163 50 36MB
German Pages 1168
H. Burchardi R. Larsen R. Kuhlen K.–W. Jauch J. Schölmerich (Hrsg.)
Die Intensivmedizin 10., überarbeitete und erweiterte Auflage
H. Burchardi R. Larsen R. Kuhlen K.–W. Jauch J. Schölmerich (Hrsg.)
Die Intensivmedizin 10., überarbeitete und erweiterte Auflage Mit 390 Abbildungen
13
Prof. Dr. med. Hilmar Burchardi, FRCA
Prof. Dr. med. Karl–Walter Jauch
Kiefernweg 2 37120 Bovenden
Chirurgische Klinik u. Poliklinik Klinikum Großhadern LMU München Marchioninistr. 15 81377 München
Prof. Dr. med. Reinhard Larsen Klinik für Anaesthesiologie und Intensivmedizin Universitätskliniken des Saarlandes Gebäude 57 66421 Homburg/Saar
Prof. Dr. med. Ralf Kuhlen
Prof. Dr. Jürgen Schölmerich Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg
Klinik für Intensivmedizin HELIOS Klinikum Berlin Buch Schwanebecker Chaussee 50 13125 Berlin
ISBN–13 978–3–540–72295–3 10. Auflage Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN 3–540–00882–9 9. Auflage Springer–Verlag Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d–nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 1955, 1971, 1972,1977, 1982, 1993, 1995, 2001, 2004, 2008 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen– und Markenschutz–Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Ulrike Hartmann und Dr. Anna Krätz, Heidelberg Projektmanagement: Gisela Schmitt, Heidelberg Copyediting: Michaela Mallwitz, Tairnbach Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin Satz: Stürtz GmbH, Würzburg SPIN: 11009214 Gedruckt auf säurefreiem Papier
0000 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur 10. Auflage »Sehr viele und vielleicht die meisten Menschen müssen, um etwas zu finden, erst wissen, dass es da ist.« (Georg Christoph Lichtenberg, 1742–1799) Zehn Auflagen eines Lehrbuchs über Intensivmedizin belegen den Erfolg des interdisziplinären Konzepts dieses Werkes. Intensivmedizin ist ein lebendiges Beispiel für ein multidisziplinäres Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen, für gemeinsame Diskussion und gegenseitige Überzeugung, für wechselseitige Befruchtung mit Kenntnis, Wissen und Erfahrung. Intensivmedizin ist eben nicht begrenzt auf den Zuständigkeitsbereich einzelner Fächer, sondern ist ein Wissens- und Erfahrungsfeld über eine große Breite der Medizin – sie ist eines der letzten Breitenfächer! Eine solche Aussage wird nicht von allen so gesehen, sie entspricht auch nicht den Auffassungen verschiedener Fachgebiete – doch ihre Gültigkeit wird im Zuge der Zeit immer deutlicher. Es ist das gemeinsame Verständnis vieler, die sich ausgiebig mit Intensivmedizin beschäftigen. Für die Fachgesellschaften bedeutet dieses Verständnis keine Bedrohung ihres Einflusses. Es bedeutet eher die Chance einer multidisziplinären Annäherung – so, wie wir sie heute in Zeiten zunehmender Spezialisierung so dringend benötigen. Kaum ein medizinischer Bereich bewegt sich so rasch voran wie die Intensivmedizin. Das stellt höchste Ansprüche an die Aktualität. Es muss dem Springer-Verlag hoch angerechnet werden, dass in so rascher Folge jeweils neue Auflagen dieses Buches herausgebracht werden. Damit wird Aktualität gewährleistet. Für die jetzige 10. Auflage wurde das Buch völlig neu konzipiert. Die Herausgeber haben sich deutlich verjüngt. Zwei altbewährte Weggefährten, Peter Suter und Hans-Peter Schuster, sind auf eigenen Wunsch ausgeschieden. Wir danken ihnen für ihr langjähriges Engagement bei diesem Werk. Für das neue Herausgeberteam konnten der Chirurg Jauch, der Anästhesist Kuhlen und der Internist Schölmerich gewonnen werden, als wichtige Verstärkung des multidisziplinären Konzepts. Dabei wurde auch der gesamte Themenkreis neu überdacht, viele ergänzende Themen wurden hinzugefügt, wichtige aktuelle Probleme aufgegriffen. So deckt das Buch jetzt den Themenkreis noch breiter ab, hat sich weiterer aktueller Fragen angenommen und ist damit, wie wir hoffen, noch informativer geworden. Für diese 10. Auflage konnten zahlreiche neue Autoren gewonnen werden, die mit ihrem Wissen und ihrer besonderen Erfahrung in der Intensivmedizin eine Bereicherung für das gemeinsame Werk bedeuten. Die Herausgeber danken allen Autoren, die sich der großen Aufgabe gestellt haben, ihr Thema aktuell und umfassend, fasslich und didaktisch ansprechend darzustellen. Das Buch lebt vom Sachverstand und vom Engagement dieser Experten. Das Buch ist angelegt sowohl als Lehrbuch für den Arzt, der sich neu mit der Intensivmedizin beschäftigen will; es ist aber auch als Nachschlagewerk für die erfahreneren Ärzte auf der Intensivstation gedacht, die sich mit speziellen Problemen auseinanderzusetzen haben. Es soll also Hilfe sein für die primäre ebenso wie für die kontinuierliche Weiterbildung. Es soll Wissen anbieten und Verständnis für die vielfältigen Zusammenhänge in der Intensivmedizin herstellen. Der didaktischen Darbietung des Textes wurde wiederum große Aufmerksamkeit gewidmet, mit informativen Abbildungen, Tabellen und hervorgehobenen Hinweisen, die das Lesen, Nachschlagen und Aufnehmen erleichtern. Großer Dank gebührt den Mitarbeitern des Springer-Verlags, allen voran Frau Hartmann, die in unermüdlichem Einsatz jeden, der unterwegs müde wurde, zur letzten Wegstrecke animiert hat. Wir wünschen uns, dass dieses Werk vom Leser gut angenommen wird. Wenn mit ihm bei manchem sogar Begeisterung für diesen faszinierenden Bereich der Akutmedizin geweckt werden kann, dann ist unser größter Wunsch erfüllt.
Göttingen, Homburg/Saar, Berlin, München, Regensburg, im September 2007
Die Herausgeber Hilmar Burchardi Rainer Larsen Ralf Kuhlen Karl-Walter Jauch Jürgen Schölmerich
VII
Inhaltsverzeichnis I
I
Grundlagen der Intensivmedizin
Grundlagen der Intensivmedizin ....................................................1
15 Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter ...................................................................... 131 W. Wilhelm, R. Larsen H. Pargger F. Mertzlufft, F. Bach
16 Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring ...................................................................................... 169 K.L. Kiening, A.S. Sarrafzadeh
R. Kuhlen, M. Quintel
2
Rechtliche Probleme ..........................................................................9 R.-W. Bock
3
Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin .....................................................................17 V. Köllner, T. Loew
4
17 Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin ............................................................................. 177 E. Eisenhuber, B. Partik, P. Pokieser, C. Schaefer-Prokop
18 Stoffwechselüberwachung und Interpretation klinisch-chemischer Befunde...................................................... 225 C. Wrede
Intensivpflege ...................................................................................27 D. Stolecki
5
Hygiene in der Intensivmedizin ....................................................35
III
M. Dettenkofer, E. Meyer
6
Transport kritisch kranker Patienten ............................................45 W. Wilhelm
7
Allgemeine Grundlagen der Therapie
Scores ..................................................................................................53
19 Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen ..................................... 241 J. Langgartner
R. Lefering, E. Neugebauer
20 Ernährungstherapie des Intensivpatienten ............................. 255 8
Risikomanagement und Fehlerkultur ..........................................65
W.H. Hartl, K-W. Jauch
A. Frutiger, J. Graf
9
Leistungserfassung und Qualitätssicherung..............................79 C. Waydhas, O. Mörer
10 Ökonomie und Vergütung ..............................................................89 O. Moerer, H. Burchardi
11 Organisation und Management ....................................................97 H. Burchardi, G. Kreymann
21 Hämorrhagischer Schock ............................................................ 269 R. Larsen
22 Hämostase und Hämotherapie .................................................. 281 M. Reng
23 Analgesie, Sedierung, Relaxation und Therapie von Psychosyndromen ................................................................. 303 S. Kleinschmidt
12 Die Intensivmedizin in der Versorgungskette ......................... 109 A. Meier-Hellmann
24 Endotracheale Intubation............................................................ 325 M. Quintel, F. Fiedler
13 Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin .................................................................. 115 K. Peter, M. Rehm, F. Christ
25 Perkutane Tracheotomie.............................................................. 335 H.-W. Bause, A. Prause
26 Thoraxdrainage.............................................................................. 345 B. Regli
II
Allgemeine Grundlagen der Diagnostik und Überwachung
14 Langzeitfolgen nach Intensivtherapie ...................................... 121 U. Börner
27 Bronchoskopie ............................................................................... 353 H. Tonn
28 Akut- und Frührehabilitation ...................................................... 359 M. Bachmann, B. Gassner, S. Kircher, B. Moser, G. Schönherr, N. Trost
VIII
Inhaltsverzeichnis
IV
Akuter Kreislaufstillstand und kardiopulmonale Reanimation
VII Gastrointestinale Störungen 42 Funktionstörungen des Magen-Darm-Trakts .......................... 547 T. Brünnler, J. Schölmerich
29 Kardiopulmonale Reanimation .................................................. 373 H. Herff, T. Danninger, V. Wenzel, K.H. Lindner
43 Hepatobiliäre Funktionsstörungen, Leberversagen .............. 557 R.E. Stauber, P. Fickert, M. Trauner
44 Akute Pankreatitis ......................................................................... 569 J. Schölmerich
V
Kardiovaskuläre Störungen
45 Akute gastrointestinale Blutungen .......................................... 579 H. Messmann, F. Klebl
30 Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade ................................................................. 387
46 Mesenteriale Ischämie.................................................................. 591 J. Schölmerich
H.-P. Hermann, S. Vonhof, G. Hasenfuss
31 Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris ............................................................. 407 H.-P. Bestehorn, F.-J. Neumann
32 Herzrhythmusstörungen ............................................................. 429 H.-J. Trappe
33 Infektiöse Endokarditis ................................................................ 445 M. Doering, D. Elsner
VIII Störungen des ZNS und neuromuskuläre Erkrankungen 47 Neurodiagnostik in der Intensivmedizin .................................. 603 G. Becker†, A. Dörfler, M. Forsting, W. Müllges, B. Partik, D. Prayer, B. Wildemann
34 Der hypertensive Notfall .............................................................. 453 M. Barenbrock, K.H. Rahn
48 Erhöhter intrakranieller Druck .................................................... 625 O.W. Sakowitz, A.W. Unterberg
35 Lungenarterienembolie ............................................................... 461 H.-D. Walmrath
49 Koma, metabolische Störungen und Hirntod ......................... 635 F. Weber, A. Bitsch, H. Prange
50 Zerebrovaskuläre Notfälle ........................................................... 645
VI
Respiratorische Störungen
T. Steiner, S. Schwab, W. Hacke
51 Zerebrale Krämpfe und Status epilepticus............................... 659 H. Stefan, F. Reinhardt
36 Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik............................................................................... 469 R. Kuhlen, R. Dembinski
52 Psychische und psychosomatische Störungen bei Intensivpatienten ................................................................... 665 T. Loew, V. Köllner, A. Deister
37 Akutes Lungenversagen .............................................................. 475 R. Kuhlen
53 Infektionen des ZNS ...................................................................... 677 H. W. Prange, A. Bitsch
38 Pneumonien ................................................................................... 481 S. Ewig
39 COPD und Asthma bronchiale ..................................... .............. 499 B. Schönhofer, R. Bals
40 Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung......................................................................... 513 R. Kuhlen, R. Dembinski
41 Nicht-invasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz .................................. 531 B. Schönhofer
54 Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation ........................................................................ 687 G.A. Zäch, M. Baumberger, P. Felleiter, F. Michel, H.G. Koch
55 Neuromuskuläre Störungen beim Intensivpatienten, Critical-illness-Neuropathie und andere neurologische Störungen ...................................... 695 H.-P. Hartung, B.C. Kieseier, M. Schroeter
56 Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation ......................................................................... 707 J.D. Rollnik
IX Inhaltsverzeichnis
70 Thoraxtrauma ................................................................................ 903
IX
Stoffwechsel, Niere, Säure-Basen-, Wasserund Elektrolythaushalt
R. Stocker, U. Bürgi
71 Bauchtrauma .................................................................................. 911 D. Nast-Kolb
72 Brandverletzungen ....................................................................... 919 N. Pallua, K. Hemmrich
57 Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie ........................................................................... 721 S. Klose, H. Lehnert
73 Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung .................... 933 C.-M. Muth
58 Schilddrüsenfunktionsstörungen beim Intensivpatienten, thyreotoxische Krise und Myxödemkoma ...................................................................... 735 R. Gärtner
XII Operative Intensivmedizin
59 Säure-Basen Status ....................................................................... 743 K. Hofmann-Kiefer, P. Conzen, M. Rehm
60 Akutes Nierenversagen und extrakorporale Eliminationsverfahren .................................................................. 755 R. Schindler, K.-U. Eckardt, U. Frei
74 Intensivtherapie schwerer abdominalchirurgischer Krankheitsbilder ............................................................................ 949 E. Klar, A. Pertschy, K.-W. Jauch, W.H. Hartl
75 Intensivtherapie nach herzchirurgischem Eingriff ................. 969 K. Nassau, K. Kesel, E. Kilger, B. Zwißler
X
Inflammation und Infektion
61 Entzündung und angeborene Immunantwort ....................... 773 A.B.J. Groeneveld
62 Antibiotika, Prophylaxe und Antimykotika ............................. 783 S.W. Lemmen
63 Sepsis ............................................................................................... 791
76 Intensivtherapie nach thoraxchirurgischen Eingriffen ......................................................................................... 987 J. Geiseler, O. Karg
77 Intensivtherapie nach gefäßchirurgischen Eingriffen ......................................................................................... 997 T. Kramm, H.-J. Schäfers
78 Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen – intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma, Rückenmarkverletzung .............................................................. 1005 J.-P.A.H. Jantzen
F. Bloos, A. Kortgen, A. Meier-Hellmann, K. Reinhart
64 Nosokomiale Infektionen ............................................................ 811 S. Koch, H. Häfner, S. Lemmen
XIII Organtransplantation
65 Spezifische Infektionen ................................................................ 831 A. Cerny, E. Bernasconi
79 Behandlung von Organspendern ............................................ 1031 66 Behandlung von Patienten ‚mit HIV-Infektion auf der Intensivstation ................................................................. 847
T. Bein
80 Intensivtherapie nach Organtransplantation ....................... 1041
I. Schedel
E.-R. Kuse
XI
Trauma
XIV Spezielle Notfälle
67 Polytrauma ..................................................................................... 863 M. Lehnert, I. Marzi
81 Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom .................... 1057 M.C. Schneider, E. Beinder, J.-C. Fauchère, M. Siegemund
68 Schädel-Hirn-Trauma .................................................................... 877 J. Piek
82 Anaphylaktischer Schock........................................................... 1071 U. Müller-Werdan, K. Werdan
69 Verletzungen der Kiefer- und Gesichtsregion ......................... 893 S. Reinert
X
Inhaltsverzeichnis
XV Pädiatrische Intensivmedizin 83 Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen ..................... 1083 K. Bauer, P. Groneck, C.P. Speer
84 Pädiatrische Intensivmedizin.................................................... 1131 P.C. Rimensberger
XVI Vergiftungen 85 Akute Vergiftungen..................................................................... 1167 L.S. Weilemann
Anhang 86 Referenzbereiche klinisch wichtiger Laborparameter ........................................................................... 1181 J. Geisel
Stichwortverzeichnis .................................................................. 1197
XI
Autorenverzeichnis Bach, F., Dr.
Bernasconi, E., Dr.
Christ, F., Prof. Dr.
Eckardt, K.-U., Dr.
Klinik für Anästhesiologie u. Intensivmedizin, Krankenanstalten Gilead Grenzweg 10 D-33617 Bielefeld
Ospedale Civico Lugano Via Tesserete 46, CH-6903 Lugano
Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Großhadern, LMU München Marchioninistr. 15, D-81377 München
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Charité, Campus Virchow Klinikum der Humboldt-Universität Augustenburger Platz 1, D-13353 Berlin
Bachmann, M., MSc Universitätsklinik für Neurologie, Neurorehabilitation Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
Bals, R., Priv.-Doz. Dr. Dr. rer. nat. Klinik f. Innere Medizin – Pneumologie, Klinikum der Philipps-Universität Marburg Baldingerstr. 1, D-35043 Marburg
Barenbrock, M., Prof. Dr. Ambulantes Dialysezentrum Ludwig-Teleky-Str. 3, D-59071 Hamm
Bauer, K., Prof. Dr. Neonatologie Klinikum der Johann-WolfgangGoethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7, D-60596 Frankfurt
Baumberger, M., Dr. Paraplegiker Zentrum Guido A. Zäch Str. 1, CH-6207 Nottwil
Bause, H.-W., Prof. Dr. Abt. für Anästhesiologie u. operative Intensivmedizin, Allgemeines Krankenhaus Altona Paul-Ehrlich-Str. 1, D-22763 Hamburg
Becker†, G., Prof. Dr. Bein, T., Prof. Dr. Klinik für Anästhesiologie, Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 D-93042 Regensburg
Bestehorn, H.-P., Dr. Kardiologie I, Herz-Zentrum Bad Krozingen Südring 15, D-79189 Bad Krozingen
Bitsch, A., Prof. Dr. Neurologische Klinik, Ruppiner Kliniken GmbH Fehrbelliner Str. 38, D-16816 Neuruppin
Bloos, F., Dr. Klinikum der Friedrich-SchillerUniversität, Klinik für Anästhesiologie u. Intensivtherapie Erlanger Allee 101, D-07740 Jena
Klinik für Geburtshilfe, UniversitätsSpital Zürich Frauenklinikstr. 10, CH-8091 Zürich
Klinik für Anästhesiologie, LMU München Marchioninistr. 15, D-81377 München
Danninger, T. Medizinische Universität Innsbruck, Univ.-Klinik für Anaesthesie u. Allg. Intensivmedizin Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
Eisenhuber, E., Dr. Klinik für Radiodiagnostik, Universität Wien Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
Elsner, D., Prof. Dr. III. Medizinische Klinik, Klinikum Passau Innstr. 76, D-94032 Passau
Deister, A., Priv.-Doz. Dr. Ewig, S., Prof. Dr.
Schlüterstr. 37, D-10629 Berlin
Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie u. Psychosomatische Medizin, Krankenhaus Itzehoe Robert-Koch-Str. 2, D-26642 Itzhoe
Börner, U., Prof. Dr.
Dembinski, R., Priv.-Doz. Dr.
Klinikum der Universität Köln, Zentrale Intensivu. Notfallmedizin (ZIN) Joseph-Stelzmann-Str. 9, D-50924 Köln
Klinik für operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Pauwelsstr. 30 D-52074 Aachen
Brünnler, T., Dr.
Dettenkofer, M., Prof. Dr.
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Klinikum der Universität Regensburg D-93042 Regensburg
Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Freiburg Breisacher Str. 115b, D-79106 Freiburg
Felleiter, P., Dr.
Burchardi, H., Prof. Dr.
Dörfler, A., Prof. Dr.
Fickert, P., Univ.-Doz. Dr.
Kiefernweg 2, D-37120 Bovenden
Abteilung Neuroradiologie, Universitätsklinikum Erlangen Schwabachanlage 6, D-91054 Erlangen
Klinische Abt. für Gastroenterologie und Hepatologie, Universität Graz, Medizinische Universitätsklinik, Auenbruggerplatz 2/4 A-8036 Graz
Bock, R.-W.
Bürgi, U., Dr. Intensivstation der Unfall u. Viszeralchirurgie, Departement Chirurgie Universitätsspital Rämistr. 100, CH-8091 Zürich
Cerny, A., Prof. Dr. Beinder, E., Priv.-Doz. Dr.
Conzen, P., Prof. Dr.
Clinic for Internal Medicine and Liver Outpatient Clinic, Clinica Luganese Moncucco Hospital Via Moncucco 10, CH-6900 Lugano
Döring, M., Dr. III. Medizinische Klinik, Klinikum Passau Innstr. 76, D-94032 Passau
Thoraxzentrum Ruhrgebiet, Kliniken für Pneumologie und Infektiologie, Evangelisches Krankenhaus Herne und Augusta-Kranken-Anstalt Bergstraße 26, D-44791 Bochum
Fauchère, J.-C., Priv.-Doz. Dr. Klinik für Neonatologie, UniversitätsSpital Frauenklinikstr. 10 CH-8091 Zürich
Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil Guido A. Zäch Str. 1, CH-6207 Nottwil
Fiedler, F., Priv.-Doz. Dr. Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, St.-Elisabeth Krankenhaus Köln-Hohenlind, Werthmannstr. 1, D-50935 Köln
XII
Autorenverzeichnis
Forsting, M., Prof. Dr.
Groneck, P., Prof. Dr.
Hofmann-Kiefer, K., Dr.
Klar, E., Prof. Dr.
Institut für diagnostische u. interventionelle Radiologie und Neuroradiologie, Universitätsklinikum Essen Hufelandstr. 55, D-45122 Essen
Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche, Klinikum Leverkusen gGmbH Am Gesundheitspark 11, 51375 Leverkusen
Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Großhadern, LMU München Marchioninistr. 15, D-81377 München
Abt. für Allgemein-, Thorax-, Gefäß- u.Transplantationschirurgie Universität Rostock Schillingallee 35, D-18055 Rostock
Hacke, W., Prof. Dr.
Hüttemann, E., Dr.
Klebl, F., Priv.-Doz. Dr.
Universitätsklinikum Charité, Campus Charité Mitte Schumannstr. 20/21, D-10117 Berlin
Neurologische Klinik, Kliniken der Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 400, D-69120 Heidelberg
Klinik für Anästhesiologie u. Intensivtherapie, Klinikum der Friedrich-SchillerUniversität Erlanger Allee 101 D-07740 Jena
Klinik u. Poliklinik für Innere Medizin I, Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 D-93042 Regensburg
Frutiger, A., Priv.-Doz. Dr.
Häfner, H., Dr.
Interdisziplinäre Intensivstation, Spitäler Chur AG Rätisches Kantons- und Regionalspital Loestr. 170, CH-7000 Chur
Zentralbereich für Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstr. 30, D-52057 Aachen
Jantzen, J.-P., Prof. Dr.
Kleinschmidt, S., Prof. Dr.
Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Klinikum Hannover Nordstadt Haltenhoffstr. 41, D-30167 Hannover
Gassner, B.
Hartl, W.H., Prof. Dr.
Abtg für Anästhesie, Intensivmedizin u. Schmerztherapie, BG Unfallklinik Ludwigshafen Ludwig-Guttmann-Str. 13, D-67071 Ludwigshafen
Neurorehabilitation, Universitätsklinik für Neurologie Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
Chirurgische Klinik u. Poliklinik, Klinikum Großhadern, LMU München Marchioninistr. 15, D-81377 München
Frei, U., Prof. Dr.
Gärtner, R., Prof. Dr. Innenstadt, Medizinische Klinik, Klinikum der Universität München Ziemssenstr. 1, D-80366 München
Chirurgische Klinik und Poliklinik, Klinikum Großhadern, LMU München Marchioninistr. 15, D-81377 München
Hartung, H.-P., Prof. Dr. Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstr. 5, D-40225 Düsseldorf
Geisel, J., Prof. Dr. Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Universitätsklinikum des Saarlandes Gebäude 57, D-66421 Homburg/Saar
Jauch, K.-W., Prof. Dr.
Hasenfuß, G., Prof. Dr. Abt. Kardiologie u. Pneumologie, Herzzentrum Göttingen, Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40, D-37099 Göttingen
Geiseler, J., Dr.
Karg, O, Dr. Klinik für Intensivmedizin und Langzeitbeatmung, Asklepios Fachkliniken München-Gauting Robert-Koch-Allee 2, D-82131 Gauting
Klose, S., Dr. Klinik für Endokrinologie/ Stoffwechselkrankheiten Zentrum für Innere Medizin, Otto-von-Guericke-Universität Leipziger Str. 44, D-39120 Magdeburg
Koch, H.G., Dr. Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil Guido A. Zäch Str. 1, CH-6207 Nottwil
Kesel, K., Dr. Klinik für Anästhesiologie der Universität München, Herzklinik am Augustinum Wolkerweg 16, D-81375 München
Klinik für Intensivmedizin und Langzeitbeatmung, Asklepios Fachkliniken München-Gauting Robert-Koch-Allee 2, D-82131 Gauting
Hemmrich, K., Dr. Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- u. Verbrennungschirurgie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstr. 30, D-52074 Aachen
Kiening, K.L., Priv.-Doz. Dr.
Graf, J., Dr.
Herff, H., Dr.
Kieseier, B.C., Prof. Dr.
Klinik für Anästhesie u. Intensivmedizin, Klinikum der Philipps-Universität Baldingerstr. 1, D-35043 Marburg
Klinik für Anaesthesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck Anichstr.35, A-6020 Innsbruck
Neurologische Klinik Heinrich-Heine-Universität Moorenstr. 5, D-40225 Düsseldorf
Groeneveld, A.B.J., Prof. Dr.
Hermann, H.-P., Priv.-Doz. Dr.
Dept. of Intensive Care, VU University Hospital Medical Center De Boelelaan 1117, NL-1081 Amsterdam HV
Medizinische Klinik u. Kardiologie, Evangelisches Krankenhaus Bergisch Gladbach gGmbH Ferrenbergstr. 24, D-51465 Bergisch-Gladbach
Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400, D-69120 Heidelberg
Kilger, E., Dr. Herzklinik der Universität München am Augustinum Wolkerweg 16, D-81375 München
Kircher, S. Neurorehabilitation, Universitätsklinik für Neurologie Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
Koch, S., Dr. Zentralbereich für Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstr. 30, D-52057 Aachen
Köllner, V., Prof. Dr. Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Bliestal Kliniken D-66440 Blieskastel
Kortgen, A., Dr. Klinik für Anästhesiologie u. Intensivtherapie, Klinikum der Friedrich-SchillerUniversität Erlanger Allee 101, D-07740 Jena
Kramm, T., Dr. Abteilung für Thoraxu. Herz-Gefäßchirurgie Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Str. 1, D-66421 Homburg/Saar
XIII Autorenverzeichnis
Kreymann, G., Prof. Dr.
Lindner, K.H., Prof. Dr.
Müller-Werdan, U., Prof. Dr.
Pertschy, A., Dr.
Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Eppendorf Martinistr. 52, D-20246 Hamburg
Klinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin, Universitätsklinikum Innsbruck Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III, Klinikum Kröllwitz der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Straße 40, D-06097 Halle/Saale
Abt. f. Allgemeine, Thorax-, Gefäßu. Transplantationschirurgie, Chirurgische Universitätsklinik Rostock, Schillingallee 35, 18057 Rostock
Kuhlen, R., Prof. Dr. Klinik für Intensivmedizin, Helios Klinikum Berlin Buch Hobrechtsfelder Chaussee 100, D-13125 Berlin
Loew, T., Prof. Dr. Abt. Psychosomatik, Klinikum der Universität Regensburg, D-93053 Regensburg
Kuse, E.-R., Prof. Dr. Zentrale Klinik für Anästhesie, operative Intensivmedizin u. Schmerztherapie, Klinikum Salzgitter GmbH Kattowitzer Str. 191, D-38226 Salzgitter
Marzi, I., Prof. Dr. Klinik für Unfall-, Handund Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Johann Wolfgang Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7, D-60590 Frankfurt
Langgartner, J., Dr. Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 D-93042 Regensburg
Meier-Hellmann, A., Prof. Dr.
Larsen, R., Prof. Dr.
Mertzlufft, F., Prof. Dr.
Klinik für Anästhesiologie u. Intensivmedizin, Universitätskliniken des Saarlandes Klinikum-Gebäude 56, D-66421 Homburg/Saar
Gilead I, Klinik für Anästhesiologie u. operative Intensivmedizin Burgsteig 13, D-33617 Bielefeld
Klinik f. Anästhesie, Intensivmedizin, Schmerztherapie, Helios Klinikum Erfurt GmbH, Nordhäuser Str. 74, D-99089 Erfurt
Messmann, H., Prof. Dr. Lehnert, H., Prof. Dr. Chair of Medicine, Warwick Medical School, Head, Dept. of Endocrinology, Diabetes, Metabolism and Vascular Medicine, University Hospital of Coventry, Warwickshire Clifford Bridge Road, Coventry CV2 2DX UK
Lehnert, M., Dr. Klinik für Unfall-,Handund Wiederherstellungschirurgie, Johann-Wolfgang-GoetheUniversität Theodor-Stern-Kai 7, D-60590 Frankfurt am Main
III. Medizinische Klinik, Klinikum Augsburg Stenglinstr. 2, D-86156 Augsburg
Meyer, E., Dr. Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Freiburg Breisacher Str. 115b, D-79106 Freiburg
Michel, F.-J., Dr. Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil Guido A. Zäch Str. 1, CH-6207 Nottwil
Lefering, R., Dr.
Moser, B., MSc
Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke Ostmerheimerstr. 200, D-51109 Köln
Universitätsklinik für Neurologie, Neurorehabilitation Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
Mörer, O., Dr. Lemmen, S.W., Priv.-Doz. Dr. Zentralbereich für Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstr. 30, D-52057 Aachen
Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- u. Intensivmedizin, Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40, D-37070 Göttingen
Müllges, W., Dr. Neurologische Klinik, Klinikum der Universität Josef-Schneider-Str. 11, D-97080 Würzburg
Muth, C.-M., Dr. Universitätsklinik für Anästhesiologie, Sektion Spezielle Anästhesie, Universitätsklinikum Ulm Prittwitzstraße 43, D-89075 Ulm
Nassau, K., Dr. Klinik für Anästhesiologie der Universität München, Herzklinik am Augustinum Wolkenweg 16, D-81375 München
Neugebauer, E.A.M., Prof. Dr. Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) Lehrstuhl für Chirurgische Forschung, Universität Witten/ Herdecke Ostmerheimerstr. 200, D-51109 Köln
Peter, K., Prof. Dr. Klinik für Anaesthesiologie, Klinikum Großhadern Marchioninistr. 15, D-81377 München
Piek, J., Prof. Dr. Abteilung für Neurochirurgie, Chirurgische Universitätsklinik Rostock, Schillingallee 35, D-18057 Rostock
Pokieser, P., Prof. Dr. Universitätsklinik für Radiodiagnostik, Allgemeines Krankenhaus Altona Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
Prange, H., Prof. Dr. Universitätsklinikum Göttingen, Abteilung Neurologie Robert-Koch-Str. 40, D-37075 Göttingen
Prause, A., Dr. Abt. für Anästhesiologie u. operative Intensivmedizin, Allgemeines Krankenhaus Altona Paul-Ehrlich-Str. 1, D-22763 Hamburg
Neumann, F.-J., Prof. Dr. Kardiologie, Herzzentrum Bad Krozingen Südring 15, D-79189 Bad Krozingen
Prayer, D., Prof. Dr. Klinik für Radiodiagnostik, Universität Wien Währinger Gürtel 18–20, A-1090 Wien
Pallua, N., Prof. Dr. Dr. Klinik für Plastische-, Handu. Verbrennungschirurgie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstr. 30, D-52074 Aachen
Pargger, H., Dr. Departement Anästhesie, Kantontsspital CH-4031 Basel
Quintel, M., Prof. Dr. Anästhesiologie II – Operative Intensivmedizin, Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40, D-37075 Göttingen
Rahn, K.H., Prof. Dr. Poststiege 42, D-48161 Münster
Partik, B., Dr. Klinik für Radiodiagnostik, Universität Wien Währinger Gürtel 18–20, A-1090 Wien
Regli, B., Dr. Klinik für Intensivmedizin DAIN, Inselspital CH-3010 Bern
XIV
Autorenverzeichnis
Rehm, M., Priv.-Doz. Dr.
Schäfers, H.-J., Prof. Dr.
Speer, C.P., Prof. Dr.
Trauner, M., Prof. Dr.
Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Großhadern, LMU München Marchioninistr. 15, D-81377 München
Abt. für Thorax- und Herz-Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Str. 1, D-66421 Homburg/Saar
Universitäts-Kinderklinik Josef-Schneider-Str. 2, D-97080 Würzburg
Klinische Abt. für Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Universitätsklinik, Universität Graz Auenbruggerplatz 2/4 A-8036 Graz
Reinert, S., Prof. Dr. Dr. Klinik u. Poliklinik für Mund-, Kiefer- u. Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Tübingen Osianderstr. 2, D-72076 Tübingen
Schedel, I., Prof. Dr. Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie, Universitätsklinikum Hannover Carl-Neuberg-Straße 1, D-30623 Hannover
Reinhardt, F., Priv.-Doz.Dr. Neurologische Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg Schwabachanlage 6, D-91054 Erlangen
Reinhart, K., Prof. Dr. Klinik für Anästhesiologie u. Intensivtherapie, Klinikum der Friedrich-SchillerUniversität Bachstr. 18, D-07743 Jena
Reng, M., Priv.-Doz. Dr. Kreiskrankenhaus Bogen, Innere Medizin Mussinanstr. 9, D-94327 Bogen
Schindler, R., Prof. Dr. Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Charité, Campus Virchow Klinikum der Humboldt-Universität Augustenburger Platz 1, D-13353 Berlin
Kliniken der Universität Heidelberg, Neurologische Klinik Im Neuenheimer Feld 400, D-69120 Heidelberg
Stauber, R.E., Prof. Dr. Klinische Abt. für Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Universitätsklinik, Universität Graz Auenbruggerplatz 2/4, A-8036 Graz
Kliniken der Universität Heidelberg, Neurologische Klinik Im Neuenheimer Feld 400, D-69120 Heidelberg
Stefan, H., Prof. Dr.
Departement Anästhesie, Universitätsfrauenklinik Universitätsspital Basel Spitalstr. 21, CH-4031 Basel
Epilepsiezentrum, Universitätsklinikum Erlangen Schwabachanlage 6, D-91054 Erlangen
Stolecki, D. Schölmerich, J., Prof. Dr.
Soins intensifs pédiatriques, Hopital des Enfants – HUG CH-1211 Genève
Rollnik, J.D., Prof. Dr.
Schönherr, G.S.
Neurologische Klinik Hessisch Oldendorf Greitstr. 18–28, D-31840 Hessisch Oldendorf
Universitätsklinik für Neurologie, Neurorehabilitation Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
Sakowitz, O.W., Dr.
Schönhofer, B., Prof. Dr.
Neurochirurgische Klinik, Kliniken der Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 400, D-69120 Heidelberg
Abt. für Pneumologie u. Internistische Intensivmedizin, Klinikum Region Hannover Krankenhaus Oststadt-Heidehaus Podbielskistr. 380, D-30659 Hannover
Referat Fort- u. Weiterbildung, St.-Johannes-Hospital Dortmund, Stabstelle Geschäftsführung Johannesstr. 9–17, D-44137 Dortmund
Stocker, R., Dr.
Sarrafzadeh, A., Dr. Klinik für Neurochirurgie, Charité, Campus Virchow Klinikum der Humboldt-Universität Augustenburger Platz 1, D-13353 Berlin
Universitätsklinik für Neurologie, Neurorehabilitation Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
Unterberg, A.W., Prof. Dr. Kliniken der Universität Heidelberg, Neurochirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 400, D-69120 Heidelberg
Intensivstation der Unfall u. Viszeralchirurgie, Departement Chirurgie Universitätsspital Rämistr. 100, CH-8091 Zürich
Vonhof, S., Priv.-Doz. Dr. Abt. Kardiologie u. Pneumologie, Herzzentrum Göttingen, Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40, D-37099 Göttingen
Walmrath, H.-D., Prof. Dr. Medizinische Klinik II, Zentrum für Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Klinikstr. 36, D-35385 Gießen
Waydhas, C., Prof. Dr. Klinik u. Poliklinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Essen Hufelandstr. 55, D-45147 Essen
Weber, F., Priv.-Doz. Dr. Neurologische Abteilung, Max-Planck-Institut für Psychiatrie Kraepelinstr. 2–10, D-80804 München
Tonn, H., Dr. Pneumonologie u. internistische Intensivmedizin, Klinikum Hannover-OststadtHeidehaus Podbielskistr. 380, D-30659 Hannover
Weilemann, L.S., Prof. Dr.
Trappe, H.-J., Prof. Dr.
Wenzel, V., Prof. Dr.
Medizinisch Univ.-Klinik II Universitätsklinik Marienhospital Herne, Ruhr-Universität Bochum Hölkeskampring 40, D-44625 Herne
Universitätsklinik für Anaesthesie u. Allgemeine Intensivmedizin Anichstr. 35, A-6020 Innsbruck
II. Medizinische Klinik, Universität Mainz, Vergiftungszentrale Langenbeckstr. 1, D-55131 Mainz
Schroeter, M., Priv.-Doz. Dr. Klinik u. Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität Köln Joseph-Stelzmann-Str. 9, D-50931 Köln
Schaefer-Prokop, C.M., Prof. Dr. Academic Medical Center, Radiologie Meibergdreef 9, NL-1105 AZ Amsterdam,
Trost, N.
Steiner, T., Prof. Dr.
Schneider, M.C. , Prof. Dr.
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Klinikum der Universität Regensburg D-93042 Regensburg
Rimensberger, P.C., Dr.
Schwab, S., Prof. Dr.
Siegemund, M., Dr. Medizinische Intensivmedizin u. Departement Anästhesie, Universitätsspital Basel Spitalstr. 21, CH-4031 Basel
Werdan, K., Prof. Dr. Klinikum u. Poliklinik für Innere Medizin III, Klinikum Kröllwitz der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Straße 40, D-06097 Halle/Saale
XV Autorenverzeichnis
Wrede, C., Dr. Klinik u. Poliklinik für Innere Medizin I, Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 D-93042 Regensburg
Wildemann, B., Dr. Kliniken der Universität Heidelberg, Neurochirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 400, D-69120 Heidelberg
Wilhelm, W., DEAA, Priv.-Doz. Dr. Klinik für Anästhesiologie & operative Intensivmedizin, RTH Christoph 8, St.-Marien-Hospital Lünen Altstadtstr. 23, D-44534 Lünen
Zäch, G.A., Prof. Dr. Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil Guido A. Zäch Str. 1, CH-6207 Nottwil
Zwißler, B., Prof. Dr. Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin u. Schmerztherapie, Klinikum der Johann-WolfgangGoethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7, D-60596 Frankfurt/Main
1 Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin R. Kuhlen, M. Quintel
1.1
Das Spannungsfeld zwischen technisch Machbarem und medizinisch Sinnvollem –4
1.1.1 Verlust der Arzt-Patient-Beziehung –4 1.1.2 Abwägung von Risiko und Nutzen –4 1.1.3 Lebenserhalt und Lebensverlängerung um jeden Preis?
–4
1.2
Grenzen der Behandlungspflicht
–5
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5
Aktive Sterbehilfe –5 Passive Sterbehilfe –5 Indirekte Sterbehilfe –5 Bedeutung des höheren Lebensalters –6 Der Wille des Patienten –6
1.3
Intensivmedizin als sorgende und menschliche Akutmedizin
1.3.1 Unnötige Verlängerung des Sterbeprozesses –7 1.3.2 Kompetenzerwerb in der Patienten- und Angehörigenbetreuung –8
Literatur –8
–7
4
1
Kapitel 1 · Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin
Intensivmedizin hat ohne jeden Zweifel entscheidenden Anteil an wesentlichen Fortschritten in der modernen Medizin. Interventionen, die heute für uns zum selbstverständlichen Standard medizinischer Versorgung gehören, wären ohne die technischen Möglichkeiten einer modernen intensivmedizinischen Versorgung nicht möglich. Die Überwachung und Aufrechterhaltung von Organfunktionen mittels differenzierter medikamentöser und technischer Unterstützung bis hin zum vollständigen Organersatz stellen wesentliche Meilensteine in der Geschichte der Medizin dar. So konnte beispielsweise die Einführung der maschinellen Überdruckbeatmung in den 1950-er Jahren, während der Ausbreitung der Polioepidemie über Skandinavien und Norddeutschland, entscheidend zur drastischen Abnahme der hohen Sterblichkeit der Kinderlähmung beitragen. Beim Nierenversagen konnten durch die Einführung der Nierenersatztherapie, beim akuten Herzinfarkt und beim lebensbedrohlich traumatisierten Patienten durch eine immer differenziertere Versorgung entscheidende Therapieerfolge erzielt werden, die zu einer deutlichen Verbesserung des Outcome der betroffenen Patienten geführt haben. In der postchirurgischen Intensivmedizin sind enorme Fortschritte zu verzeichnen, die heute die Durchführung auch komplexester chirurgischer Eingriffe bis ins hohe Alter hinein ermöglichen. 1.1
Das Spannungsfeld zwischen technisch Machbarem und medizinisch Sinnvollem
Neben diesen unstrittigen und von Patienten, medizinischem Personal und Öffentlichkeit gleichermaßen erwünschten Erfolgen der intensivmedizinischen Entwicklung besteht und wächst – analog zu anderen medizinischen Technologien – die Gefahr, dass ihre Möglichkeiten auch dann eingesetzt werden, wenn eine Wiederherstellung der Vitalfunktionen und eine Genesung des Patienten unwahrscheinlich oder gar nicht mehr möglich ist. Es entsteht das Spannungsfeld zwischen technisch möglichem und medizinisch sinnvollem Handeln. In diesem Zusammenhang wächst in der Gesellschaft und bei Patienten und deren Angehörigen die Angst vor einer Intensivmedizin als »Apparatemedizin«, die ohne Rücksicht auf etwaige Überlebenschancen und resultierende Lebensqualität die rein technischen Aspekte der Therapie in den Mittelpunkt stellt und damit immanent das Risiko in sich trägt, einen unvermeidbaren Sterbeprozess hinauszuzögern und somit bestehendes Leiden zu verlängern. Beim Anblick eines beatmeten, künstlich ernährten Intensivpatienten, der durch Sedierung und Schmerztherapie nicht zur Kommunikation mit den Angehörigen in der Lage ist und dessen »Lebenszeichen« sich auf ein Monitorbild reduzieren, ist eine solche Angst besonders beim medizinischen Laien mehr als verständlich. Neben dem Aspekt des unkritischen Einsatzes der Möglichkeiten der Intensivmedizin nehmen in der öffentlichen Diskussion inzwischen aber auch zunehmend die möglichen Konsequenzen aus Ökonomisierungszwängen und damit die Angst vor der Rationierung der Ressource Intensivtherapie Raum ein, sodass eine Beschäftigung mit diesem Themenkomplex immer spürbarer den intensivmedizinischen Alltag begleitet. In der Tat müssen sich alle an der Intensivmedizin Beteiligten die Frage stellen, wo die Grenzen einer sinnvollen Therapie – unter Einsatz aller verfügbaren und teilweise hochtechnischen Möglichkeiten – liegen und wann schließlich die technischen Möglich-
keiten zum Selbstzweck werden, ohne im Sinne einer Wiederherstellung helfen zu können, ja – im schlimmsten Fall – nur Leiden zu verlängern und damit dem obersten Prinzip ärztlichen Handelns zu widersprechen, niemals dem Kranken zu schaden. 1.1.1 Verlust der Arzt-Patient-Beziehung Heinrich Schipperges formulierte bereits 1985 in seinem Buch Homo patiens [14]: Die Medizin von heute und morgen ist mit ihren wachsenden technischen Möglichkeiten einer immer kritischer werdenden Öffentlichkeit ausgesetzt, ohne ihr so recht gewachsen zu sein. Sie hat ihre erstaunlichen Errungenschaften erkaufen müssen mit einer immer bedrohlicher erscheinenden Anonymität, dem Verlust der so sehr persönlichen Zweierbeziehung zwischen Arzt und Kranken, einer durch und durch personalen Interaktion, die immer mehr übergeht in die Hände der Verwaltung, der Institution, der Versicherungsagenturen oder der Juristen, der Verrechnung, mit der Verrechtlichung.
1.1.2 Abwägung von Risiko und Nutzen Die Risiko-Nutzen-Abwägung einer medizinischen Intervention ist grundsätzlich schwierig; in vital bedrohlichen Situationen ist sie häufig schier unmöglich, da in den entsprechenden Grenzsituationen eben nicht zu beantworten ist, welcher gesundheitliche (End)-zustand aus einer an sich indizierten medizinischen Intervention resultiert. So sind sich meist alle Beteiligten einig, wenn Formulierungen Gebrauch finden wie etwa: »wenn keine Hoffnung auf Besserung des Zustands besteht…« oder aber »wenn die Therapie keinerlei Aussicht auf Erfolg verspricht…« Was damit aber im individuellen Fall gemeint ist, bleibt meist offen und unterliegt mit Sicherheit einer Vielzahl unterschiedlichster Interpretationen. Für eine aussichtslose Therapie besteht keine Indikation; sie darf damit nach den Regeln des ärztlichen Handelns und der aktuellen Rechtssprechung dem Patienten erst gar nicht angeboten werden. Diese eindeutigen Situationen sind allerdings ungleich seltener, ja die Ausnahme im Vergleich zu Situationen, in denen eine wertende Entscheidung getroffen werden muss und damit eine Entscheidung darüber, welcher Zustand um welchem Preis erreicht werden kann und ob das angestrebte Therapieziel tatsächlich dem Willen des Patienten entspricht. Letzteres sollte, ja muss das absolute Primat aller medizinischen Handlungen sein. 1.1.3 Lebenserhalt und Lebensverlängerung
um jeden Preis? In diesem Spannungsfeld wächst auch die Erkenntnis, dass Lebenserhalt und Lebensverlängerung um jeden Preis in vielen Fällen kein adäquates, dem Wunsch und Auftrag des Patienten entsprechendes Ziel der Behandlung darstellt. Während der Anfänge der Intensivmedizin war es üblich, dass nahezu jeder Intensivpatient – selbst im Sterbeprozess – wenigstens einen, die meisten sogar mehrere Wiederbelebungsversuche über sich ergehen lassen musste. Oft starben diese Patienten dann schließlich unter Fortführung aller technischen und invasiven Therapiemaßnahmen ohne ihre Angehörigen im anonymen Umfeld einer Intensivstation.
5 1.2 · Grenzen der Behandlungspflicht
In den letzten Jahren hat sich jedoch eine mehr patientenund familienbezogene Haltung durchgesetzt, die die physischen, emotionalen, spirituellen und existenziellen Bedürfnisse der direkt Beteiligten und damit die Autonomie der individuellen Persönlichkeit zu berücksichtigen versucht [1–4]. Diese Entwicklung erklärt sich auch vor dem Hintergrund, dass medizinische Entscheidungen am Lebensende immer häufiger nicht im häuslichen Umfeld, sondern auf Intensivstationen getroffen werden, ja getroffen werden müssen. Je nach Quelle schwanken die Angaben über die Zahl der in Deutschland in Krankenhäusern und Pflegeheimen versterbenden Patienten zwischen 50 und 75%. In Anbetracht der weitreichenden Bedeutung dieses Problemkreises für den intensivmedizinischen Alltag haben sich viele unterschiedliche Gremien der Ärzteschaft diesen Fragen mit dem Ziel gewidmet, für den vor Ort tätigen Arzt medizinethische Rahmenbedingungen für seine Entscheidung zu schaffen und ihm gleichzeitig die Angst vor möglichen rechtlichen Konsequenzen zu reduzieren bzw. zu nehmen. 1.2
Grenzen der Behandlungspflicht
Vor dem geschilderten Hintergrund entstand die Stellungnahme der Bundesärztekammer (BÄK, [5]) und der beteiligten Fachgesellschaften zu den Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht [6]. In der Stellungnahme der BÄK [5] zur ärztlichen Sterbebegleitung wird in der Präambel davon ausgegangen, dass es Aufgabe des Arztes ist, …unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen. So gibt es Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sein können. Dann tritt palliativ-medizinische Versorgung in den Vordergrund. Die Entscheidung hierzu darf nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig gemacht werden.
Im Text werden dann 3 möglichen Patientengruppen beschrieben: 4 Sterbende, bei denen der Sterbeprozess eingetreten und unwiderruflich ist. 4 Hier ist eine Basisbetreuung mit vorwiegend palliativer, begleitender und sorgender Zielsetzung erwähnt, um ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. 4 Patienten mit infauster Prognose, die sich aber noch nicht im Sterbeprozess befinden, nach allem ärztlichen Wissen aber keine Chance auf Heilung mehr haben. 4 Hier kann das Behandlungsziel geändert werden, wenn lebensverlängernde Maßnahmen Leiden lediglich verlängern und ein entsprechender Wille des Patienten vorliegt. Auch hier wird das Behandlungsziel zugunsten eines palliativen Ansatzes geändert. 4 Eine dritte Kategorie in dieser Stellungnahme stellen Patienten mit schwerster zerebraler Schädigung und anhaltender Bewusstlosigkeit dar. 4 Hier wird ein prinzipielles Behandlungsgebot für lebenserhaltende Maßnahmen gesehen, wobei wiederum eine Entscheidung in Anhängigkeit vom mutmaßlichen oder gar geäußerten Patientenwillen zu treffen ist. Insbesondere wird erwähnt,
1
dass die Dauer der Bewusstlosigkeit allein kein ausreichendes Kriterium für eine Therapieentscheidung sein darf. 1.2.1 Aktive Sterbehilfe Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin [6] hat in Erweiterung dieser Stellungnahme eine »Leitlinie« für das konkrete medizinische Vorgehen in einer solchen Situation verfasst. Hier wurde in Übereinstimmung mit allen vorliegenden Verlautbarungen ärztlicher und medizinischer Organisationen in Deutschland jedwede Form der aktiven Sterbehilfe – definiert als »Tötung eines unheilbar Kranken aufgrund seines ernstlichen Willens durch eine aktive Handlung« – eine klare Absage erteilt. Ii Im Hinblick auf eine dezidierte Ablehnung der aktiven Sterbehilfe besteht somit in der deutschen Medizin ein breiter und tragfähiger Konsens.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in einigen europäischen Staaten, wie etwa in den Niederlanden, diesem aktiven Vorgehen keine komplette Absage erteilt wird. Hier wird die aktive Sterbehilfe in bestimmten, eng definierten Situationen als mögliche medizinische Handlung akzeptiert. In der Intensivmedizin hat sich in den Niederlanden der Bergriff des »active shortening of the dying process« etabliert, was sich näherungsweise mit »aktive Verkürzung des Sterbeprozesses« übersetzen lässt. Eine Tötung auf Verlangen oder auf Wunsch des Patienten ist nach der niederländischen Rechtssprechung unter Beachtung der erforderlichen Formalitäten ebenfalls möglich. Im Gegensatz dazu weisen niederländische Kollegen darauf hin, dass die aktive, über den Entzug einer bereits etablierten Therapie hinausgehende Verkürzung des Sterbeprozesses in der Intensivmedizin, im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe, nicht notwendigerweise auf den explizit geäußerten authentischen Patientenwillen rekurriert, sondern durchaus den mutmaßlichen – oder von Betreuern geäußerten – Willen eines Patienten als Entscheidungsgrundlage akzeptiert. Dieser Exkurs in die internationale Sichtweise des Problemfeldes soll lediglich aufzeigen, welche enormen Unterschiede in der Frage nach der medizinischen Betreuung am Ende des Lebens bestehen können, die von den unterschiedlichen kulturellen, sozialen, religiösen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Sichtweisen um das Sterben und den Tod geprägt sind [3, 4]. 1.2.2 Passive Sterbehilfe Die in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin [6] erwähnte Möglichkeit der passiven Sterbehilfe entspricht wiederum einem breiten Konsens der deutschen Medizin und definiert sich als »Verzicht auf lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen, insbesondere auf die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung vitaler Funktionen durch intensivmedizinische Verfahren, bei progredienten Erkrankungen mit infauster Prognose«. 1.2.3 Indirekte Sterbehilfe In einer dritten Kategorie wird die indirekte Sterbehilfe definiert als »palliative Behandlung eines Schwerstkranken, insbesondere
6
1
Kapitel 1 · Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin
potente Schmerztherapie, unter Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung als unbeabsichtigte Nebenwirkung«. In der intensivmedizinischen Versorgungsrealität bildet sich dieser Konsens v. a. in der Entscheidung ab, typisch intensivmedizinische, dem Erhalt der Vitalfunktionen gewidmete Maßnahmen, wie etwa die maschinelle Beatmung, die hoch dosierte Gabe von Katecholaminen zur Unterstützung des Kreislaufs, die Nierenersatztherapie oder andere Organersatzverfahren im gegebenen Fall nicht anzuwenden (»withholding«) oder aber, wenn sich ein derartiges Zustandsbild unter laufenden, maximalen therapeutischen Bemühungen entwickelt, nicht fortzuführen (»withdrawal«). Aus verschiedenen internationalen Untersuchungen wissen wir, dass auch in dieser an sich weitverbreitet geübten Praxis kulturell, religiös und weltanschaulich bedingte Unterschiede bestehen. Unabhängig von der konkreten Form der geübten Praxis stellen aber dennoch die subjektive ärztliche Einschätzung, das Alter und der mutmaßlichen Wille des Patienten die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen dar [1, 2]. 1.2.4 Bedeutung des höheren Lebensalters In diesem Kontext ist die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft einmal mehr von Bedeutung, da immer mehr ältere Menschen mit immer komplexeren Krankheitsprozessen intensivmedizinisch behandelt werden. So werden heute ca. 50% aller Intensivbetten von Patienten über 65 Lebensjahren belegt, wobei die Tendenz zu noch höheren Altersstufen steigend ist. Wichtig in dieser Diskussion ist, dass nicht das Alter per se ein Problem für die Intensivmedizin darstellt, sondern die Tatsache, dass in höherem Alter einfach die Wahrscheinlichkeit zu erkranken steigt. In der Tat finden sich in klinischen Untersuchungen Schätzungen, dass Intensivpatienten jenseits des 65. Lebensjahrs in der Regel an mehr als 5 wesentlichen Begleiterkrankungen zusätzlich zu ihrem akuten Problem leiden. Diese Komorbidität zusammen mit der reduzierten Reserve und Regenerationsfähigkeit der verschiedenen Organfunktionen im Alter bedingt eine höhere Wahrscheinlichkeit, mit der Intensivmedizin nicht kurativ eingreifen zu können, wie es ihrer eigentlichen Intention entspricht. i Somit sind die sich ergebenden Probleme der Technisierung der Intensivmedizin und ihres medizinisch und ethisch vertretbaren Einsatzes beim betagten Patienten nicht prinzipiell anders als bei jüngeren Patienten, sondern einfach nur häufiger [7].
1.2.5 Der Wille des Patienten Aus dem bisher Gesagten wird klar, dass dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Patienten die alles entscheidende Bedeutung zukommt, ausgehend von einer Medizinethik, die dem freien Willen und dem Recht auf Selbstbestimmung die höchste und damit übergeordnete Priorität einräumt. In der Intensivmedizin findet allerdings gerade dieser Aspekt häufig seine ganz praktischen Grenzen darin, dass der aktuelle Wille weder geäußert noch eruiert werden kann. Der Patient ist auf dem Boden seiner kritischen Erkrankung häufig nicht äußerungs- oder einwilligungsfähig. Ebenso häufig liegt auch keine Äußerung eines mutmaßlichen Willens aus der Phase vor
Beginn der Intensivtherapie vor, oder aber der Zeitpunkt der Äußerung liegt so weit zurück, dass berechtigte Zweifel an der Aktualität bestehen. Um die verschiedenen prinzipiellen Möglichkeiten zur Erfassung des mutmaßlichen Patientenwillens bei Einwilligungsunfähigkeit darzustellen, sollen auch hier einige Begriffe erläutert und definiert werden [8].
Patientenver fügung Eine immer häufiger anzutreffende Art der Formulierung des Patientenwillens für medizinische Fragen stellt die Patientenverfügung dar. Sie ist eine schriftliche oder mündliche Willensäußerung eines einwilligungsfähigen Patienten zur zukünftigen Behandlung im Fall der Äußerungsunfähigkeit. Sie enthält Aussagen zu Art und Umfang medizinischer Behandlung mit der Option der vollständigen Ablehnung, aber auch dem möglichen Wunsch nach Fortführung der Behandlung oder nach Maximaltherapie. Auch wenn die Patientenverfügung bindend ist, liegt das wesentliche Problem im Detaillierungsgrad der Formulierungen über ein konkretes Therapieausmaß für eine spezifische, zum Zeitpunkt des Verfassens in der Zukunft eintretende und damit nicht oder nur schwer konkretisierbare Situation. Die Tatsache, dass eine Patientenverfügung Anlass zu Diskussionen geben kann, entwertet sie jedoch nicht im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit der verfassten Willensäußerung. Sie stellt schon deshalb eine gewisse Verbindlichkeit her, als sie belegt, dass sich die betroffene Person zu Zeiten von weitgehender Gesundheit und damit ohne Not mit der Thematik befasst und zumindest den Versuch unternommen hat, seine Vorstellungen und Wünsche für den Umgang mit seiner Person in einem kritischen Gesundheitszustand zu definieren. Unsere Medizinethik respektiert den Willen eines Patienten als oberstes Primat ärztlichen Handelns, auch dann, wenn der Inhalt nicht notwendigerweise unseren eigenen medizinischen oder ethischen Vorstellungen entspricht. Die einzige und eindeutige Limitierung besteht dann, wenn der Wille des Patienten direkt mit dem Tötungsverbot in Konflikt steht, wenn also ein Patient eine aktive Handlung zur Beschleunigung des Sterbeprozesses für sich fixiert hat und wünscht. In diesem Fall kommt dem Tötungsverbot die höherrangige und damit entscheidende Bedeutung zu.
Betreuungsver fügung Das nächste in diesem Zusammenhang wichtige Instrument ist die Betreuungsverfügung, mit der ein Patient den namentlichen Vorschlag zur Bestellung eines Betreuers im gegebenen Fall macht. Dieser Betreuer wird vom Vormundschaftsgericht bestätigt, sofern kein Anhalt besteht, dass sich der Betreuer dem Wohl und Willen des Patienten nicht entsprechend verhalten würde, oder aber der Betreuer nicht in der Lage ist, die Betreuung bestimmungsgemäß auszuüben. Inhaltlich ist auch dieser Betreuer an den mutmaßlichen, beispielsweise in einer Verfügung geäußerten Willen des Patienten gebunden.
Vorsorgevollmacht Das dritte und eigentlich stärkste Instrument, den mutmaßlichen Willen für eine eigene Einwilligungsunfähigkeit zu benennen, ist die Vorsorgevollmacht. Im Gegensatz zum Betreuer ist der Vorsorgebevollmächtigte eine vom Patienten selbst gewählte und eingesetzte Person.
7 1.3 · Intensivmedizin als sorgende und menschliche Akutmedizin
Die Vorsorgevollmacht ist der Betreuerbestellung vorrangig. Wenn also die zu regelnden Angelegenheiten ebenso gut durch den Bevollmächtigten geregelt werden können, so muss nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Betreuung kein eigener Betreuer durch das Vormundschaftsgericht bestellt werden. Eine Ausnahme hiervon bildet lediglich die Bestellung eines Kontrollbetreuers für den Fall, dass dem Gericht die Kontrolle des Bevollmächtigten notwendig erscheint. Die Vorsorgevollmacht ist seit 1999 erstmals ausdrücklich auf den Bereich der Gesundheitsfürsorge ausgedehnt und der Bevollmächtigte im Hinblick auf seine Rechte und Pflichten dem Betreuer gleichgestellt. Sie muss schriftlich erteilt sein, bedarf jedoch keiner notariellen Beglaubigung. Der Vorteil einer Vorsorgevollmacht lag bis vor wenigen Jahren v. a. darin, dass die Entscheidung des Bevollmächtigten keiner vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurfte. Vielmehr sollte eine Person des eigenen Vertrauens – und nicht das Vormundschaftsgericht – die Entscheidungen in Gesundheitsangelegenheiten im Sinne des Patienten treffen, sollte er selbst nicht mehr hierzu in der Lage sein. Mit Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (BtÄndG] 1999 bedarf allerdings nunmehr auch die Einwilligung oder die Nichteinwilligung eines Bevollmächtigten in lebensentscheidende, intensivmedizinische Maßnahmen einer Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Dies trifft in analoger Anwendung auch auf die Nichtanwendung oder Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen zu; eine Situation, die gerade in der intensivmedizinischen Realität zum Tragen kommen kann.
Entscheidung des Vormundschaftsgerichts So wird also unabhängig von dem gewählten Instrument der Wahrung des mutmaßlichen Willens der Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes in allen Entscheidungssituationen am Ende des Lebens eine hohe Bedeutung zugemessen. Neben vielen grundsätzlichen Überlegungen sprechen gegen diese Regelung auch ganz praktische Argumente. In Deutschland sterben jährlich rund 850.000 Menschen, davon knapp 50% im Krankenhaus und weitere 13% in Einrichtungen der Altenhilfe. Epidemiologische Schätzungen besagen, dass bei etwa 300.000 Patienten Entscheidungen am Lebensende entstehen, wobei rund 100.000 solcher Entscheidungen pro Jahr der richterlichen Genehmigung im Sinne der analogen Anwendung des § 1904 BGB bedürften. Tatsächlich werden aber nur etwa 3000 solcher Verfahren pro Jahr durchgeführt, wobei die zuständigen Gerichte schon auf der Basis der derzeit üblichen Umsetzungspraxis personell chronisch überlastet sind. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil das Problem des Betreuungsrechts nicht nur in den therapieentscheidenden Fragen, sondern bei allen einwilligungspflichtigen Interventionen greift, sodass eine Betreuung allein schon für die Durchführung einer Tracheotomie oder ähnlicher Eingriffe im intensivmedizinischen Alltag erforderlich ist [8]. Neben diesen eher juristischen Aspekten sollte das ärztliche Gespräch alle Anstrengungen unternehmen, den mutmaßlichen Willen mit Betreuern oder Bevollmächtigten, der Familie und/ oder den nächsten Angehörigen eines einwilligungsunfähigen Patienten zu erfragen und zu erörtern. Die konkrete intensivmedizinische Situation ist häufig gekennzeichnet durch die Unwägbarkeiten bei der Abschätzung des möglichen Erfolgs medizinischer Bemühungen sowie bei der Unvermitteltheit, mit der eine kritische Erkrankung auftreten kann, die ihrerseits wiederum rasches Handeln erfordert.
1
Dieses Dilemma wird sich kaum gänzlich auflösen lassen, ist es doch für akute und auch zukünftige Patienten unmöglich, alle Kombinationen einer solchen Situation im Vorhinein durchzuspielen und eindeutig zu entscheiden. Insofern wird bereits die Beschäftigung mit dem Thema sowohl in der Medizin, aber auch der Gesellschaft, zu einer Haltung führen, die es uns mehr und mehr erlaubt, auch über die letzten Entscheidungen des Lebens im Vorfeld Gespräche zu führen, die die Basis für eine patientenorientierte Entscheidung liefern können. In einer Untersuchung an der Göttinger Universität zeigte sich, dass hier ein bislang unausgeschöpftes Potenzial liegt, da ca. 80% der befragten Patienten an den unterschiedlichen oben genannten Möglichkeiten der Äußerung des Patientenwillens für die gegebene Situation interessiert sind, bis zum Zeitpunkt der Befragung aber nur 11% ein solches Instrument für sich genutzt hatten. Wiederum 80% der befragten Patienten wäre aber interessiert, im Rahmen der ärztlichen Aufklärung über die bestehenden Möglichkeiten informiert zu werden [8]. 1.3
Intensivmedizin als sorgende und menschliche Akutmedizin
Die Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen der modernen Intensivmedizin werden letztlich immer von individuellen und sehr unterschiedlichen Einflüssen zu Fragen am Ende des Lebens gekennzeichnet sein. Intensivmedizin darf aber weder dem technologischen Primat zum Opfer fallen noch sich der Patientenorientiertheit durch rigiden Aktivismus verschließen. Immer mehr Menschen werden in immer höherem Alter mit immer mehr Diagnosen und einer immer weiter reichenden Komorbidität intensivmedizinisch behandelt. In den momentanen Strukturen der Gesundheitssysteme werden damit Intensivstationen auch immer mehr zu den Orten im Krankenhaus, an denen Patienten sowohl nach kurzen und dramatischen, aber eben auch langen und teilweise qualvollen Verläufen sterben. Die Antworten der Intensivmedizin werden bestimmt von den Grundprinzipien eines von der Humanität geprägten Handelns und nicht von einem ökonomischen oder technologischen Imperativ. In diesem Sinne bieten sich der Intensivmedizin große, wenn auch nicht einfache Möglichkeiten, sich vom Image der »Gerätemedizin« hin zu einer sorgenden und menschlichen »Akutmedizin« zu entwickeln. i Moderne Intensivmedizin muss akzeptieren und lernen, dass neben der akut medizinischen Diagnostik und Therapie zur Aufrechterhaltung und Unterstützung der vitalen Körperfunktionen mit allen Möglichkeiten der modernen Technologie auch die menschliche Begleitung am Ende des Lebens zu ihren wichtigen und wesentlichen Aufgaben zählt.
1.3.1 Unnötige Verlängerung des
Sterbeprozesses Wir wissen aus der Ethicus-Studie [4], die 1999 und 2000 auf 37 Intensivstationen in 17 europäischen Ländern durchgeführt wurde, dass 99% der Patienten, bei denen eine Therapie aktiv beendet oder entzogen wurde, sterben; demgegenüber verließen 11% der Patienten, denen eine Therapie vorenthalten wurde, lebend die Klinik. Der Rückschluss, dass das passivere Vorgehen des Vor-
8
1
Kapitel 1 · Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin
enthaltens damit eine geringere Rate von Fehlentscheidungen in sich trüge, berücksichtigt einseitig das Überleben dieser Patienten als Vorteil, wohingegen ein möglicherweise unnötig verlängerter Sterbeprozess bei den übrigen 89% der Patienten billigend in Kauf genommen wird. Gleichzeitig fehlt jede Angabe zur individuellen Lebensqualität nach Entlassung aus dem Krankenhaus und zur Überlebenszeit. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass zumindest ein Teil dieser Patienten in einem Zustand überlebt, den er nicht mit seinem Lebensbild in Einklang bringen kann. Hier öffnet sich ein Feld, dem die Medizin im Allgemeinen, aber insbesondere die Intensivmedizin bislang wohl eher zu wenig Rechnung getragen hat. Der Terminus Outcome steht in der Intensivmedizin meist für Überlebenszeiten oder die Dauer der Wirksamkeit einer spezifischen therapeutischen Intervention. Das »gute« Outcome einer Intensivstation bemisst sich u. a. an ihrer Letalität. Überleben in einem ganzheitlichen Sinne erfasst aber neben dem physischen Aspekt die psychosoziale Dimension. Diesem Gedanken muss verantwortungsbewusste Intensivmedizin zukünftig verstärkt Rechnung tragen [9–12]. 1.3.2 Kompetenzer werb in der Patienten- und
Angehörigenbetreuung Das Picker Institute, 1986 in Boston gegründet und seit 2000 in Europa, in England mit Zweigstellen, in Deutschland und der Schweiz etabliert, widmet sich weltweit den Entitäten Krankheit und Therapie aus der Sicht des Patienten und der Angehörigen: Picker works with patients, professionals and policy makers to promote understanding of the patient´s perspective at all levels of healthcare policy and practice. We undertake a unique combination of research, development and policy activities which together work to make patients´ views count.
Picker begleitete im Rahmen von Cobatrice [13], einer von der EU geförderten Initiative der europäischen Gesellschaft für Intensivmedizin zur Beschreibung und Erfassung europaweit akzeptierter intensivmedizinischer Kompetenzen das Programm im Hinblick auf zu fordernde Kompetenzen im Bereich der Patienten- und Angehörigenbetreuung und nicht zuletzt im Bereich der »end of life care«. Gleichzeitig erfasste die Organisation den derzeitigen Standard der Patienten- und Angehörigenbetreuung in 10 der an Cobatrice beteiligten Länder. Es kann sicher davon ausgegangen werden, dass das Anforderungsprofil eines zukünftigen europäischen Intensivmediziners neben dem medizinischen Wissen und den erforderlichen manuellen Fähigkeiten nachhaltige Kompetenz auf dem Gebiet der Patienten- und Angehörigenbetreuung und ganz besonders auf dem Gebiet der Betreuung am Lebensende beinhalten wird. Diese Kompetenz zu schaffen wird Aufgabe der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein, die nicht länger auf diesen Aspekt der ethisch-medizinischen Wissens- und Kompetenzvermittlung verzichten darf. Die eine Seite der Intensivtherapie besteht aus der schnellstmöglichen Diagnosestellung mittels aller verfügbaren Technik, der Wertung der wissenschaftlichen Evidenz einer Therapie und dem resultierenden Einsatz aller sinnvollen, auch hochtechnischen, therapeutischen Optionen. Die zweite Seite aber muss die sorgende Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen sein, die den Übergang von der kritischen zur terminalen Erkrankung
markiert und sich damit von der bis hierhin möglichen Anonymität zur unausweichlichen Individualität einer endenden Lebensgeschichte wandelt. Dieser Übergang ist oft fließend und muss zumindest die Möglichkeit des Scheiterns intensivmedizinischer Therapie von Anfang an einbeziehen. Gerade das Einbeziehen dieser Möglichkeit gibt dem Betroffenen die Gewissheit, dass auch im Falle des Scheiterns eines Therapieversuchs im besten Sinne Fürsorge für ihn getragen wird und er sich in einem Umfeld befindet, das bereit ist – nachdem alle für diesen individuellen Menschen sinnvollen Maßnahmen ausgeschöpft sind –, das individuelle Lebensende als einen natürlichen Prozess zu akzeptieren. Hierdurch kann die Intensivmedizin Vertrauen schaffen und die mögliche Angst der uns anvertrauten Patienten vor der gefühlskalten Gerätemedizin abbauen. Die Einsicht in das Mögliche und Unmögliche ist es, was den Helden vom Abenteurer unterscheidet.
Literatur 1. Cook D, Rocker G, Marshall J, Sjokvist P, Dodek P, Griffith L et al. (2003) Withdrawal of mechanical ventilation in anticipation of death in the intensive care unit. N Engl J Med 18; 349 (12): 1123–1132 2. Esteban A, Gordo F, Solsona JF, Alia I, Caballero J, Bouza C et al. (2001) Withdrawing and withholding life support in the intensive care unit: a Spanish prospective multi-centre observational study. Intensive Care Med 27 (11): 1744–1749 3. Sprung CL, Carmel S, Sjokvist P, Baras M, Cohen SL, Maia P et al. (2007) Attitudes of European physicians, nurses, patients, and families regarding end-of-life decisions: the ETHICATT study. Intensive Care Med 33 (1): 104–110 4. Sprung CL, Cohen SL, Sjokvist P, Baras M, Bulow HH, Hovilehto S et al. (2003 ) End-of-life practices in European intensive care units: the Ethicus Study. JAMA 290 (6): 790–797 5. Bundesärztekammer (2004) Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztelichen Sterbebegleitung. Deutsches Ärzteblatt 7: 19 6. Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (1999) Leitlinien zu Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht. Anästh Intensivmed 40: 94–96 7. Pronovost P, Angus DC (2001) Economics of end-of-life care in the intensive care unit. Crit Care Med Feb 29 (2 Suppl): N46–N51 8. Fangerau H, Burchardi H, Simon A (2003) Der Wille des Patienten: Das Dilemma der ungenutzten Möglichkeiten. Intensivmedizin und Notfallmedizin 40 (6): 99–505 9. Herridge MS, Cheung AM, Tansey CM, Matte-Martyn A, az-Granados N, Al-Saidi F et al. (2003) One-year outcomes in survivors of the acute respiratory distress syndrome. N Engl J Med 348 (8): 683–693 10. Hopkins RO, Herridge MS (2006) Quality of life, emotional abnormalities, and cognitive dysfunction in survivors of acute lung injury/acute respiratory distress syndrome. Clin Chest Med 27 (4): 679–689 11. Hopkins RO, Gale SD, Weaver LK (2006) Brain atrophy and cognitive impairment in survivors of Acute Respiratory Distress Syndrome. Brain Inj 20 (3): 263–271 12. Hopkins RO, Brett S (2005) Chronic neurocognitive effects of critical illness. Curr Opin Crit Care Aug; 11 (4): 369–375 13. Bion JF, Barrett H (2006) Development of core competencies for an international training programme in intensive care medicine. Intensive Care Med 32 (9): 1371–1383 14. Schipperges H (1985) Homo patiens Piper, München
2 Rechtliche Probleme R.-W. Bock
2.1
Einleitung
–10
2.2
Forensisches Risiko
–10
2.2.1 Aktuelle Situation –10 2.2.2 Verrechtlichung der Medizin –10 2.2.3 Fortschritt der Medizin –10
2.3
Rechtliche Problemstellungen
–11
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7
Rechtsgrundlagen –11 Fehlerquellen –11 Behandlungsfehler und Verletzung der Sorgfaltspflicht –11 Organisation der Behandlung –13 Aufklärung des Patienten –13 Dokumentation –15 Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht –15
2.4
Resümee
–15
Literatur
–16
2
10
Kapitel 2 · Rechtliche Probleme
2.1
Einleitung
Ärztliche Berufsausübung ist allgemein durch Risikoaffinität in der Relation von Behandlungsausübung und Behandlungserfolg im Hinblick auf Komplikationen, Nebenfolgen oder gar einen Misserfolg aller Bemühungen charakterisiert. Dies gilt insbesondere auch für die Intensivmedizin, welche Ärztinnen und Ärzte besonderen Herausforderungen unterwirft. Diese Behandlungsrisikoaffinität korreliert mit einem forensischen Risiko, welches sich gerade während der vergangenen 30 Jahre manifestiert und zunehmend entwickelt hat. Insofern muss es darum gehen, die forensischen Risiken zu minimieren, wozu v. a. auch ein adäquates Risk-Management beitragen kann [1]. Dazu gehört, die rechtlichen Anforderungen, welche an die Berufsausübung des Arztes gestellt sind, zu kennen und die Behandlungsführung demgemäß auszurichten. Unter juristischen Aspekten sind im Kern 3 Problembereiche betroffen: 4 die einzuhaltende Sorgfalt bei der Behandlung des Patienten, 4 die Erlangung von Rechtfertigung für die Vornahme von Behandlungsmaßnahmen (Einwilligung des Patienten aufgrund adäquater Aufklärung/mutmaßliche Einwilligung), 4 die Schaffung organisatorischer Gegebenheiten, um im Ergebnis sorgfaltspflichtgerechte Behandlung vollziehen zu können. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach Grenzen der Behandlungspflicht in der Intensivmedizin. 2.2
Forensisches Risiko
2.2.1 Aktuelle Situation Forensische Risiken im Zusammenhang mit der Berufsausübung können sich für die Ärzteschaft in verschiedenen Rechtsbereichen realisieren. Neben einer stetig wachsenden Zahl von Verfahren vor Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen darf v. a. nicht vernachlässigt werden, dass in Deutschland nach Schätzungen bei pro Jahr etwa 40.000 Behandlungsfehlervorwürfen jährlich ca. 10.000 neue Zivilverfahren anhängig gemacht und rund 3.000 neue staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingeleitet werden [2]. Schon seit Jahren sprechen Sachverständige von einem »lawinenartigen Anstieg« der Aufträge für sog. Kunstfehlergutachten [3]. Diese Situation mit »amerikanischen Verhältnissen« beschreiben zu wollen, wäre gewiss übertrieben. Zudem haben sich die Gegebenheiten in den USA zwischenzeitlich verändert (Begrenzung von Schmerzensgeldsummen, Etablierung konsequenten Risk Managements). Das gilt umso mehr, wenn das verfügbare bzw. nachvollziehbare statistische Material in Relation zur Vielzahl tagtäglicher Behandlungsabläufe und konkreter Behandlungsmaßnahmen gesetzt wird. Doch liegt es auf der Hand, dass die Sorge, aus Behandlungsmaßnahmen könnten forensische Auseinandersetzungen resultieren, real gerechtfertigt ist. Demgemäß muss auch konstatiert werden, dass in der Ärzteschaft im Zusammenhang mit medikolegalen Fragestellungen eine erhebliche Verunsicherung entstanden ist. So ist auch zu veranschlagen, welche Belastung es für eine Ärztin oder einen Arzt darstellt, mit dem Vorwurf eines Kunstfehlers konfrontiert zu sein. Das gilt erst recht, wenn die forensische Auseinandersetzung zur Verurteilung des Betroffenen führt.
Zivilrechtlich sind der Patientenseite zwischenzeitlich erhebliche Schadensersatzleistungen zuzusprechen und scheint die deutsche Rechtsprechung ihre frühere grundsätzlich restriktive Haltung bei der Zuerkennung »hoher Schmerzensgeldsummen« aufgegeben zu haben. Umso mehr ist es geboten, Haftpflichtversicherungsverträge routinemäßig auf auch prospektiv ausreichende Deckungssummen zu überprüfen bzw. fachkundig überprüfen zu lassen, um nicht evtl. in persönliche Haftung zu geraten. Die Abwicklung von Zivil- und Strafverfahren stellt sich vielfach mühsam und zeitaufwändig dar. Hinzu kommt, dass sog. Kunstfehlerprozesse oftmals erhebliche Medienwirksamkeit entfalten. Jenseits dessen dürfen evtl. berufsordnungsrechtliche, approbationsrechtliche und vertragsarztrechtliche Konsequenzen nicht vernachlässigt werden. 2.2.2 Verrechtlichung der Medizin Insgesamt ist ein Phänomen zu konstatieren, das durch das Schlagwort von der »Verrechtlichung der Medizin« charakterisiert wird [4]. Juristische Vorgaben ‒ Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und insbesondere auch Maßgaben der Rechtsprechung – führten zur unmittelbar wahrnehmbaren und wahrgenommenen Verquickung von Medizin und Jurisprudenz. In Reaktion darauf hat sich in vielen Zusammenhängen eine »defensive Medizin« etabliert, was Laufs bereits 1986 erkannte und vorausschauend beschrieben hat: »Die Verrechtlichung seiner Kunst lässt den Arzt neben den Risiken, die der Patient mitbringt und die diesem bei der Diagnose oder Therapie drohen, auch die eigenen forensischen Gefahren bedenken und als indizierende wie kontraindizierende Faktoren ins Kalkül ziehen. Aus der verrechtlichten droht eine defensive Medizin zu werden, die aus Scheu vor der Klage zuviel untersucht oder zuwenig an Eingriffen wagt [5]« bzw. Eingriffe auch verfrüht vornimmt. Einerseits ist nachvollziehbar, dass so versucht wird, forensische Risiken zu umgehen bzw. zu minimieren. Doch bedarf ein solches Behandlungsverhalten der kritischen Hinterfragung, wobei letztlich auch Kostenaspekte nicht vernachlässigt werden sollten. Denn die Anwendung defensiver Medizin mit einem an sich unnötigen Mehr an Behandlungsmaßnahmen führt notwendigerweise zu vermeidbaren Kostensteigerungen. Dem wirtschaftlichen Aspekt kommt gerade unter Geltung von DRGs noch gesteigerte Bedeutung zu. Jede Behandlungssituation erfordert ein auf den Einzelfall abgestimmtes Behandlungsverhalten, wobei Maßgabe der einzuhaltende Standard ist. 2.2.3 Fortschritt der Medizin Neben den operativen Fächern gehört die Anästhesiologie zu den haftungsträchtigen Fachgebieten. Das mag einerseits naheliegen, da vielfach schnellste Entschlüsse gefasst werden müssen, Erfolg und Misserfolg meist unmittelbar und für jedermann sichtbar in Erscheinung treten und ein menschliches Versagen, ein Irrtum, nur ein Zögern schwerwiegende, oft irreparable Konsequenzen haben können [7], und überrascht andererseits prima vista, wenn die heutigen anästhesiologischen Behandlungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Jedoch darf in diesem Zusammenhang zweierlei nicht vernachlässigt werden: Zum einen implizieren Fortschritte in der Medizin die Reduzierung oder gar Eliminierung »alter Risiken«
11 2.3 · Rechtliche Problemstellungen
und evozieren notwendigerweise »neue Risiken«. Das fordert die Behandlungskunst des Arztes in anderen oder neuen Zusammenhängen heraus, wobei sich andere oder neue diagnostische sowie therapeutische Grenzen zeigen. Zum anderen ruft der »Fortschritt der Medizin« immer neue und weitere Erwartungen bezüglich der Möglichkeiten der Medizin hervor, was vielfach sogar zu einem Anspruchsdenken auf Patientenseite führen mag und die Schicksalhaftigkeit von Krankheitsverläufen oftmals vergessen lässt. Mangelnder Erfolg von Behandlungsmaßnahmen erscheint vor diesem Hintergrund dann nicht als objektiv unvermeidbare Begrenzung medizinischer Möglichkeiten, sondern als »Versagen« der Ärzte. Damit ist ein circulus vitiosus in Gang gesetzt, der neben zahlreichen anderen Faktoren die relativ hohe und nach wie vor steigende Zahl forensischer Auseinandersetzungen im Kern erklären mag. 2.3
Rechtliche Problemstellungen
2.3.1 Rechtsgrundlagen Vor dem Hintergrund tradierter Rechtsprechung resultieren wesentliche rechtliche Anforderungen an den Arzt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung aus dem Strafgesetzbuch. Berührt sind die Tatbestände der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) und der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB). Demnach unterliegt es strafrechtlicher Sanktion, wenn (kurz gesagt) ein fehlerhaftes Verhalten im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten kausal zu dessen Gesundheitsschädigung oder Tod führt. Gleiches vermag im Grundsatz zivilrechtliche Haftung aus (Behandlungs-) Vertrag und aus Delikt (§§ 823 ff. BGB) auszulösen. Stets dürfen – mit der eventuellen Folge berufsgerichtlicher Sanktion – die Regeln zur ärztlichen Berufsausübung im Berufsordnungsrecht nicht vernachlässigt werden [7]. Im Zusammenhang mit zivilrechtlicher Haftung und strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Anästhesisten sind grundlegend also 2 Rechtsmaterien zu unterscheiden: 4 Zivilrecht: In Zivilverfahren geht es um die Wiedergutmachung etwa entstandenen Schadens bzw. den Ausgleich für »erlittene Schmerzen« und beeinträchtigte Lebensqualität durch Geldzahlung. Insoweit greift in aller Regel der Haftpflichtversicherungsschutz ein. 4 Strafrecht: Im Gegensatz dazu trifft den Verurteilten bei Durchführung eines Strafverfahrens die Strafsanktion höchstpersönlich. Dagegen gibt es keinen Versicherungsschutz. Weiterhin sind nach strafrechtlicher Verurteilung oftmals auch berufsordnungs- und arbeitsrechtliche Konsequenzen zu erwarten. Insgesamt dürfen die regelmäßig immensen physischen und psychischen Belastungen, die mit der bloßen Anhängigkeit und Durchführung eines Strafverfahrens verbunden sind, nicht vernachlässigt werden. 2.3.2 Fehlerquellen Die einleitend dargestellten forensischen Risiken vermögen sich wesentlich in 3 Sachverhaltszusammenhängen zu realisieren, nämlich
2
hinsichtlich Behandlungsfehlern und Organisationsmängeln, welche sich im Kern als Verstoß gegen die einzuhaltende Sorgfalt darstellen, sowie bezüglich Aufklärungspflichtverletzungen, die im Ergebnis – mangels darauf beruhend wirksamer Einwilligung des Patienten – als verbotene Eigenmacht bei der Behandlungsdurchführung zu charakterisieren sind. Vielfach resultieren konkrete Behandlungsfehler und auch Aufklärungspflichtverletzungen gerade aus zugrundeliegenden Organisationsmängeln. Solche können z. B. auch aus unzureichender Kooperation und Kommunikation verschiedener an der Behandlung des Patienten beteiligter Ärzte des gleichen oder eines anderen Fachgebietes resultieren. Schließlich dürfen Dokumentationsmängel nicht außer Acht bleiben. Sie bilden zwar keine eigene »Anspruchsgrundlage« für Schadensersatz- sowie Schmerzensgeldansprüche [8] und stellen erst recht keinen »Strafgrund« dar. i Nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann lückenhafte oder gar fehlende Dokumentation in Zivilprozessen jedoch zur Beweiserleichterung zugunsten des Patienten – bis hin zur Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes – führen [9].
Es darf nicht verkannt werden, dass hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen im Zusammenhang mit intensivmedizinischen Behandlungsmaßnahmen nichts anderes gilt als bezüglich sonstiger ärztlicher Berufsausübung, insbesondere anästhesiologischer Behandlungstätigkeit. Es gelten die allgemeinen arzthaftungsund arztstrafrechtlichen Grundsätze, sodass auf diese im Folgenden näher eingegangen werden soll. 2.3.3 Behandlungsfehler und Verletzung der
Sorgfaltspflicht Grundlegend gilt, dass »gerade wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus… ein Fehlschlag oder Zwischenfall (anlässlich Behandlungsmaßnahmen) nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arztes indizieren (kann)«, wie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt ist [10].
Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht Grundvoraussetzung sowohl zivilrechtlicher Haftung als auch strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Arztes ist daher eine Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht. Darunter versteht man konkret einen Verstoß gegen denjenigen Behandlungsstandard, den – aus Ex-ante-Sicht – ein besonnener und gewissenhafter Arzt dem Patienten in der konkret zu beurteilenden intensivmedizinischen Situation geboten hätte. Dieser »Standard« ist abstrakt und generell als der jeweilige Stand der medizinischen Wissenschaft, konkret als das zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, allgemein anerkannte und für notwendig erachtete Verhalten umschrieben [11].
Facharztstandard i Hierbei ist im Ergebnis »Facharztstandard« bzw. eine Behandlung mit »Facharztqualität« zu gewährleisten [12], d. h. dass der Arzt die konkret anzuwendende Behandlung »theoretisch wie praktisch so beherrscht, wie das von einem Facharzt (des betroffenen Fachgebiets) erwartet werden muss [13]« (materielle Facharztqualität).
12
2
Kapitel 2 · Rechtliche Probleme
Die o. a. Umschreibung impliziert, dass ein solcher Standard keine rein statische Größe darstellt, sondern eine dynamische Komponente enthält, welche von der Entwicklung und dem jeweiligen Fortschritt allgemein in der Medizin und insbesondere im Bereich der Intensivmedizin abhängt, also neue Erkenntnisse und Erfahrungen in sich aufnimmt und dadurch den Standard ändert. In diesem Zusammenhang darf nicht vernachlässigt werden, dass es ausschließlich der »medizinischen Wissenschaft« und dabei insbesondere den betroffenen Fachgebieten obliegt, zu diskutieren und evtl. auch zu bestimmen, welche Behandlungsweisen als lege artis zu erachten sind und damit die gebotene Sorgfaltspflicht erfüllen. Denn das, was als »Regel der ärztlichen Kunst« bzw. »Standard« zu bezeichnen ist, bleibt »grundsätzlich der medizininternen Auseinandersetzung überlassen, die rechtliche Intervention (hingegen) der Bestimmung äußerster, ›eindeutiger‹ Grenzen ›(un-)vertretbarer‹ Methodenwahl vorbehalten« [14]. In diesem sachlichen Zusammenhang ist auch die Problematik der (rechtlich) zutreffenden Handhabung von Leitlinien zu sehen.
Übernahmeverschulden Jenseits des zu beachtenden Standards im Hinblick auf konkrete Behandlungsmaßnahmen orientiert sich die objektiv einzuhaltende Sorgfalt auch an den infrastrukturellen, insbesondere diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten, die dem Intensivmediziner zur Verfügung stehen, sowie an der konkreten Situation, in der die Behandlung des Patienten erfolgt. So unterliegt die Beherrschung einer Notfallsituation, etwa nach einem Unfallereignis, selbstverständlich anderen Regeln als die planbar zu gestaltende postoperative intensivmedizinische Nachsorge bei einem Patienten. i Andererseits vermag einen Arzt z. B. der Hinweis auf geringere fachliche Qualifikation bzw. nicht zur Verfügung stehende diagnostische Geräte nicht zu entlasten. In solchen Fällen muss der Patient rechtzeitig in eine kompetente Behandlung überwiesen bzw. in ein Krankenhaus mit der erforderlichen Ausstattung verlegt werden. Dies nicht zu erkennen wäre sorgfaltspflichtwidrig.
Anders als im Zivilrecht, wo ausschließlich der oben ausgeführte objektive Sorgfaltsmaßstab gilt, ist im Strafrecht zusätzlich eine subjektive Betrachtung anzustellen. Ein strafrechtlicher Vorwurf kann nur dann erhoben werden, wenn der Arzt nach seinen persönlichen Fähigkeiten und individuellen Kenntnissen auch imstande war, die von ihm objektiv verlangte Sorgfalt aufzubringen. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, dass bei nur unterdurchschnittlicher Qualifikation straflos bleibt, wer unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen verursacht. i Auch der Arzt, dem etwa mangels eigener persönlicher Fähigkeiten und Sachkunde ein Behandlungsfehler unterläuft, kann objektiv pflichtwidrig und subjektiv schuldhaft im Sinne einer Übernahmefahrlässigkeit handeln. Vor der Überschätzung der eigenen Fähigkeit und der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten kann daher nur gewarnt werden.
Grundsatz der Methodenfreiheit Gibt es im Rahmen des zu beachtenden Standards mehrere medizinisch anerkannte Vorgehensweisen oder haben sich noch keine
Standardbehandlungsverfahren nach Inhalt und Umfang durchgesetzt, gilt der Grundsatz der Methodenfreiheit, wonach die »Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes« ist [15]. Dieser Grundsatz enthebt den Arzt einer strengen Bindung an bestimmte vorgegebene diagnostische wie therapeutische Methoden oder Verfahren, wobei Sorgfaltspflichten selbstverständlich zu beachten sind [16]. Dabei gehört es zur Sorgfaltspflicht des Arztes, unter mehreren medizinisch anerkannten Vorgehensweisen diejenige zu wählen, die das geringste Risiko für den Patienten mit sich bringt. Methodenfreiheit gilt nur hinsichtlich grundsätzlich gleich wirksamer Methoden, bei denen insgesamt von einem vergleichbaren Risikoniveau auszugehen ist. Sie ist abzulehnen bei deutlichem Risikogefälle. Hier gehört es zur Behandlungspflicht des Arztes, dem Patienten die risikoärmere Behandlung zu vermitteln [17]. Der Arzt verstößt somit gegen seine Sorgfaltspflichten, wenn er sich für die gefahrenträchtigere Behandlungsweise entscheidet, obwohl unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der konkreten Erfolgsaussichten, der spezifischen Risiken sowie der besonderen Vor- und Nachteile der jeweiligen Maßnahmen ein weniger riskantes Vorgehen das Behandlungsziel in gleicher Weise, wenn nicht besser, erfüllt hätte.
Rechtliche Bedeutung von Leitlinien Hinsichtlich der richterlichen Beurteilung, ob der Arzt im konkreten Behandlungsfall die »berufsspezifischen Sorgfaltspflichten« eingehalten hat, stellt sich die Frage nach der Verbindlichkeit ärztlicher Leitlinien. Bei der gerichtlichen Ermittlung, welcher Standard im konkreten Behandlungsfall als sorgfaltspflichtgerecht einzuhalten war, was regelmäßig auf der Grundlage entsprechender Begutachtung erfolgt, können Leitlinien zu berücksichtigen sein. Diese könnten mithin also im Zusammenhang mit der Prüfung von Haftung und Strafbarkeit eines Arztes ein »Einfallstor« zum Rückgriff auf medizinische Beurteilungskategorien darstellen. In diesem Sinne würden Leitlinien dann zumindest mittelbar rechtlich verbindliche Relevanz für den Arzt erlangen. Dies gilt ohne Weiteres, falls eine Leitlinie den einzuhaltenden medizinischen Standard tatsächlich zutreffend (einzig richtig) wiedergibt. Eine Haftung bzw. Strafbarkeit resultierte gemäß aktueller Rechtsprechung ggf. jedoch nicht infolge »Nichteinhaltung der Leitlinie«, sondern aufgrund Nichteinhaltung des zu beachtenden Behandlungsstandards, welcher allerdings evtl. (u. a. auch) einer Leitlinie entnommen werden kann [18]. Wie das OLG Naumburg in einer Entscheidung vom 19. Dezember 2001 formulierte, haben »ärztliche Leitlinien der Wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF)… unbeschadet ihrer wissenschaftlichen Fundierung derzeit lediglich Informationscharakter für die Ärzte selbst. Einer weitergehenden Bedeutung, etwa als verbindliche Handlungsanleitung für praktizierende Ärzte, steht zumindest derzeit die anhaltende Diskussion um ihre Legitimität als auch um ihre unterschiedliche Qualität und Aktualität entgegen. Forensisch betrachtet sind diese Leitlinien der AWMF wegen ihres abstrakten Regelungsgehalts grundsätzlich auch nicht geeignet, ein auf den individuellen Behandlungsfall gerichtetes Sachverständigengutachten zu ersetzen« [19]. In diesem Sinne schließen die von der AWMF im Internet publizierten Leitlinien auch regelmäßig mit dem Hinweis, diese seien für Ärzte »rechtlich nicht bindend« und hätten »daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung«. Allerdings bleibt auch abzuwarten, welche forensische Bedeu-
13 2.3 · Rechtliche Problemstellungen
2
tung evidenzbasierten Konsensusleitlinien zukünftig zukommen könnte bzw. wird. Für den Arzt ist nach wie vor entscheidend, sein medizinisches Agieren nach Maßgabe des individuellen Behandlungsfalles zu bestimmen. Erfordert dies ein Abweichen von Leitlinien, bedarf es – auch aus vorsorglichen forensischen Gründen – der nachvollziehbaren Begründung.
i Die Intensivtherapie erfordert mithin ein adäquates »Behandlungsmanagement«, welches auch organisatorisch abgestützt sein muss. Dazu gehört die Etablierung eines »Risk Managements«, im Sinne einer »juristischen Qualitätssicherung«, um nicht zuletzt forensische Risiken zu vermeiden [22].
2.3.4 Organisation der Behandlung
2.3.5 Aufklärung des Patienten
Dem zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht ist inhärent die Kontrolle, »dass der Patient die von ihm zu beanspruchende medizinische Qualität auch erhalten hat« [20]. Ungeachtet der ratio legis gilt Entsprechendes zumindest im Effekt auch für die strafrechtliche Beurteilung konkreter ärztlicher Behandlungsmaßnahmen. Die Erreichung »zu beanspruchender medizinischer Qualität« muss selbstverständlich auch organisatorisch gewährleistet sein.
Organisationsverschulden Resultiert aus organisatorischen Mängeln eine Schädigung des Patienten, so ist hier Haftung und Strafbarkeit aus einem Organisationsverschulden möglich. Organisationsmängel lassen sich im Wesentlichen auf 4 Fehlerquellen zurückführen: 4 Kommunikationsmängel, 4 Koordinationsmängel, 4 Qualifikationsmängel, 4 Kompetenzabgrenzungsmängel.
Rechtliches Er fordernis Es ist »nicht der Willkür des einzelnen Arztes überlassen, das zu tun, was er für richtig hält« [23]. Letztliche »Legitimation« zur Durchführung von Behandlungsmaßnahmen erhält jeder ärztliche Eingriff erst durch das »Einverständnis des aufgeklärten Kranken« [24]. Dem liegt wesentlich zugrunde, dass – beruhend auf einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1894 [25] – jeder ärztliche Eingriff, selbst bei gegebener Indikation und Durchführung lege artis, den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt und grundsätzlich auch als rechtswidrig zu erachten ist. Zur Vermeidung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs bedarf es eines Rechtfertigungsgrundes, der in diesem Fall durch die Einwilligung des Patienten in die Vornahme des Eingriffs gegeben ist. Dabei ist die Einwilligung des Patienten nur wirksam, wenn dieser die für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände kennt, mithin weiß, »in was« er einwilligt. i Nur der hinreichend aufgeklärte Patient kann rechtswirksam in einen Eingriff einwilligen!
Hier ist die Organisationsverantwortung von Krankenhaus- und Abteilungsleitungen gefordert. Wie bereits ausgeführt, hat der Patient Anspruch auf (im Effekt) permanente Behandlung mit (materieller) Facharztqualität. Dies ist schon stellenplan- und dienstplanmäßig zu gewährleisten. So bedarf der Einsatz von (v. a. jüngeren) Ärzten in Weiterbildung insbesondere im Nachtund Wochenenddienst einer kritischen Planung. Kommt für die konkrete Behandlungssituation nicht genügend qualifiziertes Personal zum Einsatz und resultiert daraus eine Schädigung des Patienten, steht zum einen ein Übernahmeverschulden der tätigen Ärzte und zum anderen ein Organisationsverschulden des für die Diensteinteilung zuständigen (leitenden) Arztes sowie des Krankenhauses in Rede.
Darüber hinaus ist das aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes resultierende allgemeine Persönlichkeitsrecht eines jeden, hier in der Ausgestaltung des »Selbstbestimmungsrechts des Patienten«, zu beachten, dessen Verwirklichung im Rahmen von Aufklärungsmaßnahmen zu gewährleisten ist. Dem Aufklärungsaspekt kommt rechtspraktisch außerordentlich große Relevanz zu. Dies beruht darauf, dass sowohl eine zivilrechtliche Klage (auf Schadensersatz und Schmerzensgeld) als auch eine Strafanzeige auf eine unterlassene oder nur lückenhafte Aufklärung gestützt werden können. Vielfach wird auf Patientenseite auf eine angeblich mangelhafte Aufklärung rekurriert, weil der Nachweis eines Behandlungsfehlers schwierig ist oder scheitert.
Organisation der Intensivtherapie
i Der Arzt trägt im Zivilprozess die Beweislast, dass der Patient adäquat aufgeklärt wurde.
Gerade Intensivtherapie ist durch »Teamarbeit« gekennzeichnet. Dies betrifft das Zusammenwirken aller Beteiligten unter Einschluss des Pflegepersonals in horizontaler (interdisziplinärer) und vertikaler (hierarchisch geprägter) Arbeitsteilung. Insofern gilt das Prinzip der Einzel- und Eigenverantwortlichkeit hinsichtlich aller zu eigenständiger Erledigung übertragenen bzw. übernommenen Aufgaben und Tätigkeiten. Umso mehr ist es geboten, im Rahmen vertikaler Arbeitsteilung die generelle oder einzelfallbezogene Delegation von Aufgaben sorgfaltig vorzunehmen sowie im Weiteren zu überwachen und im Rahmen horizontaler Arbeitsteilung auf klare Kompetenzabsprachen zu achten. Kompetenzüberschneidungen und Zuständigkeitsleerräume müssen strikt unterbunden bleiben. In diesem Zusammenhang haben auch die einschlägigen Vereinbarungen der Berufsverbände ihre besondere Bedeutung [21].
Aufklärung als Arztaufgabe Die Aufklärung des Patienten ist ärztliche Aufgabe. Demgemäß verbietet sich eine Delegation von Aufklärungsmaßnahmen an nichtärztliches Personal. Grundsätzlich wird nicht beanstandet, dass gerade in der Anästhesiologie der aufklärende und der die Narkose durchführende Arzt vielfach nicht identisch sind. Allerdings muss dabei gewährleistet sein, dass der Arzt, dem die Aufklärung des Patienten obliegt, dafür nach seinem theoretischen und praktischen Wissens- und Erfahrungsstand und unter Berücksichtigung konkreter Gegebenheiten beim Patienten (z. B. anatomische Besonderheiten bzw. sonstige Risikofaktoren) geeignet ist. Der aufklärende Arzt muss befähigt sein, eine adäquate Aufklärung des Patienten vornehmen zu können.
14
Kapitel 2 · Rechtliche Probleme
Risikoaufklärung
2
Die sog. Risikoaufklärung, welche das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewährleisten und auch seine rechtswirksame Einwilligung in die Behandlungsmaßnahmen herbeiführen soll, bildet den Schwerpunkt forensischer Auseinandersetzungen (davon zu unterscheiden sind die sog. Diagnoseaufklärung sowie die sog. therapeutische Aufklärung). Umfang und Inhalt der Risikoaufklärung stellen die entscheidende und zugleich umstrittenste Frage dar. Dies wird unmittelbar nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass die Rechtsprechung einerseits keine Verpflichtung des Arztes konstatiert, »den Kranken auf alle nachteiligen Folgen aufmerksam zu machen, die möglicherweise mit einer Operation entstehen können [26]«, im Grundsatz vielmehr fordert, der Patient müsse lediglich »im Großen und Ganzen« informiert werden. Andererseits wird dann in einer Fülle von Einzelfallentscheidungen doch festgestellt, über ein ganz bestimmtes Risiko habe in der konkreten Situation gewiss aufgeklärt werden müssen. Damit liegt das volle Risiko, nicht genügend aufgeklärt zu haben, mit allen zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen beim Arzt. Allgemein stellen wesentliche Maßgaben zur Bestimmung von Inhalt und Umfang der Risikoaufklärung die mit dem Eingriff verbundene Gefahrenhäufigkeit, die Dringlichkeit des Eingriffs und auch die Persönlichkeit bzw. das Verhalten des Patienten dar. Dabei ist anzumerken, dass nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH zur ärztlichen Hinweispflicht bei dieser nicht entscheidend auf eine bestimmte statistische Komplikationsdichte und eine bestimmte Risikofrequenz abzustellen ist. i Maßgeblich ist vielmehr, »ob das infrage stehende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet [27]«. Das heißt zum einen, dass der Patient »über schwerwiegende Risiken grundsätzlich auch dann aufzuklären (ist), wenn sie sich nur selten verwirklichen« [28]. Zum anderen muss allerdings auch über ein noch so seltenes Risiko aufgeklärt werden, wenn es eingriffspezifisch, d. h. typischerweise mit der durchzuführenden ärztlichen Maßnahme verbunden ist (z. B. Infektionsrisiken in Zusammenhang mit einer Bluttransfusion).
Aufklärungszeitpunkt
Ist eine ärztliche Behandlung vital indiziert und rasches Handeln zur Beseitigung einer lebensbedrohlichen Situation geboten, tendiert der Aufklärungsumfang gegen Null. In Notfällen, dies liegt auf der Hand, können Aufklärungsmaßnahmen u. U. völlig entfallen, da die Lebensrettung Vorrang hat. Möglicherweise ist der Patient auch überhaupt nicht mehr ansprechbar.
Aufklärungsgespräch i Aufklärung des Patienten muss sich als »Gespräch« darstellen. Sogenannte »Aufklärungsbögen« dienen der Vorabinformation, bilden die informative Grundlage für ein ausführliches Gespräch und dokumentieren dieses Gespräch. Der Patient ist über den ärztlichen Befund, Behandlungsmöglichkeiten, Art und Weise der Durchführung von Eingriffen, damit verbundene Risiken, mögliche und sichere Folgen, etwaige Nebenwirkungen, mögliche Komplikationen, die Gefahr des Fehlschlags etc. aufzuklären. Gerade im Zusammenhang mit anästhesiologischen Maßnahmen ist auch auf evtl. gegebene Behandlungsalternativen einzugehen.
Bestellung eines Betreuers Bei volljährigen Patienten, die z. B. aufgrund von Bewusstlosigkeit, geistiger Verwirrtheit etc. nicht in der Lage sind, die Notwendigkeit und Bedeutung der Behandlung einzusehen und ihren Willen demnach zu bestimmen, gilt Folgendes:
Die mangelnde Einsichtsfähigkeit hebt das Einwilligungserfordernis nicht auf. Dabei geht die Einwilligungskompetenz nicht etwa auf nahe Angehörige, z. B. Ehepartner oder Kinder des Patienten, über. Diese sind nicht ipso iure gesetzliche Vertreter. Vielmehr ist erforderlich, bei nicht einsichtsfähigen erwachsenen Patienten gemäß § 1896 BGB die Bestellung eines Betreuers herbeizuführen. Dieser Betreuer ist dann aufzuklären, damit er auf dieser Grundlage die Einwilligung zum Heileingriff erteilen kann. Besteht die begründete Gefahr, dass der (betreute) Patient aufgrund der Behandlung stirbt, einen schweren oder länger andauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, bedarf die Einwilligung des Betreuers in den Eingriff darüber hinaus der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht (§ 1904 BGB).
i Die Aufklärung des Patienten muss zeitgerecht erfolgen. Dabei gilt, dass eine Aufklärung »zum richtigen Zeitpunkt« nur dann gegebenen ist, »wenn der Patient noch Gelegenheit hat, zwischen der Aufklärung und dem Eingriff das Für und Wider der Operation abzuwägen«. Es muss unbedingt vermieden werden, dass der Patient »wegen der in der Klinik bereits getroffenen Operationsvorbereitungen unter einen unzumutbaren psychischen Druck gerät«, wobei die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen bleiben [29].
Geschäftsführung ohne Auftrag/Mutmaßliche Einwilligung
Im Gegensatz zur operativen Risikoaufklärung genügt im Normalfall bei stationärer Behandlung eine anästhesiologische Aufklärung des Patienten am Vorabend des Eingriffs. Sind schon präoperativ bestimmte postoperative intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen absehbar, so sollte der Patient auch hierüber aufgeklärt werden. Möglicherweise hat dieser Aspekt Einfluss auf seine Einwilligung zur Durchführung des (operativen) Eingriffs.
Patiententestament
Verbleibt für eine Einschaltung des Vormundschaftsgerichts bzw. die Betreuerbestellung wegen vitaler Gefährdung des Patienten keine Zeit mehr, darf – und muss – der behandelnde Arzt als »Geschäftsführer ohne Auftrag« tätig werden und den gebotenen Eingriff vornehmen. Der Rechtfertigungsgrund (im Normalfall die »Einwilligung« des Patienten, 7 s. oben) ergibt sich in diesem Fall aus »mutmaßlicher Einwilligung« des Patienten und oder einem »Notstand« gemäß § 34 StGB.
Sogenannte »Patientenverfügungen« bzw. »Patiententestamente« sind grundsätzlich als verbindlich zu erachten. Problematisch ist und der Beurteilung im Einzelfall bedarf – bei nach wie vor feh-
15 2.4 · Resümee
lender gesetzlicher Regelung –, »ob der in der noch willensfähigen Situation, etwa bei guter Gesundheit geäußerte Wille bis in die Situation schwerer Erkrankung und beginnenden Sterbens trägt« [30]. Möglicherweise hat der Patient nach Errichtung des Patiententestaments seinen Willen insoweit geändert. Eventuell trifft der im Patiententestament geäußerte Wille nicht die konkrete Behandlungssituation. Insofern bedarf es einer sorgfältigen Bewertung – und darin liegt aktuell die praktische Problematik –, ob der in einem vorliegenden Patiententestament zum Ausdruck kommende Wille die konkret gegebene Behandlungssituation mit daraus resultierenden Entscheidungserfordernissen (noch) trifft. i Letztlich liegt die Entscheidung hinsichtlich der Verwertung eines Patiententestaments – und damit auch das Risiko – jedoch beim Arzt, der versuchen muss, den geltenden Willen des Patienten zu ermitteln.
Für das Patiententestament ist keine besondere Form vorgeschrieben; einfache Schriftform genügt. Es sollte nachvollziehbar sein, wann der Patient seine Verfügung erstellt hat. Insofern wäre es wünschenswert, dass zeitlich regelmäßig Bestätigungsvermerke angebracht sind. Ein Patiententestamt hat umso mehr Gewicht, je zeitnäher der darin zum Ausdruck kommende Wille dokumentiert wurde [31]. 2.3.6 Dokumentation i Dokumentationsmängel als solche begründen – im Gegensatz zum Behandlungs-, Aufklärungs- oder Organisationsfehler – keine Haftung bzw. Strafbarkeit. Die Rechtsfolge eines Dokumentationsversäumnisses besteht nach Maßgabe höchstrichterlicher Judikatur jedoch in einer Beweiserleichterung zugunsten des Patienten, welche sich bis hin zur Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes bzw. Krankenhauses auswirken kann [32].
Jenseits rechtlicher Erfordernisse darf allerdings auch nicht verkannt werden, dass eine ordnungsgemäße Dokumentation »nicht nur der Absicherung vor juristischen Nachteilen« dient, sondern auch »Kommunikation und Qualitätssicherung in der Medizin« bedeutet [33]. Eine umfassende, nachvollziehbare Dokumentation der intensivmedizinischen Behandlung dient mithin der Therapiesicherung, Beweissicherung und Rechenschaftslegung, weshalb alle wesentlichen Aspekte im Zusammenhang mit Anamnese, Diagnose und Therapie festzuhalten sind [34]. i Aus den bereits dargelegten Gründen ist es zu Beweiszwecken juristisch essenziell, sowohl den Inhalt von Aufklärungsgesprächen in ihren wesentlichen Bestandteilen als auch die Einwilligung des Patienten zu dokumentieren. Dazu sollten schon aus Gründen der Zweckmäßigkeit die handelsüblichen Aufklärungsformulare Verwendung finden.
2.3.7 Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht Die Problemstellung der Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht bildet in der Tat ein »weites Feld«; ihre Abhandlung müsste den hier gegebenen Rahmen sprengen. So soll es grundsätzlich bei einem Verweis auf die aktuell geltenden »Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung«, welche die
2
ergangene Rechtsprechung insoweit berücksichtigen, verbleiben (vgl. dazu auch noch die allerdings nicht aktualisierte Leitlinie der DGAI zu »Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht« gemäß Leitlinienverzeichnis der AWMF). Vor allem bleibt abzuwarten, ob und welche normativen Regelungen de lege ferrenda erfolgen. Jurisprudenz beschäftigt sich wesentlich mit dem »Sollen« der Rechtssubjekte im Zusammenhang mit bestimmten Lebenssachverhalten. So verstandenes »Sollen« impliziert auch das »Dürfen« und »Können« aufgrund entsprechender Erlaubnis und Ermächtigung [36]. Aus Sicht des Juristen stellt sich hier im Kern die Frage, wie sich rechtlich das »Sollen« des Arztes gestaltet, wenn bei der medizinischen Behandlung von Patienten objektiv Grenzen der Therapie erreicht scheinen. Dies gilt v. a. bei nicht mehr kurativ zu behandelnden Kranken. Dabei würde es bei Weitem zu kurz greifen, den Blick lediglich auf rechtliche Gegebenheiten und Anforderungen richten zu wollen, um eine schlüssige Lösung der Problemstellung zu erhoffen. Dadurch bliebe ein weit gestecktes Spannungsfeld mit erheblichem Konfliktpotenzial für die Beteiligten und Betroffenen – Arzt, Pflege, Patient, Angehörige des Patienten – unter moralischen, allgemein ethischen ‒ insbesondere berufsethischen ‒ und »schlicht menschlichen« Aspekten der Betrachtung entzogen. Dabei verhält es sich auch so, dass Intensivmediziner mit Fragen nach therapeutischen Grenzen in der Praxis oftmals konfrontiert sind, in der Rechtsprechung aber nur relativ wenige strafrechtliche Fälle – diese allerdings z. T. spektakulär – entschieden wurden [37]. Die Frage nach den Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht impliziert die Frage nach »Inhalt und Umfang der Behandlung« von Patienten, womit sich rechtlich im Kern die Frage nach »Inhalt und Umfang der Behandlungspflicht« des Arztes stellt. Nicht notwendigerweise damit einhergehend und jedenfalls davon zu differenzieren ist die Problemstellung des – im eigentlichen Sinne – »Behandlungsabbruchs« bis hin zur »Sterbehilfe«. Im Ansatz ist auch im vorliegenden Zusammenhang stets die Frage zu stellen, welche Behandlungsidikation (noch) zu stellen ist [38], wobei diese Indikation selbstverständlich ohne Weiteres Palliativmaßnahmen implizieren muss. Hinsichtlich der Anwendung von Palliativmaßnahmen ist es dann eigentlichen unzutreffend, etwa von einer »Therapiereduktion« zu sprechen [39]. Jenseits fraglich gesicherter Erkenntnisse gibt es ohnehin keine fertigen Lösungen zur Bewältigung der Problematik. Insofern kann auch die Frage aufgeworfen werden, ob es überhaupt notwendig und angemessen ist, dass wir für jeglichen Lebenssachverhalt Lösungen zur Hand haben, die zur – auch noch juristisch abgesicherten – »Gewissheit richtiger Entscheidung« führen sollen. Diese Gewissheit kann es letztlich nicht geben, und warum soll nicht im Einzelfall darum »gerungen« werden müssen, eine angenommen richtige Entscheidung im Kontext von Behandlungsstandard, Methodenfreiheit des Arztes und Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu treffen. Dies wird der Problemstellung unheilbaren menschlichen Lebens bzw. Lebens an der Grenze zum Tod vielleicht noch am ehesten gerecht. 2.4
Resümee
Intensivmedizin stellt für den Arzt eine besondere fachmedizinische Herausforderung hinsichtlich Diagnose- und Indikationsstellung sowie allgemeiner Behandlungsführung dar.
16
2
Kapitel 2 · Rechtliche Probleme
Selbstverständlich soll der Arzt forensische Risiken berücksichtigen, doch kann dies nicht die leitende Maxime bei der Behandlungsführung sein. Im Ergebnis geht es darum, den rechtlichen und – dem zugrunde liegend – den medizinischen Anforderungen zu genügen. Allerdings ist es geboten, die einleitend beschriebenen forensischen Risiken zu minimieren. Hierzu dient gerade die genaueste Beachtung der rechtlichen Anforderungen an die einzuhaltende Sorgfalt bei der Aufklärung, Einwilligung und Behandlung des Patienten und (insgesamt) bezüglich der organisatorischen Gegebenheiten. Genau dort setzt ein adäquates Risk-Management ein, wobei es darum gehen muss, aktiv nach Schadensursachen und nach Risikofeldern zu suchen, um Haftungsfälle eben präventiv zu vermeiden. Dergestalt werden Schutz und Sicherheit des Patienten weitergehend gewährleistet und lassen sich forensische Auseinandersetzungen potenziell vermeiden.
Literatur 1. Vgl. dazu Bock R-W (2002) Qualitätssicherung und Risikomanagement In: List W, Osswald P M et al. (Hrsg) Komplikationen und Gefahren in der Anästhesie. Springer, Berlin Heidelberg New York, S. 3 2. Ulsenheimer K (2003) Arztstrafrecht in der Praxis. C.F. Müller, Heidelberg RN 1ff. 3. Eisenmenger W (1979) Unfallmedizinische Tagungen der Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Heft 38, S 61 4. Vgl. Uhlenbruck W (2002) In: Laufs A, Uhlenbruck W (Hrsg) Handbuch des Arztrechts, München, 3. Aufl, § 39, Rdn 7 5. Laufs A (1986) Arzt und Recht im Wandel der Zeit. MedR, S 163 (164) 6. Vgl. Wachsmuth FS (1979) für Bockelmann, S 473 7. Vgl. dazu grundlegend die MBO-Ä 8. BGH, NJW 1988, S 2949 9. Vgl. grundlegend zum Ganzen: Biermann E (1997) Medico-legale Aspekte in Anästhesie und Intensivmedizin. ains 32: 175–193; 427–452, und Ulsenheimer K (2003) Arztstrafrecht in der Praxis. a. a. O.(FN 2) 10. BGH, NJW 1977, S 1102 (1103) 11. Vgl. dazu auch Künschner A (1993) Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl. Baden-Baden, S 211 12. Vgl. u. a. BGH, NJW 1987, S 1479; 1992, S 1560 13. Steffen E (1995) Der sog. Facharztstatus aus der Sicht der Rechtsprechung des BGH, MedR S 360 14. Damm R (1989) Medizintechnik und Arzthaftungsrecht. NJW S 737, (738f ) 15. BGH, NJW 1982, S 2121 (2122) 16. Laufs A (2002). In: Laufs A, Uhlenbruck W (Hrsg) Handbuch des Arztrechts, a. a. O. (FN 4), § 3, Rdn 13 17. OLG Düsseldorf, AHRS Nr. 2620, S 32 18. Vgl. dazu OLG Stuttgart, MedR 2002, S. 650 19. OLG Naumburg, MedR 2002, S 471 20. Steffen E (1995) Einfluss verminderter Ressourcen und von Finanzierungsgrenzen aus dem Gesundheitsstrukturgesetz auf die Arzthaftung, MedR S 190 21. Vgl. dazu DGAI/BDA (Hrsg), (2006) Entschließungen – Empfehlungen – Vereinbarungen – Leitlinien, Aktiv, Melsungen, 4. Auflage 22. Bock R-W (2002) Qualitätssicherung und Risikomanagement., a. a. O. (FN 1) und grundlegend: Berg D, Ulsenheimer K (Hrsg) Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation (2006) Springer Berlin Heidelberg 23. Koch K (1996) Qualitätssicherung in der Onkologie. Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 1/2, C16 (C17) mit Verweis auf Herfarth 24. Laufs A (1993) Arztrecht, München, Rdn 42 25. RGSt 25, S 375 26. RGZ 78, S 432 (433) 27. BGH, NJW 1994, S 793
28. BGH, NJW 1994, S 793 29. BGH, NJW 1992, S 2351 30. Schreiber H-L (2002) zur Rechtsverbindlichkeit von Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsver fügungen. In: Hampel K (Hrsg) Die Autonomie des Patienten. Münster, S 36 31. Vgl. zum Ganzen Schreiber H-L, a. a. O. (FN 30), S. 34 ff. und auch die Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung (2004), Deutsches Ärzteblatt 2004, Heft 19 32. BGH, NJW 1983, S 332 33. Mehrhoff F (1990) Aktuelles zum Recht der Patientendokumentation, NJW, S 1524 (1525) 34. Vgl. dazu Uhlenbruck W (2002) In: Laufs A, Uhlenbruck, W (Hrsg) Handbuch des Arztrechts, a. a. O. (FN 4), § 59, Rdn 5f. 35. Vgl. FN 31 36. Kelsen H (1997) Die Rechtsordnung als hierarchisches System von Zwangsnormen. In: Hoerster N (Hrsg) Recht und Moral, Texte zur Rechtsphilosophie, München, S 21ff. 37. Vgl. zum Ganzen und insbesondere die Falldarstellungen bei Ulsenheimer K (2003) Arztstrafrecht in der Praxis, a. a. O. (FN 2), § 3 38. Vgl. dazu BGH, Urteil vom 17.03.2003, NJW 2003, 1588 (1593) 39. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Höfling W (2005) Integritätsschutz und Patientenautonomie am Lebensende. Dtsch Med Wochenschr, S. 898 ff.
3 Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin V. Köllner, T. Loew
3.1
Belastungsfaktoren, Prävention und psychologische Inter ventionen bei Intensivpatienten –18
3.1.1 Belastungsfaktoren –18 3.1.2 Prävention psychischer Störungen –19 3.1.3 Psychotherapie auf der Intensivstation –21
3.2
Die Situation der Angehörigen
–22
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Problemsituationen –22 Psychische Belastung und Störungsbilder bei Angehörigen von ITS-Patienten Präventive und therapeutische Ansätze –22 Das Gespräch mit Angehörigen verstorbener Patienten –23
3.3
Belastungsfaktoren bei Mitarbeitern der Intensivstation
3.3.1 Belastungsfaktoren und Folgeprobleme –24 3.3.2 Präventionsmöglichkeiten –25
3.4
Psychosomatischer Konsil- und Liaisondienst Literatur
–26
–26
–24
–22
18
Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
3.1
Belastungsfaktoren, Prävention und psychologische Interventionen bei Intensivpatienten
3.1.1 Belastungsfaktoren
3 Patient auf einer Intensivstation zu sein, stellt für jeden Menschen eine Situation besonderer Belastung, Bedrohung und Herausforderung dar. Die Stressforschung hat Modelle entwickelt, um zu beschreiben, wie Menschen auf Belastungssituationen reagieren. Einen zentralen Stellenwert hat hier das Coping-Modell von Lazarus und Folkman. Diese definieren Coping (1984) als »…sich ständig verändernde, kognitive und verhaltensmäßige Bemühungen, spezifische externale und/oder internale Anforderungen zu handhaben, die so eingeschätzt werden, dass sie die Ressourcen einer Person beanspruchen oder überschreiten«. Die Bewältigung ist demnach ein wechselseitiger Prozess, der sowohl durch die Besonderheiten der betroffenen Personen, ihrer Geschichte, Vorerfahrungen und persönlichen Bewältigungsmuster als auch durch die Besonderheiten der Problemsituation beeinflusst wird. Die Problemsituation wird im intensivmedizinischen Kontext gekennzeichnet durch die Rahmenbedingungen einer Intensivstation und den Verlauf der jeweiligen Erkrankung.
Belastungsfaktoren durch die Situation auf der Intensivstation Die Intensivstation ist für das Personal vertraut, für die dort liegenden Patienten jedoch eine fremde Welt voller unbekannter, häufig wechselnder und unvorhersehbar auftauchender Menschen, unverständlicher Apparate und ungewohnter Geräusche. Diese unvertraute Situation stellt eine erhebliche Anforderung an die Bewältigungsressourcen der Betroffenen dar und löst häufig Gefühle von Angst und Bedrohung aus. Eine Ausnahme bilden Patienten, die bereits mehrfach intensivmedizinisch betreut wurden und für die die Atmosphäre der Intensivstation sogar ein Signal besonderer Sicherheit darstellen kann. Um sich besser in die Wahrnehmungssituation von Patienten hineinversetzen zu können, wird die Lektüre von Patientenberichten empfohlen (z. B. [3] oder [7]). Aus dem absoluten Vorrang, den die Überwachung und Erhaltung der Vitalfunktionen auf einer Intensivstation haben, ergeben sich zahlreiche Belastungsfaktoren, die im Folgenden dargestellt werden [12]. Auch wenn sie in der Regel nicht zu vermeiden sind, ist ihre Kenntnis hilfreich, um die Reaktionen von Patienten besser einschätzen und unnötigen Belastungen vorbeugen zu können. Orientierungsmangel. Die fremdartige Umgebung, das gleichförmige Aussehen des Personals (z. B. grüne oder blaue Kittel) sowie die weitgehende Aufhebung der Unterschiede zwischen Tag und Nacht beeinträchtigen die Orientierung zum Ort und insbesondere zur Zeit. Erschwerend kommt hinzu, dass die Patienten als Folge ihrer Grundkrankheit oder durch medikamentöse Sedierung ihre Orientierung häufig verlieren und neu gewinnen müssen. Gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus. Rund um die Uhr brennendes Licht, eine ständige Geräuschkulisse und die Notwendigkeit von Überwachungs- und Behandlungsmaßnahmen auch in der Nacht führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der norma-
len Schlafrhythmik. Eine solche Störung kann auch bei körperlich Gesunden zu depressiven Verstimmungen und psychiatrischen Symptomen bis hin zu Halluzinationen führen. Mangel an Wahrnehmung und Kommunikation. Für den Patienten ist die Situation auf der Intensivstation paradoxerweise gleichzeitig von Reizmangel und Reizüberflutung gekennzeichnet. Reizüberflutung entsteht durch die Unzahl von Geräuschen und Gesprächsfetzen, die ständig auf ihn einströmen und deren Bedeutung er jedoch kaum beurteilen kann.Für den Patienten ist häufig nicht zu erkennen, ob sich das Schrillen eines Alarms oder der Kommentar eines Pflegers auf ihn selbst oder auf den Nachbarpatienten bezieht. Gleichzeitig sind diese Reize jedoch monoton und immer wiederkehrend. So entsteht eine Verarmung an Reizen, die in ihrer Bedeutung wahrgenommen und weiterverarbeitet werden können. Dies gilt in besonderer Weise für flach liegende Patienten, deren Blickfeld überwiegend durch die Zimmerdecke ausgefüllt wird. Durch restriktive Besuchszeiten und den ständigen Zeitdruck des Personals entsteht zusätzlich ein Mangel an Kommunikation. Unvorhersagbarkeit schmerzhafter Eingriffe. Patienten mit eingeschränkter Bewusstseinslage werden häufig durch harmlose (z. B. Lagerung) oder unangenehme (z. B. Absaugen) Eingriffe und Manipulationen überrascht. Diese Unvorhersagbarkeit unangenehmer Ereignisse kann dazu führen, dass jede Annäherung als potenzielle Bedrohung erlebt wird. Abhängigkeit von Personal und Apparaten. Mit zunehmender Aufklärung des Bewusstseins nimmt der Patient seine Abhängigkeit vom Pflegepersonal bei der Erfüllung alltäglicher Bedürfnisse deutlicher wahr, ebenso die vitale Bedrohung und die Abhängigkeit von Überwachungs- und Behandlungsapparaten (z. B. Dialyse). Die Folge hiervon kann das Auftreten erheblicher Angst bei der Verlegung von der Intensivstation sein, wenn der Patient nun befürchtet, auf der Normalstation könnten Gefahrensituationen übersehen oder nicht adäquat behandelt werden.
Belastungen durch die Grunderkrankung Angst und Ungewissheit. Mit der Notaufnahme bzw. Verlegung auf eine Intensivstation wird für die Mehrzahl der Betroffenen deutlich, dass sie sich in einer u. U. lebensbedrohlichen Situation befinden, sei es als Folge einer akut aufgetretenen oder Verschlechterung einer bereits länger bestehenden Krankheit. Sobald der Patient bei Bewusstsein ist, beschäftigen ihn Fragen wie »Werde ich hier wieder lebend herauskommen?« und »Wie wird das Leben danach weitergehen?«. Häufig haben Angst und Ungewissheit einen realen Hintergrund, und eine Antwort auf diese Fragen kann noch nicht gegeben werden. Doch selbst wenn die reale Situation weniger bedrohlich ist, fällt es dem Patienten aufgrund seiner eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit (z. B. durch routinemäßige postoperative Beatmung) häufig schwer, die gewünschten Informationen einzuholen. Schmerzen. Das Erleiden von Schmerzen als Folge der Grundkrankheit oder von Behandlungsmaßnahmen wirkt zusätzlich depressionsauslösend und angststeigernd. Eine ausreichende Analgesie sollte deshalb, wann immer möglich, angestrebt werden, zumal sie die psychische Führung des Patienten erheblich erleichtert.
19 3.1 · Belastungsfaktoren, Prävention und psychologische Interventionen bei Intensivpatienten
Hirnorganische Beeinträchtigungen. Organische Psychosyndrome werden häufig verkannt oder als psychogen fehleingeschätzt. Störungen des Leber- und Nierenstoffwechsels, zerebrale Minderperfusion als Folge eines kardialen Low-output-Syndroms, Medikamentennebenwirkungen, Infektionen des ZNS und viele andere Faktoren können zu kognitiven Beeinträchtigungen, Verlangsamung, depressiven Syndromen, Halluzinationen bis zum klassischen Durchgangssyndrom sowie zu vorübergehenden Bewusstseinstrübungen bis zum Bewusstseinsverlust führen. Insbesondere, wenn diese Störungen nur diskret ausgeprägt sind, werden sie häufig als psychogen verkannt. Sie stören den Patienten sehr empfindlich dabei, die Orientierung wiederzufinden, und können bei ihm ein Gefühl tiefer Verunsicherung hinterlassen.
Belastungsfaktoren und Ressourcen, die der Patient mitbringt Psychiatrische Vorerkrankungen. Ob sich eine vorbestehende
Angststörung oder Depression während des Aufenthalts auf der Intensivstation verschlimmert oder ob der Verlauf in dieser Hinsicht unauffällig sein wird, lässt sich im Voraus nicht abschätzen. In der Situation akuter Bedrohung können Patienten mit einer psychischen Vorerkrankung völlig adäquat reagieren, während vorher unauffällige Patienten dekompensieren können. Trotzdem ist es wichtig, die Anamnese des Patienten diesbezüglich zu kennen, um evtl. auftretende Symptome bewerten zu können. Bedeutsam ist insbesondere die Medikamentenanamnese. Zur Phasenprohylaxe verordnete Neuroleptika oder Antidepressiva sollten möglichst frühzeitig wieder zugeführt werden, sofern keine Kontraindikation besteht. Ebenso sollte ein vorbestehender Medikamenten- oder Alkoholabusus bekannt sein, um Entzugserscheinungen vorbeugen zu können. Vorerfahrungen. Wenn der Patient schon einmal eine schwere
Erkrankung mit Hilfe intensivmedizinischer Behandlung erfolgreich überwunden hat, ist dies eine Ressource, auf die man zurückgreifen kann. Im Gespräch sollten Patient und Angehörige hieran erinnert und dazu ermuntert werden, die damals eingesetzten Bewältigungsstrategien jetzt wieder zu aktivieren. Umgekehrt kann es eine Belastung darstellen, wenn die Intensivstation für den Patienten mit dem Verlust eines nahen Angehörigen verknüpft ist. Die Kenntnis dieser Vorgeschichte kann helfen, dem Patienten evtl. Unterschiede zwischen seiner eigenen Situation und dem ihm bekannten ungünstigen Verlauf aufzuzeigen. Soziale Unterstützung. Menschen, die über ein funktionierendes
soziales Netzwerk verfügen, haben damit eine wertvolle Ressource zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um Verwandte oder Freunde handelt. Soziale Unterstützung ist z. B. in der Lage, den negativen Einfluss einer Depression auf die Mortalität nach einem Myokardinfarkt vollständig abzupuffern. Patienten, die auf der Intensivstation regelmäßig Besuch von nahe stehenden Personen erhalten, erholen sich in der Regel schneller und zeigen weniger psychische Auffälligkeiten. Daher sollte v. a. Patienten, die ohne soziale Unterstützung länger auf der ITS verweilen müssen, professionelle oder ehrenamtliche Betreuung angeboten werden.
3
3.1.2 Prävention psychischer Störungen
Gestaltung der Intensivstation Günstig ist es, auch Patienten auf einer Intensivstation ein Fenster mit Aussicht oder zumindest Tageslicht zu bieten. Die Wahrnehmung der Jahres- und Tageszeit erleichtert die Orientierung, wenn der Patient das Bewusstsein zurückerlangt. Ist dies nicht möglich, sollte zumindest bei der Intensität der künstlichen Beleuchtung ein klarer Tag-Nacht-Rhythmus eingehalten werden. Zusätzlich sollte der Patient die Möglichkeit haben, auf eine Uhr und einen Kalender zu schauen. Die Uhr muss so angebracht sein, dass sie auch für flach liegende Patienten sichtbar ist, außerdem groß genug, um auch für sehbehinderte Patienten erkennbar zu sein. Günstig ist es, wenn Telefonanschluss und Fernsehen für bewusstseinsklare Patienten zur Verfügung stehen. Langeweile stellt einen häufig unterschätzten Auslösefaktor für Depressionen dar. Das Angebot sinnvoller Beschäftigung und Ablenkung ist jedoch nicht nur gegen depressive Störungen präventiv wirksam, sondern hilft auch Patienten nach einem Durchgangssyndrom, in die Realität zurückzufinden. Hierfür eignen sich: 4 Bilder in den Patientenzimmern (wobei für intubierte Patienten auch eine künstlerische Ausgestaltung insbesondere der Zimmerdecke sinnvoll sein kann), 4 Bilder von Angehörigen, die für den jeweiligen Patienten mitgebracht werden, 4 Fernsehen, 4 Zeitungen und Zeitschriften, 4 Radio über Kopfhörer, 4 CDs oder Kassetten mit Musik, die der Patient auswählen kann, 4 ggf. Unterstützung durch Ergotherapie. Da die Mehrzahl der Patienten nicht von sich aus nach diesen Möglichkeiten fragen wird, ist es sinnvoll, diese wiederholt anzubieten. Dies entspricht dem Vorgehen in der kognitiven Therapie der Depression, bei der Patienten dazu aufgefordert werden, positive Aktivitäten zunächst sozusagen als Training wieder aufzunehmen, auch wenn der eigene Antrieb hierfür noch gering ist. Wenn die Behandlungseinheiten auf der Station zu groß sind, nimmt die Störung durch Behandlungsmaßnahmen bei Mitpatienten proportional zu, deshalb sollte auf eine räumliche Unterteilung der Station geachtet werden.
Kommunikation und Patientenführung Die Bedeutung einer tragfähigen therapeutischen Beziehung für die Prophylaxe psychischer Störungen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Grundlage hierfür ist, dass auch der Patient auf der Intensivstation mit allen relevanten Informationen versorgt wird, sobald er von der Bewusstseinslage her zu deren Aufnahme fähig ist. Weiterhin sollte frühzeitig der Versuch unternommen werden, Behandlungsmaßnahmen mit dem Patienten abzusprechen und sein Einverständnis einzuholen. Behandlungsmaßnahmen, deren Notwendigkeit der Patient einsieht, weil er zuvor darüber informiert worden ist, werden in der Regel besser toleriert. In die Behandlungsplanung mit einbezogen zu werden, verringert für den Patienten das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein. Einschätzung der Bewusstseinslage. Gelegentlich wird die Bewusstseinslage des Patienten falsch eingeschätzt, sodass er als
Kommunikationspartner nicht in Betracht gezogen wird. Dies
20
Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
kann dazu führen, dass unangenehme oder gar schmerzhafte Behandlungsmaßnahmen nicht angekündigt werden, was den Patienten unnötig erschreckt. Ebenso unangebracht ist es, wenn in seiner Anwesenheit über ihn gesprochen wird und ängstigende Gesprächsinhalte in sein Bewusstsein dringen.
3
! Cave Im Zweifelsfall sollte immer davon ausgegangen werden, dass der Patient bei Bewusstsein ist.
Dies bedeutet auch, dass jeder erwachsene Patient mit seinem Nachnamen und mit »Sie« angesprochen wird. Ein höflicher und respektvoller Umgang auch mit bewusstlosen Patienten ist für die Psychohygiene des Stationsteams selbst von großer Bedeutung. Kommunikation mit dem Patienten. Die Kommunikation zwi-
schen Stationsteam und Patient wird durch den unterschiedlichen Erfahrungshorizont erschwert. Viele Handlungsabläufe, Geräusche etc. stellen für das Stationspersonal vertraute Routine dar, sodass es müßig erscheint, darauf jedes Mal hinzuweisen. Für den Patienten sind diese Phänomene jedoch unvertraut und teilweise bedrohlich, sodass eine Erklärung für ihn angstlösend wirkt. Da die Bewusstseinslage der Patienten nicht konstant ist, müssen häufig die gleichen Sachverhalte immer wieder erklärt werden, zumal man sich nicht darauf verlassen kann, dass der Patient bereits wieder über eine normale Merkfähigkeit verfügt. Erklärungen sollten vom subjektiven Erleben des Patienten ausgehen und mögliche unangenehme Wahrnehmungen vorwegnehmen. Nach Möglichkeit sollte auch der Sinn der Behandlungsmaßnahmen verdeutlicht werden. > Beispiel »Ich werde Sie gleich absaugen, um Sie von Schleim zu befreien, der sich in Ihren Luftwegen angesammelt hat. Hinterher bekommen Sie wieder besser Luft, und es schützt Sie vor einer Lungenentzündung. Ich werde Sie hierfür kurz vom Beatmungsgerät abnehmen, das ist jedoch nicht gefährlich. Durch die Spülflüssigkeit und die Sonde werden Sie einen starken Hustenreiz verspüren, das kann zwar unangenehm sein, hilft aber ebenfalls, Ihre Luftwege wieder zu reinigen. Das Ganze dauert höchstens eine halbe Minute; wenn Sie nicht mehr können, geben Sie mir aber ein Handzeichen.«
Kommunikation erfordert für den Patienten erkennbare Ansprechpartner. Deshalb sollten alle Mitarbeiter der Intensivstation Namensschilder tragen, die auch für sehbehinderte Patienten erkennbar sind. Die Visite kann für den Patienten frustrierend sein, wenn er erleben muss, wie die behandelnden Ärzte vorbeiziehen, ohne dass er Gelegenheit hatte, Fragen zu stellen. Häufig kommt es auch zu Fehlinterpretationen durch mitgehörte Gesprächsfetzen am eigenen oder am Nachbarbett. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, die Visite aufzuteilen. Eine große Visite am Morgen dient dann dazu, sich einen Überblick über die Situation der Patienten zu verschaffen und den weiteren Behandlungsplan für den kommenden Tag festzulegen. Hierbei sollte möglichst viel vor der Zimmertür geklärt werden, um die Patienten nicht durch lange Diskussionen am Bett zu verunsichern. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dann eine Visite durchgeführt, die der Kommunikation mit den Patienten dient. Hier braucht nicht das gesamte Stationspersonal beteiligt zu sein, was Zeit spart. Der behandelnde Arzt sollte sich hierbei an das Bett des Patienten setzen, ihn klar mit Namen ansprechen und Blickkontakt suchen.
In der Visitensituation ist es sinnvoll, dem Patienten im Zweifelsfall nochmals eine kurze Orientierungshilfe zu geben, da die Bewusstseinslage schnell wechseln kann und eine kurzfristig wiedergewonnene Orientierung häufig wieder verloren geht. > Beispiel »Guten Tag Herr Müller, ich bin Dr. Meier und betreue Sie hier auf der Intensivstation der Dresdner Uniklinik. Vielleicht erinnern Sie sich noch von gestern an mich. Sie hatten vorgestern einen Herzinfarkt und sind vom Notarzt hierher gebracht worden. Es geht Ihnen schon wieder besser, und nachher kommt Ihre Frau, um Sie zu besuchen.«
Wichtig ist, hierbei Blickkontakt zu suchen. Gerade die nonverbale Reaktion des Patienten kann Aufschluss über seine Gemütsund Bewusstseinslage geben. Desorientierte Patienten spüren häufig, »dass sie die Situation nicht voll erfassen«, und versuchen, mit freundlichem Nicken oder Höflichkeitsfloskeln darüber hinwegzutäuschen. Bei einer eilig vorüberziehenden Visite können hierdurch Orientierungsstörungen der Patienten unterschätzt werden oder unbemerkt bleiben. Kommunikation mit intubierten Patienten. Intubierte Patienten leiden, sobald sie das Bewusstsein wiedererlangen, darunter, dass sie nicht sprechen können. Wenn irgend möglich, sollten die Patienten (z. B. bei der präoperativen Aufklärung) darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeit besteht, in intubiertem Zustand aufzuwachen und deshalb sprechunfähig zu sein. Wenn der Patient sich hieran erinnert, ist er von der Angst befreit, »plötzlich die Sprache verloren zu haben«, z. B. durch einen Schlaganfall. Der aufwachende Patient sollte immer wieder auf den vorübergehenden Zustand der Intubation hingewiesen werden, um ihn zu beruhigen. Für die erste Zeit sollte er auf Kommunikationsmittel wie Nicken, Kopfschütteln und Handzeichen hingewiesen werden. Stabilisiert sich sein Zustand, so ist häufig die schriftliche Kommunikation möglich. Die hierfür nötigen Hilfsmittel sollten bereitgehalten werden: 4 Klemmbrett mit Filzstiften unterschiedlicher Schriftdicke, 4 Buchstabentafel, mit deren Hilfe der Patient durch Zeigen auf einzelne Buchstaben Wörter zusammensetzen kann, 4 ein Blatt mit vorformulierten Fragen oder Aussagen, auf die der Patient zeigen kann, 4 Brillenträger und Schwerhörige sollten ihre gewohnten Hilfsmittel möglichst bald zurückerhalten.
Manchmal gelingt es trotz aller Mühen von Seiten des Patienten und seiner Betreuer nicht, sich verständlich zu machen, insbesondere wenn die schriftliche Kommunikation noch nicht möglich ist (zittriges Schriftbild). Sollte der Patient sich über sein Unverstandensein sehr erregen, kann es sinnvoll sein, kurzfristig den Kontakt abzubrechen, um eine Eskalation mit ungünstiger Veränderung von Kreislauf- und Ventilationsparametern zu vermeiden. Dies kann mit dem Hinweis auf eine spätere neue Kommunikationsmöglichkeit geschehen. > Beispiel »Leider verstehe ich im Moment nicht, was Sie meinen. Wir können es aber nachher noch einmal versuchen, wenn Ihre Frau da ist; vielleicht fällt es ihr leichter, uns zu erklären, was Sie meinen.«
21 3.1 · Belastungsfaktoren, Prävention und psychologische Interventionen bei Intensivpatienten
3
Physiotherapie. Physiotherapie kann nicht nur möglichen Komplikationen wie Thrombosen, Pneumonien oder Kontrakturen vorbeugen, sondern sie hilft den Patienten auch, den Tagesablauf zu strukturieren und bietet die Möglichkeit zu einer als sinnvoll erlebten Aktivität. Hier ist eine der wenigen Möglichkeiten im Tagesablauf, in denen der Patient Selbstwirksamkeit und -kontrolle erleben kann und das Gefühl hat, selbst aktiv zur Verbesserung seines Zustandes beitragen zu können. Aktivierende Physiotherapie vermittelt dem Patienten zudem Erfolgserlebnisse, einer durch Unterforderung und Verstärkerentzug bedingten Depression vorbeugen. Hier kann ergotherapeutische Betreuung helfen, Tagesstruktur und Alltagsfertigkeiten zurückzugewinnen und den Patienten psychisch und körperlich zu aktivieren.
Anspannung leiden oder die sich bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen so verkrampfen, dass sie diese als besonders belastend oder schmerzhaft erleben. Entspannungsverfahren haben gegenüber einer medikamentösen Sedierung den Vorteil, weder auf Kreislauf noch auf Atemantrieb ungünstig zu wirken. Wenn man dem Patienten den Zusammenhang (Teufelskreis) zwischen Angst, Anspannung und vermehrten Schmerzen verdeutlicht, ist er in der Regel zum Einsatz eines Entspannungsverfahrens zu motivieren. Sofern er bereits zuvor ein Entspannungsverfahren erlernt und praktiziert hat, sollte er ermuntert werden, dies in den oben genannten Belastungssituationen wieder einzusetzen. Bewährt hat sich auch der Einsatz von Entspannungsmusik [41].
Angehörige als Unterstützung. Bei Patienten, die längere Zeit
Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Muss ein Entspan-
auf der Intensivstation bleiben müssen, und bei desorientierten Patienten können Angehörige eine wertvolle Unterstützung sein (s. nächster Abschnitt). Bei »Langliegern« bringt der regelmäßige Besuch von Angehörigen Abwechslung in den monotonen Tagesrhythmus. Da das Personal zu ausführlicher Kommunikation mit intubierten Patienten selten ausreichend Zeit hat, können die Angehörigen hier als Gesprächspartner des Patienten hilfreich sein. Gleichzeitig ist der regelmäßige Besuch für den Patienten ein Signal, dass er noch nicht vergessen worden ist und dass es sich lohnt, weiter zu kämpfen. Bei desorientierten Patienten kann die regelmäßige und längerfristige Anwesenheit einer vertrauten Person helfen, die Orientierung wiederzugewinnen. Wenn die Anwesenheit eines Angehörigen vom Stationsteam als Belastung erlebt wird, besteht die Möglichkeit, ein Gespräch mit einer unbeteiligten Person (z. B. psychotherapeutischer Konsilarzt) anzubieten, die helfen kann, Missverständnisse aufzuklären und zu vermitteln. Auf diese Weise können auch »schwierige« Angehörige als Bündnispartner gewonnen werden.
nungsverfahren neu erlernt werden, so eignet sich hierzu v. a. die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Dieses Verfahren ist auch in schwierigen Situationen einfach zu lernen und kann bereits nach 2 oder 3 Instruktionen vom Patienten eigenständig angewendet werden. Sollte sich der Patient hiermit schwer tun, so kann als Unterstützung eine Entspannungskassette über Kopfhörer angeboten werden.
3.1.3 Psychotherapie auf der Intensivstation Obwohl die Häufigkeit psychischer Probleme bei Intensivpatienten offensichtlich ist, stellt eine enge Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeuten und Intensivmedizinern derzeit eher die Ausnahme als die Regel dar. Hierbei spielen der unterschiedliche Arbeitskontext und häufig auch wechselseitige Vorurteile eine Rolle. Auf einer Intensivstation muss der Psychotherapeut auf seine gewohnten Arbeitsbedingungen weitgehend verzichten: Einen ruhigen, störungsfreien Raum, in dem er mit dem Patienten allein ist, ausreichend Zeit sowie ein Gegenüber hat, das in Kommunikationsfähigkeit und Bewusstsein nicht eingeschränkt ist. Die psychoanalytische Theorie hat lange Zeit kein praktikables Konzept für die Arbeit auf einer Intensivstation angeboten. Inzwischen stehen jedoch mit der kognitiven Verhaltenstherapie, der lösungsorientierten, systemischen Kurzzeittherapie [25] und neueren Ansätzen der psychodynamischen Therapie Konzepte zur Verfügung, die erfolgversprechend in der Intensivmedizin eingesetzt werden können. Dabei ist es erforderlich, Behandlungstechniken entsprechend der Problemsituation und der Kommunikationsfähigkeit des Patienten zu kombinieren [10].
Entspannungsver fahren Entspannungsverfahren sind indiziert bei Patienten, die während des Aufenthalts auf der Intensivstation unter ängstlicher
Imaginationsverfahren. Auch dieses Verfahren ist für den Einsatz auf der Intensivstation gut geeignet. Hierbei wird der Patient vom Therapeuten zunächst in einen entspannten Zustand gebracht, anschließend wird er dazu aufgefordert, sich »wie im Tagtraum« ein Bild oder eine Szene vorzustellen, die für ihn mit Entspannung verbunden ist (z. B. Liegen am Strand oder im Liegestuhl im heimischen Garten). Nach 2–3 Übungsdurchgängen unter Anleitung wird der Patient dazu ermuntert, selbstständig, auch ohne Anwesenheit des Therapeuten, zu üben. Einige Patienten, die lange auf einer Intensivstation bleiben müssen, nutzen diese Übung gerne, um die Station »wenigstens in Gedanken« verlassen zu können. Durchführung durch das Stationsteam. Entspannungsübungen müssen nicht zwingend von einem Fachpsychotherapeuten ausgeführt werden. Nach entsprechender Ausbildung können diese auch durch ein Mitglied des Pflegepersonals oder von Physiotherapeuten durchgeführt werden, sofern eine entsprechende Fachsupervision gegeben ist. Auf diese Weise können Verfügbarkeit und Praktikabilität von Entspannungsverfahren auf der Intensivstation wesentlich erhöht werden. Psychotherapie. Sinnvoll ist die kontinuierliche Betreuung einer Intensivstation durch einen konstanten psychotherapeutischen Kooperationspartner im Sinne eines Konsil- und Liaisondienstes (7 Kap. 3.4). Dies gibt den Psychotherapeuten Gelegenheit, sich auf die besonderen Anforderungen des Arbeitsfeldes Intensivstation einzustellen und störungsspezifisches Wissen über die jeweils dominierenden Krankheitsbilder zu erwerben. Therapeutische Gespräche werden in der Regel deutlich kürzer sein als sonst in der Psychotherapie üblich. Für die Mehrzahl der ITS-Patienten ist eine Gesprächsdauer zwischen 5 und 15 min günstig. Dafür nehmen Gespräche mit dem Stationsteam und ggf. auch mit Angehörigen einen breiteren Raum ein. Zu den Aufgaben des Psychotherapeuten auf der Intensivstation gehören: 4 stützende Gespräche mit Patienten und Angehörigen, 4 störungsspezifische (verhaltenstherapeutische) Interventionen, z. B. bei Panikanfällen oder Depression,
22
3
Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
4 konfliktzentrierte (psychodynamische) Interventionen, z. B. wenn durch die Situation auf der Intensivstation ein bisher latenter Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt aktualisiert wird und zu Noncompliance führt, 4 unterstützende oder konfliktzentrierte Gespräche mit Patienten und/oder Angehörigen in schwierigen Entscheidungssituationen, bei Konflikten und Trauer, 4 Unterstützung von Angehörigen verstorbener Patienten, 4 Beratung des ITS-Teams, 4 ggf. Organisation einer psychotherapeutischen Nachbetreuung im Langzeitverlauf nach der Entlassung. Psychotherapeutische Interventionen bei einzelnen Störungsbildern werden in 7 Kap. 52 beschrieben. 3.2
Die Situation der Angehörigen
3.2.1 Problemsituationen Für die Angehörigen ist die Umgebung auf der Intensivstation in der Regel ebenso fremdartig und potenziell bedrohlich wie für den Patienten. Insbesondere wenn der Patient noch bewusstlos oder bewusstseinsgetrübt ist, lastet der größere Leidensdruck auf den Angehörigen, die die Situation und Bedrohung des Patienten bei vollem Bewusstsein wahrnehmen. Die unbekannten Apparate und die Geschäftigkeit des Pflegepersonals sowie die häufige Notwendigkeit, wegen Behandlungsmaßnahmen bei einem Zimmernachbarn den Raum verlassen zu müssen, verstärken das Gefühl, zu stören, unerwünscht zu sein. Gleichzeitig kann es Angst hervorrufen, den Patienten einer »unbekannten Maschinerie« überlassen zu müssen. Unausgesprochene Gefühle der Angehörigen können die Kommunikation und Kooperation mit Ärzten und Pflegepersonal sehr erschweren. Fragen. Die Angst um den Patienten kann sich darin äußern, dass ein Angehöriger immer wieder die gleichen Fragen über Krankheitsverlauf, Behandlungsmaßnahmen und Prognose stellt, auch wenn diese Fragen schon oft beantwortet wurden oder derzeit nicht beantwortbar sind. Wenn die gleichen Fragen kurz hintereinander an verschiedene Mitglieder des Teams gestellt werden, entsteht bei diesen das Gefühl, kontrolliert und gegeneinander ausgespielt zu werden. Aggressivität. Die Wut darüber, dass ein geliebter Mensch so schwer krank ist, leiden muss und möglicherweise sterben wird, kann in Wut und Ärger über das Behandlungsteam umgewendet werden. Im Extremfall kann dies zu aggressivem Verhalten und Beschimpfungen führen. Einflussnahme. Das Gefühl, der Erkrankung ohnmächtig ge-
genüberzustehen, kann dazu führen, dass ein Angehöriger Kontrolle dort ausüben will, wo dies noch möglich ist, und deshalb versucht, das Pflegepersonal und die Ärzte zu kontrollieren und herumzukommandieren. Vermeidung. Eine andere Reaktion auf die Erkrankung eines nahe stehenden Menschen kann darin bestehen, sich der Situation zu entziehen, indem man den Patienten so selten wie möglich besucht und die Situation vermeidet.
Umgang und Kooperation mit Angehörigen. Es ist wichtig, diese Reaktionsformen zu kennen, um nicht persönlich gekränkt zu reagieren, sondern sie als problematisches Verhaltensmuster in einer Überforderungssituation zu erkennen. Eine solche akzeptierende Grundhaltung bedeutet nicht, dass das Stationspersonal verpflichtet wäre, unhöfliches oder grenzüberschreitendes Verhalten von Angehörigen klaglos hinzunehmen. Sie ermöglicht es vielmehr, bei Angehörigen die zugrunde liegenden Ängste und Befürchtungen anzusprechen, um somit die Situation klären zu können. Im Einzelfall kann es auch sinnvoll sein, einen psychotherapeutischen Konsiliarius als Unterstützung für die Angehörigen oder als neutralen Vermittler hinzuzuziehen. Eine gute Kooperation mit den Angehörigen ist eine wertvolle Ressource. Bei Patienten, die längere Zeit auf der Intensivstation verweilen müssen, können Angehörige, die hierzu bereit und in der Lage sind, in die Pflege einbezogen werden. Sie können dem Patienten mehr Gespräch und Abwechslung bieten als es dem Pflegepersonal aus zeitlichen Gründen möglich ist. Für einen Patienten, der nach einem schweren Durchgangssyndrom wieder in die Realität zurückfindet, kann die regelmäßige Anwesenheit einer vertrauten Person eine wesentliche Unterstützung darstellen. Sind schwierige Entscheidungen zu treffen, wie z. B. das Einstellen invasiver therapeutischer Maßnahmen, so ist es ebenfalls hilfreich, wenn bereits vorher ein Vertrauensverhältnis mit den Angehörigen aufgebaut wurde.
3.2.2 Psychische Belastung und Störungsbilder
bei Angehörigen von ITS-Patienten In den letzten Jahren rückte die psychische Situation der Angehörigen zunehmend in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Hierbei zeigte sich, dass Angehörige mitunter stärker belastet sind als die Patienten selbst. Die Arbeitsgruppe von Pochard et al. [17] konnte in einer Multicenterstudie mit 78 teilnehmenden Intensivstationen nachweisen, dass 75,5% aller Familienangehörigen und 82,7% aller Partnerinnen und Partner Symptome von Angst oder Depressivität zeigten. Diese waren stärker ausgeprägt bei jüngeren Patienten und Patienten in kritischem Zustand oder Patienten, die auf der ITS verstarben. Die Unterbringung des Patienten in einem Mehrbettzimmer war mit höherer Depressivität bei den Angehörigen assoziiert. Eine erhöhte Belastung durch Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung (PTB) wurde bei bis zu 49% aller Angehörigen von Patienten auf der ITS auch noch 6 Monate nach der Entlassung oder dem Tod des Patienten nachgewiesen. Hierbei waren Angehörige Überlebender ebenso stark belastet wie Angehörige von Patienten, die ihre Erkrankung überlebt hatten [22]. Höhere PTB-Raten fanden sich bei Angehörigen, die sich schlecht über Behandlungsverlauf und Therapiemaßnahmen informiert fühlten, sowie bei denjenigen, die in kritische Entscheidungen einbezogen waren. Die mit 81,8% höchste Rate belasteter Angehöriger fand sich bei denjenigen, die in Entscheidungen über den Behandlungsabbruch mit einbezogen worden waren [2]. Dieser Befund deutet darauf hin, dass Angehörige zwar eine umfassende Information über Krankheitsverlauf und Behandlung als hilfreich bei der Verarbeitung der damit verbundenen Belastungen erleben, dass aber das Entscheidenmüssen, z. B. über einen Behandlungsabbruch, zu einer Überforderung mit auf die Belastung bezogenem Grübeln und Schuldgefühlen führen kann, welche die Betroffenen noch lange Zeit in erheblichem
23 3.2 · Die Situation der Angehörigen
Maße belasten. Weitere Forschung ist notwendig, um zu klären, ob sich dieser Befund auch auf Deutschland übertragen lässt und ob hieraus Konsequenzen für die Art des Einbeziehens von Angehörigen in kritische Entscheidungen gezogen werden müssen. 3.2.3 Präventive und therapeutische Ansätze Persönliche Beziehungen sowie ausreichende Informationen verringern in erheblichem Maß Angst und Misstrauen. Es ist daher sinnvoll, dass sich die Mitarbeiter des Stationsteams bei der Kontaktaufnahme namentlich vorstellen und Namensschilder tragen. Sofern es organisatorisch möglich ist, sollten den Angehörigen konstante Ansprechpartner benannt werden, um einer Verunsicherung durch unterschiedliche Aussagen vorzubeugen.
Informationsblatt Ein Informationsblatt kann in der Umkleide ausgehängt und den Angehörigen zusätzlich mit nach Hause gegeben werden. Dieses sollte folgende Informationen enthalten: 4 grundsätzliche Aussage darüber, dass Angehörige auf der Station als Unterstützung für die Patienten willkommen sind, auch wenn medizinische Erfordernisse manchmal dazu zwingen, die Besuchszeit vorzeitig zu beenden oder Notfälle einem ruhigen Gespräch im Wege stehen, 4 Besuchszeiten, 4 Ansprechpartner auf Seiten der Ärzte und des Pflegepersonals, 4 Telefonnummern und Sprechzeiten, 4 einige wenige Sätze zu Funktion und Aufbau (ggf. Spezialaufgaben) der Intensivstation, 4 wenn häufig »Langlieger« betreut werden, Hinweis auf preisgünstige Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeit in Kliniknähe, 4 Hinweis auf Unterstützungsmöglichkeit für die Angehörigen selbst (Seelsorge, Sozialdienst, psychotherapeutische Abteilung).
Gesprächsführung mit Angehörigen Angst und Trauer als Reaktion auf die schwere Erkrankung eines geliebten Menschen sind als gesund anzusehen und sollten daher nicht pathologisiert oder gar mit Beruhigungsmitteln gedämpft werden. Sinnvoll ist der Rat, offene Fragen soweit wie möglich mit dem Stationspersonal zu klären und sich darüber hinaus emotionale Unterstützung und Rückhalt im Kreis der weiteren Familie oder im Freundeskreis zu suchen. Ebenso können in einem kurzen Gespräch Bewältigungsressourcen aktiviert werden (»Waren Sie schon einmal in einer ähnlich schwierigen Situation? Was oder wer hat Ihnen damals geholfen?«). Auch der Hinweis darauf, dass Angst, Niedergeschlagenheit und Trauer angesichts einer solchen Belastung »normale« Reaktionen sind, kann auf die Angehörigen sehr entlastend wirken. 3.2.4 Das Gespräch mit Angehörigen
verstorbener Patienten Gesunde und pathologische Trauer Die Begleitung Angehöriger von sterbenden oder verstorbenen Patienten stellt eine ebenso schwierige wie wichtige Aufgabe dar,
3
die hier nur im Überblick behandelt werden kann [10]. Die Aufgabe des Stationspersonals ist es vor allem, Angehörigen den Eintritt in einen gesunden Trauerprozess zu erleichtern und somit Prävention gegen das Auftreten von pathologischer Trauer und Depression zu betreiben. Trauer ist ein physiologischer Prozess und hat 4 Hauptaufgaben [21]: 4 Realität eines Verlusts zu akzeptieren, 4 Schmerz des Verlusts zuzulassen, 4 Anpassung an eine Welt, in die der Vermisste nicht zurückkommt, 4 Gefühle und Energien gegenüber dem Vermissten zurückzuziehen und in neue Beziehungen zu investieren. Pathologische Trauer. Pathologische Trauer erkennt man hinge-
gen an folgenden Merkmalen: 4 selbstzerstörerisches Verhalten (Suizidversuche, Alkohol, Medikamente), 4 Suizidgedanken, 4 zunehmender sozialer Rückzug, 4 Übergang in klinisch manifeste Depression. Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass der Initialphase der Mitteilung des Todes und des unmittelbaren Abschieds bei der Weichenstellung zwischen gesunder und pathologischer Trauer eine große Bedeutung zukommt [16].
Hinweise zur Gesprächsführung Wenn irgendwie möglich, sollte den Familienmitgliedern die Gelegenheit gegeben werden, das Sterben ihres Angehörigen zu begleiten. Dies erfordert eine rechtzeitige Information und eine rechtzeitige Entscheidung darüber, wann therapeutische Maßnahmen einzuschränken sind, um der Familie Raum zum Abschied einzuräumen. Auf einer Intensivstation ist diese Möglichkeit jedoch häufig nicht gegeben, wenn der Tod plötzlich eintritt oder wenn die Angehörigen wegen fortgesetzter therapeutischer Maßnahmen oder wegen Reanimationsversuchen bis zuletzt nicht zum Patienten gelassen werden können. In diesem Fall ist es sinnvoll, die Angehörigen zu ermutigen, den Toten noch einmal zu sehen, um von ihm Abschied zu nehmen. Ein solches Ritual erleichtert den späteren Trauerprozess. Entsprechend dem Wunsch der Angehörigen sollte vorher und nachher Raum für ein Gespräch mit dem behandelnden Arzt und die Beantwortung von Fragen sein. Für die Angehörigen ist es wichtig, Fragen stellen zu können (z. B. »Wie konnte das so plötzlich geschehen?«; »Hat er sehr gelitten oder ging alles ganz schnell?« usw.). Wenn diese Fragen unbeantwortet bleiben, kann dies zu jahrelangem Grübeln und zu Depressionen führen. Die Angehörigen wollen in einer solchen Situation in der Regel nicht »Material für Klagen« sammeln, sondern sie suchen Informationen, die ihnen helfen sollen, das Geschehene zu begreifen. Zurückhaltende oder ausweichende Informationen können daher die Grundlage für Misstrauen und Zweifel legen. In der folgenden Übersicht sind die Empfehlungen für ein Gespräch, in dem man nahe Angehörige über den plötzlichen Tod eines Patienten informieren muss, zusammengefasst [10]:
24
Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
Empfehlungen zur Überbringung der Todesnachricht 5 Persönliche und respektvolle Atmosphäre durch namentliches Vorstellen und Beachtung nonverbaler Kommunikation (Blickkontakt, Zuhören, Schweigen und Gefühlsausdruck) 5 Ungestörter Raum mit Sitzmöglichkeiten für alle Beteiligten 5 Ermittlung der bisherigen Informationslage der Angehörigen durch die Eingangsfrage »Was haben Sie erfahren?« 5 Die Botschaft im richtigen Moment verständlich und mit hinreichender Deutlichkeit erklären, das Wort »Tod« deutlich aussprechen 5 Gefühle und Ohnmacht zulassen 5 Am Ende des Gesprächs sollte danach gefragt werden, ob und wo die Angehörigen Unterstützung finden können (z. B. weitere Familienangehörige, Freunde, Seelsorger), und ob weitere Hilfen benötigt werden (z. B. Taxi für den Heimweg)
3
i Da die Angehörigen durch die Nachricht in der Regel so überwältigt sind, dass sie viele Informationen nicht verarbeiten können und häufig weitere Fragen in den nächsten Tagen auftauchen, ist es sinnvoll, ein weiteres Gespräch anzubieten. Auch hier sind Beruhigungsmittel in aller Regel kontraindiziert, da sie den Beginn des normalen Trauerprozesses nur behindern und verzögern. Hilfreich ist es für die Betroffenen jedoch, wenn ihnen bestätigt wird, dass ihre emotionale Reaktion gesund und angemessen ist. Dies erspart den Betroffenen, zusätzlich zu ihrer Trauer auch noch Scham und Unsicherheit empfinden zu müssen.
Aufklärungsgespräche und Gespräche mit Angehörigen werden auch deshalb als belastend empfunden, weil weder im Medizinstudium noch in der Facharztweiterbildung handlungsleitendes Wissen oder Fertigkeiten in ausreichendem Maß angeboten werden. Regelmäßige, praxisbezogene Weiterbildungen zum Thema »Gesprächsführung« helfen deshalb nicht nur, die Außendarstellung der Intensivstation zu verbessern, sondern wirken ebenso präventiv gegen Überlastungs- und Insuffizienzgefühle der Mitarbeiter. 3.3
Belastungsfaktoren bei Mitarbeitern der Intensivstation
3.3.1 Belastungsfaktoren und Folgeprobleme In zahlreichen Studien (Übersicht bei [9]) konnten verschiedene Belastungsfaktoren für die Arbeitssituation auf einer Intensivstation nachgewiesen werden: 4 hohe Mortalitätsrate wird insbesondere dann zur Belastung, wenn die Heilung als einziges Erfolgskriterium akzeptiert und der Tod als Niederlage eingeschätzt wird, 4 Verlegung des Patienten gerade dann, wenn es ihm besser geht, so dass Dank und Anerkennung von Patient und Angehörigen häufig nicht der Intensivstation, sondern der nachbetreuenden Station zugute kommen,
4 hoher Prozentsatz bewusstloser oder bewusstseinsgetrübter Patienten, 4 ständiges Wechseln von Routineaufgaben und Notfällen führt zu Hektik und Zeitdruck, dies verhindert einen befriedigenden Beziehungsaufbau zum Patienten und ein Auseinandersetzen mit den eigenen Gefühlen, die dann häufig entweder verdrängt oder mit nach Hause genommen werden müssen, 4 Konfrontation mit emotional belastenden Situationen, für die man in der Ausbildung nicht hinreichend trainiert wurde, 4 Konfrontation mit bisher unbekannten oder als bedrohlich eingeschätzten Krankheitsbildern [18], 4 in der Regel geringe finanzielle Belohnung der oft umfangreichen Weiterbildung und Qualifizierung des Personals, 4 Schichtdienst.
Burn-out-Syndrom Die Folge dieser belastenden Arbeitsbedingungen können eine erhöhte Personalfluktuation sowie eine abnehmende Berufszufriedenheit sein. Hieraus können auch klinische Symptome entstehen. Für diesen Prozess wurde der Begriff »Burn-out-Syndrom« geprägt. Burisch [4] beschreibt 7 Kategorien der BurnoutSymptomatik. Burn-out-Symptomatik 5 Warnsymptome der Anfangsphase mit vermehrtem Engagement, freiwilliger unbezahlter Mehrarbeit, Beschränken sozialer Kontakte und Freizeitaktivitäten; die Folge sind chronische Müdigkeit und Erschöpfung 5 Reduziertes Engagement: sowohl desillusionierter Rückzug aus der Arbeit als auch verringertes privates Engagement 5 Emotionale Reaktion mit Depression, Aggression und Schuldzuweisungen 5 Abbau von kognitiver Leistungsfähigkeit, Motivation und Kreativität 5 Verflachung des emotionalen und sozialen Lebens auch in der Freizeit 5 Psychosomatische Beschwerdebilder 5 Verzweiflung und Depression
Studien, die die Auswirkungen der Arbeitsbedingungen auf der Intensivstation auf die Gesundheit der Mitarbeiter exakt nachweisen, fehlen jedoch nach wie vor weitgehend [8]. Ebenso ist unklar, ob es sich hier um für die Intensivmedizin spezifische Belastungen handelt, da z. B. vergleichbare Belastungen mit Angstund Stresssymptomen auch beim Pflegepersonal von Notfallambulanzen und Normalstationen nachgewiesen werden konnten [11].
Posttraumatische Belastungsstörung Eine posttraumatische Belastungsstörung kann nicht nur als Folge selbst erlittener Traumata, sondern auch sekundär bei Berufsgruppen entstehen, die häufig mit Extremsituationen, Leid und Tod konfrontiert werden. Entsprechende Befunde für Polizisten und Rettungssanitäter liegen schon länger vor. Bei einer Untersuchung an 144 examinierten Krankenschwestern und -pflegern, die auf verschiedenen Intensivstationen arbeiteten, litten 88 %
25 3.4 · Psychosomatischer Konsil- und Liaisondienst
unter »flash-backs«, die sich auf im Beruf erlebte belastende Situationen bezogen, und bei 75 % waren Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus nachweisbar. Insgesamt 41 % erfüllten die diagnostischen Kriterien für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, dies entspricht auch der PTB-Inzidenz, die bei den anderen genannten Berufsgruppen gefunden wurde [19]. i Möglicherweise ist das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung (PTB) besser geeignet, um hieraus präventive und therapeutische Maßnahmen ableiten zu können, als das aus der Arbeitspsychologie übernommene Konstrukt des Burn-out. Weitere Untersuchungen über Risikofaktoren, Verlauf und arbeitsmedizinische Relevanz der PTB bei Personal von Intensivstationen sind dringend erforderlich.
3.3.2 Präventionsmöglichkeiten
Gestaltung und Organisation der Intensivstation Die Station sollte von der räumlichen Ausstattung und auch von der Organisation her so gestaltet sein, dass ungestörte Pausen und Erholungszeiten möglich sind. Die Stationsleitung sollte sich ihrer Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern bewusst sein und auf ein Arbeitsklima achten, in dem es möglich ist, Gefühle von Überlastung rechtzeitig anzusprechen. Regelmäßige Stationsbesprechungen können helfen, Problemsituationen aufzudecken und zu entschärfen. Studien zur Arbeitszufriedenheit konnten zeigen, dass sich der Krankenstand verringert und die Arbeitszufriedenheit zunimmt, wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben, in wesentliche Entscheidungen einbezogen zu werden und nicht nur Befehlsempfänger zu sein. Die regelmäßige Stationsbesprechung kann deshalb ein wichtiges Forum sein, um den Stationsablauf und den Umgang mit immer wiederkehrenden kritischen Situationen gemeinsam zu besprechen und festzulegen (z. B. »Wann sollen Behandlungsmaßnahmen reduziert/eingestellt werden?«).
Weiterbildung Regelmäßige Weiterbildungsveranstaltungen fördern den Aufbau einer gemeinsamen positiven Identität des professionellen Teams einer Intensivstation. Das Gefühl, auf einer Ebene hoher fachlicher Kompetenz zu arbeiten und die täglichen Abläufe auf der Station immer wieder neuen Erkenntnissen der medizinischen und pflegerischen Forschung anzupassen, stärkt Selbstbewusstsein und Arbeitszufriedenheit. Erkrankungsspezifisches Wissen kann auch helfen, Ängste abzubauen und sich schneller auf bisher unbekannte Problemfelder einzulassen [18]. Über diese allgemeinen positiven Aspekte hinaus können Weiterbildungsveranstaltungen im psychosozialen Bereich die Fähigkeit in Gesprächsführung und im Umgang mit »schwierigen Patienten« trainieren und ein Gefühl der Kompetenz in bisher als defizitär erlebten Bereichen schaffen. Insbesondere die Arzt-(Schwester-/Pfleger-)Patient-Kommunikation wird in der medizinischen Ausbildung im deutschsprachigen Raum vernachlässigt. Im angelsächsischen Raum haben entsprechende Konzepte ihren festen Stellenwert im Curriculum (Training in »Doctor-Patient Communication Skills« und »Bringing Bad News«). Entsprechend groß ist der Bedarf, solche Inhalte in der beruflichen Weiterbildung zu vermitteln. Für den ärztlichen Be-
3
reich empfehlen sich Kurse im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung, für den Bereich der Pflege wurden Weiterbildungskonzepte, z. B. von Dinger [6], vorgelegt.
Supervision und Balint-Gruppe Die Balint-Gruppe im engeren Sinne stellt für Ärzte, die auf einer Intensivstation arbeiten, eine Möglichkeit dar, außerhalb des Stationsteams schwierige Arzt-Patient-Beziehungen zu reflektieren [14]. Das Konzept der Supervision sieht hingegen vor, dass ein von außen kommender Supervisor (der nach Möglichkeit Erfahrungen mit dem Arbeitsfeld der Intensivstation haben sollte) mit dem gesamten Team arbeitet. Es wird zwischen dem Konzept der Teamsupervision und der Fallsupervision unterschieden. Bei der Teamsupervision stehen Aspekte der Zusammenarbeit untereinander im Vordergrund, während bei der Fallsupervision jeweils einzelne Fallgeschichten besprochen werden. Die Arbeit an einem einzelnen, nach Möglichkeit aktuellen Fall bietet die Möglichkeit, konkrete Veränderungsschritte zu erarbeiten und deren Wirksamkeit zu erproben. So wird verhindert, dass die Supervision in Grundsatzdebatten abgleitet, die letztlich wenig handlungsrelevant und hilfreich sind. Während in der Vergangenheit der Schwerpunkt häufig zu sehr auf gruppendynamische Prozesse gelegt wurde, was die Zusammenarbeit im Team in Einzelfällen mehr verschlechterte als verbesserte, sind inzwischen pragmatischere Supervisionskonzepte entwickelt worden, die auf die Bedürfnisse des jeweiligen Teams besser zugeschnitten sind. Gefühle von Insuffizienz und Überforderung haben ihre Ursache häufig darin, dass Ärzte und Pflegepersonal auf die Bewältigung emotional belastender Situationen in ihrer Ausbildung zu wenig vorbereitet wurden. Das Gefühl von Insuffizienz und die Angst zu versagen, sind häufig Ursache dafür, dass Gespräche vermieden werden. Gesprächsführung und die Verarbeitung der dabei auch bei einem selbst auftretenden Gefühle lassen sich jedoch ebenso lernen und trainieren wie die Anwendung organmedizinischer Behandlungsmethoden. Es hat sich deshalb als sinnvoll erwiesen, eine kontinuierliche Fallsupervision mit Weiterbildungsangeboten zu Themen wie Gesprächsführung und Kommunikationstechniken zu verbinden. Der Erwerb von Wissen und Kompetenz ist hier ebenso wie in anderen Bereichen der Medizin ein wirkungsvoller Schutz vor Gefühlen von Insuffizienz und Überforderung. 3.4
Psychosomatischer Konsil- und Liaisondienst
Nur in Ausnahmefällen wird eine Intensivstation über eigene Psychotherapeuten verfügen. In der Regel wird die Versorgung deshalb über einen Konsil- und Liaisondienst zu organisieren sein [1, 9]. Unter Konsildienst versteht man die direkte Betreuung der Patienten durch den hinzugezogenen Psychotherapeuten, unter Liaisondienst die Beratung und Weiterbildung des Ärzte- und Pflegeteams der Intensivstation bei der Betreuung problematischer Patienten, z. B. bei gemeinsamen Visiten und Fallbesprechungen. Sollte das eigene Krankenhaus nicht über eine psychosomatisch-psychotherapeutische Abteilung oder eine psychiatrische Fachabteilung mit psychotherapeutisch weitergebildeten Kollegen verfügen, so müssen externe Kooperationspartner gesucht
26
3
Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
werden. Hier bieten sich sowohl benachbarte psychosomatischpsychotherapeutische Fachkliniken als auch niedergelassene Kollegen an. Die Intensivstation sollte möglichst über längere Zeit von dem gleichen psychotherapeutischen Konsiliarius betreut werden, der die Besonderheiten der Station und der auf ihr betreuten Patienten kennt und dem Stationspersonal als Ansprechpartner vertraut ist. Ein kombinierter Konsil- und Liaisondienst hat sich gegenüber einem reinen Konsildienst als effektiver erwiesen. Nicht jeder Patient braucht fachpsychotherapeutische Behandlung. Wenn im Rahmen des Liaisondienstes die Mitarbeiter der Intensivstation entsprechend geschult werden, können sie Aufgaben der »psychosomatischen Grundversorgung« selbst übernehmen. Der im Rahmen eines Liaisondienstes stattfindende regelmäßige Austausch führt weiterhin dazu, dass psychosoziale Probleme zunehmend Beachtung im Stationsalltag finden, was einen präventiven Effekt für das Auftreten psychischer Störungen bei Patienten haben kann. Eine verbesserte Kommunikation zwischen Stationspersonal und Patient macht dann häufig einen Konsilbesuch des Fachtherapeuten überflüssig. Sowohl im Kontakt mit Patienten als auch mit Angehörigen kann es hilfreich sein, dass der konsiliarisch hinzugezogene Psychotherapeut »von außen« kommt und nicht Teil des Stationsteams ist. Wenn dies bereits bei der Vorstellung deutlich ausgesprochen wird, fällt es dem Patienten und den Angehörigen leichter, auch negative Gefühle wie Angst und Ärger zu äußern, ohne befürchten zu müssen, das Stationsteam zu kränken oder zu verärgern. In Konfliktsituationen oder bei ausgeprägtem Misstrauen kann der von außen kommende Konsiliarius als neutrale Informationsquelle und als Vermittler wahrgenommen werden.
Literatur 1. Ampelas JF, Pochard F, Consoli SM (2002) Psychiatric disorders in intensive care units. Encephale 28: 191–199 2. Azoulay E, Pochard F, Kentish-Barnes N et al. (2005) Risk of posttraumatic stress symptoms in family members of intensive care uinit patients. Am J Respirat Crit Care Med 171: 987–994 3. Bauby ID (1997) Schmetterling und Taucherglocke. Zsolnay, Wien 4. Burisch M (1989) Das Burnout-Syndrom. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, S 11–27 5. Claussen PC (1996) Herzwechsel – Ein Erfahrungsbericht. Hanser, Wien 6. Dinger A (1990) Der Kontakt mit Angehörigen. In: Brada M, Muthny F (Hrsg) Umgang mit chronisch Kranken. Thieme, Stuttgart, S 256–264 7. Di Tomasso RA, Kornat KD (1994) Medical Patients. In: Dattilio FM, Freemann A (eds) Cognitive-behavioral strategies in crisis intervention. Guilford Press, New York London, pp 325–344 8. Firth-Cozens I (1997) Depression in doctors. In: Robertson MM, Katoma CLE (eds) Depression and physical illness. Wiley, New York 9. Gaus E, Köhle K (2003) Intensivmedizin. In: Adler RH, Herrmann JM, Köhle K, Langewitz W, Schonecke OW, v. Uexküll T, Wesiack W (Hrsg) Psychosomatische Medizin. Urban & Fischer, München, S 1277– 1286 10. Husebø S (2003) Das schwierige Gespräch. In: Husebø S, Klaschik E (Hrsg) Palliativmedizin. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, 3. Aufl. S 141–154 11. Kerasiotis B, Motta RW (2004) Assessment of PTSD symptoms in emergency room, intensive care unit, and general floor nurses. Int J Emerg Ment Health 6: 121–133 12. Köllner V (2005) Chirurgie, Intensiv- und Transplantationsmedizin. In Köllner V, Broda M (Hrsg.) Praktische Verhaltensmedizin. Thieme, Stuttgart, S 226–232
13. Lazarus RS, Launier R (1984) Stress, appraisal and coping. Springer, New York 14. Luban-Plozza B, Otten H, Petzold U, Petzold ER (1998) Grundlagen der Balint-Arbeit. Bonz, Leinfelden-Echterdingen 15. Mc Daniel S, Hepworth J, Doherty W (1992) Medical family therapy. Basic Books, New York [Deutsche Übersetzung: Kröger F, Hendrischke A (1997) Familientherapie in der Medizin]. Carl Auer, Heidelberg, S 285–306] 16. Meyer W, Balck F, Speidel H, Siegmund-Schultze E, Hopf H (1992) Zur Psychologie des notärztlichen Verhaltens in der Konfrontation mit dem Tod: Notärztlicher Umgang mit den Angehörigen. Notarzt 8: 66–71 17. Pochard F, Darmon M, Fassier T et al. (2005) Symptoms of anxiety and depression in family members of intensive care unit patients before discarge or death. A prospective multicenter study. J Crit Care 20: 90–96 18. Su TP, Lien TC, Yang CY et al. (2007) Prevalence of psychiatric morbidity and psychological adaption of the nurses in a structured SARS caring unit during outbreak: A prospective and periodic assessment study in Taiwan. J Psychiatr Res 41:119–130 19. Teegen F, Müller J (2000) Traumaexposition und posttraumatische Belastungsstörung bei Pflegekräften auf Intensivstationen. Psychother Psychosom Med Psychol 50: 384–390 20. White JM (1999) Effects of relaxation music on cardiac autonomic balance and anxiety after acute myocardial infarction. Am J Crit Care 8: 220–230 21. Worden JW (1982) Grief counselling and grief therapy: A handbook for mental health practitioners. Springer, Berlin Heidelberg New York 22. Jones C, Griffiths RD, Humphris G, Skirrow PM (2001) Memory, delusions, and the development of acute posttraumatic stress disorderrelated symptoms after intensive care. Crit Care Med 29: 573–580
4 Intensivpflege D. Stolecki
4.1
Entwicklung der Intensivpflege
4.2
Pflegeverständnis der Intensivpflege
4.3
Kompetenzen in der Intensivpflege
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4
Fachkompetenz –31 Methodenkompetenz –31 Persönlichkeitskompetenz –31 Psychosoziale Kompetenz –32
4.4
Personalmanagement in der Intensivpflege
4.4.1 Personaleinsatzplanung –32 4.4.2 Personalentwicklung –33 4.4.3 Gestaltung von Beziehungen –33
Literatur
–34
–28 –29 –30
–32
28
4
Kapitel 4 · Intensivpflege
Die Intensivpflege hat sich zu einem hoch komplexen Bereich entwickelt und füllt als Thema inzwischen ganze Lehrbücher. Insofern geht es in diesem Kapitel nicht um die Beschreibung einzelner intensivpflegerischer Tätigkeiten, sondern um die Darstellung verschiedener Teilaspekte. Beginnend bei der Entwicklung der Intensivpflege werden v. a. das sich verändernde Pflegeverständnis, die erforderlichen Kompetenzen sowie das Personalmanagement dargestellt. Intensivpflege findet heute in zwei Bereichen statt. Politisch gewünscht sind derzeit immer mehr ambulante Versorger am Markt aufgetreten, die bestimmte Versorgungsleistungen von Intensivpflege in den eigenen vier Wänden des Erkrankten gewährleisten. Historisch gewachsen und traditionell verankert ist Intensivpflege aber institutionalisiert im Krankenhaus zu finden, was einer engeren Definition von Intensivpflege entspricht und hier Gegenstand der Betrachtungen sein soll. Intensivpflege auf einer Intensivstation bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zwischen hoher Technisierung und menschlicher Distanz gegenüber engem körperlichem Kontakt und persönlicher Nähe. Daneben bestehen aufwändige diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, mit denen das Leben erhalten werden kann. Andererseits sorgen infauste Prognosen z. T. für längere pflegerische Interventionen mit Sterbebegleitung und Trauerarbeit. High-Tech und High-Touch in der Intensivpflege wird begleitet von Kommunikationsprozessen zwischen dem therapeutischen Team und dem Patienten sowie seinen Angehörigen. Gleichfalls bestimmt die Güte der Kommunikation im Team die Versorgungsprozesse rund um den Patienten. Sie ist die Basis für eine gezielte, lückenlose Information in der Behandlung des Patienten und bestimmt den nahtlosen Ablauf aller geplanten Interventionen [15, 39]. Auch die Gestaltung der Beziehung innerhalb des Teams sowie zu Patienten und Angehörigen entscheidet über den Grad der Versorgungsqualität. So gut die Möglichkeiten der gesamttherapeutischen Versorgung heute auch sind, so sehr findet sich in diesem System eine Mischung verschiedener Probleme: 4 Die hohe Technisierung verlangt nicht nur nach fachlicher Kompetenz, sondern auch nach dem Bewusstsein, dass der Mensch im Mittelpunkt der Versorgung steht. Der Grat zwischen Patientenignorierung und -orientierung ist sehr schmal. 4 Die Förderung des Patienten bedarf einer engen Abstimmung aller am therapeutischen Prozess Beteiligten. Hier ist eine echt gemeinte Kooperation gefragt und die Verzahnung der beteiligten Berufsgruppen im Sinne eines gesamttherapeutischen Handelns erforderlich. Kommunikationsprozesse müssen stringent geregelt sein, um Informationsdefizite zu vermeiden bzw. bestmöglich zu minimieren. 4 Die zahlreichen Mitarbeiter mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen müssen mit geeigneten Methoden geführt und koordiniert werden. Diese Führung verlangt nach einer adäquaten Ausbildung. 4 Die Herausforderungen der modernen Intensivpflege und medizin verlangen von allen Beteiligten ein hohes Potenzial an Kompetenz. Unzureichende Kompetenz kann, je größer das therapeutische Team ist, länger unentdeckt bleiben. 4 Dem Patienten auf der Intensivstation ist zu gewährleisten, dass er im Rahmen der kritischen Erkrankung bis zu seiner Verlegung und darüber hinaus bis zu seinem möglichen Tod eine bestmögliche Versorgung erhält. Seine Angehörigen sind in diesen gesamten Prozess einzubeziehen.
Damit sind hohe Anforderungen an alle Mitglieder des therapeutischen Teams gestellt. Infolgedessen sind für Intensivpflegende wie auch für Intensivmediziner neben einer profunden fachlichtechnischen Kompetenz weitere berufliche Kompetenzen Grundvoraussetzung, um handlungsfähig zu sein. 4.1
Entwicklung der Intensivpflege
Wenn auch erste Ansätze zur Intensivpflege historisch betrachtet weit zurück reichen, ist der eigentliche Ursprung der Intensivpflege in Deutschland mit der Errichtung von Intensivstationen gleichzusetzen. Das bedeutet, dass Intensivpflege seit ca. 40 Jahren existiert und sich seither selbst fulminant entwickelt hat. Mit der Trennung von Chirurgie und Anästhesie sowie der Notwendigkeit zum Bau von Intensivstationen begann die Ära der Intensivpflege. Auf einem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Wiederbelebung (ehemals DGAW, heute DGAI) in Verbindung mit dem Deutschen Krankenhausinstitut e. V. Düsseldorf sowie dem Institut für Krankenhausbau der Technischen Universität Berlin im November 1969 in Nürnberg wurde erstmals die Forderung nach qualifiziertem Personal mit entsprechender Ausbildung erhoben. Bereits 1964 wurde von Frey an der Mainzer Universitätsklinik erstmals eine 2-jährige Weiterbildung zur Fachkrankenschwester bzw. zum Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin eingeführt, aber erst 1969 gab die DGAW Empfehlungen für die Ausbildung von Anästhesiepflegepersonal heraus. Vorgesehen war hier eine 1-jährige Ausbildung mit 100 Unterrichtsstunden und einer abschließender Zertifizierung. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) gab nur 2 Jahre später Empfehlungen für die Weiterbildung von Krankenpflegepersonal in den Bereichen Anästhesie und Intensivmedizin, Operationsdienst und Psychiatrie heraus. Sie umfasst eine Weiterbildungszeit von 1 Jahr mit insgesamt 320 Unterrichtsstunden. Hier wurden nun auch zum ersten Mal Anerkennungsverfahren für Weiterbildungslehrgänge ausgesprochen. 1972 gab die DGAW überarbeitete Richtlinien heraus, die zur Grundlage für die Durchführung von Lehrgängen in der Anästhesie und Intensivmedizin empfohlen wurden [2]. Die Notwendigkeit der Integration von Weiterbildungslehrgängen für Pflegepersonal wurde aus unterschiedlichen Perspektiven begründet. So schrieb die DKG, dass die bisherige Entwicklung des anästhesiologischen Fachgebietes einen steigenden Bedarf an Fachanästhesisten habe, dieser jedoch nicht mit ärztlichem Personal zu decken sei [17]. Opderbecke u. Weißauer berichteten 1974 in einem Artikel, dass die Übertragung von Funktionen aus dem Aufgabenbereich des Arztes nur an weitergebildetes und damit besonders qualifiziertes Pflegepersonal den Bedürfnissen der modernen Medizin entspräche, da der zunehmende ärztliche Personalbedarf wohl kaum in nächster Zukunft zu decken sei [30]. Damit sprach man sich für die Empfehlungen der DGAW aus, um das anästhesiologische und intensivmedizinische Fachgebiet adäquat durch weitergebildetes Pflegepersonal zu unterstützen. Jung berichtete auf der Jahrestagung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten im November 1975 von einem weltweiten Mangel an Anästhesisten und war der Meinung, dass dem ausgebildetem Fachpflegepersonal Tätigkeiten übertragen werden, die in der konventionellen Pflege bisher dem Arzt überlassen waren. Ahnefeld verdeutlichte, dass die ständige Ausweitung der
29 4.2 · Pflegeverständnis der Intensivpflege
Intensivmedizin eine Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Pflegepersonal nötig mache und damit eine zwangsläufige Delegation bestimmter Aufgaben an das Pflegepersonal. Bedingt durch die quantitative und qualitative Mangelsituation befürwortete er die Weiterbildung des Pflegepersonals mit den Worten: »Die Schwestern und Pfleger, die eine solche Weiterbildung absolviert haben, werden zu den Mitarbeitern, die wir heute in der Anästhesie und ganz besonders in der Intensivmedizin benötigen« [1, 34]. Aufgrund gemeinsamer Beratungen zwischen der DGAI, der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin, der Gesellschaft für Sozialpädiatrie, der inzwischen gegründeten Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege (DGF) und in Absprache mit verschiedenen Krankenpflegeverbänden entstand schließlich erstmalig eine von allen Verbänden befürwortete und 1976 durch die DKG verabschiedete Weiterbildungsordnung, die in verschiedenen Bundesländern unverändert bis 1998 bindend war. Jedoch wurden bereits zwischen den 1980-er und 1990-er Jahren in verschiedenen Bundesländern landesrechtliche Regelungen zur Durchführung von Weiterbildungslehrgängen erlassen, die das curriculare Bild erheblich verändert haben. Die Begründungen für die inhaltliche Neugestaltung sind vielschichtig und umfassen neben politischem Willen auch die Forderungen nach qualitätssichernden pflegerischen Kriterien sowie ein inzwischen verändertes Pflegeverständnis. 4.2
Pflegeverständnis der Intensivpflege
Da die Intensivpflege zunächst nur als Teilgebiet der Intensivmedizin und damit als Assistenzberuf mit körperpflegerischer Orientierung betrachtet wurde, ist es nicht verwunderlich, dass die Struktur der Weiterbildung analog zur Auffassung von Medizin geprägt war. Die Perspektive der Medizin ist naturwissenschaftlich und rational, womit notwendige Interventionen abgeleitet und begründet werden können. Der Fokus ist die Heilung gestörter Organfunktionen. Infolgedessenwird der Mensch anhand seiner defizitären Gesundheit betrachtet und das betroffene Organsystem analysiert. Medizinische Interventionen werden begründet mit der Wiederherstellung dieser bestehenden Defizite, wobei Pflegende eine wichtige Rolle im Sinne von ausführenden und assistierenden Tätigkeiten übernehmen [27, 42, 43]. Aus diesem Verständnis abgeleitet bedeutete das für die Intensivmedizin »die systematische Anwendung aller neuer therapeutischer Möglichkeiten zum temporären Ersatz gestörter oder ausgefallener Organfunktionen bei gleichzeitiger Behandlung des verursachenden Grundleidens« [25]. Genau nach diesem Verständnis wurde Intensivpflege nicht nur wahrgenommen, sondern auch in der Nomenklatur von Ätiologie, Pathophysiologie, Symptomatik, Diagnostik und Therapie gelehrt. Die ersten Lehrgänge waren analog konfiguriert und umfassten zu einem Großteil der 220 Stunden des theoretischen Unterrichts anatomische, physiologische sowie (intensiv-)medizinische und technische Kenntnisse. Infolgedessenwurden auch die Tätigkeitsfelder bzw. Aufgaben beschrieben, zu denen bis zu Beginn der 1990-er Jahre primär Folgende gehörten: 4 Überwachung des Monitorings und der von Monitoren aufgezeichneten Daten, 4 Assistenz bei intensivmedizinischen Eingriffen, 4 Ausführung und Überwachung von Intensivbehandlungsmaßnahmen sowie deren Dokumentation, 4 Durchführung der kardiopulmonalen Reanimation,
4
4 Entnahme von Laborproben, 4 Durchführung von Desinfektions- und Sterilisationsmaßnahmen, 4 Krankenüberwachung und Grundpflege [34]. Durch die Professionalisierung der Pflege änderte sich die Vorstellung über die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Auftrags von Pflege. Mit dem Bekanntwerden erster pflegetheoretischer Ansätze zur Begründung von Pflegeinterventionen tauchten in den 1960-er Jahren auch erste Pflegemodelle auf. Das von Henderson publizierte und in den USA praktizierte Bedürfnismodell wurde mehrfach modifiziert und durch Roper (England) in den 1970-er Jahren für die Krankenpflege auch im deutschen Sprachraum aktuell. Juchli sorgte schließlich zu Beginn der 1980-er Jahre dafür, dass ihr modifiziertes Bedürfnismodell mit den sog. »Aktivitäten des täglichen Lebens« bundesweit Anerkennung fand und fortan zum strukturierenden Moment in der Krankenpflegeausbildung wurde. Der Ansatz aller Bedürfnismodelle ist ein holistischer und wird geprägt durch die Erfassung des Menschen in seinen unterschiedlichen Lebensphasen mit seinen jeweiligen Bedürfnissen. Auch hier geht es zum einen um defizitäre Situationen, die der Mensch in seinen Lebensaktivitäten erfährt. Der Ansatz geht aber auch von der Annahme aus, dass eine Beeinträchtigung einer Lebensaktivität auch Auswirkungen auf andere Personen haben muss. Dabei sind nicht nur physische, sondern auch psychische wie seelische und spirituelle Probleme involviert und werden in den Rahmen der pflegerischen Interventionen einbezogen. Dieser Paradigmenwechsel war insofern wichtig, als der Anspruch des naturwissenschaftlichen Denkens und Handelns in der Medizin, eben Heilung herbeizuführen, weder die Chronifizierung von Krankheit noch Sterben und Tod als handlungsleitende Struktur berücksichtigte. Eine weitere perspektivische Veränderung ergab sich durch den von der WHO 1979 publizierten Krankenpflegeprozess, der bereits 1985 in der BRD im Krankenpflegegesetz verankert wurde. Der Krankenpflegeprozess stellt einen Problemlösungs- wie auch Interaktionsprozess dar, der als zweites strukturierendes Moment pflegerische Interventionen beeinflussen sollte. Er umfasst die Basis für die Planung der pflegerischen Intervention, die Festlegung sowie Durchführung von Maßnamen als auch eine kontinuierliche Einschätzung bezüglich erzielter Wirkungen [4, 12, 19, 24]. Inzwischen sind die Bestrebungen ‒ auch unter den Stichworten von Professionalisierung und Leistungserfassung (DRGrelevante Nebendiagnosen) – vorangeschritten, Pflegediagnosen in den Pflegeprozess aufzunehmen. Das würde zukünftig bedeuten, dass durch eine einheitliche Sprachkodierung eine Klassifizierung möglich wäre. Gleichzeitig könnte im Rahmen der Dokumentation erheblich Zeit gespart werden und ein reeller Leistungsnachweis bezüglich pflegerisch notwendiger Interventionen erfolgen. Vor dem Hintergrund reduzierter ökonomischer Reserven würde das einen doppelten Gewinn darstellen. Beides, Krankenpflegemodell und -prozess, führte damit zu Veränderungen in der Pflegeausbildung wie auch in der Weiterbildung. Mitarbeiter von Weiterbildungsstätten erkannten darüber hinaus sehr früh die weitere Bedeutung beider Anteile im Sinne des Qualitätsmanagements und apostrophierten die Bedeutung durch zahlreiche Publikationen. Das führte zu Entwicklungen von (Pflege-)leitbildern, die bald zum Banner klinischer Einrichtungen sowie von Weiterbildungsstätten wurden.
30
4
Kapitel 4 · Intensivpflege
So hieß es zu Beginn der 1990-er Jahre, dass »Intensivpflege […] die Unterstützung, Übernahme und Wiederherstellung der Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen des Lebens (AEDL) bei kritisch Kranken mit manifesten Störungen vitaler Funktionen umfasst. Sie beinhaltet eine ganzheitliche, patientenorientierte Pflege, die sich nicht nur mit der Beseitigung von Fehlfunktionen, sondern gleichermaßen mit Problemen von bleibender Behinderung, chronischen Krankheiten und dem Bereich Sterben und Tod eines Menschen befasst. Der Patient wird als Persönlichkeit mit individuellen Bedürfnissen gesehen« [27]. Dieses neue Pflegeverständnis war maßgebend für die curriculare Neugestaltung landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Fachweiterbildungen und wurde von Berufsverbänden publiziert: Geplante Intensivpflege […] beinhaltet neben einer gesundheitsunterstützenden Lebenshilfe unter Aktivierung der physischen, psychischen, spirituellen und sozialen Ressourcen sowie der lindernden Pflege und Sterbebegleitung auch eine präventive und begleitende Gesundheitsberatung. Auf der Basis von ermittelten, den Patienten betreffenden Informationen bezüglich physischer, psychischer, sozialer und medizinischer Voraussetzungen wird Pflege anhand akuter und potenzieller Probleme geplant, durchgeführt und kontinuierlich evaluiert.
Die neuen Vorstellungen über das »Tätigkeitsfeld Intensivpflege« gingen noch weiter unter dem Aspekt von pädagogischen und Managementaufgaben, die bis dahin eine eher untergeordnete Rolle spielten. Damit gesellten sich die Aufgaben von Planung und Überwachung der Organisation des Krankenpflegedienstes sowie der Arbeitsabläufe ebenso hinzu wie die sach- und fachkundige Beratung und Anleitung von Pflegekräften in Intensivpflegeabteilungen [14]. Involviert blieb unverändert die Koordination spezifischer Diagnosen anderer Berufsgruppen im Pflegeprozess. 4.3
Kompetenzen in der Intensivpflege
In ihrem ersten Buch zur Gestaltung einer Weiterbildung für Intensivmedizin und Anästhesie beschrieben die Autoren Ahnefeld et al. [2] die immer größer werdende Diskrepanz zwischen Erkenntnissen der pflegerischen Erstausbildung und den immer höheren Ansprüchen in einem speziellen Arbeitsbereich wie der Intensivpflege und postulierten parallel zur Etablierung von Weiterbildungslehrgängen einen hohen Bildungsstand. Damit hatte der Begriff »Bildung« auch für die Intensivpflege sehr früh eine besondere Bedeutung. Da Intensivpflege eine hoch komplexe Dimension pflegerischen Handelns darstellt und sich seit Jahren in einem schnellen Wandel befindet, ist ein kontinuierliches Lernen im Sinne des lebenslangen Lernens unverzichtbarer Bestandteil. Der moderne Bildungsbegriff steht für den lebensbegleitenden Entwicklungsprozess des Menschen, in dem er seine kulturellen, geistigen und lebenspraktischen Fähigkeiten mitsamt seiner sozialen und personalen Kompetenzen erweitern kann. Unter pädagogischer Betrachtung zielt Bildung darauf ab, 3 spezifische Fähigkeiten zu vermitteln: 4 Selbstbestimmungsfähigkeit, 4 Mitbestimmungsfähigkeit und 4 Solidaritätsfähigkeit [31]. Diese Grunddimensionen menschlicher Fähigkeiten sind auch das Gerüst für die Fortsetzung von Bildung nach einer erworbenen Erstausbildung. Demnach soll Bildung u. a. zu einer
. Abb. 4.1. Schlüsselqualifikation
handwerklich-technischen Bildung führen, die Interaktionen zwischenmenschlicher Beziehungen ermöglichen, eine politische und ethische Handlungsfähigkeit entwickeln sowie weitere spezifische Fähigkeiten vermitteln kann. Dazu gehören Schlüsselqualifikationen wie Kritik- und Teamfähigkeit, Empathie und Kooperationsfähigkeit, Kommunikations- und Argumentationsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Selbstständigkeit sowie logisches, systematisches und vernetztes Denken, um nur einige zu nennen. Die 3 Grundelemente von Bildung können im Rahmen einer fachspezifischen Bildungsmaßnahme wie der Intensivpflege nicht ausgeblendet werden, sondern sind die Basis für weiter zu entwickelnde Fähigkeiten und Fertigkeiten. Damit stehen Schlüsselqualifikationen im Mittelpunkt der beruflichen Weiterbildung. Hinter diesem Begriff verbergen sich alle Qualifikationen, die den Berufstätigen befähigen, auch zukünftigen Berufsanforderungen generell gewachsen zu sein. Entwickelt wurde das Konzept mit der Begründung, dass durch schneller eintretende Veränderungszyklen berufliche Ausbildungsinhalte einer kurzen Halbwertszeit unterliegen und Mitarbeitern damit keine Handlungssicherheit mehr gegeben ist [18]. Die Schlüsselqualifikationen (. Abb. 4.1) werden durch verschiedene Kompetenzen konkretisiert. So umfasst Methodenkompetenz u. a. Analyse- und Problemlösungsfähigkeiten, die Fähigkeit zu systematischem und vernetztem Denken sowie konzeptionelle Fähigkeiten. Die personale Kompetenz beinhaltet, neben anderen, Motivation, Verantwortungsbewusstsein, Flexibilität, Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit. Die soziale Kompetenz setzt sich ebenfalls aus verschiedenen Fähigkeiten zusammen, zu denen Empathie, Konflikt- und Teamfähigkeit, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie Vorbildfunktion und Überzeugungskraft gehören [28]. Diese Kompetenzen können nicht losgelöst von fachlichen Inhalten und Situationen vermittelt bzw. erworben werden. Anhand dieses Modells wurde das Konzept der beruflichen Handlungskompetenz entworfen. Um eine konkrete Handlung auszuführen, benötigt ein Mitarbeiter immer mehrere Schlüsselqualifikationen bzw. Anteile von ihnen. Handlungskompetenz ergibt sich demnach aus der Summe verschiedener Kompetenzen. Folglich müssen im Rahmen der praktischen Ausbildung wie auch in der Weiterbildung, neben notwendigen fachlichen Aspekten, auch Methoden- und Sozialkompetenz unterrichtet werden, damit Mitarbeiter zu einer eigenverantwortlichen Handlungskompetenz gelangen können (. Abb. 4.2). Handlungskompetenz in der beruflichen Praxis lässt sich unter Einbeziehung der betrieblichen Umwelt und des individuellen Mitarbeiters dann mit . Abb. 4.3 anschaulich darstellen [3]. Folglich bedeutet Handlungskompetenz, dass Mitarbeiter über verschiedene Kompetenzen verfügen und diese in der beruflichen Praxis situationsgemäß anwenden wollen und können. Maßgebend ist neben dem Wollen und Können aber auch das Dürfen, womit die institutionellen Rahmenbedingungen entscheidend
31 4.3 · Kompetenzen in der Intensivpflege
. Abb. 4.2. Handlungskompetenz
. Abb. 4.3. Handlungskompetenz im Kontext individueller Einstellungen und Schlüsselqualifikationen
sind, die Handlungskompetenz determinieren können. Wenn das Bildungsverständnis so angelegt ist, dass über Bildungsmaßnahmen verschiedene Kompetenzen von Mitarbeitern entwickelt werden sollen, dann muss das Führungsverständnis des Unternehmens kongruent sein, damit diese erlangten Kompetenzen durch Handeln auch gelebt werden können. Damit müssen evtl. unterschiedliche Interessen in Einklang gebracht werden [3, 6]. 4.3.1 Fachkompetenz Die fachlich-technische Kompetenz steht sicher unbestritten weit oben in der Skala erforderlicher Kompetenzen und ist mit ein Garant für die Umsetzung intensivpflegerisch-medizinischer Interventionen. Ausgehend von der Krankenbeobachtung sowie der klinischen und apparativen Überwachung stellen, unter Beachtung aller hygienischer Kriterien, die Kompensation bzw. Teilkompensation der Körperpflege, alle Arten von Prophylaxen sowie Lagerungsmaßnahmen, die Förderung der Atmung und Organisation der Atemtherapie wie auch die Wundversorgung das Grundgerüst intensivpflegerischer Maßnahmen dar. Daran angeschlossen sind alle assistierenden sowie delegierbare medizinische Tätigkeiten, die im Rahmen der Intensivmedizin erforderlich sein können. 4.3.2 Methodenkompetenz Fachliche Kompetenz allein reicht im komplexen Tätigkeitsfeld der Intensivpflege nicht (mehr) aus. Im Gegenteil: Um handlungsfähig zu sein, muss ein Mitarbeiter auch methodisch kompetent sein, damit er spezifische Probleme mit entsprechenden Konzepten kann. Methodenkompetenz als spezielle Form der Kompetenz meint die Fähigkeit, Techniken, Strategien und Verfahren zur Problemlösung zielgerichtet anzuwenden. Zu den methodisch notwendigen Voraussetzungen in der Intensivpflege gehört unabdingbar die Anwendung von Problemlösungsprozessen. Hier ist der Pflegeprozess nicht nur strukturierendes Moment zur Planung und Durchführung intensivpfle-
4
gerischer Maßnahmen, sondern auch Grundlage zur Evaluation von Versorgungsprozessen. Mit ihm ist es möglich, sowohl eine prospektive Einschätzung der Situation des Patienten vorzunehmen als auch eine intermittierende wie auch eine retrospektive Qualitätsbeurteilung zu leisten, womit das Instrumentarium qualitätssichernder Maßnahmen zum Tragen kommt. Methodenkompetenz bedeutet auch, Arbeitstechniken und Konzepte situationsbezogen und zielgerichtet einsetzen zu können. Damit müssen Konzepte, die nicht primär aus der Pflege stammen, komplementär berücksichtigt werden. Dazu gehören u. a. das Konzept der Kinästhetik zur Förderung der Mobilisation, der basalen Stimulation, des Affolter- und des Bobath-Konzeptes zur Förderung der Wahrnehmung als auch zur Frührehabilitation sowie die fazioorale Stimulation aus der Ernährungstherapie, die in das Gesamtkonzept der intensivpflegerischen Strategie einfließen. Darüber hinaus umfasst Methodenkompetenz auch die Fähigkeit zur Informationsbeschaffung, die im mittel- und unmittelbaren Kontext der Patientenversorgung benötigt wird. Unter dem Stichwort der evidenzbasierten Intervention sind damit die Ergebnisse von pflegewissenschaftlichen und medizinischen Studien gemeint, die für den jeweiligen Fall in Betracht kommen. Rein empirisches Fachwissen wird also adäquat ergänzt und damit die Versorgung des Patienten auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Wissens wahrgenommen [32]. 4.3.3 Persönlichkeitskompetenz Durch die rasante Entwicklung operativer und intensivmedizinischer Verfahren ist es bereits zu einer deutlichen Zunahme des Leistungsspektrums gekommen. Durch vermehrte Leistungen bei kürzeren Verweilzeiten und gleichzeitiger Zunahme von multimorbiden Patienten ist sowohl die Komplexität der Aufgaben wie auch die Dynamik der Versorgung erheblich gestiegen. Diese unter dem Begriff der Dynaxität zu erfassende Situation erfordert eine 3. Dimension von Kompetenz, um im Berufsalltag bestehen zu können [17]. Dazu gehören u. a. 4 Anwendung spezifischer Normen und Werte zur Beurteilung verschiedener Situationen, 4 Aufgeschlossenheit und Lernbereitschaft vor dem Hintergrund ständiger Neuerungen, 4 Kreativität angesichts neuer Herausforderungen und mangelnder Ressourcen, 4 Autonomie im Sinne von Selbstständigkeit und Selbstdisziplin, 4 ein hohes Maß an Motivation und Energie sowie Stabilität und Belastbarkeit, da Umfang und Qualität der intensivpflegerischen Arbeit ständig variieren und Physis wie Psyche beanspruchen [14], 4 Flexibilität, 4 Konflikt- und Kritikfähigkeit, um in der multidisziplinären Versorgung mit vielen Mitarbeitern zu bestehen, 4 Fähigkeit zur Stressbewältigung und zur Gewährleistung der eigenen Psychohygiene, 4 Authentizität und Loyalität. Bildungsprogramme sowie die abteilungsinterne Begleitung durch Kollegen und Vorgesetzte müssen diese Kriterien im Sinne der eigenen Personalentwicklung mitberücksichtigen, um in absehbarer Zeit über Experten zu verfügen [4].
32
Kapitel 4 · Intensivpflege
4.3.4 Psychosoziale Kompetenz
4
Abgerundet werden die beruflichen Handlungskompetenzen durch psychosoziale Kompetenzen, die gerade in der Intensivpflege eine besondere Verankerung benötigen. In der Versorgung kritisch Kranker ist es notwendig, soziale Verantwortung zu tragen und Respekt auszudrücken. Insbesondere müssen Beziehungen gestaltet und sowohl problemlösende als auch beziehungsbildende Rollen übernommen werden. Hierbei ist die Fähigkeit vorauszusetzen, dass die Bedürfnisse und Wünsche anderer realitätsgerecht erfasst und auf dieser Grundlage in nicht bewertender, sondern deskriptiver Weise beantwortet werden. Empathie ist hierbei die Basis, um die Welt durch die Augen eines anderen zu sehen [21‒23]. Die Vielzahl der unterschiedlicher Berufsgruppen und Tätigkeiten verlangt Kooperations- und Delegationsfähigkeit. Die sich schnell verändernden Versorgungssituationen erfordern eine Ambiguitätstoleranz, d. h. die Fähigkeit, sich schnell und mit geringem Unbehagen an neue, instabile Situationen anzupassen [8]. i Nicht zuletzt ist eine ausgebildete kommunikative Kompetenz das alles verbindende Medium. Das betrifft die unterschiedlichen Formen der Kommunikation mit den Patienten, die Gespräche mit den Angehörigen sowie die fachlichen Diskussionen im Rahmen des therapeutischen Teams.
Wie wichtig die Kombination dieser Kompetenzen ist, verdeutlicht die Übersicht mit einem Auszug aus der Deklaration der Menschenrechte Sterbender, entstanden auf einem Workshop mit dem Thema »Der Todkranke und sein Helfer« in Lansig, Michigan (USA) [7].
Deklaration der Menschenrechte Sterbender I5 Ich habe das Recht, bis zu meinem Tode wie ein lebendiges menschliches Wesen behandelt zu werden und das Recht, stets noch hoffen zu dürfen – worauf auch immer sich diese Hoffnung richten mag. I5 Ich habe ein Recht darauf, von Menschen umsorgt zu werden, die sich eine hoffnungsvolle Einstellung zu bewahren vermögen – worauf auch immer sich diese Hoffnung richten mag. I5 Ich habe das Recht, Gefühle und Emotionen anlässlich meines nahenden Todes auf die mir eigene Art und Weise ausdrücken zu dür fen. I5 Ich habe das Recht, schmerzfrei zu sein, in Frieden und Würde und nicht allein zu sterben. I5 Ich habe das Recht, meine Fragen ehrlich beantwortet zu bekommen und nicht getäuscht zu werden. I5 Ich habe das Recht, von meiner Familie und für meine Familien Hilfen zu bekommen, damit ich meinen Tod annehmen kann. I5 Ich habe das Recht, meine Individualität zu bewahren und meiner Entscheidungen wegen auch dann nicht verurteilt zu werden, wenn diese in Widerspruch zu Einstellungen anderer stehen. I5 Ich habe das Recht, offen und ausführlich über meine religiösen und/oder spirituellen Erfahrungen zu 6
sprechen, unabhängig davon, was dies für andere bedeutet. I5 Ich habe das Recht, zu erwarten, dass die Unverletzlichkeit des menschlichen Körpers nach dem Tode respektiert wird. I5 Ich habe das Recht, von fürsorglichen, empfindsamen und klugen Menschen umsorgt zu werden, die sich bemühen, meine Bedürfnisse zu verstehen, und die fähig sind, innere Befriedigung daraus zu gewinnen, dass sie mir helfen, meinem Tod entgegenzusehen.
4.4
Personalmanagement in der Intensivpflege
Eine wichtige Aufgabe in der Intensivpflege ist die Wahrnehmung von Führungsaufgaben. Auch dies will gelernt sein. Macht wird zwar oft per Amt verliehen, reicht aber in der Regel nicht aus, um eine Organisation fachgerecht zu lenken. Die Annahme, ausschließlich per Amtsautorität Führung wahrnehmen zu können, ist längst überholt. Führung ist keine einseitige Aktion, sondern stellt eine wechselseitige Interaktion dar und beinhaltet ein systematisches und zielorientiertes Einwirken auf eine Person oder Gruppe. Führung geschieht also nicht zufällig, sondern absichtsvoll und geplant unter Berücksichtigung mehrerer Aspekte. Zu den Hauptfragen gehören: Welche Ziele sollen mit welchen Mitarbeitern, mit welchen Mitteln, in welcher Zeit und unter welchen Bedingungen erreicht werden [35]? In diesem Zusammenhang werden auf der Intensivstation mehrere Tätigkeiten postuliert: 4 Organisation der Personaleinsatzplanung 4 Personalentwicklung und Sicherung der Pflegequalität 4 Gestaltung der Beziehungen. Ärztliche und pflegerische Mitarbeiter nehmen auf der Intensivstation sehr ähnliche Aufgaben für unterschiedliche Berufsgruppen wahr. Der ärztliche Leiter trägt die Gesamtverantwortung für alle medizinischen Interventionen und ist zuständig für die Einsatzplanung und Aufsicht nachgeordneter Kollegen. Die pflegerische Leitung bestimmt die Zuordnung des Pflegepersonals und ist verantwortlich für alle Pflegeinterventionen sowie für Fragen der Personalentwicklung, der Fort- und Weiterbildung. Ärzte und Pflegende sind gemeinsam verantwortlich für die Koordination beider und anderer Berufsgruppen. Kooperation sowie eine professionelle Beziehungsgestaltung im inneren System (Team und Patient) wie im äußeren System (Angehörige und andere Berufsgruppen) sind die Basis für ein funktionierendes System [38]. 4.4.1 Personaleinsatzplanung Nach der periodischen Dienstplangestaltung muss im Dienst eine tägliche Zuordnung des Personals erfolgen. Zu berücksichtigen ist dabei die Zuordnung von Mitarbeitern mit entsprechender Qualifikation analog zum Versorgungsgrad der Patienten. Je höher der qualitative wie auch quantitative Versorgungsgrad, desto höher sollte die zuzuordnende Kompetenz des betreuenden Mitarbeiters sein. Gleichzeitig sollte sich im Dienstplan ein
33 4.4 · Personalmanagement in der Intensivpflege
4
Konzept zur Anleitung von Mitarbeitern wiederfinden, das die Personalentwicklung von Mitarbeitern mit noch geringerer Kompetenz durch Zuordnung von Mitarbeitern mit einer höheren Kompetenz garantiert. Im Zuge der Dienstplangestaltung sind Zeitpunkte für die abteilungsinterne Fortbildung zu verankern, sodass nicht nur durch die fachpraktische Arbeit, sondern auch durch intermittierende und flankierende Themenangebote Kompetenz weiter entwickelt werden kann [26]. 4.4.2 Personalentwicklung Das bisher sehr wenig beachte Instrument der Pflegevisite stellt eine hervorragende Ergänzung nicht nur im Zuge der Personalentwicklung, sondern auch im Sinne des Qualitätsmanagements dar. Analog zu der ärztlichen analysieren und entwickeln Pflegeverantwortliche der Intensivstation durch den Besuch am Bett sowohl Struktur- als auch Prozesskriterien. Hinsichtlich der Struktur- und Prozessqualität wird deutlich, ob vereinbarte Kriterien zur Dokumentation, die Handhabung von Pflegeleitlinien und -standards und Konzepte zur Anleitung neuer Mitarbeiter eingehalten werden. Zeitgleich ist es möglich, festzustellen, ob Behandlungspfade und Pflegeinterventionen analog zum Pflegeprozess verstanden worden sind und umgesetzt werden. In gleicher Weise kann auch der Gesamtkenntnisstand der Mitarbeiter erfasst werden. Aus den Visiten gewonnene Erkenntnisse sollten zur Reflexion in Teambesprechungen (Fallbesprechungen) führen, um evtl. Entwicklungspotenziale zu diskutieren. »Nebenbei« erfährt der Patient auf der Intensivstation individuell eine erhöhte Aufmerksamkeit, wenn er bei allen Betrachtungen in den Mittelpunkt gesetzt wird. Das bedeutet, dass man mit ihm über seinen Versorgungsprozess spricht, ihm signalisiert, dass sich alles um ihn dreht. Keinesfalls darf die Pflegevisite zu einem Angst einflößenden Instrument der persönlichen Überprüfung entarten, sondern soll zur Optimierung der Versorgungsprozesse sowie der erwarteten Ergebnisse beitragen [20]. 4.4.3 Gestaltung von Beziehungen Die professionelle Gestaltung von Beziehungen ist ein elementarer Bestandteil des beruflichen Handelns und ein entscheidender Faktor dafür, ob avisierte Ziele erreicht werden können. Da gerade in der Intensivpflege komplexe Situationen bestehen, sind klare Strukturen notwendig zur Regelung von Aufgaben, Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen. Gleichsam müssen Prozesse vereinbart werden in Bezug auf Ablaufpläne, die Informationskultur sowie das notwendige Schnittstellenmanagement. Die Gestaltung muss geprägt sein von einer klaren Linie, die gebildet wird von Initiative, Offen- und Direktheit sowie durch Berechenbarkeit und eine kritische Loyalität. Aufkommende Konflikte im Pflegeteam müssen so früh wie möglich angesprochen und bearbeitet werden. Dies entspricht der Ausübung von Führung nach den Managementprinzipien von »DICOR« (»delegation, information, cooperation, objectives, results«). Führung nach dem Prinzip KITA (»kick in the ass«) im Sinne eines autoritäten Stils ist längst nicht mehr zeitgemäß, da in aller Regel nur Frustration und Aggressionen entstehen, wodurch die Fluktuation zunimmt oder Mitarbeiter
. Abb. 4.4. Ganzheitliche Betroffenheit des Patienten. (Mod. nach Kreienbaum, Hundenborn 1994
erniedrigt werden, die dann nur noch »Dienst nach Vorschrift« absolvieren [5]. Für das Prinzip Delegation spricht, dass kompetente, wollende Mitarbeiter Möglichkeiten zur Entwicklung des fachlichen wie persönlichen Potenzials benötigen. Sie warten auf sie fordernde Tätigkeiten, die sie eigenverantwortlich durchführen wollen. Informationen sorgen für Transparenz und damit für die Nachvollziehbarkeit von notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen. Mündige Mitarbeiter wissen und verstehen, was in ihrem Umfeld passiert, und können sich damit identifizieren. Kooperation ist eine notwendige Grundvoraussetzung innerhalb des Pflegeteams einerseits und in Bezug zum gesamttherapeutischen Team andererseits. Das Ziel muss den Weg bestimmen und erfordert von den Entscheidungsträgern, sich nach Abwägung aller Kriterien auf den besten Prozess zu verständigen. Zielvereinbarungen (»objectives«) vermitteln allen Beteiligten vor dem Hintergrund bestehender Probleme, was, wann und wie erreicht werden soll. Auch hier ist die Folge eine Identifikation mit dem Ziel, die wiederum bestimmend ist für den Zielerreichungsgrad. Bei dieser Form von Führung werden mitarbeiterorientierte und aufgabenbezogene Ziele (weitestgehend) in Einklang gebracht. Das bedeutet, dass neben der Leistung eben auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle spielt. Ergebnisse (»results«) sollen Anlass zu positiven Verstärkungen sein, um die Leistungsfähigkeit in quantitativer, v. a. aber in qualitativer Hinsicht zu optimieren [8, 9]. Fehlt ein solches Konzept zur professionellen Beziehungsgestaltung, können im Team u. U. schwelende Konflikte, Verbitterung, Aggression sowie Frustration und Demotivation entstehen. Im schlimmsten Fall zerfällt das Team durch Zunahme von Fluktuation bzw. durch das Auftreten von Burn-outs. Im Rahmen der Beziehungsgestaltung (. Abb. 4.4) spielen natürlich auch der Patient und seine Angehörigen eine entscheidende Rolle. Die Patienten und Angehörigen wollen informiert werden, nachfragen und mitentscheiden können. Fühlen sich Patienten nicht verstanden oder werden kommunikativ ausgeblendet, verweigern sie die Zusammenarbeit, beklagen sich bei Außenstehenden und verbleiben in ihren krankmachenden Mustern. Sind Angehörige aufgebracht, ist die Kontaktaufnahme unumgänglich, um sich der eventuellen Kritik zu stellen, auch wenn sie objektiv nicht unbedingt gerechtfertigt ist.
34
Kapitel 4 · Intensivpflege
Literatur
4
1. Ahnefeld FW (1976) Das Problem der Schwesternbildung. Anästhesieinformation Nr. 17, 107–112 2. Ahnefeld FW, Dick W, Halmagyi M, Valerius T (1975) Fachschwester, Fachpfleger Anästhesie – Intensivmedizin. Weiterbildung 1. Richtlinien, Lehrplan, Organisation. Springer, Berlin Heidelberg New York 3. Becker M (2002) Personalentwicklung. Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis. 3. Aufl. Schäffer/Poeschel, Stuttgart 2002 4. Benner P (1997) Stufen zur Pflegekompetenz – from novice to expert. Huber, Bern 1997 5. Birkenbihl VF (2005) Birkenbihl on management. Econ, Berlin 2005 6. Bühner R (2004) Mitarbeiterkompetenzen als Qualitätsfaktor. Strategieorientierte Personalentwicklung mit dem House of competence. Hanser, München 2004 7. Busche A, Student JC (1986) Zu Hause sterben. Hannover 1986 8. Correll W (1971) Pädagogische Verhaltenspsychologie. 4. Aufl. Ernst Reunhardt, München 1971 9. Correll W (2006) Motivation und Überzeugung in Führung und Verkauf. Redline Wirtschaftsverlag, Frankfurt 2006 10. DGAI (2000) Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) zur Versorgungssituation im Bereich der Intensivmedizin. www.svr-gesundheit.de/Gutachten 11. Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege (2005) Strukturstandards für die lntensivpflege und die Pflege in der Anästhesie. www. dgf-online.de/pubstruktur.htm 2005 12. Donabedian A (1966) Evaluating the quality of medical care. Milbank Memorial Fund Q44: 166 13. Eichhorn S (1969) Die Organisation der Intensivbehandlung. In: Opderbecke HW (Hrsg) Intensivbehandlungseinheiten im Krankenhaus. Springer, Berlin Heidelberg New York 14. Friesacher H (1993) Psychosoziale Belastungen des Intensivpflegepersonals. Ursachen – Auswirkungen – Lösungsansätze. Intensiv 1: 34–40 15. Friesacher H (1995) Intensivpflege heute: Pflege zwischen High-Tech und High-Touch. Intensiv 2: 47–52 16. Friesacher H (2005) Pflegeverständnis. In: Stolecki U (Hrsg) Thiemes Intensivpflege und Anästhesie. Thieme, Stuttgart 17. Golombek G (1985) Notwendigkeit und Bedeutung der Weiterbildung. Die Schwester – der Pfleger 2: 114 18. Götz K (1997) Management und Weiterbildung. Führen und Lernen in Organisationen. Band 9. Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung. Schneider Verlag, Hohengehren 1997 19. Grünewald M, Stolecki D, Ullrich L (2005) Methoden und Instrumente der Qualitätssicherung. In: Stolecki U (Hrsg) Thiemes Intensivpflege und Anästhesie. Thieme, Stuttgart 20. Grünewald M, Stolecki D, Ullrich L (2005) Arbeitsfeld Intensivstation und Anästhesie. In: Stolecki U (Hrsg) Thiemes Intensivpflege und Anästhesie. Thieme, Stuttgart 21. Hannich HJ, Wedershoven C (1985) Die Situation von Angehörigen auf der Intensivstation. Anästhesie und Intensivtherapie, Notfallmedizin 20: 89–94 22. Hannich HJ, Ullrich L (1984) Der Umgang mit Intensivpatienten. Die Schwester – der Pfleger 9: 682 23. Hannich HJ (1987) Medizinische Psychologie in der Intensivbehandlung. Untersuchungen zur psychologischen Situation. Anästhesiol Intensivbehand 175 24. Lange R, Heinen F, Güttler K (1994) Fachweiterbildung Intensivpflege – Luxus oder Notwendigkeit. Intensiv 2: 117–123 25. Lawin P, Opderbecke HW (1989) Organisation der Intensivmedizin. In: Lawin P (Hrsg) Praxis der Intensivbehandlung, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart 1989 26. Meyer G (1994) Qualitätssicherung in der Intensivpflege. Intensiv 2: 146–151 27. Meyer G, Ullrich L (1994) Entwicklung und Perspektiven der Weiterbildung in der Intensivpflege. Intensiv 2: 67
28. Menzel W (1997) Unternehmenssicherung durch Personalentwicklung. Mitarbeiter motivieren, fördern und weiterbilden. 7. Aufl. Haufe, Freiburg 1997 29. Opderbecke HW (2003) Intensivmedizin gestern. AINS 38: 261–263 30. Opderbecke HW, Weißauer W (1974) Zur Abgrenzung der Aufgaben zwischen Arzt und nichtärztlichen Mitarbeitern in der Intensivtherapie. Anästhesieinformation 15: 94 31. Perterßen WH (1992) Handbuch Unterrichtsplanung. Grundfragen, Modelle, Stufen, Dimensionen. 5. Aufl. Ehrenwirt/Veritas, München 1992 32. Robinson JS (1975) Psychologische Auswirkungen der Intensivpflege. Ein persönlicher Er fahrungsbericht. Anästhesist 24: 416–418 33. Saldern M von (2000) Grundlagen systemischer Organisationsentwicklung. Schneider, Hohengehren 2000 34. Schara J (1990) Intensivmedizin – Partnerschaftliche Aufgabe für Pflegekräfte und Ärzte. Die Schwester – der Pfleger 5: 430–434 35. Simon FB, CONECTA (2001) Radikale Marktwirtschaft. Grundlagen des systemischen Managements. 4. Aufl. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 2001 36. Stolecki D, Mayer R (1996) Entwicklung der Fachweiterbildung. Rückblick, Ausblick. Intensiv 4 (1996) 190–192 37. Stolecki D (2003) Ist Weiterbildung ein qualitatives Steuerungsinstrument? Intensiv 5 (2003) 238–244 38. Sperl D (1994) Qualitätssicherung in der Pflege. Validierte Pflege im Krankenhaus unter besonderer Berücksichtigung der Intensivpflege. Schlütersche, Hannover 1994 39. Ullrich L, Lamers-Abdella A (1996) Intensivpflege. Thieme, Stuttgart 40. Ullrich L, Stolecki D, Grünewald M (2005) Entwicklung der Fachweiterbildung in der Intensivpflege und Anästhesie. In: Stolecki U (Hrsg) Thiemes Intensivpflege und Anästhesie. Thieme, Stuttgart 41. Van Aken H, Prien T, Berendes E (2003) Intensivmedizin heute. AINS 38: 264–272 42. Weidner F, Isfort M (2001) Pflegequalität und Pflegeleistungen I und II. Zwischenbericht zur ersten Phase des Projektes „Entwicklung und Erprobung eines Modells zur Planung und Darstellung von Pflegequalität und Pflegeleistungen. Kath. Krankenhausverband Deutschlands e. V (Hrsg) Freiburg 2001 43. Kreienbaum A, Hundenborn G (1994) Ein systemischer Ansatz von Pflege. Seminarscript für das Studienfach Pflegewissenschaft im Rahmen der Studiengänge Pflegemanagement und Pflegepädagogik an der Kath. Fachhochschule NW Köln. (unveröffentlicht)
5 Hygiene in der Intensivmedizin M. Dettenkofer, E. Meyer
5.1
Hauptursachen und Entstehung von Krankenhausinfektionen
5.2
Über tragungswege und häufigste Erregerreser voirs
5.3
Hygienemaßnahmen auf Intensivstationen
5.4
Techniken zur Verhütung und Bekämpfung der wichtigsten Krankenhausinfektionen –37
5.5
Sur veillance nosokomialer Infektionen auf Intensivstationen
5.6
Isolierung infizier ter und kolonisier ter Patienten
5.7
Reinigung und Desinfektion
5.8
Umweltschutz auf Intensivstationen Literatur
–44
–40 –44
–36
–36
–36
–38
–37
5
36
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
5.1
Hauptursachen und Entstehung von Krankenhausinfektionen
Die Hauptursachen für die überdurchschnittliche Häufigkeit von Krankenhausinfektionen (nosokomiale Infektionen; 7 Kap. 64) auf Intensivstationen sind nicht Hygienefehler, sondern die erhöhte Disposition: Die Patienten sind empfänglich durch verschiedene Grundkrankheiten, operative Eingriffe usw. und die erhöhte Keimexposition durch invasive diagnostische und therapeutische Maßnahmen (z. B. Venenkatheter, Blasenkatheter, Intubation usw.). Durch diese in der Intensivmedizin unerlässlichen Interventionen werden die natürlichen Abwehrbarrieren durchbrochen und den Mikroorganismen der Zutritt zum Körper ermöglicht. Verschiedene therapeutische Maßnahmen vermindern zusätzlich die körpereigene Abwehr (Zytostatika-, Kortisontherapie). Durch den breiten, z. T. nicht indizierten Einsatz v. a. von Breitspektrumantibiotika (7 Kap. 62) wird die Vermehrung und Ausbreitung resistenter Krankheitserreger begünstigt, die heute die größte krankenhaushygienische Herausforderung sind. Krankenhausinfektionen entstehen v. a. auf 2 Wegen: 4 endogen durch Keime der körpereigenen Flora (z. B. Harnwegsinfektionen ausgehend von der Darmflora, Pneumonie aus der Flora des Nasen-Rachen-Raums oder Magens), 4 seltener exogen durch Keime aus der Umwelt des Patienten (direkter Kontakt v. a. mit den Händen oder indirekter Kontakt über Geräte, Instrumente; noch seltener über die Luft). Endogene Krankenhausinfektionen sind wesentlich schwieriger zu verhüten als exogene. Auch mit den besten Methoden der Krankenhaushygiene lassen sich allerdings nur 15–30% aller Krankenhausinfektionen vermeiden [4]. 5.2
Über tragungswege und häufigste Erregerreservoirs
Die wichtigsten Erregerreservoirs von Staphylococcus aureus sind der Nasen-Rachen-Raum und die Hautflora, das wichtigste Erregerreservoir gramnegativer Keime die Rachen- und Gastrointestinalflora. Weitaus am häufigsten werden Krankheitserreger mit den Händen bzw. durch nicht gewechselte Handschuhe übertragen. Die gilt für grampositive wie -negative Keime. Einrichtungsgegenstände und Apparate, die immer wieder mit den Händen berührt werden müssen, z. B. Beatmungsgeräte, Tastenfelder von Monitoren, Armaturen usw., können bedeutende Erregerreservoirs sein, v. a. für Staphylokokken und Enterokokken, aber auch für Acinetobacter u. a. Sie müssen daher entsprechend häufig wischdesinfiziert werden. Gramnegative Keime vermehren sich v. a. in feuchter Umgebung wie kontaminiertes Anfeuchtungswasser, Ultraschallvernebler, O2-Anfeuchtungsgeräte, Mundpflegelösung. In aller Regel unwichtige Erregerreservoirs sind: Fußböden, Wände, Decken, patientenferne Möbel. Über große respiratorische Tröpfchen werden v. a. Viren und bakterielle Erreger von Atemwegsinfektionen, aber auch Meningokokken übertragen (bis maximal 1,5 m um die Streuquelle). Nur selten werden Infektionen auf Intensivstationen im engeren Sinne aerogen über weitere Strecken übertragen, z. B. Tuberkelbakterien, Viren als Erreger von Atemwegsinfektionen (Varizellen- und Masernpneumonie, SARS) oder Aspergillen. Meist werden aber auch respiratorische Viren, die auf Gegenständen mehrere Stunden überleben können (z. B. RS-Viren), mit den
Händen übertragen. Der Mensch berührt unwillkürlich dutzende Male am Tag seine Nase und seinen Mund, dabei gelangen Viren, aber auch Staphylococcus aureus aus dem Nasen-RachenRaum auf die Hände und mit ihnen durch direkten oder indirekten Kontakt (Flächen, Gegenstände) zum Patienten. ! Cave Am häufigsten werden Krankheitserreger auf Intensivstationen mit den Händen (Handschuhen) übertragen.
5.3
Hygienemaßnahmen auf Intensivstationen
Die häufigsten Krankenhausinfektionen auf Intensivstationen sind: 4 Pneumonie, 4 Harnwegsinfektion, 4 Sepsis, 4 Wundinfektion, 4 Infektionen der Haut und Schleimhäute (meist Venenkatheterinfektionen an der Eintrittstelle). Die Hauptursachen sind invasive Maßnahmen, d. h. bei: 4 Pneumonie: Intubation, Beatmung, Aspiration, 4 Harnwegsinfektionen: Blasenkatheter, 4 Sepsis: intravasale Katheter, v. a. ZVK, sekundär bei Beatmungspneumonie und Wundinfektionen. Die wichtigsten Hygienemaßnahmen auf der Intensivstation 5 Händedesinfektion, ggf. auch Händewaschen 5 Handschuhwechsel nach Beendigung der Tätigkeit am Patienten 5 Schulung und Disziplin aller Personen, v. a. der Ärzte (Vorbildfunktion besonders der leitenden Ärzte) 5 Einsatz von speziell ausgebildetem Personal; Beratung durch Krankenhaushygieniker und Hygienefachpersonal 5 Hygienisch einwandfreie interventionelle und pflegerische Techniken zur Verhütung von Blasenkatheterinfektionen, Venenkatheterinfektionen, Pneumonie bei Beatmung und postoperativen Wundinfektionen (7 Kap. 64) 5 Möglichst kurze Verweildauer von Fremdkörpern (Venenkatheter, Blasenkatheter, arterielle Katheter, Hirndruckmesssonden usw.); regelmäßige Prüfung der Indikation 5 Sichere Aufbereitung von Medizinprodukten 5 Gezielte und sinnvolle Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen 5 Sichere und wirksame Isolierungstechniken 5 Ausreichende Personal-Patienten-Relation: Zuwenig Personal bedeutet immer auch weniger Hygiene! 5 Surveillance device-assoziierter Infektionen (Qualitätssicherung) 5 Sorgfältige Indikation von Antibiotikatherapie und Antibiotikaprophylaxe, z. B. ist eine perioperative Antibiotikaprophylaxe länger als 24 h überflüssig, teuer und fördert die Resistenzentwicklung (7 Kap. 62)!
37 5.5 · Surveillance nosokomialer Infektionen auf Intensivstationen
Händehygiene Händewaschen und insbesondere Händedesinfektion mit einem alkoholischen Präparat sind nach wie vor die wichtigsten Maßnahmen zur Verhütung von Kreuzinfektionen, besonders auf Intensivstationen. Leider wird dies v. a. von Ärzten immer noch zu wenig beachtet. Ärzte desinfizieren die Hände seltener und kürzer als Pflegepersonal. Auch das Wechseln von Handschuhen wird viel zu häufig vergessen!
Da Blasenkatheterinfektionen, Venenkatheterinfektionen, Pneumonie bei Beatmung und postoperative Wundinfektionen die häufigsten Krankenhausinfektionen auf Intensivstationen sind, müssen hygienisch einwandfreie pflegerische Techniken angewendet werden, um diese Infektionen zu verhüten. Leider beobachtet man immer wieder, dass Pflegepersonal die Hygienemaßnahmen beachtet, Ärzte aber beispielsweise ohne Handschuhwechsel und Händedesinfektion Blut abnehmen oder am Venenkathetersystem manipulieren. Hier können gezielte Fortbildungen und der Einsatz von besonders gut verträglichen alkoholischen Desinfektionsmitteln ohne Farbstoff- und Parfümzusätze die Compliance bei der Händehygiene verbessern. Dazu kommt, dass ohne fachlich geschultes Hygienepersonal (Krankenhaushygieniker, Hygienefachpfleger/-schwester) eine sinnvolle und gezielte Krankenhaushygiene nicht möglich ist. Die Hygieneempfehlungen müssen in Zusammenarbeit mit diesem Fachpersonal jeweils den aktuellen internationalen Standards angepasst werden.
Aufgaben des mikrobiologischen Labors Das mikrobiologische Labor, mit dem die Intensivstation zusammenarbeitet, muss in mindestens halbjährlichen Abständen das Erregerspektrum und die Resistenzsituation analysieren. Die Resistenzraten können auch innerhalb eines Krankenhauses erheblich differieren. Ohne Kenntnis der loalen Resistenzsituation ist eine adäquate empirische Antibiotikatherapie nicht möglich [8] (7 Kap. 62). Intensivstationen sollten mit mikrobiologischen Laboratorien zusammenarbeiten, deren Ärzte regelmäßig zusammen mit den Intensivstationsärzten eine Visite durchführen.
Klimatisierung/raumlufttechnische Anlagen Bei der Klimatisierung von Intensivstationen muss zwischen arbeitsphysiologischen und hygienischen Anforderungen unterschieden werden. Aus arbeitsphysiologischen Gründen (angenehmes Raumklima für Patienten und Personal, Wärmeabführung von Geräten) dürfte es notwendig sein, viele Intensivstationen mit raumlufttechnischen Anlagen auszustatten, die jedoch nicht hohen hygienischen Ansprüchen der Luftreinheit genügen müssen (2-stufige Filterung in der Regel ausreichend; in der 2. Stufe Filterklasse F9). Aus rein krankenhaushygienischen Gründen, d. h. zur Verhütung einer aerogenen Keimübertragung, ist es sicher nur notwendig, bestimmte Teilbereiche einer Intensivstation, und zwar abhängig vom jeweiligen Patientenkollektiv, das auf der betreffenden Station betreut werden muss, zu klimatisieren (s. unten).
Umkleiden auf Intensivstationen Personalschleusen sind ebensowenig hygienisch notwendig wie Material- oder Geräteschleusen. Personen, die keinen direkten pflegerischen oder ärztlichen Kontakt mit dem Patienten ha-
5
ben, müssen sich beim Betreten der Intensivstation auch nicht umkleiden. Dadurch werden keine Infektionen verhindert, aber unnötig hohe Kosten verursacht. Dies gilt z. B. für ärztliche Konsiliardienste, Besucher, Handwerker, Sozialdienste und Hygienepersonal. Hygienische Einwände dagegen gibt es nicht, da sich die Hygienebarriere nicht vor der Intensivstation, sondern erst am Patienten selbst befindet. Der Kittelwechsel oder das Anlegen einer Einmalschürze muss erst am Patientenbett und dann erfolgen, wenn bei der entsprechenden pflegerischen oder ärztlichen Tätigkeit tatsächlich die Gefahr einer Kontamination besteht. Da Besucher nur Sozialkontakt und keinen pflegerischen Kontakt mit dem Patienten haben, müssen sie in der Regel auch keinen Kittel anziehen. Auch das Überziehen eines Schutzkittels bei Verlassen der Station ist aus hygienischen Gründen nicht notwendig. Die Händedesinfektion bei Betreten und Verlassen der Station ist jedoch sowohl für Klinikpersonal wie für Besucher wichtig. Spezielle Bereichsschuhe oder gar Plastiküberschuhe sind hygienisch nicht erforderlich, letztere sogar kontraproduktiv, da beim Überziehen leicht die Hände verschmutzt werden. 5.4
Techniken zur Verhütung und Bekämpfung der wichtigsten Krankenhausinfektionen
In Deutschland wurden in den letzten Jahren von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut (RKI) evidenzbasierte, kategorisierte Empfehlungen erarbeitet, die über das Internet abrufbar sind (www. rki.de). Diese stimmen in weiten Teilen mit den HICPAC-Guidelines (Healthcare Infection Control Practices Advisory Committe) der CDC (Centers for Disease Control and Prevention, Atlanta, USA) überein (http://www.cdc.gov/ncidod/dhqp/guidelines.html). Die eigene Lektüre der RKI- und CDC-Guidelines ist anzuraten, zumal dort wertvolle Hintergrundinformationen gegeben werden. Übersichten zu den einzelnen Themen finden sich 7 Kap. 64 und auch im Standardwerk »Praktische Krankenhaushygiene und Umweltschutz« [1] sowie in [7]. ! Cave Der weitaus häufigste Überträger von Infektionen ist der Mensch selbst, d. h. auf der Intensivstation in erster Linie das Personal, das direkten pflegerischen Kontakt mit den Patienten hat, wobei kontaminierte Hände (und Handschuhe) bei der Infektionsübertragung die bei weitem wichtigste Rolle spielen. Wände, Decken oder auch Fußböden sind nur eine äußerst geringe Infektionsgefahr.
5.5
Surveillance nosokomialer Infektionen auf Intensivstationen
Die gezielte Surveillance (Erfassung, Analyse und Diskussion) von device-assoziierten Infektionen ist auf Intensivstationen eine wichtige Maßnahme im Rahmen des Qualitätsmanagements [3] (7 Kap. 62). Hier bietet sich im deutschsprachigen Raum die Teilname am Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) an (www.nrz-hygiene.de).
38
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
5.6
Isolierung infizier ter und kolonisier ter Patienten
Bauliche Voraussetzungen
5
Nach baulichen Gesichtspunkten können im Wesentlichen folgende Intensivstationen unterschieden werden: 4 Offene Stationen, bei denen die Betten nur durch einen bestimmten Abstand voneinander getrennt sind. In diesen Stationen ist eine räumliche Isolierung infizierter oder kolonisierter Patienten unmöglich, 4 Stationen, bei denen zwischen den Patienten Trennwände stehen, sog. offene Boxen. In diesen Boxen können ggf. beatmete Patienten, deren Respirationstrakt mit multiresistenten Keimen besiedelt ist, isoliert werden, 4 Stationen, bei denen einzelne Betten in geschlossenen Boxen oder Einzelzimmern stehen. Im günstigen Fall besitzt eine Intensivstation ein oder mehrere Isolierzimmer mit Schleuse und raumlufttechnischer Anlage. Die Schleuse sollte so groß bemessen sein, dass ein Bett bei geschlossenen Türen darin Platz hat. Hier befindet sich ein Waschbecken, in der Nasszelle ggf. zusätzlich noch eine Steckbeckenspülanlage. In diesen Isoliereinheiten können beispielsweise Patienten mit multiresistenten Erregern, offener Lungentuberkulose, ausgedehnten infizierten Wundinfektionen, aber auch extrem abwehrgeschwächte Patienten oder Patienten nach Organtransplantationen untergebracht werden. Bei letzteren beiden Gruppen ist es wichtig, dass die Luftströmung von innen nach außen gerichtet ist (sog. Umkehrisolation). In den anderen Fällen muss im Zimmer ein negativer Druck gegenüber den angrenzenden Räumen sichergestellt sein.
oder Durchfallerregern, ist es notwendig, auch kolonisierte Patienten, also solche, die noch nicht erkrankt sind, zu isolieren. Bei der sog. Kohortenisolierung werden mit dem gleichen Erreger infizierte oder kolonisierte Patienten in einem räumlich abgetrennten Bereich zusammengefasst, um eine Infektionsübertragung auf noch gesunde Patienten zu verhüten.
Hygienemaßnahmen bei multiresistenten Erregern – Beispiel Methicillin-resistente Staphylococcus aureus Häufigkeit. Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA)
wurden erstmals in den 1960-er Jahren isoliert und haben sich seitdem weltweit verbreitet. In Norwegen, Schweden, Dänemark und den Niederlanden liegt die MRSA-Rate (Anteil an allen S.-aureus-Isolaten) unter 1%, in vielen südeuropäischen Ländern, aber auch in England dagegen über 30%. In Deutschland lag sie 2004 bei 19% aller Staphylococcus-aureus-Isolate (EARSS), bei steigendem Trend (. Tab. 5.1). MRSA sind nicht nur gegen Methicillin resistent, sondern – bis auf Vancomycin/Teicoplanin und die neueren Antibiotika Linezolid, Quinupristin/Dalfopristin (Synercid), Tigecyclin und Daptomycin – häufig gegen die meisten anderen derzeit zugelassenen Antibiotika. Dabei bedeutet eine In-vitro-Empfindlichkeit eines anderen Antibiotikums bei MRSA in der Regel keine klinische Wirksamkeit. Für die Selektion von MRSA gelten v. a. Chinolone als Risikofaktor. Grundsätzlich gilt, dass eine reine Kolonisation mit multiresistenten Erregern nicht mit Antibiotika behandelt werden sollte. Eine rationale Antibiotikatherapie und -prophylaxe in Kombination mit effektiven Hygienemaßnahmen ist der entscheidende Schlüssel für die Kontrolle der Resistenzausbreitung (7 Kap. 62).
Kohortenisolierung In bestimmten epidemiologischen Situationen, z. B. bei Staphylokokkenepidemien, bestimmten mit multiresistenten Keimen
Der Nasenvorhof als natürliches Reservoir für S. aureus bildet meist den Ausgangspunkt für eine Besiedlung der übrigen Kör-
. Tabelle 5.1. Resistenzraten in % auf deutschen Intensivstationen (in Klammern Anzahl der Isolate) Angaben der Paul-Ehrlich Gesellschaft von 2004
Angaben aus SARI von 2000–2005
S. aureus, resistent gegen Methicillin
22,6 (841)
21,2 (9523)
E. faecium, restistent gegen Vancomycin
13,5 (193)
4,1 (1941)
5,6 (288)
8,1 (2906)
21,9 (745)
14,4 (7220)
P. aeruginosa, resistent gegen Piperacillin/Tazobactam
9,6 (819)
22,3 (4517)
P. aeruginosa, resistent gegen Imipenem (SARI) bzw Meropenem (PEG)
2,8 (819)
24,4 (4517)
15,1 (819)
18,1 (4517)
K. pneumoniae, resistent gegen Cefotaxim (PEG) bzw. Cephalosporine der 3. Generation (SARI) E. coli, resistent gegen Ciprofloxacin
P. aeruginosa, resistent gegen Ciprofloxacin
SARI: Daten von Intensivstationen: Surveillance der Antibiotika-Anwendung und der bakteriellen Resistenzen auf Intensivstationen (http:// www.sari-antibiotika.de) [9]. PEG: Daten aus dem ambulanten Bereich, von Allgemeinstation und von Intensivstation (http://www.p-e-g.de)
39 5.6 · Isolierung infizierter und kolonisierter Patienten
perstellen. Daher ist zur Erfassung der Besiedlung mit MRSA der Nasenabstrich unerlässlich (angefeuchteter steriler Tupfer). Die erforderliche hohe Sensitivität beim Nachweis bzw. Ausschluss von MRSA erreicht man durch kombinierte Abstriche von Nase, Rachen (v. a. Prothesenträger), Perineum/Leiste und vorhandenen Wunden. Ein routinemäßiges Aufnahme-Screening auf Intensivstationen ist angezeigt und vereinfacht das Procedere. Der wichtigste Übertragungsweg von Patient zu Patient und von Patient zu Personal ist auch hier der Händekontakt (Kontakt mit Nasen-Rachen-Raum). Sehr selten ist die aerogene Übertragung. Beim trachealen Absaugen (MRSA im Trachealsekret), beim Verbandwechsel (MRSA in der Wunde) oder beispielsweise beim Bettenmachen (v. a. bei perinealen MRSA-Trägern) besteht das Risiko, dass über Sekrete bzw. Hautschuppen Staphylokokken über die Luft übertragen werden. Der Verbreitungsgrad von MRSA und anderen multiresistenten Erregern in der eigenen Klinik muss bekannt sein und seit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes auch systematisch erfasst werden. Bei Ausbrüchen, d. h. beim Auftreten zweier oder mehrerer Erkrankungen mit dem gleichen Erreger, bei denen ein epidemiologischer Zusammenhang anzunehmen oder bestätigt ist, müssen die speziell bei multiresistenten Erregern erweiterten Hygienemaßnahmen oft noch ausgeweitet werden. Ausbrüche sind nach § IfSG dem Gesundheitsamt nichtnamentlich zu melden.
5
5
5
5
Wichtigste Hygienemaßnahmen bei MRSA-positiven Patienten in der Intensivmedizin 5 Standardhygienemaßnahmen nach den allgemeinen Regeln, d. h. insbesondere gründliche Händedesinfektion und Handschuhwechsel (s. unten) bei Patientenkontakt und und vor Verlassen des Raumes. Dies gilt ggf. auch für den Patienten selbst und für Besucher. 5 Unterbringung des MRSA-infizierten oder- besiedelten Patienten im Einzelzimmer oder abgetrennten Bereich; ggf. gemeinsame Unterbringung mehrerer MRSA-Träger (Kohortenisolierung, s. oben). 5 Patienten, die vor der Isolierung eines MRSA-positiven Patienten mit diesem in Kontakt gekommen sind, müssen gescreent werden (Nasen-Rachen-Raum, Perineum/ Leiste, ggf. Wunden). Gleiches gilt bei Aufnahme von Patienten aus Einrichtungen/Abteilungen mit bekanntem MRSA-Problem und bei Wiederaufnahme bei früherem MRSA-Nachweis: Auch zunächst erfolgreich dekolonisierte Patienten haben ein hohes Risiko, wieder mit MRSA besiedelt zu werden. Bei Wiederaufnahme sollten daher Kontrollabstriche durchgeführt werden (ggf. Primärisolierung bis zum Erhalt des negativen Ergebnisses). I5 In Ausbruchsituationen kann auch ein Screening der gesamten Station inklusive Personal notwendig sein. 5 Bei nasaler Besiedlung sollte eine 5-tägige Behandlung mit Mupirocin-Nasensalbe durchgeführt werden, dann 3 Kontrollabstriche im Abstand von 24 h. 6
5
5
5
5
Bei nicht erfolgreicher Dekontamination kann die Therapie bis zu 2-mal wiederholt werden (alternativ ggf. Polyhexanid- oder PVP-Jod-haltige Salbe). Unterstützend sollte bei Hautkolonisation eine tägliche Ganzkörperwaschung mit desinfizierenden Substanzen (Octenidin) erfolgen. Die Akte eines MRSA-positiven Patienten sollte gekennzeichnet sein, und alle Kontaktbereiche sollten informiert werden (Physiotherapeuten, Reinigungspersonal, Röntgenpersonal etc.). Wenn möglich auch elektronischer Warnhinweis im EDV-Patientendatensystem. Bei pflegerischem oder Körperkontakt mit infizierten oder kolonisierten MRSA-Trägern müssen patientenbezogen Handschuhe getragen werden (dies ist bei anderen Tätigkeiten, z. B. Essensversorgung, nicht erforderlich). Bei direktem Patientenkontakt, z. B. auch beim Bettenmachen, sollten zusätzlich Kittel und Mund-/Nasenschutz getragen werden; letzteres zur Verhinderung einer Übertragung durch unbewusste Hand-zu-Mund bzw. -Nasen-Bewegungen des Personals. Kopfhauben sind nicht erforderlich. Nur die notwendigen Pflegeutensilien werden im Zimmer gelagert; Blutdruckmanschetten, Stethoskope und Fieberthermometer dürfen nur patientenbezogen eingesetzt bzw. müssen nach Gebrauch desinfiziert werden. MRSA-positive Patienten werden vorzugsweise auf einer Liege transportiert (frisches Tuch); im eigenen Bett nur, nachdem es frisch bezogen und wischdesinfiziert wurde. Die Kleidung des Patienten sollte frisch gewechselt sein, bei Wunden vor dem Transport neuen Verband anlegen; bei nasaler Besiedlung Mund-/Nasenschutz. Wäsche und Geschirraufbereitung bedürfen keiner besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Maßnahmen: Abfall wird im Patientenzimmer gesammelt und mit dem Hausmüll entsorgt. Die Wäsche wird im Zimmer gesammelt. Die Besiedelung mit MRSA sollte kein Grund sein, einen Patienten nicht aufzunehmen; weiterbehandelnde Institutionen müssen natürlich informiert werden. Das Patienten- bzw. Behandlungszimmer nach Entlassung wischdesinfizieren.
i Wichtig für Intensivstationen ist die leichte Erreichbarkeit von Waschbecken und ganz besonders von Händedesinfektionsmittelspendern (bettplatznah); ggf. sog. Kittelflaschen verwenden.
Weitere wichtige multiresistente Erreger ( VRE, ESBL) Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) nehmen auch in Europa in besorgniserregender Weise zu. Obwohl Enterokokken per se nicht sehr virulent sind, können Infektionen zu erheblichen Problemen führen, v. a. wegen der meist schweren Grunderkrankungen der Patienten [5]. Klinisch bedeutsam sind Enterococcus faecalis (ca. 85%) und Enterococcus faecium. Bei den
40
5
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
meisten VRE handelt es sich um E. faecium. Die Vancomycin-Resistenz bei Enterokokken ist häufig verbunden mit Mehrfachresistenz, die auch Ampicillin und andere Penicilline einschließt. In den meisten Fällen besteht Kreuzresistenz gegenüber Teicoplanin. Durch die Mehrfachresistenz sind die therapeutischen Möglichkeiten eingeschränkt. Im Rahmen von Ausbrüchen v. a. bei hämatologisch/onkologischen Patienten spielen auch in Deutschland besonders virulente Stämme (»clonal complex 17«) eine zunehmende Rolle. Zur Kontrolle von VRE sind konsequente Isolierungsmaßnahmen wie bei MRSA erforderlich – allerdings entfällt die Notwendigkeit eines Mund-Nasen-Schutzes, da keine nasale Trägerschaft zu erwarten ist. Extended-spectrum-E-Laktamase (ESBL) produzierende Bakterien sind nach MRSA mittlerweile in Deutschland die zweithäufigsten multiresistenten Erreger. Sie produzieren Enzyme, die die Fähigkeit haben, E-Laktamantibiotika (Cephalosporine, Penicilline) zu inaktivieren [6]. Sie werden v. a. bei E. coli und Klebsiellen gefunden. Problematisch ist, dass ihre Resistenz plasmidevermittelt übertragen wird, d. h. die Resistenz kann auch zwischen verschiedenen Spezies übertragen werden. Ebenso wie bei MRSA und VRE sind die Therapieoptionen eingeschränkt. Als Risikofaktor für die Selektion von ESBL-Bildern gilt in erster Linie ein hoher Verbrauch an Cephalsoporinen der 3. Generation. Um die Ausbreitung von ESBL zu verhindern, gilt es, die Übertragung von Patient zu Patient zu verhindern (adäquate Isolierungsmaßnahmen) und Antibiotika rational und so kurz wie möglich einzusetzen. Auch VRE- und ESBL-bildende Erreger werden hauptsächlich über Hände/Handschuhe des Personals übertragen. Deshalb sind die wichtigsten Hygienemaßnahmen bei multiresistenten Erregern Händedesinfektion und Handschuhwechsel vor und nach Patientenkontakt. 5.7
Reinigung und Desinfektion
Händedesinfektion Händedesinfektion ist die wirksamste, kostengünstigste und einfachste Maßnahme zur Verhütung von Infektionsüber tragungen (Kreuzinfektionen). Dafür genügend Händedesinfektionsmittel (3–5 ml) in die Hohlhand geben, mit richtiger Technik sorgfältig verreiben. Die Einwirkungszeit der alkoholischen Präparate beträgt 15–30 s. Auf die Notwendigkeit der Händehygiene und die er forderliche Einwirkzeit für das Desinfektionsmittel müssen insbesondere die Ärzte immer wieder hingewiesen werden. Händewaschen bei Verschmutzung oder z. B. bei Dienstbeginn, Dienstende, Verlassen der Station, nach Niesen.
Die Händedesinfektion mit einem alkoholischen Einreibepräparat – am besten farb- und duftstoffrei – ist v. a. vor und nach Manipulation an besonders infektionsgefährdeten oder kontaminierten Stellen notwendig (z. B. vor Manipulationen am Venenkatheter, Infusionsbesteck, Blasenkatheter, nach Manipulationen am Tracheostoma, der Genitalregion). Aus dermatologischen Gründen soll eine routinemäßige Kombination von Waschen mit Seife und anschließender Hän-
dedesinfektion vermieden werden. Wenn die Hände nicht verschmutzt sind, genügt die Händedesinfektion, die durch die rückfettenden Substanzen auch hautschonender ist. Verschmutzte oder kontaminierte Hände werden zuerst vorsichtig mit Wasser und Flüssigseife gewaschen, sorgfältig abgetrocknet und erst dann desinfiziert. ! Cave Auch wenn Handschuhe getragen werden, müssen (zumindest nach Kontamination der Handschuhe) die Hände anschließend desinfiziert werden. Bis zu 20% der Einweghandschuhe weisen nach Gebrauch optisch z. T. nicht wahrnehmbare Löcher auf.
Reinigung und Desinfektion der Betten Das Versprühen von Desinfektionsmitteln ist auf das absolut notwendige Minimum (kleine, dem Wischen schlecht zugängliche Flächen und Ecken) zu beschränken. Durch Versprühen gelangt das Desinfektionsmittel nicht nur auf den Gegenstand, sondern auch in die Atemwege von Patienten und Personal. Kopfkissen, Matratzen und Federbetten beispielsweise können durch Besprühen nicht wirksam desinfiziert werden. Matratzen erhalten einen waschbaren Schonbezug; Kopfkissen und Bettdecken müssen desinfizierend gewaschen werden können. Bettgestelle müssen zur Reinigung und Desinfektion nicht in eine Zentrale gefahren werden, die Reinigung oder Desinfektion kann manuell auf der Station erfolgen.
Raumdesinfektion Eine Raumdesinfektion durch Verdampfen von Formaldehyd ist auch nach meldepflichtigen Erkrankungen, z. B. offener Lungentuberkulose, nicht notwendig. Es genügt eine Wischdesinfektion der horizontalen patientennahen Flächen. Eine routinemäßige Desinfektion von Waschbecken, Siphons oder Toiletten ist nicht nötig; eine Reinigung mit einem umweltfreundlichen Reinigungsmittel reicht aus. Die Desinfektion ist aber erforderlich nach Benutzung durch Patienten mit multiresistenten Erregern oder meldepflichtigen Erkrankungen. Die Reinigung sollte nur von geschultem Personal durchgeführt werden. Patientennahe Flächen, insbesondere solche, die häufig mit den Händen berührt werden (z. B. Nachttisch, Versorgungsleiste, Monitor, Medikamentenwagen, Verbandswagen, Beistelltische) werden routinemäßig mindestens 1-mal täglich, die Bedienungsoberflächen des Beatmungsgeräts und der Monitore in jeder Schicht, desinfizierend gereinigt. Für jeden Raum und für jede Box sollten frische Tücher ver wendet werden. Bei Kontamination von Flächen mit z. B. Blut, Sputum, Eiter, Wundsekret usw. erfolgt unverzüglich eine gezielte Desinfektion, d. h. die Kontamination wird mit einem desinfektionsmittelgetränkten Tuch mit Handschuhen entfernt. Der Fußboden wird 2-mal täglich mit dem hausüblichen Reinigungssystem, ohne Zusatz eines Desinfektionsmittels, gereinigt [2]. Auch hier erfolgt bei Kontamination mit potenziell infektiösem Material immer unverzüglich eine gezielte Desinfektion. Die Verwendung von Desinfektionsmitteln in Konzentrationen der Desinfektionsmittelliste des Robert Koch-Instituts ist auch bei meldepflichtigen Infektionskrankheiten nicht notwendig, sondern nur im Seuchenfall und auch dann nur auf Anordnung des Amtsarztes.
41 5.7 · Reinigung und Desinfektion
5
. Tabelle 5.2. Muster eines Reinigungs- und Desinfektionsplans für die Intensivmedizin Was?
Wann?
Womit?
Wie?
Händereinigung
Bei Betreten bzw. Verlassen des Arbeitsbereiches, nach Verschmutzung
Flüssigseife aus Spender
Hände waschen, mit Einmalhandtuch abtrocknen
Hygienische Händedesinfektion
Zum Beispiel vor Verbandswechsel, Injektionen, Blutabnahmen, Anlage von Blasen- und Venenkathetern;
Alkoholisches Händedesinfektionsmittel (farb- und duftstofffrei)
Ausreichende Menge entnehmen, damit die Hände vollständig benetzt sind, gründlich verreiben bis Hände trocken sind; kein Wasser zugeben
Nach Kontamination* (bei grober Verschmutzung vorher Hände waschen), nach Ausziehen der Handschuhe Chirurgische Händedesinfektion
Vor operativen Eingriffen
4 Alkoholisches Händedesinfektionsmittel: Hände und Unterarme 1 min waschen; dabei Nägel und Nagelfalze nur bei Verschmutzung bürsten, anschließend Händedesinfektionsmittel während 3 min portionsweise auf Händen und Unterarmen verreiben. 4 PVP-Jodseife: Hände und Unterarme 1 min waschen und dabei Nägel und Nagelfalze bürsten, anschließend 4 min waschen, unter fließendem Wasser abspülen, mit sterilem Handtuch abtrocknen
Hautdesinfektion
Vor Punktionen, bei Verbandswechsel usw.
Alkoholisches Hautdesinfektionsmittel oder PVP-Jod-Alkohol-Lösung
Sprühen – wischen – sprühen (– wischen) Dauer: 30 s
Vor Anlage von intravasalen Kathetern
Alkoholisches Hautdesinfektionsmittel (vorzugsweise mit Octenidin)
Mit sterilen Tupfern mehrmals auftragen und verreiben; Dauer: 1 min
Vor invasiven Eingriffen mit besonderer Infektionsgefährdung (z. B. Gelenkpunktionen, Lumbalpunktionen)
Alkoholisches Hautdesinfektionsmittel
Mit sterilen Tupfern mehrmals auftragen und verreiben; Dauer: 3 min
Schleimhautdesinfektion
Zum Beispiel vor Anlage von Blasenkathetern
Octenidin-haltiges Schleimhautdesinfektionsmittel; ggf. PVP-Jodlösung ohne Alkohol
Unverdünnt auftragen; Dauer: 1 min
Instrumente
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat, verpacken, autoklavieren oder in Instrumentenreiniger einlegen, reinigen, abspülen, trocknen, verpacken, autoklavieren; bei Verletzungsgefahr: Zusatz von Instrumentendesinfektionsmittel
Standgefäß mit Kornzange
1-mal täglich
Reinigen, verpacken, autoklavieren (bei Verwendung kein Desinfektionsmittel in das Gefäß geben)
Trommeln
1-mal täglich nach Öffnen (Filter regelmäßig wechseln)
Reinigen, autoklavieren
Thermometer
Nach Gebrauch
Alkohol 70%
Blutdruckmanschette Kunststoff Stoff
Nach Kontamination Nach Verschmutzung
4 Mit Flächendesinfektionsmittel bzw. Alkohol 70% abwischen, trocknen oder Reinigungs- und Desinfektionsautomat 4 in Instrumentenreiniger einlegen, abspülen, trocknen, autoklavieren oder Reinigungs- und Desinfektionsautomat
Stethoskop
Nach jedem Patienten
Alkohol 70%
Mundpflegeset
1-mal täglich
Tablett/Becher Klemme
Nach jedem Gebrauch 1-mal täglich
Becher mit Gebrauchslösung
Nach jedem Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat, trocknen oder mit Alkohol 70% abwischen 4 Mit Alkohol 70% abwischen, 4 Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Instrumentenreiniger einlegen, trocknen, verpacken, autoklavieren Mit Alkohol 70% auswischen
6
Gründlich abwischen
Abwischen
42
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
. Tabelle 5.2. (Fortsetzung)
5
Was?
Wann?
Womit?
Wie?
Trachealtuben
Nach Gebrauch
In Instrumentenreiniger (evtl. Ultraschallbad) einlegen, mit Bürste reinigen, abspülen, trocknen, verpacken, autoklavieren
Führungsstab
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder reinigen, verpacken, autoklavieren
Sauerstoffanfeuchter 4 Gasverteiler 4 Wasserbehälter 4 Verbindungsschlauch
Bei Patientenwechsel oder alle 48 h (ohne Aqua dest.) Alle 7 Tage
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder reinigen, trocknen, autoklavieren
Haarschneidemaschine 4 Scherkopf
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat (Flowmeter mit Alkohol 70% abwischen)
Mit Alkohol 70% abwischen Reinigen, in Alkohol 70% für 10 min einlegen, trocknen oder reinigen, autoklavieren (Pflegeöl benutzen)
Geräte, insbesondere Bedienungsknöpfe
1-mal pro Schicht
Flächendesinfektionsmittel
Abwischen
Mobiliar
Nach Kontamination
Flächendesinfektionsmittel
Abwischen
Urometer
Nach Gebrauch
Instrumentendesinfektionsmittel
Einlegen, abspülen, trocknen
Kuhn-System, Beatmungsbeutel
Alle 24 h bzw. bei Patientenwechsel
Reinigungs- und Desinfektionsautomat
Laryngoskopgriff, Tubusklemme
Nach Gebrauch
Flächendesinfektionsmittel oder Alkohol 70%
Laryngoskopspatel
Nach Gebrauch
Unter fließendem Wasser mit Bürste reinigen, trocknen, mit Alkohol 70% abwischen oder Reinigungs- und Desinfektionsautomat, zuvor Birne entfernen
Masken, Guedel-Tubus, Magill-Zange
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Instrumentenreiniger einlegen, abspülen, trocknen, verpacken, autoklavieren
Temperatursonden
Nach Gebrauch
Alkohol 70%
Notfallbeatmungsgerät (Schläuche, Ventil, Beutel etc.)
Nach Gebrauch
Mit Flächendesinfektionsmittel abwischen; Reinigungs- und Desinfektionsautomat
Transducer und Kabel
Direkt vor und nach Gebrauch, bei jedem Systemwechsel
Flächendesinfektionsmittel oder Alkohol 70%
Kapnometrieschlauch u. Adapter
Nach Gebrauch
Dampfdesinfektion oder autoklavieren
ICP-Kabel
Bei Systemwechsel
Mit Desinfektionsmittel abwischen
ICP-Sonde
Nach Gebrauch
Mit Alkohol 70% abwischen, anschließend Niedrigtemperatursterilisation (z. B. Plasmasterilisation)
Pulsoxymetriekabel und Clip
Bei Patientenwechsel 1-mal täglich
Alkohol 70% oder Flächendesinfektionsmittel
Beatmungszubehör (z. B. Schläuche, Wasser falle, Verneblertopf, Tubusadapter, Y-Stück)
Bei Patientenwechsel (bzw. vorher bei Verschmutzung)
Reinigungs- und Desinfektionsautomat
6
Abwischen
Abwischen
Abwischen
Abwischen
43 5.7 · Reinigung und Desinfektion
5
. Tabelle 5.2. (Fortsetzung) Was?
Wann?
Womit?
Wie?
Redon-Flaschen, Bülau-Flaschen, Monaldi-Flaschen
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat, autoklavieren oder in Desinfektionsmittel einlegen, abspülen, trocknen, autoklavieren
Absauggefäße inkl. Verschlussdeckel und Verbindungsschläuche
1-mal täglich oder bei Patientenwechsel
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Desinfektionsmittel einlegen, abspülen, trocknen
Waschbecken
1-mal täglich
Mit umweltfreundlichem Reiniger reinigen
Strahlregler
1-mal pro Woche
Reinigungs- und Desinfektionsautomat
Waschschüsseln
Nach Benutzung
Vorzugsweise maschinelle (thermische) Aufbereitung
Duschen
Nach Benutzung durch infizierte Patienten
Flächendesinfektionsmittel
Nagelbürsten
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Instrumentenreiniger einlegen, abspülen, autoklavieren
Steckbecken, Urinflaschen
Nach Gebrauch
Steckbeckenspülautomat
Fußboden
1-mal täglich Nach Kontamination*
Umweltfreundlicher Reiniger, Flächendesinfektionsmittel
Abfall, bei dem Verletzungsgefahr besteht, z. B. Skalpelle, Kanülen
Direkt nach Gebrauch (bei Kanülen kein Recapping)
Entsorgung in durchstichsichere und fest verschließbare Kunststoffbehälter
Nach der Einwirkzeit mit Wasser nachspülen, trocknen
Hausübliches Reinigungssystem Wischen
* Kontamination: Kontakt mit (potenziell) infektiösem Material. Anmerkungen: 4 Nach Kontamination mit potenziell infektiösem Material (z. B. Blut, Sekreten oder Exkreten) immer sofort gezielte Desinfektion der Fläche. 4 Beim Umgang mit Desinfektionsmitteln immer mit Haushaltshandschuhen arbeiten (Allergisierungspotenzial). 4 Ansetzen der Desinfektionsmittellösungen nur in kaltem Wasser (Vermeidung schleimhautreizender Dämpfe). 4 Anwendungskonzentration beachten. 4 Einwirkzeiten von Instrumentendesinfektionsmitteln einhalten. 4 Standzeiten von Instrumentendesinfektionsmitteln nach Herstellerangaben (wenn Desinfektionsmittel mit Reiniger angesetzt wird: täglich wechseln). 4 Zur Flächendesinfektion nicht sprühen, sondern wischen. 4 Nach Wischdesinfektion: Benutzung der Flächen, sobald wieder trocken. 4 Benutzte, d. h. mit Blut etc. belastete Flächendesinfektionsmittellösung mindestens täglich wechseln. 4 Haltbarkeit einer unbenutzten dosierten Flächendesinfektionsmittellösung (z. B. 0,5%) in einem verschlossenen Behälter (z. B. Spritzflasche) nach Herstellerangaben (meist 14–28 Tage). 4 Reinigungs- und Desinfektionsautomat: 80°C, 10 min Haltezeit (ohne Desinfektionsmittelzusatz).
Wasserhygiene
Aufbereitung
Die Strahlregler an den Wasserhähnen sollen einmal pro Woche in einer automatischen Reinigungs- und Desinfektionsmaschine bzw. Geschirrspülmaschine gereinigt und thermisch desinfiziert werden, da es durch die sich dort ansammelnden Verunreinigungen aus dem Leitungswasser und einen Biofilm zu einer verstärkten Kontamination des Wassers kommen kann. Im Leitungswasser sind häufig in wechselnder Keimzahl sog. Wasserkeime, z. B. auch Pseudomonaden, Acinetobacter oder Aspergillen, nachzuweisen. Deshalb kann es je nach Wasserqualität sinnvoll sein, dem Waschwasser für die Körperwaschungen vom Patienten PVP-Jodlösung zuzufügen (1 Teil 10%ige PVP-Jodlösung auf 100 Teile Wasser).
Die sichere Aufbereitung von medizinischem Instrumentarium gehört zu den unerlässlichen Standardhygienemaßnahmen [1, 10]. Hierzu wird auch auf die einschlägigen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts hingewiesen (www.rki.de). Diese sind mittlerweile in der Medizinprodukte-Betreiberverordnung verankert. Das Muster eines Reinigungs- und Desinfektionplans für eine Intensivstation ist in . Tabelle 5.2 aufgeführt.
Unnötige Hygienemaßnahmen Routinemäßige Abklatschuntersuchungen von Flächen oder Gegenständen zur Überprüfung der Effektivität von Reinigung oder Desinfektion, routinemäßige Personaluntersuchungen oder
44
5
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
routinemäßige Luftkeimzahlbestimmungen auf Intensivstationen sind unnötig. In Übereinstimmung mit Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der Centers for Disease Control and Prevention, USA, ist auch der Wert von routinemäßigen Wasseruntersuchungen auf Legionellen umstritten, die heute allerdings auf der Basis der Trinkwasserverordnung in der Regel 1bis 2-mal jährlich erfolgen. Bei jeder nosokomialen Pneumonie muss konsequent die Legionellenätiologie ausgeschlossen werden. Wenn eine Legionellenpneumonie auf der Station auftritt, sind unverzüglich gezielte Wasseruntersuchungen erforderlich, d. h. das Trinkwasser muss auf Legionellen untersucht werden (ggf. Typisierung bei positivem Nachweis). Die wichtigsten unnötigen Hygienemaßnahmen sind im Folgenden zusammengestellt: 4 routinemäßige Abklatschuntersuchungen, 4 routinemäßige Personaluntersuchungen (z. B. Rachenabstriche), 4 routinemäßige Luftkeimzahlbestimmungen, 4 routinemäßige ungezielte Wasseruntersuchungen, 4 UV-Lampen, 4 Plastiküberschuhe oder spezielles Schuhwerk, 4 routinemäßige Desinfektion von Waschbecken, Siphons, Gullis, Fußboden, 4 Klebematten, Desinfektionsmatten, 4 Wechsel der Beatmungsschläuche alle 48 h, 4 Personal-, Material- und Geräteschleusen, 4 Umkleiden bei Betreten oder Verlassen der Intensivstation. 5.8
Umweltschutz auf Intensivstationen
Mit Ausnahme von Spritzen und Nadeln ist bisher nicht nachgewiesen worden, dass die Verwendung von Einwegmaterial zu einer Senkung der Infektionsrate führt. Viele Einwegmaterialien (z. B. Beatmungsschläuche, Einwegabsaugsysteme) können durch Mehrwegmaterialien ersetzt werden. Einweggeschirr ist aus hygienischen Gründen überflüssig. Geschlossene Trachealabsaugsysteme können 48–72 h verwendet werden. Einige Einwegsysteme können wiederaufbereitet werden, z. B. Atemtrainer, Einwegbeatmungsschläuche, Sauerstoffmasken. Die Wiederaufbereitung von Einwegmaterialien ist in Deutschland gesetzlich nicht verboten. Infusionsbestecke müssen nicht häufiger als alle 72 h gewechselt werden, dadurch wird die Menge des Kunststoffabfalls deutlich reduziert (vorzugsweise PVC-freie Bestecke verwenden).
Literatur 1. Daschner F, Dettenkofer M, Frank U, Scherrer M (Hrsg) (2006) Praktische Krankenhaushygiene und Umweltschutz, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio 2. Dettenkofer M, Wenzler S, Amthor S, Antes G, Motschall E, Daschner FD (2004) Does disinfection of environmental surfaces influence nosocomial infection rates? A systematic review. Am J Infect Control 32: 84–89 3. Gastmeier P, Geffers C, Sohr D, Dettenkofer M, Daschner F, Ruden H (2003) Five years working with the German nosocomial infection surveillance system (Krankenhaus Infektions Surveillance System). Am J Infect Control 31: 316–321 4. Grundmann H, Barwolff S, Tami A, Behnke M, Schwab F, Geffers C, Halle E, Gobel UB, Schiller R, Jonas D, Klare I, Weist K, Witte W, Beck-
5. 6.
7.
8.
9.
10.
Beilecke K, Schumacher M, Ruden H, Gastmeier P (2005) How many infections are caused by patient-to-patient transmission in intensive care units? Crit Care Med 33: 946–951 Hübner J, Dettenkofer M, Kern WV (2005). Vancomycin-resistente Enterokokken. Dtsch Med Wochenschr 28: 130: 2463–2468 Livermore DM, Woodford N (2006) The beta-lactamase threat in Enterobacteriaceae, Pseudomonas and Acinetobacter. Trends Microbiol 14: 413–420 Mayhall CG (ed) (2004) Hospital epidemiology and infection control, 3rd edn. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia Baltimore New York Meyer E, Schwab F, Gastmeier P, Rueden H, Daschner FD (2006) Surveillance of antimicrobial use and antimicrobial resistance in german intensive care units (SARI): A summary of the data from 2001 through 2004. Infection 34: 303–309 Meyer E, Schwab F, Gastmeier P, Jonas D, Rueden H, Daschner FD (2006) Methicillin-resistant Staphylococcus aureus in German intensive care units during 2000–2003: data from Project SARI (Surveillance of Antimicrobial Use and Antimicrobial Resistance in Intensive Care Units). Infect Control Hosp Epidemiol 27: 146–154 Schulz-Stübner S, Hauer T, Dettenkofer M (2003) Aufbereitung von Medizinprodukten in der Anästhesiologie und Intensivmedizin. Anästhesiologie & Intensivmedizin 44: 442–446
6 Transport kritisch kranker Patienten W. Wilhelm
6.1
Einleitung
–46
6.2
Transpor trisiken
–46
6.2.1 Atmung/Beatmung –46 6.2.2 Herz-Kreislauf-System –46
6.3
Transportausrüstung
–46
6.3.1 Transportmonitor –47 6.3.2 Transportbeatmungsgerät –47 6.3.3 Notfalltasche –47
6.4
Vorbereitung und Durchführung des Transports
6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5
Personelle Voraussetzungen –47 Vorbereitung des Patienten –47 Überwachung während des Transports –48 Einstellung des Transportbeatmungsgeräts –48 Vorgehen in Sonderfällen –49
6.5
Besonderheiten des Interhospitaltransports
6.5.1 Transportmittel –50 6.5.2 Vorbereitung und Durchführung
Literatur
–51
–50
–50
–47
6
46
Kapitel 6 · Transport kritisch kranker Patienten
6.1
Einleitung
Kritisch kranke Patienten müssen während ihrer Krankenhausbetreuung häufig transportiert werden: vom Schockraum zum OP oder zur Intensivstation, von der Intensivstation zum CT, in den OP, zur Koronarintervention oder auch – innerklinisch oder zwischen Kliniken – zu einer anderen Intensiveinheit. Dabei stellt jeder Transport prinzipiell ein Risiko dar, sodass vorher – insbesondere bei »Diagnostikfahrten« – immer eine Nutzen-Risiko-Beurteilung erfolgen sollte. Manche postoperative Röntgenkontrolle kann verschoben werden, bis der Patient sich stabilisiert hat oder zumindest nicht mehr beatmet wird; große, schwere und teuere Diagnostikgeräte sollte man – wenn auch ungern – zum Intensivpatienten hinfahren. Schließlich werden auch kleinere operative Eingriffe nach der entsprechenden Abwägung besser ohne Transport auf der Intensivstation durchgeführt, hierzu gehört sicherlich die perkutane Dilatationstracheotomie.
6.2.2 Herz-Kreislauf-System Auch Herz-Kreislauf-Störungen können jederzeit während eines Transports auftreten. Bei traumatologischen Intensivpatienten wurde berichtet, dass es bei über 2/3 (68%) der transportierten Patienten zu einer ernstzunehmenden Veränderung physiologischer Parameter kam, u. a. bei 40% zu einer Blutdruckveränderung von mindestens 20 mmHg; bei 21% der Patienten änderte sich die Pulsfrequenz um mindestens 20 Schläge/min [11]. In einer anderen Untersuchung einer chirurgischen Intensivstation kam es bei 12 von 203 (=6%) Transporten zu schwerwiegenden Zwischenfällen, u. a. Herzstillstand (n=3), erheblichem Blutdruckabfall (n=2) und Hypoxämie (n=4); bei einem weiteren Patienten musste eine Thoraxdrainage eingelegt werden [16]. Risikofaktoren und Gefahren beim Transport von Intensivpatienten [9]
i Grundsätzlich gilt: »Der sicherste Transport kritisch kranker Patienten ist derjenige, der überhaupt nicht stattfindet« [14].
5 Wechsel des Beatmungsgeräts, evtl. auch des Beatmungsverfahrens (dadurch Hypo- oder Hyperkapnie, Hypoxie) 5 Akzidentelle Atemwegsverlegung, Tubusdislokation oder Extubation 5 Akzidentelle Unterbrechung der kontinuierlichen Medikamentenzufuhr (bei Katecholaminen oder Vasodilatatoren krisenhaf te Blutdruckschwankungen) 5 Funktionsstörung von passagerem Herzschrittmacher oder intraaor taler Ballongegenpulsation (IABP) 5 Vorübergehender Mehrbedarf an Analgetika/ Sedativa 5 Lagerungsänderungen (Unterbrechung der axialen Rotation bei Patienten mit schwerer Oxygenierungsstörung, Flachlagerung im CT bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck) 5 Akzidenteller Verlust von Kathetern und Drainagen (z. B. arterieller oder zentralvenöser Katheter, Hirndrucksonde, Thoraxdrainage etc.) 5 Hypothermie 5 Transporttrauma (Beschleunigung, Lärm, Vibration) 5 Betriebsinterne Transportprobleme (Fahrstuhl, Wartezeiten) 5 Eingeschränkte Über wachungs- und Behandlungsbedingungen, insbesondere bei Umlagerungsmanövern
Trotzdem sind viele Transporte unumgänglich und müssen manchmal sogar schnellstmöglich unter Notfallbedingungen erfolgen. Es ist daher empfehlenswert, alle Intensivtransporte standardisiert durchzuführen und die erforderliche Ausrüstung rund um die Uhr einsatzbereit vorzuhalten [2, 18]. Inzwischen gibt es dazu auch Expertenforen, Empfehlungen oder Richtlinien verschiedener Fachgesellschaften [1, 5, 9, 18, 21], die z. T. aber nur einen Minimalstandard definiert haben. 6.2
Transpor trisiken
Die Hauptrisiken betreffen die Atmung bzw. Beatmung und das Herz-Kreislauf-System [20]. Hier können Störungen rasch und ohne Vorwarnung auftreten und dann sofort lebensbedrohlich werden. Hinzu kommt, dass es bei den meisten Transporten kurze Zeitabschnitte (z. B. beim Umlagern) gibt, in denen die Überwachung des Patienten trotz optimaler Geräteausstattung ausschließlich klinisch durchgeführt werden muss. 6.2.1 Atmung/Beatmung Die Beatmung während des Transports erfolgt in der Regel nicht mit dem Intensivrespirator, sondern mit einem Handbeatmungsbeutel oder einem Transportbeatmungsgerät. Allein durch diesen Gerätewechsel und den anschließenden Transport kann es zu nachhaltigen Oxygenierungsstörungen kommen: So wurde in einer Untersuchung zum innerklinischen Transport beatmeter Intensivpatienten in nahezu der Hälfte der Fälle (43%) eine signifikante Verschlechterung der Oxygenierung festgestellt, und bei immerhin 1/5 der Patienten wurden die Ausgangswerte erst wieder nach mehr als 24 h erreicht [19]. Zudem scheint der Transport beatmeter Patienten ein eigenständiger Risikofaktor für die Entwicklung einer »respiratorassoziierten« Pneumonie zu sein: Von 273 transportierten Intensivpatienten entwickelten 24% eine Pneumonie, in der nicht transportierten Vergleichsgruppe (n=248) waren es nur 4% [12]. In einer aktuellen Untersuchung beatmeter Patienten verdreifachte der innerklinische Transport das Pneumonierisiko [3].
6.3
Transportausrüstung
Für den innerklinischen Intensivtransport ist folgende Basisausstattung erforderlich [5]: 4 Transportmonitor, 4 Transportbeatmungsgerät bzw. O2-Quelle mit Handbeatmungsbeutel und Reservoir, 4 Notfalltasche mit Medikamenten und Intubationsbesteck, 4 Defibrillator und Absaugeinheit, sofern der Patient besonders gefährdet ist.
47 6.4 · Vorbereitung und Druchführung des Transports
6
6.3.1 Transportmonitor . Tabelle 6.1. Vorschlagsliste zur Medikamentenausstattung eines Notfallkoffers für innerklinische Transporte
Der Transportmonitor muss stabil gebaut, übersichtlich dimensioniert und bedienbar sein, einen beleuchteten, gut erkennbaren Bildschirm besitzen sowie über eine Akkulaufzeit von mindestens 2 h verfügen. Folgende Parameterüberwachung sollte vorhanden sein: 4 EKG mit Herzfrequenz, 4 nichtinvasive Blutdruckmessung (mit verschiedenen Manschettengrößen), 4 invasive Druckmessung mit Darstellung der Druckkurve (für Blutdruck, ZVD, PAP, PCWP oder ICP), 4 Pulsoxymetrie (mit Pulsfrequenzangabe, optional mit Pulskurvendarstellung), 4 Kapnometrie (mit Darstellung der Kapnographiekurve). Bei vielen derzeit verfügbaren Transportmonitoren gehört die Kapnometrie noch nicht zur Grundausstattung; bei Neuanschaffung eines Monitors sollte sie aber unbedingt enthalten sein.
Sedativa/ Analgetika
Sonstiges
4 4 4 4 4 4
4 4 4 4
4 100 ml NaCl 0,9% 4 100 ml NaHCO3 8,4% 4 Nichtdepolarisierendes Muskelrelaxans (z. B. Rocuronium)
Adrenalin Noradrenalin Atropin Akrinor Amiodaron Nitroglycerin
Midazolam Etomidat Propofol Ketamin
Intubationsbesteck sowie einen Handbeatmungsbeutel mit Masken und Guedel-Tuben. Eine Vorschlagsliste zur Medikamentenausstattung findet sich in . Tabelle 6.1. 6.4
6.3.2 Transportbeatmungsgerät
Notfallmedikamente
Vorbereitung und Durchführung des Transports
Ein Transportbeatmungsgerät sollte folgende Einstellmöglichkeiten bzw. Eigenschaften besitzen: 4 Atemfrequenz und Tidalvolumen bzw. Atemminutenvolumen, 4 Atemzeitverhältnis (I:E frei wählbar, zumindest aber 1:1 und 1:2), 4 FIO2 frei wählbar (zumindest aber 50 bzw. 100%), 4 PEEP, 4 Beatmungsdruckanzeige, 4 akustischer und optischer Volumenmangel-, Stenose- und Diskonnektionsalarm.
Geplante Intensivtransporte werden am besten während der Hauptarbeitszeit durchgeführt, wenn die Mitarbeiterzahl am höchsten ist. Dies gilt insbesondere für Transporte zu diagnostischen Zwecken, um Befunde sofort mit einem erfahrenen Untersucher »vor Ort« diskutieren und eventuelle Zusatzuntersuchungen anschließend ohne unnötigen Zweittransport durchführen zu können.
! Cave Beim Einsatz der Transportbeatmungsgeräte müssen folgende Gefahren beachtet werden: 5 Ältere Geräte besitzen keinen Diskonnektions- oder Volumenmangelalarm! 5 Die Beobachtung der Beatmungsdruckanzeige ist zwar hilfreich, beweist aber keine ausreichende Ventilation und kann bei einer Stenose im Bereich der Atemwege irreführend sein. 5 Ältere Geräte sind O2-druckbetrieben. Ist kein O2Druck mehr vorhanden (bei geschlossener oder vollständig entleerter O2-Flasche), endet die Beatmung bei einigen Geräten ohne Vorwarnung.
Innerklinische Transporte beatmeter Intensivpatienten sollten immer von mindestens 2 Personen begleitet werden: einem Arzt und einer Pflegekraft (= Transportteam), beide mit intensivmedizinischer Qualifikation [5, 21]. In der Regel wird das Transportteam den Patienten auch selbst auf der Intensivstation betreuen und ist über die individuellen Besonderheiten informiert. Ist der Patient dem Transportteam nicht bekannt, so wird eine kurze Übergabe durchgeführt. Hierbei muss auch eine Identitätssicherung des Patienten und der geplanten Maßnahme erfolgen.
Daher ist eine gleichzeitige klinische Überwachung dieser Patienten unbedingt erforderlich: Der Thorax hebt und senkt sich regelmäßig. Eine Überwachung mit Kapnometrie ist ideal, die Pulsoxymetrie reagiert erst später bei beginnendem O2-Mangel.
6.4.1 Personelle Voraussetzungen
! Cave Bei innerklinischen Transporten gilt: Persönlich unbekannte Patienten nie ohne vorhergehende Identitätssicherung transportieren!
Dies gilt insbesondere bei Patienten, die zu einer Operation oder nach Hirntoddiagnostik zur Explantation begleitet werden sollen. 6.4.2 Vorbereitung des Patienten
6.3.3 Notfalltasche Die Notfalltasche für innerklinische Transporte muss kein vollständig aufgerüsteter Notarztkoffer sein, sondern enthält einen Basissatz Notfallmedikamente, einige Spritzen und Kanülen, ein
Der ansprechbare Patient wird vor dem Transport entsprechend informiert, etwa 30‒45 min vor dem geplanten Untersuchungsoder Operationstermin kann dann in Ruhe mit den Transportvorbereitungen begonnen werden.
48
Kapitel 6 · Transport kritisch kranker Patienten
Infusionen Prinzipiell sollten nur so viele Infusionen und Spritzenpumpen wie wirklich nötig an dem Patienten angeschlossen bleiben, um auch beim Umlagern möglichst übersichtlich arbeiten zu können. In der Regel reicht eine Infusionsflasche (meist eine Vollelektrolytlösung) an einem gut laufenden Venenzugang aus; hier können Medikamente rasch injiziert und eingespült werden. Infusionsflaschen mit parenteraler Ernährung oder Antibiotika werden nicht benötigt und sollten – um Inkompatibilitäten bei der Injektion anderer Medikamente zu vermeiden – gar nicht erst mitgeführt werden.
Kreislaufwirksame Medikamente
6
Katecholamine, Vasodilatatoren und evtl. Antiarrhythmika müssen selbstverständlich auch während des Transports infundiert werden. Hierfür sind Motorspritzenpumpen (»Perfusoren«) am besten geeignet, wobei die Spritzenzuleitung direkt an einen (zentralen) Venenkatheter angeschlossen sein sollte. Werden diese Medikamente über einen Y-Anschluss mit einer laufenden Infusion eingeschwemmt, so müssen Infusionspausen (z. B. durch Ablegen der Flasche beim Transport) unbedingt vermieden werden. Schließlich muss auf ausreichend gefüllte Medikamentenspritzen geachtet werden: Ein Spritzenwechsel sollte noch vor Transportbeginn erfolgen, Ersatzspritzen werden mitgeführt.
Andere Medikamente Weitere Medikamente, insbesondere in Spritzenpumpen, sollten wegen der Transportübersichtlichkeit nur dann am Patienten angeschlossen bleiben, wenn 4 eine Unterbrechung der Infusion für die Transportdauer kontraindiziert ist, 4 eine Unterbrechung aufgrund der individuell erwarteten kurzen Wirkdauer problematisch wäre, 4 das Medikament im Bedarfsfall nicht ausreichend sicher als Bolus appliziert werden kann. So wird man bei einem mit Fentanyl/Midazolam analgosedierten Patient für die Dauer des Transports auf Bolusgaben wechseln und auf die Heparinbasisinfusion ganz verzichten können, andererseits wird eine therapeutische Heparinisierung meist und eine Remifentanil-Propofol-Sedierung immer weitergeführt. ! Cave Besondere Vorsicht gilt für insulin- oder kaliumhaltige Infusionen: Diese sollten (von seltenen Ausnahmefällen abgesehen) wegen der Hypoglykämie- und Hyperkaliämiegefahr nicht auf dem Transport mitgeführt werden.
6.4.3 Über wachung während des Transports Anschließend wird das Transportmonitoring angeschlossen, wobei sich der Überwachungsumfang an den nachfolgenden Empfehlungen orientieren sollte.
Nicht beatmete Patienten Für den Transport nicht beatmeter Intensivpatienten wird zur Überwachung folgender Minimalstandard empfohlen: 4 EKG mit Herzfrequenz, 4 Pulsoxymetrie, 4 nichtinvasive Blutdruckmessung.
Ist eine arterielle Kanüle vorhanden, so wird auch eine direkte invasive Druckmessung empfohlen. In manchen Situationen ist es sinnvoll, eine invasive Druckmessung allein für den Transport und die geplante Intervention neu anzulegen.
Beatmete Patienten Zusätzlich zu dem oben genannten Monitoring ist bei beatmeten Patienten eine weitergehende Überwachung erforderlich. Folgendes wird empfohlen: 4 Beatmungsdruck mit Stenosealarm, 4 Volumenmangel- und Diskonnektionsalarm, 4 Kapnometrie (mit Kapnographiekurve). Die Messung und optische Anzeige des Beatmungsdrucks ist bei allen gängigen Transportbeatmungsgeräten vorhanden. Beim Neukauf eines Beatmungsgeräts oder Monitors sollten die oben genannten Parameter enthalten sein. 6.4.4 Einstellung des Transportbeatmungsgeräts Bei der Einstellung des Transportbeatmungsgeräts wird die Einstellung des Intensivrespirators direkt übernommen. Ist dies nicht vollständig möglich, so sollte bei den folgenden Beatmungsparametern eine ähnliche Einstellung erreicht werden: 4 Atemfrequenz, 4 Tidalvolumen, 4 Atem-Zeit-Verhältnis, 4 PEEP (wichtig: immer einstellen!), 4 Beatmungsspitzendruck. Die Patienten werden beim Gerätewechsel anfänglich mit 100% O2 beatmet. Dies scheint bei Erwachsenen auch für eine übliche Transportdauer akzeptabel zu sein und ist zudem mit einem gewissen Sicherheitsgewinn verbunden. Dauert die Intervention vermutlich länger (z. B. mehrstündige Operation, angiographische Intervention etc.), so wird der Intensivrespirator zusätzlich mitgeführt und im OP oder Angiographieraum über Wandanschlüsse wieder in Betrieb genommen.
Berechnung von O2-Vorrat und maximaler Betriebsdauer Vor dem Transport können O2-Vorrat und mögliche Betriebsdauer berechnet werden. Hierbei muss man berücksichtigen, dass aus Sicherheitsgründen in O2-Flaschen ein Restdruck von ca. 30 bar verbleiben sollte. Der minütliche Gasverbrauch der oben genannten Transportrespiratoren entspricht bei 100%-O2-Beatmung der Summe aus Atemminutenvolumen plus 1 l/min »Betriebsgas«. Nutzbarer O2-Vorrat = Volumen der O2-Flasche u (Flaschendruck –30 bar Restdruck) > Beispiel 3 l × (180 – 30 bar) =450 l O2 Bei einem Atemminutenvolumen von 9 l/min entspricht dies einer sicheren Beatmungsdauer von 450 l/ (9+1 l/min)=45 min. Durch Beatmung mit einer FIO2=0,5 (»Air Mix«) ließe sich die Beatmungsdauer in etwa verdoppeln.
49 6.4 · Vorbereitung und Druchführung des Transports
6
Patienten mit schweren Oxygenierungsstörungen Sollen Patienten mit schwersten Oxygenierungsstörungen transportiert werden (z. B. CT-Diagnostik bei Polytrauma mit ARDS), so ist die Indikation hier besonders streng zu stellen. Für die Transportbeatmung sollte dann am besten ein akkubetriebener Intensivrespirator verwendet werden, der z. B. in eine Spezialtrage integriert oder selbst fahrbar ist. Diese Transporte sind technisch besonders anspruchsvoll und verlangen von allen Beteiligten eine exakte Planung und Durchführung.
möglichst vermeiden oder unter ICP-Kontrolle durchführen 5 Bei länger dauernden Interventionen Kontrolle der Beatmungseinstellung mit Kapnometrie und intermittierender Blutgasanalyse 5 Vorsicht bei intraventrikulärer Druckmessung mit Liquorableitung: System am besten für den Transport verschließen, um ein unbeabsichtigtes Leerlaufen zu verhindern; Öffnung der Liquordrainage nach Bedarf und ICP-Wert
6.4.5 Vorgehen in Sonder fällen Der Intensivpatient kann vor dem Transport an weiteren Diagnostik- oder Therapiegeräten angeschlossen sein. Hier wird folgendermaßen verfahren:
Pulmonalarterienkatheter Ein unbeabsichtigtes Vorschieben des Katheters beim Transport oder Umlagern kann Herzrhythmusstörungen auslösen oder sogar zu einer Pulmonalarterienruptur führen. Um dies zu vermeiden, wird der Pulmonalarterienkatheter vor dem Transport unter Monitorkontrolle zurückgezogen, ausgehend von der Wedge-Position ca. 2–5 cm, sodass die Katheterspitze dann in einem größeren Pulmonalarteriengefäß liegt. Anschließend wird der Katheter am Schleuseneingang fixiert und die Zentimetermarke notiert. Eine kontinuierliche PAP-Messung während des Transports ist m. E. im Routinefall nicht erforderlich, allerdings muss die Lage der Katheterspitze (z. B. während einer CT-Untersuchung) diskontinuierlich mit PAP-Messung überprüft werden. Während länger dauernder Interventionen oder Operationen wird eine kontinuierliche Druckmessung empfohlen, die Bestimmung des Wedgedrucks erfolgt nach Bedarf.
Intrakranielle Druckmessung Abhängig vom ver wendeten Druckmesssystem ist eine kontinuierliche Überwachung des intrakraniellen Drucks (ICP) während des Transports gar nicht möglich. Das in der Übersicht dargestellte Vorgehen hat sich bei Patienten mit erhöhtem ICP bewährt. Praxisempfehlungen zum Transport von Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck 5 Vor Transportbeginn Analgosedierung vertiefen, dabei auf ausreichenden zerebralen Perfusionsdruck (CPP) achten 5 Gegebenenfalls für diese Phase zusätzliche Muskelrelaxierung erwägen (z. B. mit Cisatracurium) 5 Bei der Beatmungseinstellung Hyperkapnie vermeiden, ggf. vorübergehend milde Hyperventilation (bei Bedarf Blutgasanalyse) 5 Osmodiuretika bereithalten; falls schon im Routineplan enthalten, dann Applikation einer Dosis unmittelbar vor Transportbeginn 5 Transport mit erhöhtem Oberkörper, Kopf stabil in der Mittellinie gelagert 5 Bei Ankunft, z. B. im CT oder OP, sofort ICP-Messung wieder anschließen, Flachlagerung des Patienten 6
Thoraxdrainage Thoraxdrainagen werden im Schockraum bei beatmeten Patienten häufig mit einem Gummilippenventil (sog. Heimlich-Ventil) versorgt. Dabei muss auf die seitenrichtige Ventilkonnektion geachtet werden (diese ist auf dem Ventil als Bild dargestellt), anderenfalls kann sich ein Spannungspneumothorax entwickeln. Wird an das Heimlich-Ventil ein Sekretbeutel angeschlossen, so droht die gleiche Gefahr, wenn der Beutel nicht durch einen Scherenschnitt eröffnet wurde. Beim Intensivtransport müssen die Thoraxdrainagen auch während des Transports mit einem ausreichenden Sog versehen werden. Solange bei dem Patienten keine Luftleckage vorliegt, kann für kurze Transporte ein geschlossenes Dreikammersystem mit integrierter Sogkontrolle ver wendet werden, anderenfalls muss eine akkubetriebene Saugpumpe an das Drainagesystem angeschlossen werden. Weiterhin ist Folgendes zu beachten: 4 Thoraxdrainage und Verbindungsschlauch vor Transportbeginn auf freie Durchgängigkeit prüfen, 4 Schläuche sicher befestigen, um ein unbemerktes Abknicken oder eine Diskonnektion zu verhindern, 4 Drainagesystem nicht über Patientenniveau anheben, um einen Rücklauf von Flüssigkeit zu vermeiden. ! Cave Auch bei korrekter Lage und Funktion der Thoraxdrainage kann sich während des Transports ein neuer Spannungspneumothorax ausbilden, der eine sofortige Entlastung erfordert!
Hämodialyse/Hämofiltration Bei Patienten, die ein Nierenersatzverfahren benötigen, sind folgende Besonderheiten zu beachten: 4 Nach intermittierender Hämodialyse: 4 Volumenmangel, Elektrolytdysäquilibrium; daher vor Transportbeginn aktuelle Blutgas- und Elektrolytkontrolle durchführen und Volumenstatus abschätzen. 4 Bei kontinuierlichem Verfahren (z. B. CVVHD): 4 Schlauchleitungen mit heparinhaltiger Kochsalzlösung (»Heparinschloss«) freispülen, Maschine in Stand-by-Modus, abhängig von der geplanten Intervention Heparinrestwirkung beachten!
Intraaortale Ballonpumpe (IABP) Für den Transport von Patienten mit IABP wird die Hilfe einer weiteren Person (z. B. Pflegekraft, Kardiotechniker, Arzt) empfohlen. Der Transport selbst kann nur sehr langsam erfolgen und
50
Kapitel 6 · Transport kritisch kranker Patienten
benötigt entsprechende Vorlaufzeit. Vor Transportbeginn muss Folgendes beachtet werden: 4 IABP-Katheter ausreichend fixieren, um eine Dislokation beim Transport (und insbesondere beim Umlagern) zu verhindern, 4 bei EKG-Triggerung: EKG-Elektroden auf sicheren Halt überprüfen, evtl. erneuern, 4 bei Drucktriggerung: Druckmessvorrichtung überprüfen, Steuereinheit der IABP kontrollieren: Augmentationsstärke, Frequenz?
6
Bei manchen IABP-Geräten ist eine korrekte Drucktriggerung bei erheblicher Hypotonie nicht möglich. Daher sollte für den Transport ein alternatives Triggerverfahren sofort verfügbar sein, am einfachsten das EKG. Der IABP-Betrieb kann während des Transports anhand der typischen arteriellen Druckkurvenveränderungen überwacht werden. 6.5
Besonderheiten des Interhospitaltransports
Interhospitaltransporte zwischen Intensivstationen unterschiedlicher Versorgungsstufe finden in beiden Richtungen statt: Anfänglich werden die Patienten aufgrund der Schwere oder Besonderheit der Erkrankung von einer Intensiveinheit niedrigerer Versorgungsstufe in eine Spezialeinheit verlegt, nach abgeschlossener Behandlung wird dann möglicherweise auch ein Rücktransport durchgeführt. Prinzipiell muss davon ausgegangen werden, dass die Risiken beim Interhospitaltransport und beim innerklinischen Transport ähnlich sind, valide Untersuchungen sind allerdings nur unzureichend vorhanden [10]. In einer prospektiven niederländischen Studie wurden 100 konsekutive Interhospitalintensivtransporte untersucht. Dabei wurden bei 1/3 der Transporte Komplikationen beobachtet, wovon ‒ nach Ansicht der Autoren ‒ etwa 70% hätten vermieden werden können [13]. Dies zeigt deutlich, dass der Transport von Intensivpatienten eine sorgfältige Planung durch das abgebende Krankenhaus und eine ebenso sorgfältige Durchführung erfordert! 6.5.1 Transportmittel Für den Interhospitaltransfer werden speziell ausgerüstete Fahrzeuge (ITW = Intensivtransportwagen), Hubschrauber (ITH =Intensivtransporthubschrauber) oder Flächenflugzeuge (Ambulanz-Jet) vorgehalten, deren Alarmierung und Einsatzkoordination über die lokale Rettungsleitstelle (ITW, z. T. ITH) oder die bekannten Hilfsorganisationen (z. T. ITH, AmbulanzJet) erfolgt. Alle Fahr- und Flugzeuge müssen über die für den innerklinischen Transport dargestellten Überwachungs- und Behandlungsmöglichkeiten verfügen, zusätzlich muss ein moderner Intensivrespirator an Bord vorhanden sein. Die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat zu Konstruktion und Ausstattung eines ITW konkret Stellung genommen [6] und darüber hinaus Empfehlungen zur erforderlichen Qualifikation des begleitenden Arztes gemacht [7]. Der Einsatzradius wird etwa folgendermaßen angegeben (angelehnt an [17]):
4 ITW: bis 100 km oder 2 h Transportdauer, 4 ITH: 50–250 km, 4 Ambulanzjet: > 250–500 km. 6.5.2 Vorbereitung und Durchführung Jeder Interhospitaltransport muss im Vorfeld exakt geplant werden; dazu ist unbedingt ein Arzt-Arzt-Gespräch erforderlich. Zuerst müssen zwei entscheidende Fragen beantwortet werden: 4 Warum soll der Patient verlegt werden? 4 Wie dringend ist der Transport? Hierbei sei betont, dass jede Transportindikation eine Einzelfallentscheidung darstellt, bei der Nutzen und Risiken für den Patienten individuell sorgfältig abgewogen werden müssen. Dementsprechend ist es nahezu unmöglich, von einem »nicht transportfähigen« Patienten zu sprechen, der erwartete Nutzen muss aber in jedem Fall das evtl. extrem hohe Risiko rechtfertigen [15]! Weiterhin muss bei sehr dringlichen Einsätzen Folgendes beachtet werden: i Intensivtransporter sind keine Notfallverlegungsfahrzeuge. Muss ein Notfallpatient sofort in eine Spezialklinik gebracht werden (z. B. bei intrakranieller Blutung mit Einklemmungsgefahr), so erfolgt dies mit dem schnellstmöglich verfügbaren Rettungsmittel und mit Begleitung durch den verlegenden Arzt.
In dem Arzt-Arzt-Gespräch müssen außerdem weitere Informationen abgefragt werden, die am besten auf einem speziellen Protokoll dokumentiert werden.
Intensivtransportprotokoll der DIVI [4, 8] 5 verlegendes Krankenhaus: Station, behandelnder Arzt mit Telefon-, Fax-Nummer und evtl. E-Mail-Adresse 5 aufnehmendes Krankenhaus: Station, behandelnder Arzt mit Telefon-, Fax-Nummer und evtl. E-Mail-Adresse 5 Patientdaten: Name, Alter, Gewicht, Größe 5 Erkrankung: Diagnosen und Operationen, Verlauf, aktueller Zustand I5 Intensivmedizinische Besonderheiten: – Gasaustausch und Beatmung – Hämodynamik inkl. Monitoring, kreislaufunterstützende Therapie (Katecholamine, IABP, etc.) – Neurologie (Hirndruckmessung?) – Weitere Organdysfunktionen bzw. Organersatzverfahren – Laborwerte 5 Besonderheiten: Infektionsstatus, Speziallagerung, etc. 5 Kostenträger mit Telefon-, Fax-Nummer und evtl. EMail-Adresse; Zusage der Kostenübernahme
Die Übergabe des Patienten erfolgt auf der Intensivstation des verlegenden Krankenhauses, anschließend übernimmt das Transportteam die volle Verantwortung für den Patienten. Die Übergabe in der Zielklinik sollte ebenfalls an einen intensivmedizinisch erfahrenen Arzt erfolgen.
51 Literatur
Literatur 1. Australasian College for Emergency Medicine, Australian and New Zealand College of Anaesthetists, Joint Faculty of Intensive Care Medicine (2003) Minimum standards for intrahospital transport of critically ill patients. www.acem.org.au/media/policies_and_guidelines/min_stand_intrahosp_crit_ill.pdf (Zugriff 30.06.2006) 2. Beckmann U, Gillies DM, Berenholtz SM, Wu AW, Pronovost P (2004) Incidents relating to the intra-hospital transfer of critically ill patients. An analysis of the reports submitted to the Australian Incident Monitoring Study in Intensive Care. Intensive Care Med 30: 1579–1585 3. Bercault N, Wolf M, Runge I, Fleury JC, Boulain T (2005) Intrahospital transport of critically ill ventilated patients: a risk factor for ventilator-associated pneumonia-a matched cohort study. Crit Care Med 33: 2471–2478 4. Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI (2000) Intensivtransportprotokoll. www.divi-org.de/pdfs/ pdf/intensiv.pdf (Zugriff 30.06.2006) 5. Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI (2004) Empfehlung der DIVI zum innerklinischen Transport kritisch kranker, erwachsener Patienten. www.divi-org.de/pdfs/pdf/ Empfehlung_DIVI.pdf (Zugriff 30.06.2006) : Komprimierter Überblick der DIVI zu den wichtigsten Aspekten des Intrahospitaltransports, insbesondere zu Planung, Patient, Begleitpersonal, Transportequipment, Monitoring sowie Therapiegeräten. Diese Empfehlung besitzt normierenden Charakter und ist als Grundlage zur Erstellung einer SOP geeignet. 6. Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI (2004) Stellungnahme der BAND und DIVI zur Konstruktion und Ausstattung von Intensivtransportwagen (ITW) www.divi-org. de/pdfs/pdf/Stellungnahme_ITW_6_12.pdf (Zugriff 30.06.2006) 7. Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI (2004) Zur ärztlichen Qualifikation bei Intensivtransport. www.divi-org.de/pdfs/pdf/spez_intensivtransport_2004.pdf (Zugriff 30.06.2006) 8. Ellinger K, Denz C, Genzwürker H, Krieter H (2005) Intensivtransport. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln : Dieses Lehrbuch nimmt auf 235 Seiten zu allen Aspekten des Intensivtransports Stellung und orientiert sich dabei am Curriculum der DIVI. Empfohlene Lektüre für alle Intensiv- und Notfallmediziner, die Intensivtransporte durchführen. 9. Engelhardt W (1997) Innerklinische Transporte von Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck. Anästhesiol Intensivmed 38: 385 10. Fan E, MacDonald RD, Adhikari NKJ, Scales DC, Wax RS, Stewart TE, Ferguson ND (2006) Outcomes of interfacility critical care adult patient transport: a systematic review. Crit Care 10: R6–R12 11. Indeck M, Peterson S, Smith J, Brotman S (1988) Risk, cost, and benefit of transporting ICU patients for special studies. J Trauma 28: 1020–1025 12. Kollef MH, Harz B von, Prentice D et al. (1997) Patient transport from intensive care increases the risk of developing ventilator-associated pneumonia. Chest 112: 765–773 13. Ligtenberg JJM, Arnold LG, Stienstra Y, van der Werf TS, Meertens JHJM, Tulleken JE, Zijlstra JG (2005) Quality of interhospital transport of critically ill patients: a prospective audit. Critical Care 9: R446–R451 : In dieser prospektiven Untersuchung wurden die Komplikationen bei 100 konsekutiven Interhospitalintensivtransporten er fasst. Komplikationen wurden bei 1/3 der Transporte beobachtet, wovon – nach Ansicht der Autoren – etwa 70% hätten vermieden werden können. Die wichtigsten Komplikationen sind in einer Tabelle dieser Arbeit anschaulich dargestellt. Die Autoren empfehlen eine bessere Vorbereitung beim Transport von Intensivpatienten, eine bessere Kommunikation zwischen abgebender und aufnehmender Klinik sowie die Verwendung von Checklisten und Therapieprotokollen.
6
14. Panacek EA, Foulke GE (1998) Transportation of the critically ill patient. In: Hall JB, Schmidt GA, Wood LDH (eds) Principles of critical care, 2nd edn. McGraw-Hill, New York 15. Poloczek S, Madler C (2000) Transport des Intensivpatienten. Anaesthesist 49: 480–491 16. Szem JW, Hydo LJ, Fischer E, Kapur S, Klemperer J, Barie PS (1995) Highrisk intrahospital transport of critically ill patients: safety and outcome of the necessary »road trip«. Crit Care Med 23: 1660–1666 17. Wallace PGM, Ridley SA (1999) ABC of intensive care. Transport of critically ill patients. BMJ 319: 368–371 18. Warren J, Fromm RE Jr, Orr RA, Rotello LC, Horst HM; American College of Critical Care Medicine (2004) Guidelines for the inter- and intrahospital transport of critically ill patients. Crit Care Med 32: 256-262. 19. Waydhas C, Schneck G, Duswald KH (1995) Deterioration of respiratory function after intra-hospital transport of critically ill surgical patients. Intensive Care Medicine 21: 784–789 20. Waydhas C (1999) Intrahospital transport of critically ill patients. Crit Care 3: R83–R89 : Diese Übersichtsarbeit beschreibt verschiedene Konsequenzen für Herz-Kreislauf-System und Atmung sowie Komplikationen, die beim innerklinischen Transport von Intensivpatienten auftreten können. 21. Wissenschaftlicher Arbeitskreis Neuroanästhesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Arbeitsgemeinschaft Intensivmedizin/Neurotraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie und der Sektion Rettungswesen und Katastrophenmedizin der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin et al. (2000) Empfehlungen zur Erstversorgung des Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma bei Mehrfachverletzung. Anästhesiol Intensivmed 41: 39–45
7 Scores R. Lefering, E. Neugebauer
7.1
Was ist ein Score?
–54
7.2
Scores in der Intensivmedizin
–54
7.2.1 Zusammensetzung –54 7.2.2 Spezifische vs. allgemeine Scores –57 7.2.3 Einmalerhebung versus Verlaufsbeobachtung –57
7.3
Ziele der Anwendung von Scores
7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5
Schweregradklassifikation und Prognose –59 Forschung –59 Qualitätssicherung –59 Ökonomie –60 Ausbildung –60
7.4
Entwicklung und Evaluation von Scores
7.4.1 Experte plus Statistik –60 7.4.2 Bewertung von Scores –60 7.4.3 Sensitivität und Spezifität –61
7.5
Grenzen und Gefahren
7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5
Interpretation –62 Therapieentscheidungen –62 Therapieabbruch –62 Starre Komponenten –62 Aktualität –63
Literatur
–63
–62
–59
–60
7
54
Kapitel 7 · Scores
7.1
Was ist ein Score?
Der Begriff Score stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Punktzahl. Ein Score ist der Versuch, eine komplexe klinische Situation einem Punktwert zuzuordnen, also auf einer eindimensionalen Skala abzubilden. Eine solche Reduktion verfolgt das Ziel, übergreifende Aspekte wie Schweregrad oder Prognose vergleichen zu können. Jeder Versuch, die individuelle Situation eines Patienten zu dokumentieren, stellt bereits eine Reduktion dar, denn sie stützt sich nur auf das, was wir heute messen können oder meinen, messen zu müssen. Jeder Laborwert, jede Röntgenaufnahme, jede Blutgasanalyse, jedes EKG ist eine punktuelle Information, ein Mosaikstein im Zustandsbild des Patienten. Die Gesamtheit dieser Befunde und ihre Veränderung über die Zeit ist ein Versuch, diese Komplexität – in reduzierter Form – abzubilden und zu verstehen.
Score bedeutet Reduktion Ein Score geht hier noch einen Schritt weiter. Er reduziert die vorliegenden Daten eines Patienten auf einen einzigen Wert, der sich als Punktsumme einzelner Faktoren ergibt, die aus Sicht von Experten oder aufgrund klinischer Datenanalysen als wesentliche Determinanten des Zustands eines Patienten angesehen werden (. Abb. 7.1). Der große Vorteil dieser Reduktion wird deutlich, wenn man den ersten in der Medizin publizierten Score, den 10-Punkte-Apgar-Score zur Beurteilung von Neugeborenen, betrachtet. Es ist der Versuch, eine komplexe Situation durch die Konzentration auf das »Wesentliche« überschaubar zu machen und damit vergleichende Betrachtungen unter vielen Patienten erst zu ermöglichen. i Scores sind der Versuch, durch Reduktion auf das Wesentliche vergleichende Betrachtungen zu ermöglichen.
7.2
Scores in der Intensivmedizin
Die Intensivmedizin befasst sich mit schwerkranken Patienten, und nicht jeder Patient überlebt diesen kritischen Zustand, trotz massivem Einsatz therapeutischer Maßnahmen, technischer Hilfsmittel und permanenter Überwachung. Das Ziel der Intensivtherapie ist letztlich das Überleben der Situation, die zur Einweisung auf die Intensivstation geführt hat, d. h. den Zustand des Patienten soweit zu stabilisieren oder zu normalisieren, dass er der Intensivtherapie nicht mehr bedarf. Es stellt sich bei jedem Intensivpatienten immer die Frage, wie weit er von diesen beiden Extremen, nämlich die Intensivstation lebend verlassen zu können oder zu sterben, entfernt ist. Scores sind ein Versuch, ein Ansatz, eine Möglichkeit, diesen Zustand zu quantifizieren. In . Tabelle 7.1 sind einige in der Intensivmedizin häufig verwendete Scoresysteme beispielhaft zusammengestellt. 7.2.1 Zusammensetzung Ein Score ist immer die Kombination mehrerer Aspekte eines Krankheitsgeschehens, von denen jeder für sich im klassischen Sinne messbar ist, z. B. Blutdruck, Herzfrequenz oder Laborwerte. Zusätzlich zum aktuellen Zustand können auch Aspekte be-
. Abb. 7.1. Scorewerte sind die Zusammenfassung unterschiedlichster Aspekte eines Patienten in einen Zahlenwert (oben). Der gleiche Scorewert kann daher aus unterschiedlichen Situationen resultieren (unten)
rücksichtigt werden, die der Patient anamnestisch (Alter, Vorerkrankungen) oder akut (Operation, Diagnose) mitbringt. Auch therapeutische Maßnahmen können als indirekte Indikatoren für die Schwere der Erkrankung (z. B. Beatmungstherapie, Dialyse) einbezogen werden. Ein Score wählt gewisse Aspekte aus, gewichtet sie mit Punkten und fügt diese durch Summation zu einem Gesamtwert. Auswahl und Gewichtung der Aspekte hängt von der Art und Weise der Scoreentwicklung und von der beabsichtigten Anwendung ab.
Physiologische Scores Bei der Erstellung eines Scores gibt es 2 grundsätzliche Zugänge. Der eine Zugang betrachtet nur das »Funktionieren« des Organismus, gemessen an physiologischen Parametern, ohne mögliche therapeutische Beeinflussungen dieser Werte zu berücksichtigen. Die Befürworter dieses Vorgehens argumentieren, dass jedes Organ im Gesamtorganismus eine Aufgabe hat, und es wird lediglich erfasst, inwieweit diese Aufgabe – gemessen an ausgewählten klinischen und Laborparametern – erfüllt wird. Beispiel ist der SAPS-II-Score (. Tab. 7.2), bei dem für Werte in einem definierten Normbereich 0 Punkte vergeben werden, unabhängig von der therapeutischen Einflussnahme.
55 7.2 · Scores in der Intensivmedizin
7
. Tabelle 7.1. Auswahl von in der Intensivmedizin gebräuchlichen Scoresystemen Score
Autor, Jahr
Patienten
Zeitpunkt
Zusammensetzung Punktwerte
Summenwert*
Bemerkung
Allgemeine Schweregradklassifikation APACHE Acute Physiology and Chronic Health Evaluation
[6] 1981
Intensiv allgemein
nach 32 h
34 physiologische Parameter (je 0–4 Punkte)
0–136*
Von Experten in den USA zur Schweregradklassifikation entwickelt
APACHE II
[7] 1984
Intensiv allgemein
nach 24 h
12 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkr.
0–68*
Prognoseberechnungen mit zusätzlichen Koeffizienten
APACHE III
[8] 1996
Intensiv allgemein
nach 24 h
18 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkr.
0–319*
Formeln für Prognose nicht frei verfügbar
SAPS II Simplified Acute Physiology Score
[12] 1993
Intensiv allgemein
nach 24 h
14 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkr.
0–163*
Multicenterdatenbank aus USA/Europa
SAPS III
[15,16] 2006
Intensiv allgemein
nach 1h
20 Parameter: Patient (5), Aufnahme (5), Physiologie (10)
0-217*
multinationale Datenbasis; mit Prognoseformel
TISS Therapeutic Intervention Scoring System
[5] 1974
Intensiv allgemein
täglich
76 therapeutische und pflegerische Maßnahmen; je 1–4 Punkte
0–177*
Erste Version von 1974 [3] u. a. genutzt für ökonomische Analysen/Personalbedarf
TISS-28
[19] 1996
Intensiv allgemein
täglich
28 therapeutische und pflegerische Maßnahmen; je 1–8 Punkte
0–78*
Berechnet aus TISS; deutlich robuster und einfacher
MOF Multiple Organ Failure
[4] 1985
Intensiv allgemein
täglich
7 Organsysteme: Dysfunktion (1 Punkt), Versagen (2 Punkte)
0–14*
Basiert auf Expertenwissen; einfache Handhabung
MODS Multiple Organ Dysfunction Score
[14] 1995
Intensiv allgemein
täglich
6 Organsysteme, je 0–4 Punkte
0–24*
Basiert auf Literaturstudien und Daten; keine therapeut. Maßnahmen
SOFA Sequential Organ Failure Assessment
[22] 1996
Intensiv allgemein
täglich
6 Organsysteme, je 5 Stufen (0–4 Punkte)
LOD Logistic Organ Dysfunction System
[13] 1993
Intensiv allgemein
nach 24 h
6 Organsysteme, bis zu 3 Stufen (0–5 Punkte) des Organversagens
0–22*
n=10.547 log. Regression
Therapeutische Scores
Organversagenscores
Konsensuskonferenz; ursprünglich »sepsis related organ failure assessment«
Spezifische Scores (Auswahl) GCS Glasgow Coma Scale
[20] 1974
SchädelHirn-Trauma
initial Verlauf
Augen öffnen, verbale und motorische Reaktion
3*–15
weltweit akzeptiert
LIS Lung Injury Severity
[17] 1988
Akutes/ chronisches Lungenversagen
täglich
4 Aspekte, je 0–4 Punkte (Röntgen und Oxygenierung)
0–16*
Dient zur Definition eines ARDS (>2,5 Punkte)
ABSI Abbreviated Burn Severity Index
[21] 1982
Patienten mit Verbrennungen
initial
Alter, Geschlecht, verbrannte Körperoberfläche, Inhalationstrauma
0–18*
Verfeinerung der bekannten Baux-Regel
Mit * sind jeweils die schlechtesten Werte gekennzeichnet, die z. T. real nicht erreichbar sind. GCS = Glasgow Coma Scale.
56
Kapitel 7 · Scores
. Tabelle 7.2. Der SAPS-II-Score, entwickelt an über 13.000 Intensivpatienten aus Nordamerika und Europa [12]. Maßgeblich sind die schlechtesten Werte (d. h. di e höchste Punktzahl) in einem 24-h-Zeitraum nach Aufnahme auf die Intensivstation. Für Werte im Normalbereich werden keine Punkte vergeben Punkte bei niedrigen Werten
Alter [Jahre]
Punkte bei hohen Werten
20 HE), der Gallenblase benachbart verstärkte, entzündlich bedingte Leberparenchymanfärbung [31]. Obwohl die Verdichtung der Gallenblasenwand das am häufigsten gefundene Zeichen der CT-Untersuchung ist, ist sie leider nicht spezifisch und kann bei zahlreichen anderen Erkrankungen wie Hypoproteinämie, Hepatitis und Herzvitien gesehen werden. Falls vorhanden, treten die meisten pericholezystitischen Abszesse in der Nähe vom Gallenblasenfundus auf, weil dieser aufgrund seiner eingeschränkten Blutversorgung für die Perforation empfindlicher ist.
Akute Cholezystitis ohne Konkrement (»akalkulös«) Ischämie, Gallenstase und chemische Veränderungen werden als Entzündungsursache postuliert, die genaue Pathogenese ist jedoch unklar. Gallenblasennekrose ist eine häufige Komplikation; zum Zeitpunkt des chirurgischen Eingriffes bestehen bei 40–100% der Patienten fortgeschrittene Erkrankungsstadien, die sich durch Gallenblasenperforation, Gangrän oder Empyem manifestieren. Deswegen sind die Mortalitätsraten der akuten akalkulösen Cholezystitis mit 10–50% signifikant höher als für die akute kalkulöse Cholezystitis (1% [47]).
Die Formvariabilität erschwert eine Größenabschätzung der Milz in der CT. Allerdings gilt:
Das Parenchym stellt sich im Nativscan homogen mit einer Dichte von 45 HE dar. Nach Kontrastmittelgabe zeigt die Milz eine typische scheckige Parenchymanfärbung (entsprechend der Trabekel- und Pulpastruktur), die nach 90–120 s homogen wird. Zystische Prozesse sind selten und in der Mehrzahl parasitären Ursprungs. Plasmozytom und maligne Lymphome können vom Milzparenchym ausgehen, sonst sind primäre Milztumoren (Hämangiom, Lymphangiom) selten. Akute und chronische Infekte führen zu einer stark ausgeprägten Splenomegalie, granulomatöse Entzündungen (z. B. Sarkoidose) zeigen nur eine mäßige Vergrößerung. Schwierig ist die Abgrenzung eines Abszesses gegen ältere Hämatome oder Pseudozysten, wenn die pathognomonischen Gasbläschen fehlen.
Milztrauma Am häufigsten treten Milzverletzungen nach stumpfem Bauchtrauma auf. Bei Splenomegalie (z. B. im Rahmen einer Mononukleose) kann auch ein geringes Trauma zur Ruptur führen. Obligat ist die Suche nach Begleitverletzungen von Leber, Niere, Pankreas und Skelett. CT-Morphologie. Im frischen Stadium kann das Hämatom im
CT-Morphologie. Hauptkriterien: Wandverdickung über 4 mm,
pericholezystitische Flüssigkeit, subseröses Ödem bei Abwesenheit von Aszites und intramurale Gasansammlungen. Nebenkriterien: Gallenblasenerweiterung und hyperdense Galle. Bei Vorliegen von 2 Haupt- oder einem Haupt- und 2 Nebenkriterien reichen die Literaturangaben über die Sensitivität von 50–100%. Eine normale Gallenblasenwanddicke (6% als beweisend für eine myokardiale Ursache gilt. Schwere Erkrankungen einschließlich maligner Tumoren, hämatologischer und zerebraler Erkrankungen können bei gleichzeitig vorliegender Störung der Blut-Hirn-Schranke ebenfalls zu einer CK-Erhöhung führen.
Lipase, Amylase Die Lipase wird in den pankreatischen Azinuszellen sezerniert und tritt bei einer Permeabilitätsstörung, ausgelöst durch eine Pankreatitis, in das Blut über. Nach einem Schmerzereignis dauert es etwa 6 h, bis eine Erhöhung der Lipase im Serum zu finden ist. Amylasen werden im Pankreas und Speichel und in geringerem Umfang auch im Ovar und Eileiter gebildet. Die Bestimmung im Serum ist daher weniger selektiv als die Bestimmung der Lipase, Erhöhungen werden auch bei Parotitis, Salpingitis und Extrauteringravidität gefunden. Die Bestimmung der Lipase und Amylase ist bei wachen Patienten nur zur Abklärung abdomineller Schmerzen und nicht als Screening-Untersuchung geeignet. Bei sedierten Patienten mit erhöhtem Risiko für eine Pankreatitis kann jedoch eine häufigere Bestimmung der Lipase oder Amylase sinnvoll sein.
18
Kreatinin und Harnstoff Kreatinin ist das Abbauprodukt des energiereichen Kreatinphosphats, das in der Muskulatur gespeichert wird. Die Kreatininmenge im Organismus ist daher von der Muskelmasse abhängig. Kreatinin wird fast vollständig glomerulär filtriert und kann daher zur Abschätzung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) herangezogen werden. Aufgrund der hyperbolen Kurve zwischen Kreatinin und GFR bleibt der Kreatininwert jedoch bis zu einer 50%igen Einschränkung der GFR im Normbereich. Zu einer genaueren Abschätzung der GFR können weitere Faktoren einberechnet werden, die auf die Kreatininkonzentration Einfluss haben. Hierzu gehört eine mittlerweile weit verbreitete Formel, die in der MDRD-Studie (Modification of Diet in Renal Disease) evaluiert wurde und neben dem Kreatininwert Alter, Geschlecht und Hautfarbe einbezieht. Der GFR-Wert nach MDRD ist jedoch bei kritisch kranken Patienten bislang nicht
evaluiert. Zudem kann durch einen niedrigeren Kreatininwert bei längerem Intensivaufenthalt und Katabolismus mit reduzierter Muskelmasse die GFR deutlich überschätzt werden. Die Begriffe Harnstoff und Harnstoff-N (BUN, »blood urea nitrogen«) werden oft nebeneinander benutzt, wobei der Harnstoff aus dem Harnstoff-N berechnet werden kann (7 Kap. 18.6.2). Harnstoff ist das Endprodukt des Protein- und Aminosäurenabbaus, das in der Leber gebildet und über die Nieren ausgeschieden wird. Während die Rückresorption im proximalen Tubulus unabhängig von der Flussrate des Primärharns ist, steigt die Resorption im distalen Tubulus unter Antidiurese. Dies erklärt den stärkeren Anstieg von Harnstoff im Vergleich zu Kreatinin bei reduzierter Urinmenge, und zwar sowohl bei chronischer Niereninsuffizienz als auch bei Exsikkose. Die Harnstoffkonzentration im Serum wird neben der renalen Ausscheidung von Harnstoff durch die Bildungsrate in der Leber bestimmt. Eine katabole Stoffwechsellage führt zu einem stärkeren Anfall von Stickstoff aus dem Abbau von Strukturproteinen und damit zu erhöhten Harnstoffwerten (7 Kap. 18.6.2). Andererseits hat eine Einschränkung der Lebersyntheseleistung eine reduzierte Harnstoffproduktionsrate und damit niedrigere Serumspiegel zur Folge. 18.3.2 Organsysteme
Herz und Kreislauf, Muskulatur Als spezifische kardiale Laborparameter werden die CK-MB (7 Kap. 18.3.1), die Troponine sowie das »brain natriuretic peptide« (BNP) angesehen. Bei einem Myokardinfarkt findet sich in der Reihenfolge des Auftretens eine Erhöhung des Troponins, gefolgt von einer CK-Erhöhung mit erhöhtem relativem CK-MBAnteil (>6%) und einer Erhöhung der Transaminasen mit führender GOT (De-Ritis-Quotient [GOT/GPT] >1; 7 Kap. 18.3.1). Eine akute Rechts- oder Linksherzbelastung kann jedoch ebenfalls zu einem Anstieg des Troponins und über eine Leberstauung zu einem Transaminasenanstieg führen. Zur Klärung der Ursache von Dyspnoe kann das BNP beitragen, da kardiale Ursachen bei Werten >500 Pg/ml wahrscheinlich sind [13]. Lungenembolien gehen bei Rechtsherzbelastung mit einer Erhöhung von Troponin und BNP einher, laborchemisch ist hier v. a. die Erhöhung der D-Dimere relevant. Erkrankungen der Skelettmuskulatur sind häufig mit Erhöhungen der CK assoziiert, jedoch können insbesondere endokrine Myopathien ohne CK-Erhöhung bleiben. Für rheumatologische Ursachen einer Myopathie ist als Suchtest die Bestimmung der antinukleären Antikörper (ANA) geeignet.
Leber Akute Lebererkrankungen wie beispielsweise akute Hepatitiden gehen mit einer Erhöhung der Transaminasen einher, wobei die zytoplasmatische Schädigung bei akuten Virushepatitiden ausgeprägt und daher die GOT niedriger als die GPT ist (De-RitisQuotient 1. Ein toxischer Leberschaden, z. B. bei einer Paracetamol- oder Amantidin-Intoxikation, oder eine akute Hypoxie, z. B. bei Schock oder Leberinfarkt, führen aufgrund der massiven Zellschädigung neben einem hohen De-Ritis-Quotienten auch zu einem starken Anstieg der LDH und der GLDH.
231 18.4 · Überwachung des blutbildenden Systems und der Gerinnung
Erkrankungen der ableitenden Gallenwege, z. B. Verschlussikterus, sowie cholestatische Verläufe von Virushepatitiden sind mit einer stärkeren Erhöhung der AP, J-GT und des Bilirubins assoziiert.
Gastrointestinaltrakt Gastrointestinale Störungen gehen oft mit Elektrolytveränderungen und Veränderungen des Säure-Basen-Haushalts einher. Zum Beispiel können Diarrhöen zu Hypokaliämien führen und Malabsorptionssyndrome einen Mangel an Vitaminen und Spurenelementen hervorrufen. Durchblutungsstörungen des Darms, z. B. bei Mesenterialinfarkt oder hohen Katecholamindosen, sind durch eine vermehrte Laktatbildung mit konsekutiver Laktatazidose gekennzeichnet.
Niere und Harnwege Eine Einschränkung der Nierenfunktion ist entweder auf ein akutes Nierenversagen oder eine vorbestehende chronische Niereninsuffizienz zurückzuführen, die sich im Rahmen der intensivpflichtigen Erkrankung verschlechtern kann. Ein akutes prärenales Nierenversagen ist oft mit anderen Schockorganen, z. B. einer Schockleber, assoziiert. Durch die hypoxische Tubulusschädigung ist häufig auch eine intrarenale Komponente beteiligt (7 Kap. 60). Die Beurteilung der Nierenfunktion ist für die Auswahl und Dosierung einer Vielzahl von Medikamenten, insbesondere Antibiotika und Chemotherapeutika, wichtig. Zur Abschätzung ist die Bestimmung von Kreatinin und Harnstoff (7 Kap. 18.3.1) geeignet. Zur Abklärung der Genese einer Nierenfunktionseinschränkung sollte ein Urinsediment angefertigt werden. Eine Bakteriurie und Leukozyturie ist in der Regel auf einen Harnwegsinfekt zurückzuführen, Erythrozyten im Sediment können auf eine Pyelo- oder Glomerulonephritis, Blutungen und Tumoren im Urogenitaltrakt hinweisen. Der Nachweis von Zylindern im Sediment zeigt in der Regel eine renale Ursache der Störung an. Die Bestimmung der Urinosmolalität und des Urinnatriums kann zur Abklärung eines Diabetes insipidus bei Polyurie und zur Differenzialdiagnose der Oligurie beitragen. Bei Exsikkose oder hepatorenalem Syndrom liegt eine Konzentration des Urins mit hoher Urinosmolalität und niedrigem Urinnatrium vor, während bei akutem Nierenversagen, z. B. bei akuter Tubulusnekrose, aufgrund der eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit die Urinosmolalität niedrig und das Urinnatrium hoch ist. 18.4
Überwachung des blutbildenden Systems und der Gerinnung
Die Überwachung des blutbildenden Systems und der Gerinnung zählt zu den wichtigsten Aufgaben der Labordiagnostik von Intensivpatienten. 18.4.1 Über wachung des blutbildenden Systems Erythrozytenzahlen und Hb-Werte ober- oder unterhalb der 2-fachen Standardabweichung eines Normalkollektivs werden als Polyglobulien bzw. Anämien bezeichnet. Der Hb-Wert und der Hämatokrit verhalten sich in der Regel gleichsinnig mit der Erythrozytenzahl. Alle diese Parameter sind auf ein definiertes
18
Blutvolumen bezogen und ändern sich daher bei einem gleichzeitigen Verlust der anderen Blutbestandteile, wie z. B. bei akuten Blutungen, zunächst nicht, obwohl die Erythrozytenmasse des Körpers abnimmt. Andererseits verursachen Änderungen des Plasmavolumens, z. B. bei Hämokonzentration oder -dilution, eine Änderung der Erythrozytenzahl trotz gleich bleibender Erythrozytenmasse des Körpers, was als relative Anämie oder Polyglobulie bezeichnet wird. Anämien können anhand ihrer Genese in hypo- und hyperregenerative Anämien eingeteilt werden. Hyperregenerative Anämien haben als Zeichen einer verstärkten reaktiven Blutbildung im Knochenmark eine erhöhte Ausschwemmung von Retikulozyten in das periphere Blut. Dies kann bei Blutungsanämien und Anämien mit intravasaler Hämolyse nachgewiesen werden. Bei Letzteren findet sich laborchemisch eine Erhöhung der LDH als Zeichen des Zellumsatzes, ein erhöhtes (indirektes) Bilirubin sowie ein erniedrigtes Haptoglobulin und ggf. Hämopexin durch die Bindung von Hämoglobin. Je nach Genese der Hämolyse können Erythrozytenantikörper mittels Coombs-Test nachgewiesen werden. Bei hyporegenerativen Anämien finden sich diese Laborveränderungen in der Regel nicht. Diese sind durch eine verminderte oder normale Retikulozytenzahl gekennzeichnet. Die Erythrozytenindizes zeigen das mittlere korpuskuläre Erythrozytenvolumen (MCV) und das mittlere korpuskuläre Erythrozytenhämoglobin (MCH) an und können auf die Ätiologie einer hyporegenerativen Anämie, z. B. einen Eisen- oder Folsäuremangel, hinweisen. Anämien sind bei intensivpflichtigen Patienten häufig, in einer europäischen Studie hatte 1/3 der Patienten Hämoglobinwerte 70.000 D). Erst nach Spaltung in kleinere Moleküle können sie nach extravasal gelangen und somit ausgeschieden werden. Diese Eigenschaft wird bei der Gabe einiger kolloidaler Plasmaersatzstoffe, wie HES 130.000, 200.000 etc. in der Volumentherapie ausgenutzt. Auch die Verteilung ausschließlich im Extrazellulärraum ist selten. Hiervon sind nur rein hydrophile Verbindungen, wie osmotische Diuretika, betroffen. Die meisten Substanzen verteilen sich zwischen Plasma und Interstitium. Plasmaraum und Interstitium werden für niedermolekulare Stoffe unter kinetischen Aspekten häufig zu einem Kompartiment, dem Extrazellulärraum zusammengefasst. Zum Extrazellulärraum gehört auch die transzelluläre Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis, Kammerwasser, Endolymphe, Flüssigkeiten in Körperhöhlen und Hohlorganen). Ihr Volumen macht normalerweise nur 1‒2% des Körpergewichts aus, kann aber unter pathologischen Zuständen, wie z. B. bei Aszites aufgrund einer Leberzirrhose erhebliche Ausmaße annehmen (. Tab. 19.2). Große Bedeutung im Zusammenhang mit der Verteilung von Substanzen hat die Proteinbindung. Die wichtigsten bindenden Proteine sind: 4 Plasmaproteine (Albumin, saures D1-Glykoprotein, Lipoprotein), 4 Hämoglobin, 4 Muskel- und Nukleoproteine.
19
Gebundener und freier Anteil eines Pharmakons stehen im Gleichgewicht, wobei nur der freie Anteil für die Verteilung im Gewebe verfügbar ist. Der freie Anteil wird auch als der pharmakologisch aktive Teil bezeichnet. Mit Zunahme der Wasserlöslichkeit eines Pharmakons nimmt dessen proteingebundener Anteil ab. Hydrophobe Hypnotika und Benzodiazepine haben dementsprechend hohe Proteinbindungsraten von >90%. i Nur der freie, nicht proteingebundene Anteil eines Pharmakons kann biologische Membranen passieren und pharmakologische Wirkungen hervorrufen (»free drug hypothesis«)!
Das Ausmaß der Proteinbindung einer Substanz wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst.
5 Affinität des Pharmakons zu den Proteinbindungsstellen in Abhängigkeit vom Grad der Hydrophobie 5 Konzentration des Pharmakons im Plasma bzw. Gewebe 5 Konzentration der bindenden Proteine 5 Temperatur, pH-Wert 5 Injektionsgeschwindigkeit
Die Proteinbindungsrate ist keine absolute Größe für eine Substanz, sondern ändert sich bei zunehmender Besetzung der Bindungsstellen mit der Substanzkonzentration. Bei einigen Substanzen kann die Proteinbindungsrate bei intravenöser Gabe durch die Injektionsgeschwindigkeit beeinflusst werden. So konnte gezeigt werden, dass die zur Narkoseeinleitung erforderliche Dosis von Thiopental bei sehr schneller Injektion um ca. 1/3 geringer als bei langsamer Injektion ist [3]. Durch die Bolusgabe kommt es zu einer Sättigung der Bindungsstellen am Albumin und damit zu einer kurzfristigen Erhöhung des freien Anteils. Neben der Proteinbindung haben auch die Organdurchblutung, der Verteilungskoeffizient, die unspezifische Bindung im Gewebe und die pH-Differenzen zwischen den Kompartimenten Einfluss auf die Arzneimittelkonzentration an den Wirkorten.
Elimination und Gesamtkörperclearance Die Ausscheidung von Pharmaka kann über die Niere, Gallenwege, Schleimhäute oder Haut und Hautanhangsgebilde erfolgt. Der renalen und biliären Ausscheidung kommt dabei die größte Bedeutung zu. Die Eliminationswege unterliegen verschiedenen, sowohl medikamenten- als auch patientenspezifischen Einflussfaktoren.
Einflussfaktoren auf die Elimination von Pharmaka 5 Medikamentenspezifische Faktoren – Eliminationsweg – Molekülgröße – Proteinbindung – Elektrische Ladung – Verteilungsvolumen – Wasser-/Fettlöslichkeit – Gewebegängigkeit 5 Patientenspezifische Faktoren – Organfunktionsstörungen – Komorbidität – Krankheitsbedingt verändertes Verteilungsvolumen – Krankheitsbedingt veränderte Proteinbindung – Komedikation – Fettanteil – Alter
Hydrophile Substanzen (bis ca. 60.000 D) können über die Nieren ausgeschieden werden, größere hydrophile und lipophile Moleküle müssen, um ausgeschieden werden zu können, gespalten bzw. in wasserlösliche Moleküle umgewandelt werden. Zentrale Rolle spielt hier die Leber. Die Metabolisierung in der Leber kann in 2 Schritte unterteilt werden (. Tab. 19.3).
245 19.1 · Allgemeine Grundlagen
19
Kompartimentmodell . Tabelle 19.3. Hepatische Biotransformation Metabolisierungsschritt
Vorgang
Wirkung
Phase-IReaktion
4 4 4 4
Oxidation Reduktion Hydrolyse Dekarboxylierung
Entstehung biologisch aktiver oder inaktiver Metaboliten
Phase-IIReaktion
4 4 4 4 4
Glukuronidierung Sulfatierung Acetylierung Methylierung …
Entstehung unwirksamer, wasserlöslicher Metaboliten
In der Phase-I-Reaktion entstehende Metaboliten sind meist weniger aktiv als der Ausgangsstoff (Entgiftung). Der Metabolit kann aber auch den eigentlichen Wirkstoff darstellen (ProdrugAktivierung) oder sogar toxisch sein (Giftung). Phase-II-Reaktionen können sich an Phase-I-Reaktionen anschließen, oder sie erfolgen primär. Am Ende dieser 2-Schritt-Metabolisierung kommt es in der Mehrzahl der Fälle, aber nicht immer, zum Verlust der gewünschten pharmakologischen Wirkung. > Beispiel Morphin wird zu Morphin-3- und Morphin-6-Glukuronid transformiert und sollte somit inaktiviert und für die Ausscheidung vorbereitet sein. Bei funktionell anephrischen Patienten kommt es aber zu einer Anreicherung von Morphin-6-Glukuronid, das ins Gehirn eindringt und dort identische pharmakologische Effekte wie Morphin auslöst. Niereninsuffiziente Patienten zeigten Zeichen einer Morphinüberdosierung ohne Nachweis von Morphin, aber von Morphin-6-Glucuronid im Blut [23].
Die Cytochrom-P450-Enzyme sind die häufigsten Katalysatoren dieser Reaktionen. Hier finden auch die meisten pharmakokinetischen Arzneimittelinteraktionen statt. Als Gesamtkörper-Clearance (Cltot) wird das Volumen an Blut oder Plasma bezeichnet, das pro Zeiteinheit vollständig von dem Pharmakon befreit wird. Sie ist Ausdruck für die gesamte Leistung der Elimination und setzt sich aus den einzelnen organbezogenen Eliminationsprozessen zusammen. Im Allgemeinen wird nur zwischen der renalen Clearance (Clren), die leicht berechnet werden kann, und der extrarenalen Clearance (Clextraren) unterschieden.
Cltot = Clren + Clextraren [ml/min]
Die totale Clearance kann nicht nur aus den Einzel-Clearances der beteiligten Organe, sondern auch mathematisch aus der applizierten Dosis (D) und der Fläche unter dem Konzentrationsverlauf im Plasma (AUC) berechnet werden. Cltot = D/AUC [ml/min]
Um die physiologischen Verhältnisse der Verteilung und Elimination von Pharmaka möglichst wirklichkeitsnah abzubilden, benötigt man komplexe theoretische Modelle. Zur Interpretation der ablaufenden pharmakokinetischen Vorgänge hat sich für die Praxis als am besten geeignet das Kompartimentenmodell erwiesen. Hier wird der Organismus in wenige Verteilungsräume untereilt, anhand derer die pharmakokinetische Analyse der Substanz erfolgt. Im einfachsten Fall lässt sich der Konzentrationsverlauf des Pharmakons unter der Annahme beschreiben, dass es sich in einem einheitlichen Volumen verteilt (Ein-Kompartiment-Modell). Dieses eignet sich aber nur für das grundsätzliche Verständnis der pharmakokinetischen Vorgänge. In Wirklichkeit ist von einer Verteilung in mindestens 2 Kompartimente unterschiedlicher Größe und Zugänglichkeit auszugehen (Zwei- oder MehrKompartiment-Modell). Aber auch dies stellt eine starke Vereinfachung der tatsächlichen Vorgänge dar. Im Allgemeinen haben die pharmakokinetischen Kompartimente keine physiologische Entsprechung und entsprechen rein mathematischen Größen. Beim Zwei-Kompartiment-Modell wird der Organismus in ein zentrales und ein peripheres Kompartiment unterteilt. Man kann davon ausgehen, dass das zentrale Kompartiment dem Blutvolumen und den Organen mit sehr hohem (Gehirn, Herz, Lunge) und hohem Anteil (Nieren, Leber, Gastrointestinaltrakt, Endokrinum) des Herzzeitvolumens entspricht. Entsprechend umfasst das periphere Kompartiment Organe mit mittlerem (Skelettmuskulatur, Haut) und geringem Perfusionsanteil (Fettgewebe). Anders als im Zwei-Kompartiment-Modell wird im DreiKompartiment-Modell eine Einteilung in ein zentrales und in zwei parallele periphere Kompartimente vorgenommen. Es erfolgt die getrennte Betrachtung von Organen mit mittlerer und geringer Durchblutung. Dadurch lässt sich im Drei-KompartimentModell die Kinetik lipophiler Substanzen genauer beschreiben. Während das Ein-Kompartiment-Modell zu ungenau ist, kommt das Drei-Kompartiment-System den tatsächlichen pharmakokinetischen Verhältnissen am nächsten. Für die Praxis meist ausreichend ist die Anwendung des Zwei-KompartimentModells.
Kinetik 1. und 0. Ordnung Für die Wirkung eines Pharmakons ist dessen Konzentration am Wirkort entscheidend. Diese ist aber messtechnisch nicht direkt zugänglich. Konzentrationsbestimmungen können im Blut bzw. Plasma, Urin sowie Liquor und Fäzes durchgeführt werden. Um trotzdem die Konzentrationen an den Wirkorten abschätzen zu können, wurden pharmakokinetische Modelle entwickelt, die zugrundelegen, dass die Konzentration des Pharmakons am Wirkort Folge der Plasmakonzentrationen ist. Für solche Berechnungen müssen die Bioverfügbarkeit, das Verteilungsvolumen, die Clearance und die Plasmahalbwertszeit eines Pharmakons bekannt sein oder errechnet werden. Die Biotransformation der meisten Pharmaka folgt einer Kinetik 1. Ordnung. Das bedeutet, dass die Eliminationsgeschwindigkeit proportional der Plasmakonzentration ist. Mit Abnahme der Plasmakonzentration nimmt auch die Eliminationsgeschwindigkeit ab. Es kommt zu keiner Sättigung der biotransformierenden Enzymsysteme, und die Extraktionsrate bleibt immer gleich. Trägt man die Arzneimittelkonzentration halblogarithmisch über die Zeit auf, ergibt sich eine Gerade. Aus diesem Grund
246
Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
wird die Kinetik 1. Ordnung auch als lineare Kinetik bezeichnet. Während sich die Eliminationsgeschwindigkeit verändert, sind Clearance und Halbwertszeit bei der Kinetik 1. Ordnung konzentrationsunabhängige Größen. Bei einer Kinetik 0. Ordnung ist die Eliminationsgeschwindigkeit unabhängig von der aktuellen Plasmakonzentration und damit konstant. Anders als bei der Kinetik 1. Ordnung kommt es zu einer Sättigung des speziellen biotransformierenden Enzymsystems. Eine weitere Zufuhr an Substanz führt zu einer überproportionalen Kumulation. Als Graphik dargestellt erhält man bei linearem Maßstab eine Gerade. Synonyme für Kinetik 0. Ordnung sind Sättigungs- oder Michaelis-Menten-Kinetik. Eine für die Intensivmedizin wichtige Ausnahme bildet Thiopental [29]: Bei einer Dosierung im Bereich von 50‒60 Pg/ml, zur Hemmung des zerebralen Funktionsstoffwechsels, kann es zur Sättigung des Enzymsystems kommen. Somit kommt es zu einem Übergang der Kinetik 1. Ordnung in eine Kinetik 0. Ordnung mit der Gefahr der extremen Verweildauer von Thiopental in der pharmakologisch aktiven Form mit z. T. extrem verlängerten Aufwachzeiten.
. Tabelle 19.4. Verschiedene Halbwertszeiten Halbwertszeit
Bedeutung
Plasmahalbwertszeit
Zeitraum, innerhalb dessen sich die Konzentration einer Substanz im Plasma halbiert
Äquilibrierungshalbwertszeit
Maß für die Anschlagszeit der Wirkung
Verteilungshalbwertszeit
Kennzeichnet den Verteilungszeitraum
Eliminationshalbwertszeit
Kennzeichnet den Zeitraum der Elimination
Kontextsensitive Halbwertszeit
Zeitraum, innerhalb dessen sich die Konzentration eines kontinuierlich infundierten Pharmakons nach Infusionsende halbiert
19.2
Besondere klinische Situationen
Halbwertszeiten Die Plasmahalbwertszeit (t1/2) ist ein Maß für die Eliminationsgeschwindigkeit. Sie kennzeichnet den Zeitraum, in dem sich die Konzentration eines Pharmakons im Plasma halbiert. Sie ist nicht mit der Wirkungsdauer eines Medikamentes gleichzusetzen! Bei einer Kinetik 1. Ordnung ist die Eliminationsgeschwindigkeit einer Substanz proportional ihrer Konzentration, woraus sich ein exponentieller Abfall der Konzentration ergibt. Der Abfall der Plasmakonzentration folgt bei den meisten Pharmaka einer Kinetik 1. Ordnung, d. h. die Plasmaspiegel halbieren sich in immer gleichen Zeitabständen. In der 1. Phase nach Aufnahme einer Substanz in die Blutbahn wird deren Konzentrationsabfall v. a. durch Verteilungsvorgänge bestimmt. Die Halbwertszeit, die hierfür ermittelt werden kann, wird als Verteilungshalbwertszeit bezeichnet. Später wird die Plasmakonzentration durch die Eliminationsvorgänge bestimmt. Die hierfür berechnete Halbwertszeit wird als Eliminations- oder terminale Halbwertszeit bezeichnet. Sie ist ein Maß für die Verweildauer eines Pharmakons im Körper. Beide Halbwertszeiten erlauben keine quantitativen Aussagen zur Abnahme der Arzneimittelkonzentrationen am Wirkort [21]. i Die Eliminationshalbwertszeit ist nicht mit der Wirkungsdauer eines Pharmakons gleichzusetzen. Die Wirkdauer ist meist lediglich proportional der Eliminationshalbwertszeit.
19
Die Geschwindigkeit, mit der ein Arzneimittel zum Wirkkompartiment transportiert wird, ist entscheidend für den Wirkungseintritt der Substanz. Dies wird mathematisch mit der Äquilibrierungshalbwertszeit erfasst. Sie gibt Aufschluss über die Anschlagszeit der Wirkung. Seit Einführung der totalen intravenösen Anästhesie ist der Begriff der kontextsensitiven Halbwertszeit hinzugekommen. Man versteht darunter die Zeitspanne von der Beendigung einer Arzneimittelinfusion bis zum Erreichen einer 50%igen Plasmakonzentration des Pharmakons. Als Grundlage wird angenommen, dass die Abnahme der Plasmakonzentration proportional zur Abnahme der Konzentration an den Wirkorten verläuft. Sie ist von der Applikationszeit abhängig und verlängert sich mit zunehmender Infusionsdauer [11]. Die verschiedenen Halbwertszeiten und ihre Bedeutung zeigt . Tabelle 19.4.
19.2.1 Patienten mit Niereninsuffizienz und
Nierenersatztherapie Ungefähr die Hälfte aller Arzneimittel wird über die Niere ausgeschieden. Dabei gelangen durch glomeruläre Filtration hydro- und lipophile Substanzen gleichermaßen in den Primärharn. Bei dieser Ultrafiltration wird Plasmawasser mit den gelösten Stoffen (bis ca. 60.000 D) perfusionsdruckabhängig abgepresst. Größere Substanzen können den glomerulären Filter nicht mehr passieren. Löslichkeitseigenschaften der Substanzen spielen bei der glomerulären Filtration keine Rolle. So werden lipophile Substanzen zwar gut filtriert, sie werden aber trotzdem schlecht ausgeschieden, da nach der primären Filtration eine tubuläre Rückresorbtion im proximalen Tubulus erfolgt. Ist die Eiweißbindung einer Substanz hoch, so gelangt bereits primär nur ein kleiner Anteil in den Primärharn, da nur der nicht gebundene, freie Anteil einer Substanz filtriert werden kann. Neben der Ultrafiltration können Pharmaka mittels tubulärer Sekretion in den Harn gelangen. Bei der tubulären Sekretion handelt es sich um einen aktiven Prozess, bei dem mit Hilfe von Carrier-Systemen dissoziierte organische Säuren und Basen (z. B. Penicilline, Sulfonamide, Sulfonylharnstoffe, Diuretika) gegen ein Konzentrationsgefälle ausgeschleust werden. Hierdurch kann die Effizienz der Ausscheidung hydrophiler Substanzen gesteigert werden. Die Prävalenz des akuten Nierenversagens (ANV) bei Intensivpatienten wird in der Literatur mit 2‒9% angegeben [2, 7, 28]. Bei 85% der Patienten ist das ANV Teil eines Multiorganversagens [27]. Aber gerade diese Patienten benötigen häufig eine Vielzahl an Medikamenten, und es stellt sich nun die Frage nach der Dosierung der über die Niere ausgeschiedenen Pharmaka. Dabei muss die Abwägung zwischen potenzieller Überdosierung mit Auftreten schwerer Nebenwirkungen und Unterdosierung mit der Gefahr der unzureichenden Wirkung erfolgen.
Abschätzung der Nierenfunktion Am Anfang der Überlegungen zur Dosisanpassung von Medikamenten steht die Abschätzung der Nierenfunktion des Patienten. Hierfür stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.
247 19.2 · Besondere klinische Situationen
Ein schnell zu bestimmender Parameter ist das Serumkreatinin. Es wird neben weiteren Parametern zur Diagnostik einer Nierenfunktionsstörung herangezogen. Das Serumkreatintin ist als Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels abhängig von der Muskelmasse des Patienten. Kreatinin wird vor wiegend glomerulär filtriert, ein geringer Teil wird auch tubulär sezerniert. Zu einem Anstieg kommt es erst dann, wenn mehr als 60% der aktiven Nephrone bereits ausgefallen sind. Daher ist dieser Parameter v. a. zur Verlaufsbeobachtung der Nierenfunktion geeignet. Auch die Bestimmung des Serumharnstoffs ist zur Abschätzung der Filtrationsleistung nicht geeignet. Harnstoff wird zur Hälfte tubulär reabsorbiert und ist abhängig von der Ernährung und dem Proteinmetabolismus. Ein Anstieg erfolgt bei einer Nierenfunktionseinschränkung von 60‒70%. Er kann aber Hinweis auf die Schwere der Urämie liefern. Besser geeignet ist die endogene Kreatininclearance im 24-h-Sammelurin. Von der Höhe der Kreatin-Clearance kann direkt auf die glomeruläre Filtrationsleistung rückgeschlossen werden. Die Berechnung der Kreatininclearance erfolgt aus dem im 24-h-Sammelurin gemessenen Kreatinin, dem aktuellen Serumkreatinin und der Urinmenge innerhalb von 24 h.
ClKrea = UKreauVurin/PKrea [ml/min]
Nicht immer liegt zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Dosierung eines Medikamentes die endogene Kreatininclearance vor. Diese kann mit Hilfe der Näherungsformel nach Cockroft u. Gault berechnet werden. Dabei wird die Kreatininclearance anhand Serumkreatinin, Alter, Gewicht und Geschlecht abgeschätzt. Schätzung der Kreatininclearance nach Cockroft u. Gault: 5 Männer: ClKrea= (140–Alter)uKG/72uSKrea 5 Frauen: ClKrea = (140–Alter)uKGu0,85/72uSKrea ClKrea = Kreatininclearance, Alter = Lebensalter [Jahre]; KG = Körpergewicht [kg]; SKrea = Serumkreatinin [mg/dl]
Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz Luzius Dettli hat in den 1960er Jahren erstmals beschrieben [10], dass sich die Clearance eines Arzneimittels linear zur Kreatininclearance als Maß für die Nierenfunktion verhält. Diese Abhängigkeit wird in einer mathematischen Funktion durch die Steilheit A und den Achsenabschnitt Clanur charakterisiert, welcher die Clearance bei anurischen Patienten darstellt.
Cl = Clanur+A–GFR
Weil diese Abhängigkeit linear ist, können die Parameter zwischen beiden Extremen (normal und Anurie) interpoliert werden. Die Halbwertszeit ist dabei der Clearance umgekehrt proportional. Mit Hilfe der sich daraus ergebenden Proportionalitätsregel nach Dettli kann die Dosis des zu verabreichenden Medikamentes wie folgt berechnet werden:
19
D/Tau = (D/Tau)normu(Thalf )norm/Thalf D= Dosis; Tau = Dosierungsintervall; Thalf = Halbwertszeit
Bei Medikamenten mit gewünschtem Spitzenspiegel sollte für die Dosisanpassung besser die Halbierungsregel nach Kunin [18] angewendet werden. Grundlage hier ist die Kumulationskinetik. Um eine rasche Aufsättigung zu erreichen, muss eine hohe Anfangsdosis gewählt werden, die meist der normalen Dosis entspricht. Die Erhaltungsdosis entspricht der halben Startdosis. Als Dosierungsintervall wird die interpolierte Halbwertszeit gewählt. Besitzt das verwendete Medikament bereits bei normaler Nierenfunktion eine lange Halbwertszeit, so ist die normale Startdosis zu gering und muss aus dem Spitzenspiegel im Gleichgewichtszustand abgeleitet werden. Die Startdosis kann dann durchaus höher sein als beim Nierengesunden.
D/Tau = ½uDstart/Thalf D= Dosis; Tau = Dosierungsintervall; Thalf = Halbwertszeit
Der Unterschied zwischen beiden Regeln ist, dass bei der Dosisanpassung nach der Kunin-Regel (Halbierungsregel) die Spitzenspiegel des verabreichten Medikamentes gleich bleiben, es aber zu einer Erhöhung der Talspiegel kommt. Anders bei der Dosisanpassung nach Dettli (Proportionalitätsregel), hier bleibt die AUC gleich, aber die Talspiegel werden seltener erreicht oder sind niedriger als bei der Dosierung beim Nierengesunden. Entsprechend der Pharmakokinetik des zu verabreichenden Medikamentes (z. B. hohe Spitzenspiegel erwünscht) kann zwischen beiden Formeln gewählt werden. > Beispiel Das Aminoglykosid Gentamicin hat eine Halbwertszeit von 2 h, die Gabe erfolgt 3-mal täglich alle 8 h. Bei Niereninsuffizienz kommt es zu einer Verlängerung der HWZ auf 12 h (Faktor 6). 4 Dosisanpassung nach der Proportionalitätsregel: Entweder Gabe der normalen Dosis statt alle 8 nur alle 48 h oder Dosis entsprechend reduzieren. 4 Dosisanpassung nach der Halbierungsregel: Beginn der Therapie mit normaler Startdosis und dann Weiterführung der Therapie mit der halben Startdosis nach jeder HWZ (12 h).
Basierend auf diesen pharmakokinetischen Überlegungen werden Empfehlungen für die Dosisanpassung bei verschiedenen Ausprägungen der Niereninsuffizienz meist in Form von Übersichtstabellen ausgegeben. Die Universität Heidelberg bietet unter der Internetadresse www.dosing.de die Möglichkeit der individuellen Dosisberechnung für eine Vielzahl an Medikamenten. i Bei der Anwendung dieser Formeln und Dosierungstabellen muss aber immer bedacht werden, dass es sich dabei um vereinfachte Schemata handelt, die der klinischen Patientensituation nur bedingt gerecht werden können, da eine Vielzahl von Einflussfaktoren nicht berücksichtigt wird.
248
Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
Dosisanpassung bei Patienten mit Nierenersatztherapie Ist die Nierenfunktionsstörung so weit fortgeschritten, dass eine Nierenersatztherapie nötig ist, gestaltet sich die Dosisanpassung von Medikamenten noch komplizierter, da durch das Nierenersatzverfahren selbst ein Teil des Medikamentes aus dem Körper eliminiert wird, der bei der Dosisanpassung berücksichtigt werden muss. So kann es bei alleiniger Berücksichtigung und Dosierung des Medikamentes nach der Kreatininclearance des Patienten sogar zu einer Unterdosierung des Medikamentes mit u. U. fatalen Folgen kommen (z. B. fehlendes Ansprechen auf eine Antibiotikatherapie bei Sepsis). Neben den patientenspezifischen Faktoren, wie Restausscheidung, weiteres Organversagen, alternative Eliminationswege, müssen unter einer Nierenersatztherapie weitere Einflussfaktoren auf die Elimination von Medikamenten berücksichtigt werden: 4 Medikamentenabhängige Faktoren: Liegt die Molekülgröße des Medikamentes unterhalb der Porengröße der Filtermembran, wie es häufig der Fall ist, so kann das Antibiotikum theoretisch frei filtriert werden. Die Proteinbindung eines Medikamentes verhindert aber die schnelle Elimination aus dem Blutsystem, da es zu keiner Filtration von Eiweißen über die Dialysemembranen kommt. Je größer das Verteilungsvolumen des Medikamentes, desto größer ist die Halbwertszeit im Körper. 4 Verfahrensabhängige Faktoren: Neben dem gewählten Verfahren selbst (z. B. kontinuierlich oder intermittierende Therapie; Hämofiltration oder Hämodialyse) sind dies v. a. das Filtermaterial mit Porengröße und Oberfläche sowie die gewählten Einstellungen zu Ultrafiltrationsrate und natürlich auch die Einsatzdauer des Verfahrens. Die Abschätzung der Arzneimittelelimination bei kontinuierlicher Nierenersatztherapie (CRRT) basiert ebenfalls auf dem Konzept der totalen Kreatininclearance sowie den pharmakokinetischen Überlegungen von Dettli und Kunin. Die Spezifität der CVVH-Clearance entspricht ungefähr der an der glomerulären Basalmembran. Tubuläre Sekretion und Resorption werden dabei aber nicht berücksichtigt.
Konzept der totalen Kreatininclearance: 5 CLcreaTOT = CLcreaREN + CLcreaCRRT
19
CLcreaTOT = totale Kreatininclearance; CLcreaREN = Restfunktion der Niere; CLcreaCRRT = Clearance mittels kontinuierlicher Nierenersatztherapie
Die Gesamtclearance wird, wie in 7 Kap. 19.1.2. bereits erwähnt, in einen renalen und einen nicht renalen Anteil geteilt. Der nicht renale Anteil wird als Q0 bezeichnet, wobei Q0=0 »ausschließlich renale Clearance« und Q0=1 »ausschließlich nicht renale Clearance« bedeutet Die Q0-Werte sind für die meisten Medikamente verfügbar (z. B. www.dosing.de). Gesamtclearance eines Medikamentes: CLgesamt = CLREN + Q0
Bei der Berechnung der Medikamentendosierung muss als erstes die Summe aus renaler Clearance und CRRT-Clearance abgeschätzt werden. Dann erfolgt die Berechnung der prozentualen, reduzierten Dosis. In diese Formel geht implizit eine normale Kreatininclearance von 100 ml/min ein. Individuelle Ausscheidungskapazität = Q0 + (1–Q0)uCLTOTren/100 ml/min
> Beispiel Patient mit akutem Nierenversagen Es ist keine Restfunktion der Niere vorhanden, der Patient wird mit einer kontinuierlichen Hämofiltration therapiert. Die CVVHClearance beträgt 25 ml/min (es werden 1,5 l/h filtriert). Das verabreichte Antibiotikum hat einen Q0-Wert von 0,3. Es ergibt sich eine gesamte renale Clearance (CLTOT en): keine Restfunktion der Niere + CVVH-Clearance =25 ml/min. Damit sollte die Tagesdosis entsprechend der individuellen Ausscheidungskapazität (0,3+0,7u0,25=0,475) auf 47,5% der Standarddosis reduziert werden. Auch hier muss dann noch die Entscheidung getroffen werden, ob das Dosisintervall verlängert oder die Einzeldosis reduziert wird, je nachdem, ob es auf die Spitzenkonzentrationen oder auf gleichmäßige Wirkspiegel ankommt.
Wie bereits bei der Dosisanpassung bei Patienten mit Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie erwähnt, ist durch diese Formel nur die Möglichkeit der Abschätzung geben. Streng genommen ist sie nur bei kontinuierlicher venovenöser Hämofiltration (CVVH) mit Postdilution anwendbar. Bei Prädilution ist die CRRT nicht einfach mit der Ultrafiltrationsrate gleichzusetzen, sondern es geht auch noch der Blutfluss mit ein. Außerdem werden auch hier die vorher genannten Einflussfaktoren nicht adäquat berücksichtigt. Leider ist die Zahl der zu diesem Thema vorhandenen Studien begrenzt. Vorteil dieser Studien ist, dass durch die direkte Messung der Medikamentenspiegel im Blut definitive Rückschlüsse und Empfehlungen für die klinische Praxis gegeben werden können, da hier fast alle Einflussfaktoren Einfluss nehmen. Wichtig ist bei der Übertragung dieser Empfehlungen, die entsprechenden Studien bezüglich der eingesetzten Verfahren, verwendeten Filter und Einstellungen genau zu lesen. Optimum ist noch immer die direkte Messung der Medikamentenkonzentrationen im Blut, was aber nur bei wenigen Medikamenten und meist nicht zeitnah möglich ist. Bei den Pharmaka, bei denen dies möglich ist, sollten unbedingt Wirkspiegel bestimmt werden. Weiterhin wichtig ist die klinische Kontrolle des Patienten, um Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen. Bei fehlendem Ansprechen der Pharmakotherapie sollte auch eine potenzielle Unterdosierung in Betracht gezogen werden. Das Vorgehen zur Dosisanpassung von Medikamenten bei Patienten mit Nierenfunktion zeigt . Abb. 19.1.
19.2.2 Patienten mit Leberinsuffizienz Die Inzidenz des akuten Leberversagens in Deutschland wird auf 4‒6 Patienten pro 6000 Klinikaufnahmen geschätzt [24]. Die Inzidenz der Leberzirrhose ist unsicher, da bei einer Vielzahl der Patienten eine Leberzirrhose unerkannt bleibt.
249 19.2 · Besondere klinische Situationen
19
. Abb. 19.1. Vorgehen zur Dosisanpassung von Medikamenten bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen . Abb. 19.2. Vorgehen zur Dosisanpassung von Medikamenten bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen
Bei einer Leberinsuffizienz kommt es neben einer verringerten Enzymaktivität zu einem reduzierten Enzymgehalt mit verminderter intrinsischer Clearance. Es kommt zu einer Verminderung des hepatischen Blutflusses und der vermehrten Ausbildung intra- und extrahepatischer Shuntverbindungen. Diese pathophysiologischen Mechanismen führen zu einer Veränderung der Pharmakokinetik der verabreichten Medikamente. Bei Leberzirrhose kann aufgrund der Veränderungen des hepatischen Blutflusses und der Ausbildung von Kollateralen die Bioverfügbarkeit stark zunehmen. Ein Teil der oralen Dosis gelangt dabei direkt von der Portalvene in den systemischen Kreislauf. Bei diesen Substanzen muss entsprechend nach oraler Gabe die Einzeldosis reduziert werden. Phase-I-Reaktionen sind störanfälliger als Phase-II-Reaktionen, denn sie benötigen mehr Energie. Sauerstoffmangel beeinträchtigt frühzeitig Phase-I-Reaktionen und verlängert die Elimination zahlreicher Medikamente. Die Aktivität des Cytochrom P450 -Systems kann durch Krankheit oder Pharmaka gesteigert (z. B. Hepatitis, Barbiturate) oder vermindert (z. B. Leberzirrhose, Cimetidin) werden. Die Phase-II-Reaktion wird durch die meisten Lebererkrankungen nicht beeinträchtigt.
Abschätzung der Leber funktion Anders als bei der Niereninsuffizienz mit der Bestimmung der Kreatininclearance existiert für die Leberfunktionsstörung kein idealer, die Organfunktion umfassend beschreibender Einzelparameter. Laborchemische Tests finden als Screening-Methode
. Tabelle 19.5. Child-Pugh-Klassifikation Parameter
1 Punkt
2 Punkte
3 Punkte
Albumin [g/dl]
>3,5
2,8–3,5
70%
40–70%
90%, 4 kleines Verteilungsvolumen, 4 geringe therapeutische Breite, 4 Hemmung des Medikamentenabbaus durch die involvierten Substanzen. Das wichtigste Organ im Arzneimittelstoffwechsel ist die Leber. Die häufigsten pharmakokinetischen Interaktionen sind auf Wechselwirkungen zurückzuführen, die während einer PhaseI- Reaktion das Enzymsystem der Cytochrom-P450-Isoenzyme betreffen, Phase-II-Reaktionen sind weniger betroffen [5, 25]. Durch die Induktion oder Inhibition des Cytochrom-P450-Systems oder durch die Kompetition mehrer Medikamente am selben Enzym wird deren Metabolisierung entweder verlangsamt oder beschleunigt. Im Vergleich zur biliären Exkretion sind bei der Elimination von Pharmaka über die Niere auf der Ebene
eine Rolle. Auch ohne sichtbare Präzipitation kann es bei gleichzeitiger Applikation zweier Substanzen zur Interaktion mit Wirkungsverlust kommen [22]. Eine weitere Form der pharmazeutischen Interaktion ist die Absorption einer Substanz an das Material des Behälters (. Tab. 19.9). 19.3.4 Zusammenfassung 4 Das Risiko von Arzneimittelinteraktionen ist in der Intensivmedizin besonders groß, da hier zahlreiche Medikamente, häufig mit geringer therapeutischer Breite, eingesetzt werden. 4 Die Wahrscheinlichkeit einer Medikamenteninteraktion steigt exponentiell mit der Anzahl der verabreichten Arzneimittel. 4 Bei den pharmakodynamischen Interaktionen sind v. a. die Wirkungsverstärkungen relevant.
. Tabelle 19.8. Beispiele für pharmakokinetische Interaktionen. (Nach [32])
19
Interaktion
Arzneimittel
Verändernde Substanz
Wirkung
Veränderung des gastrointestinalen pH-Wertes
Ketoconazol
Antazida, H2-Blocker, Protonenpumpenhemmer
Verminderung der Bioverfügbarkeit um bis zu 80%
Beeinflussung der Resorption durch Komplexbildung
Tetracycline, Chinolone
Antazida, Eisenionen
Verminderung der Resorption
Veränderung der Resorption durch Hemmung oder Induktion von P-Glykoprotein
Digoxin
Rifampicin
Verminderung der Resorption
Gehemmter Metabolismus
Lovastatin
Azol-Antimykotikum
Erhöhung des Plasmaspiegels
Beschleunigter Metabolismus
Orale Kontrazeptiva
Rifampicin
Unzuverlässige Wirkung
Beeinflussung der renalen Elimination
Penicilline, Cephalosporine
Probenecid
Verminderte tubuläre Sekretion, Erhöhung der Plasmaspiegel
Veränderung der Eiweißbindung
Sulfonamide
Methotrexat
Erhöhte Toxizität
253 Literatur
19
. Tabelle 19.9. Beispiele für pharmazeutische Interaktionen Interaktion
Arzneimittel
Verändernde Substanz
Wirkung
Inkompatibilität
Zahlreiche Substanzen
Furosemid
Inaktivierung
Inkompatibilität
Sulfonamide, Aminoglycoside [5]
Penicillin
Gegenseitige Inaktivierung im Infusionsgemisch
Inkompatibilität
Katecholamine, Kalzium
Natriumbicarbonat
Wirkungsabschwächung
Adsorption an Behälter oder Infusionsleitungen
Insulin, Glyceroltrinitrat
–
Wirkungsabschwächung
4 Medikamente mit geringer therapeutischer Breite, wie z. B. Digitoxin, Digoxin, Theophyllin, Antikoagulanzien vom Cumarin-Typ oder Antiepileptika, und solche, die den Metabolismus besonders stark beeinflussen (z. B. Barbiturate, Phenytoin, Rifampicin, Carbamazepin, Makrolide, Azol-Antimykotika) bergen ein besonderes Risiko. 4 Wenn möglich sollten problematische Kombinationen vermieden werden. Hierfür sind Kenntnisse über die Grundlagen der Pharmakokinetik und die Metabolisierungswege der häufigsten in der Intensivmedizin verwendeten Medikamente wichtig.
Literatur 1. Alexander JK, Dennis EW, Smith WG, Amad KH, Duncan WC, Austin RC (1962) Blood volume, cardiac output, and disposition of systemic blood flow in extreme obesity. Cardiovasc Res Cent Bull 1: 39– 44 2. Avasthi G, Sandhu JS, Mohindra K (2003) Acute renal failure in medical and surgical intensive care units a one year prospective study. Ren Fail 25: 105–113. 3. Aveling W, Brandshaw AD Crankshaw DP (1978) The effect of speed of injection on the potency of anaesthetic induction agents. Anaesth Intens Care 6: 116–119 4. Baylis C, Corman B (1998) The aging kidney: Insights from experimental studies. J Am Soc Nephrol 9: 699–709 5. Bovill JG (1997) Adverse drug interactions in anesthesia. J Clin Anesth 9: 3S-13S 6. Bowman, SL, Hudson SA, Simpson G, Munro JF, Clements JA (1986) A comparison of the pharmacokinetics of propanolol in obese and normal volunteers. Br J Clin Pharmacol 21: 529–532 7. Brivet FG, Kleinknecht DJ, Loirat P, Landais PJ (1996). Acute renal failure in intensive care units – causes, outcome, and prognostic factors of hospital mortality; a prospective, multicenter study. French Study Group on Acute Renal Failure. Crit Care Med 24: 192–198 8. Cheymol, G (1987) Comparative pharmacokinetics of intravenous propanolol in obese and normal volunteers. J Clin Pharmacol 27: 874– 879 9. Derry CL, Kroboth PD, Pittenger AL, Kroboth FJ, Corey SE, Smith RB (1995) Pharmacokinetics and pharmacodynamics of triazolam after two intermittent doses in obese and normal-weight men. J Clin Psychopharmacol 15: 197–205 10. Dettli L (1973) Translation of pharmacokinetics to clinical medicine. J Pharmacokinet Biopharm 1(5): 403–418 11. Egan TD (1995) Remifentanil pharmacokinetics and pharmacodynamics. A preliminary appraisal. Clin Pharmacokinet 29: 80–94 12. Eschenhagen T (2000) Overview of drug interactions. Combining drugs correctly! MMW Fortschr Med 142: 28–33
13. Flechner SM, Kolbeinsson ME, Tam J, Lum B (1989) The impact of body weight on Cyclosporine pharmacokinetics in renal transplant recipients. Transplantation 47: 806–810 14. Grandison MK, Boudinot FD (2000) Age related changes in protein binding of drugs: implications for therapy. Clin Pharmacokinet 38: 271–290 15. Green B, Duffull SB (2004) What is the best size descriptor to use for pharmacokinetic studies in the obese? Br J Clin Pharmacol 58: 119– 133 16. Greenblatt DJ, Abernethy DR, Locniskar A, Harmatz JS, Limjuco RA, Shader RI (1984) Effect of age, gender, and obesity on midazolam kinetics. Anesthesiology 61: 27–35 17. Kennedy JM, van Rij AM, Spears GF et al (2000) Polypharmacy in a general surgical unit and consequences of drug withdrawal. Br J Clin Pharmacol 49: 353–362 18. Kunin CM (1967) A guide to use of antibiotics in patients with renal disease. A table of recommended doses and factors governing serum levels. Ann Intern Med 67: 151–158 19. Lazarou J, Pomeranz BH, Corey PN (1998) Incidence of adverse drug reactions in hospitalized patients. JAMA 279: 1200–1205 20. Maddox A, Horowitz M, Wishart J, Collins P (1989) Gastric and oesophageal emptying in obesity. Scand J Gastroenterol 24: 593–598 21. Mather LE, Björkman S (1994) Pitfalls in pharmacokinetics. Anaesth Pharmacol Rev 2: 260–270 22. Olkkola KT, Ahonen J (2001) Drug interactions. Curr Opin Anesth 14: 411–416 23. Osborne R, Joel S, Slevin M (1986) Morphine intoxication in renal failure; the role of morphine-6-glucuronide. Br Med J 293: 1101 24. Paar WD, Spengler U, Muller A, Hirner A, Sauerbruch T (1996) Diagnostik des akuten Leberversagens. Dtsch Med Wochenschr 121: 305–309 25. Papp-Ja´mbor C, Jaschinksi U, Forst H: Cytochrom-P450-Enzyme und ihre Bedeutung für Medikamenteninteraktionen. Anaesthesist 51: 2–15 26. Rowe JW, Shock NW, DeFronzo RA (1976) The influence of age on the renal response to water deprivation in man. Nephron 17: 270–278 27. Schuster H-P (2001) Update – Akutes Nierenversagen in der Intensivmedizin Intensivmed 38: 179–186 28. Schwilk B, Wiedeck H, Stein B, Reinelt H, Treiber H, Bothner U (1997) Epidemiology of acute renal failure and outcome of haemodiafiltration in intensive care. Intensive Care Med 23: 1204–1211 29. Stanski DR, Mihm FG, Rosenthal MH, Kalman SM (1983) Pharmacokinetics of high-dose thiopental used in cerebral resuscitation. Anesthesiology 53: 169–171 30. Wood M (1991) Pharmacokinetic drug interactions in anaesthetic practice. Clin Pharmacokinet 21: 285–307 31. Yee GC, Lennon TP, Gmur DJ, Cheney CL, Oeser D, Deeg HJ (1988) Effect of obesity on CSA disposition. Transplantation 45: 649–651 32. Zolk O, Eschenhagen Th (2003) Medikamenteninteraktionen in der Antibiotika-Therapie. Notfallmedizin 29: 358–363
20 Ernährungstherapie des Intensivpatienten W.H. Hartl, K-W. Jauch
20.1
Pathophysiologische Grundlagen
20.1.1 20.1.2 20.1.3 20.1.4
Allgemeine Prinzipien –256 Signalsysteme im Postaggressionsstoffwechsel –256 Bedeutung des zentralen Nervensystems – sekundäre metabolische Effekte –256 Veränderungen des Substratstoffwechsels nach perioperativer Homöostasestörung –258
20.2
Praxis der Ernährungstherapie
20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.2.4 20.2.5 20.2.6 20.2.7 20.2.8
Einschätzung des Ernährungszustands –259 Abschätzung des Kalorienbedarfs –261 Substrate für die Ernährung –261 Ernährung des Intensivpatienten –263 Praxis der enteralen Ernährung –265 Komplikationen der enteralen Ernährung –265 Besonderheiten in der Ernährung bei SIRS/septischen Patienten –266 Metabolisches Monitoring –267
Literatur –267
–256
–259
256
Kapitel 20 · Ernährungstherapie des Intensivpatienten
Die intensivmedizinische Betreuung umfasst in der Regel zwei große Patientengruppen, einmal Patienten, die intensiv überwacht werden müssen (z. B. Risikopatienten nach größeren Interventionen oder Operationen) und zum zweiten Patienten mit Organfuktionsstörungen (meist hervorgerufen durch SIRS oder Sepsis), die intensiv therapiert werden müssen. Die Ernährungstherapie ist wichtiger Bestandteil der Therapie beider Kollektive. Da viele Formen der Ernährungstherapie jedoch teuer sind, muss auf eine richtige Indikationsstellung geachtet werden. Grundvoraussetzung dafür ist das Verständnis der stoffwechselspezifischen Pathophysiologie. 20.1
Pathophysiologische Grundlagen
20.1.1 Allgemeine Prinzipien
. Abb. 20.2. Kausale und supportive Therapie der perioperativen Homöostasestörung
Die Antwort des Patienten auf eine Homöostasestörung (Operation, Verletzung oder Infektion) ist durch unterschiedlichste endokrine, metabolische und immunologische Veränderungen charakterisiert. Falls der Auslösemechanismus nur schwach ausgeprägt und von kurzer Dauer ist, erfolgt in kurzer Zeit und meistens bei minimaler Intervention die folgenlose Wundheilung und Wiederherstellung der metabolischen und immunologischen Homöostase. Im Gegensatz dazu können stark ausgeprägte Auslösemechanismen zu deutlicheren Veränderungen der endogenen Regulationsprozesse führen. Diese massiven Veränderungen (z. B. persistierend schwere Hyperglykämie) sind teilweise nur unter lebenserhaltender Intensivtherapie zu beobachten und besitzen partiell autoaggressiven Charakter (. Abb. 20.1).
Bei der systemischen Hyperinflammation treten sekundär (über die Aktivierung zahlreicher zellulärer Komponenten) Mikrozirkulationsstörungen auch in initial nicht betroffenen Organsystemen auf. In der Folge kann es dort zu einer progressiven Zellnekrose und schließlich zum Funktionsverlust kommen. In Verbindung mit dem Postaggressionssyndrom beobachtet man ferner eine progrediente Eiweißkatabolie, die bei Miteinbeziehung vital wichtiger Organsysteme ebenfalls über sekundäre Funktionsstörungen zum mehrfachen Organversagen beitragen kann. Die kausale Therapie zur Bekämpfung von SIRS und Sepsis steht heute an erster Stelle. An zweiter Stelle stehen adjuvante Therapien wie die Ernährungstherapie, die jedoch durchaus einen wichtigen Beitrag zur Genesung des Patienten leisten kann (. Abb. 20.2).
i Störungen der Homöostase müssen rechtzeitig und konsequent behandelt werden.
20.1.2 Signalsysteme im Postaggressionsstoff-
Ohne entsprechende und rechtzeitige Intervention können diese Veränderungen das Überleben gefährden und die komplette Wiederherstellung zellulärer und organspezifischer Funktionen behindern. Für die Prognose des Patienten von zentraler Wichtigkeit sind die metabolischen und immunologischen Veränderungen bei SIRS bzw. Sepsis. So kommt es einerseits zu einer Aktivierung des unspezifischen Immunsystems (systemische Hyperinflammation) und zum zweiten zur Ausbildung des sog. Postaggressionssyndroms. Diese beiden Phänomene können in Abhängigkeit vom Ausmaß ihrer Ausprägung und von der Zeitdauer u. U. zu einem lebensbedrohlichen Organversagen führen.
20
wechsel Eine perioperative Homöostasestörung ist durch die Freisetzung örtlicher bioaktiver Substanzen, durch gesteigerte neuronale (z. B. Schmerz) und systemische Reaktionen (Tachykardie und Hypertension) und durch eine Aktivierung von E-Rezeptoren durch extravasale Volumenverschiebungen charakterisiert. Im weitesten Sinne können die Hormone, die infolge einer Verletzung freigesetzt werden, unterteilt werden in solche, die überwiegende unter Hypothalamuskontrolle stehen, und solche, die hauptsächlich durch das autonome Nervensystem kontrolliert werden. Dadurch entsteht ein Netzwerk von sich gegenseitig regulierenden Feedbackschleifen. Neben den immunologischen Veränderungen besteht ein wesentlicher Teil der Reaktionen, die nach perioperativer Homöostasestörung auftreten, in der Weiterleitung und Verarbeitung der verschiedenen Signale im Bereich des zentralen Nervensystems. Zur Signalübertragung werden neuronale und humorale Wege sowie Gewebsfaktoren (Zytokine) benutzt (. Abb. 20.3). Diese Signale werden von Efferenzen gefolgt, die in der Hypothalamus-HypophysenAchse und im autonomen Nervensystem entstehen. 20.1.3 Bedeutung des zentralen Ner vensystems
– sekundäre metabolische Effekte . Abb. 20.1. Dichotomie der Hyperglykämie nach perioperativer Homöostasestörung
Die zentrale Verarbeitung der zahlreichen Signale, die infolge von perioperativen Homöostasestörungen entstehen, ist entschei-
257 20.1 · Pathophysiologische Grundlagen
. Abb. 20.3. Afferente und efferente Signale bei perioperativer Homöostasestörung
dend für die Koordinierung der Mechanismen zur Aufrechterhaltung der Homöostase. Das Zentrum dieser Koordination liegt im Hypothalamus. Zur Regulierung physiologischer Vorgänge besitzt der Hypothalamus zwei bedeutende Efferenzen. Die eine besteht in der sympathischen Achse, zusammengesetzt aus dem Nebennierenmark und dem sympathischen Nervensystem. Die zweite, wesentliche Efferenz beinhaltet die Hypothalamus-Hypophysen-Achse.
Sympathoadrenale Achse Präganglionäre Splanchnikusfasern innervieren das Nebennierenmark und setzen dort Adrenalin und andere Katecholamine in die Zirkulation frei. Postganglionäre sympathische Nervenenden versorgen Organe und Blutgefäße des Körpers und regulieren die Zellen, mit denen sie in Kontakt stehen, durch die Freisetzung von Noradrenalin (. Abb. 20.4). Katecholamine tragen wesentlich zum Anstieg des Energieumsatzes bei, der nach perioperativer Homöostasestörung zu beobachten ist, und wirken zusammen mit anderen Stresshormonen, um die Umstellung des Kohlenhydrat- und Eiweißstoffwechsels herbeizuführen. So beschleunigt Adrenalin die hepathische Glykogenolyse und Glukoneogenese. Ferner mobilisieren Katecholamine freie Fettsäuren durch einen direkten Effekt aus dem Fettgewebe und auch sekundär über die Unterdrückung der pankreatischen Insulinfreisetzung. Da sowohl D- wie auch E-adrenerge Rezeptoren auf den E-Zellen des pankreatischen Apparates vorhanden sind, sind entsprechend den Katecholeminkonzentrationen sowohl inhibierende (D-adrenerge) als auch stimulierende (E-adrenerge) Auswirkungen auf die Insulinfreisetzung möglich. Bei zunehmendem Schweregrad der Homöostasestörung und Über wiegen der D-Wirkung wird somit die pankreatische Insulinfreisetzung gehemmt. Die Freisetzung von Glukagon aus prankreati-
20
schen D-Zellen wird durch E-adrenerge Rezeptoren stimuliert und ist dadurch im Rahmen der Stressreaktionen deutlich gesteigert. Unter normalen Umständen ist die Glukosekonzentration der wichtigste Stimulus für die pankreatische Insulinfreisetzung. Insulin besitzt eine globale anabolische Wirkung und steigert die muskuläre Proteinsynthese, die hepatische Glykogensynthese und Glykolyse. Gleichzeitig wird der Glukosetransport in die Zelle hinein sowie die Lipogenese im Fettgewebe und die Proteinsynthese in zahlreichen Kompartimenten beschleunigt. Nach perioperativer Homöostasestörung kann man 2 verschiedene Phasen der Insulinfreisetzung beobachten. 4 Die 1. Phase spielt sich innerhalb der ersten Stunden nach chirurgischem Trauma ab und manifestiert sich als eine relative Unterdrückung der Insulinfreisetzung ‒ ein Phänomen, das ganz überwiegend den Einfluss der Katecholamine und die Aktivierung des sympathischen Nervensystems reflektiert. 4 In einer späteren Phase kommt es dann zu einer Normalisierung bzw. zu einem leichten Anstieg der Insulinkonzentrationen, der jedoch dem Ausmaß der gleichzeitig zu beobachtenden Hyperglykämie nicht entspricht. Gleichzeitig kann das Krankheitsbild der sog. peripheren Insulinresistenz beobachtet werden. Dieses Krankheitsbild entsteht durch das Überwiegen der antiinsulinären Hormone (Katecholamine, Glukagon, Kortison). Glukagon hat im Gegensatz zu Insulin katabole Eigenschaften, es hemmt die Proteinsynthese und stimuliert die hepatische Glykogenolyse und Glukoneogenese. Der synergistische Effekt der Katecholamine, des Glukagons und der Glukokortikoide auf die hepatische Glukoneogenese ist dafür verantwortlich, dass dieser Stoffwechselweg bei gleichzeitiger Erhöhung der Konzentration aller 3 Stresshormone nach chirurgischem Trauma maximal gesteigert ist und bei entsprechend konstanter Hormonaktivierung auch über längere Zeiträume beschleunigt bleiben kann.
Hypothalamus-Hypophysen-Achse Nach perioperativer Homöostasestörung kommt es innerhalb von Minuten zu einer Aktivierung der adrenokortikalen Achse mit rapidem Anstieg von CRH, ACTH und Glukokortikoiden um ein Vielfaches über den Ausgangswert (. Abb. 20.5). stimulieren die hepatische Glukoneogenese und steigern die Speicherung von Kohlenhydraten in Form von Glykogen in der Leber. Gleichzeitig wird die Insulinempfindlichkeit im gesamten Organismus verringert. Kortisol ist ein kataboles Hormon und
. Abb. 20.4. Efferente Signale des zentralen Nervensystems – die sympathoadrenale Achse
258
Kapitel 20 · Ernährungstherapie des Intensivpatienten
. Abb. 20.5. Efferente Signale des zentralen Nervensystems – die adrenokortikale Achse (CRH, kortikotropinfreisetzendes Hormon; ACTH, adrenokortikotropes Hormon)
setzt über eine Steigerung der Proteinabbaurate und Hemmung der Proteinsynthese Aminosäuren aus extrahepatischen Geweben frei. Kortisol steigert ferner die Mobilisierung von freien Fettsäuren auf dem Fettgewebe und erhöht damit die Konzentration der freien Fettsäuren im Plasma. Durch die vermehrte Verfügbarkeit von freien Fettsäuren wird somit bei fehlender exogener Nährstoffzufuhr der Energiebedarf überwiegend durch Oxidation von Fettsäuren gedeckt. Die Kohlenhydratutilistaion bleibt obligat zuckerabhängigen Geweben vorbehalten.
Endokrine Besonderheiten des Intensivpatienten Die sympatoadrenale und die Hypothalamus-Hypophysen-Achse sind bei Intensivpatienten auf vielfältige Weise verändert. So korrelieren die Aktivität der sympatoadrenalen Achse bzw. die pankreatische Insulin- und Glukagonfreisetzung eng mit dem Krankheitsschweregrad und der Ausprägung des SIRS bzw. der Sepsis auch über längere Zeit. Im Gegensatz dazu zeigt die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Achse eine deutliche zeitliche Abhängigkeit, die nicht unbedingt mit dem klinischen Krankheitsschweregrad übereinstimmt. Im Anschluss an die Akutphase nach chirurgischem Trauma sind im Prinzip 2 weitere Entwicklungen denkbar. So kann es, sei es mit oder ohne intensivtherapeutische Unterstützung, zu einer Überwindung der Organfunktionsstörung und damit zu einer raschen Erholung des Organismus kommen. Halten SIRS bzw. Sepsis über einen längeren Zeitraum an, so entwickelt sich ein chronisches Krankheitsbild. Bei derartig prolongierten Verläufen besteht eine zunehmende neuroendokrine Dysfunktion, die zumindest z. T. die bei protrahierter Sepsis/SIRS die zu beobachtenden metabolischen Veränderungen erklären kann
(. Abb. 20.6). Dabei ist praktisch jede Achse innerhalb des Hypothalamus-Hypophysen-Systems betroffen. Bei bis zu 50% der Patienten mit protrahierter Sepsis/Mehrfachorganversagen kann eine Insuffizienz der adrenokortikalen Achse gefunden werden. Diese Insuffizienz ist durch einen inadäquaten Kortisonanstieg nach Stimulation mit exogenem ACTH gekennzeichnet. Gleichzeitig sind die Konzentrationen des endogenen ACTH im Normalbereich. Ebenfalls betroffen ist die thyreoidale Achse. Es findet sich bei Intensivpatienten praktisch regelhaft eine ausgeprägte biochemische Hypothyreose, gekennzeichnet durch niedrige TSH-, T4- bzw. T3–Konzentrationen. Inwieweit es sich bei den Veränderungen der thyreoidalen Achse um ein Epiphänomen oder um ein echtes Defizit handelt, das den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflusst, ist immer noch umstritten. Als weiterer wesentlicher Befund imponiert eine pathologisch veränderte Wachstumshormonsekretion mit deutlich verringerter Pulsamplitude. Dadurch kommt es zu einem Abfall der Wachstumshormonkonzentrationen im Vergleich zu den Veränderungen in der akuten Phase. Dieser relative Hyposomatotropismus bei länger anhaltendem Mehrfachorganversagen unterstützt die gleichzeitig immer zu beobachtende ausgeprägte Eiweißkatabolie. 20.1.4 Veränderungen des Substratstoffwechsels
nach perioperativer Homöostasestörung Grundprinzipien Die umschriebenen hormonellen Veränderungen stellen die wesentliche Basis für die Umstellung des Substratstoffwechsels nach
20
. Abb. 20.6. Klinischer Verlauf nach perioperativer Homöostasestörung
259 20.2 · Praxis der Ernährungstherapie
chirurgischem Trauma dar. Hierbei steht die Katabolie aller im Körper vorhandener Substratedepots im Mittelpunkt. So kommt es im Fettgewebe zu einer gesteigerten Lipolyse mit vermehrter Freisetzung von freien Fettsäuren, die einerseits als alternative Substrate in den nicht obligat kohlenhydratabhängigen Geweben (Skelettmuskulatur) dienen können und die andererseits in der Leber Energieträger für die dort ebenfalls schneller laufenden Stoffwechselprozesse darstellen. Parallel zur eingeschränkten Kohlenhydratverwertung im Skelettmuskel kommt es dort auch zu einem ausgeprägten Eiweißabbau. Die so freigesetzten Aminosäuren dienen im Wesentlichen 2 Zwecken: 4 Zum einen können die glukoneogenetischen Aminosäuren in der Leber zur beschleunigten Neuproduktion von Glukose herangezogen werden. 4 Zum anderen sind die aus dem Skelettmuskel freigesetzten Stickstoffträger essenziell sowohl für die beschleunigte hepatische Proteinsynthese als auch für die Wundheilung im Bereich der verletzten Strukturen, also für den Aufbau neuen Gewebes an dieser Stelle. In diesem Zusammenhang ist auch die Versorgung des Gastrointestinaltrakts mit bestimmten Aminosäuren (Glutamin) zu nennen. Glutaminabhängige Reparaturmechanismen sollen helfen, das Ausmaß der Integritätsstörung im Gastrointestinaltrakt zu begrenzen. Zentraler Ort des veränderten Stoffwechselgeschehens nach Trauma oder Operation ist die Leber. Hier werden aus Glukoneogenese und Glykogenolyse vermehrt Kohlenhydrate ins Blut abgegeben. Die beschleunigte hepatische Glukoseproduktion erzeugt zusammen mit der peripheren Insulinresistenz eine Hyperglykämie, die dazu dient, in den obligat glukoseabhängigen Geweben (immunkompetente Zellen, Fibroblasten etc.) das Glukoseangebot und damit die Glukoseaufnahme und den Energiestoffwechsel zu optimieren. Gleichzeitig werden ausgewählte Proteine in der Leber mit einer beschleunigten Rate gebildet. Diese sog. Akut-Phase-Proteine (z. B. CRP) spielen nach heutigem Erkenntnisstand ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Überwindung der traumainduzierten Homöostasestörung. Diese Proteine besitzen ausgeprägte antiinflammatorische Eigenschaften und helfen so, die hyperinflammatorischen Reaktionen zu begrenzen. Die Verwendung von endogen freigesetzten Aminosäuren zum Zweck der Glukoneogenese führt zum unwiderruflichen Verlust von Stickstoff in Form von Harnstoff aus dem Körper. Dieser Stickstoffverlust entspricht einem irreversiblen Verlust von körpereigener Eiweißsubstanz und ist das biochemische Korrelat für die Abnahme von Muskelmasse. Nach elektiven chirurgischen Eingriffen und bei unkompliziertem postoperativem Verlauf ist das Maximum der metabolischen Veränderungen, die im Rahmen des Postaggressionssyndroms auftreten, in den ersten 2 Wochen nach der perioperativen Homöostasestörung zu beobachten. Die einzelnen Stoffwechselveränderungen erleben ihren Peak jedoch nicht zum gleichen Zeitpunkt. Die Insulinresistenz mit begleitender Hyperglykämie ist bereits in den ersten 48 h maximal ausgeprägt, wohingegen die Abnahme des Körpereiweißbestandes erst nach 2 Wochen ihr Maximum erreicht. Dementsprechend rekompensiert sich auch der Eiweißstoffwechsel nur sehr langsam. Erst 3–6 Monate nach komplikationslosem chirurgischem Trauma kann mit einer Wiederauffüllung des Körpereiweißbestandes gerechnet werden. Auch das Körper-
20
gewicht erreicht erst nach einer derartigen Zeit wieder den präoperativen Ausgangswert.
Metabolische Besonderheiten bei Sepsis/SIRS Bei persistierend schwerem SIRS bzw. schwerer Sepsis bleibt aufgrund der anhaltenden hormonellen Aktivierung auch die schwere Störung des Kohlenhydratstoffwechsels mit Hyperglykämie und Insulinresistenz erhalten. Zum Teil sind unter solchen Umständen extrem hohe Kohlenhydratkonzentrationen zu beobachten, die, falls unbehandelt, über entsprechende immunsuppressive Effekte die Prognose des Patienten negativ beeinflussen können. Des Weiteren imponiert eine markante Eiweißkatabolie. Im Wesentlichen scheinen initial 4 verschiedene Mechanismen für diesen protrahierten massiven Eiweißverlust verantwortlich zu sein: 4 die Immobilisierung des Patienten, 4 die Ausschüttung von katabolen Hormonen, 4 der regelhaft zu beobachtende Hyperkatabolismus mit Erhöhung des Energieumsatzes und schließlich 4 die Aktivierung bestimmter Zytokine. Bei Langzeitverläufen besteht ein weiterer wichtiger Mechanismus zur Auslösung und Aufrechterhalten der protrahierten Eiweißkatabolie in pathologischen Veränderungen des peripheren wie auch des zentralen Nervensystems. Diese sog. septische Neuropathie findet sich bei 70‒90% aller Intensivpatienten und ist mit einer peripheren Polyneuropathie und den Zeichen einer axonalen Degeneration verbunden. In der Folge kommt es zu einer funktionellen Denervierung und damit auch zu charakteristischen Veränderungen im Eiweißstoffwechsel des nachgeschalteten Organs, d. h. des peripheren Muskels. Letzterer reagiert auf eine derartige Denervierung mit einer drastischen Erhöhung der Proteinabbaurate. In der Folge kommt es zu dramatischen Veränderungen im Muskelgewebe. Über 90% der kritisch kranken Patienten zeigen eine Atrophie des Skelettmuskels, bei fast der Hälfte dieser Patienten findet sich eine Muskelnekrose, verbunden mit intrazellulären Fettablagerungen. Bei fast 2/3 der Intensivpatienten bestehen die mikroskopischen Zeichen einer primären Myopathie in der Skelettmuskulatur. Ein weiterer zentraler Befund bei fast allen Intensivpatienten ist die zunehmende Leberverfettung. Sie resultiert aus einer Imbalanz zwischen Fettsäureaufnahme, Fettsäureoxidation und Fettsäuregabe über die VLDL-Triglyzeride. Aufgrund einer Repriorisierung im hepatischen Eiweißhaushalt beobachtet man nämlich eine gestörte hepatische VLDL-Triglyzeridsynthese bzw. -sekretion. Dieses Versagen der hepatischen Lipoproteinsynthese ist zentraler Bestandteil der hepatischen Fettstoffwechselstörungen und führt in Verbindung mit den vermehrt anflutenden freien Fettsäuren zur progredienten Einlagerung von Fett in das Lebergewebe. 20.2
Praxis der Ernährungstherapie
20.2.1 Einschätzung des Ernährungszustands Es sind insbesondere die schwer mangelernährten Patienten, die von einer erhöhten Morbidität betroffen sind und die somit am meisten von einer adäquaten Ernährungstherapie profitieren.
260
Kapitel 20 · Ernährungstherapie des Intensivpatienten
. Abb. 20.7. Variablen für das Subjective Global Assessment (SGA). Die gefundenen Kriterien sind anzukreuzen, bzw. bei # sind die entsprechenden numerischen Werte einzugeben
20
261 20.2 · Praxis der Ernährungstherapie
20
i Die zuverlässige Einschätzung des Ernährungszustandes ist heute fester Bestandteil und Voraussetzung für eine effiziente Ernährungstherapie.
Aus klinischer Sicht hat sich die Einteilung in normal ernährt, mäßig mangelernährt oder schwer mangelernährt bewährt. Als mäßig mangelernährt gelten Patienten mit einem Körpergewichtsverlust von 10–15% vor dem Intensivaufenthalt und einer gleichzeitigen Hypalbuminämie bzw. Störung in anderen Organsystemen. Eine schwere Mangelernährung besteht bei einem Gewichtsverlust von 15% oder mehr. Für die Praxis hat sich die Einschätzung des Ernährungszustandes anhand des sog. Subjective Global Assessment (SGA)« durchgesetzt. Diese Methode beruht im Wesentlichen auf einer sorgfältigen Anamneseerhebung, der körperlichen Untersuchung und der Abschätzung des aktuellen Energiebedarfs eines individuellen Patienten. SGA erlaubt es, einen individuellen Patienten ernährungsmedizinisch grob zu klassifizieren mit den Unterscheidungen zwischen 4 gut ernährt (a), 4 mäßig mangelernährt (b) oder 4 schwer mangelernährt (c). Die Variablen für das SGA sind . Abb. 20.7 aufgeführt. Im Besonderen wird dabei auf Gewichtsveränderungen, Veränderungen der Nahrungszufuhr, gastrointestinale Beschwerden, körperliche Aktivität und auf die Grunderkrankung mit ihrem Verhältnis zum Ernährungsbedarf geachtet. Des Weiteren werden bei der körperlichen Untersuchung der Verlust von subkutanem Fett und ein klinisch eindeutig erkennbarer Muskelschwund registriert. Zusätzlich festzuhalten sind Knöchel- oder Flankenödeme bzw. Aszites. Um zu einer entsprechenden SGA-Klassifizierung zu gelangen, wird kein im Detail festgelegter numerischer Algorithmus benutzt. Es erfolgt vielmehr eine Einstufung auf der Basis einer subjektiven Gewichtung. Trotz dieser Subjektivität findet sich eine eindeutige Korrelation des SGA mit der Prognose des chirurgischen Patienten.
. Abb. 20.8. Steuerung der Kalorienzufuhr in Abhängigkeit vom zeitlichen Abstand zum chirurgischen Trauma
Zusätzlich muss der zeitliche Abstand zum chirurgischen Trauma mitberücksichtigt werden (. Abb. 20.8). Unmittelbar postoperativ werden aufgrund der Substratverwertungsstörungen im Rahmen des Postaggressionssyndroms (7 Kap. 20.1.2) zunächst keine Substrate zugeführt. Ab dem 1. postoperativen Tag erfolgt die Energiezufuhr dann entsprechend dem 0,6-fachen, ab dem 4. Tag dann entsprechend dem 0,75-fachen des vorher berechneten Ruheenergieumsatzes. Erst ab dem 7. postoperativen Tag wird der volle Ruheenergieumsatz durch die entsprechende Kalorienzufuhr gedeckt. Somit werden am Operationstag selbst nur Flüssigkeit und Elektrolyte zugeführt. Eine Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen in dieser Phase ist nicht erforderlich. Die Begründung für ein solches Vorgehen liegt darin, dass postoperativ/posttraumatisch zugeführte Kalorien umso weniger vom Körper verwertet werden können, je kürzer der Abstand zum chirurgischen Trauma ist. 20.2.3 Substrate für die Ernährung
20.2.2 Abschätzung des Kalorienbedarfs Nach chirurgischem Trauma muss die Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr mit einer entsprechenden Zufuhr von Kalorien bzw. Substraten in Einklang gebracht werden. Zu diesem Zweck ist es notwendig, zuerst einmal den zu erwartenden Energiebedarf des Patienten festzulegen. Ausgangspunkt ist dabei der basale Energieumsatz, der beim Gesunden anhand von Körpergewicht, Alter, Geschlecht und Körpergröße nach Harris u. Benedikt näherungsweise berechnet werden kann. Für den klinischen Alltag lässt sich der basale Umsatz einfach nach der Faustregel von Stein u. Levine berechnen. Faustregel: Basaler Umsatz nach Stein u. Levine: basaler Energieumsatz [kcal] pro Tag = 24ukg KG
In der Regel ist davon auszugehen, dass unmittelbar postoperativ nach elektiven Eingriffen der Kalorienbedarf des Patienten seinem Ruheumsatz entspricht. Wird der Patient mobilisiert, so erhöht sich diese Rate um etwa 10%. Entwickelt der Patient ein Multiorganversagen, so sinkt der Energieumsatz um 20‒30%.
Die Ernährung kann entweder oral, enteral oder parenteral erfolgen. Dementsprechend existieren für alle 3 Modalitäten kommerziell verfügbare Produkte.
Orale Ernährung In der Regel werden die Produkte zur oralen Ernährung über die Krankenhausküche geliefert. Neben überwiegend flüssiger Kost (Tee, Suppe, orale Trinknahrung mit hoher Kalorien- und Eiweißdichte; auch Zwieback) stehen weitere Zubereitungsformen in Abhängigkeit von der Konsistenz und vom Ballaststoffgehalt zur Verfügung (passierte Kost, leichte Kost, Vollkost). Die orale Nahrungszufuhr sollte den Regelfall bei der Ernährung des Patienten darstellen. Zur Sicherung einer ausreichenden Kalorienzufuhr muss jedoch die tatsächlich vom Patienten verzehrte Nahrungsmenge sorgfältig dokumentiert werden. i Orale Nahrungszufuhr sollte der Regelfall sein.
Enterale Ernährung Bei behindertem Schluckakt oder funktionsuntüchtigem oberem Gastrointestionaltrakt (Magen/Ösophagus) werden Substrate
262
Kapitel 20 · Ernährungstherapie des Intensivpatienten
. Abb. 20.9. Wirkung immunmodulierender Diäten bei kritisch kranken Patienten
20
enteral zugeführt. Bei der enteralen Ernährung kommen industriell hergestellte bilanzierte Diäten zur Anwendung, die bedarfsdeckend für den Nährstoff-, Spurenelement-, Elektrolyt- und Vitaminbedarf des Patienten sind. Die meisten Produkte eignen sich zur vollständigen Ernährung, sind jedoch kostenintensiver als die normale orale Krankenhauskost. Unterschieden werden nährstoffdefinierte Diäten (NDD) von chemisch definierten Diäten (CDD), also hochmolekulare von niedermolekularen Darreichungsformen. Die NDD sind ballaststoffarm und können bei normaler Digestions- und Resorptionsleistung gegeben werden. Sie enthalten Kohlenhydrate als Oligo- und Polysaccharide (50–60%), intaktes Eiweiß aus Milch, Soja, Eiklar und Fleischprotein (15–20%) und schließlich Fette aus Pflanzenölen (25–30%), wobei die Zufuhr von essenziellen Fettsäuren dabei gesichert ist. Für katabole Patienten sind Diäten mit höherer Kaloriendichte und erhöhtem Eiweißgehalt zur eiweißreichen Ernährung (1,3–1,5 g/kg KG/Tag) verfügbar. Bei den gesättigten Fettsäuren finden sich kurzkettige, mittelkettige und langkettige Fettsäuren. Für eine unkomplizierte Langzeiternährung bei uneingeschränktem, funktionstüchtigem Gastrointestinaltrakt existierten auch ballaststoffhaltige Nahrungen. Hier müssen Diäten mit unlöslichen Ballaststoffen (Zellulose) von solchen mit löslichen Ballaststoffen (Präbiotika) unterschieden werden. Zu Letzteren zählen Pektine, Agar, Pflanzenschleim und Oligofruktosen. Die CDD kommen bei globalen Störungen der intraluminalen Hydrolysekapazität und Resorption zum Einsatz, z. B. bei ausschließlich jejunaler Ernährung postoperativ unter Umgehung der Magenpassage, aber auch bei septischen Patienten. CDD sind arm an Fett, ballaststofffrei und wegen der osmotisch wirksamen Proteinhydrolysate gering hyperosmolar, d. h. sie enthalten Aminosäuren, Tripeptide oder Oligopeptide. Diese Oligopeptiddiäten werden nahezu vollständig im oberen Gastrointestinaltrakt resorbiert. Ihr genereller Einsatz als Standardtherapie bei kritisch Kranken ist jedoch nicht angezeigt. Stoffwechseladaptierte Diäten. Die sog. stoffwechseladaptier-
ten Diäten sind für Patienten mit spezifischen Organerkrankungen und Insuffizienzen sowie für Situationen mit metabolischen Besonderheiten entwickelt worden. Zu diesen speziellen Diäten zählen die Diabetesdiäten, Diäten mit immunmodulatorischer Wirkung (Glutamin, ω3-Fettsäuren, Dihomo-γ-Linolensäure, Antioxidanzien), leberadaptierte Sondendiäten und schließlich nierenadaptierte Diäten. Immunmodulierende Diäten können
speziell die überschießenden Reaktionen im unspezifischen Immunsystem dämpfen und gleichzeitig supprimierte Reaktionen im spezifischen Immunsystem stimulieren (. Abb. 20.9). Diese speziellen Diäten (ω-3-Fettsäuren, Antioxidantien, Dihomo-γ-Linolensäure) sind gerade bei beatmeten Patienten von klinischem Nutzten. Für alle anderen insbesondere Argininhaltige Diäten ist jedoch bei Intensivpatienten weder eine Verbesserung von Morbidität oder Letalität eindeutig nachgewiesen, sodass der Einsatz dieser z. T. sehr teuren Produkte gegenwärtig nicht empfohlen wird.
Parenterale Ernährung Bei funktionsuntüchtigem unterem Gastrointestinaltrakt (Dünndarm/Dickdarm) muss die Ernährung parenteral erfolgen. Sie ist in der ersten Woche nach chirurgischem Trauma hypokalorisch, ab der 2. Woche normo (iso-)kalorisch. Sowohl für die frühe (Tag 1–3) als auch die späte (Tag 4–6) postoperative Phase stehen kommerziell erhältliche Infusionslösungen zur Verfügung, die dem jeweiligen Flüssigkeitsbedarf in diesem Zeitraum (40 ml/ kg KG/Tag in der frühen und 25-30 ml/kg KG/Tag in der späten postoperativen Phase) Rechnung tragen. Die Infusionslösungen für die frühe postoperative Phase sind leicht hyperton (700–800 mosm/l) und besitzen eine geringe kalorische Dichte (0,3–0,4 kcal/ml). Sie enthalten 5% Zucker, 3,5% Aminosäuren und Elektrolyte entsprechend den Erhaltungsdosen. Die Konzentrationen sind so angelegt, dass bei Zufuhr von 40 ml/kg KG/Tag eine Substratzufuhr erfolgt, die den in der frühen postoperativen Phase bestehenden Substratverwertungsmöglichkeiten entspricht. Die niedrige Osmolarität dieser Lösungen erlaubt die Zufuhr über einen periphervenösen Zugang. Ab dem 4. postoperativen Tag wird dann die zugeführte Kalorien- bzw. Kohlenhydratmenge erhöht. Die kommerziell verfügbaren Lösungen, die in dieser Situation zum Einsatz kommen, enthalten hypertone Kohlenhydrate, Aminosäuren, Spurenelemente und Elektrolyte. Dem geringeren Flüssigkeitsbedarf in dieser Phase der Erkrankung entspricht die höhere Kaloriendichte, sodass diese Lösungen mit 25–30 ml/kg KG/Tag infundiert werden können. Wegen der hohen Osmolarität (über 1300 mosm/l) müssen diese Lösungen über einen zentralvenösen Katheter zugeführt werden. Die kommerziell verfügbaren Infusionslösungen sind so zusammengesetzt, dass sie dem gesteigerten Eiweißbedarf (1,2‒1,5 g/kg KG/Tag) des Patienten Rechnung tragen. Im Gegensatz zur frühren postoperativen Ernährung tritt jedoch jetzt ein erhöhter Kohlenhydratanteil hinzu.
263 20.2 · Praxis der Ernährungstherapie
Bei Elektrolyt- oder Wasserimbalancen ist es notwendig, anstelle der kommerziell erhältlichen Aminosäure-KohlenhydratMischlösungen Einzellösungen von Aminosäuren und Zucker nach den zuvor aufgezeigten Prinzipien miteinander zu kombinieren. Die Konzentrationen für Zuckerlösungen bewegen sich zwischen 10 und 40% und erlauben eine isokalorische Ernährung bei Patienten, die entweder eine Hypernatriämie oder eine Hyperkalämie bzw. einen Volumenüberschuss aufweisen. So kann die Ernährungstherapie unter gleichzeitiger Zufuhr von größeren Mengen an freiem Wasser (10% Dextrose) oder andererseits unter minimaler Volumenzufuhr (40% Dextrose) zugeführt werden. Die derartig applizierten Kohlenhydratmengen müssen selbstverständlich dem Schweregrad des Postaggressionsstoffwechsels angepasst und dementsprechend dosiert werden. Zusätzlich ist eine Kombination mit separaten Aminosäurelösungen erforderlich, die üblicherweise 10% synthetische kristalline Aminosäuren enthalten. Diese Lösungen bestehen in der Regel zu 40–50% aus essenziellen Aminosäuren, der Rest sind nicht-essenzielle Aminosäuren. Zur kompletten isokalorischen parenteralen Ernährung (frühestens in der 2. postoperativen Woche) existieren hyperosmolare Kombinationslösungen aus Aminosäure, Kohlenhydrat und Fett. Fett kann jedoch auch als Einzelbestandteil der parenteralen Ernährung getrennt zugeführt werden. Bei gleichzeitig sehr hoher Kaloriendichte (2 kcal/ml) genügen geringe Mengen an Fett, um entsprechende Kalorien in Form von Fett zuzuführen. Bei längerfristiger parenteraler Ernährung oder bei chronisch inadäquater enteraler Ernährung muss zusätzlich Glutamin in Form von glutaminhaltigen Dipeptiden zugeführt werden. Zur parenteralen Applikation von Fett stehen derzeit insgesamt 5 Infusionslösungen in unterschiedlicher Zusammensetzung zur Verfügung. Diese Lösungen beinhalten in der Regel 20% Fett in 250 ml und sind 4 Fettemulsionen auf der Basis von Sojabohnenöl (20 g Fett/100 ml mit 52% Linolsäure), 4 Fettemulsionen auf der Basis von Sojabohnen- und Kokusnussöl (sog. mittelkettige Triglyzeride) mit 10 g Sojabohnenöl/100 ml (entsprechend 26% Linolsäure) mit 10 g Kokusnussöl/100 ml in physikalischer Mischung, 4 alternativ in gleicher Zusammensetzung, aber nicht physikalisch, sondern biochemisch gemischt, durch zufällige Veresterung der unterschiedlichen Fettsäuren an den einzelnen Glyzerinmolekülen (sog. strukturierte Lipide), 4 Fettemulsionen auf der Basis von Sojabohnen und Olivenöl mit 4 g Sojabohnenöl/100 ml (entsprechend 18% Linolsäure) und 16 g Olivenöl/100 ml, 4 schließlich noch Präparate mit einem höheren Anteil an Z3-Fettsäuren (Fischöl). Wichtig ist der Anteil der Linolsäure in den Fettemulsionen. Linolsäure ist eine Vorgängersubstanz von Arachnoidonsäure, aus der zahlreiche entzündliche Mediatoren, u. a. auch Prostanglandine und Leukotriene, mit immunsuppressiver Wirkung synthetisiert werden können. Um derartige Effekte zu verringern, enthalten modernere Fettlösungen deutlich weniger Linolsäure, entweder durch Beimischung von mittelkettigen Triglyzeriden als Kokusnussöl oder durch Kombination mit Olivenöl. Aus klinischer Sicht ist bisher nur gesichert, dass die Kombination von Sojabohnenöl und mittelkettigen Triglyzeriden aus Kokusnussöl der reinen Applikation von Sojabohnenöl überlegen ist. Derartige kombinierte Lösungen werden schneller aus
20
dem Blut aufgenommen und verstoffwechselt. Außerdem wird eine Überladung des RES durch langkettige Fettsäuren aus Sojabohnenöl vermieden. Inwieweit biochemische Mischungen aus mittel- und langkettigen Triglyzeriden den bisher zur Verfügung stehenden physikalischen Mischungen überlegen sind, ist noch nicht gesichert. Ebenfalls noch nicht etabliert sind Infusionslösungen mit einem extrem geringen Anteil an Linolsäure bzw. hohem Anteil an Z3-Fettsäuren, die beide über die verringerte Synthese von immunsuppressiven Prostanoiden immunologisch günstige Effekte besitzen sollen. Vergleichbar mit der enteralen Ernährung existieren auch für die parenterale Ernährung spezifische Präparate zur Kompensation eventueller Organfunktionsstörungen. Diese sog. Nierenlösungen enthalten ausschließlich essenzielle und wenige semiessenzielle Aminosäuren. Da bei Harnstoffkonzentrationen >100 mg/dl mit weiter steigender Tendenz schädliche Nebenwirkungen zu befürchten sind, wird, wenn eine Hämofiltration/Dialyse hinausgezögert werden soll, eine Reduktion der täglichen Eiweißzufuhr bis auf 1/3 des errechneten Tagesbedarfs durchgeführt. Unter diesem Ernährungsregime ist die Harnstoffproduktion niedriger als unter alleiniger Kohlenhydratzufuhr. Bei länger anhaltendem Nierenversagen ist jedoch die Wiederaufnahme einer isokalorischen Ernährungstherapie mit vollem Aminosäureangebote zu bevorzugen. Bei Patienten mit hepatischer Enzephalopathie und einer Ammoniakkonzentration von >100 mg/dl existieren ebenfalls parenteral einsetzbare Leberlösungen mit einer erhöhten Zufuhr an verzweigtkettigen Aminosäuren. Eine Applikation von Vitaminen und Spurenelementen ist postoperativ nur bei langdauernder parenteraler Ernährung erforderlich. Es existieren kommerzielle Präparate, die die wichtigsten Spurenelemente (Chrom, Kupfer, Eisen, Mangan, Fluor, Molybdän, Selen und Zink) enthalten und die in der Regel täglich zugeführt werden. Wasserlösliche Vitamine können ebenfalls bei längerer parenteraler Ernährung als Zusatz mittels entsprechender Präparate zugeführt werden (Tiamin, Riboflamin, Pyridoxin, Panthotensäure, Ascorbinsäure, Biotin, Folsäure und Cianocobalamin). Die Substitution fettlöslicher Vitamine kann entweder parenteral erfolgen, wenn der Patient im Rahmen seiner Ernährungstherapie Fett intravenös zugeführt bekommt. Auch hier existieren kommerzielle Präparate, die die Vitamine A, D2, K und E enthalten. Erhält der Patient kein Fett intravenös, so besteht alternativ die Möglichkeit, die gleichen Vitamine in spezieller Aufbereitung auch in physiologischer Kochsalzlösung zuzuführen. Zusätzlich können besonders wichtige Spurenelemente (Selen) einzeln parenteral appliziert werden. 20.2.4 Ernährung des Intensivpatienten
Indikation Auch bei Intensivpatienten sollte die orale Nahrungszufuhr so zügig wie möglich begonnen und entsprechend den Gegebenheiten des Postaggressionsstoffwechsels sukzessive gesteigert werden. Bei funktionsuntüchtigem Pharynx (Schluckakt) und/oder Gastrointestinaltrakt muss an eine künstliche Ernährung gedacht werden. Grundsätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass bereits bei nicht intensivpflichtigen Patienten eine nicht ausreichende Nahrungszufuhr für mehr als 14 Tage mit einer erhöhten Letalität assoziiert ist.
264
Kapitel 20 · Ernährungstherapie des Intensivpatienten
i Die Indikation zur künstlichen Ernährung (enteral/parenteral) besteht nicht nur bei allen bereits vor dem Intensivaufenthalt mangelernährten Patienten, sondern auch bei Patienten ohne die Zeichen der Mangelernährung.
Ohne Verzögerung sollte nach Aufnahme mit einer künstlichen Ernährung begonnen werden, da nur so einer erhöhten Morbidität vorgebeugt werden kann. Ein frühzeitiger enteraler Kostaufbau vermindert das Infektrisiko und verkürzt gleichzeitig die Krankenhausverweildauer. Eine parenterale Ernährung ist nur bei absoluten Kontraindikationen der enteralen Zufuhr (Darmobstruktion mit relevanter Passagestörung, persistierendes intestinales Leck, paralytischer Ileus, schwerer Schockzustand mit Kreislaufinstabilität) indiziert. In allen anderen Fällen wird zumindest der Versuch einer enteralen Ernährung (gastral/jejunal) empfohlen. Bei nur eingeschränkter intestinaler Passage sollte zur Deckung des Kalorienbedarfs die künstliche Ernährung kombiniert enteral und parenteral erfolgen. Auch bei chirurgischen Patienten, die im Rahmen ihres chirurgischen Eingriffs Anastomosen am Gastrointestinaltrakt zur Wiederherstellung der Kontinuität erhalten haben, ist generell postoperativ eine Unterbrechung der oralen/enteralen Nahrungszufuhr nicht erforderlich. Der orale/enterale Kostaufbau sollte sich v. a. nach der Toleranz des Patienten richten. Nach Anastomosen am Kolon und Rektum kann ab dem 1. postoperativen Tag mit der oralen/enteralen Nahrungszufuhr begonnen werden. Bei Anastomosen am oberen Gastrointestinaltrakt ist für die ersten Tage die enterale Nahrungszufuhr über eine distal der Anastomose liegende Sonde/Feinnadelkatheterjejunostomie zu empfehlen.
Parenterale Kalorienzufuhr Im Anschluss an die unmittelbare postoperative Phase ist es nach Abschätzung des Kalorien- und Wasserbedarfs zusätzlich erforderlich, den Anteil der Eiweiß- und Nichteiweißkalorien an der Gesamtkalorienzufuhr festzulegen, der theoretisch zur Aufrechterhaltung einer ausgeglichenen Stickstoffbilanz notwendig ist. Beim gesunden Erwachsenen liegt die notwendige Eiweißmenge bei etwa 0,8 g/kg KG/Tag. Intensivpatienten nach komplikationslosen größeren chirurgischen Eingriffen benötigen je nach Ausmaß ihrer Erkrankung zwischen 1,2 und 1,5 g Eiweiß/kg KG/Tag und damit mehr Eiweiß als ein nicht intensivpflichter Patient nach einer vergleichbaren Operation. i Bei der parenteralen Ernährungstherapie des Intensivpatienten ist der Schwerpunkt auf eine ausreichende Zufuhr von Eiweiß zu legen.
20
Geht man von einem Bedarf von 1,5 g/kg KG/Tag aus, so sollte während des gesamten Intensivaufenthalts die entsprechende Menge von etwa 7 kcal/kg KG/Tag in Form von Aminosäuren zugeführt werden. Die zusätzlich zu applizierenden Kohlenhydratbzw. Kohlenhydrat- und Fettmengen richten sich dann nach dem zuvor berechneten Energiebedarf bzw. den zu erwartenden – im Rahmen des Postaggressionssyndroms ‒ auftretenden Substratverwertungsstörungen. So werden zwischen dem 1. und 3. Tag nach operativen Interventionen nur etwa 60% der vorher abgeschätzten Kalorienmenge appliziert, also etwa 14 kcal/kg KG/ Tag (entsprechend der Formel von Stein u. Levine; 7 Kap. 20.2.2). Subtrahiert man von dieser Menge die bereits in diesem Zeitraum zuzuführende Eiweißkalorienmenge (5 kcal/kg KG/Tag,
s. oben), so erhält man eine täglich zuzuführende Kohlenhydratmenge von etwa 9 kcal/kg KG/Tag. Zwischen dem 4. und 6. Tag nach einer chirurgischen Intervention kann mit einem Abklingen des Postaggressionssyndroms und einer Zunahme der Substratverwertung gerechnet werden, sofern keine Komplikationen (Sepsis) auftreten (. Abb. 20.8). In diesem Zeitraum werden etwa 3/4 der als basaler Energieumsatz berechneten Kalorienmenge zugeführt, also etwa 18 kcal/kg KG/ Tag. Nach analoger Subtraktion der Eiweißkalorien ergibt sich hier eine zu applizierende Kohlenhydratmenge von etwa 13 kcal/ kg KG/Tag. Ab dem 7. Tag nach chirurgischem Trauma ist dann eine isokalorische komplette Ernährung mit Aminosäuren/Protein, Kohlenhydraten und Fetten möglich, wobei in der Regel etwa 1/4 der Gesamtkalorienzahl in Form von Fetten appliziert wird. Bei abzusehender länger andauernder parenteraler Ernährung sollte bereits ab dem 1. postoperativen Tag der tägliche Erhaltungsbedarf an Vitaminen und Spurenelementen zugeführt werden.
Orale/enterale Kalorienzufuhr Diese engmaschigen Empfehlungen zur postoperativen Kalorienund Substratzufuhr unter parenteraler Ernährung sind insbesondere für Patienten mit nicht funktionstüchtigem Gastrointestinaltrakt relevant. Bei funktionierendem Gastrointestinaltrakt sind im Hinblick auf die Substratzusammensetzung, jedoch nicht auf die Kalorienzufuhr Abweichungen möglich. Hierbei muss jedoch zusätzlich die Passagekapazität im Magen-Darm-Trakt berücksichtigt werden. Des Weiteren ist die orale/enterale Ernährungstherapie abhängig von der Art des chirurgischen Eingriffs. Bei allen thorax- und unfallchirurgischen Eingriffen kann bei kompletter Unversehrtheit des Gastrointestinaltrakts unmittelbar postoperativ mit der Zufuhr von leichter Kost begonnen werden. Zu achten ist hier jedoch darauf, dass der Patient die ihm angebotenen Kalorienmengen tatsächlich auch verzehrt und sich nicht unerwartet ein Kaloriendefizit entwickelt. Bei abdominalchirurgischen Eingriffen ohne Verletzungen der Integrität des Intestinaltraktes kann ebenfalls in Abhängigkeit vom Ausmaß des Traumas bereits am 1. postoperativen Tag mit dem oralen Kostaufbau begonnen werden. Nach kurzfristiger Verabreichung von überwiegend flüssiger Kost kann dabei bereits am 2. postoperativen Tag auf die Verabreichung von ballaststoffarmer leichter Kost übergegangen werden. Auch hier ist die tatsächlich verzehrte Kalorienmenge jedoch zu kontrollieren. Dabei werden die zuzuführenden Kalorienmengen ‒ wie bei der parenteralen Ernährung – dem Verlauf des Postaggressionssyndroms angepasst (. Abb. 20.8). Bei Eingriffen am unteren Gastrointestinaltrakt erfolgt der orale Kostaufbau leicht verzögert mit zunächst Zufuhr flüssiger Nahrung in den ersten 2 Tagen und dann mit sukzessivem Kostaufbau. Bei Eingriffen am oberen Gastrointestinaltrakt, insbesondere bei Resektionen am Magen und Ösophagus, erfolgt die Nahrungszufuhr über eine intraoperativ eingebrachte spezielle Ernährungssonde, eine sog. Katheterjejunostomie. Hier kommen spezielle enterale Ernährungslösungen zur Anwendung. Bevorzugt wird eine Oligopeptiddiät verabreicht, wobei am 1. postoperativen Tag mit einer kontinuierlichen Gabe von etwa 250 ml über 24 h begonnen wird. Die tägliche Infusionsmenge wird dann in den nächsten Tagen, sofern keine ausreichende orale Nahrungszufuhr erfolgen kann, kontinuierlich um 250 ml/24 h gesteigert, bis das kalorische Maximum von 24 kcal/kg KG erreicht ist.
265 20.2 · Praxis der Ernährungstherapie
Sind Patienten nach thorakalen, gefäßchirurgischen, unfallchirurgischen oder extraintestinalen abdominellen Eingriffen nicht in der Lage, oral Nahrung aufzunehmen, so wird frühzeitig mit einer enteralen Ernährung über eine nasogastrale Verweilsonde begonnen. Auch hier erfolgt der Kostaufbau schrittweise, wobei am 1. postoperativen Tag mit 500 ml enteraler Ernährung begonnen wird. Die Nahrungszufuhr wird dann täglich um 500 ml gesteigert, bis erneut das gewünschte Kalorienoptimum erreicht ist. i Grundvoraussetzung für jegliche Form der enteralen Therapie ist die suffiziente Passage und Resorption der zugeführten Substrate.
Insbesondere bei gastraler Ernährung über Sonde muss auf Passagestörungen geachtet werden. Bei insuffizienter enteraler Kalorienzufuhr ist additiv eine parenterale Supplementierung durchzuführen. Es gilt heute als gesichert, dass von einer postoperativen enteralen Sondenernährung v. a. Patienten nach großen viszeralchirurgischen Tumoroperationen oder schwerem Polytrauma profitieren. Sollte eine enterale Ernährung längerfristig (>4 Wochen) erforderlich sein, so empfiehlt sich der Umstieg auf eine transkutane Sonde, z. B. als PEG. Bei onkologischen Patienten tritt eine Besonderheit hinzu. Hier ist die postoperative Fortführung der präoperativen immunmodulierenden Sondenernährung empfohlen. Bei unkompliziertem Verlauf ist dabei ein Zeitraum von 5–7 Tagen postoperativ ausreichend. 20.2.5 Praxis der enteralen Ernährung Zur enteralen Ernährung wird ein Zugang zum Gastrointestinaltrakt benötigt, dabei sind transnasale Sonden am einfachsten zu platzieren. Ist über einen absehbaren Zeitraum der obere Gastrointestinaltrakt nicht benutzbar, so sollte bereits intraoperativ eine Feinnadelkatheterjejunostomie angelegt werden. Zur nasogastralen Ernährung können großlumige Sonden (12–14 Charr) verwendet werden, die gleichzeitig eine Dekompression des Magens erlauben. 2 verschiedene Applikationsmethoden ‒ kontinuierliche Zufuhr oder Bolusgabe mit Portionen von 50–300 ml (mit oder ohne Gabe von Prokinetika) ‒ sind grundsätzlich möglich. Allgemein zeigt die kontinuierliche Applikation eine bessere Toleranz mit höherer Energie- und Substratzufuhr, da hierunter die Raten an therapielimitierender Diarrhö und Aspirationsereignissen geringer sind. Andererseits können plötzlich auftretende Passagestörungen leicht übersehen werden, woraus sich in der Folge lebensbedrohlich Aspirationsereignisse entwickeln können. Bei unklarer Funktionslage sollte somit die manuelle Bolusapplikation zur Anwendung kommen, da vor jeder erneuten Instillation das Pflegepersonal das im Magen vorhandene Residualvolumen überprüfen und ggf. die zu applizierende Nahrungsmenge daraufhin reduzieren kann. Ferner ist zu berücksichtigen, dass eine Reihe von Faktoren die normale gastrale Motilität beeinträchtigen kann (sog. Oberbauchatonie). In hartnäckigen Fällen können hier motilitätssteigernde Pharmaka (Metoclopramid oder Erythromyzin) zum Einsatz kommen. Des Weiteren ist es möglich, endoskopisch nasojejunale Sonden zu platzieren. Die endoskopische Sondenplatzierung ist dabei heute die am meisten geübte Technik. Sie ermög-
20
licht einen sicheren, wenig zeitaufwändigen Zugang zum oberen Dünndarm. Mit dieser Technik lassen sich auch Anastomoseninsuffizienzen nach Gastro-/Ösophagektomie überbrücken. Bei fehlender Katheterjunostomie kann auf diesem Weg dennoch eine enterale Ernährung bei gleichzeitiger Anastomosendehiszenz durchgeführt werden. 20.2.6 Komplikationen der enteralen Ernährung Die frühzeitige orale/enterale Ernährung ist nicht grundsätzlich risikofrei. Beobachtet werden können insbesondere gastrointestinale (Übelkeit, Diarrhö, Distension) und infektiöse Probleme (Aspirationspneumonie). Treten solche Komplikationen auf, so werden die Krankenhausverweildauer und die assoziierte Morbidität deutlich erhöht. Trotzdem resultiert unter Berücksichtigung aller günstigen und ungünstigen Wirkungen insgesamt ein Vorteil für den Patienten, wenn frühzeitig oral/enteral ernährt wird. In Einzelfällen oder bei bestimmten klinischen Situationen sind jedoch deutliche Abweichungen von der regulären gastrointestinalen Motilität und insbesondere von der normalen Magenentleerungskinetik zu beobachten. Wiederholtes Auftreten von großen Magenresidualvolumina bei Aspiration über Sonde sind die besten Indikatoren einer funktionellen Magenentleerungsstörung. Die Ursachen der Magenentleerungsstörungen sind sehr vielfältig. Sie liegen in der Regel außerhalb des Magens selbst und sind häufig bedingt durch die schwere Allgemeinerkrankung, eine akute Hyperglykämie, autonome Neuropathien und nicht zuletzt Begleitmedikationen, die das autonome Nervensystem beeinflussen (Katecholamine, E2-Mimetika, Analgosedativa). Zu den schweren Allgemeinerkrankungen zählt v. a. die schwere Sepsis. Ein weiterer ungewollter Nebeneffekt der enteralen Ernährung besteht in einer Anhebung des gastralen pH-Werts. Bei gleichzeitig verabreichten Antazida kann es dabei zu einer Verringerung der gastralen Säurebarriere und in der Folge zur Keimaszension und pathologischen Keimbesiedlung im Ösophagus und Pharynx kommen. Treten klinisch oft nicht fassbare Mikroaspirationen unter solchen Bedingungen auf, nimmt das Risiko einer nosokomialen Pneumonie deutlich zu. Dieser Pathomechanismus kann dadurch abgeschwächt werden, dass bei gastraler Ernährung eine nächtliche Ernährungspause eingelegt wird, die ein Absinken des gastralen pH-Werts und damit eine zumindest temporäre Restitution der Säurebarriere erlaubt. Die häufigste Komplikation der enteralen Ernährung ist die Diarrhö. Die Ursachen sind multifaktoriell, die Zusammensetzung der gewählten Nährlösung ist in der Regel jedoch nur selten Ursache des Problems. Auch hier bestimmt die Schwere der Grunderkrankung die Häufigkeit der Komplikationen. Entscheidende Pathomechanismen sind dabei infektiöse Erkrankungen des Intestinaltrakts oder Motilitäts-, Resorptions- und Durchblutungsstörungen. Einen Sonderfall stellt die Antibiotika-induzierte pseudomembranöse Kolitis dar, die einer besonderen Diagnostik (Nachweis von Clostridium-Antitoxin im Stuhl) und einer besonderen Therapie (Vancomyzin peroral/enteral, Metronidazol) bedarf. Ansonsten kann die Behandlung durch Reduktion der Volumenflussrate, durch den Wechsel des Ernährungsregimes bzw. der Ernährungsmodalität bzw. durch Umsetzen einer Antibiotikatherapie erfolgen. In schweren Fällen (hämorrhagische Kolitis) kann sogar eine komplette Ernährungspause angezeigt sein.
266
Kapitel 20 · Ernährungstherapie des Intensivpatienten
Letztere ist einer hypokalorischen oralen Nahrungszufuhr oder einer erst später begonnenen enteralen Ernährung überlegen. ! Cave In akuten Schockzuständen bzw. bei schwerer Kreislaufinsuffizienz sollte auf jegliche Form der Ernährungstherapie komplett verzichtet werden.
Im Mittelpunkt der ernährungsmedizinischen Anstrengungen bei chronisch septischen Patienten steht die Bekämpfung der Eiweißkatabolie. So werden bei Patienten mit schwerem SIRS oder schwerer Sepsis im Zeitraum von etwa 3 Wochen zwischen 1,2 und 1,4 kg reines Eiweiß verloren, das entspricht etwa 13% des Ausgangswertes. Die Masse des Eiweißverlustes entfällt dabei auf die Skelettmuskulatur. Die Höhe der Kalorienzufuhr in Relation zum Gesamtenergieumsatz hat dabei keinen wesentlichen Einfluss auf die Eiweißkatabolie. Auch bei hoher Eiweißzufuhr wird die Eiweißkatabolie zwar reduziert, jedoch nicht gänzlich aufgehoben. i Das Optimum für die tägliche Eiweißzufuhr beträgt etwa 1,5 g Eiweiß/kg KG/Tag.
. Abb. 20.10. Dickdarmüberblähung bei funktioneller Kolonmotilitätsstörung (Pseudoobstruktion)
Darüber hinaus sind keine günstigen Effekte auf den Eiweißstoffwechsel zu erwarten. Allerdings spielen verschiedene Ernährungsmodalitäten bei der Reduktion des Eiweißverlustes eine Rolle. So kann die enterale Ernährung im Vergleich zu einer isokalorischen parenteralen Ernährung den Eiweißverlust des Intensivpatienten über einen Zeitraum von 10 Tagen fast halbieren.
Kalorienbedarf
20
Neben Motilitätsstörungen im Oberbauch spielen auch Passagestörungen im Dünn- und Dickdarm bzw. im Dickdarm isoliert (Oggilvie-Syndrom/Pseudoobstruktion des Kolons; . Abb. 20.10) eine Rolle. Im Rahmen einer derartigen Paralyse imponieren klinisch ein Stuhlverhalt, eine deutliche Distension des Abdomens sowie Übelkeit und Druckschmerz. Der kombinierte Dünn-Dickdarm-Ileus kann vom isolierten paralytischen Dickdarmileus in der Regel mittels einer Röntgenaufnahme des Abdomens differenziert werden. Bei der Pseudoobstruktion handelt es sich um eine isolierte Überblähung des Kolons mit maximaler Distension der Zökalregion (. Abb. 20.10). Die Ursachen für diese Paralyse sind vielfältig, neben lokalen sowie globalen Durchblutungsminderungen (schlechtes Herzzeitvolumen) kommen entzündliche Prozesse im Abdomen sowie motilitätshemmende Medikamente in Frage. Die Therapie erfolgt in der Regel über mechanische Maßnahmen (Hebe-SenkEinlauf) und durch Prokinetika (Ceruletid, Prostigmin), die z. T. mehrmals täglich gegeben werden müssen, um entsprechende Fortschritte in der Passage zu erzielen. Bei einer Kolonüberblähung von >10 cm Durchmesser sind endoskopische Maßnahmen (Luftabsaugung) sowie in Extremfällen die Anlage einer Zökalfistel angezeigt. 20.2.7 Besonderheiten in der Ernährung bei SIRS/
septischen Patienten
Im Gegensatz zu elektiven chirurgischen Operationen kann der gesamte Energieumsatz als Summe des Ruheenergieumsatzes und des Aktivitätsenergieumsatzes bei schwerer Sepsis bzw. SIRS von etwa 2000 kcal in der 1. Woche auf bis zu 4000 kcal in der 2. Woche nach perioperativer Homöostasestörung ansteigen. Somit weisen diese Patienten in der Akutphase ihres Krankheitsgeschehens eine zusätzliche Steigerung um 40–50% über den Ruheenergieumsatz hinaus auf. Bemerkenswert ist jedoch, dass bei der Entwicklung eines septischen Mehrfachorganversagens wieder eine Abnahme des Energiebedarfs zu beobachten ist (in der Regel nur mehr 10–20% über dem Ruheenergieumsatz). Ebenfalls Im Gegensatz zur Situation nach elektiver Operation ist gerade bei septischen Patienten eine Steuerung der Kalorienzufuhr nach tatsächlichem Energieumsatz nicht angezeigt. Die Begründung ist darin zu suchen, dass auch eine sehr hohe Kalorienzufuhr die Katabolie der endogenen Substratspeicher nicht aufhalten kann und sich somit nicht metabolisch günstig auswirkt. Es können sogar eindeutig schädliche Nebeneffekte beobachtet werden. Bereits eine Erhöhung der Kalorienzufuhr um 20% über den Ruheenergieumsatz hinaus führt bei Intensivpatienten nur zu einer Zunahme der Fettmasse.
Für septische Patienten reicht meist eine konservative Kalorienzufuhr von 21–25 kcal/kg KG/Tag aus (je nach Ausmaß der körperlichen Aktivität und Analgosedierung).
Substrate Auch bei septischen Patienten oder bei einem SIRS sollte frühzeitig mit einer enteralen Ernährungstherapie begonnen werden.
Eine Kalorienzufuhr in derartiger Höhe stellt einen Kompromiss dar zwischen dem Versuch, körpereigene Verluste soweit wie
267 Literatur
20
möglich zu kompensieren, und dem Ziel, toxische Nebeneffekte zu vermeiden.
Additive Pharmakotherapie Aufgrund der bekannt schädlichen Nebenwirkungen der Hyperglykämie auf das Immunsystem ist heute eine rigide Einstellung der Blutzuckerspiegel angezeigt. Bei septischen Patienten sollten daher die Zuckerkonzentrationen im Plasma 150 mg/dl nicht überschreiten. Bei entsprechenden Hyperglykämien ist eine rigorose Insulintherapie anzustreben, u. U. mittels Insulin-Dauerinfusionen über Perfusor und unter engmaschiger Blutzuckerkontrolle. 20.2.8 Metabolisches Monitoring Unter künstlicher, speziell parenteraler Ernährungstherapie kann es zu einer Reihe von metabolischen Imbalancen/Nebenwirkungen kommen, zu deren Vorbeugung/Verhütung spezielle Überwachungsmaßnahmen angezeigt sind (. Abb. 20.11). Zum Monitoring der Fettutilisation ist es notwendig, in regelmäßigen Abständen die Plasmatriglyzeridkonzentrationen zu bestimmen. So lassen sich frühzeitig Fettverwertungsstörungen erkennen. Ferner erlaubt auch die mehrfach täglich durchgeführte Blutzuckerbestimmung (Blutzuckertagesprofil) den Nachweis von Kohlenhydratverwertungsstörungen. Die tägliche Bestimmung der Kreatinin- bzw. Harnstoffkonzentrationen kann nur sehr eingeschränkt als Hinweis für eine zunehmende Eiweißkatabolie herangezogen werden. Die Bestimmung dieser Serumkonzentrationen ist jedoch notwendig, um in Verbindung mit einem akuten Nierenversagen den Anstieg dieser harnpflichtigen Substanzen in den toxischen Bereich hinein frühzeitig erkennen und ggf. entsprechende therapeutische Maßnahmen einleiten zu können. Der Elektrolytbedarf des Patienten wird üblicherweise durch tägliche Bestimmung entsprechender Serumkonzentrationen abgeschätzt. Besonders hervorzuheben sind Magnesium und Kalium, da diese Elektrolyte insbesondere bei der Auslösung von Herzrhythmusstörungen eine wichtige Rolle spielen. Auch Kalzium, Phosphat, Chlorid und Natrium sollten überwacht werden, um Einschränkungen der Muskelfunktionen, Störungen der Wundheilung, aber auch metabolische Alkalosen frühzeitig erkennen zu können. Die Intensität der Überwachung richtet sich dabei nach der Schwere des Krankheitsbildes. Nach schwerer perioperativer Homöostasestörung (schweres SIRS, Sepsis) werden regelhaft auch Veränderungen in der Plasmakonzentration der sog. Mikronutrients beobachtet. So fallen postoperativ die Konzentration von Zink und Eisen durch Umverteilungsvorgänge signifikant ab. Gleichzeitig wird ein Anstieg des Kupfers beobachtet. Ebenfalls regelmäßig zeigen sich ein Abfall der Plasmakonzentration der Vitamine A, C und E durch veränderte Plasmaeiweißbindung und ein Abfall von Vitamin B1 und B2. Allerdings kann ein Abfall der Plasmakonzentration bei den Mikronutrients nicht unbedingt als Defizit gewertet werden, da die Plasmakonzentrationen in der Regel nicht den metabolisch relevanten intrazellulären Konzentrationen entsprechen. Zum Nachweis echter Defizite wären indirekte Funktionstests erforderlich, die jedoch kompliziert und in der Praxis nicht durchführbar sind. So wird man sich üblicherweise damit behelfen, bei Risikopatienten entsprechende Vitamine und Spurenelemente unabhängig von gemessenen Konzentrationen oder
. Abb. 20.11. Nebenwirkungen unter parenteraler Ernährung
Enzymaktivitäten prophylaktisch in regelmäßigen Abständen routinemäßig zuzuführen.
Literatur 1. Hartl WH, Rittler P (1997) Veränderungen des Substratstoffwechsels bei chirurgischen Erkrankungen unter besonderer Berücksichtigung des Eiweißhaushalts. Akt Ernährungsmedizin 22: 154–163 2. Rittler P, Jauch K-W, Hartl W (2007) Metabolische Unterschiede zwischen Anorexie, Katabolie und Kachexie. Akt Ernährungsmedizin 32:83–98 3. Hartl WH, Inthorn D (2000) Postoperative Systemkomplikationen. In: Bruch HP, Trentz O (Hrsg) Chirurgie. Urban & Fischer, München Jena, S 223–242 4. Hartl WH, Rittler P (2001) Ernährung nach Polytrauma – was ist gesichert. Intens Notfallbehandl 26: 100–112 5. Hartl WH, Rittler P (2002a) Perioperative Infusionstherapie – Prinzipien. Chirurg 73: 1067–1086 6. Hartl WH, Rittler P (2002b) Metabolisches Monitoring des Intensivpatienten. Akt Ernährumgsmedizin 27: 408–415 7. Kreymann C, Ebener C, Hartl W, von Heymann C, Spiess C (2003) Leitlinien enterale Ernärung – Intensivmedizin. Akt. Ernährungsmedizin 28 S1: S42–S50 (oder über www.dgem.de) : Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungmedizin. 8. Weimann A, Jauch K-W, Kemen M et al. (2003) Leitlinien enterale Ernärung – Chirurgie und Transplantation. Akt. Ernährungsmedizin 28 S1: S51–S61 (oder über www.dgem.de) : Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungmedizin. 9. Kreymann KG, Berger MM, Deutz NE et al. (German Society for Nutritional Medicine; Ebner C, Hartl W, Heymann C, Spies C; ESPEN (European Society for Parenteral and Enteral Nutrition) (2006) ESPEN Guidelines on Enteral Nutrition: Intensive care. Clin Nutr 25: 210–23 : Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin und der European Society of Parenteral and Enteral Nutrition. 10. Koletzko, B, Jauch K-W, Krohn K, Verwied-Jorky S. (2007) DGEM-Leitlinien parenterale Ernährung. Akt. Ernährungsmedizin 32 Suppl 1: S1–S133 (oder über www.dgem.de) : Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungmedizin. 11. Hartl W, Jauch K-W, Parhofer K, Rittler P. (2007) Komplikationen und Monitoring. In: DGEM-Leitlinien parenterale Ernährung. Akt. Ernährungsmedizin 32 Suppl 1: S60–S68 (oder über www.dgem.de) : Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungmedizin.
268
Kapitel 20 · Ernährungstherapie des Intensivpatienten
12. Kreymann KG, Adolph M, Druml W, Jauch K-W. (2007) Intensivmedizin. In: DGEM-Leitlinien parenterale Ernährung. Akt. Ernährungsmedizin 32 Suppl 1: S89–S92 (oder über www.dgem.de) : Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungmedizin. 13. Cerra FB Benitez MR, Blackburn GL et al. (1997) Applied nutrition in ICU patients. A consensus statement of the American College of Chest Physicians. Chest 111: 769–778 : Leitlinien des American College of Chest Physicians. 14. ASPEN Board of Directors and the Clinical Guidelines Task Force (2002) Guidelines for the use of parenteral and enteral nutrition in adult and pediatric patients. J Parenter Enter Nutr 26 (Suppl): 1SA–138SA : Leitlinien der American Society of Parenteral and Enteral Nutrition. 15. Heyland DK, Dhaliwal R, Drover JW, Gramlich L, Dodek P (2003) Canadian Critical Care.Clinical Practice Guidelines Committee. Canadian clinical practice guidelines for nutrition support in mechanically ventilated, critically ill adult patients. JPEN J Parenter Enter Nutr 27: 355–373 (www.criticalcarenutrition.com) : Leitlinien des Canadian Critical Care.Clinical Practice Guidelines Committee. 16. Hartl WH, Rittler P, Jauch K-W (2003) Metabolische und endokrine Besonderheiten beim operativen Intensivpatienten – Konsequenzen für die Therapie. In: Forst EJH, Burchardi H (Hrsg) Intensivmedizin. Ecomed, Landsberg/Lech, XI-3, S 1–28 17. Lübke HJ (2003) Enterale Ernährung. In: Forst EJH, Burchardi H (Hrsg) Intensivmedizin. Ecomed, Landsberg/Lech, XI-6, S 1–22 18. Rittler P, Bolder U, Hartl WH, Jauch K-W (2006) Enterale Ernährung: Indikation und Zugangswege. Chirurg 77: 1063–1080 19. Hartl WH, Rittler P, Jauch K-W (2007) Immunonutrition: Was ist das und wo hilft sie wirklich? Intensivmedizin 44: 64–73 20. Hartl WH, Jauch K-W (2006) Blutzucker in der Intensivmedizin. Akt Ernährumgsmed 31 Suppl 1: S81–S88, 2006
20
21 Hämorrhagischer Schock R. Larsen
21.1
Definition und Einteilung der Schocksyndrome
21.2
Pathophysiologie
21.2.1 21.2.2 21.2.3 21.2.4 21.2.5 21.2.6 21.2.7 21.2.8 21.2.9 21.2.10 21.2.11
Sympathoadrenerge Kompensationsreaktionen –270 Allgemeine hämodynamische Störungen –270 Makro- und Mikrozirkulation –270 Atmung –271 Nierenfunktion –271 Darm –271 Leberfunktion –271 Blutgerinnung –271 Säure-Basen-Haushalt –271 Ischämie/Reperfusion –272 Dekompensierter und irreversibler Schock –272
21.3
Klinisches Bild und Einschätzung
21.3.1 21.3.2 21.3.3 21.3.4
Allgemeine Schockzeichen –272 Einschätzung des hämorrhagischen Schocks –272 Differenzialdiagnose –275 Laboruntersuchungen –275
21.4
Behandlung des hämorrhagischen Schocks
21.4.1 21.4.2 21.4.3 21.4.4
Volumenersatz –276 Bluttransfusion –276 Optimierung der Blutgerinnung –277 Begleitmaßnahmen –279
Literatur
–279
–270
–270
–272
–275
270
Kapitel 21 · Hämorrhagischer Schock
21.1
Definition und Einteilung der Schocksyndrome
Der Schock ist eine akute oder subakute kritische Abnahme der Organdurchblutung oder eine primär verminderte O2-Aufnahme der Zellen mit nachfolgender Zellhypoxie und Anhäufung toxischer Metaboliten sowie Störungen des Zellstoffwechsels. Unbehandelt führt der Schock zum Zusammenbruch des Zellstoffwechsels und der Mikrozirkulation und schließlich zum irreversiblen Herz-Kreislauf-Kollaps. Der Schock ist keine Krankheitseinheit, sondern umfasst eine Gruppe von Syndromen verschiedener Ätiologie und wechselnder Auswirkungen auf die Herz-Kreislauf-Funktion. Vereinfacht können 5 Schockkategorien unterschieden werden [1]: 4 hypovolämischer Schock durch Blutverluste oder Dehydratation, 4 kardiogener Schock durch ein primäres Versagen der Pumpleistung des Herzens bei ausreichenden Füllungsdrücken, 4 septischer Schock: distributiver Schock durch bakterielle Infektion mit Freisetzung bakterieller Polysaccharide oder Proteine, 4 anaphylaktischer Schock: distributiver Schock durch IgEabhängige anaphylaktische und IgE-unabhängige anaphylaktoide Überempfindlichkeitsreaktionen, 4 neurogener Schock: distributiver Schock durch generalisierte Vasodilatation mit relativer Hypovolämie bei neurologischen oder neurochirurgischen Erkrankungen. Der hämorrhagische Schock ist eine spezielle Form des hypovolämischen Schocks. Unterschieden werden: 4 hämorrhagischer Schock durch akute Blutung ohne wesentliche Gewebeschädigung, 4 traumatisch-hämorrhagischer Schock durch akute Blutung und gleichzeitige ausgedehnte Gewebeschädigung mit Freisetzung von Mediatoren. Der hämorhagische Schock ist die häufigste Form des hypovolämischen Schocks. 21.2
Pathophysiologie
Die einzelnen Schocksyndrome verlaufen initial nicht einheitlich, führen aber im weiteren Verlauf zu gleichartigen Reaktionen und Störungen der Organfunktion durch Gewebehypoxie und Anhäufung toxischer Metaboliten. Allen Schocksyndromen ist das Versagen von Zellfunktionen der lebenswichtigen Organe gemeinsam. 21.2.1 Sympathoadrenerge Kompensations-
reaktionen
21
Anfangs reagiert der Organismus auf den akuten Blutverlust mit zahlreichen hormonellen und neurohumoralen Kompensationsmechanismen. Durch Stimulation der Barorezeptoren wird v. a. eine sympathoadrenerge Reflexreaktion ausgelöst, durch die innerhalb weniger Sekunden Adrenalin aus dem Nebennierenmark und Noradrenalin aus den peripheren Nervenendigungen freigesetzt werden. Die Gefäße kontrahieren sich, die Herzfrequenz und die Kontraktilität des Myokards nehmen zu, nachfolgend auch das Herzzeitvolumen. Die Atmung wird durch die sympathoadrenerge Reaktion ebenfalls gesteigert.
Bei anhaltender Stimulation der Hochdruckrezeptoren im Aortenbogen und Karotissinus sowie der Niederdruckrezeptoren im Herzen und in den Lungengefäßen werden Stresshormone ausgeschüttet. Hierzu gehört auch das Arginin-Vasopressin (AVP), dessen Sekretion, ausgelöst durch Stimulation sinoaortaler Rezeptoren als Reaktion auf mäßige Blutdruckabfälle, in 2 Phasen verläuft: einem initialen »burst« und einem lange anhaltenden Plateau. AVP wirkt über den V1-Rezeptor direkt vasonkonstringierend, verstärkt aber aber auch die vasokonstriktorischen Wirkungen von Noradrenalin und Angiotensin II.
Zentralisation Zusammen mit der Stimulation des Herzens kontrahieren sich die afferenten Ateriolen der weniger lebenswichtigen Gefäßgebiete: Peripherer Widerstand und arterieller Blutdruck steigen an. Diese neurohumorale Reaktion wird als Zentralisation bezeichnet. Sie führt zu einer Umverteilung des effektiv zirkulierenden Blutvolumens zu den sog. Vitalorganen (Herz und Gehirn), sodass die Durchblutung dieser Organe zunächst aufrechterhalten werden kann.Außerdem kontrahieren sich kompensatorisch die venösen Gefäße: Der venöse Rückstrom nimmt vorübergehend zu. Daneben strömt interstitielle Flüssigkeit in das Gefäßsystem und vermehrt das intravasale Volumen. i Die sympathoadrenergen Kompensationsreaktionen können in der Regel Volumenverluste von 30–40% des Blutvolumens ausgleichen, während ohne diese Reaktionen ein Blutverlust von 15–20% über eine Dauer von 30 min nicht überlebt wird.
21.2.2 Allgemeine hämodynamische Störungen Bei den meisten Schockformen fällt bereits frühzeitig das Herzzeitvolumen ab (Ausnahme: septischer Schock). Ursache ist ein Versagen der Pumpleistung des Myokards oder eine erhebliche Abnahme des venösen Rückstroms zum Herzen. Hierdurch fällt der arterielle Blutdruck ab. Der periphere Widerstand ist beim hypovolämischen und kardiogenen Schock erhöht, im septischen Schock hingegen vermindert (. Tab. 21.1). 21.2.3 Makro- und Mikrozirkulation Die Zentralisation des Kreislaufs ist zunächst eine sinnvolle Kompensationsreaktion des Organismus anzusehen, um die Durchblutung der Vitalorgane aufrechtzuerhalten. Bleibt jedoch die Zentralisation längere Zeit bestehen, so treten weitere Störungen hinzu, die den Schockzustand noch verstärken. Eine Zentralisation ist fixiert, wenn sie trotz ausreichender Therapie der Schockursachen nicht durchbrochen werden kann.
Störungen der Mikrozirkulation Bei allen Schocksyndromen stehen Störungen der Mikrozirkulation mit Abnahme des Blutflusses und inhomogener Verteilung der Perfusion im Mittelpunkt, wenngleich der Ablauf dieser Störungen bei den einzelnen Symptomen durchaus unterschiedlich sein kann. Für die Mikrozirkulation bilden Arteriolen, Kapillaren und Venolen eine funktionelle Einheit. Während die Arteriolen v. a. den peripheren Blutfluss regulieren, findet im Bereich der Kapillaren und Venolen der Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe statt.
271 21.2 · Pathophysiologie
21
. Tabelle 21.1. Pathophysiologische Charakteristika der Schocksyndrome Parameter
Hypovolämischer Schock
Kardiogener Schock
Septischer Schock
Blutdruck
Erniedrigt
Erniedrigt
Erniedrigt
Herzzeitvolumen
Erniedrigt
Erniedrigt
Erhöht bzw. erniedrigt
Afterload bzw. Gefäßwiderstand
Erhöht
Erhöht
Erniedrigt bzw. erhöht
Preload bzw. Wedge-Druck
Erniedrigt
Erhöht
Erniedrigt
Im frühen Schockgeschehen kontrahieren sich die Widerstandsgefäße beiderseits des Kapillarbetts. Hierdurch wird der Einstrom extrazellulärer Flüssigkeit in das Gefäßsystem begünstigt. Im weiteren Schockverlauf ändert sich jedoch die Reaktivität der Gefäße: Die Arteriolen erweitern sich (verstärkt durch saure Metaboliten), trotz anhaltender Ausschüttung endogener Katecholamine, während die postkapilläre Vasokonstriktion erhalten bleibt und zu einem Anstieg des hydrostatischen Drucks mit Transsudation von Flüssigkeit aus dem Plasma in die Gewebe führt. Zirkulierende vasoaktive Substanzen wie Histamin und Plasmakinine erhöhen die Durchlässigkeit der Kapillaren und begünstigen die Flüssigkeitsverluste aus dem Gefäßsystem. Die Flüssigkeitsverluste führen zur Hämokonzentration; schließlich tritt eine generalisierte Aggregation von Erythrozyten und Thrombozyten im Bereich der Mikrozirkulation auf (Sludgephänomen; »sludge« = Schlamm). Sie führt zur mechanischen Obstruktion der Strombahn und aufgrund der erhöhten Viskosität zur Verlangsamung des Blutstroms. Charakteristisch ist die Tendenz der Erythrozyten, sich in langen, zusammenhängenden (»Geld«-)rollen (»rouleaux«) anzuordnen. Die Mikrozirkulationsstörung breitet sich zunehmend weiter aus und schränkt die Durchblutung der Organe ein, sodass eine Gewebehypoxie und schließlich eine irreversible Schädigung der Zellfunktion mit Tod des Organismus eintreten
fäße, sodass die Nierendurchblutung und die glomeruläre Filtrationsrate abnehmen. Entsprechend kommt es zu einer Oligurie oder Anurie, die zunächst dazu dient, das intravasale Volumen aufrechtzuerhalten. Unter normothermen Bedingungen tolerieren gesunde Nieren eine Ischämiezeit von 15–90 min (Niere im Schock); nach Ablauf der Ischämietoleranz treten zu den funktionellen Störungen morphologische Veränderungen hinzu (Schockniere).
21.2.4 Atmung
21.2.7 Leber funktion
Mit Beginn des Schocksyndroms tritt eine Steigerung der Atmung auf: Das Atemminutenvolumen nimmt zu, der paCO2 ist erniedrigt (reflektorische Hyperventilation), während sich der paO2 zunächst meist nicht verändert. Fällt jedoch das Herzzeitvolumen ab, so wird auch die Durchblutung der Lunge vermindert und das Verhältnis von Belüftung zu Durchblutung in der Lunge und damit auch der pulmonale Gasaustausch erheblich gestört. Klinisch manifestiert sich die Störung des pulmonalen Gasaustausches in der Blutgasanalyse als Hypoxie, meist in Verbindung mit initialer Hypokapnie (kompensatorische Hyperventilation). Die wichtigsten Ursachen der Hypoxie sind Mikroatelektasen und arteriovenöse Shunts, die sich durch die Störungen der Mikrozirkulation entwickeln. Bereits in der Frühphase des Schocksyndroms treten funktionelle und morphologische Lungenveränderungen auf, die im weiteren Verlauf zu einem akuten Lungenversagen führen können.
Irreversible Schäden der Leber sind erst bei lang anhaltender, extremer Ischämie zu erwarten. Eine normale Funktion der Leber ist wegen ihrer Bedeutung als Toxinfilter und Metabolisierungsorgan im Schockzustand besonders wichtig, v. a. beim septischen Schock.
21.2.5 Nierenfunktion
21.2.9 Säure-Basen-Haushalt
Im schweren Schock mit akutem Blutdruckabfall kontrahieren sich die durch sympathische Nervenfasern versorgten Nierenge-
Bei allen Schocksyndromen entwickelt sich eine metabolische Azidose. Sie beruht auf dem anaeroben Stoffwechsel der Gewebe
21.2.6 Darm Bereits kurze Ischämiephasen können die Integrität der Darmmukosa beeinträchtigen; eine erhebliche Verminderung der intestinalen Durchblutung führt im Tierexperiment in weniger als 2 h zu schweren morphologische Schädigungen. Wird eine kritische, beim Menschen nicht genau definierte Zeitspanne überschritten, rreten irreversible Schädigungen auf, besonders im Bereich der Villi. Ödem, Blutung und eingedrungene Bakterien führen zur Bildung einer Pseudomembran, durch die Endotoxine ungehindert in den Kreislauf gelangen können. Zusätzlich wird Histamin freigesetzt und nachfolgend Blut im Splanchnikusbett und in den portalen Gefäßen angesammelt.
21.2.8 Blutgerinnung Im schweren hämorrhagischen Schock entwickelt sich eine Koagulopathie, gekennzeichnet durch Abfall der Fibrinogenkonzentration und eine pathologische Abnahme weiterer Faktoren der Blutgerinnung; im späteren Verlauf auch einer Thrombopenie. Die Koagulopthie wird durch die Azidose und einen Abfall der Körpertemperatur sowie durch Anämie und Hyperfibrinolyse verstärkt.
272
Kapitel 21 · Hämorrhagischer Schock
. Tabelle 21.2. Klinisches Bild verschiedener Schockformen Parameter
Hypovolämischer Schock
Kardiogener Schock
Septischer Schock
Peripherer Kreislauf
Kalt, Vasokonstriktion
Kalt, Vasokonstriktion
Warm, Vasodilatation
Periphere Zyanose
Häufig
Häufig
Meist nicht
Puls
Schwach, fadenförmig
Schwach, fadenförmig
Gespannt
Zentraler Venendruck
Erniedrigt
Erhöht
Nicht erhöht
Auskultation des Herzens
Unauffällig
Galopp, Geräusche, Reiben
Unauffällig
mit Anhäufung von Laktat, hervorgerufen durch den O2-Mangel der Zellen. 21.2.10 Ischämie/Reper fusion Der starke Abfall des Perfusionsdrucks und des Hämoglobinsgehalts durch den Blutverlust und die Mikrozirkulationsstörungen führen zur Ischämie zahlreicher Organe, zur Anhäufung von Xanthin und Hypoxanthin sowie zur proteolytischen Umwandlung des Enzyms Xanthindehydrogenase in die Xanthinoxidase. Hierdurch werden bei Wiederherstellung des Blutflusses mit oxygeniertem Blut freie Sauerstoffradikale in großer Menge synthetisiert, als deren Folge, unter Katalye von Eisen (Haber-Weiss- und FentonReaktion) hochtoxische Hydroxylradikale entstehen können. Am Ende dieser Reaktion steht die strukturelle Schädigung der Blutgefäße und der Gewebe durch Lipidperoxidation von Membranen. Diese Schädigungen werden, da sie sich erst nach Wiederaufnahme der Durchblutung durch entsprechenden Ersatz der Blutverluste entwickeln, als Reperfusionsschaden bezeichnet. Hierbei gilt folgendens: i Das Ausmaß der Reperfusionsschäden hängt in erster Linie von der Dauer des hämorrhagischen Schocks ab.
Auslösung von Entzündungsreaktionen
21
Der durch O2 induzierte Reperfusionsschaden kann vielfältige Entzündungsreaktionen auslösen. So führt die Interaktion der O2-Radikale mit dem Radikal Stickstoffmonoxid (NO) zur Vasokonstriktion durch Aufhebung der NO-induzierten Vasodilatation. Gleichzeitig bewirken die freien O2-Radikale die Expression endothelialer Adhäsionsrezeptoren, v. a. von L-Selektin und PSelektin. Anschließend werden weitere Rezeptoren synthetisiert und exponiert, und es entwickelt sich eine feste Adhäsion bzw. Transmigration aktivierter Granulozyten in das Gewebe. Hierdurch werden die Membran- und Gewebeschäden verstärkt: Interstitielle Ödeme und Entzündungsreaktionen sind die Folge. Über Mediatorennetzwerk und systemische Entzündungsreaktionen informiert 7 Kap. 61. 21.2.11
Dekompensier ter und irreversibler Schock
Bleibt das Herzzeitvolumen erniedrigt und fällt dadurch das Sauerstoffangebot (DO2) unter eine kritische Schwelle, so nimmt
auch der Sauerstoffverbrauch (VO2) ab. Der Schockzustand gilt aber noch als kompensiert, solange dabei durch die restliche aerobe und anaerobe Glykolyse noch ausreichend ATP für den Funktionsstoffwechsel bereitgestellt wird. Erst, wenn dies nicht mehr möglich ist, d. h. nicht mehr ausreichend ATP für die Zellfunktion und -struktur zur Verfügung steht, treten irreversible Schäden der Gewebe auf [20]. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei die Zeit: Je länger der Schockzustand dauert, desto ausgeprägter die zellulären Schädigungen und desto größer die Gefahr der Irreversibilität! 21.3
Klinisches Bild und Einschätzung
21.3.1 Allgemeine Schockzeichen Als typische Allgemeinzeichen des ausgeprägten Schocksyndroms gelten: 4 Blutdruckabfall unter 90 mm Hg systolisch oder unter 30–40% der Ausgangswerte, 4 Tachykardie, 4 fadenförmiger Puls, 4 kalte und blasse Haut, 4 Schwitzen, 4 periphere Zyanose, 4 Tachypnoe, 4 Bewusstseinsstörung, 4 verminderte Urinausscheidung. Hierbei sollte beachtet werden, dass die Diagnose »Schock« klinisch häufig erst gestellt wird, wenn die hypotensive Phase eingetreten ist. Zu diesem Zeitpunkt haben sich jedoch bereits zahlreiche pathophysiologische Reaktionen entwickelt. Das klinische Bild der verschiedenen Schocksyndrome ist nicht immer gleich (. Tab. 21.2). Vielmehr bestehen oft geradezu charakteristische Unterschiede, die diagnostisch verwertet werden können. 21.3.2 Einschätzung des hämorrhagischen
Schocks Der hämorrhagische Schock entsteht durch akute äußere und innere Blutungen. Äußere Blutungen als Ursache des Schocks sind gewöhnlich leicht zu erkennen, während bei stumpfen Traumen oder nicht traumatisch bedingten inneren Blutungen die Diagnose zunächst erschwert sein kann.
273 21.3 · Klinisches Bild und Einschätzung
. Tabelle 21.3. Anhaltswerte für Blutverluste bei Frakturen Fraktur
Blutverlust [ml]
Becken
5000
Oberschenkel
2000
Unterschenkel
1000
Oberarm
800
Unterarm
400
! Cave Bei stumpfen Traumen sollte immer an die Möglichkeit okkulter Blutungen in die Körperhöhlen gedacht werden. Das klinische Bild des akuten Schocks ohne offensichtliche Blutungsquelle kann als Alarmzeichen innerer Blutungen angesehen werden.
Offene Blutungen können unbehandelt zum Verbluten führen, während Blutverluste bei geschlossenen Extremitätenverletzungen oft durch eine lokale Tamponade begrenzt werden. In . Tabelle 21.3 sind Anhaltswerte für Blutverluste bei Verletzungen zusammengestellt, in der Übersicht die wichtigsten nichttraumatischen Blutungsursachen.
Wichtigste nichttraumatische Blutungsursachen
21
5 Gynäkologie und Geburtshilfe: – Uterusruptur – Placenta praevia – Extrauteringravidität – postpartale Uterusatonie 5 Weitere Ursachen: – Gefäßarrosionen bei Tumoren oder chronischen Entzündungen – Nasenblutungen – Varizenblutungen usw.
In . Tabelle 21.4 ist die Beziehung zwischen Volumenverlust und klinischem Bild des hämorrhagischen Schocks bei einem jungen, kräftigen und sonst gesunden Patienten zusammengestellt. Die auftretenden Zeichen sind allerdings individuell unterschiedlich stark ausgesprägt. Vor allem reagieren Kinder und alte Patienten empfindlicher auf geringere Volumenverluste als jüngere Patienten. Um den Schweregrad des Schockzustands einzuschätzen, können folgende Messungen durchgeführt werden: 4 Herzfrequenz, 4 arterieller Blutdruck, 4 zentraler Venendruck, 4 Lungenkapillarenverschlussdruck (PCWP), 4 Herzzeitvolumen, 4 Urinausscheidung.
Herzfrequenz
5 Gastrointenstinale Blutungen: – Ulcus duodeni oder ventriculi – Magen- oder Dickdarmtumoren – Meckel-Divertikel – Ösophagusvarizenblutung – Hämorrhoidalblutungen 5 Ruptur von Gefäßen: – Aortenaneurysma – Aneurysma spurium – Angiodysplasien 6
Im Tierexperiment steigen Herzfrequenz und Blutdruck bei Verlusten von ca. 10% des Blutvolumens zunächst an; bei weiteren Verlusten bis zu 15% des Blutvolumens nimmt die Herzfrequenz hingegen vorübergehend ab, der Blutdruck fällt ebenfalls leicht ab, während der zentrale Venendruck unverändert bleibt. In dieser Frühphase ist die Hypovolämie daher schwer zu erkennen. Bei weiteren Blutverlusten entwickelt sich eine Tachykardie, der arterielle Blutdruck und der zentrale Venendruck fallen dagegen drastisch ab. Beim hämorrhagischen Schock gilt: je größer der Blutverlust, desto höher die Herzfrequenz. Allerdings steigt die
. Tabelle 21.4. Klassifikation des hämorragischen Schocks am Beispiel eines jungen, kräftigen und ansonsten gesunden Patienten Parameter
Klasse I
Klasse II
Klasse III
Klasse IV
Blutverlust [ml]
95
>65
20–20
Hypovolämie
>95
50–65
30–50
Hypovolämischer Schock
>95
50
saO2 arterielle O2-Sättigung, svO2 gemischtvenöse O2-Sättigung, saO2 – svO2 arteriovenöse Sauerstoffdifferenz.
Eine arteriovenöse O2-Differenz von mehr als 30% weist auf eine hämodynamisch signifikante Hypovolämie hin, eine O2-Extraktion von mehr als 50% auf einen hypovolämischen Schock. Hilfreich ist die zusätzliche Bestimmung des Blutlaktats: Werte von mehr als 4 mmol/l zeigen einen Schockzustand an.
Differenzialdiagnostische Erwägungen. Eine erhöhte Sauerstoffextraktion findet sich auch beim Hypermetabolismus und bei Anämie.
Laktat Erhöhte Serumlaktatwerte sind Zeichen der globalen Hypoxie und des Schocks. Die anfänglichen Serumlaktatwerte des Schockpatienten korrelieren mit der Letalität. Wichtiger als der Initialwert scheint aber der weitere Verlauf der Serumlaktatwerte zu sein: Je länger die Laktatwerte erhöht sind (>2 mmol/l), desto höher ist auch die Letalität von Traumapatienten. Auch bei Patienten mit rupturierten abdominellen Artenaneurysmen erwiesen sich erhöhte Serumlaktatwerte als unabhängiger Vorhersageparameter der Letalität [18], witerhin ergab sich eine signifikante Korrelation der Laktatwerte mit den Base-excess-Werten.
Zentraler Venendruck
Der Schockindex kennzeichnet das Verhältnis von Herzfrequenz zu Blutdruck. Bei Werten unter und um 0,5 besteht kein Schock; um 1,0 liegt ein mäßiger Schock vor, über 1,5 ein schwerer Schock. Allerdings ermöglicht der Schockindex lediglich eine grobe Orientierung über den Schweregrad des hämorrhagischen Schockzustands.
Der zentrale Venendruck hängt u. a. vom Füllungszustand des venösen (Kapazitäts)systems ab. Werte unter 5 cm H2O weisen auf Hypovolämie hin, Werte über 12 cm H2O auf Herzinsuffizienz bzw. Volumenüberladung. Die Korrelation zwischen zentralem Venendruck und Hypovolämie ist jedoch schlecht: häufig fällt der zentrale Venendruck erst ab, wenn bereits Verluste von mehr als 30% des Blutuvolumens eingetreten sind. Im hämorrhagischen Schock ist der zentrale Venendruck dagegen erniedrigt, im kardiogenen Schock meist erhöht.
Laktat und avDO2
Lungenkapillarenverschlussdruck
Als indirekte Zeichen eines erniedrigten Blutflusses können die arteriovenöse O2-Gehaltsdifferenz und die arterielle Laktatkonzentration angesehen werden. Im Schock nimmt die arteriovenöse O2-Gehaltsdifferenz (avDO2) aufgrund einer vermehrten O2Ausschöpfung zu; die arterielle Laktatkonzentration steigt wegen der anaeroben Glykolyse an. In . Tabelle 21.5 ist die Beziehung zwischen arteriovenöser O2-Differenz und zunehmender Hypovolämie zusammengestellt.
Der Lungenkapillarenverschlussdruck oder Wedge-Druck (PCWP) wird über einen Pulmonalarterienkatheter gemessen. Erniedrigte Werte weisen auf eine massive Hypovolämie hin, erhöhte Werte auf Linksherzinsuffizienz, die Korrelation ist ähnlich schlecht wie beim zentralen Venendruck, jedoch soll die Messung des Wedge-Drucks eine bessere Kontrolle des Schockverlaufs und des Therapieerfolgs ermöglichen als die des zentralen Venendrucks.
Schockindex
21
. Tabelle 21.5. Beziehung zwischen arteriovenöser Sauerstoffdifferenz (saO2 – svO2) und Hypovolämie
275 21.4 · Behandlung des hämorrhagischen Schocks
Zentralvenöse O2-Sättigung Die Höhe der zentralvenösen O2-Sättigung steht in direkter Beziehung zum Herzzeitvolumen: Je geringer die O2-Sättigung, d. h. je stärker die O2-Extraktion, desto niedriger das Herzzeitvolumen.
21
der Vasokonstriktion, so liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein hämorrhagischer Schock vor. Differenzialdiagnose. Differenzialdiagnostisch muss die Spät-
phase eines septischen Schocks erwogen werden.
Herzzeitvolumen
Neurogener Schock
Das Herzzeitvolumen, meist gemessen nach der Thermodilutionsmethode, ist der entscheidende Parameter im Schockzustand, weil er Aussagen über die Größe des Blutflusses ermöglicht. Im Frühstadium des Schocks liegt das Herzzeitvolumen, bedingt durch die ausgelösten Kompensationsreaktionen, oft im Normbereich oder ist aufgrund der sympathoadrenergen Reaktion erhöht, fällt jedoch im weiteren Verlauf, mit Ausnahme des hyperdynamen septischen Schocks, ab.
Sind bei einem Patienten im Schock die zentralen Füllungsdrücke niedrig und bestehen gleichzeitig die Zeichen der Vasodilatation, so liegt wahrscheinlich eine funktionelle Vergrößerung des Gefäßbetts durch Abfall des peripheren Widerstands und Abnahme des Venentonus vor, wie sie für den neurogenen Schock charakteristisch ist.
Endexspiratorischer pCO2 Fällt das Herzzeitvolumen ab, so wird auch weniger CO2 ausgeatmet und der endexspiratorische pCO2 fällt ab. Im schweren hypovolämischen Schock werden sehr niedrige Werte gemessen, z. B. 10 mm Hg. Wird Volumen zugeführt und steigt hierdurch das HZV wieder an, so wird auch wieder mehr CO2 ausgeatmet und der endexspiratorische pCO2 steigt entsprechend an. Daher kann mit der kontinuierlichen Kapnometrie der Erfolg therapeutischer Maßnahmen beim hypovolämischen Schock kontrolliert werden.
Hämatokrit Bei akuten Blutverlusten korreliert der Hämatokrit nur schlecht mit dem Ausmaß der Volumen- und Erythrozytenverluste, da sich die relativen Anteile von Plasma und Zellvolumen zunächst nicht wesentlich ändern. Der Hämatokrit nimmt erst im Verlauf von 8‒12 h ab, wenn die Niere beginnt, Natrium zu konservieren. Zudem muss der Effekt therapeutischer Maßnahmen bei der Interpretation beachtet werden, denn die Zufuhr erythrozytenfreier Volumenersatzmittel erniedrigt zwangsläufig den Hämatokritwert. ! Cave Der Abfall des Hämatokritwerts unter der Zufuhr erythrozytenfreier Infusionslösungen beruht auf einem Verdünnungseffekt und darf nicht als Zeichen anhaltender Blutverluste gewertet werden.
Urinausscheidung Mit dem Abfall des Herzzeitvolumens im Schock nehmen auch die Urinausscheidung und die Ausscheidung von Natrium ab, während die Urinosmolarität ansteigt. Im schweren Schock tritt eine Anurie auf. Eine Urinausscheidung von mehr als 0,5–1 ml/kg KG/h weist auf eine ausreichende Organdurchblutung und damit auch Herzleistung hin. Bei jedem Patienten im Schock muss die Urinausscheidung kontinuierlich über wacht werden. 21.3.3 Differenzialdiagnose
Hämorrhagischer Schock Sind bei einem Patienten im Schock die zentralen Füllungsdrücke (zentraler Venendruck, Pulmonalarteriendruck und Wedge-Druck) erniedrigt und bestehen gleichzeitig die Zeichen
Differenzialdiagnose. Hyperdyname Phase des septischen
Schocks; anaphylaktischer Schock.
Kardiogener Schock Sind bei einem Patienten im Schock die zentralen Füllungsdrücke hoch und besteht gleichzeitig eine Vasokonstriktion, so liegt wahrscheinlich ein kardiogener Schock vor. Meist bestehen zusätzlich noch die Zeichen der venösen Stauung. 21.3.4 Laboruntersuchungen Bei Patienten im Schock sollten zunächst die in der folgenden Übersicht zusammengefassten Laborparameter bestimmt werden. Laboruntersuchungen im Schock 5 5 5 5 5 5 5 5
Blutgruppe und Kreuzprobe Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten Arterielle Blutgasanalyse mit Säuren-Basen-Status Serumelektrolyte Kreatinin und Harnstoff GOT, GPT, J-GT, Bilirubin und Amylase CK, CK-MB Gerinnungsstatus einschließlich Thrombozyten und Fibrinspaltprodukten 5 Arterielle Laktatkonzentration
Aus den insgesamt erhobenen Daten können Schlussfolgerungen über Schockform, Schweregrad und Ursache gezogen werden. 21.4
Behandlung des hämorrhagischen Schocks
Für eine erfolgreiche Therapie muss das Schocksyndrom frühzeitig erkannt werden. Vorrangiges Ziel ist die Wiederherstellung einer ausreichenden Herz-Kreislauf-Funktion und Organdurchblutung. Häufig sind therapeutische Maßnahmen nur dann wirksam, wenn auch rasch die Ursache des Schocks beseitigt wird. Dies gilt ganz besonders für schwere Traumen, bei denen die Blutungen so massiv sind, dass die Volumenzufuhr mit den Verlusten nicht Schritt halten kann: In dieser Situation muss umgehend operiert werden, auch wenn der Schockzustand noch nicht durch therapeutische Maßnahmen kompensiert werden konnte.
276
Kapitel 21 · Hämorrhagischer Schock
i Wichtigste Maßnahmen beim traumatisch-hämorrhagischen Schock sind die (meist operative) Blutstillung und der ausreichende Ersatz von Volumen und O2-Trägern. Bei Blutungen nichttraumatischer Ursache sollte, nach ausreichender Reaktion der Herz-Kreislauf-Funktion auf Volumenersatz, die Blutungsquelle lokalisiert und operativ oder endoskopisch ausgeschaltet werden.
21.4.1 Volumenersatz
Venöse Zugänge Je nach Ausmaß des Schocks sollten ein weitlumiger zentraler Venenkatheter, kurze Katheterschleusen oder ein Shaldon-Katheter sowie mehrere weitlumige periphere Venenverweilkanülen gelegt werden. Der Volumenersatz sollte über die kurzen peripheren Venenkanülen erfolgen: Sie ermöglichen eine wesentlich raschere Volumenzufuhr als die längeren Venenkatheter, über die der zentrale Venendruck und die zentralvenöse O2-Sättigung gemessen, kardiovaskuläre Medikamente zugeführt und Blut für Laboruntersuchungen entnommen werden können.
Volumenersatzmittel: Kristalloide oder Kolloide? Im Mittelpunkt der Behandlung des hämorrhagischen Schocks steht die umgehende Blutstillung (Kompression, operativ) und die rasche Wiederherstellung des zirkulierenden Blutvolumens durch kolloidale und kristalloide Lösungen (isovolämische Hämodilution), mit denen in der Regel Verluste von ca. 30% des Blutvolumens ohne Zufuhr von Fremdblut kompensiert werden können. Darüber hinausgehende Blutverluste müssen zumeist durch Erythrozytenkonzentrate ausgeglichen werden. Kristalloide. Nur 25% einer infundierten Kristolloidlösung ver-
21
bleibt im Gefäßsystem, der Rest verteilt sich im Interstitium, weil durch die Verdünnung der kolloidosmotische Druck des Plasmas abfällt. Um mit einer Kristolloidlösung den gleichen intravasalen Volumeneffekt zu erreichen wie mit einer kolloidalen Lösung, muss daher die 4-fache Menge zugeführt werden, d. h. ein Blutverlust von 500 ml erfordert die Zufuhr von 2000 ml Kristalloidlösung, wenn die Isovolämie wiederhergestellt werden soll. Allerdings kann die interstitielle Flüssigkeitsansammlung durch Zufuhr großer Mengen von Kristalloidlösungen den pulmonalen Gasaustasch, die Darmperfusion und die Sauerstoffversorgung der Gewebe beeinträchtigen. Werden zudem bikarbonatfreie Lösungen in großer Menge zugeführt, tritt eine Dilutionsazidose auf. Laktathaltige Lösungen wie Ringer-Laktatlösungen sind beim Schock ebenfalls ungünstig, da nur eine funktionsfähige Leber Laktat umsetzen kann und hierdurch der Sauerstoffverbrauch gesteigert wird. Außerdem wird durch die Laktatzufuhr die plasmatische Laktatkonzentration erhöht, sodass Laktat nicht mehr korrekt als Hypoxiemarker verwertet werden kann. Daher sollten isotone Vollelektrolytlösungen bevorzugt werden, die nicht mit der Laktatdiagnostik interferieren. Bei der Zufuhr von Kristalloiden wird empfohlen, pro 4 Einheiten 1 Einheit kolloidale Lösung zuzuführen, um den kolloidosmotischen Druck aufrechtzuerhalten. Kristalloide haben keinen spezifischen Effekt auf die Blutgerinnung, große Mengen verdünnen aber die Gerinnungsfaktoren. Kolloide. Verwendet werden 10%ige Hydroxyethylstärke- (HES)
200/0,5 und Gelatinelösungen; Humanalbumin- und Plasmapro-
teinlösungen haben sich in Metaanalysen beim primären Volumenersatz für hypovolämische Patienten den Kristalloiden und künstlichen Kolloiden nicht als überlegen erwiesen und sollten daher angesichtssind der hohen Kosten nicht verwendet werden. Kolloide haben gegenüber Kristalloiden den Vorteil der längeren Verweildauer im Gefäßsystem, auch nimmt das HZV wegen der Abnahme der Blutviskosität stärker zu. Hydroxyethylstärkelösungen, in großer Menge zugeführt, können die Polymerisation von Fibringerinnseln stören und so die Blutgerinnung beeinträchtigen, außerdem die Niere schädigen. Die Dosisempfehlungen der Hersteller sind entsprechend zu beachten. Diese Effekte sind bei Gelatinelösungen nicht zu erwarten; sie können z. B. eingesetzt werden, wenn die Grenzwerte für Kolloide erreicht werden [2], weiterhin für den Ersatz mäßiger Blutverluste. Welche Art von Volumenersatzmitteln zugeführt werden soll, ist nach wie vor umstritten. Metaananalysen konnten eine Wirksamkeit beider Ansätze belegen; im Vergleich konnten dagegen zwischen Kristalloiden und Kolloiden keine wesentlichen Unterschiede festgestellt werden. Pragmatiker kombinieren häufig isotone Kristalloidlösungen mit HES- oder Gelatinelösungen.
Verzögerte Volumentherapie Bei perforierenden oder penetrierenden Traumen mit zunächst unstillbarer Blutung in den Bauchraum oder Thorax wird ein zurückhaltender Volumenersatz mit permissiver Hypotonie (systolische Blutdruckwerte von 70‒80 mm Hg oder ein mittlerer arterieller Druck von 50 mm Hg) empfohlen [2], um weitere Blutverluste durch den ansteigenden Blutdruck zu vermeiden. Die Empfehlungen beruhen auf einer Untersuchung von Bickell et al. [4] an hypotensiven Patienten mit penetrierenden Verletzungen in einer Körperhöhle, bei denen erst nach Eintreffen in der Notfallaufnahme mit der Volumenzufuhr begonnen wurde. Diese Patienten wiesen eine bessere Prognose auf als diejenigen, die bereits am Unfallort eine aggressive Volumentherapie erhielten. Bei diesem Konzept sind allerdings mögliche Begleiterkrankungen wie koronare Herzkrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen kritisch zu berücksichtigen.
Small Volume Resuscitation Bei diesem Konzept [12] erfolgt die initiale Therapie des schweren hämorrhagischen Schocks durch rasche Infusion geringer Volumina (4 ml/kg KG bzw. 250 ml beim Erwachsenen) einer hypertonen, hyperonkotischen NaCl (7,2–7,5%)-Kolloidlösung (6% HES 200/0,5). Durch den entstehenden hohen osmotischen Gradienten wird Flüssigkeit aus dem Interstitium mobilisiert, sofern hier genügend Flüssigkeit vorhanden ist; die Mikro- und Makrozirkulation werden initial verbessert; ein anhaltender Effekt ist aber nur zu erwarten, wenn die aus dem Interstitium mobilisierte Flüssigkeit rasch ersetzt werden kann. Die gleichzeitige Zufuhr von 100%igem Sauerstoff verbessert im Tierexperiment die hämodynamischen Effekte der hyperonkotischen Lösung [6]. Nach wie vor ist jedoch nicht geklärt, ob die »small volume resuscitation« einen günstigeren Effekt auf die Überlebensrate von Schockpatienten aufweist als die initiale Therapie mit isotonen Kristalloidlösungen oder mit Kolloidlösungen [7]. 21.4.2 Bluttransfusion Volumenverlust bis auf 7 g/dl gilt beim kardial und zerebral nicht vorgeschädigten, isovoloämischen Patienten noch nicht als Indikation für die Transfusion von Blut, jedoch muss hierüber stets
277 21.4 · Behandlung des hämorrhagischen Schocks
individuell entschieden werden. Bei Zeichen der Hypoxie (Tachykardie, ST-Senkung im EKG, Laktatanstieg, Zunahme des Basendefizits, Abfall der gemischtvenösen O2-Sättigung) und/oder anhaltenden Blutverlusten sollte auch bei Werten von >7 g/dl die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erwogen werden. Bei Hb-Werten von >10 g/dl ist eine Bluttransfusion zumeist nicht indiziert, bei Werten 10 Erythrozytenkonzentraten innerhalb von 24 h, muss mit einer Verlust- und/oder Verdünnungskoagulopathie gerechnet werden (7 Kap. 21.4.2). Massivtransfusion bei Polytraumatisierten. In einer multizentri-
schen Studie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie an 1062 Polytraumatisierten [11] benötigten 13% Massivtransfusionen oder >10 Erythrozytenkonzentrate. Neben dem Lebensalter (>55 Jahre) und einer Glasgow Coma Scale von 55 Jahre
Glasgow Coma Scale 20 Erythrozytenkonzentraten* Quick-Wert 24 Base excess >7* Blutdruck am Unfallort 100 mm Hg bzw. arterielle Mitteldrücke um 80 mm Hg bei sonst normotensiven Patienten sowie ein normaler zentraler Ve-
21
nendruck erreicht werden. Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma sollten höhere Perfusionsdrücke angestrebt werden. Volumenzufuhr ist auch bei anderen Schockformen, die mit Hypovolämie und Dehydratation einhergehen, erforderlich. Der Hämoglobinwert sollte beim sonst Gesunden t7 g/dl betragen. 21.4.3 Optimierung der Blutgerinnung Im hämorrhagischen Schock, v. a. bei Polytraumatisierten mit schwerer Gewebeschädigung, entwickeln sich häufig komplexe, in der Regel multifaktoriell bedingte Störungen der Blutgerinnung [12, 17]. Durch die massive Gewebeschädigung beim Polytrauma wird bereits präklinisch die Blutgerinnung aktiviert; es kommt zur Gerinnselbildung, nachfolgend zur Aktivierung der Fibrinolyse und damit zum Verbrauch von Gerinnungsfaktoren, unter Volumenersatz auch zur Verdünnung. Klinisch manifestiert sich die Gerinnungsstörung als diffuse Blutung, Petechien, Ekchymosen, Hämaturie sowie Blutungen aus Punktionsstellen und Wundnähten. Lagen vor der Transfusion keine Störungen der Blutgerinnung vor, so kommen als wichtigste Ursachen der vermehrten Blutungsneigung folgende Faktoren in Frage: 4 Verlust und Verdünnung von Gerinnungsfaktoren, 4 vermehrter Verbrauch von Gerinnungsfaktoren bei großen Wundflächen, 4 ungenügende Synthese und Mobilisation von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren bei Schock, Leberschaden, toxischer Einschwemmung von Gerinnungsfaktoren, 4 Funktionsstörung von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten durch Hypothermie (Kerntemperatur 50.000/μl; bei Polytrauma, Hirntrauma oder Thrombopathien >100.000/μl
PT/INR
30% der normalen Aktivität
PTT
30% der normalen Aktivität
Fibrinogen
>50 mg/dl; bei Thrombopathien und Hirntrauma >100 mg/dl
Fibrinogen, Kryopräzipitat
Plasma auf 100.000/μl empfohlen.
Gelingt es bei Massivtransfusion nicht, die Fibrinogenkonzentation im Plasma mit FFP auf mehr als 100 mg/dl anzuheben, kann Kryopräzipitat (enthält Fibrinogen, F VIII, v.-Willebrand-Faktor und Fibronectin) oder Fibrinogen zugeführt werden. Die Fibrinogendosis in g ergibt sich aus dem erwünschten Anstieg der Plasmakonzentration: g/l × Plasmavolumen (etwa 40 ml/kg KG). Bei schwerem Fibrinogenmangel können 80‒100 mg/kg KG Fibrinogenkonzentrat erforderlich sein, um physiologische Fibrinogenkonzentrationen zu erreichen. Die Dosierung von Kryopräzipitat beträgt 1‒1,5 U pro 10 kg KG.
Dosierung. 1 Thrombozytenkonzentrat steigert die Thrombozy-
Rekombinanter aktivierter Faktor VIIa, rFVIIa
tenzahl um 20.000‒25.000/Pl.
Das Präparat (NovoSeven) ist für die Behandlung von Blutungen bei Hemmkörperhämophilie und bei kongenitalem Faktor-VIIMangel zugelassen. Umfassende klinische Studien zum Einsatz bei massiven Blutungen fehlen bislang. In 2 klinischen Studien von Boffard et al. [5] mit supraphysiologischen Dosen von rF VIIa ergab sich eine Reduktion von Massivtransfusionen bei Patienten mit stumpfem Trauma (14% gegenüber 33% mit Placebo) und ein ähnlicher Trend bei Patienten mit penetrierendem Trauma. Bei der Letalität bestanden dagegen keine Unterschiede, thromboembolische Komplikationen waren in der rF VIIa-Gruppe nicht signifikant häufiger als in der Placebo-Gruppe. Rizoli et al. [15] fanden in einer retrospektiven Kohortenstudie eine möglicherweise günstigere Frühletalität bei massiv blutenden Traumapatienten unter rF VIIa, räumen aber der chirurgischen Blutstillung höchste Priorität ein; auch scheine rF VIIa bei extremem Bluttransfusionsbedarf nicht wirksam zu sein. Angsichts der unzureichenden Datenlage und des ungeklärten Risikos thromboembolischer Komplikationen (Häufigkeit nach einer Übersicht von Barletta et al. [3] bei blutenden Traumapatienten 4%) sollten supraphysiologische Dosen von rF VIIa bei massiv blutenden Patienten mit stumpfem Trauma nur dann eingesetzt werden, wenn die Standardmaßnahmen (operativ und hämostaseologisch) versagen. Weiterhin sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein [10]: 4 Fibrinogen t50‒100 mg/dl, 4 Thrombozyten t50.000‒100.000/Pl, 4 pH-Wert t7,2, 4 möglichst Normothermie.
PT Thromboplastinzeit (»Quick-Wert«), INR international normalized ratio, PTT partielle Thromboplastinzeit.
Frischplasma und Faktorenkonzentrate Um den Verlust und Verbrauch von Gerinnungsfaktoren auszugleichen, wird bei Massivtransfusionen in der Regel Frischplasma zugeführt. Bei komplexen Hämostasestörungen können auch Faktorenkonzentrate erforderlich sein, um einen schwerwiegenden Abfall von Einzelfaktoren auszugleichen.
Gefrorenes Frischplasma (FFP, SDP)
21
Wenn ausschließlich FFP für die Gerinnungstherapie zugeführt wird, sollte initial ebenfalls höher dosiert und die Zufuhr bei Bedarf wiederholt werden, zumal die Halbwertszeiten der Gerinnungsfaktoren bei massiven Blutungen, DIC, schweren Leberzellschäden sowie bei ausgeprägter Katabolie um 80‒90% verkürzt sein können. Thromboembolische Komplikationen durch FFP sind nicht zu erwarten, da die Gerinnungsfaktoren und fibrinolytische Faktoren im Präparat im ausgewogenen physiologischen Verhältnis enthalten sind. Der Volumeneffekt von FFP ist bei Massivtransfusionen ein erwünschter Effekt.
Verwendet werden Frischplasma aus Einzelspenden (FFP) und inaktiviertes Poolplasma (SDP, gefroren oder lyophilisiert). Die Aktivität der Gerinnungsfaktoren in FFP sollte nach dem Auftauen mindestens 70% der ursprünglichen Aktivität des Spenders betragen (Ausnahme: rascher Abfall von Faktor VIII); Poolplasma enthält dagegen 1 U/ml eines Gerinnungsfaktors. Trotz weltweit hohem Verbrauch fehlen nach einer Metaanalyse von Stanworth [19] klinisch aussagekräftige Studien zur Wirksamkeit von FFP bei blutenden und bei blutungsgefährdeten Patienten. Die angegebenen Indikationen und Dosierungsempfehlungen beruhen daher weitestgehend auf theoretischen Erwägungen und Erfahrungsberichten. Die prophylaktische Gabe von FFP bei Patienten mit pathologischen Gerinnungstests gilt als nicht wirksam. Die Zufuhr von FFP bei Massivtranfusionen, DIC und diffusen Blutungen gehört zu den Standardmaßnahmen. Die Indikation sollte sich nach der klinischen Situation und den gemessenen Gerinnungsparametern (Verlängerung der PT/INR und der PTT auf mehr als das 1,5-fache des Normbereichs) richten. Die Bundesärztekammer (www.bundesaerztekammer.de/downloads/Blutkomponentenpdf.pdf) empfiehlt bei Massivtranfusionen oder Blutungen durch Dilutionskoagulopathie eine initiale Dosis von 15‒20 ml/kg KG, die ASA (www.asahq.org/publications) von 15‒20 ml/kg KG, möglicherweise sind aber diese Dosierungen bei schweren Blutungen zu niedrig. So empfehlen Gonzalez et al. [9] für Massivtransfusionen bei Traumapatienten die Zufuhr von jeweils 1 Frischplasma pro 1 Erythrozytenkonzentrat.
Dosierungsempfehlung [17]. 200 Pg/kg KG nach Transfusion
von 8 Erythrozytenkonzentraten; 1 h später 100 Pg/ kg KG, 3 h später 100 Pg/kg KG.
PPSB-Konzentrat Das aus einem großen Plasmapool hergestellte Konzentrat enthält die Faktoren II, VII, IX und X sowie Protein C, S und Z. Als typische Indikationen gelten Gerinnungsstörungen bei schwerer
279 Literatur
Leberinsuffizienz und die rasche Wiederherstellung der Blutgerinnung bei Marcumar-Therapie. Die Wirksamkeit bei Massivtransfusion ist bislang nicht ausreichend untersucht worden. Die Initialdosis beträgt 20, bei bedrohlichen Blutungen 40 IE/kg KG. Die Zufuhr sehr hoher Dosen kann in seltenen Fällen zu überschießender Thrombinbildung mit thromboembolischen Komplikationen führen. Bei DIC ist PPSB eher nicht indiziert.
Antifibrinolytika Aprotinin-Tranexamsäure und Epsilon-Aminocapronsäure. Eine
Cochrane-Metaanalyse von Coats [8] mit lediglich 2 dafür geeigneten Untersuchungen konnte keine Wirkung der Antifibrinolytika auf den Transfusionsbedarf an insgesamt 92 Traumapatienten feststellen. Sichere Aussagen seien nach Angaben der Reviewer wegen der unzureichenden Datenlage nicht möglich, Antifibrinolytika seien aber ein erfolgversprechender Ansatz, der weitere Untersuchungen lohne. Derzeit läuft hierzu eine multizentrische Untersuchung an ca. 20.000 Traumapatienten mit signifikanter Blutung (CRASH-Studie; Protokoll unter www.crash2.Ishtm. ac.uk/Images/SummaryGermanOther.pdf).
21
min. Im protrahierten oder irreversiblen Schock sind Vasopressoren häufig nicht mehr wirksam. Vasopressin. In der irreversiblen Phase des hämorrhagischen
Schocks spricht der Patient nicht mehr auf Volumenzufuhr und Vasopressorkatecholamine (Adrenalin, Noradrenalin) an: Der arterielle Blutdruck bleibt aufgrund einer Vasodilatation anhaltend erniedrigt. Tierexperimentelle Befunde weisen auf einen Vasopressinmangel als einen der beteiligten pathogenetischen Faktoren in dieser Phase hin [16]). Im Schockmodell [21, 22] und in Fallberichten [13] konnte durch Zufuhr von Vasopressin der arterielle Blutdruck in der therapierefraktären Phase des hämorragischen Schocks signifikant gesteigert werden. Nutzen und Risiken der Anwendung von Vasopressin im hämorrhagischen Schock müssen allerdings noch in konrollierten klinischen Studien untersucht werden.
Kortikosteroide Die Wirksamkeit von Steroiden im hämorrhagischen Schock ist nicht gesichert.
21.4.4 Begleitmaßnahmen
Literatur
Sicherung des pulmonalen Gasaustauschs
1. Adams HA, Baumann G, Gänsslen A et al. (2001) Die Definitionen der Schockformen. Intensivmedizin 38: 541–553 2. Adams HA et al. (2005) Hypovolämischer Schock. Empfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe Schock der DIVI-Teil II. Anästh Intensivmed 46: 111–124 3. Barletta JF, Ahrens CL, Tyburski JG, Wilson RF (2005) A review of recombinant factor VII for refractory bleeding in nonhemophilic trauma patients. J Trauma Injury Infect Crit Care 58 (3): 646–651 4. Bickell WH, Wall Jr. MJ, Pepe PE, Martin RR, Ginger VF, Allen MK, Mattox KL (1994) Immediate versus delayed fluid resuscitation for hypotensive patients with penetrating torso injuries) New Engl J Med 331 (17): 1105–1109 5. Boffard KD, Riou B, Warren B, Choong PIT., Rizoli S, Rossaint R, Axelsen M, (2005), Croce MA Recombinant factor VIIa as adjunctive therapy for bleeding control in severely injured trauma patients: Two parallel randomized, placebo-controlled, double-blind clinical trials. J Trauma Injury Infect Crit Care 59 (1): 8–18 6. Brod VI, Krausz MM, Hirsh M, Adir Y, Bitterman H (2006) Hemodynamic effects of combined treatment with oxygen and hypertonic saline in hemorrhagic shock. Crit Care Med 34: 2784–2791 7. Bunn F, Roberts I, Tasker R, Akpa E (2003) Hypertonic versus isotonic crystalloid for fluid resuscitation in critically ill patients (Cochrane Review). The Cochrane Library, Issue 1 8. Coats T, Roberts I, Shakur H (2004) Antifibrinolytic drugs for acute traumatic injury. Cochrane Database of Systematic Reviews 4 9. Gonzalez EA, Moore FA, Holcomb B et al. (2007) Fresh frozen plasma should bei given earlier to patients requiring massive transfusion. J Trauma 62: 112–119 10. Heindl B, Spannagl M (2006) Frischplasma und Faktorenkonzentrate zur Therapie der perioperativen Koagulopathie. Anaesthesist 55: 926–936 11. Huber-Wagner S, Qvick M, Mussack T, Euler E, Kay MV, Mutschler W, Kanz KG and the Working Group on Polytrauma of the German Trauma Society (DGU) (2007) Massive blood transfusion and outcome in 1062 polytrauma patients: a pospective study basen on the Trauma Registry of the German Trauma Society. Vox sangunis 92: 69–78 12. Kreimeier U, Pruckner S (2002) Small volume resuscitation from hemorrhagic schock by hypertonic saline dextran – conceptional basis and historical background. Eur Surg Res 34: 138–144
Um eine Hypoxämie zu verhindern, erhält jeder Patient im Schock O2 über eine Maske zugeführt. Reicht die Spontanatmung nicht aus, wird ohne Verzögerung intubiert und maschinell beatmet. Überdruckbeatmung hemmt aber durch den Anstieg des intrathorakalen Drucks den venösen Rückstrom und kann so den Schockzustand verschlimmern. Unterstützende Verfahren bei erhaltener Spontanatmung könnten daher vorteilhafter sein als die kontrollierte Beatmung. Alternative Beatmungstechniken, die den intrathorakalen Druck senken, wie z. B. ITV und Wechseldruckbeatmung, befinden sich noch im experimentellen Stadium.
Azidosetherapie Die durch den Schock entstehende metabolische Azidose wird v. a. durch Wiederherstellung eines ausreichenden Herzzeitvolumens behandelt. Eine anhaltende metabolische Azidose ist nahezu immer ein Zeichen für ungenügenden Volumenersatz. Bei andauernder peripherer Kreislaufinsuffizienz nimmt jedoch die Azidose weiter zu, sodass bei einem pH-Wert von 7,2; LDHPleura2,2 mmol/l) b) kompliziert (pHPleura1000; GlukosePleura 500 mL in patients receiving mechanical ventilation. Chest 127: 224–232 : Eine interessante Studie zur sonographischen Quantifizierung von Pleuraergüssen. Die Untersuchungsmethode ist klar dargestellt. Es konnte eine recht gute Korrelation zwischen der Distanz Lunge–hintere Brustwand und drainierter Flüssigkeitsmenge gezeigt werden. Bei Drainagemengen >500 ml stieg der Oxygenationsindex signifikant an. 22. Singh K, Loo S, Bellomo R (2003) Pleural drainage using central venous catheters. Crit Care 7: R191-R194 23. Sue RD, Matthay MA, Ware LB (2004) Hydrostatic mechanisms may contribute to the pathogenesis of human re-expansion pulmonary edema. Intens Care Med 30: 1921–1926 24. Talmor M, Hydo L, Gershenwald JG, Barie PS (1998) Beneficial effects of chest tube drainage of pleural effusion in acute respiratory failure refractory to positive end-expiratory pressure ventilation. Surgery 123: 137–143 25. Thal AP, Quick KL (1988) A guided chest tube for safe thoracostomy. Surg Gynecol Obstet 167: 517 26. Wallen M, Morrison A, Gillies D, O’Riordan E, Bridge C, Stoddart F (2002) Mediastinal chest drain clearance for cardiac surgery. The Cochrane Database of Systematic Reviews, Issue 2. Art. No.:CD003042. DOI: 10.1002/14651858.CD003042.pub2 27. Waqaruddin M, Bernstein A (1975) Re-expansion pulmonary oedema. Thorax 30: 54–60 28. Zocchi L (2002) Physiology and pathophysiology of pleural fluid turnover. Eur Respir J 20: 1545–1558 : Eine umfassende und ausgezeichnete Zusammenfassung bezüglich Physiologie und Pathophysiologie des Pleuraflüssigkeits-Turnover mit einer anschaulichen Graphik. Zusätzlich zu den lange bekannten Mechanismen wie hydrostatische Druckdifferenzen und lympahtische Drainage wird die Bedeutung des Mesotheliums in der Pleuraflüssigkeitsregulation behandelt.
27 Bronchoskopie H. Tonn
27.1
Einleitung
27.2
Indikationen
27.3
Kontraindikationen
27.4
Komplikationen/Risiken
27.5
Untersuchungsgang
27.6
Techniken der Materialentnahme
27.7
Technische Aspekte Literatur
–354 –354
–357
–356 –356
–356
–357
–356
27
354
Kapitel 27 · Bronchoskopie
27.1
Einleitung
Die Entwicklung des Fiberbronchoskops Mitte der 1960-er Jahre in Japan durch Shigeto Ikeda [1] hat zu einer Er weiterung der bronchoskopischen Techniken und deren weltweiter Verbreitung geführt. Als Folge ging der Einsatz der starren Bronchoskopie stark zurück. Die leichtere Erlernbarkeit gegenüber der starren Technik und die bessere Verfügbarkeit aufgrund eines vergleichsweise geringeren technischen und personellen Auf wands haben den Trend zur Fiberbronchoskopie gefördert. Ende der 1960-er/ Anfang der 70-er Jahre wurde die Fiberbronchoskopie zunehmend auch in der Anästhesie und Intensivmedizin, insbesondere beim »Management des schwierigen Atemweges« eingesetzt [2, 3], zu dessen festem Bestandteil sie inzwischen geworden ist [4]. Der anhaltende Rückgang der starren Technik hatte zur Folge, dass viele, ja sogar ganze Ärztegenerationen, insbesondere in den USA und Japan, in dieser Technik nicht mehr ausgebildet worden sind. Erst in jüngerer Zeit hat man erkannt, dass die Ausbildung in der starren Technik und das Know-how weiterhin erforderlich sind [6, 7]. Einerseits wird sicherlich ein Großteil der Indikationen auf Intensivstationen durch die Fiberbronchoskopie abgedeckt, andererseits sind es gerade respiratorisch kritisch kranke Patienten, die in einigen Situationen nur mit der starren Technik optimal versorgt werden können [8]. Unter diesem Gesichtspunkt spielt die Ausbildung in bronchoskopischen Techniken eine große Rolle. Auch wenn eine praktische Ausbildung nicht in allen Verfahren möglich ist, sollten zumindest theoretische Kenntnisse über starre bronchoskopische Techniken vermittelt werden. 27.2
Indikationen
Die Indikationen für die Bronchoskopie sind äußerst vielfältig [8] und ergeben sich z. B. im Zusammenhang mit Intubation und Beatmung, aufgrund klinischer Symptome oder radiologischer Veränderungen, wobei sich diese Indikationen im klinischen Alltag häufig überlapappen. Ebenso ist die Unterscheidung zwischen diagnostischer und therapeutischer Indikation v. a. beim Intensivpatienten eher von theoretischer Bedeutung, da es auch hier zahlreiche Überschneidungen gibt. Indikationen für die Bronchoskopie mit einer Gegenüberstellung von Fiberbronchoskopie und starrer Bronchoskopie sind in . Tabelle 27.1 aufgeführt. Auf einzelne Indikationen wird nachfolgend kurz eingegangen.
Beatmungs-/Tubusprobleme Eine der wichtigsten und häufig dringlichen Indikationen bei beatmeten Patienten sind Ventilationsprobleme [11]. Immer dann, wenn ein Patient nicht mehr mit ausreichenden Volumina beatmet werden kann oder hohe Beatmungsdrücke erforderlich sind, sollte so schnell wie möglich die Ursache bronchoskopisch geklärt werden. Tubusfehllage, Tubusobstruktion und/oder Bronchusobstruktion sind mögliche Ursachen, die mit dem Bronchoskop rasch erkannt werden können. Bei dringlichen Indikationen muss eine rasche Verfügbarkeit des Instrumentariums gewährleistet sein. Von Vorteil sind hier batteriebetriebene Fiberbronchoskope, die ohne großen Aufwand transportabel und einsetzbar sind.
Röntgenthoraxveränderungen Röntgenologische disseminierte, lokalisierte Thoraxveränderungen, Atelektasen und Rundherde gehören zu den häufigsten röntgenologischen Indikationen für eine Bronchoskopie. Die entscheidene Frage lautet, ob die Veränderungen in Zusammenhang mit der eingeschränkten respiratorischen Situation des Patienten stehen und ob eine bronchoskopische Untersuchung kurz oder mittelfristig aufgrund der Diagnostik und/oder der unmittelbaren Therapie die respiratorische Situation verbessern kann. Rundherde spielen daher bei Intensivpatienten unter funktionellen Gesichtspunkten so gut wie keine Rolle, obwohl sie prognostisch (Bronchialkarzinom, Lungenmetastasen von Karzinomen extrathorakaler Lokalisation) sehr wohl eine hohe Bedeutung haben können. Häufig muss vor einer bronchoskopischen Untersuchung ein Thorax-CT mit Kontrastmittelgabe angefertigt werden, um auch die mediastinalen Strukturen und die Gefäße darzustellen. Bei disseminierten Verschattungen ist ein Thorax-CT in hochauflösender Technik (»high resolution«; HR-LT) indiziert.
Hämoptysen Schwere Hämoptysen (300–500 ml/24 h) stellen immer eine dringliche Indikation für eine Bronchoskopie dar. Solche Blutungen können mit verschiedenen Techniken gestillt werden; am besten ist hierfür aber die starre Bronchoskopie geeignet. Wenn erforderlich, können mehrere Absauger gleichzeitig eingeführt und so bei massiven Hämoptysen ein unmittelbares Ersticken verhindert werden. Durch anschließende Platzierung von Tamponaden können weitere Blutungen verhindert werden, bis über das endgültige Vorgehen, z. B. radiologische Embolisation (»coiling«) [13] oder Operation – abhängig von Diagnose und kardiopulmonalem Zustand des Patienten – entschieden worden ist. Fiberbronchoskopisch sind die Möglichkeiten deutlich eingeschränkt, jedoch lassen sich nach Absaugen des Blutes Bronchusblocker einführen. Alternativ kann eine einseitige Intubation des Patienten erfolgen oder die Intubation mit einem Doppellumentubus, um zumindest die akute Blutung zu stoppen.
Fremdkörper Fremdkörper werden gelegentlich als Zufallsbefund im Rahmen einer Bronchoskopie entdeckt, in der Regel jedoch aufgrund der anamnestischen Angaben und des röntgenologischen Befundes bronchoskopisch entfernt. Kleinere Fremdkörper können fiberskopisch entfernt werden. Vorsicht ist jedoch bei größeren und insbesonders scharfkantigen Fremdkörpern geboten. Hier ist die starre Bronchoskopie das schnellere und v. a. sicherere Verfahren.
Atemwegsstenosen Stridor ist das führende Symptom bei hochgradigen Atemwegsstenosen. Bronchoskopisch sollte so bald wie möglich die Ursache (benigne/maligne Stenose) geklärt und über das therapeutische Vorgehen entschieden werden, z. B. primär bronchoskopische Therapie in Form von Dilatation, Tumorabtragung und/oder Stentimplantation oder primäres oder sekundäres chirurgisches Vorgehen. Ein interdisziplinäres Vorgehen (Thoraxchirurgie, HNO) ist in diesen Fällen angezeigt. Auch rein funktionelle Stenosen bei Bronchialkollaps haben eine große Bedeutung, da langzeitbeatmete Patienten mit dieser funktionellen Beeinträchtigung schwer entwöhnt werden können [14].
355 27.2 · Indikationen
27
. Tabelle 27.1. Indikationen zur Bronchoskopie Flexibel
Starr
Beatmungssprobleme (hohe Beatmungsdrücke bzw. niedrige Atemzugvolumina insbesondere´, plötzlich auftretend), Tubusfehllage
Erstmaßnahme, diagnostische Klärung
Stenosen der großen Atemwege, da Diagnostik und Therapie (interventionell) gleichzeitig möglich
Tubuslagekontrolle nasal/oral
Methode der Wahl
–
Schwierige Intubation erwartet/ Umintubation
Methode der Wahl
Abhängig vom Befund, ggf. starres Kinderinstrumentarium bei hochgradigen Kehlkopf- und subglottischen Stenosen
Schwierige Intubation unerwartet
u. U. technisch anspruchsvoll, falls Patient bereits relaxiert ist
Option, abhängig von Befund, Ver fügbarkeit von Instrumentarium und Er fahrung des Anwenders
Kontrolle nach traumatischer Intubation
Erstmaßnahme, Beurteilung der Pars membranacea kann schwierig sein
Einsatz, sofern fiberbronchoskopisch keine eindeutige Klärung möglich
Sekretverlegung Atemwege/ Tubus
Erstmaßnahme
Vorteilhaft bei zähem Sekret
Hämoptysen
Absaugung, Grenzen bei schweren Hämoptysen und Koagelbildung, Einbringung von Bronchusblockern möglich
Schwere Hämoptysen, Absaugung u. U. mit mehreren Absaugern parallel, Möglichkeit der Einbringung von Tamponaden
Fremdkörper
Kleinere Fremdkörper
Große, scharfkantige Fremdkörper
Infektionen
Materialgewinnung
Bei massiver Vereiterung in Kombination mit flexibler Technik
Perkutane Dilatationstracheotomie [10]
Methode der Wahl, bronchoskopische Kontrolle des Punktions- und Dilatationsvorgangs obligat, anschließend endoskopische Kontrolle der Trachealkanüle
Option, Vorteil: Gerät kann durch Punktion nicht beschädigt werden (Kontrolle der Kanüle jedoch nur mit Fiberskop möglich)
Chirurgische Tracheotomie
Einlegen/Kontrolle der Trachealkanüle
–
Dekanülierung
Beurteilung der Trachea nach Entfernen der Kanüle über Tracheotomie: Granulationen, Schleimhautulzera; retrograde Spiegelung bei Verdacht auf subglottische Stenose, funktionelle Atemwegsbeurteilung, »dynamischer Atemwegskollaps« [13]
Einsatz, sofern fiberbronchoskopisch keine eindeutige Klärung möglich. Bei Stenosen und/oder Malazie endoskopische Vermessung zur Frage eines möglichen chirurgischen Verschlusses in Kombination mit einem tracheoplatischen Eingriff
Platzierung von Doppellumentuben oder Doppellumentrachealkanülen
Dünnes ca. 2,8 mm starkes Fiberskop er forderlich
–
Verletzungen der Atemwege Verletzungen der Atemwege stellen immer eine dringliche Indikation für eine Bronchoskopie dar. Der Entstehungsmechanismus der Verletzungen ist unterschiedlich. Zum einen gibt es Verletzungen durch äußere Gewalteinwirkung: stumpfe Traumata (Dezelerationstrauma), Schuss- und Stichverletzungen, Inhalationstraumata. Zum anderen gibt es eine Reihe von iatrogenen Entstehungsmechanismen: Intubationstraumata durch nasale, orale oder Doppellumentubenintubation mit Verletzung der Pars membranacea in unterschiedlicher Ausprägung, Schädigung von Pars membranacea und/oder des Knorpelgerüsts der Trachea durch eine perkutane Dilatations- und auch durch eine chirurgische Tracheotomie, Verletzungen durch bronchoskopische Eingriffe in starrer Technik, Laserresektionen, Sten-
timplantationen mit Bronchuseinriss. Daneben gibt es Folgen chirurgischer Eingriffe, die bronchoskopisch diagnostiziert und in einigen Fällen auch bronchoskopisch (Fibrinklebung, Stentimplantation) therapiert werden, wie Bronchusstumpfinsuffizienzen, und ösophagotracheale Fisteln nach thorakalen resektiven und bronchoplastischen Eingriffen. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Schäden. So kann ein stumpfes Thoraxtrauma einen primären Bronchialeinriss hervorrufen, der unentdeckt bleibt und sekundär zu einer Bronchusstenose führen kann. Eine primäre subglottische Schleimhautverletzung der Trachea – z. B. im Rahmen einer Notfallintubation – bleibt unentdeckt, bis sich einige Zeit nach Extubation oder nach Dekanülierung bei Tracheotomie eine subglottische Stenose entwickelt.
356
27
Kapitel 27 · Bronchoskopie
Klinische Symptome einer akuten Atemwegsverletzung können Hämoptysen, Haut- und Mediastinalemphysem sowie ein Pneumothorax oder eine Kombination der Symptome in unterschiedlicher Konstellation sein. Bei beatmeten Patienten kann außer diesen Symptomen auch noch ein hoher Verlust des Atemminutenvolumens über Fisteln auftreten. Das Hautemphysem kann mit Ausbreitung über den ganzen Körper erhebliche Ausmaße annehmen. Das Gesicht, insbesondere die Augenlider können so anschwellen, dass ein Öffnen der Augen nicht mehr möglich ist. i Stridor ist das führende Symptom bei sekundär bedingten Atemwegsstenosen.
Ziel sollte es daher sein, die primären Schäden so schnell wie möglich zu diagnostizieren, das Ausmaß festzustellen und zu klären, ob ein sofortiges chirurgisches Vorgehen erforderlich ist. Je früher eine chirurgische Versorgung erfolgt, desto eher können Infektionen wie beispielsweise eine Mediastinitis verhindert werden und desto besser ist die Prognose. Dies gilt insbesondere für Intubationsschäden mit Verletzung der Pars membranacea. Bei sekundären Schäden sollte entschieden werden, ob eine interventionelle bronchoskopische Maßnahme oder ein chirurgisches Vorgehen indiziert ist. 27.3
Kontraindikationen
Kardiale Erkrankungen stellen eine Kontraindikation für die Bronchoskopie dar, wenn diese den schlechten respiratorischen Zustand verursachen und zu röntgenologischen Veränderungen (Lungenödem/Pleuraergüsse) geführt haben und damit eine Bronchoskopie weder diagnostisch noch therapeutisch weiterführen würde. Vor einer Bronchoskopie sollten daher in Zweifelsfällen eine Echokardiographie und eine Thoraxsonographie (Pleuraergüsse, ggf. Punktion) erfolgen. Hämoptysen können durch Lungenembolien verursacht sein; dann erbringt eine Bronchoskopie keine zusätzlichen Informationen. Sofern massive Hämoptysen nicht eine sofortige Bronchoskopie erzwingen, sollte daher bei Hämoptysen zur Diagnostik von Lungenembolien ein Thorax-CT mit Kontrastmittel angefertigt werden. Gerinnungsstörungen sind eine relative Kontraindikation, ggf. sollte auf Punktionen und Biopsien verzichtet werden. Bei beatmeten Patienten mit schwerer respiratorischer Insuffizienz ist eine Bronchoskopie kontraindiziert, wenn hierdurch eine ausreichende Beatmung gefährdet ist und die bronchoskopischen Maßnahmen per se keine Verbesserung der respiratorischen Situation erbringen können. Bei spontan atmenden Patienten und bei nicht-invasiv beatmeten Patienten kann die Bronchoskopie die respiratorische Situation so verschlechtern, dass eine invasive Beatmung erforderlich wird.
27.4
Komplikationen/Risiken
Die bronchoskopische Untersuchung geht mit verschiedenen Risiken einher: Hypoxämie, Rhythmusstörungen, Laryngo/Bronchospasmus, Blutung, Barotrauma (Pneumothorax) [15, 16]. Je schwerer der Patient ohnehin schon respiratorisch eingeschränkt ist, desto größer ist auch das Gesamtrisiko der Untersuchung. Bei beatmeten Patienten kann die Ventilation eingeschränkt werden, wenn ein Fiberskop mit einem relativ großen
Durchmesser durch einen relativ kleinen Endotrachealtubus eingeführt wird. Zur Verhinderung von Komplikationen ist während der Untersuchung ein kontinuierliches Monitoring der Atem- und der Herz-Kreislauf-Funktion erforderlich. Bei Herzrhyhtmusstörungen oder Abfall der arteriellen Sauerstoffsättigung muss die Untersuchung u. U. abgebrochen werden. 27.5
Untersuchungsgang
Eine wesentliche Voraussetzung für die Untersuchung ist die Fähigkeit des Untersuchers, sich gut im Bronchialsystem orientieren zu können, um die Untersuchung insbesondere bei schwer respiratorisch eingeschränkten Patienten so kurz wie möglich zu halten. Die Orientierung muss auch bei schwierigen Bedingungen wie eingeschränkter Sicht durch endobronchiales Blut gewährleistet sein. Die Hauptkarina ist die wichtigste bronchoskopische Orientierungmarke. Bei beatmeten Patienten muss sichergestellt sein, dass der Tubus oder die Trachealkanüle vor der Bifurkation in der Trachea liegen. Nicht-invasiv beatmete Patienten erhalten während der Endoskopie zusätzlichen Sauerstoff, beatmete Patienten dagegen 100% Sauerstoff. Untersucht wird zunächst die mutmaßlich gesunde Seite, damit sichergestellt ist, dass bei jedweden Manipulationen, die zu einer endobronchialen Blutung führen können, zumindest eine Lunge problemlos ventiliert werden kann. 27.6
Techniken der Materialentnahme
Gewinnung von Sekret Bronchialsekret kann durch direkte Saugung über den Arbeitskanal des Fiberbronchoskops mit einer entsprechenden Sekretfalle gewonnen werden. Möglich ist auch die Absaugung über einen Katheter, der durch den Arbeitskanal eingeführt wird und und dessen Vorteil darin liegt, dass er weiter in die Peripherie geschoben werden kann als das Bronchoskop.
Bronchoalveoläre Lavage (BAL) Dieser Begriff wird für verschiedene Techniken verwendet. Bei der eigentlichen BAL wird eine definierte Menge 0,9%-ige NaCl-Lösung (100–300 ml) in das Bronchialsystem eingebracht, nachdem das Fiberbronchoskops in einem Segmentbronchus in »Wedge-Position« platziert worden ist. Die durch Absaugung zurückgewonnene Menge wird zytologisch quantitativ untersucht. Die BAL wird vorwiegend bei disseminierten Lungenerkrankungen eingesetzt. Für bakteriologische Untersuchungen hat sich diese Technik nicht durchgesetzt, da es schwierig ist, eine Quantifizierung der Bakterien standardisiert vorzunehmen. Für bakteriologische Untersuchungen kann entweder natives Sekret entnommen oder ein Art »Mini-BAL« durchgeführt werden. Das Freispülen von mit Sekret verlegten Bronchusabschnitten wird häufig ebenfalls als BAL bezeichnet. Einen Sonderfall stellt die Lavage bei Alveolarproteineose dar, bei der mit 25–50 l 0,9%-iger Kochsalzlösung über einen Doppellumentubus in Portionen von ca. 1 l eine Lunge gewaschen, d. h. von Proteinbestandteilen, die die Diffusion beeinträchtigen, freigespült wird.
357 Literatur
»Geschützte Bürste« Die »geschützte Bürste« kann zur Entnahme von Material sowohl für bakteriologische als auch für zytologische Untersuchungen eingesetzt werden. Gegenüber einer peripheren Zangenbiopsie besteht ein geringeres Pneumothorax- und Blutungsrisiko.
Transbronchiale Nadelpunktion (TBNA) Transbronchiale Nadelpunktionen werden zur mediastinalen Lymphknoten- und Tumorpunktion eingesetzt. Beachtet werden sollte, dass ein gewisses Pneumothoraxrisiko gerade bei beatmeten Patienten besteht [17].
Zangenbiopsien Biopsien werden bei endobronchialen Schleimhautveränderungen, insbesondere aber in der Tumordiagnostik eingesetzt. Biopsien sollten jedoch nur entnommen werden, wenn die Möglichkeit zur Blutstillung besteht und diese technisch vom Untersucher beherrscht wird.
Periphere Lungenbiopsien Periphere Lungenbiopsien erfolgen bei Intensivpatienten nur als Ultima ratio, da sie mit hohem Risiko eines Pneumothorax bzw. Spannungspneumothorax unter Beatmung verbunden sind. Die Diagnosesicherung kann aber gelegentlich erforderlich sein, um das weitere therapeutische Vorgehen zu bestimmen, etwa eine hochdosierte Kortisontherapie bei interstitiellen Erkrankungen. Bei respiratorisch schwer kompromittierten Patienten mit einer durch periphere Lungenbiopsie histologisch gesicherten malignen Erkrankung – z. B. einem bronchioloalveolären Karzinom oder einer Lymphangiosis carcinomatosa – kann u. U. auch die Entscheidung zur Einstellung der Intensivtherapie folgen. 27.7
Technische Aspekte
Fiberbronchoskope werden in unterschiedlichen Ausführungen hergestellt. Vorzugsweise sollte ein Gerät, das universell eingesetzt werden kann, zur Verfügung stehen. Hier bietet sich ein Fiberbronchoskop mit einem Außendurchmesser von 5,2 mm und einem Absaugkanal von 1,8 mm an. Mit diesem Gerät können Beatmungstuben von 6,0 mm gerade noch passiert werden; eine Absaugung und Spülung des Bronchialsystems ist ebenfalls möglich. Dünne Fiberskope mit einem Außendurchmesser von 2,8 mm (Absaugkanal 1,2 mm) werden für die Platzierung und Kontrolle von Doppellumentuben, zur Passage hochgradiger Trachealstenosen, Intubation bei Stenosen durch Larynxtumoren und in der Pädiatrie eingesetzt. Dickere Bronchoskope mit einem Außendurchmesser von 6,0 mm und mehr (Absaugkanal 2,8–3,2 mm) eignen sich sehr gut zum Absaugen von zähem Sekret. Ultradünne Fiberskope mit einem Außendurchmesser von 2 mm haben keinen Arbeitskanal und sind daher für eine Intensivstation weniger geeignet. Die Länge der Geräte ist abhängig von Modell und Hersteller und reicht von 55–70 cm. Bei einer Länge von 250/min) gekennzeichnet. Meist geht dieser Rhythmus innerhalb kurzer Zeit in ein Kammerflimmern über. Die pulslose elektrische Aktivität beschreibt eine organisierte elektrische Aktivität des Herzens ohne gleichzeitige mechanische Kontraktion. Bei dieser Form des Kreislaufstillstands kann das EKG einen Sinusrhythmus, alle Arten der Erregungsleitungsblockierung oder auch einen Kammerrhythmus aufweisen. Der pulslose idioventrikuläre Rhythmus, auch Hyposystolie oder »weak action« genannt, ist gekennzeichnet durch niederfrequente, breit deformierte Kammerkomplexe ohne mechanische Aktivität. ! Cave Bei der Ableitung des EKG ist darauf zu achten, dass die Amplitudenverstärkung für die Darstellung der EKG-Kurve auf dem Oszilloskop maximal eingestellt ist, da sonst fälschlich eine Nulllinie sichtbar wird, die als Asystolie fehlinterpretiert werden kann.
29.4
Verzögerung der kardiopulmonalen Reanimation
Es konnte durch mehrere Studien eindrucksvoll belegen werden, dass selbst professionelle Retter teilweise Schwierigkeiten haben,
375 29.5 · Basismaßnahmen (»Basic Life Support«, BLS)
das Fehlen oder Vorhandensein eines Pulses mit hinreichender Sicherheit festzustellen. Dies bedeutet, dass viele Patienten mit einem beobachteten Kreislaufstillstand nicht von einer sofortigen CPR profitieren, weil der Kreislaufstillstand schlichtweg nicht diagnostiziert wird. Gerade die sofortige CPR bei beobachteten Kreislaufstillständen kann die Überlebenschance aber signifikant steigern [8]. i Daher sollte das Pflegepersonal oder die Laienhelfer auf Bettenstationen bei einem Patienten mit plötzlichem Kollaps keine zeitvergeudende Suche nach einem Puls vornehmen. Zeigt ein Patient keine Lebenszeichen außer einen abnormalen Atmung, so sollte unverzüglich mit der CPR begonnen werden.
29.5
Basismaßnahmen (»Basic Life Support«, BLS)
29.5.1 Freimachen und Freihalten der Atemwege Ist der Patient bei Bewusstsein, kann ein Freimachen der Atemwege durch Schläge auf den Rücken oder mehrfaches Husten zum Erfolg führen. Zum Freimachen der Atemwege bei bewusstlosen Patienten werden der Kopf des Patienten mit beiden Händen nackenwärts so weit wie möglich überstreckt und der Unterkiefer bei geschlossenem Mund angehoben (EsmarchHandgriff). In dieser Position sollte an der Nase Atemstrom wahrnehmbar sein. Ist dies nicht der Fall, z. B. bei Verlegung des Cavum nasi oder des Nasopharynx, muss der Mund einen Spalt weit geöffnet werden, um eine Luftpassage über die Mundhöhle zu ermöglichen. Führt auch dies nicht zum gewünschten Erfolg, so muss die Mundhöhle inspiziert, ausgeräumt (z. B. mit MagillZange und Mullbinde) und abgesaugt werden. ! Cave Bei Verdacht auf ein Trauma der Halswirbelsäule sollte der Kopf weder überstreckt noch anteflektiert werden (Gefahr der Rückenmarkschädigung)! In diesem Fall sollte nur der Unterkiefer nach vorn geschoben werden, um den Luftweg frei zu machen. Es muss bedacht werden, dass ein freier Luftweg und die Wiedererlangung der Atmung die Priorität vor einer vermuteten Wirbelsäulenverletzung haben.
Fremdkörperaspiration Sofern der Patient bei Bewusstsein ist, versucht man, durch Husten und Schläge zwischen die Schulterblätter den Fremdkörper zu entfernen. Bei bewusstlosen Patienten kann durch Verwendung einer Magill-Zange der Versuch zur direkten Entfernung des Fremdkörpers unternommen werden. Das Heimlich-Manöver (abdominale Kompressionen) ist oft beschrieben worden, in der Effektivität jedoch nie bewiesen. Durch Thoraxkompressionen kann jedoch ein höherer intrathorakaler Druck als mit dem Heimlich-Manöver aufgebaut werden, um einen Fremdkörper aus der Lunge auszustoßen [1]. i in den neuen Leitlinien wird daher empfohlen, direkt mit Thoraxkompressionen zu beginnen, anstatt das HeimlichManöver auszuführen.
29
29.5.2 Thoraxkompression Bei der CPR wird der auf einer festen Unterlage liegende Thorax des Patienten mit einer Frequenz von 100/min 4–5 cm in der Brustmitte komprimiert. Durch die intrathorakalen Druckschwankungen und die Kompression kardialer Strukturen kommt es so zu einem vorwärtsgerichteten Blutfluss. Koronardurchblutung. Die entscheidende hämodynamische
Variable zur Wiederherstellung spontaner Herzaktionen ist der koronare Perfusionsdruck. Selbst bei optimaler Reanimationstechnik beträgt das Herzzeitvolumen maximal etwa 30% des normalen Herzzeitvolumens unter Spontanzirkulation und die Hirndurchblutung höchstens 20% der normalen Ruhedurchblutung. Während eines Kreislaufstillstands sind die Koronararterien maximal dilatiert, sodass die koronare Durchblutung direkt mit dem koronaren Perfusionsdruck (Differenz aus mittlerem diastolischem Aortendruck und rechtsatrialem Druck) korreliert. Da die Koronardurchblutung nur während der Diastole (= Relaxationsphase bei der CPR) erfolgen kann, müssen die eingesetzten Maßnahmen darauf abzielen, einen möglichst hohen diastolischen Aortendruck aufzubauen. Tierexperimentelle Daten deuten darauf hin, dass während der CPR ein Optimum des koronaren Perfusionsdrucks bei etwa 30 mm Hg liegt; höhere, mit mehr Kraftaufwand erzeugte Drücke gehen häufig – v. a. aufgrund CPR-induzierter Verletzungen – mit einer niedrigeren Langzeitüberlebensrate einher. i Neben einer Modifikation der mechanischen Reanimationstechnik kommt der pharmakologischen Steigerung des diastolischen Aortendrucks durch Vasspressoren eine entscheidende Rolle zu.
29.5.3 Beatmung
Mund-zu-Mund-/Mund-zu-Nase-Beatmung Ohne Hilfsmittel ist die Mund-zu-Mund/-Nase Beatmung die klassische Methode der Wahl für die Beatmung eines Patienten mit Kreislaufstillstand. Die 2-malige Atemspende folgt den initialen 30 Thoraxkompressionen, die Inspirationsdauer (Insufflationsdauer) sollte 1 s betragen. Bei Feststellen des Kreislaufstillstands ist es notwendig, die Perfusion des Myokards vor einer anschließenden Defibrillation zu optimieren. Aufgrund dessen werden vor der 2-maligen Atemspende 30 Thoraxkompressionen durchgeführt. Im Folgenden wird nun die CPR mit 30 Kompressionen zu 2 Beatmungen durchgeführt.
Das Risiko der Mageninsufflation steigt mit zunehmenden Tidalvolumina und hohem inspiratorischem Gasfluss. Bei ungeschütztem Atemweg führt ein Tidalvolumen von 1 l zu einer signifikant stärkeren Magenblähung als ein Tidalvolumen von 500 ml. Ein niedriges Atemminutenvolumen (Tidalvolumen und Atemfrequenz niedriger als normal) kann während der CPR eine effektive Oxygenierung und Ventilation aufrechterhalten. Bei der
376
Kapitel 29 · Kardiopulmonale Reanimation
Reanimation von Erwachsenen sollten Tidalvolumina von annähernd 500–600 ml (6–7 ml/kg KG) angemessen sein. Bei ungeschützem Atemweg wird über 1 s ventiliert. Zeichen einer effektiven Ventilation sind das Heben und Senken des Thorax und das fühlbare Entweichen von Luft aus Mund oder Nase bei der Exspiration.
29
! Cave Eine Hyperventilation (hohe Beatmungsfrequenz oder zu hohes Tidalvolumen) ist nicht nur unnötig, sondern schädlich, weil damit der intrathorakale Druck ansteigt und in der Folge der venöse Rückstrom zum Herzen und die Auswurfleistung verringert werden. Als Konsequenz sinkt die Überlebensrate.
29.5.4 Basismaßnahmen am er wachsenen
Patienten Bei der kardiopulmonalen Reanimation wird stufenweise vorgegangen: 4 bei Bewusstlosigkeit: Rückenlagerung, Inspektion der Atemwege und Kontrolle der Atemtätigkeit (sehen, fühlen, hören!); 4 falls keine normale Spontanatmung nachweisbar: Entfernen sichtbarer Atemhindernisse; 4 nur durch professionelle Retter: Fühlen des Karotispulses (10 s); 4 für Laienhelfer: fehlende Zeichen einer intakten Zirkulation (Atem, Husten, Bewegung etc.); 4 falls kein Puls tastbar oder Zeichen einer intakten Zirkulation fehlen: Beginn der CPR.
Vorgehen Beatmungsbeutel-Masken-System Wie bei der Atemspende ohne Hilfsmittel wird hierfür der Kopf überstreckt und die Beatmungsmaske mit dem sog. CGriff (Daumen und Zeigefinger, beim Rechtshänder in der Regel der linken Hand) fest auf die Mund-Nasen-Partie aufgesetzt. Außerdem besteht die Möglichkeit, direkt in den Beatmungsbeutel zusätzlich Sauerstoff einzuleiten; hierbei lassen sich inspiratorische O2-Konzentrationen bis etwa 50% erzielen, bei Einleitung der O2-Zufuhr über einen Reser voirbeutel bis zu 80–90%. Da während eines Atem- und/oder Kreislaufstillstands die Zufuhr einer möglichst hohen inspiratorischen Sauerstoffkonzentration sinnvoll ist, sollte ein Reser voirbeutel ver wendet werden. ! Cave Der sog. Sellick-Handgriff (Krikoiddruck) während der Atemspende, bei dem es durch Ausübung von Druck auf den Ringknorpel zur Kompression des Ösophagus und damit zur Vermeidung einer Mageninsufflation kommt, wird für medizinisch vorgebildete Helfer) nicht aber für Laienhelfer empfohlen).
Die einzelnen Schritte bei der Durchführung der externen Herzdruckmassage sind in der Übersicht dargestellt.
Durchführung der externen Herzdruckmassage 5 Der Helfer kniet (bei am Boden liegendem Patienten) oder steht (bei auf der Trage oder im Bett liegendem Patienten) seitlich zum Patienten. 5 Druckpunkt ist die kaudale Sternumhälfte in der Mitte des Brustbeins. Der Patient muss auf einer harten Unterlage liegen. 5 Der Druck wird mit gestreckten Ellbogengelenken, übereinandergelegten Handballen und angehobenen Fingerspitzen senkrecht von oben ausgeübt. 5 Die Kompressionstiefe sollte beim Erwachsenen 4–5 cm betragen. 5 Druck- und Entlastungsphase sind gleich lang. 5 Die Kompressionsfrequenz muss 100/min betragen. 5 Sowohl bei der Ein-Helfer-Methode als auch bei der Zwei-Helfer-Methode wird am nicht intubierten Patienten im Rhythmus 30 : 2 reanimiert, d. h. auf 30 Kompressionen folgen 2 Insufflationen.
Fehler und Gefahren der Atemspende: Magenbeatmung Die Atemmechanik eines Patienten mit Atem- und/oder Kreislaufstillstand ist durch eine progressive Abnahme der pulmonalen Compliance und des Ösophagusverschlussdrucks charakterisiert und begünstigt daher bei ungeschütztem Luftweg eine Magenbeatmung. Die sich mit jedem Tidalvolumen verstärkende Magenbeatmung und mit jedem Tidalvolumen sinkende Lungenventilation kann in einen Circulus vitiosus führen [22] und erhöht die Gefahr von Regurgitation und Aspiration. Um den Beatmungsspitzendruck und damit das Risiko einer Magenbeatmung zu senken, kann das Tidalvolumen laut den neuen CPR-Leitlinien bei der Maskenbeatmung mit Sauerstoff (FIO2 >0,4) von üblicherweise 10–15 ml/kg KG (etwa 1000 ml) auf 6–7 ml/kg KG (etwa 500–600 ml) gesenkt werden, da bei Patienten mit normalem Herzzeitvolumen kleine Tidalvolumina für eine Oxygenierung und Kohlendioxideliminierung völlig ausreichend waren.
Effektivitätskontrolle Die auffälligsten Veränderungen einer erfolgreichen Reanimation manifestieren sich in einem Engerwerden der Pupillen sowie einer besseren Durchblutung der Haut und der Schleimhäute. Da der koronare Perfusionsdruck (Differenz zwischen aortalem und rechtsatrialem Druck in der Entlastungsphase) in den meisten Fällen während der CPR nicht gemessen werden kann, wird die Messung der endexspiratorischen CO2-Konzentration als Indikator der Perfusion während der CPR verwendet. Erfolgreich reanimierte Patienten weisen in der Regel während der CPR eine etwa 3-mal höhere endexspiratorische CO2-Konzentration auf als erfolglos reanimierte Patienten.
Komplikationen der externen Herzdruckmassage In etwa 30% aller Reanimationen kommt es zu knöchernen Frakturen an Sternum und Rippen, wobei Organverletzungen von Leber, Milz, Herz oder Lunge und die Ausbildung eines Pneumothorax bei richtiger Technik selten sind. Ursachen dieser Verlet-
377 29.6 · Er weiter te Maßnahmen (»Advanced Cardiac Life Support«, ACLS)
zungen sind in den meisten Fällen zu aggressive Thoraxkompression und falscher Sitz des Druckpunktes. 29.6
Erweiter te Maßnahmen (»Advanced Cardiac Life Support«, ACLS)
Einen Überblick über die erweiterten Maßnahmen am Erwachsenen gibt . Abb. 29.1. 29.6.1 Präkordialer Schlag Der präkordiale Schlag kommt als Erstmaßnahme nur dann zur Anwendung, wenn der Eintritt des Kreislaufstillstands unmittelbar beobachtet wird und nicht sofort ein Defibrillator verfügbar ist. Ein kurzer, kräftiger Faustschlag aus ungefähr 20 cm Entfernung auf die untere Hälfte des Sternums vermag unter diesen Voraussetzungen eine elektrische Aktion hervorzurufen, die zu einer myokardialen Kontraktion führen kann. ! Cave Der präkordiale Schlag ist nicht ungefährlich, da er sowohl Bradykardien als auch Kammertachykardien in Kammerflimmern umwandeln kann. Der präkordiale Schlag darf die EKG-Diagnostik und eine eventuelle Defibrillation nicht verzögern.
29.6.2 Defibrillation Die Defibrillation soll möglichst viele Myokardzellen (»kritische Myokardmasse«) gleichzeitig depolarisieren, d. h. eine kurz andauernde Asystolie erzeugen und es damit dem physiologischen Schrittmacherzentrum des Herzens ermöglichen, seine normale
29
Aktivität wieder aufzunehmen. Voraussetzung ist, dass hierfür noch genügend Vorräte an energiereichen Phosphaten im Myokard zur Verfügung stehen. Unter technischen Gesichtspunkten wird bei der Defibrillation von einem Kondensator ein Stromimpuls abgegeben; die Stromabgabe erfolgt unabhängig von der jeweiligen elektrischen Phase des Herzzyklus dann, wenn der Bediener den Entladeknopf drückt. Bei modernen biphasischen Greäten erfolgt während des Schocks eine Umkehrung der Stromflussrichtung. Die meisten Erwachsenen mit plötzlichem Herz-KreislaufVersagen zeigen im EKG ein Kammer flimmern. Da die Überlebenschance bei diesen Patienten um etwa 7–10% pro Minute ohne Defibrillation sinkt, wird eine frühe Defibrillation dringend empfohlen. Es sollte – sofern einstellbar – eine biphasische Entladungscharakteristik gewählt werden, da nach längerem Kammerflimmern bzw. Kammertachykardie die Wirksamkeit des ersten Schocks besser ist.
Schockabgabe Da mit einer Serie von drei Defibrillationsversuchen ein Spontankreislauf nicht häufiger wiederhergestellt werden konnte als mit nur einem Defibrillationsversuch, sollte immer nur einmal defibrilliert werden [2], um die Phasen ohne Thoraxkompression möglichst gering zu halten. Wegen der geringen Wirksamkeit bei monophasichem Schock wird hierbei eine Energiestufe von 360 J für den ersten Schock empfohlen. Bei biphasischen Geräten, die in klinischen Studien mit höherer Wahrscheinlichkeit Kammerflimmern terminierten, sollte der erste Schock idealer weise mit einer Ausgangsenergie von mindestens 150 J abgegeben werden (gilt für alle Entladungscharakteristika).
. Abb. 29.1. ALS-Algorithmus beim Erwachsenen. Empfehlungen des European Resuscitation Council. (Nach [23])
378
Kapitel 29 · Kardiopulmonale Reanimation
Gerätehersteller sollten die wirksame Energiestufe auf der Vorderseite von biphasischen Geräten angeben. Ist die wirksame Energiestufe nicht bekannt, sollte der erste Schock mit 200 J abgegeben werden. Der Standard 200 J wurde deswegen gewählt, weil diese Energiestufe sowohl für den ersten als auch für die nachfolgenden Schocks innerhalb des Bereichs der sicher wirksamen Schocks liegt. Es handelt sich hiermit um das Ergebnis einer Konsensentscheidung und nicht um die empfohlene Idealdosis.
29 Wenn bei der Verwendung eines monophasischen Defibrillators der initiale Schock von 360 J erfolglos war, sollte bei allen weiteren Schockabgaben die Energiestufe von 360 J beibehalten werden. Für die Verwendung von biphasischen Geräten liegen hinsichtlich der Anwendung mit gleichbleibender oder steigender Energiestufe keine wissenschaftlichen Daten vor. Beide Strategien sind durchaus akzeptabel. Falls dem Helfer der richtige Energiebereich des Gerätes unbekannt ist und bei der ersten Schockabgabe die Standardenergie von 200 J verwendet wurde, sollte für alle weiteren Schocks entweder die gleiche oder, falls das Gerät dies ermöglicht, eine höhere Energiestufe gewählt werden. Bei rezidivierendem Kammerflimmern nach er folgreicher Defibrillation (mit oder ohne Wiederherstellung des Spontankreislaufs) gilt es, für die weitere Schockabgabe die zuletzt wirksame Energiestufe zu wählen.
! Cave Bei der Defibrillation ist jeder Körper- oder Metallkontakt mit dem Patienten zu vermeiden.
Kardioversion
bzw. 70–120 J biphasisch). Auch hier sollte man die Energie bei Bedarf stufenweise steigern. Bei ansprechbaren Patienten sollte eine Kardioversion aufgrund der Schmerzhaftigkeit nur in Sedoanalgesierung durchgeführt werden. 29.6.3 Sicherung der Atemwege i Ein Endotrachealtubus bietet einen sicheren Schutz vor Aspiration und ermöglicht neben einer suffizienten Beatmung auch das Absaugen von bereits in die Lunge eingedrungenem Aspirat und stellt somit immer noch den Goldstandard bei der Atemwegssicherung während der CPR dar.
Die endotracheale Intubation sollte jedoch nur von erfahrenen Helfern ausgeführt werden. Im Atemwegsmanagement ausgebildete Helfer sollten den Patienten ohne Unterbrechung der Thoraxkompressionen laryngoskopieren können. Zum Vorschub des Tubus in die Trachea ist möglicherweise eine kurze CPR-Pause notwendig. ! Cave Kein Intubationsversuch sollte länger als 30 s dauern. Wenn in dieser Zeit eine endotracheale Intubation nicht erfolgreich ist, sollte mit der Maskenbeatmung fortgefahren werden.
Die endotracheale Intubation ist eine Grundlage für das Langzeitüberleben bei der CPR. Wenn aber eine versehentliche ösophageale Intubation oder eine Diskonnektion im Beatmungssystem nicht bemerkt wird, können diese iatrogenen Komplikationen tödlich sein. Daher muss eine erfolgreiche Intubation neben der Auskulation auch noch durch »sichere« Parameter wie Kapnometrie oder einen Ösophagusdetektor verifiziert werden. Ein niedriges endtidales CO2 muss dabei jedoch nicht eine Fehlintubation beweisen, sondern kann auch Folge einer vollkommen unzureichenden Lungenperfusion mit entsprechend ausbleibendem Gasaustausch sein.
Die Kardioversion oder synchronisierte Defibrillation wird in Abhängigkeit vom elektrischen Herzzyklus synchronisiert bzw. R-Zacken-getriggert. Dies bedeutet, dass der Defibrillator zunächst eine R-Zacke im EKG erkennen muss und dann den Stromimpuls einige Millisekunden nach dem höchsten Teil der R-Zacke abgibt. Dadurch wird eine Schockabgabe während der vulnerablen Phase der kardialen Repolarisation (der T-Welle) und damit ein mögliches Kammerflimmern verhindert.
Alternativen zur endotrachealen Intubation
i Voraussetzung für die Kardioversion ist demnach ein EKGRhythmus mit nachweisbaren R-Zacken. Indikationen zur Kardioversion sind Vorhofflimmern/-flattern, supraventrikuläre Tachykardien und ventrikuläre Tachykardien.
29.6.4 Pharmakotherapie
Der Energiebedarf für die Kardioversion bei Vorhofflimmern sollte von initial 200 J (monophasisch) bzw. von initial 120–150 J (biphasisch) je nach Bedarf gesteigert werden. Eine ventrikuläre Tachykardie mit Puls spricht gut auf eine Kardioversion an, wenn die initiale monophasische Energie mit 200 J gewählt wird. Als initiale biphasische Energie bei ventrikülärer Tachykardie sollten 120–150 J gewählt werden. Auch hier gilt es, die Energie stufenweise zu steigern, falls durch den ersten Schock kein Sinusrhythmus erzielt werden kann. Die paroxysmale, supraventrikuläre Tachykardie benötigt hingegen initial geringere Energiestufen (100 J monophasisch
Ist eine Intubation nicht möglich, kann von ausgebildeten Helfern ein Kombitubus, eine Larynxmaske, oder ein Larynxtubus eingesetzt werden.
Zugangswege für die Medikamentenzufuhr Venöser Zugang Muss bei einem Patienten mit Kreislaufstillstand ein venöser Zugang geschaffen werden, so wird in der Regel eineVenenverweilkanüle am Handrücken, Unterarm oder in der Ellenbeuge angelegt, auch die V. jugularis externa ist häufig gut zugänglich. i Der beste Gefäßzugang ist die größte Vene, die ohne Unterbrechung der CPR-Maßnahmen punktiert werden kann.
379 29.6 · Er weiter te Maßnahmen (»Advanced Cardiac Life Support«, ACLS)
Der periphervenösen Applikation von Medikamenten muss eine Bolusgabe von mindestens 20 ml Flüssigkeit und ein Anheben der betreffenden Extremität für etwa 10–20 s folgen, um das Einschwemmen des Medikamentes in die zentrale Zirkulation sicherzustellen. ! Cave Die Anlage eines zentralen Venenkatheters während der CPR wird im Regelfall nicht empfohlen, da hierdurch auch bei optimaler Beherrschung der Technik wertvolle Zeit verloren geht und die Thoraxkompression während der Katheterisierung unterbrochen werden muss.
Ein bereits sicher liegender zentraler Venenkatheter sollte hingegen während der CPR in jedem Fall für die Medikamentenzufuhr benutzt werden.
29
Auch höhere Adrenalindosierungen konnten das Reanimationsergebnis nicht steigern; vielmehr korrelierte eine kumulative Dosis von t4 mg statt 1 mg Adrenalin mit einem schlechten neurologischen Ergebnis [5]. Weder über den optimalen Zeitpunkt der Applikation noch über die Dosierung von Adrenalin herrscht Einigkeit. Nach den neuen CPR-Leitlinien ist Adrenalin das zuerst zu verwendende Medikament bei Kreislaufstillstand jeglicher Ätiologie. Während der CPR wird alle 3–5 min 1 mg Adrenalin injiziert. Weiters wird Adrenalin bei der Anaphylaxie empfohlen. Falls ein i.v.- oder i.o.-Zugang nicht anzulegen ist, kann man 2–3 mg verdünnt auf 10 mg Aqua injectabile über den Endotrachealtubus applizieren.
Intraossärer Zugang Die intraossäre Infusion ist eine einfache und schnelle Methode, Notfallmedikamente, Flüssigkeiten und sogar Kontrastmittel zu applizieren. Außerdem ist der intraossäre Zugang komplikationsarm und kann selbst mit minimalem Trainingsaufwand in weniger als 30 s angelegt werden. Dabei wird eine spezielle intraossäre Nadel unterhalb der Tuberositas tibialis in die Markhöhle des Schienbeins gedreht. Aus diesem Grund hat sich die intraossäre Applikationsmethode v. a. beim Kindernotfall durchgesetzt und wird weltweit von renommierten Institutionen empfohlen und gelehrt. Das Mittel der 1. Wahl sollte jedoch (auch bei Kindern) ein intravenöser Zugang bleiben, anschließend der intraosäre Zugang gefolgt von der endotrachealen Applikation. 5 Zugangsweg der 1. Wahl ist der intravenöse Zugang. 5 Spätestens nach 90 s oder nach 3 fehlgeschlagenen Venenpunktionsversuchen sollte als Weg der 2. Wahl auf die intraossäre Methode zurückgegriffen werden. 5 Lediglich Zugangsweg der 3. Wahl ist gemäß den Leitlinien die endobronchiale Medikamentenapplikation.
Medikamente bei der kardiopulmonalen Reanimation Sauerstoff Eine frühestmögliche Beatmung mit hoher O2-Konzentration, ob über Maske oder nach Intubation, kann das Ausmaß der Hypoxie vermindern. Da das Herzzeitvolumen bei CPR unter dem Einsatz der externen Herzdruckmassage nur ca. 20–30% des Normalwertes beträgt, wird das gemischtvenöse Blut maximal desoxygeniert. Gleichzeitig bestehende Ventilations-Perfusions-Störungen, eine Aspiration oder ein Lungenödem senken in dieser Situation den O2-Partialdruck in einen kritischen Bereich.
Adrenalin Adrenalin wird zwar seit über 100 Jahren bei der CPR verwendet, aber eine positive Korrelation mit der Überlebensrate konnte nie bewiesen werden. Nachteile von Adrenalin wurden in Labor- und klinischen Studien gezeigt und beinhalten eine Steigerung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch übermäßige E-Stimulation sowie Herzversagen in der Postreanimationsphase. Außerdem kann ein Kammerflimmern durch Adrenalin begünstigt oder sogar therapierefraktär stabilisiert werden [20].
! Exzessive Adrenalinapplikation von über 1 mg kann nach Wiederherstellung eines Spontankreislaufs eine myokardiale Ischämie, Kammertachykardie oder Kammerflimmern auslösen. Hat sich ein Spontankreislauf eingestellt und ist weiteres Adrenalin notwendig, muss eine vorsichtige Titration erfolgen, um einen adäquaten Blutdruck zu erreichen. Dosen von 50–100 μg reichen für die meisten hypotensiven Patienten aus.
Arginin-Vasopressin Vasopressin steigert in tierexperimentellen CPR-Untersuchungen den myokardialen und den zerebralen Blutfluss, das zerebrale Sauerstoffangebot sowie die neurologische Regenerationsrate nach erfolgreicher CPR. In Einzelfällen gelang bei Patienten, die im Rahmen der CPR-Standardtherapie ein refraktäres Kammerflimmern aufwiesen, mit einer Vasopressininjektion und anschließender Defibrillation die Wiederherstellung eines Spontankreislaufs [14]. In einer kleinen Studie über Vasopressin und Adrenalin bei Patienten mit schockrefraktärem Kammerflimmern wurde mit 40 Einheiten Vasopressin ein signifikant besseres 24-h-Überleben als mit Adrenalin gefunden [13]. Daraufhin wurden 2 Studien durchgeführt, die Vasopressin vs. Adrenalin sowohl bei innerklinischem als auch außerklinischem Kreislaufstillstand verglichen. In beiden Studien gelang es nicht mit, 40 IU Vasopressin, verglichen mit 1 mg Adrenalin, einen Anstieg in der Wiederherstellung eines Spontankreislaufes oder der Überlebensrate zu zeigen. Aufgrund dieser Daten und des Mangels an Placebo-kontrollierten Studien haben sich die Teilnehmer der Leitlinienkonferenz 2005 darauf geeinigt, Adrenalin nach wie vor als Standardvasopressor bei einem Kreislaufstillstand zu empfehlen. Hinsichtlich der Empfehlung oder Ablehnung von Vasopressin als Alternative zu Adrenalin oder in Kombination mit Adrenalin bei jeglichem EKG-Rhythmus des Kreislaufstillstandes liegen derzeit ungenügende Daten vor. Falls mit Adrenalin kein Spontankreislauf herstellbar ist, kann als Alternative die Gabe von 40 IU Vasopressin erwogen werden. Bei noch nicht vorhandenem i.v./i.o.-Zugang kann dieselbe Dosis endobronchial appliziert werden.
380
29
Kapitel 29 · Kardiopulmonale Reanimation
Amiodaron, Sotalol
Natriumbikarbonat
Es ist auch hier die Datenlage für einen Nutzen beim Kreislaufstillstand sehr begrenzt. Kein während der CPR verwendetes Antiarrhyhtmikum konnte eine verbesserte Klinikentlassungsrate zeigen, obwohl mit Gabe von Amiodaron zumindest eine verbesserte Krankenhausaufnahmerate erzielt wurde. Trotz des Mangels an klinischen Langzeitüberlebensdaten sprechen die Daten eher für den Einsatz von Amiodaron. Daher wird Amiodaron nach drei erfolglosen Defibrillationen empfohlen.
Die Natriumbikarbonatinfusion soll die bestehende metabolische Azidose ausgleichen, die Wirkung von Adrenalin steigern und die Defibrillation erleichtern. Die Wirkung von Natriumbikarbonat setzt unmittelbar mit Infusionsbeginn ein. Die Azidose im Kapillarstromgebiet und auch im Gewebe hat aber nicht nur eine metabolische Komponente, sondern ist v. a. durch die Hyperkapnie bedingt. Diese kann durch Natriumbikarbonat u. U. noch verstärkt werden, was wiederum aufgrund der guten CO2-Permeabilität der Zellmembran den intrazellaren pH-Wert senken kann. Aus diesem Grund überrascht es nicht, dass keine Studie bisher einen Vorteil der Bikarbonatapplikation zeigen konnte. Daher wird die routinemäßige Injektion von Natriumbikarbonat bei der CPR oder bei Wiedereinsetzen eines Spontankreislaufs nicht empfohlen.
Bei Erwachsenen wird folgendermaßen dosiert: 5 kardiale Reanimation: nach erfolglosem 3. Defibrillatiosversuch, wenn VF/VT weiter bestehen, 300 mg Amiodaron i.v. (erst nach erfolgter Vasopressorgabe), 5 bei Persistieren oder Wiederauftreten von Kammerflimmern kann ein weiterer Bolus von 150 mg Amiodaron erwogen werden. (Früher wurde Lidocain als Vorgänger von Amiodaron in einer Dosis von 1–1,5 mg/kg KG i.v appliziert; heute ist jedoch Amiodaron eindeutig vorzuziehen.) Die Gabe von Amiodaron sollte andere Maßnahmen (z. B. Defibrillation) nicht verzögern.
Hingegen bei schwerer metabolischer Azidose, lebensbedrohlicher Hyperkaliämie, bei einem mit einer Hyperkaliämie oder einer schweren metabolischen Azidose verbundenen Kreislaufstillstand oder Intoxikationen mit trizyklischen Antidepressiva oder Barbituraten kann Natriumbikarbonat nützlich sein. Bei oben genannten Indikationen kann Bikarbonat in einer Dosierung von 50 mmol (50 ml einer 8,4%igen Lösung) intravenös infundiert werden.
Magnesium Ein Nutzen von Magnesium bei therapierefraktärem Kammerflimmern ist bei durch Hypomagnesämie induzierten Herzrhythmusstörungen erwiesen. Bei Kammerflimmern und Verdacht auf Hypomagnesämie können 2 g Magnesiumlösung 50% über 1– 2 min appliziert werden. Eine Wiederholung ist nach 10–15 min möglich. Eine generelle Empfehlung zur Magnesiumapplikation beim Kammerflimmern kann, trotz positiver Einzelfallberichte, nicht gegeben werden.
Atropin, Theophyllin Bei einer Bradykardie mit Spontankreislauf kann durch die Injektion von Atropin über eine Reduktion des Parasympathikotonus vielfach eine Verbesserung der spontanen Zirkulation hergestellt werden. Die generelle Empfehlung, Atropin bei jedem asystolen Kreislaufstillstand als »first line drug« zu injizieren, kann nicht gegeben werden. Obwohl die Wirkung einer sympathischen Stimulation auf die Herzfrequenz durch einen Vagusreiz abgeschwächt wird, ist der Einfluss des N. vagus auf die myokardiale Kontraktilität und den peripheren Gefäßwiderstand gering. Atropin kann bei Asystolie und pulsloser elektrischer Aktivität (Frequenz Definition
30
Herzinsuffizienz bezeichnet ein komplexes klinisches Syndrom, das gekennzeichnet ist durch Störungen der linksventrikulären Funktion und der neuroendokrinen Regulation sowie durch einen Anstieg der Füllungsdrücke (z. B. pulmonal-kapillärer Verschlussdruck, PCWP), Flüssigkeitsüberladung der Gewebe (Kongestion), ein reduziertes Herzminutenvolumen und die daraus resultierende Gewebshypoperfusion. Für die akute Herzinsuffizienz ist keine einheitlich anerkannte Definition verfügbar. Näherungsweise kann sie als rasches Auftreten von Symptomen und Zeichen einer gestörten Herzfunktion mit einem daraus resultierenden dringlichen Behandlungsbedarf charakterisiert werden.
Klinisch sind diverse Einteilungen der Herzinsuffizienz üblich: Nach der Dynamik der Symptomentwicklung wird zwischen aku-
ter und chronischer Herzinsuffizienz unterschieden, nach den vorwiegend erkrankten Herzabschnitten zwischen Linksherzund Rechtsherzinsuffizienz. Entsprechend der primär zugrunde liegenden Funktionsstörung wird eine systolische von einer diastolischen Herzinsuffizienz unterschieden. In Abhängigkeit von der klinisch führenden Symptomatik der Herzinsuffizienz unterscheidet man ein Rückwärtsversagen mit im Vordergrund stehender Stauungssymptomatik (pulmonal oder peripher), erhaltenem Blutdruck und erhaltener Organperfusion von einem Vor wärtsversagen mit führender Hypotonie und Organminderperfusion bis zur Schocksymptomatik; hier kann die Stauungssymptomatik im Hintergrund stehen.
Epidemiologie Die Prävalenz der Herzinsuffizienz beträgt in westlichen Industrienationen zwischen 0,4 und 2%, sie steigt altersabhängig auf 3–13% bei Patienten über 65 Jahren [2]. Die Prognose der akuten Herzinsuffizienz ist schlecht. Je nach untersuchtem Kollektiv liegt der kombinierte Endpunkt aus Mortalität und erneuter Hospitalisation innerhalb von 60 Tagen nach initialer Aufnahme zwischen 30 und 60%.
Ätiologie . Tabelle 30.1. Ursachen der Herzinsuffizienz Pathophysiologie
Ätiologie
1. Systolische Ventrikelfunktionsstörung A. Primäre Kontraktionsschwäche
Akuter Myokardinfarkt (AMI)
Ischämische Kardiomyopathie (ICM) Akute Myokarditis Dilatative Kardiomyopathie (DCM) B. Primär erhöhte Ventrikelwandspannung
Hypertensive Krise
Wird die Herzinsuffizienz durch eine primäre myokardiale Kontraktionsstörung ausgelöst, so ist der Begriff der Myokardinsuffizienz zutreffend. Die häufigsten Ursachen der akuten Herzinsuffizienz sind der akute Myokardinfarkt mit Ausfall von kontraktilem Gewebe sowie die akute Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz, z. B. bei dilatativer Kardiomyopathie (DCM). Herzinsuffizienz kann aber auch bei primär normaler myokardialer Kontraktilität entstehen, wenn eine akute außergewöhnliche hämodynamische Belastung eintritt, wie bei einer akuten Herzklappeninsuffizienz nach Endokarditis/Myokardinfarkt oder bei einer hypertensiven Krise mit peripherer Widerstandserhöhung. Eine Zusammenstellung der häufigen Ursachen der Herzinsuffizienz liefert . Tabelle 30.1.
Pathophysiologie Hypertensive Kardiomyopathie Klappenvitien (akut und chronisch) Shuntvitien
2. Diastolische Ventrikelfunktionsstörung Akute Myokardischämie Hypertensive Krise/hypertensive Kardiomyopathie Hypertrophe Kardiomyopathie (HNCM) Konstriktive Perikarditis Restriktive Kardiomyopathie (RCM) 3. Herzrhythmusstörungen Bradykarde Herzrhythmusstörungen Tachykarde Herzrhythmusstörungen
Um das benötigte Schlagvolumen nach einer initialen myokardialen Schädigung (z. B. Myokardinfarkt) aufrechtzuerhalten, findet kompensatorisch akut eine Sympathikusaktivierung und Herzfrequenzsteigerung statt (positive Kraft-Frequenz-Beziehung mit Zunahme der Kontraktionskraft bei Steigerung der Herzfrequenz). Gleichzeitig kommt es durch vermehrte Vordehnung zu einer Steigerung der Kontraktionskraft (Frank-Starling-Mechanismus), in der Summe resultiert eine Zunahme des Herzminutenvolumens. Mittel- und langfristig kommt es zu myokardialen Umbauprozessen (»remodelling«) mit Myozytenhypertrophie und Änderung des zellulären Phänotyps. Zur Kompensation der reduzierten Pumpleistung und als Folge der peripheren Minderperfusion entsteht systemisch, weitgehend unabhängig von der Ätiologie der Herzinsuffizienz, eine sog. neuroendokrine und Zytokinaktivierung mit konsekutiv im Vordergrund stehender peripherer Vasokonstriktion, Natriumund Flüssigkeitsretention. Teleologisch dient die neuroendokrine Aktivierung (Sympathikus, Renin-Angiotensin-AldosteronSystem, Vasopressin, Endothelin und andere vasoaktive Peptide) der Aufrechterhaltung eines adäquaten Perfusionsdrucks vitaler Organe und ist insbesondere bei akutem Blut- oder Volumenverlust für die Kreislaufregulation physiologisch sinnvoll.
389 30.1 · Grundlagen
Bei der Herzinsuffizienz ist die neuroendokrine und Zytokinaktivierung aber sowohl mit dem Manifestationszeitpunkt als auch mit dem klinischen Erscheinungsbild und letztlich mit der Prognose eng verknüpft. So weisen neuere Untersuchungen darauf hin, dass die Bildung von Zytokinen und freien Sauerstoffradikalen insbesondere für die akute Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz bedeutungsvoll ist. Die Relevanz von akutem Zelluntergang durch Apoptose, d. h. durch programmierten Zelltod, ist unklar. 30.1.2 Klinik Leitsymptome der akuten oder akut dekompensierten chronischen Herzinsuffizienz sind Dyspnoe sowie Tachypnoe, in fortgeschrittenen Stadien Orthopnoe, Hypotonie und Tachykardie. Der Patient ist häufig kaltschweißig, agitiert und verwirrt.
Manifestationsformen/Profile der akuten Herzinsuffizienz Klinisch kann trotz vielfältiger fließender Übergänge eine Reihe von typischen klinischen Profilen der akuten Herzinsuffizienz identifiziert werden, die sowohl für eine einheitliche Klassifizierung von Bedeutung sind als auch eine unterschiedliche Behandlungsstrategie implizieren [11, 19]. Eine Verwendung und Festlegung des behandelnden Arztes auf diese Einteilung erscheint daher unbedingt ratsam.
Manifestationsformen/Profile der akuten Herzinsuffizienz 5 Akute dekompensierte Herzinsuffizienz (de novo Herzinsuffizienz oder akute Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz) 5 Hypertensive akute Herzinsuffizienz 5 Kardiogenes Lungenödem 5 Kardiogener Schock (RRsys 30 mm Hg, Diurese 60/min, CI 15 mm Hg) 5 »High-output-Herzinsuffizienz« 5 Akute Rechtsherzinsuffizienz
diale), später feuchte Rasselgeräusche. Bei Patienten mit Lungenödem sind Rasselgeräusche ausgedehnt über großen Lungenarealen hörbar, sie sind häufig grobblasig, exspiratorische pfeifende Geräusche sind oft assoziiert. Die Unterscheidung von einer primär pulmonalen Genese der Dyspnoe ist nicht immer trivial, hier sind anamnestische Angaben zu vorbestehenden kardialen oder pulmonalen Erkrankungen hilfreich. Ergänzend gewinnt hier die Bestimmung der Plasmakonzentrationen von natriuretischen Peptiden differenzialdiagnostische Bedeutung: Normale Konzentrationen von BNP oder NT-proBNP machen eine Herzinsuffizienz als Ursache einer Dyspnoe unwahrscheinlich und verweisen auf andere, z. B. pulmonale Ursachen. Bei Herzinsuffizienz wird eine Ergussbildung im Pleuraraum häufig auf der rechten Seite durch Perkussion und Auskultation festgestellt, diese wird durch einen erhöhten pulmonalkapillären Druck und Flüssigkeitstranssudation ausgelöst. Aszites kann ebenfalls durch Transsudation bei erhöhtem zentralvenösem Druck entstehen. Ödeme sind in den physikalisch abhängigen Körperpartien lokalisiert, beim bettlägerigen Patienten auch in der Sakralregion. Die Urinproduktion ist bei manifester Herzinsuffizienz meist eingeschränkt. Das spezifische Uringewicht ist erhöht, es ist oft eine Proteinurie nachweisbar, und der Natriumgehalt im Urin ist erniedrigt. 30.1.3 Diagnostik Für die kalkulierte Ersttherapie einer akuten Herzinsuffizienz zur Verbesserung der Hämodynamik und Stabilisierung des Patienten genügt zunächst die klinische Diagnose. Das Basisprogramm der apparativen Diagnostik umfasst Laboruntersuchungen, 12Kanal-EKG und Echokardiographie sowie Thoraxröntgenaufnahme. Die erweiterte Diagnostik beinhaltet bei der akuten Herzinsuffizienz in Einzelfällen eine Rechtsherzkatheteruntersuchung (insbesondere bei fehlendem Ansprechen auf die kalkulierte Ersttherapie) sowie häufig eine Linksherzkatheteruntersuchung mit Koronarangiographie und evtl. mit Endomyokardbiopsie (. Tab. 30.2). . Tabelle 30.2. Diagnostik bei Herzinsuffizienz
Klinische Untersuchungsbefunde Bei der klinischen Untersuchung werden zunächst die Vitalparameter Bewusstsein, Atmung, Puls und Blutdruck erfasst. Die Beurteilung des Jugularvenenpulses und der Jugularvenenfüllung erlaubt eine Aussage über den Füllungsdruck des venösen Systems. Im Fall einer Volumenüberlastung, einer Kontraktionsinsuffizienz mit erhöhten rechtsventrikulären Füllungsdrücken oder einer mechanischen Füllungsbehinderung des Herzens ist eine Halsvenenstauung leicht zu erkennen. Am Herz auskultiert man neben der Tachykardie oft einen protodiastolischen Galopp, d. h. einen linksventrikulären oder rechtsventrikulären 3. Herzton als Ausdruck der gestörten frühdiastolischen Kammerfüllung bei erhöhten Füllungsdrücken. Zusätzlich sind häufig begleitende pathologische Herzgeräusche bei ursächlichen Vitien oder bei sekundärer Mitral- oder Trikuspidalklappeninsuffizienz vorhanden. Bei der Auskultation der Lunge finden sich über den basalen Lungenabschnitten häufig zunächst Bronchospastik (Asthma car-
30
Diagnostisches Verfahren
Fragestellung
Klinische Untersuchung
4 Periphere Durchblutung, Temperatur? 4 Venendruck (Jugularvenenfüllung)? 4 Herzauskultation (Galopprhythmus?, pathologische Geräusche?) 4 Lungenauskultation (Rasselgeräusche?)
Serumelektrolyte
4 Serum-Na+ 90 mm Hg eingesetzt werden. Bei Patienten mit stabilem Blutdruck (RRsys >100 mm Hg) und fehlenden Schockzeichen kann auch eine intravenöse Nitrattherapie eingeleitet werden (0,5–3 mg/h, Dosistitration nach Blutdruck).
Anschließend werden rasch wirksame Schleifendiuretika verabreicht (Furosemid 0,5–1 mg/kg KG i.v., höhere Dosen bei erheblicher Stauung oder bei eingeschränkter Nierenfunktion). Diese bewirken neben einem Flüssigkeitsentzug durch Diurese eine akute Vorlastsenkung durch venöses »pooling«. Bei der Dosierung der Diuretika muss klinisch auf eine kritische Verminderung des intravasalen Flüssigkeitsstatus geachtet werden, insbesondere bei Patienten mit Diuretikavorbehandlung (relative Hypovolämie; Bestimmung des zentralen Venendrucks notwendig). Weiterhin sollte eine Analgosedation des agitierten Patienten erfolgen, hier ist vorzugsweise eine intravenöse Opioidgabe (z. B. Morphin fraktioniert 1–3 mg) sinnvoll. Patienten, die auf die Nitrattherapie nicht unmittelbar rasch ansprechen und deren Herzinsuffizienzsymptomatik überwiegend auf eine schwere Mitral- oder Aortenklappeninsuffizienz oder eine ausgeprägte arterielle Hypertonie mit peripherer Widerstandserhöhung zurückzuführen ist, sollten mit dem Vasodilatator Natrium-Nitroprussid behandelt werden (hypertensive akute Herzinsuffizienz s. unten). Neben der akuten Senkung der Füllungsdrücke durch Nitroglyzerin oder Natrium-Nitroprussid kann auch Nesiritide, ein rekombinantes humanes natriuretisches Peptid mit vasodilatierenden und natriuretischen Eigenschaften, eingesetzt werden. Nesiritide weist ein ähnliches Wirkprofil wie eine Kombination von Nitroprussid und Nitroglyzerin bezüglich arterieller und ve-
. Abb. 30.1 Arbeitsdiagramm des Herzens
392
Kapitel 30 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
30
. Abb. 30.2 Therapiealgorithmus bei akutem Lungenödem, Hypotonie oder kardiogenem Schock
nöser Vasodilatation auf, daneben werden Diurese und Natriurese gefördert. Eine Tachyphylaxie wurde bisher nicht beobachtet. Vergleichende Studien mit Nitroglyzerin und Dobutamin liegen vor. Die Substanz ist gegenwärtig in Deutschland nicht zugelassen. Aufgrund neuer Berichte zu einer erhöhten Inzidenz renaler Nebenwirkungen sowie divergierender Mortalitätsdaten müssen weitere Studien abgewartet werden, bevor eine abschließende Bewertung der Substanz möglich ist.
Pharmakotherapie Stufe 2: Positiv-inotrope Stimulation Liegt eine akute Herzinsuffizienz/akute Dekompensation mit begleitender Hypotonie und Hypoperfusion vor, sollten vasodilatierende Substanzen nur mit Vorsicht unter invasivem Monitoring mit Rechtsherzkatheter eingesetzt werden, falls tatsächlich eine erhebliche Widerstandserhöhung vorliegt. In der 2. Stufe der Pharmakotherapie ist aber in der Regel die Gabe von positiv-inotropen Substanzen indiziert: Bei RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg besteht zunächst eine Indikation für das überwiegende E1-Sympathomimetikum Dobutamin (2–20 Pg/kg KG/min i.v.). Bei RRsys zwischen 85 und 100mm Hg und beginnender Schocksymptomatik wird in erster Linie Dopamin (5–20 Pg/ kg KG/min i.v.) eingesetzt, das neben vorwiegend positiv-inotropen E-sympathomimetischen auch blutdruckstabilisierende D-mimetische und dopaminerge Wirkungen aufweist. Liegt der gemessene systolische Blutdruck unter 85 mm Hg und/oder liegen progressive Schocksymptome vor, so sollte zusätzlich zu Dobutamin oder Dopamin das stark vasopressorisch wirksame Katecholamin Noradrenalin verabreicht werden (0,05–1 Pg/kg KG/min i.v.).
Die genannten Pharmaka sollten so kurz wie möglich eingesetzt werden, da sie den Sauerstoffbedarf des Herzens steigern und somit ungünstige Effekte auf die Ökonomie der myokardialen Kontraktion ausüben. Die hämodynamischen Effekte sind oft durch rasche Tachyphylaxie limitiert, was häufig zu unerwünschten Dosissteigerungen führt. Bei ungenügendem klinischem Ansprechen auf die Katecholamintherapie mit unzureichender Steigerung des Herzminutenvolumens und weiter bestehenden erhöhten Füllungsdrücken (invasives hämodynamisches Monitoring) ist eine Kombination der Katecholamine mit einem Phosphodiesteraseinhibitor (PDE-Inhibitor) sinnvoll. PDE-Inhibitoren hemmen den Abbau von zyklischem AMP, dem intrazellulären »second messenger« der Katecholamine, und weisen damit synergistische Effekte auf, die unabhängig vom zellulären E-Adrenozeptorstatus und damit einer Vorbehandlung des Patienten mit E-Rezeptorenblockern sind. Die Therapie kann z. B. mit Milrinon (0,25–0,75 Pg/kg KG/ min) eingeleitet werden, eine intravasale Hypovolämie mit Hypotonie darf bei der Therapieeinleitung mit PDE-Inhibitoren nicht vorliegen. Als sehr wirksame Alternative zu selektiven PDE-Inhibitoren in Kombination mit Katecholaminen wird der Einsatz von sog. kalziumsensitivierenden Substanzen betrachtet. Diese Substanzgruppe ist erst seit kurzem verfügbar, und wissenschaftliches Datenmaterial zum Vergleich dieser Substanzen mit Katecholaminen liegt bislang lediglich für Levosimendan vor. Levosimendan bewirkt im therapeutischen Dosisbereich eine Sensitivierung der kontraktilen Proteine für die aktivierenden Kalziumionen mit Steigerung des Herzminutenvolumens und Senkung der Füllungsdrücke, ohne den Energieverbrauch des Herzens signi-
393 30.1 · Grundlagen
fikant zu steigern. Außerdem wurden keine proarrhythmischen Effekte beobachtet. In hohen Dosierungen kommen vasodilatierende Effekte und PDE-Hemmung hinzu. Im Vergleich zu Dobutamin bewirkt Levosimendan eine stärkere Senkung der Füllungsdrücke und Steigerung des Herzminutenvolumens, ein Wirkungsverlust der Dauerinfusion durch Tachyphylaxie wurde nicht beobachtet. Bei der Einleitung der Behandlung mit Levosimendan sollte eine relative oder absolute Hypovolämie unbedingt ausgeschlossen werden, nach einer Bolusgabe von 12 Pg/kg KG wird eine Dauerinfusion mit 0,05– 0,2 Pg/kg KG/min über 12 bis maximal 24 h fortgeführt. Bei relativ niedrigem Ausgangs-RR kann auf die Bolusgabe verzichtet und direkt mit der Dauerinfusion begonnen werden. Im Falle einer intialen Hypotonie kann parallel niedrig dosiert Noradrenalin verabreicht werden. Die günstigen hämodynamischen Effekte sind aufgrund der langen Halbwertszeit der aktiven Metaboliten nicht auf die Infusionsdauer begrenzt, sondern darüber hinaus nachweisbar. Levosimendan ist gegenwärtig die einzige positiv-inotrope Substanz, für die günstige Mortalitätsdaten vorliegen, eine abschließende Beurteilung ist gegenwärtig noch nicht möglich. Die Substanz ist auf dem europäischen Markt verfügbar, in Deutschland aber noch nicht zugelassen.
Mechanische Kreislaufunterstützung durch Kunstherz (»Assist Device«) Mechanische Unterstützungssysteme werden überwiegend als Überbrückungsmaßnahme (»bridging«) bei schwerster, konventionell therapierefraktärer Herzinsuffizienz bis zu einer möglichen Herztransplantation eingesetzt. Es sind extrakorporale rechts- oder linksventrikuläre Ersatzsysteme oder auch weitgehend vollständig implantierbare »assist devices« in spezialisierten Zentren verfügbar. Die Erfahrungen an begrenzten Patientenzahlen sind günstig, es wurden Patienten länger als 1 Jahr mit subjektiv guter Lebensqualität behandelt. In Einzelfällen eines kardialen Pumpversagens durch Myokarditis oder idiopathisch dilatative Kardiomyopathie konnte eine spontane Erholung des eigenen Herzens durch die Entlastung aufgrund des Kunstherzens beobachtet werden, sodass gelegentlich eine Explantation des Systems ohne Notwendigkeit einer HTX möglich war. Der permanente dauerhafte artifizielle Herzersatz befindet sich wegen ungelöster thromboembolischer Komplikationen und der Infektionsgefahr weiterhin nur im experimentellen Stadium.
Herztransplanation (HTX) Patienten mit konservativ nicht beherrschbarer schwerer Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) und häufig wiederkehrenden Hospitalisierungen wegen Dekompensationen sind Kandidaten für eine Herztransplantation. Wesentliche Kontraindikationen sind: fixierte pulmonale Hypertonie, akute oder chronische systemische Infektionen, Tumorleiden 60 Jahre). Bei schwerer fixierter pulmonaler Hypertonie muss eine kombinierte Herz-Lungen-Transplantation in Betracht gezogen werden. Als Entscheidungshilfe zur Dringlichkeit einer HTX dient die objektive Bestimmung der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit mittels Spiroergometrie (1200 dynusucm–5), wird mit Nitroprussid in einer Dosis von 0,1 Pg/kg KG/min i.v. begonnen, bei Bedarf wird die Dosis schrittweise nach klinischer und hämodynamischer Reaktion erhöht (üblicherweise zwischen 0,2 und 10 Pg/kg KG/min Dauerinfusionsdosis). Die maximale Infusionsdauer sollte auf 24–48 h beschränkt werden, da eine längere oder hochdosierte Infusion die Gefahr einer Zyanid- oder Thiocyanat-Toxizität birgt (Metabolismus). Um diese zuverlässig zur vermeiden, wird deshalb parallel eine Infusion von Natriumthiosulfat als »scavenger« verabreicht.
Akutes kardiogenes Lungenödem
30
Akuttherapie des kardiogenen Lungenödems 5 Sauerstoffinsufflation (2–10 l O2 über Nasensonde oder Nicht-Rückatmungsmaske) 5 Nitroglyzerin 0,4–0,8 mg sublingual, ggf. alle 10 min je nach RR wiederholen, bei RRsys >100 mm Hg auch Nitroglyzerin i.v. 0,5–3 mg/h 5 Furosemid 0,5–1 mg/kg KG i.v. als Bolus, ggf. nach 30 min wiederholen 5 Morphin 1–3 mg i.v. 5 Bei respiratorischer Insuffizienz vorzugsweise nicht-invasive Beatmung mittels CPAP oder NIPPV (»non-invasive positive pressure ventilation«) 5 Bei schwerer Mitral- oder Aortenklappeninsuffizienz, ausgeprägter arterieller Hypertonie oder erhöhtem peripherem Widerstand (>1200 dynusucm–5, Pulmonaliskatheter) Natrium-Nitroprussid (initial 0,1 Pg/kg KG/ min i.v., arterielles Blutdruckmonitoring obligat, Steigerung nach Klinik und RRsys, maximal 10 Pg/kg KG/min) 5 Bei Hypotonie mit RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg Dobutamin (2–20 Pg/kg KG/min i.v.); bei RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg und beginnender Schocksymptomatik Dopamin (5–20 Pg/kg KG/min i.v.) 5 Bei ausgeprägter Hypotonie mit RRsys d85 mm Hg und/oder progressiven Schocksymptomen zusätzlich Noradrenalin (0,05–1 Pg/kg KG/min i.v.) 5 Bei Myokardinfarkt (AMI) oder akutem Koronarsyndrom (ACS) notfallmäßige Koronarangiographie, ggf. PCI oder ACVB-Operation 5 Alternativ Fibrinolyseindikation prüfen 5 Bei therapierefraktärem Lungenödem intraaortale Ballongegenpulsation (IABP) 5 Bei begleitender bzw. präexistenter Niereninsuffizienz forcierter Flüssigkeitsentzug mittels Hämofiltration
Pharmakotherapie Stufe 1: Entlastung des Herzens und supportive Maßnahmen An erster Stelle der symptomatischen Therapie steht die supportive Sauerstoffinsufflation (2–10 l/min über Nasensonde/NichtRückatem-Maske), um eine respiratorische Partialinsuffizienz mit Hypoxie zu kompensieren, die Oxygenierung sicherzustellen und um einer hypoxisch-pulmonalen Vasokonstriktion (EulerLiljestrand-Reflex) mit Nachlasterhöhung des rechten Herzens entgegenzuwirken. Im Fall einer persistierenden Hypoxämie, einer respiratorischen Globalinsuffizienz und Erschöpfung des Patienten sowie bei respiratorischer Azidose ist die Indikation
zur kontrollierten Beatmung bzw. Atmungsunterstützung mit positiv-endexspiratorischem Druck (PEEP) gegeben. Beim kooperativen Patienten und bei engmaschiger Überwachung soll einer nicht-invasiven Beatmung (NIPPV) mittels Atemmaske und positivem Atemwegsdruck [»continuous positive airway pressure« (CPAP) oder »biphasic positive airway pressure« (BIPAP)] der Vorzug gegeben werden. Oft kann damit eine endotracheale Intubation mit den resultierenden Konsequenzen (ventilatorassoziierte Pneumonie, tiefere Sedation etc.) vermieden werden. Als nächste Maßnahme sollte eine rasche Vorlastsenkung erfolgen. Dazu sind orale oder sublinguale Nitrate geeignet (Nitroglyzerin 0,4–0,8 mg alle 10 min), diese dürfen aber nur bei einem systolischen Blutdruck t90 mm Hg eingesetzt werden. In zweiter Linie sollte bei stabilem Blutdruck (RRsys >100 mm Hg) und fehlenden Schockzeichen eine intravenöse Nitrattherapie eingeleitet werden (0,5–3 mg/h, Dosistitration nach Blutdruck). Anschließend werden rasch wirksame Schleifendiuretika verabreicht (Furosemid 0,5–1 mg/kg KG i.v., höhere Dosen bei erheblicher Stauung oder bei eingeschränkter Nierenfunktion). Diese bewirken neben einem Flüssigkeitsentzug durch Diurese eine akute Vorlastsenkung durch venöses »pooling«. Bei unzureichendem Ansprechen auf Diuretika sowie bei präexistenter Niereninsuffizienz ist neben der hämodynamisch aktiven Therapie ein forcierter Flüssigkeitsentzug mittels Hämofiltration notwendig und indiziert. Neuere Daten weisen auf die Überlegenheit einer möglichst hoch dosierten Nitrattherapie in Kombination mit niedrigeren Diuretikadosierungen im Vergleich zum Konzept Hochdosisdiuretika plus niedrigdosierte Nitrate hin [3]. Weiterhin sollte eine Analgosedation des agitierten Patienten erfolgen. Hier ist vorzugsweise eine intravenöse Opioidgabe (z. B. Morphin fraktioniert 1–3 mg) sinnvoll. Patienten, die auf die Nitrattherapie nicht unmittelbar rasch ansprechen und deren Lungenödem über wiegend auf eine schwere Mitral- oder Aortenklappeninsuffizienz oder eine ausgeprägte arterielle Hypertonie mit peripherer Widerstandserhöhung zurückzuführen ist, sollten mit Natrium-Nitroprussid behandelt werden. Hierzu ist eine kontinuierliche arterielle Blutdruckmessung obligat und die Bestimmung des peripheren Gefäßwiderstandes (SVR) mittels Rechtsherzeinschwemmkatheteruntersuchung wünschenswert, falls der Patient nicht rasch auf die Initialtherapie anspricht. Ist der periphere Gefäßwiderstand erhöht (>1200 dynusucm–5) und der systolische Blutdruck >90 mm Hg, wird mit Nitroprussid in einer Dosis von 0,1 Pg/ kg KG/min i.v. begonnen. Bei Bedarf wird die Dosis schrittweise nach klinischer und hämodynamischer Reaktion erhöht (üblicherweise zwischen 0,2 und 10 Pg/kg KG/min Dauerinfusionsdosis). Als untere Grenze für eine Dosissteigerung gilt gewöhnlich ein systolischer Blutdruck von 85–90 mm Hg, es sollten PCWP-Werte zwischen 15 und 18 mm Hg angestrebt werden. Die optimale Dosierung richtet sich nach dem Anstieg des Herzminutenvolumens und dem Verhalten der Füllungsdrücke. Häufig ist nach akuter Vor- und Nachlastsenkung eine Volumensubstitution notwendig, um optimale Füllungsdrücke (ZVD um 12 mm Hg, PCWP zwischen 15 und 18 mm Hg) zu erhalten. Die maximale Infusionsdauer sollte auf 24–48 h beschränkt werden, da eine längere oder hochdosierte Infusion die Gefahr einer Zyanid- oder Thiocyanat-Toxizität birgt (Metabolismus). Um diese zuverlässig zur vermeiden, wird deshalb parallel eine Infusion von Natriumthiosulfat als »scavenger« verabreicht. Neben der akuten Senkung der Füllungsdrücke durch Nitroglyzerin oder Natrium-Nitroprussid kann auch hier Nesiritide,
395 30.1 · Grundlagen
ein rekombinantes humanes natriuretisches Peptid mit vasodilatierenden und natriuretischen Eigenschaften, eingesetzt werden (7 s. oben: »Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz«). Nesiritide weist ein ähnliches Wirkprofil wie eine Kombination von Nitroprussid und Nitroglyzerin bezüglich arterieller und venöser Vasodilatation auf, daneben werden Diurese und Natriurese gefördert; eine Tachyphylaxie wurde bisher nicht beobachtet. Vergleichende Studien mit Nitroglyzerin und Dobutamin liegen vor. Die Substanz ist gegenwärtig auf dem europäischen Markt noch nicht verfügbar (7 s. oben).
Pharmakotherapie Stufe 2: Positiv-inotrope Stimulation Liegt ein kardiogenes Lungenödem mit begleitender Hypotonie und Hypoperfusion vor, so ist die Gabe von positiv-inotropen Substanzen indiziert. Bei RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg besteht zunächst eine Indikation für das überwiegende E1-Sympathomimetikum Dobutamin (2–20 Pg/kg KG/min i.v.). Bei RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg und beginnender Schocksymptomatik wird in erster Linie Dopamin (5–20 Pg/kg KG/min i.v.) eingesetzt, das neben vorwiegend positiv-inotropen E-sympathomimetischen auch blutdruckstabilisierende D-mimetische und dopaminerge Wirkungen aufweist. Bei RRsys 10 mm Hg während der Inspiration definiert. Wie auch beim gesunden Menschen führt die Inspiration zu einer vermehrten Füllung thorakaler Venen (Kapazitätsgefäße) und damit einer Erhöhung der rechtsventrikulären Füllung. Die Zunahme des rechtsventrikulären Volumens bewirkt bei Vorliegen einer Perikardtamponade eine Verschiebung des atrialen und ventrikulären Septums nach links. Dadurch wird die linksventrikuläre Füllung zusätzlich zur Reduktion des rechtsventrikulären Herzzeitvolumens behindert, und es resultiert ein inspirationssynchroner Abfall des systolischen Druckes. Dies kann durch Palpation der peripheren Pulse quantifiziert werden. Bei Vorliegen einer schweren Tamponade kann die palpierte Pulsaktion während der Inspiration komplett verschwinden. Ebenfalls kann der Pulsus paradoxus mit Hilfe der Sphygmomanometrie bestimmt werden. Bei der Blutdruckmessung mittels Sphygmomanometrie wird die Armmanschette mit einem Druck von ca. 20 mm Hg oberhalb des systolischen Druckes aufgepumpt. Anschließend wird der Druck in der Manschette reduziert, bis die Korotkow-Geräusche nur in der Exspirationsphase hörbar sind. Daraufhin wird der Manschettendruck weiter reduziert, bis die Korotkow-Geräusche bei jeder Herzaktion hörbar sind. Die Differenz beider Druckniveaus ergibt die Höhe des Pulsus paradoxus. Insbesondere bei Hypotonie und ausgeprägter Tachykardie ist dieses Phänomen mittels der genannten Methoden schwierig zu quantifizieren. Hier kann die direkte blutige Messung des systemischen Druckes notwendig sein, um den Pulsus paradoxus zu dokumentieren. Durch Erhöhung des linksventrikulären enddiastolischen Druckes, z. B. bei Aortenklappenvitien oder Herzinsuffizienz, kann die Ausprägung des Pulsus paradoxus vermindert sein. 30.2.3 Diagnostik
EKG Im EKG kann im Sinne einer zentralen und peripheren Niedervoltage eine Verminderung der QRS-Amplitude vorliegen. Ein elektrischer Alternans zeigt die pendelartige Schwingung des Herzens in einem Perikarderguss an (»swinging heart«). Der Alternans kann in einem 2 : 1- oder 3 : 1-Muster auftreten und betrifft neben dem QRS-Komplex selten auch P- oder T-Wellen [29]. Des Weiteren können typische EKG-Zeichen einer perikarditischen Erkrankung, nämlich spezifische ST-Strecken-Elevationen vorliegen.
Transthorakale Echokardiogaphie Die 2-D-echokardiographische Untersuchung stellt den Goldstandard zur Diagnose eines Perikardergusses und der Tamponade dar und sollte vor jeder therapeutischen Intervention durchgeführt werden. Nur bei fehlender Verfügbarkeit eines Echokardiographiegerätes oder aus klinischer Notwendigkeit bei drohendem Tod des Patienten kann eine Perikardiozentese auf der Basis des klinischen Erscheinungsbildes allein und der daraus resultierenden Verdachtsdiagnose durchgeführt werden. Typischerweise zeigt das echokardiographische Bild den Flüssigkeitssaum um das Herz (. Abb. 30.5). In Abhängigkeit von der Breite des Ergusssaumes kann semiquantitativ die Ergussmenge
. Abb. 30.5. Echokardiographische Darstellung eines großen Perikardergusses (PE), der vorwiegend vor dem rechten Ventrikel (RV) lokalisiert ist (apikaler 4-Kammer-Blick). Eine beginnende Tamponade ist an der frühdiastolischen Füllungsbehinderung des RV zu erkennen (Pfeil). Linker Ventrikel (LV), rechtes Atrium (RA), linkes Atrium (LA)
geschätzt werden. Üblicherweise erfolgt die Bestimmung des Perikardergusses über das apikale Fenster (4-Kammer-Blick) oder parasternale Kurzachsenfenster. Hierbei lassen sich zirkuläre Ergüsse oder lokalisierte Ergüsse vor dem rechten oder linken Ventrikel in der Regel gut darstellen. Die subkostale Anschallung erweist sich darüber hinaus zur Quantifizierung eines Ergusses vor dem rechten Atrium als hilfreich. Des Weiteren kann die Echogenität des Ergusses Hinweise auf die Genese bieten. So werden bei fibrinreichen oder hämorrhagischen Ergüssen echodichte Strukturen erkennbar, deren Unterscheidung zu perikardialem Fettgewebe gelegentlich schwierig sein kann. Darüber hinaus erlaubt die echokardiographische Diagnostik, andere Ursachen einer rechtsventrikulären oder globalen Herzinsuffizenz als Ursache einer venösen Einflussstauung zu differenzieren. Im Extremfall der Perikardtamponade lässt die zweidimensionale Echokardiographie den Kollaps des rechten Atriums und des rechten Ventrikels während der Diastole erkennen (. Abb. 30.6). Die Invagination der freien rechtsventrikulären Wand ist dabei insbesondere in der frühdiastolischen Phase, die der rechtsatrialen freien Wand im Gegenzug während der spätdiastolischen Phase evident. In etwa 25% der Fälle ist ein Kollaps der linksatrialen Wand sichtbar, was als hochspezifisches Zeichen für das Vorliegen einer Tamponade zu werten ist. Ein Kollaps der linksventrikulären Wand ist selten und lässt sich vorwiegend bei über dem linken Ventrikel lokalisierten Ergüssen, insbesondere nach operativen Eingriffen, feststellen. Darüber hinaus zeigt sich die V. cava inferior prall gestaut ohne inspiratorischen Kollaps. Ein evtl. klinisch vorliegender Pulsus paradoxus findet sein echokardiographisches Korrelat in einer
401 30.2 · Perikarderguss und Perikardtamponade
a
30
b
. Abb. 30.6a, b. Echokardiographische Darstellung einer beginnenden Tamponade durch frühdiastolische Kompression der basalen Abschnitte des rechten Ventrikels (RV) durch den Perikarderguss (PE) in epigastraler Einstellung des Herzens (a) und M-Mode-Ver fahren (b)
a
b
. Abb. 30.7a, b. Radiologische Darstellung eines ausgedehnten Perikardergusses mit Tamponadezeichen vor (a) und nach (b) der Perikardiozentese. Auffällig sind die Verbreiterung der Herzsilhouette sowie die Verstreichung der Herztaille vor der Punktion (a)
inspiratorischen Linksverschiebung des Septum interventriculare und interatriale mit Anstieg des rechtsventrikulären Diameters, welcher mit einer Abnahme der linksventrikulären Größe assoziiert ist. Durch die Analyse des Dopplersignals über der Trikuspidalund Pulmonalklappe kann das Vorliegen eines Pulsus paradoxus ebenfalls bestätigt werden. Dabei ist als typisches Zeichen der Tamponade die Zunahme des frühdiastolischen Einstroms über
die Trikuspidalklappe um mindestens 40% sowie die gleichzeitige Abnahme des frühdiastolischen Einstroms über die Mitralklappe in den linken Ventrikel um mindestens 25% während der Inspiration zu werten. Diese Phänomene werden in der Exspirationsphase umgekehrt. Ebenfalls diagnostisch wegweisend ist eine inspiratorische Abnahme der Flussgeschwindigkeit über der Aortenklappe parallel zu einer Zunahme der Flussgeschwindigkeit über der Pulmonalklappe [1].
402
Kapitel 30 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
Die durch die Tamponade veränderte rechtskardiale Hämodynamik lässt sich auch in den weiter peripher gelegenen großen Venen nachweisen. Bei Exspiration kommt es demnach in den Lebervenen zu einer Verlangsamung des venösen Flusses in Richtung auf das rechte Atrium, während ein evtl. bestehender, stauungsbedingter Rückfluss verstärkt ist [7]. Die Bestimmung der dopplerechokardiographischen Parameter erlaubt die Diagnosestellung einer Tamponade bereits vor Auftreten eines druckmanometrisch evidenten Pulsus paradoxus oder einer Reduktion des arteriellen Blutdruckes.
Transösophageale Echokardiographie
30
Die transösophageale Echokardiographie spielt bei der Erfassung von Perikardergüssen und Diagnostik der Perikardtamponade eine untergeordnete Rolle im Vergleich zur transthorakalen Echokardiographie. Sie kann bei technisch schwieriger Durchführung der transthorakalen Diagnostik, z. B. bei ausgeprägter Adipositas oder Verletzungen der Thoraxwand, zum Einsatz kommen. Ihre diagnostischen Stärken liegen insbesondere in der Evaluation atypisch lokalisierter Ergüsse.
Rechtsherzkatheterisierung Bei Patienten mit hämodynamisch relevantem Perikarderguss sollte möglichst ein invasives Monitoring, zumindest des zentralvenösen Druckes durchgeführt werden. Der rechtsatriale Druck ist deutlich erhöht, mit Ausnahme bei Patienten mit Hypovolämie. Die rechtsatriale Druckkurve weist einen erhaltenen systolischen x-Abfall bei gleichzeitig fehlendem oder vermindertem y-Abfall auf [12]. Der mitt- bis enddiastolische rechtsventrikuläre Druck ist ebenfalls auf rechtsatriale Werte erhöht und gleicht sich dem enddiastolischen linksventrikulären sowie pulmonalarteriellen Druck an, im Unterschied zur Pericarditis constrictiva ohne Nachweis eines »Dip-und Plateau-Phänomens«. Die pulmonalarteriellen Drücke und der pulmonalkapilläre Verschlussdruck sind erhöht. Bei simultaner Messung des intraperikardialen Druckes zeigt sich eine Angleichung an rechtsatriale, enddiastolische rechtsventrikuläre und pulmonalkapilläre Verschlussdrücke. Das Herzzeitvolumen ist bei Perikardtamponade reduziert. Nach Perikardiozentese kommt es zu einer raschen Normalisierung der Druckkurven und des Herzzeitvolumens.
Röntgendiagnostik Das Vorliegen eines Perikardergusses kann radiologisch in der posterior-anterioren Thoraxaufnahme anhand einer Verstreichung der Herztaille sowie einer Verbreiterung des Herzschattens vermutet werden (. Abb. 30.7). Allerdings ist die Röntgenübersichtsaufnahme des Herzens ungeeignet, um einen Erguss von einer Kardiomegalie letztlich sicher zu unterscheiden. Darüber hinaus kann trotz radiologisch normaler Herzschattenform ein hämodynamisch relevanter Erguss vorliegen. Die Computertomographie kann das radiologische diagnostische Spektrum er weitern (. Abb. 30.8). Durch diese Methode kann die Lokalisation insbesondere von atypisch gelegenen Ergüssen erleichtert werden. Darüber hinaus kann zwischen einem hämorrhagischen und einem serösen Erguss unterschieden werden, was Rückschlüsse auf die Pathogenese des Ergusses erlaubt. Chronische Perikarditiden werden anhand von Perikardverdickungen und -verkalkungen erkannt. Allerdings ist die Wertigkeit dieses Verfahrens wie auch der Magnetresonanztomographie in der instabilen Situation des Patienten mit Perikardtamponade der Echokardiographie untergeordnet.
. Abb. 30.8. Darstellung eines zirkulären Perikardergusses im Thorax-CT (Pfeil).
30.2.4 Therapie
Interventionelle Therapie Die geeignete Form der Therapie hängt von der klinischen Präsentation des Patienten ab. Patienten mit Perikardtamponade und akuter Verschlechterung der Hämodynamik bedürfen einer sofortigen Entlastung des Perikardraums mittels Perikardiozentese. Für diese Indikationsstellung weisen die Leitlinien der European Society of Cardiology der Perikardpunktion eine Klasse-IIndikation zu [15]. Als absolute Kontraindikation für die Perikardiozentese ist die Aortendissektion (Stanford-Typ A) zu nennen, relative Kontraindikationen umfassen Koagulopathien, Antikoagulanzientherapie, Thrombozytopenie 20 mm im echokardiographischen Nachweis auch ohne Nachweis einer Tamponade ist die Perikardpunktion, zumal zu diagnostischen Zwecken, indiziert (Klasse-IIa-Empfehlung). Mittlerweile bietet die Industrie vorgefertigte Materialsets für die Durchführung einer Perikardpunktion an (z. B. Angiodyn Drainage Set der Fa. Braun; . Abb. 30.9). In der Regel wird zur Perikardpunktion der substernale, subxiphoidale Zugangsweg gewählt (. Abb. 30.10). Die Punktion erfolgt unter echokardiographischer und/oder fluoroskopischer Kontrolle. Der Patient wird in halbsitzender Stellung gelagert. Nach Lokalanästhesie erfolgt die Punktion im linken kostoxiphoidalen Winkel, ca. 1–2 cm unterhalb und links des Processus xiphoideus. Die Punktionskanüle wird mit Stichrichtung auf das linke Schultergelenk unter den Rippenbogen geführt. Die Vorwärtsbewegung der Kanüle sollte unter Aspiration erfolgen. Das Perikard leistet einen dezenten Widerstand, nach dessen Überwindung Perikarderguss zu aspirieren ist. Über die Punktionskanüle kann nun ein Führungsdraht eingebracht werden. Nach Entfernung der Kanüle erfolgt die Erweiterung des Stichkanals mittels eines 6- bis 8-F-Dilatators. Je nach Zusammensetzung des Perikardpunktionssets ist es möglich, eine Schleuse auf den Dilatator zu montieren, welche nach Entfernung des Dilatators den Zugang zum Perikardraum erleichtert und über deren Seitenschluss der intraperikardiale Druck gemessen werden kann.
403 30.2 · Perikarderguss und Perikardtamponade
. Abb. 30.9a–i. Perikardpunktionsset der Fa. Braun (Melsungen, Angiodyn Drainage Set). Perikardpunktionskanüle (a), Skalpell zur Hautinzision (b), Führungsdraht nach Seldinger (c), Kanüle und Spritze für Lokalinjektion oder Aspiration bei Punktion (d), Auffangbeutel zur Ergussdrainage (e), Konnektor mit 3-Wege-Hahn (f), 50-ml-Spritze zur Ergussaspiration (g), Perikardschleuse (Peelaway) auf Dilatator (h), Pigtail-Katheter mit röntgendichten Mandrin (i)
30
bekannte Komplikation darstellt, tritt diese bei einem derartigen Vorgehen und bei Vorliegen großer Ergüsse selten auf. Bei Vorliegen von aortokoronaren Bypassgefäßen sollte auf die Einlage eines Pigtail-Katheters verzichtet werden. Gelegentlich kommt es zu einer Verletzung der A. thoracica interna und Aspiration von arteriellem Blut. Als weitere Komplikationen sind Pneumothorax, Verletzungen von Lunge und Magen beschrieben, wenngleich selten. Gelegentlich, insbesondere bei Drainage der Ergussflüssigkeit über einen Pigtail-Katheter, können Rhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern auftreten. Um einer Verletzung des Myokards oder einer Punktion des rechten Ventrikels bei kleinen Ergüssen vorzubeugen, kann die flüssigkeitsgefüllte Stichkanüle über eine Alligatorklemme mit einem EKG-Gerät (geerdete Brustwandelektrode) verbunden werden. Eine Punktion des rechtsventrikulären Myokards wird im EKG dann in Form einer ST-Strecken-Elevation sowie durch die Auslösung von Extrasystolen angezeigt. Insbesondere bei Aspiration von hämorrhagischer Perikardflüssigkeit muss eine genaue Lokalisierung der Kanülenspitze oder des Pigtail-Katheters erfolgen. Dazu können mehrere Methoden verwendet werden. Differenzialdiagnostische Techniken zur Unterscheidung von aspiriertem Blut vs. hämorrhagischen Erguss 5 Bestimmung der Sauerstoffsättigung des Aspirates 5 Bestimmung des Hämatokrits oder der Hämoglobinkonzentration des Aspirates 5 Injektion von Röntgenkontrastmittel über die Kanüle, Schleuse oder den Pigtail-Katheter unter Durchleuchtung 5 Injektion von Echokontrastmittel und echokardiographische Kontrolle
. Abb. 30.10. Schematische Darstellung der Perikardpunktionstechnik. Unter echokardiographischer oder fluoroskopischer Kontrolle erfolgt die Punktion links des Processus xiphoideus mit ca. 30° Neigung unter dem Rippenbogen hindurch in Richtung auf die linke Schulter und unter Aspiration
Über die liegende Schleuse und den Führungsdraht wird dann ein Pigtail-Katheter in den Perikardraum eingebracht und nach Entfernung der Schleuse an der Haut fixiert. Über den so platzierten Pigtail-Katheter kann, wie auch bereits über die Stichkanüle, Perikardflüssigkeit entfernt werden. Bereits die Entfernung von 50–100 ml Volumen bewirkt eine deutliche Stabilisierung der hämodynamischen Parameter. Wiewohl die Verletzung des Myokards oder von Koronararterien, insbesondere von aortokoronaren Bypassgefäßen, eine
Als einfacher Test kann der Kompressenversuch während der Punktion durchgeführt werden. Dazu werden einige Tropfen des Aspirates auf eine Kompresse gegeben. Bei Blut bildet sich ein roter, gleichfarbener Fleck, bei hämorragischer Flüssigkeit erfolgt eine Entfärbung des Flecks mit Ausbildung eines hellen Hofs um einen zentralen roten Fleck. Sollte der rechte Ventrikel oder ein großes Gefäß bei der Punktion verletzt worden sein, muss eine weitere chirurgische Versorgung erfolgen. Als Alternative bei Versagen des substernalen Zugangswegs kann der apikale Zugangsweg benutzt werden. Hier erfolgt der Einstich im 5. Interkostalraum außerhalb des Herzspitzenstoßes, parasternal links. Neben der Entlastung der Perikardtamponade durch Entfernung von Flüssigkeitsvolumen dient die Perikardiozentese auch der Diagnostik der Pathogenese des Ergusses. Das Punktat muss laborchemisch hinsichtlich auffälliger Parameter untersucht werden. Empfohlene Laboruntersuchungen zur Ergussdiagnostik 5 Proteingehalt (Exsudat vs. Transsudat), LDH, Amylase, Lipase, Adenosindeaminase (bei Verdacht auf Tuberkulose) 5 Glukose- und Cholesterinkonzentration 5 Zytologie 5 Blutbild, Hämoglobinkonzentration 5 Mikrobiologische Testung, kulturelle Anzüchtung
404
30
Kapitel 30 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
Der Pigtail-Katheter sollte nach 48 h Verweildauer zur Vermeidung von Sekundärinfektionen entfernt werden. Insbesondere bei chronisch symptomatisch rezidivierenden Ergüssen, fibrinreichen und hämorragischen Ergüssen mit Teilthrombosierung sowie bei putriden Ergüssen sollte eine chirurgische Entfernung des Ergusses und eine Fensterung des Perikards angestrebt werden. Die chirurgische Therapie ist in Fällen von Perikardergüssen nach Ventrikelruptur und Aortendissektion notfallmäßig anzustreben, da anderenfalls eine exorbitant hohe Letalität besteht. Die chirurgische Therapie bietet neben dem Aspekt der Entlastung auch den Vorteil der Biopsatgewinnung zur weiteren histologischen Aufarbeitung. Sollte aus verschiedenen Ursachen eine chirurgische Perikardfensterung nicht möglich sein, kann die Durchführung einer perkutanen Perikardiotomie mittels Ballonkatheter im Rahmen einer perkutanen Perikardiozentese erwogen werden [18].
Medikamentöse Therapie Im Falle der akuten Perikardtamponade stellt die Perikardiozentese die definitive Therapie dar, eine medikamentöse Therapie hat daher in der Notfallsituation nur supportiven Charakter. Ihr Wert ist umstritten. Die Volumenersatztherapie wird unter der Vorstellung der Erhöhung der rechtsventrikulären Füllung durch Anhebung der Vorlast verabreicht. Diese Therapie ist essenziell bei Patienten mit Hypovolämie und Niederdrucktamponade. Tierexperimentell gewonnene Daten bei Normovolämie erscheinen hinsichtlich der Volumentherapie bei Tamponade ambivalent. Bei normovolämischen Patienten besteht die Möglichkeit der Anhebung des intraperikardialen Druckes, damit Erniedrigung des transmuralen Druckgradienten aufgrund einer volumenbedingten Zunahme der Herzgröße, sodass die Volumentherapie wahrscheinlich nur passager von Nutzen ist. Die Gabe von Katecholaminen zur Steigerung des mittleren arteriellen Druckes resultiert u. U. in einer weiteren Erniedrigung des linksventrikulären Auswurfvolumens, da das Herzzeitvolumen aufgrund der begrenzten Vorlast des linken Ventrikels, der Füllungsbehinderung aufgrund der Septumdeviation und der bereits ausgeschöpften Kompensationsmechanismen nicht weiter verbessert werden kann. Während die medikamentöse Therapie bei der akuten Tamponade lediglich von passagerem Wert ist und keinesfalls die Einleitung der Perikardiozentese verzögern sollte, ist sie bei der Behandlung von chronischen Perikardergüssen von größerer Bedeutung. Gleichzeitig nimmt dabei die Bedeutung der Perikardiozentese ab. Der medikamentöse Behandlungsansatz variiert dabei wesentlich in Abhängigkeit vom Beschwerdebild des Patienten. Bei fehlender klinischer Symptomatik kann zunächst lediglich die Beobachtung des Verlaufs indiziert sein. Bei zunehmender Symptomschwere muss dann der Einsatz von Medikamenten, ggf. mit Perikardiozentese, erwogen werden. Bei der medikamentösen Therapie spielt die kausale Behandlung der Grunderkrankung, z. B. die antibiotische Behandlung einer Tuberkulose, Dialysetherapie bei Urämie oder Einsatz von Diuretika, insbesondere bei Perikardergüssen auf der Basis einer globalen oder rechtsventrikulär betonten Herzinsuffizienz, eine vorrangige Rolle. Bei Perikardergüssen mit autoimmunologischer Genese, z. B. im Rahmen eines Postmyokardinfarktsyndroms (Dressler) oder eines Postkardiotomiesyndroms, kommt Azetylsalizylsäure, 3–6 g/Tag p.o., allein oder in Kombination mit Glukokortikoiden, z. B. Prednisolon in einer Initialdosis von 100 mg/Tag mit schneller Dosisreduktion zum Einsatz. Insbesondere rezidi-
vierende Schübe beim Dressler-Syndrom sprechen auf die Gabe von Glukokortikoiden an, wobei lang anhaltende Therapiephasen mit hohen Glukokortikoiddosen im subakuten Infarktstadium aufgrund eines hemmenden Einflusses auf die Infarktnarbenbildung vermieden werden sollten. Dies gilt ebenfalls für die nichtsteroidalen Antiphlogistika Ibuprofen und Indomethacin. Bei chronisch rezidivierenden autoimmunologischen Perikardergüssen ohne Hinweis auf das Vorliegen eines Myokardinfarkts kann durch die intraperikardiale Gabe von Glukokortikoiden eine lokale antiinflammatorische Wirkung erreicht werden unter Vermeidung der systemischen Nebenwirkungen der oralen Therapie [14]. Bei Patienten mit dieser Form von rezidivierenden und z. T. symptomatischen Perikardergüssen kann eine Langzeittherapie mit Colchizin in einer Dosierung von 2 mg/Tag (Initialdosis) und 0,5–1 mg/Tag (Erhaltungsdosis) erfolgen. Diese Therapie bewirkt bei einer Anwendungsdauer von 12 Monaten eine geringere Rezidivrate verglichen mit anderen medikamentösen Ansätzen und ist bei Patienten mit zwei oder mehreren Rezidiven von autoreaktiven Perikardergüssen indiziert [22]. Darüber hinaus können rezidivierende Perikardregüsse mittels Perikardiodese behandelt werden. Diese hat das Verkleben beider Perikardblätter und damit eine Reduktion des Ergussvolumens zum Ziel. Dazu werden nach Drainage des Ergusses 500 mg Tetrazyklin intraperikardial über den liegenden Pigtail-Katheter verabreicht. Diese Therapie kann mehrfach wiederholt werden. Insbesondere bei malignen Perikardergüssen kommen neben Tetrazyklinen auch Zytostatika zur intraperikardialen Instillation bei palliativem Therapiekonzept zum Einsatz [9]. Hierzu zählen u. a. Bleomycin (2-mal 5–30 mg), Mitoxantron (bis 3-mal 10 mg), oder Thiotepa (3-mal 15 mg) [16, 17]. 30.2.5 Über wachung Aufgrund der durch die Perikardtamponade kompromittierten Hämodynamik und der dadurch bedingten vitalen Gefährdung des Patienten ist eine kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter erforderlich. Durch Kompression von Anteilen des Reizleitungssystems oder aufgrund einer myokardialen Ischämie bei reduziertem Herzzeitvolumen und gleichzeitig erhöhtem myokardialem Sauerstoffbedarf können akute Herzrhythmusstörungen auftreten, welche einer sofortigen Therapie bedürfen. Dies gilt auch für Rhythmusstörungen aufgrund von mechanischen Reizen bei der Druchführung der Perikardiozentese. Die Anlage eines zentralvenösen Zugangs ist wünschenswert hinsichtlich der Steuerung der Volumengabe und Überprüfung des Therapieerfolges nach Perikardpunktion, sollte Letztere aber nicht verzögern. 30.2.6 Prognose und Folgetherapie Bei rechtzeitiger Entlastung der Tamponade ist das Krankheitsbild mit seinen hämodynamischen Komplikationen prognostisch gut zu bewerten. Die subakute und chronische Prognose der Perikardtamponade ist dagegen überwiegend durch die Grunderkrankung bedingt. Während die akut einsetzende Tamponade nach Herzoperationen aufgrund einer Sekundärblutung oder im Rahmen von autoimmunologischen Vorgängen bei adäquater Therapie eine gute Prognose aufweist, ist die Tamponade z. B. bei Aortendissektion
405 Literatur
aufgrund der hohen Letalität der Grunderkrankung ebenfalls mit einer schlechten Prognose behaftet. Letzteres gilt auch für maligne Perikardergüsse hinsichtlich des Langzeitverlaufs. Hier kann die Perikardiodese als palliatives Verfahren zum Einsatz kommen. Problematisch ist, dass bei etwa 25% der Patienten mit nichtmalignen Perikardergüssen ein Rezidiv auftritt [22], welches in Abhängigkeit von der Ausprägung eine neuerliche Perikardiozentese notwendig machen kann. Deshalb sollten Patienten nach Perikardiozentese zunächst engmaschig echokardiographisch kontrolliert werden. Bei rezidivierenden symptomatischen Ergüssen kann dann eine chirurgische Perikardfensterung notwendig werden. Die seltenen, bakteriell bedingten Perikarderkrankungen, z. B. im Rahmen einer Tuberkulose, bedürfen einer antibiotischen Therapie über einen mehrwöchigen bis -monatigen Zeitraum, bei Vorliegen eines Pyoperikards in Verbindung mit einer chirurgischen Ergussdrainage.
Literatur 1. Burstow DJ (1989) Cardiac tamponade: Characteristic Doppler observations. Mayo Clin Proc 64: 316–320 2. Cleland JG, Swedberg K, Follath F et al. and Study Group on Diagnosis of the Working Group on Heart Failure of the European Society of Cardiology (2003). The EuroHeart Failure survey programme - a survey on the quality of care among patients with heart failure in Europe. Part 1: patient characteristics and diagnosis. Eur Heart J 24: 442–63 3. Cotter G, Metzkor E, Kaluski E et al. (1998) Randomised trial of highdose isosorbide dinitrate plus low-dose furosemide vs. high-dose furosemide plus low-dose isosorbide dinitrate in severe pulmonary oedema. Lancet 351: 389–393 4. El Gamel A, Barrett P, Kopff G (1994) Pneumopericardium: a rare cause of cardiac tamponade in an infant on a positive pressure ventilation. Acta Paediat 83: 1220–1221 5. Fowler NO, Gabel M (1987) Regional cardiac tamponade: A hemodynamic study. J Am Coll Cardiol 10: 164–169 6. Freeman GL, LeWinter MM (1984) Pericardial adaptations during chronic dilation in dogs. Circ Res 54: 294–300 7. Hanaki Y, Kamiya H, Todoroki H, Yasui K, Ohsugi S, Ohno M, Horiba M (1990) New two-dimensional echocardiographically directed pericardiocentesis in cardiac tamponade. Crit Care Med 18: 750–753 8. Hancock EW (1971) Subacute effusive-constrictive pericarditis. Circulation 43: 183–192 9. Hancock EW (1990) Neoplastic pericardial disease. Cardiol Clin 8: 673–682 10. Johnston SL, Oliver RM (1988) Cardiac tamponade due to pneumopericardium. Thorax 43: 482–483 11. Leitlinien zur Therapie der Herzinsuffizienz der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (2005) Z Kardiol 94: 488–509 12. Lorell BH, Grossman W (1991) Profiles in constrictive pericarditis, restrictive cardiomyopathy, and cardiac tamponade. In: Grossman W,Baim DS (eds) Cardiac cathederization, angiography and intervention. Williams & Wilkins, Baltimore, pp 801–822 13. Maisch B, Ristić AD (2002) The classification of pericardial disease in the age of modern medicine. Curr Cardiol Rep 4: 13–21 14. Maisch B, Ristić AD, Pankuweit S (2002) Intrapericardial treatment of autoreactive pericardial effusion with triamcinolone: The way to avoid side effects of systemic corticosteroid therapy. Eur Heart J 23: 1503–8150 15. Maisch B, Seferovic PM, Ristic AD, Erbel R, Rienmuller R, Adler Y, Tomkowski WZ, Thiene G, Yacoub MH (2004) Task Force on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases of the European Society of Cardiology. Guidelines on the diagnosis and management of pericardial diseases executive summary. Eur Heart J 25: 587–610
30
: Positionspapier der European Society of Cardiology mit Empfehlungen zur Behandlung von Perikarderkrankungen in der aktuellsten Version. 16. Martinoni A, Cipolla CM, Cardinale D, Civelli M, Lamantia G, Colleoni M, Fiorentini C (2004) Long-term results of intrapericardial chemotherapeutic treatment of malignant pericardial effusions with thiote pa. Chest 126: 1412–1416 17. Musch E, Gremmler B, Nitsch J, Rieger J, Malek M, Chrissafidou A (2003) Intrapericardial instillation of mitoxantrone in palliative therapy of malignant pericardial effusion. Onkologie 26: 135–139 18. Navarro Del Amo LF, Cordoba Polo M, Orejas Orejas M, Lopez Fernandez T, Mohandes M, Iniguez Romo A (2001) Percutaneous ballon pericardiotomy in patients with recurrent pericardial effusion. Rev Esp Cardiol 55: 25–28 19. Nieminen MS, Bohm M, Cowie MR, Drexler H, Filippatos GS, Jondeau G, Hasin Y, Lopez-Sendon J, Mebazaa A, Metra M, Rhodes A, Swedberg K, and the ESC Committee for Practice Guidelines (2005). Executive summary of the guidelines on the diagnosis and treatment of acute heart failure: the Task Force on Acute Heart Failure of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 26: 384–416 : Guidelines der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie zum Management der akuten Herzinsuffizienz; international erstmalig detaillierte Evidenz-basierte Empfehlungen für die Diagnose und Therapie der akuten Herzinsuffizienz. 20. Reddy PS, Curtiss EI, O’Toole JD, Shaver JA (1978) Cardiac tamponade: Hemodynamic observations in man. Circulation 58: 265–272 21. Sagrista-Sauleda J, Angel J, Permanyer-Miralda G, Soler-Soler J (1999) Long-term follow-up of idiopathic chronic pericardial effusion. N Engl J Med 341: 2054–2059 22. Sagrista-Sauleda J, Permanyer-Miralda G, Soler-Soler J (2005) Diagnosis and management of acute pericardial syndromes. Rev Esp Cardiol 58: 831–841 23. Sagristà-Sauleda J, Angel J, Sambola A, Alguersuari J, Permanyer-Miralda G, Soler-Soler J (2006) Low pressure cardiac tamponade. Clinical and hemodynamic profile. Circulation 114: 945–952 24. Schrier RW, Abraham WT (1999) Hormones and hemodynamics in heart failure. N Engl J Med 341: 577–585 25. Shabetai R, Fowler NO, Guntheroth WG (1970) The hemodynamics of cardiac tamponade and constrictive pericarditis. Am J Cardiol 26: 480–489 26. Shabetai R (1988) Pericardial and cardiac pressure. Circulation 77: 1–5 27. Shabetai R (2004) Pericardial effusion: Hemodynamic spectrum. Heart 90: 255–256 28. Spodick DH (1985) Threshold of pericardial constraint: The pericardial reserve volume and auxiliary pericardial functions. J Am Coll Cardiol 6: 296–297 29. Spodick DH (1998) Truly total electric alternation of the heart. Clin Cardiol 21: 427–428 30. Spodick DH (2003) Acute cardiac tamponade. N Engl J Med 349: 684– 690 : Hervorragende Übersichtsarbeit zur Akuttherapie der Tamponade. 31. Sternbach G (1988) Claude Beck: cardiac compression triads. J Emerg Med 6: 417–419 32. Yusuf S, Pfeffer MA, Swedberg K et al. (2003) Effects of candesartan in patients with chronic heart failure and preserved leftventricular ejection fraction: the CHARM-Preserved Trial. Lancet 362: 777–781
31 Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris H.-P. Bestehorn, F.-J. Neumann
31.1
Einteilung der akuten Koronarsyndrome und diagnostische Kriterien
31.1.1 31.1.2 31.1.3
Myokardinfarkt mit ST-Hebung (STEMI) –408 Myokardinfarkt ohne ST-Hebung (NSTEMI) –411 Instabile Angina pectoris mit und ohne Risikomerkmale –411
31.2
Myokardinfarkt mit ST-Hebung
31.2.1 31.2.2 31.2.3 31.2.4 31.2.5 31.2.6 31.2.7 31.2.8
Generelle Behandlungsstrategie –412 Prähospitalphase –414 Klinische Maßnahmen vor Eintreffen im Katheterlabor –415 Intensivmedizische Betreuung im Katheterlabor –416 Intensivmedizische Betreuung nach Übernahme aus dem Katheterlabor –416 Besonderheiten bei Patienten mit vorausgegangener Fibrinolyse –422 Besonderheiten bei Patienten mit großem Zeitintervall seit Schmerzbeginn –422 Stellenwert der chirurgischen Revaskularisation beim akutenMyokardinfarkt –423
31.3
Myokardinfarkt ohne ST-Hebung und instabile Angina pectoris mit Risikomerkmalen –423
31.3.1 31.3.2 31.3.3
Generelle Behandlungsstrategie –423 Präklinische Maßnahmen –424 Instabile Angina pectoris ohne Risikomerkmale
Literatur
–425
–408
–412
–425
31
408
Kapitel 31 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
31.1
Einteilung der akuten Koronarsyndrome und diagnostische Kriterien
Der Begriff »akutes Koronarsyndrom« umfasst alle klinischen Erscheinungsformen der akuten Myokardischämie. Ihnen liegt in der Regel mit der Ruptur oder Erosion einer koronar-atheromatösen Wandveränderung ein gemeinsamer pathophysiologischer Vorgang zugrunde. Das klinische Leitsymptom ist der akut einsetzende und anhaltende Thoraxschmerz. Wegen der unterschiedlichen klinischen Bedeutung und Behandlungsstrategien ist eine differenzierende Betrachtung der akuten Koronarsyndrome unerlässlich (. Abb. 31.1). Als erstes Unterscheidungskriterium dient das EKG. Bei Patienten mit ST-Hebungen im 12-Kanal-EKG handelt es sich um das Bild des Myokardinfarktes mit ST-Hebungen. Bei den akuten Koronarsyndromen ohne ST-Hebungen im EKG wird nach dem Vorhandensein von Nekrosemarkern weiter differenziert. Bei positivem Troponin handelt es sich um Myokardinfarkte ohne ST-Hebungen. Bei wiederholt negativem Troponin gehören die Patienten zur Gruppe »instabile Angina pectoris«. Bei Patienten dieser Gruppe wird zur Festlegung der weiteren
Behandlungsstrategie das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von zusätzlichen Risikomerkmalen geprüft. 31.1.1 Myokardinfarkt mit ST-Hebung (STEMI) Führt die plättchenreiche Thrombusauflagerung auf der Plaqueruptur oder -erosion zum plötzlichen Koronarverschluss, so resultiert in der Regel eine transmurale Ischämie, die sich rasch im EKG mit Anhebungen der ST-Strecken bemerkbar macht. Da ST-Elevationen im EKG auch bei Nicht-Infarkt-Bildern auftreten können und damit nicht ausreichend spezifisch sind, ist das EKG in der Infarktdiagnose eine wesentliche Stütze, aber keinesfalls ein ausreichendes diagnostisches Kriterium. Die Infarktdiagnose gründet sich auf die 3 sicheren Infarktkriterien 4 klinische Symptomatik, 4 infarkttypische EGK-Veränderungen, 4 infarkttypische Serumenzymveränderungen. Nach der Definition der WHO liegt ein Infarkt dann vor, wenn 2 von 3 sicheren Infarktkriterien anzutreffen sind. In der Regel sind bei der Diagnosestellung darüber hinaus Zusatzinformationen (z. B. einschlägige Vorgeschichte) hilfreich.
Klinische Infarktsymptomatik Bei der klinischen Symptomatik führt der länger (>20 min) anhaltende typische Angina-pectoris-Schmerz. Die Patienten sind blass, kaltschweißig und ängstlich. Das Angstgefühl kann sich bis hin zum Vernichtungsgefühl steigern. Weitere Symptome sind Übelkeit und Erbrechen. In der Akutphase sind sowohl bradykarde als auch tachykarde Herzrhythmusstörungen häufig. Bei komplizierten Frühverläufen können sämtliche Symptome der Linksherzinsuffizienz bis hin zum kardiogenen Schock angetroffen werden. Diese Zeichen erlauben bereits eine erste prognostische Einschätzung der Situation entsprechend der KillipKlassifizierung (. Abb. 31.2).
Infarkttypische EGK-Veränderungen Bei den infarkttypischen EKG-Veränderungen wird man im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms in der Regel die Frühstadien
a
. Abb. 31.1a, b. Einteilung der akuten Koronarsyndrome (a) nach dem Vorhandensein von ST-Hebungen im EKG, Herzmarkern und Risikomarkern. b Patientenpfade bei akutem Koronarsyndrom; Differenzierungswege nach EKG, Herzmarkern und Risikomarkern
b
409 31.1 · Einteilung der akuten Koronarsyndrome und diagnostische Kriterien
31
. Tabelle 31.1. Infarktlokalisationen und die betroffenen Ableitungen
. Abb. 31.2. Gesamtmortalität in Abhängigkeit von der klinischen Präsentation bei Aufnahme und der Killip-Klasse. (Nach Killip et al. 1967; Khot 2003)
der Ischämie erkennen. Das EKG hat für die Frühdiagnose eines akuten Myokardinfarktes weiterhin einen großen Stellenwert, ist aber nur bei 50–70% der Infarktpatienten bei der Aufnahme infarkttypisch verändert. Die Sensitivität des EKGs nimmt im (unbeeinflussten) Verlauf der ersten 3 Tage auf 80% zu. Erstes Zeichen ist die Zunahme der T-Wellenamplitude im Sinne eines »Erstickungs-T«, eine meist nur für kurze Zeit und deswegen selten zu beobachtende Veränderung. Im Anschluss stellt sich die Elevation der ST-Strecke mit Verschmelzung des ST-T-Abschnittes ein. Die Dauer dieser ST-Hebung beträgt in der Regel wenige Stunden. Meist noch im Stadium der ST-Elevation kommt es zur Ausbildung von negativen T-Wellen (terminal negatives T, koronares T). In späteren Infarktstadien treten die Nekrosezeichen mit R-Amplitudenreduktion und Ausbildung von Q-Zacken in den infarktbezogenen Ableitungen hinzu. Ein kompletter R-Verlust führt zum Entstehen von QS-Komplexen (. Abb. 31.3). Während bei vorbestehendem oder neuem Rechtsschenkelblock die EKG-Infarktdiagnostik nicht beeinträchtigt ist, wird diese bei Linksschenkelblock schwierig oder unmöglich. Ein im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms neu aufgetretener Linksschenkelblock wird definitionsgemäß als Korrelat eines ST-Hebungsinfarkts gewertet. Für die Bestimmung der Lokalisation und Größe eines Infarktes ist das EKG eine weniger sensitive diagnostische Methode. In der Regel gelingt aber die Unterscheidung zwischen Hinterwandinfarkt und Vorderwandinfarkt (. Tab. 31.1). Ferner gilt,
Infarktlokalisation
betroffenene Ableitungen
Anteroseptalinfarkt
V2–V3/4
Vorderwandspitzeninfarkt
V2–V5/6 und I (II), aVL
Anterolateralinfarkt
V5+V6, I und aVL
Hochlateraler Infarkt
I und aVL
Inferiorer Infarkt
II, III und aVF
Posteriorer Infarkt
Zusatzableitungen V7–9, indirekte Zeichen V2/V3
Rechtventrikulärer Infarkt
V1, VR3, VR4
dass Infarktveränderungen in vielen Ableitungen auf ein großes betroffenes Infarktareal hinweisen. Unter Berücksichtigung der heute generell angestrebten frühen interventionellen Revaskularisation ist die Lokalisierung und Größenbestimmung eines Infarktes aus dem EKG von untergeordneter Bedeutung. Bedeutsame Herzrhythmusstörungen werden als Infarktkomplikationen angesehen. Membranpotenzialveränderungen im Ischämiegebiet – vermittelt durch Azidose, Katecholaminfreisetzung, vermehrte freie Fettsäuren und intrazellulären Kaliumverlust – begünstigen Warnarrhythmien als Vorläufer des primären Kammerflimmerns oder hämodynamisch bedeutsamer anhaltender (>30 s) ventrikulärer Tachykardien. Darüber hinaus tritt in der Akutphase des Myokardinfarktes bei 10–20% der Patienten Vorhofflimmern als unabhängiger Prädiktor für eine ungünstigere Prognose auf. Sinusbradykardien mit Frequenzen 25%, so handelt es sich um eine der beiden Makrovarianten der CK-MB (genetische Variante), die mit der MB-Isoenzymbestimmung sicher identifiziert werden können.
Zusätzliche diagnostische Maßnahmen Die Echokardiographie kann in Frühstadien bei negativem EKG vor dem Ergebnis der Markeruntersuchungen über die Aufdeckung von segmentalen Wandbewegungsstörungen als Frühzeichen einer Myokardischämie wegweisend sein. Insbesondere die oft übersehenen Rechtsherzbeteiligungen können hier im apikalen 4-Kammer-Blick erkannt werden. Besondere Bedeutung kommt der Echokardiographie bei den Infarktkomplikationen zu (Mitralinsuffizienz, Perforation, Ventrikelseptumdefekt). Der Röntgenuntersuchung des Thorax kommt bei der Diagnose eines akuten Infarktes keine Bedeutung zu. Sie kann dennoch erforderlich werden, wenn die Lage von Schrittmacherelektroden oder zentraler Venenkatheter zu kontrollieren ist. 31.1.2 Myokardinfarkt ohne ST-Hebung (NSTEMI) Weist ein Patient mit akutem Koronarsyndrom ohne persistierende ST-Streckenhebung erhöhte Markerenzyme auf, so liegt bei ihm definitionsgemäß ein Myokardinfarkt ohne ST-Hebungen vor. Die Diagnose basiert in diesem Fall im Wesentlichen auf der Klinik und den Laborveränderungen, während hier das EKG nicht selten stumm bleibt. Umso wichtiger sind anamnestische Zusatzinformationen über eine evtl. vorbekannte koronare Herzkrankheit (Myokardinfarkt/Bypassoperation/Katheterintervention) oder über Risikoindikatoren (Alter >65 Jahre, Diabetes mellitus). Bei der klinischen Symptomatik führt die Angina pectoris, die bereits unter Ruhebedingungen oder als neue Angina pectoris mit einem Mindestschweregrad III der CCS-Klassifikation (Canadian Cardiovascular Society Classification; Campeau 1976) auftritt. Als Ausdruck der Instabilität dieser Patienten kann auch eine deutliche Zunahme einer vorher stabilen Angina pectoris auf den Schweregrad CCS III auftreten. Das Elektrokardiogramm kann wertvolle Informationen bieten, besonders wenn es sich während eines Angina-pectoris-Anfalls verändert. Die Veränderungen betreffen den ST-TAbschnitt mit ST-Senkung oder Negativierungen der T-Welle, wobei Letztere nicht spezifisch und prognostisch günstiger als ST-Senkungen sind. Ein erstes 12-Kanal-EKG ohne richtungswei-
31
sende pathologische Befunde ist in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Bis zu 25% der Patienten mit Nicht-ST-Hebungsinfarkt entwickeln später pathologische Q-Zacken. Wertvoll sind in jedem Fall Vor-EKGs, besonders dann, wenn sie noch nicht lange zurückliegen und Unterschiede gegenüber dem aktuellen Befund erkennen lassen. Die erhöht gefundenen Markerproteine, insbesondere die Troponine, grenzen die Gruppe der Patienten mit Myokardinfarkt ohne ST-Hebungen gegenüber den Patienten mit instabiler Angina pectoris (mit und ohne Risikomarker) ab. Die Einzelheiten bezüglich der Herzmarker wurden bereits ausführlich abgehandelt (7 s. oben). 31.1.3 Instabile Angina pectoris mit und ohne
Risikomerkmale Bleiben bei wiederholten Kontrollen die Markerproteine negativ, so handelt es sich definitionsgemäß um einen Patienten mit instabiler Angina pectoris. Dabei ist zu beachten, dass normale Herzmarker innerhalb der ersten 6 h nach Symptombeginn ein Infarktgeschehen noch nicht ausschließen. Eine wiederholte Testung nach einem weiteren Intervall von mindestens 4 h nach der ersten Troponinbestimmung ist erforderlich, um myokardiale Nekrosen sicher auszuschließen (Hamm et al. 1997). Sind auch wiederholte Elektrokardiogramme diagnostisch nicht wegweisend und zeigt auch das Echokardiogramm keine Auffälligkeiten, so können in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit zusätzliche diagnostische Maßnahmen wie Radionukliduntersuchungen (Sestamibi) hinzugezogen werden. Diese Untersuchungen haben, wenn sie im vermeintlichen Angina-pectoris-Anfall negativ ausfallen, einen exzellenten negativen Vorhersagewert für eine akute myokardiale Ischämie. Standardfunktionsdiagnostische Tests wie Belastungs-EKG oder Stressechokardiogramm sollten bei nicht aussagekräftigem EKG und negativen Markern für die Festlegung des weiteren Procedere durchgeführt werden, wenn die Symptomatik (>6 h) abgeklungen ist. Da das Kollektiv der Patienten mit instabiler Angina pectoris heterogen ist und die Patienten sehr stark unterschiedliche Verläufe zeigen, unterscheidet man zur Festlegung des weiteren diagnostischen und therapeutische Procedere instabile Patienten mit und ohne Risikomerkmale. Diese Unterscheidung dient der Selektion derjenigen Patienten, die von einer invasiven Therapiestrategie besonders profitieren. Andererseits sorgt die Identifikation von Patienten mit niedrigem Risiko für eine Minimierung der Gefährdung (z. B. durch das Blutungsrisiko) bei zu aggressiven antithrombotischen Therapiestrategien (Cohen et al. 2005).
Patienten mit hohem Risiko sind nach den Europäischen Leitlinien (2002) Patienten, die folgende Kriterien aufweisen: 4 wiederkehrende Ischämie (entweder erneute Angina pectoris oder dynamische ST-Segment-Veränderungen oder auch transiente ST-Hebungen) 4 instabile Angina pectoris früh nach einem (ersten) Infarkt 4 hämodynamische Instabilität innerhalb der Beobachtungsperiode
412
Kapitel 31 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
4 bedeutsame Herzrhythmusstörungen (repetitive ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern) 4 Diabetes mellitus 4 EKG-Veränderungen, die die verlässliche Erfassung von ST-Segment-Veränderungen ausschließen. Weisen instabile Patienten solche Risikomerkmale auf, so sollten sie einer frühinvasiven Abklärung durch Koronarangiographie zugeführt werden. Bei Patienten ohne Risikomerkmale kann das weitere Vorgehen vom Ergebnis funktionsdiagnostischer Testungen abhängig gemacht werden. 31.2
31
Myokardinfarkt mit ST-Hebung
31.2.1 Generelle Behandlungsstrategie Mit der üblichen Infarkttherapie, wie sie sich in großen Registern mit unselektioniertem Patientengut niederschlägt, liegt die Infarktletalität im Krankenhaus zwischen 15% und 25% (Tunstall-Pedoe et al. 2000; Gottwick 2001). Wird dagegen das volle Potenzial moderner Behandlungsmöglichkeiten genutzt, kann die Krankenhaussterblichkeit unselektionierter Patienten mit akutem Myokardinfarkt in spezialisierten Zentren auf deutlich unter 6% sinken (Kastrati et al. 2000). Voraussetzung hierfür ist ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen Rettungsdiensten, interventioneller Kardiologie, Intensivmedizin und konservativer Weiterbehandlung. Nur so lassen sich die Prinzipien der optimalen Therapie des akuten Myokardinfarkts verwirklichen: 5 wirksame Reper fusion im Katheterlabor, 5 medikamentöse Frühbehandlung zur Entlastung des Myokards, 5 unverzügliche Intervention bei Komplikationen und 5 konsequente Sekundärprävention.
Im Folgenden soll die Implementierung dieser Prinzipien in der klinischen Praxis dargestellt werden. Da sich gesamte Vorgehen an der Reperfusionsstrategie ausrichtet, werden zunächst die Grundlagen der Reperfusion besprochen und dann die praktische Vorgehensweise dargestellt.
Reper fusionsstrategien Die zeitgerechte, vollständige und anhaltende Reperfusion senkt die Infarktsterblichkeit um bis zu >50%. Die wichtigsten zugrunde liegenden Mechanismen sind Reduktion der Myokardnekrose (»myocardial salvage«) und damit Verminderung der infarktbedingten kontraktilen Dysfunktion, Verringerung des Arrhythmierisikos sowie Verbesserung der Narbenbildung mit Verringerung des Rupturrisikos und Stabilisierung der Ventrikelgeometrie. Die Qualität der Reperfusion ist von entscheidender Bedeutung (Reiner et al. 1996). Bei offenem Gefäß mit verzögertem Fluss (sog. TIMI-2Fluss) ist die Prognose nahezu so schlecht wie ohne Wiedereröffnung (TIMI 0/1). Eine Verminderung von Letalität und infarktbedingter linksventrikulärer Dysfunktion wird nur erreicht, wenn sich der Blutfluss im wiedereröffneten Gefäß normalisiert. Neuere Untersuchungen zeigen, dass Unterschiede in der Güte der mikrovaskulären Reperfusion sogar innerhalb des Spektrums des angiographisch Normalen (TIMI 3) Prognose und Erholung der LV-Funktion entscheidend beeinflussen (Araszkiewicz et al. 2006).
Katheterintervention vs. Fibrinolyse Die Reperfusion im akuten Myokardinfarkt kann durch Fibrinolyse, Katheterinter vention und Bypassoperation erreicht werden, wobei die chirurgische Therapie wegen der logistischen Anforderungen und des hohen Operationsrisikos im Infarkt allenfalls eine Nischenindikation darstellt. Fibrinolyse und Katerinter vention unterscheiden sich in Durchführbarkeit und Effektivität. Die Katheterinter vention ist in spezialisierten Zentren bei fast allen Patienten möglich, während die allgemein verfügbare Fibrinolyse nur für einen Teil der Patienten geeignet ist.
. Abb. 31.5. Überlegenheit der PTCA gegenüber der Fibrinolysetherapie beim akuten Infarkt. Metaanalyse aus 23 prospektiv randomisierten Studien. (Nach Keeley et al. 2003)
413 31.2 · Myokardinfarkt mit ST-Hebung
Mit der Katheterintervention kann unabhängig von der Dauer des Infarktgeschehens bei über 90% der Patienten eine vollständige Wiedereröffnung des Infarktgefäßes (TIMI 3) erzielt werden. Die Erfolgsrate (TIMI 3) der Fibrinolyse liegt in fast allen Studien unter 60% und ist deutlich zeitabhängig, da durch zunehmende Stabilisierung des Thrombus die Chance einer Wiedereröffnung sinkt. Im Vergleich zu Placebo senkt die Fibrinolyse die Infarktsterblichkeit im Krankenhaus um 18%. Zusätzlich zu dem, was durch die Fibrinolyse erreicht wird, senkt die Katheterintervention die Infarktsterblichkeit hochsignifikant um weitere 25%, wie eine Metaanalyse aus 23 randomisierten Studien zeigt (. Abb. 31.5; Keeley et al. 2003). In der täglichen Praxis, wie sie sich in Registerdaten von über 100.000 Patienten widerspiegelt, liegt die relative Reduktion der Infarktsterblichkeit durch die Kathetereintervention noch höher. Die gepoolte Analyse 25 randomisierter Studien von Boersma et al. (2006) weist für die 30-Tages-Mortalität ein mit der Katheterintervention sogar um 37% abgesenktes relatives Risiko gegenüber der Lysetherapie aus. Die optimierte Katheterintervention bewahrt im Mittel mehr als doppelt soviel Myokard vor dem drohenden Zelltod als das derzeit beste etablierte Fibrinolyseverfahren (Kastrati et al. 2002; Schömig 2000) und senkt das Reinfarktrisiko um 64% (Keeley et al. 2003). Der klinische Vorteil der Katheterintervention im Vergleich zur Fibrinolyse nimmt nach Entlassung aus dem Krankenhaus weiter zu und bleibt noch über Jahre statistisch nachweisbar. Die Katheterintervention vermeidet die zerebralen Blutungskomplikationen der Fibrinolyse und halbiert so das Risiko schwerer Schlaganfälle (1% vs. 2%) und ist bei nahezu allen Patienten durchführbar (Keeley et al. 2003). Die Katheterintervention im akuten Myokardinfarkt ist bei Infarkten mit und ohne ST-Hebung gleichermaßen wirksam. Auch jenseits des Zeitfensters von 12 h rettet die Katheterintervention Myokard (BRAVE-Studie; Schömig et al. 2005). Im Gegensatz zur Fibrinolyse findet sich bei Katheterintervention nicht die strenge Abhängigkeit der Krankenhausletalität von der Zeit bis Therapiebeginn. Im MIR/MITRA-Register zeigte sich die Infarktletalität bei Katheterintervention weitgehend unabhängig von Zeitverlusten bis Therapiebeginn, während das Ergebnis der Fibrinolyse absolut und im Vergleich zur Katheterintervention zeitabhängig schlechter wurde (Zahn et al. 1999). Im Vergleich zur Fibrinolysetherapie schnitt die primäre Kathe-
31
terintervention nach Boersma (2006) in allen Zeitgruppen, zu denen sich die Patienten nach Infarkt präsentierten (0–1 h; 1–2 h; 2–3 h; 3–6 h; 6–12 h) besser ab.
Transport zur Katheterintervention statt Fibrinolyse vor Ort Bei Katheterintervention ist die Reduktion von Infarktgröße und Letalität deutlich weniger zeitabhängig als bei Fibrinolyse. Dies bedeutet, dass die Katheterintervention selbst dann noch der Fibrinolyse überlegen ist, wenn sie mit einem Zeitverlust verbunden ist. Hieraus ergibt sich die Frage, ob Patienten, bei denen die Diagnose eines Myokardinfarkts in einer Institution ohne Kathetermöglichkeit gestellt wurde, statt einer Fibrinolyse vor Ort zur Katheterintervention verlegt werden sollen. Diese Frage wurde in 5 randomisierten Studien untersucht. Diese Studien zeigen überzeugend (. Abb. 31.6; Keeley et al. 2003): Der Transport zur Katheterintervention ist der lokalen Fibrinolyse bezüglich des Risikos von Tod und Reinfarkt sowie des Schlaganfallrisikos deutlich überlegen. Komplikationen auf dem Transport waren selten: Das Risiko zu sterben betrug 0,5%, das von ventrikulären Arrhythmien 0,7– 1,4%, das eines höhergradigen AV-Blocks 2% (Keeley et al. 2003).
Durch Fibrinolyse erleichterte Katheterintervention? Derzeit beschäftigen sich mehrere Studien mit der Frage, ob eine vorgeschaltete Fibrinolyse das Ergebnis der Infarktbehandlung verbessert, wenn die Katheterinter vention geplant ist, aber nicht innerhalb von 60–90 min durchgeführt werden kann. Dem liegt das hypothetische Konzept der erleichterten Katheterinter vention (»facilitated PCI«) zugrunde, das besagt, dass eine der Katheterinter vention vorausgegangene Fibrinolyse den Zeitverlust bis zum Beginn der Reperfusion zumindest bei einem Teil der Patienten verkürzt und dass die partielle Wiedereröffnung die nachfolgende Katheterinter vention technisch vereinfacht. Die Hoffnung hat sich allerdings nicht erfüllt. Das klinische Ergebnis fiel sogar signifikant schlechter aus, wenn der Katheterinter vention eine Fibrinolyse vorangeht (ASSENT4-PCI Investigators 2006; Keeley et al. 2006; Widimsky et al. 2000; Vermeer et al. 1999). Auch in der CAPTIM-Studie war der Transport ins Katheterzentrum nach vorausgegangener Prähospitallyse dem Transport ins Katheterzentrum ohne Prähospitallyse nicht überlegen (Steg et al. 2003).
. Abb. 31.6. Vergleich der Katheterintervention mit lokaler Fibrinolyse hinsichtlich Komplikationen
414
Kapitel 31 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
31.2.2 Prähospitalphase
31
Die ärztliche Erstversorgung spielt eine zentrale Rolle in der Infarktbehandlung. Ein akuter Myokardinfarkt kann in der Regel mit Hilfe eines 12-Kanal-EKGs bereits prähospital diagnostiziert werden. Das 12-Kanal-EKG ist eine zwingende Voraussetzung für die Differenzialdiagnose der akuten Koronarsyndrome. Der erstversorgende Arzt bereitet die Reperfusionstherapie medikamentös vor und stellt mit der Wahl des für die Infarktbehandlung am besten geeigneten Krankenhauses die entscheidenden Weichen für eine wirksame und kosteneffektive Therapie. Dabei ist das Kriterium der räumlichen Nähe von untergeordneter Bedeutung gegenüber dem Kriterium der Verfügbarkeit von Katheterkapazität. Nach Information des ausgewählten Krankenhauses kann die Transportzeit zur Vorbereitung des Katheterlabors genutzt werden.
Analgesie, antiischämische medikamentöse Therapie ! Cave Kontraindiziert sind intramuskuläre Injektionen, die sich wegen der notwendigen antikoagulatorischen Maßnahmen verbieten.
Am Beginn jeder Infarktbehandlung steht die Gabe von Morphin zur Schmerzbekämpfung (5–10 mg i.v. von der auf 10 ml verdünnten Lösung). Bei bereits ausgeprägtem Vagustonus (Erbrechen, Herzfrequenz 190 mg/dl
I
A
Fibrate 4 bei HDL200 mg/dl
IIa
A
Insofern erlangen diese Maßnahmen auch Relevanz für die frühe Phase auf der Intensivstation. Die einzelnen Empfehlungen sind in . Tabelle 31.4 mit Angaben zu Ihrer Wertigkeit mit den Empfehlungsklassen und Evidenzgrad entsprechend den europäischen Leitlinien aufgeführt. Für die Behandlung auf der Intensivstation sind wegen der empfohlenen Frühzeitigkeit des Behandlungsbeginns folgende medikamentöse Maßnahmen mit Klasse-1-Empfehlung von Bedeutung: 4 optimale glykämische Kontrolle bei Diabetikern, 4 Aspirin, 4 E-Blocker, 4 ACE Hemmer, 4 Statine.
Optimale Glykämiekontrolle Besondere Sorgfalt sollte auf die Einstellung eines evtl. bestehenden Diabetes mellitus gelegt werden. Diabetiker zeigen in der Regel während des akuten Infarktgeschehens deutlich höhere Blutzuckerwerte. Beim akuten Myokardinfarkt korreliert ein erhöhter Blutzuckerwert eng mit einer erhöhten Mortalität (Suleiman et al. 2005). Dieser erhöhte Blutzuckerwert ist einerseits Ausdruck eines Diabetes mellitus oder metabolischen Syndroms, andererseits als Folge des durch den Infarkt verursachten Katecholaminexzesses zu sehen. Eine optimale Glukosekontrolle geht mit einer Reduktion des kardiovaskulären Risikos, z. B. der Inzidenz des plötzlichen
418
31
Kapitel 31 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
Herztods, einher (Leschke et al. 2006). Ob hierbei eine intensivierte Insulintherapie mit engmaschigem Monitoring und Altinsulingaben einer konventionellen optimalen Blutzuckerkontrolle im akuten Myokardinfarktstadium prognostisch überlegen ist, ist noch nicht gesichert. Das Behandlungsziel ist die Normoglykämie. Der Zielbereich lag in der DIGAMI-Studie für die Nüchernblutzuckerwerte bei 90– 125 mg/dl und bei postprandialen Werten von 180 mg/dl (Malmberg et al. 2005). Auch unabhängig vom Krankheitsbild des akuten Myokardinfarktes konnte für internistische Intensivpatienten eine signifikante Reduktion der Morbidität mit einer optimierten Insulintherapie zur Erreichung der Normoglykämie (80–110 mg/dl) nachgewiesen werden (Van den Berghe 2006). Längerfristig ist ein HbA1c von 24 h nach Infarktbeginn) ist häufiger bei Patienten mit intraventrikulären Leitungsstörungen, persistierender Sinustachykardie, Vorhofflattern oder -flimmern in der Frühphase und mit schrittmacherbedürftigen rechtsventrikulären Infarkten. Die Prophylaxe erfolgt über Anhebung des Serumkaliums auf >4,5 mval/l in Zusammenhang mit Magnesiumsubstitution (>2 mmol/l). Die Beendigung des Kammerflimmerns erfolgt mit der Defibrillation (200–300 J). Ein nichtanhaltender Erfolg einer Defibrillation zeigt sich meist mit sofortigem Wiederauftritt ventrikulärer Tachykardien, erneutem Kammerflimmern oder selten der Asystolie. Nach ineffektiver Defibrillation kann die Erfolgswahrscheinlichkeit weiterer Defibrillationen durch Adrenalin-Gaben erhöht werden. i Wenn der wiedererreichte Herzrhythmus ineffektiv ist (elektromechanische Entkoppelung), so handelt es sich meist um ausgedehnte Infarkte oder um Rupturen der freien Wand oder des Septums. Auch bei Kenntnis der Ursache für die Entkoppelung kann der letale Ausgang selten abgewendet werden.
421 31.2 · Myokardinfarkt mit ST-Hebung
31
Supraventrikuläre tachykarde Rhythmusstörungen
Ausgedehnter Infarkt
Die Sinustachykardie ist Ausdruck der erhöhten sympathischen Aktivität (Angst, Schmerz, medikamentös induziert) und tritt in typischer Weise v. a. bei Patienten mit Vorderwandinfarkt auf. Sie verschlechtert die myokardiale Sauerstoffbilanz. Der therapeutische Ansatz ist multifaktoriell: E-Blocker, suffiziente Schmerztherapie, Sauerstoff und Nitroglycerin. E-Blocker sind kontraindiziert bei Hypovolämie oder Pumpversagen des linken Ventrikels (systolischer Blutdruck 25 mm Hg). Vorhofflattern- und flimmern sind Ausdruck der sympathischen Vorhofstimulation, meist als Folge einer Linksherzinsuffizienz, und weisen auf eine ungünstige Prognose hin. Die Zunahme der Ventrikelfrequenz und der Verlust der Ventrikel-Vorhof-Synchronität verschlechtern die Hämodynamik. Zusätzlich steigt das Schlaganfallrisiko. Die Hämodynamik verlangt entweder die Beendigung der Störung durch Kardioversion in Kurznarkose oder eine effektive Frequenzregulation, am besten mittels E-Blocker. Digitalispräparate können bei supraventikulären Tachyarrhythmien zur Frequenzregulation eingesetzt werden. Die erzielte Frequenzregulation kompensiert den durch die positiv-inotrope Wirkung erhöhten Sauerstoffbedarf. Amiodarone kann Vorhofflimmern terminieren und Rezidive verhindern. Wiederholte Phasen von Vorhofflimmern sind Anlass zur Antikoagulation mit Ziel-INRWerten von 2,0–3,0. Andere supraventrikuläre Tachykardien sind selten und in der Regel selbstlimitierend. Carotisdruck, E-Blocker und Adenosin (nicht aber Verapamil) können angewendet werden. Wird die Tachykardie schlecht toleriert, so kommt die Kardioversion zur Anwendung.
Die Revaskularisation sollte bei großen Infarkten möglichst vollständig erfolgen, damit strukturell intaktes, aber hypoperfundiertes Myokard zur Verbesserung der Ventrikelfunktion beitragen kann. Patienten mit ausgedehnten Infarkten werden hämodynamisch überwacht. Therapeutisches Ziel ist ein Pulmonalkapillardruck von 2,0 mg/dl; Clearence >30%) ist eine gute Hydratation erforderlich, wenn die Si-
425 Literatur
tuation eine entsprechende Verzögerung der Diagnostik erlaubt. Im Falle einer hyperthyreoten Stoffwechsellage muss die Jodaufnahme vor der Kontrastmittelgabe durch Kaliumperchlorat blockiert werden. Marcumarisierte Patienten können alternativ via A. radialis sicher untersucht werden. Für den Judkins-Zugang sollte der INR bei 1,8 liegen. In Abhängigkeit vom Koronarangiographieergebnis und der Wahl der Revaskularisationsmethode wird bei den Patienten mit Nicht-ST-Hebungsinfarkt vor Beginn der Katheterintervention die Behandlung mit dem Glykoproteinrezeptorblocker Abciximab empfohlen. In der ISAR React-2-Studie reduzierte die zusätzliche Abciximab-Therapie die Inzidenz des kombinierten primären Endpunktes (Tod, Infarkt, Revaskularisation innerhalb von 30 Tagen) signifikant (p=0,03) von 11,9 auf 8,9% (Kastrati et al. 2006). Eine Alternative zu Heparin/Abciximab besteht möglicherweise in der Gabe von Bivalirudin. In der ACUITY-Studie (Präsentation ACC 2006) gab es zwischen Heparin mit GP IIb/ IIIa-Antagonist und Bivalirudin keine signifikanten Unterschiede im primären kombinierten Endpunkt, aber mit Bivalirudin signifikant weniger Blutungen als mit dem kombinierten Einsatz von Heparin und GP IIb/IIIa-Antagonist.
Postinterventionelle Übernahme, Nachsorge, Sekundärprävention Auch der frühzeitig revaskularisierte Patient mit Nicht-ST-Hebungsinfarkt bedarf der weiteren Überwachung. Zum einen sind postinterventionelle Leistenkomplikationen unter der ggf. maximal intensivierten Gerinnungstherapie häufiger als bei elektiven interventionellen Prozeduren. Die begonnene Gerinnungstherapie wird hier weitergeführt und überwacht. Die Dauer des Aufenthaltes auf der Intensivstation richtet sich nach den periinterventionellen Besonderheiten sowie nach dem Vorhandensein bedeutender Begleiterkrankungen. Patienten mit unkomplizierten Verläufen können spätestens am Folgetag auf Normalstation verlegt werden. Für die Sekundärprävention gilt das beim Patienten mit STHebungsinfarkt Gesagte (7 s. oben). Wenngleich in einer Metaanalyse mit der frühen Lipidintervention in Rahmen akuter Koronarsyndrome innerhalb der folgenden 4 Monate keine signifikante Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (Tod, Infarkt, Schlaganfall) gesehen wurde (Briel et al. 2006), so ist dennoch bei früher Verordnung bereits während des Klinikaufenthaltes über eine bessere Patientenmitarbeit mit einer nachgewiesen höheren Rate der Medikamentenverfügbarkeit das Sekundärpräventionsziel langfristig sichergestellt (Fonarow et al. 2001). So beinhalten die ACC/AHA-Leitlinien als Klasse-IIa-Empfehlung mit dem Evidenzgrad B die Aufnahme einer Therapie mit CSEHemmern (und entsprechender Diät) bei LDL-Cholesterinwerten von >100 mg/dl innerhalb von 24–96 h nach Krankenhauseinweisung mit der Fortsetzung der Therapie nach Entlassung. 31.3.3 Instabile Angina pectoris ohne
Risikomerkmale Bei wiederholt unauffälligen EKG-Kontrollen und negativen Herzmarkern sowie fehlenden Risikoindikatoren gehören die Patienten in die Gruppe »Patienten mit instabiler Angina pectoris ohne Risikomarker«. Eine intensivmedizinische Betreuung ist nicht erforderlich. Bei diesen Patienten kann eine primär konservative Strategie betrieben werden, wobei dann die Indikation
31
zur invasiven Diagnostik abhängig gemacht wird vom Ergebnis funktionsdiagnostischer Prüfungen (Belastungs-EKG, StressEchokardiogramm, Myokardszintigramm). Mit gleich starker Empfehlung und Evidenzgrad kann hospitalisierten Patienten die früh-invasive Strategie angeboten werden, wenn für evtl. resultierende Revaskularisationsmaßnahmen keine Kontraindikationen vorliegen. Bei der Abwägung der Behandlungspfade ist zu berücksichtigen, dass der früh-invasiv diagnostische Weg bei diesen Patienten nicht gleichbedeutend ist mit früh-invasiver Therapie. i Die diagnostische Koronarangiographie selbst kann in diesem heterogenen und teilweise schwer beurteilbaren Patientenkollektiv mit niedrigem Risiko als Instrument zur Risikostratifizierung eingesetzt werden, insbesondere, wenn wiederholt atypische Beschwerden vorliegen und wenn funktionsdiagnostische Tests nicht eindeutig sind.
Letzlich führt die frühe Koronarangiographie zu kürzeren stationären Aufenthalten und erlaubt eine definitve Beantwortung der Frage, welche sekundärpräventiven Maßnahmen einzuleiten sind.
Literatur Aberg A, Bergstrand R, Johansson S et al. (1983) Cessation of smoking after myocardial infarction. Effects on mortality after 10 years. Br Heart J 49: 416–422 Anantharaman R, Walsh KP, Roberts DH (2004) Combined catheter ventricular septal defect closure and multivessel coronary stenting to treat postmyocardial infarction ventricular septal defect and triple-vessel coronary artery disease: a case report. Catheter Cardiovasc Intervent 63: 311–313 Araszkiewicz A, Lesiak M, Grajek S et al. (2006) Effect of microvascular reperfusion on prognosis and left ventricular function in anterior wall myocardial infarction treated with primary angioplasty. Int J Cardiol 2006 Jun 19 (Epub) 114(2):183–187 Arntz HR (2004) Empfehlungen für die Sekundärprävention nach Myokardinfarkt. Z Kardiol 93 (Suppl 1): 123–125 Aronow HD, Novaro GM, Lauer MS et al. (2003) In-hospital initiation of lipid-lowering therapy after coronary intervention as a predictor of long-term utilization: a propensity analysis. Arch Intern Med 163: 2576–2582 ASSENT-4 PCI Investigators (2006) Primary versus tenecteplase-facilitated percutaneous coronary intervention in patients with ST-segment elevation acute myocardial infarction (ASSENT-4 PCI): randomised trial. Assessment of the safety and efficacy of a new treatment strategy with percutaneous coronary intervention. Lancet 367: 569–578 Beckerath N von, Taubert D, Pogatsa-Murray G, Schomig E, Kastrati A, Schömig A (2005) Absorption, metabolization, and antiplatelet effects of 300-, 600-, and 900-mg loading doses of clopidogrel: results of the ISAR-CHOICE (intracoronary stenting and antithrombotic regimen: choose between 3 high oral doses for immediate clopidogrel effect) Trial. Circulation 112: 2946–2950 Bertrand ME, McFadden E (2003) Cardiogenic shock: is there light at the end of the tunnel? J Am Coll Cardiol 42: 1387–1388 Bertrand ME, Simoons ML, Fox KA et al. (2002) Task Force Report: Management of Acute Coronary Syndromes in Patients presenting without persistent ST-segment Elevation. The Task Force on the Management of Acute Coronary Syndromes of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 23: 1809–1840 Betriu A, Masotti M. (2005) Comparison of mortality rates in acute myocardial infarction treated by percutaneous coronary intervention versus fibrinolysis. Am J Cardiol 95: 100–101 (Review)
426
31
Kapitel 31 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
Bhayana V, Gougoulias T, Cohoe S, Henderson AR (1995) Discordance between results for serum troponin T and troponin I in renal disease. Clin Chem 41: 312–317 Boersma E (2006) The Primary Coronary Angioplasty vs Thrombolysis Group. Does time matter? A pooled analysis of randomized clinical trials comparing primary percutaneous coronary intervention and inhospital fibrinolysis in acute myocardial infarction patients. Eur Heart J 27: 779–788 Braunwald E (2004) Heart Disease, 7th Edition, Elsevier Saunders, Philadelphia USA Briel M, Schwartz GG, Thompson PL et al. (2006) Effects of early treatment with statins on short-term clinical outcomes in acute coronary syndromes: a meta-analysis of randomized controlled trials. J Am Med Assoc 295: 2046–2056 Buchwalsky R (1988) Nutzen und Risiken des hämodymanischen Monitorings durch Einschwemmkatheter bei akutem Herzinfarkt.Z Kardiol 77 (Suppl 4): 3–10 Califf RM, White HD, Van de Werf F et al, GUSTO-I Investigators (1996) Oneyear results from the Global Utilization of Streptokinase and TPA for Occluded Coronary Arteries (GUSTO-I) trial. Circulation 94: 1233–1238 Campeau LC (1976) Grading of angina pectoris. Circulation 54: 522-3 Cannon CP (2000) Multimodality reperfusion therapy for acute myocardial infarction. Review. Am Heart J 140: 707–716 Canto JG, Every NR, Magid DJ (2000) The volume of primary angioplasty procedures and survival after acute myocardial infarction. National Registry of Myocardial Infarction 2 Investigators. N Engl J Med 342: 1573–80 CAPRIE Steering Committee (1996) A randomised, blinded, trial of clopidogrel versus aspirin in patients at risk of ischaemic events (CAPRIE). Lancet 348: 1329–1339 Cohen M (2005) Predictors of bleeding risk and long-term mortality in patients with acute coronary syndromes.Review. Curr Med Res Opin 21: 439–445 De Luca G, Suryapranata H, Stone GW et al. (2005) Abciximab as adjunctive therapy to reperfusion in acute ST-segment elevation myocardial infarction: a meta-analysis of randomized trials. JAMA 293: 1759–1765 De Winter RJ, Windhausen F, Cornel JH et al. and ICTUS Investigators (2005) Early invasive versus selectively invasive management for acute coronary syndromes. N Engl J Med 353: 1095–104 Devlin G, Anderson FA, Heald S et al. and GRACE Investigators (2005) Management and outcomes of lower risk patients presenting with acute coronary syndromes in a multinational observational registry. Heart 91: 1394–1399 Di Pasquale P, Cannizzaro S, Scalzo S et al. (2003) Safety and tolerability of abciximab in patients with acute myocardial infarction and failed thrombolysis. Int J Cardiol 92: 265–270 Ellis SG, Armstrong P, Betriu A et al, FINESSE investigators (2004) Facilitated percutaneous coronary intervention versus primary percutaneous coronary intervention: design and rationale of the Facilitated Intervention with Enhanced Reperfusion Speed to Stop Events (FINESSE) trial. Am Heart J 147: E16 Fath-Ordoubadi F, Beatt KJ (1997) Glucose-insulin-potassium therapy for treatment of acute myocardial infarction: an overview of randomized placebo-controlled trials. Circulation 96: 1152–1156 Fernandez-Aviles F, Alonso JJ, Castro-Beiras A et al, Grupo de Analisis de la Cardiopatia Isquemica Aguda (2004) Routine invasive strategy within 24 hours of thrombolysis versus ischaemia-guided conservative approach for acute myocardial infarction with ST-segment elevation (GRACIA-1): a randomised controlled trial. Lancet 364: 1045–1053 Fonarow GC, Ballantyne CM (2001) In-hospital initiation of lipid-lowering therapy for patients with coronary heart disease: the time is now. Circulation 103: 2768–70 Fox KA, Anderson FA, Dabbous OH et al. (2006/2007) Intervention in acute coronary syndromes: do patients undergo intervention on the basis of their risk characteristics? The global registry of acute coronary events (GRACE). (Epub 6 Jun 2006) Heart (2007) 93 (2): 177–182
Gershlick AH, Stephens-Lloyd A, Hughes S et al. (2005) REACT Trial Investigators. Rescue angioplasty after failed thrombolytic therapy for acute myocardial infarction. N Engl J Med 353: 2758–2768 Gershlick AH, Stephens-Lloyd A, Hughes S et al, REACT Trial Investigators (2005) Rescue angioplasty after failed thrombolytic therapy for acute myocardial infarction. N Engl J Med 353: 2758–2768 Gick M, Jander N, Bestehorn HP et al. (2005) Randomized evaluation of the effects of filter-based distal protection on myocardial perfusion and infarct size after primary percutaneous catheter intervention in myocardial infarction with and without ST-segment elevation. Circulation 112: 1462–1469 Gibler WB, Cannon CP, Blomkalns AL et al. (2005) Practical implementation of the guidelines for unstable angina/non-ST-segment elevation myocardial infarction in the emergency department: a scientific statement from the American Heart Association Council on Clinical Cardiology (Subcommittee on Acute Cardiac Care), Council on Cardiovascular Nursing, and Quality of Care and Outcomes Research Interdisciplinary Working Group, in Collaboration With the Society of Chest Pain Centers. Circulation 111: 2699–2710 Gohlke-Bärwolf C, Acar J, Burckhardt D et al. Ad Hoc Committee of the Working Group on Valvular Heart Disease, European Society of Cardiology (1993) Guidelines for prevention of thromboembolic events in valvular heart disease. J Heart Valve Dis 4: 398–3410 Gottlieb SS, McCarter RJ, Vogel RA (1998) Effect of beta-blockade on mortality among high-risk and low-risk patients after myocardial infarction. N Engl J Med 339: 489–497 Gottwik M, Zahn R, Schiele R, Schneider S et al, MIR-Study Groups (2001) Differences in treatment and outcome of patients with acute myocardial infarction admitted to hospitals with compared to without departments of cardiology; results from the pooled data of the Maximal Individual Therapy in Acute Myocardial Infarction (MITRA 1+2) Registries and the Myocardial Infarction Registry (MIR). Eur Heart J 22: 1794–1801 Gregor P, Widimsky P (1999) Pericardial effusion as a consequence of acute myocardial infarction. Echocardiography 16: 317–320 Hamm CW für die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung (2004) Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS), Teil 1: ACS ohne persistierende ST-Hebung. Z Kardiol 93: 72–90 Hamm CW für die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung (2004) Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS), Teil 2: ACS mit persistierender ST-Hebung. Z Kardiol 93: 324–341 Hamm CW, Goldmann BU, Heeschen C et al. (1997) Emergency room triage of patients with acute chest pain by means of rapid testing for cardiac troponin T or troponin I. N Engl J Med. 337: 1648–1653 Heart Protection Study Collaborative Group (2002) MRC/BHF Heart Protection Study of cholesterol lowering with simvastatin in 20,536 highrisk individuals: a randomised placebo-controlled trial. Lancet 360: 7–22 Hochman JS, Sleeper LA, Webb JG et al. (1999) Early revascularization in acute myocardial infarction complicated by cardiogenic shock. SHOCK Investigators. Should we emergently revascularize occluded coronaries for cardiogenic shock. N Engl J Med 341: 625–634 Hoenig MR, Doust JA, Aroney CN, Scott IA (2006) Early invasive versus conservative strategies for unstable angina & non-ST-elevation myocardial infarction in the stent era. Cochrane Database Syst Rev CD004815 Hollenberg SM, Hoyt J (1997) Pulmonary artery catheters in cardiovascular disease. New Horiz 5: 207–213 Jolliffe JA, Rees K, Taylor RS et al. (2001) Exercise-based rehabilitation for coronary heart disease. Cochrane Database Syst Rev 1: D001800 (Review) Kaltoft A, Bottcher M, Nielsen SS et al. (2006) Routine thrombectomy in percutaneous coronary intervention for acute ST-segment-elevation myocardial infarction: a randomized, controlled trial. Circulation 114: 40–47 Kastrati A, Mehilli J, Dirschinger J et al. (2002) Stent versus Thrombolysis for Occluded Coronary Arteries in Patients With Acute Myocardial In-
427 Literatur
farction (STOPAMI-2) Study. Myocardial salvage after coronary stenting plus abciximab versus fibrinolysis plus abciximab in patients with acute myocardial infarction: a randomised trial. Lancet 359: 920–925 Kastrati A, Mehilli J, Neumann FJ et al. (2006) Intracoronary Stenting and Antithrombotic: Regimen Rapid Early Action for Coronary Treatment 2 (ISAR-REACT 2) Trial Investigators. Abciximab in patients with acute coronary syndromes undergoing percutaneous coronary intervention after clopidogrel pretreatment: the ISAR-REACT 2 randomized trial. J Am Med Assoc 295: 1531–1538 Kastrati A, Pache J, Dirschinger J et al. (2000) Primary intracoronary stenting in acute myocardial infarction: long-term clinical and angiographic follow-up and risk factor analysis. Am Heart J 139: 208–216 Keeley EC, Boura JA, Grines CL (2003) Primary angioplasty versus intravenous thrombolytic therapy for acute myocardial infarction: a quantitative review of 23 randomised trials. Lancet 361: 13–20 Keeley EC, Boura JA, Grines CL (2006) Comparison of primary and facilitated percutaneous coronary interventions for ST-elevation myocardial infarction: quantitative review of randomised trials (Review). Lancet 367: 579–588 (Erratum p 1656) Kerst LL, Mauro VF (2004) Coronary event secondary prevention with statins irrespective of LDL-cholesterol. Ann Pharmacother 38: 1060– 1064 Killip T III, Kimball JTn (1967) Treatment of myocardial infarction in a coronary care unit: a two year experience with 250 patients. Am J Cardiol 20: 457–464 Ko DT, Hebert PR, Coffey CS, Sedrakyan A, Curtis JP, Krumholz HM (2002) Beta-blocker therapy and symptoms of depression, fatigue, and sexual dysfunction. J Am Med Assoc 288: 351–357 Kong XQ, Yang R, Cao KJ, Shen YH, Xu D, Zhou L, Qian LM, Lu FX, Ma WZ (2005) [Amplatzer septal occluder interventional therapy of acute myocardial infarction complicated with ventricular septal perforation–report of 2 cases]. Zhonghua Yi Xue Za Zhi 85: 216 Khot UN, Gang Jia G, David J, Molinterno DJ et al. (2003) Prognostic importance of physical examination for heart failure in non–STelevation acute coronary syndromes. J Am Med Assoc 290: 2174– 2181 Lee DC, Oz MC, Weinberg AD, Lin SX, Ting W (2001) Optimal timing of revascularization: transmural versus nontransmural acute myocardial infarction. Ann Thorac Surg 71: 1197–1202 Leschke M, Schwenk B, Bollinger C, Faehling M (2006) Impaired glucose metabolism in patients with ischaemic heart disease. Clin Res Cardiol 95 (Suppl 1): i98-i102 de Lorgeril M, Salen P, Martin JL, Monjaud I, Delaye J, Mamelle N (1999) Mediterranean diet, traditional risk factors, and the rate of cardiovascular complications after myocardial infarction: final report of the Lyon Diet Heart Study. Circulation 99: 779–785 Madsen JK, Grande P, Saunamaki K et al. (1997) Danish multicenter randomized study of invasive versus conservative treatment in patients with inducible ischemia after thrombolysis in acute myocardial infarction (DANAMI). DANish trial in Acute Myocardial Infarction. Circulation 96: 748–755 Malmberg K, Ryden L, Wedel H et al, DIGAMI 2 Investigators (2005) Intense metabolic control by means of insulin in patients with diabetes mellitus and acute myocardial infarction (DIGAMI 2): effects on mortality and morbidity. Eur Heart J 26: 650–661 Mair J (1997) Progress in myocardial damage detection: new biochemical markers for clinicians. Crit Rev Clin Lab Sci 34: 1–66 McCullough PA, Gibson CM, Dibattiste PM et al, TACTICS-TIMI-18 Investigators (2004) Timing of angiography and revascularization in acute coronary syndromes: an analysis of the TACTICS-TIMI-18 trial. J Interv Cardiol 17: 81–86 Mehta SR, Yusuf S, Diaz R et al. and CREATE-ECLA Trial Group Investigators (2005) Effect of glucose-insulin-potassium infusion on mortality in patients with acute ST-segment elevation myocardial infarction: the CREATE-ECLA randomized controlled trial. J Am Med Assoc 293: 437–446
31
Mehta SR, Cannon CP, Fox KA (2005) Routine vs selective invasive strategies in patients with acute coronary syndromes: a collaborative meta-analysis of randomized trials. J Am Med Assoc 293: 2908–17 Metz BK, White HD, Granger CB et al. (1998) Randomized comparison of direct thrombin inhibition versus heparin in conjunction with fibrinolytic therapy for acute myocardial infarction: results from the GUSTOIIb Trial. Global Use of Strategies to Open Occluded Coronary Arteries in Acute Coronary Syndromes (GUSTO-IIb) Investigators. J Am Coll Cardiol 31: 1493–1498 Montalescot G, White HD, Gallo R, et al. for the STEEPLE Investigators (2006) Enoxaparin versus unfractionated heparin in elective percutaneous coronary intervention. N Engl J Med. 355: 1006–1017 Montalescot G, Barragan P, Wittenberg O et al, ADMIRAL Investigators (2001) Abciximab before Direct Angioplasty and Stenting in Myocardial Infarction Regarding Acute and Long-Term Follow-up. Platelet glycoprotein IIb/IIIa inhibition with coronary stenting for acute myocardial infarction. N Engl J Med 344: 1895–1903 Müller I, Seyfarth M, Rüdiger S et al. (2001) Effect of a high loading dose of clopidogrel on platelet function in patients undergoing coronary stent placement. Heart 85: 92–9 Neumann FJ, Kastrati A, Pogatsa-Murray G et al. (2003) Evaluation of prolonged antithrombotic pretreatment (»cooling-off« strategy) before intervention in patients with unstable coronary syndromes: a randomized controlled trial. J Am Med Assoc 290: 1593–9 Neumann FJ, Blasini R, Schmitt C et al. (1998) Effect of glycoprotein IIb/IIIa receptor blockade on recovery of coronary flow and left ventricular function after the placement of coronary-artery stents in acute myocardial infarction. Circulation 98: 2695–2701 Patel TN, Bavry AA, Kumbhani DJ, Ellis SG (2006) A meta-analysis of randomized trials of rescue percutaneous coronary intervention after failed fibrinolysis. Am J Cardiol 97: 1685–1690 Pearce KA, Furberg CD, Psaty BM, Kirk J (1998) Cost-minimization and the number needed to treat in uncomplicated hypertension. Am J Hypertens 11: 618–629 Reiner JS, Lundergan CF, Fung A et al. (1996) Evolution of early TIMI 2 flow after thrombolysis for acute myocardial infarction. GUSTO-1 Angiographic Investigators. Circulation 94: 2441–2446 Ross AM, Molhoek P, Lundergan C et al, HART II Investigators (2001) Randomized comparison of enoxaparin, a low-molecular-weight heparin, with unfractionated heparin adjunctive to recombinant tissue plasminogen activator thrombolysis and aspirin: second trial of Heparin and Aspirin Reper fusion Therapy (HART II). Circulation 104: 648–652 Rubboli A, Ottani F, Capecchi A, Brancaleoni R, Galvani M, Swahn E (2006) Low-molecular-weight heparins in conjunction with thrombolysis for st-elevation acute myocardial infarction. A critical review of the literature. Cardiology 107: 132–139 Sabatine MS, Morrow DA, Montalescot G et al. (2005) Clopidogrel as Adjunctive Reper fusion Therapy (CLARITY)-Thrombolysis in Myocardial Infarction (TIMI) 28 Investigators. Angiographic and clinical outcomes in patients receiving low-molecular-weight heparin versus unfractionated heparin in ST-elevation myocardial infarction treated with fibrinolytics in the CLARITY-TIMI 28 Trial. Circulation 112: 3846–3854 Sabatine MS, Cannon CP, Gibson CM et al, CLARITY TIMI 28 Investigators (2005) Effect of clopidogrel pretreatment before percutaneous coronary intervention in patients with ST-elevation myocardial infarction treated with fibrinolytics: the PCI-CLARITY study. J Am Med Assoc 294: 1224–1232 Sauer G (2003) Beta-blocker in der Sekundärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Z Kardiol 92: 24–30 Schömig A, Mehilli J, Antoniucci D et al. (2005) Beyond 12 hours Reperfusion AlternatiVe Evaluation (BRAVE-2) Trial Investigators. Mechanical reperfusion in patients with acute myocardial infarction presenting more than 12 hours from symptom onset: a randomized controlled trial. J Am Med Assoc 293: 2865–2872
428
31
Kapitel 31 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
Schomig A, Kastrati A, Dirschinger J et al. (2000) Coronary stenting plus platelet glycoprotein IIb/IIIa blockade compared with tissue plasminogen activator in acute myocardial infarction. Stent versus Thrombolysis for Occluded Coronary Arteries in Patients with Acute Myocardial Infarction Study Investigators. N Engl J Med 343: 385–391 Scirica BM, Morrow DA (2004).Troponins in acute coronary syndromes. Prog Cardiovasc Dis 47: 177–188 Sgarbossa EB, Pinski SL, Gates KB, Wagner GS (1998) Predictors of in-hospital bundle branch block reversion after presenting with acute myocardial infarction and bundle branch block. GUSTO-I Investigators. Global utilization of streptokinase and t-PA for occluded coronary arteries. Am J Cardiol 82: 373–374 Smith SC Jr, Allen J, Blair SN et al. (2006) AHA/ACC Guidelines for secondary prevention for patients with coronary and other atherosclerotic vascular disease; 2006 update: endorsed by the National Heart, Lung, and Blood Institute. Circulation 113: 2363–2372 Steg PG, Bonnefoy E, Chabaud S et al. and CAPTIM Investigators (2003) Impact of time to treatment on mortality after prehospital fibrinolysis or primary angioplasty. Circulation 108: 2851–2856 Stenestrand U, Wallentin L (2002) Early revascularisation and 1-year survival in 14-day survivors of acute myocardial infarction: a prospective cohort study. Lancet 359: 1805–1811 Stone GW, Webb J, Cox DA et al, EMERALD Investigators (2005) Distal microcirculatory protection during percutaneous coronary intervention in acute ST-segment elevation myocardial infarction: a randomized controlled trial. J Am Med Assoc 293: 1063–1072 Stukel TA, Lucas FL, Wennberg DE (2005) Long-term outcomes of regional variations in intensity of invasive vs medical management of Medicare Patients with acute myocardial infarction. J Am Med Assoc 293: 1329–1337 Suleiman M, Hammerman H, Boulos M et al. (2005) Fasting glucose is an important independent risk factor for 30-day mortality in patients with acute myocardial infarction: a prospective study. Circulation 111: 754–760 Sutton AG, Campbell PG, Graham R et al. (2004) A randomized trial of rescue angioplasty versus a conservative approach for failed fibrinolysis in ST-segment elevation myocardial infarction: the Middlesbrough Early Revascularization to Limit INfarction (MERLIN) trial. J Am Coll Cardiol 44: 287–296 Topol EJ, Moliterno DJ, Herrmann HC et al, TARGET Investigators (2001) Comparison of two platelet glycoprotein IIb/IIIa inhibitors, tirofiban and abciximab, for the prevention of ischemic events with percutaneous coronary revascularization. N Engl J Med 344: 1888–1894 Tunstall-Pedoe H, Vanuzzo D, Hobbs M et al. (2000) Estimation of contribution of changes in coronary care to improving survival, event rates, and coronary heart disease mortality across the WHO MONICA Project populations. Lancet 355: 688–700 Van den Berghe G, Wilmer A, Hermans G et al. (2006) Intensive insulin therapy in the medical ICU. N Engl J Med 354: 449–461 Van de Werf F (2001) New data in treatment of acute coronary syndromes. Am Heart J 142 (Suppl): S16–921 Van de Werf F, Ardissino D, Betriu A et al, Task Force on the Management of Acute Myocardial Infarction of the European Society of Cardiology (2003) Management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. Eur Heart J 24: 28–66 Valgimigli M, Percoco G, Malagutti P et al, STRATEGY Investigators (2005) Tirofiban and sirolimus-eluting stent vs abciximab and bare-metal stent for acute myocardial infarction: a randomized trial. J Am Med Assoc 293: 2109–2117 Vermeer F, Oude Ophuis AJ, v d Berg EJ et al. (1999) Prospective randomised comparison between thrombolysis, rescue PTCA, and primary PTCA in patients with extensive myocardial infarction admitted to a hospital without PTCA facilities: a safety and feasibility study. Heart 82: 426–431 Waters DD, Schwartz GG, Olsson AG et al, MIRACL Study Investigators (2002) Effects of atorvastatin on stroke in patients with unstable angina or non-Q-wave myocardial infarction: a Myocardial Ischemia
Reduction with Aggressive Cholesterol Lowering (MIRACL) substudy. Circulation 106: 1690–5 Widimsky P, Gregor P (1995) Pericardial involvement during the course of myocardial infarction. A long-term clinical and echocardiographic study. Chest 108: 89–93 Widimsky P, Groch L, Zelizko M, Aschermann M, Bednar F, Suryapranata H (2000) Multicentre randomized trial comparing transport to primary angioplasty vs immediate thrombolysis vs combined strategy for patients with acute myocardial infarction presenting to a community hospital without a catheterization laboratory. The PRAGUE study. Eur Heart J 21: 823–831 Zahn R, Schiele R, Seidl K et al, MITRA Study Group (1999) Spectrum of reperfusion strategies and factors influencing the use of primary angioplasty in patients with acute myocardial infarction admitted to hospitals with the facilities to perform primary angioplasty. Heart 82: 420–425 Zeymer U, Uebis R, Vogt A et al, ALKK-Study Group (2003) Randomized comparison of percutaneous transluminal coronary angioplasty and medical therapy in stable survivors of acute myocardial infarction with single vessel disease: a study of the Arbeitsgemeinschaft Leitende Kardiologische Krankenhausärzte.Circulation 108: 1324–1328
32 Herzrhythmusstörungen H.-J. Trappe
32.1
Einleitung
–430
32.2
Pathophysiologische Grundlagen
32.2.1 32.2.2
Bradykarde Herzrhythmusstörungen –430 Tachykarde Herzrhythmusstörungen –430
32.3
Wegweisende Befunde und diagnostische Maßnahmen
32.3.1 32.3.2 32.3.3
Klinische Parameter –430 Allgemeine Diagnostik –431 Differenzialdiagnostik bradykarder und tachykarder Rhythmusstörungen im Oberflächen-EKG –432
32.4
Klinik und Therapie bradykarder Herzrhythmusstörungen
32.4.1 32.4.2 32.4.3
Sinusbradykardien –432 Sinuatriale Blockierungen –432 Atrioventrikuläre Blockierungen –433
32.5
Klinik und Therapie tachykarder Herzrhythmusstörungen
32.6
Supraventrikuläre Tachyarrhythmien
32.6.1 32.6.2 32.6.3 32.6.4 32.6.5 32.6.6
Vorhofflimmern –433 Vorhofflattern –434 Sinustachykardien –435 AV-Knoten-Reentry-Tachykardien –435 Ektop atriale Tachykardien –436 Akzessorische Leitungsbahnen –437
32.7
Ventrikuläre Tachyarrhythmien
32.7.1 32.7.2 32.7.3 32.7.4 32.7.5
Inzidenz und Pathogenese ventrikulärer Tachykardien –439 Monomorphe ventrikuläre Tachykardien –439 Polymorphe ventrikuläre Tachykardien –440 Torsade-de-pointes-Tachykardien –441 Kammerflattern und Kammerflimmern –441
32.8
Schlussfolgerungen Literatur –442
–442
–430
–433
–439
–430
–432
–433
32
430
Kapitel 32 · Herzrhythmusstörungen
32.1
Einleitung
Die Behandlung von Patienten mit Herzrhythmusstörungen ist vielfach schwierig und stellt den Arzt häufig vor große Probleme. Neben der Frage, ob eine Arrhythmie überhaupt behandelt werden soll, muss entschieden werden, welches der zur Verfügung stehenden therapeutischen Verfahren für den Patienten am günstigsten ist. Weiterhin müssen Nutzen bzw. Risiken einer Therapie sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Es ist gesichert, dass Herzrhythmusstörungen zu allermeist nicht als eigenständige Erkrankungen aufzufassen sind, sondern bei zahlreichen kardialen und extrakardialen Erkrankungen sowie bei Elektrolytstörungen auftreten können [8]. Supraventrikuläre Arrhythmien sind in der Regel prognostisch günstig, während ventrikuläre Rhythmusstörungen besonders bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion lebensbedrohlich sein können; v. a. dem Schweregrad der Herzinsuffizienz und dem Ausmaß der linksventrikulären Funktionsstörung kommen als prognostische Parameter entscheidende Bedeutung zu [19]. Der plötzliche Tod durch einen Herz-Kreislauf-Stillstand ist als schwerwiegendste Form einer Herzrhythmusstörung nicht durch einzelne Parameter bedingt, sondern vielmehr als multifaktorielles Geschehen aufzufassen [22]. In der Bundesrepublik Deutschland erliegen etwa 100 000 Patienten pro Jahr einem Herz-Kreislauf-Stillstand, der in 65–80 % der Fälle durch eine tachykarde Rhythmusstörung hervorgerufen wird. Bradykardien spielen als ursächlicher Faktor eines Herz-Kreislauf-Stillstands bei Erwachsenen eher eine untergeordnete Rolle und werden in 5–20 % der Patienten beobachtet [16]. 32.2
Pathophysiologische Grundlagen
32.2.1 Bradykarde Herzrhythmusstörungen Eine Unterdrückung der dominanten Schrittmacheraktivität im Sinusknoten oder eine Beeinflussung der Weiterleitung der im Sinusknoten gebildeten Impulse führt zu Erregungsbildungs- oder Erregungsleitungsstörungen und damit zu bradykarden Arrhythmien. Die Leitung der gebildeten Impulse kann vollständig unterbrochen sein, sodass die Ventrikel von einem Schrittmacher im His-Purkinje-System aktiviert werden, oder sie ist nur partiell beeinträchtigt, sodass die Schrittmacheraktivität des Sinusknotens weiter, wenn auch in veränderter Form, führend ist. 32.2.2 Tachykarde Herzrhythmusstörungen Als Mechanismen tachykarder Rhythmusstörungen sind die folgenden 3 elektrophysiologischen Phänomene bekannt [4]: 4 gesteigerte und abnorme Automatie, 4 getriggerte Aktivität, 4 kreisförmige Erregungen (»Reentry«) entlang anatomischer Bahnen oder funktioneller Hindernisse.
Gesteigerte und abnorme Automatie Bei der gesteigerten und abnormen Automatie handelt es sich um eine Erregungsbildungsstörung, die durch Verlust eines stabilen Ruhememembranpotenzials mit Veränderung transmembranärer Ionenströme entsteht. Es kommt zu einer Abnahme
des Ruhemembranpotenzials auf Werte um –50 mV und einer konsekutiven Inaktivierung des schnellen Natriumeinwärtsstromes. Die Depolarisation wird stattdessen durch den »slow calcium channel« getragen. Abnorme Automatiezentren können in jedem beliebigen Myokardareal entstehen [27].
Getriggerte Aktivität Im Gegensatz zur abnormen Automatie besteht bei der getriggerten Aktivität keine Möglichkeit der spontanen Arrhythmieentwicklung, sondern die getriggerte Aktivität ist immer von der vorausgehenden Erregung abhängig [9]. Als eigentliche Auslöser der Erregungen wirken depolarisierende Nachpotenziale, die im Anschluss an ein Aktionspotenzial entstehen (»afterdepolarizations«). Diese können bereits in der Repolarisationsphase eines Aktionspotenzials auftreten (»early afterdepolarizations«) oder einem Aktionspotenzial folgen (»late afterdepolarizations«). Frühe Nachdepolarisationen entstehen v. a. aufgrund einer abnormen Verlängerung der Aktionspotenzialdauer, z. B. durch Medikamente oder durch Hypokaliämie. Fassbare Zeichen einer Verlängerung der Aktionspotenzialdauer ist eine Verlängerung der QT-Zeit. Späte Nachdepolarisationen schließen sich an ein Aktionspotenzial an und können, bedingt durch Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration, zu ektoper Aktivität führen, etwa bei Überdosierung von Herzglykosiden [4].
Kreisende Erregung (»Reentry«) Die kreisende Erregung (»Reentry«) ist sicher der häufigste Mechanismus tachykarder Rhythmusstörungen. Voraussetzung für einen Reentry-Mechanismus ist eine Leitungsverzögerung mit unidirektionaler Leitung und Wiedereintritt eines Impulses in das Gewebe. Für das Zustandekommen einer Tachykardie müssen beide Voraussetzungen, Verkürzung der Erregungswelle und inhomogene Erregbarkeit erfüllt sein [27]. Klassische Beispiele für Reentry-Mechanismen sind Tachykardien aufgrund akzessorischer Leitungsbahnen (Wolff-Parkinson-White Syndrom) oder AV-Knoten-Reentry-Tachykardien. Nach heutiger Vorstellung liegen auch dem Vorhofflattern und Vorhofflimmern kreisförmige Erregungen zugrunde [9]. 32.3
Wegweisende Befunde und diagnostische Maßnahmen
32.3.1 Klinische Parameter Die Symptome von Patienten mit Herzrhythmusstörungen reichen vom asymptomatischen Patienten bis hin zum Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand als schwerwiegendster Form einer malignen Herzrhythmusstörung [17]. Bradykarde Rhythmusstörungen sind häufig asymptomatisch, können aber auch mit Phasen von Schwindel, Präsynkopen oder Synkopen einhergehen. Tachykardien werden demgegenüber in der Regel vom Patienten sofort registriert und meistens als bedrohlich empfunden. Sie können paroxysmal auftreten, wenige Sekunden bis zu Stunden anhalten oder als Dauertachykardie (»unaufhörliche«, »incessant« Tachykardie) mit mehr als 50 % Tachykardiezyklen pro Tag imponieren. Sie können plötzlich beginnen und plötzlich enden oder einen langsamen Anfang und ein langsames Ende haben. Wichtige klinische Hinweise auf den vorliegenden Arrhythmietyp finden sich v. a. bei supraventrikulären und ventrikulären
431 32.3 · Wegweisende Befunde und diagnostische Maßnahmen
32
. Tabelle 32.1. Klinische Zeichen zur Differenzialdiagnose supraventrikulärer und ventrikulärer Tachyarrhythmien. (Mod. nach [23]) Tachykardie
Puls
Halsvenen
Blutdruck
1. HT
Sinustachykardie
– regelmäßig
– unauffällig
– konstant
– konstant
Atriale Tachykardie
– regelmäßig
– unauffällig
– konstant
– konstant
VH-Flattern (2: 1-ÜL)
– regelmäßig
– Flatterwellen
– konstant
– konstant
VH-Flattern (unregelmäßige ÜL)
– unregelmäßig
– unregelmäßig
– wechselnd
– wechselnd
Vorhofflimmern
– unregelmäßig
– unregelmäßig
– wechselnd
– wechselnd
AVNRT
– regelmäßig
»Froschzeichen«
– konstant
– wechselnd
CMT bei ALB
– regelmäßig
»Froschzeichen«
– konstant
– wechselnd
Ventrikuläre Tachykardie
– regelmäßig
– unregelmäßig
– wechselnd
– wechselnd
ALB akzessorische Leitungsbahn, AVNRT AV-Knoten-Reentry-Tachykardie, CMT »Circus movement tachycardia«, HT Herzton, VH Vorhof, ÜL Überleitung.
Tachykardien, während »klassische«, klinisch wegweisende Befunde bei bradykarden Rhythmusstörungen fehlen (. Tab. 32.1). Bei Patienten mit tachykarden Rhythmusstörungen sind Tachykardiefrequenz, Vorliegen eines regelmäßigen oder unregelmäßigen Pulses und charakteristische Befunde im Bereich der Halsvenen wichtig und erlauben in vielen Fällen bereits eine klinische Diagnose der vorliegenden Arrhythmieform. Klinische Phänomene wie z. B. das »Froschzeichen«, das als »Propfung« im Bereich der Halsvenen durch simultane Kontraktionen von Vorhof und Kammern beobachtet wird, sind wegweisend für die Diagnose einer AV-Knoten-Reentry- bzw. »Circus-movement-Tachykardie« bei Vorliegen einer akzessorischen Leitungsbahn. Bei ventrikulären Tachykardien sind Zeichen einer AV-Dissoziation mit irregulären Vorhofwellen im Bereich der Halsvenen, unterschiedlichen Intensitäten des 1. Herztons und unterschiedlichen systolischen Blutdruckamplituden bei ca. 50 % der Patienten nachzuweisen [23]. i Die klinische Symptomatik wird neben der Herzfrequenz v. a. von der Grunderkrankung und der Pumpfunktion des Herzens bestimmt.
Während supraventrikuläre Tachykardien überwiegend beim Herzgesunden vorkommen, in der Regel gut toleriert werden und meistens nicht mit schweren hämodynamischen Beeinträchtigungen einhergehen, sind ventrikuläre Tachykardien häufiger bei Patienten mit kardialer Grunderkrankung zu beobachten, werden oft schlecht toleriert und gehen mit Zeichen eines verminderten Herzzeitvolumens (Angst, Unruhe, Schweißausbruch, Hypotonie) einher. 32.3.2 Allgemeine Diagnostik Von entscheidender Bedeutung in der Diagnostik bradykarder und tachykarder Rhythmusstörungen ist neben einer genauen Erhebung der Anamnese sowie des körperlichen Untersuchungsbefundes (Herz-Lungen-Auskultation, Pulsqualitäten, Blutdruck, Herzinsuffizienzzeichen, Pulsdefizit) v. a. das 12-Kanal-Oberflächen-Elektrokardiogramm, das bei systematischer Analyse und Interpretation in >90 % zur richtigen Diagnose führt. Die
. Tabelle 32.2. Diagnostikschema bei Patienten mit bradykarden und tachykarden Herzrhythmusstörungen Erhebung der Vorgeschichte 4 Symptomatik vor und/oder während der Rhythmusstörung 4 Häufigkeit der Arrhythmieepisoden 4 Beginn der ersten Symptome (erstes Auftreten) Körperliche Untersuchung Laboruntersuchungen Nichtinvasive Untersuchungen 4 12-Kanal-Oberflächen-EKG 4 24-h-Langzeit-EKG 4 Belastungs-EKG 4 Signalmittelungs-EKG 4 Herzfrequenzvariabilität 4 Echokardiographie (transthorakal und transösophageal) Invasive Untersuchungen 4 Herzkatheteruntersuchung – Angiographie – Koronarangiographie 4 Elektrophysiologische Untersuchung – programmierte Stimulation – Kathetermapping
tägliche Praxis zeigt jedoch, dass die Differenzialdiagnose von Herzrhythmusstörungen oft schwierig ist und relativ häufig Fehldiagnosen beobachtet werden [16]. Eine falsche Diagnose und eine daraufhin eingeleitete inadäquate Therapie können zu einer ernsten Gefährdung des Patienten bis hin zur Kreislaufdekompensation und Reanimationspflichtigkeit führen. Es ist daher unumgänglich, bei Patienten mit Rhythmusstörungen aus anamnestischen, klinischen und nichtinvasiven Untersuchungsbefunden ein detailliertes »Risikoprofil« zu erstellen und bei speziellen Fragestellungen zusätzliche Maßnahmen wie linksventrikuläre Angiographie, Koronarangiographie und eine elektrophysiologische Untersuchung heranzuziehen (. Tab. 32.2).
432
Kapitel 32 · Herzrhythmusstörungen
. Tabelle 32.3. Differenzialdiagnose von Tachykardien mit breitem QRS-Komplex (QRS-Breite ≥0,12 s). (Mod. nach [23]) 1. AV-Dissoziation
Ja
→ VT
2. Breite des QRS-Komplexes
>0,14 s Beachte: a) SVT bei vorbestehendem SBB b) SVT mit anterograder Leitung über ALB
→ VT
→ VT
3. Linkstypische Achse des QRS-Komplexes Beachte: a) SVT bei vorbestehendem SBB b) SVT mit anterograder Leitung über ALB 4. Morphologie des QRS-Komplexes 4 RSBB 4 LSBB
32
→ VT → VT → SVT → VT → VT → VT
V1: mono-/biphasisch V6: R/S 6 Wochen
+ Flucytosin
150 mg/kg KG i.v. 3 ED
>6 Wochen
Enterokokken und mäßig penicillinempfindliche Streptokokken
Penicillinunverträglichkeit
Staphylococcus aureus
Methicillinsensibel Nativklappe
Methicillinresistent Nativklappe
33 Methicillinsensibel Klappenprothese
Methicillinresistent Klappenprothese
Candida
ED Einzeldosis. 1 Entsprechende Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz. 2 H. influenzae, H parainfluenzae, H aprophilus, Actinobacillus, Cardiobacterium, Eikenella, Kingella. 3 Unter hoher Volumen- und Kochsalzzufuhr ist die Nephrotoxizität verringert, maximale Gesamtdosis 2–5 g.
33.4
Indikationen zur intensivmedizinischen Überwachung und Therapie
Die infektiöse Endokarditis ist bei entsprechenden Komplikationen eine lebensgefährliche Erkrankung mit oft unberechenbarem, foudroyantem Verlauf. Die häufigsten Gründe für intensivmedizinische Therapie und Überwachung [8] sind dabei hämodynamische Instabilität bei kardialem oder septischem Schock, schwere akute Aorten- oder Mitralklappeninsuffizienz, paravalvuläre Infektionsausbreitung mit Abszedierung, schwere Prothsendysfunktion oder Dehiszenz, AV-Überleitungsstörungen, respiratorische
Insuffizienz, akutes Nierenversagen sowie neurologisches Defizit mit Bewusstseinseintrübung oder größerem Insult. 33.5
Therapie
Die Behandlung der infektiösen Endokarditis besteht in der Elimination der auslösenden Keime durch eine adäquate antimikrobielle Therapie, dem Management von Komplikationen sowie, bei entsprechender Indikation, in der rechtzeitigen chirurgischen Intervention.
449 33.5 · Therapie
33
. Tabelle 33.3. Kalkulierte Therapie bei unbekanntem Erreger Bedingung
Antibiotikum/Dosis
Dauer
Nativklappe
Ampicillin 12–24 g/Tag i.v. 4–6 ED
4–6 Wochen
+ Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i.v. in 3 ED
4–6 Wochen
+ Cefotaxim 6 g/Tag i.v. 3 ED oder Ceftriaxon 2 g/Tag i.v. 1 ED
4–6 Wochen
Vancomycin 2 g /Tag i.v. 2 ED
>6 Wochen
+ Gentamycin 3 mg/kg KG/Tag i.v. 3 ED
2 Wochen
+ Rifampicin 900 mg /Tag i.v. in 3 ED
>6 Wochen
Klappenprothese
33.5.1 Antimikrobielle Therapie Prinzipiell müssen bakterizide Antibiotika parenteral über einen längeren Zeitraum appliziert werden. Hohe Serumkonzentrationen müssen gewährleistet sein, damit auch die im Inneren der Vegetation befindlichen Erreger per diffusionem mit ausreichend hoher Konzentration erreicht werden. Die Antibiotikatherapie sollte immer antibiogrammgerecht nach Identifizierung des Erregers und Prüfung der Antibiotikaresistenz erfolgen. . Tabelle 33.2 listet die Antibiotikatherapie der häufigsten Erreger der infektiösen Endokarditis auf. Eine ausführlichere Darstellung der antimikrobiellen Therapie der infektiösen Endokarditis findet sich in den entsprechenden Leitlinien [5, 9]. Bei Patienten mit akutem Verlauf kann nach Abnahme von Blutkulturen sofort mit einer empirischen Therapie begonnnen werden (. Tab. 33.3) und das Regime nach Erhalt des Antibiogramms angepasst werden. Eine Anmerkung zu den Leitlinien Die penicillinasefesten Penicilline wie Flucloxacillin weisen eher ungünstige pharmokokinetische Eigenschaften infolge einer bis zu 95%igen Plasmaeiweißbindung auf [10]. Eine relativ schlechte Gewebepenetration und somit ungenügende klinische Wirksamkeit ist daher häufig zu erwarten. In Abweichung zu den oben vorgestellten Empfehlungen therapieren wir daher in unserer Klinik die Staphylokokkenendokarditis, da sie in der Regel einen sehr aggressiven Verlauf zeigt, entsprechend den Empfehlungen von Stille et al. [10] generell mit einer Kombination aus Vancomycin, Rifampicin sowie zusätzlich in den ersten 2 Wochen Gentamycin. Bei unbekanntem Keim verwenden wir bis zur Erregerisolierung initial eine Therapiekombination aus Vancomycin, Gentamycin und einem Cephalosporin der Gruppe 3a (z. B. Ceftriaxon) sowie bei Klappenprothesen Rifampicin.
33.5.2 Management von Komplikationen Herzinsuffizienz, Sepsis. Die medikamentöse Therapie der akuten Herzinsuffizienz und Sepsis erfolgt entsprechend den jeweiligen Leitlinien (7 Kap. 30 und 63). Die akute Aortenklappeninsuf6 mit Lungenödem trotz medikamentöser Therapie stellt fizienz
eine Indikation zur Notfalloperation dar [5, 9]. Ebenso sollte bei akuter schwerer Mitralklappeninsuffizienz rasch eine operative Korrektur angestrebt werden. Bei passagerem AV-Block III. Grades infolge einer Klappenringabszedierung besteht die Indikation zur Versorgung mit einem passagerem Schrittmacher. Außerdem ist in der Regel eine operative Sanierung indiziert [9]. Septische Embolie. Die effektivste Maßnahme zur Reduktion
der Häufigkeit septischer Embolien ist die rasche Einleitung einer adäquaten antibiotischen Therapie [3]. Eine Behandlung mit ASS oder Heparin reduziert die Häufigkeit embolischer Ereignisse nicht, sondern erhöht das Risiko intrazerebraler Blutungen [3]. Daher sollten nur diejenigen Patienten weiter antikoaguliert werden, bei denen eine eindeutige von der Endokarditis unabhängige Indikation zur Antikoagulation besteht (z. B. Klappenprothese). Milzabszess. Bei etwa 5% der betroffenen Patienten ist mit Milzabszessen zu rechnen mit erhöhtem Risiko einer Milzruptur [5]. Neben einer perkutanen Drainage bei einzelnen Abszessen ist bei multiplen Einschmelzungen die Indikation zur Splenektomie gegeben [9]. Diese sollte dabei wenn möglich vor einem eventuell erforderlichen Klappenersatz durchgeführt werden. Schlaganfall. Der embolisch bedingte Schlaganfall, evtl. mit hä-
morrhagischer Komponente, ist eine der schwerwiegendsten Komplikationen der Endokarditis. Im Falle eines erforderlichen Klappenersatzes droht unter dem Einsatz der Herz-Lungen-Maschine eine intrazerebrale Einblutung. Innerhalb eines Zeitraumes von etwa 72 h nach einer zerebralen Embolie ist allerdings noch nicht mit einer Störung der Blut-Hirn-Schranke zu rechnen, sodass ein rein ischämischer Insult in diesem engen Zeitfenster keine Kontraindikation für einen operativen Eingriff ist [5]. Außerhalb dieses Zeitfensters muss, falls eine hämorrhagische Komponente ausgeschlossen ist, trotz erhöhter Einblutungsgefahr operiert werden bei nicht beherrschbarer Herzinsuffizienz oder therapierefraktärem septischem Geschehen aufgrund der desolaten Prognose unter rein medikamentöser Therapie [5]. Akutes Nierenversagen. Ein akutes Nierenversagen tritt bei etwa 1/3 der Patienten mit Endokarditis auf und führt zu einer Erhöhung des Mortalitätsrisikos um das 5-fache [11]. In der Regel kommt es nach Beherrschung des infektiösen Geschehens durch eine adäquate antibiotische Therapie zu einer Verbesserung der Nierenfunktion. Bei den schweren Verlaufsformen mit septi-
450
Kapitel 33 · Infektiöse Endokarditis
. Tabelle 33.4. Empfehlung zur chirurgischen Therapie der aktiven Endokarditis. (Nach [5, 9]) Insdikation
Evidenz
Akute AI oder MI mit kardialem Pumpversagen/Lungenödem
IB
Perivalvulärer Abszess, Fistelbildung
IB
Endokarditis durch schwer therapierbare Erreger (z. B. MRSA, Pilze)
IC
Schwere Sepsis und septischer Schock >48 h
IIaC
Persistierendes Fieber trotz adäquater antibiotischer Therapie über 5–10 Tage
IIaC
Persistierende Bakteriämie/Fungämie trotz adäquater antibiotischer Therapie
IC
Rezidivierende Embolien nach antibiotischer Therapie
IC
Frische mobile Vegetation an der Mitralklappe >10 mm
IIaC
Größenzunahme der Vegetation/Ausbreitung auf weitere native Klappen/lokal destruierender Verlauf
IIaC
Prothesenendokarditis1
IC
1 Prothesenendokarditis durch penicillinsensible Streptokokken rechtfertig zunächst eine konser vative Therapiestrategie.
33 schem Schock oder Verbrauchskoagulopathie ist häufig zumindest vorübergehend ein Nierenersatzverfahren erforderlich. 33.5.3 Indikationen zur chirurgischen Therapie In etwa 25–30% der Fälle ist im Rahmen der akuten Phase einer Endokarditis ein operatives Vorgehen notwendig, wobei immer eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen muss (. Tab. 33.4). Prinzipiell sollte bei jedem Patienten mit kompliziert verlaufender Endokarditis frühzeitig die Kontaktaufnahme mit der Herzchirurgie erfolgen bzw. sollte ein solcher Patient an ein Zentrum mit Herzchirurgie verlegt werden. 33.6
Monitoring
Zum optimalen Management von Patienten mit infektiöser Endokarditis ist ein engmaschiges Monitoring von klinischen, laborchemischen sowie echokardiographischen Befunden unabdingbar. Basis ist dabei die tägliche klinische Untersuchung mit Temperatur- und Blutdruckkontrolle, kardiopulmonaler Auskultation sowie neurologischem Status. Ferner ist gezielt nach neuen embolischen Phänomenen an Haut oder inneren Organe wie Lunge, Milz oder dem ZNS zu fahnden. Insbesondere bei Staphylokokken- oder Pilzendokarditis ist eine Kontrolluntersuchung des Augenhintergrundes sinnvoll [5]. Unter den unspezifischen Entzündungsparametern stellt das CRP den geeignetsten Parameter zur Überprüfung des Ansprechens der antiinfektiösen Therapie dar. Eine CRP-Bestimmung sollte mindestens 2- bis 3-mal pro Woche vorgenommen werden [5]. Bei erfolgreicher antibiotischer Therapie fällt das CRP innerhalb der 1. oder 2. Woche deutlich ab. Eine persistierende CRP-Erhöhung spricht für das Vorliegen einer nicht beherrschbaren Infektion. Neben dem CRP sollten ferner regelmäßig eine Bestimmung des Blutbildes sowie der Nierenfunktionsparameter erfolgen.
Insbesondere unter hoch dosierter Therapie mit E-Laktamantibiotika kann eine Inhibierung der Granulopoese mit Neutropenie entstehen. Anhand der MDRD-Formel kann über die Bestimmung des Serumkreatinins regelmäßig die glomeruläre Filtrationsleistung der Nieren überprüft werden. Eine Kontrolle des Gentamycin-Spiegels sollte 2- bis 3-mal pro Woche vorgenommen werden. Der Talspiegel sollte dabei Definition hypertensiver Notfall Der hypertensive Notfall wird definiert als eine Situation mit akuter Endorganschädigung, die eine sofortige Blutdrucksenkung erfordert, um eine lebensbedrohliche Schädigung von Endorganen zu beheben oder zu verhindern [7].
34.1
34
Klinische Eingrenzung
Entsprechend den Empfehlungen des Joint National Committee on Detection, Evaluation and Treatment on High Blood Pressure 2003 [7] wird bei kritischer Blutdruckerhöhung in Abhängigkeit von dem Vorhandensein oder Fehlen einer Endorganerkrankung zwischen dem hypertensiven Notfall und der hypertensiven Dringlichkeit unterschieden. Der früher gebräuchliche Begriff der hypertensiven Krise, der einen Zustand stark erhöhter Blutdruckwerte mit vital bedrohlichen Folgeerscheinungen kennzeichnet, wird in diesen Empfehlungen nicht mehr verwendet. Im klinischen Alltag werden oft auch akute hypertensive Blutdruckentgleisungen ohne drohende Endorganschäden nicht korrekt als hypertensive Krise bezeichnet. Zum hypertensiven Notfall, bei dem eine sofortige Blutdrucksenkung notwendig ist, werden gezählt: 4 akute hypertensive Enzephalopathie, 4 akutes Linksherzversagen mit Lungenödem, 4 Aortendissektion, 4 Eklampsie, 4 Phäochromozytomkrise, 4 instabile Angina pectoris, 4 Myokardinfarkt. Hirnblutung, Subarachnoidalblutung und ischämischer Hirninfarkt stellen nur bei sehr starken Blutdruckanstiegen einen hypertensiven Notfall dar, bei dem eine Blutdrucksenkung in jedem Fall sehr vorsichtig erfolgen muss [6, 12]. Der hypertensive Notfall kann von der malignen Hypertonie abgegrenzt werden, bei der sich als Folge der ausgeprägten Blut. Tabelle 34.1. Hypertensiver Notfall und hypertensive Dringlichkeit. (Nach [6]) Hypertensive Notfallsituationen
Hypertensive Dringlichkeit
Hypertensive Enzephalopathie
Unkomplizierte maligne Hypertonie
Akutes Linksherzversagen
Perioperative Hypertonie
Akute Aortendissektion
Clonidinentzugssyndrom
Eklampsie Hypertonie mit instabiler Angina pectoris und Myokardinfarkt Phäochromozytomkrise Schwere Hypertonie mit Hirnblutung Akute Subarachnoidalblutung oder ischämischer Hirninfarkt
druckerhöhung eine fibrinoide Nekrose von Arteriolen in Nieren, Darm und Gehirn entwickelt [8]. 34.1.1 Bedeutung der Blutdruckhöhe Von wesentlicher Bedeutung ist, dass für die Entwicklung eines hypertensiven Notfalls die absolute Blutdruckhöhe häufig nicht entscheidend ist. Patienten mit chronischer Blutdruckerhöhung tolerieren deutlich höhere Blutdruckwerte als ehemals normotensive Personen. Ein im Verlauf von mehreren Wochen erfolgender Blutdruckanstieg auf Werte bis zu 280/150 mm Hg verursacht oft keine Symptome. Schwangere mit Eklampsie oder Jugendliche mit akuter Glomerulonephritis können dagegen bereits bei diastolischen Blutdruckwerten von 100 mm Hg eine hypertensive Enzephalopathie entwickeln. > Definition hypertensive Dringlichkeit Die hypertensive Dringlichkeit wird als eine Situation mit unmittelbar drohender, aber noch nicht offensichtlicher akuter Endorganschädigung definiert, bei der ein hoher Blutdruck innerhalb von 24 h gesenkt werden sollte [7] (. Tab. 34.1).
Die klinischen Zeichen einer hypertensiven Dringlichkeit sind unspezifisch, häufige Symptome sind Kopfschmerzen, Epistaxis und psychomotorische Agitiertheit. Die Abgrenzung der hypertensiven Dringlichkeit von einer vorübergehenden Blutdrucksteigerung ohne drohenden Endorganschaden ist häufig schwierig. 34.2
Ätiologie und Pathophysiologie
34.2.1 Ätiologie In der Regel entwickelt sich ein hypertensiver Notfall bei einer bereits bestehenden chronischen Hypertonie. Meistens ist eine unzureichende antihypertensive Therapie, eine Incompliance bei der Einnahme oder ein Absetzen der antihypertensiven Medikation ursächlich [2]. Eine akute Blutdruckerhöhung bei einem bisherigen Normotoniker, beispielsweise in Folge einer akuten Glomerulonephritis oder Eklampsie, ist dagegen eine seltene Ursache eines hypertensiven Notfalls. Essenzielle und renale Hypertonie. Eine chronische Niereninsuffizienz ist eine häufige Grunderkrankung. Ätiologisch ist dabei oft eine Überwässerung von großer Bedeutung. Der hypertensive Notfall wird gehäuft auch bei der renovaskulären Hypertonie beobachtet. Bei essenziellen Hypertonikern führt v. a. eine über längere Zeit inadäquate antihypertensive Behandlung zu einem hypertensiven Notfall. Phäochromozytom. Beim Phäochromozytom pfropft sich ein hypertensiver Notfall nicht selten auf einen bestehenden Dauerhochdruck auf. Die Ursache für einen hypertensiven Notfall beim Phäochromozytom ist eine plötzliche Ausschüttung von Noradrenalin und Adrenalin aus den chromaffinen Tumoren, wahrscheinlich infolge von Nekrosen oder Blutungen im Tumor. Andere Ursachen. Das abrupte Absetzen von zentral wirkenden Antihypertensiva wie Clonidin kann ebenfalls zu einem hyper-
455 34.3 · Krankheitsbilder beim hypertensiven Notfall
tensiven Notfall führen. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass gelegentlich der Missbrauch von sympathomimetischen Substanzen wie Kokain oder Amphetamin für die Entwicklung eines hypertensiven Notfalls verantwortlich ist. 34.2.2 Pathophysiologie Der hypertensive Notfall ist durch eine Störung autoregulatorischer Mechanismen der Durchblutung gekennzeichnet. Autoregulatorische Mechanismen spielen für die Durchblutung von Gehirn, Myokard und Nieren eine wichtige Rolle und sollen eine konstante Organdurchblutung gewährleisten. Autoregulation der Hirndurchblutung. Besonders gut ist die Regulation der Hirndurchblutung untersucht [9]: Die Hirngefäße reagieren auf einen Blutdruckanstieg mit einer Vasokonstriktion bzw. auf einen Blutdruckabfall mit einer Vasodilatation, sodass der zerebrale Blutfluss bei einem arteriellen Mitteldruck von 60–150 mmHg konstant bleibt. Bei der hypertensiven Gefäßkrankheit sind in Abhängigkeit von der Schwere und Dauer der Bluthochdruckkrankheit die Normwerte der zerebralen Autoregulation in Richtung höherer Druckwerte verschoben. Diese Normwertverschiebung kann sich durch eine protrahierte Blutdrucksenkung nach einigen Wochen wieder normalisieren. Störungen der Autoregulation. Beim hypertensiven Notfall
spielen wahrscheinlich die Überregulation im Sinne einer Vasokonstriktion und die Durchbrechung der Autoregulation mit Überdehnung der Arteriolen eine wichtige Rolle. Der Zusammenbruch der Autoregulation mit druckpassiver Durchblutungssteigerung führt zur Hyperperfusion und Zunahme der Kapillarpermeabilität mit Ödembildung. Wegen der zu höheren Druckwerten verschobenen Autoregulation kann anderseits eine starke, plötzliche Blutdrucksenkung den erhöhten autoregulativen »Normwert« unterschreiten, sodass die Durchblutung abnimmt und Ischämien auftreten können. ! Cave Nicht selten werden daher bei zu starker Blutdrucksenkung neurologische Ausfälle beobachtet [2, 12].
34.3
Krankheitsbilder beim hypertensiven Notfall
34.3.1 Hyper tensive Enzephalopathie Mit Zusammenbruch der Autoregulation der Hirndurchblutung entwickelt sich eine Hyperperfusion mit vermehrter Permeabilität, sodass ein Hirnödem auftreten kann. Mikroskopisch sind nekrotische Arteriolen, Mikroinfarkte und kleine Blutungsherde nachweisbar.
Klinische Zeichen Die klinischen Zeichen der hypertensiven Enzephalopathie sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Verwirrtheitszustände, Sehstörungen, gelegentlich auch zerebrale Krampfanfälle. Mit zunehmender Schwere kann das Sensorium bis zum manifesten Koma eintrüben. Sehstörungen umfassen Verschwommensehen und Skotom bis hin zur Blindheit. Auch können neurologische Ausfälle in Form von Aphasie, Hemiparese, Nystagmus und Re-
34
flexanomalien auftreten. Differenzialdiagnostisch müssen Hirnblutung, Hirninfarkt und Subarachnoidalblutung von der hypertensiven Enzephalopathie abgegrenzt werden. Es ist von klinischer Bedeutung, dass bei zerebrovaskulären Ereignissen oder Hirntrauma eine Reizung der Kreislaufzentren der Medulla oblongata und/oder des Hypothalamus auftreten kann, die für eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems mit reflektorischer Blutdrucksteigerung verantwortlich ist. Charakteristisch für die Hirnblutung oder den Hirninfarkt ist die rasche oder plötzliche Manifestation irreversibler, neurologischer Symptome. Bei der hypertensiven Enzephalopathie dagegen manifestieren sich die neurologischen Symptome häufig subakut, d. h. über einen Zeitraum von 24–48 h und sind nach antihypertensiver Behandlung reversibel.
Diagnostik Eine wichtige diagnostische Bedeutung hat die Fundoskopie, bei der eine hypertensive Retinopathie Grad 3–4 nach Keith-Wagener beobachtet werden kann: Engstellung der Arterien, Papillenschwellung, weiche und harte Exsudate und gelegentlich auch präretinale Blutungen. Die Computertomographie des Schädels spielt bei der Differenzialdiagnose von hypertensiver Enzephalopathie und Hirnblutung bzw. -infarkt ebenfalls eine wichtige Rolle. 34.3.2 Linksherzversagen Eine plötzliche Blutdruckerhöhung geht mit einem starken Anstieg des peripheren Gefäßwiderstands und der linksventrikulären Nachlast einher und kann so zu einer akuten Linksherzinsuffizienz mit Lungenödem führen. Der ausgeprägte Anstieg der systolischen Wandspannung und des O2-Bedarfs des Myokards kann besonders bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit zu einer lebensbedrohlichen Linksherzinsuffizienz führen. Bei bisher normotensiven Patienten ist gelegentlich ein Phäochromozytom mit plötzlicher exzessiver Katecholaminausschüttung für eine akute Linksherzinsuffizienz verantwortlich.
Klinisches Bild Leitsymptom der akuten Linksherzinsuffizienz ist die Luftnot. Nicht selten wird ein starker Reizhusten (Stauungshusten) beobachtet, dabei kann blutig tingiertes oder serös-schaumiges Sputum ausgeworfen werden. Auskultatorisch können nichtklingende Rasselgeräusche nachgewiesen werden, die sich in Abhängigkeit vom Ausmaß der Linksherzinsuffizienz über der Lunge von basal nach apikal ausdehnen. Bei der Herzauskultation weisen ein 3. Herzton durch verstärkte Ventrikelfüllung oder ein vierter Herzton durch verstärkte Vorhofkontraktion (Galopprhythmus) auf eine akute Herzdekompensation hin. In der Röntgenuntersuchung des Thorax werden neben einer Vergrößerung des Herzschattens Zeichen eines interstitiellen bzw. intraalveolären Lungenödems beobachtet. Die röntgenologischen Zeichen einer Stauungslunge können bei akuter Linksherzinsuffizienz auch ohne Vergrößerung des Herzschattens nachweisbar sein. 34.3.3 Angina pectoris und Myokardinfarkt Eine Blutdrucksteigerung erhöht den O2-Bedarf des Myokards. Bei Patienten mit einem normalen Koronarsystem kann die Per-
456
Kapitel 34 · Der hypertensive Notfall
fusion des Myokards durch Gefäßdilatation verbessert werden. Bei der hypertensiven Herzerkrankung dagegen ist die Koronarreserve vermindert, sodass die Kompensationsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Besonders bei gleichzeitig bestehender koronarer Herzerkrankung kann die Myokardperfusion kritisch gestört sein, sodass ein plötzlicher Blutdruckanstieg zu Angina pectoris und zum Myokardinfarkt führen kann. Leitsymptom ist der linksthorakale Schmerz, der häufig in die linke Schulter, den Arm, den Unterkiefer oder das Epigastrium ausstrahlt. Bei einem Myokardinfarkt ist der Schmerz langandauernd und lässt sich durch Gabe von Nitroglyzerin nicht beseitigen. 34.3.4 Aor tendissektion
34
Die akute Aortendisssektion [3] tritt am häufigsten bei Patienten mit chronischer arterieller Hypertonie in der 6. Lebensdekade auf und kann auf degenerative Gefäßwandveränderungen zurückgeführt werden. Ursache bei Patienten mit arterieller Hypertonie ist oft eine Ernährungsstörung der Media, die durch Intimaverdickung und durch eine sklerotische Einengung der Vasa vasorum hervorgerufen wird. Durch Einriss der Aortenintima kommt es zu einer Blutung in die Media mit Aufspaltung der Aortenwand innerhalb der Media. Die fortschreitende Blutsäule bildet dabei einen falschen Kanal, der sich von dem initialen Intimaeinriss ausbreitet und die Blutversorgung der von der Aorta abzweigenden Arterien behindern kann. Folgende Prädilektionsstellen werden beschrieben: 4 Aorta ascendens, 5 cm oberhalb der Aortenklappe, 4 Aorta descendens, unmittelbar distal des Abgangs der linken A. subclavia. Die durch die Dissektion zerstörte Aortenwand kann sofort oder auch zu einem späteren Zeitpunkt rupturieren und zu einer Blutung in das Perikard mit Herzbeuteltamponade oder in Mediastinalorgane, Pleura oder Retroperitoneum führen. Leitsymptom der Aortendissektion ist der schlagartig auftretende, sehr starke Schmerz im Thorax-, Abdominal- oder Lumbalbereich. Durch Verlegung aus der Aorta abgehender Arterien kommt es zu
Durchblutungsstörungen in den entsprechenden Versorgungsgebieten. Differenzialdiagnostisch müssen v. a. der Myokardinfarkt und embolische Ereignisse berücksichtigt werden. 34.4
Therapie
Beim hypertensivem Notfall ist eine sofortige, aber kontrollierte Blutdrucksenkung er forderlich. Mit Ausnahme der akuten Linksherzinsuffizienz und der Aortendissektion sollte der systolische Blutdruck in der Regel um nicht mehr als 15–25% innerhalb der ersten 1–2 h gesenkt werden [1,2].
Beim akuten ischämischen Schlaganfall ist gemäß den Empfehlungen der europäischen neurologischen Stroke Initiative (EUSI) eine sofortige antihypertensive Behandlung nur bei Blutdruckwerten von >200–220/120 mm Hg sinnvoll, beim hämorrhagischen Schlaganfall nur bei Blutdruckwerten von >180/105 mm Hg. Der Blutdruck sollte dabei um nicht mehr als 15 mm Hg gesenkt werden [www.eusi-stroke.com, 12]. Bei Linksherzinsuffizienz ist häufig eine raschere Blutdrucksenkung notwendig. Bei akuter Aortendissektion ist – im Gegensatz zu den anderen hypertensiven Notfällen – eine sofortige Blutdrucksenkung innerhalb von 20 min auf systolisch 220/120 mm Hg)
Urapidil
Clonidin
458
Kapitel 34 · Der hypertensive Notfall
steuerbar ist. Falls notwendig, wird eine Kombinationstherapie mit Nitroprussidnatrium empfohlen.
Enalaprilat Beim hypertensiven Notfall kann durch intravenöses Enalaprilat in einer initialen Dosierung von 0,625 mg eine adäquate und nebenwirkungsarme Blutdrucksenkung erreicht werden [5]. Die Behandlung mit Enalaprilat scheint besonders günstig bei Patienten mit akutem Lungenödem [2].
Furosemid Furosemid ist besonders bei Patienten mit Linksherzversagen oder Niereninsuffizienz indiziert und sollte zusätzlich in einer Dosis von 20–40 mg i.v. verabreicht werden. Zu beachten ist, dass Patienten mit hypertensivem Notfall häufig dehydriert sind. Vor Anwendung von Furosemid sollte daher bei Patienten mit hypertensivem Notfall eine Dehydratation ausgeschlossen werden. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz mit Hyperhydratation ist gelegentlich auch die Gabe von Furosemid nicht ausreichend, sodass in dieser Situation eine Hämodialyse- oder Hämofiltrationsbehandlung erwogen werden muss.
Nitroprussidnatrium
34
Nitroprussidnatrium kommt besonders bei therapierefraktärer Blutdrucksteigerung in Betracht. Die Substanz bewirkt eine direkte Dilatation von Arterien und Venen und dadurch eine sofortige und dosisabhängige Blutdrucksenkung. Als initiale Infusionsgeschwindigkeit werden 0,3 Pg/kg KG/min empfohlen. Wegen der kurzen Halbwertszeit kann der Blutdruck genau titriert werden; nach Absetzen der Substanz lässt der blutdrucksenkende Effekt innerhalb von 2–3 min nach. Zyanidproblem. Hauptproblem der Therapie mit Nitroprussid-
natrium ist die Gefahr einer Thiozyanatvergiftung bei höherer Dosierung (über 3 Pg/kg KG/min) oder längerer Infusionsdauer (>48–72 h). Allerdings kann es bei Einschränkungen der Leberoder Nierenfunktion auch schon eher zu Intoxikationserscheinungen kommen. Im Zweifelsfall sollte der Thiozyanatspiegel im Blut kontrolliert werden; bei Serumspiegelwerten über 0,1 mg/ ml oder bei Auftreten von Abdominalschmerzen, Übelkeit, Desorientiertheit, Krampfanfällen oder psychotischen Veränderungen stellt sich die Indikation zur dringenden Hämodialyse. Die Antidotbehandlung erfolgt mit Natriumthiosulfat. Eine »präventive« Gabe von Natriumthiosulfat parallel zur Infusion von Natriumnitroprussid kann bei prolongierter oder hochdosierter Anwendung und insbesondere bei erheblicher Leberfunktionsstörung erwogen werden. 34.4.2 Behandlung der Eklampsie Die Notfalltherapie bei drohender oder manifester Eklampsie besteht prinzipiell aus einer kontrollierten Blutdrucksenkung mit Dihydralazin oder Urapidil und einer antikonvulsiven Therapie mit Diazepam oder Magnesiumsulfat. Die antihypertensive Therapie wird am besten in Form einer Minibolustherapie mit Dihydralazin (initial 6,25 mg i.v.) oder Urapidil (initial 12,5 mg i.v.) durchgeführt. Urapidil scheint besonders bei Hirndruck vorteilhaft zu sein, da der intrazerebrale Druck durch diese Substanz nicht erhöht wird (7 Kap. 81).
Literatur 1. Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks (2003) Empfehlungen zur Hochdruckbehandlung, 18. Auflage 2. Elliot WJ (2006) Clinical Features in the Management of Selected Hypertensive Emergencies. Prog Cardiovasc Dis 48: 316–325 3. Erbel R, Alfonso F, Boileau C, Dirsch O, Eber B, Haverich A, Rakowski H, Struyven J, Radegran K, Sechtem U, Taylor J, Zollikofer C, Klein WW, Mulder B, Providencia LA, Task Force on Aortic dissection, European Society of Cardiology (2001) Diagnosis and management of aortic dissection. Eur Heart J 22: 1642–1681 : In der Übersicht werden die Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie zur Diagnostik und Therapie der akuten Aortendissektion dargestellt. 4. Grossman E, Messerli FH, Grozicki T, Kowey P (1996) Should a moratorium be placed on sublingual nifedipine capsules given for hypertensive emergencies and pseudoemergencies. JAMA 27: 1328–1331 : Obwohl zahlreiche Hinweise ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bei der Anwendung von Nifedipin-Kapseln belegen, wird in der klinischen Praxis bei Blutdruckerhöhung auch heute noch kurzwirksames Nifedipin eingesetzt. In dem Review wird dargestellt, dass der therapeutische Nutzen von Nifedipin-Kapseln nicht belegt ist, jedoch zahlreiche Untersuchungen ein erhöhtes Risiko unkontrollierter Blutdruckabfälle und ischämischer Komplikationen sowie eine reflexbedingte Sympathikusaktivierung nachweisen. : Wegen des hohen Risikos und des fehlenden Nachweises eines therapeutischen Nutzens sollen deshalb Nifedipin-Kapseln nicht mehr beim hypertensiven Notfall und bei hypertensiver Dringlichkeit eingesetzt werden. 5. Hirschl MM, Binder M, Herkner H, Brunner M, Mullner M, Sterz F, Laggner AN (1995) Clinical evaluation of different doses of intravenous enalaprilat in patients with hypertensive crisis. Arch Intern Med 155: 2217–2223 : In dieser Untersuchung wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von intravenösem Enalaprilat in einer Dosierung von 0,625–5 mg bei Patienten mit einem hypertensiven Notfall untersucht. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden bei der Behandlung nicht beobachtet. Da das Ausmaß der Blutdrucksenkung und die Erfolgsrate nicht durch Erhöhung der initialen Enalaprilat-Dosis zunahm, wird von den Autoren eine initiale Enalaprilat-Dosis von 0,625 mg empfohlen. 6. Joint National Committee on Detection, Evaluation and Treatment of High Blood Pressure (1997) The sixth report. Arch Intern Med 157: 2413–2446 7. Joint National Committee on Prevention, Evaluation and Treatment of High Blood Pressure (2003) The Seventh Report. Arch Intern Med 289: 2560–2572 : Der Bericht ist die neueste Fassung der Leitlinie zum Bluthochdruck des amerikanischen National Institute of Health und des National High Blood Pressure Education Program. Der Bericht kann im Netz vom Server des National Heart, Lung and Blood Institute kopiert werden (www.nhlbi.nih.gov/guidelines/hypertension/jncintro.htm). 8. Kitiyakara C, Guzman NJ (1998) Malignant hypertension and hypertensive emergencies. J Am Soc Nephrol 9: 133–142 9. Kontos HA (1981) Regulation of cerebral circulation. Ann Rev Physiol 43: 387–407 10. Lüscher TF, Wenzel RR, Noll G (1996) Kalziumantagonisten in der Kontroverse: gibt es eine rationale Differentialtherapie? Dtsch Med Wochenschr 121: 532–538 11. Ouriel K (2002) Descending thoracic aortic dissection: Clinical aspects and anatomic correlations. Semin Vasc Surg 15: 83–88
459 Literatur
12. Semplicini A, Benetton V, Mascagna V, Macchini L, Resaldi A, Sartori M, Calò L (2006) Problems related to short-term antihypertensive therapy in acute ischemic stroke. Clin Exp Hypertens 28: 327–334 : Die Beziehung zwischen Blutdruckhöhe und Prognose von Patienten mit akutem Schlaganfall ist nicht ausreichend untersucht. Wegen fehlender Studien sind auch die Indikation einer antihypertensiven Therapie und der Zielblutdruck nicht ausreichend gesichert. Die Definition des hypertensiven Notfalls bei Patienten mit akutem Schlaganfall ist deshalb unsicher. In der Übersicht werden die Probleme der antihypertensiven Behandlung beim hypertensiven Notfall mit akutem Schlaganfall und die aktuellen Therapieempfehlungen dargestellt. 13. Strandgaard S, Paulson OB (1994) Cerebrovascular consequences of hypertension. Lancet 344: 519–521 14. Vaughan CJ, Delanty N (2000) Hypertensive emergencies. Lancet 356: 411–417
34
35 Lungenarterienembolie H.-D. Walmrath
35.1
Epidemiologie, Prognose, Risikofaktoren
35.2
Symptome und Klinik
35.3
Diagnostik
35.3.1 35.3.2 35.3.3 35.3.4
Basisdiagnostik –462 Klinische Wahrscheinlichkeit einer Lungenarterienembolie –462 Spezifische Diagnostik einer Lungenarterienembolie –463 Diagnostischer Algorithmus bei hämodynamisch und respiratorisch stabilen Patienten –463 Diagnostik bei Schwangeren –464 Risikostratifizierung mit Echokardiographie und kardialen Biomarkern –464 Diagnostischer Algorithmus bei hämodynamisch und respiratorisch instabilen Patienten –464
35.3.5 35.3.6 35.3.7
–462
–462
–462
35.4
Therapie der akuten Lungenar terienembolie
35.4.1
Therapie in Abhängigkeit von den Risikogruppen der hämodynamischen Stabilität –465 Passagerer V.-cava-Filter –465
35.4.2
Literatur –465
–464
462
Kapitel 35 · Lungenarterienembolie
> Definition Die Lungenarterienembolie ist die mechanische Verlegung des pulmonalen Gefäßquerschnittes mit Thromben, die dem venösen Gefäßsystem oder dem rechten Herzen entstammen. Hieraus resultiert eine akute Beeinträchtigung der pulmonalen Zirkulation mit konsekutiver Rechtsherzbelastung und Störung des Gasaustausches, die sekundär mit peripherem Blutdruckabfall verbunden sein kann. Der Schweregrad einer Lungenarterienembolie kann zwischen gering und symptomlos und fulminant mit schwerster arterieller Hypoxie, Rechtsherzversagen (akutes Cor pulmonale) und Schock variieren.
35.1
Das klinische Spektrum der Lungenembolie reicht von völliger Beschwerdefreiheit über sehr häufig geäußerte Symptome wie Dyspnoe, Pleuraschmerz, Husten, Beinschwellung, Beinschmerzen, Palpitationen, Hämoptysen, Angina pectoris (Stein et al. 1991) bis hin zur Synkope und akutem Rechtsherzversagen. Keines dieser Symptome besitzt jedoch pathognomonischen Stellenwert, sondern allenfalls richtungsweisenden Charakter für die Diagnose einer Lungenembolie. Ähnlich verhält es sich bei der klinischen Befunderhebung. Am häufigsten imponieren: Tachypnoe, Dyspnoe, Rasselgeräusche, Tachykardie, ein betonter oder gespaltener 2. Herzton, Thrombosezeichen, Fieber und Giemen (Stein et al. 1991).
Epidemiologie, Prognose, Risikofaktoren 35.3
Die Inzidenz tödlicher Lungenembolien wird in Deutschland auf zirka 20.000 pro Jahr geschätzt. Es werden aber nur lediglich 30% der autoptisch gesicherten pulmonalen Embolien auch klinisch diagnostiziert. i Entscheidend ist es also, an die Möglichkeit einer Lungenarterienembolie zu denken.
Dies ist umso wichtiger, da 90% der tödlichen Ausgänge innerhalb der ersten beiden Stunden nach Symptombeginn auftreten. Darüber hinaus kann die Sterblichkeit nach Diagnosestellung von 30% auf 8% gesenkt werden.
35
i Eine schnelle Diagnostik und eine konsequente Therapieeinleitung sind also für die Prognose entscheidend.
95% aller Lungenembolien sind Folge einer Thrombose im Bereich der tiefen Beinvenen, selten sind Thromben aus den oberen Extremitäten oder dem rechten Herzen verantwortlich. Somit ist die Lungenembolie fast ausnahmslos mit einer Phlebothrombose vergesellschaftet, und zu deren disponierenden Faktoren zählen: 4 Gerinnungsveränderungen: Mangel an AT III, Protein C, Protein S, Resistenz gegen aktiviertes Protein C, Lupus anticoagulans, Erhöhung des Fibrinogens bei Entzündungen oder Malignomen, Thrombozytose, Erhöhung der Blutviskosität bei diuretischer Therapie. 4 Reduzierter venöser Blutfluss: Immobilisation, kardiale Insuffizienz, Operationen und Verbände, langes Sitzen (Bus, Flugzeug), Schwangerschaft, Varikosis. 4 Allgemeine Faktoren: zunehmendes Lebensalter, weibliches Geschlecht, Adipositas, die Einnahme von Ovulationshemmern, v. a. in Verbindung mit Nikotinkonsum, Malignome, besonders des Gastrointestinaltraktes. Die enge Assoziation von Venenthrombose und Lungenembolie impliziert, dass die Inzidenz der Lungenarterienembolie durch die Identifizierung der Patienten mit einem hohen Thromboserisiko, ihre Prophylaxe bzw. ihre rechtzeitige Erkennung und Therapie am effektivsten gesenkt werden kann. 35.2
Symptome und Klinik
Die Symptomatik einer Lungenembolie wird in erster Linie durch das Ausmaß (Schweregrad) des embolischen Geschehens und durch vorhandene Vorerkrankungen bestimmt.
Diagnostik
35.3.1 Basisdiagnostik Die Basisdiagnostik setzt sich zusammen aus der Erhebung der Anamnese, körperlicher Untersuchung, Bestimmung der Viatalparameter (Blutdruck, Puls, pulsoxymetrische Sättigung), Thoraxöntgenaufnahme und EKG. Jeder Parameter dieser Basisdiagnostik ist für sich nicht beweisend für eine Lungenembolie, doch sind sie hilfreich, um sich ein Gesamtbild zu verschaffen und erste Differenzialdiagnosen abzuarbeiten (Myokardinfarkt, Pneumonie, Pneumothorax). 35.3.2 Klinische Wahrscheinlichkeit einer
Lungenar terienembolie Das Wichtigste an der Diagnostik der Lungenembolie ist deren Einbeziehung in die differenzialdiagnostischen Überlegungen . Tabelle 35.1. Klinische Wahrscheinlichkeit einer tiefen Venenthrombose (TVT). (Nach Wells et al. 2003) Klinik
Score
Malignomerkrankung
1
Parese oder Immobilisation der Beine
1
Bettruhe (über Tage), operative Eingriffe (3 cm im Vergleich zur Gegenseite
1
Eindrückbares Ödem des symptomatischen Beins
1
Vorhandene Kollateralvenen
1
Anamnestisch TVT
1
Alternative Diagnose ebenso wahrscheinlich wie TVT
–2
Hohe Wahrscheinlichkeit für TVT
≥2
Niedrige Wahrscheinlichkeit für TVT
100/min
1,5
Immobilisation oder Operation innerhalb der letzten 4 Wochen
1,5
Frühere TVT oder LE
1,5
Hämoptyse
1,0
Malignom aktiv oder innerhalb der letzten 6 Monate
1,0
35
der Diagnostik der Lungenembolie liegt in der Schnelligkeit des Untersuchungsverfahrens v. a. bei kritisch kranken Patienten. Darüber hinaus kann durch die Ausweitung des Untersuchungsfeldes bis zu den Kniekehlen noch emboliefähiges Material sicher detektiert werden.
Magnetresonanztomographie
Geringe Wahrscheinlichkeit für LE Mittlere Wahrscheinlichkeit für LE Hohe Wahrscheinlichkeit für LE
6,0
bei unklarer Dyspnoe. Aus diesem Grund wird heute die Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie an den Beginn des diagnostischen Prozesses gesetzt und sollte auch dokumentiert werden. Etabliert haben sich Scores, in die Elemente der Basisdiagnostik eingehen (. Tab. 35.1 und 35.2). Nach Erhebung dieser Scores wird die weitere Diagnostik von der klinischen Wahrscheinlichkeit bestimmt. 35.3.3 Spezifische Diagnostik einer
Lungenar terienembolie D-Dimer-Test Der Nachweis der bei der Proteolyse von Fibrin entstehenden D-Dimere hat eine hohe Sensitivität, jedoch nur eine geringe Spezifät, da auch bei anderen Erkrankungen als einer Thrombose oder Lungenembolie D-Dimere gebildet werden (z. B. Entzündungen, Malignome, Schwangerschaft). Ein negativer D-DimerTest besitzt aber einen hohen negativen prädiktiven Wert für das Vorliegen einer Lungenembolie.
Per fusions-Ventilations-Szintigraphie Die Szintigraphie zeichnet sich durch eine geringe Invasivität und niedrige Strahlenbelastung aus. Ein Normalbefund schließt eine Lungenembolie mit hoher Sicherheit aus, und ein positiver Befund rechtfertigt die Therapie. In einem nicht geringen Umfang (40–50%) muss aber mit unklaren Befunden gerechnet werden, die eine weiterführende Diagnostik erforderlich machen.
Spiral-Computertomographie Mit der Entwicklung von Mehrzeilen-Computertomographen hat sich die Sensitivität für periphere Embolien, die mit den Geräten der 1. Generation (Einzeiler) nicht erkannt werden konnten, deutlich verbessert. Der Vorteil der Computertomographie bei
Der Stellenwert der Kernspintomographie zum Nachweis einer Lungenembolie ist bislang noch nicht eindeutig geklärt. Ein Vorteil läge v. a. in der fehlenden Strahlenbelastung, was insbesondere bei Schwangeren wünschenswert wäre.
Pulmonalisangiographie Die Pulmonalisangiographie stellt den historischen Goldstandard zur Diagnose der Lungenembolie dar. Ihr klinischer Stellenwert hat jedoch mit Einführung der CT-Technologie deutlich abgenommen, zumal sie mit einer hohen Strahlenbelastung und Invasivität verbunden ist.
Beinvenen-Duplexsonographie Die Sonographie der Beinvenen ist auch bei klinisch unauffälligem Beinbefund ein sinnvoller Schritt in der Abklärung des Verdachts auf Lungenembolie. Bei Patienten mit mittlerer oder hoher klinischer Wahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie darf die Diagnose bei Nachweis einer Beinvenenthrombose als gesichert gelten. Andererseits schließt ein unauffälliger Venenstatus des Bein-Becken-Systems eine Lungenembolie nicht aus, da das gesamte Material sich gelöst haben kann. Bei nicht eindeutigem Sonographiebefund kann auch eine Phlebographie in Erwägung gezogen werden.
Echokardiographie Sie er weist sich äußerst wertvoll zur Diagnose einer hämodynamisch signifikanten Embolie, sie kann eine Dilatation des rechten Ventrikels und Vorhofs und seltener auch des Pulmonalisstamms nachweisen. Echokardiographisch kann auch eine akute von einer chronischen Rechtsherzbelastung mit hypertrophierten Wänden differenziert werden. Die Dopplertechnik ermöglicht zudem bei vorliegender Trikuspidalinsuffizienz eine Abschätzung des systolischen pulmonalarteriellen Druckes. Die Echokardiographie gehört bei hämodynamisch und respiratorisch instabilen Patienten zu den ersten Untersuchungen und gewinnt bei mittlerer und hoher klinischer Wahrscheinlichkeit und typischer echokardiographischer Befundkonstellation zunehmend Bedeutung für die Einleitung der spezifischen Therapie. Auf der anderen Seite entzieht sich eine Signalembolie, die ohne Beeinflussung der Hämodynamik abläuft, der echokardiographischen Diagnostik. 35.3.4 Diagnostischer Algorithmus bei
hämodynamisch und respiratorisch stabilen Patienten Das diagnostische Vorgehen beim Verdacht auf eine Lungenembolie hängt zum einen vom Zustand des Patienten ab und zum anderen von den gegebenen technischen Voraussetzungen vor Ort. Die Stabilität des Patienten hängt von Blutdruck, Puls und Sättigung ab. Bei stabilen Verhältnissen werden die in der Übersicht genannten diagnostischen Schritte empfohlen.
464
Kapitel 35 · Lungenarterienembolie
Diagnostischer Algorithmus bei stabilen Verhältnissen 1. 2.
3.
4.
5.
6.
7.
D-Dimer-Test und Erhebung des Scores zur klinischen Wahrscheinlichkeit nach Basisdiagnostik. Bei geringer klinischer Wahrscheinlichkeit und negativem D-Dimer-Test keine weitere Diagnostik, die Lungenembolie gilt als ausgeschlossen. Bei Patienten mit geringer klinischer Wahrscheinlichkeit und positivem D-Dimer-Test sowie bei Patienten mit mittlerer und hoher klinischer Wahrscheinlichkeit (unabhängig vom Ergebnis des D-Dimer-Testes) Sonographie der Beinvenen. Bei Nachweis einer Thrombose in der Sonographie keine weitere Diagnostik, die Lungenembolie gilt als nachgewiesen. Bei negativer Sonographie oder unklarem Befund wird eine Spiral-Computertomographie oder VentilationsPerfusions-Szintigraphie empfohlen. Bei unklarem Befund der Ventilations-Perfusions-Szintigraphie muss eine Spiral-Computertomographie angeschlossen werden. In seltenen Fällen bei nicht eindeutigem Befund der Mehrzeilen-Spiral-Computertomographie muss eine Pulmonalisangiographie zur endgültigen Klärung herangezogen werden.
35 35.3.5 Diagnostik bei Schwangeren Wie bereits erwähnt, wäre für schwangere Patientinnen die Magnetresonanztomographie das diagnostische Vorgehen der Wahl, doch liegen bislang keine Untersuchungen vor, die den Stellenwert dieser Untersuchungstechnik für den Nachweis einer Lungenembolie belegen. Ein Algorithmus zur Diagnostik einer Lungenembolie bei Schwangeren ist bislang noch nicht etabliert worden, obwohl das Thrombose- und Embolierisiko deutlich erhöht und der D-Dimer-Test nur eingeschränkt verwertbar ist. Neben der Beinvenensonographie wird zum sicheren Ausschluss oder Nachweis einer Lungenembolie derzeit die SpiralComputertomographie unter Abwägung des klinischen Zustandes der Mutter und möglicher Schäden für das Kind mit entsprechenden Strahlenschutzmaßnahmen im Bereich des Abdomens empfohlen.
Bewegung des interventrikulären Septums, ein Nachweis einer Trikuspidalklappeninsuffizienz und die darüber abgeschätzte Erhöhung des systolischen pulmonalarteriellen Drucks sowie eine Erweiterung der V. cava inferior. Eine prognostische Einschätzung des Krankheitsverlaufs ist mit diesen Parametern möglich (Kasper et al. 1997). Die kardialen Biomarker Troponin (I und T) und die natriuretischen Peptide »brain natriuretic peptide« (BNP) und pro-BNP besitzen einen hohen negativen prädiktiven Vorhersagewert für den komplizierten klinischen Verlauf einer Lungenembolie (Konstantinides et al. 2002; Kucher et al. 2003). i Somit stehen mit der Echokardiographie und den kardialen Biomarkern prognostische Verlaufsparameter zur Ver fügung, die eine individuelle Risikoabschätzung zulassen.
Hämodynamisch stabile Patienten mit Lungenembolie, bei denen sich eine rechtsventrikuläre Dysfunktion echokardiographisch nachweisen lässt, sollten unbedingt intensivmedizinisch betreut werden. 35.3.7 Diagnostischer Algorithmus bei
hämodynamisch und respiratorisch instabilen Patienten Alle hämodynamisch oder respiratorisch instabilen Patienten mit dem Verdacht auf eine Lungenembolie müssen sofort intensivmedizinisch betreut werden und möglichst ohne grossen diagnostischen Zeitverlust der kausalen Therapie zugeführt werden. Bei instabilen Verhältnissen werden folgende diagnostische Schritte empfohlen: Diagnostischer Algorithmus bei instabilen Verhältnissen (1) Die transthorakale Echokardiographie stellt den entscheidenden diagnostischen Schritt bei instabilen Patienten zum Nachweis einer rechtskardialen Dysfunktion als Auslöser der bestehenden Symptomatik bei Verdacht auf Lungenembolie dar. (2) Lediglich Patienten, bei denen kein adäquater Echokardiographiebefund erhoben werden kann, sollten nach Zustand des Patienten und technischen Gegebenheiten (keine langen Transporte) einer weiteren Diagnostik unterzogen werden (transösophageales Echokardiogramm, Spiral-Computertomographie).
35.3.6 Risikostratifizierung mit Echokardiographie
und kardialen Biomarkern Auch beim hämodynamisch stabilen Patienten sollte mit dem Nachweis einer Lungenembolie eine transthorakale Echokardiographie durchgeführt werden, falls dies nicht schon differenzialdiagnostisch im Vorfeld zum Ausschluss kardialer Erkrankungen (eingeschränkte Pumpfunktion, Klappenvitien, Perikarderguss) erfolgt ist. Diese Echokardiographie dient der Risikoeinschätzung und somit der Überwachungsintensität und ist hilfreich bei der Dokumentation des Befundverlaufs und für weitere Therapieentscheidungen. Die rechtsventrikuläre Dysfunktion ist echokardiographisch definiert als eine eingeschränkte Wandbewegung des rechten Ventrikels, eine rechtsventrikuläre Dilatation, eine paradoxe
35.4
Therapie der akuten Lungenar terienembolie
Für die Therapie der akuten Lungenembolie stehen die alleinige Antikoagulation einerseits und die systemische thrombolytische Therapie andererseits zur Verfügung. In seltenen Fällen kann auch die mechanische Thrombusentfernung mittels Operation am offenen Herzen mit Herz-Lungen-Maschine oder eine Katheterfragmentation, evtl. kombiniert mit einer lokalen Lyse, in Frage kommen. Die mechanischen Verfahren müssen immer dann in Erwägung gezogen, wenn eine nicht beherrschbare Blutungsneigung besteht.
465 Literatur
Ähnlich wie bei der Diagnostik richtet sich auch die Therapie der Lungenembolie nach der hämodynamischen Stabilität des Patienten. Neuerdings werden 4 Risikogruppen unterschieden. Die 4 Risikogruppen der hämodynamischen Stabilität 5 Risikogruppe 1: Hämodynamisch stabil ohne rechtsventrikuläre Dysfunktion 5 Risikogruppe 2: Hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion 5 Risikogruppe 3: Schock (RR 100/ min) 5 Risikogruppe 4: Reanimationspflichtigkeit
35.4.1 Therapie in Abhängigkeit von den
Risikogruppen der hämodynamischen Stabilität Für Patienten der Risikogruppe 1 (hämodynamisch stabil und ohne rechtsventrikuläre Dysfunktion) ist die alleinige Antikoagulation ausreichend. Für die Antikoagulation kann unfraktioniertes Heparin verwandt werden, das schon bei begründetem Verdacht nach Abwägen des Nutzens und des Risikos für den Patienten eingesetzt werden sollte. Bei der therapeutischen Antiokoagulation sollte eine partielle Thromboplastinzeit (pTT) von 60–90 s angestrebt werden. Auch die niedermolekularen Heparine (in Deutschland sind Tinzaparin und Enoxaparin zugelassen) erwiesen sich in großen randomisierten Studien als vergleichbar effizient bei der stabilen Lungenembolie wie unfraktioniertes Heparin (Simmoneau et al. 1997; Quinlan et al. 2004). Lediglich bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion kann die gewichtsbezogene Dosierung auch zu Blutungen führen, sodass eine Dosisanpassung vorgenommen werden muss oder eine Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin. Für Patienten der Risikogruppe 2 (hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion) ist die optimale Therapieführung noch nicht geklärt. Eine frühzeitige Lysetherapie kann den klinischen Verlauf positiv beeinflussen (Konstantinides et al. 2002), doch die Sterblichkeit konnte bisher durch dieses Vorgehen nicht gesenkt werden. Die derzeitige Empfehlung sieht eine Antikoagulation der Patienten vor sowie ein engmaschiges intensivmedizinisches Monitoring (RR, Puls, Laktat, Echokardiographie, Troponin- und BNP- oder Pro-BNP-Bestimmungen). Patienten der Risikogruppe 3 (beginnender oder manifester kardiogener Schock) haben eine hohe Sterblichkeit (>30%), sodass in diesem Fall eine schnelle rechtsventrikuläre Druckentlastung erfolgen muss. Dies ist nur durch eine umgehende systemische Lysetherapie möglich. Zugelassen für die Lysteherapie sind Streptokinase, Urokinase und der rekombinante Gewebe-Plasminogen-Aktivator (r-tPA), Letzterer wird heute meist eingesetzt in einer Dosierung von 100 mg über 2 h. Begleitend zur Lysetherapie wird eine Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin durchgeführt. Bei hohem Blutungsrisiko entscheidet die Dynamik des klinischen Verlaufs, ob trotzdem eine Lysetherapie oder alternative Therapieansätze (HerzLungen-Maschine oder Katheterfragmentation, falls vorhanden) in Erwägung gezogen müssen.
35
Reanimationspflichtige Patienten der Risikogruppe 4 können nur mit einer sofortigen Rekanalisierung der Lungenstrombahn mittels systemischer Lysetherapie überleben. Die Sterblichkeit liegt sonst bei >90%. Vor diesem Hintergrund können auch keine Kontraindikationen geltend gemacht werden. Stehen mechanische Rekanalisationsverfahren (Operation oder Katheterlabor) nicht unmittelbar zur Verfügung, kann auch ein Transport unter Reanimationsbedingungen er wogen werden. Nach Einleitung der Lysetherapie unter Reanimationsbedingungen sollte die Reanimationsdauer ausreichend lang bemessen werden. 35.4.2 Passagerer V.-cava-Filter Liegen Kontraindikationen für eine antikoagulatorische oder fibrinolytische Therapie vor und findet sich darüber hinaus nicht wandadhärentes Thrombusmaterial in den tiefen Beinvenen, den Beckenvenen oder der V. cava inferior, sollte zusätzlich die transvenöse, passagere Implantation (bis 10 Tage) eines V.-cavaSchirms unterhalb der Nierenvenen erwogen werden. Dieses Vorgehen ist aber bislang durch kontrollierte Studien nicht belegt. Eine permanente Filteranlage kann die Gefahr einer Embolie zwar reduzieren, ist aber gleichzeitig mit einer signifikant erhöhten Rethromboserate behaftet.
Literatur Kasper W, Konstantinides S, Geibel A (1997) Prognostic significance of right ventricular afterload stress detected by echocardiography in patients with clinically suspected pulmonary embolism. Heart 77: 346–349 Konstantinides S, Geibel A, Olschewski M et al. (2002) Importance of cardiac troponins I and T in risk stratification of patients with acute pulmonary embolism. Circulation 106: 1263–1268 : In dieser Untersuchung konnte gezeigt werden, das erhöhte Troponin-I- und -T-Werte mit der Prognose der Patienten bezogen auf einen komplizierten Verlauf steng korrelieren. Konstantinides S, Geibel A, Heusel G, Heinrich F, Kasper W For the Management Strategies and Prognosis of Pulmonary Embolism Trial Investigators (2002) Heparin plus alteplase compared with heparin alone in patients with submassive pulmonary embolism. N Engl J Med 347: 1143–1150 : In dieser kontollierten Studie konnte nachgewiesen werden, dass bei hämodynamisch stabilen Patienten mit rechtsventrikulätrer Dysfunktion (Risikogruppe 2) eine frühzeitige systemische Lysetherapie plus Heparin-Therapie vs. alleinige Heparin-Therapie eine Eskalation der Therapie signifikant reduzierte. Die Sterblichkeit wurde aber durch den frühen Einsatz der Lysetherapie nicht beeinflusst. Weitere Studien werden nötig sein, um eine optimale Therapieoption bei Patienten der Risikogruppe 2 zu finden. Kucher N, Printzen G, Doernhoefer T et al. (2003) Low pro-brain natriuretic peptide levels predict benign clinical outcome in acute pulmonary embolism. Circulation 107: 1576–1578 : Auch erhöhte p-BNP-Spiegel korrelieren in dieser Studie mit einem komplizierten Verlauf bei der Lungenembolie oder der Notwendigkeit einer Eskalation der Therapie. Damit stehen mit diesen kardiogenen Biomarkern wichtige Parameter für den klinischen Verlauf zur Verfügung. Weitere Studien werden zeigen müssen, ob sie auch für die Therapieentscheidung bedeutsam sind.
466
Kapitel 35 · Lungenarterienembolie
Quinlan DJ, McQuillan A, Eikelboom JW (2004) Low-Molecular-Weight Heparin compared with intravenous unfractionated heparin for the treatment of pulmonary embolism. A meta-analysis of randomized, controlled trials. Ann Intern Med 140: 175–183 : Diese große Metaanalyse belegt den sicheren Einsatz niedermolekularer Heparine im Vergleich zum unfraktionierten Heparin bei der hämodynamisch stabilen Lungenembolie. Simmoneau G, Sors H, Charbonnier B (1997) A comparison of low-molecular-weight heparin with unfractionated heparin for acute pulmonary embolism. N Engl J Med 337: 663–669 Stein PD, Coleman RE, Gottschalk A, Saltzman HA, Terrin ML, Weg JG (1991) Clinical, laboratory, roentgenographic and electrographic findings in patients with acute pulmonary embolism and no pre-existing cardiac or pulmonary disease. Chest 100: 598–603 Wells PS, Anderson DR, Rodger M (2003) Evaluation of D-dimer in the diagnosis of suspected deep-vein thrombosis. N Engl J Med 349: 1227–1235 : Die von Wells et al. eingeführten klinischen Scores zusammen mit dem D-Dimer-Test werden heute vielfach in der klinischen Praxis eingesetzt. Wells PS, Ginsberg JS, Anderson DR (1998) Use of a clinical model for safe management of patients with suspected pulmonary embolism. Ann Intern Med 129: 997–1005 : Der schon 1998 publizierte Score zur klinischen Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie stellt mittlerweile den Standard für die klinische Untersuchung dar.
35
VI
Respiratorische Störungen
36
Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik
37
Akutes Lungenversagen
38
Pneumonien
39
COPD und Asthma bronchiale
40
Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
41
Nicht-invasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz
–469
–475
–481 –499
–531
–513
36 Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik R. Kuhlen, R. Dembinski
36.1
Nomenklatur und Definition
36.2
Hypoxische respiratorische Insuffizienz
36.2.1 36.2.2
Grundlagen –470 Mechanismen der Hypoxämie –470
36.3
Hyperkapnische respiratorische Insuffizienz
36.3.1 36.3.2 36.3.3
Grundlagen –472 Pulmonale Ursachen –473 Extrapulmonale Ursachen –473
Literatur
–473
–470 –470
–472
470
Kapitel 36 · Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik
36.1
Nomenklatur und Definition
Die respiratorische Insuffizienz ist definiert als schwerwiegende Störung des pulmonalen Gasaustauschs oder aber der Atempumpe, deren Funktion sich aus dem zentralen Antrieb, der neuromuskulären Überleitung und der Mechanik des respiratorischen Systems ergibt. Störungen des Lungenparenchyms führen zum primären und meist akuten Lungenversagen, während die Störungen der Atempumpe zur respiratorischen Insuffizienz führen, auch wenn die Lunge als Organ weiterhin funktioniert. Ist v. a. der Sauerstoffaustausch (O2) betroffen, spricht man von einer hypoxischen Form des respiratorischen Versagens, während bei der hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz v. a. die Elimination für Kohlendioxid (CO2) alteriert ist. Die Begriffe der partiellen und globalen respiratorischen Insuffizienz haben ähnliche Bedeutung, wie auch – entsprechend den pathophysiologischen Grundlagen – die Begriffe der pulmonalen Oxygenierungsstörung und der Insuffizienz der »Atempumpe« Verwendung finden. In Übereinstimmung mit der internationalen Literatur wird im Weiteren von der hypoxischen und der hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz gesprochen [1]. 36.2
CaO2 = Hb u 1,34 u HbaO2 + paO2 u 0,0031
Die Hypoxämie als Symptom einer respiratorischen Insuffizienz ist als Abnahme des Sauerstoffgehalts im arteriellen Blut definiert. Sie kann klinisch als Zyanose sichtbar werden, sofern mehr als 5 g/dl deoxygeniertes Hämoglobin vorliegen. Um die eigentliche Leistungsfähigkeit der pulmonalen Austauschfunktion für O2 zu beschreiben, ist der alveoloarterielle O2-Gradient (A-a-Gradient) geeignet, der sich als Differenz des alveolaren O2-Partialdrucks (pAO2) und dem paO2 ergibt, wobei sich der pAO2 entsprechend der alveolaren Gasgleichung berechnet:
Hypoxische respiratorische Insuffizienz
36.2.1 Grundlagen
36
korrigiert, erfordert allerdings die Eingabe der aktuell gemessenen Temperatur des Patienten. Auch mit einem korrekt bestimmten paO2 ist die Oxygenierung nur ungenügend beschrieben, da die eigentliche Zielgröße der arterielle O2-Gehalt (CaO2) ist. Dieser ergibt sich aus dem Hauptanteil des chemisch an Hämoglobin gebundenen O2 und dem nur kleinen Anteil an physikalisch gelöstem O2, das entsprechend der Löslichkeit direkt vom paO2 abhängt:
i Bei der hypoxischen respiratorischen Insuffizienz ist der pulmonale O2 -Austausch soweit reduziert, dass eine Hypoxämie in der arteriellen Blutgasanalyse resultiert.
Zur Definition der Hypoxämie ist eine alleinige Angabe des arteriellen O2-Partialdrucks (paO2) aus vielen Gründen ungenügend. Der paO2 ist wesentlich vom pO2 des inspirierten Gasgemisches abhängig, der wiederum durch die inspirierte O2-Konzentration (FIO2) und den Umgebungsdruck (PB) definiert ist:
piO2 = FIO2 u PB
Zur Interpretation ist mindestens die FIO2 (paO2/FIO2-Quotient) und bei wesentlichen Abweichungen vom normalen Umgebungsdruck – etwa in großer Höhe – auch die Angabe des Umgebungsdrucks erforderlich. Darüber hinaus ist der paO2 altersabhängig. Der individuelle Normwert kann anhand der Formel
paO2 (mm Hg) = 103,5 – (0,41 u Alter)
bei einer FIO2 von 0,21 ungefähr abgeschätzt werden. Die Temperaturabhängigkeit des paO2 wird in modernen Blutgasanalysatoren anhand der Formel log(paO2 aktuell/paO2 gemessen) = 0,024 (eingegebene Temperatur – 37°C)
pAO2 = FIO2 u (pB – pH2O) – paCO2 / R 4 pH2O = pulmonaler Wasserdampfdruck (47 mm Hg) 4 paCO2 = arterieller CO2-Partialdruck (40 mm Hg) 4 R = respiratorischer Quotient (0,8)
Bei Einsetzen der angegebenen Normwerte ergibt sich bei Raumluft ein pAO2 von:
pAO2= 0,21 u (760–47) – 40/0,8 = 100 mm Hg
sodass physiologischerweise der A-a-Gradient vernachlässigbar klein ist. Eine wiederum bestehende Altersabhängigkeit kann wie folgt abgeschätzt werden:
p(A-a) = 2,5 + 0,21 u Alter
36.2.2 Mechanismen der Hypoxämie Pathophysiologisch sind für die Störungen der pulmonalen Oxygenierungsleistung 5 Mechanismen verantwortlich: Eigentliche Hypoxie: 5 Erniedrigung des inspiratorischen O2-Partialdrucks (piO2), 5 globale alveolare Hypoventilation, 5 Intrapulmonaler Rechts-links-Shunt, 5 Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörungen, 5 Diffusionsstörungen.
471 36.2 · Hypoxische respiratorische Insuffizienz
Darüber hinaus ist eine ausgeprägte Erniedrigung des O2-Gehaltes im venösen Blut, so wie sie bei extremer körperlicher Anstrengung aufgrund des massiven O2-Verbrauchs oder aber bei extremer Abnahme des Herzzeitvolumens auftreten kann, als Ursache einer unvollständigen pulmonalen Oxygenierung vorstellbar. Auch ein exzessiv gesteigerter intrapulmonaler Sauerstoffverbrauch, etwa bei der foudroyant verlaufenden Pneumonie, kann eine Hypoxämie mitbedingen.
Hypoxie Die eigentliche Hypoxie ist definiert als Atmung eines Gasgemisches mit reduziertem pIO2, der lediglich bei Abnahme der FIO2 unter 21% oder bei Aufenthalt in großen Höhen auftritt. In der Medizin ist die so definierte Hypoxie eine Rarität, sollte aber in alpiner Umgebung und bei luftgebundenen Transporten, besonders von kritisch kranken Patienten, berücksichtigt werden. Die Therapie der Hypoxie besteht in der Erhöhung der FIO2 (O2-Maske bei alpinem Bergsteigen, FIO2-Erhöhung bei luftgebundenen Transporten) oder aber in der Adaptation des Umgebungsdrucks (Fliegen »at sea level«).
Hypoventilation Bei der globalen Hypoventilation erreicht zu wenig O2 die Alveole, während die alveolare CO2-Konzentration ansteigt, sodass aufgrund der alveolaren Gasgleichung der pAO2 absinkt. Die globale Hypoventilation resultiert aus einer Minderfunktion der Atempumpe und führt zu einer kombinierten hypoxischen, hyperkapnischen Insuffizienz. Therapie der Wahl ist die Beseitigung der Ursachen der Hypoventilation, wenn immer möglich. Zur Therapie der Oxygenierungsstörung ist die Erhöhung der FIO2 effektiv, da hierdurch eine direkte Erhöhung des pAO2 der minderventilierten Alveole zu erreichen ist. Allerdings stellt die Erhöhung der FIO2 keine kausale Therapie dar, sondern kann im Gegenteil eine Zunahme einer begleitenden Hyperkapnie nach sich ziehen, wenn nämlich durch die Aufhebung der Hypoxämie der hypoxische Atemantrieb genommen wird. Sowohl die Hypoxie als auch die globale Hypoventilation sind im engeren Sinne nicht als Oxygenierungsstörung der Lunge per se zu werten, da es zu keiner wesentlichen Ausweitung des A-a-Gradienten kommt. Die Alveole wird nicht entsprechend mit O2 versorgt wird, um eine ausreichende arterielle Oxygenierung bei an sich gutem Gasaustausch zu leisten. Demgegenüber sind die folgenden Störungen Ausdruck der Minderfunktion des Gasaustauschs mit entsprechender Erhöhung des A-a Gradienten.
Intrapulmonaler Rechts-links-Shunt Fließt venöses Blutes anatomisch durch die Lungenstrombahn, ohne hier mit belüfteten, gasaustauschenden Alveolen in Kontakt zu kommen – wie etwa bei einer Atelektase –, wird dieser Anteil des Blutes nicht oxygeniert und dekarboxyliert. Das Blut dieser Bereiche wird mit gut oxygeniertem Blut aus nicht betroffenen Alveolen vermischt, was zu einer schweren Hypoxämie führen kann. Der intrapulmonale Rechts-links-Shunt wird als prozentualer Anteil des Herzzeitvolumens angegeben, der nicht in der Lunge oxygeniert wird.
36
Ventilations-Per fusions-Verteilungsstörungen Im Gegensatz zu den globalen Änderungen des Verhältnisses aus Ventilation und Perfusion (z. B. globale Hypoventilation) sind hier Störungen der intrapulmonalen Verteilung von Ventilation und Perfusion gemeint. Ist die Ventilation eines Lungenareals mehr als die Perfusion dieses Areals eingeschränkt, nimmt der lokale pAO2 ab. Als »venöse Beimischung (QVA/QT)« wird der Anteil des schlecht oxygenierten Bluts aus Bezirken mit niedrigen Ventilations-Perfusions-Verhältnissen zusammen mit dem echten intrapulmonalen Rechts-links-Shunt bezeichnet. Unter Zuhilfenahme der Daten eines Pulmonaliskatheters oder aber näherungsweise der zentralvenösen Sättigung ist die venöse Beimischung abzuschätzen als:
QVA/QT = (CcO2-CaO2)/(CcO2-CvO2) 4 CcO2 = kapillärer O2-Gehalt 4 CaO2 = arterieller O2-Gehalt 4 CvO2 = gemischtvenöser O2-Gehalt
Zur weiteren Diskriminierung der venösen Beimischung in »low VA/Q« und echten Shunt kann die aufwändige Technik der gaschromatographischen Analyse des Eliminationsverhaltens mehrerer inerter Gase benutzt werden, die vorher intravenös appliziert wurden (»multiple inert gas elimination technique«; MIGET). Wegen der Aufwändigkeit des Verfahrens bleibt diese Technik allerdings eher der wissenschaftlichen Untersuchung als der klinischen Routine vorbehalten. Klinisch können Oxygenierungsstörungen, die durch low VA/Q-Areale verursacht werden, von echtem Shunts dadurch unterschieden werden, dass in low VA/Q-Arealen die Applikation von O2 zu einer Verbesserung der Oxygenierung führt, während O2-Gabe bei reinem Shunt weitgehend ohne Effekt bleibt [2, 3].
Hypoxisch pulmonale Vasokonstriktion (HPV) Physiologischerweise kommt es bei Abnahme der Belüftung eines Lungenareals zur reflektorischen Vasokonstriktion und so zu einer reduzierten Perfusion dieses Areals. Der Mechanismus der HPV ist für akute Lungenveränderungen wichtig, da die Folgen einer Hypoxie für den Gasaustausch hierdurch minimiert werden. Bleibt die lokale Ventilationsstörung mit der reflektorischen Vasokonstriktion allerdings länger bestehen, kann u. a. hierdurch eine pulmonale Hypertension auftreten. Dies scheint bei der Entwicklung der pulmonalen Hypertonie mit Cor pulmonale bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung eine Rolle zu spielen. In der Pathogenese der pulmonalen Hypertension beim akuten Lungenversagen sind allerdings noch weitere Mechanismen wie etwa das Auftreten thrombotischer, kapillärer Gefäßverschlüsse und verschiedene humorale Vasokonstriktoren wie etwa Endothelin o. a. beteiligt [4].
Diffusionsstörungen Da der pulmonale Gasaustausch auf dem Wirkprinzip der Diffusion beruht, erscheint es naheliegend, dass etwaige Diffusionsstörungen eine wesentliche Rolle für den Gasaustausch spielen.
472
Kapitel 36 · Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik
Störungen der Diffusionskapazität können auftreten bei: 5 Verdickung der alveolokapillären Membran (Ödem, Fibrose), 5 Reduktion des pulmonalkapillären Blutvolumens (schwere Verteilungsstörung), 5 Reduktion der pulmonalkapillären Transitzeit (massive HZV-Erhöhung).
Darüber hinaus wäre es denkbar, dass kein Diffusionsäquilibrium am Ende der alveolokapillären Membran erreicht würde, wenn der venöse O2 soweit erniedrigt wäre, dass die gegebene Diffusionskapazität zu einer vollständigen Oxygenierung nicht ausreicht. Dies könnte etwa bei der schweren Anämie und hohem Herzzeitvolumen auftreten. Tatsächlich aber konnte die Diffusionsstörung nie als wesentlicher kausaler Faktor der akuten respiratorischen Insuffizienz nachgewiesen werden. Offensichtlich ist die pulmonale Diffusionskapazität so hoch, dass etwaige Störungen in der intensivmedizinischen Praxis kaum eine Rolle spielen. i Störungen der Ventilation, Perfusion oder der intrapulmonalen Ventilations-Perfusions-Verteilung sind in Anästhesie und Intensivmedizin die weitaus häufigste Ursache der arteriellen Hypoxämie beim hypoxischen respiratorischen Versagen.
36
36.3
Hyperkapnische respiratorische Insuffizienz
Die hyperkapnische respiratorische Insuffizienz ist durch eine Verminderung der alveolaren Ventilation mit konsekutivem Anstieg des paCO2 bei Versagen der Atempumpe gekennzeichnet. 36.3.1 Grundlagen Die Ventilation muss für den jeweiligen metabolischen Bedarf einen ausreichenden Gasaustausch gewährleisten. Hierfür ist ein funktionstüchtiger Atemapparat die Voraussetzung. Zum Atemapparat gehören das zentrale Atemzentrum, vom dem der Atemimpuls über eine intakte neuromuskuläre Signalübertragung an das Zwerchfell weitergeleitet wird. Die Kontraktion des Zwerchfells bewirkt einen Abfall des Druckes im Pleuraspalt, wodurch ein Druckgradient zur äußeren Öffnung der Atemwege entsteht. Entlang dieses Druckgradienten strömt Gas in die Lungen, wobei die Höhe der Gasströmung vom Widerstand der Atemwege und das Volumen von der Dehnbarkeit des respiratorischen Systems abhängen. Der Atemwegswiderstand wird als Resistance (R) bezeichnet und ist definiert als R = 'p / f 4 (Normal ca. 2 mbar u l–1 u s–1) 4 p = treibender Druck 4 f = Gasfluss
Die Dehnbarkeit des respiratorischen Systems wird als Compliance (C) bezeichnet und ist definiert als
C = 'V/'p 4 (Normwert ca. 100 ml/mbar) 4 V = Volumen
Der zur Ventilation notwendige Druckgradient (pTP) muss ausreichend hoch sein, um die resistiven und elastischen Rückstellkräfte des respiratorischen Systems zu überwinden.
pTP = pres + pel
wobei durch Einsetzen der Definitionen für Resistance und Compliance resultiert: pTP = R u f + 'V/C
i Die Höhe der Ventilation hängt vom muskulär generierten Pleuradruck, der Resistance und der Compliance des respiratorischen Systems ab.
Entsprechend der Komplexität des Atemapparates können Störungen an den verschiedensten Stellen auftreten und zu einer Abnahme der alveolaren Ventilation führen. Mögliche Ursachen eines Versagens des Atemapparates 5 Störungen des zentralen Atemantriebs – Medikamente – Vergiftungen – Trauma – Meningitis, Enzephalitis 5 Störungen der nervalen Überleitung – Rückenmarkläsionen – Polyneuropathie des kritisch Kranken – Poliomyelitis – Guillain-Barré-Syndrom – Phrenikusparese 5 Störungen der neuromuskulären Überleitung – Myasthenia gravis – Muskeldystrophie – Schwere Elektrolytstörungen – Schwere Fehl- oder Mangelernährung – Medikamente (Relaxansüberhang) 5 Störungen des mechanischen Atemapparates – Verletzungen der Thoraxwand – Pneumothorax, Hämatothorax, Pleuraerguss – Verletzungen des Zwerchfells – Thoraxdeformitäten (Skoliose) 5 Obstruktive Atembehinderung – Verengungen der oberen Luftwege – Trachealstenosen, Tracheomalazie – Asthma bronchiale, Status asthmaticus 6
473 Literatur
– Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) – Tumoren (z. B. zentrale Bronchialkarzinome) 5 Behinderung der Atemexkursion – Schmerz – Erhöhung des abdominellen Drucks – Adipositas – Restriktive Ventilationsstörungen (Silikose, Asbestose, Mukoviszidose etc.)
Generell unterscheidet man extrapulmonale von pulmonalen Ursachen einer hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz. 36.3.2 Pulmonale Ursachen Die hyperkapnische Form der respiratorischen Insuffizienz ist zum überwiegenden Teil durch die verschiedenen Formen der obstruktiven Lungenerkrankungen verursacht, die im Rahmen dieses Buchs in 7 Kap. 39 behandelt werden. 36.3.3 Extrapulmonale Ursachen Hierzu zählen die Störungen des Atemapparates, die aus einer Fehlfunktion des Atemantriebs, der neuromuskulären Transmission oder schweren Störungen des Atemapparates (z. B. Kyphoskoliosen) resultieren. Im Rahmen dieses Kapitels ist es unmöglich, auf jede einzelne Störung detailliert einzugehen, sodass hier nur die Grundsätze beschrieben werden sollen.
Zentrale Atemdepression Die zentrale Atemdepression ist durch eine Funktionsstörung des Atemantriebs in Form einer zunehmenden Bradypnoe bis hin zur Apnoe gekennzeichnet. Sie kann sowohl Folge einer direkten Schädigung des Atemzentrums (Trauma, Blutung etc.), oder aber medikamentös bedingt sein (Anästhetika, Opioide etc.). Da die verschiedenen Anästhetika und Analgetika atemdepressiv wirken, ist die medikamentös bedingte Atemdepression einer der wesentlichen Gründe der postoperativen Ventilationsstörung. Bei der zentralen Atemdepression besteht unabhängig von der Ursache die Therapie der Wahl in der sofortigen Unterstützung der Ventilation. Da bei den Patienten häufig eine Bewusstseinsstörung mit Einschränkung der Schutzreflexe besteht, ist in aller Regel die Indikation zur Intubation gegeben. Die weitere Therapie muss sich nach der jeweiligen Ursache richten.
Störungen der neuromuskulären Signalübertragung Bei der peripheren Atemdepression können entweder die neuronale oder die neuromuskuläre Transmission des Atemimpulses beeinträchtigt sein. Die Nervenleitung kann bei hohen Rückenmarkläsionen geschädigt sein. Läsionen ab C3–C4 sind in aller Regel sowohl durch einen Ausfall der Zwerchfellatmung als auch der Interkostalmuskulatur gekennzeichnet, sodass die Ventilation entweder unmöglich oder nur insuffizient unter Zuhilfenahme der Atemhilfsmuskulatur möglich ist. Läsionen im hohen Thoraxbereich sind durch den Ausfall der Interkostalmuskulatur mit Einschränkung der inspiratorischen Kapazität und der aktiven Exspiration
36
charakterisiert, während bei Läsionen im unteren Thoraxbereich lediglich der aktive Hustenstoß beeinträchtigt ist. Die Therapie der durch hohe Rückenmarkläsionen bedingten Atemdepression besteht in der Beatmung, die je nach Art und Lokalisation der Läsionen lange oder gar für immer aufrecht erhalten werden muss. Auch hier ergibt sich die kausale Therapie nach Art und Lokalisation der Verletzung. Die neuromuskuläre Übertragung kann bei den verschiedensten primär neurologischen oder muskulären Krankheitsbildern auftreten. Erwähnenswert ist die sog. »critical illness polyneuropathy (CIP)«. Sie tritt bei einem hohen Prozentsatz der Intensivpatienten v. a. nach Sepsis und Multiorganversagen auf. Elektrophysiologisch zeigt sich eine axonale Degeneration sensorischer und motorischer Nerven mit konsekutiver Ausbildung einer muskulären Denervierungsatrophie. Häufig imponiert die CIP durch die Unmöglichkeit, von der maschinellen Beatmung entwöhnt zu werden. Es existiert zwar keine spezifische Therapieform, doch zeigt die »critical illness neuropathy« eine hohe spontane Rückbildungsrate, auch wenn hierfür Wochen oder Monate notwendig sein können. Nur selten bleiben längerfristige neurologische Schäden zurück. Die Atemmuskulatur kann durch Elektrolytstörungen, Unterernährung, schwere Fehlernährung oder Vorliegen einer Azidose gestört sein. Bei der respiratorischen Insuffizienz müssen Störungen der Homöostase aktiv gesucht und im gegebenen Fall korrigiert werden!
Störungen des mechanischen Atemapparates Die Transmission des neuromuskulären Atemimpulses in Ventilation ist nur mit einem anatomisch intakten Atemapparat möglich. Fehlbildungen oder Verletzungen des Zwerchfells, der Thoraxwand oder der Lunge führen zu einer Aufhebung der mechanischen Einheit des Atemapparates. Hierdurch kann die Ventilation so schwerwiegend beeinträchtigt sein, dass keine Aufrechterhaltung der Atmung möglich ist, weswegen unverzüglich mit der apparativen Beatmung therapiert werden muss. Die definitive und kausale Therapie orientiert sich an Art und Lokalisation der Verletzung. Ein Pneumothorax, v. a. wenn er unter Spannung steht, kann die Ventilation schwer beeinträchtigen und muss bei allen Traumata ausgeschlossen werden. Beim Pneumothorax besteht die Therapie der Wahl in der sofortigen Anlage einer Thoraxdrainage. Ein hoher Prozentsatz von Pneumothoraces steht bei Applikation von positivem Atemwegsdruck unter Spannung, weswegen die hämodynamischen Konsequenzen eines Pneumothorax unter Beatmung aggraviert werden können.
Literatur 1. Aldrich TK, Prezant DJ (1994) Indications for mechanical ventilation. In: Tobin M (ed) Priciples and practice of mechanical ventilation. McGraw Hill, New York, p 155 2. West JB (1990) Respiratory pathophysiology, 4th edn. Williams & Wilkins, Philadelphia 3. West JB (1990) Respiratory physiology, 4th edn. Williams & Wilkins, Philadelphia 4. Zapol WM, Snider MT (1977) Pulmonary hypertension in severe acute respiratory failure. N Engl J Med 296: 476–480
37 Akutes Lungenversagen R. Kuhlen
37.1
Einleitung und Definition
–476
37.2
Pathophysiologie
37.3
Klinik
37.4
Therapie
37.4.1 37.4.2 37.4.3 37.4.4 37.4.5 37.4.6
Einstellung der Beatmung –478 Flüssigkeitsmanagement –478 Zeitpunkt der Therapie –478 Lagerungstherapie –478 Erweiterte Therapiemaßnahmen, ECMO –479 Medikamentöse Therapie –479
–476
–477
Literatur
–478
–480
476
Kapitel 37 · Akutes Lungenversagen
37.1
Einleitung und Definition
Das akute Lungenversagen ist ein akut auftretendes, rasch progredient verlaufendes Krankheitsbild, das auf dem Boden der verschiedensten auslösenden Ursachen zu einer schweren Einschränkung des pulmonalen Gasaustauschs führt. Man unterscheidet das pulmonal bedingte Lungenversagen (z. B. Pneumonie) vom extrapulmonal bedingten Lungenversagen (z. B. bei Sepsis) [1]. In der modernen Intensivmedizin stellt das akute Lungenversagen die häufigste Indikation zur Beatmung dar [2] und tritt in Deutschland mit einer Inzidenz von ca. 90 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr auf [3]. Ursachen eines akuten Lungenversagens 5 Pulmonale Ursachen – Pneumonie – Aspiration – Lungenkontusion – Beinahe-Ertrinken – Inhalation toxischer Gase 5 Extrapulmonale Ursachen – Sepsis – SIRS («systemic inflammatory response syndrome”) – Multiples Trauma – Massentransfusion – Schock, prolongierte Hypotension – etc.
37
Das alveoläre und interstitielle Lungenödem sowie eine Störung der Surfactant-Produktion und -Funktion schränken die alveoläre Ventilation v. a. der abhängigen Lungenpartien mechanisch ein (. Abb. 37.1; [1]). i Durch die inflammatorische Reaktion der Lunge mit dem sich ergebenden Ödem wird die Lunge schwer. Hierdurch besteht eine ausgeprägte Neigung zum alveolären Kollaps, der sich entsprechend der Gravitation v. a. in den abhängigen Lungenarealen ausbildet [7].
Computertomographische Untersuchungen bestätigen dieses inhomogene Verteilungsmuster und zeigen, dass auch bei einem schweren ARDS Lungenareale mit relativ normaler Struktur erhalten bleiben, auch wenn diese Anteile insgesamt gering sein können [8, 9]. Dieser Morphologie entsprechend wurde das verbleibende gesunde Lungenareal beim ARDS als »baby lung« bezeichnet (. Abb. 37.2). i Die Lunge ist beim akuten Lungenversagen eher klein als steif.
Die Berücksichtigung der inhomogenen Verteilung ist für die Therapie des akuten Lungenversagens bedeutend. Die atelektatischen Lungenareale sollen so weit als möglich eröffnet und offen gehalten werden, ohne dass es hierbei zu einer Überdehnung der noch nicht beeinträchtigten Bezirke kommt.
Definitorisch werden entsprechend der Ausprägung der Oxygenierungsstörung zwei Schweregrade des akuten Lungenversagens unterschieden (. Tab. 37.1; [4, 5]). Auch wenn diese Einteilung in der Literatur durchgehende Berücksichtgung findet, sind die wesentlichen Charakteristika sowie das klinische Outcome eines ALI und eines ARDS vergleichbar. Ebenso ist die initiale Schwere der Hypoxämie nicht prognostisch relevant. Auch heute noch muss mit einer Sterblichkeit bei diesem Krankheitsbild zwischen 30 und 50% gerechnet werden [6]. 37.2
Pathophysiologie
Zunächst kommt es beim akuten Lungenversagen zu einer pulmonalen Entzündungsreaktion mit ausgeprägter Störung der alveolokapillären Permeabilität. Der hierdurch bedingte Einstrom proteinreicher Flüssigkeit in die Alveole imponiert im Röntgenbild als diffuse, inhomogen verteilte Verschattung der Lunge.
. Abb. 37.1. Schematische Darstellung der Pathophysiologie des akuten Lungenversagens
. Tabelle 37.1. Definitionen der verschiedenen Schweregrade des akuten Lungenversagens Schweregrad/Bezeichnung
Charakteristik
ALI
»acute lung injury«
Akuter Beginn, bilaterale Infiltrationen im Thoraxröntgenbild, Linksherzversagen entweder klinisch oder durch PCWP 30/min) sowie einer schweren Sepsis in Er wägung zu ziehen. Das Alter per se stellt keine Kontraindikation zur Intensivtherapie dar, da es kein unabhängiger prognostischer Faktor für einen tödlichen Ausgang ist. Entscheidend für die Indikationsstellung einer Intensivtherapie beim älteren Patienten ist vielmehr der prämorbide Allgemeinzustand. 38.3.5 Mikrobiologische Diagnostik Stellenwert. Die konventionelle mikrobiologische Diagnostik weist eine Reihe wichtiger Nachteile auf:
38
4 Die Ergebnisse der mikrobiologischen Diagnostik sind meist erst nach Stunden (Sofortdiagnostik) oder Tagen (Kulturen, Serologien) verfügbar, in jedem Fall aber nicht zum Zeitpunkt der initialen Einschätzung. Die möglichst rasche Einleitung einer adäquaten antimikrobiellen Therapie ist jedoch prognostisch entscheidend. 4 Die meisten diagnostischen Techniken weisen nur eine begrenzte Sensitivität und Spezifität auf; die diagnostische Ausbeute aller kulturellen Techniken wird durch eine vorbestehende antimikrobiellen Therap ie noch weiter verschlechtert. 4 Auch ein valider Erregernachweis kann naturgemäß eine Infektion durch mehrere Erreger nicht ausschließen. 4 Eine Reduktion der Letalität durch den Einsatz der mikrobiologischen Diagnostik ist nicht nachgewiesen. Andererseits ergeben sich für die mikrobiologische Diagnostik 2 wichtige Funktionen: 4 Identifikation des Erregerspektrums der eigenen Region als Orientierung für eine initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie (»epidemiologische Funktion«); um dies zu gewährleisten, muss allerdings ein sehr umfangreiches diagnostisches Programm über einen relevanten Zeitraum durchgeführt werden. 4 Identifikation des Erregers im Individualfall, um die initiale antimikrobielle Therapie zu modifizieren (»individuelle Funktion«).
Jede größere Intensivstation sollte daher eine umfassende mikrobiologische Diagnostik durchführen und die Ergebnisse systematisch erfassen, um das eigene Erregerspektrum als Basis der initialen kalkulierten antimikrobiellen Therapie zu identifizieren. Trotz ungeklärten Einflusses des Erregernachweises im Individualfall auf den Ausgang erleichtert dieser in jedem Fall die Therapiesteuerung.
Antigentests im Urin. Die bereits kommerziell erhältlichen Tests für Streptococcus pneumoniae und Legionella pneumophila der Serogruppe 1 als einfache, bettseitig durchführbare Antigentests im Urin weisen eine Sensitivität von 50–80% und eine Spezifität von >95–100% auf. Der resultierende hohe positive Vorhersagewert sowie die einfache Durchführbarkeit und rasche Verfügbarkeit der Ergebnisse (binnen 15 min nach Testansatz) lassen diese Tests als wertvolle Ergänzung erscheinen. Vor Klärung der prognostischen Rolle der Mischinfektionen sollte jedoch das Konzept der kalkulierten initialen antimikrobiellen Therapie bei schweren Pneumonien nicht verlassen werden. Diagnostische Verfahren. Bei allen Patienten sollten 2 Blut-
kulturen gewonnen sowie Urinantigentests auf Streptococcus pneumoniae und Legionella pneumophila Serogruppe 1 durchgeführt werden. Gegebenenfalls kann auch eine Sputumprobe nach Gram gefärbt, validiert und kulturell angezüchtet werden. Im Falle eines größeren Pleuraergusses muss eine Thorakozentese mit Zytologie, Bestimmung der laborchemischen Charakteristika (Transsudat/Exsudat) sowie Kultur erfolgen. Gepaarte Serologien (auf Legionella pneumophila, Mycoplasma pneumoniae und Chlamydia pneumoniae, Coxiella burnetti und respiratorische Viren (Influenzavirus, Parainfluenzavirus, RS-Virus, Adenovirus)) sind nur im Rahmen systematischer Erhebungen des Erregerspektrums sinnvoll. Beim beatmeten Patienten sollte Tracheobronchialsekret gewonnen und quantitativ kulturell aufgearbeitet werden. Eine Bronchoskopie mit geschützter Bürste (PSB) und/oder bronchoalveolärer Lavage (BAL) sollte in erster Linie bei einem Scheitern der initialen antimikrobiellen Therapie erwogen werden. In diesen Fällen ist es wichtig, eine umfassende mikrobiologische Aufarbeitung (auf bakterielle, »atypische« ebenso wie opportunistische Erreger) zu veranlassen. Methodische Voraussetzungen sind in . Tabelle 38.3 (7 Kap. 38.5.4) aufgeführt.
38.3.6 Prognose Die Letalität der schweren Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie beträgt 20–35%, in einigen Untersuchungen auch >50%. Todesursachen sind meist eine therapierefraktäre Hypoxie oder ein therapierefraktärer septischer Schock bzw. ein Multiorganversagen. Von den Überlebenden haben nach 2 Jahren ca. 50% wieder ihre normale Lebens- und Arbeitsweise aufgenommen. Prognostische Faktoren. Die wichtigsten prognostischen Faktoren umfassen den prämorbiden Allgemeinzustand des Pati-
485 38.3 · Schwere Verlaufsformen der ambulant er worbenen Pneumonie
enten, eine inadäquate initiale antimikrobielle Therapie, das Vorliegen einer Bakteriämie sowie Faktoren, die die schwere respiratorische Insuffizienz, die schwere Sepsis bzw. den septischen Schock sowie die röntgenologische Ausbreitung der Infiltrate reflektieren [6]. Unter den mikrobiellen Ätiologien kommt Streptococcus pneumoniae, Legionella pneumophila, Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae, anderen gramnegativen Enterobacteriaceae (GNEB) sowie Pseudomonas aeruginosa prognostische Bedeutung zu. 38.3.7 Therapie Antimikrobielle therapeutische Grundstrategie. Kontrollierte
Studien zur Therapie der schweren ambulant erworbenen Pneumonie liegen nicht vor. Die initiale antimikrobielle Therapie sollte sich daher am lokalen Erregersepktrum orientieren oder – wo dies nicht bekannt ist – am mutmaßlich der eigenen Region ähnlichsten Spektrum anderer Regionen (»kalkulierte antimikrobielle Therapie«). Die initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie wird stets intravenös begonnen und in der Regel über den ganzen Therapiekurs fortgesetzt. Sie wird ggf. entsprechend den Ergebnissen der mikrobiologischen Diagnostik im Individualfall modifiziert.
Initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie. In der Regel ist
eine Kombinationstherapie indiziert. Dies gilt insbesondere angesichts von Daten, die eine Überlegenheit einer Kombinationstherapie über eine E-Laktam-Monotherapie bei schweren invasiven Pneumokokkeninfektionen nahelegen. Hierbei handelt es sich allerdings um Daten aus retrospektiven und nicht kontrollierten Studien. i Das höchste differenzialtherapeutische Gewicht kommt der Frage zu, ob der Patient ein Risiko für eine Pneumonie durch P. aeruginosa aufweist [2, 7, 23, 45].
Risikofaktoren für eine Pneumonie durch P. aeruginosa sind: 4 strukturelle pulmonale Komorbidität (in der Regel schwere COPD oder Bronchiektasen), 4 wiederholte Hospitalisationen in den letzten 12–24 Monaten, 4 wiederholte antimikrobielle Therapiekurse in den letzten 12–24 Monaten, 4 bekannte Kolonisation durch P. aeruginosa.
38
4 Monotherapie mit Fluorchinolon III/IV (Levofloxacin, Moxifloxacin); 4 Risiko für P. aeruginosa: 4 Kombination aus antipseudomonalem E-Laktam (Cephalosporin der 4. Generation, Cefepim) oder Acylureidopenicillin mit E-Laktamasehemmer, z. B. Piperacillin/Tazobactam, oder Carbapenem I (z. B. Imipenem, Meropenem) plus Fluorchinolon II (Ciprofloxacin). 4 Hinsichtlich der Rationale für eine Kombinationstherapie von E-Laktamen mit Aminoglykosiden wird auf 7 Kap. 38.5 (»Nosokomiale Pneumonien«) verwiesen. Aspirationspneumonie. Patienten mit Verdacht auf Aspirationspneumonie sollten ein Aminopenicillin plus E-Laktamasehemmer, z. B. Amoxicillin/Clavulansäure oder Ampicillin/Sulbactam, Clindamycin plus Cephalosporin der 3. Generation, oder Carbapenem erhalten. Health care-asscociated pneumonia. Das Erregerspektrum die-
ser Patienten scheint dem der nosokomialen Beatmungspneumonie zu gleichen. Zu prüfen ist daher eine primär antipseudomonale Therapie sowie eine gegen MRSA wirksame zusätzliche Medikation. CA-MRSA. Zusätzlich zu den nosokomial erworbenen MRSAStämmen müssen aktuell auch ambulant erworbene in Betracht gezogen werden (CA-MRSA). Diese weisen über das PantonValentin-Leucocidin (PVL) und andere Toxine eine erhöhte Pathogentität auf. Klinisch manifestieren sie sich durch hochakute und nekrotisierende Pneumonien. Unerkannt ist die Pneumonie durch cMRSA entsprechend mit einer hohen Letalität belastet. Anders als nosokomiale MRSA sind cMRSA in der Regel noch gegenüber allen Non-E-Laktamen sensibel. Nichtmedikamentöse Therapie. Die Therapie der schweren
O2-refraktären respiratorischen Insuffizienz bestand bisher alternativlos in Intubation und Beatmung. Aktuell häufen sich Erfahrungsberichte über einen erfolgreichen Einsatz der nichtinvasiven Beatmung auch bei Patienten mit schweren Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie, allerdings überwiegend mit der Komorbidität COPD. Inwieweit die nichtinvasive Beatmung auch bei Patienten ohne COPD erfolgreich eingesetzt werden kann, ist aktuell noch offen. Indikationen und Kontraindikationen scheinen allgemeinen Prinzipien der nichtinvasiven Beatmung zu folgen. i Im Fall einer unilateralen Pneumonie kann durch Lagerung des Patienten auf die gesunde Seite das VentilationsPerfusions-Verhältnis und somit die Hypoxämie (um paO2 ca. 10–15 mm Hg) gebessert werden. Therapie der schweren Sepsis. Einer zeitgerechten und konse-
Entsprechend wird die initiale antimikrobielle Therapie wie folgt ausgewählt: 4 Kein Risiko für P. aeruginosa: 4 Kombination aus Breitspektrum-E-Laktam (Cephalosporin der 3. Generation, z. B. Cefotaxim, Ceftriaxon, oder Acylureidopenicillin mit E-Laktamasehemmer, z. B. Piperacillin/Tazobactam, oder Carbapenem II, z. B. Ertapenem) plus Makrolid (Erythromycin, Clarithromycin) oder
quenten Therapie der schweren Sepsis kommt eine hohe Bedeutung zu (7 Kap. 63). Es gilt daher, insbesonders diejenigen Patienten zu identifizieren, die innerhalb der ersten Stunden nach stationärer Aufnahme eine schwere Sepsis bzw. einen septischen Schock entwickeln. Dies ist nur durch eine intensivmedizinische Überwachung möglich (7 Kap. 38.4.3). Rekombinantes aktiviertes Protein C (Drotrecogin-D) ist die erste Substanz, für die eine Reduktion der Letalität der schweren Sepsis beschrieben ist. In der entsprechenden Studie wiesen ca.
486
Kapitel 38 · Pneumonien
50% der Patienten eine Pneumonie auf. Somit kommt diese Substanz bei Patienten mit schwerer Pneumonie und schwerer Sepsis in Betracht, sofern die sonstigen Einschlusskriterien erfüllt sind.
nung der »ventilator-associated pneumonia« (VAP) durchgesetzt. Aktuell zeichnet sich eine Revision dieser Bezeichnung hin zur »ventilation-associated pneumonia« unter Erhaltung des Akronyms »VAP« ab. > Definition der Beatmungspneumonie
38.3.8 Therapieversagen > Definition des Therapieversagens Ein Therapieversagen liegt vor, wenn sich die klinische Situation des Patienten (Allgemeinzustand, Fieber, Kreislauf ) binnen 72 h nach Beginn der initialen antimikrobiellen Therapie nicht gebessert oder zumindest stabilisiert hat.
Ursachen eines Therapieversagens sind vielfältig und umfassen: 4 inadäquate initiale antimikrobielle Therapie, 4 erregerassoziierte Therapieversager (persistierende, resistente oder »atypische« Erreger), 4 Therapieversager durch Komplikationen der Pneumonie (Empyem, Abszess, nosokomiale Superinfektion), 4 Therapieversager durch Sonderformen der Pneumonie (Aspirations-, Retentionspneumonie oder seltene Erreger, einschließlich M. tuberculosis), 4 Pseudotherapieversager durch nichtinfektiöse Lungenerkrankungen, die eine Pneumonie vortäuschen Entsprechend komplex ist die differenzialdiagnostische Abklärung. Daher sollte bei einem Therapieversagen stets ein Pneumologe und/oder Infektiologe konsultiert werden.
38
Qualitativ hochwertige aktuelle Leitlinien zur Therapie der ambulant erworbenen Pneumonie (einschließlich der schweren Verlaufsformen) umfassen: 5 die Leitlinie der ATS [2], 5 die Leitlinie der ERS [45], 5 die S3-Leitlinie der PEG, DGP, DGI und von CAPNETZ [23]. Die Leitlinien unterscheiden sich in ihren Therapieempfehlungen hauptsächlich darin, dass die ERS- und S3-Leitlinie der DGP und PEG Aminoglykoside als Kombinationspartner nicht mehr empfehlen.
38.4
Nosokomiale Pneumonien
38.4.1 Begriffsbestimmung Nosokomiale Pneumonien können sich entwickeln: 4 beim spontan atmenden Patienten, 4 beim spontan atmenden Patienten mit Tracheostomie, 4 unter Beatmung (nichtinvasiv oder invasiv, jeweils ohne oder mit Tracheostomie). Die weitaus meisten Untersuchungen zur nosokomialen Pneumonie beziehen sich auf die Pneumonie des nicht schwergradig imunsupprimierten Patienten unter invasiver Beatmung, hier bezeichnet als Beatmungspneumonie [24]. Für die Beatmungspneumonie hat sich im angelsächsischen Sprachraum die sachlich inadäqaute und irreführende Bezeich-
Im Kontext der Beatmungspneumonie ist die Unterscheidung der früh einsetzenden nosokomialen Pneumonie (»early onset pneumonia«; von der stationären Aufnahme bis zum 4. Tag der stationären Behandlung) von der spät einsetzenden nosokomialen Pneumonie (»late onset pneumonia«; ab dem 5. Tag der stationären Behandlung [3]) von grundlegender Bedeutung. Die ältere Definition, wonach Pneumonien erst ab 48 h nach Krankenhausaufnahme als nosokomial anzusehen sind, wird durch diese neuere Unterscheidung hinfällig.
38.4.2 Pathogenese Die nosokomiale Pneumonie entsteht in erster Linie durch Mikroaspiration pathogener Keime, die den Oropharynx besiedeln (. Abb. 38.1). Das endogen oder pathologisch besiedelte oropharyngeale Reservoir ist am bedeutsamsten. Für die spät einsetzende nosokomiale Pneumonie spielt das (pathologisch besiedelte) gastrische Reservoir eine zusätzliche Rolle. Begünstigende Faktoren sind: 4 Umgehung der unspezifischen Abwehr des oberen Respirationstrakts durch den Endotrachealtubus, 4 Beeinträchtigung der Immunitätslage des kritisch Kranken, 4 bestimmte Grunderkrankungen (z. B. COPD). Darüber hinaus spielt die exogene Übertragung von Erregern eine bedeutende Rolle. Ein weniger häufiger Pathomechanismus besteht in septischen Absiedlungen. Noch ungeklärt sind Rolle und Häufigkeit der Translokation von Darmbakterien aus dem ischämischen Darm. Die nosokomiale Pneumonie entwickelt sich bevorzugt in den abhängigen Lungenpartien, breitet sich typischerweise multifokal aus und weist häufig eine polymikrobielle Ätiologie auf [19, 27]. Die »early-onset pneumonia« entsteht durch Mikroaspiration von Keimen der oropharyngealen Flora bereits außerhalb oder innerhalb des Krankenhauses (z. B. bei Schluckstörungen, häufig im Rahmen der Intubation). Hingegen liegt der »late-onset pneumonia« eine Mikroaspiration von im Krankenhaus erworbenen meist oropharyngealen, gelegentlich auch gastrischen (potenziell multiresistenten) Kolonisationskeimen zugrunde. Ein liegender Tubus stellt dabei eine »via regia« für die Deszension von Keimen dar – sowohl über das Lumen des Tubus als auch entlang des Tubus am keineswegs dichten Tubuscuff. Die Bildung eines »Biofilms« am Tubus spielt dabei eine wichtige Rolle als Keimreservoir. ! Cave Eine prolongierte antimikrobielle Therapie mit breitem antimikrobiellem Spektrum birgt ein hohes Risiko für die Selektion multiresistenter Keime [37].
38.4.3 Epidemiologie Inzidenz. Die Inzidenz beträgt 5–15 Erkrankungen pro 1000 stationär behandelter Patienten und ist bei älteren sowie bei beat-
487 38.4 · Nosokomiale Pneumonien
38
. Abb. 38.1. Pathogenese der noskomialen Pneumonie
meten Patienten am höchsten. In Deutschland wird die absolute Inzidenz auf 120 000/Jahr geschätzt. Ätiologie. Bei den früh einsetzenden noskomialen Pneumonien
überwiegen ambulant erworbene Keime und leichter therapierbare, weil nicht resistente gramnegative Enterobakterien (GNEB). Mit folgenden Erregern ist am häufigsten zu rechnen [36]: 4 Oxacillin- bzw. Methicilin-sensible Staphylococcus aureus (OSSA bzw. MSSA), 4 Haemophilus influenzae, 4 Streptococcus pneumoniae, 4 Escherichia coli und andere gramnegative Enterobakterien. Bei den spät einsetzenden nosokomialen Pneumonien finden sich zusätzlich meist komplizierte, ggf. auch typische multiresistente Erreger: 4 Oxacillin- bzw. Methicillin-resistente Staphylococcusaureus-Stämme (ORSA bzw. MRSA), 4 Pseudomonas spp., 4 Acinetobacter spp., 4 Stenotrophomonas spp., 4 ESBL-bildende Gram-negative Enterobakterien. Unter bestimmten Bedingungen muss von einem modifizierten Erregerspektrum ausgegangen werden: 4 strukturelle Lungenerkrankung, insbesonders COPD: multiresistente Erreger, 4 Steroidtherapie: Legionella spp., Pilze (Aspergillus spp.), 4 prolongierte stationäre Behandlung bzw. antimikrobielle Therapie: multiresistente Erreger, 4 zerebrale Erkrankungen mit Bewusstseinstrübung: endogene Kolonisationskeime, besonders Staphylococcus aureus (OSSA bzw. MSSA), 4 abdominalchirurgischer Eingriff und Aspiration: Anaerobier (Assoziation weniger gut geklärt). Risikofaktoren. Das Risiko für die Entwicklung einer nosokomia-
len Pneumonie ist erhöht, wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen. Hierzu gehören:
4 hohes Lebensalter, 4 kardiopulmonale oder andere schwere Grunderkrankungen, 4 Morbidität (hoher APACHE-II- oder SAPS-II-Score-Wert), 4 Bewusstseinstrübung, 4 vorangegangener thorakoabdomineller Eingriff, 4 prolongierte Hospitalisation, Beatmung und antimikrobielle Therapie. i Wichtige zusätzliche Risikofaktoren sind eine horizontale Körperlage, ein subglottischer Sekretstau sowie die Reintubation. Die Bedeutung der H2-Blocker und Antazida im Rahmen der Stressulkusprophylaxe als Risikofaktoren wird kontrovers diskutiert.
38.4.4 Diagnostik Stellenwert der klinischen Diagnostik. Zu den klassischen Diag-
nosekriterien einer Beatmungspneumonie (nach Johanson et al. [46]) gehören: 4 neu aufgetretenes und persistierendes Infiltrat im Thoraxröntgenbild plus 4 mindestens 2 der 3 folgenden Kriterien: 4 Fieber >38,3°C oder Hypothermie 12 000/μl oder Leukopenie 20×10–3
Zweiklassenreaktion (IgG + IgA) Oligoklonales IgG
2,1 mmol/I
Erregernachweis durch PCR, Erregeranzucht durch Kultur
HerpessimplexVirusEnzephalitis
Bis 500/μl
Mononukleäre Zellen, aktivierte Lymphozyten, Plasmazellen
>15×10–3
Lokale IgG-Synthese und ASI >1,5 ab 2. Woche; oligoklonales IgG
>50% der Serumglukose >2,1 1,5; oligoklonales IgG
>50% der Serumglukose >2,1 mmol/I
GuillainBarréPolyneuritis
Normal bis maximal 50/μl
Mononukleäre Zellen
Bis 50×10–3
Keine lokale Synthese, fakultativ oligoklonales IgG in Liquor und Serum
>50% der Serumglukose 10×10–3
Selten lokale IgModer IgA-Synthese bei Lymphomen
>50% der Serumglukose >2,1 mmol/I
Multiple Sklerose
Bis 35/μl
Mononukleäre Zellen, aktivierte Lymphozyten, Plasmazellen
50% der Serumglukose 3,5 mmol/l sind typisch für bakterielle Meningitiden, bei viralen Entzündungen liegen die Werte meist 150–300 mg/dl)a 4 ARDS 4 Elimination von Zytokinen bei Sepsis?
a Sind Patienten klinisch nicht ausreichend beur teilbar, z. B. bei Beatmung oder Analgosedierung, sollte man sich eher an den unteren Grenzwerten orientieren.
60
chenden Funktionswiederkehr, sodass diese Patienten chronisch dialysepflichtig bleiben [10]. Weitere 5% entwickeln im Anschluss an eine inkomplette Erholung der Nierenfunktion eine chronisch progrediente Niereninsuffizienz.
ten der PICARD-Studie, in der Patienten, die erst oberhalb eines Harnstoffs von 150 mg/dl dialysiert wurden, eine 1,8-fach gesteigerte Mortalität aufwiesen gegenüber Patienten, die früher dialysiert wurden [11].
60.10 Indikationen für extrakorporale Ver fahren
i Eine absolute Indikation zur Dialyse stellt die urämische Perikarditis dar, da hierbei die Gefahr einer Einblutung mit Perikardtamponade besteht.
Die Indikation, ein extrakorporales Nierenersatzverfahren durchzuführen, muss individuell gestellt werden. Einige absolute und relative Indikationen sind in . Tabelle 60.3 zusammengestellt.
Nichtrenale Indikationen
i Harnstoff und Kreatinin dienen als Marker einer Niereninsuffizienz, sind aber selbst in den in vivo erreichten Konzentrationen nicht toxisch.
Entscheidend sind weniger die Laborwerte als die Symptomatik des Patienten. Trotzdem orientiert man sich aus Gründen der Praktikabilität an den einfach zu messenden Substanzen Kreatinin und Harnstoff. Die eigentlichen urämischen Toxine bestehen allerdings aus einer Vielzahl von Molekülen im Mittelmolekülbereich (MG 500– 20.000), sind nicht alle identifiziert, nicht immer wasserlöslich (also durch Dialyse nicht gut entfernbar) und in unterschiedlichem Ausmaß proteingebunden. Zudem werden die Serumspiegel von Kreatinin und Harnstoff außer von der Nierenfunktion (= Ausscheidungsrate) auch von der Produktionsrate dieser Substanzen bestimmt. Das Serumkreatinin korreliert positiv mit der Muskelmasse des Patienten, der Serumharnstoff steigt durch hohe Eiweißzufuhr und durch katabole Stoffwechsellage (Infekt, Steroidtherapie) an. Daher kann es bereits bei niedrigen Harnstoffwerten zu einer ausgeprägten urämischen Symptomatik kommen. So kann eine Dialyse bei Harnstoffwerten von 20–25 mmol/l bei gleichzeitiger Symptomatik oder bei intensivpflichtigen, beatmeten Patienten indiziert sein, bei anderen Patienten kann bei solchen Werten und fehlender Symptomatik weiter abgewartet werden, wenn Hoffnung auf baldige Besserung der Nierenfunktion nach Beseitigung der Ursache (z. B. akutes Nierenversagen durch Exsikkose) besteht. i Eine Harnstoffkonzentration von >50 mmol/l (>300 mg/ dl) stellt jedoch immer eine Dialyseindikation dar.
Beatmete Patienten, bei denen Urämiesymptome schwer zu erkennen sind, sollten etwa ab einer Harnstoffkonzentration von >25 mmol/l (150 mg/dl) dialysiert werden. Dafür sprechen Da-
In seltenen Fällen gibt es auch nichtrenale Indikationen für die Anwendung eines extrakorporalen Verfahrens. Hierzu gehören Unterkühlung oder hohes Fieber, wo am sinnvollsten ein kontinuierliches Verfahren gewählt wird. Beim ARDS kann mittels CVVH (»continuous veno-venous hemofiltration«) rasch Flüssigkeit entzogen werden, zusätzlich zu einer eventuell erhaltenen Diurese. Die Elimination von Zytokinen und Mediatoren bei Sepsis muss als Dialyseindikation mit großer Zurückhaltung angesehen werden, da ein Beleg der Wirksamkeit bislang aussteht. Die meisten Zytokine und z. B. Komplementfaktoren werden renal eliminiert. Zwar werden Zytokine durch Dialyseverfahren wie CVVH eliminiert, die erreichten Mengen sind jedoch bei erhaltener Nierenfunktion von relativ geringer und klinisch fragwürdig relevanter Größenordnung. In den letzten Jahren wurden großporige Dialysemembranen mit hoher Ausschlussgrenze (sog. High-cut-off-Membranen) für diese Indikation getestet [12]. Eventuell ergeben sich in Zukunft nach weiteren Studien Indikationen für Nierenersatzverfahren mit diesen Membranen, insbesondere bei septischen Patienten. 60.11 Transportmechanismen Der Transport von Substanzen oder Flüssigkeit durch eine Membran kommt durch 4 verschiedene Mechanismen zustande, die im Folgenden erläutert werden. 4 Diffusion Diffusion bezeichnet den Transport von gelösten Teilchen durch eine Membran aufgrund eines Konzentrationsunterschieds auf beiden Seiten der Membran. Gelöste Teilchen wandern von der Seite höherer zur Seite niedrigerer Konzentration, bis eine Äquilibrierung eingetreten ist. Die Diffusion ist der wichtigste Transportmechanismus von
765 60.12 · Zugangsmöglichkeiten für extrakorporale Verfahren
kleinmolekularen Substanzen (bis ca. MG 500) bei der Hämodialyse. 4 Konvektion Konvektion bezeichnet den Kotransport von gelösten Teilchen mit dem Lösungsmittel. Durch Filtration von Plasmawasser werden die darin gelösten Substanzen ebenfalls entfernt, mittelgroße Substanzen (bis MG 20.000) werden v. a. durch Konvektion transportiert. Treibende Kraft sind hydrostatische Druckdifferenzen; die Konvektion ist der Transportmechanismus aller Substanzen bei der Hämofiltration. 4 Ultrafiltration Ultrafiltration bezeichnet den Transport von Flüssigkeit durch eine Membran aufgrund einer hydrostatischen Druckdifferenz. 4 Osmose Osmose bezieht sich auf den Transport von Lösungsmittel durch eine Membran aufgrund von Konzentrationsgradienten. Lösungsmittel wandert von der Seite niedrigerer Konzentration gelöster Substanzen zur Seite mit der höheren Konzentration gelöster Substanzen.
Eliminationsver fahren Bei der Hämodialyse spielen alle 4 Mechanismen eine Rolle, bei der Hämofiltration lediglich die Konvektion und die Ultrafiltration. Kleinmolekulare Substanzen (MG 20/min (paO212 oder 10% unreifer Zellen
Schweres SIRS
SIRS + Anzeichen einer Organhypoper fusion/-dysfunktion (7 s. unten)
Sepsis
SIRS + klinisch angenommene und/oder mikrobiologisch erwiesene Infektion
Schwere Sepsis/Sepsissyndrom
Sepsis + Hypotension, die reagiert auf 1 h Flüssigkeitszufuhr, oder eines oder mehr Zeichen einer Organhypoperfusion/-Dysfunktion, wie z. B. 4 akute zerebrale Beeinträchtigung 4 Oxygenierungsstörung (paO238°C) oder Hypothermie (90/min – Tachypnoe (Frequenz >20/min) oder Hyperventilation (paCO230 Tage) angenommen und betrifft neben der Außenseite auch das Katheterlumen [37]. Die im Katheterurin nachgewiesene Erregerkonzentration stimmt dementsprechend nicht zwangsläufig mit dem Ausmaß der Blasenkolonisation überein [37]. Biofilme stellen eine wirkungsvolle Barriere gegen die wirtseigene Abwehr und Antibiotika dar. Die Selektion mehrfach resistenter Erreger wird dadurch begünstigt. Eine prolongierte Katheterisierung birgt zusätzlich die Gefahr lokaler, periurethraler Komplikationen, wie Prostatitis, Epididymitis und Skrotalabszess. Suprapubische Blasenkatheter scheinen im Vergleich zu transurethralen Kathetern mit einem niedrigeren Risiko für einen Harnwegsinfekt assoziiert zu sein. Der Einsatz von Kondomkathetern erbrachte widersprüchliche Ergebnisse. Silikon- und Latexkatheter unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Bakteriurieinzidenz. Silberbeschichtete Katheter vermindern wahrscheinlich die Infektinzidenz gegenüber unbeschichteten und teflonbeschichteten Kathetern [38]. Blasenverweilkatheter mit Antibiotikabeschichtung scheinen bei kurzzeitiger Katheterisierung eine Bakteriurie verhüten bzw. verzögern zu können. Eine klare Empfehlung für den klinischen Einsatz beschichteter Katheter kann aufgrund der aktuellen Datenlage und der ungeklärten Frage einer möglichen Resistenzinduktion derzeit nicht gegeben werden [38,39].
Screening Wichtigster Risikofaktor für die Entstehung eines nosokomialen Harnwegsinfektes ist ein Blasenverweilkatheter. Für Patienten mit kurzzeitigem Blasenkatheter (30 Tage) eine Therapie, empfehlen einzelne Autoren den Wechsel des Katheters und Entnahme einer neuen Urinprobe über den neuen Katheter vor Beginn der Antibiotikatherapie [37, 42]. Zur empirischen parenteralen Therapie des nosokomialen komplizierten HWI sind Cephalosporine der Gruppe 2/3a, Chinolone (Cipro- und Levofloxacin), Aminopenicilline/E-Laktamaseinhibitor sowie Carbapeneme geeignet [33]. Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP-SMX) wird ohne Austestung nicht mehr empfohlen. Bei schweren Infektionen, bei Verdacht auf Pseudomonas spp. oder bei Nichtansprechen der initialen Therapie innerhalb von 1–3 Tagen werden gegen Pseudomonas wirksame Antibiotika eingesetzt [33]. Dazu zählen Cephalosporine der Gruppe 3b (Ceftazidim und Cefepim), Chinolone (Cipro- und Levofloxacin) sowie Acylaminopenicilline/E-Laktamaseinhibitor (z. B. Piperacillin/Tazobactam) und Carbapeneme. Bei Nachweis von Extended-spectrum-E-Laktamase (ESBL)-bildenden Erregern sind Carbapeneme wirksam. Chinolone und Tigecyclin können Therapieoptionen nach Austestung sein.
Bei schwerer Urosepsis kann eine initiale Kombination aus E-Laktamantibiotikum und Chinolon bis zur klinischen Stabilisierung des Patienten sinnvoll sein. Ob ein Aminoglykosid als Kombinationspartner zu einem E-Laktamantibiotikum von klinischem Vorteil ist, ist umstritten. Klinik und Resistogramm entscheiden über die weitere kalkulierte Therapie. Die Therapiedauer der nosokomialen komplizierten Zystitis oder Urethritis beträgt in der Regel 3‒5 Tage über die Entfieberung bzw. Beseitigung der Ursache hinaus [33]. Eine akute unkomplizierte Pyelonephritis benötigt eine Therapie über 7– 14 Tage, bei Komplikationen wie Abszedierung kann eine Gabe über Wochen indiziert sein [41]. Ein asymptomatischer Patient mit Candidanachweis im Urin benötigt in der Regel keine Therapie. Behandelt werden sollten symptomatische Patienten, neutropenische Patienten, Neugeborene mit niedrigem Geburtsgewicht, Patienten nach Nierentransplantation und Patienten, die sich einem urologischen Eingriff unterziehen. Kann bei Candidurie auf den Urinkatheter verzichtet werden, so sollte er als initiale Maßnahme gezogen werden [11]. Ist der Verzicht auf einen Katheter nicht möglich, so kann ein Katheterwechsel evtl. sinnvoll sein. Der Nutzen eines solchen Wechsels bei Candidurie ist ungeklärt. Die Wahl des Antimykotikums, Dosis und Dauer richten sich nach der Infektion (lokal oder systemisch) und der nachgewiesenen Spezies. Antimykotische Blasenspülungen sind umstritten und können aus unserer Sicht nicht empfohlen werden. Einen Überblick über die wichtigsten Empfehlungen zur Prävention von Infektionen, assoziiert mit einem Blasenkatheter zeigt . Tabelle 64.10. 64.4.4 Postoperative Wundinfektionen > Definition Unter einer postoperativen Wundinfektion ist eine Infektion zu verstehen, die innerhalb von 30 Tagen bzw. bei Implantaten (z. B. Hüftendoprothesen, Kunstklappen) innerhalb eines Jahres im Operationsgebiet auftritt. Entsprechend der Infektionslokalisation wird eingeteilt in: 4 oberflächliche Infektion, umfasst ausschließlich die Kutis und Subkutis, 4 tiefe Infektion, greift auf Faszien und Muskeln über, 4 Infektion im Operationsgebiet (Organ, Körperhöhle). Als Infektionskriterien gelten: 4 eitrige Sekretion aus der Inzisionsstelle oder aus der Drainage, 4 mikrobiologischer Keimnachweis aus aseptisch entnommenem Wundsekret oder Gewebe, 4 Rötung, Schwellung, Schmerz oder Druckempfindlichkeit bei oberflächlichen Infektionen, 4 Abszess oder weitere Infektionszeichen der tieferen Schichten, des operierten Organs bzw. der operierten Körperhöhle bei tiefen Infektionen [4].
Epidemiologie Postoperative Wundinfektionen stellen die dritthäufigste nosokomiale Infektionsart dar. Nach den Daten des deutschen Surveillance Systems KISS wurden im Zeitraum 1997‒2004 bei 274.050 erfassten Operationen insgesamt 5500 postoperative Wundinfek-
823 64.4 · Infektionen assoziiert mit zentralen Venenkathetern
tionen ermittelt, d. h. bei 2% der Patienten traten Wundinfektionen auf. Diese Infektionen verlängern die Hospitalisationsdauer im Mittel um 7–8 Tage. Für Deutschland rechnet man mit ca. 1 Mio. zusätzlichen Krankenhausverweiltagen pro Jahr, die durch postoperative Wundinfektionen verursacht werden [43].
Risikofaktoren und Wundinfektionsraten Das Risiko, eine Wundinfektion zu entwickeln, hängt von zahlreichen endogenen und exogenen Faktoren ab (. Tab. 64.4). Als wesentliche Einflussfaktoren gelten das Alter, der ASA-Score, die Operationsdauer und die Wundkontaminationsklasse (sauber, sauber kontaminiert, kontaminiert und schmutzig). Nach abdominalchirurgischen Eingriffen kommen aufgrund des häufiger kontaminierten oder infizierten Operationssitus mehr Wundinfektionen vor als bei aseptischen extraabdominellen Eingriffen. Endoskopische Eingriffe sind in der Regel mit niedrigeren Infektionsraten assoziiert [46]. Eine Übersicht über postoperative Wundinfektionsraten für ausgewählte stationäre Indikatoroperationen ist in . Tabelle 64.5 dargestellt [4].
Erregerspektrum Grampositive Keime wie S. aureus, koagulasenegative Staphylokokken (z. B. S. epidermidis) oder Enterokokken sind die
häufigsten Erreger von postoperativen Wundinfektionen. Bei allgemeinchirurgischen oder abdominellen Eingriffen dominieren gramnegative Erreger wie E. coli, Pseudomonas aeruginosa und Klebsiellen. Im Einzelfall können auch Enterokokken und anaerobe Bakterien, wie z. B. Bacteroides spp., am Infektionsgeschehen beteiligt sein. In den meisten Fällen handelt es sich um Bakterien der patienteneigenen Haut- oder Darmflora, die zum Zeitpunkt der Inzision oder während der Operation in die Wunde gelangen. Der Nachweis von koagulasenegativen Staphylokokken bei oberflächlichen Wundinfektionen muss kritisch bewertet werden, da bei nicht korrekter Probenabnahme häufig Hautkeime angezüchtet werden. Unbestritten ist ihre Bedeutung als Erreger bei Implantatinfektionen (z. B. Knie- oder Hüft-TEP, künstliche Herzklappe) oder Wundinfektionen nach thoraxchirurgischen Bypassoperationen. Viren (z. B. HIV, Hepatitis B oder C) können zwar während einer Operation übertragen werden, führen aber nicht zu Wundinfektionen.
Diagnostik und Therapie Die meisten Wundinfektionen treten zwischen dem 3. und dem 8. postoperativen Tag nach primärem Wundverschluss auf. Eine primär heilende Wunde ohne Drainage gilt in der Regel nach 24 h als verschlossen und ist nicht mehr exogen kontaminati-
. Tabelle 64.4. Risikofaktoren für die Entstehung einer postoperativen Wundinfektion. (Nach [44, 45]) Risikofaktoren Endogene, patienteneigene Risikofaktoren
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Exogene Risikofaktoren
4 Prä- und intraoperativ – Dauer des stationären Aufenthalts präoperativ – Präoperative Haarentfernung – Verzicht auf eine indizierte perioperative Prophylaxe – Notfalloperation – Kontaminationsgrad der Wunde – Operationsdauer – Operationstechnik einschließlich Blutstillung – Hypothermie des Patienten während des Eingriffs – Hypoxie – Implantation von Fremdkörpern – Bluttransfusionen (Reduktion der zellulären Abwehr) 4 Postoperativ – Drainage (Art und Dauer) – Nicht sachgerechte postoperative Wundversorgung – Art der postoperativen Ernährung – Postoperative invasive Maßnahmen, die eine Bakteriämie auslösen
Hoher ASA-Scorea Hohes Lebensalter Nasale Besiedlung mit S. aureus Infektion an anderer Stelle Komorbiditäten Adipositas permagna Diabetes mellitus Mangelernährung Nikotinkonsum Maligne Grunderkrankung Immunsuppression Anämie (prä- und postoperativ)
a ASA-Score der amerikanischen Gesellschaft für Anästhesie, beschreibt den präoperativen Gesundheitszustand des Patienten, Einteilung in
5 Kategorien.
64
824
Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
. Tabelle 64.5. KISS-Referenzdaten für postoperative Wundinfektionsraten (%) für stationäre Indikator-Operationen (2001–2006) Indikatoroperation
Anzahl der Kliniken
Anzahl der Operationen
Anzahl der Wundinfektionen
Postoperative Wundinfektionsrate (%); gepoolter Mittelwert
Appendektomie
38
14974
365
2,4
Cholezystektomie (nicht endoskopisch)
42
5503
234
4,3
Koronare Bypassoperationen mit autologem Gefäßtransplantat, Thoraxwunde
11
27205
824
3,0
Kolonoperationen
51
17464
1280
7,3
Gefäßchirurgische Eingriffe, untere Extremitäten, arterielle Rekonstruktion
20
5965
172
2,9
Herniotomie
56
28733
286
1,0
4 in der Orthopädie
84
34.449
376
1,1
4 in der Traumatologie
67
6749
213
3,2
Hysterektomie, abdominell
28
8240
176
2,1
Eingriffe an der Niere
12
3612
136
3,8
Eingriffe an der Prostata
14
5392
122
2,3
Sectio caesarea
49
47831
607
1,27
Hüftendoprothesen
64
onsgefährdet. Infektionen im Zusammenhang mit Implantaten können jedoch bis zu 1 Jahr nach Operation manifest werden. Die Kennzeichen einer postoperativen Wundinfektion sind vereinfacht in der eingangs genannten Definition zusammengefasst. Die je nach Infektionslokalisation spezifischen Definitionen des RKI bzw. der CDC können unter www.nrz-hygiene.de oder www.cdc.gov nachgelesen werden. Die Diagnose einer Wundinfektion kann im Einzelfall schwierig sein, da Symptome wie Rötung, Schwellung, Schmerz und Druckempfindlichkeit im Operationsgebiet sowohl bei Wundheilungsstörungen als auch bei Infektionen vorliegen können. Eine eitrige Sekretion aus der Inzisionsstelle oder einer Drainage, die Zugang zum Operationsgebiet hat, ist beweisend für eine Wundinfektion. Eine mikrobiologische Diagnostik durch sterile Entnahme eitrigen Sekretes ist indiziert, um eine gezielte Antibiotikatherapie durchführen zu können. Tiefe Wundinfektionen oder Infektionen in einer Körperhöhle, z. B. Mediastinitis, verursachen meist Fieber. Eine Blutkulturdiagnostik sollte immer durchgeführt werden. Postoperative Wundinfektionen erfordern in der Regel eine chirurgische Revision. Eine mechanische Wundreinigung zur Entfernung sämtlicher Nekrosen und Beläge und eine lokale antiseptische Behandlung, ggf. in Kombination mit einer systemischen Antibiotikatherapie, sind die wichtigsten Maßnahmen. Abszesse müssen eröffnet, antiseptisch gespült und mit einer Drainage versorgt werden. Organinfektionen bzw. Infektionen in einer Organhöhle müssen immer chirurgisch revidiert und mit Antibiotika therapiert werden. Bei der empirischen Antibiotikagabe sind die am häufigsten nachgewiesenen Wundinfektionserreger der jeweiligen Indika-
toroperation (. Tab. 64.6) zu berücksichtigen. Die mikrobiologische Untersuchung von intraoperativ gewonnenem Material aus dem Wundgebiet (Gewebe, Punktat, Abstrich) ermöglicht eine erregerspezifische Therapie.
Prävention Die Surveillance postoperativer Wundinfektionen, z. B. im Rahmen des KIS-Systems, gilt als wichtiges Instrumentarium zur Reduktion der Infektionsraten [4]. Es wird geschätzt, dass bei Patienten ohne Risikofaktoren ca. 20% der postoperativen Wundinfektionen vermeidbar sind [47]. Vermutlich liegt dieser Anteil bei sog. »sauberen Eingriffen« noch höher. Wichtigste Eckpfeiler der Prävention von postoperativen Wundinfektionen sind: 4 Kontrolle endogener Risikofaktoren durch optimale Operationsvorbereitung, 4 adäquate Antibiotikaprophylaxe (7 Kap. 62), 4 saubere und aseptisch ausgeführte Operationstechnik, 4 Vermeidung exogener Kontaminationsquellen [47]. Zahlreiche der in . Tabelle 64.4 genannten Risikofaktoren sind beeinflussbar. Eine verlängerte präoperative Verweildauer bzw. eine Verzögerung des Operationszeitpunktes bei Verletzungen erhöhen das Risiko einer postoperativen Wundinfektion. Die Ursachen hierfür sind meist multifaktoriell, z. B. Abhängigkeit der präoperativen Verweildauer von Erkrankungsschwere und Komorbiditäten, Kolonisation mit resistenten Erregern (z. B. MRSA) [45]. Der Zeitpunkt und die Art einer präoperativen Haarentfernung haben einen erheblichen Einfluss auf die Wundinfekti-
64
825 64.4 · Infektionen assoziiert mit zentralen Venenkathetern
. Tabelle 64.6. Anteil der häufigsten nachgewiesenen Erreger (%) bei postoperativen Wundinfektionen je nach Fachgebiet. (Nach [45]) Erreger
Allgemein- und Thoraxchirurgie (n=2527)
Traumatologie/ Orthopädie (n=1631)
Herzchirurgie (n=714)
Gefäßchirurgie (n=413)
Geburtshilfe (n=653)
S. aureus
11,4
42,7
39,6
39,0
19,8
Enterokokken
12,9
10,9
8,7
10,7
6,9
E. coli
22,6
4,1
2,7
6,7
4,4
P. aeruginosa
3,8
3,2
3,6
2,6
0,5
Klebsiella spp.
3,7
1
0,8
3,0
0,5
Koagulasenegative Staphylokokken
4,2
19,4
21,1
9,3
8,7
Enterobacter spp.
12,9
2,4
4,3
3,3
0,3
Streptokokken
4,8
4,8
1,5
5,3
6,4
Candida spp.
1,4
0,2
0,5
0,2
0,1
Daten des Krankenhausinfektions-Surveillance-Systems (Modul OP-KISS) aus dem Zeitraum 1997–2004.
onsrate. Kann auf eine Haarkürzung nicht verzichtet werden, sollte sie vorzugsweise kurz vor der Operation mit einem elektrischen Haarclipper erfolgen. Eine Haarrasur am Vortag mit einem scharfen Einmalrasierer kann Mikroläsionen verursachen, welche Infektionen durch die residente Flora und Krankenhauskeime begünstigen. Eine Haarentfernung mit chemischen Mitteln ist ebenfalls möglich, sollte aber wegen häufiger Hautreizungen einen Tag vor der Operation durchgeführt werden [47]. i Wird eine perioperative Prophylaxe bei vorliegender Indikation verspätet oder gar nicht verabreicht, so muss mit erhöhten Infektionsraten gerechnet werden (7 Kap. 62).
Bei allen Eingriffen im OP ist die generelle Einhaltung aseptischer Arbeitsmethoden/-techniken und der adäquate Umgang mit sterilen Medizinprodukten Standard. Die Erfahrung und die Operationstechnik des Operateurs nehmen wesentlich Einfluss auf die postoperativen Infektionsraten. Als wichtigste Maßnahmen bei der postoperativen Wundversorgung gelten: 4 Bei Verdacht auf eine Wundinfektion, bei Durchfeuchtung oder Lageverschiebung des Verbandes oder anderen Komplikationen muss dieser unverzüglich gewechselt werden. 4 Die Entfernung des Verbandes, des Nahtmaterials sowie der Drainagen muss unter Anwendung aseptischer Arbeitstechniken erfolgen. 4 Wunddrainagen sollten so früh wie möglich entfernt werden [45]. Die kompletten und nach Evidenzgraden bewerteten Präventionsmaßnahmen sind u. a. in der Leitlinie »Prävention postoperativer Infektionen im Operationsgebiet« des Robert Koch-Institutes zusammengefasst [45].
64.4.5 Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö
und Kolitis Die Infektion mit Clostridium difficile ist eine der häufigsten Ursachen einer nosokomialen Diarrhö bei Er wachsenen. Seit dem Jahr 2000 mehren sich Berichte aus Nordamerika über nosokomiale Ausbrüche schwerer Erkrankungen mit deutlich erhöhter Letalität, verursacht durch einen besonders virulenten, Chinolon-resistenten C.-difficile-Stamm (NAP1/027) [48]. Seit 2003 werden solche Epidemiestämme in Teilen Europas (England, Belgien, den Niederlanden und Frankreich) nachgewiesen [49].
Infektionsweg Clostridium difficile ist ein anaerobes, sporenbildendes Bakterium, dessen natürliches Reser voir u. a. der Darm von Tieren und Menschen ist. Bei Prädisposition, z. B. Alteration der normalen Flora durch eine Antibiotikatherapie, Immunsuppression oder Operation, kann C. difficile als Infektionserreger in Erscheinung treten. Prinzipiell kann jedes Antibiotikum eine Infektion mit C. difficile begünstigen, am häufigsten werden in diesem Zusammenhang Clindamycin, Breitspektrum-Penicilline, Cephalosporine und Chinolone genannt. Nur ca. 10–20% aller antibiotikaassoziierten Diarrhöen werden jedoch durch C.-difficile-Stämme verursacht [50]. In Ausnahmen wurde eine C.-difficile-Diarrhö nach Chemotherapeutika, wie Methotrexat und Paclitaxel, beobachtet [50]. Differenzialdiagnostisch ist an Infektionen mit Rota-, Adeno- und Noroviren zu denken. Neben dem endogenen Infektionsweg ist die nosokomiale, fäkal-orale Übertragung auf andere Patienten beschrieben und stellt ein zunehmendes krankenhaushygienisches Problem dar. Ob der Mensch nach der Kolonisation erkrankt oder asymptomatischer Träger bleibt, ist abhängig von der individuellen Disposition und der Virulenz/Toxigenität des C.-difficile-Stammes.
826
Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
Klinik Einige C.-difficile-Stämme sind in der Lage, sog. Exotoxine A und B zu produzieren, die zum einen eine sekretorische Diarrhö, zum anderen eine Kolitis auslösen können.
Unspezifische klinische Zeichen sind wässrige Diarrhö, Leukozytose, abdominelle Krämpfe und ggf. Fieber. Hypalbuminämie und Ödeme deuten auf eine Proteinverlustenteropathie hin. Lebensbedrohliche Verläufe einer C.-difficile-Kolitis werden normalerweise, von den oben genannten Ausbrüchen abgesehen, bei 1–3% der Patienten erwartet [51]. i Bei der fulminanten Kolitis besteht die Gefahr der Entwicklung eines toxischen Megakolons, eines Ileus und einer Perforation. Diffuse abdominelle Schmerzen, Leukozytose, Fieber, Hypotonie und Oligurie sind mögliche Kennzeichen einer schweren systemischen Infektion. Die richtungweisende Diarrhö kann bei toxischer Dilatation des Kolons oder paralytischem Ileus fehlen. Bei einer fulminanten Kolitis ist eine entschlossene Diagnostik und rasche Prüfung gastroenterologischer und chirurgischer Therapieoptionen entscheidend.
Diagnose und Therapie
64
Die definitive Diagnose einer C.-difficile-Infektion erfordert die Erregeranzucht und/oder den laborchemischen Nachweis der C.-difficile-Toxine A und/oder B im Stuhl eines symptomatischen Patienten. Bei negativem Ergebnis ist es sinnvoll, erneut 1 oder 2 Stuhlproben zu untersuchen. Eine Koloskopie oder Sigmoidoskopie ist bei typischer Klinik und positivem Toxinnachweis nicht generell notwendig. Die koloskopischen Bilder der C.-difficile-Kolitis sind vielfältig. Eine pseudomembranöse Kolitis ist selten, aber pathognomonisch für das Vorliegen einer C.-difficile-Infektion. . Abb. 64.4 zeigt das endoskopische Bild einer Kolonmukosa mit typischen weißlich-gelblichen Plaques. Bei milder Klinik mit 3–4 wässrigen Stühlen pro Tag ist das Absetzen der auslösenden Antibiotikatherapie der entscheidende Schritt. Indikationen für eine medikamentöse Behandlung sind: 4 Der Patient ist symptomatisch, im Sinne einer Kolitis oder einer schweren Diarrhö. 4 Persistierende Diarrhö trotz Absetzen der Antibiotikatherapie. 4 Notwendigkeit der Fortführung der auslösenden Antibiotikatherapie [50]. Metronidazol ist das Medikament der Wahl. Vancomycin sollte aufgrund der Triggerung Vancomycin-resistenter Enterokokken (VRE) nur bei entsprechender Indikation eingesetzt werden. Die Normaldosis von Metronidazol beträgt 3-mal 500 mg/Tag oral für 10–14 Tage. Bei Schwangerschaft, Stillzeit oder anderen Kontraindikationen für Metronidazol ist die Gabe von Vancomycin möglich. Die orale Vancomycin-Dosis beträgt 4-mal 125 mg/Tag für 10– 14 Tage [50]. Bei moderater oder schwerer Erkrankung werden höhere Vancomycin-Dosierungen bis 4-mal 500 mg/Tag oral angeraten [50, 53].
. Abb. 64.4. Koloskopisches Bild einer pseudomembranösen Kolitis durch C. difficile. [Freundlichst überlassen von Dr. med. R. Winograd, Med. Klinik III, UkA]
Die Applikation der Medikamente sollte bei C.-difficile-Diarrhö bevorzugt oral bzw. über Magensonde erfolgen; eine parenterale Gabe ist, wenn überhaupt, nur für Metronidazol möglich. Die intravenöse Therapie mit Vancomycin erzielt keinen hinreichenden enteralen Effekt. Die Gabe von Flüssigkeit und die Kontrolle des Elektrolythaushaltes sind obligat. Antiperistaltisch wirksame Medikamente sollten vermieden werden. Als Therapieerfolg ist die Entfieberung nach 1‒2 Tagen und das Sistieren der Diarrhö nach 2‒5 Tagen zu werten [53]. Eine Toxinkontrolle im Stuhl zur Bestätigung des Therapieerfolges sollte nicht durchgeführt werden, da der Toxinnachweis noch längere Zeit positiv ausfallen kann. Rund 12–24% der Patienten entwickeln eine zweite Krankheitsepisode innerhalb von 2 Monaten nach initialer Diagnosestellung [53]. Klinisch ist nicht beurteilbar, ob es sich dabei um eine Reinfektion oder um ein Rezidiv mit gleichem Erreger handelt. Die erste Rekurrenz der Erkrankung wird in der Regel mit einer erneuten Metronidazol-Gabe über 10–14 Tage behandelt.
Prävention und Hygienemanagement Der wichtigste Schritt zur Prävention der C.-difficile-Diarrhö ist der restriktive Einsatz von Antibiotika. Ist ein Patient erkrankt, muss die Übertragung auf andere Patienten verhindert werden. Immunsupprimierte und Patienten mit Antibiotikatherapie scheinen besonders gefährdet zu sein. Bei der Versorgung des Erkrankten sollten Handschuhe und Kittel im Sinne einer Kontaktisolation getragen werden, da der Stuhl infektiös ist. Eine Unterbringung im Einzelzimmer ist zu befürworten, solange der Patient symptomatisch ist. Das Zimmer ist entsprechend zu reinigen. i Die Fähigkeit von C. difficile, Sporen zu bilden, ist der Grund für eine ausgeprägte Umweltresistenz. Da Sporen alkoholresistent sind, ist es notwendig, die Hände mit Wasser und Seife zu waschen.
827 64.5 · Prävention device-assoziierter nosokomialer Infektionen
64.5
Prävention device-assoziier ter nosokomialer Infektionen
Detaillierte Leitlinien zur Prävention der wichtigsten im Krankenhaus erworbenen Infektionen existieren, z. B. von den Centers for Disease Control and Prevention und vom Robert KochInstitut, und sind z. B. aktualisiert im Internet zugänglich (www. nrz-hygiene.de oder www.cdc.gov).
64
Weitere wichtige Aspekte des Hygienemanagements auf der Intensivstation sind in 7 Kap. 5 erläutert. Die in . Tabelle 64.7 bis 64.10 zusammengefassten derzeitigen Empfehlungen zur Infektionsprävention sollen dem Stationsteam als praxisnahe Anleitung und Checkliste im Umgang mit den verschiedenen »devices« dienen.
. Tabelle 64.7. Basismaßnahmen zur Prävention device-assoziierter Infektionen. (Nach [15, 28, 52]) Infektionskontrolle
4 Personalschulung 4 Erfassung und Bewertung nosokomialer Infektionen 4 Erkennung und Isolation von Patienten mit multiresistenten Erregern
Händedesinfektion
4 Vor und nach dem Patientenkontakt 4 Vor und nach jedem Kontakt mit dem Katheter bzw.Tubus 4 Vor dem Anziehen und nach dem Ausziehen der Einmalhandschuhe
Einmalhandschuhe
4 Bei Kontakt mit potenziell infektiösem Material
. Tabelle 64.8. Spezielle Maßnahmen zur Prävention der ZVK-assoziierten Sepsis. (Nach [14, 15]) Indikation
4 Indikation für ZVK täglich überprüfen
Katheteranlage
4 Katheteranlage stets unter aseptischen Bedingungen durchführen (sterile Handschuhe, steriler Kittel, Kopfhaube, Mund-/Nasenschutz, steriles Lochtuch) 4 Desinfektion des Punktionsareals mit einem Hautdesinfektionsmittel, dabei Einwirkzeiten beachten 4 V. subclavia aus infektionspräventiven Gründen bevorzugen
Verband
4 Abdecken der Katheterstelle entweder mit steriler Kompresse oder transparentem semipermeablem Folienverband
Verbandswechsel
4 4 4 4
Katheterwechsel
4 Kein routinemäßiger ZVK-Wechsel; Katheter, die notfallmäßig unter aseptischen Bedingungen gelegt wurden, so schnell wie möglich wechseln 4 Tägliche Inspektion der Einstichstelle, bei sichtbarer Entzündung sofortige Entfernung des Katheters und Neuanlage an anderer Stelle 4 Katheterwechsel über Führungsdraht nur, wenn kein Infektionsverdacht
Spülung
4 Falls er forderlich, sterile physiologische Kochsalzlösung verwenden
Infusionssysteme
4 Wechsel des Infusionssystems alle 72 h (Ausnahmen: bei Applikation von Lipidlösungen spätestens nach 24 h, bei Gabe von Blut- und Blutprodukten spätestens nach 6 h)
Wechsel grundsätzlich, wenn der Verband feucht, lose oder schmutzig ist Wechsel in Non-touch-Technik , Einmalhandschuhe verwenden Applikation von Hautdesinfektionsmittel (keine Salben) auf die Insertionsstelle Gazeverband: – Wechsel täglich bei bewusstseinsgetrübten, beatmeten Patienten – tägliche Palpation bei bewusstseinsklaren Patienten, keine Aussage zur Wechselfrequenz 4 Folienverband mindestens alle 7 Tage wechseln
. Tabelle 64.9. Spezielle Maßnahmen zur Prävention der beatmungsassoziierten Pneumonie. (Nach [23, 28]) Intubation
4 4 4 4
Lagerung des Patienten
4 Hochlagerung des Oberkörpers um 30–45°, wenn keine Kontraindikation
6
Indikation für invasive Beatmung täglich überprüfen Anwendung »nicht-invasiver Beatmungsverfahren«, wenn immer möglich Vermeidung von Reintubationen Bevorzugen der orotrachealen Intubation gegenüber der nasotrachealen Intubation, sofern möglich
828
Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
. Tabelle 64.9. (Fortsetzung)
64
Beatmungsfilter (HME-Filter)
4 Keine Empfehlung für oder gegen die Verwendung eines HME-Filters
Beatmungsschläuche
4 Kondenswasser ist regelmäßig und vorsichtig aus dem Beatmungskreislauf zu entfernen, dabei Tragen von Einmalhandschuhen und strikte Händedesinfektion 4 Wechselintervall des Beatmungsschlauches auch ohne Einsatz eines Beatmungsfilters alle 7 Tage (RKI), laut CDC kein routinemäßiger Wechsel bei einem Patienten; Wechsel, wenn schmutzig oder defekt
Absaugsystem
4 Hygienische Händedesinfektion und Tragen von keimarmen Einmalhandschuhen 4 Keine Empfehlung hinsichtlich der Favorisierung des geschlossenen oder des offenen Absaugsystems 4 Geschlossene Systeme: Absaugvorgang kann mehr fach mit dem selben Katheter wiederholt werden; Entfernung des Sekrets mittels steriler Spüllösung 4 Offenes Absaugsystem: Sterilen Einmalkatheter verwenden; Entfernung des Sekrets mittels Leitungswasser. Falls innerhalb eines Absaugvorganges der Absaugkatheter wiederholt in den Tubus eingeführt werden soll, Spülung mit sterilem Wasser 4 Aufhängen des Ansatzstückes in senkrechter Position
Medikamentenvernebler
4 4 4 4 4
Wiederaufbereitung von Beatmungszubehör
4 Vor Gebrauch beim nächsten Patienten: Gründliche Reinigung und Desinfektion der Gegenstände, die direkten oder indirekten Schleimhautkontakt haben 4 Bevorzugung thermischer Desinfektionsmaßnahmen 4 Nach einer chemischen Desinfektion: Nachspülen mit sterilem Wasser zur Beseitigung von Desinfektionsmittelresten; trockene Lagerung
Ernährung
4 Frühzeitiges Anstreben der enteralen Ernährung 4 Kontrolle der korrekten Lage der Ernährungssonde vor jeder Nahrungszufuhr und Anpassung an die Darmtätigkeit
Stressulkusprophylaxe
4 Keine Empfehlung hinsichtlich der Ulkusprophylaxe
Selektive Darmdekontamination (SDD)
4 Derzeit keine Empfehlung für den Routineeinsatz der SDD
Hygienische Händedesinfektion und Tragen von keimarmen Einmalhandschuhen Entfernung des Kondenswassers aus den Beatmungsschläuchen vor Befüllen des Verneblers Verwendung von Medikamenten in Einzelampullen Thermische oder chemische Desinfektion des In-line-Verneblers nach jedem Gebrauch Nach einer chemischen Desinfektion: Vernebler mit sterilem Wasser zur Beseitigung von Desinfektionsmittelresten ausspülen und trocken lagern
. Tabelle 64.10. Spezielle Maßnahmen zur Prävention des katheterassoziierten Harnwegsinfektes. (Nach [52]) Indikation
4 Strenge Indikationsstellung, Indikation für Katheter täglich überprüfen
Katheterwahl
4 Sorgfältige Auswahl des Katheters je nach Indikation und der Kathetergröße je nach Meatus urethrae 4 Bei Kurzzeitdrainage (≤5 Tage) kann alternativ zwischen transurethralem, suprapubischem Katheter oder streng aseptischem intermittierendem Einmalkatheterismus gewählt werden 4 Bei längerer Katheterisierung (>5 Tage) und nach größeren operativen Eingriffen Anlage eines suprapubischen Katheters unter Beachtung der Kontraindikationen bevorzugen 4 Bei transurethraler Kurzzeitdrainage (≤5 Tage) kann aus Kostengründen ein Latexkatheter verwendet werden (Cave: Latexallergie) 4 Bei längerfristiger Blasendrainage Bevorzugung eines Vollsilikonkatheters
Katheteranlage
4 Keine Antibiotikaprophylaxe vor Anlage oder bei liegendem Katheter zur Verhinderung einer Infektion 4 Desinfektion der Harnröhrenöffnung und ihrer Umgebung mit einem Schleimhautdesinfektionsmittel (Einwirkzeit beachten) 4 Aseptische Katheteranlage möglichst mittels Katheterset (sterile Einmalhandschuhe, steriles Abdecktuch, ggf. sterile Pinzette, sterile Tupfer, steriles Gleitmittel; steriles Aqua dest. oder vorzugsweise sterile 8- bis 10%ige Glycerin-Wasser-Lösung zur Ballonfüllung)
6
829 Literatur
64
. Tabelle 64.10. (Fortsetzung) Ableitungssystem
4 Verwendung steriler, geschlossener Harnableitungssysteme mit Rückflusssperre, Luftausgleichsventil, Ablassstutzen und Ablassventil 4 Abknicken und Diskonnektion von Katheter und Drainagesystem vermeiden; ist eine Diskonnektion nicht vermeidbar, alkoholische Wischdesinfektion der Konnektionsstelle 4 Spülungen und Instillationen nur bei spezieller urologischer Indikation, nicht zur Infektionsprophylaxe durchführen 4 Lagerung des Katheters ohne Zug am Unterbauch zur Leiste hin 4 Positionierung des Auffangbeutels immer freihängend unterhalb des Blasenniveaus ohne Bodenkontakt 4 Rechtzeitiges Entleeren des Auffangbeutels, bevor der Harn mit der Rückflusssperre in Kontakt kommt, dabei Tragen von Einmalhandschuhen 4 Auf Spritzschutz und Verhinderung des Nachtropfens (Rückstecklasche) achten 4 Kein Kontakt zwischen Ablassstutzen und Auffanggefäß bei der Harnentsorgung; Auffanggefäß desinfizierend reinigen 4 Kein intermittierendes Abklemmen des Katheters als Blasentraining
Pflege des Meatus urethrae und des Katheters
4 Reinigung des Genitales: Tägliches Waschen mit Wasser und Seife; Tragen von Einmalhandschuhen; Zug am Katheter vermeiden 4 Schonendes Entfernen von Inkrustierungen am Übergang von Katheter und Urethra mit H2O2 (3%ig) getränkten Tupfern; auf perineale Hygiene achten
Wechselintervall
4 Kein routinemäßiger Katheterwechsel, sondern nur bei Bedarf (z. B. Obstruktion)
Gewinnung von Proben
4 Kein routinemäßiges mikrobiologisches Monitoring bei katheterisierten Patienten 4 Abnahme von mikrobiologischen Proben aus patientennaher Abnahmestelle nach vorheriger alkoholischer Wischdesinfektion 4 Abnahme anderer Proben mit Einmalhandschuhen aus dem Ablassstutzen
Literatur 1. Vincent JL (2003) Nosocomial infections in adult intensive-care units. Lancet 14; 361 (9374): 2068–2077 2. Vincent JL, Bihari DJ, Suter PM, Bruining HA, White J, Nicolas-Chanoin MH, Wolff M, Spencer RC, Hemmer M (1995) The prevalence of nosocomial infection in intensive care units in Europe. Results of the European Prevalence of Infection in Intensive Care (EPIC) Study. EPIC International Advisory Committee. JAMA 23–30; 274 (8): 639–644 3. Geffers C, Gastmeier P, Rüden H (2002) Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Nosokomiale Infektionen, Heft 8 (Hrsg Robert Koch-Institut) 4. Nationales Referenzzentrum (NRZ) für Surveillance von nosokomialen Infektionen. Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS), Berlin. URL: www.nrz-hygiene.de/index1.htm 5. Centers for Disease Control and Prevention, National Nosocomial Infections Surveillance System (NNIS). URL: www.cdc.gov/ncidod/ dhqp/nnis.html 6. Angele MK, Faist E (2002) Clinical review: Immunodepression in the surgical patient and increased susceptibility to infection. Crit Care 6 (4): 298–305 7. Janssens U, Graf J (2006) Nicht alles ist so wie es scheint … die intensivierte Insulintherapie auf dem Prüfstand. Intensivmed Notfallmed 43 (7): 547–555 8. McArdle FI, Lee RJ, Gibb AP, Walsh TS (2006) How much time is needed for hand hygiene in intensive care? A prospective trained observer study of rates of contact between healthcare workers and intensive care patients. J Hosp Infect 62 (3): 304–310 9. Marik PE (2000) Fever in the ICU. Chest 117 (3): 855–869 10. Seifert H, Abele-Horn M, Fätkenheuer G, Glück T, Jansen B, Kern WV, Mack D, Plum G, Reinert RR, Roos R, Salzberger, B, Shah PM, Ullmann U, Weiss M, Welte T, Wisplinghoff H (2007) MIQ 3b: Blutkulturdiagno-
11.
12.
13. 14.
15.
16.
17.
18.
19.
stik. Sepsis, Endokarditis, Katheterinfektionen (Teil II). Qualitätsstandards in der mikrobiologisch-infektiologischen Diagnostik. Urban & Fischer, München Jena Pappas PG, Rex JH, Sobel JD, Filler SG, Dismukes WE, Walsh TJ, Edwards JE (2004) IDSA Guidelines for Treatment of Candidiasis. Clin Infect Dis 38: 161–189 Dellinger RP, Carlet JM, Masur H, Gerlach H, Calandra T, Cohen J, GeaBanacloche J, Keh D, Marshall JC, Parker MM, Ramsay G, Zimmerman JL, Vincent JL, Levy MM; Surviving Sepsis Campaign Management Guidelines Committee (2004) Surviving Sepsis Campaign guidelines for management of severe sepsis and septic shock. Crit Care Med 32 (3): 858–873 Gastmeier P, Daschner F, Rüden H (2005) Reduktion noskomialer Infektionen durch Surveillance. Dtsch Ärztebl 30: 1770–1773 Centers for Disease control and prevention (2002) Guidelines for the prevention of intravascular catheter-related infections. MMRW 51 (No. RR-10): 1–26 Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (2002) Prävention Gefäßkatheter-assoziierter Infektionen. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 45: 907–924 Eggimann P and Pittet D (2002) Overview of catheter-related infections with special emphasis on prevention based on educational programs. Clin Microbiol Infect 8: 295–309 Steinbrecher E, Sohr D, Nassauer A, Daschner F, Rüden H, Gastmeier P (2000) Die häufigsten Erreger bei Intensivpatienten mit nosokomialen Infektionen, Ergebnisse des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS). Chemother J 5: 179–183 Safdar N, Fine JP, Maki DG (2005) Meta-analysis: methods for diagnosing intravascular device-related bloodstream infection. Ann Intern Med 15; 142 (6): 451–466 Mermel LA, Farr BM, Sherertz RJ (2001) Guidelines for the management of intravascular catheter-related infections. Clin Infect Dis 32: 1249–1272
830
64
Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
20. Fätkenheuer G, Cornely O, Seifert H (2002) Clinical management of catheter-related infections. Review. Clin Microbiol Infect 8 (9): 545–550 21. Muto C, Herbert C, Harrison E, Edwards JR, Horan T, Andrus M, Jernigan JA, Kutty PK (2005) Reduction in central line associated bloodstream infections among patients in intensive care units. MMWR 54 (40); 1013–1016 22. Pronovost P, Needham D, Berenholtz S, Sinopol D, Chu H, Cosgrove S, Sexton B, Hyzy R, Wels R, Rot G, Bander J, Kepros J, Goeschel C (2006) An intervention to decrease catheter-related bloodstream infections in the ICU. NEJM 355 (26): 2725–2732 23. American Thoracic Society (2005) Guidelines for the management of adults with hospital-acquired, ventilator-associated and healthcare-associated pneumonia Am J Respir Crit Care Med Vol 171. pp. 388–416 24. Safdar N, Dezfulian C, Collard HR, Saint S. (2005) Clinical and economic consequences of ventilator-associated pneumonia: a systematic review. Crit Care Med. 33 (10): 2184–2193. 25. Dietrich ES, Demmler M, Schulgen G, Fekec K, Mast O, Pelz K, Daschner FD (2002) Nosocomial pneumonia: a cost-of-illness analysis. Infection 30 (2): 61–67 26. Krankenhaus Infektions Surveillance System (KISS) (2004) Surveillance nosokomialer Infektionen in Intensivstationen. Epidemiol Bull Nr 41 27. Reinhart K, Brunkhorst F, Bone H, Gerlach H, Grundling M, Kreymann G, Kujath P, Marggraf G, Mayer K, Meier-Hellmann A, Peckelsen C, Putensen C, Quintel M, Ragaller M, Rossaint R, Stuber F, Weiler N, Welte T, Werdan K; Deutsche Sepsis-Gesellschaft e.V. (2006) Diagnose und Therapie der Sepsis S-2-Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Anaesthesist 55 (1): 43–56 28. Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (2000) Prävention der nosokomialen Pneumonie. Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz 43: 302–309 29. Dodek P, Keenan S, Cook D, Heyland D, Jacka M, Hand L, Muscedere J, Foster D, Mehta N, Hall R, Brun-Buisson C; Canadian Critical Care Trials Group; Canadian Critical Care Society. (2004) Evidence-Based Clinical Practice Guideline for the Prevention of ventilator-associated pneumonia. Ann Intern Med. 141: 305–313 30. Safdar N, Crnich CJ, Maki DG (2005) The pathogenesis of ventilator-associated pneumonia: its relevance to developing effective strategies for prevention. Respir Care. 50 (6): 725–39; discussion 739–741 31. Tablan OC, Anderson LJ, Besser R, Bridges C, Hajjeh R (2003) Guidelines for preventing health-care-associated pneumonia: recommendations of CDC and the Healthcare Infection Control Practices Advisory Committee. MMWR 53 (RR-3): 1–36 32. Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung flexibler Endoskope und endoskopischen Zusatzinstrumentariums, Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (RKI) (2004) Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz 45: 394–511 33. Naber KG, Bergman B, Bishop MC, Bjerklund-Johansen TE, Botto H, Lobel B, Jinenez Cruz F, Selvaggi FP; Urinary Tract Infection (UTI) Working Group of the Health Care Office (HCO) of the European Association of Urology (EAU) (2001) EAU guidelines for the management of urinary and male genital tract infections. Urinary Tract Infection (UTI) Working Group of the Health Care Office (HCO) of the European Association of Urology (EAU). Eur Urol 40 (5): 576–588 34. Wagenlehner FME, Naber KG (2004) Nosokomiale Harnwegsinfektionen. In: Adam D, Doerr HW, Link H, Lode H (Hrsg) Die Infektiologie. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 1251–1260 35. Ward TT, Jones SR (2003) Genitourinary Tract Infections. In: Betts RF, Chapman SW, Penn RL (Hrsg) Reese and Betts` a practical approach to infectious diseases. Lippincott Williams Wilkins, Philadelphia, pp 493–540 36. Nicolle LE, Bradley S, Colgan R, Rice JC, Schaeffer A, Hooton TM; Infectious Diseases Society of America; American Society of Nephrology; American Geriatric Society. Infectious Diseases Society of America (2005) Guidelines for the diagnosis and treatment of asymptomatic bacteriuria in adults. Clin Infect Dis 40 (5): 643–654
37. Nicolle LE (2001) A practical guide to antimicrobial management of complicated urinary tract infection. Drugs Aging 18 (4): 243–254 38. Hug BL, Flückinger U, Widmer AF (2005) Nosokomiale Harnwegsinfektionen des Erwachsenen. Swiss- Noso, Nosokomiale Infektionen und Spitalhygiene 12 (4): 25–30 39. Johnson JR, Kuskowski MA, Wilt TJ. (2006) Systematic review: antimicrobial urinary catheters to prevent catheter-associated urinary tract infection in hospitalized patients. Ann Intern Med 144 (2): 116–26. 40. Wilson ML, Gaido L (2004) Laboratory diagnosis of urinary tract infections in adult patients. Clin Infect Dis 38 (8): 1150–1158 41. Naber KG, Fünfstück R, Gatermann S, Hoyme U (2004) Infektionen der Niere und des Urogenitaltrakts. In: Horst Scholz, Friedrich Vogel und eine Expertengruppe der PEG; Empfehlungen zur kalkulierten parenteralen Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Kindern. Chemother J 13 (3): 115–133 42. Warren JW (2001) Catheter-associated urinary tract infections. Int J Antimicrob Agents (4): 299–303 43. Gastmeier P, Brandt C, Sohr D, Babikir R, Mlageni D, Daschner F, Rüden H (2004) Postoperative Wundinfektionen nach stationären und ambulanten Operationen. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 47: 339–344 44. Widmer AF, Francioli P (1996) Postoperative Wundinfektionen: eine Übersicht. Swiss-NOSO, Bd 3, Nr 1 45. Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (2007) Prävention postoperativer Infektionen im Operationsgebiet. Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz 50 (3): 377–393 46. Gastmeier P, Brandt C, Sohr D, Rüden H (2006) Postoperative Wundinfektionen. Der Chirurg als Täter oder Opfer? Chirurg 77: 506–511 47. Harbarth SJ (2006) Postoperative Wundinfektionen. In: Daschner F, Dettenkofer M, Frank U, Scherrer M (Hrsg). Praktische Krankenhaushygiene und Umweltschutz. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 62–77 48. McDonald LC, Killgore GE, Thompson A, Owens RC Jr, Kazakova SV, Sambol SP, Johnson S, Gerding DN (2005) An epidemic, toxin genevariant strain of Clostridium difficile. N Engl J Med 8; 353 (23): 2433– 2441 49. Robert Koch-Institut (2006) Clostridium difficile – Kommensale oder Erreger. Epidemiol Bull 36: 309 50. Bartlett JG (2002) Clinical practice. Antibiotic-associated diarrhea. N Engl J Med 346 (5): 334–9 51. Dallal RM, Harbrecht BG, Boujoukas AJ, Sirio CA, Farkas LM, Lee KK, Simmons RL (2002) Fulminant Clostridium difficile: An underappreciated and increasing cause of death and complications. Ann Surg 235 (3): 363–372 52. Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (1999) Empfehlungen zur Prävention und Kontrolle Katheter-assoziierter Harnwegsinfektionen. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 42: 806–809 53. Sunenshine RH, Mc Donald LC (2006) Clostridium difficile-associated disease: new challenges from an established pathogen. Cleve Clin J Med 73 (2): 187–197
65 Spezifische Infektionen A. Cerny, E. Bernasconi
65.1
Tuberkulose
65.2
Typhus abdominalis
65.3
Hämolytisch-urämisches Syndrom
65.4
Schwere Weichteilinfektionen
65.4.1 65.4.2
Nekrotisierende Fasziitis –835 Gasbrand –836
65.5
Tetanus
–837
65.6
Tollwut
–838
65.7
Diphtherie
65.8
Anthrax
65.9
Schwere Malaria
65.10
Virales hämorrhagisches Fieber
65.10.1 65.10.2 65.10.3 65.10.4 65.10.5 65.10.6 65.10.7 65.10.8
Krim-Kongo-Virus –844 Hantaviren –844 Lassafieber –844 Südamerikanisches hämorrhagisches Fieber Filoviren –844 Gelbfieber –844 Denguefieber –845 Vorsichtsmaßnahmen –845
Literatur
–832 –833 –834
–835
–839
–840
–845
–841 –843
–844
832
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
65.1
Tuberkulose
Die Tuberkulose ist die weltweit häufigste infektionsbedingte Todesursache und führt nur selten zur Aufnahme auf der Intensivstation. Hauptgründe für eine Intensivtherapie sind eine respiratorische Insuffizienz, Thoraxeingriffe, fortgeschrittene Tbc-Meningitis, tuberkulöse Perikarditis, Nebenwirkungen von Tuberkulostatika und eine tuberkuloseassoziierte Addison-Krise [11]. Die Kenntnis der verschiedenen klinischen Manifestationen der Tuberkulose ist zudem wichtig, weil disseminierte Formen im Sinne der Miliartuberkulose durch andere Zustände wie Status nach Transplantation und Immunsuppression, Tumorerkrankung oder HIV-Infektion maskiert und unerkannt zur nosokomialen Infektion anderer Patienten sowie von Pflegepersonal und Ärzten führen können [7]. Neben krankenhaushygienischen Problemen (7 Kap. 63) ist beim Intensivpatienten oft eine parenterale tuberkulostatische Therapie notwendig. Chinolone werden vermehrt eingsetzt.
Erreger Mycobacterium tuberculosis und Mycobacterium bovis gehören zum Mycobacterium-tuberculosis-Komplex. Mycobacterium bovis ist klassischerweise resistent gegen Pyrazinamid. Im Grampräparat ist Mycobacterium tuberculosis schwach grampositiv oder lässt sich nicht anfärben. Der direkte visuelle Nachweis erfordert eine klassische Ziehl-Neelsen-Färbung oder eine der neueren Fluoreszenzmethoden. Durch den Einsatz von sensitiven Kulturmethoden, die den Einbau von radioaktiven Metaboliten messen, gelingt der kulturelle Nachweis bereits 9–16 Tage nach Ansetzen der Kultur. DNA-Amplifikationsmethoden erlauben einen noch rascheren Nachweis, geben aber keine Auskunft darüber, ob die Mikroorganismen noch vermehrungsfähig sind oder nicht. Auch für die Empfindlichkeitsprüfung sind verschiedene Amplifikationsmethoden in Entwicklung, die nicht mehr auf Kulturmethoden beruhen.
Epidemiologie
65
In Mitteleuropa ist bei folgenden Personengruppen mit einem erhöhten Tuberkuloserisiko zu rechnen: Personen, die sich längere Zeit in einem Gebiet mit hoher Tuberkuloseprävalenz aufgehalten haben, HIV-Infizierte [14], Patienten mit Unterernährung, Alkoholismus, Obdachlosigkeit, Niereninsuffizienz und Immunsuppression. HIV-Infizierte erkranken rascher und häufiger an einer Tuberkulose. Klinisch steht ein Lungenbefall im Vordergrund: oft ohne Kavernenbildung mit negativer Tuberkulinreaktion, häufig verbunden mit extrapulmonalen Manifestationen. Verschiedene kleinere Epidemien von nosokomialer Übertragung auf Intensivstationen sind darauf zurückzuführen, dass die Diagnose nicht oder nicht rechtzeitig gestellt wurde.
Pathogenese Im Zentrum steht das Gleichgewicht zwischen der intrazellulären Vermehrung von Mykobakterien in Alveolarmakrophagen und deren Aktivierung durch T-Lymphozyten. Die Größe des Inokulums und genetische Faktoren spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Bei intaktem Immunsystem entwickeln weniger als 10% der Infizierten eine aktive Tuberkulose. Kleinkinder, Adoleszente und junge Erwachsene sowie alte Menschen haben ein höhe-
res Risiko, klinisch zu erkranken. Der Tuberkulintest wird 3–8 Wochen nach der Infektion als Ausdruck der zellulären Immunität positiv. Bei HIV-Infizierten kann sich eine rasch progrediente Pneumonie mit Dissemination im Sinne einer hyperakuten Miliartuberkulose entwickeln. Häufig tritt nach ein paar Wochen eine tuberkulöse Meningitis auf. Der Verlust der zellulären Immunität im Alter und unter Immunsuppression kann zur Reaktivierung einer alten Tuberkulose führen. Besonders unter Kortikosteroiden oder anderen Immunsuppressiva kann es zur späten hämatogenen Dissemination kommen.
Klinik Die folgenden klinischen Manifestationen sind für den Intensivmediziner von Bedeutung: 4 Patienten mit bekannter Tuberkulose und einer zusätzlichen Diagnose, die eine Indikation für eine Intensivbehandlung darstellen. In diesen Fällen ist zu entscheiden, ob die durchgeführte Therapie genügt, um auf die Isolationsmaßnahmen auf der Intensivstation zu verzichten. Ein Problem stellen diejenigen Patienten dar, bei denen eine nichtklassische Tuberkulosemanifestation zur Intensivbehandlung führt oder bei denen eine nichtdiagnostizierte Tuberkulose eine Zusatzerkrankung darstellt. Als Beispiele hierfür können angeführt werden: 4 HIV-positive bzw. Patienten mit HIV-Risikofaktoren, die eine rasch progrediente Pneumonie mit Anämie, niedrigem Serumalbumin und oft auch Hyponatriämie entwickeln. Als Folge der Dissemination treten Verwirrtheitszustand, Meningismus und fokale neurologische Zeichen als Ausdruck einer Tbc-Meningitis auf. Solche Patienten können wegen respiratorischer Insuffizienz, Krampfanfällen oder Koma auf der Intensivstation behandelt werden. 4 Eine progrediente Herzinsuffizienz kann Ausdruck einer tuberkulösen Perikarditis sein und muss durch Entlastung des Perikardergusses behandelt werden. 4 Immunsupprimierte Patienten können zusätzlich zu einem akuten Problem, das eine Intensivtherapie erfordert, eine pulmonale oder extrapulmonale Reaktivierung einer Tuberkulose aufweisen. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass eine disseminierte Tuberkulose das klinische Bild eines myeloproliferativen Syndroms nachahmen kann. 4 Die massive Hämoptoe bei Arosion eines Lungengefäßes bei kavernöser Tuberkulose stellt ebenfalls eine Indikation für eine Intensivbehandlung und entsprechende chirurgische Therapie dar.
Diagnose Beim intubierten Patienten muss geeignetes Material blind tracheobronchial oder mittels Bronchoskopie und Lavage gewonnen werden. Bei extrapulmonalem Befall muss entsprechendes Gewebe für den Direktnachweis, die Kultur und die histologische Untersuchung gewonnen werden. Die Einführung sensitiver Nukleinsäurenamplifikationsmethoden erleichtert und beschleunigt den Erregernachweis. Die Untersuchung respiratorischer Proben (Sputum oder Tracheobronchialsekret) sollte mindestens 3-mal hintereinander, am besten morgens, durchgeführt werden.
Behandlung Die medikamentöse Behandlung der Tuberkulose ist abhängig von der lokalen Resistenzlage. Faktoren wie HIV-Infektion, in-
833 65.2 · Typhus abdominalis
ternationale Migration und Verschlechterung der sozioökonomischen Situation im Bereich von Krisenherden führen zu einer Zunahme der Resistenz gegen Tuberkulostatika, insbesondere von Isoniazid, auch in Europa. Standardtherapie. In der Regel wird eine Viererkombination aus
Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol für 2 Monate verabreicht, gefolgt von 4 Monaten Isoniazid und Rifampicin. Die empfohlenen Dosierungen sind in . Tabelle 65.1 zusammengefasst. Tuberkulöse Meningitis und Miliartuberkulose. Die tuberku-
löse Meningitis und die Miliartuberkulose werden insgesamt 12 Monate lang behandelt. Zeigt die Resistenzprüfung einen multiresistenten Keim, so muss auf alternative Substanzen ausgewichen werden. Steroide sind in der Frühphase einer schwer verlaufenden Tbc-Meningitis mit erhöhtem intrakraniellen Druck angezeigt. Ist die enterale Resorption der Tuberkulostatika nicht gesichert, muss auf eine parenterale Behandlung umgestellt werden. Nebenwirkungen. Unter Isoniazid und Rifampicin können Tran-
saminasenerhöhungen auftreten. Diese dürfen aber akzeptiert werden, solange der Wert nicht mehr als das 3fache der oberen Norm erreicht und der Patient asymptomatisch bleibt. Wegen der Gefahr einer fulminanten Hepatitis sollten bei ausgeprägteren Transaminasenerhöhungen Isoniazid und Rifampicin abgesetzt werden, bis die Leberwerte wieder normal sind. Haben sich die Werte wieder normalisiert, darf zuerst Isoniazid einschleichend, dann zusätzlich Rifampicin eingesetzt werden. Ethambutol kann zu Sehstörungen führen, sodass eine Visus- und Farbsehprüfung bei einer Behandlungsdauer von mehr als 2 Monaten oder einer Dosis von mehr als 15 mg/kg/Tag empfohlen wird. Die Sehstörungen sind in der Regel reversibel, wenn die Behandlung beendet wird. Die Gabe von 20 mg/Tag Pyridoxin (Vitamin B6) ist bei Patienten mit erhöhtem Vitaminbedarf (Schwangere, Mangelernährte, Diabetiker und Alkoholabhängige) indiziert.
Prävention Der Mensch ist das einzige Reservoir von Mycobacterium tuberculosis. Eine indirekte Übertragung ist selten, wurde aber
. Tabelle 65.1. Tuberkulostatika Medikament
Tägliche Dosis für Erwachsene
Isoniazid (= Isonicotinsäurehydrazid INH)
5 mg/kg KG, maximale Tagesdosis 300 mg
Rifampicin
10 mg/kg KG, maximale Tagesdosis 600 mg
Pyrazinamid
25 mg/kg KG, maximale Tagesdosis 2000 mg
Ethambutol
15–25 mg/kg KG, maximale Tagesdosis 2000 mg
Streptomycin
15 mg/kg KG, maximale Tagesdosis 1000 mg
65
beispielsweise bei Verwendung von nicht korrekt desinfizierten Bronchoskopen beobachtet. Die Empfehlungen zur Infektionsverhütung bei Tuberkulose richten sich nach der Art der Erkrankung. Bei offener Lungen-Tbc muss der Patient isoliert werden, es müssen Schutzkittel, Mundschutz und bei Kontakt mit erregerhaltigem Material auch Handschuhe getragen werden. Die Dauer der Isolationsmaßnahmen beträgt in der Regel 2–3 Wochen nach Beginn der korrekt durchgeführten Chemotherapie. Bei fraglicher Absorption der Medikamente oder möglichem Vorhandensein eines multiresistenten Keims müssen weitere entsprechende Abklärungen durchgeführt werden, bevor die Isolationsmaßnahmen aufgehoben werden. 65.2
Typhus abdominalis
Es handelt sich um eine Erkrankung, die durch eine persistierende Bakteriämie, eine starke Stimulation des retikuloendothelialen Systems sowie durch multiple Organstörungen charakterisiert ist. Die Krankheit kann zu Ablagerungen von Immunkomplexen führen und ist am häufigsten durch Salmonella typhi verursacht. Eine Intensivbehandlung ist manchmal notwendig bei Patienten, die eine Gastrointestinalblutung, Darmperforation, ein Delirium, Koma oder einen septischen Schock entwickeln.
Erreger Von den über 2000 Salmonellaserotypen sind klassischerweise Salmonella typhi, aber auch Salmonella paratyphi A und B sowie Salmonella cholerae suis für das klinische Bild des Typhus abdominalis verantwortlich. Selten können andere Erreger ähnliche Krankheitsbilder auslösen: Yersinia enterocolitica und pseudotuberculosis, Campylobacter fetus und Brucella spp.
Epidemiologie Salmonella typhi infiziert ausschließlich den Menschen, im Gegensatz zu den meisten anderen Salmonellaserotypen. Die Übertragung erfolgt entweder direkt von einem infizierten Träger oder über kontaminierte Nahrungsmittel. Die Mehrzahl der Fälle in Westeuropa sind aus Regionen mit hoher Prävalenz wie z. B. Mexiko und Indien importiert.
Pathogenese Salmonella typhi ist ein motiles gramnegatives Stäbchen, dass aufgrund seiner Virulenzfaktoren gewebeinvasiv vom Darmlumen in die lymphatischen Gewebe gelangt und sich dort in Makrophagen vermehrt. Die massive Bakterienvermehrung führt zur Hyperplasie und Entzündung, zuerst im Bereich des darmassoziierten lymphatischen Gewebes. Blutungen oder Perforationen im Bereich der Peyer-Plaques können die Folge sein.
Klinik Die Krankheit zeigt typische Phasen, die die Diagnose erleichtern (. Tab. 65.2). Die zentralnervösen Komplikationen können u. U. mit psychiatrischen Erkrankungen verwechselt werden. Kinder neigen zu Krampfanfällen. Etwa 5% der unbehandelten Patienten entwickeln eine gastrointestinale Blutung oder eine Darmperforation. Andere Komplikationen wie Myokarditis, akute Cholezystitis, Meningitis, Hepatitis und Pneumonie sind seltener. Superinfektionen mit anderen Bakterien kommen vor [4].
834
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
. Tabelle 65.2. Typischer klinischer Verlauf bei unbehandeltem Typhus abdominalis Zeitperiode
Klinische Manifestationen
1. Woche
Auftreten von Fieber, in der Folge ansteigend zu Kontinua, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und variable Abdominalschmerzen
2. Woche
Auftreten von Roseolen (hellrote, blasse, wegdrückbare, meist ovale makulopapulöse Effloreszenzen, ausschließlich am Körperstamm lokalisiert), Abdominalschmerzen, Durchfall oder Verstopfung, Apathie, Verwirrungszustände, Splenomegalie, Hepatomegalie
3. Woche
4. Woche und später
Mögliches Auftreten von Komplikationen wie Gastrointestinalblutung, Perforation, septischer Schock oder Koma Vorübergehende Besserung der Symptome oder Rückfall mit erneuten akuten Symptomen, zudem Gewichtsverlust und chronische Ausscheidung der Bakterien
Diagnose Salmonella typhi kann in den ersten 2 Wochen aus Blutkulturen isoliert werden. Urin- und Stuhlkulturen sind seltener positiv, erhöhen aber die diagnostische Treffsicherheit. Die Knochenmarkkultur ist der sensitivste Test (ca. 90%) und sollte durchgeführt werden, wenn die übrigen Kulturen negativ bleiben und die Diagnose gesichert werden muss. Der Nachweis von Antikörpern gegen Salmonella-typhi-O- und -H-Antigene wird erst im Verlauf der Krankheit positiv und ist deshalb in der akuten Phase wenig hilfreich.
Behandlung
65
Ciprofloxacin hat Chloramphenicol als Substanz der ersten Wahl weitgehend abgelöst: Ciprofloxacin 2-mal 400 mg i.v. pro Tag über 14 Tage. Sobald klinisch möglich, kann auf eine perorale Dosierung von 2-mal 750 mg/Tag gewechselt werden. Als Alternative kann an Stelle eines Chinolons auch Ceftriaxon oder Azithromycin eingesetzt werden. In Asien werden vermehrt Chinolon-resistente Keime isoliert. Die Behandlung erfolgt in diesen Fällen entsprechend dem Resistenzmuster.
Prävention Reisende in Ländern mit hoher Typhusprävalenz müssen auf die notwendigen Hygienemaßnahmen hingewiesen werden. Bei Auftreten von Fällen oder Fallserien, die nicht mit einem Auslandsaufenthalt verknüpft werden können, führt eine epidemiologische Untersuchung oft zur Identifikation eines Salmonellenausscheiders. Die heute verfügbaren Impfstoffe erreichen bei Durchführung einer vollständigen Impfserie einen bis zu 75%igen Schutz. Neue Polysaccharid–Protein-Konjugat-Impfstoffe versprechen einen besseren Impfschutz. 65.3
Hämolytisch-urämisches Syndrom
Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist durch die folgende Trias definiert:
4 mikroangiopathische hämolytische Anämie, 4 akute Niereninsuffizienz, 4 Thrombozytopenie. Verschiedene mögliche Komplikationen der Erkrankung wie Hypovolämie, Niereninsuffizienz, Hypertonie und Blutungen erfordern nicht selten eine Behandlung auf der Intensivstation.
Mögliche Auslöser eines hämolytisch-urämischen Syndroms Im Anschluss an eine Massenerkrankung im Jahre 1982 in den USA wurde Escherichia-coli-Serotyp 0157 : H7 als mögliche Ursache des hämolytisch-urämischen Syndroms erkannt [13]. Seither sind in entwickelten Ländern mehrere größere und kleinere, durch Nahrungsmittel übertragene Ausbrüche beschrieben worden. i Escherichia-coli-Serotyp 0157 : H7 verursacht blutige Durchfälle und wird auch zu den sog. enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) gezählt. Daneben können auch Shigella-dysenteriae-Serotyp 1 und verschiedene andere Escherichia-coli-Serotypen Auslöser eines HUS sein.
Den Keimen gemeinsam ist ihre Fähigkeit, eines oder mehrere strukturell verwandte Exotoxine zu produzieren. Die Toxine sind zytotoxisch, indem sie die Proteinsynthese in verschiedenen Zelltypen blockieren können. Nach Invasion und Zerstörung der Kolonepithelzellen gelangt das Toxin in den Kreislauf und führt zu einer Schädigung der Endothelzellen, v. a. im Bereich der Glomeruli. E. coli 0157 : H7 weist im Vergleich zu andern E. coli einige biochemische Besonderheiten auf, die den selektiven Nachweis erleichtern. Wegen der Tatsache, dass weit über 100 verschiedene Serotypen von EHEC beschrieben worden sind, und weil auch Shigellen ein HUS auslösen können, wird zunehmend versucht, das Toxin direkt nachzuweisen. Neben Testverfahren, die auf dem Einsatz spezifischer Antikörper beruhen, werden auch Amplifikationstests angeboten. Einfache, zuverlässige und sensitive Tests sind insbesondere auch für die Kontrolle von Nahrungsmitteln wichtig. Neben den erwähnten Bakterien können auch Virusinfekte, Medikamente wie östrogenhaltige Kontrazeptiva, Ciclosporin A, Mitomycin, Cyclopidin und Chinin ähnliche Erkrankungen hervorrufen.
Epidemiologie Das wichtigste Reservoir von E. coli 0157 : H7 ist Rindvieh. Für die Tiere ist der Keim offensichtlich nicht pathogen. Die meisten Erkrankungen im Rahmen von Ausbrüchen wurden mit dem Konsum von Rindfleisch assoziiert, daneben kann auch Milch, kontaminiertes Wasser, Apfelsaft etc. als Quelle dienen. Sporadische Fälle werden wahrscheinlich in gleicher Weise übertragen. Nach dem heutigen Wissensstand kann die Infektion vermieden werden, wenn Fleisch gut durchgebraten, auf unpasteurisierte Milch verzichtet und eine gute allgemeine Hygiene beachtet wird.
Pathogenese Die Pathogenese des hämolytisch-urämischen Syndroms wie auch der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura basiert auf einer toxininduzierten Endothelaktivierung mit Produktion eines pathologischen v.-Willebrand-Faktors, der als Multimer die Thrombozyten verklumpt und aktiviert. Eine wichtige Rolle spielt hierbei auch die angeborene oder erworbene Hemmung
835 65.4 · Schwere Weichteilinfektionen
von ADAMTS3, einer Metalloprotease, die normalerweise die v.-Willebrand-Faktor-Multimere abbaut. Hierdurch kommt es zu einer reversiblen Obstruktion der Arteriolen und Kapillaren verschiedener Organe sowie zur Thrombozytopenie und zur intravasalen Hämolyse mit Erythrozytenfragmentation.
Klinik Im klassischen Fall tritt nach einer Inkubationszeit von 2–9 Tagen nach Aufnahme von EHEC blutiger Durchfall auf. Die Erkrankung ist etwas häufiger bei Kindern unter 5 Jahren und im hohen Alter. Dehydratation und Anämie als Folge der gastrointestinalen Blutung sind die Hauptkomplikationen in dieser Phase. Etwa 1 Woche nach Beginn der Durchfälle kann die Erkrankung in etwa 5% der Fälle zum hämolytisch-urämischen Syndrom führen. In dieser Phase können die Patienten Fieber, Blässe, Atemnot, Anurie oder Polyurie entwickeln. Bei den Laboruntersuchungen findet sich klassischer weise eine Anämie mit Fragmentozyten, Schistozyten, Sphärozyten (= Kugelzellen) und erhöhten Retikulozytenwerten. Das unkonjugierte Bilirubin und die Laktatdehydrogenase sind erhöht, das Haptoglobin erniedrigt. Der Coombs-Test ist typischer weise negativ. Die Thrombozytopenie dauert in der Regel 1–3 Wochen, wobei die Plättchen funktionell aktiviert sind. Die Thrombozytopenie ist selten so schwer, dass es zu Spontanblutungen kommt. Die Leukozytenzahl ist meist erhöht. Die Gerinnungsparameter sind nur leicht verändert mit leichter Erhöhung der Fibrinspaltprodukte. Die Prothrombinzeit ist normal, und es fehlen Zeichen einer disseminierten intravasalen Gerinnung. Die Retentionswerte der Niere steigen, die Patienten sind oft oligurisch, manchmal aber auch polyurisch. Meist liegt eine Proteinurie von 1–2 g/Tag vor. Als Ausdruck des Endothelschadens tritt oft ein Kapillarleck mit intravasaler Hypovolämie und Hypalbuminämie auf.
Diagnose Die Diagnose wird aufgrund der typischen klinischen und laborchemischen Konstellation gestellt. Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die bakterielle Sepsis mit disseminierter intravasaler Gerinnung. Seltener können Malaria oder Leptospirose mit dem hämolytisch-urämischen Syndrom verwechselt werden. Beim mit Durchfall assoziierten hämolytisch-urämischen Syndrom müssen die Erregersuche und der Toxinnachweis im Stuhl durchgeführt werden. Die ADAMTS3-Aktivität und im Serum vorhandene Hemmstoffe (meist Antikörper) können in spezialisierten Labors gemessen werden.
Behandlung Bei der Behandlung stehen supportive Maßnahmen im Vordergrund: Die Hypovolämie muss korrigiert werden, bei progredienter Niereninsuffizienz wird intravenös Furosemid und Volumen zugeführt, evtl. muss ein Nierenersatzverfahren angewendet werden. Die Hypertonie ist in der Regel reninvermittelt und kann – bei normaler Nierenfunktion – durch ACE-Inhibitoren behandelt werden. Die Wirksamkeit einer Plasmapherese ist noch nicht gesichert, obwohl es sich pathophysiologisch um eine sinnvolle Behandlungsstrategie handelt. Auch beim durchfallassoziierten hämolytisch-urämischen Syndrom sind Antibiotika nicht indiziert.
Bedeutung zu. Einfache und billige Tests, die sämtliche potenziellen Erreger nachweisen können, stehen derzeit noch nicht zur Verfügung. Hygienische Maßnahmen wie Pasteurisieren der Milch und Milchprodukte sowie Kochen von Rindfleisch sowie eine gute allgemeine Hygiene sind die wichtigsten Möglichkeiten der Prävention. Ein Impfstoff, der zur Bildung von toxinneutralisierenden Antikörpern führt, steht derzeit noch nicht zur Verfügung. 65.4
Schwere Weichteilinfektionen
Schwere Weichteilinfektionen sind gekennzeichnet durch das Auftreten von ausgedehnten Nekrosen im Bereich des subkutanen Gewebes, der tiefen Faszie und des darunter liegenden Muskels. Oft sind die Veränderungen im Bereich der darüber liegenden Haut wenig ausgeprägt. In der Regel erfolgt die Behandlung durch den kombinierten Einsatz von Chirurgie, supportiver Therapie und von Antibiotika. Die rasche chirurgische Exploration mit Entfernung von befallenem nekrotischem Gewebe bringt oft erst die Diagnose und ist das wichtigste Prinzip in der Behandlung. Zur Klärung der Begriffe und der betroffenen anatomischen Strukturen ist das in . Tabelle 65.3 dargestellte Schema hilfreich. 65.4.1 Nekrotisierende Fasziitis Die nekrotisierende Fasziitis ist eine seltene, aber schwere Infektion des Subkutangewebes und der tiefen Faszie. Die Infektion kann überall im Bereich der Haut beginnen. Besonders wenn Streptokokken der Gruppe A beteiligt sind, kann es zu einem schweren toxischen Schocksyndrom mit hämodynamischer Instabilität, disseminierter intravasaler Gerinnung und Multiorganversagen kommen [3].
Erreger Verschiedene Erreger können zum klinischen Bild der nekrotisierenden Fasziitis führen. Dies sind einerseits Mischinfektionen mit einem oder mehreren der folgenden anaeroben Erreger: Peptostreptokokken, Peptococcus spp. und Bacteroides spp. Diese Erreger treten in Kombination mit einem oder mehreren der folgenden Organismen auf: Streptokokken, E. coli, Klebsiella, Sta-
. Tabelle 65.3. Schwere Weichteilinfektionen Anatomische Struktur
Typische Erkrankung
Typischer Erreger
Haut
Erysipel, Follikulitis, Impetigo
Gruppe-A-Streptokokken, Staphylococcus aureus
Subkutanes Gewebe
Phlegmone
Gruppe-AStreptokokken
Tiefe Faszie
Nekrotisierende Fasziitis
Gruppe-A-Streptokokken, grampositive und gramnegative sowie anaerobe Mischflora
Muskel
Gasbrand
Clostridium perfringens
Prävention Bei Epidemien von durchfallassoziiertem hämolytischem Syndrom kommt der Kontrolle von Nahrungsmitteln eine zentrale
65
836
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
phylococcus aureus oder Proteus spp. Gefürchtet und weltweit in Zunahme begriffen ist die nekrotisierende Fasziitis, ausgelöst durch Streptokokken der Gruppe A. Seltener kommen andere Streptokokken, Vibrio vulnificus und Aeromonas hydrophilia vor.
Epidemiologie Die meisten Fälle von nekrotisierender Fasziitis sind sporadisch. Im Falle der nekrotisierenden Fasziitis bei Streptokokken der Gruppe A ist eine nosokomiale und intrafamiliale Übertragung beobachtet worden. Möglicherweise ist die Zahl der Erkrankungen im Zusammenhang mit Streptokokken der Gruppe A im Zunehmen. Vermehrt werden auch durch Methicillin-resistente Staphylococcus aureus verursachte Fälle beobachtet.
Pathogenese Die molekulare Pathogenese der Erkrankung ist von Erreger zu Erreger unterschiedlich. Gemeinsam ist, dass nach einer Phase der bakteriellen Invasion eine rasche Ausbreitung der Infektion entlang der Faszie auftritt. In der Folge entwickeln sich ausgedehnte Gewebenekrosen, die mit einer Thrombosierung der Gefäße verknüpft sind. Sekundär kommt es zu Nekrosen im Bereich der darüber liegenden Haut, oft verbunden mit Blasenbildung. Bakterielle Virulenzfaktoren führen nicht nur zur Gewebezerstörung, sondern sie lösen auch systemische Reaktionen aus. So haben die Streptokokkenpyrogene Exotoxin A, B und C strukturelle und funktionelle Ähnlichkeiten mit dem Toxin des Staphylokokken-toxic-shock-Syndroms. In etwa 80% der Fälle kann eine Eintrittspforte im Bereich der Haut, wie z. B. ein geringes Trauma, eine Operationswunde oder bei Kindern eine Varizelleneffloreszenz ausgemacht werden. Nekrotisierende Fasziitiden kommen in allen Altersgruppen vor, bevorzugt jedoch bei Erwachsenen im mittleren und höheren Lebensalter.
Klinik
65
Die Erkrankung beginnt in der Regel mit starken Schmerzen, die oft ohne wesentliche Veränderungen an der Haut auftreten. Eine lokale Schwellung, Fieber und Schüttelfrost kommen hinzu. Während der Prozess in der Tiefe fortschreitet, treten an der Hautoberfläche Blaufärbung und Blasenbildung auf. In der Folge verschwinden die Schmerzen, es bleibt ein Taubheitsgefühl bestehen, verursacht durch die Zerstörung der Hautnerven. Ödem und Schwellung nehmen zu, und im Bereich der Haut treten ausgedehnte Nekrosen auf, z. T. mit Sekretbildung. Systemische Zeichen mit Bewusstseineintrübung, hämodynamischer Instabilität und Multiorganversagen können im Verlauf auftreten. Aufgrund des klinischen Bilds kann die Diagnose vermutet werden. Die Diagnosestellung erfolgt durch den Chirurgen, der bei Eröffnung der erkrankten Region eine ausgedehnte Gewebenekrose im Bereich der tiefen Muskelfaszie vorfindet; nicht selten ist auch der Muskel unterhalb der Faszie mitbetroffen.
Diagnose Die mikrobiologische Diagnose wird durch das Gram-Präparat und die Kultur des Faszienabstrichs gestellt. Oft sind auch die Blutkulturen positiv. Die Diagnose, nekrotisierende Fasziitis, und die Ausdehnung des Prozesses wird aufgrund der chirurgischen Exploration festgestellt. Die histologische Untersuchung des entnommenen Materials bestätigt in der Regel den makropathologischen Befund.
Behandlung Eine rasche chirurgische Intervention zur Sicherung der Diagnose, zur Entfernung des befallenen Gewebes und zur Drainage ist von zentraler Bedeutung. In der Regel wird die Wunde offengelassen; weitere Nekrosen müssen im Verlauf oft mehrmals chirurgisch entfernt werden. Die Antibiotikabehandlung sollte sich nach dem Ergebnis von Gram-Färbung und Kultur richten. Bei unbekanntem Erreger oder Mischinfekt mit anaeroben und gramnegativen Keimen wird Clindamycin in Kombination mit einem Aminoglykosid und einem E-Laktamantibiotikum mit Antipseudomonasaktivität empfohlen. In Regionen mit hohem Anteil an Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus sollte zusätzlich Vancomycin verabreicht werden. Als Alternative kann ein Carbapenem, allein oder in Kombination mit einem Aminoglykosid, eingesetzt werden. Für Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A wird Clindamycin in Kombination mit hochdosiertem Penicillin G (20–24 Mio. IE/ Tag verteilt in 6 Dosen) empfohlen. Neuere Resultate bei Streptokokken der Gruppe A deuten darauf hin, dass zusätzlich verabreichtes intravenöses Immunglobulin in einer Dosierung von 150 mg/kg KG/Tag für 5 Tage nützlich ist. Die Mortalität der nekrotisierenden Fasziitis liegt bei 20–80%, wobei folgende Faktoren mit einer hohen Mortalität verbunden sind: 4 Organversagen bei Aufnahme, 4 Alter >50 Jahre, 4 vorbestehender Diabetes mellitus, 4 inkomplette chirurgische Behandlung.
Prävention Patienten mit nekrotisierender Fasziitis, verursacht durch Streptokokken der Gruppe A, sollten vorsichtshalber in den ersten Tagen isoliert werden. 65.4.2 Gasbrand Die Krankheit ist charakterisiert durch eine rasche bakterielle Invasion und Destruktion von Muskelgewebe. Die Erkrankung verläuft fulminant, ist lebensbedrohlich und eine frühe Diagnose und chirurgische Intervention sind absolut notwendig [8].
Erreger Clostridium perfringens ist der häufigste Erreger des Gasbrands; Clostridium septicum und Clostridium novyi spielen in ca. 10% der Fälle eine Rolle. Die nekrotisierende Fasziitis kann ebenfalls durch die tiefe Faszie hindurch zur ausgedehnten Muskeldestruktion führen; dann sind die dort erwähnten Erreger verantwortlich.
Epidemiologie Clostridiensporen können ubiquitär aus der Erde isoliert werden. Die meisten Fälle werden sporadisch nach Trauma (Verkehrsunfälle, Kriegsverletzungen) beobachtet. Die in der postoperativen Phase auftretenden Gasbrandinfektionen sind in der Regel endogene Infektionen und nur ausnahmsweise nosokomial erworben.
Pathogenese Eine kleine Zone devitalisierten Muskels genügt, um in die Tiefe eingebrachten Clostridium-perfringens-Sporen eine rasche Vermehrung und Zerstörung des umliegenden Muskelgewebes zu ermöglichen. Die beiden Exotoxine D und - führen zur raschen
837 65.5 · Tetanus
65
Destruktion des Gewebes. Gelangen diese Exotoxine in den Kreislauf, kommt es zur Hämolyse, Neutrophilen- und Plättchendestruktion sowie zu einem systemischen Kapillarschaden. Clostridien produzieren eine Lecithinase, die neutrophile Granulozyten zerstört. Dieses Phänomen erklärt, weshalb im Gram-Präparat typischerweise keine neutrophilen Granulozyten gesehen werden können. Bei Infektionen mit Clostridium septicum handelt es sich häufig um endogene Infektionen. In vielen Fällen findet man bei diesen Patienten eine Neoplasie im Kolonbereich [12].
obwohl bisher keine gesicherten Daten aus kontrollierten prospektiven Studien verfügbar sind.
Klinik
65.5
Bei Auftreten einer Weichteilinfektion mit überproportional starken Schmerzen und einem Hautemphysem muss an eine Gasbrandinfektion gedacht werden. Die Infektion kommt in den in der Übersicht gelisteten Situationen vor. Erkrankungen, die zu einer Gasbrandinfektion prädisponieren können 5 5 5 5 5 5
Gewebetrauma (z. B. Verkehrsunfall, Kriegsverletzung) Postoperativ nach Darm- oder Gallenwegschirurgie Kolorektale Tumoren Arterielle Durchblutungsstörungen einer Extremität Septischer Abort Selten nach Verbrennungen und intramuskulären Injektionen
Nach einer Inkubationszeit von 6 h bis 3 Tagen treten, rasch zunehmend, lokale Schmerzen auf. Die Haut wird ödematös und erhält einen kupfernen Farbton. Innerhalb von Stunden treten systemische Zeichen mit Verwirrtheit, Tachykardie, Tachypnoe, Schwitzen, Blässe und Hypotonie auf. Später folgen Nierenversagen, septischer Schock, intravasale Hämolyse und disseminierte intravasale Gerinnung. Blutkulturen sind in 10–15% der Fälle positiv. Im Bereich der Wunde bildet sich ein wässriges, süßlich riechendes Wundsekret mit Gasbläschen. Innerhalb von Stunden breiten sich die Veränderungen über die noch gesunden Hautmuskelbezirke aus.
Diagnose Wie im Falle der nekrotisierenden Fasziitis wird die Verdachtsdiagnose klinisch gestellt und chirurgisch durch den Nachweis der Muskelnekrosen gesichert. Eine Gram-Färbung des Wundsekrets oder eines Aspirats aus der Tiefe zeigt plumpe grampositive Stäbchen, typischerweise ohne neutrophile Granulozyten. Radiologisch kann Gas in den Weichteilen nachgewiesen werden. Die Intensivbehandlung umfasst Volumenersatz zur Schockbehandlung, O2-Gabe, Azidosekorrektur und Korrektur von Elektrolytstörungen. In der Phase der akuten Hämolyse sollte Blut mit Zurückhaltung ersetzt werden.
Behandlung Nebst der chirurgischen Behandlung ist Penicillin G in einer Dosis von 20–30 Mio. IE/Tag in 6–8 Dosen ist die Therapie der Wahl. Auf Grund theoretischer Argumente und tierexperimentellen Daten wird die Zugabe von Clindamycin empfohlen. Als Alternative kann Metronidazol 4-mal 500 mg/Tag verabreicht werden. Bei Verdacht auf eine Mischinfektion oder eine Infektion mit Streptokokken der Gruppe A gelten die Behandlungsvorschläge wie für die nekrotisierende Fasziitis. Die hyperbare O2Behandlung sollte dort, wo sie möglich ist, eingesetzt werden,
Prävention Eine gute chirurgische Technik, insbesondere bei der Versorgung kontaminierter Wunden (die nie primär verschlossen werden sollten), stellt die wichtigste Präventionsmöglichkeit des Gasbrands dar.
Tetanus
Tetanus ist eine Toxinerkrankung, die durch Clostridium tetani verursacht wird und klinisch typischerweise durch die folgenden Symptome charakterisiert ist: 4 Trismus, 4 Muskelspasmen, 4 Dysphagie. Da die Krankheit in der Regel generalisiert und mit verschiedensten Komplikationen auftritt, ist eine Verlegung auf die Intensivstation schon im Verdachtsfall erforderlich [16].
Erreger Clostridium tetani ist obligat anaerob und grampositiv. Die reifen Keime entwickeln an einem Ende eine Spore, die ihnen das Aussehen eines Squashschlägers gibt. Die Sporen sind gegen physikalische und chemische Einflüsse enorm stabil. Im Gegensatz zu Clostridium perfringens ist Clostridium tetani nicht lokal invasiv und erzeugt auch keine Entzündungsreaktion.
Epidemiologie Clostridium tetani ist ein ubiquitärer Umweltkeim und muss in jeder schmutzigen Wunde vermutet werden. Die schlechten hygienischen Verhältnisse und das Fehlen eines universellen Impfschutzes erklärt es, weshalb die Krankheit v. a. in Entwicklungsländern vorkommt. In diesen Ländern tritt ein großer Teil der Fälle bei Neugeborenen auf. In den industrialisierten Nationen wird die Krankheit häufig bei älteren Patienten beobachtet, wahrscheinlich aufgrund des mit dem Alter schwindenden Impfschutzes.
Pathogenese Tetanustoxin (Tetanospasmin) ist ein neurotoxisches Toxin, das von der kontaminierten Wunde über den retrograden axonalen Transport ins ZNS gelangt. Das Toxin führt dort zu einer irreversiblen präsynaptischen Unterdrückung der Neurotransmittersekretion, v. a. im Bereich von inhibitorischen Interneuronen im Hirnstamm. Insgesamt resultieren ein Wegfall der Motoneuroneninhibition und ein hypersympathischer Zustand.
Klinik Klinisch werden 3 Typen von Tetanus unterschieden: 4 Lokalisierter Tetanus: Beim lokalisierten Tetanus finden sich Muskelkontrakturen im Bereich der Eintrittspforte. In diesem Stadium kann sich die Krankheit zurückbilden, v. a. wenn eine partielle Antitoxinimmunität vorhanden ist. Der lokalisierte Tetanus kann andererseits auch in die generalisierte Form übergehen. 4 Zephalitischer Tetanus: Der zephalitische Tetanus ist eine spezielle Form des lokalisierten Tetanus, der den Hirnnervenbereich betrifft.
838
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
4 Generalisierter Tetanus: 4 Beim generalisierten Tetanus wird oft zuerst ein Trismus und Risus sardonicus beobachtet. Die Patienten zeigen oft Kontrakturen im Bereich der Bauchmuskeln, die zur Fehldiagnose eines akuten Abdomens führen können. Kontrakturen der Nackenmuskulatur werden oft fälschlicherweise als Ausdruck einer Meningitis interpretiert. Generalisieren die Krämpfe im Verlauf, so kann ein Opistotonus entstehen, der in der Regel auch mit einer normalen Atmung interferiert (»Wundstarrkrampf«). 4 Als Ausdruck der autonomen Dysfunktion treten Hypotonie oder Hypertonie, Störungen des Wärmehaushalts sowie Herzrhythmusstörungen auf. Klassischerweise ist das Bewusstsein des Patienten nicht gestört. Die Spasmen sind sehr schmerzhaft und werden durch sensorische Stimulation ausgelöst.
Diagnose Die Diagnose wird aufgrund der typischen klinischen Zeichen gestellt. Elektrophysiologische Untersuchungen können bei unklaren Fällen die Diagnose erhärten. Clostridium tetani kann nur selten aus dem Wundgebiet isoliert werden, und der kulturelle Nachweis beweist noch nicht, dass der isolierte Erreger auch ein Toxinproduzent ist.
Die Patienten müssen früh enteral ernährt werden. Trotz adäquater Therapie beträgt die Mortalität je nach Schweregrad um 10–15%, in schweren Fällen sogar bis zu 60%. Haupttodesursache sind nosokomiale Infektionen und Herzversagen.
Prävention Die Tetanusgrundimpfung besteht aus 2 intramuskulären Dosen, die im Abstand von mindestens 4 Wochen verabreicht werden müssen, kombiniert mit einer 3. Dosis 6–12 Monate danach. Auffrischungsimpfungen werden alle 10 Jahre empfohlen. Die folgenden Wunden sind tetanusverdächtig: 4 mehr als 6 h alt, 4 mehr als 1 cm tief, 4 devitales Gewebe und Kontamination mit Schmutz, Speichel oder Stuhl, 4 Schusswunden, Quetschungen, Verbrennungen und Erfrierungen. Bei Vorliegen einer tetanusverdächtigen Wunde sollte eine aktive Immunisierung erfolgen, falls keine Grundimmunisierung durchgeführt wurde oder die letzte Auffrischimpfung mehr als 5 Jahre zurückliegt. Fehlt ein aktiver Impfschutz, sollte zusätzlich Tetanusimmunglobulin verabreicht werden. 65.6
Die Strychninvergiftung ist die wichtigste Differenzialdiagnose, die durch entsprechende toxikologische Untersuchungen ausgeschlossen werden muss. Seltener wird eine akute Meningitis oder eine Tollwut mit Tetanus verwechselt. In der Regel haben Patienten mit Starrkrampf keine Antikörper gegen Tetanustoxin.
65
Tollwut
Tollwut ist eine virale Enzephalomyelitis, die in Europa fast ausschließlich von infizierten Hunden und Füchsen auf den Menschen übertragen wird. Es handelt sich um eine Krankheit, die, einmal ausgebrochen, trotz modernster Intensivbehandlung in praktisch 100% der Fälle zum Tode führt. Aus diesem Grund ist die Prävention von höchster Bedeutung [5].
Behandlung
Erreger
Patienten, bei denen ein Tetanus vermutet wird, sollten auf die Intensivstation verlegt werden. Das Hauptaugenmerk muss auf eine Sicherung der Atemwege und einen ausreichenden pulmonalen Gasaustausch gelegt werden. Zur Intubation müssen die Patienten oft relaxiert werden; in der Regel wird dann auch frühzeitig eine Tracheotomie durchgeführt. Benzodiazepine in hoher Dosierung sind notwendig, um die wiederkehrenden Muskelspasmen zu unterdrücken. In schweren Fällen muss auch die neuromuskuläre Übertragung blockiert werden; hierfür werden nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien eingesetzt. Die meisten Autoren empfehlen die rasche intramuskuläre Verabreichung von humanem Tetanusimmunglobulin. Eine Dosis von 500 IE sollte genügen, bis 10-mal höhere Dosen scheinen ebensowenig einen Vorteil aufzuweisen wie deren intrathekale Anwendung. Gleichzeitig mit der passiven Impfung sollte auch eine aktive Impfung begonnen werden. Wie weit Antibiotika bei der Behandlung eine Rolle spielen, ist nicht klar. Clostridium tetani ist in vitro empfindlich gegenüber verschiedenen Antibiotika, wobei in der Regel Metronidazol oder Penicillin G eingesetzt werden. Die autonome Dysfunktion mit erhöhten Katecholaminspiegeln kann durch eine kombinierte D- und E-Blockerbehandlung behandelt werden. Magnesiumsulfat, das einen festen Platz in der Behandlung der Eklampsie hat, hatte in einer großen vietnamesischen Studie einen signifikanten Effekt auf Muskelspasmen und autonome Dysfunktion [15].
Das klassische Tollwutvirus infiziert verschiedene Säugetiere, wobei in Europa v. a. der Hund und der Fuchs, selten auch Fledermäuse, für die Übertragung auf den Menschen verantwortlich sind.
Epidemiologie Weltweit sterben pro Jahr zwischen 30.000 und 70.000 Menschen an der Tollwut, wobei die meisten Fälle in Indien und China vorkommen. Die in europäischen Ländern beobachteten Fälle sind meistens aus Endemiegebieten importiert. Impfkampagnen für Hunde und Füchse in verschiedenen europäischen Ländern haben dazu geführt, dass die Erkrankung in Europa selbst selten übertragen wird. 2004 wurde die Übertragung an4 Patienten durch die Organtransplantation dokumentiert. Der Organspender war an einer Enzepahlitis unklarer Ätiologie gestorben.
Pathogenese Der Mensch wird durch den Biss eines tollwütigen Tieres infiziert, und das Virus gelangt in periphere Nervenendigungen. Während der Inkubationszeit kommt es zur lokalen Virusreplikation. In dieser Phase kann die Krankheit durch eine Immunisierung noch verhindert werden. Mit dem retrograden axonalen Fluss gelangt das Virus mit einer Geschwindigkeit von 10–20 mm/Tag in das zentrale Nervensystem und verursacht dort eine progressive Enzephalitis. In der Folge breitet sich das Virus über die peripheren Nerven erneut im Körper aus, insbesondere in die Speicheldrü-
839 65.7 · Diphtherie
sen. Bei Hunden wird das Virus schon vor dem Auftreten von Symptomen im Speichel ausgeschieden. Diese präsymptomatische Virusausscheidung kann in der Regel nicht mehr als 7 Tage vor Krankheitsausbruch nachgewiesen werden.
65
Behandlung
Tagen mit Müdigkeit, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Fieber treten die ersten neurologischen Symptome auf. Ein Teil der Patienten klagt über Schmerzen und Parästhesien im Bereich der Wunde.
Es gibt keine wirksame Behandlung der Tollwut. Eine amerikanische Expertengruppe empfiehlt für Erkrankte folgendes Protokoll: aktive und passive Tollwutimpfung, intravenöses oder intraventrikuläres Ribavirin sowie intravenöses oder intraventrikuläres Interferon D. Die einzige Person, die eine symptomatische Tollwut überlebt hat, wurde mit neuroprotektiven Maßnahmen, Ribavirin i.v. und Amantadin p.o. behandelt [17]. Die Postexpositionsprophylaxe muss so früh wie möglich erfolgen. Die Entscheidung, ob diese bei der Art von Exposition indiziert ist, hängt von der lokalen Epidemiologie ab. Ist eine Tollwutexposition möglich, muss sofort eine kombinierte postexpositionelle aktive und passive Impfung gemäß Angaben der Impfstoffhersteller durchgeführt werden. Das Antitollwutimmunglobulin wird teils periläsionell im Bereich der Wunde infiltriert, teils intramuskulär injiziert.
Exzitationsstadium. Im Exzitationsstadium treten Hyperaktivi-
Prävention
tät, Verwirrtheit, Halluzinationen und Anfälle mit Agitiertheit auf. Als Ausdruck einer Störung des autonomen Nervensystems beobachtet man Hyperthermie, Tachykardie, Blutdruckschwankungen und Hypersalivation. Die beiden klassischen Zeichen der Hydrophobie (Auftreten von schweren lokalen Spasmen beim Versuch, Wasser zu trinken, kombiniert mit Angst) und Aerophobie (Überempfindlichkeit gegen leichteste Luftzüge) treten ebenfalls in dieser Phase der Erkrankung auf und sind pathognomonisch für die Diagnose.
Verschiedene inaktivierte Tollwutimpfstoffe stehen zur aktiven Immunisierung zur Verfügung. Die Impfung sollte bei Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko wie z. B. Laborpersonal, Tierärzte, Wildhüter und Jäger in Endemiegebieten etc. durchgeführt werden. Die Impfung kann auch für Personen, die mehrere Monate im Ausland in ein Endemiegebiet reisen, empfohlen werden. Nach einer tollwutverdächtigen Exposition wird auch bei Geimpften eine postexpositionelle aktive Immunisierung empfohlen.
Paralytische Phase. Die Exzitationsphase wird von der paraly-
65.7
Klinik Die Inkubationszeit der Tollwut ist, in Abhängigkeit von der Lokalisation der Wunde, unterschiedlich und beträgt zwischen 3 Wochen und 3 Monaten. In seltenen Fällen kann die Inkubationszeit auch 1 oder mehrere Jahre dauern. Prodromalstadium. Nach einem Prodromalstadium von 2–10
tischen Phase abgelöst, bei der die Patienten zunehmende Lähmungen entwickeln, gefolgt von einem progredienten Koma. Die Krankheit führt praktisch immer in 1–2 Wochen zum Tod. Die folgenden Komplikationen sind beschrieben: Störungen der ADH-Sekretion, kardiovaskuläre Komplikationen wie Hypertonie, Hypotonie, Herzrhythmusstörungen, Atemdepression sowie nosokomiale Infektionen.
Diagnose Vor Auftreten der typischen klinischen Zeichen ist die Diagnose einer Tollwutinfektion praktisch unmöglich. Das Virus kann mittels Immunfluoreszenz aus Haut- oder Nervengewebebiopsien oder mittels RT/PCR im Speichel nachgewiesen werden. Andere Verfahren wie Liquoruntersuchungen, die oft eine mononukleäre Pleozytose zeigen, oder die Magnetresonanzuntersuchung des Gehirns oder das Elektroenzephalogramm zeigen keine krankheitsspezifischen Veränderungen. Andere z. T. behandelbare Erkrankungen müssen vor der Diagnose einer Tollwut ausgeschlossen werden:
Diphtherie
Die Diphtherie ist in den meisten europäischen Ländern eine Seltenheit geworden. Importierte Fälle aus Ländern der dritten Welt und aus Russland, die sekundäre Infektionen auslösen können, werden auch in europäischen Krankenhäusern beobachtet. Wegen der gefürchteten Komplikationen wie Verlegung der Atemwege, Myokarditis und Herzversagen sowie Neuropathie müssen mittelschwere und schwere Fälle auf der Intensivstation unter Beachtung notwendiger Isolationsmaßnahmen betreut werden [6].
Erreger Corynebacterium diphtheriae ist ein grampositives Stäbchen, das ausschließlich den Menschen infiziert. Der Keim wächst auf Selektivmedien, die Kaliumtellurit enthalten. i Das Labor muss auf den Verdacht aufmerksam gemacht werden, damit entsprechende Medien eingesetzt werden.
Die Diphtherie selbst wird durch ein Exotoxin ausgelöst, das mit immunologischen oder molekularbiologischen Methoden nachgewiesen werden kann. Die Mehrzahl der in Europa isolierten Corynebacterium-diphtheriae-Stämme produzieren kein Toxin.
Differenzialdiagnosen der Tollwut 5 Virale Enzephalomyelitis, z. B. die behandelbare Herpessimplex-Virus-Enzephalitis: Hier können typische EEGund CT-Befunde sowie der Nachweis von Herpes-simplex-Virus-DNA im Liquor zur richtigen Diagnose führen. 5 Tetanus: Bewusstseinszustand und Liquorbefund sind normal, die Hydrophobie fehlt. 5 Vergiftungen mit atropinartigen Substanzen können klinisch das Exzitationsstadium einer Tollwut nachahmen.
Epidemiologie Die Übertragung erfolgt in der Regel von Mensch zu Mensch als Tröpfcheninfektion oder als Schmierinfektion von infizierten Hautläsionen. In verschiedenen Ländern der Dritten Welt ist die Diphtherie endemisch. Gesunde Träger können den Keim im Respirationstrakt oder auf Hautläsionen mit sich tragen und andere Personen infizieren. Ein vorhandener Diphtherietoxinimpfschutz beeinflusst den Schweregrad der Krankheit, verhindert aber das Trägertum nicht.
840
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
Pathogenese Die Virulenz von Corynebacterium diphtheriae beruht auf der Wirkung des Exotoxins, das die Proteinsynthese der Wirtszellen in kleinsten Dosen inhibiert. Obwohl im Prinzip alle Zelltypen sensibel sind, werden v. a. Herzmuskelzellen, Nervenzellen und Tubulusepithelzellen der Niere betroffen.
Klinik In den Atemwegen kommen Infektionen im Bereich der Tonsillen, des Pharynx, des Larynx und im Tracheobronchialbaum vor. Typisch ist die Bildung schmutzig-grauer Membranen mit darunter liegendem Ödem und Mukosanekrosen. In der Folge treten Atemnot, Heiserkeit, Stridor und Husten auf. Schleimhautödem und Membranen können zur akuten Atemwegsobstruktion führen, die eine notfallmäßige Intubation erfordert. Systemische Komplikationen treten v. a. am Herzen und am Nervensystem auf [2]. Etwa 25% der Patienten entwickeln klinisch relevante kardiale Funktionsstörungen, die 1–2 Wochen nach Krankheitsbeginn auftreten. Die toxinvermittelte Myokarditis kann zur Herzinsuffizienz führen, aber auch zu Erregungsleitungsstörungen, die gelegentlich auch nach Ausheilen der akuten Diphtherie fortbestehen. Die Toxinwirkung im Bereich des Nervensystems führt in der Frühphase der Erkrankung zur Lähmung des Gaumensegels und der Muskulatur im Pharynxbereich mit entsprechenden Schluckstörungen sowie im weiteren Verlauf zu Hirnnervenausfällen bis hin zur ausgedehnten generalisierten Nervenschädigung. Bei der Hautdiphtherie treten nur selten Zeichen einer systemischen Toxinwirkung auf. Klinisch handelt es sich um belegte, chronische, nichtheilende Hautulzera, die häufig auch mit anderen Keimen besiedelt sind.
Diagnose i Bei Patienten mit membranöser Tonsillitis oder Pharyngitis, die aus einem Land der Dritten Welt stammen oder kürzlich heimgekehrt sind, sollte an die Möglichkeit einer Diphtherie gedacht werden.
65
Oft treten in der Folge Heiserkeit, Stridor und eine Gaumensegellähmung auf. In dieser Situation sollte ein Abstrich mit der Frage nach Corynebacterium diphtheriae entnommen werden.
Behandlung Bei Verdacht auf Diphtherie müssen Patienten hospitalisiert und isoliert werden. Eine elektrokardiographische Überwachung ist zwingend notwendig. Die Behandlung besteht aus der Verabreichung von humanem Antidiphtherieimmunglobulin, dosiert nach Angaben des Herstellers. Mit dem Ziel, die Toxinproduktion zu unterbinden und die Weiterverbreitung des Keims zu verhindern, wird eine Behandlung mit Penicillin G oder Erythromycin durchgeführt. Die Dosierung ist wie folgt: 4 Penicillin G: 1,2–4 Mio. IE/Tag oder 4 Erythromycin: 4-mal 500 mg/Tag. Beide Antibiotika werden parenteral verabreicht, bis der Patient wieder normal schlucken kann. Die empfohlene Dauer der Behandlung beträgt 14 Tage. Zur Sicherung der Atemwege ist oft eine Intubation notwendig. Bei Erregungsleitungsstörungen
muss gelegentlich vorübergehend ein Schrittmacher eingesetzt werden. Kontaktpersonen werden unabhängig vom Impfstatus für 7–10 Tage mit oralem Erythromycin behandelt.
Prävention In den meisten europäischen Ländern wird bei Erwachsenen systematisch, mit der Auffrischimpfung gegen Tetanus, auch die Diphtherieimpfung durchgeführt. Eine Auffrischimpfung gegen Diphtherie ist alle 10 Jahre indiziert. 65.8
Anthrax
Der Einsatz von Bacillus-anthracis-Sporen als bioterroristische Waffe ist nicht unwahrscheinlich. Mindestens 13 Länder haben oder hatten entsprechende Produktionsprogramme. Der Laborunfall in Sverdlovsk im Jahr 1979 führte der Welt die mögliche Zerstörungskraft dieses Keimes ebenso vor Augen wie dessen terroristischer Einsatz in den USA im Jahr 2001. Die durch Inhalation von Bacillus-anthracis-Sporen ausgelöste Infektion des Respirationstrakts muss vom Intensivmediziner erkannt und korrekt behandelt werden.
Erreger Bacillus anthracis ist ein aerober, grampositiver, sporenbildender Keim, der in Kultur wie ein Bambusstab konfiguriert auf den herkömmlichen Labormedien wächst. Die Sporen, die unter bestimmten Unweltbedingungen gebildet werden, sind enorm resistent und können im Boden Jahrzehnte infektiös bleiben.
Epidemiologie Da unser Tierbestand frei von Anthrax ist, treten sporadische Fälle selten auf und dies meist in Zusammenhang mit Reisen in Endemiegebiete oder nach beruflichem Kontakt; letzteres z. B. in der Fellverarbeitung nach Kontakt mit kontaminierten Tiermaterialien.
Pathogenese Die Infektion erfolgt entweder kutan, gastrointestinal oder durch Inhalation von kontaminiertem Material. Im bioterroristischen Einsatz muss v. a. mit Inhalationsanthraxfällen gerechnet werden, die eine Lethalität von bis 90% aufweisen. Für den Intensivmedizinier relevant ist v. a. der Inhalationsanthrax, der nach Inhalation von Sporen auftritt. Nach der Phagozytose durch Alveolarmakrophagen wird ein Teil der Erreger intrazellulär abgebaut, ein Teil der Sporen wird jedoch in Lymphknoten nach einer unterschiedlichen Latenzzeit in vegetative, virulente Keime umgewandelt. i Wichtig ist, dass dieser Mechanismus zu einer sehr unterschiedlichen Inkubationszeit führen kann, die in Sverdlovsk 2–43 Tage andauerte.
Dank verschiedenen Virulenzfaktoren des Keimes (letaler Faktor und Ödemfaktor) verläuft die Krankheit – einmal ausgebrochen – sehr rasch und oft letal.
Klinisches Bild Eine mediastinale hämorrhagische Lymphadenitis mit Erweiterung des Mediastinums ist für die erste Phase der Erkrankung typisch und nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen, eine
841 65.9 · Schwere Malaria
Pneumonie. Die mediastinale Lymphadenitis kann als Ausdruck der Infektionsausbreitung eine Meningitis, eine Pneumonie und eine systemische Infektion mit Multiorganversagen verursachen.
65
i Eine schwere Malaria kann durch Infektion mit Plasmodium falciparum ausgelöst werden und zu einer Reihe von Komplikationen führen, die eine Intensivbehandlung erfordern und eine Letalität von 10–50% aufweisen.
Diagnose Nebst nachrichtendienstlicher Informationen und epidemiologischer Hinweise muss bei Auftreten einer hoch fieberhaften Erkrankung mit Mediastinalerweiterung an Inhalationsanthrax gedacht werden. Oft ist die Gram-Färbung des Blutausstrichs mit Vorhandensein von grampositiven Bazillen, bestätigt durch Blut- oder Sputumkultur, diagnostisch.
Therapie Der rasche Beginn einer korrekten Antibiotikabehandlung ist wichtig und soll bei Verdacht nach Ansetzten von Blutkulturen begonnen werden. ! Cave Bacillus anthracis ist resistent gegen Breitspektrumcephalosporine, die oft bei Verdacht auf systemische bakterielle Infektionen eingesetzt werden.
Es liegen bisher keine klinischen kontrollierten Studien über die Behandlung von Inhalationsanthrax beim Menschen vor, die beste Behandlung ist deshalb unbekannt. Penicillin G, Doxycyclin, Ciprofloxacin, Clindamycin, Rifampicin, Imipenem, Aminoglykoside, Chloramphenicol, Vancomycin, Linezolid sind in vitro aktiv. Rekombinante Anthraxstämme mit Resistenz gegen Tetrazykline und Penicilline sind beschrieben worden. In der Regel soll mit 2 oder 3 Antibiotika behandelt werden. Die Personen, die beim bioterroristischen Angriff von 2001 an Antrax erkrankten und überlebten, wurden mit einer der folgenden Kombination behandelt: 4 Ciprofloxacin, Rifampicin und Vancomycin oder 4 Ciprofloxacin, Rifampicin und Clindamycin. Liegt eine Meningitis vor, sind liquorgängige Antibiotika – wie Penicillin G, Rifampicin oder Chloramphenicol – einzusetzen. Da Sporen längere Zeit persistieren können, sollte nach abgeschlossener Behandlung der Akutphase eine orale, der Resistenz des Isolats entsprechende Behandlung für insgesamt 60 Tage durchgeführt werden.
Prävention Die US-Armee besitzt seit 1970 einen inaktivierten, zellfreien Impfstoff, der mittlerweile gut untersucht ist und zusammen mit Antibiotika einen guten Impfschutz erzeugt. Die russische Armee hat ebenfalls einen Impfstoff entwickelt, wobei wenige Informationen verfügbar sind. An neuen Entwicklungen wird gearbeitet. Als Postexpositionsprophylaxe wird Ciprofloxacin in einer Dosierung von 2-mal täglich 500 mg per os für 60 Tage empfohlen. Als Alternativen kommen Amoxicillin und Doxycyclin infrage. 65.9
Schwere Malaria
Infekte mit Plasmodium vivax, ovale und malariae verlaufen auch für Touristen praktisch nie tödlich und können in der Regel ambulant behandelt werden.
An eine Malaria muss bei jedem Patienten mit Fieber gedacht werden, der von einer Tropenreise zurückkehrt [10].
Erreger Plasmodium-falciparum-Sporozoiten infizieren primär Hepatozyten, in denen sie zu Schizonten werden. Nach 1–2 Wochen platzen die infizierten Hepatozyten und Merozoiten werden in die Blutbahn freigesetzt. In der Phase der Parasitämie treten die typischen klinischen Symptome auf. Im Gegensatz zu Plasmodium vivax und Plasmodium ovale persistiert Plasmodium falciparum nicht in der Leber. Die freigesetzten Merozoiten infizieren die Erythrozyten, reifen zu Schizonten aus und setzen nach Ruptur des Erythrozyten erneut Merozoiten frei. Die Inkubationszeit bei Plasmodium falciparum beträgt normalerweise etwa 2 Wochen. Bei einer unvollständig aktiven Chemoprophylaxe kann die Inkubationszeit bis mehrere Wochen betragen.
Epidemiologie Plasmodium falciparum ist der häufigste Erreger einer Malaria in Afrika, Haiti, in verschiedenen Ländern Südamerikas, in Südostasien und in Neuguinea, während Plasmodium vivax häufiger auf dem indischen Subkontinent auftritt. Einwohner von Malariaendemiegebieten werden oft erstmals als Kinder infiziert, wobei Infektionen bei Kindern unter 5 Jahren besonders schwer verlaufen. Der wiederholte Kontakt mit dem Parasiten führt zu einer partiellen Immunität, die einige Jahre nach Verlassen des Endemiegebiets wieder verschwinden kann. Neben der Übertragung durch Anophelesmücken kann die Krankheit selten durch Bluttransfusionen, kontaminierte Kanülen, Organtransplantation und transplazentar übertragen werden. In Europa werden die meisten Fälle bei Tropenrückkehrern und Ausländern aus Endemiegebieten beobachtet.
Pathogenese Bei der Ruptur der Schizonten werden vom Parasiten Stoffe freigesetzt, die zur Makrophagenstimulation und der Freisetzung von Interleukin 1, Tumornekrosefaktor-D und anderen proinflammatorischen Zytokinen führen. Parasitenhaltige Erythrozyten adhärieren zudem im Bereich der Venolen verschiedener Organe, insbesondere des Gehirns, der Nieren, des Darms, der Plazenta, des Skelettmuskels und der Leber. Folge davon sind Ischämie, Hypoxie und anaerobe Glykolyse, verbunden mit einer erhöhten Laktatproduktion.
Klinik Eine schwere bzw. komplizierte Malaria besteht bei Vorhandensein von mindestens einem der in . Tabelle 65.4 aufgelisteten Kriterien. Patienten mit schwerer Malaria werden so rasch wie möglich auf eine Intensivstation aufgenommen und mit Chinin behandelt. ZNS. Die klinischen Zeichen einer zerebralen Malaria sind Bewusstseinsstörungen, generalisierte Krämpfe und Augenmotilitätsstörungen. Das Auftreten einer Dezerebrierungsstarre
und Retinablutungen sind Ausdruck einer schlechten Prognose.
842
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
. Tabelle 65.4. Kriterien für eine schwere (= komplizierte) Malaria. Definitionsgemäß genügt ein Kriterium Klinische Kriterien:
Laborparameter:
4 Krämpfe, Somnolenz, Koma (zerebrale Beteiligung) 4 Arterielle Hypotonie, (Blutdruck systolisch 40°C 4 Extreme Schwäche 4 4 4 4 4 4 4 4
Parasitämie >4% Disseminierte intravasale Gerinnung Hämoglobinurie (intravasale Hämolyse) Blutglukose 3 mg/dl) Hämoglobin 50 μmol/l (>3 mg/dl) arterieller pH-Wert 1% sollte eine engmaschige, d. h. 6-stündliche Kontrolle der Parasitendichte durchgeführt werden. Neuere Schnelltests, die den Nachweis von Plasmodiumantigenen ermöglichen, erleichtern das Screening, ersetzen aber die morphologische Diagnostik nicht.
Therapie Die in der folgenden Übersicht dargestellten allgemeinen Behandlungsrichtlinien gelten für Patienten mit schwerer Malaria: Allgemeine Behandlungsempfehlungen für Patienten mit schwerer Malaria 5 Verlegung des Patienten auf die Intensivstation 5 Lumbalpunktion bei klinischem Verdacht auf Beteiligung des Zentralnervensystems 5 Berechnung der Medikamentendosierung aufgrund des Körpergewichts und schnellstmöglicher Beginn mit einer Antimalariachemotherapie 5 Regelmäßige Kontrolle der Laborparameter, insbesondere Blutglukose und arterielle Blutgasanalyse, Laktatkonzentration, Parasitämie, Thrombozyten, Gerinnungsparameter und Nierenfunktion 5 Sorgfältige Überwachung des intravasalen Volumenstatus; hier ist oft die Anlage eines zentralvenösen Katheters (oder eines Pulmonalarterienkatheters) erforderlich. Vorsichtige Flüssigkeitszufuhr, um das Auftreten eines Lungenödems zu verhindern 5 Überwachung der Körpertemperatur: Einsatz von physikalischen Mitteln, kombiniert mit Antipyretika bei schwerer Hyperthermie 5 Blutkulturen zum Ausschluss einer begleitenden Bakteriämie oder Sepsis anderer Ursache 5 Kontrolle der Urinproduktion, meist durch Einlage eines Urinkatheters 5 Kontrolle des spezifischen Gewichts und der Natriumkonzentration im Urin
Die Behandlung einer komplizierten Malaria, bei der entweder Plasmodium falciparum nachgewiesen wurde oder die Artdiagnose noch nicht erfolgte, wird in der Regel parenteral mit Chinin durchgeführt. Für Chinindihydrochlorid wird folgendes Dosierungsschema empfohlen: Empfohlenes Dosierungsschema für Chinindihydrochlorid 5 Ladedosis 7 mg/kg Chinindihydrochlorid (Salz) über 30 min in 100 ml Glukose 5% i.v. 5 Unmittelbar anschließend 10 mg/kg über 4 h in 250 ml Glukose 5% i.v. 5 Die Maximaldosis von 2,5 g Chinindihydrochlorid sollte am 1. Tag nicht überschritten werden. 5 Danach 10 mg/kg i.v. in 250 ml Glukose 5% über 4 h, 3-mal pro Tag, d. h. alle 8 h. 6
843 65.10 · Virales hämorrhagisches Fieber
5 Nach 48–72 h und günstigem Verlauf kann die Tagesdosis auf 1,8 g, d. h. 3-mal 600 mg pro Tag reduziert werden. 5 Bei günstigem Verlauf kann auf eine perorale Behandlung mit Chininsulfat 3-mal 600 mg/Tag p. o. für 7 Tage, kombiniert mit Doxicyclin 200 mg/Tag p. o., gewechselt werden.
65
! Cave Die hohe Infektiosität, verbunden mit der hohen Virulenz einzelner Erreger, erfordert eine frühe rigorose und konsequent durchgeführte Isolation im Verdachtsfall.
Erreger, die ein virales hämorrhagisches Fieber auslösen können, sind in . Tabelle 65.5 dargestellt.
Gemeinsamkeiten viraler hämorrhagischer Fieber Als Alternative zur Chinindihydrochlorid kann Arthemether zuerst parenteral und per os nach Angaben des Herstellers eingesetzt werden. Die Behandlung in der Schwangerschaft ist besonders risikoreich, da vermehrt schwere Hypoglykämien, ein Lungenödem oder ein Abort auftreten können. Die Therapie erfolgt bevorzugt mit Chinin; zusätzlich sollte ein Gynäkologe in die Betreuung einbezogen werden. Anstelle von Doxicyclin wird bei Schwangeren Clindamycin 5 mg/kg KG 3-mal pro Tag angewandt. Nebenwirkungen. Die wichtigsten Nebenwirkungen von Chi-
nin sind: Tinnitus, Sehstörungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrhythmusstörungen und Krämpfe. Bei Überdosierung kann Aktivkohle per os gegeben werden. Austauschtransfusion. Bei sehr hoher Parasitämie (>15%) und
bei schwerer disseminierter intravasaler Gerinnung muss eine Austauschtransfusion erwogen werden. Die von der WHO publizierten Richtlinien für die Behandlung der schweren Malaria können unter mosquito.who.int/ docs/hbsm_toc.htm heruntergeladen werden.
Prävention Die Malariaprävention basiert auf dem Vermeiden eines Kontakts mit dem Moskitovektor und der medikamentösen Prophylaxe. Verschiedene Vakzinepräparate sind derzeit in klinischer Prüfung. 65.10 Virales hämorrhagisches Fieber Unter viralen hämorrhagischen Fiebern versteht man eine Gruppe von Erkrankungen, die klinisch akut beginnen und mit folgenden Symptomen einhergehen: 4 Fieber, 4 Myalgien, 4 Kopfschmerzen, 4 respiratorische Störungen, 4 gastrointestinale Störungen, 4 Lungenödem, 4 Schock, 4 schwerste Haut- und Schleimhautblutungen. In der Regel werden diese Erkrankungen von Insekten oder Tieren übertragen und in Europa v. a. bei Rückkehrern aus Endemiegebieten beobachtet. Obwohl Ribavirin für einige der Erreger möglicherweise eine wirksame Behandlung darstellt, bleibt die gute intensivmedizinische Betreuung der Komplikationen von zentraler Bedeutung.
Es handelt sich um sehr akut auftretende Erkrankungen mit hohem Fieber, Multiorganbefall und generalisierten Kapillarschäden, die neben den charakteristischen Haut- und Schleimhautblutungen oft mit einem Lungenödem einhergehen. Todesursache ist in der Regel ein hypovolämischer Schock, z. T. begleitet von einem ARDS. Die meisten Erkrankungen sind Zoonosen und werden eher in ländlichen Gebieten übertragen. Alle viralen hämorrhagischen Fieber haben eine Inkubationszeit, die kürzer als 4 Wochen ist. Eine genaue Anamnese kann hierbei Hinweise auf den Erreger liefern. Generell geht es bei der Behandlung darum, die Komplikationen der akuten Phase der Erkrankung zu behandeln, da sich die Patienten in der Regel danach rasch und komplett wieder erholen. Das Hauptproblem ist das Auftreten eines Kapillarlecks mit hypovolämischem Schock und Hämokonzentration, die durch kontrollierte Volumengabe behandelt werden müssen. Ausgedehnte Blutungen führen zu Anämie und Thrombopenie, die durch Blutersatzprodukte korrigiert werden müssen. Eine disseminierte intravasale Gerinnung gehört nicht zur Klinik der viralen hämorrhagischen Fieber, kann aber im Rahmen einer Sekundärkomplikation wie der bakteriellen Sepsis hinzukommen. Lungenödem und ARDS erfordern häufig eine maschinelle Beatmung, und ein Nierenversagen muss durch eine Nierenersatzbehandlung überbrückt werden. Nicht selten treten auch ZNS-Komplikationen mit intrazerebralen Blutungen und Krämpfen auf, weiterhin Herzrhythmusstörungen sowie Leberfunktionsstörungen, v. a. bei Gelbfieber.
Antivirale Behandlung Eine spezifische Behandlungsmöglichkeit besteht in der Gabe von Ribavirin in einer Dosierung von 2 g i.v. als Ladedosis, dann . Tabelle 65.5. Viren, die ein hämorrhagisches Fieber hervorrufen können Virusfamilie
Hauptvertreter
Endemiegebiete
Bunyaviridae
Krim-KongoFieber, verschiedene Hantaviren
Afrika, Südosteuropa, mittlerer Osten und Asien; weltweit
Arenaviridae
Lassavirus, Junin-, Machupo-, Guanarito- und Sabiavirus
Westafrika, Südamerika
Filoviridae
Marburg und Ebolavirus
Zaire, Südsudan, Gabun
Flaviviridae
Gelbfiebervirus, Denguevirus
West- und Zentralafrika, Süd- und Mittelamerika; Asien, Teile von Afrika; Zentral- und Südamerika
844
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
1 g i.v. alle 6 h für 4 Tage, danach 0,5 g alle 8 h für weitere 6 Tage. Diese Behandlung wird für Lassafieber empfohlen, ist aber möglicherweise auch beim südamerikanischen hämorrhagischen Fieber, dem Krim-Kongo-Fieber und bei Hantaviren wirksam. i Weder Austauschtransfusionen noch Steroide scheinen bei viralen hämorrhagischen Fiebern wirksam zu sein.
Differenzialdiagnose Die folgenden Infektionskrankheiten müssen differenzialdiagnostisch bei einem Patienten mit akuter Krankheit, Fieber und hämorrhagischem Ausschlag in Betracht gezogen werden: eine bakterielle Sepsis mit Purpura fulminans/disseminierter intravasaler Gerinnung, verursacht durch Neisseria meningitidis, Streptococcus pneumoniae, Staphylococcus aureus, gramnegative Keime, Capnocytophaga canimorsus oder andere Erreger, weiterhin eine Rickettsiose, eine Leptospirose sowie eine Malaria.
65.10.3 Lassafieber Lassafieber ist endemisch in Westafrika und führt jedes Jahr zu mehreren Tausend Todesfällen. Nach einer Inkubationszeit von 1–3 Wochen treten akut Fieber, Schwäche, Übelkeit und starke frontale Kopfschmerzen auf. Die Symptome sind oft begleitet von lumbalen Schmerzen und nichtproduktivem Husten. Im Gegensatz zu den anderen hier beschriebenen Viruserkrankungen sind Haut- und Schleimhautblutungen nur in 1/5 der Fälle zu beobachten. Als Komplikationen treten Lungenödem und ARDS, hypovolämischer Schock, ein Myokardbefall, ein Leberbefall sowie eine Enzephalopathie auf. Oft persistieren ein Hörverlust und zerebelläre Zeichen längere Zeit nach dem Ausheilen der Krankheit. Ribavirin muss innerhalb der ersten 6 Tage nach Beginn der Symptome verabreicht werden. 65.10.4 Südamerikanisches hämorrhagisches
65.10.1 Krim-Kongo-Virus Das Virus wird durch Zecken übertragen und kommt in Osteuropa, Asien, im mittleren Osten und in Afrika vor. Die Virulenz des Erregers scheint geographisch unterschiedlich zu sein. Klinisch treten nach einer Inkubationszeit von 2–9 Tagen akut Kopfschmerzen, hohes Fieber, Schüttelfrost und ausgeprägte Myalgien auf. Diese sind begleitet von epigastrischen Schmerzen, einer Konjunktivitis und typischerweise einer Bradykardie. 3–5 Tage nach Beginn der Symptome treten Blutungen im Bereich der Schleimhäute mit Epistaxis, Hämaturie und blutigem Durchfall auf. Neben Petechien und Purpura können Hämatemesis und Melaena rasch zum hypovolämischen Schock und Tod führen. Leber- und Myokardbeteiligung kommen vor, ebenso Anämie, schwere Thrombozytopenie und Leukopenie. Bei der akuten Erkrankung kann das Virus im Blut kulturell oder mittels PCR nachgewiesen werden. Verschiedene Autoren empfehlen die intravenöse Verabreichung von Ribavirin aufgrund von In-vitro-Daten und einer derzeit noch beschränkten klinischen Erfahrung. 65.10.2 Hantaviren
65
Die in Europa, v. a. in Skandinavien, vorkommenden Hantaviren führen zu einem hämorrhagischen Fieber mit Nierenbeteiligung. 1993 wurde in den USA zudem eine Hantavirusinfektion entdeckt, die sich v. a. als schwere hämorrhagische Pneumonie manifestiert (Sin-Nombre-Virus). Hantaviren werden meist durch kleine Nager übertragen. In der Frühphase der europäischen Erkrankung stehen Kopf- und Muskelschmerzen im Vordergrund. In der Folge treten Petechien im Bereich der Schleimhäute, aber auch der Haut auf. Bei den Laboruntersuchungen steht eine Thrombopenie und Proteinurie im Vordergrund. Leichte Fälle erholen sich in der Folge oder können in Schock, Oligurie oder Anurie übergehen, gefolgt von einer polyurischen Phase. Die Letalität der europäischen Hantavirusinfektionen beträgt 200 CD4-positiven Zellen/μl Blut sinnvoll anwendbar ist [10, 17].
66.3.2 Andere Ursachen für akutes
respiratorisches Versagen bei HIV-Erkrankung Bakterielle, virale und mykotische Pneumonien sind als Ursache
für akutes respiratorisches Versagen bei Patienten mit HIV-Infektion gehäuft. Häufigkeit und eventuelle Prädiktoren für das Auftreten eines akut respiratorischen Versagens bei den genannten Infektion sind nicht bekannt. Andere Ursachen für akutes respiratorisches Versagen bei HIV-infizierten Patienten stellen pulmonale Kaposi-Sarkome, Non-Hodgkin-Lymphome und lymphozytisch interstitielle Pneumonien (v. a. im Kindesalter) dar. Akutes respiratorisches Versagen, das nicht im Zusammenhang mit dem HIV-induzierten Immundefekt steht – wie chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Aspiration, Herzinsuffizienz und Medikamentenüberdosierung –, stellt seltener die Ursache für das Auftreten von akutem respiratorischen Versagen bei HIV-Infizierten dar [7, 44, 51]. Seit Einführung einer medikamentösen oder inhalativen Prophylaxe gegen Pneumocystis carinii ist die Häufigkeit von PCPn drastisch zurückgegangen [26, 27]. Bisher liegen keine gesicherten Daten darüber vor, inwieweit eine Prophylaxe gegen Pneumocystis carinii den klinischen Verlauf und die Prognose einer trotz Prophylaxe auftretenden PCP modifiziert. 66.4
Neurologische Komplikationen der fortgeschrittenen HIV-Infektion und deren Behandlung auf der Intensivstation
Etwa 50% der Patienten mit HIV-Infektion entwickeln im Vollbild Aids klinisch relevante neurologische Komplikationen [34]. Entzündliche und nichtentzündliche Läsionen der Hirnsubstanz, Meningitiden und Myelopathien stellen die häufigsten neurologischen Komplikationen dar, die die Ursache einer akuten Verschlechterung des mentalen Zustands des Patienten mit fortschreitender Somnolenz, komatösen Zuständen, Kopfschmerzen, zerebralen Krampfanfällen oder sekundär respirato-
852
Kapitel 66 · Behandlung von Patienten mit HIV-Infektion auf der Intensivstation
rischem Versagen darstellen können und eine Behandlung auf der Intensivstation notwendig machen [4]. Neurologische Erkrankungen, die HIV-assoziiert auftreten und eine Behandlung auf der Intensivstation notwendig machen können (nach [34]) 5 Intrazerebrale Raumforderungen – zerebrale Toxoplasmose (Toxoplasmose gondii) – primäreLymphome des Zentralnervensystems – andere primäre Tumoren des Zentralnervensystems 5 Meningitis/Meningoenzephalitis mit folgenden Erregern – Kryptokokkus neoformans – Mycobacterium tuberculosis – Listeria monocytogenes – Nocardia asteroides
66
In einer Zusammenstellung von Rosen et al. [45] von auf der Intensivstation behandelten Patienten mit fortgeschrittener HIVInfektion zeigte sich, dass 17% der Patienten mit fortgeschrittener HIV-Erkrankung wegen neurologischer Komplikationen auf die Intensivstation eingewiesen wurden. Die meisten dieser Patienten bedurften wegen sekundären respiratorischen Versagens einer Respiratorbehandlung. Die häufigste Erkrankung des Zentralnervensystem war die zerebrale Toxoplasmose. Die Mortalität lag bei 68%, bezogen auf einen Zeitraum von 3 Monaten. In dieser Untersuchung ließ sich eine signifikante Korrelation des letalen Verlaufs der Erkrankung mit einem Glasgow Coma Score von 70%, oral Lösung: ca. 65%
k. A.
Liquorkonzentration
14,70% der Plasmakonzentration
40 Punkte) ist auch hier die externe Fixation durchzuführen, die bei Gelenkfrakturen im Kniebereich (diakondyläre Femurfrakturen, Tibiakopffrakturen) oder Knieluxationen häufig als gelenkübergreifender Fixateur mit Transfixation montiert werden kann. In gleicher Weise können distale Unterschenkelfrakturen (Pilon tibiale, OSG, Rückfuß) durch Transfixation des OSG und Montage des »fixateur externe« auf den I. Mittelfußknochen oder Rückfuß primär stabilisiert werden.
Gefäßverletzungen und Amputationen Verletzungen großer Gefäße der Extremitäten erfordern in der dringlichen Operationsphase eine umgehende Revaskularisation. Analog muss bei Amputationsverletzungen oder drittgradig offenen Frakturen mit prolongierter Ischämie eine Wiederdurchblutung nach spätestens 5 h erfolgen. Eine länger dauernde Ischämiephase führt neben erheblicher lokaler Schwellung, Perfusionsstörungen und Kompartmentsyndrom zu einer vital bedrohlichen systemischen Belastung, die zu einem akuten Lungen- und Organversagen führen kann. i Je stammnaher die Ischämiegrenze liegt, desto ausgeprägter entwickelt sich die systemische Reaktion. Daher muss die Indikation zur Replantation und Revaskularisation beim Polytrauma besonders kritisch gestellt werden.
67.4.3 Übersehene Verletzungen, Patienten-
übergabe und Folgeoperationen Trotz etablierter Diagnostik werden einige Verletzungen (Hand, Fuß) erst während der Intensivtherapie oder bei wiedererlangtem Bewusstsein des Patienten diagnostiziert. Alle therapierelevanten Maßgaben für die Nachbehandlung [Stabilität, Lagerung, Antibiose, geplante Folgeoperationen oder Diagnoseschritte (Kontroll-CCT)] müssen mündlich und schriftlich angeordnet werden. Gerade die Unsicherheit über die Stabilität bereits versorgter Frakturen oder evtl. noch bestehende Instabilitäten verhindern die während der Intensivbehandlung erforderlichen Lagewechsel zur Verbesserung der Lungenfunktion und Prävention von Druckulzera. 67.4.4 Immun- und metabolismusmodulierende
Therapiemaßnahmen Entscheidend für die Minimierung der ungünstigen Auswirkungen der Gewebetraumatisierung und Voraussetzung für eine erfolgreiche Intensivtherapie des Polytraumas ist die rechtzeitige und adäquate chirurgische Versorgung. Als adjuvante medikamentöse oder apparative Verfahren werden darüber hinaus eine Reihe therapeutischer Ansätze diskutiert, die auf pathophysiologischen Überlegungen und erfolgreichen tierexperimentellen Untersuchungen beruhen und z. T. in kleineren klinischen
875 Literatur
Studien untersucht wurden. Hierzu gehören u. a. die frühzeitige, hochdosierte Gabe verschiedener Antioxidanzien sowie Modulationen der Zytokinantwort des Organismus auf das Trauma. Bislang gehört jedoch keines dieser medikamentösen Verfahren zur etablierten Therapie des Polytraumas oder des polytraumainduzierten Organversagens. Die tauma- oder spsisinduzierte Katabolie ist ein Hauptgrund für Morbidität und Mortalität. Hier hat eine frühe enterale Ernährung mit speziellen Zusätzen (Arginin, Glutamin oder ungesättigten ω3-Fetttsäuren, Wachstumsfaktoren) und/oder der Einsatz bestimmter Hormone (anabole Androgene) bei Schwerbrandverletzten ermutigende Ergebnisse gebracht; die Validierung bei polytraumatisierten Patienten steht noch aus [30].
67
. Abb. 67.2. Etablierte Maßnahmen zur Prävention des posttraumatischen Organversagens
Hämofiltration Die Auswirkungen einer kontinuierlichen Hämofiltration auf den Verlauf einer Sepsis werden insgesamt kontrovers, von vielen Autoren jedoch insbesondere wegen der Möglichkeit einer proinflammatorischen Zytokinelimination günstig beurteilt. Möglicherweise führt die frühzeitige kontinuierliche venovenöse Hämofiltration (CVVH) zu einer Abschwächung des hyperdynamen Kreislaufversagens und zu einer Verbesserung der O2-Extraktionsrate; der Stellenwert des Verfahrens ist jedoch außerhalb der Organersatztherapie im Rahmen eines akuten Nierenversagens zzt. nicht validiert [4].
Bewertung Abgesehen von der Sicherstellung bzw. möglichst frühzeitigen Wiederherstellung einer ausreichenden Oxygenierung und Zirkulation zur Begrenzung ischämischer bzw. hypoxischer Schäden ist eine gesicherte, spezifische intensivmedizinische Therapie der Auswirkungen des Gewebeschadens und der unkontrollierten systemischen Entzündungsreaktion zzt. nicht bekannt. Hier scheint das Monitoring der Immunsituation in zeitlicher, örtlicher und quantitativer Hinischt noch nicht ausreichend genau für die gezielte Therapie zu sein.
5
5 5 5 5
5
Transfusionstherapie sowie begleitende Katecholamintherapie. Vermeidung eines iatrogenen »second hit« durch ausgedehnte operative Maßnahmen in der vulnerablen Phase an Tag 2–5 nach Trauma. Vermeidung von Hypoventilation und Hypotension bei Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Ausreichende Schmerzbekämpfung und Sedierung durch Analgetika und Sedativa. Frühzeitige enterale Nahrungszufuhr. Supportive Maßnahmen bei schweren Funktionsstörungen oder Ausfall einzelner Organe: Beatmung bei Lungenversagen (druckkontrollierte Beatmung mit permissiver Hyperkapnie) und extrakorporale Eliminationsver fahren wie CVVH bei Nierenversagen. Rechtzeitige, adäquate Antibiotikatherapie bei Infektionsnachweis.
Literatur 67.4.5 Zusammenfassung der Intensivtherapie
bei Polytrauma Polytraumatisierte Patienten entwickeln häufig eine systemische Entzündungsreaktion, die zum Multiorganversagen führen kann. Zur Modulation dieser Entzündungsantwort mit dem Ziel einer Prognoseverbesserung des Polytraumapatienten stehen derzeit ergänzende Therapiemaßnahmen mit immunmodulierenden und zytoprotektiven Substanzen im Mittelpunkt des wissenschaftlich-therapeutischen Interesses. Anerkannte Therapieprinizipien Zu den anerkannten Therapieprinzipien des polytraumatisierten Intensivpatienten zählen derzeit (. Abb. 67.2): 5 Vermeidung bzw. frühzeitige Therapie einer Hypoxämie durch O2-Zufuhr, CPAP oder Beatmung mit ausreichend hohem PEEP sowie Transfusion von Erythrozytenkonzentraten bei inadäquat niedriger Hämoglobinkonzentration. 5 Vermeidung bzw. frühzeitige Therapie eines Schockzustands durch chirurgische Blutstillung, Infusions- und 6
1. Centers for Disease Control and Prevention (2000) Measuring healthy days. Atlanta, Georgia 2007 2. Jahresbericht (2006) Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie 2007 3. Balogh Z, McKinley BA, Cox Jr CS, Allen SJ, Cocanour CS, Kozar RA, Moore EE, Miller III CC, Weisbrodt NW, Moore FA (2003) Abdominal compartment syndrome: the cause or effect of postinjury multiple organ failure. Shock 20: 483–492 4. Baue M, Marzi I, Ziegenfuss T, Riegel W (2001) Prophylactic hemofiltration in severely traumatized patients: effects on post-traumatic organ dysfunction syndrome. Intensive Care Med 27: 376–383 5. Burch JM, Moore EE, Moore FA, Franciose R (1996) The abdominal compartment syndrome. Surg Clin North Am 76: 833–842 6. Deitch EA, Dayal SD (2006) Intensive care unit management of the trauma patient. Crit Care Med 34: 2294–2301 7. Hildebrand F, Pape HC, Krettek C (2005) [The importance of cytokines in the posttraumatic inflammatory reaction]. Unfallchirurg 108: 793–803 8. Holcomb JB (2005) Use of recombinant activated factor VII to treat the acquired coagulopathy of trauma. J Trauma 58: 1298–1303 9. Hurlbert RJ (2006) Strategies of medical intervention in the management of acute spinal cord injury. Spine 31: S16–S21 10. Keel M, Trentz O (2005) Pathophysiology of polytrauma. Injury 36: 691–709
876
67
Kapitel 67 · Trauma
11. Kwan I, Bunn F, Roberts I (2003) Timing and volume of fluid administration for patients with bleeding. Cochrane Database Syst Rev CD002245 12. Lendemans S, Kreuzfelder E, Waydhas C, Nast-Kolb D, Flohe S (2004) [Clinical course and prognostic significance of immunological and functional parameters after severe trauma]. Unfallchirurg 107: 203– 210 13. Leypold BG, Flanders AE, Schwartz ED, Burns AS (2007) The impact of methylprednisolone on lesion severity following spinal cord injury. Spine 32: 373–378 14. Liener UC, Bruckner UB, Knoferl MW, SteinbachG, Kinzl L, Gebhard F (2002) Chemokine activation within 24 hours after blunt accident trauma. Shock 17: 169–172 15. Marzi I, Mutschler W (1996) [Strategy of surgical management of polytrauma]. Zentralbl Chir 121: 950–962 16. Moore FA, McKinley BA, Moore EE (2004) The next generation in shock resuscitation. Lancet 363: 1988–1996 17. Nast-Kolb D, Waydhas C, Gippner-Steppert C, Schneider I, Trupka A, Ruchholtz S, Zettl R, Schweiberer L, Jochum M (1997) Indicators of the posttraumatic inflammatory response correlate with organ failure in patients with multiple injuries. J Trauma 42: 446–454 18. Pape HC, Giannoudis PV, KrettekC, Trentz O (2005) Timing of fixation of major fractures in blunt polytrauma: role of conventional indicators in clinical decision making. J Orthop Trauma 19: 551–562 19. Pape HC van GM, Rice J, Gansslen A, Hildebrand F, Zech S, Winny M, Lichtinghagen R, Krettek C (2001) Major secondary surgery in blunt trauma patients and perioperative cytokine liberation: determination of the clinical relevance of biochemical markers. J Trauma 50: 989–1000 20. Rabinovici R, Frankel H, Kaplan L (2003) Trauma evaluation and resuscitation. Curr Probl Surg 40: 599–681 21. Rizoli SB, Nascimento B Jr, Osman F, Netto FS, Kiss A, Callum J, Brenneman FD, Tremblay L, Tien HC (2006) Recombinant activated coagulation factor VII and bleeding trauma patients. J Trauma 61: 1419–1425 22. Rose S, Marzi I (1998) Mediators in polytrauma–pathophysiological significance and clinical relevance. Langenbecks Arch Surg 383: 199– 208 23. Rossaint R, Cerny V, Coats TJ, Duranteau J, Fernandez-Mondejar E, Gordini G, Stahel PF, Hunt BJ, Neugebauer E, Spahn DR (2006) Key issues in advanced bleeding care in trauma. Shock 26: 322–331 24. Rotstein OD (2003) Modeling the two-hit hypothesis for evaluating strategies to prevent organ injury after shock/resuscitation. J Trauma 54: S203–S206 25. Sauaia A, Moore FA, Moore EE, Norris JM, Lezotte DC, Hamman RF (1998) Multiple organ failure can be predicted as early as 12 hours after injury. J.Trauma 45: 291–301 26. Tisherman SA, Barie P, Bokhari F, Bonadies J, Daley B, Diebel L, Eachempati SR, Kurek S, Luchette F, Carlos PJ, Schreiber M, Simon R (2004) Clinical practice guideline: endpoints of resuscitation. J.Trauma 57: 898–912 27. Voggenreiter G, Aufmkolk M, Stiletto RJ, Baacke MG, Waydhas C, Ose C, Bock E, Gotzen L, Obertacke U, Nast-Kolb D (2005) Prone positioning improves oxygenation in post-traumatic lung injury–a prospective randomized trial. J.Trauma 59: 333–341 28. Walcher F, Weinlich M, Conrad G, Schweigkofler U, Breitkreutz R, Kirschning T, Marzi I (2006) Prehospital ultrasound imaging improves management of abdominal trauma. BrJSurg 93: 238–242 29. Wanner GA, Keel M, Steckholzer U, Beier W, Stocker R, Ertel W (2000) Relationship between procalcitonin plasma levels and severity of injury, sepsis, organ failure, and mortality in injured patients. Crit Care Med 28: 950–957 30. Wolf SE, Thomas SJ, Dasu MR, Ferrando AA, Chinkes DL, Wolfe RR, Herndon DN (2003) Improved net protein balance, lean mass, and gene expression changes with oxandrolone treatment in the severely burned. Ann.Surg 237: 801–810 31. Regel G, Grotz M, Weltner T, Sturm JA, Tscherne H (1996) Pattern of organ failure following severe trauma. World J Surg 20: 422–429
68 Schädel-Hirn-Trauma J. Piek
68.1
Einleitung und Definition
68.2
Epidemiologie
68.3
Pathophysiologisches Konzept
68.4
Klassifikation und Einteilung
68.4.1 68.4.2
Morphologische Einteilung –879 Verletzungsschwere –880
68.5
Erstversorgung
68.5.1 68.5.2 68.5.3 68.5.4 68.5.5 68.5.6
Untersuchung des Verletzten, Dokumentation der Befunde –881 Stabilisierung der Vitalfunktionen –881 Medikamentöse Behandlung –881 Wundversorgung/Wundbehandlung –882 Sichtung, Transport –882 Übergabe des Patienten durch den Notarzt –882
68.6
Erstversorgung im Krankenhaus
68.6.1 68.6.2 68.6.3 68.6.4 68.6.5 68.6.6
Leichtes und mittelschweres SHT –882 Schweres SHT –883 Verweilkatheter –884 Monitoring –884 Operative Behandlung der Verletzungsfolgen –885 Hirnödem/intrakranielle Drucksteigerung: intensivmedizinische Behandlung –890
68.7
Prognose Literatur
–890 –891
–878
–878 –878 –879
–881
–882
878
Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
68.1
Einleitung und Definition
Wirkt eine Gewalt auf den Kopf ein, führt sie, je nach Ausmaß und Richtung der einwirkenden Kraft, zu Verletzungen von Kopfschwarte, Schädelskelett und Gehirn, die unter dem Begriff Schädel-Hirn-Trauma (SHT) zusammengefasst werden. Intensivstationen, in denen Patienten mit schweren Kopfverletzungen behandelt werden, stellen das jeweilige regionale Zentrum dar, in dem Erstversorgung und -behandlung derartiger Patienten in Kooperation mit den zuständigen Stellen organisiert und strukturiert werden. Daher wird nachfolgend auch auf die Aspekte der Primärversorgung am Unfallort und auf die Erstversorgung im Krankenhaus eingegangen. 68.2
Epidemiologie
Das SHT ist in industrialisierten Ländern ein erhebliches gesundheitspolitisches und ökonomisches Problem. Es spielt bei etwa 60–70% aller tödlich verlaufenden Unfälle die verlaufsbestimmende Rolle. Exakte epidemiologische Daten für Deutschland wurden erstmals von Rickels et al. für den Zeitraum 2002–2003 erhoben [34]. Nach dieser Erfassung ist in Deutschland jährlich mit einer Zahl von etwa 330 Patienten pro 100.000 Einwohnern zu rechnen, die wegen eines SHT stationär behandelt werden müssen. Hierbei wird, wie in allen industrialisierten Ländern, ein stetiger Rückgang der Unfallzahlen beobachtet. Dies ist vorwiegend auf den Erfolg präventiver Maßnahmen (Helm- und Anschnallpflicht, Verbesserung der passiven Sicherheitseinrichtungen an Fahrzeugen usw.) zurückzuführen. Hinsichtlich der Häufigkeit finden sich der Risikostruktur entsprechend 3 Altersgipfel: 4 Bei Kindern unter 11 Jahren verunglücken Mädchen und Jungen gleich häufig. Häufige Ursachen des Schädel-HirnTraumas sind in dieser Altersgruppe Stürze, Freizeit- und Verkehrsunfälle. 4 Ein zweiter Gipfel findet sich im Alter von 20–30 Jahren. Hier überwiegen eindeutig Männer, die nahezu 3-mal häufiger als Frauen ein Schädel-Hirn-Trauma erleiden. 4 In hohem Alter sind wiederum Stürze die häufigste Ursache eines SHT; Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Die Verbesserung der Erstversorgung von Unfallopfern sowie die flächendeckende Versorgung mit neurochirurgischen Abtei-
lungen und mit Zentren für die Frührehabilitation haben in den letzten Jahrzehnten entscheidend zur Senkung von Mortalität und Morbidität beigetragen.
Unfallursachen Regionale und sozioökonomische Gegebenheiten haben entscheidenden Einfluss auf die Unfallursachen. Umfangreiche Datenbanken, wie sie z. B. in Glasgow, San Diego und Rotterdam angelegt wurden, lassen sich nur bedingt mit eigenen Zahlen vergleichen, was die Notwendigkeit regionaler Analysen unterstreicht (. Abb. 68.1). Etwa 25% aller Patienten mit SHT sind Opfer eines Verkehrsunfalls. In der Hauptsache sind Insassen von PKWs, Radfahrer und Fußgänger betroffen. Bei Stürzen in Haus und Garten, die mittlerweile mit über 50% die Verkehrsunfälle als führende Unfallursache abgelöst haben, handelt es sich fast immer um Stürze aus größerer Höhe (von Leitern, Treppen und Bäumen). Freizeit- und Sportunfälle führen ebenfalls oft zu Schädel-HirnVerletzungen; besonders schwer verlaufen erfahrungsgemäß Reitunfälle, die nicht selten mit schweren Wirbelsäulenverletzungen einhergehen. Arbeitsunfälle sind fast immer durch Sturz aus großer Höhe (Dachdecker, Bauarbeiter) bedingt, selten werden sie durch herabfallende Gegenstände verursacht. Gewalttaten (14%) und Suizide (8 Punkten und zusätzlichen Verletzungen, die eine rasche Verschlechterung der Spontanatmung befürchten lassen (z. B. Mittelgesichtsverletzungen, Querschnittslähmung), ist die Indikation zur Intubation und Beatmung ebenfalls großzügig zu stellen. Primär nicht intubationspflichtigen Patienten mit leichteren Verletzungen sollte Sauerstoff verabreicht werden (6 l/min über Maske oder 3 l/min über Nasensonde). Bei der obligaten pulsoxymetrischen Überwachung sollte die O2-Sättigung >95% betragen. Beim normotonen Erwachsenen wird eine Normoventilation angestrebt.
Die ausreichende Sedierung und Analgesie ist besonders bei intubierten und beatmeten Patienten sicherzustellen. Sedativa und Analgetika sind nach Wirkung zu titrieren, weil eine Überdosierung ‒ speziell bei hypovolämischen Patienten ‒ eine Hypotonie bewirken kann. Zur Intubation empfiehlt sich die Kombination eines Opioids mit einem Hypnotikum, für die Analgosedierung während des Transportes die Gabe eines Opioids mit einem Benzodiazepin von kurzer Wirkungsdauer. Ist die Analgosedierung eines nicht intubierten Patienten indiziert (z. B. Agitiertheit, Schmerzen), sollte ebenfalls ein Opioid mit einem Benzodiazepin verabreicht werden; u. U. ist hierbei auch eine Intubation in Kauf zu nehmen. Differenzialdiagnostisch ist zuvor Sauerstoffmangel bzw. ein hämorrhagischer Schock als Ursache der Agitiertheit auszuschließen.
882
Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
Vasoaktive Substanzen . Tabelle 68.4. Checkliste für die Übergabe des Patienten mit schwerem SHT im Schockraum
Kann die arterielle Hypotonie nicht innerhalb weniger Minuten durch Volumengabe behoben werden, sind vasoaktive Substanzen indiziert. Die Überlegenheit eines bestimmten Präparates ist nicht erwiesen.
Unfallzeitpunkt/-hergang 4 Art des Unfalls 4 besondere Rettungssituation
68.5.4 Wundversorgung/Wundbehandlung
Eigen-, Fremdanamnese (Medikamentenanmnese!, Vorerkrankungen)
Fremdkörper in perforierenden Verletzungen sind zu belassen: durch das Entfernen kann eine bislang tamponierte Blutung verstärkt werden. Offene Verletzungen mit Austritt von Hirnsubstanz werden feucht und steril abgedeckt. Bei spritzend blutenden Kopfschwartenwunden sollte wegen des erheblichen Blutverlustes eine provisorische Blutstillung (z. B. Fassen des blutenden Gefäßes mit einer Klemme) erfolgen.
Verletzungsmuster Verdachtsdiagnosen (z. B. Blutungen, Aspiration, Intoxikation) Untersuchungsergebnisse 4 Atmung 4 Kreislauf 4 initialer neurologischer Befund (Bewusstseinslage, Pupillenbefund, Motorik) 4 periphere Durchblutung 4 Schmerzlokalisation
68.5.5 Sichtung, Transport
Therapie 4 Beatmung (Intubation, Respiratordaten) 4 Lagerung(Vakuummatratze) 4 Immobilisierung (HWS, Extremitäten) 4 Thoraxdrainage 4 Venenzugänge 4 Medikation (Dosis, Zeitpunkt)
i Es sollte stets dem Transportmittel der Vorzug gegeben werden, das den Patienten auf dem schnellsten und schonendsten Wege in die nächste geeignete Klinik transportiert.
Die Inzidenz von Verletzungen der Halswirbelsäule beträgt bei schwerem SHT bis zu 10%. Daher ist für den Transport bis zum endgültigen radiologischen Ausschluss einer derartigen Verletzung bei allen Patienten mit SHT die Halswirbelsäule gesondert zu immobilisieren (Zervikalorthese). Bei stabilen Kreislaufverhältnissen empfiehlt sich die Hochlagerung des Oberkörpers bis 30°. Bei instabilem Kreislauf wird der Patient flach gelagert. Eine effektive und schnellstmögliche Versorgung von Patienten mit SHT wird durch die primäre Einlieferung in das nächste geeignete Krankenhaus gewährleistet. Hier sollten Patienten mit schweren und mittelschweren Traumen jederzeit computertomographisch untersucht werden können. 68.5.6 Übergabe des Patienten durch den Notarzt Die Übergabe des Patienten in der Notaufnahme ist wesentlicher Schnittpunkt der Behandlungskette. Bei Eintreffen sind daher die weiterbehandelnden Ärzte mündlich und schriftlich ausführlich über den Patienten zu informieren (. Tab. 68.4). 68.6
68
Erstversorgung im Krankenhaus
Auf die Versorgung mehrfachverletzter Patienten wird in 7 Kap. 67 eingegangen, sodass nachfolgend nur die Versorgung isolierter Schädel-Hirn-Traumen beschrieben wird. Zunächst sind die Stabilisierung der Vitalfunktionen und der Ausschluss lebensbedrohlicher Begleitverletzungen durchzuführen.
Orientierende neurologische Untersuchung Anschließend erfolgt die orientierende neurologische Untersuchung mit 4 Erhebung des Lokalbefunds an Kopf und Wirbelsäule, 4 Prüfung der Tiefe der Bewusstseinsstörung (GCS),
Sonstige Daten 4 Patientendaten (Name, Anschrift, Angehörige) 4 Transport 4 vergebliche Punktionsversuche
4 4 4 4
Prüfung von Pupillenweite und -lichtreaktion, Untersuchung der wichtigsten Hirnstammreflexe, Prüfung der Schmerzabwehr und des Muskeltonus, Untersuchung der Kennreflexe der zervikalen und lumbalen Wurzeln, 4 Prüfung auf pathologische Reflexe. Diese Untersuchung ermöglicht eine Einschätzung der Verletzungsschwere und bestimmt Umfang und Dringlichkeit der weiteren neuroradiologischen Diagnostik. Im Rahmen dieses Kapitels soll auf die Versorgung leichter und mittelschwerer Traumen nur kursorisch eingegangen werden, da diese zumeist keiner intensivmedizinischen Behandlung bedürfen. 68.6.1 Leichtes und mittelschweres SHT Liegt ein leichtes SHT vor, so sind Röntgenaufnahmen des Schädels entbehrlich. Ein CT sollte jedoch durchgeführt werden, wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen. Die Indikation hierzu besteht bei den in . Tabelle 68.5 dargestellten Befundkonstellationen. Obligat sind ferner Röntgenaufnahmen der HWS (bis BWK 1!) zum Frakturausschluss. Bei Patienten mit mittelschwerem SHT wird so rasch wie möglich ein CT angefertigt. Diese Patienten sind klinisch engmaschig zu überwachen, um eine Verschlechterung der Bewusstseinslage rasch erkennen zu können.
883 68.6 · Erstversorgung im Krankenhaus
. Tabelle 68.5. Indikationen zur CT-Untersuchung nach leichtem Schädel-Hirn-Trauma. (Nach [12, 13, 17, 20, 25, 32, 40, 47]
68
. Tabelle 68.6. Erstversorgung des Patienten mit schwerem SHT Sicherung der Vitalfunktionen
Patientengruppe
CT indiziert bei
Leichtes SHT: 4 Patient mit Kopfverletzung, 4 nicht oder kurzfristig bewusstlos, 4 GCS-Score 13–15 Punkte bei Erstuntersuchung 4 GCS Score 13 oder 14 Punkte noch 2 h nach Trauma 4 Anamnestisch Anhalt für Gerinnungsstörung oder Einnahme gerinnungshemmender Medikamente 4 Anisokorie, Aphasie oder motorische Halbseitenzeichen 4 Krampfanfall nach Trauma 4 Klinisch Verdacht auf Schädelfraktur 4 Alter >65 Jahre 4 Mehr als einmaliges Erbrechen nach dem Unfall
Außerdem sollte jeder Patient mittels CT untersucht werden, der aufgrund externer Einflüsse (z. B. Sedierung, Alkoholintoxikation) neurologisch nicht beurteilbar ist.
i Bei jedem Patienten schwerem und mittelschwerem SHT oder bei entsprechendem Unfallmechanismus sind Röntgenaufnahmen der HWS in 2 Ebenen (bis BWK 1) anzufertigen, da etwa 10% aller Verletzten eine begleitende Halswirbelsäulenverletzung aufweisen.
Ist die Versorgung in einer neurochirurgischen Abteilung nicht möglich, sollte zumindest der konsiliarische Kontakt (z. B. über Telekonsil) mit einer neurochirurgischen Fachabteilung aufgenommen werden. Auch bei diesen Patienten ist der radiologische Frakturausschluss der HWS obligat. 68.6.2 Schweres SHT Bewusstlose Patienten, d. h. solche mit schwerem SHT, bedürfen stets der intensivmedizinischen Versorgung und der Behandlung in einer neurochirurgischen Fachabteilung. Auch bei ihnen ist ein CT so rasch wie möglich nach Klinikaufnahme und Erstversorgung anzufertigen. Die notwendige Erstversorgung ist in . Tabelle 68.6 zusammengefasst und sollte sich primär (vor Durchführung des CT) auf das Notwendigste beschränken. Sie sollte mit der Erstuntersuchung nur wenige Minuten in Anspruch nehmen.
Neuroradiologische Diagnostik Die zerebrale Computertomographie ist die Methode der Wahl zum Nachweis knöcherner und intrakranieller Verletzungsfolgen. Die Untersuchung dient zunächst dem Ausschluss raumfordernder intrakranieller Hämatome und von Parenchymverletzungen. In Abteilungen ohne Spiral-CT beginnt sie mit Schichten in Ventrikelhöhe, um im Falle einer intrakraniellen Blutung die notwendigen Operationsvorbereitungen zu veranlassen. Wird eine raumfordernde intrakranielle Blutung nachgewiesen, ist diese baldmöglichst operativ zu versorgen.
Anamnese 4 Unfallzeitpunkt 4 Unfallhergang 4 Medikamentenanamnese 4 Vorerkrankungen Klinische Untersuchung 4 Lokal 4 Neurologischer Befund – Bewusstseinslage (GCS) – Pupillenbefund – Motorik Verweilkatheter 4 2–3 großlumige periphervenöse Zugänge 4 Arterielle Kanüle 4 Zentraler Venenkatheter 4 Blasenkatheter 4 Magensonde Laborbestimmungen 4 Kleines Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten) 4 Arterielle Blutgasanalyse 4 Elektrolyte (Natrium, Kalium, Kalzium) 4 Blutgruppe 4 Gerinnungsstatus (mit Quick, PTT, PTZ als Minimum) 4 Harnstoff, Kreatinin, Blutzucker 4 GOT, GPT, γ-GT, LDH, CK Basismonitoring 4 EKG 4 Pulsoxymetrie 4 Kapnometrie 4 Blutdruck Immobilisierung der Halswirbelsäule
Erst danach bzw. in einer Folgeuntersuchung sollten nicht nur die parenchymatösen Verletzungen erfasst werden. Durch entsprechende Untersuchungstechnik (»Knochenfenster«) ist eine genaue Darstellung der knöchernen Strukturen anzustreben, wobei besonders auf Traumafolgen im Bereich der knöchernen Augenhöhlen, der Fronto- und Otobasis und am kraniozervikalen Übergang zu achten ist. ! Cave Ein früh nach dem Trauma durchgeführtes, unauffälliges Computertomogramm schließt ein intrakranielles Hämatom nicht endgültig aus, da sich viele Hämatome erst mit zeitlicher Verzögerung entwickeln. Im initialen CT nachgewiesene Kontusionen können sich in den nachfolgenden Stunden vergrößern. Bei schweren und mittelschweren Traumen muss daher die Untersuchung nach spätestens 8–12 h wiederholt werden, bei klinischem Verdacht auch früher.
Besondere Risikogruppen für derartige verzögerte Hämatome sind Patienten mit vorbestehender Hirnatrophie (ältere Menschen, Alkoholiker), für die Vergrößerung primärer Kontusionen Patienten mit Störungen der Blutgerinnung (z. B. Massentransfusion).
884
Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
Die Durchführung eines kranialen MRT ist in der Frühphase des SHT so gut wie nie indiziert. Im weiteren Verlauf lassen sich jedoch insbesondere diffuse Hirnschäden im T2- oder Flair-gewichteten Kernspintomogramm gut darstellen (. Abb. 68.4) und ermöglichen eine bessere Abschätzung der Prognose [14, 46]. Die Darstellung der intra- und extrakraniellen Gefäße mittels zerebraler Angiographie ist beim typischen SHT nur selten indiziert. Hauptindikationen ist die Abklärung von Gefäßverletzungen (z. B. extrakranielle traumatische Dissektionen, CarotisSinus-cavernosus-Fistel). 68.6.3 Ver weilkatheter Routinemäßig sollten allen Patienten mit schwerem SHT ein zentraler Zugang, Magensonde, Blasenableitung und arterielle Kanüle angelegt werden, sobald dies ohne Gefährdung des Patienten und Verzögerung der notwendigen Diagnostik möglich ist. Als Punktionsort für den zentralen Venenkatheter ist aus neurochirurgischer Sicht die Punktion der V. jugularis interna wegen der Gefahr der versehentlichen Karotispunktion mit nachfolgender Hämatomentstehung und venöser Abflussbehinderung zu vermeiden. Die Anlage einer arteriellen Kanüle sollte bei Patienten mit bestehenden Paresen grundsätzlich auf der paretischen Seite erfolgen. Zum einen ist so die Gefahr der Diskonnektion geringer, zum anderen wird bei einem Gefäßverschluss nicht die noch funktionstüchtige Gliedmaße betroffen. ! Cave Wegen der Gefahr der Perforation in das Schädelinnere sollten Patienten mit frontobasalen Verletzungen keine transnasale Magensonde erhalten.
68.6.4 Monitoring
Basismonitoring Liegen keine Begleitverletzungen vor, kann bei leichten und mittelschweren Schädel-Hirn-Verletzungen der arterielle Blutdruck unblutig gemessen werden, bei schwerem SHT sollte eine kontinuierliche blutige Messung erfolgen. Zur Bestimmung des zerebralen Perfusionsdrucks erfolgt der Nullpunktabgleich in gleicher Höhe wie der zur ICP-Messung, d. h. in Höhe des Foramen Monroi (grob: in Höhe des äußeren Gehörgangs). Die Überwachung der Oxygenierung erfolgt für mittelschwere und schwere Traumen kontinuierlich mittels Pulsoximetrie. Beim schwerem SHT werden zusätzlich diskontinuierliche Kontrollen der Blutgase durchgeführt. Als Schwellenwerte gelten: SaO2 >95%, paO2 >100 mm Hg, paCO2 >35 mm Hg. Die Überwachung der Körpertemperatur sollte ebenfalls kontinuierlich erfolgen. Sie ist allgemein etwas geringer als die eigentliche Hirntemperatur [21]. Es ist noch nicht definitiv geklärt, ob eine moderate Hypothermie die neurologische Erholung nach SHT verbessert [10, 28, 41]. Hypertherme Zustände sollten jedoch auf jeden Fall vermieden werden, denn Hyperthermie bedeutet eine zusätzliche Belastung des vorgeschädigten Gehirns durch erhöhten zerebralen Metabolismus und Substratbedarf. Der Hämoglobingehalt sollte nicht unter 10 g/dl abfallen. Störungen der Serumelektrolyte sind die häufigsten Komplikationen nach Schädel-Hirn-Trauma [33]. Besonderer Aufmerksamkeit ist den bekannten zentralen Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes zu widmen, auf deren Behandlung an anderer Stelle eingegangen wird. Besondere Aufmerksamkeit erfordern weiterhin mögliche Gerinnungsstörungen [33], da diese das verzögerte Auftreten intrakranieller Hämatome begünstigen und zur Vergrößerung vorbestehender Kontusionsblutungen beitragen können [13, 17, 25, 47].
Klinisch-neurologische Überwachung Trotz einer Vielzahl additiver Verfahren des Monitoring, die Aussagen über den zerebralen Stoffwechsel, die Durchblutung und Oxygenierung des Gehirns geben, ist die neurologische Untersuchung des Patienten die einzige Möglichkeit der Funktionsüberprüfung des geschädigten Gehirns und damit der von Behandlungserfolg oder -misserfolg. Zu erfassen sind Bewusstseinslage (nach der GCS), Pupillenweite und -lichtreaktion sowie die seitengetrennte Prüfung der Motorik. Obwohl die Erhebung der GCS beim sedierten, intubierten und beatmeten Patienten mit schwerem SHT erschwert ist, lässt sich zumindest als prognostisch bedeutsamste Komponente der GCS die motorische Antwort neben der obligaten Pupillenkontrolle erfassen. Eine Verschlechterung des GCS-Scores von 2 oder mehr Punkten, neu aufgetretene Störungen des Pupillenverhaltens oder das Neuauftreten fokaler neurologischer Zeichen sind hochgradig verdächtig auf eine intrakranielle Komplikation und erfordern fast immer ein Kontroll-CT.
68
Intrakranieller Druck . Abb. 68.4. Typisches Kernspintomogramm bei schwerer diffuser Hirnschädigung. Gut erkennbar sind die kontusionellen Läsionen der mesialen Anteile beider Temporallappen (solide Pfeile), des Kleinhirnwurms (gestrichelter Pfeil) und der dorsolateralen Brücke (unterbrochener Pfeil).
Die Messung des intrakraniellen Druckes (ICP) dient der Sicherung der zerebralen Perfusion und der Oxygenierung. Die gezielte Behandlung des erhöhten intrakraniellen Drucks setzt seine kontinuierliche Messung voraus. In einer Vielzahl von Untersu-
885 68.6 · Erstversorgung im Krankenhaus
68
chungen wurde der Zusammenhang zwischen erhöhtem ICP und Prognose nachgewiesen (Literatur in [8] und [29]). Anhaltspunkte für einen erhöhten intrakraniellen Druck ergeben sich aus der Bewusstseinslage des Patienten, dem Verlauf des neurologischen Befundes und dem Läsionstyp im CT. Die Indikationen zur intrakraniellen Druckmessung sind in . Tabelle 68.7 dargestellt. Parallel ist der zerebrale Perfusionsdruck zu bestimmen, der sich als Differenz zwischen mittlerem arteriellem Druck und ICP errechnet. Als Schwellenwert sollte bei einem ICP von 60%) zur Anwendung. Nachteil der Keratinozytentransplantation ist neben den hohen Kosten die schlechtere Qualität und Widerstandsfähigkeit der gezüchteten Haut. Um die Fragilität zu vermindern, kann ein »composite graft« generiert werden. Dieses wird aus Dermisersatz, z. B. Integra, mit anschließender Keratinozytenbesiedelung gebildet. 72.3
Intensivtherapie
Die Intensivtherapie von Schwerbrandverletzten erfordert meist eine lange Behandlungsdauer. Der tägliche Flüssigkeitsbedarf, der beim verbrannten Erwachsenen nach der initialen Schocktherapie zu substituieren ist, lässt sich anhand folgender Formel berechnen:
Grundbedarf (1500 ml/ KOF in m2) + evaporativer Wasserverlust [(25 + % VKOF) x KOF in m2 x 24] = täglicher Flüssigkeitsbedarf
Diese Flüssigkeitsmenge ist täglich beim schwerbrandverletzten Intensivpatienten enteral oder parenteral zu applizieren. 72.3.1 Transfusionen Bei Schwerverbrannten sollte der Hämatokrit bei etwa 30% gehalten werden. Nur durch eine ausreichende Organperfusion lässt sich eine Hypoxie mit nachfolgender Gefahr eines Multiorganversagens (MOV) vermeiden. Vor anstehenden größeren Nekrektomien sollte der Hämatokrit auf diesen Zielwert angehoben werden. Intraoperativ empfiehlt es sich, zu jedem Erythrozytenkonzentrat ein Frischplasmakonzentrat zu geben. Ausgedehnte tangentiale Nekretomien gehen mit einem hohen Blutverlust einher. Hierbei darf das gesamte Blutvolumen maximal einmal ausgetauscht werden, danach steigt die Gefahr von Gerinnungsstörungen mit Blutungskomplikationen dramatisch an. 72.3.2 Analgosedierung beim
Schwerbrandverletzten Bei oberflächlichen Verbrennungen ist der Schmerz intensiver als bei tiefen, da bei letzteren die sensiblen Schmerzrezeptoren der Haut stärker geschädigt sind. Schmerzmittel sollten grundsätzlich nur intravenös oder enteral gegeben werden, nicht jedoch subkutan oder intramuskulär. Besondere Anforderungen an die Schmerztherapie und Sedierung des Schwerbrandverletzten ergeben sich aus der Notwendigkeit regelmäßiger schmerzhafter Verbandswechsel. Zur
72
Analgesie stehen Opioide (Fentanyl, Piritramid, Remifentanil) und Ketamin (Esketamin, razemisches Ketamin) zur Verfügung. Die Sedierung wird durchgeführt mit Hypnotika (Propofol), Benzodiazepinen (Midazolam, Diazepam), Neuroleptika (Haloperidol), J-Hydroxybuttersäure (GHB), Clonidin und volatilen Anästhetika wie Isofluran oder Sevofluran. Letztere erfordern allerdings Dosierungseinrichtungen am Respirator sowie eine Gasabsauganlage. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit von Fentanyl, Esketamin und insbesondere von Remifentanil lässt sich die Analgesie gut steuern. Die Pharmakokinetik von Piritramid hingegen ist träge; dieses Medikament ist daher ideal für die Basisanalgesie unter Spontanatmung geeignet. Von den Sedativa ist Propofol am besten steuerbar; zu beachten ist allerdings, dass zur Vermeidung eines Propofol-Infusionssyndroms (PRIS) die Anwendung bei einer Höchstdosis von 4 mg/kg KG/h auf 7 Tage zu begrenzen ist. Benzodiazepine, GHB und Haldol sind im Gegensatz dazu nur sehr schlecht zu steuern; insbesondere bei Benzodiazepinen resultieren – über die durch den Ceiling-Effekt begrenzte Potenz hinaus – stark verlängerte Aufwachzeiten. Isofluran und Sevofluran sind aufgrund der vorwiegend pulmonalen Elimination sehr gut steuerbar. Bei der häufig eingesetzten Kombination von Fentanyl und Propofol (häufiger noch von Remifentanil und Propofol) ist zu beachten, dass durch die starke sympatholytische Wirkung ein systemischer Blutdruckabfall sowie eine opioidbedingte Beeinträchtigung der Darmmotorik auftreten kann. Beide Nebenwirkungen sind insbesondere beim septischen Patienten gefährlich; hier empfiehlt sich die Kombination von Midazolam mit dem sympathomimetischen Ketamin, um Katecholamine einzusparen und gleichzeitig die Darmmotilität weniger zu beeinträchtigen. In der initialen Beatmungsphase des Schwerbrandverletzten mit ausgeprägtem SIRS ist eine Analgosedierung mit Esketamin und Midazolam sinnvoll, um den Kreislauf zu stabilisieren und den Aufbau der enteralen Ernährung zu erleichtern. Ergänzend bieten sich Fentanyl sowie Propofol und Haloperidol an. In der weiteren Behandlung konkurriert die Entwöhnung vom Respirator, welche insbesondere zur Pneumonievermeidung anzustreben ist, mit dem Analgesiebedarf des Patienten. Erneute Operationen und Verbandswechsel bedeuten oft einen Rückschlag im Entwöhnungsprozess; dieser kann allerdings durch kurzfristigen hochdosierten Einsatz von Remifentanil zusammen mit Isofluran oder Sevofluran vermieden werden. Clonidin sollte nicht zu früh gegeben werden, da dessen Einsatz primär der Aufwachphase und ihrer Entzugssymptomatik vorbehalten ist. GHB dient hier als Reservemedikament bei sonst nicht zu erreichender Sedierung. i Eine adäquate und differenzierte Analgosedierung kann Beatmungs- und Behandlungsdauer signifikant verkürzen.
72.3.3 Ernährung Beim Schwerbrandverletzten ist eine frühzeitige enterale Ernährung essentiell. Zur Berechnung des erhöhten Energiebedarfs existieren altersangepasste Formeln, abgestimmt auf das Ausmaß der Verbrennung. Bei schwer verbrannten Erwachsenen empfiehlt sich die Berechnung nach der Curreri-Formel.
930
Kapitel 72 · Brandverletzungen
Curreri-Formel zur Berechnung des Energiebedarfs Schwerbrandverletzter 25 kcal/kg KG/Tag + 40 kcal/% verbrannte KOF/Tag
Für Kinder gibt es altersangepasste Formeln, die statt des Körpergewichtes die Körperoberfläche zur Berechnung verwenden, da insbesondere in den ersten Lebensjahren die Körperoberfläche im Verhältnis zum Gewicht größer ist. In einem optimalen Ernährungsplan beträgt das Verhältnis von Kalorien : Stickstoff 100–150 : 1. Der wesentliche Anteil der Ernährung besteht aus Kohlenhydraten mit einem Kaloriengehalt von 4,5 kcal/g. Einweiß sollte mit ca. 1-2 g/kg KG/Tag substituiert werden. Bei Kleinkindern wird aufgrund der relativ größeren Körperoberfläche ein Eiweißanteil von 3 g/kg KG/Tag gewählt. Wenngleich alle Aminosäuren in ausgewogenem Verhältnis in der Ernährung enthalten sein sollten, so nehmen die Aminosäuren Glutamin und Arginin eine besonders wichtige Rolle bei Schwerverbrannten ein. Arginin ist von zentraler Bedeutung für die Wundheilung. Glutamin fungiert als Energielieferant für Lymphozyten, Makrophagen und Enterozyten, als Radikalfänger und nicht zuletzt als Regulator im Proteinstoffwechsel. Schwerverbrannte weisen einen gestörten Fettstoffwechsel auf. Nach schweren Verbrennungen werden die Fettdepots rasch aufgelöst, allerdings findet vor allem eine Umverteilung und weniger eine Verwertung der Lipide statt. Dies ist u. U. zurückzuführen auf erhöhte Katecholaminspiegel, die die Lipolyse verstärken, gleichzeitig jedoch die Fettsäureoxidation blockieren. So kann es zur Verfettung der Leber kommen. Daher sollte der Fettanteil der Nahrung gering gehalten werden. Die Nahrung kann entweder enteral oder auf intravenösem Weg zugeführt werden. Studien haben gezeigt, dass bei enteraler Nahrungszufuhr die Rate von Infektionen und Sepsis und somit die Letalität signifikant niedriger ist als bei parenteraler Ernährung. Wahrscheinlich wirkt die enterale Ernährung einer Atrophie des Darmepithels entgegen und vermindert so das Risiko einer Translokation von Darmbakterien ins Blut. Auch obere gastrointestinale Blutungen treten unter enteraler Ernährung deutlich seltener auf. Oft geht eine schwere Verbrennung mit einer Magenatonie einher. Da es bei oraler Nahrungszufuhr rasch zu Erbrechen kommen kann, empfiehlt es sich, eine Magensonde zu legen, um eine vorliegende Magenentleerungsstörung frühzeitig erkennen und entlasten zu können. Liegt eine Magenatonie vor, so muss die Ernährung über eine Duodenalsonde gegeben werden. Eine parenterale Ernährung ist nur bei kompletter Dysfunktion des Gastrointestinaltraktes indiziert und sollte zeitlich so kurz wie möglich gehalten werden. Auch in diesem Fall empfiehlt es sich, eine geringe Menge Sondenkost parallel zu geben. Bei parenteraler Ernährung sollte der berechnete Energiebedarf durch Glukose gedeckt werden. Darüber hinaus werden, analog zur enteralen Ernährung, 1–2 g/kg KG/Tag Aminosäuren appliziert. Aufgrund der Fettverwertungsstörung ist der Fettanteil bei Schwerbranntverletzten gering zu halten (1 g/kg KG/Tag Fette).
Elektrolyte
72
In der Akutphase der Verbrennung ist Natrium ein wichtiger Bestandteil der Infusionstherapie. Ungenügende Na-Substitution
führt zu schwerwiegenden Komplikationen. Bei ausreichender renaler Funktion wird ein eventueller infusionsbedingter Na+Überschuss wieder ausgeschieden. Nicht nur durch Wundsekrete, sondern auch durch Wundbehandlung mit silberhaltigen Präparaten wie z. B. Silbersulfadiazin verliert der Körper Natrium, da das Silberchlorid in Form von AgCl ausfällt; dadurch wird dem Körper Natrium entzogen. Ein Verlust an Kalium erfolgt zum einen über die Wundfläche und zum anderen über die renale Ausscheidung. Beim Verbrennungspatienten ist eine solche Hypokaliämie wesentlich häufiger als eine Hyperkaliämie. Eine Hyperkaliämie kann neben einer beginnenden Niereninsuffizienz auf einen vorliegenden Zellzerfall hinweisen. Bei persistierender Hyperkaliämie sollten tiefer liegende Gewebenekrosen in Betracht gezogen werden; diese finden sich insbesondere nach Verletzungen durch elektrischen Strom. In den ersten Wochen nach Verbrennungsverletzungen finden sich stets erniedrigte Serumkalziumspiegel. Diese sind teilweise durch die niedrigen Serumalbuminkonzentrationen bedingt, da Kalzium nur teilweise ionisiert und großteils proteingebunden vorliegt. Um eine genauere Aussage treffen zu können, sollte deshalb die Konzentration ionisierten Kalziums bestimmt werden. Die initial erniedrigten Kalziumspiegel werden zum einen über Verluste im Wundsekret erklärt, zum anderen durch Kalziumverschiebungen nach intrazellulär. Auch der verminderte Knochenstoffwechsel spielt eine Rolle. Phosphat verhält sich ähnlich wie Kalzium und ist ebenfalls nach Verbrennungen erniedrigt. Beide Elektrolyte, sowohl Kalzium als auch Phosphat, sind im Stoffwechsel von hoher Wichtigkeit. So sind diese beiden Elektrolyte im Knochenaufbau und Phosphat darüber hinaus in der ATP-Synthese bedeutsam. Wichtig ist deshalb eine adäquate – allerdings getrennt voneinander erfolgende – Substitution.
Vitamine und Spurenelemente Vitamin A (Retinol) spielt eine Rolle bei der Fibroblastendiffe-
renzierung und der Neusynthese von Kollagen. Bei Schwerverbrannten findet sich eine erniedrigte Vitamin-A-Konzentration. Vitamin B1 (Thiamin) und Vitamin B2 (Riboflavin) sind an der Wundheilung beteiligt. Bei Verbrennungsverletzungen besteht ein erhöhter Bedarf. Insbesondere Vitamin B2 sollte über einen längeren Zeitraum substituiert werden, um den Bedarf von 10–20 mg pro Tag zu decken. Vitamin B6 (Pyridoxin) ist am Aminosäurestoffwechsel beteiligt und wird daher bei erhöhtem Proteinstoffwechsel in stärkerem Maße benötigt. Die Bedeutung von Vitamin B12 (Hydroxycobalamin) bei Verbrennungen bleibt noch unklar. Die Rolle von Vitamin C (Ascorbinsäure) im Rahmen der Verbrennung ist vielseitig. Als Radikalfänger und Antioxidans reduziert dieses Vitamin den Gewebeschaden und wirkt gleichzeitig über die Aktivierung von Leukozyten an der Immunreaktion mit. Insbesondere von Bedeutung ist die maßgebliche Unterstützung der Kollagensynthese im Rahmen der Wundheilung. Vitamin E (Tocopherol) ist als Antioxidans noch potenter als Vitamin C. Auch Tocopherol wird eine gewebeprotektive Wirkung zugeschrieben. Die Substitution der Spurenelemente Zink, Selen und Kupfer erscheint im Rahmen der Verbrennungsbehandlung sinnvoll, wenngleich die spezifischen Wirkungsmechanismen noch nicht gänzlich geklärt sind. Ein Zinkmangel hat schwer wiegende Folgen für die Wundheilung. Die Epithelisierung der Wun-
931 Literatur
dareale ist beeinträchtigt, und die schließlich entstehenden Narben sind deutlich instabiler. Darüber hinaus ist Zink ein Radikalfänger, der wie Vitamin C und Vitamin E gewebeprotektiv wirkt. Eine Substitution ist indiziert, da die körpereigenen Reser ven bei Schwer verbrannten innerhalb einiger Tage aufgebraucht sind. Selen schützt Zellen vor oxidativem Stress und toxischen Medikamentenwirkungen. Da Selen auch protektiv gegenüber Silber wirkt, ist die Gabe bei Verbrennungspatienten durchaus sinnvoll, um vor den Nebenwirkungen der Behandlung mit Silbersulfadiazin oder -nitrat zu schützen. Kupfer ist wichtig für den Erhalt diverser Enzymfunktionen im Rahmen der Immunregulation und der Wundheilung. Initial steigt nach schweren Verbrennungen die Serumkupferkonzentration für 10 Tage an, danach fällt der Spiegel jedoch unter die Norm. Hauptsächlich verantwortlich für den Abfall des Kupferspiegels ist der Verlust dieses Spurenelements über die Wundfläche. Beispiel einer Substitution von Spurenelementen und Vitaminen bei Schwerverbrannten 5 Multivitaminpräparat, mit den Vitaminen A, B1, B2, B6, D, E 5 Vitamin C, 2- bis 4-mal pro Tag, jeweils 0,5–1 g 5 Selen 100 Pg bis zu 3-mal täglich 5 Zink 30 mg bis zu 3-mal täglich 5 Folsäure 1- bis 2-mal 10 mg täglich
72.3.4 Infektionsprophylaxe Neben dem Inhalationstrauma sind Infektionen eine der Haupttodesursachen nach schweren Verbrennungen. Da häufig die Quelle der Infektion die Wunde selbst ist, konnte durch Einführung des Konzepts der frühzeitigen Exzision und Deckung aller verbrannten Areale die Infektionsrate und somit die Letalität deutlich gesenkt werden. Von einer prophylaktischen Antibiotikagabe sollte abgesehen werden, um Selektion und Resistenzentwicklung zu vermeiden. Stattdessen sollte bei ersten Anzeichen einer Infektion eine Breitspektrumantibiose eingeleitet werden. Durch regelmäßige Wundabstriche kann dann eine zielgerichtete Antibiose erfolgen. Fehlt nach 4 Tagen noch jegliche Besserung der Infektionszeichen, sollte anhand der bis dahin vorliegenden Resistenzbestimmung die Therapie umgesetzt werden. Pilzinfektionen stellen bei Schwerbrandverletzten eine lebensbedrohliche Situation dar. Candidainfektionen treten entweder lokal oder systemisch auf; Sporenpilze, z. B. Aspergillus spp., finden sich lokal im Respirationstrakt oder in Wunden. Da Wundinfekte mit Sporenpilzen eine hohe Mortalität besitzen, besteht die primäre Therapie – soweit möglich – in der radikalen, weiträumigen Exzision der betroffenen Region.
Literatur Baxter CR, Shires T (1968) Physiological response to crystalloid resuscitation of severe burns. Ann N Y Acad Sci 150:874-894 Clark WR Jr, Nieman GF (1988) Smoke inhalation. Burns Incl Therm Inj 14:473-494
72
Hansbrough JF, Zapata-Sirvent R, Hoyt D (1990) Postburn immune suppression: an inflammatory response to the burn wound? J Trauma 30:671-675 Heimbach D, Mann R, Engrav L (1996) Evaluation of the burn wound. Management decisions. In: Herndon DN (Hrsg) Total Burn Care: WB Sounders Herndon DN, Barrow RE, Stein M, Linares H, Rutan R, Abston S (1989) Increased mortality with intravenous supplemental feeding in severely burned patients. J Burn Care Rehabil 10:309-313 Jelenko C (1974) Chemicals that »burn«. J Trauma 14:65-72 Meek M, Munster AM, Winchurch RA, Dickerson C (1991) The Baltimore Sepsis Scale: measurement of sepsis in patients with burns using a new scoring system. Burn Care Rehabil 12:564-568 Pallua N, Warbanow K, Noah EM, Machens HG, Poets C, Bernhard W, Berger A (1998) Intrabronchial surfactant application in cases of inhalation injury: first results from patients with severe burns and ARDS. Burns 24:197-206 Pallua N, Low JFA (2003) Thermische, elektrische und chemische Verletzungen. In: Berger A, Hierner R (Hrsg) Plastische Chirurgie. Grundlagen, Prinzipien, Techniken (Bandwerk Plastische Chirurgie), Springer, Berlin Heidelberg New York Pallua N, von Heimburg D (1999) Thermisches Trauma. In: Schumpelick V (Hrsg) Chirurgie, 4. Aufl. Enke, Stuttgart Pallua N, von Bülow S (2002) Immunologische Reaktionen nach thermischem Trauma. In: Bruck JC, Müller FE, Steen M (Hrsg) Handbuch der Verbrennungstherapie, ecomed, Landsberg Pallua N, von Bülow S (2006) Behandlungskonzepte bei Verbrennungen. Teil I: Allgemeine Aspekte. Chirurg 77(1):81-94 Pallua N, von Bülow S (2006) Behandlungskonzepte bei Verbrennungen. Teil II: Technische Aspekte. Chirurg 77(2):179-186 Pallua N, von Heimburg D (2003) Pathogenic role of interleukin-6 in the development of sepsis. Part I: Study in a standardized contact burn murine model. Crit Care Med 31:1490-1494 Pallua N, Low JFA, von Heimburg D (2003) Pathogenic role of interleukin-6 in the development of sepsis. Part II: Significance of anti-interleukin-6 and anti-soluble interleukin-6 receptor-alpha antibodies in a standardized murine contact burn model. Crit Care Med 31:1495-1501 Shakespeare PG (2001) Standards and quality in burn treatment. Burns 27:791-792 Tobiasen J, Hiebert JM, Edlich RF (1982) The abbreviated burn severity index. Ann Emerg Med 11:260-262 von Heimburg D, Stieghorst W, Khorram-Sefat R, Pallua N (1998) Procalcitonin – a sepsis parameter in severe burn injuries. Burns 24:745-750 Wallace AB (1951) The exposure treatment of burns. Lancet. 1(9):501-504.
73 Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung C.-M. Muth
73.1
Tauchunfall
73.1.1 73.1.2 73.1.3
Pathophysiologie –934 Symptomatik des schweren Tauchunfalls –934 Therapie des schweren Tauchunfalls –936
73.2
Beinahe-Er trinken
73.2.1 73.2.2 73.2.3 73.2.4
Ursachen und Abläufe beim Ertrinken –938 Pathophysiologie des Ertrinkungsunfalls –938 Therapie –940 Prognose nach Beinahe-Ertrinken –941
73.3
Unterkühlung (Hypothermie)
73.3.1 73.3.2 73.3.3 73.3.4
Pathophysiologie –942 Notfallmaßnahmen bei Hypothermie –942 Klinische Maßnahmen bei Hypothermie –944 Prognose –945
Literatur
–934
–945
–938
–942
73
934
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung
73.1
Tauchunfall
> Definition Tauchunfall Der schwere Tauchunfall ist ein potenziell lebensbedrohliches Ereignis, das bei Tauchern und anderweitig überdruckexponierten Personen in der Dekompressionsphase auftreten kann. Durch einen raschen Abfall des Umgebungsdruckes kommt es zur Bildung freier Gasblasen in Blut und Geweben und dadurch zur Dekompressionserkrankung (DCI, von engl. »decompression illness« oder auch »decompression injury«). Abhängig vom Entstehungsmechanismus werden Dekompressionskrankheit (DCS: »decompression sickness«) und arterielle Gasembolie (AGE) unterschieden [1, 2].
73.1.1 Pathophysiologie
Dekompressionskrankheit Mit dem Abtauchen nehmen der Umgebungsdruck und damit entsprechend dem Dalton-Gesetz auch die inspiratorischen Partialdrücke der Atemgase zu. Dies führt (bei Verwendung von Luft als Atemgas) zu einem Anstieg des Stickstoffpartialdruckes auch im Blut und somit zur Ausbildung von Diffusionsgradienten in Richtung der Gewebe. Während des Tauchens werden die Körpergewebe nach dem Gesetz von Henry mit Stickstoff aufgesättigt, und zwar umso mehr, je höher der inspiratorische Partialdruck des Stickstoffs ist. Neben weiteren Faktoren spielen die im Überdruck verbrachte Zeit und die Gewebeperfusion eine wesentliche Rolle bei der Aufsättigung [3]. Die Menge des überschüssig aufgenommenen Inertgases nimmt also mit der Tauchtiefe und der Tauchzeit zu. Beim Auftauchen und der damit verbundenen Druckabnahme bildet sich ein umgekehrter Diffusionsgradient aus. Es kommt zu einer relativen Inertgasübersättigung der Gewebe, die jedoch in einem gewissen Bereich toleriert wird. Bei zu rascher Druckabnahme kommt es hingegen zu einer kritischen Übersättigung mit der Bildung von Gasblasen im Blut und im Gewebe und dadurch zum Dekompressionsunfall [4].
Arterielle Gasembolie (AGE) Die häufigste Ursache für eine arterielle Gasembolie beim Tauchen ist ein pulmonales Barotrauma (PBT) [1, 2]. Das pulmonale Barotrauma entsteht durch die vom Gesetz von Boyle und Mariotte beschriebene Ausdehnung des Atemgases in der Lunge bei nachlassendem Umgebungsdruck während der Dekompression und inadäquater Exspiration (willentliches Luftanhalten, AirTrapping, Laryngospasmus). Die Folge ist eine Überdehnung der Lunge oder regionaler Bezirke mit der Ruptur von Alveolarabschnitten. Da bereits ein Druckgradient von nur 7,4‒9,8 kPa ‒ entsprechend 75‒100 cm H2O ‒ zur Ruptur von Lungengewebe führen kann [5], sind pulmonale Barotraumen auch beim Tauchen in sehr geringen Wassertiefen (z. B. Schwimmbad) möglich.
Pathophysiologie der Gasblasen Bei massiver Blasenbildung können die Gasblasen direkt im betroffenen Gewebe und im Gefäßsystem entstehen. Gasblasen im Gewebe bedingen durch Verdrängung und mechanische Irritation eine Schmerzsymptomatik, gleichzeitig aber auch durch Kompression von benachbarten Kapillargebieten eine Behinde-
rung der Mikrozirkulation und nachfolgend eine Versorgungsstörung. Gasblasen im Gefäßsystem können zum direkten Gefäßverschluss führen [6]. Die Gasblase bewirkt nicht nur eine mechanische Irritation, sondern als Fremdoberfläche auch erhebliche Schäden am Gefäßendothel, und löst verschiedene biochemische Reaktionen im Blut [6, 7] aus, v. a. Aktivierung der plasmatischen Gerinnung und von Immunglobulinen [8–10]. Darüber hinaus führt die Aktivierung von Faktoren des Komplementsystems zur Zunahme der Perfusionsstörung und somit des Gewebeschadens. Neben diesen allgemeinen Mechanismen, die sowohl für die DCS als auch für die AGE gelten, führt der Verschluss der hirnversorgenden Arterien zu einer zerebralen Ischämie. Insgesamt ähneln die Pathomechanismen nach zerebraler arterieller Gasembolie denen anderer embolischer Verschlüsse der hirnversorgenden Arterien. 73.1.2 Symptomatik des schweren Tauchunfalls Die Symptomatik des schweren Tauchunfalls hängt unmittelbar mit der Verteilung der Gasblasen und dem Befall der jeweils betroffenen Gewebe zusammen. Die Symptomatik kann dabei ausgesprochen mild sein, mit nur sehr diskreten Beschwerden, aber auch mit neurologischen Ausfällen einhergehen, die bis zur Para- oder Hemiplegie reichen können (. Tab. 73.1; [1, 2]).
Dekompressionskrankheit (DCS) Die DCS ist vornehmlich auf Blasenbildung im Gewebe und im venösen System zurückzuführen und kann in eine milde und eine schwere Verlaufsform untergliedert werden. Die milde Form, DCS Typ 1, ist durch Hauterscheinungen, Pruritus und Schmerz gekennzeichnet. Die schwere Verlaufsform, DCS Typ 2, umfasst hingegen zusätzlich eine neurologische und/oder pulmonale Symptomatik [1, 2].
DCS Typ 1 Bei dieser Form tritt die Symptomatik in der Regel mit einer deutlichen Latenz auf und kann sich dann langsam weiter entwickeln. Die Latenz für das Auftreten von Symptomen kann mehrere Stunden betragen (in der Regel bis24 h, Fälle nach bis zu 72 h sind beschrieben) [4, 11]. Die möglichen Erscheinungsformen sind vielfältig. Relativ häufig ist die kutane Symptomatik, die mit fleckig-marmorierter Haut und Pruritus einhergeht. Diese als Taucherflöhe bekannte Erscheinungsform ist Ausdruck eines Blasenbefalls der Kutis und Subkutis mit Reizung entsprechender Nervenendigungen. In selteneren Fällen kann das Lymphsystem betroffen sein. Dann finden sich schmerzhaft geschwollene Lymphknoten, gelegentlich auch umschriebene ödematöse Schwellungen der Haut. Relativ häufig ist die muskuloskelettale Symptomatik, die mit Muskel- und Gelenkschmerzen einhergeht und in der Tauchmedizin als »bends« bezeichnet wird. Die muskuloskelettale Symptomatik entwickelt sich häufig rasch nach dem Auftauchen, meist innerhalb von 6 h nach einem Tauchgang. Neben diesen klassischen Symptomen gibt es auch unspezifische Beschwerden, die an einen Tauchunfall denken lassen sollten. Dazu zählt z. B. eine auffällige Müdigkeit des Betroffenen, die sich nicht aus der Belastung durch den Tauchgang oder das persönliche Verhalten vor dem Tauchgang erklären lässt oder schmerzhaft geschwollene Mammae bei weiblichen Tauchern.
935 73.1 · Tauchunfall
73
. Tabelle 73.1. Übersicht über die Pathogenese und Symptomatik des schweren Tauchunfalls. (mod. nach [1]) Dekompressionskrankheit
Arterielle Gasembolie
Aktuelle Nomenklatur
Dekompressionskrankheit, DCS, Decompression sickness
Arterielle Gasembolie, AGE
Synonyme
Caisson-Krankheit, Caisson-Unfall, Druckunfallkrankheit
–
Pathogenetische Faktoren
Größere Tauchtiefe/hohe Umgebungsdrücke 4 Lange Expositionszeit 4 Aufsättigung der Körpergewebe mit Inertgas 4 Zu rasches Auftauchen nach längeren und/oder tiefen Tauchgängen mit hoher Aufsättigung
Übertritt von Gasblasen in die arterielle Strombahn beim Tauchen durch: 4 Pulmonales Barotrauma (PBT) mit Überblähung von Alveolarabschnitten 4 Paradoxe Embolie durch – Übertritt venös entstandener Gasblasen über die Lungengefäße – Übertritt venös entstandener Gasblasen über ein offenes Foramen ovale (PFO)
Zeit bis zum Auftreten von Symptomen
Minuten bis Stunden (in der Regel innerhalb von24 h, selten bis zu 72 h)
Minuten
Symptomatik
DCS Typ 1: nur Schmerz 4 Hautsymptome (»Taucherflöhe«): – Juckreiz – Punktförmige Rötung – Schwellung – Marmorierung der Haut 4 Muskel- und Gelenkschmerzen (»bends«): – Große Gelenke (belastungsabhängig) 4 Skelettmuskulatur – Selten: Hand- und Fußgelenke 4 Lymphsystem: – Geschwollene, druckdolente Lymphknoten – Brustschwellung bei weiblichen Tauchern 4 Sonstiges: – Extreme Müdigkeit, Apathie
4 4 4 4
Benommenheit, Schwindel Verwirrtheit, Desorientiertheit Sprach- und/oder Sehstörungen Nervenausfälle unterschiedlicher Ausprägung: von leichten Empfindungsstörungen über hängendes Augenlid und/oder Taubheit in einzelnen Gliedmaßen bis zur kompletten Halbseitenlähmung und Bewusstlosigkeit 4 Bei Mitbeteiligung des Atemzentrums: – Blutdruckabfall – Atemstörungen – Herzstillstand 4 Pupillenasymmetrie möglich: einseitig weite Pupille
DCS Typ 2: wie Typ 1, zusätzlich mit neurologischer und/oder pulmonaler Symptomatik 4 Muskel-/Gelenkschmerzen u. U. schon beim Auftauchen (Verteilung wie bei Typ 1) 4 Schwindel/Erbrechen 4 Hör-/Seh-/Sprachstörungen 4 Gestörte Muskelkoordination 4 Häufig vom Nabel abwärts: – Sensibilitätsstörungen, Paresen, Paraplegie – Blasen- und Mastdarmschwäche 4 Akute Dyspnoe (»Chokes«) mit Brustschmerz, Husten, Erstickungsgefühl 4 Bei paradoxer Embolie auch Halbseitensymptomatik möglich
DCS Typ 2 Bei der schweren Verlaufsform der Dekompressionskrankheit können alle unter DCS Typ 1 beschriebenen Symptome auftreten. Erschwerend kommen hier jedoch eine neurologische und/ oder auch eine pulmonale Symptomatik hinzu [1, 2]. Die pulmonale Symptomatik beruht auf einer massiven Verlegung der pulmonalen Strombahn mit venösen Gasblasen und ähnelt pathophysiologisch der venösen Gasembolie anderer Ursache. Die Symptomatik entwickelt sich unmittelbar bzw. sehr rasch nach dem Auftauchen und ist gekennzeichnet durch retros-
ternale Schmerzen, flache, rasche Atmung sowie die typischen trockenen Hustenattacken, die dieser Erscheinungsfom den Namen (»chokes«) gegeben haben. Differenzialdiagnostisch ist stets auch an ein pulmonales Barotrauma zu denken. Die neurologische Symptomatik betrifft v. a. das Rückenmark, aber auch andere Manifestationsorte des Nervensstems. Die Symptomatik tritt innerhalb von Minuten bis zu wenigen Stunden nach dem Tauchgang auf. Sie kann ausgesprochen mild sein und lediglich mit umschriebenen Parästhesien einhergehen; sie kann aber auch einen kompletten Querschnitt verursachen.
936
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung
pression des Herzens, hier v. a. des rechten Herzens, und über Rückflussbehinderungen und Arrhythmien zu Kreislaufstörungen führen. Am gefürchtetsten ist jedoch das Eindringen von Gas in das Gefäßsystem, speziell in die arterielle Strombahn. Die Folge ist eine arterielle Gasembolie, wobei die Gasbläschen dem Blutstrom folgend in alle Endarterien gelangen können. Besonders gefürchtet ist die zerebrale arterielle Gasembolie, die mit einer schlaganfallähnlichen Symptomatik unterschiedlichster Ausprägung einhergeht und für ca. 15% aller tödlich verlaufenden Tauchunfälle verantwortlich ist [13].
73
Arterielle Gasembolie (AGE) Hier sind grundsätzlich alle Erscheinungsformen denkbar, abhängig von den betroffenen Versorgungsgebieten. Da die arteriellen Blasen dem Blutstrom folgen, ist ein Befall der hirnversorgenden Arterien sehr wahrscheinlich. Auch hier ist die Symptomatik von der Menge des eingedrungenen Gases sowie von den betroffenen Versorgungsgebieten abhängig und ähnelt der des akuten Schlaganfalls. Die Symptomatik kann von leichten Paresen und motorischen Schwächen bis hin zur Hemiplegie reichen. Bei Befall des Hirnstamms mit Ausfall entsprechender Zentren sind auch akute Kreislaufreaktionen und Störungen der Atemregulation möglich [6]. Die Symptomatik einer AGE tritt meist innerhalb von Sekunden bis Minuten nach dem Auftauchen auf [1, 2]. Nicht selten werden zerebrale arterielle Gasembolien von zerebralen Krampfanfällen begleitet, die ausgesprochen therapieresistent sein können. Da diese Form des Krampfanfalls in der Regel nur unzureichend auf die Gabe von Benzodiazepinen anspricht, sollten hierfür Barbiturate eingesetzt werden [6]. . Abb. 73.1. Symptomtrias bei pulmonalem Barotrauma. Darstellung der klassischen Trias der möglichen Folgen eines pulmonalen Barotraumas mit nachfolgender Lungenüberdehnung. Willentliches oder unwillkürliches Luftanhalten beim Auftauchen kann zur Lungenüberdehnung führen. Mögliche Folgen sind eine arterielle Gasembolie z. B. in zerebralen Gefäßen (1), ein Pneumothorax (2), der sich zum Spannungspneumotharax entwickeln kann, und ein Mediastinalemphysem (3). Zu beachten ist, dass jede Folgeerscheinung allein, aber auch in jeder beliebigen Kombination auftreten kann!
Ist das Gehirn der Manifestationsort, so kann die Erscheinungsform von leichten kognitiven Störungen bis zum Koma reichen [11, 12]. Eine Sonderform der neurologischen DCS ist der Befall des Innenohrs, der zu Schwindel, Übelkeit, Erbrechen führen kann, oft verbunden mit einem Nystagmus sowie Hörverlust und Tinnitus.
Pulmonales Barotrauma (PBT) Beim pulmonalen Barotrauma kann es zur Ruptur von Alveolarabschnitten mit unterschiedlichen Folgen kommen (. Abb. 73.1; [1, 2]). Eine Ruptur pleuranaher Abschnitte kann zum Eindringen von Luft in den Pleuraspalt und somit zum Pneumothorax führen. Findet die Ruptur noch unter Überdruckbedingungen statt und ist die Dekompression nicht völlig abgeschlossen, kommt es zur weiteren Ausdehnung des Gases mit Ausbildung eines Spannungspneumothorax. Erfolgt die Ruptur in der Nähe der Hili, entwickelt sich ein Mediastinalemphysem, gelegentlich begleitet von einem kollaren Emphysem. In sehr schweren, aber seltenen Fällen kann die mediastinale Gasmenge zu einer Kom-
73.1.3 Therapie des schweren Tauchunfalls Die Behandlung des schweren Tauchunfalls erfolgt nach empirischen Grundsätzen. Von unbestreitbarem Nutzen sind v. a. die normobare Sauerstoffgabe und die Infusionstherapie für die Akutbehandlung sowie die schnellstmögliche Rekompression und Therapie mit hyperbarem Sauerstoff in einer Therapiedruckkammer. Entsprechend besteht auch für diese Maßnahmen internationaler Konsens und Einigkeit bei den Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften (. Abb. 73.2; [2,14]).
Notfallmaßnahmen Wie bei jedem Notfall steht die Sicherung der Vitalfunktionen im Vordergrund. Neben einer kurzen Eigen- oder Fremdanamnese, in der nach den Tauchgangsdaten, vor allem Tiefe und Tauchgangszeit, sowie Besonderheiten während des Tauchgangs gefragt werden sollte, muss der Zeitverlauf der Symptome dokumentiert werden. Des Weiteren muss unbedingt eine sorgfältige Erhebung des neurologischen Status sowohl für periphere Nervenfunktionen als auch Hirnnerven und ZNS erfolgen. Die Befunde müssen gut dokumentiert und dem weiterbehandelnden Arzt zur Verfügung gestellt werden. Da die Ursache für die Symptomatik stets auch ein pulmonales Barotrauma sein kann, muss eine sorgfältige Auskultation der Lungen zum Ausschluss eines Pneumothorax erfolgen, der bei Vorliegen entlastet werden muss.
Normobare Sauerstoffgabe Die wichtigste Sofortmaßnahme beim Tauchunfall ist die schnellstmögliche Gabe von Sauerstoff [1, 2, 14]. Die inspirato-
937 73.1 · Tauchunfall
73
. Abb. 73.2. Flussdiagramm der Tauchunfallbehandlung. (Mod. nach [16])
rische Sauerstoffkonzentration muss so hoch wie möglich sein (angestrebte FIO2 1,0!). Ziel ist die rasche Inertgaselimination bei gleichzeitiger Minimierung der durch die Gasblase hervorgerufenen Hypoxie. Die rasche Gabe von Sauerstoff mit möglichst hoher FIO2 kann zu einem Rückgang der Symptomatik führen. Zudem ist erfahrungsgemäß die Effektivität der weiterführenden Therapiemaßnahmen bei jenen Tauchern verbessert, die mit normobarem Sauerstoff vorbehandelt wurden [2, 14].
Flüssigkeitsgabe zum Ausgleich eines Volumendefizits Jeder Taucher hat nach einem Tauchgang ein Volumendefizit, weil es während des Tauchens zu einer überschießenden Urinproduktion gekommen ist. Dieses Flüssigkeitsdefizit ist ungünstig, da nicht nur die Rheologie des Blutes verändert, sondern auch die Inertgasabgabe reduziert ist. Die Gabe von Flüssigkeit stellt daher bei der Akutbehandlung des schweren Tauchunfalls einen wesentlichen Therapiepfeiler dar. Zum Volumenausgleich eignen sich sowohl kolloidale als auch kristalloide Infusionslösungen. Der empfohlene Flüssigkeitsersatz beträgt als Initialdosis 1000‒2000 ml in der ersten Stunde mit einer Erhaltungsdosis von bis zu 500 ml/h in der Folge, ggf. abhängig von den klinischen Parametern [1, 2, 14].
Lagerung Aktuelle Therapievorschläge empfehlen sowohl für die DCS als auch für die AGE die flache Rückenlagerung des Patienten, bei bewusstlosen Patienten auch die stabile Seitenlage [1, 2].
Transport Der Transport von verunfallten Tauchern sollte möglichst erschütterunsfrei erfolgen, weil bei stärkeren Erschütterungen mit weiterer Freisetzung von Gasblasen gerechnet werden muss. Ist ein Lufttransport vorgesehen oder unumgänglich, muss bedacht werden, dass jede weitere Druckreduktion die Symptomatik verschlechtern kann.
Weiter führende Therapiemaßnahmen Hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) Die Therapie mit hyperbarem Sauerstoff stellt die einzig sinnvolle weiterführende Therapiemaßnahme dar [1, 2, 11, 14], denn hierdurch werden die Gasblasen aufgelöst. Aus diesem Grund sollten alle Patienten mit der klinischen Symptomatik einer Dekompressionserkrankung schnellstmöglich einer Rekompressionsbehandlung mit hyperbarem Sauerstoff zugeführt werden. Obwohl die unverzügliche Rekompression die besten Ergebnisse
938
73
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung
bringt, ist eine Druckkammerbehandlung auch nach längerem Verzug noch indiziert, um eine Verbesserung des Zustands zu erreichen. Für die Therapie der arteriellen Gasembolie und für die schwere DCS steht ein bestimmtes Behandlungkonzept zur Verfügung, das mit Therapiedrücken von 280 kP (2,8 bar) nach einer initialen Behandlung, je nach klinischem Verlauf, noch über 1‒3 weitere Behandlungen durchgeführt wird [2]. Ist danach noch eine Restsymptomatik vorhanden, erfolgt die Weiterbehandlung nach dem Therapieschema für Spätbehandlungen bei niedrigeren Therapiedrücken. Diese Behandlungen werden so lange durchgeführt, bis es zu einer Stagnation kommt. Sind über 2‒3 Behandlungseinheiten keine klinischen Fortschritte mehr zu erzielen, kann die HBO-Therapie beendet werden. Als für den Therapieerfolg außerordentlich günstig haben sich therapiebegleitende rehabilitative Maßnahmen und krankengymnastische Übungen erwiesen. Hierbei scheinen sich deutlich bessere Fortschritte im Heilungsverlauf erzielen zu lassen, wenn die Physiotherapie schon während der laufenden HBO-Therapie begonnen wird [2].
zeigt sich eine statistische Häufung in der späten Pubertät und im jüngeren Erwachsenenalter, häufig mit Alkohol als Kofaktor, sowie in der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren, hier im Zusammenhang mit kardialen Ereignissen [19, 20]. Wird der Beginn des Ertrinkens bei noch vollem Bewusstsein erlebt, kommt es zu einer initialen Panikreaktion, verbunden mit heftigsten, automatisch einsetzenden Schwimmbewegungen. Während des vollständigen Untertauchens erfolgt ein reflektorisches Atemanhalten, gleichzeitig werden häufig größere Mengen Flüssigkeit geschluckt. Infolge dessen kann es zum Erbrechen kommen, einhergehend mit einer unwillkürlichen Inspiration. Dies, oder die unwillkürliche Inspiration infolge eines maximalen Atemreizes nach längerem Luftanhalten, führt zur Aspiration zunächst kleinster Flüssigkeitsmengen, wodurch in der Regel ein Laryngospasmus ausgelöst wird. Der zunehmende Sauerstoffmangel mündet in eine Bewusstlosigkeit. In dieser Phase kann es erneut zur Aspiration kommen, weil der Laryngospasmus sich löst. Schließlich kommt es zu hypoxischen Konvulsionen und zum Tod [18, 19].
Intensivmedizinische Besonderheiten
73.2.2 Pathophysiologie des Er trinkungsunfalls
Es gibt außer den oben erwähnten Therapiemaßnahmen keine spezifischen Therapieoptionen oder speziellen medikamentösen Einflussmöglichkeiten. Andererseits sind sämtliche intensivmedizinischen Standardverfahren, soweit der Umstand sie erfordert, möglich und statthaft (z. B. Heparinisierung des immobilen Patienten). Bei massivem Gasblasenbefall im Rahmen einer AGE oder einer sehr schweren DCS Typ 2 kann es zur Rhabdomyolyse kommen, sodass nierenprotektive Maßnahmen und eine forcierte Diurese notwendig werden [15, 16]. Bei intubierten Patienten muss vor Beginn der Druckkammerbehandlung ein Pneumothorax sicher ausgeschlossen sein. Darüber hinaus sollte wegen der Unfähigkeit zum Druckausgleich eine Parazentese beidseits durchgeführt werden. Für den Intensivmediziner ist wichtig, dass der Tubuscuff während der Druckkammerbehandlung in der Regel mit Flüssigkeit geblockt werden muss (Aqua dest. oder NaCl 0,9%), um physikalisch bedingte Größenveränderungen eines luftgefüllten Cuffs während der Kompression (Undichtigkeit) oder Dekompression (Cuffruptur, Trachealruptur) zur vermeiden. Die Flüssigkeit muss nach den Behandlungen jeweils entfernt und der Cuff wieder mit Luft geblockt werden [11, 16, 17]. 73.2
Beinahe-Er trinken
> Definition Ertrinken und Beinahe-Ertrinken Nach derzeitiger Nomenklatur bezeichnet Ertrinken einen abgeschlossenen Vorgang, nämlich den Tod durch Ersticken nach Untertauchen in Flüssigkeit. Wird dieses Ereignis initial (auch unter Reanimationsmaßnahmen) für 24 h überlebt, handelt es sich um ein Beinahe-Ertrinken [18, 19].
73.2.1 Ursachen und Abläufe beim Er trinken Das Ertrinken ist weltweit ein Problem v. a. der jüngeren Lebensjahre, von dem Kleinkinder besonders betroffen sind. Daneben
Beim Ertrinken und Beinahe-Ertrinken ohne Aspiration, das in ca 15% der Fälle zu beobachten ist, ist die wahrscheinlichste Ursache ein Herzstillstand, der u. U. noch während des bestehenden Laryngospasmus eintritt. In der überwiegenden Zahl der Fälle kommt es jedoch während des Ertrinkens zur Aspiration zumindest kleiner Mengen an Flüssigkeit (in der Mehrzahl der Fälle deutlich weniger als 22 ml/kg KG; [18, 20, 21])
Salzwasserertrinken und Süßwasserertrinken Salzwasser ist im Vergleich zum Blut eine hypertone Flüssigkeit.
Aufgrund dieser Unterschiede in der Osmolarität bildet sich bei Anwesenheit von Salzwasser im Alveolarraum ein Diffusionsgradient aus, der zum Einstrom von Plasma aus dem Gefäß in die Alveolen führt. So kommt es in den betroffenen Alveolarabschnitten zu einem intraalveolären Lungenödem (. Abb. 73.3; [18, 20]). Süßwasser ist hingegen im Vergleich zum Blut hypoton. Auch hier bildet sich daher nach Aspiration ein Diffusionsgradient zwischen Alveole und Blutgefäß aus, allerdings entgegengerichtet. Der Ausstrom von Süßwasser aus den betroffenen Alveolarabschnitten hat ein Auswaschen von Surfactant mit Ausbildung von Atelektasen in den betroffenen Abschnitten zur Folge [18, 21]. Gleichzeitig kann sich aber beim Ertrinken in Süßwasser ein Lungenödem ausbilden [22]. Es ist noch nicht vollständig geklärt, warum es dazu kommt. Mögliche Ursachen sind eine Verletzung der Integrität der Alveolarwand durch das Auswaschen des Surfactants, eine initiale, vorübergehende Hypervolämie der pulmonalen Strombahn und möglicherweise auch ein entzündliches Lungenödem [23].
Weitere Pathophysiologie und klinisches Erscheinungsbild Obwohl der Unterscheidung in Süß- und Salzwasserertrinken für längere Zeit größte Wichtigkeit zugeordnet wurde, konnten die ursprünglich postulierten Veränderungen (z. B. ausgeprägte Elektrolytverschiebungen, massive Hämolyse u. a.) bei Klinikaufnahme, bis auf wenige Ausnahmen, nie in dem postulierten Maße beobachtet werden. Eine Unterscheidung in Süßwasser-
939 73.2 · Beinahe-Er trinken
73
sache dafür liegt in der, verglichen mit Luft, höheren Wärmeleitfähigkeit von Wasser, die beim Opfer zu einer vermehrten und beschleunigten Auskühlung führen kann [20]. Eine Absenkung der Körpertemperatur erhöht jedoch die Wiederbelebungszeit, sodass bei einer notwendigen Herz-Lungen-Wiederbelebung mit scheinbarer Erfolglosigkeit keinesfalls mit den Maßnahmen aufgehört werden darf, ehe der Patient normotherm ist, da bei niedrigen Körpertemperaturen auch nach längerer Zeit noch erfolgreich wiederbelebt werden kann [21]. Dies betrifft v. a. Kinder, die wegen des Verhältnisses von Körperoberfläche zu Körpervolumen besonders rasch auskühlen und bei denen erfolgreiche Wiederbelebungsmaßnahmen nach Submersionszeiten von bis zu 66 min beschrieben werden [22]. Unter besonders günstigen Bedingungen gilt dies auch für Erwachsene. Allerdings hängt das Ausmaß einer solchen Unterkühlung von vielen Faktoren ab. Ganz wesentlich für den Grad der Hypothermie ist die Temperatur des Wassers, aber auch die Menge der aspirierten und geschluckten kalten Flüssigkeit, das Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpervolumen (s. oben) [20] sowie die Isolation der betreffenden Person.
Wirbelsäulenverletzungen
. Abb. 73.3. Pathophysiologie der Abläufe beim Ertrinken. Obwohl initial pathophysiologisch völlig unterschiedlich, ist die endgültige Konsequenz sowohl des Ertrinkens im Süsswasser als auch im Salzwasser ein Verlust von Gasaustauschfläche und eine Oxygenierungsstörung mit Ausbildung einer mehr oder minder schweren Hypoxie, die in schweren Fällen zum hypoxisch bedingten Multiorganversagen führt
und Salzwasserertrinken ist daher aus heutiger Sicht, zumindest für die Therapie, von geringer Bedeutung. Tatsächlich ist bei allen Betroffenen eine mehr oder minder stark ausgeprägte Hypoxie nachweisbar [18, 20, 21]. Eine solche Hypoxie tritt unmittelbar nach Aspiration von Flüssigkeit ein. Schon bei der Aspiration einer kleinen Menge von nur 1–2,2 ml/ kg KG Flüssigkeit in die Lunge sind ausgeprägte Veränderungen des arteriellen Sauerstoffgehalts zu beobachten. Im Gegensatz zum Ablauf ohne Aspiration, bei der eine Hypoxie relativ rasch durch Beatmung und Wiederherstellung eines Kreislaufs beseitigt wird, persistiert die Hypoxie bei Zustand nach Aspiration über längere Zeit [24]. Die Ursache liegt in der Ausbildung pulmonaler Rechts-links-Shunts, die eine venöse Beimischung im arteriellen System zur Folge haben. Die Ursache ist der beschriebene Verlust von Gasaustauschfläche als Folge der Flüssigkeitsaspiration. In jedem Fall ist am Ende ein Lungenödem, ein Verlust von Gasaustauschfläche, ein Rechtslinks-Shunt und eine Abnahme der Compliance der Lunge zu beobachten (. Abb. 73.3; [18, 25]).
Hypothermie In vielen Fällen von Beinahe-Ertrinken findet sich begleitend eine mehr oder minder stark ausgeprägte Hypothermie. Die Ur-
Bei Badeunfällen, die mit der Symptomatik Ertrinken/BeinaheErtrinken einhergehen, ist an die Möglichkeit knöcherner Verletzungen der Wirbelsäule, speziell der Halswirbelsäule, zu denken. Gerade bei jüngeren Menschen und einem Unfallgeschehen in Ufernähe ist dem Ereignis nicht selten ein (Kopf-)sprung ins Wasser vorausgegangen, der zu der typischen Verletzung geführt haben kann. Hier ist zu bedenken, dass es sowohl primär zur Schädigung von Nerven und Rückenmark gekommen sein kann, die dann zum Beinahe-Ertrinken führten, oder aber dass es zur irreversiblen Nervenschädigung erst durch Luxationen der Fraktur gekommen ist, die die Folge zu starker Manipulationen bei der Rettung waren. Bei Verdacht (Geschehen ufernah, anamnestisch Sprung oder Sturz ins Wasser) ist daher entsprechende Vorsicht angezeigt, und es sollte eine Stabilisierung der Halswirbelsäule erfolgen [28].
Neurologische Störungen Neben den bislang beschriebenen pathophysiologischen Veränderungen tritt bei zahlreichen Beinahe-Ertrunkenen ein mehr oder weniger schweres Hirnödem auf [29], sehr wahrscheinlich als Reaktion auf eine zerebrale Hypoxie. Abhängig vom Ausmaß und der Dauer der zerebralen Hypoxie, aber auch von der Körpertemperatur während der hypoxischen Episode, kann daher eine Hirnschädigung unterschiedlichster Ausprägung die Folge sein. Insgesamt kann der neurologische Zustand eines Patienten nach Beinahe-Ertrinken über einen weiten Bereich variieren. Um hier eine gewisse Vergleichbarkeit und Systematik zu ermöglichen, wurde u. a. eine Klassifizierung vorgeschlagen, die den neurologischen Zustand in die Kategorien A, B und C einteilt und praktikabel ist (. Tab. 73.2; [30]).
Sekundäres Ertrinken Als Folge eines zunächst überlebten Beinahe-Ertrinkens kann sich der Zustand des Patienten rasch verschlechtern, zum einen bedingt durch den beschriebenen Sachverhalt (früher auch sekundäres Ertrinken genannt), aber auch durch eine entzündliche Reaktion der Lunge, die in ein ARDS und in ein Multiorganversagen münden kann [22].
940
73
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung
. Tabelle 73.2. Klassifikation des neurologischen Status bei Beinahe-Ertrunkenen Kategorie
Subkategorie
Entspricht Glasgow Coma Scale
Beschreibung
A
Keine
15
»Awake« (= wach)
B
Keine
10–13
»Blunted« (= eingetrübt) 4 Lethargie 4 Desorientiertheit 4 Agitiertheit 4 gerichtete Schmerzabwehr
C
Abhängig von motorischer Antwort C1
3–5 5
C2
4
C3
3
»Comatose« (= komatös) 4 Dekortiziert 4 Beugesynergismen auf Schmerzreiz 4 Cheyne-Stokes-Atmung 4 Dezerebral 4 Strecksynergismen auf Schmerzreiz 4 Keine Reaktionen auf Reizung
73.2.3 Therapie
Präklinische Maßnahmen Wichtig ist schnelle Rettung! Dazu müssen Verunfallte rasch an die Wasseroberfläche gebracht werden. Der Transport an Land bzw. in ein Boot muss ebenfalls schnellstmöglich erfolgen. Falls nötig, muss dort umgehend mit der kardiopulmonalen Reanimation begonnen werden. Wegen des beschriebenen Verlustes von Gasaustauschfläche und der vermehrten venösen Beimischung sollte die Beatmung des Verunfallten mit einer FIO2 von 1,0 erfolgen [18–20]. Die Indikation zur Intubation sollte möglichst großzügig gestellt werden, weil zum einen mit einer plötzlichen drastischen Verschlechterung des Zustands gerechnet werden muss und zum anderen die Beatmung mit erhöhten endexspiratorischen Drücken (PEEP) einen günstigen Einfluss auf den Verlauf hat (. Abb. 73.4). Keinesfalls soll Zeit mit dem Versuch vergeudet werden, Wasser aus der Lunge des Verunfallten zu entfernen, wobei eine Absaugung des Rachenraumes vor der Intubation jedoch sehr häufig notwendig ist, da u. U. nur so geeignete Intubationsbedingungen geschaffen werden können. Darüber hinaus sollte nach Intubation und initialer Blähung der Lunge intratracheal abgesaugt werden, um evtl. vorhandenen Schaum oder auch Aspirat aus der Trachea und den Bronchien zu entfernen. Neben der frühzeitigen Intubation sollte rasch ein venöser Zugang geschaffen werden. Des Weiteren sollte so bald wie möglich eine kontinuierliche EKG-Überwachung und v. a. eine pulsoxymetrische Überwachung erfolgen. Im Verlauf des Ertrinkens werden regelhaft größere Flüssigkeitsmengen verschluckt. Entsprechend ist mit einem prall gefüllten Magen zu rechnen. Dadurch wird einerseits die Aspirationsgefahr erhöht und andererseits eine adäquate Beatmung behindert. In vielen Fällen ist es zwar schon vor Beginn der Rettungsmaßnahmen zur Aspiration auch von Erbrochenem gekommen, dies kann jedoch auch während der Rettungsmaßnahmen wiederholt geschehen. Nach adäquater Primärversorgung, Sicherung der Atemwege und Stabilisierung des Zustandes sollte daher der Magen über eine Sonde entlastet werden. Die medikamentöse Wiederbelebung erfolgt nach den Empfehlungen des European Resuscitation Council (ERC) [31]. Hier-
bei ist jedoch zu bedenken, dass bei stärkerer Unterkühlung die Wirkung der Notfallmedikamente verzögert einsetzen kann und dass unter den Bedingungen der Hypothermie die Flimmerschwelle des Herzens verschoben ist. i Wegen der bereits beschriebenen Neigung zur plötzlichen Verschlechterung des Zustandes müssen die Geretteten ständig überwacht werden.
Es gilt daher für jeden Fall von Beinahe-Ertrinken, dass neben einer guten und v. a. raschen Erstversorgung für einen ebenso raschen Transport in ein Krankenhaus gesorgt werden muss. Dies gilt sowohl für Verunfallte, bei denen Herz-Lungen-Wiederbelebung notwendig war, als auch bei jenen, die spontan atmend, evtl. sogar neurologisch und pulmonal unauffällig gerettet werden konnten. In jedem Fall ist die stationäre Überwachung angezeigt, bei entsprechender Symptomatik auf einer Intensivstation, da es wegen der Lungenschädigung noch Stunden bis Tage nach dem Ereignis zu einer plötzlichen Verschlechterung des Zustandes kommen kann.
Klinische Versorgung Die klinische Versorgung richtet sich ganz wesentlich nach dem Zustand des Patienten. Während bei problemlosen Verläufen bei Patienten der Kategorie A (. Tab. 73.2) eine reine Überwachung angezeigt sein kann, erfordern Patienten der Kategorie B zumindest die intensivmedizinische Überwachung und Patienten der Kategorie C eine forcierte intensivmedizinische Behandlung. Bei diesen komatösen Patienten ist neben einer effektiven Wiedererwärmung und der Behandlung der pulmonalen Störungen auch der Versuch der zerebralen Wiederbelebung angezeigt. In diesem Zusammenhang ist jedoch nicht die Normothermie anzustreben, sondern eine milde Hypothermie hat sich als günstig erwiesen [31]. Unter klinischen Bedingungen sollten die Patienten der Kategorien B und C ein er weitertes Monitoring erhalten, sodass sich die Therapie an den damit erhobenen Parametern orientieren kann. Dazu gehört je nach klinischer Situation eine arterielle Kanülierung, sodass Blutgase und Elektrolyte regelmäßig bestimmt und der Blutdruck kontinuierlich gemessen werden können, weiterhin ein zentraler Venenkatheter zur Applikation von Katecholaminen und zur Abschätzung der Volumensituation.
941 73.2 · Beinahe-Er trinken
73
. Abb. 73.4. Flussdiagramm bei Beinahe-Ertrinken. Neben einer raschen Rettung sind bei allen Patienten nach Beinahe-Ertrinken die Sauerstoffgabe und die stationäre Überwachung erforderlich. In Fällen mit objektivierbarer pulmonaler Beeinträchtigung ist eine frühe Intubation gerechtfertigt, der Sauerstoffgehalt des Inspirationsgases sollte hier höchstmöglich sein. Schwere Fälle benötigen eine intensivmedizinische Überwachung und Versorgung
Da bei ausgeprägter zerebraler Hypoxie mit einem Hirndruckanstieg zu rechnen ist, sollte v. a. beim komatösen Patienten das Anlegen einer Hirndrucksonde erwogen werden [32]. Darüber hinaus sollte eine möglichst genaue Überwachung der Körpertemperatur mit Einhaltung einer milden Hypothermie (32– 34°C entsprechend den aktuellen Empfehlungen des ERC) in der frühen Phase erfolgen [31], ebenso das Legen eines Blasenkatheters. Als weitere diagnostische Maßnahme ist die Röntgenkontrolle der Lunge angezeigt; CT- oder NMR-Untersuchungen sind in der Frühphase hingegen nicht zwingend notwendig. Bei ungeklärter Ursache für das Ertrinken, z. B. bei lautlosem Untergehen im Wasser, ist zum Ausschluss internistischer oder neurologischer Erkrankungen ggf. die Diagnostik mittels EKG, EEG sowie abdomineller Sonographie angezeigt. Die Infusionstherapie richtet sich nach dem klinischen Bild und der Hämodynamik. Initial kann es notwendig sein, ein gewisses Flüssigkeitsdefizit auszugleichen, weil, wie oben beschrieben, durch Flüssigkeitsverschiebungen in das Gewebe und in die Lunge eine relative Hypovolämie vorliegen kann [33]. In der Folge sind jedoch häufig eine Volumenrestriktion und die Gabe von Diuretika oder osmotisch wirksamen Infusionslösungen notwendig, um das Hirn- und Lungenödem zu behandeln. Auch die respiratorische Therapie richtet sich nach dem klinischen Bild. Hier ist sowohl die alleinige supplementäre Gabe
von Sauerstoff beim spontan atmenden Patienten als auch die Behandlung eines schweren ARDS denkbar. Es sei auf die entsprechenden Kapitel zur Respiratortherapie verwiesen (7 Kap. 36‒41). Die Gabe von Surfactant nach Beinahe-Ertrinken ist wegen der sehr widersprüchlichen Datenlage derzeit allenfalls als Ultima ratio in sehr schweren Fällen in Betracht zu ziehen [34]. Die medikamentöse Therapie richtet sich ebenfalls nach den klinischen Erfordernissen und allgemeinen intensivmedizinischen Therapieprinzipien. Nicht selten entwickelt sich infolge eines Beinahe-Ertrinkens eine Pneumonie, die entsprechend antibiotisch behandelt werden muss. Es sollte jedoch keine blinde Prophylaxe erfolgen, sondern erst bei positivem Erregernachweis gezielt behandelt werden [35]. 73.2.4 Prognose nach Beinahe-Er trinken Die Prognose nach Beinahe-Ertrinken hängt ganz wesentlich von der Dauer der Hypoxie und der Ausprägung der neurologischen Schädigung ab. Während Patienten, die mit Kategorie A (. Tab. 73.2) klassifiziert wurden, das Ereignis in der Regel ohne bleibende Ausfälle überleben, ist die Überlebensrate bei Patienten der Kategorie B schon leicht verringert, auch kann es bei den Überlebenden zu neurologischen Dauerschäden kommen. Von
942
73
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung
den mit C klassifizierten Patienten sterben trotz initialem Überleben 30–40%; bei den Überlebenden ist eine bleibende neurologische Beeinträchtigung durchaus wahrscheinlich. Die Dauer der Hypoxie gehört zu den wichtigsten prognostischen Faktoren. Bei Beinahe-Ertrunkenen ist daher absolute Eile bei der Behebung einer Hypoxie geboten. Wegen der spezifischen pathophysiologischen Veränderungen sollte dabei die initiale FIO2 so hoch wie möglich sein [36].
73.3
Unterkühlung (Hypothermie)
> Definition Unterkühlung (Hypothermie) Der menschliche Körper hat die Fähigkeit, seine Körpertemperatur auch bei Schwankungen der Umgebungstemperatur konstant bei etwa 37°C zu halten. Unterkühlung (Hypothermie) ist daher streng genommen definiert als Abfall der Körperkerntemperatur unter diesen Bereich, der aber naturgemäß in Grenzen Schwankungen unterliegt. Klinisch wird daher dann von Hypothermie gesprochen, wenn die Körperkerntemperatur des Patienten unter 35°C liegt [37–40].
73.3.1 Pathophysiologie
ßerdem kann es zu einer ödematösen Schwellung des Alveolarepithels bis hin zur Entwicklung eines Lungenödems kommen, das den Gasaustausch weiter erschwert. Gleichzeitig besteht eine Reduktion der Stoffwechselvorgänge, die einerseits die protektive Wirkung einer Hypothermie erklärt, andererseits wird u. a. die Abbaurate von Medikamenten vermindert [26, 37–40]. Bei höhergradigem Abfall der Körpertemperatur entwickelt sich eine zunehmende Bewusstseinstrübung bis hin zum Koma. Hierdurch wird bei intoxikierten und/oder traumatisierten Patienten die neurologische Einschätzung erschwert. Durch eine verminderte Freisetzung von Insulin und eine periphere Insulinresistenz kommt es außerdem regelhaft zur Hyperglykämie, die unter Wiedererwärmungsmaßnahmen aber meist rückläufig ist, sodass eine Insulingabe im hypothermen Zustand beim wiedererwärmten Patienten zur Hypoglykämie führen kann. Daher sollte die Gabe von Insulin bei hypothermen Patienten unterbleiben [37–40]. Darüber hinaus ist auch die Gerinnung gestört, wobei einerseits die Thrombozytenfunktion vermindert ist, es andererseits aber zu einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) kommen kann. Da die entsprechenden laboranalytischen Methoden meist bei 37°C durchgeführt werden, ist eine Detektion im Kliniklabor nicht immer möglich [26]. Schließlich führt die schwere Hypothermie über einen Abfall der glomerulären Filtrationsrate und des renalen Blutflusses zu einer Oligo- oder Anurie.
Stadieneinteilung der Hypothermie Ursachen der akzidentellen Hypothermie Zur Hypothermie kommt es dann, wenn die Wärmeabgabe des Körpers für längere Zeit die Wärmeproduktion übersteigt oder die Wärmeabgabe so rasch erfolgt, dass eine Aufrechterhaltung der Homöostase nicht möglich ist (z. B. Eiswasserertrinken) [37, 40]. Wesentliche Kofaktoren sind bei diesem in Mitteleuropa eher seltenen Krankheitsbild Alkohol- und Drogenmissbrauch, psychiatrische Erkrankungen, Ertrinkungsunfälle, Lawinenunglücke, Bootsunfälle im Küstenbereich und schwere Traumen. Bei Erwachsenen ist der Alkohol- und Drogenmissbrauch die führende Ursache, während bei Kindern häufiger als Auslöser Ertrinkungsunfälle vorliegen [26].
Pathophysiologische Veränderungen bei Hypothermie Eine Hypothermie wirkt sich auf alle wesentlichen Organsysteme aus. Im frühen Stadium versucht der Körper, weitere Wärmeverluste zu minimieren und die endogene Wärmeproduktion zu erhöhen. Es kommt daher zunächst zur Sympathikusaktivierung mit peripherer Vasokonstriktion, Tachykardie und einer Steigerung des Herzzeitvolmens (HZV) sowie einer Zunahme der Atemfrequenz. In diesem frühen Stadium tritt zudem häufig eine Kältediurese auf [26, 37, 39]. Sinkt die Körpertemperatur weiter ab, stehen wärmekonservierende Maßnahmen im Vordergrund. Es kommt nun zu einer Bradykardie und einem Abfall des HZV, bei weiteren Wärmeverlusten zur Asystolie und Kammerflimmern. Unter bereits moderater Hypothermie können atriale und ventrikuläre Arrhythmien und typische EKG-Veränderungen (»J-Wellen«) beobachtet werden. Die PQ- und QT-Zeiten sind verlängert, der QRS-Komplex ist verbreitert [37–40]. Atemfrequenz, Atemzugvolumen und das Sauerstoffangebot nehmen ab, und es bildet sich eine zunehmende Azidose aus. Au-
Je nach Grad der Unterkühlung kommt es entsprechend den beschriebenen pathophysiologischen Veränderungen zu unterschiedlichen Reaktionen, sodass in ein Erregungsstadium (milde Hypothermie), Erschöpfungsstadium (moderate Hypothermie) und Lähmungsstadium (tiefe Hypothermie) unterschieden werden kann [37–40]. 4 Beim Erregungsstadium mit milder Hypothermie (Körperkerntemperatur 37‒34°C) kommt es zu psychischer Erregung und unwillkürlichem Muskelzittern. Die Atmung ist vertieft, die Haut wegen einer Vasokonstriktion in der Peripherie blass. Durch Kälte und verminderte Durchblutung sind Schmerzen an den Akren möglich, im weiteren Verlauf bei persistierender Kälteexposition auch Erfrierungen. 4 Fällt die Körpertemperatur weiter, kommt es bei moderater Hypothermie zum Erschöpfungsstadium (Kerntemperatur 27‒34°C), mit Bewusstseintrübung bis zur Bewusstlosigkeit, Bradykardie unterschiedlicher Ausprägung, Muskelsteife ohne Muskelzittern und zu einer flachen, unregelmäßigen Atmung. Diese Symptome sind umso ausgeprägter, je tiefer die Körpertemperatur ist, und stellen bereits eine ernste Lebensbedrohung dar. Bei einem ausgeprägten Erschöpfungsstadium ist der Unterkühlte unter keinen Umständen mehr zur Selbstrettung in der Lage, muss also gerettet werden. 4 Bei schwerer Hypothermie kommt es zum Lähmungsstadium (Kerntemperatur unter 27°C) mit Bewusstlosigkeit, Muskelstarre, Sistieren der Atembewegungen und (u. U. auch zentral) nicht mehr tastbarem Puls. 73.3.2 Notfallmaßnahmen bei Hypothermie In allen Fällen sind eine rasche Rettung und die Vermeidung weiterer Wärmeverluste wichtig.
943 73.3 · Unterkühlung (Hypothermie)
. Abb. 73.5. Flussdiagramm der Hypothermiebehandlung. (Mod. nach den Empfehlungen der AHA)
73
944
73
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung
Kernpunkte der präklinischen Behandlung sind v. a. die Überwachung und Stabilisierung der Vitalfunktionen sowie die Verhinderung weiterer Auskühlung (. Abb. 73.5; [41]). Einen entscheidenden Einfluss auf die Prognose hat auch der Bergevorgang an sich, denn bei fehlerhafter Rettung kann es zum plötzlichen Kreislaufstillstand (»Bergetod«) kommen. Die Hauptursache ist hier der sog. Afterdrop mit einem weiteren Abfall der Körpertemperatur nach beendetem Kälteaufenthalt durch Zustrom kalten Blutes aus der Peripherie und Abstrom vergleichsweise warmen Blutes aus dem Kern. Dieser Mechanismus wird durch falsche Lagerung beim und nach dem Bergen und durch falsche Wiedererwärmungsmaßnahmen hervorgerufen. Außerdem kann es beim Afterfall zum Kreislaufzusammenbruch während und nach dem Bergen kommen. Bei sämtlichen Rettungsund Transportmaßnahmen sind die Verunfallten daher streng waagerecht zu lagern und möglichst wenig zu bewegen [37–41]. Obwohl die exakte Bestimmung der Körpertemperatur in dieser Phase wünschenswert wäre, ist dies in der Praxis kaum durchführbar. Zum einen werden dafür spezielle, auch niedrige Körpertemperaturen messende Thermometer benötigt, zum anderen sind die zur Verfügung stehenden Verfahren nicht genau genug. Speziell bei Ertrinkungsopfern ist zudem das Verfahren der tympanalen Temperaturmessung, systembedingt, ungeeignet [42].
Notfallmaßnahmen entsprechend dem Unterkühlungsstadium Bei Unterkühlten im Erregungsstadium steht die rasche Wiedererwärmung im Vordergrund. Nasse Kleidung muss ggf. schnellstmöglich gegen trockene und warme ausgetauscht werden; zusätzlich werden wärmende Decken angewandt (passive externe Wiedererwärmung). »Warm-packs« oder Hiebler-Packungen am Körperstamm sind sinnvoll, bedürfen aber der Überwachung, da lokale Verbrennungen unbedingt vermieden werden müssen. In jedem Fall sollten die Verunfallten dieses Stadiums, wenn bewusstseinsklar, heiße Getränke verabreicht bekommen, keinesfalls jedoch Alkohol! Wegen des erhöhten Sauerstoffverbrauchs beim unwillkürlichen Muskelzittern ist Unterkühlten im Vollbild des Erregungsstadiums (heftigstes, unkontrolliertes Zittern) zusätzlich zu den Wärmeerhaltungsmaßnahmen Sauerstoff per Nasensonde oder Maske zu applizieren. Bei den Verunfallten mit ausgeprägterer Hypothermie ist, wie erwähnt, größtmögliche Vorsicht insbesondere bei allen Manipulationen und Lagerungen geboten, da sich anderenfalls der Zustand verschlechtern kann. Nasse Kleidung ist daher nur dann zu entfernen, wenn es ohne starke Manipulationen (z. B. durch Aufschneiden) möglich ist. Diese Patienten können aber durch Einhüllen in Rettungsfolie (Dampfsperre) und dann in Decken vor weiterer Auskühlung geschützt werden. Eine kardiopulmonale Reanimation darf keinesfalls wegen scheinbarer Erfolglosigkeit zu früh beendet werden, da bei niedrigen Körpertemperaturen auch nach längerer Zeit noch erfolgreich wiederbelebt werden kann. Allerdings ist bei einer Hypothermie unter 28°C Zurückhaltung mit Defibrillationsversuchen geboten, da sie meist frustran bleiben. Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch das Ansprechen auf Notfallmedikamente nur zeitverzögert und deutlich abgeschwächt er folgt [26, 31, 41].
Im Vordergrund steht daher der schnellstmögliche Transport (ggf. unter Fortführung der mechanischen Wiederbelebungsmaßnahmen) in ein Krankenhaus mit Intensivstation bzw. bei kreislaufinstabilen Patienten in ein Zentrum mit kardiochirurgischer Abteilung. 73.3.3 Klinische Maßnahmen bei Hypothermie
In der Klinik steht die Stabilisierung des Patienten und die schonende Wiedererwärmung im Vordergrund, wobei insbesondere nach Kreislaufstillstand und Reanimation nicht die Normothermie, sondern initial eine milde Hypothermie von 32–34°C angestebt wird [31]. Eine Hyperthermie ist unbedingt zu vermeiden.
Die weitere Behandlung erfolgt nach den üblichen intensivmedizinischen Prinzipien, wobei eine kontinuierliche Kreislaufüberwachung und ggf. eine entsprechend angepasste Katecholaminund Volumentherapie von besonderer Bedeutung sind. Hierbei ist auch an nierenprotektive Maßnahmen und an eine forcierte Diurese zu denken. Außerdem sind engmaschig Blutgasanalysen und Elektrolytbestimmungen durchzuführen, u. a. weil es durch Zelluntergang zu massiven Anstiegen des Serumkaliumwertes kommen kann (was prognostisch sehr ungünstig ist) [40]. Die Körperkerntemperatur ist engmaschig und möglichst exakt zu überwachen. Hierfür eignen sich z. B. Temperatursonden, die im unteren Ösophagusdrittel platziert werden, Blasenkatheter mit Thermistor oder, bei entsprechender Indikation, auch ein Pulmonaliskatheter.
Ver fahren zur Wiederwärmung Als sinnvolle Wiedererwärmungsmethoden kommen nur solche in Frage, die effektiv Wärme übertragen, ohne bei Patienten mit Körperkerntemperaturen unter 30°C die Gefahr eines Afterdrops zu erhöhen. Sie sollten zudem möglichst breit verfügbar, einfach anzuwenden und so wenig invasiv wie möglich sein. Abhängig von der Ausprägung der Hypothermie, aber auch von der Bewusstseinslage und der Kreislaufsituation kommen die im Folgenden dargestellten Verfahren in Betracht.
Nicht-invasive Ver fahren zur Wiederwärmung Bei milder bis mäßig ausgeprägter Hypothermie und kreislaufstabilen Patienten kann eine nicht-invasive aktive externe Wiedererwärmung erfolgen. Bei diesem Verfahren werden v. a. konvektive Systeme, also Wärmedecken bzw. Warmluftgebläse eingesetzt. Auf diese Weise ist eine Wiedererwärmungsrate von ca. 0,5–1,0°C/h zu erreichen [43]. Die früher statt dessen durchgeführten Warmwasserbäder werden hingegen nicht mehr empfohlen, weil es hierdurch häufiger zu kardiovaskulären Komplikationen kommen kann [44]. Es ist zu beachten, dass die aktive externe Wiedererwärmung eine periphere Vasodilation mit Abfall des Systemgefäßwiderstandes und des arteriellen Blutdrucks auslöst, sodass eine entsprechende Volumen- und/oder Katecholamintherapie notwendig werden kann. Der Patient ist daher engmaschig zu überwachen. Ergänzend sollte erwärmtes und wasserdampfgesättigtes Atemgas zugeführt werden [45] und, obgleich nur gering effektiv, erwärmte Infusionslösungen [46].
945 Literatur
Invasive Ver fahren zur Wiederwärmung Bei höhergradiger Hypothermie werden invasivere Verfahren angewandt. Hierzu gehört die komplikationsträchtige (Aspirationsgefahr) wiederholte Magenspülung mit warmer Kochsalzlösung, bzw. die Anwendung spezieller Erwärmungssonden, die in den Ösophagus eingeführt werden. Traditionell ist auch die Peritonealspülung mit warmen Flüssigkeiten möglich, die zwar sehr invasiv, aber mit Wiedererwärmungsraten von bis zu 4°C/h recht effektiv sein kann [26]. i Als bei Patienten mit spontanem Kreislauf besonders effektiv und v. a. für Intensivstationen problemlos durchzuführen hat sich die Wiedererwärmung mit venovenösem Bypass und Apparaten zur Hämodialyse/Hämofiltration erwiesen [47].
Diese können zur Effizienzsteigerung zudem noch mit einem leistungsfähigen Infusionswärmer für hohe Flussraten gekoppelt werden, mit dessen Hilfe das zum Patienten zurückfließende Blut erwärmt wird. Es steht bei der Anwendung dieser Geräte zwar die Erwärmung im Vordergrund, dennoch ist simultan bei Bedarf (z. B. lebensbedrohliche Hyperkaliämie) auch die Hämodialyse bzw. -filtration möglich. i Bei Patienten mit hypothermiebedingtem Kreislaufstillstand ist hingegen die Wiedererwärmung mit der HerzLungen-Maschine die Behandlungsmethode der Wahl [48].
Gerade bei extremer Hypothermie mit therapierefraktärem Kammerflimmern oder Asystolie ist der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine trotz des hohen Aufwands indiziert und kann zum Überleben des Betroffenen führen. Deshalb sollten solche Patienten primär in Zentren mit dieser technischen Möglichkeit transportiert werden. 73.3.4 Prognose Die Prognose ist für Patienten mit milder, aber auch mit moderater Hypothermie mit Temperaturen über 32°C, abhängig von Begleitverletzungen oder -erkrankungen, durchaus als gut zu bezeichnen. Bei Patienten mit schwererer Hypothermie und speziell mit Kreislaufstillstand ist die Prognose jedoch insgesamt sehr schlecht. Die Problematik liegt v. a. darin, dass vor Ort nicht festgestellt werden kann, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Hypothermie und Herz-Kreislauf-Stillstand besteht, oder ob primär der Tod eingetreten und es dann sekundär zur Auskühlung gekommen ist.
Literatur 1. Muth CM, Shank ES, Larsen B (2000) Der schwere Tauchunfall: Pathophysiologie – Symptomatik – Therapie. Anaesthesist 49: 302–316 2. Welslau W, Beuster B, Förster W, Frey G, Kemmer A, van Laak U, Muth CM, Peusch-Dreyer D, Radermacher P, Taher A, Wendling J, Wenzel J, Zanker N (2003) Leitlinie Tauchunfall. Anästhesiol Intensivmed 44: 1–26 : Die offizielle Empfehlung der deutschen wissenschaftlichen Fachgesellschaft GTÜM, die in regelmäßigen, 3-jährlichen Abständen von einer Gutachterkommission überarbeitet und ggf. aktualisiert wird. Die
73
jeweils aktuelle Version ist online einsehbar auf der Homepage der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM) unter www. gtuem.org und in der Leitliniendatenbank der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) unter www.awmf-online.de. 3. Wenzel J, Muth CM. Physikalische und physiologische Grundlagen des Tauchens (2002) Dtsch Z Sportmed 53: 162–169 4. Francis TJR, Gorman DF (1993) Pathogenesis of decompression disorders. In: Bennett P, Elliott D (eds) The physiology and medicine of diving, 4th edn. Saunders, Phildadelphia London, pp 455–480 5. Schaefer KE, McNulty WPjr., Carey C, Liebow AA (1958) Mechanisms in development of interstitial emphysema and air embolism on decompression from depth. J Appl Physiol 13: 15–29 6. Muth CM, Shank ES (2000) Gas embolism. N Engl J Med 342: 476–82 7. Smith RM, Neumann TS (1997). Abnormal serum biochemistries in association with arterial gas embolism. J Emerg Med 15: 285–289 8. Boussuges A, Succo E, Juhan-Vague I, Sainty JM. Activation of coagulation in decompression illness (1998) Aviat Space Environ Med 69: 129–132 9. Huang KL, Lin YC (1997) Activation of complement and neutrophils increases vascular permeability during air embolism. Aviat Space Environ Med 68: 300–305 10. Ward CA, Koheil A, McDullough D, Johnson WR, Fraser WD 1986) Activation of complement at plasma-air or serum-air interface of rabbits. J Appl Physiol 60: 1651–1658 11. Shank ES, Muth CM (2000) Decompression illness, iatrogenic gas embolism, and carbon monoxide poisoning: The role of hyperbaric oxygen therapy. Int Anesthesiol Clin 38: 111–138. 12. Melamed Y, Shupak A, Bitterman H (1992) Medical problems associated with underwater diving. N Engl J Med 326: 30–34 : Prägnante und immer noch aktuelle Übersicht über die wichtigsten Grundlagen der Tauchmedizin. 13. Leitch DR, Green RD (1986) Pulmonary barotrauma in divers and the treatment of cerebral arterial gas embolism. Aviat Space Environ Med 57: 931–938 14. Moon RE, Sheffield PJ (1997) Guidelines for treatment of decompression illness. Aviat Space Environ Med 68: 234–243 15. Shank ES, Muth CM (2001) Case report on a diver with decompression injury, elevation of serum transaminases, and rhabdomyolysis. Ann Emerg Med 37: 533–536 16. Tetzlaff K, Shank ES, Muth CM (2003) Evaluation and management of decompression illness – An intensivists’ perspective. Intensive Care Med 29: 2128–2136 : In dieser aktuellen Übersicht werden nicht nur, wie sonst üblich, die notfallmedizinischen Aspeke der Versorgung eines schweren Tauchunfalls dargestellt, sondern es wird auch auf die intensivmedizinische Behandlung des Tauchunfalls eingegangen. 17. Muth CM, Radermacher P, Shank ES (2002) When HBO meets the ICU – intensive care patients in the hyperbaric environment. In: Bakker DJ, Cramer FS (eds) Hyperbaric surgery. Best Publishing, Flagstaff, USA, pp 111–158 18. Modell JH (1993) Drowning N Engl J Med 328: 253 -256 19. DeNicola LK, Falk JL, Swanson ME, Gayle MO, Kissoon N (1997) Submersion injuries in children and adults. Crit Care Clin 13: 477–502 20. Weinstein MD, Krieger BP (1996) Near-drowning: epidemiology, pathophysiology, and initial treatment. J Emerg Med 14: 461–467 : In dieser komplexen Übersicht wird ausführlich auch auf die Epidemiologie eingegangen, zudem sind die Empfehlungen zur Notfallbehandlung ebenfalls umfassend und noch aktuell. 21. Modell JH, Graves SA, Ketover A (1976) Clinical course of 91 consecutive near-drowning victims. Chest70: 231–238 22. Pearn JH (1980) Secondary drowning in children. Br Med J 281: 1103– 1105
946
73
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung
23. Giammona ST, Modell JH (1967) Drowning by total immersion. Effects on pulmonary surfactant of distilled water, isotonic saline, and sea water. Am J Dis Child 114: 612–616 24. Halmagyi DFJ, Colebatch HJH (1961) Ventilation and circulation after fluid aspiration. J Appl Physiol 16: 35–40 25. Ruiz BC, Calder wood HW, Modell JH, Brogdon JE (1973) Effect of ventilatory patterns on ar terial oxygenation after near-drowning with fresh water: a comparative study in dogs. Anesth Analg 52: 570–576 26. Gries A (2001) Notfallmanagement bei Beinahe-Ertrinken und akzidenteller Hypothermie. Anaesthesist 50: 887–901 27. Bolte RG, Black PG, Bowers RS, Thorne JK, Corneli HM (1988) The use of extracorporeal rewarming in a child submerged for 66 minutes. JAMA 260: 377–379 28. Watson RS, Cummings P, Quan L, Bratton S, Weiss NS (2001) Cervical spine injuries among submersion victims. J Trauma 51: 658–662 29. Vasil J (1969) Brain edema following resuscitation of drowned children. Cesk Pediatr 24: 556–557 30. Conn AW, Montes JE, Barker GA, Edmonds JF (1980) Cerebral salvage in near-drowning following neurological classification by triage.Can Anaesth Soc J 27: 201–210 31. Nolan JP, Deakin CD, Soar J, Bottiger BW, Smith G (2005) European Resuscitation Council.European Resuscitation Council guidelines for resuscitation 2005. Section 4. Adult advanced life support. Resuscitation 67: S39–86 32. Sarnaik AP, Preston G, Lieh-Lai M, Eisenbrey AB (1985) Intracranial pressure and cerebral perfusion pressure in near-drowning. Crit Care Med 13: 224–227 33. Modell JH, Davis JH (1969) Electrolyte changes in human drowning victims. Anesthesiology 30: 414–420 34. Staudinger T, Bankier A, Strohmaier W, Weiss K, Locker GJ, Knapp S, Roggla M, Laczika K, Frass M (1997) Exogenous surfactant therapy in a patient with adult respiratory distress syndrome after near drowning. Resuscitation 35: 179–182 35. Ender PT, Dolan MJ (1997) Pneumonia associated with near-drowning. Clin Infect Dis 25: 896- 907 36. Fretschner R, Klöss T, Borowczak C, Berkel H (1993) Erstversorgung und Prognose nach Ertrinkungsunfällen. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 28: 363–368 37. Wittmers LE Jr 2001) Pathophysiology of cold exposure. Minn Med 84: 30–36 38. Danzl DF, Pozos RS (1994). Accidental hypothermia. N Engl J Med 331: 1756–1760 39. Mallet ML (2002) Pathophysiology of accidental hypothermia. QJM 95: 775–785 40. Giesbrecht GG (2000) Cold stress, near drowning and accidental hypothermia: a review. Aviat Space Environ Med 71: 733–752 : Sehr umfassende und kenntnisreiche Übersicht zu allen im Titel genannten Aspekten, die einen tieferen Einstieg in die besondere Problematik der Unterkühlung (und auch des Ertrinkens) bietet. 41. Giesbrecht GG (2001) Prehospital treatment of hypothermia. Wilderness Environ Med 12: 24–31 42. Ehrmann U, Shank ES, Hauser B, Gröger M, Radermacher P, Muth CM. Infrared ear thermometry in drowning – not a good choice. 25th International Congress on Intensive Care and Emergency Medicine Brussels, Belgium, 2005 43. Goheen MS, Ducharme MB, Kenny GP, Johnston CE, Frim J, Bristow GK, Giesbrecht GG (1997) Efficacy of forced-air and inhalation rewarming by using a human model for severe hypothermia. J Appl Physiol 83: 1635–1640. 44. Tveita T (2000) Rewarming from hypothermia. Newer aspects on the pathophysiology of rewarming shock. Int J Circumpolar Health 59: 260–266 45. Giesbrecht GG, Paton B (1998) Review article on inhalation rewarming. Resuscitation 38: 59–60
46. Muth CM, Mainzer B, Peters J (1996) The use of countercurrent heat exchangers diminishes accidental hypothermia during abdominal aortic aneurysm surgery. Acta Anaesthesiol Scand 40: 1197–202 47. Spooner K, Hassani A (2000) Extracorporeal rewarming in a severely hypothermic patient using venovenous haemofiltration in the accident and emergency department.J Accid Emerg Med 17: 422–424 48. Walpoth BH, Walpoth-Aslan BN, Mattle HP, Radanov BP, Schroth G, Schaeffler L, Fischer AP, von Segesser L, Althaus U (1997) Outcome of survivors of accidental deep hypothermia and circulatory arrest treated with extracorporeal blood warming. N Engl J Med 33: 1500– 1505
XII
Operative Intensivmedizin
74
Intensivtherapie schwerer abdominalchirurgischer Krankheitsbilder –949
75
Intensivtherapie nach herzchirurgischem Eingriff
76
Intensivtherapie nach thoraxchirurgischen Eingriffen
77
Intensivtherapie nach gefäßchirurgischen Eingriffen
78
Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen – intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma, Rückenmarkverletzung –1005
–969 –987 –997
74 Intensivtherapie schwerer abdominalchirurgischer Krankheitsbilder E. Klar, A. Pertschy, K.-W. Jauch, W.H. Hartl
74.1
Einleitung: Besonderheiten der organsuppor tiven Therapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen –950
74.2
Postoperative Darmparalyse und Ileus – hypomobile Motilitätsstörungen –950
74.2.1 74.2.2
Mechanischer Ileus –950 Paralytischer Ileus –951
74.3
Ischämie viszeraler Organe
74.3.1 74.3.2
Ätiologie –955 Diagnostik und Therapie –955
74.4
Sekundäre Peritonitis
74.4.1 74.4.2
Diagnose –955 Therapie –955
74.5
Akute Pankreatitis
74.5.1 74.5.2 74.5.3 74.5.4 74.5.5 74.5.6
Stellenwert der chirurgischen Therapie –958 Stellenwert einer prophylaktischen Antibiotikatherapie –959 Enterale Ernährung –960 Biliäre Pankreatitis –961 Chirurgische Konzepte –961 Stellenwert interventioneller Techniken –961
74.6
Abdomielles Kompartmentsyndrom
74.6.1 74.6.2 74.6.3 74.6.4
Definitionen und Klassifikation –962 Pathophysiologie –963 Diagnostik –964 Therapiemaßnahmen und Prävention –964
Literatur
–966
–955
–955
–958
–962
74
950
Kapitel 74 · Intensivtherapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen
74.1
Einleitung: Besonderheiten der organsuppor tiven Therapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen W.H. Hartl
Intensivtherapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen kann aus 2 Gründen erforderlich sein: 4 Im Rahmen postoperativer primärer Organfunktionsstörungen (kardiopulmonale/zirkulatorische Insuffizienz) können bei abdominalchirurgischen Patienten organsupportive Therapiemaßnahmen notwendig werden, die aufgrund ihrer Aus- oder Nebenwirkungen an die Art der vorangegangenen Operation angepasst werden sollten. 4 Es können postoperativ schwere intraabdominelle Funktionsstörungen auftreten, die zur sekundären Organinsuffizienz führen und die eine intensivmedizinische Therapie erforderlich machen. Zu diesen spezifischen Funktionsstörungen zählen die Anastomoseninsuffizienz mit konsekutiver Peritonitis, intestinale Motitlitätsstörungen (mechanischer, paralytischer Ileus), das massive Darmwandödem mit Ausbildung eines abdominellen Kompartmentsyndroms und die Darmischämie bzw. Ischämie viszeraler Organe (Leber, Milz). 4 Nach Leberresektionen kann es zusätzlich durch Parenchymverlust zum primären Leberversagen kommen, nach Pankreasresektionen können Entzündungen des Restorgans auftreten.
Organsupportive Therapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen Im Rahmen der organunterstützenden Therapien besitzt die Kreislauftherapie die größte Bedeutung für die intensivmedizinische Behandlung nach Eingriffen an den viszeralen Organen. Die perioperative Flüssigkeitstherapie hat primär den Ausgleich perioperativer Verluste und die Konstanthaltung eines physiologischen Hydratationszustands sowie eines adäquaten intravasalen Volumens zum Ziel. Es gibt jedoch Hinweise dafür, dass eine allzu großzügige postoperative Flüssigkeitszufuhr die postoperative Komplikationsrate und die Erholung der Darm- und Leberfunktion beeinträchtigen kann. Nach Manipulationen am Intestinaltrakt besteht ein erhöhtes Risiko für Ödeme in der Darmwand, das durch übermäßige Flüssigkeitszufuhr noch zusätzlich gesteigert wird. Stark ausgeprägte Darmwandödeme führen zu Motilitätsstörungen und Beeinträchtigungen der Wund-/Anastomosenheilung. Somit ist peri- und postoperativ ein engmaschiges Monitoring der Flüssigkeitsbilanz erforderlich, und es sollten hohe, nicht pathophysiologisch begründbare Infusionsvolumina vermieden werden (z. B. Zufuhr von >4500 ml Flüssigkeit während unkomplizierter Kolonresektionen, oder tägliche postoperative Plusbilanzen von >1000–1500 ml). Die postoperative Natriumzufuhr sollte ebenfalls nur bilanziert erfolgen. Nach Leberresektionen kommt es durch die Verringerung der Leberquerschnittsfläche regelhaft zu einem passageren Anstieg des Pfortaderdrucks. Ferner korreliert das perioperative Blutungsrisiko mit der Höhe des zentralen Venendrucks. i Die Vermeidung einer exzessiven perioperativen Flüssigkeitszufuhr nach Lebereingriffen reduziert die Morbidität durch eine niedrigere Transfusionspflichtigkeit und durch eine geringere intestinale Translokation von Toxinen und Mikroorganismen.
Spezifische postoperative Funktionsstörungen am Intestinaltrakt In den folgenden Abschnitten werden intensivmedizinische Probleme nach viszeralchirurgischen Eingriffen und chirurgischen Erkrankungen wie Anastomoseninsuffizienz, Peritonitis, Pankreatitis, und abdominelles Kompartmentsyndrom sowie Darmmotilitätsstörungen und Ischämie ausführlich dargestellt. 74.2
Postoperative Darmparalyse und Ileus – hypomobile Motilitätsstörungen
Bei der intestinalen Hypomotilität ist zwischen paralytischen und mechanischen Funktionsdefiziten zu unterscheiden. Aus chirurgischer Sicht umfassen paralytische Funktionsdefizite die Krankheitsbilder der funktionellen Magenentleerungsstörung, der postoperativen Darmatonie, des Ileus, der Pseudoobstruktion des Kolons und der Oberbauchatonie. Bei mechanischen Motilitätsstörungen ist zu trennen zwischen früh postoperativen Krankheitsbildern (20 mm Hg führt zur Oligurie/Anurie, zur Steigerung der Beatmungsdrücke, zur Absenkung des Vorlast- und des Herzzeitvolumens und insbesondere zur Minderperfusion gastrointestinal mit Zusammenbruch der Mukosabarriere und bakterieller Translokation. Dieser Circulus vitiosus kann nur durch eine abdominelle Druckentlastung (Dekompressionslaparotomie) durchbrochen werden (Grubben et al. 2001). Wir favorisieren das Einbringen eines Kunststoffnetzes in die Bauchdecke, das im weiteren Verlauf sukzessive gerafft werden kann. i Bei Rückgang der Diurese, Steigerung der Katecholamindosis und Erhöhung des notwendigen Beatmungsdrucks in Korrelation zur abdominellen Palpation immer an abdominelles Kompartmentsyndrom denken (Blasendruckmessung)!
Chirurgische Differenzialtherapie der diffusen Peritonitis Wir empfehlen den in . Abb. 74.12 dargestellten Algorithmus. Ist eine primäre Herdkontrolle bei Erstoperation möglich, so ist das Alter der Peritonitis entscheidend, da hiervon abhängt, ob die Infektion ohne weitere Maßnahmen beseitigt werden kann. Bei älterer Peritonitis mit Fibrinauflagerungen als Nährboden progredienten Bakterienwachstums sollte bis zur makroskopischen Säuberung alle 24 h oder 48 h relaparotomiert werden. Ist die Peritonitis frisch und die Abdominalhöhle durch ausgiebige Lavage beim Ersteingriff überzeugend zu reinigen, so ist die Notwendigkeit einer Reexploration eine Seltenheit; diese Indikation kann dann »on demand« gestellt werden.
Gelingt die Herdkontrolle beim Ersteingriff nicht, so muss unbedingt das Konzept der programmierten Relaparotomie verfolgt werden. Bei Besserung des Befundes kann dann durchaus zum On-demand-Konzept gewechselt werden. Bildet sich durch interstitielle Flüssigkeitseinlagerung und intraluminale Sequestrierung ein abdominelles Kompartmentsyndrom aus, so muss die Peritonitis im Sinne des »offenen Abdomens« behandelt werden. Ist der Herd nicht kontrollierbar, und es gelingt jedoch, eine Kompartmentierung des Fokus durchzuführen, so favorisieren wir die geschlossene Lavage.
Adjunktive Maßnahmen Neben der chirurgischen Sanierung sind parallel dazu komplexe intensivmedizinische Therapien notwendig. Die antibiotische Therapie ist eine wesentliche Säule der Peritonitistherapie. Da bei Therapieebeginn das Keimspektrum in den meisten Fällen noch unbekannt ist, muss mit einer breiten kalkulierten Initialtherapie begonnen werden. Primärtherapie bei diffuser Peritonitis (Wacha 2000; Wacha et al. 2004) 5 5 5 5
Acylaminopenicillin/β-Laktamasehemmer (BLI) oder Carbapenem der Gruppe 2 oder Cephalosporin der Gruppe 3a/4 + Metronidazol oder Fluorchinolone der Gruppe 3 + Metronidazol
Eine weitere wichtige Maßnahme ist die zeitnahe Volumensubstitution. Wird neben den Standardzielparametern von ZVD >8–12 mm Hg; MAP >65 mm Hg und Urinmenge >0,5 ml/ kg KG/h zusätzlich die zentralvenöse Sättigung von >70% als Zielparameter definiert, so gelingt eine signifikante Reduktion der Krankenhausmortalität von 46,5% auf 30,5%. Die substituierte Volumenmenge beider Studien-Gruppen ist dabei nach 72 h identisch, jedoch zeigte sich, dass in der EGDT (»early goal directed therapy«)-Gruppe das Substitutionsmaximum innerhalb der ersten 6 h lag, wohingegen in der Standardtherapiegruppe die Volumensubstitution zeitlich verzögert erfolgte (Evidenzgrad Ib; Rivers et al. 2001). Unter Beachtung der Kontraindikationen (beachte auch erhöhtes Blutungsrisiko) führt der Einsatz von aktiviertem Protein C (rhAPC) bei Patienten mit schwerer Sepsis und mindestens 2 Organversagen zu einer statistisch sinifikanten Senkung der 28-TageLetalität (Evidenzgrad Ib; Angus et al. 2004; Reinhart et al. 2006).
958
Kapitel 74 · Intensivtherapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen
Zusätzliche in Studien belegte Maßnahmen sind die Gabe von Hydrokortison (Evidenzgrad IIb; Annane et al. 2002) und Selen (Evidenzgrad IIa; Matthias et al. 2007).
74 74.5
. Tabelle 74.2. Unterschiedliche Definition von Früh- und Spätphase der akuten Pankreatitis Frühphase
Spätphase
Literatur
Akute Pankreatitis
12 Tage
Mier et al. (1997)
E. Klar, A. Pertschy
12 Tage
de Waele et al. (2004)
14 Tage
Takeda et al. (1998), Hungness et al. (2002), IAP-Guidelines (Uhl et al. 2002)
27 Tage
Fernandez-del Castillo et al. (1998)
3–4 Wochen
Büchler et al. (2000)
Die akute Pankreatitis folgt in 80–85% der Fälle der ödematösen Verlaufsform. Diese führt immer zu einer Restitutio ad integrum und hat deshalb keine Berührung zur Chirurgie. Demgegenüber besitzt die nekrotisierende Pankreatitis eine Mortalität von 10– 30%. Die Erkrankung ist initial gekennzeichnet durch eine lokale Produktion und Freisetzung von Mediatoren im Pankreas mit portalvenöser Einschwemmung in die Leber. Durch Aktivierung der von Kupfferschen-Sternzellen kommt es zur Augmentation der Freisetzung proinflammatorischer Zytokine mit Induktion einer systemischen Entzündungsreaktion (SIRS). Je nach Schwere der Erkrankung kann sich ein Multiorganversagen ausbilden. Gerade in den ersten Stunden nach Klinikaufnahme kommt es häufig zu einer dramatischen Destabilisierung des Patienten mit Anurie, Katecholaminpflichtigkeit und Notwendigkeit der Beatmung (Klar u. Werner 2000). i Die Frühphase der akuten nekrotisierenden Pankreatitis ist eine Domäne der Intensivmedizin, nicht der Chirurgie.
74.5.1 Stellenwert der chirurgischen Therapie Dieses schwere Krankheitsbild hat in der Vergangenheit zu der Überlegung geführt, den Mediatorpool durch eine chirurgische Entfernung des Pankreas zu beseitigen. Die Mortalität betrug jedoch bis zu 50% und hat bereits damals das pathophysiologische Prinzip verdeutlicht, dessen Berücksichtigung in den letzten Jahren zur wesentlichen Verbesserung chirurgischer Ergebnisse führte. Die operative Therapie in der Frühphase der nekrotisierenden Pankreatitis führt zur additiven Belastung des Patienten durch die Eröffnung von Wundflächen mit Verstärkung von Zy-
tokinproduktion und Absorption (»second hit«). Zusätzlich sind die Pankreasnekrosen in der Frühphase der Erkrankung unzureichend gegen umgebendes vitales Parenchym demarkiert. Inkomplette Nekrosektomie bzw. Blutung und Verletzung von Nachbarstrukturen sind die Folge (Kivilaasko 1981; Teerenhovi 1988).
Zeitpunkt der Operation Der wesentliche Fortschritt in der Behandlung der nekrotisierenden Pankreatitis wurde dadurch erzielt, dass zum einen seltener und zum anderen später im Verlauf der Erkrankung operiert wurde (Hartwig et al. 2002). Es bestehen allerdings bis zum heutigen Tag unterschiedliche Meinungen zur zeitlichen Einteilung der Erkrankung (. Tab. 74.2). In den Leitlinien der International Association of Pancreatology (IAP; Uhl 2002) gelten die ersten 14 Tage als Frühphase. Aufgrund überzeugender Literaturdaten und entsprechend unserern eigenen Erfahrung umfasst heute die Frühphase die ersten 3–4 Wochen der Pankreatitis.
Gründe für die Operation Ein weiterer Schritt in der Verbesserung der Überlebensrate bei nekrotisierender Pankreatitis ist die Tatsache, dass heute seltener operiert wird. Man hat verstanden, dass ein Patient mit Multiorganversagen mit dem Nachweis von Pankreasnekrosen auch
. Abb. 74.13. Muster von Organversagen bei nekrotisierender Pankreatitis in Bezug zum Infektionsstatus der Nekrosen. Sterile Nekrosen zeigen zwar eine geringere Inzidenz der Veränderungen, Qualität und relative Häufigkeit sind jedoch mit infizierten Nekrosen vergleichbar (Beger et al. 1986)
959 74.5 · Akute Pankreatitis
74
. Abb. 74.14. Algorithmus zur Behandlung der schweren akuten Pankreatitis an der Chirurgischen Universitätsklinik Rostock. Erläuterung im Text
nach der Frühphase der Erkrankung nicht notwendigerweise operiert werden muss, vorausgesetzt, es besteht grundsätzliche Stabilität, durchaus auch mit sekundärem Organversagen. Die Entscheidung zur operativen Therapie basiert im Wesentlichen auf dem Infektstatus bestehender Pankreasnekrosen. i Eine klinische Differenzierung zwischen infizierten und sterilen Nekrosen ist unmöglich, da in beiden Fällen ein sepsisartiges Bild induziert wird, das ein ähnliches Muster besitzt (. Abb. 74.13)
Die Objektivierung gelingt mit einer Sensitivität von 96% und einer Spezifität von 98% mittels CT-gesteuerter Feinnadelaspiration (FNA; Gerzof et al. 1987). Da die Infektion von Pankreasnekrosen als Prädiktor der Mortalität angesehen werden kann, stellt eine positive FNA eine Indikation zur Nekrosektomie dar. Wir betonen dabei, dass der Einsatz der FNA in der Frühphase der akuten Pankreatitis nicht angezeigt ist, da die Indikation zu einer frühen Operation die Ausnahme darstellt und allein aufgrund einer foudroyanten klinischen Verschlechterung des Patienten gestellt werden sollte. Sterile Nekrosen stellen keine Operationsindikation dar. Büchler et al. (2000) konnten zeigen, dass durch FNA-gesicherte, sterile Nekrosen ein leichteres Krankheitsbild darstellen und bei konservativer Therapie lediglich eine Mortalität von 1,8% resultiert. Demgegenüber ist bei infizierten Nekrosen häufiger ein katecholaminpflichtiges Kreislaufversagen nachweisbar; die Mortalität in dieser Serie betrug 21% (Büchler et al. 2000).
Das von uns favorisierte Vorgehen ist in . Abb. 74.14 zusammengefasst. Ein Patient mit nekrotisierender Pankreatitis wird in den ersten 3 Wochen nur in Ausnahmefällen (7 s. unten) operiert. Entscheidend für das konservative Vorgehen ist eine Stabilisierung unter intensivmedizinischen Bedingungen, auch wenn ein Mehrorganversagen vorliegt. Persistiert das Multiorganversagen oder verschlechtert sich der Patient, wird eine FNA durchgeführt. Sind die Pankreasnekrosen infiziert, besteht die Indikation zur Nekrosektomie. Sterile Nekrosen werden weiter konservativ behandelt. In den ersten 3 Wochen der Erkrankung besteht eine Notwendigkeit zur Operation nur bei progredienter Verschlechterung des Patienten. Einer metabolischen Azidose mit steigender Katecholaminpflichtigkeit kommt in der Einschätzung besondere Bedeutung zu. Zugrunde liegt dann oft eine Sekundärkomplikation wie z. B. eine Nekrose des Colon transversum oder eine gangränöse Cholezystitis, die nur chirurgisch diagnostiziert und therapiert werden kann. 74.5.2 Stellenwert einer prophylaktischen
Antibiotikatherapie Die schwere Verlaufsform der akuten Pankreatitis ist in 40–70% der Fälle mit der Entwicklung infizierter Pankreasnekrosen assoziiert. Das Infektionsrisiko steigt mit dem Ausmaß intra- und extrapankreatischer Nekrosen (Isenmann et al. 1999). Die pro-
. Tabelle 74.3. Prophylaktische Antibiotikatherapie bei schwerer akuter Pankreatitis: Diskrepanter Therapieeffekt Autor
Jahr
Antibiotikum
Mortalität (Therapie vs. Kontrolle)
Infizierte Nekrosen (Therapie vs. Kontrolle)
Pederzoli et al.
1993
Imipenem
7% vs. 12% (ns)
12,2% vs. 30,1% (0,001)
Sainio et al.
1995
Cefuroxim
3% vs. 23% (0,03)
39% vs. 40% (ns)
Ho u. Frey
1997
Imipenem
5% vs. 16% (ns)
27% vs. 76% (0,04)
Nordback et al.
2001
Imipenem
8% vs. 15% (ns)
8% vs. 42% (0,003)
Isenmann et al.
2004
Ciprofloxacin + Metronidazol
5% vs. 7% (ns)
12% vs. 9% (ns)
Dellinger et al.
2007
Meropenem
20% vs. 18% (ns)
18% vs. 12% (0,4)
960
Kapitel 74 · Intensivtherapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen
. Tabelle 74.4. Enterale Ernährung (ENT) vs. total parenterale Ernährung (TPN). Outcome-Daten der in die Metaanalyse eingeschlossenen Studien. (Nach Koretz et al. 2007)
74
Literatur (zit. in Koretz et al. 2007)
Patienten (n)
Septische Komplikationen (n)
Chirurgische Intervention (n)
Krankenhausverweildauer (Tage)
Mortalität (n)
ENT/TPN
ENT/TPN
ENT/TPN
ENT/TPN
ENT/TPN
McClave 1997
16/16
2/2
–
Windsor 1998
16/18
0/3
Kalfarentzos 1997
18/20
Abou-Assi 2002 Olah 2002 Gupta 2003
9,7/11,9
0/0
1/5
12,5/15,0
0/2
5/10
2/4
40/39
1/2
26/27
1/9
1/2
14,2/18,4
6/8
41/48
5/13
5/11
16,8/23,6
2/4
8/9
0/2
–
phylaktische Gabe pankreasgängiger Antibiotika vor dem Auftreten einer manifesten Sepsis ist vom Ansatz logisch und wurde in mehreren Studien untersucht (. Tab. 74.3). Hinsichtlich der Endpunkte »infizierte Nekrosen« und »Mortalität« finden sich diskrepante Ergebnisse. Die Leitlinien der International Society of Pancreatology interpretieren zusammenfassend, dass die frühzeitige Prophylaxe mit einem Breitspektrumantibiotikum die Rate der Pankreasinfektionen reduziert; die Auswirkung auf das Überleben kann jedoch nicht eindeutig beurteilt werden. In klinischen Studien am besten untersucht ist bisher die Gruppe der Carbapeneme. Der Aussagewert der Studien ist jedoch durch kleine Fallzahlen limitiert. Eine aktuelle Metaanalyse bestätigt, dass die Gabe eines E-Laktamantibiotikums sowohl die Mortalitätsrate (6,3% vs. 16,7% in der Kontrollgruppe) als auch die Rate infizierter Nekrosen (15,6% vs. 29,2%) signifikant senkt. Kein Effekt ist hinsichtlich der chirurgischen Therapie sowie der Rate extrapankreatischer Infektionen zu verzeichnen (Mazaki et al. 2006). Die Kombination aus einem Chinolon und Metronidazol zeigt gegenüber der Placebo-Kontrollgruppe keinen Vorteil (Villatoro 2006). Vor diesem Hintergrund empfehlen wir zusammen mit vielen anderen Pankreaszentren eine prophylaktische Antibiotikatherapie bei der schweren akuten Pankreatitis für eine Zeitdauer von 2 Wochen primär mittels Imipenem.
74.5.3 Enterale Ernährung Die frühe enterale Ernährung stellt eine weitere Strategie dar, eine sekundäre Infektion von Pankreasnekrosen zu verhindern. Bei ausschließlich parenteraler Ernährung kommt es innerhalb weniger Tage zur Zottenatrophie der Darmmukosa mit bakterieller Translokation und damit erhöhter Gefahr der Superinfektion per continuitatem und lymphogen. Durch frühzeitige enterale Ernährung kann die Mukosabarriere geschützt werden (Alexander et al. 1998). Die Befürchtung, dass die Pankreatitis durch enterale Ernährung über eine Stimulation des Pankreas verstärkt werden könnte, ist unbegründet, wenn die Nahrung distal des Duodenums appliziert wird (Ragins et al. 1973).
7/10
0/0
Entscheidend für das Konzept ist deshalb die Platzierung einer jejunalen Ernährungssonde endoskopisch oder radiologisch. Bei schwerer Pankreatitis besteht immer eine Paralyse besonders im Magen und Duodenum. Auch aus diesem Grund muss die Sonde deutlich distal des Treitz-Bandes platziert werden. Wir bevorzugen eine Triluminalsonde, um eine Drainage des Magens zu garantieren, falls es dennoch zu einem Reflux von Sondennahrung kommt. In einigen Studien wird eine frühe Oralisierung oder eine problemlose Ernährung über eine nasogastrale Sonde beschrieben. Bei genauer Analyse handelt es sich hierbei jedoch um Kollektive mit einem hohen Anteil minderschwerer Verlaufsformen der akuten Pankreatitis (Kumar et al. 2006). In mehreren prospektiv randomisierten klinischen Studien konnte der positive Effekt einer enteralen Ernährung bei akuter Pankreatitis nachgewiesen werden (Karamitsios et al. 1997; McClave et al. 1997; Olah et al. 2002; Petrov et al. 2006; Powell et al. 2000; Pupelis et al. 2001). Eine Metaanalyse von Marik et al. (2004) hat anhand von 6 randomisierten, kontrollierten Studien aufzeigen können, dass unter enteraler Ernährung bei Patienten mit akuter Pankreatitis weniger septische Komplikationen auftraten. Des Weiteren waren chirurgische Behandlungsstrategien weniger häufig notwendig, und der Krankenhausaufenthalt konnte signifikant verkürzt werden. Einen Einfluss auf die Mortalität hatten die beiden Ernährungskonzepte nicht (. Tab. 74.4; Marik 2004; Woodcock 2001). Eine Senkung des oxidativen Stresses und eine Beschleunigung des Heilungsprozesses durch eine enterale Ernährung wurde in Einzelstudien nachgewiesen (McClave et al. 2006). In der Gruppe der Patienten, die aufgrund von Komplikationen chirurgisch behandelt wurden, konnte postoperativ die Mortalität durch enterale Ernährung reduziert werden. Es muss erwähnt werden, dass der Metaanalyse von Koretz et al. (2007) zufolge bei einer Pankreatitis mit einem Ranson-Score >2 aus den vorliegenden randomisiert kontrollierten Studien keine klare Evidenz für oder gegen eine totale parenterale Ernährung hervorgegangen ist. Entsprechend den Leitlinien der ESPEN ist eine frühzeitige enterale Ernährung ab dem 4.–6. Tag insbesondere bei der schweren, nekrotisierenden Verlaufsform der akuten Pankreatitis zu beginnen (Meier et al. 2006).
961 74.5 · Akute Pankreatitis
Bei enteraler Ernährung sollte die Sonde im proximalen Jejunum platziert sein. Der Magen muss dekomprimiert werden, um einen Reflux zu erkennen und abzuleiten. Bei schwerer Pankreatitis kann die Oberbauchparalyse eine enterale Ernährung in den ersten Tagen der Erkrankung unmöglich machen.
74.5.4 Biliäre Pankreatitis Die Gallensteinpassage über die Papilla vateri bzw. das Impaktieren dieses Konkrements ebendort mit vorübergehendem oder anhaltendem Abflusshindernis stellt den Trigger der biliären akuten Pankreatitis dar (Forsmark et al. 2001). Die offene, chirurgische Exploration und Sanierung der Gallenwege ist mittlerweile fast vollständig durch die endoskopische Intervention ersetzt worden. Die Intubation der Papille und das Einbringen von Kontrastmittel in den Ductus pancreaticus beinhalten potenziell das Risiko einer Verschlechterung der Pankreatitis und erhöhen die Morbidität. Die wesentlichen randomisierten, kontrollierten Studien zielten daher auf die Fragen ab: Welcher Patient profitiert von einer frühen endoskopisch retrograden Cholangiopankreatikographie (ERCP) und ggf. Steinextraktion, und wann ist ein konservatives Konzept von Vorteil (Fölsch 1997; Nowak 1995; Fan 1993; Neoptolemos 1988). Eine Interpretation der Literaturdaten ist dadurch erschwert, dass in 2 der Studien keine Angaben zur Schwere der akuten biliären Pankreatitis gemacht werden, wovon eine nur in Abstractform vorliegt (Fölsch 1997; Nowak 1995). Es besteht trotzdem breiter Konsens, dass eine ERCP bei den Patienten durchgeführt werden sollte, die auch 48 h nach Symptombeginn das klinische Bild und die Laborkonstellation einer persistierenden Gallengangobstruktion bieten und insbesondere in diesem Zeitrahmen trotz Intensivtherapie sekundäre Organkomplikationen im Sinne einer schweren Pankreatitis ausbilden. Patienten, die in diesem Zeitrahmen einen Rückgang der Cholestaseparameter und eine klinische Stabilisierung aufweisen, profitieren mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von einer frühen ERCP, da ein spontaner Steinabgang stattgefunden hat (Sharma et al. 1999; Besselink et al. 2007) .
Bei biliärer Pankratitis wird eine ERCP (und Papillotomie) nur durchgeführt bei persistierenden Cholestaseparametern und fehlender Stabilisierung des Patienten nach einem Zeitintervall von 48 h nach Symptombeginn.
Nach Abklingen der Pankreatitis ist die chirurgische Sanierung der Grunderkrankung entscheidend. Die Cholezystektomie wird in den allermeisten Fällen laparoskopisch und während desselben stationären Aufenthaltes durchgeführt. Von allen biliären Pankreatitiden sind etwa 10% nekrotisierend und nehmen einen schweren Verlauf (Acosta 2006). Hier erfolgt die Cholezystektomie elektiv nach einem Intervall von 3 Monaten.
74
Prinzipien der chirurgische Therapie von Pankreasnekrosen 5 Schonendes Débridement unter Respektierung der Nachbarstrukturen: Dies wird erreicht durch ein digitoklastisches Ausräumen der avitalen Gewebeanteile, d. h. der Chirurg trennt mit den Fingern durch vorsichtiges Austasten unter Kompression die Nekrose vom erhaltenen Parenchym und insbesondere von zentralen Gefäßstrukturen wie A. und V. mesenterica superior, A. und V. colica media, den Milzgefäßen sowie der Milz, der rechten und linken Kolonflexur und dem Duodenum. Dieses Vorgehen ist umso effizienter, je besser die Nekrosen demarkiert sind. 5 Komplettierung der Nekrosektomie nach dem Ersteingriff: In den allermeisten Fällen gelingt eine komplette Ausräumung der Nekrosen durch eine Operation allein nicht. Es stehen grundsätzlich 3 chirurgische Techniken zur Verfügung, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: die Entfernung von zusätzlich demarkiertem, avitalem Gewebe im weiteren Verlauf der Erkrankung: – »Open packing« (Bradley et al. 1991): Der Oberbauch wird mit Bauchtüchern austamponiert. Diese entwickeln eine Sogwirkung und säubern die Wundhöhle. Das Abdomen bleibt offen. Vorteil: Beim Wechsel der Bauchtücher alle 48 h kann das Abdomen genau inspiziert und débridiert werden. Erst bei vollständiger Sanierung wird die Bauchdecke verschlossen. – Geschlossene Bursalavage (Rau et al. 2005): Der Oberbauch wird kompartmentiert; in die verschlossene Bursa omentalis werden großlumige Doppellumenkatheter platziert. Durch Spülmengen von täglich 20–30 l wird devitalisiertes Gewebe ausgewaschen. Vorteil ist die geringere Zahl von Rezidiveingriffen. – Geschlossene Drainage (Fernandez-del Castillo et al. 1998): Bei dieser Methode wird die Säuberung durch multiple Drainagen erzielt.
Bei der Beschreibung der einzelnen Methoden handelt es sich um Fallserien einzelner Institutionen, die aufgrund der Heterogenität nicht direkt vergleichbar sind (Evidenzgrad IV). Die Mortalität ist ähnlich; die Strategien sind in geübten Händen gleich effizient. Die unterschiedlichen Methoden können im Verlauf durchaus beim selben Patienten zum Einsatz kommen. 74.5.6 Stellenwert inter ventioneller Techniken
74.5.5 Chirurgische Konzepte
Unter der Überlegung, möglichst atraumatisch vorzugehen und größere Wundflächen zu vermeiden, wurden 3 Techniken etabliert, die ein minimal-invasives Vorgehen ermöglichen: 4 videoassistiertes retroperitoneales Débridement (VARD), 4 laparoskopisches transperitoneales Débridement, 4 endoskopisches Débridement (transgastral).
Zwei Prinzipien charakterisieren die chirurgische Therapie von Pankreasnekrosen.
Prinzipiell dürfen die beschriebenen Techniken nur bei identischer Indikationsstellung wie zur konventionellen chirurgischen
962
74
Kapitel 74 · Intensivtherapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen
Therapie zur Anwendung kommen. Kritisch anzumerken ist, dass die taktile Wahrnehmung des Operateurs aufgehoben ist, was gerade bei der schonenden Nekrosektomie einen Nachteil bedeutet. Zusätzlich steigt die Zahl der Eingriffe gegenüber dem offenen chirurgischen Vorgehen, da die Nekrosektomie nicht so umfassend durchgeführt werden kann.
Die IAH kann nach der zeitlichen Entstehung und Dauer unterteilt werden in 4 hyperakute, 4 akute, 4 subakute chronische IAH.
i Minimal-invasive Techniken zur Nekrosektomie dürfen nur unter gleich strenger Indikation angewendet werden, die auch für die eigentliche chirurgische Therapie gilt.
Abdomielles Kompartmentsyndrom
Physiologische Veränderungen wie Husten, Lachen Defäkation oder Maßnahmen wie das Absaugen oder Blähen beim beatmeten Patienten führen kurzfristig innerhalb Sekunden bis Minuten zu Druckerhöhungen, die klinisch nicht relevant sind. In der operativen Intensivmedizin haben wir es zumeist mit der akuten IAH zu tun, die sich innerhalb von Minuten bis Stunden durch Blutung oder Ödem entwickelt. Subakute Formen entstehen über Tage bei Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren unter bestimmten Bedingungen wie Gefäß-Leakage mit zunehmendem Darmödem etc. Eine chronische Form der IAH entwickelt sich über Wochen und Monate z. B. bei Adipositas, Leberzirrhose mit Aszites oder in der Schwangerschaft, wenn die flexible Bauchwand noch lange Zeit nachgibt. Diese Patienten sind in Akutsituationen besonders gefährdet, ein ACS zu entwickeln.
K.-W. Jauch
Weitere Parameter
Hiervon zu trennen ist die CT-gesteuerte Punktion peripankreatischer Flüssigkeitsansammlungen. Durch Einlage größerlumiger Pigtail-Katheter (>8 F) kann auch eine längerfristige Ableitung, z. B. bei Pankreasfisteln, durchgeführt werden. Indikation ist der Verdacht auf Infektion (infizierte Pseudozyste bzw. Abszess) und das abdominelle Kompartmentsyndrom bei zugrunde liegendem Bursaerguss. 74.6
74.6.1 Definitionen und Klassifikation Eine intraabdominelle Druckerhöhung (IAH) und das daraus bei entsprechenden Bedingungen resultierende abdominelle Kompartmentsyndrom (ACS) wurde in den letzten 2 Jahrzehnten vermehrt diagnostiziert und hat große Relevanz in der Intensivtherapie nach abdominellen Eingriffen, Entzündungen, Traumata und Blutungen. Vielfach beruht ein Multiorganversagen auf einem zugrundeliegenden ACS, und eine Organersatztherapie ohne Behandlung des ACS führt meist zum Tod. Nach anfänglicher Sprachver wirrung und unterschiedlichen Definitionen erbrachte eine internationale Konsenususkonferenz sowohl eine klare Basis für die wissenschaftliche Diskussion als auch Empfehlungen für die klinische Praxis (Malbrain et al. 2006). Intraabdomineller Druck (IAP) und die intraabdominelle Hypertension (IAH)
Von einer IAH sprechen wir, wenn der intraabdominelle Druck bei sachgemäßer Messung wiederholt oder dauerhaft über 12 mm Hg erhöht ist. Die klinischen Auswirkungen und die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer dekomprimierenden Maßnahme korrelieren mit der Druckerhöhung im Abdomen. Der Schweregrad einer abominellen Druckerhöhung wurde bisher mit unterschiedlichen Druckwerten angegeben. Durch die Konsunsuskonferenz wurden 4 Grade definiert: Abominelle Druckerhöhung (IAH): Gradeinteilung der International Conference of Experts on Intraabdomal Hypertension and Abdominal Compartment Syndrome (nach Malbrain et al. 2006) 5 5 5 5
Grad I: 12–15 mm Hg Grad II: 16–20 mm Hg Grad III: 21–25 mm Hg Grad IV: >25 mm Hg
Durch die Messung des IAP können weitere Parameter mit pathophysiologischer Bedeutung abgeleitet werden. So wird die Perfusion der Abdominalorgane (APP) ähnlich wie bei der Berechnung der Hirndirchblutung durch die Differenz aus mittlerem arteriellem Druck und IAP bestimmt: Perfusion der Abdominalorgane (APP) = MAP – IAP
Ein APP von mindestens 60 mm Hg ist bei Vorliegen eines ACS mit besserem Überleben korreliert. Weitere Parameter, die berechnet werden können, sind der renale Perfusionsdruck (RPP) sowie der renale Filtrationsgradient (FG), die für ein renales Versagen mit Oligurie entscheidend sind. Der FG ist die Druckdifferenz zwischen dem glomerulären Filtrationsdruck (GFP) und dem proximalen Tubulusdruck (PTP). Liegt eine IAH vor, so entspricht der PTP dem IAP, wodurch Änderungen im IAP für die Nierenfunktion schwerer wiegen als Änderungen des mittleren arteriellen Drucks entsprechend der Formel: FG = GFP – PTP = (MAP – IAP) – IAP
> Definition ACS Ein abdomielles Kompartmentsydrom beinhaltet eine Druckerhöhung über 20 mm Hg verbunden mit einer neuen oder progressiven Organdysfunktion. Klinisch imponiert das abdominelle Kompartmentsyndrom durch gespannte feste Bauchdecken bei erhöhtem Bauchumfang, verbunden mit einer Darmparalyse, einer Erhöhung des Beatmungsdrucks bis hin zur respiratorischen Globalinsuffizienz und Oligurie. Bei morbider Adipositas kann durch die gleichzeitg bestehende Fettschürze die Spannung der Bauchdecken nicht sicher beurteilt werden. 6
963 74.6 · Abdomielles Kompartmentsyndrom
Lange Zeit galt die Definition von Meldrum für das ACS: IAH >20 mm Hg verbunden mit Oligurie unter 0,5 ml/kg KG/h oder Beatmungsdruck >40 cm H2O. Die heutige Definition geht auf die umfangreichen Arbeiten von Malbrain et al. (2006) zurück, die neben der Druckerhöhung >20 mm Hg ein Organversagen mit einem Organversagensscore (SOFA-Score) über 3 forderten. Zwichenzeitlich wurde in die Definition auch neben Druckerhöhung und klinischem Ogranversagen als dritter Definitionsparameter die Besserung auf eine Druckentlastung zur Definition herangezogen.
Nachdem das ACS erstmals bei retroperitonealen Blutungen bei Aortenaneurysma und nach Trauma erkannt und beschrieben wurde, kennen wir heute eine Vielzahl von Situationen beim kritisch kranken Patienten, die durch ein ACS gekennzeichnet werden. Die Inzidenz bei Risikopatienten (. Tab. 74.5) reicht von 4–70%. Wir unterscheiden hierbei zwischen primräem, sekundärem und tertiärem oder rezidivierendem ACS: . Tabelle 74.5. Risikofaktoren für ein ACS Risikofaktor
Beispiele
Verminderte Bauchwandcompliance
4 Akutes Lungenversagen mit hohen Beatmungsdrücken 4 PEEP 4 Verbrennungspatienten 4 Polytrauma 4 Schwere Verletzungen 4 Bauchlage 4 Laparatomie mit Faszienverschluss unter Spannung 4 »Damage control surgery«
Erhöhtes intraluminales Volumen
4 4 4 4
Ileus Gastroparese Volvulus Pseudoobstruktion
Erhöhtes intraabdominelles Volumen
4 4 4 4 4 4 4
Leberzirrhose mit Aszites Peritonealdialyse Hämoperitoneum Pneumoperitoneum mit hohem Druck Adipositas Hernia permagna Intraabdominelle und retroperitoneale Tumoren
Kapilläres »leak«/Volumenüberladung
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Sepsis Bakteriämie Intrabadomelle Infektion Peritonitis Polytrauma Verbrennung Akute Pankreatitis Hypothermie Azidose Koagulopathie Massentransfusion (>10 Erythrozytenkonzentrate in 24 h) 4 Massivinfusion (über 5 l Kristalloide in 24 h)
74
4 Das primäre ACS (früher auch postoperatives, abdominelles oder chirurgisches abdomielles Kompartmentsydrom genannt) ist durch eine akute oder subakute IAH auf dem Boden einer abdominellen Ursache definiert. Klassische Situationen sind Trauma, rupturiertes Aortenaneurysma, Pankreatitis, Peritonitis, Blutung oder Ileus postoperativ. 4 Das sekundäre ACS (früher extraabdominelles oder medizinisches abdomielles Kompartmentsydrom genannt) basiert auf einer IAH als Ursache einer extraabdominellen Erkankung. Häufigste Situationen sind Sepsispatienten mit kapillärem Leak oder Verbrennungen und Situationen mit der Notwendigkeit eines massiven Flüssigkeitsersatzes und nachfolgendem Darmödem. 4 Das rezidivierende ACS betrifft Patienten, die sich nach einer Phase eines primären oder sekundären ACS erholten und dann zumeist unter erneuter Aggravation der Erkrankung (»second hit« bei Trauma/Sepsis) oder ärztlichen Maßnahmen (Volumengabe, Bauchdeckenverschluss unter Spannung) wieder ein ACS entwickeln. 74.6.2 Pathophysiologie Das durch Bauchwand, Zwerchfell, Rücken und Beckenstrukturen begrenzte Abdomen kann als ein elastischer Raum mit einem einheitlichen Druck aufgefasst werden. Der Druck steigt mit der Einatmung und sinkt mit der Ausatmung genauso wie mit dem Zustand der intraabdomellen Organe (Adipositas, Darmatonie, Ileus, Ödem, Tumoren) oder mit Veränderungen der begrenzenden Strukturen (retroperitoneales Hämatom, Verbrennung). Eine klinische Relevanz erhält der intraabdominelle Druck (IAP) in Form einer intraabdominellen Hypertension (IAH) dann, wenn die Perfusion der intrabadomiellen Organe und deren Funktion beeinträchtigt werden. Dies beinhaltet, dass der Druckwert allein nicht ausreichend zur Beschreibung ist, sondern die kardiale Situation und andere Parameter wie die individuelle Ausgangssituation eine Rolle spielen. Entsprechend können Risikofaktoren definiert werden (. Tab. 74.5), bei denen ein ACS gehäuft beobachtet wird. Klinisch sind am häufigsten eine Blutung und ein Kapillarleck nach Ischämie/Reperfusion bei Trauma oder Sepsis sowie ein Bauchdeckenverschluss unter Spannung nach Laparotomie anzuschuldigen. Verstärkt werden diese Faktoren durch entsprechende massive Volumenzufuhr mit Transsudation in die Bauchwand und die Darmwand. Weitere, teils iatrogene Ursachen sind Tamponaden mit Kompression der V. cava, Überdruckbeatmung mit hohem PEEP und Bauchlagerung. In der Folge führt der verminderte Perfusionsdruck zunächst an der Niere durch erhöhten venösen Druck mit vermindertem Abstrom zu einer geringeren Filtrationsleistung mit Oligurie. Die Filtrationsleistung reagiert nicht oder nur begrenzt und vorübergehend auf Volumentherapie, Katecholamine und Diuretika. i Immer ist zur Beseitigung des Nierenversagens beim ACS die Drucksenkung erforderlich, in der Regel durch Dekompressionslaparotomie, worauf sich die Nierenfunktion erholt.
Klinisch gleich bedeutsam mit dem Einsetzen der Oligurie sind die Erhöhung des Beatmungsdrucks und die Einschränkung der Lungenfunktion. Durch den Zerchfellhochstand kommt es zur Lungenkompression mit Atelektasenbildung und vermindertem
964
74
Kapitel 74 · Intensivtherapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen
Atemzugvolumen und Verringerung der Lungencompliance. Die Einschränkung der Lungenfunktion macht sich neben der Beatmungsmechanik durch eine Hypoxämie und Hyperkapnie bemerkbar. Häufig ist hierbei eine Pneumonie, ein ARDS oder ein TRALI als Differenzialdiagnose zu diskutieren, es kann sich aber auch um das Zusammenkommen mehrerer Mechanismen handeln, und die Dekompression führt allein zur Besserung der Beatmung und zur Vermeidung einer fatalen Situation mit hypoxischem Herzversagen oder Rechtsherzversagen. Im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems führt die IAH zu einem verminderten venösen Rückstrom bei falsch-hohem ZVD mit Abfall des Herzzeitvolumens. Darüber hinaus wird durch den erhöhten intraabdominellen und intrathorakalen Druck die Myokardkontrakilität direkt beeinträchtigt, und durch Erhöhung der Nachlast kommt es letztlich zum Pumpversagen mit »low output«. Dies alles schaukelt sich in einem Circulus vitiosus hoch, da die verminderte Herzauswurfleistung die Perfusion von Niere und Darm wiederum beeinträchtigt und das akute ACS mit Organversagen sich selbst verstetigt. Für den Viszeralchirurgen steht bei diesen Patienten sehr häufig die beeinträchtigte Perfusion von Leber, Pankreas und Darm im Vordergrund seiner Betrachtung. Schon bei einer anhaltenden Druckerhöhung auf 16–20 mm Hg kann die Mikrozirkulation des Darms massiv beeinträchtigt sein, und es resultiert eine lokale Ischämie mit Azidose, Störung der Darmwandbarriere und Einschwemmung von Toxinen im Sinne einer Translokation. Die nachfolgende Aggravation der systemischen Inflammation (SIRS) führt über weitere Ischämie/Reperfusionsschäden zum zunhemenden ACS durch das Darmwandödem. Die IAH führt zur Beeinträchtigung der Leberunktion bis hin zu Leberzellnekrosen, wie wir sie aus den Erfahrungen der Lebertransplantation kennen. Auch im Bereich des Zentralnervensystems hat eine IAH und ein ACS weitreichende Folgen. Durch den erhöhten venösen Druck mit Abstrombeeinträchtigung der Jugularvenen kann es zu einer Abnahme des zerebralen Perfusionsdrucks kommen, die gerade bei Patienten nach Schädel-Hirn-Trauma oder Reanimation eine zerebrale Schädigung verstärken. Das komplexe Ineinandergreifen dieser pathophysiologischen Prozesse ist in . Abb. 74.15 dargestellt.
74.6.3 Diagnostik i Die rechtzeitige Diagnose im Sinne einer Früherkennung zur Unterbrechung des Circulus vitiosus und zur Vermeidung zusätzlicher iatrogener Verstärkung vermag in vielen Fällen, ein schweres ACS mit Multiorganversagen zu vermeiden oder bei schon ausgeprägtem ACS mit Organversagen durch Dekompressionslaparotomie die fatalen Folgen zu verhindern. Entscheidend ist es daher, stets den intraabdominellen Druck (IAP) bei Risikopatienten zu bedenken und konsequent regelmäßig zu messen.
Bei allen Intensivpatienten mit klinischer Verschlechterung (Lunge, Niere, Kreislauf) sollte eine IAP-Messung erfolgen, wenn 2 Risikofaktoren (. Tab. 74.5) bestehen. Bei erhöhtem IAP sollten wiederholte Messungen erfolgen, auch wenn kein ACS vorliegt. Durchführung der Druckmessung
Zur Messung des intraabdominellen Drucks hat sich die Bestimmung des Blasendrucks als valide und einfache Technik etabliert. Über einen Blasendauerkatheter erfolgt nach Entleerung der Blase und Blasenfüllung mit 25 ml Kochsalzlösung die Druckmessung über einen Druckabnehmer. Die Messung hat in Flachlagerung zu erfolgen. Als Eichung wird der Druck auf mittlerer Axillarlinie mit 0 mm Hg angenommen. Der Blasendruck sollte dann atemsynchron schwanken. Als IAP wird der endexspiratorische Blasendruck gewertet. Falsch-hohe Werte können bei Schrumpfblase, nach Bestrahlung oder neurogener Blasenstörung vorkommen. 74.6.4 Therapiemaßnahmen und Prävention Die adäquate Prävention und Therapie einer IAH/ACS besteht aus 4 Grundprinzipien, die für alle Patienten zutreffen, auch wenn jeweils sehr individuell vorgegangen werden muss (. Abb. 74.16): 4 Monitoring des IAP bei Risikopatienten. 4 Optimierung des systemischen Perfusionsdrucks bei Patienten mit erhöhtem IAP:
. Abb. 74.15. Abdominelles Kompartmentsyndrom (ACS) : Circulus vitiosus
965 74.6 · Abdomielles Kompartmentsyndrom
74
. Abb. 74.16. Therapiealgorithmus bei intraabdomineller Hypertension und abdominellem Kompartmentsyndrom (IAP intraabdomineller Druck, APP abdomineller Perfusionsdruck, IAH intraabdominelle Hypertension, ACS abdominelles Kompartmentsyndrom)
966
74
Kapitel 74 · Intensivtherapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass bei Traumapatienten, chirurgischen und konservativen Intensivpatienten eine Erhaltung eines APP (= MAP – IAP) >60 mm Hg mit besserem Überleben verbunden war (Übersicht bei Cheatham et al. 2007). Da eine reine Volumentherapie bei Massivinfusion ein ACS auslösen oder verstärken kann, ist im Einzelfall ein balanciertes Regime mit positivinotropen Substanzen, Vasokonstriktoren und Volumengabe anzustreben. Wie bei der Sepsis (7 Kap. 63) gilt auch beim ACS das Prinzip der »early goal directed therapy«. Eine alleinige Flüssigkeitszufuhr kann bei entsprechender Disposition ein ACS auslösen. Andererseits erfordern gerade manche chirurgischen Krankheitsbilder wie Pankreatitis, Peritonitis und Zustand nach Ileus sowie Blutungsschock eine große Volumensubstitution. Hier ist klinische Erfahrung neben dem Monitoring der Messparameter des Kreislaufs, der Lungenfunktion und des IAP unter den laufenden Therapiemaßnahmen von größtem Wert. Bei mainfestem IAH kann evtl. eine hypertone Flüssigkeitssubstitution oder die Gabe von Kolloiden von Vorteil sein. Die vorliegenden Studien sind jedoch nicht ausreichend für entsprechende allgemeine Empfehlungen 4 Nichtoperative Maßnahmen zur Reduktion des IAP und zur Beeinflussung des ACS: Bei distendiertem Gastrointestinaltrakt und Ileus ist eine Dekompression von Magen oder Kolon eine zwingend erforderliche Basismaßnahme. Während eine Magendekompression durch eine Magensonde mit kontinuierlichem Ablauf einfach zu bewerkstelligen ist, kann eine Dekompression des Dickdarms neben Prokinetika und Einläufen im Einzelfall, z. B. bei Pseudoobstruktion, eine mehrfache endoskopische Absaugung erfordern oder gar die Anlage eines passageren Stomas. Bei deutlicher Volumenüberladung und ACS kann eine Hämofiltration mit Flüssigkeitsentzug zielführend sein, um die respiratorische Insuffizienz zu bessern, aber auch den IAP durch Flüssigkeitsentzug bei schon bestehendem Nierenversagen zu reduzieren. Auch kann bei IAH mit noch vorhandener Harnausscheidung im Einzelfall eine Hämofiltration anstelle einer Volumen- und Diuretikagabe erfolgversprechender sein. Dies ist nur im Einzelfall vom erfahrenen Intensivmediziner abzuwägen. Bei Vorliegen von Flüssigkeitsverhalt im Abdomen und Retroperitoneum kann im Einzelfall auch eine perkutane Drainage mit Abszess-, Aszites- oder Blutentlastung ein IAH oder ein ACS positiv beeinflussen. Hier sollten in Abstimmung zwischen Chirurg, Intensivmediziner und interventionellem Radiologen die Therapiechancen anhand der Klinik und eines CT diskutiert werden. 4 Notfallmäßige Dekompression des Abdomens bei refraktärem ACS: In Extremsituationen kann die Eröffnung des Abdomens oder die Wiedereröffnung eines Bauchdeckenverschlusses die wichtigste Notfallmaßnahme noch auf der Intensivstation im Bett sein. Bei allen Patienten, die ein ACS aufweisen, das auf nichtoperative Maßnahmen nicht anspricht, hat eine Entlastungslaparotomie mit offenem Abdomen zu erfolgen. Bei Laparotomie von Risikopatienten sollte schon primär auf einen Bauchdeckenverschluss unter Spannung verzichtet werden (Peritonitis, rupuriertes Aortenaneurysma, schweres Abdominaltrauma, komplizierte Lebertransplantation). Zum provisorischen Bauchdeckenverschluss existie-
ren die unterschiedlichsten Konzepte bis hin zum Vakuumverschluss. Der definitve Bauchdeckenverschluss kann beim akuten ACS und rascher Erholung oft innerhalb 5–10 Tagen erfolgen, bei schwerst Kranken mit Sepsis und MOV muss öfters auf einen Faszien- oder auch Hautverschluss verzichtet und eine Sekundärheilung mit Meshgraft-Deckung in Kauf genommen werden. i Eine frühzeitige Entlastungslaparotomie kann bei Patienten mit ACS lebensrettend sein.
Literatur Literatur zu Kap. 74.1–74.3 1. Von Heymann C, Sander M, Grebe D, Hensel M, Spies C (2007) Perioperative Flüssigkeitstherapie – keep dry? Aktuel Ernaehr Med 32: 41–46 2. Holte K, Kehlet H (2006) Fluid therapy and surgical outcomes in elective surgery: a need for reassessment in fast-track surgery. J Am Coll Surg 202 (6): 971–989 3. Yamamoto Y (2001) Levberresektion bei Leberzirrhose. Chirurg 72 (6): 784–793 4. Fan ST, Lo CM, Liu CL, Lam CM, Yuen WK, Yeung C, Wong J. Hepatectomy for hepatocellular carcinoma: toward zero hospital deaths. Ann Surg. 1999 229 (3): 322–30 5. Davies AR, Bellomo R (2004) Establishment of enteral nutrition: prokinetic agents and small bowel feeding tubes. Curr Opin Crit Care 10 (2): 156–161 6. Wiest R, Garcia-Tsao G (2005) Bacterial translocation (BT) in cirrhosis. Hepatology 41 (3): 422–433 7. Delgado-Aros S, Camilleri M (2003) Pseudo-obstruction in the critically ill. Best Pract Res Clin Gastroenterol 17 (3): 427–444 8. Holte K, Kehlet H (2002) Postoperative ileus: progress towards effective management. Drugs 62 (18): 2603–2615 9. Galligan JJ, Vanner S (2005) Basic and clinical pharmacology of new motility promoting agents. Neurogastroenterol Motil 17 (5): 643–653 10. Hasler WL (2003)Pharmacotherapy for intestinal motor and sensory disorders. Gastroenterol Clin North Am 32 (2): 707–732 11. Tonini M, Cipollina L, Poluzzi E, Crema F, Corazza GR, De Ponti F (2004) Review article: clinical implications of enteric and central D2 receptor blockade by antidopaminergic gastrointestinal prokinetics. Aliment Pharmacol Ther 15;19 (4): 379–390 12. Ponec RJ, Saunders MD, Kimmey MB (1999) Neostigmine for the treatment of acute colonic pseudo-obstruction. N Engl J Med 15; 341 (3): 137–141 13. van der Spoel JI, Oudemans-van Straaten HM, Stoutenbeek CP, Bosman RJ, Zandstra DF (2001) Neostigmine resolves critical illness-related colonic ileus in intensive care patients with multiple organ failure – a prospective, double-blind, placebo-controlled trial. Intens Care Med 27 (5): 822–827 14. Myrhoj T, Olsen O, Wengel B (1988) Neostigmine in postoperative intestinal paralysis. A double-blind, clinical, controlled trial. Dis Colon Rectum 31 (5): 378–379 15. Sadek SA, Cranford C, Eriksen C, Walker M, Campbell C, Baker PR, Wood RA, Cuschieri A (1988) Pharmacological manipulation of adynamic ileus: controlled randomized double-blind study of ceruletide on intestinal motor activity after elective abdominal surgery. Aliment Pharmacol Ther 2 (1): 47–54 16. Lykkegaard-Nielsen M, Madsen PV, Nielsen OV (1984) Ceruletide vs. metoclopramide in postoperative intestinal paralysis. A double-blind clinical trial. Dis Colon Rectum 27 (5): 288–289 17. Madsen PV, Lykkegaard-Nielsen M, Nielsen OV (1983) Ceruletide reduces postoperative intestinal paralysis. A double-blind placebo-controlled trial. Dis Colon Rectum 26 (3): 159–160
967 Literatur
Literatur zu Kap. 74.4 Agalar F, Eroglu E, Bulbul M, Agalar C, Tarhan OR, Sari M (2005) Staged abdominal repair for treatment of moderate to severe secondary peritonitis. World J Surg 29 (2): 240–244 Angus DC, Leterre PF, Helterbrandd J et al. (2004) The effect of droterecogin alfa on long-term survival after severe sepsis. Crit Care Med 32: 2199–2206 Annane D, Sebille V, Charpentier C, Bollaert PE, Francois B, Korach JM (2002) Effect of treatment with low dose hydrocortison and fludrocotison on mortalità in patient with septic shock. JAMA 288 (7): 886–887 Billing A, Frohlich D, Mialkowskyj O, Stokstad P, Schildberg FW (1992) Treatment of peritonitis with staged lavage: prognostic criteria and course of treatment. Langenbecks Arch Chir 377 (5): 305–313 Bosscha K, van Vroonhoven TJ, van der Werken C (1999) Surgical management of severe secondary peritonitis. Br J Surg 86 (11): 1371–1377 Grubben ACC et al. (2001) Pathophysiologie und Bedeutung des abdominellen Kompartmentsyndroms. Zentralbl Chir 126: 605–609 Hau T, Ohmann C, Wolmershauser A, Wacha H, Yang Q (1995) Planned relaparotomy vs relaparotomy on demand in the treatment of intra-abdominal infections. The Peritonitis Study Group of the Surgical Infection Society-Europe. Arch Surg 130 (11): 1193–1196 Klar E, Buthut HP, Gock M (2006) Herdsanierung in der operativen Intensivmedizin. Intensivmedizin 43: 399–402 Lamme B, Boermeester MA, Belt EJ, van Till JW, Gouma DJ, Obertop H (2004) Mortality and morbidity of planned relaparotomy versus relaparotomy on demand for secondary peritonitis. Br J Surg 91 (8): 1046–1054 Matthias WA, Angstwurm MD, Engelmann L, Zimmermann T, Lehmann C. (2007) Selenium in in intensiv care study: Results of a prospektiv randomized, placebo- controlled, multi-center study in patients with severe systemic inflammatory response syndrome, sepsis and septic shock. Crit Care Med 35,1: 1–9 Mulier S, Penninckx F, Verwaest C, Filez L, Aerts R, Fieuws S, Lauwers P (2003) Factors affecting mortality in generalized postoperative peritonitis: multivariate analysis in 96 patients. World J Surg 27 (4): 379–384 Reinhart K, Brunkhorst FM et al. (2006) Diagnose und Therapie der Sepsis – S2 Leitlinien der DSG und der DIVI. Intensiv Notfallbehandl 31, 1: 3–32 Rivers E, M.P.H., Nguyen B, Havstad S, Ressler J (2001) Early goal- dierected Therapie in Treatment of severe Seppsis and sepic Shock. N Engl J Med 19 (8): 1368–1377 Seiler CA, Brugger L, Forssmann U, Baer HU, Buchler MW (2000) Conservative surgical treatment of diffuse peritonitis. Surgery 127 (2): 178–184 Teichmann W, Dittmann DH, Andreone PA (1986) Scheduled reoperations (etappenlavage) for diffuse peritonitis. Arch Surg 121 (2): 147–152 Wacha H (2000) Antibiotikatherapie bei Peritonitis. J Anasth Intensivbehandl 222, 1: 223–26 Wacha H, Kujath P, Trautmann M (2004) Intraabdominelle Infektionen. Chemother J 13: 74–78
Literatur zu Kap. 74.5 und 74.6 Abou-Assi S, Craig K, O‘Keefe SJ (2002) Hypocaloric jejunal feeding is better than total parenteral nutrition in acute pancreatitis: results of a randomized comparative study. Am J Gastroenterol 97 (9): 2255–2262 Acosta-JM, Kathouda-N, Debian-KA, Groshen-SG, Tsao-DD, Berne-TV (2006) Early ductal decompression versus conservative management for gallstone pancreatitis with ampullary obstruction: a prospective randomized clinical trial. Ann Surg 243 (1): 33–40 Alexander JW (1998) Bacterial translocation during enteral and parenteral nutrition. Proc Nutr Soc 57 (3): 389–393 Beger HG, Bittner R, Buchler M, Hess W, Schmitz JE (1986) Hemodynamic data pattern in patients with acute pancreatitis. Gastroenterol 90 (1): 74–79 Besselink MGH, van Santvoort HC, Witteman, BJ, Gooszen HG (2007) Management of severe acute pancreatitis: it´s all about timing. Curr Opin Crit Care 13: 200–206
74
Bradley EL III. (1991) Operative management of acute pancreatitis: ventral open packing. Hepatogastroenterology 38 (2): 134–138 Büchler MW, Gloor B, Muller CA, Friess H, Seiler CA, Uhl W (2000) Acute necrotizing pancreatitis: treatment strategy according to the status of infection. Ann Surg 232 (5): 619–626 Dellinger, EP, Tellado JM, Soto NE et al. (2007) Early antibiotic treatment for severe acute necrotizing pancreatitis: a randomized, double-blind, placebo-controlled study. Ann Surg 5: 674–683 De Waele J, Hoste E, Blot S, Hesse U, Pattyn P, de Hemptinne B, Decruyenaere J, Vogelaers D, Colardyn F (2004) Perioperative factors determine outcome after surgery for severe acute pancreatitis. Crit Care 8: R504–R511 Fan ST, Lai EC, Mok FPet al. (1993) Early treatment of acute biliary pancreatitis by endoscopic papillotomy. N Engl J Med 328: 228–232 Fernandez-del Castillo C, Rattner DW, Makary MA, Mostafavi A, McGrath D, Warshaw AL (1998) Debridement and closed packing for the treatment of necrotizing pancreatitis. Ann Surg 228 (5): 676–84 Fölsch UR, Nitsche R, Ludtke Ret al. (1997) Early ERCP and papillotomy compared with conservative treatment for acute biliary pancreatitis: the German Study Group on Acute Biliary Pancreatitis. N Engl J Med 336: 237–242 Forsmark CE (2001) The clinical problem of biliary acute necrotizing pancreatitis: epidemiology, pathophysiology, and diagnosis of biliary necrotizing pancreatitis. J Gastrointest Surg 5: 235–239 Gerzof SG, Banks PA, Robbins AH, Johnson WC, Spechler SJ, Wetzner SM, Snider JM, Langevin RE, Jay ME (1987) Early diagnosis of pancreatic infection by computed tomography-guided aspiration. Gastroenterology 93 (6): 1315–1320 Gupta R, Patel, K, Calder PC, Yaqoob P, Primrose JN, Johnson CD (2003) A randomised clinical trial to assess the effect of total enteral and total parenteral nutritional support on metabolic, inflammatory and oxidative markers in patients with predicted severe acute pancreatitis (APACHE II>or=6). Pancreatology 3(5):406–13 Hartwig W, Maksan SM, Foitzik T, Schmidt J, Herfarth C, Klar E (2002) Reduction in mortality with delayed surgical therapy of severe pancreatitis. J Gastrointest Surg 6 (3): 481–487 Ho, HS, Frey CF (1997) The role of antibiotic prophylaxis in severe acute pancreatitis. Arch Surg 132 (5): 487–492 Hungness ES, Robb BW, Seeskin C, Hasselgren PO, Luchette FA (2002) Early debridement for necrotizing pancreatitis: is it worthwhile? J Am Coll Surg 194 (6): 740–744; discussion 744–745 Isenmann R, Rau B, Beger HG (1999) Bacterial infection and extent of necrosis are determinants of organ failure in patients with acute necrotizing pancreatitis. Br J Surg 86 (8): 1020–1024 Isenmann R, Runzi M, Kron M, Kahl S, Kraus D, Jung N, Maier L, Malfertheiner P, Goebell H, Beger HG, German and Antibiotics in Severe Acute Pancreatitis Study Group (2004) Prophylactic antibiotic treatment in patients with predicted severe acute pancreatitis: a placebo-controlled, double-blind trial. Gastroenterology 126 (4): 997–1004 Kalfarentzos F, Kehagias J, Mead N, Kokkinis K, Gogos CA (1997) Enteral nutrition is superior to parenteral nutrition in severe acute pancreatitis: results of a randomized prospective trial. Br J Surg 84 (12): 1665–9 Karamitsios N, Saltzman JR (1997) Enteral nutrition in acute pancreatitis. Nutr Rev 55 (7): 279–82 Kivilaakso E, Fraki O, Nikki P, Lempinen M (1981) Resection of the pancreas for acute fulminant pancreatitis. Surg Gynecol Obstet 152 (4): 493–498 Klar E, Werner J (2000) New pathophysiologic knowledge about acute pancreatitis. Chirurg 71 (3): 253–64 Koretz RL, Avenell A, Lipman TO, Braunschweig CL, Milne AC (2007) Does enteral nutrition affect clinical outcome? A systematic review of the randomized trials. Am J Gastroenterol 102 (2): 412–29 Kumar A, Singh N, Prakash S, Saraya A, Joshi YK (2006) Early enteral nutrition in severe acute pancreatitis: a prospective randomized controlled trial comparing nasojejunal and nasogastric routes. J Clin Gastroenterol 40(5):431–4
968
74
Kapitel 74 · Intensivtherapie nach abdominalchirurgischen Eingriffen
Marik PE, Zaloga GP (2004) Meta-analysis of parenteral nutrition versus enteral nutrition in patients with acute pancreatitis. BMJ 328 (7453): 1407 Mazaki T, Ishii Y, Takayama T (2006) Meta-analysis of prophylactic antibiotic use in acute necrotizing pancreatitis. Br J Surg 93: 674–684 McClave SA, Chang WK, Dhaliwal R, Heyland DK (2006) Nutrition support in acute pancreatitis: a systematic review of the literature. JPEN J Parenter Enteral Nutr 30 (2): 143–56 McClave SA, Greene LM, Snider HL, Makk LJ, Cheadle WG, Owens NA, Dukes LG, Goldsmith LJ (1997) Comparison of the safety of early enteral vs parenteral nutrition in mild acute pancreatitis. JPEN J Parenter Enteral Nutr 21 (1): 14–20 Meier R, Ockenga J, Pertkiewicz M, Pap A, Milinic N, Macfie J, DGEM (German Society for Nutritional Medicine); Loser C, Keim V; ESPEN (European Society for Parenteral and Enteral Nutrition) (2006) ESPEN Guidelines on Enteral Nutrition. Pancreas. Clin Nutr 25 (2): 275–84 Mier J, de Leòn E, Castillo A, Robledo F, Blanco R (1997) Early Versus Late Necrosectomy in Severe Necrotizing pancreatitis. Am J Surg 173: 71–75 Neoptolemos JP, Carr-Locke DL, London NJet al. (1988) Controlled trial of urgent endoscopic retrograde cholangiopancreatography and endoscopic sphincterotomy versus conservative treatment for acute pancreatitis due to gallstones. Lancet 2: 979–983 Nordback I, Sand J, Sarristo R, Paajanen H (2001) Early treatment with antibiotics reduces the need for surgery in acute necrotizing pancreatitis - a single-center radomized study. Gastrointest Surg 5 (2): 113–118 Nowak A, Nowakowska-Dulawa E, Marek T (1995) Final results of the prospective, randomized controlled study on endoscopic sphincterotomy versus conventionell management in acute biliary pancreatitis. Gastroenterology 108: A380 Olah A, Pardavi G, Belagyi T, Nagy A, Issekutz A, Mohamed GE. Early (2002) nasojejunal feeding in acute pancreatitis is associated with a lower complication rate. Nutrition 18 (3): 259–262 Pederzoli P, Bassi C, Vesentini S, Campedelli A (1993) A randomized multicenter clinical trial of antibiotic prophylaxis of septic complications in acute necrotizing pancreatitis with imipenem. Surg Gynecol Obstet 176 (5): 480–483 Petrov MS, Kukosh MV, Emelyanov NV (2006) A randomized controlled trial of enteral versus parenteral feeding in patients with predicted severe acute pancreatitis shows a significant reduction in mortality and in infected pancreatic complications with total enteral nutrition. Dig Surg 23 (5–6): 336–644 Powell JJ, Murchison JT, Fearon KC, Ross JA, Siriwardena AK (2000) Randomized controlled trial of the effect of early enteral nutrition on markers of the inflammatory response in predicted severe acute pancreatitis. Br J Surg 87 (10): 1375–1381 Pupelis G, Selga G, Austrums E, Kaminski A (2001) Jejunal feeding, even when instituted late, improves outcomes in patients with severe pancreatitis and peritonitis. Nutrition 17 (2): 91–94 Ragins H, Levenson SM, Signer R, Stamford W, Seifter E (1973) Intrajejunal administration of an elemental diet at neutral pH avoids pancreatic stimulation. Studies in dog and man. Am J Surg 126 (5): 606–614 Rau B, Bothe A, Beger HG (2005) Surgical treatment of necrotizing pancreatitis by necrosectomy and closed lavage: changing patient characteristics and outcome in a 19-year, single-center series. Surgery 138 (1): 28–39 Sainio V, Kemppainen E, Puolakkainen P, Taavitsainen M, Kivisaari L, Valtonen V, Haapiainen R, Schroder T, Kivilaakso E (1995) Early antibiotic treatment in akut necrotising pancreatitis Lancet 346 (8976): 663– 667 Sharma VK, Howden CW (1999) Metaanalysis of randomized controlled trials of endoscopic retrograde cholangiography and endoscopic sphincterotomy for the treatment of acute biliary pancreatitis. Am J Gastroenterol 94: 3211–3214 Takeda K, Matsuno S, Sunamura M, Kobari M. (1998) Surgical aspects and management of acute necrotizing pancreatitis: recent results of a cooperative national survey in Japan. Pancreas 16 (3): 316–322
Teerenhovi O, Nordback I, Isolauri J (1988) Influence of pancreatic resection on systemic complications in acute necrotizing pancreatitis. Br J Surg 75 (8): 793–795 Uhl W, Warshaw A, Imrie C, Bassi C et al. (2002) IAP Guidelines for the surgical management of acute pancreatitis. Pancreatology 2 (6): 565–573 Villatoro E (2006) Antibiotic therapy for prophylaxis against infection of pancreatic necrosis in acute pancreatitis. Cochrane Rev Database Syst Rev. (4): CD002941 Vu MK, van der Veek PP, Frolich M, Souverijn JH, Biemond I, Lamers CB, Masclee AA (1999) Does jejunal feeding activate exocrine pancreatic secretion? Eur J Clin Invest 29 (12): 1053–1059 Windsor AC, Kanwar S, Li AG, Barnes E, Guthrie JA, Spark JI, Welsh F, Guillou PJ, Reynolds JV (1998) Compared with parenteral nutrition, enteral feeding attenuates the acute phase response and improves disease severity in acute pancreatitis. Gut 42 (3): 431–435 Woodcock NP, Zeigler D, Palmer MD, Buckley P, Mitchell CJ, MacFie J (2001) Enteral vs. parenteral nutrition: a pragmatic study. Nutrition17 (1): 1–12
Literatur zu Kap. 74.7 Cheatham ML, Malbrain MLNG, Kirkpatrick A et al. (2007) Results from the International Conference of Experts on Intra-abdomal Hypertension and Abdominal Compartment Syndrome. II. Recommendations. Int Care Med 33: 951–962 : Lesenswerte Evidenzbasierte Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie des ACS mit vollständiger Literaturübersicht Ertel W, Oberho9lzer A, Platz A, Stocker R, Trentz O (2000) Incidence and clinical pattern of the abdominal compartment syndrome after damage contorl laparotomy in 311 patients with severe abdominal and/or pelvic trauma. Crit Care Med 28: 1747–1753 Malbrain ML, Chiumello D, Pelosi P et al. (2004) Prevalence of intraabdominal hypertension in criticaly ill patients: a multicentre epidemiological study. Int Care Med 30: 822–829 Malbrain MLNG, Cheatham ML, Kirkpatrick A et al. (2006) Results from the International Conference of Experts on Intra-abdomal Hypertension and Abdominal Compartment Syndrome. I. Definitions. Int Care Med 32:1722–1732 : Ausführliche State of the Art des ACS unter Berücksichtigung der gesamten Literatur durch die führenden klinischen Experten. Meldrum DR, MoooreFA, Moore EE, Franciose RJ, Sauaia A, Burch JM (1997) Prospective characterization and selective management of the abdominal compartment syndrome. Am J Surg 174: 667–672
75 Intensivtherapie nach herzchirurgischem Eingriff K. Nassau, K. Kesel, E. Kilger, B. Zwißler
75.1
Grundlagen der Behandlung
75.2
Über wachung nach herzchirurgischem Eingriff
75.2.1 75.2.2
Routineüberwachung –970 Erweitertes hämodynamisches Monitoring –970
75.3
Herz-Kreislauf-Therapie
75.3.1 75.3.2 75.3.3
Herzfunktion –972 Perfusionsdruck –976 Rhythmus –977
75.4
Systemisches Inflammationssyndrom (SIRS)
75.5
Blutgerinnung
75.6
Komplikationen nach Kardiochirurgie
75.6.1 75.6.2 75.6.3 75.6.4 75.6.5 75.6.6 75.6.7
Myokardinfarkt –981 Nierenversagen –982 Lungenversagen –983 Gastrointestinale Komplikationen –983 Neurologische Defizite –983 Infektionen –984 Posttraumatische Belastungsstörungen –984
75.7
Minimal-invasive Herzchirurgie Literatur
–984
–970 –970
–971
–979
–984
–981
–979
75
970
Kapitel 75 · Intensivtherapie nach herzchirurgischem Eingriff
75.1
Grundlagen der Behandlung
Herzchirurgische Eingriffe gehören zu den häufigsten Operationen weltweit. Die Anzahl der Eingriffe ist bis vor wenigen Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2003 wurden in Deutschland knapp 95.000 Eingriffe mir extrakorporaler Zirkulation (EKZ) durchgeführt. Die Indikationen für herzchirurgische Eingriffe schließen myokardiale Ischämien, Herzvitien, Herzinsuffizienz, kongenitale Fehlbildungen und Arrhythmien mit ein. Trotz ständiger Fortschritte sowohl der operativen Techniken als auch der perioperativen Patientenbetreuung ist die Letalität bei Erwachsenen in einem Bereich von etwa 3‒4% seit Jahren konstant. Mitverantwortlich für diese Stagnation ist die Tatsache, dass zunehmend ältere Patienten mit mehr Begleiterkrankungen operiert werden. Der Anteil der über 70-jährigen Patienten lag in einer bundesweiten Erhebung aus dem Jahr 2003 bei 40% – im Vergleich dazu 1996 noch bei 29%. Während noch vor einigen Jahren das kardiale Pumpversagen die häufigste Todesursache war, steht heute das Multiorganversagen im Vordergrund. Neben Begleiterkrankungen ist eine generalisierte Entzündungsreaktion (SIRS) nach herzchirurgischen Eingriffen ein Hauptfaktor in der Genese des Multiorganversagens. Hinzu kommt eine Traumatisierung durch den ausgedehnten herzchirurgischen Eingriff.
Potenzielle Komplikationen nach kardiochirurgischem Eingriff 5 Myokardiales Pumpversagen/Myokardischämie/ Low-Output-Syndrom 5 Herzrhythmusstörungen 5 Systemische Inflammation (SIRS) 5 Respiratorische Insuffizienz 5 Hämodilution/Anämie 5 Verlust-, Verdünnungs-, Verbrauchskoagulopathie 5 Niereninsuffizienz 5 Gastrointestinale Funktionsstörungen 5 Neurologische Defizite 5 Infektionen
Einzelne dieser Veränderungen treten in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu jedem Patienten auf und erfordern v. a. in der frühen postoperativen Phase eine gezielte Intervention. Besonderheiten in der Therapie dieser Störungen bei Erwachsenen sind Gegenstand dieses Kapitels. Die intensivmedizinische Betreuung von Kindern, die häufig bereits in den ersten Lebenswochen am Herz operiert werden müssen, erfordert aufgrund der adaptiven Besonderheiten bei Säuglingen und Kleinkindern und den komplexen pathophysiologischen Veränderungen zusätzliche Kenntnisse in der Pädiatrie und Kinderkardiologie. 75.2
Überwachung nach herzchirurgischem Eingriff
75.2.1 Routineüber wachung Überwachung und Behandlung eines Patienten in den ersten Stunden nach einem kardiochirurgischen Eingriff sind personell und apparativ aufwändig.
Routineüberwachung nach herzchirurgischem Eingriff 5 Kontrolle von Blutdruck, Herzfrequenz, Diurese und Körpertemperatur 5 ST-Segment-Analyse am Monitor/kontinuierliche Arrhythmieüberwachung 5 12-Kanal-EKG und Thoraxröntgendiagnostik 5 Berurteilung des Volumenstatus 5 Dokumentation des Blutverlustes über die Thoraxdrainagen 5 Dokumentation von Beatmungsparametern 5 Durchführung von Blutgasanalysen 5 Engmaschige Kontrolle der Elektrolyt-, Blutzucker und Laktatkonzentration 5 Kontrolle von Myokardmarkern, Blutbild und Gerinnung (alle 6 o 12 o 24 h) 5 Kontrolle der Leber- und Nierenfunktionsparameter sowie der Infektionsmarker
Arterieller Zugang Die invasive arterielle Kanülierung erlaubt neben der kontinuierlichen Registrierung des arteriellen Blutdrucks die häufige Entnahme von Blutproben zum Monitoring des pulmonalen Gasaustausches, des Säure-Basen-Haushalts und der Elektrolyte. Die Blutdruckgrenzen sollten bei kardiochirurgischen Patienten eng eingestellt sein. Dabei sollte ein MAP zwischen 60 und 70 mm Hg nicht unterschritten werden. Bei Operationen an der Aorta wird meist zum Schutz der Nähte eine systolische Druckobergrenze (meist 120 mm Hg) eingehalten.
Zentraler Venenkatheter Die Anlage eines mehrlumigen zentralen Venenkatheters ist bei intrathorakalen Eingriffen in der Regel indiziert. Bei der Katheterauswahl sollten mindestens 3 Lumina eingeplant werden, da einige in der kardiochirurgischen Intensivmedizin eingesetzte Medikamente galenisch inkompatibel sind (z. B. Enoximon, Amiodaron, Furosemid). 75.2.2 Er weiter tes hämodynamisches Monitoring
Pulmonalarterienkatheter Die Indikation zum erweiterten makrohämodynamischen Monitoring nach einer Herzoperation hängt vom prä- und intraoperativen Zustand des Patienten ab. Eine Reduktion der perioperativen Morbidität und Letalität durch eine Überwachung herzchirurgischer Patienten mittels Pulmonalarterienkatheter (PAK) ist nicht belegt. Die Indikation zur Anlage eines Pulmonalarterienkatheters ist daher streng zu stellen. Sie ergibt sich v. a. in Fällen, bei denen eine Messung des pulmonalarteriellen Druckes indiziert ist, wie z. B. nach Mitralklappenoperation, nach Herztransplantation oder bei einem akuten Druckanstieg im Rahmen eines akuten Lungenversagens. Die Messung wird zudem zur Steuerung der Therapie im Rahmen der rechtsventrikulären Nachlastsenkung bei Rechtsherzversagen benötigt.
971 75.3 · Herz-Kreislauf-Therapie
Transkardiopulmonale Thermodilution und Pulskonturanalyse Bei dem transkardiopulmonalen Messsystem zum hämodynamischen und volumetrischen Monitoring wird das Herzzeitvolumen sowohl diskontinuierlich mittels transkardiopulmonaler Thermodilution als auch kontinuierlich durch arterielle Pulskonturanalyse ermittelt. Die Messung des Herzzeitvolumens mittels Pulskonturanalyse wird durch die transkardiopulmonale Thermodilution kalibriert. Ein kalter Bolus (d24ºC, 10‒15 ml) wird über einen zentralvenösen Katheter injiziert. Die Temperatur des Injektats wird mittels Thermistor am Injektionsort registriert. Mit einem zweiten Thermistor, der in die Spitze eines arteriellen Femoraliskatheters eingebracht wird, wird der Temperaturverlauf des Blutes nach Injektion des Indikators gemessen. Über die Kalibrierung hinaus liefert die transkardiopulmonale Thermodilution u. a. Informationen über das intrathorakale Blutvolumen (ITBV). Das ITBV setzt sich zusammen aus dem global enddiastolischen Volumen (GEDV) und dem Volumen der Lungenstrombahn. Zur Abschätzung der kardialen Vorlast ist der Messwert des ITBV genauer als ZVD oder PCWP. Durch Therapiealgorithmen, die auf dem GEDVI basieren, konnten nach herzchirurgischen Eingriffen neben der Dauer der Katecholamintherapie auch die Dauer der Beatmung und des Intensivaufenthalts reduziert werden [16]. Aus der kontinuierlichen Beat-to-beat-Analyse des arteriellen Pulssignals werden weitere volumetrische Parameter abgeleitet. Die (be)atmungsabhängige Oszillation der Pulsdruckkurve wird rechnerisch ausgewertet. Aus den zyklischen Schwankungen ergibt sich die Schlagvolumenvariation (SVV) als Korrelat des intravasalen Volumenstatus. Diese scheint ein besserer funktioneller Preload-Parameter zu sein als die statischen Parameter PCWP und ZVD.
Gemischtvenöse Sauerstoffsättigung Die Sauerstoffsättigung im gemischtvenösen Blut (SvO2) liefert Informationen über das Maß der globalen Sauerstoffausschöpfung. Bei hypodynamer Kreislaufsituation (z. B. kardial bedingtes Low-output-Syndrom) nimmt die periphere Sauerstoffausschöpfung zu, die arteriovenöse Differenz des Sauerstoffgehalts (avDO2) steigt, und die gemischtvenöse Sättigung fällt ab. Niedrige Werte fordern eine prompte Intervention zur Steigerung des Sauerstoffangebots der Gewebe. Eine zielorientierte Volumen- und Katecholamintherapie, die als Richtgröße eine SvO2 >70% in der frühen postoperativen Phase nach Herzoperation anstrebt, verkürzt die Krankenhausliegedauer und die Inzidenz einer fortbestehenden Organdysfunktion bei Entlassung (z. B. Niereninsuffizienz oder neurologisches Defizit) [33].
Zentralvenöse Sauerstoffsättigung In aktuellen Studien wurde die Sauerstoffsättigung im zentralvenösen Blut (ScvO2) bei der Initialtherapie kritisch kranker Patienten als Surrogatparameter für die gemischtvenöse Sättigung verwendet. Tatsächlich kann die zentralvenöse Sättigung in Zusammenschau mit anderen Parametern, wie dem Laktat- und dem pH-Wert, orientierend Aufschluss über die globale Sauerstoffbilanz geben, ohne dass die Anlage eines Pulmonalarterienkatheters notwendig wäre [11].
Linksatrialer Katheter Ein linksatrialer Katheter wird intraoperativ über einen direkten Zugang nach Eröffnung des Perikards eingelegt. Das distale
75
Ende des Katheters wird durch die Thoraxwand ausgeleitet. Das proximale Katheterende ist nicht an der Vorhofwand fixiert, sodass der Katheter durch Zug entfernt werden kann. Ein linksatrialer Katheter erlaubt die direkte Messung des linksatrialen Druckes (LAP). Dieser entspricht bei normaler Mitralklappenfunktion dem linksventrikulären enddiastolischen Füllungsdruck (LVEDP) und korreliert unter Berücksichtigung der linkskardialen Compliance mit der linksventrikulären Vorlast. Über einen linksatrialen Katheter ist die Zufuhr vasopressorischer Substanzen distal der pulmonalen Strombahn möglich. Dieser Applikationsweg soll eine katecholamininduzierte Aggravierung einer pulmonalen Hypertension verhindern.
Echokardiographie Die transthorakale und transösophageale Echokardiographie (TTE/TEE) als semi-invasives Verfahren erlaubt die visuelle Beurteilung der Herz- und Klappenfunktion. Aussagekräftige Untersuchungsresultate setzen eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung des Untersuchers voraus. Über standardisierte Schnittebenen können die globale LV- und RV-Funktion und der Volumenstatus beurteilt sowie regionale Wandbewegungsstörungen und Klappen- und Herzvitien dedektiert werden. Mittels CW- und PW-Dopplertechnik lassen sich Blutflussgeschwindigkeiten über allen Klappen sowie rechts- und linksventrikulärem Ausflusstrakt quantifizieren. In einem echkardiographischen Untersuchungsgang zu erfassende Funktionsparameter/diagnostische Möglichkeiten 5 5 5 5 5 5
Globale links- und rechtsventrikuläre Pumpfunktion Volumenstatus Regionale Wandbewegungsstörungen Klappenvitien Endokarditis/intrakavitäre Thromben Dissektionen/Aneurysmen der Aorta ascendens und der thorakalen Aorta descendens 5 Ausschluss einer Perikardtamponade 5 Positionierung einer intraaortalen Gegenpulsationspumpe (IABP) 5 Beurteilung des operativen Ergebnisses
Die echokadiographische Untersuchung ist ein hochsensitives Verfahren zur Detektion von Myokardischämien. Neu aufgetretene regionale Wandbewegungsstörungen sind bei myokardialer Perfusionsstörung früher erkennbar als EKG-Veränderungen und lassen eine annähernde Lokalisation des okkludierten Gefäßes zu. Bei Patienten, die akute anhaltende hämodynamische Störungen aufweisen und bei denen die ventrikuläre Funktion und ihre Determinanten unklar sind, ist die Echokardiographie sinnvoll und verbessert das klinische Outcome (Empfehlungsgrad B Klassifikation Oxford Centre). 75.3
Herz-Kreislauf-Therapie
Obwohl herzchirurgische Eingriffe langfristig zu einer kardialen Verbesserung führen sollen, ist im unmittelbar postoperativen Verlauf mit einer passageren kardialen Funktionseinschränkung zu rechnen. Das Ausmaß und die Dauer dieser Reduktion hän-
972
Kapitel 75 · Intensivtherapie nach herzchirurgischem Eingriff
Genese des Pumpversagens ist trotz allem nicht immer möglich [3]. Mögliche Ursachen eines Low-output-Syndroms nach herzchirurgischem Eingriff
75
. Abb. 75.1. Frank-Starling-Mechanismus: Beziehung zwischen Schlagvolumen und Vorlast
gen von der Schwere der vorbestehenden Dysfunktion, der Qualität der intraoperativen Myokardprotektion, dem Ischämiereperfusionsschaden und dem operativen Ergebnis ab. »Myocardial stunning« beschreibt die reversible Dysfunktion nach zeitlich begrenzter kardialer Ischämie und anschließender Reperfusion. Diese Situation besteht auch nach kardioplegischem Herzstillstand. Es kommt zu einem Zellödem mit intrazellulärer Kalziumakkumulation und zur Freisetzung von Sauerstoffradikalen in der Phase der Reperfusion. Zur Verbesserung der postoperativen Funktion ist neben der inotropen Unterstützung v. a. die Optimierung der Vorlast, aber auch der Nachlast von entscheidender Bedeutung (FrankStarling-Mechanismus; . Abb. 75.1). Typischerweise versucht man, diese Optimierung durch Messung der Füllungsdrücke zu erzielen, wobei diese die ventrikuläre Vorlast vielfach nicht verlässlich reflektieren. Aufgrund der postoperativ verminderten Compliance (diastolische Dysfunktion) benötigt das Myokard in dieser Phase eine höhere Vorlast zur Optimierung der Auswurfleistung. Selbst ein Herz mit präoperativ normaler Auswurfleistung (EF >50%) und unauffälligem intraoperativem Verlauf wird meist in den ersten 6 h auf der Intensivstation eine Verschlechterung der Pumpfunktion um 10‒15% erfahren und sich erst im weiteren Verlauf innerhalb von 24 h erholen. Ausmaß und Dauer der postoperativen systolischen Dysfunktion sind individuell sehr unterschiedlich. Je ausgeprägter die Kontraktilitätsminderung ist, desto höher ist das Risiko multipler Endorgandysfunktionen. 75.3.1 Herzfunktion Postoperativ ist die schnelle Wiederherstellung eines adäquaten Herzzeitvolumens unter optimierter myokardialer Sauerstoffbilanz prognostisch entscheidend. Das Risiko einer globalen Minderperfusion besteht unter Normothermie bei einem »cardiac index« (CI) 130 ms (v. a. bei Linksschenkelblock) bei Sinusrhythmus und in einem NYHAStadium III‒IV profitieren von einer biventrikulären Stimulation durch eine Resynchronisation des Kontraktionsablaufs. Eine biventrikuläre Stimulation zur Optimierung des Kontraktionsablaufs und Verbesserung der Herzleistung ist auch temporär über die epikardalien Schrittmachersonden möglich. Durch atriobiventrikuläre Stimulation bei eingeschränkter EF nach Bypassoperation konnte bei Patienten der Herzindex im Gegensatz zu einer atrialen Stimulation gesteigert werden. Fallstudien geben Hinweise, dass der Inotropikabedarf unter dieser Stimulation bei Patienten mit Herzinsuffizienz (NYHA IV) nach Bypassoperation reduziert werden kann [20,42].
Rechtsherzversagen Eine Dysfunktion des rechten Ventrikels (RV) wird v. a. durch Veränderungen seiner Nachlast und/oder seiner Kontraktilität ausgelöst. Die Inzidenz des schweren akuten Rechtsherzversagens beträgt 0,1% bei konventioneller Herzoperation, 2–3% nach Herztransplantation und 20–30% nach Implantation eines linksventrikulären Assistsystems [21].
Die Echokardiographie ist die beste Methode zum Nachweis einer akuten rechtsventrikulären Dysfunktion. Beim Rechtsherzversagen ist ein erweitertes hämodynamisches Monitoring unverzichtbar. Der zentrale Venendruck bildet das rechtsventrikuläre enddiastolische Volumen und damit die Vorlast häufig unzureichend ab. Eine Methode zur bettseitigen Bestimmung des Füllungsvolumens ist die Fast-response-Thermodilutionstechnik als Fortentwicklung der Swan-Ganz-Methode. Der Katheter registriert nach Injektion eines Kältebolus Schlag für Schlag die Temperaturänderung in der Pulmonalarterie. Daraus werden die Auswurffraktion und das enddiastolische Volumen des rechten Ventrikels errechnet.
Therapiestrategien beim Rechtsherzversagen Ist die Ursache der Rechtsherzdysfunktion bekannt, muss eine kausale Therapie angestrebt werden. Falls diese nicht möglich ist, muss eine symptomatische Therapie erfolgen.
Symptomatische Therapie der Rechtsherzinsuffizienz 5 Optimierung der Vorlast 5 Erhöhung des rechtsventrikulären Per fusionsdrucks durch Noradrenalin und/oder Einsatz der intraaortalen Gegenpulsation 5 Erhöhung der Kontraktilität durch Katecholamine und/oder Phosphodiesterasehemmer 5 Verminderung der Nachlast durch – hohe inspiratorische Sauerstoffkonzentration (Basismaßnahme) – mäßiggradige Hyperventilation und Azidoseausgleich (Basismaßnahme) – Gabe inhalativer Vasodilatatoren, wie Stickstoffmonoxid (NO) oder vasodilatierender Aerosole
Durch eine Volumentherapie kann über den Frank-Starling-Mechanismus eine Erhöhung des rechtsventrikulären Schlagvolu-
975 75.3 · Herz-Kreislauf-Therapie
75
. Tabelle 75.1. Therapieoptionen bei Rechtsherzversagen Dosierunga
Halbwertszeitb
Nitroglycerin
0,1–0,8 µg/kg KG/min
2,7 min
Nitroprussidnatrium
0,2–0,8 µg/kg KG/min
3,5 min
Epoprostenol (PGl2-Analogon)
1,0–20 ng/kg KG/min
3,0 min
Iloprost
0,5–2 ng/kg KG/min
30 min
Stickstoffmonoxid (NO)
0,1–40 ppm
110/min) und nach Klappenoperation junktionale Tachykardien mit AV-oder ventrikulären Blöcken auf. Hypertrophierte, druckbelastete Ventrikel reagieren sensibel auf zu große Frequenzschwankungen. Zu hohe Frequenzen reduzieren das Herzzeitvolumen durch zu kurze Füllungszeit und damit zu geringes enddiastolisches Volumen. Umgekehrt kann durch eine Bradykardie trotz ausreichender diastolischer Füllung ein normales Herzzeitvolumen unterschritten werden. Eine optimale Frequenz liegt hier zwischen 90 und100/min. Der chronisch volumenbelastete Ventrikel benötigt nach herzchirurgischen Eingriffen keine maximale Vorlast. In diesem Fall kann durch ein reduziertes enddiastolisches Volumen mit verminderter Wandspannung die Auswurffraktion erhöht werden. Tachykardien mit Frequenzen um die 100/min können deshalb zur Verbesserung des Herzzeitvolumens führen. Die diastolische Compliance ist bei einem chronisch dilatierten Ventrikel weniger eingeschränkt als bei einem hypertrophierten, chronisch druckbelasteten Ventrikel. Hier sind die Ventrikel weniger von einer Vorhofkontraktion, die zu einer maximalen diastolischen Füllung führt, abhängig. Deshalb werden Tachykardien und der Verlust des Sinusrhythmus in dieser Situation besser toleriert.
Tachykardien Vorhofflimmern Vorhofflimmern ist mit einer Inzidenz von 20–65% die häufigste Rhythmusstörung nach kardiochirurgischem Eingriff. In einer Metaanalyse lag die durchschnittliche Inzidenz bei 32%. Patienten nach kombinierten Eingriffen oder Klappenchirurgie sind häufiger betroffen als Bypasspatienten. Vorhofflimmern entwickelt sich meist innerhalb 48 h, selten in der frühen postoperativen Phase oder nach dem 4. Tag. Insgesamt 15–30% der Patienten mit postoperativem Vorhofflimmern konvertieren spontan binnen 2 h, 25‒80% binnen 24 h, in einen Sinusrhythmus; 90% der Patienten haben 6–8 Wochen nach der Operation einen Sinusrhythmus. Durch die Prävention von post-
Prädiktoren für das Auftreten postoperativen Vorhofflimmerns [29] 5 5 5 5 5 5 5
Höheres Lebensalter Linksventrikuläre Hyperthrophie Anamnestisch paroxysmales Vorhofflimmern Absetzen der E-Blocker/ACE-Hemmer-therapie COPD Signifikante Aortensklerose Herzklappenoperatoion
Metaanalysen haben gezeigt, dass eine Gabe von E-Blockern die Inzidenz von postoperativem Vorhofflimmern reduziert (8,7–9,8% vs. 20–34%). Patienten mit Risikofaktoren, u. a. mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion (EF 60%) gegeben werden sollte. Diltiazem wird bei eingeschränkter Ejektionsfraktion besser toleriert. Digoxin hat auch bei schneller Aufsättigung eine relativ lange Anschlagzeit und v. a. bei eingeschränkter Nierenfunktion eine lange Wirkdauer.
(meist 200 mg/Tag p.o./i.v.) umgesetzt. Gravierende Nebenwirkungen sind bei kurzfristiger Anwendung selten. Ist eine Konversion in einen stabilen Sinusrhythmus nicht zu erreichen, so ist nach 48 h eine adäquate Antikoagulation anzustreben, um thrombembolische Komplikationen zu vermeiden. Bei Patienten mit Vorhofflimmern und zusätzlichen Risikofaktoren für thrombembolische Komplikationen zeigte sich in der ACTIVE W-Studie eine Antikoagulationstherapie mit einem Vitamin-K-Antagonisten einer Kombinationstherapie mit Aspirin und Clopidogrel im Hinblick auf die Reduktion ischämischer Ereignisse und Blutungen überlegen [2].
Kardioversion. Bei hämodynamischer Instabilität durch Vor-
Ventrikuläre Tachykardien
hofflimmern ist neben der Basistherapie mit Anhebung der Serumkalium- und -magnesiumkonzentration in den hochnormalen Bereich eine sofortige elektrische Kardioversion indiziert (. Abb. 75.3). Zur pharmakologischen Kardioversion eignen sich Klasse-IA-, -IC- und Klasse-III-Antiarrhythmika. Unter der Gabe von Typ-IA- und -IC-Antiarrhytmika (7 Kap. 32) erfolgt bei 40‒75% der Patienten eine Konversion in einen Sinusrhythmus innerhalb der 1. Stunde. Klasse-IC-Antiarrhythmika (Flecainid, Propafenon) sollten bei Patienten nach Myokardinfarkt wegen der ausgeprägten proarrhythmogenen Wirkung zurückhaltend eingesetzt werden. Klasse-IA-, -IC- und Klasse-III-Antiarrythmika prädisponieren durch Verlängerung der QTc-Zeit zu Torsade-de-pointe-Arrhythmien, sodass die QTc-Zeit regelmäßig kontrolliert werden muss (abnorme Verlängerung des QTc-Intervalls >500 ms 1/2 oder QTc-Zunahme während der Therapie >60 ms 1/2). Amiodaron hat multiple antiarrhythmische Effekte, u. a. eine Blockade des schnellen Natriumkanals, β-blockierende Eigenschaften, Verlängerung des Aktionspotenzials und der effektiven Refraktärperiode (Klasse-I-, -II-, -III- und -IV-Eigenschaften nach Vaughan-Williams). Als Slow-in-slow-out-Pharmakon sollte Amiodaron nach einer initialen Bolusgabe kontinuierlich i.v. weiter verabreicht werden. Der Kardioversion geht eine Frequenzkontrolle voraus, die für sich häufig bereits eine Stabilisierung der hämodynamischen Situation bewirkt. Entscheidet man sich für eine antiarrhythmische Therapie mit Amiodaron über einen längeren Zeitraum, wird nach einer Aufsättigungsphase (bis zu einer Gesamtdosis von 6–12 g) auf eine Erhaltungsdosis
Ventrikuläre Rhythmusstörungen sind seltener und werden u. a. durch transiente metabolische Störungen oder ischämische Ereignisse hervorgerufen. Ist eine ventrikuläre Tachykardie Folge einer Ischämie oder Myokarddilatation bei akuter linksventrikulärer Dekompensation, so besteht die Therapie in erster Linie in der kardialen Rekompensation bzw. in der koronaren Revaskularisation. Eine adjuvante Kalium- und Magnesiumsubstitution bis in den hochnormalen Bereich sollte in jedem Fall erfolgen. Ventrikuläre Arrhythmien per se sind nur dann behandlungsbedürftig, wenn sie eine hämodynamische Beeinträchtigung oder Prodromi einer vitalen Gefährdung darstellen (Salven, R-auf-TPhänomen, selbstlimitierte ventrikuläre Tachykardie). Lidocain hat einen Stellenwert in der Akutbehandlung ischämiebedingter ventrikulärer Arrhythmien. Amiodaron ist bei rezidivierender ventrikulärer Tachykardie, hochgradig eingeschränkter Pumpfunktion (EF 1000 pg/ml) gemessen werden. Als Risikokollektiv gelten Patienten mit einer präoperativen Auswurffraktion 97 min (z. B. Kombinationseingriffe, Eingriffe mit mehr als 4 Bypässen). Bei diesem Patientenkollektiv reduziert eine präventiv, d. h. vor Beginn der extrakorporalen Zirkulation begonnene Substitution von Hydrokortison in Stressdosis (300 mg/Tag) den Katecholaminbedarf, die Beatmungsdauer sowie die Intensivstations- und Krankenhausverweildauer [22]. Interleukin-6 erreicht 4–6 h nach Beendigung der EKZ einen Maximalwert. Es folgt ein zweiter Anstieg 12–18 h nach der Operation, sodass bei Vasoplegie eine Substitution mit Hydrokortison auch zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll sein kann. 75.5
Blutgerinnung
Herzoperationen mit extrakorporaler Zirkulation gehen mit tiefgreifenden Veränderungen des hämostaseologischen Systems einher. Pathophysiologische Veränderungen des Gerinnungssystems bei kardiochirurgischem Eingriff mit extrakorporaler Zirkulation 5 Abnahme oder Denaturierung von Gerinnungsfaktoren 5 Abnahme physiologischer Inhibitoren (Antithrombin, Protein C, Protein S) 5 Konzentrationsabnahme von Fibrinolyseinhibitoren (PAl-1, D2-Antiplasmin) 5 Disseminierte intravasale Gerinnung (z. B. überschießende Thrombinbildung) 5 Gesteigerte Fibrinolyse 5 Thrombozytopenie und/oder Thrombozytopathie mit Thrombozytenaktivierung, -dysfunktion oder -desensibilisierung 5 Hypothermieinduzierte Gerinnungsstörungen 5 Heparin- und protamininduzierte Gerinnungsstörung
Die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Hämostase nach herzchirurgischen Eingriffen mit extrakorporaler Zirkulation ist nach wie vor ein Problem. Insbesondere die zusätzliche Therapie mit verschiedenen Thrombozytenaggregationshemmern führt immer häufiger zu perioperativen Blutungskomplikationen. Der perioperative Verbrauch von Blutprodukten ist bei herzchirurgischen Patienten deutlich höher als bei Patienten anderer chirurgischer Disziplinen. Die Gabe von unfraktioniertem Heparin vor bzw. während extrakorporaler Zirkulation stellt immer noch den Goldstandard der Antikoagulationstherapie dar. Neuere Daten zu direkten Thrombininhibitoren geben einen Hinweis auf eine bessere Biokompatibilität der EKZ als unter Heparin-Therapie. Größere Vergleichsstudien stehen noch aus. Eine Vielzahl von Strategien wurde entwickelt, um das postoperative Risiko einer mikrovaskulären Blutung aufgrund einer Koagulopathie zu reduzieren und den perioperativen Fremdblutverbrauch zu minimieren. Dazu zählen Wärmemaß-
nahmen und die autologe Retransfusion von Drainageblut. Das Ergebnis einer Metaanalyse der Cochrane Library (7027 Patienten) zeigte, dass die intraoperative Gabe von Aprotinin den Erythrozytenverbrauch um 1,1 Einheiten bzw. die Transfusionsrate um 30% verringert [17]. Allerdings zeigen neueste Daten einer großen Obser vationsstudie, dass postoperativ nach Therapie mit Aprotinin neurologische, renale und kardiale Komplikation sowie die Mortalität im Vergleich zu den Lysin-analogen Antifibrinonolytika (Tranexam - und H-Aminoncapronsäure) erhöht ist [28]. Wirkungen von Aprotinin 5 Aprotinin reduziert die perioperative Blutungsmenge, unabhängig von der Art des Eingriffs 5 Aprotinin vermindert die Gesamtmenge an perioperativen Transfusionen 5 Aprotinin vermindert signifikant die Anzahl an blutungsbedingten Rethorakotomien 5 Fraglich führt Aprotinin zu einer erhöhten Venenbypassverschlussrate, höherer Myokardinfarktrate und zur Auslösung eines prothrombotischen Status (DGTHG 2006 [47])
Bei postoperativen Nachblutungen ist die Differenzierung zwischen einer chirurgisch zu stillenden Blutungsquelle und einer mikrovaskulären Blutung aufgrund einer Koagulopathie anhand der Bestimmung von globalen Gerinnungsparametern schwierig, da diese in beiden Fällen oft außerhalb der Norm liegen. Die Korrelation zwischen der Thoraxdrainagenförderrate und globalen Gerinnungsparametern ist gering. Anhand der Sekretionsrate wird der Blutverlust oft überschätzt. Da die Laborlaufzeiten auch für globale Gerinnungsparameter vielerorts zu lang sind, um eine schnelle und zielgerichtete Therapie einer Nachblutung zu ermöglichen, haben mehrere Arbeitsgruppen Algorithmen zur Transfusion von allogenen Gerinnungskomponenten und gerinnungsfördernden Präparaten (z. B. Desmopressin, Protamin) unter Zuhilfenahme bettseitig durchgeführter Gerinnungsmessungen entwickelt. Zur Steuerung der Heparintherapie während EKZ ist die derzeit meist angewandte Methode die Messung der »activated clotting time« (ACT). Die »high dose thrombin time« (HiTT) ist eine weitere Point-of-care-Methode zur Überwachung einer Heparin-induzierten Antikoagulation. Sie ist weniger störanfällig in Bezug auf Hypothermie und Hämodilution als die ACT. Diese Methode hat aber bislang aufgrund der noch spärlichen Datenlage keine Verbreitung gefunden. Ein weiteres Verfahren zur Abschätzung der plasmatischen Gerinnung, der Fibrionolyse sowie der thrombozytären Funktion stellt das Thrombelastogramm (TEG) dar. Vor allem bei Patienten unter Therapie mit Heparin, Phenprocoumon und antifibrinolytischer Medikation liefert es bettseitig wertvolle Ergebnisse. Mittels PFA-100 (»platelet function analyzer«)-Monitoring lassen sich Thrombozytenfunktionsstörungen aufgrund einer v.-Willebrand-Erkrankung, der Gabe von Trombozytenaggregationshemmern und anderen angeborenen oder erworbenen Thrombozytenfunktionsstörungen erkennen. Das PFA-100-System liefert jedoch unterhalb eines Hämatokritwertes von 35% und einer Thrombozytenzahl 2-mal R mit Heparinase; hTEG Gerinnungszeit n R >10 min; TEG Fibrinolyseindex n; Lyseindex zum Zeitpunkt 30 min >7,5%; TEG Thrombusstabilität p; maximale Amplitude 80% substituiert. Die Infektionsprophylaxe (2 Tage) besteht aus Ceftriaxon 2 g/Tag und Metronidazol 3-mal 500 mg/Tag. Fluconazol wird an die Nierenfunktion angepasst und für 5 Tage gegeben. Alle Patienten erhalten eine Zytomegalievirusprophylaxe (Ganciclovir i. v./ p. o. entsprechend der Nierenfunktion in der Erhaltungsdosierung). Eine Ulkuspropylaxe ist immer erforderlich. Ein einheitliches Schema der Immunsuppression existiert nicht, an unserer Klinik wird derzeit eine Kombination aus Ciclosporin (Zielspiegel 180 ng/ml), IL-2-Rezeptorantikörpern (Basiliximab 20 mg an Tag 0 und 4), Prednisolon (Startdosierung 1 mg/kg KG/Tag, Dosisreduktion bis 7,5 mg/Tag) und Mycophenolatmofetil (2mal 1,5 g/Tag) eingesetzt. 80.4.3 Komplikationen Eine der häufigen Komplikationen ist die venöse Transplantatthrombose [13]. Sie erfordert die sofortige Revision und führt
1050
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Organtransplantation
fast immer zum Transplantatverlust, bei inkompletter Venenthrombose kann die Thrombektomie erfolgreich sein. Besteht keine Möglichkeit des Organerhalts, so ist die Pankreatektomie erforderlich, um sekundäre Infektkomplikationen zu vermeiden. Bei der venösen Thrombose handelt es sich meist nicht um ein chirurgisches Problem, sondern um eine Perfusionsstörung durch das ischämiebedingte Ödem des Transplantats. Die Häufigkeit dieser Komplikation liegt nach Angaben des International Pancreas Transplant Registry (n>10.000) bei 5,5% für Transplantationen mit exokriner Drainage über die Blase und bei 11% für Patienten mit enterischer Drainage über ein Dünndarminterponat (die derzeit favorisierte Technik). Andere häufige Komplikationen nach PTx sind [14]: intraabdominelle Infektionen (Inzidenz ca. 10%), intraabdominelle Blutungen (Inzidenz 6–8%) und Leckagen der Blasen- oder Darmanastomose (Inzidenz 5%).
80
80.5
Herztransplantation (HTx)
80.5.1 Indikationen, Kontraindikationen Die Indikation zur Herztransplantation wird bei einer irreversiblen, medikamentös therapierefraktären Herzerkrankung im Endstadium (NYHA III/IV) mit einer geschätzten Lebenserwartung ohne Transplantation von 6–12 Monaten, d. h. bei einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 30 Tage) sind häufig durch Erreger verursacht, die beim Patienten ohne Immunsuppression sehr selten gefunden werden bzw. Infektionserkrankungen verursachen. Typisch sind Zytomegalievirusinfektionen als Neuinfektion oder Reaktivierung. In der Diagnostik hat sich die Bestimmung des CMV-pp65 (»immediate early antigene«, es handelt sich aber nicht um ein Antigen, sondern um ein Protein) durchgesetzt. Bei der Antikörperbestimmung muss berücksichtigt werden, dass Titeranstiege auch durch Transfusionen verursacht sein können. Die Therapie besteht in der Behandlung mit Ganciclovir, angepasst an die Nierenfunktion. Bei ausbleibendem Therapieerfolg wird auf Foscavir umgestellt. Die primäre Kombinationsbehandlung scheint vielversprechend zu sein, ist aber noch nicht abschließend zu beurteilen. Andere Spätinfektionen werden häufig durch Pneumozystis, Listerien, Nocardien, Toxoplasmen oder Legionellen verursacht, ein Grund, der viele Zentren zu einer 6-wöchigen Trimethoprim-Sulfamethoxazol-Prophylaxe veranlasst hat [20].
Nierenversagen Nach Herztransplantation entwickeln 7–12% der Patienten ein Nierenversagen, das mit einem entsprechenden Nierenersatzverfahren behandelt werden muss. Ursächlich liegt dem Nierenversagen eine Kombination aus präoperativ eingeschränkter Nierenfunktion, Ciclosporin-/Tacrolimus-Toxizität, Kreislaufinsuffizienz mit entsprechend reduzierter Nierenperfusion und hochdosierter Katecholaminbehandlung zugrunde.
Bei der Behandlung wird der kontinuierlichen Ersatztherapie (venovenöse Hämofiltration) wegen geringerer kardiozirkulatorischer Nebenwirkungen der Vorzug vor den diskontinuierlichen Verfahren gegeben. Eine der Möglichkeiten, das Risiko des Nierenversagens zu reduzieren, besteht in der einschleichenden Ciclosporin-Dosierung bei Beginn der Immunsuppression, unter Überbrückung der immunsuppressiven Lücke mit IL-2-Rezeptor-Antikörpern, ALG oder ATG [21]. 80.6
Lungentransplantation (LTx)
80.6.1 Indikationen, Kontraindikationen
Indikationen Die Indikation zur Lungentransplantation ist gegeben bei Lungenerkrankungen im Endstadium, die – unter Ausschöpfung aller konservativen Therapieoptionen – eine rasche Progression im Krankheitsverlauf zeigen. Die Lebenserwartung der Patienten ohne Transplantation beträgt bei Indikationsstellung maximal 12–18 Monate. Bei den zugrunde liegenden Erkrankungen wird nach parenchymalen und vaskulären Lungenerkrankungen unterschieden. Den Anteil der jeweiligen Erkrankungen bei 6579 Transplantationen zeigt . Tabelle 80.2 [22].
Kontraindikationen Kontraindikationen für eine Lungentransplantation sind immer dann gegeben, wenn Zusatzerkrankungen oder Folgeerkrankungen vorliegen, die den Transplantationserfolg unwahrscheinlich machen. Kontraindikationen für eine Lungentransplantation 5 Schwere systemische Zusatzerkrankungen 5 Floride systemische Infektionserkrankungen 5 Pulmonale Infektionen mit multiresistenten Pseudomonas-aeruginosa-Stämmen 6
. Tabelle 80.2. Verteilung der Grunderkrankungen bei 6579 Lungentransplantationen (Registry of the International Society of Heart Lung Transplantation 1997) Indikation
Einzellungen [%]
Doppellungen [%]
Emphysem/COLD
44
17
α1-Antitrypsinmangel
12
11
Lungenfibrose
20
7
Zystische Fibrose
1
34
Primäre pulmonale Hypertonie
6
10
Retransplantation
3
3
14
18
Andere
1053 80.6 · Lungentransplantation (LTx)
5 Maligne Erkrankungen 5 Hochdosierte Kortikosteroidmedikation über längere Zeit 5 Patienten ohne Rehabilitationsfähigkeit 5 Extreme Kachexie oder Adipositas 5 Schwere Knochenmarkfunktionsstörung 5 Koronare Herzkrankheit/Kontraktilitätsstörungen 5 Hochreplikative, chronische Hepatitis B 5 Alkohol- oder Drogenabhängigkeit 5 Anamnese fehlender medizinischer Compliance
80.6.2 Postoperative Über wachung, Therapie
und Komplikationen Zum Standardmonitoring des Lungentransplantierten gehören die kontinuierliche arterielle, zentralvenöse und pulmonalartierielle Druckmessung, die Überwachung der gemischtvenösen und der pulsoxymetrischen O2-Sättigung sowie die kontinuierliche oder diskontinuierliche HZV-Messung. Thoraxröntgenaufnahmen erfolgen anfänglich 2-mal täglich, später einmal täglich. Sollte eine frühe Extubation nicht möglich sein, so wird der Patient 1- bis 2-täglich bronchoskopiert. Bei jedem Temperaturanstieg auf >37,9°C wird eine Blutkultur abgenommen. Abgesehen von der höheren Bronchoskopiefrequenz mit entsprechender Materialgewinnung zur mikrobiologischen Diagnostik entspricht das Infektionsmonitoring dem anderer Organtransplantationen. Die Bronchoskopie dient bei diesen Patienten nicht nur der Infektüberwachung, sondern auch der Differenzierung zwischen Infektion und Abstoßung (transbronchiale Biopsie) sowie der Beurteilung der bronchialen Anastomosenverhältnisse (Insuffizienz, Stenose) und der Bronchialtoilette.
Immunsuppression Die meisten Transplantationszentren verwenden derzeit eine Kombination aus Ciclosporin oder Tacrolimus, kombiniert mit Prednisolon und Azathioprin oder Mycophenolatmofetil. Die initialen Zielkonzentrationen liegen bei 300 ng/ml Ciclosporin bzw. bei 15 ng/ml Tacrolimus. Die Induktionstherapie mit OKT3, ALG oder ATG wird noch von einzelnen Zentren eingesetzt. IL2-Rezeptorantikörper befindet sich in Erprobung [23].
Extubation
80
Kapillarpermeabilität, einem interstitiellen Ödem und einer signifikanten Dysfunktion der Alveolarpneumozyten vom Typ II einhergeht und Hypoxie, pulmonale Hypertonie und eine verminderte Compliance zur Folge hat. Ein ausgeprägter Reperfusionsschaden führt zu einem längeren Intensivaufenthalt mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität. Radiologisch zeigt sich während der ersten 2 Tage eine retikuläres interstitielles Infiltrat, das vorwiegend um den Lungenhilus und in den unteren Abschnitten lokalisiert ist und seine maximale Ausprägung um den 3.‒4. Tag nach Tranplantation findet. Die Therapie besteht in der Fortführung der maschinellen Beatmung mit erhöhtem PEEP, bei pulmonaler Hypertonie in NO-Inhalation oder Prostaglandin-E1-Infusion sowie Flüssigkeitsrestriktion bzw. Volumenentzug, sofern dies hämodynamisch vertretbar ist. Bei ca. 5% der Patienten nach Lungentransplantation ist der Reperfusionsschaden so ausgeprägt, dass eine Behandlung mit der extrakorporalen Membranoxygenierung oder die Retransplantation erforderlich wird [24].
Lungenödem Der Reperfusionsschaden darf nicht mit dem Ödem verwechselt werden, das aus perioperativer Flüssigkeitsüberladung oder Pulmonalvenenobstruktion (»kinking« der Vene oder Thrombose bei zu enger Anastomose) resultiert. Die Diagnose wird durch die transösophageale Echokardiographie oder per Angiographie gestellt und erfordert die operative Revision.
Störungen des Ventilations-Per fusionsVerhältnisses Patienten nach Einzellungentransplantation können ein Ventilations-Perfusions-Missverhältnis entwickeln, das zu ausgeprägten Gasaustauschstörungen führt. Bei Patienten, die wegen einer Erkrankung mit pulmonaler Hypertension transplantiert wurden, beruht der zugrunde liegende Mechanismus darauf, dass nach der Transplantation der größere Anteil des Herzzeitvolumens das Transplantat perfundiert und sich ein funktioneller Rechtslinks-Shunt ausbildet.
Hyperakute Abstoßung Die hyperakute Abstoßung als eine durch Empfängerantikörper vermittelte Reaktion gegen das Endothel des Transplantats führt zur Komplementaktivierung und daraus resultierend zu Thrombose und Transplantatversagen. Die hyperakute Abstoßung stellt die seltenste Form der Abstoßung dar.
Eine Extubation während der ersten 36 h ist immer anzustreben. Dabei gelten die üblichen Kriterien der Extubation. Einige Zentren bevorzugen bei der Einzellungentransplantation die initiale, seitengetrennte Ventilation über einen Doppellumentubus. Hintergrund ist die Überlegung, dass es bei Verwendung eines normalen Tubus zu einer Ventilationsstörung mit Überblähung des Tranplanta