Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft: Moglichkeiten und Grenzen von Unterstutzungsstrukturen 3531178512, 9783531178516 [PDF]


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Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft: Möglichkeiten und Grenzen von Unterstützungsstrukturen......Page 3
ISBN 9783531178516 ......Page 4
Inhaltsverzeichnis......Page 6
1 Einleitung......Page 10
Hintergrund der Studie und Forschungsdesign im Überblick......Page 12
Aufbau der Arbeit......Page 13
2 Bildungspolitische Handlungsfelder......Page 16
2.1.1 Demografische Entwicklung......Page 17
2.1.2 Veränderte Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen......Page 20
2.2 Erkenntnisse zur Qualität des deutschen Bildungssystems......Page 22
2.2.1 Bildungskompetenzen......Page 23
2.2.2 Disparitäten im Bildungsverlauf......Page 25
2.3 Verändertes Bildungsverständnis......Page 27
2.3.1 Strukturierung von Bildungsprozessen......Page 28
2.3.2 Wechselwirkungen zwischen Familie, Schule und außerschulischen Bil-dungsorten......Page 29
2.4 Zusammenfassung......Page 31
3 Kommunale Bildungslandschaften......Page 34
3.1.1 Regionalisierung und Kommunalisierung......Page 35
3.1.2 Regionale und lokale Governance......Page 36
3.1.3 Kommunale Bildungslandschaften – eine Begriffsdefinition......Page 38
3.2 Modelltypen und Projekte......Page 39
3.2.1 Modelltypen......Page 40
3.2.2 Beispiele regionaler und kommunaler Bildungslandschaften......Page 42
3.2.3 Internationale Beispiele......Page 47
3.2.4 Bilanzierung des Forschungsstandes......Page 49
3.3.1 Zusammenlegung von Zuständigkeiten......Page 51
3.3.2 Kommunale Bildungsnetzwerke......Page 52
3.3.3 Aufbau eines kommunalen Bildungsmonitorings......Page 54
3.3.4 Entwicklung einer neuen Kommunikationsund Beteiligungskultur......Page 55
3.4 Zusammenfassung......Page 56
4.1 Definition, Formen und pädagogische Gestaltungslinien......Page 58
4.1.1 Definition......Page 59
4.1.2 Pädagogische Gestaltungslinien......Page 63
4.2.1 Geschichtlicher Abriss......Page 65
4.2.2 Quantitative Ganztagsschulentwicklung in Deutschland seit 2002......Page 66
4.2.3 Ganztagsschulentwicklung in Baden-Württemberg......Page 69
4.3 Überblick über den Forschungsstand zu Ganztagsschulen......Page 71
4.3.1 Pädagogische Profile, Gestaltungsansätze und Organisationsvarianten......Page 72
4.3.2 Nachfrage, Motive und Akzeptanz von Eltern......Page 74
4.3.3 Pädagogische Wirkung von Ganztagsschulen......Page 75
4.3.4 Öffnung von Ganztagsschule......Page 77
4.4 Zusammenfassung......Page 78
5.1 Schulentwicklung......Page 80
Abbildung 1:......Page 81
5.2 Schulentwicklung in Ganztagsschulen......Page 83
Innovationsbereitschaft und Engagement des Kollegiums:......Page 84
Repräsentanz verschiedener Schülergruppen:......Page 85
Unterrichtentwicklung:......Page 86
5.2.2 Ganztagsschulentwicklung in Netzwerken......Page 87
5.3.1 Wandel kommunaler Schulträgerschaft......Page 90
5.3.2 Bereiche kommunaler Einflussnahme......Page 92
5.4 Herleitung der Fragestellungen......Page 94
6.1 Untersuchungsdesign......Page 96
Abbildung 2:......Page 97
6.2 Dokumentenanalyse......Page 98
Tabelle 1:......Page 99
6.2.2 Datenerfassung und -aufbereitung......Page 100
6.2.3 Kategoriensystem und Auswertung......Page 101
6.3.1 Zielsetzungen......Page 102
6.3.3 Datenaufbereitung und -auswertung......Page 103
6.4 Fragebogenerhebung......Page 105
6.4.2 Instrumentarium und Durchführung der Untersuchung......Page 106
6.4.3 Rücklauf und Stichprobenbeschreibung......Page 107
Tabelle 2:......Page 108
6.5 Problemzentrierte Interviews......Page 109
Tabelle 3:......Page 110
6.5.2 Erhebungsverfahren und Durchführung......Page 111
6.5.3 Auswertung......Page 112
7.1.1 Bevölkerungsentwicklung......Page 114
7.1.2 Bildungsangebote in Ulm......Page 115
7.1.3 Gesamtstädtische Entwicklungsansätze......Page 116
7.2.1 Bildung als kommunalpolitischer Schwerpunkt......Page 119
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1. Bildungsforum......Page 121
2. Bildungspolitische Leitlinien......Page 122
Bildungsinfrastruktur zeitgemäß entwickeln:......Page 123
Unterstützung der Schüler beim Übergang in die Schule/ins Berufsleben:......Page 124
3. Bildungspolitische Maßnahmen......Page 125
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7.3.1 Kommunale Bildungspolitik von oben und unten her denken......Page 128
7.3.2 Aufbau neuer Kommunikationsstrukturen im Verwaltungsbereich......Page 130
7.3.3 Ausweitung des kommunalen Aufgabenverständnisses......Page 131
7.3.4 Kommunale Profilbildung: Das Ulmer Modell......Page 132
7.3.5 Kommunaler Bildungsbericht als Steuerungselement......Page 133
7.4 Hindernisse kommunaler Einflussnahme im Bildungsbereich......Page 134
7.5 Zusammenfassung......Page 136
8.1 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der kommunalen Verwaltung......Page 138
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8.1.2 Qualitativer Ausbau......Page 141
8.1.3 Zusammenfassung......Page 143
8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen......Page 144
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8.2.2 Zielvorstellungen und Konzeptionen......Page 147
Tabelle 9:......Page 148
8.2.3 Ansätze zur Umsetzung der pädagogischen Zielvorstellungen......Page 149
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8.2.5 Ausbauniveau der Ganztagsschulen......Page 155
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8.2.6 Kooperationund Netzwerkbildung......Page 157
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8.2.7 Ganztagsteilnahme......Page 160
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8.2.8 Zusammenfassung......Page 164
8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung......Page 165
Abbildung 6:......Page 166
8.3.2 Finanzielle Unterstützung......Page 167
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8.3.4 Kooperationen vor und nach Beginn der Bildungsoffensive......Page 170
8.3.5 Zusammenarbeit mit der kommunalen Schulverwaltung......Page 171
Tabelle 28:......Page 172
8.3.6 Analyse zu kommunalen Einflussfaktoren......Page 173
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8.3.7 Zusammenfassung......Page 176
8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive......Page 177
8.4.1 Zielerreichung aus Sicht der Lehrkräfte......Page 178
Abbildung 7:......Page 179
8.4.2 Zielerreichung aus Sicht der Eltern......Page 180
Abbildung 8:......Page 181
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Tabelle 33:......Page 183
8.4.3 Einflussfaktoren auf Organisationsund kommunaler Ebene......Page 184
Tabelle 35:......Page 185
Tabelle 36:......Page 186
8.4.4 Zusammenfassung......Page 187
9.1 Fallbeschreibungen......Page 190
9.1.1 Schule 1......Page 191
9.1.2 Schule 2......Page 192
9.1.3 Schule 3......Page 193
9.1.4 Schule 4......Page 194
9.2.1 Bedeutsame Faktoren für die Ganztagsschulentwicklung......Page 195
9.2.2 Bereiche sozialräumlicher und kommunaler Vernetzung......Page 198
9.2.3 Bedeutung der Bildungsoffensive für die Ganztagsschulentwicklung......Page 200
9.3 Zusammenfassung......Page 202
10 Zusammenfassung und Diskussion......Page 204
10.1 Von der Bildungsoffensive zur Bildungslandschaft Ulm......Page 205
10.2 Kommunale Ganztagsschulentwicklung in Ulm......Page 207
10.3 Weiterentwicklungsbedarf im kommunalen Raum......Page 211
10.4 Weiterführende Überlegungen......Page 214
11 Literaturverzeichnis......Page 216
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis......Page 230
Kategoriensystem zur Dokumentenanalyse......Page 234
Kategoriensystem zu den Experteninterviews I......Page 235
Kategoriensystem zu den Experteninterviews II......Page 237
Kategoriensystem zu den Interviews mit den Schulleitungen......Page 238
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Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft: Moglichkeiten und Grenzen von Unterstutzungsstrukturen
 3531178512, 9783531178516 [PDF]

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Zitiervorschau

Kristina Eisnach Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft

Kristina Eisnach

Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft Möglichkeiten und Grenzen von Unterstützungsstrukturen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Zugl. Dissertation an der PH Weingarten 2010

. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17851-6

Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung..................................................................................................... 9

2

Bildungspolitische Handlungsfelder........................................................ 15 2.1 Aspekte des gesellschaftlichen und sozialen Wandels.......................... 16 2.1.1 Demografische Entwicklung .......................................................... 16 2.1.2 Veränderte Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen ................................................................................... 19

2.2 Erkenntnisse zur Qualität des deutschen Bildungssystems ................... 21 2.2.1 Bildungskompetenzen .................................................................... 22 2.2.2 Disparitäten im Bildungsverlauf ..................................................... 24

2.3 Verändertes Bildungsverständnis ......................................................... 26 2.3.1 Strukturierung von Bildungsprozessen ........................................... 27 2.3.2 Wechselwirkungen zwischen Familie, Schule und außerschulischen Bildungsorten ..................................................... 28

2.4 Zusammenfassung ................................................................................ 30 3

Kommunale Bildungslandschaften.......................................................... 33 3.1 Entwicklungslinien ............................................................................... 34 3.1.1 Regionalisierung und Kommunalisierung ...................................... 34 3.1.2 Regionale und lokale Governance .................................................. 35 3.1.3 Kommunale Bildungslandschaften – eine Begriffsdefinition ......... 37

3.2 Modelltypen und Projekte..................................................................... 38 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4

Modelltypen.................................................................................... 39 Beispiele regionaler und kommunaler Bildungslandschaften ......... 41 Internationale Beispiele .................................................................. 46 Bilanzierung des Forschungsstandes .............................................. 48

3.3 Zentrale Strukturmerkmale kommunaler Bildungslandschaften........... 50 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4

Zusammenlegung von Zuständigkeiten .......................................... 50 Kommunale Bildungsnetzwerke ..................................................... 51 Aufbau eines kommunalen Bildungsmonitorings ........................... 53 Entwicklung einer neuen Kommunikations- und Beteiligungskultur .......................................................................... 54 3.3.5 Bildungspolitik als „Chefsache“ ..................................................... 55

3.4 Zusammenfassung ................................................................................ 55

6

Inhaltsverzeichnis

4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen ............................. 57 4.1 Definition, Formen und pädagogische Gestaltungslinien ..................... 57 4.1.1 Definition........................................................................................ 58 4.1.2 Pädagogische Gestaltungslinien ..................................................... 62

4.2 Entwicklung der Ganztagsschule .......................................................... 64 4.2.1 Geschichtlicher Abriss .................................................................... 64 4.2.2 Quantitative Ganztagsschulentwicklung in Deutschland seit 2002 65 4.2.3 Ganztagsschulentwicklung in Baden-Württemberg........................ 68

4.3 Überblick über den Forschungsstand zu Ganztagsschulen ................... 70 4.3.1 Pädagogische Profile, Gestaltungsansätze und Organisationsvarianten ................................................................... 71 4.3.2 Nachfrage, Motive und Akzeptanz von Eltern................................ 73 4.3.3 Pädagogische Wirkung von Ganztagsschulen ................................ 74 4.3.4 Öffnung von Ganztagsschule .......................................................... 76

4.4 Zusammenfassung ................................................................................ 77 5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften ........ 79 5.1 Schulentwicklung ................................................................................. 79 5.2 Schulentwicklung in Ganztagsschulen ................................................. 82 5.2.1 Merkmale effektiver Ganztagsschulen ........................................... 83 5.2.2 Ganztagsschulentwicklung in Netzwerken ..................................... 86

5.3 Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Ganztagsschulentwicklung . 89 5.3.1 Wandel kommunaler Schulträgerschaft .......................................... 89 5.3.2 Bereiche kommunaler Einflussnahme ............................................ 91

5.4 Herleitung der Fragestellungen ............................................................. 93 6

Methodisches Vorgehen ........................................................................... 95 6.1 Untersuchungsdesign ............................................................................ 95 6.2 Dokumentenanalyse .............................................................................. 97 6.2.1 Untersuchungsmaterial ................................................................... 98 6.2.2 Datenerfassung und -aufbereitung .................................................. 99 6.2.3 Kategoriensystem und Auswertung .............................................. 100

6.3 Experteninterviews ............................................................................. 101 6.3.1 Zielsetzungen ................................................................................ 101 6.3.2 Expertenstatus und Durchführung ................................................ 102 6.3.3 Datenaufbereitung und -auswertung ............................................. 102

6.4 Fragebogenerhebung........................................................................... 104 6.4.1 Stichprobenziehung ...................................................................... 105 6.4.2 Instrumentarium und Durchführung der Untersuchung ................ 105 6.4.3 Rücklauf und Stichprobenbeschreibung ....................................... 106

Inhaltsverzeichnis

7

6.5 Interviews ........................................................................................... 108 6.5.1 Auswahl der Schulen bzw. Schulleitungen ................................... 109 6.5.2 Erhebungsverfahren und Durchführung ....................................... 110 6.5.3 Auswertung .................................................................................. 111

7

Bildungsoffensive Ulm ............................................................................ 113 7.1 Stadtporträt und gesamtstädtische Entwicklungsansätze .................... 113 7.1.1 Bevölkerungsentwicklung ............................................................ 113 7.1.2 Bildungsangebote in Ulm ............................................................. 114 7.1.3 Gesamtstädtische Entwicklungsansätze ........................................ 115

7.2 Bildungsoffensive Ulm ....................................................................... 118 7.2.1 Bildung als kommunalpolitischer Schwerpunkt ........................... 118 7.2.2 Eckpunkte der Bildungsoffensive Ulm ......................................... 120

7.3 Strukturelle Konsequenzen der Bildungsoffensive Ulm ..................... 127 7.3.1 Kommunale Bildungspolitik von oben und unten her denken ...... 127 7.3.2 Aufbau neuer Kommunikationsstrukturen im Verwaltungsbereich ...................................................................... 129 7.3.3 Ausweitung des kommunalen Aufgabenverständnisses ............... 130 7.3.4 Kommunale Profilbildung: Das Ulmer Modell ............................ 131 7.3.5 Kommunaler Bildungsbericht als Steuerungselement .................. 132

7.4 Hindernisse kommunaler Einflussnahme im Bildungsbereich ........... 133 7.5 Zusammenfassung .............................................................................. 135 8

Ganztagsschulentwicklung in Ulm ........................................................ 137 8.1 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der kommunalen Verwaltung .. 137 8.1.1 Ausbaustand zum Schuljahr 2007/08 ........................................... 138 8.1.2 Qualitativer Ausbau ...................................................................... 140 8.1.3 Zusammenfassung ........................................................................ 142

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen..................... 143 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.2.7 8.2.8

Gebäude- und Raumsituation ....................................................... 144 Zielvorstellungen und Konzeptionen ............................................ 146 Ansätze zur Umsetzung der pädagogischen Zielvorstellungen..... 148 Angebotsstruktur, -organisation und Schülerteilnahme ................ 150 Ausbauniveau der Ganztagsschulen ............................................. 154 Kooperation- und Netzwerkbildung ............................................. 156 Ganztagsteilnahme........................................................................ 159 Zusammenfassung ........................................................................ 163

8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung ... 164 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4

Identifikation mit der Bildungsoffensive ...................................... 165 Finanzielle Unterstützung ............................................................. 166 Teilnahme an Maßnahmen der Bildungsoffensive ....................... 168 Kooperationen vor und nach Beginn der Bildungsoffensive ........ 169

8

Inhaltsverzeichnis 8.3.5 Zusammenarbeit mit der kommunalen Schulverwaltung ............. 170 8.3.6 Analyse zu kommunalen Einflussfaktoren ................................... 172 8.3.7 Zusammenfassung ........................................................................ 175

8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive .. 176 8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.4.4

9

Zielerreichung aus Sicht der Lehrkräfte ....................................... 177 Zielerreichung aus Sicht der Eltern .............................................. 179 Einflussfaktoren auf Organisations- und kommunaler Ebene....... 183 Zusammenfassung ........................................................................ 186

Schulporträts ........................................................................................... 189 9.1 Fallbeschreibungen ............................................................................. 189 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4

Schule 1 ........................................................................................ 190 Schule 2 ........................................................................................ 191 Schule 3 ........................................................................................ 192 Schule 4 ........................................................................................ 193

9.2 Hintergründe der unterschiedlichen Entwicklungsverläufe ................ 194 9.2.1 Bedeutsame Faktoren für die Ganztagsschulentwicklung ........... 194 9.2.2 Bereiche sozialräumlicher und kommunaler Vernetzung ............. 197 9.2.3 Bedeutung der Bildungsoffensive für die Ganztagsschulentwicklung ........................................................... 199

9.3 Zusammenfassung .............................................................................. 201 10 Zusammenfassung und Diskussion ....................................................... 203 10.1 Von der Bildungsoffensive zur Bildungslandschaft Ulm ................... 204 10.2 Kommunale Ganztagsschulentwicklung in Ulm................................. 206 10.3 Weiterentwicklungsbedarf im kommunalen Raum............................. 210 10.4 Weiterführende Überlegungen ............................................................ 213 11 Literaturverzeichnis ............................................................................... 215 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis .............................................................. 229 Anhang: Kategoriensysteme ............................................................................. 233

1 Einleitung

Bildung nimmt vor dem Hintergrund des ökonomischen, technologischen und gesellschaftlichen Wandels in der heutigen Gesellschaft einen immer größeren Stellenwert ein. Ein hohes Bildungs- und Qualifikationsniveau wird als Zeichen von Wettbewerbsfähigkeit in einer globalen, sich immer schneller entwickelnden Gesellschaft verstanden (vgl. Nuissl 2006). Ergebnisse (inter-)nationaler Vergleichsstudien und Ergebnisse im nationalen Bildungsbericht weisen jedoch darauf hin, dass das deutsche Bildungssystem über ein unzureichendes Leistungsniveau und Qualitätsmängel verfügt (vgl. Radisch/Klieme 2003; Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 2008). Zu viele Schüler erleben, dass sie den Anforderungen des Bildungssystems und der Ausbildungs- und Berufswelt nicht gewachsen sind. Wiederholerquoten, die Zahl von Schulabgängern ohne Abschluss, die Klagen von Ausbildungsbetrieben über die mangelnden sprachlichen und anderen Basiskompetenzen belegen einen dringenden Handlungsbedarf. In Zukunft haben Bildungsinstitutionen nicht nur die Aufgabe, alle Kinder und Jugendlichen zu unterstützen, ihre individuellen Chancen zu erkennen, sondern ebenso eine stärkere Unterstützungsfunktion für Familien mit Kindern wahrzunehmen. Ziel sollte es sein, die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder und Jugendlichen sowie ihr Bewusstsein für gesellschaftlich determinierte Lebensbedingungen zu stärken und die Chancengleichheit zu fördern (vgl. Pauli 2006). Um dies zu erreichen, ist es notwendig die Grenzen zwischen formaler, non-formaler und informeller Bildung abzubauen. So müssen nach Nuissl (2006, S. 18ff.) Bildungs- und Kulturinstitutionen, Sozial- und Jugendeinrichtungen, Vereine und Betriebe, Verbände und Initiativen zusammenwirken, um in neuen und veränderten Formen der Zusammenarbeit eine neue Bildungs- und Lernkultur zu entwickeln. Mit dem verstärkten Ausbau von Ganztagsschulen – unterstützt durch das Investitionsprogramm des Bundes „Zukunft Bildung und Betreuung“1 – richtet 1 Beim Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) handelt es sich um ein Unterstützungsprogramm des Bundes, das die Bundesländer beim bedarfsgerechten Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen unterstützen soll. Seit 2003 wurden mit den IZBB-Mitteln über 15.000 Maßnahmen an bundesweit fast 7.000 Schulen durchgeführt oder für das laufende Jahr angemeldet. Insgesamt stellt der Bund im Rahmen des Programms bis 2009 4 Milliarden Euro zur Verfügung.

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

10

1 Einleitung

sich der Blick des deutschen Bildungssystems in den letzten Jahren verstärkt auf eine Erweiterung des schulischen Zeitrahmens. Entsprechend der Minimaldefinition der Kultusministerkonferenz (2006, S.4) sollen Ganztagsschulen über den Unterricht am Vormittag hinaus an mindestens drei Tagen in der Woche ein täglich mindestens siebenstündiges Angebot bereitstellen. Ganztagsschulen eröffnen damit Möglichkeiten, die über den „normalen“ Unterrichtsalltag, wie man ihn aus der Halbtagsschule kennt, hinausgehen. Die Verlängerung der Schulzeit soll unter anderem eine vielseitige Förderung der Kinder und Jugendlichen sowie individuelle Unterstützungen im Umgang mit Schwierigkeiten, Belastungen und Benachteiligungen ermöglichen (vgl. Mack 2007a). Um dies zu erreichen, reicht ein rein quantitativer Ausbau an Ganztagsplätzen nicht aus. Vielmehr muss eine Neubestimmung der Verhältnisse zwischen Schule und Familie, Schule und Jugend sowie Schule und außerschulischem Umfeld Bestandteil von Ganztagsbildung werden (vgl. BMFSFJ 2005). Kaul (2006) weist jedoch darauf hin, dass Ganztagsschulen den Herausforderungen und Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht allein begegnen können. Zudem stellen Behr-Heintze und Lipski (2005) fest, dass Schulen nach wie vor stark auf sich bezogen sind und eine gemeinsame Planung und Abstimmung innerhalb von Kooperationen und Bildungsnetzwerken mit Schwierigkeiten verbunden ist. Dies weist deutlich auf einen Bedarf an Unterstützung der pädagogischen Akteure hin. Neben dem Ausbau von Ganztagsschulen ist das Bildungssystem gegenwärtig durch eine weitere grundlegende Veränderung gekennzeichnet. Den Städten und Kommunen wird eine zentrale Funktion in der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung im Bildungsbereich zugesprochen. Der Bund beschränkt sich zunehmend auf Bildungsmonitoring (vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder 2006). Hintergrund dieser Entwicklung sind Dezentralisierungs- und Regionalisierungstendenzen, denen die Überzeugung zugrunde liegt, dass Städte und Kommunen die Bildungsinfrastruktur gezielter weiterentwickeln können, da sich vor Ort die zukünftigen Entwicklungen und Anforderungen sehr viel konkreter zeigen. Infolgedessen ist in den letzten Jahren der kommunale Aufgabenapparat im Bildungsbereich um eine Vielzahl zusätzlicher Leistungen und Aufgaben erweitert worden. Städte und Kommunen sehen ihre Aufgabe zunehmend darin, ein umfassendes kommunales Unterstützungssystem für die qualitative Bildungs- bzw. Schulentwicklung zu schaffen. Die lokale politische Steuerung orientiert sich dabei vermehrt an einer Aushandlungs- und Partizipationskultur (regional Governance). Dies gilt insbesondere für Bildungsbereiche, in denen Schulen und kommunale Akteure kooperieren müssen (vgl. Stolz 2007a). Städte und Kommunen widmen sich daher stärker der Aufgabe, ausgehend vom Bedarf des kommunalen Bezugsrahmens, ein Bildungskonzept zu entwickeln, welches die bestehenden Angebote auf den Bedarf

1 Einleitung

11

hin überprüft, ergänzende neue Maßnahmen schafft und die Bildung von Bildungsnetzwerken vorantreibt (vgl. Pauli 2006). Dadurch sollen stärker spezialisierte und anspruchsvollere Bildungssettings ermöglicht werden, die die Entwicklung von Ganztagsschulen weiter vorantreiben und gleichzeitig über die Formulierung kommunaler Vereinbarungen zu deren Entlastung beitragen (vgl. Stolz 2007a). Ganztagsschulen bekommen so die Chance, sich innerhalb der Kommune stärker ihrem Umfeld zu öffnen, um auf diese Weise vermehrt flexible und anregende Bildungs- und Betreuungsangebote bereitstellen zu können. Gegenwärtig stellt sich jedoch die Frage, inwieweit kommunale Bildungslandschaften in einer solchen Form bereits bestehen. Es existieren bisher kaum empirische Studien, die ein solches Wirkungsgefüge beleuchten (z.B. Projektleitung „Selbständige Schule“ 2004). Vielmehr stehen umfassende Forschungsansätze noch am Anfang (vgl. etwa Mack 2006; Stolz 2007a; Luthe 2009), so dass fundierte Aussagen auf der Basis dieser Befunde nur begrenzt möglich sind. An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an. Ziel ist es, einen Beitrag zur weiteren wissenschaftlichen Erschließung des Themenfeldes „Ganztagsschulentwicklung im kommunalen Umfeld“ zu leisten. Ausgangspunkt bildet die Frage, welchen Beitrag kommunale Bildungslandschaften und die sich darin entwickelnden Strukturen zur (Weiter-)Entwicklung von Ganztagsschulen leisten können und inwiefern ihnen in diesem Zusammenhang die Funktion eines Unterstützungsinstrumentes zur Qualitätsentwicklung zukommt. Hierfür wird die von der Stadt Ulm im Jahre 2000 initiierte Bildungsoffensive sowie deren Einfluss auf die Ganztagsschulentwicklung im kommunalen Raum untersucht. Als lokale Fallstudie liefert die Untersuchung originäres Forschungswissen über die Entwicklung von Ganztagsschulen im Zusammenhang mit kommunalen Unterstützungssystemen, kommunalen Bildungslandschaften sowie lokalen Netzwerken und ermöglicht es gleichzeitig sozialräumliche bzw. kommunale Bedingungen zu identifizieren, die die Entwicklung von Ganztagsschulen fördern bzw. behindern. Durch die vorliegende Arbeit werden zudem Erfahrungen, die bei der Planung und Durchführung kommunalpolitischer Maßnahmen sowie der Ganztagsschulentwicklung im kommunalen Raum gesammelt wurden, anderen Bildungseinrichtungen, Gemeinden und Städten, die sich auf einem ähnlichen Weg befinden, zur Verfügung gestellt. Sie bietet jedoch keine repräsentative Bestandsaufnahme aller bildungspolitischen Maßnahmen auf kommunaler Ebene, sondern greift aus dem vielfältigen Angebot der Stadt Ulm Initiativen und Maßnahmen heraus, die die Ganztagsschulentwicklung betreffen. Hintergrund der Studie und Forschungsdesign im Überblick Die Studie ist in das Forschungsprojekt „Evaluation der Bildungsoffensive Ulm“ eingebunden, welches an der Pädagogischen Hochschule Weingarten durchge-

12

1 Einleitung

führt wurde. Ziel dieses Projektes war es, einen Gesamtüberblick über die Ulmer Bildungslandschaft und eine differenzierte Rückmeldung zu Akzeptanz, Stand und Mittelverwendung der Bildungsoffensive Ulm zu geben. Es wurden die frühkindliche Bildung in Kindertageseinrichtungen, Verlässliche Grundschulen und Ganztagsschulen sowie der Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung untersucht (vgl. Kucharz u.a. 2009). Im Einzelnen beruht die vorliegende Untersuchung in ihrem methodischen Kern auf einem multi-methodischen und mehrperspektivischen Vorgehen: ƒ ƒ

Multi-methodisch: Die Untersuchung beinhaltet sowohl einen qualitativen (Dokumentenanalyse, Expertengespräche, Leitfadeninterviews) wie auch quantitativen Teil (standardisierte Befragung). Mehrperspektivisch: Untersucht wird die Sichtweise der Protagonisten und Beteiligten (Mitglieder der Stadtverwaltung, Schulleitungen, Lehrkräfte, Schüler und Eltern).2

Aufbau der Arbeit Einleitend setzt sich die Arbeit mit den gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen sowie den damit einhergehenden bildungspolitischen Herausforderungen auseinander (Kapitel 1). Diese bilden den Hintergrund für die in den nachfolgenden Kapiteln beschriebenen Ansätze. Daran anschließend erfolgt in Kapitel 2 die Auseinandersetzung mit dem Konzept „kommunale Bildungslandschaft“. Im Einzelnen werden die Begrifflichkeiten geklärt sowie die gegenwärtigen Modelle und Entwicklungslinien gegenübergestellt. Zuletzt werden Strukturmerkmale beschrieben, die sich als zentral für den Aufbau und die Entwicklung von kommunalen Bildungslandschaften erweisen. Im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen das Konzept und die Entwicklung von Ganztagsschulen. Dabei werden zunächst einige Definitionen und Klassifizierungsansätze diskutiert sowie ein grober Überblick über die geschichtliche und zahlenmäßige Entwicklung der Ganztagsschulen in Deutschland gegeben. Anschließend werden Erkenntnisse der empirischen Forschung zu Ganztagsschulen referiert. Im nächsten Kapitel (Kapitel 4) erfolgt eine vorläufige Bewertung der Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Einflussnahme auf die Ganztagsschulentwicklung. Der erste Teil der Arbeit schließt mit der Herleitung der Fragestellungen ab.

2

Zur Aufrechterhaltung der Lesbarkeit des Textes wird ausschließlich die männliche Schreibweise verwendet. Wenn über Schulleitungen, Lehrer und Schüler geschrieben wird, sind immer auch Schulleiterinnen, Lehrerinnen und Schülerinnen gemeint.

1 Einleitung

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Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der Darstellung der Untersuchung sowie deren Ergebnissen. In Kapitel 5 werden zunächst das Untersuchungsdesign und die einzelnen Untersuchungsphasen näher beschrieben. Kapitel 6 bis 8 geben die Ergebnisse der Untersuchung wieder. So werden in Kapitel sechs zunächst die Bildungsoffensive Ulm analysiert und Hindernisse kommunaler Einflussnahme im Bildungsbereich aus Sicht der kommunalen Verwaltung beschrieben. In Kapitel 7 wird dann gezielt der Frage nachgegangen, wie die Ganztagsschulentwicklung in Ulm seit Beginn der Bildungsoffensive verlaufen ist. Zudem wird untersucht, ob anhand der Daten, Rückschlüsse auf den Einfluss der Bildungsoffensive Ulm auf die Ganztagsschulentwicklung möglich sind. Zur Erklärung der Unterschiede zwischen den Ganztagsschulen werden danach in Kapitel 9 exemplarisch vier Schulen beschrieben und die Hintergründe der unterschiedlichen Entwicklungsverläufe herausgearbeitet. Die Arbeit schließt mit einer Diskussion und Weiterentwicklungsperspektiven aus den ermittelten Befunden ab (Kapitel 9).

2 Bildungspolitische Handlungsfelder

Bereits Ende der 1980er Jahre lieferten erziehungs- und sozialwissenschaftliche Analysen (vgl. Klemm u.a. 1985) Befunde zum gesellschaftlichen Wandel und machten deutlich, dass zukünftige Erziehungs- und Bildungsfunktionen der Schule und anderer Bildungseinrichtungen wichtiger und schwieriger zugleich werden (vgl. Holtappels 1994). Aber erst seit Ende der 1990er Jahre, verbunden mit der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse und der Frage der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich, ist ein gesteigertes Interesse zu verzeichnen, diesen bildungs-, sozial-, bevölkerungs- und familienpolitischen Problemstellungen mit Reformen im Bildungswesen zu begegnen. Im internationalen Vergleich befasst sich die Bildungsdebatte bereits seit über zehn Jahren mit dem gesellschaftlichen und sozialen Wandel sowie daraus resultierenden Veränderungsnotwendigkeiten. Deutschland steht hingegen noch am Anfang einer solchen Entwicklung. Vor dem Hintergrund der Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und der damit verbundenen Förderung der Bildungspotentiale aller Kinder und Jugendlichen gilt es die Bildungsqualität neu zu konzeptualisieren und die Bildungsorganisation zu reformieren. Deutschland hat mit Blick auf sein öffentliches Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungssystem Nachholbedarf (vgl. BMFSFJ 2005, S. 45). Gegenwärtig ist die Bildungsdebatte durch zwei Aspekte gekennzeichnet: die politische Debatte befasst sich mit der Frage der unzureichenden Qualität und Effizienz des Bildungssystems sowie der Neubewertung schulischer Bildung. Die fachliche Debatte setzt sich hingegen mit einem veränderten Qualitätsverständnis von Bildung auseinander. Beide Ansätze führen gegenwärtig zu Reformansätzen der Organisation des Bildungsverlaufs und der Bildungsqualität (vgl. Fthenakis 2008). Bevor in den weiteren Kapiteln erste Reformansätze Deutschlands beschrieben werden, erfolgt in diesem Kapitel zunächst die Beschreibung gegenwärtiger Herausforderungen und Problempunkte, die das deutsche Bildungssystem betreffen. Abschließend werden Konsequenzen für ein neues Bildungsverständnis näher dargelegt.

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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2.1 Aspekte des gesellschaftlichen und sozialen Wandels Die Entwicklung des Bildungssystems wird von allgemeinen gesellschaftlichen und sozialen Prozessen beeinflusst. Diese legen die Rahmenstrukturen fest, die im Bildungssystem verarbeitet werden müssen. Die maßgeblichen Trends, auf die sich die Bildungspolitik einstellen muss, werden in diesem Kapitel skizziert.

2.1.1 Demografische Entwicklung In zahlreichen Publikationen der letzten Jahre wurde darauf hingewiesen, dass sich die Zusammensetzung der Bevölkerungsstruktur in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten deutlich verändern wird (vgl. etwa Konsortium Bildungsberichterstattung 2006; Lutz u.a. 2006; Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2007). Dabei bestimmen Geburten und Sterbefälle die Einwohnerzahl ebenso, wie Wanderungsbewegungen (Zu- und Fortzüge über die Grenzen Deutschlands). Gegenwärtig ist die Bevölkerungsentwicklung durch einen Geburtenrückgang, Alterung und eine schrumpfende Bevölkerung gekennzeichnet, die nicht ohne Folgen für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und das Bildungssystem bleibt. Daher sind die Auswirkungen des demografischen Wandels in den Fokus zahlreicher politischer Debatten gerückt. Der demografische Wandel ist in Deutschland in vollem Gange. Seit über drei Jahrzehnten folgt auf jede Generation eine kleinere Generation, da die Zahl der geborenen Kinder nicht ausreicht, um die Elterngeneration zu ersetzen. Ohne Zuwanderungen aus dem Ausland würde die Bevölkerung Deutschlands bereits seit längerem rapide schrumpfen. Gleichwohl sind die Bevölkerungszahlen seit 2002 rückläufig. Diese Entwicklung ist vor allem Folge eines niedrigen Geburtenniveaus (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2007). Der Rückgang der Bevölkerungszahlen geht einher mit einer strukturellen Veränderung in der Bevölkerungszusammensetzung. So legt die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung dar, dass die jüngeren Bevölkerungsgruppen in Deutschland bis 2020 deutlich abnehmen werden. Die Zahl der 6- bis unter 19Jährigen, die die schulrelevante Altersgruppe bilden, wird bis 2020 um 20% auf 7 Millionen Schüler zurückgehen. Damit wachsen immer weniger Kinder in die einzelnen Stufen des Bildungssystems hinein (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2009). Die dargestellte Entwicklung verläuft in den Bundesländern und Regionen teils sehr unterschiedlich. Am deutlichsten fällt der Unterschied zwischen Ostund Westdeutschland aus. In Westdeutschland ist ein langsamer Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen. Neben einer Bevölkerungsabnahme, sind teils auch

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leichte Bevölkerungszuwächse im Zeitverlauf zu erwarten. Insgesamt wird aber auch hier die Anzahl der Kinder im schulrelevanten Alter bis 2020 deutlich zurückgehen (6- bis 10-Jährige: 10%; 10- bis 20-Jährige: 16%). Im Osten hat der Rückgang der Geburtenzahlen hingegen bereits zu einem Rückgang der Kinderzahlen im Vorschul- und Grundschulalter geführt. In einigen Gebieten Ostdeutschlands wird eine weitere Abnahme der jungen Bevölkerung von bis zu 17% erwartet (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). In Baden-Württemberg3 wird die Bevölkerung auf einem relativ konstanten Niveau bleiben.4 Die Ausgangsbedingungen zur Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels sind günstiger, da die Bevölkerungsentwicklung dynamischer verläuft als in den meisten anderen Regionen Deutschlands. Vom Rückgang der Schülerzahlen ist Baden-Württemberg aber ebenso betroffen (vgl. Brachat-Schwarz 2009). Im Schuljahr 2003/04 erreichte die Schülerzahl der allgemein bildenden Schulen in Baden-Württemberg mit knapp 1,31 Millionen Schülern ihren Höhepunkt. Seitdem sinken die Schülerzahlen. Bis 2020 – Vergleichsjahr ist das Schuljahr 2006/07 – wird die Zahl der Schüler um etwa 23% zurückgehen. Damit würde jede vierte Schülerbank leer bleiben. Die Entwicklung der Schülerzahlen verläuft je nach Bereich sehr unterschiedlich. Im Grundschulbereich hat der Rückgang der Schülerzahlen bereits vor einigen Jahren eingesetzt und konnte bislang nur durch die Verschiebung des Einschulungsstichtages abgeschwächt werden. Zwischen 2006/07 und 2018 wird die Zahl der Grundschüler um ein Fünftel zurückgehen. Die Hauptschulen werden den stärksten Rückgang erleben. Ihre Schülerzahl wird um fast ein Drittel absinken (vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2007). Hier machen sich nicht nur die rückläufigen Geburten- und damit Kinderzahlen bemerkbar, sondern ebenso der sich seit einigen Jahren verschiebende Übergang auf die Schulformen der Sekundarstufe. Es wechseln immer weniger Kinder nach der Grundschule auf eine Hauptschule. An den Realschulen wird ein Rückgang von 20% erwartet. Im Gegensatz dazu hat die Schülerzahl in den Gymnasien in den letzten Jahren stetig zugenommen. Mit rückläufigen Schülerzahlen wird erst ab dem Schuljahr 2009/10 gerechnet. 2025/26 werden jedoch fast ein Viertel Schüler weniger als heute diese Schulart besuchen (vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2007).

3 In den nachfolgenden Kapiteln werden immer wieder Bezüge zu Baden-Württemberg hergestellt, um eine räumliche und entwicklungsbezogene Verortung der Stadt Ulm zu ermöglichen. 4 Die Daten liegen der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausrechung des Landes Baden-Württemberg aus dem Jahr 2006 zugrunde.

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Die demografische Entwicklung und der damit einhergehende Rückgang der Gesellschaft erfordern erhebliche Anpassungsleistungen im Bildungsbereich. Zum einen gilt es auf den in den einzelnen Bildungsbereichen phasenverschobenen wirksam werdenden Rückgang der Bildungsbevölkerung angemessen zu reagieren sowie strukturelle und organisatorische Anpassungsstrategien zur Sicherung der Bildungsinfrastruktur zu entwickeln. Zum anderen ist es aufgrund der abnehmenden Bildungsbevölkerung notwendig, eine bessere Ausschöpfung von Begabungsreserven zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland sicherzustellen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Gleichzeitig bilden die unterschiedlichen regionalen Entwicklungen eine bedeutsame Herausforderung, da die Träger der Bildungsinfrastruktur vor Ort reagieren müssen, um eine wohnortnahe Versorgung mit Bildungseinrichtungen weiterhin gewährleisten zu können. Die demografische Entwicklung birgt nicht nur strukturelle und räumliche Herausforderungen, sondern auch Chancen für die Weiterentwicklung des Bildungssystems. Die Abnahme der Schülerzahlen wird u.a. mit Schulschließungen einhergehen. Die dadurch frei werdenden finanziellen Mittel könnten z.B. für Reformen im Schulbereich und zur Steigerung der Qualität von Bildung eingesetzt werden. Inwieweit ein möglicher Überhang an finanziellen Mitteln tatsächlich auf alle Städte und Regionen zutrifft, ist bislang aufgrund der unterschiedlichen regionalen Entwicklungen noch nicht vorhersehbar. Daher ergeben sich je nach Bundesland und Region unterschiedlich große Spielräume für eine finanzielle Weiterentwicklung der Qualitätssicherung von Schulen. Der mit der demografischen Entwicklung einhergehende Bevölkerungsrückgang konnte bisher vor allem durch Zuwanderungen aus dem Ausland abgeschwächt werden. So wanderten im Jahr 2007 insgesamt 680.766 Menschen aus dem Ausland nach Deutschland ein. Diese kamen überwiegend aus den europäischen Staaten (58%) (vgl. BAMF 2008). Im Jahr 2005 hatten 15,3 Millionen Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung lag damit bei knapp 19%. Zweidrittel der Migranten gehörten zur Migrantenpopulation erster Generation und ein Drittel wurde bereits in Deutschland geboren, weist demnach keine eigene Migrationserfahrung auf (zweite oder dritte Generation) (vgl. Mikrozensus 2005). Für das Bildungssystem ist insbesondere die Gruppe der unter 25-Jährigen interessant. 27% dieser Altersgruppe haben einen Migrationshintergrund. Von Bedeutung ist dabei nicht nur der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sondern auch deren Heterogenität nach nationaler Herkunft und die Anzahl der Personen, die durch Zuwanderung Quereinstiege in das deutsche Bildungssystem zu bewältigen haben. Bei den 6- bis 15-Jährigen sind weniger

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als 20% nach Deutschland zugezogen. Bei den 16- bis 25-Jährigen sind es hingegen beinahe 40%. Zudem verteilt sich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund auf die Bundesländer sehr unterschiedlich. Der Migrantenanteil der unter 25-Jährigen an der Bevölkerung der Länder lag im Jahr 2005 zwischen 26 und 54%. In Baden-Württemberg betrug der Anteil 30% (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Vor dem Hintergrund einer schrumpfenden Bildungsbevölkerung und einer notwendigen Ausschöpfung von Bildungsreserven, dürfen die Bildungspotentiale dieser Bevölkerungsgruppe nicht ungenutzt bleiben. Die Herausforderung liegt in der starken Heterogenität von Zuwanderungskonstellationen und kulturellen Identitäten. Daher gilt es den veränderten Bedingungen in verstärktem Maße durch Integrationsmaßnahmen, wie Sprachkurse und Vorbereitungsmaßnahmen, zu begegnen. Dies erfordert allerdings ein mehr an Zeit in den Schulen für zusätzliche Förderstunden sowie speziell geschulte Lehrpersonen, die auf die Bedürfnisse und Anforderungen von Migrantenkinder gezielt reagieren können.

2.1.2 Veränderte Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen Die beschriebene demografische Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. So stellt die Familie eine der wichtigsten Sozialisationsinstanzen für Kinder und Jugendliche dar (vgl. Holtappels 1994). In den letzten Jahrzehnten zeichnet sich jedoch immer deutlicher eine Pluralisierung von Familien- und Lebensformen ab, wobei Ehepaare mit Kindern noch deutlich überwiegen. Alternative Lebensformen außerhalb der Ehe sind mittlerweile eine feste Größe in der Gesellschaft geworden. Im Jahr 2006 lebten in Deutschland insgesamt 8,8 Millionen Familien mit Kindern. Daneben gab es insgesamt 2,7 Millionen alleinerziehende Elternteile, von denen 61% minderjährige Kinder hatten. Im Zeitvergleich ist dabei die Zahl der Alleinerziehenden um mehr als 24% in den letzten zehn Jahren angestiegen. Vom Status der Alleinerziehenden sind vor allem Frauen (2005: 90% aller Alleinerziehenden) betroffen. Zumeist ist dies Folge einer Scheidung (vgl. Statistisches Bundesamt 2008a, b). Damit wird gleichzeitig deutlich, dass immer mehr Kinder als „Scheidungskinder“ und – zumindest zeitweise – in Ein-Eltern-Familien aufwachsen. Außerdem hat das Sinken der Geburtenrate zu einem Sinken der durchschnittlichen Zahl von Geschwistern geführt. Die Kinder erleben auf diese Weise eingeschränkte Verwandtschaftsbeziehungen und Sozialkontakte (vgl. Holtappels 1994). In Baden-Württemberg lebten im Jahr 2007 fast 1,7 Millionen Familien mit Kindern. Dies waren im Vergleich zu 1980 32% weniger. In Folge der niedrigen Geborenenzahlen sind demnach auch in Baden-Württemberg Familien mit Kin-

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dern weniger geworden. Der Anteil der Einzelkinder liegt bei knapp 18%. Nur noch etwa jedes dritte Kind hat zwei oder mehr Geschwister. Zudem haben sich auch in Baden-Württemberg die Lebensformen hin zu einer zunehmend pluralen Gesellschaft ausdifferenziert. Von den Familien mit Kindern waren im Jahr 2007 77% Ehepaare mit Kindern, 4% Lebensgemeinschaften mit Kindern und 19% Alleinerziehende. Dabei ist bei den Ehepaaren mit Kindern seit 1980 eine Abnahme von 10% und bei den Alleinerziehenden im gleichen Zeitraum eine Zunahme von 36% zu verzeichnen (vgl. Statistisches Landesamt BadenWürttemberg 2007, 2008). Durch den Wandel der Familien- und Lebensformen verändern sich die Möglichkeiten und Voraussetzungen des Einzelnen für die Teilnahme am Bildungssystem sowie für das Zusammenwirken von Familien und Bildungseinrichtungen. Schule kommt damit ein verändertes Aufgabengefüge zu. Sie hat die Aufgabe, durch eine Differenzierung der Lerninhalte und -zugänge, stärker als zuvor auf die unterschiedlichen Lernbedingungen und Probleme der Schüler einzugehen. Ziel muss es sein, über die Individualisierung von Lernprozessen eine gezielte Lernförderung der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen (vgl. Holtappels 2002, S. 18ff.). Zusätzlich besteht angesichts der gesellschaftlichen Pluralisierungs- und Individualisierungstendenzen ein erheblicher Bedarf an sozialer Integration, der teils von der Schule getragen werden muss. Der Rückgang der Kinderzahlen hat dazu beigetragen, soziale Kontaktchancen im Wohnumfeld zu verringern. Dies zieht häufig eine Verhäuslichung und Verinselung der Kindheit nach sich. Sozialkontakte entstehen nicht mehr von allein, sondern müssen gezielt aufgebaut werden (vgl. Holtappels 1997). Angesichts dieser Veränderungen gewinnt die Schule als Erfahrungsraum und Treffpunkt für Freundeskontakte an Bedeutung. Es werden verstärkt unterrichtsübergreifende Erfahrungsmöglichkeiten und Freizeitangebote nachgefragt. Dies aber bedeutet, dass Schule mehr sein muss als nur auf den Unterricht beschränkt (vgl. Holtappels 2002, S. 18). Ein weiterer Aspekt, der das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen immer stärker prägt, ist die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Müttern. Kinder unter 15 Jahren bedürfen in höherem Maße einer Betreuung, da berufstätige Eltern über einen längeren Zeitraum abwesend sind. Im Jahr 2006 gab es in Deutschland 7,1 Millionen Mütter und 6,1 Millionen Väter in erwerbsfähigem Alter, bei denen mindestens ein Kind unter 15 Jahren im Haushalt lebte. 54% der Mütter und 85% der Väter waren aktiv erwerbstätig. Die Erwerbstätigenquote ist dabei abhängig vom Alter des Kindes. Mütter mit Kindern im Alter von zehn bis 14 Jahren wiesen mit 65% die höchste Erwerbstätigenquote auf. Die Erwerbstätigenquote von alleinerziehenden Müttern betrug 56%. Die Erwerbstätigenquote der Väter ist hingegen kaum vom Alter des Kindes abhän-

2.2 Erkenntnisse zur Qualität des deutschen Bildungssystems

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gig und liegt beständig über 80%. Mütter sind dabei überwiegend Teilzeit- und Väter Vollzeit erwerbstätig (vgl. Statistisches Bundesamt 2008b). In Baden-Württemberg hat der Anteil erwerbstätiger Frauen seit 1980 um mehr als 40% zugenommen. Der Anteil von Müttern mit Kindern, die Teilzeit erwerbstätig sind, stieg zwischen 1985 und 2007 von 51 auf 74%. Damit ist der Anteil von Familien, die auf zusätzliche Betreuungspersonen oder betreuende Einrichtungen angewiesen sind, ebenfalls gewachsen. Auch hier zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der Erwerbstätigenquote der Mütter vom Alter des jüngsten Kindes. Während lediglich etwa ein Drittel der Mütter von Kindern unter drei Jahren erwerbstätig ist, sind es bei den 3- bis 6-Jährigen über 60% und den 10- bis 15-Jährigen über 75% der Mütter (vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2008). Das Zusammenspiel von Schule und Familie ist aufgrund der hohen Erwerbsquoten der Frauen komplizierter geworden. Die Bedeutung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit der Familienfreundlichkeit von Schulen nimmt zu. Lange Zeit war in Deutschland das traditionelle Familienmodell dominierend. Dieses Modell setzte auf eine Vermittlung von bildungsrelevanten Kompetenzen durch die Schule und eine Zuweisung der sonstigen Bildungs- und Erziehungsaufgaben durch die Familie. Dieses Modell entspricht jedoch nicht mehr den realen Gegebenheiten. Die sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen machen eine Ausweitung der Bildungsfunktion der Schule sowie eine Erweiterung um Erziehungs- und Betreuungsfunktion notwendig. In den Vordergrund rücken verlässlichere und längere Öffnungszeiten von Schulen.

2.2 Erkenntnisse zur Qualität des deutschen Bildungssystems Im 20. Jahrhundert hat sich in allen industrialisierten Ländern ein wirtschaftlicher und sozialer Wandel hin zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft vollzogen. Neben der zunehmenden Verschiebung der beruflichen Tätigkeiten in den Dienstleistungssektor (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006), geht diese Entwicklung einher mit einer Erhöhung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus (vgl. Nuissl 2006). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind die in den nachfolgenden Teilkapiteln beschriebenen Ergebnisse und Entwicklungen zu verstehen.

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2 Bildungspolitische Handlungsfelder

2.2.1 Bildungskompetenzen Aufgrund der demografischen Entwicklung und des Prozesses der zunehmenden Ökonomisierung und Technologisierung der Gesellschaft steigt der Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Gleichzeitig erhöht sich auch der Stellenwert von Bildung. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass seit mehreren Jahren von einer Wissens- und Bildungsgesellschaft gesprochen wird. Wissen bildet stärker denn je eine ökonomische Grundlage. Immer mehr Menschen sind besser gebildet. Zudem hat sich auch der Zugang zu Wissen verändert und ist z.B. über das Internet überall und jederzeit verfügbar. In diesem Kontext wird Bildung als Wettbewerbsfaktor verstanden, als etwas, dass lebenslanges Lernen erfordert (vgl. Nuissl 2006). Mit Blick auf die Vorbereitung auf den Berufs- und Lebensalltag gewinnt die Vermittlung von Basis- und Schlüsselqualifikationen an Bedeutung. Bisher beschränkte sich schulische Bildung vor allem auf das Erreichen von Bildungsund Lernzielen. Kompetenzen waren hingegen nicht Aufgabe schulischen Lernens. Seit etwa zehn Jahren – bedingt durch die Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studie5 – ist der Kompetenzbegriff jedoch Bestandteil der allgemeinen und erziehungswissenschaftlichen Debatte (vgl. Nieke 2008). Der Kompetenzbegriff umschreibt weniger das Faktenwissen der Jugendlichen, sondern Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für eine Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben notwendig sind (vgl. Baumert u.a. 2001). Die Vorbereitung von Kindern und Jugendlichen in den unterschiedlichen Kompetenzbereichen stellt folglich eine zentrale Herausforderung für das Bildungssystem dar. Aufgabe der Schule ist es, Voraussetzungen für die Entwicklung der Kompetenzbereiche zu schaffen. Um den gewandelten Qualifikationsanforderungen begegnen zu können, benötigen Schulen nach Holtappels (2002, S. 18) allerdings eine umfänglichere und flexiblere Zeitstruktur. Die hohe Zahl an Bildungsverlierern, d.h. junge Menschen ohne abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung, die steigende Zahl an Klassenwiederholungen sowie die zunehmende Nachfrage nach solide qualifizierten Schulabgängern und Absolventen beruflicher Ausbildungen, machen deutlich, dass das Bildungssystem den gegenwärtigen Anforderungen nicht gewachsen ist. Dabei wird nicht mehr nur die unzureichende Ausbildungsfähigkeit als wesentliches Problem bei der Lehrstellenvergabe von Seiten der Wirtschaft beklagt, sondern ein auffallender Qualifizierungsmangel (vgl. Knauer 2007). Auch (inter-)nationale Schulleistungsstudien wie TIMSS6, PISA und IGLU7 haben die Frage nach 5 6

Programme for International Student Assessment Third International Mathematics and Science Study

2.2 Erkenntnisse zur Qualität des deutschen Bildungssystems

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dem Output des Schulsystems aufgeworfen. So wurde in der PISA-Studie der OECD8 (2000, 2003, 2006, 2009) und der IGLU-Studie (2001, 2006) erstmals nicht nach den Leistungen und dem erworbenen Faktenwissen in den Schulfächern gefragt, sondern nach Basiskompetenzen, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen sollen, sich in Schule und Alltag zurechtzufinden (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Entsprechend den Ergebnissen der PISA-Studie gelingt es dem deutschen Schulsystem weniger gut, Schüler, auf der Grundlage der Vermittlung von Basiskompetenzen, hinreichend auf eine erfolgreiche Bildungs- und Berufslaufbahn vorzubereiten. Deutschland liegt deutlich hinter den führenden Nationen, wie Finnland, Kanada und Japan, zurück. Zwar ist im Vergleich zu den Erhebungszeitpunkten 2000 und 2003 für das Jahr 2006 eine Verbesserung im Leistungsstand der 15-Jährigen zu beobachten, jedoch entspricht der Leistungsunterschied zu den führenden Nationen immer noch etwa zwei Schuljahre (vgl. Baumert u.a. 2001; Prenzel u.a. 2004, 2007). Darüber hinaus zeigt sich, dass Deutschland weiterhin zu den Ländern gehört, die bei einem relativ hohen Leistungsniveau gleichzeitig eine große Leistungsheterogenität aufweisen. Etwa jeder Fünfte in Deutschland lebende Jugendliche erwirbt nicht die für eine erfolgreiche Schulund Berufslaufbahn erforderlichen Kompetenzen (vgl. Prenzel u.a. 2007). Dies führt zu einer deutlichen Gefährdung der schulischen und beruflichen Zukunft dieser Schüler. Auffällig ist, dass, gemäß den Ergebnissen der IGLU-Studie, der Rückstand leistungsschwacher gegenüber leistungsstarker Kinder und Jugendlicher im Primarbereich deutlich geringer ausfällt als im Sekundarbereich. Die Leistungen der Schüler scheinen sich demnach erst nach Übertritt in die Sekundarschulen auseinander zu entwickeln (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). Die beschriebenen Problembereiche stellen soziale und wirtschaftliche zukunftsgefährdende Faktoren dar. Etliche dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden auf Transferleistungen angewiesen sein. Zudem wird ein Großteil von ihnen kostenintensive Folgemaßnahmen in Anspruch nehmen, die die Sozialkassen zusätzlich belasten. Die Ergebnisse und daraus resultierenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft haben daher dazu geführt, dass deutsche Bildungssystem zu hinterfragen und nach den Gründen des Scheiterns von Kindern und Jugendlichen im Bildungssystem zu forschen. Hierbei konnten die Ergebnisse der PISA-Studie zeigen, dass die große Leistungsstreuung am Ende der Sekundarstufe I teils auf die Variabilität der Einzelschulen innerhalb einer Schulform zurückzuführen ist (vgl. Baumert u.a. 2003a). Neben den Schülerein7 8

Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung Organisation for Economic Co-operation and Development

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gangsvoraussetzungen wirkt auch die Qualität der pädagogischen Arbeit als Verstärkung der Leistungsunterschiede. So unterscheiden sich pädagogisch erfolgreiche und pädagogisch weniger erfolgreiche Schulen in ihrer Qualität in ungefähr einer Standardabweichung. Beide Komponenten, die Schülereingangsvoraussetzungen und die Qualität der Schule führen demnach zu einer großen Differenziertheit der Leistungen von Einzelschulen innerhalb einer Schulform (vgl. Baumert u.a. 2003b). Die einzelnen Schulen scheinen im unterschiedlichen Umfang in der Lage, die Entwicklung der Kompetenzbereiche bzw. die Bildungspotentiale bei allen Kindern und Jugendlichen zu fördern.

2.2.2 Disparitäten im Bildungsverlauf Neben den beschriebenen Leistungsunterschieden weisen die Befunde der internationalen Schulleistungsstudien darauf hin, dass Chancengleichheit9 auch weiterhin ein Problem des deutschen Bildungssystems darstellt. Betrachtet man das deutsche Bildungssystem, so verfolgt die Gliederung des Schulsystems in Schulformen, das Ziel der Homogenisierung von Schülergruppen nach Leistungsgesichtspunkten. Die Ergebnisse verschiedener Schulleistungsstudien belegen jedoch, dass in Deutschland die Schulleistungen sehr stark mit der Sozialschichtzugehörigkeit kovariiert. Demnach kommt es durch die Aufteilung der Schüler nach Schulformen nicht nur zu einer Trennung nach Leistung, sondern auch zu einer sozialen Segregation (vgl. etwa Baumert u.a. 2001; Prenzel u.a. 2004, 2007; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). Doppelt benachteiligt sind im deutschen Schulsystem Jugendliche mit Migrationshintergrund. Migrantenkinder kommen nicht nur häufiger aus einem Elternhaus mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status, der Leistungsabstand gegenüber deutschen Schülern ist über die sozioökonomischen Effekte hinaus deutlich höher als in anderen Ländern mit vergleichbarem Migrantenanteil. Bei Migranten zweiter Generation (Schüler im Land geboren, aber beide Elternteile im Ausland geboren), die ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland verbracht haben, ist der Abstand zu einheimischen Schülern so groß wie in keinem anderen OECD-Land (vgl. OECD 2008). Die Leistungsunterschiede von Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen Bildungshäusern sowie mit und ohne Migrationshintergrund, weisen folglich auf einen Mangel im Bildungssystem hin. Es gelingt dem deutschen Bildungssystem bislang nicht, alle Kinder und Jugendlichen gemäß ihren Bildungs9 Unter Chancengleichheit wird hier das Ermöglichen gleicher Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft verstanden.

2.2 Erkenntnisse zur Qualität des deutschen Bildungssystems

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potentialen zu fördern. Vielmehr tauchen Disparitäten im Bildungsverlauf auf, die über die gesamte Bildungsbiografie der Kinder und Jugendlichen und im späteren Berufsalltag bestehen bleiben. So besuchen Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern und/oder mit Migrationshintergrund sehr viel seltener ein Gymnasium als ihre Vergleichsgruppe. Auch schließen sie die Schule häufiger mit oder ohne Hauptschulabschluss ab. Damit ergeben sich für diese Gruppen unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungschancen, die meist ihr gesamtes Leben prägen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008). Bei Bildungsungleichheit handelt es sich nicht um ein „neues“ Thema an sich. Vielmehr begleitet dieses Thema die politische und fachliche Bildungsdebatte bereits seit den 1960er Jahren (vgl. etwa Picht 1965; Blossfeld/Shavit 1993; Geissler 1999). Trotz einer bis in die Gegenwart andauernden Bildungsexpansion, die zu einer zunehmenden Bildungsbeteiligung in allen Sozialschichten geführt hat, kam es zu keinem umfassenden Abbau der sozialen Ungleichheit von Bildungschancen (vgl. Becker/Lauterbacher 2004). Hierfür können unterschiedliche Erklärungsansätze angeführt werden. Bei der Bildungsbenachteiligung von Migrantenkindern und -jugendlichen erweist sich die Beherrschung der deutschen Sprache als entscheidende Hürde (vgl. Baumert u.a. 2001; Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2002). Zusätzlich scheinen ethnisierende und kulturalisierende Wahrnehmungen von Menschen mit Migrationshintergrund in der Öffentlichkeit zu einer nicht unabhängig vom ethnischen Hintergrund bewerteten schulischen Leistungsfähigkeit in der Schule zu führen (vgl. Wiezorek/Marten 2008). Kulturelle und ökonomische Theorien der Bildungsungleichheit (vgl. etwa Boudon 1974; Bourdieu 1983) heben zudem hervor, dass Kinder und Jugendlichen aus bildungsfernen Familien sehr häufig viele kulturelle Fertigkeiten (z.B. bestimmte Sprachfertigkeiten, Interaktions- und Kommunikationsstile) nicht in der Familie erworben haben, diese jedoch für eine erfolgreiches Durchlaufen des Schulsystems notwendig sind. Zusätzlich verfügen Kinder aus bildungsfernen und bildungsnahen Familien über stark unterschiedliche ökonomische Ressourcen und können die direkten wie indirekten Kosten von Bildung unterschiedlich gut tragen (vgl. Becker/Lauterbacher 2004). Mecheril (2004) bestätigt diese Annahmen für die Population mit Migrationshintergrund. Er unterscheidet zwischen inner- und außerschulischen Gesichtspunkten: Aspekten, die im weitesten Sinne mit der Funktionsweise des Schulsystems verbunden sind (Organisation und Ausstattung der Schule, Methodik, Didaktik und Inhalte des Unterrichts, Qualifikationen und Kompetenzen des Schulpersonals) und den bereits beschriebenen Bildungsvoraussetzungen von Schülern einschließlich den Unterstützungsmöglichkeiten ihrer Familien.

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2 Bildungspolitische Handlungsfelder

Insgesamt wird deutlich, dass die in den bisherigen Kapiteln skizzierten gesellschaftlichen Veränderungen nichts an dem seit den 1960er Jahren immer wieder festgestellten Zusammenhang zwischen den sozialen, kulturellen und ökonomischen Ressourcen von Familien und dem Bildungserfolg der Kinder geändert haben. Es scheint, dass Familien mit höheren Bildungsabschlüssen besser in der Lage sind, die abnehmende Passung von Halbtagsschule und Familienleben durch die Bereitstellung familiärer Ressourcen und die Nutzung außerschulischer Bildungsangebote zu kompensieren. Der Kontext, in dem die Diskussion um Bildungsungleichheit heute geführt wird, hat sich gegenüber damals jedoch deutlich verändert. In der aktuellen Debatte stehen weniger Fragen nach den Ursachen als Fragen der Effektivität und der Optimierung des Schulwesens im Vordergrund. Daraus ergeben sich veränderte Anforderungen an schulische und außerschulische Bildungsangebote (vgl. Ditton 2004, S. 272; Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 17). Reaktionen der Bildungspolitik, die in diese Richtung weisen, beinhalten den Ausbau entsprechender Fördermaßnahmen, z.B. Sprachförderung an Schulen, Ausbau von Ganztagsschulen sowie eine stärkere Öffnung der Schule zum sozialen Umfeld.

2.3 Verändertes Bildungsverständnis Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudien ist das deutsche Bildungssystem verstärkt unter Druck geraten und sieht sich einem Innovationszwang ausgesetzt (vgl. Otto/Coelen 2005). Der gesellschaftliche und soziale Wandel und die damit einhergehenden veränderten Anforderungen an das Bildungssystem haben dazu geführt, dass das deutsche Bildungssystem und das bestehende Bildungsverständnis in Frage gestellt wurden. Bereits im Jahr 2003 hatte das Bundeskuratorium (BKJ) eine Streitschrift zum Thema „Bildung ist mehr“ herausgebracht, die auf die Verkürzung des bestehenden Bildungsbegriffs hinweist und eine Erweiterung desselben fordert. So wird darin das eindimensionale Verständnis von Bildung als Schulbildung angeprangert. Zur Bildungslandschaft gehören vielmehr auch außerschulische Institutionen, Einrichtungen und informelle Zusammenhänge (vgl. Münchmeier 2003, S. 56). Der 12. Kinder- und Jugendbericht knüpft an diesem lebensweltorientierten Bildungsverständnis an und fasst Bildung als umfassende Entwicklung der Persönlichkeit und als Aneignungsprozess vielfältiger Kompetenzen auf. Kinder und Jugendliche werden als aktive Subjekte ihres Bildungsprozesses verstanden (vgl. BMFSFJ 2005). Im Folgenden werden außerschulische Lernorte und -angebote näher beschrieben.

2.3 Verändertes Bildungsverständnis

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2.3.1 Strukturierung von Bildungsprozessen Gemäß des 12. Kinder und Jugendberichts unterliegen Bildungsprozesse keinen zeitlichen, sozialen und räumlichen Limitierungen und kommen zu jeder Zeit, an allen Orten und bei jeder Gelegenheit zustande (vgl. BMFSFJ 2005, S. 120). Es handelt sich dabei um ein Zusammenspiel von vielen Bildungsorten und Bildungsangeboten. Hierzu zählen Familie, Schule, Einrichtungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, Freunde und Gleichaltrige, Medien, kommerzielle Freizeitangebote und institutionelle Nachhilfe (Mack 2007a). Zusammen bilden sie das Potenzial, aus dem sich Lern- und Bildungsprozesse entwickeln und in denen Kompetenzen erworben werden (vgl. Rauschenbach 2006). Grundsätzlich werden Lerngelegenheiten in zwei Typen unterschieden: Bildungsorte und Lernwelten. Bildungsorte bezeichnen lokalisierbare und einigermaßen stabile Angebotsstrukturen mit einem expliziten oder zumindest impliziten Bildungsauftrag. Hierzu gehören Schulen sowie Einrichtungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Im Gegensatz dazu sind Lernwelten (z.B. Peers, Medien, kommerzielle Freizeitangebote) zeitlich und räumlich eingrenzbar und verfügen über keinen Bildungsauftrag (vgl. ebd., S. 117f.). Darüber hinaus können Bildungsprozesse mehr oder weniger formalisiert ablaufen. Gemäß der Definition der Europäischen Kommission (2001, S. 9, 32f.) unterscheidet man zwischen formalen, nicht-formalen und informellen Lernen: ƒ

ƒ

ƒ

Formales Lernen: Lernen, das üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung stattfindet, (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und zur Zertifizierung führt. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden zielgerichtet. Nicht-formales Lernen: Lernen, das nicht in Bildungs- oder Berufsbildungseinrichtung stattfindet und üblicherweise nicht zur Zertifizierung führt. Gleichwohl ist es systematisch (in Bezug auf Lernziele, Lerndauer und Lernmittel). Aus Sicht der Lernenden ist es zielgerichtet. Informelles Lernen: Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung. Informelles Lernen kann zielgerichtet sein, ist jedoch in den meisten Fällen nichtintentional, sondern verläuft beiläufig.

Erst das Zusammenspiel dieser drei Formen ergibt Bildung in einem umfassenden Sinn. Daher müssen sie strukturell und funktional aufeinander bezogen werden. Für Schulen und alle anderen Bildungsbereiche bedeutet dies, dass sie ihre Bildungsangebote im Gefüge dieser drei Ebenen begreifen und diese bei der Ge-

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2 Bildungspolitische Handlungsfelder

staltung von Bildungsgelegenheiten berücksichtigen müssen (vgl. Münchmeier 2003, S. 56). Dabei wird von fließenden Übergängen zwischen formalen und informellen Lernprozessen ausgegangen (vgl. BMFSFJ 2005, S.129f).

2.3.2 Wechselwirkungen zwischen Familie, Schule und außerschulischen Bildungsorten Bildung beginnt in der Familie. Sie stellt die basale Bildungswelt für Kinder und Jugendliche dar, in der grundlegende Kompetenzen vermittelt werden. Das Bildungsniveau der Eltern hat einen zentralen Einfluss auf die Unterstützung schulischer Lernprozesse z.B. im Rahmen von Nachhilfeunterricht (vgl. Schneider 2004). Die Unterstützung 15-Jähriger bei den Hausaufgaben steigt mit der Höhe des Bildungsabschlusses der Mutter und ist bei Schülern in zugewanderten Familien im Vergleich zu deutschen Familien deutlich geringer (vgl. Hollenbach/Meier 2004). Schule ist nicht nur Lern- und Bildungsort. Daher sollte das Schulleben nicht auf Unterrichtsprozesse verkürzt werden. Ziel sollte es vielmehr sein, außerschulische Personen und Institutionen miteinzubeziehen (vgl. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2002). In den letzten Jahrzehnten versuchen Schulen verstärkt Angebote zu machen, die über den Unterricht hinausgehen. Ein großer Teil der Schulen bietet ein breites Spektrum von Freizeitmöglichkeiten an. Dabei zeigt sich, dass die Angebotsvielfalt an Gymnasien deutlich ausgeprägter ist als an Realschulen und Hauptschulen (vgl. Krüger u.a. 2000). Damit wird eine ohnehin schon bestehende Bildungsungleichheit im Bildungssystem noch verstärkt (vgl. Mack u.a. 2003). Anderseits scheinen Haupt- und Realschüler schulische Freizeitangebote stärker wahrzunehmen als Gymnasiasten. Die Nutzung schulischer Freizeitangebote hängt folglich nicht nur von der Vielfalt ab, sondern ebenfalls von einem positiven Schulklima (vgl. Krüger/Kötters 2000, S. 144f.). In einer Studie von Mack u.a. (2003), die das Verhältnis von schulischen Erwartungen und Angeboten zu den Lebenswelten von Jugendlichen und ihren Eltern untersuchte, wurde nach außerunterrichtlichen Angeboten an Schulen und deren Bedeutung für Schüler und Eltern gefragt. Hierbei zeigen sich deutliche Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage. Jeweils über 50% der Schulen bieten Angebote zur Berufsvorbereitung, zur Förderung und Freizeitaktivitäten an. Sozialpädagogische und psychosoziale Angebote findet man hingegen nur in 37% der an der Untersuchung teilnehmenden Schulen. Die Bedeutung der Angebote für Eltern und Schüler fällt ungleich höher aus. Über 80% bzw. 60% der Schüler schätzen ebendiese Angebote als sehr wichtig bzw. wichtig ein. Besonders deutlich wird die Diskrepanz in den Hauptschulen. Über drei Viertel

2.3 Verändertes Bildungsverständnis

29

der befragten Eltern und Schüler dieser Schulform messen den genannten Angeboten eine große Bedeutung zu. Jedoch werden Förder- sowie sozialpädagogische und psychosoziale Angebote lediglich von einem Drittel der Hauptschulen vorgehalten. Angebote zur Berufsvorbereitung kommen dagegen häufig vor (ebd., S. 161ff.). Problematisch ist außerdem, dass Schulen mit den durchgeführten außerunterrichtlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten teilweise nicht jene Schüler erreichen, die auf außerunterrichtliche Förderangebote angewiesen sind. Hinsichtlich der Nutzung von Schulsozialarbeit konnte festgestellt werden, dass die gewünschte Zielgruppe nicht zwingend erreicht wird (vgl. Oelerich 2002). Neben der Schule existiert eine Vielzahl von Bildungsorten und Lernwelten. Knapp ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen nehmen Lerngelegenheiten an außerschulischen Bildungsorten wahr. Man kann bei den außerschulischen Bildungsorten zwischen Angeboten zur Kompensation und Ergänzung schulischer Leistungen (z.B. Nachhilfe, Sprachkurse, Musikschule) und Angeboten der Jugendarbeit, von Vereinen, Verbänden und kulturellen Einrichtungen unterscheiden. Diese zielen auf die Förderung sozialer und personaler Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen ab (vgl. BMFSFJ 2005, S. 242). Ebenso wie in anderen Bereichen wird die Nutzung dieser Angebote von ökonomischen und sozialen familiären Gegebenheiten beeinflusst. So ist die Vereinsmitgliedschaft von Kindern und Jugendlichen aus sozial schwachen Familien deutlich niedriger als in Familien mit einem hohen sozialen Status (vgl. Fuhs 1996). Deutliche Differenzen in der Nutzung zeigen sich auch für institutionell, zumeist kommerziell organisierter Lernangebote, wie Nachhilfeunterricht, Fremdsprachenkurse, Musikschulen usw. Sozioökonomisch gesehen haben Kinder und Jugendlichen aus Familien mit höherem Haushaltseinkommen und Bildungsstatus der Eltern somit häufiger einen Zugang zu außerschulischen und kulturellen Bildungsangeboten. Sie erwerben damit neben dem Schulalltag zusätzliche Kompetenzen, d.h. zusätzliches kulturelles Kapital (vgl. Baumert u.a. 2001, BMFSFJ 2005). Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen und sozialschwachen Familien sowie mit Migrationshintergrund sind demnach doppelt benachteiligt. Sie haben nicht nur schlechtere schulische Bildungschancen (vgl. Kap. 1.2.2), sondern aufgrund ökonomischer, sozialer und kultureller Restriktionen weniger Zugänge und Möglichkeiten zum außerschulischen Bildungserwerb (vgl. Marbach 2004; Spegel 2004; BMFSFJ 2005). Dadurch ergibt sich eine kumulative Verstärkung der Disparitäten im Bildungsverlauf von Kindern und Jugendlichen (vgl. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2002). Die Ergebnisse verweisen daher auf die Frage, wie möglichst viele Kinder und Jugendliche insbesondere aus bildungsfernen Familien und/oder mit Migrationshintergrund für außerschulische

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2 Bildungspolitische Handlungsfelder

Bildungsangebote gewonnen werden können. Gemäß den Ausführungen des 12. Kinder und Jugendberichts muss das „Zusammenspiel von Bildungsorten und Lernwelten […] angesichts der Pluralität und Heterogenität der Lebenslagen so beschaffen sein, dass unterschiedliche Bildungsangebote und Lernformen mit ihrem jeweiligen Eigensinn allen Kindern und Jugendlichen Differenzierungserfahrungen ermöglichen“ (BMFSFJ 2005, S. 36).

Das ist nur möglich, wenn es in erreichbarer Nähe ein differenziertes, quantitativ gut ausgebautes und qualitativ anspruchsvolles Angebot gibt, dass eine Grundversorgung aller Kinder und Jugendlichen erlaubt und alle an Bildung Beteiligten zusammenarbeiten (vgl. ebd.).

2.4 Zusammenfassung Das deutsche Bildungssystem befindet sich gegenwärtig in einer Umbruchphase. So haben die Rahmenbedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten eine immer stärkere Veränderung erfahren. Erfahrungs- und Bildungsmöglichkeiten sind vielfältiger geworden. Neben dem Lernen in der Schule existieren außerschulische Lernorte, die für die Entwicklungsverläufe von Kindern und Jugendlichen eine ebenso wichtige Rolle spielen. Vorliegende Studien weisen jedoch darauf hin, dass teilweise erhebliche Unterschiede im Zugang zu und in der Nutzung von Bildungsorten und Lernumgebungen bestehen. Dies birgt die Gefahr, dass sich die bestehende Bildungsungleichheit durch räumliche und materielle Disparitäten noch verstärkt. Einen weiteren wichtigen Punkt bilden die Prozesse des gesellschaftlichen und sozialen Wandels. Veränderte Erwerbs- und Familienstrukturen, gewandelte Familienformen sowie ein hoher Anteil an Alleinerziehenden führen zu einem höheren Bedarf an erzieherischer Versorgung. Familien benötigen daher ein verlässliches, zeitlich geregeltes, förderndes und transparentes Bildungssystem, das durch erweiterte Betreuungszeiten, die über den Unterricht hinausgehen, ebendiese Vereinbarkeit gewährleistet (vgl. Olk 2005; Holtappels 2006). Zugleich haben sich auch die inhaltlichen Bildungsanforderungen verändert. Eine reine Wissensvermittlung von Lerninhalten über die Schule reicht nicht mehr aus. Fähigkeiten, wie metakognitive Kompetenzen, Medienkompetenz oder Sozialkompetenz, die über das fachliche Lernen hinausgehen, gewinnen an Bedeutung und werden für die Lebenschancen des Einzelnen wichtiger (vgl. Höhmann u.a. 2004). Der Erwerb dieser Kompetenzen erfordert entsprechende Lernprozesse mit angemessenen Zeitkontingenten, Methoden, Lerngelegenheiten und Erfahrungsmöglichkeiten (vgl. Holtappels 2006).

2.4 Zusammenfassung

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Die beschriebenen Herausforderungen drängen auf gesamtgesellschaftlich zielführende Lösungsansätze (vgl. Knauer 2007). Die Schulinfrastruktur muss den Entwicklungen des demografischen Wandels und den veränderten Familienkonstellationen angepasst werden. Politiker, Erziehungswissenschaftler und Eltern fordern daher eine Neuausrichtung der Bildungseinrichtungen, die den gesellschaftlichen Veränderungen und wachsenden Anforderungen an Bildungsstandards Rechnung trägt. Überlegungen zur Verbesserungen des Lernerfolgs von Kindern und Jugendlichen und Veränderungen des Bildungssystems sollten allerdings nicht auf Reformen der Bildungsinstitutionen und auf Schule eingeengt werden. Sinnvoll ist ein „vielgestaltiges Netzwerk von vorbereitenden und unterstützenden Einrichtungen, die den Prozess des Aufwachsens begleiten und umfassende Lernangebote bereitstellen […]“ (Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen 2002, S. 27).

Gegenwärtig existieren unterschiedliche Ansätze und Anknüpfungspunkte, um diesen Herausforderungen im gesellschaftlichen und schulischen Alltag zu begegnen. Zwei zentrale Thesen der aktuellen Bildungsdebatte werden im weiteren Verlauf der Arbeit näher beleuchtet: ƒ ƒ

Die Ausweitung des kommunalen Verantwortungsrahmens und Unterstützungssystems durch den Aufbau kommunaler Bildungslandschaften und die verstärkte Umwandlung von Halbtags- in Ganztagsschulen als Möglichkeit zur Veränderung der Schul- und Unterrichtskultur und der möglichst umfassenden Förderung der Bildungschancen eines jeden Schülers.

3 Kommunale Bildungslandschaften

Auf verschiedenen bildungspolitischen Ebenen wird intensiv über die Zukunft des deutschen Bildungssystems diskutiert. In den letzten Jahren wurde zudem eine Vielzahl von Maßnahmen initiiert, die auf eine Veränderung der Steuerungsstrukturen im Bildungssystem und eine Verbesserung der Qualität des Bildungssystems abzielen (vgl. Altrichter u.a. 2007a). So stellt Fürst (2004a) fest, dass die politischen Systeme auf die zunehmende Komplexität gesellschaftlicher und institutioneller Strukturen mit Regionalisierung, Dezentralisierung und partizipativen Steuerungsformen reagieren. Auch Fend sieht in der Dezentralisierung und Regionalisierung bildungspolitischer Strukturen und der Steuerung des Bildungssystems Zukunftspotenzial: „Nicht der möglichst nach dem Maschinenmodell durchstrukturierte Kontrollapparat wird in der Zukunft helfen, den Geist eines entwicklungsorientierten Bildungswesens umzusetzen, sondern ein Paradigma, das die Eigengestaltung und Mitgestaltung in verschiedenen kleineren und größeren Kreisen aktiviert und Anreiz bietet, die personalen und fachlichen Ressourcen optimal einzusetzen. Qualität wird sich durch die Aktivierung von möglichst viel Engagement auf allen Ebenen ergeben (Fend 1998, S. 381).“

Auf der kommunalen Ebene geht diese Entwicklung einher mit der sich seit den 1990er Jahren durchsetzenden Erkenntnis, dass einer zeitgemäßen Bildungsinfrastruktur eine entscheidende Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit und die Entwicklungsmöglichkeiten einer Stadt oder Gemeinde zukommt. Daher haben viele Städte und Gemeinden ihr Engagement im Bildungswesen in den letzten Jahren neu definiert und versuchen eine aktivere Rolle im Bildungsprozess sowie bei der Umsetzung von Reformmaßnahmen einzunehmen. Die kommunale Schulträgerschaft wandelt sich zunehmend in Richtung einer kommunalen Bildungspolitik, die darauf ausgerichtet ist, alle Bildungsbereiche und -institutionen innerhalb einer Kommune zu einem Gesamtsystem zu vernetzen (vgl. Hebborn 2008). Der damit verbundene Paradigmenwechsel und Prozess, der regional sehr unterschiedlich verläuft, stehen im Zentrum dieses Kapitels.

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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3 Kommunale Bildungslandschaften

3.1 Entwicklungslinien Im Kontext der Organisation und Neugestaltung des Bildungssystems stellt sich die Frage nach der Regulierung des Systems. Aktuell beherrschen Ideen der Dezentralisierung, Regionalisierung und Kommunalisierung als Struktur- und Handlungsmaximen eines stärker an der Lebenswelt orientierten Bildungssystems die Diskussion. Sie bilden die Grundlage für die Veränderung der Steuerungsformen und der Entstehung kommunaler Bildungslandschaften.

3.1.1 Regionalisierung und Kommunalisierung Mit dem Begriff „Regionalisierung“ hat sich ab Mitte der 1990er Jahre ein Wandel in der Politikgestaltung vollzogen, der auf ein neues Zusammenspiel von Staat, Kommunen und Akteuren auf dem Bildungsmarkt abzielt. Die Steuerungsaufgaben werden auf die Ebene der Region verlagert. Damit sind in der Regel Handlungsebenen gemeint, die oberhalb der kommunalen und unterhalb der Landesebene ansetzen, durch eine bestimmte Raumgröße und administrative Einheiten gekennzeichnet sind (vgl. Fürst 2004b, S. 37; Dobischat u.a. 2006, S. 23). Hintergrund dieser Entwicklung ist eine Abnahme des Einflusses der staatlichen Steuerung zugunsten regionaler Steuerungsadressaten, denen eine größere Problemnähe als Handlungsträger zugeschrieben wird (vgl. Fürst 2004b; Burchardt/Tillmann 2007). Über die Mobilisierung gesellschaftlicher Selbstkräfte auf regionaler Ebene und die Integration neuer Akteure soll die gesellschaftliche Problembearbeitung effizienter gestalten werden. Das Gelingen eines solchen regionalen Gestaltungsansatzes ist dabei von folgenden Faktoren abhängig (vgl. Dobischat 2008, S. 4): ƒ ƒ ƒ

von einer Verknüpfung der unterschiedlichen Segmente der Bildung (Aufbrechung der Versäulung), von der Klärung politischer Verantwortung im Wechselspiel zwischen Bildung und Region in Richtung einer stärker dezentralisierten Politikformulierung und -umsetzung und vom Zusammenwirken zwischen regionaler und überregionaler Handlungsebene.

Neben dem Begriff der Regionalisierung taucht in der aktuellen Steuerungsdebatte häufig der Begriff „Kommunalisierung“ auf (vgl. etwa Holtkamp 2007; Ebinger/Bogumil 2008). Beide Begriffe gehen von den gleichen Entwicklungsansätzen aus: staatliches Handeln wird verstärkt dezentralisiert und partizipative

3.1 Entwicklungslinien

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Steuerungsformen werden systematisch ausgebaut. Kommunalisierung setzt jedoch stärker an der lokalen Ebene an, die im Vergleich zur regionalen Ebene über weiterentwickelte Regierungs- und Verwaltungssysteme verfügt. So sind die Kommunen Träger der grundgesetzlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28, Abs. 2 GG). In ihrem Gebiet sind sie zudem die Träger der gesamten örtlichen Gebietskörperschaften und verfügen über ein breites Aufgabenprofil. Charakteristisch für den Unterschied zwischen regionaler und lokaler Ebene ist auch die Nähe der unterschiedlichen Beziehungsebenen zueinander. Räumlich sind sich die Akteure auf kommunaler bzw. lokaler Ebene am nächsten (vgl. Holtkamp 2007). Die Kommunalisierung von Verwaltungszuständigkeiten wird aus unterschiedlichen Gründen befürwortet. Zum einen wird es den Bürgern möglich, ihr unmittelbares Lebensumfeld zu beeinflussen. Zum anderen erhofft man sich Synergieeffekte bei der Zusammenlegung ähnlicher Aufgaben sowie eine Reduzierung von Kosten. Neben positiven Effekten werden den aktuellen Kommunalisierungspraktiken aber auch Probleme zugeschrieben. Aufgrund der unterschiedlichen Größen der Kommunen besteht die Gefahr einer Übersteigerung der Leistungsfähigkeit von Kommunen. Die Kommunalisierung führt außerdem zu einem Kompetenzzuwachs, der nicht von einem Aufgabenabbau begleitet wird, sondern teils mit Budgetkürzungen verbunden ist. Die dadurch entstehenden finanziellen und strukturellen Risiken können sich negativ auf die Qualität der Aufgabenerfüllung auswirken. In diesem Zusammenhang wird häufig von stadtoder kreisspezifischen Schwierigkeiten bei der Bewältigung der übertragenen Zuständigkeiten und einer zunehmenden Heterogenisierung der Leistungsqualität berichtet (vgl. Ebinger/Bogumil 2008).

3.1.2 Regionale und lokale Governance Im letzten Kapitel wurde bereits deutlich, dass mit der Regionalisierung und Kommunalisierung eine Veränderung der Steuerungsformen einhergeht. Steuerung und Kontrolle erscheinen nicht als einseitige Tätigkeiten einer zuständigen Institution (z.B. des Staates), sondern sind Prozesse der Interaktion zwischen kollektiven Akteuren (vgl. Benz 2004). Dieser Ansatz politischer und gesellschaftlicher (Selbst-)Steuerung wird unter dem Governance-Begriff zusammengefasst (vgl. Benz u.a. 2004; Altrichter u.a. 2007b; Kussau/Brüsemeister 2007).10 Nach Fürst (2004a) treten Governance-Strukturen dort auf, wo Probleme nur im 10

Eine einheitliche Begriffsdefinition von ‚Governance’ fehlt bislang (Benz 2004).

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3 Kommunale Bildungslandschaften

Rahmen intermediärer Steuerungsformen bearbeitet werden können. Am Ausgangspunkt steht folglich das Bedürfnis der Akteure, Probleme gemeinsam zu bearbeiten. Governance-Strukturen sind durch folgende weitere Merkmale gekennzeichnet (vgl. Fürst/Benz 2003; Benz 2004; Fürst 2004a): ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

abnehmende Bedeutung hierarchischer Strukturen; sektorübergreifende Ämterkooperation; Kooperation von staatlichen, privaten und gesellschaftlichen Akteuren in netzwerkartigen Strukturen; Gegenstand der Kooperation ist die Erstellung eines Gemeinschaftsgutes; Freiwilligkeit der Zusammenarbeit; gegenseitige Interessenbefriedigung bei der Umsetzung von verbindlichen Entscheidungen, Verständigung über gemeinsame Problemdefinitionen sowie Festlegung und Operationalisierung von Handlungszielen.

Die Leistungsfähigkeit von Governance-Mustern ergibt sich allerdings nicht per se. Sie entsteht erst durch Wettbewerb und Akteure, die zum kollektiven Handeln motivieren, indem sie den Nutzen der Zusammenarbeit staatlicher, kommunaler und privatwirtschaftlicher Akteure herausarbeiten. Von Bedeutung ist ebenfalls, ob die Beteiligten bereit sind, die längerfristigen Gemeinschaftsinteressen über die eigenen kurzfristigen Individualvorteile zu setzen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Einigung auf ein Regelsystem, das das Akteurshandeln koordiniert (vgl. Fürst 2004b, S. 38ff.). Regionale und lokale Governance-Muster gehen noch einen Schritt weiter: Als Mindestmaß des Zusammenhalts in den genannten Governance-Strukturen kommt ein gemeinsamer Regions- bzw. Lokalbezug der Akteure hinzu, der die Verbundenheit und das kollektive Handeln der Akteure unterstützt. Dabei ist zu beachten, dass Governance-Strukturen je nach Region und Kommune unterschiedlich ausfallen können; je nach Handlungsbedarf, Thema, Institutionalisierung der Governance-Strukturen und Akteurstypen. Bezogen auf die gegenwärtigen Entwicklungen im Bildungssystem entsteht im Rahmen der regionalen und lokalen Governance-Strukturen ein komplementäres Modell, in dem die Ordnungsverantwortung beim Staat liegt, die prozessuale Verantwortung bei der Schule und die „lebensräumliche Gestaltungsverantwortung“ von den Kommunen übernommen werden muss (vgl. Brockmeyer 2004). Die Prozesse der Regionalisierung und Kommunalisierung tragen in diesem Fall begünstigend zu den Veränderungen bei und helfen gesellschaftliche Kräfte der Problembearbeitung zu mobilisieren. Für die Umsetzung der Veränderungen und Innovationsprozesse ist jedoch von Bedeutung, dass die Akteure auf regionaler und kommunaler Ebe-

3.1 Entwicklungslinien

37

ne hinreichend motiviert sind, die neuen Potentiale zu nutzen. Ein Eigeninteresse der Akteure könnte damit verbunden sein, dass der zunehmende Wettbewerb im Bildungsbereich die regionalen und kommunalen Akteure zwingt, die Qualität ihrer Leistungen zu prüfen und diese zu verbessern (vgl. Fürst 2004b). Der Begriff „Bildungslandschaften“ markiert eine Wendung im regionalen und kommunalen Raum, der diese Entwicklungen aufgreift und umzusetzen versucht.

3.1.3 Kommunale Bildungslandschaften – eine Begriffsdefinition Eichert (2007) hat im Frühjahr 2005 eine Befragung von Bürgermeistern deutscher Kommunen durch die Bertelsmann Stiftung durchgeführt. Es zeigte sich, dass Bildungsfragen im kommunalpolitischen Raum eine wichtige Bedeutung haben und nicht selten als Top-Thema der Kommunalpolitik angesehen werden. Die politischen Akteure der Kommune verstehen Bildung als umfassende gesellschaftliche Aufgabe und sehen sich daher in der Gesamtverantwortung, die Lernbedingungen aktiv zu gestalten, um die individuellen Chancen jedes einzelnen optimal zu fördern. Dahinter steht die Einsicht, dass ein dezentralisiertes Verständnis von Bildung gesicherter Verfahren kommunalpolitischer Verantwortlichkeit bedarf. Der kommunale Raum bietet somit die Möglichkeit, ein Gesamtsystem Bildung, Erziehung und Betreuung zu entwickeln und zu verankern (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2007, S. 7). Im Zuge dieser Entwicklung erhält der Begriff Bildungslandschaft in der Bildungsforschung und -politik seit einigen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit. Er entwickelt sich zu einem Leitbegriff für bildungstheoretische und -politische Diskussionen (vgl. Luthe 2009). Der Begriff bezeichnet Ansätze und Konzepte kommunaler Jugend- und Bildungspolitik, die versuchen, Kindern und Jugendlichen bessere Bedingungen und vielfältige Gelegenheiten für ihre Bildung zu bieten und insbesondere Kinder und Jugendliche in benachteiligten Lebenslagen und schwierigen Lebensverhältnissen besser und wirksamer zu fördern (vgl. Mack 2006, S. 7). Die Idee der Bildungslandschaft beruht dabei auf der Einsicht, dass Wohlstand und sozialer Zusammenhalt in entwickelten Gesellschaften maßgeblich vom Bildungsniveau der Bevölkerung abhängig ist. Bildung ist daher in ökonomischer Hinsicht ein Standortfaktor, in sozialer Hinsicht eine wesentliche Bedingung für die gesellschaftliche Integration der Bevölkerungsschichten und in politischer Hinsicht eine Grundvoraussetzung für „gelebte Demokratie“ (vgl. Luthe 2009, S. 27). Dieses Verständnis bildet die Voraussetzung für lokale Governance-Strukturen auf kommunaler Ebene im Bildungsbereich. Der Begriff „Bildungslandschaft“ wird teils sehr unterschiedlich verwendet. Eine einheitliche Definition liegt aufgrund der Offenheit des Konzepts bislang

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3 Kommunale Bildungslandschaften

nicht vor. Mack (2008) beschreibt diese Offenheit als entwicklungsfördernd für das Konzept, da ausgehend von unterschiedlichen Problemdefinitionen, unterschiedliche Handlungsstrategien erarbeitet, umgesetzt und Bezüge auf unterschiedliche Diskurse im Bereich der Bildungsforschung ermöglicht werden. Dennoch lässt sich das Konzept näher spezifizieren. Es zielt auf die Zusammenarbeit von Bildungsanbietern (z.B. Schulen), Nachfragern (Familien, Kinder, Unternehmen), Unterstützungs- und Beratungsstrukturen im kommunalen Raum ab. Sie sollen Bedingungen schaffen, um Kooperationen und Netzwerke zu initiieren, die auf der Basis der Nutzung von Synergien auf die Verbesserung des Bildungsangebots als Gemeinschaftsaufgabe ausgerichtet sind (vgl. Fürst 2004b). Dabei ist eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Entstehung einer Bildungslandschaft, das traditionelle Verwaltungsdenken aufzugeben und unter der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten innovative Bildungszusammenhänge herzustellen (vgl. Minderop/Solzbacher 2007). Die weiteren zentralen Merkmale einer Bildungslandschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Brockmeyer 2004, S. 58f.): ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

Einbeziehung aller Bildungsbereiche; intensive fachliche, organisatorische und rechtliche Abstimmung der Beteiligten hinsichtlich der Angebote und deren Anschlussfähigkeit; fortwährender Entwicklungsprozess; Entwicklung einer neuen Steuerungsmechanik; Voraussetzung einer wirksamen Bürgerbeteiligung.

Darüber hinaus benötigen kommunale Bildungslandschaften eine gestaltende und steuernde kommunale Politik, die den Aufbau von Netzwerken anleitet. Ohne diesen Akteur würden Kooperationen auf der Ebene bilateraler Kooperationen bestehen bleiben. Die Kommune, respektive die Stadt oder Gemeinde, bildet folglich den zentralen Raum für Handlungen in kommunalen Bildungslandschaften (vgl. Mack 2008).

3.2 Modelltypen und Projekte Zum Themenfeld „kommunale Bildungslandschaften“ fehlt bislang eine feststehende Theorie. Vielmehr existieren unterschiedliche, nebeneinander stehende Ansätze. Einige Autoren haben jedoch den Versuch einer Strukturierung der bislang vorliegenden Konzepte unternommen.

3.2 Modelltypen und Projekte

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3.2.1 Modelltypen Anhand der Klassifikationen verschiedener Autoren können vier Typen von Bildungslandschaften unterschieden werden. Allen Varianten ist gemeinsam, dass sie versuchen, Kindern und Jugendlichen einer Region oder Kommune optimale Lern- und Lebenschancen zu eröffnen. Dies geschieht auf der Grundlage des Aufbaus angemessener Unterstützungs- und Kommunikationsstrukturen sowie der Schaffung einer institutionell geregelten staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft. Die schulzentrierte Entwicklungsvariante (vgl. etwa Mack u.a. 2006; Stolz 2007a; Luthe 2009) beruht auf der Idee, die Bildungslandschaft müsse aus der Entwicklung einer Schullandschaft heraus entstehen. Daher liegt die Schwerpunktsetzung auf Aktivitäten im schulischen Bereich und der Schulentwicklung. Das geläufigste Konzept dieses Typus ist das Projekt „Selbstständige Schule“, welches von der Bertelsmann Stiftung in Nordrhein-Westfalen von 2002 bis 2008 durchgeführt wurde. Auf der Grundlage von Schulnetzwerken soll es den Schulen gelingen, Probleme der Koordination von Bildungsangeboten innerhalb einer Kommune oder Region produktiver zu gestalten. Darüber hinaus soll über die Etablierung von Schulentwicklungsmaßnahmen sowie über das Einholen von Unterstützungsleistungen das Erreichen von Bildungszielen effektiver gestaltet werden (vgl. Maag Merki 2008). Die verbesserte Gestaltung des Unterrichts bildet den Motor schulischer Entwicklung in der Region. Auf der Basis einer regionalen Schullandschaft werden dann systematisch weitere Bildungsakteure in das Netzwerk integriert. Dadurch entstehen Bildungslandschaften, die zur Qualitätssteigerung der Schulen und anderer Bildungsinstitutionen beitragen sollen. Im Rahmen dieses Modells ist die regionale Bildungslandschaft damit Problemkontext und Handlungsraum zugleich (vgl. Lohre 2007, S. 44ff.). Neben der schulzentrierten Variante entstehen eher kooperationszentrierte Entwicklungsvarianten. Diese bauen auf der Kooperation von Jugendhilfe und Schule als den Kerninstanzen öffentlich verantworteter Bildung, Betreuung und Erziehung auf (vgl. etwa Mack u.a. 2006; Stolz 2007a). Weitere Institutionen und Einrichtungen fungieren lediglich als mögliche Kooperationspartner, nicht jedoch als mögliche Impulsgeber für die Entstehung kommunaler Bildungslandschaften. Ziel ist die Schaffung einer Beteiligungs- und Aushandlungskultur. Die Entwicklungen können auf mehreren Ebenen verlaufen: sie können von der Kooperation kommunaler Schulverwaltungs- und Jugendämter, Schul- und Jugendhilfeausschüsse bis zur Zusammenlegung von Ämtern und politischen Gremien reichen. Durch eine Verzahnung beider Bereiche sollen Problemfelder frühzeitig wahrgenommen und effektiver bearbeitet werden. Die dadurch entstehenden Synergien sollen dazu beitragen, eine stärker adressaten- und beteiligungsorien-

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3 Kommunale Bildungslandschaften

tierte kommunale Bildungs- und Jugendpolitik zu schaffen (vgl. Mack u.a. 2006). Prototypisch für diese Variante ist das Projekt des Deutschen Jugendinstituts (DJI) „Lokale Bildungslandschaften“, welches unter der Leitung von Dr. Heinz-Jürgen Stolz zwischen 2005 und 2006 durchgeführt wurde. In Qualifizierungslandschaften (vgl. etwa Nuissl u.a 2006; Luthe 2009) steht nicht die schulische Grundbildung, sondern berufliche Aus- und Weiterbildung im Vordergrund. Die Idee des lebenslangen Lernens wird in den Mittelpunkt kommunaler Entwicklung gestellt. Dieser Ansatz blickt im Sinne einer regionalen Weiterbildungsforschung und -politik auf eine 50-jährige Geschichte zurück. In dieser Zeit ist jedoch kein etabliertes Forschungsfeld in diesem Bereich entstanden. Beispielhafter Ansatz dieser Variante ist das Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) aus dem Jahr 2001. Im Mittelpunkt dieses Typus steht der Versuch, den Folgen des gesellschaftlichen Wandels durch lebenslanges Lernen und Initiativen zum Selbstlernen für alle Personen zu begegnen. Im Rahmen von Bildungsnetzwerken sollen innovative Angebote sowie Maßnahmen und Aktivitäten zur Qualifizierung und Förderung der Beschäftigungsfähigkeit im regionalen Raum umgesetzt werden (vgl. Dobischat 2007). Ansatzpunkt ist somit der Qualifizierungsbedarf einer kommunalen oder regionalen Wirtschaftsförderung mit dem Ziel der Steigerung des Arbeitsmarktpotenzials von Kommunen. Multidimensionale Bildungslandschaften, als vierter Typus von Bildungslandschaften, setzen an einem umfassenden Bildungsbegriff an. Sie umfassen das gesamte Spektrum an Bildungsmöglichkeiten eines Bildungsraums. Die Kommune, nicht die Schule oder Jugendhilfe, bildet das Zentrum der Entwicklung kommunaler Bildungslandschaften. Multidimensionale Bildungslandschaften beschränken ihren Wirkungsraum folglich nicht auf die sektoralen Grenzen von Bildungsinstitutionen, sondern verstehen Bildung als ganzheitlichen, lokalen und niedrigschwelligen Ansatz (vgl. Luthe 2009). Prototyp dieses Ansatzes ist das Diskussionspapier des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. In diesem Diskussionspapier wird die Entwicklung eines kohärenten Gesamtsystems von Bildung, Erziehung und Betreuung in kommunaler Verantwortung beschrieben. Das Gesamtsystem soll die optimale Nutzung der Ressourcen sicherstellen und verbindliche Kooperationsstrukturen erzeugen. Im Rahmen dieses ganzheitlichen Bildungsverständnisses gilt es die Eltern, Kindertageseinrichtungen, Jugendhilfe, Schulen, Wirtschaft sowie weitere an der Bildung beteiligte Institutionen zu vernetzen. Die Kommunen sind sowohl für den Aufbau als auch für die Pflege der Netzwerk- und Kooperationsstrukturen zwischen den einzelnen Akteuren verantwortlich. Anknüpfungspunkt kann eine Verantwortungsübernahme der Zuständigkeiten als Schul- und Kulturträger sein (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2007).

3.2 Modelltypen und Projekte

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3.2.2 Beispiele regionaler und kommunaler Bildungslandschaften Im nationalen Kontext sind in den letzten Jahren vermehrt regionale, kommunale und lokale Bildungslandschaften entstanden, die sich den oben beschriebenen Entwicklungsvarianten zuordnen lassen. Im Folgenden werden zentrale Projekte der letzten Jahre sowie deren Erfolge und Probleme beschrieben.11 Die Bertelsmann Stiftung hat in den letzten Jahren zahlreiche Projekte gefördert, deren Fokus auf der Entwicklung regionaler Bildungsangebote auf der Grundlage schulzentrierter Bildungslandschaften lag. Zwischen 1997 und 2002 wurde in Nordrhein-Westfalen das Projekt „Schule & Co“ in den Modellregionen Kreis Herford und der Stadt Leverkusen durchgeführt. Im Mittelpunkt des Projektes stand die Stärkung von Schulen im kommunalen und regionalen Umfeld. Insgesamt nahmen 90 Schulen am Projekt teil. Gemäß der schulzentrierten Entwicklungsvariante bildeten die Schulen das Zentrum der Entwicklungsarbeit. Über die qualitätsorientierte Selbststeuerung und das Schulentwicklungsmanagement der einzelnen Schulen sowie den Austausch mit anderen Schulen sollte der Aufbau einer regionalen Schullandschaft vorangetrieben werden. Der Einbezug weiterer Kooperationspartner aus dem außerschulischen Bereich (z.B. Vereine, Jugendhilfe) diente der Entstehung einer regionalen Bildungslandschaft. Um diesen Prozess zu begleiten, wurden in den Modellregionen Bildungsbüros und regionale Steuerungsgruppen eingerichtet, die das Schulentwicklungsmanagement sowie die Kommunikation innerhalb und über das Projekt gewährleisten und organisieren sollten (vgl. Bastian/Rolff 2001). Für die Abschlussevaluation des Projektes wurden die Berichte von 52 Schulen und zwei Berichte der Schulaufsicht aus den beiden Modellregionen analysiert. Zusätzlich wurden Schulleiter und Schüler befragt. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass das Projekt im Rahmen der Unterrichtsentwicklung zu einer größeren Vielfalt von Lernformen beigetragen hat. Die regionalen Qualifizierungssysteme, regionalen Steuerungsgruppen, Bildungsbüros und Entwicklungsfonds erwiesen sich als wichtige Bausteine für die Entwicklung einer regionalen Bildungslandschaft. Insgesamt wurde am Ende des Projektes deutlich, dass zum Zeitpunkt der Evaluation zwar zahlreiche Ansätze zur Entwicklung einer regionalen Bildungslandschaft bestanden, die Ansätze jedoch noch wenig strukturiert und eher vage waren (vgl. ebd.). Als Nachfolgeprojekt wurde im Jahr 2002 das Projekt „Selbstständige Schule“ (Projektzeitraum: 2002 bis 2008) initiiert. An diesem Projekt nahmen 11

Die Übersicht über verschiedene Projekte zum Aufbau regionaler und kommunaler Bildungslandschaften hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sollen verschiedene Ansätze beschrieben und den unterschiedlichen Entwicklungsvarianten zugeordnet werden.

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3 Kommunale Bildungslandschaften

278 Schulen aus 19 Regionen in Nordrhein-Westfalen teil. Im Mittelpunkt des Projektes standen wie bereits bei „Schule & Co“ die qualitätsorientierte Selbststeuerung von Schulen und die Entwicklung einer regionalen Bildungslandschaft. Im Zuge des Aufbaus der regionalen Bildungslandschaft sollten die Grenzen zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten schrittweise aufgelöst werden. Die Bildung schulischer Steuerungsgruppen sowie Weiterbildungen und Fortbildungen für Schulleiter und Lehrer dienten der Unterstützung der Schulen. Zugleich wurden den Schulen größere Gestaltungsräume in folgenden Bereichen eingeräumt: Personalentwicklung, Ressourcenbewirtschaftung, Unterrichtsorganisation, Mitwirkung und Partizipation. Jede Projektschule baute ein System der Qualitätsentwicklung und -sicherung auf, um sowohl eine interne wie auch externe Überprüfung der Entwicklung sicherzustellen. In den Modellregionen wurden darüber hinaus regionale Steuerungsgruppen gebildet, in denen die Schulträger und die Schulaufsicht vertreten waren. Die Steuerungsgruppen waren für die Koordinierung und Organisation der notwendigen Maßnahmen sowie für die Steuerung der Kooperationen zuständig. Sie entschieden außerdem über die Verwendung der finanziellen Mittel der regionalen Entwicklungsfonds (vgl. Lohre 2007). Die wissenschaftliche Begleitforschung umfasste drei Erhebungswellen. Befragt wurden regionale Steuerungsgruppen, Schulleiter, Lehrer, Schüler und Eltern. Zudem wurden Leistungstests durchgeführt. Die Ergebnisse belegen, dass an den weiterführenden Schulen der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft der Schüler und ihren schulischen Leistungen gemildert werden konnte. Gleichzeitig hat die Innovationsbereitschaft der Kollegien an den Schulen deutlich zugenommen. Auch das interne Management verbesserte sich. Die entstehende neue Unterrichtskultur führte dazu, dass sich Lehrer nicht mehr als Einzelkämpfer, sondern als Teamplayer verstanden, die den Unterricht im Team vor- und nachbereiteten. Dies steigerte nachweislich die Unterrichtsqualität (vgl. Lohre u.a. 2008). Während des Aus- und Aufbaus der regionalen Schul- und Bildungslandschaft zeigte sich, dass die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen und die Unterstützung der Projektleitung, die Zusammenarbeit der regionalen Steuerungsgruppe verbesserte und professionalisierte. Ferner existierten zum Ende des Projektes in allen Regionen Projekt- und Bildungsbüros. Diese wurden als notwendige Einrichtung für eine erfolgreiche Arbeit der regionalen Steuerungsgruppen angesehen. In den Aufgabenbereich der Bildungsbüros fiel die Betreuung der Entwicklungsfonds und regionale Koordinierungsaufgaben zwischen Schulen, Schulträgern und Schulaufsicht. Das regionale Fortbildungssystem trug außerdem zu einer verstärkten Vernetzung und Zusammenarbeit der einzelnen Schulen und der unterschiedlichen Schulformen in der Region bei. Trotz dieser

3.2 Modelltypen und Projekte

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Erfolge war zum Zeitpunkt der Abschlussevaluation der Aufbau einer regionalen Bildungslandschaft mit all ihren Facetten in keiner der teilnehmenden Regionen vollständig abgeschlossen (vgl. ebd). In Baden-Württemberg wurde im Rahmen eines dreijährigen (2006-2008) modellhaften Entwicklungsprozesses die Entwicklung regionaler Bildungslandschaften gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung erprobt. An diesem Modellprojekt nahmen zwei Regionen, der Stadtkreis Freiburg und der Landkreis Ravensburg, teil. Ziel dieses Projektes war es, für alle Kinder und Jugendliche optimale Lern- und Lebenschancen zu schaffen, um so in der Region einen Beitrag zu mehr Lebensqualität und Standortsicherung zu leisten. Ausgehend von einer gemeinsamen zielgerichteten und planvollen Schulentwicklungsarbeit, sollten Kooperationen im regionalen und lokalen Raum ausgebaut und weiterentwickelt werden, um neue Strukturen der Zusammenarbeit zu etablieren. Das Motto des Projektes lautete: In Verantwortlichkeiten statt in Zuständigkeiten denken.12 In Freiburg beteiligten sich 64 Schulen am Pilotprojekt, im Landkreis Ravensburg 78 Schulen. Ausgangspunkt und Orientierungsrahmen des Projektes war das Selbstevaluationsinstrument SEIS (Selbstevaluation in Schulen) der Bertelsmann Stiftung. Aus dieser systematisch angelegten Selbstbewertung sollten sich Anhaltspunkte für Verbesserungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten bei festgestellten Schwachstellen ergeben. Die Projektarbeit in den Regionen war durch drei übergreifende Steuerungs- und Kommunikationsgremien geprägt: ƒ ƒ ƒ

Regionale Steuerungsgruppe: Projektlenkung, Analyse von Unterstützungs-, Qualifizierungs- und Koordinierungsbedarf; Regionaler Bildungsbeirat: Projektbegleitung und -beratung; Regionales Bildungsbüro: zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle des Projektes. Die Aufgaben umfassten die Organisation aller Projektangelegenheiten, die Initiierung von Arbeitsschwerpunkten sowie die konkrete Unterstützung und Beratung der Projektschulen.13

Aus den Ergebnissen der Abschlussevaluation geht hervor, dass die verschiedenen Elemente, wie das regionale Bildungsbüro und die regionale Steuerungsgruppe, von den beteiligten Akteuren positiv beurteilt wurden. Dabei erscheint 12

Nach der dreijährigen Modellphase wird das Projekt nun im Rahmen des Impulsprogramms Bildungsregionen des Landes Baden-Württemberg auf andere Regionen und Kommunen übertragen. Online: URL: http://www.schule-bw.de/entwicklung/bildungsregionen/ [Datum der Recherche: 18.03.2009] 13 Online: URL: http://www.schulentwicklung-bw.de/bildungsregionen/ [Datum der Recherche: 18.03.2009]

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3 Kommunale Bildungslandschaften

die Etablierung einer Bildungsregion auch abhängig von der räumlichen Struktur einer Region. Eine städtische Infrastruktur eignet sich eher zum Aufbau kommunaler Bildungslandschaften als ländliche Strukturen. Im Bereich der Etablierung von Netzwerken und Kooperationen zeigte sich, dass vor allem Kooperationen mit außerschulischen Partnern in der Region bzw. im Stadtteil aufgebaut wurden. Relativ häufig waren außerdem schulartübergreifende Kooperationen mit dem Ziel der Verbesserung von Übergängen, wohingegen Vernetzungen von Schulen zu Fragen der Selbstevaluation sowie der Planung und Umsetzung von Qualitätsentwicklungsmaßnahmen eher selten auftraten. Insgesamt werteten die Beteiligten die Entwicklung hin zur Bildungsregion langfristig als Standortvorteil für die Region (vgl. Maag Merki 2008). Auch im Bereich der Erwachsenenbildung finden sich in den letzten Jahren verstärkt Regionalisierungs- und Kommunalisierungstendenzen. Das BMBFProgramm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“, welches in enger Kooperation mit den Ländern und kofinanziert durch den Europäischen Sozialfonds gestartet wurde, läuft seit 2001. Ziel dieses Programms ist es, die für das lebenslange Lernen notwendigen Rahmenbedingungen auf- bzw. auszubauen. Auf der Grundlage von Bildungsnetzwerken sollen möglichst viele bildungsrelevante Akteure neue und durchlässige Strukturen schaffen, die den Bedürfnissen und Lebensumständen der Lernenden entgegenkommen. Nuissl u.a. (2006) evaluierten in den Jahren 2002 bis 2004 das Programm. Sie führten u.a. 21 Experteninterviews mit Mitgliedern des Lenkungsausschuss durch, werteten zahlreiche Programmdokumente inhaltsanalytisch aus und befragten insgesamt über 3.000 Netzwerkpartner aus 73 Netzwerken in zwei Erhebungswellen. Hinsichtlich der Netzwerkbildung und -struktur zeigte sich, dass fast zwei Fünftel der Netzwerke mehr als 40 Partner aufwiesen. Die häufigsten Netzwerkpartner waren Weiterbildungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen. Die Beteiligung von Arbeitsagenturen, IHK und Kommunalverwaltung stärkten die Wirkungsmöglichkeiten der Netzwerke und erhöhten deren Akzeptanz. Obgleich die Ergebnisse auf eine große Netzwerkvielfalt hinweisen, gab es auch Gruppen, die eher wenig eingebunden waren. Hierzu gehörten z.B. Betriebe und Berufsschulen. Als Bedingung für eine erfolgreiche Netzwerkentwicklung wurde von den Partnern vor allem das Bestehen eines Netzwerkmanagements, das den Aufbau von Vertrauensbeziehungen zwischen den Beteiligten, die Verteilung von Ressourcen und Aufgaben im Netzwerk sowie die Zusammenarbeit koordiniert, benannt. Gleichzeitig weisen die Ergebnisse darauf hin, dass in größere Netzwerke zwar ein höherer Innovationsgrad sichtbar wird, diese jedoch eine kontinuierliche Arbeitsweise weniger gut bewerkstelligen können als kleinere Netzwerke. Das Thema „Qualitätsmanagement“ nahm entsprechend der Aussagen der Netzwerkmanager in allen Netzwerken einen großen Stellenwert ein. Unter ande-

3.2 Modelltypen und Projekte

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rem wurden von den Projektverantwortlichen Quartalsberichte erstellt, gemeinsame Qualitätsstandards vereinbart und Qualitätsmanagementsysteme implementiert. Einige Netzwerke schafften es darüber hinaus, bildungsübergreifende Bildungsdiskurse einzuführen. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass durch die Netzwerke zahlreiche und vielfältige Kooperationen entstanden sind und sich die Transparenz im Bildungsbereich deutlich verbessert hat. Zudem wurden durch das Programm auch überregionale Anstöße und Impulse für Innovationen und Reformen geliefert (vgl. ebd.). Neben diesen eher breit angelegten Projekten, existieren vereinzelt auch Beispiele von Städten, die sich bemühen, kommunale Bildungslandschaften aufzubauen. Als Beispiel können hier die Städte Halle, Arnsberg, Dortmund, Köln, Groß-Gerau und Leipzig angeführt werden. Gemeinsam ist allen Städten, dass zu Beginn der Entwicklung ein Prozess des Umdenkens stattgefunden hat, der kommunale Bildungspolitik als Teil von Stadtentwicklung und als öffentliche Aufgabe in der Verantwortung der Stadt versteht. Initiiert wurde der Prozess in einigen Städten durch den Bürgermeister (z.B. in Arnsberg und Dortmund). Weiterhin verabschiedeten nahezu alle Städten Leitbilder bzw. Leitlinien, die bildungspolitische Prioritäten der Städte beinhalten (vgl. Blum/Männle 2004; Jung/Schmidt 2004; Mack u.a. 2006). In einigen Städten bildeten sich spezielle Diskussions- und Lenkungsgruppen (z.B. Netzwerk Bildung in Halle, Lenkungsgruppe der beigeordneten in Leipzig), in denen sich Vertreter aus Politik, Schule, Jugendhilfe und Wirtschaft mit bildungspolitischen Fragen beschäftigen. Aufgabe der Diskussions- und Lenkungsgruppen ist es, Handlungsbedarfe bzw. möglichkeiten zu eruieren und Kooperationen anzuregen. Alle Städte versuchen außerdem, schul- und jugendhilfepolitische Aktivitäten und Projekte stärker aufeinander zu beziehen und zu verbinden. So werden gemeinsame Sitzungen von Bildungs- und Jugendhilfeausschuss durchgeführt. Dahinter steht die Intention, frühzeitiger auf Probleme reagieren zu können und Ressourcen besser zu nutzen. In den Städten Arnsberg und Dortmund wurde außerdem ein neuer Fachbereich „Schule und Jugend“ eingerichtet, der das kommunale Schulverwaltungsamt und Jugendamt in einem Fachbereich integriert. Mit diesem Zusammenschluss sollte in beiden Städten ein neues Verständnis von kommunaler Schulträgerschaft umgesetzt werden (vgl. ebd.). Gemeinsam ist damit allen Städten, dass sie weit über ihre Zuständigkeiten als Träger der äußeren Schulangelegenheiten versuchen, die Qualität der Schulen zu verbessern. Hierfür werden verstärkt Partnerschaften und veränderte Kooperationen mit der staatlichen Schulverwaltung umgesetzt. In vielen Städten zeigen sich bereits konkrete Formen der Vernetzung und Kooperation. So wurden z.B. in Halle im Zuge einer sozialraumorientierten Umstrukturierung des Jugendamtes Sozialraumplanungsgruppen gebildet. An diesen Planungsgruppen nehmen

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3 Kommunale Bildungslandschaften

Träger der Jugendhilfe und Schulen des Sozialraums teil. Aus den bisherigen Erfahrungen geht jedoch hervor, dass sich die Schulen in den Planungsgruppen nur unzureichend beteiligen. Wenn jedoch Kooperationen in den Städten zustande kommen, so liegen diesen zumeist verbindliche Ziele und Vereinbarungen zugrunde, die von allen Beteiligten mitgetragen werden. In den Städten Arnsberg, Dortmund und Leipzig wurden zusätzlich auch neue Elemente der Bildungsplanung umgesetzt. In Arnsberg ist beispielsweise ein Berichtwesen aufgebaut worden, auf dessen Basis, Handlungsziele und -schritte festgelegt werden. Neben statistischen Daten werden teilweise auch qualitative Erhebungen durchgeführt, um Problemlagen zu erkennen und Projekte planen zu können (vgl. ebd.).

3.2.3 Internationale Beispiele Im internationalen Vergleich ist der Ausbau von Bildungslandschaften bereits weiter fortgeschritten. So zeigen sich Dezentralisierungs-, Kommunalisierungsund Liberalisierungstendenzen in vielen europäischen Ländern. Beispielhaft sollen hier die Länder Schweden, Italien und Niederlande angeführt werden. In Schweden haben sich seit den 1970er Jahren große Veränderungsprozesse vollzogen, die auch das schwedische Bildungssystem betreffen. Im Zuge der Dezentralisierung sind die Zuständigkeiten für Bildung weitestgehend auf die Kommunen übertragen worden und ein kommunales Schul- und Bildungssystem entstanden. Die Kommunen haben dadurch die Möglichkeit auf den spezifischen Bedarf der Schulen vor Ort zu reagieren. Der Staat beschränkt seine Aufgaben auf eine steuernde Funktion sowie die Sicherung allgemeiner Rahmenbedingungen in Bezug auf Finanzierung und Schulqualität. Der Staat bzw. das Zentralamt für Schulwesen bewertet, begleitet und beaufsichtigt das öffentliche Schulwesen. Lenkungsinstrumente des Zentralamtes sind Standards, Rahmenbestimmungen, Richtlinien und Rahmenlehrpläne. Ausgehend von den nationalen Zielen und Richtlinien wird auf kommunaler Ebene ein Schulplan festgelegt, der die Finanzierung, Organisation, Entwicklung und Evaluation der Schule beschreibt. Die Kommunen sind dabei als Schulträger u.a. für das Personal an Schulen und die inhaltliche Gestaltung der Bildungspläne zuständig. Die Umsetzung der Ziele und Richtlinien im Unterricht liegt jedoch in schulischer Verantwortung. Die auf Landesebene vorgegebenen Lehrpläne geben den Schulen die Möglichkeit, anstelle der bisherigen, zentral erlassenen und kontrollierten, detaillierten Regelungen selbständig Arbeitspläne aufzustellen. Damit kann der programmatische Schwerpunkt an jeder Schule anders gesetzt werden. Die Schulen haben gleichzeitig eine Rechenschaftsverpflichtung (landesweite Tests, Inspektion). Die Ge-

3.2 Modelltypen und Projekte

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meinden sind verpflichtet an Evaluationen teilzunehmen und Berichte der Schulen an das Zentralamt weiterzuleiten. Das Zentralamt stellt die Ergebnisse zusammen, ergänzt sie durch eigene Untersuchungen und leitet die Ergebnisse an die Regierung weiter. Diese Ergebnisse münden dann in Beschlussvorlagen für Veränderungen (vgl. Madelung/Götte 2004). In Italien wurde mit dem Programm „Città Educativa“ ein großer Schwerpunkt auf die Verbindung formaler und informeller Bildungsinstitutionen, der Demokratisierung von Bildung sowie dem Abbau von Bildungsungleichheit unter dem Gesichtspunkt des bürgerschaftlichen Engagements gelegt. Mit dem Programm der erziehenden und bildenden Stadt wird Schule zu einem Bildungsakteur unter anderen. Mit dem Programm soll ein erweitertes lokales Umfeld geschaffen werden, in dem Schulen und außerschulische Einrichtungen Bildung in einem Netzwerk gemeinsam realisieren. Den Kommunen kommt die Aufgabe zu, den Zugang zu anderen Bildungsinstitutionen zu ermöglichen, um auf diese Weise der ungleichen Nutzung von Bildungsangeboten entgegenzuwirken. Die Kommune hat somit eine Koordinierungs- und Umsetzungsfunktion inne. Akteure aus unterschiedlichen Sektoren (z.B. Schule, Wirtschaft) schließen sich in Arbeitsgruppen, sogenannten Bildungsagenturen, zusammen, um für entsprechende Handlungsfelder Angebote und Maßnahmen zu eruieren. Die Bürger werden in die Bildungsagenturen eingebunden. Ziel ist es, jedem Einwohner, jeder Alterstufe entsprechend, Förderung und Bildung zukommen zu lassen, um so Ungleichheitstendenzen durch effektive Integrationsprogramme sowie verfügbare und zugängliche Angebote entgegenzuwirken (vgl. Mack u.a. 2006). Das niederländische Bildungswesen ist geprägt durch eine Reduzierung der zentralen Steuerung auf das Nötigste. Es werden Studienprogramme vorgegeben und es gibt im Sekundarbereich zentrale Prüfungen. Darüber hinaus handeln die Schulen autonom. Sie regeln die Einstellung und Beschäftigung der Lehrer und setzen eigene Ideen um. Zudem besteht die Freiheit, selbst Schulen gründen zu dürfen. Aufgabe der Kommune ist es, als Schulträger die Bereitstellung öffentlicher Schulen sicherzustellen. In den letzten Jahren zeigen sich Tendenzen einer Verstärkung der kommunalen Verantwortungsübernahmen in allen Bereichen der Bildungspolitik. Im Zuge der Dezentralisierung haben die Kommunen die Möglichkeit stärker in das Bildungsgeschehen einzugreifen und die Bereiche Bildung und Jugendpolitik stärker zu steuern. Deutlich wird dies u.a. in Maßnahmen zur Verhinderung von Schulausfall, in der Entwicklung von Sprachprogrammen und der stärkeren Zusammenarbeit zwischen Schulen und Stadtvierteln. Die Ausgestaltung der kommunalen Bildungspolitik orientiert sich dabei an den besonderen Situationen in den Kommunen (vgl. van de Ven 2003).

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3 Kommunale Bildungslandschaften

3.2.4 Bilanzierung des Forschungsstandes Die Auseinandersetzung mit der Entstehung regionaler und kommunaler Bildungslandschaften ist in der Erziehungswissenschaft noch rudimentär und eher wegweisend als analytisch angelegt (vgl. Berkemeyer/Pfeiffer 2006). Dies wird vor allem daran deutlich, dass eine einheitliche Theorie der Regionalisierung bzw. Kommunalisierung von Bildungslandschaften bislang fehlt. Eine bildungstheoretische Fundierung wurde bisher nur in vereinzelten Ansätzen unternommen. Gleichzeitig finden sich mittlerweile in der Literatur unzählige wissenschaftliche Beiträge und Praxisberichte zu ebendieser Thematik, die jedoch aufgrund unterschiedlicher konzeptioneller Standorte eine Systematisierung erschweren und unterschiedliche bildungsbezogene Teilbereiche betreffen (Kindertageseinrichtung, Schule, Erwachsenenbildung, Hochschulen). Gemeinsam ist allen Modellprojekten, dass Vernetzungsstrukturen zum kommunalen bzw. regionalen Umfeld eine zentrale Rolle spielen. Die Zusammenarbeit zwischen den relevanten Akteuren soll verbessert werden, um auf diesem Wege gemeinsam eine zukunftsorientierte Bildungsinfrastruktur zu schaffen. Die beteiligten Kommunen bzw. Regionen entwickeln und erproben hierfür neue Strukturmodelle und Organisationskonzepte, die an die kommunalen und regionalen Besonderheiten angepasst sind. Eine Bilanzierung der bisherigen Ergebnisse zeigt zudem, dass erste Erfolge bereits sichtbar werden. In allen Kommunen und Regionen sind im Projektverlauf erste Kommunikations- und Kooperationsstrukturen entstanden. Darüber hinaus haben sich in einigen Kommunen und Regionen erste Steuerungskonzepte in Form von regionalen Steuerungsgruppen, Bildungsbüros, regionalen Qualifizierungssystemen oder auch Entwicklungsfonds gebildet. Ansätze zur Entwicklung kommunaler und regionaler Bildungslandschaften sind vorhanden, aber noch wenig strukturiert. Die neuen Entwicklungen werden von den Beteiligten durchweg positiv bewertet werden, in Einzelaspekten besteht jedoch noch Handlungsbedarf. Hierzu gehört die Intensivierung und Ausweitung der Zusammenarbeit zwischen den Schulen und außerschulischen Partnern. In den Projekten der Lernenden Regionen wird überdies sichtbar, dass eine Verlagerung der Projekte auf einseitig bestimmte Berufsgruppen den Netzwerkaufbau erschweren kann. Die angestrebte Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen kam nicht zustande. Es entstanden, entgegen der ursprünglichen Zielsetzung, überwiegend arbeitsmarktferne Netzwerke. Auch der Aufbau von Kooperationen mit den vor Ort wirkenden Behörden gelang nicht. Die beschriebenen Probleme können nicht allein auf das Personal in den Projekten zurückgeführt werden. Vielmehr wurden bereits bei der Vergabe der Fördermittel sowie bei der Projektdurchführung die oben beschriebenen Aspekte nicht hinreichend beachtet.

3.2 Modelltypen und Projekte

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Hilfreich wäre die Berücksichtigung kommunalpolitischer Kontrollen gewesen, was jedoch den Zielen und der angewendeten „bottom-up“-Strategie des Projektes Lernende Regionen entgegengewirkt hätte. Insgesamt sind reine Qualifizierungslandschaften unter dem Anspruch einer gezielten Qualifizierung für die Wirtschaft in der Praxis bislang nur in vereinzelten Ansätzen umgesetzt worden. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Betriebe die Aus- und Weiterbildung ihrer Beschäftigten meist selber in die Hand nehmen und in diesem Zusammenhang Netzwerke mit entsprechenden Dienstleistungsunternehmen aufbauen. Dem Projekt „Selbstständige Schule“ schreibt Luthe (2009) ebenfalls eine Tendenz zur Überschätzung der eigenen Möglichkeiten zu. So kann die Schulentwicklung und Öffnung der Schule zum außerschulischen Umfeld die Notwendigkeit umfassender kommunalpolitischer Strukturmaßnahmen im Bildungsbereich nicht ersetzen. Darüber hinaus signalisieren sämtliche beschriebenen Konzepte kommunaler Bildungslandschaften einen deutlich Bedarf an übergreifender Bildungsberatung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass vielerorts Bildungsbüros entstehen. Diese können allerdings nur dann effektiv ihrer Arbeit nachgehen, wenn die erforderliche Infrastruktur an Diensten und Einrichtungen zur Verfügung steht. Insgesamt wird durch die Gesamtschau der Forschungsbefunde zu kommunalen und regionalen Bildungslandschaften deutlich, dass es nur sehr wenige Erkenntnisse zu deren Wirkungen gibt. Dies kann einerseits darauf zurückgeführt werden, dass die Bildungslandschaften sich im Entstehungszeitraum befinden und Aussagen über dezidierte Wirkungen noch nicht möglich sind. Studien, die die Wirkung von Bildungslandschaften untersuchen, bilden demnach derzeit noch ein Forschungsdefizit. Zum anderen liegt dies auch daran, dass zahlreiche Städte und Gemeinden den Aufbau der Bildungslandschaften nicht wissenschaftlich begleiten lassen. Dennoch existieren einige wenige Untersuchungen, die eine Wirkungsanalyse kommunaler Bildungslandschaften ermöglichen. Es werden jedoch vor allem Prozesse des Aufbaus beschrieben. Insgesamt bleiben die Beispiele damit hinter den Erwartungen an Bildungslandschaften zurück. Gründe hierfür sind die begrenzten Möglichkeiten der kommunalpolitischen Einflussnahme auf die Bildung vor Ort. Des Weiteren erschweren die langfristigen Wirkungen von Bildungsmaßnahmen, die mangelnde Operationalität weit gesteckter Programmziele und fehlende Daten die Wirkungsanalyse kommunaler Bildungslandschaften. Die präsentierten Beispiele aus dem internationalen Kontext belegen, dass Deutschland hinter der Entwicklung anderer Länder zurückliegt. So ist auf internationaler Ebene die Kommunalisierung und Dezentralisierung des Bildungswesens sowie der Aufbau kommunaler Bildungslandschaft bereits sehr viel weiter fortgeschritten. Vielerorts sind vorschulische, schulische und außerschulische

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3 Kommunale Bildungslandschaften

Bildungseinrichtungen bereits in kommunaler Verantwortung. Der Staat gibt lediglich Bildungsziele vor, die dann vor Ort in den Kommunen bzw. in den einzelnen Schulen umgesetzt werden. Dadurch haben sich die Gestaltungsmöglichkeiten unter Aufnahme der kommunalen und lokal spezifischen Gegebenheiten erweitert und eine Vielfalt an Schulen ermöglicht. Im internationalen Kontext hat man somit auf die Unzulänglichkeiten im Bildungssystem bereits frühzeitig mit einer Öffnung der Schulen sowie der Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf die kommunale Ebene begonnen. Dadurch sollte eine Verkürzung der verwaltungsmäßigen Wege und ein schnelleres Reagieren auf besondere Situationen erreicht werden. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die Umsetzung der Kommunalisierung und der Aufbau kommunaler Bildungslandschaften Zeit bedarf, da diese Entwicklungen und die damit verbundenen Veränderungen ein verändertes Bildungsverständnis und neu entwickelte Fähigkeiten notwendig machen.

3.3 Zentrale Strukturmerkmale kommunaler Bildungslandschaften Aus den beschriebenen Modellansätzen und Beispielen wird deutlich, dass kein Idealtypus zum Aufbau kommunaler Bildungslandschaften vorhanden ist. Dennoch lassen sich zentrale Strukturmerkmale ableiten, die sich als konstitutiv für den Aufbau und die Entwicklung von Bildungslandschaften erweisen. Diese werden im Folgenden näher beschrieben.

3.3.1 Zusammenlegung von Zuständigkeiten Die Zuständigkeiten für Bildung sind rechtlich und strukturell in unterschiedlichen Ämtern angesiedelt. Damit ist eine aufeinander abgestimmte Handlungsstrategie im Bildungsbereich häufig nicht gegeben. Vielmehr bestehen die Ämter nebeneinander und richten ihre Angebote je nach Zuständigkeit aus. Die Vereinzelung dieser Strukturbedingungen führt daher oftmals zu widersprüchlichen Handlungsstrategien. Integrierte Planungen und Entscheidungen als partizipative Verfahren bilden zentrale Kennzeichen einer bürgerorientierten Verwaltung und kommunalen Politik im Sinne von kommunalen Governance-Strukturen. Sie sind auch ein wichtiges Element für den Aufbau kommunaler Bildungslandschaften, da nur auf diese Weise eine auf die Interessen und Bedürfnisse von spezifischen Zielgruppen und Handlungsräumen (z.B. Sozialräume) abgestimmte Planung mit allen beteiligten Akteuren möglich wird (vgl. Mack/Schröder 2006).

3.3 Zentrale Strukturmerkmale kommunaler Bildungslandschaften

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In einer kommunalen Bildungslandschaft müssen folglich die verschiedenen bildungsbezogenen Planungsebenen und -bereiche systematisch integriert sowie mit der Stadtentwicklungsplanung abgestimmt werden (vgl. Hebborn 2008). Dadurch werden institutionenübergreifende, fachliche Konzepte für eine Kooperation zwischen Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung möglich, die darauf abzielen, eine gemeinsame fachliche Perspektive zu entwickeln (vgl. Mack 2006). Eine Integration von Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung beinhaltet u.a. gemeinsame Sitzungen von Bildungsausschuss und Jugendhilfeausschuss.

3.3.2 Kommunale Bildungsnetzwerke Bildungsnetzwerke gewinnen in der aktuellen Bildungsdebatte zunehmend an Bedeutung, da sie als die zentralen Antriebskräfte für Reformen im Bildungsbereich angesehen werden. Ersichtlich wird dies an der steigenden Zahl an Netzwerken und der aufkommenden Netzwerkvielfalt (vgl. Liebig 2004). So können Bildungsnetzwerke als neuartige Form der Koordination im Bildungsbereich verstanden werden, die eine größere Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Aufgabenbewältigung aufweisen und weit über bilaterale Beziehungen hinausreichen (vgl. Weyer 2000; Pauli 2006). Sie können sich auf ganz unterschiedliche Themenschwerpunkte beziehen: Zusammenarbeit von Schulen und Betrieben, Zusammenarbeit im frühkindlichen und primären bis hin zum tertiären System (vgl. Wilbers 2003). Der Unterschied zwischen Kooperation und Vernetzung besteht vordergründig darin, dass Kooperationen feste Partnerschaften zur Erreichung vorgegebener Ziele bilden und die Zusammenarbeit von mindestens zwei Partnern beinhalten. Diese können bilateral oder multilateral, jedoch stets arbeitsteilig organisiert sein (vgl. Minderop/Solzbacher 2007). Netzwerke zeichnen sich hingegen durch eine offene Mitgliederstruktur aus. Es handelt sich um Weiterentwicklungen von Kooperationen. Wächter (1995, S. 5ff.) hat folgende Charakteristika von Netzwerken bestimmt: ƒ ƒ ƒ ƒ

Netzwerke bestehen aus mehr als zwei Institutionen/Personen und zeichnen sich durch gemeinsame Aktivitäten aus. Die beteiligten Institutionen/Personen müssen Ähnlichkeiten aufweisen. Zu große Heterogenität der Institutionen/Personen beeinflusst die Stabilität von Netzwerken negativ. Der Zugang zu Netzwerken gelingt über deren Zielsetzung.

52 ƒ

3 Kommunale Bildungslandschaften Netzwerke, die im Rahmen von Förderprogrammen initiiert wurden, bestehen nach Ablauf der Förderung nur dann weiter, wenn sie mit den Eigeninteressen der beteiligten Institutionen kompatibel sind.

Die Initiierung und Steuerung von Netzwerken kann auf zwei Arten erfolgen. Top-down organisierte Netzwerke sind in der Regel zeitlich befristete Projekte, die zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern bestehen. Kriterien und Maßstäbe für die Steuerung der Netzwerke werden hier von außen vorgegeben. Bei Bottom-up-Netzwerken handelt es sich hingegen um Kooperationen, die nicht von außen vorgegeben werden. Vielmehr sind diese aus eigener Kraft und Ressourcen entstanden; aus der Notwendigkeit heraus, aus einer Problemsituation Konsequenzen für eine Verbesserung ziehen zu müssen. Der Erfolg und die Dauer des Netzwerkes hängen in diesem Fall von der Motivation der einzelnen Mitglieder ab (vgl. Minderop/Solzbacher 2007, S. 9). Bildungsnetzwerke vernetzen Schulen mit Schulen und außerschulischen Einrichtungen. Unter einer gemeinsamen Zielsetzung werden Kompetenzen und Ressourcen gebündelt, um gemeinsame Ziele, schneller, effizienter und effektiver zu erreichen. Durch das Bestreben die Begabungen und Lernkompetenzen aller Kinder und Jugendlichen möglichst optimal zu fördern, erscheint es insbesondere für Kinder aus bildungsfernen und sozial benachteiligten Familien notwendig, dass viele regionale Partner in einem Netz zusammenarbeiten. Bildungsnetzwerke werden somit zu einem Baustein in der Entwicklung hin zu einer Verantwortungsgesellschaft. Der Zusammenschluss verschiedener Einrichtungen zu einem Bildungsnetzwerk führt jedoch nicht allein zur Lösung der Probleme, sondern ist abhängig von den Kompetenzen der Akteure, die in einem Netzwerk organisiert sind (vgl. Minderop/Solzbacher 2007). Weyer (2000, S. 16ff.) bezeichnet Bildungsnetzwerke kategorisierend als Interorganisationsnetzwerke, symmetrische Netzwerke, Strategienetzwerke und Innovationsnetzwerke. Interorganisationsnetzwerke zeichnen sich durch eine interessengeleitete und zielgerichtete Koordination der beteiligten Akteure aus. Symmetrische Netzwerke besitzen eine polyzentrische Struktur. Sie werden von einer zentralen Institution koordiniert und bestehen aus vertrauensvoll kooperierenden, interdependenten Partnern. Strategische Netzwerke bestehen hingegen aus spezialisierten Institutionen, die aufbauend auf einem Synergieprozess gemeinsame Ziele verfolgen. Kennzeichnend für Innovationsnetzwerke sind schließlich die enge Partnerbindung und eine Exklusivität der Partnerschaft, die Innovationen bewirken und diese auch durchsetzen können. In der Anfangsphase des Aufbaus eines Bildungsnetzwerkes kann die kommunale Identifikation einen wichtigen Unterstützungsfaktor darstellen (vgl. Benz 2003). Ohne eine gestaltende und steuernde kommunale Politik bleiben

3.3 Zentrale Strukturmerkmale kommunaler Bildungslandschaften

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Bildungsnetzwerke in situativer, bilateraler Zusammenarbeit, in stadtteilbezogenen oder in thematischen Arbeitskreisen verhaftet. Darüber hinaus wachsen mit der Größe von Netzwerken die Intransparenz der organisatorischen Strukturen und der Aufwand für die Informationsbeschaffung aller Beteiligten. Für den Zusammenhalt und die Arbeitsfähigkeit von Netzwerken kann die Zuspitzung auf bestimmte Rahmenthemen förderlich sein (vgl. Mack 2007b; Luthe 2009).

3.3.3 Aufbau eines kommunalen Bildungsmonitorings Um Bildung kommunal steuern und planen zu können, bedarf es einer neuen Form der Bildungsplanung. Zum einen müssen insbesondere die Jugendhilfe-, Schulentwicklungs- und Sozialhilfeplanung stärker aufeinander abgestimmt werden, um damit dem Bildungsverständnis als komplexen Entwicklungsprozess an formellen, non-formalen und informellen Orten stärker Rechnung zu tragen. Zum anderen bedarf es der Entwicklung regelmäßiger sowie nach Bedarf zu berichtender Indikatoren, die sich sowohl am Bedarf als auch an der Inanspruchnahme, den Übergängen und Qualitätsaspekten in allen Bildungsbereichen orientieren. In den letzten Jahren sind verschiedene Regionen und Kommunen dazu übergegangen regionale bzw. kommunale Bildungsberichte zu erstellen (z.B. Dortmund, München, Tübingen, Freiburg, Ravensburg). Diese sollen als Schnittstelle und auf der Grundlage einer kleinräumigen Zusammenschau sowie wechselseitigen Interpretation, den Grundstein für eine übergreifende Bildungs-, Jugendhilfe und Sozialplanung legen (vgl. Maykus 2007). Bildungsberichterstattung meint dabei die „kontinuierliche, datengestützte Information der bildungspolitischen Öffentlichkeit über Rahmenbedingungen, Verlaufsmerkmale, Ergebnisse und Erträge von Bildungsprozessen“ (Klieme u.a. 2006, S. 130) durch einen regelmäßig aktualisierten Bericht. Orientierungspunkt sind die nationalen Bildungsberichte, die regelmäßig – zuletzt im Jahr 2008 – erscheinen. Ziel ist hierbei die Neuorganisation bildungssystembezogener Informationsstrukturen, wie sie in den USA, Kanada, Frankreich, Spanien, England und den Niederlande bereits in den 1990er Jahren in vergleichbarer Weise erstellt wurden (vgl. Rürup 2008). Bildungsberichte sind damit Instrumente bildungssystemischer Steuerung. Obgleich sie lediglich Daten und Problemfelder aufzeigen, ohne konkrete Handlungsempfehlungen auszusprechen, liegt ihnen dennoch die Intention zugrunde, eine Grundlage für politische Steuerungsinstrumente zu liefern. Auf der Grundlage von Bildungsindikatoren zeichnen sie die wesentlichen Einflüsse und Wirkungszusammenhänge im Bildungswesen nach und öffnen damit

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3 Kommunale Bildungslandschaften „eine bisher durch Meinungen und Standpunkte geprägte Diskurspraxis strengeren und objektiveren wissenschaftlichen Abwägungen und empirisch-statistischen Prüfungen“ (Rürup 2008, S. 152).

Mit ihren Daten und Analysen sind Bildungsberichte zugleich Bezugspunkt der öffentlichen Bildungsdiskussion, da sie eine integrierte und konzentrierte Darstellung verschiedener Bildungsbereiche und Zusammenhänge ermöglichen. „Für Reformprogramme und Reformdebatten bedeutet dies, dass sie in ihrer empirischen Substanz sicherlich besser gestützt und gefördert werden, zugleich aber, dass sie unter stärkeren Reflexionszwang gesetzt sind, sich mit den expliziten Ergebnissen und den impliziten Wirkungsmodellen der Bildungsberichte auseinanderzusetzen“ (Rürup 2008, S. 152).

Kommunale Bildungsberichte können somit dazu beitragen, eine fach- und kommunal-politische Sensibilisierung herbeizuführen und innovative Konzepte zu initiieren. In einer kommunalen Bildungslandschaft bildet der Bericht die Basis für Planung, Struktur- und Finanzentscheidungen sowie für gemeinsam Ziele und Vereinbarungen im Rahmen des bildungspolitischen Gesamtkonzepts zwischen den Akteuren (vgl. Hebborn 2008). Das Datenkonzept ist damit eingebettet in die Idee der neuen Regulierung und Steuerung.

3.3.4 Entwicklung einer neuen Kommunikations- und Beteiligungskultur Eine wichtige Bedingung für die Entstehung und das Gelingen kommunaler Bildungslandschaften ist der Aufbau einer neuen Kommunikations- und Beteiligungsstruktur auf verschiedenen Ebenen (vgl. Stolz 2007a): ƒ ƒ ƒ ƒ

zwischen den Institutionen und Steuerungsebenen (Schulen/Jugendhilfe); zwischen öffentlicher Verwaltung und freien sowie gewerblichen Trägern; zwischen Institutionen und Familien als Adressaten; zwischen Fach- und Lehrkräften sowie Kindern und Jugendlichen als Adressaten.

Im Zentrum sollte die Initiierung eines öffentlichen und fortlaufenden Diskussionsprozesses stehen, in dem sich die Stadt und die bildungspolitisch relevanten Akteure vor Ort über die zukünftige Gestaltung der Bildungsinfrastruktur und -schwerpunkte gemeinsam verständigen (vgl. Hebborn 2008). Dieser Prozess führt zu verbindlicheren, von allen getragenen Entscheidungen. Insbesondere bei

3.4 Zusammenfassung

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ämter- und ressortübergreifenden Aufgaben und Projekten erscheint eine kommunikativ orientierte Politik förderlich (vgl. Mack u.a. 2006). In diesen Bereichen haben sich in einigen Städten bereits regionale Steuerungsgruppen, Bildungsräte und Bildungsbüros gebildet. Durch den Einbezug aller Beteiligten soll eine neue Beteiligungskultur etabliert werden sowie die kulturelle und soziale Vielfalt durch gemeinsam entwickelte Projekte gestärkt werden. Durch Partizipation ergibt sich so die Möglichkeit, Unzufriedenheit in aktives Handeln und Gestalten vor Ort, z.B. in lokalen Gruppen, zu transformieren.

3.3.5 Bildungspolitik als „Chefsache“ Die Entwicklung hin zur kommunalen Bildungslandschaft beginnt in vielen Kommunen in den Köpfen der Kommunalpolitiker und Bürgermeister. Sie sehen sich in der Gesamtverantwortung, die Bildungschancen des Einzelnen zu fördern. Bildungspolitik wird als kommunale Investitionsförderung angesehen, als zukunftsweisender Ansatz. Daher nehmen immer mehr Kommmunalpolitiker die Erfahrungen des Lernenden als Ausgangspunkt ihrer Aktivitäten (vgl. Eichert 2007). Bildungspolitik von oben her gedacht beinhaltet einen parteiübergreifenden Konsens über die Grundsätze der kommunalen Bildungspolitik. Die Formulierung bildungspolitischer Leitlinien sind Ausdruck dieser Entwicklung (z.B. Dortmund). Zudem bildet die Stützung der bildungspolitischen Ziele durch den Bürgermeister und die Kommunalpolitiker eine wichtige Bedingung für kommunale Veränderungen. Sie geben dem Konzept der kommunalen Bildungslandschaft den notwendigen Rahmen und treiben die Initiierung von Bildungsnetzwerken, die Umgestaltung der Bildungsplanung und ämterübergreifende Kooperationen, z.B. im Sinne der Zusammenlegung von Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung, voran.

3.4 Zusammenfassung Regionalisierung- und Kommunalisierungsprozesse stehen am Beginn einer langfristigen Umstrukturierung des Bildungssystems. Die lokale politische Steuerung orientiert sich zunehmend in Richtung einer Aushandlungs- und Partizipationskultur. Daher hat in vielen Kommunen seit den 90er Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Bildung wird nicht mehr allein als Aufgabe der Einzelinstitution Schule wahrgenommen. Vielmehr bilden sich in vielen Städten und Gemeinden Verantwortungsgemeinschaften, die die Bildung und Förderung aller

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3 Kommunale Bildungslandschaften

Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt ihres kooperativen Handelns stellen. Ziel des kommunalen Engagements ist es, Kindern und Jugendlichen in Verantwortungsgemeinschaft mit den Ländern bestmögliche Bildungs- und Zukunftschancen zu gewährleisten. In diesem Sinne werden die vielfältigen Bildungsangebote vor Ort zu einer kommunalen Bildungslandschaft im Sinne eines vernetzten Gesamtsystems weiterentwickelt. Für die Umsetzung dieses Zieles ist es wichtig, über integrierte Handlungsund Planungskonzepte kinder- und familienfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Interessenlagen und Bedürfnissen der gesamten Bevölkerung entsprechen und finanzierbar sind. Hierfür ist die enge konzeptionelle und praktische Kooperation und Abstimmung mit allen Ämtern, Institutionen und Einrichtungen, die die o.g. Prozesse mitgestalten und dafür verantwortlich sind, grundlegende Voraussetzung. In diesem Zusammenhang werden in zahlreichen Kommunen und Ländern neue Konzepte entwickelt, erprobt und umgesetzt. Viele Städte haben erste Strukturen wie z.B. Bildungsbüros für die Organisation der Zusammenarbeit geschaffen. Weitere Beispiele sind eine integrierte Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung oder die Entstehung von Bildungsberichten. Die Konzepte stehen jedoch noch am Anfang, so dass eindeutige Aussagen zu Wirkungsgefügen noch nicht möglich sind. Dennoch wird insgesamt deutlich, dass der Aufbau kommunaler Bildungslandschaften zu einer höheren Zufriedenheit aller Beteiligten führt und den Aufbau von Bildungsnetzwerken fördert.

4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

In Deutschland vollziehen sich gegenwärtig zahlreiche Veränderungen im Bereich der Bildungsorganisation. Hiervon sind unterschiedliche Ebenen betroffen. Neben dem Ausbau von Bildungslandschaften auf der Ebene der Kommunen und Landkreise betreffen die Veränderungen auch die Ebene der Schule. Angestoßen durch das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) der Bundesregierung werden an vielen Orten Ganztagsschulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten eingerichtet. In Anbetracht der bestehenden Bildungs- und Betreuungsdefizite in den Schulen wird momentan in Deutschland die Ganztagsschule als beste Antwort betrachtet (vgl. BMFSFJ 2005; Prüß 2008). Diese Entwicklung beruht auf der Einsicht, dass Schulen die heutigen Aufgaben nur mit veränderten Konzepten meistern können. So wird von der Schule erwartet, dass sie den Schülern ein hohes Wissen und Sozialkompetenzen vermittelt. Dieser Idealtypus von Schule benötigt jedoch mehr Zeit, mehr Raum, veränderte Inhalte und Personalstrukturen sowie neue Unterrichtskonzepte. Im Folgenden soll das Konzept der Ganztagsschule näher beschrieben werden. Zunächst werden verschiedene Definitionen und Organisationsformen von Ganztagsschulen dargelegt sowie die zeitliche und quantitative Entwicklung beschrieben. Abschließend werden zentrale Forschungsergebnisse zur Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen präsentiert.

4.1 Definition, Formen und pädagogische Gestaltungslinien Der Blick auf die derzeitige Ganztagsschuldiskussion macht deutlich, dass es „die“ Ganztagsschule in Deutschland nicht gibt. Vielmehr lassen sich unter diesem Begriff eine Vielzahl von Organisationsformen und Konzeptionen fassen.

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

4.1.1 Definition In der deutschsprachigen Literatur werden sehr unterschiedliche Begriffe wie z.B. Ganztagsschule, Tagesschule, Tagesheimschule, Tagesschulheim, Schule mit Tagesheim, offene Schule, erweiterte Schule verwendet, um ganztägige schulische Betreuung näher zu umschreiben (vgl. Neumann/Ramseger 1990, S. 17). Auch die aktuelle Diskussion ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von verwendeten Bezeichnungen. Neben dem Begriff „Ganztagsschule“ stößt man immer wieder auf ganztägig arbeitende Schulen, Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung, Ganztagsschulen in Angebotsform und Ganztagsorganisationen (vgl. Oelerich 2007, S. 15). Die Problematik der unterschiedlichen Bezeichnungen liegt darin, dass sie nicht einheitlich für verschiedene Formen oder Modelle ganztägiger schulischer Betreuung verwendet werden. In verschiedenen Arbeiten werden manche der Bezeichnungen als Oberbegriffe, in anderen werden dieselben Begriffe aber auch für einzelne spezielle Formen gebraucht. Hinzu kommen regionale Unterschiede der Begriffsverwendung bzw. -definition (vgl. Neumann/Ramseger 1990, S. 17), die aus den unterschiedlichen Modellen ganztägig organisierter Schulen resultieren und sich nur schwer in übergeordnete Begriffsdefinitionen zusammenfassen lassen (vgl. Bargel/Kuthe 1991). Trotz dieser Vielfalt an Begrifflichkeiten existieren verschiedene Definitionsvorschläge, von denen drei näher vorgestellt werden. Lange Zeit war die Definition des UNESCO-Instituts für Pädagogik in Hamburg aus dem Jahr 1961 prägend für den Ganztagsschuldiskurs. Der Begriff „Ganztagsschule“ wird in dieser Definition als Oberbegriff für alle Formen ganztägiger schulischer Betreuung verwendet, wobei drei Organisationsformen von Ganztagsschulen näher unterschieden werden (vgl. Holtappels 2006, S. 5, Radisch 2009, S. 13f.): ƒ

ƒ

Offene Schule: Die Unterrichtszeit beschränkt sich auf den Vormittag. Das Ganztagsangebot wird als freiwilliges Angebot dem unveränderten Unterrichtsvormittag angehängt. Das Nachmittagsangebot umfasst neben einem Mittagessen und einer Hausaufgabenbetreuung, auch Kurse und Arbeitsgemeinschaften. Aufgrund der strikten Trennung zwischen Unterricht und Nachmittagsangeboten ist eine Veränderung der Zeitstruktur und des Unterrichts nur schwer möglich. Ganztagsschule: Im Vergleich zur Halbtagsschule mit fakultativem Angebot weist diese Form eine veränderte Zeitstruktur auf. Unterricht und außerunterrichtliche Elemente sind in einem kind- und jugendgerechten Lernrhythmus auf den Vor- und Nachmittag verteilt. Die Teilnahme ist für alle Schüler obligatorisch.

4.1 Definition, Formen und pädagogische Gestaltungslinien ƒ

59

Tagesheimschule: Das Grundkonzept entspricht dem der Ganztagsschule, jedoch mit einem erweiterten Betreuungsangebot vor und nach der Schulzeit sowie während der Mittagspause. Diese Organisationsform orientiert sich in ihrem pädagogischen Profil stark am Elternbedarf.

Im Kontext des Ganztagsschuldiskurses der letzten Jahre hat der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz (KMK) Ende März 2003 den Begriff „Ganztagsschule“ neu definiert. So subsumiert die KMK unter dem Begriff nur Schulen, die über den Unterricht am Vormittag hinaus an mindestens drei Tagen in der Woche ein tägliches Angebot von mindestens sieben Stunden bereitstellen, das durch ein Mittagessen ergänzt wird. Weiterhin sollen die nachmittäglichen Angebote unter der Aufsicht und Verantwortung der Schulleitung durchgeführt werden sowie in einem konzeptionellen Zusammenhang zum Vormittagsunterricht stehen. Vor diesem Hintergrund unterscheidet die KMK drei Organisationsformen (vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder 2007, S. 4f.): ƒ ƒ ƒ

Voll gebundene Ganztagsschulen: Verpflichtende Teilnahme aller Schüler am Ganztagsangebot. Teilweise gebundene Ganztagsschulen: Das Grundkonzept entspricht dem der voll gebundenen Ganztagsschule. Jedoch gilt die Verpflichtung hier nur für einen Teil der Schüler (z.B. bestimmte Jahrgangsstufen oder Klassen). Offene Ganztagsschulen: Diese Organisationsform sieht eine freiwillige Teilnahme der Schüler am Ganztagsangebot vor.

Neben diesen Organisationsformen unterscheidet die KMK zwischen Ganztagsschulen und Ganztagsangeboten (vgl. ebd.). Diese Definitionserweiterung gründet auf der mittlerweile beachtlichen Breite und Variation von Ganztagsangeboten. Im Vergleich zu Ganztagsschulen liegt der inhaltliche Schwerpunkt bei Ganztagsangeboten stärker auf dem Aspekt der Betreuung. Zudem stehen sie häufig nicht in der Verantwortung der Schulleitung oder kooperieren mit dieser. Hierunter fallen z.B. Hortangebote, die zwar im Umfeld der Schule als ganztägiges Angebot vorgehalten werden, jedoch zumeist nicht direkt an der Schule verortet sind. Insgesamt wird aus der KMK-Definition deutlich, dass diese sich hauptsächlich auf organisatorische Merkmale beschränkt. Eine Beschreibung der konkreten Inhalte und pädagogischen Ausgestaltung der Konzepte wird nicht vorgenommen. Es handelt sich somit um eine Minimaldefinition von Ganztagsschulen. Im Gegensatz dazu liefert der Ganztagsschulverband eine detaillierte Definition, die dem pädagogischen Konzept und dessen Umsetzung Rechnung trägt.

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

Es werden organisatorische und reformpädagogische Konzepte für die Gestaltung von Ganztagsschulen zusammengefasst.14 Entsprechend der Definition weist eine Ganztagsschule folgende Merkmale auf: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

Ein durchgehend strukturiertes Angebot an mindestens vier Wochentagen und mindestens sieben Zeitstunden, Aktivitäten am Vormittag und am Nachmittag müssen in einem konzeptionellen Zusammenhang stehen, erweiterte Lernangebote, individuelle Fördermaßnahmen und Hausaufgaben müssen in die Konzeption eingebunden sein, die gemeinsame und individuelle Freizeitgestaltung der Schüler als pädagogische Aufgabe muss im Konzept enthalten sein, die Angebote müssen sich an den altersgerechten Interessen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientieren, alternative Unterrichtsformen wie z. B. Projektarbeit müssen ermöglicht werden, das soziale Lernen muss begünstigt werden, ein warmes Mittagessen muss vorgehalten werden, eine ausreichende Ausstattung mit zusätzlichem pädagogischen Personal, einem erweiterten Raumangebot und zusätzlichen Lehr- und Lernmitteln muss gewährleistet sein und die Organisation aller Angebote muss unter der Aufsicht und Verantwortung der Schule stehen.

Zusätzlich werden zwei Organisationsformen von Ganztagsschulen unterschieden: gebundene und offene Ganztagsschulen. Gebundene Ganztagsschulen zeichnen sich durch eine obligatorische Teilnahme am Ganztagsangebot sowohl am Vor- wie auch am Nachmittag aus. Der Aspekt der Verpflichtung ermöglicht es dieser Organisationsform eine Rhythmisierung des Schulalltags einzuführen, die sich stärker am biologischen Rhythmus der Kinder und Jugendlichen sowie an den Elternwünschen orientiert. Die Unterrichtsphasen können sowohl auf den Vor- als auch Nachmittag verteilt und Hausaufgaben, Förderung sowie gebundene und ungebundene Freizeitphasen stärker in diesen Ablauf integriert werden. Offene Ganztagsschulen beruhen hingen auf dem Prinzip der freiwilligen Teilnahme am Ganztagsangebot der Schule. Damit wird eine Verschränkung der Angebote am Vor- und Nachmittag verhindert. Der Unterricht findet weiterhin 14

Die Definitionen des Ganztagsschulverbandes sind der Internetseite des Verbandes entnommen. Online: URL: http://www.ganztagsschulverband.de/gsv/page/bundesverband/programmatik [Datum der Recherche: 17.07.2008]

4.1 Definition, Formen und pädagogische Gestaltungslinien

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auf verbindlicher Basis vorwiegend am Vormittag statt und wird durch zusätzliche fakultative Angebote am Nachmittag, z.B. Arbeitsgemeinschaften, ergänzt. Im Vergleich zur gebundenen Ganztagsschule erfolgt in offenen Ganztagsschulen die Bereitstellung der Angebote am Nachmittag stärker unter der Einbeziehung von Eltern und außerschulischen Fachkräften. Eine Einbindung der Lehrkräfte ist eher an gebundenen Ganztagsschulen zu finden. Neben Ganztagsschulen bestehen gemäß der Definition des Ganztagsschulverbandes noch Halbtagsschulen mit Nachmittagsangeboten. Hierunter fallen Schulen, die ein fakultatives Angebot an einem oder mehreren Nachmittagen anbieten. Dies kann auch unter Einbezug außerschulischer Kooperationspartner gestaltet werden. Zusätzlich müssen aus der Sicht des Ganztagsschulverbandes folgende Merkmale vorhanden sein: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

regelmäßige, verbindliche Absprachen über pädagogische Angebote und Maßnahmen zwischen den Schulen und den außerschulischen Kooperationspartnern, gemeinsame Erarbeitung pädagogischer Ziele und Aufgaben sowie gemeinsame Durchführung und Entwicklung von Angeboten für Schüler. Vereinbarung von Kommunikationsstrukturen, auf der Grundlage verbindlicher Vereinbarungen, die auf Langfristigkeit ausgelegt sind, Dienst- und Fachaufsicht für die am Nachmittag eingesetzten Kräfte obliegt dem Kooperationspartner, rechtzeitige Planung und Bereitstellung von Sachmitteln und Personal für Kooperationen sowie das Angebot eines Mittagessens.

Resümiert man die verschiedenen Ganztagsschuldefinitionen, so lassen sich vier zentrale Kriterien zur Unterscheidung der Organisationsformen ableiten. Zum einen der Grad der Verbindlichkeit und zum anderen die Verbindung der Angebote am Vor- und Nachmittag. Diese können entweder integrativ (systematische Integration von unterrichtlichen und nicht-unterrichtlichen Anteilen) oder additiv (beide Elemente sind unverbunden) gestaltet werden. Der dritte Aspekt bezieht sich auf die Trägerschaft der nicht-unterrichtlichen Anteile. So kann das Nachmittagsangebot entweder allein in der Verantwortung der Schule oder ausschließlich in der eines außerschulischen Trägers liegen. Das letzte Unterscheidungskriterium bezieht sich auf den Ort, an dem die Ganztagsangebote stattfinden: Verortung direkt an der Schule oder z.B. einem Hort in der Nähe. Diese Differenzierungsaspekte prägen die organisatorische Heterogenität der Ganztags-

62

4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

schullandschaft in Deutschland und haben zugleich weitreichende pädagogische Konsequenzen (vgl. Oelerich 2007, S. 18f.).

4.1.2 Pädagogische Gestaltungslinien Ganztagsschulen werden gegenwärtig in vielen Ländern mit unterschiedlichen Schwerpunkten ausgebaut. Gemeinsam ist allen Konzepten eine stärkere Betonung des Bildungsaspekts gegenüber der reinen Betreuung. Von Bedeutung sind vor allem Aspekte, die eine Veränderung von Schule und eine neue Schul-, Lernund Bildungskultur bewirken sollen. So trägt eine erweiterte tägliche Schulzeit den Betreuungsbedürfnissen berufstätiger Eltern Rechnung. Die in Kapitel 4.1.1 beschriebenen unterschiedlichen Definitionsansätze erschweren jedoch die Ableitung eines verbindlichen Sets an inhaltlichen Merkmalen der Ausgestaltung von Ganztagsschulen und Ganztagsangeboten. Dennoch können einige zentrale Aspekte benannt werden, die als konzeptionelle Merkmale von Ganztagsschulen gelten (vgl. Höhmann u.a. 2004, S. 257ff.; Holtappels 2005a, S. 15f.; Oelerich 2007, S. 19f.): ƒ

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ƒ ƒ

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Intensivierung der Förderung von Schülern in den Bereichen schulische Leistungen sowie kognitive, soziale und emotionale Kompetenzen: Dies beinhaltet die Bereitstellung zusätzlich pädagogisch gestalteter Lernzeit und Lernhilfen in Form von Förderzeiten, Hausaufgabenhilfen sowie den Einsatz von Fachpersonal. Entwicklung einer Lernkultur mit abwechselnden Lehr- und Lernformen und differenzierten Lernarrangements: Die vielfältigen Lern- und Erfahrungszugänge bleiben nicht auf den Unterricht beschränkt, sondern schließen Wahlangebote und Arbeitsgemeinschaften mit ein. Angebote zur selbstständigen Freizeitgestaltung, die durch Erholung, Spiel und Bewegung die Schüler anregen, ihre Freizeit selbst zu gestalten. Möglichkeiten des sozialen und interkulturellen Lernens: Ganztagsschule soll soziale Begegnung und soziales Miteinander fördern, indem Gruppenerfahrungen zur Entwicklung sozialer Kontakte, zur Stabilisierung von Freundschaftsbeziehungen und Sozialbeziehungen zwischen Schülern, Lehrern und Eltern beitragen. Hierfür eignen sich sowohl der Unterricht als auch die Phasen selbständiger Freizeitgestaltung. Verstärkte Beteiligung von Schülern und Eltern an der Gestaltung des Schullebens, um die soziale Verantwortung im Schulalltag zu stärken.

4.1 Definition, Formen und pädagogische Gestaltungslinien ƒ ƒ

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Einbezug außerschulischer Kooperationspartner im Sinne der Öffnung der Schule zum Umfeld: Durch die Öffnung der Schule nach außen sollen differenzierte Arrangements für Lernen und Erfahrung geschaffen werden. Organisierte und verlässliche Betreuung der Schüler über den Unterricht hinaus.

Die pädagogischen Gestaltungslinien orientieren sich am Ansatz der Umsetzung der Trias von Bildung, Betreuung und Erziehung im Rahmen von Ganztagsschulen, wie sie im 12. Kinder- und Jugendbericht gefordert werden. Sie bilden damit die wesentlichen Grundaufgaben von Ganztagsschulen bzw. Ganztagsangeboten (BMFSFJ 2005). Entsprechend der unterschiedlichen Interessen und Ausgangspunkte, die lediglich Richtungen angeben, aber nicht verbindlich sind, legen die unterschiedlichen Organisationsformen in ihrer Ausgestaltung den Schwerpunkt auf einzelne oder mehrere dieser Aspekte. Das hat zur Folge, dass die Diversität von Ganztagsschulen in der Praxis noch ansteigt. Neben den pädagogischen Gestaltungselementen von Ganztagsschulen lassen sich als Konsequenzen auch einige wesentliche Merkmale der Organisationskultur ableiten (vgl. Höhmann u.a. 2004, S. 259f.; Holtappels 2005a, S.25 ff.): ƒ

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Die institutionelle Öffnung der Schule zum lokalen und kommunalen Umfeld soll der Verschulung von Lernen vorbeugen. Es kann differenziert werden zwischen der inhaltlichen Öffnung zu gemeinwesen- und lebensweltorientierten Lernanlässen, der methodischen Öffnung durch handlungsorientierte Projekte und Erkundungen, der räumlichen Öffnung durch Nutzung außerschulischer Lernorte und der institutionellen Öffnung durch Kooperationen mit anderen Institutionen und Einrichtungen, die Arbeitsgemeinschaften anbieten. Neben Lehrkräften werden auch sozialpädagogische Fachkräfte eingesetzt, die bei entwickelten Schulen in Teams und kooperativ zusammen arbeiten. Dies erfordert jedoch die Entwicklung eines gemeinsamen pädagogischen Konzepts und eines veränderten Qualifikationsprofils von Lehrern, das neben einer fachdidaktischen Grundqualifikation vor allem sozialpädagogische Kompetenzen beinhaltet. Eine Ausgestaltung der räumlichen und schulischen Infrastruktur, die Lernen, Erfahrungen und Mahlzeiten im Gemeinschaftserleben ermöglicht. Hierzu gehört die Gestaltung der Klassenräume, die Nutzung von Fachräumen, Sozial- und Bewegungsflächen sowie Außenanlagen für vielseitige Lern-, Freizeit- und Rückzugsbedürfnisse.

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen Eine flexible lern- und schülergerechte Zeitrhythmisierung soll eine Differenzierung der Lernzugänge und Lernformen ermöglichen. Dies beinhaltet angemessene Zeitblöcke mit flexiblem Rhythmus und Wechsel von Lernund Freizeitaktivitäten, An- und Entspannung, Bewegung und Ruhe.

4.2 Entwicklung der Ganztagsschule Die Diskussion um einen verstärkten Ausbau von Ganztagsschulen ist nicht nur ein Thema der aktuellen Bildungsdebatte. Vielmehr veröffentlichte der Deutsche Bildungsrat (1968) bereits Ende der 1960er Jahre Empfehlungen zur Durchführung von Schulversuchen mit Ganztagsschulen, um den bildungspolitischen Herausforderungen dieser Zeit zu begegnen. In der Folgezeit wurden diese Empfehlungen immer wieder in der öffentlichen und politischen Diskussion aufgegriffen, ohne dass es jedoch zu einem starken Ausbau von Ganztagsschulen gekommen wäre. Im Folgenden wird ein grober geschichtlicher sowie quantitativer Überblick über die Ganztagsschulentwicklung in Deutschland gegeben.

4.2.1 Geschichtlicher Abriss Der geschichtliche Verlauf der Ganztagsschuldebatte kann als Wellenbewegung beschrieben werden. Im 19. Jahrhundert waren ganztägige Schulen die Regel. Die Halbtagsschule setzte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch. Ab diesem Zeitpunkt kamen – verbunden mit einer Schulkritik – immer wieder Modellschulen mit ganztägiger Organisationsform und pädagogisch veränderten Ansätzen auf (vgl. Holtappels 1994; Ludwig 2005). So entwickelten Kapff, Wyneken und Edert zwischen 1906 und 1910 – teils unabhängig voneinander – Pläne ganztägig geführter Tagesschulen, die sich zum einen an den Entwürfen der Landerziehungsheime von Lietz und den englischen Public Schools orientierten. Neben der Tagesschule war auch die von Baginsky bereits 1881 entwickelte Wald- bzw. Freiluftschule prägend für die Ganztagsschuldebatte in dieser Zeit. Strukturelemente der reformpädagogischen Ganztagsschulen sind vor allem: Mittagsmahlzeit, Freizeitangebote, Arbeitsgemeinschaften, Förderunterricht, Integration der Hausaufgaben in die Schule, neue Unterrichtsformen, Rhythmisierung, Kooperationsaufbau zum Elternhaus, Intensivierung des Schullebens, Ausgestaltung als Lebensraum, Schulöffnung zum Nahraum, mehr Gelegenheiten für Schüleraktivitäten und Wandel der Lehrerrolle. Die Strukturmerkmale belegen, dass die früher beschriebenen Charakteristika auch das Ganztagsschulbild der heutigen Zeit noch entscheidend prägen (vgl. Ludwig 2008).

4.2 Entwicklung der Ganztagsschule

65

Anfang der 1950er Jahre wurden weitere Bestrebungen zum Aufbau moderner Ganztagsschulen sichtbar. Besonders bekannt geworden sind die Konzepte, die Mayer-Kulenkampff und Nohl 1947 vorlegten. Seit Mitte der 1950er Jahre erfolgten erste Verwirklichungen dieser Pläne, nicht zuletzt aufgrund der Bemühungen der 1955 von Reformpädagogen gegründeten „Gemeinnützige Gesellschaft Tagesheimschule“ GGT e.V. Auch heute kümmert sich der Verband noch um die Verbreitung, Weiterentwicklung und Realisierung ganztägiger Schulmodelle. Endergebnis der Ganztagsschuldebatte dieser Entwicklungsphase war die Entstehung der modernen Ganztagsschule, wie sie auch heute noch diskutiert wird sowie der Aufbau einer geringen Zahl an Ganztagsschulen in Deutschland. Zudem wurden in den Jahren zwischen 1955 und 1965 erstmals auch empirische Forschungsergebnisse größeren Umfangs zu Fragen ganztägiger Schulerziehung veröffentlicht (vgl. Ludwig 2005, 2007). Weiteren Antrieb erhielt die Ganztagsschuldiskussion durch die Empfehlungen des Deutschen Bildungsrats Ende der 1960er Jahre, die insbesondere die Aspekte der Förderung und des Abbaus von Bildungsungleichheit in den Mittelpunkt der Debatte rückten. Seit diesem Zeitpunkt bildet die Ganztagsschule einen festen Bestandteil des deutschen Schulwesens (vgl. Ludwig 2008). Gleichwohl verlief die Ganztagsschuldiskussion weiterhin kontrovers, nicht zuletzt, weil es dem sozialistischen Schulmodell der DDR zu sehr zu ähneln schien (vgl. Kiper 2005, S. 174). Das Schulsystem in Deutschland blieb damit, anders als in den meisten anderen europäischen wie außereuropäischen Ländern, ein Halbtagsschulsystem. Seit Ende der 1980er Jahre erfolgt eine Neubelebung der Ganztagsschuldebatte. Die Ergebnisse der empirischen Erhebung zu Angebot und Nachfrage von Ganztagsschulen von Bargel/Kuthe (1991) belegen den Bedarf an Ganztagsplätzen. Einen weiteren Anstoß erhielt die Diskussion im Zuge der Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studie, der zunehmenden Berufstätigkeit von Müttern und der steigenden Anzahl alleinerziehender Elternteile (vgl. Ludwig 2008).

4.2.2 Quantitative Ganztagsschulentwicklung in Deutschland seit 2002 Zur Beschreibung der zahlenmäßigen Entwicklung der Ganztagsschulen sowie der Schüler an Ganztagsschulen kann vor allem auf zwei statistische Quellen zurückgegriffen werden. Zum einen hat das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2009 Berichte über die allgemein bildenden Schulen in Ganztagsform in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland herausgegeben. Diese orientieren sich an der KMK-Definition ganztägiger Schulen und weisen

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

u.a. eine Differenzierung nach Bundesländern, Schularten und Organisationsmodellen auf. Eine weitere statistische Datenquelle ist der IZBB-Kompass, der über die Internetseite „www.ganztagsschulen.org“ abgerufen werden kann. Dabei handelt sich um eine Auflistung aller Ganztagsschulen, die im Rahmen des IZBB-Programms gefördert wurden und werden. Die Verbindung beider Quellen ermöglicht die Erfassung eines Großteils der Ganztagsschulen in Deutschland. In der KMK-Statistik wird zwischen Verwaltungseinheiten und Einzelschulen unterschieden. Der Begriff „Verwaltungseinheit“ bezieht sich auf die organisatorische Einheit von Schulen. Schulen, die mehrere Schularten umfassen, werden als Einheit ausgewiesen. Demgegenüber bezieht sich der Begriff der Einzelschule auf die Ebene der jeweiligen Schulart (vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder 2006, S. 6f.).15 Nach Angaben der KMK-Statistik (vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder 2009) arbeiteten im Jahr 2007 nahezu 40% der allgemein bildenden Schulen (Verwaltungseinheit) im Ganztagsbetrieb. Im Jahr 2003 waren es noch 20%. Betrachtet man die Ebene der Bundesländer, so zeigt sich, dass zum Teil erhebliche quantitative Unterschiede bestehen. So waren in Sachsen, Saarland und Thüringen mehr als drei Viertel (91%, 83% und 76%) aller Schulen Ganztagsschulen, in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachen hingegen jeweils nur etwa ein Fünftel. Als gemeinsamer Trend der Bundesländer lässt sich jedoch festhalten, dass sich die Anzahl der Ganztagsschulen zwischen 2003 und 2007 zum Teil deutlich erhöht hat (vgl. ebd.). In Bezug auf die absolute Anzahl der Schulen, Betrachtungsebene ist die Einzelschule, werden jeweils etwas mehr als ein Drittel der Grund- und Hauptschulen sowie der Gymnasien und etwa 23% der Realschulen als Ganztagsschulen vorgehalten. Entsprechend der geschichtlichen Entwicklung der Ganztagsschule in Deutschland liegt der Anteil der Ganztagsschulen an allen Integrierten Gesamtschulen deutlich höher (81%). Insgesamt sind jedoch über alle Schularten hinweg deutliche Zuwachsraten zu verzeichnen. Dabei werden ganztägig organisierte Grundschulen, Realschulen und Gymnasien häufiger als offene Ganztagsschulen geführt als Hauptschulen (92%, 77%, 75% vs. 55%). Der Ausbau von Ganztagshauptschulen erfolgt vielfach auch in voll gebundener Form (26%) (vgl. ebd.). Betrachtet man den Anteil der teilnehmenden Schüler am Ganztagangebot, zeigt sich folgendes Bild: Die Anteile teilnehmender Schüler liegen insgesamt 15 Die quantitative Entwicklung der Ganztagsschulen wird in dieser Arbeit nur überblicksartig wiedergegeben, da dies nicht zentraler Gegenstand der Arbeit ist. Eine ausführlichere Darstellung der Entwicklungsverläufe samt Tabellen und Grafiken kann dem Tabellenanhang der KMK-Statistik aus dem Jahr 2009 entnommen werden.

4.2 Entwicklung der Ganztagsschule

67

niedriger als die Anteile ganztägiger Schulen. Auch der Zuwachs fällt insgesamt geringer aus. Bundesweit nahmen im Jahr 2007 21% der Schüler allgemein bildender Schulen am Ganztagsbetrieb ihrer Schule teil. Dies hängt sehr wahrscheinlich mit den Unterschieden im Ausbau der ganztägigen Organisationsformen zusammen. So richtet sich der Fokus beim Ausbau von Ganztagsschulen in vielen Bundesländern auf offene oder teilgebundene Formen, an denen jeweils nur ein Teil der Schülerschaft teilnimmt. Im Vergleich der Bundesländer zeigt sich daher, dass in Sachsen und Thüringen jeweils etwa 50% aller Schüler am Ganztagsbetrieb teilnehmen. In Bayern sind es hingegen lediglich 4%. Im Hinblick auf die prozentuale Zunahme der Ganztagsschüler sind jedoch in allen Bundesländern im Zeitverlauf Zuwächse zu verzeichnen. Diese fallen am größten in Sachsen, Hamburg und Brandenburg aus. In diesen Bundesländern hat der Schüleranteil an Ganztagsschulen um mehr als 20% zugenommen (vgl. ebd.). Wie oben bereits beschrieben, besteht neben der KMK-Statistik eine weitere statistische Datenquelle. Der IZBB-Kompass bzw. der Bericht des Sozialpädagogischen Instituts Nordrhein-Westfalen (SPI) beinhaltet eine Auflistung aller Ganztagsschulen, die im Rahmen des IZBB-Programms gefördert wurden und werden. Die Zahlen der KMK können nicht direkt mit der Anzahl der IZBB geförderten Schulen verglichen werden, da beiden Statistiken unterschiedliche Definitionen von Ganztagsschulen sowie unterschiedliche Erhebungszeiträume zugrunde liegen. Während die Informationen für die KMK-Statistik jeweils zu Beginn eines jeden Schuljahres erfasst werden, wird die SPI-Statistik am Ende eines Schuljahres erhoben. Damit ergeben sich allein aufgrund der zeitlichen Erfassungsunterschiede Abweichungen. Laut dem SPI-Bericht bestanden im Jahr 2008 knapp 7.000 IZBBGanztagsschulen.16 Dies waren im Vergleich zum Jahr 2005 fast 5000 Ganztagsschulen mehr. Der Schwerpunkt der Förderung liegt bei den Grundschulen. Dies trifft auf einen Großteil der Bundesländer zu. Einige Länder haben hingegen einen Schwerpunkt bei den weiterführenden Schulen gesetzt. So wurden in den letzten Jahren besonders in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz Hauptschulen gefördert. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die in diesem Kapitel präsentierte quantitative Ganztagsschulentwicklung nur eine näherungsweise Schätzung darstellt. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass sowohl die KMK-Statistik als auch die Statistik des IZBB-Kompass aufgrund der zugrunde gelegten Definitionen nur einen Teilbereich des tatsächlichen Ganz16

Die beschriebenen Daten wurden dem IZBB-Kompass auf der Seite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entnommen: http://www.ganztagsschulen.org/izbbkompass.php [Datum der Recherche: 20.03.2009]

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

tagsangebots berücksichtigen. Außerdem verläuft der Ausbau von Ganztagsangeboten derzeit in Deutschland in einem rasanten Tempo, so dass die angegebenen Werte lediglich Orientierungspunkte darstellen können. Die tatsächlichen aktuellen Werte liegen vermutlich bereits deutlich über den in diesen Statistiken genannten Werten. Insgesamt weisen die Befunde jedoch auf deutliche zahlenmäßige Unterschiede im Ausbau der Ganztagsschulen zwischen den einzelnen Bundesländern hin. Zudem variieren die Organisationsformen ganztägiger Betreuung an Schulen stark zwischen den einzelnen Schularten und Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist u.a. auf die Unterschiede in der Finanzierung, dem Betreuungspersonal und den Zielsetzungen der einzelnen Bundesländer zurückzuführen. Der starke quantitative Ausbau der letzten Jahre lässt jedoch keine Aussagen darüber zu, inwieweit grundlegende qualitative Aspekte des Ausbaus, z.B. pädagogisch-didaktische und sozialpädagogische Standards, Beachtung finden. Damit wird nicht deutlich, inwieweit die mit den Ganztagsschulen verbundenen Zielsetzungen wirklich erreicht werden.

4.2.3 Ganztagsschulentwicklung in Baden-Württemberg In Baden-Württemberg erfolgt der Ganztagsschulausbau nach bedarfsorientierten Gesichtspunkten. Es können dabei zwei Entwicklungsphasen unterschieden werden. In den ersten Jahren (ab 2002) richtete sich der Ausbau insbesondere auf Ganztagsschulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung. Entsprechend den pädagogischen Erfordernissen sollten damit soziale Brennpunktschulen (hierunter fallen insbesondere Hauptschulen), die ihren Bildungsund Erziehungsauftrag unter erschwerten Bedingungen erfüllen, zu Ganztagsschulen ausgebaut werden. Ein weiterer Ausbauschwerpunkt lag auf den Grundschulen, die an Hauptschulen angeschlossen waren sowie auf den Förderschulen.17 Am 20. Februar 2006 trat ein neues Ganztagsschulprogramm „Ausbau und Weiterentwicklung der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg“ in Kraft. Ziel dieses Programms ist es, ein flächendeckendes und bedarfsorientiertes Netz von Ganztagsschulen zu schaffen. Neben Ganztagsschulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung sollen in den kommenden Jahren Ganztags17 Diese Angaben wurden der Übersicht über das Ganztagsschulprogramm des Landes BadenWürttemberg auf dem Kultusportal Baden-Württemberg entnommen: http://www.kmbw.de/servlet/PB/-s/tv7ssb2ie6i31htcjdxm1yqpb910yth/show/1188075/bersicht%20GTSProgramme%20BW.pdf [Datum der Recherche: 20.03.2009]

4.2 Entwicklung der Ganztagsschule

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schulen in offener Angebotsform in allen Schularten der allgemein bildenden Schulen eingerichtet werden. „Auch im schulischen Bereich brauchen wir verstärkt Angebote zur Ganztagsbetreuung. Der erste Schritt auf diesem Weg war die Schaffung von Ganztagsschulen an sozialen Brennpunkten. [...] Heute geht es darum, ein flächendeckendes, bedarfsorientiertes Angebot an Ganztagsschulen zu schaffen und die Ganztagsschule konzeptionell weiterzuentwickeln.“ Regierungserklärung von Ministerpräsident Günther H. Oettinger (27.04.2005):“Tatkraft und Selbstvertrauen in schwieriger Zeit – Arbeit schaffen, Sicherheit geben, Heimat bewahren“

Eckpunkte und Voraussetzung für die Ganztagsschulkonzeption an Ganztagsschulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung ist die Bereitstellung eines Ganztagsangebots, dass an mindestens vier Tagen in der Woche einen Zeitrahmen von acht Stunden umfasst und für alle bzw. zumindest für einen Teil der Schüler verpflichtend ist. An offenen Ganztagsschulen soll sich das Angebot über mindestens vier Tage à 7 Zeitstunden erstrecken. Gemeinsam ist beiden Ausbaumodellen die Bereitstellung eines Mittagessens durch den Schulträger sowie eine Rhythmisierung des Unterrichts.18 Insgesamt sollen mindestens 40% der öffentlichen allgemeinbildenden Schulen zu Ganztagsschulen ausgebaut werden. Wichtiger Baustein des neuen Konzepts ist das Jugendbegleiterprogramm, das den ergänzenden Einsatz von qualifizierten, ehrenamtlichen Personen in der Ganztagsbetreuung der Schulen vorsieht. Jugendbegleiter führen eigenständige Bildungs- und Betreuungsangebote in der Ganztagsbetreuung der Primarstufe und Sekundarstufe I der allgemein bildenden Schulen durch. Ein Einsatz im Pflichtunterricht erfolgt nicht.19 Zusätzlich zu den Jugendbegleitern sollen an Hauptschulen, beruflichen Schulen und Förderschulen, die unter erschwerten sozialen und pädagogischen Bedingungen arbeiten, verstärkt Sozialarbeiter eingesetzt werden.20 Neben den zwei bereits beschriebenen Programmen haben die Landesregierung und Kommunalen Landesverbände am 4. November 2005 das Programm 18 Ministerrat des Landes Baden-Württemberg (2006): Neues Ganztagsschulprogramm "Ausbau und Weiterentwicklung der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg": http://www.gdrs-scho.wn. bw.schule.de/schulportfolio_web/J%20%20WEITERENTWICKLUNG/1%20Perspektive%20Ganzta gesschule/1%20%20Neues%20Ganztagsschulprogramm.pdf [Datum der Recherche: 20.03.2009] 19 Diese Angaben wurde der Internetseite zum Jugendbegleiterprogramm des Landes BadenWürttemberg entnommen: http://www.jugendbegleiter.jugendnetz.de/index.php?id=9 [Datum der Recherche: 21.03.2009] 20 Gemeinsame Richtlinien des Sozialministeriums und des Kultusministeriums Baden-Württemberg zu Jugendsozialarbeit an Schulen und des Projektes Jugendberufshelfer. Verwaltungsvorschrift vom 28.03.2000, zuletzt geändert am 22.07.2003.

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

„Chancen durch Bildung – Investitionsoffensive Ganztagsschulen“ vereinbart. Dieses Investitionsprogramm soll die Kommunen unterstützen, die baulichen Voraussetzungen für die Durchführung des Ganztagsbetriebs zu schaffen.21 Aus dem Ganztagsschulprogramm des Landes Baden-Württemberg wird deutlich, dass der Ausbau von Ganztagsschulen einen wichtigen Schwerpunkt in der Bildungspolitik des Landes darstellt. Ganztagsschulen werden als Möglichkeit verstanden, schulische Förder- und Integrationskonzepte zu verbessern und den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsverlauf aufzubrechen. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem Konzept der „Schule mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung“ zu. Die dargelegten Richtlinien bzw. Bausteine der Konzeptionsumsetzung können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gestaltung des Ganztagsangebots über Jugendbegleiter auf der Grundlage einer Minimalfinanzierung erfolgt, die eine Umsetzung von Ganztagsschule auf der Grundlage der in Kapitel 3.1.2 beschriebenen Qualitätskriterien erschwert. Eine pädagogische Qualifizierung der im Rahmen des Jugendbegleiterprogramms ehrenamtlich Tätigen ist keineswegs sichergestellt. Vielmehr kann „jeder, der sich für Schülerinnen und Schüler engagieren möchte […]“22 als Jugendbegleiter tätig werden. Auf diese Weise soll u.a. eine zusätzliche Ausstattung der Schulen mit Deputatsstunden für Lehrer begrenzt werden.

4.3 Überblick über den Forschungsstand zu Ganztagsschulen Im Bereich der empirischen Forschung zur Ganztagsschule ist in den letzten Jahren ein beachtlicher Anstieg an Studien und Veröffentlichungen zu verzeichnen. Allerdings ist „die Anzahl fundierter empirischer Studien zum Thema nach wie vor eher gering, ebenso die Anzahl von Beiträgen, die sich explizit mit dem Thema ‚Qualität von Ganztagsschulen/Ganztagsangeboten’“ beschäftigen (vgl. Oelerich 2005, S.7). Trotz der vielen Studien der letzten Jahre zur Ganztagsschule besteht „ein beträchtliches Forschungsdefizit“ (vgl. Holtappels u.a. 2007, S.40). Darüber hinaus verfügen die bislang vorliegenden Studien häufig aus methodischen Gründen über eine enge Begrenztheit der Aussagereichweite (vgl. Radisch/Klieme 2003). Die meisten Untersuchungen zu Ganztagsschulen sind historischer (vgl. Ludwig 2005; 2008), konzeptioneller oder empirisch deskripti21 Diese Angaben wurden dem Programm „Chancen durch Bildung – Investitionsoffensive Ganztagsschule“ auf dem Kultusportal Baden-Württemberg entnommen: http://www.kultusportalbw.de/servlet/PB/-s/13kyq4d19b9vhhzob2paorpa6k1fywqim/menu/1190054/index.html [Datum der Recherche: 21.03.2009] 22 Vgl. Fußnote 19.

4.3 Überblick über den Forschungsstand zu Ganztagsschulen

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ver Art (vgl. etwa Bargel/Kuthe 1991; Holtappels 1994; 1997; 2002; Beher u.a. 2007). Regelmäßig dokumentiert werden die Entwicklungen und untersuchten Thematiken z.B. in dem von Appel seit 2003 herausgegebenen „Jahrbuch Ganztagsschule“. Radisch/Klieme (2003) führen in ihrem Literaturbericht aus, dass auch im Ausland nahezu keine Studien zur Wirkung ganztägiger Schulformen vorhanden sind. Als Grund für das Forschungsdefizit geben die beiden Autoren den geringen Bedarf an Wirkungsuntersuchungen an, da in vielen Ländern ganztägige schulische Angebote die Regel darstellen. Im nordamerikanischen Raum existiert zumindest eine Vielzahl von Studien zur Wirkung außerschulischer Betreuungsangebote sowie zu außerunterrichtlichen schulischen Angeboten (vgl. Radisch 2009). Eine Übertragung der Ergebnisse auf Ganztagsschulen ist aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen jedoch nur bedingt möglich. Gegenwärtig werden in der Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von wissenschaftlichen Vorhaben zur methodischen Untersuchung von Ganztagsschulen durchgeführt, die an den Forschungslücken anschließen (vgl. etwa Beher u.a. 2007; Holtappels u.a. 2007). Einige dieser Studien sind als Implementierungs- und Begleitforschung konzipiert (vgl. etwa Kolbe u.a. 2005; Wahler u.a. 2005; Beher u.a. 2007; Holtappels u.a. 2007). Im Folgenden werden ausgewählte empirische Befunde zur Ganztagsschule vorgestellt.

4.3.1 Pädagogische Profile, Gestaltungsansätze und Organisationsvarianten Gegenstand einiger Studien sind Bestandsaufnahmen von pädagogischen Profilen, Gestaltungsansätzen und Organisationsvarianten. Insbesondere der Vergleich zwischen additiven und geschlossenen Modellen von Ganztagsschulen spielt eine Rolle. So untersucht die Studie von Glumpler und Luig-Artelt (1995) additive Modelle von Schulen mit Betreuungs- und Ganztagsangebot in Schleswig-Holstein. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass additive Ganztagsschulen oftmals dem Problem fehlenden festen Ganztagspersonals unterliegen. Die dadurch entstehenden Personalausfälle und organisatorischen Belastungen beeinträchtigen die Kontinuität der Arbeit pädagogischer Fachkräfte. In Nordrhein-Westfalen wurden im Rahmen der Durchführung der Landesprogramme „Schule von acht bis eins“ und „13 plus-P“ ebenfalls Untersuchungen zu additiven Ganztagsschulmodellen durchgeführt. In der landesweiten Untersuchung zeigt sich, dass die pädagogische Gestaltung der Betreuung vor allem auf freizeitpädagogischen und kompensatorischen Schwerpunkten beruht. 84% der Schulen weisen im Rahmen der Betreuung Freizeit- und Sportangebote auf, 43% eine Hausaufgabenhilfe, 17% Fördermaßnahmen und 11% erweiterte

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

Lernmöglichkeiten in Form von Arbeitsgemeinschaften. Lediglich 21% der Betreuungskräfte sind über Angestelltenverträge und 57% auf Honorarbasis beschäftigt. 29% des Betreuungspersonals verfügen nicht über pädagogische Qualifikationen. (vgl. MSW 1997). Als Träger der Betreuung fungieren zumeist Förder- und Betreuungsvereine. Im Durchschnitt nehmen lediglich ein Fünftel der Schüler am Betreuungsangebot teil, so dass bei den meisten Schulen eine disproportionale Zusammensetzung der Schüler wahrscheinlich ist (Haenisch 2003). Die Schulleitungen schreiben dem additiven Ganztagsangebot vor allem Ziele im sozial- und freizeitpädagogischen Bereich zu; die Verbesserung der Hausaufgaben wird nur von einer Minderheit genannt. Gleichwohl gehören Hausaufgabenbetreuung sowie künstlerisch-musische und sportliche Angebote bei den meisten Ganztagsangeboten zum Programm. Hinsichtlich der subjektiven Einschätzung der Wirkungen zeigen sich nur durchschnittliche Werte, insbesondere im Hinblick auf das Lernverhalten, das Lerngruppenklima und die Sprachkompetenz von Migranten. Etwas bessere Werte werden im sozialen Bereich erzielt (vgl. ebd.). In der Studie von Steinert u.a (2003) konnten ebenfalls keine systematischen Effekte additiver Betreuungsangebote auf die unterrichtsbezogene Lehrund Lernkultur nachgewiesen werden. Ersichtlich wurde jedoch eine Verbesserung der allgemeinen Schulkultur. Neben additiven Modellen werden auch gebundene Modelle untersucht. Für gebundene Modelle zeigen sich im Rahmen von Untersuchungen Qualitätszuwächse in der Lernkultur. Sichtbar werden differenzierte Lehr- und Lern-Formen sowie ein stärkerer Einbezug außerschulischer Lernorte und Einrichtungen in den Unterricht (vgl. Holtappels 1997, 2002). In einer empirischen Vergleichsuntersuchung von Bremer Grundschulen im Halbtagsbetrieb konnte zudem nachgewiesen werden, dass im Vergleich zu Schulen mit additiven Betreuungsangebot gebundene Modelle einen deutlich größeren Anteil an Lernzeit, innovationsbereiten und kooperationsfreudigen Lehrern, eine differenziertere Lernkultur und eine intensivere Lernförderung aufweisen (vgl. Holtappels u.a. 2004). Die Ergebnisse konnten in der Studie von Höhmann u.a. (2004) bestätigt werden. Weiterhin wird in einer Sekundäranalyse der Daten der IGLU-Studie deutlich, dass gebundene Ganztagsschulen über ein breiteres Spektrum an pädagogischen Maßnahmen, die über den Unterricht hinausgehen, verfügen (vgl. Radisch u.a. 2006). Die Studie von Wahler u.a. (2005) zählt zu den aktuellsten Studien und nimmt das gesamte Spektrum an Ganztagsangeboten in den Blick. Aus den Ergebnissen der explorativen Fallstudie geht hervor, dass sich die Ganztagsschullandschaft durch ein vielgestaltiges und uneinheitliches Bild auszeichnet. Häufig trifft man auf organisatorische Mischformen, z.B. Schulen, die in bestimmten Klassenstufen eine geschlossene Form von Ganztagsangeboten vorsehen und in

4.3 Überblick über den Forschungsstand zu Ganztagsschulen

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höheren Klassenstufen eine offene. Teilbereiche wie Hausaufgabenbetreuung, Mittagessen, Förderunterricht und Arbeitsgemeinschaften finden sich allerdings in nahezu allen Schulen. Sie unterscheiden sich aber je nach Voraussetzungen in Qualität und Quantität sowie in der Angebotsnutzung teils erheblich voneinander. Daneben wird auf ein Problem im Bezug auf die Nutzung der Angebote aufmerksam gemacht, denn sowohl die Freiwilligkeit als auch die Verbindlichkeit der Nutzung würden ihre Probleme mit sich bringen. Dies beinhaltet Motivationsprobleme, hohe Fluktuationen bei der Teilnahme sowie hohe Drop-outQuoten (vgl. ebd., S.74).

4.3.2 Nachfrage, Motive und Akzeptanz von Eltern In Bezug auf Elternumfragen kann zwischen Akzeptanzstudien, Nachfragestudien und Studien zur Einschätzungen und Motiven der Eltern unterschieden werden. Bargel/Kuthe (1991) kommen mit ihrer Erhebung aus dem Jahr 1989 zu dem Ergebnis, dass fast zwei Drittel der Eltern der Ansicht sind, es sollten mehr Ganztagsschulen eingerichtet werden. Die Stichprobe enthält jedoch gut zur Hälfte Eltern mit Ganztagsschulerfahrung. Im Bereich der Akzeptanzforschung führt das Institut für Schulentwicklung (IFS) alle zwei Jahre eine Repräsentativbefragung in der bundesdeutschen Bevölkerung und bei Schülern durch. Aus den Ergebnissen der Umfrage geht hervor, dass sich der Anteil der Eltern, die eine verstärkte Einrichtung von Ganztagsschulen begrüßen würden, stetig erhöht hat: 1991 – 39% Befürworter, 2002 – 55% (vgl. Holtappels 2006). Gemäß der Infratest-Umfrage aus dem Jahr 2004 würden sogar 70% der Eltern einen weiteren Ausbau von Ganztagsschulen befürworten (vgl. Infratest dimap 2004). Allerdings zeichnen sich Eltern nur dann durch eine deutlich positive Akzeptanz von Ganztagsschulen aus, wenn diese als Wahlmöglichkeit zur Halbtagsschule angeboten wird. Eine generelle Umwandlung aller Schulen in Ganztagsschulen befürworten nur sehr wenige Eltern (vgl. Forsa Umfrage 2003; Höhmann u.a. 2004) Hinsichtlich der Nachfrage der Eltern nach Ganztagsschulen kann gemäß der Untersuchung von Bargel/Kuthe von einer stabilen Standardnachfrage von rund 40% und einer Mindestnachfrage der Eltern von etwa 20% ausgegangen werden. Die Nachfrage fällt mit steigendem Bildungsgrad und Berufsstatus. Bei berufstätigen Müttern und bei Alleinerziehenden ist ein größerer Bedarf zu erkennen. Eltern bevorzugen dabei offene Ganztagsangebote mit freiwilliger Teilnahme (vgl. Bargel/Kuthe 1991). Die Infratest-Umfrage aus dem Jahr 2004 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Im Zeitverlauf hat sich der Anteil der Eltern, die ihr Kind auf eine Ganztagsschule schicken würden, auf 76% gesteigert. 24%

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

lehnen für das eigene Kind den Besuch einer Ganztagsschule ab. Ebenso konnten die Zusammenhänge zwischen der Elternnachfrage und der Berufstätigkeit der Mütter sowie der Familiensituation bestätigt werden (vgl. Höhmann u.a. 2004; Infratest dimap 2004). Im Hinblick auf die Motive der Eltern für die Wahl einer Ganztagsschule stellen Bargel/Kuthe (1991) fest, dass Förderaspekte mit Quoten zwischen 49 und 42% an der Spitze stehen. Dazu gehören eine bessere Lernunterstützung, mehr Angebote der Freizeitgestaltung, Kontakt- und Spielmöglichkeiten, mehr kulturelle Anregungen und eine breitere Bildung. Ein weiteres bedeutsames Motiv ist die sichere Nachmittagsbetreuung (45%). Darüber hinaus werden als relevante Gründe die Berufstätigkeit beider Eltern (38%), eine volle Erwerbstätigkeit der Mutter (32%), alleinerziehend (29%) und die Rückkehr der Mutter in den Beruf (22%) genannt. Als Nachteile sehen die Eltern besonders die Einschränkung der außerschulischen Freizeit (48%) und die Länge des Schulalltags (45%). In der Untersuchung von Holtappels zu pädagogischen Gestaltungselementen in der Region aus dem Jahr 1992 wurde nach der Wichtigkeit pädagogischer Angebotselemente gefragt. Für rund vier Fünftel der befragten Eltern ist die täglich verlässliche Versorgung der Kinder ein sehr wichtiger Aspekt. Der Kontakt mit Gleichaltrigen und Freundschaftsbildungen werden ebenfalls als sehr wichtig eingestuft (55 bis 65%), gefolgt von vielfältigen Spiel-, Sport- und Freizeitangeboten, Hausaufgabenbetreuung, Lernförderung, musischen Angeboten und Möglichkeiten der Mitgestaltung des Schullebens durch Schüler. Weniger wichtig erscheinen den meisten Eltern zusätzliche Wahlfächer und Arbeitsgemeinschaften sowie erzieherische Hilfen der Schule (vgl. Holtappels 1994). In der IFS-Umfrage 2004 des Instituts für Schulentwicklungsforschung beschreiben die Ergebnisse ein etwas anderes Bild. Danach haben Gemeinschaftserfahrungen, soziales Lernen und Unterstützungsaspekte zur Leistungsförderung für Eltern die höchste Relevanz. Betreuung und Versorgung bleiben für Eltern zwar wichtig, belegen jedoch nur den fünften Rang (vgl. Holtappels u.a. 2007).

4.3.3 Pädagogische Wirkung von Ganztagsschulen Wie bereits erwähnt, geben die bisherigen Studien keine oder nur wenig Auskunft über die pädagogische Wirkung von ganztägig organisierten Schulen und zum Schulerfolg bzw. zur Schulleistungsentwicklung (vgl. Holtappels 2007, S. 43). Im Forschungsüberblick von Ipfling (1981) zum Experimentalprogramm aus Modellversuchen mit Ganztagsschulen, die aufgrund der Empfehlung des Deutschen Bildungsrates in den Jahren 1971 bis 1977 durchgeführt wurden, zeigen

4.3 Überblick über den Forschungsstand zu Ganztagsschulen

75

sich hinsichtlich Schulleistung, Schulerfolg, Disziplinproblemen und Schulangst keine wesentlichen Unterschiede zwischen Ganztags- und Halbtagsschulen. Lernorganisation, individuelle Förderung und außerunterrichtliche Aktivitäten haben hingegen teils positive Rückwirkungen auf den Unterricht, die Leistungsbereitschaft und den Lernerfolg. Auch von einer Verbesserung des Sozialklimas, des Gemeinschaftslebens und des Sozialverhaltens wird in den Ganztagsschulen berichtet (vgl. ebd., S.6f.). Ludwig (1987) weist ebenfalls darauf hin, dass keine Befunde zu bedeutsamen Unterschieden zwischen Ganztagsschulen und Halbtagsschulen bezüglich Schulleistungen und Schulerfolg vorliegen, jedoch im Hinblick auf die pädagogische Schulqualität (vgl. ebd., S. 140). In Beurteilungen von Eltern und Lehrern schneiden Ganztagsschulen hinsichtlich der pädagogischen Leistungsfähigkeit besser ab als Halbtagsschulen (vgl. Bargel/Kuthe 1991, S. 154ff.). Dies bezieht sich zum einen auf die soziale Entlastungsfunktion von Schule, zum anderen auf die kognitive und soziale Förderung der Schüler, die kulturellen und musischen Anregungen, die Stärkung der Schulgemeinschaft und das Lehrer-Schülerverhältnis (vgl. Holtappels 2005b). Kooperationen im Kollegium sind and Ganztagsschulen etwas stärker ausgeprägt als in Halbtagsschulen. Signifikanten Unterschiede in der Mitarbeit der Schüler zeigen sich nicht (vgl. Steinert u.a. 2003). In neueren Analysen konnten die Ergebnisse älterer Ganztagsschuluntersuchungen bestätigt werden. Radisch u.a. (2006) reanalysierten die IGLU-Daten hinsichtlich des Unterschieds im Leseverständnis zwischen Halbtags- und Ganztagsschulen. Die Ergebnisse belegen, dass sich Schulen mit ganztägigem Angebot und Halbtagsschulen in Bezug auf das durchschnittliche Niveau des Leseverständnisses der Grundschüler nicht unterscheiden. In einer Reanalyse der IGLUund StEG23-Daten konnte Radisch (2009) jedoch zeigen, dass Ganztagsschulen zumindest im fächerübergreifenden und fachunabhängigen Bereich sowie bei der Entwicklung sozialer Kompetenzen positive Wirkungen hervorrufen. Insgesamt finden sich in keinem Bereich negative Effekte von Ganztagsschulen (vgl. Radisch 2009). Wirkungen vor allem im sozialen Bereich konnten auch in der Studie von Beher u.a. (2007) nachgewiesen werden. Ebenso wurden in der Studie Wirkungen von Ganztagsschulen bezogen auf die Selbständigkeit und das Selbstvertrauen der Schüler sichtbar.

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Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

4.3.4 Öffnung von Ganztagsschule Bei der Entwicklung ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote gewinnen Kooperationen mit außerschulischen Akteuren zunehmend an Bedeutung.24 Wahler u.a. (2005) konnten zeigen, dass vielerorts Konzepte der Öffnung von Schule entstehen. In der StEG-Studie (vgl. Holtappels u.a. 2007) wurde deutlich, dass Ganztagsschulen mit einer Vielzahl von Einrichtungen kooperieren. Sportvereine und Jugendhilfe bilden dabei die wichtigsten Partner; etwa 70% der Ganztagsschulen benennen diese beiden Gruppen als Kooperationspartner. Die Beweggründe für die Aufnahme einer Kooperation unterscheiden sich je nach Anbietertyp. So betont die Jugendhilfe insbesondere die Förderung benachteiligter Schüler, die Entwicklung von gemeinsamen Handlungsansätzen mit der Schule und den Ausbau der Vernetzung in der Kommune. Bei gewerblichen Anbietern stehen die Erschließung neuer Zielgruppen, die Erweiterung des eigenen Angebotsspektrums und der Imagegewinn im Vordergrund. Hinsichtlich des eingesetzten Personals der Kooperationspartner in Ganztagsschulen kann von einem sehr heterogenen „Personalmix“ ausgegangen werden. Es überwiegen hauptamtlich Beschäftigte (z.B. Sozialpädagogen, Erzieher, Übungsleiter). Der Anteil der Ehrenamtlichen liegt bei etwa 20%. Neben qualifizierten Fachkräften werden verstärkt auch nicht- bzw. gering qualifizierte Fachkräfte eingesetzt (vgl. Beher u.a. 2005; Holtappels u.a. 2007). Die Konstanz und Verlässlichkeit der Angebote wird insbesondere durch eine oftmals geringe Sicherheit der Kontinuität des zusätzlichen Personals und eine wenig sichere Finanzierungsbasis erschwert (vgl. Wahler 2005). Beher u.a. (2005) konnten nachweisen, dass für Ganztagsschulen die Zuverlässigkeit der Partner im Vordergrund steht. Kontinuierliche Kooperationen sind dabei nicht nur von der Zuverlässigkeit des Partners abhängig, sondern ebenso vom Einbezug des Partners in das Schulleben (z.B. durch die Teilnahme an Schulkonferenzen) und dem Vorhandensein schriftlicher Kooperationsvereinbarungen (vgl. Holtappels u.a. 2005). Auf die Bedeutung einer verbindlichen Kooperation zwischen Schulleitung und Partnern als Gelingensbedingungen des Ganztags weisen ebenfalls Beher u.a (2005) hin. Die Öffnung der Ganztagsschule äußert sich nicht nur in der Einbeziehung außerschulischer Kooperationspartner, sondern auch in der Erschließung außerschulischer Lernorte. In diesem Zusammenhang arbeiten die Schulen insbesondere mit gemeindenahen Einrichtungen wie Museen und Bibliotheken zusammen. Mehr als die Hälfte der Ganztagsschulen führen außerdem Projekte außerhalb der Schule durch, und rund drei Viertel sind an Veranstaltungen im Stadtteil 24

Siehe auch Kap. 5.2.2.

4.4 Zusammenfassung

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beteiligt. Es handelt sich in diesem Bereich vor allem um punktuelle Angebote (vgl. Holtappels u.a. 2007). Ein weiterer wichtiger Aspekt, der sowohl in der Studie von Beher u.a (2005) als auch in der StEG-Studie (vgl. Holtappels u.a. 2007) untersucht wurde, ist die Kooperation und Vernetzung auf sozialräumlicher und kommunaler Ebene. Die Schulen geben an, dass teils lokale Steuerungsgruppen, erweiterte Schulleiterdienstbesprechungen oder regionale Schulleiterkonferenzen institutionalisiert wurden. Gremien zur Vernetzung im Sozialraum sind nach Angaben der Schulleitungen selten vorhanden. Meist handelt es sich um sogenannte StadtteilAGs. Sind solche Gremien verfügbar, dann beteiligen sich zwischen 72 und 100% der Schulen daran. Insgesamt weisen die Ergebnisse der StEG-Studie darauf hin, dass Ganztagsschulen eher in sozialraumbezogenen Gremien als in Gremien mit kommunalem Bezugsrahmen vertreten sind (vgl. Holtappels u.a. 2007).

4.4 Zusammenfassung Seit einigen Jahren kommt es in Deutschland zu einem starken Aus- und Aufbau von Ganztagsschulen. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Annahme, dass Ganztagsschulen den Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels besser begegnen können als Halbtagsschulen und eine optimale Bildungsentwicklung der Kinder und Jugendlichen ermöglichen. Oerter (2003) spricht in diesem Zusammenhang von Schulen der Zukunft. Bei Ganztagsschulen handelt es sich nicht um neue Modelle im eigentlichen Sinne. Der Ganztagsschulausbau begleitet die Bildungsdebatte bereits seit Ende der 1960er Jahre. Jedoch kam es in dieser Zeit zu keinem starken Ausbau. Erst die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudien haben die Ganztagsschuldebatte neu entfacht. Unterstützt durch das Investitionsprogramm des Bundes „Zukunft Bildung und Betreuung“ ist seit 2003 eine deutliche Zunahme der Zahl der Ganztagsschulen in allen Bundesländern zu verzeichnen. Ganztagsschulen sind – gemäß der Minimaldefinition der KMK – dadurch gekennzeichnet, dass über den Unterricht am Vormittag hinaus an mindestens drei Tagen in der Woche ein ganztägiges Angebot für die Schüler bereitgestellt wird, das täglich mindestens sieben Zeitstunden umfasst. Die Angebote am Nachmittag stehen dabei in konzeptionellem Zusammenhang mit dem Unterricht am Vormittag. In den letzten Jahren hat mit der Popularität der Ganztagsschule auch die Zahl der Beiträge stetig zugenommen. Dennoch ist die Anzahl der fundierten empirischen Studien zu diesem Thema nach wie vor gering. Gegenwärtig werden jedoch zahlreiche Untersuchungen in diesem Bereich durchgeführt. Aus den

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4 Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen

früheren und aktuellen Ergebnissen wird deutlich, dass ein rein quantitativer Ausbau von Ganztagsschulen nicht ausreicht, um die damit verbundenen Zielsetzungen zu erreichen. Vielmehr bedarf es qualifizierten Personals, einer angemessenen räumlichen und schulischen Infrastruktur, veränderter Lehr- und Lernrhythmen sowie Kooperationen, die neue Lernorte und Erfahrungen ermöglichen (vgl. Beutel 2005). Zugleich weisen die bisherigen Studien zur Ganztagsschulforschung kaum Auswirkungen auf den Leistungsbereich der Schüler aus. Entwicklungsfortschritte und Vorzüge von Ganztagsschulen gegenüber Halbtagsschulen zeigen sich in Bezug auf sozialintegrative Merkmale, das Schulklima und bei der Entwicklung der Schüler im sozialen und erzieherischen Bereich. Daneben werden Veränderungen im Bereich der Öffnung von Ganztagsschulen sichtbar. Ganztagsschulen kooperieren mit einer Vielzahl von Kooperationspartner. Auch Ansätze zur sozialräumlichen und kommunalen Vernetzung lassen sich finden.

5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften

Ganztagsschulen sind Teil kommunaler Bildungslandschaften. Sie können durch eine zielgerichtete und effektive Förderung der Schüler dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der Kommune vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels zu verbessern. Gleichzeitig kann auch die Kommune zum Gelingen der Ganztagsschulen in nicht unerheblichem Maß beitragen. Untersucht man die Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft gilt es zunächst zu ergründen, welche Wirkungsfaktoren eine qualitätsorientierte Ganztagsschulentwicklung, die sich an den unter Kapitel drei beschriebenen Merkmalen orientiert, bedingen. Daran ansetzend können Bereiche kommunaler Einflussnahme und Unterstützung abgeleitet werden. Daher werden im Folgenden neben Bereichen und Möglichkeiten der bestehenden kommunalen Einflussnahme Aspekte der Schuleffektivitäts- und Schulentwicklungsforschung dargelegt.

5.1 Schulentwicklung Unter Schulentwicklung versteht man Verfahren, die es ermöglichen, die Qualität und Qualitätssicherung von Schulen insbesondere in den Bereichen Personalentwicklung, Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung zu optimieren. Wichtig für die Ableitung wirksamer Schulentwicklungsmaßnahmen ist die Definition von Schulqualität (vgl. Burow u.a. 2008, S, 602). Zur Beschreibung von Schulqualität können Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung herangezogen werden. Diese befassen sich mit der Frage, welche Merkmale eine „gute“ Schule bedingen. Grundlegend in diesem Bereich ist die Erkenntnis, dass sich Schulen unter gleichen oder ähnlichen Rahmenbedingungen nicht nur in ihrem Schulprofil, sondern auch in ihrer Qualität unterscheiden (vgl. Steffens/Bargel 1993; Scheerens 2000, vgl. Kap. 1.2.1). Es gibt zahlreiche Forschungsergebnisse zu Merkmalen guter Schulen, guten Unterrichts und innovativer Schulentwicklung (vgl. etwa Rutter u.a. 1980; Purkey/Smith 1983; Scheerens 1992; Steffens/Bargel 1993; Fend 1998). Gemeinsam ist allen Autoren, dass diese sehr ähnliche Indikatoren für die erfolgrei-

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften

che Entwicklung von Schule und Unterricht formulieren. Die Gemeinsamkeiten in den Ergebnissen der Studien täuschen jedoch über die teils erheblichen Unterschiede in den Befunden hinsichtlich der Größe und Konstanz der Effekten hinweg. Die Listen verbergen, dass die Einzelmerkmale nicht unabhängig voneinander wirken, sondern stets einen inneren Zusammenhang bilden (vgl. Holtappels, 2003). Scheerens (2000) hat in seinem Modell empirisch belegbare Faktoren der Schuleffektivität zusammengefasst (vgl. Abb. 1). Abbildung 1:

Integriertes Modell der Schuleffektivitätsfaktoren

Context ƒ Achievement stimulants from higher administrative levels ƒ Development of educational consumerism ƒ ‘Covariables’, such as school size, student body composition, school category, urban/rural

Input ƒ Teacher Experience ƒ Per-pupil expenditure ƒ Parent support

PROCESS School level ƒ Degree of achievement-oriented policy ƒ Educational leadership ƒ Consensus, co-operative planning of teacher ƒ Quality of school curricula in terms of content covered, and formal structure

Output Students achievement adjusted for: ƒ previous achievement ƒ intelligence ƒ SES

ƒ Orderly atmosphere ƒ Educative potential

Classroom level ƒ Time on task (including homework) ƒ Structured teaching ƒ Opportunity to learn ƒ High expectations of pupils’ progress ƒ Degree of evaluation and monitoring of pupils’ progress ƒ Reinforcement

Quelle: Scheerens 2000, S. 54

Aus den Ergebnissen der Schulqualitäts- und Schuleffektivitätsforschung wird ersichtlich, dass das Zusammenspiel zwischen den Faktoren der Schulqualität sehr komplex ist. Aus diesem Grund ist nicht verwunderlich, dass noch zahlreiche offene Fragen, wie beispielsweise die Frage nach der Umsetzung der von den Forschern gefundenen Merkmale guter Schulen, bestehen. Die Schwierigkeit der Messung und Veränderbarkeit bedeutsamer Faktoren für die Schulqualität stellt dabei ein zentrales Problem dar.

5.1 Schulentwicklung

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Die Umsetzung und Integration der erforschten Qualitätsmerkmale in Schule und Unterricht ist Thema der Schulentwicklungsforschung. Schulentwicklung ist als dynamischer, offener und partizipativer Prozess zu verstehen. Bei der Umsetzung von Schulentwicklungsmaßnahmen zeigt sich allerdings, dass viele Schulentwicklungsprojekte scheitern, weil sie von linearen Steuerungsmodellen ausgehen und den Projekten zu wenig Zeit einräumen. Darüber hinaus muss Schulentwicklung als umfassender Wandel der Kultur einer Institution verstanden werden, der alle Bereiche und Ebenen von Schule miteinbezieht (vgl. Burow u.a. 2008). Neue Ansätze der Schulentwicklung rücken von einer rein schulimmanenten Perspektive ab, wonach sich Schulentwicklung nur innerhalb des Systems Schule abspielt, dort begründet und gestaltet wird (vgl. Mack u.a. 2006, S. 35). Schule hat vielmehr die Aufgabe, sich stets den wechselnden und neu aufkommenden Themen und Problemlagen zu stellen. Dies betrifft die aktuellen und absehbaren Trends des Gesellschaftswandels, wie sie in Kapitel 1.1 und 1.2 beschrieben werden. Schulentwicklung stellt folglich einen andauernden, nicht abschließbaren Prozess dar (vgl. Mack u.a. 2003; Burow u.a. 2008). Studien in diesem Bereich weisen allerdings darauf hin, dass die Organisation „Schule“ den rasanten Wandlungsprozessen nicht gewachsen scheint (vgl. Kap. 1.1 und 1.2). Außerdem belegen Ergebnisse vieler Studien, dass Schulleitungen und Lehrkräfte den veränderten Anforderungen oftmals mit Überforderungsgefühlen und Demotivation begegnen (vgl. Burow u.a. 2008, S. 605). Weiterhin machen die Forderungen nach einer stärkeren Öffnung der Schule zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen (vgl. Kapitel 2.3) deutlich, dass es nicht ausreicht, Schulentwicklung auf den Binnenraum der Schule zu beschränken. Der Ansatz verschiedene Institutionen über Zuständigkeitsgrenzen hinaus zusammenzubringen, gründet auf den internationalen Forschungsergebnissen, dass die Entwicklung von Schulen durch regionale und administrativ verankerte Netzwerke unterstützt werden muss (vgl. Fullan 1999; Ditton 2000). Jedoch stellen Behr-Heintze und Lipski (2005) fest, dass viele Schulen nach wie vor stark auf sich bezogen sind und eine gemeinsame Planung und Abstimmung innerhalb von Kooperationen und Bildungsnetzwerken nur in Ansätzen stattfindet. Mack u.a. (2003, S. 34ff.) haben daher, aufbauend auf der kultur-, jugendund organisationssoziologischen Kritik schulimmanenter Konzepte von Schulentwicklung, Ansätze für eine Erweiterung des Verständnisses von Schulentwicklung formuliert. Aufgabe der Schulentwicklung ist es demnach, ƒ

Schule für Prozesse der Ausgrenzung und Benachteiligung zu sensibilisieren und dazu beizutragen, die kulturelle Distanz zu minimieren bzw. so bearbeitbar zu machen, dass Kinder und Jugendliche, in deren Lebenswelten

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5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften der schulisch dominante Habitus nicht repräsentiert ist, nicht zusätzlich benachteiligt und ausgegrenzt werden. den Wandel der Jugendphase zu reflektieren und Schulen so zu gestalten, dass sie auch den Erwartungen und Bedürfnissen von Jugendlichen gerecht werden. Schulen so zu gestalten, dass die Zusammenarbeit mit anderen Professionen und Institutionen zu einem festen und organisatorisch abgesicherten Bestandteil der Arbeit der Schule und des Handelns von Lehrern werden kann.

Diese Aufgaben lassen sich auch in den Erwartungen an Ganztagsschulen wiederfinden.

5.2 Schulentwicklung in Ganztagsschulen In den vorausgegangenen Kapiteln wurde deutlich, dass Ganztagsschulen in der aktuellen bildungspolitischen Debatte einen zentralen Stellenwert einnehmen. Viele Schulen befinden sich in einem Veränderungsprozess hin zu Ganztagsschulen. Sie versuchen auf der Grundlage eines umfassenden Verständnisses für Bildung, Betreuung und Erziehung eine neue Schulkultur zu entwickeln. Aus theoretischer Sicht verspricht man sich einen erheblichen Zugewinn an Entwicklungs- und Erfahrungsmöglichkeiten für Schüler (vgl. Holtappels 1994, 2002), bessere Voraussetzungen für eine individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen, die Reduzierung der Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft sowie eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf (vgl. Kap. 2). Auch wird durch die ganztägige Gestaltungsstruktur Schule derart erweitert und verändert, dass zielgerichtet Sozial- und Methodenkompetenz entwickelt werden (vgl. BMFSFJ 2005). Zusätzlich erlaubt der größere Zeitrahmen eine veränderte Organisation der Lernabläufe, die Einrichtung differenzierter Lernarrangements, die Gestaltung von interessen- und neigungsbezogenen Angeboten (vgl. Prüß u.a. 2006), eine stärkere Verzahnung von Unterricht und außerschulischen Bildungs- und Freizeitangeboten (vgl. Kap. 2.3). Um diesen Erwartungen von Ganztagsschule gerecht zu werden, reicht ein rein quantitativer Ausbau jedoch nicht aus. So bietet die Ganztagsschule nicht per se größere Erfolgschancen für alle Schüler. Vielmehr muss dazu theoretische Klarheit bezüglich der Bestimmung von Erfolgsfaktoren bestehen und konzeptionelle Vorarbeit für die Ausgestaltung der Einzelschule geleistet werden (vgl. Olk 2004, S. 535).

5.2 Schulentwicklung in Ganztagsschulen

83

5.2.1 Merkmale effektiver Ganztagsschulen Für eine qualitative Entwicklung von Ganztagsschulen ist es von Bedeutung, dass Merkmale guter Ganztagsschulen identifiziert werden. Maykus (2008, S. 3) weist darauf hin, dass bezüglich der Ableitung normativer Qualitätsstandards Vorsicht geboten ist, da es sich bei Ganztagsschulen noch um ein empirisch sehr diffuses Handlungsfeld handelt. Dennoch können aus bisherigen Studien zu Ganztagsschulen einzelne Gelingensbedingungen und Merkmale effektiver Ganztagsschulen abgeleitet werden (vgl. etwa Holtappels 1997, S. 201ff.; Holtappels 2002, S. 208ff.; Beher u.a. 2005, S. 103ff.; Beher u.a. 2007, S. 93ff.; Radisch 2009, 74ff.): ƒ

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Vielgestaltigkeit der Räumlichkeiten: Für die Befragten sind die Räumlichkeiten ein wichtiger Grundpfeiler für die Umsetzung der Ganztagskonzepte. Zum einen dienen sie dazu, Schüler unterschiedlichen Aktivitäten zuzuführen, zum anderen müssen entsprechende Räumlichkeiten geschaffen werden, die den Lehrern Möglichkeiten des Arbeitens und Entspannens bieten (vgl. Kucharz u.a. 2009, S. 127). Entsprechende finanzielle Ausstattung: Für die erfolgreiche Arbeit in Ganztagsschulen ist es wichtig, dass „eine entsprechende finanzielle Ausstattung“ (Beher u.a. 2005, S. 110) vorhanden ist, die eine sachgemäße Ausstattung mit Räumlichkeiten, Materialien und Personal gewährleistet. Effektive und engagierte Schulleitung: Wichtiger Impulsgeber und Koordinator ist die Schulleitung. Dies erfordert eine Professionalisierung der Schulleitungen, die durch entsprechende Fortbildungen und dem Informationsaustausch mit anderen Schulleitungsmitgliedern erworben werden kann (vgl. Kempfert/Rolff 2002, S. 153). Wenn schulische Innovationsprozesse erfolgreich gestaltet werden sollen, dann müssen Schulleitungen die entsprechenden Innovationsbereiche kennen und von den jeweiligen Innovationsaufgaben überzeugt sein. Zudem müssen sie ihre eigenen Überzeugungen nach außen hin deutlich signalisieren, gegenüber dem Kollegium Erwartungen eindeutig formulieren, Lehrkräfte, Eltern, Schüler und außerschulische Partner, die den Innovationsprozess mittragen wollen, unterstützen und ermutigen sowie Kommunikations- und Evaluationsprozesse sicherstellen (vgl. Klippert 2000, S. 144). Innovationsbereitschaft und Engagement des Kollegiums: In Ganztagsschulen verändern sich die Aufgaben der Lehrkräfte. Dies bezieht sich nicht nur auf die aktive Beteiligung der Lehrer am Ganztagsbetrieb, sondern ebenso auf die Bereitschaft, sich auf die Veränderungen einzulassen und sich aktiv für Entwicklungen und Veränderungen einzusetzen. Die erfolgreiche Um-

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5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften setzung des Ganztagsschulkonzepts einer Schule hängt im großen Maße davon ab, wie groß die Unterstützung durch das Lehrerkollegium ist. Qualifiziertes Personal: Für die Qualität der Arbeit ist es zum einen wichtig, dass sich die Rekrutierung des Personals an den jeweiligen inhaltlichen Konzepten orientiert. Zum anderen ist es von Bedeutung, dass neben fachlichen auch entsprechende pädagogische Kompetenzen vorhanden sind. Zudem trägt eine regelmäßige Teilnahme des pädagogischen Personals an Lehrerkonferenzen und Qualitätszirkeln dazu bei, dass die Anliegen der einzelnen Kinder stärker in den Mittelpunkt rücken. Kooperation auf verschiedenen Ebenen: Aufgrund der Vielfalt der möglichen Kooperationspartner ist eine Abstimmung notwendig. Die unterschiedlichen Strukturbedingungen erschweren die Zusammenarbeit jedoch. Daher sind Abstimmungsverhandlungen auf kommunaler und sozialräumlicher Ebene von Bedeutung. Inhaltliches Konzept als Basis: Erstellung eines pädagogischen Konzepts unter Beteiligung aller Gruppen (Schulleitung, Lehrkräfte, Schüler, Eltern, sonstige Fachkräfte, Kommune usw.), das sowohl die Programmgestaltung und Profilbildung der Schule bestimmt als auch den Einsatz neuerer Lehrund Lernformen sowie den Aufbau von Kooperationsbeziehungen festschreibt. Aufklärung und Einbindung der Eltern: Dies beinhaltet ausgeprägte Elternkontakte und Elternarbeit. Ein Einbezug der Eltern in den Umwandlungsprozess und die Gestaltung des Ganztags ermöglicht es den Schulen, ihre Schulentwicklungsarbeit effektiver und gezielter voranzutreiben, da alle beteiligten Personen „zusammen an einem Strang ziehen“ (vgl. Kucharz u.a. 2009, S. 128). Repräsentanz verschiedener Schülergruppen: Ein überproportionaler Anteil an Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf geht einher mit einer stärkeren inhaltlichen Verzahnung von Vor- und Nachmittagsaktivitäten, einem kooperativeren Klima in der Schule, einer stärkeren Bereitschaft der Lehrkräfte, ihren Unterricht zu öffnen und einer Zunahme der Förderorientierung.

In Anbetracht der Vielzahl von Qualitäts- und Entwicklungsbedingungen von Ganztagsschulen weisen Beher u.a. (2005) darauf hin, dass mehrere Bedingungen gegebenen sein müssen, damit Ganztagsschulentwicklung gelingt. Es geht vor allem um Rahmenbedingungen, Ressourcen, Einstellungen, Kooperationen und Unterstützung. Es handelt sich um ein ganzes Netzwerk von Faktoren, zwischen denen teils eine enge Verbindung besteht. Auch Prüß u.a. (2006) geben an,

5.2 Schulentwicklung in Ganztagsschulen

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dass zwar jede dieser Dimensionen für sich steht, jedoch gleichzeitig in Zusammenhang mit allen anderen umgesetzt werden müssen. Vergleicht man die beschriebenen Faktoren mit den Merkmalen innovativer Schulsysteme bzw. guter Schulen, so fällt auf, „dass die Merkmale, die eine gute Ganztagsschule ausmachen, kaum anders gelagert sind als in Halbtagsschulen“ (Radisch u.a. 2008, S. 929). Zugleich stellt sich auch im Bereich der Ganztagsschulforschung die Frage, wie die empirischen Erkenntnisse so aufgearbeitet werden können, dass sie innerhalb der Ganztagsschule für die Weiterentwicklung der Institution genutzt werden können (vgl. Maykus/Schulz 2007). Dies ist Aufgabe der Ganztagsschulentwicklung. Jäger (2004, S. 23f.) definiert Ganztagsschulentwicklung als planvolles Vorgehen, das Bedingungen pädagogischen Handelns verbessern und zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Schule beitragen will. Sie beruht auf der prinzipiellen Veränderungsbereitschaft der Mitglieder der Ganztagsschulen. Burow u.a. 2008 (S. 608f.) haben für die drei grundlegenden Bereiche der Schulentwicklung Anknüpfungspunkte für eine Ganztagsschulentwicklung beschrieben: ƒ

ƒ

Personalentwicklung: Weiterentwicklung der Kompetenzen des pädagogischen Personals, die zur Bildung von fachübergreifenden, funktionsfähigen Entwicklungsteams und dem Einbezug außerunterrichtlicher Kompetenzen im Sinne der Vernetzung zum sozialen und kulturellen Umfeld beitragen. Eine Ganztagsschule ist immer nur so gut wie die Menschen, die in ihr arbeiten. Sie lebt von der Vielfalt der unterschiedlichen Berufe, die in ihr arbeiten, und von der Art und Weise, wie diese zusammenarbeiten. Daher besteht eine wichtige gemeinsame Aufgabe darin, Zeit und Raum für Professionalisierung und Weiterbildung zu schaffen, für ein lebendiges und produktives Miteinander zu sorgen. Der Erfolg eines Ganztagsschulkonzepts hängt auch im großen Maße vom Zusammenspiel aller an der Schule tätigen Professionen zusammen. Dabei spielen vorhandene Qualifikationspotenziale, die eigene Berufsauffassung, der Lehr- und Arbeitsstil, die Teamfähigkeit, das Engagement und die Identifikation mit der Schule eine entscheidende Rolle (vgl. Appel 2004, S. 169; Prüß u.a. 2006, S. 43). Unterrichtentwicklung: Dies beinhaltet differenzierte Lehr- und Lernformen, die der Individualisierung und Rhythmisierung des Lernens und Berücksichtigung der Begabungen und Neigungen der Kinder und Jugendlichen Rechnung tragen. An Ganztagsschulen bildet ebenso wie an Halbtagsschulen der Unterricht das Zentrum der pädagogischen Arbeit. Das Besondere: An Ganztagsschulen gibt es mehr Zeit und andere Möglichkeiten für die Gestaltung von Unterricht.

86 ƒ

5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften Organisationsentwicklung: Entwicklung neuer Steuerungsformen und Einbezug aller Bereiche bei der Entwicklung von Leitbildern. Die Organisation einer Ganztagsschule schafft wichtige Rahmenbedingungen für die inhaltliche und pädagogische Arbeit. Sie ist einerseits stark von den jeweiligen rechtlichen, formalen und umfeldbedingten Gegebenheiten abhängig. Andererseits ist es Aufgabe aller schulischen Akteure, die damit verbundenen Möglichkeiten zu reflektieren und entsprechend verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen.

Ganztagsschulentwicklung ist allerdings nicht mit Schulentwicklung gleichzusetzen, sondern als multikontextueller Entwicklungsprozess zu begreifen, der organisationsinterne (schul- und jugendhilfebezogene), schnittstellenbezogene und interorganisationsbezogene (sozialräumliche) Veränderungen verbindet und sie als konstitutiv anerkennt. Ganztagsschulentwicklung – in diesem Sinne verstanden – drückt die Bereitschaft der Schulleitungen und pädagogischen Fachkräfte aus, Schnittstellen zwischen den genannten Bereichen herzustellen und diese für eine Entwicklung der Ganztagsschule sowie eine Verknüpfung mit sozialräumlichen Lebenswelten zu nutzen (vgl. Maykus/Schulz 2007, S. 243).

5.2.2 Ganztagsschulentwicklung in Netzwerken Damit Ganztagsschulentwicklung gelingt, bedarf es gut entwickelter Vernetzungsstrukturen, die Ganztagsschulen in ihrer Arbeit und ihren Bestrebungen unterstützen (vgl. Kaul 2006; Mack 2007a, Stolz 2007b). So werden an die Kooperation zwischen schulischen und außerschulischen Akteuren zahlreiche Erwartungen geknüpft. Aus sozialpolitischer Sicht sollen durch die Vernetzung verschiedener Akteure, aufkommende Synergien genutzt sowie eine Steigerung der Wirksamkeit und Effizienz der Personal- und Sachmittel vorangetrieben werden. Aus bildungstheoretischer Sicht bildet die Zusammenarbeit zwischen schulischen und außerschulischen Akteuren eine notwendige Bedingung für das Gelingen ganztägiger Betreuungs- und Bildungskonzepte. Die Annahmen beruhen vor allem auf theoretischen Überlegungen und Erwartungen. Es gibt nur wenig empirische Erkenntnisse zur Ganztagsschulentwicklung in Netzwerken. Da jedoch bereits im vorhergehenden Kapitel aufgezeigt werden konnte, dass Ganztagsschulen ein ähnliches Wirkungsgefüge aufweisen wie Halbtagsschulen, wird für den Bereich des Netzwerkausbaus angenommen, dass allgemeine Ergebnisse zu Schulen auch für Ganztagsschulen gelten. Der Ansatz Schulen durch den Einbezug kommunaler Partner zu unterstützen und damit zur Steigerung der Bildungsqualität beizutragen, ist nicht neu. In

5.2 Schulentwicklung in Ganztagsschulen

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den letzten Jahren erfuhren zahlreiche Konzepte der Öffnung von Schule neue bzw. verstärkt Beachtung (vgl. Kap. 2.3 und 3.4.2). Damit einher geht ein verändertes Selbstverständnis von Schule, das Schule nicht mehr in den Mittelpunkt stellt, sondern als Teil der Lebenswelten der Schüler versteht. Beispiele für diese Entwicklung sind die INIS-Länder25 Niederlande, Schottland, Ontario (Kanada), Neuseeland und Österreich. In Durham (Ontario) wurde beispielsweise das District zu einer lernenden Region umgebaut, indem sich Schulen miteinander vergleichen und vernetzt gemeinsam weiterentwickeln (vgl. Lohmann/Rolff 2007). Durch die Vernetzung von Schulen mit außerschulischen Partnern werden ökonomische, soziale und kulturelle Gegebenheiten des Sozialraums und der Kommune erfahrbar. Der Einbezug von Kooperationspartnern kann die Gestaltung neuer Lehr- und Lernformen fördern und die Förderung von Schülern in Bereichen optimieren, in denen die Schule als Einzelinstitution überfordert wäre. Netzwerkbildung regt die Schulen somit an, systematische Schulentwicklung zu betreiben. Dies gilt zum einen für die Teamentwicklung in Schulen, die sich durch die Arbeit in Bildungsnetzwerken deutlich verbessert, da Kooperation auf allen Ebenen geübt wird. Zusätzlich überzeugt der Einbezug außerschulischer Kooperationspartner die Schulen von der Notwendigkeit regelmäßiger Evaluation, die den Bedarf an Personalentwicklung, Fortbildungen und Unterrichtsentwicklung aufzeigen kann. Netzwerkbildung kann folglich zu einer gezielten Verbesserung der Qualität an Schulen beitragen (vgl. Solzbacher 2007). Für Ganztagsschulen konnte in empirischen Untersuchungen zu Schulöffnungsansätzen nachgewiesen werden, dass Schulöffnung und aktive Schullebensgestaltung zur Entwicklung der Lernkultur und einer differenzierten Lernorganisation in Ganztagsschulen beiträgt. Ebenfalls belegen Ergebnisse von Studien langfristige Effekte auf die Schulentwicklungsarbeit der Ganztagsschulen (vgl. Holtappels 2005b, S. 134). Maag Merki (2008) konnte jedoch zeigen, dass unterschiedliche Nutzungstypen von Schulen bestehen. So gibt es eine Gruppe von Schulen, die besonders stark in regionale Angebote eingebunden sind und über zahlreiche Kooperationen mit schulischen und außerschulischen Institutionen verfügen. Daneben existieren Schulen, die lediglich in einem der beiden Felder eine besonders hohe Nutzungsdichte aufweisen sowie Schulen, die weder die regionalen Angebote noch Kooperationen nutzen. Diese Unterschiede in der Nutzungsdichte hängen insbesondere mit der Interpretation der regionalen Angebote durch die Schulen ab. Schulen mit einer hohen Nutzungsdichte verstehen die regionalen Angebote als Möglichkeit bzw. Chance um schulische Qualitäts25

Internationales Netzwerk innovativer Schulsysteme (INIS)

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5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften

entwicklung zu fördern. Schulen mit einer geringen Nutzungsdichte nehmen Angebote und regionalen Entwicklungsziele hingegen als zusätzliche Anforderungen wahr, die an sie herangetragen werden, als Belastung und Konkurrenz zu den bereits bestehenden Aufgaben. Pauli (2006) weist darauf hin, dass die Umsetzung von Kooperationen in vielen Schulen bislang unzureichend ist und Ansätze der Öffnung von Schule in den Ganztagsschulen teils noch wenig ausgebaut sind. Einzelne Ganztagsschulen geben an, sie seien überfordert, Aktivitäten der Öffnung von Schule eigenständig zu koordinieren und Kooperationen zum kommunalen Umfeld hin auszubauen (vgl. Holtappels 1997, 2002). In der Studie von Hameyer u.a. (2007) konnte ebenfalls nachgewiesen werden, dass Netzwerkarbeit zu einer hohen Belastung der beteiligten Lehrpersonen führt. Zugleich schreiben Lehrer der Netzwerkarbeit jedoch einen eher hohen bis sehr hohen Nutzen für die persönliche Professionalisierung zu. Diese Diskrepanz zwischen Notwendigkeits- und Überlastungsempfinden weist deutlich auf einen Bedarf an Unterstützung der pädagogischen Akteure hin. Hilfreich für die Anbahnung und Intensivierung von Kooperationsbeziehungen mit dem Ziel der Vernetzung sind Organisationsstrukturen, wie z.B. Sozialraumgremien und lokale Steuerungsgruppen, die den Schulen Unterstützung von außen geben (vgl. Beher u.a. 2005; Holtappels u.a. 2007; vgl. Kap. 4.3.4). Ganztagsschulentwicklung in Netzwerken gelingt somit nicht per se. Vielmehr bedarf es professioneller Planung und Betreuung (vgl. Kap. 3.4.2). Gerade weil Netzwerke Zusammenschlüsse auf freiwilliger Basis sind, müssen Strukturbedingungen in besonderer Weise beachtet werden. Neben einem gemeinsamen Grundinteresse an Entwicklung und Innovation, klaren Zieldefinitionen, Verantwortlichkeiten und Schwerpunkten, ist es bei großen Netzwerken außerdem wichtig, dass die Übersicht durch eine verlässliche Gesamtkoordination hergestellt wird (vgl. Hameyer u.a. 2007; vgl. Kap. 2). In diesem Bereich können unterschiedliche Ebenen Einfluss nehmen, u.a. auch die Kommune. Mit dem Ausbau von Schulen zu Ganztagsschulen müssen Kommunen verstärkt an der Planung und Gestaltung von ganztägigen Angeboten beteiligt werden. Schulträgerschaft kann sich nicht mehr nur auf die Planung der Schulstandorte, den Schulbau und eine Sachaufwandträgerschaft beschränken. Im Folgenden sollen daher Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Einflussnahme auf die Ganztagsschulentwicklung näher betrachtet werden.

5.3 Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Ganztagsschulentwicklung

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5.3 Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Ganztagsschulentwicklung In Deutschland ist die Kommune Träger der Schulen. Mehr als 90% der öffentlichen Schulen werden von Städten, Gemeinden und Kreisen getragen. Eine aktive und inhaltliche Bildungsverantwortung der Gemeinden, Städte und Kreise ist allerdings nicht in den gesetzlichen Zuständigkeitsbeschreibungen für die kommunale Ebene zu finden. Gleichwohl hat das kommunale Engagement im Schulwesen lange Tradition.

5.3.1 Wandel kommunaler Schulträgerschaft Gemäß Artikel 7 Absatz 1 GG steht das Schulwesen unter der Aufsicht der Länder, so dass bei der Frage rechtlicher Regelungen und finanzieller Ausstattung zunächst die Gesetze der Länder entscheiden. Daneben haben die Kommunen gemäß Artikel 28, Absatz 2 GG das Recht alle Angelegenheiten der kommunalen Gemeinschaft in die eigene Verantwortung zu nehmen. Daraus resultiert die Verteilung der Aufgaben und Funktionen, die für die Entscheidung über schulpolitische Fragen die wesentlichen Rahmenbedingungen schafft. Neben den Ländern haben die Kommunen wichtige Kompetenzen in folgenden verschiedenen Bildungsbereichen (vgl. Hebborn 2008, S. 962): ƒ

ƒ ƒ ƒ

Sie sind Träger der Jugendhilfe und damit für die Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen zuständig. Die Gesetzreglung sieht dabei auch einen eigenständigen Bildungsauftrag vor (§ 22, Abs. 3 SGB VIII). Zudem ist die außerschulische Jugendbildung Bestandteil der kommunalen Jugendarbeit (§ 11 SGB VIII). Sie sind Träger der allgemein bildenden und beruflichen Schulen. Im Bereich der Weiterbildung befinden sich die Volkshochschulen in direkter kommunaler Trägerschaft und werden durch diese maßgeblich finanziert. Daneben gehören z.B. öffentliche Bibliotheken, Musik- und Kunstschulen, Beratungs- und schulpsychologische Dienste ebenfalls zur kommunalen Bildungsinfrastruktur.

Im Bereich des Schulwesens wird zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten unterschieden. Danach ist das Land für die innere Schulqualität bzw. die pädagogisch-inhaltliche Seite von Schulen (Lehrpläne, Stundentafeln, Lehrerzuweisungen usw.) zuständig, während die kommunalen Behörden für die Schulorganisation verantwortlich sind. Dies beinhaltet die Errichtung von Schu-

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5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften

len, die laufende Verwaltung, die Deckung des Sachbedarfs (Gebäude, Innenausstattung, Lehrmittel) und die Bereitstellung der Geldmittel. Dazu stellen sie das Verwaltungspersonal (Schulsekretärin, Hausmeister) (vgl. Füssel/Leschinsky 2003, S. 173 f.; Hebborn 2008, S. 962). In Deutschland hat sich damit überall das Prinzip durchgesetzt, dass die Personalkosten vom Land und die Sachkosten sowie die Kosten für das Verwaltungspersonal vom kommunalen Schulträger aufgebracht werden. Die Zuordnung bzw. Trennung der Zuständigkeiten zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten ist im Vergleich mit anderen europäischen Staaten eher ungewöhnlich (vgl. Hanßen 2003). Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und der veränderten Anforderungen an Schule (vgl. Kap. 2) erscheint die Unterscheidung in innere und äußere Schulangelegenheiten zunehmend als ungeeignet (vgl. Deutscher Städtetag 2002). Die Kommunen erbringen zwar erhebliche Leistungen für die Schulen, haben jedoch nur einen geringen Einfluss auf die Entwicklung und Qualität von Schulen. Von Seiten der Kommunen werden daher seit längerem Forderungen nach einer Stärkung der Stellung des Schulträgers laut. Im Zuge der Verwaltungsmodernisierung, der aufkommenden Kommunalisierungs- und Dezentralisierungstendenzen orientieren sich die Kommunen zunehmend an Modellen des „New Public Management“ und neuen Steuerungsmodellen (vgl. Brüsemeister/Newiadomsky 2008, S. 74). Zudem ist im Zuge dieser Verwaltungsmodernisierung in den Städten eine Veränderung des kommunalen Rollenverständnisses im Hinblick auf die Wahrnehmung der Schulträgeraufgaben festzustellen, dass sich stärker am Konzept einer kommunalen Bildungslandschaft orientiert (vgl. auch Kap. 3.1 und 3.2). Diese Entwicklung wird unter dem Begriff der erweiterten Schulträgerschaft zusammengefasst. Der Begriff bezeichnet ein neues, auf Gestaltung und Vernetzung angelegtes Verständnis von Schulträgerschaft (vgl. Deutscher Städtetag 2002, S. 4). Damit Kommunen eine aktiv gestaltende Rolle im Schulbereich einnehmen können, müssen die Zuständigkeitsbereiche von Kommunen und Ländern neu geregelt werden. Der deutsche Städtetag plädiert daher für eine staatlichkommunale Verantwortungsgemeinschaft in Bildungsfragen. Die Länder müssen dazu die Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Kommunen in der Bildungspolitik vergrößern (vgl. Deutscher Städtetag 2002). Das neue Aufgabenfeld reicht dabei von einem Monitoring des gesamten Schulsystems, einer weiterhin zu leistenden Grundversorgung der Schulen bis hin zu einer Orientierung an Aufgaben der Schulentwicklung (vgl. Brüsemeister/Newiadomsky 2008). Im Alltag ist die Kommune somit ein konstitutiver Bestandteil der Schule. Im Rahmen von Schulentwicklungsforschung ist und war die Kommune als Schulträger bislang hingegen kaum ein Thema (vgl. Brüsemeister/Newiadomsky 2008, S. 73). Die Forschungslage in diesem Bereich ist daher als sehr defizitär

5.3 Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Ganztagsschulentwicklung

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einzustufen. Schulentwicklungsforschung im deutschsprachigen Raum konzentriert sich vor allem auf folgende Themen: Schul- und Unterrichtsentwicklung in Einzelschulen, Personalentwicklung sowie neue Steuerungsmodelle im Bildungssystem (vgl. Kap. 3, Kap. 5.1 und 5.2). Zwar existieren internationale Studien (vgl. etwa Youngs 2001; Honig 2004; Honig 2006; Tymms u.a. 2008), ein Vergleich ist aber nur bedingt möglich, da im internationalen Kontext eine Trennung zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten nicht vorhanden ist. Seit einigen Jahren finden sich im deutschsprachigen Raum aber immer wieder Berichte, die kommunale Schulträger im Rahmen neuer Steuerungsaufgaben beschreiben (vgl. Kap. 3.4).

5.3.2 Bereiche kommunaler Einflussnahme Zunehmend mehr Kommunen nutzen ihren organisatorischen und konzeptionellen Handlungsspielraum, um eigene inhaltliche Schwerpunkte bei der Entwicklung von Ganztagskonzepten zu setzen. Holtappels (1997) konnte zeigen, dass die aktive Unterstützung und Akzeptanz durch die Schulträger für die Ganztagsschulenwicklung eine grundlegende Gelingensbedingung darstellt. Gerade im Bereich der Schulentwicklungs- und Infrastrukturplanung kommt dem Schulträger verstärkt die Aufgabe zu, sächlich-räumliche Bedingungen zu schaffen. Darüber hinaus entdecken die Kommunen Ganztagsschulen als Chance zur Bündlung sozialräumlich geprägter Bildungs- und Kulturangebote sowie als Möglichkeit infrastrukturelle und bildungspolitische Akzente zu setzen. Der Ausbau der Ganztagsschulen ermöglicht den Kommunen einen Rollenwechsel. Im Rahmen einer integrierten Bildungskonzeption versuchen sie einen aktiven Beitrag zur Modernisierung des Bildungsbereichs zu leisten, indem sie bildungsnahe und bildungsferne Einrichtungen zusammenbringen und im Rahmen einer integrierten Bildungskonzeption einbinden (vgl. Frey/Roters 2006). Insgesamt lässt sich aus den Angaben der Ganztagsschulen in verschiedenen wissenschaftlichen Beiträgen (vgl. etwa Holtappels 1994, 1997, 2002; Beher u.a. 2005; Holtappels u.a. 2007) eine breite Palette an Unterstützungsleistungen seitens der Schulträger feststellen. Bereits die Aufgeschlossenheit und das Interesse der Kommune für den Ganztagsschulausbau werden in den Ganztagsschulen als Unterstützung wahrgenommen (vgl. Beher u.a. 2005). Darüber hinaus werden gegenwärtig vier weitere Bereiche kommunaler Unterstützung beschrieben: Zum einen betrifft dies den originären Aufgabenbereich der Kommune. In diesem Bereich leistet der Schulträger Unterstützung durch den Umbau und den Ausbau der schulräumlichen Gegebenheiten. Dies beinhaltet z.B. den Bau von Mensen. Zum anderen zeichnet sich die Unterstützung durch die Bereitstellung

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5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften

zusätzlicher finanzieller Geldmittel – im Rahmen finanzieller Fördertöpfe und Schulentwicklungsfonds – sowie personeller Ressourcen aus (vgl. Hebborn 2008), die die Entwicklung von Projekten fördern können (vgl. Kap. 3.3). Einen weiteren Unterstützungsbereich stellen Beratungs- und Serviceleistungen dar. Im Zuge der Verwaltungsmodernisierung haben viele Schulverwaltungen ihre Leistungen service- und kundenorientierter gestaltet. Sie sehen ihre Aufgabe zunehmend im Sinne einer Unterstützungsagentur, die Beratungs- und Serviceleistungen sowie Qualifizierungsangebote vorhält (vgl. Deutscher Städtetag 2002). Dies beinhaltet z.B. Informationen und Hilfen zu Antragstellungen, Fortbildungen und Konzeptplanung (vgl. Holtappels 1994; Holtappels 2002). Darüber hinaus richten einige Städte lokale und zentrale Informationsbörsen ein, in denen sich Ganztagsschulen zusammenschließen (vgl. Holtappels 1994; Beher u.a 2005). Im Rahmen administrativ planerischer Unterstützung (vgl. Holtappels 1994) fördern Schulverwaltungen zudem die ressortübergreifende Vernetzung und damit die Öffnung von Schulen. Einigen Schulen fällt es schwer, Kopperationspartner zu erschließen und die Kommunikation aufrechtzuerhalten (vgl. Kap. 5.2.2). In diesen Fällen fungiert die Kommune als Koordinator von Kooperation und Vernetzung (vgl. Deutscher Städtetag 2002). Aus den Ergebnissen der Studie von Beher u.a. (2005, S. 145ff.) geht hervor, dass derartige Koordinatoren von den Schulen, der Kommunalverwaltung und Jugendhilfe als bereichernd erlebt werden. Die Schulen sehen darin eine Möglichkeit zum Austausch und zur Lösung aktueller Probleme. Die Kommune kann folglich das Bildungsnetz moderieren und Unterstützungssysteme einrichten, die ausgehend vom Bedarf des kommunalen Bezugsrahmens helfen, ein Bildungskonzept zu entwickeln, welches die bestehenden Angebote auf den Bedarf hin überprüft, ergänzende neue Maßnahmen schafft und die Bildung von Bildungsnetzwerken vorantreibt (vgl. Pauli 2006). Auf diese Weise wird es möglich, Ganztagsschulen mit einer Vielfalt von Einrichtungen, wie die öffentliche oder freie Jugendarbeit, aber auch Einrichtungen der Kultur- und Bildungsarbeit, innerhalb eines Bildungsnetzwerkes zusammenzubringen (vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder 2006). Ganztagsschulen bekommen so die Chance sich innerhalb der Kommune stärker ihrem Umfeld zu öffnen, um auf diese Weise vermehrt flexible und anregende Bildungs- und Betreuungsangebote bereitzustellen. Damit wird Ganztagsschule Bestandteil der sozialen und pädagogischen Infrastruktur einer Kommune (vgl. Mack 2006). Trotz der genannten Spielräume kommunaler Einflussnahme auf die Ganztagsschulentwicklung bestehen gegenwärtig noch viele organisatorische und rechtliche Hürden für eine erweiterte kommunale Einflussnahme. Die Unterstüt-

5.4 Herleitung der Fragestellungen

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zung der Ganztagsschulen durch die Schulverwaltung erfordert veränderte Fähigkeits- und Aufgabenprofile, die nicht einfach umsetzbar sind. Das Personal muss vielmehr auf das veränderte Aufgabenverständnis hin geschult werden. Außerdem ist fraglich, inwieweit die Schulverwaltung derartige zusätzliche Aufgaben im Rahmen ihrer finanziellen und personellen Ausstattung im vollem Umfang überhaupt übernehmen können (vgl. Kap. 3.1).

5.4 Herleitung der Fragestellungen In Anbetracht der dargestellten Erkenntnisse und Befunde in den vorangegangenen Kapiteln ist festzuhalten, dass das kommunale Engagement im Bildungsbereich in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Leitbild des Engagements der Städte ist die kommunale Bildungslandschaft. Zentraler Ansatz dieses Konzepts ist die Zusammenarbeit der für Bildung zuständigen Akteure auf der Basis verbindlicher Strukturen. Gleichsam kann von einer flächendeckenden kommunalen Bildungspolitik noch keine Rede sein. Erkennbar ist vielerorts eine Tendenz, Bildung vor Ort zu gestalten. Dieser Prozess ist in den Städten allerdings unterschiedlich weit fortgeschritten und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen verbunden (vgl. Kap. 3.2 und 3.3). Für die erfolgreiche Umsetzung einer kommunalen Bildungslandschaft muss diese als kommunale Querschnittsaufgabe und übergreifender Reformansatz verstanden werden, der alle gesellschaftlichen Akteure in die Diskussion sowie die notwendigen inhaltlichen und finanziellen Entscheidungen einbindet (Hebborn 2008, S. 964). Zu berücksichtigen ist, dass aufgrund der Trennung in sogenannte innere und äußere Schulangelegenheiten, die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten der Jugendhilfe deutlich größer sind als im Schulbereich. Damit erbringen die Kommunen zwar erhebliche Leistungen für die Schulen, nehmen mit diesen Leistungen jedoch kaum Einfluss auf die Schulentwicklung und -qualität. Dennoch konnte gezeigt werden, dass aufbauend auf der erweiterten Schulträgerschaft, die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten zugenommen haben (vgl. Kap. 3.2 und 5.3). Die kommunale Einflussnahme gewinnt insbesondere im Bereich des Ausbaus von Ganztagsschulen an Bedeutung. In diesem Bereich besteht der Mehrwert des kommunalen Engagements vor allem darin, die Vernetzung der Ganztagsschule mit Einrichtungen und Akteuren vor Ort zu fördern und die Einzelschule zu entlasten. Den Städten kommt somit eine wichtige Rolle bei Steuerung und Moderation der qualitäts- und zielorientierten Entwicklung von Ganztagsschulen zu (vgl. Kap. 5.3). Die Beschreibung der Nutzeneffekte kommunaler Ganztagsschulentwicklung beruht vor allem auf theoretischen Überlegungen und

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5 Ganztagsschulentwicklung in kommunalen Bildungslandschaften

Annahmen, die sich insbesondere aus dem Bereich der Schulentwicklung ableiten. Studien, die den Ansatz kommunaler Bildungslandschaften mit der Entwicklung von Ganztagsschulen im kommunalen Raum verbinden, sind eher selten.26 Es existieren zwar einige Untersuchungen zum Thema Kooperationen und Netzwerkaufbau im Rahmen von Ganztagsschulentwicklung, Aspekte der kommunalen Unterstützung werden in diesen Studien aber eher randständig und teils gar nicht thematisiert. Auf dieses Forschungsdefizit machen auch Holtappels u.a. (2007, S. 380) und Bolay/Gutbrod (2007, S. 279) aufmerksam. Die als explorative Fallstudie angelegte Untersuchung, über die im Folgenden berichtet wird, setzt an diesem Forschungsdefizit an. Anhand der exemplarischen Darstellung der kommunalen Ganztagsschulentwicklung in Ulm werden ƒ ƒ

Fragen zur infrastrukturellen Einbindung von Ganztagsschulen in einen kommunalen Raum behandelt. Strukturen, Erscheinungsformen und Entwicklungsverläufe kommunaler Ganztagsschulentwicklung mit der Absicht analysiert und beschrieben, ein systematisches Orientierungswissen für andere Kommunen und Ganztagsschulen zu generieren.

Folgende Forschungsfragen waren für die Untersuchung leitend: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

26

Welche konkreten strukturellen Veränderungen wurden in der Stadt Ulm vorgenommen, die eine gezielte kommunale abgestimmte Bildungsentwicklung etablieren und gewährleisten sollen? Welche Impulse für eine ‚positive’ Ganztagsschulentwicklung werden durch die Bildungsoffensive Ulm gesetzt? Wie verläuft die Ganztagsschulentwicklung seit Beginn der Bildungsoffensive? Wie wird der gegenwärtige Entwicklungsstand von den Betroffenen bewertet? Zeigen sich Wechselwirkungen zwischen der lokalen Einbindung und dem Ausbaugrad der Ganztagsschulen? Wie muss der kommunale Unterstützungsapparat aufgebaut sein, um Netzwerk- und Arbeitsstrukturen zu optimieren sowie die Qualitätsentwicklung der Ganztagsschulen zu fördern?

Zurzeit führt das Deutsche Jugendinstitut unter der Leitung von Dr. Heinz-Jürgen Stolz das Forschungsprojekt „Lokale Bildungslandschaften in Kooperation von Ganztagsschule und Jugendhilfe“ (Laufzeit: 2007-2010) durch.

6 Methodisches Vorgehen

Die Grundlage zur Überprüfung der in Kapitel 4.4 vorgestellten Fragestellungen bildet das Forschungsprojekt „Evaluation der Bildungsoffensive Ulm“, welches an der Pädagogischen Hochschule Weingarten durchgeführt wurde. In diesem Forschungsprojekt wurde die Bildungsregion Ulm und die von ihr initiierte Bildungsoffensive untersucht. Ziel dieser Studie war es, einen Gesamtüberblick über die Ulmer Bildungslandschaft und eine differenzierte Rückmeldung zu Akzeptanz, Stand und Mittelverwendung der Bildungsoffensive Ulm zu geben. Hierfür wurden die Bereiche der frühkindlichen Bildung in Kindertageseinrichtungen, die verlässliche Grundschule und Ganztagsschule sowie der Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung untersucht (vgl. Kucharz u.a. 2009). Da sich die vorliegende Arbeit in ihrem Kern mit der Gestaltung von Ganztagsschulen in einer kommunalen Bildungslandschaft befasst, nimmt sie lediglich Bezug auf einen Teil der Ergebnisse der oben beschriebenen Evaluationsstudie. Die Bildungsoffensive Ulm kann aufgrund ihrer Bemühungen im Bildungsbereich als entstehende Bildungslandschaft verstanden werden und eignet sich daher gut als Fallbeispiel zur Beschreibung der Entwicklungen in Richtung einer kommunalen Bildungslandschaft unter dem besonderen Fokus von Bildungsnetzwerken und Ganztagsschulen (vgl. Kap. 7 und 8). Die differenzierte Darstellung des Untersuchungsablaufs sowie die Beschreibung der einzelnen Untersuchungsphasen stehen im Mittelpunkt dieses Teilkapitels.

6.1 Untersuchungsdesign Für die Untersuchung wurde ein mehrmethodischer Ansatz gewählt, der sowohl quantitative wie auch qualitative Erhebungs- und Auswertungsverfahren beinhaltet. Eine Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden in einer Untersuchung ermöglicht die Beleuchtung unterschiedlicher Aspekte des Untersuchungsgegenstandes. Zudem wird einer solchen Kombination eine bessere Darstellung und Analyse des komplexen zu untersuchenden Sachverhaltes sowie Möglichkeiten eines differenzierteren Erkenntnisgewinns zugesprochen. Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus dem Ausgleich der Schwächen der einen Methode durch Hinzunahme zusätzlicher weiterer Methoden. Wichtig bei einer MethoK. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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6 Methodisches Vorgehen

denkombination ist, dass die quantitativen und qualitativen Materialien zueinander in Beziehung gesetzt werden. Erst dadurch wird es möglich, Anregungen zur Auswertung aus den qualitativen Befunden zu ziehen und umgekehrt (vgl. Engler 1997). Ziel der Methodenverschränkung dieser Untersuchung war es, der Komplexität und Praxisrelevanz der zu untersuchenden Fragestellungen stärker Rechnung zu tragen. Dahinter stand die Intention, Entwicklungsstrukturen aufzuzeigen sowie damit einhergehende Veränderungsprozesse zu beobachten, so dass die entscheidenden Schubkräfte der Bildungsoffensive und damit zusammenhängende Effekte für die Ganztagsschulentwicklung in ihrer ganzheitlichen Konstellation erfasst werden konnten. Im Einzelnen beinhaltete die Untersuchung vier Untersuchungsphasen (vgl. Abb. 2). Abbildung 2:

Überblick über das Untersuchungsdesign

Methode Dokumentenanalyse

Experteninterviews

Quantitative Fragebogenstudie

Qualitative Interviews

Zielsetzung ƒ Rekonstruktion des zeitlichen Verlaufs ƒAnalyse von Motiven, Zielsetzungen, Maßnahmen ƒ Erfassung von Zielsetzungen und Erwartungen ƒ Benennung erster Problempunkte ƒ Erfassung des Ist-Zustandes ƒ Subjektive Einschätzungen der Bildungsoffensive ƒ Vertiefung zur Erklärung von Entwicklungsverläufen ƒ Entwicklungsperspektiven

Quelle: Kucharz u.a. 2009, S. 28

Am Beginn der Untersuchung standen die Dokumentenanalyse und Experteninterviews, die zur vertiefenden Analyse des Entstehungszusammenhangs, des Verlaufs, der Organisation und damit verbundener Entwicklungen der Bildungsoffensive eingesetzt wurden. Mittels der daraus gewonnenen Ergebnisse konnten die weiteren Untersuchungsteile auch kontextanalytisch interpretiert werden. Der Dokumentenanalyse und den Experteninterviews folgte die schriftliche Befragung, die vor allem dazu diente, einen möglichst detaillierten Überblick über die Entwicklungsstrukturen und -aktivitäten sowie den aktuellen Stand im Bereich der Ganztagsschulentwicklung zu gewinnen. Zugleich soll das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein von Unterschieden eine mögliche Erklärung für Entwicklungsunterschiede liefern. Daran anschließend wurden problemzentrierte

6.2 Dokumentenanalyse

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Leitfadeninterviews mit vier Schulleitungen durchgeführt, deren Ganztagsschulentwicklung sich in verschiedenen Punkten unterschied. Es wurde angenommen, dass die Ergebnisse der Interviews einen wichtigen Erklärungsansatz für die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe innerhalb der Kommune liefern und Weiterentwicklungsansätze aufzeigen. Die Untersuchung war als mehrperspektivische Studie angelegt, um Sichtweisen und Erfahrungen der an der Bildungsoffensive Ulm beteiligten und davon betroffenen Personen wiederzugeben. Durch diese Vorgehensweise konnte sowohl das komplexe und vielschichtige Zusammenspiel von gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z.B. vorhandener Bildungs- und Betreuungsangebote) als auch die subjektiven Bewertungen der einzelnen Bildungsmaßnahmen (z.B. Ganztagsschule) durch verschiedene Personengruppen nachgezeichnet werden.

6.2 Dokumentenanalyse Unter Dokumentenanalyse versteht man die Anwendung herkömmlicher Methoden auf spezielles Untersuchungsmaterial, wie z.B. schriftlich vorliegende Dokumente. Sie bietet die Möglichkeit, Sachverhalte zu untersuchen, die bereits in der Vergangenheit liegen und Entwicklungen über einen längeren Zeitraum zu verfolgen. Zumeist sind die Daten, die für eine Dokumentenanalyse herangezogen werden unabhängig vom Evaluationsprozess entstanden und dienten ursprünglich einem anderen Zweck, so dass ihnen eine hohe Objektivität zugesprochen werden kann. Ein Nachteil ist, dass die Bedingungen, unter denen die Daten erhoben wurden, häufig nicht mehr nachvollziehbar sind. Oft ist eine Anonymisierung der Daten erforderlich, um die Ergebnisse der Evaluation öffentlich nutzbar zu machen. In jedem Fall sind Absprachen über Zweck, Vorgehensweise und Nutzung der Evaluation mit allen betroffenen Personengruppen notwendig, um Transparenz zu schaffen. Außerdem sollten neben der Dokumentenanalyse unbedingt auch andere Evaluationsmethoden angewendet werden, um eine einseitige Sichtweise zu vermeiden (vgl. Ballstaedt 1994). Beides wurde im Rahmen der Untersuchung berücksichtigt. Einerseits wurden die Daten über Experteninterviews mit Personen der kommunalen Verwaltung validiert, anderseits war die Dokumentenanalyse nur eine von mehreren Untersuchungsphasen im Ablauf der Untersuchung.

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6 Methodisches Vorgehen

6.2.1 Untersuchungsmaterial Grundlage der in dieser Studie vorgenommenen Analyse zur Entstehung und Verbreitung bildungspolitischer Ideen innerhalb einer Kommune ist die Aufbereitung aller Informationen zu Veränderungen, Maßnahmen und Strukturen der Stadt Ulm im Zeitraum von 2000 bis 2007/08. Dieser Zeitraum wurde festgesetzt, um unter der Berücksichtigung der für die Evaluation zur Verfügung stehenden Zeit die größtmögliche Informationsspanne für die Entstehung, Entwicklung und Organisation der Bildungsoffensive einzubeziehen. In jeder Kommune werden zahlreiche Schriftstücke eingesetzt, die einerseits interne, aber auch die externe Kommunikation erleichtern sollen. So gibt es in Ulm viele schriftliche Dokumente, die im Hinblick auf die Bildungsoffensive Ulm entstanden sind und evaluiert werden können. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die ausgewählte Datenbasis. Tabelle 1: Datenbasis der Dokumentenanalyse Dokumente der zentralen Steuerungsebene ƒ Gemeinderatsdokument der Gründungssitzung (GD 289/00) ƒ Gemeinderatsdokumente der jährlichen Sitzungen zur Bildungsoffensive ƒ Sitzungsdokumente des Bildungsforums ƒ Schwörreden der Stadt Ulm 2004-2007

Dokumente der dezentralen Steuerungsebene ƒ Sitzungsdokumente verschiedener kommunaler Ausschüsse ƒ Dokumente zu den regionalen Planungs- und Koordinierungsgruppen ƒ Dokumente zu Arbeitskreisen und Gremien in den Sozialräumen

Explizierende Dokumente ƒ Dokumente zu unterschiedlichen kommunalen, bundes- oder landesspezifischen Projekten und Entwicklungen ƒ Briefe (u.a. der Fraktionen und Schulen) ƒ Pressemeldungen (z.B. des Städtetages) Quelle: Kucharz u.a. 2009, S. 29; eigene Erweiterungen

Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass sich die Auswertung nicht nur auf amtliche Texte, wie Protokolle aus Gemeinderatssitzungen, beschränkte. Ebenso wurden Briefe, Mitteilungen und Pressemeldungen als Datenquellen herangezogen. Diesen waren zwar keine konkreten verhaltensregulierenden Ansprüche zuzu-

6.2 Dokumentenanalyse

99

schreiben, als Ausdruck von veränderten politischen Haltungen und Intentionen, die den Gremien bewusst präsentiert und offeriert wurden, wurden sie dennoch ernst genommen. Daneben wurden Konzepte, Berichte und Darstellungen von Projekten und Maßnahmen herangezogen.

6.2.2 Datenerfassung und -aufbereitung Die einzelnen im Folgenden erläuterten Schritte der Datenerfassung und -aufbereitung sind zwar als ein systematisch, aufeinander aufbauender Forschungsprozess zu verstehen, jedoch nicht als einzelne im konkreten Erhebungsverfahren zeitlich voneinander klar abgrenzbare Arbeitsphasen. Das Vorgehen war grundsätzlich zirkulierend angelegt. Grundlegend war dabei der Verzicht auf eine inhaltliche Engführung während des Erhebungsprozesses. In möglichst großem Umfang sollte der Ideenhorizont der Bildungslandschaft und Ganztagsschulentwicklung erfasst und der Analyse zugänglich gemacht werden. Entsprechend wurde versucht als Suchraster wenige in der wissenschaftlichen Literatur vorfindbare Konzepte zu verwenden. Identifiziert wurden die relevanten Veränderungen, Strukturen und Maßnahmen auf zwei verschiedene Arten: Im ersten Schritt erfolgte die systematische Auswertung der Dokumente zur Bildungsoffensive Ulm für den Untersuchungszeitraum und eine Bestimmung derjenigen Texte, von denen erwartet wurde, dass sich in ihnen entsprechend der grundsätzlichen Eingrenzung des Forschungsgegenstandes bildungslandschafts- und ganztagsschulbezogene Aspekte auffinden ließen. Dabei wurden von Anfang an bestimmte inhaltliche Bereiche, wie z.B. frühkindliche Bildung und lebenslanges Lernen, ausgeklammert, die als nicht relevant für den Untersuchungsgegenstand galten. Gemäß dem zirkulär angelegten Forschungsprozess war diese Vorab-Selektion nicht endgültig angelegt. Ergaben sich aus den Dokumenten, dass im Vorab ausgeklammerte Aspekte dennoch relevant erschienen, wurden diese in die Auswertung wieder aufgenommen. Folglich dienten die einzelnen Dokumente und darin enthaltenen Textstellen als Ausgangspunkt, um über die Verweise auf weitere relevante Dokumente für den gesamten Untersuchungszeitraum rückwirkend zu schließen. Auf diese Weise konnte abgesichert werden, dass alle relevanten Texte mindestens zwei Mal identifiziert wurden: einmal über die zeitlich voranschreitende Auswertung der Dokumente und einmal durch die zeitlich zurückgehende Recherche. Der zweite Rechercheschritt bestand in der systematischen Sichtung der selektierten Dokumente. Die ausgewählten Dokumente wurden danach durchgesehen, inwiefern Themen und Aspekte in einem Dokument in Bezug auf vorherge-

100

6 Methodisches Vorgehen

hende eine wesentliche Veränderung, einen neuen Ansatzpunkt oder lediglich eine Wiederholung darstellen. Nur erstere wurden gekennzeichnet und inhaltsanalytisch erfasst. Nicht alle Dokumente, die im untersuchten Zeitraum entstanden sind und auf die in den Gemeinderatsprotokollen verwiesen wurde, sind für die Untersuchung zur Verfügung gestellt worden. Dies liegt vermutlich vor allem daran, dass diese für die Untersuchung nach Ansichten der zuständigen Mitarbeiter der Stadt nicht relevant erschienen. Sofern es möglich war über ergänzende Recherchen und Anfragen diese Dokumente dennoch einzusehen bzw. ihre Existenz sowie ihren konkreten Inhalt durch weitere Quellen zu bestätigen, wurden diese mit in die Erfassung aufgenommen. Wenn der konkrete Inhalt nicht ermittelt werden konnte, wurden diese ignoriert. Es kann folglich nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass dadurch systematische Fehlstellen entstanden sind. Um den Fehler jedoch möglichst gering zu halten, wurden als weitere Datenquellen Gespräche mit Vertretern der kommunalen Verwaltung geführt, um die Aussagen in den Dokumenten zu erweitern und abzusichern (vgl. Kap. 6.3).

6.2.3 Kategoriensystem und Auswertung Die schriftlich vorliegenden Dokumente wurden inhaltsanalytisch ausgewertet (vgl. Mayring 2000, 2003). Zunächst erfolgte – im Sinne der Reduktion des Datenmaterials – eine inhaltsanalytische Zusammenfassung der Dokumente (vgl. Kap. 6.2.2). Danach wurden die herausgefilterten Themen und Ereignisdaten einer sequenziellen Analyse in Form einer strukturierenden Inhaltsanalyse unterzogen, die in der Bildung von Themen- und Ereigniskategorien mündete. Aus der Verdichtung der übergeordneten Themenkategorien entwickelte sich dann das Kategoriensystem. Das vollständige Kategoriensystem ist im Anhang wiedergegeben. Das Kategoriensystem wurde teils aus den Dokumenten selbst generiert und teils auf der Grundlage theoretischer Vorüberlegungen (vgl. Mack u.a. 2006; Maykus 2007; Stolz 2007 a). Insgesamt wurden acht Kategorien in das Kategoriensystem aufgenommen. Den einzelnen Oberkategorien wurden zusätzlich Unterkategorien zugeordnet, um eine feinere Analyse zu ermöglichen. Jede Kategorie wurde durch eine inhaltliche Definition beschrieben und in einem Kodierleitfaden schriftlich festgehalten. Die Überprüfung des Kategoriensystems erfolgte auf der Grundlage der Experteninterviews im Sinne der kommunikativen Validierung (vgl. Kap. 6.3).

6.3 Experteninterviews

101

Zusammenfassend können folgende Aspekte als zentrale Teilprodukte der Dokumentenanalyse benannt werden: ƒ

ƒ ƒ

Ein Kategoriensystem mit Merkmalen einer kommunalen Bildungslandschaft, Aspekten der Orientierung und Umsetzung derselben, Gremien, Arbeitskreisen und Formen der Bildungsoffensive, Maßnahmen, Zielsetzungen und Unterstützungssystemen. Kategorien zur Bedeutung der Bildungsoffensive Ulm für die Ganztagsschulentwicklung der Stadt. Eine Beschreibung der Zielsetzungen, Maßnahmen und Entwicklungen in Bezug auf die Ganztagsschulen in der Stadt.

6.3 Experteninterviews Die Begriffe Experten und Experteninterviews werden in der sozialwissenschaftlichen Forschung sehr uneinheitlich benutzt. Meuser/Nagel (1991) sowie Bogner u.a (2002) vertreten einen „engen“ Expertenbegriff. Bei diesem engen Begriff der Experten werden Experteninterviews mit Menschen geführt, die wegen ihrer beruflichen Stellung über ein besonderes Wissen verfügen. Der vorliegenden Arbeit wurde jedoch der „weite“ Expertenbegriff von Gläser/Laudel (2004) zugrunde gelegt. Sie beschreiben Experten als Menschen, die über ein besonderes Wissen in bestimmten Bereichen verfügen und verstehen Experteninterviews als Möglichkeit zur Rekonstruktion spezifischer Prozesse auf der Grundlage von Expertenwissen.

6.3.1 Zielsetzungen Mit den Experteninterviews wurden zwei Zielsetzungen verfolgt. Zum einen sollten die Ergebnisse der Dokumentenanalyse einer kommunikativen Validierung unterzogen werden. Bei Dokumentenanalysen ergeben sich häufig Fragen hinsichtlich Inhalten und Zusammenhängen, die durch eine alleinige Analyse nicht mehr nachvollziehbar sind. Daher wurden die gewonnenen Ergebnisse und Schlussfolgerungen sowie die sich aus der Dokumentenanalyse ergebenden offenen Fragen den zuständigen Personen vorgelegt und mit ihnen diskutiert. Die durch die Interviews gewonnen Daten ermöglichten es, die verschiedenen Dimensionen des Untersuchungsgegenstandes weiter abzugrenzen und zu präzisieren. Zum anderen wurden die Ergebnisse der Experteninterviews zusammen mit

102

6 Methodisches Vorgehen

den Ergebnissen der Dokumentenanalyse dazu genutzt, um die Fragebögen und die darin behandelten inhaltlichen Themen zu konzipieren und zu optimieren.

6.3.2 Expertenstatus und Durchführung Zwischen November 2006 und Juli 2008 wurden fünf Interviews mit Experten geführt. Alle Gesprächspartner waren leitende Personen aus der kommunalen Verwaltung, die seit Beginn der Bildungsoffensive im Arbeitsfeld der Bildungsoffensive tätig sind. Als weiterer Gesprächspartner fungierte der Oberbürgermeister der Stadt Ulm. Der Expertenstatus dieser Interviewpartner war somit an die Bekleidung verschiedener Ämter gebunden. Zugleich wurden die Experten als Teil des kommunalen Handlungsfelds verstanden, die sowohl über einen breiten reflexiven Wissensbestand als auch einen kontinuierlichen Zugang zu Informationen in Bezug auf die Bildungsoffensive verfügen (vgl. Gläser/Laudel 2004). In den Experteninterviews ging es um die Beschreibung intendierter und nicht intendierter Zielsetzungen der Bildungsoffensive, spezifischer Effekte derselben und der Generierung von Qualitätskriterien aus Sicht der Experten. Außerdem sollten die Vision und mögliche Strukturveränderungen auf unterschiedlichen Ebenen im Rahmen der Bildungsoffensive eruiert werden. Zuletzt wurden in einem Interview aus dem Blickwinkel der Verwaltung kommunale Unterstützungssysteme der Ganztagsschulentwicklung und Ansätze kommunaler Bildungsplanung thematisiert. Aus diesem Grund wurden drei unterschiedliche Leitfäden genutzt – ein stärker problembezogener für die Generierung der Inhalte des Fragebogens, ein offener, stärker auf den Entstehungs- und Begründungszusammenhang der Bildungsoffensive bezogener sowie ein stärker ganztagsschulbezogener. Die Experteninterviews wurden von den Projektmitarbeitern im Rahmen teilstrukturierter offener und problemzentrierter Interviews geführt. Die Interviewdauer schwankte zwischen einer halben und zwei Stunden. Insgesamt wurden sechs Interviews geführt.

6.3.3 Datenaufbereitung und -auswertung Die mit den Experten geführten Interviews wurden aufgezeichnet und anschließend wörtlich transkribiert. Dabei gingen non-verbale Elemente, wie Gestik, Mimik und auffällige Betonungen nicht in das Transkript ein, da die inhaltlichen Aspekte der Interviews im Vordergrund standen.

6.3 Experteninterviews

103

Die ersten drei Interviews, die im vierten Quartal 2006 durchgeführt wurden, dienten ausschließlich der Konzeption der Fragebögen und der darin behandelten inhaltlichen Themen. Es ging nicht darum, die Positionen der einzelnen Experten zu rekonstruieren, sondern die wesentlichen Argumente zu sammeln und zu ordnen. Aufgrund der reinen Beschreibung textimmanenter Merkmale, folgte die Auswertung der Experteninterviews weitgehend dem Ablauf des Leitfadens und dem Prinzip der quantitativen Inhaltsanalyse in Form einer Frequenzanalyse (vgl. etwa Bortz/Döring 2005, S. 147 ff.). Die Aussagen wurden themenspezifisch geordnet und entsprechend der Häufigkeit ihres Vorkommens ausgezählt. Für einen Teil der Aussagen wurden zusätzlich die Wertungen sowie die Intensität der Bewertungen erfasst. So sollten bei der Erfassung des Bekanntheitsgrades der Bildungsoffensive Ulm nicht nur die Personengruppen erfasst werden, denen der Begriff bekannt ist, sondern ebenso deren Anteil abgeschätzt werden. Auf der Grundlage dieser Vorgehensweise entstand das im Anhang abgebildete Kategoriensystem. Die Objektivität des Vorgehens wurde durch Gruppenanalysen und -diskussionen sowie unabhängige Analysen mehrerer Personen sichergestellt. Ergaben sich Unterschiede bei der Zuordnung, so wurden die betreffenden Aussagen nochmals in der Gruppe diskutiert und bei Konsensfindung entsprechend kategorisiert. Das Gespräch mit dem Oberbürgermeister der Stadt Ulm war narrativ angelegt. Daher lehnte sich die Auswertung an der Grounded Theory von Glaser und Strauss (1967, 1998) an. In einem ersten Schritt wurde der Text in chronologischer Reihenfolge durchgegangen. Abschnitte, die ein zusammenhängendes Thema enthielten, wurden markiert und mit mehreren Codes versehen. Dabei konnten sich codierte Textstellen auch überschneiden, denn es kam nicht auf die Feststellung der Häufigkeit bestimmter Inhalte an, sondern die Codierung diente dem Wiederfinden von Textstellen zur Vorbereitung der theoretischen Weiterbearbeitung. Aus diesem Grund sollte auch bei Überlappung von Themen jede Textstelle eine in sich verständliche Sinneinheit bilden. Am Ende der Auswertung stand ein Kategoriensystem, dass sich aus acht Oberkategorien und 15 Unterkategorien zusammensetzt (vgl. Anhang). Das Kategoriensystem diente als Hilfestellung zur Eruierung der vorhandenen Daten, nicht jedoch als Endpunkt des Analyseprozesses. Dementsprechend wurden deskriptive Kategorienbezeichnungen angestrebt, die sich sowohl auf vorhandene Theorien zu kommunalen Bildungslandschaften stützten und offen für neue, aus den Daten heraus entwickelte Themenfelder waren. Dies ermöglichte in den darauf folgenden Phasen des Auswertungsprozesses, neue Ansatzpunkte mit aufzunehmen und beschränkte den Forschungsprozess nicht vorschnell auf wenige theoretische Begriffe. Das Kategoriensystem zeichnet sich folglich durch Offenheit und Geschlossenheit zugleich aus. Es ist insofern geschlossen, als dass für den Kodierprozess ein

104

6 Methodisches Vorgehen

festes Kategorienschema entwickelt wurde, das aber im Verlauf des Kodierens durch neue Kategorien verändert werden konnte. Die Erstellung des Kategoriensystems und die Kodierung des gesamten Interviews wurden mit der Unterstützung aller Projektmitarbeiter vorgenommen. Die dadurch aufkommenden Gespräche trugen zur Sicherung der Gütekriterien qualitativer Sozialforschung bei, indem Textzuordnungen diskursiv präzisiert und diskutiert wurden („disjunktive Gruppentechnik“, vgl. etwa Kühn/Witzel 2000). Das letzte Interview bezog sich stärker auf die kommunalpolitische Sichtweise der Ganztagsschulentwicklung in Ulm. Erfasst wurden Aussagen zum Ganztagsschulsausbau, zu kommunalen Unterstützungssystemen im Ganztagsschulbereich und zu Grenzen kommunaler Einflussnahme auf die Schulentwicklung. Grundlegend für die Auswertung war die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2000, 2003). Dabei wurden sowohl Elemente der inhaltlich strukturierenden als auch der zusammenfassenden Inhaltsanalyse angewendet. Das Material wurde reduziert und unter Zuhilfenahme eines Kategoriensystems kriteriengeleitet geordnet. Das Kategoriensystem wurde auf der Grundlage induktiver Kategorien, die aus dem Interviewmaterials heraus entstanden sind, gebildet (vgl. Anhang). Zur Sicherstellung der Objektivität des Vorgehens und zur Überprüfung der Ergebnisse der Kategorisierung wurden die Ergebnisse mit allen Projektmitarbeitern besprochen und zur Diskussion gestellt. Zudem wurden die Ergebnisse der Kodierung einer Reliabilitätsprüfung (Berechnung der Intercoderreliabilität) unterzogen. Hierfür wird ein so genannter KappaKoeffizient berechnet. Dieser gibt die Übereinstimmung zwischen zwei Kodierern in einer Maßzahl zwischen 0 und +1 an und stellt somit die quantitative Maßzahl für die Präzision und Explizitheit des Kategoriensystems dar (vgl. Rustemeyer 1992). Die Analyse erbrachte ein zufriedenstellendes Ergebnis. Es wurde ein Kappa-Wert von 0,78 erzielt.

6.4 Fragebogenerhebung Die quantitative Fragebogenerhebung stellt die dritte Untersuchungsphase innerhalb des Forschungsprozesses dar. In dieser Phase ging es vor allem darum, in der Breite quantitative Informationen zu erhalten, die sich auf den gegenwärtigen Ausbau der Ganztagsschulen in Ulm beziehen. Im Vordergrund stand damit die Exploration des Untersuchungsfeldes. Insgesamt wurden 39 Schulen unterschiedlicher Schulformen und -arten in die Analyse einbezogen.

6.4 Fragebogenerhebung

105

6.4.1 Stichprobenziehung Die Fragebogenuntersuchung berücksichtigte unterschiedliche Bildungseinrichtungen und Personengruppen, um einen möglichst detaillierten Überblick über die Entwicklungsstrukturen und -aktivitäten sowie den aktuellen Stand im Bereich der Ganztagsschulentwicklung zu geben. Daher kam bei der Auswahl der Bildungseinrichtungen und Versuchspersonen ein mehrstufiges Verfahren zur Anwendung. In einem ersten Schritt wurden zunächst 39 Bildungseinrichtungen zufällig ausgewählt. Als Grundlage dienten folgende Unterscheidungskriterien: ƒ ƒ ƒ ƒ

Zeitstruktur der Einrichtungen (Halbtags- oder Ganztagseinrichtungen), Schulform (Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien), unterschiedliche Sozialstrukturen, divergierende Anteile an Kindern mit Migrationshintergrund.

Die Einrichtungen der Stichprobe verteilten sich über das gesamte Stadtgebiet. Ziel dieses Vorgehens war es, für die empirische Fragebogenerhebung eine Vergleichbarkeit von Untersuchungsgruppen herstellen zu können. Die anhand dieser Kriterien ausgewählten Einrichtungen wurden schriftlich über die Untersuchung informiert und zur Teilnahme eingeladen. Darauf aufbauend erfolgte die Auswahl der Versuchspersonen innerhalb der einzelnen Bildungseinrichtungen. Beim pädagogischen Personal wurden alle Schulleitungen und Lehrkräfte befragt. Für die schriftliche Befragung der Schüler in den ausgewählten Schulen wurde jeweils eine Zufallsstichprobe von Schulklassen der 3., 6. und 8. Jahrgangsstufen gezogen. Die Elternbefragung lehnte sich an der Schülerbefragung an; d. h. alle Eltern der Schüler in den ausgewählten Klassen wurden in die Erhebung einbezogen.

6.4.2 Instrumentarium und Durchführung der Untersuchung Die Basis der quantitativen Erhebung bildeten standardisierte Fragebögen. Diese wurden unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus der Dokumentenanalyse und den Experteninterviews sowie anderer Untersuchungen erstellt (vgl. etwa Bargel/Kuthe 1991; Höhmann u.a. 2004). Anschließend wurden sie einem Pretest unterzogen und überarbeitet. Die Fragebögen setzen sich aus einem allgemeinen und spezifischen Teil zusammen, wobei jeder Teil wiederum mehrere Themenblöcke umfasst. Diese bestehen überwiegend aus geschlossenen Fragen und enthalten Aussagen zu

106

6 Methodisches Vorgehen

verschiedenen Fragekomplexen, bei dem die befragten Personen den Grad ihrer Zustimmung oder Ablehnung durch das Ankreuzen vorgegebener Antworten angeben können. Der allgemeine Teil der Fragebögen ist für alle Befragtengruppen unabhängig von der Bildungseinrichtung gleich. Er enthält Angaben zur Bildungseinrichtung, Fragen zur Bildungsoffensive Ulm sowie zu Kooperationsstrukturen innerhalb und außerhalb der Bildungseinrichtungen. Der spezifische Teil der Fragebögen bezieht sich stärker auf den thematischen Schwerpunkt „Ganztagsschulentwicklung“. Er enthält beispielsweise Angaben zur Umsetzung, der personellen Ausstattung, Angebotsstruktur und Zufriedenheit. Abgeschlossen wird der Fragebogen mit einer offenen Frage nach Verbesserungsvorschlägen. Der Fragebogen fokussiert damit mehrere Ebenen. Zum einen ermöglichte der allgemeine Teil Vergleiche über alle drei Teilbereiche des Projektes (frühkindlichen Bildung in Kindertageseinrichtungen, verlässliche Grundschulen und Ganztagsschulen, Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung) hinweg. Zum anderen beinhaltet der spezifische Teil der Fragebögen eine objektivierbare und eine subjektiv wertende Ebene. Die objektivierbare Ebene umfasst Daten, die prinzipiell anders erhoben werden könnten, aber aus pragmatischen Gründen für die Untersuchung nicht anders erfasst wurden (z.B. Angaben zum Personal, Angaben zur Umsetzung der Ganztagsschule). Die subjektiv wertende Ebene umfasst hingegen Informationen zu Einschätzungen und Bewertungen der Betroffenen, z.B. hinsichtlich der Zufriedenheit und der Bekanntheit der Bildungsoffensive. Das Erkenntnisinteresse war dabei nicht auf das einzelne Subjekt, sondern subjektübergreifend ausgerichtet, um generelle Aussagen zu erhalten. Die Durchführung der schriftlich-postalischen Erhebung erfolgte von Mai bis Juli 2007. Die Fragebögen wurden an die Schulen verschickt und dort von der Schulleitung an die Lehrkräfte ausgegeben. Die Verteilung der Schüler- und Elternfragebögen fand über die Lehrer statt. Der Rücklauf erfolgte anonym in verschlossenen Umschlägen über das Sekretariat der Schule, von wo aus die Fragebögen gebündelt zurückgeschickt wurden.

6.4.3 Rücklauf und Stichprobenbeschreibung Insgesamt nahmen 1668 Personen aus 26 Einrichtungen an der Befragung teil. Das entspricht einer Rücklaufquote von 58% (vgl. Tab. 2). Zum Zeitpunkt der Befragung bestanden 16 Ganztagsschulen in Ulm. Ziel der Untersuchung war es, aufgrund der geringen Anzahl möglichst alle Ganztagsschulen in die Erhebung einzubinden. 10 von 16 bestehenden Ganztagsschulen beteiligten sich schließlich an der Erhebung. Die restlichen 15 Schulen bildeten somit die Vergleichsgruppe.

6.4 Fragebogenerhebung

107

Tabelle 2: Rücklauf in den einzelnen Gruppen Befragtengruppen

Versandt

Zurück

Rücklaufquote

Leitung

39

25

64%

Lehrer

670

262

39%

Schüler

1093

745

68%

Eltern

1093

636

58%

Insgesamt

2895

1668

58%

An der Befragung nahmen 25 Schulleitungen (Rücklaufquote: 64%) und 262 Lehrkräfte (Rücklaufquote: 39%) teil. Dabei fallen Unterschiede in der Antwortbereitschaft je nach Schulart und Organisationsform auf. So antworteten 72% der Leitungen von Grundschulen, während es an den Sekundarschulen nur 50% waren. Bei den Lehrern zeigen sich keine so deutlichen Unterschiede in der Teilnahmebereitschaft. Es beteiligten sich 48% der befragten Grundschullehrer und 35% der befragten Sekundarschullehrer. Zudem wiesen Schulleitungen von Halbtagsschulen eine etwas höhere Teilnahmebereitschaft als Ganztagsschulleitungen auf. Bei den Lehrkräften war es genau umgekehrt. Von den befragten Schülern beteiligten sich insgesamt 745 an der Befragung. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 68%. Da in der Studie eigentlich nur Schüler der 3., 6. und 8. Jahrgangsstufe einbezogen werden sollten, jedoch in manchen Schulen auch Schüler anderer Jahrgangsstufen gebeten wurden, den Fragebogen auszufüllen, wurden diese Schüler für die weiteren Auswertungen nicht berücksichtigt. Insgesamt verblieben 715 Schüler im Datensatz. Hiervon besuchten 63% eine Ganztagsschule. Die Verteilung der Schüler über die Klassenstufen ergibt folgendes Bild: 28% 3. Klasse, 32% 6. Klasse und 40% 8. Klasse. Bei der Befragtengruppe der Eltern standen nach der Befragung 636 Elternfragebögen zur Verfügung (Rücklaufquote: 58%). 25 Fragebögen mussten im Nachhinein ausgeschlossen werden, so dass für alle weiteren Berechnungen eine Datengrundlage von 611 Elternfragebögen vorlag. 82% der Fragebögen wurden von den Müttern bzw. weiblichen Erziehungsberechtigten des Kindes ausgefüllt. An der Befragung nahmen etwas mehr Eltern (58%), deren Kind eine Ganztagsschule besucht, teil als Eltern (42%), deren Kind eine Halbtagsschule besucht. Zur Ermittlung der sozialen Herkunft der Schüler wurde auf den Bildungshintergrund der Eltern und den Migrationshintergrund der Schüler zurückgegrif-

108

6 Methodisches Vorgehen

fen. Die Kodierung des Bildungshintergrundes der Eltern orientierte sich an der ISCED-Klassifikation des German Data Lab (Schroedter u.a. 2006). Anhand der Klassifikation können drei Bildungsstufen unterschieden werden: ƒ ƒ ƒ

Niedriges Bildungsniveau: Dieser Kategorie werden Personen mit Hauptoder Realschulabschluss sowie Personen ohne Bildungsabschluss zugeordnet, die über keinen beruflichen Abschluss verfügen. Mittleres Bildungsniveau: In diese Kategorie fallen Personen mit Hochoder Fachhochschulreife sowie Abschlüssen einer Berufsfach- oder Handelsschule. Hierzu zählen ebenfalls Personen mit abgeschlossener Lehre. Höheres Bildungsniveau: Dieser Kategorie werden Personen mit Hochschulabschluss (Fachhochschule oder Universität) sowie mit Abschluss einer Fach-, Meister- oder Technikerschule zugeordnet.

Von den befragten Eltern konnten 39% dem höheren, 46% dem mittleren und 15% dem niedrigen Bildungsniveau zugeordnet werden. Zur Ermittlung des Migrationshintergrundes wurden die Variablen „Geburtsland der Eltern“ und „Sprache in der Familie“ miteinander kombiniert. Kein Migrationshintergrund bedeutet, dass beide Eltern in Deutschland geboren wurden und die Verkehrssprache in der Familie (sowohl mit dem Kind als auch mit dem Partner) deutsch ist. Wurde hingegen mindestens einer der Elternteile im Ausland geboren oder ist eine der angegebenen Sprachen in der Familie nicht deutsch, so wurden die Personen der Kategorie ‚Migrationshintergrund’ zugeordnet. Auf diese Weise konnte bei 40% der Schüler ein Migrationshintergrund ermittelt werden.

6.5 Problemzentrierte Interviews Der qualitativen Vertiefung und der damit einhergehenden Analyse wurden theoriegeleitete Fragestellungen zugrunde gelegt. Dabei wurde nicht ausgeschlossen, dass sich aus den Interviews heraus zusätzliche neue Fragestellungen ergeben können. Jedoch war das primäre Ziel die Überprüfung der allgemeinen Fragestellungen und die Stärkung und Verdichtung der Ergebnisse aus der standardisierten Fragebogenerhebung. Die subjektiven Einschätzungen, Urteile und Meinungen der Schulleitungen sollten mit den objektivierten Daten in Bezug gesetzt werden.

6.5 Problemzentrierte Interviews

109

6.5.1 Auswahl der Schulen bzw. Schulleitungen Die Auswahl der Schulen erfolgte über ein dreistufiges Verfahren. Eine erste Eingrenzung der Stichprobe wurde anhand des Kriteriums „Ganztagsschule“ vorgenommen. Ein zweites Eingrenzungskriterium bezog sich auf das „Einzugsgebiet der Schule“. Als Grundlage für die Ermittlung des Einzugsgebiets dienten die Angaben der Schulleitungen im Fragebogen. Eine dritte Eingrenzung erfolgte anhand des Kriteriums „Erfolgsniveau“. Für die Berechnung des Erfolgsniveaus wurden Variablen berücksichtigt, die sich einerseits auf die Ganztagsschulentwicklung beziehen (Ausbauindex Ganztagsschule, Ausbaugrad der Kooperationen, Betreuungszufriedenheit der Eltern) und zum anderen Variablen, die aus dem Grundverständnis der Bildungsoffensive heraus generiert wurden (Ausbaugrad der Kooperationen, Zielerreichung insgesamt). Die Basis der Einstufung bildeten die Antworten aus den Fragebögen der Schulleitungen, Lehrkräfte und Eltern. Zur Bildung der einzelnen Variablen wurden zunächst Items zu Indizes zusammengefasst und der Indexwert in Form des Mittelwertes gebildet. Auf diese Weise konnten insgesamt acht Ganztagsschulen für die qualitative Vertiefung berücksichtigt werden (vgl. Tab. 3). Die nicht berücksichtigten Ganztagsschulen wiesen fehlende Werte auf mindestens einer der Variablen auf. Tabelle 3: Eingrenzungsgebiet und Erfolgsniveaus für die einzelnen Schulen Schule

Einzugsgebiet

Ausbauindex Ganztagsschule

Ausbaugrad der Kooperationen

Betreuungszufriedenheit der Eltern

Zielerreichung insgesamt

Schule 1

gemischt

hoch

hoch

hoch

hoch

Schule 2

gemischt

mittel

niedrig

mittel

hoch

Schule 3

gemischt

niedrig

niedrig

hoch

hoch

Schule 4

gemischt

hoch

hoch

mittel

mittel

Schule 5

gemischt

niedrig

hoch

mittel

mittel

Schule 6

sozialer Brennpunkt

niedrig

hoch

niedrig

niedrig

Schule 7

sozialer Brennpunkt

mittel

hoch

hoch

niedrig

Schule 8

sozialer Brennpunkt

mittel/hoch

hoch

hoch

hoch

110

6 Methodisches Vorgehen

Anschließend wurden die zwei im Hinblick auf das Erfolgsniveau „erfolgreichsten“ und die zwei am „wenigsten erfolgreichen“ Schulen identifiziert. Dabei wurde darauf geachtet, dass in jeder der beiden Teilgruppen mindestens je eine Schule aus gemischtem Einzugsgebiet und eine soziale Brennpunktschule vertreten waren. Tabelle 4 gibt einen Überblick über die einbezogenen Schulen. Tabelle 4: Stichprobe der einbezogenen Schulen Schulen mit hohem Erfolgsniveau Schule

Einzugsgebiet

Erfolgsniveau

1

gemischt

4x hoch, 0x niedrig

8

sozialer Brennpunkt

3x hoch, 0x niedrig

Schulen mit niedrigem Erfolgsniveau Schule

Einzugsgebiet

Erfolgsniveau

3

gemischt

2x hoch, 2x niedrig

6

sozialer Brennpunkt

1x hoch, 3x niedrig

Durch dieses Vorgehen bestand die Stichprobe aus zwei Teilgruppen von je zwei Schulen, die maximal zueinander kontrastieren. Die Zusammensetzung sollte es ermöglichen, positive wie auch negative Einflussfaktoren der Ganztagsschulentwicklung zu identifizieren.

6.5.2 Erhebungsverfahren und Durchführung Die durchgeführten Interviews hatten ermittelnde Funktion (vgl. Huber/Mandl 1994). Zum einen sollten über die Interviews deskriptive Informationen zu Tatsachenbeschreibungen gewonnen, zum anderen sollten theoriegeleitete Fragestellungen analysiert werden. Die Interviewten wurden als Experten ihrer Schulen befragt. Die gewählte qualitative Erhebungsform waren problemzentrierte Interviews (vgl. Witzel 2000). Als Unterstützung für das Interview diente ein Leitfaden, der die für die Untersuchung relevanten Themenkomplexe enthielt. Auf diese Weise wurde die Vergleichbarkeit der Interviewaussagen gewährleistet. Der Leitfaden diente dabei eher zur Orientierung, denn als starres Instrument. So wurden die Fragen

6.5 Problemzentrierte Interviews

111

in der Durchführung als ‚Leit-Fragen’ verstanden. Sie gaben die Bereiche und Themen vor, die im Interview angesprochen wurden. Die Reihenfolge der angesprochenen Themen sowie der genaue Wortlaut waren jedoch offen. Hierdurch sollte die Künstlichkeit der Interviewsituation eingeschränkt werden. In den Interviews wurden zum einen Aspekte thematisiert, die für die übergeordnete Fragestellung der Untersuchung relevant waren. Zum anderen wurden im Leitfaden Aspekte aufgegriffen, die schon im Fragebogen thematisiert wurden und sich aus den Ergebnissen der Fragebogenerhebung als besonders bedeutsam erwiesen. Auf diese Wiese wurde es möglich statistische Zusammenhänge und subjektive Bedeutungszuschreibungen einander ergänzend in Beziehung zu setzen. Eingeleitet wurde das Interview mit Fragen zur Ganztagsschulentwicklung und den Zielsetzungen. Im Zentrum des Gesprächs standen die wahrgenommenen Unterstützungssysteme und bestehenden Kooperationen der Ganztagsschulen. Hier ging es einerseits um die Genierung kommunaler und lokaler Bildungsräume und anderseits um als Unterstützung wahrgenommene Personen und Organisationen, die die Ganztagsschulentwicklung sowohl positiv wie auch negativ beeinflussen. Ein wichtiger Aspekt war dabei die Förderung der Bildungschancen des einzelnen Schülers. Abgeschlossen wurde das Interview mit der Frage nach zukünftigen Entwicklungen. Die Phase der qualitativen Vertiefung beinhaltete insgesamt vier Einzelinterviews mit Schulleitungen von Ganztagsschulen. Die Interviews wurden im Zeitraum von Ende April bis Mitte Juni 2008 durchgeführt. Die Kontaktaufnahme erfolgte über das Telefon. Die Gespräche fanden in den Schulleiterbüros statt und wurden zur späteren Transkription aufgenommen. Die Dauer der Interviews betrug 40 bis 60 Minuten.

6.5.3 Auswertung Die Interviews wurden aufgezeichnet und anschließend wörtlich transkribiert. Versprecher, Veränderungen der Lautstärke und Betonungen wurde nicht vermerkt, da es ausschließlich um die Beschaffung von Sachinformationen ging. Die Auswertung erfolgte gemäß der qualitativ-strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring (2000, 2003). Insgesamt fand folglich eine kodierende Auswertung der Interviews statt, wobei die Annäherung an die „Wirklichkeit“ immer in Verbindung zum situativen Kontext und zu den subjektiven Bedeutungszusammenhängen gebracht wurde. Die Basis für die Auswertung bildete das im Anhang dargestellte Kategorienschema. Anhand des Kategoriensystems konnten die Aussagen der Ganztagschulleitungen fünf Oberkategorien zugeordnet werden: Intendierte Zielsetzun-

112

6 Methodisches Vorgehen

gen, kommunale Unterstützungsstrukturen, Unterstützungsstrukturen für Schüler, Gelingensbedingungen von Ganztagsschulen und hemmende Faktoren der Ganztagsschulentwicklung. Das Vorgehen bei der Kategorienbildung erfolgte sowohl deduktiv wie auch induktiv. Zunächst wurden die Kategorien aus den auf den Ausgangsfragen basierenden Aspekten des Interviewleitfadens abgeleitet. In einem zweiten Schritt wurden, wenn notwendig, auch induktive Kategorien gebildet, deren Definition aus den Daten selbst erfolgte. Die Synthese des deduktiv-induktiven Vorgehens führte zur Präzisierung der Kategorien. Die Objektivität des Vorgehens wurde durch Gruppenanalysen und -diskussionen sowie unabhängige Analysen mehrerer Personen sichergestellt. Die Überprüfung der Intercoderreliabilität ergab zwischen den Kodierern eine Übereinstimmung von 83%. In der Gesamtschau des Materials kam im letzten Schritt eine typisierende Strukturierung zur Anwendung. Diese Fallkontrastierung erschien wesentlich, um eine aussagekräftige Übersicht über die rekonstruierten Ansätze kommunaler Ganztagsschulentwicklung zu erhalten und somit Schlussfolgerungen für die Veränderung der kommunalen Einflussnahme ziehen zu können. Das Verfahren des Fallvergleichs bzw. der Fallkontrastierung spielt eine bedeutende Rolle in der qualitativen Forschung, weil die komplexe Realität reduziert und damit greifbar gemacht wird (vgl. Kelle/Kluge 1999, S. 9).

7 Bildungsoffensive Ulm

Im Jahr 2000 wurde in Ulm eine Bildungsoffensive eingeleitet und Bildung zu einem kommunalpolitischen Schwerpunkt erklärt. Damit einher ging ein Prozess der Neuorientierung und Neuorganisation, der sich auf alle Bereiche der kommunalen Jugend-, Familien- und Bildungspolitik erstreckt. Im Folgenden werden die Bemühungen und Entwicklungen im Rahmen der Bildungsoffensive näher beschrieben sowie die Organisationsstrukturen, Zielsetzungen und Maßnahmen dargelegt. Vorher erfolgt jedoch eine Beschreibung der kommunalen Gegebenheiten und vorausgegangen Entwicklungsansätze.

7.1 Stadtporträt und gesamtstädtische Entwicklungsansätze Ulm ist eine kleine Großstadt mit 121.648 Einwohnern27 und bildet mit seiner Schwesterstadt Neu-Ulm den kulturellen und wirtschaftlichen Mittelpunkt zwischen dem Allgäu und der Schwäbischen Alb. Die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt ergibt sich zum einen aus der Ansiedlung zahlreicher Großunternehmen wie EADS, Deutsche Telekom, Deutz AG, Ratiopharm, Gardena, Schwenk Zement KG. Zum anderen wird die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt an dem großen Angebot an Arbeitsplätzen und der großen Zahl an Berufseinpendlern deutlich (vgl. Kucharz u.a. 2009, S. 22). Jeden Tag kommen fast 50.000 Menschen aufgrund ihres Beschäftigungsverhältnisses in die Stadt. Insgesamt pendeln 2,5-mal mehr Menschen aufgrund ihres Arbeitsplatzes ein statt aus.28

7.1.1 Bevölkerungsentwicklung Ulm zeichnet sich durch ausgesprochen positive Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung aus. Ende 2008 lag der Anteil der Bevölkerung unter 25 Jahren an der Gesamtbevölkerung bei etwa 25%. Auf 1000 Einwohner kamen 162 Jugendliche 27 28

Quelle: Statistische Landesamt Baden-Württemberg; Bevölkerungsstand zum 31.12.2008 Ebd.

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

114

7 Bildungsoffensive Ulm

unter 18 Jahren. Der Ausländeranteil betrug etwa 17% (bei den unter 18Jährigen: 14%) und lag damit deutlich über dem Landesdurchschnitt (12%).29 Die Entwicklung verläuft jedoch nicht in allen Ulmer Stadtteilen gleichermaßen. So gibt es in Ulm eine ausgeprägte Polarisierung zwischen wenigen Stadtteilen der Innenstadt mit geringer Familienprägung und einem größeren Anteil stark familiengeprägter Stadtteile in Stadtrandlage. Gleichzeitig liegt in den innerstädtischen Stadtteilen der Anteil nicht-deutscher Einwohner deutlich unter dem Durchschnitt des gesamtstädtischen Wertes. Personen und Familien mit Migrationshintergrund wohnen somit häufiger in den innenstadtnahen, weniger familiengeprägten Stadtregionen. Besonders der Stadtteil Weststadt, der Bestandteil des Programms „Soziale Stadt“30 ist, fällt durch den höchsten Anteil an nichtdeutschen Einwohnern auf (vgl. Strohmeier u.a. 2007, S. 66 ff.). Im Vergleich zu anderen Städten weist Ulm außerdem eine insgesamt sehr niedrige Sozialhilfedichte auf. Auch Stadtteile mit im Stadtvergleich hohen sozialen Belastungen erreichen lediglich Quoten unter fünf Prozent der jeweiligen Bevölkerung. Damit liegt eine Kumulation sozialer Problemlagen in einem eher geringen Maße vor. Dennoch zeigen sich in einigen Stadtteilen deutlich über dem Stadtdurchschnitt liegende Sozialhilfedichten. Hier wohnen besonders viele nicht-deutsche Einwohner sowie Aussiedler. Auch Alleinerziehende finden sich besonders häufig in diesen Stadtteilen (vgl. ebd.).

7.1.2 Bildungsangebote in Ulm In Ulm bestanden im September 2009 insgesamt 88 Einrichtungen mit vorschulischem Betreuungsangebot, die insgesamt über 4000 Plätze anboten: 23 in städtischer, 45 in kirchlicher und 19 in freier Trägerschaft. Davon boten 34 Einrichtungen, darunter 16 Ganztagseinrichtungen, Plätze für Kinder unter drei Jahren an. 31 Im Schuljahr 2008/09 bestanden in Ulm 63 allgemein bildende Schulen. Als öffentlicher Schulträger ist die Stadt – gemäß dem Schulverwaltungsbegriff – für 53 Schulen verantwortlich: 25 Grundschulen, zehn Hauptschulen, vier Realschulen, sechs Gymnasien und acht Sonderschulen. Darüber hinaus finden sich in 29

Ebd. Das Städtebauförderungsprogramm ‚Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt’ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und der Länder wurde im Jahr 1999 mit dem Ziel gestartet, die „Abwärtsspirale“ in benachteiligten Stadtteilen aufzuhalten und die Lebensbedingungen vor Ort umfassend zu verbessern. 31 Online: URL: http://www.ulm.de/leben_in_ulm/kinder_jugend_familie/tageseinrichtungen_fuer _kinder_nach_stadtteilen.3578.3076,3665,3885,3527,3578.htm [Datum der Recherche: 03.10.2009] 30

7.1 Stadtporträt und gesamtstädtische Entwicklungsansätze

115

Ulm zehn private allgemein bildende Schulen: drei Grundschulen, zwei Realschulen, ein Gymnasium, zwei Waldorfschulen und zwei Sonderschulen. Im Schuljahr 2008/09 besuchten insgesamt 16.106 Schüler diese Schulen: 13.706 eine öffentliche und 2.400 eine private Schule.32 Im berufsbildenden Bereich besteht in Ulm ein breites Bildungsangebot verschiedener beruflicher Schulen. Ziel der beruflichen Schulen ist es, die Schüler begleitend oder im Vorfeld zu einer Ausbildung für den Beruf fit zu machen. Auch während oder nach einer Berufsausbildung haben die jungen Erwachsenen noch die Chance, zusätzliche Abschlüsse zu erwerben – bis hin zur fachgebundenen und allgemeinen Hochschulreife. Im Schuljahr 2008/09 besuchten 6528 Schüler eine öffentliche oder private Berufsschule in der Stadt.33 Als Universitätsstadt bietet Ulm zudem vielfältige Studienmöglichkeiten.

7.1.3 Gesamtstädtische Entwicklungsansätze Die Herausforderungen, die sich aus der demografischen Entwicklung und den Problemlagen in den einzelnen Stadtteilquartieren ergeben, werden inzwischen in der Politik und Verwaltung intensiv diskutiert. Die Stadt zeigt zahlreiche Anstrengungen um die Zukunftsfähigkeit der Stadt sicherzustellen: Innovationsoffensive, Medienoffensive, Familienoffensive, Zukunftsoffensive und die Bildungsoffensive machen deutlich, dass Ulm den zukünftigen Herausforderungen aktiv begegnen und seine Attraktivität für Wirtschaftsunternehmen und Familien in der Region sichern will (vgl. Kucharz u.a. 2009, S. 21). In den 1990er Jahren wurde mit der Umstellung der bereichs- zur sozialraumorientierten Jugendhilfeplanung begonnen. Im Jahr 2002 folgte dann der Beschluss der sozialraumorientierten Jugendhilfeplanung durch den Jugendhilfeausschuss. Ziel dieser Veränderung war es, eine stärkere Orientierung der Jugendhilfe an den Möglichkeiten des sozialen Raums zu bewirken und die Vielzahl der Maßnahmen abzustimmen und effektiver zu gestalten. Hierfür wurde der Kommunale Soziale Dienst, die Jugendhilfe des Kommunalen Sozialen Dienstes und des Sozialen Dienstes für Ältere zur sozialraumorientierten Arbeit zusammengelegt (vgl. Joanni/Lehmann 2006). Zusätzlich wurde die Stadt mittels einer Sozialraumanalyse in fünf Sozialräume gegliedert, in denen jeweils eigene Bürgerzentren bestehen und seitens der städtischen sozialen Dienste feste Ansprechpartner zuständig sind. Daneben dient die jährlich aktualisierte Sozialraumanalyse als Argumentationshilfe bei der Personal- und Budgetverteilung auf 32 33

Quelle: Statistische Landesamt Baden-Württemberg Vgl. ebd.

116

7 Bildungsoffensive Ulm

die Sozialräume sowie als Monitoringsystem zur Darstellung von Veränderungen durch kommunale Maßnahmen der Jugendhilfe und allgemeinen Entwicklungen. Die Sozialraumbudgets werden jeweils von einem Schwerpunktträger verwaltet, wobei sich dieser vertraglich verpflichtet, auch andere soziale Träger an den Maßnahmen zu beteiligen. Nach Ablauf eines Maßnahmenjahres werden Erfolge und Misserfolge über Kennzahlen gemessen (vgl. Strohmeier u.a. 2007). Innerhalb der Sozialräume bestehen zudem Koordinierungsgruppen und Regionale Planungsgruppen. Entsprechend des „Ulmer Dialogmodells der Gemeinwesenarbeit“ haben die Bürger die Möglichkeit sich in den Arbeitskreisen der Regionalen Planungsgruppen aktiv zu beteiligen. Damit werden Strategien in einem Gremium aus Koordinierungsgruppen, Regionalen Planungsgruppen, Sozialraumteams, Kindertageseinrichtungen, Schulen und Polizei entwickelt (vgl. Joanni/Lehmann 2006). Neben der Sozialpolitik ist mit dem Erscheinen des Sozial- und Armutsberichts Mitte der 1990er Jahre die Situation von Familien und Kindern verstärkt in die öffentliche und politische Diskussion in Ulm gerückt. Der Bericht enthält eine umfassende Situationsanalyse zu den Lebenslagen von Familien in Form eines Familienberichts. Als Reaktion auf die festgelegten Problemlagen wurden über 40 Maßnahmen beschlossen. Diese umfassen zum einen Betreuungsangebote, aber auch Maßnahmen der Familienselbsthilfe, zusätzliche Angebote zur Stärkung der Kompetenz der Familie und Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Situation von einkommensschwachen Familien. Die teilweise bereits Ende der 1990er Jahre beschlossenen Maßnahmen und Strategien werden inzwischen mit dem Projekt „Familien in der Stadt – Die familienfreundliche Offensive der Stadt Ulm“ verfolgt. Das Projekt stützt sich auf ein Kooperationsnetzwerk, an dem neben der Verwaltung auch Vertreter von Institutionen aus dem Bereich der Familienarbeit, -beratung und -bildung beteiligt sind. Das Projekt bildet somit eine übergeordnete Instanz zur Koordinierung von Projekten zur familienfreundlichen Gestaltung Ulms (vgl. Strohmeier u.a. 2007, S. 73). Aufgrund der oben beschriebenen Segregationsproblematik in der Weststadt beteiligt sich die Stadt Ulm seit dem Jahr 2001 am Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“. Ziel des Programms ist neben Sanierungsmaßnahmen, die Verbesserung der gesamten Lebenssituation der Bewohner. Die Grundlage für die geplanten Maßnahmen bildet das „Integrierte Handlungskonzept“.34 Die Umsetzung erfolgt mit dem Sanierungsträger „Sanierungstreuhand Ulm GmbH“ in Kooperation mit dem Verein für Jugendhilfe und soziale Arbeit im Ulmer Westen und einem Planungsbüro. Neben städtebaulichen Zielen (Sanierung des 34 Online: URL: http://www.agwest.telebus.de/html/soziale_stadt.html [Datum der Recherche: 03.10.2009]

7.1 Stadtporträt und gesamtstädtische Entwicklungsansätze

117

Wohnbestandes, Qualifizierung des Wohnumfeldes) werden auch Projekte und Maßnahmen für Kinder, Jugendliche und Familien durchgeführt. Die baulichen Maßnahmen beinhalten zum einen die Schaffung eines kinder- und familienfreundlichen Wohnungsangebotes und zum anderen die Anpassung des Wohnumfeldes im Hinblick auf die Verbesserung der Aufenthalts- und Entfaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Zusätzlich werden Betreuungs- und Förderangebote an den Schulen im Stadtteil systematisch ausgebaut. Damit soll eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf von im Stadtteil lebenden Eltern erreicht und auf die Defizite der Kinder und Jugendlichen im Schulbereich in diesem Stadtteil reagiert werden (vgl. Strohmeier u.a. 2007, S. 72f.). Unter anderem fallen folgende Förderprojekte hierunter35: ƒ ƒ ƒ

Aufbau eines Lesenetzes: Gewinnung von ehrenamtlichen Vorlesern für Kindertageseinrichtungen und Schulen im Stadtteil; LOS – Lokales Kapital für soziale Zwecke: u.a. Computerkurse, Gewaltprävention, Unterstützung der Eltern in der Erziehung ihrer 4- bis 5-jährigen Kinder mit dem HIPPY-Konzept; Förderprogramm XENOS – Schaltzentrale Zukunft: Mit der „Schaltzentrale Zukunft“ ist eine niedrigschwellige Anlaufstelle in der Ulmer Weststadt geschaffen worden für Jugendliche im Übergang von der Schule in den Beruf. Ziel ist es Jugendliche auf ihrem Weg in Ausbildung und Arbeit durch Beratung und Begleitung entsprechend qualifizierter Personen zu unterstützen.

Ein weiteres wichtiges Thema in Ulm ist der demografische Wandel und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Stadtentwicklung. Seit 2003 ist dieses Thema fester Bestandteil öffentlicher und politischer Diskussionen. So wurden z.B. Informationsveranstaltungen in den Stadtteilen durchgeführt. In „Zukunftswerkstätten“ wurden zudem Handlungsempfehlungen für die Ulmer Stadtpolitik erarbeitet. Darüber hinaus hat Ulm eine Bevölkerungspolitik beschlossen, die durch Anreizstrategien versucht, die Lebensqualität der Stadt und Stadtteile zu verbessern (vgl. Strohmeier u.a. 2007, S. 71f.). Ziel der Ulmer Stadtpolitik ist es, Menschen in der Stadt zu halten und neue Einwohner zu gewinnen sowie städtische Angebote kontinuierlich und konsequent dem zu- bzw. abnehmenden Bedarf anzupassen. Die Maßnahmen bzw. Anreizstrategien zielen auf zahlreiche Handlungsfelder ab36:

35

Ebd. Online: URL: http://www.ulm.de/politik_verwaltung/stadtentwicklung_im_demografischen _wandel.21264.3076,3571.htm [Datum der Recherche: 03.10.2009] 36

118 ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

7 Bildungsoffensive Ulm Wirtschaft: Ausbau der Wissenschaftsstadt; Wohnen: Aufwertung von Stadtquartieren, Förderung neuer Wohnformen für junge und alte Menschen; Bildung: Ausbau Ulms zur „Bildungsstadt“; Zuwanderung und Integration: Sprachförderung, Vernetzung der Beratungsangebote; Solidarität im Sozialen: Förderung bürgerschaftlichen Engagements; Kultur/Freizeit/Sport: z.B. Kulturdebatte 2005.

7.2 Bildungsoffensive Ulm Neben den oben beschrieben Themenfeldern stellt auch der Bildungsbereich ein wichtiges Handlungsfeld der Ulmer Kommunalpolitik dar. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre flossen immer wieder verstärkt finanzielle Mittel in den Ausbau von Kindertageseinrichtungen und Schulen. Diese Investitionen erfolgten jedoch zunächst unabhängig von einer bildungspolitischen Schwerpunktsetzung.

7.2.1 Bildung als kommunalpolitischer Schwerpunkt Mit Beginn der Bildungsoffensive im Jahre 2000 wurden Bildung, Betreuung und Erziehung, insbesondere der schulische Bereich, in Ulm zu einem kommunalpolitischen Schwerpunkt erklärt und damit in den Mittelpunkt der Entwicklungen der nächsten zehn Jahre gestellt. Ein Gesprächspartner fasst die Ausgangslage zusammen: „Die Ausgangslage war: es ist in Ulm sehr viel für Schulen, Bildung ausgegeben worden, immer wieder im Laufe der letzten Jahre. Wir haben uns aber überlegt, wir sollten konzentriert für einen Zeitraum von zehn Jahren die Bildungsaspekte mal ja, wie ich sagte, konzentriert vornehmen, dass es ein kommunalpolitischer Schwerpunkt wird…“ (ExpI IV, Z. 20-24)37

Bildungspolitik wird in Ulm seit diesem Zeitpunkt als eine zentrale kommunalpolitische Aufgabe und Gestaltungsmöglichkeit wahrgenommen. Am Ausgangspunkt des Prozesses stand die Einsicht, dass Bildung einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor darstellt und eine zentrale Rolle für die Zukunftsfähigkeit einer 37 Exp I bis V bezeichnet die Experteninterviews, die für die vorliegende Arbeit Berücksichtigung fanden.

7.2 Bildungsoffensive Ulm

119

Kommune spielt. So wird die Bedeutung und das Interesse an Bildung damit begründet, dass diese Ulm in der Wirtschaftsförderung und bei Ansiedlungen von Unternehmen einen Standortvorteil verschaffen, Zuwanderungen von Familien fördern und deren Abwanderung entgegenwirken soll. Im ersten Gemeinderatsdokument zur Bildungsoffensive wird die Bedeutung von Bildung wie folgt umschrieben: „Bildung ist Voraussetzung für eine humane Zukunft. Unsere Stadt muss zu einer ‚lernenden Stadt’ mit einer neuen Lernkultur werden. Wir wollen die Schulen in ihr gesellschaftliches Umfeld einbinden und ein tragfähiges Fundament für ihre Gemeinwesenarbeit schaffen. Die Vorbereitung auf die Berufs- und Arbeitswelt, Bildung und Weiterbildung, sind entscheidende Entwicklungsfaktoren für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel.“ (GD 289/00, S. 5)

Die Stadt hat dabei nicht nur die aktuelle Situation im Blick, sondern versucht im Rahmen der Bildungsoffensive „schon im Weitblick gesellschaftliche Strömungen so frühzeitig wie möglich zu erkennen“ (Exp V, Z. 494-496). Gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, wie die demografische Entwicklung, die hohe Anzahl an Bildungsverlierern, die alarmierende Angaben zu Kinderarmut, sowie die steigende Nachfrage nach qualifizierten Schulabgängern und Absolventen von Berufsausbildungen (Qualifizierungsmangel) werden von der Stadt somit zunehmend als Konjunkturbremse angesehen. Bildung wird als Reaktion auf diese gesellschaftlichen Herausforderungen verstanden, als Weiterentwicklung und Sicherstellung einer umfassenden und differenzierten Bildungsinfrastruktur im Sinne einer kommunalen Bildungslandschaft (vgl. GD 289/00, S. 2). Um dies zu erreichen wird kommunale Bildungspolitik daher in enger Verbindung mit anderen politischen Bereichen konzipiert und unter Einbezug aller, die in diesem Bereich Verantwortung tragen. Ferner geht mit der Bildungsoffensive ein Verständnis einher, welches u.a. Unterrichts- und Schulqualität als öffentliche und kontinuierliche Aufgabe versteht.38 Ziel der Stadt ist es, „jeweils vor Ort eine Verantwortungsgemeinschaft für Kinder und Jugendliche aufzubauen“ (GD 289/00, Anlage 1, S. 1). Hierfür werden neue Formen und Strategien in der kommunalen Bildungspolitik gesucht. Durch die Initiierung der Bildungsoffensive sind in der Stadt damit Bedingungen bzw. Grundvoraussetzungen angelegt worden, die es ermöglichen vielfältige Bildungsgelegenheiten in der Stadt zu schaffen. Über einzelne Maßnahmen hinausgehend versucht die Stadt umfassend, ganzheitlich und übergreifend die Belange von Schulen, Familien und ihren Kindern in ihren Entscheidungen 38

Brief des Oberbürgermeisters an die Fraktionen des Ulmer Gemeinderates vom 13.02.2006

120

7 Bildungsoffensive Ulm

zu berücksichtigen. Die bildungspolitischen Überlegungen erstrecken sich dabei über alle Phasen einer Bildungsbiographie und umfassen auch generationsübergreifende und integrierende Maßnahmen. Damit wird deutlich, dass in Ulm die Bildungsinfrastruktur und Unterstützungsnetzwerke für Familien, Kinder und Jugendliche zunehmend als weiche Standortfaktoren wahrgenommen werden, die es zu verändern und zu verbessern gilt. „Also da haben wir dann schon auch ein Interesse daran, ein Eigeninteresse, dass er [der Schüler] möglichst gut seine Schulkarriere beendet und möglichst reibungslos in ein Ausbildungsverhältnis tritt, weil wir sonst indirekt, den ja wieder auf der Tasche liegen haben.“ (Exp V, Z. 468-471)

Deutlich wird die veränderte kommunalpolitische Schwerpunktsetzung auch an den gestiegenen Bildungsausgaben. So betrugen die Ausgaben für Bildung je Einwohner (Sechs bis unter 18 Jahren) im Jahr 2002 534 EUR und im Jahr 2006 878 EUR. Dies entspricht einer Zunahme im Zeitverlauf von 64%. Insbesondere in den Bereichen des allgemeinbildenden Schulwesens und des Übergangs von der Schule in den Beruf sind deutliche Ausgabenzuwächse zu verzeichnen: ƒ ƒ

Ausgaben für das allgemeinbildende Schulwesen je Einwohner (Sechs bis unter 18 Jahren): 2002 – 404 EUR und 2006 – 703 EUR (Zunahme um 74%); Ausgaben für die Unterstützung Übergang „Schule-Beruf“ je Einwohner (12 bis unter 18 Jahren): 2002 – 38 EUR und 2006 – 82 EUR (Zunahme um 116%).

7.2.2 Eckpunkte der Bildungsoffensive Ulm Bereits zu Beginn der Bildungsoffensive wurden im Rahmen der Gründungsklausurtagung am 14./15.09.2000 drei zentrale Eckpunkte vereinbart, die die zentralen Bestrebungen der Stadt widerspiegeln: ein Gesprächs- und Beratungsverbund in Form eines Bildungsforums, die Vereinbarung fester Zielsetzungen und eine konkrete Maßnahmenplanung. 1. Bildungsforum Im Hinblick auf das veränderte Aufgabenverständnis im Sinne partizipativer Verantwortung und Aufgabenerledigung hat die Stadt Ulm bereits zu Beginn der Bildungsoffensive im Jahr 2000 ein Bildungsforum eingerichtet. Das Bildungsforum stellt ein Sachverständigengremium dar, das sich als Bündnis von Bildung versteht. Es bildet somit einen Gesprächs- und Beratungsverbund, der sich aus

7.2 Bildungsoffensive Ulm

121

Vertretern der Stadtverwaltung sowie aus Vertretern aller im Bildungsbereich Betroffenen zusammensetzt. Hierzu gehören u.a. Vertreter der staatlichen Schulverwaltung, des Gesamtelternbeirats, der Industrie- und Handelskammer. Das Bildungsforum hat die Aufgabe den Gemeinderat in allen bildungspolitischen Fragen und Themenstellungen zu beraten, wichtige Themen zu begutachten sowie Empfehlungen für die Verwaltung und den Gemeinderat auszusprechen. Dabei steht im Sinne der Sicherstellung einer umfassenden und differenzierten Bildungsinfrastruktur sowie der Gestaltung und Weiterentwicklung einer kommunalen Bildungslandschaft, die Entwicklung neuer Initiativen und Angebote im Bildungsbereich, die Initiierung von Projekten sowie die Erarbeitung von Vorschlägen für eine stärkere Kooperation zwischen Bildungseinrichtungen und kommunalen Einrichtungen im Vordergrund. 2. Bildungspolitische Leitlinien Neben dem Bildungsforum bildet die Vereinbarung fester Zielsetzungen einen weiteren zentralen Eckpunkt der Bildungsoffensive. So hat die kommunale Bildungspolitik in Ulm zum Ziel, innerhalb der Kommune, in einzelnen Sozialräumen und Stadtteilen eine Infrastruktur zu schaffen und zu unterstützen, die die Bildung, Betreuung und Erziehung aller Bürger, insbesondere der Kinder und Jugendlichen verbessert und weiter ausbaut. Endziel ist die Entwicklung der Stadt Ulm hin zu einer „Bildungsstadt“ (vgl. GD 289/00, S. 7). „[…] die Vision ist, dass jede Bürgerin und jeder Bürger, ob Kinder oder Erwachsene, so gute Bildungs-/Weiterbildungseinrichtungen in Ulm vorfindet, dass er sie nutzen kann und daraus auch einen Nutzen ziehen kann.“ (ExpI IV, Z. 476-479)

Um dieses Ziel zu erreichen, erarbeiteten die Beteiligten gleich zu Beginn der Bildungsoffensive verschiedene bildungspolitische Leitlinien, die im Jahr 2003 endgültig festgeschrieben wurden. Sie bilden die zentralen Entwicklungslinien auf dem Weg zu einer „Bildungsstadt“ wie Ulm sie versteht. Ein Experte begründet dieses Vorgehen: „Die Bildungsoffensive hat einmal auch gezeigt, dass man sich zunächst auch einmal erst über die Ziele einigen muss – wo wollen wir hin –, bevor wir uns überhaupt erst auf den Weg machen. Und das man hier nicht einfach in einen reinen Aktionismus verfällt und sagt: Wir machen jetzt einfach einen bunten Strauss gleich eines Bauchladens und das nennen, das verpacken wir alles unter dem Begriff, Oberbegriff Bildungsoffensive, sondern wir haben erreicht, durch die Bildungsoffensive, dass der Gemeinderat sich einmal überhaupt Gedanken macht und darüber debattiert: Wo stehen wir und wo wollen wir überhaupt hin, um daraus dann nachher auch

122

7 Bildungsoffensive Ulm die Maßnahmen zu schneidern, die notwendig sind, um dieses Ziel letztendlich zu erreichen.“ (ExpI III, Z. 115-127)

Insgesamt wurden fünf bildungspolitische Leitlinien formuliert, die sowohl den vorschulischen, den schulischen und den außerschulischen Bereich einschließen. Sie bilden die Basis für ein ganzheitliches Konzept zur Weiterentwicklung und Qualifizierung der Bildungseinrichtungen und der Bildungsinfrastruktur. Mit ihrer Hilfe sollen Handlungsspielräume, insbesondere im Bereich der Schulträgerschaft, ausgelotet werden, die Kommunen im Sinne einer erweiterten Bildungsverantwortung nutzen können. Hierzu gehört vorhandene Ressourcen, zu erbringende Leistungen, die in städtischer Verantwortung liegen sowie freiwillige Leistungen, die über die Aufgaben einer städtischen Trägerschaft hinausgehen, zu bündeln und zu verschiedenen Handlungsfeldern zu verzahnen. Neben der Verbesserung vorhandener Bildungsangebote für die unterschiedlichen Altersgruppen bildet auch die Vernetzung der Angebote untereinander einen Zielaspekt. Darüber hinaus soll vorhandenen Defiziten im Rahmen von zusätzlichen Maßnahmen und Förderangeboten begegnet werden. Im Einzelnen beinhalten die Leitlinien (vgl. GD 2/03, S. 15):

ƒ

Bildungsinfrastruktur zeitgemäß entwickeln: Dieses Leitziel befasst sich mit den klassischen Aufgaben der Stadt als Schulträger und stellt damit Entwicklungslinien für die kommunale Schulentwicklungsplanung auf. Es umfasst den investiven Bereich, wie Schulbaumaßnahmen, die Unterhaltung der Schulgebäude und die Ausstattung der Schulen. Dieser durch die klassische Zuständigkeit der Stadt geprägte Aufgabenbereich bildet den Ausgangspunkt der Bildungsoffensive. So wird in der Stadt Ulm die Optimierung der Räumlichkeiten und Ausstattung der Bildungseinrichtungen als bedeutsamer Teil der qualitativen Verbesserung der Bildungsinfrastruktur verstanden, insbesondere vor dem Hintergrund des Ausbaus von Betreuungsangeboten an Schule, die dazu führen, dass Schüler und die am Schulleben Beteiligten mehr Zeit in der Schule verbringen. Zwei Gesprächspartner umschreiben die Bedeutung dieser Leitlinie so: Die Bildungsoffensive „ist natürlich ein Bauprogramm. Nur einmal mehr hat sich eben auch gezeigt, dass um hoch qualifizierte Bildung auch in den Schulen anbieten zu können, die entsprechenden Hardwarevoraussetzungen, also Fachräume bis hin zu den Klassenräumen, auch einfach vorhanden sein müssen.“ (ExpI III, Z. 56-61) „ […] wenn zunehmend die Lehrer, die Schüler, also die am Schulleben Beteiligten, zunehmend immer mehr Stunden am Tag in einem solchen Gebäude verbringen, ja, dann ist das so wie in einem Büro oder einer Fabrik. Das ist zwar der Vergleich

7.2 Bildungsoffensive Ulm

123

etwas unpassend, aber es ist so. Und deswegen spielt die Atmosphäre, die Gestaltung, die Einrichtung, die Stimmung ja mit auch nicht einen entscheidenden, aber doch wichtigen Beitrag.“ (ExpI IV, Z. 309-315)

ƒ

Ungleichen Bildungschancen begegnen: Im Vordergrund der Bildungsoffensive steht die Förderung und Integration von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Familien und mit Migrationshintergrund. Durch eine Verstärkung der Präventionsmaßnahmen in diesem Bereich sollen die Bildungschancen dieser Zielgruppe verbessert und zugleich die zukünftige Sozialförderung der Stadt entlastet werden. „Faire Zukunftschancen muss es für alle Kinder geben, der Start ins Bildungsleben darf nicht abhängig von den Einkünften und dem Vermögen der Eltern sein.“ (Schwörrede 2007)

ƒ

Betreuungs- und Förderangebote ausbauen: Der Ausbau von Betreuungsangeboten im schulischen Bereich betrifft insbesondere die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ziel der Stadt ist es, die Attraktivität der Stadt für Familien zu erhöhen und deren Zuzugswilligkeit zu fördern. Im schulischen Bereich umfasst der Ausbau von Betreuungsangeboten den Ausbau von Ganztagsangeboten sowohl im Primar- wie auch im Sekundarbereich. Die Zielsetzung steht in enger Verbindung zum Ausbau von Förderangeboten. Dies betrifft zum einen die frühzeitige Förderung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Begabungen (im Sinne von Begabtenförderung), die zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Stadt beitragen soll. Zum anderen beinhaltet dies die frühzeitige Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsdefiziten und besonderen Förderungsbedarf. Ziel ist es, auf der Grundlage der stärkeren Berücksichtigung individualisierter Lernvoraussetzungen der Kinder eine optimale, individuelle Förderung unterschiedlicher Zielgruppen von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen.

ƒ

Unterstützung der Schüler beim Übergang in die Schule/ins Berufsleben: Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule und von der Schule in die berufliche Ausbildung bilden wichtige Schnittstellen im Rahmen der Bildungsoffensive. Sie wurden daher zu Schwerpunkten erklärt. Grund hierfür ist die Einsicht, dass die einzelnen Phasen in der Bildungsbiographie von Kindern und Jugendlichen nicht lose nebeneinander stehen, sondern dass optimale Entwicklungsverläufe in der Bildungsbiografie der Betrachtung und der Zusammenarbeit an den Schnittpunkten bedürfen. Aus der

124

7 Bildungsoffensive Ulm Aussage eines Gesprächspartners wird diese Überzeugung besonders deutlich: „Die Schnittstelle Kindergarten – Schule damals noch sehr unter dem Aspekt der Kindergarten ist eine eigene Welt und die Grundschule ist eine eigene Welt. Wir haben damals schon gesagt, das müssen wir mehr miteinander verbinden [...] Und die dritte Stufe war, die sich damals schon sehr abzeichnende Unzufriedenheit, dass nämlich ein Großteil derer, die eine Schule durchlaufen haben und vor der Frage stehen, wie geht es jetzt mit ihrer Berufsausbildung/Einstieg in den Beruf weiter, viele gesagt haben, die sind unfähig, sie sind unqualifiziert, die können nichts. Man muss eigentlich an der nächsten Übergabestelle, nämlich in die Berufsschule, Vorbereitungsjahre machen. […] und da haben wir schon gespürt, wir müssen an der Ecke auch etwas tun.“ (ExpI IV, Z. 44-70)

ƒ

Ausbau vernetzter Strukturen: Die Stärkung außerschulischer Angebote im Umfeld der einzelnen Schulen und im Stadtteil sowie deren Vernetzung im Sozialraum bilden eine weitere bildungspolitische Leitlinie der Ulmer Bildungsoffensive. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die einzelnen Bildungseinrichtungen nicht lose nebeneinander stehen, sondern miteinander verbunden werden müssen, um die Bildungsbiographie der Kinder und Jugendlichen vor Brüchen zu bewahren. Im Vordergrund stehen die Partizipation und das bürgerschaftliche Engagement sowie die Vernetzung der kommunalen Angebote im Sozialraum im Sinne des Ulmer Dialogmodells der Gemeinwesenarbeit (Joanni/Lehmann 2006). Eine stärkere Verzahnung der Bildungseinrichtungen mit kommunalen Einrichtungen soll eine soziale und gesellschaftliche Vielfalt und mehr Chancengleichheit gewährleisten. Schule wird in Ulm somit als Teil der öffentlichen Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der Stadt definiert. Netzwerken wird folglich eine wichtige Funktion bei der Gestaltung des sozialen Nahraums im Umfeld Schule zugesprochen. Ein Gesprächspartner beschreibt dieses Vorgehen so: „Das andere, was wir nun auch bewiesen haben im Rahmen der Bildungsoffensive ist, dass wir eben […] auch die Kooperationen, die Netzwerke, herstellen. Also, dass wir weggehen von diesem Ressortdenken. Der eine macht nur Schule, der andere nur Sport, der andere macht nur Theater, der dritte macht nur Kultur, sondern dass das Gesamte ein Netzwerk [ergibt].“ (ExpI III, Z. 61-67)

3. Bildungspolitische Maßnahmen Für die Realisierung der bildungspolitischen Leitlinien wurde in den letzten Jahren im Rahmen der Bildungsoffensive eine Leistungskette unterschiedlicher Maßnahmen aufgebaut und kontinuierlich weitergeführt. Diese Maßnahmen sind

7.2 Bildungsoffensive Ulm

125

auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt. Zum einen handelt es sich um Investitionsmaßnahmen in den Ausbau, den Umbau und die Sanierung von Schulen. Zum anderen wird in konkrete Projekte zur Förderung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen investiert, die zumeist auf die Einbindung unterschiedlicher Fachkräfte im Sinne von Kooperationen und Vernetzungen zwischen verschiedenen Einrichtungen abzielen. Damit wird deutlich, dass die oben beschrieben bildungspolitischen Leitlinien nicht lose nebeneinander stehen, sondern in einem Netzwerk von sich gegenseitig unterstützenden Faktoren verbunden sind (vgl. Tab. 5). Tabelle 5: Zuordnung von Maßnahmen zu den bildungspolitischen Leitlinien der Bildungsoffensive Ulm Bildungspolitische Leitlinien

Maßnahmen39

Bildungsinfrastruktur zeitgemäß entwickeln

ƒ Schulbau- und Sanierungsmaßnahmen ƒ Ausbau der Medienausstattung an Schulen

Ungleichen Bildungschancen begegnen

ƒ Projekt „Sibille International“ ƒ Schulsozialarbeiter zur Förderung von Jugendlichen in Hauptschulen am Übergang

Betreuungs- und Förderangebote ausbauen

ƒ Schülerakademie ƒ Ausbau von verlässlichen Grundschulen und Ganztagsschulen

Unterstützung von Kindern bzw. Jugendlichen beim Übergang in die Schule/ins Berufsleben

ƒ Unterstützung der Schüler beim Übergang in den Beruf (z. B. Projekt „Starthilfen“) ƒ Ausrichtung einer Bildungsmesse im Zweijahresrhythmus ƒ Schaffung der Stelle für Jugendberufshelfer

Ausbau vernetzter Strukturen

ƒ Einführung eines Investitionsfonds zur Finanzierung innovativer Bildungsprojekte ƒ Aufbau von Mentorenprogrammen ƒ Modellprojekt Eselsberg – Lebenswelt Schule ƒ Schulpartnerschaften

Quelle: Kucharz u.a. 2009, S. 42; eigene Ergänzungen

39

Die Maßnahmen stellen lediglich eine Auswahl dar. Eine detaillierte Aufstellung der Maßnahmen ist auf der Internetplattform OnlinePlus veröffentlicht.

126

7 Bildungsoffensive Ulm

Um den Übergang Kindergarten-Grundschule zu erleichtern, wird seit 2005 im Stadtteil Böfingen ein verstärktes Zusammenwirken von Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und Familien modellhaft erprobt (vgl. GD 2/07, S. 30). Ziel ist es, Kinder mit besonderen Risikolagen, Entwicklungsverzögerungen oder nicht ausreichenden Sprachkenntnissen zur Sicherung einer kontinuierlichen Biografie beim Übergang in die Grundschule zu begleiten. Dies betrifft zum einen die Begleitung durch die pädagogischen Fachkräfte und eine stärkere Einbeziehung der Eltern. Zum anderen werden individuelle Fördermaßnahmen angeboten, um bestehende Bildungs- und Entwicklungsdefizite auszugleichen. Im Grundschulbereich werden zudem vorhandene Förderangebote des Landes Baden-Württemberg genutzt. So wurde im Jahr 1996 das Reformprojekt „Schulanfang auf neuen Wegen“ zur Vermeidung von Problemen bei der Einschulung gestartet und seitdem mit Erfolg praktiziert (vgl. GD 2/05, S. 27). Ebenso wird das Programm „Verlässliche Grundschule“ zur bedarfsorientierten Betreuung von Schulkindern in Ulm angewandt. Zusätzlich werden von den unterschiedlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe außerschulische Angebote, wie z.B. Sprach- und Lernhilfen angeboten. Im Mittelpunkt dieser Maßnahmen stehen Kinder mit Migrationshintergrund (vgl. GD 12/03, Anlage 20). Im Sinne der frühzeitigen Förderung von Begabungen wurde außerdem im Jahr 2006 eine Schülerakademie gegründet. Zielgruppe sind besonders begabte Grundschüler der Klassenstufen eins bis vier, denen zusätzliche außerschulische Angebote in Zusammenarbeit mit verschiedenen außerschulischen Institutionen vorgehalten werden (vgl. GD 14/06). Für die weiterführenden Schulformen werden für jede Schulform eigene Konzepte und Maßnahmen entwickelt. Bezogen auf benachteiligte Jugendliche sind insbesondere die Strategien im Hauptschulbereich von Interesse. Beispielweise stehen in allen Ganztagshauptschulen Schulsozialarbeiter zur Verfügung. Ein besonderer Schwerpunkt der Jugendsozialarbeit an den Ulmer Hauptschulen bildet die Förderung der Ausbildungsreife von Schülern (vgl. GD 419/04). Seit dem Auslaufen der Förderung durch das baden-württembergische Sozialministerium im Jahr 2005 werden die Stellen der Sozialarbeit alleine durch die Stadt Ulm, die Caritas und die Arbeiterwohlfahrt (AWO) finanziert. Ebenfalls mit dem Ziel, Übergänge von Hauptschülern in den Beruf zu erleichtern, werden die Projekte Jugendberufshelfer (vgl. GD 42/01, Anlage 3) und Mentorenschaften (vgl. GD 02/05, Anlage 16) durchgeführt. Das Projekt Jugendberufshelfer ist ein Angebot der Ulmer Jugendhilfe und versteht sich als ausbildungsorientierte Maßnahme. Ziel ist es, vor allem leistungsschwache und sozial benachteiligte Schüler durch berufsbildende Maßnahmen auf den Berufseinstieg vorzubereiten. Die Mentorenschaften bilden im Unterschied dazu einen Ansatz zur individuellen

7.3 Strukturelle Konsequenzen der Bildungsoffensive Ulm

127

Unterstützung von Hauptschülern mit Problemen beim Berufseinstieg. Insbesondere Senioren engagieren sich hier ehrenamtlich in unterschiedlichen Projekten. Aus der beispielhaften Beschreibung der Maßnahmen wird deutlich, dass die Leitlinien ein Gefüge aus Querverbindungen untereinander bilden, um die Bildungsinfrastruktur der Stadt Ulm im Ganzen zu entwickeln. Viele Ansätze der Bildungsoffensive werden dabei zunächst in Modellprojekten getestet. Dabei dienen insbesondere die Stadteile Böfingen und Eselsberg als eine Art „Laboratorium“, in denen Ansätze unterschiedlicher Förder- und Netzwerkprojekte zunächst in Einrichtungen dieser Stadteile als Modellvorhaben durchgeführt werden. Die unterschiedlichen Handlungsansätze werden teils durch kommunale Mittel, durch die Einwerbung von Drittmitteln bei Modellprojekten oder von Stiftungen finanziert bzw. unterstützt. Darüber hinaus erfolgen im Bereich der Ganztagsschulen umfangreiche Investitionsmaßnahmen in Verbindung mit den IZBB-Mitteln des Bundes. Eine Besonderheit der Bildungsoffensive der Stadt Ulm ist folglich die ganzheitliche Sichtweise. Es wurde ein Gesamtkonzept für alle Bildungseinrichtungen von der Grundschule bis zur Universität unter Einbeziehung der vorschulischen Bildungseinrichtungen entwickelt. Darüber hinaus hat die Bildungsoffensive auch eine sozialräumliche Komponente. Die Verbesserung der Infrastruktur in benachteiligten Quartieren hat besondere Priorität und kurz- bis mittelfristig soll insbesondere dort die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Jugendhilfe und Sozialarbeit verbessert werden.

7.3 Strukturelle Konsequenzen der Bildungsoffensive Ulm In Ulm wird Bildung als kommunale, gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden. Zur Umsetzung dieses Verständnisses wurden kommunale Leitlinien und zentrale Handlungsfelder erarbeitet. Diese weisen auf die Anstrengungen der Stadt Ulm zum Aufbau einer kommunalen Bildungslandschaft hin. Neben den bereits beschriebenen Elementen kennzeichnen weitere Entwicklungslinien die Ulmer Bildungslandschaft.

7.3.1 Kommunale Bildungspolitik von oben und unten her denken In Ulm werden die kommunale Bildungspolitik und der Aufbau einer Bildungslandschaft als Chefsache und Basisarbeit verstanden. Zum einen wird die Bildungspolitik als kommunale Aufgabe und Gestaltungsmöglichkeit durch den Oberbürgermeister geprägt und gestützt. Zum anderen besteht im Gemeinderat

128

7 Bildungsoffensive Ulm

ein parteiübergreifender Konsens über die Grundsätze der kommunalen Bildungspolitik. Mit dem eingesetzten Bildungsforum und den vom Gemeinderat beschlossenen bildungspolitischen Leitlinien sind zudem wichtige Vorgaben und Entwicklungslinien vorgegeben. Der Prozess verläuft jedoch nicht einseitig von oben nach unten. So wird kommunale Bildungspolitik in der Stadt nicht nur durch den Oberbürgermeister, den Gemeinderat und die Verwaltung gestaltet und ausgeführt, sondern ebenso durch Initiativen und viele Vereinigungen, die sich auf dem bildungspolitischen Gebiet engagieren. Auch deren Entscheidungen und Angebote wirken sich unmittelbar auf das Lebensumfeld der Familien in den Sozialräumen aus. Ein Gesprächspartner formuliert die Verbindung zwischen Politik und Beteiligten folgendermaßen: „ […] [der] kommunale Auslöser hier sind die Akteure und hier sind die Übersetzer und hier sind die Partner und dann gibt es noch die regionale und lokale Besonderheit. Ja, so würde ich es legen. Also von der Initiative hinaus und wiederum von den Beteiligten immer wieder zurückfließend hier in dieses Steuerungsthema.“ (ExpI IV, Z. 722-727)

Bildungspolitik ist in Ulm folglich eher als offener Kommunikationsprozess angelegt, an dem alle beteiligten Akteure und Interessengruppen einbezogen werden. Die Stadtverwaltung hat bereits 1996 in ihrem Leitbild bestimmt, dass sie sich an den Wünschen der Bürger jeden Alters orientiert und ihre Entscheidungen für die Bürger transparent macht. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die Förderung der Bürgerbeteiligung gelegt. Das Dialogmodell der Gemeinwesenarbeit (vgl. Joanni/Lehmann 2006) sieht vor, dass die Stadt die Voraussetzungen für eine verstärkte Einbeziehung der Bewohner eines Stadtteils in das Gemeinwesen schafft. Dadurch wird in Ulm bereits seit längerer Zeit die Partizipation der Bevölkerung an Entscheidungen der Stadt gefördert. Bürger werden als Partner der Politik und Verwaltung gesehen. Diese Entwicklung wird mit der Bildungsoffensive weiterverfolgt. Die Arbeitskreise setzen sich nicht nur aus der Verwaltung, sondern auch aus Personen der beteiligten Gruppen und Institutionen zusammen. Diese neue Kommunikationskultur wird von einem Gesprächspartner folgendermaßen pointiert: „[…] dass wir nicht nur Einzelplayer sind, sondern Teamplayer. Nur so gemeinsam, also das [ist] auch einfach die Überlegung, immer die Überlegung, welche Partner brauche ich, um dieses Ziel letztendlich zu erreichen.“ (ExpI III, Z. 203-207)

7.3 Strukturelle Konsequenzen der Bildungsoffensive Ulm

129

7.3.2 Aufbau neuer Kommunikationsstrukturen im Verwaltungsbereich Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer neuen Kooperationskultur scheint eine neue Kultur der Kommunikation zu sein. Dies betrifft nicht nur den Einbezug der am Bildungsprozess Beteiligten, sondern ebenso ein neues Verständnis der Aufgaben und Arbeitsweisen der kommunalen Verwaltung. In Ulm wurden Zuständigkeiten zwischen der Schulverwaltung und dem Jugendamt neu geordnet. Dadurch entstand ein neuer Fachbereich, der nun alle am Bildungsprozess beteiligten Fachbereiche miteinander verbindet. Damit wurden überholte Aufteilungen und Abschottungen überwunden und neue Formen der ämter- und disziplinübergreifenden Kooperation eröffnet. Zugleich werden bei Schnittstellen auf der Ebene der Gremien und Ausschüsse ebenfalls zeitlich begrenzte Kooperationen eingegangen. Ein Gesprächspartner formuliert die neue Arbeitsweise wie folgt: „[…] deswegen haben wir gesagt: wenn wir gerade diese Schnittstellen haben, ich sag’ gleich nachher ein aktuelles Beispiel, dann ist es wichtig, dass sowohl in der Verwaltung, zeitlich befristet für ein Projekt, eine Kooperation gemacht wird, sonst muss jeder natürlich seine Geschäfte machen und deswegen machen wir auch bei solchen Schnittthemen natürlich gemeinsame Sitzungen des parlamentarischen Gremiums.“ (ExpI IV, Z. 764-771)

Die mit der Bildungsoffensive einhergehenden Veränderungen und festgelegten bildungspolitischen Leitlinien machen es somit erforderlich, dass Akteure in unterschiedlichen Institutionen auf mehreren Ebenen miteinander zusammenarbeiten. Eine entscheidende Bedeutung kommt dabei auch der Einbindung und Zusammenarbeit mit der staatlichen Schulverwaltung zu. Durch die Verwaltungsstrukturreform des Landes Baden-Württemberg wurden die Staatlichen Schulämter den Städten angegliedert. Dieser Standortvorteil ermöglichte es der Stadt Ulm stärker mit dem Staatlichen Schulamt zusammenzuarbeiten. Gerade vor dem Hintergrund der beschränkten Zuständigkeiten der Städte ist die Stadt auf eine gute Zusammenarbeit mit der Staatlichen Schulverwaltung angewiesen, die sie in ihren Bemühungen unterstützt. Ein Gesprächspartner formuliert die Veränderungen: „Und ein Teilaspekt war dann auch die Verwaltungsstrukturreform des Landes Baden-Württemberg, wo wir als Stadt und die Städte gemeinsam darum gekämpft haben, dass auch wir die staatliche Schulverwaltung mit angegliedert bekamen. Und es hat sich gezeigt, dass das eine sehr wertvolle, fruchtbare Kooperation ist und vieles, was […] bisher nebenher lief, läuft jetzt gemeinsam. Man verabredet sich gemeinsam, einfach aufgrund der kurzen Wege.“ (Exp III, Z. 157-164)

130

7 Bildungsoffensive Ulm

Die Angliederung der Staatlichen Schulämter wurde zwischenzeitlich vom Land Baden-Württemberg wieder zurückgenommen. Sie werden nun den Landkreisen zugeordnet. Dies wird nach Einschätzung der Interviewten die Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Schulamt erschweren, ebenso wie die Umsetzung von Maßnahmen: „[…] das bedauern wir natürlich umso mehr, dass jetzt das staatliche Schulamt hier auszieht. Wir haben täglich Gespräche mit der staatlichen Schulverwaltung über aktuelle Probleme, wo wir uns einfach informieren, […] wo wir auch ganz kurzfristig zusammensitzen, auch mit anderen Fachabteilungen, […] wirklich aktuell und so flexibel wie möglich auf die Veränderungen […] reagieren zu können. Das geht natürlich ein Stück weit verloren. Das muss man ganz klar sehen. Wenn jetzt das staatliche Schulamt nach Biberach geht, ist einfach durch die räumliche Trennung dieser schnelle Gedankenaustausch, und zwar aus pädagogischer Sicht, staatliche Schulverwaltung, und aus Schulträgersicht, unsere Abteilung […] und andere Abteilungen, so leider nicht möglich.“ (Exp V, Z. 414-425)

7.3.3 Ausweitung des kommunalen Aufgabenverständnisses Der Verantwortungsbereich der Stadt für den Schulbereich ist geprägt durch die Trennung der Zuständigkeiten in innere und äußere Schulangelegenheiten. In Ulm besteht jedoch innerhalb der Politik Konsens über den Anspruch, mit den Möglichkeiten einer Kommune neue Formen und Wege für die Bildung der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in der Stadt zu gehen. Dieser Konsens führt zu Veränderungen des kommunalen Rollenverständnisses im Hinblick auf die Wahrnehmung der Schulträgeraufgaben. So gehen die Bemühungen der Stadt teils weit über die Grenzen der kommunalen Zuständigkeiten im Bereich der äußeren Schulangelegenheiten hinaus. Die Stadt bemüht sich nicht nur um Sachaufwandträgerschaft, sondern zeigt Bestrebungen eine aktiv-gestaltende Rolle in der Schulentwicklung einzunehmen. Die kommunale Schulverwaltung wird als Dienstleister für die zunehmend selbständiger handelnden Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen vor Ort verstanden. Das veränderte Verständnis wird insbesondere an folgenden zwei Zitaten deutlich: „Wir mischen uns immer mehr ein. […] Das war jetzt sage ich mal vor 15 Jahren nicht der Fall.“ (Exp V, Z. 432-439) „[…] und sagen, was können wir tun, was können wir als Schulträger tun. Von der Sachausstattung angefangen bis hin zum, ja, nicht-lehrenden Personal. Was kann die staatliche Schulverwaltung tun, damit all das so funktioniert, wie es eigentlich funktionieren soll.“ (Exp V, Z. 475-478)

7.3 Strukturelle Konsequenzen der Bildungsoffensive Ulm

131

Die traditionelle Unterscheidung in innere und äußere Schulangelegenheiten wird bereits in den ersten bildungspolitischen Leitlinien zur Bildungsoffensive im Jahr 2000 als ungeeignet beschrieben, um den sich verändernden Anforderungen an Schulen zu begegnen (vgl. GD 289/00, Anlage 1, Seite 1 ff.). Die Stadt Ulm sieht den Aufbau eines bildungspolitischen Gesamtkonzeptes für ihre Stadt durch die Trennung der Zuständigkeitsbereiche erschwert, weil sie grundsätzlich kaum Einflussmöglichkeiten auf die konkrete Gestaltung und die Qualität der Bildungsprozesse in den Schulen und den Umgang mit den in erster Linie personellen Ressourcen haben. Daher bilden konkrete Projekte der Förderung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen im Vorschul- und Schulalter sowie die Ausbildung eines umfassenden kommunalen Unterstützungssystems im kommunalen Umfeld und innerhalb der kommunalen Schulverwaltung eine zweite Säule des neuen Aufgabenverständnisses. Der Schwerpunkt der kommunalen Bildungspolitik in Ulm liegt somit auch bei nicht-monetären Leistungen durch Realtransfers. Die Stadt versucht durch die Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen auf das Schul- und Lebensumfeld der Familien, Kinder und Jugendlichen einzuwirken.

7.3.4 Kommunale Profilbildung: Das Ulmer Modell Die Bildungsoffensive ist als kontinuierlicher Prozess zu verstehen, der einer ständigen Reflexion, Anpassung und Abstimmung an aktuelle Entwicklungen bedarf. Sie orientiert sich in ihrem Verlauf an unterschiedlichen Aspekten (z.B. Studien, Ergebnisse des Städtetages) und greift aktuelle Thematiken auf. Diese werden zur Formulierung der Zielsetzungen, zur Überprüfung der eingeschlagenen Richtungen und zum Ziehen von Konsequenzen aus den Ergebnissen für die Bildungsoffensive genutzt. Diese Entwicklungslinien, die von außen immer wieder „rübergeschwappt“ (ExpI IV, Z. 239) sind, bilden somit die Entwicklungslinien, die die Bildungsoffensive „[…] von außen her immer wider sozusagen in ein neues Schwungrad hinein übersetzt“ (ExpI IV, Z. 279-280). Diese Entwicklungslinien wurden jedoch im Rahmen der Bildungsoffensive nicht einfach übernommen. Vielmehr versucht man aus den eingehenden Bildungsimpulsen, eigene Rahmenkonzepte und Maßnahmen zu entwickeln, die selbst wieder zu Bildungsimpulsen innerhalb der bildungspolitischen Landesdiskussion werden: „So ist aus der kommunalpolitischen Schwerpunktsetzung auch eine inhaltliche Diskussion geführt worden, dass wir, zusammengefasst als Stadt, uns nicht nur konzentrieren dürfen auf unseren Verantwortungsbereich; das heißt wir müssen Schulgebäude hinstellen, wir müssen Hausmeister stellen, wir müssen Schulsekretariate

132

7 Bildungsoffensive Ulm stellen. Das ist ja sozusagen die klassische Arbeitsteilung, das macht die Kommune und der Rest macht das Land, sondern wir haben gesagt, wir wollen auch Bildungsimpulse setzen, durchaus auch für die Landesdiskussion, aber natürlich auch vor allem natürlich für die Kinder und die an dem Schulleben Beteiligten und aus diesen Überlegungen heraus, gefüttert auch durch Vorträge und Einschätzungen bei dieser Klausurtagung als wir die Bildungsoffensive gestartet haben, haben wir daraus ein Paket geschnürt, dass wir dann Bildungsoffensive Ulm benannt haben.“ (ExpI IV, Z. 70-83)

So wurde das in Ulm entwickelte Modellprojekt „Bildungshaus 3-10“ vom Land Baden-Württemberg aufgegriffen und nun auch in anderen Standorten durchgeführt. Zum anderen versucht die Stadt Ulm eingehende nebeneinander stehende Projekte zu umfassenden Konzepten zu verbinden, um daraus ein Ulmer Modell zu schnüren: „Natürlich sind Ereignisse, Ergebnisse, Auswertungen von anderen mit eingeflossen, aber wir haben immer versucht daraus, das ist eine alte Marotte hier – im Zweifelsfall machen wir immer ein Ulmer Modell.“ (ExpI IV, Z. 285-286) Deutlich wird dies z.B. am Modellprojekt „Bildung, Betreuung und Erziehung am Eselsberg“, das drei Modellprojekte bzw. Maßnahmen miteinander vereint. Ziel dieses Projektes ist es, über die Vernetzung der einzelnen Bildungseinrichtungen und außerschulischen Institutionen vor Ort, den Lebensraum der Kinder und Jugendlichen über den sozialen Mittelpunkt Schule zu erweitern (GD 332/05).

7.3.5 Kommunaler Bildungsbericht als Steuerungselement Im Jahr 2006 wurde dem Gemeinderat erstmals ein durch die Verwaltung erstellter Bildungsbericht vorgelegt. Dieser Bildungsbericht ist Teil des veränderten Berichtwesens, welches stärker ergebnis- und kennzahlenorientiert aufgebaut ist. Er enthält Kennzahlen für die einzelnen Betreuungsangebote, Schulformen und Fördermaßnahmen. Die Kennzahlen geben für die betrachteten einzelnen Bereiche einen Überblick zur gegenwärtigen Lage, z.B. im Hinblick auf die Teilnahmequoten an Ganztagsschulen oder die Übergangsquoten von den Grundschulen zu den weiterführenden Schulen. Sie sind in einer interkommunalen Arbeitsgruppe erarbeitet worden und dienen der Darstellung der Zielsetzungen, des Sachstandes und der weiteren Maßnahmen in den verschiedenen Bildungsbereichen. Die Zielwerte weisen dabei wünschenswerte Entwicklungen aus, die kurzbis mittelfristig durch die Maßnahmen der Bildungsoffensive erreicht werden sollen. Dem Bildungsbericht der Stadt Ulm kommt somit die Aufgabe eines Bildungsmonitorings und Steuerungsinstrumentes zu, mit dem die Betreuungsund Bildungseinrichtungen der Stadt strategisch und planungsorientiert ausge-

7.4 Hindernisse kommunaler Einflussnahme im Bildungsbereich

133

richtet werden sollen. Die Ergebnisse des Berichts werden im Gemeinderat und in den Ausschüssen diskutiert. Dem Bericht kommt damit zugleich eine Informations- und Legitimationsfunktion in Bezug auf beschlossene und darüber hinaus notwendige Maßnahmen zu.

7.4 Hindernisse kommunaler Einflussnahme im Bildungsbereich Aus den vorausgegangenen Ergebnissen wird deutlich, dass sich das Handeln der Stadt Ulm am Prinzip der „erweiterten Schulträgerschaft“ orientiert. Die Stadt versucht über die Veränderung von Zuständigkeitsstrukturen und die Einführung verschiedener Maßnahmen die Arbeit bzw. Entwicklung der Bildungseinrichtungen zu beeinflussen. Aus den Aussagen der Experten in den Experteninterviews geht jedoch hervor, dass an unterschiedlichen Stellen Hindernisse auftauchen, die eine kommunale Einflussnahme im Bildungsbereich erschweren. Dies betrifft einerseits die traditionelle Aufteilung in innere und äußere Schulangelegenheiten. Gleichzeitig stellt jedoch auch das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis von kommunaler Verwaltung und Bildungseinrichtungen ein Hemmnisfaktor dar. Beide bilden die „Übersetzer“ der Maßnahmen im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm (vgl. etwa Exp. IV, Z. 569-584). In der Zusammenarbeit zwischen kommunaler Verwaltung und Schule kommt es zu Problemen hinsichtlich des Einbezugs aller Betroffenen. Die Stadt versucht durch Informationsveranstaltungen alle Beteiligten gleichermaßen an der Umsetzung der Ideen und Projekte teilhaben zu lassen. Jedoch besteht auf Seiten der Eltern teils geringes Interesse an Veränderungen. Hierbei spielt nach Aussagen des Experten der Bildungshintergrund der Eltern eine entscheidende Rolle. „Wir haben jetzt erst vor acht Tagen Elterninformationsgespräche über eine Schulbezirksänderung gehabt, da sind dann gerade mal von den Elternbeiräten nicht einmal ein Drittel gekommen. […] sie wussten, um was es geht. Und trotzdem ist das Interesse verhalten bis eher null. […] Vor allem, sage ich jetzt einmal, in den Stadtteilen wo man eher Brennpunktschulen haben und die jetzt eher, ja, niederschwellig fahren. Anders ist es bei den Gymnasien, da stellen wir fest, dass viel höheres, größeres Interesse da ist, das dann schon bei den Realschulen abflacht und dann bei den Hauptschulen und Förderschulen gänzlich gegen Null geht. Das bedauern wir natürlich, aber wir können es nicht mehr wie anbieten und, wie gesagt, hier Überzeugungsarbeit letztlich leisten. (Exp V, Z. 127-137)

Das mangelnde Interesse der Eltern an den Maßnahmen der Bildungsoffensive Ulm wird aber auch am konkreten Beispiel der Bildungsmesse Ulm deutlich:

134

7 Bildungsoffensive Ulm „Diese Erfahrung haben wir auch schon in anderer Hinsicht gemacht, bis zuletzt auf die Bildungsmesse, wo wir jetzt bei der 4. Bildungsmesse langsam so angekommen sind nach acht Jahren, wo wir die Eltern wirklich immer mehr versuchen ins Boot mit hinein zu bekommen, um die Wichtigkeit dieser Messe, dieser Veranstaltung insgesamt überhaupt hier nahe zu bringen.“ (Exp V, Z. 139-144)

Ein weiterer Problempunkt auf Verwaltungs- und Schulebene ist der Zeit- und Personalfaktor. So benötigt die Umsetzung der Projekte und Initiierung der Kooperationen Zeit sowie verfügbare personelle Ressourcen. Von Seiten der Politik wird dieser Zeit- und Personalfaktor jedoch teils nicht wahrgenommen, so dass es zu Wahrnehmungsdiskrepanzen zwischen der vorgegebenen Zielsetzung und der tatsächlichen Umsetzung kommt. „Die Schwierigkeit ist es manchmal von der Politik heraus, weil die Politik meint, naja, da haben wir jetzt ganz aktuell so ein Beispiel „Kooperation Hauptschule – Realschule. Da meint die Politik ganz pauschal, wir haben genügend Hauptschulen und Realschulen, da muss es so eine Kooperation geben. Die Praxis sieht aber anders aus. Und das geht nicht von jetzt auf nachher, von heute auf morgen, sondern das sind wirklich intensive Abstimmungsprozesse […].“ (Exp V, Z. 594-600)

Zudem wird deutlich, dass die alltägliche Arbeit der Beteiligten bereits einen Großteil der Arbeitszeit einnimmt. Die Initiierung weiterer Gesprächsrunden und Projektideen, wie im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm veranlasst (vgl. Kap. 7.3), bedarf jedoch zusätzlichen Engagements. Dies trifft sowohl auf die Verwaltung als auch auf die Schulleitungen und das pädagogische Personal zu. „Aber uns fehlt schlicht und ergreifend Zeit und dadurch men oder women power. Also uns fehlt das Personal. Man kann natürlich vieles. Man könnte täglich Gesprächsrunden machen und aus den meisten Gesprächsrunden könnte man irgendwelche neuen Ideen, ja Impulse, schaffen. Nur allein die Tagesarbeit frisst einen halt auch auf. Das ist so der Kritik und der Knackpunkt letztendlich, wobei das natürlich müßig und schwierig ist zu sagen, wo ist dieser break even point? Wie viel Personal bräuchte ich tatsächlich, um all diese Ideen diese Kooperationen, um das tatsächlich anzupacken.“ (Exp V, Z. 556-563)

Ein weiteres Hindernis der kommunalen Einflussnahme auf den Bildungsbereich stellt die veränderte Zuordnung des Staatlichen Schulamtes dar. Die Verlagerung des Standortes erschwert eine gezielte und schnelle Zusammenarbeit (vgl. Kap. 7.2.3).

7.5 Zusammenfassung

135

7.5 Zusammenfassung Ulm ist eine kleine Großstadt, die sich durch ausgesprochen positive Zahlen der Bevölkerungsentwicklung auszeichnet. Jedoch werden auch hier Folgen des demografischen Wandels sichtbar. Im Stadtvergleich weist Ulm eine niedrige soziale Belastung auf, obgleich bestimmte Stadtteile im stärkeren Maß von sozialen Belastungen betroffen sind als andere. Um den Folgen des demografischen Wandels und den Problemlagen in den einzelnen Sozialräumen zu begegnen, sind in Ulm bereits zahlreiche Projekte und Maßnahmen umgesetzt worden (u.a. Innovationsoffensive, Familienoffensive). Auch der Bildungsbereich bildet hierbei einen zentralen Anknüpfungspunkt. In der Stadt Ulm wurde die Bedeutung des kommunalen und lokalen Raums für Bildungsprozesse bereits frühzeitig erkannt und im Rahmen der Bildungsoffensive aufgegriffen. Kommunale Bildungspolitik wird in Ulm als Teil von Stadtentwicklung verstanden und gestaltet. Auf der Grundlage eines kommunalen Gesamtkonzeptes der Bildung, Betreuung und Erziehung vereint, wurden Leitlinien und Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt, die auf eine Verbesserung der Bildungsinfrastruktur abzielen. Eine Besonderheit der Bildungsoffensive stellt der ganzheitliche Ansatz für die städtische Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur dar, der den Einbezug aller am Bildungsprozess Beteiligten als Grundbedingung für das Gelingen einer kommunalen Bildungslandschaft ansieht. Daher zielen viele Maßnahmen und Projekte auf eine veränderte Kommunikationskultur und auf eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Institutionen und Bereiche ab. Hierbei wurden nicht nur Landes- und Bundesprojekte umgesetzt, sondern eigene Modellprojekte im Sinne von Bildungsimpulsen erarbeitet. Zudem werden auch bauliche Aspekte und die Ausstattung der einzelnen Einrichtungen in die Planung miteinbezogen. Darüber hinaus hat die Bildungsoffensive der Stadt Ulm auch eine sozialräumliche Komponente. Die Verbesserung von Infrastrukturen in benachteiligten Stadtteilen hat besondere Priorität. Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Jugendhilfe und Sozialplanung soll verbessert werden. Jedoch weisen die Aussagen der Experten darauf hin, dass die Umsetzung der Projekte und Maßnahmen von unterschiedlichen Faktoren abhängig ist, die die kommunale Einflussnahme im Bildungsbereich teils behindern.

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Um den gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen, hat die Stadt Ulm ein breit gefächertes Angebot an Bildung und Qualifikation entwickelt. Im Schulbereich geht es dabei vor allem um eine optimale Ausschöpfung der Bildungspotentiale. Dies soll insbesondere über den Ausbau von Ganztagsschulen erfolgen. Die Ganztagsschulen sowie deren Entwicklungen im Rahmen der Bildungsoffensive stehen im Zentrum dieses Kapitels. Zunächst wird die Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der kommunalen Verwaltung beschrieben. Darauf aufbauend wird der gegenwärtige Ausbau- und Entwicklungstand anhand der Aussagen der Einzelschulen bestimmt. Abschließend sollen kommunale Einflussfaktoren des Ausbaustands und der Zielerreichung ermittelt werden.

8.1 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der kommunalen Verwaltung Bis 2006 konzentrierte sich das Ganztagsschulprogramm der Stadt Ulm in erster Linie auf Hauptschulen bzw. sogenannte Brennpunktschulen mit unterschiedlichen Angeboten am Nachmittag. Grund hierfür war die Vorgabe des Landes Baden-Württemberg lediglich soziale Brennpunktschulen in Ganztagsschulen umzuwandeln (vgl. Kap. 4.2.3). Daraufhin wurden in Ulm alle Hauptschulen zu Brennpunktschulen erklärt. Dieser einseitige Ausbau von Ganztagsschulen spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Durch Beschluss der Neukonzeption „Bedarfsorientierter Ausbau und Weiterentwicklung der Ganztagsschulen in BadenWürttemberg“ am 20.02.2006 veränderte sich auch die Zielsetzung der Kommune. Im Sinne der Schaffung eines flächendeckenden und bedarfsorientierten Netzes von Ganztagsschulen soll jedem Kind bzw. Jugendlichen der Besuch einer Ganztagsschule ermöglicht werden (vgl. GD02/08, S. 54ff.).

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

138

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

8.1.1 Ausbaustand zum Schuljahr 2007/08 Zum Schuljahr 2007/08 bestanden in Ulm 16 Ganztagsschulen (vgl. Tab. 6). Dies sind 36% aller öffentlichen allgemein bildenden Schulen der Stadt. Im Grundschulbereich werden sechs Schulen als Ganztagsschulen geführt (24% der öffentlichen Grundschulen). Drei dieser Schulen bieten seit dem Schuljahr 2002/03 im Rahmen der flexiblen Nachmittagsbetreuung an verlässlichen Grundschulen eine ganztägige Betreuung der Grundschüler bis 16 Uhr an. Die flexible Nachmittagsbetreuung stellt eine Erweiterung des Betreuungsangebots der verlässlichen Grundschule auf den Nachmittag dar und kann somit als Ausweitung der offenen Ganztagsschule auf den Grundschulbereich verstanden werden. Drei weitere Grundschulen laufen bereits als Ganztagsgrundschulen. Insgesamt verfügen fünf der Grundschulen über ein offenes Ganztagsangebot und eine Grundschule ist als teilgebundene Ganztagsbetreuung eingerichtet. Am Ganztagsangebot im Grundschulbereich nahmen im Schuljahr 2007/08 rund 8% aller Grundschüler teil. Tabelle 6: Anzahl der Ganztagsschulen an öffentlichen allgemein bildenden Schulen der Stadt Ulm zum Schuljahr 2007/08 Organisationsformen Teilnahteilgevoll mequoten offen bunden gebunden

Schularten

Schulen

Ganztagsschulen

Grundschulen

25

6

5

1

0

8,5

Hauptschulen

10

7

0

5

2

57,5

Realschulen

4

2

1

0

1

26,8

Gymnasien

6

1

1

0

0

6,4

Quelle: GD 02/08; eigene Darstellung

Im Bereich der Sekundarstufe bestanden vier Ganztagsschulen bereits vor 2000. Das entspricht einem Anteil von rund 20% an allen öffentlichen Sekundarschulen. Dabei handelt es sich um zwei Ganztagshauptschulen und um jeweils eine Ganztagsrealschule und -gymnasium. Zum Beginn des Schuljahres 2002/03 sind fünf weitere Ganztagsschulen im Bereich der Hauptschulen eingeführt worden. Die neu entstandenen Ganztagsschulen wurden zunächst in offener Form geführt. Mittlerweile sind jedoch alle Ganztagshauptschulen in teilgebundene und gebundene Ganztagsschulen umgewandelt worden. Im Schuljahr 2007/08 ist zudem eine Ganztagsrealschule hinzugekommen. Bislang sind somit 50% der

8.1 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der kommunalen Verwaltung

139

öffentlichen Sekundarschulen in Ganztagsschulen umgewandelt worden. An der Ganztagsbetreuung der Hauptschulen nahmen im Schuljahr 2007/08 fast 60% der Schüler teil. An den Realschulen waren es im gleichen Schuljahr 27% und am Gymnasium 6% der Schüler. Ein Ziel der Stadt Ulm ist es, ein bedarfsorientiertes Netz von Ganztagsschulen aufzubauen. Hierfür soll in den nächsten Jahren pro Sozialraum und Schulart je eine Ganztagsschule ausgebaut werden. In Ulm bestehen fünf Sozialräume: Stadtmitte/Oststadt, Böfingen, Weststadt, Eselsberg und Wiblingen. Zum Erhebungszeitpunkt war in jedem der fünf Sozialräume mindestens eine Grundschule und eine Hauptschule mit Ganztagsangebot vorhanden (vgl. Abb. 3). Ganztagsrealschulen und -gymnasien finden sich hingegen nur in einem Sozialraum. Abbildung 3:

Verteilung der Ganztagsschulen über die Sozialräume im Schuljahr 2007/08 Sozialraum Böfingen ƒ eine Ganztagsgrundschule ƒ eine Ganztagshauptschule

Sozialraum Eselsberg ƒ eine Ganztagsgrundschule ƒ eine Ganztagshauptschule

Sozialraum Mitte/Ost ƒ zwei Ganztagsgrundschulen ƒ zwei Ganztagshauptschulen

Sozialraum Wiblingen ƒ eine Ganztagsgrundschule ƒ eine Ganztagshauptschule Sozialraum West ƒ eine Ganztagsgrundschule ƒ zwei Ganztagshauptschulen ƒ zwei Ganztagsrealschulen ƒ ein Ganztagsgymnasium

Quelle: Internetseite der Stadt Ulm; eigene Veränderungen

140

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

8.1.2 Qualitativer Ausbau Neben dem quantitativen Ausbau von Ganztagsschulen verfolgt die Stadt Ulm auch eine qualitative Verbesserung im Zusammenhang mit dem zeitlichen Ausbau des Betreuungsrahmens. Beim Ganztagsschulausbau sind zum einen alle oben genannten Leitziele angesprochen (vgl. Kap. 7.2.3). Darüber hinaus verfolgt die Stadt in diesem Bereich folgende Zielsetzungen (GD 02/07, S. 46ff.; GD 02/08, S. 54ff.): ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

verstärkte individuelle Förderung leistungsschwacher und benachteiligter Schüler; Vereinbarkeit von Familie und Beruf; verstärkte Öffnung der Ganztagsschulen für außerschulische Institutionen, insbesondere außerschulische Jugendbildung und Jugendarbeit; Stärkung der gemeinsamen Arbeit aller Verantwortung tragender Personen für Kinder und Jugendliche und engagierter Bürger (mit Hilfe des Jugendbegleiterprogramms); Steigerung der Attraktivität der Betreuungsangebote über Betreuungsmaßnahmen der Schulsozialarbeiter und Jugendberufshelfer insbesondere für Schüler mit Schulschwierigkeiten und erzieherischem Bedarf.

Um diese Ziele zu erreichen, finden beim Ganztagsschulausbau bzw. bei der Auswahl der Schulen unterschiedliche Kriterien Berücksichtigung. Von Bedeutung sind insbesondere der Anteil der auswärtigen Schüler an den Schulen sowie der Anteil der Kinder und Jugendlichen aus bildungsfernen Familien. Auch bei der Umsetzung höherschwelliger Projekte in den Schulen steht nicht die Bewerbung der Schule im Vordergrund. Vielmehr wird anhand der Zielsetzungen und der Bedarfsgruppe ermittelt, welche Sozialräume und welche Schulen am stärksten vom jeweiligen Projekt profitieren würden. „Wir überlassen in den seltensten Fällen diese Projekte dem Zufall. Sondern wir kennen die Schulen, wir kennen die Sozialräume“. (Exp V, Z. 326-327)

Dabei spielt auch die Anzahl der Maßnahmen bzw. Projekte eine Rolle, die bereits vor Ort an den jeweiligen Schulen verankert sind. Ziel dieses Vorgehens ist es, eine mögliche Gleichverteilung zu bewirken, um einseitige Ausstattungen von Schulen und damit Förderung von Kindern und Jugendlichen zu vermeiden. „Also wir haben, so nach dem Motto die haben schon vier, die brauchen nicht noch ein fünftes, die sind gut versorgt. […] Und wenn ich weiß, ich habe eine Schule, die hat vielleicht nur einen von denen vier oder gar keinen, dann kann ich sagen ok,

8.1 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der kommunalen Verwaltung

141

dann wäre es dort aber nötig. Also bevor ich die, die bereits best- oder sehr gut ausgestatteten Schule nochmals zusätzlich bedenke, […]. Dann gehen wir lieber in die Schule rein, die bislang nichts oder nur wenig hat […]. Das ist natürlich schon auch immer ein großes Kriterium.“ (Exp V, Z. 365-375)

Damit hat die Stadt nicht nur die Förderung leistungsstarker Kinder und Jugendlicher im Blick, sondern ebenso der Kinder und Jugendlichen, die einer gezielten Förderung bedürfen. Daher sollen alle Schulen gleichermaßen von den Kontakten und Kooperationsmöglichkeiten der Stadt profitieren. „Sondern dass wir auch was finden für Förderschulen, für Hauptschulen, oder überhaupt für Kinder, die aus bildungsfernen Familien letztlich kommen, […].“ (Exp V, Z. 244-246)

Die Umsetzung niederschwelliger Projekte baut hingegen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und des Engagements der einzelnen Schulen auf. „Wenn es sich um ein niederschwelliges Projekt handelt, beispielsweise eine Firma […] sucht einen Kooperationspartner, also eine Schule als Kooperationspartner. Das geben wir dann tatsächlich erst einmal raus und sagen, wer hat Interesse? Da gehe ich jetzt nicht her und sage zu der und der Schule. Ich lasse mir das dann dort schon vorlegen und sage, wer hat bis jetzt noch keinen Kooperationspartner. Aber ich frage da erst einmal. Das ist mal im Prinzip Freiwilligkeit bei so einem Projekt. Also das muss man immer nach der Wertigkeit des Projektes letztendlich auch sehen.“ (Exp V, Z. 341-348)

Zudem wird von Seiten der Stadt darauf geachtet, dass die Projekte nicht nur kurz-, sondern langfristig umgesetzt werden. Auf diese Weise soll die Nachhaltigkeit der Projektinhalte gefördert werden. „Und zwar jetzt nicht nur als Eintagsfliege, sondern wirklich nachhaltig. Das man sagt, mindestens ein halbes Jahr kauft sich sozusagen die Schule über das Budget in diese Kooperation ein, um dann die Möglichkeit zu haben, zu verlängern oder dann wieder das Angebot im Sinne der Vielfältigkeit zu wechseln, zu ändern.“ (Exp V, Z. 177-180)

Damit wird deutlich, dass die Initiative zum Ganztagsschulausbau und der Umsetzung von Projekten in den seltensten Fällen von den Schulen ausgeht, sondern zumeist von der Stadt. Dabei stößt die Stadt auf viele Hindernisse, die ihre Arbeit erschweren (vgl. auch Kap. 7.4). Hierzu gehören u.a. die Überzeugung der Eltern und Schüler am Ganztagsangebot teilzunehmen und die geringe Ausstattung der „Neuerlass-Ganztagsschulen“ mit zusätzlichen Deputatsstunden. Um

142

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

diesen Problemen entgegen zu wirken, organisiert die städtische Schulverwaltung Informationsgespräche für Eltern und Beteiligte. Zudem nehmen die Zuständigen im Bereich der Verwaltung regelmäßig an den Schulleiterdienstbesprechungen teil, um über den Ausbau und die Entwicklung in den Schulen informiert zu werden und zugleich über neue Projekte und Kooperationspartner zu informieren. „[…] regelmäßig bin ich eingeladen bei den Schulleiterdienstbesprechungen. Ich mache regelmäßige Besprechungen mit den geschäftsführenden Schulleitungen und zwar quer durch alle Schularten hindurch. Und da informieren wir regelmäßig über Kooperationsmöglichkeiten in der Stadt und zwar kulturell, sportlich in vielfältiger Weise.“ (Exp V, Z. 154-158)

Darüber hinaus unterstützt die Stadt die Schulen auch finanziell bei der Umsetzung des Ganztagstags und bei Projekten. „Wir unterstützen das auch finanziell […]. Sie werden auch immer wieder darüber informiert und eingeladen es zu tun und die tun das dann nachher auch. […] Zum Beispiel […] jede Schule ist eingeladen, das unterstützen wir auch finanziell, da eine Theatervorstellung pro Schuljahr zu besuchen. Damit eben auch bildungsferne Kinder mal die Möglichkeit haben eine solche Kultureinrichtung zu besuchen.“ (Exp V, Z. 160-168)

Aus den Aussagen des Experten geht hervor, dass die Stadt von Beginn der Bildungsoffensive an versucht, aktiv an der Umgestaltung und Schulentwicklung der Ganztagsschulen mitzuwirken. Inwieweit sich diese Einflüsse im tatsächlichen Ausbaustand der Ganztagsschulen widerspiegeln, ist Bestandteil des nächsten Kapitels.

8.1.3 Zusammenfassung Im Verlauf der Bildungsoffensive Ulm sind insbesondere im Hauptschulbereich nahezu alle Hauptschulen zu Ganztagsschulen ausgebaut worden. In den letzten Jahren konzentrierte sich der Ausbau auch auf Grundschulen, Realschulen und Gymnasien. Ziel der Stadt Ulm ist es, in den nächsten Jahren pro Sozialraum und Schulart je eine Ganztagsschule auszubauen. Dies wurde bislang lediglich in einem Sozialraum erreicht. Insgesamt bestanden zum Zeitpunkt der Befragung 16 Ganztagsschulen in Ulm. Um einen bedarfsgerechten Ausbau zu gewährleisten, wendet die kommunale Verwaltung unterschiedliche Kriterien für die Auswahl der Schulen an.

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

143

Neben dem Auswärtigenanteil und dem Anteil von Kindern aus sozialschwachen Familien kommen auch Aspekte zum Tragen, die eine mögliche Gleichverteilung der Angebote und Maßnahmen auf die Schulen bewirken sollen. Damit soll eine einseitige Ausstattung von Schulen und Förderung von Kindern und Jugendlichen vermieden werden.

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen Die im Folgenden wiedergegebenen Ergebnisse beziehen sich auf eine Datengrundlage von 10 Ganztagsschulen, 15 Halbtagsschulen und den darin befragten Personengruppen. Sie können häufiger auftretende Erscheinungen und Entwicklungen beschreiben, empirisch aber teils nicht belastet werden. Die Daten leisten vor allem eine Bestandsaufnahme von Formen, Verfahren und Angeboten, wie sie an den Ganztagsschulen in Ulm zu beobachten sind. Ziel dieses Ergebnisteils ist eine breite Bestandsaufnahme der strukturellen, organisatorischen und ressourcenbezogenen Kontextbedingungen, auf deren Grundlage die pädagogischkonzeptionelle Arbeit in den Ganztagsschulen der Stadt Ulm stattfindet und sich qualitative Unterschiede zwischen den Ganztagsschulen ergeben können. Damit soll es möglich werden, die von der Stadt verfolgten Zielsetzungen mit dem gegenwärtigen Ausbaustand zu vergleichen. Abschließend wird die Ganztagsteilnahme unter der Berücksichtigung verschiedener Bedingungsfaktoren näher untersucht. Um Redundanzen in den Ergebnissen zu vermeiden, werden die Ganztagsschulen als Ganzes aufgeführt. Lediglich an den Stellen, an denen sich deutliche Unterschiede zwischen Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen zeigen bzw. wo eine gesonderte Darstellung der Ergebnisse nach Schulformen sinnvoll erscheint, wird diese auch vorgenommen. Eine zusätzliche Unterscheidung nach Organisationsformen von Ganztagsschulen erfolgt nicht, da es im Rahmen der Untersuchung nicht darum geht, Unterschiede zwischen verschiedenen Organisationsformen aufzudecken, sondern das Ausbauniveau der Ganztagsschulen in Ulm zu beschreiben. Zudem ist Tabelle 6 zu entnehmen, dass in der Primarstufe nahezu alle Ganztagsgrundschulen als offene und nahezu alle Ganztagssekundarschulen als teil- und voll gebundene Ganztagsschulen geführt werden. Die Unterscheidung nach Schulformen bildet demnach zugleich eine Unterscheidung nach Organisationsformen ab.

144

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

8.2.1 Gebäude- und Raumsituation Damit in Ganztagsschulen die unter Punkt 8.1.2 herausgearbeiteten Ziele realisiert werden können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Hierzu gehört eine angemessene Gebäude- und Raumsituation. Durch die Erweiterung der Betreuungszeiten und Angebotsstrukturen erhöht sich der Bedarf an Räumlichkeiten. Ganztagsschulen benötigen u.a. Küchen und Mensen für die Verpflegung, Begegnungs-, Rückzugs- und Sozialerfahrungsbereiche sowie Bewegungsund Medienräume (vgl. Appel 2007). Daher wurden die Schulleitungen nach der Raumausstattung an ihren Schulen gefragt. Tabelle 7 kann entnommen werden, wie viele Ganztagsschulen über entsprechende Räumlichkeiten verfügen. Die Tabelle enthält nur Räume, die eine spezielle Bedeutung für die Gestaltung des Ganztags haben. Tabelle 7: Ausstattung der Ganztagsschulen mit spezifischen Räumen (Anzahl der Schulen) Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

Mensa

8

2

6

Sport-/Bewegungsräume

6

1

5

Ruheräume

5

0

5

Computerräume

7

1

6

Arbeitsräume für Lehrer

6

1

5

Kunst-/Werkräume

7

1

6

Projekträume

3

0

3

Raumbereiche

Übungsräume

3

1

2

Theaterräume

1

0

1

Experimentierräume

5

0

5

Bibliotheken

5

1

4

Sozialberatungsräume

6

2

4

n

9

3

6

Acht von neun Ganztagsschulen verfügen über eine Mensa. Jedoch besitzen weniger als die Hälfte der Schulen separate Projekt-, Übungs- und Theaterräume. Im Vergleich von Primar- und Sekundarstufe fällt auf, dass zwischen der räumli-

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

145

chen Situation von Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen teils deutliche Unterschiede bestehen. Zur Grundausstattung von Primarschulen zählen Mensen und Sozialberatungsräume. An den Sekundarschulen gehören Mensen, Computerräume sowie Kunst- und Werkräume dazu. Fasst man die Raumausstattung an Ganztagsschulen zahlenmäßig zusammen, stellt man fest, dass Ganztagssekundarschulen im Mittel über neun der zwölf Raumbereiche verfügen, Ganztagsgrundschulen jedoch nur über drei. Zwischen Halbtags- und Ganztagsschulen zeigen sich ebenfalls Unterschiede. Das hängt unter anderem mit der unterschiedlichen Zeitstruktur und dem entsprechenden Bedarf ganztägiger Bildungseinrichtungen zusammen. Ganztagsschulen sind in nahezu allen Bereichen deutlich besser ausgestattet als Halbtagsschulen. Dies trifft vor allem auf die Ausstattung mit Mensen, Ruheräumen, Forschungs- und Experimentierräumen sowie Sozialberatungsräumen zu. Halbtagsschulen verfügen im Mittel über drei und Ganztagsschulen im Mittel über sieben der zwölf Raumbereiche (T = -3,082; df = 22; p < 0,01). Die Schulleitungen wurden zusätzlich danach gefragt, wie sie die räumliche Situation bewerten. Die Bewertung der einzelnen Räumlichkeiten erfolgte auf einer vierstufigen Skala. Aus den von den Lehrkräften zu beantwortenden Items konnte eine Gesamtskala „Angemessenheit der räumlichen Ressourcen“ (13 Items, Cronbachs alpha = 0,8) gebildet werden. Aus den Ergebnissen wird ersichtlich, dass Ganztagsschulleitungen die räumliche Situation im Mittel als ausreichend bis gut einschätzen (vgl. Tab. 8). Die Unterscheidung zwischen Grundschulen und Sekundarschulen mit Ganztagsangebot weist jedoch auf deutliche Unterschiede in der Beurteilung hin. Schulleitungen an Ganztagsgrundschulen bewerten ihre räumliche Situation signifikant schlechter als Schulleitungen an Ganztagssekundarschulen. So wird in den Grundschulen die Raumsituation als unzureichend bis ausreichend eingeschätzt und an den Sekundarschulen als eher gut. Tabelle 8: Einschätzung der räumlichen Situation an Ganztagsschulen aus Sicht der Schulleitungen (Mittelwerte/Standardabweichungen; 1 = unzureichend, 4 = sehr gut) n

M

s

Insgesamt

9

2,57

0,63

Grundschulen

3

1,80

0,35

Sekundarschulen 6 2,95 0,27 Signifikanter Unterschied zwischen Grundschulen und -sekundarschulen: T = 5,6; df = 7; p < 0,01

146

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

8.2.2 Zielvorstellungen und Konzeptionen Neben der räumlichen Situation spielt die Umsetzung pädagogischer Zielsetzungen sowie die konzeptionelle Fundierung des Ganztagsbetriebs für die Gestaltung des Ganztagsangebots eine bedeutende Rolle. Zugleich erscheinen Ziel- und Konzeptorientierung für Schulentwicklungsprozesse im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm relevant, da sie einen Qualitätsrahmen für das schulische Handeln vorgeben. Daher wurden die Schulleitungen auf der Grundlage 13 verschiedener Zielsetzungen gebeten anzugeben, welche pädagogischen Ziele40 sie mit ihrer Ganztagsschule verfolgen. Die Ziele wurden im Nachhinein auf der Grundlage theoretischer Überlegungen zu vier übergeordneten Zieldimensionen zusammengefasst: ƒ ƒ ƒ ƒ

Die Zieldimension „Veränderung der Lernkultur“ umfasst Ziele, die eine Differenzierung der Unterrichtskultur beinhalten. „Erweiterung der Angebotsstruktur“ bezieht sich auf Ziele des Ausbaus von Arbeitsgemeinschaften in verschiedenen Bereichen. „Erweiterung der Angebote im Bereich Förderung und Prävention“ bündelt Ziele, die der Begabtenförderung, der Verbesserung der Kompetenzen und Bildungschancen von Schülern dienen. „Ausweitung von Kooperationen und Netzwerken bezieht sich auf die institutionelle Öffnung der Schule nach außen.

In allen Ganztagsschulen wird eine Veränderung der Unterrichts- und Lernkultur angestrebt (vgl. Tab. 9). In den Ganztagsgrundschulen stehen der bewusste Einsatz von Spannungs- und Entspannungsphasen im Schulalltag sowie der verstärkte Einsatz variabler Lehr- und Lernformen im Vordergrund. In Ganztagssekundarschulen spielt zudem die Schaffung von Rückzugsräumen eine wichtige Rolle. Sowohl in den Grundschulen als auch Sekundarschulen mit Ganztagsangebot erlangt die Erweiterung der Angebote im Bereich Förderung und Prävention, insbesondere die Ausweitung von Förder- und Unterstützungsangeboten für Kinder und Jugendliche, starke Berücksichtigung. Als mindestens ebenso bedeutsam wird in den Sekundarschulen die Ausweitung von Kooperationen und Netzwerken beschrieben.

40

Die folgenden pädagogischen Zielsetzungen, die mögliche bildungs- und erziehungstheoretische Orientierungen und Qualitätsstandards benennen, sind Holtappels (1994, S. 113ff.) entnommen.

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

147

Tabelle 9: Umsetzung pädagogischer Zielsetzungen an Ganztagsschulen (Anzahl der Schulen) Zieldimensionen

Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

Veränderung der Lernkultur

9

3

6

Erweiterung der Angebotsstruktur

4

0

4

Erweiterung der Angebote im Bereich Förderung/Prävention

7

2

5

Ausweitung von Kooperationen und Netzwerken

7

1

6

n

9

3

6

Um Aussagen zur Zielerreichung vornehmen zu können, wurden die Lehrkräfte gebeten, eine Bewertung zur Umsetzung der verschiedenen pädagogischen Zielsetzungen vorzunehmen (vgl. Abb. 4). Es handelt sich dabei um subjektive Wertungen pädagogischer Entwicklungen und Erfolge. Hohe Werte weisen auf eine gelungene Umsetzung der pädagogischen Zielsetzungen hin. Insgesamt liegen die Werte über alle pädagogischen Zielsetzungen hinweg eher im mittleren bis unteren Bereich. Besonders schlecht werden die Umsetzungen im Bereich der Veränderungen der Unterrichts- und Lernkultur sowie die Erweiterung der Angebote im Bereich der Förderung und Prävention beschrieben. Zwischen den Einschätzungen der Lehrkräfte an Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen bestehen kaum Unterschiede. Lediglich der Ausbau von Kooperationen und Netzwerken wird von Lehrkräften der Ganztagssekundarschulen etwas besser beurteilt als von Lehrern an Ganztagsgrundschulen. Der Unterschied ist jedoch statistisch nicht signifikant. Ein weiterer wichtiger Bestandteil qualitätsorientierter Schulentwicklungsprozesse ist das Vorhandensein schriftlich, fixierter Konzeptionen und Leitbilder. Sie geben ein gewisses Maß an Verbindlichkeit vor, die festgelegten pädagogischen Zielsetzungen bei der Gestaltung des Ganztags zu berücksichtigen. Alle befragten Ulmer Ganztagsschulen (n = 9) bemühen sich um die Erstellung eines schriftlichen Leitbildes (n = 4) oder haben es bereits erstellt (n = 5). Es zeigen sich keine Unterschiede zwischen Grundschulen und -sekundarschulen. Schriftliche Konzepte für den Ganztag liegen an sieben Ganztagsschulen vor bzw. sind in Arbeit. In sieben Ganztagsschulen ist die Ganztagskonzeption Bestandteil des Leitbildes. Schulen der Sekundarstufe haben ihr Ganztagskonzept häufiger (100%) in das Leitbild integriert als Grundschulen (33%).

148

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Abbildung 4:

Bewertung der Umsetzung pädagogischer Zielsetzungen an Ganztagsschulen durch die Lehrkräfte (Mittelwerte; n > 132)

4

3 2,05

1,94

2,15

2,31

2

1

0 Veränderung der Unterrichts- und Lernkultur

Erweiterung der Angebotsstruktur

Erweiterung der Angebote im Bereich Förderung/Prävention

Ausbau von Kooperationen und Netzwerken

8.2.3 Ansätze zur Umsetzung der pädagogischen Zielvorstellungen Die beschriebenen Ergebnisse legen dar, welche Zielsetzungen bei der Umsetzung des Ganztags von Bedeutung sind und inwieweit diese Zielsetzungen bereits erreicht wurden. Sie können jedoch nicht beschreiben, wie die Umsetzung dieser Zielsetzungen in den einzelnen Schulen vor Ort erfolgt. Auskunft hierüber geben die Aussagen der Schulleitungen in den qualitativen Interviews. In den Interviews werden beispielhaft Ansatzpunkte für Veränderungen in der Unterrichts-, Lern- und Förderkultur beschrieben. Eine Schulleitung gibt an, dass neben den regulären Unterrichtsstunden in einigen Fächern auch Unterricht im halben Klassenverband stattfindet. Diese Aufteilung der Schüler in Gruppen ermöglicht neben dem „normalen“ Unterricht eine stärkere Konzentration der Lehrkräfte auf einzelne Schüler. „Und dann gibt es eine […] Mathetrainingsstunde. Das heißt einmal in der Woche hat er [der Schüler] neben den normalen Mathestunden eine Stunde in der halben Klasse […]. […], da wird mit irgendwelchen Übungseinheiten gearbeitet, weil man

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

149

dann auch die Zeit hat zum Einzelnen zu gehen und zu sehen, macht er es richtig, macht er es nicht richtig. Er [der Schüler] kann fragen. (SLI41 III, Z. 481-487)

Zusätzlich zum „normalen“ Unterricht kommen in einzelnen Schulen gesondert ausgewiesene Übungsstunden für alle Klassen hinzu. Die Teilnahme an diesen Übungsstunden ist für alle Schüler verpflichtend. So kann sichergestellt werden, dass die Unterstützungsmaßnahme auch diejenigen Schüler erreicht, die diese benötigen. „Und zum zweiten durch unsere Übungsstunden. […] Die Kinder haben da die Möglichkeit, die Aufgaben zu erledigen, die sie von ihren jeweiligen Fachlehrern bekommen haben, und zu üben, wie der Name schon sagt. Und es ist immer eine Lehrkraft da, die sich um den einzelnen Schüler/die einzelne Schülerin kümmern kann. Und mindestens eine Stunde pro Woche ist es quer durch die ganze Schule gleichzeitig so, dass wenn es jetzt irgendwie ein spezielles Problem in Deutsch oder in Mathe oder in Englisch gibt, die Lehrkraft sagen kann, das ist jetzt nicht unbedingt meine Schokoladenseite, dann gehe doch mal in Zimmer hundert sowieso und dort ist der Herr X oder die Frau Y. Das sind unsere Fachleute dafür und sprich mal mit denen.“ (SLI IV, Z. 516-527)

Neben gezielten Förderangeboten werden in einigen Schulen auch veränderte unterrichtliche Betreuungs- und Klassenleitungsstrukturen eingeführt. Jeweils zwei Lehrer leiten als Team eine Klasse. Dadurch hat jede Klasse zwei persönliche Ansprechpartner, die eng zusammenarbeiten, die Klasse gut kennen und ein einheitliches pädagogisches Konzept verfolgen. „Jede Klasse hat einen Teamlehrer. Das heißt der Klassenlehrer oder die Klassenlehrerin ist nicht alleine verantwortlich für die Klasse, sondern immer auch eine zweite Lehrkraft, die mit einem relativ hohen Deputat in dieser Klasse mitunterrichtet und mit dem Klassenlehrer/der Klassenlehrerin zusammen sich Gedanken macht, wo bringen wir unsere Klasse hin.“ (SLI IV, Z. 633-637)

In einer Schule werden außerdem pädagogische Assistenten eingesetzt. Diese sollen die Lehrkräfte im Unterricht unterstützen und entlasten. Sie übernehmen die individuelle Betreuung eines Schülers oder die Betreuung der gesamten Klasse, während sich der Lehrer um einen einzelnen Schüler kümmert.

41

SLI I bis IV: Interviews mit den Schulleitungen 1 bis 4

150

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm „Und seit […] haben wir eine pädagogische Assistentin […], die einen Teil der Klasse betreut, während sich die Lehrkraft mit einem Einzelnen beschäftigt, der Probleme hat oder der etwas mehr wissen will […].“ (SLI IV, Z. 534-540)

Neben den beschriebenen Veränderungen in der Unterrichts- und Förderkultur werden in einzelnen Schulen auch differenzierte Arrangements für Lernen und Erfahrung durch die Ausweitung von Bildungs- und Lernangeboten ersichtlich. So beschreiben zwei Schulleitungen, dass Wahlangebote und Projektarbeiten durchgeführt werden. Diese dienen der Vertiefung einzelner Themen und der Berücksichtigung der Interessen und Vorlieben der Schüler (vgl. etwa SLI IV, Z. 515). Aus den beschriebenen Ansätzen der Schulleitungen von Ganztagsschulen geht hervor, dass diese verschiedene Maßnahmen der inneren Differenzierung anwenden, um die unterschiedlichen individuellen Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder und Jugendlichen zu fördern. Aus den Beispielen der Schulleitungen wird zudem deutlich, dass Unterricht und Förderung in einigen Schulen konsequent miteinander verbunden werden. Im Vordergrund stehen gezielte Übungsstunden unter Aufsicht und Betreuung von Lehrkräften und eine Förderung, die an den Fachunterricht gekoppelt ist.

8.2.4 Angebotsstruktur, -organisation und Schülerteilnahme Im folgenden Abschnitt liegt der Fokus auf den Angeboten, die über den Unterricht hinaus an Ganztagsschulen für Schüler bereit gestellt werden. Tabelle 10 gibt die Angebotsstruktur an Ulmer Ganztagsschulen wider. Tabelle 10: Angebotsstruktur an Ganztagsschulen (Anzahl der Schulen) Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

Mittagessen

9

3

6

Hausaufgabenbetreuung

8

3

5

Förderkurse

7

2

5

Zusatzangebote fachbezogen

6

1

5

Zusatzangebote fächerübergreifend

6

1

5

Freizeitangebote (AGs)

7

2

5

n

9

3

6

Angebotsbereiche

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

151

Das Angebot eines Mittagessens ist selbstverständlicher Bestandteil des Konzepts an allen untersuchten Ganztagsschulen. Angebote zur Hausaufgabenbetreuung finden sich an acht Schulen. Daneben sind Förderkurse und Freizeitangebote im Rahmen von AGs an sieben Schulen vorhanden. Fachbezogene und fächerübergreifende Angebote bieten zwei Drittel der Schulen an. Deutliche Unterschiede zwischen Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen bestehen lediglich hinsichtlich der Bereitstellung fachbezogener und fächerübergreifender Zusatzangebote. Diese findet man an Sekundarschulen häufiger als an Grundschulen. Eine zusätzliche Differenzierung nach Halbtags- und Ganztagsschulen zeigt, dass nahezu alle abgefragten Angebotselemente an Ganztagsschulen häufiger zu finden sind als an Halbtagsschulen. Dies trifft jedoch nicht auf Förderangebote zu. Diese werden an allen Halbtagsschulen, aber nur an sieben von neun Ganztagsschulen vorgehalten. Für eine umfassende Bewertung des Ausbaus der Ulmer Ganztagsschulen reicht der alleinige Blick auf die Angebotsstruktur nicht aus. Vielmehr ist ebenfalls von Bedeutung, wie die Angebote organisiert und ob die Angebote von den Schülern genutzt werden. Daher werden für die weiteren Analysen die einzelnen Angebotselemente genauer betrachtet. Im Vordergrund steht dabei die Frage, inwieweit bereits eine Verschränkung von Vor- und Nachmittag, eine individuelle Förderung und Orientierung an den Interessen der Kinder und Jugendlichen sichtbar wird. Anschließend erfolgt eine Untersuchung der Angebotsteilnahme. Die Hausaufgabenbetreuung findet in allen untersuchten Ganztagsschulen am Nachmittag statt. Eine Integration in den Vormittag wird nicht ersichtlich. Die Teilnahme ist zumeist freiwillig oder für bestimmte Klassenstufen verbindlich. Drei Schulen geben an, dass eine Anmeldung zur Hausaufgabenbetreuung einhergeht mit einer danach verbindlichen Teilnahme. Das Angebot findet meistens als unterstützende Betreuung statt. Lediglich eine Ganztagsschule bietet darüber hinaus auch Nachhilfe im Rahmen der Hausaufgabenbetreuung an. Spezifische Förderangebote werden an den meisten Ganztagsschulen vorgehalten (vgl. Tab. 11). Sieben Ganztagsschulen bieten Zusatzunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund an. Darüber hinaus finden sich Förderangebote für leistungsschwache Schüler an sechs und Sprachförderangebote an sieben Schulen. Unterschiede zwischen Grundschulen und Sekundarschulen mit Ganztagsangebot werden kaum sichtbar. Zusätzlich wird in allen Ganztagsschulen zumeist mit Instrumenten zur individuellen Lernstandsdiagnose und Förderplanung gearbeitet, wobei diese in Sekundarschulen mit Ganztagsangebot häufiger angewendet werden als in Ganztagsgrundschulen. Um einen Eindruck über die Förderkultur an Ulmer Ganztagsschulen zu bekommen, wird durch Summenbildung aus sechs Items die Skala „Ausbau eines Förderkonzeptes“ (Cronbachs alpha = 0,9) gebildet. Die Skala beinhaltet Aspek-

152

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

te zum Vorhandensein eines schriftlichen Förderkonzeptes, individueller Förderpläne und der Zusammenarbeit der Lehrer. Die Datenanalyse zeigt, dass zwei Ganztagsschulen über ein schlecht ausgebautes Förderkonzept verfügen. Dabei weisen Ganztagsgrundschulen besser ausgebaute Förderkonzepte auf als Ganztagssekundarschulen (vgl. Tab. 12). Tabelle 11: Förderangebote an Ganztagsschulen (Anzahl der Schulen) Förderangebote

Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

Zusatzangebot für leistungsstarke Schüler

3

1

2

Förderangebote für leistungsschwache Schüler

6

2

4

Kurse in Lerntechniken

1

-

1

Zusatzunterricht für Schüler mit Migrationshintergrund

7

2

5

Sprachförderung

5

2

3

n

9

3

6

Tabelle 12: Bewertung der Förderkonzepte an Ganztagsschulen42 (Anzahl der Schulen) Förderkonzepte Schlecht ausgebautes Konzept

Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

2

-

2

Mittelmäßig ausgebautes Konzept

3

1

2

Optimal/gut ausgebautes Konzept

3

1

2

n

8

2

6

Schlecht ausgebaute Förderkonzepte: bis zu zwei der sechs Aussagen treffen voll zu; mittelmäßig ausgebaute Förderkonzepte: bis zu vier der sechs Aussagen treffen voll zu; optimal bis gut ausgebaute Förderkonzepte: mehr als vier der Aussagen treffen voll zu

42

Die Werte auf der Skala variieren zwischen eins und 24.

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

153

AGs gehören zum Standardprogramm an allen Ulmer Ganztagsschulen. Ganztagsgrundschulen bieten im Mittel drei AGs (s = 1,41; Min = 2; Max = 4) und Ganztagssekundarschulen im Mittel 15 AGs (s = 9,39; Min = 6; Max = 32) an. Zu berücksichtigen sind an Ganztagssekundarschulen jedoch die großen Differenzen zwischen den Schulen. Aufgrund der Unterschiede in der Anzahl der AGs zeigen sich auch Unterschiede in der Angebotsbreite. Die Angebote an Sekundarschulen mit Ganztagsangebot sind breiter und vielfältiger (M = 5,17; s = 1,47) als an Ganztagsgrundschulen (M = 1,50; s = 0,71). Die AGs konzentrieren sich in den Grundschulen ausschließlich auf die Bereiche Sport, Musik und kreatives Gestalten. In den Sekundarschulen lassen sich die AGs darüber hinaus den Bereichen Naturwissenschaften, Umwelt, Sprachen, Politik und Schulleben zuordnen. Im Folgenden werden die Ergebnisse zur Schülerteilnahme bzw. zur Nutzung inhaltlicher Gestaltungselemente von Ganztagsschulen durch Schüler beschrieben. Alle Ergebnisse lassen keinen Schluss auf die Häufigkeit der Teilnahme an den jeweiligen inhaltlichen Angebotselementen zu. Sie zeigen lediglich, wie hoch die Schüleranteile der Teilnahme an den einzelnen Angebotsbereichen sind. Insgesamt handelt es sich bei allen abgefragten Angeboten um Angebote, die sowohl von Kindern und Jugendlichen besucht werden können, die am Ganztag teilnehmen oder auch nicht.43 Abbildung 5 gibt die Ergebnisse zur Angebotsteilnahme an Ganztagsschulen der Stadt Ulm wieder. An den Ulmer Ganztagsgrundschulen weisen die Arbeitsgemeinschaften die höchsten und das Mittagessen die geringsten Teilnahmequoten auf. An den Sekundarschulen mit Ganztagsangebot werden diese beiden Angebote von den Schülern am stärksten besucht. Außerdem geht aus der Abbildung hervor, dass die Angebotsnutzung der Hausaufgabenbetreuung und Förderkurse an Grundschulen deutlich höher ausfällt als an Sekundarschulen. Im Vergleich zur Halbtagsschule zeigt sich, dass durch die Veränderung des zeitlichen Rahmens und der konzeptionellen Gestaltungselemente, mehr Schüler an Ganztagsschulen durch diese Angebote erreicht werden als an Halbtagsschulen. Durchschnittlich nehmen 68% der Schüler an Ganztagsschulen an mindestens einem der Angebote teil. An Halbtagsschulen sind es hingegen lediglich 47% der Schüler (chi² = 55,832; df = 4; p < 0,001).

43 Im Folgenden werden bei der Angebotsteilnahme alle Schüler berücksichtigt, unabhängig von der Teilnahme am Ganztag. Grund hierfür ist, dass aus den Angaben der Schüler nicht eindeutig ersichtlich wird, ob diese am Ganztagsangebot teilnehmen oder nicht. Dies liegt zum Teil daran, dass Angebote die im Rahmen des Ganztags vorgehalten werden auch in Halbtagsschulen zu finden sind.

154

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Abbildung 5:

Schülerteilnahme an Angeboten der Ganztagsschule nach Schulformen (in %)

100 80 60 43,6 40

29,4

48,9

51,1 43,5

32,4 26,3 20,1

20 0 Grundschulen

Sekundarschulen

Mittagessen (n = 295)

Hausaufgabenbetreuung (n = 368)

Förderkurse (n = 407)

Arbeitsgemeinschaften (n = 290)

Signifikante Unterschiede bestehen lediglich bei der Teilnahme am Mittagessen (T = 8,420; df = 1; p < 0,01) und der Teilnahme an den Förderangeboten (T = 10,159; df = 1; p < 0,01)

8.2.5 Ausbauniveau der Ganztagsschulen Um eine zusammenfassende Einschätzung zum Ausbauniveau der Ganztagsschulen vornehmen zu können, wird im Folgenden ein Index konstruiert. Hierfür werden verschiedene relevante Komponenten einbezogen: ƒ ƒ ƒ ƒ

Zeitlicher Umfang des Ganztagsbetriebs: Dieser Indikator zeigt den Ausbaugrad nach Anzahl von Wochentagen. Konzeptionelle Festlegungen: Dieser umfasst die schriftliche Fixierung einer Ganztagskonzeption und das Bestehen einer Ganztags-AG. Pädagogisches Gestaltungsansätze: Umfang der pädagogischen Gestaltungsansätze und deren Zielerreichung (Beurteilung durch die Lehrkräfte). Ausbausituation der räumlichen Ressourcen: Dieser Indikator bezieht sich auf die räumliche Angebotsbreite und die Beurteilung der räumlichen Ressourcen.

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen ƒ

155

Angebotsqualität: Dieser Gesamtindex beinhaltet die Angebotsbereiche sowie spezifische Gestaltungsmerkmale, z.B. deren Verbindlichkeit und die Umsetzung eines Förderkonzeptes.

Zur Bildung des Ausbauindexes werden die einzelnen Variablenwerte der Indikatoren zur Standardisierung z-transformiert und sodann der Indexwert in Form des Mittelwerts gebildet (vgl. Holtappels u.a. 2007, S. 204). Eine Überprüfung zeigt, dass alle Indikatoren im Zusammenhang mit dem Gesamtindex stehen und teils untereinander korrelieren. Tabelle 13 gibt das Ausbauniveau für die einzelnen Schulmodelle wieder: Ganztagsschulen weisen im Vergleich zu Halbtagsschulen ein höheres Ausbauniveau auf. Ganztagssekundarschulen sind besser ausgebaut als Ganztagsgrundschulen. Die Signifikanzgrenze wird nur knapp verfehlt (T = -2,076; df = 7; p = 0,07). Die Minimal- und Maximalwerte deuten jedoch auf teils deutliche Unterschiede zwischen den Schulen innerhalb eines Schulmodells hin. Tabelle 13: Ausbauniveau der verschiedenen Schulmodelle (Mittelwerte/Standardabweichungen der z-standardisierten Werte) Schulmodelle Halbtagsschulen

n

M

s

Min

Max

15

-0,09

0,23

-0,33

0,55

Ganztagsschulen

9

0,21

0,52

-0,24

1,31

Ganztagsgrundschulen

3

-0,22

0,03

-0,24

-0,19

Ganztagssekundarschulen

6

0,42

0,51

-0,12

1,31

Betrachtet man die Einschätzung des Ausbauniveaus nach Ausbaubereichen, so bestehen keine Unterschiede im zeitlichen Umfang der Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen. In allen anderen Bereichen schneiden Ganztagssekundarschulen dagegen besser ab als Ganztagsgrundschulen (vgl. Tab. 14). Rückstände werden in Grundschulen mit Ganztagsangebot vor allem im Ausbau der pädagogischen Gestaltungsansätze und der räumlichen Ressourcen deutlich.

156

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Tabelle 14: Bewertung des Ausbauniveaus an Ganztagsschulen nach Schulformen und Ausbaubereichen Ausbauniveau der…

Grundschulen

Sekundarschulen

konzeptionellen Richtlinien

+

++

pädagogischen Gestaltungsansätze

--

+

räumlichen Ressourcen

--

+++

Angebotsqualität

+/-

+

-

++

Ausbauniveau insgesamt

Je mehr Minus-/Pluszeichen, desto geringer/stärker ist der Ausbau in diesem Bereich fortgeschritten.

8.2.6 Kooperation- und Netzwerkbildung Kooperationen sind ein wichtiger Bestandteil von Ganztagsschulen. Sie werden von vielen Befürworten wie auch von zahlreichen Forschern als eine notwendige Bedingung für die optimale Organisation und Entwicklungsarbeit von Ganztagsschulen angesehen. Der Einbezug außerschulischer Partner und Institutionen bietet den Schulen die Möglichkeit lebensweltliche Bereiche von Kindern und Jugendlichen in die Angebotsgestaltung zu integrieren. Der Ausbau von Kooperationen bildet auch im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm eine wichtige Zielsetzung. Nachfolgend wird die Vielfältigkeit der Kooperationslandschaften an Ulmer Ganztagsschulen beschrieben. Im Rahmen der Fragebogenerhebung hatten die Schulleitungen die Möglichkeit anzukreuzen, mit welchen der aufgelisteten Kooperationspartner sie zusammenarbeiten. Schulunterstützende Dienste beinhalten Kooperationen mit Beratungs- und Hilfeeinrichtungen sowie sozialen und psychologischen Diensten. In diesem Bereich wird in den Ganztagsschulen am häufigsten mit Psychologen, dem Jugendamt und dem kommunalen sozialen Dienst innerhalb der Sozialräume zusammengearbeitet. Unter kommunalen Kooperationspartnern werden alle weiteren Einrichtungen zusammengefasst, die nicht bereits in den schulunterstützenden Diensten enthalten sind. Sportvereine, die Fachbereiche der Stadt sowie der Bereich „Gericht/Polizei/Feuerwehr“ werden von den Schulleitungen als häufigste kommunale Kooperationspartner genannt. Tabelle 15 gibt die fünf am häufigsten genannten Kooperationspartner zusammenfassend wieder. Unterschiede zwischen Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen bestehen kaum.

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

157

Tabelle 15: Kooperationspartner von Ganztagsschulen in den Bereichen schulunterstützender Dienst und kommunale Institutionen (Anzahl der Schulen) Insgesamt (n = 9)

Ganztagsgrundschulen (n = 3)

Ganztagssekundarschulen (n = 6)

A. Schulunterstützender Dienst (Schul-)Psychologen (7) Jugendamt (7) Sozialer Dienst (6) Erziehungsberatungsstelle (5) Schulsozialarbeit (4)

(Schul-)Psychologen (3) Jugendamt (3) Sozialer Dienst (2) Förderschulen (2) Erziehungsberatungsstelle (2)

(Schul-)Psychologen (4) Sozialer Dienst (4) Jugendamt (4) Schulsozialarbeit (4) Erziehungsberatungsstelle (3)

B. Kommunale Einrichtungen Sportvereine (6) Gericht/Polizei/Feuerwehr(6) Fachbereiche der Stadt (6) Gesundheitsamt (5) Arbeitsagentur (5)

Kirchengemeinden (2) Museum/Bibliothek/Theater (2) Gericht/Polizei/Feuerwehr (2) Gesundheitsamt (2) Fachbereiche der Stadt (2)

Sportvereine (5) Arbeitsagentur (5) Gericht/Polizei/Feuerwehr(4) Fachbereiche der Stadt (4) Betriebe/IHK (4)

In einem weiteren Teil des Fragebogens wurden die Schulleitungen gebeten anzugeben, mit wie vielen Kindertageseinrichtungen und Schulen sie kooperieren. Ganztagsgrundschulen kooperieren im Mittel mit fünf Kindertageseinrichtungen (s = 1,41; Min = 4; Max = 6) und zwei Schulen (s = 1,73; Min = 1; Max = 4). Sekundarschulen mit Ganztagsangebot arbeiten ebenfalls durchschnittlich mit zwei Schulen zusammen (s = 1,00; Min = 1; Max = 3). Im hinteren Teil des Fragebogens hatten die Schulleitungen zusätzlich die Möglichkeit, die für ihre Einrichtungen wichtigsten und am häufigsten praktizierten Kooperationsbeziehungen näher zu beschreiben. Hierfür wurden sie zunächst gebeten, die Kooperationspartner genau zu benennen und zusätzlich Angaben zu einem bestehenden Kooperationsvertrag, zu den Angeboten des Kooperationspartners und der Zufriedenheit mit den Kooperationsbeziehungen zu machen. Insgesamt wurden von den Schulleitungen der Ganztagsschulen 43 Kooperationspartner detailliert aufgelistet. Die genannten Kooperationspartner lassen sich größtenteils den Bildungs- und Freizeiteinrichtungen (z.B. Sportvereine, Jugendeinrichtungen, Bibliotheken, Museen) zuordnen (28% der Nennungen). 38% der angegebenen Kooperationen beruhen auf der Grundlage eines Kooperationsvertrages. Unterschiede zwischen Ganztagsgrundschulen und Ganztagssekundarschulen bestehen nicht. Keine der Schulen gibt an, unzufrieden mit den

158

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

bestehenden Kooperationsbeziehungen zu sein. In Ganztagsgrundschulen halten je 21% der Kooperationspartner Angebote im Bereich der Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung vor. In den Ganztagssekundarschulen bieten hingegen 27% Angebote zur Berufsvorbereitung und 24% Sport- und Bewegungsangebote an. Um einen möglichen Zusammenhang zwischen den Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen und den jeweiligen Ausbaustand zu untersuchen, wird im Folgenden ein Index auf der Grundlage folgender Items konstruiert: ƒ ƒ

ƒ

Umfang der Kooperationspartner: Dieser Indikator zeigt den Ausbaugrad nach Anzahl der Kooperationspartner und -einrichtungen. Gestaltungselement ‚Kooperationsvertrag’: Dieser Indikator umfasst die schriftliche Fixierung der Kooperationsbeziehungen und -vereinbarungen in Form eines Kooperationsvertrages. Er wird gebildet als Anteil der abgeschlossenen Kooperationsverträge an allen bestehenden Kooperationsbeziehungen. Einschätzung der Kooperationsbeziehungen: Dieses Merkmal bezieht sich auf die Zufriedenheit der Schulleitungen mit den Kooperationsbeziehungen.

Entsprechend der Bildung des Ausbauindexes der Ganztagsschulen wurden die einzelnen Variablenwerte der Indikatoren zur Standardisierung z-transformiert und sodann der Indexwert in Form des Mittelwerts gebildet. Dabei zeigt sich, dass Ganztagssekundarschulen über ein besser ausgebautes Kooperationsnetz verfügen als Ganztagsgrundschulen (vgl. Tab. 16). Auch im Vergleich zu Halbtagsschulen besitzen Ganztagsschulen einen deutlich höheren Ausbaugrad der Kooperationsbeziehungen. Auffällig sind jedoch wie zuvor bereits beim Ausbauniveau der Schulen die Unterschiede zwischen den Schulen eines Schulmodells. Zwischen dem Ausbauniveau der außerschulischen Kooperationsbeziehungen und dem Ausbauniveau der Schulmodelle bestehen signifikante Zusammenhänge (vgl. Tab. 17). Dies gilt sowohl für den zeitlichen Umfang des Ganztagsbetriebs sowie den Ausbaugrad der Angebotsqualität. Der zeitliche Umfang des Ganztagsangebots ist dabei etwas stärker mit dem Ausbauniveau der außerschulischen Kooperationen assoziiert als der Ausbaugrad der Angebotsqualität. Insgesamt wird ein mittlerer positiver Zusammenhang zwischen den Ausbauniveau der Schulen und dem Ausbauniveau der außerschulischen Kooperationen sichtbar.

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

159

Tabelle 16: Ausbaugrad und Qualität der Kooperationen getrennt nach Schulmodellen (Mittelwerte/Standardabweichungen der zstandardisierten Werte) Schulmodelle Halbtagsschulen

n

M

s

Min

Max

15

-0,12

0,46

-1,04

0,38

Ganztagsschulen

9

0,21

0,24

-0,89

1,10

Ganztagsgrundschulen

3

0,15

0,90

-0,89

0,75

Ganztagssekundarschulen

6

0,23

0,73

-0,75

1,10

Tabelle 17: Korrelation zwischen den einzelnen Ausbauindikatoren und dem Ausbauniveau der außerschulischen Kooperationen (n = 24) Ausbauniveau an Ganztagsschulen

Ausbauniveau außerschulische Kooperationen

Zeitlicher Umfang des Ganztagsbetriebs

0,677*

Ausbauqualität der pädagogischen Richtlinien

0,139

Ausbauqualität der pädagogischen Gestaltungsansätze

0,128

Ausbauqualität der räumlichen Ressourcen

-0,030

Ausbaugrad der Angebotsqualität

0,620**

Ausbauniveau insgesamt

0,477*

*p < 0,05; **p < 0,01

8.2.7 Ganztagsteilnahme Der Ganztagsschulausbau nimmt in Ulm einen bedeutenden Stellenwert im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm ein. Mit dem Ausbau des Ganztagsschulangebots und der Kooperationen an Schulen verfolgt die Stadt Ulm u.a. eine stärkere individuelle Förderung leistungsschwacher und benachteiligter Schüler sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Um festzustellen, ob zum Erhebungszeitpunkt diese Zielsetzungen erreicht werden, wurde anhand der Antworten der Eltern untersucht, welche Eltern das Ganztagsangebot für ihr Kind nutzen und inwieweit die Eltern mit den Betreuungszeiten zufrieden sind. Die meisten der befragten Eltern nutzen das Betreuungsangebot an Ganztagsschulen im Durchschnitt an drei bis vier Tagen in der Woche. Dies ist abhängig von der Organisationsform der Ganztagsschule. So müssen Schüler voll-

160

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

gebundener Ganztagsschulen an allen Tagen der Woche am Ganztagsangebot teilnehmen. In offenen Modellen ist die Teilnahme hingegen freiwillig. Zudem geben über 80% der Eltern an, mit dem zeitlichen Betreuungsrahmen der Schulen eher bis voll zufrieden zu sein (vgl. Tab. 18). An Sekundarschulen mit Ganztagsangebot fällt die Zufriedenheit der Eltern etwas höher aus als an Ganztagsgrundschulen. Tabelle 18: Zufriedenheit der Eltern mit dem zeitlichen Betreuungsrahmen der Ganztagsschulen (Prozentangaben) Antwortkategorien

Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

Überhaupt nicht zufrieden

2,0

2,9

1,8

Eher nicht zufrieden

11,1

17,4

9,5

Eher zufrieden

46,2

40,6

47,6

Voll und ganz zufrieden

40,6

39,1

41,0

n

342

69

273

Im Folgenden geht es um die Frage der Teilnahme am Ganztag. Es soll in Abhängigkeit bestimmter Variablen untersucht werden, welche Familien das Betreuungsangebot im größeren und welche im geringeren Umfang in Anspruch nehmen. Ziel ist hierbei herauszufinden, ob die im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm benannten Zielgruppen auch erreicht werden. In einem ersten Schritt wird zunächst überprüft, ob Zusammenhänge der einzelnen berücksichtigten unabhängigen Variablen mit der abhängigen Variable bestehen. Tabelle 19 gibt einen Überblick über alle Variablen und ihre Ausprägungen, die in die Analyse aufgenommen werden. Zudem wird aus der Tabelle die Verteilung der Variable „Teilnahme am Ganztagsangebot“ in den kategorialen Prädiktoren sichtbar. Aus den Ergebnissen wird ersichtlich, dass die Anteile der Teilnahme am Ganztagsangebot in den Subgruppen der Variablen Organisationsform, Schulform, Familienform und Bildungsstatus der Eltern teils sehr unterschiedlich verteilt sind. Daher lässt sich für diese Variablen erwarten, dass im Rahmen der multivariaten Analyse eine gute Trennung zwischen Kindern und Jugendlichen die am bzw. nicht am Ganztagsangebot teilnehmen erreicht wird. So ist erwatungsgemäß die Teilnahme an teilgebunden und voll gebundenen Ganztagsschulen höher als an offenen Modellen, an Grundschulen niedriger als an Sekundarschulen. Kinder von Alleinerziehenden und Kinder, die mit einem Elternteil und einem neuen Partner dieses Elternteils zusammenleben, besuchen ebenfalls

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

161

häufiger den Ganztag als Kinder aus Kernfamilien. Zudem zeigt sich, dass mit steigendem Bildungshintergrund der Eltern die Teilnahmehäufigkeit des Kindes am Ganztag abnimmt. Zwischen dem Migrationshintergrund und der Berufssituation der Eltern sowie der Teilnahme des Kindes am Ganztagsangebot werden hingegen keine signifikanten Zusammenhänge ersichtlich. Allerdings sind einige Kategorien nur sehr schwach besetzt. Aufgrund der schwachen Besetzung werden in diesen Fällen signifikante Ergebnisse eher unwahrscheinlich. Um dennoch Aussagen zu ermöglich, könnte man schwach besetzte Kategorien zusammenfassen. Im Rahmen dieser Untersuchung wird jedoch darauf verzichtet, da dadurch eine zu große inhaltliche Heterogenität der Kategorien entstünde. Tabelle 19: Verteilung der Variable „Teilnahme am Ganztagsangebot“ in den kategorialen Prädiktoren (Prozentangaben) Prädiktoren

Organisationsform

Schulform

Familienform

Migrationshintergrund Bildungsstatus der Eltern

Berufssituation der Mutter

Berufssituation des Vaters

Ausprägungen

Teilnahme am Ganztagsangebot

n

Ja

Nein

Offen

35,1

64,9

97

Teilgebunden

64,3

35,7

14 157

Voll gebunden

61,8

38,2

Grundschule

41,7

58,3

72

Sekundarschule

56,1

43,9

196

Kernfamilie

46,7

53,3

182

Alleinerziehende

60,9

39,1

46

Mixed family

70,8

29,2

24

Ohne

52,3

47,7

151

Mit

51,4

48,6

205

Niedrig

65,0

35,0

40

Mittel

56,7

43,3

120

Hoch

46,4

59,6

89

Vollzeit erwerbstätig

60,4

39,6

53

Teilzeit Erwerbstätig

50,4

49,6

131

Hausfrau

45,5

54,5

55 197

Vollzeit erwerbstätig

48,7

51,3

Teilzeit Erwerbstätig

66,7

33,3

12

Hausmann

60,0

40,0

10

Signifikanztest

Chi² = 18,032; df = 2; p < 0,001 Chi² = 4,410; df = 1; p < 0,05 Chi² = 6,885; df = 2; p < 0,05

n.s.

Chi² = 8,511; df = 2; p < 0,05

n.s.

n.s.

Kernfamilie: Das Kind lebt mit beiden Elternteilen zusammen; Mixed family: Das Kind lebt mit einem Elternteil und neuem Partner dieses Elternteils zusammen.

162

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Mit Hilfe einer binär logistischen Regressionsanalyse wird ermittelt, welche Variablen im Zusammenspiel am erklärungskräftigsten sind. Für die multivariate Analyse wird die Methode Enter (= Einschluss) gewählt; d.h. alle unabhängigen Variablen werden in einem Schritt in die Analyse einbezogen (vgl. Tabelle 20). Tabelle 20: Binär logistische Regression zur Teilnahme am Ganztagsangebot (n = 196) Variablen

Signifikanz

Exp(B)

0,515

n.s.

1,656

0,436

p < 0,001

0,199

0,369

0,447

n.s.

1,447

0,582

0,607

n.s.

1,789

-0,220

0,764

n.s.

0,803

-0,369

0,370

n.s.

0,691

Koeff. (B)

SE

Teilgebunden

0,504

Voll gebunden

-1,615

Organisationsform (Referenz: Offen)

Schulform (Referenz: Sekundarschule) Familienform (Referenz: Alleinerziehend) Kernfamilie Mixed family Migrationshintergrund (Referenz: mit) Bildungsstatus der Eltern (Referenz: Niedrig) Mittlerer Bildungsstatus

0,800

0,527

n.s.

2,225

Höherer Bildungsstatus

1,123

0,558

p < 0,05

3,075

Berufssituation der Mutter (Referenz: Vollzeit erwerbstätig) Teilzeit erwerbstätig

-0,362

0,435

n.s.

0,697

Hausfrau

-0,142

0,523

n.s.

0,868

-0,898

0,719

n.s.

0,407

0,787

0,822

n.s.

2,197

-0,45

1,22

-

-

Berufssituation des Vaters (Referenz: Vollzeit erwerbstätig) Teilzeit erwerbstätig Hausmann Konstante (b) Nagelkerkes R²

25%

SE: Standardfehler; n.s. = nicht signifikant

Wie das Regressionsmodell zeigt, lassen sich die Organisationsform und der Bildungshintergrund der Eltern als signifikante Prädiktoren bezüglich der Teilnahme am Ganztagsangebot bestätigen. Eine deutlich stärkere Wirkung geht von

8.2 Ganztagsschulentwicklung aus Sicht der Einzelschulen

163

der Organisationsform aus, wobei hier ein negativer Zusammenhang zu konstatieren ist. Mit Besuch einer offenen Ganztagsschule reduziert sich die Wahrscheinlichkeit am Ganztagsangebot teilzunehmen. Schüler offener Ganztagsschulen haben damit eine 0,20fach geringere Chance am Ganztagsangebot ihrer Schule teilzunehmen als Schüler voll gebundener Ganztagsschulen. Mit dem Bildungshintergrund geht hingegen ein positiver Zusammenhang einher. Kinder und Jugendliche, deren Eltern über einen niedrigeren Bildungshintergrund verfügen, haben eine 3,074fach größere Chance am Ganztagsangebot teilzunehmen als Kinder und Jugendliche, deren Eltern ein höheres Bildungsniveau aufweisen. Nicht entscheidend sind hingegen der Migrationshintergrund, das Familiengefüge in dem das Kind bzw. der Jugendliche aufwächst und die Berufssituation der Eltern. Anhand der kategorialen Prädiktoren können 25% der Varianz der Teilnahme am Ganztagsangebot aufgeklärt werden.

8.2.8 Zusammenfassung Die Ausstattung mit Räumen fällt an den Ganztagsschulen sehr unterschiedlich aus. Ganztagssekundarschulen sind besser ausgestattet als Ganztagsgrundschulen. So schätzen die Schulleitungen von Grundschulen die Ausstattung mit räumlichen Ressourcen als unzureichend bis ausreichend ein und an den Sekundarschulen als gut. Gleichzeitig wird deutlich, dass Ganztagsschulen durchaus ambitioniert den veränderten Schulalltag gestalten möchten und sich von verschiedenen Zielsetzungen leiten lassen. Obgleich Veränderungen in der Lern- und Unterrichtskultur, im Bereich der Förderung und Vernetzung sichtbar werden, bleibt die konsequente und eindeutige Umsetzung der Ziele je nach Bereich eher unsicher. Vor allem der Ausbau der gezielten Förderung und Prävention ist mit Schwierigkeiten verbunden. Hier scheint es weniger zu Problemen bei der Einführung verschiedener Angebote zu kommen, als vielmehr bei deren Umsetzung. Die Ergebnisse aus den Interviews weisen auf mögliche Ansatzpunkte für Verbesserungen hin, die auf der Verbindung von Unterricht und Förderung beruhen. Im Bereich der Angebotsorganisation werden kaum Unterschiede zwischen den Ganztagsschulen sichtbar. Lediglich im Bereich der Angebotsteilnahme fällt auf, das diese zwischen den einzelnen Ganztagsschulen unterschiedlicher Schulformen variiert. Die Arbeitsgemeinschaften weisen die höchsten und das Mittagessen die geringsten Teilnahmequoten an den Ganztagsgrundschulen auf. An den Sekundarschulen mit Ganztagsangebot werden diese beiden Angebote von den Schülern am stärksten besucht. Zugleich fällt die Angebotsnutzung der Hausaufgabenbetreuung und Förderkurse an Grundschulen deutlich höher aus als an den Sekundarschulen. Insgesamt weisen die Ergebnisse darauf hin, dass durch die

164

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Veränderung des zeitlichen Rahmens und der konzeptionellen Gestaltungselemente in Ganztagsschulen mehr Schüler erreicht werden als in Halbtagsschulen. Fasst man die Ergebnisse innerhalb eines Ausbauindexes zusammen, so sind Ganztagssekundarschulen deutlich besser ausgebaut als Ganztagsgrundschulen. Bemerkenswert ist dabei die große Varianz im Ausbaustand der einzelnen Schulen einer Schulform. Zusätzlich verfügen Ganztagsschulen über ein deutlich besser ausgebautes Kooperationsnetzwerk als Halbtagsschulen. Hinsichtlich der Inanspruchnahme von Ganztagsangeboten zeigt sich, dass die Teilnahme vordergründig von der Organisationsform der Ganztagsschule und dem Bildungshintergrund der Eltern abhängt. Entsprechend der Zielsetzung nehmen in teil- und voll gebundenen Ganztagsschulen mehr Schüler am Ganztag teil als in offenen Ganztagsschulen. Darüber hinaus werden in Ulm mit dem bestehenden Ganztagsangebot verstärkt Kinder und Jugendliche aus sozialschwachen Familien erreicht. Bedeutsame Unterschiede in der Teilnahme nach Migrationshintergrund und Erwerbstätigkeit der Eltern zeigen sich nicht.

8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung Im Mittelpunkt der letzten Kapitel standen die Beschreibung der Bildungsoffensive und der Ausbaustand der Ulmer Ganztagsschulen zum Zeitpunkt der Erhebung. Zum einen wurden die Zielsetzungen und Maßnahmen der Bildungsoffensive sowie die sich verändernden Strukturen näher dargestellt. Zum anderen wurde eine Einschätzung des Ausbauniveaus der Ganztagsschulen vorgenommen. Im folgenden Kapitel richtet sich der Blick stärker auf die Untersuchung eines möglichen Einflusses der Bildungsoffensive und der darin beschlossenen Maßnahmen auf die Ganztagsschulentwicklung der Stadt. So geht aus den Ergebnissen der Dokumentenanalyse hervor, dass den Bildungseinrichtungen im Rahmen der Bildungsoffensive finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, Kommunikationsstrukturen verändert sowie Maßnahmen festgelegt wurden. Diese grundlegenden Aspekte bilden den Ausgangspunkt für zahlreiche Veränderungen, die sich im Schulbereich herausgebildet haben. In diesem Kapitel sollen ebendiese Aspekte aus der Sicht der Ganztagsschulen näher untersucht werden. Dabei wird es darum gehen, zu ergründen, inwieweit das Konzept der Bildungsoffensive in den einzelnen Schulen verankert ist und ob die finanzielle Unterstützung und die Maßnahmen von den Schulen angenommen werden. Außerdem sollen mögliche Veränderungen in der Zusammenarbeit mit dem kommunalen Träger seit Beginn der Bildungsoffensive aufgedeckt werden. Abschließend ist zu klären, inwieweit der Ausbaugrad der Ganztagsschulen sowie der Kooperationsbeziehungen in Zusammenhang mit den kommunalen Faktoren stehen.

8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung

165

8.3.1 Identifikation mit der Bildungsoffensive Damit die unter Punkt 7.2.2 beschriebenen Ziele der Bildungsoffensive realisiert werden können, müssen bestimmt Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss die Bildungsoffensive ebenso wie die Leitlinien den Schulleitungen, Lehrern und Eltern der teilnehmenden Schulen bekannt sein. Darüber hinaus muss die Bildungsoffensive als bedeutsam für die Entwicklungsarbeit der Schulen erachtet werden. Daher wurden die betroffenen Personengruppen nach der Bekanntheit des Begriffs und der Ziele sowie der Identifikation mit der Bildungsoffensive gefragt. Abb. 6 gibt die Ergebnisse zur Bekanntheit des Begriffs und der Ziele wieder. Abbildung 6:

Bekanntheit des Begriffs und der Ziele der Bildungsoffensive Ulm an Ganztagsschulen nach Personengruppen (in %) 100,0 100,0

100,0 100 80

77,2 66,7 58,1

60 43,2

46,3

40,8

34,8

40

39,6 32,0

20 0 Leitung

Lehrkräfte

Eltern

Grundschulen Bekanntheit des Begriffs (n=116)

Leitung

Lehrkräfte

Eltern

Sekundarschulen Bekantheit der Ziele (n=367)

Ganztagsgrundschulen: Bekanntheit des Begriffs (chi² = 15,967; df = 6; p < 0,05), Bekanntheit der Ziele (chi² = 23,893; df = 6; p < 0,001); Ganztagssekundarschulen: Bekanntheit des Begriffs (chi² = 18,010; df = 6; p < 0,01), Bekanntheit der Ziele (chi² = 21,793; df = 6; p < 0,001)

Die Mehrheit der Schulleitungen ist über die Bildungsoffensive und die damit einhergehenden Ziele gut bis sehr gut informiert. Am wenigsten bekannt sind der Begriff und die Ziele den Eltern. Betrachtet man die Ergebnisse nach Schulformen getrennt, sind hinsichtlich der Bekanntheit des Begriffs und der Ziele wenige Unterschiede zwischen beiden Gruppen erkennbar. Deutliche Unterschiede zeigen sich zwischen Grundschul- und Sekundarschulleitungen im Hinblick auf

166

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

die Bekanntheit der Ziele und bezüglich der Bekanntheit des Begriffs zwischen den Lehrern beider Schulformen. Zusätzlich wurden die Schulleitungen und Lehrkräfte danach gefragt, inwieweit Elemente der Bildungsoffensive in den Ganztagsschulen verankert sind. Vier Schulleitungen geben an, Maßnahmen und Leitgedanken der Bildungsoffensive im Leitbild zumindest teilweise verankert zu haben. In fünf Ganztagsschulen bilden Maßnahmen und Leitgedanken der Bildungsoffensive Ulm Ziele, die im Schulprogramm festgeschrieben sind. Auf Ganztagsgrundschulen trifft dies seltener zu als auf Ganztagssekundarschulen (vgl. Tab. 21). Tabelle 21: Verankerung der Maßnahmen und Leitlinien der Bildungsoffensive Ulm im Schulkonzept bzw. -programm der Ganztagsschulen (Anzahl der Schulen) Antwortkategorien

Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

Maßnahmen/Leitlinien der Bildungsoffensive sind im Leitbild bzw. der Konzeption verankert.

4

1

3

Maßnahmen/Leitlinien der Bildungsoffensive bilden Ziele, die im Schulprogramm festgeschrieben sind.

5

1

4

n

9

3

6

Dargestellt ist die Summe aus den trifft eher zu- und trifft voll und ganz zu-Antworten.

8.3.2 Finanzielle Unterstützung Um Ganztagsschulen ganzheitlicher Art und nicht nur Betreuungsschulen zu schaffen, müssen zusätzliche materielle und räumliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Diese Erkenntnis hat im Rahmen der Bildungsoffensive auch in Ulm Einzug gehalten (vgl. Kap. 7.2.2). Im Folgenden wird dargestellt, inwieweit die Schulleitungen mögliche zusätzliche finanzielle Mittel seitens der kommunalen Verwaltung für den Ausbau der räumlichen Bildungsinfrastruktur erhalten haben. Zunächst stellt Tabelle 22 jedoch die Finanzierungsquellen der Ulmer Ganztagsschulen dar. Die Finanzierung der Ganztagsschulen in Ulm beruht auf vier Säulen: Landesmittel, kommunale Mittel des Schulträgers, Elternbeiträge und IZBB-Mittel. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Ganztagsschulen unter-

8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung

167

schiedlicher Schulformen. Bilden die kommunalen Mittel des Schulträgers und die Elternbeiträge die Hauptfinanzierungsquellen der Ganztagsgrundschulen, so sind es bei den Ganztagssekundarschulen neben den Mitteln des Schulträgers, Landes- und IZBB-Mittel. Tabelle 22: Finanzierungsquellen der Ulmer Ganztagsschulen (Anzahl der Schulen) Finanzierungsquellen Landesmittel

Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

5

1

4

Schulträger/kommunale Mittel

9

3

6

Elternbeiträge

4

3

1

IZBB-Mittel

6

1

5

n

9

3

6

Im Rahmen der Bildungsoffensive wurden den Schulen darüber hinaus zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Daher wird im Folgenden untersucht, ob die Ganztagsschulen von den finanziellen Mitteln profitiert haben und in welche Bereiche die finanziellen Mittel geflossen sind. Sieben Ganztagsschulen geben an, dass sie finanzielle Mittel im Rahmen der Bildungsoffensive erhalten und bereits Baumaßnahmen stattgefunden haben oder in Planung sind. Halbtagsschulen und Ganztagsschulen haben gleichermaßen von den Investitionen profitiert. Im Vergleich der Schulformen fällt auf, dass zwar alle Ganztagssekundarschulen finanzielle Mittel erhalten haben, jedoch nur ein Drittel der befragten Ganztagsgrundschulen (vgl. Tab. 23). In den Ganztagsschulen (n = 25)44 wurden die finanziellen Mittel vor allem in die Ausstattung mit neuen Medien (24%), in das Raumangebot der Klassenräume (12%) und in den Bau/Umbau von Mensen (12%) investiert.

44

Den Schulleitungen wurde eine Liste mit möglichen Umbaubereichen vorgelegt. Dabei war auch das Ankreuzen mehrer Bereiche im Sinne von Mehrfachantworten möglich. Daher gibt n nicht die Anzahl der befragten Schulen, sondern die Gesamtzahl der Antworten wieder.

168

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Tabelle 23: Profitierung von Investitionen durch die Bildungsoffensive nach Schulmodellen (Anzahl der Schulen) n

Anzahl der Schulen, die finanzielle Mittel im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm erhalten haben

Halbtagsschule

15

11

Ganztagsschule

9

7

Ganztagsgrundschulen

3

1

Ganztagssekundarschulen

6

6

Schulmodelle

8.3.3 Teilnahme an Maßnahmen der Bildungsoffensive Im Rahmen der Bildungsoffensive sind eine Vielzahl von Maßnahmen eingeführt worden, die unterschiedliche Zielsetzungen betreffen (vgl. Kap. 7.2.2). Im Folgenden wird daher untersucht, inwieweit diese Maßnahmen von den Ganztagsschulen auch umgesetzt werden. So wurde den Schulleitungen eine Reihe von Maßnahmen aus unterschiedlichen Bereichen vorgelegt. Zusätzlich hatten sie die Möglichkeit unter Sonstiges weitere Maßnahmen, die nicht aufgeführt waren, zu ergänzen. Durch diese Auflistung konnte für jede teilnehmende Schule die Anzahl der Maßnahmen, die zum Zeitpunkt der Befragung durchgeführt wurden, ermittelt werden. Die Ergebnisse sind in Tabelle 24 dargestellt. Tabelle 24: Anzahl der durchgeführten Maßnahmen nach Schulmodellen zum Zeitpunkt der Befragung (Mittelwerte, Standardabweichungen, Minimum und Maximum) Schulmodelle

n

M

s

Min

Max

Halbtagsschule

3

3,07

2,76

0

9

Ganztagsschule

9

6,00

4,58

0

12

Ganztagsgrundschule

3

5,00

4,58

1

10

Ganztagssekundarschule

6

6,50

4,93

0

12

Ganztagsschulen beteiligen sich im Mittel an sechs Maßnahmen und setzen diese um. Dabei bestehen keine signifikanten Unterschiede zwischen Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen. Berücksichtigt man zusätzlich auch Halbtagsschulen, so zeigt sich, dass diese im Vergleich zu Ganztagsschulen deutlich we-

8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung

169

niger Maßnahmen umsetzen. Die Minimal- und Maximalwerte weisen jedoch darauf hin, dass große Unterschiede zwischen den Schulen eines Schulmodells und einer Schulform bestehen. Durch die Zusammenfassung der Maßnahmen zu acht übergeordneten Themenblöcken können mögliche Schwerpunktbereiche abgebildet werden. Tabelle 25 gibt die Ergebnisse wieder. Der Tabelle kann entnommen werden, dass sieben von neun Ganztagsschulen spezifische Maßnahmen zur Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund anbieten. Sechs Ganztagsschulen führen darüber hinaus weitere Fördermaßnahmen, wie Lese- und Rechtschreibambulanzen durch. Fünf Ganztagsschulen unterstützen die Schüler am Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung. Angebote der Bewegungsförderung von Schülern findet man an vier Ganztagsschulen. Tabelle 25: Maßnahmen nach Maßnahmenbereichen an Ganztagsschulen (n = 9) Maßnahmenbereiche Übergang Kindergarten – Grundschule

Anzahl der Schulen 2

Bewegungsförderung

4

Sprachförderung

2

Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund

7

Förderung der Ausbildungsreife

5

Spezielle Förderprojekte für Hauptschulen

3

Sonstige Förderung

6

Medienausbildung 3 Berücksichtigt wurden Maßnahmen, die zum Zeitpunkt der Befragung durchgeführt wurden oder bereits abgeschlossen waren.

8.3.4 Kooperationen vor und nach Beginn der Bildungsoffensive Die Vernetzung der Schulen im Sozialraum und kommunalen Umfeld beschreibt eine bildungspolitische Leitlinie der Ulmer Bildungsoffensive. Dahinter steht die Zielsetzung durch eine Stärkung der Kooperationsbeziehungen zwischen Schulen und kommunalen Einrichtungen den Schülern zusätzliche Erfahrungs- und Fördermöglichkeiten zukommen zu lassen. Unter Punkt 8.2.6 wurden die bestehenden Kooperationen an Ganztagsschulen bereits näher beschrieben. Aus den Angaben der Schulleitungen im hinteren Teil des Fragebogens konnten die wichtigsten und am häufigsten praktizierten Kooperationsbeziehungen ermittelt wer-

170

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

den. Anhand der Angaben zum Beginn der Kooperationen lässt sich darüber hinaus abschätzen, welchen Einfluss die Bildungsoffensive für den Ausbau der Kooperationen hat. 44% der Kooperationen, die von den Schulleitungen benannt wurden, sind nach Beginn der Bildungsoffensive entstanden (vgl. Tab. 26). Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen. So sind 25% der Kooperationen an Grundschulen und 52% der Kooperationen an Sekundarschulen nach Beginn der Bildungsoffensive im Jahr 2000 entstanden. An den Sekundarschulen mit Ganztagsangebot wird somit ein deutlich stärkerer Ausbau der Kooperationen seit Beginn der Bildungsoffensive deutlich. Tabelle 26: Beginn und Bestand der Kooperationen an Ganztagsschulen (in %) Zeitpunkt der Begründung der Kooperationen

Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

Vor Beginn der Bildungsoffensive entstanden

56,1

75,0

48,3

Nach Beginn der Bildungsoffensive entstanden

43,9

25,0

51,7

41

12

29

n

8.3.5 Zusammenarbeit mit der kommunalen Schulverwaltung Aus den Ergebnissen der Dokumentenanalyse (vgl. Kap. 7.2) wird deutlich, dass neue Kommunikations- und Vernetzungsstrukturen im Rahmen der Bildungsoffensive umgesetzt wurden. Dies betrifft auch die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Bildungseinrichtungen und dem kommunalen Träger. Um Hinweise auf mögliche Veränderungen in der Zusammenarbeit zu erhalten, wurden die Schulleitungen um eine Einschätzung zur Zufriedenheit mit der Trägerzusammenarbeit gebeten. Sowohl an Ganztagsgrundschulen als auch -sekundarschulen geben die meisten Schulleitungen an, eher zufrieden mit der Zusammenarbeit zu sein. Ein höheres Maß an Unzufriedenheit wird lediglich an einer Ganztagsschule im Sekundarbereich deutlich (vgl. Tab. 27).

8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung

171

Tabelle 27: Zufriedenheit mit der Trägerzusammenarbeit an Ganztagsschulen (Anzahl der Schulen) Antwortkategorien

Insgesamt

Grundschulen

Sekundarschulen

Überhaupt nicht zufrieden

-

-

-

Eher nicht zufrieden

1

-

1

Eher zufrieden

6

3

3

Voll und ganz zufrieden

1

-

1

n

8

3

5

Zusätzlich können anhand der Angaben der Schulleitungen für verschiedene Bereiche positive und negative Veränderungen im Verlauf der Bildungsoffensive in der Zusammenarbeit ermittelt werden. Die Ergebnisse sind Tabelle 28 zu entnehmen. Tabelle 28: Veränderungen in der Zusammenarbeit mit dem Träger seit Beginn der Bildungsoffensive an Ganztagsschulen nach Bereichen (n = 9; Anzahl der Schulen) Verschlechterung

Keine Veränderungen

Verbesserung

Zusammenarbeit insgesamt

-

5

4

Informationsaustausch

1

4

4

Beteiligung bei wichtigen Entscheidungen

1

5

3

Umgang mit Verbesserungsvorschläge

-

6

3

Unterstützung bei finanziellen Angelegenheiten

-

8

1

Bereiche der Zusammenarbeit

Seit Beginn der Bildungsoffensive ist es in allen abgefragten Bereichen zu Verbesserungen in der Zusammenarbeit mit der kommunalen Schulverwaltung gekommen. Verbesserungen nehmen die Ganztagsschulleitungen insbesondere im Bereich des Informationsaustausches, der Beteiligung bei wichtigen Entscheidungen und dem Umgang mit Verbesserungen wahr. Verschlechterungen in der Zusammenarbeit mit dem Träger werden an jeweils einer Ganztagsschule im

172

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Bereich des Informationsaustauschs und der Beteiligung bei wichtigen Entscheidungen sichtbar. Insgesamt nehmen vier Schulleitungen eine Verbesserungen in der Zusammenarbeit mit dem Träger seit Beginn der Bildungsoffensive war. Verbesserungen in der Zusammenarbeit werden insbesondere an den Ganztagssekundarschulen wahrgenommen. An den Grundschulen mit Ganztagsangebot geben die Schulleitungen lediglich für den Bereich des Informationsaustausch und der Beteiligung an wichtigen Entscheidungen Verbesserungen in der Zusammenarbeit seit Beginn der Bildungsoffensive an.

8.3.6 Analyse zu kommunalen Einflussfaktoren Im Folgenden wird anhand von Zusammenhangsanalysen untersucht, inwieweit die oben beschriebenen kommunalen Faktoren den Ausbau der Ganztagsschulen und der Kooperationsbeziehungen beeinflusst haben. Da sich die Auswertungen auf eine sehr kleine Stichprobe (n = 9) beziehen, ist das Aufzeigen von signifikanten Zusammenhängen erschwert. So ist die Aussagekraft einer Korrelation zum einen von der Höhe der Korrelation, aber auch von der Größe der Stichprobe abhängig. Die statistische Kennzahl der Signifikanz berücksichtigt jedoch sowohl die Höhe der Korrelation als auch die Größe der Stichprobe. Bei sehr kleinen Stichproben muss die Korrelation extrem groß ausfallen, um signifikant sein zu können. Bei großen Stichproben kann hingegen bereits eine Korrelation von r = 0,2 signifikant werden. Für eine Stichprobe der Größe n = 20 finden sich für eine einseitige Irrtumswahrscheinlichkeit (Signifikanz) folgende Grenzwerte: ƒ ƒ

Irrtumswahrscheinlichkeit p  5%: r muss größer sein als 0,377. Irrtumswahrscheinlichkeit p  1%: r muss größer sein als 0,534.

Für eine Stichprobe von n = 9 muss demzufolge die Korrelation noch größer ausfallen, um signifikante Zusammenhänge zwischen zwei Merkmalen zu beschreiben. Für die Interpretation der Ergebnisse muss allerdings zusätzlich beachtet werden, dass die Größe einer Korrelation gerade bei kleinen Stichproben weniger aussagekräftig ist. Das Erzielen hoher Korrelationen ist bei kleinen Stichproben leichter. Aus diesem Grund wird bei den nachfolgenden Ergebnissen auf eine Interpretation der Korrelation gemäß dem Prinzip „Je größer r, desto aussagekräftiger ist die Korrelation“ verzichtet. Vielmehr soll es darum gehen, ‚mögliche‘ kommunale Einflussfaktoren auf die Ganztagsschulentwicklung zu bestimmen. Eine Einschätzung hinsichtlich der Bedeutsamkeit der Faktoren wird nicht vorgenommen. Im Rahmen der Auswertung der Interviews mit den Schul-

8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung

173

leitungen wurde zusätzlich versucht, die Ergebnisse abzusichern und weitere kommunale Einflussfaktoren zu ermitteln. (vgl. Kap. 9). Um die Bedeutung kommunaler Einflussfaktoren auf den Ganztagsschulausbau zu überprüfen, bieten sich folgende Variablen an: ƒ

ƒ ƒ

ƒ

Identifikation mit der Bildungsoffensive: Diese Skala beinhaltet die Bekanntheit des Begriffs und der Ziele der Bildungsoffensive in den Bildungseinrichtungen. Zudem umfasst die Skala die Verankerung der Maßnahmen und Leitlinien der Bildungsoffensive innerhalb der Schulkonzeption und des Schulprogramms. Insgesamt werden vier Items zusammengefasst (Cronbachs  = 0,8). Teilnahme an Maßnahmen der Bildungsoffensive Ulm: In die Analyse geht die Anzahl der durchgeführten Maßnahmen je Ganztagsschule ein. Kooperationen nach Beginn der Bildungsoffensive Ulm: Für die Analyse wird die Anzahl der Kooperationsbeziehungen, die nach Beginn der Bildungsoffensive Ulm an den Ganztagsschulen etabliert wurden, berücksichtigt. Zufriedenheit mit der Trägerzusammenarbeit.

Tabelle 29 gibt die Ergebnisse der Korrelationsanalyse wieder. Die ermittelten Korrelationen liegen fast durchweg im nicht signifikanten Bereich. Lediglich für die Bereiche Identifikation mit der Bildungsoffensive Ulm und Anzahl der durchgeführten Maßnahmen je Schule ergeben sich signifikante Zusammenhänge mit dem Ausbau der Kooperationsbeziehungen. So geht eine höhere Identifikation mit der Bildungsoffensive Ulm mit einer höheren Ausprägung des Kooperationsindex einher. Ebenso kovariiert eine höhere Anzahl an Maßnahmen, an denen im Rahmen der Bildungsoffensive teilgenommen wird, mit einem höheren Ausbauniveau der Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen. Um eine Einschätzung zu möglichen Einflüssen zu bekommen, die durch die Korrelationsanalyse aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht aufgedeckt werden, wurden zudem die Mittelwerte der Ausprägungen auf den einzelnen Variablen betrachtet. Dabei zeigt sich, dass mit zunehmender Bekanntheit des Begriffs und der Ziele der Bildungsoffensive Ulm, ein steigendes Ausbauniveau der Ganztagsschulen und Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen einhergeht. Dies trifft ebenso auf die Verankerung von Maßnahmen und Leitlinien der Bildungsoffensive im Schulkonzept zu. Hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Trägerzusammenarbeit und Festschreibung von Maßnahmen und Zielen der Bildungsoffensive im Schulprogramm werden keine Tendenzen sichtbar.

174

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Tabelle 29: Korrelation zwischen den einzelnen Ausbauindikatoren und möglichen kommunalen Einflussfaktoren (n = 9) Identifikation mit der BOUL

Teilnahme an Maßnahmen der BOUL

Kooperationen Zufriedenheit nach Beginn der mit TrägerzuBOUL sammenarbeit

Ausbauniveau insgesamt

0,370

0,378

0,270

-0,109

Zeitlicher Umfang des Ganztagsbetriebs

0,322

0,230

0,260

-0,516

Ausbauqualität der pädagogischen Richtlinien

-0,305

-0,129

-0,081

-0,450

Ausbauqualität der päd. Gestaltungsansätze

0,109

0,479

0,393

-0,109

Ausbauqualität der räumlichen Ressourcen

0,422

0,051

0,086

0,165

Ausbaugrad der Angebotsqualität

0,529

0,605

-0,098

0,109

Ausbauniveau Kooperation

0,672*

0,756*

-0,012

-0,109

BOUL = Bildungsoffensive Ulm; *p < 0,05

Um mögliche Zusammenhänge zwischen dem Ausbauniveau und der Teilnahme an Maßnahmen, die seit Beginn der Bildungsoffensive in der Stadt Ulm umgesetzt werden, zu ermitteln und ggf. abzusichern, wurden zusätzlich Streudiagramme erstellt. Mithilfe von Streudiagrammen lassen sich Zusammenhänge zwischen zwei Variablen aufdecken. Streuen die Datenpunkte um eine Linie, liegt eine Korrelation vor. Ein entscheidender Vorteil dieses Diagramms liegt darin, dass – gerade bei kleinen Stichproben – Ausreißer leicht entdeckt werden können (vgl. Bannert 2006, S. 173). Ein positiver Zusammenhang wird für die Variable „Teilnahme an Maßnahmen der Bildungsoffensive“ und dem Ausbauniveaus der Ganztagsschulen sowie dem Ausbauniveau der Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen deutlich. Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Ausbauniveau der Ganztagsschulen und der Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen sowie der Anzahl der Kooperationen, die seit Beginn der Bildungsoffensive Ulm entstanden sind, zeigen sich keine Zusammenhänge. Abschließend wird der Einfluss der Investitionen durch die Bildungsoffensive Ulm auf den Ganztagsschul- und Kooperationsausbau überprüft. Die Ausprägungen der Variablen sind in Tabelle 30 dargestellt. Sowohl für das Ausbauniveau der Ganztagsschulen als auch der Kooperationen zeigt sich, dass Investi-

8.3 Einfluss der Bildungsoffensive auf die Ganztagsschulentwicklung

175

tionen der Stadt Ulm in die Schulen mit einem positiven Ausbau der Schulen und Kooperationsbeziehungen einhergehen. Tabelle 30: Einfluss der Investitionen durch die Bildungsoffensive Ulm auf den Ganztagsschulausbau und den Ausbau der Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen (Mittelwerte; Standardabweichungen) Profitierung von Investitionen durch die Bildungsoffensive

n

M

s

Ja

7

4,92

7,92

Nein

2

-3,22

0,63

Ja

7

0,28

0,68

Nein

2

-0,07

1,16

Ausbauniveau insgesamt Ausbauniveau Kooperation

8.3.7 Zusammenfassung Die hier vorgestellten Analysen zu möglichen kommunalen Einflussfaktoren der Ganztagsschulentwicklung in Ulm machen deutlich, dass die Schulen die einzelnen Faktoren sehr unterschiedlich wahrnehmen. Hinsichtlich der Bekanntheit des Begriffs und der Ziele zeigt sich, dass diese den Schulleitungen bekannter sind als den Lehrern und Eltern. Dies trifft gleichermaßen auf Grundschulen und Sekundarschulen mit Ganztagsangebot zu. Etwa in der Hälfte der Ganztagsschulen sind die Leitlinien und Maßnahmen der Bildungsoffensive im Leitbild und Schulprogramm verankert. Finanzielle Zuwendungen des kommunalen Schulträgers stellen die wichtigste Finanzierungsquelle der Ulmer Ganztagsschulen dar. Darüber hinaus haben sieben Ganztagsschulen von zusätzlichen finanziellen Mitteln der Stadt profitiert, die vor allem für den Ausbau der räumlichen Ressourcen genutzt wurden. Sekundarschulen profitierten dabei deutlich häufiger von den zusätzlichen finanziellen Mitteln als Ganztagsgrundschulen. Im Rahmen der Bildungsoffensive wurden zahlreiche Maßnahmen eingeführt, die Umsetzung der Ziele unterstützen sollen. In den Ganztagsschulen werden im Mittel sechs Maßnahmen durchgeführt. Dies sind deutlich mehr als in Halbtagsschulen, in denen durchschnittlich drei Maßnahmen pro Schule umgesetzt werden. Die umgesetzten Maßnahmen lassen sich vor allem der Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund, der allgemeinen Förderung von Begabungen und der Förderung der Ausbildungsreife von Schülern zuordnen. Für die Umsetzung der Maßnahmen spielen Kooperationen eine wichtige Rolle. 44% der

176

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

bestehenden Kooperationen an Ganztagsschulen sind im Verlauf der Bildungsoffensive entstanden: jede vierte Kooperationen an Grundschulen und jede zweite Kooperation an Sekundarschulen mit Ganztagsangebot. In Bezug auf die Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit zwischen den Ganztagsschulen und den kommunalen Schulträgern zeigt sich eine hohe bis sehr hohe Zufriedenheit. In allen Bereichen der Zusammenarbeit werden Verbesserungen seit Beginn der Bildungsoffensive deutlich. Dies trifft insbesondere auf den Informationsaustausch zu. Lediglich je eine Schule gibt an, Verschlechterungen in der Zusammenarbeit hinsichtlich des Informationsaustausches und der Beteiligung bei wichtigen Entscheidungen wahrzunehmen. Die Zusammenhangsanalysen zwischen kommunalen Faktoren und dem Ganztagsschulausbau bzw. dem Ausbau der Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen zeigen, dass eine höhere Identifikation mit der Bildungsoffensive Ulm und eine höhere Anzahl an durchgeführten Maßnahmen mit einer höheren Ausprägung des Kooperationsindex einhergehen. Alle weiteren ermittelten Zusammenhänge liegen durchweg im nicht signifikanten Bereich. Tendenziell werden jedoch auch positive Zusammenhänge zwischen dem Erhalt von finanziellen Mitteln seitens der Stadt Ulm und der Ausprägungen des Ausbauniveaus der Ganztagsschulen und Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen deutlich.

8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive Die Festlegung bildungspolitischer Leitlinien ist bereits zu Beginn der Bildungsoffensive geleistet worden. Sie geben Visionen für das zielorientierte Arbeiten der Verwaltung, aber auch der einzelnen Schulen vor. Aufgrund der querschnittlichen Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes ist eine Beschreibung des Anfangs- im Vergleich zum gegenwärtigen Zielzustand nicht möglich. Auf der Grundlage der Einschätzungen der Lehrkräfte und Eltern können jedoch der gegenwärtige Ist-Zustand beschrieben und Zielbereiche mit weiterem Entwicklungsbedarf aufgezeigt werden. Für die Ermittlung der Zielerreichung wurden die Lehrer und Eltern gebeten zwölf Items auf einer vierstufigen Antwortskala (1 = nicht erreicht; 4 = erreicht) einzuschätzen. Die Items wurden im Nachhinein den fünf übergeordneten Leitlinien der Bildungsoffensive zugeordnet: ƒ ƒ ƒ ƒ

Ausbau der Medieninfrastruktur, Förderung/Prävention, Förderung von Migrantenkindern, Kooperation/Vernetzung und

8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive ƒ

177

Ausbau von Ganztagsangeboten.

Im Folgenden werden zunächst die Ergebnisse der Lehrkräfte und Eltern getrennt voneinander dargestellt. Anschließend sollen mögliche Einflussfaktoren der Zielerreichung ermittelt werden.

8.4.1 Zielerreichung aus Sicht der Lehrkräfte Für die Gruppe der Lehrer zeigt sich, dass diese die Erreichung der Ziele der Bildungsoffensive im Mittel als ein wenig bis einigermaßen erreicht einschätzen. Dabei werden teils signifikante Unterschiede in der Beurteilung der Zielerreichung zwischen Lehrkräften aus Ganztagsgrundschulen und -sekundarschulen offensichtlich. Lehrer sehen den Ausbau der Medieninfrastruktur und der Ganztagsangebote an Sekundarschulen besser ausgebaut als an Grundschulen. In den Grundschulen wird die Umsetzung von Förderung/Prävention etwas besser eingeschätzt als an Sekundarschulen. Insgesamt liegen die Bewertungen der Lehrkräfte an Ganztagsschulen unterschiedlicher Schulformen nicht weit auseinander (vgl. Abb. 7). Für die Korrelation der Zielbewertungen untereinander zeigt sich, dass alle Ziele in einem positiv schwachen bis starken Zusammenhang zueinander stehen. Um weitere Einflussfaktoren aufdecken zu können, wurden folgende Merkmale in die Analyse mit einbezogen: ƒ

ƒ ƒ ƒ ƒ

ƒ

Teamklima (8 Items, Cronbachs alpha = 0,9): Diese beinhaltet die Zusammenarbeit zwischen Schulleitung und Lehrern sowie den Lehrkräften untereinander. Des Weiteren fällt hierunter das Fällen von Konsensentscheidungen und der Absprachen untereinander. Häufigkeit der Zusammenarbeit mit Kindertageseinrichtungen. Häufigkeit der Zusammenarbeit mit anderen Schulen. Einstellungen zu Kooperationen (7 Items, Cronbachs alpha = 0,8): Die Skala bezieht sich auf die Einschätzungen der Lehrkräfte zur Notwendigkeit der Öffnung der Schule zum kommunalen Umfeld. Einstellung zum Ganztagsangebot an der eigenen Schule (7 Items, Cronbachs alpha = 0,7): Diese Skala umfasst die Bewertung des Ganztagsangebots aus Sicht der Lehrer. Unter anderem fallen hierunter Einschätzungen zur Wirkung des Ganztagsangebots auf die Entwicklung der Schüler und das eigene Engagement im Ganztagsbereich. Bewertung der Arbeitssituation an der Ganztagsschule (5 Items, Cronbachs alpha = 0,6): Die Einrichtung einer Ganztagsschule hat unterschiedliche

178

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm Auswirkungen auf die Tätigkeiten des Lehrerkollegiums. Hierzu zählen z.B. die verstärkte Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern und eine Veränderung des zeitlichen Rhythmus des Arbeitsalltags. Anhand dieser Skala werden die Veränderungen von den Lehrern zusammenfassend bewertet. Einrichtungszufriedenheit (3 Items, Cronbachs alpha = 0,8): Diese Skala thematisiert, ob die Lehrer gerne an der Schule tätig sind und wie sie die Schule wahrnehmen.

ƒ

Abbildung 7:

Einschätzung der Zielerreichung durch die Lehrkräfte an Ganztagsschulen nach Schulformen (Mittelwerte)

4

3

2,88 3,00 2,46

2,49 2

2,34 2,23

2,20

2,35

2,63

2,38

1

0 Ausbau der Medieninfrastruktur

Förderung/ Prävention

Förderung von Migrantenkindern

Grundschulen (n>40)

Kooperation/ Vernetzung

Ausbau von Ganztagsangeboten

Sekundarschulen (n>95)

Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen bei folgenden Zielsetzungen: Ausbau der Medieninfrastruktur (T = -2,542; df = 68; p < 0,05); Förderung/Prävention (T = 2,569; df = 141; p < 0,05); Ausbau von Ganztagsangeboten (T = -2,036; df = 62; p < 0,05)

Tabelle 31 gibt die Beziehungen zwischen Zielbewertung und den beschriebenen individuellen Merkmalen wieder: Das Beziehungsmuster zeigt, dass insbesondere das Teamklima an Ganztagsschulen die Zielbewertungen der Lehrer beeinflusst. In Ganztagsschulen, in denen ein gutes Klima zwischen Lehrkräften und der Schulleitung herrscht, in den Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und Absprachen zwischen den Lehrern stattfinden, wird die Umsetzung der Zielsetzungen besser bewertet. Geben die befragten Lehrkräfte an, häufig mit anderen Schulen zu kooperieren, wird das Ziel „Förderung von Migrantenkindern“

8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive

179

als eher erreicht eingestuft. Zudem besteht ein schwacher signifikant positiver Zusammenhang zwischen der Einrichtungszufriedenheit und der Bewertung der Ziele „Förderung/Prävention“, „Förderung von Migrantenkindern“ und „Kooperation/Vernetzung“. Tabelle 31: Korrelation der Zielbewertungen der Lehrkräfte mit verschiedenen individuellen Merkmalen (n > 85) Ausbau der Medieninfrastruktur

Förderung / Prävention

Förderung von Migrantenkindern

Kooperation / Vernetzung

Ausbau der Ganztagsangebote

Teamklima

0,278**

0,357***

0,284**

0,329***

0,224**

Kooperationen mit Kitas

0,020

-0,042

0,160

0,029

-0,048

Kooperationen mit Schulen

0,081

0,003

0,202*

0,072

0,026

Einstellung zu Kooperationen

0,056

-0,030

-0,046

-0,013

-0,105

Einstellung zum Ganztag

-0,008

0,044

0,046

0,114

-0,049

Arbeitssituation

0,032

0,017

-0,073

-0,019

-0,151

Einrichtungszufriedenheit

0,031

0,280**

0,216**

0,219**

0,128

Kitas = Kindertageseinrichtungen; *p < 0,05; **p < 0,01; ***p < 0,001

8.4.2 Zielerreichung aus Sicht der Eltern Wie bereits bei den Lehrern zeigt sich auch für die Befragtengruppe der Eltern, dass diese die Erreichung der Ziele im Mittel als wenig bis einigermaßen erreicht einschätzen (vgl. Abb. 8). In Ganztagssekundarschulen werden der Ausbau der Medieninfrastruktur und der Ganztagsangebote positiver bewertet als in Ganztagsgrundschulen. Förderung/Prävention, die Förderung der Migrantenkinder und der Bereich Kooperation/Vernetzung werden hingegen von Grundschuleltern besser bewertet. Insgesamt wird deutlich, dass aus Sicht der Eltern in Grundschulen und Sekundarschulen mit Ganztagsangebot die Stärken und Schwächen unterschiedlich verteilt sind.

180

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Abbildung 8:

Einschätzung der Zielerreichung durch die Eltern an Ganztagsschulen nach Schulformen getrennt (Mittelwerte)

4 3,04

2,95

3

2,66

2,74

3,09 2,74

2,27

2,66

2,54

2,91

2

1

0 Ausbau der Medieninfrastruktur

Förderung/ Prävention

Förderung von Migrantenkindern

Grundschulen (n>52)

Kooperation/ Vernetzung

Ausbau von Ganztagsangeboten

Sekundarschulen (n>212)

Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen bei folgenden Zielsetzungen: Ausbau der Medieninfrastruktur (T = -4,414; df = 68; p < 0,001); Förderung von Migrantenkindern (T = 2,182; df = 275; p < 0,05); Ausbau von Ganztagsangeboten (T = -2,269; df = 263; p < 0,05)

Für die Befragtengruppe der Eltern wird ebenso wie für die Lehrer sichtbar, dass alle Ziele in einem positiv starken bis sehr starken Zusammenhang zueinander stehen. Berücksichtigt man neben der Schulform zudem verschiedene Individualmerkmale, zeigt sich, dass Eltern mit Migrationshintergrund die Ziele Förderung der Migrantenkindern, Kooperation/Vernetzung und Ausbau von Ganztagsangeboten signifikant schlechter bewerten als Eltern ohne Migrationshintergrund. Für die Variablen Bildungshintergrund der Eltern, Familienform und Berufssituation der Mutter werden keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Gruppen sichtbar. Für die Individualmerkmale muss jedoch einschränkend betont werden, dass die einzelnen betrachteten Gruppen sehr unterschiedliche Stichprobengröße aufweisen. Diese Heterogenität kann das Aufzeigen von statistisch bedeutsamen Zusammenhängen erschweren. Zusätzlich wird das Zusammenspiel der verschiedenen Variablen auf die Einschätzungen der Eltern zur Zielerreichung anhand von fünf multiplen linearen Regressionsgleichungen (Methode: Einschluss) näher bestimmt. Da es sich bei

8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive

181

den unabhängigen Variablen ausschließlich um dichotome oder ordinalskalierte Variable handelt, werden diese als sog. Dummy-Variablen in die Regionsgleichung aufgenommen (vgl. Tab. 32). Tabelle 32: Kodierung der Dummy-Variablen für die Regressionsgleichung Variablen

Kodierung

Schulform

1 = Grundschule 2 = Sekundarschule

Organisationsform der Ganztagsschule

1 = Offen 2 = Teilgebunden/Voll gebunden

Bildungsstatus der Eltern

1 = Niedriger Bildungshintergrund 2 = Höherer Bildungshintergrund

Migrationshintergrund

1 = Kein Migrationshintergrund 2 = Mit Migrationshintergrund

Familienform

1 = Andere Familienform 2 = Alleinerziehend

Berufssituation der Mutter

1 = Nicht berufstätig 2 = Berufstätig

Betrachtet man die Einflüsse auf die Bewertung der Zielerreichung der fünf bildungspolitischen Leitlinien, so kann für drei Modelle (Förderung/Prävention, Förderung von Migrantenkindern, Kooperation/Vernetzung) kein Zusammenhang zwischen den Untersuchungsvariablen nachgewiesen werden. Für das Ziel „Ausbau der Medieninfrastruktur“ ergibt sich lediglich ein signifikanter Zusammenhang mit der Schulform. An Grundschulen wird der Ausbau der Medieninfrastruktur schlechter bewertet als an Sekundarschulen. Für den Ausbau der Ganztagsangebote zeigt sich zudem ein signifikanter Zusammenhang mit dem Migrationshintergrund der Eltern. Eltern ohne Migrationshintergrund sehen den Ausbau von Ganztagsangeboten eher erreicht als Eltern mit Migrationshintergrund. Der Anteil der Varianzaufklärung fällt für beide Modelle jedoch eher gering aus (vgl. Tab. 33).

182

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

Tabelle 33: Einflüsse auf die Bewertung der Zielerreichung von Eltern an Ganztagsschulen Variablen

Ausbau der Medieninfrastruktur

Förderung/Prävention

Stand. Koeff. (B)

Signifikanz

Stand. Koeff. (B)

Signifikanz

Schulform

0,304

p< 0,001

0,114

n.s.

Organisationsform der Ganztagsschule

0,002

n.s.

0,002

n.s.

Migrationshintergrund

-0,023

n.s.

-0,263

p< 0,01

Bildungsstatus der Eltern

0,056

n.s.

0,128

n.s.

Familienform

-0,060

n.s.

-0,058

n.s.

Berufssituation der Mutter

-0,028

n.s.

0,067

n.s.



7%

10%

n

170

167

n.s. = nicht signifikant

Neben den beschriebenen individuellen Charakterisierungsmerkmalen konnten anhand verschiedener Fragebogenitems drei Skalen gebildet werden, die Aussagen zur Zusammenarbeit der Schule mit den Eltern sowie zur Zufriedenheit der Eltern mit der Schule und dem Ganztagsbetrieb beinhalten: ƒ ƒ ƒ

Elterninformiertheit (4 Items, Cronbachs alpha = 0,8), Zufriedenheit mit dem Ganztagsangebot (8 Items, Cronbachs alpha = 0,9), Einrichtungszufriedenheit (8 Items, Cronbachs alpha = 0,9).

Zwischen den Angaben zur Elterninformiertheit und den Einschätzungen zur Zielerreichung bestehen signifikante Zusammenhänge (vgl. Tab. 34). Eltern, die sich gut über die Einrichtung ihres Kindes informiert fühlen, sehen die einzelnen Ziele eher erreicht, als Eltern, die angeben, wenig Informationen zu erhalten. Dies trifft auch auf die Zufriedenheitsskalen zu. Eltern mit höheren Zufriedenheitswerten geben häufiger an, dass eine positive Umsetzung der einzelnen Zielbereiche zu erkennen ist.

8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive

183

Tabelle 34: Korrelation der Zielbewertungen der Eltern mit verschiedenen Zufriedenheitsskalen (n > 85) Ausbau der Medieninfrastruktur

Förderung / Prävention

Förderung von Migrantenk indern

Kooperation / Vernetzung

Ausbau der Ganztagsangebote

Elterninformiertheit

0,237***

0,467***

0,382***

0,366***

0,327***

Zufriedenheit mit dem Ganztagsangebot

0,254***

0,318***

0,259***

0,262***

0,317***

Einrichtungszufriedenheit

0,209**

0,486***

0,417***

0,358***

0,309***

*p < 0,05; **p < 0,01; ***p < 0,001

8.4.3 Einflussfaktoren auf Organisations- und kommunaler Ebene Abschließend soll untersucht werden, inwieweit der jeweilige Ausbaustand der Ganztagsschulen und der Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen sowie die in Kapitel 8.3 beschriebenen kommunalen Faktoren die Zielbewertungen der Lehrer und Eltern beeinflussen. Für die entsprechenden Erklärungsmodelle bieten sich folgende kommunale Faktoren an: ƒ ƒ ƒ

Anzahl der Maßnahmen, an denen die Schule seit Beginn der Bildungsoffensive teilgenommen hat. Entwicklung der Anzahl der Kooperationen an der Schule seit Beginn der Bildungsoffensive. Erhaltene finanzielle Unterstützung von der Kommune.

Auf dieser Variablengrundlage werden multiple Regressionen (Methode: Einschluss) berechnet. Da es sich bei der Variable „Profitierung von Investitionen durch die Bildungsoffensive Ulm“ um eine dichotome Variable handelt, wird diese als sogenannte Dummy-Variable in die Regressionsgleichung aufgenommen. Für die Zieleinschätzungen der Lehrer können mithilfe der verschiedenen Organisations- und kommunalen Faktoren 10% der Varianz des Zielfaktors „Kooperation/Vernetzung“ und 15% der Varianz des Zielfaktors „Ausbau von Ganztagsangeboten“ erklärt werden (vgl. Tab. 35). Dabei spielen bei der Bewertung des Kooperations- und Vernetzungsbereichs das Ausbauniveau der Kooperationen an Ganztagsschulen sowie die Anzahl der Maßnahmen, die an den Schulen

184

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

durchgeführt werden, eine Rolle: Mit abfallendem Ausbauniveau der Kooperationen an Ganztagsschulen wird die Öffnung der Schule zum Sozialraum und der Gemeinde von den Lehrern besser bewertet. Zugleich führt eine steigende Zahl an Maßnahmen, die an den Schulen durchgeführt werden, zu einer besseren Bewertung des Zielfaktors. Andere Organisations- und kommunalen Faktoren sind nicht entscheidend. Für die Bewertung des Zielfaktors „Ausbau von Ganztagsangeboten“ ergibt sich ein signifikanter Zusammenhang mit der erhaltenen finanziellen Unterstützung der Schulen. An Ganztagsschulen, die finanzielle Mittel im Rahmen der Bildungsoffensive erhalten haben, schätzen die Lehrkräfte den Ausbau der Ganztagsangebote deutlich besser ein als an Ganztagsschulen, die keine finanziellen Mittel erhalten haben. Für die drei Modelle (Ausbau der Medieninfrastruktur, Förderung/Prävention, Förderung von Migrantenkindern) kann kein Zusammenhang zwischen den Untersuchungsvariablen nachgewiesen werden. Tabelle 35: Einfluss von Organisations- und kommunalen Faktoren auf die Zielerreichung an Ganztagsschulen (Befragtengruppe: Lehrer) Kooperation / Vernetzung Variablen

Ausbau der Ganztagsangebote

Stand. Koeff. (B)

Signifikanz

Stand. Koeff. (B)

Signifikanz

Ausbauniveau insgesamt

0,071

n.s.

0,151

n.s.

Ausbauniveau Kooperation

-0,484

p < 0,05

-0,014

n.s.

Teilnahme an Maßnahmen der BOUL

0,416

p < 0,01

-0,185

n.s.

Kooperationen nach Beginn der BOUL

-0,016

n.s.

-0,320

n.s.

Profitierung von Investitionen der BOUL

-0,038

n.s.

-0,492

p < 0,05



10%

15%

n

117

111

BOUL = Bildungsoffensive Ulm; Profitierung von Investitionen der BOUL: 1 = ja; 2 = nein; n.s. = nicht signifikant

Für die Befragtengruppe der Eltern ergeben sich für die Zielfaktoren „Ausbau der Medieninfrastruktur“ (R² = 16%), „Förderung/Prävention“ (R² = 7%) und „Ausbau der Ganztagsangebote“ (R² = 5%) signifikante Zusammenhänge mit den berücksichtigten Einflussgrößen (vgl. Tab. 36). Auf der Organisationsebene zeigt sich, dass Eltern an besser ausgebauten Ganztagsschulen den Ausbau der

8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive

185

Medieninfrastruktur höher einschätzen als an Ganztagsschulen mit niedrigem Ausbauniveau. Die Teilnahme an zahlreichen Maßnahmen der Bildungsoffensive beeinflusst die Zielbewertung der Eltern hingegen negativ. Tabelle 36: Einfluss von Organisations- und kommunalen Faktoren auf die Zielerreichung an Ganztagsschulen (Befragtengruppe: Eltern) Ausbau der Medieninfrastruktur Variablen

Förderung/ Prävention

Ausbau der Ganztagsangebote

Stand. Koeff. (B)

Signifikanz

Stand. Koeff. (B)

Signifikanz

Stand. Koeff. (B)

Signifikanz

Ausbauniveau insgesamt

0,422

p < 0,001

-0,262

p < 0,05

0,179

n.s.

Ausbauniveau Kooperation

-0,226

n.s.

0,371

p < 0,01

-0,307

p < 0,05

Teilnahme an Maßnahmen der BOUL

-0,225

p < 0,05

-0,182

n.s.

0,028

n.s.

Kooperationen nach Beginn der BOUL

0,061

n.s.

-0,272

p < 0,01

-0,038

n.s.

Profitierung von Investitionen der BOUL

-0,083

n.s.

-0,439

p < 0,001

-0,088

n.s.



16%

7%

5%

n

209

226

203

BOUL = Bildungsoffensive Ulm; Profitierung von Investitionen der BOUL: 1 = ja; 2 = nein; n.s. = nicht signifikant

Die Umsetzung der Förderung von Kindern und Jugendlichen wird an Ganztagsschulen, die finanzielle Mittel im Rahmen der Bildungsoffensive erhalten haben und ein hohes Ausbauniveau der Kooperationsbeziehungen aufweisen, besser bewertet. Gleichzeitig zeigt sich, dass bei steigendem Ausbauniveau der Ganztagsschulen und steigender Zahl von Maßnahmen, die an der Schule durchgeführt werden, der Bereich Förderung leistungsschwacher und -starker Schüler von den Eltern als weniger erreicht eingeschätzt wird. Für die Bewertung des Ausbaus von Ganztagsangeboten wird ein negativer Zusammenhang mit dem Ausbauniveau der Kooperationen an Ganztagsschulen sichtbar. An Ganztagsschulen, die ein hohes Ausbauniveau im Bereich der Kooperation und Vernetzung aufweisen, wird der Ausbau der Ganztagsangebote von den Eltern signifikant schlechter eingeschätzt als an Ganztagsschulen, die

186

8 Ganztagsschulentwicklung in Ulm

ein niedrigeres Ausbauniveau der Kooperationen aufweisen. Möglichen Erklärungsansätzen und Hintergründen der Zielbewertungen werden im Rahmen der Diskussion der Ergebnisse in Kapitel 10 nachgegangen.

8.4.4 Zusammenfassung In Kapitel 8.4 wurde eine erste Bewertung der Erreichung der Ziele der Bildungsoffensive Ulm auf der Grundlage subjektiver Einschätzungen von Lehrern und Eltern vorgenommen. Wie die Analysen illustrieren, schätzen sowohl die Lehrer als auch die Eltern die Ziele der Bildungsoffensive im Mittel als ein wenig bis einigermaßen erreicht ein. Die nach Gruppen differenzierten Resultate geben zudem Hinweise für mögliche Weiterentwicklungen der Ganztagsschulen: Lehrer sehen insbesondere die Ziele „Förderung/Prävention“, „Förderung von Migrantenkindern“ und „Kooperation/Vernetzung“ als wenig erreicht an. In weiteren Analysen zu den Bedingungen der Zielbewertung lässt sich auf Individualebene festhalten, dass ein positiv wahrgenommenes Klima zwischen Schulleitung und Lehrern sowie den Lehrkräften untereinander, die einzelnen Zielbewertungen positiv beeinflusst. Für die Zieleinschätzungen der Lehrer können außerdem mithilfe verschiedener Organisations- und kommunaler Faktoren 10% der Varianz des Zielfaktors „Kooperation/Vernetzung“ und 15% der Varianz des Zielfaktors „Ausbau von Ganztagsangeboten“ erklärt werden. Je niedriger das Ausbauniveau der Kooperationen an Ganztagsschulen und je höher die Zahl der Maßnahmen, die an den Schulen durchgeführt werden, desto besser wird die Öffnung der Schule zum Sozialraum und der Gemeinde von den Lehrern beurteilt. Für die Bewertung des Zielfaktors „Ausbau von Ganztagsangeboten“ ergibt sich ein signifikanter Zusammenhang mit der erhaltenen finanziellen Unterstützung der Schulen: An Ganztagsschulen, die finanzielle Mittel im Rahmen der Bildungsoffensive erhalten haben, schätzen die Lehrkräfte den Ausbau der Ganztagsangebote deutlich besser ein. Grundschuleltern bewerten den Ausbau der Medieninfrastruktur und den Ausbau von Ganztagsangeboten signifikant schlechter als Sekundarschuleltern, die Förderung von Migrantenkindern hingegen signifikant besser. Eltern mit Migrationshintergrund sehen darüber hinaus den Bereich „Förderung/Prävention“ signifikant schlechter umgesetzt als Eltern ohne Migrationshintergrund. Zugleich wird deutlich, dass mit steigender Informiertheit und Zufriedenheit der Eltern die einzelnen Ziele besser bewertet werden. Im Bereich der Organisations- und kommunalen Faktoren ergeben sich für die Zielfaktoren „Ausbau der Medieninfrastruktur“, „Förderung/Prävention“ und „Ausbau der Ganztagsangebote“ signifikante Zusammenhänge mit den berücksichtigten Ein-

8.4 Subjektive Einschätzung zur Zielerreichung der Bildungsoffensive

187

flussgrößen: Die Analyse belegt, dass ein höheres Ausbauniveau und eine geringe Maßnahmenvielfalt an Ganztagsschulen mit einer besseren Bewertung des Ausbaus der Medieninfrastruktur einhergeht. Ferner führt ein hohes Ausbauniveau der Kooperationsbeziehungen und eine Profitierung von den finanziellen Zuwendungen im Rahmen der Bildungsoffensive zu einer besseren Bewertung der Umsetzung der Förderung von Kindern und Jugendlichen. Ein gewisser negativer Effekt ergibt sich für das Ausbauniveau der Ganztagsschulen und die Zahl von Maßnahmen, die an der Schule durchgeführt werden: An Ganztagsschulen, die ein höheres Ausbauniveau und eine größere Maßnahmenvielfalt aufweisen, wird der Bereich der Förderung leistungsschwacher und -starker Schüler von den Eltern als weniger erreicht eingeschätzt. Zusätzlich wird für die Bewertung des Ausbaus von Ganztagsangeboten ein negativer Zusammenhang mit dem Ausbauniveau der Kooperationen an Ganztagsschulen sichtbar.

9 Schulporträts

Die in Kapitel sieben dargestellten Ergebnisse weisen darauf hin, dass für eine qualitative Entwicklung von Ganztagsschulen insbesondere konzeptionelle Festlegungen, Veränderungen in der Unterrichts- und Lernkultur, die Erweiterung der Angebote im Bereich „Förderung/Prävention“ sowie der Ausbau der Kooperationsbeziehungen eine bedeutende Rolle spielen. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse jedoch, dass es den einzelnen Ganztagsschulen unterschiedlich gut gelingt, durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen eine Verbesserung der Bildungs-, Lern- und Sozialkultur herbeizuführen. Es bestehen nicht nur Unterschiede zwischen den untersuchten Schulmodellen (Ganztags- und Halbtagsschulen), sondern teils erhebliche Unterschiede zwischen den Schulen eines Schulmodells. Dies wird u.a. aus den Ergebnissen zum Ausbauniveau der Ganztagsschulen deutlich (vgl. Kap. 8.2.5). Daher sollen zum Abschluss vier teils konträre Fallbeispiele dargestellt werden, an denen die Zusammenhänge der unterschiedlichen Entwicklungsverläufe von Ganztagsschulen abzulesen sind. Die Ergebnisse entstammen den Interviews mit den Schulleitungen. Im Rahmen der Falldarstellungen werden die spezifischen Organisationsstrukturen beschrieben sowie innerschulische und externe Unterstützungsstrukturen rekonstruiert. Anschließend werden die Ergebnisse im Querschnitt miteinander verglichen, um mögliche Typisierungsmerkmale und Einflussfaktoren hervorzuheben. Einzelne Zitate wurden zur Illustration ausgewählt, dienen jedoch nicht als Beleg für die Gesamtheit aller Aussagen.

9.1 Fallbeschreibungen Die Fallbeschreibungen orientieren sich an der in Abschnitt 6.5.1 beschrieben Auswahl der Schulen. Dabei wurden sowohl Schulen mit einer erfolgreichen als auch Schulen mit einer weniger erfolgreichen Zielrealisierung untersucht. Insgesamt umfasst jede Gruppe zwei Schulen.

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

190

9 Schulporträts

9.1.1 Schule 1 Die Ganztagsschule bietet den Ganztagsbetrieb bereits seit mehr als 10 Jahren an und verfügt damit über langjährige Erfahrungen mit ganztägiger Bildung und Betreuung. Die räumlichen Gegebenheiten, die nach Angaben des Schulleiters „dringend notwendig sind, um einen ordentlichen Ganztagsbetrieb und zwar einen Ganztagsbetrieb für alle […] zu bieten“ (SLI I, Z. 84-87), sind vorhanden. Über die Bereitstellung eines schülergerechten und preiswerten Mittagessens wird ein Anreiz geschaffen, das Mittagessen und damit auch das Nachmittagsangebot verstärkt wahrzunehmen. Neben dem Mittagstisch werden am Nachmittag zahlreiche Freizeit- und Förderangebote vorgehalten. Die AGs werden nach den Wünschen und Interessen der Eltern und Schüler ausgerichtet. So erfolgte vor einigen Jahren eine Neustrukturierung der Freizeitangebote auf der Grundlage von Eltern- und Schülerevaluationen, um die Attraktivität der Angebote und damit die Teilnahmequoten der Schüler zu erhöhen Eine strikte Trennung zwischen Betreuung der Schüler am Vormittag durch Lehrer und am Nachmittag durch zusätzliches Betreuungspersonal existiert nicht. Vielmehr sind in allen Ganztagsbereichen Lehrer eingebunden. Nach Angaben der Schulleitung ist es „grundsätzlich notwendig, dass […] in allen Bereichen Lehrer dabei sind“ (SLI I, Z. 87-88) und dass „Lehrer in einer Ganztagsschule beschäftigt sind, die genau passen“ (SLI I, Z. 112-113). Daher werden seit einigen Jahren schulbezogene Stellenausschreibungen genutzt, um eine möglichst große Passung zwischen Ganztagsprofil und Lehrerprofil zu erreichen. Dadurch besteht speziell an dieser Schule die Möglichkeit, Lehrer einzustellen, die die gewünschten Fächerkombinationen mitbringen, eine positive Einstellung zur Ganztagsschule aufweisen und gewillt sind, an mehreren Nachmittagen in der Woche Schüler zu betreuen. Die Schule verfügt zusätzlich über ein gut ausgebautes Kooperationsnetzwerk. Über die Einbindung außerschulischer Partner sollen die Schüler in schwierigen Lebenslagen und bei Problemen unterstützt und individuell entsprechend ihren Stärken, Schwächen und Interessen gefördert werden. Die Kooperationen mit Schulsozialarbeitern, Streetworkern und Sportvereinen zielen einerseits auf die Nutzung des Know-hows von Fachkräften ab, andererseits auf die Verbindung von unterschiedlichen Bildungs- und Lernorten. Auf diese Weise entsteht an der Ganztagsschule „ein einheitliches Geflecht […, dass] gut zusammenarbeitet“ (SLI I, Z. 454-455). Beim Kooperationsaufbau spielt der Sozialraum eine entscheidende Rolle. Der Schulleiter nimmt regelmäßig an den Treffen der regionalen Planungsgruppen und Gremien teil, um sich über Entwicklungen und neue Projektpartner zu informieren. Die Durchführung von Projekten

9.1 Fallbeschreibungen

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wird jedoch nicht von der Schulleitung allein getroffen, sondern vom gesamten Kollegium. Insgesamt zeichnet sich diese Schule durch ein hohes Engagement von Schulleitung und Lehrerkollegium aus. Ganztagsschule wird nicht als statisches Gebilde verstanden, sondern als Ort ständiger Entwicklung und Veränderung. Das Ganztagsschulkonzept wird jedes Jahr überdacht, geplant und gestaltet. Hierfür ist ein Leitungsteam von drei Lehrern zuständig.

9.1.2 Schule 2 Bei dieser Schule handelt es sich um eine Ganztagsschule neueren Datums. Der Ausbau erfolgte nach Einführung der Bildungsoffensive Ulm. Die Ganztagsschulentwicklung ist von einem hohen Engagement seitens der Schulleitung und des Lehrerkollegiums geprägt. Sowohl die Schulleitung als auch die Lehrerschaft zeigen sich Veränderungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Dies wird auch im Grundtenor der Schule deutlich: „Wenn wir es sowieso machen müssen, dann fangen wir gleich an“ (SLI IV, Z. 565-566). Der Schulleiter bezeichnet sich selbst zudem als „Verfechter von Ganztagsschulen“ (SLI IV, Z. 9). Über Informations- und Aufklärungsgespräche ist es gelungen, die Eltern und Schüler frühzeitig in die Umsetzung miteinzubinden und von den Chancen dieser Veränderungen zu überzeugen. Ziel der Schule ist es, „Schüler zu verantwortungsbewussten Menschen zu machen, die in der Lage sind eine gute beruflich Zukunft zu erreichen“ (SLI IV, Z. 93-94). Hierfür ist die Ganztagsschule „Mittel zum Zweck“ (SLI IV, Z. 95). Entsprechende Entwicklungsziele werden innerhalb des Schulprofils und -programms festgeschrieben. Über Selbst- und Fremdevaluationen wird die Umsetzung der Ziele überprüft und ggf. Veränderungen eingeleitet. Einen wesentlichen Bestandteil der Ganztagsschule bildet die Mittagspause. Neben einem schülergerechten und preiswerten Mittagessen werden in der Mittagszeit Sportangebote für Schüler vorgehalten. Zusätzlich wirken in allen Ganztagsbereichen Lehrkräfte mit. Beispielsweise ist im Mittagsbereich stets eine Lehrkraft anwesend, „um das so ein bisschen zu organisieren, zu steuern. […] Und aber auch, um sich mit den Schülern zu unterhalten“ (SLI IV, Z. 468-470). Um eine möglichst große Passung zwischen Schul- und Lehrerprofil zu erhalten, werden auch an dieser Ganztagsschule schulbezogene Stellenausschreibungen im Sinne „stellenscharfe Ausschreibungen“ (SLI IV, Z. 165-166) genutzt. Die Schule ist insbesondere im Sozialraum eng vernetzt und arbeitet mit zahlreichen Projektträgern der Stadt Ulm zusammen. Neben Kooperationen mit den örtlichen Sportvereinen, Jugendbegleitern, Schulsozialarbeitern, der Industrie- und Handelskammer (IHK) usw. ist der Schulleiter aktives Mitglied der

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9 Schulporträts

Gruppen und Gremien im Sozialraum sowie des Dachverbandes der Vereine. Die regelmäßigen Treffen der Sozialraumgremien nutzt er, um sich über die örtlichen Gegebenheiten und neue Projektträger zu informieren. Er vertritt auch gegenüber der Kommune die Interessen der Schule offensiv, kommuniziert zusätzliche Bedarfsbereiche und wirbt für zusätzliche Projekte. Auf diese Weise entstehen Kooperationen auf unterschiedlichen Gebieten: zum einen innerschulische Angebote für Schüler und zum anderen z.B. eine Mitwirkung an Veranstaltungen im Sozialraum. Durch das ambitionierte und zielgerichtete Engagement aller am Schulleben Beteiligten gelingt es in dieser Schule, Ganztagsschule als Teil des sozialräumlichen Lebensumfeldes der Schüler zu gestalten. In den wenigen Jahren seit Beginn des Ganztagsschulausbaus hat sich in dieser Schule ein enormer Entwicklungsforschritt vollzogen, der von allen Beteiligten getragen wird.

9.1.3 Schule 3 Diese Schule bietet wie Schule 1 bereits seit über 10 Jahren ein Ganztagsangebot an. Die räumlichen Gegebenheiten vor Ort sind vorhanden. Die Organisation und Gestaltung des Ganztagsangebots erfolgt fast ausschließlich über die Lehrkräfte der Schule. In einzelnen Fällen existieren Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen. In einigen wenigen Bereichen arbeiten zudem Eltern mit. Eine intensivere Zusammenarbeit mit den Eltern gestaltet sich jedoch als schwierig, da diese sich nach Angaben des Schulleiters „schwer [tun] die Zeit aufzubringen, um eine Schule qualitativ mit zu gestalten“ (SLI III, Z. 259-261). Eine direkte Vernetzung der Schule mit dem Sozialraum ist ebenfalls nicht vorhanden. Insgesamt werden die Kontakte zu Gruppen und Gremien im Sozialraum als „sehr lose“ (SLI III, Z. 409) beschrieben. Ziel der Schule ist es, das Verantwortungsbewusstsein der Schüler zu stärken, um ihnen eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die Verzahnung zwischen Schulleben und späterer Ausbildung gelegt. Zusätzlich wird für das soziale Miteinander der Schüler ein Rahmen geschaffen, der über vermehrte Sozialkontakte der Schüler mit anderen Kindern und Jugendlichen, die Sozialkompetenzen des einzelnen Schülers stärken soll. Der Schulleiter gibt jedoch an, dass sich die Lehrer im zunehmenden Maße mit der Betreuung der Schüler überfordert fühlen. Er führt dies auf die Zunahme der Verhaltensauffälligkeiten auf Seiten der Schüler zurück. Ein Sozialpädagoge war vorhanden, die Stelle wurde jedoch gestrichen. Daher übernimmt das Lehrerkollegium die Aufgaben des Sozialarbeiters im Moment eigenständig.

9.1 Fallbeschreibungen

193

An der Ganztagsschule werden zahlreiche Entwicklungsansätze deutlich, die auf eine Anpassung der Schule an die situativen Gegebenheiten hinweisen. Fehlendes Personal und eine teils geringe Bereitschaft im Kollegium erschweren jedoch die Umsetzungen. „Aber es ist gar nicht so einfach, das in die Praxis umzusetzen. Sie müssen ein Kollegium mitnehmen, sie müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass ein Kollegium manchmal sehr eigenartig strukturiert ist.“ (SLI III, Z. 352-355).

9.1.4 Schule 4 Bei dieser Schule handelt es sich um eine Ganztagsschule jüngeren Datums, die erst nach Beginn der Bildungsoffensive Ulm entstanden ist. Die Idee des Ganztagsschulausbaus ging von der Stadt Ulm aus. Da die Schule in einem Ulmer Problembezirk liegt, soll den Kindern und Jugendlichen über das Ganztagsangebot eine individuelle und bedarfsgerechte Förderung zukommen. Schwierigkeiten zeigen sich bei der Konzeptentwicklung und Umsetzung. Zudem thematisiert der Schulleiter im Interview Widerstände seitens des Lehrerkollegiums und der Eltern: „Und das wichtigste ist für mich immer eines, ein Schulleiter kann tausend Ideen haben, aber es muss vom Kollegium heraus getragen werden und die müssen das annehmen.“ (SLI II, Z. 140-141)

Im Rahmen des Ganztagsschulausbaus steht eine Verbindung von Bildungs- und Betreuungsgedanken im Vordergrund. Am Nachmittag sollen nicht nur Freizeitangebote stattfinden, sondern ebenso Unterricht und Förderangebote. Ziel ist eine Verschränkung von Vor- und Nachmittag. Ansatzpunkte für den Ganztagsschulausbau bilden eigene Ideen, aber auch Erfahrungen und Konzeptentwicklungen anderer Schulen werden als hilfreich erlebt. Daher werden Partnerschaften mit bereits bestehenden Ganztagsschulen angestrebt. Eine aktive Teilnahme des Schulleiters an den Treffen der regionalen Planungsgruppen und Gremien im Sozialraum wird nicht ersichtlich. Kooperationen existieren mit anderen Bildungseinrichtungen vor Ort, dem kommunalen sozialen Dienst des Sozialraums und Sportvereinen. Auch arbeiten im Mittagsbereich Eltern mit. Die Zusammenarbeit mit den Sportvereinen erscheint aufgrund des zeitlichen Rahmens von Ganztagsschulen jedoch erschwert: „Aber da ist auch wieder das gleiche Problem: Die Vereine sagen, […] wir haben zwar Übungsleiter, aber die sind ja alle berufstätig und können erst ab vier/fünf

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9 Schulporträts [Uhr]. Das würde einer Ganztagsschule insofern wenig dienlich sein.“ (SLI II, Z. 384-388)

Insgesamt wird deutlich, dass diese Schule noch am Anfang des Ganztagsschulausbaus steht und daher noch mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Eine Bereitschaft der Lehrer und Eltern, an der Weiterentwicklung der Schule mitzuwirken, ist nur in Teilen vorhanden.

9.2 Hintergründe der unterschiedlichen Entwicklungsverläufe Aus den Fallbeschreibungen geht hervor, dass es sich bei den Darstellungen um Ganztagsschulen unterschiedlicher Gründungszeitpunkte handelt. Zwei der Ganztagsschulen (Schule 2 und 4) sind nach Beginn der Bildungsoffensive Ulm entstanden. Die beiden anderen Schulen (Schule 1 und 3) bestehen bereits seit mehr als zehn Jahren und verfügen daher über einen größeren Erfahrungsschatz. Gleichwohl geht aus den Beschreibungen hervor, dass nicht der Gründungszeitpunkt die Ursache für unterschiedliche Entwicklungsverläufe darstellt. Vielmehr scheinen unterschiedliche innere und äußere Faktoren die Ganztagsschulentwicklung zu bedingen. Gemeinsam ist allen Fallbeschreibungen jedoch, dass im Rahmen des Ganztagsangebots neben einer umfassenden Förderung der Schüler, eine Verzahnung von Vor- und Nachmittag angestrebt wird. Im Folgenden werden die identifizierten Faktoren erfolgreicher und weniger erfolgreicher Schulen wiedergegeben. Daran anschließend erfolgt eine Analyse der von den Schulleitungen in den Interviews genannten Unterstützungsstrukturen.

9.2.1 Bedeutsame Faktoren für die Ganztagsschulentwicklung Aus den Interviews mit den Schulleitern lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifizieren, die Rückschlüsse auf Faktoren erfolgreicher und weniger erfolgreicher Ganztagsschulentwicklung zulassen. Dabei geht es vor allem um Rahmenbedingungen, Ressourcen, Einstellungen und Haltungen, Zusammenarbeit und Kooperation. Es scheint sich demnach um ein ganzes Netzwerk von Bedingungen zu handeln, die je nach Standort der Schule teils unterschiedliche Ausprägungen annehmen. So stellt eine ausreichende materielle und räumliche Ausstattung der Ganztagsschulen zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für erfolgreiche Entwicklungsprozesse an den Schulen dar. Vielmehr kommt dem Schulleiter eine entscheidende Rolle beim Ausbau und der Entwicklung von Ganztagsschulen zu. Für eine erfolgreiche Ganztagsschulent-

9.2 Hintergründe der unterschiedlichen Entwicklungsverläufe

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wicklung sollte er als „treibender Motor“ (SLI I, Z. 455-456) fungieren. Schulleiter erfolgreicher Ganztagsschulen zeichnen sich durch eine hohe Identifikation mit der Schule aus und haben den Willen, die Qualität der Schule weiterzuentwickeln. Sie vertreten die Ziele der Schule aktiv und mit viel Engagement im Kollegium, aber auch gegenüber den Eltern und werben im Sozialraum und der Kommune für die Schule. Als initiierende und steuernde Schulleitung schaffen sie nach innen Transparenz und treiben die Schulentwicklung durch Innovation beständig weiter. Die Bereitschaft der Schulleitung, die Schule im Rahmen von Schulentwicklungsprozessen voranzutreiben, ist zwar auch in weniger erfolgreichen Ganztagsschulen gut ausgeprägt, jedoch wird hier ein geringeres Engagement der Schulleiter sichtbar. Sie sind z.B. seltener in den verschiedenen Arbeitsgruppen vertreten und beschreiben die Grenzen ihres eigenen Wirkungsbereichs sehr viel deutlicher. Akzeptanz, Engagement und Innovationsbereitschaft des Lehrerkollegiums sind weitere wichtige Voraussetzungen erfolgreicher Ganztagsschulentwicklung. Bereits beim Ausbau zeigt sich, dass man „ein gutes Kollegium [benötigt], das dahinter steht“ (SLI I, Z. 449-450). Erfolgreiche Ganztagsschulen weisen daher eine hohe Akzeptanz der Ganztagsschule im Kollegium auf, zumindest aber eine Stützung des Ansatzes, die eine aktive Beteiligung der Lehrer an der Entwicklung des Ganztags beinhaltet. Entsprechende Umsetzungs- und Entwicklungsprozesse stoßen in diesen Schulen von Anfang an auf gute Startbedingungen. Die Lehrkräfte sind offen für Veränderungen und weisen ein hohes Maß an Innovationsbereitschaft und Reformwillen auf. In den weniger erfolgreichen Schulen ist ein Teil der Lehrerschaft hingegen dem Ausbau und der Entwicklung von Ganztagsschulen von vornherein negativ eingestellt. Zugleich zeigt sich im Entwicklungsverlauf ein eher mittelmäßiges Interesse an einer möglichen Mitarbeit und Umsetzung. In den Interviews wird jedoch deutlich, dass die Lehrer an allen Schulen die Möglichkeit haben, sich am Prozess der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Aber nicht nur die Einstellung und das Engagement der Lehrer sind entscheidend. Von Bedeutung ist außerdem, dass die Lehrer die notwendigen Qualifikationen und fachlichen Voraussetzungen für ihre Arbeit an einer Ganztagsschule mitbringen. Dies umfasst ein professionelles Qualifikationsprofil der Lehrer, das neben den fachdidaktischen Fertigkeiten auch sozialpädagogische Kompetenzen umfasst und sich an den jeweiligen Konzepten der Ganztagsschulen orientiert. So gibt ein Schulleiter an, dass Lehrer, die an einer Ganztagsschule beschäftigt sind, eigentlich einer zusätzlichen Ausbildung bedürfen. Er führt dies zum einen auf die teils starken Unterschiede in der Rhythmisierung des Unterrichts zur Halbtagschule zurück und zum anderen auf die sozialpädagogischen Komponenten, die an Ganztagsschulen stark hervorstechen (vgl. etwa SLI III, Z.

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9 Schulporträts

513-518). Um dies zu gewährleisten, bemüht man sich in erfolgreichen Ganztagsschulen um schulbezogene Stellenausschreibungen. Damit soll eine möglichst große Passung zwischen Schulprofil und Lehrerprofil erreicht werden. Es ist erkennbar, dass die Voraussetzungen für einen gelingenden Kommunikationsaustausch unterschiedlich gut an den Schulen ausgeprägt sind. Während sie an Schule eins und zwei optimal sind, müssen sie andererseits an den anderen beiden Schulen aufgrund der Einstellungen der Lehrer und der eher geringen Innovationsbereitschaft als schwierig gelten. Dies zeigt sich auch in der Zusammenarbeit mit den Eltern. An allen Schulen werden die Eltern über die Ziele und Vorgehensweisen im Rahmen des Ganztagsschulausbaus und der Entwicklungsprozesse in Kenntnis gesetzt. An erfolgreichen Ganztagsschulen vollzieht sich der Kommunikationsprozess aber nicht nur über Vorträge und Mitteilungen, sondern beispielsweise über eine aktive Teilnahme des Schulleiters an Elternabenden, auf denen er über die jeweiligen Änderungen informiert und auf Fragen und Anmerkungen antwortet (vgl. etwa SLI IV, Z. 117-121). Durch dieses Vorgehen gelingt es an diesen Schulen, Eltern und Schüler „mit ins Boot zu holen“ und aktiv an der Umsetzung der Prozesse zu beteiligen. Dies führt zu einer hohen Akzeptanz und einem hohen Engagement seitens der Eltern. Insgesamt sind erfolgreiche Ganztagsschulen dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht auf der Stelle treten, sondern an einer ständigen Weiterentwicklung interessiert sind. Dies kann zum einen die regelmäßige Überprüfung und ggf. Neuformulierung der Zielsetzungen beinhalten. Hierfür ist das Vorliegen einer Konzeption hilfreich, die wiedergibt bzw. transparent macht, wo es hingehen soll und eine Orientierung für Lehrkräfte, Eltern und Schülern darstellt. Zum anderen ist auch die Bereitschaft zur Überprüfung des eigenen Arbeitens gemeint, z.B. im Sinne der Befragung von Schülern und Eltern zur Zufriedenheit oder auch die Bereitschaft zur Fremdevaluation. Schulentwicklungsarbeit findet dabei gemeinsam mit dem gesamten Kollegium in Form einer offenen und intensiven Kommunikation statt. Sie kann aber auch die Einrichtung einer Steuergruppe beinhalten, die für die kontinuierliche Weiterentwicklung des Ganztags verantwortlich ist. So ist an einer Schule ein Leitungsteam aus drei Lehrern für Ganztagsorganisation zuständig. An weniger erfolgreichen Schulen werden hinzu kommende Projekte dagegen als Belastung und Mehrarbeit verstanden. Im Kontext aller an der Schule durchgeführten Projekte kommt den ganztagsschulbezogenen Entwicklungsprozessen keine so herausragende Stellung zu. An allen Schulen wird allerdings deutlich, dass der Ganztagsschule die Funktion eines Hilfsinstruments zugewiesen wird: Sie wird dazu genutzt, die im Mittelpunkt der schulischen Entwicklungsbemühungen stehende Schulprogrammarbeit zu unterstützen und Schüler zu verantwortungsbewussten Mitgliedern der Gesellschaft auszubilden.

9.2 Hintergründe der unterschiedlichen Entwicklungsverläufe

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Die schulinterne Entwicklungsarbeit ist in zwei Fällen in ein gut funktionierendes System externer Unterstützung eingebettet. Von Bedeutung sind Kooperationen mit Vertretern der Jugend- und Kulturarbeit, die sich durch spezifische sozialpädagogische Kompetenzen und spezifische Zugangsweisen und Arrangements von Lern- und Erfahrungsorten auszeichnen. Als hilfreich für die Anbahnung und Intensivierung von Kooperationsbeziehungen werden bestehende Organisationsstrukturen im Sozialraum erlebt. Diese werden jedoch nur von zwei Schulen intensiv genutzt. Zwei Schulleiter geben zusätzlich an, dass der Zeitfaktor eine wichtige Rolle im Aufbau von Kooperationen spielt. Eltern und Sportvereine bringen keine ausreichende Zeit mit, um sich aktiv im Rahmen der Ganztagsangebote zu beteiligen (vgl. etwa SLI III und IV). Eine detaillierte Ausdifferenzierung der Bereiche sozialräumlicher und kommunaler Vernetzung erfolgt im nächsten Teilkapitel.

9.2.2 Bereiche sozialräumlicher und kommunaler Vernetzung An allen Schulen der Fallbeschreibungen wird eine Öffnung der Schule zum sozialen Nahraum und kommunalen Umfeld sichtbar, wenn auch in unterschiedlichem Umfang. Durch die Erschließung außerschulischer Lernorte und die Anreicherung der Lerninhalte durch Fachleute sollen Angebote geschaffen und eine aktive Teilhabe an gemeinwesenorientierten Belangen ermöglicht werden. Der Einbezug außerschulischer Einrichtungen und Personen wird somit als Unterstützungsstruktur bei der Bewältigung der Zielsetzungen von Ganztagsschulen verstanden. Interessant ist deshalb zu untersuchen, was an Unterstützung angeboten, wahrgenommen und genutzt wird. Gruppen und Gremien im Sozialraum (z.B. regionale Planungsgruppen) stellen für zwei der interviewten Schulleiter Kontakt-, Informations- und Austauschforen dar, die ihnen die Möglichkeit bieten, mögliche Kooperationspartner und kommunale Projekte kennen zu lernen. Zudem nutzen die Schulleitungen diese Plattform auch für mögliche Planungshilfen und Beratungen hinsichtlich der Schulentwicklung. Auch stellt die Teilnahme die Eingliederung der Schule in den sozialen Nahraum sicher (z.B. durch die Teilnahme der Schule an Festen und Projekten im Sozialraum). Die Bedeutung der Sozialraumgremien wird von einem Schulleiter wie folgt beschrieben: „Und da tauschen wir uns aus über das was in unserem Bereich jeweils passiert und suchen uns auch Verbündete, wenn es notwendig ist, Unterstützung, weitere Informationen. Also das funktioniert ganz gut, aber das hängt natürlich schon von der Bereitschaft ab, sich auf diese…, auf diese Gruppe einzulassen. […] Aber diejenigen, die eben nicht dabei sind, da funktioniert es nicht.“ (SLI IV, Z. 190-201)

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Vor dem Hintergrund der Zunahme der Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen und den teils unzureichenden sozialpädagogischen Kompetenzen von Lehrern werden verstärkt Kooperationen mit sozialen Einrichtungen und Diensten gesucht. Die Einbindung außerschulischer Fachkräfte, z.B. von Sozialarbeitern, wird von den Lehrern als Unterstützung im Umgang mit Kinder und Jugendlichen erlebt. Die Fachkräfte können sich stärker den individuellen Bedürfnissen des Kindes oder des Jugendlichen stellen und entsprechende Angebote anbieten. Ein Schulleiter fasst die Notwendigkeit dieser Unterstützungsstrukturen zusammen: „[…] ich frage mich heute, […] wie bin ich eigentlich früher ohne Schulsozialarbeiter ausgekommen, weil sich doch im Laufe der Jahre die Notwendigkeit der Schulsozialarbeit erheblich [gesteigert hat]. [Aufgrund] von meinen Lehrern, die eigentlich bei weitem überfordert sind mit den schwierigen Fällen, die jetzt in den letzten Jahren sich häufen, aufgrund der gesellschaftlichen Struktur, die sich geändert hat.“ (SLI I, Z. 178-185)

Darüber hinaus wird in allen vier Schulen mit kommunalen Vereinen, Verbänden und Betrieben zusammengearbeitet. Die Schulen können deren spezifische Räumlichkeiten zu nutzen. Auch werden über diese Kooperationen, die Angebote für Schüler, z.B. um spezifische Sport- und Bewegungsangebote, Angebote der Berufsvorbereitung und -orientierung, erweitert. Verbände und Betriebe der Kommunen stellen den Schulen ferner sachliche und finanzielle Ressourcen zur Verfügungen, die es ihnen beispielsweise ermöglichen, am Jugendbegleiterprogramm teilzunehmen. In Zusammenhang mit den Bildungspartnerschaften sind daher auch Jugendbegleiter (ehrenamtlich Tätige aus Vereinen, Verbänden, Kirchen, Eltern) zu nennen. Ein weiteres wichtiges Unterstützungsfeld stellen Kooperationen mit kommunalen Projektgruppen dar. Ihr Arbeitsfeld konzentriert sich auf spezielle Themengebiete, wie z.B. die Berufsfindung und Berufsvorbereitung der Jugendlichen. Dabei richtet sich ihr Blick auf den einzelnen Schüler und die Möglichkeiten ihm Hilfestellungen zu geben. Eine Schulleitung beschreibt beispielsweise, dass die Projektgruppe die Jugendlichen bei der Praktikumssuche unterstützt. Der Beitrag der Projektgruppen setzt somit dort an, wo Lehrer aufgrund der Klassengröße eine individuelle Betreuung der Schüler nicht mehr übernehmen können. Zusammenfassend dienen die von den Schulleitungen beschriebenen Unterstützungsstrukturen der Einbindung außerschulischer Einrichtungen, Gremien, Gruppen und Personen sowie der Entlastung der Lehrkräfte und der individuellen Förderung der Schüler. Die Nutzung der vielfältigen Potentiale der Unterstützungssysteme ermöglicht es den Schulen, die eigene Schulentwicklungsarbeit

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stärker voranzutreiben und die Bildungschancen des einzelnen Schülers durch gezielte Projekte und Angebote besser zu fördern. Neben den bereits beschriebenen Unterstützungssystemen kann auch der Bildungsoffensive Ulm eine wichtige Funktion im Rahmen der Ganztagsschulentwicklung zukommen. Ausführungen hierzu finden sich im nächsten Teilkapitel.

9.2.3 Bedeutung der Bildungsoffensive für die Ganztagsschulentwicklung Aus den Ergebnissen der Fragebogenerhebung wird eine Verbindung von Ganztagsschulentwicklung und kommunaler Einflussnahme nur begrenzt sichtbar. Als mögliche Ursache hierfür kann z.B. die Identifikation der Beteiligten in den Schulen mit der Bildungsoffensive verstanden werden. Zwar zeigt sich in den Ergebnissen, dass zumindest für die Gruppe der Schulleiter die Bildungsoffensive ein Begriff ist, eine Akzeptanz und Bewertung der Maßnahmen lässt sich aus den quantitativen Ergebnissen jedoch nicht ablesen. Daher werden im Folgenden die Ergebnisse aus den Interviews mit den Schulleitungen zur Einschätzung der Unterstützungsleistungen wiedergegeben. Alle Schulleiter geben an, dass sie von den Maßnahmen und Leistungen der Bildungsoffensive Ulm profitiert haben. Dies beinhaltet die Verbesserung der räumlichen Ausstattung und die „Bereitschaft, die sächliche Ausstattung einer Schule möglichst zeitnah und möglichst bedarfsnah“ umzusetzen (SLI III, Z. 389-390). Ebenfalls werden von der Stadt Ulm finanzielle Mittel zur Einbindung zusätzlicher Fachkräfte und Personen bereitgestellt. So kommt die Stadt in allen Ganztagsschulen für die Einstellung von Küchenhilfen auf. Weiterhin ist die Schulsozialarbeit ein wichtiger Teil, der mit zur Bildungsoffensive gehört (SLI, Z. 177-178). Aus der Beschreibung in Kapitel 9.2.2 wird ersichtlich, dass die Schulsozialarbeiter zum einen die Betreuung verhaltensauffälliger Schüler übernehmen und zum anderen Angebote der Berufsvorbereitung und -orientierung vorhalten. Darüber hinaus vermittelt die kommunale Verwaltung Kooperationen mit kommunalen Einrichtungen und unterstützt die Schulen bei der Umsetzung von Projekten (vgl. etwa SLI IV, Z. 618-619). Dabei wird von Seiten der Stadt vor allem die Entwicklung übergreifender Projektideen befürwortet, die eine umfassende Förderung von Kindern und Jugendlichen ermöglichen. „Das wollte ich damit noch betonen, dass die Bildungsoffensive der Stadt Ulm an diesem Modell doch maßgeblich beteiligt ist [...]. […] ein Projekt […], das a) viel Geld kostet, aber b) sehr viele Möglichkeiten [bietet]: von Kleinkindern zu fördern bis zu Jugendlichen. Und das ist bestimmt eine Bildungsoffensive, die denke [ich] auch Vorzeigecharakter hat für andere Schulen oder für andere Städte […].“ (SLI I, Z. 428-436)

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9 Schulporträts

Die Schulleiter beschreiben jedoch nicht nur positive Aspekte in der Zusammenarbeit mit der Stadt Ulm, sondern thematisieren ebenso Problembereiche mit Verbesserungs- und Veränderungsbedarf. Zwei Schulleiter geben an, dass sich die Kooperation mit der Stadt Ulm vor allem auf den dienstlichen Bereich beschränkt und dass Mängel insbesondere in der Ausstattung mit städtischem Personal (z.B. Sekretärinnen und Schulsozialarbeitern) sichtbar werden. „Also, die gehen […] über den dienstlichen Bereich jetzt nicht hinaus. Also, es ist nicht nur finanzieller Art, wir tauschen uns dann schon aus, was wäre hier gut in diesem Zusammenhang, was wäre nicht so gut. […] Aber das steht nicht im Vordergrund. Was ich an der Stadt Ulm bemängle, […] ist, dass die Ausstattung mit städtischem Personal sehr mager ist. Also die Sekretariatsstunden z.B. sind wirklich an der untersten Grenze oder jenseits eigentlich schon der untersten Grenze.“ (SLI IV, Z. 329-332)

Weiterhin geben die Schulleiter an, dass bei manchen Projekten, die Steuerung allein bei der Stadt liegt. Bei diesen Projekten entscheidet die Stadt über die Verteilung und legt eigene Entscheidungskriterien an, so dass nicht alle Schulen von den Projekten profitieren können. „Ich glaube eher, dass die Personen, die in der Stadt Verantwortung tragen für die Schulen, eben für sich so ein Planungsraster haben und ihre Vorstellungen entwickeln.“ (SLI IV, Z. 364-66)

Das Herantragen der Projekte an die einzelnen Schulen gewährleistet jedoch nicht deren Umsetzung. So beschreibt ein Schulleiter die Schwierigkeiten, die mit der Überzeugung der Gremien, Eltern und Lehrer einhergehen. Da die Umsetzung der Projekte teils viele verschiedene Interessengruppen betreffen, erscheint die Einbindung kommunaler „Prozessbgeleiter“ (SLI II, Z. 484), die die Umsetzung und Weiterentwicklung der Maßnahmen begleiten, nützlich. Insgesamt nehmen die Schulleiter die Unterstützungsleistungen der Kommune im Rahmen der Bildungsoffensive zwar wahr, scheinen die Wirkung dieser Leistungen jedoch nicht in allen Bereichen als zufriedenstellend einzuschätzen. Von einem Schulleiter wird besonders das Fehlen der inhaltlichen Unterstützung von Seiten der kommunalen Schulverwaltung hervorgehoben. Die Schulleiter, die sich zufrieden mit den Unterstützungsleistungen zeigen, berichten von einer Unterstützung sowohl bei finanziellen als auch organisatorischen und inhaltlichen Belangen. Dabei wird jedoch auch in diesem Bereich sichtbar, dass die Zufriedenheit mit der kommunalen Unterstützung stark vom Engagement und Verhalten des jeweiligen Schulleiters abhängt.

9.3 Zusammenfassung

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9.3 Zusammenfassung Aus den Fallbeschreibungen wird deutlich, dass Ganztagsschulentwicklung an den Schulen sehr unterschiedlich erfolgt. Dies ist zum einen auf die unterschiedlichen Entstehungszeitpunkte zurückzuführen und zum anderen auf verschiedene Faktoren, die als konstitutiv für einen erfolgreichen Ganztagsschulaufbau angesehen werden können. Eine förderliche Wirkung auf die Ganztagsschulentwicklung besitzen insbesondere ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

eine aktive, initiierende Schulleitung, eine hohe Akzeptanz bzw. positive Einstellung der Lehrer zu Ganztagsschulen, eine hohe Innovationsbereitschaft der Schulleitung und des Lehrerkollegiums, eine ausreichende Qualifikation der Lehrer, eine bereite aktive Partizipation der am Schulleben mitwirkenden Gruppen (Lehrer, Schüler, Eltern), eine kontinuierliche Schulentwicklungsarbeit und gut entwickelte Kooperationsstrukturen.

Die Analyse der Fallbeschreibungen weist darüber hinaus auf die Relevanz des Zusammenspiels mehrerer Faktoren hin. Von Bedeutung ist weniger das Vorhandensein einzelner Faktoren, sondern das gleichzeitige Vorliegen einer Kombination aus förderlichen bzw. weniger förderlichen Faktoren. An allen Schulen wird eine sozialräumliche und kommunale Vernetzung sichtbar, wenn auch in unterschiedlichem Umfang. Kooperationen bestehen mit Gruppen und Gremien im Sozialraum, Schulsozialarbeitern, Vereinen, Verbänden und Betrieben in der Kommune sowie kommunalen Projektgruppen. Die Kooperationen werden in den Schulen dazu genutzt, das Ganztagsangebot zu erweitern, die Lehrkräfte zu entlasten und Schülern eine individuelle Betreuung und Förderung zukommen zulassen. Darüber hinaus schreiben die Schulleitungen auch der Bildungsoffensive Ulm eine wichtige Funktion im Rahmen der Ganztagsschulentwicklung zu. Seitens der Schulleitungen wird die kommunale Verwaltung in Bereichen der Personalzuweisung für den Ganztag, der Bereitstellung von Sach- und Finanzmitteln sowie als Mittler für Kooperationen als Unterstützung wahrgenommen.

10 Zusammenfassung und Diskussion

Im Rahmen dieser Arbeit wurde, ausgehend von den aktuellen Ansätzen zur Entwicklung lokaler Governance-Strukturen und Ganztagsschulforschung, die Ganztagsschulentwicklung in einem kommunalen Raum untersucht. Ziel dieses Vorgehens war es, kommunale Unterstützungssysteme und Faktoren zu identifizieren, die eine Entwicklung von Ganztagsschulen fördern bzw. behindern. Hierzu wurde die von der Stadt Ulm im Jahre 2000 initiierte Bildungsoffensive in den Blick genommen. Datengrundlage bildete das Forschungsprojekt „Evaluation der Bildungsoffensive Ulm“, welches an der Pädagogischen Hochschule Weingarten durchgeführt wurde. Für die Untersuchung wurden zahlreiche Dokumente, die im Verlauf der Bildungsoffensive Ulm entstanden sind, inhaltsanalytisch ausgewertet. Zudem wurden Experteninterviews mit fünf Personen aus dem Bereich der kommunalen Verwaltung geführt. Einen weiteren methodischen Baustein bildete die Befragung von Schulleitungen, Lehrern, Eltern und Schülern. Zusätzlich wurden problemzentrierte Interviews mit vier Schulleitungen geführt. Bei der Auswertung der Daten fanden unterschiedliche Auswertungsmethoden Berücksichtigung: quantitative und qualitative Inhaltsanalyse, Grounded Theory sowie deskriptive und inferenzstatistische Methoden. Dieser mehrperspektivische und multimethodische Ansatz ermöglichte einen umfassenden Blick auf die Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft. Abschließend werden im Folgenden bedeutsame Forschungsergebnisse zusammengefasst, vor dem Hintergrund der in Kapitel zwei bis fünf dargestellten theoretischen Modelle diskutiert und mögliche Weiterentwicklungsansätze beschrieben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Situation nach Einführung der Bildungsoffensive Ulm beurteilt wird. Einschätzungen zur Situation vor und nach Beginn der Bildungsoffensive liegen nicht vor. Die Untersuchung stellt von der Anlage her eine Momentaufnahme eines begrenzten Ausschnitts dar. Längsschnittdaten sind nicht vorhanden, so dass Veränderungen in der Bildungsinfrastruktur und -qualität nicht über zwei Messzeitpunkte gemessen werden konnten. Die Beurteilungen bauen auf der Rekonstruktion des Verlaufs anhand der vorliegenden Dokumente und den Einschätzungen der Befragten auf. Auf der Grundlage subjektiver Einschätzungen sollen erste Hinweise auf mögliche Wirkungsgefüge gewonnen werden. Die Ergebnisse sind daher vor allem deskriptiv

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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10 Zusammenfassung und Diskussion

angelegt. Dennoch werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Schulen im Zeitverlauf ersichtlich.

10.1 Von der Bildungsoffensive zur Bildungslandschaft Ulm In der Stadt Ulm wurden die aufkommenden Probleme des demografischen und sozialen Wandels bereits in den frühen 1990er Jahren erkannt und seitdem eine Reihe von Maßnahmen (z.B. Innovations- und Familienoffensive) verabschiedet. Begünstigt wurden diese Entwicklungen durch die kommunale Verwaltungsmodernisierung und die aufkommenden Dezentralisierungs- und Kommunalisierungstendenzen. Im Bildungsbereich wurden die erweiterten Steuerungspotentiale im Rahmen der Bildungsoffensive genutzt, um den kommunalen Einflussbereich auch über die kommunalen Zuständigkeiten im Schulbereich hinaus zu vergrößern. Die Bildungsoffensive Ulm kann als Entwicklung hin zu einer kommunalen Bildungslandschaft verstanden werden. So zeichnen sich Bildungslandschaften gemäß der Definition des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (2007) durch eine systematische und zielgerichtete Vernetzung aller Beteiligten aus. Durch neue Strategien und Steuerungsmöglichkeiten der kommunalen Bildungspolitik wird versucht jeweils vor Ort eine Verantwortungsgemeinschaft für Kinder, Jugendliche und Erwachsene aufzubauen. Dieses Verständnis wird auch bei den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung der Stadt Ulm deutlich. Es herrscht ein sowohl institutionen- als auch parteipolitischer Konsens kommunale Verantwortung für das Gesamtsystem Bildung, Betreuung und Erziehung über das übliche Maß hinaus zu übernehmen. Eine solche kommunale Verantwortungsübernahme kann als Basis einer kommunalen Bildungslandschaft verstanden werden (vgl. Brockmeyer 2004; Fürst 2004a). Darüber hinaus weist die Bildungsoffensive Ulm weitere zentrale Merkmale einer kommunalen Bildungslandschaft auf: Im Sinne einer lokalen Aushandlungs- und Beteiligungskultur wurden neue Kommunikationsstrukturen entwickelt. Vor allem die Zusammenlegung der Ämter für Schule und Jugend zum Fachbereich Bildung und Soziales sowie die Gründung des Bildungsforums als Diskussions- und Lenkungsgruppe sind Beispiele dafür. Ebenso hat die Stadt bildungspolitische Leitziele formuliert, die die Prioritäten der Stadt im Bildungsbereich widerspiegeln und in Richtung einer zukunftsweisenden Orientierung von der Input- zur Outputsteuerung weisen. Weitere Entwicklungen beinhalten den Aufbau bzw. die Integration regionaler und sozialräumlicher Arbeitskreise sowie die Erstellung eines Bildungsberichts. Auf der Grundlage des Berichtswesens werden Handlungsziele und -schritte festgelegt. Mit der Evaluation der

10.1 Von der Bildungsoffensive zur Bildungslandschaft Ulm

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Bildungsoffensive Ulm durch die Pädagogische Hochschule Weingarten wurde zugleich eine externe Untersuchung durchgeführt, um den Stand und mögliche Problemlagen zu ermitteln sowie weiterführende Projekte planen zu können. Interne Evaluationsmaßnahmen werden auf diese Weise mit externen kombiniert. Ähnlich wie in Arnsberg, Dortmund, Halle und Leipzig gehen diese Entwicklungen von einer steuernden kommunalen Politik aus, die im Sinne einer multidimensionalen Bildungslandschaft alle Bildungsbereiche von frühkindlicher Bildung bis zum Übergang in die berufliche Ausbildung sowie lebenslanges Lernen im Blick hat. Die Entwicklung der Bildungslandschaft Ulm ist dabei als kontinuierlicher Prozess zu verstehen, der sich, ausgehend von ökonomischen, bildungs- und sozialpolitischen Impulsen sowie einer Systemkritik, stets weiterentwickelt. Ein weiteres zentrales Charakteristikum bilden die Modellprojekte. Sie haben einen zentralen Einfluss auf die inhaltliche und strukturelle Gestaltung der Bildungslandschaft Ulm. Sie tragen in nicht unerheblichem Maße zur Profilbildung im Sinne des „Ulmer Modells“ bei. Durch die Integration von Projekten in die pädagogische Arbeit im Einrichtungsalltag und die Verknüpfungen über alle Bildungsübergänge hinweg wird die Nachhaltigkeit von Projekten gefördert. Insgesamt wird deutlich, dass die Stadt Ulm im Zuge der Bildungsoffensive bereits strukturelle Rahmenbedingungen auf der Ebene der kommunalen Verwaltung etabliert hat, die zum Funktionieren des Gesamtsystems Bildung, Betreuung und Erziehung innerhalb einer Bildungslandschaft von zentraler Bedeutung sind. Aus den Aussagen der Experten geht jedoch hervor, dass die Verantwortlichen auf kommunaler Verwaltungsebene mit Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Aufgaben zu kämpfen haben. Dies bezieht sich zum einen auf den Mangel ausreichenden Personals und zum anderen auf den Mangel ausreichender Zeit alle Ziele und Maßnahmen effektiv und nachhaltig umzusetzen. Damit werden in Ulm ebenso wie in anderen Kommunen Probleme im Rahmen der Kommunalisierung sichtbar (vgl. Ebinger/Bogumil 2008). Die Strukturen der Bildungsoffensive Ulm weisen außerdem eine sehr hierarchische Form auf. Trotz der Intention der Bildungsoffensive, kommunale Bildungspolitik von oben und unten her zu denken, werden ebendiese Strukturen lediglich in Ansätzen erkennbar. Vielmehr erstreckt sich die Organisations- und Handlungsebene vor allem auf den Bereich des Gemeinderates und der kommunalen Verwaltung. Dies wird auch an der Bekanntheit des Begriffs und der Ziele unterhalb der Verwaltungsebene sichtbar. Um aber sowohl auf der Organisations- als auch auf der Handlungsebene eine breite Transparenz und Akzeptanz auch jener Akteure zu schaffen, die noch nicht in kommunalen Netzwerkstrukturen eingebunden sind, muss die lokale Aushandlungs- und Beteiligungskultur erweitert werden. Sie sollte sich auch jenen Akteure verpflichten sehen, die das

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10 Zusammenfassung und Diskussion

Thema ‚Bildung in Ulm’ noch nicht schwerpunktmäßig in ihrer Einrichtung verankert haben. Ein Bildungsbüro als Verbindungsstelle zwischen den Bildungseinrichtungen und der Verwaltung könnte hilfreich sein und mehr Transparenz und Akzeptanz schaffen (vgl. Lohre u.a. 2008; Maag Merki 2008). Ferner belegen die Ergebnisse, dass nicht alle Beteiligten hinreichend motiviert sind, die Zielsetzungen umzusetzen und Bildung durch kollektives Handeln aller an Bildung Beteiligten voranzubringen. Es fehlt insbesondere ein festes Regelsystem, welches das Handeln der Bildungsakteure in Ulm koordiniert. Nach Fürst (2004b) ist dies ein wichtiger Faktor für das Gelingen von Governance-Strukturen im Rahmen kommunaler Bildungslandschaften. Durch die Bildungsoffensive wurden zwar Strukturen geschaffen, die eine Orientierung der Bildungsakteure ermöglichen sollen und damit einen abgesteckten Rahmen für das Handeln bilden; allerdings liegen verbindliche Vereinbarungen zumindest der zentralen Bildungsakteure nicht vor, so dass ein zielgerichtetes Handeln aller Bildungsakteure nicht gewährleistet werden kann. Lediglich auf der Ebene der kommunalen Handlungsträger zeigt sich ein Eigeninteresse der Akteure, die Qualität im Bildungssystem zu verbessern. In Richtung des pädagogischen Personals und der Eltern nimmt dieses Interesse kontinuierlich ab.

10.2 Kommunale Ganztagsschulentwicklung in Ulm Der Ganztagsschulausbau nimmt innerhalb der Bildungsoffensive Ulm einen wichtigen Stellenwert ein. Bis zum Schuljahr 2007/08 wurden 16 allgemein bildende Schulen der Stadt zu Ganztagsschulen ausgebaut. Dies sind 36% aller allgemein bildenden Schulen. Ziel ist neben der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die gezielte Förderung von Kindern und Jugendlichen. Insgesamt kann die Zielsetzung des Landes Baden-Württemberg, 40% aller allgemein bildenden Schulen zu Ganztagsschulen auszubauen, in Ulm als nahezu erfüllt angesehen werden. Zum Zeitpunkt der Befragung befanden sich die Ganztagsschulen der Stadt Ulm auf unterschiedlichen Entwicklungs- und Ausbauniveaus: Ganztagssekundarschulen waren deutlich besser ausgebaut als Ganztagsgrundschulen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass zum Zeitpunkt der Befragung vor allem die Grundschulen erst seit kurzem Ganztagsangebote unterbreiteten. Da sich der Ganztagsschulausbau zu Beginn der Bildungsoffensive – aufgrund der Vorgaben des Landes Baden-Württemberg – vor allem auf Hauptschulen konzentrierte, erstreckte sich der Ausbau zunächst nur auf diese Schulform. Seit 2006 konzentriert sich der Ausbau auch auf andere Schulformen. Damit wird deutlich, dass die Hauptschulen bereits einen Entwicklungsvorsprung aufwiesen. Das äußert

10.2 Kommunale Ganztagsschulentwicklung in Ulm

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sich z.B. in der räumlichen Ausstattung der Schulen und in den erhaltenen finanziellen Mitteln. Einen weiteren Grund bilden die Organisationsformen der Ganztagsschulen. Ganztagssekundarschulen werden fast ausschließlich als teilgebundene und voll gebundene Angebote geführt. Die Teilnahme am Ganztagsangebot ist zumindest für einen Teil der Schüler verpflichtend. Ganztagsgrundschulen bestehen hingegen – Ausnahme bildet eine Grundschule – als offene Angebotsmodelle. Ihnen fällt die Umstellung des Schulalltags auf den Ganztag daher schwerer, da z.B. eine Verbindung von Vor- und Nachmittag meist nicht erfolgt. Auffallend sind die in fast allen Ergebnisbereichen vorzufindenden Unterschiede zwischen den Schulen eines Schulmodells. Ganztagssekundarschulen schneiden zwar insgesamt am besten ab, gleichzeitig zeigen sich innerhalb der Schulmodelle aber teils große Spannbreiten in der Qualität der Umsetzung und Arbeit sowie der Beurteilung der Zielerreichung. Die Ergebnisse der PISAStudie belegen, dass eine deutliche Variabilität zwischen den Schulen verschiedener Schulformen und zwischen Schulen einer Schulform bestehen (Baumert u.a. 2003 a, b). Für die Ganztagsschulentwicklung der Stadt Ulm scheint somit nicht nur die Zeit als Faktor eine wesentliche Rolle zu spielen, sondern ebenso andere Faktoren. Die Ergebnisse der quantitativen Fragebogenerhebung und qualitativen Interviews zeigen, dass eine höhere Akzeptanz und Partizipation, eine höhere Innovationsbereitschaft, eine größerer Grad an Vernetzung und ein stärkeres Engagement aller an Bildung Beteiligten einen qualitäts- und zielorientierten Ausbau verstärken. Alleinige zusätzliche Aufwendungen der Stadt Ulm, finanzieller und anderer Art, reichen nicht aus, um Schulentwicklungsprozesse in Ganztagsschulen im umfassenden Umfang anzustoßen und aufrecht zu erhalten. Damit knüpfen die Ergebnisse dieser Untersuchung an den Befunden zur Schulwirksamkeitsforschung und Merkmalen effektiver Ganztagsschulen an (vgl. etwa Purkey/Smith 1983; Steffens/Bargel 1993; Fend 1998; Holtappels 2002; Radisch 2009). Die Ganztagsbetreuung an den Grundschulen und Sekundarschulen der Stadt Ulm wird von den Eltern durchweg positiv beurteilt. Insbesondere Schüler der Sekundarschulen nehmen an den Ganztagsangeboten der Schulen teil. Dies liegt weniger am Konzept, als vielmehr an der Organisationsform der Schulen. Der Bildungshintergrund und der Migrationsstatus spielen hingegen eine unbedeutende bzw. keine Rolle. Es werden alle Kinder gleichermaßen mit dem Angebot erreicht. Eine Ausnahme bilden die Ganztagssekundarschulen, die vor allem in den sozialen Brennpunktgebieten und an Hauptschulen entstanden sind, und nun Jugendliche aus bildungsfernen Familien eher erreichen. Ebenso nehmen Kinder Alleinerziehender sowie aus Patch-Work-Familien häufiger an den Ganztagsangeboten teil. Zusammenfassend werden durch den Ausbau der Ganztagsschulen in Ulm die entsprechenden Zielgruppen erreicht.

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10 Zusammenfassung und Diskussion

Eine weitere Zielsetzung der Bildungsoffensive bildet die Förderung der Kinder und Jugendlichen entsprechend ihren Begabungen. Obgleich ein Teil der Schulen über gut ausgebaute Förderkonzepte verfügt und in den Schulen Veränderungen in der Lern- und Unterrichtskultur sichtbar werden, schneidet der Bereich der Förderung/Prävention und Förderung von Migrantenkindern durchweg am schlechtesten in der Bewertung der Zielerreichung und Umsetzung der pädagogischen Gestaltungslinien ab. Hier scheint es weniger zu Problemen bei der Einführung verschiedener Angebote zu kommen, als vielmehr bei deren Umsetzung. Unterstützend für Schüler sollen vor allem Förderangebote wirken, die in den Unterricht integriert werden sowie die Einbindung von außerschulischen Fachkräften bzw. kommunalen Projektgruppen, die eine individuelle Betreuung der Schüler ermöglichen. Der Vergleich zwischen Grundschulen und Sekundarschulen weist darüber hinaus darauf hin, dass Förderangebote insbesondere an Grundschulen wahrgenommen werden. Die Unterschiede in den Teilnahmequoten nach Schulformen können teils auf die unterschiedliche Strukturierung der Angebote zurückgeführt werden. In den teil- und voll gebundenen Ganztagsekundarschulen werden Förderangebote häufiger in den Unterricht integriert als in Grundschulen. Die Eltern sehen die Förderung/Prävention sowie die Förderung von Migrantenkindern an Grundschulen besser umgesetzt als an Sekundarschulen, obgleich Grundschulen ein niedrigeres Ausbauniveau aufweisen, weniger Maßnahmen der Bildungsoffensive umsetzen und seltener von den finanziellen Investitionen der Stadt Ulm profitiert haben. Durch die striktere Trennung von Unterricht und darüber hinaus gehenden Angeboten an Grundschulen nehmen die Eltern die Förderung ihrer Kinder an dieser Schulform möglicherweise eher war. Die schlechtere Bewertung der Angebote an den Sekundarschulen kann aber auch auf die Entwicklung der Schüler zurückgeführt werden. An den Sekundarschulen wurden die Schüler der sechsten und achten Klassenstufe befragt. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich die Jugendlichen in der Pubertät, eine Phase, die zumeist mit Spannungen und Konflikten einhergeht. Davon ist auch das schulische Lernen betroffen. So konnte in der Hamburger Lernen-AusgangslageUntersuchung (LAU) nachgewiesen werden, dass in der Pubertät, der Lernzuwachs der Schüler eher gering ist (vgl. Lehmann u.a. 2002). Auch die Ergebnisse von Kucharz u.a. (2009) im Rahmen der Evaluation der Bildungsoffensive zeigen, dass die Teilnahme an den Angeboten der Ganztagsschule vom Alter der Schüler abhängig ist. Sie ist in der sechsten Klassenstufe am niedrigsten und nimmt zur achten Klasse hin wieder leicht zu. Den Ergebnissen der Studien entsprechend lassen sich die Einschätzungen der Eltern so deuten, dass diese sich tendenziell eine stärkere Förderung ihrer Kinder in diesem Alter wünschen würden, um einen all zu großen Leistungsabfall zu vermeiden.

10.2 Kommunale Ganztagsschulentwicklung in Ulm

209

Die Schulen greifen in der Umwandlung, im Ausbau und der Umsetzung der Zielsetzungen auf verschiedene und im unterschiedlichen Umfang auf externe Unterstützungssysteme zurück. Im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm wurde die Vernetzung der Schulen mit außerschulischen Kooperationspartnern beträchtlich vorangetrieben. Ein Zusammenhang zwischen dem Ausbauniveau der Kooperationsbeziehungen und dem Ausbauniveau der Schulmodelle scheint unabweisbar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in ‚erfolgreichen’ Schulen ebendieses Kriterium eine entscheidende Rolle spielt. Wie bei Maag Merki (2008) zeigen sich in Ulm unterschiedliche Nutzungstypen von Schulen: Schulen, die eine besonders hohe regionale Vernetzung aufweisen und Schulen mit eher geringerem Vernetzungsgrad. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Bedeutung von Kooperationen von den Schulleitungen und dem pädagogischen Personal unterschiedlich interpretiert werden. Zum anderen haben einzelne Schulen Probleme, Aktivitäten der Öffnung von Schule eigenständig zu koordinieren und Kooperationen zum kommunalen Umfeld hin auszubauen. Die Schulen scheinen überfordert, Aktivitäten der Öffnung der Schule eigenständig zu koordinieren. Holtappels (1997; 2002) kommt zu den gleichen Ergebnissen. Als hilfreich erleben die Ulmer Schulleitungen die Einrichtung lokaler Steuerungsgruppen und Arbeitskreise, wie sie bereits in den Sozialräumen bestehen. Sie fungieren als Informations- und Austauschplattform. Allerdings nehmen nur ein Teil der Schulen regelmäßig an den Sitzungen der sozialräumlichen Arbeitsgruppen teil und profitieren somit von dem Angebot. Zielführender wäre es, wenn möglichst alle Schulen der Stadt Ulm sich in den sozialräumlichen Arbeitsgruppen vernetzen würden. Diese Ergebnisse bestätigen Befunde anderer empirischer Untersuchungen (vgl. Beher u.a. 2005; Mack u.a. 2006; Holtappels u.a. 2007). Von den Lehrern und Eltern wird der Zielbereich „Kooperation/ Vernetzung“ eher schlecht bewertet. Dies scheint einerseits mit der Größe der Netzwerke zusammenzuhängen und andererseits mit der erlebten Belastung. So konnten Nuissl u.a. (2006) aufzeigen, dass in größeren Netzwerken zwar ein höherer Innovationsgrad sichtbar wird, diese jedoch eine kontinuierliche Arbeitsweise weniger gut bewerkstelligen können. Zudem belegen die Ergebnisse der Studie von Hameyer u.a. (2007), dass Netzwerkarbeit zu einer hohen Belastung der beteiligten Lehrperson führt. Die Befunde der vorliegenden Untersuchung weisen andererseits darauf hin, dass der Einbezug der Lehrer in die Ganztagsschulentwicklung und eine aktive Zusammenarbeit der Lehrkräfte untereinander zu einer Minderung der Belastung beitragen kann. Zusätzlich wird an diesen Ganztagsschulen die Zielerreichung „Kooperation/Vernetzung“ deutlich besser eingeschätzt. Dies trifft auch auf die Gruppe der Eltern zu, wenn diese in die Ganztagsschulentwicklung eingebunden und hinreichend informiert sind.

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10 Zusammenfassung und Diskussion

Zusammenfassend wird deutlich, dass die Ulmer Ganztagsschulen durchaus ambitioniert den veränderten Schulalltag gestalten möchten und sich dabei auch von den Zielsetzungen der Bildungsoffensive leiten lassen. In allen betrachteten Schulmodellen wird neben einem quantitativen, auch ein qualitativer Ausbau sichtbar, der sich an den allgemeinen Rahmenbedingungen und an den Bedürfnissen der Schüler orientiert. Die Ganztagssekundarschulen liegen in vielen Bereichen vorn. Die eindeutige und konsequente Umsetzung der Ziele bleibt jedoch je nach Schule und je nach Bereich eher unsicher. Insbesondere die Förderangebote für Schüler sollten noch weiterentwickelt werden. Größerer Erfolg ist dann zu erwarten, wenn die Förderung Bestandteil von Schulentwicklung wird. Eine Weiterentwicklung des Förderangebots sollte daher in zwei Richtungen zielen: auf die Bereitstellung organisatorischer Rahmenbedingungen (z.B. ausreichende Stundenzahl, qualifizierte Lehrkräfte, angemessene Gruppengröße) und auf die Gestaltung der Mikroprozesse des Förderangebots (z. B. Diagnosemaßnahmen, Beratungskonzeption, Qualität des Lernmaterials). Kommunale und sozialräumliche Unterstützungssysteme können darüber hinaus dazu beitragen, die Entwicklung der Ganztagsschulen voranzutreiben. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass eine verlässliche Gesamtkoordination hergestellt wird (vgl. Hameyer u.a. 2007) und dass Kooperationen und Entwicklungen auf der Basis verbindlicher Ziele und Vereinbarungen von allen Beteiligten mitgetragen werden. Dies ist im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm bislang nicht in allen Bereichen erfüllt.

10.3 Weiterentwicklungsbedarf im kommunalen Raum Im Folgenden werden Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Studie gezogen. Diese Konsequenzen werden in Form von möglichen Entwicklungsperspektiven zur Weiterentwicklung der Bildungslandschaft Ulm und der Ganztagsschulen thematisiert. Sie können somit in späteren Entwicklungsprozessen im Rahmen der Bildungsoffensive Beachtung finden. Im Bereich des Ausbaus der Bildungsoffensive zur Bildungslandschaft Ulm sind bereits zahlreiche Strukturen etabliert worden (vgl. Kap. 10.1). Gleichwohl sollten weitere steuernde Strukturen entwickelt und aufgebaut werden, die zum einen die kommunale Verwaltung entlasten und zum anderen die Weiterentwicklung der kommunalen Bildungsinfrastruktur als Gesamtssystem Bildung, Betreuung und Erziehung sicherstellen. Folgende Gestaltungsansätze, die auch in anderen Kommunen und Regionen als wirksam erlebt werden, erscheinen zielführend (vgl. etwa Bastian/Rolff 2001; Blum/Männle 2004; Mack u.a. 2006; Maag Merki 2008):

10.3 Weiterentwicklungsbedarf im kommunalen Raum ƒ

ƒ

ƒ

211

Einrichtung eines Bildungsbüros zur stärkeren Koordination und Abstimmung der Maßnahmen und Vorgehensweisen im Rahmen der Bildungsoffensive. Das Bildungsbüro könnte als Schnittstelle zwischen Verwaltung und Bildungseinrichtungen fungieren und unter anderem folgende Aufgaben umfassen: a. Steuerung und Sicherstellung der Umsetzung der in der Bildungsoffensive festgeschriebenen Zielsetzungen und Maßnahmen; b. Entwicklungen von Handlungsempfehlungen und Verbesserungsvorschlägen für die nächsthöheren und nachgeordneten Ebenen (Verwaltung, Gremien, Ausschüsse); c. Jährliche Standortbestimmung: Erstellung eines Ist-Soll-Vergleichs über die Umsetzung der Reformmaßnahmen; Beschreibung der eingeleiteten Maßnahmen; Darlegung der diagnostizierten Schwachstellen; d. Überwachung des Finanzierungsrahmens. Die Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der Bildungsoffensive weiter ausbauen. Für das weitere Vorgehen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit der Bildungsoffensive empfiehlt es sich, mehr Transparenz in das Konzept zu bringen und es in der Öffentlichkeit stärker darzustellen. Durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit könnte die Bildungsoffensive und die damit verbundenen Anstrengungen der Stadt bekannter gemacht werden. Gerade im Hinblick auf die Umsetzung der Ziele bzw. des Konzepts der Bildungsoffensive erscheint es wichtig, dass der Begriff und die Ziele stärker in die Einrichtungen transportiert werden, da ansonsten die Gefahr des Zuwiderlaufens zwischen dem Konzept der Kommune und den Einzelkonzepten der Einrichtungen besteht. Im gleichen Maße ist es wichtig die Bildungsoffensive durch Öffentlichkeitsarbeit sowohl nach innen wie auch nach außen wirken zu lassen. Eine interne Öffentlichkeitsarbeit könnte dazu beitragen, pädagogische Mitarbeiter für das Konzept zu begeistern und zum Engagement zu motivieren. Aufbau eines von allen getragenen Regelsystems. Zu Beginn der Bildungsoffensive wurden (schriftliche fixierte) Zielvorstellungen in Form von Leitlinien festgelegt. Diese Leitlinien geben an, welche Visionen handlungsleitend sein sollen. Im Sinne eines zielorientierten Vorgehens haben sie somit Bedeutung für die Gestaltung der Bildungseinrichtungen sowie die Entwicklungsprozesse im Rahmen der Bildungsoffensive. Um diese Zielsetzungen umzusetzen, bedarf es jedoch verbindlicher Vereinbarungen aller Beteiligten. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Zielsetzungen auch umgesetzt werden. In diesen Vereinbarungen sollten konkrete Handlungsziele als richtungsweisende Unterstützung des pädagogischen Arbeitens in den Ganztagsschulen formuliert werden. Zudem muss darauf geachtet wer-

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10 Zusammenfassung und Diskussion den, dass dieses Regelsystem sowohl die politische, die administrative wie auch die kommunalen Bildungseinrichtungen und Projektpartner miteinschließt.

Neben dem Aufbau der kommunalen Bildungslandschaft betreffen mögliche Weiterentwicklungsperspektiven auch die kommunale Ganztagsschulentwicklung. Durch die Bildungsoffensive Ulm wurde in den letzten Jahren vor allem der quantitative Ganztagsschulausbau vorangetrieben. Ein Einfluss der Bildungsoffensive auf eine qualitätsorientierte Schulentwicklung wird nur in Ansätzen sichtbar. Die Stadt hat den Ganztagsschulausbau zwar durch zahlreiche Maßnahmen, wie finanzielle Unterstützung, Breitstellung sozialpädagogischen und sonstigen Personals sowie Beratung und Modellprojekte unterstützt; allerdings weisen die Ergebnisse der Untersuchung darauf hin, dass andere Faktoren, die vor allem aufgrund der Trennung zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten nicht in den kommunalen Einflussbereich fallen, die Ganztagsschulentwicklung sehr viel stärker beeinflussen. Insgesamt sollte sich die Stadt Ulm noch stärker in Richtung einer Beratungs- und Serviceagentur entwickeln und Informationsbörsen bereitstellen (vgl. etwa Holtappels 1994; Deutscher Städtetag 2002; Beher u.a. 2005). Im Bereich der Ganztagsschulen ergeben sich daher folgende Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die vor allem auf einen stärkeren Einfluss der Kommunen auf die inneren Schulangelegenheiten abzielen: ƒ

Aufbau eines kommunalen Fortbildungskonzepts. Die Schulleitungen und das pädagogische Personal sind unterschiedlich gut in der Lage Schulentwicklungsprozesse zu initiieren und voranzutreiben. In diesem Bereich könnte ein kommunales Qualifizierungs- und Fortbildungskonzept unterstützend wirken (vgl. Deutscher Städtetag 2002), dass sich an den Leitlinien der Bildungsoffensive Ulm sowie an den Bedürfnissen der Einzelnen orientiert. Der Fortbildungsbedarf sollte regelmäßig über Bedarfsanalysen sowie auf der Basis der Vorhaben im Rahmen der Bildungsoffensive ermittelt werden. So wäre es z.B. sinnvoll alle zwei Jahre eine Informationserhebung bei den Schulleitungen und Lehrkräften durchzuführen, die den Fortbildungsbedarf, gerade im Hinblick auf die Angebotsbereiche, erfasst. Auf dieses Weise könnte das Fortbildungsangebot den Wünschen und Bedürfnissen des pädagogischen Personals stärker angepasst werden. Aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung ergibt sich unter anderem ein Fortbildungsbedarf in folgenden Bereichen: Kommunikation und Management für Schulleitungen; Zusammenarbeit zwischen Lehrern; Veränderung der Unterrichtskultur und Integration von Konzepten im Unterricht; Möglichkeiten des Elterneinbezugs bzw. Zusammenarbeit mit den Eltern.

10.4 Weiterführende Überlegungen ƒ

ƒ

213

Kooperationen stärker auf der Grundlage verbindlicher Ziele, Vereinbarungen und Strukturen etablieren. Bestehende und neu gebildete Kooperationen sollten auf der Basis von Kooperationsverträgen verankert werden. In den Kooperationsvereinbarungen zwischen dem Schulträger und außerschulischen Kooperationspartnern sollten die Kooperationsstrukturen zwischen einer Schule und dem jeweiligen Anbieter bzw. den Mitarbeitern präzise beschrieben und festgelegt werden. Um die Verbindlichkeit der Kooperationen zu stärken, sollten entsprechende Personen (sowohl auf Schul- als auch auf Kooperationsseite) benannt werden, die sich für die Sicherstellung dieser Kooperationsstruktur und die entsprechende Umsetzung verantwortlich zeigen. Weiterhin sollte durch die Einrichtung schulübergreifender Koordinationsgremien die sozialräumliche Perspektive auf die Ganztagsgestaltung gestärkt werden. Die Koordinationsgremien könnten sich aus gewählten Schulleitungen, Lehrkräften und wichtigen Personen im Sozialraum zusammensetzen (vgl. etwa Beher u.a. 2005). Insgesamt könnte der Sozialraum als Plattform für den Zusammenschluss von Schulen und außerschulischer Einrichtungen zu lokale Netzwerkverbünden fungieren. In den lokalen Netzwerkverbünden würden die Schulen und außerschulischen Einrichtungen miteinander kooperieren, Austausch und Erfahrungssicherung praktizieren, Ideen für Gestaltungsansätze und Organisationslösungen voneinander lernen, und zugleich gemeinsame Aktivitäten und Konzepte für die Kooperation nach außen entwickeln. Bereitstellung von Prozessbegleitern. Für die Schulen sollten Schulbegleitungen und -beratungen zur Verfügung stehen, um die Umsetzung, die Stabilisierung und Weiterentwicklung der Schulen zu ermöglichen. Diese Aufgabe könnte von den Mitarbeitern des Bildungsbüros übernommen werden. Dies würde dazu beitragen, sowohl die Mitarbeiter der kommunalen Verwaltung als auch die Ganztagsschulleitungen zu entlasten. Im Rahmen dieser Prozessbegleitung könnten regelmäßige Gesprächsrunden mit den Schulleitungen stattfinden und zugleich Veränderungen vor Ort initiiert und gefördert werden.

10.4 Weiterführende Überlegungen Am Beispiel der Bildungsoffensive Ulm wurden in dieser Arbeit vielfältige Forschungsergebnisse vorgelegt. Die Forschungsbefunde zeigen, dass die Entwicklung einer Stadt hin zu einer kommunalen Bildungslandschaft die Ganztagsschulentwicklung in einigen Bereich unterstützen kann. Damit kommt der Kommune die Funktion eines Unterstützungssystems für die Schulentwicklung

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10 Zusammenfassung und Diskussion

zu. Sie bildet einen organisatorischen und inhaltlichen Rahmen innerhalb dessen schulische wie außerschulische (Bildungs-)Einrichtungen interagieren, kooperieren und gemeinsam die Weiterentwicklung der Bildungsinfrastruktur vor Ort vorantreiben. Aus den Ergebnissen der Untersuchung wird jedoch auch deutlich, dass viele Maßnahmen und Entwicklungsmöglichkeiten der Akzeptanz, Innovationsbereitschaft und engagierten Entwicklungsarbeit der Schulleitung, der Lehrkräfte und Eltern bedürfen. Erst das Zusammenspiel dieser Faktoren und die Nutzung eines ausdifferenzierten Unterstützungssystems in der Kommune üben einen förderlichen Einfluss auf die Ganztagsschulentwicklung aus. In diesen Bereichen existieren noch zahlreiche Anknüpfungspunkte kommunaler Einflussnahme. Dem methodischen Fokus der Untersuchung entsprechend lassen die Ergebnisse wenig objektive Aussagen zu den Wirkungen der kommunalen Maßnahmen auf die Ganztagsschulentwicklung zu. Damit kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht abschließend geklärt werden, inwiefern den Kommunen als Unterstützungssystem die Funktion eines qualitätssteuernden Instrumentes zukommt. Hierzu bedarf es weiterer Forschung. So muss berücksichtigt werden, dass im Rahmen der Bildungsoffensive Ulm die Maßnahmen und Veränderungen nach und nach eingeführt wurden. Bis erste Wirkungen erkennbar werden, vergehen oft mehrere Jahre. Daher gilt es die kommunalen Entwicklungsansätze im Zeitverlauf zu erforschen. Neben der theoretischen Relevanz kommt der Arbeit auch eine praktische und anwendungsorientierte Funktion zu. Aufgrund der detaillierten Fallbeschreibung am Beispiel der Stadt Ulm kann diese Untersuchung sowie die daraus resultierenden Ergebnisse und Empfehlungen anderen Städten als Beschreibungsund Entwicklungsmuster dienen. Andere Kommunen haben so die Möglichkeit ihre eigene Situation mit der in der Untersuchung dargestellten und analysierten Bildungsoffensive zu vergleichen und ggf. Veränderungen zu initiieren. Damit können die Ergebnisse für Kommunen eine Orientierungsfunktion bei ihrer Entwicklungsarbeit haben.

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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle 1: Datenbasis der Dokumentenanalyse................................................ 98 Tabelle 2: Rücklauf in den einzelnen Gruppen .............................................. 107 Tabelle 3: Eingrenzungsgebiet und Erfolgsniveaus für die einzelnen Schulen .......................................................................................... 109 Tabelle 4: Stichprobe der einbezogenen Schulen........................................... 110 Tabelle 5: Zuordnung von Maßnahmen zu den bildungspolitischen Leitlinien der Bildungsoffensive Ulm ........................................... 125 Tabelle 6: Anzahl der Ganztagsschulen an öffentlichen allgemein bildenden Schulen der Stadt Ulm zum Schuljahr 2007/08 ............ 138 Tabelle 7: Ausstattung der Ganztagsschulen mit spezifischen Räumen ........ 144 Tabelle 8: Einschätzung der räumlichen Situation an Ganztagsschulen aus Sicht der Schulleitungen ............................................................... 145 Tabelle 9: Umsetzung pädagogischer Zielsetzungen an Ganztagsschulen..... 147 Tabelle 10: Angebotsstruktur an Ganztagsschulen .......................................... 150 Tabelle 11: Förderangebote an Ganztagsschulen ............................................. 152 Tabelle 12: Bewertung der Förderkonzepte an Ganztagsschulen .................... 152 Tabelle 13: Ausbauniveau der verschiedenen Schulmodelle ........................... 155 Tabelle 14: Bewertung des Ausbauniveaus an Ganztagsschulen nach Schulformen und Ausbaubereichen .............................................. 156 Tabelle 15: Kooperationspartner von Ganztagsschulen in den Bereichen schulunterstützender Dienst und kommunale Institutionen........... 157 Tabelle 16: Ausbaugrad und Qualität der Kooperationen getrennt nach Schulmodellen ............................................................................... 159 Tabelle 17: Korrelation zwischen den einzelnen Ausbauindikatoren und dem Ausbauniveau der außerschulischen Kooperationen ............. 159 Tabelle 18: Zufriedenheit der Eltern mit dem zeitlichen Betreuungsrahmen der Ganztagsschulen..................................................................... 160 Tabelle 19: Verteilung der Variable „Teilnahme am Ganztagsangebot“ in den kategorialen Prädiktoren..................................................... 161 Tabelle 20: Binär logistische Regression zur Teilnahme am Ganztagsangebot ........................................................................... 162

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

230

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle 21: Verankerung der Maßnahmen und Leitlinien der Bildungsoffensive Ulm im Schulkonzept bzw. -programm der Ganztagsschulen ................................................... 166 Tabelle 22: Finanzierungsquellen der Ulmer Ganztagsschulen ....................... 167 Tabelle 23: Profitierung von Investitionen durch die Bildungsoffensive nach Schulmodellen ............................................................................... 168 Tabelle 24: Anzahl der durchgeführten Maßnahmen nach Schulmodellen zum Zeitpunkt der Befragung ....................................................... 168 Tabelle 25: Maßnahmen nach Maßnahmenbereichen an Ganztagsschulen ..... 169 Tabelle 26: Beginn und Bestand der Kooperationen an Ganztagsschulen ....... 170 Tabelle 27: Zufriedenheit mit der Trägerzusammenarbeit an Ganztagsschulen............................................................................ 171 Tabelle 28: Veränderungen in der Zusammenarbeit mit dem Träger seit Beginn der Bildungsoffensive an Ganztagsschulen nach Bereichen ...................................................................................... 171 Tabelle 29: Korrelation zwischen den einzelnen Ausbauindikatoren und möglichen kommunalen Einflussfaktoren ..................................... 174 Tabelle 30: Einfluss der Investitionen durch die Bildungsoffensive Ulm auf den Ganztagsschulausbau und den Ausbau der Kooperationsbeziehungen an Ganztagsschulen ............................ 175 Tabelle 31: Korrelation der Zielbewertungen der Lehrkräfte mit verschiedenen individuellen Merkmalen....................................... 179 Tabelle 32: Kodierung der Dummy-Variablen für die Regressionsgleichung . 181 Tabelle 33: Einflüsse auf die Bewertung der Zielerreichung von Eltern an Ganztagsschulen............................................................................ 182 Tabelle 34: Korrelation der Zielbewertungen der Eltern mit verschiedenen Zufriedenheitsskalen ..................................................................... 183 Tabelle 35: Einfluss von Organisations- und kommunalen Faktoren auf die Zielerreichung an Ganztagsschulen .............................................. 184 Tabelle 36: Einfluss von Organisations- und kommunalen Faktoren auf die Zielerreichung an Ganztagsschulen .............................................. 185

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

231

Abbildung 1: Integriertes Modell der Schuleffektivitätsfaktoren .................... 80 Abbildung 2: Überblick über das Untersuchungsdesign ................................. 96 Abbildung 3: Verteilung der Ganztagsschulen über die Sozialräume im Schuljahr 2007/08.................................................................... 139 Abbildung 4: Bewertung der Umsetzung pädagogischer Zielsetzungen an Ganztagsschulen durch die Lehrkräfte .................................... 148 Abbildung 5: Schülerteilnahme an Angeboten der Ganztagsschule nach Schulformen ............................................................................ 154 Abbildung 6: Bekanntheit des Begriffs und der Ziele der Bildungsoffensive Ulm an Ganztagsschulen nach Personengruppen .................... 165 Abbildung 7: Einschätzung der Zielerreichung durch die Lehrkräfte an Ganztagsschulen nach Schulformen ........................................ 178 Abbildung 8: Einschätzung der Zielerreichung durch die Eltern an Ganztagsschulen nach Schulformen getrennt .......................... 180

Anhang: Kategoriensysteme45

Kategoriensystem zur Dokumentenanalyse Oberkategorien Kommunaler Handlungszwang Merkmale einer kommunalen Bildungslandschaft

Gremien, Arbeitsgreise und Foren der Bildungsoffensive

Zielsetzungen der Bildungsoffensive Ulm

Maßnahmen der Bildungsoffensive Ulm

Unterkategorien Bildungspolitik als kommunalpolitischer Schwerpunkt Neue Strukturen der kommunalen Verwaltung Aufbau neuer Kommunikationsstrukturen Kommunale Profilbildung Bildungsnetzwerke Bildungsforum Gremien des Ulmer Gemeinderates Auswahlkommissionen Sozialraumgremien Allgemeine Zielsetzungen Bildungsinfrastruktur zeitgemäß entwickeln Ungleichen Bildungschancen begegnen Betreuungs- und Förderangebot ausbauen Unterstützung der Schüler beim Übergang in die Schule/ins Berufsleben Ausbau vernetzter Strukturen Förderung innovativer Bildungsprojekte Schulbau- und Sanierungsmaßnahmen Multimediaausstattung und Medienausbildung Übergang Kindergarten-Grundschule Übergang Schule-berufliche Ausbildung

45 Die Interview- sowie die Kodierleitfäden zu den Experten- und Schulleiterinterviews sind als Zusatzmaterialien auf der Internetplattform OnlinePlus veröffentlicht.

K. Eisnach, Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft, DOI 10.1007/978-3-531-92753-4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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Anhang: Kategoriensysteme

Orientierungsansätze der Bildungsoffensive Bildungsimpulse Ganztagsschule

Förderung von Kindern und Jugendlichen Sprachförderung Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Bewegungsförderung Ausbau von Angeboten im Schulumfeld Zielsetzungen Maßnahmen Quantitativer Ausbau Qualitativer Ausbau

Kategoriensystem zu den Experteninterviews I Oberkategorien Mitwirkung an der Einführung bzw. Umsetzung der Bildungsoffensive Schwerpunkte und Ziele der Bildungsoffensive

Welche positiven Effekte werden durch die Bil-dungsoffensive erreicht?

Welche negativen Effekte werden durch die Bil-dungsoffensive erreicht?

Unterkategorien ja nein keine Angabe Bauliche Maßnahmen Kooperationen Übergänge Bildung/Erziehung Betreuung Bildungspolitische Ziele keine Angabe Kommune Bildungseinrichtung Kinder/Schüler/Eltern Pädagogische Fachkräfte keine Angabe Kommune Bildungseinrichtung Kinder/Schüler/Eltern

Anhang: Kategoriensysteme

Bekanntheitsgrad der Bildungsoffensive beim pädagogischen Personal

Bekanntheitsgrad der Bildungsoffensive bei den Eltern

Was erwarten Eltern von einer guten Kindertageseinrichtung?

Was erwarten Eltern von einer guten verlässlichen Grundschule/Ganztags-schule?

Welche Faktoren bedingen einen guten Übergang von der Schule in den Beruf?

Besteht ein Zusammenhang zwischen den Maßnahmen? Welche Zusammenhänge werden gesehen?

235 Pädagogische Fachkräfte keine Angabe bekannt teilweise bekannt nicht bekannt keine Angabe bekannt teilweise bekannt nicht bekannt keine Angabe Funktionen der Einrichtung Kooperation/Vernetzung Infrastruktur Personal Elternpartizipation Weitere Einzelziele keine Angabe Funktionen der Einrichtung Kooperation/Vernetzung Infrastruktur Personal Elternpartizipation Weitere Einzelziele keine Angabe Funktionen der Einrichtung Kooperation/Vernetzung Infrastruktur Personal Elternpartizipation Weitere Einzelziele keine Angabe ja nein keine Angabe Übergänge Bildungspolitische Leitlinien

236

Anhang: Kategoriensysteme

Was erwarten/erhoffen Sie sich von der Evaluation?

Übertragung der Projekte auf andere Bildungseinrichtungen Übertragung der Projekte auf andere Sozialräume keine Angabe Maßnahmen Effektivitätsmessung Befragung Weiterempfehlungen keine Angabe

Kategoriensystem zu den Experteninterviews II Oberkategorien Kommunale Zuständigkeiten Charakteristika Bildungslandschaften

Steuerung Kommunale Verantwortung Bildungsimpulse

Kommunale Profilbildung Kommunale Entwicklungsdynamik Systemkritik Kommunale Handlungszwänge

Unterkategorien Innere Schulangelegenheiten Äußere Schulangelegenheiten Regionale Dimension Kommunale Dimension Integrierte kommunale Fachplanung Gestaltung informeller Lehr- und Lernumgebungen Bildungsnetzwerke Leitziele Finanzielle Steuerung Inhaltliche Steuerung Soziale Verantwortung Ökonomische Verantwortung Sozialpolitische Bildungsimpulse Bildungspolitische Bildungsimpulse Ökonomische Bildungsimpulse -

Anhang: Kategoriensysteme

237

Kategoriensystem zu den Experteninterviews III Oberkategorien

Unterkategorien

Kriterien des Ganztagsschulausbaus und der Vergabe von Maßnahmen

Orientierung an den Bedarfsgruppen Anzahl der Maßnahmen je Schule Gleichverteilung der Maßnahmen Freiwilligkeit Nachhaltigkeitsförderung Informationsgespräche für Eltern und Beteiligte Teilnahme an Schulleiterdienstbesprechungen Auskünfte zu Projekten und Kooperationspartnern Finanzielle Unterstützung Einbezug der Betroffenen Zeitfaktor Personalfaktor Veränderte Zuordnung des staatlichen Schulamtes Ausstattung der Ganztagsschulen mit Deputatsstunden

Kommunale Unterstützungssysteme von Ganztagsschulen

Grenzen kommunaler Einflussnahme

Kategoriensystem zu den Interviews mit den Schulleitungen Oberkategorien Intendierte Zielsetzungen

Kommunale Unterstützungsstrukturen

Unterkategorien Förderung Gemeinschaftserleben/Soziales Lernen Verantwortungsbewusstsein stärken Verzahnung von Unterricht und Betreuung Berufsorientierung Gruppen und Gremien im Sozialraum Kommunale Verwaltung Soziale Einrichtungen und Dienste Bildungspartnerschaften mit kommunalen Vereinen, Verbänden und Betrieben Projektgruppen

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Unterstützungsstrukturen für Schüler in Ganztagsschulen

Gelingensbedingungen von Ganztagsschulen

Hemmende Faktoren der Ganztagsschulentwicklung

Anhang: Kategoriensysteme Jugendbegleiter Angebote der Schulsozialarbeit Förderangebote Wahlangebote Veränderungen der Unterrichtskultur Engagement und Motivation im Kollegium Innovationsbereitschaft Engagierte und motivierte Schulleitung Qualifikation und fachliche Voraussetzung des Lehrpersonals Einbindung zusätzlicher pädagogischer Fachkräfte Räumliche und materielle Ausstattung der Schule Kontinuierliche Schulentwicklungsarbeit Kooperationsstrukturen auf verschiedenen Ebenen Partizipation der Eltern am Schulleben Inhaltliche Konzeption Steuerungsgruppen/Leitungsteams Unzureichende Ausbildung/fehlende Kompetenzen der Lehrkräfte Mangel an pädagogischen Fachkräften Einstellung schulinterner Personen (Lehrer, Eltern) zur Ganztagsschule Fehlende zeitliche Ressourcen des Kooperationspartner