder auch die notwendigen Regelungen über die Publikation der verbindlich erklärten ÖNORMEN erlassen. Normen sollen weiters auf den gesicherten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung basieren und auf die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft abzielen. (ISO/IEC Leitfaden 2:1996, Begriff 3.2).

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Anwendung angenommen wurden, deren Anwendung jedoch nicht zwingend vorgeschrieben ist. Mithilfe von Normen werden Richtlinien für die Herstellung eines Erzeugnisses, dessen Gebrauchstauglichkeit, Aussehen, Abmessungen, Formen, Eigenschaften oder Qualitätsmerkmale aufgestellt, die zu einer Vereinheitlichung, Vereinfachung und nicht zuletzt zu einer Verbesserung der Produktion, der Verwendungsmöglichkeiten der Produkte und der Produkte selbst führen sollen.24 Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang zwischen Normen mit technischen Inhalten,25 Verfahrensnormen,26 Normen mit typisierten Vertragsinhalten27 und sogenannten „Mischnormen“28 unterschieden.29 Aufgrund des Umstandes, dass Normen durch gesellschaftliche Einrichtungen im Rahmen ihrer Privatautonomie in Zusammenarbeit mit Vertretern von Unternehmen sowie von Verbrauchern erstellt werden, die Normsetzungstätigkeit daher im privaten Bereich erfolgt, kann derartigen Normen keine über private Regelsetzung hinausgehende Bedeutung, insbesondere keine Rechtsnormen vorbehaltene Verbindlichkeit zukommen.30 Um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen bedürfen derartige Normenwerke daher stets der Verbindlicherklärung durch den Gesetzgeber31 bzw der ausdrücklichen Aufnahme in ein Vertragswerk. Rechtsverbindlichkeit können Normen auch erlangen, indem die maßgeblichen Verkehrskreise diese tatsächlich regelmäßig als Handlungsmaßstab heranziehen und die Normen solcherart zum Handelsbrauch (§ 364 HGB) oder zur Verkehrssitte (§ 863 ABGB) werden. Rechtliche Bedeutung können Normen weiters erlangen, wenn sie zur Interpretation unbestimmter Gesetzesbegriffe, insbesondere sogenannter Technikklauseln32, herangezogen werden.33

B. Nationale Normen 1. ÖNORMEN ÖNORMEN als Produkte des Österreichischen Normungsinstitutes (ON) stellen die Ergebnisse österreichischer nationaler Normierungstätigkeit dar.34 Eine ÖNORM hat nach der Geschäftsordnung des Österreichischen Normungsinsti24 25 26 27 28 29 30 31

32 33 34

Vgl Zubke- von Thünen, Technische Normung in Europa, 1999, 133ff. Etwa Normen zur Vereinheitlichung von Produktmaßen, Prüfnormen u. dgl. Den größten Bekanntheitsgrad dürfte wohl die ÖNORM A 2050 über das Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge erlangt haben. Vgl etwa die Bauvertragsnorm ÖNORM B 2110/2000. Das sind Normen, die keiner der Gruppen direkt zurechenbar sind, wie zB Normen im Bereich des Umweltschutzes oder der Terminologie. Vgl mwN Löschnigg/Reissner, Zur rechtlichen Relevanz der ÖNORM über Bildschirmarbeitsplätze, ecolex 1991, 480. Siehe hierzu näher Thienel (FN 22), 14 mwH. Mittels Inkorporation oder Verweisung, siehe Korinek, Die Verbindlichkeit technischer Normen im nationalen Recht und im europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Lendi, 319ff. Näher zur Problematik Davy, Legalität durch Sachverstand?, ZfV 1982, 345. Vgl Korinek (FN 31), 318. Derzeit existieren rund 11.500 ÖNORMEN. Davon sind etwa 3.000 Normendokumente rein national, ca 6.900 auch europäische Normen und ca 1.600 internationaler Provenienz. Vgl. Barfuß, FS Koppensteiner, 2001, 543.

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tutes (ON) unter Bindung an die Richtlinienvorgaben des Vorstandes so abgefasst zu werden, dass ihr Ziel und Zweck sowie der Kreis der Normadressaten eindeutig erkennbar sind. Dabei sollte die Textierung so gewählt sein, dass die Norm durch Gesetz oder Verordnung verbindlich erklärt werden kann. Ist der Gegenstand einer auszuarbeitenden ÖNORM noch wesentlichen Änderungen unterworfen, was etwa aufgrund einer laufenden technischen Entwicklung der Fall sein kann, aber dennoch entweder ein Bedürfnis des Marktes nach einer solchen Norm gegeben ist, oder zusätzlich einschlägige Erfahrungen und Anregungen aus der Praxis benötigt werden, kann das vorliegende Zwischenergebnis als Vornorm veröffentlicht werden.35 Die Behandlung, Vorgangsweise und Rechtsnatur gleicht jener einer ÖNORM, jedoch ist für ihre Verabschiedung Dreiviertelmehrheit ausreichend. Die Laufzeit einer Vornorm sollte weiters einen Zeitrahmen von fünf Jahren nicht übersteigen. Auf ihre Eigenschaft als Vornorm ist in den Vorbemerkungen zur Vornorm hinzuweisen.

2. ON Regel (ONR) Das Österreichische Normungsinstitut bietet neben Normen nach dem bereits zitierten Verständnis der EN 45020 dem Markt eine weitere Art von Spezifikationen an: die ON Regel (ONR). Deren Konzept beruht im wesentlichen auf der Erkenntnis, dass das System der Schaffung von Normen in jenen Bereichen, die eine hohe Innovationsdichte aufweisen, oftmals überfordert scheint, und ein ausreichender Konsens nicht in der geforderten Geschwindigkeit erzielt werden kann. Dementsprechend anders ist das Verfahren zur Erstellung einer ONR gestaltet. Während bei der Ausarbeitung einer ÖNORM alle betroffenen Verkehrskreise beteiligt werden, arbeiten an einer ONR nur mindestens zwei der interessierten Gruppen mit. Das Konsensprinzip, das bei ÖNORMEN eine umfassende Akzeptanz sichern soll, kommt bei den ONR nicht zur Anwendung, die Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst. Als weitere wichtige Abweichung zu dem Verfahren der Erarbeitung von ÖNORMEN ist der Entfall des zwingenden öffentlichen Einspruchsverfahrens zu nennen. Eine Auflage der ONR-Entwürfe ist zwar möglich, jedoch nicht zwingend vorgeschrieben. Zur Gewährleistung eines einheitlichen und kohärenten Normensystems ist jedoch zu beachten, dass keine Widersprüche zu anderen ONR oder ÖNORMEN entstehen. Durch die genannten Abweichungen kann eine Beschleunigung und wesentliche Vereinfachung des Ausarbeitungsprozesses erzielt werden, die Möglichkeit, die ONR zu einem späteren Zeitpunkt in eine ÖNORM - freilich unter Einhaltung der entsprechenden Verfahren - weiter zu entwickeln, bleibt erhalten. Ähnlich der ONR bestehen gleichartige Pendants auch auf europäischer wie internationaler Ebene: CEN nennt jene, den ONR in ihrem Entstehen ähnlichen Dokumente, CEN-Workshop-Agreements (CWA), jene auf dem Gebiet der Elektrotechnik werden unter der Bezeichnung „Europäische Spezifikationen“ (ES) erstellt. ISO und IEC erarbeiten in ähnlicher Weise Industry Technical Agreements (ITA) und Publicly Available Specifications (PAS). ISO kennt darüber hinaus noch Technical Specifications (TS).

35

Vgl. Pkt. 4.5.10 der Geschäftsordnung des ON.

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C. Europäische Normen 1. Allgemeines Auf dem Weg zur Verwirklichung des freien Binnenmarktes gilt es, die Hürde der technischen Handelshemmnisse zu überwinden. Denn der freie Warenverkehr stößt dort an Grenzen, wo faktische Gegebenheiten wie eben national unterschiedliche Normen einen Warenaustausch schwierig bis unmöglich machen.36 Die Warenverkehrsfreiheit37 verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung,38 worunter jene Handelsregelungen der Mitgliedstaaten verstanden werden, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Gestützt auf das Urteil Cassis de Dijon39 vertritt die Kommission40 den Standpunkt, ein Mitgliedstaat könne den Verkauf eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten Erzeugnisses nicht verbieten, selbst dann nicht, wenn dieses Erzeugnis nach anderen technischen oder qualitativen Vorschriften als den für die inländischen Erzeugnisse geltenden hergestellt worden ist. Die aus Art 28 EG folgende Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur wechselseitigen Anerkennung ihrer Produkt- und Sicherheitsstandards findet ihre Grenzen ausschließlich an den Schutzrechten des Art 30 EG sowie den zwingenden Erfordernissen, die der EuGH als immanente Schranken von Art 28 EG in seiner Rechtsprechung anerkannt hat.41 Von diesen sind im vorliegenden Zusammenhang vor allem der Gesundheitsschutz, der Schutz der öffentlichen Sicherheit sowie der Verbraucher42- und Umweltschutz43 von Bedeutung. Für das technische Sicherheitsrecht bedeutet die Cassis de Dijon- Rechtsprechung, dass die von Art 28 EG geschützte Freiheit des Warenverkehrs an ihre Grenzen stößt, soweit einzelne mitgliedstaatliche Vorschriften den Schutz von Sicherheit, Gesundheit, Umwelt und Verbrauchern bezwecken.44 Die naturgemäß nahezu ständige Betroffenheit dieser Rechtsgüter zieht dem freien Warenverkehr im Bereich des Umwelt- und des Technikrechtes zum einen in einer doch nicht unerheblichen Weise Grenzen, die nur mit Hilfe einer 36 37 38 39 40

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So etwa, wenn ein in einem Mitgliedstaat produziertes Elektrogerät in einem anderen aufgrund unterschiedlicher Netzspannungen nicht verwendet werden kann. Art 28 EGV. zur Auslegung siehe EuGH Rs 8/74, AS 1974, S837 ff, Dassonville, wie auch EuGH Rs 120/78, Slg 1979, S 649 ff, Cassis de Dijon. FN 38. Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Cassis den Dijon Urteiles, Abl Nr C 256 vom 3.10.1980, 2; vgl. näher bei Becker, in: Schwarze (Hrsg), EUKommentar, 2000, Art 28, Rn 45f. EuGH, Slg. 1979, 649 (622, Rn. 8)- Rewe; Slg. 1988, 4489 (4511, Rn 15f.) SMANOR. EuGH, Slg. 1979, 649, Rn. 8. - Cassis de Dijon; EuGH Slg. 1994, I-317, Rn. 15 Clinique. EuGH, Slg. 1988, 4607 (4630, Rn.9) - Dänische Pfandflaschen. Siehe hierzu EuGH, Slg. 1986, 419 (436, Rn. 17) - Holzbearbeitungsmaschinen; Slg. 1981, 3277 (3291, Rn. 14) - Biologische Producten.

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Harmonisierung und einheitlichen Festlegung des geforderten Schutzniveaus überwunden werden können, da eine solche die Unanwendbarkeit des Schutzmechanismus der Art 28 und 30 EG zur Folge hat. Ist die erfolgte Harmonisierung hinsichtlich des in Frage kommenden Schutzgutes eine vollständige,45 so ist der von der Harmonisierungsrichtlinie vorgegebene Maßstab bei der Beurteilung der Zulässigkeit von nationalen Schutzmaßnahmen und durchgeführten Kontrollen alleinig ausschlaggebend und kann ein Schutz- bzw. Sicherungsverfahren ausschließlich auf Gemeinschaftsebene nach einem einheitlichen Verfahren mit einheitlichen Wirkungen auf sämtliche Mitgliedstaaten durchgeführt werden.46 Zum zweiten birgt die „marktöffnende Wirkung“ der Grundfreiheiten die Gefahr einer Nivellierung der Produktanforderungen nach unten, also einer Orientierung am kleinsten gemeinsamen Nenner.47 Grundlegend für die Entwicklung einer einheitlichen Organisation der Normung auf europäischer Ebene war ein Bekenntnis des Rates der europäischen Union48 zu den zwei wesentlichen Grundprinzipien der Normung, in dem sich der Rat ausdrücklich auf die herausragende Bedeutung der Normung für die Verwirklichung der Ziele eines freien Waren- und Dienstleistungsverkehres berief: • Normung ist eine freiwillige, vom Konsens getragene Tätigkeit, die von den und für die interessierten Parteien auf Grundlage von Offenheit und Transparenz im Rahmen unabhängiger und anerkannter Normungsorganisationen durchgeführt wird und zur Verabschiedung von Normen führt, deren Befolgung freiwillig ist. • Normen sollten zweckmäßig sein, aufgrund der umfassenden Beteiligung aller interessierten Parteien am Normungsprozess einen hohen Akzeptanzgrad aufweisen, untereinander kohärent sein und technologische Innovationen und Wettbewerb zulassen. Deshalb sollten sie auf fundierten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen basieren, in regelmäßigen Abständen auf den neuesten Stand gebracht werden und nach Möglichkeit leistungsbezogen sein. In konsequenter Weiterführung dieser Darlegungen forderte der Rat die Kommission dazu auf, in Konsultation mit den Mitgliedstaaten Leitlinien für eine europäische Normungspolitik im internationalen Kontext zu entwickeln und dem Rat hiefür bis längstens 30.06.2001 zu berichten.49

45

46 47 48 49

Siehe etwa EuGH Slg. 1994, 5243 (5263, Rn. 14) - Ortscheit; Slg. 1989, 617 (638f., Rn. 15) - Schumacher; Nach der Modellrichtlinie im Anhang zur Entschließung des Rates über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung, Abl 1985 C 136/3(4), haben die im Rahmen der „Neuen Konzeption“ ergangenen Richtlinien im Regelfall eine vollständige Harmonisierung vorzusehen. Hinsichtlich der Sperrwirkung gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierungsvorschriften siehe Becker (FN40), Art 30 EGV, Rn. 85ff. MwN Holoubek, Verbraucherschutz durch Produktrecht, in: Aicher/ Holoubek(Hrsg), 2000, 92. Entschließung des Rates vom 28.10.1999 zur Funktion der Normung in Europa, Abl 2000 C 141/1. Vgl Kom (2001), 527 endg.; veröffentlicht in CONNEX 12/2001, 5ff; Die Kommission gibt an dieser Stelle einen Überblick über bereits verwirklichte Vorhaben und

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2. Arten europäischer Normen a) Europäische Norm (EN) Eine Europäische Norm (EN) ist eine CEN/CENELEC-Norm, die mit einer doppelten Verpflichtung verbunden ist: Sie muss einerseits auf nationaler Ebene übernommen50 werden, indem ihr der Status einer nationalen Norm gegeben wird, andererseits müssen ihr entgegenstehende nationale Normen zurückgezogen werden.51 b) Harmonisierungsdokument (HD) HD (Harmonisierungsdokumente) sind CEN/CENELEC-Normen, die mit der Verpflichtung verbunden sind, auf nationaler Ebene zumindest durch öffentliche Ankündigung von HD-Nummer und -Titel übernommen zu werden. Ihr entgegenstehende nationale Normen sind zurückzuziehen.52 Es unterscheidet sich somit von einer EN dadurch, dass dem Harmonisierungsdokument nicht der Status einer nationalen Norm verliehen werden muss. Nationale Normen dürfen daher beibehalten bzw neu herausgegeben werden, sofern deren technischer Inhalt dem des HD entspricht. c) Europäische Vornorm (ENV) Europäische Vornormen sind provisorische Normen zur vorläufigen Anwendung und werden vornehmlich im Rahmen der entwicklungsbegleitenden Normung,53 insbesondere für Gebiete mit hohem technischem Innovationsgrad oder bei dringendem Bedarf für eine Leitlinie, vor allem dann ausgegeben und eingesetzt, wenn Sicherheitsgesichtspunkte keine Rolle spielen. ENV können durch ein technisches Gremium des CEN/CENELEC oder mithilfe eines Fragebogens und schriftlicher Abstimmung über ein geeignetes Bezugsdokument binnen dreier Monate erarbeitet werden, ohne dass es des hiefür üblichen Einspruchsverfahrens bedürfe. Auch ENV müssen von den Mitgliedstaaten übernommen werden, dies allerdings unbeschadet bereits vorhandener nationaler Normen zum gleichen Regelungsgegenstand. Nach dem Ablauf einer Frist von drei Jahren wird die ENV einem festgelegten Überprüfungsverfahren unterzogen, in dem über das weitere Schicksal der Vornorm entschieden wird. Sie kann entweder unmittelbar in eine EN übergeleitet, einmal als Vornorm verlängert oder auch zurückgezogen und somit überhaupt verworfen werden. d) Europäische Technische Zulassung (Agrément) „Europäische Technische Zulassungen“ sind keine Normen, sondern positive technische Beurteilungen der Brauchbarkeit von Produkten hinsichtlich der

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geplante Innovationen und Verbesserungsmaßnahmen auf dem Gebiet der technischen Normung. Die Übernahme wie die Zurückziehung in Österreich haben durch den zuständigen Fachnormenausschuss (FNA) zu erfolgen. Siehe 3.1.4. der Geschäftsordnung CEN/CENELEC. Siehe 3.1.5. der Geschäftsordnung CEN/CENELEC. Vgl Schulte, Verfassungsrechtliche Beurteilung der Umweltnormung, in: Rengeling (Hrsg), Schriften zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Band 13 (Umweltnormung), 1998, 181 ff.

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„wesentlichen Anforderungen“ im Sinne der einschlägigen Richtlinien.54 Sie bescheinigen die Merkmale eines Produktes im Hinblick auf ihre Relevanz für die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen der Richtlinien und legen für die Dauer der Gültigkeit der Zulassung, welche im Regelfall fünf Jahre beträgt, die Verwendungsbedingungen des betreffenden Produktes fest. Auf diese Form der Zulassung von Produkten wird zumeist dann zurückgegriffen, wenn ein Produkt infolge seiner Neuartigkeit oder seiner neuartigen Verwendung nicht durch eine europäische oder nationale Norm, mit welcher die Einhaltung der „wesentlichen Anforderungen“ bescheinigt werden könnte, abgedeckt ist oder abgedeckt werden kann. Solche Zulassungen werden vom Hersteller des Produktes oder dessen Importeur in die Gemeinschaft beantragt und von einer hiefür einschlägigen, vom jeweiligen Mitgliedstaat autorisierten Zulassungsstelle55 erteilt. e) CEN Workshop Agreement (CWA) Ähnlich der ON-Regel werden bei CEN sogenannte CWA´s erarbeitet, um den Bedürfnissen des Marktes rasch entsprechende normenähnliche Dokumente zur Verfügung stellen zu können, wenn die Mechanismen des „ordentlichen“ Normungsverfahrens nicht flexibel genug sind, um in der geforderten Geschwindigkeit brauchbare Normungsergebnisse liefern zu können. Als Foren für die Erarbeitung dieser CWA dienen die CEN Workshops, deren Struktur offener und unbürokratischer gestaltet ist, als jene der Technischen Komitees. Dadurch wird in gewisser Weise ein Brückenschlag zwischen den rein unternehmerischen Konsortien, die ohne Beteiligung der Öffentlichkeit De-facto-Normen schaffen, und dem formellen Verfahren der europäischen Normung im Rahmen von CEN, erzielt. Abweichend von EN, HD oder ENV können CWA auch mehrere normungstechnische Lösungen vorsehen, die zueinander in einer Art „Wettbewerbsverhältnis“ stehen. Solcherart können verschiedene Technologien oder Schnittstellen auf ihre Akzeptanz auf dem freien Markt getestet werden. Im Hinblick auf eine spätere Übernahme der CWA als EN oder ENV sind jedoch die PNE-Regeln56 zu beachten. f) Technical Reports Technical Reports schließlich stellen eine weitere Kategorie von möglichen Arbeitsergebnissen der Facharbeit eines CEN/CENELEC-Komitees dar: Sie dienen dazu, die einschlägigen Fachkreise vom Ergebnis eines Normungsverfahrens zu unterrichten, das für sich von hohem Interesse, für eine Normung allerdings aus verschiedenen Gründen nicht geeignet ist.

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Siehe zur „Neuen Konzeption“ unten VI.A. Zu den Zulassungsstellen siehe näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Die PNE-Regeln (règles pour la rédaction et la présentation des normes européennes - Regeln für den Aufbau und die Gestaltung Europäischer Normen) beinhalten Vorschriften und Richtlinien über die Erarbeitung und Gestaltung von Europäischen Normen hinsichtlich deren Aufbau und Abfassung. Sie finden sich in Teil 3 der GO CEN/CENELEC.

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D. Internationale Normen und Normungsorganisationen 1. Internationale Normen Unter einer internationalen Norm wird eine von einer internationalen normschaffenden Institution/Normungsorganisation angenommene Norm verstanden, die der Öffentlichkeit zugänglich ist.57 Die internationalen Normungsorganisationen sind ungeachtet des Umstandes, dass einige ihrer Mitglieder in ihren Staaten Behördenstatus genießen, privatrechtliche Vereinigungen, deren Mitglieder die jeweiligen nationalen Normungsorganisationen sind. Diesen kommt somit die Aufgabe zu, die Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten zu vertreten. Aufgrund der im Vergleich zur Europäischen Normung fehlenden Integration erlangen internationale Normen nur unverbindlichen Charakter, stellen also bloße Empfehlungen an die Mitgliedstaaten dar, denen es freigestellt ist, diese in ihre nationalen Normenwerke zu übernehmen.58 Dabei sind die Mitgliedstaaten wiederum bei der Wahl der Mittel der Umsetzung völlig frei. Lag früher der Schwerpunkt internationaler Normungstätigkeit eher auf der Festlegung von Grund- und Rahmenordnungen, wie etwa zu Terminologie, Einheiten, Formelzeichen und dergleichen, geht in jüngerer Zeit die Tendenz zunehmend in Richtung Sicherheitsnormung und Normung zur Erzielung von Kompatibilität.

2. Internationale Normungsorganisation (ISO)59 Die 1947 aus der 1926 gegründeten Normungsorganisation ISA (Federation of the National Standardizing Associations) hervorgegangene ISO hat rund 130 Mitglieder, die sich aus den staatlichen Normungsorganisationen rekrutieren60 und repräsentiert damit etwa 95% der gesamten Weltproduktion. Ziel der Tätigkeit der ISO ist die Erarbeitung von ISO Standards, welche zu einer möglichst weltweiten Vereinheitlichung möglichst vieler Normen für sämtliche Industriesparten führen sollen. Die Akzeptanz der ISO-Normen beruht im Wesentlichen auf der Freiwilligkeit der Anwendung. Einzelstaatliche Abweichungen aufgrund spezieller Interessen bleiben somit möglich. Neben den ISO-Normen erarbeitet ISO auch den ON-Regeln und den CEN Workshop Agreements entsprechende Normungsdokumente, die Industry Technical Agreements (ITA)61, die Publicly Available Specifications (PAS)62 und die Technical Specifications (TS)63. 57

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ISO/IEC Leitfaden 2:1996, Begriff 3.2.1.1; Von der ISO und IEC veröffentlichte Internationale Normen werden mit den Anfangs-Großbuchstaben „I“ und „S“ (de: „I“ und „N“) geschrieben, d. h. „International Standard“ („Internationale Norm“). Natürlich nur unter dem Vorbehalt, dass im fraglichen Bereich keine der internationalen Norm entgegenstehende Europäische Norm besteht. www.iso.ch. Dies hat zur Konsequenz, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Rahmen ihrer Mitarbeit bei ISO/IEC nicht durch CEN oder CENELEC einheitlich vertreten sind, sondern jeder Staat ein eigenständiges, unabhängiges Mitglied dieser Organisationen ist. Insgesamt kommt daher den Mitgliedstaaten der EU - und damit der europäischen Normung - ein erheblich größerer Einfluss zu als den USA, wie dies von ANSI, der US-Normungsinstitution, moniert wird. Vgl. hierzu das Strategiepapier „National Standards Strategy for the United States“, abrufbar unter der Adresse http://www.ansi.org/public/ national_strategy.pdf . ITA´s sind als technische Dokumente vor allem für jene Bereiche mit hohem technischen Innovationsgrad gedacht. Das Verfahren zur Erzielung der gewünschten

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3. Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC)64 Die IEC ist mit ihrem Gründungsjahr 1906 die älteste internationale Normungsorganisation. Als Schwesterorganisation von ISO betätigt sie sich auf dem Gebiet der Elektrotechnik und erarbeitet die IEC Standards, welche ein einheitliches Normenwerk auf dem Gebiet der Elektrotechnik schaffen sollen.

4. International Telecommunication Union (ITU)65 Die ITU ging am 1. März 1993 aus dem früheren International Telegraph and Telephone Consultative Committee (CCITT) hervor, dessen Anfänge bis ins Jahr 1865 zurückreichen. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf die nachfolgenden drei Sektoren: Normierung im Bereich des Telekommunikationswesens - ITUT, im Bereich der Radiokommunikation - ITU-R, (vormals CCIR bzw. IFRB), sowie im Bereich der Entwicklung des Telekommunikationssektors - ITU-D, deren Zielsetzung es ist, die Telekommunikationsdienste weltweit zu erleichtern und zu verbessern.

5. Sonstige Internationale Normungsorganisationen CCITT/CCIR, Ausschüsse der Internationalen Fernmeldeunion FAO/WHO, Internationale Organisation für Ernährung und Landwirtschaft/ Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen mit dem Normenprogramm Ernährung (Codex Alimentarius) IAEO, Internationale Atomenergie-Organisation IAO, Internationale Arbeitsorganisation ICAO, Internationale Luftfahrtorganisation IMCO, Internationale Maritime Beratungsorganisation JCSS, Gemeinsames Komitee für strukturelle Sicherheit OIML, Internationale Organisation des gesetzlichen Messwesens UIT, Internationale Union der Telekommunikation WMO, Meteorologische Weltorganisation

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Normungsergebnisse ist ebenso wie der Teilnehmerkreis weitgehend undeterminiert, es bleibt also den einzelnen Unternehmen überlassen, untereinander einen Konsens zu finden. Das Fehlen von starren Regeln, wie etwa einzuhaltende Fristen für Einspruchsverfahren, macht dieses Verfahren geeignet, innerhalb weniger Monate brauchbare Normungsergebnisse zu erzielen. Beschließt eine Arbeitsgruppe innerhalb der ISO, dass der in der Form eines normativen Dokumentes erzielte Konsens betreffend ein bestimmtes Arbeitsthema veröffentlicht werden sollte, so geschieht dies in der Form einer PAS. Ähnlich wie bei den CWA ist es bei den PAS möglich, dass verschiedene Lösungsvarianten miteinander im Wettbewerb stehen. Längstens alle drei Jahre sind die PAS zu überarbeiten, nach sechs Jahren ist die PAS entweder zurückzuziehen oder in eine ISO-Norm umzuwandeln. In jenen Fällen, in denen ein Komitee beschlossen hat, eine ISO-Norm zu veröffentlichen, aber festgestellt hat, dass die dazu nötige Zustimmung nicht erzielbar ist, kann das Dokument unter bestimmten Voraussetzungen als TS veröffentlicht werden. Vgl. näher FN 59. www.iec.ch www.itu.int

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III. Nationale Normung A. Das NormenG als innerstaatliche Rechtsgrundlage Rechtsgrundlage nationaler österreichischer Normungstätigkeit ist das Bundesgesetz vom 16. Juni 1971 über das Normenwesen (Normengesetz 1971) i.d.F. BGBl. Nr. 240/1971. Das NormenG 1971 ist eine Neufassung des alten Normengesetzes aus 1954, das nach den Erläuternden Bemerkungen66 den zeitgemäßen Anforderungen an die Rationalisierung der Produktion zwecks Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Produkte sowohl auf dem Inlandsmarkt als auch im Export angepasst werden sollte. Als besonderes Merkmal ist die Beibehaltung jener Regelung des § 1 Abs 3 NormenG 1971 hervorzustreichen, derzufolge nur einem Verein die Befugnis zur Schaffung und Herausgabe von nationalen Normen verliehen werden kann.67 Weiters wurde im Bewußtsein der immer größer werdenden Bedeutung der Normung und ob des Umstandes, dass sich der Staat schon 1971 immer mehr der Ergebnisse dieser privaten Normungstätigkeit bediente, jener Textteil des § 2 des NormenG 1954 gestrichen, welcher sicherstellen sollte, dass das Österreichische Normungsinstitut als der betraute Verein seine Aufgaben ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu erfüllen hatte.

Da den ÖNORMEN aufgrund ihrer Ausarbeitung durch einen privaten Verein nicht schon eo ipso Rechtswirksamkeit zukommen kann, sieht das NormenG in seinem § 5 vor, dass ÖNORMEN per Gesetz oder Verordnungen für verbindlich erklärt werden können.68 Hierbei verdient § 8 des NormenG 1971 besondere Beachtung, der dem Verein die ausschließliche Befugnis zur Verwendung des Kennwortes „ÖNORM“ sowie deren Kennzeichen zuteilt, indem deren unbefugte Verwendung durch Dritte zur mit Strafe bedrohten Verwaltungsübertretung erklärt wird. Die rechtliche Beziehung zwischen dem Bund und dem ON, dem auf Grund des § 1 Abs 1 NormenG bescheidmäßig die Befugnis verliehen wurde, die von ihm geschaffenen Normen als ÖNORMEN zu bezeichnen, wird in der Literatur unterschiedlich eingeordnet. Mit der erwähnten Befugnis, die, wie dargestellt, nur einem Verein und nur einem solchen exklusiv verliehen werden kann,69 ist - neben der Ermächtigung zur Führung des Bundeswappens - insbesondere das ausschließliche Recht zur Erarbeitung und Verwertung von ÖNORMEN verbunden. Die in § 2 Abs 1 NormenG geforderten Voraussetzungen für die Verleihung einer solchen Befugnis sind so formuliert, dass sie als gesetzliche Anforderungen an die Organisation der Normungsarbeit wirken.70 Weiters legt das

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373 BlgNR, 12.GP. Im Lichte der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem ON und dem ÖVE bedeutet dies, dass auf dem Gebiet der Elektrotechnik, welches alleine dem ÖVE vorbehalten ist, keine ÖNORMEN bestehen. Deren Funktion wird durch die vom ÖVE auszuarbeitenden elektrotechnischen Sicherheitsvorschriften wahrgenommen. Zu diesen vgl näher Holoubek, Elektrotechnikrecht. Die vom ÖVE auszuarbeitenden elektrotechnischen Sicherheitsvorschriften werden regelmässig durch die Bestimmungen der Elektrotechnikverordnung - derzeit in der Fassung des BGBl. Nr. 575/1996 - für verbindlich erklärt. § 1 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 NormenG. So muss der Verein satzungsgemäß die Sicherheit bieten, dass bei der Schaffung von ÖNORMEN entsprechend ihrem Wirkungsbereich Stellen der Hoheits- und Wirtschaftsverwaltung des Bundes und der Länder, einschließlich etwa bestehender

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NormenG den Mindestinhalt der Geschäftsordnung des Vereins und damit des ON fest, woraus sich gesetzlich zwingend vorgesehene Aufgaben des ON ergeben.71 Diese zweifellos besondere Rechtsbeziehung zwischen dem Bund und einem privaten Verein wird in der Literatur dahingehend beschrieben, dass das ON zwar keine behördlichen Funktionen im engeren Sinn, wegen seiner organisatorischen und funktionellen Nahebeziehung zur staatlichen Verwaltung aber so genannte schlichte Hoheitsverwaltung72 ausübe,73 weshalb seine Tätigkeit als die eines „Beliehenen“74 oder, weil es sich um die Mitwirkung eines privaten ausgegliederten Rechtsträgers an der Besorgung öffentlicher Aufgaben handle, als „Indienstnahme“75 zu qualifizieren sei. Dagegen wurde eingewendet, dass der Einordnung als „Beleihung“ entgegenstehe, dass dem ON nicht einmal potentiell Imperium zur Verfügung stehe,76 womit es überhaupt unzutreffend sei, von der Erfüllung schlicht hoheitlicher Verwaltungsaufgaben und damit von einer „Inpflichtnahme“ zu diesem Zweck zu sprechen.77 Nun weist die Tätigkeit des ON und die zwischen dieser Einrichtung und dem Bund auf Grund des NormenG bestehende rechtliche Beziehung zweifellos Besonderheiten auf, die eine Einordnung schwierig machen. Die verwendeten begrifflichen Kategorien insbesondere der „Indienstnahme“ wurden zur Beschreibung der Beziehungen von ausgegliederten bzw privaten Rechtsträgern zur staatlichen Verwaltung entwickelt; im vorliegenden Fall besteht freilich ein funktionelles Naheverhältnis vor Allem zu genereller Rechtssetzung. insbesondere auch zur Gesetzgebung. Weiters ist das Verhältnis zwischen dem NormenG sowohl 1954 wie 1971 und dem ON ein spezifisches, das sich von sonstigen Formen der Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten an private Rechtsträger unterscheidet. Es ist evident, dass der Gesetzgeber jeweils ganz konkret den „Österreichischen Normenausschuss“ bzw das „Österreichische Normungsinstitut“78 vor Augen hatte. Die Regelungen des NormenG erfolgten also, um die Tätigkeit des Vereins, auf den sie sich beziehen, gesetzlich einzufassen.

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selbständiger Wirtschaftskörper, die Vertreter der Wissenschaft sowie die am Normenwesen interessierten Standesvertretungen als Interessenvertretungen der Erzeuger und Verbraucher mitwirken (§ 2 Abs 1 lit a NormenG). Organisation und Durchführung der Normungsarbeit, Anpassung der ÖNORMEN an den jeweiligen Stand der Wissenschaft und der Technik sowie an wirtschaftliche Gegebenheiten, Verfahren zur Übernahme europäischer und internationaler Normen, Kooperation mit anderen Normenorganisationen etc, siehe im Einzelnen § 2 Abs 2 NormenG. Zum Begriff Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², 2003, Rz 729 ff. Geuder (FN 3) 655; Griller (FN 16) 242. Schäffer, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private (Beleihung und Inpflichtnahme), in: Bundeswirtschaftskammer (Hrsg), Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1973, 58 (62). Griller (FN 16) 242. Koja, Die Erfüllung hoheitlicher Verwaltungsaufgaben durch Private, Festschrift Antoniolli, 1979, 439 (452 f). Thienel (FN 22) 15. Die Namensänderung erfolgte auf Grund eines Beschlusses der Generalversammlung des Vereins im Jahre 1968, siehe Geuder (FN 3) 655.

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Die Begründung dafür liegt in der besonderen Bedeutung, die die Ergebnisse der Tätigkeit des Vereins - die Normen - für den Staat und zwar in zweifacher Hinsicht haben: Zum einen als Entlastung bei der Erarbeitung staatlicher Rechtssetzungsakte, weil auf die Inhalte der durch die private Einrichtung erarbeiteten Normen verwiesen oder diese in staatliche Rechtssetzungsakte inkorporiert werden können. Zum anderen zur Entlastung staatlicher Rechtssetzung überhaupt, weil die Normen das in der Gesellschaft zweifellos vorhandene Regulierungsbedürfnis über weite Strecken zu befriedigen vermögen, ohne dass es überhaupt zu einer staatlichen Verbindlicherklärung kommen muss.79 Es kann zunächst festgehalten werden, dass das ON zweifellos „öffentliche“, gleichwohl aber gerade nicht „staatliche“ Aufgaben wahrnimmt.80 Insoferne handelt es sich bei der Tätigkeit des ON gerade nicht um eine Hilfsfunktion für die staatliche Rechtssetzung, sondern eben um gesellschaftliche Regelbildung.81 Es handelt sich freilich um gesellschaftliche Regelsetzung, die in besonderem Maße staatlich reguliert ist. Das unterscheidet die Tätigkeit des ON etwa von anderen Vereinen,82 die für ihren Bereich auch „regelbildend“ wirken. Insoweit besteht zweifellos eine besondere Rechtsbeziehung zwischen dem ON und dem Bund.83 Zur Erfassung des Dargelegten erscheint der Terminus „regulierte Selbstregulierung“ geeignet.84 Damit können zwei Dinge deutlich gemacht werden. Zum einen, dass es sich bei der Tätigkeit des ON weder um auch nur in einem weiten Sinn staatliche Tätigkeit noch um eine „Hilfstätigkeit“ für den Staat handelt, sondern um autonome Tätigkeit im gesellschaftlichen Bereich. Zum Zweiten, dass diese Tätigkeit in besonderem Maß gesetzlich geformt ist. Daran anknüpfend bietet auch die Frage, ob und inwieweit die Tätigkeit des ON dem Staat zuzurechnen ist, ein differenziertes Bild. Nicht ist sie es, wenn es um die 79 80 81 82 83

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Hierin liegt der eigentliche Effekt der „Selbstregulierung“. Zur Unterscheidung Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, 1965, Band II, 877 ff. Vgl Raschauer (FN 72), Rz 119 f. Man denke an europäische oder internationale Sportvereinigungen. Die Bezeichnung dieses Zusammenhanges mit dem Begriff „Indienstnahme“, der damit auch für die Besorgung öffentlicher und nicht staatlicher Aufgaben verwendet wird, ist eine Zweckmäßigkeitsfrage. Dagegen spricht, dass damit die Abgrenzungsfunktion der Zurechnung Privater zur Hoheitsverwaltung und damit zur staatlichen Verwaltung im Sinne des B-VG verloren geht, siehe Holoubek, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konsequenzen der Ausgliederung, Privatisierung und Beleihung, ÖZW 2000, 33 (34) und ausführlich im Hinblick auf die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf private Rechtsträger Holoubek, Durchführung der Vereinsaufgaben mit öffentlichen Mitteln - Zur allgemein verwaltungsrechtlichen und haushaltsrechtlichen Bindungen des Vereins für Bewährungshilfe, in: Zur Übertragung sozialpolitischer Aufgaben des Staates an Private - Am Beispiel der Bewährungshilfe, SUB Extra 6/1992, 21 ff. Zum Begriff Schmidt-Aßmann, Regulierte Selbstregulierung als Element verwaltungsrechtlicher Systembildung, in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates, Die Verwaltung - Beiheft 4, 2001, 253 (254 ff); zur Diskussion um die Einordnung in Deutschland vgl einerseits Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), 235 (271 ff) und andererseits Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, 89.

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Zurechnung zur staatlichen Verwaltung im verfassungsrechtlichen Sinn geht.85 Anderes kann für spezielle Zurechnungsfragen, etwa im Bereich der Grundrechte oder der Grundfreiheiten des EGV gelten.

B. Österreichisches Normungsinstitut (ON) 1. Allgemeines Das Österreichische Normungsinstitut (ON) ist ein Verein86 nach dem Vereinsgesetz 1951, der aus dem 1920 in Wien gegründeten „Österreichischen Normenausschuss für Industrie und Gewerbe“, ÖNIG, hervorgegangen ist. Sein Zweck ist es, „auf gemeinnütziger Basis eine Vereinfachung der wirtschaftlichen Tätigkeit durch Aufstellung von Regeln, durch Vereinheitlichung von Begriffen, Formen und Abmessungen sowie durch Auswahl von Verfahren und Mustern (Normalisierung, Simplifizierung und Typisierung)“ herbeizuführen und so technische Handelshemmnisse abzubauen. Dieses Ergebnis ist unter anderem durch „Schaffung, Veröffentlichung und Verbreitung von österreichischen Normen (ÖNORMEN) ..., Zusammenarbeit mit Organisationen des Inund Auslandes, die gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen oder mit dem Normenwesen zusammenhängende Aufgaben behandeln ..., Übernahme oder Empfehlung internationaler und ausländischer Normen und Normungsempfehlungen sowie deren Verbreitung in Österreich ...“ zu erreichen. Das österreichische Normenwesen findet seine Rechtsgrundlage im Normengesetz 1971, mit welchem der Gesetzgeber dem damaligen BM für Bauten und Technik gem § 1 Abs 1 leg. cit. die Ermächtigung erteilte, „...einem Verein, dessen Zweck die Schaffung und Veröffentlichung von Normen und dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn berechnet ist, ... die Befugnis zu verleihen, die von ihm geschaffenen Normen als „Österreichische Normen“ zu bezeichnen.“87 Das österreichische Normungsinstitut erhielt diese Befugnis bescheidmäßig zuerkannt.88 In fachlicher Hinsicht steht das ON gem §9 NormenG unter der Aufsicht des BMWA,89 welcher die erteilte Befugnis zur ausschließlichen Normierungstätigkeit widerrufen kann, wenn entweder die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung nicht mehr vorliegen oder der Verein den mit der Befugnis verbundenen Pflichten trotz nachweisbarer Aufforderung nicht mehr nachkommt. Entsprechend der Konzeption der Normung als autonome Selbstregulierung der beteiligten Wirtschaftskreise ist es primär Aufgabe des Vereins, die notwendigen finanziellen Mittel zu beschaffen. Reicht dies für die Finanzierung der dem ON zugewiesenen Aufgaben nicht aus, so ist zusätzlich eine Unter-

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Holoubek (FN 83) 35; ebenso wenig ist die Tätigkeit des ON der Staatsfunktion Gesetzgebung zuzurechnen. Gem. § 5 der Statuten des ON können alle physischen und juristischen Personen und sonstigen Rechtsträger, die sich mit den Zielen und Aufgaben des Vereines identifizieren, ordentliche Vereinsmitglieder sein. § 1 Abs 1 Normengesetz 1971, BGBl. Nr. 240/1971. Siehe Hartmann (FN 4). Vgl. § 9 NormenG 1971 iVm Anlage L, Z 25 zu § 2 BMG.

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stützung durch die öffentliche Hand vorgesehen.90 Entsprechend den Vereinsstatuten91 erfolgt die Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge der ordentlichen Mitglieder, durch den Verkauf von Normen, technischen Regelwerken, Publikationen im Umfeld zur Normung sowie den sonstigen entgeltlichen Dienstleistungen des Vereines, durch Abgeltungen für die Überlassung des Urheberrechts an Normen, technischen Regelwerken und Publikationen, durch Subventionen, durch Spenden und durch sonstige, dem Vereinszweck dienende Veranstaltungen, Leistungen und Tätigkeiten.92

2. Prinzipien der Tätigkeit des ON a) Mitwirkungsprinzip Um dem Anspruch an Normen als von anerkannten Institutionen angenommene, für die wiederkehrende Anwendung bestimmte und den Stand der Technik wiedergebende Dokumente gerecht werden zu können, ist es nötig, dass sie mit Konsens unter möglichst breiter Beteiligung der interessierten und beteiligten Verkehrskreise erstellt werden. § 2 NormenG 1971 bestimmt, dass die Befugnis zur Betrauung eines Vereines mit Normungsvorhaben nur dann erfolgen darf, wenn dieser gewährleisten kann, dass die am Normungsvorhaben interessierten Stellen der Hoheits- bzw Wirtschaftsverwaltung des Bundes und der Länder, einschließlich etwa bestehender selbständiger Wirtschaftskörper, Vertreter der Wissenschaft sowie Standes- oder Interessenvertretungen der Erzeuger wie der Konsumenten, so sie ein Interesse am Normierungsvorhaben aufweisen, teilnehmen. Dementsprechend sieht das ON in seiner vom BMWA als Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsordnung93 vor, dass die vorgenannten Institutionen, Unternehmen und Personen vor Konstituierung eines die Normungsarbeit leistenden Fachnormenausschusses zur Teilnahme an der Normungstätigkeit einzuladen sind.

b) Konsensprinzip Wiewohl der Fachnormenausschuss nach einer Abstimmung über die Auflage einer neugeschaffenen Norm zum Einspruch durch die Öffentlichkeit bei Vorliegen von weniger als ein Viertel Gegenstimmen bei der Geschäftsführung einen Antrag auf Zulassung eines Mehrheitsbeschlusses stellen kann, ergibt sich aus dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift, dass das Erfordernis der Einstimmigkeit den Grundsatz des Abstimmungsverfahrens bei der Erstellung von Normen darstellt.94

c) öffentliches Einspruchsverfahren Über das bereits genannte Mitwirkungsprinzip hinaus dient das öffentliche Einspruchsverfahren dazu, vor Verabschiedung und Herausgabe einer neuen Norm diese einer breiten Öffentlichkeit zur Einsichtnahme zugänglich zu machen, damit diese zu den 90 91 92

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Zu den im Rahmen der Novelle 1971 getroffenen Maßnahmen vgl. oben, V.A. Vgl § 3 Statuten ON. Zwei Drittel des Budgets des ON wird durch den Verkauf von Normen eingenommen, zusätzlich können zwei bis drei Prozent des Gesamtbudgets durch Mitgliedsbeiträge acquiriert werden. Der restliche Kapitalbedarf wird je zur Hälfte durch die Wirtschaftskammern im Namen der Vereinsmitglieder und den Bund finanziert. Die Zuwendungen des Bundes bestehen einerseits darin, die Mitgliedsbeiträge bei CEN und ISO zu bezahlen sowie andererseits aus einer unmittelbaren Basiszuwendung an den Verein. Pkt 2.1 der GO des ON. Zum Verfahren und den jeweiligen Abstimmungserfordernissen siehe näher bei V.B.3.a.

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geplanten Normen Einsprüche erheben kann, die vor der endgültigen Verabschiedung der Norm noch berücksichtigt werden können. Solcherart wird sichergestellt, dass die neu zu schaffende Norm von einem möglichst breiten Konsens nicht nur der Teilnehmer am Arbeitsprozess im Fachnormenausschuss sondern auch der breiten Öffentlichkeit getragen wird und daher auch tatsächlich Anwendung und Akzeptanz findet.

3. Aufgaben des ON Laut Statuten und Geschäftsordnung ist es Aufgabe des ON, in organisatorischer wie auch in inhaltlicher Hinsicht, einerseits auf nationaler, andererseits auf europäischer wie auch internationaler Ebene am Normschaffungsverfahren mitzuwirken, sei es durch eigene Facharbeit oder durch Zusammenarbeit mit gleichartigen Organisationen. Neben der originären Aufgabe der Normschaffung selbst, hat das ON darüber hinaus auch damit zusammenhängende Tätigkeiten, wie etwa die Herausgabe, Veröffentlichung und Verbreitung von ÖNORMEN, die Veröffentlichung und Verbreitung ausländischer, europäischer und internationaler Normen, sonstiger technischer Regeln sowie einschlägiger Publikationen durchzuführen und eine die Normung als solche fördernde Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.

C. Das Verfahren zur Erstellung einer „ÖNORM“ 1. Fachnormenausschüsse, Fachnormenunterausschüsse und Arbeitsgruppen Diese Gremien sind für die eigentliche Normungsarbeit zuständig: Zusammengesetzt gemäß dem Normengesetz, d.h. unter Mitwirkung von interessierten, einschlägigen Stellen und Vertretern der Hoheits- und Wirtschaftsverwaltung des Bundes und der Länder, einschließlich etwa bestehender selbständiger Wirtschaftskörper, von Vertretern der Wissenschaft sowie von am Normenwesen interessierten Standesvertretungen als Interessenvertretungen der Erzeuger und Verbraucher95 haben sie die Aufgabe, für ein bestimmtes Fachgebiet ÖNORMEN zu erstellen, die Entwicklungen in ihrem Fachgebiet zu verfolgen, bereits bestehende ÖNORMEN an neue Entwicklungen oder internationale bzw europäische Vorgaben anzupassen und in gleichartigen Gremien regionaler ( z.B. CEN) oder internationaler (z.B. ISO) Normungsorganisationen mitzuarbeiten. Im Rahmen der europäischen Normung kommt den Fachnormenausschüssen die Funktion eines „Spiegelgremiums“ für die jeweiligen CENKomitees zu. In ihnen entsteht die nationale Willensbildung, es wird also jener einheitliche nationale Standpunkt, den die Delegierten in CEN/CENELEC auf europäischer Ebene zu vertreten haben, aus der Vielzahl der Interessen herausgearbeitet und festgelegt. Für ein Tätigwerden eines FNA hat der betreffende Referent des ON gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Fachnormenausschusses bis zum 30. November eines jeden Jahres ein Jahresprogramm für das nachfolgende Jahr zu erstellen, welches vom FNA zu beschließen ist. Dieses hat die zur Bearbeitung vorgesehenen Normvorhaben, diejenigen Normen, die voraussichtlich zum

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§ 2 NormenG 1971.

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Einspruch durch die Öffentlichkeit verabschiedet werden sowie jene Normen zu umfassen, die voraussichtlich ausgedruckt und verabschiedet werden. Die potentiell interessierten Stellen sind schriftlich zur Mitarbeit einzuladen. Werden neue Normen verabschiedet96, so ist diese Tatsache sowohl im elektronischen Listenteil97 der Fachzeitschrift des Normungsinstitutes, “CONNEX“, wie auch im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zu veröffentlichen.98 Es wird also bloß die Tatsache des Bestehens einer neuen ÖNORM, nicht deren Text selbst kundgemacht.99

2. Das Verfahren Jede natürliche und juristische Person, die ein Interesse an der Schaffung einer ÖNORM hat, kann die Einleitung des Normungsverfahrens anregen. Sie hat diesfalls einen begründeten Vorschlag über ein gewünschtes Normungsthema bei der Geschäftsführung des ON einzubringen, die über die Aufnahme des Normungsvorschlages in das Arbeitsprogramm entscheidet. Besteht ein fachlich einschlägiger, zuständiger Fachnormenausschuß (FNA), so hat die Geschäftsführung mit diesem das Einvernehmen zu suchen. Besteht noch kein solcher FNA, trifft der Geschäftsführer eine Entscheidung darüber, ob an den Vorstand ein Antrag auf Konstituierung eines neuen FNA gestellt wird. Wird ein FNA mit einem Normungsvorhaben betraut, so hat dieser seine Arbeit grundsätzlich so voranzutreiben, dass das Normierungsvorhaben binnen zweier Jahre abgeschlossen werden kann. Dabei ist darauf zu achten, dass die zu erarbeitenden ÖNORMEN weder mit bestehenden Rechtsvorschriften im Widerspruch stehen, noch dass es zu thematischen Überschneidungen mit oder gar Widersprüchen zu bereits bestehenden ÖNORMEN kommt. Im letzteren Fall ist es Aufgabe der Vorsitzenden sowie der Referenten der betroffenen FNAs, für eine rechtzeitige Koordinierung zu sorgen. Auf Antrag kann auch die Geschäftsführung unter Beiziehung eines Mitgliedes des Präsidiums eine derartige Koordinierungssitzung einberufen. Abgrenzungsfragen sowie Fragen über formale Vorgangsweisen entscheidet das Präsidium über Antrag des Geschäftsführers endgültig. Nach dem Prinzip der Gleichrangigkeit der Mitglieder erarbeiten diese in laufenden Sitzungen und unter Verfassung von Sitzungsberichten in Form von Beschlussprotokollen Entwürfe für ÖNORMEN. Während des Arbeitsvorganges der Erarbeitung der Normentwürfe kann der Mitarbeiterkreis entsprechend den fachlichen Anforderungen erweitert wie auch eingeschränkt werden, eben-

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In der Terminologie der Geschäftsordnung des ON: „ausgedruckt“. Vgl http://www.on-norm.at/publish/connex_listenteil.html. Vgl Pkt. 7. der Geschäftsordnung des ON. Der vollständige Text der Norm kann entweder kostenlos beim ON eingesehen werden, wobei die Möglichkeit der Anfertigung von Abschriften besteht, oder aber käuflich erworben werden. Der Verkauf von Normen stellt eine wichtige Finanzierungsgrundlage des Normungsinstitutes dar. Zu den sich daraus im Zusammenhang mit der Verbindlicherklärung von Normen ergebenden Fragestellungen siehe unten, VI.F.

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so können zur Behandlung spezieller Themen einschlägige Experten zur Beratung herangezogen werden.100 Nach Zustandekommen eines ÖNORMEN-Vorschlages ist dieser zumindest zweimalig zu lesen, wobei der FNA nach der abschließenden Lesung über die Auflage des Normenentwurfes zum Einspruch durch die Öffentlichkeit abstimmt. Es bedarf hierzu der vorherigen Ankündigung in der Tagesordnung der betreffenden Sitzung, der Anwesenheit mehr als der Hälfte der Mitglieder des FNA101 und des Nichtvorliegens von Gegenstimmen,102 damit der ÖNORM-Vorschlag als zum Einspruch durch die Öffentlichkeit verabschiedet gilt. Liegen hingegen Gegenstimmen vor, so ist der ÖNORM-Vorschlag vorläufig abgelehnt. Die Gegenstimme sowie deren Begründung sind im Sitzungsprotokoll zu vermerken. Wurde ein ÖNORM-Vorschlag abgelehnt und betragen die Gegenstimmen aber weniger als ein Viertel der Anzahl der stimmberechtigten Mitarbeiter, so kann der FNA aufgrund eines einfachen Mehrheitsbeschlusses durch die Geschäftsführung beim Präsidium einen Antrag auf Zulassung eines Mehrheitsbeschlusses stellen lassen, wobei bei einer neuerlichen Abstimmung unter Außerachtlassung der Stimmenthaltungen eine Mehrheit von drei Viertel der Stimmen zur Auflage des Normenentwurfes zum Einspruch durch die Öffentlichkeit ausreicht. Bei unveränderter Übernahme von ausländischen oder internationalen Normen (z.B. ISO) oder Normentwürfen sowie Entwürfen zu ÖNORMVornormen103 hingegen genügt schon bei der erstmaligen Abstimmung Dreiviertelmehrheit. Eine nationale Abstimmung hat überhaupt zu entfallen, wenn sich aufgrund von bindenden Regelungen wie z.B. der CEN-Geschäftsordnung ergibt, dass regionale oder internationale Normen aufgrund deren Annahme im regionalen oder internationalen Gremium in das innerstaatliche Normenwerk zu übernehmen sind. Entgegenstehende gesetzliche Bestimmungen bleiben jedoch wirksam. Bei der Abstimmung ist jedes Mitglied des Fachnormenausschusses berechtigt, seine Stimme auf einen anderen Mitarbeiter zu delegieren, wobei ein anwesender Mitarbeiter jedoch insgesamt nicht mehr als drei delegierte Stimmen auf sich vereinen darf.

3. Einspruchsverfahren Im Zuge der Abstimmung über die Auflegung eines Normvorschlages zum Einspruch durch die Öffentlichkeit104 hat der beschließende FNA auch die 100 101

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Zu Beschlussfähigkeit und Mitarbeiterwechsel siehe Pkt 2 der GO ON. Diese Anforderung kann gem. Pkt 4.5.2 der GO entfallen, wenn mindestens 3 Mitarbeiter sowie entweder der Vorsitzende oder ein Stellvertreter anwesend sind und in der Einladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde. Stimmenthaltungen werden dabei nach Pkt 4.5.4 der Geschäftsordnung nicht berücksichtigt. Vgl. Pkt II.B.1. Diese Tatsache wird durch Ankündigung des Titels der Norm im elektronischen Listenteil der Fachzeitschrift „CONNEX“ und unter der Internetadresse des ON (www.on-norm.at), sowie - abhängig von der jeweiligen Norm - in geeigneten Medien bekannt gegeben. Der vollständige Text kann - wie bereits publizierte Normen

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Dauer der Einspruchsfrist festzulegen, wobei eine Mindestfrist von 6 Wochen jedenfalls einzuhalten ist. Während der Dauer der Einspruchsfrist ist jede natürliche oder juristische Person - ausgenommen die Mitarbeiter des zuständigen FNA - berechtigt, Einsprüche zu ÖNORM-Entwürfen zu erheben. Nach deren Ablauf muss der FNA über die eingelangten Einsprüche beraten und kann hiefür den „Einsprecher“ beiziehen. Das Ergebnis der Beratungen wird vom FNA beschlussmässig festgehalten und festgelegt, ob die Norm zum Ausdruck freigegeben wird, ob ein „Schluss-Entwurf“ ohne Einspruchsfrist mit einer Laufzeit von bis zu maximal drei Jahren herausgegeben wird,105 oder ob infolge wesentlicher Änderungen neuerlich ein ÖNORM-Entwurf zum Einspruch durch die Öffentlichkeit aufzulegen ist. Im Falle der Herausgabe eines „Schluss-Entwurfes“ werden bereits bestehende ÖNORMEN zurückgezogen. Stimmen bei der abschließenden Entscheidung über den erhobenen Einspruch drei Viertel der anwesenden Mitglieder für die Annahme des Einspruches, so gilt dieser als angenommen. Der Einsprecher ist, so er bei der Beratung nicht anwesend war, vom Ergebnis der Einspruchsbehandlung schriftlich zu verständigen.

4. Laufende Geschäfte Um gewährleisten zu können, dass sich die ÖNORMEN ständig auf dem aktuellen Stand der Technik befinden, sieht die Geschäftsordnung des ON vor, dass der jeweils zuständige FNA, so er nicht ohnedies laufend tagt, jede ÖNORM nach maximal zweijähriger Laufzeit einer Überprüfung zu unterziehen hat. Anlässlich dieser Überprüfung wird festgelegt, ob die betreffende ÖNORM weiterhin unverändert in Kraft bleiben soll, ob sie zwar in Kraft bleiben, aber doch einer Überarbeitung unterzogen werden soll, oder ob sie mangels Übereinstimmung mit dem Stand der Technik106 zurückzuziehen ist. Wie bei der Neuveröffentlichung von ÖNORMEN gilt auch hier, dass der zuständige FNA für den fachlichen Inhalt der Norm verantwortlich ist.

5. Mitgliedschaft im CEN Wie im Normengesetz vorgesehen107 pflegt das ON die Verbindungen zu ausländischen und internationalen Normungsorganisationen und ist in dieser Eigenschaft das Österreich vertretende Mitglied bei CEN. Im Zuge der Mitarbeit an der europäischen Normung dienen die einzelnen Fachnormenausschüsse des ON als „Spiegelgremien“ zu den jeweiligen technischen Komitees auf der Ebene des CEN, in denen parallel zur Normungsarbeit auf Europaebene im

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auch - entweder beim ON eingesehen oder erworben werden, die Normtexte liegen jedoch auch bei - je nach Norm verschiedenen - Partnerorganisationen des ON zur Einsicht auf. Eine wichtige derartige Partnerorganisation ist etwa die Wirtschaftskammer. Vgl Pkt. 4.7.3 Abs 2 der GO. Unter dem Stand der Technik versteht man ein entwickeltes Stadium der technischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt, soweit Produkte, Prozesse und Dienstleistungen betroffen sind. Als Basis dienen die diesbezüglichen gesicherten Erkenntnisse von Wissenschaft, Technik und Erfahrung. [ISO/IEC Leitfaden 2:1996, Begriff 1.4] § 2 Abs 2 Z 8 NormenG.

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nationalen Umfeld an der Festlegung des einheitlichen nationalen Standpunktes gearbeitet wird,108 nach dessen Maßgabe die nationalen Interessen im europäischen Normungsprozess zu vertreten sind.

IV. Europäische Normung A. Die „Neue Konzeption“109 1. Allgemeines Das ursprüngliche Konzept der Kommission, die aufgrund der unterschiedlichen technischen Vorschriften und den damit verbundenen unterschiedlichen Schutzniveaus in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Handelshemmnisse zugunsten eines freien Binnenmarktes zu beseitigen, bestand darin, einzelne Harmonisierungsrichtlinien für jede Produktkategorie zu erlassen. Diesen Plänen folgte jedoch bald die Ernüchterung, da die Inhalte dieser Richtlinien notwendig sehr technisch gehalten sein mussten und überdies nach der damals einschlägigen Kompetenzgrundlage des Artikels 100 EWG-Vertrag Einstimmigkeit vorgeschrieben war. Angesichts der äußerst langsamen Fortschritte bei der Ausarbeitung dieser Richtlinien110 und der Erkenntnis, dass derartige technische Vorschriften mit dem Stand der Technik zumindest Schritt halten müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft nicht zu gefährden, und daher laufend einer Änderung unterzogen werden müssten, begann die Suche nach einem faktisch bewältigbaren Verfahren zur Harmonisierung der technischen Vorschriften. Es kam zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die sich mit den Fragen der Beziehung von grundlegenden Sicherheitsanforderungen in Richtlinien und technischen Festlegungen in Normen sowie mit dem Themenkreis des Nachweises der Konformität zu beschäftigen hatte, und die Vorschläge für die Beteiligung der Öffentlichkeit am Normierungsprozess wie auch Mechanismen zur Überwindung allfälliger Schwierigkeiten bei Anwendung des Normenverweises ausarbeiten sollte. Nach Vorliegen der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe folgte zum einen mit der Einheitlichen Europäischen Akte111 die Aufnahme eines erleichterten Erzeugungsverfahrens unter anderem für derartige Richtlinien. Nach Art 95 EG (früher Art 100a EGV) können Richtlinien schon mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet werden. Zum anderen legte die „Entschließung über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Nor-

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Zu weiteren Zuständigkeiten der nationalen Normungsorganisationen im Zuge der Ausarbeitung europäischer Normen siehe Kapitel VI. Zu den nach der neuen Konzeption bereits erlassenen Richtlinien siehe Europäische Kommission, Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien(2000), 13. Musterbeispiel ist die sogenannte Rasenmäherrichtlinie (Richtlinie 84/538/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den zulässigen Schalleistungspegel von Rasenmähern), deren Ausarbeitung einen Zeitraum von 7 Jahren beanspruchte. Vgl statt aller Holoubek (FN 47) 91 f. Die Einheitliche Europäische Akte v. 17./28.2. 1986, Abl 1987 L 169/1.

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mung“112 die Grundlage für ein „kooperatives“ Normkonkretisierungsverfahren nach dem Modell einer „regulierten Selbstregulierung“. Die Richtlinien selbst begnügen sich damit, die „grundlegenden Anforderungen“, insbesondere im Hinblick auf Sicherheit, aber auch Umweltgerechtigkeit oder Verbraucherschutzstandards von Produkten sowie das Verfahren zum Nachweis der Normkonformität113 und schließlich ein Schutzklauselverfahren festzuschreiben. Die materielle Konkretisierung der „grundlegenden Anforderungen“ sowie die Einzelheiten des Konformitätsnachweises werden an die Europäischen Normen delegiert. Wesentlich ist dabei, dass der Nachweis der Normkonformität eine - allerdings im Schutzklauselverfahren in Ausnahmesituationen widerlegliche - Vermutung konstituiert, das Produkt entspreche den „grundlegenden Anforderungen“ der Richtlinie. Der Konformitätsnachweis stellt freilich nur den standardisierten „Normalfall“ dar, wie ein Produzent oder ein Händler nachweisen kann, dass sein Produkt den Anforderungen der Richtlinie bzw. der jeweiligen Umsetzungsvorschrift entspricht. Grundsätzlich steht ihm auch die Möglichkeit eines individuellen Einzelnachweises offen, der freilich weiterhin durch mitgliedstaatliche Vorschriften geregelt wird bzw. geregelt werden kann. Mittlerweile ist Normung ein integraler Bestandteil der europäischen Politik zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und zur Beseitigung von Handelshemmnissen geworden. Sie hat sich in diesem Zusammenhang als erfolgreiches Werkzeug erwiesen und soll aus diesem Grund in der europäischen Politik und Rechtsetzung zukünftig noch stärker genutzt werden, unter anderem auch für Bereiche die über den Binnenmarkt für Waren hinausgehen.114 Mit diesem erweiterten Anwendungsbereich für Normen ist die Planung einer eigenen Rechtsgrundlage für die Finanzierung der europäischen Normung115 sowie eine Überarbeitung des Normenteils der Richtlinie 98/34 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften verbunden.116

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Entschließung des Rates vom 7.Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normen, Abl 1985 C 136/1. Der Anhang zur Entschließung des Rates enthält eine „Modellrichtlinie“, die die wesentlichen Inhalte der im Rahmen der „neuen Konzeption“ zu beschließenden Einzelrichtlinien vorgibt. Vgl auch das Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat „ Vollendung des Binnenmarktes“ vom 14.6.1985, KOM(85) 310 endg., 19ff. Vgl. dazu den Beschluß 93/465/EWG des Rates vom 22. Juli 1993, Abl 1993 L 220/23, in welchem die in den einzelnen Richtlinien zu verwendenden, einheitlichen Module zur Konformitätsbewertung festgelegt wurden. Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission über die Rolle der europäischen Normung im Rahmen der europäischen Politik und Rechtsvorschriften vom 18.10.2004, KOM(2004) 674 endg. Vgl. dazu den Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Parlaments und Rates über die Finanzierung der europäischen Normung, KOM (2005), 377 endg. KOM(2004) 674 endg 3.

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2. Grundsätze der neuen Konzeption Beim Erlaß von Richtlinien im Bereich der Harmonisierung technischer Anforderungen an Produkte nach den Grundsätzen der „Neuen Konzeption”117 sind die nachfolgenden Grundprinzipien zu beachten: Die nach den Art 95 und 251 EGV erlassenen Harmonisierungsrichtlinien beschränken sich nach der neuen Konzeption darauf, ausschliesslich die an das jeweilige Produkt zu stellenden grundlegenden Sicherheitsanforderungen (oder sonstigen Anforderungen im Interesse des Gemeinwohls) festzuschreiben. Diese Anforderungen finden sich in den Anhängen zu den einzelnen Richtlinien und enthalten alles, was zur Erreichung des Ziels der Richtlinie notwendig ist. Um verkehrsfähig zu sein, müssen die einzelnen Erzeugnisse diesen grundlegenden Anforderungen genügen. Damit ist der freie, ungehinderte Warenverkehr für diese Produkte in der Gemeinschaft gewährleistet. Den europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC wird unter Berücksichtigung des Standes der Technologie die Aufgabe übertragen, unter Heranziehung und Berücksichtigung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen technische Spezifikationen auszuarbeiten, die die Beteiligten benötigen, um Erzeugnisse herstellen und in Verkehr bringen zu können, die den in den Richtlinien festgelegten grundlegenden Anforderungen entsprechen. Diese technischen Spezifikationen erhalten keinerlei obligatorischen Charakter, sondern bleiben freiwillige Normen. Der einzelne Hersteller hat somit die Wahl normkonform zu produzieren oder sich eines anderen, ihm geeigneter erscheinenden Verfahrens oder einer andersartigen Produktgestaltung zu bedienen. Ungeachtet des freiwilligen Charakters der harmonisierten Normen haben die einzelnen Produkte - also auch solche, die nicht den Normen konform hergestellt wurden - jedenfalls den in der Richtlinie enthaltenen grundlegenden Anforderungen zu entsprechen, um in Verkehr gebracht werden zu können.

Gleichzeitig werden jedoch die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bei Erzeugnissen, die nach harmonisierten Normen (bzw. vorläufig nach nationalen Normen) hergestellt worden sind, eine Übereinstimmung mit den in der Richtlinie aufgestellten „grundlegenden Anforderungen” anzunehmen. Bezogen auf die vorgenannte Wahlmöglichkeit des einzelnen Herstellers, die harmonisierten Normen anzuwenden oder nicht, bedeutet dies, dass derjenige, der nicht normkonform produziert, den Beweis fuer die Übereinstimmung seiner Erzeugnisse mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie zu erbringen hat. Abgestellt auf den Inhalt der jeweiligen Harmonisierungsrichtlinie ergibt sich daher folgendes Bild: Die Richtlinie umschreibt ihren Anwendungsbereich und legt notwendigerweise mit unbestimmten Rechtsbegriffen und unter Zuhilfenahme von Generalklauseln die grundlegenden Anforderungen im Hinblick auf Sicherheit, Gesundheit, Umwelt- und Verbraucherschutz fest. Auf dieser Basis erarbeiten CEN/CENELEC europäische Normen, die diese grund-

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Richtlinien nach der „Neuen Konzeption“ sind beispielsweise: Niederspannungsgeräte, RL 93/68/EWG; Bauprodukte, RL 89/106/EWG; Maschinen, RL 2006/42/EG; Persönliche Schutzausrüstungen, RL 96/58/EG; Spielzeug, RL 88/378/EWG; Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen, RL 99/5/EG.

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legenden Anforderungen in harmonisierten Normen konkretisieren. Die Mitgliedstaaten trifft nun in weiterer Folge die Pflicht, die harmonisierten Normen in geeigneter Weise innerstaatlich zu übernehmen, sowie das gemeinschaftsweite Inverkehrbringen ebenso wie die Inbetriebnahme solcher, diesen Anforderungen genügender Produkte nicht zu behindern. Abschließend wird in der Richtlinie geregelt, wie der jeweilige Hersteller die Konformität seines Produktes mit diesen grundlegenden Sicherheits- und Umweltanforderungen nachweisen kann. Hervorzustreichen ist, dass die genannten grundlegenden Anforderungen - anders als etwa Richtlinien im Bereich des Umweltschutzes - keine Mindestanforderungen aufstellen, sondern den Richtlinien vielmehr der Anspruch zukommt, abschließende Regelungen aufzustellen,118 die nur noch den jeweiligen sektorspezifischen Anforderungen angepasst werden müssen.119 Dies erfolgt durch Konkretisierung und Anpassung der grundlegenden Anforderungen an die jeweiligen sektorspezifischen Erfordernisse in den technischen Normen, die vom Europäischen Normungsinstitut (CEN) im Zusammenwirken mit den einzelnen nationalen Normungseinrichtungen ausgearbeitet und schließlich - Konsens bei der Abstimmung über die Veröffentlichung der erarbeiteten Norm vorausgesetzt - als „Harmonisierte Normen“ beschlossen und verabschiedet werden. Produkte, die den einschlägigen, (nationalen, in Umsetzung der harmonisierten Normen entstandenen) Normen entsprechen, haben die Vermutung für sich, den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie zu entsprechen.

Die „neue Konzeption“ der Rechtsvereinheitlichung mit Hilfe der Normung bringt somit eine vollständige Harmonisierung in den jeweils betroffenen Sektoren mit sich und verpflichtet daher die Mitgliedstaaten dazu, alle im Widerspruch stehenden nationalen Rechtsvorschriften aufzuheben, wobei die Mitgliedstaaten im allgemeinen auch nicht befugt sind, strengere als in der Richtlinie vorgesehene Vorschriften beizubehalten oder zu erlassen. Allenfalls besteht auf Grundlage der Artikel 28 und 30 EG die Möglichkeit eines „Schutzklauselverfahrens“,120 das den Mitgliedstaaten eine Einschränkung der Verkehrsfähigkeit von Produkten gestattet, wenn zu befürchten steht, das Produkt erfülle entweder nicht die Anforderungen der Richtlinie, es wären die einschlägigen Normen nicht korrekt angewandt worden oder eine Abweichung des Produktes von den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie sei auf einen Mangel der Norm selbst zurückzuführen.121

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Anselmann, Technische Vorschriften und Normen in Europa, 1991, 34. Die neue Konzeption verbietet den Mitgliedstaaten aber auch eine allzu detaillierte Konkretisierung der grundlegenden Anforderungen im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung, da eine solche wieder die Harmonisierungsabsicht unterlaufen würde. Vgl. unten, Pkt IV.E. Neben der Möglichkeit, ein Schutzklauselverfahren in Anspruch zu nehmen, ist auf die allgemeine, sogenannte Schutzverstärkungsklausel des Art 95 Abs 4 EG hinzuweisen. Diese erlaubt es den Mitgliedstaaten, trotz gemeinschaftsrechtlicher Vollharmonisierung, abweichende, ein höheres Schutzniveau vorsehende, einzelstaatliche Bestimmungen - freilich nur in engen Grenzen - beizubehalten. Grenzen sind einem nationalen Alleingang insoferne gesetzt, als nur solche Vorschriften beibehalten werden können, die „ durch wichtige Erfordernisse iS des Art 30 oder in Bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind“. Die Einschränkung, dass es sich dabei um „wichtige Erfordernisse“ handeln müsse, ist im Sinne der Rechtsprechung zu den Art 28 und 30 EG als Beschränkung auf „zwingende Erfordernisse“ zu verstehen. Will ein Mitgliedstaat nationale Bestim-

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In konsequenter Verfolgung dieses Ansatzes sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bei unberechtigter Verwendung des CE-Kennzeichens122 sofort einzugreifen und repressive Maßnahmen zu verhängen, die jedoch - insbesondere dem Hersteller und der Kommission gegenüber - genau zu begründen sind. Auf bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten für den Hersteller oder Importeur des betroffenen Produktes ist hinzuweisen.

Eine Stillhalteverpflichtung123 während der Ausarbeitung von EN einschließlich der nachfolgenden Pflicht des Mitgliedstaates, diese nach Verabschiedung in das nationale Normenwerk zu übernehmen, stellt sicher, dass dem europäischen Prozess der Erarbeitung von Normen Vorrang vor nationalen Normierungsvorhaben zukommt.

B. Organisation der europäischen Normung 1. CEN a) Überblick, Entwicklung und Rechtsnatur Im Rahmen des Marshall-Planes und unter der Leitung der OECD wurde am 24. Oktober 1957 mit einer losen Zusammenarbeit zwischen den Direktoren der nationalen Normungsorganisationen begonnen, um auf dem Wege der einheitlichen Normung und im Interesse des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Europas eine Steigerung der Produktivität zu bewirken. Die in den ersten drei Resolutionen definierte Zielsetzung124 dieser Vereinigung bestand in der Beseitigung technischer Handelshemmnisse durch gemeinsame europäische Normungsarbeiten. Europaweit einheitliche Normen sollten helfen, den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu erleichtern. In jenen Fällen, in denen es mit den Anforderungen der EU und EFTA in Einklang zu bringen war, erzielte man durch die Übernahme von ISO-Empfehlungen eine wesentliche Erleichterung dieses Angleichungsprozesses. In den Jahren 1975/1976 verlegte diese noch lose Vereinigung ihren Sitz nach Brüssel und konstituierte sich ursprünglich unter der Bezeichnung „Zu-

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mungen beibehalten, so hat er dies der Kommission vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Harmonisierungsmaßnahme zu notifizieren und die Gründe für die Beibehaltung darzutun. Der Entscheidung der Kommission, mit der eine nationale Maßnahme bestätigt oder abgelehnt wird, wurde von der Rechtsprechung des EuGH „konstitutiver Charakter“ zugemessen. Vgl näher mwH Herrnfeld, in Schwarze(Hrsg) EUKommentar, 2000, Art 95, RZ 55 ff.; Breier, Das PCP-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, ÖJZ 1994, 794; EuGH Rs 120/78, Cassis de Dijon, Slg 1979, 649; EuGH Rs C-319/97, Antoine Kortas, Slg 1999, I-3143; EuGH Rs C 41/93 Frankreich gegen Kommission, Slg 1994, I-1829. Die Anbringung dieses Kennzeichens, das aus der Buchstabenfolge „CE“ besteht, bescheinigt einem Produkt die Konformität mit sämtlichen Verpflichtungen, die den Hersteller in Bezug auf das Erzeugnis aufgrund der Gemeinschaftsrichtlinien treffen. Eine Stillhalteverpflichtung ist eine von den CEN/CENELEC-Mitgliedern übernommene Verpflichtung, nichts zu unternehmen, weder während der Vorbereitung einer EN oder eines HD noch nach deren Annahme, was die angestrebte Harmonisierung beeinträchtigen könnte, und insbesondere keine neue oder überarbeitete nationale Norm zu veröffentlichen, die nicht vollständig mit einer existierenden EN oder einem HD übereinstimmt. Vgl. 6.1. GOCEN/CENELEC; siehe weiters Griller (FN 16) 266 f. Vgl. näher mwN Zubke-von Thünen (FN 24) 633 f.

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sammengefasste Normungsinstitution in Westeuropa“, später umbenannt in „CEN“, als gemeinnütziger internationaler Verein mit technisch-wissenschaftlichem Charakter nach belgischem Recht. Ursprünglich umfasste dieser Verein lediglich die nationalen Normungsinstitutionen der einzelnen Mitgliedstaaten der EU sowie des EWR-Raumes und der Schweiz. 1992 öffnete die CEN-Generalversammlung einer neuen Kategorie von Mitgliedern den Zugang zu den Gremien des CEN: Diese als „assoziierte Mitglieder“ bezeichneten sozialen und wirtschaftlichen Interessenverbände auf europäischer Ebene haben die folgenden Bedingungen zu erfüllen: • Die Beteiligung an diesen Organisationen muss - unter Beachtung der jeweiligen internen Regeln - allen interessierten Gremien oder Staatsangehörigen aller jener Länder offen stehen, die ein nationales Mitglied im CEN haben. • Sie müssen ein berechtigtes Interesse an der europäischen Normung im allgemeinen oder zumindest in einem größeren Wirtschaftszweig im besonderen aufweisen. • Sie müssen aufgrund ihrer Mitglieder und ihrer inneren Organisation in der Lage sein, sachdienlich und auf repräsentative Weise an den Zielen des CEN mitzuwirken. • Sie müssen sich verpflichten, zur Verwirklichung der Ziele des CEN beizutragen und die Normung zu fördern. Die assoziierten Mitglieder können an den der Beschlussfassung vorausgehenden Debatten teilnehmen und in den sektoralen technischen Büros ihre Standpunkte darlegen. Mangels Stimmrechtes sind sie jedoch nicht in der Lage, an der Beschlussfassung mitzuwirken.

Nach innen bilden privates Satzungs- bzw. Geschäftsordnungsrecht die Rechtsgrundlage für Organisation und Verfahren der europäischen Normung. Nach außen findet sich die Rechtsgrundlage in den zwischen EU und EFTA sowie den europäischen Normungsorganisationen getroffenen Vereinbarungen,125 sowie in Kooperationsverträgen zwischen den Normungsinstituten selbst.126 b) Organe und Einrichtungen des CEN Unter der Leitung des Präsidenten nehmen die Delegationen aller Mitglieder, also der jeweiligen nationalen Normungsorganisationen, an der Generalversammlung als oberstem Gremium und Beschlussorgan des CEN teil. Sie entscheidet über die Aufnahme neuer Mitglieder, über die Mitgliedsbeiträge, über den Haushalt der Organisation und schließlich über Grundsatzfragen der Normenpolitik. Gemäß Art 17 der Satzung darf ein CEN-Mitglied, dem es nicht möglich ist, an einer Sitzung der Generalversammlung teilzunehmen, unter 125

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Zur vertraglichen Grundlage der Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaft und den Europäischen Normungsorganisationen vgl. CEN/CENELEC Memorandum Nr. 4, Allgemeine Leitsätze, http://www.cenelec. org/tools/corporate.htm; Rönck (FN 9) 95ff; Nicolas/Repussard, Gemeinsame Normen für die Unternehmen, 1994, 86ff. Vgl. hierzu das CEN/CENELEC Memorandum Nr. 3, Vereinbarung für die Zusammenarbeit zwischen CEN und CENELEC, http://www.cenelec.org/tools/corporate.htm.

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Einhaltung bestimmter Auflagen ein anderes CEN-Mitglied dazu ermächtigen, in seinem Namen zu handeln und abzustimmen. Diese Delegationsmöglichkeit wird jedoch dadurch beschränkt, dass ein Mitglied nur ein weiteres mit vertreten darf. Der Verwaltungsrat des CEN setzt sich aus den Direktoren der nationalen Normungsinstitutionen zusammen und entscheidet über allgemeine Fragen des Tätigwerdens des CEN. Seine Entscheidungen unterliegen jedoch der nachträglichen Überprüfung durch das höchste Vereinsorgan, die Generalversammlung. Das unter der Leitung des Generalsekretärs stehende Zentralsekretariat befindet sich am eingetragenen Sitz des CEN und organisiert das Tätigwerden des CEN.127 Der Generalsekretär selbst ist darüber hinaus für die Ausführung der Beschlüsse der Generalversammlung, des Verwaltungsrates sowie der von diesen eingesetzten Ausschüsse verantwortlich. Daher sind auch Vertreter des Zentralsekretariates zu den Sitzungen der anderen Organe des CEN grundsätzlich zugelassen. Das Technische Büro (BT) besteht aus dem Präsidenten und/oder dem(den) Vizepräsidenten sowie einem ständigen Delegierten jedes Mitgliedes, dem die Aufgabe zukommt, dieses effektiv zu vertreten. Die Sitzungen des BT finden unter der Leitung des Präsidenten oder eines Vizepräsidenten statt. Der Aufgabenbereich des BT liegt in der Koordinierung, Steuerung, Organisation und Überwachung der Arbeitsverfahren sowie der Ausarbeitung und Planung des Normenprogrammes. In diesem Rahmen kommt dem BT etwa die Entscheidungsbefugnis über die Aufnahme von Normenprojekten in das Arbeitsprogramm des CEN, weiters die Einrichtung oder Auflösung eines Technischen Komitees oder die Auflage beziehungsweise Aufhebung einer Stillhalteverpflichtung für die Mitgliedstaaten zu. Das BT prüft neue Projekte, den Fortschritt der Normungsarbeit und stellt so unter anderem die größtmögliche Koordination zwischen den einzelnen Technischen Komitees sicher. Ein Überlappen einzelner Normungsarbeiten in fachlicher Hinsicht wird dadurch verhindert.128 Vertreter der EU-Kommission und des EFTA-Sekretariates sowie - vertragliche Vereinbarungen vorausgesetzt - Vertreter anderer Organisationen können als Beobachter den Sitzungen des BT beiwohnen. Der Vorsitzende darf darüber hinaus in besonderen Fällen Fachleute zur Teilnahme an den Sitzungen einladen.

Je nach konkretem Erfordernis können von der Generalversammlung, vom Technischen Büro oder vom CEN/CENELEC-Präsidialausschuß Programmkomitees eingerichtet werden, damit diese die Planung und Programmgestaltung der Normungstätigkeit innerhalb eines bestimmten, abgrenzbaren Bereiches umfassend koordinieren. Sie arbeiten dabei in der Eigenschaft von Beratern, die ihre Empfehlungen an das übergeordnete Gremium129 richten. Ziel

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So nimmt es etwa auch die Funktionen des Sekretariates des Technischen Büros wahr. Vgl. GOCEN/CENELEC 2.1.2. Über die bereits genannten Kompetenzen hinaus kommen dem BT noch weitere, in Pkt. 2 des Zweiten Teiles der Geschäftsordnung (Gemeinsame Regeln für die Normungsarbeit) aufgezählte Befugnisse und Aufgaben zu. Das ist jenes Gremium, welches das Programmkomitee jeweils im Einzelfall einrichtet, also die Generalversammlung, das Technische Büro oder der Präsidialausschuss.

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dieser Empfehlungen hat dabei zu sein, dass binnen annehmbarer Frist zusammenhängende und widerspruchsfreie Normen erstellt werden können. Auf dem ihnen zugewiesenen Gebiet haben die Programmkomitees das Normungsprogramm, also ein Arbeitsprogramm beinhaltend die laufenden Arbeitsthemen der Normungstätigkeit zu erstellen und dieses mindestens einmal jährlich fortzuschreiben. Dabei sind nachfolgende Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen: • Vorhandene ISO/IEC-Normen werden als EN oder HD angenommen • Die Ergebnisse von ISO/IEC auf demselben Gebiet werden abgewartet • Die Normungstätigkeit wird mit der Absicht begonnen, das Ergebnis an ISO/IEC weiterzugeben • Normungsarbeit wird nicht aufgenommen bzw bereits laufende Arbeiten werden eingestellt Jedes CEN/CENELEC-Mitglied hat das Recht, ein Mitglied des Programmkomitees zu bestimmen. Um sicherzustellen, dass der Bedarf an europäischer Normung auch zielsicher erhoben und bewertet werden kann, ist vorgesehen, dass diese Mitglieder der oberen Managementebene der interessierten Kreise zu entstammen haben. In den Technischen Komitees (TC, Comités Techniques), welche je nach Bedarf vom Technischen Büro eingesetzt oder aufgelöst werden, findet die eigentliche Normungstätigkeit statt. Jedem CEN/CENELEC- Mitglied als gleichzeitigem Mitglied der TCs steht das Recht zu, seine Delegierten in die Technischen Komitees zu entsenden. Es sollte dabei darauf geachtet werden, dass pro TC und pro Mitglied nur maximal drei Delegierte gleichzeitig an den Sitzungen teilnehmen. Nach dem Prinzip der territorialen Repräsentation und damit ein rascher Fortschritt bei der Normungstätigkeit gewährleistet werden kann, ist jedes Mitglied dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Delegationen einen jeweils einheitlichen nationalen Standpunkt als Ergebnis eines nationalen Meinungsbildungsprozesses unter Beteiligung aller von der Arbeit in einem Staat betroffener Fachkreise vertritt. Der Aufgabenbereich der einzelnen TC liegt in der Erarbeitung von Normenentwürfen für einzelne Produkte bzw Produktarten in dem ihnen jeweils zugewiesenen Fachgebiet, wobei jedes Technische Komitee zur Erfüllung dieser Aufgaben ein Arbeitsprogramm aufzustellen hat, das für jedes Projekt genaue Angaben über Titel, Anwendungsbereich und Zieldaten für die kritischen Stufen enthält und mindestens einmal jährlich zu überprüfen ist. Dieses Programm bedarf der Zustimmung des BT. Im Rahmen der eigentlichen Normungsarbeit sind die TC gehalten, sämtliche ihre Arbeit betreffenden internationalen und nationalen Normungsarbeiten wie auch solche aus verwandten Gegenständen zu berücksichtigen. Hat ein Technisches Komitee schließlich alle ihm zugewiesenen Aufgaben erfüllt und wurde die Norm verabschiedet, so behält es seine Zuständigkeit zur Änderung und Auslegung sowie zur periodischen Überprüfung derselben. Bei der Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben können sich die Technischen Komitees der sogenannten Arbeitsgruppen und Unterkomitees bedienen, welche zur Erledigung bestimmter, kurzfristiger Aufgaben innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne eingerichtet werden dürfen. Die formell eingerichteten Arbeitsgruppen, die aus einzelnen zumeist vom übergeordneten Technischen Komitee bestellten Mitgliedern bestehen, haben von diesem jeweils klare Handlungsvorgaben zu erhalten und sind in der Regel nach Beendigung der gestellten Aufgaben wieder aufzulösen.

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Hat ein TC ein großes Arbeitsprogramm zu erledigen, sind für unterschiedliche Teile dieser Arbeit unterschiedliche Kenntnisse notwendig und erfordert der Umfang der besonderen Arbeiten eine Koordinierung über eine lange Zeitspanne hinweg, so kann das TC - Zustimmung durch das Technische Büro vorausgesetzt - Unterkomitees einrichten. Die Mitglieder dieser Unterkomitees sind gleich wie bei den TC die CEN/CENELEC-Mitglieder und unterliegen hinsichtlich ihrer Verpflichtungen denselben Vorschriften wie die Mitglieder der TCs.

Entsprechend der Eigenschaft als europäische Normungsorganisation bestimmt die Geschäftsordnung von CEN/CENELEC130 die Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch als die drei offiziellen Sprachen des Komitees, in denen sämtliche Normen und deren Entwürfe auszuarbeiten sind.

2. CENELEC (Comité Européen de Normalisation Électrotechnique) Diese Schwesterorganisation des CEN ging 1973 aus den beiden internationalen Organisationen CENELCOM und CENEL hervor. Sie wurde 1976 als belgischer privatrechtlicher Verein zur Vereinigung der nationalen elektrotechnischen Normungsorganisationen umstrukturiert. Im Rahmen des gemeinsamen Zieles der Vereinheitlichung der Normung im europäischen Raum und des Abbaues möglicher durch unterschiedliche Normen bestehender Handelshemmnisse kommt CENELEC die Aufgabe der Normung auf dem Gebiet der Elektrotechnik zu. So hatte sich CENELEC beispielsweise dazu bereit erklärt, die Harmonisierung jener Normen zu übernehmen, die zur Ausfüllung der sogenannten Niederspannungsrichtlinie nötig waren. Da die Geschäftsordnung von CEN und CENELEC Organisation und Verfahren der beiden Vereine gemeinsam regelt, ist hinsichtlich der Erfüllung der CENELEC zukommenden Aufgaben und seiner Organe auf die bereits dargestellten Regelungen und Organisationsvorschriften des CEN zu verweisen.131 Unterschiede in der Organisation bestehen lediglich im Bereich der Mitgliedschaft insoferne, als seine Mitglieder anstatt der nationalen Normungsorganisationen die jeweiligen elektrotechnischen Komitees in den Mitgliedstaaten sind. Im Unterschied zu CEN nimmt CENELEC jedoch erst dann selbst Normungsarbeiten auf, wenn keine geeigneten internationalen Normen zur Verfügung stehen.

3. Gemeinsame Facharbeit 132 In den Fällen, in denen elektrotechnische und nichtelektrotechnische Gebiete gemeinsame Aspekte haben und die Gefahr einer Doppelarbeit gegeben ist, setzt der gemeinsame Präsidialausschuss von CEN/CENELEC nach Konsultation aller Mitglieder gemeinsame Technische Komitees oder gemeinsame Arbeitsgruppen ein, um Harmonisierungsaufgaben durchführen zu lassen.

4. ETSI133 Bis zum Jahre 1988 wurde die technische Normung auf dem Gebiet der Telekommunikation zuerst durch die nationalen Fernmeldeverwaltungen, ab 1959 130 131 132 133

Pkt. 3.2 GO CEN/CENELEC. Dies gilt insbesondere auch für die drei offiziellen Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Art 9. GOCEN/CENELEC. European Telecommunications Standards Institute.

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durch die „Konferenz der Post- und Fernmeldeverwaltungen“ (CEPT)134 wahrgenommen. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass diese Organisation den Anforderungen der Verwirklichung des Binnenmarktes bis Ende 1992 nicht gewachsen sein würde. Im Anschluss an das „Grünbuch Telekommunikation“135 der Kommission aus 1987 wurde mit 31. 3. 1988 das ETSI gegründet und 1992 von der Kommission der Europäischen Union als europäische Organisation zur Erstellung von Telekommunikationsnormen anerkannt. Abweichend von der Organisationsstruktur von CEN/CENELEC ist das ETSI in der Form eines nicht gewinnorientierten Vereins nach dem französischen Gesetz vom 1. Juli 1901 und dem Dekret vom 16 August 1901 gebildet und hat seinen Sitz in Sophia-Antipolis, Frankreich. Die satzungsmäßige Aufgabe des ETSI besteht darin, jene technischen Normen zu entwerfen und zu überarbeiten, die von den Mitgliedern des Institutes benötigt werden, also jene, die zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und zu diesen verwandten Diensten benötigt werden.136 Ähnlich wie auch CEN/CENELEC sieht die Satzung des ETSI auf der internationalen Ebene eine weitgehende Orientierung an den Ergebnissen der internationalen Normung, insbesondere den Normungsergebnissen der ITU, vor.

C. Ablauf des Normungsverfahrens 1. Prinzipien Wie bei nationalen Normungsverfahren sind auch bei der Normung durch CEN/CENELEC die grundlegenden Prinzipien einer effektiven Normung zu beachten:137 • Sicherung der Interessen aller beteiligter Kreise durch entsprechende Repräsentation in den nationalen Lenkungs- und Normungsgremien. • Ein auf nationaler Ebene durchgeführtes, öffentliches Einspruchsverfahren soll die allgemeine Möglichkeit zur Mitarbeit eröffnen und so die Transparenz der Norm bewirken. • Höhere Akzeptanz der Normen durch grundsätzliche Anstrebung von Einstimmigkeitsbeschlüssen und Konsens bei sämtlichen Beschlüssen. • Freiwillige Teilnahme am Normungsprozess und freiwillige Anwendung harmonisierter europäischer Normen. • Stand der Technik wird durch die Mitwirkung von ehrenamtlichen Experten aus sämtlichen Mitgliedstaaten sowie der Möglichkeit des Einspruches durch die Öffentlichkeit erreicht. • Größtmögliche Breitenwirkung durch Heranziehung und Übernahme internationaler Normungsergebnisse, sofern möglich und geeignet. • Technische Kohärenz und Abbau von Handelshemmnissen durch Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Übernahme europäischer Normen in das 134 135 136 137

Conférence Européenne des Administrations des Postes et des Télécommunications. KOM (87) 290 endg. Vgl. Art 1 Statuten ETSI; http://portal.etsi.org/directives/home.asp. Vgl. Zubke-von Thünen (FN 24) 644ff.

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innerstaatliche Normenwerk sowie zur Zurückziehung entgegenstehender Normen. Grundsätzlich können die nationalen Mitgliedorganisationen, jedes CEN/CENELEC-Fachgremium, die Kommission der Europäischen Union, das EFTA-Sekretariat, eine internationale Organisation, sowie jede europäische Wirtschafts-, Berufs-, Fach- oder Wissenschaftsorganisation dem Zentralsekretariat Vorschläge für die Aufnahme neuer Normungsarbeiten unterbreiten, die dieses an das Technische Büro weiterleitet. Die Entscheidung über die weitere Vorgangsweise steht dann dem Technischen Büro zu, welches sich hiefür eines vom Programmkomitee entwickelten Planes sowie sämtlicher einschlägiger Informationen bedienen kann. Wird die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit der Aufnahme eines neuen Normungsthemas bejaht, so ist nach bereits bestehenden internationalen Normen, die für eine Übernahme - allenfalls unter Anpassung oder Vervollständigung - geeignet erscheinen, zu suchen. Dabei sind primär ISO/IEC-Normen heranzuziehen, subsidiär ist es dem Technischen Büro oder dem zuständigen Technischen Komitee oder seinem Sekretariat gestattet, ein anderes geeignetes Dokument als Grundlage für die auf Ausarbeitung einer EN oder eines HD gerichtete Normungsarbeit heranzuziehen. Den wichtigsten Fall stellt aber das „Mandat“ der Kommission im Rahmen der „Neuen Konzeption“ dar. Dabei kann die Kommission auf Basis der Richtlinie über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften138 sowie der auf deren Grundlage erarbeiteten „Allgemeinen Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und CEN/CENELEC“139 an CEN/CENELEC ein Mandat zur Erarbeitung einer harmonisierten Norm erteilen, deren Ziel es ist, die in der Harmonisierungsrichtlinie enthaltenen grundlegenden Anforderungen insoferne zu konkretisieren, dass bei Einhaltung der Norm den grundlegenden Anforderungen zweifelsfrei entsprochen wird. Die solcherart ausgearbeiteten Normen sind von der Kommission mit Hinweis auf die der Norm zugrunde liegende Richtlinie im Amtsblatt Nr. C zu veröffentlichen.140 Für die Entstehung einer EN oder eines HD sind drei Wege gangbar: Sie können Ergebnis des Fragebogenverfahrens, der Arbeit eines Technischen Komitees oder einer Kombination aus beidem sein.

2. Fragebogenverfahren Liegt ein neues bzw ein überarbeitetes und zur Übernahme geeignetes Referenzdokument vor, so kann sich das BT ohne Befassung eines Technischen Komitees des sogenannten Fragebogenverfahrens bedienen, um zu evaluieren, ob genügend Interesse an der Harmonisierung des vorgeschlagenen Gegenstandes besteht, in welchem Grad eine nationale Harmonisierung mit dem Referenzdokument bereits besteht, und ob dieses Dokument als EN, HD oder ENV annehmbar erscheint. Je nachdem, ob ein neues Referenzdokument oder ob ein überarbeitetes, dessen vorige Ausgabe bereits als EN oder HD angenommen 138 139 140

RL 83/189/EWG idF der RL 98/34/EG. Vgl. CEN/CENELEC Memorandum Nr. 4. Vgl. Korinek (FN 31) 323f.; Anselmann (FN 114) 84ff.

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worden war, vorliegt, wird im ersten Fall der „Erstfragebogen“, im zweiten Fall der „Fortschreibfragebogen“ versandt. So kein anderslautender Beschluss des BT vorliegt, beginnt mit dem Tag der Versendung des Fragebogens die Verpflichtung zur Stillhaltung, die es den CEN/CENELEC-Mitgliedern verbietet, eine neue oder überarbeitete Norm herauszugeben, die nicht völlig mit der EN oder dem HD übereinstimmt. Die Mitgliedstaaten haben binnen einer Frist von drei bzw sechs Monaten in ihren Antworten Abänderungsvorschläge oder Anträge auf nationale Abweichungen einzubringen und diese ausführlich zu begründen und insbesondere im Einzelnen den Einfluss nationaler Vorschriften, insbesondere eines Prüfungs- oder Zulassungszwanges auf die Harmonisierung zu erläutern.141 Beantragen während des Frageverfahrens mindestens drei Mitglieder die Harmonisierung, so ist dies ausreichend, um ein Interesse an der Harmonisierung als gegeben zu betrachten. Die zum Fragebogen eingegangenen Stellungnahmen bilden die Entscheidungsgrundlage für den weiteren Verlauf des Normungsverfahrens. Das BT oder das Technische Komitee - je nach Zuständigkeit - greifen bezüglich ihrer Entscheidung der Annahme oder der Zurückweisung von Stellungnahmen auf diese zurück, um zu einer der nachfolgenden Entscheidungen zu kommen: • Bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird, werden die Stellungnahmen an ein Technisches Komitee, ein Berichter-Sekretariat oder eine besondere Ad hocGruppe verwiesen, um so fachlichen Rat einzuholen. • Das Referenzdokument wird zur formellen Abstimmung gestellt, ob es als EN, HD oder ENV angenommen werden kann. • Das Referenzdokument erfordert weitere Facharbeit, die an ein bestehendes oder neu zu errichtendes Fachgremium vergeben wird. • Eine Harmonisierung ist infolge ungenügenden nationalen Interesses nicht möglich oder nicht notwendig. In diesem Fall wird dem Technischen Büro vorgeschlagen, die Stillhalteverpflichtung aufzuheben. • Ein CEN/CENELEC-Bericht wird herausgegeben, um aus erster Hand Informationen über die Harmonisierungssituation zu geben. Das Technische Büro hat über den Fortbestand der Stillhalteverpflichtung zu entscheiden.

3. Verfahren in den technischen Komitees Voraussetzung für ein Tätigwerden des TC ist, dass kein internationales Bezugsdokument in der vorliegenden Fassung angenommen werden kann. In den Technischen Komitees wird in den oben bereits näher dargestellten Gremien an der Erstellung eines Normentwurfes gearbeitet. Die von den TC erstellten Arbeitsentwürfe werden dabei entweder zur Beratung in den Sitzungen des TC oder zur schriftlichen Stellungnahme oder Abstimmung verteilt. Ziel dieser Vorgangsweise ist, dass schließlich die wesentliche, vorzugsweise einhellige Zustimmung zu einem Arbeitsentwurf erreicht wird142 und dieser Entwurf als EN oder HD angenommen werden kann. Bei Vorliegen eines solcherart angenommenen Entwurfes wird dieser vom Technischen Komitee an das CEN/CENELEC Zentralsekretariat weitergeleitet, wo der Entwurf eine

141 142

GO CEN/CENELEC, 4.2.6. GO-CEN/CENELEC, 4.3.3.

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Nummer als prEN143 oder prHD144 erhält. Im Anschluss daran leitet das Zentralsekretariat das CEN/CENELEC-Umfrageverfahren ein. Kann ein TC innerhalb des von ihm im Rahmen des Arbeitsprogrammes ausgearbeiteten und vom Technischen Büro genehmigten Zeitrahmens keinen Entwurf einer EN oder eines HD fertig stellen oder aus anderen Gründen die Arbeit an einem Normprojekt nicht mehr weiterführen, so hat es einen Situationsbericht zu erstellen und diesen dem BT auszuhändigen. Sinn und Zweck dieses Situationsberichtes ist es, den Stand des Ausarbeitungsverfahrens einschließlich einer Darstellung der Punkte der Übereinstimmung oder Meinungsverschiedenheiten sowie Informationen über die Natur der während der Arbeit aufgetretenen hemmenden Ursachen zu unterbreiten und eine Abschätzung vorzunehmen, ob innerhalb einer zu bestimmenden Verlängerungsfrist mit dem Normungsziel nützlichen Ergebnissen gerechnet werden kann. Das BT hat diesen Bericht zu beraten und anschließend darüber zu entscheiden, ob die Arbeit mit neuen Zieldaten fortgesetzt wird, und in jedem Fall festlegen, ob es einen CEN/CENELECBericht zur Herausgabe an die Mitglieder oder andere, außerhalb von CEN/CENELEC stehende Gremien oder Organisationen autorisieren will.

4. CEN/CENELEC-Umfrage Als Grundlage dieses Umfrageverfahrens wird der Normentwurf an sämtliche Mitglieder verteilt, damit diese binnen üblicherweise145 sechs Monaten die Stellungnahmen der Öffentlichkeit einholen. Dazu ist in Österreich die Neuerscheinung von CEN-Entwürfen im elektronischen Listenteil der Zeitschrift „CONNEX“ zu verlautbaren, um auf diesem Wege die Öffentlichkeit zur Abgabe von Stellungnahmen einzuladen. Langen beim Österreichischen Normungsinstitut derartige Entwürfe ein, werden diese zur Erarbeitung der Stellungnahme dem zuständigen Fachnormenausschuss oder den vom FNA hierzu bestimmten Mitgliedern übergeben. So auf einem bestimmten Fachgebiet kein FNA eingerichtet ist, sollen nach Möglichkeit einschlägige Fachleute mit der Aufgabe der Erarbeitung der Stellungnahme beauftragt werden. Ergeben die bei CEN/CENELEC eingelangten Ergebnisse des Umfrageverfahrens eine ausreichende, vorzugsweise einstimmige Zustimmung zum Inhalt des Entwurfes,146 so erarbeitet das Sekretariat des TC - unbeschadet der Durchsicht der eingegangenen fachlichen Stellungnahmen durch das TC - eine endgültige Textfassung, die schließlich angenommen werden soll. Ist jedoch aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen ersichtlich, dass für die Verabschiedung des Entwurfes als EN oder HD keine hinreichende Zustimmung besteht, so kann das TC beschließen, eine zweite Umfrage durchzuführen, die üblicherweise147 zwei, höchstens aber vier Monate dauert. Führt auch diese zweite Umfrage nicht zu der angestrebten Mehrheit bzw. Einstimmigkeit, so darf kein weiteres Umfrageverfahren mehr durchgeführt werden. Ist also ersichtlich, dass ein vorgeschlagener Text nicht die für die Veröffentlichung als EN hinreichen-

143 144 145 146 147

Projet EN, Europäischer Norm-Entwurf bei CEN/CENELEC. Projet HD, Europäischer Harmonisierungsdokument-Entwurf bei CEN/CENELEC. Vgl. GO CEN/CENELEC Pkt. 4.8.3 Vgl. GO CEN/CENELEC Pkt. 4.3.7 Vgl. GO CEN/CENELEC Pkt. 4.3.8

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de Zustimmung erlangen wird, sofern nicht „B-Abweichungen“148 hinzugefügt werden, soll die Erstellung eines HD in Betracht gezogen werden.

5. Annahme von EN und HD Die Annahme des endgültigen Wortlautes eines Europäischen Norm-Entwurfes (prEN) oder eines Harmonisierungsdokument-Entwurfes (prHD) erfolgt durch eine formelle Abstimmung innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Versendung der Abstimmungsformulare, die zusammen mit dem endgültigen Wortlaut in den drei Sprachfassungen an die Mitglieder verteilt werden, bei welcher die abgegebenen Stimmen der Mitglieder nach einem festgelegten Schlüssel zu gewichten149 sind. Entsprechend der Zielsetzung, Normen effektiv zu harmonisieren, haben die Mitglieder bei der Abstimmung Nein-Stimmen zu begründen und Pro-Stimmen jedenfalls unbedingt abzugeben.

Ist das Ergebnis der Abstimmung positiv und wurde keine Berufung eingelegt,150 so hat das BT die Annahme der EN oder des HD festzustellen, und die Termine für die nationale Übernahme, das Datum für die Zurückziehung entgegenstehender nationaler Normen sowie das Datum für die Veröffentlichung von identischen nationalen Normen oder Anerkennungen festzulegen.151 Ist das Abstimmungsergebnis allerdings negativ, so hat das BT über die weitere Vorgangsweise zu entscheiden und festzulegen, ob die Stillhalteverpflichtung aufgehoben wird.

148

149

150

151

Nationale Abweichungen von einem Harmonisierungsdokument, die auf besonderen technischen Anforderungen beruhen und die für eine bestimmte Übergangsfrist noch erlaubt sind, werden in der Terminologie der Geschäftsordnung von CEN/CENELEC als „B-Abweichungen“ bezeichnet. Vgl. Pkt 3.1.10 der Geschäftsordnung von CEN/CENELEC und unter Punkt 8. Zur Verteilung des Stimmgewichtes siehe GO CEN/CENELEC, Pkt. 5.1.4 f.: So kommen den Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien sowie dem Vereinigten Königreich je 10 Stimmen zu, Spanien besitzt 8 Stimmen, Belgien, die Niederlande, Griechenland, Portugal und die Schweiz je 5 Stimmen. Österreich und Schweden beteiligen sich je mit 4 Stimmen an der Abstimmung, während Dänemark, Finnland, Irland und Norwegen durch je 3 Stimmen repräsentiert werden. Luxemburg besitzt 2, Island nur eine Stimme. Ist ein Mitglied der Meinung, ein Tätigwerden oder ein Unterlassen eines Gremiums oder Funktionärs von CEN/CENELEC sei nicht in Übereinstimmung mit der Satzung oder der Geschäftsordnung oder sei in anderer Weise nicht mit den Zielen von CEN/CENELEC vereinbar oder in Bezug auf die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes, in Bezug auf Sicherheit, Umweltschutz oder Gesundheit nicht mit den vorgegebenen Zielen im Einklang, so kann es binnen zweier Monate ab Erhalt des Sitzungsberichtes oder des Abstimmungsergebnisses unter Beifügung einer ausführlichen Begründung Einspruch beim Generalsekretär einlegen. Siehe hierzu näher Anhang A der GO. Die relevanten Daten sind: dor: Datum der Ratifizierung. Von diesem Zeitpunkt an gilt die Norm als angenommen; dav: Datum der Verfügbarkeit. Datum, zu dem der endgültige Text einer angenommenen EN/HD in den offiziellen Sprachfassungen vom Zentralsekretariat verteilt wird; doa: Datum der Ankündigung. Spätestes Datum, zu dem das Vorhandensein einer EN/HD oder ENV auf nationaler Ebene angekündigt werden muss; dop: Datum der Veröffentlichung. Spätestes Datum, zu dem eine EN auf nationaler Ebene durch Veröffentlichung einer identischen nationalen Norm oder durch Anerkennung übernommen werden muss; dow: Datum der Zurückziehung. Zu diesem müssen nationale Normen, die einer EN/HD entgegenstehen, zurückgezogen werden; vgl. GO CEN/CENELEC 3.1.11-15

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Bei der Auswertung der eingelangten Stimmen ist so vorzugehen, dass zuerst die Stimmen der Mitglieder zu zählen sind. Der Normungsvorschlag ist angenommen, wenn mindestens 77% der gewichtet abgegebenen Stimmen für die Annahme des Vorschlages sind. Wurde diese Mehrheit von 77% jedoch nicht erreicht, so werden die Stimmen der EU-Staaten gesondert gezählt. Der Vorschlag wird auch dann angenommen, wenn unter Berücksichtigung der Stimmgewichtung mindestens 77% der abgegebenen Stimmen dieser Länder Ja-Stimmen sind. In diesem Fall werden allerdings nur die EU-Staaten sowie diejenigen EFTA-Staaten gebunden, die dem Entwurf zugestimmt haben. Stimmenthaltungen sind bei der Abstimmung nicht zu berücksichtigen.

6. CDL-Verfahren ( Normenkontrollverfahren) Innerhalb der vorgenannten Frist von sechs Monaten zur Einholung der Stellungnahmen der Öffentlichkeit hat auch die erste Prüfung des Entwurfes im CDL-Verfahren durch die Normenprüfstelle152 stattzufinden. Das CDL, die Normenprüfstelle, wurde als Beratungsgremium eingesetzt, um den Redaktionskomitees der TC und anderen, Normen erstellenden Gremien bei der Gestaltung von Normen und Bearbeitung redaktioneller Stellungnahmen zu helfen. Die erste Prüfung der Norm läuft parallel zur CEN/CENELEC-Umfrage, die zweite derartige Überprüfung einer zu verabschiedenden Norm findet im Vorfeld der formellen Abstimmung statt. Der Normenprüfstelle kommt bei dieser Überprüfung keine Kompetenz zu, über den fachlichen Inhalt der Norm zu beschließen, sie kann jedoch zur Übereinstimmung des Normentwurfes mit den PNE-Regeln153 sowie dazu Stellung nehmen, ob der fachliche Inhalt einer prEN oder eines prHD mit einer bereits bestehenden, veröffentlichten EN/HD in Widerspruch steht oder diesbezüglich überflüssige Parallelaussagen enthält.

7. Einstufiges Annahmeverfahren (UAP) Begründet ein Dokument welchen Ursprunges auch immer die Vermutung, es könne dieses Schriftstück ohne weiteres auf europäischer Ebene als Norm angenommen werden, so kann nach Einleitung durch das Zentralsekretariat für ein solches „Referenzdokument“ eine schnelle Annahme als EN oder HD erreicht werden, indem das Fragebogenverfahren sogleich mit der Abstimmung verbunden wird. Handelt es sich um ein Dokument eines technischen Komitees, so verbindet das einstufige Annahmeverfahren das Umfrageverfahren mit der formellen Abstimmung. Wird ein positives Abstimmungsergebnis erzielt, so informiert das Zentralsekretariat die Mitglieder des technischen Büros über die Termine für Verfügbarkeit und Übernahme, ohne den beschlossenen Text noch einmal zu verteilen. Die Annahme des Ergebnisses gilt als Ratifizierung. Zur selben Zeit haben das technische Komitee oder die Berichter-Sekretariate in Zusammenarbeit mit der Normenprüfstelle die eingelangten redaktionellen Stellungnahmen zu prüfen und spätestens zum Termin der Verfügbarkeit den Schlusstext für die Verteilung zu erstellen. Ist das Abstimmungsergebnis jedoch negativ, wird das Dokument an das zuständige BT oder TC retourniert. Das Technische Büro entscheidet sodann - so ein TC eingeschaltet wurde, unter Einholung von dessen Stellungnahme - über das weitere Procede152 153

Comité De Lecture. FN 56.

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re. Es hat sich auch mit der Frage zu befassen, ob die Stillhalteverpflichtung aufgehoben werden sollte. Nach Zustimmung des BT kann das Dokument entweder einem neuerlichen einstufigen Annahmeverfahren oder einer formellen Abstimmung unterzogen werden.

8. Abweichungen und besondere nationale Bedingungen Ziel der Harmonisierung ist es, dass ein nach nationalen Vorschriften und Normen hergestelltes Produkt ohne Änderung auch den Normen und einschlägigen Vorschriften der übrigen Mitgliedstaaten entspricht. Vielfach werden jedoch von den Mitgliedern von CEN/CENELEC die Harmonisierung behindernde Ausnahmen oder Abweichungen gewünscht. Diesfalls haben die Mitglieder einen Antrag auf gemeinsame Abänderung154 oder besondere nationale Abweichung155 in der Antwort auf einen ausgesandten Fragebogen oder frühestmöglich bei der Normungsarbeit, spätestens jedoch während der CEN/CENELEC-Umfrage, zu stellen. Jeder derartige Antrag hat unter genauer Bezugnahme auf das Arbeitsdokument und unter detaillierter Anführung der Gründe sowie der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen darzutun, warum eine Abänderung gewünscht wird. Nationale Abweichungen von einer EN oder einem HD, die auf von den Mitgliedern derzeit nicht abänderbaren Vorschriften beruhen, werden als AAbweichungen bezeichnet, unter dem Begriff B-Abweichung versteht man nationale Abweichungen von einem HD, die auf besonderen technischen Anforderungen des Mitgliedstaates beruhen, deren Beibehaltung binnen einer bestimmten Übergangsfrist wirklich notwendig und daher noch gestattet ist. Demgegenüber stellen besondere nationale Bedingungen, also eine nationale Eigenschaft oder Praxis, die nicht - selbst nach einem längeren Zeitraum geändert werden kann, keine Abweichungen im vorgenannten Sinne dar.156 Bei der Textierung von EN oder HD ist somit acht zu geben, dass diesen besonderen nationalen Bedingungen entsprochen wird, ohne dass extra auf sie verwiesen werden muss. Ist dies nicht möglich, so sind besondere nationale Bedingungen unter Angabe des technischen Sachverhaltes und des Landes in einem eigenen normativen Anhang aufzuführen. Je nach Zuständigkeit hat sich das BT oder das TC mit den eingelangten Anträgen zu befassen und abschließend zu entscheiden, ob der Antrag für eine zu bestimmende Übergangszeit angenommen, abgelehnt oder dem Mitglied zur nochmaligen kritischen Auseinandersetzung und zur neuerlichen Stellungnahme zurückgeleitet wird. Weiters besteht noch die Möglichkeit, den Antrag bis zur gemeinsamen Abänderung des Referenzdokumentes in Schwebe zu halten, es kann der Antrag an ein TC, BerichterSekretariat oder eine Arbeitsgruppe zur weiteren Untersuchung durch Fachleute weitergegeben werden, als besondere nationale Bedingung eingestuft oder angenommen werden. Bei völliger Unvereinbarkeit wird die Harmonisierung des Gegenstandes entweder 154

155

156

Änderung, Ergänzung oder Streichung im Inhalt eines von CEN/CENELEC angenommenen Referenzdokumentes, die dadurch Teil der EN oder des HD ist. Vgl Pkt. 3.1.6 GO. Änderung, Ergänzung oder Streichung in einer nationalen Norm gegenüber dem Inhalt einer Norm oder eines HD für denselben Anwendungsbereich der EN oder des HD. Sie ist nicht Bestandteil der EN oder des HD. Vgl. Pkt. 3.1.8. GO. Die GO CEN/CENELEC nennt in diesem Zusammenhang beispielshaft klimatische Bedingungen oder Erdungsbedingungen.

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vertagt und die nächste Ausgabe des Referenzdokumentes abgewartet, oder das Projekt als Ganzes eingestellt.

9. Sicherung des Vorrangs der europäischen Normung a) Übernahmsverpflichtung, Zurückziehungsverpflichtung Wurde ein Arbeits- oder Referenzdokument als EN gemäß den oben dargestellten Regeln von CEN/CENELEC angenommen, so sind alle Mitglieder verpflichtet, die angenommene Norm entweder durch Veröffentlichung eines in fachlicher sowie gestalterischer Hinsicht identischen Textes oder durch Anerkennung ohne Einschränkung in das innerstaatliche Normenwerk zu übernehmen und entgegenstehende bzw. anderslautende innerstaatliche Normen zurückzuziehen.157 Handelt es sich beim angenommenen Dokument um ein HD, so hat die Übernahme in das Innerstaatliche Normenwerk durch öffentliche Ankündigung der Nummer und des Titels des HD sowie durch die Zurückziehung etwaiger entgegenstehender nationaler Normen zu geschehen.158 Im Anwendungsbereich eines HD ist es den Mitgliedern jedoch freigestellt, weiterhin nationale Normen zu einem diesem unterfallenden Gegenstand beizubehalten oder neu herauszugeben, wenn ihr Inhalt dem des HD entspricht. Nummer, Titel und Ausgabedatum dieser Normen sind dem Zentralsekretariat mitzuteilen. b) Stillhalteverpflichtung Die den Mitgliedern von CEN/CENELEC während des Normungsverfahrens auferlegte Stillhalteverpflichtung bedeutet, dass diese während der Vorbereitung einer EN oder eines HD nichts unternehmen dürfen, was die bevorstehende Harmonisierung gefährden könnte. Insbesondere besteht die Pflicht, keine neue oder überarbeitete nationale Norm zu veröffentlichen, die nicht vollständig mit einer existierenden EN oder HD übereinstimmt. Diese Stillhalteverpflichtung bezieht sich allerdings nur auf konkrete Normungsprojekte, nicht auf ganze Arbeitsgebiete oder -programme. Eine Aufhebung dieser Verpflichtung bei aufrechtem Normprojekt kommt nur dann in Betracht, wenn ein CEN/CENELEC-Mitglied während der Stillhalteverpflichtung auf Probleme stößt, die Sicherheit oder Gesundheit betreffen und sofortiges Handeln erfordern.159 Sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift samt sämtlicher weiterer, für die nähere Beurteilung relevanter Unterlagen zu über157 158 159

Siehe GO, Pkt 5.2.2. siehe GO, Pkt. 5.2.3. Vgl GO CEN/CENELEC 6.2.4., Art 9 Abs 7 der RL 98/34/EG. In diesem Fall muss das Mitglied sofort den Mitgliedern des technischen Büros und dem Zentralsekretariat einen Vorschlag für die Ausarbeitung oder die Änderung einer EN oder eines HD unterbreiten und gleichzeitig den Vorschlag zur öffentlichen Umfrage auf nationaler Ebene in Umlauf bringen. Auf der Ebene von CEN/CENELEC hat binnen einer Frist von längstens vier Monaten ab Eingang des Abänderungsvorschlages beim technischen Büro - nach sachverständiger Begutachtung des Entwurfes und einer Abstimmung - eine Entscheidung über das weitere Verfahren zu fallen.

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mitteln sowie begründet darzulegen, aus welchen Gründen die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift als erforderlich angesehen wird. Ebenso haben die Mitgliedstaaten bei wesentlichen Änderungen von technischen Vorschriften vorzugehen. Gleichzeitig haben die Mitgliedstaaten die von dem Normungsvorhaben betroffenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Volltext beizuschließen, wenn deren Wortlaut für die Beurteilung der Tragweite des Entwurfes der technischen Vorschrift notwendig ist. Ein Verstoß gegen diese Notifizierungspflicht zieht die Unanwendbarkeit der betroffenen technischen Vorschrift auf Einzelpersonen nach sich.160 Sowohl die Kommission als auch die übrigen Mitgliedstaaten, welche ohne Verzögerung von der Kommission über das Vorhaben zu informieren sind, sind befugt, Bemerkungen bezüglich allfälliger Neuschaffung von Handelshemmnissen durch den Normentwurf bei dem Mitgliedstaat, von welchem der Entwurf stammt, anzubringen, die dieser bei der weiteren Ausarbeitung möglichst zu berücksichtigen hat. Jedenfalls aber ist der notifizierende Mitgliedstaat verpflichtet,161 mit der Annahme des Entwurfes eine Stillhaltefrist von drei Monaten ab Eingang der Benachrichtigung bei der Kommission einzuhalten, um der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu einer Stellungnahme offen zu lassen. Handelt es sich um den Entwurf einer technischen Vorschrift in Form einer freiwilligen Vereinbarung, bei der der Staat Vertragspartner ist, und die im öffentlichen Interesse die Einhaltung von technischen Spezifikationen und sonstigen Vorschriften - Vergabevorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen ausgenommen - bezwecken, so bestimmt sich diese Frist mit vier Monaten. Die Entwürfe für technische Vorschriften dürfen bei fruchtlosem Verstreichen der Frist angenommen werden. Erheben jedoch entweder die Kommission oder ein Mitgliedstaat binnen drei Monaten ab dem Stichtag dahingehende Einwände, die geplante Maßnahme könnte den freien Warenverkehr beeinträchtigen, so verlängert sich die Stillhaltefrist um weitere drei Monate. Der betroffene Mitgliedstaat hat sodann der Kommission mitzuteilen, welche Maßnahmen er aufgrund der eingelangten Stellungnahmen zu ergreifen beabsichtigt. Wenn die Kommission binnen der vorgenannten Dreimonatsfrist bekannt gibt, dass sie beabsichtigt, für den gleichen Gegenstand eine Richtlinie, eine Verordnung oder eine Entscheidung im Sinne des Artikel 249 EGV vorzuschlagen, anzunehmen, oder dem Rat einen derartigen Vorschlag bereits vorgelegt hat, verlängert sich die Stillhaltefrist des Mitgliedstaates auf 12 Monate. Legt der Rat binnen der zuletzt genannten Stillhaltefrist von 12 Monaten einen gemeinsamen Standpunkt fest, so verlängert sich diese Frist neuerlich, insgesamt auf 18 Monate.

160

161

Siehe zum Notifikationsverfahren Bernhard/Madner, JRP 1998, 87; Traimer, JRP 2000, 137 (146f); Bericht der Kommission vom 23.5.2003 über die Funktionsweise der Richtlinie 98/34/EG in den Jahren 1999 bis 2001, KOM(2003) 200 endgültig; EuGH Rs C- 194/94, 30.4.1996, Slg 1996, I-2201, Rs C-226/97, 16.6.1998, Slg 1998, I-3711, Rs C- 443/98, 26.9.2000, Slg 2000, I-7535. Vgl. Art. 9 der RL 98/34/EG.

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Die Stillhalteverpflichtung kommt jedoch in den Fällen nicht zur Anwendung, in denen ein Mitgliedstaat aus dringenden Gründen durch eine ernste und unvorhersehbare Situation, die sich auf den Gesundheitsschutz von Menschen und Tieren, auf den Erhalt von Pflanzen oder auf die Sicherheit bezieht, gezwungen ist, binnen kürzester Zeit Normen auszuarbeiten und zu erlassen, ohne dass eine vorherige Konsultation möglich wäre. c) Graphik: Ablauf des Normungsverfahrens RICHTLINIE NACH DER NEUEN KONZEPTION legt grundlegende Anforderungen fest

CEN

Kommission erteilt M andat CEN/CENELECMitglieder beschicken TC

technisches Komitee arbeitet Entwurf aus

ON

(nationale Normungsgremien)

Spiegelgremium •führt U mfrageverfahren / öffentliches Auflageverfahren durch •Beratung der Ergebnisse im Spiegelgremium •einheitliche nationale Stellungnahme an das technische Komitee

CEN technisches Komitee erstellt endgültige Fassung

ON

(nationale Normungsgremien)

FORMELLE ABSTIMMUNG

UMSETZUNG IN NATIONALE NORMEN

D. Konformitätsnachweis Während die Anwendung der von den europäischen Normungsinstitutionen ausgearbeiteten Normen durch den einzelnen wie bereits erwähnt162 gemeinschaftsrechtlich nicht verpflichtend vorgeschrieben ist, so ist die Rechtslage bezüglich der in den Richtlinien selbst enthaltenen grundlegenden Anforderungen konzeptbedingt eine andere: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Regelungen vorzusehen, dass nur solche Produkte in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden können, die den grundlegenden Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Gesundheit, Verbraucher- und Umweltschutz genügen. Im Rahmen der „neuen Konzeption“ können sich die Hersteller von normkonform erzeugten Produkten zur Erlangung der Erlaubnis für das Anbringen des CEZeichens in der Regel auf eine Konformitätsvermutung berufen. Die Ausarbeitung einheitlicher Normen für Produkte, deren Einhaltung den Produzenten nicht zwingend vorgeschrieben ist, stellt zwar einen wesentlichen Schritt hin zum Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse dar, kann diese 162

Vgl bereits oben, Pkt IV.A.2.

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Hemmnisse jedoch nicht alleine beseitigen. Um erkennen zu können, ob ein in den Verkehr zu bringendes Produkt den europäischen Normen oder den darauf basierenden nationalen Normen auch tatsächlich entspricht, ist es erforderlich, die Produkte auf ihre Normkonformität hin zu überprüfen. Es kann aber sein, dass eine solche Überprüfung eines Produktes in einem Staat noch nicht die Überzeugung eines anderen Staates herbeiführt, auf das Ergebnis des Prüfverfahrens zu vertrauen. Ordnet jeder Staat eine eigenständige Überprüfung des Produktes zur Feststellung seiner Normkonformität an, so löst sich der durch die einheitliche Normungsarbeit erzielte Nutzen unverzüglich wieder auf, die zu beseitigenden Handelshemmnisse bestehen in anderer Form weiter, da sich der Hersteller wieder in jedem Staat einem sowohl zeitlich wie auch finanziell in der Regel aufwendigen Einzelprüfungsverfahren gegenüber sieht. Die Neue Konzeption auf dem Gebiet der Normung wurde daher 1990163 durch ein Gesamtkonzept der Konformitätsbewertung ergänzt. Das Ziel dieses Konzeptes besteht darin, ein Funktionieren der gegenseitigen Anerkennung im geregelten wie auch im nicht geregelten Bereich der Produktnormung zu gewährleisten: Im nicht geregelten Bereich besteht die Möglichkeit, Abkommen über die gegenseitige Anerkennung zwischen den einzelnen Konformitätsbewertungsstellen durch die Sektorkomitees der hiefür speziell eingerichteten Europäischen Organisation für Zertifizierung und Prüfung (EOTC)164 in Beachtung von Grundsätzen und Verfahren, die die Anerkennung aller interessierten Parteien genießen, zu schließen. Für den durch Richtlinien bereits harmonisierten Bereich ist im Regelfall davon auszugehen, dass vom Hersteller lediglich die Abgabe einer Erklärung verlangt wird, dass er sich bei der Herstellung an die Vorgaben der harmonisierten Normen gehalten hat (Konformitätserklärung).

Für jene Produkte aber, bei deren Herstellung der Produzent andere als die harmonisierten Normen angewandt hat, kann die Normkonformität und somit die Übereinstimmung mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen nicht vermutet werden, der Produzent bzw. Importeur hat mittels einer Bescheinigung einer unabhängigen Prüfstelle den Nachweis zu erbringen, dass auch sein Produkt die in der Richtlinie geforderten grundlegenden Anforderungen erfüllt: Abhängig von der Produktart und den konkreten Sicherheitsaspekten kann zusätzlich zur Erfüllung der grundlegenden Anforderungen auch eine Zertifizierung durch eine „benannte Stelle“165 vorgeschrieben werden, ob das konkrete Produkt nach den jeweils einschlägigen Normen hergestellt wurde und mit diesen auch tatsächlich übereinstimmt. Im Einzelnen besteht für - normkonform hergestellte - Produkte im Rahmen des Gesamtkonzeptes der Konformitätsbewertung ein System aus acht

163 164 165

Entschließung des Rates vom 21.12.1989, Abl. Nr. C vom 6.1.1990, 1; Beschluss des Rates 93/465/EWG vom 22.7.1993, Abl Nr. L220, vom 30.8.1993, 23. European Organisation for Conformity Assessment; Vgl dazu Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Zu den benannten Stellen vgl. Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung im Produktsicherheit, 2000, 32ff.; In den Richtlinien nach der neuen Konzeption werden Mindestkriterien festgelegt, die von den Prüfeinrichtungen erfüllt werden müssen, um von den Mitgliedstaaten benannt werden zu können, Prüfungen, Zertifizierungen und Überwachungen durchzuführen. Siehe hierzu etwa Normen der Reihe 45000.

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Grundmodulen166 zur Zertifizierung von Produkten, die auf vielfältige Weise miteinander kombiniert werden, um anhand der von einem speziellen Produkt konkret ausgehenden Gefahren individuelle Konformitätsbewertungsverfahren zusammenstellen zu können, die in der jeweiligen Richtlinie vorgesehen sein müssen.167 Als mögliche Ebenen der Durchführung dieser Verfahren kommen das Entwurfstadium, das Stadium der Produktion oder beide Stadien in Betracht, wobei in den acht möglichen Verfahren jeweils die einzelnen Maßnahmen angeführt sind, die der Hersteller bzw, so eine Untersuchung auch durch unabhängige Stellen vorgesehen ist, diese unabhängige Stelle durchzuführen hat. Nach erfolgreicher Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens hat die prüfende Stelle eine Bescheinigung über den erfolgreichen Abschluss der Tests auszustellen. Damit ist der Hersteller berechtigt, auf seinen Produkten das sogenannte „CE-Zeichen“ anzubringen. Folgende Grundmodule stehen für die Zusammenstellung eines Konformitätsbewertungsverfahrens zur Auswahl: • Interne Fertigungskontrolle: Die Produktentwürfe und Produkte werden nur betriebsintern geprüft, es bedarf daher nicht der Einschaltung einer externen Stelle. • EG-Baumusterprüfung: Dieses Modul sieht die Prüfung des Entwurfes eines künftigen Produktes durch eine zugelassene Zertifizierungsstelle vor, bedarf aber im Sinne der vorgenannten Kombinationsmöglichkeiten einer zusätzlichen Bewertung des fertigen Produktes auf der Fertigungsstufe. • Konformität mit der Bauart: Ein fertiges Produkt wird auf seine Übereinstimmung mit der im Rahmen der EG-Baumusterprüfung als tauglich befundenen Bauart hin untersucht. Diese Untersuchung kann durch den Unternehmer selbst wie auch durch eine benannte Stelle erfolgen. • Qualitätssicherung Produktion: Auch dieses Modul folgt der EGBaumusterprüfung im Fertigungsstadium. Beruhend auf der Qualitätssicherungsnorm EN ISO 9002 wird hier zwingend eine benannte Stelle eingeschaltet, die für die Zulassung und Kontrolle des vom Hersteller festgelegten Qualitätssicherungssystems für Herstellung, Endabnahme und Prüfung verantwortlich ist. • Qualitätssicherung Produkt: Ebenfalls auf Basis der EG-Baumusterprüfung beruht dieses Modul auf EN ISO 9003, wobei für die Zulassung und Kontrolle des vom Hersteller festgelegten Qualitätssicherungssystems für die Endabnahme und Prüfung eine benannte Stelle verantwortlich ist. • Produktprüfung: Eine benannte Stelle prüft die Konformität des Produktes mit der in der EG-Baumusterprüfung festgelegten und genehmigten Bauart und stellt die Konformitätsbescheinigung aus. • Einzelprüfung: Hierbei wird jedes Produkt auf Entwurfs- wie Fertigungsebene einzeln durch eine Zertifizierungsstelle geprüft, die bei Konformität eine Konformitätsbescheinigung ausstellt. • Umfassende Qualitätssicherung: Beruhend auf der Qualitätssicherungsnorm EN ISO 9001 wird eine benannte Stelle eingeschaltet, die für die Zulassung und Kontrolle des vom Hersteller festgelegten Qualitätssicherungssystems für Entwurf, 166

167

Zur Auswahl stehen folgende acht Module: Interne Fertigungskontrolle, Baumusterprüfung, Konformität mit der Bauart, Qualitätssicherung Produktion, Qualitätssicherung Produkt, Prüfung der Produkte, Einzelprüfung, Umfassende Qualitätssicherung. Bei Festlegung der möglichen Module für ein Produkt muss versucht werden, dem Hersteller so viele Möglichkeiten des Konformitätsnachweises offen zu lassen, wie mit der Gewährleistung der Erfüllung der Anforderungen zu vereinbaren ist.

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Herstellung, Endabnahme und Prüfung verantwortlich ist. Dieses Modul kommt auf Entwurfs- wie Herstellungsebene zur Anwendung.

Die Behörden der übrigen Mitgliedstaaten haben dies grundsätzlich zu akzeptieren, es ist von der Übereinstimmung des Produktes mit den in der Richtlinie enthaltenen grundlegenden Anforderungen auszugehen. Das am Produkt angebrachte „CE-Kennzeichen“ fungiert somit insoferne als „Warenpass“, als das betroffene Produkt auf dem europäischen Binnenmarkt ohne Einschränkungen frei handelbar ist und in Betrieb genommen werden darf. Kommen für ein Produkt jedoch mehrere Richtlinien zur Anwendung, so hat es die Anforderungen sämtlicher dieser Richtlinien zu erfüllen; diesfalls besagt das CE-Kennzeichen, dass das Produkt mit sämtlichen der aufgestellten „grundlegenden Anforderungen“ übereinstimmt.168 Wurde allerdings lediglich eine Herstellererklärung abgegeben, hat der Hersteller oder Importeur des fraglichen Produktes also die vorgeschriebene Prüfung ohne Beiziehung einer benannten Stelle selbst durchgeführt, und hegen die Behörden berechtigten Zweifel an der Konformität des Produktes, so können sie vom Hersteller Angaben über die durchgeführten Sicherheitsprüfungen verlangen.

E. Schutzklauselverfahren Im Zusammenhang mit akuten Gefährdungslagen kann sich die Notwendigkeit ergeben, die Verkehrsfähigkeit bestimmter Produkte einzuschränken oder diese gänzlich aus dem Verkehr zu nehmen. Als Konsequenz der mit der jeweiligen Harmonisierungsrichtlinie erlangten vollständigen Harmonisierung sind Schutz- und Sicherungsverfahren jedoch nur noch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene nach gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen Verfahren mit gleicher Rechtswirkung für alle Mitgliedstaaten zulässig. Diese Schutz- und Sicherungsverfahren ergeben sich aus den sekundärrechtlichen Schutzklauseln, die sich in den Richtlinie nach der Neuen Konzeption finden.169 Anwendungsfall bzw. Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Schutzklausel ist, dass ein Mitgliedstaat der Auffassung ist, ein normkonform hergestelltes Produkt weiche von den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie ab. Dies kann der Fall sein, weil das Produkt entweder die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie nicht erfüllt, die einschlägigen technischen Normen mangelhaft angewandt wurden, oder die Abweichungen auf einen Mangel der angewandten Norm selbst zurückzuführen sind.170 Im Gegensatz zur widerlegbaren Vermutungswirkung technischer Normen auf innerstaatlicher Ebene 168

169 170

Teilweise besteht für den Hersteller jedoch eine Wahlmöglichkeit, welcher der anwendbaren Richtlinien er sein Produkt unterstellen möchte. Das nach Durchführung dieses Konformitätsverfahrens angebrachte CE-Kennzeichen bezieht sich in diesem Fall nur auf die Erfüllung jener Anforderungen, die in der konkret angewandten Richtlinie normiert wurden. Die Richtlinie für Warmwasserheizkessel (RL 92/42/EWG) sowie jene für Kühlund Gefriergeräte (RL 96/57/EWG) weisen keine Schutzklauseln auf. Darüberhinaus sehen die Richtlinien der Neuen Konzeption Eingriffsbefugnisse der Mitgliedstaaten gegen die unberechtigte Verwendung des CE-Kennzeichens vor und verpflichten sie, alle repressiven Maßnahmen genau zu begründen und bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten anzugeben.

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reicht jedoch eine behördliche Feststellung der sicherheitstechnischen Unzulänglichkeiten im harmonisierten Bereich nicht mehr aus, um dauerhaft Schutzmaßnahmen ergreifen zu können. Es bedarf vielmehr einer Bestätigung der ergriffenen vorläufigen Schutzmaßnahme im Wege des durchzuführenden gemeinschaftsrechtlichen Schutzklauselverfahrens. Bei Verhängung von vorläufigen innerstaatlichen Maßnahmen hat die Kommission von der Inanspruchnahme dieser Schutzklausel informiert zu werden. Sie bestimmt sodann auf Basis einer Stellungnahme des Ständigen Ausschusses für Normen das weitere Vorgehen.171 Die Kommission ist jedoch an die Entscheidungen des Ausschusses nicht gebunden, sondern hat diese lediglich zu berücksichtigen. Weil die Kommission dem EGV, der ein hohes Schutzniveau für die gemeinschaftliche Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltpolitik vorschreibt, verpflichtet ist, und sie dementsprechend ihre Letztverantwortung im Schutzklauselverfahren wahrzunehmen hat, ist rechtlich eine entsprechende „Auffangverantwortung“ normiert. Ob die Praxis diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird, bedürfte näherer Untersuchung. In praktischer Hinsicht werden Schutzklauselverfahren oft als Anlaß genommen, die Überarbeitung der betroffenen europäischen Norm zu erwirken.

V. Rechtsstaatliche und demokratische Probleme der Normung Das System der Normung als „regulierter Selbstregulierung“ wirft eine Reihe rechtsstaatlicher und demokratischer Grundsatzfragen auf.172 Die besondere Bedeutung der Normung im Rahmen der „neuen Konzeption“ der Rechtsharmonisierung auf europäischer Ebene hat diese Diskussion noch verstärkt.173 Darauf kann hier nur schlagwortartig hingewiesen werden: 171

172

173

Durch die Richtlinie 98/34/EG, Abl 1998 L 204/37 wurde zur Beratung der Kommission in Angelegenheiten des Normenwesens im Zusammenhang mit der neuen Konzeption bei dieser ein ständiger Ausschuss eingerichtet, der sich aus Delegierten der Mitgliedstaaten sowie einem, den Vorsitz des Ausschusses führenden Vertreter der Kommission zusammensetzt. Zur Errichtung derartiger Ausschüsse im allgemeinen vgl Rönck (FN 9) 188ff. mwN; Ein besonderes strukturelles Defizit attestiert von Danwitz, Europarechtliche Beurteilung der Umweltnormung, in Rengeling (FN 53), dem Verfahren der Normprüfung: Aus dem Nichtbestehen von Regelungen über Beschlussquoren für Beschlüsse des Ausschusses leitet er das Erfordernis von Einstimmigkeit ab und weist auf die Gefahr des Absinkens des Schutzniveaus auf den geringsten gemeinsamen Nenner hin. Vgl Schmidt-Preuß und Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung (FN 20) 160 bzw 235; Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBl 1996, 950. Vgl etwa Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 1990; Di Fabio, Produktharmonisierung durch Normung und Selbstüberwachung, 1996; Von Danwitz (FN 53) 187 ff; Schulte (FN 53) 165 ff; derselbe (FN 12) ; Korinek (FN 31) 322 ff.

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Die wesentlichen Einwände174 gehen dahin, dass bei der Normung in demokratisch nicht mehr hinnehmbarer Weise Normsetzungsbefugnisse mit weitgehendem Verbindlichkeitsanspruch auf private Vereinigungen übertragen würden, ohne dass durch adäquate staatliche respektive gemeinschaftsrechtliche Vorkehrungen eine Übereinstimmung dieser privaten Normsetzung mit den gesetzgeberischen Vorgaben sichergestellt wäre. Weiters werden Bedenken angemeldet, dass die Organisation und das Verfahren der privaten Normsetzung insbesondere im europäischen Kontext rechtsstaatlichen Garantien insbesondere der Öffentlichkeit und Transparenz des Verfahrens nicht genügen und institutionelle Sicherungen fehlen, dass alle betroffenen Interessen am privaten Normausarbeitungsprozess angemessen beteiligt werden. Dem werden die in der Natur der Sache liegenden Grenzen eines materiellen Steuerungsansatzes,175 der Aspekt der „steuernden Rezeption“, der auf die Zurechnung und damit auch demokratische und rechtsstaatliche Legitimation der staatlichen Organe verweist, die die privaten Normen rezipieren,176 und der Umstand entgegengehalten, dass die notwendige demokratische und rechtsstaatliche Verantwortung durch - in Österreich jedenfalls gesetzlich vorgesehene - Organisations- und Verfahrensgarantien hergestellt werden kann.177 Die staatliche „Letztverantwortung“ in diesem prozeduralen Sinn lässt sich dadurch sicherstellen, dass die wesentlichen Eckpunkte des Verfahrens und der Organisation der Normung durch demokratisch legitimierten staatlichen Rechtssetzungsakt gewährleistet werden und dass eine staatliche Aufsicht über den Normungsprozess als solchen, das heißt insbesondere über die Normungsorganisation, die ja ihrerseits die Einhaltung der Verfahrensbedingungen zu gewährleisten hat, stattfindet. Aus diesem Blickwinkel ist ein öffentliches und offenes Auflageverfahren ebenso unverzichtbar178 wie die gesetzlich gewährleistete interessenplurale Zusammensetzung der Normungsgremien.179 174

175 176 177 178 179

Vereinzelt geblieben ist das Bedenken, dass mit der Regelung des § 1 Abs 1 und 3 NormenG eine gleichheitswidrige Diskriminierung anderer Vereine (und man müsste wohl ergänzen: Personen allgemein) verbunden sei (so Geuder (FN 3) 655). Dem ist entgegenzuhalten, dass durch § 1 NormenG niemand gehindert wird, Normen im Sinne von technischen Regelwerken aufzustellen; dafür, dass das Gesetz ein Ausschließlichkeitsrecht an der Bezeichnung „ÖNORM“ und damit der Tätigkeit des ON vorsieht, gibt es eine Reihe sachlicher Gründe, insbesondere kann der Vereinheitlichungszweck bei konkurrierenden Institutionen deutlich schwerer erreicht werden. Insoweit stellt sich das „Exklusivrecht“ der Verwendung der Bezeichnung „ÖNORM“ als sachlich gerechtfertigt und im Übrigen auch im öffentlichen Interesse liegende und verhältnismäßige Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit anderer Einrichtungen, die ebenfalls Normen erarbeiten, dar. Schulte (FN 12), Rz 131ff; Korinek (FN 31) 326. Siehe insbesondere Schmidt-Preuß (FN 20) 203 ff. Schulte (FN 12), Rz 134f. Siehe insbesondere Korinek (FN 31) 327. Dabei kommt es bei rechtsdogmatischer Betrachtung auf die Möglichkeit, dass sich so genannte „diffuse Interessen“ (Holoubek (FN47) 69) im Normerarbeitungsprozess einbringen können, nicht aber auf die - rechtspolitisch oft problematische - Frage an, ob und inwieweit dies von den faktischen Gegebenheiten her tatsächlich möglich ist, weil auch der staatliche Gesetzgebungsprozess nur die potentielle Möglichkeit der Interesseneinbringung, nicht aber ein bestimmte Ergebnis garantiert. Den tatsächlichen Problemen soll in Österreich etwa durch die Einrichtung eines

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Aus rechtsstaatlicher Sicht ist in Österreich insbesondere die Frage der Publikation von für verbindlich erklärten Normen180 erörtert worden.181 Thienel hat dabei dargelegt, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, dass der Text der verwiesenen ÖNORM selbst im Bundes- oder Landesgesetzblatt kundgemacht wird.182 Umstritten ist weiterhin, ob - jeweils unter der Voraussetzung, dass auf diese Umstände im Gesetz jeweils hingewiesen wird - die Auflage der Norm beim ON verbunden mit der Möglichkeit, kostenlos Einsicht zu nehmen bzw sie entgeltlich zu erwerben, ausreicht,183 oder ob jedenfalls die Auflage bei einer staatlichen Einrichtung verbunden mit der Möglichkeit, Kopien gegen Kostenersatz zu erhalten, gegeben sein muss.184 In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass nach herrschender Auffassung den Normungseinrichtungen an den erarbeiteten Normen Urheberrechte zukommen.185 Zur Entschärfung dieser Problematik hat der Bund mit dem ON eine Vereinbarung abgeschlossen, derzufolge das ON die Publikation verwiesener ÖNORMEN gestattet, der Bund dem Normungsinstitut dafür einen pauschalierten Entschädigungsbetrag erstattet.186 Auf Landesebene besteht derzeit keine derartige Regelung. Unstrittig ist nach herrschender Auffassung schließlich, dass Verweisungen auf ÖNORMEN nur in so genannter „statischer“ Form zulässig sind.187 Die Einbindung von europäischen Normen in den Rechtssetzungsprozess im Rahmen der „neuen Konzeption“ ist allerdings weitergehend als „normkonkretisierende gleitende Verweisung“188 ausgestaltet. Allerdings unterscheidet sich die Verbindlichkeit von Normen in der gemeinschaftsrechtlichen Konzeption von Verweisungen im innerstaatlichen Recht. Sie werden durch die Bezugnahme in der Richtlinie und das Normungsmandat der Kommission nicht im Rechtssinne verbindlich, sondern begründen bloß eine widerlegliche Vermutung, dass normkonforme Produkte oder Dienstleistungen den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie entsprechen.189 Insoweit stellen sie eine Fortentwicklung der Regelungstechnik der Verwendung von Technikklauseln dar.190 Insoweit ist

180

181 182 183 184 185 186

187 188 189 190

Verbraucherrats beim ON Rechnung getragen werden, siehe dazu Holoubek (FN 47) 95 f; dort auch zur besonderen Verantwortung staatlicher Vertreter, insbesondere Vertreter der staatlichen Verwaltung in den Normungsgremien für die Anliegen derartiger „diffuser Interessen“. Dass die Auslegung des § 6 Abs 6 NormenG, derzufolge nur der Titel neu geschaffener ÖNORMEN, nicht aber der gesamt Normtext selbst, öffentlich verlautbart wird, für ÖNORMEN an sich aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreicht, dürfte unumstritten sein. Siehe ausführlich Thienel (FN 22) 33 ff mwH. Dies ergibt sich aus Art 49 Abs 2 B-VG, siehe Thienel (FN 22) 35 ff. So wohl Korinek (FN 31) 321. So Thienel (FN 22) 46. Siehe Korinek (FN 31) 321. Siehe Korinek (FN 31) 321 f; verwiesene und entsprechend kundgemachte Normen sind freie Werke im Sinne des § 7 Urheberrechtsgesetz; fraglich ist, ob dies auch für bloß verwiesene, nicht aber kundgemachte Normen gilt, siehe Korinek (FN 31) 322. Thienel (FN 22) 31, 80. Marburger (FN 1) 405 f. Siehe ausführlich oben Punkt IV.A.2. Korinek (FN 31) 322.

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auch der Hinweis berechtigt, dass Richtlinien ein deutliches Mehr an Präzesionsgrad zukommt als derartigen allgemeinen Technikklauseln191 und dass bei derartigen rechtsnormkonkretisierenden Verweisungen der Rahmen des rechtlich Erlaubten durch die Richtlinie abschließend umschrieben wird.192

VI. Umweltnormung193 Beschäftigt man sich mit der Gestaltung, der Herstellung, dem Gebrauch und der Entsorgung von Produkten, ist es klar, dass jedes Produkt - auf welche Weise und mit welcher Intensität auch immer - gewisse umweltrelevante Auswirkungen hat. Gerade der Normung, die sich mit der Optimierung sämtlicher dieser Produktionsstufen beschäftigt, kommen große Einflussmöglichkeiten auf die Umweltaspekte des gesamten Produktzyklus zu. Es war daher nahe liegend, dass sich auch die Kommission194 und die Normungsorganisationen diesem Thema annahmen. Denn wiewohl die Normung von ihrer Grundkonzeption her primär ein Mittel zur Beseitigung von technischen Handelshemmnissen ist, darf nicht übersehen werden, dass Normung eben nicht nur Rationalisierung und Qualitätssicherung für die Wirtschaft und die Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten für Menschen im Umgang mit der Technik bedeutet, sondern zunehmend auch die Berücksichtigung von Umweltaspekten verlangt. Da es von der konkreten Ausgestaltung der Norm abhängt ob und inwiefern Umweltschutz eine Rolle spielt strebt die Kommission eine systematische und verpflichtende Berücksichtigung von Umweltaspekten für alle Interessengruppen und ihre Fachleute, welche die Normen ausarbeiten, an.195 Bis dato wurde vor allem versucht bei der Entstehung von Umweltbelastungen anzusetzen und diese durch umweltgerechte Produktplanung, Entwicklung und Konstruktion bereits im Ansatz zu verhindern. Der produktbezogene Umweltschutz ist besonders innovationsintensiv, da eine disziplinenübergreifende Vorgangsweise vom Maschinenbau über die Prozesstechnik bis hin etwa zum Einsatz neuer Werkstoffe nötig und nützlich ist. In diesem Zusammenspiel kommt den Normen eine besondere Bedeutung zu, da so eine umfassende Interoperabilität gewährleistet werden kann.

191 192 193

194 195

Schmidt-Preuß (FN 20) 209. Schulte (FN 12), Rz 66. Umweltnormung ist jenes Normenwerk privater Normungsorganisationen, das dem Umweltschutz dient. Bereits getroffene Maßnahmen in diesem Bereich sind etwa die Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle, RL 94/62/EG, Abl 1994 L 365/10. In struktureller Hinsicht war das europäische Umweltrecht ursprünglich von materiellen Regelungen dominiert, während Impulse aus dem angloamerikanischen Raum eher hin zu einer vermehrt prozeduralen Ausgestaltung der Steuerungselemente führten. In letzter Zeit ist das Umweltrecht von einem diese beiden Ansätze verbindenden, integrativen Ansatz geprägt, bei dem auch die speziellen Steuerungselemente der Umweltnormung herausgearbeitet werden. Siehe vertiefend Schulte (FN 12). Mitteilung über die Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung, KOM (2004) 130 endg. KOM (2004) 130 endg 11.

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Im Rahmen des produktbezogenen Umweltschutzes steht derzeit die „Integrierte Produktpolitik“ (IPP)196 im Mittelpunkt.197 Gemäß dem Konzept der Integrierten Produktpolitik werden neben der Produktion verstärkt die Umweltauswirkungen der Produkte selbst untersucht und deren gesamter Lebensweg unter diesem Blickwinkel betrachtet. Recyclinggerechte Produktion, die Frage nach Inhaltsstoffen von Produkten und Umweltkennzeichnung seien an dieser Stelle beispielhaft erwähnt. Kennzeichen der IPP ist, dass dabei sämtliche vorhandenen Instrumente198 des Umweltmanagements sowie Umweltschutzauflagen weiterhin Anwendung finden, aber durch Integration in andere Politikbereiche in ein umfassenderes Konzept gestellt werden können. Dadurch kann gewährleistet werden, dass nachteilige Umweltauswirkungen nicht von einem „Lebensabschnitt“ des Produktes einfach auf den nächsten verlagert werden, sondern eben insgesamt eine „ganzheitliche“ Betrachtung im Sinne eines lebenszyklusbezogenen Denkens des jeweils betroffenen Produktes erreicht werden soll, wobei die nachteiligen Auswirkungen in ihrer Gesamtheit minimiert werden sollen. Normung ist dabei nur ein Teilaspekt des Konzeptes der Integrierten Produktpolitik. Auf legislativer Ebene gibt es derzeit noch keine verbindliche Regelung199 für den Umweltschutz im Verhältnis zu den Produkten.200 Die Integration von Umweltschutzaspekten in die Normung ist daher freiwillig. Zur Beseitigung dieser oft als unzureichend bemängelten Rechtslage wird etwa vom Europäischen Umweltbüro (EEB)201 die Verabschiedung einer Richtlinie oder Verordnung verlangt, in der die Umweltschutzanforderungen für Produkte klar geregelt werden, wie beispielsweise etwa einer Art „Normen-UVP“. Dringend erforderlich sei zudem eine Richtlinie über Umwelthaftung und die Änderung von Mandaten an die Europäischen Normungsorganisationen CEN/CENELEC und ETSI, damit Umweltschutzinteressen künftig obligatorisch beachtet werden müssen. 196

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Die integrierte Produktpolitik ist ein Konzept der Umweltpolitik, das sich von herkömmlichen umweltpolitischen Ansätzen insoferne unterscheidet, als es alle Produkte und Dienstleistungen sowie ihre Umweltauswirkungen umfasst und dabei den Gesichtspunkt des Produktlebenszyklus (Rohstoffgewinnung, Rohstoffverarbeitung, Fertigung, Vertrieb, Nutzung und Entsorgung) zum obersten Prinzip erhebt sowie eine Verlagerung der Umweltprobleme zwischen verschiedenen Umweltmedien vermeidet. Vgl näher das Grünbuch der Kommission zur integrierten Produktpolitik, KOM(2001) 68 endg. Weiters ist auf die Umweltauswirkungen elektrotechnischer und elektronischer Geräte (EEE) hinzuweisen. Beispielsweise seien etwa EMAS-Umweltmanagement- und Umweltbetriebsprüfungssystem, Umweltzeichen, Umweltsteuern oder dergleichen genannt. Zwar stellt die Mitteilung der Kommission über die Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der europäischen Normung nur eine unverbindliche Aufforderung aller Betroffenen dar, Umweltschutz nachhaltig in die Normung einzubeziehen. Jedoch hat die Kommission als praktische Konsequenz dieser Politik den europäischen Normungsgremien beispielsweise bereits ein Mandat für die Planung von Normungsarbeit im Bereich des Öko-Designs energiebetriebener Produkte erteilt. Obwohl es für Produktionsverfahren zwar eine europäische Umweltgesetzgebung gibt, beschränkt sich die Gesetzgebung bezogen auf Produkte jedoch auf einige wenige Fälle. European Environmental Bureau; www.eeb.org.

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Die Integrierte Produktbetrachtung fand jedoch auf anderer als legislativer Ebene Beachtung: Konkret schlugen sich diese Überlegungen im CEN System Handbuch202 „Betrachtung des gesamten Lebensweges eines Produktes“ nieder. Dieses statuiert die Aufgabe jedes mit der Normungsarbeit befassten Technischen Komitees, sämtliche Umweltaspekte, die in Zusammenhang mit dem Produkt, das genormt werden soll, stehen, genau zu identifizieren.203 Diese Arbeiten sollen möglichst schon im Zeitpunkt der Zuweisung der Norm an das Technische Komitee, spätestens aber im Zeitpunkt der Bearbeitung der einzelnen Entwürfe aufgenommen werden, um Verzögerungen der Normungsarbeit zu vermeiden. Wurde eine Auswahl getroffen, welche dieser identifizierten möglichen Auswirkungen des Produktes durch den zu schaffenden Standard tatsächlich beeinflusst werden können, so ist das Technische Komitee gehalten, sie in die Anforderungen der Norm mit einzubeziehen und eine Dokumentation über die Ergebnisse der Erarbeitung der Umweltaspekte, die in Folge getroffenen Entscheidungen und die Lebensphase des Produktes zusammenzustellen und sie der Norm beizufügen. Auf diesem Wege können schließlich die Normen dazu beitragen, potentielle negative Umweltauswirkungen des genormten Produktes zu minimieren.204

202 203

204

CEN System Handbook, 31.03.2000, Environmental guidelines. Zur Vereinfachung und Beschleunigung enthält das CEN-Systemhandbuch im Anhang eine auf Produktnormen zugeschnittene, vorläufige Checkliste über umweltrelevante Aspekte in Normen, die tunlichst angewendet werden sollten. Als mögliche Umweltrelevante Aspekte werden hier genannt: Verbrauch von Ressourcen, Energieverbrauch, Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Abfall, Lärm, Verbreitung gefährlicher Substanzen, Einwirkungen auf die Bodenbeschaffenheit und Umweltrisken durch Unfälle und Missbrauch. Als weitere Reaktionen der Normungsgremien auf Umweltschutzanforderungen sind etwa der beim DIN eingerichtete Normungsausschuss Grundlagen des Umweltschutzes (NAGUS), das bei CEN eingerichtete SABE (Strategic Advisory Body on Environment), das CEN-Planungskomitee PC-7 „Umwelt“ die Arbeitsgruppe „Umweltaspekte in Produktnormen“, das ISO/TC 207 „Umweltmanagement“, der von ihm erarbeitete ISO-Leitfaden 64 über die Berücksichtigung von Umweltaspekten in Produktnormen sowie die ISO-Norm 14040 „Umweltmanagement - ProduktÖkobilanz - Prinzipien und allgemeine Anforderungen“ zu nennen.

Michael Holoubek

Kapitel 2: Akkreditierung und Zertifizierung Rechtsgrundlagen ...........................................................................................503 Grundlegende Literatur...................................................................................504 I. Grundlagen ................................................................................................504 A. Begriffsbestimmungen ...........................................................................504 1. Akkreditierung ..................................................................................504 2. Prüfung..............................................................................................504 3. Überwachung ....................................................................................505 4. Zertifizierung.....................................................................................505 5. Kalibrierung ......................................................................................505 B. Historischer Hintergrund ......................................................................505 C. Ökonomischer Hintergrund...................................................................506 II. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................507 III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ..................................................508 A. Globales Konzept...................................................................................508 B. Europäische Organisation für Prüfung und Zertifizierung (EOTC) .....509 IV. Die Regelungen des Akkreditierungsgesetzes (AkkG) ........................510 A. Akkreditierungsverfahren ......................................................................510 1. Voraussetzungen für die Akkreditierung ..........................................510 2. Versicherungspflicht .........................................................................512 3. Entscheidung mittels Bescheid..........................................................512 4. Aufsicht über die akkreditierten Stellen ............................................513 5. Aufgaben akkreditierter Prüf- und Überwachungsstellen Abgrenzung zur Zertifizierung .........................................................514 B. Zertifizierungsverfahren ........................................................................514 C. Rechtliche Einordnung von Akkreditierung und Zertifizierung.............515 1. Das hoheitliche Akkreditierungsverhältnis zwischen Akkreditierungsstelle (BMWA) und „benannter“ Stelle ..................515 2. Das Konformitätsprüfungsverhältnis als privates vertragliches Leistungsrechtsverhältnis..................................................................516 V. Sonderbestimmungen für elektronische Signaturen.............................525 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht Entschließung der Rates vom 21. Dezember 1989 zu einem Gesamtkonzept für die Konformitätsbewertung, Abl 1990 C 10/1; Mitteilung KOM(89) 209 endg, Abl 1989 C 267/3; Beschluss 93/465/EWG, Abl 1993 L 220/23; Europäische Normenserie EN 45000 (alt) / EN ISO/IEC 17025 (neu);

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Innerstaatliches Recht Akkreditierungsgesetz (AkkG), BGBl 1992/468 idF 85/2002; AkkreditierungsgebührenVO, BGBl 1994/70 idF BGBl 2001 II/490; AkkreditierungsversicherungsVO, BGBl 1997 II/13 idF BGBl 2001 II/490; AkkreditierungszeichenVO, BGBl. II Nr. 186/1997.

Grundlegende Literatur: Hansen, Zertifizierung und Akkreditierung von Produkten und Leistungen der Wirtschaft, 1993; Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung im Produktsicherheitsrecht, 2000; Röhl, Konformitätsbewertung im Europäischen Produktsicherheitsrecht, in: SchmidtAßmann/Schöndorf-Haubold, Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005, 153; Wloka/ Gloze, Akkreditierung und Qualitätssicherung für das Prüfwesen in Europa, 1994.

I. Grundlagen A. Begriffsbestimmungen 1. Akkreditierung Akkreditierung ist die formelle Anerkennung der Kompetenz hinsichtlich Qualifikation und Ausstattung einer Stelle,1 bestimmte Tätigkeiten sach- und anforderungsgerecht auszuführen bzw ausführen zu können. Akkreditierung bedeutet also, dass Prüflaboratorien, Zertifizierungs- und Inspektionsstellen regelmäßig2 von Dritten, den Akkreditierungsstellen, nach öffentlich bekannt gegebenen technischen Kriterien auf ihre fachliche Leistungsfähigkeit hin geprüft und bewertet werden. Als neutrale Bewertung ist die Akkreditierung ein wichtiger Beitrag zur Schaffung und Erhaltung von Vertrauen in diese Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen. In Österreich obliegen gem § 8 Akkreditierungsgesetz - zumindest auf Ebene des Bundes - ausschließlich dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit die Aufgaben einer Akkreditierungsstelle.

2. Prüfung Prüfung ist ein technischer Vorgang zur Ermittlung eines oder mehrerer Kennwerte eines bestimmten Produktes, Verfahrens oder einer Dienstleistung, der gemäß einer vorbestimmten, einheitlich festgelegten Verfahrensweise durch eine Stelle, deren Kompetenz hiefür durch die Akkreditierungsstelle bestätigt wurde, durchzuführen ist.

1 2

In Betracht kommen Prüf-, Überwachungs-, Zertifizierungs-, Kalibrier- und Beglaubigungsstellen. Gemäß § 13 Abs 1 AkkG beträgt die Frist für die periodisch wiederkehrende Überprüfung der akkreditierten Stelle längstens fünf Jahre. Zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen oder anderer Vorschriften als jener des AkkG kann der Akkreditierungsbescheid auch kürzere Intervalle vorsehen. Liegen wichtige Gründe (etwa Strafanzeigen oder begründeter Verdacht des Vorliegens von Entziehungsgründen) vor, so kann die Akkreditierungsstelle die akkreditierte Stelle jederzeit einer Überprüfung unterziehen (§ 13 Abs 2 AkkG).

Technisches Sicherheitsrecht: Akkreditierung und Zertifizierung

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3. Überwachung Überwachung ist die Untersuchung eines Erzeugnisses, seiner Bauart, einer Dienstleistung, eines Verfahrens oder einer technischen Anlage und der Feststellung ihrer Konformität mit besonderen oder allgemeinen Anforderungen durch einen Sachverständigen oder eine sachverständige Stelle, dessen oder deren Kompetenz hiefür durch die Akkreditierungsstelle anerkannt wurde.

4. Zertifizierung Zertifizierung ist die förmliche Bescheinigung der Konformität von Produkten, Verfahren oder Dienstleistungen mit einschlägigen Rechtsvorschriften, Normen und anderen normativen Dokumenten durch einen unparteiischen Dritten, der für diese Tätigkeit von einer befugten Stelle - also im Anwendungsbereich des AkkG von der Akkreditierungsstelle - akkreditiert ist. Eine Zertifizierungsstelle ist somit eine Stelle, die Zertifizierungen der Konformität durchführt, und deren Kompetenz hiefür von einer Akkreditierungsstelle bestätigt wurde.3

5. Kalibrierung Kalibrierung ist die Zuordnung von angezeigten zu den zugehörigen bekannten Werten einer Messgröße. Kalibrierstellen sind von der Akkreditierungsstelle im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft zu akkreditieren. Eine Kalibrierung ersetzt nicht die Eichpflicht gemäß Maß- und Eichgesetz.4

B. Historischer Hintergrund Bis zum Jahre 1992 war das Zertifizierungs- und Akkreditierungswesen in Österreich durch das Gesetz vom 9. September 1910 betreffend das technische Untersuchungs-, Erprobungs- und Materialprüfwesen, besser bekannt unter dem Synonym „Lex Exner“,5 geregelt. Erst mit dem Beitritt zum EWR sowie darauf folgend zur Europäischen Union, in welcher bereits zu diesem Zeitpunkt das „Neue Konzept“ der Normung sowie das „Globale Konzept“ für Zertifizierung und Prüfwesen6 ausgearbeitet und in Verwendung waren, und aufgrund der Unterzeichnung des „EFTA-Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Prüfzeugnissen und Konformitätsnachweisen“7 war es notwendig geworden, die Rechtslage so zu ändern, dass nach Inkrafttreten dieses Abkommens Prüfstellen benannt werden konnten, die nach den ISO-Richtlinien 25 und 38, in weiterer Folge umgesetzt in der europäischen Normenserie 45000, von einer nationalen Akkreditierungsstelle auf die Erfüllung der in diesen Normen enthaltenen Anforderungen hin überprüft worden waren. Diesen Vorgaben entsprechend orientierte man sich an den Grundsätzen der 3 4 5 6 7

Zur Tätigkeit einer Zertifizierungsstelle vgl §§ 31 - 35 AkkG. Vgl Binder, Vermessungswesen - Messwesen - Eichwesen. RGBl 1910/185; Abgedruckt bei Sladecek/Dübell/Mayer (Hrsg), Das Österreichische Normenwesen, 1972, 16f. Zu diesen Konzepten siehe unten Punkt III bzw zu einer umfassenden Darstellung Holoubek, Normung. BGBl 1990/593.

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Gleichstellung ausländischer mit inländischen Prüf- und Überwachungsberichten sowie Zertifizierungen bei Gleichwertigkeit und Gegenseitigkeit.

C. Ökonomischer Hintergrund Das auf der Grundlage des „Neuen Konzeptes der Normung“ sowie dem „Globalen Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen“8 beruhende Produktsicherheitsrecht der Europäischen Union dient neben seiner Funktion zur Gewährleistung von Sicherheit für Konsumenten und Umwelt vor allem dem Funktionieren des freien Binnenmarktes. Während sich das „Neue Konzept der Normung“ um die Schaffung einheitlicher Vorschriften für Produkte bemüht und einheitliche Verfahren für die Konformitätsbewertung der Produkte mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen der Harmonisierungsrichtlinien entwirft, dient das „Globale Konzept“ der Beseitigung von Handelshemmnissen, die durch die Nichtanerkennung einmal durchgeführter Konformitätsbewertungen entstehen können. Durch die Schaffung eines europaweit einheitlichen und vor allem transparenten Systems der Beurteilung von Produkten wird dafür Sorge getragen, dass sämtliche zur Überprüfung der Konformität von Produkten zugelassenen Stellen einem einheitlichen, konstanten Qualitätsniveau entsprechen und daher die gemeinschaftsweite Anerkennung einer einmal durchgeführten Produktprüfung, die europaweit nach einheitlichen Kriterien vorgenommen wird, vorgeschrieben werden kann, dabei aber auch das Vertrauen der Konsumenten in das europäische Produktrecht gestärkt wird. Das an einem Produkt angebrachte CE-Kennzeichen bestätigt den positiven Abschluss eines in der betreffenden Richtlinie geforderten Konformitätsbewertungsverfahrens und fungiert insoweit als Warenpass, als das Produkt jedenfalls gemeinschaftsweit in Verkehr gebracht werden kann und kostspielige weitere Produktprüfungen unterbleiben.9 Nicht nur die mit dem CE-Kennzeichen verbundene freie Handelbarkeit und die Erlaubnis zum freien Inverkehrbringen des Produktes sondern vor allem auch das durch dieses transparente und in allen Mitgliedstaaten gleiche Verfahren erzielbare gegenseitige Vertrauen in die Produktqualität und die Qualität der Überprüfung sind es, die zur Vollendung eines nicht nur potentiellen Binnenmarktes und damit zur Förderung eines umfassenden gemeinschaftsinternen Wettbewerbes beitragen sollen.

Aber nicht nur die Produkte treten in ungehinderten Wettbewerb zueinander, auch die akkreditierten Stellen, denen die Möglichkeit geboten wird, in einem einheitlichen und transparenten System ihre Kompetenz, Unbescholtenheit und Unabhängigkeit nachzuweisen, können durch diesen Nachweis gemeinschaftsweit als Konformitätsbewertungsstellen auftreten und so mit anderen gleichartigen Stellen in einen „Qualitätswettbewerb“ treten. Das „Zertifizierungswesen“ und der Zertifizierungsmarkt haben mittlerweile ökonomisch bedeutende Ausmaße erreicht. Auch wenn in diesem Kapitel entsprechend seiner systematischen Stellung in diesem Handbuch die Produktzertifizierung im Vordergrund steht ist doch darauf hinzuweisen, dass ein wesentlich Trend in diesem Bereich heute im Bereich eines umfassenderen Qualitätsmanagements liegt, der insbesondere die Zertifizierung ganzer unternehmensinterner Ablaufsysteme erfasst. Aus der Sicht der Unternehmen geht es

8 9

Siehe dazu näher unter Punkt III/A. Zur Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Schutzklausel vgl Holoubek, Normung.

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hier vielfach im Rahmen der Wertschöpfungskette darum, die „Qualität“ von Lieferanten im Wege einer so genannten „Systemzertifizierung“ bescheinigt zu erhalten. Daneben tritt heute verstärkt auch die so genannte „Personalzertifizierung“. Im Rahmen des Qualitätsmanagements kommt dabei der Zertifizierung von unternehmensinternen Abläufen für Dienstleistungserbringungen immer mehr Bedeutung zu. Einen wesentlichen Bestandteil von Systemzertifizierungen stellen so genannte „Audits“ dar.10 Bei diesen konzentriert sich die Untersuchung nicht auf einzelne Produkte, sondern versucht, die jeweiligen Qualitätssicherungssysteme selbst zu überwachen und zu evaluieren. Umwelt-Audit und EMAS-Prüfung im Bereich des Umweltmanagements kommt hier wegweisende Funktion zu. Auch im Bereich des Arzneimittel- und Medizinprodukterechts sind Audits mittlerweile präsent,11 da Qualitätsmanagementsysteme aus der modernen Medizin, aufgrund der Notwendigkeit, genau definierte Vorgaben einzuhalten, nicht mehr wegzudenken sind.12 Mit diesen Entwicklungen haben sich auch die grundlegenden Zielsetzungen der Zertifizierung weiter entwickelt: Steht bei der Produktzertifizierung im Rahmen der Konformitätsbescheinigung mit einer Norm vor allem im Vordergrund, Schwachstellen des Produkts, also ein Unterschreiten grundlegender Sicherheitsanforderungen, auszuschließen, ist die Systemzertifizierung grundsätzlich - orientiert an entsprechenden benchmarks - auf eine besondere Leistungsfähigkeit der Systeme ausgerichtet. Die Zielsetzung der Zertifizierung liegt hier insbesondere auch darin, im Rahmen des Prozesses - insbesondere unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Audits - Verbesserungspotentiale im Prozess zu erkennen und in den Prozess zu integrieren, um auf diese Weise die Leistungsfähigkeit des Systems als Ergebnis des Zertifizierungsprozesses möglichst zu optimieren.13

II. Kompetenzrechtliche Einordnung Im Zuge der Ausarbeitung des Akkreditierungsgesetzes (AkkG) ging ursprünglich der Ministerialentwurf des damaligen Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten von einer umfassenden Bundeskompetenz aus. Diese Ansicht stützte sich auf eine „Versteinerungsargumentation“ unter Rückgriff auf das Gesetz vom 9.9.1910 betreffend das technische Untersuchungs-, Erprobungs- und Materialprüfungswesen, „Lex Exner“,14 sowie darauf, dass Art 102 Abs 2 B-VG das „technische Versuchswesen“ zu jenen Angelegenheiten zählt, 10

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14

Audit, lateinisch für Anhörung, steht für die Untersuchung bestimmter Abläufe und kommt ursprünglich aus der Unternehmensführung (Personal- und Rechnungswesen). Vom Gesetzgeber wird dieser Begriff vor allem für die Evaluierung interner Qualitätssicherungsmaßnahmen herangezogen. So spricht bspw. § 2 Z 11 IndustrieunfallVO (BGBl II 354/2002), von Auditierung als einer „systematischen, nach festgelegten Regeln von einer unabhängigen Stelle durchgeführten Untersuchung.“ Siehe dazu § 47 AMG und § 56 MPG (BGBl 657/1996 idF BGBl I 119/2003). Vgl Z 18 der RV BG, mit dem das MPG geändert wird, aus 1996 zu § 56 Abs 1 MPG (BGBl 657/1996 idF BGBl I 119/2003). Für eine nähere Betrachtung von Struktur und Ablauf der Auditverfahren und insbes des Umwelt-Audit s Fuchs, Strukturen und Merkmale neuer Verwaltungsverfahren (Diss., Univ. Wien). Vgl FN5.

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die in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden können.15 Insbesondere auf Grund eines Gutachtens des Bundeskanzleramt-Verfassungsdienstes,16 das darlegte, dass Art 102 Abs 2 B-VG für sich keine Kompetenzgrundlage für ein umfassendes Akkreditierungsgesetz des Bundes biete, ging der Gesetzgeber in der Folge davon aus, dass das technische Versuchs- bzw Prüfwesen als Annexmaterie anzusehen ist.17 Das Akkreditierungsgesetz trägt dieser Auffassung Rechnung, indem es in seinem § 1 Abs 2 zum Einen seinen Geltungsbereich auf Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen in jenen Sachmaterien beschränkt, in denen der Bund sowohl für die Gesetzgebung als auch die Vollziehung zuständig ist. Zum Zweiten gilt das Akkreditierungsgesetz gemäß § 1 AkkG nur für jene Sachgebiete, in denen die einschlägigen Materiengesetze keine speziellen Regelungen über die Akkreditierung vorsehen, es kommt also auch im Bundesbereich nur subsidiär zur Anwendung.

III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen A. Globales Konzept Akkreditierung und Zertifizierung stehen im Zusammenhang mit der „Neuen Konzeption“ der europäischen Produktpolitik. Rasch wurde dabei erkannt, dass dieses neue Konzept einer Ergänzung hinsichtlich der Bewertung der Konformität bedurfte, die 1989 im „Globalen Konzept“ der Konformitätsbewertung18 erfolgte. Dieses sieht den Aufbau und Betrieb eines europaweit einheitlichen und transparenten Systems der Akkreditierung und Zertifizierung, also einer europäischen Qualitätssicherungsinfrastruktur vor, die sich jedoch nicht nur auf den gemeinschaftsrechtlich reglementierten, also harmonisierten Bereich beschränkt, sondern sich auch auf den nichtreglementierten Bereich auswirken soll, indem etwa Vereinbarungen zwischen den in diesen Bereichen tätigen Stellen über die gegenseitige Anerkennung von Zertifizierungen und Prüfungen gefördert werden. Als Basis für dieses System dienten lange Zeit die ISO-Richtlinien 25 und 38, die in der europäischen Normenserie EN 45000 umgesetzt worden sind. Diese Normen erfuhren in der Zwischenzeit eine Überarbeitung, die einschlägigen Normen finden sich nunmehr in der Norm EN ISO/IEC 17025. Zur Erreichung dieses Zieles der Gewährleistung der Transparenz der einzelnen Systeme der Konformitätsbewertung und insbesondere der Wahrung bzw. Herstellung einer Vergleichbarkeit der Kompetenz der Prüf-, Zertifizierungs- und Überwachungsstellen wurden • jene Normen, welche für die Organisation und die Arbeitsweise der Prüf-, Zertifizierungs- und Überwachungsstellen gelten, harmonisiert, 15 16 17 18

Siehe dazu Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlagen für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, bbl 2001, 175 (181). Zitiert bei Gutknecht (FN15), 181. Vgl EB RV 508 BlgNR 18.GP S 11. Entschließung der Rates vom 21. Dezember 1989 zu einem Gesamtkonzept für die Konformitätsbewertung, Abl 1990 C 10/1; Mitteilung KOM(89) 209 endg, Abl 1989 C 267/3; Beschluss 93/465/EWG, Abl 1993 L 220/23

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• •

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jene Normen, die für die Organisation und die Arbeitsweise der staatlichen Akkreditierungsstellen gelten, die die vorgenannten Stellen akkreditieren, harmonisiert, diejenigen nationalen Systeme harmonisiert, die die Akkreditierungsstellen bestimmen (Akkreditierungssysteme).

Konkret bedeutet dies, dass das System der Konformitätsbewertung und Akkreditierung derartig organisiert ist, dass an oberster Stelle nationale Akkreditierungsstellen vorgesehen werden. Den Mitgliedstaaten bleibt es hierbei unbenommen, diese Stellen staatlich oder privat einzurichten bzw eine oder mehrere solcher Akkreditierungsstellen zu schaffen; gefordert ist nur die Letztverantwortung der nationalen Behörden. Aufgabe der so geschaffenen Akkreditierungsstellen ist die Aufsicht über und die Benennung jener Stellen, die unmittelbar die Konformitätsbewertungen, Prüfungen oder Überwachungen durchführen. Dies geschieht ausgehend von den einzelnen Harmonisierungsrichtlinien und unter Verwendung eines Regimes, das durch den Beschluss des Rates vom 22. Juli 1993 über die in den technischen Harmonisierungsrichtlinien zu verwendenden Module für die verschiedenen Phasen der Konformitätsbewertungsverfahren und die Regeln für die Anbringung und Verwendung der CE-Konformitätskennzeichnung19 eingeführt wurde:

Um eine bestimmte Richtlinie umzusetzen, müssen die darin vorgesehenen Standards überprüft werden. Die Akkreditierungsstelle wählt für diese Aufgabe unter den technisch einschlägig kompetenten Stellen jene aus, die den zur Durchführung der Konformitätsprüfung notwendigen Mindestanforderungen der Richtlinie hinsichtlich Qualifikation, Ausstattung und Integrität entsprechen. Hinsichtlich dieser Anforderungen sind die solcherart ausgewählten bzw „benannten“ Stellen von der Akkreditierungsstelle laufend zu überprüfen. Auch der nachträgliche Entzug der Akkreditierung ist möglich, muss den übrigen Mitgliedstaaten allerdings zur Kenntnis gebracht werden.20 Diese Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen sind nun berechtigt, anhand der von der Harmonisierungsrichtlinie vorgegebenen Konformitätsbewertungsverfahren die konkrete Leistung, das konkrete Produkt oder die konkrete Person auf ihre Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie hin zu überprüfen, zu überwachen bzw. bei bestätigter Konformität das entsprechende Zertifikat auszustellen.

B. Europäische Organisation für Prüfung und Zertifizierung (EOTC21) Um die Vorteile des beschriebenen Systems der Organisation, Zertifizierung und Akkreditierung im Bereich der Europäischen Normung einerseits auch auf jene Bereiche ausdehnen zu können, die nicht durch Harmonisierungsrichtlinien erfasst sind, in denen also die Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung der 19 20

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FN 18. Die Verpflichtung einen solchen Entzug zu melden, ergibt sich aus der Befugnis der einmal benannten Stellen, gemeinschaftsweit als Zertifizierungsstelle tätig zu werden. European Organisation for Conformity Assessment, früher European Organisation for Testing and Certification. Die Kurzbezeichnung EOTC wurde jedoch ungeachtet der geänderten und der Tätigkeit des ETOC besser entsprechenden Bezeichnung beibehalten.

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grundlegenden Sicherheitsanforderungen frei sind,22 und andererseits auch die gegenseitige Anerkennung von Prüfungen und Zertifizierungen mit bzw zwischen Drittstaaten zu fördern, wurde 1990 in Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission, der EFTA und den Europäischen Normungsorganisationen die Europäische Organisation für Prüfung und Zertifizierung, EOTC, ins Leben gerufen. Ihre Aufgaben bestehen darin, durch die Organisation von Konferenzen und Foren die Rahmenbedingungen für einen Informationsaustausch, gegenseitige Vertrauensbildung und schließlich für den Abschluss von internationalen Abkommen über die gegenseitige Anerkennung zu schaffen.

IV. Die Regelungen des Akkreditierungsgesetzes (AkkG) A. Akkreditierungsverfahren 1. Voraussetzungen für die Akkreditierung a) Gemeinsame Voraussetzungen für Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen Für sämtliche zu akkreditierende Stellen normiert das Akkreditierungsgesetz gemeinsame, von diesen zu erfüllende Voraussetzungen:23 Um eine strikte Trennung von Prüfer und Geprüftem im Interesse des Vertrauens Außenstehender in das System von Zertifizierung und Akkreditierung gewährleisten zu können, muss sowohl die zu akkreditierende Stelle als auch deren jeweiliges Personal frei von kommerziellem, finanziellem und anderem Einfluss sein, der das von ihr abzugebende, rein auf Sachverstand basierende Urteil beeinflussen könnte. So dürfen weder die Zertifizierungsstelle noch ihr Personal anders als im Rahmen der Prüfung, Überwachung oder Zertifizierung mit dem Produkt oder der Leistung, das oder die es zu beurteilen gilt, befasst werden.24 Beteiligungen an der Entwicklung, der Herstellung oder dem Vertrieb des Produktes sind daher ebenso unzulässig und mit der Tätigkeit als benannte Stelle nicht vereinbar, wie der Besitz etwaiger Rechte in diesem Zusammenhang.25 Weiters darf das Entlohnungsschema des Personals weder an das Ergebnis noch die Anzahl der durchgeführten Prüfungen geknüpft sein. Hinsichtlich der Organisation der zu akkreditierenden Stelle normiert das Akkreditierungsgesetz die Notwendigkeit eines gesamtverantwortlichen Leiters, eines Zeichnungsberechtigten für jedes Fachgebiet, der - im Falle einer Zertifizierungs- oder Überwachungsstelle - auf dem Gebiet der Qualitätssicherung ausgebildet sein muss, der entsprechenden Qualifizierung und Zuverlässigkeit des Personals sowie der Ausstattung mit geeigneten Räumlichkeiten und Einrichtungen. Die Begründung hiefür findet sich in 22

23 24

25

Freilich bedeutet dies für die Mitgliedstaaten nicht, dass sie unbegrenzte Spielräume zur Ausgestaltung dieser Anforderungen zur Verfügung haben. Das Primärrecht, insbesondere die Grundfreiheiten des EGV setzen den mitgliedstaatlichen Regelungsspielräumen auch hier Grenzen. Vgl §§ 18 bis 21 bzw 23 AkkG. Dies stellt eine bedeutende Hürde für „Werksprüfstellen“ dar. Hier werden diese Anforderungen hinsichtlich Unabhängigkeit in der Praxis so verstanden, dass zwischen Produktion und Vertrieb und der Werksprüfstelle eine derartige Trennung bestehen muss, dass das Prüflaboratorium quasi als „third party“ agieren kann. Zu denken wäre hier etwa an Immaterialgüterrechte.

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den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Stammfassung des Akkreditierungsgesetzes:26 Das hohe Maß der Anforderungen ergebe sich schon aus dem Charakter der Prüfberichte als öffentliche Urkunden, daher müsse ein besonderes Maß der Zuverlässigkeit des verantwortlichen Personals gefordert werden. Als Gründe, die ein besonderes Maß an Zuverlässigkeit und Integrität ausschließen könnten, nennen die Materialien etwa das Vorliegen von Verwaltungsstrafen oder gerichtlicher Strafen. In Entsprechung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, ein Akkreditierungssystem gemäß der europäischen Normenserie 45000 sowie EN 29000 zu schaffen, ist im Akkreditierungsgesetz das Bestehen eines Qualitätssicherungsverfahrens, das nicht nur abstrakt beschrieben sein darf, sondern konkrete Auswirkungen auf die Prüftätigkeit haben und geeignet sein muss, die Qualität derselben effektiv zu sichern, als zwingende Voraussetzung vorgesehen. Das Qualitätssicherungssystem muss schließlich in einem Qualitätssicherungshandbuch festgehalten sein, welches dem bei der zu akkreditierenden Stelle tätigen Personal tatsächlich zur Verfügung stehen muss.

Um den sich ständig ändernden Anforderungen entsprechen zu können, ohne dass dafür jeweils das Akkreditierungsgesetz geändert werden müsste, enthält § 22 AkkG eine Verordnungsermächtigung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, unter näher bezeichneten Umständen zusätzliche obligatorische Voraussetzungen für eine Akkreditierung zu schaffen. Die von den Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen zu erfüllenden konkreten materiellen Voraussetzungen für ihre Akkreditierung, die zu den allgemeinen Anforderungen hinsichtlich Integrität und Unabhängigkeit hinzutreten, werden in den einzelnen Harmonisierungrichtlinien genannt: Sie bestimmen sich nach den Eigenschaften und Beschaffenheiten des jeweils zu prüfenden, überwachenden oder zu zertifizierenden Gegenstandes.

b) Besondere Voraussetzungen für Zertifizierungsstellen Während Prüf- und Überwachungsstellen auf Grund eines Antrages mittels Bescheid akkreditiert werden, erfolgt die Akkreditierung von Zertifizierungsstellen mittels Verordnung, ohne dass irgendjemandem ein Rechtsanspruch auf die Akkreditierung zukommt.27 Diese besondere Behandlung von Zertifizierungsstellen entspringt dabei weniger einer besonderen Eigenart ihrer Tätigkeiten sondern vielmehr einer internationalen Praxis, in (produkt-)spezifischen Fachbereichen, die in der Regel dem Anwendungsbereich einer Harmonisierungsrichtlinie entsprechen, nur eine beschränkte Anzahl von Zertifizierungsstellen zuzulassen und zu benennen.28 Wäre ein einheitliches Zulassungsverfahren mit Antrag und Zulassung mittels Bescheid auch für die Akkreditierung von Zertifizierungsstellen gewählt worden, so wäre die Zahl der zu benennenden Stellen erheblich größer als bei der gewählten Vorgangsweise, was jedoch nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage dem Gesetzgeber zum damaligen Zeitpunkt nicht opportun erschien.29 26 27 28 29

Vgl FN17. § 17 Abs 5 AkkG. Vgl RV 508 BlgNR (FN17), ad § 17. Diese Regelung dürfte, weil sie die Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des Handelns der Akkreditierungsstelle und damit jeden Rechtsschutz von Zulassungswerbern ausschließt, verfassungswidrig sein (siehe schon Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht1, 1998, RZ 783/ FN71); zur Verpflichtung des Gesetzgebers, aus rechtsstaatlichen Gründen keine im Rechtsschutzsystem nicht aufgreifbaren Entscheidun-

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Neben den gemeinsamen Erfordernissen für die Akkreditierung, wie sie bereits oben dargestellt wurden, haben Zertifizierungsstellen noch zusätzlich die in § 17 AkkG genannten Voraussetzungen zu erfüllen: Ausgehend von den Zielvorgaben und dem wirtschaftlichen Hintergrund des Gesamtkonzeptes des Akkreditierungswesens muss die Zertifizierungsstelle erwarten lassen, dass ihre Zertifikate international anerkannt werden. Weiters wird gefordert, die Zertifizierungsstelle müsse Gewähr für eine ordnungsgemäße Zertifizierungstätigkeit bieten, die Zertifizierungsstelle müsse ein Lenkungsgremium aufweisen, dem die Festlegung der Geschäftspolitik der Stelle, die Aufsicht und die Umsetzung derselben sowie die Aufsicht über ihre Gebarung übertragen sind, und schließlich ein Verfahren zur Behandlung von Beschwerden vorsehen.

2. Versicherungspflicht Um eventuellen, sich im Rahmen ihrer Zertifizierungstätigkeit ergebenden Schadenersatzpflichten nachkommen zu können, werden die Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen nach § 24 AkkG außerdem verpflichtet30 eine Versicherung abzuschließen.31

3. Entscheidung mittels Bescheid Erfüllt eine Prüf- oder Überwachungsstelle die bereits genannten Voraussetzungen zu ihrer Akkreditierung und strebt sie eine solche nach dem Akkreditierungsgesetz für dessen Geltungsbereich an, so hat sie beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit einen diesbezüglichen schriftlichen Antrag einzubringen, der sämtliche wesentlichen Angaben gemäß § 9 AkkG zu enthalten hat. Entscheidende Bedeutung kommt hierbei der Angabe der genauen Art der Akkreditierung, des angestrebten Fachgebietes, der durchzuführenden Prüfverfahren, der Namen der verantwortlichen Personen, Angaben über die einschlägigen Qualifikationen des Fachpersonals sowie über das Qualitätssicherungshandbuch, eine Dokumentation zur Beschreibung der besonderen Methoden und Verfahren zur Erreichung des Qualitätszieles, zu, wobei per Verordnung des BMWA als Akkreditierungsstelle weitere Antragserfordernisse bestimmt werden können.

Liegt ein solcher Antrag vor, so überprüft die Akkreditierungsstelle das Vorliegen sämtlicher genannter Voraussetzungen. Zu diesem Zweck kann sie sich einschlägiger, speziell qualifizierter Sachverständiger bedienen, und, bei Zweckmäßigkeit, zusätzlich, niemals jedoch ausschließlich, auch die Teilnahme der antragstellenden Stelle an einer Eignungs- oder Vergleichsprüfung auf deren Kosten anordnen, wenn dadurch weder unverhältnismäßige Kosten noch eine ungebührliche Verzögerung des Zulassungsver-

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gen der staatlichen Verwaltung zu ermöglichen, die Rechtspositionen der Rechtsunterworfenen gestalten bzw in diese eingreifen, siehe VfSlg 14295/1995, 13699/1994, 13223/1992. Ebenso ist diese Verpflichtung in den einzelnen Materiengesetzen wie dem § 28 KesselG (BGBl.Nr. 211/1992) oder beispielsweise auch im § 147 der MaschinensicherheitsVO (BGBl.Nr. 306/1994 idF BGBl. II Nr. 62/2006) wiedergegeben. Die Mindesthöhe der Pauschaldeckungssummen von Versicherungsverträgen für Personen-, Sach- und Vermögensschäden, die von Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen gemäß § 24 Abs. 3 Akkreditierungsgesetz, abzuschließen sind, finden sich in § 2 der Akkreditierungsversicherungsverordnung (BGBl. II Nr. 13/1997).

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fahrens bewirkt werden. Erfüllt der Antragsteller die Voraussetzungen einer Akkreditierung für die beantragte Akkreditierungsart, so hat die Akkreditierungsstelle die begehrte Akkreditierung mittels Bescheid auszusprechen.32 Der Inhalt des Bescheides entspricht dabei den notwendigen Angaben des Antrages, listet also die erteilten Befugnisse der Stelle anhand festgelegter Prüfungsverfahren detailliert auf und enthält weiters Angaben über die jeweils verantwortlichen Personen und die Geltungsdauer der Akkreditierung. Zur flexiblen Gestaltung dieses Systems und im Hinblick auf spezielle Verordnungen hinsichtlich der Anforderungen an die Akkreditierungswerber ist schließlich noch die Möglichkeit der Erteilung von Auflagen vorgesehen.

4. Aufsicht über die akkreditierten Stellen Im Hinblick auf die Anforderungen der europäischen Normen der Serie 45000 und die staatliche Verantwortung für die Qualität der benannten Stellen sieht das Akkreditierungsgesetz eine wiederkehrende laufende Überprüfung der für die einzelnen akkreditierten Stellen geltenden Akkreditierungsvoraussetzungen vor. Überprüft wird, ob die Akkreditierungsvoraussetzungen weiterhin erfüllt sind oder ob die Akkreditierung aufgrund von Mängeln entzogen oder beschränkt werden muss. Diese Überprüfungen haben längstens alle fünf Jahre stattzufinden, wobei bei Vorliegen wichtiger Gründe, wie etwa in Beschwerdefällen, bei Strafanzeigen, oder bei begründetem Verdacht des Vorliegens von Entziehungsgründen auch jederzeit eine Überprüfung angeordnet werden kann. So zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen oder Verträge notwendig, kann die regelmäßige Untersuchung des Vorliegens der Akkreditierungsvoraussetzungen auch generell in kürzeren Intervallen vorgenommen werden. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben kommen der Akkreditierungsstelle bzw. den von ihr beauftragten Sachverständigen umfassende Befugnisse zu:33 Es dürfen die Räumlichkeiten, in denen die akkreditierte Stelle im Rahmen ihrer Akkreditierung tätig ist, jederzeit34 betreten werden, Eignungsprüfungen zur Feststellung der Prüffähigkeit einer Prüfstelle selbst durchgeführt oder die Durchführung aufgetragen werden, die Vorbereitung, Verpackung und Versendung von Proben, Prüfgegenständen oder anderen benötigten Sachen und die Teilnahme an Vergleichsprüfungen sowie die Übersendung von Berichten über die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes vorgenommenen Tätigkeiten verlangt werden. Untersucht werden kann schließlich auch die Wirksamkeit des Qualitätssicherungssystems. Ergibt die Überprüfung, dass die Akkreditierungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen, so wird die untersuchte Stelle formlos vom Ausgang der Überprüfung verständigt und die Akkreditierungsstelle trägt die Kosten der Überprüfung. Bestehen jedoch Mängel und werden die Akkreditierungsvoraussetzungen nicht mehr in vollem Umfang erfüllt, so wird die Akkreditierung mit Bescheid entzogen oder der Leistungsfähigkeit der Stelle entsprechend angepasst. Die überprüfte Stelle hat in diesem Fall die Kosten zu tragen. Darüber hinaus hat die Akkreditierungsstelle die Akkreditierung bei Vorliegen eines der Tatbestände des §14 Abs 3 AkkG zu entziehen oder einzuschränken, also etwa, wenn unrichtige Prüfungsergebnisse vorliegen und dabei allgemein anerkannte

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Der Antragsteller hat somit einen Rechtsanspruch auf seine Akkreditierung. Siehe § 13 Abs 3 iVm §§ 27 und 30 AkkG. Vgl RV 508 BlgNR (FN 17), ad § 13.

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Fehlergrenzen signifikant überschritten werden, oder behördlichen Mitteilungen nicht oder nur mit ungerechtfertigter Verzögerung nachgekommen wird.35

5. Aufgaben akkreditierter Prüf- und Überwachungsstellen Abgrenzung zur Zertifizierung Im Rahmen des beschriebenen europäischen Ordnungsrahmens zur Gewährleistung eines qualitativ hochwertigen und einheitlichen Produktstandards ist es Aufgabe der akkreditierten Prüf- und Überwachungsstellen, bestimmte Kennwerte hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und des Qualitätsniveaus einzelner Erzeugnisse zu ermitteln oder die Einhaltung bestimmter Vorschriften zu überwachen. Ergebnis der Tätigkeit der Prüf- bzw Überwachungsstellen sind somit sachverständige Gutachten über die vorgenommenen Untersuchungen. Abhängig von den jeweiligen Anforderungen des in der einzelnen Harmonisierungsrichtlinie vorgesehenen Konformitätsbewertungsverfahrens kann etwa unmittelbar auf der Basis dieser Prüfungen und Überwachungen eine Herstellererklärung abgegeben werden.36 Ist eine solche auf Grund der Gefahrengeneigtheit des in Frage stehenden Produktes oder sonstiger Umstände nicht ausreichend, um das Produkt zum freien Verkehr zulassen zu können, muss eine formelle Zertifizierung durch eine akkreditierte Zertifizierungsstelle erfolgen. Diese können im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens auf die Ergebnisse bereits durchgeführter, in den Modulen vorgeschriebener Prüfungen und Überwachungen zurückgreifen. Bei Konformität wird ein Zertifikat ausgestellt, auf Grund dessen die Anbringung des CE-Kennzeichens auf dem Produkt gestattet ist. Das AkkG unterscheidet insoweit zwischen Prüf- und Überwachungsstellen und Zertifizierungsstellen, als es verschiedene Akkreditierungsverfahren vorsieht. Werden erstere mittels Bescheid ernannt, so ist für die Ernennung letzterer eine Verordnung notwendig. § 17 AkkG schreibt die Verordnungsform für die Akkreditierung von Zertifizierungsstellen fest, um nicht der Möglichkeit, für bestimmte Fachbereiche nur eine geringe Zahl an Zertifizierungsstellen zuzulassen, verlustig zu gehen.37 Im Gegensatz dazu sieht § 11 AkkG neben der Bescheidform für Prüf- und Überwachungsstellen auch einen, bei Vorliegen sämtlicher Vorraussetzungen entstehenden, Rechtsanspruch auf Akkreditierung vor.38

B. Zertifizierungsverfahren Dem so genannten „Globalen Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen“, das 1989 den Grundstein für ein europäisches Gesamtkonzept der Konformitäts35

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Als weitere Gründe für die Entziehung oder Einschränkung der Akkreditierung nennt § 14 Abs 3 AkkG ein mehrmaliges, außerhalb der Fehlergrenzen liegendes Abschneiden bei Vergleichsprüfungen und eine den Bestimmungen des AkkG oder einer auf dessen Grundlagen erlassenen Verordnung nicht entsprechende Ausübung der akkreditierten Tätigkeit. Zu den im Rahmen der Konformitätsbewertung vorgesehenen Modulen vgl Holoubek, Normung. EBRV 508 BlgNR 18. GP, zu § 17 Für Prüf- und Überwachungsstellen heißt es in § 11 Abs 1 AkkG: „ … hat die Akkreditierungsstelle die Akkreditierung durch Bescheid auszusprechen.“

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bewertung legte,39 entspringen auch die je nach Produktbereich unterschiedlichen Verfahren der Zertifizierung. Die jeweils einschlägigen Verfahrensarten werden in Richtlinien wie z.B. der Druckgeräterichtlinie 97/23/EG, oder der Maschinenrichtlinie 98/37/EG vorgegeben. Ihrer bedienen sich dann auch die Benannten Stellen bei der Bewertung der Konformität einzelner Produkte. Diese Bewertung findet auf Antrag40 des Unternehmers, der sein Produkt zertifizieren und ein CE-Kennzeichen anbringen lassen will, statt. Mit dem Antrag hat er auch den zu prüfenden Gegenstand vorzubringen bzw. auf den Ort an dem dieser sich befindet zu verweisen.41 Die tatsächlichen Prüfungsmodalitäten ergeben sich aus einem Modulmodell,42 das dem Hersteller unter Umständen auch die Wahl zwischen verschiedenen Verfahren lässt. Besonders häufig kommen die Zertifizierungen bei der Baumusterprüfung und bei der Qualitätssicherung zur Anwendung.43 Die Zertifizierungsentscheidung hat, wenn sie ablehnend bzw. einschränkend ist, genau begründet zu sein und dem Antragsteller die Rechtsbehelfe und Rechtsbehelffristen zu nennen.44 Als Rechtsbehelf kommt beispielsweise im Baumusterprüfungsverfahren nach §10 MaschinensicherheitsVO eine binnen 14 Tagen zu stellende Aufsichtsbeschwerde an das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten in Frage.45

C. Rechtliche Einordnung von Akkreditierung und Zertifizierung 1. Das hoheitliche Akkreditierungsverhältnis zwischen Akkreditierungsstelle (BMWA) und „benannter“ Stelle Im Zusammenhang mit Akkreditierung und Zertifizierung sind zwei Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: dasjenige zwischen der Akkreditierungsstelle und der akkreditierten, „benannten“ Stelle, also insbesondere der Zertifizierungsstelle auf der einen, und dasjenige zwischen der Zertifizierungsstelle und dem Unternehmer, der seine Produkte bzw Dienstleistungen zertifizieren lassen will, auf der anderen Seite. Das Rechtsverhältnis zwischen Akkreditierungsstelle und akkreditierter Einrichtung ist dabei von den einschlägigen Rechtsgrundlagen als hoheitliches Verwaltungsrechtsverhältnis, das Akkreditierungsverfahren als Verwaltungsverfahren ausgestaltet (Prüf- und Überwachungsstellen) bzw hoheitlich durch Verordnung geregelt (Zertifizierungsstellen).

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KOM (89) 209 endg, Abl 1989 C 267/3. Ein derartiger Antrag hat u.a. Name (Firma) und vollständige Anschrift des Herstellers oder gegebenenfalls seines Bevollmächtigten in Österreich, den Herstellungsort des Produkts und die zur Prüfung notwendigen technischen Unterlagen zu enthalten. Vgl. bspw. § 10 Abs 4 Maschinen-SicherheitsVO. Siehe Holoubek, Normung IV.D. Röhl, Konformitätsbewertung, 159. Vgl. bspw. Druckgeräte-RL 97/23/EG. §11 Abs 5 MaschinensicherheitsVO, siehe näher unten Punkt C/2.

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2. Das Konformitätsprüfungsverhältnis als privates vertragliches Leistungsrechtsverhältnis Für den einzelnen Unternehmer zumeist unmittelbar einschlägig und daher wichtiger ist freilich das Rechtverhältnis zwischen dem Produkthersteller, der sein Produkt zertifizieren lassen möchte, und der Zertifizierungsstelle. Die Einordnung dieses Rechtsverhältnisses in herkömmliche (verwaltungs)rechtliche Kategorien bereitet der Lehre46 allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Auf den ersten Blick scheint die Frage einfach zu beantworten: Die Zertifizierungsstelle ist keine staatliche Behörde im organisatorischen Sinn, sondern ein vom Staat verschiedener Rechtsträger, dessen Unabhängigkeit gerade eine der Voraussetzungen für seine Akkreditierung ist. Es handelt sich zwar um staatlich autorisierte (das heißt mit Bescheid oder bei Zertifizierungsstellen im Verordnungsweg dazu ermächtige und berechtigte) Einrichtungen, in der Regel aber um Private. Zwischen der Zertifizierungsstelle und dem eine Zertifizierung beantragenden Unternehmer wird kein Verwaltungsverfahren (im Sinne des AVG) abgeführt, sondern die Rechtsbeziehung zwischen Zertifizierungsstelle und Unternehmer ist in einem privatrechtlichen Vertrag geregelt. Grundlage der Konformitätsbewertung durch die Zertifizierungsstelle bei der Produktzertifizierung etwa ist ein privatrechtlicher Vertrag zwischen dem Hersteller und der akkreditierten Zertifizierungsstelle. Die Zertifizierungsstelle erlässt auch keine - jedenfalls nicht ausdrücklich als solche gekennzeichneten „Bescheide“ sondern stellt Konformitätsbescheinigungen, Zertifikate aus. Der erste Blick spricht also insbesondere auf Grund der privatrechtlichen, vertraglichen Rechtsbeziehung zwischen Hersteller und Zertifizierungsstelle dafür, dieses Rechtsverhältnis als privatrechtliches einzuordnen. In der Konformitätsbescheinigung kann man dann - vergleichbar anderen Sachverhalten sachverständiger Bescheinigung oder Begutachtung durch Prüf- und Überwachungsstellen - die Abgabe einer sachverständigen gutachtlichen Äußerung sehen, die auf Grund des privatrechtlichen Rechtsverhältnisses von der Zertifizierungsstelle geschuldet ist. Auf Grund des vertraglichen Rechtsverhältnisses und ihrer besonderen Stellung trifft die Zertifizierungsstelle dann insbesondere gegenüber dem Hersteller die Verantwortung als Sachverständiger.47 Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich allerdings die Rechtswirkungen, die an eine Konformitätsbescheinigung durch eine Zertifizierungsstelle geknüpft sind, doch erheblich von anderen Konstellationen sachverständiger Bescheinigungen oder Prüfungen. Dies gilt allerdings nur für jenen Bereich, in dem auf Grund entsprechender gemeinschaftsrechtlicher Regelungen und/oder der innerstaatlichen (Umsetzungs)vorschriften die Einhaltung bestimmter (Umwelt-, Sicherheits- etc)Anforderungen, wie sie sich insbesondere aus europäischen Normen ergeben, rechtlich verbindlich angeordnet ist und damit insbesondere das oben beschriebene globale System der Konformitätsbewertung rechtlich verbindlich zur Anwendung gelangt. Außerhalb dieses rechtlich ver46 47

Spruchpraxis oder Höchstgerichtsentscheidungen zu dieser Frage stehen, soweit zu sehen, noch aus. Ob und gegebenenfalls inwieweit damit vertraglich auch Schutzwirkungen zugunsten Dritter (die etwa das Produkt bestimmungsgemäß verwenden und auf das Zertifikat vertraut haben) begründet werden, ist hier nicht zu untersuchen.

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bindlichen Systems gemeinschaftsweiter Konformitätsbewertung, wenn also Unternehmen ihre Produkte oder Dienstleistungen freiwillig am Maßstab bestimmter europäischer oder innerstaatlicher Normen „zertifizieren“ lassen, gilt das im Folgenden Ausgeführte nicht. Im Bereich ausschließlich freiwilliger Zertifizierung kommen - mangels entsprechender rechtlicher „Verbindlicherklärung“ - der Zertifizierung die im Folgenden zu behandelnden speziellen Rechtswirkungen nicht zu, es bleibt bei den „allgemeinen Wirkungen“, die sich an die Einhaltung und sachverständige Bestätigung der Normkonformität von Produkten knüpfen können.48 Soweit allerdings ein gemeinschaftsrechtlich und in der Folge durch die einschlägigen innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften angeordnetes bestimmtes Verfahren der Konformitätsbewertung verbindlich ist und damit entsprechende rechtliche Marktzulassungsbedingungen bestehen, weisen Zertifizierungen eine Reihe von rechtlichen Besonderheiten auf. Zwar unterliegen die Zertifizierungsstellen keiner strengen Zuständigkeitsordnung, der Hersteller kann also gemeinschaftsweit auswählen, bei welcher Zertifizierungsstelle er das Zertifizierungsverfahren beantragt.49 Allerdings besteht für Zertifizierungsverfahren nach einigen Rechtsvorschriften50 insoweit ein „Exklusivitätsanspruch“, als der Hersteller, kommt es zu einer negativen Entscheidung der Zertifizierungsstelle, nicht einfach zur nächsten Zertifizierungsstelle weiterziehen kann und dort ein neuerliches Verfahren beantragen darf.51 Die Entscheidung der Zertifizierungsstelle wirkt, wenn eine solche Regelung besteht (sonst bleibt es wohl beim Informationsaustausch der benannten Stellen ohne Verbindlichkeit) - positiv oder negativ - gemeinschaftsweit und bindet gemeinschaftsweit andere Zertifizierungsstellen wie mitgliedstaatliche oder gemeinschaftliche Behörden.52 Das unterscheidet die Zertifizierung also von einem „klassischen Sachverständigengutachten“, das durch andere Sachverständigengutachten in Frage gestellt werden kann. Anders als bei „klassischen Sachverständigengutachten“ kommt es in der Folge auch nicht zu einer staatlichen behördlichen Entscheidung, sondern die wesentlichen binnenmarktbezogenen Rechtswirkungen, das heißt die gemeinschaftsweite Produktzulassung, knüpft sich unmittelbar an die Zertifizierung. Die staatlichen Behörden können ihre Entscheidung nicht anstelle derjenigen der Zertifizierungsstelle setzen. Sie können nur in einem speziell geregelten Verfahren in Ausnahmesituationen, dem Schutzklauselverfahren, im Zusammenwirken mit anderen Mitgliedstaaten und der Kommission bestimmte Rechtswirkungen, die mit der Zertifizierung verbunden sind, wieder aussetzen.

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Siehe Holoubek, Normung. Zum europaweiten Wettbewerb der Zertifizierungsstellen siehe bereits oben I.A.3. Vgl etwa den Anhang VI.3.1. der MedizinprodukteRL und § 29 Abs 1 Medizinproduktegesetz. Vgl dazu die Überlegungen von Fuchs (FN 13), die für den Anwendungsbereich jener Rechtsvorschriften, die - wie zB § 29 Abs 1 MPG - eine Parallelbetrauung benannter Stellen untersagen, eine neuerliche Antragstellung bei einer anderen Stelle als dem Normzweck widerstrebend und daher unzulässig bewertet. Zur Ausnahme der Schutzklauselverfahren siehe oben IV.C.2.

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Manche der einschlägigen materiellrechtlichen Regelungen enthalten auch verfahrensrechtliche Anforderungen einschließlich Rechtsschutzanforderungen, die - aus österreichischem Blickwinkel gesehen - eher ein hoheitliches Verwaltungsrechtsverhältnis nahe legen. So verlangt Art 18 der DruckgeräteRichtlinie,53 dass jede in Anwendung dieser Richtlinie getroffene Entscheidung, die eine Einschränkung des Inverkehrsbringens und der Inbetriebnahme eines Druckgerätes oder einer Baugruppe zur Folge hat oder dessen Zurücknahme vom Markt erzwingt, genau zu begründen ist. Sie ist den Betroffenen unverzüglich unter Angabe der Rechtsbehelfe, die nach den in diesem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften eingelegt werden können, und der Rechtsbehelfsfristen mitzuteilen Bezüglich Baumusterbescheinigungen verlangt § 11 der österreichischen Maschinensicherheitsverordnung,54 dass die Prüfstelle im Fall einer negativen Entscheidung, also wenn sie die Ausstellung einer Baumusterbescheinigung oder eine Ergänzung einer solchen verweigert, dies gegenüber dem Antragsteller zu begründen hat und auch dem BMWA mitzuteilen hat. Gleiches gilt, wenn die Prüfstelle eine einmal erteilte Baumusterbescheinigung zurückzieht. Auf deren Verlangen hat die Stelle auch anderen Prüfstellen dies entsprechend mitzuteilen. § 11 Abs 6 der Maschinensicherheitsverordnung räumt dem Antragsteller in einem solchen Fall die Möglichkeit einer Aufsichtsbeschwerde an das BMWA ein, auf Grund derer das BMWA die Prüfstelle, die die Ausstellung einer Baumusterbescheinigung verweigert hat, oder auch eine andere Prüfstelle auf Kosten des Antragstellers mit einer neuerlichen Baumuster- oder Ergänzungsprüfung beauftragen kann. Das Aufsichtsbeschwerdeverfahren führt also zu einer nochmaligen Prüfung, ohne dass die Regelung näher anordnet, ob für die Prüfstelle - vergleichbar der Situation bei kassatorischen Rechtsmittelentscheidungen - eine gewisse Bindungswirkung an Rechtsauffassungen der Aufsichtsbehörde bestehen sollen. Weil eine diesbezügliche ausdrückliche Anordnung fehlt und im Hinblick auf die Qualifikation der Tätigkeit der Prüfstelle als Sachverständigentätigkeit und ihre Unabhängigkeit wird man daher annehmen müssen, dass eine solche nicht gegeben ist und das Aufsichtsbeschwerdeverfahren also nur zu einer nochmaligen, in der Sache aber wiederum ausschließlich eigenverantwortlichen sachverständigen Prüfung durch die Prüfstelle führt. Mehr als eine neuerliche sachverständige Begutachtung kann also das im Zusammenhang mit Baumusterbescheinigungen angeordnete Aufsichtsbeschwerdeverfahren nicht erreichen. Inhaltliche Einflussnahme auf die Entscheidung - Ausstellung einer Baumusterbescheinigung oder nicht - kommt der Aufsichtsbehörde keine zu. Vor dem geschilderten Hintergrund gibt es insbesondere in Deutschland gewichtige Stimmen, die die Tätigkeit der „benannten Stellen“ bei der Zertifizierung als Beleihung einstufen und damit funktionell als Ausübung hoheitli-

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RL 97/23/EG, Abl 1997 L 181/1. Die MaschinensicherheitsVO (BGBl. Nr. 306/1994 idF BGBl. Nr. II 330/2006) setzt insbesondere die Richtlinie RL 2006/42/EG Abl L 157/24 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen um, siehe im Einzelnen § 11 Abs 5 bis 7 MaschinensicherheitsVO.

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cher Verwaltungstätigkeit betrachten.55 Für diese Auffassung kann insbesondere ins Treffen geführt werden, dass der Zertifizierungsstelle eine Reihe einseitiger Entscheidungsbefugnisse zukommen. Diese betreffen nicht nur die Zertifizierungsentscheidung als solche, sondern vor allem ihre Befugnis, die Konformitätsbescheinigung einseitig bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen wieder aufzuheben, wie dies in den gesetzlichen Grundlagen in manchen Fällen vorgesehen ist.56 Allerdings ist auf der anderen Seite sogleich auch festzuhalten, dass in einer Reihe von Fällen derartige Kontroll- und Rücknahmerechte nur in der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Hersteller und der benannten Stelle geregelt sind, die Zertifizierungsstellen allerdings manchmal auf Grund spezieller (gemeinschafts)rechtlicher Bestimmungen wiederum dazu verpflichtet sind, entsprechende Klauseln in ihre Verträge aufzunehmen.57 Dazu kommen oft auch umfangreiche Befugnisse der Zertifizierungsstellen zur Besichtigung von Betriebsräumen des Herstellers im Rahmen des Zertifizierungsprozesses. Auch die einschlägigen innerstaatlichen Regelungen bedienen sich in mancher Hinsicht einer Terminologie, die eher einem Verwaltungsverfahren denn einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis entspricht: oft ist vom „Antrag“ des Herstellers die Rede.58 Stellt man dieses System vor den Hintergrund des österreichischen Verwaltungs- und insbesondere des Amtshaftungsrechts, so ergeben sich durchaus Argumente für eine Einordnung der Tätigkeit der Zertifizierungsstelle in den Bereich hoheitlicher Verwaltungstätigkeit.59 Die Tätigkeit der Zertifizierungsstelle erfolgt auf hoheitlicher Grundlage und die Zertifizierungsstelle ist gegenüber dem Hersteller zu einseitigen Erklärungen ermächtigt. Vor dem Hintergrund eines sehr weiten Verständnisses des so genannten „funktionellen Zusammenhangs“ zur Hoheitsverwaltung, wie sie der OGH im Amtshaftungsrecht entwickelt hat,60 könnte eine Zurechnung der Tätigkeit der Zertifizierungsstellen zur staatlichen Verwaltung durchaus begründet werden. Auch mit Blick auf Rechtsschutzbedürfnisse des Herstellers könnte die „öffentlich-rechtliche“, „hoheitliche“ Lösung Einiges für sich haben. Allerdings wirft ein solches „Beleihungsmodell“ eine Reihe von Problemen insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des VfGH zur Zulässigkeit der Beleihung ausgegliederter Rechtsträger, insbesondere Privater, mit hoheit55 56

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Siehe beispielsweise Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, 329 f; Scheel, DVBl 1999, 442 (446 f). Siehe z.B. Art 15 Abs 2 RL 98/79/EG (In-vitro-Diagnostika), Art 11 Abs 5 der DruckgeräteRL 97/23/EG oder § 11 Abs 5 Maschinen-SicherheitsVO (BGBl. Nr. 306/1994). Vgl. bspw. Art 16 Abs 6 der MedizinprodukteRL 93/42/EWG oder Art 15 Abs 6 der Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika. Dazu Röhl, Konformitätsbewertung, 165. Siehe für „Antrag“ bspw. § 10 Abs 2 MaschinensicherheitsVO. Es kann hier dahinstehen, ob es sich dabei über weite Strecken möglicherweise um so genannte „schlichte“ Hoheitsverwaltung handelt und ob diese Bezeichnung hier zutreffend wäre. Siehe insbesondere die, wenn auch in der Literatur durchaus kritisierten Entscheidungen zu § 57a KFG (OGH SZ 54/19) und Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², Rz 118, oder zu den privaten Kesselprüfstellen, OGH 27.3.2001, ÖZW 2002, 59 mit Anmerkung Kucsko-Stadlmayer.

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lichen Entscheidungsbefugnissen auf.61 Insbesondere die vom VfGH in ständiger Rechtsprechung geforderten Leitungs- und Weisungsbefugnis oberster Verwaltungsorgane gegenüber dem beliehenen Rechtsträger fehlen bei Zertifizierungsstellen in den einschlägigen gesetzlichen Grundlagen und stünden im Übrigen auch im Widerspruch zu den (gemeinschafts)rechtlichen Unabhängigkeitsvorgaben.62 Und aus Rechtsschutzgründen wäre die „hoheitliche“ Deutung nur dann konsequent, wenn man die einschlägigen Bescheinigungen und Anerkennungen der Zertifizierungsstelle als hoheitliche Verwaltungsakte, mithin als Bescheide deuten würde bzw annimmt, dass es eine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt, in den innerstaatlichen Umsetzungsgesetzen das Zertifizierungsverfahren als hoheitliches Verwaltungsverfahren und die Konformitätsbescheinigungen (Zertifikate) als Bescheid auszugestalten. Ansonsten würde nämlich das öffentlich-rechtliche Rechtsschutzsystem, insbesondere die Beschwerdemöglichkeit an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, nicht greifen. Und das Amtshaftungsrecht alleine lässt erst recht wieder, insbesondere im Hinblick auf den gerade gegenüber Zertifizierungsstellen auch bedeutenden Rechtsschutz über Unterlassungsverpflichtungen, eine Reihe von Lücken offen.63 Weiters ist es wohl schwierig, die abgestuften Verfahren der Konformitätsbescheinigung - von der Selbsterklärung bis zur Zertifizierung64 - einheitlich in ein hoheitliches Schema „zu pressen“. Nur auf diese Weise wäre aber entsprechender Rechtsschutz insbesondere gegen abweisende Abänderungsoder Widerrufsentscheidungen, also negative Äußerungen der benannten Stellen gegeben. Ein bloßer amtshaftungsrechtlicher Schadenersatzanspruch, also reiner Sekundärrechtsschutz, vermag hier keine effektive Rechtsmöglichkeit zu eröffnen. Man nehme als Beispiel an, dass ein Unternehmen mit entsprechend zertifizierten Produkten an einem öffentlichen Ausschreibungsverfahren teilnimmt. Die entsprechende Konformitätsbescheinigung ist in den Ausschreibungsunterlagen gefordert. Im Laufe eines Vergabeverfahrens erklärt die Zertifizierungsstelle, die die Konformitätsbescheinigung ausgestellt hat, gegenüber dem Auftraggeber, das Zertifikat, also die Konformitätsbescheinigung „zurückzunehmen“. In solchen und ähnlichen Konstellationen ist es wesentlich, dass der Hersteller die inhaltliche Korrektheit dieser Entscheidung der Zertifizierungsstelle überprüfen und gegebenenfalls die Zertifizierungsstelle dazu verhalten kann, diese Entscheidung zu korrigieren. Bloß amtshaftungsrechtlicher Sekundärrechtsschutz hilft hier schon auf Grund der oft schwierigen Beweiserfordernisse nicht effektiv weiter.

Vor allem aber ist den innerstaatlichen Rechtsvorschriften - auf die es auch bei Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften diesbezüglich, also für die Zuordnung zum verwaltungsbehördlichen oder zum zivilgerichtlichen Rechtsweg ja in erster Linie ankäme - eine entsprechend deutliche Zuweisung

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Zu dieser Rechtsprechung siehe zuletzt ausführlich Kucsko-Stadlmayer, Grenzen der Ausgliederung, Gutachten 15. ÖJT 2003, Band I/1, 2003, 75 ff. Siehe bspw. Anhang XI der MedizinprodukteRL 93/42/EWG oder Anhang IV der DruckgeräteRL 97/23/EG. Vgl mutatis mutandis zum - freilich nicht vertraglichen, sondern deliktischen Rechtsverhältnis bei „behördlichen Warnungen“ Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², Rz 741 mwH. Siehe Holoubek Normung IV.D.

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hoheitlicher Entscheidungsgewalt an die Zertifizierungsstellen nicht zu entnehmen. Wie etwa das oben angeführte Beispiel der Baumusterbescheinigung zeigt, belassen es diese Rechtsvorschriften bei einer sachverständigen „Gutachtensentscheidung“ und sehen gerade nicht die Setzung hoheitlicher Rechtsakte vor. Das ist auch insofern konsequent, wenn man genauer überlegt, worin die einschlägigen Rechtswirkungen der Marktzulassung des Produkts insbesondere begründet liegen. Diese Rechtswirkungen folgen doch aus den jeweiligen generellen Rechtsgrundlagen unmittelbar,65 will heißen, diese ordnen unmittelbar wirksam an, dass an das Vorliegen einer entsprechenden Konformitätsbescheinigung die entsprechenden marktzulassenden Rechtswirkungen geknüpft sind. Durch die - nur beschränkt im Rahmen des Schutzklauselverfahrens widerlegliche - Vermutung der Erfüllung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen knüpft also die generelle Norm unmittelbar an eine sachverständige Äußerung, die Konformitätsbescheinigung in Form der Zertifizierung, also des Zertifikats, bestimmte Rechtswirkungen, nämlich die ex lege wirkende Vermutung. Der sachverständigen Konformitätsbescheinigung kommt also so etwas wie „Tatbestandswirkung“ zu, die unmittelbar auf Grund der einschlägigen gesetzlichen Regelungen bei ihrem Vorliegen bestimmte Rechtswirkungen auslöst. Die Zertifizierungsstelle erlässt aber auch bei einer positiven Konformitätsbescheinigung keine individuelle Norm, deren Willensakt auf die Marktzulassung des Produkts gerichtet wäre, sondern sie erlässt eine sachverständige Aussage, dass das Produkt mit bestimmten, in technischen Normen niedergelegten Anforderungen übereinstimmt. Die Rechtsfolge der Produktzulassung ergibt sich aus der unmittelbar wirksamen Anordnung in der generellen Norm, nicht aus einem normativen Willensakt der Zertifizierungsstelle. Vor diesem Hintergrund wird aber deutlich, dass entgegen einiger Indizien das Rechtsverhältnis zwischen der Zertifizierungsstelle und dem Hersteller nicht auf die Erlassung einer konkreten Rechtsnorm gerichtet ist, womit auch die Ausgestaltung als hoheitliches Verwaltungsverfahren gerade nicht nahe liegt. Ziel des auf vertraglicher Rechtsgrundlage zwischen dem Hersteller und der Zertifizierungsstelle begründeten Rechtsverhältnisses ist die Erstattung einer sachverständigen Begutachtung, nicht die Erlassung eines Rechtsakts. Insofern verbleibt die Konformitätsbescheinigung konsequent im privaten Bereich,66 die hoheitliche Verbindlicherklärung erfolgt auf gesetzlicher Ebene. Insgesamt sprechen daher meines Erachtens bessere Argumente dafür, das Rechtsverhältnis zwischen der Zertifizierungsstelle und dem Hersteller als privatrechtliches Rechtsverhältnis zu begreifen, das freilich in den einschlägigen materiellen gesetzlichen Regelungen, die ihrerseits wieder oft gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umsetzen, stark öffentlich-rechtlich determiniert

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Zur ex lege Vermutung siehe zB Art 7 Abs 2 MaschinenRL, Art 5 Abs 1 SpielzeugRL, Art 13 Abs 1 MessgeräteRL, Art 5 Abs 2 DruckgeräteRL; zur Möglichkeit der Kommission in „Überprüfungsverfahren“ harmonisierte Normen auf ihre Richtlinienkonformität zu prüfen siehe zB Art 10 MaschinenRL, Art 6 SpielzeugRL. Vgl auch Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 2003, Rz 117f; Krajcsir, Staatliche Hoheitsverwaltung durch Private, 1998, 167f.

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ist.67 Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Recht verschwimmen in derartigen Rechtsverhältnissen zusehends.68 Angesichts der in Österreich verfassungsrechtlich vorgegebenen Unterscheidung in entsprechend formgebundenes hoheitliches Verwaltungsverfahren oder eben in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallendes „privatrechtliches Rechtsverhältnis“ liegt es nahe, das Rechtsverhältnis zwischen benannter Stelle, insbesondere auch Zertifizierungsstelle und dem Produkthersteller als - wenn auch öffentlich-rechtlich stark „durchwirktes“ - Rechtsverhältnis zwischen Privaten zu qualifizieren, das im Hinblick auf den Rechtsschutz der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte im Sinne des § 1 JN unterliegt.69 In diesem Rahmen greifen dann jene zivilrechtlichen Instrumente, die nicht zuletzt aus Rechtsschutzgründen gegenüber Einrichtungen entwickelt worden sind, die über eine besondere Stellung im Rechtsverkehr insbesondere auf Grund hoheitlicher Rechtsgrundlagen verfügen: Den Zertifizierungsstellen kommt in ihrem Bereich - insbesondere auf Grund des Umstands, dass, wendet sich ein Hersteller einmal an eine Zertifizierungsstelle, er das Verfahren auch ausschließlich dort führen kann - eine qualifizierte Stellung zu, die privatrechtlich bestimmte Rechtsfolgen, insbesondere ein Diskriminierungsverbot und entsprechende Sorgfaltspflichten auslöst.70 67

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So gibt es Vorschriften, die die Neutralität der Zertifizierungsstelle gegenüber den Geprüften sicherstellen und insbesondere finanzielle Abhängigkeiten vermeiden sollen, siehe in den Anforderungen aufgrund des AkkG den Punkt IV/A/1 und zB Anhang XI der MaschinenRL; Art 12 Z 1 (Neutralität) und 6 (Unparteilichkeit) MessgeräteRL; Anhang III.3. SpielzeugRL. In anderen, verfassungsrechtlich anders organisierten Verwaltungsrechtssystemen kann es durchaus nahe liegen, das Rechtsverhältnis zwischen benannter Stelle und dem Hersteller als öffentlich-rechtliches, gleichwohl vertragliches Rechtsverhältnis einzustufen und - besteht eine ausgebaute, insbesondere Leistungs- und Verpflichtungsklagen einschließende Verwaltungsgerichtsbarkeit - auch einem öffentlichrechtlichen Rechtsschutzverhältnis zu unterstellen. Diese Möglichkeiten scheiden im österreichischen Verwaltungsrechtssystem auf Grund der verfassungsrechtlich vorgegebenen starken Rechtsformgebundenheit insbesondere des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aus. Zur Rechtsnatur benannter Stellen im globalen Konzept des europäischen Produktrechts auch die Ausführungen von Fuchs (FN 13). Ein „Kontrahierungszwang“ muss damit freilich nicht zwingend verbunden sein, das hängt von der konkreten Marktsituation ab. Sind entsprechend viele Zertifizierungsstellen für ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Bereich zugelassen, sodass für den Hersteller angemessen und zumutbar alternative Möglichkeiten eines Zertifizierungsverfahrens zur Verfügung stehen, so kann er sich auch an eine andere Zertifizierungsstelle wenden (und die ursprüngliche etwa wegen Überlastung die Annahme des entsprechenden „Auftrags“ verweigern). Es kommt wie immer bei dieser Argumentationsfigur auf Zumutbarkeit und angemessene Bedingungen an. Wenn aber das Rechtsverhältnis zwischen Hersteller und Zertifizierungsstelle einmal begründet und das Zertifizierungsverfahren damit „eingeleitet“ ist, treffen die Zertifizierungsstelle, weil der Hersteller nicht mehr so einfach beliebig zu anderen Stellen wechseln kann, besondere Sorgfaltspflichten. In deren Rahmen ist freilich auch zu berücksichtigen, dass die gesetzlichen Regelungen der Zertifizierungsstelle eben auch bestimmte öffentliche Interessen, also die Bescheinigung der Übereinstimmung des Produkts mit Sicherheitsanforderungen, übertragen und eine Verantwortung der Zertifizierungsstelle also nicht nur gegenüber dem Hersteller sondern insbesondere auch in dieser Hinsicht besteht. Es handelt sich eben um eine unabhängige sachverständige Stelle.

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Weiters folgen aus dem vertraglichen Verhältnis in Umsetzung der öffentlichrechtlichen Vorgaben entsprechende Verantwortlichkeiten der Zertifizierungsstelle, insbesondere im Hinblick auf Entscheidungspflicht, aber auch die Beseitigung von rechtswidrigen negativen Entscheidungen oder Korrektur- oder Widerrufs-Entscheidungen im Rahmen des über die Zertifizierungsentscheidung hinaus reichenden Rechtsverhältnisses (also zB im Zusammenhang mit der Aufhebung oder Abänderung von Konformitätsbescheinigungen). Haftungs- und Unterlassungsansprüche ebenso wie positive Verhaltenspflichten der Zertifizierungsstelle zur Vermeidung von Schäden stellen zivilrechtlich anerkannte Rechtsschutzinstrumente dar,71 die im Rechtsverhältnis zwischen Hersteller und Zertifizierungsstelle ausreichenden Rechtsschutz gewährleisten.72 Es überzeugt meines Erachtens daher auch nicht, was freilich insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des OGH zu § 57a KFG-Überprüfungen durchaus nahe liegt,73 die Tätigkeit der benannten Stellen, insbesondere auch von Zertifizierungsstellen unter amtshaftungsrechtlichen Gesichtspunkten funktionell der Verwaltung zuzurechnen. Die Zertifizierungsstelle wird nicht „für die Verwaltung“, also für den Staat, sondern grundsätzlich, wenn auch weitgehend öffentlich-rechtlich determiniert, im privatautonomen Bereich als private Einrichtung tätig.74 Die wesentliche „hoheitliche“ Wirkung, also die rechtsverbindliche Produktzulassung, liegt denn auch nicht in der Konformitätsbescheinigung als solcher, sondern in der gesetzlichen Anordnung, dass an die Konformitätsbescheinigung eine solche Rechtswirkung geknüpft wird. Aus der Sicht der Zertifizierungsstelle bleibt die Konformitätsbescheinigung eine sachverständige Beurteilung am Maßstab technischer Normen. Die Ingerenzbefugnis des Staates hat daher in der Ausgestaltung der gesetzlichen Grundlagen und darauf folgend im Akkreditierungsverfahren ihre Grenzen: Dort können entsprechende öffentlich-rechtliche Verpflichtungen auf die privatautonome Gestionsbefugnis der benannten Stelle übertragen werden. Aus dieser Sicht erscheint es aber konsequent, den Anwendungsbereich des Amtshaftungsrechts auf diese hoheitlichen Rechtsverhältnisse, also auf Maßnahmen im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens insbesondere, zu begrenzen. Konformitätsbeschei71

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Vgl insbesondere die im Zusammenhang mit Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber entwickelte Rechtsprechung zur Gewährleistung zivilrechtlichen Rechtsschutzes, wenn und insoweit kein spezifisch gesetzlich geregelter verwaltungsbehördlicher Vergaberechtsschutz zur Anwendung kommt (dazu nur Rummel, ÖZW 1999, 1 ff). Wenn auch die Zurechnungskriterien zum Staat großteils andere sind beim öffentlichen Auftraggeber erfolgt eine direkte, funktionelle Zurechnung zum Staat - und es sich bei den eben in aller Regel privaten Zertifizierungsstellen gerade nicht um „staatlich beherrschte“ Einrichtungen handelt, so unterliegen diese auf Grund der hoheitlichen Übertragung von „Konformitätsbescheinigungsbefugnissen“ im Wege des Akkreditierungsverfahrens „Neutralitätsanforderungen“, wie sie sonst für staatliche Zulassungsstellen typisch sind. Für eine solche Sichtweise insbesondere Merli, Vortrag an der Wirtschaftsuniversität Wien im Juni 2005. OGH SZ 54/19 und dazu Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², Rz 118. Vgl für diesen Gedanken mit entsprechender Kritik an amtshaftungsrechtlichen Entscheidungen des OGH Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht², Rz 118 und Kucsko-Stadlmayer, ÖZW 2002, 59.

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nigungen einer Zertifizierungsstelle können amtshaftungsrechtlich also dann und nur dann und im Wege einer Verantwortlichkeit der Akkreditierungsstelle - relevant sein, wenn die kausale Verursachung für den Schaden in Fehlern im Rahmen der Akkreditierung liegt.75 Die „Sachverständigentätigkeit“ der Zertifizierungsstelle bleibt aber in deren alleiniger auch haftungsrechtlicher Verantwortlichkeit, für die - möglicherweise, das kann hier dahinstehen, in Umsetzung einer entsprechenden Gewährleistungsverantwortung - der Staat eben Absicherungen in Form einer Versicherungspflicht angeordnet hat.76 In der deutschen Literatur wird schließlich auch erwogen, das System der „benannten Stellen“ und damit das Rechtsverhältnis der Zertifizierungsstellen zu den Herstellern bei der Produktzulassung der EG-Eigenverwaltung zuzurechnen.77 Diese Auffassung sieht in den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen spezielle „Vollzugsregelungen“ (in einem weiten insbesondere nicht dem innerstaatlichen Begriff der „Vollziehung“ - um eine solche handelt es sich bei der Tätigkeit der benannten Stellen gerade nicht - gleichzuhaltenden, sondern deutlich darüber hinausgehenden Sinn), die der EGEigenverwaltung viel näher stehen als dem indirekten Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch mitgliedstaatliche Behörden. Die Tätigkeit der Zertifizierungsstellen wird demzufolge auch direkt der Gemeinschaft zugeordnet. Das verschiebt, wie diese Auffassung erkennt, die Legitimations- und Rechtsschutzprobleme einschließlich der Haftungsprobleme freilich nur auf die gemeinschaftsrechtliche Ebene, wo entsprechende Vorkehrungen gefordert werden, die dann wiederum vor allem in den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen näher ausgestaltet werden müssten. Es ist aber schon fraglich, ob diese Auffassung den spezifischen Charakteristika des indirekten Vollzugs von Gemeinschaftsrecht gerecht wird: Hier überformt das Gemeinschaftsrecht eben die innerstaatlichen auch organisations- und verfahrensrechtlichen Regelungen, sodass es sich eben funktionell um gemeinschaftliche, organisatorisch freilich um mitgliedstaatliche Vollzugszuständigkeiten handelt. Diese sind auch nicht ausschließlich gemeinschaftsrechtlich, sondern - „doppelte Bindung“78 wesentlich auch innerstaatlich determiniert. Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht greifen hier eben ineinander. Auch die Tatsache, dass die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen zumeist in Richtlinienform ergehen, legt es nahe, die in Umsetzung dieser Richtlinien auf Grund entsprechender mitgliedstaatlicher, gesetzlicher Anordnungen vorgesehenen „Vollzugsformen“ im Wege der indirekten Vollziehung von Gemeinschaftsrecht allenfalls der Gemeinschaft über die Mitgliedstaaten und jedenfalls nicht dieser direkt zuzurechnen. Aber es ist schon allgemein fraglich, ob die Unterscheidung in funkti75

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Gemeinschaftsrechtlich könnte man im Hinblick auf legislative Haftung allenfalls auch an fehlende gesetzliche Verpflichtungen in den einschlägigen materiellen gesetzlichen Regelungen denken. Insofern unterscheidet sich die Situation nicht von anderen grundsätzlich ebenso privaten Schadensverhältnissen wie etwa bei einem Verkehrsunfall, bei denen ebenfalls im Hinblick auf Dritte Versicherungspflichten bestehen. Siehe dazu insb Röhl, Konformitätsbescheinigung, 166 ff. Siehe nur Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht², 2001, 102 mwH.

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onelle und organisatorische Zurechnung im vorliegenden Zusammenhang allein adäquat ist. Es muss doch berücksichtigt werden, dass die insoweit "autonome" Rechtsetzung der Mitgliedstaaten im Bereich gemeinschaftsrechtlicher Spielräume auch funktionell den Mitgliedstaaten zuzurechnen ist. Und überhaupt ist eine "saubere" Trennung von heteronomer gemeinschaftsrechtlicher Determinierung und autonomem Spielraum der Mitgliedstaaten mit entsprechender funktioneller Zurechnung im Geflecht vor allem auch finaler Determinierung durch Prinzipien und allgemeine Grundsätze schwierig. Die Veränderungen durch das Gemeinschaftsrecht gehen hier auch im Bereich mitgliedstaatlicher organisations- und verfahrensrechtlicher Instrumente und Institute tief und lassen sich nicht durch eine Abschottung der mitgliedstaatlichen Vollzugstätigkeit zu Gunsten einer im funktionellen Sinn sehr weit verstandenen europäischen Eigenverwaltung vermeiden.

V. Sonderbestimmungen für elektronische Signaturen79 Für den Bereich der Elektronischen Signaturen wurde bereits in der einschlägigen Richtlinie80 ein vom üblichen Konzept der Akkreditierung und Zertifizierung abweichendes System des Marktzutrittes und der Marktüberwachung gewählt: Zertifizierungsdiensteanbieter81 sollten, ohne dem Erfordernis der Einholung einer Genehmigung oder einer solchen in der Wirkung gleichkommenden Beschränkung unterworfen zu sein, unmittelbar ihre Tätigkeit aufnehmen können. Dementsprechend sieht das Signaturgesetz (SigG) grundsätzlich nur die Verpflichtung zur Anzeige der Aufnahme von Diensten als Zertifizierungsdiensteanbieter bei einer Überwachungsstelle vor. Dieser Anzeige sind Dokumente beizuschließen, aus denen erkennbar sein muss, ob den einschlägigen Sicherheitsbestimmungen des Signaturgesetzes entsprochen wird.82

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Unter einer elektronischen Signatur werden elektronische Daten verstanden, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder mit diesen logisch verknüpft werden, und die der Authentifizierung, also der Identitätsfeststellung des Signators dienen. Näher Damjanovic, Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce, Punkt VI. RL 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, Abl 2000 L 13/12. Eine natürliche oder juristische Person oder eine sonst rechtsfähige Einrichtung, die Zertifikate ausstellt oder andere Signatur- und Zertifizierungsdienste erbringt. Im Sinne des Signaturgesetzes werden wiederum unter Zertifizierungsdiensten abweichend von der üblichen Terminologie auf dem Gebiet der Akkreditierung die Bereitstellung von Signaturprodukten und -verfahren, die Ausstellung, Erneuerung und Verwaltung von Zertifikaten, Verzeichnis- und Zeitstempeldienste sowie Rechnerund Beratungsdienste im Zusammenhang mit elektronischen Signaturen verstanden. Zu den weiteren Begriffsbestimmungen siehe näher bei § 2 Signaturgesetz. Je nach Qualifikation der Signatur, ob es sich um eine „sichere Signatur“ oder um eine einfache elektronische Signatur handeln soll, müssen verschiedene Anforderungsstufen erfüllt werden. Zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es zwei Diensteanbieter, die A-Trust Gesellschaft für Sicherheitssysteme im elektronischen Datenverkehr GmbH und die Telekom Austria AG, die qualifizierte Zertifikate im Sinne des § 5 SigG vergeben, die mit einer den Anforderungen des § 2 Z 3 lit. a bis d SigG entsprechenden Signatur des Zertifizierungsdiensteanbieters versehen sein muss. Quelle: www.signatur.rtr.at

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Als solche Überwachungsstelle fungiert gemäß § 13 SigG die TelekomControl-Kommission (TCK), die sich bei der Durchführung der Aufsicht wiederum der RTR-GmbH83 in ihrer Funktion als Geschäftsstelle der TCK bedient.84 Zur Aufsichtstätigkeit der TCK und der RTR-GmbH gehören insbesondere 1. die Überprüfung der Umsetzung der Angaben im (der Anzeige beizulegenden) Sicherheits- und im Zertifizierungskonzept der Diensteanbieter, 2. im Fall der Bereitstellung sicherer elektronischer Signaturen die Verwendung geeigneter technischer Komponenten und Verfahren (§ 18 SigG) zu überwachen, 3. Zertifizierungsdiensteanbieter nach § 17 SigG zu akkreditieren und 4. die organisatorische Aufsicht über Bestätigungsstellen (§ 19 SigG) durchzuführen.85 Als Mittel stehen ihr dabei die Untersagung der Verwendung bestimmter ungeeigneter technischer Komponenten oder Verfahren sowie der Widerruf bestimmter Zertifikate zur Verfügung. Darüber hinaus kann den Stellen auch die Ausübung der Tätigkeit teilweise oder zur Gänze untersagt werden, wenn nicht gelindere Mittel in Betracht kommen. Im Fall von qualifizierten Zertifikaten86 oder sicheren Signaturverfahren87 sind neben der Verpflichtung zur Anzeige eine Reihe weiterer im SigG und der SigV näher dargelegte Mindeststandards von den Diensteanbietern zu erfüllen, deren Einhaltung von der Aufsichtsstelle überprüft wird. Bei technischen Komponenten und Verfahren für die Erzeugung sicherer Signaturen etwa muss von einer Bestätigungsstelle bescheinigt sein, dass die Sicherheitsanforderungen erfüllt sind (§ 18 Abs. 5 SigG). Als erste und bislang einzige österreichische Bestätigungsstelle wurde der Verein "Zentrum für sichere Informationstechnologie - Austria (A-SIT)" anerkannt;88 über diesen übt die TCK die organisatorische Aufsicht aus. Ein Anbieter, der sichere elektronische Signaturverfahren bereitstellt, kann sich darüber hinaus gemäß § 17 SigG vor der Aufnahme der Tätigkeit von der Aufsichtsstelle akkreditieren lassen. Akkreditierte Zertifizierungsdiensteanbieter dürfen sich mit Zustimmung der Aufsichtsstelle im Geschäftsverkehr als solche bezeichnen. Im Zusammenhang mit Signatur- und Zertifizierungsdiensten sowie mit Signaturprodukten darf diese Bezeichnung nur verwendet werden, wenn die Sicherheitsanforderungen nach § 18 erfüllt werden.

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Die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) wurde durch § 5 des KommAustria-Gesetzes BGBl 2001 I/32 als Rechtsnachfolgerin der TelekomControl GmbH gegründet. Die RTR-GmbH prüft unter anderem die von den Zertifizierungsdiensteanbietern erstatteten Anzeigen und Anträge auf Akkreditierung, führt im Auftrag der Telekom-Control-Kommission weitere Erhebungen wie z. B. eine Besichtigung der Einrichtungen des Zertifizierungsdiensteanbieters vor und erstattet darüber Berichte an die Telekom-Control-Kommission. Näher zu den einzelnen Agenden http://www.signatur.rtr.at/de/supervision/tkk.html. Vgl § 2 Z 9 Signaturgesetz. Vgl § 2 Z 3 Signaturgesetz. Die Anerkennung erfolgte durch die Verordnung BGBl II 2000/31.

Michael Holoubek

Kapitel 3: Elektrotechnikrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................527 I. Grundlagen ................................................................................................528 A. Allgemeines............................................................................................528 1. Historischer Hintergrund...................................................................528 2. Ökonomischer Hintergrund...............................................................529 II. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................529 III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ..................................................530 IV. Die Regelungen des Elektrotechnikgesetzes.........................................532 A. Anwendungsbereich...............................................................................532 B. Begriffsbestimmungen ...........................................................................533 1. Elektrische Betriebsmittel .................................................................533 2. Elektrische Anlage ............................................................................533 C. Normalisierung und Typisierung...........................................................533 D. Sicherheitsmassnahmen ........................................................................534 1. Elektrotechnische Sicherheitsvorschriften ........................................534 2. Erfüllungsnachweis ...........................................................................535 3. Überwachung und Kontrolle .............................................................536 E. Herstellungs-, Änderungs- und Instandhaltungsbefugnis......................537 F. Sonderbestimmungen und Behördenzuständigkeit ................................537 1. Sonderbestimmungen ........................................................................537 2. Behörden ...........................................................................................539 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht RL 73/23/EWG, Abl 1973 L 77/29 (geändert durch RL 93/68/EWG des Abl L 1993 220/1); RL 89/336/EWG, Abl 1989 L 139/19 (geändert durch RL 91/263/EWG Abl L 1991 128/1, RL 92/31/EWG Abl L 1992 126/11 und RL 93/68/EWG Abl L 1993 220/1 30.8.1993); RL 1999/5/EG, Abl 1999 L 91/10 (geändert durch VO (EG) Nr. 1882/2003 Abl L 2003 284/1). Innerstaatliches Recht Elektrotechnikgesetz 1992 - ETG 1992 (BGBl 1993 I/106 idF BGBl 2001 I/136), Elektrotechnikverordnung 1996 - ETV 1996 (BGBl 1996 II/105 idF BGBl 2006 II/33).

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I. Grundlagen A. Allgemeines 1. Historischer Hintergrund Schon von Beginn an erfuhr das Gebiet der Elektrotechnik losgelöst vom allgemeinen Normenwesen eine eigenständige Regelung. Die Trennung dieser beiden eng verwandten Rechtsgebiete ist allerdings vor allem historisch und nicht durch erhebliche sachliche Unterschiede begründet. Die Erarbeitung elektrotechnischer Normen und Standards auf nationaler Ebene begann 1883 durch den Wiener Elektrotechnischen Verein, als dieser beschloss, sein Wissen über die sichere Herstellung, Weiterleitung und Anwendung der elektrischen Energie in „Regulative“ zu fassen. Noch im selben Jahr ordnete die k.u.k.-Statthalterei die Bindung der Errichtung elektrischer Anlagen an einschlägige Fachkenntnisse an und verwies dabei auf jene künftig auszuarbeitenden „Regulative“. Nach 1945 zog das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau die Agenden der Normalisierung im Bereich der Elektrotechnik an sich, überließ diese jedoch wegen Überlastung bereits ab 1957 wiederum dem Österreichischen Verein für Elektrotechnik (ÖVE) und beauftragte ihn in einem zur Ausarbeitung elektrotechnischer Vorschriften und Normen. Im Jahre 1965 erging schließlich das Elektrotechnikgesetz in seiner ersten Fassung. Darin schrieb man die Zuständigkeit des ÖVE zur Erarbeitung elektrotechnischer Bestimmungen erstmals gesetzlich fest. Im Rahmen der darauf folgenden Novellierung und insbesondere durch das Elektrotechnikgesetz 1992 (ETG 1992) wurden die elektrotechnischen Vorschriften an den Stand der Technik angepasst und Modifikationen im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum vorgenommen. Auf internationaler Ebene erkannte man bereits 1906 die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Elektrotechnik und gründete die IEC, International Electrotechnical Commission.1 In dieser erarbeiten heute in 169 Technischen Komitees und Subkomitees sowie in rund 500 Arbeitsgruppen Fachleute aus 67 Mitgliedstaaten und weiteren assoziierten Staaten Entwürfe zu elektrotechnischen Normen. Hinsichtlich des Aufbaues orientiert sich diese Organisation an den bereits von der ISO bekannten und bewährten Strukturen:2 Die Normungsarbeit geschieht in den Technischen Komitees und deren Subkomitees und Arbeitsgruppen. Liegt ein Entwurf für eine Norm vor, so ist ein spezielles, wiederum dem Verfahren der ISO nachgebildetes Annahmeverfahren3 durchzuführen, im Rahmen dessen eine möglichst breite, vordringlich einstimmige Annahme des Entwurfes erreicht werden soll. Seit September 1996 besteht zwischen dem IEC und CENELEC,4 dem Euro1 2 3

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www.iec.ch Siehe dazu Holoubek, Normung. Besondere Bedeutung kommt dem JTC1, dem Joint Technical Commitee 1, zu, welches 1987 als übergreifendes Technisches Komitee zwischen ISO, IEC und ITU für die Normungsarbeit in der Informationstechnologie zuständig erklärt wurde. Für nähere Informationen siehe www.jtc1.org. Comité Européen de Normalisation Electrotechnique.

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päischen Komitee für elektrotechnische Normung, ein Kooperationsabkommen5 zur Vermeidung von Reibungsverlusten durch doppelte Anstrengungen sowie zur Beschleunigung der Vorbereitung neuer Normen. Als ein weiterer positiver Nebeneffekt dieser weitgehenden Abstimmung6 wird so eine weit über den europäischen Raum hinaus wirkende Kompatibilität von Produktanforderungen bewirkt. Sind die Ergebnisse einer Parallelabstimmung sowohl im Bereich der IEC als auch von CENELEC positiv, so wird die Norm als Internationaler Standard publiziert und gleichzeitig als Europäische Norm kundgemacht.7

2. Ökonomischer Hintergrund Der Bereich der Elektrotechnik und somit auch jener der diesbezüglichen Normung erstreckt sich von Generatoren über Übertragungsmaterial hin zu Transformatoren, Motoren, Batterien und elektrischen Verbraucherprodukten und umfasst auch Geräte wie Computer, Büromaschinen und Telekommunikationsgeräte. Die zunehmende Technisierung des Alltags, die so oft attestiert wird, ist zu einem Großteil auf immer neue elektrotechnische Produkte zurückzuführen.8 Die dabei der Normung zukommende Aufgabe liegt darin sicherzustellen, dass die einzelnen Produkte und deren Bestandteile untereinander kompatibel sind und zu gewährleisten, dass alle angebotenen Dienste mit allen Produkten verwendet werden können. Die Bedeutung des elektrotechnischen Sektors verdeutlicht sich anhand der wirtschaftlichen Eckdaten:9 1999 erwirtschaftete der Bereich der Elektrotechnik im Raum der Europäischen Union und der EFTA ein Volumen von rund 430 Milliarden Euro, dies bei Beschäftigungszahlen von etwas über zwei Millionen. Die Exporte beliefen sich auf 294 Milliarden Euro, davon entfielen rund 62% auf den innergemeinschaftlichen Handel. Insgesamt stellt Europa mit diesen Exporten etwa 30 % des gesamten Welthandels auf dem Sektor der Elektrotechnik. Während bei Verbraucherelektronik mengenmäßig noch die Importe in die Gemeinschaft überwiegen, konnte die Gemeinschaft ihre Präsenz bei Hochspannungselektronik ausbauen: Im Bereich der Windenergie etwa bemisst sich der Anteil der Gemeinschaft am gesamten Weltmarkt auf über 80 %.

II. Kompetenzrechtliche Einordnung Die in Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG enthaltene Zuweisung von „... Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, Sicherheitsmassnahmen auf diesem Gebiet“ sowohl in Gesetzgebung als auch in Vollziehung 5 6

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Sogenanntes „Dresdner Abkommen“. So waren im Jahre 2005 68.93% aller CENELEC Normen identisch mit IEC Dokumenten, weiteren 7.86% der CENELEC Normen dienten solche der IEC als Basis, lediglich die restlichen 23.21% stellen das Ergebnis rein europäischer Normungstätigkeit dar. Vgl näher: CENELEC, Annual Report 2005. Zum Verfahren der Kundmachung vgl Holoubek, Normung. Der elektrotechnische Sektor stellt, gemessen am jeweiligen Prozentsatz der Verkäufe neuer Produkte, das innovationsintensivste technische Gebiet dar. Die Daten entstammen einer Studie über die Auswirkungen der Normung, die die Europäische Kommission im November 2000 startete. Die Ergebnisse wurden damals auf einer Website (www.standardsimpact.org/electrical.php) veröffentlicht, die jedoch derzeit offline ist.

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in die Kompetenz des Bundes findet sich schon in der Fassung des B-VG vom 1.10.1920.10 Nach der Judikatur des VfGH sind davon Sicherheitsmaßnahmen „auf dem Gebiet“ elektrischer Anlagen und Einrichtungen, nicht nur solche „bei“ elektrischen Anlagen oder „für“ solche, umfasst.11 Unter den von diesem Kompetenztatbestand erfassten Sicherheitsmaßnahmen sind daher nicht nur Maßnahmen „in Bezug auf“ (andere) elektrische Anlagen und Einrichtungen zu verstehen, sondern auch solche Maßnahmen, die selbst in Gestalt elektrischer Anlagen und Einrichtungen getroffen werden.12

III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Mit der Richtlinie 73/23/EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen, besser bekannt unter der Bezeichnung als Niederspannungsrichtlinie, wurde das Gebiet der technischen Sicherheit auf europäischer Ebene weitgehend revolutioniert, vereinfacht und vor allem vereinheitlicht. Schon lange bevor auf dem Gebiet der allgemeinen technischen Normung auf europäischer Ebene durch die Annahme der Entschließung über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Normung13 eine völlige Neuordnung erfolgte, nahm die Niederspannungsrichtlinie die wesentlichen Elemente dieser Konzeption bereits vorweg: Artikel 2 der Richtlinie verweist auf bestimmte, in Anhang I der Richtlinie näher dargelegte, grundsätzliche Sicherheitsziele, denen elektrische Betriebsmittel oder Anlagen entsprechen müssen, um in Verkehr gebracht werden zu dürfen. Ob ein Produkt diese Anforderungen erfüllt, und daher in der gesamten Gemeinschaft verkehrsfähig ist, hängt dabei von seiner Konfor-

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Demgegenüber verwiesen die Vorentwürfe noch generell das Elektrizitätswesen in Gesetzgebung und Vollziehung in den Kompetenzbereich des Bundes. Siehe zur Entwicklung näher bei Ermacora, Die Entstehung der Bundesverfassung 1920 IV, 647. Die Rechtsbegriffe „elektrisch“ und „Elektrizität“ erfassen demnach das Phänomen „Elektrizität“ über die Produktion und den Verbrauch als Gegenstand des modernen Lebens hinaus als physikalisches Phänomen in seiner Gesamtheit. Besteht Regelungsbedarf etwa im Hinblick auf Luftelektrizität (zB Blitzschutzanlagen) oder durch Reibung entstandene Elektrizität, so ist nach Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG eine Regelungskompetenz des Bundes gegeben. Vgl näher VfSlg 6011/1969. Unter solchen Maßnahmen sind etwa Blitzschutzanlagen zu verstehen. Vgl schon FN11. Maßnahmen, die in Zusammenhang mit der Beseitigung von Gefahren aus Potentialunterschieden stehen, die nicht mittelbar oder unmittelbar von einer Anlage zur Herstellung oder Leitung von elektrischem Strom ausgehen, sind demnach ebenso von der Bundeskompetenz umfasst. Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normen, Abl 1985 C 136/1; vgl Holoubek,Normung.

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mität mit technischen Normen ab:14 Den obersten Maßstab bilden dabei harmonisierte Normen.15 Soweit solche nicht oder noch nicht zur Verfügung stehen, erklärt die Richtlinie eine Konformität der Produkte mit den Sicherheitsanforderungen der International Commission on the Rules for the Approval of the Electrical Equipment16 (CEE - él) oder jenen der International Electrotechnical Commission17 (IEC) als ausreichend und verpflichtet die Mitgliedstaaten, auch solche Produkte zum freien Verkehr zuzulassen, sofern auf diese Bestimmungen ein eigenes Veröffentlichungsverfahren angewandt wurde.18 Liegen aber auch solche Sicherheitsanforderungen nicht vor, so kommt den nationalen Bestimmungen Bedeutung zu: Als ausreichend ist dabei anzusehen, wenn die in Frage stehenden elektrischen Betriebsmittel in Übereinstimmung mit den Sicherheitsanforderungen der im herstellenden Mitgliedstaat anzuwendenden Normen gefertigt worden sind, wenn diese die gleiche Sicherheit bieten wie jene, die in ihrem eigenen Hoheitsgebiet gefordert wird.19 Die Vermutung der Übereinstimmung der Erzeugnisse mit diesen technischen Normen wird durch das von den zugelassenen nationalen Stellen20 ausgestellte „Konformitätszeichen“ oder die „Konformitätsbescheinigung“ oder durch die „Konformitätserklärung“ des Herstellers bescheinigt.21 Die einzelnen Mitgliedstaaten haben diese Bescheinigungen anzuerkennen, so dass die damit versehenen Produkte gemeinschaftsweit für den freien Verkehr zuzulassen sind. Ist jedoch keine Konformität des Produktes mit jenen Normen gegeben, so haben die Mitgliedstaaten dennoch die freie Verkehrsfähigkeit zu gewährleisten, wenn die fraglichen elektrischen Betriebsmittel dennoch die in der Richtlinie genannten, grundlegenden Anforderungen hinsichtlich der Sicherheit erfüllen. 14

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Die Konformität mit diesen Normen wird mittels eines Konformitätsbewertungsverfahrens festgestellt. Der positive Abschluss eines solchen berechtigt zur Anbringung des CE-Zeichens am Produkt, welches in der Gemeinschaft als Warenpass fungiert. Als harmonisierte Normen werden jene Normen bezeichnet, die im gegenseitigen Einvernehmen von den Stellen, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art 11 der Niederspannungsrichtlinie mitgeteilt wurden, festgelegt und die im Rahmen der einzelstaatlichen Verfahren bekannt gegeben worden sind. Vgl. Art 5 Niederspannungsrichtlinie. Internationale Kommission für die Regelung der Zulassung elektrischer Ausrüstungen. Internationale Elektrotechnische Kommission. Die Kommission teilt den Mitgliedstaaten die in den Dokumenten verlangten Sicherheitsanforderungen mit, worauf diese binnen einer Frist von drei Monaten ihre Einwände gegen die übermittelten Bestimmungen anbringen können. Diejenigen Sicherheitsanforderungen schließlich, gegen die keine Einwände erhoben worden sind, werden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Dies erlaubt es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, die Einhaltung von Sicherheitsanforderungen zu verlangen, die von den Sicherheitszielen der Richtlinie nicht erfasst sind. Vgl. die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Niederspannungsrichtlinie, Abl 1982 C 59/2. Siehe hierzu näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Zum Verfahren im Zusammenhang mit der Bescheinigung der Konformität vgl näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung.

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Dementsprechend bietet die Richtlinie dem Hersteller elektrischer Betriebsmittel auch die Möglichkeit, die Übereinstimmung des Produktes mit den Sicherheitszielen der Richtlinie durch einen Gutachterbericht einer der Kommission angezeigten Stelle22 feststellen zu lassen.23 Auch in diesem Fall ist es den Mitgliedstaaten ausschließlich dann erlaubt, Maßnahmen zur Einschränkung des freien Verkehrs oder des Inverkehrbringens zu treffen, wenn gleichzeitig ein gemeinschaftsrechtliches Schutzklauselverfahren eingeleitet wird.24 Die Einhaltung dieses Verfahrens, in dessen Rahmen der Mitgliedstaat nachzuweisen hat, dass die von ihm reklamierten Produkte tatsächlich nicht den Sicherheitsanforderungen entsprechen, stellt dabei eine Voraussetzung für die Gültigkeit der einzelstaatlichen Maßnahme dar.25

Da es sich somit um eine Richtlinie zur vollständigen Harmonisierung des von ihr erfassten Bereiches handelt, sind Betriebsmittel, die den elf26 Sicherheitszielen der Richtlinie entsprechen, somit zum ungehinderten Verkehr zuzulassen. Die Hersteller können also nicht mehr zur Einhaltung von solchen einzelstaatlichen Vorschriften angehalten werden, die von der Richtlinie inhaltlich abweichen.

IV. Die Regelungen des Elektrotechnikgesetzes A. Anwendungsbereich Hauptanliegen des Elektrotechnikgesetzes ist es, umfassende Sicherheit auf dem Gebiet der Elektrotechnik zu gewährleisten, sowie die österreichischen elektrotechnischen Vorschriften an die Vorgaben der Niederspannungsrichtlinie anzupassen. Dies geschieht einerseits durch die Festlegung der Rahmenbedingungen der diesbezüglichen Normung und Typisierungen, und andererseits durch die Festlegung bestimmter grundlegender Anforderungen an elektrische Betriebsmittel und elektrische Anlagen sowie deren Errichtung, Betrieb und Instandhaltung. Zur Gewährleistung einer flexiblen Regelung dieser Angelegenheiten, die eine rasche Anpassung an akute Gefährdungslagen oder den technischen Fortschritt erlaubt, sieht §3 ETG 1992 eine Verordnungsermächtigung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit in Bezug auf elektrotechnische Sicherheitsmaßnahmen vor.27 22 23

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In Betracht kommen hier vor allem akkreditierte Prüf- Überwachungs- und Zertifizierungsstellen. Zu diesen siehe näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Vgl Art. 8 Abs. 2 Niederspannungsrichtlinie. Dadurch wird eine weitgehende Möglichkeit für Produktinnovationen offen gelassen, die als solche nicht auf bereits bestehenden Normen beruhen können. Zum Schutzklauselverfahren siehe Holoubek, Normung. Kommt das Schutzklauselverfahren aber zu dem Ergebnis, dass das beanstandete Produkt - entgegen der Auffassung des dieses Verfahren einleitenden Mitgliedstaates - den Sicherheitsanforderungen der Richtlinie genügt, so ist es wiederum zum ungehinderten Verkehr zuzulassen. Diese werden in Art. 2 und Anhang I der Niederspannungsrichtlinie aufgezählt. Siehe weiters Pkt 2.3 der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Niederspannungsrichtlinie, FN19. In diesen kann er insbesondere Bestimmungen für die Elektrotechnik (Elektrotechnische Sicherheitsvorschriften, Vorschriften über Normierung und Typisierung) für verbindlich erklären, die dann als „SNT-Vorschriften“ - Vorschriften über Sicherheit, Normalisierung und Typisierung - bezeichnet werden.

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B. Begriffsbestimmungen 1. Elektrische Betriebsmittel Dies sind Gegenstände, die als Ganzes oder in einzelnen Teilen zur Gewinnung, Fortleitung oder zum Gebrauch elektrischer Energie bestimmt sind. Ebenso sind betriebsmäßige Zusammenfassungen mehrerer elektrischer Betriebsmittel, die als bauliche Einheit in Verkehr gebracht werden und zumindest zu diesem Zeitpunkt als bauliche Einheit ortsveränderlich sind, elektrische Betriebsmittel im Sinne des ETG.

2. Elektrische Anlage Bei elektrischen Anlagen im Sinne des ETG handelt es sich um ortsfeste28 betriebsmäßige Zusammenfassungen elektrischer Betriebsmittel, soweit diese Zusammenfassung nicht nach §1 Abs 1 ETG als Betriebsmittel zu betrachten ist. Anlagen zum Potentialausgleich, Erdungsanlagen, Blitzschutzanlagen und Anlagen zum kathodischen Korrosionsschutz unterfallen ebenfalls dem Begriff einer elektrischen Anlage.

C. Normalisierung und Typisierung Um dem Grundgedanken des technischen Sicherheitsrechtes, nämlich der Gewährleistung der Sicherheit von Produkten, Dienstleistungen und Verfahren, Rechnung tragen zu können, ist es notwendig, dass elektrotechnische Produkte ebenso wie Produkte im Allgemeinen bestimmten Sicherheitsanforderungen entsprechen. Dabei kommen auch auf dem Spezialgebiet der Elektrotechnik die Prinzipien der Normalisierung und Typisierung zur Anwendung: Elektrische Anlagen wie deren Änderungen müssen hinsichtlich der Stromart, der Frequenz und der Spannung so weit wie möglich einheitlich ausgeführt werden. Um gewährleisten zu können, dass diese Anforderungen tatsächlich erfüllt werden, sind vom Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit mittels Verordnung29 die erforderlichen Regelungen zu treffen. In diesen Verordnungen können neben den einheitlich festgelegten Frequenzen, Stromarten und Spannungen für besondere Verhältnisse auch von diesen abweichende Frequenzen, Stromarten oder Spannungen für zulässig erklärt werden. Das Elektrotechnikgesetz sieht weiters ausdrücklich vor, dass im Rahmen dieser Verordnungen auch ÖNORMEN, Normen internationaler Normungsorganisationen, in denen das Österreichische Normungsinstitut oder der Österreichische Verband für Elektrotechnik vertreten sind, sowie vor allem Österreichische Bestimmungen für Elektrotechnik oder Teile aller dieser genannten Dokumente für verbindlich erklärt werden können. Im Falle einer derartigen Verbindlicherklärung sind jene Normen entweder in ihrem vollen Wortlaut in der Verordnung wiederzugeben, oder sie sind - unter

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Als ortsfest gelten auch elektrische Anlagen auf Fahrzeugen, transportablen Bauwerken und fliegenden Bauten. Siehe hierzu die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Normalisierung, Typisierung und Sicherheit elektrischer Betriebsmittel und Anlagen sowie sonstiger Anlagen im Gefährdungs- und Störungsbereich elektrischer Anlagen, Elektrotechnikverordnung 1993, BGBl 1994/47, idF. Elektrotechnikverordnung 1996, zuletzt geändert durch BGBl 2006 II/33.

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Angabe desjenigen Ortes, an dem sie erhältlich sind, oder zur Einsicht aufliegen - näher zu bezeichnen.30 Hinsichtlich der Normungsarbeit stellt das Gebiet der Elektrotechnik insofern eine Besonderheit dar, als diese sowohl auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene in eigenen Institutionen stattfindet. Elektrotechnische Standardisierung findet auf internationaler Ebene in der IEC31, der Schwesterorganisation der ISO, statt, auf europäischer Ebene ist das CENELEC32 zur gemeinsamen elektrotechnischen Normung berufen. Auf nationaler österreichischer Ebene findet diese Besonderheit ihre Entsprechung in der Zuständigkeit des ÖVE,33 „Österreichische Bestimmungen für die Elektrotechnik“ auszuarbeiten.34 Dieser gesetzlichen Verpflichtung entsprechend ist der ÖVE auch Mitglied von ISO und CENELEC und wirkt in diesen über seine Abteilung „Österreichisches Elektrotechnisches Komitee“35 an der Ausarbeitung von europäischen und internationalen elektrotechnischen Normen mit. Neben dieser Facharbeit in den internationalen Gremien ist es Aufgabe dieser Abteilung, nationale Bestimmungen für die Elektrotechnik auszuarbeiten, die Übernahme europäischer oder internationaler Normen in das nationale Regelwerk zu koordinieren und das der Veröffentlichung von Normen vorausgehende Abstimmungsverfahren auf nationaler Ebene durchzuführen.

D. Sicherheitsmassnahmen 1. Elektrotechnische Sicherheitsvorschriften Generell verbietet das ETG das Inverkehrbringen36 all jener elektrischen Betriebsmittel, die nicht den in § 3 Abs 1 ETG genannten grundlegenden Anforderungen, die an sie gestellt werden, oder den auf der Grundlage des ETG erlassenen Verordnungen, entsprechen.37 Es steht dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit jedoch neben der Möglichkeit, einschlägige elektrotechnische Sicherheitsvorschriften für rechtsverbindlich zu erklären, auch noch die Möglichkeit zu, solche Vorschriften lediglich zur Anwendung zu empfehlen. 30

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Abweichend von der sonst im Zusammenhang mit der Verbindlicherklärung technischer Normen üblichen Vorgangsweise, jene für verbindlich erklärten Normen nur namentlich anzuführen, enthält die ETV 1996 in ihrem Anhang III die verbindlich erklärten ÖVE-Normen im Volltext. International Electrotechnical Commission. Comité Européen de Normalisation Electrotechnique. Österreichischer Verein für Elektrotechnik. So ausdrücklich § 3 Abs 5 Elektrotechnikgesetz 1992. ÖEK; Es betreut die die eigentliche Facharbeit leistenden 15 Fachausschüsse und 92 Fachunterausschüsse und Arbeitsgruppen, die allen interessierten Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Behörden und Konsumenten zur Mitarbeit offen stehen. Ähnlich wie bei der Normungsarbeit im ON (vgl Holoubek, Normung) ist dadurch eine Beteiligung unterschiedlicher Interessengruppen sichergestellt. Als Inverkehrbringen definiert das ETG in § 3 Abs 8 das Lagern, Feilhalten, Ankündigen, Ausstellen, Werben, Verkaufen und jedes sonstige Überlassen, sowie die Herstellung oder die direkte Einfuhr eines Produktes zum Eigengebrauch. Jede elektrische Anlage und jedes elektrische Betriebsmittel haben dabei grundsätzlich jeweils nur die Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Errichtung bzw Herstellung zu erfüllen. Dient jedoch eine Anpassung der Rechtslage dem Abstellen eines erheblichen sicherheitstechnischen Missstandes, oder kann die Umstellung ohne größere Beeinträchtigungen des Betriebes durchgeführt werden, so kann der BMWA dennoch mittels Verordnung oder Bescheid eine Anwendung der neuen Sicherheitsvorschriften anordnen (§ 4 ETG).

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Dem Einzelnen38 bleibt es also unbenommen, entweder jenen Bestimmungen gemäß zu produzieren, oder den Ansprüchen an die geforderte Sicherheit sonst auf andere geeignete Weise nachzukommen. Hier kann der BMWA wiederum durch Verordnung jene Bedingungen festlegen, unter welchen die Anforderungen an die Sicherheit als erfüllt angesehen werden.39 Welche elektrotechnischen Sicherheitsvorschriften jeweils Anwendung finden, ist dem Anhang zur Elektrotechnikverordnung40 zu entnehmen, der diesbezüglich ein zusammenfassendes Verzeichnis enthält.

2. Erfüllungsnachweis Auf Grund internationaler Abkommen, die eine solche Verpflichtung auferlegen, zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für Sachen oder zur Sicherung des ungestörten Betriebes anderer elektrischer Anlagen hat der BMWA die Möglichkeit, durch Verordnung elektrische Betriebsmittel zu bestimmen, für die ein Nachweis der Erfüllung der grundlegenden elektrotechnischen Anforderungen, wie in § 3 Abs 1 und 2 ETG bestimmt, zu erbringen ist, bevor diese erstmals in Verkehr gebracht werden.41 In dieser Verordnung ist zusätzlich anzugeben, welcher Art die erforderlichen oder zulässigen Nachweise zu sein haben, und wie diese miteinander kombiniert werden können. Als Nachweise kommen insbesondere in Betracht: • Bescheinigungen der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen, die von einer gesetzlich hierzu befugten,42 unabhängigen österreichischen Stelle43 ausgestellt wurden. • Vom Hersteller oder Importeur angebrachte Zeichen, die die Erfüllung der geforderten Sicherheitskriterien bescheinigen.44 • Bestätigungen des Herstellers oder des Importeurs über die Erfüllung der genannten Anforderungen. 38

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Die genannten Verpflichtungen richten sich an denjenigen, der die elektrische Anlage oder das elektrische Betriebsmittel errichtet, herstellt, einführt, instandhält, betreibt oder in Verkehr bringt. Darüber hinaus gehende Möglichkeiten, Verpflichtungen und Aufträge im Sinne des § 3 ETG zu erteilen, enthält Abs 11 leg cit. Vgl § 3 Abs 6 ETG. Elektrotechnikverordnung 1993, BGBl 1994/47, idF. Elektrotechnikverordnung 1996, BGBl 2006 II/33. Abgesehen vom Fall einer internationalen Verpflichtung zur Schaffung einer derartigen Verpflichtung ist die Geltungsdauer einer derartigen Verordnung mit drei Jahren zu befristen. Siehe hierzu Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Sind im Ausland ausgestellte Bescheinigungen den österreichischen gleichwertig und besteht Gegenseitigkeit, so kann der BMWA mittels Verordnung oder Bescheid diese anerkennen. Im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit ist diese Bestimmung so zu verstehen, dass Bescheinigungen, die innerhalb der Europäischen Union ausgestellt wurden, den inländischen gleichzustellen sind. Sind die Bedingungen, unter denen ausländische Zeichen angebracht und Bestätigungen ausgestellt werden dürfen, den Bedingungen für inländische Zeichen und Bestätigungen gleichwertig, und besteht Gegenseitigkeit, so kann der BMWA mittels Bescheid oder Verordnung diese anerkennen. Hinsichtlich Bescheinigungen aus dem Raum der EU gilt, dass diese österreichischen Bescheinigungen gleichzuhalten sind.

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3. Überwachung und Kontrolle a) Überwachungsverfahren Elektrische Anlagen und das in Verkehr bringen elektrischer Betriebsmittel unterliegen hinsichtlich der Einhaltung der einschlägigen elektrotechnischen Vorschriften einer Überwachung durch entweder den Landeshauptmann, in dessen Bundesland sich die elektrischen Anlagen befinden, oder den BMWA, wenn sich die elektrische Anlage auf mehr als nur ein Bundesland erstreckt, oder das in Verkehr bringen elektrischer Betriebsmittel Gegenstand der Überwachung ist. Den mit der Vornahme der sicherheitstechnischen Prüfung jeweils im Einzelfall beauftragten Organen ist Zutritt zu den elektrischen Anlagen und den Räumlichkeiten, in denen elektrische Betriebsmittel in Verkehr gebracht werden, zu gewähren. Lässt sich die Konformität des Betriebsmittels nicht an Ort und Stelle beurteilen, ist die Behörde darüber hinaus befugt, das Betriebsmittel durch eine hierzu befugte Prüfstelle45 prüfen zu lassen. Bei Gefahr im Verzuge ist der Zutritt zu jeder Zeit zu ermöglichen. Darüber hinaus trifft die Betreiber der zu prüfenden Anlage oder jenen, der die elektrischen Betriebsmittel in Verkehr bringt, die Pflicht zur Duldung46 der Untersuchungen sowie zu einer umfassenden Unterstützung des Organs, wie etwa durch die Erteilung von Auskünften.47 Hinsichtlich der Kostentragung bestimmt § 9 Abs 9 ETG, dass diese nur dann dem Bescheidadressaten vorzuschreiben sind, wenn die elektrische Anlage oder das elektrische Betriebsmittel nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht.

b) Maßnahmen zur Gefahrenabwehr Ergibt die Überwachung oder eine begründete Mitteilung einer nach einem internationalen Abkommen hierzu berechtigten ausländischen Stelle, dass ein elektrisches Betriebsmittel oder eine elektrische Anlage nicht den gesetzlichen Anforderungen aufgrund des ETG oder der hierzu ergangenen Verordnungen entspricht, so hat die Behörde dem Betreiber48 der Anlage oder dem Verfügungsberechtigten49 des Betriebsmittels die Herstellung des ordnungsgemäßen Zustandes mittels Bescheid binnen einer in diesem festzusetzenden Frist aufzutragen.50 Droht jedoch durch diese mangelnde Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Perso45 46

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Zu den befugten Prüfstellen vgl näher Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Von der Pflicht zur Duldung ist auch mitumfasst, dass die elektrischen Anlagen oder Betriebsmittel vorübergehend in Betrieb genommen oder außer Betrieb gestellt werden. Im Rahmen der Untersuchungen ist jedoch darauf Acht zu geben, dass jede nicht unbedingt notwendige Störung oder Behinderung des Geschäftsbetriebes oder Betriebsablaufes zu vermeiden ist. Betreiber einer Anlage ist nach der Legaldefinition des § 9 Abs 3 ETG deren Eigentümer, dessen Stellvertreter oder Beauftragter, subsidiär der Anlageninhaber sowie jede sonst offensichtlich mit der tatsächlichen Betriebsaufsicht betraute Person. Es ist dies der Geschäfts- oder Betriebsinhaber, sein Stellvertreter oder Beauftragter sowie jede sonstige, offenkundig mit der Leitung des Betriebes betraute Person. In einzelnen, durch örtliche oder sachliche Verhältnisse bedingten Fällen kann der BMWA über Antrag Ausnahmen von der Anwendung bestimmter elektrotechnischer Sicherheitsbestimmungen bewilligen, wenn die elektrotechnische Sicherheit im gegebenen Falle gewährleistet erscheint.

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nen oder für Sachen, so sind, wenn eine elektrische Anlage betroffen ist, alle zur Gefahrenabwehr geeigneten Maßnahmen zu treffen, worunter expressis verbis auch die Stilllegung bzw. Außerbetriebnahme der Anlage im notwendigen Ausmaß zu verstehen ist. Auf den Betriebs- oder Versorgungszweck der Anlage ist jedoch stets Rücksicht zu nehmen. Handelt es sich jedoch um elektrische Betriebsmittel, so ist deren Inverkehrbringen zu untersagen. Diese Untersagung ist aber auch auf alle sonstigen, im Betrieb - oder bei anderen Verfügungsberechtigten51 - lagernden Betriebsmittel auszudehnen, von denen nach ihrer Art, Marke, Type, Fabrikationsnummer oder ihrem Herstellungsjahr anzunehmen ist, dass sie die selbe vorschriftswidrige Beschaffenheit aufweisen. Ist es zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen geboten, so kann das Verkaufsverbot nach Verständigung des Verfügungsberechtigten unmittelbar an Ort und Stelle verhängt werden, ohne dass ein förmlicher Bescheid erlassen wird. Ein solcher schriftlicher und begründeter Bescheid ist jedoch binnen zwei Wochen nachträglich zu erlassen. Geschieht dies nicht, so gelten die verhängten Maßnahmen als aufgehoben. Ist es zur dringenden Information der beteiligten Verkehrskreise oder zur Abwendung drohender gesundheitlicher Schäden einer größeren Zahl von Verwendern der elektrischen Betriebsmittel notwendig, so kann der Inhalt der Verfügung im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ verlautbart werden. In dieser sind nur die betroffenen elektrischen Betriebsmittel sowie deren Art, Marke, Type, Seriennummer und Herstellungsjahr sowie die festgestellte Vorschriftswidrigkeit anzugeben.

Wird der Behörde nachgewiesen, dass der gesetzmäßige Zustand wieder hergestellt wurde, so sind die erlassenen Maßnahmen auf Antrag aufzuheben. Ist eine Maßnahme verlautbart worden, so ist auch deren Rücknahme bzw. Aufhebung zu verlautbaren.

E. Herstellungs-, Änderungs- und Instandhaltungsbefugnis Betreffend der Herstellung, Änderung und Instandhaltung elektrischer Anlagen und Betriebsmittel differenziert das Elektrotechnikgesetz in gewerbsmäßige und nicht gewerbsmäßige Tätigkeiten. Während sich die Erlaubnis zur Durchführung ersterer unbeschadet der Bestimmungen des Ziviltechnikergesetzes nach den einschlägigen gewerberechtlichen Vorschriften richtet, ist die nicht gewerbsmäßige Herstellung, Änderung und Instandhaltung elektrischer Anlagen und Betriebsmittel nur solchen Personen gestattet, die die hiefür notwendigen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen oder die Arbeiten unter der Aufsicht solcher Personen durchführen.

F. Sonderbestimmungen und Behördenzuständigkeit 1. Sonderbestimmungen Betreffend bestimmter elektrischer Anlagen und Betriebsmittel bestehen aufgrund deren spezieller Eigenschaften hinsichtlich ihres Verwendungszweckes besondere, von den erörterten abweichende Bestimmungen. Es sind dies elektrische Anlagen und Betriebsmittel, die ausschließlich dem Betrieb von Eisenbahnen, dem Bergbau, der Luftfahrt, der Schifffahrt, der Landesverteidigung 51

In diesem Fall ist auch den anderen vom Verkaufsverbot betroffenen Verfügungsberechtigten ein entsprechender Bescheid zuzustellen.

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oder Fernmeldezwecken der Post dienen.52 In diesen Fällen sind die Bestimmungen des ETG nur subsidiär anzuwenden, also nur so weit, als nicht Sonderbestimmungen bezüglich Normalisierung, Typisierung und elektrische Sicherheitsmaßnahmen Anwendung finden. Für elektrische Anlagen oder Betriebsmittel der Landesverteidigung finden im Falle eines Einsatzes die Bestimmungen des ETG darüber hinaus nur dann Anwendung, wenn dadurch der Einsatz nicht behindert wird. Wird im Rahmen der Überwachung ein Missstand festgestellt und werden Sicherheitsmaßnahmen getroffen, so werden in weiterer Konsequenz dieser Sonderbestimmungen für diese auch jene Behörden zuständig, die für den Verwendungszweck des Betriebsmittels oder der Anlage generell zuständig sind. Handelt es sich um Ausnahmebewilligungen für solche elektrischen Anlagen oder Betriebsmittel, die unmittelbar den speziellen, genannten Zielen dienen, so ist hiefür abweichend von der Zuständigkeit des BMWA der jeweils in Betracht kommende Bundesminister zuständig. Wirken sich die Ausnahmebewilligungen lediglich auf solche speziellen Anlagen aus, so verlangt das ETG ein Einvernehmen der beteiligten Bundesminister zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung. Einem besonderen gesetzlichen Regelungsregime unterliegen Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen. Dieses ist insbesondere im Neunten Abschnitt des TKG 2003 und im Bundesgesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen53, das wiederum wesentlich die - auf dem New Approach-Ansatz beruhende - Richtlinie über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen54 umsetzt.55 Eine genaue Begriffsdefinition von „Funkanlage“ findet sich in § 3 Z 6 TKG 200356, eine solche der Telekommunikationsendeinrichtung in § 3 Z 22 TKG 200357. Kurz zusammengefasst müssen Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen als grundlegenden Anforderung den Schutz der Gesundheit und Sicherheit des Benutzers und anderer Personen gewährleisten, einschließlich der in der Niederspannungsrichtlinie genannten Sicherheitsanforderungen sowie bestimmte Schutzanforderungen in Bezug auf die elektromagnetische Verträglichkeit.58 Dazu kommen weitere spezielle Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung funktechnischer Störungen im Hinblick auf zugewiesene Frequenznutzungen.59 Zur Konkretisierung wird - im Telekommunikationsbereich vorwiegend durch ETSI60 - auf ausgearbeitete harmonisierte Normen verwiesen und es werden zum Nachweis der Übereinstimmung mit den grundlegenden 52 53

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Vgl § 14 ETG 1992. Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen erlassen wird und das Telekommunikationsgesetz sowie das Bundesgesetz über die Verkehrs-Arbeitsinspektion geändert werden, BGBl I 2001/124 idF BGBl I 2002/25. Richtlinie 99/5/EG des Rates vom 9.3.1999 über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen und die gegenseitige Anerkennung ihrer Konformität, Abl 1999 L 91/10. Zum Regelungsbereich ausführlich Damjanovic ua, Handbuch des Telekommunikationsrechts, 2006, 56 ff. Darunter fallen so unterschiedliche Anlagen wie der drahtlose Garagenöffner, das Mobiltelefon oder der Rundfunkgroßsender, siehe Damjanovic ua (FN 55), 56. Gleichlautende Begriffsbestimmungen finden sich in § 2 Z 3 und § 2 Z 2 FTEG. Richtlinie 89/336/EWG des Rates vom 3.5.1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über elektromagnetische Verträglichkeit, Abl 1989 L 139/19. Siehe näher Damjanovic ua (FN 55), 58. Siehe Holoubek, Normung.

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Anforderungen, woraus die entsprechende Konformitätsvermutung folgt, unterschiedliche Module von Konformitätsbewertungsverfahren für unterschiedliche Geräte vorgegeben. Auch ein entsprechendes Schutzklauselverfahren ist vorgesehen.61

2. Behörden a) Allgemein Zur Vollziehung des Elektrotechnikgesetzes sind, wie bereits dargestellt, nebeneinander die Landeshauptleute und der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit berufen. Die Zuständigkeit eines Landeshauptmannes ist hinsichtlich jener elektrischen Anlagen und Betriebsmittel gegeben, die sich in seinem jeweiligen Bundesland befinden. Erstreckt sich eine elektrische Anlage jedoch auf mehr als nur ein Bundesland oder handelt es sich um Agenden im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von elektrischen Betriebsmitteln, so besteht eine Zuständigkeit des Bundesministers. b) Elektrotechnischer Beirat Der elektrotechnische Beirat wurde mit dem Ziel gegründet, dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit bei der Vollziehung des Elektrotechnikgesetzes unterstützend zur Seite zu stehen. Bei der Ausarbeitung von generellen Regelungen, wobei vor allem Verordnungen nach dem ETG sowie sonstige Fragen grundsätzlicher Bedeutung in Betracht kommen, hat der BMWA den Beirat zu hören. Über Aufforderung hat der Beirat dem Bundesminister binnen angemessener Frist Gutachten zu erstatten. Der Beirat besteht aus ehrenamtlichen, jeweils für eine Funktionsperiode von fünf Jahren ernannten Fachleuten auf dem Gebiet der Elektrotechnik, die sich einerseits aus bestimmten Ministerien und andererseits aus privaten Organisationen, die sich mit den Angelegenheiten der Elektrotechnik beschäftigen, sowie den Universitäten rekrutieren.62 Die einzelnen, im ETG taxativ aufgezählten Organisationen schlagen Fachleute vor, die sodann vom BMWA als Mitglieder des Elektrotechnischen Beirates ernannt werden.63

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Im Detail Damjanovic ua (FN 55), 58 ff. Vgl § 16 Abs 3 ETG. Der Elektrotechnische Beirat kann jedoch zu seinen Sitzungen, denen je nach dem Verhandlungsgegenstand die zuständigen Bundesministerien und Ämter der Landesregierungen beiwohnen, auch andere Sachverständige heranziehen oder die Behandlung von Sonderfragen einem Unterausschuss übertragen; siehe § 16 Abs 5 ETG.

Michael Holoubek

Kapitel 4: Bauprodukterecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................541 Grundlegende Literatur...................................................................................542 I. Kompetenzrechtliche Einordnung ...........................................................542 II. EU-Bauproduktenrichtlinie ....................................................................545 A. Historischer Hintergrund/Allgemeines..................................................545 B. Inhalt......................................................................................................547 1. Definition Bauprodukt.......................................................................547 2. Anforderungen an Bauwerke und Grundlagendokumente ................547 3. Erstellung von Normen und Leitlinien ..............................................549 4. Normkonforme Produkte...................................................................550 5. Alternative: europäische technische Zulassung.................................551 6. Schutzklauseln...................................................................................552 III. Umsetzung in Österreich .......................................................................553 A. Allgemeines............................................................................................553 B. Umsetzungsmaßnahmen der Länder .....................................................553 C. Umsetzungsmaßnahmen des Bundes .....................................................555 IV. Schwierigkeiten auf Gemeinschaftsebene ............................................555 Rechtsgrundlagen: Innerstaatliches Recht Bundesrecht: BundesG über das Inverkehrbringen von Bauprodukten und den freien Warenverkehr mit diesen, BauPG, BGBl 1997 I/55. Landesrecht: Burgenland: G. vom 20. November 1997, mit dem Bauvorschriften für das Burgenland erlassen werden (Bgld. BauG, LGBl 1998/10 idF LGBl 2006/13) Kärnten: Kärntner Akreditierungs- und BaustoffzulassungsG (krnt AkkBauZG, LGBl 1994/24 idF LGBl 2001/31); Kärntner BauO 1996 (K-BO 1996, LGBl 1996/62 idF LGBl 2004/22). Niederösterreich: Niederösterreichische BauO 1996, LGBl 8200-0 idF LGBl 8200-5 und LGBl 8200-6. Oberösterreich: LandesG vom 5. Mai 1994 über die Planung und Ausführung von Gebäuden und sonstigen baulichen Anlagen (oö BauTG, LGBl 1994/67 idF LGBl 2002/114). Salzburg: Salzburger BauprodukteG (sbg BauPG, LGBl 1995/11 idF LGBl 1995/47, 1995/63, 1995/123 (Berichtigungen) und LGBl 2001/73); VO der Salzburger Landesregierung vom 28.Mai 1997 über das Erfordernis einer österreichischen technischen Zulassung für bestimmte Bauprodukte (sbg Bauprodukte-ZulassungsVO, LGBl 1997/41 idF LGBl 2004/70) Steiermark: Steiermärkisches BauG (Stmk BauG, LGBl 1995/59 idF LGBl 2003/78); Gesetz vom 20. März 2001 über das Inverkehrbringen und die Verwendbarkeit von Bauprodukten (Stmk BauPG 2000 LGBl 2001/50 idF LGBl 2005/85); Gesetz vom

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4.April über die Akkreditierung von Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen (Stmk AkkG, LGBl 1995/62 idF LGBl 2002/7) Tirol: Tiroler Bauprodukte- und Akkreditierungsgesetz 1998 vom 11.Dezember 1997 über die Beteiligung des Landes Tirol am Österreichischen Institut für Bautechnik, das Inverkehrbringen von Bauprodukten und die Akkreditierung von Prüf- , Überwachungsund Zertifizierungsstellen (tir BauPAkkG, LGBl 1998/16, wiederverlautbart im LGBl 2001/95); Kundmachung der Landesregierung vom 23. Oktober 2001 über die Wiederverlautbarung des G. vom 11. Dezember 1997, mit dem eine BauO für Tirol erlassen wird (Tiroler BauO 1998, LGBl 1998/15, wiederverlautbart im LGBl. Nr. 94/2001). Vorarlberg: Baugesetz (Vlbg BauG, LGBl 1972/39 idF 2005/27); Bauproduktegesetz (Vlbg BauPG, LGBl 1994/33 idF 2000/65). Wien: G. über Bauprodukte und die Akkreditierung von Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen für Bauprodukte in Wien (WBAG, LGBl 1996/30); VO des Magistrates der Stadt Wien vom 4. September 1996, womit die Zuständigkeiten als Akkreditierungs- und Zulassungsstelle nach dem Wiener Bauprodukten- und AkkreditierungsG (WBAG) dem OIB übertragen und Bauschbeträge für die von den Antragstellern einzuhebenden Beiträge festgesetzt werden (WBAG - ZuständigkeitsübertragungsVO mit OIB-Tarif, 12/01/2006, Abl 2006/02). Gliedstaatenverträge der Bundesländer: Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten (siehe etwa: stmk LGBl 1999/80); Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Zusammenarbeit im Bauwesen (Umsetzung der EG-Bauproduktenrichtlinie, exemplarisch: Sbg LGBl 1993/112). Gemeinschaftsrecht: RL 89/106/EWG, Abl 1988 L40/12 idF RL 93/68/EWG, Abl 1993 L 220/1.

Grundlegende Literatur: Giese, Salzburger Baurecht, 2006; Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlagen für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, bbl 2001, 175; Hämmerlein, Wohnungswirtschaft und Verbraucherschutz im EG-Binnenmarkt, NZ 1994, 162ff; Jahnel, Baurecht, in: Bachmann ua (Hrsg), Besonderes Verwaltungsrecht5, 2004, 347 (368 f); Karner, Bauprodukterecht, 1997; Mikulits, Probleme der Umsetzung der EU-Bauproduktenrichtlinie, bbl 1999, 93ff.

I. Kompetenzrechtliche Einordnung Ausgangspunkt ist die Generalklausel des Art 15 Abs 1 B-VG, der zufolge das Baurecht in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder fällt.1 Daneben bestehen für einzelne, in Art 10 B-VG genannte Sachgebiete spezielle Baurechtskompetenzen des Bundes.2 Nach der Judikatur des VfGH3 sowie des VwGH4 wird für das Vorliegen einer baurechtlichen Annexkompetenz des Bundes ein „unlöslicher“ Zusammenhang mit der betreffenden Sach1 2

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Grundlegend: VfSlg 2685/1954. So zB Bergwesen, Verkehrswesen, betreffend Eisenbahnen, Schiffahrt, Luftfahrt, Bundestheater, Forstwesen oder militärische Angelegenheiten, siehe näher mwH Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlagen für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, bbl 2001, 175 (178). VfSlg 2685/1954, 2905/1955. Vgl exemplarisch VwGH 10.12.1991, 91/05/063, VwSlg 14.265 A/1995.

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materie verlangt. Je nach Sachmaterie kann dem Bund dabei die Kompetenz zukommen, auch die baurechtlichen Belange umfassend und abschließend zu regeln,5 oder aber es wird das Bauwesen nur in bestimmten Aspekten erfasst, sodass im verbleibenden Bereich die Zuständigkeit der Länder bestehen bleibt.6 Vor dem Hintergrund dieser kompetenzrechtlichen Ausgangslage bereitet die Ermittlung der Zuständigkeit zur Umsetzung der Bauprodukterichtlinie (BPRL) erhebliche Schwierigkeiten. Zunächst erachteten sich die Länder im Hinblick auf ihre allgemeine Baurechtskompetenz gemäß Art 15 Abs 1 B-VG auch für die Regelung des Inverkehrbringens von Bauprodukten und damit zur Umsetzung der Bauprodukterichtlinie für zuständig. Sie koordinierten ihre Umsetzungsgesetzgebung dabei über eine Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG und richteten als Zulassungsstelle das Österreichische Institut für Bautechnik (OIB)7 ein.8 Der Bundesgesetzgeber erließ in der Folge ebenfalls zur Umsetzung der Bauprodukterichtlinie ein eigenes Bundes-Bauproduktegesetz. Der Bundesgesetzgeber steht dabei kompetenzrechtlich auf dem Standpunkt, dass seine qua Annexkompetenz gegebene baurechtliche Regelungszuständigkeit in speziellen Sachmaterien auch die Kompetenz zur Regelung des Inverkehrbringens von Bauprodukten umfasse, die im Rahmen der von diesen Sachmaterien erfassten Bautätigkeiten Verwendung finden.9 Wesentlich ist dabei, dass der Bundesgesetzgeber von seiner Regelungszuständigkeit alle jene Bauprodukte als erfasst ansieht, die auch in den seiner Regelungszuständigkeit unterliegenden Sachmaterien Verwendung finden. Dem haben insbesondere Attlmayer/ Bellina-Freimuth10 entgegengehalten, dass eine Baurechtskompetenz des Bundes nur bei „spezifisch unauflöslichem Zusammenhang“ mit der jeweiligen Sachmaterie und damit seine Regelungszuständigkeit für das Inverkehrbringen von Bauprodukten nur für solche Produkte gegeben sei, die ausschließlich in Sachbereichen eingesetzt werden, für die der Bund eine exklusive Regelungskompetenz besitzt.11 Einen grundsätzlich anderen Ansatz wählt Gutknecht.12 Sie geht zunächst davon aus, dass die Baurechtskompetenz - und zwar sowohl die allgemeine 5

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So zB im Berg-, Forst- oder Verkehrswesen, siehe Attlmayer/Bellina-Freimut, Zur kompetenzrechtlichen Beurteilung der Zuständigkeit des Inverkehrbringens von Bauprodukten, bbl 2000, 91 (98). Vgl hierzu mwN Gutknecht (FN 2) 178; VwSlg 14.271 A/1995. Das OIB ist ein gemeinnütziger Verein nach dem Vereinsgesetz mit Sitz in Wien, seine Vereinsmitglieder sind die 9 Bundesländer. Vgl dazu näher Mikulits, Probleme der Umsetzung der EU-Bauproduktenrichtlinie, bbl 1999, 93 (94); dort auch zur besonderen Umsetzungstechnik im burgenländischen Baugesetz, das für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie die beiden Vereinbarungen gemäß Art 15a B-VG (Vereinbarung gemäß Artikel 15 a B-VG über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten, Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Zusammenarbeit im Bauwesen) im Landesgesetzblatt kundmachte und auf gesonderte Umsetzungsmaßnahmen verzichtete. Vgl RV 148 BlgNR 20. GP, vgl mwH Gutknecht (FN 2) 13f. Attlmayer/Bellina-Freimuth (FN 5) insb 98 ff. Attlmayer/Bellina-Freimuth (FN 5) 100 f; eine Bundeskompetenz im Hinblick auf Bauprodukte bestünde nach dieser Auffassung etwa für Eisenbahnschienen oder -schwellen, so Attlmayer/Bellina-Freimuth, aaO, 101. Gutknecht (FN 2) 173.

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Baurechtskompetenz der Länder gemäß Art 15 Abs 1 B-VG als auch die speziellen baurechtlichen Annexkompetenzen des Bundes - nur Regelungen über die „Verwendung“ von Bauprodukten umfassen, insbesondere damit auch Vorschriften über die Zulassung von Baustoffen als wesentliches Element des Bautechnikrechts jeweils für bestimmte Bauwerke. Demgegenüber sei das „Inverkehrbringen“, also die Zulassung zum Handel mit Bauprodukten, von der Baurechtskompetenz nicht mitumfasst.13 Die Zuständigkeit zur Regelung des Inverkehrsbringens von Bauprodukten liege auf Grund der Kompetenztatbestände Normenwesen (Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG), Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) und Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) ausschließlich beim Bund. Gute Gründe dürfte zunächst einmal die Auffassung für sich haben, dass Verwendungsregelungen, also insbesondere Baustoffzulassungen für bestimmte Baumaßnahmen, der Baurechtskompetenz unterfallen. Eine Verwendungsvorschrift in diesem Sinn liegt jedenfalls dann vor, wenn präventive verwaltungsbehördliche Genehmigungsverfahren für bestimmte Bauprodukte, die für bestimmte Baumaßnahmen verwendet werden sollen, vorgesehen werden. Gute Gründe sprechen weiters dafür, dass der Kompetenztatbestand „Normenwesen“ eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes für die Regelung von Organisation und Verfahren von (privaten) Einrichtungen, die (technische) Normen erarbeiten, vorsieht14. Fraglich ist allerdings, ob der Kompetenztatbestand „Normenwesen“ auch umfassend und ausschließlich die Zuständigkeit zur Regelung über die Zertifizierung von Produkten umfasst.15 Hier dürften doch gute Argumente dafür sprechen, dass - wie die Frage der Verbindlicherklärung von technischen Normen auch - die Regelungszuständigkeit zur Verleihung von Akkreditierungs- und Zertifizierungsbefugnissen Bestandteil der jeweiligen Sachmaterie ist. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Unterscheidung zwischen „Inverkehrbringen“ und „Verwendung“ doch fragwürdig ist. Denn Sinn und Zweck der Befugnis zum Inverkehrbringen von Bauprodukten ist es ja gerade, dass die Unternehmer und Konsumenten diese Bauprodukte für Baumaßnahmen ohne weitere behördliche Überprüfung verwenden können. Insoweit also die allgemeine Baurechtskompetenz der Länder und nicht spezielle Baurechtsmaterien wie etwa das Eisenbahnwesen betroffen sind, sprechen gute Gründe dafür, dass die Zulassung zum Handel, also zum Inverkehrbringen eines Bauprodukts, auch die Zulassung zur Verwendung mitumfasst16. Im Hinblick auf die Gewerberechtskompetenz ist darauf hinzuweisen, dass diese im vorliegenden Zusammenhang nur allgemeine, handelsbezogene Produktregelungen und nicht produktspezifisches Produktsicherheitsrecht umfasst, für das eigenständige Sachkompetenzen bestehen.

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Gutknecht (FN 2) 180 f. Siehe dazu Holoubek, Normung. Dafür Gutknecht (FN 2) 183. Für eine Trennung demgegenüber Gutknecht (FN 2) 181.

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II. EU-Bauproduktenrichtlinie A. Historischer Hintergrund/Allgemeines Dem Markt für Bauprodukte kommt infolge seiner wirtschaftlichen Bedeutung17 große Aufmerksamkeit zu. Natürliche Gegebenheiten wie unterschiedliche klimatische und bautechnische Erfordernisse, aber auch die faktisch geringe Bereitschaft der Mitgliedstaaten, an der Erarbeitung von gemeinsamen technischen Standards aktiv mitzuwirken, hinderten ein schnelles Vorankommen auf dem Weg zu einem harmonisierten Binnenmarkt für Bauprodukte. Das vom Europäischen Rat im Juni 1985 gebilligte Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes18 sah in seinem Paragraphen 71 vor, diese allgemeine Politik branchenspezifisch zu akzentuieren und insbesondere auch auf dem Bausektor durchzuführen. Die durch unterschiedliche nationale Anforderungen an Bauprodukte in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden technischen Hemmnisse sollten, sofern sie nicht durch die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit zwischen allen Mitgliedstaaten abgebaut werden können, im Wege der Neuen Konzeption auf dem Gebiet der Normung19 beseitigt werden. Die Bauprodukterichtlinie20 ist in diesem System der „neuen Konzeption“21 ergangen und beschränkt sich deshalb auf die Festlegung von grundlegenden Anforderungen, die erfüllt werden müssen, damit die Bauprodukte gemeinschaftsweit in Verkehr gebracht werden können.22 Die Besonderheit besteht im vorliegenden Fall darin, dass Bauprodukte als Gegenstand der Richtlinie insofern „quasi unselbständige“ Produkte sind, als sie definitionsgemäß dazu bestimmt sind, in Bauwerken verbaut zu werden. Dem Rechnung tragend knüpfen die in der Bauproduktenrichtlinie enthaltenen grundlegenden Anforderungen auch nicht an das einzelne Produkt, sondern an das aus einer Vielzahl von zusammengefügten Bauprodukten bestehende Bauwerk an. Mit den Bauprodukten müssen also Bauwerke errichtet werden können, die als Ganzes und in ihren Teilen - unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit während einer üblichen und wirtschaftlich angemessenen Verwendungszeit einzelnen, mehreren oder allen der an sie gestellten, grundlegenden Anforderungen bei normaler Art der Instandhaltung genügen müssen. Auf diesen ersten Schritt der Festlegung von übergeordneten, speziellen Anforderungen an die Bauwerke folgt als zweiter Schritt die Erstellung von Grundlagendokumenten.23 Die Kommission arbeitet in diesen auf technischer Ebene jene Kriterien heraus, denen die einzelnen Bauprodukte genügen müs17

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Die Baubranche war 2002 für EU Kapitalbewegungen in der Höhe von 1004 Mrd. Euro verantwortlich und übertrifft auch in beschäftigungspolitischer Hinsicht alle anderen Wirtschaftszweige der Industrie (http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/ l21181.htm). KOM(85) 310. Vgl Holoubek, Normung. RL 89/106/EWG, Abl 1988 L 40/12 idF RL 93/68/EWG, Abl 1993 L 220/1. Entschließung des Rates vom 7.Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normen, Abl 1985 C 136/1. Die Richtlinie regelt also ausschließlich das „Inverkehrbringen“ von Bauprodukten. Früher als „ Interpretative Dokumente“ bezeichnet.

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sen, und die für die Ausarbeitung harmonisierter Normen24 als Grundlage dienen. Erfüllen Bauprodukte die an sie gestellten Anforderungen, so sind sie „brauchbar“ im Sinne der Richtlinie und können - nach erfolgreichem Absolvieren eines Konformitätsbewertungsverfahrens25 - mit der CE-Kennzeichnung versehen und gemeinschaftsweit in Verkehr gebracht werden.26 Aufgrund der Besonderheiten des Bausektors und zur Beachtung unterschiedlicher Niveaus der wesentlichen Anforderungen bei bestimmten Bauwerken und faktischer Unterschiede in den einzelnen Mitgliedstaaten sollten ursprünglich in den Grundlagendokumenten und in den harmonisierten technischen Spezifikationen Klassen für Anforderungen und Leistungsniveaus sowie Grenzwerte vorgesehen werden, denen die Produkte in den Mitgliedstaaten künftig genügen hätten müssen. Von diesem Vorhaben wurde jedoch - eine diesbezügliche Ausnahme stellen nur die Euroklassen des Brandverhaltens und die Klassen des Brandwiderstandes dar - Abstand genommen. Es ist nunmehr ausreichend, wenn der Hersteller sogenannte „declared values“ angibt.27 Dabei handelt es sich um die nach einem harmonisierten Verfahren tatsächlich erreichten Messergebnisse betreffend bestimmter harmonisierter Kennwerte des jeweiligen Produktes.

Die Richtlinie beschränkt sich also einerseits darauf, die Vorschriften über das Inverkehrbringen dieser Produkte zu regeln,28 und andererseits darauf, qualitative Anforderungen aufzustellen. Die Art der Produktleistung und die Nachweisverfahren sind also national nicht mehr frei regelbar, wohl aber die quantitativen Anforderungen an die Leistungen eines Produktes im Rahmen der gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen technischen Spezifikationen. Unter denselben Voraussetzungen können auch nationale Anforderungen betreffend Gesundheits- und Umweltschutz erlassen werden.

Insgesamt bedeutet dieses neue Organisationskonzept auf dem Markt der Bauprodukte freilich auch, dass nunmehr nicht wie bisher die öffentlich-rechtlichen Regelungen ausschließlich die Verwendung von Bauprodukten regeln, sondern durch die Bauprodukterichtlinie und die in Folge erlassenen Bauproduktegesetze auch der Handel mit diesen, der bislang ausschließlich dem Zivilrecht unterlag, einem öffentlich24

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Zur Ausarbeitung europäischer harmonisierter Normen sind das Europäische Komitee für Normung (CEN) und das Europäische Komitee für elektrische Normung (CENELEC) gemäß den am 13.November 1984 unterzeichneten Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den vorgenannten Stellen zuständig. Eine harmonisierte Norm ist eine technische Spezifikation (Europäische Norm oder Harmonisierungsdokument), die von einer der beiden oder von beiden vorgenannten Stellen im Auftrag der Kommission gemäß der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28.März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (Abl 1983 L 109/8) festgelegt wurde. Vgl Art 4 Abs 1 BPRL. Wie das einzelne Konformitätsbewertungsverfahren zu gestalten ist, also welche Prüfungen auf welcher Produktionsstufe durchgeführt werden müssen, und ob insbesondere eine laufende Überprüfung der Produktion verlangt wird, ergibt sich aus der jeweils einschlägigen technischen Spezifikation. Nach Ansicht der Kommission ist die Kennzeichnung des einzelnen Bauproduktes mit dem CE-Kennzeichen nicht bloß geduldet, sondern vielmehr obligatorischer Natur. Bei bestätigter Konformität ist daher das Kennzeichen auf dem Produkt anzubringen. Siehe bei Mikulits (FN 8) 97. Außer Betracht bleiben demgegenüber die Vorschriften über die Verwendung der Produkte.

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rechtlichen Regime unterworfen ist. Dieses neue öffentlich-rechtliche Regime gewährleistet aber auch, dass im Verkehr befindliche und für diesen zugelassene Produkte ein bestimmtes, leicht nachvollziehbares Qualitätsniveau besitzen und gewissen grundlegenden Güte- und Sicherheitsaspekten genügen.

B. Inhalt 1. Definition Bauprodukt Vom Anwendungsbereich der Richtlinie sind jene Produkte umfasst, die hergestellt werden, um dauerhaft in Bauwerke des Hoch- oder des Tiefbaus eingebaut zu werden. Hinsichtlich der Bauprodukte29 wird näher differenziert in Baustoffe, also ungeformte Stoffe wie Beton oder Zement, in geformte Stoffe, wie Ziegel oder Stahlträger, und in Bauteile, das sind aus Baustoffen hergestellte Gegenstände wie Fenster oder Türen. Nach Auffassung der Kommission gehören hierzu auch Anlagen und Einrichtungen sowie ihre Teile für Heizung, Klima, Lüftung, sanitäre Zwecke, elektrische Versorgung, Lagerung umweltgefährdender Stoffe, aber auch vorgefertigte Bauwerke, die als solche auf den Markt kommen. Anlagen sind etwa Lüftungsanlagen, die auf der Baustelle zusammengesetzt werden müssen.

2. Anforderungen an Bauwerke und Grundlagendokumente Wie bereits erwähnt bezieht sich die Bauprodukterichtlinie nur mittelbar auf Bauprodukte, die „grundlegenden Anforderungen“ der Richtlinie werden unmittelbar an die Bauwerke selbst gestellt. Die einzelnen Bauprodukte werden daher erst dann zum freien, gemeinschaftsweiten Verkehr zugelassen, wenn sie „brauchbar“ sind, also sichergestellt ist, dass das Bauwerk, für das sie durch Einbau, Zusammenfügung, Anbringung oder Installierung verwendet werden sollen, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung die grundlegenden Anforderungen nach Artikel 3 der Bauproduktenrichtlinie erfüllen kann. Diese Brauchbarkeit wird entweder durch eine positive Konformitätsbescheinigung mit einer technischen Spezifikation oder eine europäische technische Zulassung oder aber dadurch nachgewiesen, dass der Produzent oder Händler den Nachweis für den Einzelfall auf sonstige Weise erbringt. Die genannten grundlegenden Anforderungen an Bauwerke, auf welche in Art 3 der Richtlinie verwiesen wird, finden sich im Anhang I der Bauproduktenrichtlinie und beziehen sich auf: • Mechanische Festigkeit und Standsicherheit,30 • Brandschutz,31 29 30

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Siehe hierzu Protokollerklärung Nr. 3 zur Bauproduktenrichtlinie. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass die während der Errichtung und Nutzung möglichen Einwirkungen keines der nachstehenden Ereignisse zur Folge haben: 1. Einsturz des gesamten Bauwerks oder eines Teils; 2. größere Verformungen in unzulässigem Umfang; 3. Beschädigungen anderer Bauteile oder Einrichtungen und Ausstattungen infolge zu großer Verformungen der tragenden Baukonstruktion; 4. Beschädigungen durch ein Ereignis in einem zur ursprünglichen Ursache unverhältnismäßig großen Ausmaß. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass bei einem Brand 1. die Tragfähigkeit des Bauwerks während eines bestimmten Zeitraums erhalten bleibt, 2. die Entstehung und Ausbreitung von Feuer und Rauch innerhalb des Bau-

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• Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz,32 • Nutzungssicherheit,33 • Schallschutz34 und • Energieeinsparung und Wärmeschutz.35 Diese wesentlichen Anforderungen müssen jedoch, um ein Mandat zur Ausarbeitung einer produktbezogenen Norm36 erteilen zu können, konkretisiert werden, sodass daraus auch Anforderungen an diejenigen Produkte abgeleitet werden können, die durch die konkrete Norm harmonisiert werden sollen.37 Zum diesem Zweck wurden von der Kommission unter Heranziehung und Angabe von Bezugsdokumenten sogenannte Grundlagendokumente38 erstellt, die die grundlegenden Anforderungen konkret ausformulieren. Sie dienen als Zwischenglieder zwischen den grundlegenden Anforderungen und den Mandaten, die die Kommission an CEN/CENELEC zur Ausarbeitung von Europäischen Normen und an EOTA zur Erarbeitung von Leitlinien für Europäische Technische Zulassungen erteilen. Darüber hinaus fungieren sie als Basis für die Anerkennung nationaler technischer Spezifikationen.39 Zur besseren Verwend-

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werks begrenzt wird, 3. die Ausbreitung von Feuer auf benachbarte Bauwerke begrenzt wird, 4. die Bewohner das Gebäude unverletzt verlassen oder durch andere Maßnahmen gerettet werden können, 5. die Sicherheit der Rettungsmannschaften berücksichtigt ist. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass die Hygiene und die Gesundheit der Bewohner und der Anwohner insbesondere durch folgende Einwirkungen nicht gefährdet werden: 1. Freisetzung giftiger Gase, 2. Vorhandensein gefährlicher Teilchen oder Gase in der Luft, 3. Emission gefährlicher Strahlen, 4. Wasser- oder Bodenverunreinigung oder -vergiftung, 5. unsachgemäße Beseitigung von Abwasser, Rauch und festem oder flüssigem Abfall, 6. Feuchtigkeitsansammlung in Bauteilen und auf Oberflächen von Bauteilen in Innenräumen. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass sich bei seiner Nutzung oder seinem Betrieb keine unannehmbaren Unfallgefahren ergeben, wie Verletzungen durch Rutsch-, Sturz- und Aufprallunfälle, Verbrennungen, Stromschläge, Explosionsverletzungen. Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass der von den Bewohnern oder von in der Nähe befindlichen Personen wahrgenommene Schall auf einem Pegel gehalten wird, der nicht gesundheitsgefährdend ist und bei dem zufriedenstellende Nachtruhe-, Freizeit- und Arbeitsbedingungen sichergestellt sind. Das Bauwerk und seine Anlagen und Einrichtungen für Heizung, Kühlung und Lüftung müssen derart entworfen und ausgeführt sein, dass unter Berücksichtigung der klimatischen Gegebenheiten des Standortes der Energieverbrauch bei seiner Nutzung gering gehalten und ein ausreichender Wärmekomfort der Bewohner gewährleistet wird. Daneben kommen noch in Betracht: Aufträge zur Ausarbeitung von Leitlinien für die europäische technische Zulassung oder der Anerkennung anderer technischer Spezifikationen. Durch das geschilderte System der kontinuierlichen Ableitung von Leistungsmerkmalen aus den grundlegenden Anforderungen an Bauwerke ist es auch möglich geworden, sämtliche Bauprodukte im Rahmen der Bauprodukterichtlinie zu regeln. Die Grundlagendokumente entsprechen den grundlegenden Anforderungen und beziehen sich dementsprechend auf: Mechanische Festigkeit und Standsicherheit, Brandschutz, Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz, Nutzungssicherheit, Schallschutz und Energieeinsparung und Wärmeschutz. Die Mitgliedstaaten können der Kommission diejenigen nationalen technischen Vorschriften übermitteln, die ihrer Meinung nach mit den grundlegenden Anforde-

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barkeit wurden die Terminologie wie die technischen Grundlagen vereinheitlicht. Zusätzlich war in der Bauprodukterichtlinie ursprünglich beabsichtigt, für jede Anforderung soweit erforderlich und nach dem Stand der Wissenschaft und Technik möglich, Klassen und Leistungsniveaus vorzusehen, um den unterschiedlichen Niveaus der wesentlichen Anforderungen bei bestimmten Bauwerken und den Unterschieden in den einzelnen Mitgliedstaaten gerecht zu werden.40 Davon nahm die Praxis jedoch weitgehend Abstand, sodass lediglich im Bereich der grundlegenden Anforderungen: Brandschutz sogenannte „Euroklassen des Brandverhaltens“ und „Klassen des Brandwiderstandes“ existieren.41 Darüber hinaus wird lediglich im Rahmen der „grundlegenden Anforderungen 1“, die mechanische Festigkeit und Standsicherheit betreffend, im Wege der „Eurocodes“ Harmonisierungsarbeit geleistet.42

Hinsichtlich der übrigen grundlegenden Anforderungen hat die Praxis der Umsetzung der Bauprodukterichtlinie einen anderen Weg eingeschlagen: Gegenstand der Harmonisierung sind bestimmte Kennwerte („declared values“) des jeweiligen Produktes sowie die Verfahren und Prüfmethoden zu deren Ermittlung. Anhand dieser „declared values“ kann in jedem Mitgliedstaat festgestellt werden, ob die in den jeweiligen nationalen Vorschriften vorgesehenen, qualitativen Anforderungen an das Produkt erfüllt werden. Nur in diesem Fall kann das Bauprodukt in dem jeweiligen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden.

3. Erstellung von Normen und Leitlinien Wie allgemein auf dem Gebiet der Normung auf Gemeinschaftsebene43 erfolgt die Ausarbeitung von harmonisierten Normen auch auf dem Bausektor unter Zuhilfenahme von CEN/CENELEC unter Beteiligung der interessierten Kreise im Speziellen und der Öffentlichkeit im Allgemeinen.44 Bei der Erstellung von Leitlinien für die Erteilung einer europäischen technischen Zulassung an Produkte bedient sich die Kommission der Hilfe des Gremiums der von den Mitgliedstaaten bestimmten Zulassungsstellen (EOTA45). Die Kommission bzw der bei dieser eingerichtete Ständige Ausschuss für Bauprodukte46 arbeiten in einem ersten Schritt auf der Basis erstellter Grundlagendokumente Mandate für CEN bzw. EOTA aus, die die zu behandelnden Leistungsanforderungen (Produktkennwerte) enthalten und die Details zum Konformitätsbescheinigungs-

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rungen der Richtlinie übereinstimmen. Schließt sich die Kommission dieser Ansicht an, so wird die nationale Norm in ein Verzeichnis jener Normen aufgenommen, bei deren Erfüllung ein Produkt als mit der Richtlinie übereinstimmend gilt. Siehe näher Art 4 Abs 3 sowie Art 5 Abs 2 der BPRL. Vgl die Erwägungsgründe zu RL 89/106/EWG, Abl 1988 L 40/12. Vgl Mikulits (FN 8) 97. Derartige „Eurocodes“ stehen bereits in der Form von Europäischen Vornormen zur Verfügung, deren Umwandlung in Europäische Normen ist derzeit im Gange. Zu Vornormen und Europäischen Normen vgl näher Holoubek, Normung. Vgl Holoubek, Normung. Entsprechend den allgemeinen Bestimmungen der am 13. November 1984 unterzeichneten Übereinkunft zur Zusammenarbeit zwischen CEN/EOTA und der Kommission. European Organisation for Technical Approvals. Gem Art 19 der BPRL.

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verfahren festlegen.47 Im Anschluss daran übermittelt die Kommission die Mandate an CEN bzw. EOTA, welche Arbeitsprogramme zu erstellen haben, die wiederum der Kommission vorzulegen sind und von dieser angenommen werden müssen, bevor mit der eigentlichen Normungsarbeit begonnen werden kann.48

4. Normkonforme Produkte Will nun ein Hersteller sein entsprechend den Anforderungen einer harmonisierten Norm49 hergestelltes Produkt gemeinschaftsweit in Verkehr bringen, und ist dieses Produkt nicht infolge seiner untergeordneten Rolle in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit gem. Art 4 Abs 5 vom Erfordernis der Vorlage eines Nachweises seiner Konformität ausgenommen,50 so hat der Hersteller oder sein in der Gemeinschaft ansässiger Bevollmächtigter zur Feststellung der Konformität seines Produktes eine Prüfung desselben durchzuführen oder andere Nachweise auf der Grundlage der technischen Spezifikationen51 zu erbringen.52 Ob hierzu als Minimum das Bestehen eines werkseigenen Produktionskontrollsystems53 zur Feststellung der Übereinstimmung der Produkte mit den einschlägigen technischen Spezifikationen ausreicht, oder ob zusätzlich eine für das Produkt oder die Produktgruppe einschlägig zugelassene Zertifizierungsstelle54 einzuschalten ist, entscheidet die Kommission in Zusammenarbeit mit dem Ständigen Ausschuss für das Bauwesen.55 Von der Entscheidung über den für ein Produkt oder eine ganze Produktgruppe zu erbringenden Nachweis 47 48

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Zum Konformitätsbewertungsverfahren vgl Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Zum Normungsverfahren allgemein vgl Holoubek, Normung; hinsichtlich des genauen Ablaufes der Erstellung von Normungsmandaten bzw Mandaten für die Ausarbeitung von Leitlinien siehe www.oib.or.at. Die solcherart erstellten Normen werden sodann von der Kommission im Amtsblatt Nr C durch Bekanntgabe der Fundstellen veröffentlicht. Entsprechend gilt dies auch für Produkte, die konform mit nationalen Normen hergestellt wurden, sofern diese auf europäischer Ebene als mit den wesentlichen Anforderungen vereinbar qualifiziert wurden. Vgl dazu Art 3 Abs 3 BPRL. Die Kommission und der Ständige Ausschuss für das Bauwesen erstellen, verwalten und überarbeiten gem Art 4 Abs 5 der Richtlinie eine Liste jener Produkte, die in Bezug auf die Gesundheit und die Sicherheit nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die darin enthaltenen Produkte können ohne weiteres Konformitätsbescheinigungsverfahren in Verkehr gebracht werden, solange nur eine Erklärung des Herstellers über die Konformität mit den anerkannten Regeln der Technik vorliegt. Auf diesen Produkten darf jedoch das CE-Kennzeichen nicht angebracht werden. Europäische technische Spezifikationen: 1. harmonisierte europäische Normen, 2. europäische technische Zulassungen sowie 3. anerkannte nationale Normen. Vgl Art 13 Abs 2 BPRL. Art 13 Abs 3 lit a BPRL. Zum Problem der Akkreditierung von werkseigenen Prüfoder Überwachungsstellen vgl Holoubek, Akkreditierung und Zertifizierung. Art 13 Abs 3 lit b BPRL. SCC (Standing Committee on Construction). Bei dieser Entscheidung kommt der Bedeutung des Produktes in Bezug auf die grundlegenden Anforderungen insbesondere bezüglich Gesundheit und Sicherheit, der Beschaffenheit des Produktes, dem Einfluss der Veränderlichkeit seiner Eigenschaften auf seine Gebrauchstauglichkeit und der Fehleranfälligkeit seines Herstellungsprozesses Wichtigkeit zu (Art 13 Abs 4 BPRL). Es ist dabei jeweils dasjenige Verfahren zu wählen, welches unter Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen das am wenigsten beschwerliche ist.

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führt ein im jeweiligen Einzelfall festzulegendes Verfahren56 zur Ausstellung einer Konformitätserklärung oder zur Erteilung eines Konformitätszertifikates durch die zugelassene Zertifizierungsstelle. Der Unterschied liegt darin, dass es sich im ersten Fall nicht um externe Überwachung durch eine benannte Stelle, sondern um werkseigene Produktionskontrolle, die durch den Hersteller selbst oder seinen in der Gemeinschaft ansässigen Bevollmächtigten wahrgenommen wird, handelt. Nach erfolgreichem Bestehen dieses Konformitätsbescheinigungsverfahrens kann bzw muss57 das CE-Kennzeichen auf dem Produkt angebracht und kann dieses im gesamten Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden. Die Systeme der Konformitätsbescheinigung58 reichen dabei von der bloßen Notwendigkeit einer Erstprüfung durch den Hersteller und des Bestehens einer werkseigenen Produktionskontrolle bis hin zur Zertifizierung der Produktionskontrolle und Entnahme von Stichproben aus der Produktion durch eine zugelassene Stelle, wobei die zu treffenden Maßnahmen vor allem von der Gefahrengeneigtheit des Produktes abhängig sind.

5. Alternative: europäische technische Zulassung Die Brauchbarkeit eines Produktes lässt sich jedoch nicht nur aus dessen Übereinstimmung mit einer harmonisierten Norm ableiten, sie ist auch dann als gegeben zu betrachten, wenn es die Erfordernisse einer nationalen, gemäß dem dafür vorgesehenen Verfahren der Bauprodukterichtlinie59 anerkannten technischen Spezifikation erfüllt. Aber auch dann, wenn die technische Beurteilung eines einzelnen betroffenen Produktes zu dem Ergebnis kommt, dieses erfülle die wesentlichen Anforderungen, um für die Errichtung bestimmter Bauwerke verwendet werden zu können, ist das Produkt brauchbar im Sinne der Richtlinie.60 Liegen weder eine harmonisierte europäische Norm, noch eine anerkannte nationale Norm, noch ein Mandat für eine harmonisierte Norm vor, und stimmen die Kommission und der ständige Ausschuss für das Bauwesen darin überein, dass im fraglichen Bereich eine Norm nicht oder noch nicht ausgearbeitet werden kann,61 oder weicht ein Produkt trotz Bestehens einer harmonisier-

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Im Anhang III der Richtlinie werden Module für die individuelle, den jeweiligen Anforderungen des einzelnen Produktes gerecht werdende Zusammenstellung dieser Verfahren der Bescheinigung der Konformität mit technischen Spezifikationen angeführt. Nach Ansicht der Kommission ist das Anbringen der CE-Kennzeichnung obligatorisch. Vgl Anhang III der Bauprodukterichtlinie. Vgl Art 4 Abs 3 BPRL. Die „Brauchbarkeit“ von Produkten als Voraussetzung des Inverkehrbringens spiegelt das der Bauprodukterichtlinie zugrunde liegende Konzept wider: Relevant für die Beurteilung eines Produktes ist nicht die Erfüllung bestimmter taxativ aufgezählter Merkmale, es kommt vielmehr auf gesamte Produktleistung, seine „Performance“ an. Wird während eines laufenden Zulassungsverfahrens ein Mandat zur Erarbeitung einer Norm erstellt, und bestehen für das fragliche Produkt Leitlinien für eine solche Zulassung, so hindert dies die Erteilung der Zulassung auf Gemeinschaftsebene

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ten technischen Spezifikation oder einer anerkannten nationalen Norm nicht nur unwesentlich von dieser ab, so besteht die Möglichkeit der Erteilung einer europäischen technischen Zulassung.62 Europäische technische Zulassungen werden in der Regel auf fünf Jahre erteilt, können aber verlängert werden. Die Beurteilung des Produktes im Rahmen des Verfahrens zur europäischen technischen Zulassung erfolgt auf der Basis der Grundlagendokumente sowie unter Heranziehung der vom Gremium der Zulassungsstellen63 erarbeiteten Leitlinien64 für europäische technische Zulassungen einzelner Produkte oder der ganzen Produktgruppe, sowie verschiedener Untersuchungen und Prüfungen, die in diesen festgelegt werden. Daneben enthalten sie Angaben über die vom Hersteller durchzuführenden Kontrollen und das im jeweiligen Einzelfall anzuwendende Konformitätsbewertungsverfahren. Liegen die Leitlinien jedoch nicht oder noch nicht vor, so kann dennoch unter Berücksichtigung der einschlägigen wesentlichen Anforderungen und der Grundlagendokumente eine Zulassung erteilt werden, wenn sich die Bewertung des Produktes auf einvernehmliche Stellungnahmen65 der von den Mitgliedstaaten bekannt gegebenen Zulassungsstellen stützt.66 Jene Produkte, die im Hinblick auf die Kriterien der Gesundheit und der Sicherheit nur eine untergeordnete Rolle spielen, können schon bei Vorliegen einer Konformitätserklärung des Herstellers in Verkehr gebracht werden. Eine Kennzeichnung mit dem CE-Zeichen bleibt diesen Produkten jedoch verwehrt, sie sind aber in eine Liste aufzunehmen, die von der Kommission in Konsultation mit dem Ständigen Ausschuss für das Normenwesen zu erstellen, zu verwalten und laufend zu überarbeiten ist.

6. Schutzklauseln Wie im Bereich der Normung im Allgemeinen67 ist darauf hinzuweisen, dass auch auf dem Bausektor ungeachtet der grundsätzlichen Verpflichtung der

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nicht. Dies gilt bis zum Inkrafttreten der harmonisierten Norm in den Mitgliedstaaten. Abweichend davon und im Einzelfall kann eine Zulassung auch erteilt werden, wenn ein Mandat für eine harmonisierte Norm bereits existiert oder für Produkte, bei denen die Kommission festgestellt hat, dass eine harmonisierte Norm ausgearbeitet werden kann. Diese Zulassung darf jedoch nur für einen bestimmten, festgelegten Zeitraum erteilt werden (Art 8 Abs 3 BPRL). EOTA, European Organisation for Technical Approvals. Ähnlich dem CEN und CENELEC ist EOTA ein gemeinnütziger Verein nach belgischem Recht mit Sitz in Brüssel. Ihre Mitglieder sind die von den einzelnen Mitgliedstaaten für die Erteilung europäischer technischer Zulassungen benannten Zulassungsstellen. ETAG (European Technical Approval Guidelines). Diese Leitlinien sind gem. Art 11 der RL nach Befassung des Ständigen Ausschusses für das Bauwesen vom genannten Gremium der Zulassungsstellen der Mitgliedstaaten (EOTA) auszuarbeiten und beinhalten eine Liste der konkret zu berücksichtigenden Grundlagendokumente, die konkreten Anforderungen an das Produkt, die Methode der Auswertung und der Beurteilung der Prüfergebnisse, die Kontroll- und Konformitätsverfahren sowie die Geltungsdauer der Zulassung, die üblicherweise fünf Jahre beträgt, aber verlängert werden kann. Diese werden in einem eigenen Konsultationsverfahren eingeholt. Kann keine Einigkeit erzielt werden, so ist gem Art 9 Abs 2 der RL der ständige Ausschuss für das Bauwesen zu befassen. Vgl Holoubek, Normung.

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Mitgliedstaaten, Produkte, die den Anforderungen der Bauprodukterichtlinie gerecht werden, auf ihrem Gebiet ungehindert zum freien Verkehr zuzulassen,68 die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Schutzklauseln69 besteht. Ist ein Mitgliedstaat der Ansicht, dass ein Produkt, dessen Konformität bescheinigt wurde, den grundlegenden Anforderungen nicht entspricht, so hat er das betreffende Produkt vom Markt zu nehmen und die Kommission unter Bekanntgabe der Gründe dafür zu benachrichtigen. Insbesondere ist anzugeben, ob das fragliche Produkt den zugrundeliegenden technischen Spezifikationen nicht entspricht, ob diese mangelhaft angewandt worden sind, oder ob die Nichtübereinstimmung des Produktes mit den grundlegenden Anforderungen der BPRL aus einer Mangelhaftigkeit der Spezifikation selbst herrührt. Die Kommission informiert sodann die betroffenen Parteien und stellt aufgrund dieser Konsultationen fest, ob die getroffene Maßnahme gerechtfertigt ist, oder nicht. Gründet sich der Mangel des Produktes in der Fehlerhaftigkeit der angewandten Spezifikation, so ist der Ständige Ausschuss für das Bauwesen sowie - wenn es sich bei dieser um eine harmonisierte Norm handelt - der Ständige Ausschuss für das Normenwesen70 zu befassen. Auf der Basis der Ergebnisse dieses Konsultationsverfahrens entscheidet die Kommission abschließend ob die jeweilige europäische oder nationale technische Spezifikation auch weiterhin als Grundlage für das Konformitätsverfahren herangezogen werden darf. Sämtliche Mitgliedstaaten sind über den Verlauf des Prüfungsverfahrens und die diesbezüglichen Ergebnisse zu unterrichten.

III. Umsetzung in Österreich A. Allgemeines Aufgrund der vorstehend geschilderten, derzeit noch nicht durch den Verfassungsgerichtshof geklärten, diffizilen Kompetenzrechtslage wird die Bauproduktenrichtlinie derzeit durch insgesamt 9 Landesgesetze, zwei Gliedstaatenverträge nach Art 15a B-VG, 1 Bundesgesetz und verschiedene Verordnungen in österreichisches Recht umgesetzt:

B. Umsetzungsmaßnahmen der Länder Die zentrale Umsetzungsmaßnahme und Grundlage der einschlägigen Landesgesetze stellt die Vereinbarung der Länder71 gem Art 15a B-VG über die Zu68 69 70 71

Siehe näher Art 6 der BPRL. Vgl Holoubek, Normung. Siehe zu diesem Holoubek, Normung. Der Bund ist nicht Vertragspartei dieser Vereinbarung, die getroffenen Regelungen finden daher in den kompetenzrechtlich derzeit dem Bund zugewiesenen Bereichen keine Anwendung. Es führt diese Situation zu teilweise unbefriedigenden bzw verfassungswidrigen Konstellationen, wenn etwa einzelne Bundesländer Akkreditierungen des Bundes nicht anerkennen. Die Frage der kompetenzrechtlichen Zuständigkeit ist von der Frage zu unterscheiden, ob es auch innerhalb Österreichs eine Verpflichtung gibt, auf Grund einer speziellen landesgesetzlichen bzw einer bundesgesetzlichen Regelung zugelassene Bauprodukte auch in anderen Ländern bzw im Bundesbereich als „brauchbar“ anzuerkennen. Eine solche Verpflichtung ergibt

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sammenarbeit im Bauwesen72 dar: Geregelt werden etwa Einzelheiten und Voraussetzungen der Akkreditierung von Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen, die europäische und österreichische technische Zulassung, das Konformitätsbewertungsverfahren, Konformitätszertifikate und die Gestaltung sowie Verwendung des CE-Zeichens. Des Weiteren ist die Verpflichtung enthalten, jeweils erteilte Zertifizierungen sowie solche Zertifikate aus einem EUMitgliedstaat gegenseitig anzuerkennen.73 Als gemeinsame Akkreditierungsund Zertifizierungsstelle wurde schließlich das Österreichische Institut für Bautechnik (OIB)74 gegründet. Einen weiteren Vertragsgegenstand bilden ferner Regelungen betreffend das Inverkehrbringen von Bauprodukten. Im Rahmen der Umsetzungsmaßnahmen wurde von den Ländern gem Art 15a B-VG weiters die Vereinbarung über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten75 getroffen: Sie dient der Koordination der Erlassung von Landesvorschriften über diejenigen Anforderungen, die im Rahmen der Baustoffzulassung im Zusammenhang mit der Verwendung von Bauprodukten an diese zu stellen sind.76 Kern dieses Gliedstaatsvertrages ist die Regelung, dass Bauprodukte, für die keine europäischen technischen Spezifikationen77 vorliegen, nur dann verwendet werden dürfen, wenn sie der Baustoffliste ÖA78 entsprechen oder ein Gutachten des OIB vorliegt. Bauprodukte, für die europäische technische Spezifikationen vorliegen, dürfen hingegen verwendet werden, wenn sie einer solchen und der Baustoffliste ÖE79 entsprechen.

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sich aus Art 4 B-VG (zu Art 4 B-VG als Garantie eines einheitlichen österreichischen Binnenmarkts und seiner Funktion als „Kompetenzausübungsschranke“ Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, 110 ff). Nur wo im Einzelfall besondere sachliche Gründe dafür ins Treffen geführt werden können kann die jeweilige landes- bzw bundesgesetzliche Regelung eine derartige wechselseitige Anerkennung ausschließen. Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Zusammenarbeit im Bauwesen (Umsetzung der EG-Bauprodukterichtlinie, exemplarisch: sbg LGBl 1993/112). Wenn Zertifikate von „landesrechtlich“ akkreditierten Stellen wechselseitig (ebenso wie solche aus EU-Mitgliedstaaten) anerkannt werden, ist - bei sonst gleichen Voraussetzungen - die Nicht-Anerkennung von durch „bundesrechtlich“ akkreditierte Stellen ausgestellten Zertifikaten gleichheitswidrig. Vgl FN 7. Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten (siehe exemplarisch stmk LGBl 1999/80) An dieser Stelle werden insbesondere die quantitativen Anforderungen an Bauprodukte gemeinsam geregelt und etwa jene Klassen für Produktleistungen festgelegt, die nach dem Konzept der BPRL schon in den harmonisierten Normen enthalten sein sollten. Vgl dazu schon Pkt II.B.2. Unter dem Begriff „europäische technische Spezifikation“ versteht die BPRL Normen und europäische technische Zulassungen (Art 4 Abs 1 BPRL). Die Baustoffliste ÖA beinhaltet jene Anforderungen an Bauprodukte, für welche noch keine europäischen technischen Spezifikationen vorliegen. Die Baustoffliste ÖE dient vor allem der besseren Handhabung der „declared values“, die von dem Hersteller eines Bauproduktes bezüglich einzelner Kennwerte desselben angegeben werden. In ihr sind die jeweils von einem speziellen Produkt zu erfüllenden Anforderungen an die einzelnen Produktkennwerte, je nach Verwendung desselben, aufgeschlüsselt.

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C. Umsetzungsmaßnahmen des Bundes Regelungsgegenstand des Bauproduktegesetzes des Bundes80 sind das Inverkehrbringen von Bauprodukten, die in die Kompetenz des Bundes fallen, die Anforderungen an deren Verwendung sowie der freie Warenverkehr mit diesen. Es gilt für jene Bauprodukte, für die harmonisierte oder anerkannte Normen oder Leitlinien für die europäische technische Zulassung bestehen und deren Fundstellen durch Verordnung kundgemacht wurden. Von der Anwendung des Bauproduktegesetzes des Bundes sind weiters jene Produkte erfasst, denen trotz Nichtbestehens von Leitlinien im Einvernehmen der Zulassungsstellen eine europäische technische Zulassung erteilt wurde, sowie jene nach Art 4 Abs 5 der Richtlinie, die in Bezug auf die Gesundheit und Sicherheit nur eine untergeordnete Bedeutung haben und mittels Verordnung bekannt gemacht wurden. Das Inverkehrbringen eines Bauproduktes ist nach dem Bauproduktegesetz des Bundes nur dann gestattet, wenn es brauchbar ist und seine Konformität entsprechend, also entweder durch eine Erklärung des Herstellers oder durch ein Konformitätszertifikat, nachgewiesen worden ist.

IV. Schwierigkeiten auf Gemeinschaftsebene Ungeachtet des Umstandes, dass die Bauprodukterichtlinie bereits aus dem Jahre 1989 datiert, ließ die Umsetzung derselben zu wünschen übrig: Die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, an dem geschaffenen System der Harmonisierung der Vorschriften für Bauprodukte aktiv mitzuwirken, war derart gering, bisweilen durch strikte Weigerungen sowie vorgeschobene rechtliche Auffassungsunterschiede gar kontraproduktiv, sodass bis zum Jahre 1997 keine einzige harmonisierte Norm vorlag. Ebensowenig waren die Mandate an die europäischen Normungsorganisationen zur Gänze ausgearbeitet worden, bis Jahresmitte 1997 lagen erst für 17 Produktfamilien Normungsaufträge vor.81 Die Harmonisierungsmaßnahmen beschränkten sich entgegen den Intentionen der Bauprodukterichtlinie, die dieses Instrument eher als Ausnahme denn als Regel konzipiert hatte, darauf, einzelnen nationalen Produkten aufgrund von bereits ausgearbeiteten Leitlinien82 eine Europäische Technische Zulassung zu erteilen. Bis auf die Produktfamilie der Metalldübel gab es auch keine Bauprodukte, die mit dem CE-Kennzeichen versehen werden konnten. Diese Verzögerungen werden neben der beschränkten Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten aber auch auf organisatorische und personelle Probleme der zuständigen Abteilungen, auf die Komplexität der Richtlinie und unterschiedliche Interpretationen derselben83 zurückgeführt. Nunmehr sollten diese Hemmungsgründe zum Großteil

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BGBl 1997 I/55. Dieses Bild ergab der ernüchternde Bericht der Kommission über die Bauproduktenrichtlinie an das Europäische Parlament, vom Mai 1996, KOM (96) 0202 - C40636/96, der jedoch nicht im Amtsblatt der Gemeinschaft veröffentlicht wurde. ETAG: European Technical Approval Guidelines. Vgl FN 63. Hierbei handelt es sich vor allem um unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich der Vermeidung von Grenzwerten und Klassen, die durch die Angabe von „declared values“ ersetzt wurde, hinsichtlich Vorschriften über die Berücksichtigung von bestimmten gefährlichen Inhaltsstoffen in Bauprodukten, wie etwa Asbest, sowie hin-

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beseitigt sein, ein gewisser Unwille und Schwachstellen bei der Normungsarbeit werden der Harmonisierung des Sektors der Bauprodukte aber nach wie vor attestiert.84 Zum derzeitigen Zeitpunkt sind die ersten 100 von 450 geplanten harmonisierten Normen im Bereich des Bauwesens geschaffen. Weitere 100 Normen sind bereits ausgearbeitet und durchlaufen gerade das Annahmeverfahren.

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sichtlich der Verbindlichkeit des CE-Kennzeichens. Siehe hierzu Mikulits (FN8) 96f. Vgl die Schlussfolgerungen des Vorsitzenden der Konferenz „Bauprodukte für den Binnenmarkt - Erwartungen und Realität“, vom 4./5. 12.2001, abrufbar unter http://www.cenorm.be/news/conferences/construction.htm.

Lukas Binder

Kapitel 5: Produktsicherheitsrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................557 I. Grundlagen ................................................................................................557 A. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................557 B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................559 1. Allgemeines.......................................................................................559 2. Begriffsbestimmungen: .....................................................................560 II. Inhalt.........................................................................................................562 A. Pflichten des Inverkehrbringers ............................................................562 B. Behördliche Maßnahmen.......................................................................563 1. Allgemeines.......................................................................................563 2. Beurteilung der Sicherheit eines Produktes.......................................564 C. Marktaufsicht.........................................................................................565 1. Organe ...............................................................................................565 2. Befugnisse der Aufsichtsorgane........................................................565 3. Auflagen............................................................................................567 4. Rechtsmittel.......................................................................................567 5. Meldepflichten ..................................................................................568 III. Produktsicherheitsbeirat .......................................................................569 A. Aufgaben................................................................................................569 B. Zusammensetzung..................................................................................569 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht RL 92/59/EWG, Abl 1992 L 228/24 idF RL 2001/95/EG, Abl 2001 L 11/4. Innerstaatliches Recht ProduktsicherheitsG - PSG 2004 (BGBl 2005 I/16).

I. Grundlagen A. Kompetenzrechtliche Einordnung Die Kompetenz zur Erlassung von Regelungen, wie sie die Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit erfordert, findet sich nach herrschender Auffassung vornehmlich in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Dieser weist die Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie sowohl in Gesetzgebung als auch in Vollziehung dem Bund zu. Nach der Versteinerungstheorie sind die unter diesen Kompetenztatbestand fallenden Regelungen - freilich unter Berücksichtigung

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Binder

einer möglichen intrasystematischen Fortentwicklung1 - nach dem Stande der einfachen Gesetzgebung im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzverteilung zu ermitteln.2 Das diesbezüglich vorhandene Material zeigt,3 dass schon im relevanten Versteinerungszeitpunkt Maßnahmen bestanden, die die Abwehr spezieller Missstände bei der Gewerbeausübung im Interesse der Gewerbetreibenden selbst, anderer Gewerbetreibender sowie der Kunden4 bezweckten. Der Bundesgesetzgeber berief sich bereits anlässlich der Erlassung des Produktsicherheitsgesetzes 1983 zutreffender Weise hauptsächlich auf seine Gewerberechtskompetenz gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG. Ergänzend führen die diesbezüglichen Erläuterungen5 weitere Kompetenzbestimmungen des Art 10 B-VG an. Und zwar jene, die Verwaltungsbereiche betreffen, zu denen verwaltungspolizeiliche Maßnahmen6 zum Schutz vor gefährlichen Produkten als Annexregelungen getroffen werden können.7 Hierzu kann sich der Gesetzgeber auf eine Reihe verfassungsgerichtlicher Entscheidungen berufen.8 Gleiches gilt auch für das Produktsicherheitsgesetz 2004.9 Hinsichtlich der für die kompetenzrechtliche Einordnung maßgeblichen Kriterien besteht zwischen dem Produktsicherheitsgesetz 1983 und jenem aus 2004 kein Unterschied. Beiden ist die Abwehr spezifischer Gefahren, die aus der Gewerbeausübung - der Herstellung von und den Handel mit gefährlichen Produkten - resultieren, gemein.

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Vgl VfSlg 3393/1958, 4117/1961, 4883/1964, 5748/1968, 6137/1970. Vgl VfSlg 2500/1953, 3670/1960, 4227/1962, 5024/1965. Da der Wortsinn dieses Kompetenztatbestandes allein über Umfang und Inhalt des Begriffes keinen genügenden Aufschluss gibt, ist davon auszugehen, dass das B-VG die Begriffe, die es bei Aufstellung des Kompetenzkataloges verwendet, in jener Bedeutung gebraucht, die ihnen in der einfachen Gesetzgebung nach deren Stand im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzartikel, d. i. am 1. Oktober 1925, zukam (VfSlg. 5019/1965). Von vordringlichem Interesse ist die GewO 1859 idF der letzten GewO-Novelle vor dem 1. Oktober 1925 BGBl. 1925/277; Siehe mwN Gutknecht, Kompetenzrechtliche Grundlage für die Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie, bbl 2001 (175), 184f. Vgl VfSlG 10.831/1986. Vgl. RV 1326 BlgNR 15.GP. Zum Begriff der Verwaltungspolizei und zur Abgrenzung gegenüber der Sicherheitspolizei vgl Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1998, 140 (Rz 256ff). Die Erläuterungen zählen insbesondere die folgenden Kompetenzen auf: Art 10 Abs 1 Z 2 B-VG: Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland, Art 10 Abs 1 Z 7 BVG: Waffen-, Munitions- und Sprengmittelwesen, Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG: Kraftfahrwesen, Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG: Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, Sicherheitsmaßnahmen auf diesem Gebiet, Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG: Gesundheitswesen, Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG: Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle, Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG: Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt sowie der Schifffahrt, Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG: Bergwesen, Art 10 Abs 1 Z 10 B-VG: Dampfkessel- und Kraftmaschinenwesen. Siehe näher etwa VfSlg 3650/1959, 5910/1969, 2670/1954, 4117/1961, 2918/1955. BGBl 2005 I/16.

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B. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Allgemeines Als wichtigen Beitrag zur Verwirklichung des freien Binnenmarktes und zum Abbau bestehender Handelshemmnisse verfolgt die Gemeinschaft im Produktrecht vor allem den Weg einer Harmonisierung der an die einzelnen Produkte zu stellenden Anforderungen. In der Form von Richtlinien werden grundlegende Sicherheitsanforderungen an diese oder an ganze Produktgruppen abstrakt festgelegt. Das System der Europäischen Normung übernimmt es in weiterer Folge, diese abstrakten Anforderungen in Produktnormen zu konkretisieren.10 Außerhalb der von diesen Richtlinien erfassten Bereiche bestimmten ursprünglich die einzelnen Mitgliedstaaten zumeist nationale Mindestschutzniveaus hinsichtlich der allgemein an Produkte zu stellenden Sicherheitsanforderungen. Da diese aber in der Regel von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden ausgestaltet waren, bildeten sich neue Handelshemmnisse und Wettbewerbsverfälschungen, die es im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes zu beseitigen galt.

Mit der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit11 wurden gemeinschaftsweit einheitliche allgemeine Anforderungen an die Sicherheit von Produkten normiert. Ihr Geltungsbereich erfasst alle gegenwärtigen und alle zukünftigen Produkte, die für Verbraucher bestimmt sind12 oder von diesen benützt werden könnten, soweit sie nicht schon durch spezielle Vorschriften geregelt werden.13 Die Wirkung der Richtlinie ist daher auf die eines „Auffangnetzes“ beschränkt, da sie ausschließlich für alle jene Produkte und Risiken gilt, die nicht in besonderen gemeinschaftsrechtlichen oder bundesgesetzlichen - Vorschriften geregelt sind.14 Bestehen nur hinsichtlich gewisser aber eben nicht aller Aspekte eines bestimmten Produktes Vorschriften in Bezug auf dessen Sicherheit, so kommen die Bestimmungen des Produktsicherheitsgesetzes zur Anwendung. In diesen Fällen allerdings ist der Anwendungsbereich beschränkt auf die nicht speziell geregelten Aspekte. Das PSG 2004 umfasst somit alle nicht in Spezialgesetzen geregelten Aspekte von Produkten im Hinblick auf die an sie zu stellenden allgemeinen Sicherheitsanforderungen.

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Die Normungsarbeit findet in CEN/CENELEC, zwei privaten Vereinen nach belgischem Recht, im Rahmen eines Verfahrens statt, das nach dem Prinzip einer „regulierten Selbstregulierung“ organisiert ist. Vgl hierzu ausführlich und nwN Holoubek, Normung. RL 92/59/EWG, Abl 1992 L 228/24 idF RL 2001/95/EG, Abl 2001 L 11/4. Produktionsanlagen, Investitionsgüter und andere nur zur beruflichen Nutzung bestimmte Produkte werden dagegen von der Richtlinie nicht erfasst. Die Bestimmungen der Richtlinie kommen also nur subsidiär zur Anwendung. Vgl exemplarisch: Elektrotechnikgesetz 1992 (BGBl 1993/106, idF BGBl 2001 I/136), Lebensmittelgesetz 1975 (BGBl Nr. (1975/86 idF BGBl 2006 I/13), Chemikaliengesetz 1996 (BGBl I Nr. 53/1997 idF BGBl 2004 I/151), Gewerbeordnung 1994 (BGBl 194/1994, idF BGBl 2006 I/84), Arzneimittelgesetz (BGBl Nr. 185/1983 idF BGBl 2005 I/153), Waffengesetz 1996 (BGBl 1997 I/12 idF BGBl 2004 I/136), ua.

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2. Begriffsbestimmungen: a) Produkt Der Produktbegriff der Produktsicherheitsrichtlinie erfasst jedes Produkt15, das für Verbraucher bestimmt ist oder von Verbrauchern benützt werden könnte und im Rahmen einer Geschäftstätigkeit16 entgeltlich oder unentgeltlich geliefert oder zur Verfügung gestellt wird.17 Zwischen neuen, gebrauchten oder wieder aufgearbeiteten Produkten unterscheidet die Richtlinie nur dann, wenn die Produkte als Antiquitäten oder als solche Produkte geliefert werden, die vor ihrer Verwendung in Stand gesetzt oder wieder aufgearbeitet werden müssen. Hat in diesem Fall der Lieferant klare Angaben hierüber gemacht, so sind diese Produkte vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen.18 Das in Umsetzung der Richtlinie ergangene Produktsicherheitsgesetz (PSG 2004)19 definiert über den Produktbegriff der Richtlinie hinaus als Produkt jede bewegliche körperliche Sache einschließlich Energie, und zwar auch dann wenn sie Teil einer anderen beweglichen Sache oder mit einer unbeweglichen Sache verbunden worden ist.20 Durch das PSG 2004 neu eingeführt wurde der Verweis auf 15

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Angesichts der wachsenden Bedeutung von Dienstleistungen und ob des Umstandes, dass auch bei diesen Sicherheitsaspekte eine wesentliche Rolle spielen, wurden bei der Umsetzung der Richtlinie in manchen Staaten neben Produkten auch Dienstleistungen in den Anwendungsbereich mit einbezogen. Ursprünglich war es beabsichtigt, Dienstleistungen auch in die Neufassung der Richtlinie mit einzubeziehen, von diesem Vorhaben wurde jedoch wieder Abstand genommen, um noch einschlägige Untersuchungen anstrengen zu können. Vgl die Begründungserwägung Nr 1 zu RL 2001/95/EG. Das PSG verwendet an Stelle dieses Terminus die Wortfolge „zu Erwerbszwecken ausgeübten Tätigkeit“. Die überarbeitete Richtlinie 2001/95/EG weist ausdrücklich darauf hin, dass der Produktbegriff auch jene Produkte einschließt, die im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen geliefert werden. Dienstleistungen selbst unterliegen jedoch nicht den Bestimmungen der Richtlinie. Der ursprüngliche Vorschlag für eine Richtlinie über eine allgemeine Produktsicherheit beinhaltete demgegenüber sämtliche Produkte, also auch solche, die für eine Verwendung durch Arbeiter oder in Handel und Industrie bestimmt waren. Von diesem Vorhaben wurde jedoch nach eingehender Diskussion wieder abgegangen und der Geltungsbereich auf die genannten Verbraucherprodukte beschränkt, da einerseits die Unterscheidung und getrennte Behandlung von dem Produkt immanenten Gefahren und jenen, die durch die Handhabung desselben durch Arbeiter im Rahmen ihres Betriebes hervorgerufen werden, unmöglich schien und man andererseits die doppelte Determinierung von im Zuge eines Betriebes verwendeten Produkten durch arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen und jenen über die allgemeine Produktsicherheit als konfliktträchtig erachtete. Man beurteilte daher das Risiko möglicher inhaltlicher Komplikationen gegenüber den nur als gering eingestuften Vorteilen der Einbeziehung von betrieblich verwendeten Produkten als zu groß. Vgl Review and revision of directive 92/59/EEC (General Product Safety) - Discussion Paper, abrufbar unter: http://europa.eu.int/eur-lex/en/com/pdf/2000/ en_500PC01 39.pdf. Diese Anforderung erfuhr im PSG insoferne eine Verschärfung, als dort gefordert wird, dass der Hersteller diesen Umstand „nachweislich mitgeteilt“ haben müsse. Vgl § 3 Z 1 PSG 2004. PSG 2004 (BGBl 2005 I/16). Vgl hierzu den Produktbegriff des Produkthaftungsgesetzes (PHG, BGBl 1988/99 idF BGBl I 2001/98) und weiterführend dazu insbesondere die Problematik der

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Produkte, die im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung zur Verfügung gestellt wurden. Produkte im Sinne der Richtlinie können entweder „sicher“ oder „gefährlich“ sein. Sicher sind Produkte, deren normale oder vernünftiger Weise vorhersehbare Verwendung21 keine oder nur geringe, vertretbare Gefahren mit sich bringt. Das Kriterium der geringen, vertretbaren Gefahren ist jeweils anhand des konkreten Produktes zu beurteilen. Die dem Produkt innewohnenden Gefahren müssen unter Wahrung eines hohen Schutzniveaus für die Gemeinschaft und die Sicherheit von Personen vor dem Hintergrund der Verwendung der Produkte abgewogen werden. Das solcherart verbleibende Risiko muss schließlich mit der geforderten Sicherheit verein- und insgesamt vertretbar sein. Bedeutung kommt hierbei vor allem den Eigenschaften des Produktes, seiner Zusammensetzung, der Verpackung, der Wartung und den Bedingungen des Zusammenbaues des Produktes zu. Ist eine gemeinsame Verwendung mit anderen Produkten vernünftiger Weise vorhersehbar, so ist die Einwirkung des Produktes auf andere Produkte zu beachten. Seiner Aufmachung, Etikettierung, gegebenenfalls seiner Gebrauchs- und Bedienungsanleitung und den Anweisungen für seine Entsorgung, sowie allen sonstigen Angaben oder Informationen seitens des Herstellers ist darüber hinaus Aufmerksamkeit zu schenken.22 Nicht zuletzt muss für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Produktes auch auf den Kreis jener Verbraucher Bedacht genommen werden, die bei Verwendung des Produktes einem höheren Risiko ausgesetzt sind.23 Demgegenüber vermögen aber weder die mögliche Erreichbarkeit einer höheren Sicherheitsstufe, noch die Verfügbarkeit anderer, sicherer Produkte Einfluss auf die Bewertung eines Produktes als sicher oder nicht sicher zu nehmen. Gleiches gilt umgekehrt, wenn auf dem Produkt Warnhinweise angebracht werden, die auf allfällige, von diesem unzulässiger Weise ausgehende Gefahren hinweisen. Auch eine solche Maßnahme vermag die Zuordnung des Produktes nicht beeinflussen.24

Im PSG 2004 wurde die Beschränkung auf körperliche Sachen fallen gelassen und somit der Anwendungsbereich auf Software erweitert. Die erläuternden Bemerkungen anerkennen ausdrücklich, dass auch Software sicherheitsrelevante Eigenschaften haben kann. Erfüllt ein Produkt nicht die genannten Sicherheitsanforderungen, so handelt es sich sowohl nach der Richtlinie als auch nach dem PSG 2004 um ein „gefährliches“ Produkt. Das In Verkehr Bringen eines gefährlichen Produktes ist generell nicht gestattet.

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„Weiterfresserschäden“. Vgl hierzu Posch, Produkthaftungsgesetz, in: Schwimann (Hrsg), ABGB Praxiskommentar2 Band 8 Haftpflichtgesetze, 1997, 391ff Das Kriterium einer vernünftiger Weise vorhersehbaren Verwendung beinhaltet auch die Lebens- bzw Gebrauchsdauer eines Produktes. Steht daher ein Produkt über seine übliche Lebensdauer hinaus in Verwendung, so ist dies keine bestimmungsgemäße Verwendung. Zusätzlich nennt das PSG das Verhalten des Produktes bei der Wartung, Lagerung und beim Transport. Hiefür nennt das PSG 2004 neben den schon im PSG 2004 angeführten Kindern explizit auch ältere Personen oder Menschen mit Behinderung; vgl. hierzu § 4 Abs. 1 Z 1 PSG 2004. Vgl Art 5 Abs 1 der Produktsicherheitsrichtlinie sowie § 4 Abs 2 PSG 2004.

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b) In-Verkehr-Bringer Das PSG definiert den Begriff des „In Verkehr-Bringers“ so, dass darunter jeder Hersteller, Importeur oder Händler, der ein Produkt auf den Markt bringt, zu verstehen ist. c) Hersteller Hersteller eines Produktes im Sinne der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit ist dessen Produzent, wenn er seinen Sitz in der Gemeinschaft hat. Darüber hinaus ist jede andere natürliche oder juristische Person Hersteller, die entweder als solcher auftritt, indem sie das fragliche Produkt in ihrem Namen oder unter Anbringung ihres Markenzeichens oder eines anderen Unterscheidungszeichens hervorbringt. Hersteller ist aber auch derjenige, der das Produkt wieder aufgearbeitet hat, sowie auch der Vertreter des Herstellers dann, wenn sich dessen Sitz außerhalb der Gemeinschaft befindet. Besitzen weder der Hersteller noch einer seiner Vertreter eine Niederlassung auf dem Gebiet der Gemeinschaft, so treffen die Pflichten des Herstellers den Importeur. Die Herstellerpflichten treffen aber auch alle sonstigen Gewerbetreibenden der Absatzkette, sofern sie die Sicherheitseigenschaften eines bereits auf den Markt gebrachten Produktes beeinflussen. d) Händler Gewerbetreibende der Absatzkette des fraglichen Produktes, die ein Produkt liefern oder zur Verfügung stellen, und deren Tätigkeiten im Gegensatz zu den letztgenannten „Herstellern“ dessen Sicherheitseigenschaften nicht beeinflussen, sind „Händler“ im Sinne der Richtlinie.

II. Inhalt A. Pflichten des Inverkehrbringers Die zentrale Verpflichtung der Inverkehrbringer von Produkten, also der Hersteller, Importeure und Händler, besteht darin, ausschließlich sichere Produkte in Verkehr zu bringen.25 Auf Verlangen der Marktaufsichtsbehörde sind die Qualität der Produkte und die Einhaltung der geforderten Sicherheitsmaßstäbe durch die Bereitstellung von produkt- oder produktionsbezogenen Unterlagen oder Aufzeichnungen, wie etwa von Prüfergebnissen,26 nachzuweisen. Das Kriterium der sicheren Produkte und des obligatorischen Nachweises der Erfüllung der geforderten Anforderungen bezieht sich jedoch nicht auf jedes einzel25

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Hersteller haben dies in einer dem Stand der Technik entsprechenden Weise zu gewährleisten. Vergleiche hierzu etwa die in vielen harmonisierten Normen vorgesehenen Konformitätsbewertungsverfahren, die zum Zweck einer gleichbleibenden Produktqualität eine laufende Produktionskontrolle mittels eines Qualitätsmanagementsystems vorschreiben. Siehe mwN Holoubek, Normung. Siehe hierzu die im Bereich der Bauprodukte zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Produktes anzugebenden „declared values“. Dies sind Messergebnisse in Bezug auf bestimmte, festgelegte Produktkennwerte und dienen zur Feststellung der Erfüllung bestimmter, jeweils national festgelegter Anforderungen. Vgl mwN Holoubek, Bauprodukterecht.

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ne Produkt sondern nur auf die einzelnen Produktposten. Dadurch bietet sich den Herstellern die Möglichkeit, diesen Nachweispflichten durch die Einführung eines Qualitätssicherungssystems27 nachkommen zu können. Neben diesem generellen Gebot stellen die Produktsicherheitsrichtlinie wie auch das PSG zusätzliche Anforderungen an Hersteller und Importeure. Diese haben die Verbraucher etwa durch Anbringung von Warnhinweisen auf allfällige Gefahren, die während einer üblichen oder zumindest vernünftigerweise vorhersehbaren Gebrauchsdauer vom Produkt ausgehen (können) und die ohne entsprechende Warnhinweise nicht unmittelbar erkennbar sind, hinzuweisen. Zur Beurteilung dieser Gefahren und zum Schutz vor diesen haben die Hersteller und Importeure den Verbrauchern sämtliche hierzu nötigen Informationen zu erteilen. Hersteller und Importeure haben sich zusätzlich auch noch nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produktes über alle Tatsachen und Umstände zu informieren, die auf eine möglicherweise verborgene und bisher unbekannte Gefährlichkeit eines Produktes für die Gesundheit oder das Leben von Menschen deuten könnten. Stellt sich also nach Inverkehrbringen des Produktes heraus, dass entgegen den ursprünglichen Erwartungen vom Produkt Gefahren ausgehen, die mit den Anforderungen an sichere Produkte nicht zu vereinbaren sind, und von dem die In-Verkehr-Bringer wissen oder wissen müssen, dass das von ihnen in Verkehr gebrachte Produkt Gefahren für die Verbraucher mit sich bringt, die mit den allgemeinen Sicherheitsanforderungen nicht vereinbar sind, haben sie unverzüglich die zuständigen Behörden zu informieren. Händler trifft darüber hinaus auch die Pflicht, erstens die Hersteller, Importeure und Konsumenten zu verständigen, wenn sie die Gefährlichkeit eines Produktes betreffende Hinweise oder Informationen erhalten haben oder zumutbarer Weise erhalten hätten müssen und zweitens diese Produkte selbst nicht in Verkehr zu bringen. Ganz generell sind die Händler zur Mitarbeit verpflichtet, wenn Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen, die von Produkten ausgehen, getroffen werden.28

B. Behördliche Maßnahmen 1. Allgemeines Die Produktsicherheitsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, nationale Behörden für die Aufsicht des Marktes zu schaffen29 und diese mit bestimmten Mindestkompetenzen auszustatten. So muss die Marktaufsichtsbehörde befugt sein, geeignete Maßnahmen zur Kontrolle der Sicherheit von Produkten treffen zu können,30 was auch die Kompetenz zur Sanktionierung bei Zuwiderhandeln gegen getroffene Maßnahmen mit einschließt. Die Umsetzungsmaßnahmen haben auch die effektive Möglichkeit der Mitgliedstaaten vorzusehen, bereits in Verkehr gebrachte Produkte, deren Gefährlichkeit sich nachträglich herausge27 28 29 30

Bei Bestehen eines solchen wird vermutet, die in Verkehr gebrachten Produkte seien sicher im Sinne der Richtlinie. Vgl § 7 Abs 4 PSG 2004. Die mit diesen Agenden beauftragten Behörden sind der Kommission bekannt zu geben. Artikel 6 der Richtlinie zählt beispielshaft Befugnisse der einzurichtenden Behörden auf und nennt etwa die Möglichkeit, das Inverkehrbringen von Produkten gewissen Vorbedingungen unterwerfen zu können, zwecks Sicherheitsprüfung ein Produkt einer Produktreihe entnehmen zu können, die Anbringung von Warnhinweisen verlangen zu können, das Inverkehrbringen während eines benötigten Prüfungszeitraumes vorübergehend verbieten zu können, und dergleichen.

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stellt hat, vom Markt nehmen zu können. Um die Einheit des Binnenmarktes aufrechterhalten zu können, verpflichtet die Richtlinie aber zur einer sofortigen Unterrichtung der Kommission von einer derartigen, die Verkehrsfähigkeit eines Produktes beeinträchtigenden Maßnahme, sofern die Maßnahme nicht nur begrenzte Auswirkungen hat oder lediglich das Gebiet eines Mitgliedstaates betroffen ist. 31 Als Ausgleich zu diesen umfassenden Eingriffsbefugnissen der Marktaufsicht sieht die Richtlinie zum Schutz der Inverkehrbringer von Produkten verpflichtend die Einrichtung eines effektiven Rechtsschutzverfahrens vor. Ordnet die Aufsichtsbehörde Maßnahmen an, die das Inverkehrbringen eines bestimmten Produktes behindern oder gar untersagen, so muss bei den zuständigen Gerichten32 ein wirksamer Rechtsbehelf eingelegt werden können.

2. Beurteilung der Sicherheit eines Produktes33 Ob ein Produkt sicher oder gefährlich im Sinne der Begriffsbestimmung ist, bestimmt sich entweder nach jenen innerstaatlichen Normen, die eine harmonisierte Europäische Norm umsetzen, oder es werden sonstige innerstaatliche Normen als weitere Beurteilungsgrundlage herangezogen34. Stimmt das Produkt mit den genannten Vorgaben überein, so ist dies als Indiz für seine Sicherheit zu werten.35 Darüber hinaus können die einzelnen Produkte auch noch am Stand der Technik auf dem Gebiet der Gesundheit und Sicherheit36 sowie an den auf diesem Gebiet bestehenden Verhaltenskodices gemessen werden. Abgesehen von den genannten Kriterien ist ein Produkt überdies auch dann sicher, wenn es die Sicherheit bietet, die der Verbraucher billigerweise erwarten darf,37 oder den Empfehlungen des Produktsicherheitsbeirates entspricht. Erfüllt ein Produkt sämtliche einschlägigen Vorgaben der Normen und entspricht es dem Stand der Technik, so kann sich dennoch nach seinem Inverkehrbringen herausstellen, dass es eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen darstellt. Auch in diesem Fall hat die Marktaufsicht ein-

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36 37

Derartige Maßnahmen sind überdies nur gemäß den Vorgaben der Artikel 28 bis 30 EGV zulässig. So Art 16 Abs 2 der Richtlinie. Vgl § 5 Abs 3 PSG 2004. § 5 PSG 2004 führt detailliert abgestuft die Verfahren zur Beurteilung der Konformität eines Produktes an. Die Richtlinie 2001/95/EG streicht generell die Wichtigkeit von technischen Normen deutlicher heraus und beschränkt die Übereinstimmung von Produkten mit den genannten Normen nicht mehr auf die bloße Indizwirkung. Entsprechen die Produkte den genannten technischen Normen, wird davon ausgegangen, dass sie sicher sind. Gemäß § 5 Abs. 4 PSG 2004 hindert einen nachgewiesene Konformität bei Hervorkommen dennoch gegebener Gefährlichkeit eines Produktes nicht die Setzung von behördlichen Maßnahmen. Hierzu verweist das PSG 2004 auf § 2 Abs. 8 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, BGBl 1994/ 450, idF. BGBl 2001 I/ 159. Was im Einzelfall an Produktsicherheit erwartet werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung eine Rechtsfrage (SZ 65/149; SZ 70/61 jeweils mwN). Zur Konkretisierung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffes darf der Richter seine allgemeine Lebenserfahrung einsetzen, dieses Wissen kann aber vom Revisionsgericht überprüft werden (SZ 65/149).

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zugreifen und geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen aufzutragen bzw zu verhängen.

C. Marktaufsicht 1. Organe Um den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Organisation der Marktaufsichtsbehörden nachzukommen, lehnt sich das PSG 2004 bei der Umsetzung der Richtlinie im wesentlichen an die bereits bewährten Strukturen des Lebensmittelgesetzes an.38 Wie in diesem haben die Landeshauptmänner die Agenden der Marktaufsicht im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung wahrzunehmen und sich zur tatsächlichen Vollziehung geeigneter und hiefür besonders zu schulender Aufsichtsorgane zu bedienen. Die Landeshauptmänner haben nach Bestimmung der zur Unterstützung herangezogenen Organe diese dem Bundesminister bekanntzugeben, der sie wiederum gemäß den Vorschriften der Richtlinie39 der Kommission zu melden hat.40 Die konkrete Organisation der Marktaufsicht durch die einzelnen Landeshauptmänner erfolgte je nach Bundesland verschieden. Zumeist wurde die Materie je einem Abteilungsleiter des Amtes der Landesregierung zugewiesen, der wiederum nach Bundesland verschieden bereits mit ähnlichen Aufgaben betraut war.

2. Befugnisse der Aufsichtsorgane In Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, eine umfassende und effektive Marktüberwachung zu gewährleisten, sieht das PSG 2004 eine Reihe von behördlichen Befugnissen der Aufsichtsorgane und Verpflichtungen der Mitgliedstaaten vor.41 § 11 PSG 2004 ermächtigt die Aufsichtsorgane überall dort, wo Produkte in Verkehr gebracht werden, Nachschau zu halten, Produktproben zu ziehen42 und diese im Anschluss einer amtlichen Untersuchung43 zuzuführen. Eine auf Verlangen des Betriebsinhabers zu leistende Entschädigung in der Höhe des Einstandspreises der gezogenen Probe entfällt dann, wenn die Untersuchung

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Vgl §§ 35 ff LMG. Art 6 der RL über die allgemeine Produktsicherheit. Diese Stellen sind der Kommission bekannt zu geben, die diese Meldung wiederum an die übrigen Mitgliedstaaten weiterzuleiten hat. Durch die Gewährleistung gegenseitigen Informationsflusses soll ein rasches Reagieren auf Produktsicherheitsnotfälle ermöglicht werden. Immanente Voraussetzung dafür ist ein ständiger Erfahrungsaustausch der einzelnen Mitgliedstaaten untereinander, die jeweils auch ihre entsprechenden Organisationen kennen müssen. Die von den Mitgliedstaaten zu schaffenden Behörden müssen mit der Kompetenz ausgestattet sein, angemessene Sanktionen bei Zuwiderhandeln gegen die Richtlinie zu verhängen (vgl Art 7 der Richtlinie). Bei Gefahr in Verzug besteht dieses Recht zu jeder Zeit, ansonsten zu den üblichen Geschäfts- und Betriebsstunden. Spätestens bei Betreten des Betriebes ist der Betriebsinhaber von der Maßnahme zu verständigen. Die Untersuchung hat bei der vom Bundesminister genannten geeigneten oder einer sonst für die Untersuchung der einschlägige Produktgruppe akkreditierten Prüfstelle zu erfolgen.

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ergibt, dass das Produkt nicht den normierten Sicherheitsanforderungen entspricht. Im Rahmen der Marktaufsicht können die Aufsichtsorgane vorläufige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erlassen, wenn entweder die von einem Produkt ausgehende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen durch ein Gutachten einer akkreditierten in- oder ausländischen Prüfstelle oder eines befugten Ziviltechnikers festgestellt wurde oder ein begründeter Verdacht bezüglich der Gefährlichkeit des Produktes vorliegt44 oder schließlich das in Verkehr bringen eines Produktes offenkundig einer behördlich angeordneten Maßnahme widerspricht, sowie weiters dann, wenn ein Produkt bereits Gegenstand einer Maßnahme in einem Vertragsstaat des EWR war und diese Maßnahme im Rahmen des RAPEX-Verfahrens notifiziert wurde.

Will die Aufsichtsbehörde eine Maßnahme erlassen, die die Verkehrsfähigkeit eines Produktes behindert oder zumindest beschränkt, so hat sie nur das jeweils gelindeste zur effektiven Abwehr der drohenden Gefahr führende Mittel anzuwenden. Die vorläufige Maßnahme gilt als aufgehoben, wenn der zuständige Landeshauptmann nicht binnen eines Monates einen schriftlichen Bescheid hierüber erlässt. Dieser ist dem Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz zur Kenntnis zu bringen. Droht der Gesundheit oder dem Leben einer größeren Zahl von Menschen Gefahr, so ist der Inhalt der getroffenen Maßnahmen darüber hinaus in jeweils für den konkreten Einzelfall geeigneten Medien zu veröffentlichen.45 Verhängt die Marktaufsicht eines Mitgliedstaates eine Sofortmaßnahme, die die Vermarktung oder Verwendung eines Produktes oder eines ganzen Produktpostens in seinem Hoheitsgebiet verhindert, einschränkt oder besonderen Bedingungen unterwirft, so ist der Mitgliedstaat nach Art 8 der Richtlinie verpflichtet, die Maßnahmen unverzüglich der Kommission zu notifizieren. Der Informationsfluss zwischen den Mitgliedstaaten wird durch das Informationssystem RAPEX46 gewährleistet. Gemäß den diesbezüglichen Erläuterungen im Anhang II zur Richtlinie47 bezieht sich dieses Informationsverfahren auf solche ernsten Gefahren für die Gesundheit und die Sicherheit von Verbrauchern, die von den betreffenden betreffenden Produkten48 ausgehen. Die Kommission kann, wenn sie von der Gefährlichkeit eines Produktes Kenntnis erlangt, auch selbst nach Anhörung der Mitgliedstaaten diese zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen verpflichten.

Korrespondierend zu den Befugnissen der Aufsichtsorgane besteht eine weit gehende Mitwirkungspflicht der von der behördlichen Maßnahme betroffenen Betriebsinhaber wie auch deren Stellvertreter und Beauftragten. Sie sind

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In diesem Fall sind nicht nur die Marktaufsichtsorgane sondern auch die Organe der Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung ermächtigt, die erforderlichen Maßnahmen anzuordnen. Werden die verhängten Maßnahmen wieder aufgehoben, so ist dieser Umstand unter Beifügung der Gründe hiefür in den selben Medien ebenso zu kund zu machen. Rapid Exchange of information system; die Europäische Kommission veröffentlich einen wöchentlichen Überblick über die aktuellen RAPEX-Meldungen im Internet unter: http://ec.europa.eu/consumers/dyna/rapex/rapex_en.cfm. „Verfahrensregeln für die Anwendung von RAPEX und Leitlinien für die Meldungen“ Nicht anzuwenden ist das Informationsverfahren auf Lebensmittel und Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 75/319/EWG(1) und 81/851/EWG(2).

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verpflichtet die vorzunehmenden Amtshandlungen zu ermöglichen, alle Orte bekannt zu geben, an denen das betroffene Produkt in Verkehr gebracht wird, den Aufsichtsorganen Zutritt zu diesen Orten zu gewähren, ihnen Einsicht in die einschlägigen Unterlagen zu ermöglichen und die Organe insgesamt durch die Erteilung von Auskünften, Vorlage von Unterlagen und dergleichen, wie auch Hilfestellung bei der Probenziehung umfassend bei deren Aufsichts- und Kontrolltätigkeit zu unterstützen.

3. Auflagen § 11 PSG 2004 zählt die Maßnahmen auf, die der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz im Rahmen der Marktaufsicht zur Vermeidung von Gefährdungen der Sicherheit und der Gesundheit von Verbrauchern zu treffen hat.49 Insbesondere sind an dieser Stelle die folgend Aufgezählten als mögliche behördliche Maßnahmen vorgesehen: • • • • • • • • • •

die Verpflichtung des Inverkehrbringers zur Beigabe oder Verbesserung der Gebrauchsanweisung oder zur Anbringung von Kennzeichnungselementen auf der Verpackung oder dem Produkt selbst; die Verpflichtung, auf dem Produkt in einer Art und Weise vor Gefahren zu warnen und Verhaltenshinweise zu deren Vermeidung zu geben, wie es der Dringlichkeit der Gefahrenabwehr entspricht; die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Warnhinweisen oder anderen dringenden Informationen in einer für die betroffenen Verkehrskreise geeigneten Weise und den dafür geeigneten Medien; Gebote und Verbote betreffend Werbemaßnahmen für Produkte; die Festlegung bestimmter Beschaffenheitsanforderungen50, insbesondere durch die gänzliche oder teilweise Verbindlicherklärung von nationalen oder internationalen Normen; die Verpflichtung zum Nachweis der Erfüllung bestimmter Prüfanforderungen; Verbote oder Beschränkungen des Inverkehrbringens;51 Verbote oder Beschränkungen des Exports;52 die Verpflichtung zur unverzüglichen Rücknahme eines bereits in Verkehr gebrachten Produktes oder Produktpostens und nötigenfalls dessen Vernichtung unter geeigneten Bedingungen; die Verpflichtung zur Durchführung eines unverzüglichen und effizienten Rückrufes eines bereits in Verkehr gebrachten Produktes oder Produktpostens von den Verbrauchern, gegebenenfalls die Veröffentlichung dieses Rückrufes in den für die betroffenen Verkehrskreise geeigneten Medien sowie nötigenfalls die Vernichtung des Produktes oder Produktpostens unter geeigneten Bedingungen..

4. Rechtsmittel § 18 PSG 2004 enthält in Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, zum Schutz der von Maßnahmen der Marktaufsicht betroffenen Inverkehrbringer ein effektives Rechtsschutzverfahren vorzusehen, eine diesbezügliche Be49 50 51 52

Es ist bei der Auswahl der konkret zu verhängenden Maßnahme wie bereits erörtert stets das gelindeste, noch zum Ziel führende Mittel anzuwenden. Etwa der verpflichtende Einbau bestimmter Sicherheitsvorrichtungen. In Betracht kommen etwa die Beschränkung auf einen bestimmten Kundenkreis oder eine, bestimmten Anforderungen genügende Vertriebsart. ZB Beschränkungen hinsichtlich eines speziellen Bestimmungslandes.

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rufungsmöglichkeit. Gegen Bescheide der Marktaufsichtsbehörden können die einzelnen Adressaten des Bescheides Berufung an den örtlich zuständigen UVS erheben. Für Berufungen gegen vorläufige Maßnahmen im Sinne des § 16 und die diese Bescheide abändernde Bescheide des zuständigen Bundesministeriums ist derjenige UVS örtlich zuständig, in dessen Sprengel die dem genannten Bescheid zu Grunde liegende vorläufige Maßnahme gesetzt wurde. Gegen andere behördliche Maßnahmen ist Berufung an den UVS zu erheben, in dessen Sprengel der Geschäftssitz des Bescheidadressaten liegt. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer Amtsbeschwerde, die zur Gewährleistung der Einheitlichkeit der Entscheidungspraxis sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des betroffenen Bescheidadressaten wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden kann. Ob das PSG 2004 die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften somit hinreichend umsetzt, hängt nicht zuletzt von der Frage ab, ob das gewählte Rechtsschutzsystem den Anforderungen eines wie in der Richtlinie geforderten, gerichtlichen Rechtsschutzes genügt. Auszugehen ist dabei von den vom EuGH zu Art 234 (ex-Art 177) EGV entwickelten Grundsätzen über die zur Vorlage berechtigten Gerichte und dem sich daraus ergebenden, eigenständigen Gerichtsbegriff. Ob demnach ein Gericht im Sinne des Art 234 EGV vorliegt, richtet sich nach den folgenden Kriterien:53 • Unabhängigkeit des entscheidenden Organs • Einrichtung durch Gesetz • Ständiger Charakter (dauerhaft eingerichtet) • Obligatorische Gerichtsbarkeit • Streitiges Verfahren • Entscheidung nach Rechtsnormen Nach einhelliger Auffassung vermag die Organisation der Unabhängigen Verwaltungssenate diesen Kriterien gerecht zu werden,54 so dass diese nach dem Verständnis des Art 234 EGV Gerichte sind. Insgesamt also und ob des Umstandes, dass in der Richtlinie keine speziellen, über jene des Art 234 EGV hinausgehenden Anforderungen an den gerichtlichen Rechtsschutz gestellt werden, ist die in Österreich gewählte Umsetzungsmaßnahme, die UVS mit dem Rechtsschutz zu betrauen, als richtlinienkonform zu beurteilen.

5. Meldepflichten Über die Verpflichtung der hiefür bestellten Aufsichtsorgane der Marktüberwachung hinaus normiert das PSG 2004 eine passive Meldepflicht für Leiter des ärztlichen Dienstes und aufsichtsführende Ärzte von Krankenanstalten. Die Letztgenannten sind verpflichtet, über Anfrage der zuständigen Behörden 53

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Vgl hierzu näher bei Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 129a B-VG, Rz 74ff.; Siehe auch die Darstellung der Entscheidungen zu Art 234 (ex-Art 177) EGV bei den SA des GA Tesauro zu EuGH RS C-54/96, Dorsch Consult, Slg 1997, I-4961, Rz 21ff. Zur Vereinbarkeit der UVS mit den Anforderungen des Art 6 EMRK vgl statt aller Korinek/Holoubek, (FN53), Rz 7ff; vgl EuGH, Rs C-258/97, Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungs-Gesellschaft mbH.

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betreffend Wahrnehmungen über gefährliche Produkte Auskunft zu geben. Weiters haben alle für den Bund tätigen Vollzugsorgane dienstliche Wahrnehmungen über gefährliche Produkte zu melden55. Dementsprechend wurde auch in der Praxis die Organisation der Marktaufsicht so ausgestaltet, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit der beauftragten Organe eher im Bereich der Verhängung von Maßnahmen als der tatsächlichen Marktüberwachung liegt. Eine solche wird bereits durch die Vielzahl der zu Meldungen Verpflichteten sowie die für Produktsicherheitsnotfälle eingerichteten Verständigungssysteme RAPEX56 und CPSC57 hinreichend gewährleistet.

III. Produktsicherheitsbeirat A. Aufgaben Die Aufgabe des Produktsicherheitsbeirates58 liegt in der Beratung des zur Entscheidung in Angelegenheiten der allgemeinen Produktsicherheit berufenen Bundesministers in grundsätzlichen Fragen des Schutzes von Verbrauchern vor gefährlichen Produkten. Darüber hinaus fungiert der Beirat als Forum zum Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen zur Erreichung der grundlegenden Ziele des Produktsicherheitsgesetzes. Weitere Aufgaben des Produktsicherheitsbeirates sind die Unterstützung des zuständigen Bundesministers bei der Risikobewertung und Konformitätsbeurteilung von Produkten und die Erarbeitung von Empfehlungen zu Fragen der Produktsicherheit und Unfallverhütung. Zu diesem Zweck sieht § 21 Abs 5 PSG 2004 vor, daß der Produktsicherheitsbeirat im Rahmen der Überwachung des Marktes jeweils vor Erlassung einer in der Form einer Verordnung zu ergehenden behördlichen Maßnahme jedenfalls anzuhören ist.

B. Zusammensetzung Der beim Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz eingerichtete Produktsicherheitsbeirat setzt sich aus insgesamt 18 Mitgliedern zusammen, von denen je 1 Mitglied von den folgenden Organisationen entsandt wird: • Wirtschaftskammern Österreichs; • Bundeskammer der Arbeiter und Angestellten; • Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs; • Österreichischer Gewerkschaftsbund. Zusätzlich zu diesen Mitgliedern sind seit dem PSG 2004 auch die schon früher beigezogenen Experten59 stimmberechtigte Mitglieder des Beirates. 55 56 57 58 59

§ 8 PSG 2004 enthält hierzu nähere Regelungen hinsichtlich Form und Inhalt dieser Meldungen. Vgl FN46. U.S. Consumer Product Safety Commission; http://www.cpsc.gov. Seine Aufgaben wurden mit dem PSG 2004 erheblich ausgebaut. Diese werden von den folgenden Organisationen namhaft gemacht: der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, dem Institut Sicher Leben im Kuratorium für Schutz und Sicherheit, dem Österreichischen Komitee für Unfallverhütung im Kindesalter, dem Seniorenrat, dem Verein für Konsumenteninformation, dem Verein zur Wahrung der Interessen von autorisierten und akkreditierten Versuchsanstalten und Prüfstellen (Austrolab), dem Verbraucherrat am Österreichischen Normungsinstitut, der Ös-

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Der Bundesminister ist Vorsitzender der Sitzungen des Beirates und kann über die ordentlichen Mitglieder hinaus noch zusätzlich Sachverständige und Auskunftspersonen beratend beiziehen. Ordentliche Mitglieder können sich von Experten im unbedingt nötigen Ausmaß begleiten lassen. Der Beirat behandelt die ihm zugewiesenen Aufgaben gemäß einer von ihm selbst beschlossenen und vom Bundesminister genehmigten Geschäftsordnung in nichtöffentlicher Sitzung mit einfacher Mehrheit, wobei nicht mehrheitsfähige Meinungen stets protokollarisch festzuhalten sind.

terreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, dem Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, dem Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz. Weiters gehört dem Beirat ein gemeinsamer Vertreter der Länder an. Vgl. § 20 Abs.2 PSG 2004.

Andreas Hauer

Lebensmittelrecht Rechtsgrundlagen ...........................................................................................572 Grundlegende Literatur...................................................................................579 I. Grundlagen ................................................................................................579 A. Allgemeines............................................................................................579 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................580 C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen ...................................................581 1. Primärrecht ........................................................................................581 2. Sekundärrecht....................................................................................584 II. Der Geltungsbereich des LMSVG..........................................................584 III. Die lebensmittelrechtliche Ordnung.....................................................585 A. Der Lebensmittelbegriff .........................................................................585 B. Allgemeine Verbote im Lebensmittelverkehr .........................................585 1. Das Verbot gesundheitsschädlicher oder ungeeigneter Lebensmittel................................................................585 2. Das Verbot minderwertiger Lebensmittel .........................................585 3. Das Verbot verordnungswidriger Lebensmittel ................................587 4. Das Verbot irreführender Angaben ...................................................587 5. Verbotene krankheitsbezogene Angaben ..........................................588 C. Diätetische Lebensmittel .......................................................................590 D. Behandlung mit ionisierenden Strahlen ................................................591 E. Hygiene im Lebensmittelbereich............................................................591 1. Allgemeines.......................................................................................591 2. Eintragung und Zulassung von Betrieben .........................................592 F. Die lebensmittelrechtliche Verantwortung des Lebensmittelunternehmers.....................................................................593 IV. Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel..................................593 A. Gebrauchsgegenstände..........................................................................593 B. Kosmetische Mittel.................................................................................594 V. Nationales Verordnungsrecht .................................................................595 A. Allgemeines............................................................................................595 B. Im Besonderen Lebensmittelkennzeichnung ..........................................596 VI. Die Vollziehung des unmittelbar anwendbaren EG-Lebensmittelrechts..........................................................................597 VII. Lebensmittelpolizeiliche Aufsicht........................................................599 A. Organisation..........................................................................................599 B. Ausführung ............................................................................................601 1. Planmäßigkeit....................................................................................601 2. Instrumente der Kontrolle und zur unmittelbaren Gefahrenabwehr..601 3. Die Schlachttier- und Fleischuntersuchung im Besonderen..............603

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4. Rückstandskontrollen von Lebensmitteln tierischer Herkunft im Besonderen....................................................................................... 603 VIII. Zwischenstaatlicher Lebensmittelverkehr........................................ 604 A. Innergemeinschaftlicher Lebensmittelverkehr ...................................... 604 B. Lebensmittelverkehr mit Drittstaaten.................................................... 604 1. Einfuhr .............................................................................................. 604 2. Ausfuhr ............................................................................................. 604 IX. Lebensmitteluntersuchungsanstalten und Lebensmittelgutachter... 605 A. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit........................... 605 B. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH............ 605 C. Untersuchungsanstalten der Länder..................................................... 606 D. Private Lebensmittelgutachter.............................................................. 606 X. Das österreichische Lebensmittelbuch................................................... 606 XI. Lebensmittelstrafrecht .......................................................................... 607 A. Justizstrafrecht ...................................................................................... 607 B. Verwaltungsstrafrecht ........................................................................... 608 XII. Zusammenhänge................................................................................... 609 Rechtsgrundlagen: Gemeinschaftsrecht VO: Verordnung (EWG) Nr 1898/87 über den Schutz der Bezeichnung der Milch und Milcherzeugnisse bei ihrer Vermarktung, Abl L 182/36; Verordnung (EWG) Nr 1576/89 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen, Abl L 160/1; Verordnung (EWG) Nr 1014/90 mit Durchführungsbestimmungen für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen, Abl L 105/9; Verordnung (EWG) Nr 2377/90 zur Schaffung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen für Tierarzneimittelrückstände in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs, Abl L 224/1; Verordnung (EWG) Nr 1601/91 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung aromatisierter weinhaltiger Getränke und aromatisierter weinhaltiger Cocktails, Abl L 149/1; Verordnung (EWG) Nr 2092/91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel, Abl L 198/1; Verordnung (EWG) Nr 2568/91 über die Merkmale von Olivenölen sowie die Verfahren zu ihrer Bestimmung, Abl L 248/1; Verordnung (EWG) Nr 315/93 zur Festlegung von gemeinschaftlichen Verfahren zur Kontrolle von Kontaminanten in Lebensmitteln, Abl L 37/1; Verordnung (EG) Nr 122/94 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EWG) Nr 1601/91 hinsichtlich der Definition, Bezeichnung und Aufmachung von aromatisiertem Wein sowie aromatisierten weinhältigen Getränken und Cocktails, Abl L 21/7; Verordnung (EG) Nr 2991/94 mit Normen für Streichfette, Abl L 316/2; Verordnung (EG) Nr 2232/96 zur Festlegung eines Gemeinschaftsverfahrens für Aromastoffe, die in oder auf Lebensmitteln verwendet werden oder verwendet werden sollen, Abl L 299/1; Verordnung (EG) Nr 258/97 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, Abl L 43/1; Verordnung (EG) Nr 2597/97 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse hinsichtlich Konsummilch, Abl L 351/13; Verordnung (EG) Nr 1760/2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen, Abl L 204/1; Verordnung (EG) Nr 1825/2000 mit Durchführungsvor-

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schriften zur Verordnung (EG) Nr 1760/2000 hinsichtlich der Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen, Abl L 216/8; Verordnung (EG) Nr 466/2001 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln, Abl L 77/1; Verordnung (EG) Nr 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, Abl L 31/1; Verordnung (EG) Nr 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, Abl L 268/1; Verordnung (EG) Nr 1830/2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln, Abl L 268/24; Verordnung (EG) Nr 2065/2003 über Raucharomen zur tatsächlichen oder beabsichtigten Verwendung in oder auf Lebensmitteln, Abl L 309/1; Verordnung (EG) Nr 608/2004 über die Etikettierung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten mit Phytosterin-, Phytosterinester-, Phytostanol- und/oder Phytostanolesterzusatz, Abl L 97/44; Verordnung (EG) Nr 852/2004 über Lebensmittelhygiene, Abl L 139/1; Verordnung (EG) Nr 853/2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs, Abl L 139/55; Verordnung (EG) Nr 854/2004 mit spezifischen Vorschriften für die amtliche Überwachung von zu menschlichem Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs, Abl L 139/206; Verordnung (EG) Nr 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebens- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz, Abl L 165/1; Verordnung (EG) Nr 1935/2004 über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, Abl L 338/4; Verordnung (EG) Nr 37/2005 zur Überwachung der Temperaturen von tief gefrorenen Lebensmitteln in Beförderungsmitteln sowie Einlagerungs- und Lagereinrichtungen, Abl L 10/18; Verordnung (EG) Nr 396/2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs, Abl L 70/1; Verordnung (EG) Nr 1895/2005 über die Beschränkung der Verwendung bestimmter Epoxyderivate in Materialien und Gegenständen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, Abl L 302/28; Verordnung (EG) Nr 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel, Abl L 338/1; Verordnung (EG) Nr 509/2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln, Abl L 93/1; Verordnung (EG) Nr 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, Abl L 93/12; Verordnung (EG) Nr 627/2006 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr 2065/2003 hinsichtlich der Qualitätskriterien für validierte Analyseverfahren zur Probenahme, Identifizierung und Charakterisierung primärer Räucherprodukte, Abl L 109/3. RL: Richtlinie zur Festsetzung des Höchstgehalts an Erukasäure in Speiseölen und fetten sowie in Lebensmittel mit Öl- und Fettzusätzen 76/621/EWG, Abl L 202/35; Richtlinie über kosmetische Mittel 76/768/EWG, Abl L 262/169; Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Obst und Gemüse 76/895/EWG, Abl L 340/26 [siehe zum zeitlichen Geltungsbereich Art 48 Abs 1 VO Nr 396/2005]; Richtlinie über Vinylchlorid-Monomer enthaltende Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 78/142/EWG, Abl L 44/15; Richtlinie zur Festlegung spezifischer Reinheitskriterien für Emulgatoren, Stabilisatoren, Verdickungs- und Geliermittel, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen 78/663/EWG, Abl L 223/7; Erste Richtlinie zur Festlegung gemeinschaftlicher Analysemethoden für die Kontrolle von zur menschlichen Ernährung bestimmten Zuckerarten 79/796/EWG, Abl L 239/24; Erste Richtlinie zur Festsetzung gemeinschaftlicher Analysemethoden zur Prüfung bestimm-

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ter Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch für die menschliche Ernährung 79/1067/EWG, Abl L 327/29; Richtlinie zur Festlegung gemeinschaftlicher Analysemethoden für die amtliche Prüfung des Gehalts an Vinylchlorid-Monomer in Materialien und Gegenständen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 80/766/EWG, Abl L 213/42, Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern 80/777/EWG, Abl L 229/1; Richtlinie über die gemeinschaftliche Analysemethode zur Bestimmung des Erukasäuregehalts in Speiseölen und -fetten sowie in Lebensmitteln mit Öl- und Fettzusätzen 80/891/EWG, Abl L 254/35; Erste bis siebente Richtlinie über Analysemethoden zur Kontrolle der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel 80/1335/EWG, Abl L 383/27; 82/434/EWG, Abl L 185/1; 83/514/EWG, Abl L 291/9; 85/490/EWG, Abl L 295/30; 93/73/EWG, Abl L 231/34; 95/32/EG, Abl L 178/20; 96/45/EG, Abl L 213/8; Richtlinie zur Festlegung der gemeinschaftlichen Analysemethode für die amtliche Prüfung auf Vinylchlorid, das von Bedarfsgegenständen in Lebensmittel übergegangen ist 81/432/EWG, Abl L 167/6; Erste Richtlinie zur Festlegung gemeinschaftlicher Analysemethoden für die Überwachung der Einheitskriterien bestimmter Lebensmittelzusatzstoffe 81/712/EWG, Abl L 257/1; Richtlinie über die Grundregeln für die Ermittlung der Migration aus Materialien und Gegenständen aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 82/711/EWG, Abl L 297/26; Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über bestimmte Milcherzeugnisse (Kaseine und Kaseinate) für die menschliche Ernährung 83/417/EWG, Abl L 237/25; Richtlinie über Keramikgegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 84/500/EWG, Abl L 277/12; Erste Richtlinie zur Festlegung der Gemeinschaftsmethoden für die Analysen von Nährkaseinen und Nährkaseinaten 85/503/EWG, Abl L 308/12; Richtlinie über die Liste der Simulanzlösemittel für die Migrationsuntersuchungen von Materialien und Gegenständen aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 85/572/EWG, Abl L 372/14; Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Getreide 86/362/EWG, Abl L 221/37 [siehe zum zeitlichen Geltungsbereich Art 48 Abs 1 VO Nr 396/2005]; Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in Lebensmitteln tierischen Ursprungs 86/363/EWG, Abl L 221/43 [siehe zum zeitlichen Geltungsbereich Art 48 Abs 1 VO Nr 396/2005]; Erste Richtlinie zur Festlegung der Gemeinschaftsmethoden für die Probenahme von Kaseinen und Kaseinaten 86/424/EWG, Abl L 243/29; Richtlinie betreffend die Angabe des Alkoholgehalts als Volumenkonzentration in der Etikettierung von alkoholhaltigen, für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln 87/250/EWG, Abl L 113/57; Erste Richtlinie zur Festlegung der Gemeinschaftsmethoden für die Probenahme von Dauermilcherzeugnissen 87/524/EWG, Abl L 306/24; Richtlinie über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden 88/344/EWG, Abl L 157/28; Richtlinie über Aromen zur Verwendung in Lebensmitteln und über Ausgangsstoffe für ihre Herstellung 88/388/EWG, Abl L 184/61; Richtlinie über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen 89/107/EWG, Abl L 40/27; Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften über tiefgefrorene Lebensmittel 89/108/EWG, Abl L 40/34; Richtlinie über Angaben oder Marken, mit denen sich das Los, zu dem ein Lebensmittel gehört, feststellen läßt 89/396/EWG, Abl L 186/21; Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, 89/398/EWG, Abl L 186/27; Richtlinie über die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln 90/496/EWG, Abl L 276/40; Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in bestimmten Erzeugnissen pflanzlichen Ursprungs, einschließlich Obst und Gemüse, 90/642/EWG, Abl L

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350/71 [siehe zum zeitlichen Geltungsbereich Art 48 Abs 1 VO Nr 396/2005]; Richtlinie über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung 91/321/EWG, Abl L 175/35; Richtlinie zur Festlegung des Probenahmeverfahrens und des gemeinschaftlichen Analyseverfahrens für die amtliche Kontrolle der Temperaturen von tiefgefrorenen Lebensmitteln 92/2/EWG, Abl L 34/30; Richtlinie über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung zur Ausfuhr in Drittländer 92/52/EWG, Abl L 179/129; Richtlinie über die Unterstützung der Kommission und die Mitwirkung der Mitgliedsstaaten bei der wissenschaftlichen Prüfung von Lebensmittelfragen, 93/5/EWG, Abl L 52/18; Richtlinie über Materialien und Gegenstände aus Zellglasfolien, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 93/10/EWG, Abl L 93/27; Richtlinie über die Freisetzung von N-Nitrosaminen und N-nitrosierbaren Stoffen aus Flaschen und Beruhigungssaugern aus Elastomeren oder Gummi 93/11/EWG, Abl L 93/37; Richtlinie über die Herstellung von Nektar ohne Zusatz von Zuckerarten oder Honig 93/45/EWG, Abl L 159/133; Richtlinie über Süßungsmittel, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen 94/35/EWG, Abl L 237/3; Richtlinie über Farbstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, 94/36/EG, Abl L 237/13; Richtlinie über Angaben, die zusätzlich zu den in der Richtlinie 79/112/EWG aufgeführten Angaben auf dem Etikett bestimmter Lebensmittel vorgeschrieben sind 94/54/EG, Abl L 300/14; Richtlinie über andere Lebensmittelzusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel 95/2/EWG, Abl L 61/1; Richtlinie mit Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 76/768/EWG betreffend die Nichteintragung eines oder mehrerer Bestandteile in die für die Etikettierung kosmetischer Mittel vorgesehene Liste 95/17/EG, Abl L 140/26; Richtlinie zur Festlegung spezifischer Reinheitskritierien für Süßungsmittel, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, 95/31/EWG, Abl L 178/1; Richtlinie zur Festlegung spezifischer Reinheitskriterien für Lebensmittelfarbstoffe 95/45/EG, Abl L 226/1; Richtlinie über Getreidebeikost und andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder 96/5/EG, Abl L 49/17; Richtlinie über Lebensmittel für kalorienarme Ernährung zur Gewichtsverringerung 96/8/EG, Abl L 55/22; Richtlinie über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe mit hormonaler bzw thyreostatischer Wirkung und von ß-Agonisten in der tierischen Erzeugung 96/22/EG, Abl L 125/3; Richtlinie über Kontrollmaßnahmen hinsichtlich bestimmter Stoffe und ihrer Rückstände in lebenden Tieren und tierischen Erzeugnissen 96/23/EG, Abl L 125/10; Richtlinie zur Festlegung spezifischer Reinheitskriterien für andere Lebensmittelzusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel 96/77/EG, Abl L 339/1; Richtlinie über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch 98/83/EG, Abl L 330/32; Richtlinie über mit ionisierenden Strahlen behandelte Lebensmittel und Lebensmittelbestandteile 1999/2/EG, Abl L 66/24; Richtlinie über die Festlegung einer Gemeinschaftsliste von mit ionisierenden Strahlen behandelten Lebensmitteln und Lebensmittelbestandteilen 1999/3/EG, Abl L 66/24; Richtlinie über Kaffee- und Zichorien-Extrakte 1999/4/EG, Abl L 66/26; Richtlinie über die Ausnahme von Art 7 der Richtlinie 79/112/EWG hinsichtlich der Etikettierung von Lebensmitteln 1999/10/EG, Abl L 69/22; Richtlinie über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke 1999/21/EG, Abl L 91/29; Richtlinie 2000/13/EG über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, Abl L 109/29; Richtlinie über Kakao- und Schokoladeerzeugnisse für die menschliche Ernährung 2000/36/EG, Abl L 197/19; Richtlinie über Stoffe, die Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, zu besonderen Ernährungszwecken zugefügt werden dürfen 2001/15/EG, Abl L 52/19; Richtlinie über Honig 2001/110/EG, Abl L 10/47; Richtlinie über bestimmte Zuckerarten für die menschliche Ernährung 2001/111/EG, Abl L 10/53; Richtlinie über Fruchtsäfte und bestimmte gleichartige Erzeugnisse für die menschliche Ernährung 2001/112/EG, Abl L 10/58; Richtlinie über Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Makronencrem für die menschliche Ernährung 2001/113/EG, Abl L 10/67; Richtlinie über bestimmte Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch für die menschliche

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Ernährung 2001/114/EG Abl L 15/19; Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel 2002/46/EG, Abl L 183/51; Richtlinie über die Etikettierung von chininhaltigen und von koffeinhaltigen Lebensmitteln 2002/67/EG, Abl L 191/20; Richtlinie über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen 2002/72/EG, Abl L 220/18; Richtlinie zur Festlegung von tierseuchenrechtlichen Vorschriften für das Herstellen, die Verarbeitung, den Vertrieb und die Einfuhr von Lebensmitteln tierischen Ursprungs 2002/99/EG, Abl L 18/11; Richtlinie zur Festlegung des Verzeichnisses, der Grenzwerte und der Kennzeichnung der Bestandteile natürlicher Mineralwässer und der Bedingungen für die Behandlung natürlicher Mineralwässer und Quellwässer mit ozonangereicherter Luft 2003/40/EG, Abl L 126/34; Richtlinie über die Inspektion und Überprüfung der Guten Laborpraxis (GLP) 2004/9/EG, Abl L 50/28. Nationales Recht BG: Bundesgesetz über Sicherheitsanforderungen und weitere Anforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz LMSVG) BGBl 2006 I/13, BGBl 2005 I/151, BGBl 2006 II/95; Bundesgesetz über den Verkehr mit Speisesalz (BGBl 1963/112 idF BGBl 1990/288 und 1999 I/115); Bundesgesetz, mit dem die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH errichtet und das Bundesamt für Ernährungssicherheit sowie das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen eingerichtet werden (Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz - GESG), BGBl 2002 I/63, 2003 I/78, 2004 I/83, 2005 I/87, 2005 I/107 und BGBl 2005 I/153; Bundesgesetz zur Durchführung des Übereinkommens über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderung zu verwenden sind (ATP-Durchführungsgesetz), BGBl 1991/82 idF BGBl 2002 I/95. „Verordnungen“, die gemäß § 96 Z 1 und Z 2 sowie § 97 LMSVG weiter „als Bundesgesetze“ in Kraft stehen: Verordnung über den Verkehr mit Essigsäure zu Genußzwecken (BGBl 1959/148 idF BGBl 1975/86 und 2006 I/13 (BG); Verordnung über Herstellung, Verkauf, Zurichtung und Verwendung von Geschirren und Geräten, die mit Lebensmitteln unmittelbar in Berührung kommen, über Kinderspielzeug bestimmter Art sowie über bestimmte Arten der Aufbewahrung und Verpackung von Lebensmitteln Geschirrverordnung (BGBl 1960/258 idF BGBl 1993/893, 1994/775, 1994/823, 2003 I/476 und 2006 I/13); Verordnung über das Verbot bzw die Verwendungsbeschränkung bestimmter nickelhältiger Gebrauchsgegenstände - Nickelverordnung (BGBl 2000 II/204 idF BGBl 2002 II/87 und 2005 II/297). Durchführungsverordnungen zum LMG 1975, die gemäß § 98 Abs 1 LMSVG als Verordnungen aufgrund des LMSVG weitergelten: Verordnung über gasförmige Füllstoffe für Spielzeugluftballons (BGBl 1978/22); Verordnung über die Ausbildung von Aufsichtsorganen (BGBl 1983/397); Verordnung über den Höchstgehalt von Mykotoxinen bei Lebensmitteln (BGBl 1986/251); Verordnung über Arzneimittelrückstände in Lebensmitteln (BGBl 1988/542); Verordnung über die tarifmäßige Festlegung der Gebühren für die von den Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung vorzunehmenden Untersuchungen und Begutachtungen - Gebührentarifverordnung (BGBl 1989/189 idF BGBl 1992/409, 1994/477, 1997 II/332, 2001 II/43 und 2006 II/13); Verordnung über die Kennzeichnung von verpackten Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln (Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1993 - LMKV) BGBl 1993/72, idF BGBl 1993/557, 1995/555, 1999 II/462, 2002 II/371, 2003 II/222, 2005 II/103 (VFB), 2005 II/111, 2005 II/408; Verordnung über Margarineerzeugnisse und Mischfetterzeugnisse

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(BGBl 1993/378); Verordnung über das Verbot der Verwendung von Stoffen bei Vorratsschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln (BGBl 1993/652 idF BGBl 1994/343, 1995/669 und 2000 I/105 [BG]); Verordnung über Gebrauchsgegenstände aus Keramik und Gebrauchsgegenstände mit einem Überzug aus Email - Keramik-Verordnung (BGBl 1993/893); Verordnung über Hygienevorschriften für die Herstellung und Vermarktung von Rohmilch, wärmebehandelter Milch und Erzeugnissen auf Milchbasis Milchhygieneverordnung (BGBl 1993/897 idF BGBl 1998 II/40 und § 95 Abs 8 LMSVG); Verordnung über Gebrauchsgegenstände aus Zellglasfolie - ZellglasfolienVerordnung (BGBl 1994/128 idF BGBl 2005 II/298); Verordnung über tiefgefrorene Lebensmittel (BGBl 1994/201); Verordnung über Analysemethoden für die Überwachung der Reinheitskriterien bestimmter Zusatzstoffe - Zusatzstoff-Analysenverordnung (BGBl 1994/466); Verordnung zur Festsetzung des Höchstgehaltes an Erucasäure Erucasäureverordnung (BGBl 1994/468); Verordnung über die Kennzeichnung von Zusatzstoffen für Lebensmittel und Verzehrprodukte - Zusatzstoffkennzeichnungsverordnung (BGBl 1994/476); Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug - Spielzeugverordnung (BGBl 1994/823 idF BGBl 2003 II/245); Verordnung über Analysenmethoden zur Kontrolle der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel - Kosmetik-Analysenverordnung (BGBl 1995/95 idF BGBl 1996/546 und 1997 II/383); Verordnung über die Freisetzung von N-Nitrosaminen und N-nitrosierbaren Stoffen aus Flaschen und Beruhigungssaugern aus Elastomeren oder Gummi (BGBl 1995/104); Verordnung über die Qualitätsanforderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung - Oberflächen-Trinkwasserverordnung (BGBl 1995/359); Verordnung über Farbstoffe, die in kosmetischen Mitteln sein dürfen - Kosmetik-Farbstoffverordnung (BGBl 1995/416 idF BGBl 2005 II/360); Verordnung über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung (BGBl 1995/531 idF BGBl 1997 II/292); Verordnung über die Verwendung von Extraktionslösungsmitteln bei der Herstellung von Lebensmitteln und Verzehrprodukten Extraktionslösungsmittelverordnung (BGBl 1995/642 idF BGBl 1998 II/465); Verordnung über die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln - NWKV, BGBl 1995/896 idF BGBl II 2004/435, II 2005/103 (DFB); Verordnung über Kontrollmaßnahmen betreffend kosmetische Mittel (BGBl 1996/168 idF BGBl 2005 II/92); Verordnung über die Nichteintragung eines oder mehrerer Bestandteile in die für die Kennzeichnung kosmetischer Mittel vorgesehene Liste (BGBl 1996/359); Verordnung über Eiprodukte Eiprodukteverordnung (BGBl 1996/527 idF § 95 Abs 8 LMSVG); Verordnung über den Zusatz von Farbstoffen zu Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln - Farbstoffverordnung (BGBl 1996/541 idF BGBl 2000 II/222, 2002 II/465 und 2005 II/211); Verordnung über den Zusatz von Süßungsmitteln zu Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln - Süßungsmittelverordnung (BGBl 1996/547 idF BGBl 1996/680, 1998 II/257, 1999 II/21, 2002 II/42 und 2005 II/212); Verordnung über Nährkaseine und Nährkaseinate (BGBl 1996/548); Verordnung über die Überwachung und Kontrolle von tiefgefrorenen Lebensmitteln (BGBl 1996/581); Verordnung über die Bestimmung des Alkoholgehaltes bei - der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung unterliegenden Getränken - Alkoholangabenverordnung (BGBl II 1997/136); Verordnung über die Vorbildung von Lebensmittelgutachtern - Lebensmittelgutachterverordnung (BGBl 1997 II/161); Verordnung über Aromen und deren Ausgangsstoffe - Aromenverordnung (BGBl 1998 II/42); Verordnung über Lebensmittel für kalorienarme Ernährung zur Gewichtsverringerung (BGBl 1998 II/112); Verordnung über Getreidebeikost und andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder - Beikostverordnung (BGBl 1998 II/133 idF 1999 II/200); Verordnung über das Verbot der Verwendung von Weichmachern bei bestimmtem Spielzeug aus Kunststoff für Kinder unter 36 Monaten (BGBl 1998 II/255); Verordnung über andere Zusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel - ZuV (BGBl 1998 II/383 idF BGBl 2000 II/132, 2000 II/315, 2001 II/193, 2003 II/14, 2004 II/265, 2005 II/364); Verordnung über natürliche Mineralwässer und Quellwässer - Mineral-

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wasser- und Quellwasserverordnung (BGBl 1999 II/309 idF BGBl 2004 II/500); Verordnung über kosmetische Mittel - Kosmetikverordnung (BGBl 1999 II/375 idF BGBl 2000 II/285, 2003 II/338, 2005 II/68 und 2006 II/53); Verordnung über Kaffee- und Zichorienextrakte (BGBl II 2000/391); Verordnung über das Verbot der Verwendung von Weichmachern bei bestimmten Babyartikeln aus Weich-PVC für Kinder unter 36 Monaten (BGBl 2000 II/111); Verordnung über die Behandlung von Lebensmitteln und Verzehrprodukten mit ionisierenden Strahlen (BGBl 2000 II/327); Verordnung über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, BGBl 2000 II/416; Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung - TWV), BGBl 2001 II/304 idF BGBl 2006 II/254; Verordnung über Höchstwerte von Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln in oder auf Lebensmitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs - Schädlingsbekämpfungsmittel-Höchstwerteverordnung - SchäHöV (BGBl 2002 II/441 idF BGBl 2003 II/552, 2004 II/434, 2005 II/166 und BGBl 2006 II/130); Verordnung zur Festlegung von Probenahmeverfahren und Analysemethoden für die amtliche Kontrolle bestimmter Waren auf Einhaltung der Höchstgehalte für Kontaminanten (Kontaminanten-Analyseverordnung), BGBl 2003 II/422 idF BGBl 2004 II/433; Verordnung über Gebrauchsgegenstände aus Kunststoff, die für die Verwendung bei Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln bestimmt sind (Kunststoffverordnung 2003) BGBl 2003 II/476 idF BGBl 2005 II/242; Verordnung über bestimmte Zuckerarten - Zuckerverordnung, BGBl 2003 II/472; Verordnung über Kakao- und Schokoladeerzeugnisse - Schokoladeverordnung, BGBl 2003 II/628; Verordnung über Honig - Honigverordnung, BGBl 2004 II/40; Verordnung über bestimmte Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch, BGBl 2004 II/45; Verordnung über Fruchtsäfte und einige gleichartige Erzeugnisse - Fruchtsaftverordnung, BGBl 2004 II/83; Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (Nahrungsergänzungsmittelverordnung - NEMV) BGBl 2004 II/88; Verordnung über das Verbot der Verwendung bestimmter Azofarbstoffe bei Gebrauchsgegenständen (Azofarbstoffverordnung 2004), BGBl 2004 II/320 idF BGBl 2006 II/52; Verordnung über die innerstaatliche Durchführung der Verordnungen (EG) Nr 1830/2003 und Nr 608/2004, BGBl 2004 II/373; Verordnung über Konfitüre, Gelees, Marmeladen und Maronencremen - Konfitürenverordnung 2004, BGBl 2004 II/367; Verordnung über die Kennzeichnung von Materialien und Gegenständen, die für die Verwendung bei Lebensmitteln bestimmt sind, BGBl 2005 II/262. Durchführungsverordnungen bereits unmittelbar zum LMSVG: Verordnung über die Anpassung bestimmter Lebensmittelhygienevorschriften (Lebensmittelhygiene-Anpassungsverordnung), BGBl 2006 II/91; Verordnung über Lebensmittelhygieneanforderungen an Einzelhandelsunternehmen (Lebensmittel-Einzelhandelsverordnung), BGBl 2006 II/92; Eintragungs- und Zulassungsverordnung, BGBl 2006 II/93; Verordnung über Rohmilch und Rohrahm (Rohmilchverordnung), BGBl 2006 II/106; Verordnung über die Direktvermarktung von Lebensmitteln (Lebensmittel-Direktvermarktungsverordnung), BGBl 2006 II/108; Verordnung über die Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie die Untersuchung von Fischereierzeugnissen (Fleischuntersuchungsverordnung 2006 - FlUVO), BGBl 2006 II/109; Verordnung über Kontrollmaßnahmen betreffend bestimmte Stoffe und deren Rückstände in lebenden Tieren und Lebensmitteln tierischer Herkunft (Rückstandskontrollverordnung 2006), BGBl 2006 II/110; Verordnung über Stoffe, die diätetischen Lebensmitteln zu besonderen Ernährungszwecken zugefügt werden dürfen und über allgemeine Kennzeichnungsvorschriften für diätetische Lebensmittel (Diät-Rahmenverordnung), BGBl 2006 II/162; Verordnung über den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH zur Übernahme von amtlichen Proben, BGBl 2006 II/209; (teilweise:) Verordnung über die veterinärbehördliche Grenzkontrolle und über

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das innergemeinschaftliche Verbringen von Tieren, Waren und Gegenständen (Veterinärbehördliche Einfuhr- und Binnenmarktverordnung 2001; EBVO 2001), BGBl 2001 II/355, BGBl 2004 II/266 und 2006 II/129.

Grundlegende Literatur: Fessler, LMSVG. Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz. Textausgabe (2006); C. Hauer, Österreichisches Lebensmittelrecht und die Europäische Union (1997); Kobelt/Sanwidi, Das neue Lebensmittelhygiene-Recht. Kommentar zur VO (EG) Nr. 852/2004 und zur VO (EG) Nr. 853/2004 (2005); Nentwich, Das Lebensmittelrecht der Europäischen Union. Entstehung, Rechtsprechung, Sekundärrecht, nationale Handlungsspielräume (1994); Prichenfried, Lebensmittelrecht, in Norer (Hrsg), Handbuch des Agrarrechts (2005) 171ff; Prichenfried, Qualitätsvorschriften, in Norer (Hrsg), Handbuch des Agrarrechts (2005) 185ff; Schroeder/Kraus, Europäisches und Österreichisches Lebensmittelrecht. Textsammlung samt Einleitung und Synopse (2006); Schroeder/Kraus, Grundprinzipien des neuen Lebensmittelrechts. Das Zusammenspiel von EU-BasisVO und neuem LMSVG, wbl 2006, 245ff; Leidwein, Europäisches Agrarrecht² (2004) 377ff; Stadlmeier, Le Gourmet Europeén? Oder: De gustibus non est disputandum. Zur Lebens- und Genussmitteljudikatur des EuGH, in Köck/Lengauer/Ress (Hrsg), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung. FS Fischer (2004) 529ff. Siehe im Übrigen die Literaturhinweise zum „alten“ Lebensmittelrecht bei A. Hauer, Lebensmittelrecht, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht II (2002) 139f.

I. Grundlagen1 A. Allgemeines Das geltende Lebensmittelrecht ist ein unübersichtliches Gemenge aus nationalem österreichischem Recht und unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht. Im Zentrum des österreichischen Lebensmittelrechts steht das erst jüngst erlassene Lebensmittelsicherheitsund Verbraucherschutzgesetz (LMSVG)2, welches das LebensmittelG 1975 abgelöst hat3. Wie dieses regelt auch das LMSVG neben Lebensmitteln des weiteren kosmetische Mittel sowie Gebrauchsgegenstände. Es verfolgt in der Hauptsache zwei Ziele, nämlich den Schutz der Gesundheit der Verbraucher sowie den Schutz der Verbraucher vor Täuschung4. Wie bereits das LMG 1975 lässt sich auch das LMSVG in beträchtlichen Teilen als „Rahmengesetz“ charakterisieren, das die Verwaltung ermächtigt, „in seinem Rahmen“ ein detailliertes lebensmittelrechtliches Regelungsregime auf Verordnungsebene zu etablieren. In diesem Sinn ist das österreichische Lebensmittelrecht auch durch eine nur schwer überschaubare Vielzahl von 1

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Stand: 1. August 2006. Für wertvolle fachliche Unterstützung habe ich Frau Dr. Elisabeth Würthinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre der Johannes Kepler Universität Linz, zu danken. BGBl 2006 I/13, bereits vor seiner Kundmachung erstmals novelliert durch BGBl 2005 I/151, und weiters idF BGBl 2006 II/95. Siehe zum LMG 1975 die Darstellung in der ersten Auflage dieses Handbuches mit weiteren Nachweisen der Literatur und der Rechtsprechung. So explizit § 2 Abs 1 LMSVG.

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Durchführungsverordnungen charakterisiert5, die in fortwährender Bewegung ist, sodass jeder Versuch einer detaillierten Darstellung alsbald zu einer Momentaufnahme von bloß noch historischem Interesse mutieren muss. Die wesentliche legistische Verschlechterung des geltenden Lebensmittelrechtes - verglichen mit dem LMG 1975 - liegt aber im unübersichtlichen „Zusammenspiel“ mit der zunehmenden Zahl unmittelbar anwendbarer lebensmittelrechtlicher EG-Verordnungen: Das LMSVG ist in diesem Sinne nur noch in beschränktem Maße als systematisch aufgebautes, aus sich heraus verständliches Regelungswerk zu bezeichnen; beträchtliche Teile des Gesetzes sind vielmehr eher als - für sich allein genommen völlig unverständliches - Flickwerk zur Ergänzung von Gemeinschaftsrecht zu qualifizieren, dessen Sinngehalt sich erst aus der umständlichen Zusammenschau von sperrigen österreichischen Gesetzestexten mit noch sperrigeren EG-Vorschriften erschließt. Hauptsäulen des geltenden Lebensmittelrechtes sind (nach wie vor): • die Verbote gesundheitsschädlicher Lebensmittel, Gebrauchsstoffe und kosmetischer Mittel, • das Irreführungsverbot, • das - allerdings auf die gemeinschaftsrechtliche Ebene gehobene - Hygienegebot, • die planmäßige und strenge behördliche Aufsicht über die Lebensmittelwirtschaft durch besonders geschulte Organe und • die fachkundige Untersuchung durch staatliche Untersuchungsanstalten sowie • ein effektives Lebensmittelstrafrecht.

B. Kompetenzrechtliche Einordnung Das materielle Lebensmittelrecht des LMSVG stützt sich in der Hauptsache auf die Kompetenztatbestände des „Gesundheitswesens“ und des „Ernährungswesens einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle“ in Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG. In diesem Sinne hat der VfGH bereits in VfSlg 3324/1958 die „Lebensmittelüberwachung“ pauschal und ohne nähere Begründung als „Zweig der Gesundheitspolizei“ bezeichnet. Mit seinem Erkenntnis vom 2. Juli 19686 hat er den Rechtssatz geprägt, daß „unter Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG) ... nicht nur Maßnahmen zur Überwachung der Nahrungsmittel vom sanitären Standpunkt, sondern auch Maßnahmen, die unmittelbar die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zum Inhalt haben“, fallen7. In seinem Erkenntnis vom 26.

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Vgl die einleitende Auflistung. VfSlg 5748/1968 = BGBl 1968/273. In dieser Entscheidung hat er übrigens auch darauf hingewiesen, daß der „volkswirtschaftlich gewiss vorhandene Zusammenhang“ zwischen Produktion und Konsumation „nicht zu der Annahme verführen [dürfe], daß die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte und die Tierhaltung deshalb, weil sie auch für die Ernährung von Bedeutung sind, unter `Ernährungswesen´ und damit in die Bundeskompetenz fallen könnten. Eine derart umfassende, die gesamte Agrarwirtschaft einschließende Bedeutung kommt dem Begriff `Ernährungswesen´ nicht zu. Ihm können vielmehr Angelegenheiten, die nur mittelbar die Ernährung betreffen, nicht unterstellt werden.“

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März 19778 hat er schließlich einen weiteren Rechtssatz aufgestellt, wonach „gesetzliche Regelungen, die verhindern sollen, daß Lebensmittel anläßlich der Beförderung mit Kraftfahrzeugen verderben, ... eine Angelegenheit des Gesundheitswesens nach Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG“ seien. Zuletzt vertrat der VfGH die Auffassung, daß die kompetenzrechtliche Basis des LMG 1975 nicht nur im Tatbestand des „Ernährungswesens einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle“ zu finden sei, sondern auch jene des „Gesundheitswesens und des Veterinärwesens in Betracht zu ziehen“ seien, weil das LMG 1975 nicht nur Lebensmittel, sondern auch Verzehrprodukte, Zusatzstoffe, kosmetische Mittel und Gebrauchsgegenstände regle9. Auf eine präzisere Abgrenzung des Kompetenztatbestandes des „Gesundheitswesens“ von jenem des „Ernährungswesens“ hat sich der VfGH angesichts des Umstandes, daß beide Kompetenztatbestände in die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz des Bundes fallen, nicht eingelassen. Weder das „Gesundheitswesen“ noch das „Ernährungswesen“ dürfen nach Art 102 Abs 2 B-VG ohne weiters in unmittelbarer Bundesverwaltung geführt werden (vgl VfSlg 8466/1978).

C. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 1. Primärrecht Die gemeinschaftsrechtliche Garantie des freien Warenverkehrs umfasst auch den freien Verkehr mit Lebensmitteln im Binnenmarkt. Nationale Regelungen des Lebensmittelrechtes müssen sich daher insbesondere am gemeinschaftsrechtlichen Maßstab der Freiheit des Warenverkehrs messen lassen. In diesem Zusammenhang verbietet Art 28 EGV „mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung ... zwischen den Mitgliedsstaaten“. Nach der Rechtsprechung des EuGH10 erfasst dieses Verbot „jede Handelsregelung der Mitgliedsstaaten ..., die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“. Der EuGH rechnet folglich beispielsweise auch Vorschriften über die Lebensmittelzusammensetzung und über die Lebensmittelkennzeichnung sowie nationale Genehmigungsvorbehalte zu den Maßnahmen gleicher Wirkung11. Aus Art 8 9 10

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VfSlg 8035/1977 = BGBl 1977/316. VfSlg 8466/1978 = ÖJZ 1979, 501, = ÖZW 1979, 58 mAnm Laurer = JBl 1980, 252. Etwa EuGH Rs 8/74, Dassonville, Slg 1974, 837 (852); Rs 13/78, Joh. Eggers Sohn & Co, Slg 1978, 1935 (1953); Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2460); Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 (3904); Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227, (1268 Rz 27); Rs 407/85, Drei Glocken GmbH, Slg 1988, 4233 (4278 Rz 9); Rs C-391/92, Apothekenvorbehalt, Slg 1995, I-1621; Rs C-383/97, Van der Laan, Slg 1999, I-731 (759 Rz 18). Konkret zählen nach der Rsp des EuGH zu Maßnahmen gleicher Wirkung im Lebensmittelverkehr etwa das Verbot, ein Schinkenerzeugnis bestimmter Zusammensetzung (EuGH Rs C-383/97, Van der Laan, Slg 1999, I-731) oder Teigwaren bestimmter Zusammensetzung in Verkehr zu bringen (EuGH Rs 407/85, Drei Glocken GmbH, Slg 1988, 4233 [4279 Rz 11]); die Vorschreibung eines Mindestfettgehaltes für Käse (EuGH Rs C-210/89, Kommission/Italien, Slg 1990, I-3697: bzw das Verbot, das Produkt andernfalls als „Käse“ in Verkehr zu bringen); ein Verkehrsverbot

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28 EGV folgt damit nach herrschender Lesart im Ergebnis, dass Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, grundsätzlich auch in anderen Mitgliedsstaaten verkehrsfähig sind („Cassis de DijonPrinzip“; „Herkunftslandprinzip“). Freilich gilt zu Art 28 EGV und damit auch zum „Cassis de Dijon-Prinzip“ der Vorbehalt des Art 30 EGV. Demnach steht Art 28 EGV Einfuhrverboten oder Einfuhrbeschränkungen nicht entgegen, die ua „aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, ... oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums“ gerechtfertigt sind12. Damit können wegen Art 30 EGV - die das Lebensmittelrecht weithin begründenden - Rücksichten der öffentlichen Gesundheit nationale Einschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen13. Der EuGH anerkennt daneben aber ua auch noch die Interessen des Verbraucherschutzes, namentlich des Schutzes der Verbraucher vor Irrtum und Täuschung, als Rechtfertigungsgrund für Be-

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für Bier, dessen Säuregehalt einen bestimmten Grad überschreitet (EuGH Rs 94/82, De Kikvorsch, Slg 1983, 947 [958]), oder für Trinkbranntwein, dessen Weingeistgehalt ein bestimmtes Maß nicht erreicht (EuGH Rs 120/78, Cassis de Dijon, Slg 1979, 649); Verbote bestimmter Zusatzstoffe (EuGH Rs 53/80, Kaasfabriek Eyssen, Slg 1981, 409 [421 Rz 11]; Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511 [1526 Rz 16]); die Festlegung von Bakterienhöchstwerten für Milch (EuGH Rs 97/83, Melkunie, Slg 1984, 2367 [2383f]) und von Höchstwerten für Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf Obst (EuGH Rs 94/83, Heijn, Slg 1984, 3263); Verbote von Erzeugnissen, die mit bestimmten Planzenschutzmitteln behandelt worden sind (EuGH Rs 54/85, Mirepoix, Slg 1986, 1067 [1078 Rz 12]); Genehmigungsvorbehalte für vitaminisierte Lebensmittel (EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 [2460]), für Vitaminpräparate (EuGH Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 [3904]) und für Farbstoffe (EuGH Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897); der Vorbehalt eines bestimmten Gattungsbegriffes zugunsten der nationalen Produktion (EuGH Rs 182/84, Miro [„Genever“], Slg 1985, 3731 [3746 Rz 22]); das Verbot der Bezeichnung als Bier für solches, das dem nationalen „Reinheitsgebot“ nicht entspricht (EuGH Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227); oder andere Gebote oder Verbote bestimmter Angaben auf der Verpackung oder dem Etikett, wenn dadurch eine Änderung des Etiketts erforderlich wird, unter dem die Ware im Ausfuhrmitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wird (EuGH Rs 27/80, Fietje, Slg 1980, 3839 [38539; Rs 94/82, De Kikvorsch, Slg 1983, 947 [959]; Rs 286/86, Deserbais, Slg 1988, 4907 [4925]). Allerdings dürfen diese Verbote oder Beschränkungen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten darstellen. Vgl nur etwa die Fälle, die folgenden Entscheidungen des EuGH zugrundelagen: EuGH Rs 53/80, Kaasfabriek Eyssen, Slg 1981, 409; Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445; Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883; Rs 97/83, Melkunie, Slg 1984, 2367; Rs 94/83, Heijn, Slg 1984, 3263; Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897; Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511; Rs 54/85, Mirepoix, Slg 1986, 1067. Daher müssen Anforderungen eines Mitgliedsstaates (die dieser auch an Importwaren heranträgt), welche strenger als die anderer Mitgliedstaaten sind, nicht in jedem Fall gemeinschaftsrechtswidrig sein (vgl zB EuGH Rs 53/80, Kaasfabriek Eyssen, Slg 1981, 409 [421f Rz 13f]; Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 [3905 Rz 38]; Rs 94/83, Heijn, Slg 1984, 3263 [3280 Rz 16]). Dazu kommt, dass bei der Gefahreneinschätzung nach Maßgabe des Standes der wissenschaftlichen Forschung gewisse Spielräume bestehen (vgl etwa EuGH Rs 97/83, Melkunie, Slg 1984, 2367 [2386 Rz 18]; Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 [3904 Rz 19f]).

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schränkungen des freien Warenverkehrs14. Der Rückgriff auf Art 30 EGV ist freilich dann nicht mehr möglich, wenn Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung jener Maßnahmen vorsehen, die zur Verwirklichung des konkreten Schutzzieles, das durch den Rückgriff auf Art 30 EGV erreicht werden soll, erforderlich sind15. Nationale Einschränkungen des freien Warenverkehrs müssen jedenfalls verhältnismäßig sein16. Wenn es also etwa um die Beurteilung von Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Menschen geht, dann darf diese nicht ebenso wirksam durch andere Maßnahmen geschützt werden können, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken17. Anstelle von absoluten Verkehrsverboten im Interesse des Schutzes der Verbraucher vor Irreführung reicht nach der Rsp des EuGH regelmäßig überhaupt das - weniger einschneidende - Gebot zu angemessener Kennzeichnung18. Nach den Umständen können wegen Art 30 EGV auch nationale Genehmigungsvorbehalte durchaus gemeinschaftsrechtskonform sein19 und zwar gerade auch in Bezug auf Waren, die in anderen Staaten bereits rechtmäßig in Verkehr gebracht20 oder dort gar in einem eigenen Verfahren zugelassen wurden21. Die Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht setzt allerdings voraus, daß die Genehmigung erteilt wird, wenn die im Sinne von Art 30 EGV beachtlichen Interessen nicht entgegenstehen22. 14

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Siehe etwa EuGH Rs 27/80, Fietje, Slg 1980, 3839 (3853f); Rs 182/84, Miro, Slg 1985, 3731 (3743 Rz 10); Rs 216/84, Kommission/Frankreich, Slg 1988, 793 (812 Rz 119); Rs 94/82, De Kikvorsch, Slg 1983, 947 (957); Rs C-383/97, Van der Laan, Slg 1999, I-731 (760). EuGH Rs C-350/97, Monses, Slg 1999, I-2921 (2944 Rz 24). Vgl davor ähnlich etwa EuGH Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3903 Rz 16); Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511 (1526 Rz 14). Vgl etwa EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2463); Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 (3905); Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3905 Rz 22); Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511 (1528 Rz 23). So zB EuGH Rs 97/83, Melkunie, Slg 1984, 2367 (2384 Rz 12). Siehe etwa EuGH Rs 407/85, Drei Glocken GmbH, Slg 1988, 4233 (4278f Rz 16); Rs C-210/89, Kommission/Italien (Mindestfettgehalt für Käse), Slg 1990, I-3697 (3708 Rz 17); Rs C-383/97, Van der Laan, Slg 1999, I-731 (760 Rz 24). Im besonderen für Zusatzstoffe. Vgl etwa EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2463); Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3905 Rz 23); Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227 (1273 Rz 42); Rs 42/90, Bellon, Slg 1990, I-4863 (4882). Vgl aber auch jüngst EuGH Rs C-77/97, Unilever, Slg 1999, I-431 (insb Rz 34) = WBl 1999, 111ff. Siehe weiters OGH 16.6.1998, 4 Ob 126/98b. Etwa EuGH Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3905 Rz 23f). Vgl etwa EuGH Rs C-293/94, Brandsma, Slg 1996, I-3159 (3177 Rz 13). EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2463 Rz 18); Rs 227/82, Van Bennekom, Slg 1983, 3883 (3905); Rs 247/84, Motte, Slg 1985, 3897 (3905 Rz 23); Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227 (1274 Rz 44); Rs 42/90, Bellon, Slg 1990, I 4863 (4883); vgl zu nationalen Beweislastregeln zB EuGH Rs 174/82, Sandoz, Slg 1983, 2445 (2464f Rz 21ff). Wirtschaftsteilnehmer müssen die „Möglichkeit haben ..., in einem leicht zugänglichen Verfahren, das innerhalb eines angemessenen Zeitraumes abgeschlossen werden kann, zu beantragen, daß die Verwendung bestimmter Zusatzstoffe durch einen Rechtsakt von allgemeiner Wirkung zugelassen wird“ (EuGH Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227 [1274 Rz 45]; Rs 42/90, Bellon, Slg 1990, I-4863 [4883 Rz 15]; vgl auch bereits EuGH Rs 304/84, Muller, Slg 1986, 1511 [1528 Rz 23]; Rs 54/85, Mirepoix, Slg 1986, 1067 [1079 Rz 17]).

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2. Sekundärrecht Das Lebensmittelsekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft ist durch eine Fülle von Richtlinien und Verordnungen gekennzeichnet23. Der Gemeinschaftsrechtsgesetzgeber tendiert in letzter Zeit dazu, anstelle umsetzungsbedürftigen Richtlinienrechts verstärkt das Regelungsinstrument der unmittelbar anwendbaren Verordnungen einzusetzen. Es waren auch mehrere, seit dem Jahr 2002 erlassene EG-Verordnungen, welche (neben der Rechtsprechung des EuGH) den österreichischen Gesetzgeber zur Neuerlassung des Lebensmittelgesetzes gedrängt haben, nämlich vor allem die so genannte „Basisverordnung“ (EGVerordnung 2002/178) und die EG-Lebensmittelhygieneverordnungen 2004/852, 2004/853 und 2004/854. Die EG-Lebensmittel-„Basisverordnung“ verlangt eine Neuausrichtung des EG-Lebensmittelrechtes am „horizontalen Gesamtrahmen“ der Art 5 bis 10 leg cit, die insbesondere die „Risikoanalyse“, das „Vorsorgeprinzip“, den Schutz der Verbraucherinteressen und den Grundsatz der Transparenz betonen. In der Folge wendet sich die „Basisverordnung“ mit einigen grundlegenden Anforderungen an die Lebensmittelunternehmer (Gebot der Lebensmittelsicherheit, Eigenkontrolle, Rückverfolgbarkeit) und regelt im (quantitativen) Hauptteil die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit24. Schließlich sieht die Basisverordnung ein gemeinschaftsweites, vernetztes Schnellwarnsystem vor25, ermächtigt die Kommission zur (subsidiären) Verfügung lebensmittelpolizeilicher Maßnahmen26 und fordert die präventive Erstellung eines allgemeinen Planes für das Krisenmanagement ein27. Die EG-Lebensmittelhygieneverordnungen 2004/852 (allgemein) und 2004/853 (Lebensmittel tierischen Ursprungs) sowie 2004/854 (amtliche Überwachung) widmen sich in beachtlicher Detailliertheit den Anforderungen der Hygiene an die Lebensmittelproduktion.

II. Der Geltungsbereich des LMSVG Das LMSVG regelt die Anforderungen an Lebensmittel, an Wasser für den menschlichen Gebrauch, an Gebrauchsgegenstände und an kosmetische Mittel. Es gilt für alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen, also insbesondere für die Landwirtschaft, die Lebensmittelindustrie, den Groß- und den

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Weiters muß es „den Wirtschaftsteilnehmern möglich sein ..., gegen die rechtswidrige Versagung einer Zulassung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens vorzugehen. ... [Es ist] von der zuständigen nationalen Stelle darzutun, daß das Verbot aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung dieses Mitgliedstaates gerechtfertigt ist; dabei können sie jedoch von den Wirtschaftsteilnehmern die Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen verlangen, die für die Beurteilung des Sachverhalts von Nutzen sein könnten“ (EuGH Rs 178/84, Reinheitsgebot für Bier, Slg 1987, 1227 [1274 Rz 46]; Rs 42/90, Bellon, Slg 1990, I-4863 [4883 Rz 16]). Siehe die Auflistung im Vorspann oben sowie die Textauswahl Schröder/Kraus, Europäisches und österreichisches Lebensmittelrecht (zum Stand 20.01.2006). Siehe zu dieser näher unten IX.A. Art 50 der Verordnung. Art 53 der Verordnung („Notfälle“). Art 55 der Verordnung.

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Einzelhandel. Ausgenommen ist die Primärproduktion für den privaten häuslichen Gebrauch oder für die häusliche Verarbeitung, Handhabung oder Lagerung von Lebensmitteln, Gebrauchsgegenständen und kosmetischen Mitteln zum häuslichen privaten Verbrauch28.

III. Die lebensmittelrechtliche Ordnung A. Der Lebensmittelbegriff Lebensmittel sind „alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie … von Menschen aufgenommen werden“29. Gleichgültig ist, ob diese Stoffe oder Erzeugnisse in unverarbeitetem oder erst im verarbeiteten oder zumindest teilweise verarbeiteten Zustand von Menschen aufgenommen werden. Zu Lebensmitteln zählen auch Getränke, Kaugummi, Wasser30 sowie alle Stoffe, die den Lebensmitteln bei der Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden. Auf die physiologische Erforderlichkeit eines Stoffs für die menschliche Ernährung kommt es nicht an31. Keine Lebensmittel sind indessen nach Art 2 EG-VO 2002/178: Futtermittel; lebende Tiere, soweit sie nicht für das Inverkehrbringen zum menschlichen Verzehr hergerichtet worden sind; Pflanzen vor dem Ernten; Arzneimittel; kosmetische Mittel; Tabak und Tabakerzeugnisse; Betäubungsmittel und psychotrope Stoffe; Rückstände und Kontaminanten.

B. Allgemeine Verbote im Lebensmittelverkehr 1. Das Verbot gesundheitsschädlicher oder ungeeigneter Lebensmittel § 5 Abs 1 Z 1 LMSVG verbietet das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die gesundheitsschädlich32 oder für den menschlichen Verzehr ungeeignet33 sind. Wer gesundheitsschädliche Lebensmittel vorsätzlich oder fahrlässig in Verkehr bringt, macht sich nach § 81 Abs 1 bzw nach § 82 Abs 1 LMSVG gerichtlich strafbar.

2. Das Verbot minderwertiger Lebensmittel § 5 Abs 1 Z 2 LMSVG verbietet das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die verfälscht oder wertgemindert sind34, ohne dass dieser Umstand „deutlich und 28 29 30 31 32 33 34

§ 1 Abs 2 LMSVG, also etwa das Ziehen von Gemüse und das Halten von Kaninchen für den Eigenverbrauch. § 3 Z 1 LMSVG iVm Art 2 1. Absatz EG-VO 2002/178. Ab der Stelle der Einhaltung im Sinne des Art 6 RL 98/83/EG. VwSlg 10.329 A/1980, 11.142 A/1983. Lebensmittel sind gesundheitsschädlich, „wenn sie geeignet sind, die Gesundheit zu gefährden oder zu schädigen“ (§ 5 Abs 5 Z 1 LMSVG). Lebensmittel sind für den menschlichen Verzehr ungeeignet, „wenn die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist“ (§ 5 Abs 5 Z 2 LMSVG). Die gesonderten Verbotstatbestände des § 7 Abs 1 LMG 1975 betreffend Verdorbenheit, Unreife und Nachmachung sind entfallen.

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allgemein verständlich kenntlich gemacht ist“. Die Übertretung des § 5 Abs 1 Z 2 LMSVG ist nach verwaltungsbehördlich (§ 90 Abs 1 Z 2 LMSVG) strafbar. Lebensmittel sind nach § 5 Abs 5 Z 3 LMSVG verfälscht, wenn ihnen wertbestimmende Bestandteile, deren Gehalt vorausgesetzt wird, nicht oder nicht ausreichend hinzugefügt oder ganz oder teilweise entzogen wurden, oder sie durch Zusatz oder Nichtentzug wertvermindernder Stoffe verschlechtert wurden, oder ihnen durch Zusätze oder Manipulationen der Anschein einer besseren Beschaffenheit verliehen oder ihre Minderwertigkeit überdeckt wurde, oder wenn sie nach einer unzulässigen Verfahrensart hergestellt wurden. Als Maßstab dient eine vorausgesetzte (gesollte) Beschaffenheit von Lebensmitteln; die insoweit maßgebende „Beschaffenheitsnorm“ ergibt sich entweder aus einschlägigen Rechtsvorschriften, etwa Durchführungsverordnungen zu § 6 LMSVG, oder hilfsweise aus der „Verbrauchererwartung“35. Dabei gilt das Österreichische Lebensmittelbuch (§ 76 LMSVG) als wichtiges Instrument zur Feststellung der Verbrauchererwartungen, nämlich als - wenn auch widerlegbares - diesbezügliches Sachverständigengutachten36. Zu weit ginge nach der Rechtsprechung des OGH37 allerdings, wenn die Strafgerichte „ganz unkritisch [Feststellungen des Lebensmittelbuches] übernehmen, nach denen die Verbrauchererwartung in Ansehung der Zusammensetzung bestimmter Lebensmittel … auf Zehntelprozente zugespitzt sein soll“. Für Lebensmittel, die aus dem EWR-Raum importiert werden, erwartet der Verbraucher bloß Übereinstimmung mit der Rechtsordnung des Herkunftslandes. Jedenfalls liegt eine Verfälschung nur vor, wenn eine Verschlechterung der Ware gegenüber der Verbrauchererwartung im Wege eines regelwidrigen Eingriffes durch ein der Definition des § 5 Z 3 LMSVG entsprechendes Verhalten vorgenommen wurde38. Lebensmittel, die nur wegen von Menschen nicht beeinflussbaren (ubiquitären) Umweltbedingungen mit Schadstoffen belastet sind und deswegen von der Verbrauchererwartung abweichen und trotzdem als „Bio-Produkte“ deklariert werden, sind daher nach OGH EvBl 1986/83 nicht verfälscht. Lebensmittel sind nach § 5 Abs 5 Z 4 LMSVG wertgemindert, wenn sie nach der Herstellung, ohne dass eine weitere Behandlung erfolgt ist, eine erhebliche Minderung an wertbestimmenden Bestandteilen oder ihrer spezifischen wertbestimmenden Wirkung oder Eigenschaft erfahren haben, soweit sie nicht für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind. Die Beurteilung als wertgemindert muss sich daher auf ein bestimmtes wertbestimmendes Merkmal (Bestandteil, Wirkung, Eigenschaft) beziehen und jenen Grenzwert bestimmen, bei dessen Überschreitung eine Wertminderung iSv § 5 Abs 5 Z 4 leg cit („erhebliche“ Minderung) vorliegt39. Beispiele wertgeminderter Lebensmittel sind etwa „Orangensaft dessen Vitamin-C-Gehalt nachgelassen hat, Tiefkühlwaren, die aufgetaut wurden und wieder eingefroren werden, Gewürze oder Genussmittel wie zB Tee oder Kaffee welche einen erheblichen Aromaverlust erlitten haben“40. Eine Wert35 36

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Vgl in diesem Sinn etwa OGH SSt 52/33 = EvBl 1981/214; EvBl 1984/164. So etwa OGH SSt 52/33 = EVBl 1981/214. Unter Einbeziehung von OGH 14.5.1985 ÖBl 1985, 156 ff („verweisende Verbraucherwartung“), schließt sich der Kreis: Der Verbraucher erwartet nach dieser Entscheidung nämlich dann, wenn er selbst keine konkreten Vorstellungen von der Ware hat, ein dem Lebensmittelbuch entsprechendes Produkt. SSt 52/33 = EvBl 1981/214. OGH EvBl 1986/83; ÖBl 1990, 200 ff. Vgl dazu VwGH 22.03.1993, 92/10/0096 = WBl 1993, 268, mit eingehenden Darlegungen zur Wertminderung von Milchprodukten durch Hefe. So AB 1433 BlgNR 13.GP 3 (zur entsprechenden Bestimmung des LMG 1975); und: „Unvermeidliche Wertminderungen, die nach der Verkehrsauffassung hinge-

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minderung kann daher auch in mangelnder Frische von Milchprodukten liegen41. Die Verwendung eines verschmutzten Pfefferstreuers führt hingegen nicht zwangsläufig zu einer Wertminderung42. Verfälschte oder wertgeminderte Lebensmittel dürfen gemäß § 5 Abs 1 Z 2 LMSVG dennoch in Verkehr gebracht werden, wenn dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist. Nach VwSlg 14.299 A/199543 ist eine Wertminderung von Milchprodukten in der Form „mangelnder Frische“ bereits durch die Angabe des (überschrittenen) Ablaufdatums deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht, sodass es keiner zusätzlichen ausdrücklichen Hinweise bedarf44.

3. Das Verbot verordnungswidriger Lebensmittel § 5 Abs 1 Z 3 LMSVG verbietet, Lebensmittel in Verkehr zu bringen, die Durchführungsverordnungen nach § 4 Abs 3, § 6 oder § 57 Abs 1 leg cit widersprechen. § 4 Abs 3 LMSVG ermächtigt den BMGF, mit Verordnung nähere Vorschriften zur Durchführung der in der Anlage genannten unmittelbar anwendbaren EG-Rechtsakte zu erlassen. Nach § 6 leg cit hat den BMGF mit Verordnung Vorschriften für Lebensmittel, insbesondere betreffend die Beschaffenheit, das Gewinnen, das Herstellen, Verarbeiten, Behandeln, die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen, die Kennzeichnung und die Verwendung von Angaben (Abs 1) sowie für das Bereitstellen von Wasser für den menschlichen Gebrauch und die Anforderungen von Wasser für den menschlichen Gebrauch zu erlassen45. § 57 Abs 1 leg cit gewährt eine Verordnungsermächtigung betreffend die Durchführung von Rückstandskontrollen. Auf Grundlage dieser Ermächtigungen stehen zahlreiche Verordnungen, die noch zum LMG 1975 ergangen sind, in Geltung46.

4. Das Verbot irreführender Angaben § 5 Abs 2 LMSVG verbietet, Lebensmittel mit zur Irreführung geeigneten Angaben in Verkehr zu bringen oder zu bewerben. Der Verstoß gegen dieses Verbot macht nach § 90 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1 leg cit verwaltungsbehördlich strafbar. Zur Irreführung geeignete Angaben sind insbesondere • zur Täuschung geeignete Angaben47 über die Eigenschaft des Lebensmittels, wie Art, Identität, Beschaffenheit48, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit49, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart;

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nommen werden, sind nicht darunter zu verstehen. Von einer Semmel, die am Nachmittag verkauft wird, erwartet niemand, dass sie wie frisch gebacken ist, ebenso wenig kann jemand erwarten, dass Sauerkraut im Frühjahr den gleichen Frischezustand hat, den es im Herbst hatte.“ Vgl hierzu VwSlg 14.299 A/1995 = ÖBl 1996, 214. Vgl näher VwGH 9.11.1992, 92/10/0045. ÖBl 1996, 214. Vgl aber auch § 9 Abs 2 LMKV 1993 (BGBl 1993/72, zuletzt idF BGBl II 2005/408). Siehe die Verordnungen über Wasser: Oberflächen-Trinkwasserverordnung (BGBl 1995/359), Mineralwasser- und Quellwasserverordnung (BGBl II 1999/309 idF BGBl II 2004/500); Trinkwasserverordnung (BGBl II 2001/304 idF 2006 II/254). Siehe die einleitenden Rechtsquellennachweise. Vgl aus der Rechtsprechung ua VwSlg 10.034 A/1980 („Frankfurter“ mit zu geringer Länge), VwGH 9. 11. 1992, 91/10/0105 = WBl 1993, 168 (Bezeichnung von Schweinskarree ohne Knochen als „Filet-Ersatz“), OGH, ÖBl 1991, 232 ff („Him-

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Hauer Angaben von Wirkungen oder Eigenschaften die das Lebensmittel nicht besitzt; Angaben, durch die zu verstehen gegeben wird, dass das Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften besitzen.

Allein eine Unterlassung von Angaben begründet noch keinen Verstoß gegen § 5 Abs 2 LMSVG50. Die abstrakte Eignung von Angaben zur Irreführung reicht aus, weshalb es nicht auf eine konkrete Irreführung bestimmter Personen51 ankommt. „Zur Irreführung geeignet“ bedeutet, dass ein nicht unerheblicher Teil der Betroffenen durch bestimmte Angaben etc. irregeführt werden kann52. Die Angaben etc müssen sich auf Umstände beziehen, die nach der Verkehrsauffassung, insbesondere nach der Verbrauchererwartung wesentlich sind53. Das österreichische Lebensmittelbuch ist ein wichtiger Anhaltpunkt zur Feststellung jener Umstände, die nach der Verkehrsaufassung und im Besondern nach der Verbrauchererwartung wesentlich sind.

5. Verbotene krankheitsbezogene Angaben § 5 Abs 3 LMSVG verbietet es, beim Inverkehrbringen oder in der Werbung einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuzuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen zu lassen54. Das Verbot bezieht sich nicht auf wahrheitsgemäße Angaben über den diätetischen Zweck diätetischer Lebensmittel. Zuwiderhandlungen gegen § 5 Abs 3 LMSVG sind gemäß § 90 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1 verwaltungsbehördlich strafbar.

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beeressig“); ÖBl 1985, 156 ff (Bezeichnung eines Tafelquellwassers als Mineralwasser); EvBl 1987/183 = JBl 1987, 395 f (ungarischer oder steirischer Honig); ÖBl 1990, 200 ff („Rindsschnitzelfleisch im Ganzen“). Vgl zur Bezeichnung eines als „Gewürzsalz“ einzustufenden Produktes zugleich weiters als „Gewürzmischung“ und „Gewürzzubereitung“ VwGH 17. 2. 1992, 90/10/0169 = WBl 1992, 271. Unzutreffende Angaben über die empfohlene Aufbrauchsfrist im Sinne des Lebensmittelkennzeichnungsrechtes sind zur Irreführung der Konsumenten geeignet und erfüllen den Tatbestand der verbotenen Falschbezeichnung (vgl etwa VwGH 26. 11. 1990, 90/10/0127 ua; 3. 6. 1996, 96/10/0028; 29. 6. 1998, 94/10/0132). Ob dies zutrifft, hängt davon ab, ob die seinerzeit deklarierte Haltbarkeitsfrist in Verbindung mit den angegebenen Lagerbedingungen für die betreffende Ware objektiv und generell betrachtet unrichtig (also zu lang bemessen) war (VwGH 29. 6. 1998, 94/10/0132); vgl zum gebotenen Sorgfaltsmaßstab VwGH 12. 6. 1989, 88/10/0169 = WBl 1990, 20f. Vgl zur nachträglichen Verlängerung der empfohlenen Aufbrauchfrist durch „Neuetikettierung“ VwGH 14. 5. 1990, 89/10/0162 = WBl 1991, 132 f, und § 10 Abs 1 LMKV 1993. Vgl VwSlg 11.428 A/1984. VwGH 27.11.1995, 95/10/0139 VwGH 9. 11. 1992, 91/10/0105 = WBl 1993, 168. Bloße Angaben gegenüber einem Lebensmittelaufsichtsorgan sind nach dem Erkenntnis des VwGH vom 27. 11. 1995, 95/10/0139, nicht tatbildlich. Vgl VwSlg 10.868 A/1982 = ÖGZ 1983, 371 zur Charakterisierung „biologisch gewonnen“. Während § 9 LMG 1975 noch explizit unter der Überschrift „Verbote gesundheitsbezogener Angaben“ stand, spricht das LMSVG nunmehr vom Verbot „krankheitsbezogener Aufmachung“ (vgl § 90 Abs 1 Z 1 leg cit).

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Das LMSVG hat sich mit § 5 Abs 3 vom alten, gemeinschaftsrechtlich kritisierten System des Genehmigungsvorbehaltes für gesundheitsbezogene Angaben55 getrennt und überdies den Katalog verbotener Verhaltensweisen gestrafft. Zur Vorgängerbestimmung, die große praktische Bedeutung hatte, lag zahlreiche Rechtsprechung vor56. Die Judikatur hat die Vorläuferregelung des § 9 LMG vorwiegend im Dienste des Schutzes der Verbraucher vor Täuschung gesehen, „weil durch die gesundheitsbezogene Anpreisung und gesundheitsbezogene Werbung eine Irreführung des Konsumenten im breiten Ausmaß erfolgen kann. Durch besondere, einseitige Hervorhebung der jedem Lebensmittel innewohnenden physiologischen Wirkung (normales Stoffwechselgeschehen) auf den Organismus ist es möglich, beim Laien völlig falsche Vorstellungen über den wahren Wert und die Bedeutung eines bestimmten Lebensmittels zu erwecken (zB ‚Glukose zum Brennstoffbedarf ihrer Zellen notwendig’)“57. Für die Beurteilung, ob eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne des § 9 Abs 1 LMG 1975 vorlag, war nach ständiger Rechtsprechung die „Verkehrsauffassung“ maßgeblich58. Es kommt demnach „auf den Eindruck an, der sich beim flüchtigen Lesen für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Interessenten ergibt, wobei auch auf den Gesamteindruck der Mitteilung Bedacht zu nehmen ist“59. Die Beurteilung der Frage ob eine gesundheitsbezogene Angabe vorlag und wie eine Ankündigung auf Verbraucherkreise wirke, wurde regelmäßig als Rechtsfrage qualifiziert60, weshalb keine Beweisaufnahmen erforderlich waren61. Die Rechtsprechung62 zählte zu den gesundheitsbezogenen Angaben im Sinn von § 9 Abs 1 LMG „auch Generalisierungen, die zwar von kritischen Menschen nicht ernst genommen werden mögen, von denen aber nicht auszuschließen ist, dass sie bei der Masse der Konsumenten den beabsichtigten Eindruck erzielen“. In diesem Sinn waren auch Bezeichnungen, die die Worte „gesund“ oder „Gesundheit“ ohne weiteren Hinweis auf konkrete physiologische Wirkungen enthielten, wie beispielsweise „Gesundheitsfrucht“ oder „für gesunde Haut“, als gesundheitsbezogene Angaben zu werten63. Für das Verbot 55 56 57 58 59 60 61 62 63

Vgl § 9 LMG 1975 und dazu A. Hauer, Lebensmittelrecht1 160 ff. Vgl die Nachweise bei A. Hauer, Lebensmittelrecht1 160 ff. Vgl etwa VwGH 30.9.1992, 92/10/0095 = WBl 1993, 267; 26.6.1995, 81/10/0165; OGH SZ 55/15 = ÖBl 1982, 39 ff. Vgl nur etwa OGH ÖBl 1990, 23 f; VwSlg 10.502 A/1981, 13.925 A/1993, 14.306 A/1995. Vgl in diesem Sinn nur etwa VwSlg 12.475 A/1987, 14.122 A/1994, 14.306 A/1995. Vgl VwSlg 13.925 A/1993, OGH ÖBl 1992 114 ff. „Verbraucherbefragungen“ wurden deshalb grundsätzlich nicht als erforderlich erachtet (VwGH 22.3.1999, 98/10/0420). Etwa VwSlg 12.776 A/1988, 13.925 A/1993. Vgl zB VwSlg 13.925 A/1993; VwGH 22.3.1999, 98/10/0326. Im einzelnen sei exemplarisch auf folgende Entscheidungen zu § 9 Abs 1 LMG 1975 hingewiesen: „Gesundheitstrank“ (VwGH 22. 3. 1999, 98/10/0326), „Das gesunde Plus“ (VwGH 22. 3. 1999, 98/10/0420),“mit zwei bis drei Blütenpollen-Kapseln unterstützen Sie Ihre tägliche Zufuhr an Mineralstoffen und Spurenelementen“ (VwGH 23. 10. 1995, 94/10/0053),“bei erhöhter Belastung“ und „... in besonderen Belastungssituationen“ (VwSlg 14.306A/1995), die Phantasiebezeichungen „Quickvital Cholestobran“ und „Cholestoform“ (VwGH 23. 1. 1995, 91/10/0215 = WBl 1996, 43f), „... senken das Hungergefühl, wirken stimulierend auf den Kreislauf, mild entwässernd und aktivie-

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gesundheitsbezogener Angaben wurde als gleichgültig erachtet, ob die Angabe wahr oder unwahr war64.

C. Diätetische Lebensmittel Diätetische Lebensmittel sind nach § 3 Z 3 LMSVG Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung65 bestimmt sind und die sich auf Grund ihrer besonderen Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung deutliche von den Lebensmitteln des allgemeinen Verkehrs unterscheiden, die sich für den angegebenen Ernährungszweck eigenen und mit dem Hinweis darauf in Verkehr gebracht werden, dass sie für diese Zwecke geeignet sind. Zu denken ist etwa an Diabetikernahrung oder Säuglingsnahrung. Das LMSVG hat das Inverkehrbringen diätetischer Lebensmittel vergleichsweise liberalisiert. Die ehemalige Meldepflicht samt anschließender behördlicher Untersagungsbefugnis nach § 17 LMG 1975 wurde nicht ins neue Lebensmittelrecht übernommen. § 8 LMSVG trifft eine differenzierende Regelung: • Diätetische Lebensmittel, die von Anhang I der Richtlinie 89/398/EWG erfasst sind, dürfen ohne weiteres in Verkehr gesetzt werden66. • Andere diätetische Lebensmittel67 müssen vor dem Inverkehrbringen dem BMGF68 gemeldet werden69. Verstöße gegen diese Ordnungsvorschrift

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ren den Abbau von überschüssigen Kohlehydraten und Zuckerwerten“, „aktivierend auf die Nierenfunktionen“, „erhöht den täglichen Energie-Grundumsatz (Stoffwechselaktivierung)“, „aktivieren den zellulären Fett- und Zuckerabbau“( VwGH 26. 4. 1999, 99/10/0008), Hinweise auf eine Stärkung der Blasenfunktion, eine positive Beeinflußung von Beschwerden beim Harnlassen und auf die Funktion als Ballastund Quellstoff bei ernährungsbedingter Stuhlverstopfung (VwGH 22. 3. 1999, 98/10/0250), „Die gesunde Alternative“ (VwSlg 13.925A/1993), „Für gesunde Haut“ (VwGH 30. 9. 1992, 92/10/0095 = WBl 1993, 267), die Angabe „nur ca. 105 kcal/100 g -- ich mache fit und nicht dick“ (VwGH 9. 7.1992, 91/10/0239), „Das Olivenöl von Kilis -- Freund ihrer Gesundheit“ (VwGH 17. 2. 1992, 91/10/0012 = WBl 1992, 271), „+ Vitamin C - Kalorien = Gesundheitsfrucht“ (VwGH 31. 1. 1992, 90/10/0216 = WBl 1992, 271), die Angabe „die Einnahme sollte mindestens drei Monate lang erfolgen“ im Zusammenhang mit der unmittelbar davor stehenden täglichen Einnahmeempfehlung (VwSlg 12.475A/1987). Etwa OGH SZ 55/15 = ÖBl 1982, 39 ff, VwSlg 12.266 A/1986, 12.475 A/1987, 13.925 A/1993. Eine besondere Ernährung muss den besonderen Ernährungserfordernissen folgender Verbrauchergruppen entsprechen: bestimmte Gruppen von Personen, deren Verdauungs-, Resorptionsprozess oder Stoffwechsel gestört ist (etwa Diabetiker: VwSlg 9879 A/1979) oder bestimmte Gruppen von Personen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befinden und deshalb einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen können oder gesunde Säuglinge oder Kleinkinder. § 8 Abs 1 LMSVG im Umkehrschluss. Die RV (797 BlgNR 22.GP 11) weist hin auf „diätetische Lebensmittel zur Frühgeborenen-Nahrung oder zur Muttermilchanreicherung für Frühgeborene; weiters glutenfreie diätetische Lebensmittel bei Zöliakie oder diätetische Lebensmittel zur Ernährung bei Phenylketonurie, sofern es sich nicht um diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke handelt.“ Eine Verordnung nach § 8 Abs 3 LMSVG wurde bislang nicht erlassen. § 8 Abs 1 LMSVG.

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sind nach § 90 Abs 5 LMSVG verwaltungsbehördlich strafbar. Eine behördliche Untersagungsermächtigung ist damit nicht mehr verknüpft. Wahrheitsgemäße Angaben über den diätetischen Zweck sind nicht vom allgemeinen Verbot krankheitsbezogener Angaben erfasst70.

D. Behandlung mit ionisierenden Strahlen Lebensmittel dürfen nur mit behördlicher Zulassung mit ionisierenden Strahlen behandelt werden; solchermaßen behandelte Lebensmittel dürfen nur mit behördlicher Zulassung in Verkehr gebracht oder verbracht werden71. Die BMGF hat die Strahlenbehandlung nach Maßgabe von § 9 Abs 2 LMSVG mit Verordnung zuzulassen72. Derzeit lässt die Verordnung BGBl II 2000/327 die Strahlenbehandlung nur für „getrocknete aromatische Kräuter und Gewürze“ zu.

E. Hygiene im Lebensmittelbereich 1. Allgemeines Das LMSVG konnte das allgemeine Hygienegebot des § 20 LMG 1975, das große praktische Bedeutung hatte73, nicht übernehmen. Allgemeine Hygienevorschriften enthalten nunmehr unmittelbar anwendbare EG-Verordnungen, nämlich • die Verordnung (EG) 2004/852 über Lebensmittelhygiene und - diese ergänzend • die Verordnung (EG) 2004/853 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs. Zuwiderhandlungen gegen die materiellen Hygienevorschriften dieser EG-Verordnungen sind nach § 90 Abs 3 Z 1 LMSVG verwaltungsbehördlich strafbar. Die auf Grundlage der Art 7 f der EG-Lebensmittelhygieneverordnung ausgearbeiteten Leitlinien für eine gute Hygienepraxis sind als ministerielle Erlässe unter www.bmgf.gv.at veröffentlicht und stellen nicht unmittelbar verbindliche Fachgutachten des ständigen Hygieneausschusses74 dar.

Die Verordnungsermächtigungen der §§ 11 bis 14 LMSVG dienen der Ergänzung des Gemeinschaftsrechts: • Die Verordnungen (EG) 2004/852 und 2004/853 gelten nicht für die direkte Abgabe kleiner Mengen bestimmter Erzeugnisse durch den Erzeuger an den Endverbraucher oder an örtliche Einzelhandelsunternehmen, welche die Erzeugnisse direkt an die Endverbraucher abgeben („Direktvermarktung“). § 11 LMSVG ermächtigt den BMGF zur Erlassung diesbezüglicher Hygienevorschriften im Verordnungswege. Die hierzu ergangene Lebensmittel-Direktvermarktungsverordnung enthält Hygienevorschriften für

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§ 5 Abs 3 LMSVG. § 9 Abs 1 LMSVG. Sowohl die Option der Zulassung „für bestimmte Lebensmittel“ durch Bescheid (§ 14 Abs 2 LMG 1975) als auch die unmittelbare Pflicht zur Kennzeichnung bestrahlter Lebensmittel (§ 14 Abs 1 LMG 1975) gehören nicht mehr dem Rechtsbestand an. Vgl die Rechtsprechungsnachweise bei A. Hauer, Lebensmittelrecht 174 f. § 78 LMSVG.

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wildlebende Fische, wildwachsende Pflanzen, Rohmilch, Rohrahm, Eier, erlegtes Wild sowie Geflügel und Kaninchenfleisch, das im Wege der Direktvermarktung abgegeben wird. Die EG-VO 2004/853 gilt, abgesehen von bestimmten Ausnahmen, nicht für den Einzelhandel75. Spezifische Hygieneanforderungen an Lebensmittel tierischen Ursprungs für Einzelhandelsunternehmen im Sinn von § 12 LMSVG enthält die Lebensmittel-Einzelhandelsverordnung76; die Verordnung bezieht sich auf Fleisch, Milch, Eier und Fisch. Die Lebensmittelhygiene-Anpassungsverordnung77 enthält Anpassungen bestimmter Lebensmittelhygienevorschriften der EG-Verordnung 2004/853 im Hinblick auf die weitere Anwendung traditioneller Methoden und strukturelle Anforderungen an die Betriebe78. Die auf § 14 Z 1 LMSVG gestützte Rohmilchverordnung regelt das Inverkehrbringen von Rohmilch und Rohrahm, die für den unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, sowie damit in Zusammenhang stehende Behandlungs- und Kennzeichnungsvorschriften.

2. Eintragung und Zulassung von Betrieben Art 6 der EG-Lebensmittelhygieneverordnung 2004/852 verpflichtet die Lebensmittelunternehmer, ihre Betriebe zu melden; damit sollen die amtlichen Hygienekontrollen erleichtert werden. Diese Meldung hat beim Landeshauptmann zu erfolgen79. Nach Art 4 der EG-Lebensmittelhygieneverordnung 2004/853, betreffend Lebensmittel tierischen Ursprungs, dürfen die dort genannten Betriebe ihre Tätigkeit erst nach Zulassung durch die zuständige staatliche Behörde, das ist in Österreich der Landeshauptmann80, aufnehmen81. Die Zulassung erfolgt nach den Regeln der Eintragungs- und Zulassungsverordnung82; demnach müssen für die bescheidmäßige Zulassung lediglich formale Antragskriterien erfüllt werden; die Zulassung ist allerdings zu entziehen, wenn einem lebensmittelpolizeilichen Auftrag nach § 39 LMSVG nicht Folge geleistet wird und die Entziehung zur Abwehr von gesundheitlichen Folgen für die Verbraucher oder zu deren Schutz vor nicht sicheren Waren erforderlich ist83. Das BMGF muss die Liste der zugelassenen Betriebe und die ihnen zugeordneten Kontrollnummern in geeigneter Weise veröffentlichen84.

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RV 797 BlgNR 22.GP 12. BGBl 2006 II/92. BGBl 2006 II/91. Betreffend Stallungen, Anlagen für das Reinigen, Waschen und Desinfizieren von Transportmitteln für Tiere, Zerlegungsräume, Desinfektion, Lagerung von vorläufig beanstandetem Fleisch und Temperaturanforderungen für Faschiertes. § 10 Abs 1 LMSVG. § 10 Abs 1 LMSVG. § 10 Abs 2 LMSVG enthält diesbezügliche Ausnahmen, mit Verordnung können weitere Betriebe in die Zulassungspflicht einbezogen werden. BGBl 2006 II/93. § 8 Eintragungs- und Zulassungsverordnung. § 10 Abs 6 LMSVG; siehe www.bmgf.gv.at.

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F. Die lebensmittelrechtliche Verantwortung des Lebensmittelunternehmers Die Lebensmittelunternehmer sind nicht nur zur Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften, sondern auch zur Eigenkontrolle verpflichtet85. Gegebenenfalls müssen sie - und zwar bereits aus eigener Veranlassung - gesundheitsschädliche oder für den Verzehr ungeeignete Lebensmittel vom Markt nehmen, die Verbraucher unterrichten und bereits gelieferte Produkte zurückrufen sowie die Behörden informieren86. Die Herkunft von Lebensmitteln muss rückverfolgt werden können, wozu die Lebensmittelunternehmer entsprechende Systeme und Verfahren einrichten müssen (Rückverfolgbarkeit)87.

IV. Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel A. Gebrauchsgegenstände „Gebrauchsgegenstände“ sind88 • Materialien und Gegenstände, „die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln unmittelbar oder mittelbar in Berührung zu kommen“89;90 • Materialien und Gegenstände, die bestimmungsgemäß oder vorhersehbar in Kontakt mit kosmetischen Mitteln kommen zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck als Umschließungen für die Verwendung von kosmetischen Mitteln zu dienen; • Gegenstände, die dazu bestimmt sind, ausschließlich oder überwiegend in Kontakt mit dem Mund oder der Mundschleimhaut von Kinder zu kommen; • Gegenstände, die bestimmungsgemäß äußerlich mit dem menschlichem Körper oder den Schleimhäuten in Berührung kommen zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck der Körperhygiene, sofern sie nicht kosmetische Mittel oder Medizinprodukte sind; • Spielzeug für Kinder bis zum vollendetem 14. Lebensjahr. 85 86 87 88 89

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Art 17 Abs 1 EG-VO 2002/178 und § 21 LMSVG. Näher Art 19 EG-VO 2002/178. Näher Art 18 EG-VO 2002/178 sowie § 22 LMSVG. § 3 Z 7 LMSVG iVm Art 1 Abs 1 EG-VO 2004/1935. Art 1 Abs 1 EG-VO 2004/1935. Nach der Präzisierung des Art 1 Abs 2 leg cit gilt diese Verordnung „für Materialien und Gegenstände, einschließlich aktiver und intelligenter Lebensmittelkontakt-Materialien und -Gegenstände …, die als Fertigerzeugnis dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen oder bereits mit Lebensmitteln in Berührung sind und dazu bestimmt sind, oder vernünftigerweise vorhersehen lassen, dass sie bei normaler oder vorhersehbarer Verwendung mit Lebensmitteln in Berührung kommen oder ihre Bestandteile an Lebensmittel abgeben.“ Nach Art 1 Abs 3 leg cit gilt diese Verordnung nicht für: Antiquitäten, Überzugs- und Beschichtungsmaterialien, wie Materialien zum Überziehen von Käserinden, Fleisch- und Wurstwaren oder Obst, die mit dem Lebensmittel ein Ganzes bilden und mit diesem verzehrt werden können, und ortsfeste, öffentliche oder private Wasserversorgungsanlagen. Der VwGH hat beispielsweise auch eine in einem Fleischereibetrieb verwendete Faschiermaschine dazu gezählt (VwSlg 14.930 A/1998).

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Gebrauchsgegenstände dürfen nach § 16 Abs 1 LMSVG bei Strafdrohung91 nicht in Verkehr gebracht werden, wenn sie • gesundheitsschädlich92 oder • für den bestimmungsgemäßen Gebrauch ungeeignet sind oder • bei bestimmungsgemäßem Gebrauch geeignet sind, Lebensmittel oder kosmetische Mittel nachteilig zu beeinflussen oder • Durchführungsverordnungen widersprechen. Auf der Verordnungsermächtigung des § 19 LMSVG93 beruhen zahlreiche, noch auf Grundlage des LMG 1975 ergangene Durchführungsverordnungen94. Auf Grundlage von § 18 Z 3 LMSVG können beispielsweise auch Packungshöchstgrenzen verfügt werden95. Die Verbote irreführender Angaben (§ 5 Abs 2 LMSVG) und krankheitsbezogener Angaben (§ 5 Abs 3 leg cit) gelten sinngemäß. Stoffe, die bisher (20. Jänner 2006) nicht für die Herstellung von Gebrauchsgegenständen (im Sinn von § 3 Z 7 lit a LMSVG) rechtmäßig Verwendung gefunden haben, dürfen für diese Zwecke nur nach behördlicher Zulassung und im Einklang mit dieser in Verkehr gebracht werden96. Über die Zulassung entscheidet die BMGF mit Bescheid nach Maßgabe von § 17 Abs 2 LMSVG.

B. Kosmetische Mittel Kosmetische Mittel sind Stoffe oder Zubereitungen, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den verschiedenen Teilen des Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern oder den Körpergeruch zu beeinflussen oder um sie zu schützen oder in gutem Zustand zu halten (§ 3 Z 8 LMSVG)97, also beispiels91 92 93

94

95 96 97

§ 90 Abs 1 Z 3, Z 5 und Z 6 sowie § 90 Abs 3 Z 2 LMSVG. Siehe § 5 Abs 5 Z 1 LMSVG. Der VfGH hegte gegen die Vorläuferbestimmung, nämlich § 29 LMG 1975 keine determinierungsrechtlichen Bedenken (VfSlg 11.056/1986). Diese Bestimmung räumte dem BMSG nach VfSlg 13.891/1994 einen „Entscheidungsspielraum“ ein, zu welchem der VfGH nur die „Plausibilität“ der Erwägungen der verordnungserlassenden Behörde prüfte (vgl abermals VfSlg 13.891/1994). Folgende Durchführungsverordnungen stützen sich ausschließlich oder zumindest in Teilen auf § 19 LMSVG: die SpielzeugluftballonVO (BGBl 1978/22), die Vorratsschutz- und SchädlingsbekämpfungsmittelVO (BGBl 1993/652 idgF), die KeramikVO (BGBl 1993/893 idgF), die MilchhygieneVO (BGBl 1993/897 idgF), die Zellglasfolien-VO (BGBl 1994/128 idgF), die SpielzeugVO (BGBl 1994/823 idgF), die Flaschen- und BeruhigungssaugerVO (BGBl 1995/104), die EiprodukteVO (BGBl 1996/527), die WeichmacherverbotsVOen (BGBl 1998 II/255 und BGBl 2000 II/111), die NickelVO (BGBl 2000 II/204 idgF), die TrinkwasserVO (BGBl 2001 II/304 idgF), die KunststoffVO 2003 (BGBl 2003 II/476 idgF) sowie die AzofarbstoffVO 2004 (BGBl 2004 II/320 idgF). Vgl VfSlg 13.891/1994. § 17 Abs 1 LMSVG. Nach § 1 Abs 3 Z 3 AMG sind kosmetische Mittel keine Arzneimittel, „sofern ihre Anwendung und Wirkung auf den Bereich der Haut und ihrer Anhangsgebilde und

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weise Zahnpasten und andere Zahnpflegemittel98, Insektenabwehrmittel zum Schutz der menschlichen Haut99, Franzbranntwein100 und Haarpflegemittel101. Kosmetische Mittel dürfen nach § 18 Abs 1 LMSVG bei Strafe102 nicht in Verkehr gebracht werden, wenn • sie gesundheitsschädlich sind, • ihre bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist oder • sie Durchführungsverordnungen103 widersprechen104. Auf Grundlage der Verordnungsermächtigung des § 20 LMSVG stehen derzeit noch mehrere, bereits auf Grundlage des LMG 1975 ergangene Verordnungen in Geltung, nämlich die Kosmetikverordnung105, die Kosmetik-Analysenverordnung106 und die Kosmetik-Farbstoffverordnung107. Das Verbot von Angaben, die zur Irreführung geeignet sind (§ 5 Abs 2 LMSVG), gilt sinngemäß. Das Verbot krankheitsbezogener Angaben (§ 5 Abs 3 LMSVG) gilt mit der Einschränkung, dass krankheitsbezogene Angaben, die sich auf einen der Legaldefinition entsprechenden Verwendungszweck beziehen, zulässig sind108. Der ehemalige Zulassungsvorbehalt für pharmakologisch wirksame Stoffe109 wurde wegen gemeinschaftsrechtlicher Bedenken ebensowenig übernommen wie der frühere Zulassungsvorbehalt für gesundheitsbezogene Angaben110.

V. Nationales Verordnungsrecht A. Allgemeines Das LMSVG trägt wie bereits das LMG 1975 nach wie vor zu einem beträchtlichen Maße den Charakter eines „Rahmengesetzes“, das zahllose lebensmittel-

98 99 100 101 102 103 104

105 106 107 108

109 110

der Mundhöhle beschränkt sind“. Ein „Erkältungsbad“ hat der VwGH unlängst mit eingehender Begründung als Arzneimittel und nicht als kosmetisches Mittel qualifiziert (VwGH 29.1.2001, 97/10/0040). Vgl etwa OGH SZ 55/15 = ÖBl 1982, 39 ff; SZ 56/131 = ÖBl 1984, 22 ff; ÖBl 1986, 155 ff; ÖBl 1990, 23 f, WBl 1993, 58. Vgl OGH, ÖBl 1994, 121 ff mit eingehender Darstellung des Verhältnisses zum AMG. Vgl VwGH 29.10.1992, 92/10/0121; 20.6.1994, 92/10/0118. Im Gegensatz nämlich zu Haarwuchsmittel (OGH, ÖBl 1993, 68 ff). § 90 Abs 1 Z 4 und § 90 Abs 3 Z 2 LMSVG. § 20 LMSVG. Ein eigenes Bundesgesetz verbietet (unter Vorbehalten) das Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln, die im Tierversuch überprüft worden sind (BGBl I 2004/122; Durchführungsverordnung: BGBl I 2005/361). BGBl 1999 II/375 idF BGBl 2000 II/285, 2003 II/338, 2005 II/68 und 2006 II/53. BGBl 1995/95 idF BGBl 1996/546 und 1997 II/383. BGBl 1995/416 idF BGBl 2005 II/360. § 18 Abs 2 2. Satz LMSVG. Zu der entsprechenden Vorgängerbestimmung wurden etwa die Hinweise „für gesunde Haut“ (VwGH 30.9.1992, 92/10/0095 = WBL 1993, 267) oder die Anpreisung „erhalten Sie die Gesundheit Ihrer Haut … sie bleibt länger jugendlich frisch … schenkt Vitalität und jugendliche Frische … die Haut bleibt jung und schön“ (VwGH 26.6.1995, 91/10/0165) für zulässig erachtet. § 27 Abs 3 LMG 1975. RV 797 BlgNR 22.GP, 12.

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rechtliche Details nicht selbst festlegt, sondern diesbezügliche Verordnungsermächtigungen enthält. Solche Verordnungsermächtigungen finden sich über das gesamte LMSVG verstreut111. Sie sind nur im geringen Maße und vielfach durch Allgemeinplätze (zB „zum Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsschädigung oder Täuschung“) determiniert und räumen dem BMGF daher weitreichende Spielräume ein. Auf Grundlage dieser Verordnungsermächtigungen steht ein vielfältiges, in wesentlichen Teilen übergeleitetes112 Lebensmittelverordnungsrecht in Geltung, das zahllose Detailanforderungen an Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände und kosmetische Mittel enthält.113

B. Im Besonderen Lebensmittelkennzeichnung Lebensmittelkennzeichnungsrechtliche Vorschriften enthalten bereits das unmittelbar anwendbare EG-Gemeinschaftsrecht114 sowie unter anderem die §§ 5 Abs 2 und 3 und andere Bestimmungen des LMSVG115. Daneben hat die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1993116 beträchtliche praktische Bedeutung erlangt117. 111 112 113 114

115 116

117

Siehe die §§ 4, 6, 7, 15, 19, 20, 34, 50, 57 leg cit. Siehe § 98 Abs 1 LMSVG. Vgl die Auflistung der Verordnungen im Vorspann zu diesem Beitrag. Siehe etwa die Verordnung (EWG) Nr 2092/91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel, Abl L 198/1, die Verordnung (EG) Nr 608/2004 über die Etikettierung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten mit Phytosterin-, Phytosterinester-, Phytostanol- und/oder Phytostanolesterzusatz, Abl L 97/44, die Verordnung (EG) Nr 509/2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln, Abl L 93/1, sowie die Verordnung (EG) Nr 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, Abl L 93/12. Das unmittelbar wirksame Verbot irreführender Angaben ist im weiteren Sinn ebenfalls eine lebensmittelkennzeichnungsrechtliche Vorschrift. BGBl 1993/72, zuletzt idF 2005 II/408. Sie erging auf Grundlage des § 19 Abs 1 LMG 1975 und steht mit Hinblick auf § 6 Abs 2 und § 98 Abs 1 LMSVG nach wie vor in Geltung. Daneben enthalten allerdings zahlreiche weitere lebensmittelrechtliche Durchführungsverordnungen neben anderen Vorschriften auch vereinzelte kennzeichnungsrechtliche Bestimmungen, zu nennen sind insbesondere folgende Verordnungen: Margarineerzeugnisse- und MischfetterzeugnisseVO (BGBl 1993/378), die MilchhygieneVO (BGBl 1993/897), die VO über tiefgeforene Lebensmittel (BGBl 1994/201), die ZusatzstoffkennzeichnungsVO (BGBl 1994/476), die VO über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung (BGBl 1995/531), die ExtraktionslösungsmittelVO (BGBl 1995/642 idgF), die NährwertkennzeichnungsVO (BGBl 1995/896), die EiprodukteVO (BGBl 1996/527), die FarbstoffVO (BGBl 1996/541), die SüßungsmittelVO (BGBl 1996/547 idgF), die NährkaseineVO (BGBl 1996/548), die AromenVO (BGBl 1998 II/42), die VO über Lebensmittel für kalorienarme Ernährung zur Gewichtsverringerung (BGBl 1998 II/112), die BeikostVO (BGBl 1998 II/133), die Mineral- und QuellwasserVO (BGBl 1999 II/309), die VO über Kaffee- und Zichorienextrakte (BGBl 2000 II/391), die VO über diätische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (BGBl 2000 II/416), die ZuckerVO (BGBl 2003 II/472), die SchokoladeVO (BGBl 2003 II/628), die HonigVO, (BGBl 2004 II/40), die VO über bestimmte Sorten eingedickter Milch und Trockenmilch (BGBl 2004 II/45), die FruchtsaftVO (BGBl 2004 II/83) und die KonfitürenVO 2004 (BGBl 2004 II/367).

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Der VwGH118 sah einen wesentlichen Zweck der Lebensmittelkennzeichnungspflicht darin, „dem Letztverbraucher beim Kauf verpackter Waren Chancen der Warenprüfung einzuräumen, die denen des Erwerbers unverpackter Ware möglichst nahekommen“. Der Zweck des Lebensmittelkennzeichnungsrechtes erschöpft sich indes nicht bloß in dieser Zielsetzung119. Der OGH qualifiziert Normen des Lebensmittelkennzeichnungsrechtes nicht als wettbewerbsrechtlich neutrale Ordnungsvorschriften, sondern als dem Schutz (auch) des lauteren Wettbewerbs dienende Normen, deren Übertretung einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 UWG bildet120. Die Verordnungsermächtigungen des § 32 Abs 1, 3 und 5 UWG, betreffend die Kennzeichnung von Waren, sind auf Lebensmittel nur insoweit anzuwenden, als durch Verordnung angeordnet werden kann, dass diese Waren nur in vorgeschriebenen Mengeneinheiten oder nur unter Ersichtlichmachung des Preises in Beziehung auf bestimmte Gewichts- und Mengeneinheiten feilgehalten oder sonst in Verkehr gesetzt werden dürfen121.

VI. Die Vollziehung des unmittelbar anwendbaren EG-Lebensmittelrechts Das Lebensmittelrecht ist in zunehmendem Maße in unmittelbar anwendbaren (weder näher umsetzungsbedürftigen noch umsetzungsfähigen) EG-Verordnungen geregelt, deren Vollziehung den staatlichen Behörden obliegt und deren Beachtung den Bürgern, soweit sie Normadressaten sind, unmittelbar aufgetragen ist. Die in der Anlage zum LMSVG taxativ aufgezählten122 EG-Verordnungen sind im Rahmen des LMSVG zu vollziehen (§ 4 Abs 1 leg cit), wobei der BMGF diesbezügliche Durchführungsverordnungen erlassen kann und die Vollzugszuständigkeit im Übrigen zwischen dem BMGF und dem LH geteilt ist123. Zu den unmittelbar anwendbaren lebensmittelrechtlichen EG-Verordnungen zählen folgende: •



118 119 120 121

122 123

Die Verordnung (EG) Nr 258/97 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten hat insbesondere Lebensmittel, die genetisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen, zum Gegenstand und unterwirft sie einem Genehmigungsvorbehalt sowie spezifischen Kennzeichnungspflichten. Die beiden neuen EG-Verordnungen 1829/2003 und 1830/2003 lösen die gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und daraus gewonnene Erzeugnisse aus der Gruppe der neuartigen Lebensmittel (Verordnung 258/1997). Die Verordnung

VwSlg 9952 A/1979, 10.849 A/1982. Vgl etwa jüngst auch OGH, ÖBl 1999, 19 (22): „Primus“. Vgl OGH SZ 49/70 = ÖBl 1976, 101 ff; WBl 1987, 163 f. Ausdrücklich § 32 Abs 6 UWG. Auf kosmetische Mittel und Gebrauchsgegenstände findet § 32 UWG hingegen Anwendung (vgl in diesem Zusammenhang neben anderen insbesondere die auf Grundlage des § 32 UWG ergangene Verordnung über die Kennzeichnung kosmetischer Mittel, BGBl 1993/891, die SpielzeugkennzeichnungsVO, BGBl 1994/1029, und Verordnung über die Kennzeichnung von Gebrauchsgegenständen, die für die Verwendung bei Lebensmitteln bestimmt sind, BGBl 2005 II/262). Der BMGF ist zur Aktualisierung der Anlage im Verordnungswege ermächtigt (§ 4 Abs 2 LMSVG); siehe dazu die Verordnung BGBl 2006 II/95. Näher § 4 Abs 4 und Abs 5 LMSVG.

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• • • • •



• •

Hauer 1829/2003 regelt die Zulassung und Kennzeichnung, während sich die Verordnung 1830/2003 mit der Rückverfolgbarkeit von GVO und deren Produkten beschäftigt. Die Verordnung (EG) Nr 2377/90 zur Schaffung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Festsetzung von Höchstmengen für Tierarzneimittelrückstände in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs sieht die Kategorisierung der in Tierarzneimitteln verwendeten pharmakologisch wirksamen Stoffe und gegebenenfalls die Festlegung von Höchstmengen für deren Rückstände (Anhänge I bis IV) vor und legt das diesbezügliche Verfahren fest. Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs aus anderen Mitgliedsstaaten nicht aus dem Grund der darin enthaltenen Tierarzneimittelrückstände unterbinden, sofern die Grenzwerte der Anhänge dieser Verordnung eingehalten werden. Die Verordnung (EG) Nr 315/93 zur Festlegung von gemeinschaftlichen Verfahren zur Kontrolle von Kontaminanten in Lebensmitteln verpflichtet ua zur möglichsten Vermeidung von Kontaminationen von Lebensmitteln und verbietet jedenfalls gesundheitsschädliche Kontaminationen. Für bestimmte Kontaminanten können nach einem eigenen Verfahren Höchstwerte festgelegt werden. Die Mitgliedsstaaten müssen kontaminierte Lebensmittel, die dieser Verordnung entsprechen, akzeptieren. Die Verordnung (EWG) Nr 1898/87 regelt, welche Erzeugnisse die Bezeichnungen "Milch" und ähnliche Bezeichnungen (Molke, Rahm etc) tragen dürfen, und die Verordnung (EG) Nr 2597/97 stellt einige Anforderungen an Konsummilch auf. Die Verordnung (EG) Nr 2991/94 über Streichfette begründet bestimmte Anforderungen an Streichfette und ihre Kennzeichnung. Die Verordnung (EWG) Nr 1576/89 regelt die Kategorien, die Bezeichnung und die Aufmachung von Spirituosen im Dienste der Qualitätssicherung in eingehender Weise. Die Verordnung (EG) Nr 2232/96 legt das Verfahren für die Zulassung chemisch definierter Aromastoffe sowie eine Liste der zulässigen Aromastoffe fest, die in der ganzen Europäischen Union gilt. Die Verordnung (EG) Nr 2065/2003 regelt die Herstellung, Zulassung und Verwendung von Raucharomen und sieht ein Verfahren vor, in dem die Europäische Kommission die sog Primärprodukte - Primärrauchkondensat und Primärteerphase - für die Herstellung von Raucharomen zulässt. Die zugelassenen Stoffe werden in einer Positivliste im Anhang der Verordnung vermerkt. Die Verordnung beschränkt sich auf die Kontrolle und Zulassung von Primärprodukten. Die Verordnung (EG) Nr 1760/2000 regelt im Titel II die obligatorische Rindfleischetikettierung (Abschnitt I) sowie die freiwillige Rindfleischetikettierung (Abschnitt II). Die Kennzeichnung trifft Rindfleisch - inklusive Saumfleisch und Nierenzapfen -, das frisch, gekühlt oder tiefgekühlt in Verkehr gebracht wird und zwar auf jeder Vermarktungsstufe, ungeachtet, ob es für den Konsumenten oder für die Verarbeitung bestimmt ist und ungeachtet der Betriebsgröße (einschließlich der landwirtschaftlichen Direktvermarktung). Verarbeitungsprodukte sowie gewürztes oder gesalzenes Rindfleisch sind vom Titel II der Verordnung 1760/2000 nicht betroffen. Unter „Etikettierung“ versteht die Verordnung die Anbringung eines Etiketts an ein einzelnes Stück oder mehrere Stücke Fleisch oder ihre Verpackung oder im Falle nicht vorverpackter Erzeugnisse schriftliche und deutlich sichtbare geeignete Angaben für den Verbraucher am Ort des Verkaufs. Die Verordnung (EG) Nr 608/2004 enthält Vorschriften über die Etikettierung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten mit Phytosterin-, Phytosterinester-, Phytostanol- und/oder Phytostanolesterzusatz. Die Verordnung (EG) Nr 1935/2004 gilt für Materialien und Gegenstände, einschließlich aktiver und intelligenter Lebensmittelkontaktmaterialien, die als Fertig-

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• •



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erzeugnis dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen oder bereits mit Lebensmitteln in Berührung sind und dazu bestimmt sind oder vernünftigerweise vorhersehen lassen, dass sie bei normaler oder vorhersehbarer Verwendung mit Lebensmitteln in Berührung kommen oder ihre Bestandteile an Lebensmittel abgeben. Die Tiefkühlverordnung Nr 37/2005 betrifft die Temperaturüberwachung und -aufzeichnung in Beförderungsmitteln sowie Einlagerungs- und Lagereinrichtungen, die für tiefgefrorene Lebensmittel verwendet werden. Verordnung (EG) Nr 1895/2005 betreffend bestimmte Epoxyderivate regelt die Verwendung von Bisphenol-A-DiGlycidyl-Ether („BADGE“), Bisphenol-FDiGlycidyl-Ether („BFDGE“) und Novolac-Glycidylether („NOGE“) und einiger ihrer Derivate in Materialien und Gegenständen aus Kunststoff jeglicher Art, in mit Oberflächenbeschichtung versehenen Materialien und Gegenständen und in Klebstoffen, sofern diese dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen und setzt spezifische Migrationsgrenzwerte fest. Die Verordnung (EG) Nr 852/2004 enthält allgemeine Lebensmittelhygienevorschriften für Lebensmittelunternehmer auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln. Neben wesentlichen Begriffsbestimmungen regelt sie ua das allgemeine Hygienegebot, wonach alle Lebensmittelunternehmer verpflichtet sind, in ihrem Verantwortungsbereich die Einhaltung der einschlägigen allgemeinen und spezifischen Hygienevorschriften zu gewährleisten, eine allgemeine Betriebsregistrierungspflicht sowie das Konzept und Verfahren für die Erarbeitung und Prüfung von branchenbezogenen nationalen oder gemeinschaftlichen freiwilligen "Leitlinien für eine gute Hygiene-Praxis". Desweiteren verpflichtet die Verordnung, die Gefahrenanalyse nach den Grundsätzen des HACCP-Konzeptes in allen Betrieben ausgenommen Lebensmittelunternehmer auf der Stufe der Primärproduktion durchzuführen. Ergänzend zu dieser allgemeinen Hygieneverordnung enthält die Verordnung Nr 853/2004 spezifische Hygienevorschriften für Betriebe, die Lebensmittel tierischen Ursprungs verarbeiten. Sie gilt für unverarbeitete Erzeugnisse und verarbeitete Erzeugnisse tierischen Ursprungs. Lebensmittel, die sowohl Erzeugnisse pflanzlichen Ursprungs als auch Verarbeitungserzeugnisse tierischen Ursprungs enthalten, fallen nicht unter diese Verordnung. Ausgenommen aus dem Anwendungsbereich sind ebenfalls unter anderem grundsätzlich Einzelhandelsbetriebe (mit Ausnahmen) sowie die Primärproduktion für den privaten häuslichen Gebrauch.

VII. Lebensmittelpolizeiliche Aufsicht A. Organisation Die Kontrolle der Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften ist dem Landeshauptmann als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung zugewiesen124. Er ist dabei an den Revisions- und Probenplan des BMGF gebunden125. Der Landeshauptmann darf bestimmte Überwachungsaufgaben unter den Voraussetzungen des § 25 Abs 1 LMSVG mit Verordnung geeigneten Gemeinden zur

124 125

§ 24 Abs 1 LMSVG. Siehe aber zur Schlachttier- und Fleischuntersuchung im Bundesheer § 26 LMSVG. Näher § 31 LMSVG.

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Vollziehung im übertragenen, weisungsgebundenen Wirkungsbereich delegieren126. Der Landeshauptmann muss sich zur Erfüllung seiner Aufsichtspflichten besonders geschulter127 Aufsichtsorgane bedienen128, deren Einschreiten ihm auch regelmäßig zuzurechnen ist129. • Grundsätzlich muss der Landeshauptmann Aufsichtsorgane einsetzen, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen130. Für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie für Hygienekontrollen von Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben müssen Tierärzte in einem solchen Dienstverhältnis verwendet werden131. • Bei Bedarf kann der Landeshauptmann auch Tierärzte, die in keinem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen, verwenden132, allerdings nur für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung, für Hygienekontrollen von Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben sowie für die Entnahme von Proben von lebenden Tieren133. Solche Tierärzte sind durch Bescheid nach § 28 LMSVG zu beauftragen (= beleihen). • Zur Unterstützung der amtlichen Tierärzte kann der Landeshauptmann amtliche Fachassistenten bei der Schlachttier- und Fleischuntersuchung und den Hygienekontrollen von Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben heranziehen („Fleischuntersucher“). Sie stehen entweder in einem Dienstverhältnis zur Gebietskörperschaft oder werden beliehen. • Die Zuordnung betriebseigener Hilfskräfte als Aufsichtsorgan zum zuständigen amtlichen Tierarzt kommt als Geflügelfleischuntersucher in Betracht134. • Schließlich darf der LH Tierärzte zur Schlachttieruntersuchung vor allem in landwirtschaftlichen Betrieben, zur Vornahme der Kontrollen in Milcherzeugungsbetrieben sowie zur Probenentnahme bei lebenden Tieren zur 126

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129 130 131 132 133 134

Vgl für St. Pölten und Wiener Neustadt die Verordnung NÖ-GSlg 9490/01, für Linz, Steyr und Wels OÖ LGBl 1976/12, für Klagenfurt und Villach Ktn LGBl 1975/98, für Innsbruck Tir LGBl 1975/56 und für Graz Stmk LGBl 1982/17. Die Aus- und Fortbildung regelt § 29 LMSVG samt Verordnungsermächtigung (siehe derzeit die Verordnung über die Ausbildung von Aufsichtsorganen, BGBl 1983/397). Das „Ausbildungsgesetz Verbrauchergesundheit - AGVG“, BGBl I 2005/129, richtet einen „Ausbildungsbeirat Verbrauchergesundheit“ beim BMGF ein, der der geringen Koordination bei der Aus- und Weiterbildung von amtlichen Kontrollorganen in den Bereichen Lebensmittelsicherheit, Futtermittelkontrolle, Veterinärwesen und Tierschutz Abhilfe verschaffen soll. Die gleichgelagerte Vorgängerregelung des § 35 Abs 2 LMG 1975 hatte nach VfSlg 8466/1988 (= ÖJZ 1979, 501, = ÖZW 1979, 58 mAnm Laurer = JBl 1980, 252) keine Frage der Behördenorganisation (in Sonderheit des Amtes der Landesregierung) zum Gegenstand, sondern die materielle Frage der Überwachung des Lebensmittelverkehrs und widersprach daher nicht der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung. Vgl VfSlg 8471/1978, 9020/1981. Ihre Bestellung ist durch einen „entsprechenden Bestellungsakt kundzutun“, was nach den Absichten des Gesetzgebers nicht zwangsläufig ein Bescheid sein muss. § 24 Abs 3 LMSVG. § 24 Abs 4 LMSVG. RV 797 BlgNR 22.GP, 13. § 24 Abs 6 LMSVG iVm Art 5 Z 6 EG-VO 2004/854 (theoretisch auch in Bezug auf Kaninchenfleisch); RV 797 BlgNR 22.GP 13.

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Rückstandsuntersuchung mit Bescheid beleihen135, die allerdings nicht als „amtliche“ Tierärzte, sondern nur als „zugelassene“ Tierärzte gelten136. Die Kontrolle der Einhaltung der EG-Verordnungen zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und betreffend Bescheinigungen besonderer Merkmale von Agrarerzeugnissen erfolgt durch private Kontrollstellen, die der behördlichen Zulassung bedürfen und mit Hoheitsgewalt beliehen sind137.

B. Ausführung 1. Planmäßigkeit Die amtlichen Kontrollen sind planmäßig durchzuführen138. Ein mehrjähriger integrierter Kontrollplan139 soll Vorgehensweisen und Prioritäten der Kontrollen darstellen und ist an die Europäische Kommission zu übermitteln. Im Rahmen dieses Kontrollplanes erlässt der BMGF jährlich einen Revision- und Probenplan140, bei dem es sich um eine interne Anweisung an den Landeshauptmann als Kontrollbehörde handelt, aus der die der Aufsicht unterliegenden Unternehmen keine Rechte ableiten können. Ein Notfallplan141 des BMGF142 enthält die durchzuführenden Maßnahmen, „wenn eine Ware ein ernstes Risiko für die Gesundheit des Verbrauchers darstellt“.

2. Instrumente der Kontrolle und zur unmittelbaren Gefahrenabwehr Die §§ 35 ff LMSVG vermengen Kontrollbefugnisse (insbesondere zur Probennahme) mit gefahrenpolizeilichen Ermächtigungen (im Besonderen § 39 leg cit), die Beschlagnahmebefugnis hat gemischten Charakter; näherhin sind hervorzuheben: • Die Aufsichtsorgane des Landeshauptmannes sind zu Nachforschungen aller Art befugt und dürfen zu diesem Zweck insbesondere Grundstücke, Gebäude und Transportmittel betreten, Personen befragen, Geschäftsunterlagen einsehen und Proben entnehmen143. Die Unternehmer müssen die Kontrollen dulden144. Die Aufsichtsorgane, die sich gegebenenfalls ausweisen müssen, dürfen die Kontrolle erzwingen und erforderlichenfalls hiezu die Unterstützung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes 135 136 137 138

139 140 141 142 143 144

§ 27 Abs 1 LMSVG. RV 797 BlgNR 22.GP 14. § 45 LMSVG. Die Lebensmittelüberwachung dient dem Schutz der Konsumenten vor gesundheitlicher Gefährdung und vor Irreführung, hingegen nicht der Sicherung der Beweislage dessen, der Lebensmittel in Verkehr bringt, in einem späteren Gewährleistungsprozess gegen seinen Lieferanten (OGH SZ 57/149 = EvBl 1985/21). Er ist auf Grundlage der Art 41 f EG-VO 2004/882 vom BMGF zu erstellen (§ 30 Abs 1 LMSVG). § 31 LMSVG. Art 13 EG-VO 2004/882. § 32 LMSVG. Näher § 35 LMSVG. Näher § 38 LMSVG.

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anfordern145. Kontrollen sind in der Regel nur nach Vorankündigung und während der Geschäfts- oder Betriebszeiten sowie unter Vermeidung der Störung des Geschäftsbetriebes durchzuführen146. Die wichtigste Überwachungsbefugnis ist die Befugnis zur Entnahme von Warenproben147. Die Probennahme kann erforderlichenfalls erzwungen werden148. Art und Ausmaß der Warenproben sind nach den Umständen des Einzelfalles im Hinblick auf die vorzunehmende Untersuchung149 zu bestimmen150. Gegenproben sollen dem Lebensmittelunternehmer gegebenenfalls Kontrolluntersuchungen ermöglichen151. Von den Kontrollproben nach § 36 sind Monitorproben nach § 37 LMSVG zu unterscheiden152. § 39 ermächtigt der LH zur Verfügung gefahren- oder ordnungspolizeiliche Maßnahmen zur Mängelbehebung oder Risikominderung (wie insbesondere Verbote des Inverkehrbringens, Betriebsschließungen, Anordnungen unschädlicher Beseitigung, der Rücknahme vom Markt oder des Rückrufes vom Verbraucher), jeweils auf Kosten des Unternehmers. Maßnahmen sind regelmäßig mit Bescheid zu verfügen, dem eine Aufforderung zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes per Verfahrensanordnung durch das Aufsichtsorgan vorangehen kann; bei Gefahr im Verzug sind Aufsichtsorgane auch ermächtigt vorläufig verfahrensfreie Anordnungen zu treffen. § 35 Abs 6 LMSVG. Der VwGH (27.11.1995, 93/10/0238 = WBl 1997, 88) hat zu § 37 Abs 4 LMG 1975 erkannt, dass bloß vermeidbare Störungen zu unterbleiben haben, wobei eine „Störung des Geschäftsbetriebes“ nicht schon dann vorliegt, wenn Kunden auf Bedienung warten müssen, zumal das Gesetz die Kontrolle auf die Geschäfts- oder Betriebszeiten legt. § 35 Abs 4 LMSVG gibt keinen Rechtfertigungsgrund zur Verweigerung des Zutritts zu Betriebsstätten (vgl abermals VwGH 27.11.1995, 93/10/0238). Siehe zum weiten Warenbegriff § 3 Z 14 LMSVG, weshalb nach VwSlg 14.930 A/1998 auch „Proben“ von Geräten, die zur Herstellung von Lebensmittel eingesetzt werden (wie etwa Teile einer Faschiermaschine) genommen werden können. Siehe § 35 Abs 2 Z 4 und Abs 6 LMSVG. Die Entnahme von Warenproben gilt als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (VfSlg 9020/1981) und greift in die verfassungsgesetzliche Garantie der Unversehrtheit des Eigentums ein (VfSlg 8471/1978, 9020/1981), ist aber durch dessen Vorbehalt im Allgemeinen gedeckt. Die entnommene amtliche Probe ist dem örtlich zuständigen Institut für Lebensmitteluntersuchung (FN 179) oder der örtlich zuständigen Untersuchungsanstalt der Länder (FN 183) zu übermitteln (§ 36 Abs 9 LMSVG). Vgl in diesem Sinn ausdrücklich VfSlg 8471/1978 in Beantwortung determinierungsrechtlicher Bedenken (siehe bestätigend VfSlg 9020/1981 und OGH SZ 57/149). Daher kann die Probennahme von zwei mal acht Kilogramm Beinschinken nach den Umständen gerechtfertigt sein (VfSlg 8471/1978), vgl zur Probennahme einer gesamten Hühnerlieferung VfSlg 9020/1981. Näher § 36 LMSVG passim und zu Hintergründen der Verdoppelung der Gegenprobe EuGH 10.04.2003 Rs C-276/01, Slg 2003, I-3735, sowie dazu RV 797 BlgNR 20.GP 15. Sie dienen nicht der Überwachung eines einzelnen Lebensmittelunternehmens, weshalb auch keine Gegenproben anzulegen sind, sondern der Informationserhebung über den Markt; sie sind nicht unmittelbar Anlass gefahrenpolizeilicher Maßnahmen, lösen aber wohl gegebenenfalls Anzeigen an die Aufsichtsorgane aus.

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Aufsichtsorgane haben gesundheitsschädliche Waren153 vorläufig in Beschlag zu nehmen154. Die vorläufige Beschlagnahme erlischt ex lege, wenn nicht binnen vier Wochen ein strafgerichtlicher Beschlagnahmebefehl oder ein verwaltungsstrafbehördlicher Beschlagnahmebescheid ergeht. Die beschlagnahmten Waren verbleiben zwar im Betrieb155, dürfen vom Unternehmer aber bei Strafe nicht verwendet werden156. • Hoheitliche Warnungen der Öffentlichkeit vor dem Verbrauch von Waren muss der BMGF bei begründetem Verdacht der Gemeingefährdung herausgeben, wenn also Waren wahrscheinlich gesundheitsschädlich sind und dadurch eine größere Bevölkerungsgruppe gefährdet wird157. Der jährliche Trinkwasserbericht der BMGF dient der gefahrenunabhängigen Information der Verbraucher158.

3. Die Schlachttier- und Fleischuntersuchung im Besonderen In Nachfolge des Fleischuntersuchungsgesetzes, das durch § 95 Abs 6 LMSVG aufgehoben worden ist, regelt § 53 leg cit in Verbindung mit der EG-VO 2004/854 sowie mit der Fleischuntersuchungsverordnung 2006159 die Schlachttieruntersuchung (= Untersuchung vor der Schlachtung) und die Fleischuntersuchung (= Untersuchung nach der Schlachtung) insbesondere in Bezug auf Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen etc durch amtliche Tierärzte des Landeshauptmannes auf dessen Genusstauglichkeit. Die amtlichen Tierärzte führen auch die Hygienekontrollen in Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben nach den Kriterien der EG-VO 2004/854 durch.

4. Rückstandskontrollen von Lebensmitteln tierischer Herkunft im Besonderen Lebensmittel tierischer Herkunft sind stichprobenweise auf Rückstände von Stoffen mit anaboler Wirkung, Tierarzneimitteln sowie anderen Stoffen, welche die menschliche Gesundheit gefährden könnten und auf Umweltkontaminanten zu untersuchen160. Näheres regelt die Rückstandskontrollverordnung 2006161. Wenn unzulässige Rückstände festgestellt werden, muss der Landeshauptmann erforderlichenfalls den Tierbestand mit Bescheid sperren lassen162.

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Wenn einer behördlich angeordneten Maßnahme gemäß § 39 nicht fristgerecht Folge geleistet wird auch, wenn dies zum Schutz der Verbraucher vor nicht sicheren Waren erforderlich ist. Dabei handelt es sich um Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (vgl VfSlg 8466/1978 sinngemäß). Die selbständige Bekämpfung solcher Akte wird auch durch die nachträgliche Erlassung von Beschlagnahmeverfügungen nach § 41 Abs 3 LMSVG nicht berührt (siehe abermals VfSlg 8466/1978). § 41 Abs 6 LMSVG. § 271 StGB. § 43 LMSVG. Näher § 44 LMSVG. BGBl 2006 II/109. Näher §§ 56 ff LMSVG. BGBl 2006 II/110. § 58 LMSVG.

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Tiere, die vorschriftswidrig behandelt worden sind (im Besonderen mit nicht zugelassenen Stoffen oder Erzeugnissen), sind zu töten163.

VIII. Zwischenstaatlicher Lebensmittelverkehr A. Innergemeinschaftlicher Lebensmittelverkehr Im innergemeinschaftlichen Lebensmittelverkehr gilt die Warenverkehrsfreiheit (Art 28 EGV)164. Lebensmittelpolizeiliche Grenzkontrollen finden nicht statt. Lebensmittelkontrollen erfolgen nach allgemeinen Regeln in den Bestimmungsbetrieben165. Wenn Lebensmittel tierischer Herkunft aus anderen EU-Staaten gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften verstoßen, kann unter anderem die Rücksendung in den Versenderstaat angeordnet werden166.

B. Lebensmittelverkehr mit Drittstaaten 1. Einfuhr Lebensmittel, die in die Gemeinschaft eingeführt werden sollen, müssen prinzipiell den lebensmittelrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft entsprechen167. § 46 LMSVG verzahnt die lebensmittelpolizeiliche Einfuhrkontrolle mit der zollamtlichen Kontrolle. Bei nach Gemeinschaftsrecht intensiver zu kontrollierenden Waren müssen die Unternehmer die Zollbehörden und den Landeshauptmann vorab über Art und Ankunftszeit der Sendung informieren168. Ergibt sich bei der Einfuhr (unter anderem) der Verdacht eines Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften sind die Waren bis zur entgültigen behördlichen Entscheidung unter amtliche Aufsicht zu stellen169. Besonderes gilt für Lebensmittel tierischer Herkunft: hier entscheiden die Grenztierärzte an den veterinärbehördlichen Grenzkontrollstellen nach Untersuchung der Tiere über die Zulassung der Einfuhr170.

2. Ausfuhr Nach Art 12 EG-VO 2002/178 müssen Lebensmittel, die in Drittstaaten ausgeführt werden sollen, • entweder den gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelvorschriften entsprechen • oder den Vorschriften des Bestimmungslandes entsprechen171. 163 164 165 166 167 168 169 170

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Näher § 59 LMSVG. Siehe näher bereits oben I.C.1. Siehe § 49 Abs 5 LMSVG mit Bezug auf Lebensmittel tierische Herkunft. § 49 Abs 6 LMSVG. Art 12 EG-VO 2002/178. § 47 Abs 1 LMSVG. Näher § 48 LMSVG. Näher § 49 LMSVG. Siehe auch die Veterinärbehördliche Einfuhr- und Binnenmarktverordnung 2001 (EBVO 2001), BGBl 2001 II/355, BGBl 2004 II/266 und 2006 II/129. Diese Bestimmungslandrechtskonformität hat der Unternehmer zu dokumentieren (§ 52 Abs 2 LMSVG).

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Bei fehlender Konformität der auszuführenden Ware muss die zuständigen Behörde des Bestimmungslandes der Einfuhr zustimmen172. • Gesundheitsschädliche Lebensmittel dürfen keinesfalls ausgeführt werden. Die in § 51 LMSVG vorgesehene „Ausfuhrberechtigung“ ist eine Art Bestätigung, dass die betrieblichen Einrichtungen und die Produktionsweisen des Lebensmittelunternehmers den Anforderungen des Bestimmungslandes entsprechen, und wird dem Lebensmittelunternehmer über dessen Antrag und in seinem Interesse mit Bescheid erteilt.173

IX. Lebensmitteluntersuchungsanstalten und Lebensmittelgutachter A. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Die „Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit“174 ist ungeachtet ihrer Benennung keine Behörde im Sinne der österreichischen Rechtsdogmatik, also eine mit Hoheitsgewalt ausgestattete Organisationseinheit, sondern ein beratender Apparat, der vor allem wissenschaftliche Expertise zur Verfügung stellen soll175. In diesem Sinn hat sie im Detail insbesondere folgende Aufgaben: die Erstellung wissenschaftlicher Gutachten im Dienste der EG und der Mitgliedsstaaten, die wissenschaftliche und technische Unterstützung der Kommission, die Vergabe wissenschaftlicher Studien, die Identifizierung und Beschreibung neu auftretender Risken und die Vernetzung mit gleichartigen Organisationen

B. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (= „Agentur“ = AGES)176 hat unter anderem die Aufgabe der Untersuchung und Begutachtung von Lebensmittelproben177. Sie ist (unter anderem) an die Stelle der ehemaligen Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung getreten178. Der örtliche Zuständigkeitsbereich der einzelnen Institute für Lebensmitteluntersuchung dieser Agentur zur Übernahme von amtlichen Proben gemäß § 36 Abs 9 LMSVG ist in der Verordnung BGBl II 2006/209 festgesetzt179. Die Labors der 172 173 174

175 176 177 178 179

Die Zustimmung muss der Unternehmer einholen (§ 52 Abs 3 LMSVG). Näher § 51 LMSVG. Die Behörde, die durch die Art 22 ff EG-VO 2002/178 eingerichtet und mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist (Art 46 leg cit), hat ihren Sitz in Parma und tritt im Internet unter www.efsa.europa.eu auf. Ihre Organe sind ein Verwaltungsrat, ein geschäftsführender Direktor, ein Beirat sowie ein wissenschaftlicher Ausschuss mit wissenschaftlichen Gremien. Art 22 Abs 2 und Art 23 leg cit. Siehe dazu näher das Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz - GESG, BGBl 2002 I/63, zuletzt idF BGBl 2005 I/153. Internet: www.ages.at. § 65 Abs 1 LMSVG, § 8 Abs 2 Z 6 GESG. Vgl § 17 Abs 1 und § 18 Abs 1 GESG. Institut für Lebensmitteluntersuchung Graz: Steiermark, Kärnten, politische Bezirke Oberwart, Güssing und Jennersdorf; Institut für Lebensmitteluntersuchung Inns-

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Agentur müssen für lebensmittelrechtliche Untersuchungen akkreditiert sein180. Wenn die Agentur bei ihrer Tätigkeit zur begründeten Auffassung gelangt, dass der Verdacht der Verletzung von lebensmittelrechtlichen Vorschriften gegeben ist, muss sie das in ihrem Gutachten feststellen und der zuständigen Behörde Miteilung erstatten181. Die Pflicht zur Tragung der Kosten der Untersuchung und Begutachtung ist in § 71 LMSVG differenzierend geregelt182.

C. Untersuchungsanstalten der Länder Untersuchungsanstalten der Länder, die Aufgaben wie die AGES besorgen wollen, bedürfen der Bewilligung des BMGF183.

D. Private Lebensmittelgutachter Private Lebensmittelgutachter benötigen eine Bewilligung des BMGF184. Das Fehlen dieser Bewilligung berechtigt Behörden allerdings noch nicht, Gutachten von vornherein nicht anzuerkennen und im Verfahren nicht zu berücksichtigen185.

X. Das österreichische Lebensmittelbuch Das Österreichische Lebensmittelbuch (ÖLMB - Codex Alimentarius Austriacus) ist eine Verlautbarung von Sachbezeichnungen, Begriffsbestimmungen, Untersuchungsmethoden und Beurteilungsgrundsätzen sowie von Richtlinien für das Inverkehrbringen von Waren, die dem LMSVG unterliegen186. Es wird vom BMGF herausgegeben und von der Kodexkommission

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bruck: Tirol und Vorarlberg; Institut für Lebensmitteluntersuchung Linz: Oberösterreich; Institut für Lebensmitteluntersuchung Salzburg: Land Salzburg; Institut für Lebensmitteluntersuchung Wien: Wien, Niederösterreich und Burgenland (ausgenommen politische Bezirke Oberwart, Güssing und Jennersdorf). § 68 Abs 2 LMSVG. Die gebotene fachliche Qualifikation des Gutachterpersonals regelt § 70 LMSVG sowie die Verordnung BGBl 1997 II/161. § 69 LMSVG. Siehe zur Diskussion zur Heranziehung der anzeigenden Untersuchungsanstalt bzw ihrer Bediensteter als Sachverständige in einem nachfolgenden Strafverfahren VfSlg 10.701/1985 = ÖZW 1981, 61 mAnm Barfuß; dann EGMR im Fall Bönisch EuGRZ 1986, 127; zum Sachverständigenbeweis; VwGH 9.11.1992, 92/10/0045; 31.5.1999, 98/10/0008; zur Befangenheitsfrage siehe VwSlg 9848 A/1979. Siehe zur Kostenhöhe die Gebührentarifverordnung BGBl 1989/189, zuletzt idF BGBl 2006 I/13. Näher § 72 LMSVG. Kärnten, Vorarlberg und Wien haben Lebensmitteluntersuchungsanstalten eingerichtet. Näher § 73 LMSVG. Die Liste der Lebensmittelgutachter ist im Sinn von § 74 LMSVG unter www.bmgf.gv.at veröffentlicht. Die (bescheidmäßige) Verweigerung einer Bewilligung greift in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsfreiheit ein (VfSlg 12.578/1990, vgl dazu auch ecolex 1991, 289). Vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlich garantierten Berufsausbildungsfreiheit (Art 18 StGG) muss das Berufsausbildungserfordernis einer praktischen Untersuchungstätigkeit an allen dafür geeigneten Einrichtungen absolviert werden können (näher VfSlg 12.578/1990). VwGH 26.11.1990, 90/10/0127. § 76 LMSVG.

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vorbereitet187. Das ÖLMB ist nach hA selbst keine Verordnung188, sondern vielmehr „Ausdruck der Auffassung der am Lebensmittelverkehr interessierten Geschäftskreise“189 und enthält „zur allgemeinen Kenntnis gebrachte Erfahrungswerte“190. Es trägt daher den „Charakter eines subjektivierten Sachverständigengutachtens, das widerlegbar die konkrete Verbrauchererwartung wiedergibt“191. Das ÖLMB trägt also „nicht den Charakter einer Rechtsverordnung, sondern eines objektivierten, als Beweismittel besonderer Art zu würdigenden, jedoch keineswegs unwiderlegbaren Sachverständigengutachtens, welches die Meinung der am Verkehr mit Lebensmitteln beteiligten Kreise (Erzeuger, Händler und Verbraucher) und auch die der Behörde wiederspiegelt und damit insbesondere auch die konkrete Verbrauchererwartung wiedergibt“192.

XI. Lebensmittelstrafrecht Die §§ 81 ff LMSVG bilden die Grundlage des gerichtlichen und des verwaltungsbehördlichen Lebensmittelstrafrechtes, das für die Praxis beträchtliche Bedeutung hat193.

A. Justizstrafrecht Gerichtlich194 strafbar macht sich, wer gesundheitsschädliche Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände oder kosmetische Mittel - sei es vorsätzlich195, sei es fahrlässig196 - in Verkehr bringt. Weiters macht sich gerichtlich strafbar, wer der Fleischuntersuchungspflicht zuwider handelt197. Die den Gegenstand gerichtlich strafbarer Handlungen bildenden Waren sind regelmäßig einzuziehen (§ 83 LMSVG). Bei wiederholter Begehung kann dem Täter auch die Ausübung seines Gewerbes untersagt (§ 84 LMSVG) und auf die Veröffentlichung des Unterteilsspruchs erkannt (§ 85 LMSVG) werden. Der Unternehmer haftet nach Maßgabe des § 86 leg cit für Geldstrafen etc, zu deren Zahlungen Arbeitnehmer oder Beauftragte seines Betriebes wegen gerichtlich strafbarer Handlungen des Lebensmittelstrafrechtes verurteilt worden sind. 187 188

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Siehe zur Zusammensetzung der Kodexkommission § 77 LMSVG sowie zur FAO/WHO Codex Alimentarius-Kommission (WECO) § 80 leg cit. Vgl nur etwa VfSlg 10.224/ 1984 (= ÖJZ 1985, 700), VfSlg 12.396/1990, 13.107/1992 (= ÖJZ 1993, 175 f); VwSlg 11.428 A/1984, OGH SSt 52/33 = EvBl 1981/214, OGH EvBl 1984/164. VfSlg 8903/1980. VfSlg 12.396/1990, 13.107/1992. So VwGH 20.6.1994, 92/10/0118. Vgl etwa OGH SSt 52/33 = EvBl 1981/214, dann OGH EvBl 1984/164; ÖBl 1985, 156 ff; ÖBl 1990, 200 ff; ÖBl 1991, 232 ff, jeweils unter Bezugnahme auf Judikatur bzw Literatur. Vgl auch die Referate und Beiträge zur Tagung der ÖJK 1982 zum Thema „Probleme des Lebensmittelrechts“. Vgl zur örtlichen Zuständigkeit der Strafbezirksgerichte § 88 LMSVG. § 81 Abs 1 LMSVG. § 82 Abs 1 LMSVG. Näher § 81 Abs 3 und § 82 Abs 2 LMSVG.

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B. Verwaltungsstrafrecht Die Verwaltungsstraftatbestände in Lebensmittelsachen sind in den §§ 90 ff LMSVG in zahlreichen Verästelungen geregelt198. Beträchtliche praktische Bedeutung hatten in der Vergangenheit insbesondere die Verwaltungsstraftatbestände des Inverkehrbringens wertgeminderter Lebensmittel (nunmehr § 90 Abs 1 Z 2 LMSVG)199, der Zuwiderhandlung gegen Kennzeichnungsvorschriften in Verordnungen (§ 90 Abs 3 Z 2 leg cit)200 und des Verstoßes gegen das Hygienegebot201. Zuwiderhandlungen gegen das in der Anlage zum LMSVG aufgelistete, unmittelbar anwendbare Verordnungsrecht der EG sind nach § 90 Abs 3 Z 1 leg cit verwaltungsbehördlich strafbar. Die Verfolgungsverjährungsfrist ist bei den meisten Verwaltungsübertretungen auf ein Jahr verlängert (§ 90 Abs 7 LMSVG). Die Verfallstrafe ist vorgesehen202 ebenso wie die Veröffentlichung des Straferkenntnisses203. Besondere praktische Bedeutung haben die Fragen um die Verantwortung des Betriebsinhabers, der nach außen zur Vertretung berufenen Person oder eines verantwortli-

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Regelmäßig auftauchende Probleme des Verwaltungsstrafrechtes in Lebensmittelsachen betreffen die Frage nach der gehörig präzisen Umschreibung der Tat im Bescheidspruch (vgl hiezu etwa VwGH 17. 2. 1997, 95/10/0228; 26. 5. 1997, 93/10/0084; 26. 5. 1997, 94/10/0075; 11. 5. 1998, 97/10/0250), im besonderen auch was die gebotene nähere Umschreibung der Art des Inverkehrbringens anlangt (vgl hiezu etwa VwGH 17. 3. 1997, 93/10/0066; 11. 5. 1998, 97/10/0250; 18. 10. 1999, 98/10/0004). Die Umschreibung der Tat durch einen Verweis auf das Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung kann nach den Umständen aber ausreichen (VwGH 29. 3. 1995, 90/10/0147 = WBl 1996, 171). Eine Beeinflussung der Waren durch den Inverkehrbringer gehört nicht zum Tatbestand (so VwGH 22. 3. 1993, 92/10/0096). Es handelt sich um ein Begehungsdelikt (VwSlg 14.262 A/1995). Vgl zur gehörigen Konkretisierung der Tat etwa VwGH 17. 2. 1997, 95/10/0228; 26. 5. 1997, 93/10/0084; 26. 5. 1997, 94/10/0075. Die Zuwiderhandlung gegen die Kennzeichnungspflichten der LMKV stellt ein Unterlassungsdelikt dar (etwa VwGH 30. 6. 1997, 97/10/0045; 20. 9. 1999, 97/10/0011). Ehedem § 20 LMG 1975, nunmehr § 90 Abs 3 Z 1 LMSVG iVm den einschlägigen EG-Lebensmittelhygieneverordnungen. Zu § 20 LMG 1975 hielt der VwGH unter anderem folgendes fest: Bei dieser Verwaltungsübertretung handelte es sich nach der Rechtsprechung des VwGH um ein „abstraktes Gefährdungsdelikt“ (vgl etwa VwSlg 10.998 A/1983 (nur Rechtssatz), VwGH 26. 1. 1998, 97/10/0156; 15. 11. 1999, 96/10/0188), um ein „Ungehorsamdelikt“ im Sinne des § 5 Abs 1 VStG (vgl etwa VwSlg 10.997 A/1983, 10.998 A/1983 (jeweils nur Rechtssatz), VwGH 27. 11. 1995, 93/10/0100; 29. 1. 1996, 92/10/0449) und um ein „Unterlassungsdelikt“ (vgl etwa VwSlg 10.998 A/1983 (nur Rechtssatz), VwSlg 13.310 A/1990). Demnach war zur Konkretisierung des Tatvorwurfes (§ 44a Z 1 VStG) „die individualisierte Beschreibung jener Handlungen im Spruch des Bescheides erforderlich, die der Täter hätte setzen müssen“ (VwSlg 10.998 A/1983, 13.310 A/1990; VwGH 11. 11. 1991, 91/10/0026). Der Tatort liegt dabei grundsätzlich dort, wo die Dispositionen und Anweisungen zur Vermeidung der Verstöße gegen die Verwaltungsvorschriften hätten gesetzt werden müssen, was im Falle der Verantwortlichkeit des Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft der Ort des Sitzes der Unternehmensleitung ist (VwGH 26. 2. 1996, 95/10/0240). § 90 Abs 8 iVm § 83 sowie § 92 LMSVG. § 90 Abs 8 iVm § 85 LMSVG.

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chen Beauftragten für das gesamte Geschehen im Betrieb204. Der VwGH konzediert, dass „die im heutigen Wirtschaftsleben notwendige Arbeitsteilung nicht zuläßt, daß sich der Unternehmer (Arbeitgeber, strafrechtlich Verantwortliche) aller Belange und Angelegenheiten persönlich annimmt; es muß ihm vielmehr zugebilligt werden, die Besorgung einzelner Angelegenheiten anderen Personen selbstverantwortlich zu überlassen und die eigene Tätigkeit in diesen Belangen auf mögliche und zumutbare Maßnahmen zu beschränken, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten lassen. Dabei trifft ihn jedoch die Obliegenheit, durch die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems sicherzustellen, daß seinen Anordnungen entsprochen wird, wobei er der Behörde bei einem Verstoß gegen die entsprechenden Vorschriften dieses System im einzelnen darzulegen hat. Davon, daß der Verantwortliche das Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems glaubhaft gemacht hätte, kann nur gesprochen werden, wenn konkret dargelegt wird, in welcher Weise im Unternehmen sichergestellt wird, daß Verletzungen der in Rede stehenden Vorschriften vermieden bzw Verstöße wahrgenommen und abgestellt werden; insbesondere ist darzulegen, auf welche Weise der Verantwortliche seiner Verpflichtung zur Überwachung der von ihm beauftragten Personen nachgekommen ist und wieso er dessen ungeachtet die in Rede stehende Übertretung nicht verhindern konnte. Der Hinweis auf die Betrauung Dritter mit Kontrollaufgaben, die Erteilung entsprechender Weisungen und auf stichprobenartige Überprüfungen genügt den dargelegten Anforderungen nicht“205.

XII. Zusammenhänge Das Lebensmittelrecht weist mit zahlreichen weiteren Rechtsmaterien Berührungspunkte und Überschneidungen auf; hingewiesen sei auf folgende Regelungen: • Für die Lebensmittel Wein und Obstwein gilt das WeinG 1999206, das insbesondere die Herstellung, die Bezeichnung und Aufmachung und die verwaltungspolizeiliche Kontrolle einer eingehenden Regelung unterzieht207. • § 38 StrahlenschutzG, BGBl 1969/227, verpflichtet den Landeshauptmann die erforderlichen Schutz- und Sicherungsmaßnahmen zu treffen, wenn die Strahlungsintensität auf Grund radioaktiver Verunreinigung (etwa auch eines Unfalles in einem AKW) ein Ausmaß übersteigt, bei dem die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen einschließlich ihrer Nachkommenschaft besteht; in Betracht kommen insb Beschränkungen des Verkehrs mit Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Produkten und der Wasserbenützung208.

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Vgl aus der Rechtsprechung insbesondere VwSlg 14.300 A/1995, VwGH 27. 11. 1995, 93/10/0100; 27. 11. 1995, 93/10/0186; 29. 1. 1996, 92/10/0449; 26. 2. 1996, 92/10/0446; 26. 1. 1998, 97/10/0156; 26. 4. 1999, 99/10/0008. Vgl etwa VwGH 27. 11. 1995, 93/10/0186, 29. 1. 1996, 92/10/0449. BGBl I 1999/141, zuletzt idF BGBl I 2005/87. Siehe hiezu näher Brustbauer/Mraz, Das österreichische Weingesetz und seine praktische Anwendung (Loseblattausgabe). Vgl zum Verhältnis des § 38 StrahlenschutzG zum LMG 1975 eingehend Thienel, Schutzmaßnahmen 740ff.

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Das QualitätsklassenG209 ist als Sondervorschrift auf dem Gebiet der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs iSd Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG gedacht und regelt Qualitätsklassen als „bestimmte, nach dem Grad der Qualität abgestufte und für jede Stufe zu einer Einheit zusammengefaßte Gruppen von Qualitätsnormen, denen landwirtschaftliche Erzeugnisse entsprechen müssen, damit sie unter einer bestimmten Bezeichnung in Verkehr gebracht werden dürfen“ (so § 1 Abs 1 leg cit). Das Rindfleisch-EtikettierungsG210 betraut die „Agrarmarkt Austria“ (AMA) mit der Vollziehung des freiwilligen Rindfleisch-Etikettierungssystem (Abschnitt II des Titels II der EG-Verordnung 2000/1760). Für die Überwachung der obligatorischen Rindfleischetikettierung ist der Landeshauptmann nach § 24 LMSVG zuständig211. Das TiermehlG212 setzt die Entscheidung des EG-Rates 2000/766/EG über Schutzmaßnahmen in Bezug auf die transmissiblen spongiformen Enzephalopathien („BSE“) und die Verfütterung von tierischem Protein um. Es verbietet - die Verfütterung von verarbeiteten tierischen Proteinen an Nutztiere, die zur Nahrungsmittelproduktion gehalten, gemästet oder gezüchtet werden, - das Inverkehrbringen, den Handel, die Einfuhr aus Drittländern und die Ausfuhr in Drittländer von verarbeiten tierischen Proteinen, die zur Verfütterung an Nutztiere, die zur Nahrungsmittelproduktion gehalten, gemästet oder gezüchtet werden, einschließlich Wild, bestimmt sind. Auf Grund der Verordnungsermächtigung in § 7 TiermehlG stehen die BSE-Landwirtschafts-Verordnung 2004213, die Tiermehl-Gesetz-Anpassungsverordnung 2002214 und die Tiermehl-Gesetz-Anpassungsverordnung 2004215 in Geltung. Das Bundesgesetz zur Überwachung von Zoonosen und Zoonoseerregern (Zoonosegesetz)216 regelt - die Organisation der Überwachung von Zoonosen (= Krankheiten und/oder Infektionen, die auf natürlichem Weg direkt oder indirekt zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können) und Zoonoseerregern, - die Überwachung diesbezüglicher Antibiotikaresistenzen,

Bundesgesetz über die Einführung von Qualitätsklassen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, BGBl 1967/161 idgF. BGBl 1998 I/80, zuletzt idF BGBl 2002 I/95. Vgl Teil 1 Z 10 der Anlage zum LMSVG. Bundesgesetz zur Umsetzung der Entscheidung des Rates über Schutzmaßnahmen in Bezug auf die transmissiblen spongiformen Enzephalopathien und die Verfütterung von tierischem Protein vom 4. Dezember 2000 (Tiermehl-Gesetz), BGBl 2000 I/143, 2001 I/22, 2001 I/74, 2002 II/235 und BGBl 2004 II/294. BGBl 2004 II/258. BGBl 2002 II/235. BGBl 2004 II/294. BGBl 2005 I/128.

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die epidemiologische Untersuchung lebensmittelbedingter Krankheitsausbrüche und - den Austausch von Informationen über Zoonosen und Zoonoseerreger. Insbesondere soll durch das Gesetz die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den für Futtermittel-, Veterinär-, Lebensmittel- und Humanbereich zuständigen Organen bzw Behörden sichergestellt werden217. Das FuttermittelG218 regelt die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Futtermitteln, Vormischungen und Zusatzstoffen zur Tierernährung. Es verbietet unter anderem Futtermittel, Vormischungen oder Zusatzstoffe herzustellen, in Verkehr zu bringen oder an Nutztiere zu verfüttern, die dazu geeignet sind, die Qualität der von Nutztieren gewonnenen Erzeugnisse, insbesondere im Hinblick auf ihre Unbedenklichkeit für die menschliche Gesundheit, nachteilig zu beeinflussen oder die Gesundheit von Tieren zu schädigen. Unter „Nutztieren“ versteht das Gesetz Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde, Kaninchen, Gänse, Enten, Hühner, Truthühner, Speisefische und andere Tiere, die zum Zweck der Gewinnung tierischer Erzeugnisse gefüttert oder gehalten werden. Siehe zum Verhältnis des LMG 1975 zum Biozid-ProdukteG, BGBl 2000 I/105, dessen § 3 Abs 2 Z 4, und zum ChemikalienG 1996, BGBl 1997 I/53, dessen § 4 Abs 2 Z 6 und Abs 3 Z 2. Siehe zum Tabakgesetz die Darstellung von Damjanovic in diesem Band, zum Gentechnikrecht Stelzer/Gotsbacher in diesem Band und zum LebensmittelbewirtschaftungsG 1997 Koller in diesem Band.

So die RV 1085 BlgNR 22.GP 3. Bundesgesetz über die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Futtermitteln, Vormischungen und Zusatzstoffen (Futtermittelgesetz 1999 - FMG 1999, BGBl 1999 I/139, zuletzt idF BGBl 2005 I/87.

Christoph Bezemek/Dragana Damjanovic

Tabakrecht I. Grundlagen ................................................................................................614 A. Allgemeines............................................................................................614 B. Kompetenzrechtliche Einordnung .........................................................615 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeit ............................................615 2. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Tabakwesens ..............616 C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen ................................618 1. Internationale Vorgaben - die Weltgesundheitsorganisation ............618 2. Europäisches Tabakrecht...................................................................619 II. Tabakgesetz ..............................................................................................622 A. Allgemeines............................................................................................622 B. Regelungen über die Produktion und den Vertrieb von Tabakerzeugnissen ................................................................................623 C. Erhebung der verwendeten Inhaltsstoffe ...............................................624 D. Überwachung ........................................................................................625 E. Mindestkleinverkaufspreise ...................................................................625 F. Werbung und Sponsoring ......................................................................626 G. Nichtraucherschutz ...............................................................................628 III. Sonstige tabakbezogene Regelungen ....................................................629 Rechtsgrundlagen: EU-Recht: RL 92/79/EWG, Abl 1992 L 316/8 idF RL 2003/117/EG, Abl 2003 L 333/49; RL 92/80/EWG, Abl 1992 L 316/10 idF RL 2003/117/EG, Abl 2003 L 333/49; RL 95/59/EG, Abl 1995 L 291/40 idF RL 2002/10/EG, Abl 2002 L 46/26; RL 2001/37/EG, Abl 2001 L 194/26; RL 2003/33/EG, Abl 2003 153/16 BG: TabakG (BGBl 1995/431 idF BGBl. I 2006/47); Tabaksteuergesetz (BGBl 1994/704 idF BGBl. I 2006/47)

Grundlegende Literatur: Caspar, Das europäische Tabakwerbeverbot und das Gemeinschaftsrecht, EuZW 2000, 238; Eisenberger/Urbantschitsch, Tabakwerbe-Richtlinie: Gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Fragestellungen, ÖZW 1998, 106; dies., Harmonisierung und Gesundheitsschutz, ecolex 2000, 843; Esson/Leeder, The Millennium Health Goals and Tobacco Control, 2004; Görlitz, EU-Binnenmarktkompetenzen und Tabakwerbeverbote, EuZW 2003, 485; Laffert, Rauchen, Gesellschaft und Staat: Konsumanomalien, Wohlfahrtseffekte und staatlicher Regulierungsbedarf im Zusammenhang mit dem Zigarettenkonsum, 1998; Kamann, Viel Rauch um nichts? - Gesundheitsschutz im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung gemäß Art 95 EGV nach dem „Tabakwerbeurteil“ des EuGH, ZEuS 2001, 23; Leitner, Zum Ersatz von Raucherschäden nach österreichischem Recht, ÖJZ 2004, 93; Pichler (Hrsg), Rauchen und Recht, 2004; Rasch-

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auer, Ultra-vires Akte der Europäischen Gemeinschaften, ÖJZ 2000, 241; Schroeder, Vom Brüsseler Kampf gegen den Tabakrauch - 2.Teil, EuZW 2001, 489; Selmayer/Kamann/Ahlers, Die Binnenmarktkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, EWS 2003, 49; Sopp, Tabakkonsum und Tabakwerbeverbot - eine ökonomische Analyse des Germeinschaftsrechts, EuZW 2005, 365; Strejcek (Hrsg.), Rauchen im Recht, 2007; Wägenbauer, Binnenmarkt und Gesundheitsschutz - eine schwierige Kohabitation, EuZW 2000, 549; Wägenbaur, Tabak, Ende der Diskussion oder Diskussion ohne Ende?, EuZW 2003, 107.

I. Grundlagen A. Allgemeines Ließ sich das Verhältnis der Rechtsordnung zum Tabakkonsum an sich vor etwa 60 Jahren noch eher subtil durch ein Erkenntnis des VfGH, wonach die ungleiche Zuteilung von Zigaretten an Männer und Frauen „auf objektiven Merkmalen [fußt] und […] daher nicht die Einräumung eines Vorrechtes an das männliche Geschlecht“ beinhaltet,1 beschreiben, so zeichnet es sich heute weitaus direkter - durch eine überaus hohe Regelungsdichte aus. Die Aufmachung von Tabakprodukten, ihr Vertrieb, ihre Bewerbung und der Ort ihres Konsums unterliegen vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Wahrnehmung2 und neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse weitgehender Regulierung.3 Unbestrittenerweise sind die durch den Tabakkonsum für die Volksgesundheit verursachten Schäden enorm: Rauchen ist wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge eine wesentliche Ursache mehrerer oft tödlich verlaufender Krankheiten.4 So sterben weltweit beinah fünf Millionen5, im Gebiet der Gemeinschaft mehr als 650.0006 und in Österreich ungefähr 14.0007 Menschen jährlich an dessen Auswirkungen. Dabei beschränkt sich die Schädlichkeit des Tabakrauchs nicht nur auf den aktiven Konsum, sondern hat - wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen - darüber hinaus auch negative Auswirkun-

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VfSlg. 1526/1947. Vgl hiezu etwa die Ausführungen von Pichler, Rauchen: Eben noch fesch und schon verboten? in: Pichler, Rauchen & Recht, 11ff sowie von Strejcek, Tabak im Spiegel von Recht, Politik und Literatur in: Strejcek, Rauchen im Recht, 297ff. Beide Faktoren spiegeln sich im rechtswissenschaftlichen Diskurs nicht zuletzt auch dergestalt wider, als in der jüngeren Vergangenheit auch die Ersatzfähigkeit von Raucherschäden erörtert wurde. Vgl hiezu die Ausführungen von Leitner, Zum Ersatz von Raucherschäden nach österreichischem Recht, ÖJZ 2004, 93ff sowie Davani, Der Konstruktionsfehler der Zigarette nach dem PHG in Österreich, ecolex 2004, 437ff. Tabak verursacht Krebs-, Atemwegs- sowie in hohem Ausmaß Herz-KreislaufErkrankungen. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen siehe hiezu die von der Europäischen Kommission herausgegebene Studie, Tobacco or Health in the European Union - Past, Present and Future, 2004, 27ff. Siehe dazu etwa die von der WHO in Auftrag gegebene Studie von Esson/Leeder, The Millennium Health Goals and Tobacco Control, 2004, 18. Siehe hiezu die von der Europäischen Kommission herausgegebene Studie, Tobacco or Health in the European Union - Past, Present and Future, 2004, 13. So etwa die EB zur RV 700 BlgNR 22. GP, 6.

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gen auf die Gesundheit von Nichtrauchern, die Tabakrauch ausgesetzt sind (Passivraucher).8 Nichtsdestotrotz rauchen heute annähernd 40% der erwachsenen Bevölkerung in der Gemeinschaft.9 Dabei ist eine bemerkenswerte Zunahme bei Frauen10 sowie insb. auch bei Jugendlichen11 festzustellen. Angesichts dieser Entwicklung und der volkswirtschaftlichen Kosten, die aus ihr erwachsen,12 wird die Notwendigkeit eines gezielten Vorgehens im Hinblick auf Risikoaufklärung und Bekämpfung des Tabakkonsums deutlich.13 Dergestalt wurden sowohl auf internationaler14 als auch auf gemeinschaftlicher15 und innerstaatlicher Ebene16 eine Reihe von Maßnahmen, die zur Verringerung des Tabakkonsums sowie letztlich der dadurch verursachten Schäden beitragen sollen, getroffen. Zu diesen Maßnahmen, die nachfolgend näher behandelt werden sollen, zählen entsprechende Gesundheitserziehung und Informationskampagnen, eine vom Konsum abschreckende Politik hoher Steuern für Tabak, die Regulierung der Herstellung und Vermarktung von Tabakprodukten, verbesserte Produktinformationen, eine weitgehende Einschränkung der Tabakwerbung sowie Vorschriften, die Nichtraucher vor der Belästigung und den Gefahren durch das Rauchen anderer schützen sollen.

B. Kompetenzrechtliche Einordnung 1. Innerstaatliche Regelungszuständigkeit Der wesentliche Zweck der in Rede stehenden Bestimmungen ist in der Abwehr der durch den Tabakkonsum entstehenden Gefahren für die menschliche Gesundheit zu sehen - selbige unterfallen daher dem Kompetenztatbestand Gesundheitswesen (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG). 17 Gesetzgebung und Voll-

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Vgl etwa IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans Volume 83 - Tobacco Smoke and Involuntary Smoking Summary of Data Reported and Evaluation, 2002 9ff. Abrufbar unter: http://monographs.iarc.fr/ENG/ Monographs/vol83/volume83.pdf sowie Studnicka, Rauchen als Faktor der Eigen- und Fremdgefährdung in: Pichler (Hrsg), Rauchen und Recht, 2004, 43f. Vgl Special Eurobarometer 183/Wave 58.2, 4 abrufbar unter: http://ec.europa.eu/ health/ph_determinants/life_style/Tobacco/Documents/eb582_smoking_env_en.pdf. Vgl hiezu KOM(2003) 230 endg, 6. Der Europäische Gesundheitsbericht 2005, 2005, 78. Vgl hiezu etwa die Ausführungen von Sopp, EuZW 2005, Tabakkonsum und Tabakwerbeverbot - eine ökonomische Analyse des Germeinschaftsrechts, 366ff. Zur Notwendigkeit der Regulierung der Tabakindustrie siehe auch Götz von Laffert, Rauchen, Gesellschaft und Staat: Konsumanomalien, Wohlfahrtseffekte und staatlicher Regulierungsbedarf im Zusammenhang mit dem Zigarettenkonsum, 1998. Dazu siehe gleich unten Pkt. I.C.1. Dazu siehe gleich unten Pkt. I.C.2. Dazu siehe gleich unten Pkt. II und III. Vgl etwa VfSlg 3650/1959, 7582/1975, 8035/1977: „ [...] Maßnahmen der Staatsgewalt, die der Abwehr von Gefahren für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung (für die Volksgesundheit) dienen, gehören zur Sanitätspolizei und damit zum Gesundheitswesen (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG). Siehe auch Mayer, B-VG3, 2002, Art 10 B-VG I.12.

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ziehung in Bezug auf Regulierungsmaßnahmen auf dem Tabaksektor sind sohin primär dem Bund zugewiesen. Einzelne Vorschriften jedoch, die jedenfalls mittelbar die Regulierung des Tabaksektors zum Gegenstand haben und gesundheitspolitisch angelegt sind, sich dabei aber zugleich auch von ihren Schutzbestrebungen her in einem besonderen Maße auf einen speziellen, zur Länderzuständigkeit gehörenden Bereich konzentrieren, fallen entsprechend der Gesichtspunktetheorie in Gesetzgebung und/oder Vollziehung in die Kompetenz der Länder.18 Zu diesen Vorschriften zählen insbesondere Regelungen über den Erwerb von Tabakerzeugnissen oder deren Konsum durch Jugendliche, die in den verschiedenen Jugendschutzgesetzen der Länder niedergelegt sind, da bei jenen nicht die Aspekte des Gesundheitswesens, sondern solche des Jugendschutzes im Vordergrund stehen.19

2. Die Rechtsgrundlagen für legislative Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Bereich des Tabakwesens Die zentralen Maßnahmen, die bislang auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene im Bereich des Tabakwesens getroffen wurden (TabakRL, TabakwerbeRL),20 wurden im Rahmen der gemeinschaftlichen Aktionsprogramme zur Harmonisierung des Binnenmarktes, somit primär auf der Grundlage von Art 95 EGV eingeführt. Diese Gemeinschaftskompetenz als Rechtsgrundlage für die genannten Maßnahmen heranzuziehen, hat jedoch mehrere rechtliche Bedenken aufgeworfen; verfolgen doch die im Tabakwesen erlassenen Gemeinschaftsvorschriften gleichsam neben der Rechtsangleichung der mitgliedstaatlichen Regelungen zu weiten Teilen auch gesundheitspolitische Zielsetzungen. Für den Bereich des Gesundheitswesens ist die Gemeinschaft aber lediglich - wie sich aus dem in Art 152 Abs 4 lit c EGV21 ausdrücklich normierten Harmonisierungsverbot ergibt - auf Fördermaßnahmen22 beschränkt.23 Mit den dadurch aufgeworfenen Fragen, wie weit die Kompetenznorm des Art 95 EGV für die Regulierung des Tabaksektors reicht und in welchem Verhältnis sie zum Harmonisierungsverbot nach Art 152 Abs 4 lit c EGV steht, hatte sich der EuGH grundlegend in einem Verfahren, zur Primärrechtskonformität der ersten TabakwerbeRL24 auseinanderzusetzen.25 18 19 20 21

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Zur Gesichtspunktetheorie Funk, Das System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im Lichte der Verfassungsrechtsprechung, 1980, 48 ff. Zu den Kompetenzen im Bereich des Jugendschutzes VfSlg 7946/1976. Zu diesen siehe gleich unten Pkt. I.C.2. Danach hat der Rat „Fördermaßnahmen, die den Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zum Ziel haben, unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“ zu treffen. Zu den Fördermaßnahmen der Gemeinschaft, die der Bekämpfung des Tabakkonsums dienen sollen, siehe näher unten Pkt. I.C.2.a. Siehe hiezu Wichard, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 2007, Art. 152 EGV, Rdnr. 16 ff. 98/43/EG Abl 1998 L 213/9. EuGH, Rs C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419; Vgl aus der diesbezüglichen Literatur etwa Caspar, Das europäische Tabakwerbeverbot und das Gemeinschaftsrecht, EuZW 2000, 238ff; Eisenberger/Urbantschitsch, Tabakwerbe-Richtlinie: Gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Fragestellungen, ÖZW 1998, 106; Kamann, Viel Rauch um nichts? - Gesundheitsschutz im Rahmen der Binnenmarktharmonisierung gemäß Art 95 EGV nach dem „Tabakwerbeurteil“ des

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Der Auffassung des Gerichtshofs zufolge ist Art 95 EGV dann als Rechtsgrundlage heranzuziehen, wenn dies für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist und dadurch der ausdrückliche Ausschluss jeglicher Harmonisierung gemäß Art 152 Abs 4 lit c EGV nicht umgangen wird. Demnach müssten Maßnahmen, die sich auf Art 95 EGV stützen, tatsächlich den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern.26 Hemmnisse des freien Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehrs sowie die sich daraus ergebenden Wettbewerbsverzerrungen müssten zumindest wahrscheinlich und jene Maßnahmen gemäß Art 95 EGV, die zur Vorbeugung und nicht erst zur Vermeidung der Entstehung solcher Hindernisse erlassen werden, geeignet sein, dies auch zu erreichen. Liegen diese Voraussetzungen vor, was anhand „objektiver gerichtlich nachprüfbarer Umstände“ aus Ziel und Inhalt des betreffenden Rechtsaktes zu ermitteln ist,27 so steht nach Ansicht des EuGH der Heranziehung von Art 95 EGV nicht entgegen, dass die auf dieser Grundlage erlassenen Maßnahmen auch gesundheitspolitische Zielsetzungen verfolgen.28 Dies gelte jedoch dann nicht, wenn der betreffende Rechtsakt eine Harmonisierung der Marktbedingungen in der Gemeinschaft gleichsam nur nebenbei bewirke.29 Im Lichte dieser Erwägungen kam der EuGH zum Schluss, dass die umstrittene erste Tabakwerberichtlinie, die jede Form der Werbung und des Sponsoring untersagte,30 angesichts ihres allgemeinen Charakters nicht auf Art 95 EGV gestützt werden konnte; waren doch den Ausführungen des Gerichtshofs zufolge für einen großen Teil der Werbemedien - vorwiegend der ortsgebundenen - keine Hemmnisse für den freien Verkehr aufgrund unterschiedlicher mitgliedstaatlicher Regelungen und insofern auch kein Beitrag der Tabakwerbungsrichtlinie zu ihrer Beseitigung gegeben. Ebenso wenig konnte er für bestimmte Bereiche der Tabakmärkte spürbare Wettbewerbsverzerrungen erkennen,31 die es rechtfertigen würden, Art 95 EGV für ein allgemeines Werbeverbot, wie es die Richtlinie vorsieht, zur Anwendung zu bringen. Aus diesen Gründen erklärte der Gerichtshof die erste Tabakwerberichtlinie gemäß Art

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EuGH, ZEuS 2001, 23; Leidenmühler, Tabak, Werbung und das Europarecht, ecolex 1999, 138; Raschauer, Ultra-vires Akte der Europäischen Gemeinschaften, ÖJZ 2000, 241; Wägenbauer, Binnenmarkt und Gesundheitsschutz - eine schwierige Kohabitation, EuZW 2000, 549; Selmayer/Kamann/Ahlers, Die Binnenmarktkompetenz der Europäischen Gemeinschaft, EWS 2003, 49ff. EuGH (FN 25) Rdnr. 86. Insofern impliziert Art 95 EGV keine allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes. Dies würde dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung widersprechen. So der EuGH bereits in Rs. C-233/94, Deutschland/EP und Rat, Slg. 1997, I-2405, Rdnr. 13; Rs. C-300/89, Titandioxid, Slg. 1991, I-2867, Rdnr. 10. Vielmehr schreibt Art 95 Abs 3 ausdrücklich vor, dass bei Harmonisierungen von einem hohen Gesundheitsschutzniveau auszugehen ist. Vgl EuGH (FN 25) Rdnr. 88. Vgl EuGH Rs. C-155/91, Abfallrichtlinie, Slg. 1993, I-939, Rdnr. 19. Art 3 Abs 1 RL 98/43/EG (FN 24). So stellte der Gerichtshof fest, dass im Wettbewerb zwischen den Werbeagenturen und den Herstellern von Werbeträgern im Hinblick auf verschiedene Formen des Sponsoring sowie auch auf dem Markt der Tabakerzeugnisse keine spürbaren Verzerrungen gegeben seien.

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231 Abs 1 EGV für nichtig, stellte dabei aber gleichzeitig ausdrücklich klar, dass er den Erlass einer Richtlinie, die lediglich bestimmte Formen der Werbung und des Sponsoring untersagt hätte, als zulässig erachtet. 32 Die Vorgaben des Gerichtshofs wurden von Seiten des Gemeinschaftsgesetzgebers - jedenfalls vordergründig - bereitwillig aufgegriffen. Wenngleich der Kritik des EuGH auch inhaltlich entsprechender Tribut gezollt wurde,33 so sind insbesondere die Erwägungsgründe jener Rechtsakte,34 die das Tabakrecht nachfolgend gemeinschaftsweit in Einklang bringen sollten, in geradezu offenkundiger Manier vom Bemühen gekennzeichnet, ihre Bedeutung für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts hervorzustreichen;35 eine Vorgehensweise, die auch von Erfolg gekrönt werden sollte, hielten doch in weiterer Folge sowohl die TabakRL als auch die Neufassung der TabakwerbeRL - zum Teil heftiger Kritik innerhalb der Literatur entgegen36 - der Überprüfung durch den Gerichtshof stand.37

C. Gemeinschafts- und völkerrechtliche Grundlagen 1. Internationale Vorgaben - die Weltgesundheitsorganisation Die besorgniserregende weltweite Verbreitung des Tabakkonsums hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veranlasst, dieser Entwicklung verstärkt auf globaler Ebene zu begegnen. So hat die Weltgesundheitsversammlung (WHA) als leitendes Organ der WHO im Jahr 1999 mittels einer einstimmig angenommenen Resolution38 den Weg zur Schaffung einer multilateralen Rahmenvereinbarung zur Überwachung des Tabakkonsums eröffnet. Dieses Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (Tabakrahmenübereinkommen) wurde am 21. Mai 2003 abgeschlossen39 und von Österreich mit dem 15. September 2005 ratifiziert.40 Die Annahme durch die Europäische Gemeinschaft erfolgte bereits durch eine Ratsentscheidung im Juni 2004.41 32 33 34 35 36

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Vgl EuGH (FN 25) Rdnr. 117. Vgl hiezu unten 1.C.2.c. Vgl die RL 2001/37/EG sowie 2003/33EG. S. hiezu unten I.C.2. Vgl hiezu die beinah sardonische Kritik bei Schroeder, Vom Brüsseler Kampf gegen den Tabakrauch - 2. Teil, EuZW 2001, 490. S. hiezu etwa Schroeder (FN 35), 490ff; Görlitz, EU-Binnenmarktkompetenzen und Tabakwerbeverbote, EuZW 2003, 487ff; Wägenbaur, Tabak, Ende der Diskussion oder Diskussion ohne Ende?, EuZW 2003, 108f sowie zuletzt die Glosse von Stein, EuZW 2007, 46 (54ff). Vgl hiezu im Einzelnen EuGH, Rs C-491/01, British American Tobacco, Slg 2002, I-11453; Rs C-434/02, Arnold André, Slg 2004 I-11825; Rs C-210/03, Swedish Match, Slg 2004 I-11893; sowie jüngst EuGH vom 12.12.2006 Rs C-380/03, Deutschland/Parlament und Rat, n.v. Zur näheren Auseinandersetzung mit der kompetenzrechtlichen Einordnung der EG-Regulierungsakte im Bereich Tabak vgl insb. Selmayr/Kamann/Ahler (oben FN 25) 50ff sowie Ludwigs, Art. 95 EG als allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes oder als „begrenzte Einzelermächtigung“?, EuZW 2006, 417. WHA 53.16. WHA 56.1. BGBl III 219/2005. 2004/513/EG, Abl 2004 L 213/8.

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Das Vertragswerk selbst ist denkbar umfassend und enthält neben Vorgaben im Hinblick auf preisbezogene und steuerliche Maßnahmen zur Verminderung der Nachfrage nach Tabak (Art 6), Regelungen in Bezug auf die Verpackung und Etikettierung von Tabakerzeugnissen sowie über Angaben im Hinblick auf ihre Inhaltsstoffe (Art 10 ff) und Vorgaben in Bezug auf Werbung für Tabakerzeugnisse, Verkaufsförderung oder Sponsoring (Art 13), insbesondere Bestimmungen, die den Vertrieb von Tabakerzeugnissen regulieren sollen (Art 15 und 16). Die genannten Bestimmungen finden sich materiell sowohl in europarechtlichen als auch in innerstaatlichen Akten wieder.42 Durch Art 23 des Tabakrahmenübereinkommens wurde eine Konferenz der Vertragsparteien eingerichtet, deren Aufgabe es insbesondere ist, regelmäßig die Durchführung des Übereinkommens zu prüfen und die notwendigen Entscheidungen zur Förderung seiner wirksamen Durchführung zu treffen43 (Art 23 Abs 5). Die erste Tagung der Konferenz fand im Februar 2006 statt.44

2. Europäisches Tabakrecht a) Allgemeines Um der überaus hohen Zahl der Todesopfer, die der Tabakkonsum in der Gemeinschaft nach sich zieht, zu begegnen, wurden von Seiten der Europäischen Gemeinschaft in Ausübung ihrer Kompetenz gemäß Art 152 EGV entsprechende Aufklärungsprogramme lanciert, die durch weitläufige Information der Bevölkerung dazu beitragen sollen, ein hohes Niveau im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu etablieren.45 Dezidiert auf die Problematik des Tabakkonsums bezogen, wurde im März 2005 die mit 72 Millionen Euro dotierte Kampagne „Help - für ein rauchfreies Leben“ gestartet46, die einerseits präventiv (somit im Hinblick auf die Aufklärung über mit dem Tabakkonsum verbundenen Risiken) als auch insoweit unterstützend wirken soll, als Raucher zum Aufgeben ermuntert und bei der Entwöhnung unterstützt werden sollen.