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German Pages 104 [97] Year 2009
BIRGÜL GÜNEªLI
ELTERNARBEIT BEI KINDERN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND IN DER GRUNDSCHULE MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN
Diplomica Verlag
Birgül Günesli Elternarbeit bei Kindern mit Migrationshintergrund in der Grundschule Möglichkeiten und Grenzen ISBN: 978-3-8366-1292-0 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2009
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INHALTSVERZEICHNIS 1 EINLEITUNG .............................................................................................6 2 DIE SITUATION DER ELTERN AUS ERSTER MIGRATIONSGENERATION ..........................................................................................10
2.1 Arbeitsmigranten der ‚ersten Generation’ .......................................10 2.1.1 Entwicklung der Arbeitsmigration in der BRD ...........................11 2.1.2 Beschäftigungssituation der ausländischen Arbeitskräfte in der BRD .......................................................................................13 2.1.3 Wohnsituation in der BRD ..........................................................14 2.2 Soziale Situation der Arbeitsmigranten und ihrer Familien.................15 2.2.1 Familienstruktur...........................................................................16 2.2.2 Religion........................................................................................18 2.3 Integration der Gastarbeiter in die deutsche Gesellschaft....................19 3 DIE AUSLÄNDISCHEN KINDER, INSBESONDERE DIE TÜRKISCHEN KINDER: IHRE KONFLIKTE ZWISCHEN DEN KULTUREN ....................25 3.1 Leben zwischen zwei Kulturen ............................................................25 3.2 Sozialisation .........................................................................................27 3.2.1 Ausgewählte Aspekte der familiären Sozialisation .....................28 3.2.2 Ausgewählte Aspekte der sekundären Sozialisation ...................31 3.3 Identität.................................................................................................33 3.3.1 Identitätsfindung – Identitätskrise ...............................................35 3.3.2 Integration der zweiten Generation in die deutsche Gesellschaft..................................................................................39 3.4 Eltern der dritten Generation................................................................40 4 INTEGRATIONSPROBLEMATIK IN DER SCHULE HEUTE .......................42 4.1 Institution Schule: Aufgaben, Ziele und Auswirkungen auf die Schüler..................................................................................................42 4.2 Entwicklung der Zahl der ausländischen Schüler an deutschen Schulen .................................................................................................45 4.3 Spezifische Problemfelder türkischer Kinder im Schulalltag ..............50 4.3.1 Sprachliche Differenzen ..............................................................51 4.3.2 Kulturelle und religiöse Differenzen ...........................................53 4.3.3 Soziale Situation ..........................................................................57
4.4 Ausländische Schüler im Schulalltag ...................................................58 4.4.1 Das Verhältnis zwischen deutschen und ausländischen Schülern .......................................................................................58 4.4.2 Verhältnis zwischen Lehrer und ausländischen Schülern ...........60 5 KOOPERATION VON ELTERNHAUS UND SCHULE .................................64 5.1 Grundlagen, Bedeutung und Zielsetzung der Kooperation..................64 5.2 Selbstisolierung der Schule und Monopolstellung der staatlichen Schule ...................................................................................................68 5.3 Kooperation zwischen deutschen Grundschulen und türkischen Eltern ....................................................................................................69 5.4 Formen der Elternarbeit........................................................................71 5.4.1 Der Elternabend ...........................................................................71 5.4.2 Schriftliche Elternarbeit...............................................................73 5.4.3 Das Elterngespräch ......................................................................74 5.4.4 Der Hausbesuch ...........................................................................75 5.5 Grenzen der Elternarbeit.......................................................................78 5.5.1 Gründe auf Seiten der Elternberater ............................................78 5.5.2 Gründe auf Seiten der Eltern .......................................................79 5.6 Handlungsvorschläge zur Kontaktaufnahme........................................80 6 PÄDAGOGISCHE KONSEQUENZEN UND AUSBLICKE ............................84 7 LITERATURVERZEICHNIS......................................................................87
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN Abbildung 1 (eigenerstellt): Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland..............................................12 Abbildung 2 (eigenerstellt): Wie häufig hast du mit ausländischen Jugendlichen zu tun? ....................................32 Abbildung 3 (eigenerstellt): Ausländische Schüler nach Staatsangehörigkeit 2003/04 .........................................46 Abbildung 4 (eigenerstellt): Deutsche und ausländische Schulabsolventen nach Schulart ................................................48
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EINLEITUNG
Momentan wird in den Medien bezüglich der Muslime in Deutschland viel über deren Partizipation auf der einen und die Entwicklung von Parallelgesellschaften auf der anderen Seite diskutiert. Türkische Einwanderer stehen als größte nationale Gruppe im Zentrum des Diskurses. Betrachtet man allerdings die Teilnehmer der zahlreichen Diskussionsrunden, dann fällt auf, dass die Muslime, um die es hauptsächlich geht, fehlen. Die Gespräche werden über die Muslime geführt, aber nicht mit ihnen. In der 46. Ausgabe des Magazins „Der Spiegel“ wird auf die Problematik der Parallelgesellschaften in Deutschland eingegangen. Der Ausbruch dieser Diskussion ergab sich wegen der Ausschreitungen in Frankreich, in denen Jugendliche, vor allem in Paris, Unruhen in den Vororten stifteten. Zu diesem Thema wurde der einzige „Integrationsminister“ Armin Laschet (CDU), aus Nordrhein-Westfalen interviewt. Laschet gibt in seinem Interview zu, dass Parallelgesellschaften auch in Deutschland existieren und diese hält er für gefährlich. Er weist vor allem darauf hin, dass eine gemeinsame Leitkultur für alle in Deutschland lebenden Menschen gelten soll. Diese Leitkultur soll, sowohl von den Migranten als auch von den Einheimischen gestaltet werden. „Denn auch die Zuwanderer sollen sich mit den Werten unserer Verfassung identifizieren können.“ (Laschet 2005, S. 18) Das heißt laut Laschet aber auch, dass man von den Immigranten viel lernen kann, was zum Beispiel Kinderfreundlichkeit angeht. Eine weitere Diskussion über die Migranten fand nach der Ergebnisvorstellung der PISA - Studie 2003 statt. Ausländische Schüler im Allgemeinen und türkische Schüler im Besonderen sind im deutschen Schulsystem nach den Ergebnissen der PISA – Studie 2001 benachteiligt. An einigen Grundschulen sind die ausländischen Schüler, vor allem in Stadtteilen im sozialen Brennpunkt überrepräsentiert. Sie finden sich nach dem vierten Schuljahr zumeist in der Hauptschule wieder. Diese Tatsache steht auch im Zusammenhang mit der sozialen Randständigkeit. Das bringt mit sich, dass das Problemfeld Schule nicht getrennt vom gesamten Lebensumfeld des Kindes betrachtet werden kann. Damit rücken die Eltern ins Blickfeld.
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Die Zeitung „Die Welt“ berichtete am 16. Februar 2004 über die CarlLegien-Berufsschule, die so genannten Problemschülern die letzte Chance gibt, einen Berufsschulabschluss zu erreichen (vgl. KESELING 2004). In dem Artikel wird unter anderem das Thema Elternarbeit kurz angesprochen, die Erwartungen seitens der Lehrer an die Eltern sind jedoch minimal: „(…) und auf die Eltern brauchen die Lehrer nicht zu hoffen. Zu Elternabenden kommen nur wenige, für Hausbesuche haben sie schon lange keine Zeit mehr. Manches Schulproblem ließe sich sicher so lösen.“(ebd.) In der dritten Ausgabe des Magazins „Spiegel special“ wird der Problematik ausländischer Schüler ebenfalls ein Beitrag gewidmet. Herr Schröder ist Lehrer der sechsten Klasse einer Grundschule in Berlin-Neukölln, einem sozialen Brennpunkt der Stadt. In seiner Klasse sprechen weder die 21 ausländischen noch die drei deutschen Kinder die Unterrichtssprache fehlerfrei, die Unterstützung durch die Eltern ist gering und die Kinder werden von ihnen nicht angehalten zu lernen. Zusätzlich besuchen einige Schüler die Koranschule, so dass für Hausaufgaben wenig Zeit und Energie bleibt. „Wenn ich dann die Eltern der Kinder frage, was ihnen wichtiger sei“, berichtet Schröder, „schauen die mich nur schweigend an“ (vgl. SCHMIDT 2004). Die Frage, was den Eltern wichtig ist, bleibt unbeantwortet und so kann auch in den Zeitungsartikeln nur das über die Eltern geschrieben werden, was andere berichten. Gründe, sich mit den „Möglichkeiten und Grenzen der Elternarbeit bei Kindern mit Migrationshintergrund in der Grundschule“ zu beschäftigen, gibt es also reichlich. Die Zielsetzung dieser Hausarbeit ist die Auseinandersetzung mit der Problematik der Elternarbeit mit türkischen Eltern in der deutschen Grundschule. Sie soll einen Überblick über die spezifische Situation der türkischen Arbeitsmigranten und deren Kinder in Deutschland bieten und die daraus resultierenden Probleme in der deutschen Gesellschaft, speziell mit der deutschen Grundschule, darstellen. Eine Migration bedeutet nicht automatisch die Integration in gesellschaftliche Bereiche wie die Schule. Dieser Sachverhalt soll die Basis für die Themenstellung der vorliegenden Arbeit sein, wobei der Schwerpunkt auf türkische Migranten gelegt wird, die mit 3,2 % die größte nationale Gruppe der Migranten in der 7
BRD bilden. Am Beispiel von deutschen Grundschulen und türkischen Migrantenkindern bzw. Schülern soll verdeutlicht werden, wie eine Integration in das deutsche Gesellschaftssystem ermöglicht wird. Das soll mit den Möglichkeiten und Grenzen der Elternarbeit in deutschen Grundschulen und Kindern mit Migrationshintergrund dargestellt werden. Um der Komplexität dieser Aufgabenstellung gerecht zu werden, bietet es sich an, diese Hausarbeit in vier Teile zu untergliedern. Zur Darstellung der Spezifika der Probleme der Elternarbeit mit türkischen Migranten in der Grundschule, ist ausführlich auf die Historie der Migration und die Lebenssituation der hier lebenden Migranten einzugehen. In Kapitel 2 wird die Situation der Eltern der ersten Generation in der BRD geschildert. In diesem Zusammenhang werden die Probleme behandelt, die durch die Migration verursacht worden sind und wie diese sich auf die Elternarbeit auswirken können. Die Kinder der türkischen Arbeitsmigranten der ersten Generation bilden die Elternschaft der dritten Generation. Wie die Eltern der zweiten Generation in der Migrationssituation aufwachsen und leben, wird in Kapitel 3 erläutert. Auch hier werden die Probleme, mit denen die Migranten konfrontiert werden und deren Auswirkungen auf die Elternarbeit dargestellt. Im Folgenden Abschnitt wird anhand der Integrationsproblematik in der Schule die Wichtigkeit der Elternarbeit betont. Daran anschließend werden die Grundlagen, Zielsetzungen und Handlungsvorschläge zur Kooperation zwischen deutschen Grundschulen und türkischen Eltern vorgestellt. Letzteres erfolgen Pädagogische Konsequenzen und Ausblicke zu Möglichkeiten und Grenzen der Elternarbeit bei Kindern mit Migrationshintergrund in der Grundschule. Die formale Gestaltung dieser Hausarbeit weist einige spezielle Charakteristika auf, die den ungestörten Lesefluss erleichtern sollen. So wird innerhalb der Arbeit durchgängig die maskuline Form der Wortart gewählt, wenn beide Genera auftreten. Wird eine nur auf männliche Personen beschränkte Geschlechtsform benötigt, wird dies entweder aus dem Zusammenhang deutlich oder es wird explizit auf die Eindeutigkeit verwiesen. Eine Diskriminierung ist damit keinesfalls beabsichtigt. Da sich diese Arbeit auf die Situation in der Bundesrepublik Deutschland bezieht, sind einige allgemeingültige Worte auf dieses Land bzw. die deutsche Gesellschaft beschränkt, wie Aufnahmeland – BRD, Aufnahmegesellschaft – deutsche Ge8
sellschaft, Inländer – Deutsche, Ausländer – Nicht Deutsche, Migrant – Person, die in die BRD immigriert ist, Zweitsprache – Deutsch, Schule – deutsche Schule etc. Die Umschreibung Kinder der Arbeitsmigranten sind Sohn und Tochter. Dies schließt zunächst einmal die zweite Generation der Migranten ein. Da ein Großteil der Ergebnisse der Untersuchung der Problemfelder und Konflikte der zweiten Generation jedoch auch auf die dritte Generation übertragbar ist, sind die Enkelkinder der ursprünglichen Migranten mit inbegriffen. Ein Einbezug von anderen Ausländergruppen z. B. Asylanten in die Untersuchungen erscheint nicht sinnvoll, da die Problemfelder der Heranwachsenden aus diesen Gruppen sich deutlich von denen der Kinder der Arbeitsmigranten unterscheiden. Ziel der Arbeit mit dem Titel „Möglichkeiten und Grenzen der Elternarbeit bei Kindern mit Migrationhintergrund in der Grundschule“ ist es, einen Überblick über die spezifische Situation der türkischen Arbeitsmigranten und deren Kinder in Deutschland zu bieten und die daraus resultierenden Chancen und Risiken in der deutschen Gesellschaft und mit der deutschen Grundschule zu geben.
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DIE SITUATION DER ELTERN AUS ERSTER MIGRATIONSGENERATION
Die türkischen Arbeitsmigranten, die seit mehr als 30 Jahre in Deutschland leben, bilden die Elterngeneration der türkischen Kinder, die in Deutschland die Schulen besucht haben bzw. noch besuchen. In diesem Kapitel soll die Migrations-, Beschäftigungs- und Wohnsituation beschrieben werden. Im Folgenden werden die sozialen Situationen im Herkunftsland sowie die Familienstruktur, die Rollenverteilung und die Religion erläutert. Die Lebensweisen und Ansichten türkischer Migranten zeigen zum Teil, warum diese Eltern mit der Schule nicht zusammenarbeiten können oder wollen. Mit ihrer Erziehung, d. h. der Übertragung der kulturellen Werte, Traditionen, Sitten und der Religion auf ihre Kinder, ist die mangelnde Kooperation zwischen der deutschen Grundschule und den Eltern der zweiten Generation zum Teil erklärbar.
2.1
Arbeitsmigranten der ‚ersten Generation’
Als erste Generation werden heute die Gastarbeiter bezeichnet, die bis zum Anwerbestopp (1973) in die BRD kamen (vgl. TREIBEL 1990, S. 129 ff.). Um auf die Entstehung der Migration der türkischen Arbeitnehmer näher einzugehen, soll zunächst der Begriff Migration erläutert werden. Der Begriff Migration wird folgendermaßen definiert: „Auf Dauer angelegte Wanderbewegungen von Menschen oder Bevölkerungsgruppen innerhalb oder zwischen den Gesellschaften bzw. Staaten, bei denen sich i.d.R. mit der räumlichen auch soziale und kulturelle Veränderungen für die Betroffenen und später auch die aufnehmenden Gesellschaften bzw. Staaten ergeben.“(SCHAUB / ZENKE 2000, S.385) Der Migrationsbegriff wird in räumliche und zeitliche Aspekte, in Wanderungsentscheidungen und -ursachen sowie in den Aspekt des Umfangs konkretisiert und differenziert (vgl. TREIBEL 1990, S. 19). Die Gastarbeiter waren ‚freiwillige’ Migranten, die aufgrund verschiedener Aspekte nach Deutschland eingewandert sind. Bei der Wanderung der Gastarbeiter handelt es sich um eine internationale bzw. externe Wanderung. „Die Begriffe Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter dienen als Bezeichnung für die Zuwan10
derergruppe der ersten Phase der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik.“ (ebd., S. 116) Die Migration der Gastarbeiter in die BRD fand ihre Begründung einerseits in der Arbeitslosigkeit und Armut im Herkunftsland, andererseits bestand auch die Absicht, die besseren Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse im Einwanderungsland zu nutzen. Allerdings wurde aus Sicht des Aufnahmelandes die Beschäftigung der Migranten ausschließlich abhängig gemacht „von der wirtschaftlichen Situation in Deutschland und somit von der Lage der deutschen Arbeiter.“ (TERKESSIDIS 2000, S. 13) Die Gastarbeiter hatten die Absicht ca. 4-5 Jahre in Deutschland zu arbeiten und später in ihr Land zurückzukehren. Der Grad der Sesshaftigkeit der Gastarbeiter wurden jedoch unterschätzt. Viele haben sich aus verschiedensten Gründen entschlossen in der BRD zu bleiben: das gesparte Geld reichte bei vielen für die Pläne in der Heimat nicht aus, andere stiegen innerhalb der Betriebe auf und weitere blieben wegen ihrer Kinder im Gastland. Aus den beabsichtigten fünf Jahren wurden somit 20 Jahre und mehr.
2.1.1 Entwicklung der Arbeitsmigration in der BRD „Man rief Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ (Max Frisch) (EICHBERG 1979, S. 88). Bereits seit Mitte der 50er Jahre sind Ausländer aus dem Mittelmeerraum als Arbeitskräfte von der BRD angeworben worden, so beispielsweise aus Italien, Spanien und der Türkei. Trotz der großen Zahl von Vertriebenen und Flüchtlingen reichte die erwerbsfähige deutsche Bevölkerung nicht aus, um das wachsende Sozialprodukt zu erarbeiten. Die nach der Währungsreform auf Expansion ausgerichtete Wirtschaftspolitik führte zu einem stark wachsenden Arbeitskräftebedarf, der die BRD zu einer starken Wirtschaftsmacht heranwachsen ließ und zu einem Magnet für Gastarbeiter wurde (vgl. ÖZDEMIR 1999, S. 75 ff.). 1960 wurde ein Anwerbevertrag mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei, 1963 mit Marokko, 1965 mit Tunesien und 1968 mit Jugoslawien unterzeichnet. Im Zeitraum von 1961 bis 1971 erfolgte die stärkste Anwerbung und Zuwanderung ausländischer Arbeiter.
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Abbildung 1 (eigenerstellt): Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland (Angaben in Prozent) (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT. Fachserie 1 Reihe 1.3 „Bevölkerungsfortschreibung 2004“. 2005)
Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland (Angaben in Prozent) 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 1951 1967 1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003
Abbildung 1 verdeutlicht einen rapiden Anstieg der Anzahl der Gastarbeiter bis 1973. Darüber hinaus wurden zu Beginn der 70er Jahre die Ansiedlungs-Regelungen zur ‚Familienzusammenführung’ aus Mitte der 60er Jahre genutzt, um zumeist Frauen und Kinder nachkommen zu lassen. Der wirtschaftliche Wendepunkt der Ausländerbeschäftigung wurde im Laufe des Jahres 1973 erreicht. Der 23. November 1973 brachte schließlich den großen Einschnitt, den ‚Anwerbestopp’ und damit das endgültige Ende des Konzeptes ‚Gastarbeit’. Mit dem „Anwerbestopp wurde der weitere Zustrom von Gastarbeitern aus Nicht-EG-Ländern ganz abgeschnitten.“ (HERBERT, 1986, S. 219) Der Anwerbestopp wurde vor allem durch die schwierige Situation, die durch die so genannte Ölkrise entstanden war, begründet. Doch die Ölkrise spielte kaum eine Rolle (vgl. ebd., S. 219). Die Regierung versprach sich vom Anwerbestopp eine Rückwanderungswelle. In den folgenden zwei Jahren gingen tatsächlich eine halbe Million Arbeitskräfte zurück (vgl. Abb. 1), jedoch wurde die Sesshaftigkeit von den Behörden unterschätzt und viele blieben aus verschiedenen Gründen in der BRD (vgl. 2.1 Arbeitsmigranten der ‚ersten Generation’).
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2.1.2 Beschäftigungssituation der ausländischen Arbeitskräfte in der BRD Zu Beginn der Arbeitsmigration 1966 waren 90 % der ausländischen Männer als Arbeiter beschäftigt, davon waren 72 % an- oder ungelernte Arbeiter (vgl. HERBERT 1986, S. 200). Die höchsten Ausländerquoten waren und sind im Baugewerbe, in der Eisen- und Metallindustrie sowie im Bergbau zu verzeichnen. Ausländer erhielten im Vergleich zu deutschen Arbeitern aufgrund der niedrigen Qualifikation oder Einstufung niedrigere Löhne. Die Arbeitsmigranten wurden häufig in Bereichen mit schwerer und schmutziger Arbeit sowie mit Akkordlohn, mit Schichtsystemen bzw. mit seriellen Produktionsformen mit Qualifikationsanforderungen (Fließbandarbeit) eingesetzt. Vorwiegend beratende Tätigkeiten und kundennahen Verkauf (z. B. Banken und Versicherungen) führen Ausländer demgegenüber auch heute noch selten aus (vgl. THRÄNHARDT 1994, S. 77). Eine niedrige berufliche Qualifikation betrifft nicht nur die erste Einwanderungsgeneration, die für unqualifizierte Tätigkeiten angeworben wurde, sondern auch die zweite Generation der Ausländer ist durchschnittlich schlechter qualifiziert. Obwohl sich die Ausbildungssituation von Ausländern innerhalb der 80er Jahre deutlich verbesserte, liegt die Quote der ausländischen Jugendlichen, die eine Ausbildung absolvieren, deutlich unter dem Wert von deutschen Jugendlichen (ausländische Jugendliche ca. 40 % deutsche Jugendliche ca. 80 %) (vgl. ebd., S. 192). Die meisten türkischen Arbeitsmigranten waren zum Teil in an- und ungelernten Tätigkeitsbereichen beschäftigt. Sie verfügten meistens gar keine oder wenig Deutschkenntnisse. Darüber hinaus hatten sie wegen des niedrigen Beschäftigungsstatuses eine geringe soziale Anerkennung in der Gesellschaft. Aufgrund dessen haben sie hohe Bildungserwartungen an ihre Kinder (vgl. 4.2 Entwicklung der Zahl der ausländischen Schüler an deutschen Schulen), um ihnen über die Schulbildung zu einem höheren sozialen Status verhelfen zu können. Diese Bildungserwartungen der Eltern gehen meistens nicht in Erfüllung, da sie wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnisse ihre Kinder bei schulischen Anforderungen, wie z. B. bei den Hausaufgaben, nicht unterstützen können. Eine private Hausaufgabenhilfe
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ist wegen des geringen Verdienstes nicht möglich. Der niedrige Beschäftigungsstatus der türkischen Arbeitsmigranten wirkt sich auf die Kooperation der Eltern mit der deutschen Grundschule aus.
2.1.3 Wohnsituation in der BRD Neben dem wirtschaftlichen Vorteil beanspruchten die Gastarbeiter auch keinen besonderen Wohnraum. Sie wohnten 1962 in Gemeinschaftsunterkünften, die entweder von den Betrieben, welche die Ausländer beschäftigten oder von den Behörden, Wohlfahrtsverbänden oder Privatpersonen unterhalten wurden (vgl. HERBERT 1986, S. 202). „Oftmals waren es dann auch die gleichen Unterkünfte, die früher zur Unterbringung der Zwangsarbeiter gedient hatten.“ (ÖZDEMIR 1999, S. 32) Die schlechte Wohnsituation der Gastarbeiter wurde nach außen sichtbar. Da die Unterkünfte als eine vorübergehende Entbehrung in der Fremde gesehen wurden, bezogen die Gastarbeiter in erster Linie kleinere Wohnungen, auch um einen möglichst hohen Anteil des Lohnes sparen zu können. Als sie jedoch ihre Familien nach Deutschland holten, wurden ihnen ihre Wohnungsverhältnisse bewusst. In einer Befragung türkischer Haushalte aus dem Jahre 1980 wurde festgestellt, dass die Wohnungen zu klein sind und die befragten Haushalte eine größere Wohnung beziehen wollen (vgl. KULA, 1986, S.152). Die Wohnsituation von türkischen Migranten lässt sich im Wesentlichen durch eine hohe Konzentration von Einwandererfamilien in einigen Straßenzügen und Straßenblöcken charakterisieren. Diese Konzentration von Einwandererfamilien in bestimmten Städten oder Stadtteilen wird auch als ethnischkulturelle Segregation bezeichnet (vgl. DELIGÖZ, 1999, S. 16 ff.). „Voraussetzung für eine Segregation ist das Bestehen einer Majorität und einer Minorität, die sich in ethnischen Zusammengehörigkeitsmerkmalen unterscheiden.“ (ebd., S. 16) Die ethnischen Zusammengehörigkeitsmerkmale können z. B. die Sprache, Religion, Abstammung und der Lebensstil sein. Bei der Auswahl des Wohnortes spielen für die türkischen Arbeitsmigranten einerseits beschäftigungsorientierte Gesichtspunkte und andererseits die ethnischen Zusammengehörigkeitsmerkmale, wie die türkische Nachbarschaft, eine bedeutende Rolle. „Tatsächlich findet man Migranten und ihre Nachkommen in Deutschland relativ sehr stark in bestimmten Regionen und Städten konzentriert (...)“ (TERKESSIDIS 2000, S. 27). Diese räumliche 14
Konzentration wird im Hinblick auf die Integration der ‚zweiten Generation’ dahingehend als Problem gesehen, als von einer gefährlichen Ghettobildung gesprochen wird (vgl. ebd., S. 28 ff.). Durch schlechte Wohnraumversorgung, fehlende Infrastrukturmaßnahmen, ungünstige Wohnumfeldbedingungen sowie durch ungleiche Lebenschancen in der Alltagsbewältigung können insbesondere Kinder und Jugendliche von Einwandererfamilien auch daran hindern, Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten wahrzunehmen (vgl. Kapitel 3.2.1 Ausgewählte Aspekte der familiären Sozialisation). Die aufgeführten Aspekte haben nicht nur Konsequenzen auf die allgemeine Wohnsituation der türkischen Migranten, sondern beeinflussen mittlerweile auch die Elternarbeit. Bei der Auswahl des Wohnortes wird ersichtlich, dass sich die türkischen Arbeitsmigranten aus den verschiedensten Gründen in Gebieten ansiedeln, wo viele Landsleute (türkische Mitbürger) wohnen. Da sie sich mit ihnen in der gleichen Sprache verständigen können, suchen sie nur mäßigen Kontakt zu der deutschen Bevölkerung. In Kapitel 2.3 Integration der Gastarbeiter in die deutsche Gesellschaft wird näher auf diese Thematik eingegangen. Durch den geringen Kontakt zur deutschen Gesellschaft wird die deutsche Sprache nicht als Verständigungsmittel genutzt, zumal zu Beginn wegen der hohen Rückkehrabsicht und der zunächst fehlenden Zukunftsperspektive in der BRD die Motivation fehlte, die deutsche Sprache zu erlernen. Die fehlenden Sprachkenntnisse führten wiederum zur fehlenden Kooperation mit der deutschen Gesellschaft und zu einer geringen Partizipation, wie beispielsweise am Schulleben.
2.2
Soziale Situation der Arbeitsmigranten und ihrer Familien
Im Folgenden Verlauf soll eine Darstellung über die Situation der Gastarbeiter in der BRD gegeben werden. Dieses Kapitel soll dem Leser einen kleinen Einblick in die Anpassungsschwierigkeiten und Verständigungsmöglichkeiten türkischer Gastarbeiter in der BRD geben und die daraus resultierenden Aspekte für die Kooperationsbereitschaft zur Elternarbeit darstellen.
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2.2.1 Familienstruktur Die meisten türkischen Gastarbeiter – etwa 80 %, die in die BRD eingewandert sind – stammen aus den Gebieten West-Anatolien, MittelAnatolien, Ankara, Istanbul und dem europäischen Teil der Türkei (vgl. CROPLEY 1979, S. 41). Die meisten von ihnen lebten unmittelbar bevor sie in die BRD kamen, entweder in einer der größeren Städte der Türkei oder stammten aus einem ärmeren ländlichen Gebiet. Die früher in der Türkei dominante Familienform, die Großfamilie, wird in der Gegenwart sowohl in den Städten als auch in den ländlichen Gebieten nach und nach durch die Kleinfamilie ersetzt. Vergleicht man jedoch einen ausländischen Haushalt mit einem deutschen, so sind in Relation zu der deutschen Familie in dem ausländischen Haushalt eine durchschnittlich höhere Geburtenrate und eine größere Personenzahl feststellbar (vgl. THRÄNHARDT 1999, S. 115). Da Mehrpersonenhaushalte gegenüber kleineren Haushalten strukturell benachteiligt sind, fällt das Pro-Kopf-Einkommen ausländischer Haushalte vergleichsweise gering aus. Es gilt hierbei tendenziell: je größer die Zahl der Haushaltsmitglieder, desto geringer das Pro-Kopf-Einkommen (vgl. ebd., S. 120). Die meisten Familien, die aus den ländlichen Gebieten der Türkei stammen, orientieren sich nach KULA 1986 an traditionellen Werten. „Zu den traditionellen Wertorientierungen in der türkischen Familie, auf deren Grundlage die Kommunikations- und Interaktionsstrukturen der modernen türkischen Familie kenntlich gemacht werden können, gehören z. B. die Ehre [Unter der Ehre wird entweder die sexuelle Enthaltsamkeit der Frau vor der Ehe oder die eheliche Treue verstanden.] der Frau, die Dominanz des Ehemannes/ Vaters nach außen, die untergeordnete Position der Frau, gute Verwandtschafts- und Nachbarschaftsbeziehungen, die Solidargemeinschaft mit allen Vor- und Nachteilen (...)“ (KULA 1986, S. 116). Diese traditionellen Wertvorstellungen dürfen natürlich nicht verabsolutiert werden, da sie einem gesellschaftlichen und individuellen Wandel unterliegen.
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„Viele Arbeiterfamilien, die schon lange in der Bundesrepublik leben, haben aber die Veränderungen in der Türkei nur am Rande erfahren. Oftmals sind sie mehr im traditionellen Denken verhaftet als Familien, die die Entwicklung in den Städten der Heimat miterlebt haben.“ (ebd., S. 120) Für die Arbeitsmigranten ist festzustellen, dass sie im familiären Bereich noch sehr stark an den traditionellen Wertvorstellungen festhalten. Bei den Familien, die sich an diesen orientieren, bildet der Mann das Oberhaupt der Familie. Der Vater hat eine lebenslange Dominanz, dessen Autorität auch dann nicht angezweifelt wird, wenn die Söhne schon erwachsen sind (vgl. RENNER 1975, S. 118). Diese beherrschende Rolle macht sich dadurch bemerkbar, dass sich die Familie gegenüber dem Vater respektvoll verhält. „Der allgemein entgegengebrachte Respekt ist das zunächst wahrnehmbare Attribut der väterlichen Rolle, viel bedeutsamer aber ist die unangezweifelte Entscheidungskompetenz in allen wichtigen Fragen, die die Familie betreffen…“ (ebd., S. 120) Wenn der Vater mit deutschsprachigen Personen in Kontakt, z. B. einer Behörde kommt, so verliert er seine Vertreterfunktion nach außen, da die meisten türkischen Arbeitsmigranten wenig Deutschkenntnisse haben. „Die Jugendlichen werden als Dolmetscher zur deutschsprachigen Außenwelt eingesetzt und gewinnen dadurch eine Rolle, die im Herkunftsland dem Vater als Verbindungsglied FamilieAußenwelt zustand.“ (VIEHBÖCK / BRATIC 1994, S. 96) Hier erfolgt eine Veränderung des Rollenverständnisses im Aufnahmeland. Den Familien mit den traditionellen Wertorientierungen wird auch die Unterordnung der Frau zugeschrieben. Wie bereits erwähnt ist der Mann bzw. der Vater nach traditionellen Wertorientierungen der Repräsentant der Familie. Er vertritt die Familie auch in der Schule. Falls er jedoch wegen Schichtarbeit oder anderer Gründe nicht an Elternabenden oder an schulischen Versammlungen teilnehmen kann, dann ist in den meisten Fällen keine Vertretung der türkischen Eltern in der Schule vorhanden. Aufgrund von Eheschließungen der zweiten Generation mit Partnern aus der Türkei wiederholen sich teilweise die Sprachschwierigkeiten der ersten Generation. 17
Das heißt wiederum, dass die Elternschaft der zweiten Generation auch Probleme in der Kooperation mit der deutschen Grundschule hat. Da die ersten Generationen als Vorbild für die nachfolgenden Generationen gesehen werden, setzen sich die eben aufgeführten Probleme in der Elternarbeit an Grundschulen fort, so beispielsweise an Elternabenden und –sprechtagen (vgl. 5.2.1 Der Elternabende / 5.2.3 Das Elterngespräch).
2.2.2 Religion In Deutschland bildet der Islam insgesamt die drittgrößte Religionsgemeinschaft neben den beiden christlichen Konfessionen. „Das Wort Islam ist arabisch und bedeutet etwa ‚Ergebung in den Willen Gottes’.“ (ŞEN / GOLDBERG 1994, S. 75) Im Koran sind Botschaften, die Allah Mohammed (Friede sei mit ihm) offenbart hat. Was die Religion vorschreibt und wie sie ausgelebt wird, sind zwei unterschiedliche und voneinander getrennte Tatsachen. Dies wird auch an der Auslebung des Islam in der türkischen Gesellschaft deutlich. Die religiöse Erziehung und die Wahrung des Herkunftsbewusstseins sind eng miteinander verbunden. Hinzu kommt, dass der Islam für Gläubige eine Stabilität in der als fremd empfundenen Umwelt bietet (vgl. KÖNIG 1989, S. 242 f.). Ein Trend der Rückbesinnung auf die religiös-kulturelle Tradition ist seit Beginn der 80er Jahre innerhalb der türkischen Bevölkerung in der BRD zu verzeichnen (vgl. ebd., S. 242). In der Kindeserziehung spiegelte sich diese Rückbesinnung durch die steigende Beliebtheit der Koranschulen wider. Dort werden die Kinder durch einen Hoca unterrichtet. [Ein Hoca ist ein Korangelehrter in der Moschee. Es handelt sich hierbei um einen Korangelehrten, der oftmals keine pädagogische, sondern nur eine begrenzte theologische Qualifikation besitzt.] Damit wurde den Kindern jedoch die Zeit genommen, die sie zum Erledigen der Hausaufgaben oder für freizeitliche Aktivitäten nutzen konnten. Einerseits beinhaltete die traditionell religiöse Erziehung das pragmatische Ziel der Aufrechterhaltung der Familienstruktur, andererseits befürchteten türkische Eltern von Nachbarn, Bekannten oder Verwandten als ‚ungläubig’ eingeschätzt zu werden (vgl. ebd., S.100 ff.). Für deutsche Jugendliche ist die Religion weniger von Bedeutung. Dieser Bedeutungsverlust religiöser Normen innerhalb der deutschen Gesellschaft wird als Folge der Individualisierung angesehen (vgl. WINGEN 1997, 18
S. 86), die in den Teilen der türkischen Bevölkerung weniger ausgeprägt zu beobachten ist. So entstehen unterschiedliche Erwartungsstrukturen zwischen dem deutschen Umfeld und türkischen Kindern bzw. Jugendlichen.
2.3
Integration der Gastarbeiter in die deutsche Gesellschaft
In diesem Kapitel soll untersucht werden, ob die Gastarbeiter bzw. die türkischen Arbeitnehmer in die deutsche Gesellschaft integriert worden sind und wenn ja, inwiefern das erfolgt ist, ob es überhaupt Integrationsversuche gab und wie sie realisiert wurden. Vorab soll eine kurze Begriffsdefinition gegeben werden. Soziologisch gesehen ist eine Integration [Integration (lat. integratio Erneuerung, Wiederherstellung eines Ganzen; engl. Integration ) bedeutet zunächst allgemein die Eingliederung von Menschen in gesellschaftliche Systeme, so z. B. von Einzelpersonen in Gruppen, von Gruppen in ein Gesellschaftssystem oder Vereinigung von Gesellschaftssystemen (vgl. SCHAUB / ZENKE 2000, S. 275)] von Gruppen in das Kollektiv eine Eingliederung, die ausschließlich darauf bedacht ist, das reibungslose Funktionieren eines gesellschaftlichen Systems zu ermöglichen. Eine Integration stünde also nach dieser Sicht nicht mit einer Assimilation [Assimilation (lat. assimulare ähnlich machen, nachahmen, engl. assimilation): Prozess der Angleichung einer Mehrheit an die Normen und Werte der sozialen Umgebung mit anderer kultureller Tradition. Bei sich über längere Zeit hinziehenden Angleichungsprozessen besteht für die ausländische Gruppe die Gefahr, ihre kulturelle Eigenart und Identität zu verlieren. Andererseits ist die Assimilation an die soziale Umgebung häufig mit der Übernahme der Normen und Werte einer Kultur verbunden, so dass von Integration und neuer Identitätsentwicklung gesprochen werden kann. (vgl. SCHAUB / ZENKE 2000, S. 47)], der kulturellen Eigenständigkeit und der Besetzung struktureller Positionen durch die Minderheit in Verbindung. Die Integration von Minderheiten entspricht also allgemein einer Eingliederung dieser Gruppen in die gesamte Gesellschaft unabhängig von den Umständen (vgl. ESSER 1984, S. 179 ff.). „Als sozialpolitischer Begriff mit Bedeutungsvielfalt tritt Integration in der Diskussion um Programmatik und Praxis gegenüber Einwanderungsminderheiten auf (...). Dabei kann Integra19
tion normativ auf die vollständige Anpassung vor allem an Normen und Werte der Aufnahmegesellschaft zielen. Sie entspricht dann dem Begriff der Assimilation. Ebenso bezeichnet Integration die ökonomische, politische und rechtliche Gleichstellung der Einwanderungsminderheiten unter Bewahrung deren kultureller Eigenständigkeit.“ (KERBER / SCHMIEDER 1984, S. 266) Trotz der grundsätzlich unterschiedlichen Bedeutung der Begriffe Integration und Assimilation wird der Begriff der Integration zum Teil synonym zum Begriff der Assimilation verwendet. Der Prozess der Assimilation beschreibt eine Angleichung hinsichtlich des kulturellen Bereichs, des Bewusstseins und des Verhaltens eines Migranten an die Gesellschaft des Aufnahmelandes. Der Migrant gliedert sich demnach in die Aufnahmegesellschaft ein und gibt seine bisherige kulturelle Identität auf (vgl. ESSER 1984, S. 179 ff.). Assimilation ist somit allenfalls ein spezieller Modus einer Integration – Integration ist jedoch auch ohne Assimilation denkbar. Andersherum geschieht zumeist im Verlauf der Integration eine Anpassung. Es sind jedoch verschiedene voneinander unabhängige Integrationsarten (vgl. ebd., S. 179). Der Wanderungssoziologe TAFT unterscheidet beispielsweise in seinem Integrationsmodell folgende Arten der Eingliederung (hier nach: DELIGÖZ 1999, S. 24): ●
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monoistische Eingliederung: die Minderheit gibt ihre Identität völlig auf und gliedert sich in die Aufnahmegesellschaft ein (entspricht der Assimilation). pluralistische Eingliederung: es herrscht der Zustand einer Koexistenz der ethnischen Gruppen. Alle beteiligten Gruppen behalten ihre kulturelle Identität bei. interaktionistische Eingliederung: beidseitige Akzeptanz und Übereinstimmung der Aufnahmegesellschaft und der aufzunehmenden Minderheit als Folge von Interaktionen und Kommunikation.
Die soziale Integration wird also so verstanden, dass die „ausländischen Mitbürger während ihres Aufenthaltes in Deutschland unter menschenwürdigen Bedingungen leben und ihre personale und berufliche Zukunft selbst wählen können. Sie
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setzt also die gleichberechtigte Teilhabe der Ausländer am gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland voraus.“ (GEIßLER 1982, S. 34) Integration soll aber nicht so verstanden werden, dass die Gastarbeiter ihre Kultur aufgeben und die fremden Lebensbedingungen vollkommen übernehmen. Vielmehr soll darunter verstanden werden, dass die Ausländer ihre kulturelle Eigenständigkeit bewahren und andere Kulturen als Bereicherung ansehen. Die Integration verlangt von den ‚Inländern’ die Akzeptanz und Toleranz der Andersartigkeit. Das schließt die Offenheit für kulturelle Begegnungen ein. Das Nebeneinander verschiedener Bräuche und Kulturen muss kein Ärgernis sein, es kann vielmehr auch als eine Bereicherung durch Vielfalt erlebt werden. Zur Zeit der Anwerbung und einige Jahre danach war noch nicht die Rede von Integration, obwohl bereits 1964 zu erkennen war, dass die Gastarbeiter sesshaft werden würden; da jeder fünfte bereits seit mehr als drei Jahren in Deutschland beschäftigt war (vgl. MEIER-BRAUN / PAZARKAYA 1983, S. 108). Der größte Teil der Ausländer kam bis Ende der 60er Jahre in die BRD. Das überproportionale Ansteigen der Gesamtzahl der Ausländer seit Beginn der 70er Jahre weist darauf hin, dass zu diesem Zeitpunkt ein qualitativer Sprung in der Motivation für den Aufenthalt in der BRD erfolgt ist. „Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre es notwendig gewesen, eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte ausländerpolitische Konzeption zu erarbeiten und die Politik daran zu orientieren. Da dies nicht geschah, wird heute eine Diskussion geführt, die zum Teil anachronistische Züge trägt.“ (GEIßLER 1982, S. 150) Die erste Generation der Gastarbeiter „war in der Anfangsphase ihres jeweiligen Aufenthaltes weder integriert noch partiell assimiliert.“ (TREIBEL 1990, S. 102) Mit dem Anwerbestopp wurde der weitere Zustrom von Gastarbeitern aus Nicht-EG-Ländern ganz abgeschnitten. Als sich herausstellte, dass sich das Sparvorhaben kurz- oder mittelfristig nicht verwirklichen lassen würde, begannen die Migranten ihre Familien nachzuholen. Mit dem Familiennachzug verließen die Migranten die Arbeiterwohnheime und wurden Nachbarn der deutschen Bevölkerung. „Ihre Kinder tauchen in Kindergärten, Schulen und Lehrstellen auf. Ihre Familien bevölkerten die Straßen und 21
Läden.“ (DELIGÖZ 1999, S. 1) Eine Integration fand dennoch nicht statt. Die Wohnverhältnisse der türkischen Gastarbeiter waren nicht gut. Sie suchten einerseits günstige Wohnungen, da sie immer noch in dem Glauben lebten, in der Zukunft in ihre Heimat zurückzukehren. Andererseits aber wollten die Gastarbeiter, die ansässig wurden, größere Wohnungen beziehen. Die kulturelle und soziale Segregation der türkischen Migrantenbevölkerung ist zum Teil auch dadurch bedingt, dass ein Teil von ihnen, die Vorurteile und Schmähungen durch einen Teil der deutschen Gesellschaft nicht überwinden konnte und demnach die Nähe zu den Landsleuten suchte. Sie hofften ihre Schmerzen und Sehnsüchte nach der alten und vertrauten Heimat dadurch lindern zu können. Ein Arbeiter berichtet über seine Erfahrungen mit Deutschen folgendermaßen: „Echt von den Deutschen hab’ ich keine Ahnung, nichts mit zu tun! Weder kennen sie mich, noch ich sie! Bei uns in Altinova [Gemeint ist ein Stadtteil Altona in Hamburg] wohnen Türken. Es gib auch Deutsche, aber ihre Reden, ihre Sprache dringt nicht zu uns.“ (AKÇAM 1982, S. 57) Die sprachlichen Kontakte zwischen den Gastarbeitern und der deutschen Bevölkerung waren reduziert auf einige wenige standardisierte Lebenssituationen; BARKOWSKI nennt hierzu z. B. den Arztbesuch, den Behördenkontakt, das sachliche small-talk-Gespräch am Arbeitsplatz, die Einkaufssituation, die rituellen Grußformeln im Treppenhaus und der Kantine (vgl. SEIBEL-ERNDT / ŞÖHRET 1999, S. 22). Eine Migrantin beschreibt Versuche zur Kontaktaufnahme: „Unsere Nachbarn waren fast immer Deutsche. Ich habe es mir schon immer gewünscht, aber es nicht fertig gebracht, normale Nachbarschaftsbeziehungen zu schaffen. (...) Wenn du ihnen auf der Treppe begegnest, hörst du gerade ‚Morgen’ oder ‚Moin ’, und schon sind sie weg. Ihre Höflichkeit ist auch nicht echt. Beim Grüßen schauen sie einem nicht einmal ins Gesicht.“ (AKÇAM 1982, S. 199) Gegen mangelnde Deutschkenntnisse wurde seinerzeit, ungeachtet der Tatsache, dass die Sprache eine wichtige Voraussetzung zur Integration ist, sowohl seitens der deutschen Behörden als auch seitens der Gastarbeiter nicht viel unternommen. Mit den mangelnden Sprachkenntnissen entstan22
den auch Probleme im Umgang mit deutschsprachigen Personen sowie gleichermaßen mit Behörden etc. Diese wurden zu Beginn mit Hilfe eines Dolmetschers behoben und später diese Dolmetscherfunktion inoffiziell auf die in der BRD zur Schule gehenden Kinder übertragen. Der Kulturkontakt und die Sprachkenntnisse sind Voraussetzungen für die Integration. Zu jener Zeit beides fehlte, kann man von einer Integration der ersten Generation nicht sprechen. Dies wirkte sich natürlich auf die Erziehung der nachfolgenden Generationen aus. In Kapitel 3 soll detailliert darauf eingegangen werden. Die deutsche Gesellschaft wollte sich lange nicht zugestehen, dass aus den Gastarbeitern Einwanderer geworden sind. „Diese Haltung ist seit über 20 Jahren mit der Entscheidung festgelegt: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Die Ausländer sind nur vorübergehend hier.“ (PODRIGUEZ 1983, S. 30) Bislang hatte die Bundesregierung von Gastarbeitern gesprochen. „Bei dieser Haltung werden Integration, Toleranz, Partnerschaft und Dialog gewiss nicht stattfinden, auch wenn viel darüber geredet wird.“ (ebd.) Seit ihrer Ankunft wurde im Aufnahmeland nicht viel verändert. Sie sind immer noch konfrontiert mit schlechten Wohnverhältnissen, fehlender Sprachkompetenz, mangelhafter Schul- und Berufsausbildung, mit einer fremden Kultur und einer Außenseiterposition in der deutschen Aufnahmegesellschaft. Aktuell kann zu den Sprachkompetenzen von Migranten gesagt werden, dass sich die Kompetenzen in der deutschen Sprache bei jungen Migranten deutlich besser sind, als die der älteren Generationen. In einer Studie sollten die türkischen Eltern ihre Sprachkenntnisse in beiden Sprachen einschätzen. Es ergibt sich, dass über die Hälfte die Sprachkompetenz in Deutsch schlecht bis mittelmäßig einschätzen, während 75 % die türkische Sprachkompetenz mit sehr gut / gut beurteilen. Die schlechteren Deutschkenntnisse sind feststellbar bei Älteren und gering qualifizierten Personen. Etwa 60 % derjenigen, die ihre Kenntnisse niedrig einschätzen, zeigen Interesse an einem Sprachkurs (vgl. SAUER / GOLDBERG 2001, S. 70 ff.). Zusammenfassend kann kurz wiedergegeben werden, dass die meisten türkischen Arbeitsmigranten aus den agrarisch-vorindustriell geprägten Gebieten kommen, dass sie sich vom Deutschen durch differente kulturelle Prägungen, sprachliche Fähigkeiten und religiösen Überzeugungen und die 23
Familienstrukturen unterscheiden (vgl. BISCHOF / TEUBNER 1991, S. 127). Diese Differenzen zeigen sich unter anderem in der Elternarbeit. Die subjektiven Faktoren, wie Gesellschaftsbild, Bildungsstand und die Verunsicherung durch die Migration können die Elternarbeit mit der deutschen Grundschule erschweren. Die meisten türkischen Arbeitsmigranten kennen nur das Schulsystem im Herkunftsland, so dass ihnen das deutsche System nicht geläufig ist. Ferner ist festzuhalten, dass durch die vormalige Rückkehrabsicht viele Arbeitsmigranten und ihre Familien die deutsche Sprache nicht erlernt haben. Auch wenn das Interesse bestand, hatten sie aus vielfältigen anderen Gründen keine Zeit und Kraft, systematisch die deutsche Sprache zu erlernen. Diese genannten Faktoren erschwerten die Zusammenarbeit, die zum Teil heute anhalten.
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3
DIE AUSLÄNDISCHEN KINDER, INSBESONDERE DIE TÜRKISCHEN KINDER: IHRE KONFLIKTE ZWISCHEN DEN KULTUREN „Die in den Aufnahmegesellschaften geborenen Gastarbeiterkinder bzw. -kindeskinder wurden und werden als zweite bzw. dritte Generation bezeichnet. In den 60’er Jahren hatte man nur mit einer Generation zu tun (...).“ (TREIBEL 1990, S. 129)
Die zweite und die folgenden Generationen werden als Folgegenerationen der Gastarbeiter gesehen. Diese Folgegeneration bildet heute zum Teil die Elternschaft. Deswegen ist es an dieser Stelle sinnvoll, über ihre Lebensweise und die sich daraus ergebende Problematik für die deutsche Grundschule bezüglich der Elternarbeit zu diskutieren.
3.1
Leben zwischen zwei Kulturen
Mit dem Eintritt in die Grundschule wird ein türkischer Schüler automatisch mit der deutschen und der türkischen Kultur konfrontiert, was eine nähere Definition des Kulturbegriffs begründet. Es scheint sich herauszustellen, dass türkische Schüler zwischen zwei Kulturen leben. Der Kulturbegriff umfasst „(...) die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Gemeinschaft, einschließlich der sie tragenden geistigen Haltungen. In diesem Sinne kann von der Kultur einer Gruppe, einer Familie, einer Schule, eines Betriebes usw. gesprochen werden, sofern jeweils spezifische Wertordnungen und Handlungsmuster ausgebildet worden sind. Die unabdingbare Voraussetzung der Entwicklung menschlicher Kultur ist die Sprache.“ (SCHAUB / ZENKE 2000, S. 337) Eine Gruppe oder eine Gesellschaft hat eine Kultur, die sich je nach den momentanen Lebensumständen verändert und ein sich entwickelndes Orientierungssystem ist. Sie basiert auf Traditionen, die von den Individuen der gleichen Gruppierung in ähnlicher Weise interpretiert werden. Die Differenz verschiedener Kulturen äußert sich durch Unterschiede in Orientierungen wie Normen, Werte, Traditionen, Religion etc. „Sie kann als sozia25
les Erbe der Generationen gesehen werden.“ (KELLETER 1997, S. 14) Die Kultur ist aber darüber hinaus auch als Brauchtum, Sitte und Gewohnheit erlern- und überlieferbar. Sie wird in dem Sinne nicht vererbt, wie Augenund Haarfarbe, sondern durch den sozialen Kulturkreis übertragen. Die Gesellschaft ist eng mit dem Begriff der Kultur verbunden, wobei sie sich gegenseitig ergänzen (vgl. ebd.). Kultur entsteht durch das Zusammenleben von Menschen, wobei das gesellschaftliche Leben erst durch kulturelle Verhaltensregeln ermöglicht wird. Die erste Generation der Arbeitsmigranten ist im Herkunftsland aufgewachsen und hat dort wichtige Teile des Sozialisationsprozesses erfahren. Das Verlassen des sozialen Bezugsraumes hat für sie auch einen Wechsel des kulturellen Umfeldes nach sich gezogen. Die zweite Generation hat einen anderen Sozialisationsprozess erfahren als die erste. Ein Teil der zweiten Generation ist in der Türkei geboren und bis zu einem bestimmten Alter unter Obhut eines Elternteils bzw. eines Verwandten dort aufgewachsen und später in die BRD immigriert. Ein weiterer Teil ist in der BRD geboren, jedoch im Herkunftsland aufgewachsen. Der wesentliche Teil ist dessen ungeachtet in der BRD geboren und aufgewachsen (vgl. GRBESIC 1984, S. 109 f.). Die zweite Generation wächst bzw. lebt zwischen zwei Kulturen, d. h. die Betroffenen „müssen sich nach zwei Kulturen hin orientieren“. (ROSEN 1997, S. 7) Es handelt sich hierbei um die Kultur des Herkunftslandes, die die Eltern mit sich brachten und die des Aufnahmelandes, in der sie jetzt leben. Entsteht ein Austausch beider Kulturen und ist dieser positiv, so kann er zu einem „Summenvektor gemeinsamer kultureller Entwicklung führen.“ (OTYAKMAZ 1995, S. 53) Auch von ZEHRA ÇIRAK, einer Schriftstellerin aus der zweiten Generation, wird diese neue Migrantenkultur beschworen, wenn sie in einem Text sagt: „Ich bevorzuge weder meine türkische noch meine deutsche Kultur. Ich lebe und sehne mich nach einer Mischkultur.“ (1997, S. 8) Viele Migrantenkinder und -jugendliche erfahren in ihrem Leben mit zwei Kulturen auch Probleme im Herkunftsland. Sie werden
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nicht vollwertig anerkannt. Eine Migrantin zweiter Generation (Nermin, 21 J.) beschreibt die Situation so: „Also in der Türkei, das ist also dieses in zwei Kulturen leben. Also, wenn man in der Türkei ist, dann ist man auch die ‚Deutschländerin’ erst mal. Man ist die, die aus Deutschland kommt, man ist auch die halbe Deutsche für sie, und es ist eben so ein Leben zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Stühlen, sag’ ich halt mal(...).“ (ROSEN 1997, S. 98) Die Sozialisationsbedingungen und -prozesse werden unterschiedlich erfahren bzw. erlebt. In den folgenden Kapiteln sollen diese näher betrachtet und erläutert werden.
3.2
Sozialisation „Sozialisation (lat. sociare verbinden, vereinigen; engl. socialization) beschreibt einen Prozess, in dessen lebenslangem Verlauf ein Individuum über die kulturspezifischen Regulationen seiner Bedürfnisbefriedigung, den alltäglichen Umgang mit Familienangehörigen und anderen Bezugspersonen, über Lernprozesse im System der gesellschaftlichen Instanzen sowie als Teil bzw. Nutzer von gesellschaftlichen Institutionen die mehrheitlich anerkannten Kriterien für erfolgreiches bzw. unerwünschtes Verhalten, die wesentlichen Verständigungsmittel und ein daran orientiertes Repertoire von Einstellungen und Verhaltensmustern erwirbt“. (SCHAUB / ZENKE 2000, S. 519)
Besonders wichtig ist die familiäre Sozialisation, die so genannte primäre Sozialisation, die während der ersten fünf bis sechs Jahre eines Kindes stattfindet. Während der primären Sozialisation wird das Urvertrauen (1. Lebensjahr) und die kulturspezifische Emotionalität (z. B. der Geschmack), die Sprache, die Denk- und Verhaltensweisen (2.- 5. Lebensjahr) im familiären Milieu vermittelt. In dieser Phase bildet sich durch die Übernahme der kulturellen Rolle die Basispersönlichkeit. Während der sekundären Sozialisation wird nach Auffassung der klassischen Kulturanthropologie innerhalb von Schule, Jugendgruppen und Berufsbildung die soziale Rolle ausgeprägt, die mit dem Erreichen der Berufsreife ihre eigentliche Bedeutung gewinnt. 27
„Im Unterschied zur monokulturellen Sozialisation wirft eine Sozialisation unter dem Einfluss zweier oder dreier Kulturen (zwei Basiskulturen, eine Minderheitensubkultur), wie sie für Ausländerkinder zu vergegenwärtigen ist, besondere Probleme für die Identitätsbildung auf, die Schrader u. a. zu ihrem Neuansatz für eine Erklärung der Sozialisation von Ausländerkindern veranlasst haben.“ (KARSTEN 1984, S. 130) Auf Migrantenkinder wirken verschiedene Einflüsse ein, wodurch diese zahlreiche kulturelle Wandlungs- und Umorientierungsformen durchlaufen. Meist wirken noch gleichzeitig unterschiedliche Erwartungshaltungen auf Migrantenkinder ein, die z. B. auf kulturellen Kontexten der Sozialisationsinstanzen beruhen können. Diese Kinder stehen oftmals zwischen der traditionellen Erwartungshaltung der Eltern, der Verwandtschaft und zwischen der modernen Erwartungshaltung, der Schule und der des Großteils der Aufnahmegesellschaft. Aufgrund dieser unterschiedlichen Erwartungen sind die Kinder hin und her gerissen. Sie wissen nicht, an welchen Erwartungshaltungen sie sich orientieren sollen. Hierdurch können Probleme in der Schule entstehen, deren Ursache von den Eltern und auch von den Lehrern nicht erkannt werden. Ihr Verhalten kann so interpretiert werden, dass die Ursachen in den traditionellen Wertorientierungen liegen, was nicht immer der Fall ist. Dieses wird im Folgenden näher beleuchtet.
3.2.1 Ausgewählte Aspekte der familiären Sozialisation Die primäre Sozialisation ist geprägt durch die Erziehungsvorstellung der Eltern. An dieser Stelle soll auf die Heterogenität der Vorstellungen türkischer Eltern hingewiesen werden. Sie reichen im Extremfall von völliger Distanzierung von der deutschen Umwelt und Beschränkung auf die traditionellen Sitten bis hin zur Anpassung an die Kultur des Aufnahmelandes und Vernachlässigung der eigenen Religion. Meist orientieren sich die Erziehungsvorstellungen türkischer Eltern an den Einstellungen der in den ländlichen Gebieten lebenden Bevölkerung der Türkei, da die meisten aus diesen Gebieten stammen. Das Erziehungsziel der türkischen Eltern ist es, ihre Kinder zu ‚guten Türken’ zu erziehen. Dies soll dazu dienen, dass sich im Fall der Rückkehr ihre Kinder in kultureller, religiöser, traditioneller und normativer Hinsicht konfliktfrei anpassen können. Jedoch lässt sich dies nicht konfliktfrei vollziehen, weil die Kinder in einem Land leben, in dem 28
die Mehrheit der Bevölkerung andere Normen, Werte und eine andere Religion anstrebt. Die Kinder, die den Sozialisationsprozess ganz oder teilweise in der BRD durchlaufen, werden gegensätzlichen Erwartungen und Verhaltensweisen der verschiedenen Sozialisationsinstanzen ausgesetzt. Dies erschwert den erfolgreichen Sozialisationsprozess und kann zu Identitätsproblemen führen (vgl. 3.3.1 Identitätsfindung - Identitätskrise). Die Migrantenkinder werden von klein auf zu Respekt, Gehorsamkeit, Benehmen und Höflichkeit erzogen (vgl. ÖZKARA 1991, S. 98 f.). In der Migration wird unter den veränderten Lebensumständen versucht, die Rollenund Autoritätsstruktur der Familie aufrechtzuerhalten. Selbstständigkeit, Widerspruchsfähigkeit und Eigeninitiative werden eher unterdrückt. Der Erziehungsstil zu Respekt und Gehorsamkeit steht im Gegensatz zu der in der deutschen Gesellschaft vorherrschenden Tendenz zur Individualisierung. Hier erhält der Einzelne einen immer größeren Entscheidungsspielraum. Viele türkische Heranwachsende lernen durch den Kontakt zu deutschen Kindern und Jugendlichen die Vater- und Mutterrolle deutscher Eltern kennen. Durch das Kennenlernen anderer Rollenverhältnisse kann es zu Autoritätskonflikten zwischen türkischen Eltern und Kindern kommen, da diese einen Vergleich zwischen den deutschen und ihrer eigenen Rollenstruktur ziehen. Diese Kenntnis kann die Rollenstruktur beeinflussen und verändern. Die geschlechtsspezifische Erziehung in den türkischen Familien ist dadurch gekennzeichnet, dass die Mädchen in der Regel den vorgeschriebenen Reglementierungen stärker unterworfen sind als die Jungen. „Das wichtigste Prinzip im Leben einer türkischen Frau ist die Ehre, türkisch ‚namus’. Ehrenhaft ist ein Mädchen dann, wenn sie sich entsprechend den sozial-kulturellen, religiösen Normen ihrer Gemeinschaft verhält und keinen Anlass zum Gerede gibt.“ (VIEHBÖCK / BRATIC 1994, S. 125) Zu Beginn der Pubertät bzw. zum Zeitpunkt der Menarche werden den meisten Mädchen Beschränkungen auferlegt, wie zum Beispiel ein Verbot des Umgangs mit Jungen (außerhalb des Verwandtenkreises), Teilnahme an Klassenfahrten oder des abendlichen Ausgangs z. B. in die Disco ohne Begleitung männlicher Verwandten (vgl. KÖNIG 1989, S. 274). Die Jungfräulichkeit der unverheirateten Mädchen ist ein wichtiges Gut. Selbst der 29
Verdacht auf die ,Beflecktheit’ eines Mädchens kann bereits den Ehrverlust der ganzen Familie bedeuten. Nach der Heirat wird die Verantwortung über die Frau dem Ehemann übertragen. Die meisten Töchter werden in erster Linie auf die Ausübung der Hausfrauen- und Mutterrolle hin erzogen. Eine starke Kontrolle wird auch durch die türkische Nachbarschaft ausgeübt. Dadurch, dass in einem Stadtteil türkische Migranten konzentrierter wohnen, sind diese der Kontrolle der Nachbarschaft unterlegen. „Die Migration führte zu einer Konservierung und restriktiven Handhabung der Ehrgesetze, wie sie in dieser Form heute in der Türkei keine Anwendung mehr finden.“ (VIEHBÖCK / BRATIC 1994, S. 125) Diese Erziehung ist auch nicht vergleichbar mit den deutschen Mädchen. Die Erwartungen, die durch das Lebensumfeld an türkische Mädchen gestellt werden, sind sehr unterschiedlich. Es treten Interessenkonflikte auf, die für sie unlösbar erscheinen. Anders wiederum werden die türkischen Jungen erzogen. Sie unterliegen nicht den Reglementierungen, denen die Mädchen unterliegen. Die türkischen Jungen werden zu Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein erzogen. Bei den Jungen mischen sich die Eltern selten in die Freizeitgestaltung ein. Die wenigsten von ihnen denken, dass ihnen heimatlich geprägte Norm- und Wertvorstellungen ihrer Eltern aufgedrängt werden. Im Allgemeinen haben die türkischen Eltern das Bestreben, ihren Kindern unabhängig vom Geschlecht eine höhere Schulausbildung zu ermöglichen. Dem Sohn wird allerdings Vorrang gegeben, wenn entschieden werden muss, welchem Kind eine höhere Ausbildung zuteil werden soll (vgl. ÖZKARA 1991, S. 96). In der Regel werden den Jungen von der Familie ein größerer Handlungsspielraum eingeräumt. Die meisten türkischen Eltern verfolgen das Ziel, ihren Kindern Lernen und Leistung als wichtige Werte zu vermitteln. Dies hat zweierlei Gründe: 1. Der Erfolg der Osmanen beruht auf einem hohen Leistungsstreben einzelner Bürger. 2. Die Bildung ist eine Möglichkeit, der Armut, die sich nach 1950 ausbreitete, welche meistens die Landarbeiter betraf, zu entkommen (vgl. ebd., S. 102 f.). Der Wunsch vieler Eltern ist, dass ihre Kinder ein höheres berufliches und gesellschaftliches Ansehen erlangen und die wirtschaftliche Zukunft der Familie sichern. Problematisch ist, dass die hohen Bildungsziele oftmals 30
mit der schulischen Realität im Aufnahmeland nicht übereinstimmen. Im Hinblick auf die Wertvermittlung in der Schule und zu Hause kommt es also auch bei den Jungen zu Diskrepanzen. Einige Eltern können die schulische Wertvermittlung zur Selbstständigkeit, Widerspruchsfähigkeit und Eigeninitiative so verstehen, dass sie zu Ungehorsamkeit erzogen werden, was Auswirkungen auf die Kooperation der Eltern mit der Schule haben kann. Die Kooperation mit der Schule bzw. mit dem deutschen Lehrer kann eher eingeschränkt sein als die Kooperation mit den Koranschulen bzw. mit einem türkischen Hoca, da der Hoca ähnliche Wertvorstellungen vertreten kann.
3.2.2 Ausgewählte Aspekte der sekundären Sozialisation Im Aufnahmeland unterliegen die Migrantenkinder einer speziellen Sozialisationssituation. Die einheimischen Kinder und Jugendlichen beziehen sich auf die Vorgaben einer Gesellschaft. Dabei orientiert sich die familiäre bzw. primäre Sozialisation orientiert sich größtenteils an dem Bezugssystem der Herkunftsgesellschaft, wobei sich die sekundäre Sozialisationsphase auf die Erwartungsstrukturen der Aufnahmegesellschaft bezieht (vgl. 3.2 Sozialisation). In der sekundären Sozialisation werden die Migrantenkinder mit den Sozialisationsinstanzen und mit der Sprache der Aufnahmegesellschaft konfrontiert. Im Folgenden wird anhand von wichtigen Sozialisationsinstanzen (Freizeitaktivitäten, Peer- Group & Freundschaften und Medien) untersucht, worin der Einfluss der Aufnahmegesellschaft auf die ausländischen Heranwachsenden besteht. Die Freizeitaktivitäten sind von den Realisierungsbedingungen abhängig, die auf spezifischen Interessen der Migrantenjugendlichen beruhen. Türkische Migrantenjugendliche beschäftigen sich in ihrer Freizeit mit Radiohören, Fernsehen oder Lesen (vgl. GÖKÇE 1986, S. 24). Außerdem haben sie eine besondere Beziehung zum Sport, wie Fußball oder Karate. Es wird angenommen, dass für türkische Mädchen kaum eine Möglichkeit besteht, ihre Freizeit außerhalb der elterlichen Wohnung zu verbringen (vgl. ebd., S. 150). Jedoch wissen die türkischen Mädchen die strengen Reglementierungen durch Ausdenken von ‚Arbeitsverpflichtungen’ zu umgehen, wie Sprachen lernen, Fortbildungskurse usw., die vor den Eltern mit dem Bedarf in der Firma gerechtfertigt werden. Die meisten ausländischen Jungen können nahezu ohne Einschränkungen über ihre freie Zeit verfügen. Aufgrund der 31
oben genannten Beschränkungen findet meistens die Freizeitgestaltung der Jungen getrennt von den Mädchen statt. Auf der anderen Seite kann die Freizeit auch gewollt im gewohnten Kulturkreis verbracht werden. Ab dem Schulalter gehört die Gruppe der Gleichaltrigen (peer- group) neben der Familie und den Bildungsinstituten zu den wichtigsten Sozialisationsinstanzen. Kinder und Jugendliche gehen in der Frühadoleszenz enge Freundschaftsbeziehungen mit einem gleichgeschlechtlichen Freund ein oder schließen sich in Cliquen zusammen. Innerhalb der Cliquen werden individuelle Bedürfnisse befriedigt oder Probleme besprochen und gelöst. Die soziale Realität kann im Umgang mit Gleichaltrigen Jugendlichen erlebt und geübt werden. Von besonderem Interesse ist die Untersuchung von Freundschaften zwischen türkischen und deutschen Kindern und Jugendlichen, da die Kinder durch den Kontakt mit den Gleichaltrigen gleichzeitig mit der anderen Kultur konfrontiert werden. Nun ist die Frage zu stellen, inwiefern die türkischen mit den deutschen Kindern und Jugendlichen Kontakt haben. In der 13. Shell Studie wurde deutschen Jugendlichen die Frage gestellt „Wie häufig hast Du mit ausländischen Jugendlichen zu tun?“ (DEUTSCHE SHELL 2000, S. 222): Es gab vier Antwortvorgaben zwischen ‚sehr häufig’ bis ‚überhaupt nicht’. Abbildung 2 (eigenerstellt): Wie häufig hast du mit ausländischen Jugendlichen zu tun? (Angaben in Prozent) (vgl. DEUTSCHE SHELL 2000, S. 223)
Wie häufig hast du mit ausländischen Jugendlichen zu tun? (Angaben in Prozent) 46,9
50 40 30
22,3
22
20
Deutsche Jugendliche
8,7
10 0 überhaupt nicht
weniger häufig
häufig
sehr häufig
Die Ergebnisse sind eindeutig: Fast ein Viertel der jungen Deutschen bekundet ‚überhaupt nicht’ (22 %) mit ausländischen Altersgenossen zu tun zu haben, während ca. die Hälfte (46,9 %) angaben, ‚weniger häufig’ mit ihnen zu tun zu haben (vgl. Abb. 2). Dies zeigt, dass sich Begegnung und Kontakt zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen noch in Grenzen halten und bei der großen Mehrheit selten ist. Die meisten Kinder und 32
Jugendlichen haben eher Kontakte zu Gleichaltrigen der eigenen Kultur, wobei unter Migrantenjugendlichen neue Zusammenschlüsse entstehen, so dass Freundschaften entstehen und Emotionen innerhalb dieser ausgetauscht werden (vgl. VIEHBÖCK / BRATIC 1994, S. 157). Das Ziel der Gruppe ist Selbstverteidigung und die Suche nach Geborgenheit. Neben der peer- group können auch Medien als Sozialisationsinstanz bezeichnet werden. Medien vermitteln direkt oder indirekt Normen und Werte der Gesellschaften. Sie beeinflussen und prägen die Verhaltensweisen und Meinungen der Konsumenten. In den 80er Jahren verbreiteten sich die Videorekorder in den Migrantenhaushalten im Vergleich zu den deutschen Haushalten sehr schnell. Die Migrantenhaushalte hatten den erhöhten Bedarf nach muttersprachlichen Medien. Heute verfügen türkische Migranten über ein facettenreiches Angebot an türkischsprachigen Massenmedien. Da die meisten der türkischen Mädchen ein Großteil ihrer Freizeit in der elterlichen Wohnung verbringen, konsumieren sie das Massenmedium Fernseher, was häufig als integrationshemmend bezeichnet wird. Die Fixierung auf die Medienangebote kann zu gesellschaftlicher Isolation führen. Andererseits kann die intensive Nutzung von Medien als Reaktion auf unüberwindbare Barrieren auf Seiten der Aufnahmegesellschaft gedeutet werden. Durch das Freizeit- und peer- group- Verhalten ist ersichtlich, dass die meisten Kinder und Jugendlichen der türkischen Arbeitsmigranten fehlende Kontakte zu gleichaltrigen deutschen Kindern und Jugendlichen haben. Das reflektiert die familiäre und die sekundäre Sozialisation de türkischen Schüler und ist Ausdruck einer nicht gelingenden Kooperation von Eltern und Schule. Dies hat zur Folge, dass sich die türkischen Schüler von den gleichaltrigen deutschen Kindern und Jugendlichen abkapseln, was das Aufwachsen nach traditionellen Wertmustern festigt (vgl. 2.2.1 Familienstruktur).
3.3
Identität
Die in diesem Zusammenhang prägnanteste Definition von Identität (lat. idem derselbe, der gleiche, identitas Wesenseinheit; engl. identity) ist folgende: „Identität ist das Gesamt der Antworten auf die Fragen: Wer bin ich? Wer sind wir? Erikson betont dabei die Erfahrung von Kontinuität, wie aus seiner Definition hervorgeht: ‚Identität ist das 33
dauernde innere Sich- Selbst- Gleichsein, die Kontinuität des Selbsterlebens eines Individuums’ (1963).“ (REINHOLD 1991, S. 247) Nach REINHOLD findet Identitätsbildung in der Pubertät und der Adoleszenz statt. In der soziologischen Tradition wird der Identitätsbegriff von den Autoren G. H. MEAD (1863-1931), C. H. COOLEY (1854-1929) und W. I. THOMAS (1863-1947) wie folgt dargestellt: In ihren Theorien über Identität (Self) ist die Idee gemeint, dass Identität aufgrund von Wirklichkeitsdefinitionen und -konstruktionen der an sozialen Interaktionen Beteiligten zustande kommt (vgl. ebd., S. 247). Somit bringen sie im Begriff der Identität theoretisch Individuum und Gesellschaft zueinander in Beziehung. COOLEY hatte schon erkannt, dass die Selbsterfahrung über andere zustande kommt. Das Individuum entnimmt seine Identität aus den Vorstellungen, die seiner Meinung nach andere von ihm haben. Es betrachtet sich selbst aus der Sicht der anderen (vgl. ebd.). MEAD arbeitete diesen Standpunkt aus, indem er zwei Komponenten des Selbst unterschied: erstens ein gesellschaftlich kulturell vorgebildetes Mich bzw. Mir, welches die sozialen Rollen und die Erwartungen der anderen an Mich reflektiert. Indem diese während der Interaktionen internalisiert werden, entsteht der Teil der Identität, den man das soziale Selbst nennt. Der andere Teil des Selbst, der Individuen in den Stand versetzt, aktiv Rollen zu internalisieren und die Selbstreflexion zu ermöglichen, wird von MEAD das spontane, aktive Selbst genannt. In der kollektiven Identität sind das Selbstbild und die Selbsterfahrung stark mit dem Gruppenbewusstsein bzw. dem Wir-Gefühl verbunden. Die eigenen Gruppenwerte und -normen, die Rollenerwartungen und Verpflichtungen geben den Gruppenmitgliedern ein kollektives Identitätsbewusstsein. Eine kollektive Identität lässt sich in Agrarländern finden, in denen das Zusammengehörigkeitsgefühl noch stärker ist (vgl. ABALI 1983, S. 174 f.). Dies gibt dem Einzelnen ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe. Seine innere Sicherheit beruht auf dem Gefühl, den Normen seiner Gruppe zu entsprechen. Die Elternarbeit kann durch die Gruppenwerte und -normen und Rollenerwartungen und
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-verpflichtungen erschwert werden, da jede Gruppe andere Norm- und Wertvorstellungen und Verpflichtungen hat. Wenn diese Norm- und Wertvorstellungen der einen Gruppe dem Anderen nicht bekannt sind, dann kann es zu Hemmungen seitens der türkischen Eltern und dem deutschen Lehrer kommen und somit die Kooperation der beiden Instanzen erschweren.
3.3.1 Identitätsfindung – Identitätskrise Die sozialrechtliche Statusunsicherheit ist eine der Hauptschwierigkeiten von Migrantenjugendlichen. Um sich damit erfolgreich auseinandersetzen zu können, müssen sich diese Jugendlichen vorher in einem langen Prozess mit sich selbst auseinandersetzen. LAJIOS / KIOTSOUKIS differenzieren Migrantenjugendliche in drei Gruppen (vgl. 1984, S. 15). Unter die erste Gruppe fallen alle Jugendlichen, die im Heimatland geboren wurden und dort ihre frühe Kindheit unter Obhut eines Elternteils verbracht haben. Diese Jugendlichen haben meist im Kleinkindalter Geborgenheit und Urvertrauen kennen gelernt und genossen. Ihre Beziehung zu den Eltern kann als normal und gereift angesehen werden. Die Prägung durch das Heimatland ist stark und schwer überwindbar. „Die Anpassung dieser Gruppe ist schwierig, die Identität aber relativ gut ausgebildet.“ (ebd.). Sie haben meistens große Sprachschwierigkeiten. Aus den meisten dieser Kinder wurden Hilfsarbeiter. Die zweite Gruppe bildet sich aus denen, die als Kleinkinder in ihre Heimat gebracht wurden, wo sie meistens in der Obhut ihrer Großeltern oder Verwandten aufwuchsen. „Diese Kinder haben nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland einen Identitätsbruch erfahren, haben große Anpassungsschwierigkeiten und ebenfalls große Sprachschwierigkeiten.“ (ebd.) Meistens ist der Einfluss des Heimatlandes so groß, dass die Integration erschwert wird. Zu der dritten Gruppe gehören die Kinder und Jugendlichen, die in der BRD geboren und aufgewachsen sind. In der Regel sind deren Eltern berufstätig. Sie haben sich sowohl an die deutsche als auch an die Herkunftskultur angepasst. Außerdem beherrschen sie die deutsche Sprache relativ gut. Diese Gruppe lebt wesentlich stärker im Spannungsfeld von zwei Kulturen und Wertesystemen. Diese Kinder haben eine sehr geringe Beziehung zum Herkunftsland, da sie das Land lediglich aus dem Urlaub kennen. Je 35
nach Gruppe ist also der Einfluss des Herkunftslandes unterschiedlich. Die Kinder und Jugendlichen erfahren unterschiedliche Identitätsentwicklungen bzw. -findungen. Die Migrantenjugendlichen bewegen sich zwischen der Welt ihrer Eltern und der Aufnahmegesellschaft. „Das Ringen um eine Identität in dieser Phase dient vor allem dazu, Voraussetzungen für eine Verknüpfung zwischen beiden Polen zu schaffen. Dieser Prozess ist sehr mühsam und von extremer Unsicherheit gekennzeichnet.“ (VIEHBÖCK / BRATIC 1994, S. 106) Durch eine Stigmatisierung wird diese Unsicherheit noch mehr verstärkt. Dies bildet einen wesentlichen Unterschied zwischen einheimischen sowie ausländischen Kindern und Jugendlichen. Migrantenjugendliche gewinnen durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich Orientierungspunkte, die für ihr späteres Leben von größerer Bedeutung sind. Der Übergang von der Kindheit zur Jugend ist für Migrantenjugendliche mit einem Sich- KlarWerden verbunden, wo man steht. Es ist eine Zeit, in der viele plötzlich entdecken, dass sie in einer ‚fremden Welt’ leben. Die Jugendlichen beginnen, Stützen zu suchen, an denen sie sich halten können, wie Politik, Religion, Philosophie usw. In dieser Phase distanzieren sie sich auch von der Gesellschaft. Dagegen haben inländische deutsche Jugendliche hauptsächlich mit der Distanzierung von zu Hause zu tun (vgl. ebd., S. 107). Diese versuchen sich mit etwas größerem und anderem, mit Untersystemen der Gesellschaft, zu identifizieren. In dieser Phase fangen die Migrantenjugendlichen an zu verstehen, warum sie nicht akzeptiert werden (vgl. ebd.). Eine Identifikation mit etwas anderem fällt einem inländischen Jugendlichen leichter. Er hat nur vom Dualismus von Eltern und Gesellschaft sich auf etwas anderes einzustellen. Dagegen haben Migrantenjugendliche mit anderen Erkenntnissen zu tun. Die eine Seite ist für sie zu eng und die andere betrachtet sie wie einen Fremdkörper. Die Suche dauert länger. Die Migrantenjugendlichen haben nie eine ‚richtige Heimat’ im Sinne der herkömmlichen Tradition genossen. Sie werden teilweise aus Gruppen inländischer gleichaltriger aufgrund einer verschiedenen Struktur ihrer Probleme ausgeschlossen. In dieser Phase kämpfen die Migrantenjugendlichen an zwei Fronten. Alle Entscheidungen, die sie in dieser Phase treffen, werden für ihr 36
ganzes Leben von Bedeutung sein. Das Ich wird in der Konfrontation mit der Sexualität als ein Bündel von Unsicherheiten erlebt. Bei den türkischen Jugendlichen kommt es gleichzeitig mit der Entwicklung des Ich - Bewusstseins und der Sexualität zur Trennung in Familie und Freundeskreis. Das äußert sich so, dass die türkischen Jungen meistens von den Mädchen getrennt werden und in der Freizeitgestaltung väterliche Funktionen übernehmen. (vgl. Kapitel: 2.2.1 Familienstruktur, 3.2.1 Ausgewählte Aspekte der familiären Sozialisation). „Zu diesem Gegensatz zwischen den beiden Hauptquellen der Sozialisationseinflüsse – der Familie und der Gesellschaft allgemein – kommt noch das Problem des verschieden Tempos, mit dem sich Gastarbeiterkinder und deren Eltern an die bundesdeutsche Gesellschaft anpassen.“ (CROPLEY 1979, S. 74) Die Kinder sind zwei kollidierenden Sozialisationskräften ausgesetzt, der einen zu Hause, vertreten durch die Eltern, der anderen außerhalb des Elternhauses, vertreten z. B. durch Lehrer, nicht- eingewanderten Freunden etc. . Für die soziale Entwicklung spielen beide Kräfte eine Rolle. Diese widersprechen sich jedoch. Die Kinder müssten zwischen zwei starken Einflussquellen wählen. „Infolgedessen sind sie in Gefahr, zwischen zwei Stühle zu fallen.“(ebd.) CROPLEy zitiert in für die Zerrissenheit der Jugendlichen verschiedene Autoren folgendermaßen: „zwischen zwei KulturVorbilder geworfen’ (Listwan, 1960), ‚in einem Vakuum zwischen zwei Kulturen’ (Harris, 1962) oder als ‚zerrissen zwischen zwei Kulturen’ (Jupp, 1966)“ (ebd., S. 75 ff.). Eine erzwungene Ablehnung eines der beiden Vermittler (einerseits Elternhaus, andererseits Kultur des Aufnahmelandes) der Sozialisation kann zu einer geschwächten Persönlichkeitsentwicklung und zu einer Identitätskrise führen (vgl. Derbshire 1979, S. 75). Indem die Gastarbeitereltern versuchen, die Anpassung ihrer Kinder an die Aufnahmegesellschaft zu fördern, tragen sie dazu bei, dass sich die Kinder ihnen selbst entfremden. Entmutigen sie jedoch die Anpassung an die Aufnahmegesellschaft, so erhalten sie zwar ihren eigenen Einfluss als Mittler der Sozialisation, fördern aber das Fremdbleiben der Kinder in dieser Gesellschaft. Die Migrantenjugendlichen können auch ihre Gefühle und Bedürfnisse unterdrücken, um Spannungen abzubauen, welches meist von Seiten der Eltern nicht verstanden wird. Hier ist eine Distanzierung zwischen dem 37
Elternhaus und der Migrantenjugendlichen zuerkennen, da die Eltern wenig bzw. keinen Bezug auf die Aufnahmegesellschaft haben und die entstehenden Konflikte nicht nachvollziehen können. ZUBRZYCKI fasste die Hauptkonfliktpunkte zwischen Migranten und ihren Kindern wie folgt zusammen: „1) Missverständnis zwischen den Vorstellungen der Eltern und der Kinder von der Rolle der Eltern und deren Autorität; 2) Missverhältnis zwischen der Einstellung der Eltern und der Kinder zum erkannten sozialen Status; 3) Widersprüche zwischen dem Niveau der Aspirationen der Eltern (sowohl für sich selbst als auch für ihre Kinder) und dem ihrer Kinder.“ (ebd., S. 77) Die Konfliktsituation ist für die betroffenen Jugendlichen sehr belastend, denn wird sich das Gefühl einstellen, sich entweder für die eine oder die andere Seite entscheiden zu müssen, was jeweils schwerwiegende Konsequenzen nach sich zöge (vgl. LAJIOS 1991, S. 17). Bei der Elternschaft türkischer Kinder sollte beachtet werden, aus welcher Gruppe die türkischen Eltern sich zusammensetzen. Hierbei wird zwischen der ersten und zweiten Generation türkischer Arbeitsmigranten unterschieden und die zweite Generation wiederum danach, ob sie im Herkunftsland oder in der BRD geboren und / oder aufgewachsen sind. Die Erziehung und das Aufwachsen spielt für die Elternarbeit eine bedeutende Rolle. Die Eltern der zweiten Generation, welche die deutschen Schulen besucht haben, kennen das deutsche Schulsystem, die Seiteneinsteiger kennen es demgegenüber nicht (vgl. 4.2 Entwicklung der Zahl der ausländischen Schüler an deutschen Schulen). Das Nicht-Kennen des deutschen Schulsystems kann zu Hemmungen bei der Kontaktaufnahme mit der deutschen Grundschule und auch zu einem Unverständnis wegen Andersartigkeit führen. Diese Verknüpfung der Probleme lenkt weder zu einer Annäherung der Kulturen noch zu einer einfachen Kooperation zwischen Schule und Eltern.
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3.3.2 Integration der zweiten Generation in die deutsche Gesellschaft In diesem Kapitel soll untersucht werden, ob sich die zweite Generation der Arbeitsmigranten, welche die Eltern der jetzigen Grundschüler bildet, in die deutsche Gesellschaft integriert hat. „Eine Integration der Ausländer in die Gesellschaft der Bundesrepublik kann nur unter der Prämisse stattfinden, dass eine gemeinsame Lebensform auf dem Boden und im Rahmen der geschichtlichen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Realität der Bundesrepublik gesucht wird.“ (LAJIOS / KIOTSOUKIS 1984, S. 108) So hat sich ein Großteil der ersten Generation in die deutsche Gesellschaft nicht integriert, da sie nicht bereit war, ihre religiöse, nationale und kulturelle Identität aufzugeben. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen definierte Integration in ihren Leitlinien zur Ausländerpolitik wie folgt: „Integration zwingt nicht zur Aufgabe nationaler Identität und kultureller Eigenständigkeit. Diese können allerdings bei längerer Aufenthaltsdauer und steigendem Integrationsgrad an Bedeutung verlieren. Integration ist zwar eine Voraussetzung zur Assimilation – diese ist jedoch nicht das Ziel der Ausländerpolitik der Landesregierung. Ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen, die sich assimiliert haben, soll die Einbürgerung ermöglicht werden. Dies gilt in besonderem Maße für die hier aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen.“ (LEITLINIEN DER LANDESREGIERUNG NORDRHEIN-WESTFALEN ZUR AUSLÄNDERPOLITIK 1980, S. 48 f.) Laut den Leitlinien zur Ausländerpolitik soll Integration nicht als Assimilation verstanden werden; die Assimilation ist jedoch Voraussetzung für die Einbürgerung ausländischer Arbeitnehmer und deren Kinder. Daraus lässt sich schließen, dass die Regierung durchaus die Assimilation beabsichtigte. Dies war aber nicht im Interesse der Arbeitsmigranten, da eine Rückkehrabsicht bestand und die Reintegration der Kinder in das Herkunftsland bestehen bleiben sollte. Dadurch erzogen die ausländischen Arbeiter ihre Kinder mit der Herkunftskultur. Die erste Generation war außerdem auf die
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Anforderungen der Integration nicht vorbereitet. Sie lebte hier als Ableger mit den Werten, Normen, Sitten, der Tradition und Kultur des Heimatlandes (vgl. LAJIOS 1991, S. 50). „Man beklagt heute, dass es dieser Generation nicht gelungen sei, sich sozial zu integrieren, als ob dies selbstverständlich erwartet wurde. (...) Politiker und soziale Institutionen sind aufgerufen, die Probleme der ‚zweiten und dritten Ausländergeneration’ zur Kenntnis zu nehmen, ihnen den gebührenden Ernst zuzumessen und zur Lösung der dringenden Probleme, die auch Probleme der Deutschen sind, beizutragen.“ (LAJIOS / KIOTSOUKIS 1984, S. 10) Nun wird hier thematisiert, ob sich die zweite und dritte Ausländergeneration integriert hat. Gewiss gibt es Migrantenjugendliche, die sich integriert haben, diese bilden jedoch die Minderheit. Diese Jugendlichen versuchen beim Ablösungsprozess vom Elternhaus diese Werthaltungen in Frage zu stellen und orientieren sich an gleichaltrigen deutschen Jugendlichen. Viele Migrantenjugendliche berichten aber, dass die Eltern ihren Kindern einen gewissen freien Raum gewährt haben. Dieser Freiraum bedeutete, Freundinnen zu haben, sie zu besuchen oder nach Hause zu bringen, an Freizeitbeschäftigungen, wie an Schulausflügen, Sport etc. teilzunehmen. Es gibt durchaus Integrationsansätze in die deutsche Kultur, wobei Grundzüge aus beiden Kulturen übernommen werden. Hierbei wird aber die eigene Kultur meist nicht aufgegeben. Wenn man Integration als Assimilation betrachtet, dann kann gesagt werden, dass die zweite und dritte Ausländergeneration sich nicht in die deutsche Gesellschaft integriert hat. Wird die Integration jedoch als Teilnahme am allgemeinen bürgerlichen Leben voller Bestandteile des Gastlandes und als Erhaltung der eigenen nationalen, kulturellen und religiösen Eigenarten betrachtet, so ist deutlich eine steigende Integration der zweiten und dritten Generationen zu sehen.
3.4
Eltern der dritten Generation
Die Kinder der Arbeitsmigranten, also die ‚zweite Generation’, bilden die Eltern der schulpflichtigen Kinder der ‚dritten Generation’. Diese zweite Generation wird, wie bereits erwähnt worden ist, in drei Gruppen unterteilt 40
(vgl. 3.3.1 Identitätsfindung – Identitätskrise). Die meisten der ersten und zweiten Gruppe, die zu den Eltern gehören, haben immer noch Sprachprobleme und andere Einstellungen zur Schule, da sie das deutsche Schulsystem nicht kennen. Auf diese Gruppe sollte bei der Gestaltung von Elternabenden Rücksicht genommen werden. Ein Teil der zweiten Gruppe hat durch die Erziehung und Sozialisation in einer fremden Umwelt unter Identitätsproblemen gelitten, ebenfalls hat sie auch unter Anpassungsschwierigkeiten und Sprachprobleme leiden müssen. Viele der dritten Gruppe konnten sich an die deutsche Gesellschaft anpassen und haben weniger Sprachprobleme. Diese nehmen auch an Elternabenden teil, da sie das Schulsystem kennen und wissen, was sie erwartet. In diesem Rahmen ist es auch wichtig, die Heirat innerhalb der zweiten Generation zu erwähnen. Wie in Kapitel 2.2.1 Familienstruktur bereits erwähnt worden ist, ist der Vater als Oberhaupt zu bezeichnen. Er hat die Entscheidungsbefugnisse über die Heirat der Kinder. Gewählt wird meistens ein Ehepartner aus der Türkei. Das führt dazu, dass mindestens einer der Eltern wiederum kein Deutsch versteht. Das ist auch ein gewichtiges Problem, mit dem die Grundschule zu kämpfen hat. Die Probleme, welche die Gastarbeiter in Deutschland hatten, sind keinesfalls behoben. Da das Schulsystem mit Eltern der ersten und zweiten Generation zu tun hat, sollte die deutsche Grundschule Rücksicht auf diese Gruppe nehmen.
41
4
INTEGRATIONSPROBLEMATIK IN DER SCHULE HEUTE
30 % aller Kinder an deutschen Schulen stammen aus zugewanderten oder eingebürgerten Familien (vgl. GOLOMBEK 2000, S. 8). Diese werden als ‚ausländische Jugendliche’ wahrgenommen, auch wenn sie oder ihre Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Die ausländischen Kinder und Jugendlichen genießen meistens zwei Erziehungsstile. Spätestens ab dem Zeitpunkt der Einschulung kommen ausländische Kinder mit der deutschen Umwelt in Kontakt. Sie kommunizieren und interagieren mit Deutschen und anderen Ausländern. „Die Schule gilt neben der Familie als wichtigste Sozialisationsinstanz.“ (GREBSIC 1984, S. 112) Es werden in der deutschen Schule die grundlegenden Werte und Normen der Aufnahmegesellschaft vermittelt. Da die Erwartungen des Elternhauses der ausländischen Kinder zu den in der Schule vermittelten Werten und Normen konträr ist, sind Konflikte vorprogrammiert. Es entstehen spezifische Probleme, aufgrund der unterschiedlichen Erwartungshaltungen der Eltern, Schüler und Lehrer, die den schulischen Erfolg mindern können. Nicht wenige der Migrantenkinder sind Außenseiter in der Klasse oder werden als Störenfriede empfunden. Meist ist es weder den Lehrern noch den Eltern bewusst, worin die Ursachen liegen können.
4.1
Institution Schule: Aufgaben, Ziele und Auswirkungen auf die Schüler
Die Schule ist eine Einrichtung in staatlicher bzw. kommunaler oder freier (privater) Trägerschaft zur Erziehung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen. „Der Schulbegriff ist rechtlich verankert in den Quellen des Schulrechts (Grundgesetz, Landesverfassungen, Schulgesetze der Länder, Rechtsverordnungen).“ (SCHAUB / ZENKE 2000, S. 478) In der Schule sollen in der Gesellschaft erwünschte Grundwerte, Verhaltensweisen, Einstellungen und Überzeugungen wie z. B. Fleiß, Sorgfalt, Kooperationsbereitschaft, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Loyalität gegenüber gesellschaftlichen und politischen Normen vermittelt werden.
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Die Schule darf nicht als nur eine Unterrichtsstätte gelten, sondern soll auch ein Lebens-, Lern- und Erfahrungsraum für Kinder sein. Die Kinder sollen sich glücklich und geborgen fühlen und in einer freien und befreiten Atmosphäre lernen können. Dabei sollen Kreativität und Phantasie der Kinder sowie die Fähigkeiten zum Entdecken und Gestalten in der Grundschule gefördert werden. Für die Kinder ist ein ausreichendes Maß an Bewegung für die körperliche und geistige Entwicklung wichtig (vgl. BILDUNGSKOMISSION NRW 1995, S. 40 f.), da das kindliche Lernen weitgehend mit dem ganzen Körper und mit allen Sinnen verbunden ist. Außerdem sollen die Kinder Anerkennung und Zuneigung von Mitschülern und Lehrern erfahren und lernen, andere wertzuschätzen. „Beim Zusammenleben und Miteinanderlernen in der Grundschule, im Klassenverband, bei Einzel-, Gruppen- und Partnerarbeit sowie im klassen- und jahrgangsübergreifenden Unterricht machen die Kinder vielfältige soziale Erfahrungen. Die Kinder lernen, sich in verschiedenen Situationen zu bewähren und einander zu helfen; sie können sich in ihren individuellen Fähigkeiten ergänzen und voneinander lernen.“ (ebd., S. 11) Die Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen sind unter anderem durch den Wandel zahlreicher Faktoren des Aufwachsens, so beispielsweise die regionalen, sozialen, schicht- und gesellschaftsspezifischen Einflüsse und durch gesellschaftliche Veränderungen unterschiedlich geprägt. Die ‚Kinder sollen es mal besser haben als ihre Eltern’ darunter sollte der Wandel im Erziehungsverhältnisse zwischen Eltern und ihren Kindern gesehen werden (vgl. JÜRGENS 2000, S. 29).Die Lebenswelt der Heranwachsenden scheint im Wandel zu sein. Die Schule sollte den Veränderungen gerecht werden, da diese in der Welt der Kinder heute Lebensbestandteile bilden. Das bedeutet eine klare Herausforderung und die Grundschule sollte dies als solche auch betrachten. Die Eltern „müssen der Grundschule beim Erfüllen ihrer zukunftsbedeutsamen Aufgaben helfen und Rahmenbedingungen und Strukturen verbessern.“ (ARBEITSKREIS GRUNDSCHULE 1998, S. 6) Der gesellschaftliche Entwicklungsprozess erfasst auch die Grundschule. Die Lebensbedingungen der Mädchen und Jungen wandeln sich tief greifender, als dies von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Ansprüche an Erziehung und 43
Bildung der Kinder steigen und die Aufgaben der Grundschule werden zunehmend komplexer. Die Grundschule sollte Bezug zu den Änderungen nehmen (vgl. ebd., S. 4 ff.). Die Schule hat darüber hinaus folgende gesellschaftliche Funktionen: ●
Qualifikationsfunktion,
●
Selektionsfunktion,
●
Allokationsfunktion und
●
Integrations- bzw. Legitimationsfunktion.
Unter Qualifikationsfunktion wird die Befähigung der heranwachsenden Generation für die Bewältigung der Aufgaben im Beschäftigungs- und Gesellschaftssystem verstanden. Die Selektionsfunktion beinhaltet die Steuerung der Ausbildung geeigneter Schüler durch Prüfungen, Zensuren, Abschlüsse und Berechtigungen. Die Allokationsfunktion ist die Zuweisung zu bestimmten Schularten und Ausbildungsgängen, mit denen bestimmte Berufschancen und ein entsprechender sozialer Status verbunden sind. Die Selektions- und Allokationsfunktion beeinflussen die Verteilung der Plätze in der Gesellschaftsstruktur. Daher das die Ausbildungsgänge und berufliche Karrieren meist an gewisse Schullaufbahnen gekoppelt sind, ist der Schulabschluss für den gesamten Lebensweg bedeutsam (vgl. HAUG 1994, S. 27). Mit der Schullaufbahn bzw. mit dem erworbenen Schulabschluss sind verschiedene Lebenschancen verknüpft, welche die Zukunft eines Kindes bzw. Jugendlichen bestimmen können. Die Migrantenfamilien zählen meist zu den unteren Schichten in der BRD. Die meisten Kinder in diesen Familien wachsen mit der Herkunftssprache auf. Sie bringen wenige Kenntnisse in der deutschen Sprache mit. Eine Förderung dieser Gruppen ist besonders wichtig, da ansonsten die Gefahr besteht, dass sie von vornherein dazu gezwungen sind, vielleicht für immer in dieser Schicht zu bleiben. Die Lehrer sind beauftragt, diese Kinder zu fördern. In der Grundschule sind Kinder ‚unterschiedlicher ethnischer Herkunft mit verschiedenen kulturellen Normen und Traditionen’ vorzufinden. „Hierbei geht es nicht nur um die schwierige Aufgabe der sozialen Integration der ausländischen Kinder, sondern ebenso sehr darum, das gemeinsame Leben und Lernen für interkulturelle
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Erfahrungen und Lernprozesse zu nutzen.“ (RICHTLINIEN UND LEHRPLÄNE FÜR DIE GRUNDSCHULE IN NORDRHEIN-WESTFALEN 1997, S. 10) Wichtig ist dabei der Umgang miteinander. Die Kinder sollen lernen, sich gegenseitig zu tolerieren, zu respektieren und miteinander zu leben. Hierzu weist der Grundschulverband darauf hin, dass die Grundschule eine besondere Integrationsaufgabe für die Kinder unterschiedlicher Herkunft zu leisten hat und das selbstverständliche Miteinanderleben und –lernen fördern muss. „Diese Aufgabe umfasst den Austausch zwischen den Kulturen zur wechselseitigen Bereicherung der Erfahrungswelt aller Kinder, Hilfen zur Orientierung in der deutschen Kultur und Gesellschaft sowie die Festigung der individuellen Identität, insbesondere durch Förderung der jeweiligen Muttersprache.“ (SCHMITT 1999, S. 40 f.)
4.2
Entwicklung der Zahl der ausländischen Schüler an deutschen Schulen
Im Jahr 1998 besuchten etwa 1,15 Millionen ausländische Kinder und Jugendliche deutsche Schulen. Davon befanden sich 936.693 an allgemein bildenden Schulen (vgl. Abb. 3). Der Anteil der ausländischen Schüler an der Gesamtzahl aller Schüler betrug ca. 10 % (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1999, S. 371). „Seit Ende der 60’er Jahre unterliegen ausländische Kinder und Jugendliche in allen Bundesländern der deutschen Schulpflicht“ (GÖKÇE 1986, S. 12). Die Zahl der schulpflichtigen ausländischen Kinder war zu der Zeit gering; 1968 besuchten 70.225 ausländische Schüler die allgemein bildenden Schulen in Deutschland (vgl. BOOSNÜNNING / HOHMANN / REICH 1976, S. 7). Später stieg die Zahl der schulpflichtigen, immigrierten Kinder, was auf die demografische Struktur der Arbeitsmigranten zurückzuführen ist, denn der überwiegende Teil der immigrierten Arbeiter war männlich und unverheiratet bzw. ließen ihre Familien zunächst in der Türkei zurück. Mit Beginn des Anwerbestopps (1973) aber brachten die Arbeitsmigranten ihre Familien nach Deutschland (vgl. 2.1.1 Entwicklung der Arbeitsmigration in der BRD). Die Zahl der ausländischen Kinder und Jugendlichen stieg somit rapide an. 45
Folgender Sachverhalt verdeutlicht das: Die Entwicklung der Zahl der ausländischen Schüler nahm von 1980 – 1998 nicht so sehr stark zu, wie demgegenüber in den 70er Jahren. Die Nationalitätenaufteilung der ausländischen Schüler verlief ähnlich wie der Migrationstrend (vgl. 2.1.1 Entwicklung der Arbeitsmigration in der BRD). Danach verringerte sich der Anteil der Schüler aus den heutigen EUStaaten, wohingegen die Anzahl türkischer Kinder stark zunahm. Der Anteil der Schüler aus den klassischen Anwerbeländern (Türkei ausgeschlossen) lag bei mehr als 50 %, was heute nur noch weniger als 20 % ist. Der Anteil der türkischen Schüler lag 1970 hingegen nur bei17 %. Abbildung 3 (eigenerstellt): Ausländische Schüler nach Staatsangehörigkeit 2003/04 (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT. Fachserie 11 Reihe 1 „Bildung und Kultur“ Allgemein bildende Schulen. 2005) Ausländische Schüler nach Staatsangehörigkeit 2003/04 Griechenland 3%
Italien Spanien 1% 8% Türkei 43%
andere 37%
Portugal 1%
Jugoslawien 7%
Die Gruppe der türkischen Schüler bildet heute mit einer Anzahl von mehr als 500.000 und einem Anteil von 43,63 % aller ausländischen Schüler mit Abstand die größte Nationalitätengruppe. Den zweitgrößten Anteil der ausländischen Schüler bilden die italienischen Schüler mit 8,06 % (vgl. Abb. 3). Besonders in den 70er Jahren kamen viele Migrantenkinder als Seiteneinsteiger in die BRD, d. h. diese Kinder wechselten von den ausländischen auf deutsche Schulen (vgl. HERRMANN 1992, S. 16 ff.). Zu der Gruppe der Seiteneinsteiger gehörten auch Jugendliche mit abgeschlossener Schulausbildung, die in BRD noch schulpflichtig waren. Die schulische Integration dieser Seiteneinsteiger war sehr schwierig. Sie identifizierten sich bereits mit der Kultur und 46
der Gesellschaft des Herkunftslandes und hatten große Sprachprobleme. Die Seiteneinsteiger wurden durch die Übersiedlung einem Kulturschock ausgesetzt. Die Schwierigkeiten verschärften sich bei den Jugendlichen, die aufgrund ihres Alters vom deutschen Schulsystem spät oder nicht mehr erfasst wurden. Diejenigen, die keinen Beruf erlernt hatten, brachten die für eine Berufausbildung unabdingbaren Voraussetzungen nicht mit. Vor allem mangelte es ihnen an Disziplin, Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Weitblick. Im fortgeschrittenen Alter hatten sie auch Probleme, sich gegenüber ihrem Lebensumfeld zu behaupten, da sie die Erwartungen ihrer Umwelt nicht erfüllen konnten (vgl. ebd., S. 18 f.) (vgl. 3.3 Identität). Der größte Teil der ersten Generation hielt an der Rückkehrabsicht in die Heimatländer fest und ließ angesichts der geplanten Rückkehr ihre Kinder bei den Verwandten in der Türkei zurück, holte sie aber in die BRD, als sich die Rückkehr verzögerte. Durch die ständige Rückkehrabsicht ist die Zukunftsplanung bei diesen Kinder und Jugendlichen nahezu unmöglich. Diese Pendelkinder konnten sich in der Schule nicht eingewöhnen, wozu meist auch durch die lange Trennung bedingte Probleme in der Familie hinzukamen. Viele litten unter Störungen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, was den Erfolg ihrer Schullaufbahn beeinträchtigte (vgl. ebd., S. 15) (vgl. 3.3 Identität). Inzwischen hat die Zahl türkischer Seiteneinsteiger nur noch eine geringe Bedeutung. Die meisten der türkischen Schüler sind in Deutschland geboren und/ oder aufgewachsen. Sie bilden etwa 2/3 der in der Bundesrepublik Deutschland geborenen und aufgewachsenen ausländischen Kinder und Jugendlichen (vgl. NIEKE 1991, S. 14). Es zeichnete sich eine Verbesserung bezüglich der schulischen Anforderungen und der Leistung der ausländischen Schüler ab. Tatsächlich gesehen hat sich auch die Zahl der angestrebten Bildungsabschlüsse deutlich erhöht. Der Anteil der ausländischen Kinder, die eine Realschule besucht haben, erhöhte sich um das dreifache von 1970 bis 1995. Dagegen stieg die Zahl der Gymnasiasten in diesem Zeitraum von 8 % auf 10 %. Außerdem hat sich die Zahl der ausländischen Schüler, die keinen Abschluss haben, deutlich verringert. Der Anteil der ausländischen Schüler, die ihre Schullaufbahn mit einem Realschulabschluss oder Abitur abschließt, steigt zudem kontinuierlich an.
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Abbildung 4 (eigenerstellt): Deutsche und ausländische Schulabsolventen nach Schulart (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT. Fachserie 11 Reihe 1 „Bildung und Kultur“ Allgemein bildende Schulen. 2005 ) Deutsche und ausländische Schulabsolventen (Angaben in Prozent) Ausländische Hochschul-/ Fachhochschulreife
Deutsche 26
10,2
41,6
Realschulabschluss
29,1 24,5
Hauptschulabschluss ohne Abschluss
7,9
41,5
19,2
Ein Vergleich der Schulabschlüsse deutscher und ausländischer Schüler verdeutlicht nach NIEKE eine ‚strukturelle Benachteiligung’ ausländischer Schüler.19,2 % der ausländischen Schüler haben keinen Schulabschluss erreicht, wobei dies bei den deutschen Schülern nur 7,9 % waren. Eine ähnliche ungleiche Verteilung wird bei den Hauptschulabschlüssen deutlich. Während 41,5 % der ausländischen Schüler einen Hauptschulabschluss bekommen, sind es nur 24,5 % der deutschen Schüler. Genau entgegengesetzt sind die Verteilungen der Realschulabschlüsse: während nur 29,1 % der ausländischen Schüler einen Realschulabschluss haben, sind es bei den deutschen Schülern 41,6 %. Der Anteil der Hochschul- und Fachhochschulreife ist bei den deutschen Schülern dreimal so hoch wie bei den ausländischen Mitschülern, so dass weniger als 10,2 % der ausländischen Schüler Hochschul- und Fachhochschulreife erlangt haben. Statistisch gesehen haben ausländische Schüler einen unterdurchschnittlichen Schulerfolg. Obwohl die Schulabschlüsse der ausländischen Schüler sich erheblich zum Besseren gewendet haben, ist dennoch die schwächere Leistung der ausländischen Schüler erkennbar. Trotz des steigenden Schulerfolgs ausländischer Schüler hat sich der Abstand zwischen deutschen und türkischen Schülern kaum verringert. Der Trend bei den deutschen Schülern ist wiederum der weiterhin angestrebte höhere Abschluss.
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Hier wird Wert darauf gelegt, die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Kooperation zwischen der deutschen Grundschule und türkischen Eltern darzustellen. Die Eltern sind der wichtigste außerschulische Faktor, welcher auf die Schulsituation und den Schulerfolg einen Einfluss hat (vgl. BOOSNÜNNING 1982, S. 73). Die Eltern der ausländischen Kinder haben einen sehr hohen Bildungsanspruch an ihre Kinder (vgl. 2.1.2 Beschäftigungssituation der ausländischen Arbeitskräfte in der BRD). In einer Untersuchung von 1974 wurde festgestellt, dass 56 % der untersuchten ausländischen Eltern sich wünschen, ihre Kinder auf eine höhere Schule im Herkunftsland zu schicken und 16 % würden ihre Kinder auf ein deutsches Gymnasium schicken. Die ausländischen Kinder wollten hingegen zu 28 % die Hauptschule, 13 % die Realschule, 6 % das deutsche Gymnasium und 57 % das Gymnasium im Herkunftsland besuchen (vgl. ebd., S. 73). Die Bildungswünsche der Arbeiterkinder und ihrer Eltern sind sowohl als realistisch als auch zugleich als utopisch einzustufen. Realistisch insofern, als der Wunsch, eine höhere Schule in der Bundesrepublik zu besuchen, relativ wenig verbreitet war und die Einschätzung der Chancen ihrer Kinder im deutschen Bildungssystem einen ‚angemessenen’ Reflex auf ihre schulischen und sozialen Bedingungen darstellten. Unrealistisch und utopisch zugleich war die Vorstellung bzw. der Wunsch, das Gymnasium im Heimatland zu besuchen, da die Frage bestand, ob die Kinder zum Zeitpunkt des Übergangs im deutschen System die notwendige Qualifikation erwerben und ob sie bis dahin in das Herkunftsland zurückkehren würden (ebd.). Mit der Zeit merkten die Eltern jedoch, dass die Bildungswünsche nicht in Erfüllung gingen. Der hohe Bildungsanspruch der ausländischen Eltern wird als Wunsch interpretiert, ihren Kindern über die Schulbildung zu einem höheren sozialen Status zu verhelfen. Schwierigkeiten im Beruf und das geringe Ansehen im beruflichen und privaten Bereich werden durch die Vorstellung einer besseren Zukunft der Kinder kompensiert. „Die Bildungsorientierung der ausländischen Arbeitnehmer ist daher in der Ausprägung und den zu Grunde liegenden Motivationen nicht mit der eher gegenwartsorientierten Haltung, wie sie den deutschen Unterschichtenfamilien zugeschrieben wird, zu vergleichen.“ (ebd., S. 74)
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Die Schulausbildungen ihrer Kinder werden vielmehr als der Weg eines individuellen sozialen Aufstiegs gesehen. Die ausländischen Eltern haben zwar ein starkes Interesse an der Schulbildung ihrer Kinder, stehen aber der Organisation Schule distanziert gegenüber. „Die soziale Distanz der ausländischen Eltern zum Schulsystem ist eine der Ursachen, die für das Auseinanderfallen des hohen schulischen Anspruchniveaus der Eltern und dem geringen Schulerfolg der Kinder verantwortlich gemacht werden kann.“ (ebd., S. 74) Weitere Gründe, die den schulischen Erfolg der Kinder beeinflussten, waren z. B. wenige bzw. keine Hilfen bei den Hausaufgaben, da die Eltern über geringe Deutschkenntnisse verfügten. Die soziale Situation der Eltern, die kaum deutsche Bekannte und Freunde hatten und die gesellschaftlich isolierte Stellung sowie die qualitativ ungünstigen Wohnbedingungen führten meist dazu, dass der Kontaktraum der Kinder zu den gleichaltrigen deutschen Kindern und Jugendlichen nicht geöffnet wurde, obwohl Kinder diesen für eine erfolgreiche Schulbildung benötigten (vgl. ebd., S. 74 ff.). Durch eine Förderung der Elternarbeit kann die Situation der türkischen Kinder verbessert werden. Den türkischen Eltern sollten Sprachkurse angeboten werden, in der sie die deutsche Sprache erlernen und ihren Kindern in jeglichen Bereichen behilflich sein können. Die türkischen Eltern sollten sich bewusst mit den schulischen Problemen ihrer Kinder auseinandersetzen und diese mit ihren Kindern im familiären Umfeld zu lösen versuchen.
4.3
Spezifische Problemfelder türkischer Kinder im Schulalltag
In der Regel unterscheiden sich die Migrantenkinder von deutschen Kindern in zweierlei Hinsicht: Zunächst nach ergibt sich aus verschiedenen Gründen ein Sprachproblem, womit die Kinder konfrontiert werden. Dies ist auf die Herkunftssprache der jeweiligen Arbeitsmigranten zurückführen, denn in vielen Familien wurde ausschließlich die Sprache des Herkunftslandes gesprochen. Diese Schülergruppe beherrschte die deutsche Sprache zu Beginn der Arbeitsmigration gar nicht. Heute zwar um so eher, jedoch nicht in gleichem Maße wie deutsche Schüler. Durch die Sozialisation in50
nerhalb der Familie sind die Kinder durch die Kultur des Herkunftslandes der Eltern geprägt. So leben sie den deutschen Schülern gegenüber in einem fremden Kulturkreis. Integration ist in den seltenen Fällen erfolgt (vgl. Kapitel 3.2 Sozialisation). Auf diese Problematik wird in den nächsten Unterkapiteln eingegangen.
4.3.1 Sprachliche Differenzen In diesem Unterkapitel sollen die sprachlichen Differenzen der Kinder der Arbeitsmigranten dargestellt werden. Migrantenkinder beherrschen regelmäßig zwei Sprachen. Sie wachsen bilingual auf. Die erste Sprache, die sie erlernen, ist in der Regel die Muttersprache. Die Muttersprache erlernen die Kinder in der Familie. Sie brauchen diese in der Familie und eventuell unter Freunden gleicher Nationalität bzw. Sprache. Zudem erfahren sie in ihrer Umwelt die Zweitsprache Deutsch. Sie sind demnach fähig, beide Sprachen in einem gewissen Maße und in ihrem jeweiligen Funktionszusammenhang zu beherrschen. Dennoch gibt es Defizite in beiden Sprachen (vgl. LUCHTENBERG 1991, S. 57). Die Ursache liegt in den Bedingungen des Spracherwerbprozesses sowie der funktionalen Trennung der beiden Sprachen: in der Schule ist die Muttersprache der Kinder nicht erwünscht. Dies wird durch Ermahnungen der Lehrer, in der Schule Deutsch zu sprechen, deutlich. Die ausländischen Schüler beherrschen weder die Muttersprache als schriftliche Sprache noch ihre Zweitsprache als fachliche Sprache in hinreichendem Maße. Dieses Phänomen wird auch als Halbsprache bezeichnet (vgl. BELKE 1999, S. 9 f.). Beim Lernen der beiden Sprachen sind verschiedene Funktionen miteinander verknüpft. Die Erstsprache, meistens die Muttersprache, wird in der Familie ungesteuert erworben (vgl. GLUMPLER / APELTAUER 1997, S. 11 f.). Das Kind erhält durch den Erstspracherwerb ein Medium, das es zur Kommunikation mit der Umwelt und zum begrifflichen Denken befähigt. Gleichzeitig werden über die Sprache Inhalte, Erfahrungen und Gefühle vermittelt (vgl. HOUBE- MÜLLER 1995, S. 83 f.). „Von dieser in allen Lebensphasen vermischten Zweisprachigkeit, mit unterschiedlichen Gewichten auf Muttersprache oder Zweitsprache (...) muss jede Überlegung zur ‚Sprachförderung von ausländischen Kindern’ rechnen.“ (ELSCHENBROICH 1983, S. 254 f.) 51
Auch die Grundschulen werden mit dieser vermischten Zweisprachigkeit konfrontiert und müssen diese auch fördern. „Ausländische Kinder lernen Deutsch nicht als Fremdsprache, sondern als eine Zweitsprache.“ (GÖTZE 1981, S. 72) Der Unterschied liegt darin, dass schulischer Fremdsprachenerwerb erst dann eingesetzt wird, wenn das muttersprachliche System bereits verfestigt ist und die grammatikalischen und syntaktischen Regeln automatisch eingesetzt werden. Hierbei können Erklärungen in der Muttersprache erfolgen und der Erwerb neuer Wörter mit Hilfe von Übersetzungen gestützt werden (vgl. ebd., S. 72). „Nicht wenige ausländische Kinder entwickeln aus dieser Spracherlernsituation Sprachvarietäten und Sprachstrategien mit dem Ergebnis einer in Deutsch als Zweitsprache verwandten, grammatisch korrekten, aber vokabelmäßig eingeschränkten Schulsprache einerseits und einer weniger an grammatischen Normen ausgerichteten Sprechsprache mit einem wesentlich höheren Wortschatz andererseits.“ (LUCHTENBERG 1991, S. 71) Die Kinder bringen sehr unterschiedliche Voraussetzungen hinsichtlich der Sprachbeherrschung mit in die Schule (vgl. RICHTLINIEN UND LEHRPLÄNE FÜR DIE GRUNDSCHULE IN NORDRHEIN WESTFALEN 2001, S. 31). Faktoren, die das Erlernen der Zweitsprache beeinflussen können, sind unter anderem das Alter zum Zeitpunkt der Migration, das Lebensalter, also die dementsprechende Entwicklung der Lautstrukturen und umgebungsbedingte Faktoren, wie die soziale Integration, das Wohnumfeld, die Einstellung der Eltern, die Erreichbarkeit von Institutionen etc. Hinzu kommen objektiv gegebene Faktoren, wie der Grad des Sprachkontrastes und zuletzt die subjektiven Faktoren, wie die Sprachbegabung, die Rückkehrabsicht, der Grad der Integration, der Freundschaftskreis, die Kontaktfreunde und das Freizeitverhalten etc (vgl. GÄRTNER 1984, S. 68). Das Türkische ist nicht eine Fremdsprache mit lediglich anderen Vokabeln; seine Struktur unterscheidet sich auch erheblich in den grammatischen Prinzipien (vgl. SCHWENK 1980, S. 33 f.). Durch den Sprachtyp bedingte charakteristische Unterschiede in der türkischen und deutschen Sprache können häufiger Fehler auftreten, die meist auf die Erst- bzw. Muttersprache zurückzuführen sind. Es kann zu Interferenzen führen, wenn türkische Kinder etwas auf Türkisch denken und versuchen eins zu eins ins Deutsche 52
zu übersetzen, denn „die Semantik und die Pragmatik werden über und die Lexik unterbewertet.“ (WICH- FÄHNDRICH 1983, S. 94 f.) Um die problematische Sprachsituation der Kinder der Arbeitsmigranten auszugleichen, wird gefordert, dass Deutsch die Verständigungs- und Zielsprache der ausländischen Kinder werden soll (vgl. BOSCH 1992, S. 65 f.). „Die für die Kinder notwendige, nachzuholende elementare Sprachförderung kann nicht darauf zielen, Deutsch als Fremdoder Zweitsprache zu lehren, sondern als Umwelt-, Verständigungs- und Zielsprache zu vermitteln.“ (SCHWARTZ / WARWEL / WINTER 1992, S. 66) Die Zweitsprache Deutsch soll also allen Anforderungen an das Medium Sprache gerecht werden. Wie bereits erwähnt ist ein ausschließlicher Einsatz der Erst- und Zweitsprache bei den Migrantenkinder nicht gegeben. Eine funktionale Trennung der beiden Sprachen kann zu Problemen sowohl im Deutschen als auch in der Erst- bzw. Muttersprache führen. Sie beeinträchtigt unter anderem den Erwerb der bilingualen Fähigkeiten (vgl. GIEßHABER / ÖZEL / REHBEIN 1996, S. 160 ff.). Die sprachlichen Probleme können insofern behoben werden, als dass den Kindern entweder die türkische Sprache systematisch vermittelt wird oder beide Sprachen in Form von Umwelt-, Verständigungs- und Zielsprache beigebracht werden. Dazu ist die Elternarbeit sehr wichtig. Den Eltern sollte stets der sprachliche Stand mitgeteilt und wenn nötig, Fördermaßnahmen für das Kind eingesetzt werden. Hierzu ist die Kooperation mit den Eltern wichtig, um die sprachliche Entwicklung des Kindes positiv zu beeinflussen.
4.3.2 Kulturelle und religiöse Differenzen Die Schule hat die Doppelaufgabe, einerseits den Beitrag zur sozialen Eingliederung der ausländischen Schüler für die Dauer ihres Aufenthaltes in der BRD zu leisten und andererseits aber die Erhaltung und Förderung der Identität ausländischer Kinder mit Sprache und Kultur ihrer Heimatländer zu sichern (vgl. GIRGENSOHN KULTUSMINISTER (NRW) 1979, S. 66 ff.). Wie bei dieser schwierigen Doppelaufgabe zu sehen ist, entstehen im Schulalltag Widersprüche. Um die Problemfelder, die durch kulturelle und religiöse Differenzen entstehen, besser verdeutlichen zu können, wird wie53
der eine Einschränkung auf die türkischen Schüler vorgenommen. Die Herkunfts- und Aufnahmeländer haben unterschiedliche Kulturen und Religionen. In Kapitel 3 wurden diesbezüglich unter anderem die familiären und sekundären Sozialisation sowie die Erziehungsvorstellungen türkischer Eltern erläutert. Anhand der erläuterten Sozialisationsbedingungen und der Erziehungsvorstellungen türkischer Eltern können spezifische Probleme entstehen, die auf kulturelle und religiöse Differenzen zurückführen lassen. Diese spezifischen Probleme sind sowohl im alltäglichen Leben als auch im Schulalltag zu sehen. Die im Folgenden aufgeführten Aussagen können jedoch nicht generalisiert werden. Wie bereits erwähnt, wollen türkische Eltern ihre Kinder nach türkischer Tradition erziehen (vgl. ÖZDEMIR 1997, S. 293). Das heißt in diesem Kontext insbesondere, dass beispielsweise Werte wie Respekt vor dem Alter, die Dominanz des Mannes gegenüber der Frau, die Mutter als Vorbildfunktion für die Mädchen, die gehorsam, arbeitsam, ehrenhaft ist und die Familie liebevoll umsorgt und die Stärke der Männlichkeit, mit welcher der Mann die Werte der Nation und der Familie zu schützen hat, vermittelt werden (vgl. ebd., S. 293 f.). Die türkischen Schüler können die zu Hause erlebte Hierarchie auf die Schule übertragen. Dadurch kann es passieren, dass sie beispielsweise an der Autorität der Lehrerin zweifeln, da in der türkisch-traditionellen Erziehung die Männer dominanter als Frauen sind (vgl. WEINER 1983, S. 25). Andererseits kann durch die in der Schule erlebte Gleichstellung die Autoritätsstruktur zu Hause angezweifelt werden, wodurch ein Konflikt im Elternhaus vorprogrammiert erscheint. Viele türkische Schüler besuchen neben der Regelschule eine Koranschule (vgl. ÜÇÜNCÜ 1990, S. 4 f.). Durch die Koranschulen sollen die türkischen Kinder im Sinne der islamischen Traditionen erzogen werden (vgl. ALACACIOĞLU 2000, S. 25 ff.; vgl. MINISTERIUM FÜR ARBEIT, GESUNDHEIT UND SOZIALES DES LANDES NRW (HRSG.) 1997, S. 116 ff.) [In Deutschland gibt es ein großes Spektrum türkischer Organisationen mit politischen, kulturellen, berufsständischen, landsmannschaftlichen und religiösen Zielsetzungen. Die islamischen Organisationen sind ein Teil dieser Einrichtungen.]. Dort müssen sie Koransuren auswendig lernen, wobei in manchen Fällen auch Arabischkenntnisse verlangt werden. Die Kinder sind durch diese zusätzlichen Anforderungen oftmals überlastet. Aufgrund dieser Überlastung erledigen viele Schüler die Hausaufgaben nicht ausrei54
chend. Zudem fallen sie oftmals durch mangelnde Konzentrationsfähigkeit im Unterricht auf (vgl. CROPLEY 1979, S. 23). Wenn solche Verhaltensweisen bei den türkischen Kindern auffallen, sollten die Lehrenden Kontakt zu den Eltern herstellen und sie davon in Kenntnis setzen, dass das Kind überlastet ist und eventuell eine Reduzierung des Besuches der Koranschulen vorschlagen. Nach WEINER können unterschiedliche Religions- und Traditionsauffassungen in vielfältiger Weise zu Konflikten führen (1983, S. 25). Ein typisches Beispiel hierfür ist das Tragen von Kopftüchern im Unterricht [Hier muss angemerkt werden, dass in der Türkei in Schulen und Universitäten rechtlich gesehen kein Kopftuch getragen werden darf.]. Durch das Tragen eines Kopftuches und langer Hosen unter den Röcken und durch das Verbot der Teilnahme am Sport- und Schwimmunterricht oder an Klassenfahrten teilnehmen zu dürfen, könnte ein türkisches Mädchen zu einer Außenseiterin in der Schule werden [Das Verbot am Sport- und Schwimmunterricht kann seitens der Eltern erfolgen, welche sich durch den Hoca, beeinflussen lassen. Die Nicht-Teilnahme an Klassenfahrten kann entweder durch finanzielle Gründe begründet sein oder durch Angst des Virginitätsverlustes]. Ein weiteres Problemfeld ist die Ablehnung des Sexualunterrichtes von vielen türkischen Migranten, da dies den türkischen Moralvorstellungen nicht entspricht (vgl. STÜWE 1991, S. 97 f.). Auf diesem Gebiet dürfte es zu Konflikten zwischen der Schule und Eltern geben, wohingegen auf traditionelle religiöse Sitten in der Schule im Allgemeinen Rücksicht genommen wird (z. B. das Verbot, Schweinefleisch zu essen oder Fastenregeln (Ramadan) einzuhalten). Die Schule ist größtenteils monokulturell orientiert. Die Monokulturalität im Schulalltag wird zum Beispiel auch in Untersuchungen über den Aufbau von Schulbüchern bewiesen. Die untersuchten Schulbücher spiegeln den Standpunkt der dominierenden Gesellschaft wider, seien es ihre Werte, Normen, subjektive Geschichte und im allgemeinen Sinne ihre Kultur. Somit wird an der Schule eine Art kulturelles Allgemeinwissen vorausgesetzt. „Die Schüler sollen an Kultur teilhaben und qualifiziert werden.“ (WENNING 1996, S. 102 ff.) Es ist nachvollziehbar, dass Schüler, welche die Kultur der dominanten Gesellschaft nicht kennen, benachteiligt sind. Dies spiegelt sich wider, wenn im Unterricht zum Beispiel das Thema 55
Weihnachten behandelt wird. Die meisten türkischen Schüler wissen in der Grundschule nicht, warum Weihnachten gefeiert wird, ebenfalls kennen sie auch keine Weihnachtslieder oder Krippenspiele etc. Für türkische Schüler besteht die Gefahr, ein Außenseiter zu werden, da ihm die Weihnachtstraditionen unbekannt sind. Die Lehrerinnen und Lehrer sollten diese Problematik berücksichtigen und den Kindern bewusst machen, dass es unterschiedliche Religionen gibt und wie diese ausgelebt werden. Im Rahmen des Unterrichtes sollten auch andere Feiertage vorgestellt und berücksichtigt werden, wie beispielsweise das Zuckerfest. Denn durch das Feiern ihrer Feste kommen sich die türkischen Kinder nicht entfremdet und minderwertig vor. Die türkischen Schüler wandern zwischen Elternhaus und der Schule, also zwischen zwei Kulturen (vgl. 3.3.1 Identitätsfindung – Identitätskrise). Oftmals sind diese Kinder Doppelbelastungen ausgesetzt. Auf der einen Seite stehen ihre Eltern, denen das Verhalten der Kinder entfremdet vorkommt, auf der anderen Seite sind sie mit der Schule und den Lehrern konfrontiert, die das Verhalten der Kinder nicht oder nur teilweise deuten können. Freizeitgestaltungen von Seiten der Schule, wie Sportgruppen, Aktionsgemeinschaften oder Cafés, können förderlich für die Integration ausländischer Kindern sein. Vielen türkischen Mädchen wurde früher verstärkt der Kontakt zu Freunden außerhalb der Familie verboten, wobei heute Lockerungen dieser Verbote zu sehen sind [Das Verbot früher kann dadurch begründbar sein, dass die Eltern türkischer Mädchen weniger Vertrauen in die deutsche Umwelt gehabt haben. Meines Erachtens kann ich berichten, dass die türkischen Eltern aus verschiedenen Gründen nicht mehr so streng sind wie früher. Wiederum darf diese Aussage nicht verallgemeinert werden]. Die ausländischen Kinder können durch die Freizeitangebote eine Distanz zur Schule abbauen und gleichzeitig soziale Kontakte aufbauen. Die Schüler haben dadurch die Chance, ihren Lernort ohne Leistungsdruck und ohne Versagensängste kennen zu lernen. „Die Schule kann somit zum Lebensraum auf der Basis eines interkulturellen Zusammentreffens werden.“ (PFÄNDER 1990, S. 63 f.)
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4.3.3 Soziale Situation Die Migrantenfamilien haben im Vergleich zur deutschen Bevölkerung einen niedrigeren sozialen Status. Die soziale Benachteiligung wirkt sich direkt und indirekt auf die schulischen Chancen der Migrantenkinder aus. Es steht ihnen ein geringerer Wohnraum zur Verfügung, d. h. dem Kind ist es nicht möglich, ungestört zu lernen (vgl. 2.1.3 Wohnsituation in der BRD). Die Eltern können den Kindern aufgrund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse und ihrer fehlenden Qualifikationen bei den Hausaufgaben weniger behilflich sein. Wegen des niedrigen Pro-Kopf-Einkommens ist es ihnen häufig nicht möglich, eine private Nachhilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. 2.1.2 Beschäftigungssituation der ausländischen Arbeitskräfte in der BRD). Durch die Übertragung der Verantwortung der jüngeren Geschwister kann es zu einer Überforderung kommen. Zusätzlich kann sich der geringe soziale Status negativ auf die psycho-soziale Befindlichkeit der Kinder auswirken (vgl. 3.3.1 Identitätsfindung - Identitätskrise). In der Schulklasse entwickelt sich möglicherweise eine hierarchische Sozialstruktur, die von der Sozialstruktur der Familie des Kindes abhängig ist. Das ausländische Kind hat in der Schule mit Sprachbarrieren jeglicher Art zu kämpfen und gerät zusätzlich in den Konflikt zwischen häuslicher Umwelt und der Schule, so dass das Kind einer doppelten Belastung ausgesetzt ist (vgl. SCHRADER 1976, S. 123). Es ist ein Zusammenhang zwischen Schulleistung, Schichtzugehörigkeit und mangelnden Sprachkenntnissen bei ausländischen Kindern von BOHSTEDT nachgewiesen worden (vgl. ebd.). Die ausländischen Kinder, die in den deutschen Jahrgangsklassen gravierende Defizite in der deutschen Sprache aufweisen, gehören einer schwächeren Sozialschicht an. „Der Lehrer, der sich im Unterricht ständig mit auftretenden Sprachbarrieren auseinanderzusetzen hat, deren Ursache er in der Vorprägung durch die Heimatsprache sieht, wird sich nicht bewusst, dass er es im Unterricht nicht nur mit interlingual bedingten, sondern auch mit schichtenspezifisch bedingten Sprachschwierigkeiten zu tun hat.“ (ebd., S 123 f.) Demnach erfahren ausländische Kinder eine strukturelle Benachteiligung aufgrund ihrer sozialen Herkunft (vgl. KLEMM 1994, S. 184).
57
„Die soziale Situation der Eltern, die kaum deutsche Bekannte und Freunde haben und meist nur über geringe deutsche Sprachkenntnisse verfügen, führt ferner dazu, dass sie ihren Kindern den Kontaktraum nicht zu öffnen vermögen, den sie für eine erfolgreiche Schulbildung benötigen.“ (BOOS- NÜNNING 1982, S. 74)
4.4
Ausländische Schüler im Schulalltag
Ausländische Schüler haben strukturell bedingte Schwierigkeiten in der Schule. Wie bereits erwähnt sind sie durch Faktoren wie Sprachschwierigkeiten und kulturelle Differenzen im Schulsystem benachteiligt. Die Schule ist ein Ort der zwischenmenschlichen Interaktion. Wie die ausländischen Kinder mit den Schülern und den Lehrern in der Schule zusammenleben, soll in den nächsten Unterkapiteln beschrieben werden.
4.4.1 Das Verhältnis zwischen deutschen und ausländischen Schülern In Rahmen dieses Unterkapitels soll eine Untersuchung der sozialen Bindungen der Schüler untereinander erfolgen. Hierbei stehen die Auswahl der Freundschaftsbindungen und die Klassenstruktur in einem engen Zusammenhang. Die Schule kann als eine wichtige Quelle für Freundschaften gelten (vgl. RADEMACHERS 1996, S. 179). So kann es auch innerhalb einer Klasse zur Bildung von Cliquen oder auch zur Ausgrenzung einzelner Schüler kommen, wobei die Nationalität bei der Bildung von Schülergruppen eine große Rolle spielt. Zu dieser Thematik wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt. „Bei einer Untersuchung wurde davon ausgegangen, dass die Attitüde und Haltungen der deutschen Kinder Einfluss auf die Bereitschaft der ausländischen Kinder haben, mit ihnen in interethnische Kontakte zu treten.“ (SCHRADER / NIKLES / GRIESE 1976, S. 169 ff.) Der größte Teil der befragten deutschen Kinder hat einen festen Freundeskreis mit, dem sie oftmals nachmittags oder abends zusammen sind. Aber nur knapp ein Fünftel von ihnen gibt an, dass sich ausländische Kinder darunter befinden. Als Grund wird dafür die Wohnlage genannt. Außerdem 58
sind äußerliche Unterschiede im Verhalten und bezüglich der Hautfarbe, der Haare und des Gesichts wahrgenommen wurden. Eine andere Studie zur Integration der ausländischen Schüler in die deutsche Schulklasse (vgl. BOOS- NÜNNING 1980, S. 68 ff.) zeigt, dass die ausländischen Kinder außerhalb der Schule wenig bzw. keinen Kontakt zu deutschen Kindern haben. Die soziale Beziehung zwischen ausländischen und deutschen Kindern wurde als das geringste Problem im Unterricht gesehen. Insbesondere Untersuchungen, denen Befragungen der Lehrer zu Grunde liegen, betonen die reibungslose Einordnung der ausländischen Kinder. 66 % der Lehrer gaben an, dass ausländische und deutsche Kinder miteinander spielen, nur 18 % haben eine Isolation der ausländischen Kinder beobachtet (vgl. ebd.). Die reibungslose Eingliederung der ausländischen Kinder wird bei der Befragung der Schüler nach ihren Beziehungen zu ihren Klassenkameraden bestätigt. Andere soziometrische Untersuchungen weisen hingegen nach, dass die ausländischen Kinder eine soziale Randgruppe darstellen, die von den Klassenkameraden entweder abgelehnt oder befürwortet wird (vgl. ebd.). Einige zentrale Untersuchungsergebnisse sind: ●
Innerhalb der Klasse genießen schulisch leistungsschwache Schüler ein geringeres Ansehen als leistungsstarke Schüler. So gehören die ausländischen Schüler häufig zu den leistungsschwachen Schülern. Ihr Ansehen wird dadurch negativ beeinflusst. • Mangelnde deutsche Sprachkenntnisse der ausländischen Kinder gelten als integrationshemmend.
Hinzu kommen einige positiv bewertete Güter, über die die ausländischen Kinder in geringem Maße verfügen, wie Prestigesymbole (Fahrräder, teure Hobbies und Markenkleidung). Außerdem kann der niedrige Status der Eltern, schlechte Wohnbedingungen etc. hinderlich bei der Erlangung eines hohen sozialen Statutes in der Klasse sein (vgl. 4.3.3 Soziale Situation). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Verhältnis zwischen den deutschen und ausländischen Schülern u. a. von der Erziehung, der Sozialisation, der Schichtzugehörigkeit, den Sprachkenntnissen, dem Geschlecht, der Wohngegend und den subjektiven Erfahrungen der Kinder abhängig ist. 59
4.4.2 Verhältnis zwischen Lehrer und ausländischen Schülern An dem gemeinsamen Unterricht in den Regelklassen nehmen sowohl ausländische als auch deutsche Schüler teil. Die Lernvoraussetzungen und Lernbedürfnisse der Schüler sind unterschiedlich. „Der Unterricht muss auf den unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler aufbauen.“ (KULTUSMINISTER 1979, S. 18) Aus Sicht des Lehrpersonals kann dies in verschiedener Hinsicht zu Problemen und Konflikten führen. Ein hoher Ausländeranteil in den Klassen kann als eine hohe Belastung angesehen werden. So stuften 20 % der Lehrer in einer Repräsentativuntersuchung allein die Anwesenheit der ausländischen Schüler in Klassen als negativ ein und 80 % der Lehrer empfanden die Anwesenheit der ausländischen Schüler als gemischt oder positiv (vgl. FIRAT 1991, S. 70). Bezüglich der Probleme in gemischtnationalen Klassen beklagen sich die Lehrer über die unzureichende Vorbereitung der ausländischen Schüler auf den Unterricht. Außerdem befürchten sie, den deutschen Schülern nicht gerecht zu werden und sie womöglich auch zu vernachlässigen. Als Hauptgrund für die Probleme wurden die fehlenden Sprachkenntnisse ausländischer Schüler genannt (vgl. BOOS- NÜNNING / HOHMANN 1982, S. 47). Sobald die ausländischen Kinder die deutsche Sprache beherrschen, war aber kein Unterschied zu den deutschen Schülern erkennbar (vgl. ebd., S. 48). Von Lehrern wurden die interethnischen Konflikte oder die unterschiedlichen Lebenswelten der Migrantenkinder häufig nicht wahrgenommen (vgl. AUERNHEIMER / BLUMENTHAL / STÜBING / WILLMANN 1996, S. 4 ff.). Es zeichneten sich folgende Tendenzen aus: ●
●
●
Auf die besonderen Lernvoraussetzungen der ausländischen Schüler einzugehen, bedeutete für die Lehrer meistens nur eine Senkung des Standards (vgl. AKPINAR 1989, S. 58 f.). Eine inhaltliche Neuorientierung wurde kaum in Betracht gezogen. Vorherrschend war der Defizitansatz unter Fokussierung der Sprachdefizite. Die Lebenswelt der Migrantenkinder wurde selten im Unterricht thematisiert. Außerdem wurden die interethnischen Konflikte innerhalb der Schule oft nicht gesehen (vgl. AUERNHEIMER / BLUMENTHAL / STÜBING / WILLMANN 1996, S. 4 ff.).
60
Als störend empfanden die meisten Lehrer die normativen Differenzen, wie das Verständnis der Geschlechterrollen. Das Tragen von Kopftüchern oder das Verweigern der Teilnahme an Klassenfahrten wurden entweder hingenommen oder unter Androhung von Sanktionen abgewehrt. Es herrschte bei den Lehrern ein Verhalten des Mitleids gegenüber den ausländischen Schülern und der Verärgerung gegenüber den Eltern (vgl. ebd., S. 230 ff.). Bei der Beurteilung der schulischen Leistungen der Schüler wird eins deutlich: Die schulischen Kompetenzen deutscher Schüler wurden deutlich höher beurteilt als die der ausländischen Schüler (vgl. MÜLLER 1994, S. 175). Die ausländischen Schüler fühlten sich gegenüber ihren deutschen Klassenkameraden benachteiligt. In einer Untersuchung wurde festgestellt, dass das Verhalten einiger Lehrer gegenüber ausländischen Schülern tendenziell anders ist als gegenüber deutschen Schülern. Ausländische Schüler hatten das Gefühl, strenger behandelt zu werden. „In der Lehrer-Schüler-Interaktion lag ein durch Stereotype bedingtes Störfeld, das die Lehrerschaft offensichtlich nicht reflektierte.“ (HOUBE-MÜLLER 1995, S. 55) Bereits vorhandenen Stereotypen können durch das Verhalten einiger ausländischer Schüler bei den Lehrern bestätigt werden. Ausländische Schüler erscheinen dem Lehrer oft als still, unaufmerksam oder als faul und schlampig (vgl. ESSINGER / HELLMICH / HOFF (HRSG.) 1981, S. 38). In den Schulalltag und in die Benotung der Schüler können durch Stereotypen bedingte indirekte Wertvorstellungen und andere objektiv schwer zu belegende leistungsfremde Faktoren einfließen. Ein Lehrer kann durch seine Einstellungen und Bewertungen direkt oder indirekt den Sozialstatus einzelner Schüler der Klasse beeinflussen, d. h. sein Verhalten kann zu einer Veränderung des Klassenklimas führen (vgl. HOUBE- MÜLLER 1995, S. 55). Bezüglich der Schulsituation ausländischer Schüler hat der Lehrer eine Art Schlüsselposition. Sein Verhalten kann die Integration, die Schulleistung und den sozialen Status ausländischer Schüler beeinflussen. Es liegt im Einflussbereich des Lehrers, inwieweit die kulturelle Distanz der Schüler den Schulalltag bestimmt. Nach BOOS- NÜNNING und HOHMANN wird die Leistungsfähigkeit in der Schule bei einer geringen kulturellen Distanz gefördert (vgl. 1982, S. 71). Durch den monokulturellen Standpunkt kann es vielleicht zu diskriminierenden Handlungen der Lehrpersonen kommen, welche aber größtenteils unbewusst geschehen. Die deutschen Lehrer haben jedoch die Möglichkeit, ausländische Lehrer zu Rate zu ziehen [Die ausländischen Lehrer sind am 61
Anfang der Migration zu Zwecken der Reintegration der ausländischen Kinder aus den Herkunftsländern hergeholt worden.] (vgl. CORPLEY 1979, S. 63 f., und S. 102 f.). Die ausländischen Lehrer gelten als die Vertreter einer Gesellschaft, Sprache und Kultur. Eine Kooperation zwischen beiden Lehrpersonen ist auch aus dem Grunde wichtig, da der ausländische Lehrer Schulschwierigkeiten ausländischer Schüler erklären kann (vgl. FERNANDEZ-RAMOS 1981, S. 236). „Es können gemeinsam Verbesserungen der Lern- und Arbeitsbedingungen für ausländische Schüler durch eine Zusammenarbeit ausländischer und deutscher Lehrer mit den ausländischen Eltern erreicht werden.“ (WAGNER 1981, S. 238 ff.) Eine deutsche Lehrerin betont die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit einem türkischen Lehrer. Sie nennt einige Punkte (vgl. AKPINAR 1989, S. 58 f.): ●
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Der türkische Lehrer kann die Vorkenntnisse der türkischen Kinder besser einschätzen. Im Unterricht kann er die komplizierten Sachverhalte auf Türkisch erklären. Der türkische Kollege ist bei Konflikten in der Klasse und auf dem Schulhof unverzichtbar. Aufgrund seiner eigenen Lebensgeschichte hat er ein besseres Gespür für die Probleme türkischer Kinder und kann ihre Konflikte genauer hinterfragen und klären. Viele türkische Kinder akzeptieren ihn eher als Vertrauensperson als deutsche Lehrer. In der Elternarbeit wird der türkische Lehrer gebraucht, da er das Erziehungsverhalten und die Erwartungen türkischer Eltern besser kennt. Er kann die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus fördern und Schwellenängste und negative Einstellungen zur deutschen Schule abbauen helfen.
In diesem Rahmen muss Elternarbeit seitens der Elternschaft und seitens der Lehrer angestrebt werden. Wenn das nicht erfolgt, können Kinder benachteiligt werden. Es ist die Pflicht aller Eltern, sich über die schulische Situation des Kindes zu erkundigen sowie es die Pflicht des Lehrers ist, die Eltern über die schulische Entwicklung des Kindes zu informieren. Ansprüche an soziales Lernen, wie Toleranz, demokratischer Umgang, ein Mitein62
ander trotz verschiedener Herkunft, können nur damit glaubhaft vor den Schülern vertreten werden, wenn deutsche und türkische Lehrer zusammenarbeiten.
63
5
KOOPERATION VON ELTERNHAUS UND SCHULE
Nach der Darstellung des theoretischen Hintergrundes bezüglich der Sozialisation ausländischer Eltern und Schüler und der Integration in die Grundschule, soll in diesem Kapitel die Kooperation zwischen dem Elternhaus und der Schule dargestellt, die Wichtigkeit der Kontaktaufnahme zwischen den beiden Instanzen betont und die Notwendigkeit der Kooperation zwischen der deutschen Grundschule und den Eltern türkischer Kinder erläutert werden. „Dem Faktor Eltern kommt im Bildungsprozess eine immer entscheidendere Rolle zu. Bildungspolitik kann nicht mit der offiziellen Bildungsinstitution Schule allein gemacht werden. Zur Bildungsreform gehört die Reform des Elternhauses. Nach einer empirischen Erforschung und Analyse des Elternhauses in allen seinen Varianten und Funktionen muss eine auf einem realistischen und differenzierten Elternbild aufgebaute Elternbildung folgen.“ (LEMBERG 1970, S. 147) Im Anschluss daran werden einige Handlungsvorschläge zur Kontaktaufnahme mit türkischen Eltern gegeben, welche die Elternarbeit erleichtern sollen.
5.1
Grundlagen, Bedeutung und Zielsetzung der Kooperation
Elternarbeit ist ein Sammelbegriff für Aktivitäten im Spannungsfeld zwischen pädagogischen Einrichtungen wie Kindergarten, Schulen etc. und den Eltern der von ihnen betreuten Kinder (vgl. GEHLEN 1984, S. 115 f.). Im engeren Sinne betrachtet sind mit der Elternarbeit Aktivitäten gemeint, die auf der pädagogischen Arbeit mit den Kindern basieren. Elternarbeit mit türkischen Eltern beinhaltet hinsichtlich ihrer Begründungen, Ziele, Bedingungszusammenhänge, Formen und Charakteristika und auch hinsichtlich der in ihrem Verlauf auftretenden Probleme weitgehend die gleichen Elemente wie die Elternarbeit mit deutschen Eltern, weist aber darüber hinaus einige Spezifika auf, die später noch erläutert werden (vgl. ebd., S. 115 f.).
64
Zu der Elternarbeit allgemein gehören (vgl. SCHAUB / ZENKE 1984, S. 168): ●
Mitbestimmung der Eltern,
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Elterninformationen bei besonderen schulischen Unternehmungen,
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Elternsprechstunden,
●
Elternbesuche im Unterricht,
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Hausbesuche bei den Eltern,
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Zusammenarbeit mit Eltern in Schulvereinen,
●
Beratungsangebote in Krisen und bei Konflikten und
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Mitwirkung der Eltern in Arbeitsgemeinschaften,
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bei Exkursionen,
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Wanderungen und Schulfesten oder bei Unternehmungen der Schulsozialarbeit.
Die Schule als Lebensraum ist auf eine Vielfalt von Begegnungsmöglichkeiten angewiesen. Aktivitäten zur Gestaltung des Schullebens und die Einbeziehung von Eltern und außerschulischen Partnern sind dabei wichtig (vgl. BILDUNGSKOMMISSION NRW 1995, S.81). Elternarbeit findet in vielen Einrichtungen entweder nur mäßig oder gar nicht statt. Lehrer haben immer wieder mit Eltern zu tun, die ihr Kind einfach an der Schule abgeben und sich für die weitere Entwicklung des Kindes wenig interessieren (vgl. KOHLER 1998, S. 11). Die Gespräche und Kontakte mit der Schule werden seitens der Eltern als überflüssig und nutzlos angesehen. Die Lehrer werden aber auch immer wieder mit Eltern konfrontiert, die genauestens die Lernerfolge ihres Kindes sowie die angeblich unzureichenden Maßnahmen des Lehrers überwachen. Dann wiederum gibt es Eltern, die aktiv mithelfen und unterstützen, Klassen- und Schulleben mitgestalten und Interesse an der pädagogischen Arbeit haben. Auf der anderen Seite treffen Eltern auf Lehrer, die bei Problemen keinerlei Hilfestellung geben, Begründungen des eigenen Verhaltens für überflüssig halten, elterliches Interesse als zusätzliche Kontrolle missverstehen und Elternarbeit als eine aufreibende und nutzlose Mehrarbeit betrachten. Durch einige spezifische Probleme sind manche deutsche Lehrer auch eher demotiviert als sich um eine Elternarbeit zu bemühen. 65
Die Notwendigkeit zur Kooperation ergibt sich aus der Interdependenz elterlicher und schulischer Erziehungsbemühungen (vgl. BÄRSCH 1973, S. 231 ff.). Das Kind ist von Geburt an der Einflussnahme durch seine Eltern ausgesetzt und orientiert sich schon vor Schuleintritt an häuslichen Wertund Normvorstellungen. Die familiäre Sozialisation ist nicht nur ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung seiner Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie der Form seiner Auseinandersetzung mit außerfamiliären Inhalten, sondern sie modifiziert auch Möglichkeiten, Wirkungsweise und Effektivität pädagogischen Handelns in öffentlichen Erziehungseinrichtungen (vgl. ROTHGANG / WURZBACHER 1973, S. 15 ff.). Umgekehrt haben auch schulische Erziehungskonzepte unterrichtliches Geschehen, Erfolg und Misserfolg des Schülers Auswirkungen auf das Elternhaus (vgl. BÄRSCH 1973, S. 240). „Da die Sozialisationsbedingungen der Schüler – je nach Wertorientierungen, sozialem Status und Bildungsaspiration ihrer Eltern, um hier nur einige Determinanten zu nennen – differieren, der Schulerfolg des einzelnen Kindes aber entscheidend von den ‚familiären Vorleistungen’ und der Art und Intensität der elterlichen Anteilnahme als wesentlichem Faktor für die Lernmotivation abhängt, wird hier der Schule die Aufgabe zugewiesen, an die Eltern heranzutreten und eine Verbindung zwischen häuslichem und schulischem Erziehungsbereich herzustellen.“ (SCHLEICHER 1983, S. 17) Je früher das geschieht, desto größer ist die Möglichkeit, die Bildungschancen des Kindes zu verbessern. Zur Zeit der Einschulung ist die Kooperationsbereitschaft der Eltern besonders ausgeprägt. Das Interesse der Eltern zu aktivieren und deren Einstellungen zu modifizieren wird mit zunehmendem Alter der Schüler schwieriger. Im Elementar- und Primarbereich ist eine Kooperation zwischen Elternhaus und Schule eher möglich und daher besonderes effektiv. Lehrerinnen und Lehrer, die eine intensive und positive Elternarbeit pflegen, bekommen weitaus mehr Unterstützung und Anerkennung von den Eltern als jene, die Elternkontakten nach vereinten Kräften aus dem Weg gehen (vgl. KOHLER 1998, S. 11). Wie bereits erwähnt, treten bei der Elternarbeit mit türkischen Eltern Spezifika auf, welche die Kooperation mit der Grundschule erschweren können. 66
Diese – schon in 2 und 4 Kapitel erwähnten Probleme – sollen an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden. Die türkischen Arbeitsmigranten kommen aus agrarisch-vorindustriell geprägten Gebieten und unterscheiden sich vom Deutschen durch differente Prägungen, sprachliche Fähigkeiten, religiöse Überzeugungen und Familienstrukturen. Die meisten von ihnen orientieren sich an den Norm- und Wertvorstellungen, Rollenerwartungen und –verpflichtungen des Herkunftslandes, da die Migranten immer die Absicht zur Rückkehr in das Heimatland hatten. Im beruflichen und privaten Bereich haben die meisten türkischen Arbeitsmigranten aufgrund ihres sozialen Status ein geringes Ansehen. Die spezifischen Migrationsprobleme, wie mangelnde Sprachkenntnisse und eine Verunsicherung durch die Migration, treten verstärkt auf. Die Bedingungsfelder weisen zahlreiche Hemmfaktoren sowohl seitens der türkischen Eltern als auch seitens der deutschen Lehrer für die spontane Entwicklung von Elternarbeit auf. So ist es den türkischen Eltern durch die Schichtarbeit, das Regenerationsbedürfnis und bei den Frauen durch die zusätzliche Hausarbeit nahezu unmöglich, in der Woche Abendtermine wahrnehmen zu können. Aufgrund vielfältiger Belastungen haben sie meist keine Zeit und Kraft, systematisch Deutsch zu lernen. Die Zusammenarbeit mit den türkischen Eltern und der deutschen Grundschule können durch subjektive Faktoren, wie das Gesellschaftsbild, den Bildungsstand, die Erziehungsauffassung und die heimatliche Sozialisation erschwert werden. Nicht nur die türkischen Eltern, sondern auch die Pädagogen sind aufgrund sozialer Statusunterschiede und kultureller Distanz, Arbeitsüberlastung und mangelnder Ausbildung hinsichtlich der Initiative der Elternarbeit gehemmt. Verengtes Rollenverständnis, mangelndes Problembewusstsein, Vorurteile und Ängste halten die Lehrer und Erzieher von einer engagierten Elternarbeit ab (vgl. GEHLEN 1984, S. 116). Die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Pädagogen kann und sollte einen Beitrag zur Integration ausländischer Kinder und Eltern leisten. Benachteiligungen, Diskriminierungen und Isolationen sollen so abgebaut werden. „Integration wird hier interpretiert als Lernprozess, als Prozess der Wechselwirkung von Aufnahmegesellschaft und Immigranten, in dessen Verlauf die Immigranten die volle, gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der Aufnahmegesell67
schaft erreichen und letztere ihre Identität als Einwanderungsgesellschaft realisiert.“ (ebd.) Folgende Punkte sollen den Stellenwert der Elternarbeit im Integrationsprozess verdeutlichen: ●
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Kooperation und Mitbestimmung hinsichtlich der jeweiligen pädagogischen Arbeit mit den Kindern / Eltern als Lern- und Integrationshelfer, Erziehungs- und Bildungsberatung im Sinne gemeinsamer Beratung von Eltern und Pädagogen über Entwicklungsprobleme und Fördermöglichkeiten der Kinder sowie Erziehungsstile, politische Bildung im Sinne der Befähigung zur Wahrnehmung (im doppelten Sinne) der Interessen der Kinder auch über den pädagogischen Rahmen hinaus und Entwicklung positiver sozialer Beziehungen zwischen Eltern und Pädagogen, vor allem der ausländischen und deutschen Eltern untereinander: Kennen lernen, Vertrauen gewinnen, Erfahrungsaustausch, Zusammenarbeit, Arbeitsteilung und Solidarität.
5.2
Selbstisolierung der Schule und Monopolstellung der staatlichen Schule
Um effektive Elternarbeit leisten zu können, ist eine Umgestaltung sowohl der Lehrerrolle als auch der Elternrolle notwendig. Die Lehrer müssen die Umwelt der Schüler mit einbeziehen, d. h. soziologische Erkenntnisse als Orientierungsdaten nützen. Der Lehrer muss sich nicht nur für das Kind, sondern gleichfalls für die Eltern zuständig fühlen und nicht lediglich als Unterrichtsbeamter, der als ausgebildeter fachlich qualifizierter Mitarbeiter der Institution Schule auftritt. Dies beinhaltet die Tendenz zur Selbstisolierung der Schule in sich. Das Modell der Kooperation zwischen Elternhaus und Schule darf nicht am Modell des Interessengegensatzes orientiert sein, sondern sollte vielmehr „ein Verhältnis von Information und Beratung, der gemeinsamen Aufgabe mit verteilten Rollen, der Hilfe, des Teamworks erfordern, als ein Kräftespiel der Interessen“ (LEMBERG 1970, S. 152) garantieren. Die Eltern dürfen nicht als reaktionär, resigniert, desinteressiert abgeschrieben werden, sondern müssen selber zu Trägern und Mitgestaltern des Schullebens wer68
den. Das bedeutet Elternmitwirkung, Elternmitsprache und gleichzeitig auch Elternbildung. Lehrer und Eltern sollen sich nicht als Beamter und Bürger, sondern als echte Partner gegenüberstehen. „Das verlangt Respektierung und setzt grundsätzliche Anerkennung des guten Willens voraus, selbst wenn man anderer Meinung ist und sich über sein (des Partners-U.R.) Verhalten ärgert.“ (HOHLMANN 1965, S. 399) Der hierarchische Aufbau der Schule macht von vornherein eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrern unmöglich. Lehrer werden als „Vertreter einer Behörde“ und als fremd und potenziell feindlich von den Eltern angesehen. „Oft wird berechtigte Kritik wirklichen am schulischen Belangen auch hier von den Eltern aus der Erwägung unterdrückt, ihre Kinder müssten unter den Auswirkungen leiden.“ (BALZER / ROLLI 1975, S. 83) Die Selbstisolierung der Schule kann noch durch die sozioökologische Isolation der Grundschulen verstärkt werden. Diese ‚Ghettoisierung’ bringt es mit sich, dass die Elternbesuche in der Schule nur sporadisch sind, Kontakte der Eltern untereinander nicht stattfinden können.
5.3
Kooperation zwischen deutschen Grundschulen und türkischen Eltern
Die Wichtigkeit der Elternarbeit sollte nicht unterschätzt werden. Ein kurzes Bespiel verdeutlicht die Notwendigkeit der Elternarbeit mit türkischen Eltern: „Fatma versäumt häufig die Schule. – Der Lehrer droht schließlich mit Polizei. – Die Eltern halten Fatma nun ganz zu Hause. ...“ (GEHLEN 1984, S. 115) Die Verhaltensweise der Eltern lassen verschiedene Interpretationen zu. Im Interesse des Kindes sollten sich die Lehrer und Eltern verständigen und gemeinsam nach einer angemessenen Problemlösung suchen. Elternarbeit erweist sich deshalb als notwendig: ●
Pädagogen brauchen für eine legitimierte und fruchtbare Arbeit Kenntnisse über die Lebenssituation der Kinder, ihre bisherige Entwicklung, maßgebliche Sozialisationsfaktoren und über die Einstellungen und Erziehungspraktiken der Eltern.
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Die Eltern haben einen Anspruch auf Informationen über die pädagogische Arbeit. Dieser Anspruch betrifft zum einen die objektiven Sozialisationsbedingungen in der jeweiligen Einrichtung, wie Normen, Inhalte, Organisationsformen. Zum anderen betrifft er das Verhalten des einzelnen Pädagogen und seinen Erziehungsstil. Auf dieser Ebene bestehen meist Diskrepanzen zwischen ausländischen Eltern und deutschen Pädagogen. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen kann nicht das Ziel der absoluten Vereinheitlichung der unterschiedlichen Ziele und Praktiken haben. Wichtiger ist das Durchschaubarmachen der jeweiligen Erziehungsvorstellungen für die Kinder, so dass sie eigene Werthaltungen entwickeln können. Ausländische Eltern wissen weniger über die pädagogischen Einrichtungen. Sie haben gegenüber den deutschen Arbeitereltern eine größere Distanz zu pädagogischen Einrichtungen. Die Erwartungen an die Schule und die Kinder sind oft übersteigert oder gar illusionär. Wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden, dann zeigen sie sich gleichgültig, resignieren oder werten pädagogische Institutionen offen ab. Die Eltern haben auch Angst vor Entfremdung und ‚Germanisierung’ ihrer Kinder und verfolgen Abwehrstrategien (vgl. ebd.).
Sowohl die Unterstützung der Kinder durch ihre Eltern als auch der Kontakt der Eltern zur Schule ist aus verschiedenen Gründen defizitär. Das betrifft ganz besonders mangelnde Deutschkenntnisse, ein geringes Wissen über das Schulsystem und den Schulalltag, Schwellenängste hinsichtlich der deutschen Institution Schule sowie eine mangelnde Sensibilität der Schulen in Umgang mit Migranteneltern. Einige Schulen haben sich bemüht, etwa über herkunftssprachliche Vermittler und hier meistens ausländische Lehrer, die Beteiligung nichtdeutscher Eltern an der Elternarbeit zu verbessern. Im Rahmen eines Projektes ‚Schule mal anders – Eltern lernen Deutsch’ sind Versuche gestartet worden, den nichtdeutschen Eltern, meist Müttern, die Möglichkeit zu geben, gemeinsam mit ihren Kindern in der Schule Deutsch zu lernen. Dies soll auch dazu dienen, dass ihre Sprachfähigkeiten erhöht und sie somit ihre Kinder im Schulleben unterstützen können. Bei dieser Arbeit geht es um die Bereitschaft zur Öffnung der Schule gegenüber der multikulturellen Wirklichkeit. Ein erfolgreicher Versuch der multikulturellen Öffnung der Schule erweist das von der Münchener Stelle für inter70
kulturelle Zusammenarbeit getragene K.I.D.S. – Projekt (Kreativität in die Schule), bei dem so genannte ‚Dritte’ von Außen – Experten meist Künstler, oft Migranten, – in die Schule kommen. Im Sinne des ‚Empowerments’ können die Schüler zeigen, was in ihnen steckt und welches Potenzial an Kreativität sie besitzen.
5.4
Formen der Elternarbeit
Elternarbeit kann verschieden vollzogen werden. Hier werden Formen wie Elternabende, schriftliche Elternarbeit, Elterngespräche und Hausbesuche aufgeführt und später auf die türkische Elternarbeit eingegangen. In diesem Kapitel werden die verschiedenen Formen der Elternarbeit dargestellt und ihre Vor- und Nachteile aufgezeigt. Gleichermaßen sollen die Effekte, die sie auf Eltern ausüben, erläutert werden.
5.4.1 Der Elternabend „In den Elternabenden geht es um Bildung, Beratung, Integration, Mitentscheidung und Mitarbeit von und durch die Eltern.“ (HUPPERTZ 1979, S. 66) Überlegt gestaltete Elternabende können für alle Beteiligten ausnehmend Gewinn bringend sein. Die Elternabende sollten dazu genutzt werden, die Eltern über die schulische Arbeit zu informieren, mit ihnen darüber zu diskutieren und auch spezielle Themenabende zu veranstalten (vgl. DUSOLT 2001, S. 63 ff.). Solche Abende sollten Schwerpunkte haben, die gerade von besonderem Interesse sind, wie Leselernprozess, Schreibschrift, Computerspiele, Umgang mit Zensuren, Hausaufgaben etc. Diese Themenabende können für die Eltern, die häufig durch die vielfältigen und widersprüchlichen Informationen aus Medien und Gesellschaft verunsichert sind, immer wieder hilfreich sein. Bei der Gestaltung der Elternabende sollten die Lehrenden darauf achten, dass sie die Elternabende interessant aufbauen. Es gibt viele Methoden, die Elternabende zu gestalten: so beispielsweise Brainstorming, Gruppen- oder Partnerarbeit, Rundgespräche, Interviewmethode und Impulsreferate. Besonders günstig erscheint es, die Eltern in Aktivitäten zu involvieren und sie z. B. Freiarbeitsmaterialien in Gruppen ausprobieren und besprechen zu lassen.
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„Besonders schön für die Eltern ist es darüber hinaus natürlich, wenn sich die Lehrerinnen und Lehrer in besonderer Weise um eine freundliche Atmosphäre bemühen, sie die Kinder also z. B. in die Vorbereitung des Elternabends einbeziehen, die eintretenden Eltern einzeln begrüßen und auch Vergnügliches und Positives von der Klasse erzählen.“ (KOHLER 1998, S. 14) Der Elternabend hat, wie jede andere Form der Elternarbeit auch, Vor- und Nachteile. Aus der Sicht der Erziehungsinstitutionen spielt die Praktikabilität eine große Rolle. Erziehungsinstitutionen mit einem eigenen Erziehungsauftrag können nur eine sehr begrenzte Zeit für Elternarbeit erübrigen (vgl. FURIAN 1974, S. 31). Der Nachteil solcher Abende liegt darin, dass nicht alle Eltern und darüber hinaus mehr Mütter als Väter zu den gemeinsam vereinbarten Treffen kommen. In dieser Form der Elternarbeit ist es auch nicht immer möglich, den Problemen und Bedürfnissen aller Anwesenden gerecht zu werden. Daher bedürfen Elternabende einer sorgfältigen Vorbereitung, um die Eltern zur Mitarbeit motivieren zu können. Die meisten Pädagogen klagen über die mangelnde Resonanz bei ausländischen Eltern bezüglich solcher Vorschläge. Die Kooperation von Elternhaus und Schule ist vielmehr ein allgemeines schulpädagogisches Problem. Ihre Notwendigkeit gilt für alle Eltern (vgl. SANDFUCHS 1981, S. 226). Elterarbeit wird durch Klassen- und Schichtbarrieren belastet. Das Nichterscheinen der ausländischen Eltern zu Elternversammlungen ist jedoch nur in den wenigsten Fällen tatsächlich auf Interesselosigkeit zurückzuführen (vgl. KLOSS 1981, S. 132). Bezogen auf die Elternarbeit mit türkischen Eltern ist vorab zu klären, ob sie der ersten oder der zweiten Generation angehören. Wenn sie der zweiten Generation angehören, dann ist zu unterscheiden, ob sie im Herkunftsland geboren und aufgewachsen sind. Die im Heimatland aufgewachsenen türkischen Eltern weisen häufig die gleichen Probleme wie die der ersten Generation auf. Sie nahmen bzw. nehmen aufgrund von Unkenntnis über das deutsche Schulsystem, Mitwirkungsmöglichkeiten, Schichtdienst, negative Erfahrungen mit Behörden, Geringschätzung formalisierter Kommunikation und Verständigungsschwierigkeiten zunächst kaum an Elternabenden teil. Wenn diese Probleme jedoch erkannt werden, dann ist es für den Lehrer leichter, sich diesem Problem zu nähern, um konstruktiv arbeiten zu können. Viele türkische Eltern nahmen häufig aufgrund von Verständigungs72
schwierigkeiten und sprachlichen Defiziten nicht an Elternabenden teil oder bringen ihre älteren Kinder zu den Versammlungen mit, damit sie übersetzen halfen. Zum Teil kann diese Praxis auch heute noch beobachtet werden. Die Übersetzungen der Kinder erfolgen hierbei aber nicht immer wahrheitsgemäß. Um die Elternabende für türkische Eltern attraktiver zu machen, bietet sich an, dass die Lehrer die Einladungen zu den Elternabenden zweisprachig gestalten. Die türkischen Lehrer dienen als Dolmetscher, um mögliche Sprachbarrieren der türkischen Eltern vorzubeugen. Wenn an den Schulen keine türkischen Lehrer tätig sind, dann könnten auch z. B. studentische Aushilfskräfte eingestellt werden, die dafür zuständig sind. Lässt sich die Zweisprachigkeit nicht organisieren, so erscheint es sinnvoll, gesonderte Veranstaltungen für die türkischen Eltern zu arrangieren, um beispielsweise deren Informationsdefizite abzubauen (vgl. SANDFUCHS 1981, S. 232). Einem Lehrer ist oft bekannt, in welchen Berufen und Branchen die Eltern tätig sind. Wenn diese oftmals in Schichten arbeiten und deswegen an Elternabenden nicht teilnehmen können, sollten die Elternabende an Wochenenden veranstaltet werden (ebd.). In den Elternabenden sollten den Eltern Informationen über das deutsche Schulsystem sowie über konkrete schulorganisatorische, inhaltliche, unterrichtliche und erzieherische Maßnahmen und Probleme der jeweiligen Schule und Klasse (z. B. Erläuterung von Fördermaßnahmen, Notwendigkeiten der Anschaffung bestimmter Lernmittel und Arbeitsmaterialien, regelmäßiger Schulbesuch, Hausaufgabenhilfe, Spielen und Lernen) vermittelt werden. Wünschenswert wären Rücksprachen, Ergänzungen und eine Aussprache, die eine Brücke zwischen Elternund Lehrerschaft bilden können. Wichtig sind an diesen Abenden auch Berichte über die Lernfortschritte der Schüler und die Vorstellung von Arbeitsergebnissen zur plakativen Veranschaulichung.
5.4.2 Schriftliche Elternarbeit Gerade bei Schulanfängern und auch für den weiteren Verlauf beziehen sich Elternbriefe auf organisatorische Fragen, wie z. B. Stundenplanänderungen, Stundenausfälle, Ausflüge und Klassenfahrten. Darüber hinaus eignen sich Elternbriefe sehr gut dazu, den Eltern weitere Informationen zukommen zu lassen (vgl. DUSOLT 2001, S. 82). Auf diesem Wege können Eltern etwa mit dem Arbeitsplan der Einrichtung, mit den Materialien, welche die Kinder zur Mitarbeit benötigen, mit der Planung der Elternabende 73
oder auch mit manchen Sorgen und Nöten der Institutionen vertraut gemacht werden. Anhand der Elternbriefe ist es zusätzlich möglich, die Eltern zu informieren, wie z. B. über den Kauf eines neuen Füllers, Bücher für den weihnachtlichen Gabentisch zu nennen oder die Zeugnisausgabe in geeigneter Weise vorzubereiten. Auch positive Entwicklungen über das Kind und die Klasse können auf diesem Wege mitgeteilt werden. Wenn die Eltern mit der deutschen Schriftsprache zurechtkommen, dann stellen Elternbriefe eine gute Möglichkeit dar, um die Beziehung von Schule und Elternhaus zu festigen und Informationen rasch weiterzugeben. Beherrschen sie die deutsche Sprache nicht, dann ist es zu empfehlen, sie in der betreffenden Sprache zu benachrichtigen oder einen Kollegen mit Kenntnissen der jeweiligen Sprache anzusprechen. Wenn diese Möglichkeit nicht besteht, dann sollte über Hausbesuche bei den Eltern nachgedacht werden.
5.4.3 Das Elterngespräch Nach Möglichkeit sollte immer ein persönliches Gespräch mit den Eltern eingeräumt werden. Das Gespräch zwischen unterschiedlichen Institutionen lässt sich verschieden verwirklichen. Bei dieser Form der Elternarbeit sollte zwischen kurzen Gesprächen, die vor allem der Information und der Kontaktpflege dienen und den intensiveren Gesprächen in der Sprechstunde, unterschieden werden (vgl. DUSOLT 2001, S. 80). Die kurzen Kontaktgespräche können nicht das Gespräch in der Sprechstunde ersetzen. Eltern sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Probleme und Sorgen im Zusammenhang mit ihren Kindern mit dem Pädagogen zu erläutern. Die Gespräche in den Sprechstunden haben verstärkt einen beratenden Charakter. Der Sinn der Beratung wäre falsch verstanden, wenn alle persönlichen und familiären Probleme in der Sprechstunde erschöpfend behandelt würden. Die Probleme sollten auch nicht unberücksichtigt gelassen werden. Der Lehrer sollte ein Gefühl dafür entwickeln, welche Probleme die Kinder im Lernprozess beeinflussen bzw. beeinträchtigen. Die Elterngespräche können auch zeitweise, sofern es sich um kurze Fragen handelt, telefonisch geführt werden. Die Elterngespräche mit den türkischen Familien sind sehr wichtig, um individuelle Probleme eines bestimmten Schülers eingehend zu besprechen. Während bei einer deutschen Familie im Vergleichsfall die Interessen des 74
Kindes ohne Schwierigkeiten von den Eltern vertreten werden, die zum Gespräch in der Schule erscheinen, ist die Situation für die türkische Familie ungleich schwieriger, weil die türkischen Eltern meistens sich sprachlich nicht gut ausdrücken können. Zum Elterngespräch müsste sich deshalb der Vater bzw. Mutter beurlauben lassen, um in die Schule kommen zu können. Voraussetzung für Elterngespräche mit türkischen Eltern sind darüber hinaus ausreichende Sprachkenntnisse. Wenn die Eltern nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen, sollte eine Mittlerperson, wie ein türkischer Lehrer, eingesetzt werden. Oftmals verstehen die Väter relativ gut Deutsch, dennoch können in Anbetracht der Fülle der pädagogischen und administrativen Fachausdrücke Verständigungsschwierigkeiten auftreten. Der Kontakt zu den türkischen Eltern sollte gut aufbaut werden. Wenn Eltern angerufen werden, sind neben negativen Aspekten auch gleichermaßen positive (z. B. besondere oder unerwartete Fortschritte) zu erwähnen. Die Lehrer haben bevorzugt, wenn sie sich das Verhalten des türkischen Kindes nicht erklären können, die Eltern anzurufen und nachzufragen, ob es sich um kulturelle, religiöse oder traditionelle Hintergründe handelt, die ein derartiges Verhalten des Kindes erklären. Wenn das Kind sprachliche Defizite aufweist und sich nicht am Unterrichtsgeschehen beteiligt oder beispielsweise die Hausaufgaben unregelmäßig erledigt, sollten die Eltern benachrichtigt und gemeinsam nach Lösungen gesucht werden. Falls die Eltern über geringe Deutschkenntnisse verfügen, sollten sie zunächst zu Hause und in einem für die Eltern vertrauten Umfeld aufgesucht werden, um einem besseren Zugang zu ihnen zu bekommen. Im Fall von sich abzeichnenden Verständigungsproblemen sollte auf jeden Fall eine türkischsprechende Begleitperson für Übersetzungen teilnehmen.
5.4.4 Der Hausbesuch Der Hausbesuch des Lehrers in der Familie seiner Schüler ist in manchen Fällen unverzichtbar. Es ist die zeitaufwendigste Form der Elternarbeit und wird daher nur selten eingesetzt. Anlass dafür sollte aber nicht nur etwas Negatives oder Kritikwürdiges sein. Ein Hausbesuch ist gut vorzubereiten. Der Lehrer sollte sich vorher über den genauen Grund und den Zweck des Hausbesuchs Gedanken machen (vgl. DUSOLT 2001, S. 31 ff.). Eine ausreichend frühe Ankündigung und ein angemessener Termin sollten selbstverständlich sein. Für einen Hausbesuch bieten sich viele pädagogische Gele75
genheiten an. Ein Gespräch zu Hause erhält ein privates und damit weniger amtliches Gepräge. Daher kann das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Lehrern auf diese Art und Weise gefördert werden und die Eltern können erkennen, wie sehr dem Lehrer an der Entwicklung ihres Kindes gelegen ist. Eventuell ergibt sich die Notwendigkeit eines Hausbesuches auch, um die eine oder andere Erziehungsfrage mit beiden Elternteilen besprechen zu können(vgl. DUSOLT 2001, S. 34 f.). Auch wenn die deutschen Lehrer nicht Türkisch sprechen können und Hausbesuche einen hohen Zeitaufwand erfordern, so sollten dennoch einige Hausbesuche eingeplant und durchgeführt werden. Hierbei könnten sowohl von Seiten des Lehrers wie auch der Eltern Fertigkeiten und Fähigkeiten des Schülers zur Sprache gebracht werden. Durch einen Hausbesuch kann der Lehrer einen Einblick in die Familienverhältnisse bekommen, wodurch sich eventuell einige Verhaltensweisen der Familien mit türkischen Kindern erklären lassen. Einen Hausbesuch sollte der Lehrende auf jeden Fall unternehmen, wenn er der Meinung ist, dass die schulische Benachteiligung von sozialen Umständen abhängig ist. „Für jeden Pädagogen, der sich bestimmte Verhaltensweisen nicht erklären kann, bietet sich der Hausbesuch unersetzliche Möglichkeiten, dem entsprechenden Kind künftig besser gerecht zu werden.“ (FURIAN 1974, S. 37) Es haben sich schon grundlegende Haltungen einiger Lehrer gegenüber einem Kind geändert, nachdem sie die häuslichen bzw. die familiären Bedingungen kennen gelernt hatten (vgl. HUPPERTZ 1979, S 57). Daher sollen Informationen über die Lebensbedingungen in der Familie sowie außerfamiliäre Informationen eingeholt werden. Türkische Eltern freuen sich meistens, wenn sich die Lehrer für ihre Familie und für ihr Land interessieren. 90 % der von NEUMANN (1980) „befragten Eltern haben Hausbesuche des türkischen Lehrers gehabt und bekunden übereinstimmend ihr Interesse an Besuchen deutscher Lehrer, das sich in der Regel in einer überaus gastfreundlichen Aufnahme des Lehrers dokumentiert.“ (SANDFUCHS 1981, S. 23) Das Familienalbum wird erfahrungsgemäß bald zum Ausgangspunkt für die Darstellung der Familiengeschichte, der Migration, der verschiedenen Lebensumstände, aber auch der Pläne der Zukunftsperspektiven der Fami76
lie, ihrer Einstellung zur BRD und zum Herkunftsland. Weitere Gesprächsthemen können die Arbeitssituation, Freizeitaktivitäten und Vergleiche zwischen Alltagserfahrungen in Deutschland und im Herkunftsland sein. Die Erörterung von Schulproblemen und Erziehungsfragen wird dadurch erleichtert. Der erste Kontakt sollte deswegen dem gegenseitigen Kennen lernen dienen. Weitere Themen können danach leichter behandelt werden, wie: Aufgaben und Arbeitsweise der betreffenden Einrichtung, Schullaufbahnberatung (Schulsystem, Berufsperspektiven), Informationsaustausch über die verschiedenen Herkunftsländer, Missstände in der Einrichtung und Veränderungsmöglichkeiten, allgemeine pädagogische Themen wie Fernsehkonsum, Sexualerziehung bzw. Geschlechterrollen, Aggression, Strafe und Wert des Spielens. Während beim Elternabend die spezifischen Problemlösungsmöglichkeiten der Eltern als Gruppe zur Geltung kommen können, steht beim Hausbesuch die individuelle Beratung und weitergehend die persönliche Beziehung zwischen Eltern und Pädagogen im Vordergrund. Der Hausbesuch ist ein Schritt zur Aufhebung der Isolation der ausländischen Familien. Oft ist der Lehrer oder der Nachbar der erste Deutsche, der die Schwelle zur Wohnung dieser Familien überschreitet. Dies wird als Ehre aufgefasst und zugleich als besonderes Interesse am Kind gedeutet. Die Schüler reagieren auch positiv und zeigen eine intensivere vertrauensvolle Zuwendung zum Lehrer und bessere Mitarbeit, da sie die Bemühungen des Lehrers dankbar anerkennen und sich ernst genommen und akzeptiert fühlen. Die investierte Zeit wirkt sich als Erleichterung auf die Unterrichtsarbeit aus. Durch das Informieren über die soziale Situation der Familie, ihre Probleme und Perspektiven, können die Erziehungs- und Schulprobleme des Kindes durch bestimmte schulische Maßnahmen, Inhalte und Ziele, beseitigt werden. Dieser Einblick in die soziale Situation der Familien könnte aber auch ein unangenehmes Gefühl bei den Familien erwecken, dies ist zu berücksichtigen. „Der Hausbesuch dient schließlich der Vorbereitung formaler Verkehrsformen, insofern er die >>Schwellenangst>Strategie der kleinen Schritte>Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft