Technische Mechanik, Bd.2 : Elastostatik [9., vollst. neu bearb. Aufl.] 354070762X [PDF]


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Table of contents :
Start......Page 1
Kapitel 1: Einführung......Page 9
Kapitel 2: Zug und Druck in Stäben......Page 45
Kapitel 3: Spannungszustand......Page 81
Kapitel 4: Verzerrungszustand, Elastizitätsgesetz......Page 108
Kapitel 5: Balkenbiegung......Page 126
Kapitel 6: Torsion......Page 212
Kapitel 7: Der Arbeitsbegriff in der Elektrostatik......Page 243
Kapitel 8: Knickung......Page 297
Kapitel 9: Verbundquerschnitte......Page 313
Anhang......Page 334
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Technische Mechanik, Bd.2 : Elastostatik [9., vollst. neu bearb. Aufl.]
 354070762X [PDF]

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Zitiervorschau

Springer-Lehrbuch

Prof. Dr.-Ing. Dietmar Gross studierte Angewandte Mechanik und promovierte an der Universität Rostock. Er habilitierte an der Universität Stuttgart und ist seit 1976 Professor für Mechanik an der TU Darmstadt. Seine Arbeitsgebiete sind unter anderen die Festkörper- und Strukturmechanik sowie die Bruchmechanik. Hierbei ist er auch mit der Modellierung mikromechanischer Prozesse befasst. Er ist Mitherausgeber mehrerer internationaler Fachzeitschriften sowie Autor zahlreicher Lehrund Fachbücher.

Prof. Dr. Werner Hauger studierte Angewandte Mathematik und Mechanik an der Universität Karlsruhe und promovierte an der Northwestern University in Evanston/Illinois. Er war mehrere Jahre in der Industrie tätig, hatte eine Professur an der Universität der Bundeswehr in Hamburg und wurde 1978 an die TU Darmstadt berufen. Sein Arbeitsgebiet ist die Festkörpermechanik mit den Schwerpunkten Stabilitätstheorie, Plastodynamik und Biomechanik. Er ist Autor von Lehrbüchern und Mitherausgeber internationaler Fachzeitschriften. Prof. Dr.-Ing. Jörg Schröder studierte Bauingenieurwesen, promovierte an der Universität Hannover und habilitierte an der Universität Stuttgart. Nach einer Professur für Mechanik an der TU Darmstadt ist er seit 2001 Professor für Mechanik an der Universität Duisburg-Essen. Seine Arbeitsgebiete sind unter anderem die theoretische und die computerorientierte Kontinuumsmechanik sowie die phänomenologische Materialtheorie mit Schwerpunkten auf der Formulierung anisotroper Materialgleichungen und der Weiterentwicklung der Finite-Elemente-Methode. Prof. Dr.-Ing. Wolfgang A. Wall studierte Bauingenieurwesen an der Universität Innsbruck und promovierte an der Universität Stuttgart. Seit 2003 leitet er den Lehrstuhl für Numerische Mechanik an der Fakultät Maschinenwesen der TU München. Seine Arbeitsgebiete sind unter anderem die numerische Strömungs- und Strukturmechanik. Schwerpunkte dabei sind gekoppelte Mehrfeld- und Mehrskalenprobleme mit Anwendungen, die sich von der Aeroelastik bis zur Biomechanik erstrecken.

Dietmar Gross · Werner Hauger Jörg Schröder · Wolfgang A. Wall

Technische Mechanik Band 2: Elastostatik 9., vollständig neu bearbeitete Auflage

Mit 140 Abbildungen

123

Prof. Dr.-Ing. Dietmar Gross Prof. Dr. Werner Hauger Prof. Dr. rer. nat. Dr.-Ing. E.h. Walter Schnell † Institut für Mechanik Technische Universität Darmstadt Hochschulstraße 1 64289 Darmstadt

Prof. Dr.-Ing. Jörg Schröder

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang A. Wall

Institut für Mechanik Universität Duisburg-Essen Campus Essen Universitätsstraße 15 45117 Essen

Lehrstuhl für Numerische Mechanik Technische Universität München Boltzmannstraße 15 85747 Garching

Bisher erschienen unter ,,Gross, Hauger, Schnell, Schröder: Technische Mechanik 2“ Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-540-70762-2 9. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 978-3-540-24312-0 8. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1985, 1989, 1990, 1992, 1995, 1998, 2002, 2005 und 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Satz: Reproduktionsfertige Vorlagen der Autoren Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Umschlaggestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier

SPIN: 11872917

7/3100/YL - 5 4 3 2 1 0

Vorwort Die Elastostatik setzt den ersten Band des mehrb¨andigen Lehrbuches der Technischen Mechanik fort. Sie besch¨ aftigt sich mit den Beanspruchungen und den Verformungen elastischer K¨orper. Das Buch ist aus Lehrveranstaltungen hervorgegangen, die von den Autoren f¨ ur Studierende aller Ingenieur-Fachrichtungen gehalten wurden. Der dargestellte Stoff orientiert sich im Inhalt an den Mechanikkursen, wie sie an deutschsprachigen Hochschulen abgehalten werden. Dabei wurde zugunsten einer ausf¨ uhrlichen Darstellung der Grundlagen auf die Behandlung mancher spezieller Probleme verzichtet. Auch dieser Band erfordert aktive Mitarbeit des Lesers, da die Mechanik nicht durch reines Literaturstudium zu erlernen ist. Eine sachgerechte Anwendung der wenigen Gesetzm¨aßigkeiten setzt nicht nur die Kenntnis der Theorie voraus, sondern erfordert auch ¨ Ubung. Letztere ist nur durch selbst¨ andiges Bearbeiten von Aufgaben zu erwerben. Die Beispiele in jedem Kapitel sollen hierf¨ ur eine Anleitung geben. Die freundliche Aufnahme, welche dieses Buch gefunden hat, macht eine Neuauflage erforderlich. Wir haben sie genutzt, um eine Reihe von Verbesserungen und Erg¨ anzungen vorzunehmen. Die Technische Mechanik 2 geht zu einem bedeutenden Anteil auf unseren verstorbenen Kollegen Prof. Dr. Dr.h.c. Walter Schnell zur¨ uck, der auch bis zur sechsten Auflage Mitautor war. Seine Handschrift ist in der vorliegenden Neuauflage trotz der ¨ Uberarbeitung immer noch deutlich zu erkennen. Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Frau Heike Herbst und Frau Veronika Jorisch, die mit großer Sorgfalt die Zeichnungen anfertigten. Wir danken auch dem Springer-Verlag f¨ ur das Eingehen auf unsere W¨ unsche und f¨ ur die ansprechende Ausstattung des Buches. Darmstadt, Essen und M¨ unchen, im Februar 2007

D. Gross W. Hauger J. Schr¨oder W.A. Wall

Inhaltsverzeichnis Einf¨ uhrung.................................................................

1

1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

Zug und Druck in St¨ aben Spannung......................................................... Dehnung .......................................................... Stoffgesetz ....................................................... Einzelstab ........................................................ Statisch bestimmte Stabsysteme............................. Statisch unbestimmte Stabsysteme ......................... Zusammenfassung ..............................................

7 13 14 18 28 33 40

2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 2.4

Spannungszustand Spannungsvektor und Spannungstensor .................... Ebener Spannungszustand .................................... Koordinatentransformation.................................... Hauptspannungen............................................... Mohrscher Spannungskreis .................................... D¨ unnwandiger Kessel .......................................... Gleichgewichtsbedingungen ................................... Zusammenfassung ..............................................

43 46 47 51 56 62 64 67

3 3.1 3.2 3.3 3.4

Verzerrungszustand, Elastizit¨ atsgesetz Verzerrungszustand ............................................. Elastizit¨atsgesetz................................................ Festigkeitshypothesen .......................................... Zusammenfassung ..............................................

71 76 83 86

4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.4

Balkenbiegung Einf¨ uhrung ....................................................... 89 Fl¨achentr¨agheitsmomente ..................................... 91 Definition ......................................................... 91 Parallelverschiebung der Bezugsachsen ..................... 98 Drehung des Bezugssystems, Haupttr¨agheitsmomente .. 100 Grundgleichungen der geraden Biegung .................... 107 Normalspannungen ............................................. 111

VIII

4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.6 4.6.1 4.6.2 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11

Biegelinie ......................................................... Differentialgleichung der Biegelinie .......................... Einfeldbalken..................................................... Balken mit mehreren Feldern ................................. Superposition .................................................... Einfluss des Schubes ........................................... Schubspannungen ............................................... Durchbiegung infolge Schub .................................. Schiefe Biegung ................................................. Biegung und Zug/Druck ...................................... Kern des Querschnitts ......................................... Temperaturbelastung........................................... Zusammenfassung ..............................................

115 115 118 128 132 142 142 152 154 162 166 168 172

5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Torsion Einf¨ uhrung ....................................................... Die kreiszylindrische Welle .................................... D¨ unnwandige geschlossene Profile........................... D¨ unnwandige offene Profile ................................... Zusammenfassung ..............................................

175 176 186 195 203

6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6

Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik Einleitung......................................................... Arbeitssatz und Form¨anderungsenergie ..................... Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte ............................ Einflusszahlen und Vertauschungss¨atze ..................... Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme .................................... Zusammenfassung ..............................................

7 7.1 7.2 7.3

Knickung Verzweigung einer Gleichgewichtslage ...................... 261 Der Euler-Stab .................................................. 264 Zusammenfassung .............................................. 274

8 8.1

Verbundquerschnitte Einleitung......................................................... 277

207 208 218 237 240 258

IX

8.2 8.3 8.4 8.5

Zug und Druck in St¨aben ..................................... Reine Biegung ................................................... Biegung und Zug/Druck ...................................... Zusammenfassung ..............................................

277 284 291 295

Englische Fachausdr¨ ucke .............................................. 297 Sachverzeichnis .......................................................... 305

Kapitel 1 Zug und Druck in St¨ aben

1

1 Zug und Druck in St¨ aben 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

Spannung......................................................... Dehnung .......................................................... Stoffgesetz ....................................................... Einzelstab ........................................................ Statisch bestimmte Stabsysteme ............................ Statisch unbestimmte Stabsysteme ......................... Zusammenfassung ..............................................

7 13 14 18 28 33 40

Lernziele: In der Elastostatik untersucht man die Beanspruchung und die Verformung von elastischen Tragwerken unter der Wirkung von Kr¨ aften. Wir wollen uns im ersten Kapitel nur mit dem einfachsten Bauteil – dem Stab – befassen. Zus¨ atzlich zu den aus Band 1 bekannten Gleichgewichtsbedingungen ben¨ otigt man zur L¨ osung dieser Probleme kinematische Beziehungen und das Elastizit¨ atsgesetz. Die kinematischen Beziehungen beschreiben die Geometrie der Verformung, w¨ahrend durch das Elastizit¨ atsgesetz das Materialverhalten ausgedr¨ uckt wird. Die Studierenden sollen bef¨ ahigt werden, diese Gleichungen sachgem¨ aß anzuwenden und mit ihrer Hilfe sowohl statisch bestimmte als auch statisch unbestimmte Stabsysteme zu behandeln.

1.1

Spannung

7

1.1

1.1 Spannung Wir betrachten einen geraden Stab mit konstanter Querschnittsfl¨ache A. Die Verbindungslinie der Schwerpunkte der Querschnittsfl¨ achen heißt Stabachse. Der Stab werde an seinen Enden durch die Kr¨ afte F belastet, deren gemeinsame Wirkungslinie die Stabachse ist (Abb. 1.1a). Die ¨außere Belastung verursacht innere Kr¨afte. Um sie bestimmen zu k¨ onnen, f¨ uhren wir in Gedanken einen Schnitt durch den Stab. Die in der Schnittfl¨ ache verteilten inneren Kr¨afte sind Fl¨ achenkr¨ afte und werden als Spannungen bezeichnet. Sie haben die Dimension Kraft pro Fl¨ ache und werden z.B. in der Einheit N/mm2 oder in der nach dem Mathematiker und Physiker Blaise Pascal (1623–1662) benannten Einheit 1 Pa = 1 N/m2 (1 MPa = 1 N/mm2 ) angegeben. Der Begriff der Spannungen wurde von Augustin Louis Cauchy (1789–1857) eingef¨ uhrt. W¨ahrend wir in der Statik starrer K¨ orper nur die Resultierende der inneren Kr¨ afte (= Stabkraft) verwendet haben, m¨ ussen wir uns in der Elastostatik nun mit den verteilten inneren Kr¨ aften (= Spannungen) selbst befassen. s F

F

s

a

σ b

F

c

N

A

s F

F

F

F

d

e

ϕ

τ σ ϕ

F

s

A A = cos ϕ ∗

στ

F

F

Abb. 1.1

Wir w¨ ahlen zun¨ achst einen zur Stabachse senkrechten Schnitt s − s. In der Schnittfl¨ ache wirken dann Spannungen, die wir mit σ bezeichnen (Abb. 1.1b). Wir nehmen an, dass sie senkrecht zur Schnittfl¨ ache stehen und gleichf¨ ormig verteilt sind. Weil sie normal zum Schnitt stehen, nennt man sie Normalspannungen. Nach Band 1, Abschnitt 7.1, lassen sie sich zur Normalkraft N zusam-

8

1 Zug und Druck in St¨aben

menfassen (Abb. 1.1c). Daher gilt N = σA, und die Gr¨oße von σ kann aus der Normalkraft bestimmt werden: σ=

N . A

(1.1)

Da im Beispiel die Normalkraft N im Stab gleich der ¨außeren Kraft F ist, wird aus (1.1) σ=

F . A

(1.2)

Im Falle einer positiven Normalkraft N (Zugstab) ist auch die Spannung σ positiv (Zugspannung); bei einer negativen Normalkraft (Druckstab) ist sie negativ (Druckspannung). Wir wollen nun den Schnitt durch einen Zugstab nicht senkrecht zur Stabachse f¨ uhren, sondern in einer nach Abb. 1.1d um den Winkel ϕ gedrehten Richtung. Die inneren Kr¨afte (Spannungen) wirken dann auf die Schnittfl¨ ache A∗ = A/ cos ϕ, wobei wir wieder annehmen, dass die Verteilung gleichf¨ ormig ist. Wir zerlegen die Spannungen in eine Komponente σ normal und eine Komponente τ tangential zur Schnittfl¨ ache (Abb. 1.1e). Die Normalkomponente σ ist die Normalspannung, die Tangentialkomponente τ heißt Schubspannung. Kr¨ aftegleichgewicht am linken Stabteil liefert →: ↑:

σA∗ cos ϕ + τ A∗ sin ϕ − F = 0 , σA∗ sin ϕ − τ A∗ cos ϕ = 0 .

Mit A∗ = A/ cos ϕ folgt daraus σ + τ tan ϕ =

F , A

σ tan ϕ − τ = 0 .

Wenn wir diese beiden Gleichungen nach σ und τ aufl¨osen, so erhalten wir zun¨ achst σ=

1 F , 2 1 + tan ϕ A

τ=

tan ϕ F . 1 + tan2 ϕ A

1.1

Spannung

9

Mit den trigonometrischen Umformungen 1 = cos2 ϕ , 1 + tan2 ϕ sin ϕ cos ϕ =

cos2 ϕ =

1 (1 + cos 2 ϕ) , 2

1 sin 2 ϕ 2

und der Abk¨ urzung σ0 = F/A (= Normalspannung in einem Schnitt senkrecht zur Stabachse) ergibt sich schließlich σ=

σ0 (1 + cos 2 ϕ) , 2

τ=

σ0 sin 2 ϕ . 2

(1.3)

Die Spannungen h¨angen somit von der Schnittrichtung ϕ ab. Bei Kenntnis von σ0 k¨ onnen σ und τ f¨ ur beliebige Schnitte aus (1.3) berechnet werden. Der Gr¨ oßtwert der Normalspannung tritt bei ur ϕ = π/4 ϕ = 0 auf: σmax = σ0 . Die Schubspannung erreicht f¨ ihr Maximum τmax = σ0 /2. Bei einem Schnitt s − s in der N¨ ahe eines Stabendes, an dem eine Einzelkraft F angreift (Abb. 1.2a), ist die Normalspannung nicht gleichm¨ aßig u ache verteilt: es kommt dort ¨ber die Schnittfl¨ zu Spannungsspitzen“ (Abb. 1.2b). Die Erfahrung zeigt jedoch, ” dass eine solche Spannungs¨ uberh¨ ohung auf die unmittelbare Umgebung des Angriffspunkts der Einzelkraft beschr¨ankt ist und mit zunehmendem Abstand vom Stabende sehr schnell abklingt (Prinzip von de Saint-Venant, Adh´emar Jean Claude Barr´e de SaintVenant (1797–1886)).

F

F

Abb. 1.2

F

a

s

s

s

s

F

σ

b

c

σ

F

F

Die gleichf¨ ormige Spannungsverteilung wird auch bei gelochten, gekerbten oder abgesetzten Querschnitten (allgemein: bei starker Querschnitts¨ anderung) gest¨ ort. Weist der Stab z.B. Kerben auf,

10

1 Zug und Druck in St¨aben

so tritt im Restquerschnitt (Schnitt s − s ) ebenfalls eine Spannungs¨ uberh¨ ohung auf (Abb. 1.2c). Die Ermittlung solcher Spannungsverteilungen ist mit der elementaren Theorie f¨ ur den Zugstab nicht m¨ oglich. Wenn der Querschnitt des Stabes l¨ angs der Stabachse nur schwach ver¨ anderlich ist, kann die Normalspannung in guter N¨aherung weiterhin aus (1.1) berechnet werden. Dann sind allerdings die Querschnittsfl¨ ache A und somit auch die Spannung σ vom Ort abh¨ angig. Wirken zus¨ atzlich zu den Einzelkr¨aften noch Volumenkr¨ afte in Richtung der Stabachse, so h¨ angt auch die Normalkraft N vom Ort ab. Mit einer in Richtung der Stabachse gez¨ahlten Koordinate x gilt dann bei ver¨ anderlichem Querschnitt: σ(x) =

N (x) . A(x)

(1.4)

Dabei wird auch hier angenommen, dass die Spannungsverteilung in einem beliebigen Querschnitt (fester Wert x) gleichf¨ormig ist. Bei statisch bestimmten Systemen kann man allein aus Gleichgewichtsbedingungen die Normalkraft N ermitteln. Wenn die Querschnittsfl¨ ache A gegeben ist, dann l¨ asst sich daraus nach (1.4) die Spannung σ bestimmen (statisch unbestimmte Systeme werden wir im Abschnitt 1.4 behandeln). In der Praxis ist es erforderlich, die Abmessungen von Bauteilen so zu w¨ ahlen, dass eine vorgegebene maximale Beanspruchung nicht u ¨ berschritten wird. Bei einem Stab bedeutet dies, dass der Betrag der Spannung σ nicht gr¨ oßer als eine zul¨assige Spannung σzul werden darf: |σ| ≤ σzul (bei manchen Werkstoffen sind die zul¨ assigen Spannungen f¨ ur Zug und Druck verschieden). Mit σ = N/A l¨ asst sich daraus bei gegebener Belastung N die erforderliche Querschnittsfl¨ ache Aerf =

|N | σzul

(1.5)

berechnen. Diese Aufgabe nennt man Dimensionierung. Wenn dagegen der Querschnitt A vorgegeben ist, so folgt aus |N | ≤ σzul A die zul¨ assige Belastung des Stabes.

1.1

Spannung

11

Es sei angemerkt, dass ein auf Druck beanspruchter, schlanker Stab durch Knicken versagen kann, bevor die Spannung einen unzul¨ assig großen Wert annimmt. Mit der Untersuchung von Knickproblemen wollen wir uns erst im Kapitel 7 besch¨aftigen. Beispiel 1.1 Ein konischer Stab (L¨ ange l) mit kreisf¨ormigem Quer-

B1.1

schnitt (Endradien r0 bzw. 2 r0 ) wird nach Abb. 1.3a durch eine Druckkraft F in der Stabachse belastet. Wie groß ist die Normalspannung σ in einem beliebigen Querschnitt bei einem Schnitt senkrecht zur Stabachse?

L¨ osung Wir f¨ uhren eine Koordinate x l¨ angs der Stabachse ein

(Abb. 1.3b). Dann wird r(x) = r0 +

 r0 x x = r0 1 + . l l

Mit der Querschnittsfl¨ ache A(x) = π r2 (x) und der konstanten Normalkraft N = −F erhalten wir nach (1.4) f¨ ur die Normalspannung σ =

N = A(x)

−F .  x 2 πr02 1 + l

Das Minuszeichen zeigt an, dass eine Druckspannung vorliegt. Ihr Betrag ist am linken Ende (x = 0) viermal so groß wie am rechten Ende (x = l). Beispiel 1.2 Ein Wasserturm mit Kreisringquerschnitt (H¨ ohe H,

Dichte ) tr¨ agt einen Beh¨ alter vom Gewicht G0 (Abb. 1.4a). Der Innenraum des Turms hat den konstanten Radius ri . Wie groß muss der Außenradius r gew¨ ahlt werden, damit bei Ber¨ ucksichtigung des Eigengewichts u ¨ berall die gleiche Druckspannung σ0 herrscht?

B1.2

12

1 Zug und Druck in St¨aben

G0

r(x) ri H r

1111111 0000000 0000000 1111111 a

x

A

ri dG σ0

dx σ0 A+dA

b

Abb. 1.4

L¨ osung Wir fassen den Wasserturm als Stab auf. Durch (1.4) ist

ein Zusammenhang zwischen Spannung, Normalkraft und Querschnittsfl¨ ache gegeben. Dabei ist hier die konstante Druckspannung σ = σ0 bekannt; die Normalkraft N (hier als Druckkraft positiv gez¨ ahlt) und die Querschnittsfl¨ ache A sind unbekannt. Eine zweite Gleichung erhalten wir aus dem Gleichgewicht. Wir z¨ ahlen die Koordinate x vom oberen Ende des Turms und betrachten ein Stabelement der L¨ ange dx (Abb. 1.4b). F¨ ur den Kreisringquerschnitt an der Stelle x gilt A = π(r2 − ri2 ) ,

(a)

wobei r = r(x) der gesuchte Außenradius ist. Die Normalkraft ist dort nach (1.4) durch N = σ0 A gegeben. An der Stelle x + dx haben die Querschnittsfl¨ ache bzw. die Normalkraft die Gr¨oßen A + dA bzw. N + dN = σ0 (A + dA). Das Gewicht des Elements betr¨ agt dG =  g dV , wobei das Volumen des Elements durch dV = A dx (bei Vernachl¨assigung von Termen h¨ oherer Ordnung) gegeben ist. Damit liefert das Kr¨aftegleichgewicht in vertikaler Richtung ↑: σ0 (A + dA) −  g dV − σ0 A = 0 → σ0 dA −  g A dx = 0 . Durch Trennen der Variablen und Integration ergibt sich daraus   gx g A gx dA = dx → ln = → A = A0 e σ0 . (b) A σ0 A0 σ0

1.2

Dehnung

13

Die Integrationskonstante A0 folgt aus der Bedingung, dass auch am oberen Ende des Turms (f¨ ur x = 0 ist N = G0 ) die Normalspannung gleich σ0 sein soll: G0 = σ0 A0



A0 =

G0 . σ0

(c)

Aus (a) bis (c) erh¨ alt man dann f¨ ur den Außenradius r2 (x) = ri2 +

G0 σg x e 0 . π σ0

1.2

1.2 Dehnung Nach den Spannungen wollen wir nun die Verformungen eines elastischen Stabes untersuchen. Hierzu betrachten wir zun¨achst einen Stab mit konstanter Querschnittsfl¨ ache, der im unbelasteten Zustand die L¨ ange l hat. Wenn an seinen Enden eine Zugkraft angreift, dann verl¨ angert er sich um ∆l (Abb. 1.5). Es ist zweckm¨ aßig, neben der Verl¨ angerung ∆l als Maß f¨ ur die Gr¨oße der Verformung außerdem das Verh¨ altnis von L¨ angen¨anderung zu Ausgangsl¨ ange einzuf¨ uhren: ε=

∆l . l

(1.6)

Die Gr¨ oße ε heißt Dehnung; sie ist dimensionslos. Wenn sich zum Beispiel ein Stab der L¨ ange l = 1 m um ∆l = 0, 5 mm verl¨angert, dann ist ε = 0, 5 · 10−3 ; dies ist eine Dehnung von 0,05%. Bei einer Verl¨ angerung (∆l > 0) ist die Dehnung positiv, bei einer Verk¨ urzung (∆l < 0) negativ. Wir werden im folgenden nur kleine Deformationen, d.h. |∆l|  l bzw. |ε|  1 betrachten. Die Definition (1.6) f¨ ur die Dehnung gilt nur dann, wenn ε u ¨ber die gesamte Stabl¨ange konstant ist. Hat ein Stab eine ver¨anderliche Querschnittsfl¨ ache oder wirken Volumenkr¨ afte l¨angs der Stab-

l Abb. 1.5

F

∆l F

14

1 Zug und Druck in St¨aben

dx

x

undeformierter Stab

u+du u deformierter Stab

dx+(u+du)−u

Abb. 1.6

achse, so kann die Dehnung vom Ort abh¨ angen. Man gelangt dann zu einer Definition der o rtlichen Dehnung, indem man statt des ¨ gesamten Stabes ein Stabelement betrachtet (Abb. 1.6). Das Element hat im unbelasteten Stab die L¨ ange dx. Seine linke Querschnittsfl¨ ache befindet sich an der Stelle x, seine rechte an der Stelle x + dx. Wenn wir den Stab deformieren, erfahren die Querschnitte Verschiebungen, die wir mit u bezeichnen. Sie h¨angen vom Ort x des Querschnitts ab: u = u(x). Verschiebt sich der linke Querschnitt des Stabelementes um u, dann verschiebt sich der rechte Querschnitt um u + du. Die L¨ ange des Elements betr¨agt im belasteten Stab dx+(u+du)−u = dx+du. Seine L¨angen¨anderung ist somit durch du gegeben. Das Verh¨ altnis der L¨angen¨anderung zur urspr¨ unglichen L¨ ange dx ist die ¨ ortliche Dehnung: ε(x) =

du . dx

(1.7)

Wenn die Verschiebung u(x) bekannt ist, dann kann die Dehnung ε(x) durch Differenzieren ermittelt werden. Ist dagegen ε(x) bekannt, so l¨ asst sich u(x) durch Integrieren bestimmen. Die Verschiebung u und die Dehnung ε beschreiben die Geometrie der Verformung. Man bezeichnet sie daher als kinematische Gr¨oßen; Gleichung (1.7) nennt man eine kinematische Beziehung. 1.3

1.3 Stoffgesetz Spannungen sind Kraftgr¨ oßen und ein Maß f¨ ur die Beanspruchung des Materials eines K¨ orpers. Dehnungen sind kinematische Gr¨ oßen und ein Maß f¨ ur die Verformung. Diese h¨angt allerdings

1.3

Stoffgesetz

15

von der auf den K¨ orper wirkenden Belastung ab. Demnach sind die Kraftgr¨ oßen und die kinematischen Gr¨ oßen miteinander verkn¨ upft. Die physikalische Beziehung zwischen ihnen heißt Stoffgesetz. Das Stoffgesetz ist abh¨ angig vom Werkstoff, aus dem der K¨orper besteht. Es kann nur mit Hilfe von Experimenten gewonnen werden. Ein wichtiges Experiment zur Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Spannung und Dehnung ist der Zug- bzw. der Druckversuch. Dabei wird ein Probestab in einer Pr¨ ufmaschine gedehnt bzw. gestaucht. Die von der Maschine auf den Stab ausge¨ ubte Kraft F ruft im Stab die Normalspannung σ = F/A hervor. Gleichzeitig ¨ andert sich die Meßl¨ ange l des Stabes. Aus der gemessenen L¨ angen¨ anderung ∆l kann die Dehnung ε = ∆l/l berechnet werden. Der Zusammenhang zwischen σ und ε wird in einem SpannungsDehnungs-Diagramm dargestellt. Abbildung 1.7 zeigt schematisch (nicht maßst¨ ablich) die in einem Zugversuch gewonnene Kurve f¨ ur einen Probestab aus Stahl. Man erkennt, dass zun¨achst Spannung und Dehnung proportional anwachsen. Dieser lineare Zusammenhang gilt bis zur Proportionalit¨atsgrenze σP . Wenn man die Spannung weiter erh¨ oht, dann w¨ achst die Dehnung u ¨ berproportional. Bei Erreichen der Fließspannung (Streckgrenze) σF nimmt die Dehnung bei praktisch gleichbleibender Spannung zu: der Werkstoff beginnt zu fließen (es sei angemerkt, dass viele Werkstoffe keine ausgepr¨ agte Streckgrenze besitzen). Anschließend steigt die σw = F Aw

σ

σ= F A

σF

Entlastung

σP A F Abb. 1.7

εpl

l

F

ε

16

1 Zug und Druck in St¨aben

Kurve wieder an, d.h. der Werkstoff kann eine weitere Belastung aufnehmen. Diesen Bereich bezeichnet man als Verfestigungsbereich. Man kann experimentell feststellen, dass bei der Verl¨angerung eines Stabes die Querschnittsfl¨ ache A abnimmt. Diesen Vorgang nennt man Querkontraktion. Bei hohen Spannungen verringert sich der Querschnitt des Probestabes nicht mehr gleichm¨aßig u ¨ ber die gesamte L¨ ange, sondern er beginnt sich einzuschn¨ uren. Dort beschreibt die auf den Ausgangsquerschnitt A bezogene Spannung σ = F/A die wirkliche Beanspruchung nicht mehr richtig. Man f¨ uhrt daher zweckm¨ aßig die auf die wirkliche Querschnittsfl¨ache Aw bezogene Spannung σw = F/Aw ein. Sie ist die wirkliche Spannung im eingeschn¨ urten Bereich. Man nennt σw auch die physikalische Spannung, w¨ ahrend σ die nominelle (konventionelle) Spannung heißt. Abbildung 1.7 zeigt beide Spannungen bis zum Bruch des Stabes. Wenn man einen Probestab bis zu einer Spannung σ < σF belastet und anschließend vollst¨ andig entlastet, so nimmt er seine urspr¨ ungliche L¨ ange wieder an: die Dehnung geht auf den Wert Null zur¨ uck. Dabei fallen die Belastungs- und die Entlastungskurve zusammen. Dieses Materialverhalten nennt man elastisch. Entsprechend heißt der Bereich σ ≤ σP linear-elastisch. Wird der Stab dagegen vor der Entlastung u ¨ber σF hinaus belastet, so verl¨ auft die Entlastungslinie parallel zur Geraden im linearelastischen Bereich, vgl. Abb. 1.7. Bei v¨ olliger Entlastung geht die Dehnung dann nicht auf Null zur¨ uck, sondern es bleibt eine plastische Dehnung εpl erhalten. Dieses Stoffverhalten heißt plastisch. Wir wollen uns im folgenden immer auf linear-elastisches Materialverhalten beschr¨ anken und dies kurz elastisch nennen (d.h. elastisch“ bedeutet im weiteren immer linear-elastisch“). Dann ” ” gilt zwischen Spannung und Dehnung der lineare Zusammenhang σ = Eε.

(1.8)

1.3

Stoffgesetz

17

Der Proportionalit¨ atsfaktor E heißt Elastizit¨atsmodul. Das Elastizit¨ atsgesetz (1.8) wird nach Robert Hooke (1635–1703) das Hookesche Gesetz genannt. Es sei angemerkt, dass Hooke das Gesetz noch nicht in der Form (1.8) angeben konnte, da der Spannungsbegriff erst 1822 von Augustin Louis Cauchy (1789–1857) eingef¨ uhrt wurde. Die Beziehung (1.8) gilt f¨ ur Zug und f¨ ur Druck (der Elastizit¨atsmodul ist f¨ ur Zug und f¨ ur Druck gleich). Damit (1.8) g¨ ultig ist, muss die Spannung unterhalb der Proportionalit¨atsgrenze σP bleiben, die f¨ ur Zug bzw. f¨ ur Druck verschieden sein kann. Der Elastizit¨ atsmodul E ist eine Materialkonstante, die mit Hilfe des Zugversuchs bestimmt werden kann. Seine Dimension ist (wie die einer Spannung) Kraft/Fl¨ ache; er wird z.B. in der Einur heit N/mm2 angegeben. In der Tabelle 1.1 sind Werte von E f¨ einige Werkstoffe bei Raumtemperatur zusammengestellt (diese Zahlenwerte sind nur Richtwerte, da der Elastizit¨atsmodul von der Zusammensetzung des Werkstoffs und der Temperatur abh¨angt). Eine Zug- bzw. eine Druckkraft erzeugt in einem Stab nach (1.8) eine Dehnung ε = σ/E .

(1.9)

L¨ angen¨ anderungen und damit Dehnungen werden allerdings nicht nur durch Kr¨ afte, sondern auch durch Temperatur¨anderungen hervorgerufen. Experimente zeigen, dass bei gleichf¨ormiger Erw¨armung eines Stabes die W¨ armedehnung εT proportional zur Temperatur¨ anderung ∆T ist: εT = αT ∆T .

(1.10)

Der Proportionalit¨ atsfaktor αT heißt thermischer Ausdehnungskoeffizient (W¨armeausdehnungskoeffizient). Er ist eine weitere Werkstoffkonstante und wird in der Einheit 1/◦ C angegeben. Einige Zahlenwerte sind in Tabelle 1.1 zusammengestellt. Falls die Temperatur¨ anderung nicht u ¨ ber die gesamte Stabl¨ange gleich ist, sondern vom Ort abh¨ angt, dann ergibt (1.10) die ¨ortliche Dehnung εT (x) = αT ∆T (x).

18

1 Zug und Druck in St¨aben

Tabelle 1.1 Werkstoffkennwerte

E in N/mm2

αT in 1/◦ C

Stahl

2,1·105

1,2·10−5

Aluminium

0,7·105

2,3·10−5

Beton

0,3·105

1,0·10−5

0,7... 1,6·105

2,2 ... 3,1·10−5

Gusseisen

1,0·10

5

0,9·10−5

Kupfer

1,2·105

1,6·10−5

Messing

1,0·105

1,8·10−5

Material

Holz (in Faserrichtung)

Wirkt sowohl eine Spannung σ als auch eine Temperatur¨ande¨ rung ∆T , so folgt die Gesamtdehnung ε durch Uberlagerung (Superposition) von (1.9) und (1.10) zu ε=

σ + αT ∆T . E

(1.11)

Diese Beziehung kann auch in der Form σ = E(ε − αT ∆T )

(1.12)

geschrieben werden. 1.4

1.4 Einzelstab Zur Ermittlung der Spannungen und der Verformungen eines Stabes stehen drei verschiedene Arten von Gleichungen zur Verf¨ ugung: die Gleichgewichtsbedingung, die kinematische Beziehung und das Elastizit¨ atsgesetz. Die Gleichgewichtsbedingung wird je nach Problemstellung am ganzen Stab, an einem Teilstab (vgl. Abschnitt 1.1) oder an einem Stabelement formuliert. Wir wollen sie nun f¨ ur ein Element angeben. Dazu betrachten wir einen Stab, der durch Einzelkr¨ afte an den Stabenden und durch Linienkr¨afte n = n(x) in Richtung der Stabachse belastet ist (Abb. 1.8a). Aus dem Stab,

1.4

Einzelstab

19

n dx n(x)

F1

x dx

a

F2

N +dN

N dx

l

b

x

x+dx

Abb. 1.8

der sich im Gleichgewicht befinden soll, denken wir uns ein Element nach Abb. 1.8b herausgeschnitten. An der Schnittstelle x wirkt die Normalkraft N , an der Stelle x + dx die Normalkraft N + dN . Aus dem Kr¨ aftegleichgewicht in Richtung der Stabachse →:

N + dN + n dx − N = 0

folgt die Gleichgewichtsbedingung dN +n = 0. dx

(1.13)

Verschwindet die Linienkraft (n ≡ 0), so ist demnach die Normalkraft konstant. Die kinematische Beziehung f¨ ur den Stab lautet nach (1.7) ε=

du , dx

w¨ahrend das Elastizit¨atsgesetz durch (1.11) gegeben ist: ε=

σ + αT ∆T . E

Wenn man in das Elastizit¨ atsgesetz die kinematische Beziehung und σ = N/A einsetzt, so erh¨ alt man N du = + αT ∆T . dx EA

(1.14)

Da diese Gleichung die Stabverschiebung u mit der Schnittkraft N verbindet, nennt man sie das Elastizit¨atsgesetz f¨ ur den Stab. Das Produkt EA aus Elastizit¨ atsmodul und Querschnittsfl¨ache wird als Dehnsteifigkeit bezeichnet. Die Gleichungen (1.13) und (1.14)

20

1 Zug und Druck in St¨aben

sind die Grundgleichungen f¨ ur den elastisch deformierbaren Stab. Die Verschiebung u eines Stabquerschnitts erh¨alt man durch Integration der Dehnung: 

du ε= dx



 du =

x ε dx



u(x) − u(0) =

ε d¯ x. 0

Die Stabverl¨ angerung ∆l folgt aus der Differenz der Verschiebungen an den Stabenden x = l und x = 0 zu l ∆l = u(l) − u(0) =

ε dx .

(1.15)

0

Mit ε = du/dx und (1.14) erh¨ alt man daraus l  ∆l =

N + αT ∆T EA

 dx .

(1.16)

0

Im Sonderfall eines Stabes mit konstanter Dehnsteifigkeit, der nur durch eine Einzelkraft F belastet wird (n ≡ 0, N = F ) und der eine gleichf¨ ormige Temperatur¨ anderung erf¨ ahrt (∆T = const), ergibt sich die L¨ angen¨ anderung zu ∆l =

Fl + αT ∆T l . EA

(1.17)

F¨ ur ∆T = 0 folgt ∆l =

Fl , EA

(1.18)

und f¨ ur F = 0 gilt ∆l = αT ∆T l .

(1.19)

Bei der Behandlung von konkreten Aufgaben muss man zwischen statisch bestimmten und statisch unbestimmten Problemen

1.4

Einzelstab

21

unterscheiden. Bei statisch bestimmten Problemen kann man immer mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingung aus der ¨außeren Belastung die Normalkraft N (x) bestimmen. Mit σ = N/A und dem Elastizit¨ atsgesetz ε = σ/E folgt daraus die Dehnung ε(x). Integration liefert dann die Verschiebung u(x) und die Stabverl¨angerung ∆l. Eine Temperatur¨ anderung verursacht bei statisch bestimmten Problemen nur W¨armedehnungen (keine zus¨atzlichen Spannungen). Bei statisch unbestimmten Problemen kann die Normalkraft dagegen nicht mehr allein aus der Gleichgewichtsbedingung bestimmt werden. Daher m¨ ussen zur L¨ osung der Aufgabe alle Gleichungen (Gleichgewicht, Kinematik, Elastizit¨ atsgesetz) gleichzeitig betrachtet werden. Eine Temperatur¨ anderung kann hier zus¨atzliche Spannungen verursachen; diese werden W¨armespannungen genannt. Wir wollen abschließend die Grundgleichungen f¨ ur den elastischen Stab zu einer einzigen Gleichung f¨ ur die Verschiebung u zusammenfassen. Dazu l¨ osen wir (1.14) nach N auf und setzen in (1.13) ein: (EA u ) = − n + (EA αT ∆T ) .

(1.20a)

Dabei sind Ableitungen nach x durch Striche gekennzeichnet. Die Differentialgleichung (1.20a) vereinfacht sich f¨ ur EA = const und ∆T = const zu EA u = − n .

(1.20b)

Wenn die Verl¨ aufe von EA, n und ∆T gegeben sind, kann die Verschiebung eines beliebigen Stabquerschnitts durch Integration von (1.20) ermittelt werden. Die dabei auftretenden Integrationskonstanten werden aus den Randbedingungen bestimmt. Ist zum Beispiel das eine Ende eines Stabes unverschieblich gelagert, so gilt dort u = 0. Wenn dagegen ein Ende des Stabes verschieblich ist und dort eine Kraft F0 angreift, dann lautet nach (1.14) mit N = F0 die Randbedingung u = F0 /EA + αT ∆T . Am unbelasteten Ende (F0 = 0) eines Stabes, der nicht erw¨ armt wird (∆T = 0), folgt daraus u = 0.

22

1 Zug und Druck in St¨aben

Wenn eine der in (1.20) auftretenden Gr¨ oßen u ¨ber die Stabl¨ange nicht stetig ist (z.B. Sprung im Querschnitt A), so muss man den Stab in Bereiche einteilen. Die Differentialgleichung (1.20) ist dann f¨ ur jeden Teilbereich zu l¨ osen; die Integrationskonstanten ¨ k¨ onnen in diesem Fall aus Rand- und aus Ubergangsbedingungen bestimmt werden.

111 000 N (x)

x l

G G∗= l−x G l

a

b

Abb. 1.9

Als Anwendungsbeispiel f¨ ur ein statisch bestimmtes System betrachten wir einen h¨ angenden Stab konstanter Querschnittsfl¨ache A unter der Wirkung seines Eigengewichts (Abb. 1.9a). Wir bestimmen zun¨ achst die Normalkraft im Stab. Dazu denken wir uns an der Stelle x einen Schnitt gelegt (Abb. 1.9b). Die Normalkraft N ist gleich dem Gewicht G∗ des Stabteils unterhalb der Schnittstelle. Dieses l¨ asst sich durch das Gesamtgewicht G ausdr¨ ucken: G∗ (x) = G(l − x)/l. Aus (1.4) folgt damit N (x) G x σ(x) = = 1− . A A l Die Spannung ist demnach linear u ¨ ber die L¨ange des Stabes verteilt und nimmt vom Wert σ(0) = G/A am oberen Ende auf den Wert σ(l) = 0 am unteren Ende ab. Aus (1.16) erhalten wir die Verl¨ angerung des Stabes: l ∆l = 0

G N dx = EA EA

l  0

1−

x 1 Gl dx = . l 2 EA

1.4

Einzelstab

23

Sie ist halb so groß wie die Verl¨ angerung eines gewichtslosen Stabes, der an seinem Ende durch eine Kraft G belastet wird. Wir k¨ onnen die Aufgabe auch durch Integration der Differentialgleichung (1.20b) f¨ ur die Stabverschiebung l¨osen. Mit der konstanten Streckenlast n = G/l folgt EA u = −

G , l

EA u = −

G x + C1 , l

EA u = −

G 2 x + C1 x + C2 . 2l

Die Integrationskonstanten C1 und C2 werden aus den Randbedingungen bestimmt. Am oberen Ende des Stabes verschwindet die Verschiebung: u(0) = 0. F¨ ur den spannungsfreien Querschnitt am unteren Ende gilt u (l) = 0. Daraus folgen C2 = 0 und C1 = G. Die Verschiebung und die Normalkraft sind damit bekannt:    x 1 Gl x x2 . u(x) = 2 − 2 , N (x) = EA u (x) = G 1 − 2 EA l l l Die Verl¨ angerung des Stabes ist wegen u(0) = 0 gleich der Verschiebung des unteren Stabendes: ∆l = u(l) =

1 Gl . 2 EA

Die Spannung erh¨ alt man zu N (x) G x σ(x) = = 1− . A A l Als Anwendungsbeispiel f¨ ur ein statisch unbestimmtes System betrachten wir einen abgesetzten Stab (Querschnittsfl¨achen A1 bzw. A2 ), der ohne Vorspannung zwischen zwei starren W¨anden gelagert ist (Abb. 1.10a). Gesucht sind die Lagerreaktionen, wenn der Stab im Bereich { gleichf¨ ormig um ∆T erw¨armt wird. Es treten zwei Lagerkr¨ afte auf (Abb. 1.10b). Zu ihrer Ermittlung steht nur eine Gleichgewichtsbedingung zur Verf¨ ugung: →:

B −C = 0.

24

1 Zug und Druck in St¨aben

B a

B

1 0 0 1

1 0 0 1 0 1

∆T

1

2

11 00 00 11

C

∆T l

l

c

1 0 0 1 1 0= 0 1 0 1 C

C

B b

"0"Ŧ System

+

∆T

01 1010

"1"Ŧ System

X Abb. 1.10

Daher m¨ ussen wir die Verformungen in die Rechnung einbeziehen. F¨ ur die L¨ angen¨ anderungen in den beiden Teilbereichen { und | gilt nach (1.16) mit der konstanten Normalkraft N = −B = −C: ∆l1 =

Nl + αT ∆T l , EA1

∆l2 =

Nl EA2

(der Stab wird im Bereich | nicht erw¨ armt). Der Stab ist zwischen starren W¨ anden eingespannt. Daher muss seine gesamte L¨ angen¨ anderung ∆l Null sein. Dies liefert die geometrische Bedingung ∆l = ∆l1 + ∆l2 = 0 . Eine solche Bedingung wird auch Vertr¨aglichkeitsbedingung (Kompatibilit¨atsbedingung) genannt. Einsetzen ergibt Nl EA1 A2 αT ∆T Nl + αT ∆T l + = 0 → B = C = −N = . EA1 EA2 A1 + A2 Wir k¨ onnen die Aufgabe auch auf folgende Weise l¨osen. In einem ersten Schritt erzeugen wir aus dem gegebenen, statisch unbestimmten System ein statisch bestimmtes System. Dies geschieht dadurch, dass wir eines der Lager, z.B. das Lager C, entfernen. Die Wirkung des Lagers auf den Stab ersetzen wir durch die noch unbekannte Lagerkraft C = X. Die Gr¨ oße X wird statisch Unbestimmte genannt. Nun werden zwei verschiedene Belastungsf¨alle betrachtet. Der Stab unter der gegebenen Belastung (Temperaturerh¨ohung im Bereich { ) heißt “0“-System (Abb. 1.10c). Durch die Temperaturangert sich im “0“-System der Stab im Bereich { ¨anderung verl¨

1.4

Einzelstab

25

(0)

um ∆l1 (reine W¨ armedehnung, Normalkraft N = 0), w¨ahrend (0) er im Bereich | seine L¨ ange beibeh¨ alt. Die Verschiebung uC des rechten Endpunktes des Stabes ist daher durch (0)

(0)

uC = ∆l1 = αT ∆T l gegeben. Im zweiten Lastfall wirkt auf den Stab nur die statisch Unbestimmte X. Dieses System nennt man “1“-System. F¨ ur die Verschiebung des rechten Endpunktes im “1“-System gilt (1)

(1)

(1)

uC = ∆l1 + ∆l2 = −

Xl Xl − . EA1 EA2

Im urspr¨ unglichen System wirken sowohl die gegebene Belastung als auch die Kraft X. Wir m¨ ussen daher die beiden Lastf¨alle u ¨ berlagern (Superposition). Die gesamte Verschiebung an der Stelle C folgt damit zu (0)

(1)

uC = uC + uC . Da aber die starre Wand im wirklichen System bei C keine Verschiebung erlaubt, muss die geometrische Bedingung uC = 0 erf¨ ullt sein. Aus ihr folgt durch Einsetzen die statisch Unbestimmte: αT ∆T l −

Xl Xl − =0 EA1 EA2



X=C=

EA1 A2 αT ∆T . A1 + A2

Gleichgewicht (vgl. Abb. 1.10b) liefert schließlich die zweite Lagerreaktion B = C. Beispiel 1.3 In einem Hohlzylinder aus Kupfer (Querschnittsfl¨ ache

atsmodul ECu ) befindet sich ein Vollzylinder gleiACu , Elastizit¨ cher L¨ ange aus Stahl (Querschnittsfl¨ ache ASt , Elastizit¨atsmodul ESt ). Beide Zylinder werden durch die Kraft F u ¨ ber eine starre Platte gestaucht (Abb. 1.11a).

B1.3

26

1 Zug und Druck in St¨aben

Wie groß sind die Spannungen in den Zylindern? Wie groß ist die Zusammendr¨ uckung? F

FCu

F

FSt

FSt St Cu

FCu

l

1111 0000 a

1111 0000 000 0000 111 1111 000 111 b

Abb. 1.11

L¨ osung Wir bezeichnen die Druckkr¨ afte auf den Kupfer- bzw. auf den Stahlzylinder mit FCu bzw. FSt (Abb. 1.11b). Dann liefert das Kr¨ aftegleichgewicht an der Platte

FCu + FSt = F .

(a)

Hieraus k¨ onnen die beiden unbekannten Kr¨afte nicht ermittelt werden: das System ist statisch unbestimmt. Eine zweite Gleichung erhalten wir, wenn wir die Verformung des Systems ber¨ ucksichtigen. Die Verk¨ urzungen der Zylinder (hier positiv gez¨ahlt) sind nach (1.18) durch ∆lCu =

FCu l , EACu

∆lSt =

FSt l EASt

(b)

gegeben. Dabei ist f¨ ur ECu ACu kurz EACu (= Dehnsteifigkeit des Kupferzylinders) gesetzt worden. Analog ist EASt die Dehnsteifigkeit des Stahlzylinders. Da die Platte starr ist, lautet die geometrische Bedingung c∆lCu = ∆lSt .

(c)

Au߬ osen von (a) bis (c) ergibt FCu =

EACu F, EACu + EASt

FSt =

EASt F. EACu + EASt

(d)

Daraus folgen nach (1.2) die Druckspannungen in den Zylindern:

1.4

σCu =

ECu F, EACu + EASt

σSt =

Einzelstab

27

ESt F. EACu + EASt

Durch Einsetzen von (d) in (b) erhalten wir schließlich die Zusammendr¨ uckung ∆lCu = ∆lSt =

Fl . EACu + EASt

¨ Beispiel 1.4 Uber einen Stahlbolzen { , der ein Gewinde mit der Gangh¨ ohe h tr¨ agt, wird eine Kupferh¨ ulse | der L¨ange l geschoben und durch eine Schraubenmutter ohne Vorspannung fixiert (Abb. 1.12a). Anschließend wird die Mutter um n Umdrehungen angezogen, und das System wird um ∆T erw¨ armt. Gegeben sind die Dehnsteifigkeiten und die W¨ armeausdehnungskoeffizienten f¨ ur den Bolzen und f¨ ur die H¨ ulse. Wie groß ist die Kraft im Bolzen? X nh 2

1

l

2

l−nh

X 1

X

Abb. 1.12

a

X

b

L¨ osung Wenn die Mutter angezogen wird, u ¨ bt sie eine Druckkraft

X auf die H¨ ulse aus, die sich dadurch verk¨ urzt. Die zugeh¨orige Gegenkraft wirkt u ¨ ber die Mutter auf den Bolzen und verl¨angert ihn. Wir legen diese Kr¨ afte durch Trennen von Bolzen und H¨ ulse frei (Abb. 1.12b). Die Kraft X kann aus Gleichgewichtsbedingungen allein nicht bestimmt werden. Das Problem ist daher statisch unbestimmt, und wir m¨ ussen die Verformungen ber¨ ucksichtigen. Die L¨ange des Bolzens im getrennten Zustand nach Anziehen der Mutter ist

B1.4

28

1 Zug und Druck in St¨aben

durch l1 = l − n h gegeben (Abb. 1.12b). F¨ ur seine Verl¨angerung erhalten wir daher bei einer Ber¨ ucksichtigung der W¨armedehnung ∆l1 =

X(l − n h) + αT 1 ∆T (l − n h) EA1

bzw. (wegen n h  l) ∆l1 =

Xl + αT 1 ∆T l . EA1

Die L¨ angen¨ anderung der H¨ ulse betr¨ agt mit l2 = l ∆l2 = −

Xl + αT 2 ∆T l . EA2

Da die L¨ angen von Bolzen und H¨ ulse nach der Verformung u ¨ bereinstimmen m¨ ussen, gilt die geometrische Bedingung l1 + ∆l1 = l2 + ∆l2



∆l1 − ∆l2 = l2 − l1 = n h .

Einsetzen liefert die gesuchte Kraft:   l l + X + (αT 1 − αT 2 )∆T l = n h EA1 EA2 →

1.5

X=

n h − (αT 1 − αT 2 )∆T l   . 1 1 + l EA1 EA2

1.5 Statisch bestimmte Stabsysteme Die Methoden zur Ermittlung von Spannungen und Verformungen beim Einzelstab k¨ onnen auf die Untersuchung von Stabsystemen u anken uns in diesem Abschnitt ¨bertragen werden. Wir beschr¨ auf statisch bestimmte Systeme. Bei ihnen k¨onnen zun¨achst aus den Gleichgewichtsbedingungen die Stabkr¨ afte ermittelt werden. Anschließend lassen sich die Spannungen in den St¨aben und die L¨ angen¨ anderungen bestimmen. Aus den L¨ angen¨anderungen folgen dann die Verschiebungen einzelner Knoten des Systems. Da

1.5

Statisch bestimmte Stabsysteme

29

wir voraussetzen, dass die L¨ angen¨ anderungen der St¨abe klein im Vergleich zu ihren L¨ angen sind, d¨ urfen wir die Gleichgewichtsbedingungen am unverformten System aufstellen. Wie man dabei vorgeht, sei am Beispiel des Stabzweischlags nach Abb. 1.13a dargestellt. Beide St¨ abe haben die gleiche Dehnsteifigkeit EA. Gesucht ist die Verschiebung des Knotens C, wenn dort eine vertikale Kraft F angreift. Wir bestimmen zun¨achst die Stabkr¨ afte S1 und S2 . Sie folgen aus den Gleichgewichtsbedingungen (Abb. 1.13b) ↑:

S2 sin α − F = 0

←:

S1 + S2 cos α = 0



S1 = −

F , tan α

S2 =

F . sin α

Nach (1.17) sind dann die L¨ angen¨ anderungen der St¨abe durch ∆l1 =

Fl 1 S1 l 1 =− , EA EA tan α

∆l2 =

Fl 1 S2 l 2 = EA EA sin α cos α

gegeben. Der Stab 1 wird k¨ urzer (Druckstab), der Stab 2 verl¨angert sich (Zugstab). Die neue Lage C des Knotens C ergibt sich ¨ durch folgende Uberlegung: durch gedankliches L¨osen der Ver-

11 00 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11

B

A

2

S2 α

α

C

1

F l

a

C

S1 F

b

2 α

∆l1 C

1

2

C 1

∆l1

α ∆l2

v Abb. 1.13

c

C

d

C

u

∆l2

30

1 Zug und Druck in St¨aben

bindung in C machen wir das System beweglich. Dann k¨onnen sich die St¨ abe 1 bzw. 2 um die Punkte A bzw. B drehen. Die Endpunkte der St¨ abe bewegen sich dabei auf Kreisbogen, deren Radien die L¨ angen l1 + ∆l1 bzw. l2 + ∆l2 haben. Der Punkt C liegt im Schnittpunkt dieser Kreisbogen (Abb. 1.13c). Die L¨ angen¨ anderungen der St¨ abe sind sehr klein im Vergleich zu den Stabl¨ angen. Daher kann man mit guter N¨aherung die Kreisbogen durch ihre Tangenten ersetzen. Dies f¨ uhrt auf den Verschieablicher Zeichnung des Verbungsplan nach Abb. 1.13d. Bei maßst¨ schiebungsplans kann die Verschiebung des Knotens C abgelesen werden. Wenn wir die Aufgabe grafoanalytisch l¨osen wollen, so gen¨ ugt eine Skizze. Aus ihr erhalten wir f¨ ur die Horizontalverschiebung u und die Vertikalverschiebung v: u = |∆l1 | =

Fl 1 , EA tan α

∆l2 u F l 1 + cos3 α v= + = . sin α tan α EA sin2 α cos α

(1.21)

Die Ermittlung der Verschiebungen von Knoten eines Fachwerks aus den L¨ angen¨ anderungen der einzelnen St¨abe ist im allgemeinen aufwendig und nur bei Fachwerken mit einer geringen Anzahl von St¨ aben zu empfehlen. Bei Fachwerken mit vielen St¨aben ist die Anwendung von Energiemethoden vorteilhafter (vgl. Kapitel 6). Wenn die St¨abe nicht zu einem Fachwerk verbunden, sondern an starren K¨ orpern angeschlossen sind, dann kann man durch sinngem¨ aßes Vorgehen die Verschiebungen einzelner Punkte des Systems ermitteln. B1.5

Beispiel 1.5 Ein starrer Balken (Gewicht G) wird auf drei elasti-

schen St¨ aben gleicher Dehnsteifigkeit EA gelagert (Abb. 1.14a). Welchen Neigungswinkel hat der Balken nach der Montage? L¨ osung Wir berechnen zuerst die Stabkr¨ afte aus den Gleichge-

wichtsbedingungen (Abb. 1.14b): G G , S3 = − . S1 = S2 = − 4 cos α 2

1.5

a

a G

Statisch bestimmte Stabsysteme

a

G

1

2

B

A S1

αα

3

31

αα

S2 S3

b

EA a

A

B

A ∆l1 α

c

1

vA A

∆l2

vA β 2

vB

a

d

Abb. 1.14

Mit l1 = l2 = l/ cos α und l3 = l folgen daraus die L¨angen¨anderungen der St¨ abe: ∆l1 = ∆l2 =

Gl S1 l 1 =− , EA 4EA cos2 α

∆l3 =

Gl S3 l 3 =− . EA 2 EA

Der Punkt B des Balkens senkt sich um den Wert vB = |∆l3 | ab. Zur Ermittlung der Absenkung vA des Punktes A skizzieren wir einen Verschiebungsplan (Abb. 1.14c). Hierzu tragen wir die Stabverk¨ urzungen ∆l1 bzw. ∆l2 in Richtung des jeweiligen Stabes auf und errichten die Lote. Deren Schnittpunkt liefert die neue Lage A des Punktes A. Seine Absenkung ist demnach durch vA = |∆l1 |/ cos α gegeben. Da vA und vB verschieden sind, ist der Balken nach der Montage geneigt. Der Neigungswinkel β ergibt sich nach Abb. 1.14d und wegen tan β ≈ β (kleine Deformationen) sowie mit l = a cot α zu β=

2 cos3 α − 1 G cot α vB − vA = . a 4 cos3 α EA

Wenn cos3 α > 12 (bzw. < 12 ) ist, dann ist der Balken nach rechts (links) geneigt. Im Sonderfall cos3 α = 12 , d.h. α = 37, 5◦, bleibt er nach der Montage waagerecht.

32

B1.6

1 Zug und Druck in St¨aben

Beispiel 1.6 Ein Fachwerk, das aus drei Stahlst¨ aben (E = 2 · 105 N/mm2 ) besteht, wird durch die Kraft F = 20 kN belastet (Abb. 1.15a). Wie groß m¨ ussen die Querschnittsfl¨ achen der St¨abe mindestens 2 sein, wenn die Spannungen nicht gr¨ oßer als σzul = 150 N/mm und die Verschiebung des Lagers B kleiner als 0,5 ‰ der L¨ange des Stabes 3 sein sollen? F

F C

C 1

l

S1

2

A

45◦ 45◦

S2 = S1

B

3

S2 45◦

S3 l

a

l

B

b

Abb. 1.15

L¨ osung Wir berechnen zuerst die Stabkr¨ afte. Aus den Gleichgewichtsbedingungen am Knoten C und am Lager B (Abb. 1.15b) erhalten wir (Symmetrie beachten) √ 2 F F, S3 = . S1 = S2 = − 2 2

Damit die zul¨ assige Spannung nicht u ¨ berschritten wird, muss gelten: |σ1 | =

|S1 | ≤ σzul , A1

|σ2 | =

|S2 | ≤ σzul , A2

σ3 =

S3 ≤ σzul . A3

Daraus folgt f¨ ur die mindestens erforderlichen Querschnittsfl¨achen A1 = A2 =

|S1 | = 94, 3 mm2 , σzul

A3 =

S3 = 66, 7 mm2 . σzul

(a)

Es ist außerdem die Bedingung zu erf¨ ullen, dass die Verschiebung des Lagers B kleiner als 0,5 ‰ der L¨ange des Stabes 3 sein soll. Diese Verschiebung ist gleich der Verl¨angerung ∆l3 = S3 l3 /EA3 des Stabes 3 (das Lager A verschiebt sich nicht!). Aus ∆l3 < 0, 5 · 10−3 l3 folgt damit

1.6

Statisch unbestimmte Stabsysteme

33

∆l3 S3 2 S3 3 F 10 = 103 = 100m . = < 0, 5 · 10−3 → A3 > l3 EA3 E E Durch Vergleich mit (a) erkennt man, dass A3 = 100 mm2 die erforderliche Querschnittsfl¨ ache ist.

1.6

1.6 Statisch unbestimmte Stabsysteme Bei statisch unbestimmten Stabsystemen k¨ onnen die Stabkr¨afte nicht aus den Gleichgewichtsbedingungen allein ermittelt werden, da diese weniger Gleichungen liefern als Unbekannte vorhanden sind. Wir m¨ ussen dann zur L¨ osung von Aufgaben alle Grundgleichungen gemeinsam betrachten: die Gleichgewichtsbedingungen, das Elastizit¨ atsgesetz und die Geometrie der Verformung (Kompatibilit¨ at). Als Anwendungsbeispiel betrachten wir das aus drei St¨aben bestehende, symmetrische Stabsystem nach Abb. 1.16a (Dehnsteifigkeiten EA1 , EA2 , EA3 = EA1 ). Das System ist einfach statisch unbestimmt (man kann eine Kraft in der Ebene nicht eindeutig nach drei Richtungen zerlegen, vgl. Band 1). Die zwei Gleichgewichtsbedingungen am Knoten K liefern (Abb. 1.16b) →:



− S1 sin α + S3 sin α = 0

S1 = S3 ,

↑: S1 cos α + S2 + S3 cos α − F = 0 → S1 = S3 =

F − S2 . 2 cos α

(a)

Die Stabverl¨ angerungen sind durch ∆l1 = ∆l3 =

S1 l 1 , EA1

∆l2 =

S2 l EA2

(b)

gegeben. Zum Aufstellen der Vertr¨ aglichkeitsbedingung zeichnen wir einen Verschiebungsplan (Abb. 1.16c). Aus ihm lesen wir ab: ∆l1 = ∆l2 cos α . Mit (a), (b) und l1 = l/ cos α folgt aus (c)

(c)

34

1 Zug und Druck in St¨aben

1111111 0000000 1

2 α α

3

S2 S1

l

1

3

K

K ∆l3 α

F

K F

a

S3 = S1

α α

c

b

∆l1

K  ∆l2

111111 000000 11111 00000 00 000000 11 000000 111111 00000 111111 11111 00 11 "1"Ŧ System

"0"Ŧ System

1

2

3

F

d

+

=

F

X

X Abb. 1.16

S2 l (F − S2 ) l cos α . = 2 EA1 cos2 α EA2 Aufl¨ osen liefert S2 =

F . EA1 1+2 cos3 α EA2

Die beiden anderen Stabkr¨ afte erhalten wir dann aus (a) zu EA1 cos2 α EA2 F. S1 = S3 = EA1 3 1+2 cos α EA2 Damit liegen auch die Verl¨ angerungen der St¨abe fest. Daraus ergibt sich f¨ ur die Vertikalverschiebung v des Kraftangriffspunktes S2 l v = ∆l2 = = EA2

Fl EA2 . EA1 1+2 cos3 α EA2

1.6

Statisch unbestimmte Stabsysteme

35

Die Aufgabe kann auch mit der Methode der Superposition gel¨ ost werden. Durch Entfernen des Stabes 2 erhalten wir einen (statisch bestimmten) Stabzweischlag (Abb. 1.16d). Die Belastung in diesem “0“-System besteht aus der gegebenen Kraft F . (0) (0) aben 1 und 3 folgen aus den Die Kr¨ afte S1 und S3 in den St¨ Gleichgewichtsbedingungen zu (0)

S1

(0)

= S3

=

F . 2 cos α

angerungen Mit l1 = l/ cos α lauten dann die Stabverl¨ (0)

(0)

S1 l 1 Fl . = EA1 2 EA1 cos2 α

(0)

∆l1 = ∆l3 =

(d)

Im “1“-System wirkt die statisch Unbestimmte X auf den Stabzweischlag und entgegengesetzt auf den Stab 2 (actio=reactio). Wir erhalten (1)

S1

(1)

= S3

(1) ∆l1

=

X (1) , S2 = X , 2 cos α Xl Xl (1) , ∆l2 = =− . 2 EA1 cos2 α EA2

=−

(1) ∆l3

(e)

Die gesamte Verl¨ angerung der St¨ abe ergibt sich durch Superposition der beiden Lastf¨ alle: (0)

(1)

∆l1 = ∆l3 = ∆l1 + ∆l1 ,

(1)

∆l2 = ∆l2 .

(f)

Die Vertr¨ aglichkeitsbedingung (c) wird auch hier aus dem Verschiebungsplan (Abb. 1.16c) abgelesen. Aus ihr folgt mit (d) bis (1) (f) die unbekannte Stabkraft X = S2 = S2 : Xl Xl Fl cos α − = 2 2 2 EA1 cos α 2 EA1 cos α EA2 → X = S2 =

F . EA1 3 1+2 cos α EA2

¨ der Die Stabkr¨ afte S1 und S3 erhalten wir durch Uberlagerung beiden Lastf¨ alle zu

36

1 Zug und Druck in St¨aben

(0)

EA1 cos2 α EA2 F. = EA1 1+2 cos3 α EA2

(1)

S1 = S3 = S1 + S1

Ein Stabsystem heißt n-fach statisch unbestimmt, wenn die Zahl der Unbekannten um n gr¨ oßer ist als die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen. Zur Berechnung der Stabkr¨afte werden daher bei einem n-fach unbestimmten System zus¨atzlich zu den Gleichgewichtsbedingungen noch n Vertr¨ aglichkeitsbedingungen ben¨ otigt. Aufl¨ osen aller Gleichungen liefert dann die Stabkr¨afte. Man kann ein n-fach statisch unbestimmtes System auch dadurch behandeln, dass man es durch Entfernen von n St¨aben auf ein statisch bestimmtes System zur¨ uckf¨ uhrt (die Wirkung dieser St¨ abe wird durch die statisch Unbestimmten Si = Xi ersetzt). Man betrachtet n + 1 Lastf¨ alle: im “0“-System wirkt nur die gegebene Belastung, im “i“-System (i = 1, 2, ..., n) jeweils nur die staur jeden (statisch bestimmten) tisch Unbestimmte Xi . Wenn man f¨ Lastfall mit Hilfe des Elastizit¨ atsgesetzes die L¨angen¨anderungen der St¨ abe ermittelt und in die Vertr¨ aglichkeitsbedingungen einsetzt, erh¨ alt man n Gleichungen f¨ ur die n unbekannten Stabkr¨afte afte k¨ onnen anschließend durch SuperpoXi . Die u ¨brigen Stabkr¨ sition der Lastf¨ alle berechnet werden. B1.7

Beispiel 1.7 Ein starrer, gewichtsloser Balken h¨ angt an drei verti-

kalen St¨ aben gleicher Dehnsteifigkeit (Abb. 1.17a). Wie groß sind die Stabkr¨ afte, wenn a) die Kraft F wirkt (∆T = 0), b) der Stab 1 um ∆T erw¨ armt wird (F = 0)?

111111111 000000000 1

∆T

a

F

a/2 a/2

2

3

l

S1 F

S2

S3 ∆l1

A a

b

∆l2

∆l3

c

Abb. 1.17

1.6

Statisch unbestimmte Stabsysteme

37

L¨ osung Das System ist einfach statisch unbestimmt; f¨ ur die drei Stabkr¨ afte Sj (Abb. 1.17b) stehen nur zwei unabh¨angige Gleichgewichtsbedingungen zur Verf¨ ugung. Im Fall a) lauten sie

↑ :

S1 + S2 + S3 − F = 0 ,





A:

(a)

a F + a S2 + 2 a S3 = 0 . 2

Die L¨ angen¨ anderungen der St¨ abe lauten f¨ ur ∆T = 0: ∆l1 =

S1 l , EA

∆l2 =

S2 l , EA

∆l3 =

S3 l . EA

(b)

Aus einem Verschiebungsplan (Abb. 1.17c) lesen wir als geometrische Bedingung ab (Strahlensatz): ∆l2 =

∆l1 + ∆l3 . 2

(c)

Damit stehen sechs Gleichungen f¨ ur die drei Stabkr¨afte und die drei Stabverl¨ angerungen zur Verf¨ ugung. Aufl¨ osen liefert S1 =

7 F, 12

S2 =

1 F, 3

S3 =

1 F. 12

Im Fall b) lauten die Gleichgewichtsbedingungen ↑ : S1 + S2 + S3 = 0 ,

(a )



A : aS2 + 2aS3 = 0 ,

und die L¨ angen¨ anderungen der St¨ abe sind ∆l1 =

S1 l + αT ∆T l , EA

∆l2 =

S2 l , EA

∆l3 =

S3 l . EA

(b )

Die geometrische Bedingung (c) gilt auch hier. Aufl¨osen von (a ), (b ) und (c) liefert S1 = S3 = −

1 EA αT ∆T , 6

S2 =

1 EA αT ∆T . 3

38

B1.8

1 Zug und Druck in St¨aben

Beispiel 1.8 Der bei der Herstellung um den Wert δ zu kurz gerate-

ne Stab 3 soll mit dem Knoten C verbunden werden (Abb. 1.18a). Dabei gilt δ  l. a) Welche horizontale Montagekraft F ist dazu n¨otig (Abb. 1.18b)? b) Wie groß sind die Stabkr¨ afte nach der Montage? δ δ

1111111 0000000 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111 3

2

l

a

l

∆l3

F

C

1

1111111 0000000 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111

v∗

l

b

1

C∗ 2

3

c

Abb. 1.18

L¨ osung a) Durch die Montagekraft F wird der Knoten C verscho-

ben. Damit sich der Stab 3 mit dem Knoten verbinden l¨asst, muss die Horizontalkomponente dieser Verschiebung gleich dem Wert δ sein. Die dazu notwendige Kraft folgt mit α = 45◦ aus (1.21): √ F l 1 + 2/4 EA δ √ v= =δ → F = √ . EA 2/4 (2 2 + 1) l b) Nach der Montage wird die Kraft F entfernt. Dann verschiebt sich der Knoten C nochmals. Da auf ihn nun die Stabkraft S3 wirkt, geht er nicht mehr in die Lage vor der Montage (Ausgangslage) zur¨ uck, sondern er nimmt eine Lage C ∗ ein, deren horizontaler Abstand von der Ausgangslage durch √ S3 l 1 + 2/4 ∗ √ v = EA 2/4 gegeben ist. Nach Abb. 1.18c gilt die geometrische Bedingung v ∗ + ∆l3 = δ , wobei

1.6

∆l3 =

Statisch unbestimmte Stabsysteme

39

S3 l S3 (l − δ) ≈ EA EA

die Verl¨ angerung des Stabes 3 ist. Damit folgt √ S3 l 1 + 2/4 S3 l EA δ √ =δ → S3 = √ + . EA EA 2/4 2( 2 + 1)l Aus den Gleichgewichtsbedingungen am Knoten ergeben sich dann die anderen Stabkr¨ afte zu √ S2 = − S 3 . S1 = 2 S3 ,

40

1.7

1 Zug und Druck in St¨aben

1.7 Zusammenfassung • Normalspannung in einem Schnitt senkrecht zur Stabachse: σ = N/A , N Normalkraft, A Querschnittsfl¨ ache. • Dehnung: ε = du/dx , |ε|  1 , u Verschiebung eines Querschnitts. Sonderfall gleichf¨ ormiger Dehnung: ε = ∆l/l. • Hookesches Gesetz: σ =Eε, E Elastizit¨ atsmodul. • L¨ angen¨ anderung: l  ∆l =

N + αT ∆T EA

 dx ,

0

EA Dehnsteifigkeit, αT thermischer Ausdehnungskoeffizient, ∆T Temperatur¨ anderung. Sonderf¨ alle: N = F,

∆T = 0,

EA = const

N = 0,

∆T = const

Fl , EA



∆l =



∆l = αT ∆T l .

• Statisch bestimmtes Stabsystem: Normalkr¨afte, Spannungen, Dehnungen, L¨ angen¨ anderungen und Verschiebungen k¨onnen der Reihe nach aus Gleichgewicht, Elastizit¨atsgesetz und Kinematik ermittelt werden. Temperatur¨ anderungen verursachen keine Spannungen. • Statisch unbestimmtes Stabsystem: Alle Gleichungen (Gleichgewicht, Elastizit¨ atsgesetz und Kinematik) m¨ ussen gleichzeitig betrachtet werden. Temperatur¨ anderungen verursachen i.a. W¨ armespannungen.

Kapitel 1 Zug und Druck in St¨ aben

1

1 Zug und Druck in St¨ aben 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

Spannung......................................................... Dehnung .......................................................... Stoffgesetz ....................................................... Einzelstab ........................................................ Statisch bestimmte Stabsysteme ............................ Statisch unbestimmte Stabsysteme ......................... Zusammenfassung ..............................................

7 13 14 18 28 33 40

Lernziele: In der Elastostatik untersucht man die Beanspruchung und die Verformung von elastischen Tragwerken unter der Wirkung von Kr¨ aften. Wir wollen uns im ersten Kapitel nur mit dem einfachsten Bauteil – dem Stab – befassen. Zus¨ atzlich zu den aus Band 1 bekannten Gleichgewichtsbedingungen ben¨ otigt man zur L¨ osung dieser Probleme kinematische Beziehungen und das Elastizit¨ atsgesetz. Die kinematischen Beziehungen beschreiben die Geometrie der Verformung, w¨ahrend durch das Elastizit¨ atsgesetz das Materialverhalten ausgedr¨ uckt wird. Die Studierenden sollen bef¨ ahigt werden, diese Gleichungen sachgem¨ aß anzuwenden und mit ihrer Hilfe sowohl statisch bestimmte als auch statisch unbestimmte Stabsysteme zu behandeln.

1.1

Spannung

7

1.1

1.1 Spannung Wir betrachten einen geraden Stab mit konstanter Querschnittsfl¨ache A. Die Verbindungslinie der Schwerpunkte der Querschnittsfl¨ achen heißt Stabachse. Der Stab werde an seinen Enden durch die Kr¨ afte F belastet, deren gemeinsame Wirkungslinie die Stabachse ist (Abb. 1.1a). Die ¨außere Belastung verursacht innere Kr¨afte. Um sie bestimmen zu k¨ onnen, f¨ uhren wir in Gedanken einen Schnitt durch den Stab. Die in der Schnittfl¨ ache verteilten inneren Kr¨afte sind Fl¨ achenkr¨ afte und werden als Spannungen bezeichnet. Sie haben die Dimension Kraft pro Fl¨ ache und werden z.B. in der Einheit N/mm2 oder in der nach dem Mathematiker und Physiker Blaise Pascal (1623–1662) benannten Einheit 1 Pa = 1 N/m2 (1 MPa = 1 N/mm2 ) angegeben. Der Begriff der Spannungen wurde von Augustin Louis Cauchy (1789–1857) eingef¨ uhrt. W¨ahrend wir in der Statik starrer K¨ orper nur die Resultierende der inneren Kr¨ afte (= Stabkraft) verwendet haben, m¨ ussen wir uns in der Elastostatik nun mit den verteilten inneren Kr¨ aften (= Spannungen) selbst befassen. s F

F

s

a

σ b

F

c

N

A

s F

F

F

F

d

e

ϕ

τ σ ϕ

F

s

A A = cos ϕ ∗

στ

F

F

Abb. 1.1

Wir w¨ ahlen zun¨ achst einen zur Stabachse senkrechten Schnitt s − s. In der Schnittfl¨ ache wirken dann Spannungen, die wir mit σ bezeichnen (Abb. 1.1b). Wir nehmen an, dass sie senkrecht zur Schnittfl¨ ache stehen und gleichf¨ ormig verteilt sind. Weil sie normal zum Schnitt stehen, nennt man sie Normalspannungen. Nach Band 1, Abschnitt 7.1, lassen sie sich zur Normalkraft N zusam-

8

1 Zug und Druck in St¨aben

menfassen (Abb. 1.1c). Daher gilt N = σA, und die Gr¨oße von σ kann aus der Normalkraft bestimmt werden: σ=

N . A

(1.1)

Da im Beispiel die Normalkraft N im Stab gleich der ¨außeren Kraft F ist, wird aus (1.1) σ=

F . A

(1.2)

Im Falle einer positiven Normalkraft N (Zugstab) ist auch die Spannung σ positiv (Zugspannung); bei einer negativen Normalkraft (Druckstab) ist sie negativ (Druckspannung). Wir wollen nun den Schnitt durch einen Zugstab nicht senkrecht zur Stabachse f¨ uhren, sondern in einer nach Abb. 1.1d um den Winkel ϕ gedrehten Richtung. Die inneren Kr¨afte (Spannungen) wirken dann auf die Schnittfl¨ ache A∗ = A/ cos ϕ, wobei wir wieder annehmen, dass die Verteilung gleichf¨ ormig ist. Wir zerlegen die Spannungen in eine Komponente σ normal und eine Komponente τ tangential zur Schnittfl¨ ache (Abb. 1.1e). Die Normalkomponente σ ist die Normalspannung, die Tangentialkomponente τ heißt Schubspannung. Kr¨ aftegleichgewicht am linken Stabteil liefert →: ↑:

σA∗ cos ϕ + τ A∗ sin ϕ − F = 0 , σA∗ sin ϕ − τ A∗ cos ϕ = 0 .

Mit A∗ = A/ cos ϕ folgt daraus σ + τ tan ϕ =

F , A

σ tan ϕ − τ = 0 .

Wenn wir diese beiden Gleichungen nach σ und τ aufl¨osen, so erhalten wir zun¨ achst σ=

1 F , 2 1 + tan ϕ A

τ=

tan ϕ F . 1 + tan2 ϕ A

1.1

Spannung

9

Mit den trigonometrischen Umformungen 1 = cos2 ϕ , 1 + tan2 ϕ sin ϕ cos ϕ =

cos2 ϕ =

1 (1 + cos 2 ϕ) , 2

1 sin 2 ϕ 2

und der Abk¨ urzung σ0 = F/A (= Normalspannung in einem Schnitt senkrecht zur Stabachse) ergibt sich schließlich σ=

σ0 (1 + cos 2 ϕ) , 2

τ=

σ0 sin 2 ϕ . 2

(1.3)

Die Spannungen h¨angen somit von der Schnittrichtung ϕ ab. Bei Kenntnis von σ0 k¨ onnen σ und τ f¨ ur beliebige Schnitte aus (1.3) berechnet werden. Der Gr¨ oßtwert der Normalspannung tritt bei ur ϕ = π/4 ϕ = 0 auf: σmax = σ0 . Die Schubspannung erreicht f¨ ihr Maximum τmax = σ0 /2. Bei einem Schnitt s − s in der N¨ ahe eines Stabendes, an dem eine Einzelkraft F angreift (Abb. 1.2a), ist die Normalspannung nicht gleichm¨ aßig u ache verteilt: es kommt dort ¨ber die Schnittfl¨ zu Spannungsspitzen“ (Abb. 1.2b). Die Erfahrung zeigt jedoch, ” dass eine solche Spannungs¨ uberh¨ ohung auf die unmittelbare Umgebung des Angriffspunkts der Einzelkraft beschr¨ankt ist und mit zunehmendem Abstand vom Stabende sehr schnell abklingt (Prinzip von de Saint-Venant, Adh´emar Jean Claude Barr´e de SaintVenant (1797–1886)).

F

F

Abb. 1.2

F

a

s

s

s

s

F

σ

b

c

σ

F

F

Die gleichf¨ ormige Spannungsverteilung wird auch bei gelochten, gekerbten oder abgesetzten Querschnitten (allgemein: bei starker Querschnitts¨ anderung) gest¨ ort. Weist der Stab z.B. Kerben auf,

10

1 Zug und Druck in St¨aben

so tritt im Restquerschnitt (Schnitt s − s ) ebenfalls eine Spannungs¨ uberh¨ ohung auf (Abb. 1.2c). Die Ermittlung solcher Spannungsverteilungen ist mit der elementaren Theorie f¨ ur den Zugstab nicht m¨ oglich. Wenn der Querschnitt des Stabes l¨ angs der Stabachse nur schwach ver¨ anderlich ist, kann die Normalspannung in guter N¨aherung weiterhin aus (1.1) berechnet werden. Dann sind allerdings die Querschnittsfl¨ ache A und somit auch die Spannung σ vom Ort abh¨ angig. Wirken zus¨ atzlich zu den Einzelkr¨aften noch Volumenkr¨ afte in Richtung der Stabachse, so h¨ angt auch die Normalkraft N vom Ort ab. Mit einer in Richtung der Stabachse gez¨ahlten Koordinate x gilt dann bei ver¨ anderlichem Querschnitt: σ(x) =

N (x) . A(x)

(1.4)

Dabei wird auch hier angenommen, dass die Spannungsverteilung in einem beliebigen Querschnitt (fester Wert x) gleichf¨ormig ist. Bei statisch bestimmten Systemen kann man allein aus Gleichgewichtsbedingungen die Normalkraft N ermitteln. Wenn die Querschnittsfl¨ ache A gegeben ist, dann l¨ asst sich daraus nach (1.4) die Spannung σ bestimmen (statisch unbestimmte Systeme werden wir im Abschnitt 1.4 behandeln). In der Praxis ist es erforderlich, die Abmessungen von Bauteilen so zu w¨ ahlen, dass eine vorgegebene maximale Beanspruchung nicht u ¨ berschritten wird. Bei einem Stab bedeutet dies, dass der Betrag der Spannung σ nicht gr¨ oßer als eine zul¨assige Spannung σzul werden darf: |σ| ≤ σzul (bei manchen Werkstoffen sind die zul¨ assigen Spannungen f¨ ur Zug und Druck verschieden). Mit σ = N/A l¨ asst sich daraus bei gegebener Belastung N die erforderliche Querschnittsfl¨ ache Aerf =

|N | σzul

(1.5)

berechnen. Diese Aufgabe nennt man Dimensionierung. Wenn dagegen der Querschnitt A vorgegeben ist, so folgt aus |N | ≤ σzul A die zul¨ assige Belastung des Stabes.

1.1

Spannung

11

Es sei angemerkt, dass ein auf Druck beanspruchter, schlanker Stab durch Knicken versagen kann, bevor die Spannung einen unzul¨ assig großen Wert annimmt. Mit der Untersuchung von Knickproblemen wollen wir uns erst im Kapitel 7 besch¨aftigen. Beispiel 1.1 Ein konischer Stab (L¨ ange l) mit kreisf¨ormigem Quer-

B1.1

schnitt (Endradien r0 bzw. 2 r0 ) wird nach Abb. 1.3a durch eine Druckkraft F in der Stabachse belastet. Wie groß ist die Normalspannung σ in einem beliebigen Querschnitt bei einem Schnitt senkrecht zur Stabachse?

L¨ osung Wir f¨ uhren eine Koordinate x l¨ angs der Stabachse ein

(Abb. 1.3b). Dann wird r(x) = r0 +

 r0 x x = r0 1 + . l l

Mit der Querschnittsfl¨ ache A(x) = π r2 (x) und der konstanten Normalkraft N = −F erhalten wir nach (1.4) f¨ ur die Normalspannung σ =

N = A(x)

−F .  x 2 πr02 1 + l

Das Minuszeichen zeigt an, dass eine Druckspannung vorliegt. Ihr Betrag ist am linken Ende (x = 0) viermal so groß wie am rechten Ende (x = l). Beispiel 1.2 Ein Wasserturm mit Kreisringquerschnitt (H¨ ohe H,

Dichte ) tr¨ agt einen Beh¨ alter vom Gewicht G0 (Abb. 1.4a). Der Innenraum des Turms hat den konstanten Radius ri . Wie groß muss der Außenradius r gew¨ ahlt werden, damit bei Ber¨ ucksichtigung des Eigengewichts u ¨ berall die gleiche Druckspannung σ0 herrscht?

B1.2

12

1 Zug und Druck in St¨aben

G0

r(x) ri H r

1111111 0000000 0000000 1111111 a

x

A

ri dG σ0

dx σ0 A+dA

b

Abb. 1.4

L¨ osung Wir fassen den Wasserturm als Stab auf. Durch (1.4) ist

ein Zusammenhang zwischen Spannung, Normalkraft und Querschnittsfl¨ ache gegeben. Dabei ist hier die konstante Druckspannung σ = σ0 bekannt; die Normalkraft N (hier als Druckkraft positiv gez¨ ahlt) und die Querschnittsfl¨ ache A sind unbekannt. Eine zweite Gleichung erhalten wir aus dem Gleichgewicht. Wir z¨ ahlen die Koordinate x vom oberen Ende des Turms und betrachten ein Stabelement der L¨ ange dx (Abb. 1.4b). F¨ ur den Kreisringquerschnitt an der Stelle x gilt A = π(r2 − ri2 ) ,

(a)

wobei r = r(x) der gesuchte Außenradius ist. Die Normalkraft ist dort nach (1.4) durch N = σ0 A gegeben. An der Stelle x + dx haben die Querschnittsfl¨ ache bzw. die Normalkraft die Gr¨oßen A + dA bzw. N + dN = σ0 (A + dA). Das Gewicht des Elements betr¨ agt dG =  g dV , wobei das Volumen des Elements durch dV = A dx (bei Vernachl¨assigung von Termen h¨ oherer Ordnung) gegeben ist. Damit liefert das Kr¨aftegleichgewicht in vertikaler Richtung ↑: σ0 (A + dA) −  g dV − σ0 A = 0 → σ0 dA −  g A dx = 0 . Durch Trennen der Variablen und Integration ergibt sich daraus   gx g A gx dA = dx → ln = → A = A0 e σ0 . (b) A σ0 A0 σ0

1.2

Dehnung

13

Die Integrationskonstante A0 folgt aus der Bedingung, dass auch am oberen Ende des Turms (f¨ ur x = 0 ist N = G0 ) die Normalspannung gleich σ0 sein soll: G0 = σ0 A0



A0 =

G0 . σ0

(c)

Aus (a) bis (c) erh¨ alt man dann f¨ ur den Außenradius r2 (x) = ri2 +

G0 σg x e 0 . π σ0

1.2

1.2 Dehnung Nach den Spannungen wollen wir nun die Verformungen eines elastischen Stabes untersuchen. Hierzu betrachten wir zun¨achst einen Stab mit konstanter Querschnittsfl¨ ache, der im unbelasteten Zustand die L¨ ange l hat. Wenn an seinen Enden eine Zugkraft angreift, dann verl¨ angert er sich um ∆l (Abb. 1.5). Es ist zweckm¨ aßig, neben der Verl¨ angerung ∆l als Maß f¨ ur die Gr¨oße der Verformung außerdem das Verh¨ altnis von L¨ angen¨anderung zu Ausgangsl¨ ange einzuf¨ uhren: ε=

∆l . l

(1.6)

Die Gr¨ oße ε heißt Dehnung; sie ist dimensionslos. Wenn sich zum Beispiel ein Stab der L¨ ange l = 1 m um ∆l = 0, 5 mm verl¨angert, dann ist ε = 0, 5 · 10−3 ; dies ist eine Dehnung von 0,05%. Bei einer Verl¨ angerung (∆l > 0) ist die Dehnung positiv, bei einer Verk¨ urzung (∆l < 0) negativ. Wir werden im folgenden nur kleine Deformationen, d.h. |∆l|  l bzw. |ε|  1 betrachten. Die Definition (1.6) f¨ ur die Dehnung gilt nur dann, wenn ε u ¨ber die gesamte Stabl¨ange konstant ist. Hat ein Stab eine ver¨anderliche Querschnittsfl¨ ache oder wirken Volumenkr¨ afte l¨angs der Stab-

l Abb. 1.5

F

∆l F

14

1 Zug und Druck in St¨aben

dx

x

undeformierter Stab

u+du u deformierter Stab

dx+(u+du)−u

Abb. 1.6

achse, so kann die Dehnung vom Ort abh¨ angen. Man gelangt dann zu einer Definition der o rtlichen Dehnung, indem man statt des ¨ gesamten Stabes ein Stabelement betrachtet (Abb. 1.6). Das Element hat im unbelasteten Stab die L¨ ange dx. Seine linke Querschnittsfl¨ ache befindet sich an der Stelle x, seine rechte an der Stelle x + dx. Wenn wir den Stab deformieren, erfahren die Querschnitte Verschiebungen, die wir mit u bezeichnen. Sie h¨angen vom Ort x des Querschnitts ab: u = u(x). Verschiebt sich der linke Querschnitt des Stabelementes um u, dann verschiebt sich der rechte Querschnitt um u + du. Die L¨ ange des Elements betr¨agt im belasteten Stab dx+(u+du)−u = dx+du. Seine L¨angen¨anderung ist somit durch du gegeben. Das Verh¨ altnis der L¨angen¨anderung zur urspr¨ unglichen L¨ ange dx ist die ¨ ortliche Dehnung: ε(x) =

du . dx

(1.7)

Wenn die Verschiebung u(x) bekannt ist, dann kann die Dehnung ε(x) durch Differenzieren ermittelt werden. Ist dagegen ε(x) bekannt, so l¨ asst sich u(x) durch Integrieren bestimmen. Die Verschiebung u und die Dehnung ε beschreiben die Geometrie der Verformung. Man bezeichnet sie daher als kinematische Gr¨oßen; Gleichung (1.7) nennt man eine kinematische Beziehung. 1.3

1.3 Stoffgesetz Spannungen sind Kraftgr¨ oßen und ein Maß f¨ ur die Beanspruchung des Materials eines K¨ orpers. Dehnungen sind kinematische Gr¨ oßen und ein Maß f¨ ur die Verformung. Diese h¨angt allerdings

1.3

Stoffgesetz

15

von der auf den K¨ orper wirkenden Belastung ab. Demnach sind die Kraftgr¨ oßen und die kinematischen Gr¨ oßen miteinander verkn¨ upft. Die physikalische Beziehung zwischen ihnen heißt Stoffgesetz. Das Stoffgesetz ist abh¨ angig vom Werkstoff, aus dem der K¨orper besteht. Es kann nur mit Hilfe von Experimenten gewonnen werden. Ein wichtiges Experiment zur Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Spannung und Dehnung ist der Zug- bzw. der Druckversuch. Dabei wird ein Probestab in einer Pr¨ ufmaschine gedehnt bzw. gestaucht. Die von der Maschine auf den Stab ausge¨ ubte Kraft F ruft im Stab die Normalspannung σ = F/A hervor. Gleichzeitig ¨ andert sich die Meßl¨ ange l des Stabes. Aus der gemessenen L¨ angen¨ anderung ∆l kann die Dehnung ε = ∆l/l berechnet werden. Der Zusammenhang zwischen σ und ε wird in einem SpannungsDehnungs-Diagramm dargestellt. Abbildung 1.7 zeigt schematisch (nicht maßst¨ ablich) die in einem Zugversuch gewonnene Kurve f¨ ur einen Probestab aus Stahl. Man erkennt, dass zun¨achst Spannung und Dehnung proportional anwachsen. Dieser lineare Zusammenhang gilt bis zur Proportionalit¨atsgrenze σP . Wenn man die Spannung weiter erh¨ oht, dann w¨ achst die Dehnung u ¨ berproportional. Bei Erreichen der Fließspannung (Streckgrenze) σF nimmt die Dehnung bei praktisch gleichbleibender Spannung zu: der Werkstoff beginnt zu fließen (es sei angemerkt, dass viele Werkstoffe keine ausgepr¨ agte Streckgrenze besitzen). Anschließend steigt die σw = F Aw

σ

σ= F A

σF

Entlastung

σP A F Abb. 1.7

εpl

l

F

ε

16

1 Zug und Druck in St¨aben

Kurve wieder an, d.h. der Werkstoff kann eine weitere Belastung aufnehmen. Diesen Bereich bezeichnet man als Verfestigungsbereich. Man kann experimentell feststellen, dass bei der Verl¨angerung eines Stabes die Querschnittsfl¨ ache A abnimmt. Diesen Vorgang nennt man Querkontraktion. Bei hohen Spannungen verringert sich der Querschnitt des Probestabes nicht mehr gleichm¨aßig u ¨ ber die gesamte L¨ ange, sondern er beginnt sich einzuschn¨ uren. Dort beschreibt die auf den Ausgangsquerschnitt A bezogene Spannung σ = F/A die wirkliche Beanspruchung nicht mehr richtig. Man f¨ uhrt daher zweckm¨ aßig die auf die wirkliche Querschnittsfl¨ache Aw bezogene Spannung σw = F/Aw ein. Sie ist die wirkliche Spannung im eingeschn¨ urten Bereich. Man nennt σw auch die physikalische Spannung, w¨ ahrend σ die nominelle (konventionelle) Spannung heißt. Abbildung 1.7 zeigt beide Spannungen bis zum Bruch des Stabes. Wenn man einen Probestab bis zu einer Spannung σ < σF belastet und anschließend vollst¨ andig entlastet, so nimmt er seine urspr¨ ungliche L¨ ange wieder an: die Dehnung geht auf den Wert Null zur¨ uck. Dabei fallen die Belastungs- und die Entlastungskurve zusammen. Dieses Materialverhalten nennt man elastisch. Entsprechend heißt der Bereich σ ≤ σP linear-elastisch. Wird der Stab dagegen vor der Entlastung u ¨ber σF hinaus belastet, so verl¨ auft die Entlastungslinie parallel zur Geraden im linearelastischen Bereich, vgl. Abb. 1.7. Bei v¨ olliger Entlastung geht die Dehnung dann nicht auf Null zur¨ uck, sondern es bleibt eine plastische Dehnung εpl erhalten. Dieses Stoffverhalten heißt plastisch. Wir wollen uns im folgenden immer auf linear-elastisches Materialverhalten beschr¨ anken und dies kurz elastisch nennen (d.h. elastisch“ bedeutet im weiteren immer linear-elastisch“). Dann ” ” gilt zwischen Spannung und Dehnung der lineare Zusammenhang σ = Eε.

(1.8)

1.3

Stoffgesetz

17

Der Proportionalit¨ atsfaktor E heißt Elastizit¨atsmodul. Das Elastizit¨ atsgesetz (1.8) wird nach Robert Hooke (1635–1703) das Hookesche Gesetz genannt. Es sei angemerkt, dass Hooke das Gesetz noch nicht in der Form (1.8) angeben konnte, da der Spannungsbegriff erst 1822 von Augustin Louis Cauchy (1789–1857) eingef¨ uhrt wurde. Die Beziehung (1.8) gilt f¨ ur Zug und f¨ ur Druck (der Elastizit¨atsmodul ist f¨ ur Zug und f¨ ur Druck gleich). Damit (1.8) g¨ ultig ist, muss die Spannung unterhalb der Proportionalit¨atsgrenze σP bleiben, die f¨ ur Zug bzw. f¨ ur Druck verschieden sein kann. Der Elastizit¨ atsmodul E ist eine Materialkonstante, die mit Hilfe des Zugversuchs bestimmt werden kann. Seine Dimension ist (wie die einer Spannung) Kraft/Fl¨ ache; er wird z.B. in der Einur heit N/mm2 angegeben. In der Tabelle 1.1 sind Werte von E f¨ einige Werkstoffe bei Raumtemperatur zusammengestellt (diese Zahlenwerte sind nur Richtwerte, da der Elastizit¨atsmodul von der Zusammensetzung des Werkstoffs und der Temperatur abh¨angt). Eine Zug- bzw. eine Druckkraft erzeugt in einem Stab nach (1.8) eine Dehnung ε = σ/E .

(1.9)

L¨ angen¨ anderungen und damit Dehnungen werden allerdings nicht nur durch Kr¨ afte, sondern auch durch Temperatur¨anderungen hervorgerufen. Experimente zeigen, dass bei gleichf¨ormiger Erw¨armung eines Stabes die W¨ armedehnung εT proportional zur Temperatur¨ anderung ∆T ist: εT = αT ∆T .

(1.10)

Der Proportionalit¨ atsfaktor αT heißt thermischer Ausdehnungskoeffizient (W¨armeausdehnungskoeffizient). Er ist eine weitere Werkstoffkonstante und wird in der Einheit 1/◦ C angegeben. Einige Zahlenwerte sind in Tabelle 1.1 zusammengestellt. Falls die Temperatur¨ anderung nicht u ¨ ber die gesamte Stabl¨ange gleich ist, sondern vom Ort abh¨ angt, dann ergibt (1.10) die ¨ortliche Dehnung εT (x) = αT ∆T (x).

18

1 Zug und Druck in St¨aben

Tabelle 1.1 Werkstoffkennwerte

E in N/mm2

αT in 1/◦ C

Stahl

2,1·105

1,2·10−5

Aluminium

0,7·105

2,3·10−5

Beton

0,3·105

1,0·10−5

0,7... 1,6·105

2,2 ... 3,1·10−5

Gusseisen

1,0·10

5

0,9·10−5

Kupfer

1,2·105

1,6·10−5

Messing

1,0·105

1,8·10−5

Material

Holz (in Faserrichtung)

Wirkt sowohl eine Spannung σ als auch eine Temperatur¨ande¨ rung ∆T , so folgt die Gesamtdehnung ε durch Uberlagerung (Superposition) von (1.9) und (1.10) zu ε=

σ + αT ∆T . E

(1.11)

Diese Beziehung kann auch in der Form σ = E(ε − αT ∆T )

(1.12)

geschrieben werden. 1.4

1.4 Einzelstab Zur Ermittlung der Spannungen und der Verformungen eines Stabes stehen drei verschiedene Arten von Gleichungen zur Verf¨ ugung: die Gleichgewichtsbedingung, die kinematische Beziehung und das Elastizit¨ atsgesetz. Die Gleichgewichtsbedingung wird je nach Problemstellung am ganzen Stab, an einem Teilstab (vgl. Abschnitt 1.1) oder an einem Stabelement formuliert. Wir wollen sie nun f¨ ur ein Element angeben. Dazu betrachten wir einen Stab, der durch Einzelkr¨ afte an den Stabenden und durch Linienkr¨afte n = n(x) in Richtung der Stabachse belastet ist (Abb. 1.8a). Aus dem Stab,

1.4

Einzelstab

19

n dx n(x)

F1

x dx

a

F2

N +dN

N dx

l

b

x

x+dx

Abb. 1.8

der sich im Gleichgewicht befinden soll, denken wir uns ein Element nach Abb. 1.8b herausgeschnitten. An der Schnittstelle x wirkt die Normalkraft N , an der Stelle x + dx die Normalkraft N + dN . Aus dem Kr¨ aftegleichgewicht in Richtung der Stabachse →:

N + dN + n dx − N = 0

folgt die Gleichgewichtsbedingung dN +n = 0. dx

(1.13)

Verschwindet die Linienkraft (n ≡ 0), so ist demnach die Normalkraft konstant. Die kinematische Beziehung f¨ ur den Stab lautet nach (1.7) ε=

du , dx

w¨ahrend das Elastizit¨atsgesetz durch (1.11) gegeben ist: ε=

σ + αT ∆T . E

Wenn man in das Elastizit¨ atsgesetz die kinematische Beziehung und σ = N/A einsetzt, so erh¨ alt man N du = + αT ∆T . dx EA

(1.14)

Da diese Gleichung die Stabverschiebung u mit der Schnittkraft N verbindet, nennt man sie das Elastizit¨atsgesetz f¨ ur den Stab. Das Produkt EA aus Elastizit¨ atsmodul und Querschnittsfl¨ache wird als Dehnsteifigkeit bezeichnet. Die Gleichungen (1.13) und (1.14)

20

1 Zug und Druck in St¨aben

sind die Grundgleichungen f¨ ur den elastisch deformierbaren Stab. Die Verschiebung u eines Stabquerschnitts erh¨alt man durch Integration der Dehnung: 

du ε= dx



 du =

x ε dx



u(x) − u(0) =

ε d¯ x. 0

Die Stabverl¨ angerung ∆l folgt aus der Differenz der Verschiebungen an den Stabenden x = l und x = 0 zu l ∆l = u(l) − u(0) =

ε dx .

(1.15)

0

Mit ε = du/dx und (1.14) erh¨ alt man daraus l  ∆l =

N + αT ∆T EA

 dx .

(1.16)

0

Im Sonderfall eines Stabes mit konstanter Dehnsteifigkeit, der nur durch eine Einzelkraft F belastet wird (n ≡ 0, N = F ) und der eine gleichf¨ ormige Temperatur¨ anderung erf¨ ahrt (∆T = const), ergibt sich die L¨ angen¨ anderung zu ∆l =

Fl + αT ∆T l . EA

(1.17)

F¨ ur ∆T = 0 folgt ∆l =

Fl , EA

(1.18)

und f¨ ur F = 0 gilt ∆l = αT ∆T l .

(1.19)

Bei der Behandlung von konkreten Aufgaben muss man zwischen statisch bestimmten und statisch unbestimmten Problemen

1.4

Einzelstab

21

unterscheiden. Bei statisch bestimmten Problemen kann man immer mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingung aus der ¨außeren Belastung die Normalkraft N (x) bestimmen. Mit σ = N/A und dem Elastizit¨ atsgesetz ε = σ/E folgt daraus die Dehnung ε(x). Integration liefert dann die Verschiebung u(x) und die Stabverl¨angerung ∆l. Eine Temperatur¨ anderung verursacht bei statisch bestimmten Problemen nur W¨armedehnungen (keine zus¨atzlichen Spannungen). Bei statisch unbestimmten Problemen kann die Normalkraft dagegen nicht mehr allein aus der Gleichgewichtsbedingung bestimmt werden. Daher m¨ ussen zur L¨ osung der Aufgabe alle Gleichungen (Gleichgewicht, Kinematik, Elastizit¨ atsgesetz) gleichzeitig betrachtet werden. Eine Temperatur¨ anderung kann hier zus¨atzliche Spannungen verursachen; diese werden W¨armespannungen genannt. Wir wollen abschließend die Grundgleichungen f¨ ur den elastischen Stab zu einer einzigen Gleichung f¨ ur die Verschiebung u zusammenfassen. Dazu l¨ osen wir (1.14) nach N auf und setzen in (1.13) ein: (EA u ) = − n + (EA αT ∆T ) .

(1.20a)

Dabei sind Ableitungen nach x durch Striche gekennzeichnet. Die Differentialgleichung (1.20a) vereinfacht sich f¨ ur EA = const und ∆T = const zu EA u = − n .

(1.20b)

Wenn die Verl¨ aufe von EA, n und ∆T gegeben sind, kann die Verschiebung eines beliebigen Stabquerschnitts durch Integration von (1.20) ermittelt werden. Die dabei auftretenden Integrationskonstanten werden aus den Randbedingungen bestimmt. Ist zum Beispiel das eine Ende eines Stabes unverschieblich gelagert, so gilt dort u = 0. Wenn dagegen ein Ende des Stabes verschieblich ist und dort eine Kraft F0 angreift, dann lautet nach (1.14) mit N = F0 die Randbedingung u = F0 /EA + αT ∆T . Am unbelasteten Ende (F0 = 0) eines Stabes, der nicht erw¨ armt wird (∆T = 0), folgt daraus u = 0.

22

1 Zug und Druck in St¨aben

Wenn eine der in (1.20) auftretenden Gr¨ oßen u ¨ber die Stabl¨ange nicht stetig ist (z.B. Sprung im Querschnitt A), so muss man den Stab in Bereiche einteilen. Die Differentialgleichung (1.20) ist dann f¨ ur jeden Teilbereich zu l¨ osen; die Integrationskonstanten ¨ k¨ onnen in diesem Fall aus Rand- und aus Ubergangsbedingungen bestimmt werden.

111 000 N (x)

x l

G G∗= l−x G l

a

b

Abb. 1.9

Als Anwendungsbeispiel f¨ ur ein statisch bestimmtes System betrachten wir einen h¨ angenden Stab konstanter Querschnittsfl¨ache A unter der Wirkung seines Eigengewichts (Abb. 1.9a). Wir bestimmen zun¨ achst die Normalkraft im Stab. Dazu denken wir uns an der Stelle x einen Schnitt gelegt (Abb. 1.9b). Die Normalkraft N ist gleich dem Gewicht G∗ des Stabteils unterhalb der Schnittstelle. Dieses l¨ asst sich durch das Gesamtgewicht G ausdr¨ ucken: G∗ (x) = G(l − x)/l. Aus (1.4) folgt damit N (x) G x σ(x) = = 1− . A A l Die Spannung ist demnach linear u ¨ ber die L¨ange des Stabes verteilt und nimmt vom Wert σ(0) = G/A am oberen Ende auf den Wert σ(l) = 0 am unteren Ende ab. Aus (1.16) erhalten wir die Verl¨ angerung des Stabes: l ∆l = 0

G N dx = EA EA

l  0

1−

x 1 Gl dx = . l 2 EA

1.4

Einzelstab

23

Sie ist halb so groß wie die Verl¨ angerung eines gewichtslosen Stabes, der an seinem Ende durch eine Kraft G belastet wird. Wir k¨ onnen die Aufgabe auch durch Integration der Differentialgleichung (1.20b) f¨ ur die Stabverschiebung l¨osen. Mit der konstanten Streckenlast n = G/l folgt EA u = −

G , l

EA u = −

G x + C1 , l

EA u = −

G 2 x + C1 x + C2 . 2l

Die Integrationskonstanten C1 und C2 werden aus den Randbedingungen bestimmt. Am oberen Ende des Stabes verschwindet die Verschiebung: u(0) = 0. F¨ ur den spannungsfreien Querschnitt am unteren Ende gilt u (l) = 0. Daraus folgen C2 = 0 und C1 = G. Die Verschiebung und die Normalkraft sind damit bekannt:    x 1 Gl x x2 . u(x) = 2 − 2 , N (x) = EA u (x) = G 1 − 2 EA l l l Die Verl¨ angerung des Stabes ist wegen u(0) = 0 gleich der Verschiebung des unteren Stabendes: ∆l = u(l) =

1 Gl . 2 EA

Die Spannung erh¨ alt man zu N (x) G x σ(x) = = 1− . A A l Als Anwendungsbeispiel f¨ ur ein statisch unbestimmtes System betrachten wir einen abgesetzten Stab (Querschnittsfl¨achen A1 bzw. A2 ), der ohne Vorspannung zwischen zwei starren W¨anden gelagert ist (Abb. 1.10a). Gesucht sind die Lagerreaktionen, wenn der Stab im Bereich { gleichf¨ ormig um ∆T erw¨armt wird. Es treten zwei Lagerkr¨ afte auf (Abb. 1.10b). Zu ihrer Ermittlung steht nur eine Gleichgewichtsbedingung zur Verf¨ ugung: →:

B −C = 0.

24

1 Zug und Druck in St¨aben

B a

B

1 0 0 1

1 0 0 1 0 1

∆T

1

2

11 00 00 11

C

∆T l

l

c

1 0 0 1 1 0= 0 1 0 1 C

C

B b

"0"Ŧ System

+

∆T

01 1010

"1"Ŧ System

X Abb. 1.10

Daher m¨ ussen wir die Verformungen in die Rechnung einbeziehen. F¨ ur die L¨ angen¨ anderungen in den beiden Teilbereichen { und | gilt nach (1.16) mit der konstanten Normalkraft N = −B = −C: ∆l1 =

Nl + αT ∆T l , EA1

∆l2 =

Nl EA2

(der Stab wird im Bereich | nicht erw¨ armt). Der Stab ist zwischen starren W¨ anden eingespannt. Daher muss seine gesamte L¨ angen¨ anderung ∆l Null sein. Dies liefert die geometrische Bedingung ∆l = ∆l1 + ∆l2 = 0 . Eine solche Bedingung wird auch Vertr¨aglichkeitsbedingung (Kompatibilit¨atsbedingung) genannt. Einsetzen ergibt Nl EA1 A2 αT ∆T Nl + αT ∆T l + = 0 → B = C = −N = . EA1 EA2 A1 + A2 Wir k¨ onnen die Aufgabe auch auf folgende Weise l¨osen. In einem ersten Schritt erzeugen wir aus dem gegebenen, statisch unbestimmten System ein statisch bestimmtes System. Dies geschieht dadurch, dass wir eines der Lager, z.B. das Lager C, entfernen. Die Wirkung des Lagers auf den Stab ersetzen wir durch die noch unbekannte Lagerkraft C = X. Die Gr¨ oße X wird statisch Unbestimmte genannt. Nun werden zwei verschiedene Belastungsf¨alle betrachtet. Der Stab unter der gegebenen Belastung (Temperaturerh¨ohung im Bereich { ) heißt “0“-System (Abb. 1.10c). Durch die Temperaturangert sich im “0“-System der Stab im Bereich { ¨anderung verl¨

1.4

Einzelstab

25

(0)

um ∆l1 (reine W¨ armedehnung, Normalkraft N = 0), w¨ahrend (0) er im Bereich | seine L¨ ange beibeh¨ alt. Die Verschiebung uC des rechten Endpunktes des Stabes ist daher durch (0)

(0)

uC = ∆l1 = αT ∆T l gegeben. Im zweiten Lastfall wirkt auf den Stab nur die statisch Unbestimmte X. Dieses System nennt man “1“-System. F¨ ur die Verschiebung des rechten Endpunktes im “1“-System gilt (1)

(1)

(1)

uC = ∆l1 + ∆l2 = −

Xl Xl − . EA1 EA2

Im urspr¨ unglichen System wirken sowohl die gegebene Belastung als auch die Kraft X. Wir m¨ ussen daher die beiden Lastf¨alle u ¨ berlagern (Superposition). Die gesamte Verschiebung an der Stelle C folgt damit zu (0)

(1)

uC = uC + uC . Da aber die starre Wand im wirklichen System bei C keine Verschiebung erlaubt, muss die geometrische Bedingung uC = 0 erf¨ ullt sein. Aus ihr folgt durch Einsetzen die statisch Unbestimmte: αT ∆T l −

Xl Xl − =0 EA1 EA2



X=C=

EA1 A2 αT ∆T . A1 + A2

Gleichgewicht (vgl. Abb. 1.10b) liefert schließlich die zweite Lagerreaktion B = C. Beispiel 1.3 In einem Hohlzylinder aus Kupfer (Querschnittsfl¨ ache

atsmodul ECu ) befindet sich ein Vollzylinder gleiACu , Elastizit¨ cher L¨ ange aus Stahl (Querschnittsfl¨ ache ASt , Elastizit¨atsmodul ESt ). Beide Zylinder werden durch die Kraft F u ¨ ber eine starre Platte gestaucht (Abb. 1.11a).

B1.3

26

1 Zug und Druck in St¨aben

Wie groß sind die Spannungen in den Zylindern? Wie groß ist die Zusammendr¨ uckung? F

FCu

F

FSt

FSt St Cu

FCu

l

1111 0000 a

1111 0000 000 0000 111 1111 000 111 b

Abb. 1.11

L¨ osung Wir bezeichnen die Druckkr¨ afte auf den Kupfer- bzw. auf den Stahlzylinder mit FCu bzw. FSt (Abb. 1.11b). Dann liefert das Kr¨ aftegleichgewicht an der Platte

FCu + FSt = F .

(a)

Hieraus k¨ onnen die beiden unbekannten Kr¨afte nicht ermittelt werden: das System ist statisch unbestimmt. Eine zweite Gleichung erhalten wir, wenn wir die Verformung des Systems ber¨ ucksichtigen. Die Verk¨ urzungen der Zylinder (hier positiv gez¨ahlt) sind nach (1.18) durch ∆lCu =

FCu l , EACu

∆lSt =

FSt l EASt

(b)

gegeben. Dabei ist f¨ ur ECu ACu kurz EACu (= Dehnsteifigkeit des Kupferzylinders) gesetzt worden. Analog ist EASt die Dehnsteifigkeit des Stahlzylinders. Da die Platte starr ist, lautet die geometrische Bedingung c∆lCu = ∆lSt .

(c)

Au߬ osen von (a) bis (c) ergibt FCu =

EACu F, EACu + EASt

FSt =

EASt F. EACu + EASt

(d)

Daraus folgen nach (1.2) die Druckspannungen in den Zylindern:

1.4

σCu =

ECu F, EACu + EASt

σSt =

Einzelstab

27

ESt F. EACu + EASt

Durch Einsetzen von (d) in (b) erhalten wir schließlich die Zusammendr¨ uckung ∆lCu = ∆lSt =

Fl . EACu + EASt

¨ Beispiel 1.4 Uber einen Stahlbolzen { , der ein Gewinde mit der Gangh¨ ohe h tr¨ agt, wird eine Kupferh¨ ulse | der L¨ange l geschoben und durch eine Schraubenmutter ohne Vorspannung fixiert (Abb. 1.12a). Anschließend wird die Mutter um n Umdrehungen angezogen, und das System wird um ∆T erw¨ armt. Gegeben sind die Dehnsteifigkeiten und die W¨ armeausdehnungskoeffizienten f¨ ur den Bolzen und f¨ ur die H¨ ulse. Wie groß ist die Kraft im Bolzen? X nh 2

1

l

2

l−nh

X 1

X

Abb. 1.12

a

X

b

L¨ osung Wenn die Mutter angezogen wird, u ¨ bt sie eine Druckkraft

X auf die H¨ ulse aus, die sich dadurch verk¨ urzt. Die zugeh¨orige Gegenkraft wirkt u ¨ ber die Mutter auf den Bolzen und verl¨angert ihn. Wir legen diese Kr¨ afte durch Trennen von Bolzen und H¨ ulse frei (Abb. 1.12b). Die Kraft X kann aus Gleichgewichtsbedingungen allein nicht bestimmt werden. Das Problem ist daher statisch unbestimmt, und wir m¨ ussen die Verformungen ber¨ ucksichtigen. Die L¨ange des Bolzens im getrennten Zustand nach Anziehen der Mutter ist

B1.4

28

1 Zug und Druck in St¨aben

durch l1 = l − n h gegeben (Abb. 1.12b). F¨ ur seine Verl¨angerung erhalten wir daher bei einer Ber¨ ucksichtigung der W¨armedehnung ∆l1 =

X(l − n h) + αT 1 ∆T (l − n h) EA1

bzw. (wegen n h  l) ∆l1 =

Xl + αT 1 ∆T l . EA1

Die L¨ angen¨ anderung der H¨ ulse betr¨ agt mit l2 = l ∆l2 = −

Xl + αT 2 ∆T l . EA2

Da die L¨ angen von Bolzen und H¨ ulse nach der Verformung u ¨ bereinstimmen m¨ ussen, gilt die geometrische Bedingung l1 + ∆l1 = l2 + ∆l2



∆l1 − ∆l2 = l2 − l1 = n h .

Einsetzen liefert die gesuchte Kraft:   l l + X + (αT 1 − αT 2 )∆T l = n h EA1 EA2 →

1.5

X=

n h − (αT 1 − αT 2 )∆T l   . 1 1 + l EA1 EA2

1.5 Statisch bestimmte Stabsysteme Die Methoden zur Ermittlung von Spannungen und Verformungen beim Einzelstab k¨ onnen auf die Untersuchung von Stabsystemen u anken uns in diesem Abschnitt ¨bertragen werden. Wir beschr¨ auf statisch bestimmte Systeme. Bei ihnen k¨onnen zun¨achst aus den Gleichgewichtsbedingungen die Stabkr¨ afte ermittelt werden. Anschließend lassen sich die Spannungen in den St¨aben und die L¨ angen¨ anderungen bestimmen. Aus den L¨ angen¨anderungen folgen dann die Verschiebungen einzelner Knoten des Systems. Da

1.5

Statisch bestimmte Stabsysteme

29

wir voraussetzen, dass die L¨ angen¨ anderungen der St¨abe klein im Vergleich zu ihren L¨ angen sind, d¨ urfen wir die Gleichgewichtsbedingungen am unverformten System aufstellen. Wie man dabei vorgeht, sei am Beispiel des Stabzweischlags nach Abb. 1.13a dargestellt. Beide St¨ abe haben die gleiche Dehnsteifigkeit EA. Gesucht ist die Verschiebung des Knotens C, wenn dort eine vertikale Kraft F angreift. Wir bestimmen zun¨achst die Stabkr¨ afte S1 und S2 . Sie folgen aus den Gleichgewichtsbedingungen (Abb. 1.13b) ↑:

S2 sin α − F = 0

←:

S1 + S2 cos α = 0



S1 = −

F , tan α

S2 =

F . sin α

Nach (1.17) sind dann die L¨ angen¨ anderungen der St¨abe durch ∆l1 =

Fl 1 S1 l 1 =− , EA EA tan α

∆l2 =

Fl 1 S2 l 2 = EA EA sin α cos α

gegeben. Der Stab 1 wird k¨ urzer (Druckstab), der Stab 2 verl¨angert sich (Zugstab). Die neue Lage C des Knotens C ergibt sich ¨ durch folgende Uberlegung: durch gedankliches L¨osen der Ver-

11 00 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11

B

A

2

S2 α

α

C

1

F l

a

C

S1 F

b

2 α

∆l1 C

1

2

C 1

∆l1

α ∆l2

v Abb. 1.13

c

C

d

C

u

∆l2

30

1 Zug und Druck in St¨aben

bindung in C machen wir das System beweglich. Dann k¨onnen sich die St¨ abe 1 bzw. 2 um die Punkte A bzw. B drehen. Die Endpunkte der St¨ abe bewegen sich dabei auf Kreisbogen, deren Radien die L¨ angen l1 + ∆l1 bzw. l2 + ∆l2 haben. Der Punkt C liegt im Schnittpunkt dieser Kreisbogen (Abb. 1.13c). Die L¨ angen¨ anderungen der St¨ abe sind sehr klein im Vergleich zu den Stabl¨ angen. Daher kann man mit guter N¨aherung die Kreisbogen durch ihre Tangenten ersetzen. Dies f¨ uhrt auf den Verschieablicher Zeichnung des Verbungsplan nach Abb. 1.13d. Bei maßst¨ schiebungsplans kann die Verschiebung des Knotens C abgelesen werden. Wenn wir die Aufgabe grafoanalytisch l¨osen wollen, so gen¨ ugt eine Skizze. Aus ihr erhalten wir f¨ ur die Horizontalverschiebung u und die Vertikalverschiebung v: u = |∆l1 | =

Fl 1 , EA tan α

∆l2 u F l 1 + cos3 α v= + = . sin α tan α EA sin2 α cos α

(1.21)

Die Ermittlung der Verschiebungen von Knoten eines Fachwerks aus den L¨ angen¨ anderungen der einzelnen St¨abe ist im allgemeinen aufwendig und nur bei Fachwerken mit einer geringen Anzahl von St¨ aben zu empfehlen. Bei Fachwerken mit vielen St¨aben ist die Anwendung von Energiemethoden vorteilhafter (vgl. Kapitel 6). Wenn die St¨abe nicht zu einem Fachwerk verbunden, sondern an starren K¨ orpern angeschlossen sind, dann kann man durch sinngem¨ aßes Vorgehen die Verschiebungen einzelner Punkte des Systems ermitteln. B1.5

Beispiel 1.5 Ein starrer Balken (Gewicht G) wird auf drei elasti-

schen St¨ aben gleicher Dehnsteifigkeit EA gelagert (Abb. 1.14a). Welchen Neigungswinkel hat der Balken nach der Montage? L¨ osung Wir berechnen zuerst die Stabkr¨ afte aus den Gleichge-

wichtsbedingungen (Abb. 1.14b): G G , S3 = − . S1 = S2 = − 4 cos α 2

1.5

a

a G

Statisch bestimmte Stabsysteme

a

G

1

2

B

A S1

αα

3

31

αα

S2 S3

b

EA a

A

B

A ∆l1 α

c

1

vA A

∆l2

vA β 2

vB

a

d

Abb. 1.14

Mit l1 = l2 = l/ cos α und l3 = l folgen daraus die L¨angen¨anderungen der St¨ abe: ∆l1 = ∆l2 =

Gl S1 l 1 =− , EA 4EA cos2 α

∆l3 =

Gl S3 l 3 =− . EA 2 EA

Der Punkt B des Balkens senkt sich um den Wert vB = |∆l3 | ab. Zur Ermittlung der Absenkung vA des Punktes A skizzieren wir einen Verschiebungsplan (Abb. 1.14c). Hierzu tragen wir die Stabverk¨ urzungen ∆l1 bzw. ∆l2 in Richtung des jeweiligen Stabes auf und errichten die Lote. Deren Schnittpunkt liefert die neue Lage A des Punktes A. Seine Absenkung ist demnach durch vA = |∆l1 |/ cos α gegeben. Da vA und vB verschieden sind, ist der Balken nach der Montage geneigt. Der Neigungswinkel β ergibt sich nach Abb. 1.14d und wegen tan β ≈ β (kleine Deformationen) sowie mit l = a cot α zu β=

2 cos3 α − 1 G cot α vB − vA = . a 4 cos3 α EA

Wenn cos3 α > 12 (bzw. < 12 ) ist, dann ist der Balken nach rechts (links) geneigt. Im Sonderfall cos3 α = 12 , d.h. α = 37, 5◦, bleibt er nach der Montage waagerecht.

32

B1.6

1 Zug und Druck in St¨aben

Beispiel 1.6 Ein Fachwerk, das aus drei Stahlst¨ aben (E = 2 · 105 N/mm2 ) besteht, wird durch die Kraft F = 20 kN belastet (Abb. 1.15a). Wie groß m¨ ussen die Querschnittsfl¨ achen der St¨abe mindestens 2 sein, wenn die Spannungen nicht gr¨ oßer als σzul = 150 N/mm und die Verschiebung des Lagers B kleiner als 0,5 ‰ der L¨ange des Stabes 3 sein sollen? F

F C

C 1

l

S1

2

A

45◦ 45◦

S2 = S1

B

3

S2 45◦

S3 l

a

l

B

b

Abb. 1.15

L¨ osung Wir berechnen zuerst die Stabkr¨ afte. Aus den Gleichgewichtsbedingungen am Knoten C und am Lager B (Abb. 1.15b) erhalten wir (Symmetrie beachten) √ 2 F F, S3 = . S1 = S2 = − 2 2

Damit die zul¨ assige Spannung nicht u ¨ berschritten wird, muss gelten: |σ1 | =

|S1 | ≤ σzul , A1

|σ2 | =

|S2 | ≤ σzul , A2

σ3 =

S3 ≤ σzul . A3

Daraus folgt f¨ ur die mindestens erforderlichen Querschnittsfl¨achen A1 = A2 =

|S1 | = 94, 3 mm2 , σzul

A3 =

S3 = 66, 7 mm2 . σzul

(a)

Es ist außerdem die Bedingung zu erf¨ ullen, dass die Verschiebung des Lagers B kleiner als 0,5 ‰ der L¨ange des Stabes 3 sein soll. Diese Verschiebung ist gleich der Verl¨angerung ∆l3 = S3 l3 /EA3 des Stabes 3 (das Lager A verschiebt sich nicht!). Aus ∆l3 < 0, 5 · 10−3 l3 folgt damit

1.6

Statisch unbestimmte Stabsysteme

33

∆l3 S3 2 S3 3 F 10 = 103 = 100m . = < 0, 5 · 10−3 → A3 > l3 EA3 E E Durch Vergleich mit (a) erkennt man, dass A3 = 100 mm2 die erforderliche Querschnittsfl¨ ache ist.

1.6

1.6 Statisch unbestimmte Stabsysteme Bei statisch unbestimmten Stabsystemen k¨ onnen die Stabkr¨afte nicht aus den Gleichgewichtsbedingungen allein ermittelt werden, da diese weniger Gleichungen liefern als Unbekannte vorhanden sind. Wir m¨ ussen dann zur L¨ osung von Aufgaben alle Grundgleichungen gemeinsam betrachten: die Gleichgewichtsbedingungen, das Elastizit¨ atsgesetz und die Geometrie der Verformung (Kompatibilit¨ at). Als Anwendungsbeispiel betrachten wir das aus drei St¨aben bestehende, symmetrische Stabsystem nach Abb. 1.16a (Dehnsteifigkeiten EA1 , EA2 , EA3 = EA1 ). Das System ist einfach statisch unbestimmt (man kann eine Kraft in der Ebene nicht eindeutig nach drei Richtungen zerlegen, vgl. Band 1). Die zwei Gleichgewichtsbedingungen am Knoten K liefern (Abb. 1.16b) →:



− S1 sin α + S3 sin α = 0

S1 = S3 ,

↑: S1 cos α + S2 + S3 cos α − F = 0 → S1 = S3 =

F − S2 . 2 cos α

(a)

Die Stabverl¨ angerungen sind durch ∆l1 = ∆l3 =

S1 l 1 , EA1

∆l2 =

S2 l EA2

(b)

gegeben. Zum Aufstellen der Vertr¨ aglichkeitsbedingung zeichnen wir einen Verschiebungsplan (Abb. 1.16c). Aus ihm lesen wir ab: ∆l1 = ∆l2 cos α . Mit (a), (b) und l1 = l/ cos α folgt aus (c)

(c)

34

1 Zug und Druck in St¨aben

1111111 0000000 1

2 α α

3

S2 S1

l

1

3

K

K ∆l3 α

F

K F

a

S3 = S1

α α

c

b

∆l1

K  ∆l2

111111 000000 11111 00000 00 000000 11 000000 111111 00000 111111 11111 00 11 "1"Ŧ System

"0"Ŧ System

1

2

3

F

d

+

=

F

X

X Abb. 1.16

S2 l (F − S2 ) l cos α . = 2 EA1 cos2 α EA2 Aufl¨ osen liefert S2 =

F . EA1 1+2 cos3 α EA2

Die beiden anderen Stabkr¨ afte erhalten wir dann aus (a) zu EA1 cos2 α EA2 F. S1 = S3 = EA1 3 1+2 cos α EA2 Damit liegen auch die Verl¨ angerungen der St¨abe fest. Daraus ergibt sich f¨ ur die Vertikalverschiebung v des Kraftangriffspunktes S2 l v = ∆l2 = = EA2

Fl EA2 . EA1 1+2 cos3 α EA2

1.6

Statisch unbestimmte Stabsysteme

35

Die Aufgabe kann auch mit der Methode der Superposition gel¨ ost werden. Durch Entfernen des Stabes 2 erhalten wir einen (statisch bestimmten) Stabzweischlag (Abb. 1.16d). Die Belastung in diesem “0“-System besteht aus der gegebenen Kraft F . (0) (0) aben 1 und 3 folgen aus den Die Kr¨ afte S1 und S3 in den St¨ Gleichgewichtsbedingungen zu (0)

S1

(0)

= S3

=

F . 2 cos α

angerungen Mit l1 = l/ cos α lauten dann die Stabverl¨ (0)

(0)

S1 l 1 Fl . = EA1 2 EA1 cos2 α

(0)

∆l1 = ∆l3 =

(d)

Im “1“-System wirkt die statisch Unbestimmte X auf den Stabzweischlag und entgegengesetzt auf den Stab 2 (actio=reactio). Wir erhalten (1)

S1

(1)

= S3

(1) ∆l1

=

X (1) , S2 = X , 2 cos α Xl Xl (1) , ∆l2 = =− . 2 EA1 cos2 α EA2

=−

(1) ∆l3

(e)

Die gesamte Verl¨ angerung der St¨ abe ergibt sich durch Superposition der beiden Lastf¨ alle: (0)

(1)

∆l1 = ∆l3 = ∆l1 + ∆l1 ,

(1)

∆l2 = ∆l2 .

(f)

Die Vertr¨ aglichkeitsbedingung (c) wird auch hier aus dem Verschiebungsplan (Abb. 1.16c) abgelesen. Aus ihr folgt mit (d) bis (1) (f) die unbekannte Stabkraft X = S2 = S2 : Xl Xl Fl cos α − = 2 2 2 EA1 cos α 2 EA1 cos α EA2 → X = S2 =

F . EA1 3 1+2 cos α EA2

¨ der Die Stabkr¨ afte S1 und S3 erhalten wir durch Uberlagerung beiden Lastf¨ alle zu

36

1 Zug und Druck in St¨aben

(0)

EA1 cos2 α EA2 F. = EA1 1+2 cos3 α EA2

(1)

S1 = S3 = S1 + S1

Ein Stabsystem heißt n-fach statisch unbestimmt, wenn die Zahl der Unbekannten um n gr¨ oßer ist als die Zahl der Gleichgewichtsbedingungen. Zur Berechnung der Stabkr¨afte werden daher bei einem n-fach unbestimmten System zus¨atzlich zu den Gleichgewichtsbedingungen noch n Vertr¨ aglichkeitsbedingungen ben¨ otigt. Aufl¨ osen aller Gleichungen liefert dann die Stabkr¨afte. Man kann ein n-fach statisch unbestimmtes System auch dadurch behandeln, dass man es durch Entfernen von n St¨aben auf ein statisch bestimmtes System zur¨ uckf¨ uhrt (die Wirkung dieser St¨ abe wird durch die statisch Unbestimmten Si = Xi ersetzt). Man betrachtet n + 1 Lastf¨ alle: im “0“-System wirkt nur die gegebene Belastung, im “i“-System (i = 1, 2, ..., n) jeweils nur die staur jeden (statisch bestimmten) tisch Unbestimmte Xi . Wenn man f¨ Lastfall mit Hilfe des Elastizit¨ atsgesetzes die L¨angen¨anderungen der St¨ abe ermittelt und in die Vertr¨ aglichkeitsbedingungen einsetzt, erh¨ alt man n Gleichungen f¨ ur die n unbekannten Stabkr¨afte afte k¨ onnen anschließend durch SuperpoXi . Die u ¨brigen Stabkr¨ sition der Lastf¨ alle berechnet werden. B1.7

Beispiel 1.7 Ein starrer, gewichtsloser Balken h¨ angt an drei verti-

kalen St¨ aben gleicher Dehnsteifigkeit (Abb. 1.17a). Wie groß sind die Stabkr¨ afte, wenn a) die Kraft F wirkt (∆T = 0), b) der Stab 1 um ∆T erw¨ armt wird (F = 0)?

111111111 000000000 1

∆T

a

F

a/2 a/2

2

3

l

S1 F

S2

S3 ∆l1

A a

b

∆l2

∆l3

c

Abb. 1.17

1.6

Statisch unbestimmte Stabsysteme

37

L¨ osung Das System ist einfach statisch unbestimmt; f¨ ur die drei Stabkr¨ afte Sj (Abb. 1.17b) stehen nur zwei unabh¨angige Gleichgewichtsbedingungen zur Verf¨ ugung. Im Fall a) lauten sie

↑ :

S1 + S2 + S3 − F = 0 ,





A:

(a)

a F + a S2 + 2 a S3 = 0 . 2

Die L¨ angen¨ anderungen der St¨ abe lauten f¨ ur ∆T = 0: ∆l1 =

S1 l , EA

∆l2 =

S2 l , EA

∆l3 =

S3 l . EA

(b)

Aus einem Verschiebungsplan (Abb. 1.17c) lesen wir als geometrische Bedingung ab (Strahlensatz): ∆l2 =

∆l1 + ∆l3 . 2

(c)

Damit stehen sechs Gleichungen f¨ ur die drei Stabkr¨afte und die drei Stabverl¨ angerungen zur Verf¨ ugung. Aufl¨ osen liefert S1 =

7 F, 12

S2 =

1 F, 3

S3 =

1 F. 12

Im Fall b) lauten die Gleichgewichtsbedingungen ↑ : S1 + S2 + S3 = 0 ,

(a )



A : aS2 + 2aS3 = 0 ,

und die L¨ angen¨ anderungen der St¨ abe sind ∆l1 =

S1 l + αT ∆T l , EA

∆l2 =

S2 l , EA

∆l3 =

S3 l . EA

(b )

Die geometrische Bedingung (c) gilt auch hier. Aufl¨osen von (a ), (b ) und (c) liefert S1 = S3 = −

1 EA αT ∆T , 6

S2 =

1 EA αT ∆T . 3

38

B1.8

1 Zug und Druck in St¨aben

Beispiel 1.8 Der bei der Herstellung um den Wert δ zu kurz gerate-

ne Stab 3 soll mit dem Knoten C verbunden werden (Abb. 1.18a). Dabei gilt δ  l. a) Welche horizontale Montagekraft F ist dazu n¨otig (Abb. 1.18b)? b) Wie groß sind die Stabkr¨ afte nach der Montage? δ δ

1111111 0000000 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111 3

2

l

a

l

∆l3

F

C

1

1111111 0000000 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111

v∗

l

b

1

C∗ 2

3

c

Abb. 1.18

L¨ osung a) Durch die Montagekraft F wird der Knoten C verscho-

ben. Damit sich der Stab 3 mit dem Knoten verbinden l¨asst, muss die Horizontalkomponente dieser Verschiebung gleich dem Wert δ sein. Die dazu notwendige Kraft folgt mit α = 45◦ aus (1.21): √ F l 1 + 2/4 EA δ √ v= =δ → F = √ . EA 2/4 (2 2 + 1) l b) Nach der Montage wird die Kraft F entfernt. Dann verschiebt sich der Knoten C nochmals. Da auf ihn nun die Stabkraft S3 wirkt, geht er nicht mehr in die Lage vor der Montage (Ausgangslage) zur¨ uck, sondern er nimmt eine Lage C ∗ ein, deren horizontaler Abstand von der Ausgangslage durch √ S3 l 1 + 2/4 ∗ √ v = EA 2/4 gegeben ist. Nach Abb. 1.18c gilt die geometrische Bedingung v ∗ + ∆l3 = δ , wobei

1.6

∆l3 =

Statisch unbestimmte Stabsysteme

39

S3 l S3 (l − δ) ≈ EA EA

die Verl¨ angerung des Stabes 3 ist. Damit folgt √ S3 l 1 + 2/4 S3 l EA δ √ =δ → S3 = √ + . EA EA 2/4 2( 2 + 1)l Aus den Gleichgewichtsbedingungen am Knoten ergeben sich dann die anderen Stabkr¨ afte zu √ S2 = − S 3 . S1 = 2 S3 ,

40

1.7

1 Zug und Druck in St¨aben

1.7 Zusammenfassung • Normalspannung in einem Schnitt senkrecht zur Stabachse: σ = N/A , N Normalkraft, A Querschnittsfl¨ ache. • Dehnung: ε = du/dx , |ε|  1 , u Verschiebung eines Querschnitts. Sonderfall gleichf¨ ormiger Dehnung: ε = ∆l/l. • Hookesches Gesetz: σ =Eε, E Elastizit¨ atsmodul. • L¨ angen¨ anderung: l  ∆l =

N + αT ∆T EA

 dx ,

0

EA Dehnsteifigkeit, αT thermischer Ausdehnungskoeffizient, ∆T Temperatur¨ anderung. Sonderf¨ alle: N = F,

∆T = 0,

EA = const

N = 0,

∆T = const

Fl , EA



∆l =



∆l = αT ∆T l .

• Statisch bestimmtes Stabsystem: Normalkr¨afte, Spannungen, Dehnungen, L¨ angen¨ anderungen und Verschiebungen k¨onnen der Reihe nach aus Gleichgewicht, Elastizit¨atsgesetz und Kinematik ermittelt werden. Temperatur¨ anderungen verursachen keine Spannungen. • Statisch unbestimmtes Stabsystem: Alle Gleichungen (Gleichgewicht, Elastizit¨ atsgesetz und Kinematik) m¨ ussen gleichzeitig betrachtet werden. Temperatur¨ anderungen verursachen i.a. W¨ armespannungen.

Kapitel 2 Spannungszustand

2

2 Spannungszustand 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 2.4

Spannungsvektor und Spannungstensor .................... Ebener Spannungszustand .................................... Koordinatentransformation.................................... Hauptspannungen............................................... Mohrscher Spannungskreis.................................... D¨ unnwandiger Kessel .......................................... Gleichgewichtsbedingungen ................................... Zusammenfassung ..............................................

43 46 47 51 56 62 64 67

Lernziele: Im ersten Kapitel wurden Spannungen in St¨a¨ ben untersucht. Wir wollen nun diese Uberlegungen auf allgemeinere Tragwerke erweitern. Dazu f¨ uhren wir zun¨achst den Spannungstensor ein. Anschließend betrachten wir den ebenen Spannungszustand in Scheiben. Er ist durch die Spannungskomponenten in zwei senkrecht aufeinander stehenden Schnitten gegeben. Dabei zeigt sich unter anderem, dass die Normal- bzw. die Schubspannungen f¨ ur ausgezeichnete Schnittrichtungen extremal sind. Die Studierenden sollen lernen, wie man den Spannungszustand bei ebenen Problemen analysiert und die Spannungen f¨ ur verschiedene Schnittrichtungen ermittelt.

2.1

Spannungsvektor und Spannungstensor

43

2.1

2.1 Spannungsvektor und Spannungstensor Bisher wurden Spannungen nur in St¨ aben bestimmt. Wir wollen sie nun auch in anderen Tragwerken ermitteln und betrachten dazu einen K¨ orper, der beliebig belastet ist, zum Beispiel durch achenlasten p (Abb. 2.1a). Die ¨außere BeEinzelkr¨ afte Fi und Fl¨ lastung verursacht innere Kr¨ afte. Bei einem Schnitt s – s durch den K¨ orper sind die inneren Kr¨ afte (Spannungen) u ¨ber die gesamte Schnittfl¨ ache A verteilt. Diese Spannungen sind im allgemeinen u ache ver¨ anderlich (im Gegensatz zum ¨ber die Schnittfl¨ Zugstab, bei dem sie u ¨ber den Querschnitt konstant sind, vgl. Abschnitt 1.1).

Wir m¨ ussen daher die Spannung in einem beliebigen Punkt P der Schnittfl¨ ache definieren. Auf ein Fl¨ achenelement ∆A, in dem P enthalten ist, wirkt eine Schnittkraft ∆F (vgl. Abb. 2.1b) (Beachte: nach dem Wechselwirkungsgesetz wirkt eine gleich große, entgegengesetzt gerichtete Kraft auf die gegen¨ uberliegende Schnittfl¨ ache). Durch den Quotienten ∆F /∆A (Kraft pro Fl¨ache) wird die mittlere Spannung f¨ ur das Fl¨ achenelement definiert. Wir setzen nun voraus, dass das Verh¨ altnis ∆F /∆A f¨ ur den Grenz¨ ubergang ∆A → 0 gegen einen endlichen Wert strebt: t = lim

∆A→0

dF ∆F = . ∆A dA

(2.1)

Diesen Grenzwert nennt man den Spannungsvektor t. Man kann den Spannungsvektor in eine Komponente normal zur Schnitt߬ ache und eine Komponente in der Schnitt߬ache (tan-

44

2 Spannungszustand

gential) zerlegen. Die Normalkomponente heißt Normalspannung σ, die Tangentialkomponente nennt man Schubspannung τ . Der Spannungsvektor t ist im allgemeinen von der Lage des Punktes P in der Schnittfl¨ ache (d.h. vom Ort) abh¨angig. Die Spannungsverteilung in der Schnittfl¨ ache ist bekannt, wenn der Spannungsvektor t f¨ ur alle Punkte von A angegeben werden kann. Durch t wird allerdings der Spannungszustand in einem Punkt P der Schnittfl¨ ache noch nicht ausreichend beschrieben. Legt man n¨ amlich durch P Schnitte in verschiedenen Richtungen, so wirken dort entsprechend der unterschiedlichen Orientierung der Fl¨achenelemente unterschiedliche Schnittkr¨ afte. Die Spannungen sind demnach auch von der Schnittrichtung (charakterisiert durch den Normalenvektor n) abh¨ angig (vgl. zum Beispiel die Spannungen (1.3) bei unterschiedlichen Schnittrichtungen in einem Zugstab). Man kann zeigen, dass der Spannungszustand in einem Punkt P durch die drei Spannungsvektoren in drei senkrecht aufeinander stehenden Schnittfl¨ achen festgelegt wird. Diese Schnittfl¨achen lassen wir zweckm¨ aßig mit den Koordinatenebenen eines kartesischen Koordinatensystems zusammenfallen. Um sie anschaulich darzustellen, denken wir sie uns als die Seitenfl¨achen eines infinitesimalen Quaders mit den Kantenl¨ angen dx, dy und dz in der Umgebung von P (Abb. 2.2a). In jeder der sechs Fl¨achen wirkt ein Spannungsvektor, den wir in seine Komponenten senkrecht zur Schnittfl¨ ache (= Normalspannung) und in der Schnittfl¨ache (= Schubspannung) zerlegen. Die Schubspannung wird dann noch in die Komponenten nach den Koordinatenrichtungen zerlegt. Zur Kennzeichnung der Komponenten verwenden wir Doppelindizes: z τzx dz x a

P

τzy

τyz

τxz σxx τxy dy

σz τzy

z

σzz

τyx

τyz σyy

dx

M

σy τyz

y

dz/2

σy

dz/2

y

τzy σz b

dy/2

dy/2

Abb. 2.2

2.1

Spannungsvektor und Spannungstensor

45

der erste Index gibt jeweils die Richtung der Fl¨achennormale an, w¨ ahrend der zweite Index die Richtung der Spannungskomponente charakterisiert. So ist zum Beispiel τyx eine Schubspannung in einer Fl¨ ache, deren Normale in y-Richtung zeigt; die Spannung selbst zeigt in x-Richtung (Abb. 2.2a). Bei den Normalspannungen kann man die Schreibweise vereinfachen. Hier haben die Fl¨ achennormale und die Spannung jeweils die gleiche Richtung. Daher stimmen die beiden Indizes immer u ugt, nur einen Index anzugeben: ¨ berein, und es gen¨ σxx = σx ,

σyy = σy ,

σzz = σz .

Wir werden im folgenden nur noch diese k¨ urzere Schreibweise verwenden. Mit diesen Bezeichnungen lautet der Spannungsvektor zum Beispiel f¨ ur diejenige Schnittfl¨ ache, deren Normale in y-Richtung zeigt: t = τyx ex + σy ey + τyz ez .

(2.2)

F¨ ur die Spannungen gibt es eine Vorzeichenkonvention analog zu der bei den Schnittgr¨ oßen (vgl. Band 1, Abschnitt 7.1): Positive Spannungen zeigen an einem positiven (negativen) Schnittufer in die positive (negative) Koordinatenrichtung. Hiernach beanspruchen positive (negative) Normalspannungen den infinitesimalen Quader auf Zug (Druck). In Abb. 2.2a sind die positiven Spannungen an den positiven Schnittufern eingezeichnet. Durch das Zerlegen der Spannungsvektoren in ihre Komponenten haben wir drei Normalspannungen (σx , σy , σz ) sowie sechs Schubspannungen (τxy , τxz , τyx , τyz , τzx , τzy ) erhalten. Die Schubspannungen sind jedoch nicht alle unabh¨ angig voneinander. Um dies zu zeigen, bilden wir das Momentengleichgewicht um eine zur x-Achse parallele Achse durch den Mittelpunkt des Quaders (vgl. Abb. 2.2b). Da Gleichgewichtsaussagen nur f¨ ur Kr¨afte gelten, m¨ ussen wir die Spannungen mit den zugeordneten Fl¨achenelementen multiplizieren:

46

2 Spannungszustand 

M:

2

dy dz (τyz dx dz) − 2 (τzy dx dy) = 0 2 2



τyz = τzy .

Entsprechende Beziehungen erh¨ alt man aus dem Momentengleichgewicht um die anderen Achsen: τxy = τyx ,

τxz = τzx ,

τyz = τzy .

(2.3)

Demnach gilt: Schubspannungen in zwei senkrecht aufeinander stehenden Schnitten (z.B. τxy und τyx ) sind gleich. Man nennt sie einander zugeordnete Schubspannungen. Da sie das gleiche Vorzeichen besitzen, zeigen sie entweder auf die gemeinsame Quaderkante zu oder sie sind beide von ihr weggerichtet (vgl. Abb. 2.2). Wegen (2.3) gibt es nur sechs unabh¨angige Spannungen. Man kann die Komponenten der einzelnen Spannungsvektoren in einer Matrix anordnen: ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ σx τxy τxz σx τxy τxz ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ (2.4) σ = ⎣τyx σy τyz ⎦ = ⎣τxy σy τyz ⎦ . τzx

τzy

σz

τxz

τyz

σz

Die Hauptdiagonale wird von den Normalspannungen gebildet; die u ¨brigen Elemente sind die Schubspannungen. Wegen (2.3) ist die Matrix (2.4) symmetrisch. Die Gr¨ oße σ heißt Spannungstensor (den Begriff Tensor werden wir in Abschnitt 2.2.1 erl¨ autern). Die Elemente in (2.4) sind die Komponenten des Spannungstensors. Durch die Spannungsvektoren f¨ ur drei senkrecht aufeinander stehende Schnitte und damit durch den Spannungstensor (2.4) ist der Spannungszustand in einem Punkt eindeutig festgelegt. 2.2

2.2 Ebener Spannungszustand Wir wollen nun den Spannungszustand in einer Scheibe untersuchen. Hierunter versteht man ein ebenes Fl¨ achentragwerk, dessen

2.2

Ebener Spannungszustand

47

Dicke t klein gegen die L¨ angen der Seiten ist und das nur in seiner Ebene belastet wird (Abb. 2.3). Die Ober- und die Unterseite der Scheibe sind unbelastet. Da keine Kr¨ afte in z-Richtung auftreten, k¨onnen wir mit hinreichender Genauigkeit annehmen, dass auch die Spannungen in dieser Richtung verschwinden: τxz = τyz = σz = 0 . y

Fi

F2 F1 t

x

Abb. 2.3

Wegen der geringen Dicke d¨ urfen wir außerdem voraussetzen, dass die Spannungen σx , σy und τxy = τyx u ¨ ber die Dicke der Scheibe konstant sind. Eine solche Spannungsverteilung heißt ebener ur ihn verschwinden die letzte Zeile und die Spannungszustand. F¨ letzte Spalte in der Matrix (2.4), und es bleibt

σx τxy . σ= τxy σy Im allgemeinen h¨ angen die Spannungen von den Koordinaten x und y ab. Wenn die Spannungen nicht vom Ort abh¨angen, heißt der Spannungszustand homogen. 2.2.1 Koordinatentransformation

Bisher wurden die Spannungen in einem Punkt einer Scheibe in Schnitten parallel zu den Koordinatenachsen betrachtet. Wir wollen nun zeigen, wie man die Spannungen in einem beliebigen Schnitt senkrecht zur Scheibe aus diesen Spannungen ermitteln kann. Dazu betrachten wir ein aus der Scheibe herausgeschnittenes, infinitesimales Dreieck der Dicke t (Abb. 2.4). Die Schnittrich-

48

2 Spannungszustand

tungen sind durch das x, y-Koordinatensystem sowie den Winkel ϕ charakterisiert. Wir f¨ uhren ein ξ, η-System ein, das gegen¨ uber dem x, y-System um den Winkel ϕ gedreht ist und dessen ξ-Achse normal zur schr¨ agen Schnittfl¨ ache steht. Dabei z¨ahlen wir ϕ entgegen dem Uhrzeigersinn positiv. y ξ τξη

dy ϕ η

σx

σξ dη

τxy

ϕ τyx

x

dx σy

Abb. 2.4

Entsprechend den Koordinatenrichtungen bezeichnen wir die Spannungen in der schr¨ agen Schnittfl¨ ache mit σξ und τξη . Diese Schnittfl¨ ache ist durch dA = dη t gegeben. Die beiden anderen Schnittfl¨ achen haben die Gr¨ oßen dA sin ϕ bzw. dA cos ϕ. Das Kr¨ aftegleichgewicht in ξ- und in η-Richtung liefert dann : σξ dA − (σx dA cos ϕ) cos ϕ − (τxy dA cos ϕ) sin ϕ − (σy dA sin ϕ) sin ϕ − (τyx dA sin ϕ) cos ϕ = 0 ,

: τξη dA + (σx dA cos ϕ) sin ϕ − (τxy dA cos ϕ) cos ϕ − (σy dA sin ϕ) cos ϕ + (τyx dA sin ϕ) sin ϕ = 0 . Mit τyx = τxy erh¨ alt man daraus σξ = σx cos2 ϕ + σy sin2 ϕ + 2 τxy sin ϕ cos ϕ , (2.5a) τξη = − (σx − σy ) sin ϕ cos ϕ + τxy (cos ϕ − sin ϕ) . 2

2

Wir wollen nun zus¨ atzlich noch die Normalspannung ση ermitteln. Sie wirkt auf eine Schnittfl¨ ache, deren Normale in η-Richtung zeigt. Der Schnittwinkel f¨ ur diese Fl¨ ache ist durch ϕ + π/2 gegeben. Wir erhalten daher ση , wenn wir in der ersten Gleichung (2.5a) die Normalspannung σξ durch ση und den Winkel ϕ durch ϕ + π/2 ersetzen. Mit cos (ϕ + π/2) = − sin ϕ und sin (ϕ + π/2)

2.2

Ebener Spannungszustand

49

= cos ϕ folgt dann ση = σx sin2 ϕ + σy cos2 ϕ − 2 τxy cos ϕ sin ϕ .

(2.5b)

Es ist u ¨ blich, die Gleichungen (2.5a, b) noch umzuformen. Unter Verwendung von 1 (1 + cos 2 ϕ) , 2 1 sin2 ϕ = (1 − cos 2 ϕ) , 2

cos2 ϕ =

2 sin ϕ cos ϕ = sin 2 ϕ , cos2 ϕ − sin2 ϕ = cos 2 ϕ

erhalten wir schließlich σξ =

1 1 (σx + σy ) + (σx − σy ) cos 2 ϕ + τxy sin 2 ϕ , 2 2

ση =

1 1 (σx + σy ) − (σx − σy ) cos 2 ϕ − τxy sin 2 ϕ , 2 2

(2.6)

1 − (σx − σy ) sin 2 ϕ + τxy cos 2 ϕ . 2 Die Spannungen σx , σy und τxy sind die Komponenten des Spannungstensors im x, y-System. Mit (2.6) k¨ onnen aus ihnen die Komponenten σξ , ση und τξη im ξ, η-System berechnet werden. Man nennt (2.6) die Transformationsgleichungen f¨ ur die Komponenten des Spannungstensors. In Abb. 2.5 sind die Spannungen im x, ySystem und im ξ, η-System jeweils an einem Element eingetragen. τξη =

y

η

σy τyx

ση

τηξ τξη

τxy

σξ σx

ϕ ξ x

Abb. 2.5

Eine Gr¨ oße, deren Komponenten zwei Koordinatenindizes be¨ sitzen und beim Ubergang von einem Koordinatensystem zu einem dazu gedrehten Koordinatensystem nach einer bestimmten Vor-

50

2 Spannungszustand

schrift transformiert werden, heißt Tensor 2. Stufe. F¨ ur den Span¨ nungstensor ist diese Vorschrift beim Ubergang vom x, y-System zum ξ, η-System durch die Transformationsgleichungen (2.6) gegeben. Weitere Tensoren 2. Stufe werden wir in den Abschnitten 3.1 und 4.2 kennen lernen. Es sei angemerkt, dass auch die Komponenten von Vektoren Transformationsgleichungen erf¨ ullen. Da Vektorkomponenten nur einen Index besitzen, nennt man Vektoren auch Tensoren 1. Stufe. Wenn man die ersten beiden Gleichungen in (2.6) addiert, so erh¨ alt man σξ + ση = σx + σy .

(2.7)

Demnach hat die Summe der Normalspannungen in jedem Koordinatensystem den gleichen Wert. Man bezeichnet daher die Summe σx + σy als eine Invariante des Spannungstensors. Man kann sich durch Einsetzen davon u ¨ berzeugen, dass die Determi2 der Matrix des Spannungstensors eine weitere nante σx σy − τxy Invariante darstellt. Wir betrachten noch den Sonderfall, dass im x, y-System die Normalspannungen gleich sind (σx = σy ) und die Schubspannungen verschwinden (τxy = 0). Dann folgt nach (2.6) σξ = ση = σx = σy ,

τξη = 0 .

Die Normalspannungen sind demnach in allen Schnittrichtungen gleich (d.h. unabh¨ angig von ϕ), w¨ ahrend die Schubspannungen immer verschwinden. Man nennt einen solchen Spannungszustand hydrostatisch, da der Druck in einem Punkt einer ruhenden Fl¨ ussigkeit ebenfalls in allen Richtungen gleich ist (s. Band 4, Abschnitt 1.2). Es sei angemerkt, dass man auch Schnitte f¨ uhren kann, bei denen der Normalenvektor der Schnittfl¨ ache nicht in der Scheibenebene liegt (schr¨ ager Schnitt). Darauf wollen wir hier nicht eingehen, sondern verweisen auf Band 4, Abschnitt 2.1.

2.2

Ebener Spannungszustand

51

2.2.2 Hauptspannungen

Die Spannungen σξ , ση und τξη h¨ angen nach (2.6) von der Schnittrichtung – d.h. vom Winkel ϕ – ab. Wir untersuchen nun, f¨ ur welche Winkel diese Spannungen Extremalwerte annehmen und wie groß diese sind. Die Normalspannungen werden extremal f¨ ur dσξ /dϕ = 0 bzw. uhren auf f¨ ur dση /dϕ = 0. Beide Bedingungen f¨ − (σx − σy ) sin 2 ϕ + 2 τxy cos 2 ϕ = 0. Daraus folgt f¨ ur den Winkel ϕ = ϕ∗ , bei dem ein Extremalwert auftritt tan 2 ϕ∗ =

2 τxy . σx − σy

(2.8)

Die Tangensfunktion ist mit π periodisch. Daher gibt es wegen tan 2 ϕ∗ = tan 2(ϕ∗ + π/2) zwei senkrecht aufeinander stehende ur die (2.8) erf¨ ullt ist. Diese Schnittrichtungen ϕ∗ und ϕ∗ + π/2, f¨ Schnittrichtungen werden Hauptrichtungen genannt. Die zu diesen Schnittrichtungen geh¨ orenden Normalspannungen erh¨ alt man, indem man die Bedingung (2.8) f¨ ur ϕ∗ in σξ bzw. uhrt. Dabei verwendet man die trigonometriση nach (2.6) einf¨ schen Umformungen 1 σx − σy cos 2 ϕ∗ =  =  , 2 ∗ 2 1 + tan 2 ϕ (σx − σy )2 + 4 τxy tan 2 ϕ∗ 2 τxy =  . sin 2 ϕ∗ =  2 ∗ 2 1 + tan 2 ϕ (σx − σy )2 + 4 τxy

(2.9)

Mit den Bezeichnungen σ1 und σ2 f¨ ur die Extremwerte der Spannungen ergibt sich σ1,2 =

bzw.

1 2 2 τxy (σx − σy )2 1 (σx + σy ) ±  2 ± 2 2 2 (σx − σy )2 + 4 τxy (σx − σy )2 + 4 τxy

52

2 Spannungszustand

σ1,2

σx + σy ± = 2



σx − σy 2

2 2 . + τxy

(2.10)

Die beiden Normalspannungen σ1 und σ2 werden Hauptspannungen genannt. Es ist u ¨ blich, sie so zu nummerieren, dass σ1 > σ2 gilt (positives Vorzeichen der Wurzel f¨ ur σ1 ). Bei konkreten Problemen liefert (2.8) zwei Zahlenwerte f¨ ur die Winkel ϕ∗ und ϕ∗ + π/2. Die Zuordnung dieser beiden Winkel zu den Spannungen σ1 und σ2 kann zum Beispiel dadurch erfolgen, dass man einen davon in die erste Gleichung von (2.6) einsetzt. Dann erh¨alt man als zugeh¨ orige Normalspannung entweder σ1 oder σ2 . ur τξη Wenn man die Winkel ϕ∗ bzw. ϕ∗ +π/2 in die Gleichung f¨ nach (2.6) einsetzt, so erh¨ alt man τξη = 0. Demnach verschwinden die Schubspannungen in den Schnittrichtungen, f¨ ur welche die Normalspannungen ihre Extremalwerte σ1 und σ2 annehmen. Wenn umgekehrt in einem Schnitt keine Schubspannung auftritt, so ist die in diesem Schnitt wirkende Normalspannung eine Hauptspannung. Ein Koordinatensystem, dessen Achsen zu den Hauptrichtungen parallel sind, nennt man Hauptachsensystem. Wir bezeichnen die Achsen mit 1 und 2: die 1-Achse zeige in Richtung von σ1 (erste Hauptrichtung), die 2-Achse in Richtung von σ2 (zweite Hauptrichtung). In Abb. 2.6a bzw. b sind die Spannungen an einem Element im x, y-System bzw. im Hauptachsensystem dargestellt. σy

σ2

2

τmax

τyx σM

σ1

τxy

1

σx y a

σM

τmax x

b

ϕ∗

c

ϕ∗∗= ϕ∗+ π 4 Abb. 2.6

2.2

Ebener Spannungszustand

53

Wir bestimmen nun noch die Extremalwerte der Schubspannung und die zugeh¨ origen Schnittrichtungen. Aus der Bedingung dτξη =0 dϕ



− (σx − σy ) cos 2 ϕ − 2 τxy sin 2 ϕ = 0

folgt f¨ ur den Winkel ϕ = ϕ∗∗ , bei dem ein Extremalwert auftritt: tan 2 ϕ∗∗ = −

σx − σy . 2 τxy

(2.11)

Hieraus erh¨ alt man die zwei Winkel ϕ∗∗ und ϕ∗∗ +π/2. Durch Vergleich von (2.11) mit (2.8) erkennt man, dass wegen tan 2 ϕ∗∗ = −1/ tan 2 ϕ∗ die Richtungen 2ϕ∗∗ und 2 ϕ∗ senkrecht aufeinander stehen. Dies bedeutet, dass die Richtung ϕ∗∗ extremaler Schubspannung zu den Richtungen ϕ∗ extremaler Normalspannung unter 45◦ geneigt sind. Die Extremalwerte der Schubspannung nennt man auch Hauptschubspannungen. Sie ergeben sich durch Einsetzen von (2.11) in (2.6) unter Verwendung von (2.9) zu  τmax = ±

σx − σy 2

2 2 . + τxy

(2.12a)

Da sie sich nur durch das Vorzeichen (ihre Richtungen) unterscheiden, spricht man von maximalen Schubspannungen. Mit Hilfe der Hauptspannungen (2.10) kann man τmax auch in der Form 1 τmax = ± (σ1 − σ2 ) 2

(2.12b)

schreiben. Den Richtungssinn der maximalen Schubspannungen findet man, indem man als Verdrehwinkel des ξ, η-Systems den Winkel ϕ∗∗ w¨ahlt. Durch Einsetzen von ϕ∗∗ in die dritte Gleichung von (2.6) erh¨ alt man dann τξη = τmax einschließlich des Vorzeichens. Einsetzen von ϕ∗∗ in eine der Gleichungen (2.6) f¨ ur die Normalspannungen liefert einen von Null verschiedenen Wert, den wir mit

54

2 Spannungszustand

σM bezeichnen: σM =

1 1 (σx + σy ) = (σ1 + σ2 ) . 2 2

(2.13)

In den Schnitten extremaler Schubspannungen verschwinden demnach die Normalspannungen im allgemeinen nicht. Abb. 2.6c zeigt die Spannungen in den entsprechenden Schnitten. B2.1

Beispiel 2.1 In einem Blech wirkt ein homogener Spannungszu2 2 stand mit den Spannungen σx = − 64 N/mm , σy = 32 N/mm 2 und τxy = −20 N/mm . In Abb. 2.7a sind die Spannungen mit den Richtungen eingezeichnet, wie sie im Blech wirken. Man bestimme a) die Spannungen in einem Schnitt unter 60◦ zur x-Achse, b) die Hauptspannungen und die Hauptrichtungen, c) die Hauptschubspannungen sowie die zugeh¨origen Schnittrichtungen. Die Spannungen sind jeweils an einem Element zu skizzieren. y y τyx

η

σy σξ σx

τξη 60◦

τxy

ϕ = − 30◦

x a

x

ξ

b

τmax

σ2 ϕ∗ c

σM

2 σM τmax

σ1 1

ϕ∗∗ d

Abb. 2.7

L¨ osung a) Wir schneiden das Blech in der gegebenen Richtung.

Zur Charakterisierung des Schnitts f¨ uhren wir analog zu Abb. 2.5

2.2

Ebener Spannungszustand

55

ein ξ, η-System ein, bei dem die ξ-Achse normal auf dem Schnitt steht (Abb. 2.7b). Da es aus dem x, y-System durch Drehung um 30◦ im Uhrzeigersinn hervorgeht, ist der Drehwinkel negativ: ur die Spannungen ϕ = −30◦ . Damit erhalten wir nach (2.6) f¨ 1 1 (−64 + 32) + (−64 − 32) cos(−60◦ ) − 20 sin(−60◦ ) 2 2 N = −22, 7 , mm2

σξ =

1 N τξη = − (−64 − 32) sin(−60◦ ) − 20 cos(−60◦ ) = −51, 6 . 2 mm2 Beide Spannungen sind negativ. Sie sind mit entsprechendem Richtungssinn in Abb. 2.7b eingezeichnet. b) Die Hauptspannungen ergeben sich nach (2.10) zu  2 −64 − 32 −64 + 32 ± σ1,2 = + (−20)2 2 2 →

σ1 = 36

N , mm2

σ2 = −68

N . mm2

(a)

Aus (2.8) folgt f¨ ur eine zugeh¨ orige Hauptrichtung tan 2ϕ∗ =

2(−20) = 0, 417 −64 − 32



ϕ∗ = 11, 3◦ .

Um zu entscheiden, welche Hauptspannung zu dieser Schnittrichtung geh¨ ort, setzen wir ϕ∗ in die erste Gleichung von (2.6) ein und erhalten 1 1 σξ (ϕ∗ ) = (−64 + 32) + (−64 − 32) cos(22, 6◦ ) 2 2 N − 20 sin(22, 6◦ ) = −68 = σ2 . mm2 Demnach geh¨ ort die Hauptspannung σ2 zum Winkel ϕ∗ . Die Hauptspannung σ1 wirkt in einem Schnitt senkrecht dazu (Abb. 2.7c). c) Die Hauptschubspannungen ergeben sich mit (a) aus (2.12b) zu

56

2 Spannungszustand

1 N τmax = ± (36 + 68) = ±52 . 2 mm2 Die zugeh¨ origen Schnittrichtungen sind zu den Hauptrichtungen um 45◦ geneigt. Somit erhalten wir ϕ∗∗ = 56, 3◦ . Die Richtung von τmax ergibt sich durch Einsetzen von ϕ∗∗ in (2.6) aus dem positiven Vorzeichen von τξη (ϕ∗∗ ). Die zugeh¨origen Normalspannungen sind nach (2.13) durch σM =

N 1 (−64 + 32) = −16 2 mm2

gegeben. Die Spannungen sind in Abb. 2.7d mit ihren wirklichen Richtungen dargestellt. 2.2.3 Mohrscher Spannungskreis

Aus den Spannungen σx , σy und τxy k¨ onnen mit Hilfe der Transur ein formationsgleichungen (2.6) die Spannungen σξ , ση und τξη f¨ ξ, η-System berechnet werden. Diese Gleichungen erlauben aber auch eine einfache geometrische Darstellung. Dazu ordnen wir die achst um: Beziehungen (2.6) f¨ ur σξ und τξη zun¨ 1 1 σξ − (σx + σy ) = (σx − σy ) cos 2 ϕ + τxy sin 2 ϕ , 2 2 1 τξη = − (σx − σy ) sin 2 ϕ + τxy cos 2 ϕ . 2

(2.14)

Durch Quadrieren und Addieren kann der Winkel ϕ eliminiert werden: 2  2  σx − σy 1 2 2 = + τxy . (2.15) σξ − (σx + σy ) + τξη 2 2 Wenn man in (2.14) statt der Gleichung f¨ ur σξ die entsprechende f¨ ur ση nimmt, so findet man, dass in (2.15) σξ durch ση ersetzt wird. Deshalb werden im folgenden die Indizes ξ und η weggelassen.

2.2

Ebener Spannungszustand

57

Der Ausdruck auf der rechten Seite von (2.15) ist bei gegebenen Spannungen σx , σy und τxy ein fester Wert, den wir mit r2 abk¨ urzen:  2 σx − σy 2 + τxy . (2.16) r2 = 2 Mit σM = 12 (σx + σy ) und (2.16) wird dann aus (2.15) (σ − σM )2 + τ 2 = r2 .

(2.17)

Dies ist die Gleichung eines Kreises in der σ, τ -Ebene: die Punkte (σ, τ ) liegen auf dem nach Otto Mohr (1835–1918) benannten Spannungskreis mit dem Mittelpunkt (σM , 0) und dem Radius r (Abb. 2.8a). Durch Umformen von (2.16) erh¨ alt man r2 =

 1 2 (σx + σy )2 − 4(σx σy − τxy ) . 4

Da die Ausdr¨ ucke in den runden Klammern invariant sind (vgl. Abschnitt 2.2.1), ist auch r eine Invariante. Der Spannungskreis l¨ asst sich konstruieren, wenn die Spannungen σx , σy und τxy bekannt sind. Dazu brauchen wir σM und r nicht zu berechnen; man kann den Kreis mit den gegebenen Spannungen unmittelbar zeichnen. Hierzu werden zun¨achst auf der σ-Achse die Spannungen σx und σy unter Beachtung ihrer Vorzeichen eingezeichnet. In diesen Punkten wird dann die Schubspannung τxy nach folgender Regel aufgetragen: vorzeichenrichtig u ¨ ber σx und mit umgekehrtem Vorzeichen u ¨ber σy . Mit P und P  liegen zwei Punkte des Kreises fest (Abb. 2.8a). Der Schnittpunkt ihrer Verbindungslinie mit der Abszisse liefert den Kreismittelpunkt, und damit kann der Kreis gezeichnet werden. Der Spannungszustand in einem Punkt einer Scheibe wird durch den Mohrschen Spannungskreis beschrieben; zu jedem Schnitt geh¨ ort ein Punkt auf dem Kreis. So geh¨ oren zum Beispiel der Punkt P zu dem Schnitt, in dem σx und τxy wirken, und der Punkt P  zu

58

2 Spannungszustand

τ P τ r xy

τmax

τ P r σy

τxy

2ϕ∗

σ σ2

σM σx

τxy P

1 (σx−σy ) 2

σM = 12 (σx+σy )

Q



ση

σM σy

σx

τξη

σ

σξ σ1

2ϕ∗∗

Q

P

τmax b

a

η

y

ϕ ξ x

Abb. 2.8

dem dazu senkrechten Schnitt. Aus dem Spannungskreis k¨onnen die Spannungen in beliebigen Schnitten sowie die Extremalwerte der Spannungen und die zugeh¨ origen Schnittrichtungen bestimmt werden. Die Hauptspannungen σ1 und σ2 sowie die Hauptschubspannung τmax sind unmittelbar ablesbar (Abb. 2.8b). Wir wollen nun zeigen, dass man die Spannungen σξ , ση und τξη in einem um den Winkel ϕ (positiv entgegen dem Uhrzeigersinn) gegen¨ uber dem x, y-System gedrehten ξ, η-System auf folgende Weise erh¨ alt: der Punkt Q, der zu einem Schnitt mit den ort, ergibt sich durch Antragen des Spannungen σξ und τξη geh¨ doppelten Winkels – d.h. 2 ϕ – in entgegengesetzter Drehrichtung (Abb. 2.8b); der zum dazu senkrechten Schnitt geh¨orende Punkt uber. Die Hauptrichtungen sowie die Richtungen Q liegt Q gegen¨ der Hauptschubspannungen sind schließlich durch die Winkel ϕ∗ und ϕ∗∗ gegeben. Zum Beweis lesen wir zun¨ achst aus den Abb. 2.8a,b ab: tan 2 ϕ∗ =

2 τxy , σx − σy

1 (σx − σy ) = r cos 2ϕ∗ , 2

τxy = r sin 2ϕ∗ .

Wenn man dies in die Transformationsgleichungen f¨ ur σξ und ση einsetzt, erh¨ alt man

2.2

Ebener Spannungszustand

59

1 (σx + σy ) + r cos 2ϕ∗ cos 2ϕ + r sin 2ϕ∗ sin 2ϕ 2 1 = (σx + σy ) + r cos (2ϕ∗ − 2ϕ) , 2

σξ =

τξη = − r cos 2ϕ∗ sin 2ϕ + r sin 2ϕ∗ cos 2ϕ = r sin (2ϕ∗ − 2ϕ) . Dies kann man aber auch aus Abb. 2.8b ablesen, d.h. der Mohrsche Kreis ist die geometrische Darstellung der Transformationsgleichungen. Wenn man den Mohrschen Kreis zur L¨ osung von Problemen anwenden will, so m¨ ussen drei Bestimmungsst¨ ucke gegeben sein osungen ist dabei ein (zum Beispiel σx , τxy , σ1 ). Bei grafischen L¨ Maßstab f¨ ur die Spannungen zu w¨ ahlen. Wir betrachten abschließend noch drei Sonderf¨alle. Bei einachsigem Zug (Abb. 2.9a) gilt σx = σ0 > 0, σy = 0, τxy = 0. Da die Schubspannung Null ist, sind σ1 = σx = σ0 und σ2 = σy = 0 τ y σ2 = 0 σ0 x

a

σM = σ0/2

τmax σ = σ 1 0 σM σ

τmax= σ0/2 45◦

τ y τ0

σ1 = τ0

τmax σ = τ 1 0

σ2 = −τ0

σ x

b

y

σ2 = −τ0 45◦

τ

σ0

σ0

c

Abb. 2.9

σ0 x

σ0

σ

ϕ

σ0

60

2 Spannungszustand

die Hauptspannungen. Der Mohrsche Kreis tangiert die τ -Achse und liegt rechts von ihr. Die maximale Schubspannung τmax = σ0 /2 tritt in Schnitten unter 45◦ zur x-Achse auf (vgl. auch Abschnitt 1.1). Liegt ein Spannungszustand mit σx = 0, σy = 0 und τxy = τ0 vor, so spricht man von reinem Schub. Dann f¨allt wegen σM = 0 der Mittelpunkt des Mohrschen Kreises mit dem Ursprung des Koordinatensystems zusammen (Abb. 2.9b). Die Hauptspannungen sind σ1 = τ0 und σ2 = −τ0 ; sie treten in Schnitten unter 45◦ zur x-Achse auf. Im Falle eines hydrostatischen Spannungszustandes gilt σx = σy = σ0 und τxy = 0. Dann entartet der Mohrsche Spannungskreis zu einem Punkt auf der σ-Achse (Abb. 2.9c). Die Normalspannungen haben f¨ ur alle Schnittrichtungen den gleichen Wert σξ = ση = σ0 , und die Schubspannungen verschwinden (vgl. Abschnitt 2.2.1). B2.2

Ein ebener Spannungszustand ist durch σx = 50 N/mm , σy = −20 N/mm2 und τxy = 30 N/mm2 gegeben. Man bestimme mit Hilfe eines Mohrschen Kreises a) die Hauptspannungen und die Hauptrichtungen, b) die Normal- und die Schubspannung in einer Schnittfl¨ache, deren Normale den Winkel ϕ = 30◦ mit der x-Achse bildet. Die Ergebnisse sind in Schnittbildern zu skizzieren.

Beispiel 2.2 2

a) Aus den gegebenen Spannungen kann nach Festlegung eines Maßstabs der Mohrsche Kreis konstruiert werden (die gegebenen Spannungen sind in Abb. 2.10a durch gr¨ une Kreise markiert). Die Hauptspannungen und die Hauptrichtungen lassen sich daraus direkt ablesen:

L¨ osung

2

σ1 = 61 N/mm ,

2

σ2 = −31 N/mm ,

ϕ∗ = 20◦ .

b) Zur Bestimmung der Spannungen in der gedrehten Schnittfl¨ ache f¨ uhren wir ein ξ, η-Koordinatensystem ein, dessen ξ-Achse mit der Normalen zusammenf¨ allt. Die gesuchten Spannungen σξ und τξη erhalten wir, wenn wir im Mohrschen Kreis den Winkel

2.2

Ebener Spannungszustand

61

2 ϕ entgegengesetzt zur Richtung von ϕ antragen. Wir lesen ab: 2

σξ = 58, 5 N/mm ,

2

τξη = −15, 5 N/mm .

Die Spannungen mit ihren wirklichen Richtungen und die zugeh¨ origen Schnitte sind in Abb. 2.10b veranschaulicht. τ

σy τxy

20 N/mm2

σx σ2

2ϕ∗ 2ϕ

σy

τxy σξ σ1 σx

σ2

σ

τξη

σ1 ϕ∗

η

y

ξ ϕ

a

Abb. 2.10

x b

ϕ

σξ τξη

Beispiel 2.3 Von einem ebenen Spannungszustand sind die bei-

den Hauptspannungen σ1 = 40 N/mm2 und σ2 = −20 N/mm2 gegeben. Welche Lage hat ein x, y-Koordinatensystem, in dem σx = 0 und τxy > 0 ist in Bezug auf die Hauptachsen, und wie groß sind σy und τxy ? L¨ osung Mit den gegebenen Hauptspannungen σ1 und σ2 l¨ asst sich

der Mohrsche Kreis maßst¨ ablich zeichnen (Abb. 2.11a). Aus ihm kann die Lage des gesuchten x, y-Systems entnommen werden: dem Winkel 2 ϕ entgegen dem Uhrzeigersinn (vom Punkt σ1 zum Punkt P ) im Mohrschen Kreis entspricht der Winkel ϕ im Uhrzeigersinn zwischen der 1-Achse und der x-Achse. Wir lesen f¨ ur den Winkel und die gesuchten Spannungen ab: 2 ϕ = 110◦



ϕ = 55◦ , σy = 20

N N , τxy = 28 . mm2 mm2

B2.3

62

2 Spannungszustand

Die Spannungen und die Koordinatensysteme sind in Abb. 2.11b skizziert.

2.2.4 D¨ unnwandiger Kessel

Als Anwendungsbeispiel f¨ ur den ebenen Spannungszustand betrachten wir nun einen d¨ unnwandigen, zylindrischen Kessel (Abb. 2.12a) mit dem Radius r und der Wandst¨ arke t. Er stehe unter einem Innendruck p. Der Innendruck verursacht in der Wand des Kessels Spannungen (Abb. 2.12b), die wir ermitteln wollen.

In hinreichender Entfernung von den Deckeln ist der Spannungszustand unabh¨ angig vom Ort (homogen). Wegen t  r d¨ urfen die Spannungen in radialer Richtung vernachl¨assigt wer-

2.2

Ebener Spannungszustand

63

den. In der Mantelfl¨ ache des Kessels liegt daher lokal n¨aherungsweise ein ebener Spannungszustand vor (das Element nach Abb. 2.12b ist zwar gekr¨ ummt, es wird aber durch ein Element in der Tangentialebene ersetzt). Der Spannungszustand kann durch die Spannungen in zwei zueinander senkrechten Schnitten beschrieben werden. Zuerst schneiden wir den Kessel senkrecht zu seiner Achse (Abb. 2.12c). Da der Druck im Gas u ¨ berall gleich ist, herrscht auch auf der gesamten Schnittfl¨ ache πr2 der Druck p. Nehmen wir an, dass die L¨angsspannung σx wegen t  r u ¨ber die Wanddicke gleichf¨ ormig verteilt ist, so liefert das Kr¨aftegleichgewicht (Abb. 2.12c) σx 2 π r t − p π r2 = 0



σx =

1 r p 2 t

.

(2.18)

Wir schneiden nun ein Halbkreisrohr der L¨ange ∆l gem¨aß Abb. 2.12d aus dem Kessel. In den horizontalen Schnittfl¨achen wirken die Umfangsspannungen σϕ , die u ¨ber die Dicke ebenfalls konstant sind. Mit der vom Gas auf das Halbkreisrohr ausge¨ ubten Kraft p 2 r∆l liefert dann die Gleichgewichtsbedingung in vertikaler Richtung 2 σϕ t ∆ l − p 2 r∆l = 0



σϕ = p

r t

.

(2.19)

Die beiden Gleichungen (2.18) und (2.19) f¨ ur σx und σϕ werden Kesselformeln genannt. Wegen t  r gilt nach (2.18) bzw. (2.19) f¨ ur die Spannungen σx , σϕ p. Daher ist die zu Beginn dieses Abschnittes getroffene Annahme gerechtfertigt, dass die Spannungen assigt werden d¨ urfen (| σr |≤ p). σr in radialer Richtung vernachl¨ Da in beiden Schnitten keine Schubspannungen auftreten (Symmetrie), sind die Spannungen σx und σϕ Hauptspannungen: σ1 = σϕ = p r/t, σ2 = σx = p r/(2t). Die maximale Schubspannung folgt nach (2.12b) zu τmax =

1 1 r (σ1 − σ2 ) = p ; 2 4 t

64

2 Spannungszustand

sie wirkt in Schnitten unter 45◦ . Es sei angemerkt, dass in der N¨ ahe der Deckel kompliziertere Spannungszust¨ande herrschen, die einer elementaren Behandlung nicht zug¨ anglich sind. Bei einem d¨ unnwandigen, kugelf¨ ormigen Kessel vom Radius r (Abb. 2.13a) treten unter einem Innendruck p die Spannungen σt und σϕ in der Kesselwand auf (Abb. 2.13b). Wenn wir den Kessel durch einen Schnitt nach Abb. 2.13c halbieren, so erhalten wir aus der Gleichgewichtsbedingung σt 2 π r t − p π r2 = 0



σt =

1 r p . 2 t

Ein dazu senkrechter Schnitt liefert entsprechend σϕ 2 π r t − p π r2 = 0



σϕ =

1 r p . 2 t

Demnach gilt σt = σϕ =

1 r p . 2 t

(2.20)

Bei einem kugelf¨ ormigen, d¨ unnwandigen Kessel wirkt daher in der Kesselwand in jeder beliebigen Richtung eine Spannung der Gr¨oße p r/(2 t).

2.3

2.3 Gleichgewichtsbedingungen Nach Abschnitt 2.1 wird der Spannungszustand in einem Punkt eines K¨ orpers durch den Spannungstensor beschrieben. Die Komponenten des Spannungstensors sind in Abb. 2.2a veranschaulicht.

2.3

y

dy

σx

Abb. 2.14

τxy

Gleichgewichtsbedingungen

65

∂σ σy + ∂yy dy ∂τ τyx+ yx dy ∂y ∂τ τxy+ xy dx fy ∂x fx σx + ∂σx dx ∂x x τyx σy dx

Sie sind im allgemeinen nicht unabh¨ angig voneinander, sondern durch die Gleichgewichtsbedingungen miteinander verkn¨ upft. Zur Herleitung dieser Bedingungen betrachten wir zun¨achst in Abb. 2.14 ein aus einer Scheibe (Dicke t) herausgeschnittenes Element mit den zugeh¨ origen Spannungen (ebener Spannungszustand). Da die Spannungen im allgemeinen von x und y abh¨angen, sind sie auf gegen¨ uberliegenden Fl¨ achen nicht gleich groß; sie unterscheiden sich durch infinitesimale Zuw¨ achse. So wirkt zum Beispiel auf der linken Schnittfl¨ ache die Normalspannung σx und auf ∂σx der rechten Fl¨ ache die Spannung σx + dx (erste Glieder der ∂x Taylor-Reihe, vgl. auch Abschnitt 3.1). Das Symbol ∂/∂x kennzeichnet die partielle Ableitung nach x. Außerdem wird das Element durch die Volumenkraft f mit den Komponenten fx und fy belastet. Das Kr¨ aftegleichgewicht in x-Richtung liefert   ∂σx dx dy t − σx dy t − τyx dx t + σx + ∂x   ∂τyx + τyx + dy dx t + fx dx dy t = 0 ∂y bzw. ∂τyx ∂σx + + fx = 0 . ∂x ∂y

(2.21a)

66

2 Spannungszustand

Entsprechend erh¨ alt man aus dem Kr¨ aftegleichgewicht in y- Richtung ∂σy ∂τxy + + fy = 0 . ∂x ∂y

(2.21b)

Die Gleichungen (2.21a, b) heißen Gleichgewichtsbedingungen. Sie sind zwei gekoppelte partielle Differentialgleichungen f¨ ur die drei Komponenten σx , σy und τxy = τyx des Spannungstensors (ebener Spannungszustand). Aus ihnen kann der Spannungszustand nicht eindeutig ermittelt werden: das Problem ist statisch unbestimmt. F¨ ur einen r¨aumlichen Spannungszustand erh¨alt man entsprechend die Gleichgewichtsbedingungen

∂τyx ∂τzx ∂σx + + + fx = 0 , ∂x ∂y ∂z ∂σy ∂τzy ∂τxy + + + fy = 0 , ∂x ∂y ∂z

(2.22)

∂τxz ∂τyz ∂σz + + + fz = 0 . ∂x ∂y ∂z

Dies sind drei gekoppelte partielle Differentialgleichungen f¨ ur die sechs Komponenten des Spannungstensors. Bei einem homogenen Spannungszustand sind die Komponenten des Spannungstensors konstant. Dann verschwinden alle partiellen Ableitungen in (2.21a, b) bzw. (2.22). Die Gleichgewichtsbedingungen sind in diesem Fall nur dann erf¨ ullt, wenn fx = fy = fz = 0 gilt. Daher ist ein homogener Spannungszustand unter der Wirkung von Volumenkr¨ aften (bzw. von Massenkr¨aften) nicht m¨ oglich. Es sei angemerkt, dass aus dem Momentengleichgewicht am Element auch bei Ber¨ ucksichtigung der Spannungszuw¨achse die Symmetrie des Spannungstensors folgt (vgl. Abschnitt 2.1).

2.4

Zusammenfassung

67 2.4

2.4 Zusammenfassung • Der Spannungszustand in einem Punkt eines K¨orpers ist durch den Spannungstensor σ gegeben. Er hat im r¨aumlichen Fall 3 × 3 Komponenten (beachte Symmetrie). Im ebenen Spannungszustand (ESZ) reduziert er sich auf

σx τxy mit τxy = τyx . σ= τyx σy • Vorzeichenkonvention: positive Spannungen zeigen an einem positiven (negativen) Schnittufer in positive (negative) Koordinatenrichtungen. • Transformationsbeziehungen (ESZ): σξ = 12 (σx + σy ) + 12 (σx − σy ) cos 2ϕ + τxy sin 2ϕ , ση = 12 (σx + σy ) − 12 (σx − σy ) cos 2ϕ − τxy sin 2ϕ , τξη = − 12 (σx − σy ) sin 2ϕ + τxy cos 2ϕ . Die Achsen ξ, η sind zu x, y um den Winkel ϕ gedreht. • Hauptspannungen und -richtungen (ESZ):  2 , σ1,2 = 12 (σx + σy ) ± 14 (σx − σy )2 + τxy tan 2ϕ∗ =

2τxy σx − σy



ϕ∗1 , ϕ∗2 = ϕ∗1 ± π/2 .

Hauptspannungen sind extremale Spannungen; in den zugeh¨origen Schnitten sind die Schubspannungen Null. • Maximale Schubspannungen und ihre Richtungen (ESZ):  2 , ϕ∗∗ = ϕ∗ ± π/4 . τmax = 14 (σx − σy )2 + τxy • Der Mohrsche Kreis erlaubt die geometrische Darstellung der Koordinatentransformation. • Gleichgewichtsbedingungen f¨ ur die Spannungen (ESZ): ∂τyx ∂σx + + fx = 0 , ∂x ∂y

∂σy ∂τxy + + fy = 0 . ∂x ∂y

Im r¨ aumlichen Fall gibt es drei Gleichgewichtsbedingungen.

Kapitel 3 Verzerrungszustand, Elastizit¨ atsgesetz

3

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨ atsgesetz 3.1 3.2 3.3 3.4

Verzerrungszustand ............................................. Elastizit¨atsgesetz................................................ Festigkeitshypothesen .......................................... Zusammenfassung ..............................................

71 76 83 86

Lernziele: Die Deformation eines Stabes haben wir im ersten Kapitel durch die Dehnung und die Verschiebung beschrieben. Wir wollen diese kinematischen Gr¨ oßen jetzt auf den r¨aumlichen Fall verallgemeinern. Zu diesem Zweck f¨ uhren wir neben dem Verschiebungsvektor den Verzerrungstensor ein, durch welchen L¨ angen- und Winkel¨ anderungen beschrieben werden. Daneben werden wir das bereits bekannte eindimensionale Hookesche Gesetz auf den zwei- bzw. den dreidimensionalen Fall erweitern. Schließlich lernen wir Hypothesen kennen, mit deren Hilfe man bei einem r¨ aumlichen Spannungszustand die Beanspruchung des Materials beurteilen kann. Die Studierenden sollen lernen, wie man aus den Deformationsgr¨ oßen die Spannungen - und umgekehrt bestimmen kann.

3.1

Verzerrungszustand

71

3.1

3.1 Verzerrungszustand Bei der einachsigen Deformation eines Zugstabes wurden als kinematische Gr¨ oßen die Verschiebung u und die Dehnung ε = du/dx eingef¨ uhrt (Abschnitt 1.2). Wir wollen nun untersuchen, wie man die Verformung von fl¨ achenf¨ ormigen oder r¨ aumlich ausgedehnten K¨ orpern beschreiben kann. Dabei beschr¨ anken wir uns zun¨achst auf Verformungen in der Ebene und betrachten hierzu eine Scheibe, in der zwei gegeneinander geneigte Quadrate { und | markiert sind (Abb. 3.1). Wenn die Scheibe z.B. durch eine Normalspannung σ beansprucht wird, dann erf¨ ahrt ein Punkt P eine Verschiebung u aus seiner urspr¨ unglichen Lage in eine neue Lage P  . Der Verschiebungsvektor u ist ortsabh¨ angig. Daher ¨ andern sich bei der Verschiebung die Seitenl¨ angen (Quadrat {) bzw. die Seitenl¨angen und die Winkel (Quadrat | ).

Abb. 3.1

11 00 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11

undeformierte Scheibe

1

2

deformierte Scheibe

P

P u

σ

¨ Im folgenden betrachten wir die Anderungen der Seitenl¨angen und der Winkel. Dabei beschr¨ anken wir uns auf kleine Deformationen. Abbildung 3.2 zeigt ein infinitesimales Rechteck P QRS mit den Seitenl¨ angen dx und dy im undeformierten Zustand. Bei der Verformung geht es in die neue Lage P  Q R S  u ¨ ber. Der Verschiebungsvektor u (x, y) des Punktes P (x, y) hat die Komponenten u(x, y) bzw. v(x, y) in x- bzw. in y-Richtung. Die Verschiebung eines zu P benachbarten Punktes kann mit Hilfe von TaylorReihen bestimmt werden. F¨ ur die von den beiden Variablen x und y abh¨ angigen Funktionen u und v gilt dann u(x + dx, y + dy) = u(x, y) +

∂u(x, y) ∂u(x, y) dx + dy + . . . , ∂x ∂y

72

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨atsgesetz

v(x + dx, y + dy) = v(x, y) +

∂v(x, y) ∂v(x, y) dx + dy + . . . . ∂x ∂y

Dabei kennzeichnen ∂/∂x bzw. ∂/∂y die partiellen Ableitungen nach den Variablen x bzw. y. u+ ∂u dy ∂y v+ ∂v dy ∂y

S

v x

R



R

S α

dy

y

∂u dy ∂y

π/2 −γxy u

P u

P dx

Q β

Q u+ ∂u dx ∂x



∂v dx ∂x v+ ∂v dx ∂x

Abb. 3.2

Die Reihen vereinfachen sich f¨ ur die Punkte Q und S. Da sich beim Fortschreiten von P nach Q die y-Koordinate nicht ¨andert (dy = 0), verschiebt sich der Punkt Q bei Vernachl¨assigung von Gliedern h¨ oherer Ordnung um u + ∂u/∂x dx bzw. v + ∂v/∂x dx in x- bzw. in y-Richtung (Abb. 3.2). Entsprechend erhalten wir f¨ ur den Punkt S wegen dx = 0 die Verschiebungskomponenten u + ∂u/∂y dy bzw. v + ∂v/∂y dy. Bei der Verformung geht die Strecke P Q in die Strecke P  Q u ¨ber. Da wir uns auf kleine Deformationen (β  1) beschr¨anken, aherungsweise gleich der L¨ange der Proist die L¨ ange von P  Q n¨ jektion auf die x-Achse (Abb. 3.2):   ∂u ∂u dx − u = dx + dx. P  Q ≈ dx + u + ∂x ∂x Wenn wir analog zu Abschnitt 1.2 die Dehnung εx in x-Richtung als das Verh¨ altnis von L¨ angen¨ anderung zu Ausgangsl¨ange einf¨ uh-

3.1

Verzerrungszustand

73

ren, so erhalten wir

  ∂u dx + dx − dx ∂u P  Q − P Q ∂x = . = εx = dx ∂x PQ

Entsprechend geht die Strecke P S in die Strecke   ∂v ∂v   dy − v = dy + dy P S ≈ dy + v + ∂y ∂y u ¨ ber. Die Dehnung εy in y-Richtung ist dann durch   ∂v dy − dy dy + ∂v P S  − P S ∂y = εy = = dy ∂y PS gegeben. Demnach gibt es in einer Scheibe die beiden Dehnungen εx =

∂u , ∂x

εy =

∂v . ∂y

(3.1)

¨ Die Anderung des urspr¨ unglich rechten Winkels bei der Verformung ist nach Abb. 3.2 durch α und β gegeben. Wir lesen ab: ∂u dy ∂y , tan α = ∂v dy dy + ∂y

∂v dx ∂x tan β = . ∂u dx dx + ∂x

Wegen der Beschr¨ankung auf kleine Deformationen wird daraus bei Vernachl¨ assigung der zweiten Terme in den Nennern (εx , εy  1) α=

∂u , ∂y

β=

∂v . ∂x

Bezeichnen wir die gesamte Winkel¨ anderung mit γxy , dann erhalten wir γxy = α + β



γxy =

∂u ∂v + . ∂y ∂x

(3.2)

74

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨atsgesetz

Die Gr¨ oße γ wird Gleitung oder Scherung (Winkelverzerrung) genannt; die Indizes x und y geben an, dass γxy die Winkel¨anderung in der x, y-Ebene beschreibt. Vertauscht man x mit y und u mit v, so erkennt man: γyx = γxy . Unter Verzerrungen versteht man sowohl die Dehnungen als auch die Gleitungen. Sie sind durch die kinematischen Beziehunupft. Wenn die gen (3.1) und (3.2) mit den Verschiebungen verkn¨ Verschiebungen gegeben sind, k¨ onnen die Verzerrungen nach (3.1) und (3.2) durch Differenzieren berechnet werden. Durch εx , εy und γxy ist der ebene Verzerrungszustand im Punkt P festgelegt. Man kann zeigen, dass die Dehnungen εx und εy sowie die halbe Winkel¨ anderung εxy = γxy /2 Komponenten eines symmetrischen Tensors ε sind. Dieser Tensor heißt Verzerrungstensor; er l¨ asst sich als Matrix schreiben: ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ 1 εx εx εxy 2 γxy ⎦=⎣ ⎦. ε=⎣ 1 εyx εy 2 γxy εy Die Hauptdiagonale wird von den Dehnungen gebildet, in der Nebendiagonalen stehen die halben Gleitungen. Die in Abschnitt 2.2 angegebenen Eigenschaften des Spannungstensors bei einem ebenen Spannungszustand k¨onnen sinngem¨aß auf den Verzerrungstensor u ¨ bertragen werden. Wir erhalten die Komponenten εξ , εη und εξη = γξη / 2 in einem um den Winkel ϕ (positiv entgegen dem Uhrzeigersinn) gedrehten ξ, η -Koordinatensystem aus den Komponenten εx , εy und γxy / 2 mit Hilfe der Transformationsbeziehungen (2.6). Dabei sind die Spannungen durch die Verzerrungen zu ersetzen: εξ = 12 (εx + εy ) + 12 (εx − εy ) cos 2ϕ + 12 γxy sin 2ϕ , εη = 12 (εx + εy ) − 12 (εx − εy ) cos 2ϕ − 12 γxy sin 2ϕ , (3.3) 1 2 γξη

=

− 12 (εx − εy ) sin 2ϕ + 12 γxy cos 2ϕ .

3.1

Verzerrungszustand

75

Der Verzerrungstensor hat (wie der Spannungstensor) zwei senkrecht aufeinander stehende Hauptrichtungen, die sich in Analogie zu (2.8) aus der folgenden Gleichung bestimmen lassen: tan 2 ϕ∗ =

γxy . εx − εy

(3.4)

Die Hauptdehnungen ε1 und ε2 lauten (vgl. (2.10))

ε1,2

εx + εy ± = 2



εx − εy 2



2 +

1 γxy 2

2 .

(3.5)

Analog zum Mohrschen Spannungskreis kann man einen Mohrschen Verzerrungskreis einf¨ uhren. Dabei sind die Spannungen σ und τ durch die Verzerrungen ε und γ/2 zu ersetzen. ¨ Ein r¨aumlicher Verformungszustand kann durch die Anderungen der Kantenl¨ angen und der Winkel infinitesimaler Quader beschrieben werden. Der Verschiebungsvektor u hat im Raum die Komponenten u, v und w. Dabei h¨ angen die Verschiebungen jetzt von den drei Koordinaten x, y und z ab. Aus ihnen lassen sich die Dehnungen εx =

∂u , ∂x

εy =

∂v , ∂y

εz =

∂w ∂z

(3.6a)

sowie die Gleitungen γxy =

∂w ∂u ∂v ∂u ∂w ∂v + , γxz = + , γyz = + ∂y ∂x ∂z ∂x ∂z ∂y

(3.6b)

bestimmen. Sie bilden die Komponenten des symmetrischen Verzerrungstensors ε und k¨ onnen wie der Spannungstensor (2.4) in einer Matrix angeordnet werden: ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ 1 1 εx εx εxy εxz 2 γxy 2 γxz ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ 1 1 ⎢ ⎥ ⎥ ⎢ (3.7) ε = ⎢ εyx εy εyz ⎥ = ⎢ 2 γxy εy γ yz ⎥ 2 ⎦ ⎣ ⎦ ⎣ 1 1 εzx εzy εz εz 2 γxz 2 γyz

76

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨atsgesetz

Die Hauptdiagonale wird dabei von den Dehnungen gebildet; die u ¨brigen Elemente sind die halben Gleitungen. Es sei darauf hingewiesen, dass man die zweiten und die dritten Gleichungen in (3.6a) und (3.6b) aus der jeweils ersten auch einfach durch zyklische Vertauschung erhalten kann (man ersetzt dabei x durch y, y durch z und z durch x sowie u durch v, v durch w und w durch u).

3.2

3.2 Elastizit¨ atsgesetz Die Verzerrungen in einem Bauteil sind von der Belastung und damit von den Spannungen abh¨ angig. Nach Kapitel 1 sind Spannungen und Verzerrungen durch das Elastizit¨ atsgesetz verkn¨ upft. Es hat im einachsigen Fall (Stab) die Form σ = E ε, wobei E der Elastizit¨ atsmodul ist. Wir wollen nun das Elastizit¨ atsgesetz f¨ ur den ebenen Spannungszustand angeben. Dabei beschr¨ anken wir uns auf Werkstoffe, die homogen und isotrop sind. Ein homogener Werkstoff hat an jeder Stelle die gleichen Eigenschaften; bei einem isotropen Werkstoff sind die Eigenschaften in allen Richtungen gleich. Ein Beispiel f¨ ur ein anisotropes Material ist Holz: durch die Faserung sind die Steifigkeiten in verschiedenen Richtungen unterschiedlich. σx

σx

y x

Abb. 3.3

Zur Herleitung des Elastizit¨ atsgesetzes betrachten wir ein aus einer Scheibe herausgeschnittenes Rechteck, in dem nach Abb. 3.3 nur eine Normalspannung σx wirkt. Dann gilt entsprechend (1.8) εx =

1 σx . E

Messungen zeigen, dass die Spannung σx nicht nur eine Vergr¨ oßerung der L¨ ange, sondern gleichzeitig eine Verkleinerung der Breite des Rechtecks bewirkt. Daher tritt auch eine Dehnung εy in

3.2

Elastizit¨atsgesetz

77

y-Richtung auf. Diesen Vorgang nennt man Querkontraktion. Der Betrag der Querdehnung εy ist proportional zur L¨angsdehnung εx ; es gilt: εy = − ν εx .

(3.8)

Der dimensionslose Faktor ν heißt Querkontraktionszahl oder nach Sim´eon Denis Poisson (1781–1840) Poissonsche Zahl. Diese Zahl ist eine Materialkonstante und aus Experimenten zu bestimmen. F¨ ur die meisten metallischen Werkstoffe gilt ν ≈ 0, 3. Die Spannung σx verursacht demnach die Dehnungen εx = σx /E und εy = −ν σx /E. Entsprechend erzeugt eine Spannung σy die Dehnungen εx = −ν σy /E und εy = σy /E. Wirken sowohl σx als auch σy , so erhalten wir die gesamten Dehnungen durch Superposition: εx =

1 (σx − ν σy ) , E

εy =

1 (σy − ν σx ) . E

(3.9)

Es sei angemerkt, dass die Spannungen σx und σy auch zu einer Querkontraktion in z-Richtung f¨ uhren: ν ν ν σx − σy = − (σx + σy ) . εz = − E E E Demnach ruft ein ebener Spannungszustand einen r¨aumlichen Verzerrungszustand hervor. Da wir hier nur die Verformungen in der Ebene untersuchen, wird die Dehnung in z-Richtung im folgenden nicht mehr betrachtet. τxy

τxy

y x Abb. 3.4

π/2 −γxy

Wenn man eine Scheibe (Abb. 3.4) nur durch Schubspannungen τxy belastet (reiner Schub), so stellt man im Experiment einen linearen Zusammenhang zwischen der Gleitung γxy und der Schub-

78

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨atsgesetz

spannung τxy fest: τxy = G γxy .

(3.10)

Der Proportionalit¨ atsfaktor G heißt Schubmodul. Er ist ein Materialparameter und kann experimentell in einem Schubversuch oder in einem Torsionsversuch ermittelt werden. Der Schubmodul G hat die gleiche Dimension wie der Elastizit¨atsmodul E, d.h. Kraft/Fl¨ ache, und er wird z.B. in N/mm2 angegeben. Man kann zeigen, dass f¨ ur isotrope elastische Werkstoffe nur zwei unabh¨angige Materialkonstanten existieren. Zwischen den drei Konstanten E, G und ν besteht der Zusammenhang G=

E . 2(1 + ν)

(3.11)

Die Beziehungen (3.9) und (3.10) stellen das Hookesche Gesetz f¨ ur einen ebenen Spannungszustand dar: εx =

1 (σx − ν σy ) , E

εy =

1 (σy − ν σx ) , E

γxy =

1 τxy . G

(3.12)

Wenn man (3.12) in (3.4) zur Bestimmung der Hauptrichtungen des Verzerrungstensors einsetzt, so erh¨ alt man mit (3.11) 1 τxy E τxy G = tan 2 ϕ = 1 1 G(1 + ν)(σx − σy ) (σx − ν σy ) − (σy − ν σx ) E E 2 τxy . = σx − σy ∗

Durch Vergleich mit (2.8) erkennt man, dass (bei einem isotropen elastischen Werkstoff) die Hauptrichtungen des Verzerrungstensors mit denen des Spannungstensors u ¨ bereinstimmen.

3.2

Elastizit¨atsgesetz

79

Das Hookesche Gesetz (3.12) gilt in jedem beliebigen kartesischen Koordinatensystem. Speziell in einem Hauptachsensystem lautet es 1 1 ε2 = (σ2 − ν σ1 ). (3.13) ε1 = (σ1 − ν σ2 ) , E E Ohne auf die Herleitung einzugehen, wollen wir noch das Hookesche Gesetz im Raum angeben. Dabei sollen außerdem Temperatur¨ anderungen ber¨ ucksichtigt werden. Wie Experimente zeigen, f¨ uhrt eine Temperatur¨ anderung ∆T bei isotropem Material nur zu Dehnungen: εxT = εyT = εzT = αT ∆T. Winkel¨ anderungen treten infolge ∆T nicht auf. Dann lautet das Hookesche Gesetz in Verallgemeinerung von (3.12) εx =

1 [σx − ν(σy + σz )] + αT ∆T , E

εy =

1 [σy − ν(σz + σx )] + αT ∆T , E

εz

(3.14)

1 = [σz − ν(σx + σy )] + αT ∆T , E

γxy =

1 τxy , G

γxz =

1 τxz , G

γyz =

1 τyz . G

Beispiel 3.1 In einem Stahlblech wurden mit Hilfe einer Dehnungs−4

−4

messstreifenrosette die Dehnungen εa = 12 · 10 , εb = 2 · 10 und εc = −2 · 10−4 in den drei Richtungen a, b und c gemessen (Abb. 3.5a). Man bestimme die Hauptdehnungen, die Hauptspannungen und die Hauptrichtungen. L¨ osung Wir f¨ uhren die beiden Koordinatensysteme x, y und ξ, η nach Abb. 3.5b ein. Mit dem Winkel ϕ = −45◦ folgt aus den ersten zwei Transformationsgleichungen (3.3)

B3.1

80

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨atsgesetz

y Dehnungsmessstreifen

c

η 2 ϕ∗

45◦

b

x

45◦

ϕ = − 45◦

ξ a

εξ =

1

b

a

1 1 (εx + εy ) − γxy , 2 2

εη =

Abb. 3.5

1 1 (εx + εy ) + γxy . 2 2

Addieren bzw. Subtrahieren liefert εξ + εη = εx + εy ,

εη − εξ = γxy .

Mit εξ = εa , εη = εc und εx = εb folgen daraus εy = εa + εc − εb = 8 · 10−4 ,

γxy = εc − εa = −14 · 10−4 .

Die Hauptdehnungen und die Hauptrichtungen erhalten wir nach (3.5) und (3.4): √ ε1,2 = (5 ± 9 + 49) · 10−4 → ε1 = 12, 6 · 10−4 , ε2 = −2, 6 · 10−4 , tan 2 ϕ∗ =

−14 = 2, 33 → ϕ∗ = 33, 4◦ . −6

Durch Einsetzen in (3.3) kann man feststellen, dass zu diesem Winkel die Hauptdehnung ε2 geh¨ ort. Die Hauptachsen 1 und 2 sind in Abb. 3.5b dargestellt. Aufl¨ osen von (3.13) nach den Spannungen liefert σ1 =

E (ε1 + ν ε2 ), 1 − ν2

σ2 =

E (ε2 + ν ε1 ) . 1 − ν2

Mit E = 2, 1 · 105 N/mm2 und ν = 0, 3 ergibt sich 2

σ1 = 273 N/mm ,

2

σ2 = 27 N/mm .

3.2

Elastizit¨atsgesetz

81

Beispiel 3.2 Ein Stahlquader mit quadratischer Grundfl¨ ache (h = 60 mm, a = 40 mm) passt im unbelasteten Zustand genau in einen Hohlraum mit starren W¨ anden (Abb. 3.6a). Wie ¨ andert sich seine H¨ ohe, wenn er

a) durch eine Kraft F = 160 kN belastet wird, oder armt wird? b) gleichm¨ aßig um ∆T = 100◦ C erw¨ Dabei soll angenommen werden, dass die Kraft F gleichf¨ormig u ache verteilt wird und der Quader an den Seiten¨ ber die Deckfl¨ fl¨achen reibungsfrei gleiten kann. F

1111111 0000000 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111 0000000 1111111

σz z

h

Abb. 3.6

a

a

y

x σx

b

L¨ osung a) Im Quader herrscht ein homogener, r¨ aumlicher Span-

nungszustand. Die von der Druckkraft F hervorgerufene Spannung σz in vertikaler Richtung (vgl. Abb. 3.6b) ist bekannt: σz = −

F . a2

Da der Quader in x- und in y-Richtung keine Dehnungen erfahren kann, gilt εx = εy = 0 . Wenn man dies in die ersten zwei Gleichungen des Hookeschen Gesetzes (3.14) einsetzt, so erh¨ alt man mit ∆T = 0: σx − ν (σy + σz ) = 0 σy − ν (σz + σx ) = 0



σx = σy =

ν σz . 1−ν

B3.2

82

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨atsgesetz

Damit folgt aus der dritten Gleichung (3.14) die Dehnung in vertikaler Richtung:   1 σz 2 ν2 εz = [σz − ν(σx + σy )] = 1− E E 1−ν =−

F (1 + ν)(1 − 2 ν) . a2 E 1−ν

Die Dehnung εz ist konstant. Sie ist daher gleich der H¨ohen¨anderung ∆h bezogen auf die H¨ ohe h (vgl. Abschnitt 1.2): εz = ∆h/h. Daraus ergibt sich mit E = 2,1 ·105 N/mm2 und ν = 0,3 die H¨ ohen¨ anderung ∆h = εz h = −

F h (1 + ν)(1 − 2 ν) = −0, 02 mm . a2 E 1−ν

b) Nun werde der Quader um ∆T erw¨ armt, ohne dass auf der Deckfl¨ ache eine Druckkraft wirkt (F = 0). Dann verschwindet die Spannung in vertikaler Richtung: σz = 0 . Da sich der Quader in x- und in y-Richtung nicht ausdehnen kann, gilt weiterhin εx = εy = 0. Die ersten zwei Gleichungen des Hookeschen Gesetzes (3.14) liefern nun σx − ν σy + E αT ∆T = 0 σy − ν σx + E αT ∆T = 0



σx = σy = −

E αT ∆T . 1−ν

Damit folgt aus der dritten Gleichung (3.14) die Dehnung in vertikaler Richtung zu εz = −

ν 1+ν (σx + σy ) + αT ∆T = α ∆T . E 1−ν T

ohen¨anderung Dies ergibt mit αT = 1, 2 · 10−5 /◦ C die H¨ ∆h = εz h =

1+ν α ∆T h = 0, 13mm . 1−ν T

3.3

Festigkeitshypothesen

83

3.3

3.3 Festigkeitshypothesen F¨ ur einen Stab unter Zugbelastung kann man aus dem SpannungsDehnungs-Diagramm entnehmen, bei welcher Spannung ein Versagen der Tragf¨ ahigkeit des Stabes (zum Beispiel plastisches Fließen oder Bruch) eintritt. Um ein solches Versagen auszuschließen, f¨ uhrt man eine zul¨ assige Spannung σzul ein und fordert, dass die Spannung σ im Stab nicht gr¨ oßer als σzul wird: σ ≤ σzul (vgl. Kapitel 1). In einem beliebigen Bauteil herrscht ein r¨ aumlicher Spannungszustand. Auch hier stellt sich die Frage, bei welcher Beanspruchung das Bauteil seine Tragf¨ ahigkeit verliert. Da es keine Versuchsanordnung gibt, mit der sich diese Frage allgemein beant¨ worten l¨ asst, stellt man mit Hilfe von theoretischen Uberlegungen und speziellen Experimenten Hypothesen auf. Bei einer solchen Festigkeitshypothese berechnet man nach einer bestimmten Vorschrift aus den im Bauteil auftretenden Normal- und Schubspannungen eine Spannung σV . Diese Spannung soll, wenn man sie an einem Zugstab aufbringt, den Werkstoff genau so stark beanspruchen wie der gegebene r¨ aumliche Spannungszustand den betrachteten K¨ orper. Man kann somit die Beanspruchung im Bauteil mit der in einem Zugstab vergleichen; aus diesem Grund heißt σV Vergleichsspannung. Damit das Bauteil seine Tragf¨ahigkeit nicht verliert, darf daher die Vergleichsspannung nicht gr¨oßer als die zul¨ assige Spannung sein: σV ≤ σzul .

(3.15)

Wir wollen im folgenden drei verschiedene Festigkeitshypothesen angeben, wobei wir uns auf ebene Spannungszust¨ande beschr¨ anken. 1) Normalspannungshypothese: Hier wird angenommen, dass f¨ ur die Materialbeanspruchung die gr¨ oßte Normalspannung maßgeblich ist: σV = σ1 .

(3.16)

84

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨atsgesetz

2) Schubspannungshypothese: Dieser Hypothese liegt die Annahme zugrunde, dass die Materialbeanspruchung durch die maximale Schubspannung charakterisiert werden kann. Nach (2.12b) ist im ebenen Zustand τmax = 12 (σ1 − σ2 ); in einem Zugstab, der durch σV belastet wird, ist die maximale Schubspannung nach (1.3) durch τmax = 12 σV gegeben. Gleichsetzen liefert τmax =

1 1 (σ1 − σ2 ) = σV 2 2



Mit (2.10) erh¨ alt man daraus  2 . σV = (σx − σy )2 + 4 τxy

σV = σ1 − σ2 .

(3.17)

´ Diese Hypothese wurde 1864 von Henri Edouard Tresca (1814– 1885) aufgestellt und wird h¨ aufig nach ihm benannt (Anmerkung: ur den ebenen Fall gilt nur, wenn Die Beziehung σV = σ1 − σ2 f¨ beide Spannungen unterschiedliche Vorzeichen haben. Andernfalls aßig gr¨ oßte Spannung σ1 oder σ2 gew¨ahlt muss als σV die betragsm¨ werden). 3) Hypothese der Gestalt¨anderungsenergie: Hierbei wird angenommen, dass die Materialbeanspruchung durch denjenigen Ener¨ gieanteil charakterisiert wird, der zur Anderung der Gestalt“ ” (bei gleichbleibendem Volumen) ben¨ otigt wird. Wir geben die Vergleichsspannungen an, ohne auf die Herleitung einzugehen:  σV = σ12 + σ22 − σ1 σ2 bzw. σV =

 2 . σx2 + σy2 − σx σy + 3τxy

(3.18)

Diese Hypothese wird auch nach Maxymilian Tytus Huber (1872– 1950), Richard von Mises (1883–1953) und Heinrich Hencky (1885– 1951) benannt. Bei z¨ ahen Werkstoffen stimmt die Hypothese der Gestalt¨anderungsenergie am besten mit Experimenten u ¨ berein, w¨ahrend bei spr¨ odem Material die Normalspannungshypothese bessere Ergebnisse liefert.

3.3

Festigkeitshypothesen

85

Im Beispiel 5.3 wird die Hypothese der Gestalt¨anderungsenergie zur Dimensionierung einer Welle angewendet, die auf Biegung und Torsion beansprucht wird.

86

3.4

3 Verzerrungszustand, Elastizit¨atsgesetz

3.4 Zusammenfassung • Der Deformationszustand in einem Punkt eines K¨orpers wird durch den Verschiebungsvektor u und durch den Verzerrungstensor ε beschrieben. Letzterer hat im r¨aumlichen Fall 3 × 3 Komponenten (beachte Symmetrie). Im ebenen Verzerrungszustand (EVZ) reduziert er sich auf



εx 21 γxy εx εxy = 1 mit εxy = εyx . ε= εyx εy 2 γyx εy • Zusammenhang zwischen den Verschiebungen u, v, den Dehanderung γxy : nungen εx , εy und der Winkel¨ εx =

∂u , ∂x

εy =

∂v , ∂y

γxy =

∂u ∂v + . ∂y ∂x

• Die Transformationsbeziehungen sowie die Gleichungen zur Bestimmung der Hauptdehnungen und Hauptdehnungsrichtungen sind analog zu denen f¨ ur die Spannungen. Entsprechendes gilt f¨ ur den Mohrschen Verzerrungskreis. • Die Hauptspannungsrichtungen und Hauptdehnungsrichtungen stimmen beim elastischen isotropen Material u ¨ berein. • Hookesches Gesetz (dreidimensional): Eεx = σx − ν(σy + σz ) + EαT ∆T ,

Gγxy = τxy .

Je zwei weitere Gleichungen ergeben sich durch zyklische Vertauschung. • Zusammenhang zwischen G, E und ν beim isotropen Werkstoff: G=

E . 2(1 + ν)

• Zur Beurteilung der Materialbeanspruchung bestimmt man im zwei- bzw. im dreidimensionalen Fall mit Hilfe einer Festigkeitshypothese eine Vergleichsspannung σV . Beispiel: Gestalt¨ anderungsenergiehypothese (v. Mises) im ESZ  2 . σV = σx2 + σy2 − σx σy + 3τxy

Kapitel 4 Balkenbiegung

4

4 Balkenbiegung 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.6 4.6.1 4.6.2 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11

Einf¨ uhrung ....................................................... Fl¨achentr¨agheitsmomente ..................................... Definition ......................................................... Parallelverschiebung der Bezugsachsen..................... Drehung des Bezugssystems, Haupttr¨agheitsmomente . Grundgleichungen der geraden Biegung ................... Normalspannungen ............................................. Biegelinie ......................................................... Differentialgleichung der Biegelinie ......................... Einfeldbalken..................................................... Balken mit mehreren Feldern ................................ Superposition .................................................... Einfluss des Schubes ........................................... Schubspannungen ............................................... Durchbiegung infolge Schub.................................. Schiefe Biegung ................................................. Biegung und Zug/Druck ...................................... Kern des Querschnitts ......................................... Temperaturbelastung........................................... Zusammenfassung ..............................................

89 91 91 98 100 107 111 115 115 118 128 132 142 142 152 154 162 166 168 172

Lernziele: In diesem Kapitel werden die Grundgleichungen der Balkentheorie behandelt. Es wird gezeigt, wie man mit ihrer Hilfe die Durchbiegung von Balken und die dabei auftretenden Spannungen bestimmt. Diese Theorie versetzt uns auch in die Lage, statisch unbestimmt gelagerte Balken zu analysieren. Die Studierenden sollen lernen, wie man die Gleichungen zur L¨osung von konkreten Problemen zweckm¨ aßig anwendet.

4.1

Einf¨ uhrung

89

4.1

4.1 Einf¨ uhrung Wir wollen uns in diesem Kapitel mit einem der wichtigsten Konstruktionselemente – dem Balken – befassen. Hierunter versteht man ein stabf¨ ormiges Bauteil, dessen Querschnittsabmessungen sehr viel kleiner sind als seine L¨ ange und das im Unterschied zum Stab jedoch senkrecht zu seiner L¨ angsachse belastet ist. Unter der Wirkung der ¨ außeren Lasten deformiert sich der urspr¨ unglich gerade elastische Balken (Abb. 4.1a); man spricht in diesem Fall von einer Biegung des Balkens. In den Querschnitten treten dabei verteilte innere Kr¨ afte – die Spannungen – auf, deren Resultierende die Querkraft Q und das Biegemoment M sind (vgl. Band 1). Es ist Ziel der Balkentheorie, Gleichungen zur Berechnung der Spannungen und der Deformationen bereitzustellen. F

a

undeformierter Balken

F

q

x c

deformierter Balken

F

a

a

x

y

S

y

σ

σ

z

z dA

b

A

= 

x y

M x

z d

z

Abb. 4.1

Wir betrachten zun¨ achst einen Balken mit einfach-symmetrischem Querschnitt und f¨ uhren ein Koordinatensystem ein (Abb. ¨ 4.1b). In Ubereinstimmung mit Band 1 zeigt die x-Achse (Balkenachse) in Balkenl¨ angsrichtung und geht durch die Fl¨achenschwerpunkte S aller Querschnitte (eine Begr¨ undung hierf¨ ur werden wir

90

4 Balkenbiegung

in Abschnitt 4.3 geben). Die z-Achse zeigt nach unten, und y bildet mit x und z ein Rechtssystem. Der Balken sei zun¨ achst so belastet, dass als einzige Schnittgr¨ oße ein Biegemoment M auftritt. Die entsprechende Beanspruchung nennt man reine Biegung. So ist zum Beispiel der Tr¨ager nach Abb. 4.1c zwischen den beiden Kr¨ aften F auf reine Biegung beansprucht. In einem solchen Fall wirken in den Querschnitten nur Normalspannungen σ in x-Richtung (Abb. 4.1b, d). Sie sind, wie wir in den Abschnitten 4.3 und 4.4 zeigen werden, linear u ¨ ber den Querschnitt verteilt. Mit einem Proportionalit¨atsfaktor c gilt σ (z) = c z .

(4.1)

Das Biegemoment M ist ¨ aquivalent zum Moment der verteilten Normalspannungen bez¨ uglich der y-Achse (Abb. 4.1d). Es ergibt sich mit der infinitesimalen Kraft dF = σ dA aus dem infinitesimalen Moment dM = z dF = z σ dA (Abb. 4.1b) zu  M = z σ dA . (4.2) Einsetzen von (4.1) liefert  M = c z 2 dA . F¨ uhren wir mit  I = z 2 dA

(4.3)

das Fl¨achentr¨agheitsmoment I ein, so ergibt sich c = M/I. Damit folgt aus (4.1) der Zusammenhang zwischen der Spannung und dem Biegemoment: σ=

M z. I

(4.4)

Wie man aus (4.4) ablesen kann, h¨ angt die Spannung an einer beliebigen Stelle z nicht nur vom Moment M , sondern auch vom Fl¨ achentr¨agheitsmoment I ab. Letzteres ist eine geometri-

4.2

Fl¨achentr¨agheitsmomente

91

sche Gr¨ oße des Querschnitts, die bei der Biegung eine wesentliche Rolle spielt. Der Name Fl¨ achentr¨ agheitsmoment“ leitet sich ” vom Tr¨ agheitsmoment“ eines K¨ orpers ab. Diese dem Fl¨achen” tr¨ agheitsmoment ¨ ahnliche Gr¨ oße tritt in der Kinetik (vgl. Band 3) auf und beschreibt die Tr¨ agheitswirkung einer Masse bei der Drehung. Wir werden uns im n¨ achsten Abschnitt eingehender mit den Eigenschaften von Fl¨ achentr¨ agheitsmomenten befassen.

4.2

4.2 Fl¨ achentr¨ agheitsmomente 4.2.1 Definition

Wir betrachten in Abb. 4.2 eine Fl¨ ache A in der y, z-Ebene. Die Bezeichnung der Achsen und die Achsenrichtungen (z nach unten, y nach links) w¨ ahlen wir dabei in Anlehnung an die Verh¨altnisse bei einem Balkenquerschnitt. Der Koordinatenursprung 0 liege an einer beliebigen Stelle. A y

0 z r dA

Abb. 4.2

y

z

 1 y dA, zs = Bei der Bestimmung der Koordinaten ys = A  1 z dA des Fl¨ a chenschwerpunktes treten die Fl¨ a chenmomente A erster Ordnung oder statischen Momente   Sz = y dA (4.5) Sy = z dA, bez¨ uglich der y-Achse bzw. der z-Achse auf (vgl. Band 1, Abschnitt 4.3). Sie enthalten die Abst¨ ande y bzw. z des Fl¨achenelementes dA in der ersten Potenz. Fl¨ achenintegrale, welche die Abst¨ ande des Fl¨ achenelementes in zweiter Potenz oder als Produkt enthalten, bezeichnet man als

92

4 Balkenbiegung

Fl¨achenmomente zweiter Ordnung oder Fl¨achentr¨agheitsmomente. Sie sind wie folgt definiert: Iy = Iyz = Ip =

  

z 2 dA, Izy = −

Iz = 



y 2 dA ,

(4.6a)

y z dA ,

(4.6b)

 r2 dA = (z 2 + y 2 ) dA = Iy + Iz .

(4.6c)

ugMan nennt Iy bzw. Iz das axiale Fl¨achentr¨agheitsmoment bez¨ lich der y- bzw. der z-Achse, Iyz das Deviationsmoment oder Zentrifugalmoment und Ip das polare Fl¨achentr¨agheitsmoment. Fl¨achentr¨ agheitsmomente haben die Dimension L¨ange4 ; sie werden z.B. in Vielfachen der Einheit cm4 angegeben. Die Gr¨ oße eines Fl¨ achentr¨ agheitsmoments ist von der Lage des Koordinatenursprungs und von der Richtung der Achsen abh¨angig. W¨ ahrend Iy , Iz und Ip immer positiv sind, kann Iyz positiv, negativ oder Null sein. Letzteres tritt insbesondere dann ein, wenn die Fl¨ ache A symmetrisch bez¨ uglich einer der Achsen ist. So existiert zum Beispiel bei Symmetrie bez¨ uglich der z-Achse (Abb. 4.3a) zu jedem Fl¨ achenelement dA mit positivem Abstand y ein Element mit gleichem negativen Abstand. Das Integral (4.6b) u ¨ ber die gesamte Fl¨ ache ist daher Null. In manchen F¨ allen ist es zweckm¨ aßig, an Stelle der Fl¨achentr¨agheitsmomente die zugeordneten Tr¨agheitsradien zu verwenden. Sie A3

A

A4 A2

0 y z dA a

z

+y −y z

0

y

dA

A1 b

z

Abb. 4.3

4.2

werden definiert durch   Iy Iz iy = , iz = , A A

Fl¨achentr¨agheitsmomente

 ip =

Ip A

93

(4.7)

und haben die Dimension einer L¨ ange. Aus (4.7) folgt zum Beispiel Iy = i2y A. Demnach kann man iy als denjenigen Abstand von der y-Achse interpretieren, in dem man sich die Fl¨ache A konzentriert“ denken muss, damit sie das Tr¨agheitsmoment Iy ” besitzt. H¨ aufig ist eine Fl¨ ache A aus Teilfl¨ achen Ai zusammengesetzt (Abb. 4.3b), deren Tr¨ agheitsmomente man kennt. In diesem Fall errechnet sich z.B. das Tr¨ agheitsmoment bez¨ uglich der y-Achse aus den Tr¨ agheitsmomenten Iyi der einzelnen Teilfl¨achen bzgl. dieser Achse:     Iyi . Iy = z 2 dA = z 2 dA + z 2 dA + . . . = A

A1

A2

Analog erh¨ alt man auch die anderen Fl¨ achentr¨agheitsmomente durch Summation:   Izi , Iyz = Iyzi . Iz = In einem Anwendungsbeispiel berechnen wir die Fl¨achenmomente zweiter Ordnung f¨ ur ein Rechteck (Breite b, H¨ohe h) bez¨ uglich der seitenparallelen Achsen y und z durch den Schwerpunkt ahlen wir ein Fl¨achenS (Abb. 4.4a). Zur Bestimmung von Iy w¨ element dA nach Abb. 4.4b, bei dem alle Punkte den gleichen Abstand z von der y-Achse haben. Damit erhalten wir  Iy =

+h/2  2

z 2 (b dz) =

z dA = −h/2

b z 3 +h/2 b h3 . =  3 −h/2 12

(4.8a)

Durch Vertauschen von b und h ergibt sich Iz =

h b3 . 12

(4.8b)

94

4 Balkenbiegung

b

−h/2

y¯ S

y

h

y

z dz

dA = b dz

+h/2

z

a



b

z

Abb. 4.4

Da im Beispiel die z-Achse eine Symmetrieachse ist, verschwindet das Deviationsmoment: Iyz = 0

(4.8c)

(in diesem Beispiel ist auch die y-Achse eine Symmetrieachse). Das polare Tr¨ agheitsmoment errechnen wir nach (4.6c) zweckm¨aßig mit Hilfe der schon bekannten Gr¨ oßen Iy und Iz : Ip = Iy + Iz =

h b3 bh 2 b h3 + = (h + b2 ). 12 12 12

(4.8d)

Die Tr¨ agheitsradien folgen aus (4.7) mit der Fl¨ache A = b h und √ der L¨ ange d = b2 + h2 der Rechteckdiagonalen zu h iy = √ , 2 3

b iz = √ , 2 3

d ip = √ . 2 3

(4.8e)

In einem weiteren Beispiel bestimmen wir die Tr¨agheitsmomente f¨ ur eine Kreisfl¨ ache (Radius R) mit dem Koordinatenursprung im Mittelpunkt (Abb. 4.5a). Da wegen der Symmetrie die Tr¨ agheitsmomente f¨ ur alle Achsen gleich sind, gilt mit (4.6c) Iy = Iz =

1 Ip . 2

(4.9)

Das Deviationsmoment Iyz ist Null (Symmetrie). Wir berechnen ahlen dazu als Fl¨ achenelement einen infinihier zuerst Ip und w¨ tesimalen Kreisring (Abb. 4.5b). Bei ihm haben alle Punkte den

4.2

Fl¨achentr¨agheitsmomente

95

dr R

S y

r

y

a

b

z

dA = 2πr dr

z

t 0 (d.h. 0 < α < π/2) tritt die gr¨oßte Spannung (Druckspannung!) bei z = −a/2 auf:   q0 l 3l |σ|max = . tan α + 8ta 4a

4.9

4.9 Kern des Querschnitts Wir betrachten einen Stab bzw. eine S¨ aule unter einer exzentrischen Druckkraft F , deren Angriffspunkt in der Querschnittsfl¨ache durch yF , zF gegeben ist (Abb. 4.52a, b). Mit N = −F , My = agheitsradien i2y = Iy /A, −zF F und Mz = yF F sowie den Tr¨ 2 alt man nach (4.54a) f¨ ur die Normalspannung im iz = Iz /A erh¨ Querschnitt   yF F zF z+ 2 y+1 . σ=− A i2y iz Die Nulllinie (σ = 0) ist danach durch die Geradengleichung zF y z + F2 y + 1 = 0 , 2 iy iz

bzw.

z y + =1 z0 y0

(4.55)

festgelegt, wobei y0 = −

i2z , yF

z0 = −

i2y zF

(4.56)

die Achsabschnitte der Geraden sind (vgl. Abb. 4.52b). Wir fragen nun, in welchem Bereich um die Stabachse x der Kraftangriffspunkt yF , zF liegen muss, damit im gesamten Querschnitt nur Druckspannungen herrschen. Dies ist zum Beispiel

4.9

Kern des Querschnitts

167

Abb. 4.52

dann wichtig, wenn die S¨ aule aus einem Material besteht, welches Zugspannungen gar nicht oder nur in geringem Maß ertragen kann (z.B. Beton). Den zul¨ assigen Bereich f¨ ur den Kraftangriffspunkt nennt man den Kern des Querschnitts. Dann darf die Nulllinie g − g den Querschnitt nicht schneiden, sondern kann ihn h¨ochstens tangieren. Einer solchen Tangente mit den gegebenen Achsabschnitten y0 , z0 ist ein Kraftangriffspunkt P auf dem Rand der Kernfl¨ ache zugeordnet, dessen Koordinaten aus (4.56) zu yF = −

i2z , y0

zF = −

i2y z0

(4.57)

folgen (Abb. 4.52c). Die Gesamtheit aller Nulllinien, die den Querschnitt tangieren, bestimmt dann offensichtlich den Rand des Kerns. Kraftangriffspunkte innerhalb des Kerns f¨ uhren zu Nulllinien, die außerhalb der Querschnittsfl¨ ache liegen. Als Beispiel betrachten wir den Rechteckquerschnitt nach Abb. 4.53a mit i2y = h2 /12 und i2z = b2 /12. Als Nulllinie w¨ahlen wir origen Achsabschnitten y0 → zun¨ achst die Gerade g1 mit den zugeh¨ ur der Randpunkt P1 des ∞, z0 = h/2. Aus (4.57) ergibt sich hierf¨ Kerns mit den Koordinaten yF = 0, zF = −h/6 (Abb. 4.53b). Entsprechend liefern die Nulllinien g2 . . . g4 die Punkte P2 . . . P4 auf der y- bzw. auf der z-Achse mit den Abst¨ anden b/6 bzw. h/6 von der x-Achse. Schließlich l¨ asst sich noch zeigen, dass die Nulllinienb¨ undel gi an den Querschnittsecken zu Kraftangriffspunkten

168

4 Balkenbiegung

entlang der Verbindungslinien zwischen P1 und P2 , zwischen P2 und P3 etc. f¨ uhren. Der Kern des Querschnitts hat danach die Gestalt einer Raute. b/6

b/6 b g3

P1

h

y

y gi

z a

b

g1 g2

P4

a/4 h/6 h/6

P2

a y

P3

z

z

g4

c

Abb. 4.53

F¨ ur einen Kreisquerschnitt nach Abb. 4.53c erh¨alt man mit = a2 /4 und z0 = a aus (4.57) unter Beachtung der Rotationssymmetrie einen kreisf¨ ormigen Kern mit dem Radius a/4.

i2y

4.10

4.10 Temperaturbelastung Wird ein Balken gleichf¨ ormig u ¨ber seinen Querschnitt erw¨armt, so hat dies nach Kapitel 1 nur eine L¨ angen¨ anderung zur Folge, sofern diese nicht behindert wird. Eine Biegung tritt in diesem Fall nicht auf. Ist dagegen die Temperatur¨ anderung u ¨ ber den Querschnitt nicht konstant, so k¨ onnen Biegemomente bzw. Verschiebungen senkrecht zur Balkenl¨ angsachse auftreten. Wir wollen im weiteren die Deformationen und die Spannungen infolge einer solchen Temperaturbelastung “ untersuchen, wobei wir uns auf die ” einachsige Biegung des schubstarren Balkens beschr¨anken.

01 10 z

To Tm To x

x

h

Tu z

Tu

Abb. 4.54

4.10 Temperaturbelastung

169

Hierzu betrachten wir einen urspr¨ unglich geraden Balken, bei dem sich durch Erw¨ armung der Unterseite um Tu bzw. der Oberseite um To eine lineare Temperaturverteilung ∆T (z) u ¨ber die Querschnittsh¨ ohe h eingestellt hat (Abb. 4.54): z ∆T = Tm + (Tu − To ) . h

(4.58)

 Der konstante Anteil Tm = A1 ∆T dA (mittlere Temperaturerh¨ ohung u ache) hat, wie schon erw¨ahnt, ¨ ber die Querschnittsfl¨ nur eine L¨ angen¨ anderung zur Folge. Wir untersuchen daher im weiteren nur den linearen Anteil z (4.59) ∆T ∗ = (Tu − To ) . h Dann lautet das Elastizit¨ atsgesetz nach (1.12) z σ = E ε − E αT ∆T = E ε − E αT (Tu − To ) . h

(4.60)

Mit ε = ∂u/∂x und den Bernoullischen Annahmen u = z ψ, ψ = −w (vgl. (4.22b), (4.29)) ergibt sich daraus zun¨achst z σ = − E w z − E αT (Tu − To ) . h

(4.61)

Das Biegemoment M resultiert aus den u ¨ ber den Querschnitt verteilten Normalspannungen:  M= z σ dA. Einsetzen von (4.61) f¨ uhrt mit I = M = − EI w − EIαT



z 2 dA auf

Tu − To , h

bzw. w = −

Tu − To M − αT . EI h

(4.62)

Dies ist die Differentialgleichung der Biegelinie. Man erkennt, dass eine Temperaturdifferenz Tu − To genau wie ein Moment M eine Kr¨ ummung des Balkens hervorruft. Es ist

170

4 Balkenbiegung

deshalb nahe liegend, mit M∆T = EI αT

Tu − To h

(4.63)

ein Temperaturmoment“ M∆T einzuf¨ uhren. Damit l¨asst sich ” (4.62) in der Form w = −

M + M∆T EI

(4.64)

schreiben. F¨ ur M∆T = 0 reduziert sich (4.64) auf (4.31). Die Spannungsverteilung im Querschnitt folgt aus (4.61) und (4.62) durch Eliminieren von w zu (vgl. (4.26)) σ=

M z. I

Als Anwendungsbeispiel betrachten wir den eingespannten Balken nach Abb. 4.55a, u ¨ ber dessen gesamte L¨ange die konstante Temperaturdifferenz Tu − To (d.h. ein konstantes Temperaturmoment M∆T ) herrscht.

1 0 0 1 a

1 0 0 1

To x

Tu

z

b

z

w(x)

x Abb. 4.55

Der Balken ist statisch bestimmt gelagert. Wegen M = 0 wird auch die Normalspannung σ u ¨berall Null. Die Biegelinie erhalten wir durch Integration von (4.64): w = −

M∆T = const, EI

w = −

M∆T x + C1 , EI

w=−

M∆T x2 + C1 x + C2 . EI 2

4.10 Temperaturbelastung

171

Aus den Randbedingungen w (0) = 0 und w(0) = 0 folgen die Integrationskonstanten C1 und C2 zu Null, und damit ergibt sich f¨ ur die Durchbiegung (Abb. 4.55b) w=−

M∆T 2 α (Tu − To ) 2 x =− T x . 2 EI 2h "0"ŦSystem

11 00 00 11

To

A x

B

Tu l

z

1 = 0 0 1

w (0)

(0)

wB

To Tu

(4.65) "1"ŦSystem

01 010 + 1

(1)

wB

w (1)

X

Abb. 4.56

Ist der Balken links eingespannt und befindet sich zus¨atzlich am rechten Balkenende B ein gelenkiges Lager (Abb. 4.56), so ist das System statisch unbestimmt. Wir k¨ onnen dann die L¨osung ur das durch Superposition gewinnen. Die Durchbiegung w(0) f¨ “0“-System (Lager B entfernt) ist durch (4.65) gegeben. Am Balkenende B gilt (0)

wB = −

αT (Tu − To ) 2 l . 2h

Die Biegelinie w(1) f¨ ur das “1“-System (Balken unter der Last X = B) kann der Tabelle 4.3 entnommen werden. An der Lastangriffsstelle B wird (1)

wB = −

X l3 . 3 EI (0)

(1)

Einsetzen in die Kompatibilit¨ atsbedingung wB + wB = 0 liefert X =B=−

3 EI αT (Tu − To ) . 2hl

Damit liegt der Verlauf der Biegelinie w = w(0) + w(1) fest. Den Momentenverlauf erh¨ alt man mit M (0) = 0, M (1) = X(l − x) und dem bekannten Wert von X zu M = M (0) + M (1) = −

3 EI αT (Tu − To ) (l − x). 2hl

172

4.11

4 Balkenbiegung

4.11 Zusammenfassung • Fl¨ achentr¨ agheitsmomente:   Iy = z 2 dA , Iz = y 2 dA ,

 Iyz = Izy = −

yzdA .

Die Transformationsbeziehungen bei einer Drehung des Koordinatensystems sind analog zu denen bei den Spannungen. Bei einer Parallelverschiebung des Achsensystems gilt der Satz von Steiner. • Gerade Biegung: Normalspannung Schubspannung Dgl. Biegelinie

M M z , σmax = , I W Q S(z) τ (z) = (Vollquerschnitt) , I b(z) σ(z) =

EIw = −M

bzw. (EIw ) = q .

• Bei der Integration der Differentialgleichung der Biegelinie treten Integrationskonstanten auf, die mit Hilfe von Randbedingungen bestimmt werden. Bei Balken mit mehreren Feldern ¨ kommen Ubergangsbedingungen hinzu. • Statisch unbestimmte Probleme k¨ onnen oft durch Superposition bekannter L¨ osungen behandelt werden (Biegelinientafel!). • Die Durchbiegung infolge Schub kann bei schlanken Balken vernachl¨ assigt werden. • Schiefe Biegung (y, z Hauptachsen): Mz My z− y, Iy Iz

Normalspannung

σ=

Dgln. Biegelinie

EIy w = −My ,

EIz v  = Mz .

• Bei einer Belastung durch Biegung und Zug/Druck ergeben sich die Spannungen und Verschiebungen durch Superposition der Teill¨ osungen f¨ ur die einzelnen Lastf¨ alle. • Eine ungleichf¨ ormige Temperaturverteilung u ¨ber die Balkenh¨ ohe ruft ein Temperaturmoment hervor, das zu einer Kr¨ ummung der Balkenachse f¨ uhrt.

Kapitel 5 Torsion

5

5 Torsion 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Einf¨ uhrung ....................................................... Die kreiszylindrische Welle.................................... D¨ unnwandige geschlossene Profile .......................... D¨ unnwandige offene Profile .................................. Zusammenfassung ..............................................

175 176 186 195 203

Lernziele: Wir betrachten in diesem Kapitel St¨abe, die auf Torsion beansprucht werden. Wie in den vorhergehenden Kapiteln wollen wir die durch die Belastung hervorgerufenen Verformungen und Spannungen ermitteln. Dabei beschr¨anken wir uns auf St¨ abe mit Kreisquerschnitt bzw. mit d¨ unnwandigem Querschnitt. Nach dem Studium dieses Kapitels sollen die Leser die Grundgleichungen der Torsion kennen und sachgerecht auf statisch bestimmte bzw. unbestimmte Probleme anwenden k¨onnen.

5.1

Einf¨ uhrung

175

5.1

5.1 Einf¨ uhrung Bisher haben wir zwei Arten von Belastungen kennengelernt, die bei schlanken, geraden Bauteilen auftreten k¨ onnen. Wirken die a¨ußeren Kr¨ afte in Richtung der L¨ angsachse, so treten als innere Kr¨ afte die Normalkr¨ afte auf. Die zugeh¨ origen Spannungen und Verformungen wurden in Kapitel 1 behandelt. Wird ein Balken durch Kr¨ afte quer zu seiner L¨ angsachse oder durch Momente um Achsen, die senkrecht zur L¨ angsachse stehen, belastet, so u ¨ bertr¨agt er Querkr¨ afte und Biegemomente. In Kapitel 4 wurde gezeigt, wie die Spannungen und die Verformungen f¨ ur das Biegeproblem ermittelt werden k¨ onnen. Es muss jetzt noch der Fall untersucht werden, dass ein ¨ außeres Moment wirkt, welches um die L¨angsachse dreht. Diese Belastung verdreht (tordiert) den Stab; im Stabquerschnitt tritt ein Torsionsmoment auf.

111 000 000 111 000 111

y

S

x h

z

P a

h/2

b F

=

b

+ My

S Fz

c Abb. 5.1

P

b/2 Fx

Fy Fz

+ Fy

S

S Fx

Mz

Mx

H¨ aufig treten die verschiedenen Lastf¨ alle kombiniert auf. So verursacht eine exzentrische L¨ angskraft auch eine Biegung (vgl. Abschnitt 4.8). Wir wollen noch an einem anderen Beispiel zeigen, dass die verschiedenen Beanspruchungsarten gekoppelt sein k¨ onnen. Hierzu betrachten wir einen Kragtr¨ ager mit rechteckigem Querschnitt. Er ist durch eine beliebig gerichtete Kraft F belastet, die an der Ecke P des Endquerschnitts angreift (Abb. 5.1a). Wir

176

5 Torsion

zerlegen diese Kraft zun¨ achst nach den Koordinatenrichtungen in ihre Komponenten Fx , Fy und Fz (Abb. 5.1b). Dann verschieben wir die Komponenten in den Schwerpunkt des Endquerschnitts. Infolge der Parallelverschiebung treten Momente auf, die wir zu den Kr¨ aften hinzuf¨ ugen m¨ ussen (vgl. Band 1, Abschnitt 3.1.2). Der einen exzentrisch angreifenden Kraft F sind daher insgesamt drei Kraftkomponenten und drei Momente ¨aquivalent, die in Abb. 5.1c dargestellt sind, wobei sie entsprechend ihrer mechanischen Bedeutung aufgespalten wurden: außere Moment My = h2 Fx f¨ uhren 1) Die Querlast Fz und das ¨ auf die gerade Biegung (vgl. Abschnitt 4.3). außere Moment Mz = − 2b Fx treten 2) Die Querlast Fy und das ¨ zus¨ atzlich bei schiefer Biegung auf (vgl. Abschnitt 4.7). 3) Die L¨ angslast Fx beansprucht den Stab auf Zug (vgl. Kapitel 1). Das ¨außere Moment Mx = 2b Fz − h2 Fy verursacht eine Torsion des Stabes. Das Beispiel zeigt, wie eine einzige Kraft gleichzeitig die drei f¨ ur einen Balken typischen Belastungen hervorrufen kann: Zug, Biegung und Torsion. Im weiteren soll gezeigt werden, wie man die Spannungen und die Verformungen bei Torsion berechnen kann. Da die Theorie der Torsion f¨ ur beliebig geformte Querschnitte kompliziert ist, beschr¨ anken wir uns hier auf Sonderf¨ alle und untersuchen als besonders einfaches Problem zun¨ achst den Torsionsstab mit Kreisquerschnitt.

5.2

5.2 Die kreiszylindrische Welle Wir betrachten eine gerade Welle mit Kreisquerschnitt, die an ihrem Ende durch ein Moment Mx belastet ist, das um die L¨angsachse dreht (Abb. 5.2a). Der Radius R sei konstant oder nur schwach ver¨ anderlich. Zur Herleitung der Grundgleichungen ben¨otigen wir Beziehungen aus der Kinematik, aus der Statik und das Elastizit¨atsgesetz. Wir treffen folgende kinematische Annahmen:

5.2

Die kreiszylindrische Welle

177

a) Querschnitte behalten bei der Torsion ihre Gestalt, d.h. sie verdrehen sich als Ganzes; Punkte des Querschnitts, die vor der Verformung auf einer Geraden liegen, befinden sich auch nach der Verformung auf einer Geraden. b) Ebene Querschnitte bleiben eben; es tritt keine Verformung aus der Ebene heraus auf (keine Verw¨ olbung).

1111 0000 0000 1111 0000 1111 0000 1111 0000 1111

γ R

x

r Mx

a

τ R

c Abb. 5.2



b

τmax

dA

τ

r

x

dx

τ

d

R

e

Mit Hilfe der Elastizit¨ atstheorie kann man zeigen, dass diese Annahmen bei der Kreiswelle exakt erf¨ ullt sind (siehe Band 4, Abschnitt 2.6.3). Ein aus der Welle herausgeschnittener infinitesimaler Kreiszylinder mit beliebigem Radius r ist dann auch im deformierten Zustand ein Kreiszylinder. Es findet lediglich eine Verdrehung dϑ der um dx benachbarten Querschnitte gegeneinander statt (Abb. 5.2b). Dabei z¨ ahlen wir den Verdrehwinkel ϑ positiv im Sinne einer Rechtsschraube. Bei kleinen Verformungen besteht zwischen der Verdrehung dϑ und der Winkel¨anderung γ der Zusammenhang r dϑ = γ dx



γ=r

dϑ . dx

(5.1)

Man nennt die Verdrehung pro L¨ angeneinheit dϑ/dx manchmal auch Verwindung κT .

178

5 Torsion

Den Schubverformungen γ zugeordnet sind Schubspannungen τ . Da die Oberfl¨ ache unbelastet ist, k¨ onnen dort im Querschnitt keine radialen Komponenten auftreten (zugeordnete Schubspannungen, vgl. (2.3)). Daher m¨ ussen die Schubspannungen am Rand tangential verlaufen. Sie stehen auch im Innern des Querschnitts senkrecht auf den Radien. Schneidet man ein Element nach Abb. 5.2c aus der Welle, so wirken auf dieses nur die in Abb. 5.2d eingetragenen Schubspannungen (keine Normalspannungen). Aus dem Elastizit¨ atsgesetz τ = G γ (vgl. (3.10)) folgt mit (5.1), wenn wir die Ableitung nach x mit einem Strich abk¨ urzen: τ = Gr

dϑ = G r ϑ . dx

(5.2)

Hiernach w¨ achst die Schubspannung von der Stabachse ausgehend linear mit dem Abstand r an. Das Moment aus den Schubspannungen muss gleich dem im Schnitt wirkenden Torsionsmoment MT sein (Abb. 5.2c):  (5.3) MT = r τ dA . Dabei z¨ ahlen wir Torsionsmomente positiv, wenn sie am positiven Schnittufer als Rechtsschraube um die Stabachse drehen (vgl. Band 1, Abschnitt 7.4). Einsetzen von (5.2) in (5.3) liefert   (5.4) r2 dA = G ϑ Ip . MT = G ϑ Die hierbei auftretende geometrische Gr¨ oße Ip ist nach (4.6c) das polare Fl¨ achentr¨ agheitsmoment. Mit R¨ ucksicht auf einheitliche Bezeichnungen f¨ ur beliebige Querschnitte nennen wir diese Querschnittsgr¨ oße jetzt Torsionstr¨agheitsmoment IT (vgl. Tabelle 5.1). Bei der Kreiswelle ist IT = Ip , und aus (5.4) folgt dann GIT ϑ = MT .

(5.5)

5.2

Die kreiszylindrische Welle

179

Die Gr¨ oße GIT heißt Torsionssteifigkeit. F¨ ur gegebenes Torsionsmoment MT und gegebene Torsionssteifigkeit GIT kann aus (5.5) der Verdrehwinkel ϑ berechnet werden. Wird die Welle nur durch ein Moment Mx am Ende belastet, so wirkt in jedem beliebigen Schnitt senkrecht zur x-Achse als Schnittgr¨ oße ein Torsionsmoment MT , das aus Gleichgewichtsgr¨ unden u ¨ber die gesamte Welle konstant und gleich der Belastung sein muss: MT = Mx .

(5.6)

F¨ ur die Endverdrehung ϑl einer einseitig eingespannten Welle der L¨ ange l erh¨ alt man dann bei konstantem GIT l ϑl =

ϑ dx



ϑl =

MT l . GIT

(5.7)

0

Durch Vergleich mit (1.18) kann man eine Analogie zwischen Zugstab und Torsionsstab erkennen. Eliminiert man ϑ in (5.2) mit (5.5), so findet man f¨ ur die Schubspannungsverteilung τ=

MT r. IT

(5.8)

Der Gr¨ oßtwert tritt am Rand r = R auf: τmax = (MT /IT )R (Abb. 5.2e). Um die Analogie zur Biegung herzustellen (vgl. (4.28)), f¨ uhren wir ein Torsionswiderstandsmoment WT ein: τmax =

MT . WT

(5.9)

Bei der Kreiswelle ist WT = IT /R. Mit (4.10a) erhalten wir IT = Ip =

π 4 R , 2

WT =

π 3 R . 2

(5.10)

Die Formeln (5.1) bis (5.9) gelten nicht nur f¨ ur Voll- sondern auch f¨ ur Kreisringquerschnitte. Man muss dann allerdings die ent-

180

5 Torsion

sprechenden Werte f¨ ur IT und WT einsetzen. So werden z.B. f¨ ur den Querschnitt eines Rohrs mit dem Außenradius Ra und dem Innenradius Ri IT =

π 4 (R − Ri4 ) , 2 a

WT =

π Ra4 − Ri4 . 2 Ra

(5.11)

Bei d¨ unnwandigen Kreisringquerschnitten erh¨alt man hieraus mit der Wanddicke t = Ra − Ri und dem mittleren Radius Rm = (Ra + Ri )/2 (vgl. (4.12)): 3 t, IT ≈ 2 π Rm

2 WT ≈ 2 π Rm t.

(5.12)

Falls l¨ angs des Stabes ein verteiltes Torsionsmoment pro L¨angeneinheit mT (x) angreift (Abb. 5.3a), so ergibt sich aus dem Momentengleichgewicht an einem Stabelement (Abb. 5.3b) dMT + mT dx = 0 oder dMT = MT = − mT . dx

(5.13)

F¨ ur mT = 0 folgt hieraus MT = const. Differenziert man (5.5) einmal nach x und setzt (5.13) ein, so erh¨ alt man die Differentialgleichung f¨ ur den Verdrehwinkel: (GIT ϑ ) = − mT .

(5.14)

Diese Differentialgleichung ist von zweiter Ordnung. Bei der Integration treten zwei Integrationskonstanten auf, die aus zwei Randbedingungen (eine f¨ ur jeden Rand) ermittelt werden k¨onnen: an den R¨ andern sind entweder der Drehwinkel ϑ oder das Torsions-

11 00 00 11 00 11 00 11 a

x

mT

MT

MT +dMT

dx

mT (x)

b

x

x+dx Abb. 5.3

5.2

Die kreiszylindrische Welle

181

moment MT = GIT ϑ vorgegeben. So ist zum Beispiel bei einer starren Einspannung ϑ gleich Null, oder an einem mit Mx belasteten Ende ist MT = Mx . Ein Vergleich von (5.14) mit (1.20) zeigt die Analogie zwischen Zug und Torsion. Wir wollen nun die abgeleiteten Formeln verwenden, um die Federkonstante c einer Schraubenfeder zu berechnen. Dabei sei vorausgesetzt, dass die Feder eng gewickelt ist und daher der Steigungswinkel n¨ aherungsweise gleich Null gesetzt werden darf. Außerdem sei der Durchmesser d des Kreisquerschnittes des Federdrahtes (Abb. 5.4a) klein im Vergleich zum Radius a der Wicklung (d  a). Die Feder wird in ihrer Achse durch eine Kraft F belastet. Um zun¨ achst die Federverl¨ angerung berechnen zu k¨onnen, schneiden wir die Feder an einer beliebigen Stelle (Abb. 5.4b). Aus dem Gleichgewicht folgt dann, dass im Schnitt eine Querkraft Q = F und ein Torsionsmoment MT = a F wirken. Wir nehmen nun an, dass nur ein Element der L¨ ange ds des Drahtes elastisch ist, w¨ ahrend der u ¨brige Teil der Feder starr sei. Dann verdrehen sich die Endquerschnitte des Elements gegeneinander um den Winkel dϑ. Dies bedeutet f¨ ur den unteren Teil der Feder eine Verschiebung und damit eine Verl¨ angerung der Feder um df = a dϑ (Abb. 5.4c). Mit dϑ = (MT /GIT )ds (vgl. (5.5)) wird df = a

MT F a2 ds = ds . GIT GIT F

F MT

a

df

Q

d a

a a Abb. 5.4

F

b

c



182

5 Torsion

F¨ ur eine flache Schraubenfeder mit n Windungen ist die Gesamtdrahtl¨ ange n¨ aherungsweise (2 π a)n. Damit erhalten wir die Gesamtfederverl¨ angerung durch Integration u ¨ ber die Drahtl¨ange zu  F a3 2πn. f = df = GIT Setzt man noch das Torsionstr¨ agheitsmoment nach (5.10) mit R = d/2 ein, so wird die Federkonstante c=

GIT F = f 2 π a3 n



c=

G d4 . 64 a3 n

Das Ergebnis zeigt, wie die Feder mit wachsender Windungszahl n und zunehmendem Radius a weicher bzw. mit wachsender Drahtdicke d steifer wird. B5.1

Beispiel 5.1 Ein einseitig eingespannter homogener Stab mit kreis-

f¨ormigem Querschnitt (Durchmesser d) wird an den Stellen B bzw. C durch die Torsionsmomente M0 bzw. M1 belastet (Abb. 5.5a). a) Wie groß muss M1 bei gegebenem M0 gew¨ahlt werden, damit der Verdrehwinkel am Stabende C Null wird? b) Wie groß ist dann die maximale Schubspannung, und wo tritt sie auf?

11 00 00 11 00 11

A

a

MT M0 2 l 3

B

1 l 3

M1

1 M0 3 2 M0 3

C b

Abb. 5.5

L¨ osung a) Im Bereich AB wirkt das Torsionsmoment M0 + M1 ,

im Bereich BC wirkt nur M1 . Der Verdrehwinkel ϑC am Ende folgt durch Superposition der Verdrehungen beider Wellenteile nach (5.7) zu ϑC = ϑAB +ϑBC =

M1 l l M0 + M1 2 l+ = (2 M0 + 3 M1 ) . GIT 3 GIT 3 3 GIT

Dieser Winkel wird Null f¨ ur

5.2

M1 = −

Die kreiszylindrische Welle

183

2 M0 . 3

In Abb. 5.5b ist der zugeh¨ orige Momentenverlauf aufgetragen. b) Die gr¨ oßte Schubspannung tritt in den Querschnitten auf, in denen das gr¨ oßte Torsionsmoment wirkt. Nach Abb. 5.5b erf¨ahrt der Stab im Bereich BC seine gr¨ oßte Beanspruchung: |M |max =

2 M0 . 3

Damit berechnen wir aus (5.8) die gr¨ oßte Spannung zu τmax =

Mmax 2 M0 = . WT 3 WT

ur die KreisMit dem Torsionswiderstandsmoment WT = πR3 /2 f¨ welle (vgl. (5.10)) und mit R = d/2 erh¨ alt man daraus τmax =

32 M0 . 3 πd3

Beispiel 5.2 Eine abgesetzte Welle (Torsionssteifigkeit GIT1 bzw.

ange a durch ein gleichm¨ aßig verteiltes TorGIT2 ) wird u ¨ ber die L¨ sionsmoment pro L¨ angeneinheit mT belastet (Abb. 5.6a). Gesucht ist der Momentenverlauf.

01 1010 0 1 0 1 010 1

GIT 1

mT a

a Abb. 5.6

GIT 2

00 0111 00 1011 0110 00 1011 00 11 10 10

MT

1

x1

b b

2

11 00 00 11 00 11 00 11 x2

c

L¨ osung Der beidseitig eingespannte Stab ist statisch unbestimmt

gelagert. Wir wollen die Aufgabe durch abschnittsweise Integration l¨osen und f¨ uhren hierzu die Koordinaten x1 und x2 (Abb. 5.6b) ein. Mit (5.14) erhalten wir dann f¨ ur die beiden Abschnitte:

B5.2

184

5 Torsion

GIT1 ϑ1 = − mT ,

GIT2 ϑ2 = 0,

GIT1 ϑ1 = − mT x1 + C1 ,

GIT2 ϑ2 = C3 ,

GIT1 ϑ1 = − mT

x21 + C1 x1 + C2 , GIT2 ϑ2 = C3 x2 + C4 . 2

Die vier Integrationskonstanten folgen aus zwei Rand- und zwei ¨ Ubergangsbedingungen: ϑ1 (x1 = 0) = 0



C2 = 0,

ϑ2 (x2 = b) = 0



C3 b + C4 = 0,

ϑ1 (x1 = a) = ϑ2 (x2 = 0)



1 GIT1

  a2 C4 + C1 a = , −mT 2 GIT2

MT1 (x1 = a) = MT2 (x2 = 0) → GIT1 ϑ1 (x1 = a) = GIT2 ϑ2 (x2 = 0) → − mT a + C1 = C3 . Aufl¨ osen ergibt C1 =

mT a a GIT2 + 2 b GIT1 , 2 a GIT2 + b GIT1

C4 =

a GIT2 mT a b . 2 a GIT2 + b GIT1

C3 = −

a GIT2 mT a , 2 a GIT2 + b GIT1

Damit erh¨ alt man die Momente in den beiden Bereichen zu   a a GIT2 + 2 b GIT1 MT1 = − mT x1 − , 2 a GIT2 + b GIT1 MT2 = −

a GIT2 mT a . 2 a GIT2 + b GIT1

Der Verlauf des Torsionsmoments ist in Abb. 5.6c qualitativ aufgetragen.

5.2

Die kreiszylindrische Welle

185

Beispiel 5.3 Eine kreiszylindrische Welle (L¨ ange a) wird u ¨ ber einen Querarm (L¨ ange b) nach Abb. 5.7a durch eine Kraft F belastet. Man bestimme mit Hilfe der Hypothese der Gestalt¨anderungsenergie den erforderlichen Radius R der Welle. Gegeben sind a = 2 3 m, b = 1 m, F = 5 · 103 N und σzul = 180 N/mm .

111 000 000 111 000 111 000 111 000 111 000 111

F 2R

x

y

MT = bF

z a

F

b

a Abb. 5.7

b

L¨ osung Der Kraft F am Ende des Querarms sind eine Kraft F am Ende der Welle und ein Moment MT = b F statisch gleichwertig (Abb. 5.7b). Die Kraft F nach Abb. 5.7b beansprucht die Welle auf Biegung (vgl. Kapitel 4) und ruft in der Welle Normalspannungen σ hervor. Ihr Maximalwert tritt in den Randfasern (z = ±R) an der Einspannstelle (x = 0) auf; er hat nach (4.28) den Betrag

σmax =

|M |max . W

Dabei sind |M |max = a F und W = π R3 /4. Das Moment MT beansprucht die Welle auf Torsion und erzeugt Schubspannungen τ . Ihr Maximalwert tritt am ¨ außeren Rand des Querschnitts auf und ist l¨ angs der Welle konstant. Nach (5.9) und (5.10) gilt τmax =

MT WT

mit

WT = π R3 /2 .

Zur Dimensionierung der Welle bestimmen wir die Vergleichsspannung nach (3.18) an den Stellen, an denen die gr¨oßten Spannungen auftreten (obere und untere Randfaser an der Einspannung). Mit σx = σmax , τxy = τmax und σy = 0 ergibt sich   2 2 MT |M |max +3 . σVmax = W WT

B5.3

186

5 Torsion

Aus der Bedingung σVmax ≤ σzul gem¨ aß (3.15) folgt  16a2 F 2 4 b2 F 2 + 3 2 6 ≤ σzul . 2 6 π R π R Aufl¨ osen liefert f¨ ur den Radius der Welle R6 ≥

4 F 2 (4 a2 + 3 b2 ) . 2 π 2 σzul

Mit den gegebenen Zahlenwerten erh¨ alt man den erforderlichen Radius Rerf = 48 mm .

5.3

5.3 D¨ unnwandige geschlossene Profile Wie wir schon in der Einleitung dieses Kapitels erw¨ahnt haben, ist die Torsionstheorie f¨ ur beliebige Profile aufwendig. Eine Ausnahme bildet dabei neben der Kreiswelle der d¨ unnwandige Hohlquerschnitt, bei dem man noch elementar durch geeignete Annahmen u ¨ber die Spannungsverteilung zu brauchbaren N¨aherungsformeln gelangen kann. Da solche Querschnitte zugleich auch f¨ ur die Anwendung in der Praxis große Bedeutung haben (Kastentr¨ager im Br¨ uckenbau, Tragfl¨ achenprofile in der Luftfahrt etc.), wollen wir uns nun ihnen zuwenden. Wir setzen voraus, dass die Abmessungen des d¨ unnwandigen geschlossenen Profils (= Hohlzylinder) l¨ angs x unver¨andert bleiben und dass ein konstantes Torsionsmoment MT in den Querschnitten wirkt (Abb. 5.8a). Als Koordinate l¨angs des Umfanges f¨ uhren wir die Bogenl¨ ange s ein. Die Wandst¨arke kann ver¨anderlich sein: t = t(s). Das Torsionsmoment ruft im Querschnitt Schubspannungen hervor. Da die Außen- und die Innenfl¨ ache des Hohlzylinders belastungsfrei sind, m¨ ussen die Spannungen an den Querschnittsr¨andern tangential verlaufen. Wir nehmen an, dass die Schubspan-

5.3

D¨ unnwandige geschlossene Profile

187

nungen τ auch im Innern des Profils die gleiche Richtung haben und u ¨ber die Wanddicke konstant verteilt sind. Sie lassen sich dann zu einer resultierenden Kraftgr¨ oße, dem Schubfluss T =τt

(5.15)

zusammenfassen. Der Schubfluss T hat die Dimension Kraft / L¨ange und zeigt in Richtung der Profilmittellinie. Diese Mittellinie ist die Kurve, die an jedem Punkt des Querschnitts die Wanddicke t(s) halbiert. t(s) s dx ds

τ MT

a

x

T

s T

ds

0

dx

s+ds

T+

x b

r⊥

∂T dx T+ ∂x

∂T ds ∂s

T

ds

dAm

Profilmittellinie

x+dx c

Abb. 5.8

Wir denken uns nun ein rechteckiges Element mit den Seitenl¨ angen dx und ds aus dem Hohlzylinder herausgeschnitten (Abb. 5.8b). An der Schnittstelle x wirkt der Schubfluss T , an der benachbarten Schnittstelle x + dx wirkt T + (∂T /∂x)dx. Da in s-Richtung keine Normalspannungen auftreten, liefert das Gleichgewicht in dieser Richtung   ∂T ∂T dx ds − T ds = 0 → = 0. ↓: T+ ∂x ∂x Hiernach ist der Schubfluss l¨ angs der x-Richtung konstant. Wenn wir nun zus¨ atzlich voraussetzen, dass auch in x-Richtung keine

188

5 Torsion

Normalspannungen wirken (unbehinderte Verw¨olbung), so lautet die Gleichgewichtsbedingung in x-Richtung:   ∂T ∂T ds dx − T dx = 0 → = 0. →: T+ ∂s ∂s Hiernach ist der Schubfluss an jeder Stelle s des Querschnitts gleich groß: T = τ t = const .

(5.16)

Wir m¨ ussen nun noch einen Zusammenhang zwischen dem Torsionsmoment MT und dem Schubfluss T herstellen. Nach Abb. 5.8c ist das Moment der Schubkraft“ T ds in Bezug auf einen belie” bigen Punkt 0 gleich dMT = r⊥ T ds . Dabei ist r⊥ der senkrechte Abstand der Schubkraft vom Bezugspunkt 0. Das insgesamt durch den Schubfluss u ¨bertragene Moment muss gleich dem gegebenen Torsionsmoment MT sein: + + MT = dMT = T r⊥ ds . (5.17) Der Kreis am Integral soll darauf hinweisen, dass man l¨angs der Bogenl¨ ange s vom beliebig gew¨ ahlten Anfangspunkt s = 0 aus einmal um das Profil herum integrieren muss (Umlaufintegral). ohe × Grundlinie) der doppelte Fl¨achenNun ist aber r⊥ ds (= H¨ ur das inhalt des gr¨ unen Dreiecks in Abb. 5.8c: r⊥ ds = 2 dAm . F¨ Umlaufintegral erhalten wir daher + (5.18) r⊥ ds = 2 Am . Dabei ist Am die Fl¨ ache, die von der Profilmittellinie umschlossen wird (manchmal auch Hohlfl¨ ache“ , genannt). Sie darf nicht ” mit dem materiellen Querschnitt A = t ds verwechselt werden. Einsetzen von (5.18) in (5.17) ergibt

5.3

D¨ unnwandige geschlossene Profile

MT = 2 Am T .

189

(5.19)

Daraus folgt mit (5.16) die Schubspannung τ=

MT T = . t 2 Am t

(5.20)

Diese Beziehung wird nach Rudolf Bredt (1842–1900) erste Bredtsche Formel genannt. Die gr¨ oßte Spannung tritt an der Stelle mit der kleinsten Wanduhrt man in dicke tmin auf: τmax = T /tmin = MT /2 Am tmin . F¨ Analogie zu (5.9) ein Torsionswiderstandsmoment WT ein, so wird τmax =

MT WT

mit

WT = 2 Am tmin .

(5.21)

Beim d¨ unnwandigen Kreisrohr vom mittleren Radius Rm ist 2 ; f¨ ur WT ergibt sich damit bei konstanter Wanddicke Am = πRm t derselbe Wert wie nach (5.12). Zur Ermittlung der Schubspannungen nach (5.20) haben wir zwei Voraussetzungen getroffen, die dem Bereich der Statik zuzuordnen sind: a) die Schubspannungen sind konstant u ¨ ber die Wanddicke verteilt, b) in den Schnitten x = const treten keine Normalspannungen auf. Die zweite Annahme steht in engem Zusammenhang mit Voraussetzungen aus der Kinematik, die wir nun zus¨atzlich einf¨ uhren m¨ ussen, wenn wir die Verdrehung des Stabes berechnen wollen. Wir nehmen an: c) die Querschnittsgestalt bleibt (wie bei der Kreiswelle) bei der Verformung erhalten, d) im Unterschied zur Kreiswelle treten beim beliebigen Profil Verschiebungen der Querschnittspunkte in x-Richtung auf: der olbung soll sich unbehinQuerschnitt verw¨olbt sich. Diese Verw¨ dert einstellen k¨ onnen.

190

5 Torsion

Falls die Verw¨ olbung durch Lagerungen verhindert wird (oder MT mit x ver¨ anderlich ist), treten zus¨ atzlich Normalspannungen auf. Ihre Berechnung ist Gegenstand der W¨olbkrafttorsion, auf die wir im Rahmen dieser Einf¨ uhrung nicht eingehen k¨onnen. Wir bezeichnen die Verschiebungen eines beliebigen Punktes P auf der Profilmittellinie in x- bzw. in s-Richtung mit u bzw. v. Wenn sich der Querschnitt bei Beibehaltung seiner Gestalt (erste kinematische Voraussetzung) um einen Winkel dϑ verdreht, verschiebt sich P um r dϑ nach P  (Abb. 5.9). Diese Verschiebung hat in Richtung der Tangente an die Mittellinie die Komponente dv = r dϑ cos α. Dabei ist α der Winkel zwischen der Senkrechten auf r und der Tangente an die Profilmittellinie. Derselbe Winkel tritt zwischen r und dem senkrechten Abstand r⊥ der Tangente in P auf (Schenkel der Winkel stehen paarweise senkrecht aufeinander). Mit r⊥ = r cos α wird daher dv = r⊥ dϑ .

(5.22) P

r⊥ dϑ

α

α

dv r

0

rdϑ

P Profilmittellinie

Abb. 5.9

Die Schubverzerrung γ eines Elements der Rohrwandung ist ¨ analog zu (3.2) gegeben durch γ = ∂v/∂x + ∂u/∂s. Uber das Elastizit¨ atsgesetz τ = G γ (vgl. (3.10)) ist die Schubspannung τ mit der Schubverzerrung verbunden. Ersetzt man in ∂v ∂u τ =γ= + G ∂x ∂s die Schubspannung nach (5.20) durch den Schubfluss und beachtet (5.22), so erh¨ alt man ∂u T = r⊥ ϑ + . Gt ∂s

(5.23)

5.3

D¨ unnwandige geschlossene Profile

191

Diese Gleichung enth¨ alt noch die Verschiebung u in x-Richtung, die wir bisher nicht kennen. Um sie zu eliminieren, integrieren wir ∂u/∂s zun¨ achst u ange s von einem Anfangspunkt ¨ber die Bogenl¨ A bis zu einem Endpunkt E: sE

∂u ds = uE − uA . ∂s

sA

Integrieren wir u ¨ber den ganzen Umfang, so fallen Anfangs- und Endpunkt zusammen. Die Differenz ihrer Verschiebungen muss beim geschlossenen Profil Null sein, da sonst eine Klaffung auftre, ten w¨ urde: (∂u/∂s)ds = 0. Daher folgt aus (5.23) + + T ds = ϑ r⊥ ds . Gt Aufl¨ osen nach ϑ liefert mit (5.18) und (5.19) + + MT ds ds MT 2 A G t t m ϑ = = . 2 2 Am 4 G Am Diesen Zusammenhang kann man in der Form ϑ =

MT GIT

(5.24)

schreiben, wobei (2 Am )2 IT = + . ds t

(5.25)

Die Beziehung (5.25) f¨ ur das Torsionstr¨ agheitsmoment wird auch zweite Bredtsche Formel genannt. Nach (5.24) kann man die Verdrehung ϑ eines Stabes mit d¨ unnwandigem Hohlquerschnitt in der gleichen Weise wie bei der Kreiswelle ermitteln (vgl. (5.5)), wenn man nur f¨ ur IT den nach (5.25) zu ermittelnden Wert einsetzt. Insbesondere wird die gegenseitige Verdrehung zweier Querschnitte

192

5 Torsion

im Abstand l (vgl. (5.7)) ϑl =

MT l. GIT

(5.26)

ur den Sonderfall t = const folgt mit dem Profilumfang U = , F¨ ds aus (5.25) das Torsionstr¨ agheitsmoment zu IT =

(2 Am )2 t . U

(5.27)

Wendet man diese Formel auf das d¨ unnwandige Kreisrohr vom 2 Radius Rm an, so findet man mit U = 2 π Rm und Am = π Rm in ¨ Ubereinstimmung mit (5.12) das Tr¨ agheitsmoment IT =

2 2 ) t (2 π Rm 3 = 2 π Rm t. 2 π Rm

Aus (5.24) k¨onnen wir durch Integration die Verdrehung des Torsionsstabes berechnen. Wenn man auch die Verschiebungen u der Querschnitte (= Verw¨ olbung) ermitteln will, muss man auf (5.23) zur¨ uckgreifen: T ∂u = − r⊥ ϑ . ∂s Gt Integration u oßen G, T und ϑ h¨angen nicht von s ¨ ber s (die Gr¨ ab) ergibt   ds T − ϑ r⊥ ds + C . u= (5.28) G t Wir wollen am Beispiel des d¨ unnwandigen Kastentr¨agers mit rechteckigem Querschnitt nach Abb. 5.10a zeigen, wie man die Verw¨ olbung infolge eines Torsionsmoments MT nach (5.28) prakb tb th

th

a

A b

u(s)

0

h s1

tb

C

D u=0

s2

uC

uD uB

B c

uA Abb. 5.10

5.3

D¨ unnwandige geschlossene Profile

193

tisch berechnet. Hierzu bestimmen wir zun¨ achst nach (5.19) mit Am = b h den Schubfluss T =

MT MT = 2 Am 2bh

und nach (5.25) das Torsionstr¨ agheitsmoment (2 Am )2 4 b 2 h2 . IT = + =  ds b h 2 + t tb th Hiermit folgt nach (5.24) die Verwindung   b h   2bhT · 2 + T b MT h tb th  ϑ = = = + . GIT 4 b 2 h2 G G b h tb th Wir setzen ϑ in (5.28) ein, beginnen mit der Integration in der Mitte der Seite DA (Abb. 5.10b) und nehmen dort u = 0 an (Antimetrie). Dann verschwindet die Integrationskonstante C. Mit dem Bezugspunkt 0 in der Mitte des Rechtecks erhalten wir l¨angs des Steges mit r⊥ = b/2 die Verschiebung  s1  T h d¯ s1 b b d¯ s1 − + th G b h tb th 2 0 0    T 1 1 h b = − + s1 . G th 2h tb th

T u1 = G

s1

Sie verl¨ auft hiernach linear mit s1 . Speziell in der Ecke A mit s1 = h/2 wird   h T b uA = − . 4 G th tb L¨ angs des Untergurtes AB finden wir (f¨ ur s2 = 0 muss u2 = uA sein) T u2 = uA + G

s2 0

d¯ s2 − ϑ tb

s2 0

h d¯ s2 2

194

5 Torsion

und speziell f¨ ur die Ecke B uB = u2 (s2 = b) = uA +

h T b − ϑ b = − uA . G tb 2

Analoge Rechnungen f¨ uhren auf uC = uA

und

uD = uB .

In Abb. 5.10c ist die Verw¨ olbung aufgetragen. Die Verw¨ olbung verschwindet f¨ ur h/th = b/tb . Bei konstanunnwandiger ter Wanddicke tb = th folgt hieraus h = b: ein d¨ quadratischer Kastentr¨ ager verw¨ olbt sich nicht. Ausdr¨ ucklich sei darauf hingewiesen, dass dies nicht f¨ ur einen quadratischen Vollquerschnitt oder dickwandigen Hohlquerschnitt gilt. B5.4

Beispiel 5.4 Ein Br¨ uckenelement mit d¨ unnwandigem Kastenquer-

schnitt (t  b) wird exzentrisch durch eine Einzelkraft F belastet (Abb. 5.11). Gesucht sind die maximale Schubspannung, die Verdrehung des Endquerschnitts und die Absenkung des Lastangriffspunktes. 2b F 2t

0110

F

y

b t

l

z b

t Abb. 5.11

L¨ osung Im Tr¨ ager wirkt ein konstantes Torsionsmoment vom Betrag MT = bF . Die Profilmittellinie umschließt die Trapezfl¨ache Am = 12 (2 b+b)b = 32 b2 . Mit tmin = t wird die maximale Spannung nach (5.21)

τmax =

1F MT bF = 2 = . WT 3b t 3 bt

Sie tritt im Untergurt und in den Stegen auf, die alle die gleiche Wandst¨ arke t haben. Erg¨ anzend sei bemerkt, dass im Tr¨ager auch Normalspannungen infolge Biegung auftreten. Sie k¨onnen nach

5.4

D¨ unnwandige offene Profile

195

(4.26) berechnet werden. Die Verdrehung ϑl des Endquerschnitts kann mit dem Torsionstr¨ agheitsmoment nach (5.25)  2 3 2 b 4 9 b3 t 2 √ = IT = 1√ b 2b b 2+ 5 + +2· 5 2t t 2 t aus (5.26) bestimmt werden: √ (b F ) l 2 + 5 Fl ϑl = = . GIT 9 G b2 t Die Verschiebung des Kraftangriffspunktes setzt sich aus zwei Anteilen zusammen. Die Absenkung fT infolge Torsion (kleiner Drehwinkel) folgt zu fT = b ϑl =

F b2 l . GIT

Die Absenkung fB infolge Biegung ergibt sich aus Tabelle 4.3 zu fB =

F l3 . 3 EI

Das Tr¨ agheitsmoment I kann man nach Abschnitt 4.2 bestimmen. Insgesamt wird f = fT + fB =

F b2 l F l3 + . GIT 3 EI

5.4 D¨ unnwandige offene Profile Als letzten Sonderfall, der einer elementaren Betrachtung zug¨anglich ist, betrachten wir d¨ unnwandige offene Profile. Wir beschr¨anken uns dabei auf Profile, die abschnittsweise konstante Wandst¨arken haben, wie dies z. B. bei T-, L-, U- oder Z-Profilen der Fall ist. Sie lassen sich alle aus schmalen Rechtecken zusammensetzen. Ein solches Rechteck (t  h) kann in einzelne d¨ unnwandige

5.4

196

5 Torsion

Hohlquerschnitte aufgeteilt werden, von denen einer in Abb. 5.12a gr¨ un eingezeichnet ist. Wir nehmen an, dass die Schubspannung (die in jedem Hohlquerschnitt jeweils konstant ist) von der Mitte achst (Abb. 5.12b): aus linear mit y bis zum Randwert τ0 anw¨ τ (y) = τ0

y . t/2

(5.29)

t

dy

τ y

h

Am

y

z

z τ0 b

a

τ (y)

Abb. 5.12

Nun wenden wir auf jeden Hohlquerschnitt der Dicke dy die Bredtsche Formel (5.20) an. Wenn wir die kleine Abweichung, die durch das Umleiten“ des Schubflusses am oberen und am unte” ren Ende des Rechtecks entsteht, vernachl¨ assigen, kann f¨ ur Am (y) in guter N¨ aherung Am = 2 y h eingesetzt werden (Abb. 5.12b). Mit dem Schubfluss dT = τ (y)dy u agt daher ein Hohlquerschnitt ¨ bertr¨ ein Torsionsmoment τ0 dMT = 2 Am dT = 8 h y 2 dy . t Durch Integration u ¨ ber den ganzen Querschnitt folgt t/2 MT =

dMT = y=0

1 τ0 h t2 . 3

(5.30)

Nach (5.29) tritt die maximale Spannung am Rand auf: τmax = τ (y = t/2) = τ0 . Wenn wir wieder in Anlehnung an (5.8) ein uhren, so gilt mit (5.30) f¨ ur Torsionswiderstandsmoment WT einf¨

5.4

D¨ unnwandige offene Profile

197

das schmale Rechteck τmax =

MT WT

mit

WT =

1 2 ht . 3

(5.31)

Durch eine analoge Rechnung findet man mit (5.25) das Torsionstr¨ agheitsmoment aus dIT =

4(2 y h)2 = 8 h y 2 dy h 2 dy

zu t/2 dIT IT =



IT =

1 3 ht . 3

(5.32)

0

F¨ ur aus schmalen Rechtecken zusammengesetzte Profile erh¨alt man in Erweiterung von (5.32) IT ≈

1 hi t3i , 3

(5.33)

wobei u angen hi und den Di¨ ber alle Teilrechtecke mit den L¨ cken ti zu summieren ist. Ohne auf die Herleitung einzugehen, sei erg¨ anzend bemerkt, dass 1 hi t3i (5.34) WT ≈ 3 tmax ist. Die gr¨ oßte Schubspannung tritt dann in dem Teil mit der gr¨oßten Wanddicke auf (vgl. Tabelle 5.1). Falls im Querschnitt Teile mit gekr¨ ummter Mittellinie vorkommen (z. B. Halbkreisprofil), so kann man diese Fl¨ achen n¨ aherungsweise als abgewickelte Rechtecke betrachten. Bei Vollquerschnitten gelten die bisher abgeleiteten Beziehungen nicht. Bei ihnen muss die nach de Saint Venant (1797–1886) benannte Torsionstheorie angewendet werden. Sie f¨ uhrt auf die sogenannte Potentialgleichung, eine partielle Differentialgleichung

198

5 Torsion

zweiter Ordnung. Da die Herleitung und die L¨osung dieser Gleichung weitergehende mathematische Kenntnisse voraussetzen, wollen wir hier auf eine Darstellung verzichten und verweisen auf Band 4, Abschnitt 2.6. Zum Abschluss dieses Kapitels geben wir in Tabelle 5.1 eine Zusammenstellung der wichtigsten Formeln an, die zur L¨osung von Torsionsproblemen ben¨ otigt werden. Alle Werte in der Tabelle gelten zun¨ achst nur f¨ ur konstantes IT . Man kann sie allerdings n¨ aherungsweise auch verwenden, wenn die Torsionssteifigkeit GIT nur schwach ver¨ anderlich ist.

01 1010

Tabelle 5.1. Grundformeln zur Torsion x

MT

Querschnitt

− → ϑ

WT

τmax =

MT , WT

IT

Vollkreis-

Bemerkungen τ (r) =

querschnitt

π R3 2

R

r

MT dϑ = dx G IT

π R4 2

MT r IT

Gr¨ oßte Schubspannung am Rand r=R Gr¨ oßte Schubspan-

Ellipse b

π ab 2

a

2

3 3

πa b a 2 + b2

nung in den Endpunkten der kleinen Achse

Quadrat

Gr¨ oßte Schubspan0, 208 a3

a

0, 141 a4

nung am Rand, in der Mitte der Seiten

a

dickwandiges Kreisrohr

π Ra3 (1−α4 ) 2

Ra Ri

α=

Ri Ra

π Ra4 (1−α4 ) 2

Gr¨ oßte Schubspannung am ¨ außeren Rand Ra

5.4

D¨ unnwandige offene Profile

199

Tabelle 5.1. (Fortsetzung) Querschnitt

WT

IT

Bemerkungen Am ist die von der Profilmittellinie eingeschlossene Fl¨ ache. H ds/t ist das Linien-

d¨ unnwandige geschlossene

integral l¨ angs der

Hohlquer-

(2 Am ) I ds t

2 Am tmin

schnitte tmin

2

Profilmittellinie. Schubfluss MT T = = const . 2 Am Gr¨ oßte Schubspannung an der Stelle der kleinsten Wanddicke tmin

d¨ unnwandiges Kreisrohr t = const t

2 2 π Rm t

3 2 π Rm t

1 2 ht 3

1 3 ht 3

Rm

schmales Rechteck t h

aus schmalen Rechtecken

Gr¨ oßte Schubspan-

zusammenge≈

setzte Profile h1

t1

h2 t2

1 3

P

hi t3i

tmax



1 X hi t3i 3

nung im Querschnittsteil mit der gr¨ oßten Wanddicke tmax

200

B5.5

5 Torsion

¨ Beispiel 5.5 Zur Ubertragung eines gegebenen Torsionsmoments soll a) ein geschlossenes d¨ unnwandiges Rohr und b) ein geschlitztes d¨ unnwandiges Rohr verwendet werden (Abb. 5.13). Wie unterscheiden sich maximale Spannungen und Endverdrehungen, wenn beide Rohre dieselbe L¨ ange haben, aus gleichem Material bestehen und dasselbe Moment u ¨ bertragen sollen? t

t

Rm

Rm Abb. 5.13

L¨ osung F¨ ur ein geschlossenes d¨ unnwandiges Rohr – gekennzeich-

net durch den Index g – lesen wir aus Tabelle 5.1 ab (vgl. (5.12)): 2 t, WTg = 2 π Rm

3 ITg = 2 π Rm t.

F¨ ur ein geschlitztes Rohr – gekennzeichnet durch den Index o – m¨ ussen wir die Formeln f¨ ur offene Querschnitte anwenden. Mit der L¨ ange h = 2 π Rm des zum Rechteck abgewickelten Kreisrings folgen aus (5.31) und (5.32) WTo =

1 2 t 2 π Rm 3

und ITo =

1 3 t 2 π Rm . 3

Ein Vergleich beider F¨ alle ergibt f¨ ur das Verh¨altnis der maximalen Schubspannungen τmaxg WTo = = τmaxo WTg

1 2 3 t

2 π Rm 1 t = 2 2 π Rm t 3 Rm

und f¨ ur das Verh¨ altnis der Endverdrehungen 2  1 3 t 2 π Rm 1 t IT ϑg = = o = 3 . 3 t ϑo ITg 2 π Rm 3 Rm Das Ergebnis zeigt, dass die Spannungen beim geschlossenen Profil im Verh¨ altnis t/Rm und die Verdrehungen sogar im Verh¨altnis (t/Rm )2 kleiner sind als beim offenen Profil. Man sollte daher nach M¨ oglichkeit bei Belastung durch Torsion geschlossene Profile verwenden.

5.4

D¨ unnwandige offene Profile

201

Beispiel 5.6 Ein horizontaler Rahmen ist nach Abb. 5.14a in A eingespannt und in B frei drehbar und horizontal verschieblich gelagert. Er wird in D durch ein Torsionsmoment MD belastet. Gesucht sind die Lagerreaktionen, wobei zwischen den Steifigkeiten folgende Beziehungen gegeben sein sollen: EI2 = 2 EI1 , GIT = EI1 /2, b = l/3.

11 00 00 11

l 2 l 2

D C

A

EI1 , GIT MD B EI2

"0"ŦSystem

"1"ŦSystem

A

A

y

=

x

y

z

x

MAx MAy

z

+

D

MD

MD C

Az

B X

b a

b

c

B d

Abb. 5.14

L¨ osung Der Rahmen ist einfach statisch unbestimmt gelagert. Wir ermitteln zun¨ achst eine Lagerkraft durch Superposition. Wenn wir das Lager B entfernen, erhalten wir das in Abb. 5.14b dargestellte “0“-System. Der Endquerschnitt C des eingespannten Stabes erf¨ ahrt durch MD dieselbe Verdrehung wie der Querschnitt D. Mit (5.7) erh¨ alt man daher

ϑC =

MD l . GIT 2

Der rechtwinklig angeschlossene Balken BC wird als starrer K¨orper mit verdreht; der Punkt B erf¨ ahrt daher wegen des kleinen Drehwinkels eine Absenkung (0)

wB = b ϑC =

MD l b. 2 GIT (1)

Im “1“-System (Abb. 5.14c) setzt sich die Verschiebung wB aus drei Anteilen zusammen: (1) a) Durchbiegung wB1 des Balkens BC, (1) b) Durchbiegung wB2 (= Durchbiegung wC des Balkens AC), (1) c) Verschiebung wB3 infolge der Verdrehung des Querschnitts C.

B5.6

202

5 Torsion

Zur Ermittlung der Durchbiegungen verwenden wir Tabelle 4.3 (Biegelinien). Mit (1)

wB1 = −

X b3 , 3 EI2

(1)

wB2 = −

X l3 , 3 EI1

(1)

wB3 = −

(X b)l b GIT

wird daher insgesamt  3  b l3 b2 l (1) wB = − + + X. 3 EI2 3 EI1 GIT Da der Punkt B im urspr¨ unglichen System keine Verschiebung erf¨ ahrt, folgt die noch unbekannte Lagerkraft X = B aus der Vertr¨ aglichkeitsbedingung (0)

(1)

wB + wB = 0 . Aufl¨ osen ergibt MD l b 54 MD 2 GIT = . X=B = 91 l b3 l3 b2 l + + 3 EI2 3 EI1 GIT Aus dem Kr¨ aftegleichgewicht in z-Richtung und aus dem Momentengleichgewicht um die x- bzw. die y-Achse erh¨alt man die Lagerreaktionen bei A (Abb. 5.14d): Az − B = 0



Az

=

54 MD , 91 l

MAx − MD + b B = 0



MAx =

73 MD , 91

MAy + l B = 0



MAy = −

54 MD . 91

5.5

Zusammenfassung

203 5.5

5.5 Zusammenfassung • Maximale Schubspannung: τmax =

MT , WT

MT Torsionsmoment, WT Torsionswiderstandsmoment. • Der Drehwinkel ϑ ergibt sich durch Integration von ϑ =

MT , GIT

GIT Torsionssteifigkeit, Sonderfall MT = const, GIT = const: ϑl = • Kreiswelle: τ=

MT r, IT

IT =

π 4 R , 2

WT =

MT l . GIT

π 3 R . 2

• D¨ unnwandiger geschlossener Querschnitt  1. Bredtsche Formel: τ (s) =

MT . 2Am t(s)

Am von Profil eingeschlossene Fl¨ ache, s Profilbogenl¨ange. Die gr¨ oßte Schubspannung τmax = MT /WT tritt an der Stelle mit der kleinsten Wandst¨ arke tmin auf.  2. Bredtsche Formel: 4 A2 IT = + m . ds t  Nichtkreisf¨ormige Querschnitte verw¨olben sich. • D¨ unnwandiger offener Querschnitt 1 1 hi t3i 3 IT = h i ti , WT = . 3 3 tmax Die gr¨ oßte Schubspannung τmax = MT /WT tritt im Querschnittsteil mit der gr¨oßten Wandst¨ arke tmax auf.

Kapitel 6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

6

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6

Einleitung......................................................... Arbeitssatz und Form¨anderungsenergie .................... Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte............................ Einflusszahlen und Vertauschungss¨atze .................... Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme .................................... Zusammenfassung ..............................................

207 208 218 237 240 258

Lernziele: In vielen F¨ allen ist es zweckm¨aßig, Verschiebungen bzw. Verdrehungen oder Kr¨ afte bzw. Momente mit Hilfe von Energiemethoden zu berechnen. Die daf¨ ur n¨otigen Grundgleichungen werden im folgenden Kapitel hergeleitet. Es wird gezeigt, wie man mit ihrer Hilfe auf einfache Weise bei Tragwerken zum Beispiel die Verschiebung an einer bestimmten Stelle bestimmen kann. Die Methoden versetzen uns u.a. auch in die Lage, einzelne Lagerreaktion bei statisch unbestimmten Systemen einfach zu ermitteln. Die Studierenden sollen lernen, diese Methoden zur L¨ osung von konkreten Problemen anzuwenden.

6.1

Einleitung

207

6.1

6.1 Einleitung In den vorangegangenen Kapiteln haben wir zur Ermittlung der Beanspruchungen und der Verformungen stets drei Arten von Gleichungen benutzt: a) Die Gleichgewichtsbedingungen liefern einen Zusammenhang zwischen a aften (Schnittgr¨oßen). ¨ußeren Lasten und inneren Kr¨ b) Die kinematischen Beziehungen verbinden Verschiebungs- und Verzerrungsgr¨ oßen. c) Das Elastizit¨atsgesetz stellt eine Beziehung zwischen Kraftund Deformationsgr¨ oßen her. In Tabelle 6.1 sind diese Gleichungen f¨ ur die drei wichtigsten Lastf¨ alle (Zug/Druck, Biegung, Torsion) zusammengestellt. Zus¨atzlich wurden in der letzten Zeile die Differentialgleichungen f¨ ur die Verschiebungsgr¨ oßen (bei konstanten Steifigkeiten) aufgenommen, die sich jeweils aus den drei Gleichungen ergeben. Tabelle 6.1. Grundgleichungen der Elastostatik

Gleichgewicht

Zug/Druck

Biegung

Torsion

N  = −n

M − Q = 0

MT = −mT



Q = −q Kinematik

ε = u

κB = −ψ 

κ T = ϑ

ψ = −w Elastizit¨ atsgesetz

N = EA ε

M = −EI κB

MT = GIT κT

EA u = −n

EI wIV = q

GIT ϑ = −mT

vgl. (1.18b)

vgl. (4.34b)

vgl. (5.12)

Wir haben im ersten Band gezeigt, wie man mit Hilfe des Arbeitsbegriffes das Gleichgewicht eines starren K¨ orpers untersuchen kann: der Arbeitssatz der Statik ist den Gleichgewichtsbedingun-

208

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

gen a ¨quivalent (vgl. Band 1, Abschnitt 8.2). Da in der Statik des starren K¨ orpers keine wirklichen Verschiebungen auftreten, mussten wir uns zur Anwendung des Arbeitssatzes das System ausgelenkt denken (virtuelle Verr¨ uckungen). Beim elastischen K¨orper treten nun reale Verformungen auf. F¨ ur die Untersuchung des Gleichgewichts solcher K¨ orper und die Berechnung von Verformungen ist es h¨ aufig zweckm¨ aßig, den Arbeitsbegriff und Energieaussagen zu verwenden. Mit ihrer Herleitung und ihrer Anwendung wollen wir uns in den folgenden Abschnitten besch¨aftigen.

6.2

6.2 Arbeitssatz und Form¨ anderungsenergie Wir betrachten zun¨ achst einen Zugstab, an dessen Ende eine Kraft F¯ langsam“ (quasistatisch) aufgebracht wird. Diese Kraft wird ” vom Anfangswert Null aus bis zum Endwert F gesteigert. Dabei verschiebt sich der Lastangriffspunkt um eine Strecke u (Abb. ¨ 6.1a). Beim Ubergang von der unverformten Lage in die verformte Lage verrichtet die ¨ außere Kraft eine Arbeit W =

u

F¯ d¯ u.

(6.1)

0

Wenn der Zusammenhang zwischen der Kraft F¯ und der Verschiebung u¯ bekannt ist, kann das Arbeitsintegral ausgewertet werden. Beim linear-elastischen Stab mit der L¨ ange l und der Dehnsteifigkeit EA gilt nach (1.18) der lineare Zusammenhang u ¯=

F¯ l EA



EA F¯ = u¯. l

(6.2)

Setzt man diese Beziehung in (6.1) ein, so erh¨alt man W =

1 F2 l 1 EA u2 = = F u. l 2 2 EA 2

(6.3)

Im Kraft-Verschiebungs-Diagramm nach Abb. 6.1b kann man dieses Ergebnis veranschaulichen: das Integral u ¨ ber die infinitesimalen Arbeiten dW = F¯ d¯ u ist gleich dem Fl¨ acheninhalt 12 F u des Dreiecks.

6.2

11 00 l

Arbeitssatz und Form¨anderungsenergie

N

F F F¯

EA

dx εdx

u

u¯ F

Abb. 6.1

209

u

u

N

d¯ u

a

b

c

Wir wollen nun ermitteln, welche Arbeit die inneren Kr¨afte bei der Belastung verrichten. Ein Stabelement dx verl¨angert sich unter einer Normalkraft N um ε dx (Abb. 6.1c). Da auch diese Kraft vom Anfangswert Null bis zum Endwert ansteigt und ein linearer Zusammenhang zwischen Kraft und Verl¨ angerung besteht, wird – analog zu (6.3) – am Element eine innere Arbeit vom Betrag dΠ =

1 N ε dx 2

(6.4)

verrichtet. Wir haben dabei den Buchstaben Π f¨ ur ein Potential (vgl. Band 1) verwendet, da diese Arbeit – wie bei einer elastischen Feder – im Stabelement als innere Energie gespeichert wird. Man nennt Π auch Form¨anderungsenergie. Mit dem Elastizit¨atsgesetz ε = N/EA folgt dΠ =

1 N2 dx = Π ∗ dx. 2 EA

Hierbei ist Π∗ =

1 N2 2 EA

(6.5)

die innere Energie pro L¨ angeneinheit. Integration u ¨ber die Stabl¨ange f¨ uhrt auf die insgesamt gespeicherte Energie l Π = 0

1 Π dx = 2 ∗

l

N2 dx. EA

(6.6)

0

Bei konstanter Dehnsteifigkeit EA und konstanter L¨angskraft N = F wird hieraus

210

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

1 F2 Π = 2 EA

l dx =

1 F2 l . 2 EA

(6.7)

0

Ein Vergleich von (6.7) mit (6.3) liefert W =Π.

(6.8)

Diese grundlegende Beziehung, die hier exemplarisch nur f¨ ur den Stab gewonnen wurde, ist der Arbeitssatz; er gilt f¨ ur jedes elastische System. Der Arbeitssatz sagt aus, dass bei einem elastischen K¨ orper die von den ¨ außeren Lasten verrichtete Arbeit W als innere Energie Π gespeichert wird. Diese Energie wird bei Entlastung des K¨ orpers wiedergewonnen: nach dem Energiesatz geht keine Energie verloren. Zur Anwendung des Arbeitssatzes auf beliebige elastische Systeme ben¨ otigen wir W und Π . Greift an einem Tragwerk eine Kraft F an, so verrichtet diese analog zu (6.3) eine Arbeit W =

1 F f. 2

(6.9a)

Dabei ist f die Verschiebung des Kraftangriffspunktes in Richtung der Kraft (Abb. 6.2a). Wenn ein ¨ außeres Moment M0 wirkt, so ergibt sich f¨ ur die Arbeit W =

1 M0 ϕ. 2

(6.9a)

Hierbei ist ϕ der Drehwinkel am Angriffspunkt von M0 in Richtung des Momentes (Abb. 6.2b).

0110 10 10 a

dψ F

M0

EI

M

M

f

ϕ

l b

dx c

Abb. 6.2

6.2

Arbeitssatz und Form¨anderungsenergie

211

Im Gegensatz zur ¨ außeren Arbeit wird die innere Energie f¨ ur unterschiedliche Beanspruchungsarten (Zug, Biegung, Torsion) durch unterschiedliche Formeln beschrieben. Wir wollen sie nun f¨ ur die Biegung ableiten. Hierzu betrachten wir ein Balkenelement der L¨ ange dx. Unter der Wirkung des Biegemomentes M erfahren die Endquerschnitte eine gegenseitige Verdrehung dψ (Abb. 6.2c). Dabei wird eine Arbeit vom Betrag dΠ =

1 1 M dψ = M ψ  dx 2 2

(6.10)

verrichtet. Einsetzen des Elastizit¨ atsgesetzes M = EIψ  nach (4.24) ergibt die Form¨ anderungsenergie pro L¨ angeneinheit beim Balken: dΠ =

1 M2 dx = Π ∗ dx 2 EI



Π∗ =

1 M2 . 2 EI

(6.11)

Nach Integration u ange l folgt ¨ber die Balkenl¨ l Π =

1 Π dx = 2 ∗

0

l

M2 dx. EI

(6.12)

0

¨ Die gleichen Uberlegungen lassen sich auch auf Torsion bzw. Querkraftbeanspruchung anwenden. Mit dem Elastizit¨atsgesetz MT = GIT ϑ (vgl. (5.5)) bzw. Q = GAS γ˜ (vgl. (4.41)) wird dann die Form¨ anderungsenergie pro L¨ angeneinheit Π∗ =

1 MT2 2 GIT

bzw.

Π∗ =

1 Q2 . 2 GAS

(6.13)

In der Tabelle 6.2 ist die Form¨ anderungsenergie f¨ ur die einzelnen Lastf¨ alle in verschiedenen Schreibweisen zusammengestellt. Treten in einem Tragwerk mehrere Beanspruchungsarten auf, so darf superponiert werden: die Gesamtenergie ergibt sich durch Addition der einzelnen Anteile (vgl. Beispiele 6.1 und 6.2). So wird z.B. f¨ ur ein Bauteil, das auf Biegung, Torsion und Zug beansprucht wird, die Form¨ anderungsenergie insgesamt    M2 1 MT2 N2 1 1 dx + dx. (6.14) dx + Π = 2 EI 2 GIT 2 EA

212

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

Tabelle 6.2. Form¨ anderungsenergie Π ∗ pro L¨ angeneinheit Zug

Biegung

Querkraft

Torsion

1 Nε 2

1 M ψ 2

1 Q γ˜ 2

1 MT ϑ 2

1 EA ε2 2

1 EI ψ  2 2

1 GAS γ ˜2 2

1 GIT ϑ 2 2

1 N2 2 EA

1 M2 2 EI

1 Q2 2 GAS

1 MT2 2 GIT

Ist das Tragwerk aus mehreren Teilen zusammengesetzt, so ist Π die Summe aller in den einzelnen Teilen gespeicherten Energien. Der Arbeitssatz in der Form (6.8) hat eine Bedeutung f¨ ur die direkte Anwendung nur bei statisch bestimmten Systemen, bei denen nur eine Kraft bzw. nur ein Moment angreift. Wir k¨onnen mit ihm dann die Verschiebung des Kraftangriffspunktes in Richtung der Kraft bzw. die Verdrehung des Momentenangriffspunktes in Richtung des Momentes berechnen. So folgt z.B. f¨ ur den Balken nach Abb. 6.2a die Absenkung f unter der Last F mit (6.9a) aus W =Π



1 1 Ff= 2 2

l

M2 dx. EI

(6.15a)

0

Dabei ist M der Momentenverlauf infolge der Last F . Auf gleiche Weise ergibt sich mit (6.9b) der Drehwinkel ϕ an der Angriffsstelle ur den Balken nach Abb. 6.2b: des Moments M0 f¨ W =Π



1 1 M0 ϕ = 2 2

l

M2 dx. EI

(6.15b)

0

Hierbei ist M der Momentenverlauf infolge des eingepr¨agten Moments M0 . Bei einem Fachwerk sind die Normalkr¨ afte in den einzelnen anderungsenergie im St¨ aben konstant: Ni = Si . Dann ist die Form¨

6.2

Arbeitssatz und Form¨anderungsenergie

213

i-ten Stab 12 Si2 li /Ei Ai . Wenn ein Fachwerk aus n St¨aben durch eine Kraft F belastet wird, so folgt die Verschiebung des Kraftangriffspunktes in Richtung dieser Kraft aus: n

W =Π

1  Si2 li 1 Ff= . 2 2 i=1 EAi



(6.16)

Dabei haben wir f¨ ur die Dehnsteifigkeit Ei Ai des i-ten Stabes kurz EAi gesetzt. Als Anwendungsbeispiel wollen wir die vertikale Absenkung v des Angriffspunkts der Kraft F beim Stabzweischlag nach Abb. 6.3a bestimmen. Sie folgt nach (6.16) aus   1 S12 l1 S 2 l2 1 Fv= + 2 . 2 2 EA EA

11 00 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11

EA

α

Abb. 6.3

a

S1 F

β EA

F

S2

h

F

α S1 β S2

b

Die Stabkr¨ afte ergeben sich aus dem Kr¨ aftedreieck nach Abb. 6.3b (Sinussatz) zu S1 = F

sin β , sin(α + β)

S2 = − F

sin α . sin(α + β)

Mit den Stabl¨ angen l1 = h/ sin α, l2 = h/ sin β erh¨alt man nach Einsetzen und Aufl¨ osen die Absenkung  2  sin β h sin2 α F + v= . EA sin2 (α + β) sin α sin β In Abschnitt 1.5 wurde auf anderem Wege gezeigt, wie man eine Knotenverschiebung ermitteln kann. Beim Vergleich beider L¨ osungswege sieht man, dass bei der Anwendung des Arbeits-

214

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

¨ satzes die oft m¨ uhsamen geometrischen Uberlegungen vermieden werden k¨ onnen. Wird ein Tragwerk nicht nur durch eine einzige Kraft bzw. ein Moment beansprucht oder wollen wir z.B. Verschiebungen bzw. Verdrehungen an beliebigen Stellen ermitteln, so m¨ ussen wir den Arbeitssatz geeignet erweitern. Dies wird in Abschnitt 6.2 geschehen. Vorher wollen wir noch zeigen, wie man mit Hilfe von Energieaussagen den Schubkorrekturfaktor κ eines Balkenquerschnittes n¨ aherungsweise bestimmen kann. Diese Gr¨ oße war beim Elastizit¨ atsgesetz (4.25) f¨ ur die Querkraft eingef¨ uhrt worden (vgl. auch Abschnitt 4.6): Q = G κ A(w + ψ) = GAS (w + ψ).

(6.17)

Hierbei wurde angenommen, dass die Querkraft eine mittlere Winkel¨ anderung γ˜ = w + ψ im Querschnitt hervorruft. Die Schubalt man nun, indem man die Form¨anderungsfl¨ ache AS = κ A erh¨ energie ΠQ∗ infolge der Querkraft gleichsetzt der Form¨anderungsenergie Πτ∗ , die durch die im Querschnitt verteilten Spannungen τ hervorgerufen wird. Nach Tabelle 6.2 gilt ΠQ∗ =

1 Q2 1 Q γ˜ = . 2 2 GAS

(6.18)

Entsprechend f¨ uhrt die Schubkraft τ dA, die auf ein Fl¨achenelement dA des Querschnittes wirkt, mit τ = G γ auf dΠτ∗ =

1 τ2 1 (τ dA) γ = dA. 2 2G

Durch Integration u ¨ber den Querschnitt folgt die Form¨anderungsenergie je L¨ angeneinheit  2 1 τ Πτ∗ = dA. (6.19) 2 G Gleichsetzen von (6.18) und (6.19) ergibt  2 1 Q2 τ 1 dA. = 2 GAS 2 G

(6.20)

6.2

Arbeitssatz und Form¨anderungsenergie

215

Wenn die Schubspannungsverteilung infolge Q bekannt ist, kann man das Integral in (6.20) auswerten und damit AS bestimmen. Wir zeigen den Rechengang am Beispiel eines Rechteckquerschnittes. Nach (4.39) gilt in diesem Fall f¨ ur die Schubspannungsverteilung (vgl. Abb. 4.35b)   z2 3Q 1−4 2 . τ= 2A h Mit dA = b dz und A = b h ergibt sich durch Einsetzen in (6.20) 1 9 1 = AS 4 A2

2 h/2  6 1 z2 . b dz = 1−4 2 h 5 bh −h/2

Damit werden beim Rechteck AS =

5 b h, 6

κ=

AS 5 = . A 6

(6.21)

Die mittlere Scherung γ˜ = w + ψ =

Q Q = 1, 2 GAS GA

ist hiernach um 20% gr¨ oßer als die Scherung, die man bei konstanter Schubspannungsverteilung τ = Q/A erhalten w¨ urde. Bei anderen Vollquerschnitten ergeben sich durch ¨ahnliche Rechnungen f¨ ur den Schubkorrekturfaktor κ Werte zwischen 0,8 und 0,9. F¨ ur den Doppel-T-Tr¨ ager (vgl. Abb. 4.42) findet man, dass die Querkraft im wesentlichen durch den Steg u ¨ bertragen wird. Es gilt daher dort mit einer f¨ ur technische Anspr¨ uche gen¨ ugenden Genauigkeit AS ≈ ASteg = t h. F¨ ur das d¨ unnwandige Kreisrohr erh¨ alt man aus (6.20) AS =

1 A 2

mit

A = 2 Π r t.

Der Vergleich der Zahlenwerte zeigt, dass man im Falle einer Ber¨ ucksichtigung der Schubdeformation genau beachten muss, wel-

216

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

che Profilform vorliegt. Die Schubkorrekturfaktoren κ schwanken in einem weiten Bereich, je nachdem ob es sich um Vollquerschnitte, d¨ unnwandige offene oder d¨ unnwandige geschlossene Profile handelt. B6.1

Beispiel 6.1 Ein Kragtr¨ ager wird nach Abb. 4.6a durch eine Ein-

zelkraft F belastet. Wie groß ist die Absenkung f unter der Last bei Ber¨ ucksichtigung der Schubdeformation des Balkens? F x

EI, GAS l

0110 10

M

Q F

Fl Abb. 6.4

b

a

Nach dem Arbeitssatz (6.8) gilt mit den Energien aus Tabelle 6.2   1 1 1 M2 Q2 Ff= dx + dx. 2 2 EI 2 GAS

L¨ osung

Mit der vom freien Ende aus gez¨ ahlten Koordinate x wird (Abb. 6.4b) Q = − F,

M = − F x.

Einsetzen und Integrieren bei konstanten Steifigkeiten EI und GAS ergibt 1 1 Ff = 2 2

l 0

1 F 2 x2 dx + EI 2

l

F2 dx GAS

0

1 l3 l 1 + F2 = F2 2 3 EI 2 GAS



f=

Fl F l3 + . 3 EI GAS

Die gleiche Aufgabe wurde in Abschnitt 4.6.2 mit Hilfe der Differentialgleichungen f¨ ur die Biegeabsenkung und die Schubabsenkung gel¨ ost. Dort wurde auch der Einfluss der Schubsteifigkeit diskutiert.

6.2

Arbeitssatz und Form¨anderungsenergie

217

Beispiel 6.2 Ein abgewinkelter Balken tr¨ agt am freien Ende eine

Last F (Abb. 6.5a). Wie groß ist die Absenkung f des Kraftangriffspunktes?

111 000 000 111 000 111 000 111 000 111 000 111

Fl l 2

EI2

M

x2

Fa

MT

Fa

z

1

x1

a

EI1

a

F

b

Abb. 6.5

L¨ osung Der Winkel wird in den Balken { und | auf Biegung und

in | außerdem auf Torsion beansprucht. Der Arbeitssatz (6.8) lautet daher   1 1 M2 MT2 1 Ff= dx + dx. 2 2 EI 2 GIT Wir verwenden die Koordinaten x1 und x2 nach Abb. 6.5a. Im Balken { wirkt ein Biegemoment M1 = −F x1 . Der Balken | u agt ein Biegemoment M2 = −F x2 und ein Torsionsmoment ¨ bertr¨ MT 2 = F a (vgl. Abb. 6.5b). Einsetzen ergibt 1 1 Ff = 2 2

a 0

=

1 F 2 x21 dx1 + EI1 2

l

1 F 2 x22 dx2 + EI2 2

0

1 F 2 l3 1 F2 2 1 F 2 a3 + + a l. 2 EI1 3 2 EI2 3 2 GIT

Hieraus folgt die gesuchte Absenkung zu ! 3 " a l3 a2 l f =F + + . 3 EI1 3 EI2 GIT

l 0

F 2 a2 dx2 GIT

B6.2

218

6.3

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

6.3 Das Prinzip der virtuellen Kr¨ afte Mit dem Arbeitssatz (6.8) k¨ onnen wir die Verschiebung in Richtung der Kraft bestimmen. So fanden wir z.B. beim Stabzweischlag nach Abb. 6.3 die vertikale Absenkung v unter der vertikalen Last F aus 1  Si2 li 1 Fv= . (6.22) W =Π → 2 2 EAi Bringt man an demselben Stabzweischlag statt F eine horizontale Kraft Q an, so folgt die horizontale Verschiebung u aus 1 1  Si2 li Qu = , 2 2 EAi

(6.23)

wobei jetzt die Si die Stabkr¨ afte infolge Q sind. Nun verursacht jedoch die vertikale Kraft F (bzw. die horizontale Kraft Q) auch eine horizontale Verschiebung u (bzw. eine vertikale Verschiebung v). Um diese Verschiebungen mit Hilfe des Arbeitssatzes ermitteln uhren. Hierunter verzu k¨ onnen, m¨ ussen wir virtuelle Kr¨afte einf¨ steht man gedachte Kr¨ afte, die nur zu Rechenzwecken gebraucht werden. Wie man mit Hilfe von virtuellen Verr¨ uckungen Aussagen u afte gewinnen kann (vgl. Band 1, Abschnitt 8.2), ¨ber wirkliche Kr¨ so kann man mit Hilfe von virtuellen Kr¨ aften wirkliche Verschiebungen berechnen.

11 00 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11

1

S1 F S2

F

2 a

b

0110 1010 1010 10 1010

"1"

S¯2

S¯1 "1"

c

d

Abb. 6.6

Wir beschr¨ anken uns zun¨ achst auf statisch bestimmte Systeme. Das Vorgehen soll am Beispiel des Stabzweischlags nach Abb. 6.6a erl¨ autert werden. Unter der vertikalen Last F wirken in den St¨aben die Stabkr¨ afte Si (Abb. 6.6b). Wenn wir die Verschiebung des

6.3

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte

219

Knotens in horizontaler Richtung berechnen wollen, belasten wir das System zun¨ achst allein durch eine virtuelle Kraft “1“ in horizontaler Richtung (Abb. 6.6c). Diese Kraft soll den Betrag 1 haben. Im Krafteck nach Abb. 6.6d ermitteln wir die zugeh¨origen Stabkr¨ afte S¯i . Der Querstrich u ¨ber einer Kraft- oder einer Verformungsgr¨ oße soll hier und im folgenden stets darauf hinweisen, dass es sich dabei um eine Gr¨ oße infolge der virtuellen Last handelt. Unter der virtuellen Last erf¨ ahrt der Knoten eine horizontale Verschiebung u ¯. Die Kraft “1“ verrichtet dabei eine Arbeit W1 =

1 ·1·u ¯. 2

(6.24)

Anschließend belasten wir das Fachwerk zus¨ atzlich zu der virtuellen Kraft “1“ mit der vertikalen Kraft F . Dabei verschiebt sich der Knoten in vertikaler Richtung um v, und F verrichtet eine Arbeit W2 =

1 F v. 2

(6.25)

Bei der Belastung durch F wird der Knoten zus¨atzlich horizontal um u verschoben, und die dort schon in voller Gr¨oße wirkende Kraft “1“ verrichtet hierbei eine Arbeit W3 = 1 · u.

(6.26)

Damit wurde am System insgesamt eine Arbeit verrichtet, die gleich der Summe der drei Anteile ist: W =

1 1 ·1·u ¯ + F v + 1 · u. 2 2

(6.27)

Nach dem Superpositionsprinzip wirken in den St¨aben insgesamt die Stabkr¨ afte S¯i + Si . Daher ist nach (6.16) eine Form¨anderungsenergie Π =

=

1  (S¯i + Si )2 li 2 EAi 1  S¯i2 li 1  Si2 li  Si S¯i li + + 2 EAi 2 EAi EAi

(6.28)

220

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

gespeichert. Nach dem Arbeitssatz (6.8) wird daher 1 1  S¯i2 li 1  Si2 li  Si S¯i li 1 · 1 · u¯ + F v + 1 · u = + + . 2 2 2 EAi 2 EAi EAi Nach (6.22) ist der zweite Term auf der linken Seite gleich dem zweiten Term auf der rechten Seite. Gleiches gilt nach (6.23) mit Q = 1 f¨ ur die ersten Glieder. Als Ergebnis bleibt 1·u =

 Si S¯i li EAi

.

(6.29)

Damit haben wir mit Hilfe einer virtuellen Kraft “1“ in horizontaler Richtung die wirkliche horizontale Verschiebung u unter einer vertikalen Last F erhalten. ¨ Aus einer entsprechenden Uberlegung l¨ asst sich die Komponente der Verschiebung eines beliebigen Knotens in einer vorgegebenen Richtung bestimmen. Will man z.B. im Fachwerk nach Abb. 6.7a die Verschiebungskomponente f des Knotens VI in "1"

f VI

α

α

F b

a

Abb. 6.7

der durch α festgelegten Richtung ermitteln, so bestimmt man zun¨ achst (z.B. mit einem Cremona-Plan) die Stabkr¨afte Si unter der gegebenen Last F . Anschließend wird das System allein durch eine virtuelle Kraft “1“ in Richtung der gesuchten Verschiebung belastet (Abb. 6.7b), und die zugeh¨origen Stabkr¨afte werden bestimmt. Nach (6.29) erh¨ alt man dann die gesuchte Verschiebungskomponente zu

f=

 Si S¯i li EAi

.

(6.30)

6.3

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte

221

Dabei haben wir in (6.29) durch die Kraft 1 gek¨ urzt. Die S¯i in (6.30) sind somit Stabkr¨ afte infolge einer dimensionslosen Kraft 1, und sie sind daher selbst auch dimensionslos. Die Formel (6.30) gilt wegen des Superpositionsprinzips auch f¨ ur beliebig viele Lasten. Die Si sind dann die Stabkr¨ afte infolge aller Lasten. Die Gleichung (6.30), welche auf Energiebetrachtungen von wirklichen und von virtuellen Gr¨ oßen beruht, wird als Prinzip der virtuellen urzt auch ArKr¨afte bezeichnet. Wir wollen das Prinzip abgek¨ beitssatz nennen. Der Begriff Arbeitssatz“ wurde bereits in (6.8) ” und beim Prinzip der virtuellen Verr¨ uckungen (vgl. Band 1, Abschnitt 8.2) verwendet. Diese Mehrdeutigkeit beruht darauf, dass sich alle hier genannten Prinzipien aus einem u ¨bergeordneten Arbeitssatz ableiten lassen. Der Arbeitssatz beim Fachwerk sagt aus: will man die Komponente f der Verschiebung eines beliebigen Knotens k in irgendeiner Richtung bestimmen, so muss man am Knoten k in dieser Richtung eine virtuelle Kraft “1“ anbringen. Mit den Stabkr¨aften Si infolge aller Lasten, den Stabkr¨ aften S¯i infolge “1“, den L¨angen abe folgt dann f nach li und den Dehnsteifigkeiten EAi aller St¨ (6.30). Im allgemeinen weiß man nicht, in welcher Richtung sich ein Knoten verschiebt. Will man die wirkliche Verschiebung eines Knotens berechnen, muss man daher die Prozedur zweimal durchf¨ uhren: mit einer horizontalen Kraft “1“ findet man die horizontale Komponente der Verschiebung, mit einer vertikalen Kraft “1“ die vertikale Komponente. Vektorielle Addition ergibt die Gesamtverschiebung des betrachteten Knotens. Das Prinzip der virtuellen Kr¨ afte l¨ asst sich in gleicher Weise auf andere elastische Systeme (z.B. Balken, Rahmen, Bogen) anwenden. Wir wollen die Formel f¨ ur die Durchbiegung eines Balkens anhand eines Beispieles ableiten. Hierzu betrachten wir einen beiderseits gelenkig gelagerten Balken unter einer Last F , die an einer Stelle k angreift. Gesucht ist die Verschiebung f an einer Stelle i (Abb. 6.8a). Der Deutlichkeit halber wollen wir hier Doppelindizes verwenden: fik ist die Absenkung an der Stelle i infolge einer Last F an der Stelle k. Zur Ermittlung der Durchbiegung an der

222

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

F

i

"1"

F i

k

i

k

k

a

Mk

b

¯i M

c

Abb. 6.8

Stelle i bringen wir dort zuerst eine virtuelle Last “1“ an (Abb. 6.8c). Anschließend belasten wir in k durch die gegebene Last F . ¨ Mit den gleichen Uberlegungen wie beim Fachwerk finden wir die Arbeit dieser beiden Kr¨ afte: W =

1 1 · 1 · fii + F fkk + 1 · fik . 2 2

(6.31a)

Die Kraft “1“ verursacht im Balken einen Biegemomentenver¯ i , die Kraft F hat einen Momentenverlauf Mk zur Folge lauf M ¯ i + Mk gilt f¨ ur die (Abb. 6.8b, c). Mit dem Gesamtmoment M Form¨ anderungsenergie  ¯ 1 (Mi + Mk )2 dx Π = 2 EI =

1 2



 ¯  ¯2 Mi Mk M 1 Mk2 i dx + dx + dx . EI 2 EI EI

(6.31b)

Die ersten beiden Summanden in W und Π sind wegen (6.15a) jeweils gleich. Aus W = Π folgt damit  ¯ Mi Mk fik = dx. (6.32) EI Dabei haben wir wieder durch die Kraft 1 gek¨ urzt. Gleichung (6.32) ist der Arbeitssatz f¨ ur den Balken. Hiernach erh¨alt man die Durchbiegung fik an einer Stelle i infolge einer Last F an der Stelle k, indem man zun¨ achst an der Stelle i eine dimensionslose ¯ i ermitKraft “1“ anbringt und die zugeh¨ orige Momentenlinie M

6.3

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte

223

telt. Mit dem Momentenverlauf Mk infolge der gegebenen Last F an der Stelle k folgt dann die gesuchte Absenkung durch Einsetzen in (6.32) und Integration u ange. ¨ ber die Balkenl¨ Bei beliebiger Belastung (Streckenlast, Einzelkr¨afte etc.) gilt der Arbeitssatz (6.32) ebenfalls. Dann ist Mk der Momentenverlauf infolge aller Lasten. Man verzichtet dann h¨aufig auf die Indizes i und k und schreibt  f=

¯ MM dx . EI

(6.33)

¯ Hierin ist M das Moment infolge der gegebenen Lasten und M das Moment infolge einer virtuellen Last “1“ (dimensionslos) an der Stelle, an der die Verschiebung f gesucht ist. Will man statt der Absenkung den Biegewinkel ϕ an einer bestimmten Stelle ermitteln, so muss man an dieser Stelle ein dimensionsloses virtuelles Moment “1“ anbringen und dann in (6.33) f¨ ur ¯ den Momentenverlauf im Balken infolge dieses Momentes einM setzen.

0110 10

a

F x

EI l

0110 1010

0110 1010

F

a

1(l−a) Fa Abb. 6.9

0110 1010

"1"

¯ M

¯ M

M

a

"1"

1

1l b

c

d

Als Anwendungsbeispiel betrachten wir den Kragtr¨ager unter einer Last F nach Abb. 6.9a und ermitteln die Absenkung und den Biegewinkel am freien Ende. Wir z¨ ahlen die Koordinate x vom freien Ende und bestimmen zun¨ achst den Momentenverlauf

224

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

f¨ ur die gegebene Last (Abb. 6.9b): M = − F [x − (l − a)]

x ≥ l − a.

f¨ ur

Zur Berechnung der Absenkung am freien Ende bringen wir dort eine Last “1“ an und erhalten den Momentenverlauf (Abb. 6.9c) ¯ =− 1·x M

f¨ ur

x ≥ 0.

Aus (6.33) folgt damit die Enddurchbiegung (der Bereich 0 ≤ x ≤ l − a liefert wegen M = 0 keinen Anteil)  f =

¯ 1 MM dx = EI EI

F = EI



l (−F )[x − (l − a)](−x) dx l−a

x2 x3 − (l − a) 3 2

l l−a

    F l3 a 2  a 3 = − . (6.34) 3 6 EI l l

Zur Ermittlung des Biegewinkels am Balkenende bringen wir dort ein Moment “1“ an. Das zugeh¨ orige Biegemoment ist dann im ¯ = 1 (Abb. 6.9d), und aus (6.33) ergibt sich ganzen Balken M  ϕ=

¯ 1 MM dx = EI EI

F =− EI



l (−F )[x − (l − a)] · 1 dx l−a

l F a2 x2 − (l − a)x . =− 2 EI 2 l−a

(6.35)

Das Minuszeichen zeigt an, dass die Drehrichtung des Winkels am freien Ende entgegengesetzt zu der Richtung ist, die wir f¨ ur das virtuelle Moment “1“ angenommen haben. Bei vielen Problemen treten nur einige typische“ Momenten” verl¨ aufe (linear, quadratisch, kubisch) auf. F¨ ur solche Verl¨aufe kann man bei konstanter Biegesteifigkeit EI die Integrale in (6.33) auf Vorrat“ ausrechnen und in einer Tabelle zusammenstellen. ” Dabei ist es f¨ ur die Auswertung der Integrale unwesentlich, welches der Momente aus der wirklichen und welches aus der virtuellen Belastung herr¨ uhrt. Wir lassen daher den Querstrich weg; die Indizes i und k kennzeichnen jetzt zwei Momentenverl¨aufe, deren

6.3

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte

225

 Produkt zu integrieren ist: Mi Mk dx. So gilt z.B. f¨ ur einen quadratischen Momentenverlauf Mi und einen linearen Verlauf Mk mit den Bezeichnungen nach Abb. 6.10   x  x 2 x − Mi = 4 i , Mk = k . s s s Das Integral ergibt sich in diesem Fall zu s



s Mi Mk dx =

0

4i 0

ik =4 2 s



 x  x 2 x − k dx s s s

s3 s3 − 3 4

 =

1 s i k. 3

Man bezeichnet die Multiplikation von Momentenlinien und die anschließende Integration insgesamt als Koppeln“. Werte sol” cher Integrale sind in der Tabelle 6.3 zusammengestellt. Man findet dort f¨ ur das Beispiel nach Abb. 6.10 aus der Kopplung von quadratischer Parabel mit einem Dreieck in der vierten Zeile und der zweiten Spalte den bereits berechneten Wert 13 s i k. Mk

Mi i

k

x

x s

Abb. 6.10

s

Der Arbeitssatz l¨ asst sich sinngem¨ aß auch auf andere Beanspruchungsarten (z.B. Torsion) oder auf zusammengesetzte Beanspruchungen anwenden. So gilt z.B. f¨ ur ein System, in dem Biegung, Torsion und Zug auftreten  f=

¯ MM dx + EI



¯T MT M dx + GIT



¯ NN dx. EA

(6.36)

Hierin sind M, MT und N der Biegemomenten-, der Torsionsmomenten- und der Normalkraftverlauf infolge der gegebenen Belas¯ die Verl¨aufe infolge einer ¯,M ¯ T und N tung. Entsprechend sind M

226

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

Tabelle 6.3. Hilfstafel zur Ermittlung der Integrale

R

Mi Mk dx

Mk Mi

1

sik

1 sik 2

1 sik 2

1 si(k1 + k2 ) 2

2

1 sik 2

1 sik 3

1 sik 6

1 si(k1 + 2 k2 ) 6

3

1 s(i1 + 2 i2 )k

1 s(i1 + 6 2 i2 )k

1 s(2 i1 + 6 i2 )k

4

2 sik 3

1 sik 3

1 sik 3

1 si(k1 + k2 ) 3

5

2 sik 3

5 sik 12

1 sik 4

1 si(3 k1 + 5 k2 ) 12

6

1 sik 3

1 sik 4

1 sik 12

1 si(k1 + 3 k2 ) 12

7

1 sik 4

1 sik 5

1 sik 20

1 si(k1 + 4 k2 ) 20

8

3 sik 8

11 sik 40

1 sik 10

1 si(4 k1 + 11 k2 ) 40

9

1 sik 4

2 sik 15

7 sik 60

1 si(7 k1 + 8 k2 ) 60

1 s(2 i1 k1 + 6 2 i2 k2 + i1 k2 + i2 k1 )

Quadratische Parabeln: ◦ kennzeichnet den Scheitelpunkt Kubische Parabeln: ◦ kennzeichnet die Nullstelle der Dreiecksbelastung onnen unterschiedliche Vorzeichen haben Trapeze: i1 und i2 (bzw. k1 und k2 ) k¨

6.3

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte

227

virtuellen Kraft “1“ , die an der zu untersuchenden Stelle in der Richtung angebracht werden muss, in der die Verschiebung f ermittelt werden soll. Dabei sind die Integrale u ¨ber alle Bauteile eines Systems auszuwerten, in denen die entsprechenden Schnittgr¨ oßen auftreten. Sind die Steifigkeiten GIT bzw. EA in einem Bauteil konstant, so k¨ onnen die Integrale   ¯ T dx, ¯ dx NN MT M auch mit der Hilfstafel (Koppeltafel) nach Tabelle 6.3 ermittelt werden. Erf¨ ahrt bei einem Fachwerk der i-te Stab eine Temperatur¨anderung ∆ Ti , so ist in (6.30) analog zu (1.17) zur L¨angen¨anderung Si l i infolge der Stabkraft Si die L¨ angen¨ anderung αTi ∆ Ti li inEAi folge der Temperatur hinzuzuf¨ ugen: f=

 Si S¯i li E Ai

+



S¯i αT i ∆ Ti li .

Entsprechend muss bei Biegung in (6.33) zum Moment M aus den Lasten ein Temperaturmoment M∆T nach (4.61) addiert werden, falls ein Balken einer Temperaturbelastung nach Abschnitt 4.9 unterliegt:  ¯ (M + M∆T ) M f= dx. EI Beispiel 6.3 F¨ ur das Fachwerk nach Abb. 6.11a ermittle man die

abe haben die gleiche DehnAbsenkung fV des Knotens V. Alle St¨ steifigkeit EA. L¨ osung Das Fachwerk hat k = 10 Knoten, s = 17 St¨ abe und r = 3

Lagerkr¨ afte. Damit ist die notwendige Bedingung 2 k = s + r f¨ ur statische Bestimmtheit erf¨ ullt (vgl. Band 1, Abschnitt 6.1). Die Verschiebung bestimmen wir mit Hilfe von (6.30). Dazu ermitteln wir zun¨ achst in einem Cremona-Plan die Stabkr¨afte Si unter den gegebenen ¨ außeren Lasten (Abb. 6.11b). Wegen der Symmetrie von Tragwerk und Belastung ben¨ otigen wir dabei nur

B6.3

228

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

a Umlaufsinn

a a

V

F

F 8, 6

Tragwerk unter gegebener Last 2 6 10 14

0 1

3

0

7

9

0 0

5 8

4

15 11 12

F

13

B =F

Kr¨aftemaßstab F

b

¯ B

Tragwerk unter virtueller Last 6

0 0

0

0

F

4

16

F

A=F

A

3

5 17

7

3



"1"

4, 8

c

1 A¯ = 2

"1"

¯= 1 B 2

Kr¨aftemaßstab "1"

Abb. 6.11

die Stabkr¨ afte einer Tragwerksh¨ alfte. Es ist zweckm¨aßig, diese Stabkr¨ afte (unter Beachtung der Vorzeichen) in einer Tabelle zusammenzustellen. Anschließend belasten wir das Fachwerk allein durch eine virtuelle Kraft “1“ am Knoten V in Richtung der gesuchten Verorigen Cremona-Plan schiebung fV (Abb. 6.11c). Aus dem zugeh¨ k¨ onnen die Stabkr¨ afte S¯i abgelesen werden (vgl. nachstehende Tabelle). Mit den Stabl¨ angen li bilden wir die Produkte Si S¯i li , die in der letzten Spalte eingetragen sind. Nach (6.30) finden wir die gesuchte Absenkung nach Addition der Werte in der letzten Spalte mit EAi = EA zu fV =

 Si S¯i li EA

√ Fa = (4 + 2 2) . EA

6.3

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte

229

i

Si

S¯i

li

Si S¯i li

1

0

0

a

0

a √ 2a

0 √ 2F a

2

0 √ − 2F

3

0 √ − 2/2

4

F

1/2

a

F a/2

5

F

0

a

0

6

−F 0

−1 √ 2/2

a √ 2a

Fa

7 8

F

1/2

a

F a/2

9

0

0

a

0

10

−F

a √ 2a

Fa

0

11

0

−1 √ 2/2

12

F

1/2

a

F a/2

13

F

0

a

0

a √ 2a

0 √ 2F a

a

F a/2

14

0 √ − 2F

15

0 √ − 2/2

16

F

1/2

17

0

0

0

a 0 √ P ¯ Si Si li = (4 + 2 2) F a

Beispiel 6.4 F¨ ur das Fachwerk nach Abb. 6.12a ermittle man die

horizontale und die vertikale Verschiebung des Knotens B. Die St¨abe 1 bis 3 haben die Dehnsteifigkeit EA, der Stab 4 die Dehnsteifigkeit 2 EA.

0110 1010 10 1010 10

4

45◦

B

45◦ 2 1 l

3 45



F

0110 1010 10 1010 10

4 2

3

1

F

2 a

1 b

4 2

"1"

0

0

11 00 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11 00 11

"1"

F

3 4

Abb. 6.12

0110 1010 10 1010 10 4

2

0

0

4 2

"1" 2

c

d

"1"

4

B6.4

230

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

L¨ osung Das Fachwerk ist statisch bestimmt. Aus dem Gleichgewicht an den Knoten lassen sich die Stabkr¨afte Si unter der gegebenen Last F ermitteln (Abb. 6.12b). Zur Berechnung der horizontalen Verschiebung belasten wir das Fachwerk in B nach Abb. 6.12c durch eine horizontale Last “1“ und ermitteln die Stabkr¨ afte S¯iH . Analog finden wir mit ¯ Abb. 6.12d die Stabkr¨ afte SiV unter einer vertikalen Last “1“ in B. Alle Stabkr¨afte sind in nachstehender Tabelle eingetragen. i

li

1

l

2

√ 2l

3

l

4

√ 2l

Si F √ 2 F − 2 F √ 2 F 2

S¯iH

S¯iV

0 1√ 2 2

Si S¯iH li

0 −

1√ 2 2

0 1 − Fl 2

Si S¯iV li 0 1 Fl 2

0

0

0

0

1√ 2 2

1√ 2 2

1 Fl 2

1 Fl 2

Mit (6.30) folgen unter Beachtung der unterschiedlichen Dehnsteifigkeiten die Verschiebungen des Knotens B: fH =

fV =

 Si S¯iH li EAi

=−

1 Fl 1Fl 1Fl + =− , 2 EA 2 2 EA 4 EA

 Si S¯iV li 1 Fl 3Fl 1Fl + = = . EAi 2 EA 2 2 EA 4 EA

Das Minuszeichen bei fH zeigt an, dass die horizontale Verschiebung entgegen der angenommenen “1“-Richtung erfolgt. Der Knoten B erf¨ ahrt im Beispiel eine vertikale Verschiebung nach unten, die dreimal so groß ist wie die horizontale Verschiebung. B6.5

Beispiel 6.5 Der Rahmen (Biegesteifigkeit EI) nach Abb. 6.13a ist durch eine Gleichstreckenlast q0 und eine Einzelkraft F belastet. ahrt das Lager B? Welche horizontale Verschiebung uB erf¨

6.3

q0

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte

231

q0 F

F 2

h

1

3

"1"

B a 1·h

Fh

1·h

a Fh

1·h

1·h q0 a2 8

¯ M

M Abb. 6.13

b

c

L¨ osung F¨ ur den dehnstarren Rahmen l¨ asst sich die Verschiebung

aus (6.33) ermitteln. Wir bestimmen zun¨ achst den Momentenverlauf M unter den gegebenen ¨ außeren Lasten. Um die Kopplung zu erleichtern, ist es zweckm¨ aßig, dabei die Momente im Querriegel | infolge q0 und infolge F getrennt aufzutragen (Abb. 6.13b). Dann belasten wir den Rahmen allein im Punkt B durch eine Kraft “1“ in der gesuchten Verschiebungsrichtung und bestimmen ¯ (Abb. 6.13c). die zugeh¨ orige Momentenlinie M Die Lagerverschiebung uB erhalten wir nun durch Koppeln der Momentenfl¨ achen u ¨ ber alle Rahmenteile: Pfosten { : Dreieck mit Dreieck  ¯ dx = 1 h(−F h)(1 · h) = − 1 F h3 MM 3 3 Querriegel | : Rechteck mit Dreieck  ¯ dx = 1 a(−F h)(1 · h) = − 1 F a h2 MM 2 2 Rechteck mit quadratischer Parabel  2 ¯ dx = 2 a q0 a (1 · h) = 1 q0 a3 h MM 3 8 12  ¯ dx = 0. Pfosten } : Wegen M = 0 wird M M

232

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

Aufsummieren und Einsetzen in (6.33) ergibt EI uB =

1 1 q0 a3 h − F h2 (2 h + 3 a). 12 6

Die Vorzeichen zeigen an, dass das Lager infolge q0 nach rechts, infolge F nach links verschoben wird. B6.6

Beispiel 6.6 Das in Abb. 6.14a skizzierte Tragwerk besteht aus

einem abgewinkelten Rahmen BCD mit der Biegesteifigkeit EI und zwei St¨ aben 1 und 2 gleicher Dehnsteifigkeit EA. Es wird in der Ecke C durch ein Moment M0 belastet. Gesucht sind die Verschiebung vB des Lagers B und die Verdrehung ϕC der Ecke C. a

M0

D a

"1"

M0

"1"

C

1

B A

45◦

2 2a

M0 /2

1/2

a

¯ M

M b

c

¯ M d Abb. 6.14

Wir bestimmen zun¨ achst die Momentenlinie M (Abb. 6.14b) und die Stabkr¨ afte S1 = M0 /2 a und S2 = −M0 /2 a infolge der gegebenen Belastung M0 . Zur Ermittlung der Lagerveroglichen Bewegungsrichtung schiebung vB bringen wir in der m¨ eine Kraft “1“ an (Abb. 6.14c). In diesem System verschwindet ¯ das zugeh¨ √ orige Biegemoment M , und es tritt nur eine Stabkraft S¯2 = 2 auf. Dementsprechend liefern bei der Kopplung nach (6.36) nur die Stabkr¨ afte einen Anteil:

L¨ osung

vB =

√ M0 M0 √ 2 a S2 S¯2 l2 =− =− 2 2 . EA 2a EA EA

Wenn wir die Verdrehung der Ecke C berechnen wollen, m¨ ussen wir dort ein Moment “1“ anbringen. Diesmal treten Biegemomente

6.3

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte

233

¯ nach Abb. 6.14d auf. Die Stabkr¨ M afte berechnen wir zu S¯1 = ¯ 1/2 a und S2 = −1/2 a. Aus dem Arbeitssatz   Si S¯i li ¯ MM dx + ϕC = EI EA folgt unter Verwendung von Tabelle 6.3      1 1 M0 1 1 M0 1 √ ϕC = 2a − − a+ EI 3 2 2 3 2 2 +

     M0 1 M0 1 1 a+ − − 2a EA 2 a 2 a 2a 2a

  √ EI M0 a . = 1+ 2+9 12 EI EA a2 Beispiel 6.7 F¨ ur den eingespannten Rahmen nach Abb. 6.15a er-

mittle man die Verschiebung des Punktes C infolge eines Momentes M0 . L¨ osung Die Rahmenteile { und } werden auf Biegung, der Pfos-

ten | wird auf Torsion beansprucht. Man kann sich anschaulich u ¨ berlegen, dass C dabei nur eine Verschiebung v in y-Richtung erf¨ahrt. Wir bestimmen zuerst den Biegemomentenverlauf M und den Torsionsmomentenverlauf MT unter der gegebenen Belastung M0 (Abb. 6.15b). Dabei kann man f¨ ur jeden Balken eine Vorzeichenwahl beliebig treffen; man muss dann allerdings in dem System, in dem die Kraft “1“ angebracht wird, mit denselben Vorzeichen ¯ und arbeiten. F¨ ur eine Kraft “1“ in v-Richtung ergeben sich M ¯ MT nach Abb. 6.15c. Aus der Kopplung folgt die gesuchte Verschiebung   ¯ ¯T MM MT M v= dx dx + EI GIT =

1 M0 l 1 M0 l M0 l l+ l+ h. 2 EI1 2 EI3 GIT 2

B6.7

234

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik M0

M0

l 1

"1"

A

C A

B

x

111 000 000 111 000 111 000 111 000 111

y

B

z

D

A

3

h 2

A l

M0

1·l ¯ M

M

Schnitt A - A 2a a

1·h

M0 1·l

M0

1·l

Schnitt B - B

¯T M

MT 2r a

c

b

1·h Abb. 6.15

Mit den Querschnittskennwerten I1 = I3 =

2 a (2 a)3 = a4 , 12 3

IT 2 =

Π 4 r 2

wird v=

B6.8

2 M0 l h 3 M0 l 2 + . 2 E a4 G Π r4

Beispiel 6.8 Eine bogenf¨ ormige Straßenlampe (konstante Biege-

steifigkeit EI) wird nach Abb. 6.16a durch eine Laterne vom Gewicht G belastet. Wie groß ist die Verschiebung des Punktes A, wenn das Eigengewicht des Bogens vernachl¨ assigt wird?

6.3

Das Prinzip der virtuellen Kr¨afte "1"

a

A G

a

235

4a

111 000

"1"

G

111 000

11 00

111 000

ϕ x

G

b

11 00 00 11

c

¯u M

¯v M

M

2Ga

d

2a

e

4a

Abb. 6.16

L¨ osung Wir f¨ uhren nach Abb. 6.16b eine gestrichelte Faser und

die Koordinaten x und ϕ ein. Dann erhalten wir f¨ ur den Momentenverlauf M unter der Last G in den beiden Bereichen (Abb. 6.16c) * M=

− Ga(1 − cos ϕ), − G2a,

0 ≤ ϕ ≤ Π, 0 ≤ x ≤ 4a.

Zur Ermittlung der Vertikalverschiebung v von A bringen wir dort nach Abb. 6.16d eine Kraft “1“ in vertikaler Richtung an. ¯ v erh¨ alt man unmittelbar Den zugeh¨ origen Momentenverlauf M ¯ aus M , wenn man dort G durch “1“ ersetzt: * ¯v = M

− a(1 − cos ϕ), − 2a,

0 ≤ ϕ ≤ Π, 0 ≤ x ≤ 4a.

Die Vertikalverschiebung folgt dann zu

236

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

 v=

¯v 1 MM ds = EI EI

Π − Ga(1 − cos ϕ)[− a(1 − cos ϕ)]a dϕ 0

4a 1 + (−2 a G)(−2 a)dx EI 0

Ga3 = EI

Π (1 − 2 cos ϕ + cos2 ϕ) dϕ +

4 Ga2 4a EI

0

Ga3 = EI



3Π + 16 2

 ≈ 20, 7

Ga3 . EI

Zur Ermittlung der horizontalen Verschiebungskomponente u f¨ uhren wir nach Abb. 6.16e eine horizontale Kraft “1“ ein. Der ¯ u lautet zugeh¨ orige Momentenverlauf M * ¯u = M

a sin ϕ,

0 ≤ ϕ ≤ Π,

− x,

0 ≤ x ≤ 4a.

Damit ergibt sich die Horizontalverschiebung zu  u=

¯u MM 1 ds = EI EI

Π − Ga(1 − cos ϕ)a sin ϕ a dϕ 0

4a 1 + (−2 a G)(−x)dx EI 0

Ga3 Ga3 (−2 + 16) = 14 . = EI EI Der Betrag der Gesamtverschiebung fA folgt zu fA =

 Ga3 √ Ga3 u2 + v 2 = 429 + 196 ≈ 25 . EI EI

Das Ergebnis zeigt, dass auch bei rein vertikaler Last wegen ihrer Exzentrizit¨ at eine betr¨ achtliche horizontale Verschiebung auftritt.

6.4

Einflusszahlen und Vertauschungss¨atze

237

6.4

6.4 Einflusszahlen und Vertauschungss¨ atze Mit Hilfe des Arbeitssatzes k¨ onnen wir eine Verschiebung fik an einer beliebigen Stelle i eines Balkens berechnen. Wenn nur eine einzige Kraft Fk an einer Stelle k wirkt, sind alle Durchbiegungen proportional zu dieser Kraft. Man kann daher die Kraft als Proportionalit¨ atsfaktor abspalten und erh¨ alt so fik = αik Fk .

(6.37)

Die Gr¨ oße αik heißt Verschiebungseinflusszahl oder kurz Einflusszahl. Sie liefert die Verschiebung an der Stelle i infolge einer Kraft “1“ an der Stelle k. Als Beispiel betrachten wir den Kragtr¨ager nach Abb. 6.9a, an dem eine Kraft an der Stelle a angreift. Man erh¨ alt die Einflusszahl f¨ ur die Absenkung am freien Ende mit (6.34) zu     l3 f a 2  a 3 = − . 3 αla = F 6 EI l l ¨ Ahnlich findet man die Einflusszahl f¨ ur die Durchbiegung an der Stelle x des Balkens in Beispiel 4.6 infolge des Momentes M0 , das am Rand l angreift, zu   w(x) l2  x   x 3 − = . αxl = M0 6 EI l l Man beachte, dass die beiden hier aufgef¨ uhrten Einflusszahlen unterschiedliche Dimensionen haben. Wirken auf einen Balken n Lasten Fk , so folgt die Durchbiegung f an der Stelle i aus der Superposition zu  fik = αi1 F1 + αi2 F2 + αi3 F3 + . . . + αin Fn . f= k

Wir wollen mit Hilfe der Einflusszahlen die Belastung eines Balkens durch zwei Kr¨ afte nochmals verfolgen. Am Balken nach eine Kraft Fi und an der StelAbb. 6.17a greife an der Stelle eine Kraft Fk an. Wenn wir zuerst die Kraft Fk und dann le

238

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

zus¨ atzlich die Kraft Fi anbringen (Abb. 6.17b), wird eine Arbeit W = =

1 1 fkk Fk + fii Fi + Fk fki 2 2 1 1 αkk Fk2 + αii Fi2 + Fk (αki Fi ) 2 2

(6.38a)

verrichtet. Kehren wir die Lastfolge um, lassen also erst Fi und dann Fk wirken (Abb. 6.17c), so wird W = =

1 1 fii Fi + fkk Fk + Fi fik 2 2 1 1 αii Fi2 + αkk Fk2 + Fi (αik Fk ). 2 2

Fi i

Fk

(6.38b)

Fi

Fk

k

fii

fkk Fi

a

fii b

Fk

Fi

fik

fki c

Fk fkk Abb. 6.17

Da die Form¨ anderungsenergie im Endzustand unabh¨angig von der Reihenfolge der Belastung ist, trifft dies auch f¨ ur die Gesamtarbeit zu. Aus dem Vergleich von (6.38a) und (6.38b) folgt daher zun¨ achst Fk fki = Fi fik .

(6.39)

Dies ist der Satz von Betti (Enrico Betti, 1823–1892). Er sagt aus: Die Kraft Fk verrichtet an der Verschiebung fki infolge Fi dieselbe Arbeit wie die Kraft Fi an der Verschiebung fik infolge Fk . Dieser Satz l¨ asst sich auf beliebige elastische Systeme verallgemeinern.

6.4

Einflusszahlen und Vertauschungss¨atze

239

Mit fki = αki Fi und fik = αik Fk folgt aus (6.39) der Vertauschungssatz von Maxwell (James Clerk Maxwell, 1831–1879): αik = αki .

(6.40)

Hiernach ist die Durchbiegung αik eines Punktes i infolge einer in k angreifenden Kraft “1“ gleich der Durchbiegung αki des Punktes k infolge einer Kraft “1“, die in i angreift. Wir wollen nun zeigen, dass sich der Vertauschungssatz sinngem¨ aß anwenden l¨ asst, wenn Momente wirken. Hierzu betrachten wir als Beispiel den Balken nach Abb. 6.18a, der durch eine Last F und ein Moment M0 belastet wird. Nach Tabelle 4.3, Lastfall 5, verursacht das Moment M0 am Angriffspunkt der Kraft (ξ = 1/2) mit β = d/l eine Verschiebung in Richtung der Kraft (Drehrichtung von M0 beachten!) *   )

2 d l2 1 1 M0 3 . (6.41) −1 + f12 = α12 M0 = − 6 2 l 8 EI Nun bestimmen wir den Neigungswinkel an der Stelle | infolge F . Aus der Biegelinientafel (Lastfall 1) in Tabelle 4.3 folgt zun¨achst durch Ableitung f¨ ur die Neigung an einer beliebigen Stelle ξ EI w =

F l2 [β(1 − β 2 − 3 ξ 2 ) + 3ξ − α2 ]. 6

l/2

"1"

M0

F 1

α12

2

d

c l

"1"

a

Abb. 6.18

b

α21

240

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

Mit α = β = 1/2 erh¨ alt man speziell im Beispiel EI w =

1 F l2  1 1  (1 − − 3 ξ 2 ) + 3ξ − 2 . 6 2 4 2

Der Winkel muss im gleichen Sinn wie das Moment positiv gez¨ahlt werden. An der Stelle | ist daher ϕ21 = −w . Mit ξ = c/l wird    2  c 2  c 1 3 1 l2 −3 − ϕ21 = α21 F = − F +3 6 EI 2 4 l l 2 l2 =− 6 EI

   c 9 3 c 2 + −3 F. 2 l l 8

Mit c = l − d l¨ asst sich dies umschreiben: *   )

2 d 1 l2 1 3 F. −1 + ϕ21 = α21 F = − 6 EI 2 l 8

(6.42)

Aus dem Vergleich von (6.41) und (6.42) folgt α12 = α21 . In Worten: Die Verschiebung α12 an der Stelle { infolge eines Momentes “1“ an der Stelle | ist gleich der Verdrehung α21 an der Stelle | infolge einer Kraft “1“ an der Stelle { (Abb. 6.18b). Man beachte, dass hier die Einheitsverschiebung α12 und die Einheitsverdrehung α21 gleiche Dimension haben. Der Maxwellsche Vertauschungssatz hat f¨ ur die praktische Anwendung große Bedeutung. So h¨ atten wir uns im vorangehenden Beispiel die trotz Biegelinientafel recht m¨ uhsame Berechnung des onnen, da α21 und damit ϕ21 nach (6.40) Winkels ϕ21 ersparen k¨ bekannt sind, wenn man α12 vorher bereits ermittelt hat.

6.5

6.5 Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme In den Abschnitten 1.4, 1.6 und 4.5.4 wurden statisch unbestimmte Systeme mit Hilfe der Superposition behandelt. Hierzu wurde

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme

241

z.B. bei einem einfach statisch unbestimmt gelagerten Tragwerk ein u ahliges Lager zun¨ achst entfernt. In dem dann statisch ¨berz¨ bestimmten “0“-System wurde die Verschiebung v (0) unter den gegebenen Lasten an der Stelle berechnet, an der das Lager gel¨ost wurde. In Anlehnung an die in Abschnitt 6.3 eingef¨ uhrten Einflusszahlen wollen wir diese Verschiebung im Nullsystem mit α10 bezeichnen: v (0) = α10 . Anschließend wurde das gleiche, statisch bestimmt gelagerte Tragwerk in einem “1“-System nur durch ei¨ ne noch unbekannte Kraft X (statisch Uberz¨ ahlige) an der Stelle belastet, an der wir das Lager entfernt hatten. Die Verschiebung unter der Last X betr¨ agt v (1) = X α11 , wobei α11 die Verschiebung unter der Last X = 1 ist. Im wirklichen System darf an dem dort vorhandenen Lager keine Verschiebung v auftreten: v = v (0) + v (1) = 0.

(6.43)

¨ Aus dieser Kompatibilit¨ atsbedingung l¨ asst sich die statisch Uberz¨ ahlige X bestimmen: α10 → X =− . (6.44) α10 + X α11 = 0 α11 Sinngem¨ aß verf¨ ahrt man, wenn man einen statisch unbestimmt gelagerten Balken dadurch bestimmt macht, dass man an einer ¨ Stelle G ein Gelenk anbringt. Man muss dann als statisch Uberz¨ ahlige X ein Moment einf¨ uhren. An die Stelle einer Verschiebung v tritt dann in (6.43) der Winkel ϕG am Gelenk (vgl. Beispiel 4.11). Auch f¨ ur ein statisch unbestimmtes Fachwerk mit einem u ahligen Stab ( innerlich“ statisch unbestimmt) gilt die ¨berz¨ ” ¨ gleiche Uberlegung: der u ahlige Stab wird entfernt, und im ¨ berz¨ “0“- und im “1“-System werden die Knotenverschiebungen ermittelt. Die Vertr¨ aglichkeit entsprechend (6.43) verlangt nun, dass die Abstands¨ anderung der Knoten, zwischen denen der Stab entfernt wurde, gleich der L¨ angen¨ anderung dieses Stabes ist (keine Klaffung “, vgl. das Anwendungsbeispiel in Abschnitt 1.6). Glei” chung (6.44) gilt weiter, wobei nun f¨ ur die αik die entsprechenden Einflusszahlen des Fachwerks eingesetzt werden m¨ ussen.

242

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

Wir werden in diesem Abschnitt das Superpositionsprinzip in gleicher Weise anwenden, wobei wir jedoch jetzt die Verschiebungen (bzw. Winkel¨ anderungen, Klaffungen) mit Hilfe des Arbeitssatzes ermitteln wollen. Als Anwendungsbeispiel betrachten wir den Balken unter einer Dreieckslast nach Abb. 6.19a. Wird das rechte Lager B entfernt und durch die unbekannte Lagerkraft X ersetzt, so entstehen zwei statisch bestimmte Teilsysteme (Abb. 6.19b). Im Hinblick auf die Anwendung des Arbeitssatzes verwenden wir eine ge¨anderte Indizierung: Biegemomente im “0“-System bezeichnen wir jetzt mit ¯ 1 . (In Abschnitt 4.5.4 M0 , Biegemomente im “1“- System mit M (0) ¯ 1 ). Die und M (1) = X M heißen die entsprechenden Gr¨ oßen M ¨ statisch Uberz¨ ahlige folgt nach (6.44) zu  ¯ M1 M0 dx α10 EI . (6.45) = −  ¯2 X=− α11 M1 dx EI

1 0 0 1 0 1 0 1

q0

A

0110 1010 1010 1010

q0

x

EI

B

=

b

l

"0"ŦSystem

q0

a

0110 10 10 00 11 00 11 00 11 00 11

+

X "1"ŦSystem

"1"

¯1 M

M0 l 1 2 q0 l 6 c

Abb. 6.19

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme

243

Wenn wir die Koordinate x vom rechten Rand aus z¨ahlen, finden wir die Momentenverl¨ aufe f¨ ur das “0“- und das “1“-System (Abb. 6.19c) zu q0 3 1  x x ¯ 1 = x. =− x , M M0 = − x q0 2 l 3 6l Damit ergeben sich im Beispiel die Gr¨ oßen  α10 =

l  ¯ 1 M0 M q0 l4 1 q0  dx = , x − x3 dx = − EI EI 6l 30 EI 0

 α11 =

l ¯2 M 1 l3 1 dx = . x2 dx = EI EI 3 EI 0

(Anstelle der hier durchgef¨ uhrten Integration h¨atte man zur Auswertung der Integrale auch die Tabelle 6.3 verwenden k¨onnen.) Mit (6.45) folgt X =B=−

α10 q0 l . = α11 10

Durch Superposition ergibt sich hiermit der Momentverlauf ¯1 = − M = M0 + X M

q0 3 q0 l x + x. 6l 10

Insbesondere wird das Einspannmoment MA = M (l) = −

q0 l2 . 15

Wir k¨ onnen diese Aufgabe auch dadurch l¨ osen, dass wir ein “0“-System verwenden, bei dem die Einspannung durch eine gelenkige Lagerung ersetzt wurde. Wir m¨ ussen dann im “1“-System am linken Balkenende ein Moment “1“ anbringen (Abb. 6.20). Die Momentenverl¨ aufe lauten jetzt q0 3 q0 ¯1 = x. lx− x , M M0 = 6 6l l

244

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

 An der Einspannung muss der Neigungswinkel wA verschwinden. Analog zu (6.43) folgt aus dieser Kompatibilit¨atsbedingung nun das Einspannmoment

 X = MA = −

=−

01 1010 10

α10 =− α11

l ¯ 1 M0 M dx EI =  ¯2 M1 dx EI

q0 3  x  q0 lx− x dx l 6 6l

0

l  x 2 dx l 0

q0 l2 . 15 "0"ŦSystem

q0

"1"ŦSystem

q0

"1"

x

l ¯1 M

M0 1

Abb. 6.20

Wenn man ein einfach unbestimmtes Fachwerk berechnen will, sind in (6.44) f¨ ur α10 und α11 die Werte einzusetzen, die sich sinngem¨ aß aus (6.30) ergeben: - S¯i Si(0) li EAi X=− . - S¯i2 li EAi

(6.46)

(0) Hierin sind Si die Stabkr¨ afte im Nullsystem und S¯i die Stabkr¨ afte im “1“-System. Treten schließlich in einem Tragwerk Biegung, Torsion und ver¨ anderliche L¨ angskr¨ afte auf, so folgt die statisch Uberz¨ ahlige aus ¨

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme

245

(vgl. (6.14))  ¯  ¯  ¯ MT 1 MT 0 M1 M0 N1 N0 dx + dx dx + EI GI EA . (6.47) X =−  ¯ 2T  ¯2  ¯2 MT 1 N1 M1 dx + dx dx + EI GIT EA Nachdem man X berechnet hat, kann man alle weiteren Lagerreaktionen und die Schnittgr¨ oßen bestimmen. Wir wollen nun noch zeigen, wie man bei einem einfach statisch unbestimmten System auch Verschiebungen mit Hilfe des Arbeitssatzes berechnen kann. Wir erl¨ autern das Verfahren am Balken und wenden hierzu (6.33) auf ein statisch unbestimmtes System an:  ¯ MM dx. (6.48) f= EI Hierbei ist M der wirkliche Momentenverlauf im statisch unbestimmten Balken, den wir zuvor mit Hilfe von (6.45) ermittelt ¯ 1. Der Momentenverlauf M ¯ geh¨ort zu einer haben: M = M0 + X M Kraft “1“ an der Stelle i, an der wir die Durchbiegung bestimmen wollen. Da diese Kraft aber nun auch an dem gleichen statisch unbestimmten System angreift, m¨ ussen wir eine zweite statisch unbe¨ stimmte Rechnung durchf¨ uhren. Bezeichnen wir die Uberz¨ ahlige ¯ in diesem System unter der Last “1“ mit X, so folgt dann der Momentenverlauf aus ¯M ¯ 1. ¯ =M ¯0 + X M ¯ 0 der Momentenverlauf im “0“-System infolge einer Dabei ist M Kraft “1“ an der Stelle, an der die Durchbiegung gesucht ist. Einsetzen in (6.48) ergibt  M ¯ ¯M ¯ 1 ) dx (M0 + X f = EI  =

¯0 MM ¯ dx + X EI



¯1 MM dx. EI

246

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

¯ 1 verschwindet aber mit (6.45) das zweite Wegen M = M0 + X M Integral:   ¯2  ¯1 ¯1 M0 M M1 MM dx = dx + X dx = 0. EI EI EI Es bleibt daher nur das erste Integral, und man erh¨alt die gesuchte Durchbiegung aus  ¯0 MM dx. (6.49) f= EI Dies ist der Reduktionssatz: die Verschiebung in einem statisch unbestimmten System findet man, indem man den wirklichen Momentenverlauf M im unbestimmten System mit dem Momenten¯ 0 infolge einer Kraft “1“ f¨ ur ein beliebig zugeordnetes verlauf M statisch bestimmtes System nach (6.49) koppelt. Die Formel gilt entsprechend zur Ermittlung einer Verdrehung, wobei ein Moment “1“ am statisch bestimmten System angebracht werden muss. Sie kann ferner f¨ ur Torsion, L¨ angskr¨ afte und Querkr¨afte angewendet werden, wenn man (6.49) um die entsprechenden Gr¨oßen erweitert. Man kann sich den Reduktionssatz auch anschaulich wie folgt klarmachen: zun¨ achst l¨ ost man das statisch unbestimmte Problem ¨ und berechnet dabei die statisch Uberz¨ ahlige. Dann denkt man sich das statisch unbestimmte System durch ein statisch bestimmtes System ersetzt, an dem neben den gegebenen ¨außeren Lasten ¨ zus¨ atzlich die jetzt bekannte Uberz¨ ahlige (wie eine ¨außere Last) angreift. F¨ ur dieses reduzierte System kann man nun die Verschiebungen an einer beliebigen Stelle nach den Regeln berechnen, die f¨ ur statisch bestimmte Systeme gelten. Als Anwendungsbeispiel f¨ ur den Reduktionssatz betrachten wir einen Tr¨ ager unter einem Endmoment MA nach Abb. 6.21a. Gesucht ist die Durchbiegung in der Mitte. Wir l¨osen zun¨achst die statisch unbestimmte Aufgabe durch Zerlegung in ein “0“- und ein “1“-System nach Abb. 6.21b. Da an der Einspannung B die ¨ Neigung verschwinden muss, folgt die statisch Uberz¨ ahlige (= Ein-

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme

247

spannmoment) aus  = α10 + X α11 = 0. wB

MA x

EI

A

MA

11 00 00 11 B

α10

l

α11

1

MA

M

b

1 MA 4

MA l/2

"1"

¯1 M

M0

a

"1"ŦSystem

"0"ŦSystem

"1"

"1"

1 MA 2

c

l/2

l/2

0110

¯0 M

¯0 M l/4

l/2

Abb. 6.21

d

e

Die αik (im Beispiel sind es die Winkel bei B) ergeben sich mit der Koppeltafel zu  ¯  ¯2 M1 M0 M1 1 MA l l dx = , α11 = dx = . α10 = EI 6 EI EI 3 EI ¨ Hieraus folgt f¨ ur die statisch Uberz¨ ahlige X = MB = −

α10 1 = − MA , α11 2

248

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

und man erh¨ alt den Momentenverlauf (Abb. 6.21c):    x 1 x 3x ¯ − MA = MA 1 − M = M0 + X M1 = MA 1 − . l 2 l 2l Zur Ermittlung der Durchbiegung f in der Mitte w¨ahlen wir als statisch bestimmtes System den Balken auf zwei St¨ utzen nach ¯ 0 und Abb. 6.21d. Aus (6.49) folgt dann aus der Kopplung von M M (Dreiecke mit Trapezen): 1 1 s i(k1 + 2 k2 ) + s i(2 k1 + k2 ) 6 6   1l l 1 = MA + 2 · MA 624 4

EI f =

1l l + 624

  1 1 1 MA l 2 . 2 · MA − MA = 4 2 32

Wir h¨ atten als statisch bestimmtes Hilfssystem auch den Krag¯0 tr¨ ager nach Abb. 6.21e w¨ ahlen k¨ onnen. Aus der Kopplung von M und M (Dreieck mit Trapez) folgt dann derselbe Wert wie oben:    1l 1 1 1 l EI f = MA − 2 · MA = MA l 2 . − 62 2 4 2 32 Zum Abschluss dieses Abschnittes wollen wir noch andeuten, wie der L¨ osungsweg verl¨ auft, wenn ein System mehrfach statisch unbestimmt ist. Bei n-fach statisch unbestimmten Systemen muss man n Bindungen l¨ osen, damit ein statisch bestimmtes “0“-System entsteht. Hinzu treten n verschiedene Hilfssysteme f¨ ur die n sta¨ ¨ ahligen erh¨alt man aus den n tisch Uberz¨ ahligen Xi . Die Uberz¨ Kompatibilit¨ atsbedingungen (vgl. Beispiel 6.12): α10 + X1 α11 + . . . + Xn α1n = 0, α20 + X1 α21 + . . . + Xn α2n = 0, ........................... αn0 + X1 αn1 + . . . + Xn αnn = 0.

(6.50)

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme

249

Dabei folgen die Verformungen im “0“-System aus  ¯ Mr M0 dx αr0 = EI und die in den Hilfssystemen aus  ¯ ¯ Mr Mi αri = dx. EI Hierbei sind M0 der Momentenverlauf im “0“-System infolge der ¯ i die Momentenverl¨aufe am gleichen gegebenen Lasten und die M System infolge der “1“-Kr¨ afte (Momente) an den Stellen i (i = 1, 2, . . . , n). Beispiel 6.9 F¨ ur das Fachwerk nach Abb. 6.22a ermittle man die

Stabkr¨ afte. Alle St¨ abe haben die gleiche Dehnsteifigkeit EA. "0"ŦSystem

F

3

a

5 6

2

"1"ŦSystem

F

3

0 2

4

5 4

6

a

2

"1" 6

4

"1"

F 1

1

a

3

F

1

F b

c

Abb. 6.22

L¨ osung Das Fachwerk hat k = 4 Knoten, s = 6 St¨ abe und r = 3 Lagerreaktionen. Es ist daher nach Band 1, Abschnitt 6.1, einfach statisch unbestimmt: s + r − 2 k = 1. Ein statisch bestimmtes Grundsystem erhalten wir, indem wir einen Stab ausl¨osen“. ” Wir w¨ ahlen den Stab 5 und erhalten dann das “0“-System nach Abb. 6.22b. Dann belasten wir im “1“-System den Stab 5 durch eine Kraft “1“. Die entsprechenden Gegenkr¨ afte wirken auf die Knoten (Abb. 6.22c). Die Stabkr¨ afte in beiden Systemen k¨onnen in diesem einfachen Beispiel aus dem Gleichgewicht an den Knoten unmittelbar abgelesen werden. Sie sind zusammen mit den Abmessungen in der Tabelle eingetragen.

B6.9

250

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik (0)

i

Si

1

F

2

F

3

F

4

0

5 6

0 √ − 2F

S¯i √ −1/ 2 √ −1/ 2 √ −1/ 2 √ −1/ 2 1 1

li a a a a √ 2a √ 2a

(0) S¯i Si li

√ −F a/ 2 √ −F a/ 2 √ −F a/ 2 0 0 −2 a F

S¯i2 li 1 a 2 1 a 2 1 a 2 1 a 2 √ 2a √ 2a

Si + 0, 40 F + 0, 40 F + 0, 40 F − 0, 60 F + 0, 85 F − 0, 56 F

√ √ - 2 (0) Mit S¯i Si li = (−2 − 3/ 2) F a und S¯i li = 2(1 + 2)a folgt aus (6.46) die unbekannte Stabkraft zu   3 √ Fa −2 − √ 3+2 2 2 √ √ F ≈ 0, 85 F . = X = S5 = − 2(1 + 2) a 2(2 + 2) Die restlichen Stabkr¨ afte ergeben sich aus (0)

Si = Si

+ X S¯i .

Sie sind in der letzten Spalte der Tabelle eingetragen. Es sei noch darauf hingewiesen, dass bei einem innerlich statisch unbestimmten System – wie es in der Aufgabe vorliegt – die Lagerkr¨ afte vorweg berechnet werden k¨ onnen. B6.10

Beispiel 6.10 Das Tragwerk nach Abb. 6.23a besteht aus einem

Rahmen (Biegesteifigkeit EI) und zwei St¨ aben (Dehnsteifigkeit EA). Es wird durch eine Kraft F belastet. Gesucht sind die Stabkr¨ afte und die Momentenlinie. L¨ osung Das Tragwerk ist einfach statisch unbestimmt gelagert.

Wir erzeugen ein “0“-System, indem wir das feste Lager C durch ein Rollenlager ersetzen, das in horizontaler Richtung verschieblich ist. Im “0“-System (Abb. 6.23b) erhalten wir aus den

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme "0"ŦSystem

a

1

EI

"1"ŦSystem

√ (0) S1 = 2F

F

EA

F

251

2

√ S¯1 = 2

(0)

S2 = −F

a

S¯2 = −2 "1"

C (0)

a

C¯V = 1

CV = 2F

a b

a

Fa

Fa M

c

Fa

Fa

aCH

¯1 M

M0

d Abb. 6.23

Gleichgewichtsbedingungen √ (0) (0) S1 = 2 F, CV = 2 F,

e

a

f

(0)

S2

= − F.

Im “1“-System (Abb. 6.23c) wirkt in C eine horizontale Kraft “1“. Wir finden nun aus den Gleichgewichtsbedingungen √ S¯1 = 2, S¯2 = − 2. C¯V = 1, ¯ 1 bestimmen Damit lassen sich die Momentenlinien M0 und M (Abb. 6.23e, f). Da das vorliegende Tragwerk aus Balken und St¨a¨ ben besteht, erhalten wir die statisch Uberz¨ ahlige (= Horizontalkraft CH ) nach (6.47) aus  ¯  S (0) li M1 M0 S¯i i dx + EI EA X = CH = − .  ¯2  M1 l 2 i ¯ Si dx + EI EA

252

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

Unter Anwendung von Tabelle 6.3 f¨ ur die Momentenverl¨aufe (Dreiecke mit Dreiecken) ergibt sich mit der Abk¨ urzung κ = EA a2 /EI: ' ( √ √ √ a 2 1 a a 2 2F a(−F a) + + (−2)(−F ) 6 EI EA EA √ X = CH = − 2 √ √ 2a a 1 a + 2 2 + (−2)(−2) 2· a 3 EI EA EA √ κ − 12( 2 + 1) √ F. = 4 κ + 12( 2 + 2) (0) Damit erh¨ alt man die Stabkr¨ afte aus Si = Si + X S¯i zu √ √ √ √ κ − 12( 2 + 1) √ 5 2 κ + 12( 2 + 1) √ √ S1 = 2 F + F, 2F = 4 κ + 12( 2 + 2) 4 κ + 12( 2 + 2)

√ √ − 6 κ + 12 2 κ − 12( 2 + 1) √ √ (−2) F = F. S2 = − F + 4 κ + 12( 2 + 2) 4 κ + 12( 2 + 2) ¯ 1 folgt der in Abb. 6.23d aufgetragene MoAus M = M0 + X M mentenverlauf. H¨ aufig nimmt der Steifigkeitsparameter κ große Werte an. (Sind z.B. Balken und St¨ abe aus gleichem Material und haben ungef¨ahr gleiche Querschnittsfl¨ achen, so ist κ ∼ (a/i)2 . Da aber die Balkenl¨ ange a sehr viel gr¨ oßer ist als der Tr¨ agheitsradius i, gilt dann κ 1.) Man kann in diesem Fall mit hinreichender Genauigkeit den Grenzwert κ → ∞ verwenden und erh¨ alt hierf¨ ur F 9 5√ 3 CV = F, S1 = 2 F, S2 = − F. CH = , 4 4 4 2 Dies sind die Lagerreaktionen und Stabkr¨ afte im Sonderfall dehnstarrer St¨ abe (EA → ∞). B6.11

Beispiel 6.11 Der Balken nach Abb. 6.24a wird durch ein Moment

MD und eine Gleichstreckenlast q0 belastet. Gesucht ist das Einspannmoment MA .

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme "0"ŦSystem

0110 10

q0

MD

A

a

a

a

A(0)

C

B

"1"ŦSystem

q0

MD

B (0)

a

"1"



C (0)

c

¯1 M

a MD 2

1 2

1

MD 2

M0



¯ B

b

M0 MD 2

253

+ q0

e

a2 8

1 2

d

Abb. 6.24

Der Gelenktr¨ ager ist einfach statisch unbestimmt gelagert (vgl. Band 1, Kapitel 5). Wir w¨ ahlen das gesuchte Ein¨ ahlige und erhalten daher das “0“spannmoment MA als Uberz¨ System, indem wir die Einspannung durch ein gelenkiges Lager ersetzen. Aus den Gleichgewichtsbedingungen f¨ ur den Gerberbalken (Abb. 6.24b) folgen die Lagerreaktionen zu

L¨ osung

A(0) =

MD , 2a

B (0) =

MD 1 + q0 a, a 2

C (0) = −

MD 1 + q0 a. 2a 2

F¨ ur die sp¨ atere Kopplung ist es zweckm¨ aßig, den zugeh¨origen Mour die Lasten MD und q0 getrennt aufzutragen mentenverlauf M0 f¨ (Abb. 6.24d). Zu dem Moment “1“ geh¨ oren im “1“-System (Abb. 6.24c) die Lagerreaktionen 1 , A¯ = 2a

¯ = 1, B a

1 C¯ = . 2a

¯ 1 dargeIn Abb. 6.24e ist der zugeh¨ orige Momentenverlauf M ¨ stellt. Die statisch Uberz¨ ahlige ermitteln wir nach (6.44) aus onnen wir mit Hilfe von Tabelle 6.3 X = −α10 /α11 . Die αik k¨

254

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

bestimmen. Wir erhalten infolge q0 (Parabel mit Dreieck)    2 ¯ 1 M0q dx = 1 a − 1 q0 a = − 1 q0 a3 , EI α10q = M 3 2 8 48 infolge MD (Dreieck mit Trapez, Dreiecke mit Dreiecken)     MD 1 1 ¯ EI α10M = M1 M0M dx = a − 1+2· 6 2 2    MD 1 MD 1 1 1 + a − + a − 3 2 2 3 2 2    MD 1 1 1 MD a, + a − − = 3 2 2 12 infolge “1“ (Dreiecke mit Dreiecken)  ¯ 2 dx = 1 · 1 · 1 · 2 a + 1 · 1 · 1 · a M EI α11 = 1 3 3 2 2 1 1 1 5 + · · · a = a. 3 2 2 6 Mit α10 = α10q + α10M folgt X = MA = −

B6.12

α10 α11

1 − q0 a3 + MD a MD q0 a2 48 12 − =− . = 5 40 10 a 6

Beispiel 6.12 F¨ ur den Rahmen nach Abb. 6.25a ermittle man alle

Lagerreaktionen (konstante Biegesteifigkeit EI). L¨ osung Am Rahmen treten f¨ unf Lagerreaktionen auf (eine Ein-

spannung, ein Festlager). Er ist daher zweifach statisch unbestimmt gelagert. Um ein statisch bestimmtes Grundsystem zu erhalten, ersetzen wir das Festlager in B durch ein Rollenlager, das sich horizontal verschieben kann und bringen außerdem in C ein Gelenk an. Im “0“-System (Abb. 6.25b) erhalten wir die Lagerreaktionen

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme "0"ŦSystem

q0

C

"1"ŦSystem

255

"2"ŦSystem

q0

"1"

"1"

h (0)

AH

(1) A¯H

(0)

AV A

(0)

BV

B MA

b

a

(2) A¯V

¯ (2) M A

¯ (1) B V

¯ (1) M A

(0)

a

(2) A¯H

"1" (1) A¯V

¯ (2) B V

c

d

1

h h 1 q0

a2 8

M0 Abb. 6.25

(0)

h

e

(0)

AV = BV =

q0 a , 2

(0)

MA = 0,

¯1 M

¯2 M

f

g

(0)

AH = 0.

Der zugeh¨ orige Momentenverlauf M0 ist in Abb. 6.25e aufgetragen. Entsprechend den zwei gel¨ osten Bindungen brauchen wir zwei Hilfssysteme. Im “1“-System bringen wir in B eine horizontale Kraft “1“ an (Abb. 6.25c). Mit den Lagerreaktionen (1) ¯ (1) = h , A¯V = − B V a

¯ (1) = − h, M A

(1) A¯H = 1

¯ 1 berechnen (Abb. 6.25f). Im l¨ asst sich der Momentenverlauf M “2“-System greift an der Ecke C ein Schnittmoment “1“ an. Es wirkt als inneres Moment auf beide Rahmenteile und dient dazu, die Wirkung des von uns hinzugef¨ ugten Gelenks wieder aufzuheben. Mit den Lagerkr¨ aften (Abb. 6.25d) (2) ¯ (2) = − 1 , A¯V = − B V a

¯ (2) = 1, M A

(2) A¯H = 0

256

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

¯ 2 nach Abb. 6.25g. ergibt sich der Momentenverlauf M ¨ Die beiden statisch Uberz¨ ahligen folgen aus zwei Vertr¨aglichkeitsbedingungen: a) am Lager B darf keine horizontale Verschiebung wB auftreten,  = b) in der Ecke C muss der rechte Winkel erhalten bleiben (∆ wC 0). Diese Bedingungen lauten formelm¨ aßig (vgl. (6.50)): wB = α10 + X1 α11 + X2 α12 = 0,  = α20 + X1 α21 + X2 α22 = 0. ∆wC

Die αik finden wir mit Hilfe von Tabelle 6.3  2 ¯ 1 M0 dx = 1 a h q0 a = 1 q0 a3 h, EI α10 = M 3 8 24  EI α20 =  EI α11 =  EI α22 =  EI α12 = =

2 ¯ 2 M0 dx = 1 a q0 a = 1 q0 a3 , M 3 8 24 2 ¯ 2 dx = 1 (h · h2 + a h2 + h · h2 ) = h (2 h + a), M 1 3 3

¯ 22 dx = h + 1 a, M 3 ¯1 M ¯ 2 dx = 1 (−h)h + 1 a h M 2 6

1 h(a − 3 h) = EI α21 . 6

Damit folgt das Gleichungssystem 1 h2 1 q0 a3 h + X1 (2 h + a) + X2 h(a − 3 h) = 0, 24 3 6 1 1 1 q0 a3 + X1 h(a − 3 h) + X2 (h + a) = 0. 24 6 3

6.5

Anwendung des Arbeitssatzes auf statisch unbestimmte Systeme

257

¨ Hieraus findet man die statisch Uberz¨ ahligen X1 = BH = −

9h+a 1 q0 a3 , 3 4 15 h + 26 a h2 + 3 h a2

X2 = M C = −

1 7h+a . q0 a3 4 15 h2 + 26 a h + 3 a2

Dabei ist MC das Schnittmoment an der Ecke C. Aus der Superposition aller drei Lastf¨ alle ergeben sich die Lagerreaktionen (mit (0) (0) (2) AH = 0, MA = 0, AH = 0) zu (0)

(1)

(2)

AV = AV + X1 A¯V + X2 A¯V =

15 h2 + 25 a h + 3 a2 q0 a , 15 h2 + 26 a h + 3 a2 2

1 9h+ a (1) q0 a3 = BH , AH = X1 A¯H = − 3 4 15 h + 26 a h2 + 3 h a2 (1)

(2)

¯ ¯ M A = X1 M A + X2 M A =

(0)

(1)

2h 1 q0 a3 , 4 15 h2 + 26 a h + 3 a2 (2)

¯ + X2 B ¯ = BV = BV + X1 B V V

15 h2 + 27 a h + 3 a2 q0 a . 15 h2 + 26 a h + 3 a2 2

Die Ergebnisse zeigen, dass im Beispiel die vertikalen Lagerkr¨afte AV und BV sich nur wenig von den Werten q0 a/2 unterscheiden, die bei statisch bestimmter Lagerung auftreten.

258

6.6

6 Der Arbeitsbegriff in der Elastostatik

6.6 Zusammenfassung • Arbeitssatz W =Π, 1 agten Kraft F am linear-elaW = F f Arbeit einer eigepr¨ 2 stischen Stab/Balken (analoges gilt f¨ ur eingepr¨agtes Moment),  2 1 M Π = dx Form¨ anderungsenergie bei Biegung (analo2 EI ges gilt f¨ ur Torsion, Zug/Druck). • Prinzip der virtuellen Kr¨ afte  Statisch bestimmter Balken unter Biegung (analoges gilt f¨ ur Torsion und Zug/Druck):  ¯ MM f= dx , EI M ¯ M

Schnittmoment infolge gegebener Belastung, Schnittmoment infolge virtueller Kraft (Moment) ”1”,  Si S¯i li Sonderfall Fachwerk: f = . EAi  Bestimmung der statisch unbestimmten Kraftgr¨oße X beim 1-fach statisch unbestimmten Balken:  ¯  ¯2 M1 M0 M1 α10 dx , α11 = dx . , α10 = X =− α11 EI EI M0 Schnittmoment im ”0”-System, ¯ 1 Schnittmoment im ”1”-System . M Bei einem System unter Biegung, Torsion und Zug/Druck m¨ ussen die entsprechenden zus¨ atzlichen Terme ber¨ ucksichtigt werden. • Einflusszahlen  αik Verschiebung an der Stelle i infolge einer Last ”1” an der Stelle k.  Vertauschungssatz von Maxwell: αik = αki .

Kapitel 7 Knickung

7

7 Knickung 7.1 7.2 7.3

Verzweigung einer Gleichgewichtslage ...................... 261 Der Euler-Stab .................................................. 264 Zusammenfassung .............................................. 274

Lernziele: In diesem Kapitel wird die Stabilit¨at von druckbelasteten St¨ aben behandelt. Wir lernen Methoden kennen, mit denen man die sogenannte kritische Last bestimmen kann, bei welcher ein Stab aus der urspr¨ unglichen Gleichgewichtslage ausknickt. Die Leser sollen bef¨ ahigt werden, Knicklasten selbst¨andig zu bestimmen und die entsprechenden Verfahren richtig anzuwenden.

7.1

Verzweigung einer Gleichgewichtslage

261

7.1

7.1 Verzweigung einer Gleichgewichtslage Wenn man einen Stab auf Zug beansprucht, erh¨alt man einen eindeutigen Zusammenhang zwischen ¨ außerer Last und Stabverl¨angerung (vgl. (1.18)). Dabei sind die Verformungen so klein, dass man die Gleichgewichtsbedingungen am unverformten System aufstellen darf. Beim Druckstab braucht dagegen der Zusammenhang zwischen Last und Verformung nicht eindeutig zu sein. Ab bestimmten Drucklasten treten weitere Gleichgewichtslagen auf, die mit seitlichen Ausbiegungen verbunden sind. Diese Erscheinung, die besonders bei schlanken St¨ aben zu beobachten ist, heißt Knicken. Wir wollen im folgenden die zugeh¨origen Knicklasten berechnen. Dabei muss man die Gleichgewichtsbedingungen nun am verformten System aufstellen. Zur Vorbereitung auf die Behandlung des Knickstabes untersuchen wir zun¨ achst ein einfaches Beispiel. Bereits in Band 1 hatten wir in Beispiel 8.8 bei einem starren Stab mit seitlicher St¨ utzung durch Federn gefunden, dass es unter gewissen Bedingungen bei gleicher Last mehrere Gleichgewichtslagen gibt. Wir betrachten jetzt einen starren Stab unter einer Last F , der am Lager durch eine elastische Drehfeder (Federsteifigkeit cT ) gehalten wird (Abb. 7.1a). Dabei sei vorausgesetzt, dass die vertikale Last bei einer F

F F

F

instabil

l ϕ

Fkrit M T = cT ϕ

stabil

cT a Abb. 7.1

ϕ

stabil

ϕ b

c

d

seitlichen Auslenkung vertikal bleibt (die Kraft ist richtungstreu). Wir wollen die Gleichgewichtslagen ermitteln und deren Stabilit¨ at untersuchen. Hierzu betrachten wir zweckm¨aßigerweise das Gesamtpotential des Systems. Legen wir das Nullniveau f¨ ur die

262

7 Knickung

potentielle Energie auf die H¨ ohe des Lagers, so ist das Gesamtpotential in der um ϕ ausgelenkten Lage (Abb. 7.1b) 1 Π = F l cos ϕ + cT ϕ2 . 2 Die Gleichgewichtslagen finden wir nach Band 1, Gl. (8.11) aus Π =

dΠ =0 dϕ



− F l sin ϕ + cT ϕ = 0.

(7.1)

Diese Gleichung ist stets erf¨ ullt f¨ ur ϕ = 0, d.h. unabh¨angig von den Parametern F, l und cT erhalten wir als erste Gleichgewichtslage die vertikale Lage ϕ1 = 0.

(7.2)

Eine zweite Gleichgewichtslage folgt nach (7.1) aus der Bedingung ϕ2 Fl = . sin ϕ2 cT

(7.3)

F¨ ur ϕ2 = 0 ist ϕ2 / sin ϕ2 > 1. Eine ausgelenkte Lage ϕ2 kann ur F l/cT = 1 wird sin ϕ2 = daher nur f¨ ur F l/cT > 1 auftreten. F¨ ϕ2 = 0, d.h. beide Gleichgewichtslagen gehen dann ineinander u ¨ber. Zur Untersuchung der Stabilit¨ at bilden wir die zweite Ableitung des Gesamtpotentials: Π  =

d2 Π = − F l cos ϕ + cT . dϕ2

(7.4)

Wir setzen zun¨ achst die L¨ osung ϕ1 = 0 der ersten Gleichgewichtslage ein:   Fl Π  (ϕ1 ) = − F l + cT = cT 1 − . cT Das Vorzeichen von Π  und damit die Stabilit¨at dieser Gleichgewichtslage h¨ angt vom Vorzeichen der Klammer ab. Es folgt daher Π  (ϕ1 ) > 0

f¨ ur

Fl 1 cT



263

instabile Lage.

Setzen wir den Winkel ϕ2 der zweiten Gleichgewichtslage nach (7.3) in (7.4) ein, so wird   ϕ2  Π (ϕ2 ) = − F l cos ϕ2 + cT = cT 1 − . tan ϕ2 Wegen ϕ2 / tan ϕ2 < 1 gilt stets Π  (ϕ2 ) > 0 : die zweite Gleichgewichtslage ist immer stabil. ort der Winkel ϕ2 = ϕ1 = Der Sonderfall F l/cT = 1 (hierzu geh¨ 0) kennzeichnet die kritische Last: Fkrit =

cT . l

(7.5)

Wir wollen die Ergebnisse zusammenfassen: wenn man den Stab zun¨achst durch eine hinreichend kleine Kraft F belastet, so bleibt er in seiner urspr¨ unglich vertikalen Lage ϕ1 = 0 (Abb. 7.1c). Erreicht man bei einer Laststeigerung den Wert Fkrit nach (7.5), so verzweigt sich von der vertikalen Lage eine zweite Gleichgewichtslage ϕ2 . Mit weiter wachsender Last werden die Auslenkungen ϕ2 immer gr¨ oßer, und es gibt f¨ ur F > Fkrit drei m¨ ogliche Lagen: eine instabile Lage ϕ1 = 0 und zwei stabile Lagen ±ϕ2 (da ϕ2 / sin ϕ2 eine gerade Funktion ist, hat (7.3) neben ϕ2 gleichberechtigt die ur die praktische Anwendung interessiert meist L¨osung −ϕ2 ). F¨ ¨ nur die kritische Last, da bei Uberschreiten von Fkrit sehr rasch große Auslenkungen auftreten. Die kritische Last kann man auch aus Gleichgewichtsbetrachtungen (ohne Potential) direkt erhalten. Man muss hierzu eine ausgelenkte Lage betrachten, die der urspr¨ unglichen, vertikalen Gleichgewichtslage infinitesimal benachbart ist. Der Stab f¨angt unter der kritischen Last gerade an, zur Seite auszuweichen und ist in einer infinitesimal ausgelenkten Lage ϕ = 0 ebenfalls im Gleichgewicht. Aus dem Momentengleichgewicht um das Lager (Abb. 7.1d) erh¨ alt man f¨ ur kleine ϕ den Wert nach (7.5): F l ϕ = cT ϕ



F = Fkrit =

cT . l

264

7 Knickung

Die Vorgehensweise l¨ asst sich verallgemeinern. Will man f¨ ur ein beliebiges Tragwerk die kritische Last ermitteln, so muss man es aus seiner urspr¨ unglich stabilen Gleichgewichtslage infinitesimal auslenken. Wenn es neben der Ausgangslage eine unmittelbar benachbarte Gleichgewichtslage gibt, so ist die hierzu geh¨orige Belastung gerade die kritische Last.

7.2

7.2 Der Euler-Stab Im vorhergehenden Abschnitt haben wir einen starren Stab betrachtet. Wir wollen nun einen elastischen Stab untersuchen; er kann sich infolge seiner Elastizit¨ at verformen. Als erstes Beispiel w¨ ahlen wir den beiderseits gelenkig gelagerten Stab nach Abb. 7.2a, der durch eine Druckkraft F belastet wird. Wir setzen vorF

F

Gleichgewichtslage w≡0

x

F

w

EI l

benachbarte Gleichgewichtslage

F

w ≡ 0 b

a

M c

Abb. 7.2

aus, dass der unbelastete Stab exakt gerade ist und dass die ¨außere Last im Schwerpunkt des Querschnitts angreift. Unter der kritischen Last existiert neben der urspr¨ unglichen Lage eine benachbarte Gleichgewichtslage mit seitlicher Auslenkung w = 0 (Abb. ussen wir die Gleichgewichtsbedin7.2b). Um Fkrit zu ermitteln, m¨ gungen f¨ ur die ausgelenkte Lage, d.h. am verformten K¨orper aufstellen. Dabei kann die L¨ angen¨ anderung des Stabes vernachl¨assigt werden. Schneidet man hierzu an einer Stelle x (Abb. 7.2c), so folgt aus dem Momentengleichgewicht am verformten Stab (unter horizontaler Last tritt im Lager keine vertikale Lagerreaktion auf): M = F w.

(7.6)

ur den schubEinsetzen in das Elastizit¨ atsgesetz EI w = −M f¨ starren Biegebalken liefert

7.2

EI w = − F w

oder

Der Euler-Stab

EI w + F w = 0 .

265

(7.7a)

Mit der Abk¨ urzung λ2 = F/EI lautet diese Knickgleichung w + λ2 w = 0.

(7.7b)

Dies ist eine homogene Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Sie hat die allgemeine L¨osung w = A cos λ x + B sin λ x.

(7.8)

Die beiden Integrationskonstanten A und B m¨ ussen aus Randbedingungen ermittelt werden. An den Lagern (x = 0, l) verschwinden die Durchbiegungen: w(0) = 0



A = 0,

w(l) = 0



B sin λ l = 0.

Die zweite Gleichung hat neben der trivialen L¨ osung B = 0 (keine Auslenkung) die L¨ osung sin λ l = 0



λn l = n π

mit n = 1, 2, 3, . . . .

(7.9)

Demnach gibt es eine Reihe ausgezeichneter Werte λn und damit ausgezeichneter Werte F , f¨ ur die eine ausgelenkte Lage m¨oglich ist. Man nennt sie die Eigenwerte des Problems. Dabei m¨ ussen wir den Wert n = 0 ausschließen, da dann λ und damit auch F ebenfalls verschwinden. Technisch interessant ist nur der kleinste (von Null verschiedene) Eigenwert λ1 , da unter der ihm zugeordneten Last der Stab erstmals seitlich ausweicht, d.h. knickt. Man findet daher die Knicklast Fkrit aus λ1 l = π zu Fkrit = λ21 EI = π 2

EI . l2

(7.10)

266

7 Knickung

Nach (7.8) ist dieser kritischen Last wegen A = 0 eine Knickform w1 = B sin λ1 x = B sin π

x l

zugeordnet. Der Stab knickt in Form einer Sinus-Halbwelle aus, wobei die Amplitude B unbestimmt bleibt. Man nennt solch eine L¨ osung eine Eigenform. ¨ Wenn man wissen will, wie weit sich der Stab nach Uberschreiten der Knicklast ausbiegt, muss man die Hypothese kleiner Auslenkungen fallen lassen und eine Theorie h¨oherer Ordnung aufstellen (siehe Band 4, Abschn. 5.4.1). Im Rahmen dieses Grundkurses k¨ onnen wir hierauf nicht eingehen. N +dN dψ

dx dψ

x z

w

M N Q

a

b

∼ Ndψ ∼ N +dN ∼ Qdψ

M +dM C N +dN Q+dQ

Q+dQ ∼ Q+dQ

dψ c

Abb. 7.3

Mit Hilfe der Differentialgleichung (7.7a) und ihrer L¨osung (7.8) l¨asst sich nur das Knicken eines gelenkig gelagerten Balkens beschreiben. Um die Knicklasten von St¨ aben f¨ ur beliebige Lagerungen bestimmen zu k¨ onnen, m¨ ussen wir eine allgemeine Knickgleichung ableiten. Dabei ist zu beachten, dass dann auch Querkr¨afte auftreten k¨ onnen. Wir schneiden ein Balkenelement dx in der ausgeknickten Lage w = 0 nach Abb. 7.3a aus dem Balken und tragen alle Schnittkr¨ afte ein (Abb. 7.3b). Beim Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen am verformten Element wird vorausgesetzt, dass die Verformungen klein sind; insbesondere ist der Neigungsange des verformten Elementes winkel w = −ψ klein, und die L¨ stimmt n¨ aherungsweise mit der des unverformten u ¨ berein. Unter Beachtung der Komponenten N dψ bzw. Q dψ, die infolge der unterschiedlichen Richtungen von N bzw. Q auf beiden Schnittufern

7.2

Der Euler-Stab

267

entstehen (vgl. Abb. 7.3c), lauten die Gleichgewichtsbedingungen →: dN + Q dψ = 0, ↓: dQ − N dψ = 0,



C : dM − Q dx = 0. Setzt man die dritte Gleichung in die erste Gleichung ein, so erh¨alt man unter Verwendung des Elastizit¨ atsgesetzes nach (4.24):   dψ dM dψ d dN dψ dψ =−Q =− =− . EI dx dx dx dx dx dx dx Auf der rechten Seite dieser Gleichung steht ein Produkt von Verformungsgr¨ oßen. Dieses ist bei kleinen Verformungen klein ” von h¨ oherer Ordnung “. Wir k¨ onnen daher diesen Ausdruck vernachl¨ assigen und erhalten somit dN/dx = 0. Daraus folgt unter Beachtung, dass eine ¨ außere Drucklast F von N u ¨ bertragen wird: N = const = − F.

(7.11)

Setzt man dieses Ergebnis in die zweite Gleichgewichtsbedingung ein, so erh¨ alt man mit Q = dM/dx, M = EI dψ/dx und der kinematischen Beziehung ψ = −w die Differentialgleichung (EI w ) + F w = 0 .

(7.12)

Dabei wurden Ableitungen nach x durch Striche gekennzeichnet. F¨ ur konstante Biegesteifigkeit EI folgt hieraus mit λ2 = F/EI die Knickgleichung wIV + λ2 w = 0 .

(7.13)

Diese Gleichung ist wie die Differentialgleichung der Biegelinie (4.34b) von vierter Ordnung. Die allgemeine L¨osung von (7.13) lautet

268

7 Knickung

w = A cos λ x + B sin λ x + C λ x + D.

(7.14)

Dabei wurde in der dritten Teill¨ osung ein Faktor λ abgespalten, damit alle Konstanten A bis D die gleiche Dimension haben. Die vier Integrationskonstanten folgen aus jeweils zwei Randbedingungen an den beiden R¨ andern. Wir f¨ uhren den Rechengang am statisch unbestimmt gelagerten Stab nach Abb. 7.4a vor. Aus (7.14) findet man zun¨ achst w = − A λ sin λ x + B λ cos λ x + C λ, w = − A λ2 cos λ x − B λ2 sin λ x.

λl

11 00 00 11 00 11

tanλl F x

λl

EI

π/2

l

π 4,49

a

b

3π/2

11 00 00 11 00 11 00 11

Knickform

c

F

Abb. 7.4

Z¨ ahlt man x von der Einspannung her, so folgt aus den Randbedingungen unter Verwendung von EI w = −M : w(0) = 0



A + D = 0,

w (0) = 0



B + C = 0,

w(l) = 0



A cos λ l + B sin λ l + C λ l + D = 0,

M (l) = 0



A cos λ l + B sin λ l = 0.

(7.15)

Eliminiert man in der dritten Gleichung C und D mit Hilfe der ersten beiden Gleichungen, so erh¨ alt man f¨ ur A und B das Gleichungssystem

7.2

Der Euler-Stab

(cos λ l − 1)A + (sin λ l − λ l)B = 0,

269

(7.16)

cos λ lA + sin λ l B = 0. Dieses homogene Gleichungssystem hat nur dann eine nichttriviale L¨osung, wenn die Koeffizientendeterminante ∆ verschwindet: ∆ = (cos λ l − 1) sin λ l − cos λ l (sin λ l − λ l) = 0. Aufl¨ osen ergibt λ l cos λ l − sin λ l = 0



tan λ l = λ l.

(7.17)

Diese transzendente Gleichung l¨ asst sich z.B. graphisch auswerten (Abb. 7.4b), und man erh¨ alt den kleinsten Eigenwert λ1 l ≈ 4, 49. Damit wird die Knicklast Fkrit = λ21 EI = (4, 49)2

EI . l2

(7.18)

Mit (7.17) erh¨alt man aus (7.15) B = −A/λ l, C = −B = A/λ l und D = −A. Einsetzen in (7.14) liefert die Knickform (Eigenform)   sin λ x x + −1 . w = A cos λ x − λl l Sie ist in Abb. 7.4c f¨ ur λ = λ1 dargestellt. Es gibt beim Stab vier technisch wichtige Lagerungen, denen unterschiedliche Knicklasten zugeordnet sind. Nach Leonhard Euler (1707–1783), der als Erster das Knicken von St¨aben untersucht hat, nennt man sie die vier Eulerschen Knicklasten. In Abb. 7.5 sind f¨ ur die vier Lastf¨ alle Knicklasten und Knickformen angegeben. Man erkennt an den Knickformen, dass sich die Lastf¨alle I, II und IV ineinander u uhren lassen. So ist z.B. die Viertelsi¨ berf¨ nuswelle des ersten Euler-Falles in der Halbsinuswelle des zweiten Euler-Falles gerade zweimal enthalten. Ersetzt man daher in der Knicklast f¨ ur den Fall II die L¨ ange l durch 2 l, so erh¨alt man gerade die Knicklast f¨ ur den einseitig eingespannten Balken der L¨ange l (Fall I). Man kann daher durch Einf¨ uhren so genannter Knickl¨angen lk die kritischen Lasten stets in Analogie zum zweiten

270

7 Knickung

Euler-Fall in folgender Form schreiben: Fkrit = π 2

EI . lk2

(7.19)

Die Knickl¨ angen sind in Abb. 7.5 f¨ ur die vier F¨alle angegeben. F

F

I

l

11 00

Fkrit

π 2 EI = 4 l2

lk = 2l

F

II

EI π2 2 l l

F

01 01

III

IV

11 00

111 000

2

(1, 43)

EI π2 2 l

l/1, 43

4π 2

EI l2

l/2

Abb. 7.5

Bisher haben wir stets vorausgesetzt, dass sich der Werkstoff bis zum Knicken linear elastisch verh¨ alt. Bei dickeren St¨aben kann die kritische Last und damit die Spannung so groß werden, dass beim Knicken die Elastizit¨ atsgrenze u ¨ berschritten wird und man dann eine Plastifizierung des Werkstoffes bei der Rechnung ber¨ ucksichtigen muss. Im Rahmen dieser Einf¨ uhrung k¨onnen wir hierauf nicht eingehen. Auch k¨ onnen wir weitere Stabilit¨atsprobleme wie Knicken unter Torsion (Drillknicken) oder Knicken von Balken mit schmalem, hohem Querschnitt unter Querlast (Kippen) hier nicht behandeln. Weiterhin verzichten wir auf eine Darstellung der Energiemethode. Mit ihr kann man – analog zum Vorgehen in ¨ Abschnitt 7.1 – aus Anderungen des Gesamtpotentials (Potential der ¨ außeren Last und innere elastische Energie) kritische Lasten berechnen. Zum Abschluss sei ausdr¨ ucklich bemerkt, dass man bei Stabilit¨ atsnachweisen die durch Vorschriften festgelegten Sicherheitsbeiwerte beachten muss. So kann ein Stab z.B. infolge von Imperfektionen (z.B. Abweichungen von der exakt gerade angenommenen Stabachse) oder bei exzentrischem Lastangriff schon bei

7.2

Der Euler-Stab

271

Lasten unterhalb von Fkrit unzul¨ assig große Durchbiegungen erfahren. Beispiel 7.1 F¨ ur den links gelenkig gelagerten und rechts elastisch

eingespannten Stab (Drehfedersteifigkeit cT ) nach Abb. 7.6 ermittle man die Knickbedingung. Wie groß ist die kritische Last f¨ ur cT l/EI = 10? cT

F x

EI l

Abb. 7.6

L¨ osung Wir z¨ ahlen die Koordinate x vom linken Lager. Die all-

gemeine L¨ osung der Knickgleichung lautet nach (7.14) w = A cos λ x + B sin λ x + Cλ x + D. Die vier Integrationskonstanten werden aus den vier Randbedingungen ermittelt: ) w(0) = 0 → A+D =0 → A = D = 0, M (0) = 0 → λ2 A = 0 w(l) = 0 

M (l) = cT w (l)



B sin λ l + C λ l = 0,



EI λ2 B sin λ l = cT λ(B cos λ l + C).

Elimination von C f¨ uhrt auf die Eigenwertgleichung   c EI λ2 + T sin λ l − cT λ cos λ l = 0 l →

cT l (λ l) tan λ l = EI . cT l (λ l)2 + EI

(a)

Mit dem gegebenen Steifigkeitsverh¨ altnis cT l/EI = 10 ergibt die numerische Auswertung f¨ ur den kleinsten Eigenwert λ1 l = 4, 132 und damit die kritische Last Fkrit = λ21 EI = 17, 07

EI EI = (1, 31)2 π 2 2 . 2 l l

B7.1

272

7 Knickung

In der Knickbedingung (a) enthalten sind die beiden Grenzf¨alle a) cT = 0 (entspricht gelenkiger Lagerung) tan λ l = 0



Fkrit = π 2

EI (zweiter Euler-Fall), l2

b) cT → ∞ (entspricht starrer Einspannung) tan λ l = λ l B7.2



Fkrit = (1, 43)2 π 2

EI (dritter Euler-Fall). l2

Beispiel 7.2 Der nach Abb. 7.7 gelagerte Stab wird gleichf¨ ormig erw¨ armt. Bei welcher Temperaturerh¨ ohung ∆T knickt der Stab?

0110

EI, αT l

11 00 00 11

Abb. 7.7

L¨ osung Wenn man einen freien Stab erw¨ armt, tritt eine W¨arme-

dehnung εT nach (1.10) auf. Im Beispiel kann sich der Stab wegen der beidseitigen Lagerung nicht dehnen. Die W¨armedehnung εT muss daher durch eine Stauchung infolge einer Spannung σT aufgehoben werden. Aus (1.12) folgt f¨ ur ε = 0 die W¨armespannung σT = − E αT ∆T. Aus ihr resultiert eine Druckkraft F = σT A = EA αT ∆T. Wir finden daher die kritische Temperaturerh¨ohung, indem wir einen Stab unter dieser Druckkraft untersuchen. Nach (7.14) lautet die allgemeine L¨ osung f¨ ur den Knickstab w = A∗ cos λ x + B sin λ x + C λ x + D. (Um eine Verwechslung mit der Querschnittsfl¨ache A zu vermeiden, wurde die erste Integrationskonstante mit einem ∗ versehen.) Z¨ ahlt man x vom linken Lager, so findet man mit λ2 = F/EI aus den Randbedingungen

7.2

Der Euler-Stab

w(0) = 0



A∗ + D = 0,

w (0) = 0



B + C = 0,

w (l) = 0



− A∗ sin λ l + B cos λ l + C = 0,

Q(l) = 0



− A∗ sin λ l + B cos λ l = 0.

273

Nach Einsetzen von C = −B lauten die letzten zwei Gleichungen sin λ l A∗ − (cos λ l − 1)B = 0, sin λ l A∗ − cos λ l B = 0. Dieses homogene Gleichungssystem hat eine nichttriviale L¨osung, wenn die Koeffizientendeterminante verschwindet: sin λ l = 0. Aus alt man die Knicklast dem kleinsten Eigenwert λ1 = π/l erh¨ Fkrit = π 2

EI . l2

agheitsradius ein, so findet man F¨ uhrt man mit i2 = I/A den Tr¨ f¨ ur die kritische Temperaturerh¨ ohung  2 i 1 Fkrit = π2 . ∆Tkrit = l EA αT αT Sie h¨ angt hiernach nicht vom Elastizit¨ atsmodul ab. Um eine Vorstellung von der Gr¨ oßenordnung der Temperatur zu bekommen, die zum Knicken f¨ uhrt, betrachten wir einen Stahlstab (αT = −5 ◦ 1, 2 · 10 / C) mit einem Schlankheitsgrad l/i = 100. Er knickt bei einer Temperaturerh¨ ohung ∆Tkrit ≈ 80◦ C.

274

7.3

7 Knickung

7.3 Zusammenfassung • Bei der kritischen Last Fkrit existiert neben der urspr¨ unglich geraden Ausgangslage eine infinitesimal benachbarte Lage. • Bei einem System aus starren St¨ aben und Federn kann die kritische Last auf zwei Arten bestimmt werden: 1. Ermittlung der Stabilit¨ at der Ausgangslage durch Untersuchung des Gesamtpotentials Π des Systems (Energiemethode, meist aufw¨ andig). 2. Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen f¨ ur infinitesimal benachbarte Lage (Gleichgewichtsmethode, meist zweckm¨ aßig). • Knickgleichung des elastischen Stabes: (EI w ) + F w = 0 . • Sonderfall EI = const: wIV + λ2 w = 0 ,

λ2 = F/EI .

Allgemeine L¨ osung: w = A cos λx + B sin λx + Cλx + D . Die Randbedingungen f¨ uhren auf ein homogenes Gleichungssystem f¨ ur die vier Integrationskonstanten. Durch Nullsetzen der Koeffizientendeterminante erh¨ alt man die Eigenwertgleichung zur Bestimmung der λi . Der kleinste von Null verschiedene Eigenwert λmin liefert die kritische Last Fkrit . • Beidseits gelenkig gelagerter gleichf¨ ormiger Stab (2. Euler-Fall): Fkrit = π 2

EI . l2

• Die kritische Last eines Druckstabes mit beliebigen Randbedingungen l¨asst sich wie die Knicklast f¨ ur den 2. Euler-Fall schreiben, wenn man die Stabl¨ ange l durch die Knickl¨ange lk ersetzt.

Kapitel 8 Verbundquerschnitte

8

8 Verbundquerschnitte 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

Einleitung......................................................... Zug und Druck in St¨aben .................................... Reine Biegung ................................................... Biegung und Zug/Druck ...................................... Zusammenfassung ..............................................

277 277 284 291 295

Lernziele: In der Praxis kommen h¨aufig St¨abe und Balken aus Verbundmaterial zur Anwendung, deren Querschnitte aus Schichten verschiedener Materialien bestehen. Die Studierenden sollen lernen, wie man in diesem Fall die Grundgleichungen f¨ ur Zug/Druck bzw. f¨ ur Biegung verallgemeinert und wie man Spannungen sowie Verformungen bei konkreten Problemen zweckm¨aßig bestimmt.

8.1

Einleitung

277

8.1 Einleitung

8.1

In Kapitel 1 haben wir die Zug- und Druckbeanspruchung von St¨ aben und in Kapitel 4 die Biegung von Balken behandelt. Als ein wesentliches Ergebnis erhielten wir Beziehungen zur Ermittlung der Spannungen und Deformationen infolge von Normalkraft und Biegemoment. Dabei wurde immer vorausgesetzt, dass die St¨ abe oder Balken aus einem Material bestehen, dessen Elastizit¨ atsmodul u ache konstant ist. ¨ ber die Querschnittsfl¨ In vielen Ingenieuranwendungen werden jedoch Bauteile eingesetzt, die aus verschiedenen Materialien bestehen. So werden z.B. im Br¨ uckenbau oft Konstruktionen verwendet, bei denen die Tr¨ ager aus Stahlprofilen und die Fahrbahndecken aus Stahlbeton bestehen. In zahlreichen High-Tech Anwendungen des Maschinenbaus, des Flugzeugbaus oder der Elektronik (Chips) kommen Bauteile zum Einsatz, die aus einem Verbund von Schichten verschiedener Materialien (Schichtverbunde) oder aus einem Verbund von z.B. hochfesten Fasern und einem Matrixmaterial (Faserverbundmaterialien) bestehen. Die Querschnitte entsprechend aufgebauter St¨ abe und Balken nennt man Verbundquerschnitte. Auf sie lassen sich die Formeln aus den Kapiteln 1 und 4 f¨ ur homogene Materialien nicht unmittelbar anwenden. Wie diese f¨ ur Verbundquerschnitte erweitert werden m¨ ussen, wollen wir im folgenden behandeln. Dabei beschr¨ anken wir uns auf St¨ abe und Balken mit einfach symmetrischen Querschnitten. Als wichtige Annahme setzen wir zudem einen idealen Verbund voraus: an der Grenzfl¨ache (Verbundfuge) sind die beiden Materialien fest miteinander verbunden und k¨ onnen sich nicht gegeneinander verschieben (kein Schlupf).

8.2 Zug und Druck in St¨ aben Abb. 8.1a zeigt als Beispiel den Verbundquerschnitt eines Stabes, der aus zwei Materialien mit den Elastizit¨ atsmoduli E1 und E2 besteht. Er setzt sich aus den Teilfl¨ achen A1 und A2 zusammen. Im folgenden wollen wir die Spannungen in den Teilquerschnit-

8.2

278

8 Verbundquerschnitte

ten und die Deformation infolge einer Zug/Druck-Beanspruchung bestimmen. Wird der Stab durch eine Normalkraft N so belastet, dass er gerade bleibt (keine Kr¨ ummung), dann erfahren alle Punkte eines Querschnitts die gleiche Verschiebung u(x) in L¨angsrichtung. Deshalb ist auch die Dehnung ε(x) = u (x) u ¨ ber den gesamten Querschnitt konstant (Abb. 8.1b). E1 , A1

σ1

h/2

S

y

σ2

h/2

E2 , A2

a

σ

ε

z b

b

c

Abb. 8.1

Mit dem Elastizit¨ atsgesetz (1.8) gilt damit f¨ ur die Spannungen in den beiden Teilquerschnitten σ1 = E1 ε ,

σ2 = E2 ε .

(8.1)

Sie sind wegen E1 = E2 in den beiden Bereichen verschieden, aber bereichsweise konstant (Abb. 8.1c). Die resultierende Normalkraft ergibt sich durch Integration der Spannungen u ¨ ber den Verbundquerschnitt:    σ dA = σ dA + σ dA . (8.2) N= A A1 A2 . /0 1 . /0 1 N1

N2

Dabei sind N1 und N2 die in den Fl¨ achen A1 und A2 wirkenden Teilkr¨ afte. Mit N1 = σ1 A1 und N2 = σ2 A2 sowie (8.1) folgt aus (8.2) N = N1 + N2 = (E1 A1 + E2 A2 ) ε .

(8.3)

8.2

Zug und Druck in St¨aben

279

F¨ uhren wir nun die Dehnsteifigkeit EA = E1 A1 + E2 A2

(8.4)

des Verbundstabes ein, dann folgt f¨ ur die Dehnung ε=

N . EA

(8.5)

Dies ist das Elastizit¨ atsgesetz f¨ ur den Stab mit Verbundquerschnitt. Es unterscheidet sich vom Elastizit¨ atsgesetz (1.14) f¨ ur den ur die Spanhomogenen Stab nur durch die Dehnsteifigkeit EA. F¨ nungen (8.1) folgt damit σ1 = N

E1 , EA

σ2 = N

E2 . EA

(8.6)

Die Normalkr¨ afte N1 , N2 in den Teilquerschnitten ergeben sich zu N1 = σ1 A1 = N

E1 A1 , EA

N2 = σ2 A2 = N

E2 A2 . EA

(8.7)

Die Normalkraft N teilt sich also im Verh¨ altnis der Dehnsteifigkeiten auf die Teilquerschnitte auf; die Normalkr¨afte N1 und N2 greifen in den Fl¨ achenschwerpunkten S1 und S2 der Teilfl¨achen an (Abb. 8.2a). Es ist meist zweckm¨ aßig, die Beziehungen (8.6) und (8.7) f¨ ur die Spannungen und die Normalkr¨ afte in einer anderen Form darzustellen. Dazu f¨ uhren wir die Wichtungen ni der Elastizit¨atsmoduli mit E1 als Bezugswert, d.h. n1 =

E1 =1, E1

n2 =

E2 , E1

(8.8)

sowie die ideelle Querschnittsfl¨ache A¯ = n1 A1 + n2 A2

(8.9)

ein. Damit l¨ asst sich die Dehnsteifigkeit (8.4) in der Form EA = E1 (n1 A1 + n2 A2 ) = E1 A¯

(8.10)

280

8 Verbundquerschnitte

schreiben, und f¨ ur die Spannungen (8.6) in den Teilquerschnitten erh¨ alt man N σ1 = n1 ¯ , A

N σ2 = n2 ¯ . A

(8.11)

Es bietet sich außerdem an, in Analogie zu (1.1) die ideelle Spannung N σ ¯= ¯ A

(8.12)

einzuf¨ uhren. Mit ihr ergeben sich die tats¨ achlichen Spannungen in den Teilquerschnitten zu σi = ni σ ¯.

S1

h/2

(8.13)

N1 S1

S e S2

h/2

a

y¯ N2

z

b



z1 S z2



S2



z, z¯

e N

x

Abb. 8.2

F¨ ur die Normalkr¨ afte Ni = σi Ai in den Teilquerschnitten folgt mit (8.13) und (8.12) A1 N1 = N n1 ¯ , A

A2 N2 = N n2 ¯ . A

(8.14)

Abschließend bestimmen wir die Lage der Wirkungslinie der resultierenden Normalkraft N = N1 + N2 . Sie ist durch den Kr¨aftemittelpunkt der parallelen Kr¨ afte N1 und N2 (Abb. 8.2a, siehe auch Kr¨ aftemittelpunkt, Band 1, Abschnitt 4.1) gegeben. Diesen bezeichnen wir als ideellen Schwerpunkt S¯ (Abb. 8.2b). Zu seiner Berechnung w¨ ahlen wir als Bezugspunkt den Fl¨achenschwerpunkt

8.2

Zug und Druck in St¨aben

281

S auf der Symmetrieachse. Die in den Abb. 8.2a,b dargestellten Kraftsysteme sind statisch ¨ aquivalent. Somit gilt mit den Bezeichnungen nach Abb. 8.2b N e = N1 z1 + N2 z2



e=

N1 N2 z1 + z2 , N N

(8.15)

woraus mit (8.14) die Exzentrizit¨ at 1 e = ¯ (n1 A1 z1 + n2 A2 z2 ) A

(8.16)

folgt (man beachte: z1 und z2 sind vorzeichenbehaftet!). Im weiteren f¨ uhren wir ein y¯, z¯-Koordinatensystem f¨ ur den Verbundquerschnitt mit dem ideellen Schwerpunkt S¯ als Ursprung ein (Abb. 8.2b). Die Verbindungslinie der ideellen Fl¨achenschwerpunkte S¯ stellt die Stabachse dar. Nur wenn die resultierende Normalkraft N in dieser Achse liegt, ist die kinematische Voraussetzung ε = const erf¨ ullt (reiner Zug/Druck, keine Biegung). Als Beispiel f¨ ur die Berechnung der Lage des ideellen Schwerpunkts setzen wir f¨ ur den in Abb. 8.1a dargestellten Rechteckquerschnitt das Verh¨ altnis der Elastizit¨ atsmoduli zu E2 /E1 = 10 sowie die Teilfl¨ achen zu A1 = A/3 und A2 = 2A/3. Die ideelle Querschnittsfl¨ ache folgt dann mit den Wichtungen n1 = E1 /E1 = 1 und n2 = E2 /E1 = 10 aus (8.9) zu 1 2 A¯ = 1 · A + 10 · A 3 3



A¯ = 7 A .

Mit den Koordinaten z1 = −h/3 und z2 = h/6 der Fl¨achenschwerpunkte der Teilfl¨ achen A1 und A2 ergibt sich aus (8.16) die Lage des ideellen Schwerpunkts: 2A/3 1 1 A/3 1 h + 10 · h → e= h. 7A 3 7A 6 7 Der ideelle Schwerpunkt S¯ liegt also h/7 unterhalb des Fl¨achenschwerpunkts S. Setzen wir dagegen E2 /E1 = 1/10, dann folgt e = −h/4, d.h. der ideelle Schwerpunkt liegt h/4 u ¨ ber dem Fl¨achenschwerpunkt. e=−1·

282

8 Verbundquerschnitte

In Verallgemeinerung des aus zwei Schichten bestehenden Verbundquerschnitts betrachten wir nun einfach symmetrische Querschnitte, die aus s Schichten zusammengesetzt sind (Abb. 8.3). Hierf¨ ur erhalten wir die ideelle Querschnittsfl¨ache zu A¯ =

s 

ni Ai

mit

ni =

i=1

Ei , E1

(8.17)

vgl. (8.9). F¨ ur die Exzentrizit¨ at e des ideellen Schwerpunkts S¯ bez¨ uglich des Fl¨ achenschwerpunkts S ergibt sich mit den Koordiachenschwerpunkte der Teilquerschnitte Ai naten zi der Fl¨ E1 , A1

S1

E2 , A2

S2 S

y

e y¯ Es , As



Ss z



Abb. 8.3

s

1  e= ¯ zi ni Ai , A i=1

(8.18)

vgl. (8.16). Im Sonderfall doppeltsymmetrischer Verbundquerschnitte mit einer symmetrischen Verteilung der Dehnsteifigkeiuglich der y-Achse gibt es zu jeder Schicht k mit dem ten Ei Ai bez¨ Schwerpunktsabstand zk eine symmetrische Schicht gleicher Steiat wird dann Null (e = 0), figkeit im Abstand −zk . Die Exzentrizit¨ d.h. der ideelle Schwerpunkt und der Fl¨ achenschwerpunkt fallen zusammen (siehe Beispiel 8.1). Die Formeln zur Berechnung der ideellen Spannung (8.12) und der tats¨ achlichen Spannungen (8.13) sowie der Dehnung (8.5) und der Dehnsteifigkeit (8.4) gelten sinngem¨ aß. Dabei kann die Dehn-

8.2

Zug und Druck in St¨aben

283

steifigkeit des Verbundstabes wie folgt dargestellt werden:   (8.19) EA = Ei Ai = E1 ni Ai = E1 A¯ . F¨ ur den in Abb. 8.4a dargestellten Verbundquerschnitt bestehend aus den Materialien 1 und 2 sind die Spannungen in den Schichten und die Dehnung infolge der Normalkraft N zu ermitteln. Die Elastizit¨ atsmoduli sind E1 und E2 = 2E1 .

Beispiel 8.1

b

h/10

E1

1

E2

2

σ1 h/2

S = S¯

y, y¯

x

σ2 N

h/2 h/10

E1

σ1

1

z, z¯

z, z¯

σ b

a Abb. 8.4

L¨ osung Mit E1 als Bezugsmodul erhalten wir die Wichtungen

n1 =

E1 =1, E1

n2 =

E2 =2. E1

Aufgrund der doppeltsymmetrischen Anordnung der Dehnsteifigkeiten des Verbundquerschnitts f¨ allt der ideelle Schwerpunkt S¯ mit dem geometrischen Schwerpunkt S zusammen. Nach (8.17) ergibt sich die ideelle Querschnittsfl¨ ache mit A = b h zu A¯ = n1 A1 + n2 A2



4 9 1 A¯ = 1 A + 2 A = A . 5 5 5

Aus (8.12) folgt damit die ideelle Spannung N σ ¯= ¯ A



σ ¯=

5N . 9A

B8.1

284

8 Verbundquerschnitte

Hiermit lassen sich die tats¨ achlichen Spannungen σi in den einzelnen Schichten aus (8.13) bestimmen: σ1 = n1 σ ¯=

5 N , 9 A

σ2 = n2 σ ¯=

10 N . 9 A

Sie sind in Abb 8.4b dargestellt. Mit der Dehnsteifigkeit nach (8.4) EA = E1 A1 + E2 A2 = E1 A¯



EA =

9 E1 A 5

folgt die Dehnung aus (8.5) zu ε=

8.3

N EA



ε=

5 N . 9 E1 A

8.3 Reine Biegung Wir betrachten nun Querschnitte, die nur durch ein Biegemoment M beansprucht werden (reine Biegung, siehe Abb. 8.5a). F¨ ur die Bestimmung der Spannungen und der Deformation erweist es sich als zweckm¨ aßig, das in Abschnitt 8.1 eingef¨ uhrte y¯, z¯Koordinatensystem (mit dem ideellen Schwerpunkt als Ursprung) zu w¨ ahlen. Die Balkenachse ist danach wie beim Verbundstab die ¯ Wie im voVerbindungslinie der ideellen Fl¨ achenschwerpunkte S. rigen Abschnitt setzen wir voraus, dass die Teilquerschnitte ideal (schlupffrei) miteinander verbunden sind. Hinsichtlich der Deformation treffen wir die gleichen kinematischen Annahmen wie bei der geraden Biegung des homogenen Balkens (Abschnitt 4.3). Die Durchbiegung w ist danach nur von x abh¨ angig, und Querschnitte, die vor der Deformation eben waren, sind auch nach der Deformation eben, siehe (4.22) und Abb 8.5b: w = w(x) ,

u(x, z¯) = ψ(x) z¯ .

(8.20)

Mit der zweiten Annahme von Bernoulli (Abschnitt 4.5.1), dass Balkenquerschnitte, die vor der Deformation senkrecht auf der

8.3

Reine Biegung

285

ψ(x) E1 , A1 y y¯

σ1

E2 , A2 S S¯

M S¯

u(x, z¯)

x

σ2 a Abb. 8.5

z, z¯



b

c

(ideellen) Balkenachse standen, auch nach der Deformation senkrecht zur Balkenachse stehen, folgt ψ = − w ,

ψ  = − w ,

vgl. (4.29) und (4.30). Daraus ergibt sich die Dehnung ε = ε = − w z¯ .

∂u zu ∂x (8.21)

Sie ist u ohe linear ver¨ anderlich. Der einzige ¨ ber die Querschnittsh¨ Unterschied zum homogenen Balken besteht also darin, dass die Balkenachse durch die Verbindungslinie der ideellen Schwerpunkte S¯ definiert ist und nicht durch die der Fl¨ achenschwerpunkte S (Abb 8.5a,b). Das aus den u ¨ ber den Querschnitt verteilten Spannungen resultierende Biegemoment (bez¨ uglich der y¯-Achse)  z¯ σ dA (8.22) M= A

liefert f¨ ur das Beispiel des aus zwei Materialien zusammengesetzten Verbundquerschnitts nach Abb 8.5a   z¯ σ1 dA + z¯ σ2 dA . (8.23) M= A1

A2

286

8 Verbundquerschnitte

Mit dem Elastizit¨ atsgesetz σi = Ei ε f¨ ur die beiden Schichten sowie (8.21) folgt      2 2 M = − w E1 z¯ dA + E2 z¯ dA . (8.24) A1

A2

F¨ uhren wir die Fl¨ achentr¨ agheitsmomente   I1 = z¯2 dA , I2 = z¯2 dA A1

(8.25)

A2

der Teilquerschnitte 1 und 2 ein, so ergibt sich M = − w (E1 I1 + E2 I2 ) . Man beachte, dass die Fl¨ achentr¨ agheitsmomente I1 und I2 auf die y¯-Achse bezogen sind. Wenn wir die Biegesteifigkeit des Verbundbalkens mit EI = E1 I1 + E2 I2

(8.26)

bezeichnen, dann lautet die Differentialgleichung der Biegelinie w = −

M . EI

(8.27)

Sie ist analog zur Gleichung des homogenen Balkens. Die Spannungen in den Schichten erh¨ alt man durch Einsetzen von (8.21) und (8.27) in σi = Ei ε zu σi = Ei

M z¯ . EI

(8.28)

Dabei durchl¨ auft z¯ die Wertebereiche der beiden Schichten i = 1, 2. Die Spannung ist somit in den einzelnen Schichten linear verteilt. Im allgemeinen weist sie in der Verbundfuge einen Sprung auf, und die neutrale Faser liegt bei z¯ = 0 (Abb. 8.5c). Wie beim Stab ist es meist zweckm¨ aßig, eine andere Schreibweise zu verwenden. Dazu f¨ uhren wir mit den Wichtungen ni = Ei /E1 das ideelle Fl¨achentr¨agheitsmoment I¯ = n1 I1 + n2 I2

(8.29)

8.3

Reine Biegung

287

und die ideelle Spannung M σ ¯ = ¯ z¯ I

(8.30)

ein. Durch Vergleich von (8.28) mit (8.30) erkennen wir, dass sich achliche Spannung in einer beliebigen wegen EI = E1 I¯ die tats¨ Schicht i wie beim Verbundstab aus σi = ni σ ¯

(8.31)

berechnen l¨ asst, siehe auch (8.13). Bei einer Erweiterung auf Verbundprofile aus s Schichten mit unterschiedlichen Elastizit¨ atsmoduli ergibt sich das ideelle Fl¨achentr¨ agheitsmoment zu I¯ =

s 

ni Ii .

(8.32)

i=1

Man beachte, dass die Ii die Fl¨ achentr¨ agheitsmomente der Teilfl¨achen bez¨ uglich der y¯-Achse sind. Sie setzen sich aus den Fl¨achentr¨ agheitsmomenten bez¨ uglich der eigenen Schwerachsen und den Steiner-Gliedern“ (bez¨ uglich der y¯-Achse) zusammen, siehe Ab” schnitt 4.2.2. Die Beziehungen (8.31), (8.30) und (8.27) gelten unver¨ andert. Die in (8.27) auftretende Biegesteifigkeit kann dabei zweckm¨ aßig aus  (8.33) EI = Ei Ii = E1 I¯ bestimmt werden. Zum Abschluss wollen wir am Beispiel nach Abb. 8.5 noch zeigen, dass aus der ermittelten Spannung tats¨ achlich nur ein Biegemoment M und keine Normalkraft N resultiert. Hierzu setzen wir die Spannung σi = Ei ε unter Beachtung von (8.21) in (8.2) ein. Dann erhalten wir zun¨ achst

288

8 Verbundquerschnitte

 N= A

  σ dA = − w E1 

A1

 z¯ dA + E2

 z¯ dA

A2

    = − w E1 n1 z¯ dA + n2 z¯ dA A A . 1/0 1 . 2/0 1 z¯1 A1



z¯2 A2

= − w E1 (n1 z¯1 A1 + n2 z¯2 A2 ) . . /0 1 ¯ e¯ A

Vergleicht man den Klammerausdruck mit (8.16), so erkennt man, dass dieser gerade dann verschwindet (¯ e = 0), wenn die Bezugsachse mit der Verbindungslinie der ideellen Schwerpunkte zusammenf¨ allt. Genau dies wurde mit der speziellen Wahl des Koordinatensystems vorausgesetzt. B8.2

Beispiel 8.2 Der einseitig eingespannte Verbundtr¨ ager (l = 2 m)

nach Abb. 8.6a ist durch eine Kraft F = 6, 5 kN belastet. Sein Querschnitt besteht aus zwei Schichten mit den Elastizit¨atsmoduli E1 und E2 = 3 E1 (Abb. 8.6b). Gesucht sind der Normalspannungsverlauf an der Einspannung und die Absenkung an der Kraftangriffstelle. L¨ osung Aus dem Momentenverlauf M (x) = F (x − l) erh¨ alt man das Einspannmoment zu

M = − F l = −13 kNm . Mit E1 als Bezugsmodul folgen die Wichtungen n1 =

E1 =1, E1

n2 =

E2 =3. E1

Die ideelle Querschnittsfl¨ ache ergibt sich mit den Teilfl¨achen A1 = A2 = 10 · 12 = 120 cm2 nach (8.17) zu A¯ = 1 · 120 + 3 · 120 = 480 cm2 . Aus (8.16) folgt damit die Lage des ideellen Schwerpunkts: e=

1 [1 · (−5) · 120 + 3 · 5 · 120] = 2, 5 cm . 480

8.3

0110 1010

Reine Biegung

289

F x

l

z, z¯ a 12 12,5

E1

10

y e 10



Maße in cm

M

S S¯

2,5

x 7,5

E2 = 3E1 z, z¯



-22,5 2

σ[N/mm ] c

b Abb. 8.6

Das ideelle Fl¨ achentr¨ agheitsmoment errechnet sich nach (8.32) mit den Tr¨ agheitsmomenten der Teilfl¨ achen bez¨ uglich ihrer eigenen Schwerachsen b h3 /12 = 12 · 103 /12 = 103 cm4 zu     I¯ = 1 103 + 7, 52 · 120 + 3 103 + 2, 52 · 120 = 13000 cm4 . Aus (8.30) l¨ asst sich damit die ideelle Spannung berechnen (Kr¨afte in N, L¨ angen in mm): M σ ¯ = ¯ z¯ I



σ ¯=

−13 · 106 N z¯ = −0, 1 z¯ . 13000 · 104 mm2

Die tats¨ achliche Spannung in der Schicht i folgt aus σi = ni σ ¯. An der Oberkante des Balkens (¯ z = −125 mm) ergibt sich σ1 (−125) = 1 · (−0, 1) · (−125) = 12, 5 N/mm2 .

290

8 Verbundquerschnitte

Bei der Berechnung der Spannungen in der Verbundfuge (¯ z = −25 mm) ist zwischen den Werten oberhalb und unterhalb der Fuge zu unterscheiden, da der Elastizit¨ atsmodul hier einen Sprung aufweist. Oberhalb der Verbundfuge ergibt sich der Wert σ1 (−25) = 1 · (−0, 1) · (−25) = 2, 5 N/mm2 , und unterhalb der Verbundfuge ist die Spannung σ2 (−25) = 3 · (−0, 1) · (−25) = 7, 5 N/mm2 . In der Verbundfuge stellt sich also ein Spannungssprung von z = 75 mm) erhal5 N/mm2 ein. An der Unterkante des Balkens (¯ ten wir schließlich σ2 (75) = 3 · (−0, 1) · (75) = −22, 5 N/mm2 . Die Spannungsverteilung ist in Abb. 8.6c dargestellt. Zur Ermittlung der Biegelinie integrieren wir die Differentialgleichung w = −

M EI



EI w = − F (x − l)

und erhalten x2 − l x) + C1 , 2 x2 x3 ) + C1 x + C2 . EI w = − F ( − l 6 2 EI w = − F (

Die Integrationskonstanten lassen sich aus den geometrischen Randbedingungen bestimmen: w(0) = 0



w (0) = 0

C2 = 0 ,



C1 = 0 .

alt man damit f¨ ur die BiegeUnter Beachtung von EI = E1 I¯ erh¨ linie und die gesuchte Absenkung w(x) =

x2 −F x3 ( − l ) 2 E1 I¯ 6



w(l) =

F l3 , 3E1 I¯

8.4

Biegung und Zug/Druck

291

vgl. Abschnitt 4.5.2. Es sei darauf hingewiesen, dass man dieses Ergebnis auch unmittelbar aus der Biegelinientafel ablesen kann, wobei f¨ ur die Biegesteifigkeit diejenige des Verbundquerschnitts einzusetzen ist.

8.4

8.4 Biegung und Zug/Druck Die Spannungen in den Schichten eines Verbundbalkens ergeben sich sowohl bei Normalkraft- als auch bei Momentenbeanspruchung aus σi = ni σ ¯,

(8.34)

vgl. (8.13) und (8.31). Wirkt in einem Querschnitt nur eine Normalkraft, so gilt f¨ ur die ideelle Spannung nach (8.12) N σ ¯= ¯ , A und im Fall einer reinen Momentenbeanspruchung folgt nach (8.30) M σ ¯ = ¯ z¯ . I Bei einer gleichzeitigen Beanspruchung des Verbundquerschnitts durch eine Normalkraft N und ein Biegemoment M sind die ideellen Spannungen zu superponieren: M N σ ¯ = ¯ + ¯ z¯ . A I

(8.35)

Die tats¨ achliche Spannung in der Schicht i ergibt sich dann wieder aus (8.34). F¨ ur den in Abb. 8.7a dargestellten Verbundquerschnitt sind der ideelle und der tats¨ achliche Spannungsverlauf sowie die Dehnungsverteilung u ¨ ber die Querschnittsh¨ohe infolge der

Beispiel 8.3

B8.3

292

8 Verbundquerschnitte

außermittig angreifenden Normalkraft N = −500 kN zu ermitteln. 2 Die Elastizit¨ atsmoduli der Schichten sind Ec = 104 N/mm und 2 Es = 5000 N/mm .

N

1 2



8

Es

8

E2 = Ec

Ec

E2 = Ec

4

Es

8

E1 = Es

5

Ec

8

E2 = Ec



N

−10, 18 · 10−4

−10, 18

1111111111 0000000000

x

x

12

[cm]

a



M





40

−7, 66

N

E1 = Es

8

3



Ec

−3, 83 −2, 58 −5, 16 −2, 64 −1, 32 −0, 07 −0, 14

σ



+2, 38 · 10−4

+2, 38

b

c

ε Abb. 8.7

L¨ osung Als Bezugsmodul w¨ ahlen wir E1 = Es und setzen E2 =

Ec . Hiermit ergeben sich die Wichtungen n1 =

E1 Es = =1, E1 Es

n2 =

E2 Ec = =2. E1 Es

Aufgrund der hinsichtlich Geometrie und Dehnsteifigkeiten symmetrischen Schichtung des Querschnitts f¨ allt der ideelle Schwerpunkt S¯ mit dem geometrischen Schwerpunkt S zusammen. Die Normalkraft N greift demnach im Abstand von 12 cm oberhalb der Balkenachse an. Sie l¨ asst sich statisch ¨ aquivalent durch die

8.4

Biegung und Zug/Druck

293

Kraft N in der Balkenachse und ein Moment M = 12 · N = 6000 kNcm ersetzen. Alle Teilfl¨ achen sind gleich groß: A1 = A2 = 8 · 40 = 320 cm2 . Nach (8.17) ergibt sich damit die ideelle Querschnittsfl¨ ache zu A¯ = 2(n1 A1 ) + 3(n2 A2 )



A¯ = 640 + 1920 = 2560 cm2 .

Mit den Fl¨ achentr¨ agheitsmomenten I1 = I2 = 40 · 83 /12 = achen bez¨ uglich ihrer eigenen Schwerachsen 1706, 7 cm4 der Teilfl¨ und den Steiner–Gliedern folgt das ideelle Fl¨achentr¨agheitsmoment nach (8.32) zu     I¯ = n1 2(I1 + 82 · A1 ) + n2 3I2 + 2 · 162 · A2 = 382293 cm4 . Mittels (8.35) k¨ onnen nun die ideellen Spannungen berechnet werden. Dabei geben wir alle Gr¨ oßen in den Einheiten [N] und [mm] an: M −500 · 103 6000 · 104 N + z¯ σ ¯ = ¯ + ¯ z¯ = 2 2560 · 10 382293 · 104 A I → σ ¯ = −1, 95 + 0, 0157 z¯ . Die Berechnung der ideellen und der wirklichen Spannungen an ausgezeichneten Punkten ist in der nachfolgenden Tabelle aufgelistet. Schicht 1 2 3 4 5



N/A¯

¯ z¯ (M/I)

σ ¯

ni

σi = ni σ ¯

−200

−1, 95

−3, 14

−5, 09

2

−10, 18

−120

−1, 95

−1, 88

−3, 83

2

−7, 66

−120

−1, 95

−1, 88

−3, 83

1

−3, 83

−40

−1, 95

−0, 63

−2, 58

1

−2, 58

−40

−1, 95

−0, 63

−2, 58

2

−5, 16

+40

−1, 95

+0.63

−1, 32

2

−2, 64

+40

−1, 95

+0.63

−1, 32

1

−1, 32

+120

−1, 95

+1, 88

−0.07

1

−0, 07

+120

−1, 95

+1, 88

−0.07

2

−0, 14

+200

−1, 95

+3, 14

+1, 19

2

+2, 38

294

8 Verbundquerschnitte

Die Spannungsverteilung u ¨ber die Querschnittsh¨ohe ist in Abb. 8.7b dargestellt. Man erkennt, dass sich in den Verbundfugen Spannungsspr¨ unge im Verh¨ altnis der Elastizit¨atsmoduli einstellen. Zur Berechnung der Dehnung wenden wir das Hookesche Gesetz ε = σ/E an. Da sie nach (8.21) linear u ¨ber die Querschnittsh¨ohe verteilt ist, gen¨ ugt es, die Dehnung am oberen (εo ) und am unteren (εu ) Rand des Verbundquerschnitts zu bestimmen (Abb. 8.7c): εo =

−10, 18 = −10, 18 · 10−4 , E2

εu =

2, 38 = 2, 38 · 10−4 . E2

Der Verlauf der Dehnung u ¨ber die Querschnittsh¨ohe ist Abb. 8.7c zu entnehmen.

8.5

Zusammenfassung

295 8.5

8.5 Zusammenfassung • Zug und Druck  Spannung in der Schicht i: ¯, σi = ni σ ni = Ei /E1 mit Bezugswert E1 , σ ¯ = N/A¯ ideelle Spannung, A¯ = ni Ai ideelle Querschnittsfl¨ ache.  Dehnung: N , EA EA = Ei Ai = E1 A¯ Dehnsteifigkeit. ε=

 Damit reiner Zug/Druck (keine Biegung) auftritt, muss die Normalkraft exzentrisch wirken: 1  zi ni Ai , e= ¯ A zi

Abstand der Schwerpunkte der Teil߬achen.

• Reine Biegung  Spannung in der Schicht i: ¯ σi = ni σ

mit

σ ¯=

M z¯ , I

I¯ = ni Ii ideelles Fl¨ achentr¨ agheitsmoment, z¯ durchl¨ auft Schicht i.  Differentialgleichung der Biegelinie: w = − EI =

-

M , EI

Ei Ii = E1 I¯ Biegesteifigkeit.

Englische Fachausdr¨ ucke Englisch

Deutsch

angle of twist

Torsionswinkel

bar beam bending bending moment bending stiffness bending stress bonding condition boundary condition brittle buckling buckling load

Stab Balken Biegung Biegemoment Biegesteifigkeit Biegespannung Verbundbedingung Randbedingung spr¨ ode Knicken Knicklast

cantilever beam center of gravity centrifugal moment circumferential stress clamped coefficient of thermal expansion column compatibility compatibility condition complementary shear stress composite section compound beam compression compressive stress core critical load cross section curvature curved beam

einseitig eingespannter Balken Schwerpunkt Zentrifugalmoment Umfangsspannung eingespannt W¨ armeausdehnungskoeffizient S¨ aule, Knickstab Vertr¨ aglichkeit Vertr¨ aglichkeitsbedingung zugeordnete Schubspannung Verbundquerschnitt Verbundbalken Druck Druckspannung Kern kritische Last Querschnitt Kr¨ ummung Bogen

deflection

Durchbiegung

298

Englische Fachausdr¨ ucke

deflection curve dilatation displacement ductile

Biegelinie Volumendehnung Verschiebung duktil, z¨ ah

eccentricity elastic elastic line elongation equilibrium condition Euler’s buckling load extreme fiber

Exzentrizit¨ at elastisch Biegelinie Verl¨ angerung Gleichgewichtsbedingung Eulersche Knicklast Randfaser

first moment of area flexural rigidity

statisches Moment Biegesteifigkeit

hinge homogeneous Hooke’s law hoop stress hydrostatic (state of) stress

Gelenk homogen Hookesches Gesetz Umfangsspannung hydrostatischer Spannungszustand

invariant isotropic

Invariante isotrop

joint

Gelenk

load

Last

matching condition membrane stress modulus of elasticity Mohr’s circle moment of deviation moment of inertia of area

¨ Ubergangsbedingung Membranspannung Elastizit¨ atsmodul Mohrscher Kreis Deviationsmoment Fl¨ achentr¨ agheitsmoment

neutral axis normal force normal stress

neutrale Faser Normalkraft Normalspannung

ordinary bending overhanging beam

gerade Biegung Kragtr¨ ager

parallel axis theorem

Satz von Steiner

Englische Fachausdr¨ ucke

plane strain plane stress Poisson’s ratio

299

polar moment of inertia of area pressure pressure vessel principal axis principal strain principal stress principle of virtual work product of inertia proportional limit pure bending pure shear

ebener Verzerrungszustand ebener Spannungszustand Poissonsche Zahl, Querkontraktionszahl polares Fl¨ achentr¨ agheitsmoment Druck Kessel Hauptachse Hauptdehnung Hauptspannung Prinzip der virtuellen Arbeit Deviationsmoment Proportionalit¨ atsgrenze reine Biegung reiner Schub

radius of gyration rigid

Tr¨ agheitsradius starr

second moment of area section modulus shear center shear flow shear modulus shear(ing) force shear(ing) strain shear(ing) stress sign convention simple beam

Fl¨ achentr¨ agheitsmoment Widerstandsmoment Schubmittelpunkt Schubfluss Schubmodul Querkraft Gleitung Schubspannung Vorzeichenkonvention beidseitig gelenkig gelagerter Balken Schlankheitsgrad Feder stabil Verzerrungszustand Spannungszustand statisches Moment statisch bestimmt statisch unbestimmt Steifigkeit

slenderness ratio spring stable state of strain state of stress statical moment of area statically determinate statically indeterminate stiffness

300

Englische Fachausdr¨ ucke

strain strain energy strain hardening strain tensor stress stress resultant stress state stress-strain curve stress tensor superposition symmetry

Verzerrung Form¨ anderungsenergie Verfestigung Verzerrungstensor Spannung Spannungsresultierende Spannungszustand Spannungs-Dehnungs-Kurve Spannungstensor ¨ Uberlagerung, Superposition Symmetrie

temperature temperature coefficient of expansion tensile stress tensile test tension thermal stress thin-walled cross section thin-walled tube torque torsion torsion(al) stiffness truss twist twisting moment

Temperatur W¨ armeausdehnungskoeffizient Zugspannung Zugversuch Zug W¨ armespannung d¨ unnwandiger Querschnitt d¨ unnwandiger Kreiszylinder Torsionsmoment Torsion Torsionssteifigkeit Fachwerk Verdrehung Torsionsmoment

unstable

instabil

virtual

virtuell

warping

Verw¨ olbung

yield stress Young’s modulus

Fließspannung Elastizit¨ atsmodul

Englische Fachausdr¨ ucke

301

Deutsch

Englisch

Balken beidseitig gelenkig gelagerter Balken Biegelinie Biegemoment Biegespannung Biegesteifigkeit Biegung Bogen

beam simple beam

Dehnung Deviationsmoment

strain moment of deviation, product of inertia compression, pressure compressive stress thin-walled tube thin-walled cross section ductile deflection

Druck Druckspannung d¨ unnwandiger Kreiszylinder d¨ unnwandiger Querschnitt duktil Durchbiegung ebener Spannungszustand ebener Verzerrungszustand eingespannt einseitig eingespannter Balken elastisch Elastizit¨ atsmodul Eulersche Knicklast Exzentrizit¨ at Fachwerk Faser, neutrale Feder Fl¨ achentr¨ agheitsmoment

deflection curve, elastic line bending moment bending stress bending stiffness, flexural rigidity bending curved beam

plane stress plane strain clamped cantilever beam elastic Young’s modulus, modulus of elasticity Euler’s buckling load eccentricity

Fließspannung Form¨ anderungsenergie

truss neutral axis spring moment of inertia of area, second moment of area yield stress strain energy

Gelenk

hinge, joint

302

Englische Fachausdr¨ ucke

gerade Biegung Gleichgewichtsbedingung Gleitung

ordinary bending equilibrium condition shear(ing) strain

Hauptachse principal axis Hauptdehnung principal strain Hauptspannung principal stress homogen homogeneous Hookesches Gesetz Hooke’s law hydrostatischer Spannungszustand hydrostatic (state of) stress instabil Invariante isotrop

unstable invariant isotropic

Kern Kessel Knicken Knicklast Knickstab Kompatibilit¨ at Kragtr¨ ager kritische Last Kr¨ ummung

core pressure vessel buckling buckling load column compatibility overhanging beam critical load curvature

Last

load

Membranspannung Mohrscher Kreis

membrane stress Mohr’s circle

neutrale Faser Normalkraft Normalspannung

neutral axis normal force normal stress

Poissonsche Zahl polares Fl¨ achentr¨ agheitsmoment Prinzip der virtuellen Arbeit Proportionalit¨ atsgrenze

Poisson’s ratio polar moment of inertia of area principle of virtual work proportional limit

Querkontraktionszahl Querkraft Querschnitt

Poisson’s ratio shear(ing) force cross section

Englische Fachausdr¨ ucke

303

Randbedingung Randfaser reine Biegung reiner Schub

boundary condition extreme fiber pure bending pure shear

Satz von Steiner Schlankheitsgrad Schubfluss Schubmittelpunkt Schubmodul Schubspannung Schwerpunkt Spannung Spannungs-Dehnungs-Kurve Spannungsresultierende Spannungstensor Spannungszustand spr¨ ode Stab stabil starr statisch bestimmt statisch unbestimmt statisches Moment Steifigkeit Superposition Symmetrie

parallel axis theorem slenderness ratio shear flow shear center shear modulus shear(ing) stress center of gravity stress stress-strain curve stress resultant stress tensor state of stress, stress state brittle bar stable rigid statically determinate statically indeterminate first moment of area, statical moment of area stiffness superposition symmetry

Temperatur Torsion Torsionsmoment Torsionssteifigkeit Torsionswinkel Tr¨ agheitsradius

temperature torsion twisting moment, torque torsion(al) stiffness angle of twist radius of gyration

¨ Ubergangsbedingung ¨ Uberlagerung Umfangsspannung

matching condition superposition circumferential stress, hoop stress

304

Englische Fachausdr¨ ucke

Verbundbalken Verbundbedingung Verbundquerschnitt Verdrehung Verfestigung Verl¨ angerung Verschiebung Vertr¨ aglichkeit Vertr¨ aglichkeitsbedingung Verw¨ olbung Verzerrung Verzerrungstensor Verzerrungszustand virtuell Volumendehnung Vorzeichenkonvention

compound beam bonding condition composite section twist strain hardening elongation displacement compatibility compatibility condition warping strain strain tensor state of strain virtual dilatation sign convention

W¨ armeausdehnungskoeffizient

W¨ armespannung Widerstandsmoment

coefficient of thermal expansion, temperature coefficient of expansion thermal stress section modulus

z¨ ah Zentrifugalmoment zugeordnete Schubspannung Zug Zugspannung Zugversuch

ductile centrifugal moment complementary shear stress tension tensile stress tensile test

Sachverzeichnis

305

Sachverzeichnis Arbeitssatz 208 ff., 210, 221, 240 Axiales Fl¨ achentr¨ agheitsmoment 92 Balkenachse 89, 109, 112, 284, 285 Balkentheorie 89 Bernoullische Annahmen 116 Bettischer Satz 238 Biege-linie 115 ff. – -pfeil 119 – -steifigkeit 110, 286, 287 Biegung 89 – , einachsige 107 – , gerade 107 – , reine 90, 284 – , schiefe 154 ff. – , zweiachsige 154 Bredtsche Formel 189, 191 Dehnsteifigkeit 19, 279, 283 Dehnung 13, 72 – , plastische 16 Deviationsmoment 92 Differentialgleichung der Biegelinie 115 ff., 286 Dimensionierung 10, 113 Drillknicken 270 Durchbiegung 109 Ebener Spannungszustand 47, 65 Ebener Verzerrungszustand 74 Eigenform 266, 269 Eigenwert 265 Einachsige Biegung 107 Einflußzahl 237 Elastischer K¨ orper 1 Elastizit¨ atsgesetz 17, 19, 76 ff. – f¨ ur das Biegemoment 110 – f¨ ur die L¨ angskraft 19

– f¨ ur die Querkraft 111 Elastizit¨ atsmodul 17 Elastostatik, Grundgleichungen der - 207 Energie, Form¨ anderungs- 209 ff. – , Gestalt¨ anderungs- 84 – , innere 209 ff. Eulersche Knicklast 269 Festigkeitshypothesen 83 ff. Fl¨ achentr¨ agheitsmoment 90 ff. – , axiales 92 – , ideelles 286, 287 – , polares 92, 178 – , Tabelle der - 104 – , Transformationsbeziehungen 101 Fließspannung 15 F¨ oppl-Symbol 130 Form¨ anderungsenergie 209 ff. Geometrische Randbedingungen 117 Gerade Biegung 107 Gestalt¨ anderungshypothese 84 Gleichgewichtsbedingungen 19, 65 ff. Gleitung 74 – , mittlere 146, 152 Grundformeln zur Torsion 198 Grundgleichungen der Elastostatik 207 Hauptachsen der Tr¨ agheitsmomente 102 Hauptachsensystem 52 Hauptdehnungen 75 Hauptrichtungen des Spannungszustandes 51 – des Verzerrungszustandes 75, 78

306

Sachverzeichnis

Hauptschubspannungen 53 Hauptspannungen 52 Haupttr¨ agheitsmomente 102 Hohlfl¨ ache 188 Homogener Spannungszustand 47, 66 Homogener Werkstoff 76 Hookesches Gesetz 17, 78 ff. Hydrostatischer Spannungszustand 50, 60 Ideelle Querschnittsfl¨ ache 279, 282 – Spannung 280, 287, 291 Ideeller Schwerpunkt 280 Ideelles Fl¨ achentr¨ agheitsmoment 286, 287 Innere Energie 209 Invariante 50, 57, 102 Isotroper Werkstoff 76 Kern 167 Kesselformel 63 Kinematische Beziehung 14, 19, 74 – Gr¨ oße 14 Kippen 270 Klammer-Symbol 130 Knicken 261 ff. Knick-form 266, 269 – -gleichung 265 – -l¨ ange 269 – -last 265, 269 Kompatibilit¨ atsbedingung 24, 33, 134, 138, 241 Koppeln 225 Koppeltafel 226 Kr¨ afte, virtuelle 218 Kritische Last 263 Kr¨ ummung des Balkens 116 Materialkonstanten

78

Maxwellscher Vertauschungssatz 239 Mohrscher Spannungskreis 57 Neutrale Faser 112 Normalspannung 7, 44 Normalspannungshypothese Nulllinie 112, 158

83

Plastische Dehnung 16 Polares Fl¨ achentr¨ agheitsmoment 92, 178 Poissonsche Zahl 77 Prinzip der virtuellen Kr¨ afte 218 ff. – von de St. Venant 9 Proportionalit¨ atsgrenze 15 Querkontraktion 16, 77 Querschnittsfl¨ ache, ideelle 279, 282 Randbedingungen – , geometrische 117 – , statische 117 Reduktionssatz 246 Reine Biegung 90, 284 Satz von Betti 238 Scheibe 46 Scherung 74 – mittlere 146, 152 Schiefe Biegung 154 ff. Schlankheitsgrad 153 Schub-fl¨ ache 111 – -fluß 187 – -korrekturfaktor 111, 153, 214 ff. – -mittelpunkt 149 – -modul 78 – , reiner 60 Schubspannung 8, 44, 46 – , im Balken 142 ff. – , mittlere 143

Sachverzeichnis

– , zugeordnete 46 Schubspannungshypothese 84 Schubstarrer Balken 115 Schubsteifigkeit 111 Schwerpunkt, ideeller 280 Spannung 7 – , Fließ- 15 – , Haupt- 52 – , ideelle 280, 287, 291 – , konventionelle 16 – , nominelle 16 – , Normal- 7, 44 – , physikalische 16 – , Schub- 8, 44 – , wirkliche 16 – , Vorzeichenkonvention f¨ ur 45 – , zul¨ assige 10 Spannungs-Dehnungs-Diagramm 15 Spannungs-kreis 57 – -nachweis 112 – -spitzen 9 – -tensor 46 – -vektor 43 Spannungszustand 44, 46 – , ebener 47 ff., 65 – , homogener 47 – , hydrostatischer 50, 60 – , r¨ aumlicher 46, 66 Stabachse 7, 281 Statische Momente 91, 144, 147 Steinerscher Satz 99 Stoffgesetz 15 Streckgrenze 15 Superposition 18, 25, 35, 132, 240 Temperatur-belastung – -dehnung 17, 79 – -moment 170 – -verteilung 169

168

307

Tensor der Fl¨ achentr¨ agheitsmomente 106 – - der Spannungen 46 – - der Verzerrungen 74, 75 Thermischer Ausdehnungskoeffizient 17 Torsion, Grundformeln der 198 Torsions-moment 175 – -steifigkeit 179 – -tr¨ agheitsmoment 178, 198 – -widerstandsmoment 179, 198 Transformationsgleichungen f¨ ur Fl¨ achentr¨ agheitsmomente 101 – f¨ ur die Spannungen 49 Tr¨ agheits-kreis 106 – -radius 92, 273 Tresca-Hypothese 84 ¨ Ubergangsbedingungen

129

Verbundquerschnitte 277 Verdrehung 177 Verfestigungsbereich 16 Vergleichsspannung 83 Verschiebung 14, 71 Verschiebungs-einflußzahl 237 ff. – -plan 30 – -vektor 71 Vertauschungssatz von Maxwell 239 Vertr¨ aglichkeitsbedingung 24, 33, 134, 138, 241 Verwindung 177 Verw¨ olbung 177, 189, 192 ff. Verzerrungen 74 Verzerrungstensor 74, 75 Verzerrungszustand 71 ff. – , ebener 74 Virtuelle Kr¨ afte 218

308

Sachverzeichnis

Vorzeichenkonvention f¨ ur Spannungen 45 W¨ arme-ausdehnungskoeffizient 17 – -dehnungen 17, 21, 79 – -spannungen 21 Werkstoffkennwerte 18 Widerstandsmoment 112, 179, 198 Winkelverzerrung 74 W¨ olbkrafttorsion 190 Zentrifugalmoment 92 Zul¨ assige Spannung 10