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Annabelle Houdret Wasserkonflikte sind Machtkonflikte
VS RESEARCH
Annabelle Houdret
Wasserkonflikte sind Machtkonflikte Ursachen und Lösungsansätze in Marokko
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Duisburg-Essen und Université Paris 8, 2008
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger / Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16982-8
Vorwort
Die vorliegende Studie wurde im Rahmen eines Ko-Doktorats der Universität Duisburg-Essen und der Université Paris VIII angefertigt. Zusätzlich zu der deutschsprachigen Arbeit ist deshalb eine ausführliche Zusammenfassung in französischer Sprache verfügbar1. Mein Dank gebührt allen KollegInnen, MentorInnen und FreundInnen, die mich im Verlauf dieser Arbeit fachlich, praktisch und nicht zuletzt auch menschlich unterstützt haben. Meinen Doktorvätern und Gutachtern kommt dabei ein besonderer Dank für ihre fachliche Beratung, ihre Kritik und ihre fortwährende Ermutigung zu: P.D. Dr. habil. Jochen Hippler, Institut für Politikwissenschaft und Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr. Gilbert Achcar, Department of Development Studies and International Relations, University of London, und Prof. Dr. Yves Sintomer, Département de Sciences Politiques, Université Paris VIII und Centre Marc Bloch, Berlin. Weiter danke ich Prof. Dr. Tobias Debiel, Professor für Internationale Beziehungen/ Außen- und Entwicklungspolitik an der Universität Duisburg-Essen und Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF), für seine fachliche und persönliche Unterstützung. Die Studie ist aus der Zusammenarbeit mit dem Forschungsprojekt SIRMA (Economies d’Eau en Systèmes Irrigués du Maghreb) entstanden. Das vom französischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten finanzierte Vorhaben untersucht über eine Laufzeit von 4 Jahren die Auswirkungen von Wasserknappheit und Anpassungsmöglichkeiten in Marokko, Tunesien und Algerien. Diese Einbindung in ein internationales und interdisziplinäres Projekt ermöglichte mir wertvollen fachlichen Austausch sowie wichtige praktische Einsichten in die Bedingungen des Wassermanagements der drei Länder. Ich danke insbesondere dem Projektmanager Dr. Marcel Kuper für seine Unterstützung, ohne die eine derart intensive Einbindung in die marokkanischen Kreise der Wissenschaft und Praxis nicht möglich gewesen wäre. Weiter möchte ich dem französisch-marokkanischen Team des Projektes danken, welches mich im Laufe der Forschungsarbeiten wissenschaftlich und 1
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Vorwort
praktisch begleitet hat und einen sehr fruchtbaren interdisziplinären Austausch ermöglichte. Mein besonderer Dank gilt hier Prof. Dr. Mohamed Elalaoui und Mostafa Errahj von der Ecole Nationale d’Agriculture, Meknes, die mir sowohl durch ihre fachliche Unterstützung als auch bei der Organisation der Feldforschung eine große Hilfe waren. Ebenso danke ich meinen Interviewpartnern in den lokalen Behörden und insbesondere des Office National pour la Mise en Valeur Agricole du Souss Massa, den Landwirten und den zivilgesellschaftlichen Organisationen für ihren immer herzlichen Empfang und ihre Auskunftsbereitschaft. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Elhassane ElMahdad der Université Ibn Zohr, Agadir, sowie meinen Übersetzern und Assistenten Khalid Hayda und Noureddine Mouida, ohne deren Kenntnisse und Einsatz die intensive Untersuchung der lokalen Zusammenhänge im Souss-Tal nicht möglich gewesen wäre. Auch Salah Eddine Ibnou Quossai danke ich für seine vielfache Unterstützung. Besonderer Dank gebührt weiter dem CIRAD, Centre de Coopération Internationale en Recherche Agronomique pour le Développement, für die Gewährung eines dreijährigen Stipendiums, welches mir die Forschungsaufenthalte in Marokko ermöglichte. Ich danke ebenfalls der französischen Botschaft Berlin für die Unterstützung meines dreimonatigen Recherche-Aufenthalts in Paris. Ganz besonders möchte ich mich bei meiner Familie bedanken, deren nachdrückliche Ermutigung mein Durchhaltevermögen immer wieder bestärkt hat. Annabelle Houdret
Inhalt
Vorwort………………………………………………………….. 5 Abbildungsverzeichnis ………………………………………… 13 Tabellenverzeichnis .……………………………………………13 Abkürzungsverzeichnis………………………………………... 15 Einleitung …………………………………………………….... 17 1
Ursachen und Folgen der Süßwasser-Knappheit………... 25
1.1 Die „Wasserkrise“ als ökologische und politische Frage………….. 25 1.1.1 Probleme der Einschätzung von „Wasserknappheit“ …………… 27 1.1.2 Die bewässerte Landwirtschaft: Spiegel von Machtbeziehungen... 29 1.1.3 Mögliche Anpassung an Wasserknappheit ………………………. 33 1.1.4 Wasserprobleme in der MENA Region ………………………….. 36 1.2 Wasserressourcen als Sicherheitsfaktor …………………………… 1.2.1 Veränderte Konzepte nationaler und internationaler Sicherheit … 1.2.2 Die politische Wahrnehmung ökologischer Sicherheitsaspekte … 1.2.3 Wasser als Sicherheitsfaktor innerhalb von Staaten …………….. 1.2.4 Zwischenstaatliche Wasserkonflikte ……………………………..
2
39 40 43 46 52
Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten ….. 55
2.1 Die Umweltsicherheitsforschung 6 2.1.1 Entstehung und Schwerpunkte des Forschungszweiges ………… 56 2.1.2 Ergebnisse der empirischen Studien …………………………….. 61 2.1.3 Defizite der bisherigen Forschung ………………………………. 63 2.2 Die Common-Pool-Resource Forschung 7 2.2.1 Grundannahmen zum Ressourcenmanagement ………………… 67 2.2.2 Nutzen der Theorien für die Analyse von Wasserkonflikten …….70
8
Inhalt
2.3 Die Konfliktforschung ……………………………………………….. 74 2.3.1 Die konstruktive Funktion gesellschaftlicher Konflikte …………. 75 2.3.2 Das Konzept der Konflikttransformation ………………………... 76 2.3.3 Mögliche Akteure der Konflikttransformation ………………….. 82
3
Ein neuer Forschungsansatz ……………………………… 89
3.1
Begriffsklärung: Wasserkonflikte und ihre Austragungsformen … 89
3.2
Die Forschungsfragen ……………………………………………….. 93
3.3
Methodische Herangehensweise und Hypothesen ………………… 95
4
Konfliktpotentiale durch Wandel der soziopolitischen Strukturen in Marokko………………... 101
4.1 Das konventionelle Makhzen- System ……………………………... 103 4.1.1 Die traditionelle Legitimität des Könighauses …………………. 103 4.1.2 Die Rolle der ländlichen königstreuen Eliten ………………….. 109 4.2 Die Herausforderung der etablierten Strukturen und Akteure … 111 4.2.1 Die Legitimität der demokratischen Institutionen ……………… 111 4.2.2 Alternative, nichtstaatliche Interessensvertreter ……………….. 115 4.2.3 Die Entstehung eines „neuen Makhzen“ ……………………….. 120
5
Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen 125
5.1 Die strategische Bedeutung der ländlichen Entwicklung ………... 126 5.1.1 Wasser und Land als Entwicklungs- und Machtfaktoren ……… 126 5.1.2 Zunehmende Disparitäten ……………………………………… 131 5.2 Wasserpolitik im Wandel ………………………………………….. 133 5.2.1 Vom Wasser Gottes zum Wasser des Staates ………………….. 133 5.2.2 Die Dezentralisierung des Wassermanagements ……………….. 135
Inhalt
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5.3 Aktuelle politische Prioritäten und Konfliktpotentiale ………….. 146 5.3.1 Zunehmende Konkurrenz durch steigende Wasserknappheit ….. 146 5.3.2 Folgen der wirtschaftlichen Liberalisierung und Privatisierung 148
6 6.1
Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben …... 157 Zunehmende Konkurrenz um Land und Wasser ………………... 158
6.2 Institutionelle und machtpolitische Aspekte der Wasserkrise …... 166 6.2.1 Staatliche Politik: Liberalisierung versus Ressourcenschutz …... 167 6.2.2 Zivilgesellschaftliches Engagement in der Wasserversorgung … 172 6.3 Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung …… 176 6.3.1 Die Rolle des privaten Unternehmens …………………………. 177 6.3.2 Die Partnerschaft: Privatisierung als „Royalisierung“? ………... 181 6.3.3 Konzeptionelle Schwächen des Projektes ……………………… 187
7 7.1
Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane ……. 193 Die Konfliktparteien der Auseinandersetzungen um Wasser …… 194
7.2 Wachsende ökologische Disparitäten zwischen Landwirten …….. 197 7.2.1 Höhere Verluste an bewässerter Ackerfläche bei Kleinbauern .... 197 7.2.2 Tiefenbohrungen bei Großbauern stärker verbreitet …………… 200 7.2.3 Wasser- und Landzugang bedingen Anbau lukrativer Produkte .. 201 7.3 Ökologische und sozioökonomische Unterschiede verstärken sich 7.3.1 Ungleiche Verteilung alternativer Einkommensquellen ……….. 7.3.2 Geringe Bedeutung des Bildungsstandes ………………………. 7.3.3 Schlechterer Marktzugang für Kleinbauern …………………….
204 205 207 208
7.4 Anbaufläche und Wasserzugang beeinflussen Konflikthäufigkeit. 210 7.4.1 Großbauern seltener von Konflikten um Bewässerung betroffen. 211 7.4.2 Schlechte Wasserversorgung erhöht Konfliktwahrscheinlichkeit. 214 Der Erfolg von Vermittlern in Wasserkonflikten ………………... 216 7.5 7.5.1 Die Legitimität der Vermittler …………………………………. 217 7.5.2 Vermittlungserfolge abhängig von Schlichter und Konflikttyp ... 218
10
Inhalt
7.6 Zwischenfazit: Wasserkonflikte und Machtpolitik in El Guerdane224 7.6.1 Die Verschärfung von Armut und Wasserkonflikten ………….. 225 7.6.2 Die öffentlich-private Partnerschaft als Machtpolitik ………….. 228
8
Lokale Wasserkonflikte als Spiegel nationaler Machtverhältnisse ……………………………………….. 233
8.1 Machtverhältnisse im Wandel: Königshaus, Bevölkerung, Eliten . 233 8.1.1 Die neuen Strategien des Makhzen …………………………….. 234 8.1.2 Perspektiven der politischen Liberalisierung …………………... 237 8.1.3 Der neue Regel- und Institutionenpluralismus ………………… 240 8.1.4 Die Gefährdung der Legitimität von Regierung und König …… 244 8.2 Perspektiven für eine Transformation von Wasserkonflikten ….. 247 8.2.1 Wasserkonflikte als soziales und politisches Phänomen ………. 248 8.2.2 Die Möglichkeiten der Interessensverhandlung ……………….. 249 8.2.3 Die Schlüsselrolle von Vermittlern auf der intermediären Ebene. 250 8.2.4 Günstige Zeitpunkte für neue Strategien ………………………. 251 8.3
9 9.1
Weiterer Forschungsbedarf ……………………………………….. 252
Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten 255 Prävention von Wasserkonflikten verstärken ……………………. 255
9.2 Wasserpolitik als gesellschaftliche (De-) Stabilisierung verstehen. 258 9.2.1 Nationale und internationale Veränderungen begleiten ………... 259 9.2.2 Nationale Wasserpolitik konfliktsensibel gestalten ……………. 261 9.3 Konfliktpotentiale erkennen, Transformation unterstützen ……. 9.3.1 Strukturelle Konfliktpotentiale erkennen ………………………. 9.3.2 Konflikte durch Wasserprojekte vermeiden …………………… 9.3.3 Konfliktsensible Gestaltung öffentlich-privater Partnerschaften . 9.3.4 Konfliktsensible Projektkonzeption und -evaluation …………..
262 262 264 266 268
9.4 Konstruktiv mit Wasserkonflikten umgehen …………………….. 269 9.4.1 Bewusstsein um Konflikte und Austragungsformen schärfen …. 269 9.4.2 Konstruktive Transformation von Konflikten verbessern ……… 270
Inhalt
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Fazit …………………………………………………………… 275 Literaturverzeichnis………………………………………….. 281
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16:
Phasen der politischen Anpassung an Wasserknappheit ......... 34 Die marokkanische Verwaltungsstruktur: Gewählte und dem König unterstellte Institutionen ..................................... 107 Die wichtigsten staatlichen WassermanagementInstitutionen .......................................................................... 138 Die Abrechnung des Wasserverbrauchs in den Haushalten .. 144 Die Abrechnung des Wasserverbrauchs in den staatlichen Bewässerungsgebieten .......................................................... 145 Der Verlauf des Souss- Flusses ............................................. 159 Die Akteure im Projekt El Guerdane .................................... 181 Beteiligte Firmen im Projekt El Guerdane und ihr Verhältnis zur ONA-Gruppe .................................................................. 186 Die Entwicklung der bewässerten Flächen und der Regenlandwirtschaft ............................................................. 199 Der Zugang zu Bewässerung in den verschiedenen Betrieben ............................................................................... 201 Produktionsstruktur der Betriebe mit und ohne Tiefenbohrungen (2006) ....................................................... 203 Die Anteile unterschiedlicher Einkommensquellen der Bauern der vier Kategorien ................................................... 205 Die Häufigkeit von Wasserkonflikten bei Bauern der vier Kategorien...................................................................... 212 Die Häufigkeit von Konflikten bei Bauern mit und ohne Tiefenbohrungen ................................................................... 216 Der Erfolg von Vermittlungsinitiativen in unterschiedlichen Wasserkonflikten ..................................... 223 Schematische Darstellung der Umgebung des El Guerdane- Projekts ........................................................... 225
14 Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3:
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Die Abgrenzung unterschiedlicher Ansätze in der Konfliktforschung ………………………………………….… 81 Die Finanzierung des Projekts El Guerdane …………………. 182 Darstellung der Konflikthäufigkeit in Prozent ……….……… 211
Abkürzungsverzeichnis
ABH AFD ASPAM ASPEM APEFEL AUEA BIP BMZ CSEC DAC DFID DPA e.Q. EZ FAO FH2 GECHS GTZ i.A. IFC IPCC IUCN IWRM MAD MATEE MEMEE MFP MENA NATO
Agence de Bassin Hydraulique Agence Française de Développement Association des producteurs d'agrumes du Maroc Association des Producteurs de Primeurs Association Marocaine des Producteurs Exportateurs de Fruits et Légumes Association d’Usagers d’Eau Agricole Brutto-Inlandsprodukt Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Conseil Supérieur de l’Eau et du Climat (Marokko) Development Assistance Committee (der OECD) Department for International Development Direction Provinciale Agricole Elektronische Quelle Entwicklungszusammenarbeit Food and Agriculture Organisation of the United Nations Fonds Hassan II pour le Développement Economique et Social Global Environmental Change and Human Security Project Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit International Alert International Finance Cooperation Intergovernmental Panel on Climate Change World Conservation Union Integrated Water Resource Management Marokkanische Dirham Ministère de l’Aménagement du Territoire, de l’Eau et de l’Environnement Ministère des Mines, de l’Energie, de l’Eau et de l’Environnement (in Nachfolge des MATEE) Ministère des Finances et de la Privatisation Middle East and Northern Africa North Atlantic Treaty Organisation
16 NGO/s OECD ONA ONEP ORMVA o.A. o.N. o.S. PASA PJD PPP PRIO SDC UN UNDP UNEP UNICEF WBGU WCED WHO
Abkürzungsverzeichnis Nichtregierungsorganisation/-en Organisation for Economic Cooperation and Development Omnium Nord-Africain Office National de l’Eau Potable Office Régional de Mise en Valeur Agricole Ohne Angabe Ohne Name Ohne Seitenangabe Plan d’Ajustement Structurel Agricole Parti de la Justice et du Développement Public Private Partnership Peace Research Institute Oslo Swiss Development Cooperation United Nations United Nations Development Program United Nations Environment Program United Nations Children’s Fund Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen World Commission on Environment and Development World Health Organisation
Einleitung
Die bereits heute in vielen Ländern akute Wasserknappheit wird sich in Zukunft erheblich ausweiten und verstärken. Die steigende Nachfrage, verursacht durch wachsende Urbanisierung, veränderte Konsumgewohnheiten und erhöhten Nahrungsbedarf, steht dabei einer sinkenden Verfügbarkeit von Wasser gegenüber, die auch durch die Auswirkungen des Klimawandels bedingt ist. Die Konkurrenz um den Zugang zur Ressource wächst und sorgt vor allem auf innerstaatlicher Ebene für zunehmende Konfliktpotentiale. Auch die menschliche Entwicklung wird durch das Phänomen massiv beeinträchtigt: Wasserknappheit in der Landwirtschaft beispielsweise gefährdet die Lebensgrundlage vieler Menschen. Weiter sterben durch Krankheiten, die durch unzureichenden Zugang zu sauberem Trinkwasser entstehen, weltweit zehn Mal mehr Menschen als durch gewaltsame Konflikte (Gresh/Rekacewicz et al. 2006: 12). Viele Entwicklungsländer sind von diesen Trends besonders betroffen, wenngleich die Wasserknappheit auch in Südeuropa und Nordamerika erhebliche Auswirkungen zeigt. Da in zahlreichen Ländern die Möglichkeiten zur Nutzbarmachung neuer Wasservorkommen weitgehend ausgeschöpft sind, kann die Verfügbarkeit der Ressource nur durch Nachfragemanagement weiter erhöht werden. Doch solche Maßnahmen sind politisch hoch sensibel, denn die Einschränkungen können ärmere Bevölkerungsgruppen sowie wasserabhängige Wirtschaftszweige empfindlich treffen und soziale Unruhen verstärken. Die Wasserknappheit ist jedoch nicht primär ökologisch verursacht, sondern vielmehr ein Problem mangelnder politischer Steuerung mit sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen. Soziale und politische Strukturen bestimmen in nahezu allen Ländern die Wasserpolitik und beeinflussen die Entscheidungen zur Förderung einzelner Wirtschaftszweige und bestimmter Regionen oder Bevölkerungsgruppen. Bestehende Ungleichheiten können hierdurch verstärkt werden. Gerade weil die Wasserverteilung eine sehr politische Frage und häufig mit Machtinteressen verbunden ist, können Auseinandersetzungen um den Ressourcenzugang weitergehende soziale Destabilisierung zur Folge haben. Immer stärker wird Wasserpolitik daher zu einer Frage der Legitimität der politischen Entscheidungsträger und der sozialen Verteilungsgerechtigkeit. Sowohl aus der Perspektive der Praxis als auch aus der Sicht der Forschung stellen die wachsenden Konfliktpotentiale im Wassersektor eine Herausforde-
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Einleitung
rung dar. Denn die naturwissenschaftlichen und technischen Ansätze reichen für die Analyse der primär soziopolitisch bedingten Konflikte nicht aus, aber auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung existiert bisher keine spezifische Herangehensweise. Angesichts der sich rapide verschlechternden Wasserverfügbarkeit werden die Einschätzung von Konfliktrisiken, die Analyse der Ursachen solcher Auseinandersetzungen und die Entwicklung von Handlungsoptionen jedoch immer wichtiger. Vor diesem Hintergrund stehen drei Schlüsselfragen im Zentrum der vorliegenden Studie:
Welche strukturellen politischen, ökologischen und sozioökonomischen Ursachen können Wasserkonflikte mit auslösen? Welche Vermittlungs-, Präventions- und Transformationsmöglichkeiten von Wasserkonflikten bestehen bzw. könnten gezielt gefördert werden? Welche Schlussfolgerungen könne aus der hier untersuchten Fallstudie für das theoretische Verständnis von Wasserkonflikten und für den praktischen Umgang mit diesen gewonnen werden?
Im Mittelpunkt der Studie steht die bewässerte Landwirtschaft, die angesichts der Knappheit der Ressource und der Konfliktpotentiale eine besondere Rolle einnimmt. Der Wasserkonsum des Agrarsektors macht weltweit durchschnittlich 70%, in vielen Ländern bis zu 90% des Gesamtverbrauchs aus. Gerade die bewässerte Landwirtschaft, die eine erhebliche höhere Produktivität aufweist als die Regenlandwirtschaft, hat in den letzen 60 Jahren eine starke Intensivierung und Ausbreitung erfahren. Für die Analyse von Wasserkonflikten und der damit zusammenhängenden soziopolitischen Strukturen ist dieser Sektor aus mehreren Gründen besonders interessant. Zum einen werden gerade hier die sozioökonomischen Dimensionen des Wassermanagements, aber auch die machtpolitischen Aspekte der Ressourcenverteilung besonders deutlich. Zum anderen ist der Sektor mit hohen Herausforderungen und grundlegenden Veränderungen konfrontiert, die auch Konfliktpotentiale bergen. Angesichts des hohen Wasserkonsums und der Knappheit der Ressource steht die Landwirtschaft von allen Sektoren am stärksten unter Druck, den Verbrauch zu reduzieren. Gleichzeitig wachsen jedoch in Anbetracht des rasanten Anstiegs der Preise von Grundnahrungsmitteln auf dem Weltmarkt die Erwartungen an die Landwirtschaft. Vor allem wasserarme Entwicklungsländer, die einen hohen Anteil ihrer Grundnahrungsmittel importieren, müssen hierfür zunehmend Kredite aufnehmen und sind Einschränkungen in der Nahrungsverfügbarkeit ausgesetzt. Dies hat in mehreren Ländern bereits zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt (Abou El Magd 2008: e.Q.; FAO 2008: e.Q.). Darüber hinaus erhöht auch die zunehmende Marktliberalisierung den Druck auf den Agrarsektor und bedroht
Einleitung
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die Existenz vieler ländlicher Familien, da heimische Erzeugnisse der neuen Konkurrenz häufig nicht standhalten können und Subventionen gestrichen werden. Doch gerade die Bewässerungslandwirtschaft, die innerhalb des landwirtschaftlichen Sektors noch relativ gute Einkommenschancen bietet, erfährt tiefgreifende Veränderungen, deren Auswirkungen für die Kleinbauern sich bisher vor allem negativ abzeichnen. Ein wesentliches Element ist hierbei die Reform der staatlichen Wassermanagementinstitutionen. Im Kontext der wirtschaftlichen Liberalisierung und der Forderungen nach einem Rückzug des Staates sowie angesichts hoher Investitions- und Wartungskosten, beschränkter öffentlicher Budgets sowie Vorwürfen ineffizienter Verwaltung der Bewässerungssysteme werben internationale Geberinstitutionen zum einen immer stärker für eine Einbindung des Privatsektors in die Bewässerungslandwirtschaft (vgl. z.B. Jones 1995; Darghout 2005; Tardieu/Préfol et al. 2005; Winpenny/Hall et al. 2006). Zum anderen wird auch an staatliche oder zivilgesellschaftliche Wassernutzergruppen zunehmend Verantwortung für das Management der Ressource abgegeben. Beide Optionen der Delegierung haben jedoch, wie diese Studie zeigt, sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt. Diese Zusammenhänge zeigen, dass die Erforschung von Wasserkonflikten auch eng mit entwicklungspolitischen Fragestellungen verknüpft ist. Die Forderung nach einer verstärkten Dezentralisierung des Staates und mehr Partizipation der Bevölkerung, die Frage der zunehmenden Urbanisierung und der Beziehungen zwischen Stadt und Land oder der Zukunft der Landwirtschaft im Kontext globalisierter Märkte sind hier gemeinsame Problemfelder. Auch die Möglichkeiten und Grenzen der Einbindung privater Unternehmen in staatliche Dienstleistungen sowie - nicht zuletzt - das Thema des Umgangs mit Konfliktpotentialen in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) verbinden die Wasserkonflikt- mit der Entwicklungsforschung. Der Mittlere Osten und Nordafrika sind sowohl von der Wasserknappheit als auch von den Herausforderungen für den Agrarsektor besonders betroffen. Marokko, welches im Zentrum dieser Studie steht, schneidet im regionalen Vergleich der Effizienz und Innovationsfähigkeit der Wasserpolitik in einer Studie der Weltbank zwar positiv ab (WB 2007b: 36, 44). Trotzdem nehmen auch hier die Probleme durch die Wasserknappheit stark zu und bergen hohe Risiken für das ökologische, wirtschaftliche und soziale Gleichgewicht. Marokko ist in hohem Maße von den oben erläuterten wirtschaftlichen und politischen Trends betroffen, die vor allem die Existenz der Kleinbauern, die 70% der Landwirte darstellen, bedrohen. Einige Großinvestoren dagegen, die über ausreichend Kapital zur Investition in teure Bewässerungssysteme und Tiefenbohrungen verfügen, expandieren rapide und beherrschen die lukrativen Exportmärkte. Gleichzeitig ist die machtpolitische Dimension des Wassermanagements in Marokko stark aus-
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Einleitung
geprägt. Von vorkolonialen Zeiten an bis heute wurde und wird die Zuteilung von Wasser und fruchtbarem Land hier zur Bildung und Sicherung von Allianzen zwischen der Zentralmacht und ländlichen Eliten genutzt. Auch deshalb verschärft die Wasserknappheit bereits bestehende Disparitäten zwischen Bevölkerungsgruppen und kann zu verstärkten Konfliktpotentialen führen. Wie die vorliegende Studie verdeutlicht, ermöglicht die Analyse von Wasserpolitik und Wasserkonflikten insofern auch eine Einsicht in weitere soziopolitische Prozesse. Veränderungen politischer Allianzen und Kräfteverhältnisse lassen sich auf diese Weise häufig auf der Grundlage von Beobachtungen aus dem Wassersektor verstehen. Vor diesem Hintergrund erforscht die Studie am Beispiel von Marokko, wie politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen die Entstehung und den Verlauf von Wasserkonflikten beeinflussen. Aus diesem wesentlichen Erkenntnisinteresse heraus ergeben sich mehrere untergeordnete Forschungsziele. Zum einen wird eine verbesserte theoretische und methodische Herangehensweise an das Phänomen der Wasserkonflikte angestrebt, indem ein spezifischer, von der Konfliktforschung geprägter Ansatz entwickelt und angewendet wird. Zum anderen zielt die Studie darauf ab, das Verständnis über die soziopolitischen Dimensionen von Wassermanagement insbesondere im Kontext aktueller Herausforderungen in wasserarmen Ländern zu verbessern. Relevant ist dabei einerseits, inwiefern Wasserkonflikte bestehende Konfliktursachen verstärken und zu weiterer gesellschaftlicher Destabilisierung führen. Andererseits sind ebenso die Fragen bedeutsam, ob eine Transformation dieser Konflikte konstruktive gesellschaftliche Dynamiken begünstigen kann, und wie sozial und ökologisch nachhaltiges Wassermanagement zur gesellschaftlichen Stabilisierung beitragen kann. Diesen Fragen geht die Studie am Beispiel der stark von Wasserknappheit betroffenen Region Souss im Süden Marokkos nach und untersucht Marginalisierungsprozesse, Konflikte um Wasser und Möglichkeiten der Konfliktvermittlung und –transformation. Die besonderen Implikationen des Pilotprojekts El Guerdane zur Bewässerung im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft werden in diesem Kontext ebenfalls analysiert. Schließlich schlägt die Studie auf Grundlage der Forschungsergebnisse ein Konzept und politische Handlungsoptionen vor, um die Erkennung, Bearbeitung und Prävention von Wasserkonflikten für nationale Entscheidungsträger sowie für die internationale Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern. Die Studie führt zunächst in das Thema der Wasserkonflikte ein, analysiert den Forschungsstand diesbezüglich und erläutert das Forschungsdesign. Kapitel 1 geht auf das Ausmaß der weltweiten Wasserknappheit ein und erläutert die
Einleitung
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besondere politische Rolle der bewässerten Landwirtschaft. Auch die spezifische Situation in der Region Mittlerer Osten und Nordafrika wird hier thematisiert. Weiter werden die sicherheitspolitischen Implikationen der Knappheit im Kontext veränderter Sicherheitskonzepte und einer verstärkten politischen Aufmerksamkeit für Umweltfaktoren in diesem Bereich analysiert. Das Kapitel argumentiert angesichts der zunehmenden Konfliktpotentiale von Wasserknappheit für eine differenzierte Wahrnehmung, die einerseits gewaltsame Konflikte, andererseits aber auch andere Formen der Konfliktaustragung sowie die Auswirkungen auf die Menschliche Sicherheit und Entwicklung berücksichtigt. Bisher existieren keine ausreichend spezifischen wissenschaftlichen Ansätze zur Erforschung innerstaatlicher Wasserkonflikte, die sowohl die unterschiedlichen gesellschaftlichen als auch die ökologischen Konfliktursachen auf lokaler, nationaler und ggf. internationaler Ebene ausreichend berücksichtigen und die Entwicklung geeigneter Handlungsoptionen erlauben. Das zweite Kapitel stellt heraus, welche Erklärungsansätze in angrenzenden Forschungsbereichen existieren und welche Forschungslücken bezüglich des hier gewählten Themas und der Fragestellung weiter bestehen. Zu diesem Zweck wird der Stand der Forschung in drei angrenzenden Feldern analysiert: der Umweltsicherheitsforschung, der Theorien der Common-Pool-Resources (CPR) und der Konfliktforschung. Der Vergleich zeigt, dass die Umweltsicherheits- und die CPR-Forschung zwar interessante Erkenntnisse bezüglich der Rahmenbedingungen von Ressourcenmanagement liefern, jedoch zahlreiche spezifische Aspekte für den Fall der Wasserkonflikte nicht berücksichtigen. Die Konfliktforschung und das Konzept der Konflikttransformation dagegen, die bisher nur wenig für die Untersuchung von Umweltaspekten angewendet worden sind, bieten diesbezüglich zahlreiche vielversprechende Anknüpfungspunkte. Hieraus ergibt sich der für diese Studie gewählte Forschungsansatz, der Wasserkonflikte aus einer neuen und innovativen Perspektive heraus betrachtet. Kapitel 3 stellt das Forschungsdesign und den neuen Analyseansatz vor. Die wichtigsten Arbeitsbegriffe werden hier eingeführt, die zentralen Forschungsfragen erläutert und die Hypothesen, auf deren Grundlage die empirischen Untersuchungen erfolgen, erklärt. Die Hypothesen gehen davon aus, dass eine Kombination aus ökologischer und sozioökonomischer Marginalisierung zur Entstehung von Wasserkonflikten führt. Weiter wird angenommen, dass erfolgreiche Vermittlung in diesen Konflikten von der Legitimität der intervenierenden Akteure und Institutionen abhängt, und dass lokale Organisationen hierbei eine wichtige Rolle spielen. Kapitel 4 und 5 analysieren die politischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen Marokkos, um mögliche strukturelle Konfliktursachen sowie aktuelle, möglicherweise konfliktbegünstigende Veränderungen auszumachen.
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Einleitung
Kapitel 4 geht dabei auf das politische System des Landes und die besondere Rolle des Königs und seiner machtpolitischen Allianzen mit der ländlichen Elite ein. Im zweiten Teil des Kapitels werden die Herausforderungen dieser etablierten Strukturen und Akteure analysiert, wobei die geringe Legitimität der demokratischen Institutionen, die zunehmende Popularität zivilgesellschaftlicher Akteure und religiöser Gruppierungen und die Entstehung einer neuen Elite im Zentrum stehen. Im Fokus von Kapitel 5 stehen die Veränderungen in der Wasser- und der Landwirtschaftspolitik sowie sich daraus ergebende Konfliktpotentiale. Die Wasserknappheit, die verstärkte wirtschaftliche Liberalisierung, die mangelnde Dezentralisierung sowie starke Stadt-Land-Disparitäten werden als wesentliche Probleme der ländlichen Entwicklung und der Wasserpolitik ausgemacht. Das Kapitel berücksichtigt dabei neben der Analyse der inhaltlichen Zusammenhänge auch die machtpolitischen Dimensionen dieser Entwicklungen, die sich vor allem in der politischen Kontrolle der Wasserressourcen durch das Königshaus und angegliederte Institutionen äußern. Kapitel 6 und 7 analysieren die Situation im südmarokkanischen Souss-Tal. Hier treffen Wasserknappheit, die machtpolitische Dimension des Wassermanagements und der Wandels der königstreuen Eliten zusammen und führen zu Konflikten. Kapitel 6 führt zunächst in die paradoxe Situation der Landwirtschaft in der Region ein, die einerseits von einer außergewöhnlich starken Degradation der Wasser- und Bodenressourcen geprägt ist, und andererseits eines der wichtigsten Gebiete Marokkos für den lukrativen Anbau landwirtschaftlicher Exportprodukte darstellt. Die zunehmende Marginalisierung von Kleinbauern in der Region wird hier ebenso thematisiert wie die Möglichkeiten und Grenzen der Verbesserung des Ressourcenschutzes. Vor dem Hintergrund des Rückzugs staatlicher Institutionen aus der Landwirtschaftspolitik werden auch im Souss die zwei o.g. Optionen deutlich: zum einen die mögliche stärkere Rolle zivilgesellschaftlicher Institutionen, die mittelfristig jedoch einer reellen Demokratisierung bedürfen, um effizient arbeiten zu können, und zum anderen die zunehmende Bedeutung der Privatwirtschaft, die sich den neuen Handlungsspielraum ebenfalls zunutze macht. Die empirische Studie konzentriert sich hier auf eine Initiative der Privatwirtschaft, behandelt aber auch den Beitrag zivilgesellschaftlicher Organisationen. Im Mittelpunkt steht dabei das für die künftige Wasser- und Entwicklungspolitik richtungsweisende Pilotprojekt einer öffentlich-privaten Partnerschaft (PPP) „El Guerdane“. Das Vorhaben, welches die Verbesserung der Bewässerung von rund 10.000 ha Zitrusplantagen anstrebt, gilt bei der Weltbank und der International Finance Cooperation als gewichtiges Pilotprojekt, weil staatliche Ministerien hier erstmals in einem solchen Ausmaß die Wassernutzbarmachung
Einleitung
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und -verteilung an den Privatsektor delegiert haben (IFC 2004; Gueddari 2006). Die Studie des Projektaufbaus und der Implementierung verdeutlicht neben den technischen, finanziellen und ökologischen Implikationen vor allem auch die machtpolitische Funktion des Vorhabens. Königseigene Unternehmen und Stiftungen spielen hierbei eine besondere Rolle, die auf entscheidende Veränderungen in der Regierungsführung und der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Kontrolle durch den König und seine Gefolgschaft hinweisen. Kapitel 7 stellt zunächst eine Typologie von Wasserkonflikten in der Region vor, die eine wichtige Grundlage der weiteren Erhebungen bildet. Die Ergebnisse der empirischen Studien stehen danach im Zentrum des Kapitels. Rund einhundert Bauern sowie Vertreter von Wassernutzerorganisationen, Verantwortliche staatlicher Institutionen, wissenschaftliche Experten und zivilgesellschaftliche Akteure im Souss-Tal wurden hierfür befragt. Im Mittelpunkt der empirischen Erhebungen stand die Untersuchung der vier Forschungshypothesen zu den wachsenden Disparitäten zwischen Groß- und Kleinbauern, bezüglich der Überschneidung ökologischer und sozioökonomischer Disparitäten bei den Bauern, der Häufigkeit von Wasserkonflikten und zur Legitimität unterschiedlicher Vermittler in diesen Auseinandersetzungen. Abschließend werden vor diesem Hintergrund und unter besonderer Berücksichtigung des in Kapitel 6 erläuterten PPP-Projekts die Wasserkonfliktpotentiale in der Region beurteilt. Kapitel 8 und 9 schließlich formulieren die Schlussfolgerungen aus den vorangegangenen Analysen. Kapitel 8 fasst die wesentlichen Trends zusammen, die sich aus den ökologischen, gesellschaftlichen und machtpolitischen Prozessen in Marokko ergeben. Es zeigt insbesondere auch auf, inwiefern lokales Wassermanagement und Wasserkonflikte nationale Machtverhältnisse widerspiegeln und zu deren Erklärung beitragen könne. Im Zentrum stehen dabei zum einen die Kontinuität und der Wandel der Beziehungen zwischen der Bevölkerung, der Regierung und dem Königshaus. Anhand von vier Schlussfolgerungen zu folgenden Aspekten werden diese Prozesse zusammengefasst: den machtpolitischen Strategien und Allianzen der königsnahen Elite, den Perspektiven der politischen Liberalisierung, den Auswirkungen des zunehmenden Regel- und Institutionenpluralismus, sowie der Gefährdung der Legitimität von Regierung und König. Zum anderen werden konkrete Perspektiven für eine Transformation von Wasserkonfliktpotentialen in Marokko formuliert. Die Dimensionen der sozialen Beziehungen und der Verteilungsgerechtigkeit werden dabei ebenso thematisiert wie die Möglichkeiten der Interessensverhandlung, die Schlüsselrolle vermittelnder Akteure und günstige Zeitfenster für neue Strategien. Schließlich weist das Kapitel auf weiteren Forschungsbedarf bezüglich von Wasserkonflikten hin.
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Einleitung
Das letzte Kapitel (9) stellt abschließend ein praxisorientiertes Konzept und politische Handlungsoptionen zur Prävention und Transformation von Wasserkonflikten vor. Dieses beinhaltet drei konkrete Zielvorstellungen: (1) Ein verbessertes Verständnis von Wasserpolitik als Faktor gesellschaftlicher (De-)Stabilisierung (2) Das Erkennen von Konfliktpotentialen und die Unterstützung ihrer Transformation, und (3) Der konstruktive Umgang mit Wasserkonflikten. Zur Umsetzung dieser Zielvorstellungen werden jeweils praktische Maßnahmen vorgeschlagen, die sowohl für nationale Entscheidungsträger als auch für Akteure der Entwicklungszusammenarbeit relevant sind. Sie umfassen die Gestaltung der Wasserpolitik auf der Makroebene, die Implementierung wasserbezogener Projekte auf der Meso- und Mikroebene und die Einschätzung möglicher Risiken der Einbeziehung des Privatsektors. Die Schlussbemerkung fasst die wesentlichen Erkenntnisse der Studie und die Herausforderungen angesichts zunehmender Wasserkonfliktpotentiale zusammen.
1 Ursachen und Folgen der Süßwasser-Knappheit
1.1 Die „Wasserkrise“ als ökologische und politische Frage Die Wasserknappheit hat bereits heute vielfältige Auswirkungen auf das Gleichgewicht des Ökosystems und auf die menschliche Entwicklung. Der World Water Development Report der Vereinten Nationen stellt angesichts der Prognosen bis zum Jahr 2025 fest: „Von allen Krisen hinsichtlich der sozialen und natürlichen Ressourcen, mit denen wir Menschen konfrontiert sind, ist die Wasserkrise diejenige, die unser Überleben und das unseres Planeten Erde am meisten bedroht“ (UNESCO/WWAP 2003: 4). Gleichzeitig sind sich die internationalen Berichte jedoch einig, dass die Wasserkrise weniger ein ökologisches als vielmehr ein politisches Problem ist: die wesentlichen Schwierigkeiten liegen in der menschenbedingten Übernutzung der Ressource und der fehlenden Durchsetzung ökologisch und sozial nachhaltigen Wassermanagements. Der 2006 dem Thema Wasser gewidmete UN-Bericht zur Menschlichen Entwicklung schreibt hierzu: „Die Knappheit, die den Kern der globalen Wasserkrise ausmacht, hat ihre Grundursachen jedoch in den Machtverhältnissen, in Armut und Ungleichheit, nicht in der tatsächlichen Verfügbarkeit von Wasser“ (UNDP 2006: 2)2. Auch der World Water Development Report 2006 weist auf die politische Dimension hin: „There is enough water for everyone. The problem we face today is largely one of governance: equitably sharing this water while ensuring the sustainability of natural ecosystems“ (UNESCO/WWAP 2006: 3). Diese Feststellungen machen deutlich, dass die Verknappung der Ressource und die Akzentuierung der ungleichen Verteilung nur sehr bedingt ökologisch verursacht sind; vielmehr sind die aktuellen Probleme Ausdruck gescheiterter politischer Steuerungsmechanismen und Spiegel der sozialen Machtverhältnisse. Die relative Wasserknappheit wird durch die horizontalen und vertikalen Machtverhältnisse in bestimmten Regionen und für einige Bevölkerungsgruppen verstärkt, während andere trotz der allgemein sinkenden Verfügbarkeit die Ressour
2 Die weit verbreitete und meist unspezifische Verwendung des Begriffs „Wasserkrise“ suggeriert nach Ansicht der Autorin zum einen oft Unausweichlichkeit und Schicksalsergebenheit, und zum anderen eine Art Naturkatastrophe ökologischen Ursprungs, obwohl die heutige Situation durch den Menschen und mangelnde politische Steuerung verursacht ist. Aus diesen Gründen wird der Begriff hier in Anführungsstrichen gesetzt verwendet.
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ce weiter nutzen können. Die sogenannte „Wasserkrise“ muss deshalb mindestens ebenso als politisches und soziales Phänomen wie als ökologische Entwicklung analysiert werden. Ab den 1990er Jahren wuchs auf internationaler Ebene das Bewusstsein um die Risiken der „Wasserkrise“, und das Thema bekam einen prominenten Platz auf der Agenda zahlreicher internationaler Konferenzen. Auch im Kontext nationaler Sicherheitsstrategien und der Debatten um die Auswirkungen drohender Knappheit anderer Ressourcen, wie Energie und Öl, bekamen Wasserressourcen neue politische Aufmerksamkeit. Kriege der Zukunft, so ein häufiges Argument, würden in Zukunft hauptsächlich um den Zugang zu Ressourcen geführt (Klare 2001: 138 ff., 161 ff.; Starr 1991: 17 ff.). Inzwischen gibt es 23 UNOrganisationen, die sich mit der Problematik beschäftigen – und doch verschlimmert sich die Situation der Ressource weiter. Weltweit ist eine steigende Nachfrage nach Wasser zu beobachten, die von der starken Urbanisierung, dem Bevölkerungswachstum, der Ausdehnung der bewässerten Landwirtschaft, der Expansion der Industrie sowie, vor allem in den urbanen Gebieten, von veränderten Lebensstilen bestimmt wird. Gleichzeitig mit dieser steigenden Nachfrage ist eine Verringerung der Verfügbarkeit von sauberem Wasser festzustellen, die durch veränderte klimatische Bedingungen aber auch durch die verstärkte Verschmutzung des Wassers verursacht wird. Forscher haben nachgewiesen, dass der Klimawandel durch die damit verbundenen steigenden Temperaturen in warmen Ländern stärkere Wasserverdunstung bewirkt. In kälteren Regionen verhindern wärmere Winter die Bildung von genügend Schmelzwasser, welches im Frühling die Flüsse alimentiert. Darüber hinaus gehen die Niederschlagsmengen in vielen Ländern zurück und Dürreperioden treten häufiger auf und dauern länger an (IPCC 2007a: 12). Besonders in schnell wachsenden Randgebieten von Großstädten tragen fehlende oder mangelhafte Abwasserentsorgung und ungeklärte Abwasser der Industrie zur Verschmutzung der Ressource bei; hoher Verbrauch von Pestiziden in der Landwirtschaft verschlimmert das Phänomen. Neben der Verschmutzung und Verminderung der Oberflächengewässer ist auch die Entwicklung des Grundwassers höchst bedenklich. In vielen Regionen der Welt ist der Grundwasserspiegel durch Übernutzung um bis zu 40 m gesunken, was drastische Auswirkungen auf den meist landwirtschaftlich genutzten Boden hat. Das Eindringen von Salzwasser und die Desertifikation lassen unfruchtbare Böden zurück, wo weder Trinkwasser geschöpft noch Ackerbau betrieben werden kann. Die mangelnde Vegetation macht diese Regionen für Erdrutsche und Überschwemmungen bei starken Regenfällen besonders anfällig. Auch die Flusssysteme und Seen spiegeln die Verknappung der Ressource wieder: Flüsse wie der Colorado River in den Vereinigten Staaten oder der Gelbe Fluss in China gelangen nicht mehr
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zum Meer, viele afrikanische Seen oder auch der zentralasiatische Aralsee sind dramatisch geschrumpft. Dies wirkt sich auf das Ökosystem aus und beeinträchtigt die Lebensbedingungen der Region, weil Fischbestände, Bewässerungsmöglichkeiten für die Landwirtschaft und Trinkwasserressourcen zurückgehen.
1.1.1 Probleme der Einschätzung von „Wasserknappheit“ Die Thematisierung der Wasserproblematik hat sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik zu einer Vielzahl oftmals ungenügend voneinander abgegrenzter Definitionen von Wasserknappheit geführt. Zunächst muss zwischen der ökologisch bedingten Verfügbarkeit der Ressource, die u.a. von Niederschlägen, oberirdischen Gewässern und Schmelzwasser abhängt, und der durch Menschen mittels technischer Innovationen zusätzlich verfügbar gemachten Wasservorkommen unterschieden werden. Zu letzteren zählen z.B. Staudämme, Auffangbecken, Kanalisationssysteme und unterirdische Bohrungen und Brunnen. Unterirdische Wasservorkommen werden in erneuerbare (Grundwasser) und nichterneuerbare (fossile) Reserven unterteilt. Grundwasser erneuert sich über Niederschläge und über die Einspeisung des Restwassers aus der landwirtschaftlichen-, industriellen- und Haushaltsnutzung. Fossile Wasserreserven dagegen sind zumeist in abgeschlossenen unterirdischen Höhlen eingelagert und können sich nur selten erneuern, es sei denn durch eine gezielte Wasserzufuhr von außen. Der Begriff der „Wasserknappheit“ erfordert aufgrund der Komplexität dieser unterschiedlichen Reserven und seiner politisch oft hoch sensiblen Verwendung eine klare Definition. Wasserknappheit ist für den Menschen vor allem als ein Mangel in Bezug auf einen bestimmten Bedarf definiert. Der Begriff ist daher stark von der ökonomischen und politischen Wahrnehmung der Auswirkungen der Knappheit bestimmt und lässt sich schwer durch konkrete Zahlen eingrenzen. Die international gängigste Definition von Wasserknappheit wurde von der Food and Agriculture Organisation of the United Nations (FAO) entwickelt und beurteilt die Knappheit anhand der in einem Land verfügbaren (d.h. potentiell nutzbaren, wenn auch nicht unbedingt bereits erschlossenen) Wasserressourcen (FAO 2003: 21). Wasserknappheit stellt demnach ab einer geringeren Verfügbarkeit als 1000 m³/Person/Jahr in einem Land eine Bedrohung für die sozioökonomische Entwicklung und das Ökosystem dar. Ab einer Verfügbarkeit von weniger als 2000 m³/Person/Jahr ist Wasserknappheit potentiell bedrohlich und stellt vor allem in Dürrejahren ein Problem für die betroffene Bevölkerung dar. Diese pauschale Berechnung der verfügbaren Wasserressourcen unterscheidet nicht zwischen dem Bedarf der Haushalte, dem Konsum der Landwirtschaft und der Industrie.
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Die durch die FAO bereitgestellten Datenbanken zur Wasserverfügbarkeit (vor allem das System AQUASTAT) gelten im Allgemeinen als glaubwürdige Referenz und bieten eine geeignete Orientierung für den Ländervergleich. Diese Datenbanken beruhen jedoch auf den Angaben der jeweiligen Regierungen, die gerade im Bereich der Wasserressourcen aus Gründen der politischen Sensibilität und der teilweise ungenügenden technischen Erfassung nicht als zuverlässig gelten können. Auch die Aktualisierung der Daten wird in vielen Ländern nicht regelmäßig vorgenommen, weshalb internationale Vergleiche schwierig sind. Im Hinblick auf die Frage nach Konflikten um die Wasserverteilung wird eine weitere, erhebliche Grenze dieser Datenbanken deutlich: sie erfassen weder regionale noch saisonale Unterschiede und berücksichtigen nicht die politische Regulierung der Ressource. Die innerstaatliche Verteilung wird praktisch nicht erfasst und Disparitäten zwischen einzelnen Regionen eines Landes bleiben daher ‚unsichtbar’. Gerade diese oft erheblichen Unterschiede sind jedoch für die Bestimmung möglicher inter- oder intraregionaler Konkurrenz relevant. In Marokko etwa variiert die Verfügbarkeit unterirdischer Wasservorkommen zwischen 4% im Atlasgebirge und 19% in der Region Moulouya. Die Niederschläge reichen von 25 mm/Jahr im Süden des Landes (Region Laayoun) bis 1250 mm/Jahr im Norden (SEMATEE 2004: 2). Auch saisonale Unterschiede werden, wenn überhaupt, nur ungenügend berücksichtigt, da nur der Jahresdurchschnitt berechnet wird. Zeitreihen, die einen angemessenen Vergleich der Durchschnittswerte ermöglichen würden, sind nicht für alle Länder verfügbar. Zu diesen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass die auf Grundlage der ökologischen Bedingungen und der technischen Ausstattung berechnete verfügbare Wassermenge pro Person in der Realität von individuell sehr unterschiedlichen Faktoren abhängt, die in den Statistiken, wie z.B. die der FAO, nicht erfasst werden. Die politische und soziale Regulierung beeinflusst letztlich den Zugang zur Ressource oft mehr, als die ökologische Verfügbarkeit. Über die Definition der FAO hinaus wird unter Forschern oft über die sog. Wassersicherheit (water security) debattiert. Hierunter wird, meist auf nationaler Ebene, der langfristig gesicherte Zugang zu ausreichenden Wasserressourcen verstanden. Dies setzt zum einen die ökologische Verfügbarkeit der Ressource durch Oberflächengewässer oder durch unterirdische Wasservorkommen voraus, zum anderen aber auch die finanziellen und technischen Voraussetzungen der Erschließung. Auch wasserreiche Länder können bei mangelnder Infrastruktur wie Staudämmen, Kanalisation etc. oder ungenügendem Fachwissen unter ‚water insecurity’ leiden. Einen viel beachteten Versuch zur Erfassung der nachhaltigen Nutzung von Wasserressourcen in verschiedenen Ländern stellt der sog. Water Poverty Index dar, der von britischen Forschern des Center for Ecology and Hydrology, Staffordshire, in Zusammenarbeit mit Experten des World Water
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Council erarbeitet wurde (Lawrence/Meigh et al. 2002: passim). Der Index legt zur Bemessung fünf unterschiedliche Kriterien an: die Qualität der Ressource, die Zugangsmöglichkeiten, die Nutzung, die Kapazitäten für den effizienten Einsatz (wie z.B. sparsame Bewässerungsmethoden) und den Zustand der Umwelt. Obwohl die Auswahl der Faktoren für die Messung der nachhaltigen Wassernutzung plausibel erscheint, bleibt auch der Water Poverty Index bis dato zur Erfassung regionaler und lokaler Kapazitäten weitgehend unbrauchbar. Notwendig wäre hier eine präzise Erfassung unterhalb der nationalen Ebene, die sowohl spezifische Prioritäten als auch traditionelle Techniken des Wassermanagements berücksichtigen würde. Für die Analyse der Situation in Marokko und insbesondere der Untersuchungsregion Souss werden die verfügbaren Daten der FAO und anderer Organisationen ausgewertet, um Prioritäten und landesweite Politikentscheidungen einzuschätzen. Darüber hinaus wird jedoch hauptsächlich auf lokal ermittelte Daten (Daten öffentlicher Institutionen sowie speziell für diese Studie erhobene) zurückgegriffen, um auf dieser Ebene die Wasserknappheit explizit in Relation zur Nachfrage und zu den Verteilungsmodalitäten zu betrachten und auf diese Weise die Auswirkungen der ungenügenden Verfügbarkeit zu analysieren.
1.1.2 Die bewässerte Landwirtschaft: Spiegel von Machtbeziehungen „L’eau raconte la société“ („Das Wasser erzählt die Gesellschaft“) (Mutin 2000: 1)
Die Organisationsform des Wassermanagements und die Wahl einer bestimmten technischen Option für die Verteilung werden hier primär als Spiegel der jeweiligen soziopolitischen Kräfteverhältnisse verstanden, denn „die Rollen, die die Wasserverteilung einnimmt, sind in eine Vielfalt von Funktionen eingebettet, die sich auf das soziale Leben der Nutzergemeinschaft beziehen, und vor allem auch auf die Lokalpolitik und die soziale Kontrolle“3 (Aubriot 2004: 128). Diese Annahme wird im Folgenden erläutert, wobei speziell zwei Faktoren ihre Relevanz begründen: zum einen die zunehmende Wasserknappheit, die die soziopolitischen Strukturen der Wasserverteilung stärker hervorhebt, und zum anderen die bewässerte Landwirtschaft als ein Sektor, in dem diese Zusammenhänge besonders deutlich sind. Die sozialen und politischen Implikationen der in vielen Regionen verbreiteten Wasserknappheit sind am Beispiel der Auswirkungen in der bewässerten Landwirtschaft besonders sichtbar, da diese zum einen in den meisten Ländern 3
Alle im Original französischen Zitate in dieser Arbeit wurden von der Autorin übersetzt.
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der größte Konsument ist, zum anderen komplexe soziale, politische und wirtschaftliche Dimensionen beinhaltet. Die Folgen der Knappheit sind drastisch, da die Wasserressourcen gerade in jenen Regionen besonders abnehmen werden, in denen sie eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft – und somit auch für die Einkommen in ländlichen Gebieten – einnehmen. Der landwirtschaftliche Sektor stellt auch in Industrieländern wie den USA die Hälfte des Gesamtkonsums dar und ist in vielen Ländern der Region MENA (Mittlerer Osten und Nordafrika) und Asiens Hauptkonsument. Der „Gürtel“ der Länder, die künftig besonders unter Wasserknappheit leiden werden, erstreckt sich über mehrere Kontinente: von der westlichen Ecke Nordafrikas über die Breite der Sahara- und der Sahelzone zieht er sich im Osten über Saudi Arabien und Indien bis Thailand, und, in abgeschwächter Form, bis China hin. Die Landwirtschaft verbraucht in vielen dieser Länder nicht nur den wesentlichen Anteil der Süßwasserressourcen, sondern stellt zudem die Haupteinkommensquelle der ländlichen Bevölkerung und nicht selten einen wichtigen Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der eigenen Nahrungsmittelversorgung dar. In solchen Ländern werden die ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Wasserknappheit in den ländlichen Gebieten weitaus deutlicher sein, als beispielsweise in Argentinien oder Australien, wo den Bewohnern der Zugang zu alternativen Einkommensquellen eher möglich ist. Die Bevölkerungsentwicklung macht die Nahrungsmittelproduktion in vielen Ländern umso dringender, denn „bis zum Jahr 2050 wird das auf der Welt verfügbare Wasser eine Landwirtschaft speisen müssen, die 2,7 Milliarden Menschen zusätzlich ernähren und eine Lebensgrundlage bieten muss“ (UNDP 2006c: 19). Eine besondere Rolle spielt dabei die bewässerte Landwirtschaft, die die Erträge um ein Vielfaches erhöht und Produktions- und Einkommenssicherheiten verbessert. Nachdem sich die bewässerte Landwirtschaft über das letzte Jahrhundert sehr stark ausgeweitet hat, steht sie heute trotz ihrer Schlüsselbedeutung für die Nahrungsproduktion immer stärker in der Kritik. Bemängelt werden vor allem die ineffiziente Nutzung der Ressource, die Notwendigkeit hoher staatlicher Investitionen, die ungenügende Wartung der Anlagen und die Entstehung sozioökonomischer Ungleichheiten inner- und außerhalb der bewässerten Regionen (Tardieu/Préfol et al. 2005: I). Darüber hinaus stellt eine Evaluation der Wasserprojekte der Weltbank fest, dass nur die wenigsten Vorhaben im Agrarsektor die sozialen Auswirkungen ausreichend in der Konzeption und der Evaluation einbeziehen (IEG 2006: 45 f.). Gleichzeitig jedoch beobachtet die Weltbank vor allem im Agrarsektor einen Anstieg der Konkurrenz um die Ressource und fordert, dass insbesondere Konflikte um unterirdische Wasserressourcen stärker berücksichtigt werden (Pitman 2002b: xiv, 13).
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Angesichts der Schwierigkeiten in der bewässerten Landwirtschaft zeichnen sich zwei Trends ab, die von den internationalen Geberinstitutionen zur Verbesserung der bewässerten Landwirtschaft in Entwicklungsländern gefördert werden: die Umsetzung partizipativer Ansätze und die Implementierung öffentlichprivater Partnerschaften (PPP). Beide sollen dazu dienen, die Effizienz der Bewässerungslandwirtschaft zu verbessern und den Staat finanziell und organisatorisch zu entlasten (Winpenny/Hall et al. 2006: 53). Angesichts der wachsenden Knappheit der Wasserressourcen wächst jedoch gleichzeitig die soziopolitische Bedeutung der Ressourcenverteilung. Insbesondere das Instrument der Preispolitik, welches die Wassernutzung optimieren und gleichzeitig die Kassen der staatlichen oder privaten Betreiber der Versorgungsnetze füllen soll, ist höchst umstritten. Zumindest für die Bewässerungslandwirtschaft haben zahlreiche Studien gezeigt, dass besseres Angebotsmanagement effektiver für Wassereinsparungen sorgt als höhere Preise (Molle/Berkoff 2007: 2 f.). Auch über die Verwendung dieser Gelder bestehen Zweifel, da sie nicht oder nur ungenügend der Verbesserung und Wartung der Infrastruktur zugute kämen (Worldbank 1995, zit. in Molle/Berkoff 2007: 10). Notwendige Wassereinsparungen werden auch in agrargeprägten Ländern primär von der Landwirtschaft verlangt, da deren Erträge zwar lokale Einkommen sichern können, auf makroökonomischer Ebene jedoch oft als wenig rentabel eingeschätzt werden. Stattdessen werden andere, teilweise ebefalls wasserintensive Sektoren ausgebaut, wie die Tourismusbranche, der in vielen Ländern Priorität gegenüber der Landwirtschaft eingeräumt wird. Hotels, Schwimmbäder und Golfanlagen werden in Zukunft gerade auch in ariden Gebieten bedeutende Mengen an Wasser benötigen. Daneben steigt mit der rasanten Urbanisierung vor allem in Entwicklungsländern auch die Anzahl der Menschen ohne ausreichende Trinkwasserversorgung. Während in den Vierteln der Innenstadt die Versorgungsnetzwerke meist bereits bestehen, wird deren Ausbau in neuen, teilweise slum-ähnlichen Randgebieten vernachlässigt. Insbesondere die Privatisierung der Trinkwasserversorgung trägt hier zu erheblichen Disparitäten bei, da die privaten Betreiber meist keine Investitionen in eine Erweiterung des Netzes vornehmen wollen – vor allem dann nicht, wenn sich dort keine zahlungskräftigen Kunden befinden (Balanya/Brennan et al. 2005: 262; Hall/Lobina et al. 2003: 10; Houdret/Shabafrouz 2006: 35). Auch in der urbanen Trinkwasserversorgung sind daher Spannungen wegen der zunehmenden Konkurrenz um den Ressourcenzugang zu erwarten. Die politischen Entscheidungen über die Modalitäten der Ressourcenverteilung werden vermutlich die damit verbundenen Konfliktpotentiale bestimmen (Molle/Berkoff 2006: 60; Houdret 2008a: passim). Zum einen hängt dies wie erwähnt mit den Auswirkungen der zumindest im Trinkwasserbereich seit den
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1990er Jahren verbreiteten Privatisierung des Sektors zusammen, zum anderen mit den Verteilungsprioritäten, die gesellschaftliche Machtstrukturen und politische Interessen widerspiegeln. Wassermanagement ist neben der technischen vor allem eine höchst politische Frage, denn: „Economic and hydrological interactions are further embedded within cultural and social contexts that eventually define the distribution of costs and benefits within the society, and are thus highly political in character” (Molle/Berkoff 2007: 21). Wird die Frage der politischen Reaktion auf die Wasserknappheit auf deren technische Aspekte reduziert, laufen die Regierungen der jeweiligen Länder Gefahr, massive soziale und ökonomische Probleme zu verursachen, die sich auch in politischer Destabilisierung äußern können. Dies hängt auch damit zusammen, dass beispielsweise die Bewässerungstechnik von ihren Nutzern als Ausdruck einer bestimmten sozialen Ordnung verstanden wird, denn: „die Technik hat eine soziale Bedeutung für die Nutzer. Sie ist Ausdruck oder die Materialisierung bestimmter Bewässerungsnormen, sie beinhaltet die Vision derjenigen Gruppe, die sie entworfen hat“ (Aubriot 2004: 128, vgl. auch Ruf/Rivière-Honnegger 2004: 10). Die sozialen und politischen Dimensionen des Wassermanagements werden vor allem in der bewässerten Landwirtschaft deutlich. Am eindrücklichsten wird der Zusammenhang zwischen der menschlichen Beherrschung von Ressourcen für die Bewässerung und politischer Herrschaft in Wittfogels These der Hydraulischen Gesellschaft dargestellt. Eine planwirtschaftlich strukturierte Bewässerungslandwirtschaft, in Kombination mit zentralisierten Entscheidungskompetenzen und hohem technischem Wissen, habe nach Wittfogel die Ausbildung mächtiger orientalischer Imperien und ihre tyrannische Herrschaft ermöglicht. Deren wirtschaftliche Macht habe sich vor allem auf die Bewässerungstechnologie gestützt (Wittfogel 1977: 169). Wittfogels auch unter dem Begriff des Hydraulischen Despotismus bekannt gewordene soziologische Theorie stützt sich auf die historische Analyse der Herrschaft des chinesischen Kaisertums am Fluss Huang He, die Hochkultur an den indischen Flüssen Punjab und Indus, das Babylonische Reich an Euphrat und Tigris sowie auf die ägyptische Pharaonenherrschaft am Nil. Trotz der zahlreichen Kritikpunkte an Wittfogels Arbeiten, die hier nicht näher ausgeführt werden können, hat die explizite Thematisierung des engen Zusammenhangs zwischen politischer Herrschaft und technischer Beherrschung von Wasserressourcen einen neuen wissenschaftlichen Blick auf diese Zusammenhänge ermöglicht. Die Wahl bestimmter technischer Optionen ist im Wassermanagement immer auch durch politische, ökonomische und soziale Motive begründet. Insbesondere die Politik der Kolonialstaaten wie Frankreich, in ihren Kolonien und Protektoraten die Bewässerungslandwirtschaft auszubauen, verfolgte das Ziel der Kontrolle der Landbevölkerung, der Belieferung des eigenen Marktes mit Nahrungsmitteln zu Tiefpreisen, und die Beschäftigung
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eigener Firmen für den aufwändigen Bau der Anlagen (Pérennès 1993: 130f., 154f., 157ff.). Weitere Zusammenhänge zwischen Bewässerungstechniken und soziopolitischen Strukturen sind z. B. in Arbeiten über Zugangsrechte zur Bewässerung in den ländlichen Gebieten Asiens oder Afrikas zu finden (El Jihad 2001: 665f.; Mollinga/Bolding 2004: passim; Aubriot 2004: 125f.). Dort hängt die Wasserverteilung oft von der Zugehörigkeit der jeweiligen Bauern zum dominierenden Stamm, der Dauer der Präsenz seiner Familie im Dorf oder dem Eigentumsstatus der von ihm bebauten Felder ab. Deutlich wird bei der Studie dieser Zusammenhänge vor allem eines: die Entscheidungen der Machthaber über die Zuteilung von Wasserressourcen folgen auf lokaler wie auch auf nationaler Ebene nicht zwangsläufig einer ökonomischen Rationalität, sondern sind stark von den etablierten Sozialstrukturen beeinflusst. Dies spielt solange nur eine untergeordnete Rolle, wie genügend Wasservorkommen zur Befriedigung aller Bedürfnisse vorhanden sind. In Zeiten der Wasserknappheit werden diese sozialen und politischen Prioritäten dagegen besonders deutlich. Eine besondere Brisanz bekommen sie dadurch, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen die Restriktion als weiteren Ausdruck bestehender ungleicher Machtverhältnisse empfinden und meist wenig sozialen Rückhalt haben, um ihre Interessen zu verteidigen. Darüber hinaus sind die Anpassungskapazitäten dieser Bevölkerungsgruppen relativ beschränkt, so dass sie die Auswirkungen der geringeren Verfügbarkeit stärker spüren. Die Analyse von Konfliktpotentialen im Wasserbereich bedarf aus diesen Gründen der Erforschung von Machtstrukturen und der damit verbundenen Verteilung materieller und immaterieller Ressourcen. Gerade die Wasserverteilungsmechanismen sind „ein ausgezeichneter Indikator räumlicher und sozialer Ungleichheiten, aber auch der aktuellen sozialen Veränderungen im städtischen und im ländlichen Raum“ (Allain-el Mansouri 2001: 22). Die Analyse von Wassermanagementsystemen und ihren politischen und sozialen Zusammenhängen ermöglicht daher auch Erkenntnisse über allgemeinere gesellschaftliche Konfliktlinien, Interessensgruppen und Handlungsmotive.
1.1.3 Mögliche Anpassung an Wasserknappheit Bis in die jüngste Zeit hinein beschränkte sich die politische Reaktion auf die zunehmende Wasserknappheit in vielen Ländern auf eine Angebotserhöhung. Doch auch immer neue Investitionen in die Mobilisierung von Wasserressourcen über Staudämme und Kanalsysteme reichten nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Heute gilt Wassereinsparung mittels eines verbesserten Nachfragemanagements sowohl im Trinkwasser- als auch im Bewässerungsbereich als
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neues Leitmotiv der nationalen und internationalen Wasserpolitik. Die politische Sensibilität von Maßnahmen zur Einschränkung des Verbrauchs bestimmter Wirtschaftssektoren, Regionen oder Bevölkerungsgruppen verzögert dennoch vielerorts die Implementierung und schafft Konflikte. Das untenstehende Schema (Abb. 1) fasst die verschiedenen Etappen der Anpassung der Wasserpolitik an die wachsende Knappheit der Ressource zusammen. Nach Ohlsson reichen in Phase 3 des Schemas angebots- und nachfrageorientierte Maßnahmen nicht mehr aus bzw. sind sie politisch nicht durchsetzbar. Dann komme auf die jeweiligen Gesellschaften eine neue Phase der Anpassung zu, in der grundlegende Veränderungen anstehen. Eine rigorose Umorientierung der Wirtschaftsstruktur sowie der gesellschaftlichen Normen und Werte sei dann erforderlich (Ohlsson 1999: 147f., 156). In dieser Phase ist das Konfliktpotential besonders hoch, denn „failure to reform systems, and therefore, to deliver adequate water supplies to increasing numbers of people, has a destabilising potential for some governments“ (Richards 2002: 3). Die Anpassung der Politik an zunehmende Wasserknappheit verlangt daher die Berücksichtigung von Konfliktpotentialen. Abbildung 1:
Phasen der politischen Anpassung an Wasserknappheit
Achse der Wassernachfrage
3. Knappheit 2. Höhere Verfügbarkeit durch Nachfragemanagement 1. Höhere Verfügbarkeit durch Angebotsmanagement Natürlich verfügbare Ressourcen, abhängig von geographischen und klimatischen Bedingungen Zeitachse
Homer-Dixon, einer der führenden Forscher im Bereich der Umweltsicherheit, bezeichnet den Mangel von Anpassungskapazitäten einer Gesellschaft an Umweltveränderungen als „ingenuity-gap“. Er identifiziert beispielsweise wirtschaftliches Marktversagen, soziale Konflikte, die Verfügbarkeit von Human-
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und Finanzkapital und Einschränkungen der wissenschaftlichen Forschung als Schlüsselkomponenten der Anpassungskapazität (Homer-Dixon 1995: 587 ff.). Dennoch bietet er wenig konkrete Indikatoren für die Erkennung von Konfliktpotentialen. Abrams geht speziell auf die soziopolitischen Auswirkungen der Wasserknappheit ein, doch seine Diagnose des sog. „capacity threshold“ bleibt ebenfalls wenig differenziert (Abrams 2003: passim). Bächler nimmt eine umfassendere Perspektive ein und sieht die Ursache mangelnder Anpassungskapazitäten eher im sog. mal-development der betroffenen Gesellschaften. Deren fehlgeleitete wirtschaftliche und soziale Entwicklung habe zu Ressourcenübernutzenden Konsummustern, fehlender langfristiger Planung sowie der Verbreitung der Armut und damit einhergehender Umweltdegradation geführt (Bächler 1998: 24). Ostrom wiederum weist in ihrer Untersuchung von Wassernutzergemeinschaften stärker auf die Dynamik der Anpassungskapazitäten hin: vor allem Lernprozesse und der Aufbau von Sozialkapital ermöglichten demnach eine Anpassung der Institutionen im Umgang mit der Ressource (Ostrom 1990: 147). Turton und Ohlsson schließlich thematisieren explizit das Konfliktpotential mangelnder Anpassung, welches wesentlich von der Legitimität der jeweiligen Regierung abhänge (Turton 1999: 13). Die politische Fähigkeit, auch unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen, und die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft seien daher die maßgeblichen Faktoren der Anpassungskapazität (Ohlsson 2000: 8). Die Autoren weisen darüber hinaus auf mögliche indirekte Konflikte hin, die gerade durch die Implementierung der Anpassungsmaßnahmen entstehen könnten, sogenannte „second order conflicts“. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Bau von Dämmen für Wasserreserven in Dürregebieten, der durch die Umsiedelung von Menschen und die Trockenlegung vormals bewässerter Regionen in vielen Fällen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt hat. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Staaten in der dringenden Anpassung an Wasserknappheit zur Durchsetzung nachfrageorientierter Maßnahmen auf die Zustimmung der Bevölkerung angewiesen sind. Politische Entscheidungen, die in der Anpassung lediglich ökonomische oder ökologische Dimensionen erfassen, ohne die politischen und sozialen Implikationen zu berücksichtigen, erhöht die Wahrscheinlichkeit von sozialen Unruhen und Konflikten.
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1.1.4 Wasserprobleme in der MENA Region Da die sozialen und politischen Auswirkungen der Wasserknappheit hier im Mittelpunkt stehen, wird auf die komplexen ökologischen Zusammenhänge von Klima, Niederschlägen, Boden und Wassernutzung nicht im Detail eingegangen. Um ein Verständnis für die Entstehung der Knappheit und die aktuellen Herausforderungen dennoch zu ermöglichen, führt der folgende Abschnitt in die Probleme in der MENA-Region ein. In den 1950er Jahren waren die Projekte zur Nutzbarmachung der Wasserressourcen in vielen Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas weltberühmt: der Bau des Staudamms von Asswan (Ägypten), der syrische Tabqa-Damm und die Politik des marokkanischen Königs Hassan II, eine Million Hektar seines Landes über Staudämme zu bewässern, wurden nicht nur von Ingenieuren bewundert. Immer neue Kanäle, Dämme und Bewässerungssysteme sollten in vielen Ländern den Traum der Autonomie durch Nahrungssicherheit verwirklichen. Heute ist die MENA-Region von der Wasserknappheit weltweit am stärksten betroffen: hier verfügen 4,3% der Weltbevölkerung nur über 0,67% der erneuerbaren Wasserressourcen (Mutin 2000: 1). Neben der steigenden Nachfrage ist dies auf der Wasserangebotsseite maßgeblich durch das Klima bedingt. In der traditionell niederschlagsarmen Region zählen 93% der Fläche zu ariden bzw. semiariden Regionen mit Niederschlägen unter 600 mm/Jahr. Die Wüstenlandschaften nehmen etwa die Hälfte der gesamten Fläche der MENA-Länder ein (Mutin 2000: 9). Mutin diagnostiziert für die Region eine „doppelte Unregelmäßigkeit“ der Niederschläge: diese fallen einerseits innerhalb des Jahres unregelmäßig aus und sind gerade zu den Spitzenzeiten des Wasserbedarfs in der Landwirtschaft am niedrigsten. Hinzu kommt andererseits eine spezifische Unregelmäßigkeit der Niederschläge im Jahresvergleich, welche die Planung zusätzlich erschwert (Mutin 2000: 10). Kurzfristige starke Regenfälle, wie sie in der Region und in jüngster Zeit auch vermehrt in Europa auftreten, können zur Auffüllung der Wasserreserven nur bedingt genutzt werden und richten mehr Schaden als Nutzen an. Sie perlen über den trockenen Boden hinweg, beschleunigen die Erosion und dringen meist nicht bis zum Grundwasserspiegel vor. Das Beispiel Marokko zeigt, welch geringer Teil der Niederschläge überhaupt nutzbar gemacht werden kann: es fallen im Landes- und Jahresdurchschnitt 150 Milliarden m³ Niederschlag, wovon 120 Milliarden durch Evaporation für die Nutzung durch den Menschen verloren gehen. Von den restlichen 30 Milliarden m³ (ein Fünftel der Niederschlagsmenge) fließen 2/3 in oberirdische Gewässer, ein Drittel sickert in die Erde und das Grundwasser ein. Abzüglich der in die Meere fließenden Wassermengen und weiterer Verdunstung bleiben schließlich nur 21 Millionen m³ erneuerbarer Süßwasserressourcen für den Kon-
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sum der Landwirtschaft, der Industrie und der Haushalte (Mutin 2000: 13f.). Nach Schätzungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wird der Klimawandel die verfügbaren Wassermengen zusätzlich verringern. In Marokko wird die Klimaerwärmung die Menge der knappen Ressource bis zum Jahr 2020 voraussichtlich um weitere 15% verringern: damit ständen statt der 786 m³/Person/Jahr nur 676 m³ zur Verfügung. Die Getreideproduktion könnte dadurch in trockenen Gebieten um bis zu 30% sinken (IPCC 2001a: 46). Angesichts der steigenden Wassernachfrage und der ebenso rapide sinkenden Verfügbarkeit der Ressource wächst auch die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Nutzern und die Konfliktpotentiale nehmen zu. Neben Austragungen auf der lokalen Ebene können diese Konflikte auch eine destabilisierende Wirkung auf regionaler und nationaler Ebene haben: „equitable allocation and efficient management of water resources are critical to peace and political stability in the MENA region“ (Ferragina/Marra et al. 2002: 16). Mehrere Tendenzen werden in diesem Kontext von Forschern als potentiell konfliktträchtig beurteilt. Auf nationaler Ebene stehen sich die Bedürfnisse unterschiedlicher Wirtschaftssektoren gegenüber: der Landwirtschaft, des Tourismus, der Industrie und der privaten Haushalte. Auf regionaler Ebene innerhalb der Länder und auf lokaler Ebene hat diese Konkurrenz Auswirkungen auf die Einkommensquellen der Menschen, ihre Trinkwasserversorgung und den Zustand der Umwelt. Die zunehmende Konzentration der Bevölkerung in mittleren bis großen Städten ist durch ein schnelles Wachstum der Slums, mangelnde Trinkwasserversorgung, oft fehlende Abwasserentsorgung und die dadurch bedingte Ausbreitung von Krankheiten gekennzeichnet (Sari 2003: 847). Nach Schätzungen der Weltbank werden im Jahr 2025 75% der Bevölkerung der MENA-Staaten in Städten leben und über 20% der erneuerbaren Wasserressourcen verbrauchen, in 2002 verbrauchten die Stadtbewohner dagegen nur 6% der Ressource (WB 2002: 35). Schlechtes Management der verbleibenden erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen richtet langfristige Schäden an. Hier sind insbesondere hohe Verluste beim Wassermanagement durch defekte Systeme und schlechte Verwaltung, zu geringe systematische Beobachtung der unterirdischen Wasserressourcen und der Bodenqualität, sowie das Tolerieren von Übernutzung und Verschmutzung beider Ressourcen zu erwähnen (Chourou 2003: 832). Die Vernachlässigung der ländlichen Entwicklung durch die Regierungen erhöht den Druck auf die kinderreichen ruralen Familien, trägt zu geringen Produktivitätsraten der Landwirtschaft bei und verstärkt die Landflucht (WB 2002: 21 ff.). Tony Allan, der Begründer des Konzepts des “Virtuellen Wassers”, weist darauf hin, dass die Regierungen der MENA-Staaten die politischen Auswirkungen der Wasserknappheit nur durch den Import von Agrarprodukten und insbesondere von Getreide abfedern konnten. Der verbreitete Export landwirtschaftli-
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cher Güter sei angesichts der Ressourcenknappheit schwer verständlich. Allan bezeichnet dies als den Export von ‚virtuellem Wasser’, da z.B. für die Produktion einer Tonne Weizen zehn Tonnen Wasser benötigt werden. Die bewusste Tabuisierung dieser Zusammenhänge, so der Autor, habe die wahren Ausmaße und die konkreten politischen Implikationen der Wasserknappheit in vielen Ländern verschleiert (Allan 2003: 5). Tatsächlich stiegen zwischen den Jahren 1970 und 2000 die Nahrungsmittelimporte in der Region um das 17-fache (Hakimian 2003: 73). Gleichzeitig kam es in den 1970er und 80er Jahren in mehreren Ländern des Maghreb zu sozialen Unruhen in Folge der Erhöhung der Preise von Grundnahrungsmitteln, vor allem von Getreide. Ähnliche Phänomene sind auch in 2007/2008, vor allem in Ägypten, zu beobachten (Abou El Magd 2008; FAO 2008, beide e. Q.). Die Verminderung der staatlichen Subventionen für Nahrungsmittelproduktion und -verkauf, wie sie unter anderem von internationalen Geberinstitutionen gefordert werden, sind daher politisch ein äußerst sensibles Thema (Chourou 2004: 275). Der Arab Human Development Report stellt außerdem fest, dass in vielen der MENA-Länder Konfliktregelungsmechanismen schwach ausgebildet sind, was teilweise mit fehlender Rechtsstaatlichkeit zusammenhängt (UNDP 2005: 15 ff.). Dies verschärft die Konsequenzen der Ressourcenkonkurrenz und ungleicher Verteilung, denn „when conflict management institutions are strong, distributional outcomes are less sensitive to any group’s opportunistic behaviour aimed at obtaining a disproportionate share of available resources“ (WB 2002: 27).
Welche Optionen gibt es, um die prognostizierte extreme Wasserknappheit in der MENA-Region abzufedern? Angesichts der schon heute in vielen Ländern sehr angespannten Situation ist die Durchsetzung von Wassersparmaßnahmen unausweichlich. Zwar kompensiert die innerhalb des letzten Jahrzehnts sprunghaft angestiegene Nutzung der unterirdischen Wasserressourcen kurz- bis mittelfristig an vielen Orten die Knappheit. Hierdurch werden allerdings oft nichterneuerbare Ressourcen abgepumpt, was unter anderem das Eindringen von Salzwasser und die Verödung der Böden zur Folge haben kann. Wesentliche Einsparungspotentiale böte die Verbreitung wassersparender Bewässerungstechniken in der Landwirtschaft, die in der MENA- Region rund 85% der Ressource verbraucht (WB 1995: 11). Veraltete Irrigationssysteme führen wie auch marode Leitungen der Trinkwasserversorgung zu Verlusten von bis zu 50% (Tenneson/Rojat 2003: 155). Die konsequente Einführung der Tröpfchenbewässerung könnte rund 45% des Wasserverbrauchs in der Landwirtschaft einsparen, bisher fehlen jedoch die finanziellen Mittel, um die hohen Investitionen zu bewältigen.
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Die Möglichkeiten des Wasser-Recycling, d.h. der Wiederverwendung beispielsweise der Abwasser aus den Haushalten für die Landwirtschaft, sind bisher noch wenig entwickelt. Mit erheblich weniger Aufwand als für die Klärung der Abwasser zur Herstellung von Trinkwasser könnten Grünflächen in den Städten und Felder bewässert werden. Die Verbreitung dieser Anwendung ist bisher wegen der geringen sozialen Akzeptanz des Recyclings noch gering (Mutin 2000: 23). Allerdings zeigen erfolgreiche Beispiele der Bewässerung von städtischen Grünflächen mit recyceltem Wasser wie in den marokkanischen Städten Marrakesch und Agadir Veränderungen. Die technischen Möglichkeiten der Entsalzung von Meerwasser sind dagegen weit fortgeschritten. Wegen der hohen Energiekosten wird diese Methode vor allem auf der Arabischen Halbinsel sowie in Israel angewendet. 70% der Städte der Golfländer werden auf diese Weise mit Trinkwasser versorgt. Wenngleich der Preis dieser energieintensiven Technologie in den vergangenen zwanzig Jahren stark gesunken ist, so bleibt er für viele Länder und insbesondere für den hohen Bedarf des Agrarsektors dennoch zu hoch (Alghariani 2003: 6).
1.2 Wasserressourcen als Sicherheitsfaktor “In vielen Entwicklungsländern verschärft sich die Konkurrenz um Wasser in einem beängstigenden Tempo und führt dabei zu heftigen, manchmal gewaltsamen Auseinandersetzungen.”(UN 2006: 22)
Konflikte um Wasser sind bereits seit vielen Jahren ein Thema der wissenschaftlichen Forschung und der entwicklungspolitischen Praxis. Wie auch in Kapitel 2 erläutert wird, war dieses Interesse jedoch lange Zeit auf die lokale Ebene von Wasserkonflikten und auf das Ressourcenmanagement im engsten Sinne begrenzt, und thematisierte vor allem die Verteilungsregeln in der Agrarbewässerung. Die explizit sicherheitspolitische Relevanz von Wasserkonflikten dagegen ist sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch auf internationalen und nationalen politischen Agenden relativ neu. Sie ist vor allem durch die stärkere Bedeutung von und höhere Aufmerksamkeit für ökologische Sicherheitsfaktoren bedingt. Drei Tendenzen haben vor allem seit den 1990er Jahren die sicherheitspolitische Relevanz von Umweltfaktoren und –ereignissen auf inner- und zwischenstaatlicher Ebene zunehmend verdeutlicht:
die veränderte Wahrnehmung nichtmilitärischer Bedrohungsfaktoren nach dem Ende des Kalten Krieges,
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Ursachen und Folgen der Süßwasser-Knappheit die Etablierung des Forschungsfeldes der Umweltsicherheit und konkrete Ergebnisse qualitativer und quantitativer Studien, und die Zunahme extremer Wetterereignisse und ökologischer Katastrophen, die ein hohes Ausmaß an Zerstörung sowie verstärkt Migration verursachen, und durch die veränderte Medienpräsenz der Weltöffentlichkeit auch stärker bewusst werden.
1.2.1 Veränderte Konzepte nationaler und internationaler Sicherheit In den 1970er Jahren dominierte in den sicherheitspolitischen Analysen von Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern das traditionelle Sicherheitskonzept der nationalen Sicherheit. Dieses war „a strictly limited one, which saw its nature as being concerned with military power, and the subjects of these concerns as being the state” (Sheehan 2005: 5). Sowohl die Bedrohungen (militärische) als auch das zu schützende Objekt (der Staat in seinen Territorialgrenzen) waren damit relativ klar definiert. Bereits während der Phase der Entspannungspolitik in den späten 1970er und den 1980er Jahren wurde die Perzeption von Sicherheit ausgedehnt. Zwar wurde in diesem Konzept der erweiterten Sicherheit die Relevanz innenpolitischer Faktoren bei der Analyse der sicherheitspolitischen Gesamtlage mit einbezogen, dennoch konzentrierte sich die Definition vor allem auf die Sicherung des eigenen Territorialstaates. Das Ende des Kalten des Krieges veränderte die Wahrnehmung sicherheitsrelevanter Bedrohungen noch radikaler. Primäre Akteure der internationalen Sicherheit waren nicht mehr die Blockmächte, sondern auch andere Staaten. Zudem wurden auch innerstaatliche Auseinandersetzungen immer stärker relevant für die internationale Sicherheit, da sie sich nun nicht mehr in die bipolare Aufteilung der Welt einordnen ließen und dadurch an Eigendynamik gewannen und Potentiale regionaler Destabilisierung entfalteten. Eine besondere Rolle spielen dabei unterschiedliche Arten des Terrorismus, der sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene als Mittel der gewaltsamen Auseinandersetzung zugenommen hat (vgl. Hippler 2006: 111 f.). Doch nicht nur die Analyseebene der Sicherheitspolitik änderte sich, auch die Wahrnehmung der Bedrohungen wurde fundamental erweitert. Das maßgeblich von Buzan geprägte Konzept der comprehensive security, also der umfassenden oder globalen Sicherheit, bzw. der societal security, also der staatlich-gesellschaftlichen Sicherheit, umfasst neben den originären militärischen Bedrohungen auch ökonomische, politische und ökologische Gefahrenpotentiale (Buzan 1991: 15-20), die auf nationaler oder internationaler Ebene entstehen können. Diese Gefahren können sich, gerade wegen der durch höhere Interdependenz der Staaten gestiegenen Verwundbarkeit, sowohl direkt als auch indirekt auf die nationale Sicherheit auswirken. Insbesondere die stei-
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gende Dichte internationaler Wirtschafts- und Finanzverflechtungen und die Auswirkungen globaler Umweltprobleme verdeutlichen diese Verwundbarkeit. Neben dieses Bedrohungen zeigen auch die Zunahme des Terrorismus und vor allem die Anschläge von New York im Jahr 2001, dass diese Verwundbarkeit auch Staaten trifft, die seit dem Ende des Kalten Krieges keinen militärischen Bedrohungen ausgesetzt waren (vgl. auch Achcar 2002). Ging die traditionelle Perspektive davon aus, dass Bedrohungen lediglich außerhalb des Territorialstaates auszumachen seien und eine militärische Antwort erforderten (Ayoob 1995: 5), so mussten im Rahmen des Konzepts umfassender Sicherheit auch innenpolitische Entwicklungen in den von Buzan genannten Feldern als Destabilisierung- und Konfliktpotentiale einbezogen werden. Dies bedeutete auch die Notwendigkeit einer Änderung der sicherheitspolitischen Antworten auf die Bedrohungen, da rein militärische und repressive Mittel zur Bekämpfung dieser Gefahren wenig geeignet erschienen. Eine zunehmende Rolle spielte in diesem Zusammenhang die zivile Konfliktprävention. Insbesondere die Entwicklungspolitik bekam in diesem Kontext der erhöhten Wahrnehmung der sicherheitspolitischen Relevanz von Unterentwicklung immer stärker eine Rolle der Krisen- und Konfliktprävention zugewiesen. Willy Brandt hatte diesen Zusammenhang in seiner Rede vor den Vereinten Nationen bereits 1973 hergestellt: „Not ist Konflikt. Wo Hunger herrscht, ist auf Dauer kein Friede. Wo bittere Armut herrscht, ist kein Recht. Wo die Existenz in ihren einfachsten Bedürfnissen täglich bedroht bleibt, ist es nicht erlaubt, von Sicherheit zu reden“ (Brandt zit. in: Debiel 2003: 11). Mehrere internationale Institutionen und Berichte greifen seit den 1990er Jahren die Zusammenhänge zwischen Entwicklung und Frieden explizit auf. Der damalige UN-Generalsekretär Boutros BoutrosGhali betont in seiner „Agenda für den Frieden“ die Bedeutung von Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung (Boutros-Ghali 1992: passim) und auch sein Nachfolger Kofi Annan beruft sich im „Millennium Report“ der UN sowie in seinem Bericht „Prevention of Armed Conflict“ auf diese Aspekte (Annan 2000; 2001: passim). Die OECD weist in Berichten ihres Development Assistance Committee (DAC) ebenfalls darauf hin, dass sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene ökonomische, soziale, ethnische oder ökologische Sicherheitsrisiken relevant sind (DAC 1998: passim). Die UN Commission on Global Governance betonte ihrerseits 1994 die Notwendigkeit, den Schutz von Menschen in sozialer oder wirtschaftlicher Not in die Sicherheitskonzepte mit aufzunehmen (CGG 1995: 89 f.). Sie zeigt auf diese Weise bereits eine Verschiebung des Sicherheitsobjektes, also der durch die neu definierten sicherheitspolitischen Gefahren bedrohten Akteure an: nicht mehr der Staat an sich bzw. seine Territorialgrenzen müssen „sicher“ sein, sondern explizit die Menschen. Das neue Verständnis über die Bedrohungsursachen
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und die „Zielgruppe“ der Gefahr macht auch eine Neudefinition der Sicherheitsakteure notwendig. Dieser Aspekt wird besonders durch das Konzept der Menschlichen Sicherheit hervorgehoben, welches die sicherheitsrelevanten Zusammenhänge von Entwicklung und Frieden noch stärker in den Vordergrund stellt und damit über die Definitionen der erweiterten und der umfassenden Sicherheit noch hinaus geht. Die langfristige Verschlechterung der materiellen Lebensumstände von Menschen und die Beeinträchtigung ihrer Entwicklungschancen, beispielsweise durch Krankheit, Repression oder Umweltverschmutzung, bekommen unabhängig von gewaltsamen Auseinandersetzungen politisches Gewicht. Der vor allem durch den Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen 1994 geprägte Begriff umfasst sowohl chronische wie auch akute Bedrohungen: „It means, firstly, safety from chronic threats as hunger, disease and repression. And second, it means protection from sudden and hurtful disruptions in the patterns of daily life (…)” (UNDP 1994: 23). Der Bericht unterscheidet sieben Sicherheits-Dimensionen: a) Wirtschaftliche Sicherheit, b) Nahrungssicherheit, c) Gesundheitliche Sicherheit, d) Umweltsicherheit, e) Persönliche Sicherheit vor physischer Gewalt, f) Sicherheit der Gemeinschaft vor Unterdrückung und g) politische Sicherheit mit Wahrung der Menschenrechte. Neben der Dimension der physischen Sicherheit und der materiellen (minimal-)Versorgung umfasst das Konzept nach bestimmten Verfechtern auch ein Recht auf Entwicklung und Menschenwürde. Die durch die kanadische Regierung ins Leben gerufene International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) definiert entsprechend: „Human security means the security of people – their physical safety, their economic and social well-being, respect for their dignity and worth as human beings, and the protection of their human rights and fundamental freedoms” (ICISS 2001: 15). Auch im Vergleich zu den bereits erwähnten Sicherheitskonzepten bringen die UNDP- und andere Definitionen Menschlicher Sicherheit neue Aspekte ein, denn es „wird damit Sicherheit nicht nur horizontal erweitert sondern auch vertikal vertieft, insofern substaatliche Akteure (gesellschaftliche Gruppen, Individuen) als Subjekte mit dem Schutzbedürfnis ‚Sicherheit’ eingeführt werden“ (Debiel 2003: 6). Damit wird über die Sicherheit der eigenen Bevölkerung hinaus auch die Sicherheit innerhalb und zwischen anderen Ländern explizit als relevant wahrgenommen, auch wenn sie in ihren Auswirkungen ausschließlich die dort lebende Bevölkerung betrifft. Dies bedeutet umgekehrt auch eine Veränderung der sicherheitspolitisch relevanten Akteure, da nicht mehr nur Staaten Bedrohungen entgegenwirken sollen, sondern die Schutzfunktion ebenfalls durch nichtstaatliche und substaatliche Akteure gesichert werden kann (Sheehan 2005: 62).
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Menschliche Sicherheit wird als „pursuit of the freedom from threat“ definiert (Buzan 1991: 18), wobei nach Auslegung der UNDP die unterschiedlichen Bedrohungen nicht zwangsweise immanent sein müssen, aber dennoch erkennbar und innerhalb eines absehbaren Zeitraumes akut. Angesichts der Vielzahl an Bedrohungskategorien und der manchmal unklaren Akteure der Gefahren wurde dem Konzept der menschlichen Sicherheit von vielen Seiten vorgeworfen, es strebe einerseits eine zu enge Verknüpfung mit originär entwicklungspolitischen Belangen an, und sei andererseits für die Sicherheitspolitik zu schwierig zu operationalisieren. Beide Kritikpunkte hängen unter anderem mit der Vermengung dreier unterschiedlicher sicherheitsrelevanter Kategorien zusammen, die in Konzepten der Menschlichen Sicherheit nicht immer klar abgegrenzt werden: a) die gewaltsamen Konflikte an sich, b) die nichtmilitärischen Folgen gewaltsamer Konflikte, wie Flüchtlingsbewegungen oder Kriminalität, und c) die konfliktunabhängigen nichtmilitärischen Bedrohungen, die Individuen oder Gruppen in ihrem Überleben oder ihrer Entwicklung bedrohen. Auch das breite Themenspektrum, welches die neu definierten Gefahren abdecken, und die fehlende Hierarchisierung der Bedrohungen erschweren seine Umsetzung. King und Murray wiesen weiter darauf hin, dass das Bestreben eines Staates, Menschliche Sicherheit zu verbessern, nationalen Zielen entgegengesetzt sein könne, und damit unpraktikabel sei (King/Murray 2000: 591). Weiter wurde befürchtet, dass so nun eine neue und darüber hinaus wegen der zahlreichen Bedrohungen äußerst diffuse Legitimationsgrundlage für „humanitäre“ Interventionen geschaffen würde. Die Debatten um unterschiedliche Auslegungen der Menschlichen Sicherheit sowie die Umsetzung in der Außenpolitik (wie beispielsweise durch Kanada oder Japan erfolgt) werden hier nicht weiter vertieft. Wesentlich sind im Kontext von Konflikten um Wasser vor allem die veränderte Wahrnehmung ökologischer Faktoren im sicherheits- und entwicklungspolitischen Kontext und die sich daraus ergebenden Folgen für Strategien der Konflikterkennung, -bearbeitung und -prävention (vgl. Kapitel 2 und 3).
1.2.2 Die politische Wahrnehmung ökologischer Sicherheitsaspekte Die Institutionalisierung des erweiterten Sicherheitsbegriffs und die explizite Integration ökologischer Belange in das Konzept der Menschlichen Sicherheit haben zur Etablierung des Themas Umweltsicherheit auf der politischen und der wissenschaftlichen Agenda beigetragen. Die konzeptionelle Nähe und die gemeinsamen Grundeinschätzungen bezüglich der Bedrohungen und der Sicherheitsobjekte legen nahe, Umweltsicherheit als eine Weiterentwicklung der öko-
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logischen Dimension Menschlicher Sicherheit zu bezeichnen. Trotz weiter bestehender Uneinigkeit über genaue Definitionen des Begriffs Umweltsicherheit hat dieser sich in der Umwelt- und Ressourcenpolitik aber auch in der Entwicklungs- und Sicherheitspolitik etabliert. Hierbei werden in den wissenschaftlichen und politischen Debatten häufig zwei unterschiedliche Dimensionen des Begriffs vermengt: zum einen ist Umweltsicherheit im Sinne eines traditionellen Sicherheitsverständnisses relevant, wenn Umweltfaktoren die Entstehung oder Eskalation gewaltsamer Auseinandersetzungen mit beeinflussen können. Die verschärfte Konkurrenz verschiedener Ressourcennutzer innerhalb eines Landes oder zwischen mehreren Staaten in Folge von Ressourcenknappheit steht meist im Zentrum dieses Interesses. Zum anderen werden Umweltaspekte explizit als Faktor der Menschlichen Sicherheit thematisiert, wie z.B. in der Definition der UNDP (UNDP 1994: 23). Umweltfaktoren sind in diesem Sinne auch dann sicherheitsrelevant, wenn sie nicht mit gewaltsamen Auseinandersetzungen verbunden sind. Das Bewusstsein über die Rolle ökologischer Faktoren für sicherheitspolitische Konstellationen ist nicht ganz neu, obwohl die so explizite Thematisierung dieser Zusammenhänge seit dem Ende der 1990er Jahre einen besonderen Aufschwung erfahren hat. Bereits in den 1970er Jahren zeichnete sich ein wachsendes Bewusstsein über die langfristigen Auswirkungen ökologischer Veränderungen ab, wie es der Bericht des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows/Meadows et al. 1972) zeigte. Vor allem ab dem Ende der 1980er Jahre wurden Umweltaspekte dann explizit in den Zusammenhang sicherheitspolitischer Überlegungen gestellt. Kritiker argumentierten daraufhin, ein zu vager Sicherheitsbegriff führe dazu, dass die eigentlichen Akteure der Bedrohung nicht mehr klar zu definieren seien. Auch laufe eine "Militarisierung" der Umweltprobleme Gefahr, zu rein militärischen Lösungsansätzen für ökologische Probleme zu führen (Carius/Bächler et al. 1999: 7). Befürworter sahen hier jedoch gerade eine Chance der Demilitarisierung der internationalen Politik durch die Integration von Umweltaspekten in das Konzept der erweiterten Sicherheit. Auf politischer Ebene ist vor allem der Zusammenhang zwischen Umweltdegradation und gewaltsamen Konflikten, aber auch die Bedeutung von Umweltveränderungen für die Menschliche Sicherheit und Entwicklung zunehmend in die Arbeit internationaler und nationaler Organisationen integriert worden4. Die Division of Early Warning and Assessment des UN- Umweltprogramms UNEP berücksichtigt explizit den Konfliktbezug von Umweltfragen (vgl. z.B. UNEP 2004). Darüber hinaus ist UNEP zusammen mit der OECD und der 4 Vgl. auch die Ergebnisse der Umweltsicherheitsforschung. Auf den Stand der wissenschaftlichen Forschung wird in Kapitel 2 eingegangen.
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NATO in die Environment and Security Initiative involviert, die vor allem auf dem Balkan, im Kaukasus und in Zentralasien detaillierte Studien über den Zusammenhang von Umweltdegradation und Konflikten durchgeführt hat. Umweltsicherheit ist außerdem ein Thema der Debatten über die Folgen des Klimawandels und der Nachhaltigkeit, wie auch auf dem World Summit on Sustainable Development betont wurde (IPCC 2001b; Tänzler/Dabelko et al. 2004: beide passim). Eine besondere Aufmerksamkeit haben Umweltsicherheit und konflikthaftes Ressourcenmanagement im Kontext der internationalen Debatten über die Auswirkungen des Klimawandels erfahren. Die Jahre 2006 und 2007 waren diesbezüglich besonders prägend. Im Oktober 2006 hatte die Stern Review on the Economics of Climate Change international Aufsehen erregt. Der Bericht, den der ehemalige Weltbank-Chefökonom Nicolas Stern im Auftrag der britischen Regierung anfertigte, veröffentlichte zum ersten Mal eine detaillierte Einschätzung der hohen finanziellen und ökonomischen Folgekosten der Erderwärmung für die britische Volkswirtschaft (Stern 2006). Im November 2006 betonte der UN-Klimagipfel in Nairobi die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Folgen des Klimawandels (IISD 2006: passim). 2007 folgte die international mediatisierte Veröffentlichung des Vierten Sachstandsberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der unter anderem die höhere Betroffenheit und Verwundbarkeit und gleichzeitig geringere Anpassungskapazität der Entwicklungsländer hervorhob (IPCC 2007c; IPCC 2007b). Die Organisation wurde später im Jahr gemeinsam mit dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Nicht zuletzt wurden gerade die sicherheitspolitischen Auswirkungen durch den UN-Sicherheitsrat hervorgehoben, der sich auf Initiative der britischen Außenministerin Margaret Beckett hin 2007 mit dem Klimawandel als Gefahr für den Weltfrieden befasste. Im gleichen Jahr haben zudem die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sowie der G8-Gipfel diese Aspekte thematisiert. Umweltkatastrophen, aber auch zunehmende Wasserknappheit und sinkende Nahrungsproduktion sowie andere Auswirkungen des Klimawandels werden heute nicht mehr nur als ökologische Veränderungen, sondern zunehmend auch als Bedrohung des menschlichen Lebens diskutiert. Die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union erkennt das seit 2003 an (EU 2003). Der außenpolitische Repräsentant der Europäischen Union, Javier Solana, und die EU-Kommission warnten zudem im Jahr 2008 die Staats- und Regierungschefs explizit vor den sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels und forderten eine noch stärkere Berücksichtigung dieser Zusammenhänge in der Sicherheitsstrategie der Union (Solana 2008: 1). In Deutschland machte zudem der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Hauptgutachten
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2007 auch auf die sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam (WBGU 2007). Bereits in den Vorjahren hatte die Institution diese Aspekte in unterschiedlichen Zusammenhängen untersucht. Weitere Studien zu Umweltsicherheitsfragen sind in Deutschland auf Initiative des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU 2002; Tänzler/ Schröder-Wildberg 2003) des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ 2002) sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entstanden (Carius/Bächler et al. 1999). Auch in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit werden Umweltsicherheitsaspekte zunehmend als Querschnittsfaktor oder als spezielle Sektorvorhaben integriert (vgl. beispielsweise DFID 1999/2000; Halle/Dabelko et al. 2000). Auch spezifische UN-Organisationen, wie die FAO im Bereich Landwirtschaft und Ressourcenmanagement, beschäftigen sich mit den sicherheitspolitischen Auswirkungen von Nahrungsmangel in Folge von Ressourcenknappheit (z. B. FAO 2005; FAO 2007). Nicht zuletzt wegen der starken Mediatisierung des Themas gelten die Zusammenhänge zwischen Umweltveränderungen, Ressourcenverknappung und gewaltsamen Konflikten heute bei vielen internationalen Institutionen als wesentliche Herausforderung für die internationale Sicherheit. Anlässlich der Eröffnungskonferenz einer Forschungsinitiative des britischen Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI) zu diesem Thema verglich der Sonderbeauftragte für Klimaschutz des britischen Außenministeriums, John Ashton, die Herausforderungen des Klimawandels mit denen des Kalten Krieges: „The last time the world shared a dilemma this complex, a challenge this difficult, this far reaching was the Cold War. I would suggest that the stakes this time are just as high if not higher. (...) This time if we do nothing the threat just keeps getting worse, there is a 'ticking clock' in the background” (ECC 2007: e. Q.).
1.2.3 Wasser als Sicherheitsfaktor innerhalb von Staaten Konflikte um Wasser sind, wie andere Ressourcenkonflikte, kein neues Phänomen: „Conflicts over natural resources have always played a role in human society, but recent conditions have led to an increase in their intensity, public profile, and complexity. Policies have paid relatively little attention to the broader perspective of conflict management“ (Taylor 2006: e. Q.). Wo öffentliche Güter von mehreren Individuen und Gruppen genutzt werden, bedarf es gemeinsamer Nutzungsregeln und kommt es zu unterschiedlichen Ansichten über die Verteilungsmodalitäten. Neu ist jedoch in jüngster Zeit die horizontale
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und vertikale Ausbreitung von Wasserkonflikten und ihren Folgen, die ein höheres Potential sozialer Destabilisierung provoziert, als dies lokal und sozial begrenzte Auseinandersetzungen beispielsweise innerhalb eines Dorfes haben. Auch innerhalb der Umweltsicherheitsdebatten kommt Wasserressourcen eine besondere Bedeutung zu, da sie zentrale Funktionen für die menschliche Entwicklung und die Menschliche Sicherheit erfüllen. Die Ressource ist dabei in zweifacher Hinsicht ein relevanter Sicherheitsfaktor: zum einen kann ihre Knappheit direkt oder indirekt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen und kommt damit als potentielle Ursache von Konflikten im Sinne des „engen“ Sicherheitsbegriffs in Frage. Zum anderen werden durch den ungenügenden Zugang zu Wasser die Lebens- und Entwicklungsbedingungen von Individuen oder Gruppen derart beeinträchtigt, dass ihre Menschliche Sicherheit bedroht ist: „water scarcity might not cause war but still engender insecurity by contributing to dehydration-related death, reducing food production and undermining livelihood opportunities. The environment impacts human survival, well-being and dignity – all aspects of human security“ (Khagram/Clark 2003: 112). Auch die UN stellt bezüglich der mangelhaften Trinkwasser- und Sanitätsversorgung, die Ursache zahlreicher Krankheiten, hoher Kindersterblichkeit und fehlender Entwicklung ist, fest: „Eine sichere Wasserversorgung ist untrennbar Bestandteil dieses breiter angelegten Konzepts menschlicher Sicherheit. Weiter gefasst geht es bei einer sicheren Wasserversorgung darum, zu gewährleisten, dass alle Menschen verlässlichen Zugang zu ausreichenden Mengen unbedenklichen Wassers zu bezahlbaren Preisen erhalten, um ihnen ein würdevolles und produktives Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig gilt es, die Ökosysteme aufrecht zu erhalten, die das Wasser liefern, aber selbst auch vom Wasser abhängen. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben oder ist der Zugang zu Wasser nicht gesichert, sehen sich die Menschen durch gesundheitliche Probleme und die Beeinträchtigung ihrer Existenzgrundlage akuten Gefahren für die menschliche Sicherheit ausgesetzt“ (UNDP 2006c: 3). Der mangelnde Zugang zu Wasserressourcen kann im Sinne der in Kapitel 1.2.1 definierten Aspekte als Faktor der Menschlichen Sicherheit definiert werden, da a. b. c.
dies eine nichtmilitärische Bedrohung für die physische Sicherheit sowie die Überlebens- und Entwicklungschancen darstellt; diese Bedrohungen sich nicht auf staatliche Objekte beschränken, sondern auch Gruppen und Individuen betreffen; und in Folge daraus auch die Schutzfunktion auf der Mikro-, Meso- und Makroebene durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgeübt werden muss.
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Eine wesentliche Schwäche der Konzepte Menschlicher Sicherheit ist die Vernachlässigung der Zwischenebene zwischen staatlicher und menschlicher Sicherheit, die Debiel als „gesellschaftliche Sicherheit“ definiert (Debiel 2003: 8). Im spezifischen Fall der Wasserressourcen ist gerade diese Zwischenebene sicherheitsrelevant und bedarf einer näheren Definition, um die Kernprobleme mangelnder Sicherheit zu identifizieren. Gesellschaftliche Sicherheit wird in diesem Kontext wesentlich durch kooperatives Ressourcenmanagement und konstruktive Konfliktaustragung bestimmt, denn diese Faktoren ermöglichen die Sicherheit von Kollektiven und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Weitere relevante Sozialstrukturen betreffen vor allem sozioökonomische Ungleichheiten (s. u.). Wasserkonflikte können sehr unterschiedliche Ursachen haben, haben aber mit anderen Konflikten gemeinsam, dass ihnen tatsächliche oder wahrgenommene Interessensdifferenzen zugrunde liegen, die entsprechendes Handeln zur Folge haben: „A conflict arises when parties disagree about the distribution of material or symbolic resources and act on the basis of these perceived incompatibilities“ (I.A. 1996: 3).
Diese Interessensdifferenzen sind immer in ein gesellschaftliches und politisches Umfeld eingebettet, denn: „Konflikte lassen sich definieren als soziale Tatbestände, an denen mindestens zwei Parteien (Einzelpersonen, Gruppen, Staaten etc.) beteiligt sind, die auf Unterschiede in der sozialen Lage und/ oder auf Unterschiede in der Interessenskonstellation der Konfliktparteien beruhen“ (Imbusch/Zoll 2005: 71). Dabei schließt sich die Durchsetzung der Interessen der Konfliktparteien in der Realität oder auch nur in ihrer Wahrnehmung aus: „conflict means perceived divergence of interest, or a belief that the parties’ current aspirations cannot be achieved simultaneously“ (Rubin/Pruitt et al. 1994: 5). Mangelnde Menschliche Sicherheit, die durch ungenügenden Zugang zu Wasser entsteht oder verschärft wird, wird in diesem Kontext als mögliche strukturelle Ursache von Interessensdifferenzen und Konflikten verstanden. Wenn etwa ungleiche Wasserverteilung zur Verschlechterung der Lebens- und Produktionsbedingungen von Bauern beiträgt, so können die dadurch entstehende soziale und ökonomische Ungleichheit sowie die Verteilungskonkurrenz potentielle Konfliktursachen sein. Darüber hinaus können Interessensdifferenzen durch andere Faktoren begründet sein, die nicht immer unmittelbar mit der Wasserverteilung verbunden sind, wie soziales Ansehen oder politischer Einfluss. Cosers Definition von Sozialkonflikten trifft im Wesentlichen auch auf die Eigenschaften von Wasserkonflikten zu: „Sozialer Konflikt kann definiert werden als
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Kampf um Werte oder Statusansprüche, um Macht und knappe Ressourcen“ (Coser 1965: 232). Neben den in Kapitel 1.1.2 erläuterten Aspekten und den zahlreichen soziopolitischen Dimensionen von Wassermanagement spricht auch dies für ein Verständnis von Wasserkonflikten als sozialen Konflikten. In Kapitel 1.1.3 ist bereits auf die Bedeutung der Struktur innergesellschaftlicher Machtverhältnisse sowie der ihnen zugrunde liegenden Normen und Werte für Wassermanagementsysteme hingewiesen worden. Um diese Faktoren ebenfalls in der Konfliktanalyse zu berücksichtigen, werden Wasserkonflikte als empfundene oder tatsächliche Interessensdifferenz und entsprechendem Handeln bezüglich des Zugangs zu materiellen oder immateriellen Ressourcen verstanden. Dabei ist auch die Frage der subjektiven Perzeption wichtig, da sie die Handlungsmotive der Konfliktparteien erklärt. Als eine wesentliche Ursache von Konflikten innerhalb von Gesellschaften macht die Friedensforschung soziale Unterschiede trotz gesellschaftlichen Reichtums aus (Imbusch/Zoll 2005: 119). Sozio- ökonomische Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaften spielen auch für Galtungs Theorie der „strukturellen Gewalt“ eine wichtige Rolle (Galtung 1971: 55 ff.). Umgekehrt ist deren Überwindung wesentlich für einen „positiven Frieden“, der über die Abwesenheit von Gewalt hinausgeht und Entwicklungschancen impliziert. Der Begriff „verlagert den Fokus von der Person auf die soziale und/oder globale Struktur“ (Galtung 1997: 477), die auch bei Wasserkonflikten eine wesentliche Rolle spielt. Auch Senghaas betont die „Notwendigkeit einer sozial gerechten Verteilung von Lebenschancen, weil nur dann gewährleistet ist, dass sich gesellschaftliche Gruppen nicht aufgrund einer strukturellen Benachteiligung Güter durch Gewalt aneignen“ (Senghaas zit. in: Imbusch/Zoll 2005: 137). In den Strategien internationaler Entwicklungs- und Friedensorganisationen spiegelt sich der Konsens über die wichtige Rolle solcher struktureller Konfliktursachen im Kontext der Konfliktprävention und in Phasen des Wiederaufbaus nach Kriegen und gewaltsamen Konflikten wider. Ist eine Gruppe marginalisiert und ihr Zugang zu bestimmten materiellen oder immateriellen Ressourcen durch eine dominierende Gruppe eingeschränkt, versucht sie, sich an dieses Manko anzupassen: „the need to adapt results from the incapacity to gain access to internal or external resources essential to the maintenance or pursuit of fundamental objectives, among which survival, welfare or stability are the most important” (Le Prestre 1999: 60). Wenn eine solche Anpassung nicht möglich ist, oder die Machtverhältnisse extrem ungleich sind, können Konflikte eskalieren. Wegen der mit dem Ressourcenmanagement verbundenen Machtverhältnisse können wasserunabhängige Interessenskonstellationen oftmals die Entstehung und den Verlauf der Konflikte bestimmen, ohne offen sichtbar zu sein. Hier treffen Dahrendorfs Begriffe der „umgelenkten“,
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bzw. „umgeleiteten“ Konflikte zu (Dahrendorf 1961, zit. In Imbusch/Zoll 2005: 73). Diese Konflikte würden aus verschiedenen Gründen nicht offen ausgetragen und äußerten sich in anderer Form, über bestimmte Interessenskonstellationen oder Verhaltensweisen. Auf der lokalen Ebene können sich Interessensdifferenzen über den Ressourcenzugang beispielsweise in der Unterstützung bestimmter Allianzen in der Lokalpolitik, in der Beeinflussung des wirtschaftlichen Handels oder durch die Polarisierung sozialer Beziehungen in anderen Lebensbereichen äußern. Folgende Eigenschaften innerstaatlicher Wasserkonflikte lassen sich vor diesem Hintergrund zusammenfassen:
Sie können sich sowohl in gewaltsamen Auseinandersetzungen äußern, als auch in einer Bedrohung der Überlebens- und Entwicklungschancen von Menschen. Diese Bedrohung kann wiederum selbst Auseinandersetzungen begünstigen. Sie sind als Faktor gesellschaftlicher Sicherheit und Stabilität relevant, da neben dem Destabilisierungspotential der Verteilungskonkurrenz auch die Infragestellung der damit verbundenen sozioökonomischen Strukturen konfliktträchtig sein kann. Sie können gewaltsam ausgetragen werden, können sich aber ebenso ohne Gewaltanwendung auf die Gestaltung der sozialen Beziehungen und Machtverhältnisse auswirken. Ihr Potential einer gewaltsamen Eskalation ist stark abhängig von der Ausgestaltung weiterer gesellschaftlicher Strukturen, die die Verteilung materieller und immaterieller Ressourcen bestimmen.
Diese Eigenschaften zeigen, dass Wasserkonflikte auch für die internationale Entwicklungszusammenarbeit (EZ) relevant sind: einerseits im Rahmen der Implementierung von Wasserprojekten, andererseits als Faktor, der die Umsetzung anderer Projekte beeinflusst (vgl. auch Houdret 2008a). Trotz der häufigen Thematisierung der Wasserknappheit in der EZ und zunehmend auch der damit zusammenhängenden Konfliktpotentiale konzentriert sich die wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema noch immer weitgehend entweder auf die internationale Ebene, oder auf eine sehr begrenzte lokale Perspektive (vgl. auch Kapitel 2). Existierende Leitlinien der EZ zum Umgang mit Konflikten im Rahmen des Managements natürlicher Ressourcen (vgl. z.B. Engel/Korf 2005 oder auch Bush/Opp 1999) konzentrieren sich zum einen stark auf die lokale Ebene und beziehen zum anderen nur in begrenztem Ausmaß Konfliktursachen und Bearbeitungsmöglichkeiten außerhalb des Ressourcenkontextes ein. Auf nationaler und internationaler Ebene findet das Konzept des Integrierten Wasserressour-
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cenmanagements (IWRM) immer stärkere Verbreitung. Es betont zwar das notwendige Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen von Mensch und Natur an die Ressource, geht jedoch wenig explizit auf mögliche strukturelle Konfliktursachen ein. Anhaltspunkte für die Verhandlung im Konfliktfall werden gegeben, aber indirekte oder noch nicht eskalierte Konfliktformen, die auf lokaler und regionaler Ebene im Wassersektor häufig sind, werden nicht berücksichtigt (GWP 2003: 113 ff.). Auch in der Entwicklungszusammenarbeit existieren bisher nur wenige spezifische Veröffentlichungen oder Leitlinien diesbezüglich (DIIS 2004; SWH 2005). Die mittlerweile zahlreichen Studien zum Umgang mit Gewaltkonflikten in der Entwicklungszusammenarbeit lassen sich aufgrund der spezifischen Charakteristika der Ressource Wasser, ihrer Verteilung und Konfliktpotentiale nur sehr begrenzt auf den Wassersektor übertragen. Ähnliches gilt für die Evaluationsmethoden von Projekten: sie betreffen zwar die finanzielle und häufig auch die ökologische Effizienz und Nachhaltigkeit der Projekte und beziehen auch sozioökonomische Kriterien mit ein, gehen jedoch wenig spezifisch auf direkte und indirekte Konfliktpotentiale und Kooperationsmöglichkeiten ein. Bezüglich der ökologischen, technischen, finanziellen oder ökonomischen Nachhaltigkeit von Projekten im Wassersektor ebenso wie für die Grundsätze des „Good Governance“ existieren bereits eine Reihe mehr oder weniger spezifischen Leitlinien internationaler Institutionen (z.B. EU 2002; Poulos/Pattanayak et al. 2006; Moriarty/Batchelor et al. 2007). Auch sie beziehen die Aspekte der Konfliktursachen und die unterschiedlichen Austragungsformen jedoch wenig bis gar nicht ein. Die Sektorstrategie des deutschen Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) schließlich berücksichtigt zwar das Konzept des IWRM und fordert eine Armutsberücksichtigung in Wasserprojekten sowie eine Stärkung der Institutionen zur Konfliktbearbeitung, bietet jedoch wenig konkrete Anhaltspunkte für die Prävention von und den Umgang mit Konflikten (BMZ 2006b; 2006a). Ähnliche bzw. noch größere Defizite bezüglich einer Berücksichtigung der Konfliktpotentiale sind in den Evaluationsberichten der Weltbank in den Bereichen Landwirtschaft, Wassermanagement, und Privatisierung im Wassersektor zu konstatieren (IEG 2006;WB 1993; Jones 1995; Pitman 2002b; WB 2007a). Im Kontext der wahrscheinlich steigenden Konfliktpotentiale im Wassersektor und in daran angrenzenden Bereichen ist eine spezifische Auseinandersetzung der EZ mit dieser Problematik notwendig.
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Ursachen und Folgen der Süßwasser-Knappheit
1.2.4 Zwischenstaatliche Wasserkonflikte Die Warnungen vor drohenden „Wasserkriegen“ zwischen Ober- und Unteranrainern grenzüberschreitender Gewässer sind insbesondere in den 1990er Jahren durch drei aufsehenerregende Äußerungen populär geworden: den Foreign Policy- Aufsatz „Water Wars“ von Joyce Starr, den apodiktischen Prophezeiungen des damaligen Präsidenten der Weltbank, Ismail Serageldin („The wars of the next century will be about water”, Sridhar 2003: e.Q.), und ähnlichen Äußerungen des damaligen UN Generalsekretärs Boutros Boutros Ghali (Thomson 2005: e.Q.). In Zeiten knapper werdender Wasserressourcen und bei steigendem Bedarf, so das Argument, versuchten Staaten grenzüberschreitende Gewässer durch Staudämme und Wasserumleitungen so stark wie möglich innerhalb ihrer Grenzen zu nutzen. Die damit einhergehende Verminderung des Stroms im unteren Verlauf könne dann zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Anrainern führen. Begründet wird dies u.a. mit der starken Stellung der Oberanrainer und der Unersetzbarkeit der Ressource für die wirtschaftliche Entwicklung der Länder. Aktuelle Großstaudammprojekte wie das sog. GAP- Projekt der Türkei zeigen, dass die Befürchtungen über erhebliche Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit im unteren Verlauf berechtigt sind, da sie eine Einschränkung der Ressource für Syrien und Irak bedeuten (Daoudy 1999: e.Q. Kolars 2000: 101 ff.). Trotz mehrmaliger Drohungen und massiven Protesten in Syrien ist es bisher jedoch nicht zu Kriegen zwischen den beteiligten Parteien gekommen. Zwar ist die Türkei Oberanlieger und bestätigt insofern die Theorie des Machtungleichgewichts, jedoch gibt es ebenso entgegengesetzte Beispiele. Wie im Nil-Tal zu beobachten, kann auch der Unteranlieger (hier Ägypten) die anderen Anrainerstaaten politisch dominieren und so seinen höheren Verbrauch durchsetzen (Cosgrove 2001: 18, 73). Trotz der bestehenden Abhängigkeiten - oder gerade deshalb - führen grenzüberschreitende Gewässer bisher nur in äußerst seltenen Fällen zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Mehrere Autoren vertreten im Sinne der Regimetheorie die Ansicht, dass die Stärkung bi- oder multilateraler Institutionen das grenzüberschreitende Management fließender Gewässer nicht nur verbessern, sondern darüber hinaus in anderen Feldern zur politischen Stabilisierung der Region beitragen kann (Blatter/Ingram 2001; Wolf 2002; IHP/HWRP 2005: passim). Eine umfassende empirische Untersuchung der tatsächlichen zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen zwischen Flussanrainerstaaten ergab ein ganz anderes Bild als das der „Kriege um das blaue Gold“. Das Projekt der Transboundary Freshwater Dispute Database, die unter der Leitung von Aaron
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Wolf zwischenstaatliche Uneinigkeiten über Wasserfragen von 1948 bis 1999 analysierte, kam zu dem Schluss, dass Flussanrainerstaaten aus eigenem langfristigen Interesse heraus eher zu kooperativen Lösungen als zu einer Eskalation der Gewalt tendieren (Wolf/Shira et al. 2003: 1123)5. Wolf zieht die Schlussfolgerung: „This is not to say that there is no history of water-related violence - quite the opposite is true - only that these incidents are at the sub-national level, generally between tribes, water-user sectors, or provinces” (Wolf 1999: 119).
Angesichts der voraussichtlich in Zukunft noch stärkeren Knappheit der Wasserressourcen und der großen Anzahl grenzüberschreitender Flussbecken6 haben die Aussagen von Wolf und anderen zwar keine absolute Gültigkeit, relativieren aber dennoch die oben erwähnten Aussagen von Starr et. al. Ein anderer, möglicherweise konfliktträchtiger Aspekt der internationalen Gewässer, der erst in jüngster Zeit politische Aufmerksamkeit bekommt, sind grenzüberschreitende unterirdische Wasserressourcen. In vielen Regionen der Welt reichen große Aquifere über zwei oder sogar mehr Länder hinweg. In Nordafrika beispielsweise erstrecken sich mehrere Aquifere über die Länder Algerien/Tunesien/Libyen, Libyen/Sudan/Tschad, und Algerien/Mauretanien/ Mali. Je knapper die oberirdischen Wasserressourcen werden, desto mehr gewinnen diese nicht erneuerbaren Reserven an Bedeutung und werden von den Anrainerstaaten abgepumpt. Verstärkte Wasserentnahme in einem Land kann jedoch zu massiven Problemen wie dem Austrocknen von Oasen im Nachbarland führen (Mutin 2000: 143). Bisher gibt es auf internationaler Ebene für die Nutzung dieser Ressourcen keine Reglementierung (Struckmeier 2005: 72), ein Expertenteam arbeitet jedoch im Auftrag der UNESCO an einer Vorlage, die der UN als Grundlage zur Formulierung eines Abkommens dienen soll (Stephan 2006; 2008: passim).
5 Vgl. die Website der Transboundary Freshwater Dispute Database von der Forschungsgruppe um A. Wolf, http://www.transboundarywaters.orst.edu/ (12.05.2005). 6 In 263 internationalen Flussbecken sind 60% der weltweiten Süßwasserressourcen gelagert (Wolf 2002: e.Q.).
2 Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten
In der Forschung über Konflikte um Wasserressourcen kann zwischen der innerund der zwischenstaatlichen Ebene unterschieden werden. Auf internationaler Ebene konzentrieren sich vor allem politikwissenschaftliche und geographische Studien auf bi- oder multilaterale Beziehungen und zwischenstaatliche Regime (z.B. Libiszewski 1999; Blatter/Ingram 2001; Lonergan 2001; Zürn 2001; Hartje 2002). In jüngster Zeit wurden dabei auch vermehrt nichtstaatliche Akteure berücksichtigt (Swatuk 2004; Wirkus/Böge 2005). Wesentliche Forschungsergebnisse wurden in Kapitel 1.2.4 vorgestellt. Auch aus der Perspektive der Umweltsicherheitsforschung wurde das Thema der Konflikte um Wasser auf zwischenstaatlicher Ebene erforscht (z.B. Barandat 1997; Lonergan 2001; Dabelko/Carius et al. 2004). Wie auch bei anderen Umweltfaktoren sind sich die Forscher bezüglich der Wasserressourcen mehrheitlich einig, dass Konfliktpotentiale stärker auf inner- als auf zwischenstaatlicher Ebene zu beobachten sind (Lonergan 2001: 122; Dabelko/Carius et al. 2004: 2). Auf dieser Ebene ist die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen am stärksten ausgeprägt. Innerstaatliche Disparitäten in Quantität und Qualität der Wasserversorgung wachsen durch die zunehmende Knappheit weiter an. Einsparmaßnahmen führen darüber hinaus zur erzwungenen Begrenzung des Verbrauchs für bestimmte Bevölkerungsgruppen, Produktionssektoren oder Regionen. Die derart entstehenden Spannungen zwischen oder innerhalb von Nutzergruppen können zur Verschlechterung der Menschlichen Sicherheit und zu gewaltsamen Konflikten führen. Die Erforschung von innerstaatlichen Konflikten um Wasser ist bisher wenig systematisch erfolgt und beschränkt sich auf einzelne Teilbereiche des Ressourcenmanagements. Das Thema wird eher als Frage der optimalen Steuerung durch den Staat behandelt, wobei die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen, ihre Beziehungen zu nichtstaatlichen Akteuren und Politikempfehlungen wie das sog. Integrated Water Resource Management (IWRM) im Zentrum stehen. Im Bereich des Bewässerungsmanagements kommen zahlreiche Forschungsarbeiten zu den Möglichkeiten und Grenzen traditioneller Bewässerungsmethoden und partizipativer Ansätze hinzu (z.B. Baland/Platteau 1996; Allain 2001; D'Aquino/Seck 2001; Joliveau/Amzert 2001; Mollinga/Bolding 2004; Jamin/Bisson et
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Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten
al. 2005). Auch die Umweltsicherheitsforschung hat Konflikte um Wasser auf innerstaatlicher Ebene untersucht, konzentrierte sich dabei aber stärker auf Korrelationen zwischen Umweltdegradation und dem Entstehen gewaltsamer Konflikte, als auf Möglichkeiten der Bearbeitung. Zudem wurde Wasserknappheit meist nicht explizit behandelt, sondern im Kontext weiterer Umweltveränderungen. Eine weitere Forschungsrichtung sind die sog. Common Pool Resource Theories, die soziale Systeme zur Organisation der Ressourcenverwaltung auf lokaler Ebene in den Mittelpunkt stellt. Methoden der Konfliktforschung zur Untersuchung der Ursachen und Bearbeitungsmöglichkeiten gewaltsamer Auseinandersetzungen, wie sie beispielsweise in der Analyse interethnischer Konflikte verbreitet sind, sind im Feld der innerstaatlichen Wasserkonflikte dagegen bisher wenig angewendet worden. Dieses Kapitel führt in die drei Forschungsrichtungen - Umweltsicherheit, Common Pool Resources und Konfliktforschung - ein und evaluiert ihren möglichen Beitrag zur Studie innerstaatlicher Konflikte um Wasser.
2.1 Die Umweltsicherheitsforschung 2.1.1 Entstehung und Schwerpunkte des Forschungszweiges In Kapitel 1 wurde bereits auf die Entstehung des politischen Bewusstseins über die Relevanz von Umweltveränderungen für die Sicherheit von Staaten und Menschen eingegangen. Die wissenschaftliche Forschung zum Thema Umweltsicherheit wird hier zunächst hinsichtlich ihrer Entstehung und der vier wesentlichen Forschungsgruppen vorgestellt. Im zweiten Teil werden dann die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Ressourcendegradation und dem Auftreten gewaltsamer Konflikte zusammengefasst. Die Kritik und die Defizite des Forschungszweiges - insbesondere auch aus der Perspektive von Entwicklungsländern - werden im dritten Teil des Kapitels vorgestellt. Die (europäische und nordamerikanische) Umweltsicherheitsforschung lässt sich chronologisch in vier Phasen mit unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten unterteilen:
Phase 1: Die Untersuchung der Folgen von Kriegen und militärischen Aktivitäten in Friedenszeiten auf die Umwelt und die Etablierung des erweiterten Sicherheitsbegriffs (1970er bis in die späten 1980er Jahre).
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Phase 2: Die Durchführung empirischer Forschungsprojekte zu kausalen Zusammenhängen zwischen Umweltdegradation und gewaltsamen Konflikten, qualitative Fallstudien und quantitative Datenbanken (1990er Jahre). Phase 3: Die Revision der konzeptionellen Ansätze von Umweltsicherheit unter verstärkter Berücksichtigung sozioökonomischer Variablen und kooperativ ausgetragener Umweltkonflikte (Ende der 1990er Jahre bis heute). Phase 4: Die stärkere Fokussierung auf friedens- und entwicklungspolitische Aspekte und die Integration der Forschung in entsprechende Politikbereiche (etwa 2002 bis heute). Vor allem seit 2005/2006 eine verstärkte Wahrnehmung des Klimawandels als möglicher Auslöser entwicklungspolitischer Probleme, innerstaatlicher Verteilungskonflikte und verstärkter Migration.
Die erste Forschungsphase fällt in die Zeit der Einführung umweltpolitischer Themen auf die Agenda internationaler Organisationen in den 1970er/1980er Jahren. Arthur Westing erforschte maßgeblich die Auswirkungen kriegerischer Auseinandersetzungen auf die Umwelt (Westing 1986). Während dieser Phase wurde auch der Begriff der „Nachhaltigkeit“, vor allem geprägt durch die World Conservation Union (IUCN), in den politischen Debatten verankert. Der 1972 erschienene Bericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows/Meadows et al. 1972) warnte vor möglichen sicherheitspolitischen Auswirkungen von Umweltveränderungen. Dies wurde auf internationaler Ebene 1987 explizit durch den sog. „Brundtland-Bericht“ der World Commission on Environment and Development aufgegriffen (WCED 1987). Die WCED sieht Umweltkonfliktpotentiale als Teil der Veränderung der weltweiten Sicherheitsbedrohungen: „The whole notion of security as traditionally understood - in terms of political and military threats to national sovereignty - must be expanded to include the growing impacts of environmental stress - locally, regionally and globally” (WCED 1987: 19). Auch der Friedensforscher Johan Galtung wies 1982 darauf hin, dass Umweltstressfaktoren zu einer offensiven Außenpolitik von Ländern führen könne, wenn diese ihren eigenen Bedarf an Ressourcen durch die Aneignung der in angrenzenden Ländern verfügbaren decken wollten (Galtung 1982). Insbesondere in der zweiten Phase wird die Forschung auch durch internationale Sicherheitsorganisationen durchgeführt bzw. von ihnen in Auftrag gegeben. 1995 wurde die Pilotstudie des Committee on the Challenges of Modern Society der NATO veröffentlicht, in der auf mögliche sicherheitspolitische Auswirkungen von Umweltdegradation aufmerksam gemacht wird (Lietzmann/Vest 1999). Ab 1997 führt das Development Assistence Committee der OECD zum gleichen Thema Studien durch, die auch Konfliktpotentiale in Entwicklungslän-
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Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten
dern berücksichtigen (DAC 1998; Halle/Dabelko et al. 2000). Im Jahr 1998 wird auf internationaler Ebene eine Forschungskooperation zwischen dem Peace Research Institute Oslo (PRIO) und UNEP vereinbart, und in Deutschland ein spezifisches Dialogforum zur Prävention grenzüberschreitender Wasserkonflikte gegründet.7 Zur Konzeptualisierung dieser Debatten und einer systematischen Erfassung der langfristigen Wechselwirkung unterschiedlicher ökologischer Faktoren trug vor allem das von dem Potsdamer Institut für Klimaforschung (PIK) und dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) getragene Projekt Syndrome Globalen Wandels (WBGU 1996) sowie das International Human Dimensions Programme on Global Environmental Change (IHDP) bei. Beide analysieren die Interaktion der unterschiedlichen Einflussfaktoren beim Zusammenwirken von Umweltveränderungen und gewaltsamen Konflikten. Das sog. „Syndromkonzept“ entwickelte in diesem Rahmen eine Typologie der auftretenden Interaktionen. Explizit werden dabei zur Analyse der Verwundbarkeit von Gesellschaften sowohl die ökologischen Rahmenbedingungen als auch die Verfügbarkeit soziopolitischer Handlungsalternativen untersucht. Die große Anzahl der im Syndromkonzept vorgeschlagenen Kategorien und möglichen intervenierenden Faktoren erschwert jedoch die Übertragbarkeit des Modells auf andere Fälle. In der dritten und vierten Forschungsphase wird sowohl in den theoretischen Konzepten der Umweltsicherheit als auch in den empirischen Studien mehr Gewicht auf entwicklungspolitische Aspekte gelegt. Die Szenarien untersuchen dabei vermehrt langfristige Auswirkungen der Umweltveränderungen in verschiedenen Regionen der Welt:8 „Hier verschiebt sich allmählich der ursprüngliche, auch räumlich begrenzte, umweltpolitische Fokus von Außen- und Sicherheitspolitik hin zu einer nachhaltigkeitsorientierten Friedenspolitik der internationalen Kooperation mit deutlich regionalem Bezug“ (Carius/Bächler et al. 1999: 16). Dies spiegelt sich einerseits in einer Integration umweltsicherheitspolitischer Belange in die Praxis der Entwicklungszusammenarbeit9, andererseits in der Einbeziehung bis dahin typischer Entwicklungsfaktoren wie 7 Beteiligt sind dabei das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das Auswärtige Amt, die Weltbank und die Deutsche Stiftung Entwicklung. 8 Hierbei sind insbesondere folgende Forschungsprojekte zu erwähnen: GECHS/IHDP (Global Environmental Change and Human Security/International Human Dimensions Programme on Global Change), GLASS (Analyse der Bedrohungsintensität von Umweltveränderungen), ECOMAN, ECONILE (Konflikbearbeitungsstrategien anhand von Fallstudien, vgl. „Bächler-Gruppe“). 9 Vgl. insbesondere die Aktivitäten der britischen, deutschen und schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit DFID, GTZ, SDC, sowie den „Aktionsplan Zivile Krisenprävention“ der Bundesregierung Deutschland, der u.a. die Prävention von Konflikten um natürliche Ressourcen thematisiert.
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Armut in Konzepte der Umweltsicherheit10 wieder. Auch wurden Vorwürfe an die Studien früherer Forschungsphasen aufgegriffen, indem beispielsweise kooperativ verlaufende Konkurrenz um Ressourcen und soziopolitische Variablen in den empirischen Untersuchungen stärker berücksichtigt wurden. Innerhalb der Forschungslandschaft haben sich ab der zweiten Phase insbesondere vier Gruppen von Wissenschaftlern etabliert, die die konzeptionellen Ansätze weiterentwickelt und empirische Studien durchgeführt haben: a.
Die „Bächler-Gruppe“ Der Schweizer Forscher Günter Bächler initiierte zusammen mit Kurt Spillmann an der ETH Zürich die sog. ENCOP-Gruppe (Environment and Conflicts Project). In zahlreichen qualitativen Fallstudien wies die Gruppe nach, dass Umweltveränderungen über die Verschärfung sozioökonomischer Konfliktpotentiale zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen können (Bächler 1994; Bächler/Böge et al. 1996; Bächler 1998; 1999). Dies sei nicht eine direkte Folge der Umweltdegradation an sich, sondern vielmehr eine Konsequenz des „mal-development“ meist armer Länder, die oft mit einer gescheiterten Transformation des auf Subsistenzwirtschaft basierenden Agrarsektors einhergingen. Bächler et. al. unterscheiden in ihrer Konflikttypologie zwischen Zentrum-Peripherie-Konflikten, ethno-politisierten Konflikten, regionalistischen, grenzüberschreitenden und demographisch bedingten Migrationskonflikten, internationalen Wasserkonflikten und Fernwirkungskonflikten. Nach Beendigung des ENCOP-Projekts führte die Gruppe ihre Forschungen mit einem stärkeren Fokus auf Konfliktbearbeitungsstrategien auf lokaler Ebene fort (Bächler 2001; Bächler 2002; Bächler 2004). Mehrere Forschungsprojekte unterstützen Maßnahmen zur Stärkung der Konfliktbearbeitungskapazitäten staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, wie in den Projekten ECOMAN und ECONILE. Der regionale Forschungsschwerpunkt der Gruppe ist das Horn von Afrika, wo auch gemeinsam mit Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit konfliktpräventive Maßnahmen durchgeführt werden.
b.
Die „Toronto-Gruppe“ In Kanada etablierte sich um den Forscher Thomas Homer-Dixon das Toronto Project on Environment and Acute Conflict, welches ebenfalls qualitative Fallstudien zum Zusammenhang zwischen Umweltdegradation und gewaltsamen Konflikten durchführte. Die Gruppe kam zu dem Ergebnis,
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Vgl. beispielsweise die Forschung des Peace Research Institute Oslo zu diesen Themen.
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Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten dass innerstaatliche Konflikte auf zwei Dynamiken zurückzuführen sind: a) die Gleichzeitigkeit von wachsender Bevölkerung und abnehmender Qualität und/oder Quantität der Ressourcen und b) die Kombination von durch Bevölkerungswachstum verursachter Migration in ökologisch sensitive Gebiete mit Verarmung und Umweltdegradation. Weiter wurde festgestellt, dass globale Umweltveränderungen wie Klimawandel und Ozonabbau weniger zu gewaltsamen Konflikten führen als vielmehr die Konkurrenz um Ressourcen, wie Fischbestände, Wasser, Wälder oder Agrarland (HomerDixon 1991; Homer-Dixon/Barbier 1996; Homer-Dixon/Parcival 1998; Homer-Dixon 1999).
c.
Die „PRIO-Gruppe“ Die Forschungsgruppe um Nils Petter Gleditsch am Peace Research Institute Oslo (PRIO) stellt das Überangebot von Ressourcen (sog. „resource abundance“) in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten. Wesentlich für das Aufreteten gewaltsamer Konflikte sei die Konkurrenz um die Bereicherung an Erlösen aus diesen Rohstoffen, und nicht wachsende Knappheit von natürlichen Ressourcen. Vor allem die Debatten um „Greed or Grievance“ als Motivation gewaltsamer Auseinandersetzungen um Diamanten oder Rohöl, sowie die Untersuchungen über die Entstehung von „Kriegsökonomien“ wurde aus den Forschungen des PRIO und anderen bekannt (Jean/Rufin 1996; Collier/Hoeffler 2000; de Soysa 2002). Die PRIO-Gruppe entwickelte einen eigenen quantitativen Ansatz zur Erforschung möglicher Korrelationen zwischen Umweltdegradation und Konflikten, in dem unterschiedliche Datenbanken kombiniert werden. Wie auch Homer-Dixon und Bächler kommt Gleditsch zu dem Schluss, dass kontextabhängige Variablen über die ökologische Dimension hinaus maßgeblich die Entstehung und Eskalation der Konfliktpotentiale beeinflussen. Als Hauptursachen werden entwicklungsbedingte Probleme wie Entwaldung, Bodendegradation und Wasserknappheit ausgemacht (Hauge/Ellingsen 1998; de Soysa/Gleditsch 1999; Diehl/Gleditsch 2001; Gleditsch 2001).
d.
Die „GECHS-Gruppe“ Das GECHS-Projekt (Global Environmental Change and Human Security) wird an der University of California von Richard Matthew geleitet und knüpft explizit an das u.a. von UNDP vertretene Konzept der Menschlichen Sicherheit an. Im Mittelpunkt stehen die Auswirkungen des Umweltwandels auf Individuen und Gesellschaften, sowie deren langfristige Anpassungsmöglichkeiten. Politikrelevante Empfehlungen konzentrieren sich in Abgrenzung zu den Studien von Homer-Dixon und Bächler eher auf makropo-
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litische und makroökonomische Aspekte, wie die Stärkung nachhaltiger Umweltschutzstrategien, die kooperationsfördernd wirken, und die verbesserte Koordination von Entwicklungs- und Umweltpolitik (Matthew/ Dabelko 2000; Matthew/Fraser 2002; Mc Donald/Gaulin 2002; Matthew/Brklacich et al. 2003).
2.1.2 Ergebnisse der empirischen Studien Ein wesentliches Ergebnis der qualitativen und der quantitiven empirischen Studien der Umweltsicherheitsforschung war der Nachweis, dass weder ein ökologischer noch ein anthropogener Faktor alleiniger Auslöser gewaltsamer Konflikte im Zusammenhang mit Umweltdegradation sein kann. Die Forschungsarbeiten weisen vielmehr auf die Komplexität der Ursachen und die wichtige Rolle sozialer Kapazitäten im Anpassungsprozess an Umweltwandel hin. Zwei verbreitete Annahmen über die Ursachen von Umweltkonflikten konnten so widerlegt werden: Bevölkerungswachstum und fehlende Demokratisierung wurden als Hauptursachen gewaltsamer Umweltkonflikte ausgeschlossen. Diehl und Tir stellen in ihrer quantitativen Erforschung des Zusammenhangs von gewaltsamen Konflikten und Bevölkerungswachstum fest, dass durch Populationszuwachs verursachte Probleme in keinem Fall alleinige Ursachen von Konflikten sind. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Bevölkerungsdichte eines Landes und dem Auftreten gewaltsamer Auseinandersetzungen. Sozialer Druck, der zu Konflikten führen kann, sei mit höherer Wahrscheinlichkeit durch ungerechte Verteilung als durch Bevölkerungswachstum verursacht (Diehl/Tir 1998: 320). Zahlreiche andere Studien belegen dieses Argument und zeigen, dass politische Zugangs- und Verteilungsprobleme, wie die Monopolisierung der Ressourcen durch Eliten, wesentliche Konfliktfaktoren sind (Hartmann 2000: e. Q.). Da die Zunahme der Bevölkerung per se keine Gewalt verursache, müsse sich die Forschung in stärkerem Maße auf die Regierungspraxis unter Einbeziehung des Ressourcenmanagements konzentrieren, anstatt sich auf letzteres zu beschränken (Diehl/Tir 1998: 337). Auch die verbreitete Hypothese, „demokratische“ Gesellschaften seien besser gegen die konfliktträchtigen Auswirkungen von Ressourcendegradation gewappnet, als autoritär oder totalitär geführte Staaten, wurde widerlegt. In seiner Untersuchung der Korrelation zwischen dem Grad der Demokratisierung und der Häufigkeit von Umweltkonflikten stellt Midlarsky fest:
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Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten "In the fourth case, protected land area, the impact of democracy was positive while in the remaining two instances, freshwater and soil erosion by chemicals, there was no significant density" (Midlarsky 1998: 341).
Im Kontext von Konflikten um Wasser haben gerade in demokratischen Staaten Lateinamerikas Gegenbewegungen zur Privatisierung der Trinkwasserversorgung den Druck auf die Regierungen derart erhöht, dass bereits implementierte Vorhaben rückgängig gemacht wurden (Balanya/Brennan et al. 2005: passim). Kernaussage der quantitativen wie auch der qualitativen empirischen Umweltsicherheitsforschung ist, dass es keine monokausalen Erklärungsmuster der Eskalation von Gewalt im Zusammenhang mit Umweltfaktoren gibt. Politischen, sozialen und ökonomischen Variablen wird mehr Erklärungspotential zugeschrieben, als der Degradation der Umwelt selbst. Im Allgemeinen wird deshalb von „umweltinduzierten“ oder „Umwelt-mitverursachten“ Konflikten gesprochen. Flanagan und Fogelman fassen zusammen: “environmental degradation does stimulate the incidence of conflict but less so than political and economic variables” (Gleditsch 1998: 387). Homer-Dixon und Bächler weisen beide auf die wichtige Rolle politischer Institutionen und sozialer Bewegungen hin. Diese könnten entweder die Anpassungskapazität einer Gesellschaft an Umweltdegradation verbessern, oder aber die gezielte Mobilisierung von Gruppen fördern und zur Eskalation von Umweltkonflikten beitragen. Hinsichtlich der ökologischen Konfliktursachen stimmen diese beiden bisher größten qualitativen Forschungsprojekte darin überein, dass die wichtigsten Ursachen in der Verringerung des Ackerlandes sowie der Wald- und Wasserressourcen und der Fischbestände liegen. Die spezifische regionale Anfälligkeit für Konflikte hängt dann vom Zusammenspiel dieser ökologischen Faktoren mit dem jeweiligen sozialen und politischen Kontext ab. Homer-Dixon und Parcival spitzen diese Beobachtungen zu. Nach ihnen kann Umweltknappheit dann zur gewaltsamen Eskalation führen, wenn soziale Effekte dieser Entwicklungen (z.B. geringerer landwirtschaftlicher Ertrag oder Migration) gleichzeitig von starken kollektiven Identitäten oder einem klaren unmittelbaren Vorteil gewaltsamer Aktion für eine Gruppe auftreten (HomerDixon/Parcival 1998: 283). Bächler kommt zu dem Schluss: „Gesellschaften mit einem hohen Anteil ländlicher Produzenten reagieren sehr viel sensibler auf klimatische Veränderungen und Landschaftserosion als Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften“ (Carius/Bächler et al. 1999: 29). Bächler hatte in seinen Projekten ECOMAN und ECONILE explizit Erfahrungen der ersten Forschungsphase aufgegriffen und neue Faktoren möglicher kausaler Zusammenhänge untersucht. Das Maß der Abhängigkeit der jeweiligen Volkswirtschaft von
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einheimischen natürlichen Ressourcen zählte ebenso dazu wie das Ausmaß der Diskriminierung unterschiedlicher Akteure in ökologisch sensitiven Regionen. Er folgerte aus seinen Beobachtungen „Wenn ökologische Degradation und sozio- ökonomischer Problemdruck positiv rückgekoppelt sind, so ist davon auszugehen, dass Konflikte vor allem in ökologisch sensitiven Armutsregionen eskalieren“ (Bächler 1995: 116). 2.1.3 Defizite der bisherigen Forschung Die Forschung zum Thema Umweltsicherheit hat sich heute wissenschaftlich etabliert und wird auch von der Politik - vor allem im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels - zunehmend nachgefragt. Wenngleich die Anzahl der qualitativ durchgeführten Einzelfallstudien und die quantitativen Forschungsvorhaben die Kenntnisse über den Zusammenhang von Umweltfaktoren und gewaltsamen Konflikten verbessert haben, so sind doch auch wesentliche Defizite auszumachen. Diese erschweren insbesondere die Übertragbarkeit der Einzelerkenntnisse und die Formulierung allgemeingültiger Aussagen. Die Kritik bezieht sich im Einzelnen auf folgende Punkte, die kurz erläutert werden: die Verwendung ungenügend klarer Definitionen, die Fallauswahl der empirischen Studien und den engen Konfliktbegriff, die ungenügende Berücksichtigung soziopolitischer Faktoren und möglicher Anpassungskapazitäten an Umweltveränderungen, die Dominanz westlicher Forschung, das Auftreten von Sekundärkonflikten sowie die unzureichende Entwicklung von Konzepten zur Erfassung der Potentiale zur Konfliktbearbeitung und –transformation. Eine verbreitete Schwierigkeit der bisherigen Forschungsprojekte ist das jeweils spezifische und oft ungenügend differenzierte Verständnis von „Umweltkonflikten“ und deren Ursachen. Einerseits wird zwischen verschiedenen Verursachern von Umweltdegradation und Umweltkonflikt unterschieden (z.B. global verursachte Probleme versus lokaler Ressourcenübernutzung), andererseits dient die Ebene der Austragung von Konflikten als Differenzierungsmerkmal (internationaler, regionaler, lokaler Konflikt), oder die vermutete Konfliktursache (z.B. die Knappheit oder Verschmutzung von Ressourcen). Die quantitativen Studien zur „resource abundance“ Problematik wiederum beruhen auf einem engen Verständnis der Umweltfaktoren und gehen nicht hinreichend auf die Vielzahl der Umweltveränderungen und die Komplexität der Interaktionen mit anderen Entwicklungen ein. Hinzu kommt, dass erst seit den 1990er Jahren Umweltvariablen Eingang in die Konfliktdatenbanken gefunden haben, so dass langfristige Tendenzen über diese Quellen schwer festzustellen sind. Die Studien des WBGU ermöglichen in gewissem Maße eine Überwindung dieses Defizits, indem die Heidelberger KOSIMO-Datenbanken mit den Daten des „Syndrom-
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ansatzes“ kombiniert werden. Über die Korrelation ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren mit dem Auftreten gewaltsamer Konflikte können so regionale „Hotspots“ ausgemacht werden (WBGU 1998). Deren Charakteristika sind jedoch so spezifisch, dass auch das Syndrom-Schema nur schwer auf andere Regionen und Fälle übertragbar ist. Methodisch und inhaltlich werden die empirischen Forschungsarbeiten kritisiert, ausschließlich Fälle gewaltsamer Eskalation untersucht zu haben. Nichtgewaltsam ausgetragene Konflikte seien in der Fallauswahl nicht berücksichtigt und Konfliktszenarien rein auf militärische Auseinandersetzungen begrenzt worden, ohne beispielsweise niedrig schwellige Gewalt oder kooperativ gelösten Umweltstress zu berücksichtigen (Biermann/Petschel-Held et al. 1998: 273). Aussagen über Häufigkeiten und Bedingungen der Eskalation von Umweltkonflikten könnten auf Grundlage dieser Fallauswahl nicht getroffen werden. Gerade auch bei der Frage nach den Auswirkungen von Wasserknappheit zeigt sich die Relevanz von nicht-gewaltsam verlaufenden Konflikten, die, wie in Kapitel 1.2.3 erläutert, die (Menschliche) Sicherheit der Betroffenen erheblich einschränken können. Dieser Aspekt wird über den reduzierten Konfliktbegriff vieler empirischer Studien nicht erfasst. Dies hat auch zur Folge, dass politikrelevante Empfehlungen bezüglich der Kapazitäten zur Konfliktbearbeitung auf der Grundlage dieser Studien nicht adäquat formuliert werden können. Die erwähnten Projekte unter der Leitung von Günther Bächler, die insbesondere in Ostafrika Ressourcenverteilungskonflikte auf lokaler Ebene explizit durch die Einbeziehung lokaler Forscher und über detaillierte soziale und ethnologische Studien untersuchen, stellen im Umweltsicherheitsbereich eher eine Ausnahme dar. Die ungenügende Berücksichtigung soziopolitischer Faktoren ist ein weiterer Kritikpunkt an den bisherigen Arbeiten, die neben den ökologischen Variablen meist lediglich diffuse Kategorien „weiterer Einflüsse“ oder vage formulierte „soziopolitische Probleme“ einbeziehen: „Many Environmental Conflict and Cooperation researchers reduce this complex world to a meta-variable (e.g. undifferentiated ‘social factors”) that affects the relationship between the environment and conflict or cooperation” (Matthew/Brklacich et al. 2003: 7).
Auch Hauge und Ellingsen merken diesbezüglich an: „Most research on environmental degradation and domestic armed conflict fails to take into consideration other conflict-generating factors” (Hauge/Ellingsen 1998: 299).
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Die unterschiedliche Verwundbarkeit von Gruppen gegenüber Umweltkonflikten kann auf diese Weise nicht erfasst werden. Ein identischer Umweltstress, wie beispielsweise ein gleiches Ausmaß an Gewässerverschmutzung, Desertifikation oder Wasserknappheit, kann in einer Region gewaltsame Konflikte mit verursachen, in einer anderen dagegen ohne soziale und politische Folgen bleiben. Je nach der Verfügbarkeit technischer, sozialer, finanzieller oder ökologischer Anpassungskapazitäten können Bevölkerungsgruppen beispielsweise durch Umsiedeln Konfliktpotential abwenden, auf funktionierende Konfliktbearbeitungsmechanismen zurückgreifen oder auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Umweltwandels durch andere Einkommensquellen abfedern. Bryan und Gaulin erwähnen darüber hinaus, dass neue Formen der kollektiven Organisation wie NGOs, transnationale Regime und Handelsbeziehungen heute dabei helfen können (Mc Donald/Gaulin 2002: o. S.). Auch die in Kapitel 1 angesprochenen möglichen Sekundärkonflikte, die durch die Implementierung von Anpassungsmaßnahmen verursacht werden können, sind bisher in den Umweltsicherheitsprojekten nicht thematisiert worden. Wie bereits erläutert spielen sie aber gerade in der Anpassung an Wasserknappheit eine große Rolle für Verteilungskonflikte und sind insofern auch politikrelevant. Ein weiterer, gravierender Kritikpunkt ist die weitgehende Dominanz der Umweltsicherheitsforschung durch europäische und nordamerikanische Institute, die die „Definitionsmacht“ in den wissenschaftlichen und politischen Debatten stark beeinflusst. Regionalspezifische Perspektiven aus Entwicklungsländern betonen noch stärker die Relevanz struktureller Entwicklungsprobleme, wie Armut, die sich in Kombination mit der Ressourcendegradation verschlimmern und zu Konflikten führen können. Während viele dieser Autoren der Erweiterung der Sicherheitskonzepte zur Integration von Entwicklungs- und Umweltaspekten positiv gegenüber stehen (so z.B. Thakur/Newman 2004: 3 ff.), gibt es von anderen Seiten grundsätzlichere Einwände. Die Verurteilung ökologischer Schäden in Entwicklungsländern durch Industriestaaten wird insbesondere angesichts der historischen Ausbeutung der Ressourcen in Entwicklungsländern durch ebenjene Industrieländer stark kritisiert: „the dominant development and security narratives are premised on geopolitical specifications that obscure histories of ecology and resource appropriation.“ (Dalby 2002: xxxi-i)
Andere Autoren argumentieren aus modernisierungskritischer Perspektive gegen das Konzept der Umweltsicherheit: “Effectively, the environment became object, a tool of modernity, static and silent in a process which has been described as the 'de-souling' of nature” (Doran 1995: 202).
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Das Konzept der Umweltsicherheit, so Dalby, sei deshalb eine Art NeoImperialismus der urbanen Zivilisationen gegenüber stereotypisierten primitiven Wilden (Dalby 2002: 146). Die Definitionshoheit des Westens in den Umweltsicherheitsdebatten habe dazu geführt, so weitere Kritiker, dass vor allem aktuelle Bedrohungen der westlichen Interessen identifiziert würden, auf lokaler Ebene relevante Gefahren aber wenig berücksichtigt würden und „the images of chaos in the Third World appear rich with menacing possibility“ (Matthew 1995: 18). Ähnliche Argumente wurden auch bei den Debatten um die Auswirkungen des Klimawandels immer wieder deutlich, wo sich insbesondere China, Indien, Brasilien und die Gruppe 77 der Entwicklungsstaaten gegen Umweltschutzmaßnahmen wehrten, die von ökonomisch weitaus weniger vulnerablen Industriestaaten erzwungen würden. Im Kontext der Debatte des UN-Sicherheitsrates zum Klimawandel in 2007 wurde der Institution vorgeworfen, weder ein legitimes noch ein repräsentatives Forum für die Diskussion der Zusammenhänge zwischen Umwelt und Sicherheit zu sein (Deen 2007: e. Q.). Zahlreiche Staaten und Organisationen fordern deshalb, dass das Recht auf Entwicklung der UN Deklaration von 1986 auch unter den Bedingungen der Klimakrise gewahrt bleiben muss (Baer/Athanasiou et al. 2007: passim). Die Verursacherschuld der Industrienationen, so fordern viele Organisationen, müsse sich in einer besonderen Verantwortung für die Hilfe bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels einerseits und für die Reduzierung der Emissionen andererseits äußern. Ein weiteres Defizit der bisherigen Forschung ist die ungenügende Analyse der Anpassungsfähigkeiten von Bevölkerungsgruppen an Umweltwandel durch die Innovation bestehender Institutionen und gewaltfreie Konfliktbearbeitung (Diehl/Gleditsch 2001: passim). Die dominierende Perspektive der Umweltsicherheitsforschung war lange eine fatalistische, die Gewalt als unabwendbar sah und in darwinistischer und neo-malthusianischer Tradition die Hauptursache im Bevölkerungswachstum und Ressourcenbedarf der Entwicklungsländer sah. Eine wesentliche Gefahr dieser Perspektiven ist die Reduzierung der Umweltprobleme und der sozialen und politischen Konfliktpotentiale auf die militärische Perspektive und damit die Verengung der politischen Lösungsoptionen auf repressive militärische Antworten. Die Umweltsicherheitsforschung bietet für die Analyse innerstaatlicher Konflikte um Wasser nützliche Ansätze und auch die Ergebnisse der empirischen Studien sind für die Eingrenzung der Konfliktfaktoren hilfreich. Dennoch reichen die theoretischen Annahmen und die vorgeschlagenen Methoden zur Studie der Konfliktpotentiale und der Möglichkeiten ihrer Bearbeitung in diesem spezifischen Themenfeld nicht aus. Dies liegt zum einen an den erwähnten Defiziten der Studien, zum anderen an den besonderen Charakteristika der Ressource selbst. Im Vergleich zu anderen natürlichen Ressourcen sind Wasservorkommen
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schwer einzugrenzen und zu lagern, ihre Nutzung hat schnell eine Verschlechterung der Qualität zur Folge und schafft dadurch Probleme für weitere Nutzer. Weiter überschreitet die Ressource Eigentums- und politische Grenzen, woraus sich Schwierigkeiten in der Vereinbarung von Nutzungsrechten ergeben. Die Vielzahl der ökologischen Funktionen und der unterschiedlichen menschlichen Nutzungsarten sowie die gleichzeitig hohe Abhängigkeit von Mensch und Natur von der Wasserversorgung erschweren das Management weiter. Unter Berücksichtigung der oben formulierten Kritik an den Umweltsicherheitskonzepten wird deutlich, dass die Analyse von Wasserkonflikten zum einen auch nichtgewaltsame Konflikte und die Anpassungskapazitäten der Betroffenen berücksichtigen muss. Zum anderen muss die Analyseebene erweitert werden, um lokale Wahrnehmungen der Konfliktträchtigkeit von Wasserknappheit sowie der Kooperations- und Vermittlungsmöglichkeiten zu erfassen. Schließlich sollte die Erforschung von Wasserkonflikten eine „geopolitische Brille“ vermeiden und Bedrohungen der Menschlichen Sicherheit und Entwicklung der lokalen Bevölkerung analysieren, anstatt sich primär an möglichen Auswirkungen für die Industriestaaten zu orientieren.
2.2 Die Common-Pool-Resource Forschung 2.2.1 Grundannahmen zum Ressourcenmanagement Die Common Pool Resource Theories (CPR, auch: Common Property Resource) untersuchen das soziale Verhalten von Menschen bei der Nutzung gemeinschaftlicher Güter und haben insbesondere aus der Analyse der sozialen Organisation von Bewässerungssystemen Erkenntnisse erlangt. Vor allem die Arbeiten von Elinor Ostrom und Mancur Olson (vgl. u.a. Olson 1985; Ostrom 1990; Ostrom/Gardener et al. 1994; Ostrom 1997; Libecap 2003) sind in diesem Bereich relevant und werden in ihren Grundannahmen kurz reflektiert, um den möglichen Nutzen für die Analyse innerstaatlicher Konflikte um Wasser zu untersuchen. Die CPR-Forschung baut auf spieltheoretischen Ansätzen auf und geht von der ‚rational-choice’ Theorie als Handlungsgrundlage des Menschen aus. Handeln wird als Ergebnis der Kalkulation weitgehender Kostenminimierung und Nutzenmaximierung betrachtet und setzt rational agierende Akteure voraus. Die Erklärung des Verhaltens von Individuen und Gruppen erfolgt meist durch die mathematische Modellierung von Spielsituationen, aus denen bei einem hohen Grad der Abstraktion allgemeingültige Gesetze abgeleitet werden. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen der Akteurskonstellationen, Handlungsalternativen, Kosten-Nutzen-Kalküle und Entscheidungsbildung. Institutionen, hier als
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formelle oder informelle durchsetzbare Regeln mit Sanktionsbestimmungen verstanden (North 1990: 3 f.), werden von Menschen konzipiert, um das Verhalten von Individuen und deren Interaktionen zu lenken (North 1991: 97). Ressourcenmanagement wird im Wesentlichen durch kollektive Entscheidungs- und Handlungsprozesse, effiziente Ressourcenverteilung, den Aufbau neuer Managementkapazitäten und die Reduzierung von Risiken und Unsicherheiten erreicht. Dabei entstehen jedoch individuelle und kollektive Transaktionskosten in Form von materiellen oder immateriellen Ressourcen, die Akteure aufbringen müssen, um ihre Interessen zu verwirklichen. Die Reduzierung der Transaktionskosten geschieht durch Institutionen, die die Erwartungssicherheit verbessern können. Auch die Analyse von Konflikten um die Nutzung von Ressourcen gründet sich auf eine stark von der Spieltheorie geprägte Interpretation der Handlungsoptionen. Die beteiligten Akteure handeln entsprechend ihres Wissensstandes, ihren Handlungspräferenzen und unter Berücksichtigung früherer Verläufe ähnlicher Situationen strategisch, um ihren Nutzen bei gleichzeitig möglichst geringen Kosten zu maximieren. Als Konflikte werden dabei primär Verteilungskonflikte um den Zugang zu einer bestimmten Menge an Ressourcen (wie z. B. Wasser) betrachtet. Es dominiert in diesem Forschungszweig die Auffassung, dass Menschen bei der Nutzung knapper natürlicher Ressourcen unausweichlich in eine „Tragödie“ verwickelt werden, in der die individuellen Entscheidungen über den eigenen Gebrauch die Knappheit verschlimmern. Diese pessimistische Einstellung geht zum einen auf die bekannte Veröffentlichung von Hardin The Tragedy of the Commons zurück (Hardin 1968), zum anderen auf Werke Olsons zur Logik kollektiven Handelns (Olson 1965). Beide stellen das Problem der sog. „freeriders“ in den Mittelpunkt: sobald Akteure von der Nutzung kollektiver Gewinne nicht ausgeschlossen werden können, so die Annahme, sind alle Individuen dazu motiviert, sich nicht an den Bemühungen zur Erreichung des kollektiven Nutzens zu beteiligen. Die Annahme, dass individuelle Kosten-Nutzen-Rechnungen immer und grundsätzlich über kollektive Gewinne gestellt würden, dominierte lange die CPR-Forschung: „Assuming that all individuals are self-interested utility maximisers without exploring how individuals reach utility judgements was a satisfactory scholary strategy for many years when explaining behaviour in highly competitive market settings where one could implicitly equate utility with profits” (Ostrom 2005: 110).
Auf der Grundlage dieser Annahmen simuliert die CPR-Forschung Entscheidungsprozesse von Individuen in Gruppen und von Gruppen untereinander, die Erkenntnisse bezüglich des Ressourcenmanagements liefern sollen. Im Mittel-
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punkt der Forschungserkenntnisse standen u.a. die notwendige Formalisierung institutioneller Arrangements, die Kodierung von Normen und Regeln, die Nominierung klarer Zuständigkeiten, die Transparenz des Managements und die Repräsentation der Nutzer in den Entscheidungsprozessen. Ostrom identifizierte einen Kriterienkatalog für effizientes Ressourcenmanagement, der sich bald als beliebte „Blaupause“ für die Anwendung in zahlreichen Ressourcenmanagementstudien durchsetzte (Ostrom 1990: 131). Diese Kriterien umfassen im Einzelnen folgende Punkte:
Klare Grenzen der Ressource und eindeutige Zugehörigkeit der Nutzer zur Gemeinschaft, um „Trittbrettfahrer“ zu minimieren; Eindeutige Regeln zwischen den Nutzern; Die effiziente Überwachung der Regeln bei möglichst geringen Kosten; Die Verfügbarkeit von Arenen zur Verhandlung kollektiver Entscheidungen; Die Existenz gradueller Sanktionsmechanismen; Die Verfügbarkeit von Konfliktregelungsmechanismen; Organisationsfreiheit innerhalb der Gemeinschaft.
Die Auflistung macht deutlich, dass Verteilungsregeln und Präferenzbildungsprozesse, die das Verhalten der Akteure maßgeblich beeinflussen und der Ostrom’schen Analyse zugrunde liegen, in hohem Maße abstrahiert werden. Der Forschungszweig ging davon aus, dass es möglich sei, sowohl neue funktionsfähige Institutionen zu schaffen, als auch die konstatierten Defizite bestehender, oft traditioneller Institutionen durch neue Konzepte auszugleichen (Cleaver/Franks 2003: 1). Die Individuen und Gruppen werden in diesen Ansätzen zu Akteuren stilisiert, deren relevante Handlungsmotive sich auf die Ressourcennutzung beschränken, wodurch andere wesentliche Handlungsmotive ungenügende Aufmerksamkeit erfahren (vgl. auch Cleaver 2000: 2; Pitman 2002a: 33). Ohne formale Strukturen, so wird weiter angenommen, können Institutionen langfristig nicht existieren. Der dieser Annahme zugrunde liegende Evolutionsbegriff ist linear und geht von einem quasi unausweichlichen Prozess zur Bildung dieser häufig idealisierten - Institutionen aus, deren Existenz fast zum Selbstzweck zu werden scheint. Die soziale Realität des Ressourcenmanagements und anderer Faktoren, die dieses beeinflussen, ist jedoch weitaus vielseitiger als es die o.g. Prinzipien suggerieren, denn „neither communities nor resources consistently exist with clear boundaries, natural resources are not simply commodities but invested with social and symbolic meaning to people whose decisions about them may rarely correspond to external perceptions of efficiency and optimization” (Cleaver/Franks 2003: 3).
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Unter anderem auch aus diesem Grund sind Ostroms Prinzipien für ein umfassendes Verständnis von Konfliktursachen und –lösungsoptionen im speziellen Bereich des Wassermanagements nicht ausreichend (vgl. 2.2.1). Ostrom trug auch durch die Definition der o.g. Kriterien wesentlich zur Weiterentwicklung des Forschungszweiges der CPR-Theorien bei. Die CPR-Forschung hat wiederum besonders in den 1980er und 1990er Jahren die „Wiederentdeckung“ der Institutionen und entsprechende Politikgestaltung beeinflusst, die die Verbesserung des institutionellen und legalen Umfeldes des Wassermanagements anstrebte (Ferragina/Marra et al. 2002: 2 ff.). Die Anwendung der CPR-Theorien hat darüber hinaus auch Auswirkungen auf die sehr umstrittene Frage der öffentlichen oder privaten Verwaltung der Ressource. Befürworter der Privatisierung stützen sich auf einige Grundannahmen zumindest der frühen CPR-Forschung und vertreten sie Ansicht, Ressourcennutzung könne nicht anders als durch effektive Sanktionsmechanismen kontrolliert werden, die wiederum besser von privaten Akteuren ausgeübt werde. Weil individuelles nutzenmaximierendes Verhalten zwangsweise Ressourcenübernutzung und –degradation verursache, sei einzig die Privatisierung der Verteilung in der Lage, das Problem des „freeriding“ zu unterbinden.
2.2.2 Nutzen der Theorien für die Analyse von Wasserkonflikten Die Theorien Ostroms und anderer CPR-Forscher sind aus mehreren Gründen starker Kritik ausgesetzt, unter anderem weil sie „not offering a coherent theory of collective action, not explaining the causal processes underlying the design principles, for failing to account for the variability and dynamism of contexts in which the principles must be applied, and poorly explaining socially constructed values that shape people’s collective action“ (Cleaver/Franks 2003: 2). Drei spezifische Kritikpunkte revidieren den Nutzen der CPR- Theorien für die Studie von Konflikten um Wasser erheblich und zeigen, dass sie für eine umfassende sozialwissenschaftliche Studie von innerstaatlichen Konflikten um Wasserressourcen nicht geeignet sind: a. b. c.
Die eingeschränkte Berücksichtigung von Variablen zur Erklärung des Sozialverhaltens, die außerhalb der lokalen Ebene liegen. Das reduzierte Verständnis von „Effizienz“, bezogen auf das Ressourcenmanagement aber auch auf das Handeln von Akteuren. Die mangelnde Berücksichtigung von Ursachen und Verlaufsformen von Konflikten innerhalb der Gemeinschaft.
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Ad a) Die eingeschränkte Berücksichtigung erklärender Variablen: Der hohe Grad der Abstraktion der CPR-Modelle zur Erklärung der Wirklichkeit führt zur Vernachlässigung bestimmter Faktoren, die den Handlungsverlauf in der Realität maßgeblich prägen. So werden wichtige Einflussfaktoren, welche die Entscheidungen von Individuen und das institutionelle Umfeld prägen, nicht berücksichtigt. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass bei Ostrom die lokale Ebene, auf der die Beobachtungen zur Ermittlung der Regeln gemacht werden, künstlich abstrahiert und aus den weiteren Zusammenhängen herausgerissen wird. Ostrom streicht in ihren Studien über die soziale Organisation der Bewässerung die bedeutende Rolle formeller und informeller Institutionen der Regulierung und Sanktionierung heraus. Hierbei können jedoch auch Akteure außerhalb des unmittelbar lokalen Zusammenhangs eine bedeutende Rolle spielen. Der Einfluss makropolitischer Entscheidungen der nationalen oder internationalen Ebene auf lokale Akteurs- und Problemkonstellationen wird dadurch wenig berücksichtigt oder simplifiziert. Auch in der Analyse der formellen und informellen Institutionen zur Regulierung und Sanktion fehlt diese Perspektive. Dies führt zu Defiziten in der Erklärung der Beziehungen zwischen der Mikro- und der Makroebene, die beispielsweise für die Frage nach der politischen Dezentralisierung des Ressourcenmanagements wertvoll wären. Aber auch das Verständnis der Mikroebene bleibt durch diese Simplifizierung unvollständig, denn das Ressourcenmanagement in einer Wassernutzergemeinschaft ist nicht von den Entwicklungen auf der Ebene des jeweiligen ökologischen Gebietes (das Flussbecken, die Aquifere oder der See), innerhalb der politischen und administrativen Grenzen und von den klimatischen Einflussfaktoren zu trennen. Ad b) Die reduzierte Definition von „Effizienz“ Die CPR-Forschung setzt die Vorbestimmung der Handlungspräferenzen durch gegebene Marktstrukturen voraus (Freymond 2003: 18 ff.). Auf dieser Annahme beruht auch das Verständnis der Effizienz von Handlung im Allgemeinen und von Ressourcenmanagement im Besonderen. Dieser Effizienzbegriff ist aus zwei Gründen im Kontext von Wassermanagement problematisch. Zum einen ist der Begriff geographisch beschränkt, da er sich zumeist auf eine lokale Wassernutzergemeinschaft bezieht. Die spezifischen Charakteristika von Wasserressourcen (vgl. Kapitel 1) verdeutlichen jedoch, dass deren ökologisch und sozial nachhaltiges Management die Einbeziehung mehrerer Lebensbereiche, Nutzergruppen und geographischer Regionen erfordert. Weder für eine angemessene Problemdiagnose, noch für die Analyse möglicher Handlungsoptionen im Ressourcenmanagement ist diese geographisch und sozial beschränkte Perspektive daher hilfreich. Zum anderen ist der Effizienzbegriff der CPR durch die
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Perzeption der Handlungsmotive, die auf eine rationalistisch-ökonomische Dimension beschränkt werden, problematisch. Bei der Beurteilung unterschiedlicher Wassermanagementoptionen werden dadurch nur ökonomisch rentable Lösungen als „effizient“ angesehen, und beinhalten weder eine ökologische Perspektive noch Aspekte der soziopolitischen Stabilität oder der Verteilungsgerechtigkeit. Infolgedessen werden auch Verhandlungen über den Zugang zu natürlichen Ressourcen dann als erfolgreich beurteilt, wenn sie die Chancen auf ökonomisch determinierte Gewinne optimieren. Zwar haben einige Forscher die Frage nach Gründen der dauerhaften Etablierung und Akzeptanz ineffizienter bzw. suboptimaler Lösungen und Institutionen gestellt. Diese werden jedoch nicht durch grundsätzlich verschiedene Präferenzordnungen der Akteure erklärt oder dadurch, dass Akteure nicht unter allen Umständen ‚rational’ handeln. Vielmehr wird das Weiterbestehen der suboptimalen Institutionen durch geringe Transaktionskosten, Pfadabhängigkeit und die geringe Risikobereitschaft der Akteure gegenüber institutionellem Wandel begründet (Santhakumar 2001: 218). Effizienz wird hierbei auch häufig implizit mit ökologischer Nachhaltigkeit gleichgesetzt. Hierbei werden die Fragen ausgeblendet, ob Nachhaltigkeit das primäre Ziel der Ressourcennutzer ist, ob der Erhalt von Ressourcen nicht um ihrer selbst willen oder um anderer, nicht primär materieller Gründe willen zu erklären ist, und ob temporär „erfolgreiche“, also im o.g. Sinne „effiziente“ Lösungen nicht negative Auswirkungen auf andere Bereiche haben können und deshalb abgewogen werden sollten. So können rein ökonomisch oder ökologisch effiziente Managementoptionen beispielsweise soziale, wirtschaftliche und politische Ungleichheiten legitimieren, die mittelfristig ein Konfliktpotential darstellen. Ad c) Die mangelnde Erklärungskraft für die Konfliktanalyse Die Entstehung von Konflikten innerhalb der Ressourcennutzergemeinschaft oder zwischen dieser und externen Akteuren kann durch die Annahmen der CPR-Ansätze nicht ausreichend erklärt werden. Beispielsweise geht dieser Forschungszweig davon aus, dass eine wesentliche Konfliktursache im Zusammenhang mit Wasserknappheit das Bevölkerungswachstum sei, da dieses die Verteilungskonkurrenz erhöhe und dies unweigerlich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte. Diese Annahmen schließen sich der sog. (Neo-) Malthusianischen Schule, in Anlehnung an die Theorien Thomas Malthus’ an, die auch in dem erwähnten Buch von Hardin aufgegriffen wurden (Hardin 1968; Malthus [1798] 1970). Andere Ursachen als Verteilungskonkurrenz um Ressourcen werden bei diesen Annahmen jedoch ebenso wenig berücksichtigt wie soziale Anpassungskapazitäten und unterschiedliche Ressourcenabhängigkeit der Gesellschaften. In
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der Konfliktforschung untersuchte Faktoren, die die Polarisierung zwischen Bevölkerungsgruppen fördern und damit eine Konflikteskalation wahrscheinlich machen können, werden hier ausgeblendet. Die Geschichte der Beziehungen der verschiedenen Parteien zueinander, Rivalitäten zwischen Sektoren, Dörfern oder Stadtteilen und immaterielle Ausdrücke von Machtverhältnissen sind jedoch für die Entstehung von Konfliktpotentialen wie auch für die Aushandlung von Kompromissen und das Vermeiden einer Eskalation von Konflikten bedeutend – in Auseinandersetzungen um natürliche Ressourcen ebenso wie bei anderen Konflikten. Darüber hinaus unterliegen auch materielle Faktoren, die in der CPRForschung kontextunabhängig behandelt werden, einer den Akteuren spezifischen Bedeutung. Bromly weist so beispielsweise auf die unterschiedliche Bedeutung von Eigentumsrechten hin: „property regimes are a social construct and therefore cannot be seen as something apart from the society in which they are embedded. It is curious that one must make this point, but the evidence is clear that some observers imagine that property regimes stand apart from local culture” (Bromley 2001: 2).
Einige der CPR-Forscher erkennen bestimmte Defizite an. Sie fordern insbesondere die verstärkte Berücksichtigung der jeweiligen spezifischen lokalen Handlungspräferenzen und eine Erweiterung der abstrahierten Modelle: „Researchers (…) need to identify and examine the full range of outcome conditions that matter to the people who use, manage, and/or depend on the resource being studied. (…) Research that ignores the multiplicity of valued outcomes is unlikely to produce realistic models for real decisions” (Ostrom/Dietz et al. 2002: 457).
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Annahme, dass Ressourcenmanagement die Etablierung formaler und transparenter Prozeduren zur Konfliktlösung erfordere (Ostrom 1990: 90). In vielen traditionellen Gesellschaften werden gerade im Ressourcenmanagement lange etablierte Formen der Konfliktregelung in wesentlich stärkerem Maße als legitim anerkannt, weshalb Wassernutzer sich häufig erst als zweitbeste Option an formale Institutionen wenden. Die Vermeidung von Konflikten oder deren traditionelle Beilegung steht im Vordergrund und entspricht häufig nicht dem Rechtsverständnis, welches den CPR-Forschern zugrunde liegt. Diese Lücke zwischen Theorie und Praxis des Ressourcenmanagements in in vielen empirischen Studien aufgezeigt worden, wie z.B. in Cleavers Studie zum Wassermanagement in Tanzania:
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„preferred channels for resolving disputes over resource use are existing social and cultural structures. (…) Social forms of conflict resolution (often conducted through village elders) emphasise the generous interpretation of compliance with the rules (a blind eye is turned to a limited amount of free riding), the negotiation of compliance over time, rather than at a single event, and the desire for reconciliatory rather than adversarial solutions (fines and punishments are imposed only in the last resort).” (Cleaver/Franks 2003: 13)
Die CPR-Forschung eignet sich aufgrund dieser Einschätzungen nur sehr bedingt zur Analyse innerstaatlicher Konfliktpotentiale um Wasser, die eine andere Herangehensweise erforderlich machen. Die Evaluierung der Theorien und der empirischen Ergebnisse sowohl der Umweltsicherheits- als auch der CPR-Forschung hat gezeigt, dass beide Ansätze für die Analyse von Wasserkonflikten nicht ausreichen. Die Studie realer Fälle lokaler Wasserkonflikte in unterschiedlichen Ländern wirft zahlreiche Fragen auf, die in diesen Theorien nicht berücksichtigt werden. Sie soziopolitischen Dimensionen von Wassermanagement und –knappheit, die durch Entwicklungen auf der lokalen und der Makroebene beeinflusst werden, die spezifischen Handlungspräferenzen der Akteure und die Rolle ihrer subjektiven Wahrnehmung, aber auch kooperative Konfliktbeilegung und gelungene Anpassung werden in beiden Fällen nur ungenügend untersucht. Aus diesen Gründen wird im Folgenden der mögliche Beitrag der Konfliktforschung, die sich bisher nicht systematisch mit diesem Thema beschäftigt hat, zur Analyse innerstaatlicher Wasserkonflikte eingeschätzt.
2.3 Die Konfliktforschung Die Konfliktforschung ist heute als eigener Forschungszweig etabliert und ihre Ansätze sind in der Analyse interethnischer, religiös-motivierter, zwischenstaatlicher und anderer Konflikte weit verbreitet. Dennoch sind Konkurrenz und Konflikte um Wasser bisher wenig aus dieser Perspektive untersucht worden. Insbesondere das Verständnis von Konflikten als potentiellen Motoren gesellschaftlichen Wandels und das Konzept der Konflikttransformation erscheinen hier als nützliche Ansätze für eine umfassendere Analyse, die die Defizite der oben vorgestellten Ansätze der Umweltsicherheit und der Common Pool Resources in vielen Punkten kompensieren.
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2.3.1 Die konstruktive Funktion gesellschaftlicher Konflikte Die Konfliktforschung orientiert sich an einem Konfliktbegriff, der über die gewaltsame Dimension hinausgeht und auch nicht-gewaltsam ausgetragene Interessensdifferenzen sowie vielfältige nichtmilitärische Konfliktursachen einschließt. Einer gewaltsamen Eskalation liegen demnach oft strukturelle Ursachen zugrunde, die eine zunehmende Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen und die Polarisierung der sozialen Beziehungen verursachen. Der Konflikt lässt sich deshalb nicht auf den eigentlichen Gegenstand der Interessensdifferenz reduzieren. Er betrifft vielmehr die sozialen, politischen, wirtschaftlichen und oft auch ökologischen und geographischen Strukturen, in die die Konfliktparteien eingebettet sind und die ihre Interessen bestimmen. Im Allgemeinen, d.h. außerhalb der genuinen Konfliktforschung, wird unter dem Begriff ‚Konflikt’ meist ein destruktives und dysfunktionales Phänomen verstanden. Dies liegt zum Teil an der fehlenden Unterscheidung zwischen Konfliktursachen und –austragungsformen, da die gewaltsame Austragung als negativ empfunden wird und den Begriff oft besetzt. Konflikte haben jedoch gerade durch ihre Einbettung in gesellschaftliche Strukturen vielfältige soziale Funktionen. Hierbei wird unterschieden zwischen der Definition von Konflikt als dem Ergebnis von gesellschaftlichem (oder außenpolitischem) Wandel, und dem Wandel als einer Funktion des Konfliktes (vgl. Imbusch/Zoll 2005: 79). Letztere Definition deutet auf eine systemintegrative Funktion von Konflikten hin, unter der Voraussetzung, dass diese produktiv und ohne Gewalt ausgetragen werden. Prominente Vertreter des Konfliktbegriffs als Träger gesellschaftlichen Wandels sind Marx und Engels, nach deren Verständnis gesellschaftliche Entwicklung ohne derartige auch gewaltsam ausgetragene Konflikte quasi nicht möglich ist. Andere fassen diese Prozesse eher als langfristige Überwindung der sog. „strukturellen Gewalt“ auf (Galtung 1996: passim). Eine Grundannahme derjenigen Theoretiker, die Konflikte als normales gesellschaftliches Phänomen betrachten, ist, dass bestimmte innergesellschaftliche Widersprüche oder Interessensgegensätze, die einen Konflikt verursachen, in das System integriert werden können. Dies wiederum erhöht die Funktionsfähigkeit des Systems und seine Resistenz gegenüber gewaltsamer Konfliktaustragung. Georg Simmel gilt als einer der ersten Theoretiker, die Konflikten eine Sozialisierungsfunktion zuschreiben, die jeder sozialen Beziehung inhärent sei: „So wenig der Antagonismus für sich allein eine Vergesellschaftung ausmacht, so wenig pflegt er - von Grenzfällen abgesehen - in Vergesellschaftungen als soziologisches Element zu fehlen und seine Rolle kann sich ins Unendliche, d. h. bis zur Verdrängung aller Einheitsmomente steigern“ (Simmel 1908: 192). Dies bereichere das soziale System, vereinfache bei erneuter Unvereinbarkeit von
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Interessen die Auseinandersetzung und könne daher präventiv gegen Gewalt wirken. Cosers funktionalistische Konfliktsoziologie entstand wesentlich aus der Weiterentwicklung der Annahmen Simmels. Wie er versteht Coser Konflikte explizit als Teil der gesellschaftlichen Interaktionsprozesse: „Intra- und Intergruppenkonflikte sind dauerhafte Merkmale sozialen Lebens“ (Coser 1965: 232). Konflikte seien unabdinglich für die Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordnung, die Bildung sozialer Identitäten und Beziehungen, sowie letztlich für die Weiterentwicklung der Gesellschaft und sozialen Wandel, da sie funktionelle Strukturveränderungen ermöglichten (Coser 1965: 20 f.). Simmel und Coser definieren Konflikte an sich als eine Form der Interaktion und damit als Sozialisierung oder Vergesellschaftung (Coser 1956: 31; Simmel in: Stark 2005: 85). Konflikte sind aus diesen Gründen nicht grundsätzlich als Zeichen der Dysfunktionalität einer Gesellschaft zu betrachten. Zerstörerisch wirken sich Konflikte nur auf diejenigen Sozialstrukturen aus, die zu rigide sind, um integrativ mit ihnen umzugehen. Die Beurteilung eines Konfliktes als funktional oder dysfunktional hängt dabei jedoch stark von der Perspektive des Beobachters ab (Thiel 2003: 21).
2.3.2 Das Konzept der Konflikttransformation In der Konfliktforschung bestand lange eine Dichotomie zwischen conflict management oder settlement und conflict resolution, die sich beide auf die manifesten, meist materiellen Interessensgegensätze der Konfliktparteien beschränkten11. Zur Überwindung sollten maßgeblich Vereinbarungen über Interessensdifferenzen gefunden werden (negative peace), das Verhältnis der Konfliktparteien zueinander beeinflusst und gemeinsame Interessen definiert und verwirklicht werden (positive peace, vgl. auch Tabelle s.u.). Conflict management/settlement und conflict resolution, gehen auf die Probleme der strukturellen Konfliktursachen nur in begrenztem Ausmaß ein. Conflict resolution beinhaltet zwar eine dauerhafte Änderung der Beziehung der Konfliktparteien zueinander und wirkt insofern präventiv auf eine mögliche Ursache neuer Auseinandersetzungen ein. Andere strukturelle Konfliktursachen, die über die direkten Parteien hinausgehen oder nicht unmittelbar den Konfliktgegenstand oder die Kommunikation zwischen ihnen betreffen, werden jedoch auch in diesem Ansatz vernachlässigt.
11 Zu klaren Differenzierung der unterschiedlichen Ansätze werden an dieser Stelle weitgehend die englischen Begriffe „conflict settlement/management“ und „conflict resolution“ verwendet, da diese auch die Fachliteratur dominieren. „Conflict transformation“ wird identisch mit dem deutschen Begriff „Konflikttransformation“ gebraucht.
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Das Konzept der sog. Konflikttransformation geht auf diese Defizite ein, und entspricht in dieser Hinsicht einer zugleich analyse- und praxisorientierten Weiterentwicklung der oben erläuterten Definitionen von Simmel und Coser. Auch hier werden Konflikte als Möglichkeit des konstruktiven gesellschaftlichen Wandels bewertet, denn diese Ansätze „sehen Konflikte zugleich als Resultat und Motor zur Überwindung von (Macht-)Ungleichheiten und Ungerechtigkeit und bewerten sie als solche positiv“ (Weller/Kirschner 2005: 14). Das Konzept ist insofern innovativ, als dass es sowohl im Verständnis der Konfliktursachen als auch bei der Suche nach Lösungsansätzen stärker als seine Vorgänger die strukturellen Rahmenbedingungen, die historischen Beziehungen der Parteien zueinander und die Komplementarität und Interdependenz verschiedener Akteure und Institutionen hervorhebt. Dabei geht der Ansatz davon aus, dass „conflict is caused by real problems of inequality and injustice expressed by competing social, cultural and economic frameworks” (I.A. 1996: 8). Der sichtbare Gegenstand der Interessensdifferenz wird also als symptomatisch für eine tieferliegende ungleiche Struktur gesehen. Der Prozess der Transformation strebt eine Überwindung dieser Ursachen an und geht damit über die Wiederherstellung der Ausgangssituation vor der Eskalation hinaus: „By placing its primary emphasis on the question of social justice, the conflict transformation approach rejects the traditional aim of conflict management to restore the status quo ante and, instead, elaborates on the notion of conflict as a positive agent for social change” (Reimann 2004: 13). Durch dieses unterschiedliche Ziel ändert sich auch die Funktion externer Mediatoren grundlegend. Saunders weist auf die diskutable Rolle externer Akteure in Mediationsprozessen hin, welche auf die kooperative Lösung zur Wiederherstellung der Ausgangssituation abzielen. Denn „These conflicts (and potential options for their resolution) are framed so as to avoid any serious challenge to structures instantaning the norms and behaviours of dominant social groups. The result is a powerful tendency for conflict resolution professionals to become management consultants to elites in both the public and the private sectors“ (Saunders 1999: 183). Auch die zu große Abhängigkeit der Konfliktentwicklung und der Kooperationsprozesse von solchen externen Intervenierenden wird kritisiert, da dies zu einer Vernachlässigung der internen, lokalen Kapazitäten führe, die gerade für langfristige und nachhaltige Friedensprozesse essentiell seien (Buckles 1999: e. Q.). Die Perspektive der Konflikttransformation dagegen impliziert langfristige Strategien und die Möglichkeit einer zeitweiligen Destabilisierung. Die nachhaltige Beseitigung der Konfliktursachen wird durch die konstruktive Partizipation aller Beteiligten angestrebt, während in den anderen Ansätzen der Fokus auf einem oder mehreren aktuellen Konfliktgegenständen und den unmittelbar beteiligten Parteien bzw. deren Vertretern liegt. Konflikttransformation impliziert
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sozialen Wandel, weshalb beide Ansätze nicht immer konzeptuell voneinander zu unterscheiden sind. Ebenso wie Konflikttransformation beinhaltet auch sozialer Wandel „processes and policies that result in modifications, or the overhaul, of structures or institutions so that they better respond to the needs and aspirations of the sectors of society who seek their transformation“ (Garcia 2006: 40). Konflikttransformation betont also die produktive und positive Funktion von Konflikten, die die konstruktive Kraft von Interessensdifferenzen nutzt. Wie in der Mediation, so hängt auch in der Konflikttransformation das Ergebnis des Prozesses wesentlich vom Zeitpunkt der Maßnahmen ab. In bestimmten Phasen des Konfliktverlaufs treten sog. windows of opportunity auf, also Momente, in denen sich eine Verhandlung zwischen Konfliktparteien oder weitergehende Prozesse günstig auswirken können. Der Zeitpunkt solcher Gelegenheiten hängt stark von den alternativen Handlungsoptionen und –ressourcen der Konfliktparteien ab (vgl. auch die Analysen von Blalock 1989; Glasl 1990). Konflikttransformation grenzt sich von conflict management, settlement und resolution im Hinblick auf das Konfliktverständnis, die Akteure einer Konfliktbeilegung und deren Mittel ab. Ein wesentlicher Unterschied besteht darüber hinaus in der angenommenen sozialen Funktion der Transformation. Während die erstgenannten Ansätze zur Lösung der Interessensdifferenzen sich auf die unmittelbar beteiligten Individuen bzw. Gruppen beschränken, so wird diesem Ansatz eine implizite sozialisierende Funktion zugeschrieben: „the transformation of the parties’ conflict itself from a negative and destructive interaction to a positive and constructive one (…) represents both a private benefit to them and a public benefit to society“ (Bush/Folger 2005: 21). Diese Annahme hat weit reichende Folgen für die Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung, da primär die in Konflikte involvierten Akteure selbst als potentielle Kooperationspartner gelten, die Konflikttransformation bewirken können (vgl. auch 2.3.3). Der Ansatz „takes up a dual understanding of conflicts as an agent both of social control and change” (Clements 1998, zit. in: Reimann 2004: 13). Ein wesentliches Element dieses Prozesses ist die veränderte Beziehungsebene der (potentiellen) Konfliktparteien. Konflikttransformation, so Bush/Folger, stelle die Beziehungswerte in den Mittelpunkt, während die Ansätze des conflict management, settlement und resolution sich konzentrierten auf „values stemming from interest-based negotiation approaches to conflict. These values are clearly different. They are rooted in individualistic, transactional, and economic premises that tend to pervade thinking about conflict in western societies.“ (Bush/Folger 2005: 232)
Wenngleich die Annahme eines langfristigen sozialen Wandels bei den meisten Autoren nur suggeriert, aber wenig präzise ausgeführt wird, so zeigt doch die
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konkrete Anwendung des Konflikttransformationsansatzes, wie Wandel hin zu einer gewaltfreien Konfliktkultur über Multiplikatoren gestärkt werden kann (vgl. zB. Lederach 1995; Reychler/Paffenholz 2000; Zunzer 2004). Dieser Wandel „from an individualistic to a relational and interactive conception“ (Bush/Folger 2005: 24, Hervorhebung der Autorin) macht den Ansatz gerade für die Überwindung von Polarisierung und Konflikten innerhalb einer Gesellschaft, die oft über die lokale Ebene einer klar begrenzten Gruppe hinaus gehen, interessant. Die angestrebte Veränderung bezieht sich hier auf drei Dimensionen: a) die direkte Interaktion der Beteiligten, b) die indirekt Involvierten, und letztlich c) die Konfliktinteraktion an sich, der Art und Weise also, wie Interessensdifferenzen formuliert und ausgetragen werden. Konflikttransformation als Vergesellschaftungsprozess (vgl. Simmel und Coser, Kapitel 1.2.3) ist immer eine langfristige Entwicklung „denn erst die kontinuierlich (überwiegend) positive Erfahrung mit gewaltfreier Konfliktbearbeitung in selbst gewählten Formen und Institutionen kann jene konstruktive Konfliktkultur entstehen lassen, die den einzelnen Menschen das Vertrauen in ein auf Dauer gewaltfreies gesellschaftliches Zusammenleben ermöglicht“ (Weller/Kirschner 2005: 20). Gerade für die Analyse von Konflikten um Wasser und für die Formulierung von Handlungsempfehlungen zu ihrer Prävention und Überwindung bieten die Theorien der Konflikttransformation hilfreiche Ansätze. Das Konzept kann durch seinen umfassenden Ansatz bei der Erarbeitung von Analyse- und Lösungsansätzen über die begrenzte Perspektive der Common-Pool-ResourceForschung hinausgehen. Wie bereits in Kapitel 1 verdeutlicht wurde, sind Wasserverteilungsfragen in zahlreiche nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische, politische und soziale Zusammenhänge eingebettet. Hieraus erklärt sich wie erwähnt die Komplexität und die hohe Anzahl möglicher Konfliktursachen, die zudem miteinander verwoben sind. Das Konzept der Konflikttransformation entspricht dieser Herausforderung, die sozialen und ökologischen Beziehungen rund um die Ressourcenverteilung als Ganzes wahrzunehmen. Sozioökonomische Strukturen können die Entstehung von Wasserkonflikten entscheidend beeinflussen und müssen deshalb sowohl bei der Konfliktanalyse als auch in der Transformation berücksichtigt werden. Diese Strukturen können über die Mobilisierung konstruktiver Beziehungen und gemeinsamer Interessen helfen, Konfliktursachen zu überwinden. Individuelle Interessen bzw. Interessensdifferenzen können in kollektive Interessen und Strategien eingebettet werden, wodurch die Voraussetzungen für sozialen Wandel geschaffen werden. Neben den hier erläuterten positiven Aspekten des Konzeptes der Konflikttransformation können jedoch auch einzelne Kritikpunkte formuliert werden. Beispielsweise kommt den sozioökonomischen Strukturen in vielen Studien
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zwar Aufmerksamkeit als potentiellen Konfliktursachen und andererseits als Motoren sozialen Wandels entgegen, jedoch wird ihre mögliche Funktion als „Spoiler“ der Transformation wenig thematisiert. Ähnliches gilt für die Einbindung der unterschiedlichen Akteure dieses Prozesses, da die Hauptaufmerksamkeit auf die Mobilisierung so genannter „agents of change“ gelegt wird. Zur Einbindung möglicher „Spoiler“, also von Gruppen und Eliten, die ihre eigenen Interessen wahren wollen und einem Interessensausgleich oder der strukturellen Transformation negativ gegenüberstehen, finden sich in der Literatur weniger Analysen. Bächler formuliert dies treffend wie folgt „Systems are constituted by many actors, and not only by those we like. (…) It is imperative to understand that each one of the actors aims at shaping the system according to their own preferences.“ (Bächler 2008: 3f.)
Gerade im Hinblick auf die praktische Umsetzung bedarf es hier weiterer Forschung und einer Weiterentwicklung der theoretischen Ansätze der Konflikttransformation. Dem Kritikpunkt wird in dieser Studie Rechnung getragen, indem sowohl in der Analyse struktureller Konfliktursachen (Kapitel 4-6), als auch in der Fallstudie (Kapitel 6-7) die Partikularinteressen bestimmter Gruppen oder Akteure analysiert und der mögliche Umgang damit thematisiert werden (Kapitel 8.2, 9). Ein anderer Kritikpunkt am Konzept der Konflikttransformation ist die manchmal zu starke Fokussierung auf strukturelle Faktoren. Denn nicht alle Gegenstände von Interessensdifferenzen sind symptomatisch für tiefer liegende Strukturen: teilweise spielen auch Einzelereignisse eine bedeutende Rolle in der Konfliktentstehung und –eskalation. Gerade am Beispiel der Wasserkonflikte wird deutlich, dass Ereignisse wie plötzliche Dürre, die Zerstörung von Infrastruktur durch Naturereignisse oder auch unerwartete politische Umwälzungen häufig Interessensdifferenzen verursachen können. Die Analyse der Wasserkonflikte wird deshalb auch derartige Einzelereignisse berücksichtigen, die sich ggf. mittelfristig strukturell auswirken, aber zunächst unmittelbar für die Konfliktentwicklung relevante neue Dynamiken verursachen. Weitere Kritikpunkte am Konzept der Konflikttransformation betreffen vor allem die Umsetzung in der Praxis, wie die schwierige Positionierung externer Akteure oder die Anpassung des Konzepts und der Handlungsoptionen an veränderte Rahmenbedingungen. Diese Aspekte werden hier in Kapitel 9 berücksichtigt, welches praxisorientierte Zielsetzungen für die Umsetzung der Konflikttransformation im Wassersektor vorschlägt.
Die Konfliktforschung Tabelle 1: TheorieAnsatz Conflict Management/ Settlement
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Die Abgrenzung unterschiedlicher Ansätze in der Konfliktforschung KonfliktHauptakteure der Mittel der verständnis Konfliktbeilegung Konfliktbeilegung Ein oder mehrere „Track1“: Aushandlung von konkrete, meist mate- Individuen oder Abkommen rielle unvereinbare Führungskräfte. zwischen den Anliegen verursachen Parteien. Interessensdifferenzen. Negativer Konfliktbegriff.
Conflict resolution
Umfassendere Beilegung der Ursachen der Interessensdifferenz. Positiver Konfliktbegriff.
Conflict transformation
Überwindung der sozialen und politischen strukturellen Konfliktursachen. Transformation als konstruktiver Prozess sozialen Wandels. Positiver Konfliktbegriff.
„Track1“ und „track 2“: Führungskräfte, Zivilgesellschaft, Wissenschaftler, regionale Führungselite. Alle „tracks“, insbesondere wichtige Multiplikatorenfunktion der Führungspersönlichkeiten und intermediären Institutionen.
Prozessorientiert, Umsetzen gemeinsamer Interessen und Kompromisse.
Längerfristige Änderung der Strukturen, Normen, Werte, die die Konflikte verursachen. Veränderung der Beziehung zwischen den Konfliktparteien.
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Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten
2.3.3 Mögliche Akteure der Konflikttransformation Welche Akteure und Mittel für den Prozess der Konflikttransformation relevant sind, geht aus der Literatur nicht immer eindeutig hervor. Es besteht Unklarheit über die notwendige „kritische Masse“ derjenigen Individuen oder Subgruppen, die letztlich die Transformation einer Gesellschaft bewirken. Einige Autoren legen höheren Wert auf die Änderung der Individuen selbst, im Sinne eines „greater sense of self worth, security, self determination and autonomy" (Bush/Folger 1994: 87). Andere betonen eher den gesamtgesellschaftlichen Charakter des Konflikttransformationsprozesses, der von einzelnen Gruppen getragen wird (Lederach 2000: 161). Problematisch sei zusätzlich, dass das Konzept strukturellen sozialen Wandel anstrebe, während die primären Instrumente bisher stärker auf Konflikte zwischen Individuen und Gruppen ausgelegt seien (Bloomfield/Fischer et al. 2006 : 10). Trotz dieser Unklarheiten können bestimmte Merkmale bezüglich der Akteure und Mittel festgehalten werden, die im Folgenden erläutert werden. Im Gegensatz zu den beiden erstzitierten Konfliktbearbeitungsstrategien ist der Transformationsprozess in stärkerem Maße ein endogener, der von Kräften innerhalb der Gesellschaft angestoßen und getragen wird und nicht auf der Vermittlung durch externe Akteure beruht. Dies wird treffend auch als “building peace with people instead of building peace for people” bezeichnet (Fisher/Jawed et al. 2000: 149, Hervorhebung im Original). Je nach der Ebene und Art des jeweiligen Konfliktes können verschiedene Typen von Akteuren intervenieren, um zwischen den Parteien zu vermitteln oder den Konfliktursachen entgegenzuwirken. Sowohl auf zwischen- als auch auf innerstaatlicher Ebene hat sich hierbei zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass es neben der offiziellen Diplomatie und Streitschlichtung zahlreiche weitere Akteure und Methoden gibt, die in Vermittlungs- und Versöhnungsprozesse einbezogen werden können. Neben den offiziellen Verhandlungsführern („track I“) und inoffiziellen Vermittlungsinitiativen („track II“) wird den Rahmenbedingungen, die kooperative Beziehungen zwischen den Akteuren ermöglichen, große Bedeutung eingeräumt (Burton/Dukes 1990: passim). Diese hängen wiederum stark davon ab, inwieweit die breite Bevölkerung den Prozess trägt und unterstützt. Den sog. “Grassrootleaders” („track III”), beispielsweise Nichtregierungsorganisationen (NGO), kommt bei diesen Aufgaben eine Schlüsselrolle zu (Diamond/Mc Donald 1996), was auch im Kontext des Peacebuilding und der Rekonstruktion von Gesellschaften nach gewaltsamen Konflikten bestätigt wurde (Lederach 1994; Reychler/Paffenholz 2000; Scotto 2003; Miall 2004; Paffenholz 2004; Zunzer 2004, alle passim). Die Dreiteilung der Akteursebenen in „top level“, „middle level“ und „grassroot level“, wie sie Lederach formuliert (Lederach 2000: 162),
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findet sich sinngemäß auch bei weiteren Autoren zum Thema wieder (Miall 2004; Paffenholz 2004: beide passim). Lederach präzisiert die Akteure, die jeder Gruppe angehören (Lederach 2000: 161 ff.): a.
„Top level“: die oberste Führungsebene Dieser Ebene gehören alle höchsten Führungspersönlichkeiten aus der Politik, aber auch - je nach Land - dem Militär, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, der Religion oder anderer Bereichen an. Sie sind die Entscheidungsträger und Sprecher ihrer Anhänger bzw. der Institutionen, die sie repräsentieren und genießen oft eine besondere Aufmerksamkeit bei den Medien und den ausländischen Akteuren. Durch ihre privilegierte Stellung können sie auch Mitglieder der intermediären Ebene in Transformationsprozesse einbeziehen und deren Rolle und Status legitimieren. Sie verfügen über wichtige materielle und immaterielle Ressourcen, gleichzeitig ist ihr Handlungsspielraum jedoch durch vielfältige Interessenskonstellationen und stark formalisierte Beziehungen eingeschränkt. b.
„Middle level“: die Meso-Ebene Dieser Ebene gehören alle Entscheidungsträger an, die in bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Autorität genießen und respektiert werden. Hierbei kann es sich entweder um ethnische oder religiöse Anführer, Intellektuelle oder die Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder lokalen Verwaltungseinheiten handeln, oder aber um Führungspersönlichkeiten des Wirtschafts- oder Bildungssektors, die ein hohes Ansehen genießen. Insbesondere die intermediäre Funktion dieser Akteursgruppe ist für den Prozess der Konfliktbearbeitung relevant, da sie Zugang zu Ressourcen der oberen Führungsebene bekommen können, gleichzeitig aber auch meist als legitime Verhandlungsführer der lokalen „Grassroot- Ebene“ anerkannt werden. Allerdings macht diese Position aus den Akteuren auch ein bevorzugtes Ziel der Konfliktparteien, die diese intermediäre Funktion für ihre Zwecke nutzen wollen. In Konsolidierungsprozessen können diese „intermediären Akteure“ als Multiplikatoren ihre Stellung im jeweiligen institutionellen und sozialen Umfeld nutzen (Lederach 2000: 163) und strukturelle Veränderungsprozesse mittragen. Neben den modernen Institutionen können auch traditionelle Instanzen diese Rolle erfüllen. Elloumi merkt beispielsweise für den Maghreb an: „In Vergessenheit geratene ältere soziale Institutionen werden so reaktiviert, entweder weil die Bevölkerung hierdurch ein Bedürfnis nach Mediation ausdrückt, oder durch den Staat, der einen Ansprech- und Kooperationspartner für seine Entwicklungspolitik oder für seinen Rückzug sucht“ (Elloumi 2002: 23). Der Erfolg dieser Vermittler zwischen den Akteursebenen gerade im Kontext sich überlappender moderner und traditioneller Regeln hängt nach Mahdi davon ab „eben das zu
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Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten
managen und zu beherrschen, was man als ‚institutionelle Interferenz’ bezeichnen könnte“ (Mahdi 1996: 428). c.
„Grassroot level“: die Ebene der Bevölkerung Unter diesem Ausdruck werden die lokalen Akteure verstanden, die als wesentliche Multiplikatoren in ihrem spezifischen lokalen Umfeld (d.h. auf der Ebene der Dörfer, der Stadtviertel, der Interessens- oder Berufsgruppen) die Wahrnehmung und Einstellung der Gesellschaft beeinflussen. Insbesondere lokalen Entscheidungsträgern und Führungskräften lokaler NROs kommt als Multiplikatoren und Mediatoren eine besondere Rolle zu (vgl. für Umweltkonflikte auch Payne 1998: 376). Durch die Autorität, die sie in ihrem Umfeld genießen, sind sie gut geeignet, um beispielsweise lokale Friedenskommissionen zu leiten. Der Ausdruck „Grassroot“ verbildlicht in diesem Zusammenhang auch die langfristige Verwurzelung und das Wachsen der „gesäten“ Transformationsbemühungen. Wenngleich, wie Lederach auch selbst anmerkt, diese etwas künstliche Unterscheidung der Ebenen nicht zwangsläufig mit den Konfliktlinien übereinstimmt, da diese meist eher entlang identitätsbedingter Grenzen verlaufen (Lederach 1995: 3), so bildet sie doch ein geeignetes Raster, um eine erste Differenzierung der in Konflikttransformationsprozesse involvierten Führungseliten vorzunehmen. Die Aufgaben und der Wirkungskreis dieser drei Akteursgruppen sind in der Literatur sehr weit gefasst und eher aus empirischen Beobachtungen denn aus theoriegestützen Konzepten abgeleitet. Gemeinsam ist den Autoren die Erkenntnis, dass eine Überwindung der rein materiellen Konfliktursachen zur nachhaltigen Lösung der Konflikte nicht ausreicht. Dementsprechend kommt der Entwicklung gemeinsamer Ziele, Interessen und Strategien, die parteiübergreifend relevant sind, eine Schlüsselrolle zu. Die drei genannten Akteursgruppen können dazu beitragen, indem sie in ihrem jeweiligen Umfeld auf folgende Punkte hinwirken12:
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Die Sensibilisierung über bestehende Interessensdifferenzen und mögliche Auswirkungen; Die Identifizierung von möglichen „windows of opportunity“ für Verhandlungen oder Konflikttransformation; Der Ausbau von gemeinsamen Handlungsfeldern und konsultativen Strukturen zur Interessensverhandlung;
Die Aufzählung basiert teilweise auf Fisher/Jawed et al. 2000: 149.
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Insbesondere in der höchsten Führungsebene: die Überprüfung und ggf. Neuformulierung der Politik in allen Bereichen im Hinblick auf diagnostizierte und potentielle Konfliktkonstellationen.
Für die Einbeziehung der Akteursgruppen in diese Tätigkeiten spielen deren Eigeninteressen eine wichtige Rolle. Mögliche Schwierigkeiten können sich dabei insbesondere ergeben, wenn so genannte „Spoiler“ Friedensprozesse stören und behindern, weil sie ihre eigenen Interessen und ihre Schlüsselposition als Anführer einer Konfliktpartei durch die Konfliktüberwindung gefährdet sehen. Der Identifizierung gemeinsamer Interessen und der Aushandlung von Optionen, die eine „Wahrung des Gesichts“ der Schlüsselakteure erlauben, kommt daher eine wichtige Rolle zu. In diesem Kontext wird beispielsweise die Methode der Szenarienbildung genutzt, um mögliche Entwicklungswege zu entwerfen und zu evaluieren und die jeweilige Positionen der Akteursgruppen für die Zukunft zu eruieren. Wie kann Konflikttransformation wirksam umgesetzt werden, ohne sich in voneinander getrennten Einzelaktivitäten zu verlieren? Rupesinghe kritisiert wie andere Autoren eine zu starke Fokussierung auf die interpersonelle Ebene von Individuen, wie ihn die Ansätze des conflict management und settlement seiner Ansicht nach vertreten, denn „successes are unlikely to be transferred in any meaningful way to the conflict“ (Rupesinghe 1995: 75 f.). Im Prozess der Konflikttransformation kommt Institutionen daher eine tragende Rolle für die Kooperation innerhalb und zwischen den Akteursgruppen zu, da sie gewissermaßen das Bindeglied zwischen der Transformation von Individuen und Subgruppen und der Gesellschaft als solches bilden. Unter dem Institutionenbegriff werden sowohl formelle (Gesetze, Regeln, offizielle Handlungsmuster), als auch informelle Institutionen wie Normen, Werte und Traditionen verstanden. Eine informelle Institution ist daher nicht in dem Sinne informell, dass es keinerlei Formalisierung der Handlungsabläufe, der Interaktionen ihrer Mitglieder oder der Hierarchien gäbe. Sie bezeichnet vielmehr eine im jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang verankerte, also institutionalisierte Organisationsform, deren Handlungsmuster, Ressourcen und Statuten jedoch nicht offiziell, etwa legal, anerkannt sind. Innerhalb formeller Institutionen kann es daher durchaus informelle Institutionen geben, die bestimmte Akteure gruppieren und deren Handlung eigenen Regeln oder Werten folgt. Auf internationaler Ebene wurde die Rolle von Institutionen und Regimen der grenzüberschreitenden Kooperation für die Vermeidung der Eskalation von Konkurrenz um natürliche Ressourcen immer wieder betont. Regelmäßiger Austausch von Informationen, anerkannte Normen und Regeln sowie dazugehörige Entscheidungsprozeduren und die gemeinsame Entwicklung langfristiger
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Die Forschung zu innerstaatlichen Wasserkonflikten
Szenarien zur Ressourcennutzung tragen hier zur zwischenstaatlichen Vertrauensbildung bei und sorgen dafür, dass die Erwartungen der Akteure in Übereinstimmung gebracht werden. Auch auf innerstaatlicher, lokaler Ebene können Institutionen hauptsächlich dann zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung beitragen, wenn sie vor der eigentlichen Polarisierung bestehen und ihre Legitimität sich auf bereits eingespielte Normen und Regeln zur Bearbeitung von Differenzen stützen kann. Im Prozess der Konflikttransformation auf innerstaatlicher Ebene kommt Institutionen eine zweifache Rolle zu: zum einen können sie die Kommunikation zwischen Akteursgruppen verbessern und damit Konsensfindung erleichtern, zum anderen prägen sie maßgeblich die strukturellen Konfliktursachen und können daher zu deren Überwindung beitragen. Über die Analyse der Funktionsweise von Institutionen werden auch Kräfteverhältnisse, die für die Vermittlung und Transformation von Konflikten relevant sind, deutlich13. Einerseits wird also eine Einbindung der Institutionen in den Prozess der Konflikttransformation gefordert, andererseits deren Umgestaltung selbst, um die Beteiligung aller Bevölkerungsteile zu ermöglichen und partizipative Entscheidungsprozesse zu fördern. Auch hier gibt es jedoch keine „Blaupause“. Im Gegenteil weisen mehrere Autoren darauf hin, dass ungleiche Machtverhältnisse auch und gerade von partizipativ implementierten Institutionen reproduziert werden können (Cooke/Kothari 2001: 139 ff.). In einer Diskussion zur Weiterentwicklung des noch gar nicht so lange etablierten Konzeptes der Konflikttransformation erwähnen führende Forscher drei wesentliche Prioritäten, die auch in der Analyse von Konflikten um Wasserknappheit eine wichtige Rolle spielen (Dudouet/Schmelzle et al. 2006: 10, 13):
Die Einbeziehung sozialer Gerechtigkeit in die Analyse und langfristige Transformation von Konflikten; Die kritische Analyse der Rolle externer Akteure; Die Gestaltung der horizontalen und vertikalen Interaktionen zwischen unterschiedlichen Gruppen und Institutionen.
Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ ist in diesem Kontext vor allem als potentielle strukturelle Konfliktursachen relevant. Hierbei können mehrere Dimensionen unterschieden werden: z.B. die Chancengerechtigkeit unterschiedli13
Für diese Netzwerke von Akteuren und Institutionen der Konflikttransformation hat sich vor allem der Begriff „Peace Constituencies“ eingeprägt (Dudouet/Schmelzle et al. 2006: 10). Da er jedoch hauptsächlich im Kontext lange andauernder Gewaltkonflikte angewendet wird, wird er hier nicht weiter verwendet.
Die Konfliktforschung
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cher Bevölkerungsgruppen hinsichtlich Bildung, Einkommenschancen und sozialer Integration, die Verfahrensgerechtigkeit hinsichtlich juristischer Prozesse, oder die meist ökonomisch definierte Verteilungsgerechtigkeit bezüglich Einkommen und Vermögen. Eine Einbeziehung dieser unterschiedlichen Dimensionen sozialer Gerechtigkeit ermöglicht vor allem, auch Faktoren zu identifizieren, die zwar mit dem Gegenstand einer Interessensdifferenz nicht unmittelbar verbunden sind, aber die Bereitschaft zu gewaltsamer Austragung oder auch die symbolische Bedeutung eines Konfliktes mit erklären können. Bezüglich der Analyse von Wasserkonflikten und der Frage nach Möglichkeiten der Konflikttransformation sind die drei genannten Aspekte ebenfalls in bisherigen Ansätzen nur wenig berücksichtigt worden. Für eine Analyse externer Akteure wäre beispielsweise eine Berücksichtigung privater Unternehmen in der Wasserversorgung, oder auch die Rolle entwicklungspolitischer Akteure und Geberinstitutionen wichtig. Die Berücksichtigung der horizontalen und vertikalen Interaktionen wiederum weist auf die Einbettung des Wasserkonfliktes in das weitere politische und soziale Umfeld hin, dessen Akteure sowohl bei der Entstehung und Eskalation der Konflikte als auch im Transformationsprozess eine wichtige Rolle spielen. In der Fallstudie dieser Arbeit und der folgenden Auswertung wird später ausführlicher auf diese Aspekte eingegangen (vgl. Kapitel 48). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es heute trotz verwandter Forschungszweige kein genuines Konzept zur Analyse von innerstaatlichen Konflikt- und Kooperationspotentialen im Zusammenhang mit Wasserknappheit gibt. Aus unterschiedlichen Gründen genügen, wie bereits erläutert, weder die Erkenntnisse der Umweltsicherheits- noch die der Common Pool ResourceForschung den Anforderungen an einen solchen Forschungsansatz. Ein wesentliches Merkmal der Forschungsdefizite ist die ungenügende Berücksichtigung soziopolitischer Variablen und lokaler Perzeptionen. Diese Defizite wirken sich auch auf die Entwicklung politischer Handlungsoptionen im Umgang mit Konfliktpotentialen aus, denn hier überwiegen häufig eindimensionale Herangehensweisen. Konflikte um Wasser sind lange als primär technisches Problem der Angebotserhöhung betrachtet worden. Soziale und politische Aspekte des Wassermanagements werden dabei ausgeblendet, was oftmals dazu führt, dass technische Innovationen von der Bevölkerung nicht angenommen werden und letztlich funktionsuntüchtig bleiben (Taylor 2006: e.Q.).
3 Ein neuer Forschungsansatz
Angesichts der ungenügenden Reichweite bisheriger Theorien zur Erforschung innerstaatlicher Wasserkonflikte wird hier ein neuer Ansatz vorgeschlagen. Dieser berücksichtigt zum einen die Defizite der in Kapitel 2 analysierten Forschungsstränge und ermöglicht zum anderen sowohl die Analyse der Ursachen von Wasserkonflikten, als auch die Ausarbeitung von Strategien zum Umgang mit diesen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Berücksichtigung des sozialen und politischen Kontextes der Konflikte, der nach Ansicht von Forschern sowohl der CPR-Theorien (Stern/Dietz et al. 2002: 474 f.) als auch der Umweltsicherheitsanalysen (Matthew 2000: 7) und der Konflikttransformationsforschung (Jabri 2006: 72 f.) bisher nur ungenügend beachtet wurde. Dieses Kapitel erläutert den gewählten Forschungsansatz indem es zunächst die Bedeutung einiger Schlüsselbegriffe erklärt und dann die Forschungsfragen und –annahmen sowie das methodische Vorgehen begründet. Der gewählte Ansatz stützt sich neben anderen Quellen wesentlich auf eine Weiterentwicklung des Konzepts der Konflikttransformation, welches an den spezifischen Fall der lokalen Wasserkonflikte angepasst wird. Die Entwicklung des theoretischen und methodischen Forschungsansatzes fand dabei in ständigem Austausch mit den empirischen Beobachtungen statt, so dass diese Arbeitsschritte nur teilweise voneinander abgrenzbar sind (vgl. auch Lacour 2005; Passeron/Revel 2005:20).
3.1 Begriffsklärung: Wasserkonflikte und ihre Austragungsformen Konfliktdefinition: Wassermanagement wird in dieser Arbeit als Spiegel sozialer und politischer Machtverhältnisse verstanden (vgl. Kapitel 1). Wasserkonflikte werden deshalb als Ausdruck soziopolitischer Interessensdifferenzen zwischen zwei oder mehr Parteien oder Individuen begriffen. Im Sinne des Konzeptes Menschlicher Sicherheit kann Wasserknappheit zwar auch sicherheitsrelevant sein, wenn sie die Entwicklungschancen von Menschen bedroht, ohne manifestierte Interessensdifferenzen zu verursachen. Im Mittelpunkt stehen hier jedoch Wasserkonflikte in Form von Interessensdifferenzen (s. u.: Konfliktaustragung) und nicht die Menschliche Sicherheit von Individuen oder Gruppen an sich. Dieses Sicherheitsverständnis wird deshalb in der vorliegenden Erforschung von
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Wasserkonflikten nur insofern relevant, als dass ein Mangel an Menschlicher Sicherheit Interessensdifferenzen verursachen oder verstärken und eine mögliche strukturelle Ursache von Konflikten sein kann. Diese Definition schließt Differenzen im Zugang sowohl zu materiellen wie auch zu immateriellen Gütern oder Ressourcen ein. Weil Konflikte um Wasser auch gesellschaftliche Strukturen und Machtbeziehungen widerspiegeln, ermöglicht die Analyse der Ursachen dieser Konflikte ebenfalls Erkenntnisse über andere gesellschaftliche Prozesse, denn „Jeder soziale Konflikt sagt, so ist meine eigene Erfahrung, mindestens ebenso viel über den gesellschaftlichen Kontext aus wie über den Konflikt und seinen Verlauf selbst“ (Schulze 1988: 338).
Konfliktursachen: Gemäß Dahrendorfs Verständnis von sozialen Konflikten werden Wasserkonflikte hier als soziales Phänomen betrachtet, welches zu einem großen Teil aus der Struktur sozialer Einheiten ableitbar ist (Dahrendorf 1972: 24). Aus diesem Grund können Konfliktursachen zum Teil aus den strukturellen Bedingungen des jeweiligen Systems heraus erklärt werden, aus dem sie entstehen. Im Mittelpunkt stehen dabei die sozioökonomischen und die ökologischen Strukturen, da sie die Kräfteverhältnisse der Konfliktparteien wesentlich bestimmen und die Konfliktentstehung wie auch die Austragung beeinflussen. Ökologische Faktoren wie die Wasserknappheit werden folglich nur als eine von mehreren möglichen Ursachen von Konflikten verstanden, denn: „the interdependence of structures and actors determines the conflict pattern that is triggered by environmental issues“ (Bächler 2002: 529, vgl. auch Kapitel 2.1).
Zu diesen Strukturen gehören nicht nur die Regeln der Wasserverteilung, sondern darüber hinaus die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den betroffenen Akteuren auf lokaler, regionaler und manchmal nationaler oder internationaler Ebene. In diesen Beziehungen treten häufig strukturelle Machtunterschiede auf, die zur Benachteiligung bestimmter Personengruppen führen. Wasserkonflikte werden deshalb hier als Ergebnis unterschiedlicher Arten der Marginalisierung betrachtet. Bei der Eskalation dieser Konflikte können jedoch auch andere Faktoren intervenieren, die nicht strukturell angelegt, sondern vielmehr durch Einzelereignisse geprägt sind. Konfliktaustragung: Wasserkonflikte können sich auf sehr unterschiedliche Weise äußern. Sie können sowohl ein Faktor gewaltsamer Auseinandersetzungen sein, wie auch nicht-gewaltsam ausgetragen werden. So kann sich beispielsweise Verteilungskonkurrenz indirekt auswirken, wenn die Wasserverteilung selbst schwer zu beeinflussen ist. Sabotage oder andere Maßnahmen zum materiellen
Begriffsklärung: Wasserkonflikte und ihre Austragungsformen
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oder symbolischen Schaden der vermeintlich oder tatsächlich bevorteilten Partei können die Folge sein. Konflikte um Wasser kristallisieren oft politische Meinungsverschiedenheiten und strategische Machtinteressen. Sie äußern sich deshalb insbesondere in der Landwirtschaft, wo die Ressourcenverteilung gesellschaftliche Machtbeziehungen widerspiegelt, häufig indirekt. Der Wasserkonflikt selbst kann dadurch auch zu einer Art „Stellvertreterkonflikt“ werden. Sowohl direkte als auch indirekte Wasserkonflikte können Stadien der gewaltsamen oder gewaltfreien Austragung durchlaufen und unterschiedlich stark eskalieren. Gewaltsam verlaufende Konflikte werden in der Studie explizit als solche gekennzeichnet. Konfliktwahrnehmung: Die Wahrnehmung des Konfliktes an sich beeinflusst die Konfliktgenese und seinen weiteren Verlauf. Dies gilt ebenso für die die strukturellen Konfliktursachen: Menschen die eine soziale, politische oder wirtschaftliche Marginalisierung wahrnehmen, setzen sich unabhängig von ihrer tatsächlichen Benachteiligung für ihre Interessen ein, wobei unterschiedliche (auch produktive, a.u.) Konflikte auftreten können. Dabei ist es für diese Entwicklungen teilweise sogar unerheblich, ob die Marginalisierung oder der Konflikt selbst tatsächlich stattfinden, oder nur als solche wahrgenommen werden. Denn in beiden Fällen bestimmt die Wahrnehmung dieser Zusammenhänge das Verhalten von Individuen und Gruppen entscheidend, und beeinflusst ihre kooperative oder konfrontative Strategie. Aus diesem Grund werden in der vorliegenden Studie auch die subjektiven Einschätzungen der betroffenen Akteure angemessen berücksichtigt. Weiter werden explizit sowohl nicht-gewaltsam ausgetragene Interessensdifferenzen als auch Kooperationspotentiale berücksichtigt. Hierdurch wird der Fehler vieler Umweltsicherheitsprojekte vermieden, sich i. W. auf gewaltsame Auseinandersetzungen zu beschränken. Konflikttransformation: Die Transformation von Wasserkonflikten geht im Sinne des o.g. Konzepts über die Beilegung der unmittelbaren Interessensdifferenzen hinaus. Konflikte werden vielmehr als möglicher Motor sozialen Wandels betrachtet. Hierbei bietet sich eine Weiterentwicklung der Definitionen von Coser und Simmel an. Die Autoren verstehen Konflikte als Sozialisierungsprozess und „Vergesellschaftung“ (Coser 1956: 31; Simmel zitiert in: Stark 2005: 85): indem Konflikte durch funktionale Integration im sozialen System verarbeitet werden, verändern sie dieses. Vorausgesetzt die sozialen Strukturen eines gesellschaftlichen Systems sind stark genug, haben Konflikte demnach eher eine systeminnovative als eine systemzerstörende Funktion (vgl. auch Kapitel 2.3). Die Konflikttransformation strebt eine gewaltfreie Artikulation und Austragung der Konflikte an, indem eine Veränderung der Beziehungen zwischen den (potentiellen) Konfliktparteien sowie diesen und dritten Akteuren stattfindet, und die gewaltfreie Formen der Interessensverhandlung und Konfliktaustragung
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unterstützt werden. Die konstruktive Transformation von Wasserkonflikten kann auf diese Weise soziale Dynamiken mobilisieren, die über die Prävention neuer Konflikte hinaus weitere stabilisierende Auswirkungen haben. Ein Schlüsselelement der langfristigen soziopolitischen Stabilisierung ist dabei die Veränderung der Beziehungsebene, die auch eine veränderte Wahrnehmung von Normen und Werten beinhalten kann (vgl. Kapitel 2.3.2). Wegen der hohen Bedeutung von Wasserressourcen über die verschiedenen Ebenen der politischen Entscheidungsprozesse und der sozialen Beziehungen hinweg (lokale, regionale, nationale Ebene), aber durch die unterschiedlichen Sektoren hindurch (Wirtschaft, Gesundheit, Entwicklung) ist meist ein breites Spektrum der Bevölkerung von Wassermanagementfragen betroffen. Wasserkonflikte haben deshalb ein hohes soziales und politisches Destabilisierungspotential. Umgekehrt können diese Zusammenhänge jedoch auch für gesellschaftliche Innovationen nutzbar gemacht werden. Die Transformation von Wasserkonflikten kann deshalb weitergehende Prozesse sozialen Wandels anstoßen und tragen (Mathieu/Benali et al. 2001: 353 ff.). Kooperation in Fragen des Wassermanagements kann wichtige positive Nebeneffekte haben, wie Vertrauensbildung zwischen (potentiellen) Konfliktparteien, die Institutionalisierung der Kontakte oder auch die Identifizierung übergreifender Interessen und eines gemeinsamen längeren Zeithorizonts für gemeinschaftliche Entscheidungen. Für die internationale Ebene haben das neben anderen Autoren vor allem Conca und Dabelko nachgewiesen (Conca/Dabelko 2002: 11), auf der lokalen Ebene zeigt das beispielsweise das Projekt „Good Water Neighbors“ zur Förderung der Kooperation im Wasserbereich zwischen Israelis und Palästinensern durch die NGO Friends of the Earth Middle East (FOEME 2005: passim). Die Nutzung der konstruktiven Wirkungen von Konflikten um Wasser ist im oben erläuterten Sinne ein Prozess der Vergesellschaftung, oder, wie Ohlsson es ausdrückt: „water scarcity is transformed from an absolute constraint into a strong driving force for societal and economic structural change” (Ohlsson 2000: 8).
Der Prozess der Konflikttransformation wird entscheidend von Institutionen und Persönlichkeiten getragen, die zwischen den einzelnen Akteursebenen vermitteln, Anliegen weitertragen und so Entscheidungsprozesse mitgestalten (sog. „intermediäre Akteure“, vgl. auch Lederach 2000: 161 ff.). Diese Institutionen oder Personen tragen im Sinne des o.g. Konzepts der Vergesellschaftung dazu bei, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und bei Interessensdifferenzen zu vermitteln.
Die Forschungsfragen
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Umgekehrt können sie jedoch auch der Konfliktvermittlung und Konflikttransformation entgegenstehen. Auch als sog. „spoiler“, die Kooperationsprozesse aus eigenen Interessen heraus hemmen können, kommt intermediären Akteuren daher eine wichtige Rolle zu, die im Transformationsprozess berücksichtigt werden muss.
3.2 Die Forschungsfragen Die vorliegende Untersuchung analysiert ländliche Wasserkonflikte in Marokko, die als Ergebnis unterschiedlicher, zum großen Teil strukturell veranlagter Entwicklungen verstanden werden. Hierbei werden sowohl soziopolitische als auch ökologische Prozesse berücksichtigt und die Defizite bisheriger Studien aufgegriffen. Die folgenden fünf Forschungsfragen stehen im Zentrum: a. b.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen ungleichem Zugang zu Wasserressourcen und dem Auftreten von Wasserkonflikten? Können andere, sozioökonomische Disparitäten die ökologische Benachteiligung verschärfen, indem sie die gleichen Personen oder Gruppen betreffen? Können sozioökonomische Kapazitäten umgekehrt zur Abfederung ökologischer Probleme beitragen?
Diese ersten beiden Fragen greifen die Erkenntnisse der Umweltsicherheitsforschung auf, dass Konflikte um natürliche Ressourcen häufig durch politisch oder sozial bedingte Ungleichheit entstehen (vgl. Kapitel 2.1). Diese Benachteiligung kann sich in einem schlechteren Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Wasser äußern, aber auch durch sozioökonomische Disparitäten, weshalb hier beide Fälle untersucht werden. Die zweite Frage geht explizit auch auf die Möglichkeiten der Konfliktprävention durch eine Bekämpfung dieser strukturellen Konfliktursachen ein, indem sie die Anpassungskapazitäten der Betroffenen untersucht. c.
Welche Perspektiven gibt es für den kooperativen Umgang mit Wasserkonflikten und deren langfristige Transformation? Welche Rolle spielen dabei lokale Akteure und Institutionen und wo können sog. intermediäre Institutionen ausgemacht werden?
Durch den Transformationsprozess finden, wie in 3.2 erläutert, eine „Vergesellschaftung“ und eine Systemveränderung statt. Diese dritte Forschungsfrage erkundet die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Prozesses im spezifischen
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Ein neuer Forschungsansatz
Fall der Wasserkonflikte. Diese Forschungsfrage knüpft an die Erfahrungen der Konfliktforschung an, dass langfristige Konflikttransformation vor allem ein endogener Prozess ist, in dem vermittelnde Akteure zwischen unterschiedlichen Parteien und Handlungsebenen eine große Rolle spielen (vgl. 2.3). d.
Welche Schlussfolgerungen können aus der Analyse der Wasserkonflikte für allgemeinere soziale und politische Veränderungsprozesse und Machtbeziehungen gezogen werden?
Die vierte Frage greift insbesondere die in 1.1.2 erläuterten engen Beziehungen zwischen der Wasserverteilung und den soziopolitischen Strukturen auf. Weiter knüpft sie an die in Kapitel 2.3 dargestellte Erkenntnis an, dass Prozesse der Mediation und Transformation auf die Mobilisierung von Schlüsselakteuren des sozialen und politischen Umfelds angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund ermöglicht die Beantwortung dieser Forschungsfrage zum einen die Einschätzung von Potentialen der Konfliktbearbeitung und –transformation, und zum anderen die Identifizierung von soziopolitischen Trends in Marokko. e.
Welchen Beitrag kann die hier vorgenommene Fallstudie über die fallspezifischen Erkenntnisse hinaus zu einer Weiterentwicklung der theoretischen und methodischen Ansätze für die Erforschung von Wasserkonflikten leisten?
Diese letzte Frage knüpft an die in Kapitel 3.1 erläuterten Annahmen u.a. von Revel und Passeron an und greift die in Kapitel 2 diagnostizierten Forschungsdefizite auf. Sie wird in Kapitel 8.1 und vor allem in Kapitel 9 beantwortet, wo ein neues Konzept zum politischen Umgang mit Wasserkonflikten vorgeschlagen wird. Die Bewässerungslandwirtschaft in Marokko eignet sich besonders für die Untersuchung dieser Aspekte von Wasserkonflikten, da sich hier mehrere potentiell konfliktträchtige Entwicklungen kristallisieren. Als weitaus größter Wasserkonsument (80% des Konsums in Marokko, MADRPM 2008: 7) ist der Sektor gewichtiger als die Trinkwasserversorgung und steht unter dem Druck notwendiger Wassersparmaßnahmen. Die zunehmende Wasserknappheit bedroht die Existenz zahlreicher Bauern und stellt das staatliche System der Wasserversorgung an sich und die damit verbundenen Machtbeziehungen in Frage. Diese Entwicklungen können zu einer Verschärfung der Wasserkonfliktpotentiale beitragen.
Methodische Herangehensweise und Hypothesen
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Die Studie fokussiert sich bei der Untersuchung dieser Zusammenhänge auf die Mikro- und die Mesoebene, da sich hier sowohl eine Verstärkung der Konfliktpotentiale als auch der Kapazitäten zur Konfliktprävention und Konflikttransformation deutlich sind. Zudem ist dort der Zusammenhang zwischen der Wasserverteilung und sozialen und politischen Strukturen deutlicher zu beobachten als auf der nationalen Ebene und ist eine hohe Wahrscheinlichkeit des Auftretens lokaler Wasserkonflikte gegeben (UNDP 2006c: 22 f., vgl. Kapitel 1.2.3). Gleichzeitig bieten die Mikro- und Mesoebenen einen geeigneten Rahmen, um Strategien frühzeitiger Abschwächung oder Prävention umzusetzen, bevor diese Konflikte größere Dimensionen und komplexere Strukturen annehmen. Auch die Verfügbarkeit von Daten über die Marginalisierung von Bevölkerungsgruppen ist hier besser als beispielsweise auf nationaler Ebene, da vorhandene Daten zum Teil erhebliche regionale Unterschiede ungenügend repräsentieren und nur schwer selbst erhoben werden können. Disparitäten im Zugang zu Bildung, Infrastruktur, politischer Beteiligung oder Wasserressourcen können auf lokaler und regionaler Ebene dagegen zumindest teilweise für Forschungswecke erhoben und als Grundlage für die Untersuchung der o.g. fragen genutzt werden. Die lokalen und regionalen Gegebenheiten werden jedoch auch im Verhältnis zu Wirkungsfaktoren auf anderen Ebenen analysiert, die lokale Wasserkonflikte beeinflussen können (z.B. die nationale Wasserpolitik) (vgl. Kapitel 4, 5).
3.3 Methodische Herangehensweise und Hypothesen Neben der Erforschung der strukturellen Konfliktursachen steht vor allem die Identifizierung von Faktoren und Institutionen, die Kooperation ermöglichen, im Mittelpunkt der Untersuchung. Über Quellenstudien und halbstrukturierte Interviews wurden im ersten Schritt strukturelle Veränderungen in der Untersuchungsregion ausgemacht, die möglicherweise die gesellschaftlichen Machtverhältnisse beeinflussen oder die Marginalisierung bestimmter Gruppen verursachen bzw. verstärken können. Dabei wurden auch Kooperationspotentiale und Möglichkeiten zur Abfederung der konfliktfördernden Faktoren berücksichtigt. Die Interviews wurden einerseits mit Experten aus Forschungseinrichtungen und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt, und beinhalteten zum anderen die Befragung betroffener Bauern, lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie staatlicher und privatwirtschaftlicher Institutionen. Im Mittelpunkt dieses Arbeitsschrittes standen die Analyse der Veränderung der ökologischen Bedingungen landwirtschaftlicher Produktion, der sozioökonomische Wandel und die Veränderung der politischen Machtverhältnisse. Wenngleich vor allem Prozesse auf lokaler Ebene erfasst wurden, so wurden
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Ein neuer Forschungsansatz
auch nationale oder internationale Entwicklungen berücksichtigt, sofern sie sich auf die lokale Ebene auswirken. Aus diesen Erkenntnissen wurden die konkreten Forschungsfragen (s.o.) und -annahmen abgeleitet sowie eine erste Typologie der auftretenden Konflikte um Wasser erstellt. Auf der Grundlage dieser Annahmen wurde ein Fragebogen für die empirischen Erhebungen von rund 100 Bauern erstellt. Die Befragung wurde in vier Kommunen der Untersuchungsregion Souss durchgeführt, die sehr stark von Wasserknappheit betroffen sind. In allen dieser Kommunen setzen sich sowohl staatliche als auch nichtstaatliche und privatwirtschaftliche Akteure für die Anpassung an die Wasserknappheit ein. Um die Häufigkeit der unterschiedlichen Wasserkonflikte einzuschätzen, wurde die subjektive Konfliktwahrnehmung durch die Befragten erhoben, die nicht zwangsläufig mit konkreten Auseinandersetzungen übereinstimmt. Auf der Grundlage der erarbeiteten Konflikttypologie sowie über die Möglichkeit zur Erwähnung weiterer Konfliktkonstellationen konnte so ein Einblick in unterschiedliche Formen von Wasserkonflikten gewonnen werden. Die intensive Auseinandersetzung mit der Genese und dem Verlauf von sechs einzelnen Wasserkonflikten hat darüber hinaus zum notwendigen Hintergrundwissen über die Strukturen und Akteure dieser Auseinandersetzungen beigetragen. Die Erhebungen im Forschungsgebiet haben dabei gezeigt, dass im Fall von Wasserkonflikten vor allem zwei Arten der Marginalisierung wichtig sind: Die Marginalisierung im Hinblick auf den Zugang zu natürlichen Ressourcen äußert sich im Kontext der Bewässerungslandwirtschaft vor allem in begrenztem Zugang zu fruchtbarem Boden und zu ausreichendem Wasser. Die wachsende Nachfrage und die sinkende Verfügbarkeit von Wasserressourcen sind in der Untersuchungsregion besonders ausgeprägt. Die strukturelle Ungleichheit in der Landverteilung und im Zugang zu Wasserressourcen verschärfen sich weiter. Dies wirkt sich insbesondere auf Kleinbauern durch die Verringerung der nutzbaren Ackerfläche und ungenügende Bewässerung der genutzten Felder aus. Diese Prozesse sind das Ergebnis ökologischer und soziopolitischer Entwicklungen, die in Kapitel 5 erläutert werden. Die sozioökonomische Marginalisierung äußert sich in einer unterschiedlichen Verteilung der Anpassungskapazitäten an die Wasserknappheit, die von technischen Mitteln, finanziellen Ressourcen und dem soziopolitischen Gewicht der Betroffenen abhängt. Diese sozioökonomische Marginalisierung wird durch soziale und politische Strukturen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene verursacht. Sie äußert sich beispielsweise durch politische Entscheidungen über die sektor- oder regionalspezifische Gewährung von Subventionen, Krediten oder Versicherungen. Neben den formellen Bestimmungen spielen hierbei auch informelle soziale Strukturen eine wichtige Rolle. Landwirte, die über formale
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Eigentumstitel und finanzielle Mittel verfügen, und sich auf ein einflussreiches Netz sozialer Beziehungen stützen können, können eher Subventionen erhalten, tiefe Wasserbohrungen durchführen und entsprechende Genehmigungen erhalten. Wenngleich auch sie von mangelndem Zugang zu fruchtbarem Land und Wasser betroffen sind, so können sie deshalb die Auswirkungen der Umweltveränderungen besser abfedern. Sozioökonomische Marginalisierung kann daher die Auswirkungen von unzureichendem Zugang zu natürlichen Ressourcen verschärfen. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse wurden folgende Forschungshypothesen und ihre jeweiligen erklärenden Variablen entwickelt14: 1.
Hypothese 1 zur Marginalisierung im Hinblick auf den Zugang zu natürlichen Ressourcen: Durch ungleichen Zugang zu den Produktionsressourcen Boden und Wasser bestehen ökologische Disparitäten zwischen Landwirten größerer und kleinerer Betriebe. Diese Disparitäten vergrößern sich tendenziell. Zur Überprüfung der Hypothese wurden vier unterschiedliche Kategorien von Landwirten befragt. Im Zentrum stand dabei die Entwicklung des Zugangs zu Wasser- und Bodenressourcen zwischen dem Erhebungszeitraum (2006) und dem Zustand zehn Jahre zuvor (1996). Es wurde angenommen, dass Kleinbauern überproportional stark von vermindertem Zugang zu diesen Ressourcen betroffen sind, und größere Produzenten dagegen weniger Verluste aufweisen. Drei Variablen charakterisieren diese Hypothese: die ersten beiden untersuchen die Entwicklung des Ressourcenzugangs und die dritte analysiert die Auswirkungen dieser Prozesse auf die Produktion. Für diesen dritten Aspekt wird die Entwicklung der unterschiedlichen Kulturen und Produktionsmengen in Relation zur Anbaufläche und zur Wasserverfügbarkeit überprüft. Zitrusfrüchte sind beispielsweise nur dann rentabel, wenn eine ausreichend große Anbaufläche und vor allem eine gesicherte Wasserversorgung verfügbar sind. Oliven, Viehfutter und Getreide dagegen können auch auf kleineren Flächen und mit weniger Wasser angebaut werden, bringen jedoch weniger Gewinne. 2.
14
Hypothese 2 zur sozioökonomischen Marginalisierung: Sozioökonomische Kapazitäten können die Auswirkungen ökologischer Marginalisierung verstärken oder verringern. Die Verfügbarkeit alternativer Einkommensquellen, der Bildungsstatus, und der Zugang zu Marktstrukturen spielen dabei eine Rolle.
Eine detaillierte Darstellung der Hypothesen und ihrer variablen erfolgt in Kapitel 7.
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Ein neuer Forschungsansatz
Im Mittelpunkt dieser Hypothese stehen sozioökonomische Kapazitäten, die die individuelle Einkommenssituation von Bauern beeinflussen und ihnen dadurch auch eine Anpassung an wasserknappheitsbedingte Produktionsausfälle ermöglichen können. Ein Faktor können hierbei alternative Einkommensquellen wie der Handel mit anderen Produkten, Lohnarbeit, Kreditaufnahme, finanzielle Hilfe durch Zahlungen ausgewanderter Angehöriger, Viehzucht oder Milcherzeugung sein. Weiter wird angenommen, dass der Bildungsstatus für die Absicherung gegen landwirtschaftliche Produktionsausfälle eine Rolle spielt. Schließlich wird die Bedeutung des Zugangs zu bestimmten Vermarktungsstrukturen überprüft. Denn während z.B. bei dem Verkauf von Zitrusfrüchten auf dem lokalen Markt nur niedrige Preise erzielt werden, ermöglicht der Zugang zu Zwischenhändlern oder Genossenschaften höhere Gewinnmargen. Hypothese 3 zur Konflikthäufigkeit: Wasserkonflikten liegen strukturelle Ursachen zugrunde, bei denen Marginalisierung im Zugang zu natürlichen Ressourcen eine wichtige Rolle spielt. Landwirte, deren Produktionsbedingungen hierdurch erschwert sind, sind häufiger in Konflikte involviert. Die dritte Hypothese untersucht, ob Bauern, die einen schlechten Zugang zu Land und Wasser haben, häufiger von unterschiedlichen Wasserkonflikten betroffen sind. Die Konflikthäufigkeit wird dabei explizit als subjektive Kategorie untersucht, d.h. die Wahrnehmung der Konflikthäufigkeit steht dabei im Zentrum. „Objektive“ Daten zur Konflikthäufigkeit existieren nicht, da sowohl die Intensität als auch die Existenz von Konflikten überhaupt eine Frage der Wahrnehmung und der subjektiven Interpretation ist. Insbesondere in Gesellschaften, in denen nur eine geringe Anzahl der Konflikte über formelle Wege wie Gerichte geschlichtet wird, aber auch weil viele der Konflikte sich auf anderen Ebenen abspielen, sind keine Statistiken über Konflikthäufigkeiten verfügbar. Als (Wasser-) Konflikte werden in dieser Studie sowohl gewaltsame als auch nichtgewaltsame Interessensdifferenzen im Zusammenhang mit Wasser bezeichnet, in die der Befragte innerhalb des letzten Jahres bis zum Zeitpunkt der Befragung verwickelt war. 3.
Hypothese 4 zur Konfliktvermittlung und –transformation: Erfolgreiche Konfliktbearbeitung und -transformation hängen entscheidend von der Legitimität der intervenierenden Institutionen und Akteure ab. Lokale Organisationen können zur Verminderung lokaler Konfliktpotentiale beitragen. Die vierte Forschungshypothese befasst sich mit den Akteuren und Institutionen der Konfliktbearbeitung und -prävention. Gewaltsame Konflikte um Wasser können dann vermieden oder gelöst werden, so die Annahme, wenn legitime lokale Institutionen in die Interessensverhandlung involviert sind. Die Legitimi4.
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tät der Mediatoren wird dabei an drei Kriterien festgemacht: der Zufriedenheit der Befragten mit dem lokalen Engagement der Organisation oder Person, der Einschätzung ihrer Fähigkeiten zur Lösung technischer und sozialer Probleme im Kontext der Wasserknappheit, und dem Erfolg ihrer Vermittlungsinitiativen. Alle drei Kriterien werden als Einschätzung der Befragten erhoben, d.h. auch sie spiegeln die subjektive Wahrnehmung dieser Kapazitäten wider. Hintergrund ist dabei, dass die Legitimität von Vermittlern ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Konfliktschlichtung ist – sie hängt jedoch stark von der individuellen Einschätzung der Betroffenen ab. Die Ergebnisse dieser quantitativen Erhebungen zu allen Forschungshypothesen werden dann in Kapitel unter Berücksichtigung der qualitativen Erkenntnisse (teilnehmende Beobachtung, qualitative Interviews, Narration) ausgewertet. Schließlich wird dies in Kapitel 8 im Hinblick auf die makropolitischen Entwicklungen und mögliche strukturelle Veränderungen innerhalb des Landes analysiert.
4 Konfliktpotentiale durch Wandel der soziopolitischen Strukturen in Marokko
„Le roi donne et ne négocie pas (...) On ne marchande pas avec Sa Majesté“ 15
[„Der König verhandelt nicht, er gibt (...). Man feilscht nicht mit Seiner Majestät“ ]
(Saaf 2001: 57)
In Marokko leben etwa 32 Millionen Menschen. Das Land hat seit den neunziger Jahren erhebliche Fortschritte in der Entwicklung gemacht und die Infrastruktur zur Gesundheits-, Strom- und Wasserversorgung sowie für den Verkehr stark ausgebaut. Angesichts der Herausforderungen des Bevölkerungswachstums, der Urbanisierung sowie des wirtschaftlichen und ökologischen Wandels steht das Land jedoch weiterhin vor großen Herausforderungen. Marokko belegt wegen weiter bestehender Entwicklungsdefizite auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen den Platz 126 von 177 (UNDP 2007). Die marokkanische Gesellschaft zeichnet sich durch einen hohen Anteil an Jugendlichen aus (über ein Drittel der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt), der den Druck auf die Arbeitsmärkte und in die urbanen Zentren verstärkt. Trotz Fortschritte in der Grundbildung (heute besuchen 86% der Kinder unter 15 Jahren eine Grundschule) kann nur die Hälfte der Gesamtbevölkerung lesen und schreiben, auf dem Land liegt die Analphabetenrate bei über 60% (UNDP 2006b). Insbesondere in den ländlichen Gebieten und den periurbanen Stadtteilen ist Armut durch mangelnde Erwerbstätigkeit sehr verbreitet und auch die Versorgung mit sozialen Dienstleistungen ist hier weiterhin schlecht. Neben diesen Faktoren trägt auch die stark ungleiche Verteilung der Einkommen zu wachsendem Migrationsdruck und sozialer Unzufriedenheit bei, die sich zunehmend auch gewaltsam ausdrückt (vgl. auch Houdret/Kievelitz et al. 2008). Kulturell ist Marokko einerseits durch Migration, Geschäftsbeziehungen und lange bestehende Bindungen von seiner Nähe zu Europa geprägt, andererseits beeinflussen die Beziehungen zu den arabischen Staaten und die moslemische Religion die Gesellschaft. Das Land befindet sich in einer Phase der bedeutenden Veränderungen (Houdret 2008b; Houdret/Kievelitz et al. 2008). Diese ist einerseits vom Kampf der Regierung und des Königs gegen politische Oppositi15
Alle folgenden Übersetzungen stammen, sofern nicht anders vermerkt, von der Autorin.
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Konfliktpotentiale durch Wandel der soziopolitischen Strukturen
on und religiöse Extremisten sowie der Missachtung von Menschenrechten geprägt. Andererseits zeichnet sich das Land auch durch eine starke Zivilgesellschaft, Reformen des Familienrechts sowie wirtschaftlichen Aufschwung und Reformen der staatlichen Institutionen aus. Im Mittelpunkt der folgenden Analyse stehen das politische System und wichtige gesellschaftliche Strömungen, die die politischen Kräfteverhältnisse verändern. Kulturelle Gegebenheiten, wirtschaftliche Entwicklungen und gesellschaftliche Werte werden ebenfalls berücksichtigt, wenn sie für das Verständnis der Machtbeziehungen oder der Fragen von ländlicher Entwicklung und des Umgangs mit natürlichen Ressourcen relevant sind. Die Untersuchung der politischen Rahmenbedingungen Marokkos konzentriert sich auf die Zeit der Herrschaft des Königs Mohamed VI (ab 1999 bis dato). Wenn es zum Verständnis der aktuellen Probleme notwendig erscheint, wird darüber hinaus auf die Politik des Vorgängers Hassan II (1962-1999) eingegangen. Hierbei wird keine umfassende Darstellung des politischen und administrativen Systems des Landes angestrebt, sondern vielmehr ein ausgewählter Einblick in bestimmte Funktionsweisen der Gesellschaft, die auch die Landwirtschafts- und die Regionalentwicklungspolitik sowie das Wassermanagement mitbestimmen. Auf diese Weise können auch Konfliktpotentiale im Zusammenhang mit den soziopolitischen Strukturen ausgemacht werden, die auch für die Analyse von Wasserkonflikten relevant sind. Eine wesentliche Auswirkung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen in Marokko seit Ende der 1990er Jahre ist die Entstehung eines Verhandlungsspielraumes für eine neue Ausbalancierung der Machtbeziehungen zwischen dem Königshaus, zivilgesellschaftlichen Akteuren und der Privatwirtschaft. Angesichts dieser Veränderungen stellt sich die Frage, inwiefern auch die traditionelle Legitimität der politischen Herrschaft durch das Königshaus einem Wandel unterliegt. Zur Beantwortung dieser Konflikt- und Kooperationspotentiale zentralen Frage wird zunächst die historische Verankerung der königlichen Legitimität analysiert. In einem zweiten Schritt wird dann auf die Infragestellung dieser etablierten Strukturen und den Handlungsspielraum neuer Akteure eingegangen.
Das konventionelle Makhzen-System
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4.1 Das konventionelle Makhzen-System 4.1.1 Die traditionelle Legitimität des Könighauses Marokko ist seit der Unabhängigkeit des Landes von der Protektoratsmacht Frankreich (1956) laut Verfassung eine konstitutionelle Monarchie. Das Königreich Al-Mamlaka Al-Maghribiya wird jedoch trotz der viel beachteten Schritte der Liberalisierung politisch immer noch weitgehend vom König und seiner Gefolgschaft regiert. Die Verfassung, insbesondere Artikel 24 bis 34, behält dem Monarchen die Ernennung des Premierministers und der von diesem vorgeschlagenen Minister vor. Schlüsselministerien werden weiterhin direkt vom König besetzt, so die Ministerien der Verteidigung, des Inneren und der auswärtigen Angelegenheiten, der Justiz und der religiösen Angelegenheiten (Cubertafond 2001: 102). Der König behält in der Legislative und in der Exekutive die entscheidenden Fäden in der Hand, indem Gesetze in seinem Namen verkündet und Richter durch ihn benannt werden. Darüber hinaus ist er oberster Befehlshaber der Armee und Vorsitzender der wichtigen „königlichen Kommissionen“. Letztere sind dem Parlament oftmals übergeordnet und dominieren auf diese Weise die demokratischen Entscheidungsstrukturen. Neben dieser durch die Verfassung verbrieften Dominanz des politischen Geschehens kann sich der König zusätzlich auf eine andere Konstruktion seiner Legitimität stützen: die als religiöser Führer, welche ebenfalls verfassungsrechtlich verankert ist. Der König als Amir El Mouminin (Führer der Gläubigen) ist jedoch gesetzlich verpflichtet, die Glaubensfreiheit der Anhänger des Christentums und des Judentums zu respektieren. Dies ist unter anderem in Artikel 6 der Verfassung festgehalten: „Der Islam ist Staatsreligion und garantiert allen die Möglichkeit der freien Ausübung ihres Glaubens“. Ursprünglich geht die religiöse Funktion des Königs auf die Vorprotektoratszeit zurück, in der die Abstammung des Sultans von der Familie des Propheten ihm eine religiöse Legitimation verlieh. Diese war jedoch damals kein Monopol, sondern wurde mit religiösen Gelehrten geteilt. Als explizit oberste religiöse Instanz und in Verbindung mit der Herrschaft als politischer Führer wurde diese Funktion erst unmittelbar nach der Unabhängigkeit des Landes vom damaligen König Mohamed V eingerichtet (Frégosi/Zeghal 2005: 40). Diese juristische Doppelkonstruktion der Legitimität des Monarchen erschwert sowohl die politische als auch die religiöse Opposition, da die Infragestellung der politischen Befugnisse des Königs automatisch einer Anzweiflung seiner Legitimität als religiöser Führer gleichkommt (Hammoudi 2001: 33). Seit der Verfassungsänderung von 1970 ist der Monarch nicht nur ausdrücklich „Oberster Repräsentant der Nation“ und verfügt über weit reichende Befug
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Konfliktpotentiale durch Wandel der soziopolitischen Strukturen
nisse, die über diejenigen des Parlaments und die Bestimmungen der Verfassung hinausgehen. Darüber hinaus wird konsequent auch die Immunität der Abgeordneten außer Kraft gesetzt, wenn deren „Meinungen das Regime der Monarchie oder die islamische Religion in Frage stellen, oder einen Mangel an Respekt gegenüber dem König darstellen“ (Artikel 28 der Verfassung, vgl. Cubertafond 2001: 118). Die Anerkennung der zweifachen königlichen Autorität als politischer und als religiöser Führer wird jedes Jahr durch das Ritual der sog. Bay’a erneuert. Bei dieser in den Medien übertragenen Zeremonie bezeugen Vertreter mehrerer Bevölkerungsgruppen dem Monarchen ihre Treue und erkennen seine Führungsfunktion im Namen des Volkes formell an. Kritische Beobachter merken jedoch an, dass nur königstreue Mitglieder als „Volksvertreter“ zugelassen seien, weshalb das Ritual nur eine „ceremonial consecration of existing, unequal power relations“ sei (Maghraoui 2001: 4). Die Autorität und die Legitimität des Königs und seiner Gefolgschaft beruhen jedoch nicht nur auf diesen beiden Aspekten. Seit der Unabhängigkeit des Landes und insbesondere durch die Herrschaftsstrategien des Königs Hassan II (1961 bis 1999) wurde darüber hinaus durch das sog. Makhzen-System nicht nur ein umfassendes Netz an staats- bzw. königstreuen Eliten aufgebaut. Auch eine bestimmte Weise des Regierens wurde etabliert, die viele politische und soziale Beziehungen prägte und weiterhin prägt. Diese Praxis basiert hauptsächlich auf einem Austausch von Gefälligkeiten zwischen Individuen und Bevölkerungsgruppen (Hammoudi 2001: 23). Dies können Gefallen und Leistungen immaterieller, oft symbolischer Art wie die öffentliche Anerkennung der Ehre, die Abstimmung für einen bestimmten Kandidaten bei den Wahlen, die Gewährung bestimmter Vorzüge oder die Unterlassung juristischer Verfolgung sein. Oder die Gefallen sind materieller Art, wie die Gewährung von Sachmitteln, Geld, eines Postens in der Verwaltung o.ä. Werden derartige Gefallen durch Angehörige der engen Kreise des Königs gewährt, geht dies oftmals mit einer Tabuisierung bestimmter unerwünschter Themen einher. Die königstreue Elite (seine persönlichen Berater, die Angehörigen des Sicherheitsapparates, „Freunde“ in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen, die Mehrheit der Staatsangestellten sowie ausgesuchte Persönlichkeiten z.B. der Zivilgesellschaft, vgl. unten) bildet in zahlreichen Kreisen um den König herum den so genannten Makhzen. Hierbei gibt es unterschiedliche Grade der Nähe zu den mächtigsten königsnahen Kreisen, jedoch reicht bereits eine Zugehörigkeit zu lokalen Verwaltungsbeamten und anderen Staatsangestellten auf lokaler Ebene, um bestimmte Vorteile zu erlangen. Die historische Verwurzelung des Begriffs Makhzen reicht in die vorkoloniale Zeit zurück, als so derjenige Ort bezeichnet wurde, an dem Reserven und Reichtümer des Sultans aufbewahrt wurden, wie Geschenke oder die Beute seiner Soldaten. Diese etymologische Herlei-
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tung ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil sich die Makhzen- Herrschaft seit der Ausdehnung der Autorität des Sultans auf die sich weitgehend selbst regierenden Stämme des Landes bis heute durch ein perfides Austauschsystem von Gefälligkeiten und „Geschenken“ auszeichnet16. Die Unterscheidung zwischen den Begünstigten des Systems und der übrigen Bevölkerung wird auch in der umgangssprachlich und im Rahmen politischer Analysen verwendeten Differenzierung zwischen bled Makhzen und bled Siba deutlich. Ersteres bedeutet wörtlich das „Land“, im übertragenden Sinne die „Gruppe“ des Makhzen, also derjenigen, die die Spielregeln des Königs akzeptieren und ggf. davon profitieren. Der Ausdruck des bled Siba wird dagegen für die Gruppe der Oppositionellen verwendet, ursprünglich derer, die nicht vom Sultan kontrolliert werden konnten, und heute umgangssprachlich gebraucht als Begriff für „großes Chaos“. Der Makhzen besteht auf den höchsten, dem König am nächsten stehenden Ebenen aus Einzelpersonen, die wiederum durch ihre ausgedehnten familiären, geschäftlichen und regionalen Beziehungen Einfluss ausüben, der ihnen Relevanz und Legitimität innerhalb des Makhzen verleiht. Weiter gehören die staatlichen Institutionen und vor allem die Verwaltungsstrukturen im weitesten Sinne zum Makhzen (El Azizi/Boukhari 2005: e. Q.). Auf der regionalen Ebene sind dies die Gouverneure und die Wali, in den einzelnen Stadtteilen und Dörfern die Caïd und Moqqadem sowie ihre Assistenten die Cheikh und Pacha (vgl. Abb. 2). Auf lokaler und regionaler Ebene werden auf diese Weise die gewählten Repräsentanten durch die vom Innenministerium ernannten Beauftragten „ergänzt“. Lokale Verwaltungsbeamte beispielsweise werden auch auf der Dorfebene eingesetzt, während die gewählten Institutionen sich auf die Kommunalebene beschränken. In den Dörfern und Stadtteilen regulieren diese Autoritäten des Königs zahlreiche soziale und politische Beziehungen und erstatten dem Innenministerium Bericht über alle Vorgänge. Der Ausbau dieses Netzes „bis in die entferntesten Ecken des Königreichs“ (El Azizi/Boukhari 2005: e. Q.) geht weitgehend auf den gefürchteten Innenminister Driss Basri zurück, der nach einem Putschversuch gegen König Hassan II 1971 das Ministerium übernahm und in Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst und der Armee ausbaute. Insbesondere seit der Inthronisierung des Königs Mohamed VI verbindet die Mehrheit der Bevölkerung mit der königlichen Herrschaft jedoch nicht primär die Aktivitäten des Geheimdienstes und des Innenministeriums. Ein Teil der Gesellschaft ist der Ansicht, das Land brauche den König als Garanten der nationalen Einheit (Desrues 2000/2001: 5). Die in Marokko selbst aber auch von ausländischen Beobachtern häufig stark mystifizierte ‚freiwillige Unterwerfung 16
Vgl. auch das viel beachtete Buch des marokkanischen Autors Abdallah Hammoudi, der dieses politisch- soziale System anthropologisch erforscht hat: Hammoudi, A. (1997). Master and Disciple: The Cultural Foundations of Moroccan Authoritarianism. Chicago, Chicago University Press.
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des Volkes’ unter die Führung des Monarchen ist jedoch teilweise auf triviale Mechanismen zurückzuführen, die durch materielle und praktische Zwänge und Gefälligkeiten funktionieren (Hammoudi 2001: 37). Diese Mechanismen haben im Laufe der Zeit in der Bevölkerung ein System wechselseitiger Abhängigkeiten und informeller Institutionen geschaffen, in die praktisch jeder Bürger durch sein soziales Umfeld eingebettet ist. Über die eigentlichen Strukturen des Makhzen hinaus haben sich diese Verhaltensweisen in die Mentalität eingeprägt und charakterisieren die Mehrheit der sozialen Beziehungen. Durch die Struktur des Makhzen wird deutlich, dass die Autorität des Königs nicht ausschließlich auf seiner Person selbst beruht, sondern auf einer ihm nahe stehenden Elite. Aus diesem Grund wird im Folgenden soweit angebracht von der Autorität und der Legitimität des „Königshauses“ gesprochen, zu dem auch die engen Berater etc. gezählt werden. Hammoudi und andere Autoren führen diese Legitimität auf drei wesentliche Stützen in der Bevölkerung zurück (Hammoudi 1997: 32 ff.):
Die Allianz des Königs mit den ländlichen Eliten (vgl. auch Leveau 1985: passim); Die Kontrolle über den technokratischen Staatsapparat und die Ordnungskräfte (Königliche Armee und Polizei); Die Neutralisierung bzw. die Einbindung der urbanen Eliten (vgl. auch Waterbury 1970: passim).
Eine derartige Reduzierung des politischen Systems und der sozialen Beziehungen auf die Funktionsweise des Makhzen wird der Realität Marokkos jedoch heute nicht mehr gerecht und daher von einigen Autoren zurecht als Neopatrimonialismus bezeichnet (El Maoula El Iraki 2003: 13). John Waterbury’s viel beachtetes Standardwerk zum Einfluss der marokkanischen Eliten (Waterbury 1975) beispielsweise suggeriert in mancher Hinsicht eine Stabilität des Systems, die heute so nicht mehr gegeben ist. Sowohl die politischen als auch die sozialen Beziehungen haben sich über die Verbreiterung der Mittelschicht, die höhere Bildungsrate, engeren Austausch mit dem Ausland und die stärkere Selbstorganisation in NGOs insbesondere seit Anfang der 1990er Jahre verändert. Auch die Konstituierung der lokalen Eliten und die Machtbeziehungen zwischen den einzelnen Akteuren auf der lokalen Ebene sind davon betroffen (El Maoula El Iraki 2003: 15). Dennoch ist der weiter bestehende Einfluss der Makhzen-Netzwerke nicht zu unterschätzen, wenngleich sich deren Handlungsspielraum vermindert hat. Die unmittelbare oder indirekte Beziehung zu Personen des Staatsapparates kann immer noch in den unterschiedlichsten Situationen „Wunder“ bewirken, wie die Gewährung einer Baugenehmigung, die
Das konventionelle Makhzen-System
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Bewilligung zum Bohren eines neuen Brunnens, die Zulassung an einer Elitehochschule oder ein günstiges Richterurteil. Oftmals wird dann eine ganze Reihe unterschiedlicher Personen mobilisiert, die in gegenseitiger Verpflichtung stehen oder von wechselseitigen Vorteilen profitieren. Abbildung 2:
Die marokkanische Verwaltungsstruktur: Gewählte und dem König unterstellte Institutionen
Verwaltungsebene in der Stadt und auf dem Land
Dem König unterstehende Institutionen und Beamte
Gewählte Institutionen
Nationale Ebene
Innenministerium
Parlament
Région
Wali
Conseil Régional
Province (Land) oder Préfecture (Stadt)
Gouverneur
Conseil Provincial/ préfectoral
Cercle (Land) oder arrondissement (Stadt)
Super-Caïd (Land) Pacha (Stadt)
Président d’arrondissement (Stadt)
Caïd(s)
Conseillers Communaux, Président de la Commune bzw. Maire (Bürgermeister)
Commune
Douar (Land) oder Quartier (Stadt)
Cheikh, Moqaddem
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Trotz der teilweisen politischen Liberalisierung seit dem Antritt des Königs Mohamed VI ist die politische Öffentlichkeit Marokkos noch immer von drei Tabus geprägt. Diese wurden durch König Hassan II etabliert und stützen die Legitimität der Herrscher. Eine öffentliche Infragestellung dieser Tabus führt auch heute noch zu massiven Schwierigkeiten und Verhaftungen (RSF 2006: e. Q.). Hierbei handelt es sich um: a. b. c.
die Staatsreligion Islam und damit verbunden die religiöse Führungsrolle des Königs, die absolute Unantastbarkeit der Monarchie und des Monarchen, und die in den Reden des Königs viel beschworene „territoriale Integrität“ des Landes, ein anderer Ausdruck für die Zugehörigkeit der Gebiete der Westsahara zu Marokko und die weiter bestehende Forderung nach einer Rückgabe der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla.
Teilweise sind diese Tabus sogar in der Verfassung vermerkt, die beispielsweise festlegt, dass die Staatsreligion und die Monarchie durch keine Verfassungsänderung revidiert oder abgeschafft werden können (PNUD 2006: 5). Neu ist seit der Herrschaft von Mohamed VI jedoch, dass Probleme wie die Korruption von Staatsangestellten, fehlende Versorgung in ländlichen Gebieten oder lokale Wahlmanipulationen relativ offen angesprochen werden. In dem vom König in Auftrag gegebenen Bericht zur Entwicklung Marokkos beispielsweise heißt es zu den Unregelmäßigkeiten der Wahlen: „Neben den Manipulationen und dem Druck durch die Verwaltung, seien sie systematisch durchgeführt oder durch vereinzelten lokalen Machtmissbrauch bedingt, gab es zahlreiche Gruppen und Kandidaten, die Klientelismus genutzt haben, die phantastische Versprechen gemacht haben, moralischen sozialen Druck ausgeübt haben oder schlicht und einfach die Wählerstimmen gekauft haben“ (Meziane Belfkih/Azzimane et al. 2006: 8). Teilweise werden in diesem Bericht jedoch fast kulturalistisch anmutende Urteile über die marokkanische Kultur, die sich jeglicher Veränderung und Delegierung von Verantwortung in den Weg stelle, geäußert (idem, Kapitel II: 13); Diese lassen die Vermutung aufkommen, dass auch diese „neue Offenheit“ des Königs ein taktisches Ziel verfolgt. Indem der König „die Politiker“ und „die Verwaltung“ als korruptionsanfällig und gegenüber Veränderungen resistent beschreibt, legitimiert er die Notwendigkeit seiner eigenen starken Position, die den Zusammenhalt des Landes und die Kontrolle dieser Autoritäten garantiere. Schließlich beruhen die Autorität und die Legitimität des Königs auch auf die ihm zumindest zugeschriebene Funktion des Moderators und Richters zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die oftmals zueinander in einem Wettbewerb um die Gunst des Königs und seiner Berater stehen (Santucci 1992:
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429). Die unterschiedlichen Zugehörigkeiten jedes Menschen und jeder sozialen Gruppe zu verschiedenen familien-, berufs-, religions-, oder lebensortbedingten Kreisen überschneiden sich teilweise und werden für unterschiedliche Zwecke mobilisiert. Jede dieser Gruppen „versucht, ihren Einfluss, ihr Territorium und ihre unterschiedlichen Ressourcen zu vergrößern“ (Cubertafond 2001: 82), vor allem durch eine Verbesserung der Beziehungen zum Makhzen. Der Monarch muss daher ständig unter Beweis stellen, dass er das Machtzentrum darstellt, dem sich alle Teilgruppen unterordnen. Die Strategie des Königs Hassan II bestand darin, jede Oppositionsgruppe bis hin zur Menschenrechtsbewegung entweder über die Schaffung sog. Kommissionen oder spezieller Beauftragter in den Ministerien etc. zu kooptieren, oder über seinen Repressionsapparat zu schwächen bzw. zu vernichten. Sein Nachfolger sieht sich heute jedoch mit mehreren Transformationsprozessen konfrontiert, die die hier beschriebene Verankerung seiner Legitimität in Frage stellen. Auch seine Fähigkeit der konsensuellen Vermittlung zwischen Interessensgruppen (die oft genug über die materiellen Mittel des Makhzen hergestellt wurde) scheint nicht mehr selbstverständlich zu sein. Das mag teilweise an den geringeren finanziellen Mitteln liegen, denn zumindest teilweise erhöhte Transparenz und die Reduzierung des Staatsbudgets verkleinern den „Verteilungskuchen“. Das Jonglieren mit den Partikularinteressen der häufig einflussreichen Teilgruppen, der Macht des Königshauses und der Verwirklichung des bei seinem Amtsantritt angekündigten, volksnahen „neuen Autoritätskonzep17 tes“ stellt angesichts noch weiterer makropolitischer Veränderungen für König Mohamed VI eine Herausforderung dar (vgl. auch Kapitel 5).
4.1.2 Die Rolle der ländlichen königstreuen Eliten Die soziale und politische Bindung der ländlichen Eliten an das Königshaus ist historisch eng mit der Konsolidierung der königlichen Herrschaft nach der Unabhängigkeit Marokkos verbunden. Die urbanen Zentren des Landes wurden über die Verstärkung der Beziehungen zu den schon damals wichtigen Großfamilien und die Gewährung bestimmter Posten in der neu geschaffenen Verwaltung gesichert. Die Legitimität des Königs auf dem Land war jedoch weniger gewiss. Zum einen wurde sie von den (vor allem im Norden) traditionell von der Zentralregierung weitgehend unabhängigen Berberstämmen bestritten. Zum anderen unterstützten weder die Anhänger der populären Unabhängigkeitspartei 17
Erläutert im Antrittsdiskurs des Königs am 12.10.1999, vgl. Discours de Sa Majesté le Roi Mohamed VI devant le Parlement, http://www.majliss-annouwab.ma/sitefr/DISCOURS_med6.shtml?show=all (01.09.2006).
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Istiqlal, noch die anderen Bewohner der ländlichen Gebiete vorbehaltlos die Pläne zur Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie. Die Allianz des Könighauses mit der Istiqlal-Partei und die konsequente Zuteilung der von den französischen und spanischen Kolonialherren hinterlassenen Landwirtschaftsbetriebe und Grundstücke an Schlüsselpersonen in den ruralen Gebieten ermöglichten schließlich auch hier den Aufbau eines zuverlässigen Arms des Makhzen. Dieser wird auch heute noch wesentlich über Grundeigentum an das Königshaus angebunden (El Jihad 2001: 666, El Maoula El Iraki 2003: 22 f., Hammoudi 2001: 57). Durch die Praxis der Gewährung von Grund und Boden im Austausch gegen die politische Unterstützung wurde, wie im Buchtitel von Rémy Leveau ausgedrückt, „der marokkanische Bauer: Verteidiger des Throns“18 geschaffen. Ziel der zentralen politischen Macht war es, „ein Äquivalent der neuen Klasse der kapitalistischen Eigentümer zu gründen, die ihm [dem König] ebenso verbunden sein sollte, eine Klasse privilegierter staatstreuer Bauern. Eine Klasse, die ein Puffer zwischen den großen landwirtschaftlichen Betrieben und der Masse der Arbeitslosen auf dem Land sein würde (Pascon 1986: 37). Diese königstreue ländliche Elite setzte sich jedoch nicht nur aus Anhängern der Istiqlal-Partei zusammen: zu den neuen Grundbesitzern zählten auch die bereits traditionell etablierten Notablen, die schon dem Protektorat gedient hatten, aber wegen ihrer starken Position innerhalb der Gesellschaft nicht übergangen werden durften (Leveau 1985: 9 ff.) und insbesondere auch den Einfluss der Istiqlal-Partei kontrollieren sollten (Hammoudi 1997: 36 f.). Durch die Zuteilung von fruchtbarem Land, welches an die damals modernen, durch die Franzosen eingerichteten staatlichen Bewässerungssysteme angebunden war, und durch das Unvermögen der sukzessiven Agrarreformen, diese Besitzverhältnisse grundlegend zu ändern, wurden diese Kräfteverhältnisse auf dem Land weiter gefestigt. Auch heute erhält die ländliche Elite als Kompensation ihrer Treue zum Makhzen gewisse materielle Vorteile und bekommt Dienstleistungen oder Prestige gewährt, sei es durch die Erwerbung von Land, der Priorität in der Bewässerung, oder bei der Besetzung bestimmter Posten (Layachi 1998: 30). Zusätzlich verfügt der Makhzen über ein bedeutendes Netzwerk von Angestellten des Innenministeriums (vgl. Abb. 2). Die Funktionsweise dieser umfassenden Behörde soll hier nicht detailliert dargestellt werden. Für diese Studie relevant sind vielmehr diejenigen Strukturen und Autoritäten, die in Konflikten auf der Ebene der Dörfer, Gemeinden und Regionen eine Rolle spielen. Insbesondere die Verantwortlichen in den Dörfern und Gemeinden sind über jedes Detail, jeden Grundstückserwerb, jede politische Betätigung, jede finanzielle Investition und oftmals auch jede Familiengeschichte umfassend informiert. 18
„Le fellah marocain, défenseur du trône“ (Leveau 1985).
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Diese sog. Cheikh und Moqqadem werden vom Gouverneur (also vom Verantwortlichen des Innenministeriums) ernannt und informieren diesen und den Caïd über die Dorf- und Stadtteilbewohner (Rajeb 2005: 150). Ihre Verschwiegenheit lassen sie sich gelegentlich teuer bezahlen (Cubertafond 2001: 43). Die den Cheikh und Moqqadem vorgesetzten Caïd, die auf Gemeindeebene jeweils einem Super-Caïd untergeordnet sind, werden mittlerweile nach einem Auswahlverfahren in einer speziellen Hochschule ausgebildet, zudem soll ihre Rotation von einer Stadt in eine andere im Rhythmus von vier Jahren der Korruption vorbeugen. Sie besitzen auf der lokalen Ebene einen erheblichen Handlungsspielraum durch ihre enge Beziehung zum Innenministerium. Bei der Erfüllung ihrer nur wenig präzisen Aufgabe der „Wahrung der öffentlichen Ordnung“ können sie innerhalb eines gewissen Handlungsspielraums die Mittel zur Durchsetzung der „Ordnung“ wählen (Cubertafond 2001: 82). Die engen Verbindungen der Cheikh und Moqqadem zu den lokalen Familien und ethnischen Clanstrukturen waren für die Zentralmacht sogar so wichtig, dass diese Netzwerke den neuen geographischen Zuschnitt der Kommunen im Rahmen der Kommunalreform 2002 erheblich beeinflusst haben (El Maoula El Iraki 2003: 13). Auf diese Weise wurde das „Oppositionspotential“ unter den Bewohnern derart auf die verschiedenen Kommunen verteilt, dass eine Mehrheit königstreuer Wähler überall als gesichert galt. Auch die als besonders transparent geltende Wahl im September 2007, bei der etwa 3000 NGOs als Wahlbeobachter zugelassen waren, muss in diesem Kontext beurteilt werden. Denn die eigentliche Manipulation liegt weniger auf der Ebene der Wahl selbst, als vielmehr einen Schritt früher, bei der Zuschneidung der Wahlkreise und der Beeinflussung der Kandidaten sowie der Wählerschaft. Durch diese Strukturen werden der Einfluss und die Kontrolle des Königshauses trotz der Etablierung einer konstitutionellen Monarchie und der (zumindest formal) demokratischen Entscheidungsmechanismen gesichert.
4.2 Die Herausforderung der etablierten Strukturen und Akteure 4.2.1 Die Legitimität der demokratischen Institutionen Trotz der regelmäßigen Wahlen genießen die politischen Parteien Marokkos bei der Mehrheit der Bevölkerung kein hohes Ansehen. Ein wesentlicher Faktor der schwachen Legitimität der politischen Parteien und der demokratischen Institutionen ist die weiterhin hohe Korruption der Politiker, die auch von der internationalen NGO Transparency International regelmäßig beklagt wird (T.I. 2006: e.Q.). Neben der Korruption spielt auch die Gestaltung der Entscheidungspro-
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zesse eine wichtige Rolle, bei der die formaldemokratischen Regeln nur ein (geringer) Faktor sind. Häufig, so haben es Beobachtungen im Rahmen dieser Studie ergeben, setzen Politiker auf der Ebene der Kommunen und Dörfer ihre Entscheidungen nicht über politische, demokratische Mechanismen durch, sondern eher durch den Einsatz ihrer persönlichen Beziehungen. Gleichzeitig sind beide Aspekte miteinander verbunden: die geringe Legitimität der Politiker erschwert den Gebrauch der formalen Entscheidungsmechanismen, während umgekehrt letztere durch dieses Verhalten zusätzlich geschwächt werden. Das Legitimationsdefizit der demokratischen Institutionen kann daher neben dem spezifischen Machtmissbrauch in einigen Institutionen auch auf bestimmte strukturelle Ursachen zurückgeführt werden. In Marokko besteht heute ein pluralistisches Parteienspektrum, welches sich prinzipiell von der Dominanz der konservativen Unabhängigkeitspartei Istiqlal in den ersten gut zwanzig Jahren der konstitutionellen Monarchie unterscheidet. Noch während der oftmals als Schreckensherrschaft bezeichneten Regierungszeit Königs Hassan II öffnete dieser das politische System, um die linke Opposition in das Parlament zu integrieren. 1998 wurde der linke Oppositionelle Abderrahmane Youssoufi zum Premierminister ernannt und führte eine Koalitionsregierung an, die sich aus den wichtigsten Parteien der Unabhängigkeitsbewegung zusammensetzte. Dem König wurde vorgeworfen, er habe diesen Schritt nur vollzogen, damit die Oppositionsparteien gezwungen waren, den Sparkurs der Regierung im Rahmen der Stützung der Strukturanpassungsprogramme mit zu tragen und nicht von dem zu erwartenden Unmut der Bevölkerung profitieren könnten. Dennoch stellt diese sog. Alternance (Wandel) eine entscheidende Veränderung im politischen System Marokkos dar, da sie das Parteienspektrum pluralisierte und die Partizipation stärkte (Moudden 2005: 129). Die damals auch international bekannt gewordenen Skandale um staatliche Foltergefängnisse und eine große Anzahl an „Verschwundenen“, die schlechte ökonomische Lage des Landes und die verbreitete Armut in Folge der Strukturanpassungsprogramme, sowie nicht zuletzt die Furcht vor einer erstarkenden radikal-religiösen Opposition mögen den König zu diesem Schritt bewogen haben. Bereits 1994 hatte der Souverän versucht, die linken Parteien für die Einbindung zu gewinnen, war damals jedoch im Wesentlichen daran gescheitert, dass diese eine weitere Beteiligung des gefürchteten Innenministers Driss Basri an der neuen Regierung rigoros ablehnten (Saaf 2001: 50). Seit 1998 sind einige der ehemals oppositionellen Linksparteien offiziell in das politische System integriert und nehmen an den Wahlen teil. Die Gemeindewahlen 1992 und 1997 sowie die Parlamentswahlen seit 1997 wurden zunehmend transparenter durchgeführt, wenn auch weiter Korruptions- und Fälschungsvorwürfe bestehen (T.I. 2006: e.Q.). Trotzdem ist die Legitimität der Politiker oft gering, was zum einen
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durch die Dominanz des Makhzen zu erklären ist, zum anderen aus den nach der Unabhängigkeit des Landes großen Versprechen der Politiker und enttäuschten Erwartungen der Wähler resultiert (Brouksy 2002: 87). Gerade auch auf der Ebene der Kommunen ist zu beobachten, dass die Glaubwürdigkeit der politischen Abgeordneten gering ist, und dass diese beschuldigt werden, die Politik nur als Mittel zum Machtmissbrauch und zur persönlichen Bereicherung zu nutzen. So stellt auch der marokkanische Soziologe Abdallah Saaf fest: „For most Moroccans, politics seem an instrument for advancement of those who practice it and not necessarily a collective endeavour for the realisation of the national objectives“ (Saaf, zit. in: Layachi 1998: 8). Hoffnung wird alleine in neue, jüngere Kandidaten gesetzt. So äußerten bei einer Umfrage Anfang 2007 beispielsweise 81% der Befragten den Wunsch, dass die Kandidaten „Herr oder Frau Normalverbraucher“ sein und nicht aus dem Milieu der Notablen stammen sollten. Der gleichen Umfrage zufolge fühlen sich 73% der unter 30-jährigen schlecht durch die Gewählten repräsentiert, 60% gaben an, kein Vertrauen in die Politik zu haben (Elkhadir 2007: e.Q.). Bei den Kommunalwahlen tritt zumeist eine Vielzahl an unterschiedlichen Gruppierungen an, deren programmatische Unterschiede oft nur schwer auszumachen sind. Die Kandidaten der Parteien wechseln teilweise von einer Wahl zur anderen, weil sich ihre persönlichen Allianzen, d.h. die Abmachungen, die sie mit anderen Kandidaten oder Zugehörigen des Makhzen haben, ändern. Sie tragen so dazu bei, die Profile der Parteien weiter zu schwächen. Auch kandidieren Familienmitglieder oftmals bei unterschiedlichen Parteien, um so gemeinsam ein breiteres Spektrum an Anhängern und ggf. an Posten abzudecken19. Desrues merkt weiter an, dass sich die im Parlament vertretenen Parteien im Wesentlichen weniger durch ihre ideologischen oder programmatischen Kennzeichen unterscheiden, sondern ihre Identität vielmehr aus der jeweils spezifischen historischen Beziehung der Parteiführer zum Königshaus ableiten (Desrues 2000/2001: 23, 25). Diese Beobachtungen machen deutlich, dass die Identität und Handlungskompetenz der politischen Verantwortlichen weniger mit ihrer Parteizugehörigkeit und deren programmatischen Schwerpunkten verknüpft ist, sondern vielmehr abhängt von ihren persönlichen (also familien-, ethnisch- oder anderswie historisch verankerten) Bindungen zu denjenigen Personen und Strukturen des Makhzen, die Vorteile verschaffen können. Die geringe Legitimität der politischen Verantwortlichen auf der lokalen Ebene führt dazu, dass lokale Autoritäten wie der Cheikh oder der Moqqadem, auch wenn sie dem Innenministerium unterstehen, oft zumindest bei der älteren Bevölkerung ein höheres Ansehen als die lokalen Politiker genießen (Brouksy 19
Wie erfahren in der Kommune Machraa El Ain, Provinz Taroudant. Eigene Interviews, Januar 2006.
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2002: 119). Doch auch die politische Machtausübung des Monarchen trägt hierzu wesentlich bei. Die Legitimität der demokratischen Institutionen wird durch ihren geringen Handlungsspielraum geschwächt, wie es auch die Symbolik der Ernennung der Abgeordneten widerspiegelt: sie werden direkt vom König per „Dahir“ (vom König erlassenes Gesetz bzw. Dekret) in ihre Funktion berufen. Nach Ansicht Omar Bendourous trägt dies auch wesentlich zur Korruptionsanfälligkeit bei, da sich die derart Ernannten nicht dem Volk gegenüber verpflichtet sähen, sondern lediglich dem König Rechenschaft schuldig seien (Bendourou 2003: 59). Auch delegitimiert der Monarch demokratische Entscheidungsprozesse, indem er selbst Entscheidungen trifft, die laut Verfassung dem Parlament vorbehalten sind. Hassan II benannte beispielsweise den Oppositionellen A. Youssoufi 1998 zum Premierminister, beschloss die Suspendierung des Innenministers Basri und verfügte das zeitweilige Verbot der radikalen islamischen Bewegung von Cheikh Ahmed Yassine. Königliche Kommissionen, oft sektorspezifisch aufgebaut, und das weit reichende Netz des Innenministeriums gestalten darüber hinaus in vielen Bereichen wesentlich mehr die Politik als gewählte Volksvertreter. Manche Beobachter gehen so weit zu sagen: „the Moroccan party system operated essentially as a mechanism to select, control and reproduce a docile, corruptible and dependent political elite” (Maghraoui 2001: 3). Die demokratische Praxis diene also zur Bestätigung der königlichen Macht und der nationalen Einheit, wie Guibal schon 1971 anmerkte: „Durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts erlaubt die marokkanische Verfassung der Nation nicht die Manifestierung seiner Souveränität, sondern vielmehr die Bestätigung seiner Einheit in Gestalt des Königs.“ (Guibal zit. in: Benjelloun 2002: 93)
Auch die Tragweite vieler institutioneller Reformen ist umstritten, da häufig formaldemokratische Mittel nur zur Sicherung des Machterhalts der bisherigen Eliten und zur Beruhigung der Forderungen von Geberländern nach verstärkter Demokratisierung dienen. Wie auch in Algerien und Tunesien sind beispielsweise mehrere Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen vorgenommen worden, die jedoch nur auf formaler Ebene bestehen und in der politischen Praxis die Machtverhältnisse nicht verändern (für eine ausführliche Analyse vgl. Axtmann 2004). Neben den direkten Interessen des Königshauses stehen jedoch auch etablierte Eliten vielen Reformvorhaben kritisch gegenüber. Bezüglich der Reform des Familienrechts Moudawana beispielsweise sind viele Beobachter der Ansicht, die zögerliche Modernisierung sei nicht ausschließlich auf die politische Praxis des Monarchen zurückzuführen. Der König sei sogar bereit, weit liberalere Reformen durchzusetzen, aber das unter Hassan II entstandene, fest etablierte Netzwerk der Eliten stelle sich dagegen (Abouhani 2000: o. S.). Andererseits
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werden auch diese traditionell starken Akteure zunehmend zugunsten neuer Eliten zurückgedrängt, denen eine größere Kompetenz in der Lösung der alltäglichen Probleme der Bevölkerung zugetraut werde (Desrues/Moyano 2001: 36; Ameur/Filali Belhaj 1997; Layachi 1998: 40f; Roque 2004: passim). Auf die wichtigsten dieser Akteure wird im folgenden Teilkapitel eingegangen.
4.2.2 Alternative, nichtstaatliche Interessensvertreter Zwei Akteursgruppen haben in den vergangenen zehn Jahren erheblich an Legitimität und Zulauf gewonnen und erweitern sukzessive ihren Handlungsspielraum: die hier als „Zivilgesellschaft“ zusammen gefassten unterschiedlichen Vereine (associations), Nichtregierungsorganisationen und liberalen Medien20 sowie die teilweise extremistischen religiösen Bewegungen. Zum einen hängt die wachsende Legitimität dieser Gruppen sicher mit der schrittweisen politischen Liberalisierung vor allem nach der Thronfolge durch Mohamed VI zusammen, zum anderen aber auch mit der zunehmenden Enttäuschung der Bevölkerung von den regulären politischen Parteien. Insbesondere die Zivilgesellschaft fordert nicht nur die etablierten sozialen und politischen Beziehungen heraus, sondern auch die politische Analyse, die seit den Werken von Gellner, Waterbury und anderen im Wesentlichen bei der Diagnose des Neopatrimonialismus, Klientelismus und autoritären Zentralismus stehen geblieben war (Hoffmann 1967; Waterbury 1975; Gellner 1981: alle passim). Neben den moderaten und den extremistischen islamischen Selbsthilfegruppen haben sich seit Anfang der 1990er Jahre zahlreiche Vereine und NGOs etabliert. Dieser Boom ist mit der relativen politischen Liberalisierung noch in den letzten Jahren der Herrschaft von König Hassan II zu erklären. Darüber hinaus spielt die stark verbesserte Grund- und Weiterbildung zahlreicher MarokkanerInnen, die ihre Kenntnisse angesichts der verbreiteten Arbeitslosigkeit in diesen Organisationen einsetzen und zur Entwicklung beitragen, eine Rolle. Deren Status als „Zivilgesellschaft“ als solche und ihr Beitrag zur Demokratisierung sind umstritten (vgl. z.B. Hegasy 1997; Layachi 1998: beide passim). Weil zivilgesellschaftlichen Organisationen im formalen Regierungssystem keine besondere Rolle eingeräumt wird ist ihr Handlungsspielraum innerhalb der staatlichen Institutionen beschränkt und die politischen Veränderungen können insofern formal nicht als „Demokratisierung“ bezeichnet werden. Aus diesem 20 Hierbei sind auf nationaler Ebene vor allem die französischsprachigen Wochenzeitschriften TelQuel und die arabischsprachige Version Nichane sowie MarocHebdo zu nennen, deren Journalisten zunehmend Tabus brechen und dafür teilweise auch verklagt werden, vgl. auch die Jahresberichte von Reporter ohne Grenzen und Human Rights Watch.
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Grund wird im Folgenden nicht dieser Begriff, sondern derjenige der „politischen Liberalisierung“, die eine Tolerierung zivilgesellschaftlicher Akteure einschließt, benutzt. Die Organisationen und Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft üben einen zunehmenden Einfluss zum einen auf die Gestaltung politischer Entscheidungen und zum anderen auf die konkreten Lebensbedingungen in vom Staat vernachlässigten Armenvierteln und abgelegenen Dörfern aus (Gandolfi 2003: 2; Mernissi 2003: 4; Roque 2004: passim). Beispielhaft für ersteres ist das jahrelange Engagement der Zivilgesellschaft für die Änderung des Familienrechts Moudawana. Die Gesetzesänderung wurde nach vergeblichen Anläufen und erheblichem Widerstand radikaler religiöser Oppositioneller im Jahr 2004 verabschiedet und verbesserte die Stellung der Frau in der Ehe und bei der Scheidung. Auch die sog. Instance Equité et Réconciliation, eine Institution zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen unter König Hassan II, die Zeugenaussagen im ganzen Land aufnahm und (ohne die Namen der Täter) publik machte, ist nach jahrelangem Druck der Menschenrechtsorganisationen letztlich durch König Mohamed VI im Rahmen einer staatlichen Kommission verwirklicht worden21 (Slyomovic 2001: e.Q.; Opgenhaffen/Freeman 2005: passim). Drei Tätigkeitsfelder von NGOs können unterschieden werden: a. b.
c.
die Verteidigung von Grundrechten (Menschenrechte, Frauenrechte, Minderheitenrechte), die wirtschaftliche Modernisierung und lokale Entwicklung (Berufsvereinigungen, lokale Infrastrukturprojekte für Wege, Trinkwasser, Gesundheit und Bildung) karitative Tätigkeiten (Armen-, Witwen- und Kinderversorgung, oft durch religiöse Organisationen).
Im Rahmen dieser Studie ist vor allem die zweite Kategorie interessant, wobei der Schwerpunkt auf den ländlichen Raum gelegt wird. Vielfach tragen die Organisationen hier dazu bei, Defizite in der staatlichen Versorgung, wie im Trinkwasserbereich, aber auch in der Bildung, dem Wegebau und dem Handel auszugleichen. Ihre hohe Legitimität bei der Bevölkerung wird von vielen Autoren einerseits durch die oft bedeutende Effizienz gerade der kleinen Organisationen begründet. Zusätzlich schaffen sie Vertrauen, indem sie traditionelle Werte wie die Solidarität wieder beleben und in einen neuen Zusammenhang stellen (Roque 2004: 18; Elloumi 2002: 24; Mahdi 1996: 428). Sicher sind auch die heute über 40 000 marokkanischen NGOs (Gandolfi 2003: e. Q.) nicht frei von Vorwürfen der Korruption und intransparenten 21 Siehe auch die eigene Internetseite der Organisation mit dem Abschlußbericht aus dem Jahr 2005: www.ier.ma
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Entscheidungsprozessen und wird ihr Handlungsspielraum durch den Staat über die Modalitäten der Zulassung neuer Vereine erheblich reduziert. Im Gespräch mit Menschenrechtsaktivisten, die unter König Hassan II verhaftet worden waren, stellte sich so beispielsweise heraus, dass ihnen auch heute de facto noch die Gründung von NGOs unmöglich gemacht wird22. Dennoch kommt diesen Organisationen als Plattform für Austausch und die konkrete Verbesserung der Lebensverhältnisse eine wichtige Rolle zu. Angesichts der oftmals geringen Legitimität der lokalen Parteipolitiker und Gewählten und der zunehmenden Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Strukturen des Makhzen drücken die NGOs in vielen Fällen eher deren ökonomischen und sozialen Erwartungen aus– und setzen sich dafür ein, diese zu erfüllen. Mit der wachsenden Legitimität dieser Organisationen ist auch ein Aufstieg ihrer Führungskräfte verbunden, die von vielen als „neue Elite“ bezeichnet werden, die die traditionellen, oftmals stammes- oder historisch bedingten Eliten ablösen (El Maoula El Iraki 2003; Roque 2004: beide passim). Gerade im Zusammenhang mit dem erwähnten Rückzug des Staates aus vielen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens auf dem Land sind diese Prozesse interessant, da zivilgesellschaftliche Organisationen eine vermittelnde Position zwischen dem Staat und der Gesellschaft einnehmen können, die auch für die Konfliktbearbeitung relevant ist (Layachi 1998: 106). Auch die religiösen Gruppierungen sind dem „Pakt“ des Makhzen unterworfen, zumindest, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des politischen Systems als Partei formieren und zu Wahlen antreten wollen. Das Verhältnis zwischen der Monarchie und den verschiedenen religiösen Strömungen und Autoritäten ist komplex (vgl. auch Houdret 2008b: 29 ff.). Zunächst einmal ist das Königreich wie bereits erwähnt per Verfassung als „islamisches“ definiert und auch die etablierten Parteien wie die Istiqlal oder die sozialistischen USFP bekennen sich deutlich zu religiösen Werten. König Hassan II kreierte die religiöse Legitimierung seiner Position, und trug gleichzeitig wesentlich dazu bei, die religiösen Institutionen des Landes zu fragmentieren, um so die Entstehung einer religiösen Gegenmacht zu verhindern (Frégosi/Zeghal 2005: 40). Ein klientelistisches Verhältnis zu vielen der in den neuen Institutionen ausgebildeten Religionsgelehrten und die Überlassung eines beschränkten Teils der Politik an die offiziellen, zugelassenen Oulémas (Versammlung von Religionsgelehrten, die nach der islamischen Rechtsprechung Chari’a handeln) erlaubte dem Monarchen die weitgehende Kontrolle dieser Gruppe. Das marokkanische Parteiengesetz verbietet zudem politische Formationen auf explizit religiöser Grundlage (Rogler 2005: 21). Insofern greift eine Klassifi22
Eigene Gespräche in 2005 und 2006.
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zierung in „religiös“ und „nicht-religiös“ bei der Analyse der marokkanischen Parteien und Bewegungen zu kurz und ist hier eher eine Differenzierung zwischen königstreuen und oppositionellen Gruppen sinnvoll. Seit den 1970er Jahren fordert eine radikalere religiöse Bewegung die Monarchie heraus. Die vorsichtige Öffnung des politischen Systems noch unter König Hassan II wird von manchen Autoren sogar als Zugeständnis an die nichtreligiösen Bewegungen interpretiert, die den Einfluss islamischer Extremisten eindämmen sollte (Frégosi/Zeghal 2005: 50f.). Abgesehen von verschiedenen religiösen und teilweise radikalen Splitterparteien gibt es aus dem religiösen Spektrum vor allem zwei ernst zu nehmende Akteure: die königsverbundene Partei PJD und die radikale religiöse Oppositionsbewegung Al’Adl wa al Ihsan (Gerechtigkeit und Wohltätigkeit). Der Führer letzterer, Cheikh Ahmed Yassine, schuf 1987 die Bewegung, die nicht als Partei anerkannt ist aber weitgehend toleriert wird. Durch ihre effiziente Hilfe für arme Bevölkerungsgruppen in bestimmten Regionen und Stadtvierteln besitzt Al’Adl bedeutenden Zulauf. Cheikh Yassine forderte bereits 1973 die königliche Autorität heraus, indem er in einem öffentlichen Brief die religiöse Legitimität des Königs anzweifelte, ihn dazu aufrief, einen religiöseren Lebenswandel zu pflegen und seinen Reichtum zugunsten des Volkes aufzugeben. Unter Hassan II verbüßte Cheikh Yassine lange Haftstrafen und wurde dann ab 1989 unter Hausarrest gestellt. Nachdem er eine erste Freilassung 1995 direkt zu erneuter politischer Agitation genutzt hatte und wiederholt Ausgehverbot bekam, scheint er sich seit seiner Freilassung durch Mohamed VI im Jahre 2000 mehr oder weniger an die deutlichen Vorgaben des Innenministeriums zu halten (Frégosi/Zeghal 2005: 55). Bisher weigert sich Cheikh Yassine, eine politische Partei zu gründen, baut jedoch gleichzeitig seine Anhängerschaft über die karitativen Verbände weiter aus. Darüber hinaus ist seine Tochter Nadia Yassine politisch sehr aktiv und stellt insbesondere die Monarchie als Staatsform mit dem Argument in Frage, dass sie nicht zu einer effektiven Bekämpfung der Unterentwicklung des Landes geführt habe. Der Status der Bewegung als politische Opposition, die sich jedoch außerhalb der Parteipolitik bewegt, kann als modus vivendi interpretiert werden, der sowohl Cheikh Yassine als auch der Regierung und dem König entgegenkommt. Ersterem ermöglicht es einen größeren Handlungsspielraum auf lokaler Ebene und eine einfachere Oppositionspolitik gegen die Parteien. Der Regierung und dem König erlaubt dies, eine offene Auseinandersetzung mit der Bewegung und ihrer großen Anhängerschaft zu aus dem Weg zu gehen und auch im Hinblick auf die internationalen Reaktionen einen Wahlsieg einer Partei des Cheikhs zu vermeiden. Die Partei Gerechtigkeit und Entwicklung (Parti de la Justice et du Développement, PJD), die 2006 in drei marokkanischen Städten den Bürgermeis-
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ter stellte, ist 1996 aus dem Zusammenschluss zweier Strömungen entstanden. Im Gegensatz zu Cheikh Yassine bewegt sie sich ausdrücklich im Rahmen des Makhzen-Systems, indem sie die religiöse und historische Legitimität des Monarchen anerkennt. Noch ist die Partei sehr umstritten, wenngleich ihr zunehmender Einfluss offensichtlich ist. Die relativ junge Parteiführung und auch die Bürgermeister der PJD geben sich in ihrem Diskurs und ihrem Erscheinungsbild betont modern und haben es offenbar vermieden, in ihrer bisherigen Machtausübung die Befürchtungen einer radikal islamischen Politik zu erfüllen. Die Parlamentswahlen 2000 zeigten das komplexe Verhältnis der Partei zur Monarchie: Obwohl die PJD die Anzahl ihrer Sitze von 14 auf 57 Abgeordnete vervierfachen konnte, gab sie sich nach Verhandlungen mit dem König mit 42 Sitzen zufrieden, war damit allerdings immer noch drittstärkste Fraktion. Bei den Parlamentswahlen im September 2007 ging die PJD jedoch nicht wie von vielen Beobachtern erwartet als stärkste Partei hervor, sondern die klassische Partei des politischen Establishments Istiqlal. In vielen Stadtvierteln stellt die PJD nichtsdestotrotz die Mehrheit, wenngleich dies durch die mit 37% sehr geringe Wahlbeteiligung relativiert wird. König Mohamed VI versucht über mehrere politische Maßnahmen, den Einfluss der radikalen islamischen Bewegungen zu vermindern, insbesondere seit den Terroranschlägen in Casablanca 2003. Die noch im gleichen Jahr erfolgte Einführung eines religiösen Radio- und Fernsehsenders mit dem Namen des Königs, die Gründung einer Kommission innerhalb der Ouléma zur Erarbeitung religiöser Urteile (fatwa), die dem König zur Bestätigung vorgelegt werden müssen, sowie jüngst der explizite Auftrag an die Oulémas, sich erheblich stärker auf dem - oftmals von Cheikh Yassine besetzen - Terrain der karitativen Aktionen in den Armenvierteln zu betätigen (Lamlili 2006: e. Q.), sind Zeichen dieser versuchten Wiederbesetzung religiöser Felder durch staatliche Akteure. Auch muss seit Juli 2006 jede neu gebaute Moschee vom Ministerium für religiöse Angelegenheiten begutachtet werden und vom entsprechenden Wali oder Gouverneur genehmigt werden (Boukhari 2006: e. Q.). Während in der Bevölkerung und im Könighaus darüber Konsens zu herrschen scheint, dass eine demokratische Öffnung des Landes nicht unter Ausschluss der religiösen Opposition zumindest in der Form der Partei PJD verwirklicht werden kann, werden die Konsequenzen der Stärkung dieser Bewegungen jedoch gleichzeitig - auch mit Blick auf das Nachbarland Algerien - gefürchtet.
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4.2.3 Die Entstehung eines „neuen Makhzen“ Die eingangs erwähnten drei historischen Mechanismen der Herrschaftslegitimierung unterliegen derzeit wesentlichen Veränderungen und bedürfen einer neuen Betrachtung. Ökonomische, ökologische, soziale und politische Entwicklungen wirken sich auf das Verhältnis der Bevölkerung zu den lokalen und nationalen Machthabern aus. Insbesondere die erste und die zweite der drei Thesen Hammoudis treffen auf der lokalen Ebene nicht mehr in gleicher Weise zu: die Sicherung der Legitimation durch die Anbindung der ländlichen Eliten und Kontrolle des Staatsapparates und der Ordnungskräfte (1), sowie die Anbindung oder Neutralisierung der urbanen Eliten (2). Auch die Beziehungen zwischen staatlichen Institutionen und Landwirten werden immer stärker von neuen Akteuren und ihren Institutionen beeinflusst. Die These der Stützung des Makhzen durch eine ländliche privilegierte Elite ist insbesondere durch die Veränderungen der Produktionsbedingungen in Frage gestellt. Viele der 60 000 vormals landlosen Bauern, die in den Jahren 1966 bis 1978 durch den Makhzen ein Grundstück zugeteilt bekamen (Pascon 1986: 37 ff.), können aus verschiedenen Gründen heute nicht mehr von dem Einkommen dieser Felder leben. Sie sollten einst eine abfedernde Klasse zwischen den Großgrundbesitzern und der damals schon als Masse bezeichneten Arbeitslose der Städte bilden. Längst haben viele der Großgrundbesitzer ihren Besitz weiter ausgedehnt und darüber hinaus auch eigene Netzwerke geschaffen, die ihnen zumindest einen starken wirtschaftlichen Einfluss und auch wichtige Kontakte zu ausländischen Absatzmärkten ermöglichen. Die Abhängigkeit dieser Produzenten vom Makhzen hat sich daher stark vermindert. Wenngleich die kleineren Produzenten den etablierten Strukturen noch stärker ausgesetzt sind, so profitieren jedoch auch sie von neuem Handlungsspielraum durch den wachsenden Einfluss von Produktionsgenossenschaften, NGOs und Selbsthilfegruppen. Die Allianz mit den ländlichen Eliten ist weiter dadurch gefährdet, dass nur ein Teil dieser Gruppe wirtschaftlich von der Entwicklung Marokkos zu einer primär exportorientierten Landwirtschaft profitiert. Viele andere Bauern dagegen werden durch veränderte Produktions- und Handelsbedingungen und nicht zuletzt den Wassermangel schlechter gestellt und könnten ggf. Oppositionspotentiale bilden. Wenngleich die Autorität des Monarchen über die Polizei und die Streitkräfte derzeit wohl nicht in Frage steht, so ist doch seine Allianz mit den ländlichen und den urbanen Eliten heute geschwächt bzw. unterliegt einem grundlegenden Wandel. Die Liberalisierungsprozesse haben zu einer geringeren Kontrolle der Staatsapparate beigetragen, da insbesondere auf lokaler ländlicher Ebene diejenigen Institutionen, die vorher in regelmäßigem Kontakt mit den
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Landwirten standen, lokale Einrichtungen schließen oder deren Arbeit stark reduzieren. Neue Wirtschaftsakteure und ökonomische Kreisläufe, die weniger der staatlichen Kontrolle unterliegen als während der zentralisierten Produktionsund Absatzpolitik bis in die 1980er Jahre, schaffen zusätzliche Handlungsspielräume. Die Eliten in den kleinen bis mittleren Städten auf dem Land verfügen über immer zahlreichere Kontakte zum Ausland, über finanzielle Mittel aus der Immigration von Familienmitgliedern und über wachsende Bildung. Dies schafft auch hier oft neue informelle Regierungsstrukturen, die etablierte Netzwerke herausfordern und neue Inhalte und Formen der Politik umsetzen. Die Referenzen dieser neuen Akteure zur Erlangung sozialen Ansehens, finanziellen Reichtums und politischem Einfluss sind nicht mehr primär die Kontakte zum Makhzen, wenngleich sie sich kaum völlig darüber hinwegsetzen können. Ein weiterer Nebeneffekt der Liberalisierung ist die Verringerung des finanziellen Handlungsspielraums der staatlichen Institutionen: der deutliche Rückgang der öffentlichen Gelder in bestimmten Institutionen (wie die Agrarbehörden ORMVA) und die höhere Transparenz in der Regierungsführung erschweren zumindest ein wenig die Korruption und die „Belohnung“ der Makhzen-treuen Bürger. Diese Entwicklungen fordern die Funktionsweise des Makhzen heraus, der sich auch in den ruralen Gebieten einer Vielzahl von neuen Akteuren gegenüber sieht. Neu geschaffene Institutionen wie NGOs, aber auch die Reaktivierung traditioneller Strukturen und die Privatwirtschaft übernehmen schrittweise neue Aufgaben, die von der Lösung materieller Probleme bis zur Intervention in Konflikten reichen. Die Effizienz und die Legitimität dieser neuen Institutionen werden sich daran messen, ob sie in der Lage sind, die durch den Rückzug des Staates entstandenen Defizite aufzufangen. Gleichzeitig fordert dies die Allianzen des Königs heraus. Angesichts der gesellschaftlichen Konfliktpotentiale versucht König Mohamed VI in bester Familientradition, sich weiter als Vermittler zwischen den Parteien zu positionieren. Oftmals gelingt es ihm, für den mangelnden Zugang zu Basisinfrastruktur und andere Probleme „die Verwaltung“ bzw. „die Politiker“ verantwortlich zu machen, während er selbst als „König der Armen“ (Benchemsi 1999: 38) karitative (Einzel-)Aktionen durchführt, wie beispielsweise durch die Stiftung Mohamed V. Hammoudi sieht hierin vor allem eine symbolische Kraft, indem durch Aktivismus das Charisma des Führers erneuert werde (Hammoudi 2001: 37, 44). Allerdings zeugen jüngste Veröffentlichungen staatlicher Verantwortlicher wie erwähnt auch von einem wachsenden Bewusstsein der Regierenden und des Königshauses über die gravierenden Mängel und deren Ursachen. Die hohe Konzentration der nationalen Entwicklungsprogramme auf einige Schlüsselzonen und bestimmte Bevölkerungsgruppen wird z.B. ebenso angesprochen wie das Fehlen struktureller Veränderungen in den Bereichen
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Konfliktpotentiale durch Wandel der soziopolitischen Strukturen
Bildung, Gesundheit und ländliche Entwicklung und Probleme der Korruption (Gouitaa 2006: 91 ff.). Diesen Diagnosen, die auch in der Tagespresse immer wieder angesprochen werden, folgen jedoch bisher nur kleine Schritte der Veränderung. Bei der Stärkung von good governance und der Korruptionsbekämpfung zum Beispiel bestehen zudem weiterhin „königliche Reserven“, wie diverse Stiftungen unter der Obhut des Monarchen, die von Reformen ausgenommen sind. Unverändert bleibt offenbar der hohe Symbolgehalt jeder Geste politischer Handlung oder des persönlichen Verhaltens des Königs. Während Hassan II vor allem auf die strikte Einhaltung der formalen Regeln und Riten achtete, gibt sich Mohamed VI gleichzeitig moderner, indem er bestimmte Regeln, wie das Küssen seiner Hand durch die Untergebenen, abschafft, und neue Symbole multipler Identitäten gebraucht, in denen sich sowohl moderne als auch konservative MarokkanerInnen wiederfinden (Tuquoi 2006: 206). Die Legitimität des Königshauses ist historisch und im Bewusstsein der Marokkaner tief verankert. Desrues stellt fest, es gebe in Marokko bis auf wenige Ausnahmen durchaus einen Konsens über das Weiterbestehen der Monarchie als Staatsform – über das Ausmaß der Rechte und des Einflusses des Monarchen jedoch keineswegs (Desrues 2000/2001: 52). Angesichts der steigenden sozialen Differenzierung innerhalb der Bevölkerung und vieler enttäuschter Erwartungen in vom Staat vernachlässigten ländlichen Regionen und suburbanen Gebieten nimmt die soziale Unzufriedenheit jedoch rapide zu. In den Jahren 2006-2008 hat dies mehrmals zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen der protestierenden Bevölkerung und den Ordnungskräften geführt (Bennani 2007; A.I. 2008). Vor allem im Kontext des politischen Aufstiegs von Vertretern der Zivilgesellschaft (vgl. 4.3.3) und einer neuen ökonomischen Elite auch auf dem Land (vgl. 5.3.2, 6.1 und 8.2) ist daher heute die Entstehung eines „neuen Makhzen“ zu beobachten. Mehrere Beobachter äußern allerdings die Vermutung, König Mohamed VI kleide sein Regime zwar mit neuen Beratern und Verantwortlichen ein und übe einen moderneren, offeneren Regierungsstil, ohne jedoch an der Dominanz seiner Stellung und der seiner Gefolgschaft grundsätzlich etwas zu ändern (Ferrié 2006: 91 ff., Desrues/Moyano 2001: 46). Gerade hieraus beziehe der Makhzen seine Stärke, die er zudem mit neuen Allianzen kooptierter Vertreter der Zivilgesellschaft und königstreuen Wirtschaftseliten festige (Hibou/Tozy 2002: 93). Dies stehe jedoch nicht einer schrittweisen Demokratisierung entgegen, die sich bereits heute in einer liberaleren Praxis der Presse- und Meinungsfreiheit und vereinzelten Klagen sogar gegen hoch Platzierte der öffentlichen Verwaltung äußert. Gleichzeitig bleiben die erwähnten politischen Tabus bestehen und jede Opposition über die eng definierten Grenzen des politisch Erwünschten hinaus wird streng bekämpft. Gerade auch im Kontext der Terrorismusbekämp-
Die Herausforderung der etablierten Strukturen und Akteure
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fung und der hierdurch offiziell legitimierten Beschränkung von Menschenrechten und Freiheiten wird gegen Oppositionelle wieder zunehmend rücksichtslos vorgegangen (UNDP 2006a). Willkür und Repression haben jedoch eine wachsende Delegitimierung der Regierung und des Königs zur Folge. Die wachsende soziale Unzufriedenheit und die Zunahme gewaltsamer Zusammenstöße zeigen, dass auch die Autorität des Königs und seiner Vertreter heute nicht mehr bedingungslos akzeptiert werden.
5 Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen
„Allah, el Watan oua el Malik“ [„Gott, die Nation und der König“] Inschrift über den marokkanischen Staudämmen
„Gott, die Nation und der König“ so lautet die weithin sichtbare Inschrift auf den Felsen über jedem Staudamm in Marokko. Diese „heilige Dreieinigkeit“ ist nicht nur die Bestätigung der in den vorangegangenen Kapiteln erläuterten Stellung des Königs. Die Formel ist darüber hinaus ein äußerst treffendes Symbol der strategischen Rolle der Staudämme für die Sicherung der königlichen Herrschaft, und des zeitweise starken politischen und sozialen Drucks, der auch durch die Wasserverteilung bedingt ist. Wasserressourcen ermöglichen einem Land die Erschließung und Entwicklung neuer Lebensräume, Produktions- und Einkommensquellen. Die technische Regulierung der Ressource impliziert jedoch immer auch eine Gestaltung der sozialen und politischen Beziehungen, denn: „ein Bewässerungssystem zu fördern bedeutet nicht nur, die Wasserverteilung zu rationalisieren, sondern auch, bezüglich der Nutzung und der Verteilung des Wassers Stellung zu beziehen“ (Pérennès 1993: 157).
Le Coz äußert sich ähnlich bezüglich der Bedeutung der Landwirtschaft: „Wenn man mit H. Lefèvre übereinstimmt, der ‚Raum als Produkt der Gesellschaft’ betrachtet, ist das landwirtschaftliche System eines der Instrumente, durch welche sich diese Handlung vollzieht. Und diesem Phänomen kommt eine umso größere Bedeutung zu, als dass die landwirtschaftliche Tätigkeit an sich viel Raum einnimmt“ (Le Coz 1990: 15).
Sowohl das Wassermanagement als auch die Gestaltung der Landwirtschaft werden hier deshalb explizit als das Ergebnis bestimmter Politiken und soziopolitischer Kräfteverhältnisse verstanden. Dieses Kapitel geht der spezifischen Herrschaftssicherung durch die Wasser- und Landwirtschaftspolitik nach und analysiert die mit den aktuellen Veränderungen einhergehenden Konfliktpotentiale. Neben den in Kapitel 4 dargestellten soziopolitischen Strukturen sind vor allem die hier erläuterten Bedingungen des Wassermanagements und der ländli-
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Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen
chen Entwicklung für die Analyse struktureller Ursachen von Wasserkonflikten relevant. Die bestehenden sozialen und ökonomischen Ungleichheiten im ländlichen Raum werden, so die These dieses Kapitels, durch die wirtschaftliche Liberalisierung und die zunehmende Wasserknappheit in vielen Fällen verstärkt. Dies stellt, zusammen mit den reformierten Formen des Wasser- und Landmanagements, die Herrschaftslegitimierung durch die Verteilung der natürlichen Ressourcen in Frage. Gleichzeitig ermöglicht die politische Liberalisierung neue Handlungsspielräume, da die staatlichen Akteure in Teilen des Produktionsprozesses weniger präsent sind, neue Organisationsformen wie Nutzergruppen und NGOs toleriert werden und der Privatsektor sich zunehmend in ehemals staatlichen Monopolen etabliert. Die Potentiale und Herausforderungen dieser Entwicklungen werden hier am Beispiel der sog. ‚Großen Bewässerungssektoren’ (grands périmètres irrigués) untersucht. Diese Sektoren werden überwiegend aus Großstaudämmen gespeist und staatlich verwaltet. Zusätzlich existieren kleine und mittlere Bewässerungssektoren (petite et moyenne hydraulique), die meist aus Brunnen, Quellen und Kleinstaudämmen gespeist werden.
5.1 Die strategische Bedeutung der ländlichen Entwicklung 5.1.1 Wasser und Land als Entwicklungs- und Machtfaktoren „Au Maroc, gouverner c’est pleuvoir“ (Maréchal Lyautey23)
Trotz des hohen Entwicklungsstandards in vielen Städten Marokkos sind insbesondere die ländlichen Gebiete des Landes weiterhin von erheblichen, auch im regionalen nordafrikanischen Vergleich hohen Einkommensdisparitäten, Armut und Defiziten in der Bildung und der Infrastruktur geprägt. Beträchtliche Unterschiede bestehen darüber hinaus zwischen unterschiedlichen ländlichen Regionen, da einige Gebiete von der bereits durch die Protektoratsmacht eingeführten 23 Der Ausdruck ist eine Abwandlung des berühmten Satzes „gouverner, c’est prévoir“ also „regieren bedeutet Vorsorge“ des französischen Journalisten, Publizisten und Politikers Emile de Girardin (1806 -1881). Der Satz „Gouverner, c’est pleuvoir“ (wörtlich übersetzt „regieren bedeutet regnen“) stammt von dem französischen Marschall Herbert Lyautey, erster französischer Generalresident (1912-1925) Marokkos in der Zeit des französischen Protektorats. Der Satz hebt die Bedeutung der Landwirtschaft für den sozialen Frieden hervor und betont gleichzeitig die Abhängigkeit des Agrarsektors von den Niederschlägen. In Anspielung auf den ursprünglichen Satz „gouverner, c’est prévoir“ verdeutlicht Lyautey damit, dass das Regieren trotzt aller Vorsorge ohne Regen in Marokko schwer möglich ist. Dies erklärt auch die Bemühungen der folgenden Herrscher Marokkos um die Sicherung der Wasservorkommen durch Staudämme und die bis heute hohe Bedeutung der Wasserressourcen und der Landwirtschaft für den sozialen Frieden.
Die strategische Bedeutung der ländlichen Entwicklung
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Förderung des „nützlichen Marokkos“ profitierten, während andere vernachlässigt wurden und oft noch immer werden. 40% des nationalen Reichtums konzentrieren sich heute auf 1% des Territoriums des Landes (Meziane Belfkih/Azzimane et al. 2006: 18). Vor allem in den ländlichen Gebieten ist die Armut nach wie vor hoch: während 12 Prozent der Stadtbevölkerung unter der nationalen Armutsgrenze leben, beträgt der Anteil auf dem Land ein Viertel der Bevölkerung (WB 2008: e. Q), 5,5 Millionen Menschen werden hier als besonders verwundbar eingeschätzt (HCP 2007: 39). Auch die unterschiedlichen Einkommens- und Ausgabenstrukturen in den urbanen und den ländlichen Gebieten spiegeln diese Unterschiede wieder: trotz der möglichen Nutzung der landwirtschaftlichen Produktion für den eigenen Verbrauch geben die Haushalte auf dem Land im Durchschnitt einen wesentlich höheren Anteil ihres verfügbaren Budgets für die Ernährung aus (54,2% des Budgets), als die städtischen Haushalte (38,4%) (Akesbi 2005b: o.S.). In der Trinkwasserversorgung sind in Marokko in den vergangenen 10 Jahren zwar große Fortschritte erzielt worden, doch noch immer haben viele Menschen in einigen ländlichen Regionen und auch in den wachsenden Slums keinen Zugang zu sauberem Wasser. Während im Landesdurchschnitt 57,5% der Haushalte an die öffentliche Trinkwasserversorgung angeschlossen sind, sind es auf dem Land nur rund 18%. Dort haben darüber hinaus 42% Zugang zu Brunnenwasser und rund 12% werden über öffentliche Wasserzapfanlagen im Dorf versorgt (HCP 2004: e. Q.). Die im Durchschnitt ärmeren Bevölkerungsgruppen auf dem Land müssen für die Versorgung zudem oft das fünffache von dem Preis in der Stadt zahlen, da ihnen die Kosten für die aufwändige Infrastruktur auferlegt werden (Bennacer 2003: 108). Wie auch in der Verteilung der Ressource für die Bewässerung treten hier in Zeiten der Knappheit Verteilungsungleichheiten auf, die durch machtpolitische Prioritäten bestimmt werden. Im Sommer 2005 musste die marokkanische Regierung mit einem Notplan zahlreiche Dörfer über Lastwagen mit Trinkwasserzisternen versorgen. Vor Ort bestimmten die dem Innenministerium unterstellten Gouverneure, wer wann wie viel Wasser bekam, was zu erheblichen Konflikten führte (Bentak 2005: e. Q.). Doch auch die Berechnung der Tarife der Trinkwasserversorgung in den Städten wird von der EU als „komplex, zentralisiert und wenig gerecht“ bezeichnet (EU 2003: 5). Neben diesen Problemen der ungleichen politischen Behandlung der einzelnen Regionen des Landes ist Marokko Naturereignissen gegenüber stark verwundbar. Saisonale und geographische Schwankungen der Niederschläge und Dürreperioden haben deshalb erhebliche ökologische, wirtschaftliche und soziale Folgen. In den Jahren 1980/1981 sowie in 1992/1993 hat die Dürre die verfügbaren Wasserressourcen extrem dezimiert, so dass auch in den dazwischen liegenden Jahren die Defizite nicht kompensiert werden konnten. Die Trockenheit der
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Jahre 1980/81 löste einen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion um 57% aus, woraufhin die Getreideimporte verdoppelt werden mussten und die Staatskasse entsprechend belasteten. Die Viehzucht, die für viele Bauern eine sichere Kapitalanlage darstellt, da sie Vieh saisonunabhängig jederzeit lokal verkaufen können, ging um 40% zurück. Die Mehrzahl der Stauseen, eigentlich als Garant der Wasserversorgung auch in trockenen Zeiten gepriesen, ist in Dürreperioden lediglich zu 20% der üblichen Menge mit Wasser gefüllt (Mutin 2000: 10). Die marokkanische Wirtschaft ist jedoch in hohem Maße von der landwirtschaftlichen Produktion abhängig und deshalb von diesen Schwankungen stark betroffen. Die Agrarproduktion macht zwischen 15% und 20% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus, auf dem Land hängen 3 bis 4 Millionen Arbeitsplätze direkt vom Agrarsektor ab, weitere 60 bis 100 000 von der Agroindustrie (MADRPM 2008: 7). Insgesamt sind damit landesweit 46% der Arbeitsplätze von der Landwirtschaft abhängig (HCP 2007: 11), in den ländlichen Gebieten, in denen 49% der Bevölkerung lebt, stellt dies für 80% der Menschen die Einkommensquelle dar (MADRPM 2008: 8). Da die meisten Anbaugebiete sich in ariden oder semiariden Regionen befinden, ist die Produktion in hohem Maße klimatischen Schwankungen ausgesetzt. Wie andere Regionen mit aridem Klima zeichnet sich Marokko i.A. durch schwache Niederschläge und lange Trockenzeiten zwischen diesen aus, darüber hinaus sorgen hohe Temperaturen für starke Verdunstung. In einem Jahr mit geringen Niederschlägen wie in 2000 kann der Anteil der Landwirtschaft am BIP auf 11% sinken, während ein klimatisch günstiges Jahr wie 2004 diesen auf rund 21% anhebt (Akesbi 2005a: 3). Die landwirtschaftliche Produktion bestimmt auch einen Großteil der Einkommen ländlicher Familien, so dass die anhaltende Dürre in den Jahren 1994/95 zu einem Verlust von 60% der Arbeitsplätze auf dem Land und zu massiver Landflucht geführt hat. Auf nationaler wirtschaftlicher Ebene führen die klimatischen Schwankungen zu einem hohen Import von Nahrungsmitteln, der sich negativ auf die Außenhandelsbilanz auswirkt. Die Summe der importierten Nahrungsmittel ist seit 1984 von 486 Millionen US $ auf 1411 Millionen in 2004 gestiegen (WB 2005: 2). Neben den geringeren Niederschlägen sind hierfür jedoch auch die neuen Prioritäten der Landwirtschaftpolitik verantwortlich, die lange primär die Getreide- und Zuckerproduktion gefördert hat, während sie heute andere Schwerpunkte hat (vgl. Kapitel 5.3). Trotz der klimatischen Schwierigkeiten erfüllt die Bewässerungslandwirtschaft Marokkos wichtige Funktionen. Sowohl auf der volkswirtschaftlichen Ebene als auch für die Machtverteilung innerhalb des Landes und für die Interventionsmöglichkeiten des Makhzen spiegelt das Management der Ressource politische Prioritäten und Machtbeziehungen wieder. Bereits in der Zeit vor dem Protektorat waren die Machtstrukturen auf dem Land wesentlich von der Kon-
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trolle der Wasserressourcen abhängig. Paul Pascon und Jean Jacques Pérennès, zwei der wichtigsten frankophonen Experten des Zusammenhangs zwischen Bewässerungsfragen und sozialen Strukturen in Marokko, stellen fest, dass bereits die religiösen Bruderschaften (Zaouia) und die traditionellen Notablen (Chefferies) ihre Macht über die Kontrolle des Wassers sicherten (Pérennès 1993: 20). Der Ausbau der Bewässerungssektoren durch den Makhzen sei also primär aus der Absicht entstanden, die häufig aufständische Landbevölkerung besser durch die Zentralregierung zu kontrollieren und gegen andere gesellschaftliche Gruppen auszuspielen (Pérennès 1993: 346, Leveau 1985: 279): „Man kann also die Wahl einer bestimmten technischen Option nicht trennen von der Entwicklung der Kräfteverhältnisse zwischen der Monarchie, der städtischen Handelsbourgeoisie, der Grundstücksoligarchie und den ländlichen Massen“ (Pérennès 1993: 160). Die in Kapitel 4.1 analysierte Stärkung der ländlichen Eliten durch eine enge Anbindung an das Makhzen- System war in der Post-Protektoratszeit ein wirkungsvolles Instrument zur Herrschaftsstabilisierung. Allerdings musste hierfür ein hoher Preis gezahlt werden: die Aufgabe der geplanten strukturellen Reformen der Landwirtschaft und insbesondere der Bodenverteilung, die eine frühzeitige Modernisierung des Sektors ermöglicht hätten (Pérennès 1993: 346). Über die Bewässerung wird auch heute noch landesweit das BIP stabilisiert und werden auf lokaler Ebene Einkommensquellen der meist wenig gebildeten Bauern gesichert. Zusätzlich schafft die Landwirtschaft eine Reihe weiterer Einkommens- und Handelsmöglichkeiten über die vor- und nachgelagerten Industrie- und Dienstleistungsbranchen, die Wanderarbeit und die Nachfrage nach Gütern (Schiffler 1997: 17 ff.). Diese Bedeutung erkannte auch König Hassan II, der die von der französischen Protektoratsmacht eingeführten sog. Grossen Bewässerungssektoren weiter ausbaute, und insbesondere sein weltweit bekanntes Vorhaben „eine Million Hektar bewässertes Land“ durch immense Investitionen in Staudämme umsetzte. Die Großen Bewässerungssektoren wurden lange praktisch planwirtschaftlich geleitet. Der 1969 verabschiedete Code des Investissements Agricoles organisierte die Produktion von der Aussaat über die technische Beratung und die Bewässerung bis hin zur Befreiung der Investitionsgüter von Zöllen und Steuern und der zentralisierten Abnahme und teilweise der Weiterverarbeitung der Produkte. Die Bauern erhielten bis Ende der 1980er Jahre erhebliche Subventionen, bezahlten geringe oder teilweise gar keine Gebühren für das Wasser und sind bis heute von Einkommenssteuern weitgehend ausgenommen (Akesbi 1996: 73; Diouri 1992: 34). Hauptziel dieser staatlichen Lenkung der Produktion war die Förderung derjenigen Produkte, die entweder auf dem Export- oder auf dem Binnenmarkt hohe Gewinne erzielen und so die Rückzahlung der für den Ausbau der Bewässerung
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aufgenommenen Kredite ermöglichen sollten. Zusätzlich wurden diese Ziele durch die Preispolitik gestützt, die für die Produkte der Binnennachfrage (im Wesentlichen Grundnahrungsmittel) staatlich festgelegte Preise vorsah, während die Preise der Exportprodukte liberalisiert waren (Pérennès 1993: 372f.). Nach Ansicht von Pérennès war dies eine direkte Fortsetzung der von Frankreich während des Protektorats eingeführten Ausrichtung der Landwirtschaftpolitik (idem). Diese gab dem Anbau schnell gewinnbringender Produkte für den Export wie Zitrusfrüchten und Gemüse den Vorzug, vernachlässigte dagegen den Anbau von Massenprodukten wie Getreide. Dies verhalf einer Minderheit der Landwirte zu teilweise erheblichem Reichtum, sorgte jedoch nicht für hohe Ernährungssicherheit der eigenen Bevölkerung, wie dies Agrarrevolutionen in anderen Ländern über den Anbau von Massenprodukten wie Getreide anstrebten. Der material- und arbeitsaufwändige Ausbau dieser großflächigen Bewässerungsanlagen wurde von Frankreich auch aus finanziellem Interesse voran getrieben, da die hiermit beauftragten öffentlichen Unternehmen bedeutende Aufträge erhielten (Pérennès 1993: 154 f.). Ein wesentlicher Grundstein der Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik war damit durch die Protektoratsmacht gelegt und wurde auch nach Erlangung der Unabhängigkeit nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Der politische Wert der Investitionen in die bewässerte Landwirtschaft überstieg sowohl unter der französischen Herrschaft als auch in der Unabhängigkeit Marokkos bei weitem die wirtschaftliche Rentabilität, wie Molle und Berkoff auch für andere Länder feststellen: “The national as well as geopolitical interests vested in such investments and the increase in lending by development banks contributed to an outburst of projects, frequently undertaken on political rather than on economic grounds” (Molle/Berkoff 2007: 2).
In den zwanzig Jahren nach dem Abzug der Protektoratsmacht wurden die wesentlichen Voraussetzungen der heute stark kritisierten Landverteilung geschaffen. Bereits bestehende Großbetriebe, die von den Franzosen und Spaniern hinterlassen worden waren, sowie weitere für den Anbau günstig platzierte Grundstücke wurden in den späten 1950er und 1960er Jahren den Kämpfern der Unabhängigkeitsbewegung und königsnahen Eliten vergeben, bzw. vom Königshaus annektiert. Wie bereits erläutert, werden die Landverteilung und insbesondere der Zugang zur Wasserversorgung dabei zur wesentlichen strategischen und machtpolitischen Frage in den ländlichen Gebieten, zum bis heute oft effizienten Instrument der Herrschaftssicherung des Makhzen. Wie Leveau schon 1976 feststellte, werden auch externe Mittelzuflüsse vom Regime zur Sicherung seiner Allianzen eingesetzt und eingeplant:
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„ab 1960 stellen die lokalen Eliten das Zentrum des politischen Systems der Monarchie dar. Diese Situation bestimmt alle Entscheidungen des Regimes bezüglich der ländlichen Gebiete. (...) Sie zwingt das Regime, ein System der Allianzen abzuschließen, welches die Finanzierung der Ressourcenverteilung an den traditionellen Sektor und der großen Investitionen in den Agrarsektor durch das Ausland absichert“ (Leveau 1985: 23).
Neben der ungleichen Verteilung aus politischen Gründen bereitet vor allem die sehr starke erbschaftsbedingte Aufsplitterung der Grundstücke Probleme. Durch die Vererbung an mehrere Kinder werden die Ackerböden immer weiter geteilt und ergeben Betriebe, die wegen der geringen Größe nicht mehr lebensfähig sind: 70% der landwirtschaftlichen Grundstücke in Marokko sind heute unter 2ha groß (MADRPM 2008:7), zudem erschweren zahlreiche Probleme ungeklärter Eigentumstitel Reformen.
5.1.2 Zunehmende Disparitäten Seit Mitte der 1980er Jahre ist die stark von staatlicher Lenkung dominierte Landwirtschaft erheblichen Veränderungen ausgesetzt, die sich für eine Mehrzahl der Bauern in zunehmender Verunsicherung ihrer Lebensgrundlage äußern. Zunächst trug die massive wirtschaftliche Krise ab den späten 1970er Jahren zu Änderungen in der Landwirtschaftspolitik bei. Nach etwa fünf Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs, unter anderem angetrieben durch den sehr guten Verkauf der Phosphatressourcen des Landes, sanken die Phosphatpreise am Weltmarkt ab 1975 massiv. Darüber hinaus verschärften hohe Ausgaben des marokkanischen Staates für das Militär und die zivile Infrastruktur in den umkämpften Gebieten der Westsahara (Diouri 1992: 53 f.) sowie eine fünf Jahre anhaltende Dürre die prekäre Haushaltslage. Angesichts der hohen Staatsverschuldung vereinbarte die marokkanische Regierung unter König Hassan II im Jahr 1982 mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) mehrere Strukturanpassungsprogramme. Die erhebliche Verminderung der staatlichen Subventionen sowie die Liberalisierung der Produktions- und Vermarktungsstrukturen standen im Zentrum der von den internationalen Finanzinstitutionen oktroyierten Bedingungen für die Vergabe weiterer Kredite. Im Wesentlichen folgen die Empfehlungen der Finanzinstitutionen denjenigen in anderen Entwicklungsländern, d.h. u.a. die Verbesserung der Bedingungen für private Investitionen, die Verringerung der Anzahl der Staatsangestellten, die sukzessive Abschaffung der Preisbindungen, die Verteuerung öffentlicher Dienstleistungen und die Privatisierung staatlicher Unternehmen.
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In der Vermarktung landwirtschaftlicher Güter hat diese Liberalisierung im Wesentlichen zum Transfer des ehemals staatlichen Monopols an eine privatwirtschaftliche Elite geführt. In der Vermarktung der landwirtschaftlichen Exportprodukte bekam 1986 das staatliche Zentralorgan Office de Commercialisation et d’Exportation, welches seit 1965 dieses Monopol innehatte, Konkurrenz durch oftmals von Großproduzenten initiierte private Gruppen (Belkadi 1996: 197). Die Strukturanpassungsprogramme hatten jedoch entgegen der Prognosen erhebliche negative Auswirkungen auf die Wirtschaft Marokkos: die Investitionen sanken, die Arbeitslosigkeit stieg und die Armutsrate in der Stadt und auf dem Land verdoppelte sich (Gouitaa 2006: 96 f.). Angesichts der teilweise katastrophalen Auswirkungen dieser Programme insbesondere auf die Lebensbedingungen in den ländlichen Gebieten beklagen zahlreiche Autoren eine ungenügende Abschätzung dieser Risiken. Insbesondere in den späten achtziger und den frühen 1990er Jahren wurde deutlich, dass die Sanierung des Staatshaushaltes auf Kosten der allgemeinen Lebensbedingungen des Volkes den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächte und Oppositionsbewegungen stärkte. Dem begegnete König Hassan II vor allem mit entschlossener Repression, die diese sog. „bleiernen Jahre“ prägte: Verhaftungen, Verschwindenlassen, Enteignung, Folter und Spionage waren an der Tagesordnung (Fakihani 2005: passim). Seit 1995 hat die Regierung bedeutende Entwicklungsprogramme zur Verbesserung der ländlichen sozioökonomischen Infrastruktur implementiert. Diese zeigen erste Ergebnisse, sind aber weiterhin nicht ausreichend. Experten warnen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der Freihandelsabkommen des Landes mit der EU, den USA und anderen Ländern (vgl. 5.3.2) vor den Auswirkungen auf die Mehrheit der Bevölkerung. Wie in Folge der Strukturanpassungsprogramme sei auch hier eine verstärkte Marginalisierung der bereits Benachteiligten zu erwarten, die politisch und finanziell nicht abgesichert sei. Die ehemaligen Subventionen, wie auch Akesbi betont, stellen jedoch de facto eine Art indirektes Einkommen der Bauern dar und bilden auf diese Weise auch eine Stütze der im internationalen Wettbewerb so wichtigen niedrigen Löhne (Akesbi 1996: 85). Bereits die Landwirtschaftspolitik der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und die Einrichtung der Bewässerungsregionen hatten erhebliche ökonomische Disparitäten innerhalb der Landbevölkerung geschaffen (Pérennès 1993: 148). Insbesondere die ungleiche Verteilung der Agrarflächen verstärkt die Disparitäten zwischen und innerhalb der ländlichen Regionen weiter. Trotz der zahlreichen Reformen und Liberalisierungen im landwirtschaftlichen Sektor ist dieses grundsätzliche Problem der Landverteilung bisher politisch nicht angegangen worden. Die Gründe hierfür liegen im Wesentlichen in der machtpolitischen Funktion der Ressourcenzuteilung. Vor dem Hintergrund dieser politischen und
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wirtschaftlichen Entwicklungen wird deutlich, dass die Frage des Wassermanagements im Land eine erhebliche strategische Rolle spielt. Gut bewässerte Grundstücke, vor allem innerhalb der staatlichen Sektoren, haben auch heute noch einen machtpolitischen Wert, der mit zunehmender Ressourcenknappheit weiter steigt. Dies äußert sich sowohl auf der lokalen Ebene, auf die in den Fallstudien näher eingegangen wird, als auch auf der nationalen Ebene. Hier stellen die staatlich bewässerten Sektoren insgesamt zwar nur 10% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche dar, dort werden jedoch drei Viertel der lukrativen Agrarprodukte für den Exportmarkt produziert (Bzioui 2004: 58). Die Gewinne dieser rentablen Agroindustrie kommen jedoch nur wenigen Bauern zugute. Achtzig Prozent der ländlichen Bevölkerung lebt außerhalb dieser Gebiete und kultiviert Böden, die hauptsächlich durch Niederschläge, in den letzten Jahren zunehmend auch durch hochgepumptes Grundwasser, bewässert werden. Die Erträge sind, bedingt durch die Abhängigkeit vom Klima, erheblichen Schwankungen ausgesetzt. Seit dem Jahr 2000 gibt es zumindest für die Getreide- Produzenten die Möglichkeit der Abschließung einer Versicherung gegen Dürre. Doch die Landwirte außerhalb der Bewässerungssektoren haben auch weniger Zugang zu öffentlichen Subventionen. 52% des Budgets des Landwirtschaftsministeriums wurden 2003 beispielsweise den Grossen Bewässerungssektoren zugeteilt, 9% kleinen und mittleren Bewässerungssystemen und 8% der Regenlandwirtschaft (Akesbi 2005: 44). Selbst innerhalb der staatlichen Bewässerungssektoren steigt jedoch die soziale Differenzierung stark an und verursacht eine zunehmende Marginalisierung der Kleinbauern (vgl. auch Kapitel 6.1 und 7.2, 7.3).
5.2 Wasserpolitik im Wandel 5.2.1 Vom Wasser Gottes zum Wasser des Staates Die Wasserpolitik in Marokko hat seit den 1990er Jahren tiefgreifende Veränderungen erfahren. Vor 1990 waren in Marokko Dekrete im Wasserbereich meist sehr problemspezifisch formuliert und boten beispielsweise keine Orientierung für eine umfassende, sektorübergreifende Wasserpolitik. Die Legislation beruhte damals auf einzelnen Dahir (königliche Dekrete, gleichwertig wie Gesetze), die teils vor und teils während der Protektoratszeit verabschiedet wurden, und im Wesentlichen Wasser als Gemeingut definierten. Entlang der Flüsse und Bäche wurde Bewässerung meist durch lokale informelle Systeme geregelt, die keiner offiziellen Gesetzgebung unterlagen. Auf nationaler Ebene wurde das Manage-
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ment der Ressource von verschiedenen sektorspezifischen Ministerien durchgeführt. Wegen der hohen Abhängigkeit der Landwirtschaft und der Lebensbedingungen von den oft unregelmäßigen Niederschlägen wurde die Ressource weitgehend als „Wasser des Himmels“ betrachtet, also als von Gott gewährte und verteilte Gnade. Die heutige (theoretisch) generelle Zahlungspflicht für Wasser aus den staatlich verwalteten Bewässerungssystemen war lange auch aus religiösen Gründen zurückgestellt worden. Wasser spielt im Islam unter anderem bei den rituellen Reinigungen eine wichtige Rolle und wurde der Bevölkerung vor der Protektoratszeit von den Sultanen kostenlos zur Verfügung gestellt (Bennacer 2003: 94). Im Islam sind verschiedene Regeln zum Umgang mit natürlichen Ressourcen und insbesondere der Wasserverteilung bekannt. Beispielsweise ist festgelegt, dass der Trinkwasserversorgung grundsätzlich Priorität zu geben ist, danach sind die Bedürfnisse des Viehs zu berücksichtigen und erst an dritter Stelle sind die Wasserressourcen der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Im heutigen Marokko spielen die religiösen Grundsätze in der Praxis des Wassermanagements zumindest in den staatlichen Bewässerungssektoren keine Rolle mehr. Anders ist dies beispielsweise in traditionellen Bewässerungsgemeinschaften im Atlasgebirge. Da die staatlichen Bewässerungssektoren im Zentrum dieser Arbeit stehen, werden religiös begründete Wasserrechte und Verteilungsregeln hier nicht weiter behandelt. Das „Wasser des Himmels“ wurde in Marokko mit der Staudamm-Politik des verstorbenen Königs Hassan II zunehmend zum „Wasser des Staates“, der bei der Verteilung der Ressource strategische Interessen berücksichtigte. Die Zuständigkeit für das Ressourcenmanagement blieb trotz der politischen Bedeutung lange vielen unterschiedlichen Ressorts und Ministerien gleichzeitig zugeordnet. Mehrere Entwicklungen machten dann die Verabschiedung eines umfassenden Gesetzes zum Wassermanagement notwendig: die Häufung langer Dürreperioden, die steigende Wassernachfrage und die Inkohärenz und mangelnde Kooperation der unterschiedlichen staatlichen Institutionen, die für Wasseraufbereitung, -verteilung und –konsum zuständig waren. Auch die internationale Kritik an der Bewässerungslandwirtschaft spielte hierbei eine Rolle: hohe Betriebskosten, ineffiziente Wassernutzung und die Entstehung sozioökonomischer Ungleichheiten gaben in vielen Ländern Anlass für grundlegende Reformen (Tardieu/Préfol et al. 2005: I). Insbesondere in den 1990er Jahren veränderte sich auch in Marokko der normative und der legislative Rahmen des Wassermanagements. Wesentlichen Einfluss übten dabei auch die Konzepte der Nachhaltigkeit und der Partizipation aus, die sich als Debatten der internationalen Entwicklungs- und der Umweltpolitik auch auf den Wassersektor ausgewirkt haben.
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Ein weiterer wichtiger Faktor dieser neuen Wasserpolitik ist seit der DublinKonferenz 1992 die höchst umstrittene Bewertung der Ressource als ökonomisches Gut, für dessen Konsum die Nutzer demnach bezahlen müssen. Angesichts der vormals dominierenden Wahrnehmung (und Überzeugung) der „gottgegebenen“ Ressourcenverteilung bedeutet dies eine grundsätzliche Neuorientierung, durch die etablierte Gewohnheitsrechte teilweise in Frage gestellt werden. Zum einen konnten traditionelle Wasserrechte, die legal anerkannt sind, nun auch weiterverkauft werden. Zum anderen bedeutete diese Grundsatzentscheidung einen wesentlichen Schritt für die Implikation des Privatsektors in unterschiedliche Bereiche der Wassernutzbarmachung und –verteilung. Wenngleich viele der sog. „traditionellen Wasserrechte” von Kleinbauern gewahrt werden sollten, machte dieses Gebot doch sukzessive den Plänen zum weiteren Ausbau der Bewässerungsinfrastruktur Platz. Die Gesetze beinhalteten zunächst eine Begrenzung der Verbrauchsmenge für die traditionellen Wasserrechte und wurden dann später teilweise ausgesetzt oder die Wasserzufuhr verstaatlicht und damit kostenpflichtig. In Marokko spiegelt sich die Reform des Wassersektors vor allem in dem 1995 verabschiedeten Gesetz wieder, welches nach dem Datum seines in- KraftTretens „Gesetz 10-95“ genannt wird24. In den Folgejahren wurde dieses Gesetz dann um spezifische Teilbereiche ergänzt, so dass heute alle wesentlichen Themen der Wassernutzbarmachung, des Konsums und der Entsorgung der Abwässer zumindest theoretisch durch einen gesetzlichen Rahmen reguliert sind. Die Implementierung wird jedoch weiterhin als unzureichend eingeschätzt (EU 2003: 5, HCP 2007: 29 ff.). Leitmotive dieser Gesetzgebung sind der Gedanke der Nachhaltigkeit und der notwendigen Begrenzung des Konsums angesichts wachsender Knappheit, die Stärkung der Dezentralisierung im Management der Ressource und vor allem auch die Verbreitung der Bezahlung für die Bereitstellung von Wasser. In Marokko wurden auf der Ebene der Flussbecken und der lokalen Endnutzer zu diesem Zweck neue Institutionen und Regeln einführt, die im Folgenden analysiert werden.
5.2.2 Die Dezentralisierung des Wassermanagements Die Probleme des aus politischen Gründen stark zentralisierten Wassermanagements in Marokko gehen auf Strukturen zurück, die bereits durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich etabliert wurden. Eine geringere Effizienz der Landwirtschaft wurde zugunsten der politischen Kontrolle über die Bauern selbst in 24
Alle Gesetzestexte sind in der Veröffentlichung von Benyahya 2005 gesammelt, auf diese Quelle beziehen sich auch, wenn nicht anders angegeben, die folgenden Angaben.
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Kauf genommen: „die Kontrolle durch den Kolonialstaat hat häufig, wenn sie die ‚Modernisierung’ propagierte, zwar die Verwaltung der Ressource verbessert, aber die lokalen Institutionen geschwächt. Man strebte die Kontrolle der Individuen an“ (Ruf/Rivière-Honnegger 2004: 9). Heute schreitet die Dezentralisierung voran (vgl. Abbildung 4), bleibt jedoch häufig auf formaler Ebene stecken. Zwei prominente Maßnahmen in diesem Zusammenhang sind die Stärkung von Wassernutzergruppen und die Einführung dezentraler Wassermanagementinstitutionen auf Flussgebietsebene. Beide sind im Kontext internationaler Entwicklungen und Geberpolitiken in diesem Bereich zu sehen. Internationale Institutionen setzen sich vor allem seit den 1990er Jahren dafür ein, Wasserpolitik weniger als top-down-Prozess zu gestalten, sondern vielmehr die unterschiedlichen Nutzergruppen auch auf lokaler Ebene in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen (Mollinga/Bolding 2004: 241f., 1ff.). Ähnliche partizipative Ansätze finden sich zur gleichen Zeit auch in vielen anderen Bereichen der Entwicklungspolitik, wie z.B. der Armutsbekämpfung im Rahmen der Poverty Reduction Strategy Papers der Weltbank. Das Aufkommen dieser Ansätze wird vielfach zum einen als Reaktion auf die Korruptionsvorwürfe in staatlichen Institutionen gesehen, zum anderen als implizite (und sehr vage) „Demokratisierung“ begriffen: „In sum, the World Bank’s and other donor’s enthusiasm for ‘participation’ and partnership with civil society organizations can be explained by referring to their giving the possibility of a kind of democracy through ‘popular participation’, but without the inconveniences of contestational politics and the conflicts of values and ideas which are a necessary part of democratic politics’ (Hearn 1999: 4, zit. in Bergh 2005: 3). Die partizipativen Ansätze bilden seit den 1990er Jahren in Kombination mit der Forderung nach integriertem Ressourcenmanagement und nach einer stärkeren Kostenbeteiligung der Nutzer an der Wasserbereitstellung den Kern der internationalen Entwicklungspolitik im Wasserbereich: „At its core is the adoption of a comprehensive policy framework and the treatment of water as an economic good, combined with decentralized management and delivery structures, greater reliance on pricing, and fuller participation by stakeholders“ (WB 1993: 10).
In diesem Kontext erfährt auch das Leitmotiv der Wassernutzergruppen (water user groups) eine Renaissance, die auch in Marokko zu Veränderungen führt. Auf lokaler Ebene sollten nunmehr sowohl in traditionellen wie auch in den staatlich verwalteten Bewässerungsregionen Nutzergruppen (sog. AUEA: Associations d’Usagers d’Eau Agricole) nicht nur die Wasserverteilung übernehmen, sondern mit den obligatorischen Beiträgen der Mitglieder auch die Instandhaltung der Infrastruktur verantworten. Das Dekret (Dahir) n° 1-87-12
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vom 21.12.1990 regelte die Gründung und Funktionsweise dieser Gruppen25, die je nach Einzugsgebiet zehn bis mehrere hundert Mitgliedern umfassen. Eine AUEA kann entweder durch die lokale ORMVA oder auf die Initiative der Wassernutzer hin gegründet werden, wenn mindestens 2/3 der Bauern, die die von der AUEA zu verwaltende Fläche besitzen, anwesend sind. Die AUEA benötigt eine Genehmigung der Verwaltungsbehörde (vgl. Benyahya 2005: 48f.). Die reglementierte Funktionsweise der Organisationen sieht unter anderem die Wahl eines Verwaltungskomitees unter der Leitung eines Präsidenten, das regelmäßige Abhalten von Sitzungen und die Konzeption von Fünfjahresplänen vor. Zur Kostendeckung von Instandhaltungsarbeiten u.ä. können die AUEA Subventionen und Kredite beim Staat beantragen, materielle Hilfe z.B. in Form eines Traktors oder Wasserkanälen wurde ebenfalls als Starthilfe zugesagt. Der wesentliche Unterschied zu bisherigen, informellen oder formellen nichtstaatlichen Organisationen im Wassermanagement besteht im so genannten 7. Mitglied („septième membre“) der Leitung der AUEA, welches per Gesetz ein Mitglied des Staates, also des oft gefürchteten Makhzen sein musste. In der Praxis übernahmen diese Rolle meist lokale Verwaltungsbeamte, entweder der Bewässerungsbehörde oder, häufiger, des Innenministeriums, wie die Sheikh oder Moqqadem. In Marokko wurde die Einführung der Wassernutzergruppen 1990 beschlossen, jedoch hat dies zumindest in den großen Bewässerungssektoren wie in vielen anderen Ländern zu meist enttäuschenden Ergebnissen geführt. Von den offiziell gegründeten AUEA haben nach Schätzungen in vielen Gebieten des Landes lediglich 5% ihre Arbeit aufgenommen und organisieren die Bewässerung gemäß den Bestimmungen (Quelle: Gespräch der Autorin in der zuständigen Behörde in Rabat, Mai 2006). Lediglich die Gründung der Wassernutzergruppen in den kleinen und mittleren Bewässerungssektoren wird als relativ erfolgreich beurteilt, weil diese AUEA auf bereits existierende Formen sozialer Organisation der Bewässerung und des Zusammenlebens aufbauen (meistens die traditionellen Ältestenräte Jemâa), und so de facto lediglich einer bestehenden Organisationsform einen neuen Namen und eine verordnete Funktionsweise geben. Auch aus anderen Ländern und Zusammenhängen ist bekannt, dass das Funktionieren neuer partizipativer Institutionen durch eine gewisse Tradition der lokalen Selbstorganisation erheblich erleichtert wird (Avritzer 2004: 265, 271).
25
Der Dahir wurde erweitert durch das Dekret n°1-87-106 vom 13.05.1992.
Douar (Dorf) oder quartier (Stadtviertel)
Commune
Cercle (Land) oder arrondissement (Stadt)
Province (Land) oder Préfecture (Stadt)
Ministère de l’Agriculture, du Développement Rural et des Pêches Maritimes
Commissions Préfectorales et Provinciales de l’Eau
7 regionale Offices Régional de la Mise en Valeur Agricole ORMVA (große Bewässerungsgebiete)
9 Regionalverwaltungen des Office National de l’Eau Potable ONEP, oder: Régie (private oder öff.)
Associations d’Usagers de l’Eau Agricole (AUEA)
Associations de Développement Local, Associations d’Eau Potable (nicht bzw. semi-staatlich)
Lokale Institutionen der DPA, ORMVA und ONEP
Direction Provinciale de l’Agriculture DPA (kleine Bewässerungsgebiete und Regenlandwirtschaft)
Verwaltungsrat (24- 48 Mitglieder) 1/3 Repräsentanten des Staates, ¼ ONEP, Régie Eau, ORMVA, ONE Übrige: Vertreter der Kammern (Landwirtschaft, Handel, Industrie), Prefekturen, Provinzen und AUEA
16 Directions régionales
Direction Générale de l’Hydraulique
Ministère de l’Intérieur; Ministère de l’Equipement et du Transport; Ministère des Travaux Publics; Ministère de la Santé Publique; Ministère des Finances; Dezernate weiterer Ministerien Office National de l’Electricité, Office National de l’Eau Potable
7 Agences de Bassin Hydraulique ABH
Conseil National de l’Environnement, Conseil Général du Développement Agricole
Ministère de l’Energie, des Mines, de l’Eau et de l’Environnement (ex- Ministère de l’Aménagement du Territoire, de l’Eau et de l’Environnement)
Abbildung 3:
Région
Nationale Regierung und Ministerien
CONSEIL SUPÉRIEUR DE L’EAU ET DU CLIMAT
140 Mitglieder: Repräsentanten von 12 Ministerien, Generalsekretäre, Walis, Gouverneure, Direktoren der ABH, ORMVA, ONEP, ONE Vertreter der AUEA, der Wissenschaft und Bildung, Experten, der Préfecture und der Province Vorsitz: Premierminister und König Mohamed VI
138 Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen
Die wichtigsten staatlichen Wassermanagement-Institutionen
Wasserpolitik im Wandel
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Bei den AUEA in den großen und kleinen Sektoren ist die praktische Umsetzung jedoch von der theoretischen Konzeption häufig weit entfernt: formale Versammlungen und Abstimmungen werden selten abgehalten und traditionelle Entscheidungsprozesse größtenteils beibehalten26. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der Mitglieder der AUEA Analphabeten sind, so dass die Ausarbeitung der Strategien, vor allem aber die ihnen aufgebürdete finanzielle und technische Verwaltung der AUEA und der Bewässerung gemäß den aufgestellten Funktionsregeln sich als schwierig bzw. unmöglich herausstellte. Die seit 1994 stattfindenden Ausbildungskurse für Landwirte, die eine AUEA gründen wollen, sollen diese Defizite beheben, doch auch dies bereitet in der Praxis große Schwierigkeiten27. Viele Gesprächspartner sowohl bei den zuständigen Behörden als auch unter den Wassernutzern gaben zudem an, dass zahlreiche Präsidenten der AUEA sich für diese Funktion nur wählen lassen, um sie als „Trampolin“ für eine weitere politische Karriere zu nutzen oder die mit der Funktion verbundenen materiellen oder symbolischen Vorteile zu nutzen. Weitere Gründe für die schwierige Umsetzung sind eine zu schnelle Gründung der Vereinigungen, deren Zusammensetzung vielerorts nicht mit sozialen und ethnischen Gruppenzugehörigkeiten übereinstimmt, und die mangelnde Ausbildung der Mitglieder und der jeweiligen Verwalter der Gruppe (Burchard 2002: 27). Auch führte die mangelnde Berücksichtigung etablierter und legitimer traditioneller Wassermanagementstrukturen und die unzureichende finanzielle Ausstattung der Gruppen, die für vormals staatlich durchgeführte Aufgaben aufkommen sollten, zum weitgehenden Scheitern dieser Form der „Dezentralisierung“ (Quelle: Gespräche mit den Verantwortlichen der AUEAAusbildungskurse, März 2005). Schließlich wurde im marokkanischen Konzept der AUEA wie auch in anderen Ländern der einer solchen Organisation inhärente politische Charakter nicht berücksichtigt (Bergh 2005: 2). Die gesamte Funktionsweise, die Wahl der Vorsitzenden, die Gewährung von Beihilfen, die Ausübung von Sanktionen etc. unterliegen zumindest in Marokko jedoch subtilen politischen Prozessen, die einerseits durch die lokale Sozialstruktur bedingt sind, und andererseits im Zusammenhang mit der Lokalpolitik und der lokalen Verwaltung stehen. In vielen Fällen kann deshalb eine weitgehende Aneignung der Strukturen, Funktionen und häufig auch der Mittel der AUEA durch die sie kontrollierende Elite beobachtet werden28. Sylvie Jaglins Feststellung bezüglich Subsahara-Afrika treffen insofern auch für Marokko zu: die Implementierung partizipativer Ansätze im Wasser26
Gespräche mit lokalen Beauftragten der Direction Provinciale de l’Agriculture und der ORMVA, im Gebiet Souss Massa, 2006 und 2007. 27 Gesprächen mit Verantwortlichen dieser Trainingskurse in 2005 und 2006. 28 Gespräche mit Mitgliedern von AUEA in den Regionen Gharb und Souss Massa 2005-2007.
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Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen
management wurde mit vielen unterschiedlichen und zahlreichen Erwartungen an verbesserte wirtschaftliche und technische Effizienz sowie verstärkter „Demokratisierung“ und Beteiligung der Bevölkerung überladen, aber gleichzeitig mit falschen und unzureichenden Mitteln umgesetzt, so dass die Realität gegenüber den diffusen Hoffnungen zwangsläufig enttäuschend wirkt (Jaglin 2004: 304). Ein erfolgreicheres Instrument des dezentralen Wassermanagements ist die Einrichtung von sieben Wasserbeckenagenturen (Agences de Bassin Hydraulique, ABH). 1997 nahm die erste ABH im Einzugsgebiet des Flusses Oum-Er-Rbia die Arbeit auf, die sechs weiteren im Laufe der Jahre 2001 und 2002. Auch diese Maßnahme geht auf internationale Entwicklungen zurück. Historisch bereits beispielsweise in China und Ägypten praktiziert, geht dieser Ansatz davon aus, dass Flüsse am besten im Rahmen ihrer geographischen Einzugsgebiete verwaltet werden sollten. Im Kontext der Entstehung des Konzepts des Integrierten Wasserressourcenmanagements hat dieser Ansatz eine neue Verbreitung erfahren (Jaspers 2003: passim), auf die hier jedoch nicht näher eingegangen wird. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Umsetzung dieses Konzepts in Marokko. Die neu geschaffenen Institutionen der ABH sollten durch die geographische Referenzebene und die Nähe zu den unterschiedlichen Verbrauchern die Solidarität und die Koordination zwischen der Landwirtschaft, der Industrie und Nutzern von Trinkwasser verbessern. Der Verwaltungsrat dieser Agenturen setzt sich zu diesem Zweck aus Nutzern unterschiedlicher Bereiche zusammen: zu einem Drittel aus Vertretern der Ministerien und anderen staatlichen Repräsentanten, zu einem Viertel aus Repräsentanten der Trinkwasser- und Stromversorgung sowie der Elektrizitätserzeugung, sowie dem übrigen Anteil mit Vertretern der Wassernutzer über die AUEA, Abgeordneten der Gebietskörperschaften und Vertretern der Landwirtschaftskammer, der Industrie- und Handelskammer (vgl. Benyahya 2005: 47 f.). Problematisch ist dabei u.a., dass über die AUEA nur die staatlich anerkannten Wassernutzergruppen vertreten sind, ähnlich ist es im Trinkwasserbereich. Die ABH sind in Marokko mit der Kontrolle der Staudämme beauftragt und entscheiden über die Verteilung der Ressource zwischen der bewässerten Landwirtschaft, der Industrie und den Städten, was insbesondere in Trockenzeiten eine brisante Aufgabe darstellt. Neben der Schaffung der ABH sind für diese Studie weiter folgende Aspekte des Gesetzes 10-95 relevant:
Die Schaffung partizipativer Strukturen auf Provinz- und Prefekturebene, die die Verabschiedung konsensueller Entscheidungen über die Verwendung der Ressource verbessern sollen,
Wasserpolitik im Wandel
141
Die Einrichtung spezifischer Krisenmanagementpläne und –kommissionen (Comité de vigilence) für Dürrezeiten, die primär die Trinkwasserversorgung sichern sollen und zur Verteilung der übrigen Mengen Konsultationen zwischen den einzelnen Konsumenten vorsehen, Die erstmalige Begrenzung des Wasserkonsums für den landwirtschaftlichen Sektor, so dass in Regionen, wo die Wasserressourcen stark übernutzt sind, die Ausdehnung der bewässerten Flächen verboten wird, Die Einführung bzw. Erhöhung von Subventionen zur Wassereinsparung, dabei im Wesentlichen die Subventionierung der lokalen Bewässerungstechniken wie die Tröpfchenbewässerung, zunächst zwischen 40 und 60% je nach Region des Landes, seit 2006 überall in Höhe von 60%.
Trotz dieser den Gedanken von Partizipation und nachhaltiger Entwicklung verpflichteten Gesetzgebung ist die Praxis des Wassermanagements im ländlichen Raum noch immer von mangelnder Kohärenz, großen Wasserverlusten durch defekte Infrastruktur und unzureichender Kontrolle der Grundwasserentnahme geprägt. Ein Grundproblem der Funktionsweise der ABH ist die bisher ungenügende finanzielle Ausstattung der Agenturen, die die Durchsetzung aller ihr aufgetragenen Aufgaben unmöglich macht. Die Konzeption des Budgets der Agenturen sieht zur Verbesserung ihrer Autonomie vom Ministerium eine weitgehende Finanzierung durch die Gebühren des Wasserkonsums vor. Diese Gebühren haben sich seit Einführung der ABH für die Endnutzer von Bewässerungs- und Trinkwasser entsprechend erhöht, werden jedoch häufig nicht bezahlt. Doch auch andere Quellen der Finanzierung, die bei der Schaffung der Agenturen in Aussicht gestellt worden waren (über den Staatshaushalt oder Mittel der internationalen Entwicklungszusammenarbeit), wurden bisher nicht oder nur in geringem Maße zugeteilt. So kann in den meisten Fällen eine der wesentlichen Aufgaben zur Durchsetzung nachhaltigen Wassermanagements und dem Schutz der Wasserbecken, nämlich die Überwachung illegaler Bohrlöcher, nicht durchgeführt werden. Das Dekret n° 2-97-178 vom 24.10.1997 verpflichtet die Wassernutzer, die technischen Details der Wassernutzung sowie den Verbrauch und den Zweck der Wasserentnahme in einem Antrag neuer Bohrlöcher zu begründen bzw. die bestehende Nutzung zur Erfassung des Verbrauchs anzumelden. Heute sind jedoch, wie auch Verantwortliche der ABH zugeben, nur ein geringer Anteil der Brunnen und Bohrlöcher offiziell angemeldet29. Darüber hinaus sind die institutionellen Zuständigkeiten weder für die Wassernutzer noch teilweise für die Angestellten dieser Institutionen selbst deutlich voneinander abgegrenzt. Dies ist ein Grund für die unterschwelligen, teilweise 29
Gesprächen in der ABH Souss Massa in 2006 und 2007 und in der ABH Haouz in 2006.
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Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen
offen formulierten Konflikte zwischen den Angestellten der ABH, den (länger bestehenden aber nun untergeordneten) Institutionen der Bewässerungslandwirtschaft (Office de Mise en Valeur Agricole, ORMVA) und der Trinkwasserversorgung (Office National de l’Eau Potable, ONEP bzw. lokale staatliche oder private Agentur)30. Hinzu kommt, dass die Beschäftigten dieser neuen Institutionen meist jünger und teilweise besser ausgebildet sowie besser bezahlt sind, als die der etablierten Institutionen, was die persönlichen Beziehungen und die Legitimation der neuen Beschäftigten zusätzlich erschwert. Auch die Beziehungen der ABH und der ORMVA zu den Landwirten sind oftmals schwierig, was teilweise an dem oft defizitären Service beider Institutionen gegenüber den Bauern liegt. Hinzu kommt die Erhebung steigender Gebühren von den Bauern (zuletzt zur Finanzierung der ABH), ohne dass diese konkrete Ergebnisse der Verwendung dieser Gelder sehen. Auch werden den Landwirten mit dem Rückzug des Staates aufwändige Instandhaltungsarbeiten an der Bewässerungsinfrastruktur auferlegt, die sie oft ohne entsprechendes technisches Wissen und finanzielle Mittel übernehmen müssen. Die neue Gesetzgebung hat mit diesen Veränderungen nicht nur die administrativen und politischen Kompetenzen neu geregelt, sondern auch den Wassernutzern in der (bewässerten) Landwirtschaft eine neue Rolle zugewiesen. Waren diese zuvor in erster Linie Nutzer eines von der ORMVA verwalteten Gebietes, werden sie durch das Gesetz 10-95 zu „Kunden“ einer zu bezahlenden Leistung. Dieser Wandel hat, insbesondere auch wegen oft mangelhaften Kommunikation über die Änderungen und die Verwendung der zusätzlich erhobenen Gelder, zu zahlreichen Unstimmigkeiten und Konflikten geführt. Viele Landwirte sehen sich in ihrer misstrauischen Haltung gegenüber jeglicher staatlichen Initiative und den Verantwortlichen der Institutionen bestätigt. Diese Attitüde geht teilweise auf die ersten Phasen der Nutzbarmachung der Ressource durch den zentralisierten Staat zurück. Der Bau der Grossen Bewässerungssektoren erfolgte damals nach den Plänen der städtischen Technokraten und Ingenieure, und berücksichtigte wenig bis gar nicht die sozialen Gegebenheiten und die ökonomischen oder politischen Prioritäten auf lokaler Ebene (Pérennès 1993: passim). Von Kleinbauern in traditionellen Bewässerungssystemen, deren Verwaltung dem aiguadier und der Ältestenversammlung Jemâa unterlag, wurden auch viele der Landeigentümer unter den Bauern in den ersten Jahren der großen Bewässerungssektoren zu Landarbeitern. Ohne Spielraum für eigene Entscheidungen und in hohem Maße den engen Vorgaben der ORMVA ausgesetzt, weigerten sich vielerorts die Bauern, die staatlichen Vorgaben in Anbau und Bewässerung 30
Die Anmerkungen basieren auf Gesprächen in 2005 und 2006 in den ABH der Regionen Haouz, Tadla und Souss. In der ältesten und am besten ausgestatteten ABH des Tadla waren die Beziehungen zur ORMVA bedeutend besser.
Wasserpolitik im Wandel
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umzusetzen, was zu zahlreichen Konflikten führte und teilweise heute trotz der Liberalisierung weiterhin für Streitigkeiten sorgt (vgl. auch Malouki 1996: 135f.). Auch die Abrechnung der Kosten für die Wasserbereitstellung ist vor allem in den Bewässerungssektoren, teilweise aber auch im Trinkwasserbereich häufig Anlass für Konflikte (vgl. für die Kostenabrechung auch Kasten 1 und 2). Ein wesentlicher Streitpunkt ist dabei die Berechnung der Kosten für Wasser, welches aufgrund leckender Leitungen vor- oder nach der Zapfstelle der einzelnen Bauern verloren geht. Auf nationaler Ebene wird eine kohärente, sektor- und regionenübergreifende Wasserpolitik durch den ebenfalls 1995 geschaffenen Hohen Rat für Wasser- und Klimaangelegenheiten (Conseil Supérieur de l’Eau et du Climat – CSEC) eher behindert als erleichtert. Der Rat soll das Wissen über das Klima und den Wasserhaushalt verbessern und entsprechende Strategien formulieren. Obwohl dieser Rat nur unregelmäßig tagt und nach Auskunft der Beschäftigten der drei besuchten ABH nicht gut und aktuell über die Situation in den einzelnen Bewässerungsregionen des Landes informiert ist, formuliert bzw. verabschiedet letztendlich er die landesweiten Wassermanagementstrategien (den sog. plan national und die regionalen plans directeurs), im Rahmen derer die anderen Institutionen dann ihre eigenen Programme entwerfen. Der CSEC setzt sich aus Vertretern unterschiedlicher Wassernutzer zusammen: die Hälfte der Vertreter stammen aus staatlichen Institutionen, staatlichen Betrieben und den Bewässerungsagenturen ORMVA, die andere Hälfte sind Vertreter der landwirtschaftlichen Wassernutzergruppen AUEA, Abgeordnete von lokalen und regionalen Parlamenten sowie Wissenschaftler (vgl. auch Abb. 3). Ein großes Problem für die Koordination der Bedürfnisse der unterschiedlichen Wassernutzer, die gerade über diesen Rat erfolgen soll, ist die fehlende Repräsentanz der Industrievertreter, die im Tourismus- und in anderen Bereichen zunehmende Ressourcen verbrauchen. Insgesamt sind in dem Gremium deutlich mehr Vertreter des Staates als der Endnutzer vertreten (Chaouni 2005: 165). Laut Gesetz soll der CSEC die Empfehlungen unterschiedlicher Ministerien und Institutionen in seinen Entscheidungen berücksichtigen. Praktisch wird der Rat jedoch vom König Mohamed VI präsidiert und ist dem Innenministerium unterstellt, welches die Grundentscheidungen trifft. Eine weitere grundlegende Innovation in der Wasserpolitik ist die verstärkte Einbeziehung des Privatsektors, auf die im nächsten Teilkapitel eingegangen wird.
144 Abbildung 4:
Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen Die Abrechnung des Wasserverbrauchs in den Haushalten
Das Trinkwasser wird in weiten Teilen des Landes von der ONEP (Office National de l’Eau Potable) aufbereitet und dann an die sog. Régies verkauft, Betriebe öffentlicher oder privater Natur. Der Preis des Wassers ist an ein staatlich festgelegtes Verteilungsschema gebunden, welches für einen Minimumverbrauch niedrige Kosten vorsieht, um auch der armen Bevölkerung den Zugang zu ermöglichen. Das System gliedert sich in vier Stufen, wobei die niedrigste Verbrauchsstufe (zwischen 0 und 24 m³ pro Trimester) deutlich unterhalb der Bereitstellungskosten liegt. Daneben muss jeder Abonnent eine konsumunabhängige Jahresgebühr bezahlen. Weiter bekommen die traditionellen Bäder (Hammam) einen Vorzugspreis gesichert und auch an den in vielen armen Stadtteilen und ländlichen Regionen verbreiteten kollektiven Wasserzapfstellen wird das Wasser günstig verkauft. Jeder städtische Wassernutzer zahlt zur Finanzierung dieser Leistungen eine „Solidaritätssteuer“ in Höhe von 0,74 MAD/m³ (Chaouni 2005: 153). Private Bohrungen u.a. von Tourismusunternehmen unterminieren jedoch zunehmend das Prinzip der Finanzierung des Verbrauchs einkommensschwacher Familien durch höhere Preise für größere Konsumenten. Der Preis der Trinkwasserbereitstellung variiert sehr stark zwischen einzelnen Städten, was auch von den Kosten der Aufbereitung und der notwendigen Infrastruktur der Verteilung abhängt. Dies wirkt sich trotz der staatlichen Regulierung vor allem auf die Geringverbraucher, also meist die ärmere Bevölkerung, aus. Viele Dörfer sind nicht an das Netz der ONEP angeschlossen und haben auf Eigeninitiative, mit der Unterstützung der Kommune oder von Hilfsorganisationen, Wassertürme und ein Versorgungsnetzwerk eingerichtet. Sie werden von lokalen NGOs geleitet. Teilweise werden Partnerschaften dieser Organisationen mit der ONEP eingeleitet, vielfach ziehen die Dorfbewohner jedoch trotz höherer Wasserkosten die Autonomie ihrer Organisation vor. In städtischen Randgebieten, die nicht an das Versorgungsnetz angeschlossen sind, verkaufen private Wasserhändler mit Zisternen die Ressource für den Hausgebrauch.
Wasserpolitik im Wandel Abbildung 5:
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Die Abrechnung des Wasserverbrauchs in den staatlichen Bewässerungsgebieten
Der Wasserverbrauch in der Landwirtschaft wird innerhalb der staatlichen Bewässerungssektoren durch die ORMVA berechnet, wobei in einigen Regionen Ausnahmeregelungen durch Vereinbarungen mit der Privatwirtschaft zu beobachten sind. Der Preis variiert je nach Region und auch innerhalb der einzelnen Bewässerungsgebiete aufgrund der unterschiedlichen Bereitstellungskosten und weil dies als Mittel der geographischen Lenkung der Investitionen konzipiert war. Durch den Ausbau der privaten Bohrlöcher ist dies jedoch in den meisten Landesteilen obsolet geworden. Die Kosten der Wasserbereitstellung durch die ORMVA setzen sich aus einer Jahresgebühr, ggf. der Beteiligung an den Kosten für die Nutzbarmachung unterirdischer Wasserressourcen sowie ggf. für die Entwässerung, Nivellierung etc. zusammen. Zusätzlich müssen die Bauern eine Abgabe an die Wasserbeckenagentur zahlen. Grundsätzlich wird nur der Konsum der oberirdischen Wasserressourcen berechnet, bzw. derjenigen, die von den ORMVA zur Verfügung gestellt werden. Für Brunnen und tiefe Bohrlöcher dagegen, die sich seit den 1990er Jahren rasant verbreitet haben, sind neben der einmaligen Bohrerlaubnis weitere Gebühren zu bezahlen, was jedoch selten erfolgt. Häufig wird dabei weder die durch private Investoren konsumierte Menge unterirdischer Vorkommen erfasst, noch werden Kosten für diesen Verbrauch erhoben. Auch bei vielen ORMVA bleiben zahlreiche Rechnungen der Bauern offen. Während in manchen Gebieten den Bauern dann nach einer Frist von einem bis sechs Monaten die Wasserzufuhr abgeschnitten wird, häufen sich beispielsweise in der Region Gharb unbezahlte Rechnungen der Verbraucher über Jahre hinweg an. Sonderregelungen für die Zahlung der Wasserbereitstellung betreffen diejenigen Bauern, die wie in den Gebieten Doukkala und Gharb Zuckerrohr oder –rüben anbauen, und häufig die Bereitstellungskosten direkt mit den verarbeitenden Fabriken abrechnen. In der Region Tadla wurde die Kosteneintreibung an ein privates Unternehmen ausgelagert. In der Region Souss wird ein Teil des Leitungssystems über 30 Jahre privatisiert (vgl. Kapitel 6 und 7), dies wird in anderen Regionen ebenfalls in Erwägung gezogen.
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Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen
5.3 Aktuelle politische Prioritäten und Konfliktpotentiale Der landwirtschaftliche Sektor Marokkos steht heute zwei wesentlichen Herausforderungen gegenüber: der Wasserknappheit und der angestrebten Liberalisierung der Agrarwirtschaft. Beide Prozesse bewirken tiefgreifende Veränderungen, die sich auch auf die Landverteilung, die Vermarktungs- und Einkommensstrukturen, die Migration und die soziale und politische Organisation in den ruralen Gebieten des Landes auswirken. Diese Entwicklungen äußern sich am deutlichsten auf der lokalen Ebene, sind jedoch wesentlich von nationalen Strategien mitbestimmt.
5.3.1 Zunehmende Konkurrenz durch steigende Wasserknappheit Zunächst wird an dieser Stelle auf das Problem der Wasserknappheit eingegangen. Die oben erläuterte Staudamm-Politik des Königs Hassan II ermöglichte die Nutzbarmachung von rund 90% der verfügbaren überirdischen Wasservorkommen. Die effektive Rentabilität der Staudämme ist jedoch in den meisten Fällen wesentlich geringer als vor dem Bau eingeschätzt. Dies liegt zum einen an teilweise geringen Niederschlagsmengen, im Wesentlichen aber an der schnellen sog. Verlandung der Stauseen. Dieser Prozess wird durch die Ablagerung der im Wasser befindlichen Sedimente hervorgerufen, die den nutzbaren Wasserspeicher einschränken. In Marokko verlieren die Stauseen durchschnittlich jährlich 0,5% ihres Volumens (Schiffler 1997: 34f.), in Regionen mit starker Bodenerosion schreitet diese Entwicklung noch schneller voran. Im Durchschnitt stehen in Marokko 29 Milliarden m³ erneuerbarer Wasserressourcen zur Verfügung, wovon etwa 12% für die Trinkwasserversorgung, 3% für die Industrie und zwischen 60 und 85% für die Landwirtschaft verwendet werden (EU 2003: 3). Die sowohl von einem Jahr zum anderen als auch innerhalb eines Jahres sowie regional sehr unterschiedlich ausfallenden Niederschläge reichen heute nicht mehr aus, um die Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen. Bereits in 2020 wird in Marokko der Durchschnitt der Bevölkerung mit erheblich weniger Wasser als dem von der FAO definierten Minimum leben müssen, da ihnen pro Person nur 750 m³ anstatt der Mindestmenge von 1000 m³/Person/Jahr zur Verfügung stehen werden. 35% der Bevölkerung werden sogar nur 500 m³/Person/Jahr nutzen können (FAO 2000: e. Q.). Diese Schätzungen sind relativ pauschal und ihre Aussagekraft bezüglich der konkreten Auswirkungen für einzelne Regionen und Bevölkerungsgruppen begrenzt. Denn regionale Unterschiede, technische Möglichkeiten sowie die politischen Prioritäten beeinflussen die tatsächliche Verteilung in hohem Maße.
Aktuelle politische Prioritäten und Konfliktpotentiale
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Die seit den achtziger Jahren rasant vorangeschrittene Urbanisierung geht mit einem höheren Trinkwasserbedarf in den Städten einher, in denen zudem oftmals die Leitungssysteme veraltet sind und aufgrund von Lecks bis zu 50% der Ressource verloren geht. Der expandierende Industriesektor erhöht ebenfalls den Verbrauch, zudem trägt die mangelnde Klärung der Abwässer zu erheblicher Verschmutzung in den Städten und auf dem Land bei und vermindert so zusätzlich die verfügbare Menge sauberen Wassers. Durchschnittlich werden weniger als 5% der industriellen und Haushaltsabwässer in Marokko gereinigt (EU 2003: 3). Mehrere Organisationen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit haben zur Verbesserung der Abwasserklärung insbesondere ab 2006/2007 Kredite freigegeben und Kooperationsprogramme initiiert. Der Großteil der Abwässer fließt bisher direkt in die Umwelt und damit häufig in Flüsse und Böden, die von anderen Menschen weiter genutzt werden. In der Region des Flusses Sebou werden die Abwässer aus der Industrie normalerweise wenigstens durch andere Zuflüsse verdünnt. In Zeiten der Wasserknappheit kommt es jedoch regelmäßig vor, dass sie unverdünnt für die Bewässerung in der Landwirtschaft genutzt werden. Dies führt zu entsprechenden Konzentrationen der Schadstoffe in den Agrarprodukten und niedrigeren Erträgen. Eine weitere Auswirkung ist die Weigerung europäischer Betriebe, in diesen Gebieten zu investieren. Dies führt mittlerweile zu offenen Konflikten: beispielsweise reichten Bauern im Jahr 2006 deshalb eine Sammelklage gegen die Ressourcenverschmutzung durch Industriefirmen in der Region Fes (Sebou-Flussbecken) ein (Quelle: eigene Interviews bei der ORMVA in Kenitra, 2006). Der Ausbau des Tourismussektors trägt derzeit bereits in den Regionen Marrakesch und Agadir zu teilweise scharfer Konkurrenz zwischen Golfplätzen und Luxushotels auf der einen, und der Landwirtschaft auf der anderen Seite bei. Der Vergleich der FAO verdeutlicht die Dimensionen des unterschiedlichen Wasserverbrauchs: 15 000 m³ Wasser reichen für die Versorgung von 100 Nomaden mit 450 Tieren drei Jahre, für den Haus- und Trinkwasserverbrauch von 100 Familien auf dem Land 4 Jahre, für die Bedürfnisse von 100 urbanen Familien zwei Jahre und für die Versorgung von 100 Kunden eines Luxushotels 55 Tage. In der ORMVAH31, der Behörde für die Aufteilung der Bewässerungsressourcen unter den Bauern, wurde bei Gesprächen mit der Autorin offen zugegeben dass immer öfter große Mengen an Wasser an private Unternehmer verkauft würden, obwohl sie eigentlich für die Bauern der Region vorgesehen waren. Die Unternehmer zahlten mindestens den doppelten Preis und beglichen im Gegen-
31
Office Régional de Mise en Valeur Agricole du Haouz: staatliches Amt für Fragen der Landwirtschaft und der Bewässerung der Region Haouz (Marrakesch und Umgebung). Jedem der sieben Grossen Bewässerungssektoren ist ein solches Amt zugeordnet.
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Marokkos Wasserpolitik vor neuen Herausforderungen
satz zu den Bauern ihre Rechnung direkt (Quelle: eigene Gespräche bei der ORMVAH in Marrakesch, März 2005). Mit den vermehrt auftretenden Dürren und der sinkenden Effizienz der Versorgung durch die Staudämme ging auch die Qualität der staatlichen Bewässerung zurück. Den Behörden wurde mangelnde technische Wartung der Anlagen und unzuverlässige Versorgung vorgeworfen. Viele Landwirte zogen es vor, individuell oder im Verbund mit anderen Motorpumpen zu erwerben, mit denen sie entweder aus Flüssen, aus Kanälen oder aus Grund- bzw. fossilen Wasserreserven die Ressource förderten. Letzteres hat jedoch wiederum ein rapides Absinken des Grundwasserspiegels zur Folge, verbraucht oft nicht-erneuerbare Reserven und kann Degradation und Verwüstung der Böden verursachen, da an den Stellen des abgepumpten Süßwassers Salzwasser eindringt. Die Degradation der natürlichen Ressourcen verursacht in Marokko jährlich Schäden in Höhe von 8% des BIP, wobei die Verschlechterung der Wasserressourcen alleine 6% ausmachen (EU 2003: 3). Dieser Prozess bedroht gerade die armen Bevölkerungsgruppen in ihrer Existenz (Streichen 2003: 85). Denn während andere durch ihren höheren Bildungsstandard, ihre finanziellen Reserven oder ihre Familienangehörigen im Ausland alternative Einkommensquellen erschließen können, sind sie der Ressourcendegradation und –knappheit gegenüber verwundbarer.
5.3.2 Folgen der wirtschaftlichen Liberalisierung und Privatisierung Die zweite große Herausforderung des landwirtschaftlichen Sektors und der damit verbundenen sozioökonomischen Gegebenheiten ist die wirtschaftliche Liberalisierung. Sie äußert sich zum einen in der Umsetzung mehrerer bi- und multilateraler Freihandelsabkommen, zum anderen in der Teilprivatisierung ehemals staatlicher Unternehmen und Dienstleistungen. Trotz einer pro-liberalen Grundsatzrede des ehemaligen Königs Hassan II 1988 stießen die Liberalisierungs- und Privatisierungsvorhaben im Agrar- wie auch in anderen Sektoren auf erheblichen Widerstand im Parlament und bei der Bevölkerung (Hillebrand 1996: 15). Der Widerstand gegen die Liberalisierung der Getreidemärkte währte dabei aufgrund der hohen sozioökonomischen Bedeutung des Sektors am längsten: noch im Jahr 2006 wurde der Mehlpreis zu 44% subventioniert (CIHEAM 2006: 78). Gerade bei den Grundnahrungsmitteln hängt die Subventionspolitik eng mit der politischen Stabilität zusammen. Dies wurde in den Jahren 2007/2008 in Marokko wie auch in zahlreichen anderen Ländern erneut bei den teils gewaltsamen Protesten gegen die hohen Lebensmittelkosten und insbesondere gegen den Anstieg der Brotpreise deutlich (Bennani 2007: e.Q.). Während
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es Marokko im bilateralen Freihandelsabkommen mit den USA noch gelungen ist, zumindest für einige Agrarprodukte wie Getreide Ausnahmeregelungen zu vereinbaren, ist dies im Fall der Verträge mit der Welthandelsorganisation fraglich. Auch das Abkommen Marokkos im Rahmen des EU-MEDA-Programms (mit dem Ziel der Schaffung einer Freihandelszone im Mittelmeerraum bis zum Jahr 2010) wird durch die Verwirklichung der Zollfreiheit zwischen Marokko und der EU bis zum Jahr 2012 erhebliche Auswirkungen auf die marokkanische Wirtschaft haben. Die Risiken der Marktliberalisierung im Rahmen der Freihandelsabkommen Marokkos sind vor allem für den Agrarsektor und die Einkommen der ländlichen Bevölkerung sehr hoch, aber auch die übrige Bevölkerung wird erheblichen Veränderungen ausgesetzt sein. In der Landwirtschaft wird erwartet, dass sich vor allem bereits erfolgreiche Großproduzenten durchsetzen, während kleine und mittlere Agrarbetriebe der höheren Konkurrenz schwer bis gar nicht standhalten werden (HCP 2007: 30). Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass viele lokale Agrarbetriebe dauerhafte Einstellungsverträge durch Saisonarbeitsabkommen ersetzten, was einerseits durch die höhere Konkurrenz, andererseits durch die Liberalisierung der Gesetze verursacht werden kann (Martin 2004: 430). Hinzu kommen andere erwartete Auswirkungen, die neben dem Agrarsektor auch andere Wirtschaftsbereiche und Bevölkerungsgruppen treffen werden: ein Anstieg der Preise der Konsumgüter und einiger Dienstleistungen sowie eine Verstärkung der ländlichen Armut und der regionalen Einkommensunterschiede. Der Staatshaushalt Marokkos wird aufgrund der wegfallenden Zolleinnahmen hohe Einbussen verzeichnen (Martin 2004: 436 ff.). Gleichzeitig wären gerade dann für die Abfederung der Einkommensausfälle und Preisschwankungen insofern unter den Bedingungen der liberalisierten Märkte überhaupt möglichstaatliche Hilfen für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen notwendig. Diese zahlreichen und wahrscheinlich gravierenden Auswirkungen der Freihandelsabkommen werden von der marokkanischen Regierung anerkannt (HCP 2007: 18), jedoch beschränkt sich die Thematisierung der sozioökonomischen Folgewirkungen auf die oben genannten Aspekte, ohne Konfliktpotentiale und die Gefährdung der politischen Legitimität anzusprechen. Die Umsetzung von Strategien zur wirksamen Abfederung dieser wahrscheinlichen Auswirkungen ist bisher (im Mai 2008) nicht sichtbar. Auch das bisher letzte Strategiepapier des zuständigen Ministeriums geht zwar auf diese Problematik allgemein ein, bringt jedoch wenig spezifische Lösungsvorschläge (vgl. die Vorstellung der Strategie im April 2008: MADRPM 2008). Der zweite Aspekt der Liberalisierung äußert sich nach Jahren des Dirigismus und der hohen Subventionszahlungen durch den zunehmenden Rückzug des Staates aus der Regulierung und Organisation des Agrarsektors. Noch in den
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1970er Jahren hatte Marokko die Preise für Produktion und Verbrauch der Grundnahrungsmittel aus landwirtschaftlicher Produktion staatlich festgesetzt und trug auch die Kosten der Fluktuationen der Weltmarktpreise. Seit dem ersten Strukturanpassungsprogramm für den Agrarsektor im Jahr 1985 (dem sog. „plan d’ajustement structurel agricole“, PASA) ist eine immer stärkere Liberalisierung der Branche zu beobachten. Ende der 1990er Jahre wurde in den verschiedenen Anbaugebieten sukzessive die Regulierung abgeschafft, die den Landwirten den Anbau bestimmter Mengen und Produkte vorschrieb. Die wirtschaftliche und politische Liberalisierung hat einerseits zu mehr Freiraum in der landwirtschaftlichen Produktion geführt. Andererseits hat sie aber auch zu einer Verstärkung der finanziellen Unsicherheit der Bauern beigetragen. Denn die staatliche Organisation der Vermarktung und die Abnahmegarantien haben lange die Entwicklung alternativer Lagerungs- und Handelsstrukturen beeinträchtigt, so dass die Anpassungskapazitäten an einen liberalisierten Agrarsektor gering sind. Einer der symbolträchtigen Schritte im Rückzug des Staates ist die Verpachtung der seit Jahren ineffektiv gemanagten staatlichen Landwirtschaftsbetriebe SODEA und SOGETA. 84.000 ha von einer Gesamtfläche von 124.000 ha werden seit 2003 in mehreren Etappen an marokkanische und ausländische Investoren verpachtet (Amourag 2003: e. Q.). Die mehreren tausend Angestellten der Betriebe wurden größtenteils in Frührente verabschiedet, zahlreiche Bauern und Gewerkschaften protestierten gegen die Entlassungen. Die den privaten Investoren auferlegten Pflichtenhefte werden laut Zeitungsberichten weder respektiert noch deren Einhaltung kontrolliert (Zyad 2007: e. Q.). Die Verpachtung dieser Grundstücke führt zu einer starken Umstrukturierung der Besitzverhältnisse. Spanische und marokkanische Firmen nutzen diese Flächen, um weiter zu expandieren. Häufig kaufen sie zusätzlich Grundstücke derjenigen Kleinbauern auf, die hoch verschuldet sind, die Bewässerung nicht mehr sicherstellen können, und nicht über die guten Kontakte zur Vermarktung ihrer Produkte verfügen wie die Großgrundbesitzer. Zur Unsicherheit der Wasserversorgung kommen für die Kleinbauern in vielen Fällen unklare Besitzverhältnisse hinzu, da die reale Nutzung der Böden aus vielen Gründen nicht mit den offiziellen Papieren übereinstimmt. Dies erschwert ihnen den Zugang zu Subventionen, Versicherungen und Hilfsprogrammen. Auch die ORMVA-Agenturen, ehemals starke öffentliche Einrichtungen zur Landwirtschaftsentwicklung in den Grossen Bewässerungssektoren, stehen unter dem Druck der Liberalisierung. Ihr Management wird bis auf wenige Ausnahmen von den internationalen Finanzinstitutionen seit Jahren als ineffektiv bezeichnet. Tatsächlich reichen die Einnahmen der ORMVA, die durchschnittlich bei 600 Mio MAD liegen, nicht einmal aus, um die Betriebskosten der Organisation in Höhe von 1158 Mio MAD (davon 500 Mio MAD Gehälter) zu finanzie-
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ren (AGR 2006: 10). Die Institutionen sollen trotz der bereits erheblichen Reduzierung des Personals durch das Angebot der Frührente32 weiter „verschlankt“ und ggf. sogar ganz aufgelöst werden. Die Kampagne der Frührente (départ volontaire en retraite anticipée), im Wesentlichen 2005 und 2006 umgesetzt, hat im Übrigen zu teilweise katastrophalen Konsequenzen geführt. Die Anzahl und Auswahl der in den Ruhestand Getretenen wurde praktisch nicht koordiniert, so dass das know-how und die Arbeitskraft ganzer Abteilungen in kürzester Zeit verschwanden, während die übrigen Angestellten das Arbeitspensum übernehmen mussten. In vielen Fällen quittierten gerade diejenigen Angestellten den Dienst, die aufgrund ihrer hohen Qualifikation Anstellungen im Privatsektor fanden. Im Fall der ORMVA wurde die Notwendigkeit der Reduzierung der Staatsangestellten bereits im ersten Bericht der Weltbank zur marokkanischen Bewässerungslandwirtschaft (1982) angesprochen (Cleaver 1982: 27). Die marokkanische Regierung bzw. das Könighaus wehrte sich jedoch lange erfolgreich gegen diese Maßnahmen. Dies deutet auf die hohe Bedeutung dieser Posten für den Makhzen hin. Als Lösung für die mangelnde Finanzkraft des Staates und angesichts notwendiger Großinvestitionen in die oft veralteten Bewässerungssysteme wird heute die Privatisierung der Wasserversorgung zunehmend als Lösung propagiert. Nach intensiver Kooperation mit der International Finance Corporation (IFC), der Institution der Weltbank zur Förderung des Privatsektors in Entwicklungsländern, führt Marokko derzeit das erste Projekt einer „öffentlichprivaten Partnerschaft“ im Bewässerungssektor durch (vgl. Kapitel 6.3 und 7.6). Weitere Vorhaben sind geplant und sehen unterschiedliche Formen der Delegierung vor. Wenngleich dieses Pilotprojekt der am stärksten sichtbare Teil der Privatisierungstendenzen in der Wasserversorgung ist, so ist diese auch in weiteren Bereichen fortgeschritten. Zum einen wird bereits seit mehreren Jahren die Trinkwasserversorgung in einigen marokkanischen Großstädten durch private Unternehmen geleistet. Weiter ist eine zunehmende Privatisierung bisher öffentlicher Mineralwasserquellen zu beobachten: marokkanische und ausländische Investoren eignen sich Quellen an, um Flaschenwasser abzufüllen. Diese Quellen wurden jedoch bis dahin von den umliegenden Dörfern genutzt. Dies hat in einigen Fällen bereits zu gewaltsamen Konflikten geführt und heute eine landesweite Mobilisierung der Zivilgesellschaft zur Folge, die sich für den Schutz dieser Quellen einsetzt (Zainabi 2007: e. Q.).33 Darüber hinaus werden auch die Bewäs32
Quelle: Gespräche während der Aufenthalte 2005 und 2006 mit Verantwortlichen in staatlichen Institutionen der ORMVA und Forschern. 33 Vgl. beispielsweise die Aktivitäten der NGO ACME Maroc: http://www.acmeeau.org/ACMEMaroc/index.php (10.12.2007).
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serungsbehörden der ORMVA angehalten, zumindest Teilbereiche ihrer Arbeit an private Unternehmen abzugeben. Die ORMVA im Gebiet Tadla beispielsweise setzt bereits seit mehreren Jahren ein privates Unternehmen für die Abrechung der Wassergebühren ein, weitere Dienste sollen folgen. Die Unklarheit über die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich und das Entstehen immer neuer Gerüchte verunsichert die Angestellten der sieben ORMVA, so dass weitere Angestellte abspringen und die Arbeitsbedingungen in einigen Offices erschwert sind, weil langfristige Planungen und die Freigabe entsprechender Budgets häufig nicht möglich sind. Die hier zusammengefassten Entscheidungen in der Agrarpolitik werden heute in Marokko vor allem wegen zweierlei Aspekten kritisiert. Zum einen ist das Land durch die starke Exportorientierung seiner landwirtschaftlichen Produktion in hohem Maße von internationalen Märkten abhängig und somit Preisschwankungen direkt ausgesetzt. Wurden diese in der Vergangenheit noch vielfach vom Staat getragen, so wird in den kommenden Jahren eine direkte Weitergabe an die Produzenten erwartet, die gerade die Kleinbauern schnell ruinieren kann. Zum anderen erhöht die fehlende Eigenproduktion der Grundnahrungsmittel (i.W. Getreide, Zucker, teilweise Milchprodukte) die Staatssausgaben für den Import dieser Nahrungsmittel. Der hohe Anstieg der Nachfrage wird die vorgesehenen Produktivitätssteigerungen der Landwirtschaft überholen, für 2015 wird daher für Marokko ein Getreide-Defizit von etwa 5 300 000 Tonnen erwartet (CIHEAM 2006: 45)34. Der Übergang von einer in hohem Maße staatlich gelenkten Landwirtschaft zu einer liberalisierten, in der jeder Landwirt für seine Produktion, Bewässerung und Vermarktung weitgehend auf sich selbst gestellt ist, ist nicht immer geglückt. Eine Mehrzahl der marokkanischen Landwirte ist durch die hier skizzierten Entwicklungen sowohl wirtschaftlich als auch sozial und politisch stark verunsichert. Sowohl die Wasserknappheit und damit die Verteuerung der Bewässerung und der Irrigationsmethoden, als auch die Liberalisierung der Agrarproduktion bewirken eine Marginalisierung der Kleinbauern im Land. Über 70 Prozent der Bauern in Marokko kultivieren weniger als 2 ha Land (MADRPM 2008: 10) – eine Fläche, die das wirtschaftliche Überleben der Betriebe angesichts der ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen unwahrscheinlich macht. Gleichzeitig ist ein wirtschaftlicher Aufschwung einiger Großbauern bzw. ausländischer Investoren zu beobachten, die durch ihre exportorientierte Produktion und die Verarbeitung vor Ort teilweise Arbeitsplätze in der Agroindustrie schaffen, aber i.W. SaisonarbeiterInnen beschäftigen. Die Risikoaversion der Land34
Zum Vergleich: In den Jahren 2001-2004 importierte Marokko 4 500 000 Tonnen Getreide, Ägypten 9 260 000 Tonnen und Tunesien 2 900 000 Tonnen (CIHEAM 2006: 45).
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wirte, die nahe an der Subsistenzproduktion wirtschaften, ist in Marokko wie in anderen Ländern hoch. Größere Produzenten haben eher den finanziellen Rückhalt und den notwendigen Bildungs- und Informationsgrad, um Exportprodukte anzubauen und auch neue Sonderkulturen zu testen. Neben den Auswirkungen auf die Einkommen und Lebenshaltungskosten hat die Liberalisierung auch zum Teil widersprüchliche politische Konsequenzen. Elloumi weist so zurecht auf ein wesentliches Paradox des Rückzugs staatlicher Institutionen aus der Landwirtschaft hin: einerseits kürzen Staaten wie Marokko ihre Personal- und Sachmittel in der Landwirtschaft erheblich, andererseits wollen sie aber die politische und wirtschaftliche Kontrolle über die rurale lokale Ebene nicht verlieren (Elloumi 2002: 21). In der Bewässerungsversorgung zieht sich der marokkanische Staat zu einem für die Mehrzahl der Produzenten denkbar ungünstigen Zeitpunkt zurück, denn die teilweise noch aus der Zeit des Protektorats stammende Infrastruktur ist oft in einem desolaten Zustand. Hierdurch sinkt die Produktivität, weil die kostbare Ressource durch Lecks verloren geht. Für den Unterhalt, der seit Jahrzehnten durch den Staat geleistet wurde, können die Bauern weder finanziell aufkommen noch besitzen sie oft die notwendigen technischen Fertigkeiten. Jaglins Beobachtungen zur Region Subsahara-Afrika treffen deshalb auch für den Liberalisierungsprozess in Marokko zu: „die politische und verwaltungstechnische Zielsetzung der Dezentralisierung, welche darauf abzielte, die öffentlichen lokalen Dienstleistungsunternehmen zur Verantwortung zu ziehen und ihre Performance zu verbessern, wird langsam abgelöst (…) durch ein ökonomisches Verständnis der Dezentralisierung. Dieses proklamiert den Abbau des öffentlichen Sektors und den Aufbau (…) eines Marktes für Dienstleistungen“ (Jaglin 2004: 314).
Politisch stellt sich die Frage, wie auf nationaler Ebene mit dem Risiko umgegangen werden wird, den oben erläuterten ‚sozialen Pakt’ mit der ökonomisch geschwächten Bauernschaft aufzubrechen. Die sozialen und politischen Beziehungen zumindest der größeren Landwirte sind trotz der Veränderungen noch so einflussreich, dass hier radikale Maßnahmen aus politischen Überlegungen heraus mindestens von Kompensationen begleitet werden müssen. Es ist allerdings zu befürchten, dass diese Kompensationen wenig formal und systematisch ablaufen, sondern vielmehr individuell und je nach politisch-sozialem Stellenwert des jeweiligen Besitzers gestaltet werden - eben über die etablierten Strukturen und „Tauschwerte“ des Makhzen-Systems. Die Strategien der Regierung und des Königshauses in der Landwirtschafts- und Wasserpolitik sind angesichts der vielfältigen Herausforderungen noch immer unklar und widersprechen sich zum Teil. Trotz der neu geschaffenen Institutionen mangelt es an Kohärenz zwischen den betreffenden Organisationen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.
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Pérennès fasst das Paradox der marokkanischen Landwirtschaftspolitik treffend zusammen: „es wird beabsichtigt, die technischen Lösungen den politischen Gegebenheiten anzupassen, aber auf grundsätzliche Reformen wird verzichtet, um die politische Kontrolle zu behalten“ (Pérennès 1993: 347).
Aus diesem Grund werden auch die aktuellen technischen Innovationen wie die verbreitete Einführung der Tröpfchenbewässerung die Produktionsverhältnisse nur begrenzt verbessern. Hinzu kommt das oft schwierige und konfliktträchtige Verhältnis zwischen Makhzen und Landwirten. Insbesondere seit dem Ausbau der Bewässerungssektoren hat sich dies durch mangelnde Kommunikation und oktroyierte „top-down“ Politik weiter verschlechtert. Die mangelnde Funktionsfähigkeit vieler Großer Bewässerungssektoren wird von Politikern, Technokraten und den beauftragten Ingenieuren auf die „Dummheit“ der Landwirte zurückgeführt, während letztere sich weigern, die ihrer Ansicht nach funktionierenden Systeme der sozialen Organisation und bewährten Anbau- und Bewässerungsmethoden aufzugeben. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die marokkanische Wasserpolitik ebenso wie die Landwirtschaftspolitik vor großen Herausforderungen und Umbrüchen steht. Die Auswirkungen bergen Risiken für die Wirtschaft des Landes, aber auch die Entwicklung der ländlichen Gebiete und den sozialen Zusammenhalt. Die im Jahr 2007 vom marokkanischen Staat herausgegebene Studie Agriculture 2030 stellt das Ausmaß der Herausforderungen und die Defizite der bisherigen Politik selbstkritisch fest: „es hat sich ein Teufelskreis der fehlenden Nachhaltigkeit ergeben: schwaches Wachstum, Innovationsdefizit, ungenügendes Kapital, ländliche Armut, Verwüstung und Degradation der Wasserressourcen, Verwundbarkeit gegenüber Dürren etc. (...) Erste Strategien, um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind erarbeitet worden. Dennoch mangelt es bisher für ihre Umsetzung an einem dem Ausmaß der Herausforderungen entsprechenden politischen Willen“ (HCP 2007: 7). Die Umsetzung der Wassermanagement- und Landwirtschaftsstrategien macht vielmehr deutlich, dass die Politik und die Vertreter des Makhzen heute wie schon zur Regierungszeit von König Hassan II versuchen, den Landwirten kleiner und mittlerer Betriebe eine Rolle im Herrschafts- und Produktionssystem zuzuweisen. Lokale Formen der sozialen und wirtschaftlichen Organisation werden dabei weitgehend ignoriert bzw. nur dann integriert, wenn sie der Durchsetzung neuer nationaler Strategien dienen (vgl. das erläuterte Beispiel der Wassernutzergruppen).
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Auf ökonomischer Ebene sollen Landbesitzer im Rahmen der Exportorientierung zu Hilfsarbeitern der Agroindustrie werden oder ihre Produktion an Mittelsmänner von Großunternehmen liefern. Die früher weit verbreitete Dominanz des Makhzen über die ruralen Eliten wird zunehmend durch das sog. „Makhzen économique“ ersetzt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um private Unternehmer und andere einflussreiche lokale Persönlichkeiten, die jedoch die gleichen Verhaltensmuster reproduzieren, wie sie Hammoudi beschreibt (Hammoudi 1997: 23 ff.). Im Unterschied zur etablierten Makhzen-Struktur unterscheidet sich die neue durch eine wichtigere Rolle des ökonomischen Wertes der Tauschbeziehungen. Der Bildungsstand und das Finanzkapital der Personen in den Netzwerken der Privatwirtschaft bekommen einen stärkeren Einfluss, wenngleich auch die traditionellen, immateriellen Werte der Beziehung wie z.B. die soziale Position, weiterhin im Austauschprozess eine Rolle spielen. Die hier analysierten Entwicklungen machen deutlich, dass das lange etablierte System der Herrschaftssicherung durch die politische Verteilung der Ressourcen Land und Wasser aufgrund ökologischer und politisch-ökonomischer Prozesse zunehmend in Frage gestellt wird und sich verändert. Die sozioökonomischen Ungleichheiten verstärken sich und schaffen neue Konfliktpotentiale, die vormals über informelle Kompensationen des Makhzen-Systems größtenteils entschärft werden konnten. Dennoch ist in Marokko keine Bauernrevolution wie in anderen Ländern zu erwarten. Das „neue Makhzen“ (vgl. Kapitel 4) schafft mit ähnlichen Mitteln wie zuvor neue Netze der gegenseitigen Verbindlichkeiten, die eine Massenorganisation der Landwirte unwahrscheinlich erscheinen lassen. Gleichzeitig steigen der Handlungsspielraum und der Organisationsgrad kleinerer Institutionen: lokale Gewerkschaftsgruppen, wachsende associations und NGOs aber auch informelle Zusammenschlüsse benachteiligter Landwirten wehren sich zunehmend gegen die Auswirkungen der hier skizzierten Trends. Konfliktpotentiale sind daher im Wesentlichen auf lokaler Ebene zu beobachten und können regionale Auswirkungen haben und sich in unterschiedlichen Gebieten ähnlich wiederholen, ohne dass bisher jedoch eine landesweite Koordination der Landwirte zu erwarten wäre.
6 Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
Die in Kapitel 4 und 5 bereits angesprochenen Konfliktpotentiale durch verstärkte Marginalisierung und die Neuaushandlung der Machtverhältnisse sind im Süden Marokkos besonders deutlich zu beobachten. Bevor die empirischen Fallstudien zu Konflikt und Kooperation bei Wasserknappheit vorgestellt werden, wird in diesem Kapitel kurz auf die aktuellen Herausforderungen im südmarokkanischen Souss-Tal sowie auf den Handlungsspielraum der staatlichen, nichtstaatlichen und privaten Akteure eingegangen. In der stark von Wasserknappheit betroffenen Region erschweren mehrere Faktoren das Management der Ressource: die klimatischen und hydrologischen Bedingungen, die Ausweitung der bewässerten Landwirtschaft und der zunehmende Wasserbedarf der Tourismusregion Agadir, aber auch die institutionelle Organisation der wasserkonsumierenden Sektoren. Trotz der zunehmenden Schwierigkeiten der landwirtschaftlichen Produktion ist das Souss-Tal weiterhin eine strategisch wichtige Region im Land, wo die Interessen der expandierenden Privatwirtschaft, der lokalen Produzenten und des Makhzen aufeinandertreffen. Gleichzeitig ist diese Region Marokkos landesweit für das wirtschaftliche Unternehmertum der Bevölkerung, für die Solidarität der Stämme und Familien sowie für das Engagement der Zivilgesellschaft bekannt. Letzteres hat auch im Wassersektor die Entstehung zahlreicher nichtstaatlicher Projekte begünstigt, die sowohl entwicklungspolitisch tätig sind, als auch ein bedeutendes Netz sozialer Beziehungen schaffen und eigene Interessensgruppen bilden. Dieses Kapitel untersucht zunächst die Ursachen und Auswirkungen der aktuellen akuten Wasserknappheit im Souss-Tal, die zur ökologischen, ökonomischen und sozialen Marginalisierung vieler Familienbetriebe führt. Das Unvermögen der öffentlichen Institutionen, das dringende Problem der Wasserknappheit zu lösen, wird dann im Kontext der Neuaushandlung der Kräfteverhältnisse zwischen Staat/Makhzen, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft analysiert. Die in Kapitel 4 und 5 vertretende These der Umgestaltung der Legitimationsquellen des Makhzen und seiner Politik bestätigt sich, da sowohl der Einfluss der königstreuen Notablen, als auch derjenige der lokalen Technokraten-Elite sinkt. Stattdessen gewinnt neben einigen Akteuren der Zivilgesellschaft vor allem der Privatsektor an Einfluss, sei es durch Einzelbetriebe, Großproduzenten oder die Privatisierung staatlicher Dienstleistungen. Für die Analyse des Privat-
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Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
sektors wird hier vor allem auf das in diesem Ausmaß weltweit einzige (Stand 2008) Pilotprojekt einer öffentlich-privaten Partnerschaft zur Lösung der Wasserknappheitsprobleme im Agrarbereich eingegangen. Die politische Brisanz dieser „Partnerschaft“ zwischen dem Staat und dem Privatsektor ergibt sich zum einen aus den langfristigen Plänen der Investoren und den zu erwartenden sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen, zum anderen aus seiner spezifischen Konstellation, da das beauftragte Konsortium wie auch die finanzierende Stiftung zum Großteil dem Königshaus gehören.
6.1 Zunehmende Konkurrenz um Land und Wasser Das Souss-Tal folgt dem Verlauf des (meist trockenen) Flusses gleichen Namens und grenzt im Osten, Norden und Süden an Gebirge (vgl. Abb. 4). Der Fluss entspringt am höchsten Berg Nordafrikas, dem Toubkal (4165 m), und mündet nach 260 Km im Westen bei der Küstenstadt Agadir ins Meer. Von dieser Höhe erhebt sich das Tal ostwärts bis auf 700 m. Der Fluss ist stark von den klimatischen Verhältnis abhängig und führt, wenn überhaupt, nur im Winter Wasser – dann, wenn es die Landwirtschaft am wenigsten benötigt. Das Tal erstreckt sich oberirdisch über eine Fläche von etwa 4.150 km², unterirdisch reicht das Wasserbecken über 16 200 km², von denen sich ein Teil unter dem angrenzenden Gebirge befindet (CNSEC 2001: 5). Innerhalb dieses Beckens ist der Grundwasserspiegel über eine Fläche von etwa 4000 Km² zugänglich, wobei der Wasserpegel in der Nähe des Flussbettes des Souss in einer Tiefe von 10-30m liegt und mit wachsender Entfernung vom Flussbett von 35m bei Oulad Bourbiaa bis auf 70m bei Loulija sinkt. Die Tiefe des Reservoirs selbst beträgt zwischen 150 und 500m (Baroud/El Arabi 1996: 86). Sein Volumen wird auf 40 Milliarden m³ geschätzt, wovon sich jährlich jedoch nur etwa 40 Millionen m³ erneuern (ElMahdad/Ouhajou et al. 2005: o. S.). Die landwirtschaftliche Nutzung des Souss-Tals geht bereits auf die Zeit vor dem Protektorat zurück, als vor allem mit traditionellen Bewässerungsmethoden aus Gebirgszuflüssen die Hangzonen des Gebirges beackert wurden. Schon im Mittelalter war Agadir als wichtigste Hafen- und Handelsstadt Marokkos bekannt. Die Region befand sich an der Schnittstelle der wesentlichen Handelsrouten zwischen Marokko und Subsahara-Afrika, für die europäischen Händler war es zudem der nächste Hafen zu Westafrika, wo die Sklaven und das Gold herkamen, und wo die Schiffe auf ihrer Reise Richtung Amerika oder Asien Halt machten (vgl. auch Roque 2004: 264). Die Stadt wurde ab dem 18. Jahrhundert zum Zankapfel der konkurrierenden Eroberer. Die Rivalität um das Gebiet wurde
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im Wesentlichen im Jahr 1911 entschieden: die Franzosen nahmen im April die Stadt Fes ein und dehnten ihren Einfluss auf das gesamte Land aus, die Spanier landeten im Mai in Ifni und besetzten mehrere Städte, und die Deutschen okkupierten ab Juli 1911 die Stadt und Region Agadir und fingen an, im Souss-Tal Felder um die Kleinstadt Taroudant zu bewirtschaften. Bereits im November des gleichen Jahres einigten sich die Deutschen jedoch mit Frankreich auf einen „Tausch“ und bekamen für die Übergabe dieser Region ein Gebiet im Kongo. Abbildung 6:
Der Verlauf des Souss- Flusses
Der Souss fließt ab dem Staudamm Aoulouz im Osten bis zur Mündung ins Meer bei der Stadt Agadir:
Karte: Fabienne Houdret, 2009
Ab 1938 siedelte die französische Protektoratsmacht Investoren an, die nicht wie in anderen Regionen des Landes Familienbetriebe einrichteten, sondern die Felder gezielt für die Großproduktion nutzten. Schon ab 1950 orientierten sich diese Produzenten klar auf die Exportwirtschaft. Zur gleichen Zeit wurde erstmals das durch den hohen Wasserverbrauch bedingte Absinken des Grundwasserpegels festgestellt (Dijon 1969: 260). Diese Entwicklung wurde seit 1935 wesentlich
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Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
durch die Ansiedlung finanzkräftiger privater Investoren beeinflusst, mit der die verbreitete Nutzung moderner Wasserpumpanlagen einherging. Doch auch die staatlichen Bewässerungssysteme kamen der erhöhten Nachfrage ab den 1950er Jahren durch die Nutzbarmachung unterirdischer Wasserressourcen nach. In den 1960er/70er Jahren weitete sich die landwirtschaftliche Nutzung der Region rapide aus und wurden einige bis heute relevanten Entwicklungen in der Verteilung des Grundeigentums und der Organisation der Landwirtschaft angestoßen. 1966 etwa wurde die für die Landwirtschaft und die Bewässerung zuständige Behörde ORMVA geschaffen und baute die staatliche Infrastruktur in diesem Bereich aus. Der Verkauf vieler Grundstücke französischer und spanischer Kolonialherren kurz vor und nach der Unabhängigkeit des Landes (1956) ermöglichte vor allem wohlhabenden Marokkanern aus Rabat und Casablanca die Ausweitung ihres Grundbesitzes. Zusätzlich vergab der Staat zahlreiche Grundstücke, die ehemals in französischer Hand waren, an regimetreue Notable. Neue Investoren bauten vor allem die Zitrusfruchtproduktion aus, so dass bereits 1976 19.000 ha angebaut wurden. Die starke Übernutzung der Wasserressourcen führte dazu, dass schon in den 1980er Jahren der Grundwasserpegel so niedrig stand, dass die traditionellen Seguias, die den Bauern eine vom Staat unabhängige und kostenfreie Bewässerung ermöglichten, weitgehend austrockneten. Diese Seguias sind meist kollektive, oben offene Bewässerungskanäle aus Erde, deren individuelle Nutzung über den sog. Amazzal geregelt wird, der die Uhrzeiten, Reihenfolge und Menge der Bewässerung festsetzt und überwacht. Die Nutzung der damals modernen staatlichen Bewässerungssysteme dagegen verlangte die Unterordnung unter die Regeln der Behörde, die den Landwirten nur wenig Spielraum für die eigene Gestaltung der Bewässerung ließ. Trotz des Staudamms Abdelmoumen, der 1985 zur Wiedereinspeisung der Gebirgszuflüsse in das Grundwasser gebaut wurde, wurden die Landwirte zu diesem Zeitpunkt also verstärkt abhängig von der staatlichen Wasserversorgung bzw. umgingen diese Einschränkung, indem sie in private Bohrungen investierten. Die Expansion der bewässerten Landwirtschaft und die gleichzeitige Urbanisierung sowie der rapide Ausbau des Tourismussektors in und um Agadir ließen den Wasserbedarf schnell ansteigen. Heute reichen die acht Staudämme der Region nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen, doch auch tiefe Bohrungen bringen an zahlreichen Orten im Tal keinen Tropfen Wasser mehr hervor. Neben den ursprünglich einfach zugänglichen Grundwasservorräten, die im Tal in einer Tiefe von 10 bis 15m die erneuerbaren Wasserressourcen bildeten, sind heute auch viele der sog. fossilen Reserven erschöpft. Über aufwändige und tiefe Bohrungen (100 bis 200m, vgl. ElMahdad/Ouhajou et al. 2005: o. S.) wurden diese unterirdische Wasservorräte aus meist abgeschlossenen Höhlen abgepumpt. Diese fossilen Reserven erneuern
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sich entweder nur sehr langsam oder gar nicht. Während die erneuerbaren Wasserressourcen (ober- und unterirdische) jährlich etwa 240 Millionen m³ umfassen, wurden im Jahr 2005 640 Millionen m³ Wasser verbraucht (Bzioui 2005: 24). Das entspricht einer Übernutzung von 179 %. Bis dato (2008) ist die genaue Zusammensetzung des Souss-Beckens wegen mangelnder Studien jedoch nicht bekannt, weder die exakten Zu- und Abflüsse noch die eventuell vorhandenen weiteren unterirdischen Reserven. Dies liegt vor allem an den Kosten und der hohen Komplexität solcher Studien (Bzioui 2005: 28, vgl. auch das Informationssystem „Aquastat“ der FAO: FAO 2000: e. Q.). Seit 1974 ist der Grundwasserpegel im Souss-Becken jährlich um 0,5 bis 2,5m gesunken, so dass an vielen Stellen die Brunnen zur Bewässerung und zur Trinkwasserversorgung trocken liegen (CNSEC 2001: 56). Auch während der normalerweise feuchten Jahreszeit von November bis März, die drei Viertel der gesamten Niederschläge bringt, ist in den letzten Jahren wenig Regen gefallen: nur durchschnittlich 280mm/ Jahr (ORMVA-SM 2001: 9). Das bereits heute trockene, heiße und niederschlagsarme Klima wird sich Studien zufolge durch den Klimawandel weiter verschärfen und sorgt über die Erderwärmung auch für höhere Verdunstungsraten. Dürren, wie sie die Region zwischen 1980 und 1985, von 1990 bis 1995 und zwischen 1998 und 2000 erfahren hat35, sollen künftig in Nordafrika noch häufiger auftreten und länger anhalten (IPCC 2007: 451). Die Fläche der bewässerten Landwirtschaft geht deshalb nach einer langen Periode intensiver Ausdehnung etwa seit dem Jahr 2000 rapide zurück. Die Übernutzung der Wasser- und Bodenressourcen hat zu einer starken Degradation des Ackerlandes geführt, so dass vielerorts Versalzung, Erosion und Verwüstung des ehemals fruchtbaren Bodens die Folge sind. Darüber hinaus hat die Ausbreitung der landwirtschaftlich genutzten Flächen in den vergangenen achtzig bis hundert Jahren zur massiven Abholzung der ursprünglichen Vegetation geführt (Ait Hssaine 1996: 22 f.). Diese bestand größtenteils aus den weltweit einzigartigen Argan-Bäumen, aus denen ein wertvolles Öl gewonnen wird, und die in der niederschlagsarmen Region gut gedeihen ohne, wie die bewässerte Landwirtschaft, den Boden und die Wasserressourcen zu übernutzen. Neben den ökologischen sind auch die sozioökonomischen Auswirkungen dieser Rodungen enorm, da die Gewinnung und Weiterverarbeitung des Arganöls die Einkommen vieler Einwohner und insbesondere der Berberfrauen sicherte. Mehrere Projekte zur Wiederaufforstung der Wälder und der Verbesserung des internationalen und nationalen Handels der Produkte (u.a. der GTZ) haben seit den 1990er Jahren zu einer erheblichen Verbesserung der Situation 35 Als Dürre gilt nach den örtlichen Behörden ein Klima mit einem jährlichen Niederschlagsdefizit von mindestens 60 Prozent.
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Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
beigetragen, wenngleich die Verwüstung der Böden weiter voranschreitet (vgl. auch Bouchelkha/El Madani 1996: 39 ff.). Zwischen 1996 und 2003 mussten die Landwirte wegen unfruchtbarer Böden über 6.000 ha Ackerland verlassen, was oftmals die Abwanderung ganzer Familien bedeutet (Alami 2007: 13). Doch auch die noch kultivierten Felder leiden unter der geringen Wasserverfügbarkeit, so dass die bestehende Infrastruktur der Landwirtschaft nicht ausgelastet ist. Von 140.995 ha für die Bewässerung ausgestatteter Fläche wurden im Jahr 2004 effektiv nur 137.310 ha bewässert, die Tendenz ist weiter sinkend (CNSEC 2001: 22). Die landwirtschaftliche Produktion konzentriert sich immer stärker auf die Produkte Obst (i.W. Zitrusfrüchte für den Export, Bananen für den nationalen Markt) und Gemüse (i.W. Tomaten, Bohnen), die zum überwiegenden Teil für den Export bestimmt sind. Der gewinnbringende Export von Zitrusfrüchten ist landesweit alleine zwischen 2006 und 2007 um 42 % gestiegen. 74 % dieser Produktion stammen aus der Region Souss-Massa (Kabbaj 2006: 4). Diese Erzeugnisse werden jedoch durch die aufwändigen Produktionsbedingungen (für Bananen und Gemüse häufig Treibhäuser, insgesamt teure Bewässerungssysteme und Setzlinge, hoher Qualitätsanspruch) meist von Großproduzenten angebaut. Der wesentlich durch Investoren aus Casablanca und Rabat wie auch Spanien, Portugal, Frankreich und den Niederlanden angekurbelte Privatsektor belegte 1995 bereits die Hälfte der gesamten bewässerten Flächen im Tal (ElMahdad/Ouhajou et al. 2005: o.S.). Von 20.000 ha in den sechziger Jahren wuchs die Fläche der privaten bewässerten Landwirtschaft auf 50.000 ha im Jahr 1995 an, heute wird sie auf etwa 70.000 ha geschätzt36. Diese Investoren nutzen fast immer ausschließlich unterirdische Wasserressourcen, die sie über kostenspielige Tiefbohrungen erschließen und abpumpen. Im Souss-Gebiet sind diese häufig illegalen Bohrlöcher besonders verbreitet und stellen Schätzungen zufolge ein Viertel der privaten Wasserbohrungen in ganz Marokko dar (UN-Habitat 2004: 25). Zwar liefern auch kleinere Produzenten Zitrusfrüchte und Tomaten für den Export an Zwischenhändler, die hohen Qualitätsanforderungen und die oft geringen Erlöse führen jedoch dazu, dass diese ihre Produkte meist direkt auf dem lokalen Markt verkaufen (Belkadi 1996: 180f.). Neben den Produktionsanforderungen bestimmen daher auch die Vermarktungsstrukturen Kräfteverhältnisse zwischen den Produzenten, denn „das [Vermarktungs-] System gruppiert vor allem die Großproduzenten, die über erhebliche Mittel verfügen, um der Konkurrenz im Außenhandel entgegenzutreten“ (Belkadi 1996: 201). Neben dem Verbrauch der Landwirtschaft trägt auch der rapide expandierende Tourismussektor zur Übernutzung der unterirdischen Wasserressourcen 36
Aktuelle Zahlen sind hier schwierig zu erhalten, diese wurden von der ORMVA in Gesprächen mit der Autorin im Januar 2006 genannt.
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bei. Noch dienen etwa 95% der nutzbar gemachten Wasserressourcen der Landwirtschaft, immer mehr kommt es jedoch zu starker Konkurrenz mit Investoren, die für die Bewässerung von Grünanlagen und Golfplätzen sowie den Hotelbetrieb wachsende Mengen an Wasser benötigen. 45% des Wasserverbrauchs im städtischen Raum Agadir werden bereits heute für die Bewässerung von Grünanlagen verwendet. Zahlreiche illegale Bohrungen zur Versorgung der Hotelanlagen und Villen machen auch hier eine genaue Abschätzung des tatsächlichen Verbrauchs für den urbanen Konsum sehr schwer. Im Rahmen des weiteren Ausbaus der Tourismus-Infrastruktur wird bis zum Jahr 2010 in der Region eine Kapazität von 30 000 Zimmern angestrebt (UN-Habitat 2004: 40). Die notwendige Abwasser- und Müllentsorgung in der Stadt wird erst langsam durch den Staat organisiert und die mangelnde Entsorgung trägt vielerorts zur Gewässerverschmutzung bei. Der Wasserkonsum im Großraum Agadir, der im Jahr 1997 bei 18,3 Millionen m³/Jahr lag, hat sich bis zum Jahr 2005 mehr als verdoppelt und betrug dann 42,5 Millionen m³/Jahr (UN-Habitat 2004: 47). Dieser rapide Anstieg der Nachfrage sollte durch den Bau eines zusätzlichen Großstaudamms bis zum Jahr 2020 gedeckt werden - letztendlich genügt die verfügbare Menge auch trotzt dieser neuen Angebotserhöhung nicht einmal, um die derzeitigen Bedürfnisse zu befriedigen (Stand: 2008). Der Verbrauch der Wasserressourcen für Hotelanlagen und Golfplätze entsprach bereits im Jahr 2004 der Menge des Trinkwasserkonsums von knapp 200 000 Menschen (UN-Habitat 2004: 49). Im Raum Agadir werden Maßnahmen des Nachfragemanagements angestrebt, die sich im Wesentlichen auf die für 2020 geplante Bewässerung der Hälfte aller Grünflächen durch 15 Millionen m³ recycelten Abwassers beschränken. Restriktionen des Trinkwasserkonsums für die Großkonsumenten im Tourismussektor (Schwimmbäder, Hotels, Golfplätze) sind bisher nicht geplant. Die Nutzbarmachung und die Verteilung der Ressource sorgen gerade auch in den Gebieten um die Staudämme zunehmend für Konflikte, da Dorfbewohner oftmals ihrer Felder (und damit ihrer Lebensgrundlage) enteignet werden und trotz ihres Wohnsitzes in unmittelbarer Nähe zum Staudamm keinen Zugang zu Trinkwasser haben. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Produktionsbedingungen vieler kleiner und mittlerer Familienbetriebe vor allem seit den 1990er Jahren stark verschlechtert haben, unter anderem durch unzureichende staatliche Wasserversorgung und die massiven Investitionen des Privatsektors. Malouki schreibt dazu „Die Intervention des Privatsektors hat die sozialen Disparitäten verschärft und die Armen von der Bewässerung ausgeschlossen, da sie die unerschwinglichen Wasserpreise nicht bezahlen können“ (Malouki 1996: 145). Wesentliche Faktoren der Ausgrenzung sind die Verteuerung der Bewässe-
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rung und das Ansteigen der Preise des noch fruchtbaren Bodens. Studien in anderen Regionen Marokkos haben gezeigt, dass das Einkommen derjenigen Landwirte, die unterirdische Wasserquellen nutzen können, viermal so hoch ist wie das Einkommen der Bauern, die auf Regenlandwirtschaft angewiesen sind (Petitguyot/Rieu et al. 2005: 40). Im Souss ist dieser Unterschied aufgrund der schlechten Klimaverhältnisse vermutlich noch höher. ElMahdad wies in seiner detaillierten Studie des Souss-Tals den direkten Zusammenhang zwischen der Tiefe und der Anzahl der Brunnen und der Besitzklasse der Landwirte nach. Während die Großgrundbesitzer nur 6% der Landwirte repräsentierten, kontrollierten sie 32% der mobilisierten unterirdischen Wasserressourcen und verfügten meist über Brunnen, die tiefer als 80m waren. Die Kleinbauern dagegen, 62% aller Landwirte des Tals, denen jedoch nur rund ein Drittel der bewässerten Grundstücke gehörten, verfügten nur über 13% der nutzbar gemachten unterirdischen Wasserressourcen. Ihre Brunnen stellten zwar etwa 60% der Gesamtanzahl dar, waren aber meist nicht tiefer als 40m (ElMahdad/Ouhajou et al. 2005: 4). Die Marginalisierung durch ungleiche Landverteilung verstärkt sich für viele Produzenten durch mangelnden Zugang zu rentablen Vermarktungsstrukturen (Transportprobleme, Qualität der Produktion, Know-How), geringes Finanzkapital zur Abfederung von Preisschwankungen und Naturkatastrophen oder zur Investition in spekulative Produkte. Auch der Wandel der Besitzstruktur hat die Position dieser Produktionsgruppe erschwert. Viele Landwirte waren gezwungen, entweder ihren Boden zu verkaufen oder eine Pacht zu akzeptieren, da kleine Betriebe mit den neu entstandenen Großbetrieben nicht konkurrenzfähig sind, und weil Subventionen und Kredite für diese Besitzerkategorie oft schwer zu erhalten sind. Finanzielle Ressourcen, aber auch Bildung und Wissen, Kontakte zur Verwaltung, zu Politikern, zu ausländischen Organisationen und Betrieben stärken die Position einiger Landwirte. Sie ermöglichen ihnen, ihre Produktion über technische Innovationen und den Anbau rentabler Produkte an die Ressourcenknappheit anzupassen. Viele Kleinbauern, die wegen ungeklärter Besitzverhältnisse oder zu komplexer administrativer Prozeduren keinen Zugang zu Krediten oder Subventionen haben, mussten dagegen die Gegend verlassen oder ihre Produktion derart reduzieren, dass sie nicht mehr als Familieneinkommen ausreicht. Neben der Migration (Bouchelkha 1996: 114 ff.) haben die modernisierten Bewässerungssysteme auch eine Reduzierung der Arbeitskräfte bewirkt und die Möglichkeiten zur Viehhaltung, traditionell eine wichtige Kapitalanlage der Bauern, vermindert (Malouki 1996: 140). Vormals wurde das gesamte Feld durch oberirdische Kanäle gewässert, wodurch unter Oliven- oder Orangenbäumen noch Viehfutter angepflanzt werden und Vieh weiden konnte. Bei der sparsameren Tröpfchen-
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bewässerung, die unterirdisch direkt an der einzelnen Pflanze Wasser in Wurzelnähe in den Boden injiziert, ist dies jedoch nicht mehr möglich. Zusätzlich hat auch der Bau von Staudämmen vielen Kleinbauern die eigene Nahrungsmittelversorgung und Einkommensquelle entzogen. Die staatlichen Entschädigungen des konfiszierten Bodens von zwei bis drei Dirham pro Quadratmeter (0,20 bis 0,30 €/m²) ermöglichen ihnen nach Auskunft einiger Betroffener ebenso wenig eine Lebensgrundlage wie die temporären Arbeitsstellen in den lokalen Verpackungsstationen (Lahoucine 2006: e.Q.). Einige der Betroffenen haben sich in einer Gewerkschaft zusammengeschlossen und im Mai 2006 eine Demonstration vor der lokalen Kommune organisiert, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Nach der gewaltsamen Auflösung der Versammlung und der Verhaftung sowie, laut Aussage der Betroffenen, der Misshandlung einiger Teilnehmer, sind im Januar 2007 fünf der Beteiligten zu vier Monaten Haft und Geldstrafen verurteilt worden, ohne dass den Forderungen nachgegeben wurde (Aakik/Lahoucine 2007: e.Q.). Über die sozialen und ökonomischen Konsequenzen der Konzentration ökologischer und wirtschaftlicher Ressourcen bei einer Minderheit der Landwirte sind bisher keine flächendeckenden Studien verfügbar bzw. zugänglich. Auch die lokalen Behörden des Wassermanagements (ABH und ORMVA) besitzen diese nach eigener Auskunft nicht, gemäß der Information verschiedener Zuständiger während der Gespräche mit der Autorin. Der Bericht der UN-Habitat zu der Region stellt den Mangel an Datenerhebungen über die Lebensbedingungen in der Region ebenfalls fest (UN-Habitat 2004: 68). Eine der sichtbaren Auswirkungen im Souss- Tal selbst ist eine starke Migrationsbewegung. Diese betrifft zum einen die teilweise Abwanderung wohlhabender Landeigentümer in die nördlichen und südlichen Gebiete des Landes (Gharb, im nördlichen Teil des Landes, und Goulmim, südlich von Agadir). Zum anderen kaufen bzw. pachten finanzstarke Landwirte vom tiefer liegenden, westlichen Souss-Tal Felder in der bisher etwas weniger genutzten östlichen Region, Richtung Aoulouz (vgl. Karte Abbildung 4). Dort sind die Niederschläge geringfügig stärker und die unterirdischen Wasservorkommen über tiefe Bohrungen noch teilweise zugänglich. Neben dieser Migration verursachen die Konzentration des Grundeigentums und der restriktive Zugang zu Wasser auch teilweise gewaltsame Konflikte zwischen unterschiedlichen Wassernutzern oder den Landwirten und den staatlichen Institutionen.
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6.2 Institutionelle und machtpolitische Aspekte der Wasserkrise Nachdem die wesentlichen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Souss- Tals analysiert wurden, führen die folgenden Teilkapitel in das Konflikt- und Kooperationspotential in diesem Kontext ein. Die Konfliktursachen und Vermittlungsmöglichkeiten werden dann detaillierter in der Auswertung der empirischen Studien (Kapitel 7) behandelt. Zunächst zur Ausgangslage: seit mehreren Jahrzehnten warnen Wissenschaftler, Verantwortliche der lokalen Wassermanagementorganisationen und lokale wie internationale Entwicklungsorganisationen vor den Auswirkungen der drastischen Übernutzung der natürlichen Ressourcen im Souss-Becken. Trotz vielfacher Bestätigungen der Dringlichkeit der Situation haben die verantwortlichen politischen Institutionen auf nationaler und regionaler Ebene lange Zeit weiter auf die Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen und die Ausweitung der bewässerten Felder gesetzt. Das Management der Wassernachfrage wurde wohl auch aus politischen Gründen verschoben, denn viele der Besitzer großer Farmen waren und sind den Kreisen des Makhzen zuzuordnen. Das weitgehende Scheitern der politischen Institutionen an den ökologischen und ökonomischen Herausforderungen im Souss hat nicht nur irreparable Schäden für die Umwelt zur Folge, sondern wirkt sich auch auf das Sozialgefüge und den sozialen Frieden in der Region aus. Angesichts der angespannten Lage werden die Wasserverteilung und der Zugang zu Land auch in dieser Region zu wesentlichen Faktoren der Machtverteilung und verursachen gewaltsame Auseinandersetzungen. Der Einfluss auf die Ressourcenallokation bekommt daher neben seiner direkten ökonomischen Bedeutung eine symbolische und machtpolitische. Über die Konkurrenz um den Zugang zu knappen Ressourcen ist im Souss-Tal eine Neugestaltung der Kräfteverhältnisse zwischen staatlichen/Makhzen- nahen Akteuren, der Privatwirtschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu beobachten. Die Schlüsselfrage angesichts dieser Entwicklungen ist, ob die Ressourcenkrise über ihre sozioökonomischen Auswirkungen unweigerlich zu ggf. gewaltsamen sozialen Konflikten führt, oder ob bestimmte Akteure die Prävention von solchen Auseinandersetzungen verbessern und kooperative Lösungen herbeiführen können. Die Lage im Gebiet Souss eignet sich nicht nur aufgrund der hohen Dringlichkeit der ökologischen und sozioökonomischen Prozesse für diese Analyse. Die Region hat darüber hinaus im Land einen hohen strategischen Stellenwert: neben dem wichtigen Beitrag der landwirtschaftlichen Produktion zum BIP tragen der Tourismussektor (mit 30% der nationalen Kapazität) und der landesweit größte Fischereihafen zum Wirtschaftswachstum und dem Ausbau der Handelsbeziehungen bei. Die Region Souss-Massa-Drâa ist dadurch landesweit der
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zweitwichtigste Wirtschaftspol nach der Region Casablanca. Die Agrarproduktion aus dieser Region stellt auf Landesebene 34% des Gemüseanbaus und 25% der Zitrusfrüchte dar, weiter sind hier 28% der Viehzucht angesiedelt (CNSEC 2001: 7). Auch die nationale Wasser-Debatte, ein umfangreiches Diskussionsund Aktionsprogramm der marokkanischen Regierung im Jahr 2007, bestätigte die strategische Bedeutung des Souss und lud im Januar des Jahres zu ihrer ersten regionalen Großveranstaltung nach Agadir ein.
6.2.1 Staatliche Politik: Liberalisierung versus Ressourcenschutz Die staatlichen Institutionen sind im Souss- Tal wie in anderen Landesteilen gleichzeitig mit der notwendigen internen Umstrukturierung und den dringenden Problemen der Wasserknappheit konfrontiert. An dieser Stelle werden die unterschiedlichen technischen Optionen angesichts der Wasserkrise nicht behandelt, sondern wird vielmehr auf die wesentlichen politischen und sozialen Herausforderungen der staatlichen Institutionen in diesem Bereich eingegangen. Auch im Souss-Tal setzt sich der landesweite Trend des Rückzugs der staatlichen Akteure aus der landwirtschaftlichen Produktion und damit aus dem Bewässerungsmanagement fort. Trotz der Dringlichkeit aufgrund der ökologischen Degradation und dem hohen wirtschaftlichen und sozialen Preis ihrer Auswirkungen ist es bisher weder der Agrarbehörde ORMVA noch der Wasserbeckenagentur ABH gelungen, nachhaltiges Ressourcenmanagement in der Region grundlegend voranzubringen. Die Schwierigkeiten bestehen dabei im Wesentlichen in der weiterhin starken Überlappung der Zuständigkeiten verschiedener öffentlicher Institutionen, nicht ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen zur Implementierung der verabschiedeten Maßnahmen, geringen Konsultationsprozessen mit den Wassernutzern, und dem politischen Gewicht der privaten Investoren in Landwirtschaft und Tourismus. Die Überschneidung institutioneller Zuständigkeiten, die auf nationaler Ebene bereits in Kapitel 5 festgestellt wurde, setzt sich auf lokaler Ebene fort. Das 25.000 km² umfassende Gebiet der ORMVA-SM (Office Régional de Mise en Valeur Agricole du Souss-Massa)37 ist politisch mehreren Verwaltungs- und Regierungszonen zugeordnet, was die Entscheidungsprozesse oft erschwert. Auch die Wasserbeckenagenturen (Agence de Bassin Hydraulique – ABH) stehen dem gleichen Problem gegenüber. Denn die Verwaltungsgrenzen der Wilaya (Verwaltungsgebiet, das sich auf eine größere Stadt und ihr Einzugsgebiet er37
Das gesamte Gebiet dieser ORMVA wird aus vier Wasserbecken gespeist: dem des Oued Souss (4 150 km²), dem des Massa und Chtouka (6 280 km²) und der küstennahen Becken Oueds Tamhart und Tamri (2 600 Km²).
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streckt) und der Provinzen überschneiden sich nur teilweise mit denen des Wasserbeckens und denen der Grossen Bewässerungssektoren. Zu dem Zuständigkeitsgebiet der ORMVA gehören beispielsweise der Großraum Agadir und die Provinz Taroudant, sowie ein großer Teil der Provinz Tiznit. Einige Bergregionen des Souss, die ebenfalls zum Aktionsbereich dieser Institution zählen, gehören dagegen zu drei weiteren Provinzen (Essaouira, Chichaoua, Ouarzazate). Trotz dieser Schwierigkeiten verfügen die ABH jedoch oft über etwas mehr politische Legitimität gegenüber anderen öffentlichen Institutionen als die ORMVA. Die teilweise unklare Abgrenzung der Zuständigkeiten der ORMVA von denjenigen der sog. DPA (direction provinciale agricole, zuständig für die Agrarwirtschaft außerhalb der Bewässerungssektoren) und der Forstämter bereitet ebenfalls Probleme. Zwar wurde die ORMVA 1969 als oberste Autorität der bewässerten Landwirtschaft ins Leben gerufen, jedoch ist ihr tatsächlicher Handlungsspielraum heute durch die Wasserknappheit, die Kompetenzen der ABH sowie die rapide Expansion des Privatsektors de facto stark begrenzt. Im Jahr 2001 wurde der Anteil privat bewässerter Flächen, die also nicht der ORMVA unterstehen, auf 40% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche im Souss-Tal geschätzt (CNSEC 2001: 46). Diese privat ausgestatteten Anbaugebiete unterstehen nur sehr begrenzt dem von der ABH erarbeiteten regionalen Wassernutzungsplan. Zu diesen Problemen kommt das komplexe Verhältnis zur eigentlichen Zielgruppe der Institution, den Landwirten, welches die Implementierung effizienter Strategien erschwert. Während einige wohlhabende Landwirte durch Korruption der Angestellten bevorzugt behandelt werden, erfahren andere wenig Unterstützung und müssen oft auf ihnen zustehende Serviceleistungen verzichten. Im Gespräch mit der Autorin klagten Angestellte der ORMVA mehrfach, eigene Prinzipien der Korruptionsbekämpfung und des gerechten Ressourcenmanagements gegen den Widerstand ihrer Vorgesetzten nicht durchsetzen zu können38. Die Beziehungen zwischen den lokalen Angestellten der Institution und den Bauern sind häufig von Misstrauen und Konflikten geprägt. Dies liegt teilweise am defizitären Service der ORMVA, der auch durch den geringen Wasserstand in den Staudämmen bedingt ist. Aber auch die Benachteiligung der traditionellen Bewässerungssysteme gegenüber den modernen Sektoren sorgt oft für Konflikte. Hinzu kommt die ungenügende finanzielle Ausstattung der Institution, die in vielen Fällen dringend notwendige Reparaturen der Infrastruktur unmöglich macht. Für die Wartung der Anlagen stehen im Durchschnitt nur 60% der benötigten Mittel zur Verfügung,
38
Gespräche in der Region Souss bei der Feldforschung in den Jahren 2005 und 2006.
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weshalb dringende Arbeiten oft vertagt werden und wodurch letztlich noch größere Schäden entstehen (AGR 2006: 10). Ein Kernproblem des nachhaltigen Ressourcenmanagements im SoussBecken, welches vor allem durch öffentliche Institutionen vorangebracht werden müßte, ist die fehlende Implementierung der seit 1990 und vor allem im Jahr 1995 verabschiedeten Maßnahmen. Weder die ORMVA noch die Wasserbeckenagentur ABH hat die nötigen Kapazitäten und die politische und physische Durchsetzungskraft, den Wasserkonsum der privaten Investoren in der Landwirtschaft zu überwachen. Zahlreiche Gesetze, die die Wasserressourcen stärker schützen und den Verbrauch begrenzen sollten, werden ungenügend implementiert. Seit 1998 besteht beispielsweise ein Gesetz zur verbesserten Erfassung der Grundwasserentnahme. Demnach muss jede Bohrstelle genehmigt werden und über einen Zähler verfügen, zu dem die Wasserbehörden (ORMVA oder ABH) Zugang haben39. Die ORMVA gibt jedoch offen zu, dass diese Regelung selten praktiziert wird und es de facto weder eine Erfassung noch eine Kontrolle der entnommenen Wassermengen gibt (CNSEC 2001: 85). Die für die Überwachung dieses Gesetzes und die Sanktionierung zuständige „Wasserpolizei“ ist finanziell und personell überfordert: für die Kontrolle des 27.000 Km² großen Gebietes stehen der ABH gerade einmal zehn Inspekteure zur Verfügung, von denen drei permanent in der Zentrale die Anklagen bearbeiten. Effektiv könnten also sieben „Wasserpolizisten“ Bohrlöcher kontrollieren, wobei vier von ihnen eigentlich sog. „aiguadiers“ sind, die für die lokale Wasserverteilung zuständig sind. Wegen ihrer engen Einbindung in die lokalen Strukturen ist es unwahrscheinlich, dass diese Personen illegale Bohrungen in ihrem Gebiet melden. Die Wasserpolizei hat nach Auskunft einiger Gesprächspartner zudem häufig Schwierigkeiten, für ihre Arbeit ein Auto und Treibstoff zur Verfügung gestellt zu bekommen40. Ein weiteres Problem stellt demnach auch die Dauer und die unzuverlässige Bearbeitung der steigenden Anzahl der Anklagen dar: viele Verfahren werden durch Korruption eingestellt oder enden mit milden Strafmaßnahmen. Auch trotz des seit 2001 bestehenden Verbots der Ausweitung bewässerter Agrarflächen (Wasser darf nur zum Erhalt der bestehenden Plantagen genutzt werden) weitet sich der Konsum unterirdischer Reserven zur Bewässerung neuer Anbauflächen weiter aus. 80% des Verbrauchs unterirdischer Ressourcen wird dabei über private Pumpen und Bohrungen gefördert (Baroud/El Arabi 1996: 91). Zur Verbesserung des Wassermanagements in der Landwirtschaft wird vor allem auf die Umrüstung auf wassersparende Bewässerungssysteme wie die 39 40
Dekret N° 2-97-178 , vom 24.10. 1997 und Dekret N° 2 - 97 – 487 vom 4.02.1998. Gespräch in der ORMVA-SM 18.12.2005.
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Tröpfchenbewässerung gesetzt, jedoch gestaltet sich die Implementierung auch hier trotz der staatlichen Subventionsrate von 60% schwierig. Oftmals fehlen den Bauern die Mittel, die gesamte Summe vorzufinanzieren. Darüber hinaus verfügen viele Kleinbauern oft nicht über genügend Fläche für das notwendige Wasserbecken der Anlage oder haben Schwierigkeiten, die komplexen Subventionsanträge und die technischen Anforderungen zu bewältigen. Hinzu kommt, dass viele Landwirte auf Böden wirtschaften, die sie nur pachten oder bei denen die formalen Besitzverhältnisse unklar sind. Dies schließt sie von der Berechtigung zur Beantragung von Subventionen aus. Der fehlende politische Rückhalt der ORMVA angesichts der fortschreitenden Liberalisierung und des Rückzugs des Staates aus der Landwirtschaft mindert bei den Angestellten das Engagement. Viele nutzten im Jahr 2006 und 2007 das Angebot der Frührente, um in eine Anstellung im Privatsektor zu wechseln. Wassermanagement, so wird durch die Ministerien verkündet, findet heute primär durch die Wasserbeckenagenturen statt – und auf lokaler Ebene durch die wenig funktionsfähigen AUEA (vgl. Kapitel 5). Die Zuständigkeiten der ABH sind im Souss-Becken jedoch zahlreich, während gleichzeitig die finanzielle Ausstattung zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben nicht ausreicht. Die Agentur ist für die Trink- und Abwasserprobleme von 1,7 Millionen Einwohnern, für etwa 139.000 ha Agrarland sowie den Wasserkonsum der Industrie und eines expandierenden Tourismussektors mit bald 30.000 Betten zuständig. Die Versäumnisse im Wassermanagement spiegeln jedoch nicht nur die Überforderung oder die mangelnde Finanzierung der öffentlichen Institutionen wieder, sondern auch eine gewisse Haltung des „laisser faire“ durch den Zentralstaat des Makhzen. Schon in den 1950er Jahren scheiterten Versuche der stärkeren Regulierung des Wasserkonsums an den zu erwartenden politischen Folgekosten, denn: „Angesichts der politischen Schwierigkeiten, die diese Sache verursachte, wurde die Studie schnell bis auf weiteres abgebrochen” (Dijon 1969: 280). Heute geben sogar Vertreter des zuständigen Ministeriums offen die politische Beeinflussung der ORMVAs zu und führen fehlende Effizienz des Wassermanagements auch hierauf zurück: „Tatsächlich beschränkt die soziopolitischen Einflussnahme auf die ORMVA ihren Handlungsspielraum bezüglich der Bestimmung der Kosten des Wasserservice, der Abrechnung und Eintreibung der Rechnungsbeträge sowie der Zuteilung der entsprechenden Gelder” (AGR 2006: 10). Dabei gibt es zwei Tendenzen: zum einen wird bisher die Mehrheit der illegalen Brunnen und Bohrlöcher von politischen Institutionen ignoriert, da eine konsequente Durchsetzung des Verbots angesichts der ungenügenden Wasserzufuhr durch den Staat zu wahrscheinlich gewaltsamen Auseinandersetzungen führen würde. Die Stellung der ORMVA kann so zumindest formal gewahrt bleiben. Zum anderen findet jedoch auch hier eine Differenzierung statt, die
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bestimmte Landwirte begünstigt. Die Privilegierten sind dabei nicht mehr in jedem Fall die lokalen Notablen und die Angestellten des Innenministeriums, sondern, wie bereits in der Analyse zum Wandel des Makhzens in Kapitel 4 und 5 aufgezeigt, eine sich neu konstituierende Elite. Wie erwähnt stammen viele der Investoren im Souss-Becken aus den Städten Casablanca oder Rabat, wo sie entweder einen Sitz im Parlament, eine hochrangige Position in der Verwaltung oder in einem privaten Unternehmen einer Großfamilie innehaben. Auch direkte Berater des Königs und ihre Verwandten und hochrangige Militärangehörige sind an der Agroindustrie des Souss beteiligt. Die exakten Beziehungen eines jeden Spekulanten zu den „hohen Sphären“ des Königshauses sind komplex und teilweise schwierig in Erfahrung zu bringen. Ein Beispiel sei zur exemplarischen Verdeutlichung dieser Zusammenhänge jedoch kurz erwähnt. In dem am stärksten von Wasserknappheit betroffenen Gebiet der Region Souss, Sebt El Guerdane, haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Bauern ihre Felder verlassen, da sie die hohen Kosten für die Bewässerung nicht mehr tragen konnten. In dem strategischen Anbaugebiet der rentablen Zitrusplantagen wurden viele dieser Felder von einem Großgrundbesitzer aufgekauft, der seinen Besitz so von 12 ha im Jahr 1995 auf 300 ha im Jahr 2006 vergrößern konnte. Um dies zu erreichen, wandte er nach Auskunft mehrerer Bauern vor Ort unterschiedliche Strategien an, die zum endgültigen Ruin der Kleinbauern führten. Unter anderem versprach er Kleinbauern die garantierte Abnahme ihrer Produktion, die er dann nicht bezahlte. Auch erpresste er den Verkauf von Grundstücken, nachdem er ihnen Kredite gewährt hatte, die die Bauern nicht zurückzahlen konnten, und sorgte in anderen Fällen unter Vorwänden für die Verhaftung und Inhaftierung von Bauern41. Die offensichtliche Straffreiheit dieses Großgrundbesitzers, der bei der lokalen Verwaltung freie Hand genoss bzw. genießt, lässt sich nur durch seine extrem wichtige Stellung innerhalb des Makhzen-Systems erklären. Tatsächlich besitzt der Betreffende eines der größten Unternehmen der Agroindustrie und ist der Hauptnahrungsmittellieferant der königlichen marokkanischen Armee für deren Stützpunkte in der Westsahara. Wie eng die Westsahara-Frage wiederum mit der Legitimität des Makhzen-Systems zusammenhängt wurde bereits in Kapitel 4 erläutert. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Handlungsspielraum der zwei großen Wassermanagementinstitutionen im Souss-Gebiet, ORMVA und ABH, nicht den angesichts der Wasserknappheit und ihrer Implikationen dringend zu erfüllenden Aufgaben entspricht. Beide Institutionen sind mit den Herausforderungen der Liberalisierung und dem Imperativ des Ressourcenschutzes 41
Gespräche in Sebt El Guerdane, Oulad Teima und Taroudant, 2006 und 2007.
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konfrontiert. In der konkreten Umsetzung der Wasser- und Agrarpolitik widersprechen sich diese Ziele jedoch, solange nicht die entsprechenden politischen Voraussetzungen geklärt und die finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Einerseits wird ein Rückzug der staatlichen Institutionen gefordert. Andererseits ist die ORMVA trotz ihrer zahlreichen Schwächen und Schwierigkeiten diejenige staatliche Institution, die durch ihre lokalen Institutionen den besten Kontakt zu Landwirten und das aktuellste Wissen über die Agrarproduktion und den Wasserverbrauch innerhalb der Bewässerungssektoren hat. Diese Nähe zu den lokalen Wasserkonsumenten ist insbesondere für die Durchführung von Wassersparmaßnahmen relevant, sei es bei der Implementierung der Tröpfchenbewässerung, der technischen Beratung zur Produktion, oder auch für die Überwachung der Wasserpumpanlagen. Die ABH verfügt hier bisher weder über lokales Personal auf der Ebene der Kommunen und Dörfer, noch über die sozialen Kontakte, um diese Leistungen zu erbringen. Auch die Umsetzung der konsultativen Strukturen, die den Rückzug der staatlichen Institutionen begleiten sollte, leidet unter diesen Schwierigkeiten. Für die Umsetzung des Ressourcenschutz-Imperativs fehlen beiden Institutionen die politischen Voraussetzungen, da zur effektiven Durchsetzung der Schutzmaßnahmen weder der politische Rückhalt gewährt wird, noch die materiellen, finanziellen und personellen Mittel bereitgestellt werden. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die erwähnten Imperative des Ressourcenschutzes und der Liberalisierung zwar auf nationaler Ebene und in Absprache mit internationalen Gebern verabschiedet wurden, aber weder den Prioritäten auf lokaler Ebene entsprechen, noch zwangsläufig den weniger offen formulierten Interessen des Makhzen entgegenkommen. Gerade in dieser strategisch wichtigen Region, die in der Geschichte oft „ein Zufluchtsort der Revolten und eine Sprungbrett der Eroberer“ (Dijon 1969: 40) war, ist die Priorität des Makhzen nach wie vor die Bildung sicherer Allianzen. Doch nicht nur der Wandel der öffentlichen Institutionen, sondern auch das Erstarken der Zivilgesellschaft macht eine Neuorientierung dieser Allianzen notwendig, da sich lokale Entscheidungsprozesse und Entwicklungsprojekte nicht mehr zwangsläufig über die Akteure des Makhzen organisieren.
6.2.2 Zivilgesellschaftliches Engagement in der Wasserversorgung Die öffentlichen Institutionen haben in der Region Souss wie auch in anderen Gebieten wachsende Schwierigkeiten, die Wasservorkommen ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltig zu managen. Drei Faktoren haben gleichzeitig zu einem regelrechten Aufschwung des Engagements von Wassernutzergruppen
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geführt: die politische Liberalisierung mit verbesserten Arbeitsmöglichkeiten von NGOs, die ökonomische Liberalisierung mit der erzwungenen Einschränkung öffentlicher Leistungen im Agrarbereich und die fortdauernde Vernachlässigung der ländlichen Entwicklung in vielen ruralen Gebieten durch die staatlichen Institutionen. Obwohl diese Bedingungen in unterschiedlichem Ausmaß in vielen Landesteilen ähnlich sind, haben sich gerade in der Region Souss besonders aktive Gruppen zur Verbesserung der lokalen Entwicklung gebildet. Die städtische Kommune Machra El Ain zählte 2004 auf rund 9800 Einwohner 33 aktive NGOs (associations), darunter alleine zehn im Trinkwasserbereich42. Weit über die Region hinaus sind das Engagement der meist berberstämmigen Bewohner, ihr Fleiß, die Sparsamkeit und das ökonomische Geschick im Land bekannt. Nutzergruppen zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung oder der Bewässerung tragen in diesem Kontext dazu bei, lokale Entwicklung zu fördern und vom Makhzen weitgehend unabhängige dezentrale Entscheidungsstrukturen aufzubauen, welche die sozialen Beziehungen auf lokaler Ebene prägen. Im Kontext dieser Studie sind die Organisationen daher sowohl wegen ihres Beitrags zum Umgang mit der Wasserknappheit als auch in Bezug auf ihren Einfluss auf Konfliktpotentiale relevant. Die hohe Anzahl effizient arbeitender NGOs im Souss wird zum einen über die Traditionen der Solidarität und Gemeinschaftsarbeit (Twiza) der dort ansässigen Stämme erklärt. Zum anderen wird auf den in vielen Dörfern noch funktionsfähigen lokalen Ältestenrat Jemâa hingewiesen, der diese Entwicklungsprojekte teilweise initiiert oder begleitet hat. Die Jemâa bestehen i.d.R. aus einem von den Mitgliedern gewählten Präsidenten (Amghar), dem Schatzmeister (Amazzal), und sechs bis zwölf Mitgliedern (Imeqranen), die meist die ältesten Repräsentanten ihres Stammes sind. Sie reguliert auf Basis der internen Konsensfindung das soziale Leben in der Gemeinschaft, erfüllt rituelle Funktionen, koordiniert Gemeinschaftsarbeiten und setzt sich in der Streitschlichtung ein. Frauen und Angehörige anderer Stämme wie auch nicht-Moslems oder Ausländer sind in dieser Versammlung nicht vertreten. Über die aktiven Jemâa hinaus ist die Selbsthilfe jedoch auch das Ergebnis der langen Abgeschiedenheit der Region, die sowohl geographisch als auch politisch bedingt war. Die Abwesenheit der Unterstützung durch den Zentralstaat wurde hier als Herausforderung verstanden, und viele Berber erwähnen in Gesprächen, es sei auch eine Frage des Stolzes, Entwicklung selbst zu organisieren anstatt auf externe Hilfe zu warten (vgl. auch Mernissi 2003: 50 f.). Dabei wird jedoch keinesfalls auf Konfrontation gesetzt, sondern immer eine kleine Hinter42
Nach Informationen des Präsidenten der Kommune im Dezember 2005.
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tür für Verhandlungen mit dem Makhzen offen gehalten (Mernissi 2003: 53). Auf diese Weise wird auch sichergestellt, dass beispielsweise staatliche Subventionen und Zuwendungen nicht ausgeschlossen werden. Mehrere Beobachter führen die gute Arbeit lokaler Organisationen auch auf den starken wirtschaftlichen und Wissens-Austausch der Region mit dem Norden des Landes sowie mit Europa zurück (vgl. auch Roque 2004). Zahlreiche Soussis sind bereits in den 1960er Jahren ausgewandert, entweder nach Nordmarokko oder nach Frankreich, Belgien und in die Niederlande. Die Rückinvestitionen in ihre Region, ihr Interesse an der Bewahrung der Berberkultur und die höhere Ausbildung sowie der Austausch mit europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft haben das Engagement der Soussis für lokale Entwicklungsprojekte und NGOs weiter gefördert. Die Netzwerke dieser lokalen NGOs haben durch eigene Auslandsverbände, wie dem Verbund CAD Souss (Collectif des Associations de Développement de la région Souss-Massa-Drâa), eine beträchtliche Reichweite. Die Organisationen der Zivilgesellschaft arbeiten in sehr unterschiedlichen Bereichen, die Mehrzahl konzentriert sich in den ländlichen Gebieten jedoch auf die unmittelbaren Probleme der defizitären Infrastruktur: Straßen und Wege, Speicher für Nahrungsmittel und Marktplätze, Trinkwasser- und Bewässerungsversorgung, Bildung und Gesundheit. Die Pflege der öffentlichen Moschee und in vielen Fällen auch der lokalen Berberkultur gehören ebenfalls zu den Tätigkeiten der Organisationen. Die Organisationsstruktur ist sehr unterschiedlich und reicht von informellen Zusammenschlüssen, die oft auf der traditionellen Jemâa beruhen, bis zu lokalen Vereinen und NGOs, die teilweise staatliche, private, oder ausländische Gelder beziehen43. Darüber hinaus gibt es im Bereich der Bewässerungsversorgung die sog AUEA (vgl. Kapitel 5, sowie für einen nordafrikanischen Vergleich auch Ranvoisy 2000). Die Mehrheit dieser Organisationen sind innerhalb der Grossen Bewässerungssektoren Marokkos, wie in Kapitel 5 erläutert, gescheitert. Trotzdem werden von den 150 im Souss-Gebiet tätigen AUEA viele häufig als erfolgreiche Beispiele angeführt. Rund 13.200 Landwirte sind hier in Nutzergruppen organisiert, die wiederum unterschiedlichen Regional- und Nationalverbänden angehören. In einigen Fällen zeigte sich, dass funktionierende AUEA staatliche Defizite in der Wasserversorgung durch eigene Lösungsansätze kompensieren konnten, und sich ihre Tätigkeiten auch positiv auf die soziale Organisation ihrer Mitglieder auswirkten, wenn diese eine nicht zu große Gruppe mit ähnlichen Interessen darstellt. Professor Elalaoui, Spezialist der Wassernutzergruppen an der Ecole Nationale d’Agriculture de Meknes und 43
Der in Marokko allgemein übliche Begriff der „associations“ schließt meist alle dieser Organisationsformen ohne Differenzierung ein. Der Einfachheit halber werden in dieser Studie alle nichtstaatlichen Organisationen, die in der lokalen Entwicklung engagiert sind, unabhängig von ihrer Finanzierungsquelle und Mitgliederstruktur als „NGO“ bezeichnet.
Institutionelle und machtpolitische Aspekte der Wasserkrise
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Berater der FAO und der UN bei der Implementierung und Reformierung dieser Gruppen, differenziert zwischen neuen und auf gegebenen sozialen Strukturen aufgebauten AUEA. Letztere verfügten nach seinen Angaben zum Zeitpunkt der Einführung der AUEA bereits über eine definierte Gruppe, eine innere Organisation und das notwendige Vertrauen der Mitglieder zueinander und konnten des44 halb auch als AUEA effektiv weiter arbeiten . Wegen ihrer Schlüsselrolle in der Bewässerung und in der Vertretung der Landwirte gegenüber den öffentlichen Institutionen sind die AUEA auch bezüglich ihrer Funktion als Konfliktvermittler interessant. Das Statut der Organisation sieht die Schlichtung von Streitfragen um Wasser durch das jeweilige Leitungsgremium vor. Gleichzeitig bestehen in den Dörfern weiterhin die traditionellen Autoritäten wie Notable, Moqqadem und Jemâa, die nicht zwangsläufig in diesem Gremium vertreten sind. In Kapitel 7 wird das Konfliktlösungspotential dieser unterschiedlichen Autoritäten näher untersucht. Einer der Bereiche, in denen NGOs in den ländlichen Regionen die besten Erfolge vorzeigen, ist die Trinkwasserversorgung. Angesichts der in den ruralen Gebieten lange Zeit fast gänzlich fehlenden Versorgung haben sich in vielen Dörfern Bewohner für einen kollektiven Brunnen oder, seltener, den Anschluss an bestehende Versorgungssysteme in benachbarten Städten, engagiert. Gründe für die hohen Erfolgsquoten dieser Projekte sind der unmittelbare Nutzen, den die Teilnehmenden daraus ziehen, sowie die zumeist klar formulierten Zugangsund Verbrauchsregeln und die meist effiziente Funktionsweise des leitenden Büros. Über öffentliche Zuschüsse, Kleinkredite auch ausländischer Geber oder auch private Spenden wohlhabender Bewohner wurden die hohen Anfangsinvestitionen in den Wasserturm, das Bohrloch bzw. andere Quellen, Pumpen und das Leitungssystem mit individuellen oder kollektiven Zählern finanziert. In einigen Fällen der hier in dieser Arbeit untersuchten Region Taroudant spielte die autonome Trinkwasserversorgung für die Frauen und Männer der Dörfer eine so große Rolle, dass sie trotz ihrer geringen Einkommen bereit waren, einen sechsfach höheren Preis für den Konsum aus einer dorfeigenen Anlage zu bezahlen, anstatt ihr Netz an das des staatlichen Versorgerunternehmens ONEP anzuschließen. Das tiefe Misstrauen gegen diesen Betrieb wird mit der Angst vor plötzlichen Preiserhöhungen oder, im Fall von Wasserknappheit, vor bevorzugter Wasserzufuhr an Privilegierte begründet45. Neben den Erfolgen treten jedoch bei den Trinkwasser-NGOs auch Schwierigkeiten auf, die auf eine ungenügende Einbettung dieser Initiativen in regionale oder nationale Entwicklungsstrategien und ungenügenden Kontakt zwischen den 44 45
Quelle: Gespräch mit Prof. Elalaoui, März 2006. Interviews der Autorin in mehreren Dörfern der Region Taroudant, 2005-2007.
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Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
lokalen und regionalen Akteuren hindeuten. Neben den Konflikten um die Zahlung der Rechnungen sind dies hauptsächlich technische Schwierigkeiten, wie die Wartung und Reparatur der Anlagen und die Kontrolle der Wasserqualität. In einigen Fällen, in denen internationale NGOs oder Geber die Trinkwasserversorgung auf dem Land unterstützt haben, gab es weiter Beschwerden über die ungleiche Verteilung der angeschlossenen Haushalte, die die politischen Präferenzen der Verantwortlichen spiegelten. So sollen bestimmte Bewohner beispielsweise ausgeschlossen worden sein, um sie dafür zu bestrafen, dass sie bei den Kommunalwahlen nicht für den Präsidenten der Kommune gestimmt hatten (Aakik 2006: e.Q.). Die in 6.1 skizzierten Entwicklungen haben zur ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Marginalisierung vieler Landwirte des Souss-Gebietes geführt. Die starke Konkurrenz um die knappen Ressourcen Ackerland und Wasser wird durch die unterschiedliche Verfügbarkeit von sozialen, technischen und finanziellen Anpassungsmöglichkeiten verschärft. Diesen Tendenzen gegenüber wirken die Initiativen der öffentlichen Institutionen ABH und ORMVA bisher weitgehend ineffektiv, was auf technische und finanzielle, aber auch politische Probleme zurückzuführen ist. Wassernutzergruppen können hier in einem gewissen Rahmen zur Lösung lokaler Probleme beitragen, wenn sie die technischen und finanziellen Voraussetzungen mitbringen und den Rückhalt der lokalen Bevölkerung haben. Allerdings wird auch der Spielraum dieser Organisationen wesentlich durch die Aktivitäten des Privatsektors eingeschränkt, da die Anbaugebiete der Agroindustrie und der Großbauern beispielsweise vielerorts so tiefe Bohrungen vornehmen, dass auch die Brunnen der NGOs trocken liegen. Eine neue Strategie zur Verbesserung der Wasserversorgung für die lukrative Zitrusproduktion ist die Werbung für die Einbeziehung des Privatsektors. Das folgende Kapitel führt in das Pilotprojekt in diesem Bereich, das Vorhaben „El Guerdane“ ein, welches im Souss-Tal implementiert wird.
6.3 Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung Ähnlich wie im Fall der Trinkwasserversorgung in den neunziger Jahren plädieren internationale Entwicklungs- und Finanzorganisationen seit einigen Jahren auch für die Einbindung privater Unternehmen in die Bewässerungslandwirtschaft. Nach der vor allem im nördlichen und westlichen Afrika weit verbreiteten Einrichtung der Bewässerungsbehörden (sog. Offices) in den 1960er Jahren folgt seit der Einführung der Strukturanpassungsprogramme ein Umbau dieser Behörden. Vor allem internationale Geber argumentieren, hohe Personal- und Betriebskosten, geringe Einnahmen und Managementdefizite zeigten, dass diese
Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung
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Behörden der Aufgabe des Wassermanagements nicht gewachsen seien und erst recht dem Anspruch an einen „schlanken Staat“ nicht entsprächen. In diesem Kontext fand und findet ein Rückbau dieser Institutionen statt, der zwar von Land zu Land unterschiedlich verläuft, jedoch überall mit dem Ruf nach stärkerer Delegation der Aufgaben der Bewässerungsbehörden an Nutzergruppen und an private Unternehmen verbunden wird. Während die Delegation an Wassernutzergruppen wie bereits erwähnt wegen der Art und Weise ihrer Implementierung vielerorts negative Ergebnisse gezeigt hat, gibt es bisher noch wenige Erfahrungen mit der Einbindung des Privatsektors. Begründet wird die angestrebte Einbeziehung von Unternehmen ebenso wie im Trinkwassersektor hauptsächlich mit den notwendigen Investitionen, die wegen der geringen Staatsbudgets und den hohen Unterhaltskosten der Infrastruktur nicht mehr öffentlich getragen werden könnten. Das sog. Projekt El Guerdane im Souss-Tal gilt als erstes Pilotprojekt einer öffentlich-privaten Partnerschaft (PPP) zur Bereitstellung und Verteilung von Bewässerungsressourcen. Zwar existieren in verschiedenen Ländern bereits PPP, in denen die Wasserverteilung, die Abrechnung oder die technische Wartung in Bewässerungssektoren von privaten Firmen geleistet wird. Im Fall El Guerdane ist jedoch das Ausmaß des Projektes durch die Kombination der Wassermobilisierung und der Verteilung und der Investition in den Ausbau der Infrastruktur außergewöhnlich und nach Angaben der Weltbank weltweit einzigartig: „The Guerdane project is the first PPP irrigation project in the world“ (IFC 2004: e.Q.). Im Folgenden wird zunächst kurz auf die Entstehung und die technische und finanzielle Konzeption des Projektes eingegangen, im Anschluss werden die politischen Implikationen dieser Delegierung analysiert. Hierbei wird deutlich, wie stark die Wasserverteilung in Marokko weiterhin ein Instrument der symbolischen und materiellen Machtausübung bleibt. Der in Kapitel 4 und 5 analysierte Wandel des Makhzen findet sich hier auch in der Schaffung neuer Institutionen zur Legitimation alter Herrschaftsstrukturen wieder, die dank des Vorwands der notwendigen „Privatisierung“ auch die Zustimmung internationaler Geber finden.
6.3.1 Die Rolle des privaten Unternehmens Das Gebiet des Projektes El Guerdane befindet sich im Zentrum des Souss-Tals und ist in der gesamten Region am stärksten von Wasserknappheit betroffen. Die Übernutzung der Ressource ist auf die lokale Landwirtschaft zurückzuführen. Auf 10.000 ha werden hier über 40% der regionalen Zitrusfrüchte produziert und zum großen Teil durch Grundwasser bewässert (Gueddari 2006: 18). Wegen der
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Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
hohen wirtschaftlichen Bedeutung der Zitrusplantagen ist die Verhinderung weiterer Produktionsrückgänge durch die Wasserknappheit ein dringendes Anliegen. Zwischen 1996 und 2003 ist die Fläche der bewässerten Landwirtschaft wegen fehlenden Wassers bereits um 27% zurückgegangen (ABH-SM 2005: 9). Das Gebiet El Guerdane ist etwa 30.000 ha groß. Es erstreckt sich südlich der Kleinstädte Oulad Teima und Sebt El Guerdane. Bereits 1950 galt das Anbaugebiet um das Dorf Oulad Teima als Schlüsselgebiet der beginnenden industriellen Landwirtschaft, die eher auf Export als auf die lokalen Märkte ausgerichtet war. Auch neun damals große und moderne Wasserbohranlagen, die der Staat dort in den 1950er Jahren baute, waren zu diesem Zweck bestimmt. Zwei wesentliche Tendenzen, die die Region bis heute prägen und die sich weiter verstärken, sind in dieser Zeit begründet worden: die Ausrichtung der Bewässerungslandwirtschaft auf Exportkulturen und die Konzentration des Grundeigentums. Dijon stellt so bereits 1969 fest: „Im Tal führte in schwierigen Jahren der Verkauf von bewässertem Grund und Gärten der kleinen Landbesitzer langsam dazu, den Besitzstand einiger Notabler zu vergrößern“ (Dijon 1969: 265). Heute ist das Gebiet des Souss-Tals landesweit am stärksten vom Absinken des Grundwasserspiegels betroffen: insgesamt sank der Spiegel um dreißig Meter. Mittlerweile bringen in einem Großteil des Gebietes auch die tiefsten Bohrungen nur noch wenig Wasser an die Oberfläche, denn das darunter liegende Becken ist leer. Der niedrige Wasserstand hat direkte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, aber auch auf die Trinkwasserversorgung, da viele Brunnen austrockneten. Zahlreiche Bauern mussten vor allem seit Anfang der 1990er Jahre ihre Felder verlassen, die Gesamtfläche der stillgelegten Äcker belief sich 2003 allein im Gebiet El Guerdane auf schätzungsweise 11.953 ha, die Fläche der bewässerten Felder ist zwischen 1996 und 2003 um 27% zurückgegangen (ABH-SM 2003: 21). UN-Habitat schätzt in ihrem Bericht zur Region, dass hier seit 2004 jährlich etwa zusätzlich 1.000 ha Ackerland wegen Wasserknappheit verlassen werden (UN-Habitat 2004: 47). Einige Bauern versuchen, ihre Produktion ostwärts in das höher gelegene Souss-Tal zu verlegen, obwohl zum Schutz der Ressourcen für diese Region theoretisch seit 2002 ein Verbot der Ausdehnung der bewässerten Flächen gilt. Rund hunderttausend Arbeitsplätze sind nach Angaben der Weltbankinstitution IFC von der Zitrusfruchtproduktion in Sebt El Guerdane direkt und indirekt abhängig (IFC 2004: e.Q.), über die Arbeitsplätze der weiteren Anbaukulturen gibt es keine verlässlichen Angaben. Bereits seit Ende der 1980er Jahre werden aufgrund der strategischen Bedeutung der Region unterschiedliche Projekte zur Verbesserung der Wasserversorgung geplant. Ein erstes Szenario sah den Bau eines zusätzlichen Staubeckens am existierenden Staudamm Aoulouz vor, von dem ein etwa 90 Km langer Transferkanal das Gebiet El Guerdane bewässern sollte. Die Finanzierung des
Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung
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Projektes war aus öffentlichen Mitteln (über einen Kredit der Agence Française de Développement, AFD) sowie über die Beteiligung der Landwirte mittels einer eigens geschaffenen Nutzerorganisation (El Mustaqbal: „die Zukunft“) geplant. Mehrere umfangreiche Studien zur technischen Machbarkeit und der Auswahl der zur bewässernden Flächen wurden vom damaligen Ministerium für Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und Fischerei (MADRPM) in Auftrag gegeben. Mehrere Anläufe zur Realisierung des Projektes, teilweise mit der Beteiligung ausländischer Geberorganisationen, scheiterten. Einer der Hauptgründe dafür waren die hohen Kosten für die Landwirte (11.000 MAD/ha, also etwa 990 €, für die Wasserzufuhr bis zur Parzelle, zusätzliche Kosten für die Ausstattung der Flächen mit Tröpfchenbewässerungstechnik und Einschreibegebühren). Hinzu kam eine schnelle Instrumentalisierung und darauf folgend der Zerfall der Wassernutzerorganisation. Obwohl diese als gemeinsame Vertretung der Bauern geschaffen war, versuchten einige Lokalpolitiker und Persönlichkeiten schnell über die Dominanz dieser Organisation ihre Einflussnahme weiter zu stärken und bestimmte Landwirte auszuschließen46. Ein weiterer Grund für die Absage dieser Projektvariante war die als zu lange eingeschätzte Amortisierungszeit der vom Staat vorfinanzierten Investitionen (40 Jahre) sowie die als unzureichend beurteilte Kompetenz der Behörde ORMVA, die Implementierung, Wartung und Betriebsleitung dieses Systems zu leisten (Gueddari 2006: 19). Der letztlich realisierte Projektvorschlag sieht eine öffentlich-private Partnerschaft zur Wasserversorgung vor, wobei der Privatsektor einen großen Teil der Investitionskosten vorfinanzieren und über den dreißigjährigen Betrieb der Wasserverteilung wieder amortisieren soll. In Kooperation mit der International Finance Cooperation (IFC), der spezialisierten Organisation der Weltbank für die Stärkung des Privatsektors in Entwicklungsländern, wurden umfassende Studien zur technischen Konzeption, Finanzierung, legalen und hydrologischen Aspekten des Projektes angefertigt. Im Jahr 2003 wurde das Projekt dann zweimal ausgeschrieben, wegen mangelnder Bewerber das zweite Mal auf internationaler Ebene. Hauptkriterium für die Auswahl des Zuschlags sollte der möglichst geringe Verkaufspreis des Wassers an die Landwirte sein. Im Juli 2004 wurde der Groupe Omnium Nord Africain der Zuschlag erteilt. Der einzige Konkurrent war die Gruppe YNNA mit der Beteiligung der marokkanischen Firmen DIMATIT (der Gruppe Chaabi) und der Société Nouvelle Travaux Maroc. Die ONA-Gruppe verpflichtete sich, den Bauern den m³ Wasser für 1,48 MAD (zzgl. Steuern) zu verkaufen, während die YNNA-Gruppe 1,88 MAD/m³ angeboten hatte. Im März 2005 wurde die Konvention zwischen dem Landwirtschaftsminis46
Informationen von Landwirten aus der Region, hierunter mehrere ehemalige Mitglieder der Gruppe El Mustaqbal. Interviews vom Dezember 2005, Region El Guerdane.
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terium und der eigens für dieses Projekt gegründeten Gesellschaft Amensouss47 unterschrieben. Amensouss wiederum hat Verträge mit verschiedenen Unternehmen, die die Arbeiten ausführen. Neben dem Minsterium für Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und Fischerei (MADRPM) sind seitens des Staates vor allem die Wasserbeckenagentur und zu einem geringeren Teil die ORMVA in die Planung involviert. Der ABH obliegt die Kontrolle der Wasserressourcen und daher auch die Zuteilung der benötigten Wassermenge aus dem Staudamm Aoulouz in den darunter gelegenen Damm Chakoukan, der das Projekt beliefern soll. Das untenstehende Schema (Abbildung 5) fasst die in das Vorhaben involvierten Institutionen zusammen. Der Vertrag zwischen der Gesellschaft Amensouss und dem Landwirtschaftsministerium umfasst den Ausbau der Infrastruktur gemäß den Machbarkeitsstudien und die Belieferung der Bauern mit Wasser über 30 Jahre, sowie die Instandhaltung der Infrastruktur durch das Unternehmen. Die Einrichtung der lokalen Tröpfchenbewässerung und deren Wartung obliegt den Landwirten selbst, die Gesellschaft ist nur für die Wasserzufuhr bis zu dem jeweiligen Grundstück zuständig. Zu diesem Zweck wird der oben erwähnte Kanal aus dem Stausee Chakoukane gebaut, der das Wasser bis zum Gebiet El Guerdane bringt. Zur Verteilung innerhalb dieses Sektors wird weiter ein Netzwerk von etwa 300 Km gebaut, welches individuelle Wasserzähler für jeden Landwirt vorsieht. Jeder Bauer, der in der Region El Guerdane einen Anbau von Zitrusfrüchten nachweisen kann, hat prinzipiell das Recht, sich um die Aufnahme in das Projekt zu bewerben. Ist ein Landwirt in die Liste der etwa 600 Beteiligten aufgenommen, so muss er für seine Mitgliedschaft 1.000 MAD bezahlen (etwa 90 €) sowie für den Anschluss seiner Felder an das Bewässerungssystem pro Hektar 7.000 MAD (etwa 630 €), und für den Wasserkonsum 1,8 MAD/m³ zusätzlich der Steuern an die ABH. Zusätzlich verpflichtet er sich mit Unterzeichnung des Vertrags, seine Felder mit einem System zur wassersparenden Tröpfchenbewässerung auszustatten, dies kostet noch einmal etwa 15.000 MAD pro Hektar (etwa 1.300 €/ha). Ein Bauer mit einem Betrieb mittlerer Größe von 15ha, der eine mittelmäßige Ausstattung für die Bewässerung wählt, muss als Erstinvestition damit rund 29.000 € aufbringen und zusätzlich 9.600 € jährlich für die Bewässerung durch Amensouss bezahlen. 60% der Investition für die Tröpfchenbewässerung können nach der Installation subventioniert werden, damit bleiben noch Investitionskosten von 17.300 €.
47
Aman bzw. amen= Wasser auf Berberisch.
Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung Abbildung 7:
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Die Akteure im Projekt El Guerdane
Die Wasserbeckenagentur ABH: Kontrolle und Management der Wasserreserven
Die Wassernutzer: zahlen der Abgaben an Amensouss und ABH
Das Ministerium MADRPM: delegierende Institution (öffentlicher Vertragspartner)
Die Gesellschaft AMENSOUSS: Konstruktion, Management, Wartung
Der Aufsichtsrat: MADRPM, MFP, Provinz Taroudant, ORMVA-SM, Amensouss, ABH, Wassernutzer
Die Stiftung Fonds Hassan II: Subventionen und Kredit
MADPRM: Ministerium f. Landwirtschaft, ländl. Entwicklung u. Fischerei MFP: Ministerium der Finanzen u. d. Privatisierung ORMVA-SM: Bewässerungsbehörde Souss-Massa
Da die durch das Projekt bereitgestellte Wassermenge (4.000 m³/ha) für die Plantage jedoch nicht ausreicht, müssen zusätzliche Kosten für die individuelle Wasserversorgung über Tiefenbohrungen einkalkuliert werden. Um die Zitrusbäume ausreichend zu versorgen, müssen deshalb von den Bauern mindestens 2.000 m³ Wasser pro Hektar selbst bereitgestellt werden und entsprechende Bohrungen existieren. Bei vielen Bauern sind zudem die Baumbestände durch die lange Dürrezeit beschädigt und müssen ausgetauscht werden, was weitere Kosten verursacht. Die auf der Mitgliedsliste von 2001 vermerkten größten Betriebe im Projekt müssen bei einer Fläche von 350 ha im ersten Jahr mindestens rund 260.000 € für Infrastruktur und Wasser aufbringen. Diese Berechnung verdeutlicht, dass letztlich nur diejenigen Landwirte sich an dem Projekt beteiligen können, die über erhebliche Finanzmittel verfügen.
6.3.2 Die Partnerschaft: Privatisierung als „Royalisierung“? Das Projekt El Guerdane gilt zwar als erste große Partnerschaft des öffentlichen und des privaten Sektors im Bereich der Bewässerung, weist jedoch bedeutende Eigenheiten auf: stärker als der eigentliche Privatsektor sind hier unterschiedli-
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Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
che Institutionen des marokkanischen Königshauses involviert. Dies zeigt die weitreichende Implikation zweier Organisationen in der Finanzierung und Durchführung des Projektes: des Fonds Hassan II pour le Développement Economique et Social (FH2) und des leitenden Konsortiums Omnium Nord Africain (ONA). Die Finanzierung der geschätzten Gesamtkosten für die Implementierung des Projektes in Höhe von 887,01 Millionen Dirham (etwa 80 Millionen €) wurde auf mehrere Akteure aufgeteilt:
Tabelle 2: Die Finanzierung des Projekts El Guerdane Betrag 237,5 MMAD
Anteil der Gesamtkosten 26,5%
Geldgeber
137,5 MMAD
15,5%
Kredit des Fonds Hassan II an Projektträger ONA-Konsortium
277,86 MMAD
31%
Eigenbeitrag ONA-Konsortium
160 MMAD
18%
ONA, ab dem 21. Betriebsjahr für die Erneuerung der Infrastruktur
80 MMAD
9%
Beiträge der beteiligten Landwirte
Subvention des Fonds Hassan II
Quelle: Gueddari 2006: 20 Rund 42% der Gesamtkosten werden also durch die Stiftung FH2 bereitgestellt, die hier quasi als öffentlicher Geber auftritt. Doch ein genauerer Blick auf die Stiftung zeigt, dass sie als direkter Arm des Makhzen agiert. Der FH2 wurde im Jahr 2000 im Wesentlichen aus den Erlösen des Verkaufs der Mobilfunklizenzen geschaffen, dies war der explizite Wunsch des im Jahr zuvor verstorbenen Königs Hassan II gewesen. Der Fonds ist zwar nach mehreren Änderungen letztlich Teil des Staatsbudgets, unterliegt aber dennoch nicht der Kontrolle des Parlaments. Er fällt offiziell unter die Kategorie der „Spezialausgaben“ und wird von einem Gremium verwaltet, dessen Vorstand König Mohamed VI ist. Das Gremium setzt sich weiter aus ausgewählten Mitgliedern der Regierung, aber auch der Privatwirtschaft sowie dem (vom König ernannten) Premierminister zusammen. Darüber hinaus benannte Mohamed VI zwei ihm nahe stehende Personen zu direkten Verwaltern der Gelder: seinen persönlichen Berater Herrn Kabbaj und den Direktor der Bank Al-Maghrib (BAM 2000: 1).
Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung
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Hier schließt sich der Kreis des Makhzen in gewisser Weise, denn Kabbaj gehört der einflussreichen Familie gleichen Namens an, die neben der Firmengruppe Groupe Kabbaj auch den Bürgermeister von Agadir stellt und der große Zitrusplantagen im Souss-Tal gehören. Viele der Großbauern im Souss-Tal sind auf die eine oder andere Weise mit dem Herrschaftsapparat verbunden. Das Privatisierungsvorhaben liegt nicht zuletzt auch in den Händen des Wali der Region Souss-Massa-Drâa (regionales Oberhaupt, das dem Innenministerium untersteht). Der Wali Rachid Filali bringt ebenfalls gute Beziehungen zum Makhzen mit und wahrt als ehemaliger Minister des öffentlichen Sektors und der Privatisierung (1998- 2000) für das Innenministerium (und damit für den König) die Aufsicht über das Pilotprojekt El Guerdane. Die Schaffung des Fonds Hassan II ist im Kontext der zeitnahen Kreation mehrerer anderer Stiftungen und Agenturen zu sehen, die Teile des staatlichen Budgets der parlamentarischen Kontrolle entziehen, um sie direkt unter die Verwaltung des Makhzen zu stellen. Auch die Stiftungen zur Bekämpfung der Dürre, der Armut, der Umweltprobleme und die Agentur für soziale Entwicklung haben ähnliche Strukturen48. Vordergründig um eine transparente Verwaltung der Gelder bemüht, sind die Prozeduren dieser Institutionen nach Ansicht von Beobachtern „so transparent, dass sie schon unsichtbar sind“ (Hibou/Tozy 2002: 28). Der FH2 ermöglicht auf diese Weise die Organisation der intrasparenten Verwendung von Geldern und eine Art „Makhzenisierung“ des öffentlichen Budgets und damit eine Einschränkung des Handlungsspielraums des Parlaments. Ziel ist dabei einerseits die Kontrolle der effektiven Ausgaben durch das Königshaus, welches dadurch ihm wichtige Allianzen stützen kann. Andererseits werden die Fonds zur demonstrativen Durchführung sozialer Aktivitäten verwendet, welche die gewählten politischen Akteure und Institutionen delegitimieren sollen. Nach Auskunft eines hochrangigen Mitarbeiters der Agence de Développement Social in Marrakesch gibt es informell sogar eine deutliche Aufteilung der Regionen des Landes, von denen einige für die Projekte in- und ausländischer Geber weitgehend gesperrt sind, um ein „Monopol“ für die Entwicklungsprojekte des Makhzen zu sichern (Gespräch im März 2006). Die Effektivität und Nachhaltigkeit der über die lokalen Medien verbreiteten karitativen Tätigkeiten der königlichen Stiftungen werden von Beobachtern angezweifelt. Diese dienten vielmehr dazu, die eigentlichen Probleme des Landes zu verschleiern (Hibou/Tozy 2002: 27). Im Fall des El Guerdane- Projektes sichert sich der Makhzen über die anteilige Finanzierung durch den FH2 die Kontrolle über die Herkunft der Gelder und verhindert so, dass beispielsweise ein ausländischer Investor oder das marokkanische Parlament Einfluss auf das 48
Vgl. z.B. Fonds de Lutte contre la Sécheresse, Fondation Mohamed VI de Lutte contre la Pauvreté, Fondation Royale de Protection de l’Environnement, Agence de Développement Social.
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Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
Projekt ausüben kann. Weiter trägt die Finanzierung zur Realisierung eines Projektes bei, welches hohe ökonomische und soziale Risiken birgt und zumindest aus ersterem Grund nicht zwangsläufig durch andere private Investoren übernommen worden wäre. Indem der FH2 trotz der Risiken in die Finanzierung einsteigt, sichert er die Produktion von rund 670 sorgfältig ausgewählten Bauern - ein Verfahren, welches stark an die Anbindung königstreuer Eliten durch die Vergabe von Produktionsmitteln nach der Unabhängigkeit Marokkos erinnert (vgl. Kapitel 5). Auch in der Durchführung des Projektes hat sich der Makhzen seinen Einfluss weitgehend gesichert, indem Aufträge vorzugsweise an Tochterfirmen der ONA vergeben werden. Die mit der Implementierung beauftragte Gruppe Amensouss wurde 2005 extra für die Kandidatur der ONA bei der Ausschreibung des Guerdane-Projekts gegründet und die jetzt dazugehörige Firma ADI zu 80% aufgekauft. Auch die Firma Amitech-Maroc, die heute den Exklusivauftrag für die Herstellung der Kanalrohre hat, ist 2006 speziell für das Projekt gegründet worden; sie gehört zu 50% der ONA und zu weiteren 50% der saudischen Firma Amiantit. Amensouss umfasst im Einzelnen folgende Projektträger unter der Leitung der ONA-Gruppe (vgl. Abb. 6) : die Gruppe Omnium Nord Africain (ONA) selbst (64% Anteil), die Caisse de Dépôt et de Gestion, eine öffentliche marokkanische Investitionsbank (20%), die Compagnie Nationale d’Aménagement du Bas Rhône Languedoc (BRL), eine öffentliche französische Firma (1%), und das Privatunternehmen InfraMan (15%), eine Tochterfirma der saudischen Amiantit mit Sitz in Österreich. Mit Abstand größter Anteilseigner der leitenden Unternehmensgruppe ONA ist die Königsfamilie Marokkos, die sich über dieses Konsortium Einfluss und Gewinne in zahlreichen Wirtschaftsbranchen sichert. Die internationale Gruppe mit einem jährlichen Umsatz von rund 2,6 Milliarden € (ONA 2006: 8). ist vor allem in den Bereichen der Nahrungsmittelindustrie, der Bergwerke, der Supermärkte, der Finanzgeschäfte (Banken, Versicherungen), der Baubranche und Immobilien sowie der Telekommunikation tätig. Insgesamt besitzt die ONA 40% der Betriebe und des Grundstückskapitals des Landes (o.N. 1991: e.Q.), ist der größte Finanzakteur Marokkos und verfügt über ein Drittel der Börsenaktien im Land (Iraqi 2006: 46). Die Gruppe hat bei ihrer rapiden Expansion seit den 1980er Jahren unter anderem von der „Privatisierung“ staatlicher Unternehmen profitiert, so etwa bei der Übernahme der Zuckerfabriken (Diouri 1992: 122). Unter welchen Umständen das ONA- Konsortium den Zuschlag zum Projekt El Guerdane bekommen hat, ist schwer zu ermitteln. Die Vorteile, die sich das Unternehmen von der Beteiligung verspricht, zeichnen sich jedoch deutlich ab.
Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung
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Durch die Übernahme des Projektes sichert sich die ONA eine weitgehende Kontrolle über die erste, zweite und dritte Phase seiner Durchführung. In der ersten Phase wurden die von der ORMVA erstellten Listen der Nutznießer neu angefertigt und rund 600 Landwirte ausgewählt, die Zugang zu Wasser bekommen werden. Die bereits zu diesem Zeitpunkt weitgehend entschiedenen Verteilungsfragen von Wasser und Boden49 werden in der zweiten Phase mit der Konstruktion der Infrastruktur und der individuellen Zapfstellen und Zähler endgültig „zementiert“. Zwar legt die Gesellschaft ein breiteres Netz an Leitungen und Zapfstellen, um in der Zukunft ggf. neue Nutzer aufnehmen zu können. Zum einen ist eine solche Expansion jedoch angesichts der bereits heute ungenügenden Wassermenge unwahrscheinlich, zum anderen betrifft auch diese potentielle Erweiterung nur ausgewählte (Groß-)Betriebe. Fast alle Aufträge in dieser kostenintensiven Bauphase des Projekts gehen an Tochter- oder Partnerfirmen der ONA bzw. NAREVA. Die dritte Durchführungsphase betrifft dann das Management der Infrastruktur, welches für 30 Jahre der Firma Amensouss obliegt. Hier werden weitere Wasserverteilungsfragen entschieden, die die Menge und den Zeitpunkt der Bewässerung betreffen, und die ebenfalls bestimmte Nutzer bevorzugen können. Weiter können säumige Zahler ausgeschlossen werden und ihr Grundstück verpfändet und ggf. an andere weiterverkauft werden. Der entscheidende Aspekt des Projekt- Managements ist jedoch die mögliche Beeinflussung der Produktion. Die Landwirte im Projekt verpflichten sich mit ihrer Einschreibung, ausschließlich Zitrusfrüchte zu produzieren. Bisher ist dieser äußerst rentable Exportmarkt im Souss noch unter unterschiedlichen Händlern, Produzenten und Zwischenhändlern aufgeteilt, unter ihnen auch einige Genossenschaften. Nach Auskunft mehrerer Gesprächspartner der ORMVA, der NAREVA und der ADI (durchführende Firma von Amensouss) plant die ONA-Gruppe jedoch den baldigen Einstieg in dieses lukrative Geschäft, um ihre dominante Position im Lebensmittelhandel weiter auszubauen und vor allem ihre Stellung auf dem Exportmarkt zu stärken. Da rund die Hälfte der landesweit exportierten Zitrusfrüchte im Souss hergestellt werden und die Bauern des Guerdane-Projekts im Vergleich zu den anderen eine bessere Wasserversorgung und damit eine höhere Qualität ihrer Produkte erreichen werden, ist die Investition der ONA-Gruppe trotzt der hohen Kosten vielversprechend.
49
Da nicht jeder Bauer über die gleiche Fläche im Projekt verfügt, aber auch nicht zwangsläufig seinen gesamten Grundbesitz integrieren lassen kann, werden auch bezüglich der Größe der Anbauflächen strategische Entscheidungen getroffen.
186 Abbildung 8:
Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben Beteiligte Firmen im Projekt El Guerdane und ihr Verhältnis zur ONA-Gruppe
Weitere Gründe für das Engagement der ONA im Projekt sind zum Teil symbolischer Natur, da es sich um das erste PPP-Projekt im Bewässerungsbereich handelt. Durch eine gute Positionierung des Unternehmens kann es sich auch Chancen auf eine Übernahme weiterer PPP-Vorhaben in diesem Bereich in anderen Regionen des Landes versprechen. In der Region Gharb etwa finden derzeit Gespräche zur Gestaltung eines solchen PPP-Projektes zur Bewässerung der Zuckerrohplantagen statt. Im Jahr 2005 übernahm die ONA Gruppe die damals zum Verkauf gebotenen größten Zuckerfabriken des Landes, von denen sich mehrere in dieser Region befinden und bereits in die Verhandlungen über ein PPP eingetreten sind50. Zwei Manager der NAREVA betonten in einem Gespräch (Oktober 2007, Casablanca) zudem die strategischen Investitionen in weitere Tochterfirmen im Kontext des Projektes. Sie fertigen beispielsweise die Rohre und andere Materialien für El Guerdane an. Das Projekt habe der ONAGruppe auf diese Weise die Gelegenheit gegeben, sich neben der Wasserversorgung auch in anderen Branchen als führendes Unternehmen zu platzieren. Es rechnet auch wegen der prestigeträchtigen Partnerschaft mit ausländischen Fir-
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Eigene Forschungen der Autorin in der Region Gharb im Januar 2007.
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men im Rahmen von Amensouss mit weiteren lukrativen Aufträgen im Bereich Wasser und Umwelt. Nicht zuletzt trägt die Übernahme wesentlicher Funktionen in der Finanzierung und Durchführung des El Guerdane Projektes durch Institutionen des Makhzen dazu bei, dass dieser seine in Kapitel 4 dieser Studie angesprochene Transformation vollziehen kann. Hibou und Tozy fassen diesen Wandel treffend zusammen: „Der Makhzen braucht weder Militärgouverneure (typisch für die 1960er Jahre), noch Polizeigouverneure (1980er und 1990er Jahre), sondern Manager-Gouverneure“ (Hibou/Tozy 2002: 26). Die Erneuerung der traditionellen Allianzen durch die Einbeziehung einer königstreuen Wirtschaftselite verlangt auch die Schaffung entsprechender Posten und die dominierende Position der eigenen Unternehmen in vielen Branchen. Verlief die Herrschaftssicherung des Makhzen früher über die direkte Begünstigung bei der Verteilung der Produktionsressourcen Wasser und Boden, so dient auch heute die Kontrolle eben dieser Ressourcen in strategisch wichtigen Gebieten wie dem Souss der Stützung einer neuen Elite bestimmter Technokraten und Vertreter des Privatsektors.
6.3.3 Konzeptionelle Schwächen des Projektes Bei der Implementierung des Projekts El Guerdane sind zahlreiche Schwierigkeiten aufgetreten, die den Baubeginn verzögert haben und konzeptionelle Schwächen aufzeigen. Einige dieser Schwierigkeiten gehen auf das Design des Projektes selbst zurück, andere auf dessen fehlende Einbettung in eine Gesamtstrategie für die von Ressourcendegradation stark betroffene Region. Auch der Einfluss bestimmter Interessensgruppen hat die Implementierung verzögert. Dieser Einfluss erklärt vermutlich auch die sehr eigene Aufteilung der mit dem Großprojekt verbundenen finanziellen Risiken. Die Rechte und Pflichten der einzelnen Anteilseigner (Staat, Privatsektor) und der Kunden (Bauern) sind in den Verträgen zwischen der Betreibergesellschaft Amensouss und den Landwirten sowie im Vertrag zwischen dem verantwortlichen Ministerium und der Gesellschaft Amensouss festgehalten51. Auf beiden Ebenen wird eine ungleiche Verteilung der Risiken deutlich. Die Dauer der Delegation an die Firma Amensouss wurde mit 30 Jahren berechnet, da dieser Zeitraum unter den gegebenen Umständen für die Amortisierung der Investition ausreicht und trotzdem noch Gewinnchancen birgt. Wie in anderen PPP-Vorhaben spielt die Aufteilung der Risiken unter den Beteiligten eine wichtige Rolle. Im Fall El Guerdane ist dies besonders relevant, 51 Die Verträge mit den Landwirten sind: „Contrat d’abonnement“ und „Annexe au contrat d’abonnement. Règlement des usagers“.
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Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
da klimatische Bedingungen und der Wasserbedarf der urbanen Gebiete die für das Projekt zur Verfügung stehende Wassermenge unmittelbar beeinflussen – und sich damit auf die Gewinnchancen des privaten Unternehmens auswirken. Im Vertrag der Delegation an die Gesellschaft Amensouss ist festgehalten, dass bei Wasserknappheit Verluste in Höhe von bis zu 15% von der Betreibergesellschaft getragen werden müssen. Darüber hinaus gehende Defizite sollen jedoch über eine erhöhte Besteuerung des Wasserverbrauchs durch die Bauern kompensiert werden. Zusätzlich muss der Staat für eine defizitäre Wasserversorgung des ElGuerdane-Netzes über 22,75%, die durch die Verteilung des Staudammwassers zustande kommt, haften. Der Staudamm Chakoukane, von dem aus das Wasser in den Kanal eingespeist wird, ist direkt von dem darüber liegenden Damm Aoulouz abhängig. Über die Verwendung dieses Reservoirs (Aoulouz) verfügt die Wasserbeckenagentur ABH, die in Dürrezeiten der Trinkwasserversorgung den Vorrang gibt. Tritt dieser Fall ein und wirken sich dadurch die Defizite auf die Wassereinspeisung in den Kanal für El Guerdane in genannter Höhe aus, muss der Staat vertragsgemäß die Betreibergesellschaft entschädigen. Im Zeitraum September 2006 bis September 2007 betrugen die Niederschläge im Souss-Tal 47% weniger als in einem normalen Jahr, der Staudamm Aoulouz führte sogar 69% weniger Wasser (ABH-SM 2007: 4). In den kommenden Jahren wird sich dieser Trend nach Auskunft von Mitarbeitern der ABH und der Gesellschaft NAREVA (Gruppe ONA) aller Voraussicht nach fortsetzen und stellt damit ein hohes Risiko für die Wirtschaftlichkeit der Anlage dar. Diese Risikoaufteilung macht erneut die perfide Konstruktion dieser sog. „öffentlich-privaten Partnerschaft“ deutlich: von den Gewinnen profitiert die zum großen Teil der Königsfamilie gehörende Betreibergesellschaft, während die Risiken und Verluste vom entsprechenden Ministerium, also von dem Staatshaushalt und damit den Steuerzahlern, bzw. von den Bauern direkt abgedeckt werden. Eine weitere Schwäche des Projektes ist die stark begrenzte Leistungsfähigkeit: trotz der hohen Investitionen sind die über den Transferkanal mobilisierten Wasserressourcen für den eigentlichen Bedarf im Anbaugebiet El Guerdane nicht ausreichend, obwohl die zu bewässernde Fläche auf 10.000 der insgesamt 30.000 Hektar begrenzt wurde. Darüber hinaus wird auch der Wasserkonsum innerhalb des Projektgebietes eingeschränkt sein. War während der Planungsphase noch eine Bewässerung von 4.500 m³/ha/Jahr vorgesehen, so wurde diese in 2007 von der durchführenden Firma ADI nur noch auf 4.000 m³/ha/Jahr geschätzt52. Grund sind unter anderem der niedrige Wasserstand im Staudamm und die notwendige Abzweigung von Ressourcen für den Bedarf vor der Zone El 52
Gespräche mit Verantwortlichen der Firma in Rabat im Januar 2007.
Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung
189
Guerdane, beispielsweise für die Einspeisung in kleinere Bewässerungssektoren. Hier sind die Bauern durch den Kanalbau mit einer radikalen Einschränkung ihrer Wasserzufuhr aus den Bergen konfrontiert und sollen nach Verhandlungen nun über die Zuleitung aus dem Kanal entschädigt werden (vgl. Kapitel 7.6). Die drohende Wasserknappheit stellt jedoch die dem Projekt zugrunde liegende Kalkulation der Wirtschaftlichkeit direkt in Frage und macht die Kompensation der zu erwartenden Verluste der Betreiberfirma durch den Staat wahrscheinlich. Darüber hinaus wird, aufgrund der beschränkten Wasservorkommen im Staudamm selbst, die Versorgung für alle Landwirte durch den Kanal nur für die Zeit von Mai bis Oktober gesichert sein. Die übrige Zeit sowie weiterer nicht gedeckter Bedarf während der Funktionszeit des Kanals sollen über Grundwasserbohrungen der Betreiberfirma abgesichert werden, die ebenfalls in das Netz eingespeist werden, und aus eigenen Bohrungen der Bauern. Aus dieser Konzeption des Projektes ergeben sich zwei wesentliche Schwierigkeiten. Zum einen ist nachhaltiges Wassermanagement nicht gewährleistet, da weiterhin unterirdische Wasserressourcen in hohem Maße genutzt werden. Die Tiefenbohrungen der Guerdane-Bauern bekommen damit sogar einen quasi-legalen Status, da die Projektkonzeption die Ergänzung der Ressourcen aus dem Kanal durch Grundwasservorkommen bereits vorsieht. Zu welchen Teilen diese Wasservorkommen von der Betreiberfirma und individuell von den Bauern selbst abgepumpt werden, war zum Zeitpunkt der Erhebungen noch offen. Weder die Nutzung durch den Staudamm noch die Nutzbarmachung unterirdischer Ressourcen sind in ein nachhaltiges Gesamtkonzept der Region eingebettet, wodurch die Übernutzung von Boden- und Wasserressourcen gestoppt werden könnte. Die Versalzung der Böden und das weitere Absinken des Grundwasserspiegels werden dadurch zusätzlich gefördert. Zum anderen resultieren aus der Aufteilung der durch das Projekt geförderten Betriebe Konkurrenzund Konfliktpotentiale, die durch die starke Begrenzung der Ressource weiter verschärft werden. Über eine Gesamtfläche von 33.000 ha des Gebietes El Guerdane werden landwirtschaftliche Betriebe unterschiedlicher Größe an das neue Wassernetz angeschlossen, die insgesamt aber nur ein Drittel der Fläche (10.000 ha) ausmachen. Durch diesen „Flickenteppich“ werden dann florierende bewässerte Felder unmittelbar neben trockenen Anbaugebieten liegen. Die verstärkte Konkurrenz zwischen Landwirten, die hierdurch gefördert wird, wird zusätzlich durch das weitere Absinken des Wasserpegels gestärkt. Denn durch die Bohrungen für den Sektor El Guerdane werden andere, weniger tiefe Bohrlöcher oder Brunnen trocken gelegt. Die Rivalität der Landwirte um den Zugang zur Ressource wird Spannungen schaffen und verstärken und kann, wie bereits in anderen Regionen beobachtet, Sabotageakte und gewaltsame Konflikte verursachen.
190
Die Region Souss und das Privatisierungsvorhaben
Noch ein weiterer Aspekt hat die Konfliktträchtigkeit in der Projektregion erhöht: die Erstellung der Listen der Nutznießer. Neben zahlreichen Konflikten und juristischen Prozessen hatte dies eine erhebliche Verzögerung der ersten Bauphase zur Folge. Eine erste Auswahl der Landwirte für das Projekt wurde zwischen 1995 und 2002 von der ORMVA festgehalten. Zahlreiche Bauern protestierten jedoch in den folgenden Jahren, da sie weder von der Existenz des konkreten Projektes, noch von der Möglichkeit der Einschreibung in die Listen gewusst hatten. Sie äußerten die Vermutung, die Behörde habe sich bei der Erstellung der Listen bestechen lassen oder die Mitglieder nach politischen Vorgaben ausgewählt53. Die Gesellschaft Amensouss und die von ihr beauftragte ADI revidierten die Vorauswahl der Bauern, ohne jedoch eine komplett neue Liste anzufertigen. Zahlreiche Anwärter stehen zudem auf Wartelisten für den Fall, dass einer der Eingetragenen den notwendigen Beitrag nicht bezahlen kann und der Vertrag mit ihm gekündigt wird. Im Dezember 2007 beliefen sich diese Wartelisten auf etwa achthundert Bauern: mehr als die im Projekt bereits eingeschriebenen. Wie im Einzelnen die Entscheidungen getroffen wurden, welcher Landwirt und mit wie viel Hektar seiner Besitzfläche in das Projekt aufgenommen wurde, ist auch von den ansonsten sehr offenen Mitarbeitern dieser Firma nicht zu erfahren. Zu den hier angesprochenen Problemen kommt eine geringe Berücksichtigung der Landwirte vor Ort, die die Projektverwaltung ggf. erschweren kann. So sieht das Projektdesign weder soziökonomische Maßnahmen zur Unterstützung derjenigen Bauern vor, die nicht durch das Projekt mit Wasser versorgt werden, noch deren Einbeziehung in die Entscheidungen über die Wasserverteilung im Tal. Formal ist zwar eine indirekte Beteiligung der Bauern über die Repräsentation der Wassernutzergruppen bei der ABH vorgesehen, doch zum einen ist diese Reform seit ihrer Verabschiedung 1995 nicht effektiv umgesetzt worden, und zum anderen grenzt sie eine große Anzahl von Landwirten aus, die nicht in AUEA organisiert sind. Auch die vorgesehene Partizipation der am Projekt El Guerdane teilnehmenden Landwirte an Entscheidungsprozessen im Management ist bis auf eine ebenfalls eher formale Maßnahme nicht existent. Im Begleitausschuss (comité de suivi) des Vorhabens sollen neben dem Repräsentanten von Amensouss, der ORMVA, des Landwirtschaftsministeriums, des Finanzministeriums, und des lokalen Gouverneurs zwei Vertreter der Landwirte vertreten sein, die über die (de facto nicht funktionalen) Wassernutzergemeinschaften AUEA gewählt werden sollen. Die Aufgaben und die Funktionsweise dieses Komitees waren nach Auskunft der Betreibergesellschaft im Oktober 2007 noch nicht
53
Interviews mit mehreren Bauern der Region im Dezember 2005.
Das Pilotprojekt El Guerdane zur Bewässerungsversorgung
191
festgelegt – obwohl der Beginn der Wasserverteilung für Juli 2008 vorgesehen war. Diese Unklarheiten im vorgesehenen Management des Projektes entsprechen der Struktur anderer Entscheidungsprozesse im Land, die von wenigen Akteuren dominiert werden und andere höchstens formal integrieren. Das Vorgehen verursacht eher ein Gegeneinander der unterschiedlichen Akteure als die Verwirklichung kollektiver Strategien im gemeinsamen Interesse des Ressourcenschutzes. Die staatlichen Institutionen sehen zumindest seit den Gesetzesänderungen von 1995 die Integration der Wassernutzer in lokale Entscheidungen vor, was gerade auch in Dürrezeiten zur Vermeidung von Konflikten beitragen soll. Leider sind weder die geplanten Entscheidungsinstanzen auf der Ebene der ABH bisher eingesetzt worden, noch wurde dieser Grundsatz in der Konzeption des Guerdane-Projektes berücksichtigt. Trotz der zahlreichen NGOs und Wassernutzergruppen entsteht auch auf Seiten der Zivilgesellschaft keine geschlossene Interessensgruppe, die politischen Druck ausüben könnte. Viele der Gruppen sind in ihrer Arbeit auf die unmittelbaren lokalen Entwicklungsprobleme ihrer Region konzentriert, es bestehen wenig regionale Koordinationsforen. Einzelne Initiativen gegen die Enteignung und die Bedrohung des Überlebens von Kleinbauernbetrieben sind wie beschrieben äußerst repressiv unterdrückt worden. Durch die von mehreren Autoren beobachtete Krise des Vertrauens in die lokalen gewählten Institutionen (Roque 2004: 71) bestehen wenige Plattformen für den Austausch und die Verhandlung der unterschiedlichen Interessen. Dies kann sich auch im Kontext des El Guerdane negativ auf die Austragung von Interessensdifferenzen auswirken. Das folgende Kapitel bringt in diesem Kontext zusätzliche Erkenntnisse: es stellt die Ergebnisse der empirischen Studien bez. der Marginalisierungsprozesse und Wasserkonflikte in der Projektumgebung vor.
7 Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Die Region El Guerdane zeichnet sich wie in Kapitel 6 erläutert durch ausgeprägte Wasserknappheit und gleichzeitig starke Machtinteressen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen aus. Diese sozialen und politischen Kräfteverhältnisse spiegeln sich zu einem großen Teil in der Verteilung der Bewässerungsressourcen wider. Um die daraus entstehenden Marginalisierungsprozesse sowie die Konflikt- und Mediationspotentiale zu untersuchen, wurde zunächst eine Konflikttypologie erarbeitet. Danach wurden empirische Fallstudien durchgeführt, die die in Kapitel 3 erläuterten Hypothesen anhand von vier unterschiedlichen Klassen von Landwirten erforschen. Die rund 100 befragten Bauern wurden repräsentativ aus vier unterschiedlichen Klassen der Größe ihrer Felder ausgewählt. Dieses Kriterium wurde gewählt, da die landwirtschaftliche Nutzfläche in der Bewässerungsregion ein wichtiger Indikator für Wohlstand und sozialen Status ist (vgl. auch ElMahdad 2003: 455 ff.) und gerade angesichts der wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen auch in Zukunft eine große Rolle spielen wird. Folgende landwirtschaftliche Betriebe bilden die vier Kategorien: 1.
2.
Betriebe zwischen weniger als einem und drei Hektar: Diese Betriebe sind nach Ansicht von Forschern in den kommenden zehn Jahren besonders bedroht, da sie der Vielzahl an Herausforderungen durch verteuerte Produktionskosten, voraussichtlich geringere Erträge, zunehmende Wasserknappheit und die Auswirkungen der Freihandelsabkommen nicht gewachsen sind (o.N. 1991: 3). In Marokko haben 70% der landwirtschaftlichen Betriebe eine Größe von weniger als 2 ha (MADRPM 2008: 10). Betriebe zwischen 3 und 10 Hektar: wegen der hohen Grundkosten einer lokalen Bewässerungsanlage ist diese wichtige Investition für die Betriebe dieser Kategorie meist nicht rentabel. Angesichts der sehr geringen Niederschläge in der Region und der immer teureren und knapperen Wasserressourcen ist die lokale Bewässerung jedoch zu einem wesentlichen Kriterium des Überlebens der Landwirtschaft geworden. Auch die Zukunft dieser Betriebe ist daher, vor allem in wasserarmen Regionen, in Frage gestellt (Akesbi 2005b).
194 3.
4.
Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane Betriebe zwischen 10 und 20 Hektar: sie repräsentieren eine mittlere Betriebgröße, die bei ausreichender Wasserzufuhr i.d.R. genügt, um die Familie des Landwirtes zu ernähren. Bei guten Produktionsverhältnissen können diese Betriebe gewinnbringende Produkte wie Gemüse und Zitrusfrüchte anbauen. Betriebe, die größer als 20 Hektar sind: Diese Kategorie schließt alle weiteren Betriebe ein, da eine weitere Differenzierung angesichts der relativ geringen Gesamtzahl dieser Betriebe nicht als sinnvoll erachtet wird. Ggf. notwendige zusätzliche Differenzierungen werden in der Auswertung der empirischen Studien vorgenommen.
Aufgrund der Komplexität des Themas und der zahlreichen möglichen Ursachen von Wasserkonflikten reicht die quantitative Erfassung zur Beurteilung dieser Prozesse jedoch nicht aus. Die gewonnenen Daten zeigen dennoch wichtige Tendenzen auf, die dann in Kombination mit qualitativen Erkenntnissen eine Auswertung der Hypothesen ermöglichen. Denn jeder einzelne Konflikt der rund einhundert befragten Gesprächspartner entsteht aus einem Geflecht spezifischer Interessen, Engpässe und Machtkonstellationen, die in einer quantitativen Erhebung nicht detailliert erfasst werden können. Die Erstellung der Typologie und die zusätzlichen qualitativen Erhebungen der lokalspezifischen Zusammenhänge ergänzen die über die Fragebögen erhobenen quantitativen Daten. Das Kapitel fasst Ergebnisse dieser Forschung zusammen.
7.1 Die Konfliktparteien der Auseinandersetzungen um Wasser Wie in Kapitel 3 erläutert, wurde auf der Grundlage schriftlicher Quellen, Interviews und teilnehmender Beobachtung in den Regionen Souss Massa und Gharb eine akteurszentrierte Konflikttypologie ausgearbeitet. Die Akteure können dabei sowohl Einzelpersonen als auch kollektive Akteure sein, wie z.B. Wassernutzergruppen oder die Bewässerungsbehörde ORMVA. Die Region El Guerdane ist, wie in Kapitel 6 erläutert, vor allem von der Landwirtschaft geprägt. Nutzerkonflikte zwischen dem Tourismus- und dem landwirtschaftlichen Sektor, wie sie etwa im Großraum Agadir auftreten können, werden deshalb in der Fallstudie nicht berücksichtigt. Durch die Besiedelung der Region treten allerdings auch Konflikte zwischen Trinkwassernutzern und Landwirten auf, die hier mit einbezogen werden.
Die Konfliktparteien der Auseinandersetzungen um Wasser
195
Die auf empirischen Beobachtungen und Erhebungen beruhende Typologie möglicher Konflikte um Wasser beinhaltet fünf Kategorien sowie optional eine weitere, offene, die die Befragten bei Bedarf ergänzen konnten: a. b. c. d. e. f.
Wasserkonflikte (Bewässerung) zwischen Bauern allgemein Wasserkonflikte (Bewässerung) zwischen Landwirten großer und kleiner Anbauflächen Wasserkonflikte (Bewässerung) zwischen Bauern und der Bewässerungsbehörde ORMVA Wasserkonflikte zwischen Nutzern von Bewässerung und Trinkwasser Wasserkonflikte zwischen Trinkwassernutzern Andere Wasserkonflikte
Zum besseren Verständnis sei hier kurz auf diese Konfliktkonstellationen eingegangen. Konflikte um Wasser für die Bewässerung (a-c) ergeben sich dadurch, dass nicht alle Bauern über genügend Wasser für die Bewässerung ihrer Kulturen verfügen. Dies hängt häufig mit den unterschiedlichen technischen Voraussetzungen zusammen: der Brunnentiefe, der Bewässerungstechnik (höherer Verbrauch der traditionellen Bewässerung gegenüber moderner), der Verfügbarkeit von Bohrlöchern oder der Lage der Felder im öffentlichen Bewässerungssystem (Vorteil der „Oberanrainer“, deren Felder näher am Hauptkanal liegen). Diese Voraussetzungen sind wiederum durch finanzielle und soziopolitische Faktoren bedingt: die „großen“ Landwirte verfügen über effektivere Mittel zur Wassernutzbarmachung und Bewässerung, zum anderen werden sie bei der Vergabe von Bohrlizenzen oder in der staatlichen Wasserverteilung oft prioritär behandelt. Dies kann zu Konflikten zwischen „großen“ und „kleinen“ Landwirten führen, aber auch zu Konflikten zwischen der Bewässerungsbehörde und Bauern. Letzteres betrifft allerdings vor allem die Kleinbauern, da andere durch private Wasserversorgung von der staatlichen Zufuhr weitgehend unabhängig sind. Die Kategorie „Wasserkonflikte zwischen Bauern“ (a), die nicht nach der Besitzgröße differenziert, umfasst beispielsweise auch Uneinigkeiten innerhalb von Wassernutzergruppen. Hierzu gehören Streitigkeiten um die Berechnung und Zahlung der Beiträge und des Wasserkonsums, die Beteiligung an Reparaturen des gemeinsamen Netzes, die Nutzung gemeinsamer Geräte sowie Verteilungsfragen. Konflikte um die Ressource, bei denen auch die Trinkwasserversorgung betroffen ist (d-e), können interne Verteilungskonflikte sein oder Streitigkeiten zwischen Trinkwasser- und Bewässerungsnutzern. Letztere treten hauptsächlich in Gebieten auf, die von einem starken Absinken des Grundwasserpegels betrof-
196
Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
fen sind. Vielfach von der staatlichen Versorgung vernachlässigt, haben zahlreiche Dörfer eine eigene Trinkwasserversorgung über Brunnen organisiert, die meist von lokalen NGOs gebaut und verwaltet werden. Diese Brunnen sind oft nicht sehr tief, was mit den hohen Kosten dieser Anlagen und dem häufig unzureichenden Wissen über die Entwicklung des Grundwasserpegels zusammenhängt. Durch die häufigeren und lange anhaltenden Dürren, die Ausdehnung der bewässerten Flächen und die schnelle Verbreitung privater Bohrungen wuchs jedoch in den vergangenen 15 Jahren die Anzahl der Bohrlöcher und nahm gleichzeitig ihre Tiefe zu. Dies führte dazu, dass sehr tiefe Brunnen für die Bewässerung in der Nähe von weniger tiefen Brunnen zur Trinkwasserversorgung gebohrt wurden und diesen buchstäblich das Wasser abgruben. Andere Konflikte zwischen Trinkwassernutzern können auf lokaler Ebene auftreten, wenn die Abrechnung der Beiträge angezweifelt wird, die auszugebende Menge begrenzt werden muss, oder aber wenn einige Anwohner das Trinkwasser zur Versorgung ihrer Tiere benutzen und dadurch mehr konsumieren oder die Verteilung blockieren. Diese fünf Typen von Konflikten können sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise äußern. Neben der verbalen Austragung und der Umleitung in Sekundärkonflikte werden häufig Sabotageakte beobachtet, wie das unerlaubte Umleiten der Ressource (sog. „Wasserdiebstahl“) oder die Zerstörung der Infrastruktur zur Bewässerung oder zur Messung des Verbrauchs. Auch teilweise gewaltsame Auseinandersetzungen wurden beobachtet, beispielsweise zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Dörfer. Auslöser waren in einigen beobachteten Fällen umstrittene Genehmigungen neuer Bohrlöcher in einem Dorf, die durch das Absinken des Wasserspiegels die Wasserversorgung in einem Nachbardorf beeinträchtigen würden. Die empirische Erforschung der Konfliktpotentiale umfasst alle diese unterschiedlichen Formen der Auseinandersetzung. Die folgenden Teilkapitel untersuchen auf Grundlage dieser Typologie Konflikt- und Kooperationspotentiale in der Forschungsregion und prüfen auch die Plausibilität der Typologie selbst. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgt auf Grundlage der Aussagekräftigkeit der erhobenen quantitativen Daten sowie der qualitativen Erhebungen. Letztere beruhen auf den Interviews, die zwischen April 2005 und Dezember 2007 in der Region durchgeführt wurden.
Wachsende ökologische Disparitäten zwischen Landwirten
197
7.2 Wachsende ökologische Disparitäten zwischen Landwirten Die Veränderung der Umweltbedingungen im Souss-Tal, vor allem die zunehmende Wasserknappheit und die abnehmende Fruchtbarkeit des Ackerlandes, wirken sich negativ auf die landwirtschaftliche Produktion aus. Die erste Forschungsannahme untersucht diese Auswirkungen im Hinblick auf Unterschiede zwischen größeren und kleineren Betrieben. Die Hypothese lautet: Durch ungleichen Zugang zu den Produktionsressourcen Boden und Wasser bestehen ökologische Disparitäten zwischen Landwirten größerer und kleinerer Betriebe. Diese Disparitäten vergrößern sich tendenziell. Die ersten beiden Variablen zur Prüfung der Hypothese untersuchen, inwieweit kleine Produzenten stärker von unzureichendem Zugang zu natürlichen Ressourcen, also der Verminderung von fruchtbarem Land und der Verschlechterung des Wasserzugangs, betroffen sind als Bauern mit größeren Anbauflächen. Die dritte Variable prüft den Zusammenhang zwischen dem Zugang zu den Ressourcen Wasser und Land und der Entwicklung der Produktion der Betriebe. Die befragten Landwirte haben ihren Betrieb fast alle geerbt, nur eine Minderheit hat das Land gekauft oder zusätzliche Flächen käuflich erworben. Der Zeitraum der Betriebsgründung oder –übernahme liegt bei allen Kategorien ähnlich verteilt zwischen den 1950er und den 1990er Jahren, wobei eine Mehrzahl ihre Grundstücke ab den 1960er und 1970er Jahren bewirtschaftet. Dies hängt wie in Kapitel 6 erläutert mit der damaligen Ausweitung der Bewässerungsregion zusammen.
7.2.1 Höhere Verluste an bewässerter Ackerfläche bei Kleinbauern Nutzbare Ackerflächen sind in der Forschungsregion vor allem die bewässerten Flächen, da hier erheblich bessere Erträge erwirtschaftet werden können als auf den Feldern, die nur zur Regenlandwirtschaft genutzt werden. Der Vergleich der Ausweitung oder Verminderung beider Anbautypen über zehn Jahre ermöglicht deshalb eine gute Einschätzung der Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion der Betriebe. Die Entwicklung zwischen 1996 und 2006 wird für alle vier Betriebskategorien verglichen, wobei die Fläche der Grundstücke der befragten Bauern sich in dieser Zeit nicht verändert hat und deshalb als Bezugsgröße genommen werden kann. Die Auswertung in den vier hier untersuchten Kommunen zeigt, dass alle Kategorien von Landwirten zwischen 1996 und 2006 Verluste erlitten haben und Teile ihrer Ackerfläche wegen des Wassermangels nur noch als Regenlandwirtschaft nutzen können. Besonders stark sind jedoch die Kleinbauern (Flächen
198
Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
zwischen 0,1 und 3 ha) betroffen: sie konnten im Jahr 2006 nur rund 64 Prozent der Fläche bewässern, die sie 1996 auf diese Weise nutzen. Die Grossbauern dagegen (mehr als 20 ha) konnten rund 80 Prozent ihrer Bewässerungslandwirtschaft wahren. In der Regel versuchen die Bauern, nicht-bewässerte Flächen für Olivenbäume oder, bei günstigen Niederschlägen, für Getreideanpflanzung zu nutzen. Auch hier zeigen die Erhebungen, dass kleinere Produzenten in stärkerem Maße gezwungen sind, ihre Produktion umzustellen und die Flächen der Regenlandwirtschaft überproportional ausweiten. Die Kleinbauern der Kategorie eins beispielsweise beackerten im Jahr 2006 rund 43 Prozent ihrer Fläche auf diese Weise, während dies bei den Kategorien zwei bis vier nur zwischen 22 und 25 Prozent des gesamten Besitzes ausmachte. Der Vergleich der Entwicklung zwischen den Jahren 1996 und 2006 zeigt, dass sich auch bei den größeren Kategorien die Regenlandwirtschaft vergrößert hat, jedoch weniger stark zunahm. Abbildung7 verdeutlicht diesen Trend für jede Besitzkategorie.
Wachsende ökologische Disparitäten zwischen Landwirten Abbildung 9:
Die Entwicklung der bewässerten Flächen und der Regenlandwirtschaft 1996
2006
3% 41%
Kategorie 1 59% 97%
6%
20%
Kategorie 2 94%
80%
5%
23%
Kategorie 3 95%
77%
1%
20%
Kategorie 4 99%
% Regenlandwirtschaf t
80%
% bewässertes Land
199
200
Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
7.2.2 Tiefenbohrungen bei Großbauern stärker verbreitet Die Landwirte in der Region Guerdane haben mehrere Möglichkeiten der Bewässerung. Die kostengünstigste - nach den Niederschlägen, die jedoch kaum relevant sind - ist die staatliche Bewässerung durch die ORMVA. Allerdings befinden sich nicht alle Betriebe innerhalb dieses Bewässerungssystems. Zudem ist die staatliche Bewässerung wegen großer Knappheitsprobleme, technischer Defekte und anderen Schwierigkeiten häufig unzuverlässig und in den meisten Fällen ungenügend, so dass alle Bauern versuchen, in private Bohrungen zu investieren. Um zu vergleichen, wie stark die unterschiedlichen Betriebskategorien von Wasserknappheit betroffen sind, wurden zwei Indikatoren überprüft: der Verlust von Brunnen oder Bohrungen durch Vertrocknen (bezogen auf die Gesamtanzahl), und der Zugang zu unterschiedlichen Formen der Bewässerung (Seguia54, Brunnen, Bohrloch) bei den verschiedenen Betriebskategorien. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass alle Bauern durch die Absenkung des Grundwasserspiegels etwa die Hälfte ihrer Brunnen oder Tiefbohrungen verloren haben, die sie noch 1996 nutzten. Hier treten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kategorien auf. Allerdings konnten die größeren Betriebe diesen Rückgang besser kompensieren. Im Jahr 2006 verzeichneten diese Betriebe eine erheblich bessere Wasserversorgung als die kleineren, da sie über weitaus mehr Tiefenbohrungen verfügten (vgl. Abb. 8). Im Gegensatz zu den Brunnen, die bei Kleinbauern wegen der geringeren Kosten stärker verbreitet sind, sind diese Bohrungen meistens so tief, dass sie vom Absinken des Grundwasserspiegels nicht oder weniger stark betroffen sind. Gespräche vor Ort haben außerdem gezeigt, dass die aufwändigeren Vorstudien zu Tiefenbohrungen ermöglichen, geeignete Bohrstellen relativ sicher zu orten. Brunnen dagegen werden häufig auf Eigeninitiative oder von weniger professionellen Betrieben vorgenommen. Teilweise wird dann umsonst nach Wasser gegraben, teilweise genügt die Tiefe des Brunnens nicht, um dauerhaft ausreichende Wasserzufuhr zu garantieren. Die Kleinbauern sind daher stärker auf die häufig unzuverlässige Wasserversorgung durch die Seguias angewiesen. Sie verfügen selten über Tiefenbohrungen und müssen sich deshalb wie oben erläutert auf eine Ausdehnung der Regenlandwirtschaft stützen. Abbildung 8 verdeutlicht, wie stark der Anteil an Tiefenbohrungen bei größeren Betrieben zunimmt.
54
Traditionelle offene Bewässerungskanäle, hier in den meisten Fällen durch staatliche Wasserzufuhr versorgt oder als Kanal für die Verteilung eigener Ressourcen aus Brunnen oder Bohrlöchern genutzt.
Wachsende ökologische Disparitäten zwischen Landwirten
201
Abbildung 10: Der Zugang zu Bewässerung in den verschiedenen Betrieben
50 45 40
Anzahl
35 30 25
Anzahl Tiefenbohrungen
20
Anzahl Brunnen
15 10 5 0 1
2
3
4
Kategorie der Betriebe
Betriebskategorie 1 Betriebskategorie 2 Betriebskategorie 3 Betriebskategorie 4
1-3 ha 3,1-10 ha 10,1-20 ha > 20 ha
7.2.3 Wasser- und Landzugang bedingen Anbau lukrativer Produkte Die Entwicklung der Produktion ist zwar auch von Faktoren wie dem Zugang zu Märkten, Subventionen, Krediten und Fachwissen abhängig, doch die wesentlichen Produktionsfaktoren bleiben der Boden und die Bewässerung. Angesichts des sehr hohen Wertes der Agrargrundstücke im Souss-Tal bleiben in der Regel nur diejenigen Flächen brach liegen, die durch Bodenversalzung oder ungenügendes Wasser selbst durch hohe Investitionen nicht mehr nutzbar zu machen sind. Auch Landbesitzer, die die Region verlassen, verpachten normalerweise ihr Grundstück. Ein Rückgang der Produktion ist deshalb in den allermeisten Fällen auf ökologische Probleme zurückzuführen. Gespräche mit den Landwirten haben gezeigt, dass diejenigen, die über eine ausreichende Fläche verfügen und sich vor allem auch auf eine sichere Wasserversorgung verlassen können, rentable Produkte wie Zitrusfrüchte anbauen. Traditionellere Produkte dagegen, die auch mit weniger Bewässerung oder rein als
202
Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Regenlandwirtschaft angebaut werden können, wie Oliven oder Getreide, sind erheblich weniger lukrativ. Der Anbau unterschiedlicher Produkte wird zum einen bezogen auf die Betriebsgröße untersucht, um festzustellen, ob größere Bauern tatsächlich mehr lukrative Produkte anbauen, und ob sich die Produktion diesbezüglich zwischen 1996 und 2006 verändert hat. Zum anderen wird geprüft, ob die Anbausorten auch von dem unterschiedlichen Zugang zur Bewässerung abhängen. Die Auswertung der Befragung zeigt zunächst, dass im Jahr 2006 die Produktion tatsächlich sehr unterschiedlich verteilt war, wobei ein auffälliger Unterschied zwischen den größten und den kleinsten Betrieben sichtbar ist. Während erstere auf 68 Prozent ihrer Fläche Zitrusfrüchte anbauten, betrug der Anteil bei Kleinbauern nur 46 Prozent. Diese scheinen eher auf die Olivenproduktion sowie auf die Anpflanzung von Getreide auszuweichen. Viele der Bauern nutzen ihre Anbauflächen dabei mehrfach, indem sie beispielsweise auf den Feldern der Olivenbäume ebenfalls Viehfutter oder Getreide anbauen. Während die Kleinbauern auch in 2006 die Ackerflächen noch mehrfach nutzen, konzentrieren sich die größeren Betriebe auf den Anbau der lukrativen Produkte. Eine Erklärung hierfür kann sein, dass letztere weniger auf die Getreideproduktion für den eigenen Bedarf oder auf die Anpflanzung von Viehfutter für eigene Tiere angewiesen sind. Der Vergleich der Produktionsentwicklung zwischen 1996 und 2006 zeigt, dass alle Betriebskategorien von Einbußen in der lukrativen Zitrusfruchtproduktion betroffen waren (vgl. Abb. 9). Allerdings mussten die kleineren Betriebe, vermutlich wegen des schlechteren Wasserzugangs, proportional noch höhere Verluste in Kauf nehmen. Während die Landwirte der Kategorie 4 im Jahr 2006 noch 81 Prozent ihrer Zitrusproduktion von 1996 halten konnten, blieben den Kleinbauern nur 63 Prozent. Bei dem Gemüseanbau verzeichnet die Kategorie 1 der Kleinbauern sogar als einzige einen Rückgang, was möglicherweise ebenfalls auf nicht ausreichende Wasserzufuhr hinweist. Kategorien 2 bis 4 dagegen zeigen zwar deutliche Produktionszuwächse, die sich allerdings auf wenige einzelne Bauern beschränken, so dass das Ergebnis nicht unbedingt als repräsentativ gelten kann. In der Getreideproduktion konnte die größte Betriebskategorie ihre Flächen geringfügig ausweiten. Die mittleren Kategorien konnten ihre Produktion weitgehend halten (über 90 Prozent). Die Kleinbauern mussten auch hier Verluste hinnehmen und konnten nur knapp 63 Prozent der Produktion bewahren. Der Vergleich der Nutzung unterschiedlicher Wasserquellen (Brunnen, Seguia, Bohrlöcher) zeigt, dass die Produktion der rentablen Zitrusfrüchte eng an den Zugang zu ausreichender Wasserversorgung gekoppelt ist. Landwirte, die nicht über Tiefenbohrungen verfügen, nutzen über 20 Prozent weniger Fläche für
Wachsende ökologische Disparitäten zwischen Landwirten
203
den Anbau von Zitrusfrüchten, dafür fast doppelt so viel Fläche für Getreide und zehn Mal mehr Fläche für Oliven. Auch hat die Gruppe der in der Wasserversorgung benachteiligten Bauern proportional mehr Land verloren. Landwirte, die über keine Bohrlöcher verfügen, und sich entweder auf die öffentliche Versorgung oder untiefe Brunnen verlassen müssen, haben seit ihrer Übernahme des Betriebes rund 62 Prozent der vormals bewässerten Fläche verloren. Die Kategorie jener, die über Bohrlöcher verfügt, weist dagegen nur einen Rückgang von 33 Prozent auf. Abbildung 11: Produktionsstruktur der Betriebe mit und ohne Tiefenbohrungen (2006) Betriebe mit Tiefenbohrungen Gemüse 1% Getreide 16% Zitrusfrüchte 82%
Oliven 1%
Betriebe ohne Tiefenbohrungen Gemüse 8%
Zitrusfrüchte 56%
Getreide 25%
Oliven 11%
Insgesamt zeigt die Analyse der ökologischen Disparitäten, dass die Verschlechterung der Wasserversorgung die Auswirkungen der ungleichen Landverteilung auf die Produktion noch verstärkt. Obwohl alle Bauern in ähnlicher Weise von dem Absinken des Grundwasserspiegels betroffen sind, ist die Produktion bei den größeren Betrieben stabiler geblieben bzw. hat sich noch ausgeweitet. Die
204
Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Veränderungen im Zugang zu Land und zu Wasser weisen beide auf die unterschiedlichen Anpassungskapazitäten hin. Während die Kleinbauern die trocken liegenden Brunnen nur schwer ersetzen oder vertiefen konnten, haben größere Landwirte über neue oder tiefere Bohrlöcher den Verlust an Wasser stärker kompensiert. Diesen Trend bestätigen auch die empirischen Studien von ElMahdad in der Region (ElMahdad 2003: 455 ff.). Qualitative Erhebungen im gleichen Gebiet haben auch die Auswirkungen dieser Tendenzen auf die Produktion bestätigt55. Der bessere Zugang zu Wasser und Land bietet den Landwirten der größeren Kategorien eine Produktionssicherheit, die ihnen auch den Anbau lukrativer aber riskanter Produkte wie Zitrusfrüchte ermöglicht. Die bezüglich der Wasserversorgung am stärksten verwundbare Gruppe der Landwirte (die nur über die öffentliche Versorgung verfügen) reagiert risikoavers und baut eher sichere Produkte wie Oliven und Getreide an, die allerdings weniger gewinnbringend sind.
7.3 Ökologische und sozioökonomische Unterschiede verstärken sich Die zweite Forschungshypothese setzt sich mit den nicht-ökologischen Produktionsbedingungen auseinander. Sie untersucht, ob sich geringe sozioökonomische Kapazitäten mit Disparitäten im Zugang zu Wasser und Land decken, oder ob diese Kapazitäten vielmehr bei der Verminderung der Auswirkungen ökologischer Probleme helfen. Die Annahme lautet: Sozioökonomische Kapazitäten können die Auswirkungen ökologischer Marginalisierung verstärken oder verringern. Die Verfügbarkeit alternativer Einkommensquellen, der Bildungsstatus, und der Zugang zu Marktstrukturen spielen dabei eine Rolle. Dies wird überprüft, indem Zusammenhänge zwischen dem Vorhandensein dieser Kapazitäten und der Größe der Betriebe oder ihrem Zugang zu Wasser untersucht werden.
55 Gespräche mit Landwirten und Verantwortlichen der Bewässerungsbehörden im Souss Tal und i.B. in der Region ElGuerdane 2005-2007.
Ökologische und sozioökonomische Unterschiede verstärken sich
205
7.3.1 Ungleiche Verteilung alternativer Einkommensquellen In den Vorstudien zu den hier ausgewerteten Erhebungen wurde deutlich, dass viele Kleinbauern sich nicht mehr auf die Landwirtschaft als Haupteinkommensquelle verlassen können, und deshalb ihre Arbeit diversifizieren. Insbesondere wurden in den Gesprächen folgende Einkommensquellen genannt: Zahlungen emigrierter Familienmitglieder, Kredite, Lohnarbeit, Viehzucht und/oder Milchproduktion und Handel mit nicht-Agrarprodukten. Die Verteilung dieser unterschiedlichen Einkommensquellen wurde im Hinblick auf die Größe der Betriebe sowie bezüglich des Verlustes bewässerter Flächen untersucht. Da eine direkte Frage nach dem absoluten Einkommen wegen der Tabuisierung dieses Themas nicht durchführbar war, wurde nach der anteiligen Zusammensetzung des Gesamteinkommens gefragt. Abbildung 12: Die Anteile unterschiedlicher Einkommensquellen der Bauern der vier Kategorien
100%
10% 90%
7%
Anteile der Einkommensquellen
80%
6% 3%
6% 6%
2% 5%
8% 0%
15%
20%
7% 3%
0%
1%
70%
Handel
60%
Milchproduktion/ Viehzucht
50%
Kredite 40%
73%
80%
71%
74%
Immigration
30%
Landwirtschaft 20% 10% 0% 1
2
3
4
Kategorie der Betriebe
Die Auswertung zeigt, dass auch die Kleinbauern im Durchschnitt zu siebzig Prozent von ihrem Einkommen aus der Landwirtschaft leben und nur sehr weni-
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
ge der Befragten aller Kategorien sich über Zahlungen emigrierter Familienangehöriger finanzieren. Beide Faktoren sind bei allen Befragten ähnlich relevant. Wesentliche Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Betriebsgrößen sind jedoch bei der Herkunft der restlichen rund dreißig Prozent der Einkommen auffällig (vgl. Abb. 10). Die Nutzung von Krediten: Der Zugang zu Krediten ist ein wichtiger Faktor der Einkommen, da sie bei schlechten Erträgen Einkommen sichern können und zudem die Anpassung an Wasserknappheit erleichtern, da so z.B. die Einrichtung neuer Bewässerungssysteme finanziert werden kann. Auch hier zeichnen sich jedoch starke Disparitäten ab. Während die größeren Landwirte zwischen 15 und 20 Prozent ihres Einkommens aus Krediten beziehen, verfügen bei den kleineren Bauern nur 7 bzw. 8 Prozent über diese Einkommensquelle. Insbesondere diejenigen Bauern, die wenig oder gar kein bewässertes Land verloren haben, nutzen Kredite. Gerade Betriebe, die über die Hälfte ihrer bewässerten Fläche aufgeben mussten, nutzen Kredite nur zu 6 Prozent ihres Einkommens, während diejenigen, die weniger Fläche verloren (zwischen einem und fünfzig Prozent) dreimal so stark davon Gebrauch machen. Hierfür haben sich in den Gesprächen im wesentlichen zwei Erklärungen kristallisiert: zum einen ist der Zugang zu Krediten für Kleinbauern schwieriger, weil die administrativen Schritte kompliziert sind, die Banken sie als wenig kreditwürdig einschätzt, oder weil sie bereits verschuldet sind oder über keine gültigen Eigentumstitel des Grundstücks verfügen. Zum anderen kann auch die Risikoaversion ein Grund sein, weshalb Kleinbauern bei sinkenden Agrareinnahmen eher auf andere Einkommensmöglichkeiten ausweichen. Gerade für die Anpassung an die Wasserknappheit ist jedoch die Verfügbarkeit von einer relativ hohen Geldsumme, wie sie ein Kredit ermöglicht, unerlässlich. Auch für die Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten zur Landwirtschaft, wie Handel, Taxifahren oder andere Dienstleistungen, ist häufig eine Investition erforderlich, die über Kredite finanziert werden kann. Der fehlende Zugang zu Krediten kann deshalb für die betroffenen Landwirte die Auswirkungen der Wasserknappheit noch verstärken. Der Bezug von Einkommen aus Viehzucht und/oder Milchproduktion trägt in allen vier Kategorien mit 5-7 Prozent zum Gesamteinkommen bei. Die Interviews haben ergeben, dass gerade die Kleinbauern diese Tätigkeit als geeignete Form der Kompensierung der Einkommensausfälle aus der Landwirtschaft sehen. Die Erhebungen bestätigen den etwas höheren Einkommensanteil aus dieser Branche sowie aus dem Handel bei denjenigen, deren bewässerte Landwirtschaft zurückging.
Ökologische und sozioökonomische Unterschiede verstärken sich
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Diejenigen Bauern, die bewässertes Ackerland verloren, ergänzen ihr Einkommen zu sieben Prozent mit Erträgen aus Viehzucht und Milchproduktion und zu neun Prozent mit anderweitigem Handel, während dieser Anteil bei den übrigen Landwirten nur zwei bzw. drei Prozent ausmacht. Bei ersterer Tätigkeit spielt sicherlich die im Souss stark präsente Milchgenossenschaft COPAG eine Rolle, die auch kleinen Produzenten stabile Abnahmepreise und eine zuverlässige technische Betreuung sowie ein funktionierendes Sammelsystem bietet. Denn gerade zu dem Zeitpunkt, den die Befragten für den Beginn ihrer Milchproduktion angeben (Anfang bis Mitte der 1990er Jahre) expandierte die Genossenschaft ihre Tätigkeiten. Bis auf eine Ausnahme verkauften alle befragten Milchproduzenten an die COPAG, wobei die Motivation hierfür neben den erwähnten Dienstleistungen der Genossenschaft auch in weiteren sozialen Aktivitäten der COPAG begründet ist (vgl. auch Kapitel 7.6). Weiter stellt sich heraus, dass gerade kleinere Produzenten ihr Einkommen aus der Landwirtschaft durch 10 Prozent Einkommen aus dem Handel mit nichtlandwirtschaftlichen Gütern ergänzen. Bei Großbauern der Kategorie 4 dagegen macht dieser Anteil nur rund 2 Prozent aus. Allerdings haben die qualitativen Interviews gezeigt, dass diese Angaben nur beschränkt vertrauenswürdig sind, da gerade die Besitzer der Großbetriebe in andere Aktivitäten wie z.B. den Grundstückshandel involviert sind. Da die Mehrzahl dieser Geschäfte jedoch informell abgewickelt wird und teilweise hohe Bestechungsgelder bedingt, werden über diese Aktivitäten in den Erhebungen wenig Aussagen gemacht56. Insbesondere in der Region des Bewässerungsprojekts El Guerdane haben zahlreiche Grundstücksspekulationen stattgefunden (vgl. Kapitel 6.1). Die Angaben über einen geringen Einkommensanteil aus dem Handel sind deshalb bei den größeren Betriebskategorien nicht unbedingt aussagekräftig.
7.3.2 Geringe Bedeutung des Bildungsstandes Während der Vorgespräche zu den Erhebungen im Souss-Tal erwähnten einzelne Landwirte, dass technische Innovation oder rentablere Anbaukulturen häufig von jüngeren Landwirten eingeführt werden, die höher gebildet sind und teilweise nach ihrem Studium zu dem Betrieb zurückkehrten. Weiter wurde angenommen, dass Landwirte, die Kredite aufnehmen möchten und/oder großen Handel und teilweise Exportgeschäfte abwickeln, zumindest über eine Grundbildung verfügen müssen, um diese Aufgaben zu bewältigen. Deshalb wurde der Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand und der Größe der Betriebe überprüft, um 56
Angaben einiger Landwirte bei Gesprächen in der Region, 2005-2007.
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
herauszufinden, ob beispielsweise Großbauern besser gebildet sind als Kleinbauern. Auch der Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand und den alternativen Einkommensmöglichkeiten wurde analysiert, um zu klären, ob bestimmte Tätigkeiten - wie etwa Handel - in höherem Maße von besser gebildeten Landwirten ausgeübt werden. Die Auswertung zeigt allerdings, dass das Bildungsniveau bei allen Betriebsgrößen und durch alle Einkommensfelder hindurch so niedrig ist, dass der Bildungsstand als erklärender Faktor nicht relevant ist. Insgesamt über siebzig Prozent der interviewten Landwirte haben entweder keinerlei Bildung oder waren nur in einer Koranschule. Da die Koranschule in Marokko neben den religiösen Lerninhalten nur sehr beschränkte Kenntnisse im Lesen und Schreiben vermittelt und meist keine Einführung in die Grundrechenarten anbietet, können diese beiden Kategorien im Hinblick auf die tatsächlich vorhandenden Kenntnisse gleich betrachtet werden. Der Anteil derjenigen, die gar keine Grundbildung besitzen, ist bei den kleinen Betrieben etwas höher als bei den mittleren und ganz großen (63 Prozent im Vergleich zu je 45 Prozent). Auch der Anteil der Grundschulabgänger ist in der Kategorie 1 niedriger (13 Prozent) als in der größten Kategorie 4 (18 Prozent), allerdings werden diese Unterschiede nicht als relevant angesehen, da insgesamt nur sehr wenige Befragte diesen Abschluss erreicht haben (12 Prozent). Angesichts der Mehrheit der Landwirte ohne Grundbildung und der geringen Unterschiede innerhalb der übrigen Bildungsniveaus ist auch ein Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand und der Verfügbarkeit alternativer Einkommen nicht relevant.
7.3.3 Schlechterer Marktzugang für Kleinbauern Der Zugang zu unterschiedlichen Vermarktungsmöglichkeiten der landwirtschaftlichen Produkte wirkt sich zum Teil erheblich auf den erzielten Preis und damit auf die Einkommen aus. Die Preise auf dem lokalen Markt sind relativ niedrig, haben aber den Vorteil der kurzen Transportwege, der informellen Kontakte und des freien Zugangs und werden daher viel von Kleinbauern genutzt. Besonders bei dem Verkauf von Zitrusfrüchten wird ein großer Unterschied deutlich: der lokale Markt bringt hier wenig Gewinn, während der Verkauf an Zwischenhändler oder an Genossenschaften, die häufig in den Exporthandel involviert sind, weitaus lukrativer sind. Allerdings verlangt insbesondere der Exportmarkt eine mengen- und qualitätsmäßig stabile Produktion und Mindestproduktionsmengen, die für Kleinbauern häufig schwer zu erreichen sind. Es wird deshalb vermutet, dass auch die Produktionsmenge den Zugang zu be-
Ökologische und sozioökonomische Unterschiede verstärken sich
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stimmten Märkten beeinflusst und so ggf. Kleinproduzenten von lukrativen Ertragsmöglichkeiten marginalisiert werden. Um zu überprüfen, wie der unterschiedliche Zugang zu diesen Märkten auf die einzelnen Produzentengruppen verteilt ist, wurde die Vermarktung von Zitrusfrüchten im Hinblick auf die Anbaufläche und in Bezug zur Produktionsmenge untersucht. Der Vergleich der unterschiedlichen Betriebsgrößen bestätigt die Hypothese, dass kleinere Produzenten eher auf dem lokalen Markt verkaufen: rund neunzig Prozent ihrer Produktion wird hier umgesetzt, während es bei den größten Landwirten nur neunzehn Prozent sind. Der Verkauf an Vermittler oder Genossenschaften dagegen nimmt mit der Größe des Betriebes deutlich zu und ermöglicht den Großproduzenten höhere Gewinne. Dieser Trend bestätigt sich auch, wenn die Produktionsmenge mit der Vermarktung verglichen wird: Bauern, die nur zwischen 10 und 50 Prozent ihrer Ackerfläche mit Zitruspflanzen anbauen, verkaufen zu rund 92 Prozent auf dem lokalen Markt. Diejenigen aber, bei denen Zitrusfrüchte über 80 Prozent der Produktion ausmachen, verkaufen zu 64 Prozent an Zwischenhändler oder Genossenschaften und nur 36 Prozent auf dem lokalen Markt. Die Tatsache, dass auch mittlere und große Betriebe rund ein Drittel ihrer Zitrusproduktion auf dem lokalen Markt absetzen, wurde in Gesprächen mit der in den vergangenen Jahren stark gesunkenen Qualität der Früchte begründet. Dies ist überwiegend auf die Wasserknappheit zurückzuführen. Die Mehrzahl der Bauern zieht es vor, die begrenzte Ressource für den Erhalt der Plantagen zu verwenden und die qualitativ schlechteren Früchte lokal zu verkaufen, als einen Teil der Bäume vertrocknen zu lassen und den übrigen Teil stärker zu bewässern. Diese Untersuchung der Vermarktungsbedingungen bestätigt die Vermutung, dass Kleinbauern, auch wenn es ihnen bei schlechteren Produktionsbedingungen gelingt, rentable Zitrusfrüchte anzubauen, hieraus weniger Gewinn erzielen als größere Betriebe. Dies hängt einerseits wie erwähnt mit der produzierten Menge und Qualität an Früchten zusammen. Andererseits haben Interviews jedoch auch gezeigt, dass informelle Strukturen und Prioritäten eine große Rolle spielen, beispielsweise bei den Kontakten zu Zwischenhändlern und Exportfirmen. Zwei Bauern berichteten beispielsweise, dass ein Großproduzent verhindert habe, dass sie ihre Produkte an Exporthändler verkaufen, indem dieser bestochen worden sei. In mehreren Fällen hatte zudem ein einflussreicher Großproduzent Kleinbauern versprochen, ihre Früchte abzukaufen, und ließ sie dann nach einer geringen Anzahlung auf der überreifen Produktion sitzen. Drei Kleinbetriebe der Untersuchungsregion machten daraufhin Bankrott und waren gezwungen, ihre Grundstücke eben jenem Großgrundbesitzer zu verkaufen. Dieser installierte dort Tiefenbohrungen und konnte seine Produktion von Zitrusfrüchten erheblich ausweiten.
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Zusammenfassend kann die Hypothese 2 als überwiegend zutreffend beurteilt werden. Zwar zeigt der Faktor „Bildungsniveau“ angesichts der bei allen Befragten gleichermaßen niedrigen Bildung keine Relevanz, doch bei der Untersuchung der Vermarktung der lukrativen Zitrusfrüchte und dem Zugang zu Krediten zeigt sich eine deutliche Benachteiligung der kleineren Produzenten. Wer insgesamt über weniger Ackerfläche verfügt, oder aber einen großen Anteil seines Grundstücks nicht ausreichend bewässern kann, ist hier besonders benachteiligt. Allerdings zeigt die Untersuchung dieser Hypothese auch, dass diese Bauern ihr Einkommen durch verstärkte Milchproduktion und Viehzucht sowie Handel zumindest teilweise aufstocken, und diese Möglichkeiten von ihnen zur Anpassung an schlechtere Produktionsbedingungen genutzt werden. Der geringe Anteil des Einkommens aus diesen Tätigkeiten weist allerdings darauf hin, dass Einnahmen aus Milchproduktion und Viehzucht nur bedingt andere Einkommensausfälle kompensieren.
7.4 Anbaufläche und Wasserzugang beeinflussen Konflikthäufigkeit Die Ergebnisse der Untersuchung von Forschungshypothesen 1 und 2 haben gezeigt, dass Kleinbauern einen schlechteren Zugang zu fruchtbarem Boden und zur Bewässerung haben. Auch verfügt diese Gruppe weniger als andere über Kredite, welche die Anpassung an ökologische Veränderungen erleichtern können. Sie sind außerdem weniger in der Lage, rentable Produkte wie Zitrusfrüchte auf dem Markt gewinnbringend zu verkaufen. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass Kleinbauern tendenziell sowohl von unzureichendem Zugang zu Land und Wasser als auch von der sozioökonomischen Marginalisierung stärker betroffen sind, als andere Betriebe, wenngleich das Ausmaß der Disparitäten in den Bereichen unterschiedlich stark ist. Die dritte Forschungshypothese legt deshalb den Schwerpunkt insbesondere auf die Gruppe der Kleinbauern und untersucht, inwiefern Marginalisierung und Konflikthäufigkeit zusammentreffen. Sie lautet: Wasserkonflikten liegen strukturelle Ursachen zugrunde, bei denen Marginalisierung eine wichtige Rolle spielt. Landwirte, deren Produktionsbedingungen durch diese Faktoren erschwert sind, sind häufiger in Konflikte involviert. Aus den in Kapitel 3.5 erläuterten Gründen wurde der Schwerpunkt bei der Erforschung der Konflikte auf die subjektive Einschätzung durch die Gesprächspartner gelegt. Diese haben die Häufigkeit von Konflikten im Sinne einer geäußerten Unvereinbarkeit von Interessen bezüglich der Wasserverteilung beurteilt. Ein solcher Konflikt kann, muss aber nicht zwangsläufig gewaltsame Auseinan-
Anbaufläche und Wasserzugang beeinflussen Konflikthäufigkeit
211
dersetzungen beinhalten (vgl. Kapitel 3.1). Zusätzlich zu den vorgegebenen Kategorien konnten weitere Konfliktkonstellationen genannt werden. Die Konflikthäufigkeit wurde dabei in vier Kategorien eingeteilt: nie, manchmal (ein bis fünf Konflikte im Jahr), häufig (mind. jeden Monat), und sehr häufig (mind. jede Woche). Um diese Angaben auf einer Skala von eins bis hundert zu repräsentieren und so eine prozentuale Darstellung der Konflikthäufigkeit zu ermöglichen, wurde folgende Aufteilung vorgenommen:
Tabelle 3: Darstellung der Konflikthäufigkeit in Prozent Konflikthäufigkeit nach Angaben der Befragten Nie Ein bis fünf Mal im Jahr Mindestens jeden Monat Mindestens jede Woche
Konflikthäufigkeit in Prozent 0 Prozent 33 Prozent 66 Prozent 100 Prozent
Eine Einzelauszählung der Antworten ermöglicht zudem die Überprüfung in Fällen, in denen sich ein Prozentsatz zwischen zwei Kategorien ergibt. Die erste Variable erforscht die Häufigkeit von Konflikten im Verhältnis zur Betriebskategorie, um die unterschiedliche Betroffenheit der kleineren und größeren Bauernbetriebe zu vergleichen. Die zweite Variable hinterfragt dann den Zusammenhang zwischen schlechter Wasserversorgung bzw. verlorener Bewässerungsfläche und der Häufigkeit von Konflikten.
7.4.1 Großbauern seltener von Konflikten um Bewässerung betroffen Der Vergleich der unterschiedlichen Betriebskategorien zeigt, dass Konflikte zwischen Bauern um Bewässerung bei allen Befragten mit Abstand der am stärksten verbreitete Konflikttyp ist. Konflikte mit der Bewässerungsbehörde ORMVA dagegen treten seltener auf (vgl. Abb. 11). Die geringere Betroffenheit der größeren Betriebskategorien (3 und 4) von Konflikten zwischen Bauern ist durch ihre höhere Unabhängigkeit von gemeinsamer Infrastruktur zu erklären. Sie besitzen, wie oben gezeigt, mehr individuelle Tiefenbohrungen, sind weniger auf die gemeinsamen Kanäle angewiesen und können den Zeitpunkt und die Menge ihrer Bewässerung weitgehend selbst bestimmen. Allerdings ist die Häufigkeit der Konflikte zwischen Bauern auch bei diesen Kategorien nicht zu ver-
212
Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
nachlässigen, da in beiden Gruppen um siebzig Prozent der Bauern diese Streitigkeiten jeden Monat oder fast jeden Tag erleben (vgl. Abb. 11). Abbildung 13: Die Häufigkeit von Wasserkonflikten bei Bauern der vier Kategorien
Kategorie der Betriebe
4
3
2
1
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Häufigkeit (Durchschnittswerte) Konflikte zw. Bewässerungs- und Trinkwassernutzern Bewässerungskonflikte zw. Bauern und ORMVA Bewässerungskonflikte zw. Bauern
Konflikthäufigkeit nach Angaben der Befragten Nie Ein bis fünf Mal im Jahr Mindestens jeden Monat Mindestens jede Woche
Konflikthäufigkeit in Prozent 0 Prozent 33 Prozent 66 Prozent 100 Prozent
Die Konflikte mit der Bewässerungsbehörde ORMVA treten auch hier seltener auf, als die unter den Bauern. Bei allen Kategorien hat mindestens die Hälfte der Befragten angegeben, nie in diese Konflikte involviert zu sein. Die dennoch höhere Häufigkeit von Konflikten zwischen der ORMVA und den Großbauern kann darauf zurückzuführen sein, dass diese ihre finanzielle und soziale Stellung nutzen, um hier mit allen Mitteln die eigene Wasserversorgung zu verbessern.
Anbaufläche und Wasserzugang beeinflussen Konflikthäufigkeit
213
Kleinbauern dagegen sehen sich gegenüber der ORMVA, das zeigten die Gespräche, als wenig einflussreich. Es ist wahrscheinlich, dass sie Konflikte mit der Behörde deshalb eher vermeiden, um nicht noch zusätzlich von ihr benachteiligt zu werden. Uneinigkeiten zwischen Bewässerungs- und Trinkwassernutzern sind dagegen selten: in allen Kategorien geben mindestens etwa die Hälfte der Befragten an, nie oder sehr selten in diese involviert zu sein. Auf lokaler Ebene berichten allerdings viele Befragte, dass ihre Trinkwasserbrunnen von dem sinkenden Grundwasserspiegel trocken gelegt werden. Dass dies bisher nicht stärker zu Konflikten führt, liegt wohl vor allem daran, dass der Zusammenhang zwischen dem Verursacher und dem hierdurch Benachteiligten nur mittelbar auszumachen ist. Denn die Entnahme aus dem Grundwasser ist wie oben erklärt wenig transparent und verteilt sich über weite Gebiete, so dass direkte Verursacher manchmal schwer auszumachen sind, bzw. deren Vergehen wegen mangelnder Kontrollen nicht bewiesen werden können. Die individuelle Verantwortung für die geringe Wasserverfügbarkeit ist bei der Verteilung von Oberflächengewässern dagegen eindeutiger zu bestimmen. Auseinandersetzungen um Grundwasser wirken wegen der komplizierten hydrologischen Bedingungen auf benachteiligte Bauern nicht ebenso ‚Erfolg versprechend’. Der potentielle eigene Gewinn, also das zusätzlich verfügbare Wasser, ist durch einen Konflikt, der beispielsweise die Bohrungen einer Reihe von Großbauern unterbindet, keineswegs gesichert. Die Ergebnisse der Untersuchung von Konflikthäufigkeiten lassen sich noch deutlicher interpretieren, indem jeweils einerseits die Kategorien „nie“ und „ein bis fünf mal jährlich“ und andererseits die Kategorien „mindestens jeden Monat“ und „jede Woche“ zusammengenommen werden. Dabei wird bezüglich der Trinkwasserkonflikte deutlich, dass mindestens die Hälfte der Befragten der Kategorien 1 und 4 jeden Monat oder häufiger in diese Auseinandersetzungen verwickelt ist. Während einige Bauern also nur sehr selten diese Konflikte erfahren, sind andere erheblich häufiger daran beteiligt, was den oben erwähnten Durchschnitt relativiert. Die Gespräche mit einigen der letzteren Betroffenen haben gezeigt, dass im Fall der Großbetriebe beispielsweise Auseinandersetzungen entstehen, wenn Uneinigkeit über die Abrechnung der staatlichen Trinkwasserbehörde besteht (wenn sie angeschlossen sind). Auch wenn umliegende Haushalte verlangen, dass Großgrundbesitzer sie aus ihren Trinkwasserquellen versorgen, oder bei Uneinigkeit zwischen den Landwirten über die Aufteilung gemeinsamer Ressourcen kommt es zu Streitigkeiten. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Konflikttypen zeigt auch, dass Kleinbauern von fast allen Konflikten häufiger betroffen sind, als Großbauern. Insbesondere Auseinandersetzungen zwischen großen und kleinen Landbesitzern werden von letzteren weitaus häufiger erwähnt: Während über sechzig Prozent
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
der Kleinbauern mindestens jeden Monat in einen Konflikt mit großen Betrieben involviert sind, verzeichnen umgekehrt nur sechsunddreißig Prozent der Großbauern derart häufige Auseinandersetzungen mit kleineren Betrieben. Diese unterschiedlichen Angaben weisen auch auf eine ungleiche Wahrnehmung dieser Konflikte hin: der gleiche Vorfall kann einen Großbetrieb in seinem Anbau, den Arbeitsabläufen und in seinem sozialen Umfeld wenig beeinträchtigen, während er für Kleinbauern schnell zur Existenzbedrohung werden kann. Auch ist nicht auszuschließen, dass Kleinbauern aufgrund ihrer wirtschaftlichen Probleme der Konflikte stärker bewusst sind.
7.4.2 Schlechte Wasserversorgung erhöht Konfliktwahrscheinlichkeit Die zweite Variable vergleicht den Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Konflikten und der Sicherheit der Wasserversorgung einerseits sowie dem Rückgang der bewässerten Ackerfläche andererseits. Es zeigt sich, dass schlechtere Wasserversorgung von Bauern in den meisten Fällen ein erhöhtes Konfliktpotential bedeutet (vgl. Abb. 12). Besonders fällt dies wiederum bei den Auseinandersetzungen zwischen Bauern um Bewässerung auf: diejenigen, die keine Tiefenbohrungen besitzen, geben eine Konflikthäufigkeit von 75 Prozent an, während Landwirte mit sicherer Wasserversorgung diese auf 56 Prozent einschätzen. Dies bedeutet, dass in ersterem Fall die meisten Befragten zwischen einem und mehreren Malen im Monat in diese Konflikte verwickelt sind, während die Betriebe mit Bohrungen mehrheitlich nur ein bis zehn Mal im Jahr davon betroffen sind. Auch die Konflikte mit der Bewässerungsbehörde ORMVA sind logischerweise bei denjenigen Bauern häufiger, die stärker von deren Wasserverteilung abhängig sind und nicht über Bohrlöcher verfügen. Sie sind insgesamt jedoch seltener als Konflikte zwischen Bauern, was aber auch dadurch beeinflusst wird, dass jeder fünfte Befragte die Dienste der ORMVA nicht in Anspruch nimmt sondern nur eigene Wasserquellen nutzt. Auch bei den Konflikten zwischen Trinkwassernutzern sind trotz insgesamt geringer Konflikthäufigkeit (durchschnittlich nur wenige Male im Jahr) Unterschiede zu beobachten: Bauern mit Tiefenbohrungen sind seltener in Konflikte involviert (vgl. Abb. 12). Dies ist dadurch zu erklären, dass diese Betriebe auch in ihrer Trinkwasserversorgung weitgehend unabhängig sind. Die Konflikthäufigkeit beträgt hier nur 27 Prozent, d.h. die Mehrzahl der Befragten berichtet von keinen oder sehr seltenen Konflikten dieser Art. Dagegen liegt die Häufigkeit bei der Gruppe ohne Zugang zu Bohrlöchern bei über 40 Prozent: hier treten also mehrmals im Jahr Konflikte auf. Diese Bauern müssen ihr Trinkwasser aus gemeinsamen Brunnen beziehen, oder sind an das öffentliche Versorgungsnetz
Anbaufläche und Wasserzugang beeinflussen Konflikthäufigkeit
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angeschlossen. In beiden Fällen kommt es zu Konflikten, welche die Berechnung und Begleichung der Gebühren sowie die Menge und den Zeitpunkt der Wasserzuteilung betreffen. In vielen Dörfern gibt es zudem Probleme in der Trinkwasserversorgung, wenn die mobilisierte Menge entweder nicht für alle Bewohner ausreicht, oder von einigen auf die Kosten von anderen stärker genutzt wird, beispielsweise um Vieh zu tränken. Bauern, die einen großen Anteil ihres Ackerlandes nicht mehr bewässern können, sind häufiger in Konflikte mit anderen Bauern involviert als andere. Dieser Unterschied ist insbesondere bei Konflikten zwischen großen und kleinen Betrieben deutlich: Bauern ohne Landverluste geben an, ein bis fünf Mal pro Jahr in solche Konflikte verwickelt zu sein, während diejenigen mit Landverlusten durchschnittlich mindestens jeden Monat und die Hälfte von ihnen sogar fast jeden Tag davon betroffen sind. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass Kleinbauern von dem Rückgang der bewässerten Fläche überproportional stark betroffen sind (vgl. Kapitel 7.2) und somit starke Einbußen in der Produktion hinnehmen mussten, während ihre größeren Nachbarproduzenten weniger eingeschränkt sind. Um ihr restliches bewässertes Ackerland zu bewahren sind sie vermutlich eher bereit, sich in eine Konfliktsituation zu begeben als Bauern, die keine bewässerte Fläche verloren haben und über eine relativ autonome Wasserversorgung verfügen. Die vergleichsweise geringere Häufigkeit von Auseinandersetzungen mit der Bewässerungsbehörde ORMVA kann darauf zurückzuführen sein, dass deren Dienstleistung in den vergangenen Jahren in der Untersuchungsregion ohnehin stark eingeschränkt war, und somit Forderungen nach höheren Mengen von den Bauern vielleicht von vornherein als aussichtslos beurteilt werden. Hinzu kommt die oben erwähnte Einschränkung, dass nicht alle Befragten an das Verteilungsnetzwerk der ORMVA angeschlossen sind und somit von diesen Konflikten auch nicht betroffen sind.
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Abbildung 14: Die Häufigkeit von Konflikten bei Bauern mit und ohne Tiefenbohrungen Betriebe ohne Tiefenbohrungen
Zw. Nutzern von Trinkwasser u. Bewässerung
Zw. Trinkwassernutzern
Zw. Bauern und ORMVA
Zw. Kleinbauern u. großen Bauern
Zw. Bauern
Betriebe mit Tiefenbohrungen
21,21% 1,59%
41,21% 26,98%
27,88% 25,40%
55,15% 46,03%
75,76% 55,56%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%100%
7.5 Der Erfolg von Vermittlern in Wasserkonflikten Die vierte Hypothese setzt sich mit der Vermittlung in und der Prävention von Konflikten auseinander und überprüft die Legitimität und den Erfolg der Intervention unterschiedlicher lokaler und nicht-lokaler Akteure. Die Hypothese lautet: Erfolgreiche Konfliktbearbeitung und -transformation hängen entscheidend von der Legitimität der intervenierenden Institutionen und Akteure ab. Lokale Organisationen können zur Verminderung lokaler Konfliktpotentiale beitragen. Die Legitimität der Akteure wird an zwei Kriterien festgemacht: dem Vertrauen der Befragten in ihre Fähigkeiten zur Lösung technischer und sozialer Probleme im Kontext der Wasserknappheit. Die Erhebung konzentriert sich dabei auf die persönliche Einschätzung der Befragten sowie ihre unterschiedliche Wahrnehmung der Vermittler und der Schlichtungserfolge. Die Einschätzung der Kapazitäten zur Lösung technischer Schwierigkeiten der Wasserversorgung ist deshalb relevant, weil diese Probleme häufig am Anfang eines Konfliktes stehen. Beispiele hierfür sind defekte Versorgungsleitungen oder Zähler, schwache Was-
Der Erfolg von Vermittlern in Wasserkonflikten
217
serpumpen, die fehlende technische Ausstattung für sparsame Bewässerung oder für Tiefenbohrungen. Der Grad des Vertrauens wurde von den Befragten auf einer Skala von null bis drei eingestuft, wobei 3 das höchste Maß an Vertrauen bedeutet.
7.5.1 Die Legitimität der Vermittler Die Ergebnisse der Erhebungen zeigen, dass bei Wasserknappheit bestimmte lokale Akteure sowohl für die Lösung technischer Probleme als auch erst recht für die Lösung von Konflikten durchschnittlich mehr Vertrauen genießen als andere. Insbesondere Notable und lokale Vereine oder NGOs fallen hier positiv auf. Lokalpolitiker und die Bewässerungsbehörde bekommen dagegen die geringsten Werte. Lokale staatliche Autoritäten, der König sowie die Parlamentsabgeordneten schließen etwas besser ab. Allerdings liegen bei allen drei letztgenannten die Einschätzungen unter dem Wert 1, d.h. die Mehrheit der Befragten schätzt die Kapazitäten dieser Akteure mit Null ein. Lokalen NGOs und Notablen wird mehr Vertrauen entgegengebracht, sie erreichen im Durchschnitt Werte zwischen eins und zwei. Für die Lösung der technischen Probleme legt die Mehrheit der Befragten vor allem Hoffnung in individuelles Engagement. Diese Einschätzung deutet auf die hohe Bedeutung der individuellen Anpassungskapazitäten an die Wasserknappheit hin und bestätigt damit die Ergebnisse der in 7.2 und 7.3 untersuchten Prozesse. Bauern, die persönlich über die finanziellen und technischen Mittel sowie die sozialen Beziehungen verfügen, um ihre Produktionsbedingungen zu verbessern, sind von den Problemen der Wasserknappheit weniger stark betroffen. Dem Projekt ElGuerdane wird mit Abstand am meisten Vertrauen entgegengebracht, um die technischen Aspekte des Problems der Wasserknappheit zu lösen. Eine Erklärung dieses Ergebnisses ist sicherlich die verbreitete Verzweiflung der Bauern angesichts des Unvermögens der anderen Akteure, die Wasserkrise in den Griff zu bekommen. Während alle weiteren Akteure bereits seit Jahren erfolglos Strategien entwickeln, ohne sie letztlich konsequent zu implementieren, war das Projekt zum Zeitpunkt der Befragungen nur in seinen Grundzügen bekannt und hat seine Funktionsfähigkeit in der Realität noch nicht bewiesen, weshalb es von den meisten Befragten als Hoffnungsträger gesehen wird. Allerdings stellte sich bei den Gesprächen auch heraus, dass die Mehrzahl der mittleren und kleinen Betriebe über den eigentlichen Aufbau, die geplante Funktionsweise und vor allem die sehr begrenzten Kapazitäten des Projektes nicht informiert waren, was die Einschätzung des Vertrauens etwas revidiert.
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Die Aufschlüsselung der Resultate nach Betriebskategorien bestätigt diese Trends teilweise. Sie zeigt aber auch erhebliche Unterschiede in der Einschätzung von kleinen und von großen Agrarproduzenten auf. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kleinbauern lokalen NGOs etwas mehr vertrauen, als die anderen Betriebskategorien. Besonders auffällig ist die Einschätzung der Großbetriebe der Kategorie 4, die weniger auf die NGOs zählen. Höchstwahrscheinlich hängt dies damit zusammen, dass die Großbetriebe für die Lösung technischer Schwierigkeiten nicht auf NGOs angewiesen sind, sondern eher durch eigene Investitionen Abhilfe schaffen. Gespräche in der Untersuchungsregion haben gezeigt, dass ihnen auch im Konfliktfall eigene soziale und politische Ressourcen zur Verfügung stehen, weshalb sie auch an Vermittlung durch NGOs wenig interessiert sein dürften. Auch haben Großbetriebe mehr Vertrauen in lokale staatliche Autoritäten. Kleinbauern dagegen stehen diesen Organisationen näher, haben sie teilweise mit-initiiert oder arbeiten mit ihnen zusammen, und schätzen deren Einsatz für ihre Probleme. Die Einschätzung der Fähigkeiten zur Lösung der technischen und der sozialen Probleme stimmen innerhalb der Bauernkategorien weitgehend überein. Die einzigen Ausnahmen stellen hierbei die Parlamentsabgeordneten und der König dar, von denen die Großbauern offenbar wenig Unterstützung zur Lösung technischer Schwierigkeiten erwarten. Umso mehr scheint ihnen dagegen deren Unterstützung bei der Lösung sozialer Konflikte sicher zu sein, da sie hier ein höheres Vertrauen ausdrücken. Insgesamt fällt bei der Auswertung dieser Angaben auf, dass keiner der genannten Akteure bei den Befragten volles Vertrauen genießt, weder zur Lösung der technischen noch der sozialen Probleme. Auch die Möglichkeit der Befragten, weitere Personen im Interview zu nennen, ergab keinen vertrauenswürdigeren Vermittler.
7.5.2 Vermittlungserfolge abhängig von Schlichter und Konflikttyp Die Beurteilung der Befragten, welche Konflikte innerhalb des vergangenen Jahres durch welchen Vermittler erfolgreich gelöst wurden, bestätigt die höhere Legitimität der lokalen NGOs und der Notablen, die in 7.5.1 aufgezeigt wurde. Zu den NGOs zählen neben lokalen Entwicklungsorganisationen auch die Wassernutzergruppen AUEA (strenggenommen eine sog. quasi-Nichtregierungsorganisation, da hier ein Mitglied des Staates präsent sein muss, vgl. Kapitel 5.2). Wie in den einzelnen Gesprächen herauskam, ist deren Legitimität in der Konfliktlösung sehr unterschiedlich angesehen. In den Fällen, in denen das sog. „siebte Mitglied“ (der Repräsentant des Staates) unerwünscht war und kein Vertrauen genoss, beschränkten sich die AUEA, wenn überhaupt, auf die Lösung
Der Erfolg von Vermittlern in Wasserkonflikten
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von Konflikten zwischen Nutzern des staatlichen Bewässerungssystems. In anderen Fällen jedoch, in denen das „siebte Mitglied“ trotz seiner offiziellen Funktion in der Organisation vor allem als lokale Persönlichkeit angesehen war, konnten die AUEA in manchen Fällen auch zur Lösung weiterer Konflikte außerhalb der Wasserversorgung beitragen. Erwähnt wurden beispielsweise Fälle von Familienstreitigkeiten oder von unklaren Landgrenzen, in denen die Führungspersönlichkeiten der AUEA eingriffen. Allerdings war ihre Identität als Führungsmitglied einer AUEA in diesen Fällen eher zufällig und nicht ausschlaggebend für ihre Legitimität in der Vermittlerrolle. Die detaillierte Auswertung der Vermittlungserfolge zeigt sehr unterschiedliche Einschätzungen je nach der befragten Gruppe von Bauern. Abweichungen sind vor allem bei der Beurteilung der lokalen staatlichen Autoritäten sichtbar: während Großbauern insbesondere in der Konfliktvermittlung diesen Personen viel Vertrauen schenken, besitzen sie nur wenig Glaubwürdigkeit bei den Kleinbauern. Wie in Kapitel 4.1 erläutert wurde unterstehen diese Autoritäten direkt der Kontrolle des Innenministeriums und damit des Königs. Ihre wesentliche Aufgabe ist die Wahrung der sozialen Ordnung, die nach Aussage der Mehrheit der interviewten kleinen und mittleren Bauern in der Region durch die Unterdrückung der Anliegen von ärmeren Bevölkerungsgruppen „gewahrt“ wird. Besonders wichtig ist dieses Ergebnis, weil der höchsten dieser Autoritäten, dem Caïd, eigentlich laut formellem Statut und Praxis eine wichtige Rolle bei der Beilegung von Konflikten zukommt. Nur sehr wenige Anliegen insbesondere der kleineren Bauern kommen vor Gerichte, bei den Befragungen der rund neunzig Bauern etwa wurde nur ein Fall erwähnt, indem ein Konflikt durch ein Gericht geschlichtet wurde. Die Prozeduren sind für viele der Bauern intransparent, aufwändig, kompliziert und zudem teuer, während der Caïd auch über mündlich vorgetragene Klagen entscheiden kann. Die Untersuchungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass den lokalen staatlichen Autoritäten zumindest im Fall von Wasserkonflikten keine hohe Legitimität als Vermittler zukommt. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf den sozialen Frieden haben, da die Konfliktparteien sich gezwungen sehen können, auf andere, möglicherweise gewaltsame Mittel zur Durchsetzung ihrer Anliegen auszuweichen. Das geringe Vertrauen in die legalen Mittel der Konfliktbeilegung, sei es durch lokale Autoritäten oder das Gericht, erklärt teilweise auch die höhere Legitimität der informellen Autoritäten in Konflikten: die der lokalen Notablen. Diese genießen bei allen Bauernkategorien ein Vertrauen, welches auf der Skala mit mindestens 1,5 eingeschätzt wird und von den größeren Betriebskategorien noch höher. Weiter unten zeigt sich jedoch, dass die Notablen nicht bei allen Konfliktkategorien Einfluss ausüben können.
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Das sehr geringe Vertrauen in die lokalen Politiker bestätigt die in Kapitel 4 analysierte Politikerverdrossenheit. Die Gespräche in der Region haben hierfür zwei wesentliche Ursachen aufgezeigt: zum einen sind hier noch stärker als auf nationaler Ebene Korruption und Klientelwirtschaft der einzelnen Politiker bekannt. Zum anderen sind einige der größeren Landwirte gleichzeitig Präsident der Kommune oder haben eine andere politische Position inne, die sie für ihre Vorteile nutzen, was das geringe Vertrauen in diese Gewählten weiter schwächt. Etwas besser ist das Vertrauen in die Parlamentsabgeordneten auf nationaler Ebene, was möglicherweise durch die Präsenz von zwei lokalen Politikern im nationalen Parlament bedingt sein kann. Insbesondere bei der Fähigkeit dieser Personen, soziale Konflikte um Wasser zu lösen, zeichnen sich jedoch Unterschiede ab. Mittlere und vor allem Großbauern vertrauen den Abgeordneten mehr, hier erfolgreich zu intervenieren, als Kleinbauern. Dies deutet darauf hin, dass diese Kategorie ihre Interessen von den nationalen Politikern letztlich nicht besser repräsentiert sieht, als von den lokalen Politikern. Auffallend ist darüber hinaus das durch alle Kategorien hindurch sehr geringe Vertrauen in den König. Obwohl in den Interviews immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass der König und seine Gefolgschaft im Land die Macht konzentrieren und somit auch Veränderungen herbeiführen können, haben die Befragten offenbar den Eindruck, dass ihre teilweise existentiellen Probleme vom Monarchen nicht wahrgenommen bzw. angegangen werden. Dies bestätigen auch Beobachtungen in zwei unterschiedlichen Wasserkonflikten, die in der Region näher untersucht wurden. Die jeweils unterlegenen Konfliktparteien waren in beiden Fällen Kleinbauern, die durch die Durchsetzung der Interessen von Großbauern nur noch sehr eingeschränkt Zugang zu Wasser hatten. Beide hatten sich ohne Erfolg durch mehrere gerichtlichte Instanzen geklagt und als letzte Hoffnung einen Brief an den König geschrieben, in dem sie ihn um Intervention bitten. Beide haben zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits seit mehreren Monaten vergeblich auf eine Antwort gewartet und sehen ihr Vertrauen enttäuscht. Gleichzeitig geben die Ergebnisse der Frage nach der Legitimität des Königs jedoch noch einen ganz anderen Hinweis: den der politischen Liberalisierung im Land. Gerade in dieser ländlichen Umgebung wäre es noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen, dass Befragte in einem Interview ein derart niedriges Vertrauen in den König angeben, ohne befürchten zu müssen, deshalb Repressionen zu erleiden. Ähnliches gilt für die Aussagen zu lokalen Autoritäten. Die zweite Variable untersucht den Erfolg von Vermittlungsinitiativen unterschiedlicher Akteure in Wasserkonflikten (vgl. Abb. 13). Hierzu wurden die Gesprächspartner gefragt, welcher Vermittler in den unterschiedlichen Konfliktkonstellationen zur Lösung beigetragen hat. Mehrfachantworten, z.B. bei einer
Der Erfolg von Vermittlern in Wasserkonflikten
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gemeinsamen Initiative unterschiedlicher Akteure, waren ebenfalls möglich. Die Ergebnisse zeigen den Anteil gelungener Vermittlungsinitiativen an der Gesamtzahl der Konfliktfälle. Die Auswertung zeigt je nach Konflikttyp und Vermittlungsakteur sehr unterschiedliche Ergebnisse. Insgesamt fällt allerdings auf, dass in allen Fällen mindestens ein Drittel der Konflikte ungelöst bleibt, was für die Zukunft auf weitere, möglicherweise stärkere Konfliktpotentiale hindeutet. In den Fällen von Konflikten zwischen Bauern und der Behörde oder von Konflikten um Trinkwasser hat dies wegen der geringeren Häufigkeit dieser Auseinandersetzungen (vgl. 7.4) möglicherweise weniger Auswirkungen, als im Fall der Streitigkeiten zwischen Bauern. Auch hier bleiben jedoch über sechzig Prozent der Konflikte ungelöst. Im Fall von Trinkwasserkonflikten haben lokale NGOs die besten Vermittlungserfolge und erzielen mit vierzig Prozent die höchste Quote unter allen Konflikten und Vermittlern. Auch Notable erreichen in rund zehn Prozent der Fälle hier eine Lösung. In Einzelfällen sind zudem Lokalpolitiker und lokale Autoritäten beteiligt, ihr Beitrag ist jedoch sehr gering. Der Erfolg der NGOs in diesem Bereich hängt nach Gesprächen vor Ort vor allem damit zusammen, dass viele der intervenierenden NGOs auch im Bereich der Trinkwasserversorgung tätig sind. Sie können dadurch direkt in der Wasserverteilung, der Berechnung der Kosten und durch die Aufnahme neuer Mitglieder oder die Behebung technischer Probleme intervenieren und verfügen auch über ein gewisses Sanktionspotential, weil sie Mitglieder von der Nutzung ausschließen können. Gespräche mit rund zehn Trinkwasser-NGOs in der Region haben auch gezeigt, dass im Leitungsgremium der Organisationen in der Regel ein oder zwei einflussreiche Personen des Dorfes (häufig Notable oder reichere Einwohner) vertreten sind. Allerdings wurde in den Interviews auch deutlich, dass insbesondere Trinkwasser- NGOs für ihre Arbeit ohnehin sehr angesehen sind und deshalb als legitime Vermittler anerkannt werden. Zum einen mobilisieren sie Gelder zur Finanzierung der Anlage und sorgen für eine meist transparente Verwaltung. Zum anderen äußerten viele Gesprächspartner die Überzeugung, dass diese Organisationen auch über den Trinkwasserbereich hinaus aktiv zur dörflichen Entwicklung beitragen, und deshalb hohes Ansehen genießen. Die Umfrage bei acht dieser im Untersuchungsgebiet tätigen Organisationen ergab, dass sich unter ihnen über neunzig Prozent für soziale Tätigkeiten und den Betrieb der Moschee einsetzen, ein Viertel in Jugendarbeit und Sport involviert sind und Frauengruppen betreuen, oder sich für die lokale Schule, die Verbesserung der Transportwege, die Stromversorgung oder die Hilfe für Behinderte einsetzen. Das über diese Arbeit erlangte soziale Gewicht der NGOs kann zur Legitimität der Organisation und ihrem Erfolg in der Vermittlung beitragen.
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Insgesamt zeigt das höhere Vertrauen vor allem der Kleinbauern in die NGOs deshalb ein wichtiges Kooperations- und Stabilisierungspotential auf, welches über Fragen der Wasserverteilung hinausgeht. Die unterschiedlichen Aktivitäten der NGOs tragen zu einer Stärkung des sozialen Zusammenhalts, aber auch zur allgemeinen Entwicklung und teilweise zur Verringerung der Abhängigkeit von der Landwirtschaft bei. Diese Abnahme der strukturellen Benachteiligung in diesen Bereichen kann im Sinne des Konzeptes der Konflikttransformation (vgl. Kapitel 2.3 und 3.2.5) konfliktpräventiv wirken. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass in vielen Konflikten Notable und lokale NGOs gemeinsam vermitteln, auch hier sind also Kooperationspotentiale vorhanden, die im Sinne der Konflikttransformation stärker genutzt werden könnten. Es zeigt sich, dass es auf horizontaler Ebene dadurch Anknüpfungspunkte für Kapazitäten zur Konfliktbearbeitung gibt. Auf vertikaler Ebene jedoch, zwischen der lokalen und der nationalen Entscheidungsebene, ist die fehlende Legitimität möglicher Vermittler deutlicher ausgeprägt. Der fehlende Beitrag der lokalen Politiker zur Konfliktlösung bestätigt die oben analysierte fehlende Legitimität dieser Personen, denen auch bei der Behebung technischer Probleme durch Wasserknappheit wenig zugetraut wird. Auch die geringe Rolle der lokalen staatlichen Autoritäten und die stärkere Position der Notablen bestätigen, dass Konflikte vor allem auf informellem Wege gelöst werden. Eine detailliertere Analyse der Rolle der Notablen, die die unterschiedliche Einschätzung je nach der Kategorie der Befragten berücksichtigt, zeigt allerdings Gegensätze auf. Die Leistung der Notablen, die ein Viertel der Konflikte zwischen Bauern um Bewässerung lösen, wird von den Großbauern erheblich besser eingestuft als von den Kleinbauern. Diese Akteure symbolisieren auf lokaler Ebene die traditionellen Machtverhältnisse, die sie auch in ihren Konfliktinterventionen berücksichtigen. Bei allen drei Konflikttypen wird ihre Vermittlung von den Kategorien eins und zwei als wenig erfolgreich eingeschätzt. Dies bestätigt die in den Interviews häufig erwähnte Parteilichkeit dieser Vermittler, die beschuldigt werden, die Interessen der mächtigeren Bewohner zu verteidigen. Bei den anderen potentiellen Vermittlern liegen die Einschätzungen nicht so weit auseinander. Die Auswertung der empirischen Forschungsergebnisse auf Grundlage der quantitativen und der qualitativen Erhebungen hat die Forschungshypothesen weitgehend bestätigt. Die Disparitäten zwischen kleinen und großen Landwirtschaftsbetrieben im Zugang zu fruchtbarem Land und zu Wasser sind deutlich sichtbar und verstärken sich tendenziell. Diese ökologische Marginalisierung überschneidet sich in vielen Fällen mit einem schlechteren Zugang zu bestimmten sozioökonomischen Kapazitäten. Wem weniger Wasser und weniger fruchtbares Land zur Verfügung stehen, der hat, so zeigen die Untersuchungen, auch
Der Erfolg von Vermittlern in Wasserkonflikten
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weniger Zugang zu Krediten und rentablen Produktions- und Vermarktungsstrukturen. Zur Kompensation werden vor allem von den stark betroffenen Kleinbauern der Handel sowie die Viehzucht, der Viehfutteranbau und die Milchproduktion als alternative Einkommensquellen genutzt. Der Bildungsstand spielt dagegen weder für die Landverteilung noch für den Zugang zu alternativen Einkommensquellen eine Rolle. Abbildung 15: Der Erfolg von Vermittlungsinitiativen in unterschiedlichen Wasserkonflikten
a) Lösung von Konflikten zwischen Trinkwassernutzern durch lokale Autoritäten 2%
b) Lösung von Konflikten zwischen Trinkwasser- und Bewässerungsnutzern
Konflikte nicht gelöst 32%
Konflikte nicht gelöst 58%
durch Notable 14%
durch Notable 14% durch lokale NGO 49% durch Lokalpolitiker 3%
c) Lösung von Konflikten zwischen großen und kleinen Bauern
Konflikte nicht gelöst 61%
durch Lokalpolitiker 0%
durch Lokalpolitiker 0%
durch lokale Autoritäten 3% durch lokale NGO 25%
d) Lösung von Konflikten zwischen Bauern und Bewässerungsbehörde
Konflikte nicht gelöst 98%
durch Lokalpolitiker 0%
durch lokale NGO 2%
durch Notable 25%
durch lokale Autoritäten 3% durch lokale NGO 11%
durch lokale Autoritäten 0%
durch Notable 0%
Schließlich zeigt sich, dass diejenigen Bauern, die ökologisch marginalisiert sind und schlechteren Zugang zu fruchtbarem Land, Wasser und rentabler Zitrusfruchtproduktion haben, häufiger von Konflikten mit anderen Bauern betroffen sind. Da sich die Disparitäten weiter vergrößern, sind künftig ohne Abfe-
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
derungsmaßnahmen verstärkte Konfliktpotentiale zu erwarten. Zudem deutet die relativ geringe Legitimität selbst der vertrauenswürdigsten Akteure und die hohe Anzahl der ungelösten Wasserkonflikte auf eine mögliche Zuspitzung und Radikalisierung dieser Konflikte hin. Andererseits gibt es aber auch Anzeichen für gelungene Kooperation zwischen den Bauern, um die Folgeprobleme von Wasserknappheit abzufedern. Horizontale Kooperation erweist sich in bestimmten Fällen als tragbar, in anderen, wie bei Konflikten zwischen kleinen und Großbauern allerdings, dominieren vertikale Allianzen. Diese Allianzen, beispielsweise zwischen staatlichen Autoritäten oder Parlamentsabgeordneten und Großbauern, erschweren die Konfliktbearbeitung erheblich und tragen zur hohen Anzahl ungelöster Konflikte bei. Auffallend ist auch, dass weitere staatliche Institutionen, wie die Gerichte, die Kommunen oder die explizit für Wasserkonflikte zuständige Wasserbeckenagentur von den Befragten gar nicht oder äußerst selten erwähnt werden. Dies bestätigt die in Kapitel 4 und 5 analysierten Trends der Persistenz informeller Beziehungen, die über staatliche Institutionen weit dominieren. Auch die Intervention in Konflikten basiert daher stärker auf persönlichen Kontakten zu einflussreichen Einzelpersonen, als dass explizit dafür vorgesehene Institutionen angerufen werden. Umgekehrt hängt dies jedoch auch mit der Dominanz ebensolcher Seilschaften innerhalb der Institutionen selbst zusammen, die deren Legitimität in Frage stellen. Die einzige Ausnahme bilden hier wiederum die NGOs, die auch als Institution ein gewisses Ansehen genießen, wenngleich ihr Handlungsspielraum gerade gegenüber den Großbauern begrenzt ist. Das Projekt zur Privatisierung der Bewässerungsversorgung El Guerdane, welches in Kapitel 6 analysiert wurde, verursacht in der Region, in der diese empirischen Studien durchgeführt wurden, erhebliche Veränderungen. Das folgende Teilkapitel analysiert unter Berücksichtigung der erläuterten Forschungsergebnisse die Implikationen des Projekts für Marginalisierungsprozesse sowie Konflikt- und Kooperationspotentiale.
7.6 Zwischenfazit: Wasserkonflikte und Machtpolitik in El Guerdane Das Projekt einer öffentlich-privaten Partnerschaft in der Forschungsregion kann erheblich zu einer Verschärfung der oben erläuterten Disparitäten und Konfliktpotentiale beitragen. Neben den Auswirkungen für die Landwirte innerhalb oder in unmittelbarer Nähe des Projektgebietes sind weitere Konsequenzen in der Umgebung zu erwarten, die hier analysiert werden. Trotz der zahlreichen Machbarkeitsstudien im Vorlauf des Projekts, die technische, finanzielle, wirtschaftliche und zum Teil ökologische Aspekte berücksichtigen, ist nach Auskunft der
Zwischenfazit: Wasserkonflikte und Machtpolitik in El Guerdane
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beteiligten Unternehmen und staatlichen Institutionen keine Abschätzung der direkten und indirekten sozialen Risiken und Kosten erfolgt.
7.6.1 Die Verschärfung von Armut und Wasserkonflikten Wie aus untenstehender Abbildung hervorgeht wurde für die Leitung zur Bewässerung der Felder von El Guerdane ein eigener Staudamm unterhalb des bereits existierenden Damms Aoulouz gebaut. In dieser Vorgebirgsregion befinden sich Agrarflächen von Kleinbauern, die dort hauptsächlichen Oliven, Mandeln, Viehfutter und Getreide anbauen. Während der Bauzeit des Staudamms Mokhtar Soussi 1998/99 wurden zahlreiche dieser Bauern in drei Dörfern enteignet, da ihre Grundstücke und teilweise ihre Häuser innerhalb der Staudammzone lagen. Sie wurden entweder minimal (0,30 €/m²) oder gar nicht entschädigt und sahen ihre Lebensgrundlage massiv gefährdet. Es kam mehrmals zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Polizei oder Militär, die die Bauarbeiten sichern sollten. Der Widerstand in der Region ist auch auf frühere Kämpfe der Einwohner zurückzuführen, die sich in den 1940er/’50er Jahren gegen die Gewaltherrschaft des damaligen “Herrschers von Marrakech”, Thami ElGlaoui, richteten, der als unerwünschter Vertreter des Makhzen wahrgenommen wurde. Um die Region dauerhaft unter Kontrolle zu behalten, wurde 1999 neben dem Staudamm eine Kaserne eingerichtet, deren Soldaten auch durch das kleine Städtchen Aoulouz patrouillieren. Abbildung 16: Schematische Darstellung der Umgebung des El GuerdaneProjekts Damm Aoulouz Aoulouz gebaut 1991 gebaut 1991 110 110 MioMio m³ m³
Projekt ElGuerdane Projekt ElGuerdane, 10 000 ha 10.000 ha Zitrus- plantagen
G1
Leitung 90 Km Grundstücke von Kleinbauern
Damm M. Soussi gebaut 2001 50 Mio m³ 50
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Aus dem Bau des Staudamms und des Bewässerungskanals für das Projekt El Guerdane ergeben sich in dieser Region zahlreiche akute Konflikte, die immer wieder zu Sabotageakten und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen führen. Sie seien hier kurz aufgeführt: Der Sektor G1 (s.o.) besteht aus vor allem aus Grundstücken von Kleinbauern, von denen viele unter 5 ha kultivieren. Sie besitzen traditionelle, offiziell registrierte Wasserrechte und versorgten ihre Felder vor dem Staudammbau mit dem Wasser aus den Zuflüssen aus den Bergen, welches sich nun im Becken für das Guerdane-Projekt sammelt. Als Entschädigung soll der Sektor G1 jährlich von dem Kanal abgezweigte 18 Millionen m³ Wasser zur Verfügung gestellt bekommen. Trotzdem gibt es hier Konflikte, weil diese Menge zur Bewässerung nur ausreicht, wenn die Felder mit modernen Bewässerungssystemen ausgerüstet werden. Diese Investition ist für die Bauern aber teuer und verlangt eine Umstellung der Produktion, deshalb wird sie von vielen abgelehnt. Wie anderswo ändert daran auch die Perspektive der möglichen Subventionen von 60% kaum etwas, da die Landwirte die Installation nicht vorfinanzieren können, gegenüber dieser Innovation äußerst misstrauisch sind und nach den Angaben zahlreicher Interviewpartner vor Ort ihre bekannte Anbauweise beibehalten möchten57. Zu diesen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass das Projekt lediglich einen einzelnen Wasseranschluss zur Verfügung stellt, die Kosten für die Verteilung innerhalb der rund 6000 ha jedoch ebenfalls von den Bauern getragen werden sollen. Vor dem Staudammbau konnten die traditionellen Kanäle ohne diese Investitionen bewässert werden, wenngleich hierbei viel Wasser verloren ging. Darüber hinaus bewirkt der Staudammbau eine erheblich verringerte Wasserverfügbarkeit für sechs Kommunen mit insgesamt etwa 25 Dörfern, was sich vor allem auf die Bewässerungsmöglichkeiten negativ auswirkt. Da die Einwohner aus unterschiedlichen Gründen ihre historischen Wasserrechte nicht offiziell registriert haben, haben sie nicht wie in G1 einen Anspruch auf Entschädigung. Durch den Wassermangel unterhalb des Staudamms geraten auch die Wassernutzergruppen AUEA unter Druck. Sie können ihren Aufgaben im Bewässerungsmanagement nicht gerecht werden und sehen sich mit zahlreichen internen Konflikten um die knappe Ressource und um die Bezahlung konfrontiert. Einzelne sind bereits nach verlorenen Gerichtsprozessen und damit verbundenen hohen Kosten nicht mehr arbeitsfähig (z.B. die AUEA Al Faid). Die ohnehin prekäre Situation der Kleinbauern hat sich durch die akute Wasserknappheit so verschärft, dass viele ihre Grundstücke an Investoren verkaufen oder verpachten. Die Befragten sehen für die Landwirtschaft mit ihren eigenen Mitteln keine Zukunft mehr in der Region. Die Investoren dagegen ver57
Gespräche mit Landwirten in der Region Aoulouz im Dezember 2007.
Zwischenfazit: Wasserkonflikte und Machtpolitik in El Guerdane
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fügen über die notwendigen Mittel, installieren Tiefenbohrungen und verursachen ein Absinken des Grundwasserspiegels, der bis vor wenigen Jahren auch für wenig tiefe Brunnen noch gut erreichbar war. Hierdurch wird die Ressource übernutzt: alleine zwischen September 2006 und September 2007 sank der Grundwasserspiegel im oberen Sousstal um bis zu 4,43 m (ABH-SM 2007: 4). Damit zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung wie in El Guerdane ab, die die Kleinbauern marginalisiert. Neben dem Damm sorgt auch der Kanalbau für mehrere Konflikte. Die Transferleitung, die in einer Tiefe von 3m im Boden eingelassen wird, schlägt über seine 90 Km hinweg vielerorts eine Schneise in bestehende private Anpflanzungen. Zahlreiche Olivenbäume werden dafür gerodet. Auf fünf Grundstücken werden zudem Druckregulatoren gebaut, die eine Fläche von 20-40 m² einnehmen. Die betreffenden Eigentümer der Felder wurden nach ihrer Aussage weder über die Arbeiten informiert, noch für den entstandenen Schaden entschädigt. Die Proteste gegen dieses Vorgehen sind derart eskaliert, dass im Jahr 2007 zahlreiche Landwirte die Baustelle besetzt und die Arbeiten für zwei Wochen stillgelegt haben. Erst nach der Intervention mehrerer lokaler und regionaler Autoritäten (inklusive des Wali der Region) wurde ein Kompromiss vereinbart, jedoch sind die Entschädigungen weiterhin unklar (Stand Dezember 2008). Darüber hinaus verursachen die Arbeiten für den Transferkanal immer wieder Schäden wie die Zerstörung von Trinkwasserleitungen und von Bewässerungskanälen, für deren zeit- und geldaufwändige Reparatur die Bauern selbst oder die Kommune aufkommen müssen, da die Firma hierfür keine Verantwortung übernimmt. Die Lage rund um das Projektgebiet war während der Baumaßnahmen entsprechend angespannt. Es wird deutlich, dass neben der Ausgrenzung von Landwirten in unmittelbarer Umgebung der bewässerten Felder von El Guerdane auch weitere akute Konflikte entstanden sind. Auch hier werden die Kleinbauern gegenüber den finanzstarken Landwirten im Tal benachteiligt, sie verfügen zudem über wenig politische Unterstützung, um ihre Rechte einzufordern.
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
7.6.2 Die öffentlich-private Partnerschaft als Machtpolitik “Initiating a privatization process with faulty data, and inadequate public information, as well as on the basis of unheld premises is a prescription for conflict.” (Solanes 2008: 13)
In der Region El Guerdane findet, wie die empirischen Untersuchungen gezeigt haben, derzeit ein Prozess der Marginalisierung der kleinen und mittleren Bauernbetriebe statt. Sowohl der mangelnde Zugang zu natürlichen Ressourcen als auch die sozioökonomische Marginalisierung werden durch das Privatisierungsprojekt verschärft, was auch zu einer Verstärkung der Konfliktpotentiale führen kann. Dies erklärt sich durch folgende Entwicklungen: Das Projekt trägt zur Zunahme der ökologischen Disparitäten bei, indem es die ungleiche Verteilung der Land- und der Wasserressourcen verstärkt. Bereits die ersten Listen der Mitglieder des Guerdane-Projekts zeigen eine stark ungleiche Berücksichtigung kleiner und größerer Betriebe. Weiter verursacht das Projekt aufgrund des hohen Wertes der Grundstücke innerhalb der Projektzone Grundstücksspekulationen sowie eine weitere Akzentuierung der Konzentration des Grundeigentums, da größere Bauern sich angrenzende fruchtbare Grundstücke von Kleinbauern mit allen Mitteln aneignen. Sie spekulieren dabei darauf, künftig mit Hilfe von Amensouss mehr als die bereits beim Projekt angemeldete Fläche bewässern zu können. Nachdem in den 1960er Jahren vor allem die Notablen von den Zwangsverkäufen der Grundstücke von Kleinbauern profitiert hatten und ihren Besitz ausweiteten (Dijon 1969: 44), sind es heute die Großinvestoren. Diese Veränderung spiegelt deutlich den in Kapitel 4 analysierten Wandel des Makhzen wider: die ehemals wichtige Allianz zwischen dem König und den Notablen verändert sich hin zu einem Bündnis zwischen dem König und der ökonomischen Elite. Die Anbindung dieser Elite an den Makhzen spiegelt sich im Souss-Tal auch in der Nähe einiger Großgrundbesitzer zu den Strukturen und Firmen des Amensouss/ONA-Konsortiums. Mehrere Großgrundbesitzer und Zitrusfruchtproduzenten im Souss sind beispielsweise Aktionäre der ONAGruppe oder stehen mit ihr in anderen Bereichen in geschäftlichen Beziehungen. Nicht zuletzt sind in der Projektregion auch mehrere landwirtschaftliche Betriebe des Königs selbst angesiedelt, wie das Anwesen „Qdima“ mit über 500 ha. Darüber hinaus verstärkt das Projekt die ungleiche Wasserverteilung durch den beschränkten Verkauf der Ressource, aber auch durch das weitere Abpumpen der Grundwasserressourcen. Hierdurch werden wie erwähnt weniger tiefe Brunnen oder Bohrungen benachteiligt. Schließlich grenzt das Projekt Bauern von der Wasserversorgung aus, die bisher das Wasser nutzen, welches nun im
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Staudamm für den Kanal gesammelt wird (vgl. 7.6.1). Auch die sozioökonomische Marginalisierung kleiner und mittlerer Betriebe wird durch die Privatisierung verschärft. Zum einen vermindert sich mit der Abnahme der Produktionsressourcen Land und Wasser die Menge und die Qualität der Produktion von nicht-Mitgliedern. Auch Landwirte, die bisher noch rentable Kulturen anbauen konnten, werden sich dadurch künftig auf weniger lukrative Sorten beschränken müssen. Diejenigen, die bisher keine Zitrusplantagen nachweisen konnten, werden vom Projekt direkt ausgeschlossen und können damit auch in Zukunft diesen lukrativen Anbau wahrscheinlich nicht durchführen. Zudem werden die Perspektiven für eine den ökologischen Bedingungen angepasste Landwirtschaft, die wassersparende Kulturen wie die regionaltypischen Argan- und Olivenbäume fördert, durch das Projekt weiter verschlechtert. Angesichts dieser Tendenzen wird die Bedeutung der oben erläuterten alternativen Einkommensquellen Viehzucht, Milchproduktion und Handel für diejenigen Bauern, die nicht am Projekt teilhaben, weiter zunehmen. Zum anderen verändert das Projekt langfristig den bereits heute ungleichen Marktzugang. Indem Amensouss als ONA-Tochter das Projekt managt, ist es mehr als wahrscheinlich, dass die Muttergesellschaft sich in Zukunft Vorrechte auf den Export der dort produzierten Früchte einräumen wird. Dies wird sich wegen der privilegierten Stellung des ONA-Konsortiums negativ auf andere Zwischenhändler und nicht zuletzt auf unabhängige Produktions- und Exportgenossenschaften auswirken. Das Guerdane-Projekt trägt aber auch zur Ausgrenzung bestimmter Landwirte und Einwohner aus wichtigen Entscheidungsprozessen bei. Obwohl die Gesetzesnovellierungen eine Stärkung der konsultativen Strukturen und eine Einbeziehung aller Wassernutzer vorsehen, schließt die Funktionsweise des Projekts genau dies aus. Im Begleitausschuss sind nur zwei von über sechshundert Landwirten des Projekts vertreten, Nutzer von Trinkwasser oder andere Bauern aus der Projektregion gar nicht. Die Auswahl der zwei Bauernvertreter ist dabei unklar, obwohl dem Begleitausschuss eine wichtige Rolle zukommt. Sollte es beispielsweise zu Wasserknappheit kommen, wie es sogar die Projektmanager von ADI und NAREVA mittlerweile als sehr wahrscheinlich annehmen, entscheidet der Ausschuss über die Aufteilung der Restriktionen unter den Nutzern. Selbst die leitenden Manager des Projekts bei der Firma NAREVA, dem Mutterhaus von Amensouss, sehen die fehlende Einbeziehung der übrigen Wassernutzer als Problem für die künftige Funktionsfähigkeit des Projekts, da sich hier langwierige Konflikte ergeben können58.
58
Gespräch mit zwei leitenden Angestellten der NAREVA, Casablanca, Okt. 2007.
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Wasserkonflikte und Kooperation in El Guerdane
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Projekt bereits heute drei Arten direkter und indirekter Konflikte verursacht: zwischen der Betreibergesellschaft und den Bauern innerhalb des Projekts, zwischen dieser und Bauern außerhalb des Gebietes, und auf institutioneller Ebene. Es treten Konflikte zwischen der Gesellschaft Amensouss und Bauern auf, welche gegen ihren Ausschluss aus dem Projekt oder gegen die nur teilweise genehmigte Einbeziehung ihrer Grundstücke protestieren und häufig Klagen eingereicht haben. Sie „belagern“ die örtlichen Vertreter der Firma derart, dass diese bei der Durchfahrt durch manche Gebiete nicht mehr anhalten oder aussteigen, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Die durchführende Firma ADI berichtet zudem von zahlreichen Bestechungsversuchen, denen sie nach eigenen Angaben nicht nachgibt. Auch die Verpflichtung der Bauern, innerhalb von 36 Monaten die teuren Tröpfchenbewässerungssysteme zu installieren, ohne die sie kein Wasser bekommen, sorgt für Konflikte mit den Betreibern. Teilweise gewaltsame Auseinandersetzungen sind wie erwähnt vor allem in der Region Aoulouz zu beobachten. Aber auch in den Dörfern um Oulad Teima und El Guerdane ist dies deutlich, wo sich beispielsweise Dorfbewohner organisieren, um ein Nachbardorf am Bohren eines weiteren Brunnens zu hindern, der ihre eigene Versorgung unterbrechen würde. Die Abnahme der Wasserverfügbarkeit für Bauern oberhalb der Projektzone durch den Stausee wird auch in Zukunft weiter für Konflikte sorgen, da hier über den erwähnten Sektor G1 hinaus noch zahlreiche andere Gebiete betroffen sind. Außerdem verursacht das Projekt unterschiedliche Konflikte zwischen Institutionen und Firmen, die Misstrauen schaffen und die Kooperation zwischen öffentlichem und privatem Sektor erschweren. Amensouss beispielsweise ist verärgert über lange Verzögerungen bei dem Bau der Anlage, die auf lange Wartezeiten für Genehmigungen von Bauarbeiten und vor allem für den Gebrauch von Sprengstoff zurückzuführen sind. Die Wasserbeckenagentur ABH sieht sich in Schwierigkeiten, dem Prestige-Projekt die durch das Ministerium vereinbarte Wassermenge zu gewähren, ohne andere Nutzer massiv zu benachteiligen. Schließlich fühlen sich Vertreter der Bewässerungsbehörde ORMVA ungenügend in die Projektdurchführung einbezogen und beklagen die Wasserknappheit in ihren eigenen Anlagen während die Kanäle von El Guerdane durch die ABH vorrangig bedient werden. Die Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit verdeutlichen, dass das Privatisierungsprojekt mögliche strukturelle Ursachen für Konflikte in der Region verschärfen kann: einerseits durch die ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen, andererseits durch die Symbolkraft des Projekts. Letztere spiegelt sich vor allem in der top-down-Implementierung, der Vorherrschaft der
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Unternehmen und Stiftungen des Makhzen im Projekt und der Rolle der staatlichen Institutionen, die lediglich in der Risikoabsicherung und der formalen Begleitung des Vorhabens einbezogen sind. Nicht zuletzt wird Amensouss in der Region um Aoulouz und unterhalb des Staudamms als Vertreter des Makhzen wahrgenommen, dessen Projekt im Interesse der ohnehin Privilegierten die Kleinbauern in Existenznöte bringt. Neben den direkten Konfliktpotentialen ergibt sich hieraus auch eine massive Verschlechterung der sozialen und politischen Beziehungen in der Region, die sich negativ auf andere Konfliktpotentiale auswirken kann. Die mit dem Projekt El Guerdane verbundenen Machtinteressen des Makhzen und die bevorzugte Stellung dessen alliierter ökonomischer Elite machen deutlich, dass Wassermanagement auch heute noch ein Instrument der Machtpolitik ist und die von Pérennès formulierte Beobachtung unter veränderten Bedingungen weiterhin gültig ist: „Die technokratische Verwaltung der ländlichen Gebiete durch die [staatliche] Bewässerung ist nur ein Mittel zur politischen und sozialen Kontrolle“. (Pérennès 1993: 21).
8 Lokale Wasserkonflikte als Spiegel nationaler Machtverhältnisse
Nachdem das vorangegangene Kapitel die Forschungshypothesen hinsichtlich der lokalen Implikationen ausgewertet hat, geht dieses Kapitel auf die Bedeutung dieser Beobachtungen auf makropolitischer Ebene ein. Neben den Schlussfolgerungen für politische und gesellschaftliche Veränderungen in Marokko und für die Möglichkeiten der Transformation von Wasserkonflikten wird auch der weitere Forschungsbedarf erläutert.
8.1 Machtverhältnisse im Wandel: Königshaus, Bevölkerung, Eliten „Der König hat die Grundstücke verteilt, aber davon profitiert haben die Unternehmen, nicht die Bauern.“ Zitat eines Bauern im Souss-Tal, aufgezeichnet bei Gesprächen im Januar 2007.
Die empirischen Untersuchungen in der Region Souss und die ausführliche Analyse möglicher struktureller Konfliktursachen in Kapitel 4 und 5 bestätigen die eingangs formulierte These, dass die Verteilung der Wasserressourcen in Marokko stark von sozialen und politischen Faktoren abhängt. Diese beruhen auf ungleichen Machtverhältnissen in der Gesellschaft, die erhebliche Unterschiede im Ressourcenzugang und dadurch in den Einkommen der Bauern zur Folge haben. Die Wasserknappheit und die zunehmend teure Nutzbarmachung der Ressource verstärken diese Disparitäten. In Wasserkonflikten äußern sich diese sozioökonomischen und politischen Ungleichheiten, die in vielerlei Hinsicht symptomatisch sind für weitere, teilweise konflikthafte gesellschaftliche Prozesse. Die traditionelle Herrschaftslegitimierung des Makhzen durch die Verteilung der natürlichen Ressourcen Land und Wasser (vgl. Kapitel 5) beeinflusst diese Entwicklungen zwar weiterhin. Gleichzeitig jedoch verändern das Auftreten zivilgesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Akteure sowie ökonomische, ökologische und politische Entwicklungen das Verhältnis zwischen der Bevölkerung, dem Königshaus und staatlichen Institutionen. Die inhaltlichen Schlussfol-
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Lokale Wasserkonflikte als Spiegel nationaler Machtverhältnisse
gerungen dieser in den Kapiteln 3 bis 6 analysierten Zusammenhänge werden im Folgenden zusammengefasst.
8.1.1 Die neuen Strategien des Makhzen Die in Kapitel 4.1.2 und 5.1 erläuterte Strategie des Makhzen, sich die Kontrolle über die ruralen Gebiete über Allianzen mit ländlichen Eliten zu sichern, indem diese mit dem Zugang zu Land und Wasser belohnt wurden, hat sich heute stark verändert. Statt der lokalen Notablen stehen im Zentrum des “neuen Makhzen” (vgl. Kapitel 4.2) auf dem Land die Großgrundbesitzer. Sie symbolisieren die Modernisierung der Landwirtschaft, die gewinnbringende Exportorientierung und die Kontrolle über ganze Produktionsketten. Auch üben sie in vielen Fällen mehr Einfluss aus, als die ehemaligen traditionellen Eliten. Gleichzeitig verfügen sie über eine potentiell höhere Unabhängigkeit von den Strukturen des Königshauses, denn ihre finanziellen Mittel und ihre eigenen Netzwerke in die Geschäftswelt und ins Ausland ermöglichen ihnen eine gewisse Eigenständigkeit. Dies zeigt sich auch in der veränderten Bewässerungsversorgung: private Tiefenbohrungen, die zu einem beliebigen Zeitpunkt eine unbegrenzte Menge an Wasser fördern, ersetzen häufig die früher übliche Abhängigkeit von den staatlich verwalteten, oberirdischen Bewässerungskanälen. Auch fruchtbares Ackerland wird nicht mehr nur durch den Staat zugeteilt, sondern kann, insbesondere von Kleinbauern oder bei der Privatisierung staatlicher Bauernbetriebe, käuflich erworben werden. Weiter sind viele private Unternehmen in der Landwirtschaft den staatlichen Institutionen in der Verwendung moderner Technologien zum Anbau, der Bewässerung und der Verpackung der Ware weit überlegen. Dennoch bilden diese Großgrundbesitzer keine von Staat und Makhzen gänzlich unabhängige Elite, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, sondern sind je nach Fall mehr oder weniger eng an den Makhzen gebunden. Dies erklärt sich zum einen durch die finanziellen, politischen und sozialen Sanktionsmöglichkeiten des Herrschaftsapparates, zum anderen durch weiter bestehende Begünstigungen. Die Dominanz der wirtschaftlichen Elite über andere etablierte Netzwerke und die strategische Bedeutung der Landwirtschaft im Souss wird nicht zuletzt durch die Nominierung des neuen Ministers für Landwirtschaft, Aziz Akhannouch, symbolisiert. Akhannouch, Gründer und bis 2007 Präsident der einflussreichen Unternehmensgruppe Akwa, führt nicht nur das Ministerium mit Hilfe seines Stabs aus der Privatwirtschaft, sondern hat auch seine Position als Präsident der Region Souss Massa beibehalten. Obwohl seiner expandierenden Unternehmensgruppe etwa 40 Firmen in unterschiedlichen Schlüsselbereichen der marokkanischen Wirtschaft angehören, ist auch er direkt vom Makhzen
Machtverhältnisse im Wandel: Königshaus, Bevölkerung, Eliten
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abhängig. Denn die umfangreichen Kredite der Akwa-Gruppe wurden von der Bank Attijariwafa erteilt, einem Unternehmen der vom König dominierten ONAGruppe (Iraqi 2008: e.Q.). Akhannouch, Schlüsselfigur der Landwirtschaftspolitik und der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Souss-Region, bleibt auch hierdurch weiter unter der Kontrolle des Königs. Während sich die Modalitäten der politischen und sozialen Kontrolle der ländlichen Gebiete durch den Makhzen also verändert haben, hat sich dessen Einfluss dabei nur bedingt vermindert. Die politische Kontrolle der Eliten folgt heute neuen Prämissen, die gleichzeitig auf bestehende Allianzmuster zurückgreifen. Zum einen sind auch die Großgrundbesitzer in vielen Dingen weiterhin auf das Wohlwollen der staatlichen Institutionen angewiesen: die Kontrolle der privaten Bohrungen, die Genehmigung von Exportlizenzen und Grundstückserwerbungen sind hierfür Beispiele. Zum anderen erfolgt die politische Kontrolle nicht mehr primär über die lokale Verteilung von Wasser und Boden, sondern setzt bereits auf makropolitischer Ebene an. Dies zeigen das Beispiel des Guerdane-Projekts und der unterschiedlichen Aktivitäten der Unternehmensgruppe ONA in Kapitel 6 und 7 deutlich auf. Darüber hinaus werden die Produktionsressourcen mit modernisierten Mitteln des Makhzen weiterhin kontrolliert, wie es die Monopolisierung der Wasserverteilung durch die öffentlich-private Partnerschaft in El Guerdane zeigt. Gleichzeitig jedoch hat sich die Zielebene der Makhzen-Strategie vom landwirtschaftlichen vor allem auf den wirtschaftlichen Bereich verschoben: es geht um die Kontrolle der einzelnen Märkte, wie es im Bereich Umwelt, Energie und Wasser die Schaffung der Subunternehmen der ONA-Gruppe im Kontext des PPP-Vorhabens verdeutlicht (vgl. Kapitel 6.3). Von der Herstellung der Plastikrohre über die Durchführung der Bauarbeiten bis zu Management, Verwaltung und Finanzierung des Pilotprojekts bleiben alle wesentlichen Komponenten in der Hand des Makhzen. Dieser kann sich damit auf viel versprechenden Märkten positionieren und gleichzeitig einige landwirtschaftliche Großbetriebe der strategisch wichtigen Region zumindest teilweise kontrollieren. Wie eine marokkanische Tageszeitung anmerkt „ist der marokkanische Markt [für das Unternehmen ONA] sehr vielversprechend. Experten zufolge kann das Projekt ElGuerdane in anderen Regionen des Landes reproduziert werden, vor allem im Gharb und im Loukkos. Insgesamt kommen hierfür 700 000 ha in Frage“ (El Abbassi 2008: e.Q.). Die Durchführung des Projekts El Guerdane erinnert in dieser Hinsicht stark an das Vorgehen der französischen Kolonialmacht, die vor allem die eigenen staatlichen Unternehmen mit dem Bau der enormen Bewässerungsinfrastruktur in Marokko beauftragte (Pérennès 1993: 154 f.). Auch über die Integration der Großbauern in bestehende Institutionen (Parlament, Kommunalverwaltung, Kommissionen, Armee) und die Gewährung
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Lokale Wasserkonflikte als Spiegel nationaler Machtverhältnisse
symbolischer Posten werden die Allianzen gepflegt. Zusätzlich dienen auf lokaler Ebene vor allem die staatlichen Autoritäten, die dem Innenministerium unterstellt sind, der Kontrolle der Bevölkerung. Der Einfluss der Notablen dagegen, früher Pfeiler der königstreuen Eliten, ist in dem dominierenden Spiel zwischen Innenministerium (an dessen Spitze der König selbst steht) und ökonomischem Makhzen (symbolisiert durch die ONA- Gruppe) stark zurückgegangen. Lediglich auf lokaler Ebene spielen die Notablen ihre Netzwerke noch aus, erfahren Anerkennung und üben soziale Kontrolle aus. Diese Macht ist jedoch, wie sich bei der Untersuchung der Vermittlungsbemühungen in Wasserkonflikten gezeigt hat, stark begrenzt und hat gegenüber der sozialen und politischen Stellung der Großgrundbesitzer wenig auszurichten. Die Art und Weise der Implementierung des Guerdane-Projekts spiegelt die Vorherrschaft des Makhzen über die gewählten Volksvertreter und die demokratisch legitimierten Institutionen wider. Während die Bedingungen der Delegation an den Privatsektor auf höchster Ebene ausgehandelt wurden, hatten weder das nationale Parlament noch lokale Politiker ein Mitspracherecht, obwohl es sich bei dem Vertrag nach Aussage aller Beteiligten um einen wichtigen Präzedenzfall handelt. Das Vorgehen erscheint insgesamt paradox: eine private Stiftung ermöglicht die Implementierung eines Projekts mit öffentlichen, aber nicht staatlich kontrollierten Mitteln. Das Vorhaben, welches ohne diese Kredite und Subventionen wahrscheinlich gar nicht verwirklicht worden wäre, nutzt damit dem privaten Konsortium des Königs, der ebenfalls der Stiftung vorsteht. Öffentliche Mittel werden also genutzt, um private Investitionen des Königshauses zu ermöglichen. Die Gewinne gehen an die Betriebe des Monarchen, während die Verluste und Risiken im Wesentlichen von dem öffentlichen Sektor getragen werden. Dieses Vorgehen und die Art der Debatten um das Projekt in den Medien deuten auf eine explizite, gewissermaßen präventive Entpolitisierung des Pilotvorhabens hin. Im Fokus stehen sowohl in Publikationen als auch bei Gesprächen mit Verantwortlichen der erwähnten Firmen die technischen Aspekte und der Stolz über den „Modellcharakter“ und die „Vorreiterrolle“ des Projekts innerhalb Marokkos und auf internationaler Ebene. Politische und soziale Implikationen, wie die Auswirkungen auf Konfliktkonstellationen, die Verminderung der Erwerbsgrundlagen der übrigen Landwirte und die mangelnde Kohärenz bezüglich des Ressourcenmanagements werden nicht thematisiert. Diese Aspekte werden allenfalls von den lokalen Mitarbeitern der Bewässerungsbehörde ORMVA angesprochen, die der Realität vor Ort näher stehen. Diese bewusste Entpolitisierung des durch seine Implementierung und Auswirkungen eigentlich sehr politischen Projekts verstärkt vordergründig den Eindruck, dass das Vorhaben vor allem ein Anliegen der Durchführungsorganisationen sei und keiner
Machtverhältnisse im Wandel: Königshaus, Bevölkerung, Eliten
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parlamentarischen oder anderen politischen Diskussion und Mitentscheidung bedürfe. Ehrliche Debatten über die Verteilung der positiven und negativen Auswirkungen des Projekts und die intransparente Entscheidungsführung und Finanzierung sollen dadurch vermieden werden. Trotz der veränderten Rahmenbedingungen zeigt die Implementierung des Guerdane-Projekts, dass Wassermanagement noch immer ein Instrument der Machtpolitik ist.
8.1.2 Perspektiven der politischen Liberalisierung Auch die politische Liberalisierung unter König Mohamed 6 und der damit einhergehende größere Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft spiegeln sich im Wassermanagement und der ländlichen Entwicklung wider (vgl. Kapitel 5.2, 6.2. und 7.5). Aus zwei in dieser Arbeit analysierten Beispielen kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die reelle Reichweite der politischen Liberalisierung begrenzt ist. Sowohl die unvollständige Dezentralisierung und partizipative Gestaltung staatlicher Wassermanagementinstitutionen, als auch die Instrumentalisierung des Engagements von NGOs deuten auf diese Konklusion. Partizipation und Dezentralisierung, formale Ziele in vielen Politikbereichen Marokkos, werden teilweise durch direkte staatliche (bzw. königliche) Kontrollstrategien sabotiert. Gerade die neuen Institutionen des Wassermanagements spiegeln diese internationalen Leitsätze zwar formal von der lokalen bis zur nationalen Ebene wider, ihre Umsetzung lässt jedoch andere Prioritäten erkennen. Die Schaffung der Wassernutzergruppen AUEA sollte eigentlich partizipative lokale Entscheidungsstrukturen fördern und mit entsprechenden Mitteln handlungsfähig machen. Durch das obligatorische „siebte Mitglied“ von Staat und Makhzen in der Gruppe sowie aufgrund unzureichender Budgets und Ausbildung ist die Initiative jedoch de facto in den meisten Fällen zum verlängerten Arm der Zentralverwaltung geworden. Auch die Wasserbeckenagenturen (ABH), geschaffen um das Wassermanagement zu dezentralisieren, sind finanziell und personell weiterhin begrenzt und direkt von den Ministerien für Infrastruktur und für Finanzen abhängig. Außerdem sind das Innenministerium und andere Ministerien im Verwaltungsrat vertreten Schließlich unterliegen alle wichtigen Entscheidungen auf nationaler Ebene dem Conseil Supérieur de l’Eau et du Climat, wie es Kapitel IV, I des Gesetzes 10-95 vorsieht (Benyahya 2005: 57 f). Im Aufbau des Rates wird zwar die Einbeziehung der unterschiedlichen betroffenen Akteure und Institutionen berücksichtigt, jedoch wird er vom König präsidiert und unterliegt damit dessen Entscheidungen. Ein grundsätzliches Problem besteht bei der Implementierung partizipativer und dezentralisierter Ansätze im Wassermanagement, wie auch Jaglin in einem anderen Kontext anmerkt, in
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der Vermischung zweier unterschiedlicher Ziele: einerseits des wirtschaftlichen Ziels (Effizienz im Management der Ressource und der Infrastruktur) und andererseits der politischen Absicht (Empowerment,„Demokratisierung“), die in der Realität sehr schwer gleichzeitig zu verwirklichen sind (Jaglin 2004: 308). Die begrenzte Reichweite der politischen Liberalisierung wird auch bei einer Betrachtung der Aktivitäten kleiner und mittlerer NGOs deutlich, die sich auf lokaler Ebene vor allem für die ländliche Entwicklung einsetzen. Im Souss können diese Organisationen, auch durch die Unterstützung von persönlichen Netzwerken im Ausland, zahlreiche erfolgreiche Projekte vorweisen. Der praktische Handlungsspielraum zur sozialen und politischen Gestaltung dieser lokalen zivilgesellschaftlichen Akteure ist jedoch begrenzt. Einerseits, wie die empirischen Studien gezeigt haben, sind lokale nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen in zahlreichen Bereichen der sozialen Fürsorge, aber auch der landwirtschaftlichen Produktion und Vermarktung tätig. Sie können häufig auf lokaler Ebene Erfolge vorweisen, die ihnen über ihren Arbeitsbereich hinaus Legitimität verleihen. Diese Position nutzen die Organisationen bzw. ihre Führungspersönlichkeiten auch in der Konfliktvermittlung und können dadurch in bestimmten Fällen eine Eskalation der Auseinandersetzungen verhindern. Andererseits ist das politische Gewicht dieser Organisationen begrenzt. Sie sind meist von den politischen Entscheidungsforen ausgeschlossen und nur sehr selten in politischen Parteien vertreten. Die Ausnahme sind NGOs, die von Parteivertretern in der Hoffung gegründet werden, dadurch höhere Legitimität und einen weiteren Handlungsspielraum zu erhalten. Andere NGOs distanzieren sich ausdrücklich von den Parteien, um nicht der Nähe zum Makhzen beschuldigt und Korruptionsverdachten ausgesetzt zu werden. Zum anderen beschränken sich die meisten Organisationen, wie in der Untersuchungsregion beobachtet, auf stark lokale Anliegen und sind regional oder landesweit nur informell vernetzt, wodurch sie nur begrenzt politischen Druck ausüben können. Doch der begrenzte Handlungsspielraum der Organisationen wird auch von mehr oder weniger subtilen Herrschaftsstrategien des Königs bestimmt, wie es bei den Feldstudien immer wieder deutlich wurde. Zumindest den kleineren zivilgesellschaftlichen Organisationen wird eine präzise Rolle im Entwicklungsund Herrschaftssystem zugewiesen. Die NGOs im Trinkwasserbereich, die nur dann von der staatlichen Behörde ONEP unterstützt werden, wenn sie deren Tarifstruktur akzeptieren, einen Großteil an Eigenkapital beisteuern und die technische Wartung der Anlage übernehmen, sind ein Beispiel dafür. Die Implementierung des nationalen Entwicklungsplans INDH, der vor allem die Entwicklungsprojekte kleiner lokaler Organisationen fördert, zeigt ebenfalls wie die Gründung der Vereine und die Mittelvergabe politisch kontrolliert werden und auch bereits bestehende Initiativen sich diesen Regularien sukzessive fügen müs-
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sen. Politisch unerwünschte Organisationen und Persönlichkeiten etwa bekommen keine Lizenz zur Gründung einer NGO. Einzig die Bildung von Produktionsgenossenschaften hat es einigen Organisationen ermöglicht, sich auch auf wirtschaftlicher Ebene als ernstzunehmender Akteur zu etablieren. Ein besonderes Beispiel ist wie bereits erwähnt die südmarokkanische Milchproduktionsgenossenschaft COPAG, die in wenigen Jahren das Netz der kleineren und mittleren Bauern, die sie beliefern, stark ausgeweitet und über ein Drittel des nationalen Marktes der Milchprodukte erobert hat. Das Engagement der COPAG für soziale Belange und sichere Einkommen ihrer Mitglieder hat die Entwicklung in der Region Souss und mittlerweile auch in anderen Landesteilen stark verbessert. Doch auch dies gelingt nur, solange sich die diplomatische Leitung des Betriebes aus politischen Anliegen explizit heraushält. Wenngleich die Koordinierung der NGO- Aktivitäten durch die Regierung grundsätzlich notwendig ist, so könnten die intransparenten Akkreditierungsprozesse dennoch demokratischer gestaltet werden. Die reale Partizipation der Zivilgesellschaft an politischen Entscheidungsprozessen wird durch ihre formelle und finanzielle Bevormundung verhindert und ihr Handlungsspielraum beschränkt. Auch das Beispiel von El Guerdane zeigt diese Tendenzen auf: bestehende lokale NGOs werden im Projekt nicht einbezogen, obwohl sie von dessen Auswirkungen betroffen sind. Die Gründung einer neuen „NGO“ der Wassernutzer im Gebiet wird nach deren politischer Instrumentalisierung durch einige Vertreter aufgelöst. Anstelle der geplanten Organisation der Wassernutzer im Projekt wird nun mit jedem Mitglied individuell verhandelt, gleichzeitig werden diese aber durch zwei Repräsentanten im Begleitausschuss vertreten, ohne dass jedoch die Auswahlkriterien dieser Vertreter klar sind. Alternative Interessensvertreter, das hat sich bei den Protesten gegen den Staudamm Aoulouz und angesichts der Enteignungen in der Region Taroudant gezeigt, werden teilweise gewaltsam unterdrückt. Neben dem geringen Vertrauen in politische Parteien und ihre Vertreter (vgl. Kapitel 4.2.1, und 7.5) tragen auch diese Repressionen dazu bei, Opposition in zivilgesellschaftliche Institutionen oder informelle Ausdrucksformen zu leiten. Die Folge sind weiter steigendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und geringe Aussichten auf Kooperation im Sinne des Allgemeinwohls, wie es die Schwierigkeiten bei den Bemühungen um den Wasserressourcenschutz zeigen. Auch der Zulauf zu militanten Organisationen kann durch die Diskreditierung moderater Oppositionspotentiale gefördert werden (vgl. Kapitel 4.2 sowie Houdret 2008b). Der Handlungsspielraum der zivilgesellschaftlichen Organisationen bleibt, trotz ihrer zunehmenden Anzahl und vieler erfolgreicher Projekte, solange begrenzt, wie sie im politischen System marginalisiert bleiben. Die Demokratisie-
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rungspotentiale zivilgesellschaftlicher Organisationen bleiben in diesem Kontext ebenfalls beschränkt, da auch die offizielle Anerkennung ihrer erfolgreichen Arbeit letztlich wenig an den formalen Bedingungen der marokkanischen konstitutionellen Monarchie ändert. Weiterhin bleiben die Judikative, die Legislative und die Exekutive von König Mohamed 6 dominiert. Auch die drei Tabus (vgl. Kapitel 4.1.1), die Staatsform, die religiöse Rolle des Königs und die Unantastbarkeit der Westsahara, bleiben trotz der Liberalisierung unantastbar. Die formalen Entscheidungsmechanismen dezentralisierter staatlicher Institutionen und der politischen Parteien werden weiterhin nur begrenzt umgesetzt. Das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den politischen Parteien bleibt dadurch auf lokaler Ebene weiterhin von klientelistischen Beziehungen geprägt. Auch neue lokale Institutionen tragen nicht zur besseren Repräsentation marginalisierter Gruppen bei und Oppositionspotentiale bilden sich eher außerhalb der offiziellen Institutionen, wie dies auch in anderen Ländern beobachtet wurde (vgl. Fung/Wright 2004: 29). Dies hat zur Folge, wie es während der Feldstudien häufig zu beobachten war, dass die Legitimität der Politiker und ihrer Parteien weiterhin gering ist und sie auch als Konfliktvermittler wenig Vertrauen genießen. Teilweise spielt dies radikal-islamischen Organisationen in die Hände und stärkt ihre Legitimität. In der Untersuchungsregion wurde deutlich, dass sowohl lokale Kandidaten der islamistischen Parteien wie die PJD als auch informellere Gruppen, beispielsweise der Salafisten, sich die soziale Unzufriedenheit zunutze machen. Vor allem der in Kapitel 8.1.3 analysierte Regelpluralismus, der die Konfliktschlichtung und die Interessensaushandlung erschwert, wird von diesen Akteuren thematisiert. Viele der radikalen Moslems setzen sich für eine reine Rechtsprechung auf der Basis der Schari’a ein, die denjenigen, die von der wenig egalitären Rechtspraxis enttäuscht sind, gerechter erscheint (vgl. auch Turner 2006: 53 ff.).
8.1.3 Der neue Regel- und Institutionenpluralismus Die politische und wirtschaftliche Liberalisierung hat im Wasserbereich wie anderswo zu einer Erweiterung der intervenierenden Akteure geführt. Nach langen Jahren des staatlichen Dirigismus in der Wasserverwaltung und der landwirtschaftlichen Produktion haben die Privatisierung und die Umsetzung partizipativer Ansätze die Beteiligung zivilgesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Akteure begünstigt. Zugleich haben jedoch die finanziellen und personellen Kapazitäten der staatlichen Institutionen abgenommen. Die neuen Regeln des Wassermanagements sind aus politischen und finanziellen Gründen noch nicht vollständig implementiert, während die informellen Regeln und
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Netzwerke weiterhin bestehen. Dies hat vor allem auf lokaler, aber auch auf regionaler und nationaler Ebene zu einem Regelpluralismus geführt, in dem Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zunehmend undeutlich werden. Dies wird insbesondere bei den Wassernutzern offensichtlich: sie sehen sich mit neuen Institutionen konfrontiert, deren Ziele und Aufgaben ihnen nicht vermittelt werden, für die sie aber bezahlen sollen (das Beispiel der Wasserbeckenagenturen), oder deren Entscheidungen sie akzeptieren müssen, obwohl diese nicht partizipativ, sondern unter Kontrolle der Makhzenvertreter zustande kommen (das Beispiel der Wassernutzerorganisationen). Letztlich untergräbt das die Autorität und die Legitimität der neuen Institutionen selbst, wie es die geringe Durchsetzungskraft der „Wasserpolizei“ der ABH zeigt. Auch hier entsteht eine undurchsichtige Vermengung von Kompetenzen und Zuständigkeiten, wenn beispielsweise der Personalmangel der ABH dazu führt, dass lokale Autoritäten, die dem Innenministerium unterstehen (Cheikh und Moqqadem), die Funktionen der Wasserpolizei teilweise übernehmen sollen. Der Pluralismus der Rechtsformen und der Regeln führt für viele Akteure zu einem Zustand institutioneller Unübersichtlichkeit. Hierbei sind mehrere Phänomene gleichzeitig zu beobachten:
Neue Akteure und Institutionen mit eigenen Regeln treten auf (Unternehmen, ABH), Etablierte Akteure, deren Referenzrahmen nicht mehr gültig ist, wollen trotzdem ihren Einfluss geltend machen (Notable, informelle Netzwerke); Der Handlungsspielraums bestehender Institutionen und Akteure verringert sich (ORMVA, Kommunalpolitiker, teilweise auch Caid); Etablierte Akteure werden in neue Institutionen integriert und bekommen dadurch neue Kompetenzen und Aufgaben (AUEA).
Die auf lokaler Ebene neu intervenierenden Akteure, wie die Unternehmen, fügen sich in das etablierte Regelsystem nicht ein und agieren nach anderen Normen. Gleichzeitig müssen sich auch die bestehenden lokalen Autoritäten neuen Regeln unterwerfen, wie die Notablen oder die lokalen staatlichen Autoritäten. Auch der vormals relativ klare Handlungsspielraum der informellen Interessensvertreter und Netzwerke muss sich in diesen neuen Konstellationen neu orientieren und befindet sich in einer Übergangsphase. Schließlich wird deutlich, dass auch bei institutionellen oder technischen Innovationen etablierte Interaktionsmuster beibehalten werden, die den Charakter neuer Institutionen vollkommen verändern können, denn „alte Organisationsformen und Traditionselemente werden somit auch bei Innovationsprozessen mit moderner Technologie beibehalten“ (Popp 1994: 371 f.). Da sich dies auch auf die Verteilung der Kosten und
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Nutzen auswirkt, entstehen Konflikte über die Normen und Verteilungsregeln, die sich beispielsweise in der Wasserverteilung deutlich äußern. Der Ethnologe Bertram Tuner analysiert den Regelpluralismus in der SoussRegion und merkt an: „In sum, there is a muddle of overlapping, neglected or competing competencies and duties (...). The legal arena contains various legal regimes and constitutive elements of widely differing provenance and sources of legitimation. These are not necessarily regarded as optional, parallel or hierarchically ordered legal regimes“ (Turner 2006: 107, 109).
Auch die Modalitäten und zuständigen Institutionen der Konfliktschlichtung sind in vielen Fällen unklar, was die Eskalationsgefahr von Interessenskonflikten vergrößern kann, wenn innerhalb des Regelpluralismus keine von allen Beteiligten akzeptierte Lösung gefunden werden kann. Die Forschungsarbeiten zum Projekt El Guerdane haben gezeigt, dass auch die fehlende Kommunikation und die Unklarheit über Zuständigkeiten zur Eskalation von Konflikten beitragen kann. Im Fall des Konflikts um den Staudamm und den Kanal des Projekts (vgl. Kapitel 7.6) kam während der Interviews immer wieder zur Sprache, dass den Landwirten vollkommen unklar war, an welche Autoritäten oder Organisationen sie sich für ihre Beschwerden über die Bauarbeiten wenden sollten. Die möglicherweise absichtlich ausgebliebene Informationspolitik über das Projekt auf lokaler Ebene tat ein Übriges, um die Verwirrung zu vergrößern. Weder die Beschwerden bei den lokalen staatlichen Autoritäten, noch das Engagement der lokalen NGOs und Notablen konnte den Konflikt um das Projekt lösen. Die eigentlichen Projektträger „versteckten“ sich hinter ihren ausführenden privaten Unternehmen vor Ort. Diese wiederum äußerten sich als nicht zuständig für die Beschwerden. Erst als die Bauern die Baustelle besetzten und der Konflikt eskalierte, schritten die unterschiedlichen Projektverantwortlichen ein und handelten einen Kompromiss aus. Die Unklarheit über Kompetenzen und Ansprechpartner hat zur Folge, dass sich auch die Strategien der Interessensvertretung und zur Aushandlung von Interessensdifferenzen neu orientieren müssen. Gegenüber einem privaten Unternehmen aus der Hauptstadt kann ein beliebiger Landwirt nicht auf die gleichen Ressourcen zu seiner Interessensvertretung setzen, wie er es gegenüber der lokalen Bewässerungsbehörde gewohnt war. Hierdurch entsteht zwar neuer Raum für Verhandlungen, indem sich die unterschiedlichen Akteure positionieren, jedoch müssen auch neue Verhandlungsmodalitäten gefunden und etabliert werden. Die aktuelle Unklarheit trägt bisher jedoch eher dazu bei, dass sich Positionen verhärten und zahlreiche Wege der Interessensvertretung parallel mobilisiert werden. Dies führt zu einer noch größeren Anzahl der betroffenen Akteure
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und damit häufig zu schwierigeren Verhandlungen und teilweise zu Konflikten. Diesbezüglich sind auch die Analysen von Fung und Wright bezüglich der Bedeutung der Gestaltung von politischen Entscheidungsprozessen für das kooperative oder konfliktive Verhalten der beteiligten Akteure relevant: demnach bewegen beteiligungsorientierte Strukturen die Parteien stärker dazu, an gemeinsame Normen und Werte zu appellieren und sich kooperativ zu verhalten (Fung/Wright 2004: 10). Die mögliche Entstehung einer „kooperativen Gegenmacht“ im Sinne von Sintomer et. al. durch die Zivilgesellschaft wird deshalb auch entscheidend von der Veränderung der politischen Strukturen abhängen (Sintomer/Herzberg et al. i.E.: 185). Die oben genannten Veränderungen haben in gewisser Weise noch nicht zu einer Außerkraftsetzung, aber doch zu einer Schwächung der bisherigen Regeln zur Aushandlung von Interessensdifferenzen geführt. Die „neuen“ Regeln, wie sie etwa in dem Wassergesetz 10-95 festgehalten sind, sind aber durch die fehlende Implementierung letztlich (noch) nicht allgemeinverbindlich. Häufig dominiert deshalb weiterhin der soziale Status über das formale Recht. Gerade im Wasserbereich wird deutlich, wie sich die Handlungskompetenzen unterschiedlicher offizieller Autoritäten überschneiden (AUEA, ORMVA, Caid, Kommune, Gericht, ABH...) und auch dadurch gleichzeitig informelle und formelle Rechte existieren. Recht und Gesetz hängen in der Praxis auf lokaler Ebene immer von der jeweiligen Person ab, so dass parallel traditionelle Rechte, das Recht einer AUEA, eines Notablen oder privater Investoren unterschiedlich ausgelegt wird. Einzig die Autoritäten des Innenministeriums und damit des Königs scheinen überall präsent zu sein und in allen Organisationsformen offiziell oder informell eingebunden zu sein. Dies verdeutlicht erneut den hohen strategischen Wert der Kontrolle der Wasserressourcen und der Entwicklungen in ländlichen Gebieten. Auf lokaler und regionaler Ebene ist zu beobachten, dass die aktuellen Veränderungen in den Zuständigkeiten, den Handlungsspielräumen und den Regeln der Interaktion die gesellschaftlichen Beziehungen nachhaltig verändern. Die institutionelle Unübersichtlichkeit und der Regelpluralismus haben dabei zur Folge, dass sich viele Menschen vor allem auf ihre persönlichen Netzwerke und Beziehungen berufen, um ihre Interessen durchzusetzen. Das in Kapitel 4 erläuterte System der gegenseitigen Verpflichtungen und Gefallen behält insofern weiterhin seine Gültigkeit. In dieser Umbruchsituation mobilisieren die Akteure zahlreiche parallele Regeln und Ressourcen formeller und informeller Art, um ihre Interessen zu vertreten. Unklar bleibt dabei allerdings, welche Ansprechpartner für die jeweiligen Probleme eigentlich zuständig sind, und wie unterschiedliche Interessen ausgehandelt werden können. Nach dem angekündigten „Rückzug“ des Staates aus der Bewässerungsversorgung und der Landwirtschaft
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besteht dadurch vor allem Ungewissheit über die Verantwortlichkeit für das Gemeinwohl, wie es die Konflikte im Souss-Tal zeigen.
8.1.4 Die Gefährdung der Legitimität von Regierung und König Der staatliche Versorgungsauftrag bleibt trotz der Vielzahl neuer zivilgesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Akteure ein Grundpfeiler der Legitimität von Regierung und König. Ist beispielsweise die Mindestversorgung mit sauberem Trinkwasser und der Infrastruktur für Bildung, Gesundheit und Verkehr nicht gesichert - dies hat sich auch in den Feldstudien immer wieder gezeigt verringert das die Glaubwürdigkeit der staatlichen Entscheidungsträger und des Königs. Dies wird auch bei der Analyse der Wasserversorgung und der aktuellen Umbrüche in diesem Zusammenhang deutlich. Angesichts der veränderten Rolle der staatlichen Institutionen ist für viele Bauern auf der lokalen Ebene unklar, wer heute die Verantwortung für Einkommenseinbußen und die Sicherstellung der Versorgungsinfrastruktur übernimmt. Die Legitimität vieler staatlichen Institutionen in den ländlichen Gebieten sinkt. Dies hängt stark mit der aufgrund der Liberalisierung primär wirtschaftlich-orientierten Funktionsweise der öffentlichen Institutionen zusammen, welche die Erfüllung des staatlichen Versorgungsauftrags massiv erschwert. Investitionen in öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen etwa werden zunehmend den Regeln des Marktes unterworfen. Die Trinkwasserbehörde ONEP orientiert die Erweiterung ihrer Versorgungsinfrastruktur an der Rentabilität dieser Investitionen, so dass primär zahlungskräftige Haushalte und Stadtviertel angeschlossen werden59. Der gleichberechtigte Zugang zu sozialen Dienstleistungen und Ressourcen, ein Pfeiler der staatlichen Legitimität, wird dadurch verletzt. Die fehlende Kommunikation bei der Einführung institutioneller Innovationen, wie beispielsweise bei der Gründung der Wasserbeckenagenturen, verstärkt in diesem Kontext auf der lokalen Ebene Missverständnisse und Misstrauen gegenüber Reformen, die als „von oben“ angeordnet empfunden werden. Dabei wird deutlich, dass auch technische oder prozedurale Innovationen nicht isoliert von ihrem sozialen und politischen Kontext und der Geschichte der Machtverhältnisse betrachtet werden können. In der Landwirtschaft wie in anderen Bereichen ist die Wahl der technischen Optionen weiterhin auch implizit eine politische Wahl. Dies zeigt sich einerseits in der Verpflichtung der Bauern, wassersparende Bewässerungsmethoden einzuführen, denn aus unterschiedlichen Gründen profitieren hiervon bisher vor allem größere Bauernbetriebe (vgl. Kapi59 Ergebnis der Befragungen bei der ONEP und NGOs in der Trinkwasserversorgung in der Region Souss, 2005-2007.
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tel 5.1.2, 6.2, 7.2). Weil jede technische Innovation und auch viele institutionelle Neuerungen in den Bewässerungsgebieten bisher die Abhängigkeit der Bauern vom Makhzen verstärkt haben, weigern sich viele vor allem ältere Bauern, technische Innovationen zu implementieren. Das Misstrauen gegenüber externen Akteuren und staatlichen Initiativen ist daher groß und wird durch neue Erfahrungen, wie die Kontrolle der AUEAs, die Marginalisierung durch das Guerdane- Projekt oder die unterschiedliche Auslegung des Rechts weiter gestärkt. Dies begünstigt die Entstehung von Konfliktpotentialen und erschwert die Implementierung kollektiver Maßnahmen, wie sie beispielsweise für den Ressourcenschutz notwendig wären. Darüber hinaus wirken sich die aktuellen Machtkonstellationen, die Marginalisierung vieler Bauern und der große Handlungsspielraum privater Investoren aber auch auf die politische Legitimität der gewählten Volksvertreter sowie des Königs aus. Neben der Politikerverdrossenheit (vgl. Kapitel 4.2) ist vor allem eine Infragestellung der Funktion des Monarchen als Richter und Moderator unterschiedlicher Interessen im Land (Santucci 1992: 429) zu beobachten. Auch die wachsende wirtschaftliche Macht seiner Unternehmen und die Willkür bei der Durchsetzung von deren Interessen tragen hierzu bei. Offen ist bisher, ob die Förderung von Kleinstprojekten durch die Entwicklungsinitiative INDH und die zahlreichen königlichen Stiftungen das Image des Monarchen nachhaltig verbessern kann. Die manchmal geradezu offensiven Aktivitäten der königlichen Wohlfahrtsstiftungen zur Kompensation der Lücken staatlicher Versorgung sind dabei eine Taktik des Königs. Er demonstriert so gegenüber den der Vernachlässigung beschuldigten Politikern seine persönliche Fürsorge für das Volk. Gleichzeitig ist nur Wenigen bekannt, dass ein Teil des Stiftungskapitals nicht aus seinem persönlichen Vermögen sondern aus Steuermitteln stammt. Der zunehmende Einfluss der königlichen Stiftungen und Unternehmen beim gleichzeitigen (Teil-)Rückzug des Staates aus der Landwirtschaft und der Bewässerung (vgl. Kapitel 5) ist Teil der Herrschaftsstrategie. Das Beispiel El Guerdane hat gezeigt, dass der Staat sich nur von der operativen Ebene zurückzieht, aber makropolitische Entscheidungen in diesen Bereichen weiterhin bestimmt und gewinnträchtige Sparten unter den Einfluss des Königshauses und seiner Unternehmen und Stiftungen stellt. Das zumindest formal abgesicherte Regieren der staatlichen Institutionen wird dabei sukzessive durch informelles Vorgehen der Akteure des Makhzen ersetzt, welches keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Angesichts der drastischen Auswirkungen von Projekten wie El Guerdane setzt sich jedoch zumindest bei den Betroffenen die Ansicht durch, dass auch „Sid’na“ (unser Herr, respektvoller Name für den König) sich wenig um das Wohlergehen der Kleinbauern sorgt. Damit wird jedoch auch die Strategie des
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verstorbenen Königs Hassan II obsolet, durch die königstreuen Notablen auf dem Land eine Klasse zu schaffen, die einen Puffer zwischen den großen landwirtschaftlichen Betrieben und der Masse der Arbeitslosen auf dem Land bilden würde (Pascon 1986: 37). 71% der landwirtschaftlich genutzten Fläche Marokkos wird von Bauern beackert, die auf weniger als den für das Überleben notwendigen 5 Hektar anbauen. Ebendiese Gruppe der Landwirte ist jedoch durch die aktuellen Veränderungen der Liberalisierung und der Ressourcenknappheit besonders gefährdet. Die verschärfte Marginalisierung dieser Kleinbauern und das deutliche Auseinandergehen der sozialen Schere auf dem Land machen das Ziel, auf dem Land über eine folgsame untere Mittelklasse zu verfügen, zunehmend schwierig. Angesichts lokaler sozialer Proteste setzt der König einerseits auf seine Stiftungen, andererseits auf Kontrolle durch den überall präsenten Apparat des Innenministeriums und die Einbindung gesellschaftlicher Gruppen. Die in den vorangegangenen Kapiteln untersuchten Beispiele zeigen, dass den Institutionen und Akteuren der Wasserpolitik vom Makhzen eine Rolle im Produktions- und Verwaltungssystem zugewiesen wird, die zugleich eine Rolle im Herrschaftssystem darstellt. Dieser Logik entkommen auch nichtstaatliche Organisationen und neue, dezentrale oder partizipativ konzipierte Institutionen nur begrenzt. Allerdings führt dies umgekehrt dazu, dass Wasserfragen immer stärker politisiert werden und von Wassernutzern bis zu Entscheidungsträgern auf allen Ebenen auch direkt oder indirekt als Machtfragen debattiert werden. Dies wurde auch in den Interviews zu dieser Studie deutlich. Wasserverteilung und die Entscheidungsmacht in diesem Bereich sind zunehmend eine Frage von governance, sozialer Gerechtigkeit und Legitimität. Dies trifft umso mehr dort zu, wo willkürliche Machtausübung den Zugang zu Wasser auf lokaler Ebene bestimmt und so die Existenzgrundlage oder die Trinkwasserverfügbarkeit bedrohen kann. Die Folge sind Legitimitätsverlust der staatlichen Autoritäten und letztlich des Königs selbst, und eine zunehmende Politisierung der Wasserverteilung. Diese Politisierung kann sich auf zweierlei Weisen auswirken: Sie kann Kooperation fördern, da sich Nutzer zunehmend in Kollektiven zusammenschließen, um die Mittel zur Nutzbarmachung der Ressource zu optimieren und ihre Interessen besser zu vertreten. Auch die Forderung nach und die Aneignung von Entscheidungskompetenzen in diesem Bereich durch Wassernutzer, vor allem auf der lokalen Ebene, kann Kooperation fördern und neben dezentralisiertem Wassermanagement auch andere politische Entscheidungsprozesse verändern (vgl. Mathieu/Benali et al. 2001: 353 ff.). Auch Prozesse der Konflikttransformation können hierdurch in Gang gesetzt werden. Dies setzt jedoch zumindest eine minimale reelle Öffnung des politischen Systems voraus.
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Die Politisierung der Ressourcenverteilung kann bei Rigidität des politischen Systems und andauernder machtpolitischer Instrumentalisierung der Wasserfragen jedoch auch zu vermehrten Konflikten führen. Diese können, ausgehend von Forderungen im Wasserbereich, auch in weiterem Ausmaß die etablierten Verhältnisse und Entscheidungsprozesse in Frage stellen und zu Aufständen führen. Ein Beispiel einer solchen Eskalation ist die Erhöhung der Brot- und Getreidepreise, die im Jahr 2007 in der Stadt Sefrou zu mehrtägigen gewaltsamen Protesten geführt hat, bei denen mehrere staatliche Gebäude und Parteivertretungen beschädigt wurden. Im Jahr 2008 wurden in der Stadt Sidi Ifni unweit der Region Souss ähnliche gewaltsame Auseinandersetzungen beobachtet. Der König Marokkos hat sich selbst (wie in Kapitel 4 erläutert) die Rolle des Vermittlers zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen im Land zugeschrieben. Nutzt er seine dominierende Stellung in Politik und Wirtschaft jedoch nicht, um durchzusetzen, dass der staatliche Versorgungsauftrag wenigstens auf einem Mindestniveau eingehalten wird, werden die Interessensgruppen seiner Funktion als ausgleichendem Element nicht mehr vertrauen. Gerade angesichts der Herausforderung des Königs und der Regierung durch radikal-religiöse Gruppierungen und die Al Qaida im Islamischen Maghreb böte eine solche Entwicklung Destabilisierungspotentiale. Denn diese Gruppen stützen einen Großteil ihrer Legitimität auf eigene Netzwerke zur Sicherung sozialer Dienstleistungen und die Anprangerung unzureichender Regierungsführung (vgl. Kapitel 4.2). Eine rücksichtslose Privatisierung dieser Dienstleistungen und eine Verschärfung der Ungleichheit im Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Wasser und Land könnten daher zu einer weiteren Stärkung radikaler Oppositionspotentiale führen. Vor allem angesichts des geringen reellen Handlungsspielraums nichtmilitanter Opposition durch Parteien und die Zivilgesellschaft gelten diese militanten Gruppen in benachteiligten Stadtvierteln oder ländlichen Regionen als glaubwürdige Alternative.
8.2 Perspektiven für die Transformation von Wasserkonflikten Angesichts der zahlreichen unterschiedlichen Konflikte in der Forschungsregion und ihrer Komplexität, wäre sowohl eine Stärkung der Kapazitäten zur Konfliktbeilegung, als auch mittel- bis langfristig der Konflikttransformation notwendig. Die starke Einbettung des Wassermanagements in gesellschaftliche und politische Strukturen verdeutlicht die sozialen Funktionen der Konflikte um die Verteilung der Ressource. Hieraus ergibt sich wie erläutert eine hohe Komplexität der Konflikte, werden aber auch weitreichende Potentiale der Transformation und des gesellschaftlichen Wandels deutlich. Vor dem Hintergrund der empiri-
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schen Forschungsergebnisse und der analysierten Rahmenbedingungen müsste eine mögliche Transformation der Wasserkonflikte langfristig vor allem die im Folgenden erläuterten Dimensionen berücksichtigen.
8.2.1 Wasserkonflikte als soziales und politisches Phänomen Wie die Analyse im Souss-Tal gezeigt hat, werden Wasserkonflikte von den Parteien als Frage der sozialen Gerechtigkeit verstanden und gehen Verteilungsfragen zunehmend mit der Anzweifelung der politischen Legitimität einher. Eng damit verbunden sind die sozialen Beziehungen, die der Wasserverteilung zugrunde liegen und das Konfliktverhalten mitbestimmen. Die Landwirte, die gegen die politische Wasserverteilung und ihre eigene Marginalisierung im Produktionsprozess protestieren, schreiben sich damit in andere gesellschaftliche Forderungen ein. Bessere Verteilungsgerechtigkeit, höhere Transparenz der Entscheidungsprozesse und verstärkte Mitbestimmung sind auch Forderungen in anderen Teilen der Gesellschaft. Für eine Transformation von Wasserkonflikten ist deren inhärente soziale und politische Bedeutung deshalb fundamental. Sie erschwert Kompromisse, wenn symbolische Werte und soziale Stellungen ungenügend beachtet werden. Gleichzeitig kann sie für die Transformation nutzbar gemacht werden, wenn Änderungen im Wassermanagement mittelfristig soziale Gerechtigkeit verbessern und Entscheidungsprozesse transparenter und partizipativer gestalten. Darüber hinaus wird deutlich, dass erst die Bildung einer sozialen, und nicht bloß einer eher zufälligen geographischen Einheit (wie die AUEA) durch die Bauern im Souss-Tal ihnen ermöglichen kann, die Wasserressourcen als gemeinsames Gut zu betrachten und über Interessensdifferenzen diesbezüglich zu verhandeln. Die Interviews haben gezeigt, dass Wasserverteilungsfragen auf nationaler, wie auch auf regionaler und lokaler Ebene stark symbolisch aufgeladen sind. Gerade auch bei der Aushandlung von Kompromissen spielt dies neben den materiellen Verhandlungsgegenständen eine große Rolle. Wird dies bei der Konfliktschlichtung nicht berücksichtigt, besteht die Gefahr, dass Vereinbarungen nur formal angenommen, aber nicht implementiert werden. Aus diesem Grund können im Sinne der Konflikttransformation nur solche politischen Maßnahmen erfolgreich umgesetzt werden, die Zusammenhänge zwischen Wasserkonflikten und soziopolitischen Faktoren entsprechend berücksichtigen.
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8.2.2 Die Möglichkeiten der Interessensverhandlung Die empirischen Studien zeigen eine hohe Pluralität der Rechtsformen, der Autoritäten in der Konfliktvermittlung sowie der formellen und informellen Wege der Interessensvertretung und –aushandlung auf. Weder auf der horizontalen noch auf der vertikalen Ebene gibt es für die Konfliktparteien Rechtssicherheit, was die Mobilisierung informeller Mittel der Interessensvertretung noch erhöht. Darüber hinaus ist bei den Studien im Forschungsgebiet auffallend, dass die Mehrheit der Konflikte gar nicht gelöst wird, also weiterhin Eskalationspotentiale bestehen und sich möglicherweise verstärken. Eine Reform der Modalitäten der Interessensaushandlung erscheint in diesem Kontext notwendig, um eine gewaltfreie Auseinandersetzung über die konkreten Interessensdifferenzen zu ermöglichen, aber auch, um die tieferliegenden strukturellen Ungleichheiten aufzubrechen. Neben dem weiterhin großen Einfluss der sozialen und politischen Stellung steht vor allem die fehlende Unabhängigkeit und häufige Korruption der Gerichte einer einheitlichen Konfliktbearbeitung entgegen. Zumindest auf der lokalen Ebene muss der Ausbau der formellen Gerichtsbarkeit jedoch nicht der einzige Weg der Konfliktvermittlung sein. Vielmehr bestehen hier vor allem seitens der Kleinbauern und der ärmeren Bevölkerung so viele finanzielle, technische und emotionale Hindernisse, Gerichte einzuschalten, dass diese Praxis in der bestehenden Form wenig Erfolg versprechend scheint. Zu hoch sind die Kosten eines Prozesses, zu undurchsichtig die Prozeduren für die meist des Schreibens und Lesens Unkundigen, und stark die Überzeugung, dass der Justizapparat ohnehin nur den Mächtigen diene. Um langfristig Konflikttransformation zu fördern und die Verhandlung von Interessen vor einer Eskalation zu ermöglichen, sind auf lokaler Ebene vielmehr konsultative Strukturen notwendig. Die Erarbeitung gemeinsamer Ziele und Strategien auf kommunaler- oder Dorfebene, die Erleichterung des Zugangs zur Justiz für die Landbevölkerung, aber auch der Ausbau informeller Konfliktschlichtung durch anerkannte Autoritäten könnte die Chancen für eine Konflikttransformation verbessern. Zwei Schlüsselpunkte werden hierbei deutlich, ohne die diese Strategien kaum zu verwirklichen sind. Zum einen die Einrichtung lokaler Plattformen, welche die Kommunikation unter den (potentiellen) Konfliktparteien verbessern und sie zu Konsultationen zusammenbringen könnte. Die Aushandlung einheitlicher Formen der Konfliktaustragung und der –vermittlung ist ein zentrales Element der Herausbildung von Regelmechanismen und Strukturen sozialer Interaktion (Simmel 1908: 192), die eine Konflikttransformation ermöglichen. Zum anderen kann eine einheitliche Interessensverhandlung im Wassersektor auf lokaler Ebene nur verbessert werden, wenn die Einbindung und mögliche
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Sanktionierung der Eigentümer von Großfarmen umgesetzt wird. Denn höchstwahrscheinlich erst wenn auch sie, die den überwiegenden Anteil des Wassers nutzen, sich Restriktionen unterwerfen müssen, wären auch die Kleinbauern bereit, eigene Anstrengungen zum Ressourcenschutz und zur Konfliktprävention zu unternehmen.
8.2.3 Die Schlüsselrolle von Vermittlern auf der intermediären Ebene Die Analyse von Einzelkonflikten hat immer wieder gezeigt, dass vor allem bei denjenigen Wasserkonflikten Aussicht auf eine auch langfristige Beilegung besteht, bei denen einflussreiche Akteure zwischen der lokalen und der regionalen vereinzelt auch der nationalen - Ebene vermitteln. Die empirischen Studien weisen außerdem darauf hin, dass vor allem diejenigen Konflikte ungelöst bleiben, bei denen starke Machtungleichgewichte (z.B. Klein- versus Großbauer) oder unterschiedliche Entscheidungsebenen (lokale versus nationale) eine Rolle spielen. Gerade die vertikalen Konfliktlinien zwischen Individuen oder Institutionen bedürfen daher intermediärer Vermittlungsinstanzen. Bei Konflikten auf der lokalen Ebene oder innerhalb von Interessensgemeinschaften (z.B. Wassernutzerorganisationen) scheint die Vermittlung dagegen etwas erfolgreicher zu sein, da hier in stärkerem Maße gemeinsame Regeln, Normen und Autoritäten bestehen. Auch die gegenseitige Abhängigkeit ist hier ausgeprägter und damit die Notwendigkeit, sich zugunsten des sozialen Gleichgewichts auf Kompromisse einzulassen. Bezüglich der intermediären Personen oder Institutionen, die in vertikal verlaufenden Konflikten vermitteln, haben sich zwei Schlüsselfaktoren des Erfolgs abgezeichnet: die Legitimität dieser Personen in beiden Milieus und ihre vor allem immateriellen Ressourcen, wie Netzwerke und Allianzen. Letztere ermöglichen neben der Vermittlung auch die langfristige Begleitung der Umsetzung von Vereinbarungen. Dabei werden wie in Kapitel 4 erläutert komplexe Netzwerke von Gefälligkeiten und gegenseitigen Abhängigkeiten mobilisiert, ohne die eine reelle Verpflichtung der Akteure unwahrscheinlich erscheint. Dies verdeutlicht auch den begrenzten Handlungsspielraum externer Initiativen, die diese Schlüsselfunktion intermediärer Vermittler praktisch nicht ersetzen können. Um intermediäre Kommunikation zu stärken, sollten jedoch zunächst die Potentiale bestehender Institutionen untersucht werden. Im Rahmen der neuen Wassergesetzgebung etwa sind mehrere Plattformen der Konsultation geschaffen worden, die sich - vorausgesetzt, sie werden funktionsfähig - für eine solche Vermittlungsaufgabe anbieten würden. Ein weiteres Beispiel sind landesweite Vereinigungen der Zivilgesellschaft, die in bestimmten Fällen erfolgreich Inte-
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ressen vertreten können. Sie bieten zudem den Vorteil, aufgrund ihrer lokalen Organisationen das Vertrauen der dortigen Bevölkerung zu genießen. Die Proteste einiger Kleinbauern im Souss z.B. wurden teilweise von einer landesweiten Menschenrechtsorganisation aufgegriffen. Sie wurden auf diese Weise Teil einer weitaus breiteren Bewegung mit weiter gefassten gesellschaftlichen Forderungen und bekamen mehr politisches Gewicht und konkrete Unterstützung.
8.2.4 Günstige Zeitpunkte für neue Strategien Im Sinne der in Kapitel 2.3 erläuterten möglichen systemintegrativen Funktion von Konflikten können die Proteste gegen ungleichen Ressourcenzugang für eine Konflikttransformation sinnvoll sein. Gerade im Kontext des vorherrschenden Regelpluralismus und der Phase neuer Arrangements zwischen staatlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren kann die Artikulation von Konflikten die Herausbildung neuer Regelmechanismen begünstigen. Dies setzt jedoch, wie erwähnt, eine gewisse Offenheit des politischen und sozialen Systems sowie der entsprechenden Institutionen voraus. Hierzu gehört auch ein größerer politischer und finanzieller Handlungsspielraum der staatlichen Institutionen, der bisher von nationalen Entscheidungsträgern und Vertretern des Makhzen stark eingeschränkt wird. Die empirischen Forschungsarbeiten in der Region Souss haben allerdings gezeigt, dass mehrere Anzeichen auf einen günstigen Zeitpunkt für die Umsetzung von Strategien zur Konflikttransformation hindeuten. Zum einen ist die ökologische Situation derart dramatisch, dass sich ein Bewusstseinswandel zeigt, der die Umsetzung gruppenübergreifender Strategien begünstigt. Zum anderen bringen die Reformen im Wasserrecht und das Engagement der Wasserbeckenagentur einen neuen Handlungsspielraum. Positive Ansatzpunkte bieten die formale Gesetzgebung und die offiziellen Leitsätze der staatlichen Institutionen, wie des Landwirtschaftsministeriums oder der Wasserbeckenagenturen. Forderungen nach Innovationen können sich auf die dort zumindest formal bestehenden Grundsätze der Partizipation und der Dezentralisierung berufen. Auch zeigen einige konkrete Maßnahmen in der jüngsten Zeit den Willen staatlicher Institutionen zur Umsetzung ganzheitlicher Strategien zum Ressourcenschutz. Insbesondere die Aktivitäten der Wasserbeckenagentur im Souss-Massa zielen dabei auf eine Mobilisierung der unterschiedlichen Wassernutzer, von den Bauern bis zu den Tourismusinvestoren ab, um gemeinsame Wasserschutzstrategien umzusetzen und auch die Konsultation der Interessensvertreter zu verbessern. Initiativen wie die Wasserkaravane („la caravane de l’eau“), die im Herbst 2007 in der gesamten Region auf die Dringlichkeit des Wassermangels aufmerksam machte
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Lokale Wasserkonflikte als Spiegel nationaler Machtverhältnisse
und für Ressourcenschutz warben, oder die „nationale Wasserdebatte“ haben neue Dynamik in die Diskussionen gebracht. Weiter ist es durch die Umsetzung eines landesweit und vielleicht auch international einzigartigen Vertrags zum Schutz des Grundwassers („Contrat de Nappe“) gelungen, neben den Vertretern der staatlichen Institutionen und den Lokal- und Regionalpolitikern auch die Berufsvereinigungen der exportierenden Landwirte (ASPAM, ASPEM, APEFEL), die Landwirtschaftsbank, Forscher und lokale Vereine einzubinden (ABH-SM 2005a: e.Q.).
8.3 Weiterer Forschungsbedarf Diese Studie hat gezeigt, dass die Analyse lokaler Wasserkonflikte neben dem Verständnis der ökologischen Bedingungen auch umfassende Kenntnisse des soziopolitischen Kontextes voraussetzt. Für eine Weiterentwicklung dieser Perspektive sind zusätzliche empirische Studien, aber auch eine Vertiefung der konzeptionellen Ansätze und der methodischen Herangehensweisen erforderlich. Gerade im Hinblick auf die künftigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensbedingungen und die Wasserverfügbarkeit (vgl. auch Kapitel 1) könnten bessere Kenntnisse über die soziopolitischen Implikationen von Wasserknappheit ermöglichen, Konfliktprävention gezielt zu gestalten. Für die Einschätzung der soziopolitischen Auswirkungen von Wasserknappheit und die frühzeitige Erfassung von Konfliktpotentialen ist eine Weiterentwicklung bestehender Methoden notwendig. Denn bisher übliche Statistiken zur Erfassung der Knappheit, die die theoretische pro-Kopf-Verfügbarkeit auf der Landes- oder der Regionalebene berechnen, reichen hierfür nicht aus. Vielmehr bedarf es differenzierter Datenerhebungen, bei denen neben der reellen Verfügbarkeit des Wassers vor allem auch die unterschiedlichen Werte der Ressource (Quelle des Lebensunterhalts und der Produktion von Nahrungsmitteln in der Landwirtschaft, Hygiene- und Trinkwasserbedarf, symbolische und manchmal religiöse Bedeutung...) sowie die Kosten und Modalitäten ihrer Nutzbarmachung im Mittelpunkt stehen sollten. Bisher geschieht dies hauptsächlich sektor- oder regionalspezifisch, beispielsweise um die Aufteilung der Ressource zwischen der Landwirtschaft, den Haushalten und der Industrie zu bestimmen. Um die möglichen sozialen Implikationen zu analysieren, bedarf es jedoch vielmehr einer Erfassung auf der Dorf-, Kommunal- oder Haushaltsebene. Auch der Einschätzung von Kooperationspotentialen im Wassersektor und in anderen Bereichen sollte angesichts der drohenden Spannungen stärkere Beachtung zukommen.
Weiterer Forschungsbedarf
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Inhaltlich könnten weitere Studien zu diesem Thema beispielsweise die Analyse der einzelnen Akteursebenen noch erweitern. Ein wichtiger Faktor, der im Rahmen dieser Studie nur eingeschränkt erforscht werden konnte, ist etwa die Interessensverhandlung auf makropolitischer Ebene. Die Analyse der Beziehungen innerhalb und zwischen staatlichen Institutionen und Entscheidungsträgern etwa kann Erkenntnisse darüber liefern, warum bestimmte politische Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden oder nicht, oder welche strukturellen Konfliktursachen ggf. bestehen. Zusätzlich könnte der Kreis der Befragten geographisch und gruppenspezifisch erweitert werden, indem noch weitere Konfliktparteien als die hier befragten Bauern auch in die quantitativen Erhebungen einbezogen (z.B. Vertreter der Behörden, des Privatsektors oder von NGOs), oder auch indirekt von den Konflikten Betroffene berücksichtigt werden. Eine eingehendere Analyse der Geberpolitiken im Wassersektor und in angrenzenden Bereichen wäre bezüglich von Wasserkonflikten in Entwicklungsländern nützlich, um auch die Rolle dieser Akteure kritisch zu reflektieren und Handlungsoptionen einzuschätzen. Das Projekt ElGuerdane beispielsweise wurde lange vor seiner eigentlichen Umsetzung und ohne eine grundlegende Evaluation seiner Auswirkungen von der Weltbank hoch gelobt: “The Guerdane project is probably the best available case of a successful concession contract. (…) it looks like a promising irrigation concession contract in a developing country. This reference will be of prime importance for future projects, considering that several other governments are in a similar context of demand for irrigation investment and public budget constraints” (WB 2007: 83).
Derart voreilige Schlüsse können problematische Konsequenzen für andere Länder haben, in denen die Weltbank oder andere Geberinstitutionen PPP-Projekte im Bewässerungsbereich fördern. Sie zeigen zugleich auf, dass das eigentliche Ziel der auch sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung in der Praxis hinter den wohl übergeordneten Zielen der Förderung der Privatwirtschaft, der Liberalisierung der Landwirtschaftspolitik und der Beschränkung staatlicher Kontrolle in diesen Bereichen zurückbleibt. Darüber hinaus könnte in weiteren Fallstudien die Komplementarität traditioneller und staatlicher Institutionen in der Konfliktbearbeitung und im Wassermanagement und der Verlauf von Mediationsprozessen präziser erforscht werden. Hierbei könnten vor allem – entsprechende finanzielle und zeitliche Ressourcen vorausgesetzt – anthropologische oder ethnologische Forschungsansätze zu neuen Erkenntnissen beitragen. Daneben böten jedoch auch die Aktionsforschung und regelmäßige Workshops zur Konfliktanalyse und -bearbeitung zusätzliche Möglichkeiten.
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Lokale Wasserkonflikte als Spiegel nationaler Machtverhältnisse
Ein weiterer, bisher nur ungenügend erforschter Aspekt in diesem Kontext ist die Gestaltung von Partnerschaften in der Wasserversorgung, die hohe Konfliktpotentiale birgt. Komparative Fallstudien unterschiedlicher Erfahrungen der Kooperation zwischen dem Staat, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft bzw. Nutzergemeinschaften könnten eine systematische Evaluation bezüglich der Konflikt- und Kooperationspotentiale ermöglichen. Während hierzu für den urbanen Trinkwassersektor zahlreiche Untersuchungen vorliegen, sind die Vorund Nachteile unterschiedlicher Partnerschaften im Bewässerungssektor und auch im ländlichen Trinkwassersektor bisher erheblich weniger erforscht. Verfügbare Studien konzentrieren sich vor allem auf die ökonomische Effizienz und Rentabilität sowie die technische und administrative Machbarkeit der unterschiedlichen Wassermanagementoptionen durch staatliche Akteure, private Unternehmen oder Nutzergemeinschaften (Jones 1995; Darghout 2005; Tardieu/Préfol et al. 2005; Winpenny/Hall et al. 2006), nur wenige berücksichtigen dagegen auch die soziopolitischen Zusammenhänge und die Konfliktpotentiale (z.B. Mollinga/Bolding 2004; Molle/Berkoff 2007). Gerade Fälle wie das hier untersuchte Projekt El Guerdane, die von Geberinstitutionen und nationalen Entscheidungsträgern als Modellvorhaben gepriesen werden, und dennoch in der Realität zahlreiche Probleme bergen, böten bei einer systematischen Analyse der Auswirkungen die Gelegenheit, Erfahrungen für künftige Projekte nutzbar zu machen. Auf der Grundlage solcher komparativer Studien könnten dann dringend notwendige Leitlinien für eine sozialverträgliche und ökologisch nachhaltige Einbindung des Privatsektors in unterschiedliche Bereiche der Wassernutzbarmachung und –verteilung erarbeitet werden. Das Ziel des größtmöglichen Nutzens für die Einwohner aus der Kooperation oder Delegierung sollte dabei im Zentrum stehen. Wichtige Elemente sind weiter die Definition sozialer und wirtschaftlicher Rechte der von einer PPP betroffenen Bevölkerung und die klare Aufteilung der Pflichten und Risiken zwischen dem öffentlichen und dem privatwirtschaftlichen Sektor sowie der ggf. eingebundenen zivilgesellschaftlichen Organisationen.
9 Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten
Nachdem in Kapitel 7 die fallspezifischen lokalen Forschungsergebnisse vorgestellt wurden und in Kapitel 8 auf deren Bedeutung für die makropolitische Ebene eingegangen wurde, wird hier ein allgemeineres, auch auf andere Länder übertragbares Konzept zum Umgang mit Wasserkonflikten vorgeschlagen. Die Fallstudie ermöglicht eine Abstraktion der Erkenntnisse und ihre Überprüfung im Hinblick auf andere Kontexte und Länder. In Bezug auf die Machtverhältnisse beispielsweise sind die hier untersuchten Akteure zwar nicht mit denen in anderen Ländern identisch, jedoch können ähnliche Prozesse der strukturellen Marginalisierung und der Bildung soziopolitischer Eliten beobachtet werden. Auch das Gewicht lokaler traditioneller Strukturen und die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure kann in anderen Ländern unterschiedlich ausgeprägt sein, dies ist jedoch von Fall zu Fall zu überprüfen. Die Fallstudie ermöglicht insofern, den analytischen Blick für die im Kontext von Wasserknappheit potentiell relevanten Strukturen und Akteure zu schärfen und mögliche Interaktionen zwischen ökologischen und soziopolitischen Entwicklungen zu erkennen. Das in diesem Kapitel vorgestellte Konzept zur Analyse, Prävention und Transformation von Wasserkonflikten baut daher auf den Erkenntnissen der Fallstudie auf, bietet jedoch gleichzeitig genügend Flexibilität, um die lokalspezifische Bedeutung unterschiedlicher Faktoren zu berücksichtigen. Die drei Zielvorstellungen bieten hierbei eine Orientierung für die Entwicklung und Durchführung der jeweiligen vorgeschlagenen Maßnahmen, die dann in der Praxis lokalspezifisch ausgestaltet werden können.
9.1 Prävention von Wasserkonflikten verstärken Die Entwicklungen in den Bereichen Wassermanagements und Landwirtschaft, die in den vorangegangenen Kapiteln analysiert wurden, treten in dieser oder ähnlicher Form auch in vielen anderen Ländern auf: die Wasserknappheit, der Rückzug der staatlichen Institutionen und die Marktliberalisierung sowie die
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Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten
wachsende Rolle des Privatsektors und der Zivilgesellschaft. Gerade angesichts der Auswirkungen des Klimawandels und der wachsenden Defizite der Nahrungsproduktion steigen sowohl die Erwartungen an die bewässerte Landwirtschaft als auch die Gefahr, dass die Knappheit zu verstärkter Marginalisierung und Konflikten führt. Doch auch in der Trinkwasserversorgung machen sich einige dieser Tendenzen bemerkbar, so dass in beiden Bereichen eine spezifische konfliktsensible Gestaltung der Wasserpolitik für die Wahrung des sozialen Friedens und die Förderung von Entwicklung immer wichtiger wird. Darüber hinaus ist die Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor nach Angaben einer internen Evaluation der Weltbank von zahlreichen Problemen gekennzeichnet, darunter auch Konflikte, die die Umsetzung erschweren oder verteuern und die Effizienz der Projekte stark beeinträchtigen (Pitman 2002b: 41, 15 ff.). Diese Aspekte verdeutlichen die Notwendigkeit spezifischer Leitlinien zur Prävention und Transformation von Wasserkonflikten in Entwicklungsprojekten lokaler oder externer Institutionen. Wie in Kapitel 2 bezüglich des Forschungsstandes und in Kapitel 1.2.3 im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit erläutert wurde, bestehen hier bisher jedoch Defizite. Aus diesem Grund werden die in dieser Studie gewonnenen inhaltlichen und methodischen Erkenntnisse praxisrelevant aufbereitet. Die hier entwickelte und implementierte Methode hat sich für die Analyse von Konflikt- und Mediationspotentialen als tragfähig erwiesen und ist, unter Berücksichtigung der in Kapitel 8.3 formulierten Anmerkungen sowie der lokalspezifischen Eigenheiten, auch auf andere Fälle übertragbar. Gerade die deutsche EZ verfügt im Wassersektor über einen vergleichsweise hohen Handlungsspielraum, denn Deutschland ist weltweit der drittgrößte bilaterale Geber im Wassersektor und fördert jährlich bilaterale Maßnahmen in Höhe von rund 350 Millionen Euro (GTZ 2007: 12). Dieser Handlungsspielraum kann für eine konfliktsensible Gestaltung der Wasserpolitik vor allem auf innenpolitischer Ebene stärker als bisher gezielt genutzt werden. Um die politischen Handlungsoptionen zu verdeutlichen, fasst dieses abschließende Kapitel auf der Grundlage der Forschungsergebnisse die wesentlichen Elemente der Konflikttransformation im Wassersektor zusammen und formuliert Leitlinien für deren Umsetzung durch nationale Entscheidungsträger und die Entwicklungszusammenarbeit. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme von Simmel und Coser, die die mögliche sozialisierende Funktion von Konflikten betonen (Simmel 1908: 192; Coser 1956: 31; Stark 2005: 85). Sie betrachten, wie in Kapitel 2.3 erläutert, Konflikte als eine Form der sozialen Interaktion, die bestimmte Wechselwirkungen kristallisiert und zur Herausbildung neuer Strukturen führen kann. Wie das von Simmel so genannte Phänomen der „Vergesellschaftung“ (vgl. 2.3) zielt auch die Transformation von Wasserkonflikten langfristig auf eine Auseinandersetzung der Gesellschaft mit den Konfliktursachen
Prävention von Wasserkonflikten verstärken
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und den Interessensdifferenzen ab. Die konstruktive Austragung dieser Auseinandersetzungen kann zu strukturellen Innovationen führen, die durch Änderungen auf der Sach- und Beziehungsebene den Ausgleich von Interessen ermöglichen. Die Erkenntnisse dieser Forschungsarbeit weisen darauf hin, dass für eine Transformation von Wasserkonflikten vor allem folgende Zielvorstellungen wichtig sind: a. b. c.
Wasserpolitik als Faktor der (De-)Stabilisierung verstehen; Konfliktpotentiale erkennen, Transformation unterstützen; Konstruktiv mit Wasserkonflikten umgehen.
Diese drei Zielvorstellungen stellen die wesentlichen Bausteine eines mittel- bis langfristigen Prozesses zur kooperativen Aushandlung von Interessensdifferenzen im Kontext von Wasserressourcen dar. Sie beinhalten eine höhere Sensibilität nationaler und internationaler Entscheidungsträger für Wasserkonfliktpotentiale sowie gezielte Maßnahmen zur Überwindung struktureller Konfliktursachen und tragen so zur Prävention bei. Vor allem die sozialen und politischen Beziehungen im Kontext der Wasserverteilung eignen sich für Prozesse der Konflikttransformation: einerseits weisen sie ein hohes Destabilisierungspotential auf, welches weit über die Ressourcennutzung hinausgeht. Andererseits haben erfolgreiche Maßnahmen im Wassersektor jedoch auch ein hohes Stabilisierungspotential, weil sich Innovationen, der Ausgleich von Interessen und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts auf andere gesellschaftliche Bereiche auswirken können. Die Transformation von Wasserkonflikten im Sinne der drei genannten Zielvorstellungen ermöglicht es Gesellschaften, sich trotz steigender Konkurrenz um die Ressource durch Innovationen und gewaltfreie Interessensaushandlung an die erhöhte Wasserknappheit anzupassen. Dabei ist - aber nicht nur - die Anwendung bestimmter Instrumente hilfreich, wie sie beispielsweise im Rahmen der Ansätze des „Peace and Conflict Impact Assessment“ (vgl. z.B. Austin/Fischer et al. 2003) oder des „Do-no-harm“ (Anderson 1999) vorgeschlagen werden. Das Konzept der Konflikttransformation im Wassersektor bezieht darüber hinaus eine veränderte Wahrnehmung der Konfliktpotentiale, ihrer Ursachen und der Wasserpolitik selbst mit ein. Es beruht auf der Annahme, dass nur eine breite gesellschaftliche Basis mittelfristig einen veränderten Umgang mit der Ressource und den Konfliktpotentialen ihrer Nutzung bewirken kann. Die folgende Erläuterung der drei Zielvorstellungen bezieht sich auf Wasserprojekte in Ländern, die nicht in einen Krieg oder einen gewaltsamen Konflikt verwickelt sind. Bestehen andauernde gewaltsame Auseinandersetzungen oder
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Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten
ein internationaler Krieg, sind die Bedingungen der Projektimplementierung grundsätzlich anders und die folgenden Grundsätze bedürften einer spezifischen Anpassung. Im Zentrum stehen vielmehr Wasserkonflikte, die sich entweder nicht gewaltsam oder in lokal begrenzten gewaltsamen Auseinandersetzungen äußern.
9.2 Wasserpolitik als gesellschaftliche (De-) Stabilisierung verstehen Ein umfassendes Verständnis von Wasserpolitik beinhaltet einerseits die Berücksichtigung der unterschiedlichen von Wasserpolitik betroffenen Regionen, Naturräume, Lebensbereiche und Wirtschaftssektoren, deren Wechselwirkungen und Interessen abgewogen werden müssen. Dies betrifft vor allem unterschiedliche Entscheidungsträger auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene. Gleichzeitig beinhaltet dieser Aspekt aber auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Prioritäten und Zielen von Wasserpolitik und mit den Implikationen unterschiedlicher Optionen. Vor allem in Ländern, die unter erhöhter Knappheit der Ressource leiden, werden grundsätzliche politische Entscheidungen erforderlich, die sich nicht auf die Wasserverteilung begrenzen lassen. Vielmehr sind eine Umorientierung der Wirtschaft, eine klar definierte Rolle des Agrarsektors und eine konsequente Gestaltung der Nahrungssicherheit (sei es durch Eigenproduktion oder gesicherte Importe) erforderlich (vgl. Kapitel 1.1.3). Eine verbesserte Kohärenz der unterschiedlichen Politikbereiche kann dazu beitragen, negative Entwicklungen abzuschwächen. Einer regionalen Studie der Weltbank zufolge kann in Marokko beispielsweise eine gezielte Wasserpolitik helfen, die erheblichen Auswirkungen der wirtschaftlichen Liberalisierung auf viele Landwirte zu kompensieren (WB 2007b: 11). Auch bezüglich des Zusammenspiels zwischen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren müssen grundsätzliche Regeln gefunden werden. Derartige Reformen wirken sich jedoch auch auf die Ausbalancierung unterschiedlicher Interessen aus und bergen Konfliktpotentiale. Gerade im Wasserund Landwirtschaftssektor wirken sich Veränderungen vor allem in Entwicklungsländern sowohl direkt als auch indirekt auf die Einkommen und die Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung aus (vgl. auch Farrington/ Holmes et al. 2007: 4). Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen politischen Optionen, sowie klare Strategien und eine verbesserte Transparenz und Kommunikation in der Wasserpolitik können das Verständnis für erforderliche Umbrüche verbessern und ihre Implementierung erleichtern. Weiter können im Rahmen dieser Debatten auch mögliche Auswirkungen der Grundsatzentscheidungen im Voraus diskutiert und Begleitmaßnahmen verab-
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schiedet werden. Ein derart umfassendes Verständnis von Wasserpolitik bei Entscheidungsträgern und der Bevölkerung ist, vor allem in wasserknappen Ländern, eine wesentliche Voraussetzung für die Prävention und die Transformation von Wasserkonflikten. Wesentlich ist dabei, Wasserpolitik explizit als Faktor der sozialen Stabilisierung und potentiellen Destabilisierung zu begreifen, und nicht ausschließlich als Frage der technischen Regulierung oder des ökonomischen Kalküls. Zwar werden heute ökologische und sozio-ökonomische Faktoren des Wassermanagements in vielen nationalen und regionalen Wassermanagementstrategien und Landwirtschaftspolitiken berücksichtigt und ergänzen zunehmend die vormals dominierende technische Perspektive. Dennoch gelten Konfliktpotentiale und mit der Wasserverteilung verbundene Machtfragen zumeist weiterhin als Tabu und werden nur in sehr geringem Maße berücksichtigt. Die Umsetzung dieser ersten Zielvorstellung erfolgt in zwei Bereichen: (1) Der Abschätzung und Begleitung von Folgewirkungen nationaler und internationaler Veränderungen und (2) der Verbesserung der Umsetzung von Wasserpolitik auf der Makroebene.
9.2.1 Nationale und internationale Veränderungen begleiten Ein umfassendes Verständnis von Wasserpolitik soll ermöglichen, neben den Auswirkungen struktureller Veränderungen auf die Wasserverfügbarkeit auch mögliche Wechselwirkungen zwischen diesen Prozessen sowie bereits bestehenden Problemen zu identifizieren (vgl. auch Houdret 2008c). Strukturelle Veränderungen, die für Wasserkonfliktpotentiale relevant sind, sind gerade in wasserknappen Ländern vor allem der Klimawandel, die Implementierung der Freihandelsabkommen und der Rückzug staatlicher Institutionen aus der Land- und Wasserwirtschaft. Ein weiterer Faktor kann die Umsetzung internationaler Richtlinien sein, an die die Kreditvergabe externer Geber geknüpft ist, oder welche durch internationale EZ-Projekte implementiert werden. Wie die Untersuchungen im Rahmen dieser Studie gezeigt haben, kann die Umsetzung dieser Vorgaben ohne eine entsprechende Anpassung an den lokalen Kontext (wie hier die Implementierung des partizipativen Wassermanagements oder der öffentlich-privaten Partnerschaften) Konfliktpotentiale verstärken. Ein umfassendes Verständnis von Wasserpolitik kann dazu beitragen, dass bereits auf makropolitischer Ebene die Weichen für eine lokalspezifische Umsetzung solcher Richtlinien gestellt werden.
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Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten
Eine Analyse der gegenwärtigen und zukünftigen Prozesse in den genannten Bereichen ermöglicht es, die Auswirkungen auf unterschiedliche Sektoren, Regionen und Bevölkerungsgruppen besser einzuschätzen. Schlüsselfragen zur Erkennung von Konfliktpotentialen sind dabei insbesondere die Auswirkungen der o.g. Veränderungen auf
Die Wasserverfügbarkeit für unterschiedliche Sektoren; Die Kosten und Modalitäten der Wassernutzung für den Staat und die Endnutzer, inklusive der institutionellen Organisation der Wasserverteilung; Die nationale Agrarwirtschaft und die damit verbundenen Einkommensquellen; Die eigene Nahrungsproduktion und den Import von Nahrungsmitteln; Die Verteilung von Macht und Einfluss staatlicher, gesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Akteure.
Eine Analyse der Folgewirkungen sollte insbesondere bereits marginalisierte Bevölkerungsgruppen berücksichtigen. Die Einschätzung der zusätzlichen Vulnerabilität dieser Gruppen sowie spezifischer Risiken kann dann aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation, ihrer historischen Beziehungen zu anderen Bevölkerungsgruppen und zu dem Staat, und ihrer Einbindung in die politischen Entscheidungsstrukturen beurteilt werden. Wichtig erscheint in diesem Kontext auch, bereits bestehende Konfliktlinien, historische Rivalitäten oder Forderungen von Minderheiten zu berücksichtigen. Auf diese Weise können auch subjektive Einschätzungen von Bevölkerungsgruppen wie eine „empfundene Verteilungsungerechtigkeit“ erfasst werden. Denn unabhängig davon, ob diese Einschätzungen zutreffen oder nicht, können sie zur Mobilisierung von Gruppen entscheidend beitragen und z.B. bei Restriktionen durch Wasserknappheit Konfliktpotentiale verstärken. Zur Analyse dieser unterschiedlichen Trends bieten sich beispielsweise ein „Mapping“ der Faktoren und ihrer Auswirkungen sowie die Erarbeitung von Szenarien für die nahe und mittlere Zukunft an. Partizipative Methoden ermöglichen dabei die Identifizierung gruppenspezifischer Belange. Auf diese Weise können regionale oder thematische Schwerpunkte eingegrenzt werden und entsprechende Maßnahmen zur Flankierung der Veränderungen bzw. ihrer konstruktiven Gestaltung entwickelt werden.
Wasserpolitik als gesellschaftliche (De-) Stabilisierung verstehen
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9.2.2 Nationale Wasserpolitik konfliktsensibel gestalten Ein Verständnis der Wasserpolitik als Faktor soziopolitischer Destabilisierung und Stabilisierung erfordert auch die konfliktsensible Umsetzung von Maßnahmen auf der makropolitischen Ebene. Angesichts der großen Herausforderungen für den Wasser- und den Landwirtschaftsektor vieler Länder sind Grundsatzentscheidungen über wirtschaftliche und regionale Prioritäten der Ressourcennutzung unvermeidbar. Dabei besteht die Gefahr, dass einzelne Institutionen die Prozesse verlangsamen, weil sie ihre eigenen Interessen gefährdet sehen, oder dass sich Gruppen gegen Veränderungen mobilisieren, weil sie weder über die Gründe noch über mögliche Begleitmaßnahmen informiert wurden. Eine konfliktarme Umsetzung von Wasserpolitik und insbesondere von strukturellen Veränderungen hängt in hohem Maße von der Legitimität der Entscheidungsträger ab. Wie in anderen Politikbereichen sind hierfür vor allem die Einbeziehung der Bevölkerung, bzw. der Wassernutzer, und die Übernahme von Verantwortung durch die Entscheidungsträger wichtige Faktoren. Vorgehensweisen der Konfliktforschung, wie beispielsweise die Erarbeitung von Szenarien oder die Konfliktanalyse (siehe 9.3) können auch zur Verbesserung der Kooperation zwischen Institutionen auf der Makroebene angewendet werden. Für eine konfliktarme Umsetzung von Wasserpolitik auf der Makroebene sind vor allem folgende Aspekte relevant:
Klare Aufgaben- und Kompetenzverteilung der staatlichen Institutionen, entsprechende Regulierung bei der Einbeziehung zivilgesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Akteure; Adäquate Ausstattung führender Institutionen der Wasserpolitik mit finanziellen Mitteln und politischem Rückhalt; Verbesserte konfliktspezifische Kommunikation und Koordination der staatlichen Institutionen, bessere Dialogmöglichkeiten und eine verstärkte Definition gemeinsamer Interessen und Strategien; Verbesserte Datenerhebung und –kommunikation, insbesondere bezüglich möglicher sozialer Auswirkungen der Wasserpolitik; Klare Entscheidungen über Prioritäten der Wasserpolitik und angrenzender Politikfelder sowie entsprechende Strategien; Transparenz in den Entscheidungsprozessen und bei der Vermittlung wasserpolitischer Maßnahmen; Sensibilisierung der Öffentlichkeit und staatlicher Entscheidungsträger für Trends im Wasserbereich sowie mögliche Folgewirkungen und entsprechende Begleitmaßnahmen.
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Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten
9.3 Konfliktpotentiale erkennen, Transformation unterstützen Während die oben erläuterte erste Zielvorstellung vor allem die konfliktsensible Gestaltung der strukturellen Rahmenbedingungen nationaler Wasserpolitik betrifft, kommt diese zweite Zielvorstellung verstärkt auf der regionalen oder lokalen Ebene der Projektimplementierung zur Geltung. Im Rahmen von Projekten der EZ oder nationaler Institutionen im Wassersektor können unterschiedliche Konfliktpotentiale entstehen. Die frühzeitige Erkennung von Spannungen und ihrer Ursachen sowie die Unterstützung der Transformation können die Projektimplementierung verbessern bzw. erst ermöglichen und mittelfristig zur sozialen Stabilisierung beitragen. Im Wasserbereich können folgende Konfliktpotentiale unterschieden werden, die eine weite Bandbreite möglicher Austragungsformen beinhalten:
Direkte Konflikte, die unabhängig von einem Wasserprojekt entstehen, aber die Implementierung beeinflussen können (z.B. soziale, politische, ethnische o. a. Konflikte); Direkte Konflikte durch die Maßnahmen eines Wasserprojekts (insbesondere durch Nachfragemanagement und große Infrastrukturprojekte); Indirekte Konflikte durch die Verschärfung struktureller Ungleichheiten (z.B. von Einkommensdisparitäten); Indirekte Konflikte durch die Wechselwirkungen zwischen dem Wasservorhaben und anderen Maßnahmen.
Die Umsetzung dieser Zielvorstellung erfolgt in drei Bereichen: (1) der Analyse möglicher struktureller Konfliktpotentiale im Projektkontext, (2) der Einschätzung möglicher direkter Konflikte als Folge der Projektimplementierung und (3) der konfliktsensiblen Projektkonzeption und -evaluation.
9.3.1 Strukturelle Konfliktpotentiale erkennen Für eine Transformation der Konfliktursachen ist es notwendig, Konflikte im Projektkontext im Zusammenhang mit ihren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu erfassen und ihren politischen Charakter anzuerkennen. Wasserkonflikte lassen sich weder auf die technischen Verteilungsmodalitäten der Ressource noch auf die Kosteneffizienz dieser Optionen oder ihre ökologische Nachhaltigkeit reduzieren. Sie sind vielmehr das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen ökologischen, technischen sowie sozioökonomischen Entwicklungen und politischen Entscheidungen.
Konfliktpotentiale erkennen, Transformation unterstützen
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Wirken sich Wasserprojekte einerseits auf das politische und soziale Gefüge aus, so haben umgekehrt auch Maßnahmen in anderen Bereichen - z.B. der Wirtschaft oder der ländlichen Entwicklung - Einfluss auf den Umgang mit Wasser. Die Forschungsergebnisse dieser Studie bestätigen, dass strukturelle Ursachen lokaler Wasserkonflikte einerseits mit der Ressourcenaufteilung an sich, andererseits aber auch wesentlich mit den etablierten Regeln der gesellschaftlichen Organisation, den historischen Beziehungen zwischen Akteuren sowie mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der politischen Legitimität verknüpft sind. Strategien der Konflikttransformation, die diese Zusammenhänge zu stark abstrahieren und Interessensdifferenzen dadurch entpolitisieren, laufen Gefahr, die eigentlichen Konfliktursachen zu ignorieren und dadurch unwirksam zu sein (vgl. für andere Konflikte auch Jabri 2006: 73). In der Projektarbeit ist vielmehr eine explizite Thematisierung der Konfliktpotentiale und –ursachen, aber auch der Kooperationspotentiale notwendig. Dies bedeutet auch, dass die soziopolitischen Dimensionen technischer oder umweltpolitischer Maßnahmen im Wasserbereich stärker analysiert und berücksichtigt werden sollten. Technische Innovationen, wie die Studie am Beispiel der Einführung der sparsamen Bewässerungsmethoden in Marokko gezeigt hat, können zu Konflikten führen, wenn sie zentralistisch angeordnet werden, den lokalen Bedürfnissen nicht entsprechen und ihre Ziele und Umsetzungsmöglichkeiten unzureichend vermittelt werden. Dies kann zur Verstärkung bestehender Disparitäten führen, Auseinandersetzungen begünstigen und die effiziente Umsetzung der Innovation in Frage stellen. Eine Konfliktsensibilisierung der Verantwortlichen für die Planung, Umsetzung und Evaluation von Wasserprojekten würde es ermöglichen, Spannungen frühzeitig zu erkennen, Projekte zielgerichtet zu implementieren und zur Transformation von Konflikten beizutragen. Wichtig ist hier eine lokalspezifische Analyse der Konfliktursachen und –konstellationen, um eine richtige Einschätzung der Spannungen zwischen unterschiedlichen Beteiligten zu ermöglichen. Während vordergründig bei vielen Interessensdifferenzen der Zugang zu Wasser der Hauptkonfliktgegenstand sein mag, können die eigentlichen Konfliktursachen in anderen Zusammenhängen begründet sein und müssen entsprechend berücksichtigt werden. Denn die Mehrzahl der strukturellen Konfliktursachen ist nicht mit einem bestimmten Wasserprojekt verbunden, sondern geht vielmehr, wie oben erläutert, aus den Rahmenbedingungen der Intervention hervor. Dennoch kann das Projekt dazu beitragen, dass diese Ursachen verschärft werden, beispielsweise wenn Ressourcen neu aufgeteilt und bestehende Disparitäten verstärkt werden. Umgekehrt können in der Projektpraxis strukturelle Konfliktursachen zumindest teilweise berücksichtigt werden, indem beispielsweise vulnerable Gruppen im Wassermanagement, in der Projektarbeit und in Verhand-
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lungsprozessen gestärkt werden und die Projektdurchführung transparent gestaltet wird. Auch der Regelpluralismus, ein wichtiger Faktor der in dieser Studie untersuchten Wasserkonflikte, kann in der Projektarbeit vermieden werden. Im jeweiligen Projektkontext sollte jedoch eine realistische Einschätzung des häufig begrenzten Handlungsspielraums bezüglich der strukturellen Konfliktursachen erfolgen. Die soziopolitischen Realitäten vor Ort beispielsweise können, auch wenn sie für Externe eine wesentliche strukturelle Konfliktursache darstellen mögen, weder ignoriert noch vollständig auf den Kopf gestellt werden. Vielmehr ist hier eine sensible Balance zwischen der notwendigen Integration bestehender Strukturen und Persönlichkeiten und einer möglichen Veränderung von Machtungleichgewichten erforderlich.
9.3.2 Konflikte durch Wasserprojekte vermeiden Konfliktpotentiale, die direkt durch Maßnahmen eines Wasserprojekts ausgelöst werden, bieten einen größeren Handlungsspielraum für die Prävention, als strukturelle Konfliktursachen, die im sozialen und politischen System verwurzelt sind. In der Praxis vermischen sich diese unterschiedlichen Ursachen zwar, jedoch sind die Handlungsmöglichkeiten bei projetkspezifischen Konflikten konkreter. Eine der Projektimplementierung vorausgehende Analyse, welche die unterschiedlichen Kapazitäten, Disparitäten und möglicherweise vulnerable Teilgruppen innerhalb der Zielgruppe und darüber hinaus identifiziert, kann beispielsweise eine entsprechend differenzierte Umsetzung von Maßnahmen ermöglichen. Ein wesentlicher Faktor einer konfliktsensiblen Projektgestaltung ist die spezifische Zielgruppenanalyse, die die bestehende Marginalisierung von Gruppen sowie vorhandene Konfliktpotentiale berücksichtigt. Je nach Umfang des Wasserprojektes können bereits in der Phase des Projektdesigns unterschiedliche partizipative Methoden angewendet werden. Daten bezüglich ökologischer und sozioökonomischer Disparitäten sollten erfasst und zueinander in Bezug gesetzt werden, um konfliktanfällige Gruppen, Regionen oder Arbeitsbereiche zu identifizieren. Wie in Kapitel 3 erläutert, müssen dabei auch projektübergreifende Entwicklungen auf der regionalen, nationalen oder internationalen Ebene berücksichtigt werden, die die materiellen Lebensbedingungen und die soziopolitischen Prozesse auf der lokalen Ebene beeinflussen. Die Zugangsbedingungen zu natürlichen Ressourcen, alternativen Einkommensmöglichkeiten, Marktmechanismen, Infrastruktur und staatlichen Leistungen, sowie die Integration in politische Entscheidungsprozesse sind hier wichtige Aspekte.
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Wegen der häufig mangelnden Verfügbarkeit von Daten über konfliktrelevante Themen sollte eine lokalspezifische Erhebung erfolgen, die, wie in Kapitel 3 erläutert, quantitative und qualitative Ansätze kombiniert. Poulos und Pattanyak weisen darauf hin, dass Wasserprojekte häufig zahlreichen unterschiedlichen Kriterien gleichzeitig gerecht werden sollen (Kosteneffizienz, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit) und mit anderen Infrastrukturmaßnahmen zusammen implementiert werden (Poulos/Pattanayak et al. 2006: 25). Vor diesem Hintergrund ist eine sorgfältige Analyse der Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Projektkomponenten und die Identifizierung von möglicherweise konfliktiven Projektzielen wichtig. In Wasserprojekten bergen vor allem Maßnahmen des Nachfragemanagements (z.B. durch die Reduzierung der Wasserverfügbarkeit, die Erhöhung der Preise für die Bereitstellung oder die Veränderung der technischen Voraussetzungen) sowie institutionelle Innovationen (Frage der Legitimität bestehender und neuer Institutionen und Regeln) Konfliktpotentiale. Auch hier ermöglichen Vorstudien die frühzeitige Erkennung möglicher Spannungen und die Umsetzung ggf. notwendiger Kompensationsmaßnahmen. Die Einbeziehung lokaler Fachkräfte mit entsprechenden Regionalkenntnissen ist für die Vorstudien und die Implementierung von Wasserprojekten aufgrund der komplexen soziopolitischen Relevanz dieser Maßnahmen unverzichtbar. Direkte und indirekte Konfliktursachen können außerdem über partizipative Methoden analysiert und später bearbeitet werden. In der Konfliktforschung etablierte Verfahren wie das sog. conflict mapping, die Erarbeitung von Szenarien oder andere Methoden (vgl. z. B die Handbücher RTC 2000; Shamir/Kutner 2003; Conflictsensitivity 2004) können hier angepasst werden und helfen, gemeinsame Ziele und Strategien der Wassernutzer zu erarbeiten sowie strukturelle Konfliktursachen zu überwinden. Neben der Einbindung der Endnutzer ist auch die Integration der politischen Entscheidungsträger sinnvoll, allerdings sollte von Fall zu Fall eingeschätzt werden, zu welchem Zeitpunkt gemeinsame oder getrennte Treffen beider Gruppen erfolgen. Eine Einschätzung der Konfliktpotentiale im Wassersektor ist sowohl für die nationale Politik als auch für Organisationen der EZ relevant. Die hier angesprochenen Faktoren verdeutlichen, dass eine solche Einschätzung Elemente des Environmental Impact Assessment und des Social Assessment (vgl. z.B. GWP 2003) mit spezifischen konfliktrelevanten Aspekten kombinieren muss, um ein umfassendes Verständnis der Zusammenhänge zu erreichen. Hierbei zeichnen sich zwei Kernfragen ab, die vor, während und nach der Projektimplementierung von zentraler Bedeutung sind:
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b.
Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten Welche ökologischen, sozioökonomischen und politischen Disparitäten bestehen im Projektgebiet, und inwiefern sind diese direkt oder indirekt mit dem Wassersektor verbunden? Bestehen bereits Konflikte oder Spannungen? Wie verteilen sich die unterschiedlichen direkten und indirekten Kosten und Nutzen des Projekts auf die Bevölkerung und einzelne Gruppen, in welcher Beziehung stehen Kosten und Nutzen zu den in Punkt 1 identifizierten Disparitäten?
Anhand dieser Kernfragen können regional- bzw. projektspezifische Leitlinien ausgearbeitet werden, um eine präzisere Einschätzung der Konfliktpotentiale zu ermöglichen. Mögliche Schwerpunkte werden im Kapitel 9.4.2 näher ausgeführt.
9.3.3 Konfliktsensible Gestaltung öffentlich-privater Partnerschaften Eine besondere Bedeutung hinsichtlich von Konfliktpotentialen kommt der Umsetzung von öffentlich-privaten Partnerschaften im Wassersektor zu. Während dies im Trinkwasserbereich bereits zu zahlreichen Konflikten geführt hat, steht die Beteiligung privater Unternehmen im ländlichen Wassersektor derzeit noch am Anfang (Stand 2009). Eine rapide Ausweitung dieser Praxis ist jedoch angesichts der begrenzten Budgets vieler Regierungen, des hohen Investitionsbedarfs in die Bewässerungsinfrastruktur sowie in die Wassernutzbarmachung und den im Kontext der Knappheit zunehmenden ökonomischen Wert der Wasserressource zu erwarten. PPP im Bereich der landwirtschaftlichen Bewässerungsversorgung können unterschiedliche Formen annehmen, die von der Auslagerung einzelner Dienstleistungen an private Unternehmen bis hin zur Privatisierung der gesamten Versorgung und ggf. auch der Wassernutzbarmachung reichen. Wie die Untersuchungen des Pilotprojekts im Rahmen dieser Studie gezeigt haben, können durch solche Vorhaben zahlreiche Konfliktpotentiale entstehen. Um dies zu verhindern, können auch Lehren aus den Erfahrungen im Trinkwassersektor gezogen werden: Capacity-building der staatlichen Institutionen und die Verfügbarkeit von Krediten kann das Management verbessern und eine Delegierung erübrigen. Parlamentarische Kontrolle und juristische Beratung können helfen, die Formulierung von Delegierungsverträgen so zu gestalten, dass Kosten, Gewinnpotentiale und Risiken gerechter zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor aufgeteilt werden. Weiter sollten die zu erbringenden Leistungen im Infrastrukturbereich und in der Verteilung klar formuliert sowie durch Sanktionsmöglichkeiten abgesichert werden. Über diese Aspekte hinaus zeichnen sich jedoch bei PPP im Bewässerungsmanagement weitere Konfliktpotentia-
Konfliktpotentiale erkennen, Transformation unterstützen
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le ab, die wie im Fall El Guerdane deutlich wurde (vgl. auch 7.6), auch mit strukturellen Fehlern im Projektdesign und der Umsetzung zusammenhängen. Aus der Fallstudie El Guerdane können diesbezüglich mehrere Lehren gezogen werden. Der Fall El Guerdane macht deutlich, dass eine starke Dominanz eines einzelnen Konsortiums durch die Übernahme aller mit dem Projekt verbundenen Leistungen und Aufträge die Verhandlungen über konfliktive Themen erschwert. Technische und finanzielle Machbarkeitsstudien zu einer stärkeren Trennung der Projektkomponenten könnten derartige Monopole in PPP verhindern und mehrere Unternehmen oder staatliche Partner einbinden. Weiter bevorteilt eine ungleiche Aufteilung der finanziellen Risiken zwischen dem Unternehmen, dem Staat und den Wassernutzern meist den privatwirtschaftlichen Partner, während der öffentliche Partner nicht in die zu erwartenden Gewinne einbezogen wird. Umgekehrt werden finanzielle Risiken häufig dem Staat aufgebürdet. Notwendige Kompensationsleistungen des Staates an das private Unternehmen können jedoch zu Konflikten zwischen Institutionen führen oder aufgrund des Unverständnisses der Bevölkerung Auseinandersetzungen provozieren. Die Gewinnerwartung kann sich außerdem negativ auf die Preise auswirken, die sich nicht an den Zahlungskapazitäten der Wassernutzer sondern an den finanziellen Interessen der privaten Betreiber orientieren (vgl. für ein PPP im Trinkwassersektor Solanes 2008: 11 ff.). Zudem besteht gerade im Bewässerungssektor angesichts der großen Mengen genutzter Wasserressourcen die Gefahr, dass die ökologische Nachhaltigkeit eines PPP vernachlässigt wird bzw. lediglich für die Laufzeit der Delegierung einkalkuliert wird. Zieht sich das Unternehmen dann zurück, hinterlässt es übernutzte Ressourcen, die dem Staat und den Nutzern eine umso größere Bürde sind. Folgen der Übernutzung können z.B. die Desertifikation vormals fruchtbarer Böden und die Zerstörung von Einkommensmöglichkeiten und Lebensraum sein. Konfliktpotentiale bestehen durch diese Übernutzung während und nach der Projektlaufzeit. Auch in der Projektumsetzung können zahlreiche Konflikte auftreten, die unter anderem mit dem Bau und dem Betrieb der Infrastruktur zusammenhängen. In den meisten Fällen sind weder die Wassernutzer noch die gewählten Institutionen an den Entscheidungsprozessen vor und während der Implementierung eines PPP repräsentativ beteiligt. Eine stärkere Berücksichtigung dieser Akteure und eine Vereinheitlichung ihrer Einbeziehung würde helfen, Konfliktpotentiale frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zur Vermeidung einer Eskalation umzusetzen. Weitere Konflikte können während der Laufzeit des PPP-Projekts entstehen. Hier bedarf es der Entwicklung effizienter und repräsentativer Begleitausschüsse, die die Einhaltung der vereinbarten Standards beobachten und im Kon-
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Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten
fliktfall einschreiten können. Informationssysteme und Dialogforen können dazu beitragen, die Implementierung zu begleiten.
9.3.4 Konfliktsensible Projektkonzeption und -evaluation Ein letzter Aspekt dieser zweiten Zielvorstellung ist die Gestaltung einer konfliktsensiblen Projektevaluation. Bestehende Instrumente der Fortschrittskontrolle während der Intervention und bei der Evaluation nach ihrem Ende sollten einerseits Konfliktpotentiale im Projekt selbst berücksichtigen, andererseits aber auch auf mögliche darüber hinausgehende Spannungen eingehen. Der in Kapitel 6 und 7 untersuchte Fall des PPP-Vorhabens hat gezeigt, dass auch außerhalb des eigentlichen Interventionsgebietes erhebliche Konflikte verursacht werden können. Hinzu kommt eine immaterielle Komponente von Wasserprojekten, die ebenfalls für die Ausprägung von Konfliktpotentialen relevant sein kann. Partnerschaften mit Personen und Institutionen, Vorgehensweisen bezüglich der Einbindung unterschiedlicher Akteure oder auch die Auftragsvergabe im Rahmen des Projekts werden von dem jeweiligen sozialen und politischen Umfeld interpretiert. Das Verhalten der implementierenden Institutionen kann dadurch politische oder juristische Präzedenzfälle schaffen und kann konfliktive oder kooperative Dynamiken (mit-) auslösen. Insbesondere bei innovativen Ansätzen oder neuen Partnerschaften, wie im Fall der PPP, kann dadurch schnell eine vielleicht unbeabsichtigte Positionierung einer Geberinstitution oder eines staatlichen Akteurs erfolgen. Die Kommunikation der Projektziele und –maßnahmen und eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile von Partnerschaften können dazu beitragen, Missverständnisse und Konfliktpotentiale in diesem Kontext zu vermeiden. In der Evaluation sollten diese Aspekte ebenfalls berücksichtigt werden, weil sie auch für zukünftige Projekte eine wichtige Rolle spielen können - insbesondere wenn der jeweilige Geber in der gleichen Region oder im gleichen Sektor erneut tätig wird. Eine konfliktsensible Projektevaluation kann sich an den in Kapitel 9.4.2 formulierten Schlüsselfragen orientieren.
Konstruktiv mit Wasserkonflikten umgehen
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9.4 Konstruktiv mit Wasserkonflikten umgehen Die Modalitäten der Austragung von Interessensdifferenzen im Wasserbereich sind sehr unterschiedlich und reichen von Sabotage und Wasserdiebstahl über indirekte Konflikte und Spannungen bis hin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Konflikte sind bei der gemeinschaftlichen Nutzung natürlicher Ressourcen normal und treten gerade im Wassermanagement häufig auf. Eskalieren die Formen der Auseinandersetzungen jedoch, so kann ökologisch und sozial nachhaltiges Ressourcenmanagement nicht mehr gewährleistet werden und es besteht wie erwähnt die Gefahr einer Ausbreitung der Konflikte. Die Verankerung nichtgewaltsamer Austragungsformen spielt deshalb sowohl im Kontext eines bestimmten Konfliktes als auch im Hinblick auf die langfristige Stabilisierung des Umfeldes eine wichtige Rolle. Zu einer Änderung des Umgangs mit Wasserkonflikten gehören (1) eine Auseinandersetzung mit existierenden Konflikten und den Methoden der Austragung von Interessensdifferenzen und (2) die Identifizierung von Möglichkeiten zur konstruktiven Nutzung von Konflikten und die Verankerung veränderter Modalitäten der Konfliktaustragung bzw. –schlichtung.
9.4.1 Bewusstsein um Konflikte und Austragungsformen schärfen Für eine langfristige Transformation des Umgangs aller (auch der externen) Akteure mit Wasserkonflikten bedarf es zunächst einer Sensibilisierung bezüglich der üblichen Austragungsformen dieser Differenzen. Neben den Konfliktparteien selbst sollten hierbei auch die politischen Entscheidungsträger und das betroffene gesellschaftliche Umfeld eingebunden werden, da viele Akteure auch indirekt in Konflikte verwickelt sind und in der Gestaltung der Konfliktaustragung eine Rolle spielen. Hierbei erscheint es wichtig, neben den offensichtlichen, d.h. in den meisten Fällen bereits eskalierten Konflikten, auch indirekte Interessensdifferenzen und Auswirkungen der Konflikte zu thematisieren. Auch gewaltfrei ausgetragene Konflikte können beispielsweise, wenn sie nicht zu einem Interessensausgleich führen, soziale Beziehungen negativ beeinflussen und nachhaltige Wassernutzung erschweren. Auswirkungen können die Begünstigung indirekter Konflikte, die Sabotage der Wasserversorgung, die Marginalisierung von Gruppen oder Individuen, die Beeinträchtigung von Entwicklungschancen und die Eskalation gewaltsamer Auseinandersetzungen sein. Die Thematisierung von Konflikten ist in der Praxis häufig schwierig, da sie insbesondere von staatlichen Institutionen schnell als Zeichen der fehlenden Kontrolle oder des Scheiterns einer Politik empfunden werden oder weil sie mit
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Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten
bestimmten Machtinteressen verbunden sind, deren Offenlegung nicht erwünscht ist. In den Feldstudien hat sich jedoch gezeigt, dass schon eine Anpassung des Vokabulars hier mehr Handlungsspielraum eröffnet, wenn beispielsweise von „Schwierigkeiten“ anstatt von „Konflikten“ gesprochen wird. Auch eine Einbettung der Diskussion in den Zusammenhang offensichtlicher Probleme auch technischer Art kann helfen, einen Einstieg in das häufig tabuisierte Thema zu finden. Die Verdeutlichung von Folgewirkungen von Wasserkonflikten und die Veranschaulichung der Auswirkungen bestimmter Arten der Konfliktbearbeitung, beispielsweise in Form von Szenarien, können helfen, das Verständnis für notwendige Veränderungen zu verbessern. Zu einem späteren Zeitpunkt können Ergebnisse von Einzelerfahrungen mit Konfliktsituationen und Austragungsformen auch (ggf. anonymisiert) publik gemacht und debattiert werden. Auf diese Weise können Strukturen der Konfliktbearbeitung und ihre spezifischen Merkmale deutlich gemacht werden. Die Analyse und Diskussion der Verlaufsformen von Wasserkonflikten ermöglicht es, bestimmte Bedürfnisse nach Vermittlung in Konflikten präziser zu artikulieren und auch die Legitimität unterschiedlicher Mediatoren besser einzuschätzen. Denn Vermittler in Wasserkonflikten verfügen, wie die Forschungsergebnisse dieser Studie zeigen, jeweils über eine sehr unterschiedliche Legitimität und Konfliktlösungskapazität, die von der Konfliktkonstellation und der Einschätzung jeder Partei abhängt (vgl. Kapitel 7.5). Die empirischen Studien dieser Studie deuten weiter darauf hin, dass neben der Diskussion der Vor- und Nachteile existierender Konfliktregelungsmöglichkeiten auch eine Thematisierung des ggf. hohen Anteils nichtgelöster Konflikte notwendig sein und zur Verdeutlichung des Handlungsbedarfs beitragen kann.
9.4.2 Konstruktive Transformation von Konflikten verbessern In einem weiteren Schritt gehört zur Transformation des Umgangs mit Wasserkonflikten die eigentliche ‚Systeminnovation’ im Sinne von Coser und Simmel. Die diagnostizierten strukturellen Konfliktursachen sowie die Probleme der Konfliktbearbeitung werden dabei gezielt genutzt, um neue Möglichkeiten des Interessensausgleichs zu entwickeln und zu implementieren. Im Verlauf der Umsetzung von Wasserprojekten können beispielweise durch regelmäßiges Monitoring konstruktive Möglichkeiten der Konflikttransformation identifiziert und durch partizipative Methoden gemeinsame Ziele und Strategien zur Nutzung dieser Potentiale entwickelt werden. Einerseits können auf diese Weise Konflikte und Konfliktpotentiale genutzt werden, um gesellschaftliche Änderungen anzustoßen und umzusetzen. Andererseits bedürfen auch die Modalitäten der Konfliktaustra-
Konstruktiv mit Wasserkonflikten umgehen
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gung selbst einer Anpassung an neue Gegebenheiten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Interessensdifferenzen „verschwinden“. Vielmehr wird angestrebt, dass ihre offene Thematisierung und Analyse zu Veränderungen führt, die eine gewaltsame Austragung unnötig machen. Neue Institutionen und/oder Regeln und Sanktionsmöglichkeiten können hierzu beitragen. In der Konfliktbearbeitung spielen sowohl traditionelle als auch staatliche Institutionen eine Rolle. Um Regelpluralismus zu vermeiden und die Allgemeinverbindlichkeit der Konfliktbearbeitungsmechanismen zu verbessern bedarf es jedoch einer klaren Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen diesen Institutionen. Dabei ist es wichtig, dass Innovationen, die in bestehende soziale und politische Zusammenhänge eingreifen, nicht von diesen Strukturen vereinnahmt werden. Ansonsten laufen sie Gefahr, bestehende konfliktive Ordnung zu reproduzieren und zu stärken. Die Beispiele der unzureichend ausgestatteten und implementierten Dezentralisierung des Wassermanagements und auch die Einführung der Wassernutzergemeinschaften in Marokko haben dieses Risiko aufgezeigt. Durch inkomplette Innovationen wurden Konfliktursachen eher verstärkt und die Voraussetzungen für reelle Reformen verschlechtert. Die Aneignung des partizipativen Instruments der Wassernutzergruppen durch die dominierenden Akteure der bestehenden soziopolitischen Ordnung hat nicht nur der Ansatz ad absurdum geführt. Die „Innovation“ trug darüber hinaus dazu bei, bestehende funktionierende Institutionen zu schwächen und strukturelle Konfliktursachen zu verschärfen, indem ungleiche Machtverhältnisse mit neuer Legitimation weiter genährt wurden. Die Herausbildung veränderter Regelmechanismen sollte vielmehr problemspezifisch und durch die betroffenen Akteure selbst entworfen werden. Dabei sollten bestehende Machtungleichgewichte, damit sie sich nicht in der Innovation reproduzieren, soweit möglich durch eine gezielte Stärkung der Verhandlungsposition unterlegener Akteure berücksichtigt werden. Zur Stärkung legitimer Formen der Austragung von Wasserkonflikten kann auch eine Weiterentwicklung der formellen Institutionen notwendig sein. In Marokko zeigt sich beispielsweise, dass Konflikte um die Nutzung unterirdischer Wasserressourcen zum großen Teil auch deshalb nicht bearbeitet werden konnten, weil die Institutionen nicht über die finanziellen und menschlichen Ressourcen zur Feststellung der Vergehen verfügten. Darüber hinaus scheiterte die Verfolgung der Gesetzesverstöße häufig an der fehlenden Kompetenz der zuständigen Richter. Weiterbildung der Gerichte und Anwälte in wasserspezifischen Konfliktfragen, wie z.B. den technischen, finanziellen und ökologischen Rahmenbedingungen der Ressourcennutzung, kann zur Verbesserung der Konfliktbearbeitung beitragen. Schließlich hat diese Studie gezeigt, dass die Austragungsform von Konflikten im Wasserbereich auch von den Möglichkeiten der Kommunikation und der
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Handlungsoptionen zum Umgang mit Wasserkonflikten
Interaktion zwischen Akteuren und Institutionen abhängt. Sowohl auf horizontaler Ebene (z.B. zwischen Wassernutzern oder unterschiedlichen Ministerien) als auch auf vertikaler Ebene (z.B. zwischen lokalen Nutzern und regionalen oder nationalen Akteuren) können ein verbesserter Informationsaustausch und regelmäßige Dialoge zu einer besseren Abstimmung von Entscheidungen beitragen (vgl. auch Kapitel 8.3.2 und 8.3.3). In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass diesbezüglich bei vielen Akteuren eine hohe Skepsis besteht, die nur durch die Einbeziehung von intermediären Institutionen oder Persönlichkeiten überwunden werden kann. Die Identifizierung und Stärkung dieser von allen Beteiligten als legitim erachteten Vermittler ist deshalb von hoher Bedeutung. Die Umsetzung eines veränderten Umgangs mit Konfliktpotentialen durch die EZ bedarf eines Ansatzes, der die hier erläuterten drei Zielvorstellungen in den unterschiedlichen Phasen der Implementierung von Vorhaben berücksichtigt. Die folgenden Schlüsselfragen können die Einschätzung von Konfliktpotentialen ländlicher Projekte im Wassersektor verbessern und ein konfliktsensibles Design, die Implementierung sowie eine entsprechende Evaluation der Vorhaben leiten. Die Fragen sind hier für eine Einschätzung vor der Umsetzung von Vorhaben formuliert und können für eine Fortschrittskontrolle oder eine Evaluation entsprechend angepasst werden. 1.
Die Einschätzung bestehender Konfliktpotentiale
Welche Konflikte oder Spannungen bestehen bereits im Projektgebiet, inwiefern sind sie mit Wassermanagementfragen verbunden? Welche relevanten Veränderungen ökologischer, ökonomischer oder soziopolitischer Art können ausgemacht werden und welche Anpassungskapazitäten an mögliche negative Auswirkungen stehen Bevölkerungsgruppen zur Verfügung? Welche Rolle spielen externe Akteure im Projektgebiet (EZ, Staat, NGOs, Wirtschaft), welche Erfahrungen aus der lokalen und der externen Perspektive sind hier ggf. relevant? Inwiefern können sie die Projektdurchführung konstruktiv oder konfliktiv beeinflussen?
2.
Die Einschätzung bestehender Kooperationspotentiale
Wo kann funktionierende Zusammenarbeit zwischen Bevölkerungsgruppen ausgemacht werden? Welche sind die beteiligten Institutionen und inwiefern können Wasserprojekte diese gesellschaftlichen Netzwerke einbinden und unterstützen?
Konstruktiv mit Wasserkonflikten umgehen
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Wo gibt es intermediäre Institutionen, die zwischen Akteuren und/ oder Institutionen auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene vermittelnde Rollen spielen können?
3.
Die Einschätzung von Konfliktpotentialen durch Wasserprojekte
Welche Konfliktpotentiale können durch das Projekt entstehen, welche Gruppen könnten bevor- oder benachteiligt werden? Welche Aktivitäten werden in den einzelnen Projektphasen durchgeführt, und welche Auswirkungen haben sie auf die Individuen und Gruppen im Projektgebiet und darüber hinaus? Dabei sind Auswirkungen auf die Qualität, die Quantität und die Kosten der Wasserversorgung ebenso zu berücksichtigen wie Folgen für die Einkommen, die Nahrungsproduktion und die Infrastruktur.
4.
Die Einschätzung der Möglichkeiten im Umgang mit Konflikten
Welche politischen und ökologischen Grenzen und Verantwortlichkeiten überschneiden sich ggf. und können dadurch die Projektimplementierung erschweren? Welche Ansprechpartner sind hier im Konfliktfall wichtig? Wie werden auf der Projektebene und darüber hinaus üblicherweise soziale Konflikte ausgetragen, welche Vermittlungswege und –autoritäten existieren? Wie kann mit Konflikten im Projekt bzw. im Projektgebiet umgegangen werden? Welche vermittelnden Autoritäten oder Institutionen können ggf. hinzugezogen werden? Welche Autoritäten oder Institutionen können bereits in der Phase der Projektplanung mit einbezogen werden, entweder aufgrund ihrer Fachkompetenz oder aufgrund ihrer sozialen Stellung im Projektgebiet?
Fazit
Die Studie hat sich zum Ziel gesetzt, drei essentielle Forschungsfragen zur Entstehung von und zum Umgang mit Wasserkonflikten zu beantworten. Die erste Beantwortung der ersten Frage nach den strukturellen Ursachen von Wasserkonflikten hat gezeigt, dass sowohl die ökologischen Bedingungen der Ressourcenverknappung als auch die Rolle soziopolitischer und ökonomischer Einflussfaktoren berücksichtigt werden müssen. Kapitel 4, 5 und 6.1 weisen hierbei auf die hohe Bedeutung der historischen Entstehung der Interessensgeflechte und Machtallianzen hin. Die Untersuchungen in Südmarokko haben gezeigt, dass auch der aktuelle Elitenwandel – weg von traditionellen Autoritäten als Verbündeten des Königshauses und hin zu einer wirtschaftlichen königsnahen Elite – diese Strukturen nicht grundsätzlich verändern (vgl. 8.1.1). Gleichzeitig wird die strukturelle Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen heute in vielen ländlichen Regionen durch die zunehmende Wasserknappheit und andere, makropolitische Veränderungen massiv verstärkt. Dies kann die Entstehung teilweise gewaltsamer Wasserkonflikte insbesondere dann begünstigen, wenn keine bei allen Parteien legitimen Institutionen der Konfliktbearbeitung zur Verfügung stehen. Die Gefahr der gewaltsamen Eskalation von Wasserkonflikten ist auf lokaler Ebene am höchsten, da sich hier die Marginalisierungsprozesse am stärksten äußern und die Lebensbedingungen am direktesten von mangelndem Zugang zur Ressource bedroht sind. Aber auch auf anderen Ebenen treten Konflikte auf, beispielsweise zwischen Institutionen oder Entscheidungsträgern. Diese verlaufen zwar i.d.R. nicht gewaltsam, können aber dennoch die sozialen Beziehungen und die Funktionsfähigkeit der Institutionen stark beeinträchtigen. Auch die Bedeutung makropolitischer Veränderungen auf der nationalen und internationalen Ebene ist für die Erklärung struktureller Ursachen von Wasserkonflikten bedeutsam. Die Fallstudie Marokko hat aufgezeigt, dass die Entstehung von Wasserkonflikten durch Veränderungen auf folgenden drei Ebenen begünstigt werden kann:
Internationale Prozesse, wie die Implementierung internationaler Normen der Dezentralisierung und der Partizipation, aber auch die Umsetzung von Vereinbarungen, wie z.B. der Freihandelsabkommen.
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Fazit Prozesse auf der nationalen Ebene, wie die Begünstigung der Exportlandwirtschaft, die Gestaltung der Prioritäten in der Wasser- und Landwirtschaftspolitik oder der Rückzug staatlicher Institutionen und die Einbeziehung des Privatsektors. Lokale Prozesse, wie die Gestaltung und Veränderung der sozialen und politischen Machtverhältnisse, die Implementierung neuer (privatwirtschaftlicher, zivilgesellschaftlicher oder staatlicher) Projekte, die Veränderung der Grundbesitzverhältnisse und die Verbreitung technischer Innovationen, oder die ökologische Degradation.
Die empirischen Erhebungen haben auch zur zweiten Forschungsfrage zu Möglichkeiten der Mediation und Transformation von Wasserkonflikten aufschlussreiche Ergebnisse aufgezeigt. Es wurde beispielsweise deutlich, dass in vielen Konfliktfällen allgemeinverbindliche Instanzen der Konfliktregelung und der Interessensvertretung entweder nicht existieren oder zu schwach sind, um unabhängige und von allen Beteiligten respektierte Lösungen zu finden. Dies führt wiederum zu einer Verstärkung der informellen Allianzen und Vorgehensweisen. Während horizontale Konflikte zwischen ähnlichen Parteien noch in vielen Fällen durch von allen anerkannte Vermittler beigelegt werden können, bleibt die Mehrzahl der vertikalen Konflikte, die sich durch starke Machtungleichgewichte zwischen den Parteien auszeichnen, ungelöst. Dies hängt eng mit dem konstatierten Regelpluralismus zusammen (vgl. 8.1.3), in dem formelle und informelle Wege der Interessensvertretung und der Konfliktbearbeitung eng miteinander verwoben sind. Zudem zeigte sich, dass übergeordnete soziopolitische Machtverhältnisse nicht nur die Entstehung der Konflikte beeinflussen, sondern auch bezüglich der Legitimität von Mediatoren und der Perspektiven der Transformation eine große Rolle spielen (Kapitel 7.5, 8.1, 8.2). Für die Konfliktvermittlung und -transformation ergibt sich dadurch eine schwierige Balance: einerseits müssen etablierte Machtstrukturen respektiert werden, um legitime Vermittler zu mobilisieren, während andererseits eine langfristige Konflikttransformation nur durch eine Überwindung struktureller Machtungleichgewichte möglich ist. Vor diesem Hintergrund wird erneut deutlich, dass die Bildung übergreifender Koalitionen mit gemeinsamen Interessen ein Schlüsselfaktor für die Verwirklichung von Ressourcenschutz und für die Prävention von Wasserkonflikten ist. Die dritte Forschungsfrage nach der Entwicklung konkreter Analyse- und Handlungsoptionen wurde durch das hier angewandte Konzept der „Transformation von Wasserkonflikten“ beantwortet (vgl. Kapitel 3 und 9). Dieses ermöglichte einerseits die spezifische Analyse von Wasserkonflikten und eröffnete
Fazit
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andererseits den Blick für eine differenzierte Ausarbeitung der Reaktionsmöglichkeiten. Letztere reichen von der Überwindung struktureller Konfliktursachen über die Studie der Vermittlungsmöglichkeiten und geeigneter Institutionen bis hin zu makropolitischen Prozessen einer konfliktsensiblen Gestaltung der Landwirtschafts- und Wasserpolitik. Auf der Grundlage der Fallstudie konnten weiter allgemeinere Zielvorgaben für die Prävention und Transformation von Wasserkonflikten formuliert werden (vgl. Kapitel 9). Es hat sich gezeigt, dass die Erforschung von Wasserkonflikten methodisch und inhaltlich in hohem Maße von der „klassischen“ Konfliktforschung profitieren kann. Wenngleich für die Analyse von Ressourcenkonflikten bestimmte Anpassungen der Annahmen und der Instrumente der Konfliktforschung notwendig sind, so bestehen doch zahlreiche Gemeinsamkeiten, aufgrund derer ein verstärkter Austausch dieser beiden bisher eher getrennten Forschungszweige vielversprechend erscheint. Angesichts der Komplexität der Zusammenhänge von Wassermanagement wurden die vier folgenden wesentliche Herausforderungen deutlich, die die Durchführung dieser Studie mit geprägt haben und auch für weitere Studien in diesem Bereich relevant sind: Erstens erfordern die Vielzahl der von Wassermanagementfragen betroffenen Lebensbereiche und die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen dem gesellschaftlichen und dem ökologischen System eine gleichzeitig umfassende und doch fokussierte Herangehensweise an das Thema der Wasserkonflikte. Vor diesem Hintergrund stand die Analyse der für das Verständnis der Konfliktpotentiale notwendigen Faktoren im Mittelpunkt. Auf die Erörterung der genauen Wirkungsweise aller einzelnen Teilbereiche im Wassermanagement und in der Landwirtschaft (wie z.B. der unterschiedlichen technischen und agronomischen Optionen) wurde zugunsten der Beantwortung dieser übergeordneten Fragestellung bewusst verzichtet. Zweitens mussten Entwicklungen auf mehreren Ebenen (lokal, national, international) berücksichtigt werden, da ansonsten die Gefahr bestand, wesentliche Wirkungsfaktoren auszublenden. Hierbei hat sich der Fokus auf die lokalen Zusammenhänge unter Berücksichtigung der nationalen und internationalen Einflussfaktoren als geeignet herausgestellt. Drittens gestaltete sich vor Ort die Einschätzung der Konflikt- und Mediationspotentiale als schwierig, da eine objektive Erhebung diesbezüglich nicht möglich ist. Über die Erhebung der subjektiven Wahrnehmungen der Befragten gelang es jedoch, für die Konfliktdynamiken relevante Faktoren zu identifizieren (z.B. die eigene Betroffenheit von Konflikten und das Vertrauen in Mediatoren). Viertens wurde schon während der ersten Forschungsaufenthalte die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Entscheidung zwischen wenigen detaillierten
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Fazit
Einzelfallstudien, wie sie z.B. in der Anthropologie üblich sind, oder der Untersuchung übergreifender Prozesse deutlich. Um letzteres zu ermöglichen, ohne jedoch die Bedeutung der lokalspezifischen Interessenskonstellationen zu vernachlässigen, wurden schließlich sechs einzelne Konflikte eingehender untersucht und auf dieser Basis standardisierte Befragungen durchgeführt. Die so gewonnenen Erkenntnisse wiederum wurden anschließend in den größeren landesweiten (Kapitel 8) und landesübergreifenden (Kapitel 9) Zusammenhang gestellt. Diese Mehrebenen-Analyse ermöglichte neben dem verbesserten Verständnis der Wasserkonflikte weitergehende Erkenntnisse zu gesellschaftlichen Prozessen im Land. Denn die bezüglich des Wassermanagements identifizierten Probleme der Korruption, der mangelnden politischen Dezentralisierung und Liberalisierung, der Dominanz persönlicher Beziehungen über den Rechtsstaat und der Begünstigung von Eliten sind Trends, die sich auch in anderen Bereichen von Politik und Gesellschaft wiederfinden. Gleichzeitig zeigt die Analyse der Wasserkonflikte auch positive gesellschaftliche Entwicklungen auf, wie das zunehmende Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure und ihre wachsende Legitimität, die Innovationsfähigkeit von Kleinbauern bei der Suche nach alternativen Einkommensmöglichkeiten oder die wachsende Bedeutung von Genossenschaften, die den Bauern durch faire Produktions- und Absatzbedingungen eine Anpassung an die Wasserknappheit ermöglichen. Auch das steigende Bewusstsein und die zunehmende Offenheit politischer Entscheidungsträger gegenüber den erwähnten Problemen sind Anzeichen für positive strukturelle Veränderungen. Angesichts der Trends der weltweiten Wasserknappheit und des Klimawandels sowie der massiven Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen wird das Forschungsfeld der Wasserkonflikte auch in Zukunft weiterhin relevant sein. Die Forschung bedarf jedoch weiterer Anstrengungen, um die Dynamiken und Transformationsmöglichkeiten von Wasserkonflikten wissenschaftlich zu erkunden. Wie in Kapitel 8.3 erläutert sind hierfür zusätzliche empirische Studien notwendig, um die Erfahrungen mit Projekten zur Anpassung an die Wasserknappheit sowie mit der Delegation an zivilgesellschaftliche Organisationen und an die Privatwirtschaft hinsichtlich von Konfliktpotentialen und Entwicklungschancen zu evaluieren. Aber auch eine Vertiefung der konzeptionellen Ansätze und der methodischen Herangehensweisen ist notwendig, beispielsweise um Konfliktpotentiale frühzeitig zu erfassen, formelle und informelle Mediationsprozesse zu berücksichtigen und lokale Anpassungskapazitäten zu identifizieren.
Fazit
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Das Forschungsfeld Wasserkonflikte wird vor allem wegen der sich verschärfenden Rahmenbedingungen zunehmend dringlich. Neben den ökologischen Veränderungen wird vor allem auch die Umsetzung der Freihandelsabkommen in vielen Ländern die Produktion und die Vermarktung landeseigener Agrarprodukte erschweren und möglicherweise strukturelle Konfliktursachen verschärfen. Im landwirtschaftlichen Sektor wie auch in anderen Bereichen ist eine verstärkte Konkurrenz um den Ressourcenzugang zu erwarten, die in Kombination mit anderen Faktoren Konfliktpotentiale birgt. Gerade die zahlreichen soziopolitischen Implikationen des Ressourcenmanagements beinhalten das Risiko, dass Interessen im Wassersektor sich mit anderen Anliegen, wie z.B. sozialer Unzufriedenheit, überschneiden, und dass sich die Konflikte dadurch schnell ausbreiten. Die gewaltsamen Proteste gegen die Verteuerung der Nahrungsmittelpreise in vielen Ländern in den Jahren 2007 und 2008, aber auch gegen unzureichende und teure Trinkwasserversorgung, wie in Bolivien oder Algerien, zeigen, wie schnell der mangelnde Zugang zu lebensnotwendigen Gütern zu übergreifenden Unruhen führen kann. Vor diesem Hintergrund ist auch der Rückzug staatlicher Institutionen aus Schlüsselbereichen der Wasser- und Landwirtschaftspolitik kritisch zu beurteilen. Wie diese Studie aufgezeigt hat, kann der durch diesen Rückzug entstandene Handlungsspielraum sowohl von zivilgesellschaftlichen Initiativen als auch von privatwirtschaftlichen Unternehmen genutzt werden. Diesen beiden Optionen entsprechen jedoch jeweils spezifische Handlungslogiken, die sehr unterschiedliche Normen und Werte beinhalten und deshalb auch grundlegend andere Auswirkungen für die Gesellschaft haben. Die im Engagement des Privatsektors dominierenden Interessen, das hat das Beispiel des PPP El Guerdane gezeigt, sind dabei wenig geeignet, Entwicklungschancen und Verteilungsgerechtigkeit zu sichern. Sowohl angesichts der mittelfristigen ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen als auch in Anbetracht der erheblichen Konfliktpotentiale, die durch die einseitige Verwirklichung der Unternehmerinteressen entstehen können, ist eine verbesserte Kontrolle der Privatwirtschaft durch den Staat notwendig. Konfliktpotentiale von Wasserknappheit weiten sich, wie auch diese Studie gezeigt hat, auf viele Bereiche aus. Die Diskussion der sicherheitspolitischen Implikationen der Wasserknappheit sollte jedoch mit der notwendigen Differenzierung geführt werden. Denn zum einen sind wesentlich mehr Menschen durch unzureichende Trinkwasserversorgung gefährdet oder in ihren Entwicklungschancen durch ungenügende Wasserverfügbarkeit erheblich eingeschränkt, als durch gewaltsame Wasserkonflikte bedroht. Eine zu starke Fokussierung auf die Gewalt- Dimension birgt die Gefahr, die entwicklungspolitischen Probleme sowie nicht-gewaltsam eskalierte Wasserkonflikte in den Hintergrund zu drän-
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Fazit
gen. Zum anderen zeigen die empirischen Studien, dass vor allem die sozialen und politischen Rahmenbedingungen für einen gewaltsamen oder kooperativen Umgang mit Konfliktpotentialen entscheidend sind. Gerade den soziopolitischen Dimensionen des Wassermanagements und möglichen strukturellen Konfliktursachen sollte daher erhöhte politische Aufmerksamkeit gezollt werden. Wie hier am Beispiel Marokkos aufgezeigt wurde, wird der Umgang mit der Ressource vor allem in von Wasserknappheit betroffenen Ländern immer stärker zu einer Frage der politischen Legitimität und der Gewährung von Entwicklungschancen. Nicht die Auswirkungen der Wasserknappheit oder des Klimawandels an sich verursachen daher Konfliktpotentiale, sondern vielmehr die Art und Weise, wie sie lokalspezifisch mit bestimmten Rahmenbedingungen interagieren. Angesichts der steigenden Konfliktpotentiale und der Gefährdung der menschlichen Entwicklung durch die zunehmende Wasserknappheit ist ein veränderter Umgang mit diesem Phänomen dringend notwendig. Aus sicherheitspolitischer Perspektive vermögen einzig die Konzepte erweiterter und vor allem Menschlicher Sicherheit, der Komplexität von Wasserkonflikten entsprechende Lösungsansätze zu entwickeln. Doch auch aus entwicklungspolitischer Perspektive bedarf es einer veränderten Wahrnehmung der Wasserknappheit, die konfliktrelevante Aspekte stärker berücksichtigt. Fragen des Wassermanagements sollten deshalb stärker in den Zusammenhang mit anderen grundsätzlichen politischen Orientierungen über die Gestaltung von Entwicklung und Modernisierung gestellt werden. Die im Fall Marokkos aufgezeigten Schwierigkeiten erfordern ebenso in anderen Ländern prinzipielle Entscheidungen: inwiefern sind Wasserprojekte wie das hier analysierte PPP zu verantworten, wenn dadurch die Lebensgrundlage zahlreicher Menschen gefährdet wird, die finanziellen und ökonomischen Gewinne nur auf wenige Begünstigte verteilt werden, und die Umwelt weiter beschädigt wird? Welche Zukunft hat die Familienlandwirtschaft als Sicherung der ländlichen Einkommen und Entwicklung im Kontext der Freihandelsabkommen und der expliziten Förderung der Exportprodukte? Diese Fragen betreffen vor allem die makropolitische Ebene, wo nationale Entscheidungsträger und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit die Rahmenbedingungen in Anbetracht der zunehmenden Wasserknappheit konfliktsensibel gestalten müssen. Die in Kapitel 9 erläuterten Zielvorstellungen bieten hierfür erste Ansatzpunkte, die entsprechend der Arbeitsschwerpunkte und lokalen Charakteristika angepasst und ergänzt werden können.
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